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German Pages 341 Year 2006
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Band 160
Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht Von
Christiane Wandscher
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
CHRISTIANE WANDSCHER
Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von J o s t D e l b r ü c k, T h o m a s G i e g e r i c h und A n d r e a s Z i m m e r m a n n Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht
160
Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Rudolf Bernhardt Heidelberg
Eibe H. Riedel Universität Mannheim
Christine Chinkin London School of Economics
Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg
James Crawford University of Cambridge
Bruno Simma International Court of Justice, The Hague
Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis
Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg
Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht Von
Christiane Wandscher
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 3-428-12016-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern und meiner Schwester
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2005 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Für den Druck wurden die politischen Entwicklungen sowie neu erschienene Literatur soweit möglich bis November 2005 berücksichtigt. Ganz herzlich bedanken möchte ich mich an erster Stelle bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann. Seine hilfsbereite und überaus herzliche Betreuung und freundschaftliche Unterstützung sowie seine ständige Gesprächsbereitschaft haben ganz nachhaltig zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Darüber hinaus bin ich ihm ebenfalls für die zügige Begutachtung sehr dankbar. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Jost Delbrück für anregende Diskussionen und die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens sowie für die jahrelange Förderung am Institut bereits während meiner Zeit als wissenschaftliche Hilfskraft. Schließlich möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Andreas Zimmermann für zahlreiche Gespräche bedanken, die mir wertvolle Anregungen für die vorliegende Arbeit geliefert haben. Allen Dreien gebührt zudem mein ganz besonderer Dank dafür, dass sie als Direktoren des Walther-Schücking-Instituts eine so herzliche, familiäre und zugleich produktive Arbeitsatmosphäre geschaffen haben. Dankbar bin ich zudem Herrn Prof. Dr. Christian Tietje für die gewinnbringenden Diskussionen im Rahmen seiner Doktorantenkolloquien in Halle. Dem Auswärtigen Amt danke ich für die freundliche Gewährung einer Druckkostenbeteiligung. Bedanken möchte ich mich auch bei allen Mitarbeitern des WaltherSchücking-Instituts, insbesondere bei Dr. Ursula Heinz und Tilmann Laubner, für die wertvollen Anregungen und die Korrektur meiner Arbeit. Dr. Birte Siemen und Holger Scheel danke ich vor allem für die zeitweilige Unterbringung in Kiel während der Fertigstellung dieser Arbeit, und bei Herrn Gerhard Köster möchte ich mich für die schnelle Bindung der Arbeit bedanken.
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Vorwort
Herzlich danken möchte ich auch allen Freunden, die mich in der Zeit der Promotion begleitet haben. Ein besonderer Dank gebührt dabei Insa Graefe und Dr. Robin Geiß, die nicht nur die wertvollen, abschließenden Korrekturen meiner Arbeit vorgenommen haben, sondern während der gesamten Zeit für willkommenen Ausgleich zur wissenschaftlichen Arbeit gesorgt haben. Dass die Zeit am Walther-Schücking-Institut eine so einzigartige war, habe ich aber letztlich Dr. Alexander Schultz zu verdanken. Wir heiraten nächstes Jahr. Mein größter Dank gilt schließlich meiner Familie, insbesondere meinen Eltern und meiner Schwester, die mich während meiner gesamten Studienund Promotionszeit stets unterstützt und motiviert haben und auf die ich mich immer verlassen konnte. Ihnen widme ich diese Arbeit. Hamburg, im November 2005
Christiane Wandscher
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der auslegungsmethodische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 24 25
Erster Teil Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
27
1. Kapitel Die Entwicklung des Begriffs „Terrorismus“ auf regionaler und internationaler Ebene
27
A. Historische Entwicklung des Phänomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
B. Bedeutung bzw. Notwendigkeit einer Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
C. Die Definition des Terrorismus in den bisher verabschiedeten völkerrechtlichen Konventionen zur Terrorismusbekämpfung. . . . . . . . . . I. Allgemeine Merkmale aller Antiterrorkonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Internationales Übereinkommen über die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Definitionsversuche des Sicherheitsrates und der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ansätze der Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Resolutionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generalversammlungsresolution 40/61. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Generalversammlungsresolution 49/60. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Resolutionspraxis nach dem 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung einer umfassenden Terrorismuskonvention durch die Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einzelne Problembereiche der Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatmotiv. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Freiheitskämpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Staatsterrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 34 36 37 40 40 40 42 43 44 45 46 46 47 47 52
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Inhaltsverzeichnis
II.
b) Die Debatten im Anschluss an den 11. September 2001 – Rasche Verabschiedung der Konvention oder Utopie der Vollendung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansätze des Sicherheitsrats. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklungen in der Resolutionspraxis bis 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachfolgende Resolutionspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 59 59 60
E. Definitionsansätze durch internationale Gerichtshöfe und Tribunale . . . . 63 F. Ansätze auf regionaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ansätze in Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inter-American Convention Against Terrorism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Convention of Organisation of Islamic Conference on Combating International Terrorism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Arab Convention for the Suppression of Terrorism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. OAU Convention on the Prevention and Combating of Terrorism. . . . . . VI. Treaty on Cooperation among States Members of the Commonwealth of Independent States in Combating Terrorism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Shanghai Convention on Combating Terrorism, Separatism and Extremism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66 68 75 76 79 80 82 83
G. Ansätze auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Die kriminelle Handlung als gemeinsames objektives Element . . . . . . . . 84 II. Die Absicht als gemeinsames subjektives Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
2. Kapitel Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
90
A. Die objektiven Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Die erforderliche Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Besondere Anforderungen an das Opfer der terroristischen Handlung . . 93 B. Das subjektive Element: Motiv und Ziel in Abgrenzung zur organisierten Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 C. Ausnahmen von der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis zwischen internationalem, humanitärem Recht und den Regeln zur Bekämpfung des Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Generelles Verhältnis zwischen internationalem humanitärem Recht und den Regeln zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus . . 2. Streitkräfte eines Staates während eines bewaffneten Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nationale Befreiungsbewegungen während eines bewaffneten Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nationale Befreiungsbewegungen nach dem ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 99 100 102 103 104
Inhaltsverzeichnis
II.
11
b) Nationale Befreiungsbewegungen nach dem zweiten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Abgrenzung zum Staatsterrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
D. Ergebnis mit Arbeitsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Zweiter Teil Rechtfertigungsansätze für militärisches Vorgehen gegen internationalen Terrorismus
121
1. Kapitel Die umfassende Geltung des Gewaltverbots
124
2. Kapitel Selbstverteidigungsrecht gegenüber terroristischen Akten vor dem 11. September 2001 A. Rechtsquellen des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 UNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das gewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht sowie weitere mögliche Rechtsquellen neben Artikel 51 UNC als Ausnahmen vom Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Artikel 2 Ziffer 4 UNC. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Artikel 51 UNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Entstehungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der bewaffnete Angriff im Sinne des Artikel 51 UNC . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs im Rahmen von Artikel 51 UNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatenpraxis zu den Zurechnungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . aa) Militärischer Einsatz Israels im Libanon 1981. . . . . . . . . . . . . bb) Militärischer Einsatz Israels in Tunesien 1985. . . . . . . . . . . . . cc) Militärischer Einsatz der USA in Tripolis und Bengasi 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Militärischer Einsatz der USA gegen Irak 1993 . . . . . . . . . . . ee) Militärischer Einsatz der USA gegen Afghanistan und Sudan 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Militärischer Einsatz Irans gegen den Irak 1999 . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis b) Die Aggressionsdefinition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Relevante Urteile zu den Zurechnungskonstellationen . . . . . . . . . . aa) Das Nicaragua-Urteil des IGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Zurechnung militärischer Handlungen Privater . . . . . (2) Unterstützung Privater als eigener bewaffneter Angriff. (3) Dissenting Opinions der Richter Sir Jennings und Schwebel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zusammenfassung und Anwendung auf terroristische Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, IGH 1980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Tadic-Fall des ICTY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung der Staatenpraxis und Urteile hinsichtlich der Zurechnungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Endsendekonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterstützungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Duldungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unfähigkeitskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Intensitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das klassische Verständnis der Gegenwärtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Accumulation of events-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Recht auf präventive Selbstverteidigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Rechtsfolge des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wahrung des Unmittelbarkeitszusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“ . . . IV. Individuelle und kollektive Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II.
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D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Kapitel Das Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Akte nach dem 11. September 2001 A. Die Darstellung aller für das Selbstverteidigungsrecht rechtlich relevanten Ereignisse ab 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die militärische Reaktion der USA und ihrer Verbündeten auf die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahmen der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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3. Stellungnahmen Großbritanniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahmen der NATO und der NATO-Mitgliedstaaten . . . . . . . 5. Europäische Union. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Weitere Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Militärischer Einsatz Israels in Syrien 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsüberzeugung Russlands als Reaktion auf terroristische Anschläge 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Neuere Resolutionspraxis in den VN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aussagen der Resolutionen 1373 und 1368. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Resolutionen im Zusammenhang mit Afghanistan und anderen terroristischen Anschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Generalversammlungsresolution 56/1 vom 12. September 2001 und nachfolgende Resolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die relevante IGH-Rechtsprechung nach 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Case concerning Oil Platforms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Advisory Opinion des IGH 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deklaration des Richters Buergenthal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sondervotum des Richters Kooijmans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sondervotum der Richterin Higgins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Reaktionen auf das Urteil in der Staatengemeinschaft . . . . . . . . . . f) Zusammenfassende Würdigung des Urteils. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Draft Articles on State Responsibility der International Law Commission von 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Relevanz der Entwürfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handlungen von Organen und de facto Organen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handlungen von Privaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Conduct directed or controlled by a State“ gemäß Artikel 8 ILC-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Conduct acknowledged and adopted by a State as its own gemäß Artikel 11 ILC-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassende Würdigung der Zurechnung terroristischer Anschläge nach dem ILC-Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Bewertung der Ereignisse des 11. Septembers 2001 in der Völkerrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Artikel 51 gegen nicht-staatliche bewaffnete Angriffe – partielle Völkerrechtssubjektivität für terroristische Gruppierungen . . . . . . . . . 2. Artikel 51 UNC gegen staatliche bewaffnete Angriffe mit unterschiedlichen Zurechnungskonstellationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Festhalten am strengen Zurechnungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiterentwicklung der Zurechnungskriterien nach dem 11. September 2001. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Notstandslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
B. Die „neue“ Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsquelle des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der bewaffnete Angriff im Sinne des Artikel 51 UNC . . . . . . . . . . . . . a) Das Erfordernis der Staatlichkeit eines bewaffneten Angriffs im Rahmen von Artikel 51 UNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ergebnis der Untersuchung der Staatenpraxis, Resolutionen und Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Würdigung der Ergebnisse der Praxis mittels der textorientierten Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Völkerrechtssubjektivität von Terroristen. . . . . . . . . . . (b) Schutzzweck des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . (c) Rechtscharakter des Selbstverteidigungsrechtes: Notstandsrecht versus Notwehrrecht gegen einen rechtswidrigen Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit der Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verstoß gegen Kooperationsverpflichtung des Aufenthaltsstaates als Anknüpfung für eine Zurechnung. . . . . . . . . . . . . . . bb) Analoge Anwendung des Neutralitätsrechtes auf den Aufenthaltsstaat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis hinsichtlich der Entbehrlichkeit einzelner Zurechnungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die einzelnen Zurechnungskonstellationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entsendekonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterstützungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Duldungskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unfähigkeitskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Zurechnung eines bewaffneten Angriffs bei von einem Failed State ausgehenden terroristischen Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Conduct carried out in the absence or default of the official authorities gemäß Artikel 9 ILC-Entwurf . . . . . . (3) Korrektiv der Zurechnungskriterien in Failed State Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beweislast. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) „Bewaffneter“ Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Das Intensitätserfordernis bei terroristischen Angriffen . . . . . . . . .
229 229 232 232 232 232 234 234 234 235 236 238
239 242 243 243 243 244 245 245 245 246 251 255
256 257 258 260 262 263
Inhaltsverzeichnis aa) Ergebnis der Untersuchung der Staatenpraxis, Resolutionen und Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Würdigung der Ergebnisse der Praxis mittels der textorientierten Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ergebnis der Untersuchung der Staatenpraxis, Resolutionen und Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Würdigung der Ergebnisse der Praxis mittels der textorientierten Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Staat als Ziel terroristischer Anschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Individuen als Ziel terroristischer Anschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Individuen im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Individuen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolge des Selbstverteidigungsrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahrung des Unmittelbarkeitszusammenhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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263 265 265 266 267 268 268 269 270 271 271 271 273 273 274 275 275 276 279 279 280 283
4. Kapitel Das antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Anschläge
284
A. Die National Security Strategy der USA von 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 B. Der I. II. III.
militärische Einsatz im Irak 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahmen der Staaten zum Einsatz militärischer Gewalt im Irak . Rechtfertigungsansätze des Militäreinsatzes und ihre Bewertung . . . . . . 1. Ermächtigung des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII. . . . . . . . . . . . . a) Bewertung der Rechtfertigung durch die Resolutionen 678, 687 und 1441 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhaltliche und zeitliche Reichweite der Resolution 678 (1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
286 286 294 296 296 297 298
16
Inhaltsverzeichnis bb) Resolution 687 (1991) und ihre Konsequenzen für Resolution 678 (1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der „material breach“-Ansatz gemäß Resolution 1441 und die Konsequenzen für Resolution 678 (1990) . . . . . . . . . . . . . . (1) Direkte Ermächtigung des Sicherheitsrates in Resolution 1441? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Implizite Ermächtigung des Sicherheitsrats durch Resolution 1441? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachträgliche Genehmigung des militärischen Einsatzes durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtfertigung des Einsatzes durch das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 UNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Die der I. II.
302 303 303 304 305 306
„neue“ Bewertung des Bestehens und der Voraussetzungen antizipatorischen und präemptiven Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . 308 Das Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Die Existenz und Legitimation eines Rechts auf präemptive Selbstverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
Zusammenfassung und Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
Abkürzungsverzeichnis a. A. Abl. Abs. AJIL AöR Art. ASIL AVR BayVBl Bd. BDGV BGBl. Bsp. BYIL CJIL CTC Ders. d.h. Dies. Doc. DVBl EA EG EGMR EJIL EPIL ETS EuGRZ EUV f./ff. Fn. FS GK GYIL h. M. Hrsg.
andere Ansicht Amtsblatt Absatz American Journal of International Law Archiv des öffentlichen Rechts Artikel American Society of International Law Archiv des Völkerrechts Bayrisches Verwaltungsblatt Band Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetzblatt Beispiel British Yearbook of International Law Chicago Journal of International Law Counter Terrorism Committee Derselbe das heißt Dieselbe Dokument Deutsches Verwaltungsblatt Europa Archiv Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Journal of International Law Encyclopaedia of Public International Law Europaen Treaty Series Europäische Grundrechtezeitschrift Vertrag über die Gründung der Europäischen Union folgende bzw. fortfolgende Fußnote Festschrift Genfer Konventionen German Yearbook of International Law herrschende Meinung Herausgeber
18
Abkürzungsverzeichnis
HUV Humanitäres Völkerrecht ICJ International Court of Justice ICLQ International and Comparative Law Quarterly ICTR International Criminal Tribunal for Rwanda ICTY International Criminal Tribunal for Yugoslavia IGH Internationaler Gerichtshof ILC International Law Commission ILM International Legal Materials ILR International Law Reports IYHR Israel Yearbook of Human Rights JA Juristische Arbeitsblätter JZ Juristenzeitung Max Planck UNYB Max Planck Yearbook of United Nations Law m. w. N. mit weiteren Nachweisen NGO Nongovernmental Organization NILR Netherlands International Law Review NJW Neue Juristische Wochenschrift NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NYIL Netherlands Yearbook of International Law NZWehrr Neue Zeitschrift für Wehrrecht OAS Organisation of American States OAU Organization of African Unity OIC Organisation of Islamic Conference ÖZÖR Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht PCIJ Permanent Court of International Justice RdC Recueil des Cours Rep. Report Rn. Randnummer S. Seite s. siehe SAARC South Asian Association for Regional Cooperation StV Strafverteidiger SZIER Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht TREVI terrorism, radicalism, extremism, violence, international UNC United Nations Charter UNTS United Nations Treaty Series v. versus vgl. vergleiche Vol. Volume WVK Wiener Vertragsrechtskonvention
Abkürzungsverzeichnis ZaöRV ZAR z. B. ZP
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik zum Beispiel Zusatzprotokoll
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Einleitung Die traumatischen Erlebnisse der terroristischen Anschläge der letzten Jahre und die darauf folgende „Kriegserklärung“ gegen den Terror stellen den Kerngehalt des Völkerrechts, das Gewaltverbot und seine zulässigen Ausnahmen, grundlegend in Frage. Das Völkerrecht sieht sich verstärkt dem Vorwurf reiner Theorie ausgesetzt.1 Pointiert führt Glennon aus: „[. . .] the rules concerning the use of force are no longer regarded as obligatory by states. Between 1945 and 1999, two-thirds of the members of the United Nations – 126 states out of 189 – fought 291 interstate conflicts in which over 22 million people were killed. [. . .] The international system has come to subsist in a parallel universe of two systems one de jure, and the other de facto. The de jure system consists of illusory rules that would govern the use of force among states in a platonic world of forms, a world that does not exist. The de facto system consists of actual state practice in a real world, a world in which states weigh costs against benefits in regular disregard of the rules solemnly proclaimed in the all-but-ignored de jure system. The decaying de jure catechism is overly schematised and scholastic, disconnected from state behavior, and unrealistic in its aspirations for state conduct.“2
Vorweggenommen sei jedoch schon an dieser Stelle, dass die nachfolgend zu untersuchenden Ereignisse weder die Existenz des Völkerrechts noch dessen generelle Funktionsfähigkeit tatsächlich in Frage stellen.3 Zwar ist die Durchsetzung internationalen Rechts eines seiner zentralsten Probleme. Davon zu trennen ist jedoch die Existenz von Regeln, deren Bestehen Voraussetzung für die Diskussion über ihre Durchsetzung ist. Die aktuellen Konflikte bieten keine Grundlage, um die Existenz des internationalen Rechts und seine generelle Funktionsfähigkeit anzuzweifeln.4 Im Zusammenhang mit den militärischen Einsätzen in Afghanistan und Irak haben 1
Thürer, AVR 41 (2003), S. 314 f. Glennon, Harvard Journal of Law and Public Policy 25 (2002), S. 539. 3 So auch Glennon nach den Geschehnissen im Irak, Foreign Affairs 82 (2003), S. 16 ff. Jedenfalls auch das Gewaltverbot generell zur Disposition stellend nach den Ereignissen des Iraks Fassbender, EuGRZ 2004, S. 241; Damrosch/Oxman, AJIL 97 (2003), S. 553. Dagegen jedoch eine Reihe von Autoren, so etwa: Franck, AJIL 97 (2003), S. 617 f.; Falk, AJIL 97 (2003), S. 590 ff. 4 So auch Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 3 f.; Bothe, AVR 41 (2003), S. 256; Frowein, Ist das Völkerrecht tot?, FAZ vom 23. Juli 2003, S. 6; Beard, Harvard Journal of Law and Public Policy 25 (2002), S. 589 f. 2
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Einleitung
die handelnden Staaten die Existenz internationalen Rechts, insbesondere des Gewaltverbots, nicht bestritten, sondern sich vielmehr auf dieses Recht berufen und versucht, ihr Agieren mit Ausnahmen von der Verbotsnorm, vor allem mit dem Selbstverteidigungsrecht zu begründen. Die Auffassung, dass der Terrorismus augenblicklich die größte Bedrohung für die Sicherheit in der Welt darstellt, ist weitverbreitet.5 Insbesondere die Anschläge vom 11. September 2001, sowie die Anschläge auf Bali, in Russland, in Madrid und in verschiedenen Teilen Afrikas sind Auslöser diese Sichtweise. War Terrorismus in der Vergangenheit zunächst ein eingrenzbares Phänomen, das in seinen Ursachen, Zielen, Aktionsfeldern und Wirkungen auf bestimmte territoriale Konflikte bezogen war, bei denen es zumeist um Gebietsansprüche, Unabhängigkeit oder Autonomieforderungen ging, hat sich dieses Phänomen nunmehr zu einer Art „Weltterrorismus“ entwickelt, der in der Tendenz keine feste territoriale Begrenzung mehr aufweist.6 Zugleich sind terroristische Anschläge weniger vorhersehbar als noch in der Vergangenheit.7 Sie zeichnen sich vielmehr durch ihre überregionalen Hintergründe und Zielsetzungen, die weltweite Vernetzung ihrer Akteure und Aktionsfelder, den Einsatz von Mitteln mit schwerwiegenden Folgen und die Betroffenheit der Weltgesellschaft als Ganzes aus.8 Unterstützt wird diese neue Dimension des Terrorismus durch weite Kommunikations- und Verbreitungsmöglichkeiten durch moderne Medien, neue bzw. vereinfachte Möglichkeiten, Waffen mit größerem Effekt herzustellen als herkömmliche Waffen sie besitzen, sowie leichtere Finanzierungsoptionen.9 Seit dem Herbst 2001 führen die Vereinigten Staaten den „war on terrorism“. Der Gegner, der internationale Terrorismus, ist jedoch kein klassischer Kriegsgegner, kein Staat. Dieser Gegner, dessen Akteure nur wenig fassbar sind und deren Ziele schwer zu identifizieren sind, fügt sich nicht in das althergebrachte, auf Nationalstaaten aufbauende, westfälische System der internationalen Beziehungen. 5 Vergleiche nur die Stellungnahme Kofi Annans vom 21.03.2005 zur Reformierung der Charta der Vereinten Nationen, abrufbar unter: www.un.org/largerfreedom/ report-largerfreedom.pdf, Rn. 87 ff. Darüber hinaus wird dies auch innerhalb der Stellungnahmen der Staaten zu den Ereignissen des 11. Septembers 2001 sehr deutlich, siehe dazu unten S. 189 ff. 6 Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 161. 7 Hoffmann-Riem, ZRP 2002, S. 498 ff.; Thomas Assheuer, Hat Bush Recht?, Die Zeit Nr. 16, vom 10. April 2003, S. 49. 8 Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 161. Für eine gute Diskussion über den 11. September 2001 als Wendepunkt in der Entwicklung des internationalen Terrorismus siehe Smith, Parameters 32 (2002), S. 33. 9 Delbrück, GYIL 44 (2001), S. 20; Hoffmann-Riem, ZRP 2002, S. 498.
Einleitung
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Zu Recht herrscht weitgehende Einigkeit in der Literatur, dass der von Präsident Bush verkündete „global war on terrorism“10 kein Krieg im Sinne des internationalen Rechts ist, sondern damit lediglich eine politische Strategie verfolgt wurde.11 Krieg im völkerrechtlichen Sinne bedeutet einen „bewaffneten internationalen Konflikt“. Der Begriff „Krieg“ beinhaltet danach bewaffnete Konflikte zwischen Staaten oder zwischen einem Staat und einer organisierten Gruppe oder zwischen mehreren solchen Gruppen. Bewaffnete Aktivitäten von nichtstaatlichen Gruppen gegen die Zivilbevölkerung eines anderen Staates unterfallen diesem Begriff hingegen nicht.12 Sie zum Bezugspunkt von Kriegshandlungen zu erklären, läuft auf ein Kriegsverständnis hinaus, das dem Thomas Hobbes’ ähnelt, nämlich des „Kampfes jeder gegen jeden“. Es bedarf zweifelsohne effektiver Mechanismen, um der zuvor ungeahnten Bedrohung durch terroristische Gewalttaten Herr zu werden.13 Dennoch gilt es im Folgenden aufzudecken, wie mit solchen Situationen umgegangen werden muss, welche Antworten sich aus dem bestehenden System kollektiver Sicherheit ergeben und an welchen Stellen möglicherweise die Notwendigkeit zur Anpassung an die neuen Bedrohungsszenarien besteht. Eines darf jedoch niemals außer Acht gelassen werde: Ausgangspunkt einer jeden Entwicklung zu terroristischen Straftaten sind tatsächliche oder vermeintliche gesellschaftliche Probleme, die durch demokratische Parteien und die meinungsbildenden Kräfte nicht oder nur unzureichend diskutiert und gelöst erscheinen.14 Der Versuch einer erfolgreichen Bekämpfung des terroristischen Bedrohungspotentials in seiner neuen Dimension setzt Vielerlei voraus: eine internationale Kooperationsbereitschaft und die damit verbundene Hinnahme bestimmter Souveränitätseinbußen, Prävention, Aufklärung und Verfolgung sowie eine möglichst präzise definitorische Eingrenzung des Terrorismusbegriffs als Vorbedingung einer Schaffung grenzüberschreitend wirksamer Rechts- und Eingriffsgrundlagen.15 10 Siehe u. a. die Bemerkungen Bushs am 1. Juni 2002 zur Graduation Exercise of the United States Military Academy, abrufbar unter: http://www.whitehouse.gov/ news/releases/2002/06/20020601-3.html (Stand: 15. September 2005). Less, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 644 ff. 11 Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 779 ff.; vgl. a. Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 536; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 7; Seidel, AVR 41 (2003), S. 460; Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 15 f.; Howard, Foreign Affairs, 2002, S. 8; Hetzer, ZRP 2005, S. 132 ff. 12 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 536; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 7; Wolfrum/Philipp, Max Planck UNYB 6 (2002), S. 588. 13 Ruffert, ZRP 2002, S. 252. 14 Nehm, NJW 2002, S. 2665. 15 v. Bubnoff, NJW 2002, S. 2672.
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Einleitung
Vor diesem Hintergrund ist das Thema der Arbeit, unter welchen Voraussetzungen Selbstverteidigung gegen internationalen Terrorismus ausgeübt werden darf, immer als ultima ratio-Lösung zu sehen, nachdem alle anderen gewaltlosen Mittel versagt haben. I. Gang der Darstellung Im ersten Teil der Arbeit werden anhand der Entwicklung des Begriffs „Terrorismus“ auf regionaler und internationaler Ebene die einzelnen Merkmale des Begriffs konkretisiert und zum Ergebnis einer definitorischen Annäherung an „internationalen Terrorismus“ geführt. Diese erfolgt in Abgrenzung zu Gewalthandlungen anderer privater Akteure. Nur für terroristische Gewaltakte im Sinne dieser Definition werden dann die Reaktionsmöglichkeiten im zweiten Teil zu bestimmen sein. Reaktionen auf andere private Gewaltakte, wie etwa solche organisierter Kriminalität, können nicht berücksichtigt werden. Nach einem Überblick über die Geltung des Gewaltverbots im ersten Kapitel des zweiten Teils soll im zweiten Kapitel sodann zunächst dargestellt werden, welche Rechtslage hinsichtlich militärischer Reaktionen auf internationalen Terrorismus nach überwiegender Auffassung jedenfalls bis zum 11. September 2001 galt. Vorweggenommen sei schon an dieser Stelle, dass bis zu diesem Zeitpunkt ein Selbstverteidigungsrecht eines Staates gegen das Hoheitsgebiet eines anderen Staates nur dann in Betracht kam, wenn die terroristischen Anschläge diesem Staat auch zurechenbar waren.16 Auf der Grundlage dieser zusammenfassenden Darstellung der geltenden Rechtslage bis 2001 soll dann im dritten Kapitel eine umfassende Würdigung rechtlich relevanter Ereignisse ab dem 11. September 2001 erfolgen, die zu einer „neuen“ Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes unter Berücksichtigung der textorientierten Auslegung führen. Das Hauptaugenmerk soll dabei auf dem Aspekt liegen, ob terroristische Aktivitäten einem anderen Staat zurechenbar sein müssen und welche Voraussetzungen gegebenenfalls dafür vorliegen müssen. 16 Zur Frage der Zurechnung privaten Verhaltens zu einem Staat im Allgemeinen bestehen bereits eine Reihe umfangreicher, wertvoller Arbeiten bis 1998, auf die im Rahmen der zusammenfassenden Darstellung des ersten Kapitels des zweiten Teils zurückgegriffen wird und die eine Darstellung in Kürze gebieten. Siehe insbesondere Epiney, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten für rechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit Aktionen Privater, 1992; Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht, 1997; Condorelli, RdC 189 (1984-VI), S. 19 ff. Speziell im Zusammenhang mit dem Selbstverteidigungsrecht vor allem Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht.
Einleitung
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II. Der auslegungsmethodische Ansatz Im Rahmen des dritten Kapitels des zweiten Teils der Arbeit wird folgender methodischer Ansatz verfolgt: Zunächst soll eine Untersuchung der Staatenpraxis der Vertragsparteien sowie der Organe der Vereinten Nationen bezüglich des Selbstverteidigungsrechtes erfolgen. Dass diese spätere Praxis im Rahmen der Vertragsauslegung zu berücksichtigen ist, ist allgemein anerkannt und in Art. 31 Ziff. 2 b) WVK festgelegt.17 An der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Auslegungsregeln in der WVK bestehen keine Zweifel.18 Diese spätere Praxis ist als selbstständiger, gleichrangiger Auslegungsgesichtspunkt neben den übrigen zu behandeln.19 Anschließend soll dann die Vereinbarkeit des Ergebnisses der Praxis mit der textorientierten Auslegung der jeweiligen zu untersuchenden Vorschrift überprüft werden. Wie in Art. 31 WVK festgelegt, ist der Vertrag nach seinem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang der Vertragsbestimmungen untereinander, nach dem mit dem Vertrag verfolgten Sinn und Zweck sowie gem. Art. 32 WVK ergänzend anhand der vorbereitenden Arbeiten und der Umstände des Vertragsschlusses auszulegen. In diesem Teil finden sich dann auch althergebrachte Argumente, die bereits vor 2001 zur Begründung einer bestimmten Rechtslage vorgebracht wurden, die jedoch in einer Gesamtwürdigung unter Hinzuziehung neuer Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. Eine einheitliche Staatenpraxis zum Gewaltverbot, dessen Kerngedanke überragendes Ziel der Charta ist, und zu dessen Ausnahmen lässt sich jedoch schwer feststellen. Dies resultiert nicht zuletzt aus den politischen Einzelinteressen, die hinter Gewalteinsätzen stecken und die in unterschiedlichen Situationen sehr verschieden gelagert sein können, so dass widersprüchliches Verhalten von Staaten nicht fern liegt. Insofern stellt sich die Frage des Verhältnisses der Staatenpraxis zu der textorientierten Auslegung, 17 Statt vieler Ress, in: Simma, Interpretation, Rn. 27 ff. Auch der IGH hat dies bereits 1949 hervorgehoben, ICJ Reports 1949, S. 180. 18 Case concerning the Territorial Dispute (Libyan Arab Jamahariya v. Chad), ICJ Reports 1994, 21 f.; Certain Expenses of the United Nations (Advisory Opinion), ICJ Reports 1962, 158; Competence of the General Assembly for the Admission of a State to the United Nations (Advisory Opinion), ICJ Reports 1950, 8; StIGH, Polish Postal Service in Danzig, PCIJ, Series B, No. 11, 39; Belgium et al v. Federal Republik of Germany, 1980, ILR 59, 529; Restriction to the Death Penalty, 1983, ILR 70, 466; EuGMR, Golder Case, Series A, Vol. 18 (1975), 14; Bernhardt, in: EPIL, Bd. II, S. 1419, 1421; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 11 Rn. 11. 19 Dies ist bereits mehrfach überzeugend und umfassend dargelegt worden, siehe Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 139 ff.; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, S. 34.
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Einleitung
da Art. 31 Ziff. 2 b) WVK von einer einheitlichen Staatenpraxis ausgeht. Allerdings ist es nicht überzeugend, im Rahmen der Konkretisierung der heranzuziehenden Normen nur dann die Staatenpraxis zu berücksichtigen, wenn sie ein vollkommen einhelliges Bild abgibt, da dies bereits dem Anspruch der Charta als „living instrument“ nicht gerecht würde. Daher wird im Folgenden ein Übergewicht an Praxis für eine bestimmte Konkretisierung einer Norm ausreichen, wenn auch die besseren Gründe im Rahmen der textorientierten Auslegung für diese sprechen. Höhere Anforderungen im Sinne eines deutlichen Übergewichtes an Praxis sind erforderlich, wenn wichtige Gründe der textorientierten Auslegung gegen eine solche Konkretisierung sprechen. Bei eindeutigem Wortlaut scheidet ein Rückgriff auf andere außerhalb des Textes liegende Erkenntnismittel aus.20 Die vorrangige Anerkennung der Praxis ist dann aufgrund Art. 103 UNC ausgeschlossen. In Frage kommt dann nur noch eine Vertragsänderung gemäß Art. 108 UNC. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Gewichtung der unterschiedlichen Praxis als solche. Herangezogen werden im Folgenden die Praxis der Staaten, der Generalversammlung und des Sicherheitsrates sowie Urteile des IGH. Die Praxis der Staaten, die vor dem Hintergrund eigener Interessen widersprüchlich agieren oder keine rechtlich eindeutigen Stellungnahmen abgeben, um eigenes entgegenstehendes Verhalten weiter offen zu lassen, ist damit nur eine Quelle zur Darlegung einer überwiegenden Praxis. Daneben ist die Organpraxis der Vereinten Nationen von besonderer Bedeutung. So spiegeln die im Konsens verabschiedeten Generalversammlungsresolutionen eine einhellige Rechtsüberzeugung der daran beteiligten Staaten wider. Dies gilt gleichfalls für die im Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen, allerdings nur hinsichtlich der Überzeugung seiner Mitglieder. Anders verhält es sich bei Sicherheitsratsresolutionen, die auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta ergangen sind. Diese sind für alle Mitgliedstaaten zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verbindlich, auch hinsichtlich der darin enthaltenden Auslegungen. Ein geringeres Gewicht ist den Urteilen und Gutachten des IGH beizumessen. Zwar können sie gemäß Art. 31 Ziff. 3 a) WVK ebenfalls berücksichtigt werden. Bestreitet hingegen eine Partei bereits beispielsweise die Zuständigkeit des IGH, so ist den nachfolgenden Ausführungen zu weiteren Streitpunkten geringere Bedeutung zuzumessen, so dass das Urteil nur als nachrangige Staatenpraxis zu bewerten ist.21 20
Ress, in: Simma, Interpretation, Rn. 23. In solchen Fällen wird auf Art. 32 WVK verwiesen. Siehe Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 11 Rn. 3. 21
Erster Teil
Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“ 1. Kapitel
Die Entwicklung des Begriffs „Terrorismus“ auf regionaler und internationaler Ebene A. Historische Entwicklung des Phänomens Zwar waren sich nahezu alle Staaten einig, dass etwa die Anschläge vom 11. September 2001 Akte des Terrorismus darstellen. Auch andere Anschläge in der Vergangenheit wurden übereinstimmend als „terroristische“ gewertet. Gesichert ist bis zum heutigen Tage jedoch nur die Erkenntnis, dass eine einheitliche Terrorismusdefinition nicht existiert. Als kleinsten gemeinsamen Nenner werden nach den verheerenden Anschlägen der letzten Jahre alle Oppermann zustimmen, der schon 1981 feststellte: „Terrorismus [ist] im Kern nichts anderes als die Verneinung einiger der fundamentalsten Prinzipien des Völkerrechts überhaupt.“1 So verwundert es wenig, dass die internationale Gemeinschaft schon seit langer Zeit bemüht ist, dieser Gefahr Herr zu werden. Seine Ursprünge findet der Fachterminus Terrorismus weit zurückliegend in der französischen Revolution während der Schreckensherrschaft der Jakobiner („lat: terrore“), die man wohl heute als Staatsterrorismus bezeichnen würde.2 Das von ihm gekennzeichnete Phänomen politisch motivierter Anschläge von Individuen ist aber spätestens seit dem Römischen Reich bekannt.3 Auch der heute im Zentrum internationaler Bemühungen stehende Terrorismus als Gruppenerscheinung ist nicht erst ein Phänomen des 20. oder 1
Oppermann, in: FS Schlochauer, S. 496. Detter de Lupis, Law of War, S. 19 m. w. N. 3 Zum Ursprung eingehend Wurth, La Répression Internationale du Terrorisme, S. II-15; Friedlander, in: EPIL, Bd. IV, 2000, S. 845 ff.; Lacoste, Die europäische Terrorismus-Konvention, S. 10 ff. 2
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
gar 21. Jahrhunderts, sondern trat erstmals im 12. und 13. Jahrhundert auf. Hasan-i Sabah gründete Ende des 11. Jahrhunderts in Khorasam den Geheimorden der „Assassinen“, eine fanatische islamische Sekte, welche ihre Opfer sowohl unter Christen als auch weniger streng gläubigen Moslems suchte.4 Gewicht erlangte das Problem des Terrorismus Ende des 19ten und Anfang des 20sten Jahrhunderts im Zusammenhang mit verschiedenen politischen Morden. So wurden, um einige prominente Beispiele zu nennen, der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand (1914), König Alexander von Jugoslawien (1934) und der Französische Außenminister Louis Barthou (1934) Opfer terroristischer Anschläge.5 Diese drei Anschläge, die sich vor allem gegen den europäischen Frieden und die von Barthou verfolgte Idee eines Systems kollektiver Sicherheit richteten,6 führten dazu, dass sich ein Expertenausschuss mit der Thematik befasste und dem Völkerbund am 16. November 1937 die „Genfer Konvention zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus“ zur Unterzeichnung vorlegte.7 Die Konvention stellte den ersten Versuch auf internationaler Ebene dar, dem internationalen Terrorismus durch ein multilaterales Abkommen zu begegnen. Art. 1 Abs. 2 des Vertragsentwurfes bestimmt, dass „Terrorakte verbrecherische Handlungen [sind], die gegen einen Staat gerichtet sind und bezwecken oder geeignet sind, bei bestimmten Persönlichkeiten, Gruppen von Personen oder im Publikum Terror hervorzurufen“.8 Dieses erste internationale Abkommen zur umfassenden Bekämpfung des Terrorismus wurde jedoch allein von Indien ratifiziert, von 24 Staaten unterzeichnet und trat infolge des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges nie in Kraft.9 Es wird angenommen, dass einige Staaten eine Ratifikation des Abkommens aufgrund der Weite der Definition ablehnten.10 4 Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 2; Friedlander, in: EPIL, Bd. IV, 2000, S. 845 ff.; Guillaume, RdC 215 (1989-III), S. 287, 295 ff. 5 Schrijver, NILR 48 (2001), S. 273. 6 Wüstenhagen, in: Praxishandbuch UNO, S. 103. 7 League of Nations Doc. C.546.M383.1937.V (1937). Zu den vorangegangenen internationalen Konferenzen zur Vereinheitlichung des Strafrechts siehe Lacoste, Die europäische Terrorismus-Konvention, S. 14-16, die jedoch keine entscheidenden Ergebnisse hervorbrachten. 8 Siehe insgesamt zu der Konvention auch Lacoste, Die europäische TerrorismusKonvention, S. 19 f.; Franck/Lockwood, AJIL 68 (1974), S. 70. 9 Franck/Lockwood, AJIL 68 (1974), S. 70; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 2; Piper, Was ist Internationaler Terrorismus?, abrufbar unter: http://www.uni-kassel. de/fb10/frieden/themen/Terrorismus/piper2.html (Stand: 15. September 2005); Heintze, Völkerrecht und Terrorismus, in: Hirschmann/Gerhard, S. 218; Schrijver, NILR 48 (2001), S. 273. 10 Murphy, IYHR 19 (1989), S. 15; Franck/Lockwood, AJIL 68 (1974), S. 70; anders Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen, S. 429, der die Genfer
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kam es vor allem zu Gewaltakten zwischen Kolonialmächten und Befreiungsbewegungen. Bassiouni formulierte das definitorische Debakel folgendermaßen: „what is terrorism to some is heroism to others“; oder anders formuliert „that one state’s terrorist is another state’s freedom fighter“.11 Diese allseits bekannte Redewendung zeigt die Schwierigkeiten zu unterscheiden, ob es sich bei dem fraglichen Gewaltakt um einen terroristischen Akt handelt oder ob es um den legitimen Kampf eines Volkes um sein Recht auf Selbstbestimmung geht.12 Vor allem die Tötung von elf israelischen Olympiateilnehmern in München am 6. September 1972 durch arabische Terroristen war der Auslöser für neue Anstrengungen zur Bekämpfung des Terrorismus.13 Die unüberwindbaren Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Abgrenzungsfragen führten jedoch dazu, dass die infolge verschiedener terroristischer Aktivitäten von den USA vorgeschlagenen „Draft Convention for the Prevention and Punishment of Certain Acts of International Terrorism“ von 1972 scheiterte.14 Auch im weiteren Verlauf schlugen alle – es waren an der Zahl nicht wenige – Definitionsversuche immer wieder wegen altbekannter Streitpunkte fehl. Weder waren sich die Staaten einig, ob Staatsterrorismus mit in eine Definition aufgenommen werden müsse, noch ob nationale Befreiungsbewegungen aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen sein sollten. Eng zusammenhängend mit diesen beiden Aspekten stellten sich die Fragen, welches die notwendigen Tathandlungen seien, ob in Abgrenzung zu sonstigen kriminellen Handlungen eine politische Motivation hinter der Tat stecken Konvention des Völkerbundes mit Resolution 61 der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1985 vergleicht und feststellt, dass es sich um nicht per se rechtsverbindliche Dokumente handelt, jedoch der Druck äußerer Ereignisse zu historisch sehr unterschiedlichen Zeitpunkten Festlegungen auf weitgehend übereinstimmende Kriterien hervorbringt, und insofern von einer zumindest in wesentlichen Punkten übereinstimmenden Rechtsüberzeugung gesprochen werden kann. 11 Friedlander, in: EPIL, Bd. IV, 2000, S. 846; http://www.undcp.org/terrorism_ definitions.html (Stand 15. September 2005). 12 Schrijver, NILR 48 (2001), S. 273. 13 Neben dem Anschlag bei den olympischen Spielen gab es noch eine große Anzahl weiterer Terrorakte während dieses Jahres, zu diesen und der Reaktion des damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, näher Wüstenhagen, Praxishandbuch UNO, S. 104 ff. 14 Draft Convention for the Prevention and Punishment of Certain Acts of International Terrorism (Draft Convention to Prevent the Spread of Terrorist Violence), UN Doc. A/C.6/L.850 (1972). Insbesondere wurde gegen den Vorschlag der Vorwurf erhoben, dass er eine List gegen den legitimen Kampf der Völker gegen Kolonialisierung und Fremdherrschaft sei, vergleiche genauer zu den einzelnen Problemen des Vorschlags der USA und den Meinungen einiger Staaten Murphy, IYHR 19 (1989), S. 16–17.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
müsse und ob sich Terrorismus von Guerillakriegen unterscheide. Die angesprochenen Probleme machen deutlich, in welchen unterschiedlichen Konstellationen Terrorismus auftauchen kann und wie eng eine Definition mit hochsensiblen politischen Themen verknüpft ist. Akte des Terrorismus können also sowohl durch als auch gegen eine Regierung oder internationale Organisation, jedoch auch durch und gegen Private verübt werden, sie können auf die Terrorisierung des Opfers wie auch Dritter abzielen, in der Öffentlichkeit oder versteckt erfolgen und schließlich innerhalb wie außerhalb bewaffneter Konflikte in Erscheinung treten.15
B. Bedeutung bzw. Notwendigkeit einer Definition Aus dieser Vielfältigkeit resultierend erschien schon 1985 die Suche nach einer Definition einem Volkssport an den Universitäten gleichzukommen,16 so dass es nicht verwunderlich ist, dass Levitt zu dem Schluss kommt, „[. . .] that a deductive legal definition is not really necessary. Indeed, it is not clear that such a definition would even be beneficial. In the international context, given the intractable conceptual and political differences among states on this issue, it would be at best a watered-down, papered-over, exception-ridden orphan whose main practical result would provide a further basis for dispute and invective at the United Nations.“17
Weiter wurde das Konzept des „Terrorismus“ in der Literatur zum Teil als zu vage, unbestimmt und keinen rechtlich wirksamen Zweck erfüllend abgelehnt.18 Auch in der nach dem 11. September 2001 erneut entbrannten 15
Dinstein, in: FS Ago, S. 140. Überblick über die verschiedenen Ansätze einer Definition sowohl im Schrifttum wie auch in der Völkerrechtspraxis bei Kolb, Revue Hellénique de Droit International 50 (1997), S. 48-57. Zur Konvention näher Lacoste, Die europäische Terrorismus-Konvention, S. 20. Schon 1983 hat wie oft erwähnt wird eine Studie des Niederländers Alex P. Schmid ergeben, dass zwischen 1936 und 1981 insgesamt 109 unterschiedliche Definitionen des Terrorismus entwickelt worden sind, Schmid, Political Terrorism: A Research Guide, 1983, S. 76 f. erweitert wurde dies in der 2. Auflage, 1988, S. 5 ff. 17 Levitt, Ohio Northern University Law Review 13 (1986), S. 115, der die Suche nach einer Definition mit der nach dem heiligen Gral vergleicht, id., S. 97. 18 Baxter, Arkon Law Review 7 (1973/74), S. 380. Ähnlich auch Higgins: „Terrorism is a term without legal significance. It is merely a convenient way of alluding to activities, whether of States or of individuals, widely disapproved of and in which either the methods used are unlawful, or the targets protected, or both.“, dies., in: Higgins/Flory (eds.), Terrorism and International Law, S. 28. Auch Laqueur stellt 1977 fest, dass „eine allgemeine Definition des Terrorismus nicht existiert und in der nahen Zukunft auch nicht gefunden wird. Zu behaupten, dass Terrorismus ohne solch eine Definition nicht untersucht werden kann, ist offensichtlich absurd.“, Terrorism, 1977, S. 5. Dennoch kommt auch er in seinen späteren 16
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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Diskussion um eine Definition wird die Ansicht vertreten, dass die intellektuelle Anstrengung, eine Terrorismusdefinition zu finden, und die damit verbundene, notwendige gesetzgeberische Tätigkeit insbesondere dann nicht in der Realität von praktischem Nutzen ist, wenn damit über den fehlenden Willen zur Umsetzung daraus resultierender Konventionen hinweggetäuscht wird.19 Des Weiteren führe eine Uneinigkeit der Staaten nicht selten zu langen, schleppenden Verhandlungen mit anschließenden Kompromissen, die niemanden wirklich befriedigen und lange Ratifikationsprozesse mit sich ziehen.20 Es stellt sich demnach die Frage, ob ein eigenständiger rechtlich bedeutsamer Tatbestand des Terrorismus überhaupt existiert und ein erneuter Versuch hinsichtlich der Definition heute sinnvoll erscheint. In der Tat war es auf der internationalen Ebene in der Vergangenheit möglich, das Problem einer Definition zu umgehen, indem bestimmte Akte im Rahmen verschiedener Übereinkommen verboten wurden, ohne sie als Terrorismus zu bezeichnen.21 Spätestens jedoch nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 betrachten nahezu alle Staaten die Schaffung einer umfassenden Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus inklusive einer Definition des Terrorismus als Notwendigkeit und die bisher bestehenden Übereinkünfte als unzureichend.22 Daher wurden die Verhandlungen zum Erreichen dieses Ziels verstärkt. Schon zuvor war im Rahmen der Verhandlungen zum ICC-Statut die Aufnahme des Tatbestandes des Terrorismus diskutiert worden. Obwohl die Aufnahme nicht zuletzt an der Definition scheiterte, zweifelte kein Staat die rechtliche Bedeutung einer einheitlichen Definition des Begriffs Terrorismus an. Daneben zeigt ein Blick auf die nationale Ebene, dass viele Staaten dazu übergegangen sind, eine Definition des Begriffs Terrorismus in ihre jeweiligen gesetzlichen Regelungen aufzunehmen.23 Daher ist inzwischen unzweifelhaft, dass „Terrorismus“ nicht nur ein politischer Terminus, sondern vielmehr von rechtlicher Relevanz ist.24 Veröffentlichungen nicht ohne eine zumindest indirekte Definition aus. ders., S. 72; Laqueur, Dawn of Armageddon, S. 44; zur Kritik an Laqueur siehe Daase, Friedens-Warte 76 (2001), S. 57 ff. 19 Baxter, Arkon Law Review 7 (1973/74), S. 380; Sandoz, SZIER 12 (2002), S. 329. 20 Sandoz, SZIER 12 (2002), S. 329, der deshalb einer Definition ebenfalls skeptisch entgegensteht. 21 Siehe zu den einzelnen Terrorismuskonventionen unten S. 34 ff. 22 Siehe dazu unten S. 53. 23 Hugues, Journal de droit international 2002, S. 763 ff. Siehe zu den nationalen Regelungen unten S. 83 ff. 24 So im Ergebnis auch Sorel, EJIL 14 (2003), S. 370; Walter, in: Walter/ Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 24 f.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Neben der Existenz eines rechtlichen Konzepts „Terrorismus“ ist auch die genaue Bestimmung desselben erforderlich. Es wird nicht ausreichend sein, die Reaktionsmöglichkeiten auf Terrorismus dann zu bestimmen, wenn nach dem Motto „We know it when we see it“ 25 eine begangene Handlung als terroristischer Akt klassifiziert wird.26 Dieser Ansatz widerstrebt nicht nur einem jeden Juristen, der es gewohnt ist, abstrakte Definitionen zu schaffen. Es ist der insbesondere nach dem 11. September 2001 begrüßenswerte, ausdrücklich geäußerte Wille nahezu aller Staaten, eine solche Definition zu kreieren, um Klarheit und eine einheitliche Behandlung zu schaffen. Schon vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit ist daher eine Definition notwendig. Und auch die zuvor entstandenen Mengen an internationalen Definitionsversuchen sind Ausdruck eines weltweiten Bemühens, dem Phänomen auf universeller Basis in rechtlicher Form entgegenzutreten. Ob die Staaten trotz bekannter Differenzen zu einer weitgehend akzeptierten, klar formulierten Definition gelangen, bleibt selbstverständlich noch abzuwarten. Möchte man zudem Terrorismus auf internationaler Ebene auf Dauer als Verbrechen ahnden, wie es zumindest bei der Schaffung des Statuts des ICC von einigen Staaten angedacht worden ist,27 so ist eine Definition nach den Grundsätzen nullum crimen sine lege und nulla poena sine lege unverzichtbar. Zudem ist mit der Schaffung einer Definition auch die Möglichkeit eröffnet, anschließend im Hinblick auf Rechtsfragen etwa der Jurisdiktion und der Auslieferung Antworten zu finden.28 Daneben wird mit dem Moment, in dem eine Definition geschaffen wird, eine gewisse gemeinsame Wertvorstellung festgelegt, die es zu verteidigen gilt.29 Vor allem aber erscheint in Anbetracht der bis zur bewaffneten Ge25 Jacobellis v. State of Ohio 378 US 184, 197 (1964) (Stewart, Potter concurring). 26 Insbesondere nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 hat es den Anschein, als ob alle Staaten den Begriff Terrorismus gebrauchten, als würde die Internationale Gemeinschaft wissen, was genau sich dahinter verbirgt. Dies ist ein Phänomen, welches Bassiouni zu Recht folgendermaßen erklärt: „[T]his confusion stems, in part, from the mass media’s indiscriminate and insonsistent use and application of the term ‚terrorism‘, as well as, government pronouncements, which are influenced in turn by the political or ideological content of the term, thus reflecting differing values.“, Bassiouni, International Terrorism, in: Bassiouni, International Criminal Law, Vol. I, S. 776. 27 Zu den Verhandlungen im Rahmen der ICC siehe unten S. 63. Die Schaffung eines solchen Tatbestandes im internationalen Recht scheint insbesondere vor dem Hintergrund zukünftiger Vermeidung solcher Situationen wie der Gefangenen in Guantanamo Bay wünschenswert, wenngleich auch möglicherweise etwas utopisch. Darauf soll jedoch hier nicht näher eingegangen werden. 28 Van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, S. 14. 29 In diese Richtung auch Report of the Secretary-General’s High-level Panel on threats, Challenges and Change, „A more secure world: Our shared responsibility“,
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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genmaßnahme reichenden Reaktion eine Definition oder zumindest die Festlegung konstitutiver Merkmale unausweichlich.30 Des Weiteren ergibt sich eine Notwendigkeit aus der erstmalig in Sicherheitsratsresolution 1368 getroffenen Aussage, dass „jede Handlung des internationalen Terrorismus eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt.“31 Seitdem der Sicherheitsrat in Resolution 1373 jegliche Akte des internationalen Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit qualifiziert hat,32 bedarf es zudem mehr denn je einer Klärung der Definition, da damit Reaktionsmöglichkeiten über Kapitel VII der Charta eröffnet wurden. Insofern birgt eine Definition immer objektive Orientierungsmaßstäbe, die bei der Bekämpfung des Phänomens Terrorismus unerlässlich sind. Die Notwendigkeit einer solchen Orientierung zeigt sich insbesondere an der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragestellung, ob und welche militärischen Reaktionsmöglichkeiten auf internationale terroristische Akte bestehen. Daher bedarf es der Abgrenzung von Terrorismus zu „einfachen“ Morden oder Ähnlichem, da bei diesen Einigkeit darüber besteht, dass als Reaktionsmöglichkeit beispielsweise das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UNC nicht in Frage kommt. Aufgabe dieser Arbeit wird jedoch nicht sein, die Vielzahl an Versuchen, in der Literatur wie auf nationaler und internationaler Ebene Terrorismus zu definieren, aufzuarbeiten.33 Vielmehr soll 2004, abrufbar unter: www.un.org/secureworld/report2.pdf, S. 51, para. 160 (Stand 15. September 2005). 30 Vgl. Bassiouni, International Terrorism, in: Bassiouni, International Criminal Law, Vol. I, S. 781; Beres, The Legal Meaning of Terrorism for Military Commander, Connecticut Journal of International Law 11 (1995), S. 4. 31 Siehe im Einzelnen zu den nach dem 11. September verabschiedeten Sicherheitsratsresolutionen unten S. 60. 32 Außerdem wurden den Staaten konkrete Verpflichtungen hinsichtlich der Bekämpfung des Terrorismus auferlegt, so dass auch vor diesem Hintergrund eine Definition erforderlich erscheint. Zu den Verpflichtungen im Einzelnen vergleiche: Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 2001, S. 168 ff.; Peterke, HUV 2001, S. 217. 33 Unberücksichtigt bleiben vor allem die zahlreichen Ausarbeitungen aus soziologischer und politologischer Sicht, da diese den Rahmen der Arbeit sprengen würden. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Alex P. Schmid etwa sammelte 109 verschiedene Begriffsbestimmungen und versuchte Gemeinsamkeiten zu bestimmen. Er stellte dabei 22 verschiedene Faktoren fest, die für Terrorismus kennzeichnend sind, aber nicht einen, der in allen Definitionen enthalten war. So betonten 83,5% die Anwendung von Gewalt oder Zwang, in etwa 65% der Bestimmungen wurde dem Terrorismus eine politische Dimension zugemessen, 1983, S. 70–111 und 1988, S. 1–38.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
das Augenmerk lediglich auf einige neuere Entwicklungen der Terrorismusdefinition in der Rechtswissenschaft gerichtet werden.34 Im Einzelnen sollen die neueren Erkenntnisse innerhalb des Sicherheitsrates, der Generalversammlung, im Rahmen von internationalen und regionalen Konventionen und bei der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes dargestellt und Vorschläge der Literatur genauer betrachtet werden. Insbesondere wird dabei zu berücksichtigen sein, inwieweit sich nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 Neuerungen hinsichtlich einer Definition des Begriffs Terrorismus ergeben haben. Das Ergebnis dieser Betrachtungen wird eine Arbeitsdefinition sein. Sie bildet die Grundlage um zu bestimmen, gegen welche Gruppierung unter welchen Voraussetzungen Selbstverteidigung ausgeübt werden darf.
C. Die Definition des Terrorismus in den bisher verabschiedeten völkerrechtlichen Konventionen zur Terrorismusbekämpfung Zunächst existieren eine Reihe von Konventionen zur Terrorismusbekämpfung, so dass die Vermutung nahe liegt, in diesen auch Anhaltspunkte einer Definition zu finden. I. Allgemeine Merkmale aller Antiterrorkonventionen Aufgrund der politischen Unmöglichkeit, sich auf die Elemente und Reichweite einer allgemeingültigen Definition zu einigen, hat sich bei der Ausarbeitung von diesen internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus eine pragmatische Herangehensweise herausgebildet. Die ausgearbeiteten Übereinkommen35 bekämpfen nicht den Terrorismus als Für einen umfangreichen Überblick über Vorschläge zur Terrorismusdefinition bis 1990 siehe vor allem Herzog, Terrorismus, S.17–113; Kaouras, Terrorismus, S. 85–106. 34 Zur sozialwissenschaftlichen Terrorismusforschung Daase, Friedens-Warte 76 (2001), S. 57 ff. mit weiteren Nachweisen. 35 Es handelt sich dabei um folgende 13 Übereinkommen: Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen, Tokio, 14. September 1963, BGBl. 1976 II S. 649, 658, 179 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen, Den Haag, 16. Dezember 1970, BGBl. 1972 II S. 1505, 178 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt, Montreal, 23. September 1971, BGBl. 1977 II S. 1229, 180 Mitgliedstaaten; Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 14. Dezember 1973, BGBl. 1976 II S. 1745, 155 Mitgliedstaaten; Internationales Übereinkommen
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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solchen, sondern nur spezifische Begehensweisen terroristischer Aktivitäten. Dabei weisen sie gemeinsame Merkmale auf: Zunächst verpflichten sich alle Vertragsstaaten, die spezifischen Verhaltensweisen des jeweiligen Übereinkommens nach ihrem innerstaatlichen Recht als Straftat zu umschreiben. Kerngedanke der Konventionen ist zudem das Prinzip aut dedere aut judicare, wonach eine Verpflichtung der Staaten besteht, die aufgrund eines Straftatbestandes einer der Konventionen verdächtige Person entweder an einen verfolgungswilligen Staat auszuliefern oder selbst Ermittlungen einzuleiten und gegebenenfalls Anklage zu erheben. Schließlich bilden die Verpflichtung zur Zusammenarbeit und Gewährleistung gegenseitiger Rechtshilfe die letzten wesentlichen gemeinsamen Merkmale aller Antiterrorkonventionen. Im Folgenden soll jedoch nicht näher auf alle einzelnen Konventionen eingegangen werden, da diese gerade keine allgemeine Definition enthalten, sondern lediglich ein besonderes Augenmerk auf die für eine mögliche Definition relevanten Unterschiede des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge zu den übrigen Antiterrorkonventionen gerichtet sowie das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus36 eingehender beleuchtet wergegen Geiselnahme, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 17. Dezember 1979, BGBl. 1980 II S. 1361, 148 Mitgliedstaaten; Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial, Wien, 3. März 1980, BGBl. 1990 II S. 326, 112 Mitgliedstaaten (inclusive der EAEC); Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen, in Ergänzung des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt, Montreal, 24. Februar 1988, BGBl. 1993 II S. 866, 1994 II S. 620, 149 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt, Rom, 10. März 1988, BGBl. 1990 II S. 508; Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, Rom, 10. März 1988, BGBl. 1990 II S. 508, 108 Mitgliedstaaten; Übereinkommen über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens, Montreal, 1. März 1991, BGBl. 1998 II S. 2301, 115 Mitgliedstaaten; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, s. unten S. 36; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, s. unten S. 37. Neu hinzugekommen ist das bisher noch nicht ratifizierte Übereinkommen zur Bekämpfung von Nuklearterrorismus, welches am 13. April 2005 von der Generalversammlung angenommen wurde und seit dem 14. September 2005 zur Ratifikation ausliegt, vgl. Un. Doc. A/Res/59/290 (Ratifikationsangaben aller Übereinkommen: Stand: 15. September 2005). Für einen aktuellen Stand der Konventionen siehe auch die Berichte des Generalsekretärs, zuletzt derjenige vom 12. August 2005, UN Doc. A/60/228. 36 Verabschiedet mit Resolution 54/109 der Generalversammlung vom 9.12.1999; deutscher Text: Vereinte Nationen 1/2001, S. 21 ff.; englischer Text: 39 ILM 270 (2000), siehe auch C.M. Johnson, „Introductory Note to the International Convention for Supression of the Financing of terrorism, id, S. 268.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
den, da dieses im Hinblick auf die Definition des Begriffs Terrorismus von besonderer Bedeutung ist.37 II. Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge Gesondert hervorzuheben ist das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge von 199738, da es im Vergleich zu den anderen Übereinkommen zwei Besonderheiten enthält.39 In Art. 5 des Übereinkommens ist erstmalig die Verpflichtung der Vertragsstaaten normiert, innerstaatlich alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtfertigung aus politischen, ideologischen, religiösen oder ähnlichen Erwägungen zu verhindern, und damit eine möglichst umfassende Bestrafung zu gewährleisten. Zudem verbietet das Übereinkommen in Art. 11, ein Rechtshilfe- oder Auslieferungsersuchen mit der Begründung abzulehnen, dass es sich um eine politische Straftat oder eine aus politischen Erwägungen begangene Straftat handelt, mit dem Ziel eine potentielle Einschränkung der Effektivität der Antiterrorkonvention durch die in Auslieferungsverträgen gängigerweise enthaltenen Ausnahmevorschriften bezüglich politischer Delikte zu verhindern. Gleichzeitig legt Art. 12 fest: „Nothing in this Convention shall be interpreted as imposing an obligation to extradite or to afford mutual legal assistance, if the requested State Party has substantial grounds for believing that the request for extradition [. . .] has been made for the purpose of prosecuting or punishing a person on account of that person’s race, religion, nationality, ethnic origin or political opinion or that compliance with request would cause prejudice to that person’s position for any of these reasons.“ 37 Für einen Überblick über alle anderen bestehenden Konventionen vergleiche, Herzog, S. 142 ff.; Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 2001, S. 169 ff. Wüstenhagen, in: Praxishandbuch UNO, S. 125 ff.; Boutros-Ghali, in: Wellens (Hrsg.), International Law, S. 290; Murphy, IYHR 32 (2002), S. 122; Röben, in: Walter/Vöneky/ Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 789 ff. Sorel hingegen wirft auch der Finanzierungskonvention ohne jedoch näher auf die entsprechenden Regelungen einzugehen vor: „Once again, the delicate political conception of terrorism is reintroduced and, without any clear and accepted definition, can be interpreted in various ways.“, ders., EJIL 14 (2003), S. 372. 38 International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings (15. Dezember 1997) verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 15. Dezember 1997, UN Doc. A/RES/52/164, BGBl. 2003 II 1923 ff., in Kraft getreten am 23. Mai 2001, 138 Mitgliedstaaten, abrufbar unter: http://untreaty. un.org/English/Terrorism/Conv11.pdf (Stand: 15. September 2005). 39 Siehe dazu ausführlicher Witten, AJIL 92 (1998), S. 774; Murphy, IYHR 32 (2002), S. 126 ff.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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Diese Vorschrift könnte in der Praxis eine Umgehungsmöglichkeit für Art. 11 darstellen.40 III. Internationales Übereinkommen über die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus Die Besonderheit des Finanzierungsübereinkommens41 liegt darin, dass die Staaten im Rahmen des Übereinkommens zum ersten Mal gezwungen waren, terroristische Gewalt, deren finanzielle Unterstützung bestraft werden sollte, allgemein zu umschreiben.42 Art. 2 Abs. 1 a) verweist zunächst nur auf die spezifischen Akte der elf vorangegangenen, speziellen Antiterrorkonventionen und erklärt diese zu verbotenen terroristischen Handlungen. Nach Art. 2 Abs. 1 b) begeht zudem auch derjenige eine Straftat im Sinne des Finanzierungsübereinkommens, der finanzielle Mittel bereitstellt oder sammelt, um „eine Handlung vorzunehmen, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die in einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“
Die Umschreibung eines terroristischen Aktes in dem Übereinkommen gibt Aufschluss über die angesprochenen Streitpunkte, aufgrund derer bisher eine umfassende Definition gescheitert ist. Zunächst kommen als erforderliche Handlung nur Tötungen und Körperverletzungen in Betracht, nicht jedoch Verletzungen von privatem oder öffentlichem Eigentum.43 Zudem werden Gewaltanwendungen gegenüber gegnerischen Kampfführenden in Situationen andauernder militärischer Auseinandersetzungen nicht als terroristische Handlungen klassifiziert. Der Wortlaut der Konvention enthält 40
Siehe dazu näher Murphy, IYHR 32 (2002), S. 126 ff. mit weiteren Nachwei-
sen. 41 International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism (9. Dezember 1999), verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1999, in Kraft getreten am 10. April 2002, UN Doc. A/RES/54/109, BGBl. 2003 II 1923 ff., 137 Mitgliedstaaten, abrufbar unter: http://untreaty.un.org/English/Terrorism/Conv12.pdf (Stand: 15. September 2005). Für einen guten Überblick über die Konvention sowie über das Verhältnis der einzelnen Regelungen der Finanzierungskonvention zu denen der Sicherheitsratsresolution 1373 siehe IMF, Suppressing the Financing of Terrorism, S. 17 ff. 42 Oeter, Friedens-Warte 76 (2001), S. 11-31; Murphy, IYHR 32 (2002), S. 131; Lavalle, ZaöRV 60 (2000), S. 495; Röben, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 805. 43 Anders der indische Vorschlag. Siehe unten S. 46.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
keine nähere Abgrenzung zum Begriff des bewaffneten Konflikts. Um den Begriff näher auszufüllen, erscheint ein Rückgriff auf die Genfer Abkommen und ihre beiden Zusatzprotokolle44 geboten. Art. 1 ZP II umfasst dabei auch Bürgerkriege oder Guerillakriege, so dass die während solcher bewaffneten Konflikte ausgetragenen Gewalthandlungen vom Anwendungsbereich des Finanzierungsübereinkommen ausgeschlossen sind.45 Eine solche Interpretation deckt sich auch mit Art. 21 des Finanzierungsübereinkommens, der normiert, dass das Finanzierungsübereinkommen nicht die sonstigen Rechte und Pflichten u. a. des humanitären Völkerrechts berührt. Um Handlungen, die in den Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 b) fallen, von nicht-terroristischen Straftaten, wie etwa dem Totschlag, abzugrenzen, enthält die Umschreibung das Eingrenzungskriterium des einschüchternden Einwirkens auf die Bevölkerung. Alternativ dazu genügt es auch, einen Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, ohne eine solche Einschüchterung erzielt zu haben. Eine weitere Eingrenzung dahingehend, dass die Handlungen politisch motiviert sein müssen – wie von den USA gefordert –46 enthält Art. 2 Abs. 1 b) jedoch nicht. Nach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 b) ist auch der „Staatsterrorismus“ von der Umschreibung umfasst, da jede Handlung, also auch solche von zur Gewaltanwendung befugten Staatsorganen, dann als terroristische Gewaltanwendung zu verstehen ist, wenn sie zur Einschüchterung einer Bevölkerung begangen wird. Diese Schlussfolgerung findet ihre Unterstützung in der Präambel, die auf Resolution 49/60 der Generalversammlung von 199447 verweist, wonach terroristische Akte unabhängig davon, wer sie begeht, verurteilt werden. Die Inkorporierung des Staatsterrorismus gilt jedoch 44
Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Protection of Victims of International Armed Conflicts), 8. Juli 1977, UNTS, vol. 1125, S. 3; 16 ILM 1391; im Folgenden: ZP I; sowie Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts), 8. Juli 1977, UNTS, vol. 1125, S. 609; 16 ILM 1442, im Folgenden: ZP II. 45 Siehe näher zum Anwendungsbereich der Zusatzprotokolle und dem daraus resultierenden Ausschluss aus der Definition im Rahmen des umfassenden Übereinkommens, da dort der im Vergleich zum Finanzierungsübereinkommen genauere Art. 18 zu analysieren ist, S. 47. 46 Vgl. dazu auch Frowein, der eine solche politische Motivation miteinbezieht: Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 882. 47 Generalversammlungsresolution 49/60 vom 9. Dezember 1994. Siehe dazu ausführlicher unten S. 43.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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nur in dem Falle, in dem der in Art. 3 und 7 der Konvention geforderte internationale Bezug vorliegt, was zumindest im Hinblick auf die klassischen Formen des Staatsterrorismus gegen Teile des eigenen Staatsvolkes zweifelhaft ist.48 Hinsichtlich der Frage, inwieweit nationale Befreiungskämpfe von terroristischen Handlungen abzugrenzen sind, könnte das Finanzierungsübereinkommen insofern Aufschluss geben, als nach ihm zunächst einmal jede Gewaltanwendung gegen Zivilpersonen potentiell eine terroristische Handlung darstellen kann, also auch solche, die im Rahmen eines nationalen Befreiungskampfes unternommen werden. Denn auch diejenigen, die im Rahmen der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes Gewalt anwenden, dabei jedoch Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung verüben, werden von der in Art. 2 Abs. 1 b) des Finanzierungsübereinkommens enthaltenen Umschreibung erfasst.49 Zudem ist gemäß Art. 6 eine Rechtfertigung aufgrund politischer, weltanschaulicher, ideologischer, rassischer, ethnischer oder religiöser Erwägungen ausgeschlossen. Die Umschreibung in der Finanzierungskonvention kann daher als erster umfassender, abstrakter Definitionsversuch von Terrorismus in einer im Rahmen der Vereinten Nationen zustande gekommenen Antiterrorkonvention verstanden werden.50 Allerdings bezieht sich dieser Definitionsversuch nur auf die Strafbarkeit von Finanzierungshandlungen und nicht auf die unmittelbaren terroristischen Aktivitäten. Der Definitionsversuch im Rahmen des Finanzierungsübereinkommens wurde bereits von einer großen Anzahl an Staaten in kürzester Zeit akzeptiert. Das Übereinkommen wurde nach dem 11. September 2001 von inzwischen 117 Staaten ratifiziert und konnte so am 10. April 2002 in Kraft treten.51 Diese Vertragsstaaten haben dadurch ihrer gemeinsamen Rechtsüberzeugung auch über die darin enthaltene Definition Ausdruck verliehen. 48
So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 42. 49 So auch Oeter, Friedens-Warte 76 (2001), S. 25. 50 So auch im Report of the Secretary-General’s High-level Panel on threats, Challenges and Change, „A more secure world: Our shared responsibility“, 2004, abrufbar unter: www.un.org/secureworld/report2.pdf, S. 52, para 164 (Stand: 15. September 2005); Lavalle, ZaöRV 60 (2000), S. 495; Walter, in: Walter/Vöneky/ Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 34; Weiss, Terrorism, Counterterrorism and International Law, abrufbar unter: http://www.tni.org/archives/ weiss/terrorism.htm. (Stand: 15. September 2005), der diese Formulierung als indirekte Definition bezeichnet. 51 Erstaunlicherweise gehört Deutschland jedoch im Unterschied etwa zu den USA nach wie vor nicht zu den Staaten, die ratifiziert haben.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
D. Die Definitionsversuche des Sicherheitsrates und der Generalversammlung Auch im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat es verschiedene Ansätze zur Fassung des Phänomens des Terrorismus gegeben.52 I. Ansätze der Generalversammlung 1. Resolutionspraxis Seitdem sich die Vereinten Nationen mit dem Problem des internationalen Terrorismus beschäftigen,53 besteht grundsätzlich ein breiter Konsens über die Notwendigkeit zur Bekämpfung dieses Phänomens.54 So beinhaltet bereits die sogenannte Friendly Relations Declaration vom 24. Oktober 197055 die Verpflichtung, „die Organisation, Anstiftung, oder Unterstützung von Bürgerkriegs- oder Terrorakten in einem anderen Staat oder die Teilnahme daran oder die Duldung organi52 Für einen Überblick über die nach dem 11. September 2001 erfolgten Arbeiten im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung siehe Economic and Social Council, Commission on Human rights, Terrorism and human rights, Second progress report prepared by Ms. Kalliopi K. Koufa, E/CN. 4/Sub.2/2002/35, para 21-34, vom 17. Juli 2002. 53 Seit der 27th Session aus dem Jahre 1972 hat die Generalversammlung „measures to eliminate terrorism“ auf ihrer Agenda. Für einen Überblick über die einzelnen seit daher ergangenen Resolutionen im Hinblick auf Nationale Befreiungsbewegungen siehe Halberstam, Columbia Journal of Transnational Law 41 (2003), S. 574 ff. 54 Schon zuvor gab es vorsichtige Annäherungen an den Tatbestand des Terrorismus: Bereits 1947 forderte die Generalversammlung die Völkerrechtskommission auf, die in der Charta des Nürnberger Gerichtshofes anerkannten völkerrechtlichen Rechtsgrundsätze zu formulieren und einen Kodex über insgesamt 13 Straftaten gegen Frieden und Sicherheit der Menschheit zu entwerfen, zu denen auch „die Vornahme, Anstiftung oder Duldung durch staatliche Behörden von organisierten Handlungen zur Begehung von Terrorakten in einem anderen Staat“ gehörte. Siehe dazu Bericht der Völkerrechtskommission auf ihrer Sechsten Tagung vom 3. Juni bis 28 Juli 1954, Kodexentwurf, Art. 2(6), UN Doc. A/2693; Generalversammlungsresolution 177 (II) vom 21.11.1947. Ergebnisse wurden jedoch damals nicht erzielt, da beschlossen wurde, auf den Bericht zur Aggressionsdefinition zu warten, siehe Generalversammlungsresolution 897 (IX) vom 4. Dezember 1954. Siehe dazu auch Wüstenhagen, in: Praxishandbuch der UNO, S. 103 f. 55 Erklärung über völkerrechtliche Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, GA Res. 2625 (XXV), dt. Version abgedruckt in: Vereinte Nationen 1978, S. 138.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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sierter Aktivitäten, die auf die Begehung solcher Akte gerichtet sind, in seinem Hoheitsgebiet zu unterlassen.“
Am 18. Dezember 1972 erging dann die erste speziell zum Thema Terrorismus verfasste Resolution, die von dem damals beherrschenden Thema der Dekolonialisierung geprägt wurde.56 Dies zeigt sich vor allem in ihrem operativen Teil 4, in dem ausdrücklich die Unterdrückung und Ausübung terroristischer Akte durch koloniale, rassistische und fremde Regime gegenüber Völkern, die ihr legitimes Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ausüben, verurteilt wird.57 Schon während der damaligen Verhandlungen zeichnete sich ab, dass alle Staaten im Prinzip internationalen Terrorismus verurteilten, es jedoch unmöglich erschien, sich auf eine präzisere Definition zu einigen.58 Zwischen 1979 und 200159 sind dann insgesamt 14 Resolutionen, seit 1991 unter dem kurzen Titel „Measures to eliminate international terrorism“ angenommen worden, die sich mit dem Thema Terrorismus beschäftigen.60 Doch wie nicht anders zu erwarten, konnte die Frage, ob auch Handlungen von Befreiungsbewegungen terroristische Aktivitäten darstellen können, nach wie vor nicht geklärt werden.61 56
Resolution 3034 (XXVII) vom 18. Dezember 1972. Bis 1991 wurden Resolutionen zum Terrorismus unter folgendem Titel geführt: Maßnahmen zur Verhinderung von internationalem Terrorismus, der das Leben unschuldiger Menschen bedroht oder vernichtet oder die Grundfreiheiten beeinträchtigt, sowie Untersuchung der tieferen Ursachen derjenigen Formen von Terrorismus und Gewaltakten, die in Elend, Enttäuschung, Leid und Verzweifelung wurzeln und manche Menschen dazu treiben, Menschenleben – einschließlich ihres eigenen – zu opfern, um radikale Veränderungen herbeizuführen.“ Der umständliche Titel wird zum Teil als bezeichnend für die damals bereits bestehenden Differenzen gewertet, siehe Tomuschat, zitiert in: Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 35. 57 Operativer Teil 4: „the continuation of repressive and terrorist acts by colonial, racist and alien regimes in denying peoples their legitimate right to self-determination and independence and other human rights and fundamental freedoms“. 58 Siehe z. B. den Report des Chairman des 1972 gegründeten Ad Hoc Committees: Questions Relating to International Terrorism, UNYB 1972, S. 641. 59 Für einen Überblick über die einzelnen Entwicklungsschritte im Rahmen der Generalversammlung und verschiedenen Staatenkonferenzen umfassend Wüstenhagen, in: Praxishandbuch UNO, S. 107–116. 60 Generalversammlungsresolutionen A/RES/34/145 vom 17. Dezember 1979, A/RES/36/109 vom 10. Dezember 1981; A/RES/38/130 vom 19. Dezember 1983; A/RES/40/61 vom 9. Dezember 1985; A/RES/42/159 vom 7. Dezember 1987; A/RES/44/29 vom 4. Dezember 1989; A/RES/46/51 vom 9. Dezember 1991; A/RES/49/60 vom 9. Dezember 1994; A/RES/50/53 vom 11. Dezember 1995; A/RES/51/210 vom 17. Dezember 1996; A/RES/52/165 vom 15. Dezember 1997; A/RES/53/108 vom 26. Januar 1999; A/RES/54/110 vom 2. Februar 2000 und Resolution 55/158 vom 30. Januar 2001; A/RES/56/88 vom 24. Januar 2002; A/RES/57/27 vom 15. Januar 2003 und A/RES/58/81 vom 8. Januar 2004.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
a) Generalversammlungsresolution 40/61 In Resolution 40/61 der Generalversammlung von 198562, welche als Reaktion auf die Geiselnahme der Archille Lauro durch Mitglieder der PLO am 7. Okotber 1985 erging,63 einigte man sich dann auf eine Art Kompromissformulierung.64 Auf der einen Seite werden in § 1 des operativen Teils der Resolution „alle terroristischen Handlungen, Methoden und Praktiken, einschließlich solcher, die die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten und ihre Sicherheit gefährden, als kriminelle Akte, gleich wo und von wem sie begangen werden“,
verurteilt. Auf der anderen Seite findet sich etwas abgeschwächt in der Präambel zunächst eine Bekräftigung des in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Selbstbestimmungsrechts der Völker. Des Weiteren verweist sie auf das unveräußerliche Recht aller unter kolonialen und rassistischen Regimen und anderen Formen der Fremdherrschaft lebenden Völker auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit und erkennt die Rechtmäßigkeit des Kampfes, insbesondere des Kampfes nationaler Befreiungsbewegungen, gemäß den Zielen der Charta an.65 Die anschließend in den Jahren 198766, 198967 und 199168 angenommenen Resolutionen enthalten alle Regelungen, die Terrorismus verurteilen, „wherever and by whomever“ er begangen wird. Trotzdem bestätigen diese bis 1991 verabschiedeten Resolutionen nochmals „the inalienable right to self-determination and independence of all peoples under colonial and racist regimes and other forms of alien domination and foreign occupation, and upholding the legitimacy of their struggle, in particular the struggle of national liberation movements, in accordance with the purposes and principles of the Charter and the Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in accordance with the Charter of the United Nations.“69
61 Beiträge vom 5. Oktober 2001 während der einwöchigen Debatte der Generalversammlung zur Beseitigung des internationalen Terrorismus, UN Doc. GA/9929. 62 Generalversammlungsresolution 40/61 vom 9. Dezember 1985. 63 Ausführlich zum Sachverhalt und den Hintergründen sowie einer umfassenden Behandlung des Problems des Terrorismus auf See bis 1994, siehe Münchau, S. 28 ff. 64 US Botschafter der Vereinten Nationen, Vernon A. Walters, beschrieb die Annahme der Resolution als „a symbol of new times“, siehe dazu Murphy, IYHR 19 (1989), S. 19; Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen, S. 429 f. 65 Präambel, Spiegelstriche 5 und 6. 66 UN Doc. A/Res/42/159 (1987). 67 UN Doc. A/Res/44/29 (1989). 68 UN Doc. A/Res/46/51 (1991).
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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b) Generalversammlungsresolution 49/60 Im Jahre 1994 machte die Generalversammlung in der Resolution 49/60 deutlich, dass terroristische Akte unter keinen Umständen, unabhängig von ihrem Grund, zu rechtfertigen seien. Erstmals enthält weder die Resolution selbst noch die dazugehörige Anlage einen Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht oder nationale Befreiungskämpfe. Ziel der Resolution war es, Schlupflöcher einer ideologischen Rechtfertigung des Terrorismus zu verschließen.70 So wird dort im operativen § 1 Nr. 3 der Anlage zur Resolution ausgeführt: „Criminal acts intended or calculated to provoke a state of terror in the general public, a group of persons or particular persons for political purposes are in any circumstances unjustifiable, whatever the considerations of a political, philosophical, ideological, racial, ethnic, religious or any other nature that may be invoked to justify them.“71
Damit scheint die Resolution das Problem der Abgrenzung zwischen Terrorismus einerseits und Selbstbestimmungsrechtsausübung bzw. nationalen Befreiungskämpfen andererseits dahingehend zu klären, dass jede der in Nr. 3 aufgeführten Handlungen als terroristischer Akt zu klassifizieren ist, eine Rechtfertigung mithin ausgeschlossen ist.72 Des Weiteren enthält die Resolution die Erklärung, dass alle terroristischen Handlungen als kriminell und nicht zu rechtfertigen zu verurteilen sind, unabhängig davon, von wem sie begangen werden.73 Das bedeutet jedoch nichts anderes, als dass kein Unterschied gemacht wird, ob die entsprechenden Handlungen von Individuen oder von einem Staat ausgehen, demnach auch Staatsterrorismus mit einbezogen ist. Des Weiteren geht die Resolution von einem politischen Zweck der Tat aus und ist insofern enger gefasst als die Finanzierungskonvention, innerhalb derer es ausreicht, die Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder alternativ eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Diese Formulierung näherte sich also einer Definition terroristischer Akte.74 Sie ist jedoch als sinnvoller Ansatz für eine Definition aus verschie69 Generalversammlungsresolution 46/51 vom 9. Dezember 1991, 14. Paragraph der Präambel. 70 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 538; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 3; Schrijver, NILR 48 (2001), S. 277. 71 UN Doc. A/RES/49/60 vom 9. Dezember 1994. 72 Zum gleichen Ergebnis kommt auch Halberstam, Columbia Journal of Transnational Law, 41 (2003), S. 577. 73 Vergleiche operativer § I Nr. 1 der Resolution. 74 Schrijver, NILR 48 (2001), S. 277.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
denen Gründen ungeeignet: Zum einen stellt sie eine Tautologie dar, da der Begriff Terrorismus unter Bezugnahme auf das Wort Terror umschrieben wird.75 Zudem setzt sie „criminal acts“ voraus, ohne dass deutlich wird, welche damit gemeint sind bzw. was genau darunter zu verstehen ist.76 c) Resolutionspraxis nach dem 11. September 2001 Die in Resolution 49/60 verwandte unbedingte Verurteilung terroristischer Aktivitäten ist seitdem regelmäßig von der Generalversammlung in nachfolgenden Resolutionen bestätigt worden.77 Die unmittelbar nach den Anschlägen in New York und Washington am 12. September 2001 ergangene Resolution 56/1 birgt hinsichtlich der Suche nach einer Definition keine neuen Erkenntnisse, sondern beschränkt sich darauf, die Terroranschläge gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zu verurteilen und zur internationalen Zusammenarbeit aufzurufen.78 Auch die nachfolgende Resolution 56/88 enthält keine über die in Resolution 49/60 hinausgehenden Aspekte, bekräftigt aber wortgleich im operativen Teil Nr. 2 den dort aufgestellten Ausschluss jeglicher Rechtfertigungsmöglichkeiten des Terrorismus und folgt somit der bis vor dem 11. September 2001 konstanten Resolutionspraxis der Generalversammlung.79 Trotz der seit der Resolution 49/60 scheinbar erreichten Einigung hinsichtlich der Probleme bezüglich des nationalen Befreiungskampfes und des Staatsterrorismus zeigen die nachfolgend dargestellten Entwicklungen zur Schaffung einer umfassenden Konvention, dass die altbekannten Streitpunkte nach wie vor einer Klärung bedürfen. Insgesamt lässt sich jedoch seit dem Beginn im Jahre 1972 eine – wenn auch etwas schwerfällige und mühselige – Entwicklung in die Richtung eines Konsenses verzeichnen, 75 Nicht überzeugend hier van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, S. 18, der die wortgleiche Formulierung aus Res. 51/210 aus dem Jahre 1996 für die derzeit beste Definition präferiert auch im Vergleich zum Terrorismuskonventionsentwurf. 76 Denkbar wären alle am Tatort unter Strafe stehenden kriminellen Taten oder etwa nur solche, die in allen Staaten unter Strafe stehen etc. 77 Vergleiche etwa Generalversammlungsresolution 50/53 vom 11. Dezember 1995, operativer Teil Nr. 2, UN Doc. A/Res/50/53 (1995); Resolution 51/210 vom 17. Dezember 1996, operativer § 1 Nr. 2, UN Doc. A/Res/51/210 (1996); Resolution 52/165, UN Doc. A/Res/52/165 (1997), S. 394; Resolution 53/108, UN Doc. A/Res/53/108 (1999), S. 364; Resolution 55/158, UN Doc., A/Res/55/158 (2001). 78 Generalversammlungsresolution 56/1 vom 12. September 2001, operativer Teil Nr. 1, 3 und 4. 79 Ebenso weitere Generalversammlungsresolutionen, wie z. B. die Resolution 59/46 vom 16. Dezember 2004, operativer Teil Nr. 1 und 2.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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nationale Befreiungskämpfer und Staatsterrorismus nicht grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich einer Definition auszuschließen. 2. Entwicklung einer umfassenden Terrorismuskonvention durch die Generalversammlung Die Generalversammlung setzte in ihrer 51. Session im Jahre 1996 ein Ad Hoc Committee ein, unter anderem mit dem Ziel, eine umfassende Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erschaffen.80 Auf der Basis eines Vorschlages von Indien wird seitdem an einer solchen umfassenden Konvention gearbeitet.81 Das Kernstück dieses umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus bildet das ambitionierte Vorhaben einer Definition. Nach dem indischen Vorschlag begeht gemäß des bisherigen Artikels 2 Abs. 1 derjenige eine terroristische Handlung, „wer gleichviel durch welches Mittel, widerrechtlich und vorsätzlich Folgendes herbeiführt: a) den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person oder b) eine schwere Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums, eines öffentlichen Ortes, einer staatlichen oder öffentlichen Einrichtung, eines öffentlichen Verkehrssystems oder einer Infrastruktureinrichtung oder c) eine Beschädigung des in Absatz 1 Buchstabe b genannten Eigentums oder der dort genannten Orte, Einrichtung oder Systeme, die zu beträchtlichen wirtschaftlichen Verlusten führt oder zu führen geeignet ist, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“82
Weiter finden sich in Art. 2 Nr. 2 bis 4 Regelungen zum Versuch83 sowie zur Mittäterschaft und zu Teilnahmeformen,84 die der Anstiftung und der 80
UN Generalversammlungsresolution 51/210 vom 17. Dezember 1996, operativer § 3 Nr. 9; im Folgenden: Terrorismuskonventionsentwurf. 81 UN Doc. A/C.6/55/1. 82 Informal text of article 2 of the draft comprehensive convention, prepared by the Coordinator, Report of the Ad Hoc Committee, GAOR 57th Session, Supplement No. 37, A/57/37 Annex II, UN Doc. A/C.6/55/L.2; siehe zum ursprünglichen Artikel 2, UN Doc. A/C.6/55/1. 83 In Art. 2 Nr. 2 erfolgt die Gleichsetzung zwischen einer Drohung mit einer in Nr. 1 aufgelisteten Tat und der Begehung einer solchen. Dort heißt es: „Any person also commits an offence if that person makes a credible and serious threat to commit an offence as set forth in paragraph 1 of this article“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Die Formulierung credible and serious wurde ebenfalls als zu ungenau kritisiert, vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Internationaler Terrorismus
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Beihilfe aus dem deutschen Strafrecht ähneln. Ausgeschlossen wird zudem, wie es bereits in den vorausgegangenen 12 speziellen Antiterrorkonventionen85 der Fall war, dass die Handlungen durch politische, weltanschauliche, ideologische, rassische, ethische oder religiöse oder sonstige ähnliche Erwägungen gerechtfertigt werden können. Gemäß Art. 3 des Vorschlages findet das Übereinkommen dann keine Anwendung, wenn die Straftat in einem einzigen Staat begangen wird, der Verdächtige und die Opfer Angehörige dieses Staates sind, der Verdächtige sich im Hoheitsgebiet dieses Staates befindet und kein anderer Staat seine Gerichtsbarkeit begründen kann, es sich also nicht um „internationalen“ Terrorismus handelt.86 a) Einzelne Problembereiche der Konvention Eine gemeinsame Betrachtung des Finanzierungsübereinkommens und der bisher erzielten Ergebnisse der Generalversammlung, insbesondere der Resolution 49/60, mit dem Entwurf einer umfassenden Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus, lässt in verschieden Bereichen Parallelen, aber auch zum Teil erhebliche Unterschiede erkennen. aa) Tathandlung Im Vergleich zum Definitionsversuch des Finanzierungsabkommens etwa wird deutlich, dass der Konventionsentwurf nicht nur Handlungen umfasst, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung von Zivilpersonen herbeiführen soll, sondern auch schwere Verletzungen von öffentlichem oder privatem Eigentum (Art. 2 Nr. 1 (b)) oder Schäden, die geeignet sind, schwere wirtschaftliche Verluste zu erzeugen (Nr. 1 (c)). und Menschenrechte, S. 10. Darüber hinaus enthält Nr. 3 eine Versuchsregelung: „Any person also commits an offence if that person attempts to commit an offence as set forth in paragraph 1 of this article.“ 84 In Nr. 4 heißt es „Any person also commits an offence if that person: (a) Participates as an accomplice in an offence as set forth in paragraph 1, 2 or 3 of this article; (b) Organizes or directs others to commit an offence as set forth in paragraph 1, 2 or 3 of this article, or (c) Contributes to the commission of one or more offences as set forth in paragraph 1, 2 or 3 of this article by a group of persons acting with a common purpose. Such contribution shall be intentional and shall either: (i) Be made with the aim of furthering the criminal activity or criminal purpose of the group, where such activity or purpose involves the commission of an offence as set forth in paragraph 1 of this article; or (ii) Be made in the knowledge of the intention of the group to commit an offence as set forth in paragraph 1 of this article.“ 85 Siehe zu den Gemeinsamkeiten der 12 Antiterrorkonvention Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 2001, S. 169. 86 Geänderter Wortlaut des Artikel 3, ausgearbeitet von Indien, UN Doc. A/C.6/55/L.2.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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bb) Tatmotiv Berechtigt erscheint der Vorwurf der Offenheit der Definition im Hinblick auf die Zwecke der Handlung, da unklar bleibt, was unter „by its nature or context, is to intimidate . . .“ zu verstehen ist und ob dieser Formulierung eigene Bedeutung zukommt.87 Auch die Debatten im Ad hoc Committee enthalten diesbezüglich keine Konkretisierung, was vermuten lässt, dass der Formulierung keine eigenständige Aussagekraft zukommt. Im Unterschied zu einigen nationalen Definitionen88 und der Resolution 49/60 der Generalversammlung wird nach dem Wortlaut des Entwurfes keine politische, religiöse oder ideologische Motivation verlangt. Ausreichend ist hiernach – wortgleich mit der Finanzierungskonvention –, dass die Handlung den Zweck verfolgt „to intimidate a population, or to compel a Government or an international organisation“. Diese Formulierung ist insofern weiter gefasst, als die beiden Varianten alternativ und nicht kumulativ vorliegen müssen. Daraus ergibt sich nichts anderes, als dass auch etwa eine Handlung mit dem Zweck der Einschüchterung einer Bevölkerung ohne politische, religiöse oder ideologische Hintergründe den Tatbestand des Artikels 2 erfüllen kann. cc) Freiheitskämpfer Hinsichtlich der umstrittenen Fragen der Behandlung von Freiheitskämpfern finden sich mehrere interessante Abschnitte im Vorschlag Indiens, die Gegenstand der Debatten auch in der 57. Sitzung der Generalversammlung waren. Zunächst wird in der Präambel in Anlehnung an die Resolution 49/60 aus dem Jahre 1994 die erneute Erklärung, „dass alle terroristischen Handlungen, Methoden und Praktiken unmissverständlich als kriminell und nicht zu rechtfertigen zu verurteilen sind, gleichviel wo und von wem sie begangen werden“, wiederholt.89 Insofern ließe sich zunächst vermuten, dass auch so genannte Freiheitskämpfer nicht per se von dem Anwendungsbereich der Konvention ausgeschlossen sein sollen. In Art. 18 des Vorschlages des australischen Coordinators, Richard Rowe, wird dann festgelegt: „2. The activities of armed forces during an armed conflict, as those terms understood under international humanitarian law, which are governed by that law, are not governed by this Convention. 87 Hervorhebung durch die Verfasserin. Deutsches Institut für Menschenrechte, Internationaler Terrorismus und Menschenrechte, S. 10. 88 Siehe dazu unten S. 87. 89 UN Doc. A/57/37, Annex I, 5. Absatz.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
3. The activities undertaken by the military forces of a State in the exercise of their official duties, inasmuch as they are governed by other rules of international law, are not governed by this Convention.“90
Waren insbesondere auch die arabischen Staaten mit dem wortgleichen Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge einverstanden,91 so erstaunt doch, dass die Organisation of the Islamic Conference (OIC) inzwischen einen Gegenvorschlag eingereicht hat, der vorsieht, im ersten Teil den Passus „armed forces during an armed conflict“ durch die Formulierung „parties during an armed conflict, including in situations of foreign occupation“ zu ersetzen.92 Des Weiteren beinhaltet der Vorschlag unter 3. eine Änderung dahingehend, dass „inasmuch as they are governed by other rules of international law“ ausgetauscht werden soll durch „inasmuch as they are in conformity with international law“.93 Zunächst hat es den Anschein, dass die von den OIC-Staaten vorgeschlagene erste Änderung allgemeiner ist. Die Intention der islamischen Staaten scheint einleuchtend, erreicht man doch durch die Umformulierung im ersten Teil, dass so genannte nationale Befreiungsbewegungen während 90 UN Doc. A/57/37, Annex IV. Das entspricht nicht ganz dem indischen Ausgangsvorschlag sondern ist der Stand in der 57. Session der Generalversammlung, so wie er vom Coordinator vorgeschlagen wurde. Im Indischen Vorschlag hieß es ursprünglich: „Die Tätigkeiten der Streitkräfte während eines bewaffneten Konflikts, im Sinne dieses Begriffs nach dem Völkerrecht, die diesem Recht unterliegen, fallen nicht in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens; die Tätigkeiten, die die Streitkräfte eines Staates in Wahrnehmung ihrer offiziellen Aufgaben durchführen, insoweit sie anderen Regeln des Völkerrechts unterliegen, fallen ebenso wenig in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens.“ Demnach wurde Völkerrecht im ersten Satz vom Co-ordinator gegen humanitäres Völkerrecht ersetzt. 91 In dem Übereinkommen heißt es in Artikel 19 Abs. 2: The activities of armed forces during an armed conflict, as those terms are understood under international humanitarian law, which are governed by that law, are not governed by this Convention, and activities undertaken by military forces of a State in the exercise of their official duties, inasmuch as they are governed by other rules of international law, are not governed by this Convention.“. Ähnliche Streitpunkte gab es bereits während der Schaffung der International Convention Against the Taking of Hostages, siehe dazu Report of the As Hoc Committee on the Drafting of an International Convention Against the Taking of Hostages, UN Doc. A/32/39 (1977). 92 Die Änderungsvorschläge der 56 Staaten der Islamischen Konferenzorganisation (OIC) basieren auf der Ausnahmeklausel der OIC- Konvention zur Bekämpfung des Internationalen Terrorismus. Siehe dazu näher unten S. 76. 93 UN Doc. A/57/37 Annex IV, Siehe dazu auch den Report of the Coordinator on the results of the informal consultations, UN Doc. A/57/37, Annex VI. Diese Position wurde auch in der OIC Erklärung zum internationalen Terrorismus vom 3. April 2002 (Kauala-Lumpur) nochmals unterstrichen. Siehe dazu Deutsches Institut für Menschenrechte, Internationaler Terrorismus und Menschenrechte, S. 10.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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eines bewaffneten Konfliktes aus dem Anwendungsbereich der umfassenden Konvention ausgenommen sind, also insbesondere auch Organisationen wie etwa Hamas, Islamischer Jihad, Al Aqsa, Tanzim und die Hezbollah.94 Insofern soll den so genannten Freiheitskämpfern eine Hintertür geöffnet werden, um dem Übereinkommen zu entkommen und so eine Abgrenzung zwischen ihnen und Terroristen zu schaffen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch während der Debatten im Ad Hoc Committee 2003 Art. 18 erneut als der entscheidende Schlüssel zur Verabschiedung der Konvention verstanden und eine Einigung nicht erreicht wurde.95 Dennoch stellt sich die Frage, ob die von der OIC gewünschte Formulierung nicht rein deklaratorischen Charakter hat. Zur Beantwortung ist zu klären, welche „Gruppierungen“ nach dem Vorschlag Rowes von der Anwendung der Konvention während eines bewaffneten Konfliktes96 ausgeschlossen sind. Nach Abs. 2 des Vorschlages sind zunächst alle bewaffneten Streitkräfte ausgeschlossen, die in den Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts fallen. Von entscheidender Bedeutung ist, ob unter den Begriff des „humanitären Völkerrechts“ auch die Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen fallen, also neben der Haager Landkriegsordnung von 1907 und den vier Genfer 94
Siehe ebenso Deutsches Institut für Menschenrechte, Internationaler Terrorismus und Menschenrechte, S. 10; Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 38; Weiss, Terrorism, Counterterrorism and International Law, abrufbar unter: http://www.tni.org/archives/weiss/terrorism.htm (Stand: 15. September 2005). Die umstrittene Ausnahmeklausel ist somit insbesondere im Hinblick auf die palästinensische Unabhängigkeitsbewegung und die Reaktion Israels, die von den islamischen Staaten als Staatsterrorismus bezeichnet wird, von Bedeutung. Diese wird jedoch in der Arbeit nicht weitergehend vertieft werden können. Gegner dieser Ansicht halten die umfassende Konvention nicht für das geeignete Forum, um die Frage des legitimen Kampfes der Völker um ihre Selbstbestimmung einzubeziehen, sondern wollen dies im Rahmen des humanitären Völkerrechts regeln. Siehe dazu UN Ad-Hoc Committee 2002. 95 Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March–2 April 2003), UN Doc. A/58/37, Annex II, A, para. 4. Schon 2002 äußerte Rowe: „The key issue in relation to the comprehensive convention is clearly to resolve the text of article 18. That has to be our priority. If we can do that, I believe, as many delegations have indicated, that the other outstanding matters will also be capable of resolution and we will be able to conclude the Convention on which so much progress has been made over the past four months.“ Measures to Eliminate International Terrorism: Report of the Working Group, UN Doc. A/C.6/57/L.9 (2002), para. 3. 96 Das Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes ist dabei neben den nachfolgend diskutierten Voraussetzungen das erste Erfordernis für Art. 18 Terrorismuskonventionsentwurf. Siehe zu den Anforderungen an einen bewaffneten Konflikt im Zusammenhang mit Terrorismus, Vöneky, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 930.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Abkommen von 1949 ihre beiden Zusatzprotokolle von 1977 berücksichtigt werden müssen. Vergleicht man den Vorschlag Rowes zu Art. 18 etwa mit Art. 12 des Internationalen Übereinkommens gegen Geiselnahme von 1979,97 so fällt auf, dass dieser noch ausdrücklich auf die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle verweist und dabei den in Art. 1 Abs. 4 normierten Anwendungsbereich des 1. Zusatzprotokolls ausdrücklich herausstellt. Im Gegensatz dazu wird in dem Entwurf für eine umfassende Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus nach dem Vorschlag Rowes ähnlich wie bereits in Art. 19 des Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge eine solche Konkretisierung nicht vorgenommen. Aus dem fehlenden Verweis auf Art 1 Abs. 4 ZP I könnte hergeleitet werden, dass Art. 18 Nr. 2 Terrorismuskonventionsentwurf das ZP I und II mit einschließt. Eine denkbare Erklärung für das Fehlen könnte sein, dass die Zusatzprotokolle inzwischen gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt haben und insofern eine ausdrückliche Erwähnung obsolet geworden ist. Weiteres Indiz für eine Einbeziehung der Zusatzprotokolle, insbesondere des zweiten Zusatzprotokolls, in den Anwendungsbereich und damit auch für eine gewohnheitsrechtliche Annerkennung ist, dass im Vorschlag Rowes von „armed conflict“ gesprochen wird, jedoch keine ausdrückliche Beschränkung dahingehend erfolgt, dass ein „international armed conflict“ vorliegen muss. Ein darüber hinausgehender Anhaltspunkt für die Einbeziehung der Zusatzprotokolle ist die Differenzierung zwischen „armed forces“ in Abs. 2 und dem Begriff „military forces of a State“ in Abs. 3. Um dieser Differenzierung einen Sinn zu verleihen, müssen den beiden verwandten Begriffen unterschiedliche Bedeutungen zukommen. Bei den Letzteren handelt es sich eindeutig um bewaffnete Streitkräfte eines Staates, die unter dessen nationalem Recht zum primären Zwecke der nationalen Verteidigung oder der 97 Dort heißt es in Artikel 12: „In so far as the Geneva Conventions of 1949 for the protection of war victims or the Additional Protocols to those Conventions are applicable to a particular act of hostage-taking, and in so far as States Parties to this Convention are bound under those conventions to prosecute or hand over the hostage-taker, the present Convention shall not apply to an act of hostage-taking committed in the course of armed conflicts as defined in the Geneva Conventions of 1949 and the Protocols thereto, including armed conflicts mentioned in article 1, paragraph 4, of Additional Protocol of 1977, in which peoples are fighting against colonial domination and alien occupation and racist regimes in the exercise of their right of self-determination, as enshrined in the Charter of the United Nations and the Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations.“
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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Sicherheit organisiert, trainiert und ausgerüstet sind. Darunter fallen auch Polizisten und Sicherheitskräfte eines Staates, sowie Personen, die die Armee unterstützen, soweit sie unter dem offiziellen Kommando, der Kontrolle und der Verantwortung des Staates handeln.98 Es liegt daher nahe, die Differenzierung dahingehend zu deuten, dass der Begriff der „armed forces“ weiter sein soll als die Definition der bewaffneten Streitkräfte eines Staates.99 Daraus ergibt sich eine Inkorporierung bewaffneter Volksgruppen, die nach Art. 1 Abs. 4 des ZP I gegen „[. . .] Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regime in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen, wie es in der Charta der Vereinten Nationen und in der Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt ist“.100 Darüber hinaus sind „armed forces“ im Sinne des ZP II zu verstehen, welches gemäß dessen Art. 1 Abs. 1 abtrünnige Streitkräfte oder andere organisierte bewaffnete Gruppen in Bürgerkriegen mit einbezieht.101 Der daher deklaratorisch erscheinende Zusatz der OIC war dennoch nicht konsensfähig.102 Dies liegt maßgeblich an dem Umstand, dass heftig umstritten ist, wann ein Recht auf Selbstbestimmung im Sinne des Art. 1 Abs. 4 ZP I vorliegt und welche Anforderungen an die Anwendbarkeit des ZP II und des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen zu stellen sind.103 98 So die Definition in Art. 1 Abs. 2 des Terrorismuskonventionsentwurf: „ ‚military forces of a State‘ means the armed forces of a State which are organized, trained and equipped under its internal law for the primary purpose of national defence or security, and persons acting in support of those armed forces who are under their formal command, control and responsibility.“ 99 So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 38 f. 100 Vor der Schaffung des 1. Zusatzprotokolls galten solche bewaffneten Konflikte als nichtinternationale bewaffnete Konflikte und unterfielen dadurch nur dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen. Zur Entstehung siehe umfassend Hess, Humanitäres Völkerrecht und Gemischte Konflikte, S. 130 ff.; Abi-Saab, RdC 165 (1979-IV), S. 374 ff. 101 Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 38. 102 Aus dem Bericht des Coordinators geht nicht hervor, welche Staaten welchem Vorschlag zustimmten. Da während der Sitzung des Ad Hoc Committees vom 28. Januar bis 2. Februar 2002 kein Konsens erreicht wurde, empfahl es, dass das Sixth Committee eine Arbeitsgruppe zum schnellen Abschluss einer umfassenden Konvention eine Arbeitsgruppe einrichten solle, die die Arbeit vom 14.–18. October 2002 fortsetzt, siehe UN Doc. A/57/37, Kapitel III, Absatz 20.
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dd) Staatsterrorismus Auch im Hinblick auf das Problemfeld des „Staatsterrorismus“ gibt der bisherige Terrorismuskonventionsentwurf Anlass zur Diskussion. Fast wortgleich zum Finanzierungsübereinkommen enthält die umfassende Konvention in Art. 3 die Anforderung eines internationalen Bezuges.104 Dadurch könnte wiederum zumindest die klassische Form des Staatsterrorismus ausgeschlossen sein.105 Auf der anderen Seite spricht die Präambel des Terrorismuskonventionsentwurfs – neben der oben dargestellten Formulierung, dass alle terroristischen Handlungen, unabhängig davon, von wem sie begangen werden, als nicht gerechtfertigt zu verurteilen sind – von „acts of international terrorism, including those which are committed or supported by States, directly or indirectly.“106 Einer Einbeziehung des Staatsterrorismus scheint demnach nichts im Wege zu stehen. Im Widerspruch dazu steht jedoch Art. 18 Abs. 3107 sowohl in der Fassung Rowes wie in der der OIC-Staaten, der eine Ausnahme von der Konvention dahingehend normiert, dass die Tätigkeiten, die von Streitkräften eines Staates in Wahrnehmung ihrer offiziellen Aufgaben durchgeführt werden und insoweit anderen Regeln des Völkerrechts unterliegen, nicht in den Geltungsbereich der umfassenden Konvention fallen sollen. Ein Unterschied besteht zwischen beiden Vorschlägen nur insoweit, als nach Rowe die entsprechenden Handlungen „governed by 103 Eine Bewertung der einzelnen Aspekte folgt im Rahmen der Abgrenzungsfragen bei der Aufstellung einer Arbeitsdefinition, siehe unten S. 103 ff. 104 In Art. 3 des Terrorismuskonventionsentwurfs heißt es: This Convention shall not apply where the offence is committed within a single State, the alleged offender and the victims are nationals of that State, the alleged offender is found in the territory of that State and no other State has a basis under article 6, paragraph 1, or article 6, paragraph 2, of this Convention to exercise jurisdiction, except that the provisions of articles 8 and 12 to 16 shall, as appropriate, apply in those cases.“, UN Doc. A/57/37, Annex III. 105 Siehe oben zur Finanzierungskonvention S. 37. 106 Allerdings wurden während der Sitzung des Ad Hoc Committees vom 28. Januar bis 2. Februar 2002 insgesamt vier Vorschläge zu einer Änderung dieses 8 Absatzes der Präambel gemacht: 1. „including those which are committed or supported by States, directly or indirectly“ soll ersetzt werden durch „including those in which States are directly or indirectly involved“; 2. die Worte „committed or supported by States“ auszutauschen mit „supported by States“ 3. „including those which are committed or supported by States directly or indirectly“ zu entfernen und 4. den ganzen Absatz zu streichen, siehe dazu UN Doc. A/57/37, Appendix. 107 Etwas vorsichtiger aber letztlich auch dahingehend Weiss, Terrorism, Counterterrorism and International Law, abrufbar unter: http://www.tni.org/archives/weiss/ terrorism.htm (Stand: 15. September 2005). Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/ Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 42.
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other rules of international law“ sein müssen, während die OIC „conformity with international law“ fordert. Diesbezüglich scheint der Vorschlag Rowes nur zu fordern, dass solche Handlungen anderweitig im internationalen Recht geregelt sind (governed), während die OIC-Staaten eine Übereinstimmung (conformity) mit diesem anderen internationalen Recht verlangen. In Abgrenzung zu Art. 18 Abs. 2, der auf Handlungen während eines bewaffneten Konfliktes Anwendung findet, ist die einzig denkbare Interpretation diejenige, dass Art. 18 Abs. 3 sich auf Akte außerhalb eines bewaffneten Konfliktes bezieht. Es ließe sich danach vertreten, dass solche Handlungen generell, da das humanitäre Recht keine Anwendung findet, inter alia in den Anwendungsbereich des internationalen Menschenrechtsschutzes fallen und insofern grundsätzlich alle Handlungen von Streitkräften eines Staates ausgeschlossen sind, vorbehaltlich der Voraussetzung, dass die Handlungen von Streitkräften eines Staates in Ausübung ihrer offiziellen Aufgaben begangen werden müssen.108 Insofern entfallen dann staatsterroristischen Handlungen möglicherweise aus dem Anwendungsbereich der Konvention, indem es einem Vertragsstaat ermöglicht wird, den in Art. 1 Abs. 2 des Terrorismuskonventionsentwurfs definierten Personen Aufgaben zu erteilen, die möglicherweise ansonsten die Merkmale eines terroristischen Aktes erfüllen. b) Die Debatten im Anschluss an den 11. September 2001 – Rasche Verabschiedung der Konvention oder Utopie der Vollendung? Insbesondere vor dem Hintergrund der aufgezeigten Problemfelder der Konvention lässt sich resümieren, dass auch die Ereignisse des 11. Septembers 2001 nicht zu einer schnellen Verabschiedung einer umfassenden Konvention geführt haben. Erneute Blockaden erschwerten die Tätigkeit der Generalversammlung während ihrer 56., 57. und 58. ordentlichen Tagung. Innerhalb der Debatten in der Generalversammlung unmittelbar nach dem 11. September 2001 wurde von einigen Staaten die altbekannte Formel „Terrorism is Terrorism [. . .]. What looks, smells and kills like terrorism is terrorism.“109 verwandt und damit auf eine Definition verzichtet.110 108 So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 42. 109 Großbritannien, UN Doc. A/56/PV.12, S. 18 vom 1. Oktober 2001. 110 So auch die Niederlande, UN Doc. A/56/PV.13, S. 10 vom 1. Oktober 2001: „Much has been said on that score, but the events at ground zero have made it painfully clear that terrorism in its true manifestation defines itself. There is no cause or
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Andere Staaten forderten – ebenfalls nicht überraschend im Hinblick auf die oben angesprochene Problematik des Freiheitskämpfers – eine Unterscheidung zwischen „reinem“ Terrorismus und dem legitimen Kampf von Völkern gegen koloniale Herrschaft oder fremde Besetzung für ein Recht auf Selbstbestimmung und nationale Befreiung.111 Dem wurde von vielen entgegengehalten, dass alle Formen des Terrorismus ohne Ausnahme zu verurteilen seien, „including those that seek legitimacy in political, religious, ethnic or social arguments.“112 In Zusammenhang mit der Frage der Einbeziehung des Staatsterrorismus wurde gefordert, dass dieser auch in der Form umfasst sein müsse, wie er von Israel gegenüber dem palästinensischen Volk betrieben würde.113 Trotz der aufgezeigten Differenzen äußerten sehr viele Staaten ihre Zustimmung zur indischen Vorlage einer umfassenden Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und riefen zu einem schnellen Abschluss einer solchen auf.114 Daneben wurde von vielen eine schnelle grievance that can justify these kinds of acts. There is no distinction between good and bad terrorists.“ 111 Malaysia, UN Doc. A/56/PV.14, S. 11 vom 2. Oktober 2001; Saudi Arabien, UN Doc. A/56/PV.15, S. 22 vom 2. Oktober 2001. Zum Teil beriefen sich die Staaten dabei auf Paragraph 6 der Generalversammlungsresolution 40/61 von 1985, der ihrer Ansicht nach eine solche Unterscheidung beinhaltet; Oman, UN Doc. A/56/PV.15, S. 24 vom 2. Oktober 2001; Qatar, UN Doc. A/56/PV.17, S. 19 vom 3. Oktober 2001. 112 Bulgarien, UN Doc. A/56/PV.15, S. 15 vom 2. Oktober 2001. So auch Österreich, UN Doc. A/56/PV.15, S. 17 vom 2. Oktober 2001; Brasilien, UN Doc. A/56/PV.16, S. 3 vom 3. Oktober; Indonesien, UN Doc. A/56/PV.16, S. 16 vom 3. Oktober 2001; Spanien, UN Doc. A/56/PV.17, S. 6 vom 3. Oktober 2001. 113 Saudi Arabien, UN Doc. A/56/PV.15, S. 23 vom 2. Oktober 2001; Syrien, UN Doc. A/56/PV.16, S. 18 vom 3. Oktober 2001. So ist wohl auch Kolumbien zu verstehen: „Colombia is of the view that international law differs from serious crimes because its aim is to sow terror among the population and to destabilize or force – or at least attempt to force – a Government or an international organization to take or refrain from taking some action . . . [T]errorism is defined by its objective, and we therefore condemn any terrorist act, irrespective of its authors, motivations, methods, practices or the place where the act is committed.“, UN Doc. A/56/PV.24, S. 15 vom 2. Oktober 2001. Ebenso Peru, UN Doc. A/56/PV.16, S. 15 vom 3. Oktober 2001. 114 Großbritannien, UN Doc. A/56/PV.12, S. 18 vom 1. Oktober 2001; Russland, UN Doc. A/56/PV.13, S. 3 vom 1. Oktober 2001; Algerien, UN Doc. A/56/PV.12, S. 13 vom 1. Oktober 2001; Weißrussland, UN Doc. A/56/PV.12, S. 22 vom 1. Oktober 2001; Marokko UN Doc. A/56/PV.13, S. 4 vom 1. Oktober 2001; Costa Rica, UN Doc. A/56/PV.13, S. 2 vom 1. Oktober 2001; Mongolei, UN Doc. A/56/PV.13, S. 7 vom 1. Oktober 2001; Türkei, UN Doc. A/56/PV.13, S. 9 vom 1. Oktober 2001; Ecuador, UN Doc. A/56/PV.13, S. 11 vom 1. Oktober 2001; Mexiko, UN Doc. A/56/PV.13, S. 14 vom 1. Oktober 2001; Chile, UN Doc. A/56/PV.13, S. 21 vom 1. Oktober 2001; Frankreich, UN Doc. A/56/PV.13, S. 23 vom 1. Oktober
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Verabschiedung einer Konvention zur Bekämpfung von Akten des Nuklearterrorismus, ursprünglich vorgeschlagen von der Russischen Föderation,115 und die Einbeziehung des Tatbestandes „Terrorismus“ in das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes gefordert.116 Eine Einigung über eine Konvention zur Bekämpfung von Akten des Nuklearterrorismus konnte schließlich erziehlt werden; sie wurde am 13. April 2005 von der Generalversammlung verabschiedet und liegt seit dem 14. September 2005 zur Ratifikation aus.117
2001; Nigeria, UN Doc. A/56/PV.13, S. 29 vom 1. Oktober 2001; Japan, UN Doc. A/56/PV.14, S. 15 vom 2. Oktober 2001; Australien, UN Doc. A/56/PV.15, S. 9 vom 2. Oktober 2001; Neuseeland, UN Doc. A/56/PV.15, S. 20 vom 2. Oktober 2001; Mauritius, UN Doc. A/56/PV.16, S. 2 vom 3. Oktober 2001; Paraguay, UN Doc. A/56/PV.16, S. 8 vom 3. Oktober 2001; Jamaica, UN Doc. A/56/PV.16, S. 9 vom 3. Oktober 2001; Finnland, UN Doc. A/56/PV.16, S. 11 vom 3. Oktober 2001; Peru, UN Doc. A/56/PV.16, S. 14 vom 3. Oktober 2001; Indonesien, UN Doc. A/56/PV.16, S. 17 vom 3. Oktober 2001; Schweden, UN Doc. A/56/PV.16, S. 24 vom 3. Oktober 2001; Spanien, UN Doc. A/56/PV.17, S. 6 vom 3. Oktober 2001; Kambodscha, UN Doc. A/56/PV.17, S. 9 vom 3. Oktober 2001; Slowenien, UN Doc. A/56/PV.17, S. 11 vom 3. Oktober 2001; Mozambique, UN Doc. A/56/PV.17, S. 17 vom 3. Oktober 2001; Italien, UN Doc. A/56/PV.17, S. 23 vom 3. Oktober 2001; Angola, UN Doc. A/56/PV.17, S. 24 vom 3. Oktober 2001. So auch der Generalsekretär der Generalversammlung der Vereinten Nationen, UN Doc. A/56/PV.12, S. 3 vom 1. Oktober 2001. 115 Russland, UN Doc. A/56/PV.13, S. 3 vom 1. Oktober 2001; Mongolei, UN Doc. A/56/PV.13, S. 7 vom 1. Oktober 2001, Mexiko, UN Doc. A/56/PV.13, S. 14 vom 1. Oktober 2001; Argentinien, UN Doc. A/56/PV.13, S. 19 vom 1. Oktober 2001; Malaysia, UN Doc. A/56/PV.14, S. 11 vom 2. Oktober 2001; Japan, UN Doc. A/56/PV.14, S. 15 f. vom 2. Oktober 2001; Mauritius, UN Doc. A/56/PV.16, S. 2 vom 3. Oktober 2001; Paraguay, UN Doc. A/56/PV.16, S. 8 vom 3. Oktober 2001; Peru, UN Doc. A/56/PV.16, S. 14 vom 3. Oktober 2001; Schweden, UN Doc. A/56/PV.16, S. 24 vom 3. Oktober 2001; Spanien, UN Doc. A/56/PV.17, S. 6 vom 3. Oktober 2001; Italien, UN Doc. A/56/PV.17, S. 23 vom 3. Oktober 2001. Für einen Überblick über die hier nicht weiter zu verfolgenden Entwicklung bei der Schaffung einer solchen Konvention siehe Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March-2 April 2003), UN Doc. A/58/37, Annex II, B. 116 Mexiko, UN Doc. A/56/PV.13, S. 14 vom 1. Oktober 2001; Türkei, UN Doc. A/56/PV.13, S. 9 vom 1. Oktober 2001; Liechtenstein, UN Doc. A/56/PV.13, S. 30 vom 1. Oktober 2001. 117 Hinsichtlich einer Definitionssuche enthält sie keine neuen Elemente bleibt aber der bereits herausgearbeiteten Tendenz in den Generalversammlungsresolutionen treu. In Art. 6 heißt es: „Each State Party shall adopt such mearsures as may be necessary, including, where appropriate, domestic legislation, to ensure that criminal acts within the scope of this Convention, in particular where they are intended or calculated to provoke a state of terror in the general publico r in a group of persons or particular persons, are under no circumstances justifiable by considerations of a political, philosophical, ideological, racial, ethnic, religious or other similar nature
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Auch während der 57. und 58. Tagung118 der Generalversammlung in den Jahren 2002 und 2003 wurden die Debatten über eine umfassende Konvention zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ergebnislos fortgesetzt. Zwar bestand, wie schon direkt nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001, Einigkeit darüber, dass ein solches Übereinkommen mit einer eindeutigen Definition die beste langfristige Möglichkeit zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus sei und deshalb schnell ein Lösung dafür gefunden werden müsse.119 Auch sollte die Schaffung eines umfassenden Übereinkommens ein Signal der Einigkeit der internationalen Gemeinschaft darstellen.120 Dennoch konnte erneut kein Konsens hinsichtlich der Definition erzielt werden, insbesondere fehlte es an Kompromissen im Hinblick auf die umstrittenen Art. 1, 2, 2bis und 18. Nach wie vor waren die Abgrenzung zum nationalen Befreiungskampf bzw. legitimen Recht auf Selbstbestimmung121 und der Staatsterrorismus122 sowie damit zusammenand are punished by penalties consistent with their grave nature.“ Siehe näher zu der Konvention und den Streitfragen, Murphy, IYHR 32 (2002), S. 137. 118 Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March-2 April 2003), UN Doc. A/58/37. 119 So äußerten sich fast alle Staaten während der Debatten im Sechsten Ausschuss, vergleiche UN Doc. GA/L/3209 vom 2. Oktober 2002; UN Doc. GA/L/3210 vom 3. Oktober 2002, UN Doc. GA/L/3211 vom 4. Oktober 2002. Siehe dazu auch den Bericht des Chairman des Ad Hoc Committee, dass sich zur Ausarbeitung einer umfassenden Konvention vom 28. Januar-1. Februar 2002 traf, 26th meeting, UN Doc. A/57/37. 120 Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March-2 April 2003), UN Doc. A/58/37, Annex I, A, para. 8. 121 Internationales Recht beinhaltet keine Unterscheidung zwischen einem Terroristen und einem Freiheitskämpfer. Es erlaubt nicht, dass Täter eines crimes against humanity unbestraft bleiben, siehe Indien, UN Doc. GA/L/3210 vom 3. Oktober 2002; so auch Israel, UN Doc. GA/L/3211 vom 4. Oktober 2002. „However, according to international law, this principle can be realized only in a peaceful way and in accordance with the principle of territorial integrity. The right to self-determination does not imply the unilateral right to secession.“ Azerbaijan, UN Doc. A/57/PV. 8, S. 25 vom 15. September 2002. Dagegen forderten andere Staaten, das unterschieden werden müsse, da den Freiheitskämpfern ein Recht auf Selbstbestimmung gesichert durch die Charta der Vereinten Nationen sowie weitere internationale Abkommen zustünde, z. B. Lebanon, Syrien, Arménien UN Doc. GA/L/3211 vom 4. Oktober 2002. So auch Kuba, Jemen, UN Doc. A/57/PV. 6, S. 23 und 30 vom 14. September 2002; Lesotho, UN Doc. A/57/PV. 8, S. 5 vom 15. September 2002 (in Bezug auf das Palästinensische Volk und Western Sahara). 122 Staatsterrorismus darf nicht aus der Definition ausgeschlossen werde, so die Auffassung folgender Staaten: Pakistan, Jemen, (im Bezug auf die Unterdrückung des Palästinensischen Volkes durch Israel) UN Doc. GA/L/3210 vom 3. Oktober 2002; Uganda, UN Doc. GA/L/3211 vom 4. Oktober 2002.
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hängend die Bewertung insbesondere der Situation im Mittleren Osten wie auch in einigen anderen Staaten die umstrittenen Aspekte, so dass nicht einmal nennenswerte Fortschritte aus den Debatten zu verzeichnen sind. Daneben wurden Forderungen laut, dass der Anwendungsbereich und die Schwere terroristischer Handlungen nicht nur von dem entstandenen materiellen Schaden abhängig sein dürfe. Zudem müsse der Tatbestand des Terrorismus auch das Unterlassen umfassen. Außerdem müssten die Finanzierung von Nebenaktivitäten, die in Verbindung zu den terroristischen Handlungen stehen, von dem umfassenden Übereinkommen mit gedeckt werden.123 Schließlich nahm die Generalversammlung eine vom Sechsten Ausschuss vorgeschlagene Resolution an, in der festgelegt wurde, dass sich der Ad Hoc Ausschuss weiterhin vorrangig mit der Schaffung eines umfassenden Übereinkommens zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus befassen solle.124 Ob in den nun folgenden Debatten im Ausschuss eine Verabschiedung mit anschließender möglichst weitverbreiteter Ratifikation in naher Zukunft erreicht werden kann, ist in Anbetracht der scheinbar unüberwindbaren Meinungsverschiedenheiten fraglich und wird zum großen Teil in der Literatur angezweifelt.125 Dennoch muss berücksichtigt bleiben, dass die jüngsten Entwicklungen im Hinblick auf eine Verabschiedung der Konvention als Chance verstanden werden können. Die Differenzen zwischen den Staaten waren ein Grund dafür, dass der am 2. Dezember 2004 offiziell an UN-Generalsekretär Kofi A. Annan übergebene „Report of the Secretary-General’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change“ mit dem Titel „A more secure world: Our shared responsibility“ ebenfalls einen Vorschlag für eine Definition enthält.126 UN123 Dies wurde etwa von Kuba vertreten, vergleiche UN Doc. GA/L/3210 vom 3. Oktober 2002. 124 Siehe den Bericht des Sechsten Ausschusses UN Doc. A/57/567, operativer Teil 17 vom 11. November 2002. Die Generalversammlung nahm die Resolution wortgleich ohne Gegenstimmen an: UN Doc. A/Res/57/27 vom 15. Januar 2003. Auch während der 58. Tagung gab es dann eine weitere Fortsetzung. Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March–2 April 2003), UN Doc. A/58/37. 125 Schon 1999 Reisman, Houston Journal of International Law 22 (1999), S. 58, der allerdings noch nicht die Entwicklungen des 11. Septembers 2001 berücksichtigen konnte; Murphy, IYHR 32 (2002), S. 140. 126 Der Bericht ist abrufbar unter: www.un.org/secureworld/report2.pdf. (Stand: 15. September 2005). Er wurde von einer 16 Personen umfassenden Gruppe erstellt, die im November 2003 auf Vorschlag Annans gebildet wurde. Die Mitglieder sind hochrangige Vertreter aus der Politik und Diplomatie. Siehe auch UN Doc. A/59/545.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Generalsekretär Annan bewertete die Definition als Hilfe für eine schnelle Einigung.127 Es heißt darin: „That definition of terrorism should include the following elements: (a) recognition, in the preamble, that State use of force against civilians is regulated by the Geneva Conventions and other instruments, and, if of sufficient scale, constitutes a war crime by the persons concerned or a crime against humanity; (b) restatement that acts under the 12 preceding anti-terrorism conventions are terrorism, and a declaration that they are a crime under international law; and restatement that terrorism in time of armed conflict is prohibited by the Geneva Conventions and Protocols; (c) reference to definitions contained in the 1999 International Convention for Suppression of the Financing of Terrorism and Security Council resolution 1566 (2004); (d) description of terrorism as „any action, in addition to actions already specified by the existing conventions on aspects of terrorism, the Geneva Conventions and Security Council resolution 1566 (2004) that is intended to cause death or serious bodily harm to civilians or non-combatants, when the purpose of such act, by its nature or context, is to intimidate a population, or to compel a Government or an international organisation to do or to abstain from doing any act.“128
Hinsichtlich der Tathandlung ist diese Definition enger gefasst als die Definition im Terrorismuskonventionsentwurf, da keine Verletzungen von öffentlichem oder privatem Eigentum mit umfasst sind. Das Tatmotiv ist in dieser Definition wortgleich mit dem Finanzierungsübereinkommen und dem umfassenden Konventionsentwurf. Bezüglich des Streitpunktes der Behandlung von Freiheitskämpfern bzw. nationalen Befreiungsbewegungen wird in dem Bericht betont, dass unabhängig von der Frage, ob diesen ein Recht auf gewaltsamen Widerstand zustehe, klarzustellen sei, dass in keinem Fall eine Rechtfertigung bestünde, Zivilpersonen zu töten. Daher ist die Definition so zu verstehen, dass auch nationale Befreiungsbewegungen mit in ihren Anwendungsbereich fallen, um diesen Grundsatz zu verfestigen. Nach Auffassung des Panels ist eine Aufnahme des Staatsterrorismus in die Definition nicht notwenig, da bereits umfassende Regelungen diesbezüglich existierten.129 127 www.un.org/secureworld/report2.pdf, Vorwort Annan, S. viii (Stand: 15. September 2005). Siehe ebenso die Stellungnahme Kofi Annans vom 21.03.2005 zur Reformierung der Charta der Vereinten Nationen, UN Doc. A/59/2005, abrufbar unter: www.un.org/largerfreedom/report-largerfreedom.pdf, Rn. 91 (Stand: 15. September 2005). 128 www.un.org/secureworld/report2.pdf, S. 52, para 164 (Stand: 15. September 2005).
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II. Ansätze des Sicherheitsrats 1. Entwicklungen in der Resolutionspraxis bis 2001 Erst im Dezember 1985 verurteilte der Sicherheitsrat als Reaktion auf die Entführung des Kreuzfahrtschiffes Archille Lauro erstmals den Terrorismus mit all seinen Facetten unabhängig vom jeweiligen Täter oder dessen Motiven, nachdem er zuvor lange Zeit nur auf einzelne Terrorakte reagiert und seine Besorgnis über deren Zunahme ausgesprochen hatte.130 Nachdem Libyen dem Auslieferungsersuchen der USA und Großbritanniens hinsichtlich zweier an der Durchführung des Flugzeugattentats von Lockerbie verdächtiger Personen, dem sich der Sicherheitsrat in seiner Resolution 731 (1992)131 angeschlossen hatte, nicht nachgekommen war, stellte der Sicherheitsrat in seiner Resolution 748 (1992)132 unter Hinweis auf seine Kompetenzen nach Kapitel VII UNC fest, dass das Unterlassen Libyens, konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen, eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstelle.133 Dies war damit das erste Mal, dass der Sicherheitsrat Kapitel VIIMaßnahmen in Bezug auf terroristische Aktivitäten verabschiedet hat. Damals bildete jedoch nicht die terroristische Handlung, sondern lediglich das Unterlassen, gegen diese vorzugehen, den Anlass für die Anwendung der Art. 39 ff. der UNC. Daher bestand zu diesem Zeitpunkt nach Auffassung des Sicherheitsrates wohl keine Notwendigkeit, Terrorismus zu definieren, und es ist nicht verwunderlich, dass sich auch keine Anhaltspunkte einer Definition finden lassen. Schon an dieser Stelle ist kritisch anzumerken, dass aufgrund der Rechtssicherheit bereits zu diesem Zeitpunkt eine Definition erforderlich gewesen wäre, um deutlich zu machen, was für Handlungen ein Staat ahnden muss. Noch deutlicher wird diese Rechtsunsicherheit allerdings im Rahmen der nachfolgend untersuchten Resolution 1373. In der Folgezeit erließ der Sicherheitsrat eine große Anzahl an Resolutionen, die den Terrorismus generell verurteilen oder sich auf spezifische Fälle terroristischer Aktivitäten beziehen.134 Von besonderem Interesse für die Abgrenzungsfragen, die sich bei der Suche nach einer Definition stellen, ist 129 www.un.org/secureworld/report2.pdf. S. 51, para. 160 (Stand: 15. September 2005); Siehe ebenso die Stellungnahme Kofi Annans vom 21.03.2005 zur Reformierung der Charta der Vereinten Nationen, UN Doc. A/59/2005, abrufbar unter: www.un.org/largerfreedom/report-largerfreedom.pdf, Rn. 91. 130 SC Res. 579 vom 18. Dezember 1985. 131 SC Res. 731 vom 21. Januar 1992. 132 SC Res. 748 vom 31. März 1992. 133 Zum Sachverhalt Wüstenhagen, in: Praxishandbuch UNO, S. 188 ff.; Tietje/ Nowrot, NZWehrr 2002, S. 2; Plachta, EJIL 12 (2001), S. 125.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
dabei die Resolution 1269 vom 19. Oktober 1999.135 In dieser Resolution folgt der Sicherheitsrat der scheinbaren Auffassung der Generalversammlung von 1994, dem Selbstbestimmungsrecht als Rechtfertigungsgrund für terroristische Aktivitäten eine Absage zu erteilen. Erstes Indiz hierfür ist der Verweis in der Präambel auf die Generalversammlungsresolution 49/60 und die damit u. a. erfolgte Bezugnahme auf die dort enthaltene Aussage hinsichtlich der Rechtfertigung. Zudem – und letztlich aussagekräftiger – ist die im operativen Teil 1 enthaltene Bekräftigung dieser Absage, in der der Sicherheitsrat „unmissverständlich alle terroristischen Handlungen, Methoden und Praktiken als kriminell und nicht zu rechtfertigen [verurteilt], ungeachtet ihrer Beweggründe, in allen Formen und Ausprägungen, gleichviel wo und von wem sie begangen werden.“
Darüber hinausgehende Aussagen, welche Handlungen als „terroristisch“ zu qualifizieren sind, erfolgen nicht. Immerhin deutet die vom Sicherheitsrat gewählte Formulierung, unterstützt durch den Verweis auf die Generalversammlungsresolution 49/60, auf eine Einbeziehung des Staatsterrorismus hin, wenn man die Formulierung wörtlich nimmt, dass unerheblich ist, von wem entsprechende Handlungen begangen werden. 2. Nachfolgende Resolutionspraxis Eine eindeutige Definition hat der Sicherheitsrat jedoch bis heute nicht vorgeschlagen oder zum Gegenstand einer Resolution gemacht. Dabei ist zumindest die Frage der Notwendigkeit heute neu zu bewerten. Insbesondere die weitreichenden Konsequenzen der vom Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution 1373 lassen Zweifel aufkommen, ob der Sicherheitsrat nicht eine Definition in die Resolution hätte inkorporieren müssen.136 Die Aufnahme einer Definition wurde im Sicherheitsrat auch diskutiert, jedoch 134 Siehe Resolution 1737, UN SCOR, 4385th mtg., UN Doc. S/Res/1373 (2001); SC Res. 1368, UN SCOR, 4370th mtg. UN Doc. S/Res/1368 (2001); SC Res. 1363, UN SCOR, 4352nd mtg. UN Doc. S/Res/1363 (2001); SC Res. 1333, UN SCOR, 4251st mtg. UN Doc. S/Res/1333 (2000); SC Res. 1269, UN SCOR, 4053rd mtg. UN Doc. S/Res/1269 (1999); SC Res. 1267, UN SCOR, 4051st mtg. UN Doc. S/Res/1267 (1999); SC Res. 1214, UN SCOR, 3952nd mtg. UN Doc. S/Res/1214 (1998); SC Res. 1189, UN SCOR, 3915th mtg. UN Doc. S/Res/1189 (1998); SC Res. 1054, UN SCOR, 3660th mtg. UN Doc. S/Res/1054 (1996); SC Res. 1044, UN SCOR, 3627th mtg. UN Doc. S/Res/1044 (1996); SC Res. 748, UN SCOR, 3063rd mtg. UN Doc. S/Res/748 (1992). Für einen Überblick über einzelne Stationen des Sicherheitsrates im Kampf gegen den Terrorismus sowie im Zusammenhang mit Libyen, dem Sudan und Afghanistan erlassene Resolutionen siehe Wüstenhagen, in: Praxishandbuch UNO, S. 117–124. 135 SC Res. 1269, UN SCOR, 4053rd mtg. UN Doc. S/Res/1269 (1999).
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vornehmlich abgelehnt, weil eine schnelle Einigung und anschließende Verabschiedung aufgrund der Meinungsunterschiede hinsichtlich einer Definition nicht möglich gewesen wäre.137 Des Weiteren erscheint höchst fragwürdig, ob eine effektive Umsetzung der Resolution gewährleistet werden kann, wenn alle dort von den Staaten zu treffenden Maßnahmen sich auf terroristische Handlungen beziehen, jedoch keine einheitliche Festlegung stattfindet, welche Handlungen „terroristisch“ sind, vielmehr eine Unzahl unterschiedlicher Definitionen der einzelnen Staaten bestehen. Denn die Resolution 1373 verlangt auf Grundlage von Kapitel VII inter alia, dass alle Staaten sicherstellen, „that any person who participates in the financing, planning, preparation or perpetration of terrorist acts or in supporting terrorist acts is brought to justice and ensure that, in addition to any other measures against them, such terrorist acts are established as serious criminal offences in domestic laws and regulations and that the punishment duly reflects the seriousness of such terrorist acts.“138
Trotz des kritikwürdigen Fehlens einer ausdrücklichen Definition innerhalb der Resolution 1373 ergeben sich aus ihr verschiedene Anhaltpunkte für eine solche: Im Rahmen der Forderung, alle terroristischen Aktivitäten als schwere Straftat nach nationalem Recht zu ahnden, finden sich keine Hinweise auf Rechtfertigungsmöglichkeiten; dies könnte darauf schließen lassen, dass jegliche Rechtfertigung unabhängig von dem jeweiligen Grund – parallel zu den Resolutionen der Generalversammlung seit 1994 – ausgeschlossen sein sollte. Eine ähnliche Formulierung wie etwa in der Generalversammlungsresolution 49/60 ist jedoch nicht enthalten. Dennoch bekräftigt die Präambel die Sicherheitsratsresolution 1269. Zweifelhaft erscheint jedoch, ob darüber hinaus aus der nach Kapitel VII bindenden Verpflichtung zur strafrechtlichen Verfolgung nach nationalem Recht und aus der Tatsache, dass die Resolution keine Ausschlussmöglichkeit für terroristische Akte vorsieht, die während eines bewaffneten Konflikts begangen werden, abgeleitet werden kann, dass die Nichtahndung solcher Handlungen während eines bewaffneten Konflikts – wie es etwa in Art. 18 des Terrorismuskonventionsentwurfs für eine umfassende Konvention vorgesehen ist – ein Verstoß gegen die Verpflichtung der Staaten zur Umsetzung der Resolution sei.139 Bedenken diesbezüglich ergeben sich insofern, als die Resolution den Begriff „terroristische Handlung“, wie bereits 136 So auch Hugues, Journal de droit international 2002, S. 768; zu der Reichweite der Resolution Peterke, HUV 2001, S. 121; Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 2001, S. 172. 137 Siehe die Äußerungen im Vorfeld der Annahme der Sicherheitsratsresolution 1368 und 1373, UN Doc. S/PV.4370. So auch Sorel, in: EJIL 14 (2003), S. 369. 138 SC Res. 1373, UN SCOR, 4385th mtg., UN Doc. S/Res/1373 (2001) vom 28. September 2001, operativer Teil 2 (e).
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
erwähnt, verwendet, ohne klarzustellen, was darunter zu verstehen ist und ob möglicherweise einige Handlungen – etwa diejenigen, die während eines bewaffneten Konflikts begangen werden – gar nicht erst unter den Begriff der terroristischen Handlung fallen, somit auch nicht dem Regelungsgehalt der Resolution unterworfen sind. Lediglich Nr. 2 a) der Resolution könnte als indirekter Hinweis dienen, dass jedenfalls auch staatsterroristische Handlungen außerhalb bewaffneter Konflikte verboten sein sollen und somit nicht von einer möglichen Definition ausgeschlossen werden können.140 Auch der vom Sicherheitsrat in der Resolution 1373 eingesetzte Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus141 soll sich gerade nicht mit der Schaffung einer Terrorismusdefinition befassen und hat sich dementsprechend nicht mit einer näheren Interpretation des entsprechenden Absatzes der Resolution auseinandergesetzt. Er könnte jedoch in Zukunft im Rahmen seiner Überwachungsfunktion über die Einhaltung der Verpflichtungen der Resolution damit konfrontiert werden.142 Unabhängig von dieser Frage – die nur ein Beispiel für die Schwierigkeit der Umsetzung der Resolution ohne einheitliche Definition darstellt – ist der Sicherheitsrat durch den Verweis in der Präambel und die Nichtberücksichtigung von Rechtfertigungsgründen seiner Linie und der der Generalversammlung treu geblieben zu sein, wonach er „all acts, methods and practices of terrorism, as criminal and unjustifiable, wherever and by whomever committed“ verurteilt und somit eine Rechtfertigung etwa aufgrund der 139 So vertreten von Halberstam, Columbia Journal of Transnational Law 41 (2003), S. 582. 140 „2. Decides also that all States shall: a) Refrain from providing any form of support, active or passive, to entities or persons involved in terrorist acts, including by suppressing recruitment of members of terrorist groups and eliminating the supply of weapons to terrorists.“ Allerdings stellt sich auch dabei das schon zuvor angesprochene Problem, dass auch hier mit dem Begriff „terrorist act“ gearbeitet wird, ohne eine Definition voranzustellen. 141 Counter Terrorism Committee (im Folgenden CTC). Das CTC ist insofern von besonderer Bedeutung im Vergleich zu anderen vom Sicherheitsrat eingesetzten sanctions committees, da es die Einhaltung der Resolution 1373 überwacht, die zum ersten mal nicht an einzelne Staaten gerichtet ist, sondern direkt gegen Terroristen und gegen terroristische Akte der gesamten Welt. Bis zum 4. April 2003 haben drei Staaten dem Ausschuss noch keinen Bericht vorgelegt und 51 Mitgliedstaaten sind mit der Vorlage eines weiteren Berichts im Rückstand, so dass der Sicherheitsrat diese auffordert, umgehend Berichte zu erstatten, um zu gewährleisten, dass die in der Resolution 1373 (2001) verlangte Universalität der Antwort erhalten bleibt. Siehe dazu die Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates, UN Doc. S/PRST/2003/3 vom 4. April 2003 und den Report of the Policy Working Group on the United Nations and Terrorism, UN Doc. A/57/273-S/2002/875, Annex, para. 31 ff. vom 6. August 2002. 142 Näher dazu Williams, Vereinte Nationen 50 (2002), S. 213 ff.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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Ausübung des Selbstbestimmungsrechts ablehnt. Dies zeigt sich zuletzt auch im Rahmen aller nachfolgenden Resolutionen die im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen ergangen sind, wie etwa denen in Madrid143, Istanbul144 und Beslan145 im Jahre 2004.146 Erstmalig im Rahmen des Sicherheitsrats enthält die Resolution 1566 vom 8. Oktober 2004 einen definitorischen Ansatz.147 Dort heißt es im operativen Teil Nr. 3: „Recalls that criminal acts, including against civilians, committed with the intent to cause death or serious bodily injury, or taking hostages, with the purpose to provoke a state of terror in the general public or in a group of persons or particular persons, intimidate a population or compel a government or an international organisation to do or to abstain from doing any act, which constitute offences within the scope of and as defined in the international conventions and protocols relating to terrorism, are under no circumstances justifiable by considerations of a political, philosophical, ideological, racial, ethnic, religious or similar nature [. . .].“
Dieser Ansatz übernimmt weitgehend wortgleich die Tathandlung des Finanzierungsübereinkommens und stellt ansonsten eine Mischung aus dem Übereinkommen und der Generalversammlungsresolution 49/60 dar. In Fortsetzung der bereits dargestellten Verfestigung im Rahmen der Generalversammlungs- und Sicherheitsratsresolutionen verbietet der Ansatz jegliche Form der Rechtfertigung und schließt damit auch nationale Befreiungsbewegungen mit in die Definition ein.148
E. Definitionsansätze durch internationale Gerichtshöfe und Tribunale Obwohl zumindest im Nicaragua-Fall149 wie auch im Libyen-Fall150 durchaus die Möglichkeit bestand, hat der IGH die Chance, sich zum Terro143
UN Doc. S/RES/1530 vom 11. März 2004. UN Doc. S/RES/1516 vom 20. November 2003. 145 UN Doc. S/PRST/2004/31. 146 Siehe auch alle nach Resolution 1373 ergangenen Resolutionen: Res. 1390 vom 16.01.2002, UN Doc. S/RES/1390; Res. 1438 vom 14.10.2002, UN Doc. S/RES/1438; Res. 1440 vom 24.10.2002, UN Doc. S/RES/1440; Res. 1450 vom 13.12.2002, UN Doc. S/RES/1450; Res. 1455 vom 17.01.2003, UN Doc. S/RES/1455. 147 Res. 1566 vom 8. Oktober 2004, UN Doc. S/RES/1566. 148 So eindeutig auch Nr. 1 des operativen Teils der Resolution. 149 Case concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, ICJ Reports 1986, S. 14 ff. 150 Questions of interpretation and application of the 1971 Montreal convention arising from the aerial incident at Lockerbie: Libyan Arab Jamahiriya v. United 144
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rismus und seiner Begrifflichkeit zu äußern, bisher möglicherweise bewusst nicht genutzt. Auch die Suche nach Ansätzen für die Definition des Begriffs Terrorismus innerhalb der Statute des internationalen Strafgerichtshofs und der Tribunale für Ruanda und Jugoslawien ist vergeblich. Das Statut des internationalen Tribunals für das ehemalige Jugoslawien enthält keine ausdrückliche Vorschrift bezüglich terroristischer Aktivitäten. Im Gegensatz dazu erfasst das Statut für das Ruandatribunal in Art. 4 d) Akte des Terrorismus, ohne jedoch eine Definition derselben zu bieten.151 Bereits im Zusammenhang mit der Geneva Convention for the Prevention and Punishment of Terrorism von 1937 war die Schaffung eines Internationalen Gerichts geplant, welches auf die in der Terrorismuskonvention aufgeführten Handlungen beschränkt sein sollte. Folge der Tatsache, dass die Konvention nicht in Kraft trat, war, dass auch die Konvention zur Etablierung des Gerichtshofes nicht ratifiziert wurde.152 Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Ereignisse des 11. Septembers 2001 stellt sich bei dem am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Romstatut153 die Frage, inwieweit der ICC sich in Zukunft mit Akten des Terrorismus beschäftigen kann.154 Das Romstatut enthält keinen ausdrücklichen Terrorismustatbestand.155 Zwar gab es mehrere Staaten, die die AufKingdom and Libyan Arab Jamahiriya v. United States, Preliminary Objections, Judgment, ICJ, 27. Februar 1998, 37 ILM 587. 151 Text des Statutes abrufbar unter: http://www.ictr.org/ENGLISH/basicdocs/ statute/2004.pdf (Stand: 15. September 2005); Marauhn, in: EPIL, Bd. IV, 2000, S. 853. 152 Siehe eingehender zur Definition des Begriffs Terrorismus in der Konvention von 1937 und zur den einzelnen Regelungen der ICC Konvention von 1937 Chadwick, Self-Determination, S. 98 ff. 153 Rome Statute of the International Criminal Court vom 10. Dezember 1998, BGBl. 2000 II S. 1394, UNTS No. 38544 (im Folgenden Romstatut). 154 Grundlegend zur Rolle und Bedeutung des ICC im internationalen System Zimmermann, GYIL 45 (2002), S. 35 ff. Umfassend zum ICC als neues Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus, Arnold. 155 Dennoch besteht die Möglichkeit terroristische Akte entsprechend den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen als crimes against humanity zu werten, so dass sie im Ergebnis doch in die Jurisdiktion des ICC fielen. Dieses wurde zumindest für die Ereignisse des 11. Septembers 2001 angedacht. van Krieken hingegen: „Terrorism does not fall under these criteria [the crime of genocide, crimes agianst humanity, war crimes, and upon the adoption of an additional provision, the crime of aggression] and it would be counterproductive to define terrorism in such a way that it should equal or should be considered to amount to, for example, a crime against humanity. The definition as contained in the Statut’s Art. 7 is well-balanced, and should primarily focus on what has been prima facie included in this definition, in accordance with the Textes Préparatoires, and not on extending the scope and purpose.“, ders., Terrorism and the International Legal Order, S. 107. Siehe auch Bassiouni, Statute of the International Criminal Court, S. 234 f.
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nahme des Terrorismus als Tatbestand befürworteten, u. a. Algerien, Indien, Türkei und Sri Lanka.156 Und auch der Anfang 1998 ausgearbeitete Entwurf für die Gründungskonferenz in Rom beinhaltete einen eigenständigen Verbrechenstatbestand des Terrorismus, der auch eine Definition desselben mit einschloss.157 Allerdings befürchteten viele Staaten, dass der Streit um eine allgemein anerkannte Definition die Verabschiedung des Statuts gefährden könne. Zudem waren sie der Auffassung, dass nur Tatbestände aufzunehmen seien, die bereits nach bestehendem Gewohnheitsrecht Völkerrechtsverbrechen darstellen, was hinsichtlich des Terrorismus unstreitig nicht der Fall ist.158 In dem Entwurf hieß es: „For the purpose of the present Statute, crimes of terrorism means: (1) Undertaking, organizing, sponsoring, ordering, facilitating, financing, encouraging or tolerating acts of violence against another State directed at persons or property and of such a nature as to create terror, fear or insecurity in the minds of public figures, groups of persons, the general public or populations, for whatever considerations and purposes of a political, philosophical, ideological, racial, ethnic, religious or such other nature that may be invoked to justify them[. . .].“159
Darüber hinaus liegen auch dann terroristische Akte vor, wenn Handlungen im Sinne der in Abs. 2 aufgelisteten Konventionen vorgenommen werden. Der Definitionsversuch enthält selbst den Begriff Terror, ist mithin eine Tautologie und als definitorischer Ansatz daher ungeeignet. Lediglich hinsichtlich der erforderlichen Handlung bietet er einen Hinweis insofern, als er – ähnlich wie der umfassende Konventionsentwurf – sowohl Gewaltakte gegen Personen wie auch gegen Eigentum einschließt. Allerdings werden im Unterschied zum Konventionsentwurf keine Einschränkungen dahingehend gemacht, dass nur schwere Eigentumsbeschädigungen den Tatbestand erfüllen. Darüber hinaus schließt der Definitionsvorschlag vergleichbar mit den neueren Generalversammlungs- und Sicherheitsratsresolutionen jegliche Rechtfertigung aus und enthält keine gesonderten Verweise 156
Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, Article 5 Rn. 3 f. 157 Siehe dazu näher Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, Article 5 Rn. 3 f.; Kirsch/Robinson, in: Cassese/Gaeta/Jones, The Rome Statute, vol. 1, S. 78. 158 Marauhn, in: EPIL Bd. IV, 2000, S. 853; Zimmermann, in: Triffterer, Commentary on the Rome Statute, Article 5, Rn. 3; Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 49 (2001), S. 172. 159 Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court, Draft Statute & Draft Final Act, A/Conf.182/2/Add.1, para. 33 (1998).
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
auf das Selbstbestimmungsrecht, so dass danach im Falle der Erfüllung der restlichen Tatbestandsmerkmale ebenfalls grundsätzlich nationale Befreiungskämpfe von der Definition mit eingeschlossen sind. Hier wäre lediglich an eine Abgrenzung zu Kriegsverbrechen im Sinne des Art. 8 ICC-Statut denkbar gewesen, der sich in Abs. 2 b) und c) auf den Anwendungsbereich des ZP I und ZP II bezieht. Mit der Finanzierungskonvention und dem Terrorismuskonventionsentwurf vergleichbar erscheint die Formulierung, dass „violence against another state“ gefordert wird, wodurch ein internationaler Bezug hergestellt wird, der zumindest die klassische Form des Staatsterrorismus nicht mit einbezieht, wenngleich Staatsterrorismus auch nicht per se aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen wird. Letztlich bleibt jedoch bei der Auslegung des Terrorismusdefinitionsentwurfs zu berücksichtigen, dass er nicht konsensfähig war, und insofern nur bedingt als Anhaltspunkt für eine Definition herangezogen werden kann. Es konnte nur dahingehend ein Konsens gefunden werden, dass terroristische Handlungen, gleich wo und von wem sie begangen werden und unabhängig von Begehensweise, Methoden und Motiven, schwere Verbrechen sind, welche die internationale Gemeinschaft als Ganze berühren.160 Zudem gab es einen vage gehaltenen Auftrag an die 2009 erstmals zusammenkommende Konferenz zur Überprüfung des Statuts, sich erneut mit der Angelegenheit zu befassen.161 Nach den jüngsten Ereignissen werden jedoch die Stimmen, die eine Einbeziehung des Tatbestandes „Terrorismus“ in das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes fordern, wieder lauter, so dass abzuwarten bleibt, ob bis 2009 möglicherweise eine konsensfähige Definition gefunden wird.162
F. Ansätze auf regionaler Ebene Auch auf regionaler Ebene lassen sich Ansätze für eine Definition finden, die Anhaltspunkte für einen Definitionsversuch auf internationaler Ebene bieten könnten. Bemerkenswert ist, dass von den insgesamt elf regionalen Abkommen und drei Protokollen,163 die zur Bekämpfung des Terrorismus geschlossen wurden, die im Folgenden näher zu betrachtenden acht Über160
Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 49 (2001), S. 172. Vergleiche Artikel 123 des Statuts. 162 So z. B. folgende Staaten in den generellen Debatten nach dem 11. September: Mexiko, UN Doc. A/56/PV.13, S. 14 vom 1. Oktober 2001; Türkei, UN Doc. A/56/PV.13, S. 9 vom 1. Oktober 2001; Liechtenstein, UN Doc. A/56/PV.13, S. 30 vom 1. Oktober 2001; sowie auch einige Stimmen in der Literatur: z. B. Sandoz, SZIER 12 (2002), S. 348, der das Strafrecht als Motor für die internationale Gemeinschaft bezeichnet; van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, S. 106. 161
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einkommen ebenso wie die drei Protokolle erst in den letzten vier Jahren entstanden sind. Die drei älteren Konventionen, zu denen die OAS Convention to Prevent and Punish the Acts of Terrorism Taking the Form of Crimes Against Persons and Related Extortion that are of International Significance von 1971164, die European Convention on the Suppression of Terrorism von 1977165 und die SAARC Regional Convention on Suppression of Terrorism von 1987166 gehören, werden weitgehend unberücksichtigt bleiben, da sie für die Suche nach neueren Entwicklungen einer Terrorismusdefinition unergiebig sind. Gleiches gilt für das Zusatzprotokoll zur SAARC Konvention.167 Das Hauptaugenmerk soll vielmehr bei den acht aktuellen regionalen Regelungen liegen.
163 Arab Convention on the Suppression of Terrorism; Convention of the Organisation of the Islamic Conference on Combating International Terrorism; European Convention on the Suppression of Terrorism; Protocol amending the European Convention on the Suppression of Terrorism; OAS Convention to Prevent ans Punish Acts of Terrorism Taking the Form of Crimes against Persons and Related Extortion that are of International Significance; Organization of African Unity (OAU) Convention on the Prevention and Combating of Terrorism; Protocol to the OAU Convention on the Prevention and Combating of Terrorism; South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) Regional Convention on Suppression of Terrorism; Additional Protocol to the SAARC Regional Convention on Suppression of Terrorism; Shanghai Convention on Combating Terrorism, Separatism and Extremism; Treaty on Cooperation among States Members of the Commonwealth of Independent States in Combating Terrorism; Inter-American Convention against Terrorism; Council of Europe Convention on the Prevention of Terrorism; Council of Europe Convention on Laundering, Search, Seizure and Confiscation of the Proceeds from Crime and on the Financing of Terrorism. 164 Abrufbar unter: http://www.oas.org/juridico/english/Treaties/a-49.html (Stand: 15. September 2005). 165 Council of Europe, European Convention on the Suppression of Terrorism, unterzeichnet in Straßburg am 27. Januar 1977, in Kraft getreten am 4. August 1978, (44 Mitgliedstaaten) BGBl 1978 II, S. 321 ff; ETS No. 90. 166 SAARC Regional Convention on Suppression of Terrorism vom 4. November 1987, abrufbar unter: http://www.ciaonet.org/cbr/cbr00/video/cbr_ctd/cbr_ctd_ 36.html (Stand: 15. September 2005), Mitglieder der South Asian Association For Regional Cooperation (SAARC) sind Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka, die alle auch Mitglieder der Konvention sind. Siehe zu dieser Konvention auch einen kurzen Überblick bei Murphy, IYHR 32 (2002), S. 148. 167 Additional Protocol to the SAARC Regional Convention on Suppression of Terrorism, angenommen am 6. Januar 2004, welches bisher lediglich von zwei Staaten, nämlich Bhutan und den Malediven ratifiziert wurde (Stand: 15. September 2005) und noch nicht in Kraft getreten ist, abrufbar unter: http://www.saarc-sec.org. Es dient der Aktualisierung der SAARC Konvention, um die Verpflichtungen aus der Sicherheitsratsresolution 1373 und dem Finanzierungsübereinkommen zu erfüllen.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Daneben gab es selbstverständlich auch viele andere Reaktionen regionaler Organisationen auf die Ereignisse des 11. Septembers 2001, die jedoch im Hinblick auf die Suche nach einer Definition wenig aufschlussreich sind und insofern im Folgenden unberücksichtigt bleiben.168 I. Ansätze in Europa Insbesondere Europa ist seit Jahrzehnten Schauplatz terroristischer Aktivitäten.169 Die Mitgliedstaaten der heutigen Europäischen Union vereinen daher seit nunmehr einem Vierteljahrhundert ihre Kräfte zur Bekämpfung des Terrorismus.170 Die erste nennenswerte Regelung innerhalb Europas ist das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus von 1977,171 dessen erklärtes Ziel die wirksame Bestrafung von Terroristen in erster Linie durch Auslieferung – insbesondere durch die Abschaffung des eine Auslieferung 168 Darunter fallen etwa die Initiativen der OSZE zur verstärkten Kooperation bei der Bekämpfung des Terrorismus, z. B. festgelegt in „The Bucharest Plan of Action for Combating Terrorism“ vom 4. Dezember 2001, OSCE documents: decision No. 1, „Combating terrorism“, MC(9).Doc/1, Annex und MC.Doc/2/01. Für einen weiteren Überblick über die Initiativen der OSZE sowie die Arbeiten des Europarates und Entscheidungen bzw. geäußerte Bedenken hinsichtlich der Berücksichtigung von Menschenrechten bei der Bekämpfung des Terrorismus von internationalen Menschenrechtsgremien nach dem 11. September 2001 siehe Economic and Social Council, Commission on Human rights, Terrorism and human rights, Second progress report prepared by Ms. Kalliopi K. Koufa, E/CN. 4/Sub.2/2002/35, para 38–43 und 51–58, vom 17 Juli 2002. 169 Zeitweilig verzeichnete Westeuropa die höchste Rate terroristischer Anschläge (40,5 Prozent aller in der Welt verübten Gewaltakte durch Terroristen). Zu den einzelnen terroristischen Gruppierungen und statistische Nachweisen siehe Langguth, Außenpoltik 37 (1986), S. 162 ff. 170 Auch in den vorläufig letzten Verfassungsentwurf für die Europäische Union hat der internationale Terrorismus Eingang gefunden, jedoch ohne eine Definition mit aufzunehmen. In Art. I-42 i. V. m. Art. III-226 des Konventionsentwurfes wird festgelegt, dass, sollte auf einen Mitgliedstaat ein Terroranschlag erfolgen, die Union selbst alle ihre zu Verfügung stehenden Mittel, auch militärische mobilisiert, um die Bedrohung von dem betroffenen Staat abzuwenden, seine Organe zu schützen und auf dessen Ersuchen innerhalb seines Hoheitsgebietes zu unterstützen. Die einzelnen Mitgliedstaaten sind verpflichtet, dem betroffenen Mitgliedstaat Unterstützung zu leisten. Der Umfang der Unterstützung wird im Ministerrat besprochen, so dass es im Ermessen eines jeden Mitgliedstaates liegt, welche und wie viele Mittel er bereitstellt. 171 ETS No. 90. Diese war eine Reaktion auf zahlreiche Anschläge insbesondere der Roten Armee Fraktion in Deutschland und der Roten Brigaden in Italien Ende der 60iger und Anfang der 70iger Jahre. Eingehender dazu Langguth, Außenpolitik 37 (1986), S. 162 ff. Für eine Zusammenfassung der Konvention siehe Murphy, IYHR 32 (2002), S. 146 ff.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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hindernden Einwands des politischen Delikts – und mittels stellvertretender Strafverfolgung durch den Aufenthaltsstaat war.172 Das Übereinkommen verzichtet jedoch auf eine Definition des Begriffs „Terrorismus“ und stellt stattdessen einen abschließenden Katalog von „Terrorakten“ auf, der lediglich bestimmte Handlungen aufzählt und beschreibt und daher hinsichtlich der Suche nach einer allgemeinen Definition wenig nützlich ist.173 Das am 15. Mai 2003 angenommene Protokoll zu diesem Übereinkommen enthält ebenfalls keine Erkenntnisse hinsichtlich einer Definition und soll daher nicht weiter berücksichtigt werden.174 Ebenfalls auf die zunehmende Anzahl terroristischer Aktivitäten während der 70er Jahre ist die Entstehung von TREVI zurückzuführen, ein Arbeitsprogramm, welches sich jedoch nicht mit der Suche einer Definition beschäftigte.175 Hinsichtlich der Definitionsversuche ist zunächst die unverbindliche Resolution des Europäischen Parlaments zur Bekämpfung des Terrorismus in der EU von 1997 nennenswert.176 Die dort enthaltene, auch bei Europol verwendete Definition bezeichnet 172
Siehe dazu umfassend Lacoste, Die europäische Terrorismus-Konvention, S. 60 ff.; Bartsch, NJW 1977, S. 1985 ff.; Stein, ZaöRV 37 (1977), S. 668 ff. 173 Siehe Bartsch, NJW 1977, S. 1986, der es für zweifelhaft hält, ob anstelle der Enumeration eine Generalklausel mit Begriffsbestimmung die praktische Anwendung des Übereinkommens erleichtern würde. 174 Protocol amending the European Convention on the Suppression of Terrorism, angenommen am 15. Mai 2003 in Straßburg, 18 Mitgliedstaaten (Stand: 15. September 2005). 175 Die Abkürzung steht für terrorism, radicalism, extremism, violence, international. Am 26.06.1976 hatten die Innen- und Justizminister der Mitgliedstaaten der EG ein Arbeitsprogramm zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit in Europa beschlossen, bei dem es unter anderem um den Informationsaustausch über Terrorakte, terroristische Pläne und Aktivitäten und die gegenseitige Unterstützung in konkreten Fällen ging. Siehe dazu ausführlich Wehner, Europäische Zusammenarbeit, S. 229 ff., Oberleitner, Schengen und Europol, S. 99; Wielsch, Die europäische Gefahrenabwehr, S. 152. Zu TREVI und den darauffolgenden Entwicklungen zur Terrorismusbekämpfung in der Europäischen Union Stein/Meiser, S. 39 ff.; zur Rolle des Schengener Übereinkommen mit Zusatzübereinkommen bei der Bekämpfung des Terrorismus, Wehner, Europäische Zusammenarbeit, S. 199 ff. 176 Die Definition wurde wiederholt und leicht modifiziert in: Recommendation on the role of the European Union in combating terrorism, 5. September 2001, (2001/2016(INI)) abrufbar unter: http://www.europarl.eu.int/plenary/default_de.htm (Stand: 15. September 2005), in der Terrorismus definiert ist als „any act committed by individuals or groups resorting to violence threatening to use violence against a country, its institutions, its population in general or specific individuals, which, for reasons of separatist aspirations, extremist ideological beliefs, religious fanaticism or desire for profit, is intended to create a climate of terror among official authorities, specific individuals or groups in society or the general public.“
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
„Terrorismus als eine kriminelle Handlung, die unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit Gewalt politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen in Rechtsstaaten ändern will und sich somit von Widerstandsaktionen in Drittstaaten unterscheidet, die sich gegen Staatsstrukturen richtet, die ihrerseits terroristischen Charakter haben.“177
Diese Definition wurde jedoch von der Europäischen Kommission im Rahmen der „Proposal for a Council framework decision on combating terrorism“ nicht aufgegriffen. Dort heißt es in Art. 3 Abs. 1 unter dem Titel „Terrorist Offences“ „Each Member State shall take the necessary measures to ensure that the following offences, defined according to its national law, which are intentionally committed by an individual or a group against one or more countries, their institutions or people with aim of intimidating them and seriously altering or destroying the political, economic or social structures of a country, will be punishable as terrorist offences [. . .].“178
Anschließend werden in den Ziffern (a) bis (m) „gewöhnliche“ kriminelle Handlungen aufgelistet. Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung terroristischer Akte und einfacher Kriminalität ist demnach die Intention der Akteure, nicht nur die Bevölkerung einzuschüchtern sondern auch eine schwerwiegende Beschädigung oder Zerstörung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen eines Landes zu erreichen. Die beiden Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Insofern unterscheidet sich diese Definition etwa von der Finanzierungskonvention der Vereinten Nationen, die Handlungen schon dann als terroristische einstuft, wenn sie darauf abzielen, eine Bevölkerung einzuschüchtern.179 Der Vorschlag der Kommission wurde dann jedoch vor allem wegen seines sehr weitreichenden Anwendungsfeldes noch einmal im Rat geändert. Insbesondere wurde versucht, den unter anderem bestehenden Befürchtungen, diese Definition könne etwa Antiglobalisierungsbewegungen mit einschließen und somit fundamentale demokratische Rechte verkürzen,180 entgegenzutreten. Vor diesem Hintergrund erließ der Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments den Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur 177
Europäisches Parlament, Resolution on combating terrorism in the European Union, ABl. EG C 55, vom 24.02.1997, S. 27; Reinisch, S. 31; Klink, Nationale und internationale Präventions- und Bekämpfungsstrategien, in: Hirschmann/Gerhard, S. 218. 178 Proposal for a Council framework decision on combating terrorism, 19. September 2001, COM (2001) 521 final. 179 Reinisch, S. 32. 180 Näher zu der weiteren Kritik an dem Vorschlag der Kommission, vgl. Reinisch, S. 32.
1. Kap.: Der Begriff „Terrorismus“ auf regionaler und int. Ebene
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Terrorismusbekämpfung,181 der folgende Definition zur Angleichung in allen Mitgliedstaaten enthält182: „Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die unter den Buchstaben a) bis i) aufgeführten, nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Straftaten definierten vorsätzlichen Handlungen, die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können, als terroristische Straftat eingestuft werden, wenn sie mit dem Ziel begangen werden, – die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern oder – öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder – die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.“
Auch diese Definition ist nicht kritiklos hingenommen worden. Insbesondere wird bemängelt, dass die Vorschriften sehr vage seien und den Anforderungen des Art. 7 EMRK nicht gerecht werden können.183 Zum einen entspricht die extensive Formulierung der Beweggründe weitgehend dem Terrorismuskonventionsentwurf. Denn auch in der europäischen Definition reicht die Intention aus, entweder die Bevölkerung ernsthaft einzuschüchtern oder unangemessenen Zwang auf die Regierung oder eine internationale Organisation auszuüben. Der Rahmenbeschluss fordert zudem ein „unduly compelling“, während der Terrorismuskonventionsentwurf keine gesteigerten Anforderungen an den Zwang stellt. Neben diesen mit dem umfassenden Terrorismuskonventionsentwurf und der Finanzierungskonvention fast wortgleichen Voraussetzungen enthält der Rahmenbeschluss eine dritte Motivationsvariante, nämlich die Absicht, die Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation schwerwiegend zu destabilisieren oder zu zerstören. Es handelt sich dabei wiederum um Alternativen. Die Voraussetzungen müssen nicht kumulativ vorliegen. Regelmäßig wird die als dritte genannte Gruppe der Beweggründe mit einer der ersten beiden 181 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. EG L 164 vom 22. Juni 2002, S. 3 ff.; (vor allem S. 4 ff.). 182 Weitere Maßnahmen innerhalb der Europas siehe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, Terrorismusbekämpfung und innere Sicherheit in Europa nach dem 11. September 2001, S. 69 ff.; ebenso Economic and Social Council, Commission on Human rights, Terrorism and human rights, Second progress report prepared by Ms. Kalliopi K. Koufa, E/CN. 4/Sub.2/2002/35, para 35 ff., vom 17 Juli 2002; Delpech, S. 21 f.; Stein/Meiser, Die Friedens-Warte 76 (2001), S. 33 ff. 183 Vergleiche ausführlich dazu Reinisch, S. 34. Siehe auch v. Bubnoff, NJW 2002, S. 2673.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
zusammenhängen, so dass in Anlehnung an die Finanzierungskonvention und den Terrorismuskonventionsentwurf die Notwendigkeit für das Bestehen einer solchen Alternative entfällt. Im Sinne dieser beiden Übereinkommen verlangt die europäische Definition ebenfalls keine politische Motivation des Täters. Weitreichend sind daneben auch die möglichen Straftaten, die für einen terroristischen Akt ausreichen können. Zu den möglichen Handlungen gehören ähnlich wie im Terrorismuskonventionsentwurf nicht nur Straftaten gegen Personen, sondern auch schwere Verletzungen öffentlichen und privaten Eigentums. Abweichend zum Konventionsentwurf enthält der Rahmenbeschluss jedoch folgende wesentlich detailliertere Liste an Straftaten: „a) Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können; b) Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit einer Person; c) Entführung oder Geiselnahme; d) schwerwiegende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können; e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Gütertransportmitteln; f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen; g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführung von Bränden, Überschwemmung oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird; h) Störung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefährdet wird; i) Drohung, eine der in a) bis h) genannten Straftaten zu begehen.“
Aus dem dem Rahmenbeschluss voranstehenden Erwägungsgrund Nr. 11 ergibt sich, dass die Aktivitäten der Streitkräfte bei bewaffneten Konflikten, die dem humanitären Völkerrecht unterliegen, und die Aktivitäten der Streitkräfte eines Staates in Wahrnehmung ihres offiziellen Auftrags, soweit sie anderen Regeln des Völkerrechts unterliegen, aus der Definition ausgeschlossen sind. Die Vorschrift ist demnach fast wortgleich mit Art. 18 der umfassenden Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus.184 Entscheiden-
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der Unterschied ist jedoch, dass der Rahmenbeschluss in beiden Alternativen von armed forces ausgeht, während, wie oben dargestellt, Art. 18, so wie er vom Coordinator vorgeschlagen, jedoch bisher von der OIC nicht akzeptiert wurde, zwischen armed forces und military forces unterscheidet. Es stellt sich daher wiederum die Frage, ob armed forces im Erwägungsgrund Nr. 11 in beiden Satzteilen lediglich bewaffnete Streitkräfte eines Staates meint, also solche die primär der Verteidigung eines Staates dienen, oder ob darüber hinaus auch Befreiungsbewegungen mit erfasst werden und insoweit von der Definition des Rahmenbeschlusses ausgeschlossen sind. Ausdrückliche Regelungen oder Klärungen finden sich im Rahmenbeschluss nicht. Nach dem Wortlaut der Vorschrift könnte sich jedoch eine Differenzierung daraus ergeben, dass im ersten Teil „actions by armed forces during periods of armed conflicts, which are governed by international humanitarian law“ genannt sind, während im zweiten Teil ausdrücklich „armed forces of a State“ genannt sind. Insofern ließe sich vergleichbar mit Art. 18 des Terrorismuskonventionsentwurfs für eine umfassende Konvention vermuten, dass der erste Teil weiter gefasst ist und auch nichtstaatliche Streitkräfte einbezieht. Diese Auslegung begegnet jedoch Zweifeln vor dem Hintergrund der Äußerungen von europäischen Staaten während der generellen Debatten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen und bezüglich der umfassenden Konvention. Dort wurde mehrfach deutlich, dass keiner der EU-Staaten eine Definition ohne Einbeziehung von Freiheitskämpfern präferiert. Neben der Einigung auf eine Definition ist die EU auch ansonsten nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 nicht untätig geblieben. Nennenswert sind die Rahmenbeschlüsse zum Europäischen Haftbefehl185 und zum Einfrieren von Straftaterträgnissen,186 der Beschluss über die Errichtung von Eurojust187 vom 28. Februar 2002,188 die Verordnung des Rates über spezifische Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung189 sowie die Kom184
Siehe oben S. 47. ABl. EG L. 190/1. Anstelle der klassischen Auslieferung soll für eine Liste von bestimmten Straftaten einschließlich des Terrorismus der Europäische Haftbefehl treten. Dieser kann im gesamten Hoheitsgebiet der Union vollstreckt werden und führt zu einer vereinfachten und beschleunigten Überstellung, v. Bubnoff, NJW 2002, S. 2674. 186 ABl. EG 2001 Nr. L 182, S. 1. 187 Europäisches Organ zur Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit u. a. mit dem Ziel der Förderung und Verbesserung der Koordinierung der in den Mitgliedstaaten laufenden Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. 188 ABl. EG 2002 Nr. L 63, S. 1. 189 VO EG Nr. 2580/2001 vom 27.12.2001, Abl. EG 2001 Nr. L 344, S. 70. 185
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
petenzerweiterung von Europol.190 In den Entwürfen des Verfassungskonvents ist zudem die Möglichkeit der Schaffung eines Europäischen Staatsanwalts vorgesehen. Die Ausgestaltung des Amtes, wenn es geschaffen werden sollte, wird allerdings hinsichtlich des Aufbaus, Arbeitsweisen, Aufgaben und Befugnissen Rat und Parlament überlassen.191 Nähere Erkenntnisse hinsichtlich einer Definition des Terrorismus haben sich jedoch bisher aus diesen Entwicklungen nicht ergeben. Schließlich wurden im Mai 2005 gleich zwei Konventionen des Europarates zur Bekämpfung des Terrorismus angenommen. Zum einen handelt es sich um die Konvention des Europarates zur Terrorismusprevention und zum anderen um die Konvention über Geldwäsche, Terrorismusfinanzierunf sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten.192 Beide sind aber auf der Suche nach einer Definition nicht hilfreich, da die erste hinsichtlich der Begriffsbestimmung eines terroristischen Angriffs in Art. 1 lediglich auf die im Anhang enthaltenen Verträge verweist, während die zweite in Art. 1 h. auf das internationale Finanzierungsübereinkommen zurückgreift. International betrachtet könnte das europäische Voranschreiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus einschließlich der Anstrengungen, sich auf eine gemeinsame Definition zu einigen, trotz alledem Vorbildcharakter haben.193 Sie ließe sich daher vielleicht als Ansatz heranziehen, um auf internationaler Ebene einen Konsens zur Schaffung einer einheitlichen Definition zu erreichen. 190 Die Kooperation Europols mit verschiedenen europäischen Instrumenten wie OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung) und Eurojust soll verstärkt werden und Europol von der dritten in Richtung erste Säule bewegt werden. Am 28.09.2001 hat der Rat einer Ausweitung der Zuständigkeiten von Europol zugestimmt. Künftig sollen sich Europol-Mitarbeiter an gemeinsamen Ermittlungsteams mit Experten anderer nationalen und europäischen Strafverfolgungsbehörden beteiligen sowie grenzüberschreitende Ermittlungen, Durchsuchungen und Verhaftungen durchführen können, mithin operative Befugnisse erhalten. 191 CONV 614/03, S. 29. Kritik an der Schaffung eines Europäischen Staatsanwalts wurde vor allem deshalb geübt, da dieser eine nahezu uneingeschränkte Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Mitgliedstaates, in dem Anklage erhoben wird, hat, und somit die Möglichkeit besteht, Beschuldigtenrechte durch das sogenannte „forum shopping“ zu umgehen. Satzger, StV 2003, S. 139. Befürworter sehen die Schaffung als weiteren Schritt zur Überwindung der mit der Drei-Säulen-Architektur eingeführten Aufspaltung der Zuständigkeiten der EU, Brüner/Spitzer, NStZ 2002, S. 396 f. mit weiteren Argumenten. 192 Council of Europe Convention on the prevention of terrorism vom 16. Mai 2005, CETS No. 196; Council of Europe Convention on Laudering, Search, Seizure ans Confiscation of the Proceeds from Crime and on the Financing of Terrorism vom 16. Mai 2005 CM (2005)35 final. Beide Konventionen sind noch nicht in Kraft getreten.
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II. Inter-American Convention Against Terrorism Die bereits im Jahre 1971 unterzeichnete Convention to Prevent and Punish the Acts of Terrorism Taking the Form of Crimes against Persons and Related Extortion that Are of International Significance194 der OAS195 enthält keine Definition des Begriffs „internationaler Terrorismus“ und war hauptsächlich für den diplomatischen Schutz bestimmt.196 Durch die jüngsten Ereignisse sensibilisiert beschlossen die Außenminister der OAS-Staaten zehn Tage nach dem 11. September 2001 auf ihrem 23. Treffen der OAS unter anderem, den Ständigen Rat (Permanent Council) mit der Ausarbeitung eines Entwurfs für eine Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus zu betrauen.197 Ergebnis ist die auf einem Vorschlag des Inter-American Juridical Committee von 1995 basierende Inter-American Convention Against Terrorism, die am 3. Juni 2002 von der Generalversammlung der OAS angenommen wurde und am 10. Juli 2003 in Kraft trat.198 Im Hinblick auf die Suche nach einer Definition ist diesem Fortschritt jedoch nur mäßige Bedeutung zuzumessen,199 da die Konvention in Art. 2 auf diejenigen Handlungen verweist, die sich aus den internationalen 193 So auch die Einschätzungen der Policy Working Group, siehe dazu Report of the Policy Working Group on the United Nations and Terrorism, UN Doc. A/57/273-S/2002/875, Annex, para. 42 vom 6. August 2002. 194 Organization of American States, Convention to Prevent and Punish the Acts of Terrorism Taking the Form of Crimes against Persons and Related Extortion that are of International Significance, unterzeichnet in Washington D.C am 2. Februar 1971, in Kraft getreten am 16. Oktober 1973, UNTS, vol. 1438, No. I-24381, 17 Mitgliedstaaten (Stand: 15. September 2005); Murphy, IYHR 19 (1989), S. 20. 195 Organisation of American States, im Folgenden OAS. 196 Siehe dazu Murphy, IYHR 32 (2002), S. 145, der zu Recht die Bedeutung der Konvention als gering einstuft, da sie von der UN Convention on the Prevention and Punishment of Crimes against Internationally Protected Persons, including Diplomatic Agents, abgelöst wurde. In Artikel 1 der Konvention verpflichten sich die Staaten zur Kooperation „to prevent and punish acts of terrorism, especially kidnapping, murder and other assaults against the life or physical integrity of those persons to whom the state has the duty according to international law to give special protection, as well as extortion in connection with those crimes.“ 197 „Strengthening Hemispheric Cooperation to Prevent, Combat, and Eliminate Terrorism“, 23 meeting, Resolution RC.23/RES/1/01, rev. 1, corr. 1 vom 21. September 2001. 198 Inter-American Convention Against Terrorism, Angenommen 3. Juni 2002, AG/RES. 1840 (XXXII-O/02), abrufbar unter: http://www.oas.org/juridico/english/ treaties/a-66.htm, 12 Mitgliedstaaten (Stand: 15. September 2005). 199 Für eine Bewertung unabhängig von der Definition siehe Murphy, IYHR 32 (2002), S. 145. Insbesondere enthält die Konvention vergleichbar mit dem Internationalen Übereinkommen über die Verhinderung terroristischer Bombenanschläge das Verbot, eine Auslieferung wegen der political offence exeption abzulehnen, mit
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Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus ergeben und daneben keine eigene darüber hinausgehende Definition bereithält. Die zehn dort aufgelisteten Konventionen richten sich, wie bereits dargestellt,200 nur punktuell gegen spezifische Handlungsweisen des Terrorismus, so dass sich daraus keine über die oben festgestellten Erkenntnisse zur Finanzierungskonvention201 hinausgehenden Anhaltspunkte für eine Definition entnehmen lassen. III. Convention of Organisation of Islamic Conference on Combating International Terrorism Im Unterschied zu der Inter-American Convention Against Terrorism der OAS enthält die am 1. Juli 1999 in Ouagadougou angenommene und inzwischen in Kraft getretene Convention on Combating International Terrorism der OIC202 eine eigenständige Definition.203 Dort heißt es in Art. 1 Nr. 2 und 3: „2. ‚Terrorism‘ means any act of violence or threat thereof notwithstanding its motives or intentions perpetrated to carry out an individual or collective criminal plan with the aim of terrorizing people or threatening to harm them or imperilling their lives, honour, freedoms, security or rights or exposing the environment or any facility or public or private property to hazards or occupying or seizing them, or endangering a national resource, or international facilities, or threatening the stability, territorial integrity, political unity or sovereignty or independent States. 3. ‚Terrorist Crime‘ means any crime executed, started or participated in to realize a terrorist objective in any of the Contracting States or against its nationals, assets or interests or foreign facilities and nationals residing in its territory punishable by its internal law.“
Zunächst ist auffällig, dass die Definition hinsichtlich der Handlung sehr weit ist, da jeder Gewaltakt in den Anwendungsbereich fällt, so z. B. auch leichte Körperverletzungen oder Ähnliches. Im Vergleich zu den bisher untersuchten Konventionen ist diese Definition weniger aussagekräftig und weitreichend, da nur solche Handlungen als „terrorist crimes“ zu bewerten sind, die im jeweiligen Mitgliedstaat strafbar sind.204 Eine ausdrückliche Verpflichtung, bestimmte Taten unter Strafe zu stellen, enthält die Konvention ebenso wenig wie das in den bisder Einschränkung von Artikel 14 der fast wortgleich ist mit Artikel 12 des internationalen Übereinkommens. 200 Siehe oben S. 34 ff. 201 Siehe oben S. 37 ff. 202 Abrufbar unter: http://www.oic-un.org/26icfm/c.html, 10 Mitgliedstaaten (einschließlich Palästina) (Stand: 15. September 2005). 203 Siehe auch zur Konvention Hoss/Philipp, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 368.
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her beachteten Übereinkommen übliche Prinzip aut dedere aut judicare. Damit verbleibt ein großer Spielraum bei den jeweiligen Vertragsstaaten. Die Definition verzichtet jedoch ähnlich wie etwa der umfassende Konventionsentwurf auf das Erfordernis einer politischen Motivation für die betreffenden Handlungen. Dies könnte auch seine Ursache in der gewollten Differenzierung zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen haben. Im Unterschied zu den bisher betrachteten Übereinkommen enthält die Konvention nämlich ausdrücklich in Art. 2 a) eine Regelung, wonach der Kampf der Völker einschließlich des bewaffneten Kampfes gegen fremde Inbesitznahme, Aggression sowie Kolonialismus und Hegemonie mit dem Ziel der Freiheit und der Selbstbestimmung im Einklang mit den Prinzipien des internationalen Rechts nicht unter den Begriff der terroristischen Handlung fallen.205 Im Unterschied zum Terrorismuskonventionsentwurf werden in dieser Ausnahme jedenfalls nicht die Streitkräfte eines Staates während eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des humanitären Rechts erfasst. Vielmehr verbirgt sich dahinter ein genereller Ausschluss des Kampfes der sich auf Selbstbestimmung berufenden Völker einschließlich des bewaffneten Kampfes, der unterhalb der Schwelle des Anwendungsbereichs des humanitären Völkerrechts, insbesondere des ZP II bleibt, wenn ein solcher Kampf nach Auffassung der Staaten im Einklang mit den Prinzipien des internationalen Rechts steht. An diesem generellen Ausschluss ändert auch Art. 2 c) nichts, der normiert, dass die dort aufgelisteten Verbrechen nicht als politische Verbrechen anzusehen sind, selbst wenn sie aus einer politischen Motivation heraus begangen wurden. Zwar könnte man zunächst daran denken, dass bei Begehung der dort aufgelisteten Verbrechen auch das Selbstbestimmungsrecht nicht als politische Motivation ausreicht, insofern diese Taten unabhängig von der Existenz eines Selbstbestimmungsrechtes als terroristische Akte zu definieren sind. Systematisch betrachtet, bezieht sich Art. 2 c) jedoch auf Art. 2 b), wonach terroristische Akte im Sinne des Art. 1 nicht als politische Verbrechen behandelt werden sollen, und nicht auf Art. 2 a),
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Siehe dazu Artikel 3 Abs. II: „Committed to prevent and combat terrorist crimes in conformity with the provisions of this Convention and their respective domestic rules and regulations the contracting States shall see to: [. . .].“ 205 Die 57 Staaten der Islamischen Konferenzorganisation OIC haben in ihrer Konvention folgende Regelung enthalten, auf deren Inkorporierung in die umfassende Konvention sie bestehen: Article 2 (a): „Peoples struggle including armed struggle against foreign occupation, aggression, colonialism, and hegemony, aimed at liberation and self-determination in accordance with the principles of international law shall not be considered a terrorist crime.“ In dem Arabischen Übereinkommen über die Bekämpfung des Terrorismus und in der Präambel des OAU-Übereinkommens über die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus finden sich ähnliche Ausnahmeklauseln.
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der bereits ausschließt, dass im Kampf um das Selbstbestimmungsrecht begangene Handlungen überhaupt als terroristische Akte zu qualifizieren sind. Daneben wird dies auch noch einmal in der Präambel der Konvention bestärkt und ist in allen zum Terrorismus ergangenen Resolutionen seit 1999 enthalten.206 Der Ausschluss des Kampfes der sich auf Selbstbestimmung berufenden Völker ist daher wohl als das zentralste Anliegen der OIC-Staaten zu werten und bezieht sich vor allem ausdrücklich auf den Kampf der Palästinenser gegen die israelische Besetzung.207 Insofern erfährt die zunächst weit erscheinende Definition eine ernorme Einschränkung, wenn man bedenkt, dass viele aktuelle terroristische Anschläge von Gruppierungen verübt wurden, die sich selbst als Freiheitskämpfer verstehen, jedoch nicht in den Regelungsbereich des humanitären Rechts fallen. Auch hinsichtlich der Problematik des Staatsterrorismus wird – vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Palästina und Israel wohl nicht überraschend – in der Präambel deutlich, dass eine Einbeziehung des Staatsterrorismus gewollt ist. Daher ist ebenfalls verwunderlich, dass sich keinerlei Regelung vergleichbar mit Erwägungsgrund Nr. 11 des europäischen Rahmenbeschlusses in dem Übereinkommen finden lässt.208 Ähnlich wie auch schon in der Generalversammlungsresolution wird dort festgestellt, dass Terrorismus in keiner Weise zu rechtfertigen ist, unabhängig von seinem Ursprung, dem Grund oder dem Zweck, einschließlich direkter oder indirekter Aktionen von Staaten. Diese unbedingte Verurteilung des Terrorismus ohne Rechtfertigungsmöglichkeit steht streng genommen im Widerspruch zu dem zwei Absätze zuvor in der Präambel und anschließend in Art. 2 festgelegten generellen Ausschluss des Freiheitskampfes aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens. Ob die Konvention und damit auch die dort enthaltene Definition jedoch insgesamt von den 57 Staaten der OIC getragen wird, bleibt abzuwarten. 206 Resolution No. 59/26-P on the follow-up of the Code of Conduct for Combating International Terrorism vom 28. Juni–1. Juli 1999; abrufbar unter: http://www.oic-un.org/26icfm/26pol.html (Stand: 15. September 2005). 207 Kuala Lumpur Declaration on International Terrorism adopted at the extraordinary session of the Islamic Conference of Foreign Ministers on Terrorism, 1.–3. April 2002, Annex 1, Nr. 12, in der es heißt: „We condemn Israel for its escalating military campaign against the Palestinian people, including the daily brutalization and humiliation of its civilians, resulting in mounting casualties, strangulation of the Palestinian economy, systematic and indiscriminate destruction of houses and residential facilities as well as infrastructure, institutions and structures of the Palestinian National Authority“, abrufbar unter: http://www.oic-oci.org/english/fm/11_ extraordinary/final.htm (Stand: 15. September 2005). 208 Siehe oben S. 71 ff.
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Bislang haben erst neun Staaten die Konvention ratifiziert. Ergebnis der vom 1. bis zum 3. April 2002 abgehaltenen Konferenz der Außenminister der OIC war die Kuala Lumpur Declaration on International Terrorism and Plan of Action, die die Gründung eines OIC Committee on International Terrorism vorsehen. Dieses ist unter anderem mit der Aufgabe betraut, Empfehlungen für eine Beschleunigung der Implementierung der Konvention zu formulieren.209 Daneben bekräftigt die Deklaration die Position der OIC-Staaten, „[to] work towards an internationally agreed definition of terrorism and terrorist acts, which shall be differentiated from the legitimate struggle and resistance of peoples under colonial or alien domination and foreign occupation for national liberation and self-determination, for incorporation into the draft Comprehensive Convention on International Terrorism.“
IV. Arab Convention for the Suppression of Terrorism Die Arabische Konvention zur Bekämpfung der Terrorismus vom 22. April 1998210 ähnelt dem Übereinkommen der OIC in einigen Bereichen sehr.211 Auch sie enthält in Art. 1 Nr. 2 eine Definition des Begriffs Terrorismus: „Any act or threat of violence, whatever its motives or purposes, that occurs in the advancement of an individual or collective criminal agenda and seeking to sow panic among the people, causing fear by harming them, or placing their lives, liberty or security in danger, or seeking to cause damage to the environment or to public or private installations or property or to occupying or seizing them, or seeking to jeopardize a national resources.“
209 Kuala Lumpur Declaration on International Terrorism adopted at the extraordinary session of the Islamic Conference of Foreign Ministers on Terrorism, 1.–3. April 2002, Annex 1, abrufbar unter: http://www.oic-oci.org/english/fm/ 11_extraordinary/final.htm (Stand: 15. September 2005). 210 Arab Convention for the Suppression of Terrorism (Kairo, 22. April 1998) abrufbar unter: http://www.al-bab.com/arab/docs/league/terrorism98.htm (Stand: 15. September 2005). Aus dem Anhang zu dem Brief vom 9. März 2004 des Ständigen Vertreters Libyens bei den Vereinten Nationen an den Präsidenten der Generalversammlung (UN Doc. A/58/730) geht hervor, dass die Konvention am 7. Mai 1999 in Kraft getreten ist und 17 der Mitglieder der Arabischen Liga Mitgliedstaaten der Konvention sind: Algerien, Ägypten, Bahrain, Djibouti, Jordan, Libanon, Libyen, Marokko, Oman, Palästina, Qatar, Saudi Arabien, Sudan, Syrien, Tunesien, Vereinigte Arabische Emirate, Yemen; Mitglieder der Arabischen Liga die demgemäß der Konvention bislang nicht beigetreten sind: Irak, Kommoren, Kuwait, Mauretanien, Somalia. 211 Zur Struktur und weiteren Aspekten der Konvention siehe: Hoss/Philipp, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 368.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Darüber hinaus wird terrorist offence neben den bekannten in Art. 3 (a) bis (f) aufgelisteten internationalen Übereinkommen212 definiert als: „. . . Any offence or attempted offence committed in furtherance of a terrorist objective in any of the Contracting States, or against their nationals, property or interests, that is punishable by their domestic law.“ Auch die Definition der Liga der arabischen Staaten leidet wie schon die der OIC an dem Manko, an die Strafbarkeit der jeweiligen Vertragsstaaten gebunden zu sein und so ein „Schlupfloch“ für die Mitglieder der Konvention zu bieten. Zudem enthält auch sie die ausdrückliche Bekräftigung des Rechts auf Selbstbestimmung in der Präambel und vor allem den darüber hinausgehenden Ausschluss desselben aus dem Tatbestand des Terrorismus gemäß Art. 2. Dort heißt es: „(a) All cases of struggle by whatever means, including armed struggle, against foreign occupation and aggression for liberation and self-determination, in accordance with the principles of international law, shall not be regarded as an offence. This provision shall not apply to any act prejudicing the territorial integrity of any Arab State.“
Daraus ergibt sich folglich, ebenfalls vergleichbar mit der Konvention der OIC-Staaten, die deutliche Differenzierung zwischen Terroristen einerseits und mit Waffengewalt kämpfenden Freiheitskämpfer andererseits mit der Folge einer enormen Einschränkung des zunächst weit erscheinenden Anwendungsbereichs. Auch hinsichtlich der politischen Motivation und des Staatsterrorismus ist auf die Ausführungen im Rahmen der Konvention der OIC zu verweisen. V. OAU Convention on the Prevention and Combating of Terrorism Im Juli 1999 verabschiedete die Organisation für Afrikanische Einheit213 auf ihrer Jahrestagung der Staats- und Regierungschefs in Algier eine Konvention über die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus.214 212 Auffällig ist dabei, dass in der Liste der Konventionen folgende Übereinkommen nicht aufgeführt sind: Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen, in Ergänzung des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt, 1988; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt, 1988; Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, 1988; Übereinkommen über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens, 1991; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, 1997.
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In Art. 1 Nr. 3 der Konvention ist ein terroristischer Akt definiert als „(a) any act which is a violation of the criminal laws of a State Party and which may endanger the life, physical integrity or freedom of, or cause serious injury or death to, any person, any number of group of persons or causes or may cause damage to public or private property, natural resources, environmental or cultural heritage and is calculated or intended to: (i) intimidate, put in fear, force, coerce or induce any government, body, institution, the general public or any segment thereof, to do or abstain from doing any act, or to adopt or abandon a particular standpoint, or to act according to certain principles; or (ii) disrupt any public service, the delivery of any essential service to the public or to create a public emergency; or (iii) create general insurrection in a State.“
Auffällig ist zunächst der weite Anwendungsbereich innerhalb der afrikanischen Definition. Umfasst sind nicht nur Beeinträchtigungen von Leib und Leben, sondern auch Eigentumsverletzungen, ohne dass dabei ein Grad der Schwere vorgegeben ist. Auch ist die Strafbarkeit der Handlung wiederum vom Recht der einzelnen Vertragsstaaten abhängig, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass sich die Parteien in Art. 2 verpflichten, die in Art. 1 aufgeführten Taten unter Berücksichtigung der Schwere solcher Taten unter Strafe zu stellen. Wie bereits in den Konventionen der OIC und der Liga der arabischen Staaten wird auch im Übereinkommen der OAU in Art. 3 der mit den Prinzipien des internationalen Rechts vereinbare Kampf um das Selbstbestimmungsrecht und Befreiung einschließlich des bewaffneten Kampfes aus dem Begriff des terroristischen Aktes ausgenommen. Zudem enthält auch die Präambel eine Bestärkung dieses Rechts. Ähnlich dem europäischen Rahmenbeschluss reichen alternativ die Absichten aus, auf die Bevölkerung oder die Regierung einschüchternd einzuwirken, sie in Schrecken zu versetzen oder zu einem Handeln oder Unterlassen zu zwingen. Vergleichbar mit allen untersuchten regionalen Übereinkommen wird eine politische Motivation indes nicht gefordert.
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Organization of African Unity, im Folgenden OAU. Organization of African Unity (heute: African Union), Convention on the Prevention and Combating of Terrorism, angenommen in Algier am 14. Juli 1999, ist am 6. Dezember 2002 in Kraft getreten und zählt bislang 36 Mitgliedstaaten, abrufbar unter: http://www.africa-union.org/Official_documents/Treaties_%20Con ventions_%20Protocols/offTreaties_Conventions_&_Protocols.htm oder http:// untreaty. un.org/English/Terrorism.asp (Stand: 15. September 2005). 214
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Das anschließend im Juli 2004 verabschiedete Protokoll zur Konvention verweist in Art. 12 Nr. 12 auf die eben dargestellte Definition der Konvention und enthält keine darüber hinausgehenden eigenen Aspekte.215 VI. Treaty on Cooperation among States Members of the Commonwealth of Independent States in Combating Terrorism Der am 4. Juni 1999 verabschiedete Treaty on Cooperation among States Members of the Commonwealth of Independent States in Combating Terrorism216 enthält vergleichbar mit den meisten bisher untersuchten regionalen Übereinkommen ebenfalls eine Terrorismusdefinition in Art. 1. Danach ist Terrorismus „an illegal act punishable under criminal law committed for the purpose of undermining public safety, influencing decision-making by the authorities or terrorizing the population, and taking the form of: [. . .].“ Im Folgenden werden dann verschiedene Tathandlungen aufgelistet, zu denen nicht nur die Ausübung von Gewalt gegen Personen gehört, sondern auch die Zerstörung von Eigentum, wenn sie geeignet ist, Menschenleben zu gefährden oder schwerwiegende Beschädigungen, die sich gefährdend auf die Gesellschaft auswirken, hervorzurufen.217 Insofern hat der CIS-Vertrag eine ähnlich weit gefasste Tathandlung wie der Terrorismuskonventionsentwurf. Im Unterschied zu den Konventionen der Liga der arabischen Staaten und der OIC-Staaten enthält der Vertrag jedoch keinerlei Hinweise auf eine gesonderte Behandlung der um das Selbstbestimmungsrecht kämpfenden Völker, so dass davon auszugehen ist, dass sie in den Anwendungsbereich des CIS-Vertrages fallen. Darüber hinaus sind ebenfalls nicht ausdrücklich Streitkräfte eines Staates während eines bewaffneten Konfliktes ausgeschlossen. Im Hinblick auf die erforderliche Motivation deckt sich der 215 Protocol to the OAU Convention on the Prevention and Combating of Terrorism, angenommen am 8. Juli 2004, abrufbar unter: www.africa-union.org (link: official documents). Bisher ist es nicht in Kraft getreten, da kein Staat ratifiziert hat (Stand 15. September 2005). 216 Abrufbar unter: http://untreaty.un.org/English/Terrorism/csi_e.pdf (Stand: 15. September 2005). Die Konvention ist gemäß ihres Artikels 22 am Tag der jeweiligen Unterzeichnung in Kraft getreten (für bisher 7 Mitgliedstaaten, zuletzt Russland am 13. Januar 2005). Im Folgenden CIS-Vertrag, die Commonwealth of Independent States (CIS) besteht inzwischen aus 12 ehemaligen der Sowjetunion angehörigen Staaten, vgl. www.cis.minsk.by. 217 Darüber hinaus werden folgende Handlungen aufgelistet: „Threatening the life of a stateman or public figure for the purpose of putting an end to his State or other public activity or in revenge for such activity; Attacking a representative of a foreign State or an internationally protected staff member of an international organization, as well as the business premises or vehicles of international protected persons; Other acts classified as terrorist under national legislation of the Parties or under universally recognized international legal instruments.“
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Vertrag in etwa mit dem Terrorismuskonventionsentwurf mit dem Unterschied, dass nicht „to intimidate a population“ gefordert wird, sondern deren Terrorisierung. Insofern scheint diese mögliche Motivationsalternative des CIS-Vertrages vom Wortlaut her enger gefasst zu sein. Letztlich verbirgt sich jedoch auch dahinter eine Tautologie. VII. Shanghai Convention on Combating Terrorism, Separatism and Extremism Zuletzt enthält auch die Shanghai Konvention, die am 29. März 2003 in Kraft trat,218 in ihrem Art. 1 Abs. 1. b. eine Definition, die in Teilen der des Finanzierungsübereinkommens ähnelt.219 Übereinstimmend enthält sie eine Abgrenzung zum humanitären Recht und die Einschüchterung als Kriterium zur Abgrenzung zu einfachen kriminellen Handlungen. Hinsichtlich der Handlungen ist sie jedoch deutlich weitergehender und bezieht auch „major damage to any material facility“ mit ein.
G. Ansätze auf nationaler Ebene Obwohl es naheliegend ist, dass sich die Definitionen auf nationaler Ebene unterscheiden, da sie oft einem ganz bestimmten nationalen Zweck, etwa der Bekämpfung einer national operierenden terroristischen Organisation dienen und vor diesem Hintergrund genutzt werden sollen, lassen sich doch einige Gemeinsamkeiten finden, die Parallelen zu den internationalen und regionalen Ansätzen aufweisen. Dabei lassen sich zwei Gruppierungen von Staaten ausmachen. Während einige Staaten wie etwa Großbritannien220 und Kanada221 Legaldefinitionen vorgeben, beschränken sich andere, so z. B. Deutschland, auf die Kriminalisierung bestimmter aufgelisteter Handlungen. Im Folgenden kann nicht auf alle einzelnen nationalen An218 Shanghai Convention on Combating Terrorism, Separatism and Extremism, angenommen am 15. Juni 2001, in Kraft getreten am 29. März 2003 (6 Mitgliedstaaten), abrufbar unter: http://www.sectsco.org. 219 Dort heißt es nach einem Verweis auf die Verträge im Annex der Konvention, dass folgende Akte ebenfalls terroristische Handlungen im Sinne der Konvention sind: „other act intended to cause death or serious bodily injury to a civilian, or any other person not taking an active part in the hostilities in a situation of armed conflict or to cause major damage to any material facility, as well as to organize, plan, aid and abet such act, when the purpose of such act, by its nature or contet, is to intimidate a population, violate public security or to compel public authorities or an international organization to do or to abstain from doing any act, and prosecuted in accordance with the nationa laws of the Parties.“ 220 Siehe Section 1 of the Terrorism Act 2000 (UK). 221 Siehe Section 83.01 (1) of the Canadian Criminal Code.
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sätze Bezug genommen werden. Es soll lediglich versucht werden, eine möglichst repräsentative Auswahl zu erstellen. I. Die kriminelle Handlung als gemeinsames objektives Element Allen Definitionen in den untersuchten nationalen Rechtsordnungen ist gemein, dass sie zunächst ein objektives Element erfordern, nämlich eine kriminelle Handlung von einem bestimmten Ausmaß.222 Übereinstimmend ist jedenfalls die Ausübung schwerer Gewalt gegen Personen als klassische terroristische Handlung ausreichend.223 Viele Definitionen enthalten zudem – wie auch einige internationale Definitionsversuche224 – die Alternative, dass nicht nur Personen betroffen sein können, sondern auch das Eigentum zulässiges Angriffsziel sein kann, damit die Voraussetzungen des Tatbestandes des Terrorismus erfüllt sind.225 So ist in Russland Terrorismus in Art. 3 der Terrorism Bill definiert als „violence or threat of its use against natural persons or organisations, and also the destruction of or threat to destroy property and other material objects[. . .].“226 Auch die Terrorismusdefinition des Immigation and Nationality Act in den USA,227 die kanadische Bill C-36, die nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 verabschiedet wurde,228 und Großbritanniens Terrorism Act 2000229 enthalten ähnliche Regelungen. In den USA finden sich eine Fülle von Definitionen230 der verschiedenen Ministerien.231 Der vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in den 222 Vergleiche die Regelungen in Russland, in den USA, Kanada, Großbritannien, Deutschland, Italien und in der Türkei. 223 So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 27. 224 Siehe z. B. EU, Framework Decision of the Council of the European Union vom 13. Juni 2002: „intentional acts . . . causing extensive destruction to a Government facility, a transport system, an infrastructure facility, including an information system . . . likely to endanger human life or result in major economic loss“; ebenso auch die umfassende Konventionsentwurf, siehe dazu unter S. 46. 225 So etwa Kanada, Frankreich, Kolumbien, Algerien, Russland, Ägypten. Ausführlich zu Frankreich siehe u. a. auch Herzog, Terrorismus, S. 30 ff. 226 Siehe Beknazar, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 474. 227 8 U.S.C. § 1182 (a) (3) (B.). 228 Siehe Wagner, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 177 f. 229 Siehe Grote, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 593. 230 So wird zum Teil von einem halben Dutzend Definitionsvorschläge der USARegierung gesprochen, vgl. Arend/Beck, S. 140 m. w. N.
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USA verabschiedete Homeland Security Act 2002,232 der die Konsolidierung von etwa 22 unterschiedlichen Agenturen, Büros und Forschungszentren des Bundes in eine einzelne Verwaltungsabteilung erlaubt, erweiterte den US Patriot Act233 um Handlungen, die „potentially destructive of critical infrastructure or key resources“ sind.234 Diese neueren nationalen Entwicklungen zeigen die Tendenz der Inkorporierung von Zerstörungen von Eigentum und öffentlichen Einrichtungen auf,235 wie sie auch schon in dem Definitionsversuch der Konvention von 1937236 enthalten ist.
231 Das Verteidigungsministerium hat Terrorismus bezeichnet als „the calculated use of violence or threat of violence to inculcate fear, intended to coerce or to intimidate governments or societies in the pursuit of goals that are genererally political, religious, or ideological.“ Department of Defense Directive 2000.12, DoD Antiterrorism (AT) Program, 18. August 2003, S. 33, abrufbar unter: http://www.dtic.mil/ whs/directives/corres/pdf/d200012_081803/d200012p.pdf (Stand: 15. September 2005). Das Justizministerium definiert Terrorismus als „the unlawful use of force or violence against persons or property to initmidate or coerce a government, the civilian population, or any segment thereof, in furtherance of political objectives.“ 28 Code of Federal Regulations (C.F.R.) Section 0.85 zitiert nach U.S Department of Justice, Federal Bureau of Investigation, Counterterrorism Threat Assessment and Warning Unit, Counterterrorism Decision, Terrorism in the United States. 30 Years of Terrorism – A Special Retrospective Edition, 1999, S. i, abrufbar unter: http://www.fbi.gov.publications/terror/terror99.pdf (Stand: 15. September 2005). Das State Department enthält in Titel 22 des United States Code, Sec. 2656f(d) folgende Regelung: „[t]he term ‚terrorism‘ means premeditated, politically motivated violence perpetrated against noncombatant targets by subnational groups or clandestine agents, usually intended to influence an audience.“, U.S. Department of State, Counterterrorism Office, Patterns of Global Terrorism – 2001, 21. Mai 2002, S. xiv, abrufbar unter: http://www.state.gov/documents/organization/10319.pdf (Stand: 15. September 2005). 232 Homeland Security Act of 2002, H.R. 5005, Pub. L. 107-296 abrufbar unter: http://www.dhs.gov/interweb/assetlibrary/hr_5005_enr.pdf (Stand: 15. September 2005). 233 18 U.S.C. § 2331 (5). 234 Pub. L. 107–296, 25. November 2002, Sec. 2. Definitions (15): „The term ‚terrorism‘ means any activity that – (A) involves an act that – (i) is dangerous to human life or potentially destructive of critical infrastructure or key resources; and (ii) is a violation of the criminal laws of the United State or of any State or other subdivision of the United States; and (B) appears to be intended – (i) to intimidate or coerce a civilian population; (ii) to influence the policy of a government by intimidation or coercion; or (iii) to affect the conduct of a government by mass destruction, assassination, or kidnapping.“ 235 So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 27. 236 Siehe oben S. 27.
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Dennoch haben nach wie vor einige Staaten, wie etwa Italien, ein solch weites Verständnis terroristischer Handlungen nicht in ihrem nationalen Recht verankert. Der vor dem Hintergrund der Bekämpfung der Mafia entwickelte Art. 270-bis mit dem Titel „Associations aiming at terrorism and the elimination of the democratic order“ des italienischen Strafgesetzbuches, der hinsichtlich der Definition auch nach dem 11. September 2001 nicht geändert wurde, enthält in Paragraph 1 folgende Regelung: „[Everybody, who] promotes, creates, organises or directs associations which aim at committing acts of violence in order to eliminate the democratic order is punished [. . .].“ Diese Definition bezog sich zunächst nur auf nationale Terrorakte, bis nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ein dritter Absatz eingefügt wurde, der auch internationale Handlungen einbezieht.237 Während in den meisten Definitionen hinsichtlich der Frage, wer Opfer der terroristischen Anschläge sein kann, lediglich Personen oder die Bevölkerung genannt werden, wird dies in der Definition des State Department der USA durch die Formulierung „perpetrated against noncombatant targets“ konkretisiert.238 Hinsichtlich der Qualifizierung als Täter fordern die USA und Indien „subnational groups or individuals“, während andere Staaten, wie etwa Frankreich, lediglich Individuen anführen und wieder andere, so z. B. Russland, keine dahingehenden Anforderungen stellen. Unterschiede bestehen zudem bezüglich der erforderlichen Anzahl der Täter. Während Deutschland, Spanien,239 Israel und Italien eine Form kollektiven Handelns in ihren Definitionen fordern, bleibt dies in den Definitionen der USA, Großbritan237
Zitiert nach Oellers-Frahm, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 428 mit Nachweis für den italienischen Originaltext. 238 22 USC § 2656f (d) (1)–(2) (1994). In den USA wird Terrorismus definiert als „premeditated, politically motivated violence perpetrated against noncombatant targets by sub-national groups or clandestine agents“ und internationaler Terrorismus als „terrorism involving citizens or the territory of more than one country.“ Siehe auch Sharp, CJIL 1 (2000), S. 37. 239 Die spanische Verfassung verweist in Artikel 55 Absatz 2 auf Terrorismus, ohne jedoch eine Definition vorzugeben. Das Verfassungsgericht hat sich jedoch in einer großen Anzahl von Entscheidungen damit befasst, siehe Martínes Soria, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 518 f., und Terrorismus definiert als „systematic, repeated and often arbitrary use of violence by means of firearms, bombs, shells, explosive means or inflammable materials by criminal organisations with the aim of causing emergency situations or feelings of insecurity within the society“, Urteil No. 83/1993 vom 12. März 1993, veröffentlicht in Boletín Oficial del Estado vom 15. April 1993. Im spanischen Strafrecht in Artikel 571 wird Terrorismus definiert als „Terrorists crimes are those which are committed by a person who acts in the name of, or collaborates with armed bands, organisations or groups whose aim is to disturb the constitutional order or public peace severely.“
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niens, Russlands und der Türkei offen und dahin interpretationsfähig, dass auch eine einzelne Person als Täter ausreichend ist.240 II. Die Absicht als gemeinsames subjektives Element Nahezu alle nationalen Definitionen enthalten das klassische Merkmal der Erzeugung von Angst und Schrecken innerhalb der Bevölkerung oder Teilen der Bevölkerung als erforderliche Intention des Täters und damit als subjektives Kriterium.241 Es stellt sich jedoch darüber hinausgehend die Frage, inwieweit die Handlungen politisch, religiös oder ideologisch nach diesen Definitionen motiviert sein müssen und ob die Absicht der Erzeugung von Terror in der Bevölkerung notwendiges oder nur hinreichendes subjektives Element ist. Die Frage, welche Regelungen es diesbezüglich in Deutschland gibt, muss – vielleicht etwas enttäuschend – mit „keine“ beantwortet werden. Trotz vieler Maßnahmen gegen den Terrorismus in den 70er und 80er Jahren existiert in Deutschland keine Definition des Begriffs Terrorismus.242 Auch die Verabschiedung der Anti-Terrorpakete der Bundesregierung sowie weitere legislative Akte, wie etwa das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 haben daran nichts geändert.243 Lediglich § 129 a des deutschen Strafgesetzbuches244 bezeichnet eine Vereinigung dann als terroristisch, wenn Zwecke und Tätigkeit dieser Vereinigung auf die Begehung von Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen 240 Siehe Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 30 f. 241 Anders nur Italien, was vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte jedoch nicht verwunderlich ist. 242 Zum Begriff Terrorismus in der deutschen Gesetzgebung bis 1990 siehe Herzog, Terrorismus, S. 24 ff. Für einen umfassende Analyse der deutschen Antiterrorgesetzgebung in den 70iger und 80iger Jahren siehe Dahs, NJW 1976, S. 2145 ff., Rudolphi, JA 1979, S. 1 ff. 243 Quellen der Anti-Terror-Pakete: 1. Antiterrorpaket: Änderung des Vereinsgesetzes vom 4. Dezember 2001, BGBl 2001 I, 3319; Vierunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz- §129b StGB vom 22. August 2002, BGBl. 2002 I, 3390. 2. Antiterrorpaket: Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 9. Januar 2002, BGBl 2002 I, 361. Siehe dazu ausführlich Nolte, DVBl 2002, S. 573 ff.; Denninger, StV 2002, S. 96 ff.; Rau, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 320; Hetzer, ZRP 2005, S. 132 f. 244 Im Folgenden StGB.
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gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen und andere dort näher aufgelistete schwere Straftaten gerichtet sind.245 Durch das vierunddreißigste Strafrechtsänderungsgesetz von 2002 wurde zudem der neue § 129 b StGB eingeführt, wonach die Regelungen des § 129 a StGB auch auf terroristische Vereinigungen im Ausland Anwendung finden können.246 Danach ist also eine politische Motivation nicht erforderlich. Dieses Ergebnis ist jedoch mit Vorsicht zu behandeln, da die Regelung des § 129 a StGB lediglich eine Qualifikation des § 129 StGB247 (Bildung einer kriminellen Vereinigung) darstellt und jede Vereinigung darunter zu subsumieren ist, welche die dort aufgezählten Straftaten begehen will. Demnach fehlt eine Abgrenzung zwischen „einfacher“ organisierter Kriminalität und „wirklichen“ Terrorakten. Insofern ist § 129 a StGB als Anhaltspunkt für eine Definition des Begriffs Terrorismus unbrauchbar. Rückschlüsse hinsichtlich der Notwendigkeit einer politischen Motivation können daraus nicht gezogen werden.248 Anders als in Deutschland ist nach der Gesetzgebung Großbritanniens eine politische, religiöse oder ideologische Motivation des Täters erforderlich. Gemäß Abs. 1 des Terrorism Act 2000249 meint Terrorismus jede Anwendung oder Androhung von Handlungen „designed to influence the government or to intimidate the public or a section of the public [. . .] for the purpose of advancing a political, religious or ideological cause, [. . .].“250 Eine ähnliche Formulierung findet sich ebenfalls in Kanadas Bill C-36.251 Auch das 1991 in der Türkei verabschiedete Antiterrorgesetz,252 dessen An245 Nähere Ausführungen dazu u. a. in: Tröndle/Fischer, § 129a, Rn. 4 ff. Für einen Überblick über Anklagen in Deutschland in diesem Zusammenhang siehe Generalbundesanwalt Nehm, NJW 2002, S. 2666 ff. 246 Vierunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz, § 129b StGB vom 22. August 2002, BGBl. 2002 I, 3390. Näher dazu v. Bubnoff, NJW 2002, S. 2675 f. 247 Tröndle/Fischer, § 129a, Rn. 2. 248 So auch Rau, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 321. 249 In Kraft getreten am 19. Februar 2001. 250 Diese Definition ist ebenso auf den 4. Teil des Anti-terrorism, Crime and Security Act 2001 anwendbar. Dieser Act wurde als Antwort Großbritanniens auf den 11. September erlassen. Siehe dazu im einzelnen Tomkins, Public Law 2002, S. 205 ff.; Fenwick, Modern Law Review 65 (2002), S. 729 f. Siehe dazu auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 30, der auf die Unterscheidung zwischen „influencing the Government“ und der vorher vorgeschlagenen Wortwahl „coercion“ eingeht. 251 Dort heißt es: „in whole or in part for a political, religious or ideological purpose, objective or cause“, siehe Wagner, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 177. 252 Gesetz Nr. 3713 vom 12. April 1991.
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wendungsbereich primär auf den Kurdenkonflikt zugeschnitten ist,253 enthält eine vergleichbare Regelung, wenn auch etwas differenzierter ausgestaltet. Das State Department der USA reduziert diese Voraussetzung auf die Notwendigkeit des Vorliegens einer politischen Motivation. Russland hingegen verzichtet auf die ausdrückliche Nennung eines solchen Zweckes. Nach dem dortigen Strafrecht muss Folgendes nachgewiesen werden: „the purpose of disturbing social security, frightening the populace or exerting influence on the government authorities“. Danach ist, wie auch für den umfassenden Konventionsentwurf festgestellt, eine Einschüchterung der Bevölkerung ohne politische, religiöse oder ideologische Hintergründe nach dem Wortlaut zur Erfüllung des subjektiven Kriteriums des Terrorismus ausreichend. Auch im Homeland Security Act, der jüngsten Definition der USA, ist eine politische Motivation nach dem Wortlaut nicht mehr notwendig. Alternativ genügt hier entweder „to intimidate or coerce a civilian population“ oder „to influence the policy of a government by intimidation or coercion“ oder „to affect the conduct of a government by mass destruction, assassination, or kidnapping“. Dieses Beispiel zeigt, dass nach einigen nationalen Definitionen die Intention der Einflussnahme auf die Regierung genügt, auch wenn der Zweck der Handlung nicht dahin geht, ein Klima des Terrors unter der Bevölkerung zu erzeugen.254 Unterschiede ergeben sich jedoch hinsichtlich des Grades der Einflussnahme auf eine Regierung etwa im Vergleich mit der europäischen Regelung. Während die britische Gesetzgebung „designed to influence the government“ und das russische Strafrecht „exerting influence on decisionmaking of the government authorities“ als Voraussetzung fordern, beinhaltet etwa – wie oben dargestellt – der europäische Rahmenbeschluss eine restriktivere Formulierung, wenn er „unduly compelling a Government“ als notwendigen Beweggrund verlangt. Diese strengeren Anforderungen sind vorzugswürdig, da denkbar erscheint, dass die britischen und russischen Regelungen etwa bereits bei 253 In Art. 1 Abs. 1 des Antiterrorgesetzes wird Terrorismus folgendermaßen definiert „[. . .] jede Aktivität, die durch irgendeine Methode von Zwang, Gewalt, Versetzen in Angst und Schrecken oder Bedrohung durch eine oder mehrere zu einer Organisation gehörige Personen mit dem Ziel begangen werden, die in der Verfassung festgelegten Merkmale der Republik, ihre politische, rechtliche, soziale, laizistische oder wirtschaftliche Ordnung zu ändern, [. . .], die Existenz des türkischen Staates und der Republik zu gefährden, die Staatsgewalt zu schwächen, zu zerstören oder an sich zu reißen, die Grundrechte und -freiheiten aufzuheben, die innere und äußere Sicherheit des Staats, die öffentliche Ordnung [. . .] zu zerstören.“, zitiert nach Tellenbach, ZAR 1991, S. 163. 254 So z. B. im russischen Strafrecht und in Großbritannien.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
groß angelegten Demonstrationen erfüllt sind.255 Insgesamt lässt sich eine Tendenz erkennen, dass zwei Merkmale erforderlich sind. In neueren Definitionen auf nationaler Ebene müssen die Handlungen darauf abzielen, eine Regierung zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen. Alternativ ist als hinreichendes, aber nicht notwendiges subjektives Element die Intention der Erzeugung von Terror in der Bevölkerung anerkannt. Diese Entwicklung entspricht auch dem Finanzierungsabkommen und dem Terrorismuskonventionsentwurf und den Ergebnissen hinsichtlich der regionalen Abkommen.
2. Kapitel
Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition Der Vergleich internationaler, regionaler und nationaler Definitionsversuche lässt zumindest Zweifel aufkommen, ob etwa UN-Generalsekretär Kofi Annan mit der in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat vom 12. November 2001 genannten Behauptung, der einzige gemeinsame Nenner unter den verschiedenen Formen des Terrorismus sei der kalkulierte Einsatz tödlicher Gewalt gegen Zivilpersonen aus politischen Gründen, Recht behält.256 Betrachtet man die neueren oben dargestellten Versuche, Terrorismus zu definieren, so ist festzustellen, dass sich immer wieder die gleichen Streitpunkte ergeben und nach wie vor keine Annäherung stattfindet oder gar eine Einigung erzielt werden konnte. Diese Schwierigkeiten sind auch nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 trotz der weitgehend einhelligen Bewertung der Geschehnisse bestehen geblieben, da sich bei der Definition des Begriffs „Terrorismus“ die deskriptive und die normative Ebene nicht voneinander trennen lassen.257 Dennoch lassen sich jedenfalls Tendenzen innerhalb der internationalen, regionalen und nationalen Regelungen ausmachen, die über den beispielsweise von Annan vertretenen einzigen gemeinsamen Nenner hinausgehen. Als gemeinsames Element der analysierten Definitionsversuche lässt sich jedenfalls festhalten, dass der Tatbestand des Terrorismus zwei Elemente erfordert, nämlich ein subjektives und ein objektives.258
255
So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf, S. 30. Generalsekretär Kofi Annan in einer Rede vor dem Sicherheitsrat vom 12. November 2001, UN Press Release SC 7207, abrufbar unter: http://www.un.org/News/ Press/docs/2001/sc7207.doc.htm (Stand: 15. September 2005). 257 Kaouras, Terrorismus, S. 96. 258 So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 42. 256
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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Im Folgenden sollen anhand dieser Unterteilung die entscheidenden Merkmale herausgestellt und bewertet werden und eine Abgrenzung zu anderen Handlungsformen erfolgen. Aufgrund dessen wird dann als Ergebnis zumindest eine Annäherung an eine Terrorismusdefinition erfolgen, die als Arbeitsdefinition für den weiteren Fortgang der Überlegungen zu Grunde zu legen ist.259
A. Die objektiven Elemente I. Die erforderliche Tathandlung Als am wenigsten umstrittenes Element der Terrorismusdefinition umfasst die erforderliche Handlung nach allen internationalen wie nationalen Definitionsansätzen jedenfalls den Tod oder eine schwere Körperverletzung von Menschen, wie es in dem Finanzierungsübereinkommen, der Sicherheitsratsresolution 1566 und im Vorschlag des Panels des UN-Generalsekretärs definiert ist. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich terroristische Verhaltensweisen durch eine nahezu unbegrenzte Fülle von tatsächlichen Handlungen auszeichnen können, stellt sich jedoch die Frage, ob die Handlungen um solche kriminellen Akte erweitert werden müssen, die sich nicht unmittelbar gegen Leib und Leben eines Menschen richten,260 sondern zu Beschädigungen des öffentlichen oder privaten Eigentums führen. Eine Entwicklung dahingehend lässt sich auf internationaler Ebene erkennen, da solche Handlungen bereits in dem Terrorismuskonventionsentwurf enthalten sind und sich auch aus der Resolution 49/60 der Generalversammlung, „. . . all acts, methods and practices“ ergeben. Lediglich das Finanzierungsübereinkommen, die Sicherheitsratsresolution 1566 und der Vorschlag des Panels des UN-Generalsekretärs sind dahingehend beschränkt, dass die Handlung den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person herbeiführen soll. Ähnlich dem umfassenden Konventionsentwurf und der Resolution 49/60 enthalten alle untersuchten regionalen Übereinkommen einen weiten Anwendungsbereich, der neben dem Tod oder der schweren Körperverletzung einer Person auch die schwere Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums mit einbezieht, und auch auf nationaler Ebene lässt sich zumindest eine Tendenz dahingehend ausmachen.261 In diesem Zusammen259 Daase glaubt, dass die Versuche, Terrorismus endgültig zu definieren zum Scheitern verurteilt sind, sich jedoch eine Art Familienähnlichkeit der Fälle, die als Terrorismus bezeichnet werden, feststellen lässt und insofern die Schaffung einer Arbeitsdefinition für einen konkreten Problemkreis die richtige Herangehensweise ist, ders., Friedens-Warte 76 (2001), S. 66 f. 260 So etwa Oeter, der eine qualifizierte Gewaltanwendung gegen eine Person fordert, Friedens-Warte 76 (2001), S. 19.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
hang wurde insbesondere am Terrorismuskonventionsentwurf kritisch bemerkt, dass der Definitionsentwurf unbestimmte Ausdrücke enthalte.262 Diese in der Tat generalklauselartigen, sehr weiten Formulierungen, wie etwa „serious damage“ oder „major economic loss“, lassen sich jedoch angesichts der uneingeschränkten, vollkommen unvorhersehbaren Einsatzmöglichkeiten263 von terroristischen Anschlägen nicht verhindern, will man eine möglichst weitreichende Anwendung der umfassenden Konvention ermöglichen.264 Andere denkbare Varianten, so z. B. abschließende Auflistungen von möglichen Handlungen, bergen demgegenüber die Gefahr, dass Regelungslücken oder neue begriffliche Unklarheiten entstehen. Zwar lässt ein Rückblick auf vergangene Terroranschläge vermuten, dass zumeist Angriffe auf das Leben von Personen oder zumindest deren körperliche Unversehrtheit mit schwerwiegenden Zerstörungen von öffentlichem oder privatem Eigentum einhergehen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass auch Handlungen begangen werden, die ihrer Zielsetzung nach, wie es etwa das Finanzierungsübereinkommen verlangt, nicht den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person herbeiführen sollen und tatsächlich auch nicht dazu führen, die jedoch beispielsweise aufgrund der Bedeutung des zerstörten Eigentums für die Allgemeinheit als terroristische Akte zu werten sind. Daher ist der Einbeziehung von Sachschäden gemäß der internationalen Tendenz grundsätzlich zuzustimmen. Unterschiede ergeben sich jedoch hinsichtlich des Grades der geforderten Schwere der Tat. Während etwa die Übereinkommen der OAU und der Liga der arabischen Staaten keine spezifischen Anforderungen stellen, verlangen der Rahmenbeschluss des Rates der EU sowie der Konventionsentwurf für ein umfassendes Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus schwerwiegende Zerstörungen oder Beschädigungen. Um eine Abgrenzung etwa zu einfachen Sachbeschädigungen oder ähnlichen Handlungen, die unstreitig nicht für terroristische Handlungen ausreichend sein dürften, zu schaffen, ist es erforderlich, durch Anfor261 So auch Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 34. 262 Deutsches Institut für Menschenrechte, Internationaler Terrorismus und Menschenrechte, S. 10. 263 So schon Oppermann, in: FS Schlochauer, S. 497, Skubiszewski, IYHR 19 (1989), S. 42. 264 Ohne nähere Begründung aber im Ergebnis auch Gewaltakte gegen öffentliches und privates Eigentum mit einbeziehend, Sorel, EJIL 14 (2003), S. 371, der folgende nach seinen Angaben nicht perfekte Definition aufstellt: „International terrorism is an illicit act (irrespective of its perpetrator or its purpose) which creates a disturbance in the public order as defined by the international community, by using serious and indiscriminate violence (in whatever form, whether against people or public or private property) in order to generate an atmosphere of terror with the aim of influencing political action.“
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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derungen an die Schwere der Tat ein Korrektiv zu schaffen.265 Dass es sich auch dabei um einen auslegungsbedürftigen Begriff handelt, schmälert das Ergebnis nicht, sondern lässt Raum für darüber hinausgehende Einzelfallentscheidungen, die im Hinblick auf die Vielschichtigkeit des Phänomens geboten sind. II. Besondere Anforderungen an das Opfer der terroristischen Handlung Der Unberechenbarkeit der für eine terroristische Handlung erforderlichen Tat entspricht die Beliebigkeit des Opfers.266 Es ist dabei gerade charakteristisch, dass nicht nur etwa politische Gegner oder das Militär Ziel der Anschläge sind. Vielmehr sind je nach verfolgtem Ziel vor allem unschuldige und unbeteiligte Zivilpersonen betroffen. Darüber hinaus können auch einzelne Personen, Personengruppen, Organisationen oder eine ganze Bevölkerung eines Staates taugliches Opfer sein, je nach dem, welches Ziel vom Täter verfolgt wird.267 Daher ist es nicht verwunderlich dass, von der OAS Konvention von 1971 einmal abgesehen, deren Hauptziel im diplomatischen Schutz lag, alle untersuchten regionalen und internationalen Übereinkommen und Resolutionen keine Qualifikationen hinsichtlich des Opfers erfordern. Insgesamt erfordert daher die terroristische Tat als objektives Element eine Tathandlung, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person oder eine schwere Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums herbeiführt.
265 So im Ergebnis auch Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 538, der eine kriminelle Handlung fordert, die einen erheblichen Schweregrad aufweisen muss. Nicht ganz eindeutig ist, ob er auch die Einbeziehung von Handlungen, die sich nicht gegen Leib oder Leben richten und eine nötige Schwere aufweisen, mit einbeziehen will. Er schließt zumindest solche Handlungen nicht aus, formuliert jedoch „im Vordergrund stehen dabei Handlungen, die entweder den Tod von Menschen oder schwere Verletzungen ihres Körpers bewirken.“ 266 Oppermann, in: FS Schlochauer, S. 499, der zu Recht feststellt: „Die hier zum Ausdruck kommende zutiefst inhumane Abwertung des Menschen als Mittel zum Verfolg einseitig verabsolutierter Ziele kann als eines der spezifischen Charakteristika des Terrorismus angesehen werden.“ 267 Skubiszewski, IYHR 19 (1989), S. 44.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
B. Das subjektive Element: Motiv und Ziel in Abgrenzung zur organisierten Kriminalität Reichte alleine das objektive Element für eine Terrorismusdefinition aus, stünde man vor dem Dilemma, dass jeder begangene Totschlag, jeder vorsätzliche Raub oder z. B. Entführungsdelikte bereits unter die Definition fallen würden. Dies entspricht jedoch nicht dem besonderen „Unrechtsgehalt“, der dem Begriff „Terrorismus“ beizumessen ist. Vielmehr bedarf es eines eingrenzenden Elements. Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus der Konvention zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Enthielt noch der erste Entwurf zu einer solchen Konvention, die der Generalversammlung 1996 vom Präsidenten Polens vorgelegt wurde, in seiner Aufzählung von Straftaten auch den Tatbestand des Terrorismus,268 wurde in der im Dezember 2000 unterzeichneten Konvention nicht mehr ausdrücklich darauf Bezug genommen.269 Dennoch hatte die Generalversammlung bei der Annahme dieser Konvention ihrer Sorge über die zunehmenden Zusammenhänge zwischen terroristischen Handlungen und organisierter Kriminalität Ausdruck verliehen.270 Dies zeigt, dass trotz dieses nicht zu verleugnenden Zusammenhangs und den häufig zu beobachtenden Überschneidungen, Unterschiede zwischen beiden bestehen. In Art. 2 (a) der Konvention heißt es: „ ‚Organized criminal group‘ shall mean a structured group of three or more persons, existing for a period of time and acting in concert with the aim of committing one or more serious crimes or offences established in accordance with this Convention, in order to obtain, directly or indirectly, a financial or other material benefit.“
Anders als in den untersuchten Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus zielt die „einfache grenzüberschreitende Kriminalität“ demnach nur auf die individuelle Bereicherung der einzelnen Bandenmitglieder ab. Es geht dabei nur um die Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer. Bei terroristischen Handlungen hingegen ist die Beziehung Täter–Opfer von zweitrangiger Bedeutung. Im Vordergrund steht ein über die individuelle 268 UN Doc. A/C.3/51/7 vom 1. Oktober 1996. Zur Entstehung der Konvention siehe Dammann/Vlassis, Vereinte Nationen 2001, S. 222 ff. 269 Die Konvention trat am 29. September 2003 in Kraft und ist bisher von 56 Staaten ratifiziert (Stand 1.12.2003). Einige Staaten sahen in der Konvention die Möglichkeit, auf der Suche der Definition von Terrorismus als eine Form normaler Kriminalität endlich weiterzukommen. Andere hingegen präferierten eine abstrakte Definition des internationalen organisierten Verbrechens, durch den die Definition von Einzeltatbeständen, wie der des umstrittenen Begriffs Terrorismus, umgangen werden könne. United Nations Convention Against Transnational Organized Crimes, UN Doc. A/RES/55/25, Annex I; Dammann/Vlassis, Vereinte Nationen 2001, S. 223. 270 Präambel der Generalversammlungsresolution 55/25 vom 15. November 2000.
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Bereicherung hinausgehendes Ziel.271 Zudem lässt sich eine mangelnde Konnexität zwischen Tat und dem übergeordneten Tatziel bei terroristischen Handlungen feststellen. Während beispielsweise der Dieb sein Opfer zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil entreichert, steht etwa der wirtschaftliche Vorteil im Rahmen terroristischer Straftaten nicht im Vordergrund, kann aber notwendiges Zwischenziel sein. Infolge dessen kommt eine Vielzahl von Angriffszielen in Betracht, eine sichere opferseitige Prävention erweist sich als unmöglich.272 Der Täter eines terroristischen Aktes hat die Intention, das gewollte übergeordnete Ziel nicht direkt durch die Gewaltanwendung zu erreichen sondern mittels der durch die terroristischen Akte erzeugten Erregung von Furcht und Schrecken.273 Hinweise auf die Erforderlichkeit einer solche Intention für die Handlung lassen sich im humanitären Recht finden, genauer aus Art. 33 des IV. Genfer Abkommens: Zwar werden in dem Artikel drei unterschiedliche Handlungen beschrieben, dennoch lässt sich eine Gemeinsamkeit feststellen, ein besonderer „psychologischer Effekt“, der sowohl in Kollektivstrafen, wie auch in Maßnahmen zur Einschüchterung oder Terrorisierung innewohnt. Nimmt man als weitere Indizien Art. 51 Abs. 2 ZP I und den wortgleichen Art. 13 Abs. 2 ZP II hinzu, nach denen „acts or threats of violence the purpose of which is to spread terror among the civilian population are prohibited“,274 dann ergeben sich daraus folgende zwei Elemente, die den Terrorismus charakterisieren: Terrorismus zielt auf die Zivilbevölkerung ab und hat eine einschüchternde Wirkung, einen psychologischen Effekt auf diese. Damit ist das entscheidende Abgrenzungsmerkmal zwischen organisierter Kriminalität und terroristischen Handlungen das übergeordnete, vom Täter gewollte Ziel, das subjektive Element. 271 Kaouras, Terrorismus, S. 97, Oppermann, in: FS Schlochauer, S. 499, der im Endergebnis Terrorismus definiert „als die bedenken- und grenzenlose Gewaltanwendung in transnationaler Operationsweise und Verbundenheit gegen Personen und Sachen seitens nach ihrem Selbstverständnis politisch, religiös, sozial oder ethnisch motivierter Kleingruppen oder Individuen, die sich unterhalb der völkerrechtlichen Anerkennungsfähigkeit befinden, mit dem Ziel gewaltsamer Vorbereitung und Durchführung revolutionärer Umstürze in einzelnen Staaten oder der Veränderung internationaler Situationen.“ 272 Nehm, NJW 2002, S. 2666. 273 Herzog, Terrorismus, S. 95; Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 538. Ähnlich auch Wördemann, Terrorismus, S. 59: „Terrorismus ist eine Weise der Aggression, die darauf zielt, in den Angegriffenen einen Zustand der Angst, Nervosität, Hysterie hervorzurufen, der die Angegriffenen zur Änderung ihres Verhaltens veranlassen soll; . . . Terrorismus ist die auf das äußerste zugespitzte Form psychologischer Kriegsführung, die ausgeübt wird von der organisatorisch auf das äußerste verkleinerten, verborgenen Gruppe.“ 274 Deutsch: „Die Anwendung oder Androhung von Gewalt mit dem hauptsächlichen Ziel, Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, ist verboten.“
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Wenig sinnvoll erscheint es, dieses subjektive Element durch Formulierungen, wie sie etwa in der Generalversammlungsresolution 49/60 und in der Sicherheitsratsresolution 1566 aufgenommen wurden, „intended or calculated to provoke a state of terror in the general public, a group of persons or particular persons for political purpose“, kenntlich zu machen. Zum Teil wird in der Literatur dem Definitionsansatz der umfassenden Konvention gerade im Hinblick auf die Intention, die vorliegen muss, vorgeworfen, dass ihr das entscheidende Element der Terrorerzeugung fehle und insofern die Generalversammlungsresolution vorzugswürdig sei.275 Diese Kritik kann jedoch nicht überzeugen, stellen doch sowohl die Finanzierungskonvention als auch der Terrorismuskonventionsentwurf und der Vorschlag des Panels aus dem Jahre 2004 im Unterschied zu den Definitionen der Generalversammlung in Resolution 49/60 Versuche dar, gerade eine Umschreibung zu schaffen, um sinnvoller Weise eine Definition unter Einbeziehung des Begriffs „Terror“, mithin eine Tautologie und die damit einhergehende Verlagerung des definitorischen Dilemma, zu vermeiden. Daher ist diesbezüglich das subjektive Element im Sinne des umfassenden Konventionsentwurfs, der Finanzierungskonvention, des Panels und der europäischen und afrikanischen Regelung276 überzeugender, wonach die Handlung ihrem Wesen nach darauf abzielen muss, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Wie bereits oben dargestellt,277 besteht danach kein Erfordernis des kumulativen Vorliegens beider Motivationsrichtungen. Es genügt vielmehr die einschüchternde Einwirkung auf eine Bevölkerungsgruppe. Es kann dabei jedoch nicht ausreichend sein, eine Handlung zu begehen, die nur eine einzelne Person oder eine kleine Personengruppe einschüchtert, sondern es müssen qualifizierte Anforderungen an die Einschüchterung einer Bevölkerungsgruppe gestellt werden. Denn es ist selbstverständlich, dass beispielsweise ein einfacher Raub zu der Einschüchterung der beraubten Person und etwaigen anderen Anwesenden führen soll, dennoch wird man hier in der Regel nicht von einem terroristischen Akt sprechen.278 Daher ist eine bestimmte Mindestgröße der Anzahl der einzuschüchternden Personen erforderlich. Dies ergibt sich auch schon
275 So etwa van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, S. 19, der deshalb die Definition des Terrorismuskonventionsentwurfs für gegenüber der GA Res 51/210 weniger vorzugswürdig ansieht. 276 Die beiden regionalen Abkommen sind zwar noch ein wenig detaillierter als die hier gewählte Formulierung, dies soll jedoch hier zunächst nicht weiter interessieren. 277 Siehe oben S. 47 ff. 278 Bassiouni, S. xv.
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aus dem in dem Terrorismuskonventionsentwurf verwandten Begriff „population“. Dieses trotz der dargestellten, zu erfüllenden Anforderung sehr weitreichende subjektive Element sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, ebenfalls nicht tauglich für eine Abgrenzung zur einfachen Kriminalität zu sein, da z. B. auch kriminelle Organisationen, wie etwa die Mafia, sich der Einschüchterung bestimmter Bevölkerungsteile bedienen können, um finanzielle Ziele zu verfolgen, diese Handlungen jedoch nicht unter die klassische Vorstellung eines terroristischen Aktes fallen. Um diese Abgrenzung deutlich zum Ausdruck zu bringen, sehen einige nationale Definitionsansätze – entsprechend vielfachen Forderungen – vor, die jeweilige Handlung müsse politisch motiviert sein,279 um unter den Begriff des Terrorismus zu fallen.280 Dies sei unbedingt notwendig, wolle man eine Abgrenzung zu den „einfachen“ Straftaten erreichen. Denn die terroristischen Akte zeichneten sich gerade dadurch aus, dass ein Ziel verwirklicht werden solle, welches von den betreffenden Tätern als legitim angesehen werde, um die bestehenden Gegebenheiten zu verändern.281 Diese Zielsetzung sei zwangsläufig mit einer politischen Vorstellung verknüpft. Zweifelhaft ist jedoch, ob durch die Ergänzung einer „politischen“ Motivation Klarheit bei der Abgrenzung zwischen organisierter Kriminalität und Terrorismus gewonnen wird. Zum einen bedarf es dann einer genaueren definitorischen Einordnung des Begriffs „politisch“. Eine solche Definition 279
Von einer politischen Motivation waren auch einige Staaten nach dem 11. September in den Debatten der Generalversammlung überzeugt: „Terrorism is defined as the sustained, clandestine use of violence, murder, kidnapping and bombing to achieve a political purpose.“, Kambodscha, UN Doc. A/56/PV.17, S. 8 vom 3. Oktober 2001. 280 Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 538; Bassiouni, S. xxiii, der 1988 eine ideologische oder politische Motivation forderte, der sich zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch nicht mit den gewählten Formulierungen der Finanzierungskonvention oder dem Terrorismuskonventionsentwurf auseinandersetzen konnte. Christen, NZZ Fokus Terrorismus, S. 5; Herzog, Terrorismus, S. 93 m. w. N. 281 Schmid, Political Terrorism, 1988, S. 5; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 882, der jedoch insofern missverständlich ist, als er nach der Nennung der einschlägigen Norm im Finanzierungsübereinkommen ans besonders interessanter Definition feststellt: „Ohne dass das in den Definitionen ausdrücklich angesprochen wird, ist für die terroristische Aktivität eine politische Zielsetzung die grundlegende Voraussetzung.“ Daraus wird jedoch nicht deutlich, ob sich eine politische Motivation implizit aus den von ihm genannten Konventionen ergibt, er also die etwa in der Finanzierungskonvention aufgenommene Formulierung „to intimidate a polpulation or to compel a Government or an international organisation to do or abstain from doing any act“ als sinnvolle Umschreibung einer politischen Motivation ansieht, oder ob diese Motivation in der Konvention fehlt und sie deshalb kritikwürdig ist und als Definition in dieser Hinsicht ungeeignet.
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wurde bereits vielfach im Zusammenhang mit den Auslieferungsausnahmen des politischen Delikts versucht. Eine allgemein anerkannte Umschreibung konnte jedoch nicht gefunden werden.282 Schon allein deshalb birgt die Ergänzung neue Schwierigkeiten. Hinzukommend und bedeutender ist, dass durch eine solche Ergänzung auch keine scharfe Abgrenzung geschaffen wird. Legt man den allgemeinen Sprachgebrauch für die Definition der politischen Motivation zugrunde, so ist darunter ein Handeln zu verstehen, welches auf die Durchsetzung bestimmter Ziele besonders im staatlichen Bereich und auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtet ist.283 Nach einer solchen Definition könnten ebenfalls kriminelle Organisationen wie die Mafia unter eine solche politische Motivation fallen, da auch sie Herrschaftsstrukturen festlegen, die neben den Staat treten, mit diesem konkurrieren und ihn zum Teil zu ersetzen drohen.284 Aufgrund dieser Unzulänglichkeiten eines Abgrenzungskriteriums „politische Motivation“ erstaunt es wenig, dass trotz der notwendigen Unterscheidung zwischen einfacher Kriminalität und terroristischen Akten weder die Finanzierungskonvention noch der Terrorismuskonventionsentwurf oder der europäische Rahmenbeschluss ein solches vorsieht. In der Realität ist zudem davon auszugehen, dass oftmals beide in den Übereinkommen enthaltenen Alternativen gleichzeitig vorliegen und dadurch auch mit der zweiten Alternative, eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, der klassische Fall politischer Motivation vorliegt. Zudem zeigen Beispiele wie der 11. September 2001, dass eine solche Intention nicht immer klar erkennbar ist, so dass die weitere Formulierung des Terrorismuskonventionsentwurfes vorzuziehen ist. Daher muss die Handlung als subjektives Element darauf abzielen, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.
C. Ausnahmen von der Definition Sowohl die regionalen als auch die internationalen Definitionsansätze weisen neben dem objektiven und subjektiven Element bestimmte Ausnah282
Siehe dazu nur Stein, S. 63 mit weiteren Nachweisen. Das Fremdwörterbuch, Duden, Stichwort „Politik“. So auch Herzog, der einen Akt als politisch motiviert ansieht, den der Täter als Instrument zu einem wertebezogenen über ihn hinausgehenden Zweck einsetzt, im Gegensatz zu demjenigen, der private und individuell bestimmbare Bedürfnisse des Täters befriedigen soll, ders., Terrorismus S. 94. 284 Oeter, Friedens-Warte 76 (2001), S. 22. 283
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meregelungen auf, aufgrund derer Sachverhalte aus dem Anwendungsbereich der jeweiligen Konvention ausgeschlossen werden. Diese faktischen Tatbestandsausschlüsse sind Ausdruck der verschiedenen Vorstellungen der Staaten hinsichtlich der Definition des Begriffs „Terrorismus“ und die am meisten diskutierten hinsichtlich der Terrorismusdefinition. Bei einem Inkrafttreten der umfassenden Konvention würden diese Ausnahmetatbestände die Definition beeinflussen und Tatbestände, die nicht in den Anwendungsbereich der Konvention fallen, würden wahrscheinlich auch nicht als Akte des Terrorismus angesehen werden.285 Ob und in welchem Umfang solche Ausschlüsse erforderlich sind, wird im Folgenden anhand der wichtigsten und zugleich umstrittensten Bereiche, namentlich der Abgrenzung zum humanitären Völkerrecht, der damit eng verbundenen Frage der Einbeziehung des nationalen Befreiungskampfes in eine Definition und der des Staatsterrorismus anhand der dargestellten Praxis verdeutlicht. I. Das Verhältnis zwischen internationalem, humanitärem Recht und den Regeln zur Bekämpfung des Terrorismus Mit den Haager Abkommen von 1899 und 1907 wurden die Rechte und Pflichten der unmittelbar am Kriegsgeschehen Beteiligten sowie das Verbot des Einsatzes bestimmter Kriegsmittel statuiert. Darüber hinaus wurde mit den Genfer Abkommen und ihren beiden Zusatzprotokollen im Wesentlichen das Verhalten der Parteien gegenüber nicht oder nicht mehr am Kampf beteiligten Personen festgelegt. Diese beiden Bereiche stellen den Kern des heutigen humanitären Völkerrechts dar und verfolgen die Grundidee, dass die Gewalt in bewaffneten Konflikten auf das für die Erreichung des militärischen Ziels unentbehrliche Maß zu reduzieren ist. Verschiedene Fallkonstellationen sind denkbar, wodurch sowohl das internationale humanitäre Recht wie auch etwa eine umfassende Konvention in Gestalt des Terrorismuskonventionsentwurfs ohne Berücksichtigung der darin enthaltenen Ausschlussklauseln gleichzeitig anwendbar wären. Damit stellt sich die Frage nach dem generellen Verhältnis zwischen internationalem humanitären Recht und dem Recht zur Bekämpfung von Terroristen. Eine Abgrenzung erscheint schon insofern notwendig, als die Anwendung von Gewalt mit der Verfolgung eines politischen Ziels regelmäßig typisches Kriterium eines Krieges oder bewaffneten Konfliktes ist und insofern unterschieden werden muss zwischen den erlaubten Handlungen eines Soldaten im Rahmen des humanitären Völkerrechts und terroristischen Akten.
285
S. 41.
Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge,
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Vielfach wird diese Frage auch im Zusammenhang mit nationalen Befreiungskämpfen diskutiert. Dies wurde bereits oben an Art. 18 Abs. 2 des umfassenden Konventionsentwurfs deutlich, da gerade diese möglicherweise in den Anwendungsbereich der Regelungen insbesondere des ZP I oder II sowie des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen fallen können. Diejenigen, die eine gewaltsame Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, auf das sich solche sogenannten Befreiungsbewegungen regelmäßig berufen, ablehnen, sind der Auffassung, dass eine Inkorporierung dieser in den Anwendungsbereich des humanitären Rechts zu einer Privilegierung führe. Sie fordern demgemäss eine enge Auslegung der entsprechenden Anwendungsbereiche und eine Einbeziehung nationaler Befreiungsbewegungen in den Tatbestand des internationalen Terrorismus. Dem stehen die Verfechter des legitimen Kampfes auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts mit einem sich daraus ergebenden Ausschluss aus einer Definition des Terrorismus gegenüber. 1. Generelles Verhältnis zwischen internationalem humanitärem Recht und den Regeln zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus Nach dem Wortlaut der Ausschlussklauseln in den verschiedenen untersuchten Übereinkommen liegt es nahe, von zwei verschiedenen Rechtsregimen zu sprechen, die sich gegenseitig ausschließen. Denkbar ist auch, dass die Regeln zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus etwa in Gestalt einer umfassenden Konvention hinter den Regeln der humanitären Recht, die dann lex specialis wären, zurücktreten müssen.286 Unabhängig von der Klassifizierung als zwei verschiedenen Rechtsregimen oder als lex specialis-lex generalis Verhältnis ist zunächst festzustellen, dass die vorrangige Anwendung einer umfassenden Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus gegenüber der Anwendung der Regeln des humanitären Rechts nicht effektiver für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus wäre. Zunächst wären mit terroristischen Akten vergleichbare Gewalthandlungen auch nach humanitärem Recht verboten und könnten Kriegsverbrechen oder „grave breaches“ im Sinne der Genfer Konventionen darstellen. Jedenfalls müssten sie als Straftaten gemäß Art. 146 ff. der IV. Genfer Konvention qualifiziert werden. Darüber hinaus wäre eine vorrangige Anwendung einer umfassenden Konvention insofern möglicherweise weniger effektiv, als bisherige vergleichbare Konventionen im Hinblick auf die Auslieferung der Täter regelmäßig Ausnahmegründe enthal286
S. 40.
Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge,
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ten,287 aufgrund derer eine Auslieferung des Verdächtigen verhindert werden kann, obwohl ausdrücklich eine Auslieferungsverweigerung aufgrund der political offense clause verboten ist. Nach den Genfer Konventionen, die als Ausgangspunkt die Natur und die Auswirkungen der Tathandlungen haben, besteht eine Verpflichtung, den oder die Täter aufzuspüren und anschließend entweder auszuliefern oder selbst vor Gericht zu stellen. Eine Ausnahme im Hinblick auf politische Taten besteht nicht. Die Regeln des humanitären Rechts sind deshalb ein neutraleres Forum für die Bekämpfung terroristischer Akte während eines bewaffneten Konfliktes, da sie zumindest hinsichtlich der Auslieferungsverweigerung genauso weitgehend sind, wie eine noch vom Willen der Staaten zur Ratifikation abhängige umfassende Konvention.288 Darüber hinaus enthalten sie detailliertere, die unterschiedlichen Tathandlungen und deren Auswirkungen berücksichtigende Regelungen. Sind daher bei Vorliegen der dort normierten Voraussetzungen praktikabler. Um dem notwendigen Vorrang der Regelungen des humanitären Völkerrechts Ausdruck zu verleihen, besteht damit die Möglichkeit, sie als zwei verschiedene Regime zu bewerten, die sich gegenseitig ausschließen oder ein lex specialis-lex generalis Verhältnis zu etablieren. Zwar erscheint es paradox, dass Gruppierungen, deren terroristische Anschläge gewöhnlicherweise in den Anwendungsbereich einer umfassenden Konvention fallen würden, durch Steigerung der Intensität der Anschläge deren Anwendungsbereich verlassen können, da mit dem Entstehen eines bewaffneten Konflikts die Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle einschlägig sind. Dennoch enthalten die dann anwendbaren Regeln des humanitären Rechts umfassende Verbote zur Begehung von Kriegsverbrechen, so dass ein solches „Aufschwingen“ keine unangemessene Privilegierung darstellen würde, sondern lediglich der speziellen Situation des bewaffneten Konflikts angemessene Regelungen zum Tragen kommen, die weiterhin die typischen Fälle terroristischer Akte gegen die Zivilbevölkerung mit dem Ziel der Verbreitung von Angst und Schrecken verbieten und lediglich bestimmte Ziele, Handlungen und Mittel erlauben. Darüber hinaus ist auch der Vorwurf, dass bei einer Behandlung der beiden Regelungsbereiche als verschiedene, sich ausschließende Regime der Eindruck entsteht, dass während eines bewaffneten Konflikts keine terroristischen Akte begangen werden können, nicht gerechtfertigt.289 Die Regelun287 Siehe etwa die Regelungen in Art. 12 des internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge. 288 Chadwick, Self-Determination, S. 8. 289 Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 39 f.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
gen des humanitären Völkerrechts enthalten ausdrücklich Verbote terroristischer Handlungen, so dass ein solcher Eindruck nicht entstehen kann. Eine Anwendung des humanitären Völkerrechts als lex specialis könnte jedoch den Vorteil haben, dass – speziell auf den Einzelfall zugeschnitten – beide Regelungsbereiche weitest möglich zur Anwendung kämen. Zwar würden dann die spezifischen Rechtfertigungen, etwa im Hinblick auf rechtmäßige Ziele im Sinne des humanitären Rechts, eingreifen, dennoch könnten dort, wo das humanitäre Recht keine Regelungen vorsieht, weiterhin das Recht der Bekämpfung terroristischer Akte zur Anwendung gelangen.290 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass zwar dadurch Regelungen wie etwa Art. 13 des umfassenden Konventionsentwurfs zur Bekämpfung des Terrorismus weiterhin Anwendung fände und insofern eine Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe weiter bestehen würde. Dennoch sind diese Regelungen nicht von bedeutendem Wert. Auf der anderen Seite führt das Hinzufügen der Terrorismusbekämpfungsregelungen zu denen des humanitären Rechts zu einer Gefährdung wichtiger Funktionen dieses Rechts.291 Zudem bestünde die Gefahr großer Rechtsunsicherheit, da – wie im Folgenden in Kürze dargestellt wird – keine Einigkeit über die Anwendbarkeit der Regeln des humanitären Rechts besteht. Daher werden das internationale humanitäre Recht und die Regeln zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus im Folgenden als zwei verschiedene Rechtsregime behandelt. 2. Streitkräfte eines Staates während eines bewaffneten Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts Legt man diese generelle Abgrenzung zwischen humanitärem Völkerrecht und den Regelungen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zugrunde, bedarf es der Klärung, welche Situationen konkret aus dem Anwendungsbereich einer möglichen umfassenden Konvention und damit indirekt auch aus der Terrorismusdefinition herausfallen würden. Eine internationale Tendenz lässt sich dahingehend erkennen, dass – wie in Art. 18 Abs. 2 des umfassenden Konventionsversuchs, Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie im Finanzierungsübereinkommen und im Erwägungsgrund Nr. 11 der europäischen Regelung normiert – Streitkräfte während eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des humanitären Völkerrechts, die diesem Recht unterliegen, nicht in den Geltungsbereich der Konvention mit eingeschlossen sind. Unstreitig gehören zu dem Begriff „Streitkräfte“ jedenfalls diejenigen eines 290
Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge,
S. 40. 291
Tomuschat, Comment, S. 3.
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
103
Staates, deren Umfang sich aus der im Terrorismuskonventionsentwurf aufgestellten Legaldefinition292 ergibt. Liegt nach dem humanitären Völkerrecht ein bewaffneter Konflikt vor, ist eine Anwendung dieses Rechts für die Streitkräfte auch sinnvoll und notwendig, da es detaillierter auf mögliche Tathandlungen, die erlaubt oder verboten sind, eingeht und konkretere Regelungen, z. B. für den Einsatz bestimmter Waffen, trifft. Insofern überzeugen die Konventionen der OIC-Staaten, der OAU und der arabischen Liga nicht, die eine solche Ausnahme nicht vorsehen. 3. Nationale Befreiungsbewegungen während eines bewaffneten Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts Neben den Streitkräften ist dann zu untersuchen, ob auch nationale Befreiungsbewegungen während eines bewaffneten Konflikts in den Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts fallen und somit aus dem Anwendungsbereich der Terrorismusdefinition auszuschließen sind. Hinsichtlich der nationalen Befreiungsbewegungen ist zunächst feststellen, dass weder jede Gewaltanwendung gegen den die Gebietshoheit ausübenden Staat ohne weiteres ein Akt des Terrorismus ist noch dass jede Form der Gewaltanwendung im Rahmen eines nationalen Befreiungskampfes einfach zu rechtfertigen ist.293 So stellten einige Staaten im Rahmen der Debatten im Ad-Hoc-Committee zu Recht fest, dass „it would be impossible to eliminate terrorism if some terrorist acts where condemned while other were tolerated.“294 Es gilt grundsätzlich zu unterscheiden, ob die jeweilige Handlung Teil eines nationalen Befreiungskampfes ist, der von den Regeln des humanitären Völkerrechts gedeckt ist, oder ob diese unter den Begriff des Terrorismus fällt. Wie oben dargestellt, sehen die Konventionen der OIC-Staaten, der Arabischen Liga und der OAU einen generellen Ausschluss der durch das 292
Art. 1 Abs. 2 des Terrorismuskonventionsentwurfes. Oeter, Friedens-Warte 76 (2001), S. 23. 294 Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March–2 April 2003), UN Doc. A/58/37, Annex I, para. 3. In diesem Sinne ist wohl auch die Bundesregierung zu verstehen, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 feststellte: „Der Bundesregierung kommt es vor allem darauf an, die Unbeachtlichkeit der Motive von Terrorismus durchzusetzen. Es gibt für Terrorismus keinen Rechtfertigungsgrund. Legitime Ziele dürfen ausschließlich mit legitimen Mittel bekämpft werden.“, abrufbar unter: http://www.bundesregierung.de/dokumente/-,8887.59910/Artikel/doku ment.htm (Stand: 15. September 2005). 293
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Recht auf Selbstbestimmung legitimiert kämpfenden Völker aus der Terrorismusdefinition vor. Ein solch genereller Ausschluss überzeugt schon deshalb nicht, da durch ihn rechtsfreie Räume entstehen würden. So sind durchaus Situationen vorstellbar, in denen ein Volk um sein Recht auf Selbstbestimmung unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts kämpft. Würden innerhalb dieses Kampfes Handlungen begangen, die unter die Definition des Terrorismus fielen, unterlägen die Täter weder den Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus noch denen des humanitären Rechts. Um diese Regelungslücken zu vermeiden, sind daher die dem gegenüber stehenden Regelungen der Finanzierungskonvention, der Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, des Terrorismuskonventionsentwurfs sowie der Erwägungsgrund Nr. 11 des europäischen Rahmenbeschlusses vorzugswürdig. Danach sind „armed forces“ während eines bewaffneten Konflikts aus dem Anwendungsbereich der Konventionen ausgeschlossen. Nach der obigen Auslegung sind „armed forces“ auch im Sinne des ersten und zweiten Zusatzprotokolls zu verstehen. Legt man dieses Verständnis von armed forces im Sinne des Art. 18 Nr. 2 des umfassenden Konventionsentwurf zugrunde, so bleibt ungeklärt, ob eine Einbeziehung sogenannter nationaler Befreiungsbewegungen in den Anwendungsbereich der „armed forces“ und damit ein Ausschluss aus dem Anwendungsbereich des Konventionsentwurfs gemeint ist. a) Nationale Befreiungsbewegungen nach dem ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen Diese Frage der Auslegung des Begriffs „armed forces“ hängt zunächst maßgeblich von dem Verständnis des Art. 1 Abs. 4 ZP I ab. Die in Art. 1 Abs. 4 ZP I enthaltene abschließende Aufzählung der Situationen, die auch zu den bewaffneten Konflikten gehören, sind eng auszulegen, da sie eine Ausnahme zu den internationalen bewaffneten Konflikten darstellen, deren Konfliktparteien Staaten oder zumindest de facto Regime sind, und die damaligen Begründer des Zusatzprotokolls auf ihre Souveränität bedacht waren.295 295 Zum Teil wird unter Berufung auf den Wortlaut „gehören auch“ vertreten, dass die in Art. 1 (4) enthaltende Aufzählung lediglich beispielhaften Charakter habe und dementsprechend nicht abschließend sei. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte sprechen jedoch für eine abschließende Aufzählung, siehe dazu überzeugend Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 361 ff.; Bothe/Partsch/Solf, New Rules for Victims of Armed Conflicts, S. 50; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions, Rz. 111; Abi-Saab, in: RdC 1979 IV, S. 397.
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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Die erste der in Art. 1 Abs. 4 ZP I genannten Situationen ist der bewaffnete Konflikt, in dem Völker gegen Kolonialherrschaft kämpfen. Darunter ist der Kampf gegen den klassischen Kolonialismus zu verstehen, der mit dem Abschluss der Dekolonalisierung seine Bedeutung verloren hat.296 Auch die zweite Alternative hat an Relevanz verloren. Ein rassistisches Regime liegt nämlich nicht schon dann vor, wenn in einem Staat Rassendiskriminierung überhaupt vorkommt.297 Vielmehr ist erforderlich, dass rassistische Elemente Grundlage der offiziellen Politik einer Regierung sind.298 Hintergrund dieser Regelung war das System der Apartheid in Südafrika.299 Am unklarsten und umstrittensten ist der Inhalt der dritten Situation der Fremdbesetzung. Einigkeit herrscht noch insoweit, als dass darunter nicht die kriegerische Besetzung fallen kann, da diese gemäß Art. 2 Abs. 2 GK lediglich ein Unterfall des bewaffneten internationalen Konflikts ist.300 Wie sich aus den Resolutionen der Generalversammlung und aus den Konferenzverhandlungen zur Entstehung des 1. Zusatzprotokolls ergibt, bezog sich diese Alternative zunächst lediglich auf Namibia und die israelisch besetzten Gebiete.301 Eine Erweiterung auf die hier in Frage stehenden soge296 Greenwood, IYHR 19 (1989), S. 194; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions, Rz. 112; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 364; Vöneky, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 931; auch Heintze billigt Art. 1 Abs. 4 des 1. Zusatzprotokolls nur geringe Bedeutung zu, da dieser ausdrücklich nur auf diejenigen Völker Anwendung finden soll, die gegen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung und gegen rassistische Regime in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts kämpfen, und sich damit auf den klassischen Kolonialismus, den Nahen Osten und Südafrika bezieht, diese Anwendungsfälle aber bereits geregelt wurden; siehe ders., in: Ipsen, § 27, Rn. 17. Unzutreffend hält Hess dem entgegen, dass es sich bei der Norm um eine generell abstrakte handelt und insofern auch auf künftige Konfliktfälle angewandt werden soll, dabei jedoch Schwierigkeiten innerhalb der Abgrenzung zum nicht-internationalen bewaffneten Konflikt zwangsläufig entstehen, siehe ders., Humanitäres Völkerrecht und Gemischte Konflikte, S. 135 ff. 297 Rajower, S. 54; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 364; Bothe/Partsch/Solf, New Rules for Victims of Armed Conflicts, S. 50 f.; Abi-Saab, RdC 165 (1979-IV), S. 394. 298 Bothe/Partsch/Solf, New Rules for Victims of Armed Conflicts, S. 50; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 364. 299 Heintze, in: Ipsen, § 27, Rn. 17; Greenwood, IYHR 19 (1989), S. 194; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 364; Bothe/Partsch/ Solf, New Rules for Victims of Armed Conflicts, S. 51; Rajower, S. 54. 300 Rajower, S. 54; Abi-Saab, RdC 165 (1979-IV), S. 395; Bothe/Partsch/Solf, New Rules for Victims of Armed Conflicts, S. 51; Ronzitti, IYIL 1 (1975), S. 193 f. 301 Siehe ausführlicher Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 366 ff., der überzeugend die Auffassung Koenigs, Der nationale Befreiungskrieg, S. 173 ff., von einer erweiternden Auslegung des Begriff der fremden Besetzung ablehnt.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
nannten nationalen Befreiungskriege ist nach überwiegender Ansicht bisher nicht möglich.302 Bei allen drei Alternativen bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass das Selbstbestimmungsrecht in Art. 1 Abs. 4 ZP I an die Charta gebunden ist und somit auch an die Praxis der Vereinten Nationen. Daraus folgt, dass jede Wandlung, die das Selbstbestimmungsrecht innerhalb der Vereinten Nationen erfährt, auch unmittelbare Auswirkung auf das humanitäre Recht, nämlich den Anwendungsbereich des 1. Zusatzprotokolls hat. Das Selbstbestimmungsrecht, auf das sich die sogenannten nationalen Befreiungsbewegungen303 regelmäßig berufen, ist zwar als Ziel der Vereinten Nationen in Art. 1 Ziff. 2 und Art. 55 UNC in Übereinstimmung mit Art. 1 der beiden UN-Menschenrechtspakte304 anerkannt und seine gewohnheitsrechtliche Geltung inzwischen weitgehend nicht mehr bestritten.305 Es be302 So z. B. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions, Rz. 112; Ipsen, in: FS Menzel, S. 416; Bothe/Partsch/Solf, New Rules for Victims of Armed Conflicts, S. 51 f.; Allerdings besteht auch bei diesen Unterschiede hinsichtlich des genauen Inhaltes. Während Bothe/Partsch/Solf der Auffassung sind, dass lediglich die Besetzung der Gebiete eines Staates, der nicht Vertragspartei des 1. ZP ist, von einem der Vertragsstaaten einzig denkbarer Inhalt der fremden Besetzung im Sinne des Art. 1 (4) 1. ZP ist, führen Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions, aus: The expression „alien occupation“ in the sense of this paragraph – as distinct from belligerent occupation in the traditional sense of all or part of the territory of one Sate being occupied by another State – covers cases of partial or total occupation of a territory which has not yet been fully formed as a State. 303 Näher zur Definition des Begriffs „nationale Befreiungsbewegungen“ Krönert, S. 22 ff.; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 239 ff.; Ronzitti, in: IYIL 1 (1975), S. 192 ff. 304 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, UNTS, Bd. 999, S. 171; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, UNTS, Bd. 999, S. 3. 305 Zum Teil wurde das Selbstbestimmungsrecht als bloße Richtlinie betrachtet, deren Konkretisierung durch Völkerrechtsnormen erfolgen muss (Neuhold, Internationale Konflikte, S. 86), während andere darin ein Recht in statu nascendi sahen (Lombardi, Bürgerkrieg und Völkerrecht, S. 275). Siehe zu diesem Streit ausführlich Lombardi, Bürgerkrieg und Völkerrecht, S. 273 ff., Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 81 ff.; Doehring, BDGV 14 (1974), S. 10 ff.; Kimminich, in: Blumenwitz/Meissner, Selbstbestimmungsrecht, S. 37 ff. Einen ausführlichen Überblick über den Diskussionsstand bis in die sechziger Jahre hinein auch bei Delbrück, Jahrbuch für Internationales Recht 13 (1967), S. 196-203. Inzwischen ist jedoch anerkannt, dass das Selbstbestimmungsrecht eine Norm mit gewohnheitsrechtrechtlichem Charakter ist, unterstützt von einer Rechtsüberzeugung, die sich insbesondere in verschiedenen Generalversammlungsresolutionen widerspiegelt. So auch schon die Friendly Relations Declaration, die die in der UN Charta festgeschriebende Selbstbestimmung als Recht klar anerkennt. Siehe auch der IGH im Nicaragua-Ur-
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steht jedoch Uneinigkeit hinsichtlich seines Inhaltes, seiner Träger und im Hinblick auf die Mittel, mit welchen es realisiert werden kann.306 Nationale Befreiungsbewegungen können ungeachtet der einzelnen Streitigkeiten um den Begriff „Volk“ jedenfalls dann Träger des Selbstbestimmungsrechts sein, wenn sie aus historischen, kulturellen, ethnischen oder linguistischen Gründen eine von den sie umgebenden Menschen zu unterscheidende Einheit bilden, in ihrem Gebiet die Mehrheit der Einwohner stellen und sich selbst auch als Volk betrachten.307 Weder die Charta noch die Pakte von 1966 normieren, welche Rechtsfolge sich für ein Volk aus der Gewährung des Selbstbestimmungsrechts ergibt. Die Frage, ob Gewaltakte sogenannter Befreiungsbewegungen von einer Terrorismusdefinition ausgeschlossen sein sollen oder nicht, betrifft jedoch gerade die Rechtfolgen des Selbstbestimmungsrechts. Die einstimmig angenommene Friendly Relations Declaration der Generalversammlung stellt den Versuch dar, den Inhalt des Selbstbestimmungsrechts einschließlich der diesbezüglichen Praxis der Vereinten Nationen zu beschreiben.308 Hinsichtlich konkreter Rechtsfolgen des Selbstbestimmungsrechtes enthält sie jedoch keine klaren Äußerungen, die Gewaltakte in Ausübung des Rechts legitimieren.309 Zwar normiert sie im fünften Grundsatz in Übereinstimmung mit den wortgleichen Art. 1 Abs. 1 der UN-Menschenrechtspakte das aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung abteil, ICJ Reports 1986, S. 14 ff.; im Ost Timor-Fall führte der IGH aus: „The principle of self-determination of peoples has been recognized by the United Nations Charter and in the jurisprudence of the Court [. . .]; it is one of the essential principles of contemporary international law“, ICJ Reports 1995, S. 102; auch im Namibia-Fall und im West-Sahara-Fall bejahte der IGH das Bestehen eines Selbstbestimmungsrechtes, IGH, Legal Consequences for States of the continued Presence of South Africain Namibia notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970, Advisory Opinion, ICJ-Reports 1971, S. 31 ff.; IGH, Western Sahara Case, Advisory Oprinion, ICJ-Reports 1975, S. 12 ff. Doehring, Völkerrecht, Rn. 52; Heintze, in: Ipsen, § 27, Rn. 6; Tomuschat, in: FS Doehring, S. 996, der allgemein vom anerkannt rechtlichen Charakter des Selbstbestimmungsrechtes spricht. Auch die ILC hat schon 1976 ermittelt, dass das Selbstbestimmungsrecht nach dem Aggressionsverbot die Norm des Völkerrechts ist, die von den Staaten während der Kodifikation des völkerrechtlichen Vertragsrechts am häufigsten als Beispiel für eine ius cogens Norm genannt wurde, YBILC 1976 II/2, S. 121; ICJ Rep. 1995, S. 90 (102) „[. . .] one of the essential principles of contemporary international law“. 306 Statt vieler siehe nur K. Rabl, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker; Cassese, Self-Determination; Thürer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker; Mett, Konzept des Selbstbestimmungsrechts. 307 Siehe dazu umfassend Mett, Konzept des Selbstbestimmungsrechts, S. 371 ff. 308 Ein maßgebliches Stützen auf die Friendly Relations Declaration ist auch insofern gerechtfertigt, als auch Art. 1 (4) 1. ZP das Selbstbestimmungsrecht so verstanden wissen will, wie es in der Deklaration und der UNC enthalten ist.
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geleitete Recht der Völker, frei und ohne Einmischung von außen über ihren politischen Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten. Und auch der vierte Absatz ist vielversprechend. Darin heißt es: „Die Gründung eines souveränen und unabhängigen Staates, die freie Vereinigung mit einem unabhängigen Staat oder die freie Eingliederung in einen solchen Staat oder das Entstehen eines anderen, durch ein Volk frei bestimmten politischen Status stellen Möglichkeiten der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts durch das Volk dar.“
Dennoch wird ein Sezessionsrecht vielfach nur für Kolonien und andere sogenannte „non-self-governing territories“ sowie für die Rückgängigmachung von Annexion und Besetzung anerkannt.310 Dies lässt sich vor allem aus dem 7. Absatz des 5. Grundsatzes ableiten, der die territoriale Unversehrtheit souveräner Staaten sicherstellt,311 und aus Abs. 2 b), der direkten Bezug auf Kolonialismus nimmt. Dass das Prinzip uti possidetis und die territoriale Integrität als Eingrenzung des Selbstbestimmungsrechts dienen, spiegelt auch heute noch die aktuelle Staatenpraxis wider. Daher verwundert es nicht, dass auch in der postkolonialen Praxis hinsichtlich des Inhalts und der Rechtsfolgen keine konsistenten Konturen des Selbstbestimmungsrechtes existieren.312 Auch die neuere Staatenpraxis in Bezug auf Jugoslawien und die ehemalige Sowjetunion ist nicht ohne weiteres als Ausfluss der legitimen Geltendmachung des Selbstbestimmungsrechtes zu bewerten.313 Um dem Selbstbestimmungsrecht dennoch eine Bedeutung zu verleihen, wird in der Literatur häufig dahingehend differenziert, dass zumindest dann, wenn sich ein Staat einseitig gegen bestimmte Volksgruppen wendet, und zwar in Gestalt von massiven Menschenrechtsverletzungen oder gar Völkermord, ein Sezessionsrecht aus 309 Siehe zum Streit um die Auslegung der Friendly Relations Declaration in dieser Hinsicht Oeter, ZaöRV 52 (1992), S. 757; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 212 ff. 310 Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 220. 311 Wörtlich heißt es dort: „Die vorstehenden Absätze sind nicht als Ermächtigung oder Ermunterung zu Maßnahmen aufzufassen, welche die territoriale Unversehrtheit oder die politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten teilweise oder vollständig auflösen oder beeinträchtigen würden, die sich in ihrem Verhalten von dem oben erwähnten Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker leiten lassen und daher eine Regierung besitzen, welche die gesamte Bevölkerung des Gebiets ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Hautfarbe vertritt.“ 312 Oeter, in: ZaöRV 52 (1992), S. 749. Näher zu Staatenpraxis, die hier im einzelnen nicht untersucht werden kann auch Rabl, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, S. 446; Thürer, AVR 22 (1984), S. 129. 313 Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 217.
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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dem Selbstbestimmungsrecht folgt.314 Dabei soll das innere Selbstbestimmungsrecht umschlagen in ein äußeres Selbstbestimmungsrecht mit der Folge, dass aufgrund des Fehlens anderer Durchsetzungsmechanismen ein Sezessionsrecht bestehe.315 In allen anderen Fällen soll ein Sezessionsrecht ausgeschlossen sein.316 Unabhängig von der Frage, ob über die eng begrenzten Ausnahmen hinaus ein Sezessionsrecht im Einzelnen besteht, wozu es auch der genaueren Klärung des Verständnisses des Begriffs der „Völker“ bedürfte,317 bleibt festzuhalten, dass zumindest die westliche Lehre sowie die Staatenpraxis überwiegend ein generelles Recht der Völker ablehnt, ein möglicherweise bestehendes Selbstbestimmungsrecht durch Anwendung von Waffengewalt durchzusetzen.318 Zwar sind die meisten Staaten der Dritten Welt der Auffassung, dass antikoloniale Gewaltanwendung als Sonderfall des Selbstbestimmungsrechtes gerichtet gegen die das Gewaltverbot verletzende Kolonialmacht legitim seien.319 Die westlichen Staaten lehnen dieses jedoch ab.320 Selbst wenn man im Hinblick auf den Kolonialismus von der Etab314
Oeter, ZaöRV 52 (1992), S. 759. Oeter, ZaöRV 52 (1992), S. 773. 316 Daneben wird zum Teil von einem neueren europäische ordre public gesprochen, wonach ein Sezessionsrecht nicht erst bei massiven Menschenrechtsverletzungen bestehen soll, sondern bereits dann, wenn extreme Situationen bestehen, in denen mit keiner Aussicht auf eine politische Lösung das innere Selbstbestimmungsrecht verweigert wird, siehe dazu Oeter, ZaöRV 52 (1992), S. 765 f.; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 217 f. Dies bleibt jedoch auf Europa beschränkt und entspricht nicht der Staatenpraxis innerhalb der Vereinten Nationen, so dass sich daraus keine gewohnheitsrechtliche Regelung ableiten lässt. 317 Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 222. 318 Dazu umfassender Cassese, Self-Determination, S. 151 f.; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 227 ff.; Schwebel, in: Moore, Law and Civil War in the Modern World, S. 454. 319 Siehe Schwebel, der die Vorarbeiten des Spezialkomitees zur Entstehung der Friendly Relations Declaration zusammenfasst, ders., Wars of National Liberation, S. 448 f. Seit der Generalversammlungsresolution 2105 (XX) vom 21.12.1965 hat die Generalversammlung immer wieder die Legitimität des Kampfes der unter Kolonialherrschaft stehenden Völker in Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung betont, ohne dass zu diesem Zeitpunkt Einigkeit dahingehend herrschte, ob sich daraus auch eine Berechtigung zur Gewaltanwendung zur Durchsetzung ergebe. siehe UN Doc. A/RES/2105 (XX), Ziff. 10. 320 Lombardi, Bürgerkrieg und Völkerrecht, S. 328; Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 230 mit weiteren Nachweisen in Fußnote 3. Auch die Resolutionen 3070 (XXVIII) und 3246 (XXIX) der Generalversammlung beziehen ausdrücklich bewaffneten Kampf gegen die gewaltsame Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechtes mit ein. Dort wird: „the legitimacy of the peoples struggle for liberation from colonial and foreign domination and alien subjugation by all available means, including armed struggle“ betont, jedoch wurden 315
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
lierung eines solchen Rechts ausgeht, so lässt sich dies allenfalls im Hinblick auf den traditionellen Kern des Begriffs Kolonialismus begründen. Versuche, diesen Begriff aufzuweichen, um die gewünschten Rechtsfolgen inklusive einer gewaltsamen Durchsetzungen derselben zu erhalten, überzeugen aufgrund der fehlenden Staatenpraxis und der damit einhergehenden Rechtsüberzeugung vieler Staaten nicht.321 Daher ist die Staatengemeinschaft weit von einer gewohnheitsrechtlichen Regelung entfernt, wonach Völker ihr Selbstbestimmungsrecht durch die Anwendung von Waffengewalt erstreiten dürfen. Für die Ablehnung einer solchen Regelung sprechen zudem gewichtige Gründe innerhalb der Systematik der Charta. Zum einen birgt eine Aufweichung des Gewaltverbots zugunsten des Selbstbestimmungsrechtes die Gefahr, Türen zu öffnen für weitere Lockerungen unter Berufung auf andere gewichtige Ziele der Charta. Dieses wiederspricht jedoch dem strengen, auf Friedenswahrung ausgelegten Regel-Ausnahme System von Art. 2 Ziff. 4 und Maßnahmen nach Kapitel VII und Art. 51 UNC. Auch die Berufung auf das Recht auf Selbstverteidigung für eine gewaltsame Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts vermag nicht zu überzeugen.322 Es wiederspräche diesem Regel-Ausnahmesystem, dass ein Recht der Gewaltausübung in Form eines Selbstverteidigungsrechtes der nationalen Befreiungskämpfer vorliegt, das sich gegen einen Gewaltakt ihrer „Besetzer“ wendet. Zum einen ist schon fraglich, ob sich ein Volk überhaupt auf das grundsätzlich für Staaten geschaffene Selbstverteidigungsdie Resolutionen nicht von den westlichen Staaten unterstützt, siehe dazu Schwebel, in: Moore, Law and Civil War in the Modern World, S. 454 f. Auch aus Art. 7 der Aggressionsdefinition vom 14. Dezember 1974, GA Res 3314 (XXIX), wurde von den Staaten der Dritten Welt und des sozialistischen Blocks eine Recht zum bewaffneten antikolonialen Befreiungskampf abgeleitet, in dem normiert wird: „Keine Bestimmung dieser Definition, insbesondere Artikel 3, kann in irgendeiner Weise das aus der Charta hergeleitete Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit von Völkern beeinträchtigen, denen dieses Recht gewaltsam entzogen wurde und auf die in der Erklärung über die Grundsätze des Völkerrechts für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten gemäß der Charta der Vereinten Nationen Bezug genommen wird, insbesondere Völker unter Kolonialund Rassenherrschaft oder andern Formen der Fremdherrschaft; auch nicht das Recht dieser Völker, zu diesem Zwecke zu kämpfen und zu versuchen, Unterstützung zu erhalten, im Einklang mit den Grundsätzen der Charta und in Übereinstimmung mit der oben erwähnten Erklärung.“ Die westlichen Staaten sahen lediglich dann ein solches Recht als gegeben an, wenn die jeweilige Kolonialmacht mit Gewalt i. S. d. Aggressionsdefinition die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts unterdrückt. Siehe dazu näher Krönert, S. 162 f. 321 Zum Begriff des Kolonialismus näher Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 237 m. w. N. 322 Das Selbstverteidigungsrecht wurde zum Teil als Rechtfertigung für die gewaltsame Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes von der Dritten Welt und dem sozialistischen Lager angeführt, siehe dazu Rajower, S. 104 m. w. N.
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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recht berufen kann. Zum anderen bedürfte es eines zeitlich davor liegenden bewaffneten Angriffs seitens des unterdrückenden Staates. Regelmäßig ist jedoch davon auszugehen, dass zuerst die Befreiungsbewegung Waffengewalt ausübt und dem keine Akte des „besetzenden“ Staates vorausgehen, die die Schwelle zum bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNC überschreiten.323 Zu berücksichtigen bleibt ferner, dass selbst wenn man von einem weitreichenden Selbstbestimmungsrecht ausgeht, nicht jede Handlung automatisch gerechtfertigt ist und somit nicht als terroristischer Akt bezeichnet werden kann. Vielmehr unterliegt dann, wie es etwa von den Staaten der OIC im Art. 18 des Terrorismuskonventionsentwurfs gefordert wird, die jeweilige nationale Befreiungsbewegung dem in Art. 1 Abs. 4 festgelegten Anwendungsbereich des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen. Dies hat zur Folge, dass auch Art. 51 Abs. 2 des ZP I einschlägig und somit jede Anwendung oder Androhung von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung mit dem Ziel, Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, verboten ist. Somit wäre eine Herausnahme der nationalen Befreiungsbewegungen aus dem Anwendungsbereich einer umfassenden Definition des Terrorismus keineswegs ein „Freifahrtschein“ für jegliche Handlungen dieser Gruppierung. Aufbauend auf diese im humanitären Recht enthaltenen Verbote hat Greenwood den bemerkenswerten Vorschlag unterbreitet, zwischen einem sogenannten „inneren Kreis“ von Gewaltakten, die unter allen Umständen d.h. auch in der Situation des bewaffneten Konflikts, verboten und strafbar sind und dem „äußeren Kreis“ zu unterscheiden, zu dem alle Handlungen gehören, die nicht verboten wären, wenn sie von Kombattanten in einem internationalen bewaffneten Konflikt vorgenommen würden.324 Dass sich mit dieser Unterscheidung möglicherweise hinsichtlich einer Definition ein Konsens aller Staaten beschränkt auf den „inneren Kreis“ erreichen lässt, zweifelt Greenwood zu Recht selbst an.325 Letztlich würde damit nur eine Verlagerung der Problematik auf die Fragen, welche Handlungen zum inneren Kreis gehören und ob die 323 So auch Götze, Humanitäres Völkerrecht und Nationale Befreiungskriege, S. 238. 324 Greenwood, IYHR 19 (1989), S. 189. Dahingehend auch Ress anlässlich einer Tagung des Terrorismus-Ausschusses der International Law Association, der dafür plädierte, als Handlungen des Terrorismus wenigstens solche Akte zu werten, die auch im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes verboten wären, siehe Terrorism, Bd. 8, 1985/1986, S. 405. 325 „The problem with such an approach, however, is that international agreement on a definition of terrorism that was confined to acts falling within the inner core would inevitably be perceived as casting doubt upon claims that acts falling within the outer category might also be regarded as terrorist.“, Greenwood, IYHR 19 (1989), S. 190.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Handlungen des äußeren Kreises ebenfalls als terroristische Akte zu bewerten sind, stattfinden. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass anders als in den Bestimmungen der regionalen Abkommen der OIC und OAU, die den Ausschluss der Völker, die um ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfen, aus der Definition des Terrorismus vorsehen, eine dahingehende völkergewohnheitsrechtliche Regel nicht existiert.326 Insofern ist dem Vorschlag Rowes für Art. 18 der umfassenden Konvention zu folgen, wonach nationale Befreiungsbewegungen ebenfalls in den Anwendungsbereich fallen. Betrachtet man die jüngsten Ereignisse auf Bali327, den Philippinen und in Moskau,328 ist dieses Ergebnis auch überzeugend, da sich auch hier argumentieren ließe, dass die Täter Parteien eines bewaffneten Konflikts im Sinne des Vorschlags der OIC sind.329 Würde daher die umfassende Konvention mit dem Art. 18 im Sinne der OIC verabschiedet, so liefe das Übereinkommen leer, da die meisten Fälle terroristischer Aktivitäten der heutigen Zeit über Art. 18 aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden würden. Die genannten Gruppierungen hätten sich danach – im Gegensatz zu dem Vorschlag des Coordinators – nur dem humanitären Recht und dem „einfachen“ Strafrecht zu verantworten, aber nur insoweit, als dieses auch auf nichtstaatliche Akteure Anwendung findet, woraus sich nach heutigem Recht jedenfalls eine Grauzone ergeben würde.330 Eine Einbeziehung nationaler Befreiungsbewegungen in die Definition deckt sich auch mit den seit Res. 49/60 verabschiedeten Resolutionen der Generalversammlung sowie der nach den Ereignissen des 11. Septembers 326 Vor diesem Hintergrund scheint folgende Äußerung Bassiounis nicht ungerechtfertigt: „But it must be said that contemporary debates over the legitimacy of ‚wars of national liberation‘ and radical movements and states’ national security interests have tended to obscure the clarity of this focus and are a throw back to the middle ages’ debate over just and unjust wars without regard to the means employed or harm produced.“, Bassiouni, Legal Response to International Terrorism, 1988, S. xxv. 327 Siehe auch SC Res. 1438, UN SCOR, 4624th mtg. UN Doc. S/Res/1438 (2002). 328 Siehe dazu auch SC Res. 1440, UN SCOR, 4632nd mtg. UN Doc. S/Res/1440 (2002). 329 Halberstam, Columbia Journal of Transnational Law 41 (2003), S. 582, 584, der zu dem Ergebnis kommt: „The insistence by the OIC on a provision that would make the Comprehensive Convention inapplicable to many – perhaps most – terrorist acts challenges that resolve. To be meaningful, the Comprehensive Convention, [. . .] must be applicable, regardless of motive, to all acts, methods, and practices of terrorism wherever and by whomever committed.“ 330 Weiss, Terrorism, Counterterrorism and International Law, abrufbar unter: http://www.tni.org/archives/weiss/terrorism.htm (Stand: 15. September 2005).
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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2001 ergangenen Sicherheitsratsresolution 1269 und dem europäischen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Terrorismus. Im Ergebnis ist daher aufgrund der internationalen Tendenz und nach systematischer Betrachtung festzustellen, dass sowohl offizielle militärische Streitkräfte wie auch nichtstaatliche militärische Gruppierungen im Sinne der engen Auslegung des Art. 1 Abs. 4 ZP I nicht unter die Definition des Begriffs „Terrorist“ fallen, sogenannte nationale Befreiungsbewegungen hingegen doch. b) Nationale Befreiungsbewegungen nach dem zweiten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen Möglich erscheint darüber hinaus, dass „armed forces“ im Sinne des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen331 zu verstehen sind, mit der Folge, dass daher nationale Befreiungsbewegungen vom humanitären Völkerrecht erfasst würden und aus der Terrorismusdefinition ausgeschlossen sein könnten. Gemäß Art. 1 Abs. 1 werden abtrünnige Streitkräfte oder andere organisierte bewaffnete Gruppen in Bürgerkriegen mit in den Anwendungsbereich einbezogen.332 Voraussetzung ist neben der Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppierungen, dass diese unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes eines Mitgliedstaates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchzuführen und das zweite Zusatzprotokoll anzuwenden vermögen. Nicht in den Anwendungsbereich fallen gemäß Art. 1 Abs. 2 ZP II innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewaltakte und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Der Rückgriff auf Art. 1 Abs. 2 ZP II erscheint jedoch ebenso wie derjenige auf Art. 1 Abs.4 ZP I insofern problematisch, als weder das erste noch das zweite Zusatzprotokoll hinsichtlich ihres Anwendungsbereiches, also gerade im Bezug auf die rechtliche Bewertung von Befreiungsbewegungen, gewohnheitsrechtlich anerkannt sind. Daraus ergibt sich, dass ein Rückgriff auf eine weite Auslegung des Begriffs „armed forces“ unter Berücksichtigung der Konfliktparteien der Zusatzprotokolle wohl nicht möglich ist und die Einbeziehung von nationalen Befreiungsbewegungen in die Terrorismusdefinition notwendig ist. 331 Protokoll II über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (im Folgenden 2. Zusatzprotokoll), BGBl. 1990 II, 1637. Internationale Quelle: UNTS, Bd. 1125, S. 609. 332 Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 39 f.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
II. Abgrenzung zum Staatsterrorismus Die große Mehrheit aller Staaten und die überwiegende Mehrheit der Autoren in der Literatur sind sich einig, dass terroristische Akte jedenfalls von Individuen oder Gruppierungen begangen werden können. Auch die Anzahl der als Täter verdächtigen Personen ist unerheblich. Weit weniger eindeutig ist die Einbeziehung eines Staates bzw. der für diesen Handelnden in den Täterkreis, obwohl gerade Staaten die Möglichkeit eröffnet ist, auch außerhalb von Situationen eines bewaffneten Konflikts Zivilbevölkerungen durch Gewaltakte in Angst und Schrecken zu versetzen, um sie so unter Druck zu setzen.333 Die Personen „acting on behalf of the state“ könnten möglicherweise nach internationalem Strafrecht zur Verantwortung gezogen werden und müssten demnach in den Anwendungsbereich einer Terrorismusdefinition fallen. Schwierig gestaltet sich dabei in der Realität zum Teil die Abgrenzung zwischen „state sponsored terrorism“ und dem sogenannten Staatsterrorismus.334 Unter ersterem ist folgende Konstellationen zu verstehen: Ein Staat „beteiligt“ sich an terroristischen Akten einer privaten Gruppierung zumeist gegen einen anderen Staat. Diese „Beteiligung“ kann in verschiedensten Formen geschehen: durch Planung, logistische oder finanzielle Unterstützung, Kontrolle und ähnliches. Zwischengeschaltet bleibt jedoch die private Gruppierung, so dass es dem Staat leichter gelingt, seine Verantwortung hinsichtlich der jeweiligen Handlung zu verneinen.335 Das klassische Verständnis von Staatsterrorismus ist ein anderes. Dort üben Personen beauftragt vom Staat unter Berufung auf das innerstaatliche Recht gewaltsam Zwang gegen seine Bevölkerung oder gegen einzelne Bevölkerungsgruppen aus.336 Der typische Fall ist somit eine rein 333
Siehe zum Staatsterrorismus auch Higgins, in: Higgins/Flory (eds.), Terrorism and International Law, S. 26 f. Umfassen zur Motivation von Handlungen, die von einem Staat ausgehen, Bassiouni, S. xxxv. 334 Weiss, Terrorism, Counterterrorism and International Law, abrufbar unter: http://www.tni.org/archives/weiss/terrorism.htm, (Stand: 15. September 2005). 335 Report des Sonderberichterstatters Koufa, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/31, para. 52 vom 27. Juni. 2001. 336 Sonderberichterstatter, Doudou Thiam, ILC, 37th Sess., 1985, Third Report on the Draft Code of Offences against the Peace and Security of Mankind, UN Doc. A/CN.4/387, S. 136 vom 8. April 1985. Siehe auch die typische Situationen des Staatsterrorismus in: Report des Sonderberichterstatters Koufa, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/31, para. 43 vom 27. Juni. 2001. Schon hier entstehen jedoch die ersten begrifflichen Schwierigkeiten: Bassiouni bezeichnet das hier als klassischen Fall des Staatsterrorismus dargestellte Szenario als State-Sponsored Terrorism, siehe dazu näher S. xxxv.
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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innerstaatliche Problematik. Obwohl eine Differenzierung zwischen beiden Konstellationen in der Praxis zum Teil schwierig sein kann, ist die rechtliche Würdigung des ersten Falls im Hinblick auf die Definitionssuche unproblematisch. Zunächst ist die handelnde Person oder Gruppierung der Definition des Terrorismus zu subsumieren. Nach allen untersuchten Übereinkommen sind auch die Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe an solchen Handlungen strafbar, ohne dass nach deren Wortlaut Beteiligungsformen eines Staates oder seiner Organe grundsätzlich ausgenommen werden.337 Auch sind die in Erwägungsgrund Nr. 11 des Rahmenbeschluss der EU und in Art. 18 Abs. 3 des Terrorismuskonventionsentwurfs sowie in Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschlägen enthaltenen Ausschlussregeln nicht anzuwenden, da die Unterstützung privater Gruppierungen regelmäßig keine Handlung ist, die von Streitkräften in Wahrnehmung ihrer offiziellen Aufgaben geschieht. A maiore ad minus steht einer Anwendung der Definition des Terrorismus in solchen Konstellationen dann nichts mehr im Wege, wenn die Handlungen auch einen internationalen Bezug aufweisen. Vielmehr stellt sich in diesem Fall die Frage nach der Beteiligungsform an der jeweiligen Handlung, aus der sich völkerrechtliche Konsequenzen für den Staat ergeben können, die Gegenstand des zweiten Teils dieser Arbeit sein sollen. Anders hingegen die klassische Konstellation des Staatsterrorismus. Handelt dort der Staat durch seine offiziellen Organe in Anwendung nationaler Gesetze, dann ist umstritten, ob diese Handlungen zur Definition des Begriffs „Terrorismus“ gehören. Zwar wurde im Ad Hoc Committee zu Recht der Wunsch geäußert „to address all forms and manifestations of terrorism, including the concept of State terrorism.“338 Dennoch findet der Terrorismuskonventionsentwurf in Übereinstimmung mit dem Finanzierungsübereinkommen nur dann Anwendung, wenn ein internationaler Bezug vorliegt. Der ist dann nicht gegeben, wenn der Täter und die Opfer Staatsangehörige dieses Tatortstaates sind, der oder die Täter sich auf dessen Staatsgebiet 337
Skubiszewski bestreitet, dass ein Staatsterrorismus als Verbrechen existieren kann, da es keine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten gibt., IYHR 19 (1989), S. 46 f.: „Under present international law, States are not in a position to commit the crime of terrorism because that law does not provide for the criminal responsibility of States for acts that otherwise could or would constitute the material elements of a terrorist act.“ Zur Frage einer möglichen völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten siehe: Gilbert, ICLQ 39 (1990), S. 345 ff. 338 Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March-2 April 2003), UN Doc. A/58/37, Annex I, A, para. 9.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
aufhalten und darüber hinaus keine Jurisdiktion gemäß Art. 8 Abs. 1 und 2 begründet werden kann. Dieser internationale Bezug liegt jedoch gerade im klassischen Fall des Staatsterrorismus nicht vor. Zudem sind gem. Art. 18 Abs. 3 des umfassenden Konventionsentwurfs auch bei Vorliegen eines solchen internationalen Bezugs die von Streitkräften eines Staates außerhalb eines bewaffneten Konfliktes begangenen Handlungen in Wahrnehmung ihrer offiziellen Funktion von der Definition des Terrorismus abzugrenzen, insoweit sie anderen Regeln des Völkerrechts unterliegen. Gleiches gilt für Art. 19 II des internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge und für Erwägungsgrund Nr. 11 des europäischen Rahmenbeschlusses. Daraus lässt sich im Umkehrschluss zunächst ableiten, dass wenigstens Handlungen eines Staates außerhalb eines bewaffneten Konfliktes, die nicht von seinen Streitkräften in Wahrnehmung ihrer offiziellen Funktion, gedeckt durch andere Regeln des Völkerrechts, vorgenommen werden, in die Definition des Terrorismus einzuschließen sind, wenn sie zwar zunächst innerstaatlichen Charakter aufweisen, jedoch unter die dem Erfordernis des Art. 3 des umfassenden Übereinkommensentwurfs genügenden Sonderregelungen gemäß Art. 8 fallen. Ein internationaler Bezug liegt danach deckungsgleich mit Art. 6 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge vor, wenn etwa die Straftat gegen eine staatliche oder öffentliche Einrichtung eines Staates im Ausland, einschließlich diplomatischer oder konsularischer Räumlichkeiten dieses Staates gerichtet ist. Auch diese Sonderregelungen zur Annahme eines internationalen Bezugs sind jedoch eng begrenzt und treffen in der Realität selten mit dem klassischen Fall des Staatsterrorismus zusammen. Bedenken begegnen dem darüber hinausgehenden Ausschluss des klassischen, in der Praxis wohl weit häufiger auftretenden Staatsterrorismus, wie ihn etwa Art. 18 Abs. 3 des umfassenden Konventionsentwurfs vorsieht. Zunächst enthalten das Finanzierungsübereinkommen sowie die neben den europäischen Regelungen untersuchten regionalen Übereinkommen einen Art. 18 Abs. 3 vergleichbaren Ausschluss nicht. Dieser steht zudem im Widerspruch zur Präambel des umfassenden Konventionsentwurfs, zur Generalversammlungsresolution 49/60 und der Sicherheitsratsresolution 1269, nach denen es für die Bewertung einer Handlung als terroristischen Aktes unerheblich sein soll, von wem sie begangen worden ist. Ein Anhaltspunkt für die Einbeziehung von Handlungen der Streitkräfte eines Staates außerhalb von bewaffneten Konflikten ergibt sich des Weiteren aus den Genfer Abkommen und ihren Zusatzprotokollen. Gemäß Art. 33 des IV. Genfer Abkommens339 sind Kollektivstrafen sowie Maßnah-
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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men zur Einschüchterung oder Terrorisierung untersagt. Adressaten dieses Verbots sind gemäß Art. 1 der Konvention die hohen Vertragsparteien. Damit kommen als Interpretation dieser Vorschrift nur staatsterroristische Handlungen gegen die Zivilbevölkerung in Betracht.340 Art. 2 IV. Genfer Abkommen setzt zudem voraus, dass das Abkommen in allen Fällen eines erklärten Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts gilt. Aus Art. 33 der Konvention lässt sich aber a maiore ad minus ableiten, dass, wenn sogar in Ausnahmesituationen wie Kriegszuständen ein Verbot staatsterroristischer Handlungen gegen die Zivilbevölkerung besteht, ein solches erst recht in Friedenszeiten gelten muss. Eine Einbeziehung von solchen Aktivitäten in den Anwendungsbereich der umfassenden Konvention ist daher wünschenswert und notwendig als Unterstreichung der ohnehin schon bestehenden Regelungen im humanitären Recht. Sie ist Garantie dafür, dass Streitkräfte neben den Grenzen des Kriegsrechtes auch in Friedenszeiten keinen Freibrief zum Einsatz terroristischer Gewalt ausgestellt bekommen und gewährleistet damit die Glaubwürdigkeit der umfassenden Konvention als Verbot für terroristische Handlung unabhängig von ihrem Veranlasser. Auch muss dem Vorwurf von Amnesty International Beachtung geschenkt werden, dass „[t]he draft text also has a loophole that could allow military forces during peacetime to commit acts of „terrorism“ that would neither be covered by the Convention nor by humanitarian law.“341 Im Übrigen ist eine Privilegierung der Handlungen von Streitkräften eines Staates auch deshalb nicht akzeptabel, da es letztlich nicht darauf ankommen kann, ob derartige Handlungen von Privaten oder von Trägern öffentlicher Gewalt begangen werden. Entscheidend müssen vielmehr die Modalitäten und das Ziel der Gewaltanwendungen sein.342 Auch das staatliche Gewaltmonopol unterliegt dadurch nicht unangemessen Einschränkungen. Es ist vielmehr ein Charakteristikum des heutigen Völkerrechts, diesem in Form der Beschränkung durch internationale Verbrechenstatbestände bewusst Grenzen zu setzen.343 Konsequenz dessen ist, dass sich der betreffende Staat trotz des zunächst rein innerstaatlichen Charakters des Staatster339 Geneva Convention Relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, 12. August 1949, 75 UNTS 287. 340 Herzog, Terrorismus, S. 81. Pictet sieht als Hintergrund dieser Vorschrift, dass in militärischen Konflikten vor 1949 Kollektivstrafen und andere Maßnahmen zur Einschüchterung der Bevölkerung verhängt wurden, nicht nur, um dadurch Gesetzesbrüche zu Sanktionierung sondern auch um solchen zuvor zu kommen, ders., The Geneva Conventions, S. 225 f. 341 Gemeinsame Presseerklärung von Amnesty International und Human Rights Watch vom 28. Januar 2002: „United Nations: Danger Still Present in Anti-Terror Treaty.“, abrufbar unter: http://web.amnesty.org/library/Index/engIOR510032002? OpenDocument&of=THEMES%5CUN (Stand: 15. September 2005). 342 Oeter, Friedens-Warte 76 (2001), S. 26.
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rorismus nicht auf das Verbot der Intervention in seine innere Angelegenheiten resultierend aus Art. 2 Abs. 1 UNC stützen kann. Daher ist ein Ausschluss staatsterroristischer Handlungen aus einer umfassenden Definition nicht akzeptabel, weder unter Berufung auf die Notwendigkeit eines internationalen Bezugs, wie in Art. 3 des umfassenden Konventionsentwurfs vorgesehen, noch in Form des Art. 18 Abs. 3 des Terrorismuskonventionsentwurfs. Da die hier aufzustellende Arbeitsdefinition jedoch lediglich vor dem Hintergrund möglicher militärischer Einsätze gegen terroritische Akteure gemäß Art. 51 UNC erfolgt, wird im Folgenden lediglich Staatsterrorismus mit internationalem Bezug in die Definition mit aufgenommen, da dieser Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 51 UNC ist.344
D. Ergebnis mit Arbeitsdefinition Die Analysen der bisherigen Definitionsversuche im Rahmen internationaler und regionaler Konventionen sowie nationaler Regelungen zur Strafverfolgung von terroristischen Taten haben gezeigt, dass diese bestimmte Tendenzen auf der Suche nach einer umfassenden Definition aufweisen. Die Untersuchungen haben deutlich gemacht, dass als objektives Element eine Tathandlung ausreicht, die entweder den Tod oder eine schwere Körperverletzung oder auch eine schwere Beschädigung von Eigentum herbeiführt. Als subjektives Element ist nicht die politische Motivation notwendig, sondern die Einschüchterung einer Bevölkerrung oder die Nötigung einer Regierung zu einem Tun oder Unterlassen. Das von der Autorin favorisierte weite Verständnis hinsichtlich des objektiven und subjektiven Merkmals der Terrorismusdefinition kann jedoch menschenrechtliche Probleme aufwerfen, die zwar im Rahmen dieser Arbeit keine Berücksichtigung finden können, zumal sie nicht unmittelbar zur Definition des Terrorismus gehören, jedoch ansonsten von großer Bedeutung sind. So wird vielfach eine vage oder sehr weit gefasste Terminologie zur Definition des „Terrorismus“ benutzt,345 die im Einzelfall auch bisher legale Handlungen als strafbar erscheinen lässt. Zudem fehlen zum Teil 343 Report des Sonderberichterstatters Koufa, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/31, para. 47 vom 27. Juni. 2001; Oeter, Friedens-Warte 76 (2001), S. 26; Shaw, International Law, S. 202. 344 Siehe dazu näher S. 273. 345 Auch bezogen auf die nationalen Regelungen wurde dies festgestellt: Report of the Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights, Written statement submitted by International Commission of Jurists, a nongovernmental organization in special consultative status, UN Doc. E/CN.4/2003/NGO/10 vom 30. Januar 2003, para. 5, 8.
2. Kap.: Die einzelnen Merkmale der Terrorismusdefinition
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Regelungen, die die Übereinstimmung von Strafverfolgungsmaßnahmen mit Menschenrechtsstandards346 vorschreiben und diese Standards auch für Ausweisungs- und Gerichtsverfahren festlegen.347 Eine diese Missstände ausräumende, umfassende Konvention zur Bekämpfung des Terrorismus ist demnach geboten,348 erfordert jedoch primär die Einigung hinsichtlich der Definition des Begriffs „Terrorismus“. Die Debatten der Generalversammlung machen deutlich, dass die Staatengemeinschaft bis heute vor dem Dilemma steht, dass sich auf der einen Seite alle Staaten einig sind, dass das Phänomen des internationalen Terrorismus definiert und bekämpft werden muss, auf der anderen Seite jedoch nach wie vor kein Konsens dahingehend erzielt werden konnte, was genau der Begriff des „internationalen Terrorismus“ beinhaltet. Daher wurde auch mehrfach im Rahmen der Arbeiten des Ad hoc Committees von einigen Staaten bemerkt, dass eine Konvention ohne eine Definition des Terrorismus besser sei als ein Übereinkommen mit einer nicht zufrieden stellenden Definition.349
346 Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD), Statement on radical discrimination and measures to combat terrorism, UN Doc. A/57/18 (2002), Kapitel XI, para. 3, in dem betont wird, „that measures to combat terrorism must be in accordance with the Charter of the United Nations and that they are only legitimate if they respect the fundamental principles and the universally recognised standards of international law, in particular, international human rights law and international humanitarian law.“ Das CERD forderte auf „that States and international organisations ensure that measures taken in the struggle against terrorism do not discriminate in purpose or effect on grounds of race, colour, descent, or national or ethnic origin“ und „that the principle of non-discrimination must be observed in all matters, in particular in those concerning liberty, security and dignity of the person, equality before the courts and due process of law, as well as international co-operation in judicial and police matters these fields.“ 347 Der Terrorismuskonventionsentwurf etwa enthält lediglich einen einzigen Hinweis auf Menschenrechtsstandards in Artikel 12: „Any person who is taken into custody or regarding whom any other measures are taken or proceedings are carried out pursuant to this Convention shall be guaranteed fair treatment, including enjoyment of all rights and guarantees in conformity with law of the State in the territory of which that person is present and applicable provisions of international law, including international human rights law.“ Siehe dazu Deutsches Institut für Menschenrechte, Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, S. 9 ff. 348 Auch im Rahmen der Debatten um die umfassende Konvention wurde von vielen Delagationen die Notwendigkeit betont, dass sowohl nationale wie auch internationale Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus „must be taken with full respect for the rule of law, human rights and fundamental freedoms as defined in the relevant international instruments and, where applicable, international humanitarian law.“, Report of the Ad Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March–2 April 2003), UN Doc. A/58/37, Annex I, para. 2.
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1. Teil: Eine definitorische Annäherung an den Begriff „Terrorismus“
Der bisherige Dissens sollte jedoch nicht zur vollständigen Aufgabe des Projekts oder einer umfassenden Konvention ohne Definition führen, denn der Wunsch vieler Staaten nach einer wirklich umfassenden, also eine Definition miteinschließende Konvention ist und bleibt eine Notwendigkeit, will man Regelungslücken der bisher bestehenden Antiterrorkonventionen schließen und ein Zeichen der politischen Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus setzen. Es bleibt dabei die Überlegung, ob nicht vor diesem Hintergrund zunächst die Entwicklung einer Konvention mit wenigen Staaten ohne Kompromisse ratsam ist, die sich dann verfestigen und ausgeweitet werden kann.350 Angesichts der Vielzahl der dargestellten Probleme und ihrer Komplexität wäre es anmaßend, die hier gefundenen Ergebnisse für eine umfassende Definition vorzuschlagen, jedoch sind sie jedenfalls als Grundlage für folgende zusammenfassende Arbeitsdefinition geeignet, die als Basis der nachfolgenden Untersuchungen dient. 1. Eine terroristische Tat erfordert zunächst als objektives Element eine Tathandlung, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person oder eine schwere Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums herbeiführt. 2. Als subjektives Element muss die Handlung darauf abzielen, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. 3. Dabei ist der Täterkreis nicht eingeschränkt. Als Täter kommt jeder in Betracht, auch Staatsterrorismus ist mit umfasst, sofern ein internationaler Bezug vorliegt. 4. Ausgeschlossen sind nur die Tätigkeiten der Streitkräfte während eines bewaffneten Konflikts, im Sinne des humanitären Völkerrechts, die diesem Recht unterliegen, nicht hingegen nationale Befreiungsbewegungen.
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Report of the AD Hoc Committee established by General Assembly resolution 51/210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March–2 April 2003), UN Doc. A/58/37, Annex II, A, para. 2. 350 Dazu auch ausführlich Sandoz, SZIER 12 (2002), S. 344, der zudem vorschlägt, dass eine periodische Überprüfung eines solchen Vertrages sinnvoll wäre, sowie eine Prozedur, nach der das Inkrafttreten erfolgt, wenn sich die Staaten nicht dagegen aussprechen. In diese Richtung geht auch der Vorwurf, ansonsten nur einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zu schaffen, der zu vage bleibt und offensichtlich Missbrauch ermöglicht, Deutsches Institut für Menschenrechte, Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, S. 12.
Zweiter Teil
Rechtfertigungsansätze für militärisches Vorgehen gegen internationalen Terrorismus Grundsätzliche Einigkeit innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft besteht dahingehend, dass eine wirksame Bekämpfung des internationalen Terrorismus erfolgen muss. Neben den im ersten Teil der Arbeit dargestellten Problemen hinsichtlich der Definition des Begriffs des internationalen Terrorismus stellt sich vor allem die Frage, wie seine wirksame Bekämpfung erfolgen kann. Hauptansatzpunkte für eine solche Bekämpfung sind die Erforschung von Ursachen und Hintergründen terroristischer Handlungen. Diese oftmals nicht auf der rechtlichen Ebene zu verwirklichenden Ansätze können jedoch nicht Gegenstand der folgenden Ausführung sein. Ebenfalls unerwähnt bleiben die im internationalen Recht verankerten Möglichkeiten der Bekämpfung in Gestalt friedlicher Lösungen. Vielmehr wird es in der vorliegenden Arbeit lediglich um die völkerrechtlichen Grundlagen eines militärischen Vorgehens gegen internationalen Terrorismus gehen. Zunächst ist festzustellen, dass zweifellos eine Verpflichtung aller Staaten besteht, terroristische Handlungen zu verhindern, die von ihrem Staatsgebiet ausgehen und Ziele in einem anderen Staat erreichen sollen. So hat der Sicherheitsrat in zahlreichen Resolutionen betont, dass jeder Mitgliedstaat verpflichtet ist, es zu unterlassen, terroristische Handlungen in einem anderen Staat zu organisieren, anzustiften, zu unterstützen oder sich daran zu beteiligen oder in seinem eigenen Hoheitsgebiet organisierte Aktivitäten zu dulden, die auf die Begehung solcher Handlungen gerichtet sind.1 Eine solche Verpflichtung lässt sich zudem bereits aus einer Resolution des Rates des Völkerbundes2 sowie aus der Convention for the Prevention and Punishment of Terrorism von 1937 entnehmen.3 1 Siehe zum Beispiel die Sicherheitsratsresolutionen 1189 vom 13. August 1998, Res. 1214 vom 8. Dezember 1998, Res. 1267 vom 15. Oktober 1999 sowie alle im Folgenden näher betrachteten Resolutionen. 2 Die Resolution war eine Reaktion auf das Attentat auf den Jugoslawischen König am 10. Dezember 1934, welches von einer terroristischen Organisation, die von ungarischem Territorium aus operierte, durchgeführt wurde, siehe League of Nations, Official Journal, Juli–Dezember 1934, S. 1759.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
Diese Verpflichtung zur Verhinderung kann auch zur Verpflichtung zur konkreten Kooperation werden.4 Der Staat, der eine relevante Information nicht weitergibt, begeht eine Verletzung des Völkerrechts. Zudem besteht eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit, wenn eine terroristische Aktion nur auf diese Weise beendet werden kann.5 Auch der indische Vorschlag für ein umfassendes Übereinkommen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus sieht in Art. 8 eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit der Staaten vor, indem sie alle durchführbaren Maßnahmen treffen, um Vorbereitungen in ihren jeweiligen Hoheitsgebieten für die Begehung terroristischer Akte innerhalb und außerhalb ihrer Hoheitsgebiete zu verhindern und zu bekämpfen, und zwar unabhängig davon auf welche Weise und von wem sie ausgehen. Diese Verpflichtung umfasst auch Maßnahmen, um in ihren Hoheitsgebieten die Schaffung und den Betrieb von Einrichtungen und Ausbildungslagern für die Begehung terroristischer Handlungen zu verbieten, sowie solche Maßnahmen, die illegale Aktivitäten von Personen, Gruppen und Organisationen verbieten, die zur Begehung terroristischer Handlungen ermutigen, anstiften, diese organisieren, wissentlich finanzieren oder selbst begehen (Art. a) i) und ii)).6 Ein Verstoß gegen diese völkerrechtlichen Verpflichtungen beinhaltet jedoch nicht automatisch ein Recht auf militärische Reaktionsmöglichkeiten. Vielmehr löst die Verantwortlichkeit eines Staates für eine Verletzung internationaler Verpflichtungen Rechtsfolgen in Form der Restitution, des Schadensersatzes und der Genugtuung gemäß den Art. 34–37 ILC-Entwurfs aus.7 Ebenfalls darf ein Staat gegen den für die völkerrechtswidrigen Handlungen verantwortlichen Staat Gegenmaßnahmen nach Maßgabe des Art. 49 ILCEntwurf ergreifen. Militärische Maßnahmen sind jedoch gemäß Art. 50 Nr. 1 a) ausdrücklich ausgeschlossen.8 3
Siehe Art. 1 (1) des endgültigen Entwurfs der Konvention, siehe dazu oben S. 27. 4 Probleme ergeben sich vor allem im Rahmen der Rechtshilfe. Gemäß der Sicherheitsratsresolution 1373 besteht eine Verpflichtung der Staaten, das größte Maß an Unterstützung für strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen zu leisten, was z. B. im Hinblick auf mögliche Auslieferungen an Staaten, die die Todesstrafe anwenden möchten problematisch ist. Eine umfassende Erörterung dieser Problematik soll jedoch nicht Thema dieser Arbeit sein, vergleiche dazu Frowein, ZaöRV, 62 (2002), S. 884 ff. 5 Frowein, ZaöRV, 62 (2002), S. 883. 6 Informell geänderter Wortlaut des Art. 8, UN Doc. A/C.6/55/L.2. 7 Bereits im Corfu Channel Fall hatte der IGH festgestellt, dass „[. . .] every State has an obligation to not knowingly allow its territory to be uses in a manner contrary to the rights of other States.“ ICJ Reports 1949, S. 4, 22. 8 Darin wird festgelegt, dass entsprechende Gegenmaßnahmen die in der Charta der Vereinten Nationen verankerten Verpflichtung, die Androhung oder Anwendung
2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
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Eben diese militärischen Maßnahmen gegen internationale terroristische Akte sind jedoch Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die terroristischen Anschläge der letzen Jahre, wie etwa diejenigen auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam und die Anschläge vom 11. September 2001, führten meist zu militärischen Reaktionen seitens der betroffenen Staaten, die sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht beriefen.9 Die Bekämpfung des Terrorismus auf der Basis des Selbstverteidigungsrechtes ist hauptsächlich ein Phänomen des 20sten und 21sten Jahrhunderts.10 Obwohl das Phänomen des Terrorismus nicht erst seit dem bekannt ist, wurde es in den Verhandlungen über die Entstehung der Charta im Zusammenhang mit dem Selbstverteidigungsrecht nicht berücksichtigt.11 Da die Charta bekanntlich im Wesentlichen12 zwei zulässige Ausnahmen zum Gewaltverbot beinhaltet – entweder ermächtigt der Sicherheitsrat einen oder mehrere Staaten zur Anwendung von Gewalt gemäß Kapitel VII UNC, oder einem bzw. mehreren Staat steht das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UNC zu, welches ihm gestattet, vorläufig ohne Mandat des Sivon Gewalt zu unterlassen, unberührt lassen, mithin ein Einsatz militärischer Maßnahmen nur nach Maßgabe der Charta, insbesondere der Art. 39 ff. und 51 möglich ist. Siehe Crawford, State Responsibility, Chapter II, Countermeasures, para. 6 sowie Art. 50, para. 4; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 93. 9 Vergleiche Statement of the Permanent Representative of the United States of America, UN Doc. S/2001/946, in dem es heißt: „[I]n accordance with the inherent right of individual and collective self-defence, the United States armed force have initiated actions designed to prevent and deter further attacks on the United States. These actions include measures against Al Qaeda terrorist training camps and military installations of the Taliban regime in Afghanistan.“ Auch in den Stellungnahmen der Verbündeten der USA wird der Einsatz militärischer Gewalt ausdrücklich auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt, so etwa in der Erklärung Großbritanniens, UN Doc. S/2001/947 vom 7. Oktober 2001: „These forces have now been employed in exercise of the inherent right of individual and collective self-defence, recognized in Art. 51, following the outrage of 11 September, to avert the continuing threat of attacks from the same source. My Government presented information to the United Kingdom Parliament on 4 October which showed that Usama bin Laden and his Al Qaeda terrorist organization have the capability to execute major attacks, claimed credit for past attacks on United States targets, and have been engaged in a concerted campaign against the United States and its allies.“ Siehe auch die Presseerklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 8. Oktober 2001, UN Doc. S/7167. 10 Siehe zu einzelnen Beispielen Alexandrov, Self-Defense, S. 182 ff.; Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 45 ff.; Gray, Use of Force, S. 115 ff. 11 Alexandrov, Self-Defense, S. 96; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.) Terrorism as a Challenge, S. 829 f.; Baker, Houston Journal of International Law 10 (1987), S. 32. 12 Mit der Aufnahme der ehemaligen Feindstaaten in die Vereinten Nationen ist bekanntlich die den Art. 53 Abs. 1, Satz 2 und 107 vorgesehene Gewaltanwendung gegen ehemalige Feindstaaten obsolet geworden.
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cherheitsrates unilaterale Maßnahmen gegen einen bewaffneten Angriff zu ergreifen –, werden diese beiden Ausnahmen vom Gewaltverbot im Folgenden zu diskutieren sein. Die Frage, ob militärische Reaktionsmöglichkeiten gegen terroristische Akte vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt sind und den entsprechenden Regelungen unterliegen, wird vornehmlicher Gegenstand der Überlegungen sein. Dabei wird zunächst in gebotener Kürze das Selbstverteidigungsrecht in seinem Anwendungsbereich bis vor dem 11. September 2001 unter Berücksichtigung der bisherigen Staatenpraxis und der relevanten Urteile, die auch im aktuellen Schrifttum immer wieder berücksichtigt werden, dargestellt. Im Hauptteil der Arbeit wird sodann die aktuelle Staatenpraxis auf mögliche Änderungen oder Weiterentwicklungen untersucht. Im Rahmen der Schlussbetrachtungen wird auf die Möglichkeit militärischer Maßnahmen gegen terroristische Handlungen auf der Grundlage von Kapitel VII eingegangen.
1. Kapitel
Die umfassende Geltung des Gewaltverbots Die wichtigste, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene Norm des Völkerrechts, die weit über die vorangegangenen Regelungen im Völkerbund und Briand-Kellog-Pakt von 1928 hinausgeht, ist das in Art. 2 Ziff. 4 UNC verankerte Gewaltverbot.13 Danach sind alle Mitgliedstaaten, und aufgrund der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung insgesamt alle Staaten, dazu verpflichtet, jede Drohung oder Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen zu unterlassen. Verboten sind danach nicht nur Gebietsannexionen sondern nach ganz überwiegender und zutreffender Ansicht jeder Einfall in ein staatliches Territorium, der gegen den Willen des Staates geschieht.14 Der Imperativ des Friedens ist damit Ziel und Verpflichtung der gesamten Staatengemeinschaft. Konsequent hat das Gewaltverbot ungeachtet umstrittener Randgebiete jedenfalls im Kern ius cogens Qualität.15 Die überragende Bedeutung der Norm ist gleichzeitig wohl auch die Ursache dafür, dass ihr Inhalt und ihre Grenzen in solchem Maße um13 Zur Geschichtlichen Entwicklung des Gewaltverbots im Völkerbund, durch den Briand-Kellog-Pakt von 1928 usw. wurde bereits ausführlich geschrieben: Siehe statt vieler nur Dinstein, Self-Defense, S. 59 ff.; Fassbender, EuGRZ 2004, S. 242 ff. 14 Statt vieler Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 11 ff.; Randelzhofer, in: Simma, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 35. 15 IGH, Nicaragua, ICJ-Reports 1986, para. 190. So auch Dinstein, Self-Defense, S. 93 ff.; Schmitt, Michigan Journal of International Law 24 (2003), S. 513; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 5.
1. Kap.: Die umfassende Geltung des Gewaltverbots
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stritten sind, wie es sonst bei keiner Norm des Völkerrechts anzutreffen ist. Die im Folgenden untersuchte Staatenpraxis, insbesondere die militärischen Maßnahmen in Afghanistan und im Irak zeigen jedoch, dass im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen nicht Inhalt und Grenzen des Gewaltverbots im Mittelpunkt stehen sondern die in der Charta verankerten Ausnahmen zum Gewaltverbot, also insbesondere Art. 39 ff. und Art. 51 UNC. Daher werden diese Ausnahmen auch vorwiegend Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden. Zuvor soll jedoch kurz umrissen werden, wie sich zumeist von Privaten verübte terroristische Anschläge zum an die Staaten gerichteten Verbot, gegen andere Staaten Gewalt einzusetzen, verhalten. Grenzüberschreitende terroristische Anschläge haben immer wieder Anlass dazu gegeben, dass ein Teil der Völkerrechtslehre die teleologische Reduktion des Gewaltverbots vertreten hat, und somit schon tatbestandlich ein Ausschluss des Verbots argumentiert wurde. So wurde gefordert, dass gewaltsame Akte „short of war“ ebenso wenig vom Gewaltverbot erfasst seien16 wie zeitlich und räumlich begrenzte Gewaltanwendungen, wenn sie sich nicht gegen die „territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit“ eines Staates richteten.17 Eine Diskussion dieser Ansätze soll im Rahmen der Gesamtauslegung hinsichtlich zulässiger Rechtsquellen des Selbstverteidigungsrechtes und möglicher Ausnahmen vom Gewaltverbot neben Art. 51 UNC erfolgen, da sich die Lösung aus dem Zusammenspiel beider Normen ergibt. Auch hinsichtlich des Sonderfalls des failed states wurde eine Geltung des Gewaltverbots verneint18 oder reduziert.19 Die spezielle Situation des failed States soll gesondert im Rahmen des 3. Kapitels behandelt werden.20 Neu im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgekommen ist die Überlegung einer teleologischen Reduktion des Gewaltverbots im Sinne der Aussonderungslösung. Auch mit dem Begriff „transnationaler Konflikt“21 bezeichnet wird darunter verstanden, dass Terroristen partielle Völkerrechtssubjektivität erlangt haben und deshalb aus dem territorialen Hoheitsbereich des Aufenthaltstaates der Terroristen auszusondern seien. Durch die Aussonderung von Terroristen als partielle Völkerrechtssubjekte fielen diese nicht mehr in den Souveränitätsbereich des 16 Wengler, Gewaltverbot, S. 13; Dahm, Jahrbuch (1962), S. 57 f. 17 Wengler, Gewaltverbot, S. 14; Dahm, Jahrbuch (1962), S. 54; Bowett, Self-Defence, S. 142. 18 Murswiek, BDGV 34 (1995), S. 150; Tomuschat, 19 Herdegen, BDGV 34 (1995), S. 58 ff. 20 Siehe dazu unten S. 256. 21 Heintze, in: Hirschmann (Hrsg.), Terrorismus, (2002), S. 385 ff.
für Internationales Recht 11 für Internationales Recht 11 EA 36 (1981), S. 332.
S. 217 ff.; Bruha, AVR 40
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
Aufenthaltstaates, so dass ein Gewalteinsatz gegen sie auch nicht die territoriale Integrität des Aufenthaltstaates verletzt. Vorweggenommen sei schon an dieser Stelle, dass sich aus der Staatenpraxis nach 2001 ergibt, dass kein Staat an der umfassenden Geltung des Gewaltverbots gezweifelt hat. Neben den darüber hinausgehenden grundsätzlichen Erwägungen, die gegen eine teleologische Reduktion des Gewaltverbots überzeugend immer wieder vorgebracht worden sind und die im Zuge der Auslegung der Rechtsquellen des Selbstverteidigungsrechtes noch einmal in Kürze dargestellt werden sollen,22 ist dieser Ansatz aus verschiedenen Gründen nicht überzeugend. Zum einen fehlt es an einer völkerrechtlichen Rechtsgrundlage. Für den Verlust eines Teils einer Gebietshoheit müssen entsprechende Voraussetzungen vorliegen, etwa die willentliche Abtretung des entsprechenden Gebietes durch den Staat. Diese werden jedoch in der Regel nicht vorliegen. Daneben stellt sich dann die Frage, welchen rechtlichen Status das ausgesonderte Gebiet, auf dem sich die Terroristen aufhalten, genießt, insbesondere ob es nicht auch dem Schutz des Gewaltverbots unterfällt. Schließlich ist auch praktisch schwer vorstellbar, wie bei terroristischen Organisationen, die sich oft auf verschiedene Gebiete verschiedener Regionen und Staaten verteilen und schwer zu lokalisieren sind, eine Aussonderung geschehen soll. Die Konstruktion einer teleologischen Reduktion des Gewaltverbots nach der Aussonderungslösung ist daher nicht überzeugend und bedürfte allenfalls dann einer genaueren Betrachtung, wenn nachfolgend keine anderen überzeugenden Rechtfertigungsmöglichkeiten bestehen.
2. Kapitel
Selbstverteidigungsrecht gegenüber terroristischen Akten vor dem 11. September 2001 Die in der Praxis bedeutendste Ausnahme vom Gewaltverbot ist das in Art. 51 UNC verankerte Selbstverteidigungsrecht. Dabei sind die Voraussetzungen und Grenzen gleichermaßen umstritten wie diejenigen des Gewaltverbots, so dass eine umfassende Analyse aller Problemfelder als nicht sinnvoll erscheint. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher nur auf diejenigen Bereiche, die im Zusammenhang mit der Reaktion auf internationalen Terrorismus von besonderem Interesse sind und möglicherweise 22 Siehe dazu im Rahmen der Auslegung der Rechtsquellen des Selbstverteidigungsrechte S. 129 ff.
2. Kap.: Selbstverteidigungsrecht vor dem 11. September 2001
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durch die neuere Staatenpraxis eine rechtlich relevante Änderung erfahren haben.
A. Rechtsquellen des Selbstverteidigungsrechtes Um den Rahmen der zulässigen Gewaltanwendung gegen terroristische Akte unter Berufung auf ein Recht auf Selbstverteidigung bestimmen zu können, bedarf zunächst der Klärung, aus welchen Rechtsquellen dieses Recht herzuleiten ist. I. Das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 UNC Ein Recht auf Selbstverteidigung ergibt sich zunächst aus Art. 51 UNC. Die englische Fassung wird im Folgenden als einer der authentischen Texte gemäß Art. 111 UNC maßgeblich verwendet und lautet wie folgt: „Nothing in the present Charter shall impair the inherent right of individual or collective self-defence it an armed attack occurs against a Member of the United Nations, until the Security Council has taken the measures necessary to maintain international peace and security. Measures taken by Members in the exercise of this right of self-defence shall be immediately reported to the Security Council and shall not in any way affect the authority and responsibility of the Security Council under the present Charter to take at any time such action as it deems necessary in order to maintain or restore international peace and security.“
II. Das gewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht sowie weitere mögliche Rechtsquellen neben Artikel 51 UNC als Ausnahmen vom Gewaltverbot In der Staatengemeinschaft und auch vom IGH anerkannt ist, dass neben Art. 51 UNC auch ein Selbstverteidigungsrecht besteht, welches sich aus Gewohnheitsrecht ergibt.23 Umstritten ist jedoch die Frage, ob ein völkergewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht den gleichen Voraussetzungen unterliegt wie Art. 51 UNC oder ob auch über die Chartaregelung hinaus Selbstverteidigungsmaßnahmen nach Völkergewohnheitsrecht zulässig sind. Ein Teil des Schrifttums begründet die Zulässigkeit von Gewaltanwendungen des von Gewaltakten seitens Privater betroffenen Staates mit einer engen Auslegung des Gewaltverbots nach Art. 2 Ziff. 4 UNC und/oder einer weiten Auslegung des Art. 51 UNC oder – bei enger Auslegung des Art. 51 UNC – durch einen Rückgriff auf neben Art. 51 UNC bestehende Rechtfertigungsmöglichkeiten. Als solche werden ein gewohnheitsrechtliches Selbst23
Statt vieler nur IGH, Nicaragua Fall, ICJ Reports 1986, para. 176.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
verteidigungsrecht ohne die engen Voraussetzungen des Art. 51 UNC, eine bewaffnete Repressalie, ein Notstandsrecht, eine Ersatzvornahme oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag herangezogen.24 Dem gegenüber steht die Auffassung der herrschenden Literatur, nach der Art. 2 Ziff. 4 UNC weit zu verstehen ist, also jede auf fremdem Territorium vorgenommene, unilaterale, nicht vom Sicherheitsrat autorisierte Gewaltanwendung umfasst.25 Art. 51 UNC ist danach neben Art. 39 ff. UNC die einzige Rechtfertigung für einen Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 UNC und bildet nur hinsichtlich der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs eine Ausnahme zum Verbot.26 Ein Rückgriff auf ein weitergehendes gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht ist danach nicht möglich. Zur Klärung dieser Streitfrage bedarf es vorab der Auslegung beider relevanter Chartanormen, um die Rechtsquellen für eine militärische Reaktion auf internationalen Terrorismus ermitteln zu können.
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Für eine eher eingeschränkte Reichweite des Gewaltverbots jedoch mit Unterschieden hinsichtlich der Einschränkungen: Insbesondere wird im Zusammenhang mit Terrorismus argumentiert, dass eine zeitlich begrenzte Anwendung von Gewalt gegen Terroristen nicht die territoriale Integrität eines Staates verletzte und daher mit der Charta vereinbar sein, So z. B. Travalio, Wisconsin International Law Journal 18 (2000), S. 166; Kühn, South Afrikan Yearbook of International Law 6 (1980), S. 49; aber auch allgemeiner Bowett, Self-Defence, S. 142; Wengler, Gewaltverbot, S. 13; Dahm, Jahrbuch für Internationales Recht 11 (1962), S. 50 ff.; Reisman, AJIL 78 (1984), S. 642 ff.; D’Amato, AJIL 84 (1990), S. 520. Für eine Annahme eines über den Anwendungsbereich des Art. 51 UNC hinausgehenden völkergewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechtes siehe z. B. Bowett, Self-Defence, S. 46 ff. 25 Für diese weite Auslegung: Randelshofer, in: Simma, Art. 2 Ziff. 4, Rn. 34 f.; Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 265 ff.; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 14; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 15; Berber, Völkerrecht II, S. 42 ff.; Beyerlin, ZaöRV 27 (1977), S. 217; Schulze, in: Wolfrum, Handbuch Vereinte Nationen, S. 759 f.; Derpa, Gewaltverbot, S. 31; Berber, Völkerrecht II, S. 43; Frowein, Académie de droit international des La Haye (Hg.), Terrorisme International, S. 64. 26 So etwa vertreten von: Dinstein, Self-Defense, S. 185 f.; Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 270 ff.; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 16 f.; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 287, § 470; Randelszhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 14; Cassese, in: Cot/Pellet, S. 774 ff.; Schulze, in: Wolfrum, Handbuch Vereinte Nationen, S. 755, Rn. 9; Beyerlin, ZaöRV 37 (1977), S. 219 ff.; Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 758 f.; sowie weitere Nachweise bei Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 170, Fn. 710.
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III. Wortlaut 1. Artikel 2 Ziffer 4 UNC Es stellt sich zunächst die Frage, ob die in Art. 2 Ziff. 4 UNC verwandte Formulierung, dass die Gewaltandrohung oder -anwendung „gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit [gerichtet] oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen“ unvereinbar sein muss, jede Gewaltanwendung gegen ein fremdes Territorium einschließt oder mit der UNC vereinbare Gewaltanwendungen schon aus dem Tatbestand des Art. 2 Ziff. 4 UNC ausgrenzt. Sowohl die französische Version („l’emploi de la force“) wie auch die englische Fassung („the threat or use of force“) gehen zunächst von jeder Anwendung von Gewalt aus, ohne diese direkt einzugrenzen. Legt man nun die Betonung auf „jede“ Gewalt, so könnte die anschließende Ergänzung als beispielhafte Aufzählung besonders deutlicher und schwerwiegender Verletzungen gedeutet werden.27 Unter territorialer Unversehrtheit als erste Alternative der Aufzählung in Art. 2 Ziff. 4 UNC wäre dann die territoriale Unverletzlichkeit zu verstehen.28 Dem ist jedoch entgegen zu setzen, dass in Art. 2 Ziff. 4 UNC gerade nicht die Begriffe „inviolability“ bzw. „inviolabilité“ verwandt werden sondern auf die territoriale Unversehrtheit („integrity“ bzw. „intégrité“) abgestellt wird. Dies deutet darauf hin, dass mit der ersten Alternative nur Gewalteinsätze mit Aneignungsabsicht gemeint sind29 und möglicherweise solche, die alleine aufgrund großer Wirkung des Gewalteinsatzes zu einer Beeinträchtigung der Unversehrtheit führen.30 Eine ähnliche Begrenzung könnte sich dem Wortlaut nach hinsichtlich der in Art. 2 Ziff. 4 UNC genannten zweiten Alternative, der politischen Unabhängigkeit, ergeben, wonach zeitlich eng begrenzte Gewalteinsätze mit geringem Umfang ungeeignet sind, die politische Unabhängigkeit eines Staates zu beeinträchtigen.31 Folgt man der engen Wortlautauslegung von territorialer Integrität und politischer Unabhängigkeit, wonach nicht jeder Gewalteinsatz auf fremdem Territorium davon erfasst wird, so kommt es maßgeblich auf die dritte Alternative, also die Fälle der mit den Zielen der Charta unvereinbaren Ge27 Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 15; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 469; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 14. 28 Schindler, BDGV 26 (1986), S. 14. 29 Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 149. 30 Bowett, Self-Defence, S. 150 f.; Dahm, Jahrbuch für Internationales Recht 11 (1962), S. 50. 31 Dahm, Jahrbuch für Internationales Recht 11 (1962), S. 50.
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waltanwendung, an. Betrachtet man jede unilaterale Gewaltanwendung als einen mit den Zielen der Charta unvereinbaren Akt, so ergibt sich danach ein umfassendes Gewaltverbot. Andernfalls würde das Gewaltverbot zugunsten anderer in der Charta normierten Ziele eingeschränkt werden.32 Denkbar wäre etwa, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als gemeinsames Ziel der Staatengemeinschaft zu betrachten, wie es gerade in letzter Zeit immer wieder geschehen ist, mit der Konsequenz, dass Gewaltanwendungen jedenfalls gegen terroristische Gruppierungen aus dem Tatbestand des Art. 2 Ziff. 4 UNC entfielen. Dies ist jedoch schon aus dem Grund zweifelhaft, dass, wie bereits im Rahmen der definitorischen Analyse dargestellt, keine Einigkeit über das Phänomen des Terrorismus besteht. Insofern ist eine Überordnung des Ziels der Bekämpfung des internationalen Terrorismus über das Ziel der Verhinderung von Gewalt in internationalen Beziehungen bereits unwahrscheinlich. Die Annahme, dass jede unilaterale Gewaltanwendung mit den Zielen der Charta unvereinbar ist, ergibt sich jedoch nicht zwingend aus Art. 1 Ziff. 1 UNC, da der Aussagegehalt der Norm hinsichtlich unilateraler Gewaltanwendungen nicht eindeutig ist.33 Auch aus Abs. 7 der Präambel ergibt sich insofern keine Klärung, als er zu allgemein gehalten ist und letztlich auf Art. 2 Ziff. 4 UNC verweist.34 Nach dem Wortlaut des Art. 2 Ziff. 4 UNC erscheint es daher noch möglich, dass nicht jede unilaterale Gewaltanwendung auf fremdem Territorium dem Gewaltverbot unterfällt. 2. Artikel 51 UNC Hauptansatzpunkt zur Begründung eines über den Fall des bewaffneten Angriffs hinausgehenden gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechtes ist der Ausdruck des „naturgegebenen“ Rechts in Art. 51 UNC. Zum Teil wird im Schrifttum vertreten, dass die Formulierung „Nothing in the present Charter shall impair the inherent right of individual or collective self-defence“ das Selbstverteidigungsrecht in seinem vor Geltung der Charta gewohnheitsrechtlich gültigen Umfang mit einschließe.35 Das be32 So beispielsweise die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen Jeane Kirkpatrick im Zusammenhang mit der Invasion der USA in Grenada 1983, UN Doc. SCOR, 38th year, 2491st mtg., UN Doc. S/PV.2491, S. 31. 33 Siehe ausführlich bei Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 150 f.; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 173. A.A. Kelsen, Principles of international Law, S. 35; Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen, S. 13 f. 34 So überzeugend Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 174. 35 Bowett, Self-Defence, S. 184.
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reits vor der Gründung der Charta gewohnheitsrechtlich geltende Recht auf Selbstverteidigung umfasste beispielsweise nach weit verbreiteter Auffassung den Schutz eigener Staatsangehöriger und ein Recht auf präventive Selbstverteidigung.36 Diese Auffassung vermag jedoch hinsichtlich der Wortlautauslegung nicht zu überzeugen, da Art. 51 UNC lediglich das Selbstverteidigungsrecht im Falle eines bewaffneten Angriffs als „inherent“ qualifiziert.37 Der IGH vertrat im Nicaragua-Urteil die Auffassung, dass durch den Begriff „inherent“ auf das gewohnheitsrechtlich verankerte Selbstverteidigungsrecht verwiesen werden solle, dieses jedoch nur im Falle eines bewaffneten Angriffs zur Anwendung komme.38 Dementsprechend käme ein Anwendungsbereich des gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechtes über den bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNC hinaus nicht in Betracht. Des Weiteren wird vertreten, dass die Wortwahl nur zum Ausdruck bringe, dass das Selbstverteidigungsrecht ein Naturrecht sei und nicht zum positiven Recht gehöre, mithin dem Wort diesbezüglich keine Bedeutung zukomme.39 Möglich erscheint weiter, dass in dem Wort lediglich die fundamentale Bedeutung des Rechts zum Ausdruck kommen soll oder dass damit lediglich gemeint ist, dass das Selbstverteidigungsrecht sowohl von einem Mitgliedstaat wie auch von Nichtmitgliedstaaten der Vereinten Nationen geltend gemacht werden kann.40 Da die drei letztgenannten Ansätze jedenfalls insofern miteinander vereinbar sind, als sie ein gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht zwar zum Teil anerkennen, dieses jedoch nicht weitergehender ist als das in Art. 51 UNC normierte, ist eine eingehende Auseinandersetzung entbehrlich. Des Weiteren wird aus dem Passus „nothing shall impair“ geschlossen, dass der erste Teil des ersten Satzes des Art. 51 UNC rein deklaratorischer Natur sei, ein Recht auf Selbstverteidigung somit auch über den Fall des 36 Ronzitti, Rescuing Nationals Abroad, S. 21 ff.; Franzke, ÖZÖR 16 (1966), S. 144 ff.; Bowett, Self-Defence, S. 94 sowie weitere Nachweise bei Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 257; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 39; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 239. 37 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 176. 38 IGH, Nicaragua-Urteil, ICJ Reports 1986, S. 94, para. 176, der aus dem Verweis auf das gewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht insbesondere die gewohnheitsrechtlich entwickelten Voraussetzungen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ableitet und in Art. 51 UNC mit einbezieht. 39 Kelsen, The Law of the United Nations, S. 791. 40 Malanczuk, in: Spinedi, S. 244.
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bewaffneten Angriffs hinausgehend ausgeübt werden könne und in der Voraussetzung des bewaffneten Angriffs nur eine partielle Klarstellung des bestehenden Selbstverteidigungsrechtes zu sehen sei.41 Eine solche Deutung ergibt jedoch wenig Sinn, da dann der bewaffnete Angriff als eindeutigster Fall der Selbstverteidigung klargestellt würde, während hingegen weit weniger eindeutige Fälle unerwähnt blieben.42 Als weiterer Ansatzpunkt für ein über Art. 51 UNC hinausgehendes völkergewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht wird dem Ausdruck „if an armed attack occurs“ entnommen, dass er mangels eines Zusatzes wie etwa „lediglich/nur im Falle eines bewaffneten Angriffs . . .“ („only“ bzw. „seulement“) rein exemplarischen Charakter habe, jedoch nicht abschließend sei.43 Doch überzeugt diese Auslegung wenig, da gerade im Falle einer exemplarischen Bedeutung diese oftmals durch einen Zusatz wie „insbesondere“ kenntlich gemacht wird.44 Im Übrigen kommt dann der ausdrücklichen Nennung dieser Voraussetzung keinerlei Bedeutung mehr zu. Auch die zeitliche Begrenzung des Selbstverteidigungsrechtes bis zu dem Moment, in dem der Sicherheitsrat die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, liefe danach leer, es sei denn, dass die zeitliche Grenze auch im Rahmen einer dann nur vorher möglichen gewohnheitsrechtlichen Erweiterung berücksichtigt würde.45 Nach Auslegung des Wortlauts ergibt sich daher insgesamt, dass ein gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht über die in Art. 51 UNC normierten Voraussetzungen nicht als Rechtfertigungsansatz für Gewalteinsätze dienen kann. IV. Systematik Ginge man hingegen davon aus, dass nicht jede unilaterale Gewaltanwendung auf fremdem Territorium dem Gewaltverbot unterfiele, hätte Art. 51 UNC rein deklaratorische Bedeutung, da in diesem Fall eine legale Möglichkeit der Gewaltanwendung auch unabhängig von dem Vorliegen eines 41 Waldock, RdC 81 (1952-II), S. 496 f.; Schwebel, RdC 136 (1972-II), S. 480 f.; Bowett, Self-Defence, S. 188. 42 Dinstein, Self-Defense, S. 185; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 175 f. 43 von Lersner, HuV 12 (1999), S. 163; Schwebel, RdC 136 (1972-II), S. 480. 44 Dinstein, Self-Defense, S. 185; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 175. 45 So von Lersner, HuV 12 (1999), S. 163, der in dem betreffenden Passus des Art. 51 UNC lediglich eine zeitliche Begrenzung sieht, jedoch keine Aussage über die vorherige Anwendbarkeit der gewohnheitsrechtlichen Regeln neben Art. 51 UNC erkennt.
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bewaffneten Angriffs bestünde. Dadurch bekäme Art. 51 UNC wie im Rahmen der Wortlautauslegung gezeigt eine unplausible Gesamtaussage.46 Anders hingegen verhält es sich, legt man den konstitutiven Charakter der in Art. 51 UNC enthaltenen Rechtfertigung für Gewalteinsätze zugrundelegt, demzufolge auch gewaltsame Selbstverteidigungsmaßnahmen – und damit a fortiori andere Gewalteinsätze zu nicht-aggressiven Zwecken – zunächst tatbestandlich dem Gewaltverbot unterfallen.47 Zwar folgt daraus, dass der in Art. 2 Ziff. 4 UNC enthaltene Passus, der eine „gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare“ Androhung oder Anwendung von Gewalt fordert, letztlich rechtlich bedeutungslos wird, dennoch bliebe die Gesamtaussage von Art. 2 Ziff. 4 UNC stimmig. Darüber hinaus zeigt auch das System des Kapitel VII insgesamt mit den in Art. 39 ff. UNC normierten Rechten und Pflichten des Sicherheitsrates als Hauptverantwortungsträger für die Wahrung des Weltfriedens, dass diese die einzigen Ermächtigungsgrundlagen für Gewalteinsätze darstellen soll. Bei einer Einschränkung des Gewaltverbots im Tatbestand würden diese Regelungen ebenfalls zum Teil obsolet werden.48 Durch die Regelungen über die Verantwortung des Sicherheitsrates in Art. 51 UNC sowie durch die Eröffnung kollektiver Selbstverteidigungsmöglichkeiten erhält das Selbstverteidigungsrecht neben dem Erfordernis des bewaffneten Angriffs weitere Voraussetzungen, die dessen Geltungsbereich im Vergleich zum gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrecht verändert und zum Teil sogar erweitert haben.49 Dies zeigt, dass eine Veränderung des vorher gewohnheitsrechtlich bestanden Rechts gewollt war und durch die Erweiterung auf der einen Seite auch eine Beschränkung auf der anderen Seite nicht der Formulierung des naturgegebenen Rechts widerspricht. Insgesamt sprechen daher die besseren Argumente dafür, die Auslegung von Art. 2 Ziff. 4 UNC im Sinne eines umfassenden Gewaltverbots und Art. 51 UNC unter den dort normierten Voraussetzungen ohne Möglichkeit eines neben Art. 51 UNC bestehenden gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechtes über den Fall des bewaffneten Angriffs hinaus entsprechend der herrschenden Lehre zu konstatieren.
46 47 48 49
Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 177. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 177. Kreß, ZaöRV 57 (1997), S. 333. Alexandrov, Self-Defense, S. 95.
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V. Teleologische Auslegung Durch die Auslegung der Charta nach Sinn und Zweck soll dem Vertrag die größtmögliche Effektivität verliehen werden.50 Nach der effet utile-Regel ist diejenige von mehreren Interpretationen zu wählen, die dem Zweck des Vertrages am besten gerecht wird.51 Für ein gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht neben Art. 51 UNC mit erweiterten Voraussetzungen ließe sich anführen, dass ein Ausgleich geschaffen werden könnte, zwischen dem Ziel, allen unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden, in denen eine Gewaltanwendung als Mittel zur Sicherung einer stabilen Welt unerlässlich scheint, und dem anderen Ziel, der Gefahr zu entgehen, das Selbstverteidigungsrecht als juristische Legitimation für jedwedes gewaltgeprägtes Handeln zu missbrauchen. Dieses erfährt sein Korrektiv durch die Überprüfung anhand des Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.52 Denn denkbar erscheint zumindest, dass gerade durch das Bewusstsein der Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates in vielen Fällen eine „Regelungslücke“ im System der Charta entstanden ist, die dazu einlädt, gewaltsame Übergriffe unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs zu unternehmen, in der Vorstellung, der Opferstaat könne sich zumindest nicht mit Gewalt dagegen zur Wehr setzten.53 Eine Verengung des Gewaltverbotstatbestandes oder eine Erweiterung der Rechtfertigungsgründe erscheint dadurch gerade notwendig, um einer denkbaren Destabilisierung des Weltfriedens entgegenzuwirken.54 Dem steht jedoch die Gefahr gegenüber, mit einem Angebot an weiteren Ausnahmen zum Gewaltverbot auch rechtsmissbräuchliche Gewaltanwendungen rechtfertigen zu können.55 Ein Ausufern der Rechtfertigungsgründe oder auch schon tatbestandlichen Eingrenzung des Gewaltverbots und eine damit einhergehende Rechtsunsicherheit56 liegt auf der Hand und könnte allenfalls durch das Aufstellen strenger Voraussetzungen und restriktive Auslegung derselben eingegrenzt,57 jedoch nicht behoben werden. Durch die Einfüh50
Vergleiche Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 11, Rn. 10. Ress, in: Simma, Interpretation, Rn. 35; Bernhardt, S. 97; abweichende Meinung des Richters de Visscher, IGH, International Status of South-West Africa (Advisory Opinion), ICJ Reports 1950, S. 187. 52 Sofaer, Columbia Journal of Transnational Law 29 (1991), S. 282 f.; Tomuschat, EA 36, (1981), S. 326. 53 Kunz, AJIL 54 (1960), S. 339 ff. 54 Tomuschat, EA 36 (1981); von Lersner, HUV 12 (1999), S. 164. 55 Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 273; Derpa, Gewaltverbot, S. 115 f. 56 Etwa Epping, AöR 124 (1999), S. 461, der diese Problematik anhand des Rechtfertigungsgrundes „Schutz eigener Staatsangehöriger“ diskutiert. 51
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rung weiterer Erlaubnistatbestände zur Gewaltanwendung könnte ein Zustand ähnlich dem vor Gründung der Charta entstehen, in dem es den Staaten möglich war, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen.58 Der Charta wäre demnach mit einem umfassenden Gewaltverbot und einem auf den Fall des bewaffneten Angriffs begrenzten Selbstverteidigungsrecht ohne daneben bestehendem gewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht, welches über die Voraussetzung des bewaffneten Angriffs hinausgeht, die größtmögliche Effektivität zur Schaffung einer Friedensordnung verliehen. Dies ist allerdings nur unter dem Vorbehalt eines effizienten kollektiven Verteidigungssystems zu gewährleisten. Dieser Vorbehalt müsste dann im Rahmen einer Auslegung des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UNC berücksichtigt werden. VI. Entstehungsgeschichte Während der Konferenz von Dumbarton Oaks enthielt der zukünftige Art. 2 Ziff. 4 UNC keinen Passus zur territorialen Unversehrtheit, ebenso wenig zur politischen Unversehrtheit. Er normierte lediglich das Verbot von Androhungen und Anwendungen von Gewalt, die in irgendeiner Weise mit den Zwecken der Organisation unvereinbar seien.59 Aufschluss darüber, ob jede unilaterale Gewaltanwendung verboten sein sollte, bieten die amerikanisch-chinesischen Verhandlungen, wonach zwischen beiden Staaten Einigkeit dahingehend bestand, dass ausschließlich Selbstverteidigungsmaßnahmen als einzige Form unilateraler, gerechtfertigter Gewaltanwendungen zulässig bleiben sollten.60 Art. 2 Ziff. 4 UNC erhielt seine jetzige Gestalt erst während der Verhandlungen im Rahmen der Gründungskonferenz von San Francisco auf Vorschlag Australiens, da sich mehrere kleine Staaten für die Einfügung einer 57
So z. B. im Hinblick auf die humanitäre Intervention der Vorschlag Delbrücks, Friedens-Warte 74 (1999), S. 148 f. 58 Epping, AöR 124 (1999), S. 462; Beyerlin, ZaöRV 37 (1977), S. 224. 59 „All members of the Organization shall refrain in their international relations from the threat or use of force in any manner inconsistent with the purpose of the Organization.“, UNCIO Documents III, S. 3. 60 „Dr. Koo asked whether it would be possible under the document for either member or not-member states to use force unilaterally under the claim that such action was not inconsistent with the purposes of the Organisation. He seemed satisfied with the explanation that, except in cases of self-defence, no unilateral use of force could be taken without approval to the Council. In this connection Mr. Victor Hoo, Vice-Minister of Foreign Affairs, desired explicit assurance that use of force in cases of self-defence would not be regarded as inconsistent with the purposes of the Organization.“, Foreign Relations of the United States, Diplomatic Paper 1944, I, S. 862.
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Besitzstandsklausel entsprechend Art. 10 Völkerbundsatzung ausgesprochen hatten.61 Ziel des Zusatzes war es jedoch nicht, eine Änderung des in Dumbarton Oaks gefassten Entschlusses, jede unilaterale Gewaltanwendung in den Tatbestand mit einzubeziehen, zu erreichen.62 Die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Ziff. 4 UNC bestätigt mithin die Auffassung der herrschenden Lehre von einem umfassenden Gewaltverbot ohne jegliche Einschränkung. Weniger eindeutig ist die Entwicklung des Art. 51 UNC. Die Norm hat ihren Ursprung in der Sorge zahlreicher amerikanischer Staaten um die Vereinbarkeit der im Akt von Chapultepec63 vorgesehenen Befugnis zu kollektiver Gewaltanwendung mit der Charta der Vereinten Nationen. Während sich aus der Entstehungsgeschichte ein Konsens dahingehend ergibt, dass die Staaten eine von einer Ermächtigung des Sicherheitsrates unabhängigen Befugnis zur Ausübung eines kollektiven Selbstverteidigungsrechtes durch Regionalpakte wie den Akt von Chapultepec für den Fall des bewaffneten Angriff sichern wollten, die Befugnis aber gleichzeitig auf diesen Fall begrenzen wollten, sind die Erkenntnisse zum individuellen Selbstverteidigungsrecht nicht eindeutig und daher in der Literatur oftmals Gegenstand von Spekulationen.64 Fragen zur Weite des individuellen Selbstverteidigungsrechtes wurden nicht erörtert, so dass eine Übertragung der Begrenzung der kollektiven Selbstverteidigung auf den Fall des bewaffneten Angriffs auch auf die individuelle Variante nicht zwingend ist, wenngleich die fehlende Differenzierung der schließlich verabschiedeten Norm dies vermuten lässt. Zudem ist die historische Auslegung gemäß Art. 32 WVK nur subsidiär zu berücksichtigen. VII. Ergebnis und Folgen Es sprechen daher nach nicht eindeutigem Wortlaut die systematischen Erwägungen und der Telos von Art. 2 Ziff. 4 und Art 51 UNC für die herrschende Lehre, wonach jede auf fremdem Territorium vorgenommene unilaterale Gewaltanwendung ein Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 UNC darstellt und nur dann ausnahmsweise erlaubt ist, wenn ein bewaffneter Angriff vorliegt, der ein Recht auf Selbstverteidigung im Sinne des Art. 51 UNC aus61
Siehe ausführlich dazu Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen, S. 8 ff. UNICO Docs. VI, S. 334 f.; dazu auch Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 266 ff. 63 Text in General Secretariat of the Organization of American States (Hg.), The Inter-American System I 2, S. 270 ff. 64 Siehe dazu ausführlicher Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 180 ff. mit Nachweisen für die jeweiligen Meinungen. 62
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löst. Unterstützt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Ziff. 4, hinsichtlich Art. 51 UNC spricht sie wenigstens nicht gegen eine solche Auslegung. Auszuschließen sind aufgrund der Auslegungsergebnisse ein über das in Art. 51 UNC hinausgehendes gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht ohne Vorliegen eines bewaffneten Angriffs sowie ungeschriebene Ausnahmen vom Gewaltverbot oder Ausnahmen wie etwa Notstand, bewaffnete Repressalie oder die Rechtfertigungskonstruktionen über eine Geschäftsführung ohne Auftrag. Nach dem ermittelten Auslegungsergebnis kann gegen terroristische Anschläge – einmal von Maßnahmen nach Kapitel VII abgesehen – militärisch nur dann vorgegangen werden, wenn der Staat, der solchen Anschlägen ausgesetzt ist, ein Recht auf Selbstverteidigung gemäß den Voraussetzungen des Art. 51 UNC hat. Daher bedarf es einer genaueren Analyse der Voraussetzungen des Art. 51 UNC im Einzelnen. Andere Rechtfertigungsmöglichkeiten oder ein tatbestandlicher Ausschluss terroritischer Anschläge aus dem Anwendungsbereich des Gewaltverbots kommen hingegen nach der Auslegung nicht mehr in Betracht.
B. Die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes I. Der bewaffnete Angriff im Sinne des Artikel 51 UNC Die Schlüsselrolle in Art. 51 UNC nimmt der „bewaffnete Angriff“, als Voraussetzung, dass sich ein Staat auf das Selbstverteidigungsrecht berufen kann, ein. Nach der oben dargestellten Auslegung kommt ein über den Wortlaut des bewaffneten Angriffs hinausgehendes Selbstverteidigungsrecht nicht in Betracht, so dass diese Voraussetzung maßgebend ist und seine Voraussetzungen klar bestimmt werden müssen, um den Ausnahmecharakter dieses Rechts zu untermauern. Obwohl der Begriff „Angriff“ mehrfach in der Charta verwandt wird, so etwa in Art. 1 Nr. 1, 39, 51 und 53 UNC, findet sich jedoch keine Präzisierung bzw. Legaldefinition.65 Auch die 1974 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete Resolution 3314 (XXIX), die sich in ihrem Anhang um eine Definition des Begriffes „Aggression“ bemüht, brachte keine eindeutige Klärung, da eben nur dieser Begriff, nicht hingegen der davon zu unterscheidende Begriff „bewaffneter Angriff“ definiert wird, wenngleich der IGH den Fall des Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition als Beispiel für das Vorliegen eines be65 Zu den Bemühungen der Definition siehe im einzelnen Bruha, Aggressionsdefinition, S. 51 ff.
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waffneten Angriffs nannte.66 Dementsprechend sind auch nach überwiegender Auffassung die Begriffe „armed attack“ und „act of aggression“ nicht inhaltsgleich, vielmehr ist ersterer gegenüber letzterem enger zu verstehen.67 Unstreitig gehören jedenfalls die in der Aggressionsdefinition beispielhaft genannte Beschießung oder die Bombardierung des Hoheitsgebietes eines Staates, die Blockade seiner Häfen oder Küsten und ein Angriff auf seine Streitkräfte durch die eines anderen Staates zum Begriff des bewaffneten Angriffs.68 Was darüber hinaus unter dem Begriff des bewaffneten Angriffs im Sinne der Art. 51 UNC zu verstehen ist, soll anhand einzelner Kriterien im Folgenden geklärt werden. 1. Das Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs im Rahmen von Artikel 51 UNC Unstreitig liegt dann ein bewaffneter Angriff vor, wenn eine Gewaltanwendung einem Staat zuzurechnen ist. Anhaltspunkte für die Zurechenbarkeit eines Verhaltens zu einem Staat ergeben sich aus dem 2001 vorläufig fertiggestellten Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit der International Law Commission.69 Gemäß Art. 4 ILC-Entwurf ist das Handeln staatlicher Organe dem Staat zuzurechnen. Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen sind jedoch die Reaktionsmöglichkeiten auf internationalen Terrorismus und somit also die Frage, wann und in welchem Maße ein Recht zur Selbstverteidigung auf dem Territorium eines anderen Staates gegen dessen Willen in Folge von Gewaltanwendungen Privater besteht. Bis 2001 wie auch gegenwärtig ist der Grundsatz sowohl in der Literatur wie auch in der Praxis der Vereinten Nationen unbestritten, dass auch sogenannte „indirekte Gewaltanwendungen“ einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNC begründen können. Indirekte Gewalt meint dabei, dass ein Staat nicht direkt als Aggressor auftritt, sondern die Gewalt von Privaten ausgeübt wird, die nicht dem Begriff des de iure-Organs eines 66
ICJ Reports 1986, S. 103, § 195. Zur Bewertung der Aggressionsdefinition als wertvolle Hinweisgeber, Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 20; Schindler, DGVR 26 (1986), S. 16, 33. 67 Bowett, Self-Defence, S. 192; Wengler, Gewaltverbot, S. 7; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 16, mit Nachweisen aus dem Sonderausschuss zur Erarbeitung der Aggressionsdefinition und viele mehr. 68 Siehe statt vieler Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28. 69 Da der vorläufig endgültige Entwurf über die Regeln der Staatenverantwortlichkeit im November 2001 und damit nach den Ereignissen des 11. September 2001 angenommen wurde, wird hier auf eine genaue Darstellung der alten Regeln verzichtet und auf den S. 215 ff. näher auf diese Regelungen eingegangen.
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Staates oder eines de facto-Regimes unterfallen. Dies ist schon allein deshalb notwendig, da nicht zu erklären wäre, warum staatlich organisierter Terrorismus ein Recht auf Selbstverteidigung zulässt, nicht hingegen eine staatliche Verwicklung in terroristischen Organisationen, die ihrerseits Gewalt ausüben. Dem Staat, der terroristische Handlungen begehen will, stünde dann die Möglichkeit offen, sich Privater zu bedienen, ohne dass dem Staat, der sich den terroristischen Handlungen ausgesetzt sieht, eine Möglichkeit zur militärischen Reaktion bliebe, weil der „Täterstaat“ durch sein Dazwischenschalten von Privaten aus seiner Verantwortlichkeit geflüchtet wäre. Nach der ganz überwiegenden Auffassung des Schrifttums jedenfalls bis 2001 kann jedoch nicht auf eine Zurechnung privater Handlungen zu einem Staat verzichtet werden.70 Umstritten ist jedoch, unter welchen Voraussetzungen Gewaltakte Privater dem Staat zugerechnet werden können. Zu unterscheiden sind in diesem Zusammenhang folgende Konstellationen: Ein Staat entsendet Private von seinem Territorium aus auf das Territorium eines anderen Staates zur Begehung terroristischer Akte (Entsendekonstellation), die Unterstützung eigeninitiierter Gewalthandlungen einer terroristischen Organisation durch einen Staat (Unterstützungskonstellation), das Dulden trotz Möglichkeit der Verhinderung, dass ein Staat als Basis und Ausgangspunkt bewaffneter terroristischer Gewaltakte dient (Duldungskonstellation), sowie die Unfähigkeit des Basenstaats zur Verhinderung terroristischer Gewaltakte (Unfähigkeitskonstellation).71 Da weder das Gewaltverbot noch das Selbstverteidigungsrecht in der Charta Aufschluss über die Frage gibt, in welchen Konstellationen eine Zurechenbarkeit des bewaffneten Angriffs Privater zu einem Staat besteht, bedarf es gemäß Art. 31 Nr. 3 b) WVK des Rückgriffs auf die spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages. Daher soll anhand exemplarischer Staatenpraxisbeispiele, die in diesem Zusammenhang immer wieder Anlass zur Diskussion gegeben haben, sowie der wichtigsten Urteile im Folgenden die bis 2001 herrschende Ansicht zu den jeweiligen Konstellationen kurz dar70
Jennings/Watts, International Law, vol. I/1, S. 418; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28; Bowett, Self-Defence, S. 9; Derpa, Gewaltverbot, S. 94. 71 Eine Einteilung generell für die Zurechnung privater bewaffneter Gewalt zu einem Staat in ähnliche Konstellationen erstmals bei Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 712 f.; differenzierter dann Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 24. Die von Kreß noch vorgenommene Einteilung in Entsendeförderungskonstellation sowie die zusätzliche Anstiftungskonstellation werden im Zusammenhang mit terroristischen Akten nicht diskutiert, da sie sich auf bewaffnete nicht-staatliche Gruppierung die mit herkömmlicher Kriegsmethoden kämpfen beziehen, jedoch auf terroristische Akte nicht übertragbar sind.
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gestellt werden. Eine abschließende Bewertung erfolgt erst im dritten Kapitel nach der Darstellung der neueren Staatenpraxis. a) Staatenpraxis zu den Zurechnungskonstellationen Neben Ländern wie Portugal, Südafrika, der Türkei, dem Senegal, Thailand und Tadschikistan, die sich in eher vereinzelten Fällen auf ein Recht zur militärischen Bekämpfung von terroristischen Gruppierungen und Guerillas berufen haben,72 sind Israel und die Vereinigten Staaten von Amerika hauptsächliche Befürworter eines solchen Rechts. Vor allem der Nahost-Konflikt hat dazu geführt, dass insbesondere Israel von terroristischen Anschlägen betroffen war. Israel hat daraufhin seit Mitte der sechziger Jahre zumeist durch örtlich und zeitlich begrenzte militärische Reaktionen auf benachbarten Gebieten, insbesondere durch Luftangriffe auf mutmaßliche terroristische Lager und Ausbildungsstätten versucht, den jeweiligen Bedrohungen und Anschlägen zu begegnen.73 aa) Militärischer Einsatz Israels im Libanon 1981 Exemplarisch für einen solchen Einsatz aufgrund terroristischer Aktivitäten sind die militärischen Handlungen Israels im Jahre 1981. Israel versuchte Luftangriffe auf den Libanon mit dem Ziel, Führungskräfte der PLO wegen terroristischer Aktivitäten in Nordisrael zu eliminieren, mit Art. 51 UNC zu rechtfertigen. Israel betonte, dass es die Souveränität Libanons anerkenne, jedoch „under international law, if a State is unwilling or unable to prevent the use of its territory to attack another State, that latter State is entitled to take all necessary measures in its own defence.“74 Die Angriffe auf den Libanon richteten sich ausschließlich gegen Trainingscamps und andere Einrichtungen von PLO-Terroristen.75 Der Libanon verurteilte den 72
Eine umfassende Darstellung soll im Folgenden nicht geschehen. Diese wurde bereits mehrfach dargestellt und analysiert. Vielmehr sollen nur einige exemplarische Konflikte, die in der Literatur oftmals herangezogen werden kurz Erwähnung finden. Zu Portugal, Südafrika und der Türkei ausführlicher Alexandrov, Self-Defense, S. 179; siehe zur weiteren Staatenpraxis, Franck, Recourse to Force, S. 53 ff. und umfassend bis 1993 auch Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 42 ff. 73 Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 45; Franck, Recourse to force, S. 53 ff. 74 SCOR, 36th year, 2292nd mtg., 17 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2292, S. 5, para. 54 (Mr. Blum/Israel). 75 SCOR, 36th year, 2292nd mtg., 17 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2292, S. 5, para. 56 (Mr. Blum/Israel).
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militärischen Einsatz Israels als Präventivschlag und betonte die nur geringe eigene Verwicklung in die gegen Israel gerichteten Gewaltakte nicht-staatlicher Akteure.76 Bei den nicht am Konflikt beteiligten Staaten stieß das militärische Vorgehen Israels größtenteils77 auf Ablehnung, wobei insbesondere der präventive Charakter der Maßnahme78 und die Verluste unter der Zivilbevölkerung als nicht verhältnismäßig79 kritisiert wurden. Zum Teil wurde des Weiteren auf das Recht auf Selbstbestimmung und auf das Recht Palästinas, einen unabhängigen Staat zu gründen, verwiesen.80 Kritik, die sich gegen das Stützen auf die angeblichen Unfähigkeit des Libanon zur Bekämpfung der Nutzung seines Staatsgebietes für Angriffsvorbereitungen gegenüber Israel als Grund für einen bewaffneten Angriff richtet, wurde nicht laut. Allerdings wurde im Sicherheitsrat die Resolution 490 einstimmig angenommen, die alle Beteiligten aufforderte, militärische Maßnahmen sofort einzustellen. Zudem bekannte sich der Sicherheitsrat zur Souveränität, territorialen Integrität und Unabhängigkeit des Libanon innerhalb seiner international anerkannten Grenzen.81 bb) Militärischer Einsatz Israels in Tunesien 1985 Ähnlich argumentierte Israel auch vier Jahre später und befürwortete damit wiederholt ein Recht auf Selbstverteidigung in der Duldungs- wie auch in der Unfähigkeitskonstellation. Am 1. Oktober 1985 zerstörte die israelische Luftwaffe das Hauptquartier der PLO in Hamman Aschatt, Tunesien. 76 SCOR, 36th year, 2292nd mtg., 17 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2292, S. 3, para. 23 (Mr. Saghiyyah/Lebanon). 77 Lediglich von Seiten der USA ist eine Verurteilung nicht ersichtlich. 78 So u. a. Sowjetunion, SCOR, 36th year, 2292nd mtg., 17 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2292, S. 9; Ägypten, SCOR, 36th year, 2293rd mtg., 21 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2293, S. 7; Liga der Arabischen Staaten, SCOR, 36th year, 2293rd mtg., 21 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2293, S. 11; ebenso Frankreich, SCOR, 36th year, 2293rd mtg., 21 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2293, S. 4, para 43, das ausführte: „France also intends most vigorously to condemn any resort to so-called pre-emptive actions that can certainly not be justified by any interpretation of Article 51 of the Charter.“ 79 So etwa Tunesien, Großbritannien, Ägypten, Syrien, China, Demokratische Volksrepublik Jemen, Jemen, SCOR, 36th year, 2293rd mtg., 21 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2293, S. 4 ff. Auch in der auf Vorschlag von Spanien, Irland und Japan entstandenen Sicherheitsratsresolution 490 (1981), die einstimmig angenommen wurde, wird in der Präambel auf die Verluste von Menschenleben verwiesen. 80 So z. B. die Deutsche Demokratische Republik, SCOR, 36th year, 2293rd mtg., 21 Juli 1981, UN Doc. S/PV.2293, S. 9, para 92. 81 SC Res. 490 vom 21. Juli 1981. Vergleiche dazu Levenfeld, Columbia Journal of Transnational Law 21 (1982/83), S. 1 ff.; Murphy, Harvard International Law 43 (2002), S. 46 m. w. N.; zu dem gesamten Konflikt, Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 86 ff.
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Israel argumentierte, das Hauptquartier sei für mehrere Terrorakte und Verbrechen gegen unschuldige Zivilisten, darunter die Ermordung von drei Israelis in Lanaka82, verantwortlich.83 Israel führte aus: „A country cannot claim the protection of sovereignty when it knowingly offers a piece of its territory for terrorist activity against other nations, and that is precisely what was happened here.“84 Die USA näherte sich der israelischen Auffassung an, indem sie von den Bombardierungen als legitime Repressalie sprach85 und jedem Staat das Recht zubilligte, gegen Terroristen zurückzuschlagen, „solange sie die richtigen Leute treffen“.86 Tunesien hingegen verurteilte die Luftangriffe, die auf ein Wohngebiet gerichtet gewesen seien und mehr als 50 Tote und ca. 100 Verletzte gefordert hätten, als Verstoß gegen die Genfer Konventionen und die UN-Charta.87 Es forderte den Sicherheitsrat auf, die Handlungen Israels zu verurteilen und Tunesien Ersatz für die erlittenen Schäden zuzusprechen.88 Wie auch schon 1981 fand die israelische Argumentation keinen Anklang bei der überwiegenden Mehrzahl der unbeteiligten Staaten.89 Der Sicher82 Am 25. September hatten drei mutmaßliche PLO-Terroristen im Hafen von Larnaka auf Zypern die drei Besatzungsmitglieder einer israelischen Jacht getötet, nachdem sie zuvor vergeblich die Freilassung von 20 Palästinensern verlangt hatten, die Israel vor der libanesischen Küste an Bord von aus Zypern kommenden Schiffen festgenommen hatte., vergleiche dazu Archiv der Gegenwart vom 1. Oktober 1985, 29207 B. 83 Archiv der Gegenwart, 29205 B, 1. Oktober 1985. 84 UN Doc. S/PV.2615, 40th year, 2615th mtg., S. 17, para 193 vom 4. Oktober 1985 (Mr. Netanyahu/Israel); ähnlich auch Verteidigungsminister Rabin gegenüber US-Botschafter Pickering, der ausführte „Tunesien hat dem Hauptquartier der PLO Zuflucht gewährt, und dieses Hauptquartier untersteht in keiner Weise den Anweisungen oder Gesetzen der tunesischen Regierung.“ in: Archiv der Gegenwart vom 1. Oktober 1985, 29206 B. 85 So der Sprecher des Weißen Hauses, Larry Speakes in einer 1. Stellungnahme, Archiv der Gegenwart vom 1. Oktober 1985, 29207 B. 86 Vgl. US-Präsident Reagan, Archiv der Gegenwart vom 1. Oktober 1985, 29207 B. 87 Brief des Permanent Representative Tunesiens an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 1. Oktober 1985, UN Doc. S/17509. 88 Brief des Permanent Representative Tunesiens an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 1. Oktober 1985, UN Doc. S/17509. 89 Konkrete Kritik an der Zurechnung lässt sich den eher allgemein gehaltenen Stellungnahmen nicht entnehmen. Die große Mehrheit der Staatengemeinschaft verurteilte den Angriff Israels aufs Schärfste und erklärte ihn für völkerrechtswidrig. Siehe z. B. Syrien, A/40/PV.16, S. 61; Algerien A/40/PV.16, S. 91; Pakistan A/40/PV.18, S. 38; Tschechoslowakei A/40/PV.18, S. 68; Kongo, A/40/PV.19, S. 23; Vereinigte Arabische Emirate, A/40/PV.19, S. 58; Weißrussland A/40/PV.26, S. 33; Malta, A/40/PV.31, S. 38; Indien A/40/PV.100, S. 12; DDR, A/40/PV.100, S. 63; Schweden A/40/PV.105, S. 7, die eine Rechtfertigung aufgrund von Art. 51 UNC ablehnten und als gefährlich betrachteten.
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heitsrat verurteilte in Resolution 573 vom 3. Oktober die Handlungen Israels mit 14 Stimmen bei Enthaltung der USA und stellte fest, dass Israel unter anderem die Charta der Vereinten Nationen verletzt habe.90 Zudem wurde Israel der Verletzung des Völkerrechts sowie der bewaffneten Aggression gegen tunesisches Territorium beschuldigt und Tunesien das Recht auf Entschädigung für die Verluste an Menschenleben und für materielle Schäden zuerkannt.91 cc) Militärischer Einsatz der USA in Tripolis und Bengasi 1986 Auch die USA liefern eine beeindruckende Anzahl an Staatenpraxisbeispielen92 für die Anerkennung verschiedenster Konstellationen der Zurechnung terroristischer Akte. Exemplarisch seien hier zunächst die militärischen Einsätze der USA in Tripolis und Bengasi im Jahre 1986 genannt. Anlass des Vorgehens war ein Anschlag in der Nacht zum 5. April 1986 auf die hauptsächlich von Amerikanern besuchte Diskothek „La Belle“ im damaligen West-Berlin. Dabei wurden zwei Menschen getötet, darunter ein US-Soldat, und 204 zum Teil schwer verletzt.93 Die USA reagierten im April 1986 mit Luftanschlägen gegen Trainingscamps der Terroristen und militärische Ziele in Libyen. Sie betrachteten ihr Vorgehen als durch Art. 51 UNC gerechtfertigt, da amerikanische Staatsangehörige einer Reihe von Anschlägen – verübt durch die Regierung Libyens – ausgesetzt seien, deren jüngster Angriff das Bombenattentat auf die Diskothek sei.94 Der amerikanische Vertreter Walters stellte im Sicherheitsrat u. a. auf die accumulation of events-Doktrin95 ab, ohne sie jedoch als solche zu benennen: „In 90
UN Doc. SC Res. 573 vom 4. Oktober 1985, operativer para. 1. UN Doc. SC Res. 573 vom 4. Oktober 1985, operativer para. 4. 92 Weiteres Beispiel war die Reaktion der USA 1985 im Zusammenhang mit der Archille Lauro-Entführung. Am 7. Oktober 1985 wurde das Kreuzfahrtschiff Archille Lauro entführt, wobei ein amerikanischer Staatsangehöriger getötet wurde. Nach zähen Verhandlungen mit den vier Terroristen an Board des Schiffes, die die Freilassung von 50 palästinensischen Inhaftierten aus israelischen Gefängnissen verlangten, konnten ägyptische Behörden diese dazu bewegen, aufzugeben. Ägypten sicherte den Entführern ungehinderte Ausreise zu, obwohl die USA verlangte, dass die vier Terroristen an einem souveränen Staat auszuliefern seien, um sie dort vor Gericht zu stellen. Daraufhin fing die US-Luftwaffe am 11. Oktober 1985 eine von Ägypten gecharterte Verkehrsmaschine über dem östlichen Mittelmeer ab und zwang sie zur Landung auf dem sizilianischen Stützpunkt Sigonella. An Bord befanden sich die vier Entführer, die anschließend von italienischen Behörden festgenommen wurden. Innerhalb des Sicherheitsrates wurde der Einsatz der USA kaum erwähnt. Siehe dazu näher Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 48 m. w. N. 93 Archiv der Gegenwart vom 5. April 1986, 29778 A. 94 UN SCOR, 2674th mtg, UN Doc. S/PV.2674 (15. April 1986), 13 ff. 95 Siehe dazu näher unten S. 269 ff. 91
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light of this reprehensible act of violence – only the latest in an ongoing pattern of attacks by Libya – and clear evidence that Libya is planning a multitude of future attacks, the United States was compelled to exercise its rights of self-defence.“96 Über die Art der Beteiligung Libyens an terroristischen Akten brachte er hervor: „In addition to the evidence of direct Libyan involvement in the bombing of the West Berlin night-club, the United States also has compelling evidence of Libyan involvement in other planned attacks against the United States in recent weeks, several of which were designed to cause maximum casualties, similar to the Berlin bombing.“97 Die USA warfen Libyen mithin eine direkte Mitwirkung an den terroristischen Angriffen vor. Auch Großbritannien sprach hinsichtlich der Verwicklung Libyens von „state-directed terrorism“.98 Daneben hatten die USA bereits im Vorfeld der Gewalteinsätze ihre Rechtsüberzeugung deutlich gemacht, auch in der „Unterstützungskonstellation“ Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen den verwickelten Staat ausführen zu dürfen.99 Eine Sicherheitsratsresolution scheiterte am Veto von Großbritannien, Frankreich und den USA, Venezuela enthielt sich der Stimme, die übrigen neun Mitglieder votierten dafür. Darin hieß es, dass der Sicherheitsrat den bewaffneten Angriff, den die USA unter Verletzung der UN-Charta und der internationalen Verhaltensnormen verübt habe, verurteile.100 Die Generalversammlung nahm eine Resolution, die ebenfalls die Luftangriffe verurteilte, mit 79 zu 28 Stimmen bei 33 Enthaltungen an.101 Kritik von einzelnen Staaten wurde vor allem an der Auslegung der USA, Art. 51 UNC erfasse auch bewaffnete Angriffe gegen Staatsangehörige,102 sowie an dem Rückgriff auf die accumualtion of events-Doktrin103 und der Unverhältnismäßigkeit der Militäraktion104 geübt, nicht jedoch an der Zurechnung.105
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UN SCOR, 2674th mtg, UN Doc. S/PV.2674 (15. April 1986), 17. UN SCOR, 2674th mtg, UN Doc. S/PV.2674 (15. April 1986), 17. 98 S/PV.2679, S. 18. 99 Siehe dazu ILM 25 (1986), S. 175: „By providing material support to terrorist groups which attack US citizens, Libya has engaged in armed aggression against the United States under established priciples of international law, just as if it had used its own forces.“ 100 Archiv der Gegenwart vom 15. Mai 1986, 29892 A. 101 Sharp, CJIL 1 (2000), S. 37. 102 So z. B. Nicaragua, S/PV.2680, S. 48; Ghana, S/PV. 2680, S. 32. 103 Thailand, S/PV.2682, S. 41; Madagaskar, S/PV.2677, S. 12 ff. 104 Beispielsweise Dänemark, S.PV.2682, S. 32. 105 Lediglich Ghana sprach sich dagegen aus, dass ausreichende Beweise für eine Zurechnung zu Libyen vorlagen, S/PV.2680, S. 32. 97
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dd) Militärischer Einsatz der USA gegen Irak 1993 Am 27. Juni 1993 griff die amerikanische Luftwaffe mit einem Raketenangriff die Geheimdienstzentrale in Bagdad an. Die USA rechtfertigten ihr Vorgehen damit, es gäbe Beweise, dass das Regime von Saddam Hussein für das am 14. April 1993 versuchte Attentat auf den ehemaligen Präsidenten Bush in Kuwait verantwortlich sei.106 Die USA beriefen sich bei ihrem Einsatz auf das Recht zur Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UNC107 und deuteten den Rückgriff auf die accumulation of events-Doktrin an: „Our response has been proportionate and aimed at a target directly linked to the operation against President Bush. It was designed to damage the terrorist infrastructure of the Iraqi regime, reduce its ability to promote terrorism and deter further acts of aggression against the United States.“108 Hinsichtlich der Verwicklung des Irak in das versuchte Attentat führte die USA aus, „that Iraq planned, equipped and launched the terrorist operation“109 und „that this assassination plot was directed and pursued by the Iraqi intelligence service.“110 Zurechnungsansätze waren danach eine Auftragserteilung seitens bestimmter Organe des Irak zusammen mit einer Unterstützung der Tatausführung. Eine konkrete Einteilung in die entsprechenden Konstellationen kann jedoch nicht vorgenommen werden, da das Attentat nicht gegen das Territorium des Zielstaates gerichtet war und insofern nicht dem hier untersuchten Gegenstand entspricht.111 Der Irak hingegen bezeichnete das militärische Vorgehen der USA als terroristischen Akt und sprach von einem „. . . totally unjustified act of aggression [that] has left a large number of dead and wounded among the Iraqi civilian population . . .“.112 Im Sicherheitsrat wurden die Handlungen der USA u. a. von Russland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Japan als gerechtfertigt betrachtet und von einer direkten Mitwirkung der irakischen Regierung an den versuchten Attentaten gesprochen.113 China hin106 Eine ausführliche Darstellung der Beweise erfolgte durch Albright vor dem Sicherheitsrat am 27. Juni 1993, 3245mtg. UN. Doc. S/PV.3245, S. 4 ff. 107 Brief des Permanent Representative der USA an den Präsidenten des Sicherheitsrates UN Doc. S/26003 vom 26. Juni 1993; UN Doc. S/PV.3245, 3245mtg. (27. Juni 1993), S. 6; Archiv der Gegenwart vom 27. Juni 1993, 37992 A. 108 UN Doc. S/PV.3245, 3245mtg. (27. Juni 1993), S. 6. 109 UN Doc. S/PV.3245, S. 3. 110 UN Doc. S/PV.3245, S. 4. 111 Siehe dazu unten S. 273 ff. 112 Brief vom 27. Juni 1993 des irakischen Außenministers an den Präsidenten des Sicherheitsrates, UN Doc. S/26004, S. 2. 113 UN Doc. S/PV.3245, S. 13 ff. (27. Juni 1993). Frankreich, S. 13: „directly involved“; Großbritannien, S. 21 „involvement of the Iraqi intelligence service“;
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gegen sprach sich ablehnend aus.114 Zu einem Beschluss im Sicherheitsrat kam es nicht. ee) Militärischer Einsatz der USA gegen Afghanistan und Sudan 1998 Am 7. August 1998 wurden gegen die amerikanischen Botschaften in der tansanischen Hauptstadt Daressalam und in der kenianischen Hauptstadt Nairobi fast zeitgleich Sprengstoffanschläge verübt, bei denen insgesamt 257 Menschen, darunter 12 Amerikaner, getötet und Tausende, u. a. auch Mitarbeiter der Vereinten Nationen, verletzt wurden.115 Nach Ermittlungen des FBI in Kooperation mit kenianischen und tansanischen Behörden sowie nach der Festnahme mehrerer Verdächtiger galt der saudische Geschäftsmann Usama bin Laden als Drahtzieher der Anschläge.116 Der Sicherheitsrat verurteilte die Anschläge einstimmig und rief alle Staaten zur Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen auf, um solche Terroranschläge zu verhindern und die Täter zu verfolgen und zu bestrafen.117 Die afghanischen Taliban-Milizen bekräftigten hingegen, Bin Laden, der sich zu der Zeit in Afghanistan befand, sei nicht in die Attentate involviert gewesen.118 Am 19. August 1998 griff die amerikanische Luftwaffe als Reaktion auf die Anschläge Ausbildungslager für muslimische Terrorgruppen in Afghanistan in der Nähe der Stadt Khost sowie eine – nach amerikanischer Erkenntnissen – Chemiewaffen erzeugende Fabrik im Sudan an, die als Teil des terroristischen Netzwerkes Bin Ladens betrachtet wurde.119 Der Sudan stritt hingegen ab, dass es sich um eine Fabrik, die Chemiewaffen produziert, handele sondern behauptete, die Fabrik stelle lediglich Medikamente her. Zu Bin Laden bestehe keinerlei Verbindung. Der Sudan beantragte umgehend eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates zur Verurteilung der ameSpanien, S. 24 „the Iraqi intelligence service were behind the attempt“; Japan, S. 16, „direct involvement of the Iraqi Government“. Weitere Staaten drückten in genereller Weise ihr Verständnis für die Handlungen der USA aus. Siehe ausführlicher hierzu: Condorelli, EJIL 5 (1994), S. 134; Reisman, EJIL 5 (1994), S. 120; Kritsiotis, ICLQ 45 (1996), S. 162; Gray, BYIL 65 (1994), S. 135. 114 Mr. Li Zhaoxing, UN Doc. S/PV.3245, S. 21 (27. Juni 1993). Auch die Türkei sprach sich für eine friedliche Lösung aus, äußerte jedoch zugleich ihre Unterstützung für die Bekämpfung des Terrorismus. 115 Archiv der Gegenwart vom 7. August 1998, 42976 A; eine Zusammenfassung der Ereignisse und Analyse in: Murphy, AJIL 93 (1999), S. 161 ff.; Wedgwood, Yale Journal of International Law 24 (1999), S. 559. 116 UN Doc. S/1998/780 vom 20. August 1998. 117 SC Res. 1189 vom 13. August 1998. 118 Archiv der Gegenwart vom 7. August 1998, 42979 A. 119 UN Doc. S/1998/780, S. 1 (20. August 1998); Archiv der Gegenwart vom 7. August 1998, 42979 A.
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rikanischen „Aggression“.120 Die arabische Liga, die zwar die Erscheinungsform des Terrorismus in all seinen Facetten verurteilte, beanstandete das Vorgehen der USA im Sudan insbesondere als Verletzung der UNCharta und verwies auf den rechtmäßigen Kampf der Völker gegen Besetzung.121 Hinsichtlich des Vorgehens gegen Afghanistan gab es jedoch keine Äußerungen der arabischen Liga. Die Gipfeltagung der blockfreien Staaten in Durban, Südafrika, wertete das amerikanische Bombardement im Sudan als Verletzung der territorialen Integrität.122 Die USA hingegen begründeten ihre Angriffe damit, sie habe als Reaktion auf die Serie von Anschlägen gegen amerikanische Botschaften und amerikanische Staatsbürger ihr Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UNC ausgeübt.123 Zudem gäbe es überzeugende Beweise dafür, dass weitere Anschläge von den gleichen terroristischen Einheiten geplant seien. Militärische Reaktionen seien die einzige Möglichkeit gewesen, diese zu verhindern.124 Damit wurde wiederum zumindest indirekt die accumulation of events-Doktrin herangezogen.
120 Vergleiche z. B. Brief des Permanent Representative of the Sudan an den Sicherheitsrat, UN Doc. S/1998/793, S. 3 ff. (24. August 1998); UN Doc. S/1998/786, S. 2 (21. August 1998). 121 Resolution Concerning the United States Bombing of a Pharmaceutical Factory in Kartoum, Council of the League of Arab States, UN Doc. S/1998/800, S. 2 (24. August 1998); bereits am 21. August wurde das Verhalten der USA als „unjustified act“ in einem Statement by the Secretariat of the League of Arab States verurteilt, allerdings nur hinsichtlich des Einsatzes im Sudan nicht jedoch bezüglich Afghanistans, siehe UN Doc. S/1998/789, S. 2. Auch Iran, Irak, Libyen, Russland, und Jemen kritisierten das Vorgehen der USA, vgl. Murphy, AJIL 93 (1999), S. 164. Pakistan sprach von einer „violation of the airspace of Pakistan“, Brief des Permanent Representative of Pakistan an den Sicherheitsrat, UN Doc. S/1998/794, S. 1 (24. August 1998). Siehe auch UN Doc. S/1998/894 vom 28. September 1998; UN Doc. S/1998/1120 vom 25. November 1998. 122 UN Doc. S/1998/879 vom 22. September 1998. 123 UN Doc. S/1998/780 vom 20. August 1998. 124 So z. B. im Brief des Permanent Representative der USA an den Sicherheitsrat vom 20. August 1998, UN Doc. S/1998/780, S. 1, in dem es heißt: „These attacks were carried out only after repeated efforts to convince the Government of Sudan and the Taliban regime in Afghanistan to shut these terrorist activities down and to cease their cooperation with the Bin Laden organization. That organization has issued a series of blatant warning that ‚strikes will continue from everywhere‘ against American targets, and we have convincing evidence that further such attacks were in preparation from the same terrorist facilities. The United States, therefore, had no choice but to use armed force to prevent these attacks from continuing. In doing so, the United States has acted pursuant to the right of self-defence confirmed by Article 51 of the Charter of the United Nations. The targets struck, and the timing and method of attack used were carefully designed to minimize risks of collateral damage to civilians and to comply with international law, including the rules of necessity and proportionality.“
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Im Zusammenhang mit der Zurechnung der Anschläge zu Afghanistan und dem Sudan führten die USA aus: „These attacks were carried out only after repeated efforts to convince the Government of the Sudan and the Taliban regime in Afghanistan to shut these terrorist activities down and to cease their cooperation with the Bin Ladin organization.“125 Die den beiden Staaten vorwerfbare Verwicklung bestand demnach in Gestalt einer Duldung. Des Weiteren betonten die USA, der Grundsatz der Proportionalität der Maßnahmen sei gewahrt worden.126 Weder der Sicherheitsrat noch die Generalversammlung verurteilten die Angriffe der USA.127 In der am 28. August 1998 ergangenen Sicherheitsratsresolution zur Bürgerkriegssituation in Afghanistan hieß es lediglich – ohne Bezugnahme auf die militärischen Einsätze –: „[The Security Council] demands the Afghan factions to refrain from harbouring and training terrorists and their organizations . . .“.128 Australien, Frankreich, Deutschland, Japan und Spanien sowie Großbritannien drückten ihre Unterstützung oder zumindest ihr Verständnis für die Angriffe der USA auf Afghanistan und den Sudan aus, während Russland, China und Pakistan sowie einige arabische Staaten die Angriffe verurteilten.129 Im September 2001 wurden die vom Sicherheitsrat 1996 gegen den Sudan verhängten Sanktionen einstimmig mit der Begründung aufgehoben, der Sudan habe die relevanten internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus ratifiziert.130 ff) Militärischer Einsatz Irans gegen den Irak 1999 Als letztes Beispiel innerhalb der Staatenpraxis vor 2001 ist der im Juni von Iran ausgehende Gewalteinsatz gegen den Irak anzuführen. Der Einsatz des Iran verfolgte den Zweck, Stützpunkte der terroristischen Organisation MKO zu bekämpfen. Der Iran stütze sich dabei auf Art. 51 UNC. Er stellte deutlich heraus, dass sich eine Zurechnung der terroristischen Handlungen zum Irak ergebe. „Iraq [. . .] admits that a well-known and internationally recognized terrorist organization maintains its camps in the territory of Iraq, where it re125
UN Doc. S/1998/780. UN Doc. S/1998/780, S. 2 (20. August 1998). 127 Murphy, Harvard International Law 43 (2002), S. 49. 128 UN Doc. S/Res/1193 vom 28. August 1998, 3921st mtg. 129 William Drozdiak, European Allies Back U.S. Strikes: Japan Says it „Understanding“, Washington Post, 21. August 1998, S. A20; vgl. auch Murphy, AJIL 93 (1999), S. 165; Lobel, Yale Journal of International Law 24 (1999), S. 538. 130 SC Res. 1372 vom 28. September 2001. 126
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ceives substantial material, military, political and logistical support from the Government of Iraq.“131 Damit lehnte sich der Iran eindeutig an die in der Aggressionsdefinition enthaltene Formulierung „substantial involvement“ an, die auch vom IGH im Nicaragua-Fall132 herangezogen wurde. Mithin zeigt diese Begründung eine Anwendung und Akzeptanz der strengen Zurechnungskriterien. Dass der Irak diesen Einsatz als schwere Aggression wertete, verwundert nicht. Zudem wurde er aufgefordert, Maßnahmen gegen terroristische Handlungen auf eigenem Territorium zu unternehmen.133 b) Die Aggressionsdefinition Bereits in der Friendly Relations Declaration vom 24. Oktober 1970 wurde auf die Verpflichtung von Staaten in Bezug auf privates Verhalten eingegangen, allerdings weitgehend ohne Klärung der Zurechnungsproblematik.134 Aufschlussreicher ist hingegen die Aggressionsdefinition. Nach Art. 3 (g) der Resolution 3314 der Generalversammlung vom 14. Dezember 1974135, der sogenannten Aggressionsdefinition, liegt dann eine Angriffshandlung vor, wenn bewaffnete Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder für ihn entsendet werden, wenn sie mit Waffengewalt Handlungen gegen einen anderen Staat von so schwerer Art ausführen, dass diese den anderen in Art. 3 genannten Handlungen gleichkommen, oder wenn eine wesentliche Beteiligung (substantial involvement) an einer solchen Entsendung vorliegt. Eine Zurechnung privaten Handelns zu einem Staat ist somit nach dem Wortlaut der Aggressionsdefinition bei einer Entsendung Privater oder bei einer wesentlichen Beteiligung an einer solchen gegeben. 131
UN Doc. S/1999/781. Siehe dazu näher unten S. 151 ff. 133 Siehe zu den gegen den Irak im Einzelnen bis 2004 ergangenen Sicherheitsratsresolutionen unten S. 286 ff. 134 In den Absätzen 8 und 9 der Friendly Relations Declaration wurde als Formelkompromiss festgelegt: „Every State has the duty to refrain from organizing or encouraging the organization of irregular forces or armed bands, including mercenaries, for incursion into the territory of another State. Every State has the Duty to refrain from organizing, instigating, assisting or participating in acts of civil strife or terrorist acts in another State or acquiescing in organized activities within its territory directed towards the commission of such acts, when the acts referred to in the present paragraph involved a threat or use of force.“ 135 Aggressionsdefinition der Generalversammlung der Vereinten Nationen, A/Res/29/3314 vom 14. Dezember 1974. 132
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Interessant für die in Frage stehenden Zurechnungskonstellationen ist die zweite Alternative, die Möglichkeiten zur Deutung offen lässt, ob ein „substantial involvement“ auch die Duldungs- und Unterstützungskonstellation mit einbezieht.136 Die Entstehungsgeschichte der Aggressionsdefinition zeigt einen deutlichen Dissens hinsichtlich der Einbeziehung dieser Konstellationen. Im Rahmen der Verhandlungen um die Annahme der Aggressionsdefinition in der Generalversammlung waren die Auffassungen der Staaten im Bezug auf die Bewertung indirekter Aggressionen als bewaffnete Angriffe geteilt. Australien, Kanada, Italien, Japan, Großbritannien und die USA schlugen folgende Varianten als mögliche Aggressionshandlungen vor: „(6) Organizing, supporting or directing armed bands or irregular or volunteer forces that make incursions or infiltrate into another State; (7) Organizing, supporting or directing violent civil strife or acts of terrorism in another state; or Organizing, supporting or directing subversive activities aimed at the violent overthrow of the Government of another State.“137
Demgegenüber vertraten 13 Staaten in ihrem Entwurf die Auffassung, indirekte Gewaltanwendungen müssten von der Definition ausgeschlossen sein. In einer Liste derjenigen Handlungen, die nicht von Akten der Aggression umfasst sein sollten, findet sich folgender Abschnitt: „When a State is a victim in its own territory of subversive and/or terrorist acts by irregular, volunteer or armed bands organized or supported by another State, it may take all reasonable and adequate steps to safeguard its existence and its institutions, without having recourse to the right of individual or collective self-defence against the other State under Article 51 of the Charter.“138
Zudem ist hinsichtlich der zweiten Alternative des Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition die französische Fassung aufschlussreich, nach der sich die substantielle Verwicklung auf das Entsenden bezieht. Dies bestätigt zudem den Ausschluss der Unterstützungskonstellation aus der zweiten Alternative. Unbeschadet der ohnehin bestehenden Schwierigkeit der Anwendbarkeit der Aggressionsdefinition zur Konkretisierung des Begriffs des bewaffneten Angriffs in Art. 51 UNC – es fragt sich, ob der bewaffnete Angriff nicht 136 Für die Möglichkeit einer sprachlichen Einbeziehung Bruha, Aggressionsdefinition, S. 237, der eine umfassende Analyse vorlegt und letztlich zu dem Ergebnis kommt, dass Art. 3 (g) Ausdruck eines fortbestehenden Dissenses ist, id., S. 239. 137 UN Doc. A/8719, S. 11-12. Auch die Sowjetunion war im Ergebnis ein Verfechter dieser Auffassung, hatte jedoch einen eigenen Vorschlag eingebracht: „The use by a State of armed force by sending armed bands, mercenaries, terrorists or saboteurs to the territory of another State and engagement in other forms of subversive activity involving the use of armed force with the aim of promoting an internal upheaval in another State [. . .]“, UN Doc. A/8719, S. 8. 138 UN Doc. A/8719, S. 10.
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enger zu fassen ist als die darin enthaltene Definition der Aggression139 – ist somit schon nach der Aggressionsdefinition eine Zurechnung terroristischer Angriffe zu einem Staat in der Duldungs- und Unterstützungskonstellation nicht vorgesehen. Eindeutig ausgeschlossen ist darüber hinaus die Unfähigkeitskonstellation. c) Relevante Urteile zu den Zurechnungskonstellationen aa) Das Nicaragua-Urteil des IGH Das Nicaragua-Urteil140 ist insofern von besonderer Bedeutung, als sich dort der Gerichtshof mit der amerikanischen Verwicklung in die Gewaltakte der Contras in Nicaragua beschäftigte. Demnach musste er das Problem der staatlichen Verwicklung in Gewalthandlungen Privater erörtern. Daraus lassen sich folglich Schlüsse für die Zurechnung terroristischer Gewaltanwendungen zu Staaten ziehen. (1) Die Zurechnung militärischer Handlungen Privater Der Gerichtshof untersuchte zunächst, ob die militärischen Handlungen der Contras den USA im Sinne des damaligen Art. 8 a) des Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit der ILC141 zuzurechnen sind. Nach Art. 8 a) sollte ein Verhalten dann als „act of the State“ zu qualifizieren sein, wenn „it is established that such person or group of persons was in fact acting on behalf of that State“. Der Gerichtshof prüfte eingehend, welches Ausmaß die Beteiligung der USA hatte. Er gelangte zu der Überzeugung, dass die Contras zwar schon vor einer Verwicklung mit den USA als Zusammenschluss ehemaliger Somoza-Anhänger bestanden und auch kleinere militärische Operationen durchführten.142 Durch amerikanische Mittel, insbesondere finanzielle Hilfen, militärische Ausbildung und Ausstattung sowie logistische Unterstützung143 wuchs die Größe und Bedeutung der Contras 139
Statt vieler dazu nur Alexandrov, Self-Defense, S. 105 ff. Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. USA), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 14; im Folgenden NicaraguaUrteil. 141 Yearbook ILC 1980 II 2, S. 30; heutiger Art. 8 in dem es heißt: „The conduct of a person or group of persons shall be considered an act of a State under international law if the person or group of persons is in fact acting on the instructions of, or under the direction or control of, that State in carrying out the conduct“. 142 Siehe dazu im Einzelnen ICJ Reports 1986, S. 53, para. 93. 143 Siehe zur detaillierten Darstellung der einzelnen Formen der Unterstützung ICJ Reports 1986, S. 53, para. 93 ff. 140
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jedoch immens: So stieg die Zahl der Contra-Anhänger von etwa 500 Mann im Dezember 1981 auf etwa 12.000 im November 1983.144 Dieser hohe Grad an Unterstützung reichte aber für eine Zurechnung nicht aus. Der Gerichtshof wählte als entscheidende Kriterien für eine Zurechnung die Abhängigkeit und Kontrolle und entschied: „What the Court has to determine at this point is whether or not the relationship of the contras to the United States government was so much one of dependence on the one side and control on the other that it would be right to equate the contras, for legal purposes, with an organ of the United States government, or acting on behalf of that Government . . . [D]espite the heavy subsidies and other support provided to them [the contras] by the United States, there is no clear evidence of the United States having actually exercised such a degree of control in all fields as to justify treating the contras as acting on its behalf.“145
Vielmehr bedürfe es einer wirksamen Kontrolle (effective control) der jeweiligen einzelnen Operation. Diese betrachtete der Gerichtshof seinerseits als nicht gegeben, da er es insbesondere noch für möglich hielt, dass militärische Aktivitäten von den Contras durchgeführt werden könnten, die die USA nicht kontrollierten.146 Zudem wertete der IGH die bloße Möglichkeit, dass einem Staat, der in hohem Maße Unterstützung leistet, die Option zur anschließenden Einstellung der Unterstützung offen steht und er auf diese Weise eine gewisse Kontrolle über die jeweiligen Handlungen ausüben könne, nicht als zurechnungsbegründende Kontrolle. Er hielt das Verhalten Privater nur für in dem Maße zurechenbar, in dem der betreffende Staat von seinem Potential auch tatsächlich Gebrauch macht.147 (2) Unterstützung Privater als eigener bewaffneter Angriff Im Folgenden prüfte der IGH, inwieweit ein bewaffneter Angriff Nicaraguas auf El Salvador vorlag, so dass sich die USA auf das von ihr geltend gemachte Recht auf kollektive Selbstverteidigung berufen könnten. Grundlage war wieder das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht, die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Rechts auf kollektive Selbstverteidigung leitete er her.148 Anschließend stellte er fest, dass Voraussetzung des gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechtes neben der Verhältnismäßigkeit149 vor 144 145 146 147 148 149
ICJ ICJ ICJ ICJ ICJ ICJ
Reports Reports Reports Reports Reports Reports
1986, 1986, 1986, 1986, 1986, 1986,
S. S. S. S. S. S.
54, para. 94. 62, para. 109. 64, para. 115. 62, para. 109 f. 102 f., para. 193. 103, para. 194.
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allem ein bewaffneter Angriff Nicaraguas auf El Salvador sei150, worunter eine schwere Form der Gewaltanwendung zu verstehen sei. Der Gerichtshof konstatierte, dass zwar zwischen 1979 und 1981 Waffen von nicaraguanischem Territorium zu der bewaffneten Opposition in El Salvador geliefert wurden, dies jedoch für den anschließenden Zeitraum nicht mehr festgestellt werden konnte. Daher konnte bereits aus diesem Grund kein bewaffneter Angriff vorliegen. Dennoch setzte sich der IGH im Folgenden mit der Frage auseinander, ob die staatliche Unterstützung einer auf dem Territorium eines anderen Staates handelnden bewaffneten oppositionellen Gruppierung durch Waffenlieferung oder andere logistische Hilfe den Anforderungen eines bewaffneten Angriffs genügen. Um den Begriff des bewaffneten Angriffs zu definieren, verwies der IGH wörtlich auf den oben dargestellten Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition, der, so der Gerichtshof, Gewohnheitsrecht darstelle. Er führte aus: „that an armed attack must be understood as including not merely action by regular armed forces across an international border, but also ‚the sending by or on behalf of a state of armed bands, groups, irregulars or mercenaries, which carry out acts of armed force against another State of such gravity as to amount to‘ (inter alia) an actual armed attack conducted by regular forces, ‚or its substantial involvement therein‘.“151
Nach dem Verständnis des Gerichtshof von Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition begründet danach die Endsendung bewaffneter Gruppen durch einen Staat bei ausreichender Intensität einen bewaffneten Angriff, nicht hingegen die Unterstützung von Rebellen durch Waffenlieferungen sowie logistischer und anderer Hilfe, die er ebenso wenig ausreichen ließ wie bloße Grenzzwischenfälle, um einen „armed attack“ zu begründen.152 Alle Unterstützungsleistungen unterhalb dieser Schwelle würden allenfalls gegen das Gewalt- oder Interventionsverbot verstoßen, nicht jedoch einen bewaffneten Angriff darstellen. Folglich läge eine Selbstverteidigungslage, selbst wenn man annehme, dass Nicaragua die Opposition in El Salvador mit Waffenlieferungen unterstützt habe,153 nicht vor.154 Des Weiteren stellte der Gerichts150
ICJ Reports 1986, S. 103, para. 195. ICJ Reports 1986, S. 103, para. 195. 152 „But the Court does not believe that the concept of ‚armed attack‘ includes not only acts by armed bands where such acts occur on a significant scale but also assistance to rebels in the form of the provision of weapons or logistical or other support.“ ICJ Reports 1986, S. 104, para 195. 153 Der Gerichtshof hatte ohnehin schon festgestellt, dass zwar in dem Zeitraum von Juli 1979 bis Anfang 1981 vom Territorium Nicaraguas zu der bewaffneten Opposition in El Salvador geliefert wurde, jedoch nicht ausreichende Beweise vorlägen, das Nicaragua daran aktiv beteiligt gewesen wäre. In dem nachfolgenden 151
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hof fest, dass auch kein bewaffneter Angriff Nicaraguas auf Costa Rica oder Honduras vorläge, aus dem sich ein Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung hätte ergeben können.155 Ausdrücklich offengelassen wird die Frage, ob auch ein Recht auf Selbstverteidigung in Fällen einer „imminent threat of armed attack“ vorliegt.156 (3) Dissenting Opinions der Richter Sir Jennings und Schwebel Als Hilfsmittel zur Feststellung von völkerrechtlichen Rechtsnormen im Sinne von Art. 38 I d) 2. Alt. IGH-Statut können u. a. die Sondervoten der Richter des IGH herangezogen werden.157 Richter Schwebel158 kommt abweichend von dem Urteil zunächst bei der Würdigung aller Beweise zu dem Ergebnis, es sei sehr wohl erwiesen, dass Nicaragua im Zeitraum von 1979 bis zur Urteilsverkündung Waffen nach El Salvador geliefert habe. Dies gelte auch für die Tatsache, dass das Kommando und die Kontrolle über die salvadorianischen Aufständischen vom Territorium Nicaraguas aus und in Kooperation mit der kubanischen Regierung und derjenigen Nicaraguas ausgeübt worden sei.159 Ausgehend hiervon und unter Rückgriff auf die Auffassungen Nicaraguas, der USA und EL Salvadors sowie die Entwicklung in der Praxis der UNO und der Völkerrechtslehre160 folgert er, dass eine bedeutsame, nicht unerhebliche Unterstützung zugunsten oppositioneller Kräfte in Gestalt von Waffenlieferungen und logistischer Hilfe das Gewaltverbot verletze und gleichzeitig einen beZeitraum konnte nicht einmal mehr signifikanter Waffenlieferungen tatsächlich festgestellt werden. ICJ Reports 1986, S. 86, para. 160. Insofern lag schon in tatsächlicher Hinsicht keine Selbstverteidigungslage vor, was den Gerichtshof dennoch nicht davon abhielt, die oben dargestellten Ausführungen zum bewaffneten Angriff zu manchen. 154 ICJ Reports 1986, S. 119, para. 230. 155 ICJ Reports 1986, S. 119 ff., para. 231. In seiner eher kürzeren Prüfung zu diesem Bereich ergaben sich keine hier weiter interessanten Aspekte. Siehe für einen Überblick zu dem Konflikt zwischen Nicaragua und Honduras bzw. Costa Rica, Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht S. 76 f. 156 ICJ Reports 1986, S. 103, para. 194. 157 Siehe dazu Hofmann/Laubner, in: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm, Art. 57, Rn. 53 ff. 158 In der sehr umfangreichen dissenting opinion von immerhin 268 Seiten wird weit mehr kritisiert als nur die Auslegung des bewaffneten Angriffs. Diese Kritik ist jedoch hier nicht von Bedeutung, siehe dazu ICJ Reports 1986, S. 259–527. 159 ICJ Reports 1986, S. 276 ff., para. 25 ff. 160 Zur Unterstützung führt er im einzelnen das Memorial Nicaraguas an, in welchem Art. 8 des ILC-Entwurfs an, Yearbook ILC, 1974 II, 277, bedeutende Völkerrechtslehrer wie Brownlie und Higgins und die einschlägige Praxis der Vereinten Nationen erörtert werden, siehe ICJ Reports 1986, S. 332 ff., para 157.
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waffneten Angriff darstelle.161 Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Gewaltverbot stimmt er insofern mit dem Urteil überein. Die Auffassung der Mehrheit der Richter, zwischen unterschiedlich schweren Gewaltanwendungen müsse differenziert werden, und nur schwere Gewaltanwendungen stellten auch einen bewaffneten Angriff dar, teilt er indes nicht. Zur weiteren Begründung seiner Auffassung betont Schwebel zunächst die seiner Ansicht nach vorliegende Einigkeit der streitenden Parteien. Er kritisiert, dass der Gerichthof trotz dieser Einigkeit einen anderen Weg eingeschlagen habe.162 Insbesondere hat die Mehrheit seiner Ansicht nach Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition nicht richtig angewandt, da zwar keine Entsendung von Privaten zum Kampf in El Salvador von Nicaragua vorliege, jedoch die vom Gerichtshof übersehene zweite Alternative des Art. 3 (g). Danach reiche gleichermaßen eine wesentliche Beteiligung an einer solchen Entsendung von zum Kampf dienender Truppen aus. Gemäß Schwebel sind die von ihm angenommen Waffenlieferungen und logistische Unterstützung das erforderliche „substantial involvement“, die von solchem Ausmaß seien wie die anderen in Art. 3 genannten Handlungen.163 Gerade diese Situationen berechtigten im Sinne der Aggressionsdefinition, gemäß geltendem Gewohnheitsrecht und der Praxis der Vereinten Nationen sowie der Staatenpraxis zu Handlungen, die durch das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gedeckt seien.164 Daneben habe die Mehrheit der Richter die Bedeutung dieser Resolution überschätzt. Die Resolution sei kein verbindlicher Vertragstext und berge Unsicherheiten, Zweideutigkeiten und Fehler in sich. Außerdem sei sie offen formuliert, so dass nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände und der aktuellen Staatenpraxis wirklich festgestellt werden könne, ob der Tatbestand der Aggression erfüllt sei.165 Des Weiteren widmet sich Schwebel der Frage, ob Art. 51 UNC nur bei Vorliegen eines bewaffneten Angriffs ein Recht zur Selbstverteidigung er161 ICJ Reports 1986, S. 332 ff., para. 155 ff. Bemerkenswert ist, dass Schwebel die nach dem 11. September immer wieder gerne aufgegriffen Argumentation, den bewaffneten Angriff aus Gründen der Sicherheit der Staaten zu erweitern, schon damals anspricht/andeutet: „I regret to say that I belive that the Court’s Judgment on this profoundly important question may detract as much from the security of States as it does from the state of the law.“ 162 ICJ Reports 1986, S. 340, para. 160. 163 ICJ Reports 1986, S. 343 f., para. 166. Schwebel stützt sich dabei auf die von Professor Stone bereits in den Debatten zur Aggressionsdefinition getätigte, hierin übereinstimmende Aussage bezüglich der „substantial involvement“, UN Doc. A/8719, S. 75–76, 1479th meeting, Sixth Committee der Generalversammlung, 18. Oktober 1974, A/C.6/SR.1479, para. 75–76. 164 ICJ Reports 1986, S. 344, para. 167. 165 ICJ Reports 1986, S. 345, para. 168.
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öffne. Er begreift dabei Art. 51 UNC nicht als Rechtfertigungsgrund, der ausschließlich dann Anwendung findet, wenn die Voraussetzungen eines bewaffneten Angriffs vorliegen. Vielmehr schließe Art. 51 UNC auch ein gewohnheitsrechtliches Recht auf Selbstverteidigung unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs ein.166 Auch Richter Sir Jennings lehnt u. a. die enge Auslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ ab. Er sieht durch die Lücke, die entstehe, wenn Selbstverteidigung nicht ausgeübt werden dürfe und Kapitel VII-Maßnahmen nicht eingesetzt würden, das System der kollektiven Sicherheit der UNO in Gefahr, und hält insofern eine solche Begrenzung für nicht realistisch.167 Er bemängelt, das Gericht erkenne zwar die Möglichkeit an, dass ein bewaffneter Angriff auch dann vorliegen kann, wenn ein Staat bewaffnete Gruppen, die auf fremdem Territorium operieren, in erheblichem Maße unterstützt, jedoch dann einen solchen nicht annehme, wenn Waffenlieferungen und logistische Unterstützung168 nachzuweisen seien. Seiner Ansicht nach ist eine Situation unterhalb eines direkten Angriffs dann nur noch schwer vorstellbar. Seien hingegen nur Waffenlieferungen zu beweisen, so seien diese, insofern stimmt er der Mehrheit zu, für sich genommen noch keine für einen bewaffneten Angriff ausreichende Handlung.
166 Für überzeugend hält er diesbezüglich die Argumentation Sir Humphrey Waldocks, RdC 81 (1952-II), S. 496 f. „The right of individual self-defence was regarded as automatically excepted from both the Covenant and the Pact of Paris without any mention of it. The same would have been true of the Charter, if there had been no Article 51, as Article 51, as is well known, was not inserted for the purpose of defining the individual right of self-defence but of clarifying the position in regard to collective understandings for mutual self-defence, particularly the Pan-American treaty known as the Act of Chapultepec. These understandings are concerned with defence against external aggression and it was natural for Article 51 to be related to defence against ‚attack‘. Article 51 also has to be read in the light of the fact that it is part of Chapter VII. It is concerned with defence to grave breaches of the peace which are appropriately reffered to as armed attack. It would be a misreading of the whole intention of Article 51 to interpret it by mere implication as forbidding forcible self-defence in resistence to an illegal use of force not constituting an ‚armed attack‘.“ Ebenso Bowett, Self-Defence, S. 182–193; Schachter, Michigan Law Review 82 (1984), S. 1634. 167 ICJ Reports 1986, S. 543 f. 168 Er definiert logistische Unterstützung als „art of moving, lodging, and supplying troops and equipment“, nach dem Oxfort English Dictionary, 7th ed., 1982, IJC Report 1986, S. 543. (Übersetzung: Bewegen, Quartieren und Versorgen von Truppen mit Material).
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(4) Zusammenfassung und Anwendung auf terroristische Akte Zunächst muss erwähnt werden, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofes den am meisten umstrittenen Teil des Urteils eingenommen hat. Die Zuständigkeit wurde von den Richtern Mosler, Ago, Oda, Schwebel und Sir Jennings abgelehnt, so dass danach auch keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gewaltverbot und dem Selbstverteidigungsrecht erfolgt wäre.169 Zudem nahm die USA von der Unzuständigkeit überzeugt nicht an dem Verfahren zur Begründetheit teil170 und widersetzte sich auch der Anerkennung des Urteils.171 Ein Resolutionsentwurf zur vollständigen und sofortigen Befolgung des Urteils, der gemäß Art. 94 II UNC dem Sicherheitsrat vorgelegt wurde, scheiterte demnach nicht überraschend am Veto der USA.172 169 Insbesondere wurde von den Richtern angezweifelt, dass eine wirksame Unterwerfungserklärung Nicaraguas existiere, so z. B Seperate Opinion of Judge Ago, ICJ Reports 1986, S. 181 ff.; weiterer Streitpunkt war die Reichweite der Amerikanischen Vorbehaltserklärung, vergleiche dazu vor allem die dissenting opinions von Schwebel, ICJ Reports 1986, S. 302 ff., para. 91 ff. sowie von Sir Jennings, ICJ Reports 1986, S. 529 ff. Erwähnenswert ist zudem, dass Judge Oda ausdrücklich in seiner dissenting opinion deutlich macht, dass seine Gegenstimmen in den hier relevanten Bereichen durch die seiner Meinung nach bestehende Unzuständigkeit des IGH entstanden sind und nicht etwa aufgrund des Umstandes, dass er alle rechtlichen Argumente, die der Gerichtshof im Zusammenhang mit dem Gewaltverbot, dem Interventionsverbot und der Beachtung der Souveränität vorgebracht hat, ablehnt, ICJ Reports 1986, S. 214, para. 3. 170 ILM 24 (1985), S. 246 ff. 171 Vergleiche dazu unter anderem den Vertreter der USA im Sicherheitsrat, Mr. Walters, UN Doc. S/PV.2716, S. 6 ff. vom 22. Oktober 1986: „The United States does not accept the proposition that we have consented to the jurisdiction of the Court in the case brought by Nicaragua. Consequently, we do not believe that the current item brought by Nicaragua under Chapter XIV, Article 94, of the Charter has any merit. There is nothing in Chapter XIV of the Charter that speaks to the question of jurisdiction and nothing anywhere in the Charter that can be said to create consent to jurisdiction where none exists.“ 172 Resolutionsentwurf der Staaten Congo, Ghana, Madagascar, Trinidad and Tobago and United Arab Emirates 28. Oktober 1986, UN Doc. S/18428. Diesem inhaltlich zustimmend auch z. B. der Indische Vertreter, Mr. Gharekhan, siehe dazu die Debatte im Sicherheitsrat, UN Doc. S/PV.2716, S. 16 ff. In einer vorangegangenen Sicherheitsratsresolution 562 vom 10. Mai 1985, operativer Teil 4. wurde nur einstimmig beschlossen, dass die USA und Nicaragua ihre Verhandlungen fortsetzen sollten, um ihre Streitigkeiten zu beenden. In der Generalversammlung wurde eine Resolution verabschiedet, die zu „full and immediate compliance with the Judgment of the International Court of Justice of 27 June 1986 in the case of „Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua“ in conformity with the relevant provisions of the Charter of the United
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Hinzu kommt, dass die Bedeutung des IGH-Urteils insofern relativiert werden muss,173 als lediglich die Zurechnung der Handlungen der Contras zu den USA sowie die Klassifizierung der Unterstützungshandlungen als Verstoß gegen das Gewalt- bzw. Interventionsverbot entscheidungsrelevant sind (ratio decidendi). Die Ausführungen zum bewaffneten Angriff und der Rechtfertigungsmöglichkeit bei leichter Gewaltanwendung stellen hingegen obiter dicta dar, da der Gerichtshof die Gewaltanwendung Nicaraguas bereits aufgrund mangelnder Beweise abgelehnt hatte. Die obiter dicta verlieren zusätzlich noch insofern an Gewicht, als zwei der insgesamt 15 Richter diesen widersprechen. Eine Relativierung der Aussagekraft des Urteils kann jedoch nicht daraus abgeleitet werden, dass sich die vom Gerichtshof getätigten Aussagen lediglich auf das völkergewohnheitsrechtlich bestehende Gewaltverbot und das Recht auf Selbstverteidigung beziehen, nicht hingegen auf Art. 2 Ziff 4 und Art. 51 UNC, da der Gerichtshof im Rahmen beider Tatbestände die Voraussetzungen, die in der Charta festgelegt sind, anwendet. Überträgt man die Aussagen des Nicaragua-Urteils auf terroristische Akte, so setzt die Zurechnung terroristischer Akte nicht-staatlicher Akteure zu einem Unterstützerstaat eine effektive Kontrolle der Akteure und ihrer Handlungen durch den Staat voraus, die eine vollständige Unterordnung der terroristischen Gruppierung fordert. Ein bloßes Abhängigkeitsverhältnis – selbst von großem Ausmaß – reicht hingegen allein nicht aus. Ein bewaffneter Angriff liegt dann vor, wenn der betreffende Staat die terroristische Gruppierung entsandt hat, während eine Beteiligung an der jeweiligen terroristischen Aktivität in Form von Waffenlieferung, Training und logistischer Unterstützung zwar dem Gewaltverbot unterfällt, jedoch nicht zur Begründung eines bewaffneten Angriffs ausreicht. Erst recht dürfte dann das Überlassen des eigenen Staatsgebietes keinen bewaffneten Angriff begründen, so dass in der Unterstützungs-, Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation eine Zurechnung entfällt.174 Der IGH hatte sich neben dem oben dargestellten auch mit der Frage, inwieweit die Unterstützungshandlungen der USA als solche gegen völkerrechtliche Normen und vor allem gegen das Gewaltverbot verstoßen, auseinandergesetzt. Er zog dabei das völkergewohnheitsrechtlich verankerte Nations.“ aufforderte, UN Doc. A/Res/41/31, operativer Teil 1. Die Resolution wurde mit 94 Stimmen angenommen, bei 47 Enthaltungen und 3 Gegenstimmen. 173 So auch Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 128. 174 Diese Schlussfolgerung ziehen auch Bruha, AVR 40 (2002), S. 404; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 194; Schmalenbach, NZWehrr 42 (2000), S. 186 f.; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 94.
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Gewaltverbot heran, da er sich bezüglich der Charta der Vereinten Nationen und der OAS für unzuständig befand.175 Der IGH wiederholte, dass eine Zurechnung von Gewaltanwendung durch Private zu einem Staat nur dann in Betracht käme, wenn eine effektive staatliche Kontrolle über die privaten Gewaltakte festgestellt werden könne. Dies sei vorliegend nicht der Fall.176 Welche Unterstützungshandlungen allerdings für sich genommen einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot darstellten, ließe sich aus der Resolution 2625 (XXV)177 der Generalversammlung ableiten. Danach habe jeder Staat die Pflicht, die Organisation, Anstiftung oder Unterstützung von Bürgerkriegs- oder Terrorakten in einem anderen Staat zu unterlassen, wenn diese Akte die Androhung oder Anwendung von Gewalt einschlössen.178 Dementsprechend unterschied der Gerichtshof zwischen den einzelnen Unterstützungshandlungen: „In the view of the Court, while the arming and training of the contras can certainly be said to involve the threat or use of force against Nicaragua, this is not necessarily so in respect of all the assistance given by the United States Government.“179 Die finanzielle Unterstützung, wie auch alle weiteren Unterstützungshandlungen,180 der Contras durch die USA sei zwar zweifellos ein Verstoß gegen das Interventionsverbot, unterfiele jedoch nicht dem Gewaltverbot.181 Interessanterweise ging der IGH nach der Ablehnung eines Selbstverteidigungsrechtes der USA und obwohl nach Würdigung aller Beweise schon eine Intervention Nicaraguas nicht nachweisbar war,182 noch auf eine weitere mögliche Rechtfertigung der Gewaltanwendung der USA ein. Er hielt es für denkbar, dass ein Recht auf Gegenmaßnahmen analog dem Recht auf kollektive Selbstverteidigung bestünde, wonach die USA auf eine Intervention mit einer Gegenintervention reagieren könne.183 Es sei dabei vorstellbar, dass bei einer Intervention, die zwar keinen bewaffneten Angriff dar175
ICJ Reports 1986, S. 32 ff., para. 44 ff. ICJ Reports 1986, S. 113, para. 216. 177 Friendly Relations Declaration, GA Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970. 178 Vergleiche innerhalb des ersten Grundsatzes den Absatz 9 der Resolution 2625 (XXV). 179 ICJ Reports 1986, S. 119, para. 228. 180 ICJ Reports 1986, S. 124, para. 242. Nicaragua hatte geltend gemacht, dass „recruiting, training, arming, equipping, financing, supplying and otherwise encouraging, supporting, aiding, and directing military and paramilitary actions in and against Nicaragua“ ein Verstoss gegen das Gewaltverbot sei, ICJ Reports 1986, S. 118, para. 228. 181 ICJ Reports 1986, S. 119, para. 228. 182 ICJ Reports 1986, S. 127, para. 249. 183 ICJ Reports 1986, S. 110 f., para. 210 f. 176
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stellt, jedoch gewaltsam erfolgt, die Gegenmaßnahme ebenfalls weniger schwere Gewalt mit einschließe.184 Der Gerichtshof betonte jedoch, dass gegen ein solches Recht der Ausnahmecharakter des kollektiven Selbstverteidigungsrechtes spreche, wonach der Einsatz von Gewalt nur beim Vorliegen eines bewaffneten Angriffs gerechtfertigt sei. Daher sei er der Auffassung, dass sich weder aus dem Gewohnheitsrecht noch aus der Charta der Vereinten Nationen ein Recht auf eine kollektive bewaffnete Reaktion auf Maßnahmen unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs ergebe.185 Im Ergebnis ließ er die Frage jedoch offen, da sie für die Entscheidung nicht erheblich war.186 Damit machte der IGH insgesamt deutlich, dass zwar bestimmte Unterstützungshandlungen einen Verstoß gegen das Gewaltverbot darstellen, jedoch nicht den Anforderungen der Zurechnungskriterien im Rahmen des bewaffneten Angriffs genügen. Insofern führt der Verstoß gegen das Gewaltverbot nicht zwangsläufig zu einem Selbstverteidigungsrecht, so dass lediglich nichtmilitärische Möglichkeiten als Reaktion auf den Gewaltverbotsverstoß völkerrechtlich zulässig sind. Diese Auffassung ist in der Literatur teilweise auf Widerstand gestoßen.187 Daher soll im Rahmen der neuen Bewertung der Staatenpraxis auf dieses Verhältnis eingegangen werden. bb) United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, IGH 1980 Im Teheraner Geiselfall188 hatte der Internationale Gerichtshof sich ebenfalls unter anderem mit Zurechnungskriterien beschäftigt. Es ging um die Frage inwieweit der Iran für die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran verantwortlich gemacht werden könne. Der Gerichtshof stellte fest, es gäbe keine Hinweise darauf, dass die militanten Demonstranten als Agenten oder Organe des iranischen Staates gehandelt hätten. Insofern sei eine Zurechnung nicht möglich.189 Das Verhalten könne nur dann möglicherweise zugerechnet werden, „if it were established that, in fact, on the occasion in question, the militants acted on behalf of the State, having been 184
ICJ Reports 1986, S. 110, para. 210. ICJ Reports 1986, S. 110, para. 211. 186 ICJ Reports 1986, S. 110, para. 210. 187 Hargroves, AJIL 81 (1987), S. 137; Derpa, Gewaltverbot, S. 120. 188 IGH, Case Concerning Unites States Diplomatic and Consul Staff in Teheran (USA v. Iran), 24. Mai 1980, ICJ Reports 1980, 3 ff. Siehe für eine Zusammenfassung aller rechtlichen Probleme des Falles Green, AVR 19 (1980/81), S. 1 ff.; Röling, NYIL 11 (1980), S. 125 ff.; Wengler, NJW 1980, S. 1999 ff. 189 ICJ Report 1980, para. 58. 185
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charged by some competent organ of the Iranian State to carry out a specific operation.“ Eine solche Verbindung zwischen den Handelnden und dem Iran sei jedoch nicht mit der notwendigen Sicherheit festzustellen, so dass der Iran aus diesem Grunde nicht für die Besetzung der amerikanischen Botschaft verantwortlich gemacht werden könne.190 Bezüglich dieser Kriterien der Zurechnung weist der Teheraner Geiselfall daher keine Unterschiede zum Nicaragua Fall auf. Besondere Bedeutung erlangte das Urteil jedoch dadurch, dass der IGH zudem darlegte, dass eine nachträgliche Billigung einer bereits abgeschlossenen Handlung von offizieller Seite grundsätzlich keine Zurechenbarkeit zur Folge habe.191 Die staatliche Billigung einer noch andauernden Völkerrechtsverletzung könne diese jedoch zu einer staatlichen machen. Auf diese Weise würden die Privaten nachträglich faktisch zu Vertretern des Staates werden.192 Bezogen auf den Iran führte der Gerichtshof aus, dass „. . . the approval given to these facts [maintaining the occupation of the Embassy and the detention of its inmates as hostages] by Ayatollah Khomeini and other organs of the Iranian State, and the decision to perpetuate them, translated continuing occupation of the Embassy and detention of the hostages into acts of the State.“193
Obwohl diese vom IGH entwickelten Zurechnungskriterien gerade im Zusammenhang mit terroristischen Akten aufgestellt wurden, bleibt zu klären, ob sie auch auf das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC gegen terroristische Akte übertragbar sind. Denn im Teheraner Geiselfall war lediglich die Verantwortlichkeit des Irans bezüglich der Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen194 streitig.195 Aussagen zu Art. 51 UNC wurden nicht getroffen. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht an die Zurechnungskriterien im Rahmen des Selbstverteidigungsrechtes höhere Anforderungen gestellt werden müssen als an die Zurechnung etwa im Rahmen der erwähnten Wiener Übereinkommen. Dafür spricht, dass eine Zurechnung innerhalb des Art. 51 UNC eine wesentlich 190
ICJ Report 1980, para. 58. ICJ Report 1980, para. 59. 192 ICJ Report 1980, para. 74. 193 ICJ Report 1980, para. 74. Khomeni erklärte dass „the hostages would remain as they were until the U.S. had handed over the former Shah for trail“ und dass „the noble Iranian nation will not give permission for the release [. . .] until the American Government acts according to the wish of the nation“, id., para. 73. 194 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, UNTS, vol. 500, S. 95; BGBl. 1964 II, S. 958; Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, UNTS, vol. 596, S. 261; BGBl 1969 II, S. 1585. 195 Dieses Problem ansprechend auch Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 220. 191
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schwerwiegendere Rechtsfolge haben kann, nämlich die des militärischen, dann gerechtfertigten Angriffs eines anderen Staates. Die Kriterien auf das Selbstverteidigungsrecht anzuwenden, hieße, dass der Staat, dem das Verhalten einer privaten terroristischen Gruppe zugerechnet werden soll, den noch andauernden bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNC billigen müsste, damit die Privaten nachträglich de facto Organe des Staates würden.196 Nicht ausreichend wäre eine nachträgliche Billigung bereits abgeschlossener bewaffneter Angriffe terroristischer Gruppierungen. Zudem bleibt zu berücksichtigen, dass praktisch kaum vorstellbar ist, dass dieser Fall häufig auftreten wird, da die terroristischen Akte oftmals punktuell erfolgen und somit bereits abgeschlossen sein dürften.197 cc) Der Tadic-Fall des ICTY Im Tadic Urteil198 wich der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien bewusst von der Rechtsprechung des IGH im Nicaragua-Urteil ab. Es ging in der Entscheidung um die Frage, inwieweit die Streitkräfte der bosnischen Serben de iure oder de facto Organe der Bundesrepublik Jugoslawiens sind, mithin deren Handlungen der Bundesrepublik zurechenbar sind. In diesem Fall würde es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne von Art. 4 des Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen199 handeln und die in dem Abkommen enthaltenen Vorschriften über grave breaches sowie weitere Regelungen des internationalen humanitären Rechts könnten Anwendung finden.200 Zunächst urteilte die Trial Chamber 1997 auf der Grundlage des NicaraguaUrteils und des Art. 8 a) des ILC-Entwurfs von 1974, dass die Handlungen der Streitkräfte der bosnischen Serben und der Republika Srpska der Bundesrepublik Jugoslawien nicht zugerechnet werden können.201 Die Beru196 Siehe für eine weitergehende Differenzierung ein Vergleich mit Art. 11 des ILC-Entwurfs unten S. 221 f. 197 So wohl auch Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 220; Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 240. 198 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), 1518. Für eine Zusammenfassung des Tadic Urteils siehe Kauther/ Laubner, GYIL 42 (1999), S. 508 ff. 199 Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949, UNTS 75, 135 ff. 200 Zur Diskussion über die Frage, inwieweit hier ein internationaler Konflikt vorliegt, vergleiche Meron, AJIL 92 (1998), S. 238 ff. 201 ICTY, Trail Chamber, Prosecutor v. Tadic, Opinion and Judgment, 7. Mai 1997, para. 607, abrufbar unter: http://www.un.org/icty/tadic/trialc2/judgement/tadtsj70507JT2-e.pdf (Stand: 15. September 2005); siehe de Hoogh, BYIL 72 (2001), S. 256.
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fungskammer revidierte jedoch das Urteil der Trial Chamber. Da das humanitäre Völkerrecht keine eigenen Zurechnungsnormen beinhalte, müsse auf die allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit des Völkerrechts zurückgegriffen werden.202 Nach Ansicht der Berufungskammer musste für diese Entscheidung grundsätzlich ein test of control angewendet werden, wie bereits vom IGH im Nicaragua Urteil festgestellt wurde. Die Voraussetzungen des test of control, wie sie vom IGH aufgestellt worden waren, waren jedoch nach Ansicht der Berufungskammer nicht überzeugend.203 Dafür wurden zwei Gründe aufgeführt:204 Zum einen stimme der Nicaragua Test nicht mit der Logik des gesamten Systems der Staatenverantwortlichkeit überein. Zur Begründung zog die Kammer Art. 8 des ILC-Drafts heran.205 Die Ratio des Artikels 8 sei zu verhindern, dass Staaten sich ihrer internationalen Verantwortlichkeit entzögen.206 Daraus ergebe sich, dass ein Kriterium der Zurechnung die Kontrolle des Staates über die Individuen sein müsse. Insofern wird also das Nicaragua Urteil bestätigt. Nach Auffassung der Kammer erfordern jedoch – abweichend vom IGH – internationale Regeln nicht immer das gleiche Maß an Kontrolle über eine bewaffnete Gruppe oder Privatpersonen, um sie als de facto Organ qualifizieren zu können. „The requirement of international law for the attribution to States of acts performed by private individuals is that the State exercises control over the individuals. The degree of control may, however, vary according to the factual circumstances of each case. The Appeals Chamber fails to see why in each and every circumstance international law should require a high threshold for the test of control.“207 202 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 98. 203 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 115-145; zur Kritik an dem Urteil der Berufungskammer siehe das abweichende Votum von Shahabuddeen, ILM 38 (1999), 1611, der zwar nicht das von der Berufungskammer gefundene Ergebnis für verfehlt hält, wohl aber der Ansicht ist, dass eine Auseinandersetzung mit dem Urteil des IGH überhaupt nicht notwendig war. Vgl. auch Jennings „I feel bound to say, that I find this insistence on separateness disturbing; and wonder whether this is what the parties to the treaty intended when they took over the wording of the International Court of Justice Statue“; Jennings, ICLQ, S. 1 (5 f.). 204 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 115 ff. 205 In Artikel 8 des ILC Drafts heißt es: „The conduct of a person or a group of persons shall be considered an act of a State under international law if the person or group of persons is in fact acting on the instructions of, or under the direction or control of, that State in carring out the conduct.“ 206 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 117.
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Vielmehr müssten verschiedene Konstellationen unterschieden werden.208 Gehe es um die Zurechnung von Handlungen einzelner Individuen oder einer Gruppe, die nicht militärisch organisiert seien, zu einem Staat als seine de facto Organe, sei es, wie auch schon im Nicaragua Urteil festgelegt, notwendig, dass der Staat konkrete Anweisungen bezüglich der jeweiligen einzelnen Handlungen erteile.209 Handele es sich hingegen um Akte bewaffneter Gruppen oder militärischer oder paramilitärischer Einheiten mit hierarchischer Organisation reiche eine allgemeine Kontrolle des Staates über diese Gruppierungen aus.210 „This requirement, however, does not go so far as to include the issuing of specific orders by the State, or its direction of each individual operation. Under international law it is by no means necessary that the controlling authorities should plan all the operations of the units dependent on them, choose their targets, or give specific instructions concerning the conduct of military operations and any alleged violations of international humanitarian law. The control required by international law may be deemed to exist when a State (or, in the context of an armed conflict, the Party to the conflict) has a role in organising, coordinating or planning the military actions of the military group, in addition to financing, training and equipping or providing operational support to that group.“211
Daneben stimmte die Berufungskammer – wenn auch nicht ausdrücklich – der Rechtsprechung des IGH im Teheraner Geiselfall zu, wonach Handlungen Privater dem Staat ex post facto zugerechnet werden könnten, sofern dieser sie während des Andauerns der völkerrechtswidrigen Handlung billige und befürworte. Im Ergebnis war die Berufungskammer der Ansicht, das für eine Zurechnung der Handlungen der Streitkräfte zur Bundesrepublik Jugoslawien erforderliche Maß an Kontrolle sei eine „overall control going beyond the mere financing and equipping of such forces and involving also participation in the planning and supervision of military operations.“212 207 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 117. 208 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 118. 209 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 118 f. 210 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 120 ff. 211 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 117. 212 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 145. Ähnlich urteilte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Loizidou-Fall „It is not necessary to determine whether, [. . .]
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Es ließe sich überlegen, dass die Kriterien, die im Tadic-Urteil aufgestellt worden, jedoch nur auf die Fälle anwendbar sind, in denen es um individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit geht, während die im Nicaragua-Urteil geforderten Voraussetzungen sich auf die Staatenverantwortlichkeit beziehen. Diese Unterscheidung war jedoch zumindest vom ICTY nicht gewollt. Das Tribunal betonte vielmehr, dass es nicht um zwei verschiedene Arten von Verantwortlichkeit ginge, sondern dass für beide Situation die gleichen Zurechnungskriterien gelten müssten. Lediglich die gemeinsamen Voraussetzungen, nach denen nach internationalem Recht ein Individuum, das nicht den Status eines Staatsorganes hat, als de facto Organ eines Staates handele, seien zu klären.213 Hinsichtlich der Individuen und unorganisierten Gruppen stimmt der IGH auch mit dem ICTY überein, wonach eine effective control erforderlich ist. Bei hierarchisch strukturierten terroristischen Organisationen überzeugt die Differenzierung des ICTY im Unterschied zum IGH. Während der IGH auch hier den effective control-Test anwendet, berücksichtigt der ICTY zu Recht, dass durch das Mehr an Organisation ein Weniger an direkter Kontrolle jeder einzelnen Handlung erfolgen muss. Eine overall control reicht mithin aus. In Übereinstimmung mit dem Nicaragua-Urteil ist jedenfalls eine Unterstützung terroristischer Gruppierungen, wie etwa die Finanzierung oder Waffenlieferungen, ohne jegliche Kontrolle selbiger Akteure nicht ausreichend, um eine Zurechnung zu begründen. Damit entfällt erst recht eine Zurechnung in der Duldungs- und Unfähigkeitskonstellation, wenn eine Kontrolle der terroristischen Gruppierung durch den Staat nicht nachgewiesen werden kann. d) Zusammenfassung der Staatenpraxis und Urteile hinsichtlich der Zurechnungskonstellationen Die Staatenpraxis hinsichtlich einzelner Zurechnungskonstellationen im Rahmen des Selbstverteidigungsrechtes gegen terroristische Akte ist bis Turkey actually exercises detailed control over the policies and actions of the authorities of the ‚TRNC‘. It is obvious from the large number of troops engaged in active duties in northern Cyprus [. . .] that her army exercises effective overall control over that part of the island. Such control, according to the relevant test and in the circumstances of the cause, entails her responsibility for the policies and actions of the ‚TRNC‘ [. . .]“, EGMR, Loizidou v. Turkey, Urteil v. 18. Dezember 1996, S. 555, para. 56. Zu weiteren Urteilen siehe die Auflistung des ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 124 ff. 213 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment of 15 July 1999, ILM 38 (1999), para. 104.
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zum Jahre 2001 uneinheitlich.214 Die einzelnen Beispiele in der Staatenpraxis unterlagen alle der Kritik einiger Staaten, jedoch aus sehr unterschiedlichen Gründen.215 Es bedarf daher einer kurzen zusammenfassenden Darstellung der jeweiligen Konstellationen. aa) Endsendekonstellation Am deutlichsten erkennbar ist die Einigkeit in der Staatenpraxis dahingehend, dass einem Staat terroristische Handlungen Privater auf dem Territorium eines anderen Staates dann zuzurechnen sind, wenn der Staat die Terroristen entsandt hat. Dies ergibt sich zum einen argumento a fortiori aus den dargestellten Praxisbeispielen, in denen Staaten bereits die Duldung oder Unterstützung von Terroristen durch andere Staaten als für eine Zurechnung von Gewalttaten ausreichend erachteten. Zum anderen wird dies eindrucksvoll durch den dahingehenden Konsens in der Aggressionsdefinition deutlich und ist auch ebenfalls argumento a fortiori im NicaraguaUrteil durch den IGH und im Tadic-Urteil der Berufungskammer vom ICTY bestätigt worden, da in Endsendekonstellationen immer von einer ausreichenden Kontrolle ausgegangen werden kann. Nicht verwunderlich ist daher auch die nahezu einheitliche Bewertung in der Literatur.216 In dieser Konstellation kann sich der Opferstaat mithin bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen von Art. 51 UNC auf ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung berufen. bb) Unterstützungskonstellation Deutlich uneinheitlicher fällt die Bewertung der Unterstützung ursprünglich aus eigenem Antrieb handelnder Terroristen bei der Gewaltanwendung auf fremdem Territorium aus. Die USA behaupteten sowohl im NicaraguaKonflikt wie auch beim Einsatz gegen Libyen, ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gegen Staaten zu besitzen, die terroristische Gruppierungen substanziell unterstützen. Ihr Vorgehen in diesen Fällen ist in der Staatengemeinschaft auf weitverbreitete Kritik gestoßen. Diese 214 O’Brien, Virginia Journal of International Law 30 (1990), S. 471; Arend, in: Arend/Beck, 1993, S. 170; Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 45; Schrijver, NILR 48 (2001), S. 275; anders Franck, Recourse to force, S. 253. 215 So auch Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 832. 216 Dinstein, Self-Defense, S. 199 f.; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28; Erickson, State-Sponsored International Terrorism, S. 135; Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 373; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 141, m. w. N. auf S. 145, Fn. 595.
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war jedoch in allen Fällen allgemein-politischer Natur und richtete sich nicht explizit gegen die von den USA vorgenommene Zurechnung von Terrorakten zu den von ihnen angegriffenen Staaten. Eine substantielle Unterstützung wurde auch vom Iran 1999 zur Zurechnung herangeführt. Die Mehrheitsentscheidung des IGH im Nicaragua-Fall schließlich machte deutlich, dass Waffenlieferungen, logistische und andere Hilfe nicht ausreichen, um einen bewaffneten Angriff zu begründen, er schloss andererseits aber ein Recht auf Gegenmaßnahmen analog dem Selbstverteidigungsrecht gegen solche Unterstützungsleistungen nicht völlig aus. Unterstützt wird der Ausschluss dieser Unterstützungshandlungen aus der Zurechnung zum bewaffneten Angriff von der Aggressionsdefinition. Eine Zurechnung terroristischer Akte zu einem Unterstützerstaat ist nach den IGH-Kriterien nur bei einer effektiven Kontrolle des Staates über die Akteure und deren Handlungen möglich. Eine solche Kontrolle lässt sich ebenfalls hinsichtlich des Attentatsversuches im Irak 1993 feststellen. Die daraufhin ausgeübte militärische Gewalt der USA fand auch weitestgehend Akzeptanz bei der Staatengemeinschaft, so dass die Nicaragua-Kriterien als gewohnheitsrechtlich anerkannt bewertet werden können. Dass bei Vorliegen einer effektiven Kontrolle der nichtstaatlichen Akteure und deren jeweiligen Handlungen eine Zurechnung zum Staat möglich ist, ergibt sich a fortiori auch aus dem Tadic-Urteil, wenngleich der ICTY mit überzeugender Begründung noch einen Schritt weiter geht und eine generelle Kontrolle bei hierarchisch organisierten terroristischen Gruppen ausreichen lässt. Ob sich diese Auffassung bis September 2001 durchgesetzt hat, ist mangels Staatenpraxis unklar. Daher wird im Folgenden von einer Zurechnung im Sinne der Nicaragua-Kriterien ausgegangen.217 cc) Duldungskonstellation Eine Zurechnung in der Duldungskonstellation, in der ein Staat trotz vorhandener Mittel zur Verhinderung der Gewaltakte duldet, dass terroristische Akte von seinem Territorium aus gegen das Gebiet eines anderen Staates vorgenommen werden – sei es durch direkte Anschläge oder durch das Betreten des Territoriums des Zielstaates zur Ausführung der Anschläge – findet keine überwiegende Zustimmung in der Staatenpraxis. Diesbezüglich gab es weder einen Konsens im Rahmen der Aggressionsdefinition noch in den aufgeführten Fällen der militärischen Einsätze Israels von 1981 und 1985. Lediglich der militärische Einsatz der USA in Afghanistan und im Sudan 1998 deutet auf eine verstärkte Annahme einer Zurechnung in der Duldungskonstellation hin, nicht jedoch ohne Widerspruch bei einigen Staa217
So zustimmend statt vieler Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 31.
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ten hervorgerufen zu haben. Das geteilte Bild in der Staatenpraxis ist auch Spiegelbild der diesbezüglichen Literaturmeinungen. Auch in den aufgeführten Urteilen nebst den abweichenden Meinungen der entsprechenden Richter lassen sich keine Fürsprecher für eine solche Zurechnung finden, allerdings gab es auch keinen Anlass, sich direkt zu dieser Konstellation zu äußern. dd) Unfähigkeitskonstellation Eindeutig negativ ist zuletzt das Bild, dass die Praxis bezüglich des Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung in Situationen zeigt, in denen ein Staat unfähig ist, den in der Duldungskonstellation beschriebenen Gewaltakten zu begegnen. Zwar beanspruchten in der Vergangenheit einige Staaten, die auch ein Recht auf individuelle Selbstverteidigung in der Duldungskonstellation für sich in Anspruch nahmen, ein solches Recht in der Unfähigkeitskonstellation, so etwa Israel 1981 und 1985. Dem gegenüber stehen jedoch die kritischen Äußerungen vieler anderer Staaten, der im Rahmen der Aggressionsdefinition gefundene Konsens der Staaten, sowie die im Nicaragua-Urteil festgelegten Kriterien zur Zurechnung. 2. Das Intensitätserfordernis Über die Zurechnung terroristischer Anschläge zu einem Staat hinaus stellt sich die Frage, ob der in Art. 51 UNC vorausgesetzte bewaffnete Angriff ein gewisses Maß an Intensität erreichen muss.218 Dies bedarf gerade im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen einer Klärung, da terroristische Anschläge in sehr unterschiedlichem Ausmaß vorstellbar sind. Der Wortlaut von Art. 51 UNC sieht kein Intensitätserfordernis vor. Aus systematischen Erwägungen wird jedoch von der herrschenden Meinung in der Literatur eine hinreichende Intensität gefordert, was sich aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Art. 51 und Art. 2 Ziff. 4 UNC ergibt. Aus der Tatsache, dass nicht auch im Rahmen des Art. 51 UNC auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt abgestellt wird, sondern ein bewaffneter Angriff Voraussetzung ist, könnte geschlossen werden, dass nicht gegenüber jeder verbotenen Gewaltanwendung ein Selbstverteidigungsrecht ausgeübt werden darf, sondern gerade ein bestimmter Grad an Intensität erreicht werden muss.219 218 So gefordert vom IGH, Nicaragua-Case, ICJ Reports 1986, 14 (103); Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 19; Wengler, Gewaltverbot, S. 13 f. 219 So etwa Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 4.
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Auch die in diesem Zusammenhang oftmals angeführte Resolution 3314 (XXIX) ergibt kein gegenteiliges Bild. Unterstützt wird dies durch das Nicaragua-Urteil des IGH. In dem Urteil stellte der IGH fest, dass die in Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition gegebenen Beispiele Fälle eines bewaffneten Angriffs seien. Zudem entschied der Gerichtshof weiter, dass unterschieden werden müsse zwischen einem bewaffneten Angriff und einem „mere frontier incident“, da der bewaffnete Angriff „some scale and effects“ aufweisen müsse. Zudem zeigt die Staatenpraxis, dass insbesondere Israel versuchte, sich auf die accumulation of events-Doktrin220 zu berufen, um auch die erforderliche Intensität des bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 UNC zu erreichen. Die Staatengemeinschaft kritisierte zwar die Einsätze und zum Teil explizit auch die Berufung auf diese Doktrin, äußerte jedoch keine Bedenken gegenüber dem Erfordernis, dass ein hinreichend intensiver bewaffneter Angriff bestehen müsste. Es bleibt daher abschließend festzuhalten, dass das bisherige Recht der Vereinten Nationen fordert, dass der bewaffnete Angriff eine gewisse Intensität aufweisen muss. Ob möglicherweise mehrere nicht so intensive terroristische Anschläge zu einem zusammengefasst werden können, der dann das Intensitätserfordernis des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UNC erfüllt, soll sogleich im Rahmen der accumulation of events-Doktrin näher Erwähnung finden. 3. Die Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs Im Gegensatz zu klassischen zwischenstaatlichen Kampfhandlungen ist die typische Vorgehensweise von Terroristen ein einzelner punktueller Einsatz. Es stellt sich demnach zum einen die Frage, ob ein Staat auch dann in Selbstverteidigung handelt, wenn er nach Abschluss eines Attentats oder mehrer Anschläge – möglicherweise erst Tage oder Monate später – militärische Maßnahmen ergreift. Zum anderen bedarf es der Klärung, ob und inwieweit präventive Maßnahmen gegen bevorstehende terroristische Akte vom Selbstverteidigungsrecht umfasst sind. a) Das klassische Verständnis der Gegenwärtigkeit Weitgehende Einigkeit bestand zunächst dahingehend, dass ein Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UNC dann erlaubt ist, wenn der bewaffnete Angriff noch gegenwärtig ist. Ob durch Zeitablauf das Recht auf Selbstverteidigung wegen fehlender Gegenwärtigkeit bzw. Unmittelbarkeit 220
Siehe unten zur accumulation of events-Doctrin S. 170 ff. und S. 269 ff.
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„verwirkt“ werden kann, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.221 So ändern Zeitverzögerungen durch Vorbereitung von Militäraktionen in Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes ebenso wie Verhandlungen oder natürliche Einflüsse, etwa Witterungsverhältnisse, am Andauern der Gegenwärtigkeit des Angriffs nichts.222 b) Die Accumulation of events-Doktrin Geradezu typisches Charakteristikum terroristischer Akte ist die mehrfache punktuelle Gewaltanwendung. Dabei stellt sich, eng mit dem Intensitätserfordernis und dem Gegenwärtigkeitskriterium verknüpft, die Frage, ob auch eine Mehrzahl von derselben Quelle herrührender Gewaltakte zu einem bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 UNC zusammengefasst werden kann, die in zeitlichen Intervallen vorgenommen werden. Geht man nach der oben vertretenen Auffassung davon aus, dass punktuelle Gewaltanwendungen unterhalb der erforderlichen Schwere keinen bewaffneten Angriff begründen, dann bedarf es eines Rückgriffs auf die accumulation of events-Doktrin. Darüber hinaus hat die accumulation of events-Doktrin wichtige Auswirkungen auf das Kriterium der erforderlichen Gegenwärtigkeit eines bewaffneten Angriffs.223 Mit ihr werden die einzelnen Angriffe summiert und als eine zusammengehörige, fortgesetzte und somit gegenwärtige Angriffssituation betrachtet. Eine Ablehnung der Doktrin hingegen bedeutet, dass jede einzelne Gewaltanwendung aufgrund des hier vertretenen Erfordernisses einer gewissen Intensität des Angriffs nicht automatisch einen abgeschlossenen, bewaffneten Angriff darstellt. Eine Selbstverteidigungsmaßnahme ist dann auch mangels Gegenwärtigkeit des Angriffs nicht mehr möglich. Lediglich ein Rückgriff auf das höchstens in engen Grenzen zulässige präventive Selbstverteidigungsrecht erscheint denkbar, kann jedoch aufgrund der sogleich darzustellenden uneinheitlichen Praxis nicht angenommen werden. In der Literatur wird die accumulation of events-Doktrin nach wohl h. M. vor allem deshalb abgelehnt, weil die Annahme eines fortdauernden Angriffs sowohl bereits in sich abgeschlossene wie auch noch zu erwartende Angriffshandlungen umfasst. Dadurch trage im Hinblick auf die bereits abgeschlossenen Angriffshandlungen die Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes nicht mehr den erforderlichen Charakter einer Verteidigungs221
Dinstein, Self-Defense, S. 236; Fischer, in: Ipsen, 5. Auflage, § 59, Rn. 38. Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 38. 223 Zuletzt ist, wie Kreß zu Recht feststellt, zu berücksichtigen, dass sich bei der Annahme der accumulation of events-Doktrin eine Änderung des für die Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgeblichen Bezugspunktes ergibt, S. 197. 222
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maßnahme.224 Das Selbstverteidigungsrecht erlösche nach Ausführung eines singulären bewaffneten Angriffs, da eine darauf erfolgende Gewaltanwendung nicht mehr die Abwehr des Angriffs zum Ziel haben könne, sondern lediglich den Charakter einer repressiven Strafmaßnahme besäße. Solche repressiven militärischen Strafmaßnahmen seien jedoch unzulässig, wie sich nicht zuletzt225 aus der Friendly Relations Declaration ergebe, die in Art. 7 des 1. Grundsatzes festlegt: „Die Staaten haben die Pflicht, Vergeltungsmaßnahmen, welche die Anwendung von Gewalt einschließen, zu unterlassen.“ Im Hinblick auf die zu erwartenden Angriffe erhalte das Selbstverteidigungsrecht eine Abschreckungsfunktion. Zudem sei unklar, welchen Anknüpfungspunkt die Verhältnismäßigkeitsprüfung habe, ob die bereits geschehenen oder noch bevorstehenden Gewaltakte das verhältnismäßige Mittel bestimmen.226 Befürworter der accumulation of events-Doktrin halten dem entgegen, dass einzelnen, zeitlich sehr begrenzten Angriffen bei Ablehnung der Doktrin nicht wirksam zu begegnen sei.227 Daher seien die Zeiträume zwischen den jeweiligen einzelnen Anschlägen entsprechend dem vorübergehenden Ausbleiben von Kampfhandlungen zwischen den Angriffen einer klassischen militärischen Operation zu bewerten.228 Auch die Praxis der Staaten ist wenig eindeutig. Ab Mitte der sechziger Jahre berief sich Israel in verschiedenen Konflikten regelmäßig auf die Doktrin, ohne sie jedoch so zu bezeichnen, erntete aber stets deutliche Kritik diverser Staaten und mehrfache die jeweiligen Handlungen verurteilende Sicherheitsratsresolutionen.229 Auch die Generalversammlung äußerte 1986 nach dem Attentat auf die Berliner Diskothek „La Belle“, dass den USA kein Recht auf Selbstverteidigung zustünde, obwohl diese sich auf 224
Alexandrov, Self-Defense, S. 165. Auch die International Law Commission hat zwischen armed reprisals und Selbstverteidigung differenziert: Armed reprisals haben danach eher bestrafenden als verteidigenden Charakter, Report of the International Law Commission, ILCYearbook 1980 II 2, S. 53 f. 226 Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 80. 227 Levitt, in: Damrosch/Scheffer, S. 227; Cassese, ICLQ 38 (1989), S. 596; Dinstein, Self-Defense, S. 224 f.; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 36; Blum, GYIL 19 (1976), S. 233 f.; Blumenwitz, BayVBl 1986, S. 739 f.; Schachter, Michigan Law Review 82 (1983/84), S. 1638. Weitere Nachweise bei Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, Fn. 839. 228 Levitt, in: Damrosch/Scheffer, S. 227; Baker, Houston JIL 10 (1987), S. 47; Schachter, Houston JIL 10 (1987), S. 315. 229 Siehe zu den jeweiligen Konflikten mit entsprechendem Verweis auf die Annahme einer accumulation of events-Doctrin seitens Israels Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 82 ff. 225
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„ongoing pattern of attacks by Libya“ beriefen. Eine zunehmende Annahme der accumulation of events-Doktrin in der Staatengemeinschaft deutete sich 1993 im Zusammenhang mit dem militärischen Einsatz der USA gegen den Irak an.230 Auch die Reaktionen auf die Gewaltanwendungen der USA gegen Afghanistan und Sudan 1998 unterstützen diese Tendenz. Eine hinreichend einheitliche Staatenpraxis kann dem jedoch noch nicht entnommen werden. Im Ergebnis ist daher insgesamt bis 2001 das Gegenwärtigkeitskriterium (noch) nicht durch die accumulation of events-Doktrin erweitert worden. Das Selbstverteidigungsrecht kann daher nur nach Maßgabe des klassischen Verständnisses des Gegenwärtigkeitskriteriums ausgeübt werden. Auch die für den bewaffneten Angriff erforderliche Intensitätsschwelle kann nicht durch den Zusammenschluss mehrerer nicht ausreichend intensiver terroristischer Anschläge überwunden werden. c) Das Recht auf präventive Selbstverteidigung Ob die Charta das Recht garantiert, angesichts der durch einen unmittelbar bevorstehenden Angriff drohenden Zerstörung präventiv231 selbst bewaffnete Handlungen vorzunehmen, wird kontrovers diskutiert. Zunehmend wird darauf aufmerksam gemacht, dass es im Hinblick auf den Rüstungsstand und die heutige Waffentechnik unrealistisch sei zu erwarten, dass Staaten ihre drohende Zerstörung, die bereits durch einen einmaligen Einsatz mit modernen Waffen durch den Gegner erreicht werden könnte, in Kauf nähmen, bevor sie selbst tätig werden dürften.232 Die Staatenpraxis ergibt ein uneinheitliches Bild. Klassische Beispiele der Staatenpraxis sind der Präventivangriff Israels auf Ägypten im 6-TageKrieg und der israelische Bombenangriff auf den im Bau befindlichen irakischen Atomreaktor Tamuz I im Jahre 1981.233 Die Äußerungen und das Verhalten einzelner Staaten zu den Ereignissen spiegeln jedoch das bereits uneinige Bild der Literatur wider. So wurde der Angriff im Sechs-Tage230 Dieser Tendenz stimmt auch Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 203 f. zu. 231 Der Begriff „präventiv“ wird hier verstanden als Oberbegriff für antizipatorische und präemptive Selbstverteidigung. Nur zum Teil wird in der älteren Literatur zwischen präemptiver und antizipatorischer Selbstverteidigung differenziert, so z. B. bei Alexandrov, Self-Defense, S. 149 ff. Neu entfacht ist diese Unterscheidung mit dem Irak-Konflikt 2003, siehe dazu unten mit entsprechenden begrifflichen Klärungen S. 308 ff. 232 Higgens, S. 242. 233 Siehe z. B. die Stellungnahme von Blum, UN Doc. S/PV.2280, S. 52.
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Krieg mehrfach vom Sicherheitsrat kritisiert.234 Im Verlauf der Debatte über diesen Krieg wurde allerdings von einer beträchtlichen Zahl von Staaten nicht die grundsätzliche Berechtigung Israels zu einem Präventivschlag gegen Ägypten bestritten, sondern vielmehr das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen – d.h. eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs Ägyptens – bezweifelt.235 1981 verurteilte der UN-Sicherheitsrat mit Resolution 487 einstimmig den israelischen Angriff auf den Irak als eindeutige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen.236 Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass damit ein Recht auf präventive Selbstverteidigung grundsätzlich abgelehnt wurde. So hielten einige Staaten ein solches Recht nach der Charta grundsätzlich für möglich, sahen jedoch im vorliegenden Fall die dann zu erfüllenden Caroline-Kriterien als nicht gegeben an.237 Andere Staaten aus verschiedenen Rechtskreisen hingegen lehnten ein Recht auf präventive Selbstverteidigung generell ab.238 Ein weiteres Beispiel für eine israelische präventive Militäroperation ereignete sich am 4. Februar 1986. An diesem Tag wurde ein libysches Flugzeug, das auf dem Flug von Tripolis nach Damaskus war, von der israelischen Luftwaffe zur Landung in Israel gezwungen, da in der Maschine Terroristen vermutet wurden.239 An Bord befanden sich jedoch lediglich syrische Politiker. Israel vertrat im Sicherheitsrat die Auffassung: „As for the principle of the limits, the absolutist limits, on self-defence, we would say that a nation attacked by terrorists is permitted to use force to prevent or preempt future attacks, and we would add that it is simply not serious to argue that international law prohibits us capturing terrorists in international waters or international airspace.“240
Eine von Syrien angestrebte Verurteilung der Handlung Israels scheiterte am Veto der USA, die die Auffassung vertraten, dass das Abfangen eines Flugzeuges in einigen Fällen gerechtfertigt sein könne.241 234
So z. B. in Res. 233 vom 6. Juni 1967 und Res. 242 vom 22. November 1967. Siehe dazu die Debatten im UN-Yearbook 1967, S. 174 ff. und 191 ff. So auch Hailbronner, DGVR 26 (1986), S. 80. 236 SC Res. 487 vom 19.6.1981. 237 Siehe z. B. Großbritannien, UN Doc. S/PV.2282, S. 42; Sierra Leone, UN Doc. S/PV.2283, S. 56 f. 238 Siehe dazu Alexandrov, Self-Defense, S. 160; Hailbronner, BDGV 26 (1986), S. 82. 239 Archiv der Gegenwart vom 19. Februar 1986, 29634 A; Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 48. 240 UN Doc. S/PV. 2651, 19-20 (4. Februar 1986) (Mr. Netanyahu, Israel). 241 UN Doc. S/PV.2674 (15. April 1986). 235
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Neben der Staatenpraxis ließe sich auch Art. 2 der Aggressionsdefinition heranziehen. Danach ist zwar die erste Anwendung von Waffengewalt als prima facie-Beweis für das Vorliegen einer Angriffshandlung zu werten. Der Sicherheitsrat ist danach jedoch „angesichts [. . .] bedeutsamer Umstände“ berechtigt, bei einer als Erstschlag ausgeführten militärischen Maßnahme ausnahmsweise keine Angriffshandlung anzunehmen. Welche Situationen mit „bedeutsamen Umständen“ im Sinne des Artikels 2 Aggressionsdefinition gemeint sind, ist der Norm nicht zu entnehmen. Dort wird lediglich beispielhaft die Tatsache, dass die betreffende Handlung oder ihre Folge nicht von ausreichender Schwere sind, als ein solcher Umstand genannt. Daher lässt sich daraus jedenfalls kein absolutes Verbot von Präventivschlägen herleiten.242 Die Befürworter eines präventiven Selbstverteidigungsrechtes ziehen neben der Staatenpraxis als Grundlage den Caroline-Fall aus dem Jahre 1837 heran.243 Dem Fall lag die aktive Unterstützung der Rebellion in Kanada durch private Organisationen zu Grunde, die von amerikanischem Territorium aus agierten, was zu einer Auseinandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien führte. Auf dem Schiff Caroline wurden Materialen und Personal zur Unterstützung von Angriffen Privater auf die kanadische Seite gebracht. Obwohl die Behörden der USA davon Kenntnis hatten unternahmen sie nichts dagegen. Als Reaktion darauf besetzte eine militärische Einheit Großbritanniens das Schiff, während es sich auf US-amerikanischer Seite befand, zündete es an und ließ es über die Niagara-Fälle treiben. Zwei Männer an Bord der Caroline wurden erschossen. Die Britische Regierung war der Auffassung, der militärische Einsatz sei vom Recht auf Selbstverteidigung und Selbsterhaltung gedeckt gewesen, da die USA illegale Unterstützungshandlungen unternommen habe. Die USA akzeptierten die Möglichkeit eines Selbstverteidigungsrechtes gegen grenzübergreifende Angriffe Privater, beschränkten jedoch die Annahme der präventiven Selbstverteidigung von Staaten auf die sogenannte Webster-Formel von 1842, nach der der Nachweis einer „necessity of self-defence, instant, 242 Hailbronner, DGVR 26 (1986), S. 80; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 34. 243 Für ein solches präventives Selbstverteidigungsrecht zum Teil gestützt auf Art. 51 UNC, zum Teil auf neben Art. 51 UNC geltendes Völkergewohnheitsrecht seien hier nur stellvertretend genannt: Bowett, Self-Defence, S. 188 f.; Schwebel, RdC 136 (1972 II), S. 478 ff.; Schachter, Michigan Law Review 82 (1984), S. 1634 f.; Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 761; Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 80 f.; Waldock, RdC 81 (1951-II), S. 497 f.; Blum, GYIL 19 (1976), S. 234, Wright, AJIL 53 (1959), S. 117.
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overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation“ geführt werden müsse.244 Die Gegner eines präventiven Selbstverteidigungsrechtes stützen sich auf den Wortlaut des Art. 51 UNC245 und auf Sinn und Zweck des Art. 51 UNC.246 Zudem wird vorgebracht, dass das Selbstverteidigungsrecht durch eine Ausweitung auf Präventivmaßnahmen Gefahr liefe, ausgehöhlt zu werden und Missbrauch Tor und Tür geöffnet würden.247 Aufgrund uneinheitlicher Staatenpraxis, opinio iuris und mangelnder Einigkeit im Schrifttum ist in der Gesamtheit dennoch bis zum Jahre 2001 nicht zu konstatieren, dass von Art. 51 UNC ein präventives Selbstverteidigungsrecht umfasst wird.248 II. „Gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ Der bewaffnete Angriff muss gemäß dem Wortlaut des Art. 51 UNC gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen erfolgen. Eine Betrachtung dieses Aspektes soll zusammenfassend für die Rechtslage vor und nach 2001 im nachfolgenden Katpitel erfolgen.249
C. Rechtsfolge des Selbstverteidigungsrechtes I. Wahrung des Unmittelbarkeitszusammenhangs Die Selbstverteidigungsmaßnahme muss sich nach ganz eindeutig herrschender Meinung unmittelbar an den bewaffneten Angriff anschließen.250 244 Webster, Parliamentary Papers 61 (1843); British & Foreign State Papers 30, 193. Vergleiche zum Sachverhalt Meng, in: EPIL, Bd. I, 1992, S. 538; Jennings, AJIL 32 (1938), S. 82 ff. 245 Stellvertretend für Vertreter gegen ein präventives Selbstverteidigungsrecht: Alexandrov, Self-Defense, S. 162; Cassese, in: Cot/Pellet, S. 776 ff.; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 30; Wengler, Gewaltverbot, S. 5 f.; Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 275 ff.; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1675. 246 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 34. 247 Alexandrov, Self-Defense, S. 162; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 30; Schulze, in: Wolfrum, Nr. 102, Rn. 22; Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1675. Für eine abschließende Diskussion siehe unten S. 308. 248 Diejenigen, die bereits vor 2001 eine begriffliche Trennung zwischen antizipatorischem und präemptivem Selbstverteidigungsrecht machen, sind der Auffassung, dass ein Recht auf Selbstverteidigung in letzterem Fall nicht besteht. Alexandrov, Self-Defense, S. 165; Schachter, Michigan Law Review 82 (1984), S. 1633 ff. 249 Siehe dazu unten S. 273 ff. 250 Statt vieler Fischer, in: Ipsen, S. 949, Rn. 38.
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Welcher zeitliche Rahmen bei Selbstverteidigungshandlungen gegen terroristische Angriffe zu dulden ist, soll ebenfalls in einer Gesamtbetrachtung im dritten Kapitel kurz Erwähnung finden.251 II. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit Zwar nennt Art. 51 UNC weder die Erforderlichkeit noch Verhältnismäßigkeit der Selbstverteidigungsmaßnahme als Voraussetzung, beide stellen jedoch allgemeine Prinzipen des Völkerrechts dar.252 Einigkeit besteht dahingehend, dass die Selbstverteidigungsmaßnahme dann nicht erforderlich ist, wenn ein milderes Mittel besteht, den Konflikt zu lösen, insbesondere wenn eine friedliche Einigung zu erreichen ist.253 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit finden verschiedene Kriterien Berücksichtigung. Zum einen bildet das Selbstverteidigungsrecht eine Ausnahme vom Gewaltverbot und setzt einen bewaffneten Angriff voraus, so dass es nur ausgeübt werden kann bis das Ziel, die Abwehr des Angriffs, erreicht ist.254 Insbesondere Vergeltungs- und Bestrafungsaktionen sind deshalb nicht verhältnismäßig.255 Zum anderen bestimmt sich die zulässige Art und Intensität der Selbstverteidigungsmaßnahme nach der des vorausgegangenen bewaffneten Angriffs.256 Die Besonderheit der Abwehr terroristischer Anschläge liegt darin, dass die eigentliche Abwehr eines terroristischen Anschlages oft insofern nicht mehr möglich sein wird, als dieser Anschlag bereits abgeschlossen ist. Ergebnis wäre dann, dass das Ziel, die Abwehr des terroristischen Anschlages oft nicht mehr erreicht werden kann und daher eine Selbstverteidigungsmaßnahme nicht mehr verhältnismäßig wäre. Daher bedarf es auch unter dem Aspekt einer genaueren Betrachtung der Rechtslage nach 2001.257 251
Siehe dazu unten S. 279. Ausführlich zum allgemeinen Proportionalitätsprinzip Delbrück, in: EPIL, Instalment 7, 1984, S. 396 ff. Dass sowohl die Erforderlichkeit wie auch die Verhältnismäßigkeit von Selbstverteidigungsmaßnahmen zu prüfen sind, zeigen auch z. B. die Äußerungen der Staaten in den oben aufgeführten Staatenbeispielen. Dazu auch statt vieler: Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 37. 253 Dinstein, Self-Defense, S. 231; Nanda, AJIL 84 (1990), S. 497. 254 Schindler, BDGV 26 (1986), S. 17; Delbrück, in: EPIL, Bd. III, S. 1141. 255 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 37; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 39. 256 IGH, Nicaragua-Case, ICJ Reports 1986, S. 103, 122; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 39. Auch die Stellungnahmen der Staaten zeigen dies, da häufiger Kritikpunkt von Selbstverteidigungsmaßnahmen nicht die Rechtsgrundlage sondern das unangemessene Verhältnis zwischen der auslösenden Ursache, also dem bewaffneten Angriff, und der Reaktion waren. 257 Siehe dazu auführlicher S. 280. 252
2. Kap.: Selbstverteidigungsrecht vor dem 11. September 2001
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III. „Bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“ Das Selbstverteidigungsrecht nimmt in der Charta nur eine subsidiäre und provisorische Rolle ein und endet gemäß Art. 51 UNC, wenn der Sicherheitsrat „die zur Wahrung des Weltfriedens erforderlichen Maßnahmen“ getroffen hat. Das Ziel des kollektiven Sicherheitssystems ist also dem Schutz des Staates übergeordnet, jedoch nur in bestimmten Grenzen: Insbesondere müssen die vom Sicherheitsrat getroffenen Maßnahmen – gemessen an objektiven Maßstäben – effektiv sein, so dass nicht jede Maßnahme, die der Sicherheitsrat für hinreichend hält, das Selbstverteidigungsrecht wegfallen lässt.258 Danach steht es dem Sicherheitsrat frei, entweder gegen den Aggressor vorzugehen oder dies hinten anzustellen und stattdessen auf eine schnelle Beendigung des ausgebrochenen Konfliktes hinzuwirken, selbst wenn dies zur Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des angegriffenen Staates führt.259 Diese zeitliche Begrenzung des Selbstverteidigungsrechtes gilt ebenso für Maßnahmen gegen terroristische Anschläge wie gegen sonstige bewaffnete Angriffe. Besonderheiten für terroristische Anschläge sind nicht erkennbar. IV. Individuelle und kollektive Selbstverteidigung Auch bei der Abwehr terroristischer Anschläge ebenso wie bei anderen bewaffneten Angriffen haben die Staaten gemäß Art. 51 UNC nicht nur ein Recht zur individuellen sondern auch zur kollektiven Selbstverteidigung. Daraus ergibt sich nicht nur das Recht, zur gemeinsamen, koordinierten Ausübung des individuellen Selbstverteidigungsrechtes durch mehrere angegriffene Staaten, sondern auch ein Nothilferecht. Dies bedeutet, dass selbst nichtangegriffene Staaten einem angegriffenen Staat militärisch Hilfe leisten können, wenn dieser sich als angegriffen deklariert und mit der Hilfe einverstanden ist. Dabei ist auch die Maßnahme kollektiver Selbstverteidigung nicht auf das Gebiet des Opfers beschränkt, sondern kann auch auf dem Territorium des Angreiferstaates durchgeführt werden. Dieses Verständnis des Art. 51 UNC entspricht der ganz überwiegenden Ansicht der Literatur260 sowie der Entstehungsgeschichte261 und der Staatenpraxis.262 Auch 258
Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, S. 394. Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, S. 394. 260 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 32; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 474, S. 241; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 41; Malanczuk, S. 317 f.; SeidlHohenvelder/Stein, Rn. 1787; Delbrück, in: EPIL, Instalment 3, 1981, S. 114 f.; Malanczuk, Akehurst’s Modern Introduction to International Law, S. 224 f. 259
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
der IGH hat in seinem Nicaragua-Urteil das Recht auf kollektive Selbstverteidigung im Sinne eines Nothilferechts interpretiert. Er stellte lediglich klar, ein bloßes Einverständnis des angegriffenen Staates reiche nicht aus, vielmehr sei ein explizites Hilfeersuchen („request“) erforderlich.263 Das Erfordernis eines solchen Hilfeersuchens wird jedoch in der Literatur zumeist abgelehnt, da durch diese Formalität die Effektivität in akuten Notsituationen beeinträchtigt werde und auch in der Staatenpraxis ein solches Erfordernis nicht erkennbar sei.264
D. Zwischenergebnis Der kurze Überblick über die Rechtslage bis zum Jahre 2001 hat gezeigt, dass im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes nicht völlig eindeutig sind. Einzige Rechtsgrundlage für militärische Reaktionen gegen internationalen Terrorismus ist neben Maßnahmen des Sicherheitsrates jedoch nur das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC mit den darin genannten Voraussetzungen. Nach bisheriger Rechtslage kommen weder ein darüber hinausgehendes gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht noch andere nicht in der Charta normierte Rechtfertigungsgründe in Betracht. Nach der bisherigen Rechtslage ist aber festzuhalten, dass sich ein Staat nur dann im Wege der Selbstverteidigung gegen einen terroristischen Anschlag militärisch zur Wehr setzen kann, wenn strenge Voraussetzungen erfüllt sind. Der terroristische Anschlag muss einem Staat zurechenbar sein. Die Zurechnung erfordert in Anlehnung an den IGH eine effektive Kontrolle. Daüber hinaus reichen terroristische Anschläge von geringer Inensität nicht aus, um einen bewaffneten Angriff zu begründen. Vielmehr muss ein bestimmtes Maß, vergleichbar mit dem, welches über blose Grenzzwischenfälle hinausgeht, erreicht werden. Weder dies Intensität noch die Gegenwärtigkeit eines Angriffs kann dadurch erreicht werden, dass im Wege der accumulation of events-Doktrin mehrere kleinere terroristische Anschläge zusammengefasst werden. Außerdem gibt es bisher kein Recht auf präventive 261
Siehe dazu Neuhold, Internationale Konflikte S. 146 f. Dies wird bereits durch die Vielzahl der unbestritten rechtmäßigen Verteidigungsbündnisse bestätigt, so etwa der NATO-Vertrag von 1949 (34 UNTS 243), der Warschauer Pakt von 1955 (219 UNTS 3), der Brüsseler Pakt von 1948 (19 UNTS 53) sowie der Rio-Pakt von 1947 (21 UNTS 77). 263 ICJ Reports 1986, 14 (103 f.), para. 195 f. 264 Moore, AJIL 81 (1987), S. 155; Randelzhofer in: Simma, Art. 51, Rn. 33; Schulze, in: Wolfrum, Nr. 102, Rn. 37. 262
3. Kap.: Selbstverteidigungsrecht nach dem 11. September 2001
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Selbstverteidigung. Dadurch stellt sich auch die Frage, wann eine Selbstverteidigungsmaßnahme gegen einen terroristischen Anschlag überhaupt noch verhältnismäßig sein kann. Ob die Entwicklungen in der Staatenpraxis ab dem Jahre 2001 zu einer Klärung oder Veränderung der Bewertung der Rechtsgrundlage und der einzelnen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes geführt haben, soll Gegenstand des nachfolgenden Kapitels sein.
3. Kapitel
Das Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Akte nach dem 11. September 2001 A. Die Darstellung aller für das Selbstverteidigungsrecht rechtlich relevanten Ereignisse ab 2001 Die Terroranschläge vom 11. September 2001 lassen sich nicht mit vorangegangenen terroristischen Anschlägen vergleichen. Ihr Ausmaß ist vergleichbar mit herkömmlichen staatlichen bewaffneten Angriffen. Ihre Wirkung auf die gesamte Weltöffentlichkeit war enorm. Ob sie jedoch auch zu einer Veränderung oder Verfestigung für das im 2. Kapitel zusammengefasste, bis dahin geltende Völkerrecht geführt haben, bedarf der genaueren Betrachtung. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Ereignisse dazu geführt haben, dass auch nichtstaatliche Akteure bewaffnete Angriffe im Sinne von Art. 51 UNC begehen können, insofern auf das Kriterium der Zurechenbarkeit eines privaten Angriffs zu einem Staat ganz verzichtet werden kann. Fraglich wäre dann weiter, ob die Konsequenz des Verzichts auf einen staatlichen bewaffneten Angriff automatisch zu einer Duldungspflicht des Aufenthaltstaates von Terroristen führt, dass militärische Maßnahmen auf seinem Territorium gegen die privaten Akteure vorgenommen werden, oder ob es weiterer Voraussetzungen bedarf um gegen die Angreifer und gegebenenfalls auch gegen den Aufenthaltsstaat militärisch vorzugehen. Denkbar ist hingegen auch das Festhalten am Erfordernis eines staatlichen bewaffneten Angriffs im Rahmen des Art. 51 UNC. Dann müsste eine Konkretisierung erfolgen, wann ein privates Handeln einem Staat zurechenbar ist, um den Anforderungen des bewaffneten Angriffs zu genügen. Zur Entscheidung über die Frage der Erforderlichkeit eines staatlichen bewaffneten Angriffs und der sich daraus ergebenden Konsequenzen sowie zu allen weiteren für terroristische Akte wichtigen Voraussetzungen des Art. 51 UNC soll zunächst eine Darstellung aller für das Selbstverteidi-
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
gungsrecht relevanten „Ereignisse“ erfolgen. Anschließend erfolgt dann eine „neue“ Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes. Dabei wird anhand der aktuellen Staatenpraxis, der neueren Sicherheitsratsund Generalversammlungsresolutionen sowie Entscheidungen des IGH eine überwiegende Staatenpraxis zu den wichtigsten Aspekten des Selbstverteidigungsrechtes herausgestellt. Anschließend soll dann im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob die aktuelle Praxis mit der Textauslegung nach dem in der Arbeit verwandten auslegungsmethodischen Ansatz übereinstimmt. I. Die militärische Reaktion der USA und ihrer Verbündeten auf die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 1. Sachverhalt Nach den schrecklichen, allen in Erinnerung gebliebenen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon durch insgesamt drei in die Gebäude hineinstürzende Flugzeuge,265 begannen die USA und Großbritannien in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 2001 unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht die Militäroperation „Enduring Freedom“266 in Afghanistan. Bereits am Tag der Anschläge lief die Auswertung aller Anzeichen auf eine Verantwortlichkeit der terroristischen Gruppe al Qaida hinaus und am 15. September 2001 hatten die USA Usama bin Laden als Hauptverdächtigen der Anschläge ausgemacht. Die Basis der Terrororganisation war seit 1996 das Territorium Afghanistans. Die damalige de facto Regierung Afghanistans, die Taliban,267 wurde wiederholt dazu aufgefordert, den 265 Einen minutiösen Bericht des genauen Auflaufs der einzelnen Abläufe vom Einchecken der Terroristen bis zum Einsturz in die Gebäude liefert der von den USA eingesetzte Bericht der 11. September Kommission (im Folgenden: The 9/11 Commission Report) S. 1–46, abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/ report/911Report.pdf (Stand: 15. September 2005). 266 Zu den einzelnen vier Phasen der Operation siehe The 9/11 Commission Report, S. 337 f., abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/report/911 Report.pdf (Stand: 15. September 2005). Der eigentliche Titel der Operation, „Infinite Justice“, wurde geändert, um nicht schon deshalb mit Muslimen in Konflikt zu geraten, da diese mit „infinite justice“ allein Gott verbinden. 267 Vor dem 11. September hatte lediglich Pakistan diplomatische Verbindungen zu den Taliban, eingeschränkt auch Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Nach den Ereignissen haben auch diese Staaten ihre diplomatischen Kontakte zum Taliban Regime abgebrochen. Auch sie anerkannten die Beweise für eine Verbindung von Usama bin Laden mit den Anschlägen und versuchten vergebens, die Taliban von einer Auslieferung zu überzeugen. Siehe dazu den Brief des Ständigen Vertreters der Vereinigten Arabischen Emirate an die Vereinten Nationen vom 24. September 2001, UN Doc. S/2001/903, Brief des Permanent Representative of
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Verdächtigen auszuliefern268 und die zuvor vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ergangenen Resolutionen269 zu erfüllen.270 Die Taliban hingegen bestritten eine Verwicklung Usama bin Ladens in die Terroranschläge und weigerten sich, den Verpflichtungen aus den Resolutionen nachzukommen.271 Bereits lange vor den Ereignissen des 11. Septembers 2001 hatte der Sicherheitsrat die Taliban mehrfach im Visier gehabt.272 So hatte der Sicherheitsrat bereits 1998 die afghanischen Bürgerkriegsparteien aufgefordert, Terroristen und ihre Organisationen nicht zu beherbergen und auszubilden und alle illegalen Drogenaktivitäten einzustellen.273 Noch im selben Jahr hatte er festgestellt, dass die von den Taliban kontrollierten Gebiete Herde des internationalen Terrorismus seien.274 Die mangelnde Bereitschaft der Taliban zur Kooperation hatte 1999 zur Verhängung von Sanktionen nach Kapitel VII der Charta geführt.275 In Sicherheitsratsresolution 1267 hatte der Rat unter anderem die Forderung an die Taliban gestellt: Saudi Arabia to the United Nations addressed to the Secretary-General vom 1. Oktober 2001, UN Doc. A/56/424; sowie Report of the Secretary-General, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, A/56/681-S/2001/1157, S. 6. 268 So die Aufforderung der USA an die Taliban: „Deliver to United States authorities all the leaders of Al Qaeda who hide in your land. Release all foreign nationals, including American citizens, you have unjustly imprisoned. Protect foreign journalists, diplomats, and aid workers in your country. Close immediately and permanently every terrorist training camp in Afghanistan, and hand over every terrorist and every person in their support structure to appropriate authorities. Give the United States full access to terrorist training camps, so we can make sure they are no longer operating.“, Adress before a Joint Session of the Congress on the United States Response to the Terrorist Attacks of September 11, 37 Weekly Comp. Pres. Doc. 1347 (vom 20. September 2001). Vergleiche z. B. die Aufforderung der USA an die Taliban, Usama bin Laden und seine Mittäter, angeklagt u. a. wegen der Bombardierungen der US-Botschaften in Nairobi, Kenia und Dar es Salaam, auszuliefern: UN Doc. S/1999/1021. 269 Insbesondere die Resolutionen 1267 vom 15. Oktober 1999, S/Res/1267 (1999) und Resolution 1333 vom 19. Dezember 2000 S/Res/1333 (2000), zu deren Einhaltung auch in der am 12. September 2001 ergangenen Resolution 1368, S/Res/1368 (2001), operativer Teil Nr. 4, aufgefordert wird. 270 Report of the Secretary-General, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, A/56/681-S/2001/1157, S. 6. 271 Report of the Secretary-General, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, A/56/681-S/2001/1157, S. 6. 272 Siehe u. a. UN SC Res. 1214 vom 8. Dezember 1998, operativer Teil 13; UN SC Res. 1267 vom 15. Oktober 1999, operativer Teil 1; UN SC Res. 1330 vom 19. Dezember 2000, operativer Teil 1. 273 GV-Res. 1193 (1998) vom 28. August 1998, Abs. 15. 274 GV-Res. 1214 (1998) vom 8. Dezember 1998. 275 UN SC Res. 1267 vom 15. Oktober 1999.
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„that the Afghan faction known as the Taliban [. . .] comply promptly with its previous resolutions and in particular cease the provision of sanctuary and training for international terrorists and their organizations, take appropriate effective measures to ensure that the territory under its control is not used for terrorist installations and camps, or for the preparation or organization of terrorist acts against other States or their citizens, and cooperate with efforts to bring indicted terrorists to justice.“276
Des Weiteren sollte Usama bin Laden unverzüglich an einen anderen Staat übergeben werden, damit gegen ihn Anklage erhoben werden könne. Hintergrund dieser Aufforderungen waren verschiedene Ereignisse in der Vergangenheit, für die die terroristische Organisation al Qaida und Usama bin Laden verantwortlich gemacht wurden.277 Die Nichtbefolgung der Resolutionen wurde dann ein Jahr später in Resolution 1333 als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eingestuft und die gegen die Taliban verhängten Sanktionen unter zusätzlicher Verhängung eines umfassenden Waffenembargos verschärft.278 Die in allen Resolutionen enthaltenen Aufforderungen an die Taliban, insbesondere die Beherbergung und Ausbildung von Terroristen und ihren Organisationen auf dem Territorium Afghanistans zu unterbinden und Usama bin Laden zu übergeben, wurden selbstverständlich auch nach dem 11. September 2001 mehrfach wiederholt,279 stießen jedoch auf Ablehnung seitens der Taliban.280 Die USA forderten u. a. eine bedingungslose Auslieferung von bin Laden und anderen al Qaida Führern und setzten ein Ultimatum, nach dem die Taliban-Regierung aufgefordert wurde, binnen 48 Stunden diesen Auslieferungsgesuchen nachzukommen und alle al Qaida Camps zu schließen.281 Gemäß den Erwartungen der USA kamen die Taliban diesen Aufforderungen nicht nach. Lediglich kurz vor Beginn der mili276 UN Doc. S/RES/1267 vom 15. Okober 1999, operativer Teil, Nr. 1. Ebenso Res. 1333 vom 19. Dezember 2000, operativer Teil, Nr. 1. 277 So etwa die Anschläge World Trade Center 1993, auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tanzania 1998, für die Usama bin Laden angeklagt wurde, siehe Indictment, United States v. Usama bin Laden et al. S(2) 98 Cr. 1023 (LBS) (S.D.N.Y., Nov. 4, 1998). Siehe für eine Zusammenfassung der Anschläge mit Al Qaida-Verwicklung Department of State, Patterns of Global Terrorism, App. B: Background Information on Terrorist Groups, Al Qaida, vom 30. April 2001, abrufbar unter: http://www.state.gov/s/ct/rls/pgtrpt/2000/2450.htm (Stand: 15. September 2005). 278 UN SC Res. 1333 vom 19. Dezember 2000. 279 Siehe zu den einzelnen Resolutionen des Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 unten S. 198 ff. 280 Siehe dazu Assessment of the French presidency of the Security Council (September 2001), S/2001/976, Annex, S. 9 f. vom 18. October 2001.
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tärischen Gegenmaßnahmen der USA deuteten Vertreter der Taliban-Regierung gegenüber pakistanischen Vertretern an, dass sie möglicherweise bereit wären, einige der von den USA gestellten Forderungen zu erfüllen.282 2. Stellungnahmen der USA Direkt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 machte der USamerikanische Präsident George W. Bush klar: „We will make no distinction between the terrorists who committed these acts and those who harbor them.“283 In einer weiteren am 20. September 2001 abgegebenen Erklärung gebrauchte der Präsident nicht mehr den Begriff „harbor“, sondern „support“.284 Zum Teil spiegelten sich die Erklärungen Bushs, die den Eindruck erweckten, dass die USA auch bei Beherbergung von Terroristen ein Recht auf Selbstverteidigung gegen den beherbergenden Staat für sich beanspruchten, auch in der offiziellen Stellungnahme der Vereinigten Staaten an den Sicherheitsrat wieder. Zwar wird zunächst festgestellt: „[. . .] my government has obtained clear and compelling informations that the Al-Qaeda organization, which is supported by the Taliban regime in Afghanistan, had a central role in the attacks.“285 281 White House paper: „Game Plan for a Political-Military Strategy for Pakistan and Afghanistan“ in dem folgende Forderungen der USA an die Taliban gestellt wurden: „surrender Bin Laden and his chief lieutenants, including Ayman al Zawahiri; tell the United States what the Taliban knew about al Qaeda and its operations; close all terrorist camps; free all imprisoned foreigners; and comply with all UN Security Council resolutions.“, aufgelistet in: The 9/11 Commission Report, S. 332, abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/report/911Report.pdf (Stand: 15 November 2005). So auch Murphy, AJIL 96 (2002), S. 244; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 87; E. Bumiller, President Rejects Offer by Taliban for Negotiations“, New York Times vom 15. Oktober 2001, A1. 282 The 9/11 Commission Report, S. 333, abrufbar unter: http://www.9-11com mission.gov/report/911Report.pdf. 283 Statement by the President in His Address to the Nation, 11. September 2001, abrufbar unter: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010911-16. html (Stand: 15. September 2005); auch in: 37 WeeklyComp.Pres.Doc. 1301 (17. Sept. (2001)); siehe auch The 9/11 Commission Report, S. 330, abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/report/911Report.pdf (Stand: 15. September 2005); dies wurde auch im Sicherheitsrat mehrmals wiederholt, sie u. a. Mr. Cunningham, UN Doc. S/PV.4370, S. 8. 284 President Bush’s Address to a Joint Session of Congress and the American People vom 20. September 2001: „The enemy of America is not our many Muslim friends; it is not our Arab friends. Our enemy is a radical network of terrorists, and every government that supports them. Every nation, in every region, now has a decision to make: Either you are with us, or you are with the terrorists.“ zititert in: The 9/11 Commission Report, S. 337, abrufbar unter: http://www.9-11commis sion.gov/report/911Report.pdf (Stand: 15. September 2005).
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Anschließend wird dann aber nicht mehr auf die Unterstützung der Organisation durch das Taliban-Regime eingegangen, sondern ausgeführt, die USA hätten ein Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UNC aufgrund der Tatsache, dass „the attacks on 11 September 2001 and the ongoing threat to the United States and its nationals posed by the Al Qaeda organization have been made possible by the decision of the Taliban regime to allow the parts of Afghanistan that it controls to be used by this organization as a base of operation. Despite every effort by the United States and the international community, the Taliban regime has refused to change its policy. From the territory of Afghanistan, the Al-Qaeda organization continues to train and support agents of terror who attack innocent people throughout the world and target United States nationals and interests in the United States and abroad.“286
In der Stellungnahme wird damit zunächst implizit die Verbindung zwischen dem Staat Afghanistan und dem Taliban-Regime hergestellt, indem den Taliban der Status eines de facto-Regimes zugeteilt wird („the decision of the Taliban regime to allow the parts of Afghanistan that it controls to be used by this organization . . .“). Anschließend erfolgt eine Zurechnung des Verhaltens der privaten Akteure zum Tailban-Regime auf drei Wegen: Erster Anknüpfungspunkt ist, dass das Regime der privaten Terrororganisation Unterschlupf gewährt und dadurch die Anschläge möglich gemacht habe („the attacks have been made possible by the decision of the Taliban to allow parts of Afghanistan that it controls to be used by this organzation as a base of operation“), zweitens, dass al Qaida Terroristen ausbilde und unterstüze („to train and support“) und zuletzt, dass der de facto-Regierung völkerrechtliche Verstöße anzulasten seien („Despite every effort by [. . .] the international community, the Taliban regime has refused to change ist policy“). Damit wird nicht mehr die Unterstützung als die die Zurechnung begründende Handlung für die Taliban gebraucht, sondern lediglich die Beherbergung von Terroristen. Demnach hat die USA ihre Position deutlich gemacht, dass ein Staat, der Opfer eines terroristischen Angriffs wird, ein Recht auf Selbstverteidigung gegenüber dem Staat hat, der die Terroristen beherbergt.287 Konsequent ist danach, dass sich die militärischen Einsätze der USA entsprechend der Erklärung nicht nur gegen terroristische Aus285 [Hervorhebungen durch die Verfasserin] Brief des Permanent Representative of the United States of America to the United Nations Addressed to the President of the Security Council, UN Doc S/2001/946. 286 Brief des Permanent Representative of the United States of America to the United Nations Addressed to the President of the Security Council, UN Doc S/2001/946. 287 Ratner, AJIL 96 (2002), S. 907.
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bildungslager, sondern auch gegen militärische Einrichtungen der Taliban richteten.288 Von der Verantwortlichkeit der terroristischen Organisation Al Qaida und bin Laden als Anführer für die Anschläge vom 11. September 2001 und weiterer vorangegangener Anschläge wird auf der Grundlage des Berichts der von der amerikanischen Regierung eingesetzten, unabhängigen „9-11-Kommission“289, den von der britischen Regierung veröffentlichten Informationen290 und in Übereinstimmung mit den zu diesem Thema ergangenen Sicherheitsratsresolutionen mangels gegenteiliger Informationen und Überprüfungsmöglichkeit ausgegangen. Auf nationaler Ebene wurde Präsident Bush vom Kongress autorisiert, „to use all necessary and appropriate force against those nations, organizations, or persons he determines planned, authorized, committed, or aided the terrorist attacks that occurred on September 11, 2001, or harbored such organizations or persons, in order to prevent any future acts of international terrorism against the United States by such nations, organizations or persons.“291 Damit unterstützte auch der Kongress einen militärischen Einsatz auf der Grundlage einer Zurechnung von terroristischen Akten zu einem Staat in allen denkbaren Zurechnungskonstellationen ausgenommen der Unfähigkeitskonstellation. Außerdem eröffnet die Autorisierung des Kongres288 „These actions include measures against Al-Qaeda terrorist training camps and military Installations of the Taliban regime in Afghanistan.“, Brief des Permanent Representative of the United States of America to the United Nations Addressed to the President of the Security Council, UN Doc S/2001/946. 289 Der Bericht enthält detaillierte Informationen über die Rolle Al Qaidas bei folgenden Anschlägen: die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften 1998, S. 68; die Zerstörung der USS Cole 2002, S. 190 ff. Siehe The 9/11 Commission Report, abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/report/911Report.pdf. Beispielsweise bin Laden 1998 in seinem ABC-Interview: „We believe that the worst thieves in the world today and the worst terrorists are the Americans. Nothing could stop you except perhaps the retaliation in kind. We do not have to differentiate between military and civilian. As far as we are concerned, they are all targets.“, id., S. 47. 290 Responsibility for the Terrorist atrocities in the United States, 11 September 2001, an updated account, abrufbar unter: http://www.fas.org/irp/news/ 2001/11/ukreport.html (Stand: 15. September 2005). Darin wird in Übereinstimmung mit dem Bericht der 9-11-Kommission dargestellt, dass die meisten der 19 Flugzeugentführer Verbindungen mit al Qaida hatten und von Bin Laden-Verbündeten in Afghanistan ausgebildet wurden (paras. 5, 61 ff.). Des Weiteren deuten auch die zwischen 1996 und 2001 veröffentlichten Aufrufe Bin Ladens auf eine Verbindung zu den Anschlägen hin (paras. 22, 64). 291 [Hervorhebungen durch die Verfasserin] Siehe Joint Resolution, Authorization for Use of United States Armed Force, Section 2, Public Law 107-40; 107th Congress, abgedruckt in: Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 80 f.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
ses dem US-Präsidenten die Möglichkeit, militärische Gewalt gegen Terroristen und ihre Organisationen auch unabhängig von einer Zurechnung auszuüben. Zusätzlich behielten sich die USA ausdrücklich das Recht vor, möglicherweise weitere Selbstverteidigungshandlungen gegen andere Organisationen oder Staaten vorzunehmen.292 Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde ein militärischer Einsatz gegen den Irak erwogen, jedoch mangels Beweisen hinsichtlich einer Verbindung zwischen al Qaida und dem Irak verworfen.293 Dass nach Beweisen für eine Verbindung zwischen al Qaida und dem Irak gesucht wurde und auch in der Stellungnahme an den Sicherheitsrat auf die Verbindung zwischen al Qaida und den Taliban eingegangen worden ist, zeigt die Intention der USA, entgegen der weiten nationalen Autorisierung nur bei einer Zurechnung zu einem Staat einen bewaffneten Angriff und das sich daraus ergebende Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UNC anzunehmen. Dem gegenüber wird ein Recht, gegen terroristische Organisationen auf fremdem Territorium ohne Zurechnung zum Basisstaat vorzugehen, von Seiten der USA nicht proklamiert. Welche Ausmaße die von Präsident Bush und die in der Erklärung an den Sicherheitsrat erwähnten Hilfeleistungen der Taliban an al Qaida annehmen, ist nur schwer konkret zu bestimmen. Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Bericht der 9-11-Kommission, der zwar erst 2004 und somit ex post facto Erkenntnisse bietet. Nach Auffassung der 9-11-Kommission ließen sich jedoch folgende Verbindungen auch schon vor dem 11. September 2001 nachweisen, die daher als Grundlage der amerikanischen Stellungnahmen für eine Verwicklung der Taliban genommen werden können: „Bin Ladin eventually enjoyed a strong financial position in Afghanistan, thanks to Saudi and other financiers associated with the Golden Chain, through his relationship with Millar Omar – and the monetary and other benefits that it brought the Taliban – Bin Ladin was able to circumvent restrictions; Mullah Omar would stand by him even when other Taliban leaders raised objections. Bin Ladin appeared to have in Afghanistan a freedom of movement that he had lacked in Su292
Brief des Permanent Representative of the United States of America to the United Nations Addressed to the President of the Security Council, UN Doc S/2001/946. So wurden etwa von Rumsfeld auch Staaten wie Irak, Libyen, Sudan und Iran als mögliche Orte, wo die Täter beherbergt wurden, angesprochen, The 9/11 Commission Report S. 330, S. 334 ff., abrufbar unter: http://www.9-11com mission.gov/report/911Report.pdf. 293 Der damalige Hauptfürsprecher für einen Einsatz gegen den Irak, Deputy Secretary Wolfowitz konnte sich nicht durchsetzten nur „some anecdotal evidence“ zwischen dem Irak und al Qaida festgestellt werden konnten und darüber hinaus keine Beweise vorlagen, dass der Iraq die die Angriffe des 11. Septembers geplant oder verübt habe. The 9/11 Commission Report, S. 334 f., abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/report/911Report.pdf.
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dan. Al Qaeda members could travel freely within the country, enter and exit it without visas or any immigration procedures, purchase and import vehicles and weapons, and enjoy the use of official Afghan Ministry of Defense license plates. Al Qaeda also used the Afghan state-owned Ariana Airlines to courier money into the country. The Taliban seemed to open the doors to all who wanted to come to Afghanistan to train in the camps. The alliance with the Taliban provided al Qaeda a sanctuary in which to train and indoctrinate fighters and terrorists, import weapons, forge ties with other jihad groups and leaders, and plot and staff terrorist schemes.“294
Direkte Unterstützungsleistungen der Taliban konkret an den Anschlägen vom 11. September 2001 oder eine darüber hinausgehende Planungs- oder Kontrollhoheit der Taliban lassen sich nach den verfügbaren Informationen, deren Begrenztheit evident ist, nach Auffassung der Verfasserin nicht ausmachen. Neben möglichen Anhaltspunkten für die Frage der Zurechnung im Rahmen des bewaffneten Angriffs zeigt die Stellungnahme an den Sicherheitsrat, dass die USA auch von der Annahme einer Wiederholungsgefahr des bewaffneten Angriffs ausgehen („the attacks [. . .] and the ongoing threat“).295 Darüber hinaus stützten die USA ihr militärisches Vorgehen auf das Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UNC und begründeten es nicht allein auf einem gewohnheitsrechtlichen Recht auf Selbstverteidigung.296 Gemäß Art. 51 UNC zeigten die USA den militärischen Einsatz auch sofort dem Sicherheitsrat an. Gleiches geschah auch seitens Großbritanniens. 3. Stellungnahmen Großbritanniens Großbritannien veröffentlichte kurz nach den Anschlägen die umfangreichsten Informationen zum Verhältnis zwischen Al Qaida und den Taliban. Danach wurde festgestellt, dass „Usama Bin Laden and Al Qaeda 294 The 9/11 Commission Report, S. 66, abrufbar unter: http://www.9-11commis sion.gov/report/911Report.pdf (Stand: 15. September 2005). 295 Deutlich wird hier bereits, dass die USA ihre militärische Reaktion auch mit dem Ziel der Verhinderung weitere Anschläge durchführt: „In response to these attacks, and in accordance with the inherent right of individual and collective self-defence, United States armed forces have initiated actions designed to prevent and deter further attacks on the United States. Siehe zum Thema antizipatorischer undoräemptiver Selbstverteidigung nach 2001 S. 308 ff. 296 „In accordance with Article 51 of the Charter of the United Nations [. . .] has initiated actions in the exercise of its inherent right of individual and collective selfdefense“, UN Doc S/2001/946; siehe oben zu den Rechtsquellen des Selbstverteidigungsrechtes S. 127 ff.
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were able to commit these atrocities because of their close alliance with the Taleban regime, which allowed them to operate with impunity in pursuing their terrorist activity“.297 Darüber hinaus wurde konstatiert, dass Al Qaida Truppen, Waffen und finanzielle Mittel für die Taliban im Kampf gegen die Nordallianz bereitgestellt hätten. Gemeinsam nutzten sie den Drogenhandel. Zudem seien Al Qaida Mitglieder bei Planungen und Durchführungen von Operationen der Taliban beteiligt, wirkten bei der Ausbildung von Streitkräften des Regimes mit und hätten Vertreter in den Kontroll- und Kommandostrukturen der Taliban.298 Auf der anderen Seite habe die terroristische Organisation von dem vom Führer der Taliban, Mullar Omar, garantierten „safe haven“ und der Erlaubnis, Trainingscamps für Terroristen in Afghanistan zu errichten, profitiert. Ein früherer Regierungsbeamter hat nach Darstellung der britischen Regierung das Verhältnis zwischen Taliban und Usama Bin Laden als „two sides of the same coin: Usama cannot exist in Afghanistan without the Taleban and the Taleban cannot exist without Usama“ beschrieben.299 Dies zeigt zumindest den Versuch Großbritanniens, eine gegenseitige Verbindung zwischen beiden herzustellen, die über die bloße Beherbergung hinausgeht. Auch die vom Vereinigten Königreich abgegebene, offizielle Erklärung an den Sicherheitsrat unterscheidet sich in dieser Hinsicht von der amerikanischen. Darin heißt es: „My Government presented information to the United Kingdom Parliament on 4 October which showed that Usama bin Laden and his Al-Qaeda terrorist organization have the capability to execute major terrorist attacks, claimed credit for past attacks on United States targets, and have been engaged in a concerted campaign against the United States and its allies. One of their stated aims is the murder of United States citizens and attacks on the allies of the United States. This military action has bin carefully planned, and is directed against Usama bin Laden’s Al-Qaeda terrorist organization and the Taliban Regime that is supporting it.“300 297 UK Press Release, „Responsibility for the Terrorist Atrocities in the United States“, 10 Downing Street Newsroom, vom 4. Oktober 2001, para. 1, abrufbar unter: http://www.fas.org/irp/news/2001/11/ukreport.html (Stand: 15. September 2005). 298 UK Press Release, „Responsibility for the Terrorist Atrocities in the United States“, 10 Downing Street Newsroom, vom 14. November 2001, para. 4, abrufbar unter: http://www.fas.org/irp/news/2001/11/ukreport.html (Stand: 15. September 2005). 299 UK Press Release, „Responsibility for the Terrorist Atrocities in the United States“, 10 Downing Street Newsroom, vom 14. November 2001, para. 19, abrufbar unter: http://www.fas.org/irp/news/2001/11/ukreport.html (Stand: 15. September 2005). 300 Letter from the Charge d’Affaires of the Permanent Mission of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland to the United Nations addressed
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In der Erklärung sind keinerlei Hinweise auf eine Zurechnung der Anschläge zum Taliban-Regime durch Beherbergung der entsprechenden terroristischen Organisation vorhanden, vielmehr ist allein die Unterstützung Ursache für den militärischen Einsatz gegen das Regime, allerdings ohne eine nähere Begründung darüber abzugeben, auf welche Art und Weise diese Unterstützung erfolgte. Über die Zurechnung hinaus stellt auch die britische Erklärung auf die bestehende Wiederholungsgefahr in Kumulation mit den bereits erfolgten Anschlägen vom 11. September 2001 ab, indem sie ausführten, dass der Zweck des Selbstverteidigungsrechtes „to avert the continuing threat of attacks from the same source“301 sei, und deckt sich hinsichtlich der direkten Berufung auf Art. 51 UNC mit der amerikanischen. 4. Stellungnahmen der NATO und der NATO-Mitgliedstaaten Nicht nur von historischer Bedeutung sondern auch Ausdruck einer einheitlichen Rechtsüberzeugung ist, dass sich der Nordatlantikrat, bestehend aus ständigen Vertretern aller 19 Mitgliedstaaten der NATO, am 12. September 2001 zum ersten Mal auf Art. 5 des NATO-Vertrages302 berufen hat.303 Er hatte bereits einen Tag nach den Ereignissen festgestellt, dass „[I]f it is determined that this attack was directed from abroad against the United States, it shall be regarded as an action covered by Article 5 of the Washington Treaty, which states that an armed attack against one or more of the Allies in Europe or North America shall be considered an armed attack against them all.“304 to the President of the Security Council, vom 7. Oktober 2001, UN Doc S/2001/947. 301 Letter from the Charge d’Affaires of the Permanent Mission of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland to the United Nations addressed to the President of the Security Council, vom 7. Oktober 2001, UN Doc S/2001/947. 302 Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949, 24 UNTS 243. 303 Zutreffend stellt Grady fest, dass diese erstmalige Bejahung einer Art. 5-Situation vor allem die Bedeutung hatte, dem Handeln der USA nach Art. 51 UNC eine zusätzliche Legitimität oder Legalität zu verschaffen. Die NATO selbst sicherte zwar ihre Unterstützung zu, kontrollierte aber nie die militärischen Einsätze in Afghanistan und spielte insofern eine untergeordnete Rolle. Georgia Journal of International and Comparative Law 31 (2002), S. 197. Zu den verschiedenen von der NATO beschlossenen Hilfestellungen für die USA und Großbritannien siehe Stellungnahme des NATO-Generalsekretär Lord Robertson vom 4. Oktober 2001, abrufbar unter: http://www.nato.int/docu/speech/2001/s011004b.htm (Stand: 15. September 2005). 304 So der NATO-Generalsekretär Lord Robertson in seiner Stellungnahme vom 12. September 2001, abrufbar unter: http://www.nato.int/docu/update/2001/ 0910/e0912a.htm. Ebenso die Stellungnahme des NATO-Rates, NATO Press
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Art. 5 des NATO-Vertrages305 verweist auf Art. 51 UNC und geht damit von einem einheitlichen Verständnis der beiden Verträge über den Begriff des bewaffneten Angriffs aus. Darüber hinaus enthält er keine weitergehenden Angaben über die Voraussetzungen, welche für einen bewaffneten Angriff erfüllt sein müssen. Die Stellungnahme deutet darauf hin, dass die Mitgliedstaaten der NATO der Überzeugung sind, dass die terroristischen Akte als bewaffneter Angriff im Sinne des NATO-Vertrages und somit auch im Rahmen des Art. 51 UNC verstanden werden können. Nach der am 2. Oktober 2001 erfolgten Unterrichtung des NATO-Rates über den Stand der Ermittlungen durch die USA wurde das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 des NATO-Vertrages bestätigt. Nach den vorgelegten Informationen sah man es als erwiesen an, dass die Verantwortlichen des Anschlages zum Terrornetzwerk der al Qaida gehörten, das von Usama bin Laden geführt werde und den Schutz der Taliban genieße. „The facts are clear and compelling. The information presented points conclusively to an Al-Qaida role in the 11 September attacks. We know that the individuals who carried out these attacks were part of the world-wide terrorist network of Al-Qaida, headed by Usama bin Laden and his key lieutenants and protected by the Taliban.“306
Dass diese Verbindungen ausreichten, um die Voraussetzungen des Art. 5 NATO-Vertrag als gegeben zu betrachten, lässt Rückschlusse auf die Frage der Anforderungen an die Zurechnung im Rahmen des bewaffneten Angriffs zu: Die NATO-Vertragspartner hielten offensichtlich den Schutz des al Qaida Netzwerkes durch die Taliban für ausreichend, um einen bewaffneten Angriff zu begründen. Keine Ausführungen werden hingegen zu einer darüber hinausgehenden, konkreten Verwicklung der Taliban in die Anschläge vom 11. September 2001 gemacht. Jedoch scheint die beschriebene Verwicklung der Taliban nach Auffassung der NATO-Staaten notwendig, um einen bewaffneten Angriff zu begründen, weshalb der Eindruck entsteht, dass ohne eine solche Zurechnung ein Recht auf Selbstverteidigung nicht möglich wäre. Release 124 vom 12. September 2001, abrufbar unter: http://www.nato.int/docu/pr/ 2001/p01-124e.htm (Stand: 15. September 2005). 305 Zur historischen Entwicklung des NATO-Vertrages und insbesondere zur Geschichte des Art. 5 siehe Grady, Georgia Journal of International and Comparative Law 31 (2002), S. 171 ff. Grady kommt zutreffend zu dem Ergebnis, dass bei der Entstehung des Art. 5 keine Situationen wie die des 11. Septembers im Blickfeld der Gründerstaaten lagen, sondern vielmehr bewaffnete Angriffe seitens der Sowjetunion und ihren Verbündeten. 306 Statement des Generalsekretär Lord Robertson, abrufbar unter: http://www. nato.int/docu/speech/2001/s011002a.htm (Stand: 15. September 2005).
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In einem anderen Licht erscheint vor diesem Hintergrund die am 21. November 2002 verabschiedete Prager Gipfelerklärung der Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten. Während sich noch im „Alliance’s Strategic Concept“ vom 24. April 1999 eine Unterscheidung zwischen bewaffnetem Angriff und „anderen Risiken“ in Art. 24, unter die auch terroristische Aktivitäten fallen, findet,307 enthält die Erklärung von 2002 eine solche Unterscheidung nicht mehr. Dort bekundeten die NATO-Staaten ihre Entschlossenheit, Bevölkerung, Territorium und Streitkräfte vor jedem bewaffneten Angriff, auch vor Terroranschlägen, zu schützen und in Übereinstimmung mit dem Washingtoner Vertrag und der Charta zu verteidigen.308 Insofern erfolgt eine Inkorporierung von Terroranschlägen in den Begriff des „bewaffneten Angriffs“ ohne näher zu erwähnen, ob es einer Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs bedarf. Allerdings werden in der Erklärung Verteidigungshandlungen an die Vereinbarkeit mit der Charta und dem Washingtoner Vertrag gekoppelt, so dass darin eine Inkorporierung der in Art. 51 UNC enthaltenen Voraussetzung zu sehen ist. Betrachtet man zudem etwa die Äußerungen Kanadas, dem Initiator für die Berufung auf Art. 5 NATO-Vertrag, so wird deutlich, dass ein rein nicht-staatlicher terroristischer Akt nicht den Anforderungen eines bewaffneten Angriffs genügt. So wird in der kanadischen Stellungnahme an den Sicherheitsrat festgestellt, dass die durch das naturgegebene Recht auf Selbstverteidigung i. S. d. Art. 51 UNC gedeckten militärischen Maßnahmen sowohl gegen Usama bin Laden und die terroristische Organisation al Qaida zu richten seien, als auch gegen das Taliban Regime, da es beide unterstützt habe.309 Dies bestätigt die Auffassung von dem Erfordernis einer 307
Gaja, abrufbar unter: http://www.ejil.org/forum_WTC/ny-gaja.html. Prager Gipfelerklärung der Staats- und Regierungschefs auf dem Treffen des Nordatlantikrats in Prag, am 21. November 2002, Press Release vom 22. Nov. 2002 veröffentlicht unter: http://www.nato.int/docu/other/de/2002/p02-127d.htm (Stand: 15. September 2005), Nr. 4, S. 2. Siehe auch Nr. 4 d.; dort wird jedoch nur von vielschichtigen und umfassenden Reaktionen gegen den Terrorismus gesprochen, eine Konkretisierung erfolgt jedoch nicht in Bezug auf die Frage, wann terroristische Akte als bewaffneter Angriff zu klassifizieren sind. In dem vom NATO-Rat verabschiedeten Partnership Action Plan against Terrorism, abrufbar unter: http://www.nato.int/docu/basictxt/b021122e.htm (Stand: 15. September 2005), werden lediglich allgemeine Strategien zur verstärkten und effizienteren Kooperation zur Bekämpfung des Terrorismus beschlossen. 309 Brief vom 24. Oktober 2001 des Chargé d’affaires a.i. of the Permanent Mission of Canada an den Präsidenten des Sicherheitsrates, UN Doc. S/2001/1005. Kanada informiert darin den Sicherheitsrat über ihre Mitwirkung in Form von „deploying naval ships, surveillance and transport airplanes, military personnel and other assets.“ 308
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staatlichen Verwicklung. Interessant ist darüber hinaus, dass, ähnlich wie in der Stellungnahme Großbritanniens, nicht auf ein reines Dulden als maßgebliche Zurechnungshandlung zu den Taliban abgestellt wird. Welche Form der Unterstützung vorliegt, ist jedoch auch in der kanadischen Stellungnahme nicht näher spezifiziert. 5. Europäische Union In einer Stellungnahme der Europäischen Union wurden die militärischen Reaktionen der USA und ihren Verbündeten als Handlungen bezeichnet, die vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt seien und im Einklang mit der Charta und der Sicherheitsratsresolution 1368 stünden.310 Folgende Erklärung wurde von der EU zu der Frage der Zurechenbarkeit der Handlungen des 11. Septembers 2001 zum Taliban Regime abgegeben: „All the Information points clearly and convincingly to the responsibility of Osama bin Laden and the al-Qa’idah network for the 11 September attacks. A month later, and despite repeated pressure, the Taliban regime has refused to take responsibility for handing over those suspected so that they could be brought to justice. The al-Qa’idah network and the regime that supports and harbours it are now facing consequences of their actions.“
Die Erklärung ist somit dahingehend zu verstehen, dass sich eine Zurechnung aus einer Kumulation aus Unterstützung, Beherbergung und mangelnder Bereitschaft zur Kooperation durch das Taliban Regime ergibt. Bulgarien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien und die Tschechische Republik, die damals noch nicht der EU beigetreten waren, schlossen sich ebenso wie mit der EU in enger Verbindung stehende Staaten dieser Erklärung an.311 310 Statement of the General Affairs Council of the European Union issued on 8 October 2001, on behalf of the European Union, on action against Taliban following the terrorist attacks in the United States, UN Doc. S/2001/967, Annex vom 15. Oktober 2001 Zur vollen Solidarität der EU mit den militärischen Handlungen der USA siehe auch Council conclusions of 17. Oktober 2001 – Actions by the European Union following the attacks in the United States of America, UN Doc. S/2001/980, Annex, Nr. 1 vom 18. Oktober 2001. Siehe auch Conclusions and Plan of Action of the Extraordinary European Council Meeting vom 21. September 2001, UN Doc. A/56/407-S/2001/909, Annex. 311 Zypern, Malta und die Türkei, Island, Liechtenstein, Norwegen, die European Free Trade Association countries, members of the European Economic Area schlossen sich der Stellungnahme der EU an, vergleiche das Statement of the General Affairs Council of the European Union issued on 8 October 2001, on behalf of the European Union, on action against Taliban following the terrorist attacks in the United States, UN Doc. S/2001/967, Annex vom 15. Oktober 2001 letzter Absatz. Siehe daneben auch die Declaration of the National Assembly of the Republic of Slovenia, UN Doc. S/2001/987, Annex, Absatz II., vom 19. Oktober 2001.
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Irland führte in einer gesonderten Erklärung innerhalb der Debatten in der Generalversammlung aus, dass, nachdem der Sicherheitsrat in seinen Resolutionen 1368 und 1373 das naturgegebene Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung anerkannt habe und im Hinblick auf die Schwere des terroristischen Angriffs, nicht mehr an einem Selbstverteidigungsrecht der USA gezweifelt werden könne.312 Die Erklärung deutet darauf hin, dass sich aus den Resolutionen eine Anerkennung des Rechts auf Selbstverteidigung gegenüber den Terroranschlägen ergibt.313 6. Weitere Staaten Doch nicht nur die „westliche Welt“ stand hinter dem Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten. Eine überwältigende Anzahl an Staaten verurteilte die terroristischen Akte und deutete bereits direkt nach dem 11. September 2001 noch vor dem Beginn der militärischen Handlungen ihre in unterschiedlichen Formen bestehende Kooperationsbereitschaft an.314 Chile, Tschechische Republik, Indien, Mali, Mexiko, Polen, Portugal, Republik Korea, Südafrika und die USA erklärten in ihrem Statement by the Convening Group of the Community of Democracies, dass mit allen denkbaren Mitteln ein definitives Ende des Terrorismus geschaffen werden müsse. 312
Irland, UN Doc. A/56/PV.14, S. 5 f. vom 2. Oktober 2001. Siehe dazu näher unten S. 198 ff. 314 Z. B. Chile machte bereits am 1. Oktober 2001 in den Debatten der Generalversammlung deutlich, dass Resolution 1368 und Art. 51 UNC die notwendigen Rechtsgrundlagen für eine Bestrafung der Verantwortlichen für die terroristischen Angriffe seien, UN Doc. A/56/PV.13, S. 21. Ohne ausdrücklich auf militärische Reaktionen auf die Anschläge einzugehen sicherte Pakistan der amerikanischen Regierung seine uneingeschränkte Kooperation zu, vergleiche Brief vom 13. September 2001 vom Permanent Representative of Pakistan to the United Nations addressed to the Secretary-General, UN Doc. A/56/368-S/2001/877. Allgemeine Unterstützungserklärungen auch von Kasachstan, Statement by the President of the Republic of Kazakhstan, UN Doc. A/56/369 vom 17. September 2001, Venezuela, Communiqué issued by the Government of Venezuela, UN Doc. A/56/383 vom 20. September 2001; Saudi Arabien, UN Doc. A/56/423 vom 1. Oktober 2001. Mongolei, UN Doc. 56/446-S/2001/944 vom 5. Oktober 2001, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua verabschiedeten eine Declaration Central America united against terrorism, die Kooperation und Unterstützung für mit dem Völkerrecht zu vereinbarende Reaktionen verspricht, UN Doc. A/56/392 vom 21. September 2001. Allgemein für eine führende Rolle des Sicherheitsrates sprach sich Georgien aus, siehe dazu UN Doc. A/56/387-S/2001/893, Annex vom 20. September 2001; ebenso China, China’s position paper on the fight against international terrorism, UN Doc. A/56/410-S/2001/914, Annex vom 27. September 2001, Algerien, UN Doc. A/56/PV.12, S. 13. Allgemeine Erklärungen, die zum Kampf gegen den nicht zu rechtfertigenden, internationalen Terrorismus aufrufen von Argentinien, UN Doc. A/56/414-S/2001/917, Annex vom 27. September 2001. 313
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Ebenfalls wird dort die Überzeugung geäußert, „that the initiators, organizers and perpetrators of this attack, as well as those who aided, supported, financed or harboured them, or assisted them in any manner, will be held accountable“.315 Nicht vollends deutlich wird jedoch, ob die Verantwortlichkeit im Sinne der Erklärung auch die Zurechnung von Terrorakten als bewaffneter Angriff gemäß Art. 51 UNC umfasst oder sie sich auf eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit jenseits militärischer Maßnahmen auf der Grundlage des ILC-Entwurfs beschränkt. Nach den ersten Militäreinsätzen in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 2001 gab es eine überwältigende Mehrheit von Staaten, die den Einsatz zur Wiederherstellung der internationalen Sicherheit begrüßten.316 So erklärte etwa die OAU ihre Solidarität zu den USA.317 Japan erließ das Anti-Terrorism Special Measures Gesetz vom 29. Oktober 2001, welches den Self-Defence Forces erlaubt, alle notwendigen Maßnahmen durchzuführen, um die Streitkräfte der USA und anderer Staaten im Kampf gegen die Bedrohung terroristischer Angriffe zu unterstützen und damit einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Charta zu leisten.318 China, Russland und Indien willigten in einen Informationsaustausch ein, während Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre diplomatischen Beziehungen zu den Taliban abbrachen. Vergleichbar mit der NATO berief sich auch die Organisation of American States auf kollektive Selbstverteidigung nach Art. 3.1 des Rio-Vertrages.319 Auch Australien bot unter Rückgriff auf Art. IV des ANZUS Vertrages seine Hilfe an.320 315
UN Doc. A/56/439, Annex vom 4. Oktober 2001. So etwa Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Chile, Communiqué from MERCOSUR, Bolivia, Chile, UN Doc. A/56/455, Annex vom 10. Okober 2001; Albanien, Bulgarien, Kroatien, Estland Lettland Litauen, Mazedonien, Rumänien, Slowakische Republik, Slowenien, Declaration of solidarity by the Heads of State participating in the Sofia Summit Meeting issued on 5 October 2001, UN Doc. A/56/466, Annex vom 10. Okober 2001; Vereinigten Arabischen Emirate, UN Doc. A/56/463-S/2001/964, Annex vom 11. Oktober 2001, die jedoch ihre Besorgnis um unschuldige Zivilisten betonten. 317 Communiqué issued by the Central Organ of the Organization of African Unity Mechanism for Conflict Prevention, Management and Resolution at its extraordinary session at Ministerial level on 11 November 2001 in New York, UN Doc. S/2001/1061, Annex, Nr. 1. 318 Statement of the Government of Japan on the occasion of the debate on counter-terrorism in the Security Council on 12 November 2001, UN. Doc. S/2001/1062, Annex. 319 Siehe dazu Terrorist Threat to the Americas, Res. 1, Twenty-Fourth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs Acting as Organ of Consultation In Application of the Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, OEA/ Ser.F/II.24, RC.24/RES.1/01 vom 21. September 2001. 316
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Allgemein bekannt sind zudem die Kooperationsleistungen Pakistans,321 neben Staaten wie Saudi Arabien, Tajikistan, Usbekistan, Georgien und der Türkei, die ebenfalls Einrichtungen und Luftraum anboten.322 Einige wenige Staaten warnten vor Beginn der militärischen Handlungen vor einem Alleingang der USA.323 Insgesamt lassen sich keine Äußerungen von Staaten finden, die die militärischen Handlungen der USA und ihrer Verbündeten in Reaktion auf die In Art. 3.1 heißt es: „The High Contracting Parties agree that an armed attack by any State against an American State shall be considered as an attack against all the American States and, consequently, each one of the said Contracting Parties undertakes to assist in meeting the attack in the exercise of the inherent right of individual or collective self-defense recognized by Article 51 of the Charter of the United Nations.“, Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance, 1947, 21 UNTS 77. 320 Art. IV besagt: „Each Party recognizes that an armed attack in the Pacific Area on any of the Parties would be dangerous to its own peace and safety and declares that it would act to meet the common danger in accordance with its constitutional processes.“ Security Treaty between Australia, New Zealand, and the United States of America 1951, 131 UNTS 83, 84. Zur Berufung auf diesen Vertrag vergleiche Stellungnahme des Premierministers John Howard vom 14. September 2001, abrufbar unter: http://www.australianpolitics.com/news/2001/01-09-14c.shtml (Stand: 15. September 2005). 321 Auch Pakistan hatte Verbindungen zu bin Laden. Im Unterschied zu den Taliban ließen sie sich jedoch auf folgende sieben von der amerikanischen Regierung gestellten Forderungen ein: „to stop al Qaeda operatives at its border and end all logistical support for bin Ladin; to give the United States blanket overflight and landing rights for all necessary military and intelligence operations; to provide territorial access to U.S. and allied military intelligence and other personnel to conduct operations against al Qaeda; to provide the United States the intelligence information; to continue to publicly condemn the terrorist acts; to cut off all shipments of fuel to the Taliban and stop recruits from going to Afghanistan; and, if the evidence implicated bin Ladin and al Qaeda and the Taliban continued to harbor them, to break relations with the Taliban government.“ The 9/11 Commission Report, S. 331, abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/report/911Report.pdf. 322 Insgesamt wurden von 27 Nationen Überflugsrechte und Landerechte garantiert und 46 multilaterale Deklarationen zur Unterstützung erzielt, siehe dazu Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 62 f. 323 Kuba, UN Doc. A/56/PV.13, S. 15 und 17 vom 1. Oktober 2001: „Faced with such an event, however serious it might be, a powerful State must not invoke the right to self-defence in order unilaterally to unleash a war that might have unpredictable effects on a global scale and result in the death of an incalculable number of innocent people. Instead, the right of all to the common defence of all must be exercised . . . It is Cuba’s opinion that any use of force against terrorism will require the explicit and prior authorization of the Security Council, as established in the Charter. Cuba also believes that neither of the two resolutions adopted by the Council in the wake of the attacks of 11 September could be invoked to launch unilateral military actions or other acts of force.“ Deshalb lehnte Kuba eine Beteiligung an militärischen Maßnahmen ab.
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Ereignisse des 11. Septembers 2001 als Verletzung des Völkerrechts, insbesondere als nicht gerechtfertigten Verstoß gegen das Gewaltverbot der Charta, kritisierten. Lediglich der Irak, was wohl kaum verwundern dürfte, bezeichnete die Maßnahmen als brutale Aggression gegen Afghanistan basierend auf Verdächtigungen und damit einhergehenden Unterstellungen und Äußerungen seitens der Medien und offizieller Stellen.324 Erst nach Beginn der Kampfhandlungen wurden insbesondere die Behandlung der Gefangenen in Guantanamo Bay325 und das Ausmaß der sogenannten „Kollateralschäden“326 Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen, die jedoch nichts an der grundsätzlichen Zustimmung hinsichtlich des Rechts zum militärischen Vorgehen gegen die terroristischen Anschläge änderten. II. Militärischer Einsatz Israels in Syrien 2003 Weiteres Beispiel neben den Militäraktionen der Vereinigten Staaten und anderer Staaten gegen die Taliban in Afghanistan 2001 für eine militärische Reaktion auf Terrorismus ist der am 5. Oktober 2003 erfolgte Angriff der israelischen Luftwaffe gegen mutmaßliche Ausbildungslager von der terroristischen Gruppierung „islamischer Jihad“ auf syrischem Territorium als Reaktion auf eine Reihe von Anschlägen. Auslöser der militärischen Maßnahme war der Selbstmordanschlag in Haifa am 4. Oktober 2003, bei dem 19 Menschen starben.327 Die amerikanischen wie israelischen Stellungnahmen hierzu warfen Syrien vor, terroristischen Organisationen Unterschlupf zu gewähren und diese finanziell und logistisch zu unterstützen. Israel erwähnte sogar die Entsendung terroristischer Angriffseinheiten.328 Insofern habe ein Recht auf Selbstverteidigung bestanden.329 Abgestellt wurde somit 324 President Saddam Hussein addresses a third open letter to the peoples and Governments of the West, UN Doc. S/2001/1034, Annex, S. 2 vom 30. Oktober 2001. 325 Seidel, AVR 41 (2003), S. 471 ff.; Dinstein, IYHR 32 (2002), S. 247 ff.; Klabbers, EJIL 14 (2003), S. 299 ff.; Mofifi/Eckert, Cornell International Law Journal 36 (2002), S. 59 ff.; Patel King/Swaak-Goldman, Hague Yearbook of International Law 15 (2002), S. 29 ff.; Roberts, IYHR 32 (2002), S. 193 ff.; Johns, EJIL 16 (2005), S. 613 ff. Siehe zu dem Thema umfassend Wieczorek, Unrechtmäßige Kombattanten. 326 Slaughter/Burke-White, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 17 m. w. N. aus der damaligen amerikanischen Presse zu Stellungnahmen einzelner Staaten. Hongju Koh, Harvard Journal of International Law 43 (2002), S. 29; Parker, Hague Yearbook of International Law 15 (2002), S. 3 ff. 327 Siehe zum Sachverhalt UN Doc. SC/7887. 328 Israel, UN Doc. SC/7887, S. 4; USA, UN Doc. SC/7887, S. 7. Siehe auch UN Doc. S/PV.4836. 329 Siehe auch die Stellungnahmen des amerikanischen Präsidenten und des israelischen UN-Botschafters, FAZ vom 7. Oktober 2003, S. 1.
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erneut, sogar von Seiten Israels und den USA, auf Zurechnungskriterien zum Staat, während eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit terroristischer Gruppen selbst, soweit ersichtlich, nicht diskutiert wurde. Zwar wurde von keinem Staat – selbstverständlich mit Ausnahme von Syrien – bestritten, dass eine staatliche Verwicklung zwischen Syrien und dem „islamischen Jihad“ bestünde, dennoch wurde Syrien selbst nicht als Aggressor behandelt und der militärische Einsatz Israels von vielen Staaten trotz Verurteilung der Terroranschläge als nicht zulässig erachtet.330 Es wurde etwa seitens Deutschlands die Verletzung der Souveränität Syriens gerügt und die Geeignetheit des Militäreinsatzes zur Bekämpfung terroristischer Handlungen bezweifelt. Jordanien rügte die mangelnde Intensität der Angriffe. Spanien bezeichnete den Militäreinsatz als Vergeltungsschlag. Schließlich sprachen sich China, Frankreich und Russland gegen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme aus.331 Kritik wurde somit nicht an der Zurechnung geübt sondern an den übrigen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes. Das Verhalten der Staaten zeigt, dass eine Zurechnung eines Angriffs zu einem Staat für erforderlich erachtet wird und an diese auch erhöhte Anforderungen gestellt werden. Die von Israel und den USA vorgebrachten Stellungnahmen deuten im Übrigen darauf hin, dass über die Gewährung von Unterschlupf weitere darüber hinausgehende Voraussetzungen für eine Zurechnung terroristischer Angriffe zu einem Staat erforderlich sind. III. Rechtsüberzeugung Russlands als Reaktion auf terroristische Anschläge 2004 Im Jahre 2004 ereigneten sich eine Reihe von Anschlägen in Russland, darunter die Entführung und der anschließende Absturz zweier russischer Flugzeuge im August 2004 und die Geiselnahme in einer Schule in der Stadt Beslan, bei der mehr als 300 Menschen, etwa die Hälfte davon waren Kinder, getötet wurden.332 Als Reaktion insbesondere auf den letzten An330 Siehe etwa die Stellungnahme von Bundeskanzler Schröder, derzufolge Israel die Souveränität Syriens verletzte, FAZ vom 7. Oktober 2003, S. 1. Ähnlich für die Europäische Union der Hohe Beauftragte Solana, der zwar der Auffassung ist, dass Israel das Recht habe, sich zu verteidigen, jedoch nur in den Grenzen internationaler Regeln und Gesetzte, FAZ vom 7. Oktober 2003, S. 1. Neben Deutschland äußerten auch China, Russland, Frankreich, Spanien, Großbritannien Bulgarien und Chile die Unzulässigkeit der militärischen Maßnahmen Israels im Sicherheitsrat, ebenso wie die arabischen Staaten Ägypten, Algerien, Marokko, Tunesien und Saudi Arabien, UN Doc. SC/7887, S. 5 ff. Siehe auch UN Doc. S/PV.4836. 331 UN Doc. SC/7887, S. 5 ff. 332 Siehe auch die Verurteilung durch den Sicherheitsrat, UN Doc. S/PRST/2004/31.
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schlag mit seinem erschreckenden Ausmaß äußerte Russland seine Überzeugung, militärische Maßnahmen gegen terroristische Organisationen im Ausland durchführen zu dürfen, wenn die Staaten, auf deren Territorium sich die terroristischen Stützpunkte befinden, nicht zur Zusammenarbeit bereit sind.333 Ob sich ein solches Recht aus Art. 51 UNC ergebe oder welche Rechtsgrundlage sonst in Betracht käme, wird jedoch nicht geklärt. Des Weiteren behielt sich Russland ein Recht auf Präventivschläge vor.334 Zu einer militärischen Auseinandersetzung Russlands mit einem anderen Staat kam es jedoch bisher nicht. IV. Neuere Resolutionspraxis in den VN Im Folgenden soll festgestellt werden, ob sich aus der neueren Resolutionspraxis in den Vereinten Nationen nähere Informationen für die Ausgestaltung der einzelnen Zurechnungskonstellationen gewinnen lassen. 1. Aussagen der Resolutionen 1373 und 1368 Sowohl der UN-Generalsekretär und als auch der Präsident der Generalversammlung vertraten nach Beginn der Angriffe auf Afghanistan die Auffassung, die militärischen Maßnahmen seien vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt.335 Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob sich aus den als Reaktion auf den 11. September 2001 ergangenen Resolutionen 1368 und 1373 eine Ermächtigung oder Anerkennung zur Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes ergibt, die Resolutionen dieses Recht durch Tätigwerden des Sicherheitsrats bereits ausschließen oder sich zumindest Anhaltspunkte für die Frage der Zurechnung von terroristischen Anschlägen zu einem Staat aus den Resolutionen ergeben. Die Resolutionen 1368 und 1373 verweisen in ihren Präambeln auf das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung, ohne dabei auf eine Verbindung zwischen den terroristischen Akten und einem Staat einzugehen. Anschließend werden in Resolution 1368 die Anschläge vom 11. September 2001 unmissverständlich verurteilt und der internationale 333 So der russische Generalstabschef Juri Balujewski gegenüber der Nachrichtenagentur Itar-Tass am 10. September 2004, abrufbar unter: spiegel-online, „Russland droht seinen Nachbarstaaten“, www. spiegel.de (Stand 15. September 2005). Ebenso wenige Tage später am 13. September 2004 der russische Präsident Putin, der davon sprach, dass Terroristen direkt in ihren Lagern vernichtet werden müssten. „Wenn es nötig ist, muss man sie auch im Ausland erwischen“, siehe die Rede in deutsche Übersetzung abrufbar unter www.tagesschau.de (Stand 15. September 2005). 334 Siehe dazu näher unten S. 311 ff. 335 Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 5.
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Terrorismus als solcher als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit klassifiziert. Des Weiteren enthält die Resolution einen Aufruf zur Zusammenarbeit, um die Verantwortlichen der Anschläge vor Gericht zu bringen. Gleiches gilt auch für Resolution 1373, in der im Anschluss daran weitreichende Maßnahmen und Strategien nach Kapitel VII einstimmig beschlossen wurden, vor allem um die Finanzierung des Terrorismus zu verhindern und zu bekämpfen.336 Da der Sicherheitsrat bisher noch nie in vergleichbaren Fällen ausdrücklich das Selbstverteidigungsrecht erwähnt hat, scheint es zunächst naheliegend, dass es sich bei den Formulierungen in der jeweiligen Präambel der beiden Resolutionen um eine verklausulierte Anerkennung einer Selbstverteidigungssituation und somit um die notwendigerweise damit verbundene Anerkennung des Vorliegens eines bewaffneten Angriffs handelt.337 Dies ließe sich auch politisch erklären. Da die USA selbst kein Interesse daran gehabt hätten, dass der Sicherheitsrat explizit den Selbstverteidigungsfall feststellt, denn dies hätte eine entsprechende Abhängigkeit von den Vereinten Nationen impliziert, erscheint eine verklausulierte Anerkennung mit voller Handlungsfreiheit für die USA ein denkbarer Kompromiss.338 Jedoch hat weder der Rat explizit das Vorliegen eines Selbstverteidigungsfalls festgestellt noch die USA und andere Staaten zu bewaffneten Gegenmaßnahmen vergleichbar mit anderen Resolutionen ermächtigt, noch hat er solche nach Kapitel VII der Charta angeordnet.339 Gegen eine im336 Kritik wurde an Resolution 1373 aufgrund der Tatsache ausgeübt, dass der Sicherheitsrat in dieser sehr weitreichende Legislativbefugnisse wahrgenommen hat. Siehe dazu Zimmermann/Elberling, Vereinte Nationen 2004, S. 74; Sandoz, SZIER 2002, S. 329; Aston, ZaöRV 62 (2002), S. 257 ff.; Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 2001, S. 171 f. Zu der in diesem Zusammenhang entscheidenden Frage der Überprüfbarkeit von Sicherheitsratsresolutionen de Wet/Nollkaemper, GYIL 45 (2002), S. 167 ff. 337 So im Ergebnis Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 883, der anscheinend keinen Zweifel an der Auslegung der Resolution 1368 hat: „Ich muß sagen, dass ich es erstaunlich finde, wie eine Minderheit von Völkerrechtlern diese in der Präambel der Resolution enthaltenen Formulierung als gewissermaßen irrelevant abtun möchte.“ [Fn. Frederic L. Kirgis, Terrorist Attacks on the World Trade Center and the Pentagon, ASIL Insight, Addendum October 1 (2001), http://www.asil.org/ insights/insigh77.htm (Stand: 15. September 2005), sowie Carsten Stahn, Security Council Resolutions 1368 and 1373 (2001): What They Say and What They Do Not Say, http://www.ejil.org/forum_WTC (Stand: 15. September 2005)]. Vergleiche dazu auch Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 163. 338 Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 886; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 163. Zudem hätte es vermutlich Widerstände auf Seiten der Länder der Dritten Welt gegeben. 339 Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 162; Abi-Saab in: Bianchi (ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, S. xviii.
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plizite Anerkennung spricht darüber hinaus, dass der Rat lediglich eine Friedensbedrohung festgestellt hat, es jedoch unterlassen hat, von einem bewaffneten Angriff zu sprechen.340 Darin unterscheiden sich die Resolutionen, was ihre Klarheit betrifft, deutlich von früheren, in denen der Sicherheitsrat Stellung zum Vorliegen eines bewaffneten Angriffs nahm.341 Des Weiteren hat er das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung „nur“ in der Präambel der Resolutionen 1368 und 1373 herausgestellt und nicht im operativen Teil der jeweiligen Resolution. Zudem hat der Sicherheitsrat im Unterschied zur vorangegangenen Resolutionspraxis weder festgelegt, wer zu einem Selbstverteidigungsrecht ermächtigt werden soll, noch wem gegenüber das Recht ausgeübt werden darf (ratione personae), wer also Adressat militärischer Reaktionen sein soll. Auch bleibt ungeklärt, wo und wie weit ein solches Recht (ratione loci) auszuüben wäre und in welchem zeitlichen Rahmen (ratione temporis) dies geschehen sollte. Da vor allem nicht von einem bewaffneten Angriff gesprochen wird und auch sonst keinerlei wesentliche Aspekte des Selbstverteidigungsrechtes geklärt werden, kann die Interpretation im Sinne eines impliziten Anerkenntnisses des Selbstverteidigungsrechtes gegenüber terroristischen Anschlägen nicht überzeugen. Schließlich bestimmt Resolution 1373 ebenfalls in der Präambel die Notwendigkeit, „durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln, im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen, zu bekämpfen“.342 Im Unterschied zu Resolution 1368 wird in Resolution 1373 die Notwendigkeit der Bekämpfung mit allen Mitteln nicht nur auf den Sicherheitsrat sondern auch auf die Mitgliedstaaten bezogen. Auch daraus lässt sich jedoch nicht zweifelsfrei erkennen, dass der Sicherheitsrat mit den Resolutionen 1368 und 1373 den Einsatz bewaffneter Gewalt gegen die Verantwortlichen des 11. Septembers 2001 legitimieren wollte.343 Zwar enthält die Formulierung den Einsatz „mit allen Mitteln“ und deutet somit auf Waffengewalt hin, dennoch beinhaltet sie ebenso die Einschränkung, dass die Mittel im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen stehen müssen. Darüber hinaus findet sich auch diese Passage wiederum nicht im operativen Teil der Resolution, sondern in der Präambel. 340 Abi-Saab in: Bianchi (ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, S. xviii. 341 Siehe etwa die entsprechenden Resolutionen im Zusammenhang mit dem Überfall Iraks auf Kuwait, siehe dazu unten S. 286 ff. 342 Res. 1373, Abs. 5 der Präambel. 343 A. A. Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 544; Bruha, AVR 40 (2002), S. 396.
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Vielmehr scheint die Resolution eine Art Kompromisslösung: Daraus, dass der Sicherheitsrat das Selbstverteidigungsrecht nur in der Präambel und nur in genereller Art und Weise nennt, ließe sich der Schluss ziehen, dass er es für möglich hält, dass im Fall des 11. Septembers 2001 eine Selbstverteidigungssituation vorliegt, und einer Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes nicht im Wege stehen will, nicht aber, dass der Sicherheitsrat dies jeweils feststellt oder gar zu Maßnahmen der Selbstverteidigung ermächtigt hat.344 Ginge man demgegenüber davon aus, dass der Sicherheitsrat mit den Resolutionen 1368 und 1373 Ermächtigungen zur Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes ausgesprochen hat, bleibt dennoch zu klären, ob die Voraussetzungen dafür rechtlich vorlagen. Denn auch der Sicherheitsrat ist an die Verpflichtungen aus der Charta gebunden und kann die rechtlichen Voraussetzungen für Art. 51 UNC nicht verändern.345 Eine sichere Entscheidung, dass der Sicherheitsrat die Anschläge vom 11. September 2001 als bewaffneten Angriff anerkannt hat, lässt sich jedenfalls aus den oben genannten Gründen nicht treffen. Dies ist aber auch insofern nicht erforderlich, als das Vorliegen einer Selbstverteidigungslage grundsätzlich nicht durch den Sicherheitsrat anerkannt werden muss.346 Zudem hat der Sicherheitsrat mit der Resolution 1373 noch keine „erforderliche Maßnahme“ i. S. d. Art. 51 UNC getroffen, wodurch die Ausübung eines Selbstverteidigungsrechtes versperrt wäre. Zwar stellt die Resolution insofern eine Besonderheit dar, als der Sicherheitsrat mit ihr neben dem dargestellten Verweis auf das Selbstverteidigungsrecht in der Präambel Maßnahmen nach Kapitel VII beschlossen hat. Dennoch ist das materielle Gewicht der Resolution als nicht ausreichend zu bewerten, um als wirkliche Maßnahme im Sinne des Art. 51 UNC gelten zu können. So sind die in Resolution 1373 beschlossenen Maßnahmen größtenteils präventiver Natur und zielen darauf ab, in der Zukunft besser gegen die allgemeinen und besonderen Gefahren des Terrorismus gesichert zu sein. Beispielhaft ist hier die Umsetzung von einzelnen Bereichen des Finanzierungsübereinkommens zu nennen.347 Darüber hinaus enthält der operative Teil auch teilweise politische Beschlüsse anstelle substanzieller Entscheidungen, die nicht ausreichen, um das Selbstverteidigungsrecht außer Kraft setzen zu können.348 344 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 68; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 164. Von einer Widersprüchlichkeit der beiden Resolutionen auch ausgehend und damit jedenfalls eine Eindeutigkeit verneinend, Seidel, AVR 41 (2003), S. 467; Cassese, EJIL 12 (2001), S. 996. 345 Franck, Terrorism and the Right to Self-Defense, AJIL 95 (2001), S. 841; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 886. 346 Bruha, AVR 40 (2002), S. 394. 347 Ebenso Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 166.
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Schließlich hat der Sicherheitsrat, wie bereits erwähnt, in den Resolutionen 1368 und 1373 in den jeweiligen Präambeln auf das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung Bezug genommen, was nur dann einen Sinn ergibt, wenn er selbst jedenfalls davon ausgeht, dass die erforderlichen Maßnahmen bezüglich des Angriffs noch nicht getroffen sind. Die Resolutionen bieten jedoch jedenfalls Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit eines staatlichen bewaffneten Angriffs und für die Anforderungen, die an die Zurechnung eines bewaffneten Angriffs zu einem Staat zu stellen sind. Dass die dargestellten, relevanten Passagen in genereller Weise ausdrücken sollen, dass bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit die staatliche Zurechnung beim bewaffneten Angriff entfällt und somit die Türen für ein Recht auf Selbstverteidigung gegen internationale Terroristen als partielle Völkerrechtssubjekte geöffnet sind,349 ist bereits aufgrund des eben Dargestellten den Resolutionen nicht zu entnehmen. Zwar wird in beiden Resolutionen auf das individuelle und kollektive Recht auf Selbstverteidigung in der Präambel verwiesen, ohne ausdrücklich festzulegen, gegen wen dieses Recht ausgeübt werden kann. Auch die Verwicklung der Taliban wird nicht erwähnt. Da sich hinter den Resolutionen jedoch noch keine ausdrückliche Ermächtigung oder Annerkennung des Rechts verbirgt, kann und muss auch der Gegner nicht festgelegt sein. Zudem stehen dem auch die besonderen Umstände der Entstehung der Resolutionen entgegen. Resolution 1368 wurde einen Tag nach dem 11. September 2001 quasi noch unter dem Schock der Ereignisse erlassen. Eine Absicht zu solch weitreichenden Änderungen der Definition des bewaffneten Angriffs erscheint daher konstruiert.350 Intendiert ist eher, der Regierung der USA Mitgefühl und Beileid ausdrücken zu wollen. Dafür spricht nicht zuletzt auch der eher appellative Charakter und der fehlende Verweis auf Kapitel VII.351 Ebenfalls enthält die Resolution aus gutem Grund keine direkte Festlegung, welche terroristische Gruppierung für die Anschläge verantwortlich ist. Eine solche Festlegung erfordert die Würdigung umfassenden Beweismaterials und wäre daher einen Tag nach den Anschlägen verfrüht und unglaubwürdig. Letzteres gilt ebenfalls für die 348 Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 885 f.; Mégret, EJIL 13 (2002), S. 13 ff.; Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 543. 349 So etwa die Auffassungen von Buergenthal, Declaration zum IGH-Urteil 2004, ebenso Kooijmanns, seperate opinion, siehe dazu unten S. 211 ff. 350 Siehe auch zur Entstehung der Resolution 1373 Finke/Wandscher, Vereinte Nationen 2001, S. 171. 351 Seidel, AVR 41 (2003), S. 466.
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sechs Tage später erlassene Resolution 1373. Auch bei dieser scheint es durch Drängen der US-amerikanischen Delegation und durch den Willen anderer Mitgliedstaaten, den USA aus Solidaritätsgesichtspunkten entgegen zu kommen, zu missverständlichen Kompromissen gekommen zu sein.352 Hinsichtlich der Zurechnung eines bewaffneten Angriffs zu einem Staat ergeben sich aufgrund der Tatsache, dass weder ein bewaffneter Angriff festgestellt wird, noch Verantwortliche für die Anschläge erwähnt sind, lediglich allgemeine und entsprechend vage Indizien. Resolution 1368 enthält folgender Passus: „The Security Council, [. . .] 3. Calls on all States to work together urgently to bring to justice the perpetrators, organizers and sponsors of these terrorist attacks and stresses that those responsible for aiding, supporting or harbouring the perpetrators, organizers and sponsors of these acts will be held accountable.“
Während der erste Teil dieses Absatzes auf die strafrechtliche Bewertung abzielt, beinhaltet der zweite Teil jedenfalls auch die Verantwortlichkeit eines Staates. Unklar bleibt jedoch, ob „held accountable“ in Verbindung mit der Erwähnung des Selbstverteidigungsrechtes in der Präambel eine Selbstverteidigungsmaßnahme gegen solche Staaten mit einschließt oder die dort aufgelisteten Beteiligungsformen lediglich einen Verstoß gegen internationales Recht darstellen mit der Konsequenz der Verantwortlichkeit nach den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit, wie sie im Entwurf der ILC aufgestellt wurden. Jedenfalls sind deutliche Parallelen zu den Regeln der Staatenverantwortlichkeit erkennbar. Ist letzteres der Fall, so birgt die Resolution nichts Neues, da bereits nach der Friendly Relations Declaration und anschließend in diversen Generalversammlungs- und Sicherheitsratsresolutionen eine Verpflichtung bestand, auch die Duldung terroristischer Aktivitäten im eigenen Hoheitsgebiet zu unterlassen. Dadurch erfolgt jedoch nicht automatisch auch eine Zurechnung für einen bewaffneten Angriff gemäß Art. 51 UNC bei einem Verstoß gegen die dort enthaltenen Verpflichtungen. Ebenfalls nicht eindeutig hinsichtlich der Rechtsfolge sind die in Resolution 1373 enthaltenen Verpflichtungen für Staaten: „[The Security Council, Acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations] 2. Decides also that all States shall: (a) Refrain from providing any form of support, active or passive, to entities or persons involved in terrorist acts, including by suppressing recruitment of members of terrorist groups and eliminating the supply of weapons to terrorists; [. . .] (c) Deny safe haven to those who finance, plan, support, or commit terrorist acts, or provide safe havens; (d) Prevent those who finance, plan, facilitate or commit terrorist acts from using their respective territories for those purposes against other States or their citizens.“ 352
Seidel, AVR 41 (2003), S. 468.
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Die Resolution ist jedoch insofern von besonderem Interesse, als sie zwischen aktiver und passiver Unterstützung und der Beherbergung von Terroristen unterscheidet. Im Umkehrschluss zu (a) ergibt sich, dass, wenn ein Staat die Rekrutierung von Mitgliedern terroristischer Gruppierungen und die Belieferung von Waffen an Terroristen nicht verhindert, er diese passiv unterstützt. Die in der Resolution aufgezählten Verpflichtungen könnten auch Indiz für eine herabgesetzte Zurechnungsschwelle im Rahmen des bewaffneten Angriffs sein,353 wenngleich sie generelle völkerrechtliche Verpflichtungen darstellen und sich nicht direkt auf das Selbstverteidigungsrecht beziehen. Aus den Debatten im Vorfeld der Resolutionen ergeben sich keine für die Zurechnung relevanten Äußerungen von Staaten, die eine genauere Klärung des Inhaltes der Resolutionen ermöglichen. Neben den Bekundungen des Mitgefühls mit den Opfern, die den Hauptteil ausmachten, beschränkten sich die Staaten auf allgemeine Äußerungen, Terroristen keine Zuflucht zu gewähren und Terrorismus bekämpfen zu wollen.354 2. Weitere Resolutionen im Zusammenhang mit Afghanistan und anderen terroristischen Anschlägen In Resolution 1378 vom 14. November 2001 wird neben der Bekräftigung der Resolutionen 1368 und 1373 – und damit auch der dort enthaltenen Präambelteile, in denen auf das Selbstverteidigungsrecht Bezug genommen wird – Unterstützung ausgedrückt für „international efforts to root out terrorism, in keeping with the Charter of the United Nations.“ Darüber hinaus werden die Taliban erstmalig verurteilt für „allowing Afghanistan to be used as a base for the export of terrorism by the Al Qaeda network and other terrorist groups and for providing safe haven for Usama Bin Laden, Al Qaeda and other associated with them.“355 Dies zeigt, dass sich das für die Zurechnung als bewaffneter Angriff entscheidende, den Taliban vorwerfbare Verhalten zwei Monate nach den Anschlägen nicht auf aktive Unterstützung oder gar eine unmittelbare Mitwirkung des Staates bei den terroristischen Akten stützt, sondern eine passive Unterstützung oder eine Duldung die Anknüpfungspunkte für eine Zurechnung sind. Dass weiterhin an den Resolutionen 1368 und 1373 und dem damit verbundenen Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung festgehalten wird und darüber hinaus lediglich das genannte Verhalten den Taliban zurechen353
Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 226 ff.; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 9. So etwa im Rahmen der Debatten vor der Annahme von Res. 1368 UN Doc. S/PV.4370. 355 UN Doc. S/Res/1378 vom 14. November 2001, Präambel. 354
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bar ist, lässt den Schluss auf eine herabgesetzte Zurechnungsschwelle im Rahmen des Art. 51 UNC zu. Eine begriffliche Differenzierung zwischen aktiver und passiver Unterstützung findet sich auch in der vom Sicherheitsrat verabschiedeten „declaration on the issue of combating terrorism“ in Resolution 1456: „1. All States must take urgent action to prevent and suppress all active and passive support to terrorism, and in particular comply fully with all relevant resolutions of Security Council, in particular resolutions 1373 (2001), 1390 (2002) and 1455 (2003).“356
Auf eine alleinige Duldung wird demnach in dieser Resolution nicht abgestellt. Lediglich im Rahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen stellt diese ein vorwerfbares Handeln dar.357 Die zur Resolution 1378 festgestellten Ergebnisse gelten ebenfalls für Resolution 1390, nach der weitere Kapitel VII-Maßnahmen gegen die Taliban und al Qaida, wie etwa das Verbot zu reisen und ein Waffenembargo, erlassen wurden.358 Sie enthält die dargestellten Passagen fast wortgleich. Die am 20. Dezember 2001 zur Errichtung der International Security Assistance Force359 ergangene Resolution 1386 birgt keine neuen, darüber hinausgehenden Aspekte.360 Neben den im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 stehenden Resolutionen sind seitdem auch einige weitere Resolutionen zu anderen terroristischen Anschlägen ergangen. In der Resolution 1465 verurteilte der Sicherheitsrat den Bombenanschlag vom 7. Februar 2003 in Bogotá (Kolumbien) als terroristische Handlung und damit als Bedrohung des Friedens und der Sicherheit.361 Interessante Aspekte für die Fragen der Definition des Terrorismus oder die Einordnung terroristischer Akte als bewaffneten Angriff im Rahmen des Art. 51 UNC enthält die Resolution jedoch nicht. Sie bekräftigt lediglich in der Präambel die Notwendigkeit, durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln, im Einklang mit der 356
UN Doc. S/RES/1456, Annex, vom 20. Januar 2003. „3. States must bring to justice those who finance, plan, support or commit terrorist acts or provide safe havens, in accordance with international law, in particular on the basis of the principle to extradite or prosecute;“. 358 UN Doc. S/Res/1390 vom 20. Januar 2002, Präambel. 359 Entsprechend dem Bonnagreement vom 5. Dezember 2001 soll die ISAF das military technical agreement (MTA) mit der Interim Regierung in Afghanistan vom 4. Januar 2002 durchsetzen: nachschauen Bonn Agreement, abrufbar unter: http://www.uno.de/frieden/afghanistan/talks/agreement.htm. Der Text des MTA ist abrufbar unter: http://www.operations.nod.uk/isafmta.pdf. 360 UN Doc. S/Res/1386 vom 20. Dezember 2001. 361 UN Doc. S/Res/1465 vom 13. Februar 2003, operativer Teil 1. 357
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Charta der Vereinten Nationen, zu bekämpfen.362 Auch die Resolution 1450, in der der Sicherheitsrat den terroristischen Bombenanschlag auf das Paradise Hotel in Kikambala (Kenia) und den versuchten Raketenanschlag auf den Flug 582 der Arkia Israeli Airlines beim Start in Mombasa (Kenia) am 28. November 2002 sowie weitere terroristische Handlungen aus jüngster Zeit verurteilt, zu denen sich die al Qaida bekannt hat, bietet keine darüber hinausgehenden Erkenntnisse. Gleiches gilt ebenfalls für die im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen von Bali ergangene Resolution des Sicherheitsrates.363 In Resolution 1624 vom 14. September 2005 ist schließlich folgende Formulierung enthalten: „Calls upon all States to adopt such measures as may be necessary and appropriate and in accordance with their obligations under international law to [. . .] c) deny safe haven [. . .].“ Daraus lässt sich jedoch keine Erweiterungstendenz hinsichtlich der Zurechnung terroristischer Akte zu einem Staat erkennen, da es sich zum einen um einen unverbindlichen Aufruf handelt und zum anderen die Formulierung nicht im Zusammenhang mit einer möglichen Zurechnung einer Hanldung zu einem Staat auftaucht.364 Lediglich die erstmals in der Resolution 1368 aufgetauchte Feststellung, dass Akte des internationalen Terrorismus generell eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen, hat der Sicherheitsrat in allen oben genannten Resolutionen bekräftigt.365 3. Generalversammlungsresolution 56/1 vom 12. September 2001 und nachfolgende Resolutionen Im operativen Teil 4 der Resolution 56/1, die bereits einen Tag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet worden ist, fordert die Generalversammlung nachdrücklich zur internationalen Zusammenarbeit auf, um terroristische Handlungen zu verhüten und auszumerzen; sie betont, diejenigen, die den Tätern, Organisationen und Förderern derartiger Handlungen geholfen, sie unterstützt oder ihnen Unterschlupf gewährt hätten, 362
So auch schon in vielen anderen Resolutionen zuvor, die im Hinblick auf den 11. September 2001 in den Jahren 2002 und 2003 bisher ergangen sind: Siehe z. B. UN Doc. S/Res/1455 vom 17. Januar 2003; UN Doc. S/Res/1450 vom 13. Dezember 2002. Diese Resolutionspraxis wurde auch in den Jahren 2004 und 2005 weitergeführt, siehe beispielsweise UN Doc. S/Res/1624 vom 14. September 2005; UN Doc. S/Res/1566 vom 8. Oktober 2004. 363 UN Doc. S/Res/1438 vom 14. Oktober 2002. 364 UN Doc. S/Res/1624 vom 14. September 2005. 365 UN Doc. S/Res/1455 vom 17. Januar 2003, Präambel; UN Doc. S/Res/1450 vom 13. Dezember 2002, operativer Teil 1, UN Doc. S/Res/1438 vom 14. Oktober 2002, operativer Teil 1.; UN Doc S/RES/1390 vom 16. Januar 2002, Präambel.
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würden dafür zur Rechenschaft gezogen.366 Interessanterweise nennt jedoch die Generalversammlungsresolution – im Unterschied zur Sicherheitsratsresolution 1373 – das Selbstverteidigungsrecht nicht ausdrücklich. In den Debatten der Generalversammlung finden sich zudem keine Äußerungen dazu, ob der Begriff „zur Rechenschaft ziehen“ (held responsible) auch den Einsatz militärischer Gewalt, gedeckt durch das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC, umfasst. Daher lassen sich aus dieser Resolution keine Anhaltspunkte für die Frage der Zurechnung im Rahmen des Art. 51 UNC entnehmen. Ein Indiz für eine Zurechnung in der Unterstützungskonstellation ergibt sich aber aus der Generalversammlungsresolution 59/46. Darin werden die Staaten aufgerufen, „to refrain from financing, encouraging, providing training for or otherwise supporting terrorist activities.“ Zum einen wird also beispielsweise die Bereitstellung von Trainingscamps als Unterstützungshandlung gewertet und zum anderen wird nicht auf eine Duldung eingegangen. V. Die relevante IGH-Rechtsprechung nach 2001 Auch die Entscheidung des IGH im „Case concerning Oil Platforms“ sowie sein Gutachten zu „Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory“ geben Aufschluss über die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes. 1. Case concerning Oil Platforms In der am 6. November 2003 vom Internationalen Gerichtshof entschiedenen Streitigkeit zwischen dem Iran und den USA ging es um Angriffe auf und die Zerstörung von drei von der National Iranian Oil Company betriebenen Ölplattformen am 19. Oktober 1987 und 18. April 1988 durch die Marine der USA.367 Hintergrund der Ereignisse war der zwischen 1980 und 1988 herrschende militärische Konflikt (so genannter 1. Golfkrieg) zwischen dem Iran und Irak. Ab 1984 hatte der Irak Schiffe im Persischen Golf angegriffen, insbesondere Tanker, die mit iranischem Öl beladen waren. In der Zeit von 1984–1988 wurden verschiedene Handelsschiffe und Kriegsschiffe verschiedener Nationalitäten angegriffen, und zwar aus der Luft, durch Fernluftgeschosse oder durch im Persischen Golf platzierte Mi366
UN Doc. GA Res. 56/1 vom 12. September 2001. IGH, Case concerning Oil Platforms vom 6. November 2003, abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/icjwww/idocket/iop/iopjudgment/iop_ijudgment_20031106.PDF (Stand 15. September 2005) (im Folgenden: Oil Platforms Fall). 367
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nen. Die USA machten den Iran für zumindest einige dieser Ereignisse verantwortlich. Am 16. Oktober 1987 wurde der aus Sicherheitsgründen unter amerikanischer Flagge fahrende kuwaitische Tanker Sea Isle City von Geschossen getroffen. Die USA rechneten diesen Angriff dem Iran zu und griffen daraufhin am 19. Oktober 1987 unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht iranische Ölplattformen an. Als Reaktion auf einen weiteren Anschlag auf das Samuel B. Roberts Kriegsschiff erfolgte vier Tage später am 18. April 1988 die Zerstörung zwei weiterer iranische Ölplattformen durch mehrere US-amerikanische Kriegsschiffe. Der Iran sah darin eine schwerwiegende Verletzung des am 15. August 1955 zwischen den USA und dem Iran geschlossenen Treaty of Amity, Economic Relations and Consular Rights,368 insbesondere von Art. X Abs. 1. des Vertrages,369 sowie weiterer Normen des internationalen Rechts. Die USA hingegen beriefen sich auf ihr Selbstverteidigungsrecht370 und bewerteten die Angriffe auf die beiden Schiffe ihrerseits als Verletzung von Art. X Abs. 1 des Freundschaftsvertrages. Im Ergebnis sah der Internationale Gerichtshof den Freundschaftsvertrag durch keine der Parteien als verletzt an und wies die Anträge beider Seiten zurück.371 Von Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist das Urteil insofern, als der Gerichtshof sich erstmals nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 und dem militärischen Einsatz der USA im Irak im März 2003 zum Selbstverteidigungsrecht äußert, obwohl eine Notwendigkeit dazu nicht bestand, da bereits auf Tatbestandsseite kein Verstoß gegen Art. X vorlag, es einer Rechtfertigung also nicht mehr bedurfte. Anscheinend jedoch wollte der Gerichtshof sich aus aktuellem Anlass zum Selbstverteidigungsrecht via obiter dicta äußern. Er prüfte daher in materieller Hinsicht zunächst, ob sich die USA auf Selbstverteidigung hätten berufen können.372 Dabei stellt der Gerichtshof ausdrücklich fest, dass eine Zurechenbarkeit zu einem Staat 368 Treaty of Amity, Economic Relations, and Consular Rights Between the United States of America and Iran (im Folgenden: Freundschaftsvertrag). 369 Dort heißt es: „1. Between the territories of the two High Contracting Parties there shall be freedom of commerce and navigation. [. . .]“. 370 Das Selbstverteidigungsrecht findet Berücksichtigung in Artikel XX des Vertrages: „1. The present Treaty shall not preclude the application of measures: [. . .] d) necessary to fulfil the obligations of a High Contracting Party for the maintenance or restoration of international peace and security, or necessary to protect its essential security interests.“ 371 Siehe dazu näher Oil Platforms Fall, para. 79 ff. 372 Simma kritisiert in seiner seperate opinion, dass der Gerichtshof trotz aktueller Diskussionen die Chance nur halbherzig nutzt, sich zum Gewaltverbot mit ius cogens-Charakter und dem Selbstverteidigungsrecht als den Meilensteinen des
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erforderlich sei. Er schließt die Möglichkeit nicht aus, dass ein Anschlag auf ein einzelnes Kriegsschiff ausreichend sein könne, um einen bewaffneten Angriff im Sinne des „inherent right to self-defence“ zu begründen.373 Letztlich hätten die USA jedoch nicht ausreichend bewiesen, dass der Iran für die in Frage stehenden Angriffe verantwortlich gewesen sei. Die Beweislast hinsichtlich der Zurechnung im Rahmen des bewaffneten Angriffs obliege jedoch, so der Gerichtshof, demjenigen Staat, der sich auf Art. 51 UNC berufe.374 Des Weiteren wird hinsichtlich der Intensität des Angriffs festgestellt, diese sei im Rahmen des Art. 51 UNC enger auszulegen als in dem des Art. 2 Ziff. 4 UNC.375 Schließlich bestätigt der Gerichtshof die Notwendigkeit der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.376 Damit bestätigt der IGH – bemerkenswerterweise stimmte auch der Richter der USA, Burgenthal dieser Entscheidung zu377– in dieser Hinsicht die im Nicaragua-Urteil aufgestellten Kriterien. Die Möglichkeit militärischer Gegenmaßnahmen außerhalb des Art. 51 UNC gegen Gewaltanwendungen, die unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs bleiben, wurde indes anders als in der Nicaragua-Entscheidung nicht erwähnt. Welche Anforderungen an die Zurechnung zu stellen sind, ließ der Gerichtshof verständlicherweise unbeantwortet, ging es im Sachverhalt auch nicht um die Zurechnung von Handlungen Privater zu einem Staat. Simma kritisierte in seiner separate opinion, der Gerichtshof vermittele zu Unrecht den Eindruck, militärische Gegenmaßnahmen seien unzulässig, wenn militärische Handlungen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 UNC blieben. Vielmehr seien sie zulässig, so Simma, wenn sie den Erfordernissen der Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und Unmittelbarkeit genügten.378
UN-Systems in Form eines obiter dictum zu äußern. Siehe dazu Separate opinion ders., para. 6. 373 Oil Platforms Fall, para. 72. 374 Oil Platforms Fall, para. 57. 375 Oil Platforms Fall, para. 51. 376 Oil Platforms Fall, para. 76. 377 Die Entscheidung wurde mit 14 zu 2 Stimmen angenommen. 378 Simma, Separate opinion, para. 12 ff. Small, The Law and Practice of International Courts and Tribunal 3 (2004), S. 113 ff.; Crook, AJIL 98 (2004), S. 309 ff.
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2. Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory a) Advisory Opinion des IGH 2004 In der Advisory Opinion des IGH vom 9. Juli 2004 ging es um die Frage der Vereinbarkeit der Errichtung einer Mauer auf besetztem palästinensischem Gebiet zur Verhinderung terroristischer Anschläge mit dem Völkerrecht.379 Nachdem der Gerichtshof festgestellt hatte, dass die Errichtung einer solchen Mauer gegen verschiedene internationale Verpflichtungen verstoße,380 setzte er sich mit der Frage der Rechtfertigung auseinander und reagierte damit auf die Argumentation Israels, wonach die Errichtung einer Barriere im Einklang mit Art. 51 UNC, mit seinem naturgegebenen Recht auf Selbstverteidigung sowie den Sicherheitsratsresolution 1368 und 1373 stehe. Konkret im Hinblick auf die Resolution 1368 und 1373 hatte Israel behauptet, der Sicherheitsrat habe ein Recht der Staaten anerkannt, in Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes gegen terroristische Akte Gewalt anzuwenden.381 Vor dem Hintergrund dieser Stellungnahme seitens Israels ist doch sehr verwunderlich, dass der Gerichtshof sehr kurz zur entscheidenden Frage, ob auch Private einen bewaffneten Angriff begehen könnten, nach Zitat des Art. 51 UNC entscheidet: „Article 51 of the Charter thus recognizes the existence of an inherent right of self-defence in the case of armed attack by one State against another State. However, Israel does not claim that the attacks against it are imputable to a foreign State. The Court also notes that Israel exercises control in the Occupied Palestinian Territory and that, as Israel itself states, the threat which it regards as justifying the construction of the wall originates within, and not outside, that territory. The situation is thus different from that contemplated by Security Council resolutions 1368 (2001) and 1373 (2001) [. . .].“382
Konsequent und in Übereinstimmung mit dem Oil Platforms Fall hinsichtlich der Frage des Erfordernisses eines bewaffneten Angriffs eines Staates kommt der Gerichtshof mit dieser kurzen Begründung zu dem Schluss, dass Art. 51 UNC im vorliegenden Gutachten keine Relevanz habe. 379 IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion vom 9. Juli 2004, abrufbar unter: http:// www.icj-cij.org/icjwww/idocket/imwp/imwpframe.htm. 380 Auf die einzelnen Verpflichtungen soll hier nicht näher eingegangen werden. Siehe zum Gutachten und „Targeted Killing of Suspected Terrorists“ näher Kretzmer, EJIL 16 (2005), S. 186 ff. 381 Siehe dazu UN Doc. A/ES-10/PV.21, S. 6. 382 Siehe Advisory Opinion, para. 139.
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Nicht ganz eindeutig ist die Aussage des Gerichtshofes insofern, als – einmal angenommen, dass es eine Bedrohung von außerhalb des israelischen Territoriums gäbe – nicht klar ist, ob dann trotz eindeutig festgestellter Notwendigkeit eines bewaffneten Angriffs eines Staates innerhalb des Art. 51 UNC eine Situation vergleichbar mit den genannten Resolutionen entstünde, die ein Recht auf Selbstverteidigung auch unabhängig von der Zurechnung zu einem Staat begründen würde. Durch die Verbindung des letzten Satzes zu den vorangegangenen mit „thus“ ist jedoch anzunehmen, dass nach Auffassung des Gerichtshofes auch in den Resolutionen 1368 und 1373 ein staatlicher bewaffneter Angriff Voraussetzung ist und lediglich das Kriterium des Angriffs von einem anderen Territorium entscheidender Unterschied zwischen dem vorliegenden Fall und den Resolutionen ist. Anschließend untersucht der Gerichtshof unabhängig vom Selbstverteidigungsrecht ebenfalls recht kurz die Frage, ob sich Israel auf das Rechtsinstitut des Notstands (state of necessity) berufen könne. Der Gerichtshof kommt zu dem Schluss, Notstand sei ein im Völkergewohnheitsrecht anerkanntes Rechtsinstitut, das jedoch Ausnahmecharakter besitze und dementsprechend engen Voraussetzungen unterliege. In Anlehnung an Art. 25 des ILC-Entwurfs müsse die zu untersuchende Handlung zunächst die einzige Möglichkeit für einen Staat sein, ein wesentliches Interesse vor einer schweren und unmittelbar drohenden Gefahr zu schützen.383 Der Gerichtshof vermied eine Einlassung zu der Frage, ob dieses Notstandsrecht als Rechtfertigung für einen Verstoß gegen das Gewaltverbot dienen kann und entsprechende dogmatische Begründungen. Da er nicht der Überzeugung ist, dass die Einrichtung einer solchen Mauer die einzige Möglichkeit sei, Israels Interessen gegen die gegen sich geltend gemachten Gefahren zu schützen, hält er eine Berufung auf Notstand schon aus diesem Grund für ausgeschlossen.384 Mit vierzehn zu einer Gegenstimme entschied der Gerichtshof, die Errichtung der israelischen Mauer auf besetztem palästinensischem Gebiet verstoße gegen internationales Recht. b) Deklaration des Richters Buergenthal Die vom amerikanischen Richter Buergenthal abgegebene Gegenstimme begründet dieser in seiner Deklaration vor allem mit der seiner Ansicht nach fehlerhaften Interpretation des Selbstverteidigungsrechtes seitens des Gerichtshofs. Buergenthal kritisiert, das Selbstverteidigungsrecht setze nicht, wie vom Gerichtshof angenommen, einen bewaffneten Angriff eines 383 384
Advisory Opinion, para. 140. Advisory Opinion, paras. 140–142.
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Staates voraus. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Art. 51 UNC und insbesondere aus den Resolutionen 1373 und 1368, in denen der Sicherheitsrat die Staatengemeinschaft zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht aufgerufen habe, ohne dieses Recht auf terroristische Akte seitens staatlicher Akteure zu begrenzen.385 Des Weiteren übt Buergenthal Kritik an der Argumentation des Gerichtshofs, wonach Israel Kontrolle über die besetzten palästinensischen Gebiete ausübe und insofern die Gefahr, die die Errichtung einer Mauer rechtfertigen könnte, nicht von außerhalb des israelischen Territoriums ausgehe. Buergenthal ist der Auffassung, sowohl die von Israel ausgeübte Kontrolle über die besetzten Gebiete als auch die Tatsache, dass der Angriff nicht von außerhalb des israelischen Territoriums geführt werde, sei irrelevant für die Entscheidung, ob ein Selbstverteidigungsrecht bestehe. Entscheidend sei vielmehr die sogenannte green line als trennende Linie zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, „to that extent the territoriy from which the attacks originate is not part of Israel proper.“386 Daher habe Israel ein Recht auf Selbstverteidigung gegen solche Akte. Die entscheidende Frage sei lediglich, ob die Errichtung der Mauer auch den Anforderungen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gerecht werde. Eine dahingehende Würdigung könne jedoch nicht geschehen, da es der Gerichtshof unterlassen habe, die entsprechenden notwendigen Fakten zu begutachten.387 c) Sondervotum des Richters Kooijmans Der niederländische Richter Kooijmans, der eine der insgesamt sechs Sondervoten verfasste, kritisiert unter anderem ebenfalls die Ausführungen des Gerichtshofes zum Selbstverteidigungsrecht, wenngleich er im Ergebnis mit diesen übereinstimmt.388 In Übereinstimmung mit Buergenthal verweist er auf die Resolutionen 1368 und 1373, die das naturgegebene Recht auf Selbstverteidigung nicht an das Erfordernis eines bewaffneten Angriffs seitens eines Staates anknüpften. Zudem verweist er noch deutlicher auf den insoweit nicht entgegenstehenden Wortlaut des Art. 51 UNC.389 Zwar erkennt er an, dass die vom Gerichtshof gewählte Interpretation des Art. 51 UNC generell seit 50 Jahren akzeptiert sei, wirft ihm aber vor, dass „[t]he 385
Declaration of Judge Buergenthal, para. 6. Declaration of Judge Buergenthal, para. 6. 387 Declaration of Judge Buergenthal, para. 5, 6, der den Anschnitt zu Recht enttäuscht schließt mit „The Court’s formalistic approach to the right of self-defence enables it to avoid addressing the very issues that are at the heart of this case.“ 388 Separate Opinion of Judge Kooijmans, paras. 35–36. 389 Separate Opinion of Judge Kooijmans, para. 35. 386
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Court has regrettably by-passed this new element, the legal implications of which cannot as yet be assessed but which marks undeniably a new approach to the concept of self-defence.“390 Im Unterschied zu Buergenthal und letztlich wieder in Übereinstimmung mit dem Gerichtshof gingen die terroristischen Akte seiner Ansicht nach jedoch von dem Territorium Israels aus und erfüllten somit nicht das in Resolutionen 1368 und 1373 geforderte Kriterium für die Feststellung von internationalem Terrorismus. d) Sondervotum der Richterin Higgins Auch Richterin Higgins kritisiert in ihrem Sondervotum, dass der IGH lediglich ein Recht auf Selbstverteidigung eines Staates gegen einen bewaffneten Angriff eines anderen Staates annimmt.391 Sie bewertet zudem die Entscheidung des Gerichts, dass besetzte Gebiete zwar den Schutzbereich des Gewaltverbotes genießen und den Schutz des humanitären Völkerrechts genießen, jedoch nicht als Völkerrechtsubjekte insoweit anerkannt sind, dass sie dem Verbot der Begehung bewaffneter Angriffe unterliegen, da sie nach Auffassung des Gerichts keinen internationalen Bezug aufweisen, als nicht überzeugend.392 Dennoch stimmte sie im Ergebnis mit dem Gerichtshof überein, da nichtmilitärische Maßnahmen, nämlich die Errichtung der Mauer, nicht in den Bereich des Selbstverteidigungsrechtes gem. Art. 51 UNC fielen und der Mauerbau zudem nicht den Anforderungen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit genügte. e) Reaktionen auf das Urteil in der Staatengemeinschaft Nicht verwunderlich ist, dass Israel die Anerkennung des Gutachtens des IGH aufgrund mangelnder Zuständigkeit verweigerte. Allerdings wurde die Zuständigkeit auch von insgesamt 74 Staaten, die gegen die Generalversammlungsresolution 19/14 vom 8.12.2003 stimmten, bestritten, unter ihnen auch Russland, die USA und Großbritannien.393 Zudem gaben insgesamt 49 Staaten und internationale Organisationen eine schriftliche Stellungnahme vor dem IGH ab.394 Dabei wird aus unterschiedlichen Gründen von 390
Separate Opinion of Judge Kooijmans, para. 35. Separate Opinion of Judge Higgins, para. 33 unter Verweis auf ihre in anderorts gemachten Ausführungen. 392 Separate Opinion of Judge Higgins, para. 34. 393 Siehe UN Doc. A/RES/ES-10/14. 394 Die Stellungnahmen sind abrufbar unter: http://www.icj-cij.org/cijwww/ cdocket/cmwp/cmwpframe.htm (Stand 15. September 2005) (im Folgenden: Written Statements). 391
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einem Großteil der Staaten die Rechtfertigung der Errichtung der Mauer abgelehnt. Von Seiten Indonesiens wurde im Einklang mit dem Sondervotum Koiijmans grundsätzlich ein Recht auf Selbstverteidigung auch gegen Private unter Berufung auf die Sicherheitsratsresolution 1373 befürwortet, jedoch aufgrund fehlender Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit die Unzulässigkeit des Mauerbaus festgestellt.395 Saudi Arabien hingegen stellte ausdrücklich fest: „Individual acts of terrorism cannot be equated to an armed attack that justifies measures of self-defence beyond national borders.“396 Nicht eindeutig sind die Äußerungen Frankreichs, in denen es heißt: „These acts have no doubt created a situation entitling Israel to measures to ensure its security, whether this situation is to be characterized as one of self-defence, distress or necessity.“ Unklar bleibt an dieser Stelle, ob Frankreich tatsächlich auch ein Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UNC bei privaten bewaffneten Angriffen zuließe. Schließlich ist nicht verwunderlich, dass die Stellungnahme der palästinensischen Autonomiebehörde einen bewaffneten Angriff aufgrund fehlender Staatlichkeit gemäß dem Gutachten des IGH ausschloss.397 Die meisten EU-Staaten sowie Japan, Brasilien und Australien gingen nicht auf die Voraussetzungen des Art. 51 UNC ein sondern ließen lediglich in genereller Weise erkennen, dass Israel zwar ein Recht zustünde, gegen die terroristischen Anschläge vorzugehen, dass der Mauerbau jedoch nicht dazu geeignet sei. f) Zusammenfassende Würdigung des Urteils Zwar zeigt sich im Rahmen der Sondervoten wie auch innerhalb der Stellungnahmen einiger weniger Staaten, dass zum Teil in Anlehnung an die Resolution 1373 ein Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 UNC angenommen wird, wenn kein staatlicher bewaffneter Angriff vorliegt. Die überwiegende Anzahl der Richter haben sich jedoch für das Erfordernis eines staatlichen bewaffneten Angriffs entschieden. Gestützt wird dieses Ergebnis durch zum Teil explizite Äußerungen von Staaten wie auch durch die Tatsache, dass viele Staaten nicht näher auf die Voraussetzungen des Art. 51 UNC eingegangen sind und insofern die vom IGH aufgestellten Anforderungen auch nicht bestritten haben. Insofern dient das Gutachten für einen Nachweis eines Erfordernisses eines staatlichen Angriffs. Nicht überzeugen kann – zu Recht von Richterin Higgins gerügt – allein die Rechtsprechung des IGH, dass besetzte Gebiete zwar den Schutzbereich des Gewaltverbotes genießen, also der Anforderung der „internationalen 395 396 397
Written Statements, para. 5. Written Statements, para. 31. Written Statements, para. 529 ff.
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Beziehungen“ im Rahmen des Art. 2 Ziff. 4 UNC genügen, jedoch die von ihrem Territorium ausgehenden bewaffneten Angriffe keinen internationalen Bezug aufweisen.398 IV. Draft Articles on State Responsibility der International Law Commission von 2001 1. Rechtliche Relevanz der Entwürfe Im November 2001 sind die Arbeiten der ILC zur Kodifizierung der Staatenverantwortlichkeit zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Der angenommene Entwurf stellt formal ein unverbindliches Dokument dar, über dessen endgültige Form der Verabschiedung noch entschieden wird.399 Trotzdem kommt dem Entwurf über die Staatenverantwortlichkeit insofern eine rechtliche Bedeutung zu, als in ihm Völkergewohnheitsrecht kodifiziert wurde400 und ihre Beachtung401 von der Generalversammlung in der Resolution 56/83 vom 12. Dezember 2001 empfohlen wurde. Die von der ILC aufgestellten Regeln zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit402 unterscheiden sich zunächst grundsätzlich vom übrigen Völkerrecht: Das Völkerrecht regelt Rechte sowie Handlungs- und Unterlassungspflichten für Völkerrechtssubjekte, sogenannte Primärnormen, während die Normen über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit festlegen, welche Konsequenzen von Völkerrechtssubjekten als Reaktion auf einen Verstoß gegen solche Primärnormen zur Verfügung stehen (Sekundärnormen).403 Es geht 398
Dass neben der Zurechnung terroristischer Anschläge zu einem Staat auch die Möglichkeit im Rahmen des Art. 51 UNC besteht, dass solche Anschläge anderen Völkerrechtssubjekten zugerechnet wird, soll jedoch im Folgenden außer Acht gelassen werden. Die nachfolgenden Erkenntnisse zur Zurechnung privater Anschläge zu einem Staat gelten diesbezüglich entsprechend. 399 Siehe Crawford, Introduction, S. 60. 400 Siehe Crawford, Introduction, S. 60; siehe dazu näher Rosenstock, AJIL 96 (2002), S. 792; Tams, GYIL 44 (2001), S. 713 f.; Caron, AJIL 96 (2002), S. 857 ff. 401 Ziff. 3 des Resolutionstextes, UN Doc. GA Res. 56/83 vom 12. Dezember 2001. 402 Report of the International Law Commission, Draft Articles on State Responsibility, GAOR, 56th Sess, Suppl. No. 10, A/56/10 (23. April–1. Juni und 2. Juli– 10. August 2001); der Entwurf wurde im Konsens angenommen; es wird diskutiert, inwieweit er als Grundlage für eine International Convention on State Responsibility dienen soll, vergleiche dazu Crawford, State Responsibility, S. 58 ff. 403 Siehe dazu die Crawford, State Responsibility, S. 59, para. 1: „These articles seek to formulate, by way of codification and progressive development, the basic rules of international law concerning the responsibility of States for their internationally wrongful acts. The emphasis is on the secondary rules of State responsibility: that is to say, the general conditions under international law for the State to be con-
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also um die neuen Rechtsbeziehungen, die bei der Verletzung völkerrechtlicher Pflichten zwischen Verletzter, Verletztem und dritten Staaten entstehen.404 Demgemäß betonte Sonderberichterstatter Ago bereits 1970: „the principles which govern the responsibility of States for internationally wrongful acts, maintaining a strict distinction between this task and the task of defining the rules that place obligations on States, the violation of which may generate responsibility . . . [I]t is one thing to define a rule and the content of the obligation it imposes, and another to determine whether that obligation has been violated and what should be the consequences of the violation.“405
Der Entwurf erhebt dabei, obwohl er bisher nur in Gestalt einer zunächst unverbindlichen Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorliegt, den Anspruch, die für alle Primärnormen geltenden Sekundärnormen über die Voraussetzungen für den Eintritt der Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Völkerrechts geregelt zu haben.406 Dort wird in der Kommentierung zu Art. 8 zwar auf den Teil des Nicaragua-Urteils Bezug genommen, der sich mit der Zurechnung der von den Contras begangenen Menschenrechtsverletzungen zur USA beschäftigt. Auf die Ausführungen des Gerichtshofes zur den Voraussetzungen des Vorliegens einer indirekten Aggression wird hingegen nicht eingegangen. Danach könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Voraussetzungen, wann terroristische Handlungen einem Staat als eigene Angriffshandlung zugerechnet werden können, in der ILC als eine Frage der Primärnormen des Gewaltverbots und nicht als sekundäre Regeln über die Staatenverantwortlichsidered responsible for wrongful actions or omissions, and the legal consequences which flow therefrom. The articles do not attempt to define the content of the international obligations breach of which hives rise to responsibility. This function of the primary rules, whose codification would involve restating most of substantive international law, customary and conventional.“ Vergleiche dazu ausführlich Special Rapporteur Ago in seinem zweiten Bericht, Yearbook ILC 1970 II, 178; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Band I/3, 2. Auflage, S. 867, § 173 II.1. 404 Vergleiche zu den Entwicklungen der ILC-Arbeiten und zur Unterscheidung zwischen „primary rules“ und secondary rules“ auch Simma, AVR 24 (1986), S. 360 ff. Insbesondere im angloamerikanischen Raum wurde diese Begrenzung auf Sekundärnormen deshalb kritisiert, weil die fremdenrechtlichen Fragen der Staatenverantwortlichkeit, denen sich der Sonderberichterstatter Garcia-Amador einst gewidmet hatte, damit aus der Betrachtung weitgehend ausgeschlossen wurden. Vergleiche dazu Simma, AVR 24 (1986), S. 363 f., der von einem „Liebesentzug“ aus dem angloamerikanischen Raum spricht, mit weiteren Nachweisen. 405 Special Raporteur Roberto Ago, Yearbook ILC 1970 II, 306, para. 66; dies wiederholte er auch 1975 noch einmal, siehe Yearbook ILC, 1975 II, 55. 406 Ago definiert das Ziel der ILC als „the hole of responsibility and nothing but responsibility“, Yearbook ILC 1963 II, 253; In einigen Normen wird dieser Anspruch jedoch ausdrücklich zurückgenommen vgl. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, Fn. 1010.
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keit angesehen wurden.407 Des Weiteren beschränkt sich der ILC-Entwurf in Art. 21 darauf, auf die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes aus der Charta zu verweisen,408 und in Art. 59 das generelle Verhältnis zwischen den Regeln über die Staatenverantwortlichkeit und der Charta der Vereinten Nationen insofern festzulegen, als „these articles are without prejudice to the Charter of the United Nations“. Positiv formuliert heißt dies, dass alle Normen des Entwurfs im Einklang mit der Charta zu interpretieren sind.409 Diese Einschränkung bedeutet jedoch nicht, dass die ILC-Zurechnungsnormen ohne jede Relevanz für die Zurechnung von Gewaltanwendungen Privater zu einem Staat sind, da die Vermutung plausibel ist, dass die Zurechnungsfrage in Anbetracht ihres grundsätzlichen Charakters von den Staaten in den von der ILC nicht eigens untersuchten Primärnormenbereichen ebenso beantwortet wird wie in den umfassend gewürdigten Sektoren.410 Darüber hinaus wurden die ILC-Normen auch vom IGH im Teheraner Geiselnahme-Fall und im Nicaragua-Urteil speziell im Hinblick auf das Gewaltverbot aufgegriffen.411 Dies zeigt, dass auch in der internationalen Rechtsprechung die gewohnheitsrechtliche Bedeutung der ILC-Normen anerkannt ist. Auch im Schrifttum werden die Entwürfe der International Law Commission zur Staatenverantwortlichkeit kumulativ zum Nicaragua Urteil herangezogen. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein abweichendes Sonderzurechnungsregime für bestimmte nicht von der ILC untersuchte Primärnormen, speziell hier für das Gewaltverbot, besteht, ist der Stellenwert der in der ILC entwickelten Zurechnungsnormen für die Feststellung staatlicher bewaffneter Angriffe mithin dahingehend zu konkretisieren, dass die Zurechnung gemäß diesen Normen zu erfolgen hat, sofern nicht die Staatenpraxis zu einzelnen Zurechnungskonstellationen hinreichend deutlich eine abweichende Bestimmung der Zurechnungsschwelle erkennen lässt.412 407
Dieser Auffassung ist Bruha, AVR 40 (2002), S. 402, der unterstützend hinzuzieht, dass diese begrenzte Reichweite auch insofern einleuchtend ist, als politisch betrachtet ein Entwurf, der alle Fragen der staatlichen Zurechnung privaten Handelns regelt, von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. 408 Siehe auch Crawford, State Responsibility, S. 180, para. 6: „Article 21 simply reflects the basic principle for the purposes of chapter V, leaving questions of the extent and application of self-defence to the applicable primary rules referred to in the Charter.“ 409 So auch Crawford, State Responsibility, Art. 59, para. 2. 410 So überzeugend und ausführlich Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 237. 411 Siehe oben S. 151 ff. 412 Auch Crawford in der Form des ILC-Entwurfs jenseits einer rechtlich verbindlichen Konvention die Möglichkeit größerer Flexibilität und eines weiter vor-
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Nach Art. 2 des Entwurfes, der Grundnorm für die Staatenverantwortlichkeit, ist ein Staat nur dann für eine Verletzung des Völkerrechts verantwortlich, wenn zum einen ein Handeln oder Unterlassen den Bruch einer Primärnorm bewirkt und zum anderen dieses Verhalten dem Staat auch zugerechnet werden kann. Die zweite dieser Voraussetzungen wird vom ILCEntwurf in Art. 5-15 in detaillierter Weise normiert. Unter welchen Voraussetzungen eine Handlung einem Staat zurechenbar ist, bestimmt sich danach nach dem Handelnden und seiner Beziehung zum Staat.413 Die Art. 4 (2), 5, 8, 9414 und 11 des Entwurfs sind die im Rahmen der Zurechnung terroristischer Akte innerhalb des Selbstverteidigungsrechtes relevanten Vorschriften.415 Sie sind auch insoweit umfassend, als sie ausdrücklich bestimmte Handlungen Privater dem Staat zurechnen und in allen anderen Fällen eine Zurechnung zum Staat ausschließen.416 Bemerkenswert ist, dass der Entwurf zwei Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 angenommen wurde, sich die ILC jedoch nicht dazu veranlasst sah, die folgenden strengen Zurechnungskriterien zu ändern bzw. zu erweitern. Dies spricht bereits deutlich für ein Festhalten an den Zurechnungskriterien. 2. Handlungen von Organen und de facto Organen Art. 4 ILC-Entwurf formuliert zunächst in Abs. 1 die Grundregel, nach der das Handeln staatlicher Organe als Verhalten des Staates gilt. Gemäß Art. 4 Abs. 2 ILC-Entwurf ist ein Organ definiert als „person or entity which has that status in accordance with the internal law of the State.“ Dabei ist es sowohl unerheblich, welcher staatlichen Gewalt, ob der Exekutive, Legislative oder der Judikative, es zuzuordnen ist, als auch auf welcher Hierarchiestufe dieses Organ steht. Des Weiteren ist irrelevant, ob es sich um ein Organ des Staates handelt oder ob es einer Untergliederung in Bundesstaaten angehört. Unerheblich sind auch diesbezügliche Kompetenzüberschreitungen oder weisungswidriges Handeln, da es Aufgabe des Staates ist, seine Organe und mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Personen dastreitenden Prozess der rechtlichen Entwicklung. Damit erkennt er an, dass sich der Entwurf durch entsprechende gewohnheitsrechtliche Entwicklung verändern kann. Crawford, State Responsibility, Introduction, S. 58; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 239, ebenso schlussfolgert Condorelli, RdC 189 (1984-IV), S. 19 ff. 413 Ipsen, in: Ipsen, § 40, Rn. 2. 414 Dieser wird erst im Zusammenhang mit Failed States zu berücksichtigen seien. Siehe dazu unten S. 256 ff. 415 Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 221. 416 Siehe Crawford, State Responsibility, Art. 8, S. 103.
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hingehend zu kontrollieren (Art. 7 ILC-Entwurf). Ebenso lässt sich nach Art. 5 ILC-Entwurf ein Verhalten einer Person zurechnen, die kein Staatsorgan im Sinne von Art. 4 ist, wenn sie nach dem Recht des betroffenen Staates ermächtigt ist, hoheitliche Befugnisse auszuüben und die Person auch in dieser Eigenschaft handelt (de facto Organ).417 Ließe sich eine terroristische Organisation demnach als de facto Organ klassifizieren und würde diese dann auch in ihrer Funktion tätig werden, stünde einer Zurechnung zum Staate nichts im Wege. Diese Fallgruppe wird sich jedoch wohl nur selten in der Realität finden lassen, da schwer vorstellbar ist, dass eine terroristische Organisation gleichzeitig Teil eines Organs oder de facto Organs ist, und die terroristischen Handlungen in Ausübung ihrer Organtätigkeit begeht. 3. Handlungen von Privaten Im Zusammenhang mit terroristischen Handlungen sind die Art. 8 und 11 des Entwurfs der ILC für eine Zurechnung privaten Verhaltens von besonderem Interesse.418 Zunächst wird in Art. 8 normiert, dass „[t]he conduct of a person or group of persons shall be considered an act of a State under international law if the person or group of persons is in fact acting on the instructions of, or under the direction or control of, that State in carrying out the conduct.“
Art. 11 ILC-Entwurf legt fest, dass „[c]onduct which is not attributable to a State under the preceding articles shall nevertheless be considered an act of that State under international law if and to the extent that the State acknowledges and adopts the conduct in question as its own.“419
Aus dem Zusammenspiel zwischen Art. 8 und 11 ILC-Entwurf lässt sich erkennen, dass bei Nichtvorliegen der dort normierten Voraussetzungen eine 417 Diese Alternative der Zurechnung hat die Funktion, dass Staaten nicht durch Privatisierung eigentlich öffentlicher Aufgaben eine Zurechnung ausschließen können, siehe dazu Crawford, State Responsibility, Art. 5, para. 1. 418 Der darüber hinaus ebenfalls nennenswerte Art. 9 ILC-Entwurf wird gesondert innerhalb des spezifischen Problems des internationalen Terrorismus und Failed States behandelt, siehe dazu unten S. 256 ff. 419 In den First reading Draft Articles von 1996, A/CN.4/490/Add.6, para. 287, war Artikel 11 noch anders vorgesehen. Dort hieß es: „1. The conduct of a person or a group of persons not acting on behalf of the State shall not be considered as an act of the State under international law. 2. Paragraph 1 is without prejudice to the attribution to the State of any other conduct which is related to that of the person or groups of persons referred to in that paragraph and which is to be considered as an act of the State by virtue of articles 5 to 10.“
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Zurechnung privaten Verhaltens zum Staat ausgeschlossen sein soll. Damit wird die Lehre von der implied state complicity widerlegt, nach der jede auf das schädigende Verhalten einer Privatperson bezogene Völkerrechtsverletzung eines Staates als Zurechnungsgrundlage zu begreifen ist.420 a) „Conduct directed or controlled by a State“ gemäß Artikel 8 ILC-Entwurf Nach der Kommentierung zu Art. 8 ILC-Entwurf wird „under the direction or control“ dahingehend konretisiert, dass „[s]uch conduct will be attributable to the State only if it directed or controlled the specific operation and the conduct complained of was an integral part of the operation. The principle does not extend to conduct which was only incidentally or peripherally associated with an operation and which escaped from the State’s direction or control.“421
Auf der Suche nach dem ausreichenden Grad der Kontrolle wird dann auf das Nicaragua-Urteil, speziell auf die Zurechnung des Verhaltens der Contras zu den USA für eine Verantwortlichkeit für Verletzungen des internationalen humanitären Rechts verwiesen. Anschließend wird ebenfalls auf den abgeschwächten overall-controll-Test der Berufungskammer im TadicFall des ICTY Bezug genommen.422 Dies geschieht allerdings mit folgendem Hinweis: „The Tribunal’s mandate is directed to issues of individual criminal responsibility, not State responsibility, and the question in that case concerned not responsibility but the applicable rules of international humanitarian law. In any event it is a matter for appreciation in each case whether particular conduct was or was not carried out under the control of a State, to such an extend that the conduct controlled should be attributed to it.“423 420
Siehe dazu umfassender Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 240 ff. mit weiteren Nachweisen. 421 Crawford, State Responsibility, Art. 8, para. 3. 422 Nach der damaligen Fassung des ILC-Entwurfs lautete Art. 8 folgendermaßen unterschied sich insofern von der heutigen Fassung gerade in die Nichterwähnung der Kontrolle: „The conduct of a person or a group of persons shall also be considered as an act of the State under international law if: a) it is established that such person or group of persons was in fact acting on behalf of that State; or b) such person or group of person was in fact exercising elements of the governmental authority in the absence of the official authorities and in circumstances which justified the exercise of those elements of authority.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin) UN Doc. A/35/10, para. 34 in Yearbook of the International Law Commission, 1980 II (2). Teil b) stellt dabei mit kleinen Abweichungen den heutigen Art. 9 dar. 423 Crawford, State Responsibility, Art. 8, para. 5.
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Damit scheint die ILC zu den im Nicaragua-Urteil gefundenen Kriterien zu tendieren, wenngleich sie offen lässt, ob die im Tadic-Fall angewandten Gesichtspunkte sich ebenfalls auf die Staatenverantwortlichkeit übertragen lassen. In jedem Fall soll eine Einzelfallentscheidung zeigen, ob ein ausreichendes Maß an Kontrolle vorliegt. Auch die alternativ424 neben der Kontrolle bestehende Möglichkeit der „direction“ ergibt keine erweiterte Zurechnungsmöglichkeit. Aus der Kommentierung lässt sich entnehmen, dass auch hier das Erfordernis der Leitung der konkreten Handlungen besteht. Darüber hinaus lässt die Tatsache, dass die Kommentierung zu dieser Alternative eher spärlich ausfällt, auf die Bedeutung Rückschlüsse zu. Daher wird „direction“ hier verstanden als Funktion, die die für den Staat handelnden Personen innehaben, während Kontrolle nicht allein in Form einer leitenden Position ausgeführt werden kann, sondern die faktische Kontrolle ausreicht. b) Conduct acknowledged and adopted by a State as its own gemäß Artikel 11 ILC-Entwurf Im Unterschied zu den vorangegangenen Zurechnungsregeln bezieht sich Art. 11 ILC-Entwurf auf den Zeitraum nach der Begehung des mutmaßlichen völkerrechtswidrigen Aktes. Eine Handlung von Privatpersonen soll einem Staat auch nach Begehung zugerechnet werden können „if and to the extent that the State acknowledged and adopted the conduct in question as its own“. Der Kommentierung des ILC-Entwurfs, in der auf den Teheraner Geiselnahme Fall des IGH Bezug genommen wird, ist zu entnehmen, dass zwar in der IGH-Entscheidung Begriff wie „approval“, „endorsement“ „the seal of offical governmental approval“ and „decision to perpetuate [the situation]“ verwandt werden, eine Verantwortlichkeit der iranischen Regierung aber bereits vor diesen zustimmenden Erklärungen der Regierung aufgrund der nicht verhinderten oder jedenfalls nicht zu einem schnellen Ende gebrachten Besetzung vorlag.425 In dieser Konstellation mag die bloße mündliche Zustimmung ausreichen. Generell sind jedoch höhere Anforderungen an die Zurechnung zu stellen. Allein die Kenntnis eines bestimmten Verhaltens oder eine „verbal approval“ reichen nicht aus, da dann möglicherweise schon Stellungnahmen von Staaten in internationalen Streitigkeiten als solche zumindest in genereller Weise bewertet werden könnten.426 424 Dass die drei Formen, instruction, direction, control alternativ ausreichen ergibt sich eindeutig sowohl aus dem Wortlaut der Norm als auch aus der Kommentierung, Art. 8, para. 7. 425 Crawford, State Responsibility, Art. 11, para. 4 und 6. 426 Crawford, State Responsibility, Art. 11, para. 6.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
Vielmehr bedarf es nach Auffassung der ILC der Anerkennung und Annahme der betreffenden Handlung als eigene. Diese kann sowohl als ausdrückliche als auch konkludente Erklärung erfolgen.427 Diese überzeugende Argumentation wird noch dadurch unterstützt, dass auch in der IGH-Entscheidung eine Zurechnung sowohl auf eine bloße mündliche Zustimmung als auch auf die Entscheidung, die Situation weiterzuführen, gestützt wird. c) Zusammenfassende Würdigung der Zurechnung terroristischer Anschläge nach dem ILC-Entwurf Der vorläufig abschließende ILC-Entwurf zur Staatenverantwortlichkeit deutet ebenso wie die Urteile des IGH auf das Erfordernis der Zurechnung terroristischer Anschläge zu einem Staat hin. Zudem bedeutet der ILC-Entwurf hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen private terroristische Anschläge einem Staat zurechenbar sind, im Wesentlichen eine Bestätigung der Zurechnungskriterien, wie sie bereits bis zum Jahre 2001 bestanden.428 Danach sind sie nur bei einer effektiven Kontrolle im Sinne der NicaraguaRechtsprechung oder bei einer Anerkennung und Annahme der betreffenden Handlungen als eigene zurechenbar. VII. Die Bewertung der Ereignisse des 11. Septembers 2001 in der Völkerrechtslehre Zur näheren Bestimmung der einzelnen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes sollen im Sinne des Art. 38 I d) 2 Alt. IGH-Statut als Hilfsmittel auch zusammenfassend die neueren Meinungen in der Literatur dargestellt werden. Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Ansätzen erfolgt dann im Rahmen der „neuen“ Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes. Die Folgen der terroristischen Akte gegen die Vereinigten Staaten sind als Wendepunkt für das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UNC bezeichnet worden.429 427
Crawford, State Responsibility, Art. 11, para. 6. Siehe oben S. 165 ff. 429 Siehe beispielsweise, Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 226; Cassese, EJIL Forum, para. 3; Ruffert, ZRP 2002, S. 247, anders hingegen Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.) Terrorism as a Challenge, S. 836 f. Er vertritt die Auffassung, dass es mehr eine Frage der Fakten sei, die die Staatengemeinschaft zu einer solchen Einigkeit bewogen hat. Zudem ist er der Auffassung, dass die Ereignisse des 11. Septembers 2001 und die darauf erfolgte Reaktion eher mehr Fragen offen lässt als zu einem einheitlichen neuen Konzept der Selbstverteidigung führt. 428
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Ein gemeinsamer Standpunkt lässt sich innerhalb der Masse an nach dem 11. September 2001 veröffentlichen Schriften noch insoweit ausmachen, als ungeachtet der Frage, ob Gewaltanwendungen ein gewisses Maß an Intensität erreichen müssen,430 um als bewaffneter Angriff qualifiziert werden zu können, jedenfalls in der Konstellation der hier beurteilten Anschläge mit Hinweis auf die Zahl von über 3000 Toten sowie Schäden in Milliardenhöhe alle von einem hinreichend intensiven bewaffneten Angriff ausgehen.431 Des Weiteren wird einhellig angenommen, dass sich der Begriff „bewaffnet“ nach Art. 51 UNC nicht auf bestimmte Arten von herkömmlichen Waffen beschränkt,432 sondern vielmehr auf die Wirkung der eingesetzten Mittel abzustellen ist, mithin auch das Abstürzenlassen von Flugzeugen dem Begriff zuzuordnen ist.433 Darüber hinaus besteht ebenfalls ein Konsens dahingehend, dass angesichts der gewissen Regelmäßigkeit der Anschläge der terroristischen Organisation al Qaida schon seit längerer Zeit sowie der großen Wahrscheinlichkeit, dass auch in Zukunft solche Anschläge verübt werden,434 das Erfordernis der Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs kein Hindernis darstelle. Unerheblich ist nach Ansicht des Schrifttums auch die Tatsache, dass die Taliban von den allermeisten Staaten als Regierung Afghanistans de jure nicht anerkannt sind. Denn die Taliban sind das de-facto-Regime Afghanistans und damit nach Art. 2 Ziff. 4 UNC verpflichtet und geschützt.435 Dies entspricht auch dem Entwurf der ILC zur Staatenverantwortlichkeit und ist auch insofern überzeugend, als es einem Staat, der Opfer terroristischer Anschläge wird, nicht zugemutet werden kann, einen bewaffneten Angriff so lange über sich ergehen zu lassen, bis der Angreifer wieder eine rechtmäßige Regierung erhält.436 Unterschiede in der Bewertung ergeben sich vor allem hinsichtlich der Zurechnung der terroristischen Akte zu einem Staat in Bezug auf die Feststellung eines bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 UNC. 430 Siehe unten zu der hier vertretenen Ansicht, dass eine gewisse Intensität erforderlich ist, S. 263. 431 Murphy, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 47; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 76. 432 So bereits der IGH, Advisory Opinion on the Legality of the Threat of Use of Nuclear Weapons, ICJ Reports 1996, 226 (244). 433 So etwa Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 540, der in Anlehnung an das deutsche Strafrecht den Begriff der Waffe von den äußeren Umständen abhängig macht. Siehe auch Ruffert, ZRP 2002, S. 247; Mégret, EJIL 13 (2002), S. 12, Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 857 ff. 434 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 81. 435 Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 230; Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 541; Tietje/ Nowrot, NZWehrr 2002, S. 6. 436 So zu Recht auch Tomuschat, EuGRZ 2002, S. 541.
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1. Artikel 51 gegen nicht-staatliche bewaffnete Angriffe – partielle Völkerrechtssubjektivität für terroristische Gruppierungen Die weiteste Entwicklung erfährt Art. 51 UNC durch diejenigen in der Literatur, die in der neueren Staatenpraxis eine spontane Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht sehen437 und privaten Akteuren derartiger Anschläge eine passive Völkerrechtssubjektivität zuerkennen.438 Begründet wird dieser Ansatz zum einen mit dem insoweit offenen Wortlaut des Art. 51 UNC, dem Telos der Vorschrift und vor allem damit, dass die Terroranschläge des 11. Septembers 2001 als solche vom Sicherheitsrat als Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit angesehen wurden, obwohl zu diesem Zeitpunkt eine Zurechnung zu einem Staat noch gar nicht festgestanden haben könne. Die Einigkeit im Sicherheitsrat sowie die anschließende Zustimmung in der Generalversammlung untermauerten den Akt der Rechtsfortbildung. Uneinigkeit herrscht aber über die Tatsache, ob bei der Anerkennung des nicht-staatlichen bewaffneten Angriffs im Rahmen des Art. 51 UNC als Rechtsfolge ohne weiteres ein Selbstverteidigungsrecht gegen die Angreifer besteht. Ein Teil der Literatur sieht in der speziellen Situation um den 11. September 2001 eine hinreichende Verbindung zwischen dem TalibanRegime und den Attentätern. Diese Verbindung ergebe sich dadurch, dass die Taliban bewusst gegen die an sie zuvor ergangenen Sicherheitsratsresolutionen gehandelt hätten, in denen bereits die Förderung des Terrorismus durch die Taliban verurteilt wurde, so etwa die Resolutionen 1333 (2000), 1267 (1999), 1214 (1998). Auf diese Weise hätten sie zuerkennen gegeben, dass sie mit der terroristischen Organisation al Qaida gemeinsame Sache machten.439 Ansonsten sei nur zulässig, gegen einen Staat militärisch vorzugehen, wenn das Land im Sinne des Art. 51 UNC als verantwortlicher Urheber der Anschläge angesehen werden kann.440 Zum Teil wird hingegen vertreten, dass Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nicht verwickelte Staaten analog den Grundsätzen des Neutralitätsrechtes durchgeführt werden könnten.441 Danach können sich Staaten, die 437
So vorsichtig Kotzur, AVR 40 (2002), S. 472. Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 38 ff.; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 163; Bruha, AVR 40 (2002), S. 392; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 77; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 197, Murphy, Harvard International Law 43 (2002), S. 50. Schrijver, NILR 48 (2001), S. 285. bereits vor dem 11. September 2001 auch viele andere, vor allem Dinstein, Self-Defense, S. 238; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 33; weitere Nachweise bei Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 152, Fn. 622. 439 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 542. 440 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 541. 438
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nicht willens oder in der Lage sind, terroristische Handlungen zu unterbinden, gegenüber militärischen Abwehrhandlungen des Opferstaates nicht auf ihre Neutralität und territoriale Integrität berufen und müssen Militäraktionen gegen Terroristen und deren Einrichtungen über sich ergehen lassen.442 Auch wird dies zum Teil ohne Rückgriff auf das Neutralitätsrecht vertreten.443 Dies bedeutete, dass sowohl in der Duldungskonstellation wie in der Unfähigkeitskonstellation ein Recht auf Selbstverteidigung gegen die für den Angriff verantwortlichen terroristischen Organisation bestünde. Darüber hinaus könne dann eine Selbstverteidigungsmaßnahme gegen einen Staat hinzukommen, wenn er selbst Angreiferqualitäten erlange. Wann diese erreicht sind, wird nicht einheitlich beantwortet. Dazu soll, so einige, ausreichen, dass der Staat einen „save haven“ biete und generelle Kenntnisse von den Angriffsabsichten und Angriffszielen der Terroristen habe. Unterschiede bestehen dann in der geäußerten Meinung im Schriftum, ob die Bereitstellung eines „safe haven“ conditio sine qua non des jeweiligen terroristischen Angriffs sein müsse.444 Andere hingegen halten nach geltender Rechtslage eine höhere Zurechnungsschwelle als reines Beherbergen für notwendig, wenngleich sich eine Entwicklung und Abkehr von den zu strengen Kriterien des Nicaragua-Urteils andeute, die aber zum jetzigen Zeitpunkt noch abzuwarten bliebe.445 Zum Teil wird die Verbindung zwischen Al Qaida und Afghanistan sehr weitgehend folgendermaßen hergestellt: Ein Staat sei verpflichtet den Staat, der Ziel eines terroristischen Anschlags ist, nicht daran zu hindern, sein Selbstverteidigungsrecht gegen eine terroristische Gruppierung auf dem Territorium auszuüben, zu dessen Kontrolle er nicht in der Lage sei. Wenn ein Staat die Ausübung eines solchen Selbstverteidigungsrechtes verhindere, werde er zum Komplizen der Terroristen. Auf eine mögliche Unterstützungshandlung komme es dann nicht an, um ein Selbstverteidigungsrecht auch gegen den Staat ausüben zu dürfen.446 441
Krajewski, AVR 40 (2002), S. 203; Bruha, AVR 40 (2002), S. 408. Bruha, AVR 40 (2002), S. 408. 443 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 111. 444 Während Krajewski dies fordert, AVR 40 (2002), S. 192, lehnt Bruha, AVR 40 (2002), S. 406, dies ab. 445 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 111 f. „Drawing these strands together, relevant factors in assessing the lawfulness of a response against a State sponsor including the severability (or lack thereof) between it and the terrorist group; the frequency, source and timing of warnings to desist from cooperation with the group; the scale and nature of the cooperation; the extent to which the State is perceived as generally law abiding and legitimate or not; the inclusivity of the threat in terms of States threatened; and the severity of the acts committed by the terrorist group with which the State has chosen to associate itself. Further, it appears that self-defense vis-à-vis State involvement (like that against the terrorists themselves) is heading in deterrent directions.“ 442
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2. Artikel 51 UNC gegen staatliche bewaffnete Angriffe mit unterschiedlichen Zurechnungskonstellationen Die überwiegende Anzahl von Völkerrechtlern hält weiterhin am Erfordernis eines staatlichen bewaffneten Angriffs im Rahmen des Art. 51 UNC fest.447 Dies geschieht zum einen mit einer eher historischen Begründung dahingehend, dass das Chartarecht nur zwischen Staaten gelte und insofern der bewaffnete Angriff nicht auf nicht-staatliche Akteure ausgedehnt werden könne.448 Zum anderen stünden praktische Erwägungen dagegen, da das Selbstverteidigungsrecht mit Ausnahme der hoheitsfreien Räume nur gegen Staaten geltend gemacht werden könne. Insofern sei durch eine Anerkennung terroristischer Organisationen als partielle Völkerrechtssubjekte nichts gewonnen, da weiterhin die territoriale Integrität des unbeteiligten Staates verletzt würde.449 Allerdings bestehen unter den Vertretern dieses „klassischen“ Ansatzes deutliche Unterschiede in den Anforderungen, die an die Zurechnung gestellt werden. a) Festhalten am strengen Zurechnungskriterium Zum Teil wird an den strengen Zurechnungskriterien des Nicaragua-Urteils unter Berufung auf die in der ILC entwickelten Zurechnungsvoraussetzungen (Art. 8 des Entwurfs) festgehalten.450 Eine Zurechnung in der Duldungs-, Sorgfaltswidrigkeits- und Unfähigkeitskonstellation wäre danach nicht möglich. Unterschiedlich werden die darin festgelegten Kriterien dann auf den 11. September 2001 angewandt. Einige sehen eine effektive Kontrolle im Sinne des IGH für nicht bewiesen an. Dazu bedürfte es, so diese Ansicht, zweier Zurechnungsschritte: Zum einen müsste ein Nachweis der Tatherrschaft oder zumindest eines maßgeblichen Planungs-, Steuerungsund Finanzierungseinflusses auf die Attentäter durch das al Qaida Netzwerk bin Ladens erfolgen, wofür schon keine Beweise vorlägen. Zum anderen müsste der Nachweis einer Beteiligung des al Qaida-Netzwerkes an der ter446
Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 47. Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 34; Mégret, Kritische Justiz 2002, S. 169; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28; mit Einschränkungen Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 14, der zwar eine partielle Vökerrechtssubjektivität terroristischer Organisationen für dogmatisch begründbar hält, deren praktische Anwendung jedoch auf hoheitsfreie Räume beschränkt sieht. 448 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 34. 449 Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 13; Mégret, Kritische Justiz 2002, S. 169. 450 Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28. 447
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ritorialen Herrschaftsgewalt der Taliban in Afghanistan geführt werden, für die ebenfalls genügend Hinweise fehlten.451 Zum Teil wird diese Verbindung auch folgendermaßen begründet: Bei der Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Terroristen und der Regierung eines Staates soll nach wie vor der effective controll-Test des IGH gelten. Anders gilt hingegen, wenn Regierungsbeamte und Terroristenführer in der Ausübung ihrer Gewalt, in finanzieller Hinsicht etc. untrennbar vermischt sind. Dann muss ein Recht bestehen, auch gegen den Staat militärisch vorzugehen.452 b) Weiterentwicklung der Zurechnungskriterien nach dem 11. September 2001 Ein nicht unerheblicher Teil des Schrifttums ist der Auffassung, nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 sei ein Festhalten an den NicaraguaKriterien nicht mehr möglich, da kein Staat in der Lage sei eine ausreichende Unterstützungsleistung der Taliban an al Qaida und die Kenntnis oder eine Mitwirkung des Regimes an den konkreten terroristischen Handlungen gegen die USA nachzuweisen.453 Vorgeschlagen wird z. B. den „overall control test“ der Appeals Chamber des ICTY im Tadic Fall heranzuziehen, um die fast nicht zu erfüllende Beweispflicht zu erleichtern und so eine Zurechnung zwischen den Angriffen vom 11. September 2001 zum Taliban Regime und über Art. 9 ILC zum Staat Afghanistan zu erreichen.454 Zum Teil wird noch weitergehend jedes staatliche Verhalten, welches bei objektiver Betrachtung vorhersehbar der Unterstützung terroristischer Aktivitäten diene und welches kausal werde für Anschläge einer privaten Organisation, dem betreffenden Staat zugerechnet und damit als act of state für den bewaffneten Angriff als ausreichend angesehen.455 Als Begründung 451
Wolf, HUV 2001, S. 212 f. Slaughter/Burke-White, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 20. 453 Franck, Recourse to Force, S. 67; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.) Terrorism as a Challenge, S. 838; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 34; Tietje/Nowrot, NZWehrr (2002), S. 8 ff.; Slaughter/Burke-White, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 20 die zwar grundsätzlich an den strengen Kriterien festhalten will, aber bei untrennbarer Vermischung zwischen Regierung und Terroristen, wie im Falle der Taliban und al Qaida, ein Vorgehen gegen den Staat ermöglichen will. Glennon, Harvard Journal of Public Law and Policy 25 (2002), S. 543. 454 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 864. 455 Tietje/Nowrot, NZWehrr (2002), S. 8. 452
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wird die zunehmende Inkongruenz zwischen der sich immer mehr verfestigenden Verpflichtung der Staaten, sich der Unterstützung terroristischer Aktivitäten in jeder Form zu enthalten einerseits, und dem aufgrund des bisher strengen Zurechnungsregimes bestehenden Effektivitätsdefizit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auch mit militärischen Mitteln andererseits angeführt, die zu einer nicht mehr hinnehmbaren Regelungslücke führten. Diese gelte es mit herabgesenkten Zurechnungsanforderungen zu senken.456 Andere gehen noch einen Schritt weiter und halten eine Zurechnung dann für gegeben, wenn ein Staat terroristische Akte nicht verhindern wolle, letztlich also eine Duldungskonstellation vorliegt.457 Des Weiteren wird zum Teil eine Zurechnung in Situationen, in denen ein Staat unfähig ist, gegen terroristische Organisationen vorzugehen, ausgeschlossen, zugleich dem Staat, gegen den terroristische Anschläge ergangen sind, jedoch weiterhin die Möglichkeit zugesprochen, gegen die verantwortlichen Terroristen und ihre Organisationen vorzugehen.458 c) Notstandslösung Vereinzelt wird vertreten, neben dem Selbstverteidigungsrecht lasse sich ein Recht zu militärischen Reaktionsmöglichkeiten eines Staates gegen die verantwortlichen Terroristen aus dem Gedanken des Notstandes459 herleiten. Neben den oben genannten Gründen,460 die gegen ein über das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC hinausgehendes Recht, sei es aus gewohnheitsrechtlichem Selbstverteidigungsrecht oder aus neuen Ausnahmegründen wie dem Notstand, sprechen, führt der Versuch der Rechtfertigung über ein Notstandsrecht zur Destabilisierung der internationalen Rechtsordnung durch die Eröffnung neuer unklarer Rechtfertigungsansätze. Dies wird im Rahmen der nachfolgenden Untersuchungen des Rechtscharakters des Selbstverteidigungsrechtes gezeigt.
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Tietje/Nowrot, NZWehrr (2002), S. 9. Franck, Recourse to force, S. 67; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 33; Greenwood, International Affairs 78 (2002), S. 301; auch schon vor dem 11. September Wedgwood, Yale Journal of International Law 24 (1999), S. 564 f.; Dinstein, Self-Defense S. 215 f. 458 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 33. 459 Ulrich Fastenrath, Ein Verteidigungskrieg lässt sich nicht vorab begrenzen, FAZ vom 12. November 2001, S. 8. 460 Siehe oben S. 127 ff. 457
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B. Die „neue“ Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes Der Präsident des Sicherheitsrates teilte in einer Presseerklärung am 8. Oktober 2001 mit, dass „the members of the council were appreciative of the presentation made by the United States and the United Kingdom“.461 Dahinter verbirgt sich die Bejahung des Selbstverteidigungsrechtes gegenüber den USA und Großbritannien unter den am 11. September 2001 gegebenen Umständen. Nicht eindeutig ist allerdings, welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus für die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Selbstverteidigungsrechtes ergeben. Daher soll anhand der untersuchten Staatenäußerungen, der aktuellen Resolutionen und Urteile sowie unter Berücksichtigung des ILC-Entwurfs von 2001 eine neue Bewertung der einzelnen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes bei terroristischen Akten im Vergleich zu der bis 2001 geltenden Rechtslage vorgenommen werden. Diese neue Bewertung soll gemäß dem in der Arbeit verfolgten auslegungsmethodischen Ansatz anhand einer textorientierten Auslegung überprüft werden. I. Rechtsquelle des Selbstverteidigungsrechtes Die oben dargestellte herrschende Lehre, nach der jede auf fremdem Territorium vorgenommene unilaterale Gewaltanwendung ein Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 UNC darstellt und nur dann ausnahmsweise erlaubt ist, wenn ein bewaffneter Angriff vorliegt, der ein Recht auf Selbstverteidigung im Sinne des Art. 51 UNC auslöst, und somit ein über das in Art. 51 UNC hinausgehendes gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht ohne Vorliegen eines bewaffneten Angriffs sowie ungeschriebene Ausnahmen vom Gewaltverbot oder Notstandskonstruktionen ausgeschlossen sind, findet seine Bestätigung und Verfestigung in der aktuellen Staatenpraxis und der Literatur.462 Sowohl in den Stellungnahmen der USA und Großbritanniens, wie auch in der des Präsidenten des Sicherheitsrates als auch in denen der EU und 461
Presseerklärung vom 8. Oktober 2001, UN Doc. SC/7167. So ausdrücklich auch Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 65, der die von Travalio, Wisconsin International Law Journal 18 (2000), S. 166 f. vertretende Meinung, dass begrenzte militärische Handlungen gegen terroristische Lager nicht unter das Verbot des Art. 2 Ziff. 4 fallen, ablehnt. Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 841; Beard, Harvard Journal of Law & Public Policy 25 (2002), S. 567; darüber hinaus zeigt sie sich durch die im Schrifttum nahezu ausschließlich erfolgte Diskussion innerhalb des Art. 51 UNC und nicht etwa über ein gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht. 462
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von derjenigen Staaten, die sich der Erklärung der EU anschlossen, wurden die militärischen Maßnahmen als Selbstverteidigungshandlungen gemäß Art. 51 UNC gewertet. Dadurch wird deutlich, dass ein Rückgriff auf ein darüber hinausgehendes gewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht als nicht gewollt bzw. als nicht notwendig erachtet wurde. Unterstützt wird dies auch durch die Berufung auf Art. 5 NATO-Vertrag, Art. 3.1 des RioVertrages und Art. VI des ANZUS-Vertrages. Auch der IGH beschränkte sich im „Oil Platforms Fall“ auf eine Rechtfertigung aus Art. 51 UNC und bot, obwohl er an seiner Rechtsprechung aus dem Nicaragua-Urteil festhielt, wonach Art. 51 UNC hinsichtlich der erforderlichen Intensität der Gewaltausübung enger auszulegen sei als Art. 2 Ziff. 4 UNC, keine darüber hinausgehenden Rechtfertigungsmöglichkeiten für militärische Gewalt. Vor allem gewaltsame Gegenmaßnahmen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs, die der IGH im Nicaragua-Urteil noch für denkbar erachtet hatte, blieben unerwähnt. Die diesbezügliche Kritik des Richters Simma vermag nicht zu überzeugen. Auf welcher dogmatischen Grundlage eine solche Gegenmaßnahme begründet sein sollte, wird von Simma nicht dargestellt. Zwar wäre denkbar, die Militäraktion in Afghanistan als bewaffnete Repressalie einzuordnen, da diese zunächst eher den Charakter einer internationalen Polizeiaktion mit sowohl präventiven wie repressiven Elementen zu haben scheint.463 Der weitgehende Konsens hinsichtlich der Einordnung der militärischen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September 2001 als Selbstverteidigungsmaßnahme spricht jedoch ebenso gegen eine solche Einordnung wie die Tatsache, dass bewaffnete Repressalien nach ganz überwiegender und zutreffender Ansicht unzulässig sind.464 Eine möglicherweise erweiterte Auslegung des Art. 51 UNC ist zudem gegenüber denjenigen Alternativen vorzugswürdig, die weitere Ausnahmen vom Gewaltverbot schaffen wollen, da es nicht zu einer undurchschaubaren und der Gefahr der Uferlosigkeit unterliegenden Untergrabung des Art. 2 Ziff. 4 UNC käme, sondern lediglich zu einer Anpassung der Interpretationen der maßgebenden Rechtsbegriffe im Rahmen von Art. 51 UNC.465 Darüber hinaus könnte den Gefahren einer weiten Auslegung des Merkmals des bewaffneten Angriffs mit einer strikten Prüfung der Erforderlichkeit und Verhält463
Tietje/Nowrot, NZWehrr 2001, S. 8. Siehe statt vieler Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 48 f.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 480; Stein, in: Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 348. 465 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 842. Dass eine Abgrenzung militärischer Handlungen gegen internationalen Terrorismus im Rahmen des Selbstverteidigungsrechtes von bewaffneten Repressalien auch möglich ist, soll näher unten im Rahmen der Gegenwärtigkeit dargestellt werden, siehe dazu unten S. 269 ff. 464
3. Kap.: Selbstverteidigungsrecht nach dem 11. September 2001
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nismäßigkeit der Selbstverteidigungsmaßnahme auf der Rechtsfolgenseite begegnet werden.466 Schließlich birgt die Einbettung in den Kontext des Art. 51 UNC den Vorteil, dass dem Sicherheitsrat eine Art überwachende Funktion zuteil wird.467 Zwar setzt die Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes keine Autorisierung durch den Sicherheitsrat voraus, dennoch ist seine Funktion auch im Rahmen des Art. 51 UNC nicht zu unterschätzen: Zum einen werden die Staaten durch die in Art. 51 UNC enthaltene Mitteilungspflicht gezwungen, die Rechtfertigung ihrer Handlungen offen zu legen und ihr auch eine gewisse Stringenz zu verleihen. Daneben besteht für den Sicherheitsrat die Möglichkeit, die Selbstverteidigungsmaßnahme zu beenden, wenn er selbst die erforderlichen Maßnahmen erlässt. Darüber hinaus kann er zu Maßnahmen, die der Verteidigung des Angriffs dienen über Kapitel VII autorisieren und somit die Legitimation der dabei durchgeführten Handlungen erhöhen.468 Schließlich bleibt ihm die Möglichkeit ex post oder ex ante ein Recht auf Selbstverteidigung zu bestätigen und somit ebenfalls bestehende Zweifel ob des Bestehens eines solchen Rechtes auszuräumen. Die praktische Relevanz der drei letztgenannten Möglichkeiten darf jedoch aufgrund des Vetorechts der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat nicht überbewertet werden. Aus den oben dargestellten Gründen hinsichtlich der Auslegung von Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 UNC469 und aufgrund der unveränderten Staatenpraxis bleibt daher einzige zulässige Ausnahme für unilaterale Gewaltanwendungen das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC.
466
Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 843. 467 Ebenso Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 843 ff., der die Rolle des Sicherheitsrates in diesem Zusammenhang zutreffend mit „jurying funktion“ beschreibt und die zunehmende Bedeutung des Sicherheitsrates bei der Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes seit den 90er Jahren mit „Art. 51 ½“ bewertet. 468 Hier taucht allerdings das Problem auf, dass wenn der Sicherheitsrat zu Selbstverteidigung autorisiert, aber eindeutig die Voraussetzungen nicht vorliegen, ob er dann nicht gegen die Charta verstößt und eigentlich an sie gebunden wäre. Dies wiederum eröffnet die Frage von der Überprüfbarkeit von Sicherheitsratsresolution die hier jedoch nicht näher beantwortet werden kann. 469 Siehe oben S. 127 ff.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
II. Die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes 1. Der bewaffnete Angriff im Sinne des Artikel 51 UNC a) Das Erfordernis der Staatlichkeit eines bewaffneten Angriffs im Rahmen von Artikel 51 UNC Nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 könnte der Eindruck entstehen, dass die NATO-Staaten und auch alle anderen Staaten, die Mitglieder des Sicherheitsrates sind, einen terroristischen Akt einer privaten Terrororganisation einem bewaffneten Angriff eines Staates gleichsetzen.470 Auch die wissenschaftliche Diskussion zeigt, dass in der Völkerrechtslehre längst nicht mehr einhellig davon ausgegangen wird, Art. 51 UNC umfasse allein staatliche bewaffnete Angriffe. Für eine Erweiterung des Tatbestandes auf nicht-staatliche Angriffe wird insbesondere der diesbezüglich offene Wortlaut und eine entsprechende Tendenz in der Staatenpraxis als Begründung herangezogen. Die herrschende Lehre geht jedoch nach wie vor, zum Teil mit knapper Begründung oder dies einfach voraussetzend, von dem Erfordernis der Staatlichkeit eines bewaffneten Angriffs aus. Es bedarf daher einer Auslegung von Art. 51 UNC im Lichte der neueren Staatenpraxis. aa) Ergebnis der Untersuchung der Staatenpraxis, Resolutionen und Urteile Hinsichtlich der Frage, ob Terroranschläge überhaupt der Zurechenbarkeit zu einem Staat bedürfen, um den Anforderungen eines bewaffneten Angriffs zu genügen, ist nur die sehr allgemein gehaltene Prager Gipfelerklärung von 2002 der Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten471 zweideutig. Deutlich gegen das Erfordernis einer Zurechnung terroristischer Angriffe zu einem Staat hat sich Russland im Zusammenhang mit den 2004 erlittenen terroristischen Anschlägen geäußert, jedenfalls dann wenn keine Kooperation mit dem Staat möglich ist, auf dem sich die terroristische Organisation aufhält.472 Im Zusammenhang mit der Staatenpraxis in 470
Cassese, EJIL 12 (2001), S. 997. So neben den oben genannten auch The Statement issued at the Ministerial Meeting of the North Atlantic Council, Press Release M-NAC-2(2002) 159 vom 6. Dezember 2001, insbesondere Abschnitt Nr. 3, abrufbar unter: http://www.nato.int/ docu/pr/2001/p01-159e.htm (Stand: 15. September 2005). Auch dort wird die militärische Reaktion sowohl gegen die Terroristen, die für den 11. September 2001 verantwortlich, als auch gegen diejenigen, die die Verantwortlichen schützen bzw. beherbergen, als gerechtfertig bezeichnet. 471
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Afghanistan ergibt sich hingegen sowohl aus den Stellungnahmen der USA wie auch aus denen Großbritanniens, der übrigen NATO-Staaten bei Bestätigung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 5 NATO-Vertrages und der OAS zu Art. 3.1 Rio-Vertrag einhellig, dass die Staaten jeweils Bezug auf die Verwicklung der Taliban in die terroristischen Anschläge genommen haben. Die Taliban waren zwar als Regierung weitgehend nicht anerkannt, wurden aber als de facto Regierung Afghanistans betrachtet. Mithin waren sie der Auffassung, dass es einer Zurechnung zu einem Staat zur Begründung eines bewaffneten Angriffs für ein Recht auf Selbstverteidigung bedürfte. Daher sprechen die Stellungnahmen der Staaten dagegen, im Rahmen von Art. 51 UNC einen bewaffneten Angriff von Seiten nicht-staatlicher Akteure ausreichen zu lassen.473 Weiteres Beispiel neben den Militäraktionen der Vereinigten Staaten und anderer Staaten gegen die Taliban in Afghanistan 2001 für eine militärische Reaktion auf Terrorismus ist der am 5. Oktober 2003 erfolgte Angriff der israelischen Luftwaffe gegen mutmaßliche Ausbildungslager von terroristischen Gruppierungen auf syrischem Territorium. Auch dort wurde überwiegend auf Zurechnungskriterien zum Staat abgestellt. Des Weiteren hat auch die Analyse der Resolutionen 1368 und 1373 gezeigt, dass ihnen keine Entwicklung zu einem Recht auf Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Akteure zu entnehmen ist.474 Unterstützt wird dieses Ergebnis ebenfalls durch die Sicherheitsratsresolution 1378 vom 14. November 2001, in der erstmalig eine direkte Verurteilung des Taliban-Regimes vom Sicherheitsrat nach dem 11. September 2001 erfolgte, mithin ebenfalls auf das dem Staat Afghanistan zurechenbare Verhalten eingegangen wurde. Schließlich wird das gefundene Ergebnis auch durch die Rechtsprechung des IGH im Oil Platforms Fall und in der Advisory Opinion von 2004 bestätigt. Einzig die Richter Buergenthal und Kooijmans stimmten dem Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs, maßgeblich unter Rückgriff auf die Resolutionen 1368 und 1373, nicht zu. Dieser Argumentation zu den Resolutionen ist aus den oben genannten Gründen nicht zuzustimmen.475 Mithin spricht auch die jüngste Staatenpraxis für ein Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UNC.
472 473 474 475
Siehe oben S. 197. A.A. Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 77. Siehe dazu im Einzelnen oben S. 198 ff. Siehe oben S. 198 ff.
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bb) Rechtliche Würdigung der Ergebnisse der Praxis mittels der textorientierten Auslegung Das im Rahmen der Analyse der Staatenpraxis gefundene Ergebnis der Erforderlichkeit eines staatlichen bewaffneten Angriffs ist weiter gemäß dem in der Arbeit verfolgten auslegungsmethodischen Ansatz auf seine Vereinbarkeit mit der textorientierten Auslegung zu überprüfen. (1) Wortlaut Dem Wortlaut von Art. 51 UNC ist zunächst im Gegensatz etwa zu Art. 2 Ziff. 4 UNC das Erfordernis der Staatlichkeit eines bewaffneten Angriffs nicht zu entnehmen.476 Während Art. 2 Ziff. 4 UNC die Mitglieder der Charta verpflichtet und damit allein Staaten als Urheber möglicher Gewalt benennt, beinhaltet Art. 51 UNC keinen solchen Zusatz. Daher ist die Vornahme bewaffneter Angriffe im Sinne von Art. 51 UNC durch nicht-staatliche Akteure nach dem Wortlaut zunächst möglich. Anderseits wird der bewaffnete Angriff als Voraussetzung des Selbstverteidigungsrechtes genannt. Da das Selbstverteidigungsrecht im Unterschied zum Notstand völkerrechtswidriges Verhalten voraussetzt, muss der bewaffnete Angriff als Voraussetzung für Art. 51 UNC ein solches völkerrechtswidriges Verhalten beschreiben. Damit impliziert er ein staatliches Verhalten und schließt privates Verhalten aus.477 Allein anhand des Wortlauts lässt sich somit kein eindeutiges Ergebnis finden. (2) Systematik Aus dem Verhältnis des Art. 51 UNC mit Art. 2 Ziff. 4 UNC könnte sich das Erfordernis der Staatlichkeit eines bewaffneten Angriffs ergeben. Das Verhältnis zwischen beiden Normen lässt sich jedoch für beide Seiten anführen. Dass Art. 51 UNC im Unterschied zu Art. 2 Ziff. 4 UNC gerade nicht auf Staaten verweist, könnte Indiz für die Möglichkeit der Erfassung auch nichtstaatlicher Gewaltakte in Art. 51 UNC sein.478 Geht man indes von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis beider Normen aus, dann ergibt sich 476 So auch Murphy, Havard International Law 43 (2002), S. 50; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 165; Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 540. 477 Schachter, IYHR 19, 1989, S. 217. Siehe auch Crawford, State Responsibility, Art. 21, para. 1 ff. 478 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 76; Murphy, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 50.
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ein anderes, überzeugenderes Bild. Aus dem Wortlaut des Gewaltverbots, welches nur für die „Mitglieder“ der VN gilt und damit gemäß Art. 4 UNC nur für Staaten, ergibt sich, dass mit der Annahme des Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 UNC es auch im Rahmen des Selbstverteidigungsrechtes eines staatlichen bewaffneten Angriffs bedarf.479 Nimmt man den Zusatz in Art. 2 Ziff. 4 UNC hinzu, der das Gewaltverbot den Mitgliedstaaten „in ihren internationalen Beziehungen“ auferlegt, so schließt das Regel-Ausnahme-Verhältnis rein innerstaatliche Gewaltanwendungen von privaten Gruppierungen als bewaffneten Angriff aus. Allerdings käme dann bereits Art. 2 Ziff. 4 UNC nicht zur Anwendung, so dass es eines Rückgriffs auf Art. 51 UNC nicht mehr bedürfte. Im Rahmen der systematischen Überlegungen sprechen daher die besseren Argumente für ein Festhalten an dem Erfordernis der Zurechenbarkeit eines bewaffneten Angriffs zu einem Staat. (3) Teleologische Auslegung Der Annahme des Erfordernisses der Staatlichkeit steht jedoch möglicherweise der Sinn und Zweck des Art. 51 UNC entgegen. Sowohl Art. 39 UNC wie auch Art. 51 UNC gehören zum Kapitel VII der Charta, welches die Überschrift „Action with Respect to threats to the Peace, Breaches of Peace, and Acts of Aggression“ trägt.480 Diese systematische Stellung sowie die neuere Resolutionspraxis des Sicherheitsrates im Rahmen des Art. 39 UNC, in der auf das Element der Staatlichkeit verzichtet wurde, könnten dagegen sprechen, im Kontext des Art. 51 UNC weiter an der Staatlichkeit festzuhalten.481 Auch Art. 51 UNC könnte insoweit im Lichte neuer Bedrohungsszenarien im Sinne der Charta als „living instrument“ neu zu interpretieren und ein bewaffneter Angriff unabhängig vom Kriterium der Staatlichkeit zu bejahen sein.482 479 So etwa Abi-Saab, in: Bianchi (ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, S. xviii; Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 56 ff.; Derpa, Gewaltverbot, S. 94. 480 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 77. 481 Bruha, AVR 40 (2002), S. 393, der anerkennt, dass die Begriffe „Friedensbedrohung“ und „bewaffneter Angriff“ nicht identisch sind und dass Art. 39 UNC als Kehrseite von Art. 2 Ziff. 4 UNC weit, Art. 51 UNC hingegen eng auszulegen ist, der jedoch der Auffassung ist, dass „wenn infolge des Auftauchens neuer mächtiger globaler Gewaltakteure die Tatbestände des Art. 39 UN-Charta einer erweiternden, den veränderten Sicherheitsstrukturen Rechnung tragenden Auslegung geöffnete werden, dann muss dies auch für den Tatbestand des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta gelten.“ Ohne diese Differenzierung Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 77.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
Betrachtet man etwa die Resolutionen 1368 und 1373, so wird eine solche Auslegung dadurch gestützt, dass internationaler Terrorismus in diesen Resolutionen per se als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit klassifiziert wird. Daraus ergibt sich jedoch nicht automatisch, dass auch im Rahmen des bewaffneten Angriffs zukünftig auf das Erfordernis der staatlichen Zurechnung verzichtet werden kann bzw. muss. Aus den oben genannten Gründen483 ist den Resolutionen aus der Tatsache, dass sie ohne genau festzuhalten, wer für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich war und ob eine Zurechnung zu einem Staat möglich sein würde, in der Präambel auf das Recht auf Selbstverteidigung der Staaten verwiesen haben, keine Anerkennung einer Erweiterung des bewaffneten Angriffs auf rein nicht-staatliche Handlungen ohne Zurechnung zu einem Staat zu entnehmen.484 Darüber hinaus gehören zwar beide genannten Normen demselben Kapitel an, jedoch mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Voraussetzungen. Dies rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung. Während Art. 39 UNC die umfassende Friedenswahrung innerhalb der Staatengemeinschaft zum Ziel hat, ist Art. 51 UNC zur Existenzwahrung eines einzelnen Staates geschaffen. (a) Völkerrechtssubjektivität von Terroristen Zum Teil wird in der Literatur wie oben beschrieben eine partielle Völkerrechtssubjektivität von Terroristen befürwortet.485 Durch diese soll es möglich sein, dass nicht nur Staaten einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNC begehen, sondern auch Terroristen selbst und insofern auf das Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs zu verzichten ist. Dieser Ansatz vermag jedoch nicht zu überzeugen. Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob Terroristen im Rahmen des Art. 51 UNC überhaupt partielle Völkerrechtssubjektivität zukommt. Dies kann jedoch zunächst offen bleiben, da mit der Titulierung von Terroristen als partielle Völkerrechtssubjekte an sich nichts gewonnen ist. Lässt 482
Bruha, AVR 40 (2002), S. 393. Siehe oben S. 198 ff. 484 A.A Bruha, AVR 40 (2002), S. 393 und Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 77. 485 Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 38 ff.; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 163; Bruha, AVR 40 (2002), S. 392; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 77; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 197, Murphy, Harvard International Law 43 (2002), S. 50. Schrijver, NILR 48 (2001), S. 285. Bereits vor dem 11. September 2001 auch viele andere, vor allem Dinstein, Self-Defence, S. 238; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 33. 483
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man den Streit um den Begriff der „Völkerrechtssubjektivität“ im Einzelnen außer Acht, so versteht man darunter jedenfalls einen Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten.486 Dies bedeutet jedoch, dass nicht die Eigenschaft der Völkerrechtssubjektivität Rechte und Pflichten begründet. Vielmehr müssen Rechte und Pflichten für Private aus einer völkerrechtlichen Norm vorliegen, aufgrund derer eine Klassifizierung als partielle Völkerrechtssubjekte in Frage kommt. Es bedarf daher der genaueren Betrachtung, inwieweit Individuen im Rahmen des Art. 51 UNC Träger von Rechten und Pflichten sein können. Inzwischen ist es im Völkerrecht anerkannt, dass auch Individuen Rechten und Pflichten unterliegen können.487 Dies ergibt sich beispielsweise aus den völkerstrafrechtlichen Normen des Internationalen Strafgerichtshofes aber auch aus zahlreichen Sicherheitsratsresolutionen, in denen nichtstaatliche Akteure berechtigt und verpflichtet wurden. Bereits sehr früh wurde in Bezug auf Piraten488 vielfach befürwortet, diesen den Status eines hostis humanis generis zu verleihen. Sie wurden nach den jeweiligen nationalen Rechtordnungen bestraft. Weitere Konsequenzen für das Selbstverteidigungsrecht ergaben sich jedoch daraus nicht. Diese generelle Erweiterung des Völkerrechts, auch Individuen in bestimmten Bereichen mit Rechten und Pflichten auszustatten, bedeutet jedoch nicht, dass sich auch bezüglich Art. 51 UNC für terroristische Gruppierungen Rechte und Pflichten ergeben. Es bestehen schon deshalb Zweifel, da mit einer sich aus Art. 51 UNC dann ergebenden Verpflichtung, bewaffnete Angriffe zu unterlassen, keine rechtlichen Möglichkeiten, sich gegen einen Staat, der einen entsprechenden Vorwurf erhebt, zur Wehr zu setzen, einhergeht. Anders als im Völkerstrafrecht, in dem sich das Individuum vor dem entsprechenden Gericht verant486
Statt vieler Epping, in: Ipsen, § 7, Rn. 5. Siehe dazu ausführlich Hobe, in: Hofmann, S. 115 ff.; Franck, in: Hofmann, S. 97 ff. 488 Nach Art. 101 SRÜ gelten folgende Handlungen als Piraterie: 1. Jede rechtswidrige Gewalttat, Freiheitsberaubung oder Plünderung, welche die Besatzung oder die Fahrgäste eines privaten Schiffs begehen und die gerichtet ist a) auf Hoher See gegen ein anderes Schiff oder Luftfahrzeug oder gegen Personen und Vermögenswerte an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeuges b) an einem keiner staatlichen Hoheitsgewalt unterstehenden Ort gegen ein Schiff oder Luftfahrzeug oder gegen Personen und Vermögenswerte; 2. jede freiwillige Beteiligung an der Verwendung eines Schiffs oder Luftfahrzeugs, sofern dies in Kenntnis von Tatsachen erfolgt, die ihm die Eigenschaft eines Seeräuberschiffs oder Luftfahrzeuges verleihen; jede Anstiftung zu den unter den Nummern 1 und 2 bezeichneten Handlungen oder jede absichtliche Erleichterung solcher Handlungen.“ 487
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worten muss, aber dort auch seine Rechte geltend machen kann, sähe sich eine Gruppe, die als Terroristen bezeichnet würde, einem vermeintlichen Selbstverteidigungsrecht eines Staates schutzlos ausgeliefert.489 Er bedarf daher der genaueren Betrachtung des Schutzzweckes und Rechtscharakters des Selbstverteidigungsrechtes, um festzustellen, inwieweit Art. 51 UNC auch nichtstaatliche Akteure berechtigt oder verpflichtet. Die partielle Völkerrechtssubjektivität von Terroristen kann allerdings dahinstehen, wenn sich Art. 51 UNC lediglich auf Staaten bezieht und keine Rechte und Pflichten für Terroristen begründet. (b) Schutzzweck des Selbstverteidigungsrechtes Sieht man allein den Schutz eines Staates als das das Selbstverteidigungsrecht tragende Prinzip, so dürften ausschließlich die Auswirkungen der Handlung entscheidend für die Bewertung einer Handlung als bewaffneten Angriff sein und nicht die Frage, ob sie staatlichen oder privaten Ursprunges sind.490 Dies ist vor allem in Failed-State-Szenarien oder bei terroristischen Akten, die von der Hohen See aus verübt werden, plausibel.491 Dem steht jedoch möglicherweise entgegen, dass Ausdruck des Art. 51 UNC auch die Schwächung der Rechtsposition eines Staates durch den Unrechtsgehalt seines Verhaltens ist. Begeht ein Staat einen bewaffneten Angriff, so muss er anschließend die Verletzung seiner territorialen Integrität durch die Selbstverteidigungsmaßnahme des von terroristischen Anschlägen betroffenen Staates in Kauf nehmen. Nähme man also an, dass auch nichtstaatliche bewaffnete Angriffe von Art. 51 UNC erfasst würden, so würde ein Staat, dessen Territorium von einer Selbstverteidigungsmaßnahme betroffen ist, trotz möglicherweise fehlenden Unrechts einer Verletzung seiner territorialen Integrität ausgesetzt sein. Ihm würde somit der Schutzzweck 489 Im Übrigen wird zu Recht darauf hingewiesen, dass hinsichtlich einer partiellen Rechtsträgerschaft von Individuen in Bezug auf eine eventuelle Pflichtenträgerschaft auch insofern Zurückhaltung geboten ist, als die gegebenenfalls kollidierenden Pflichtenbegründungen durch Völkerrecht und durch staatliches Recht das Individuum in eine Konfliktsituation gelangen lässt, die nicht zu bewältigen ist. Epping, in: Ipsen, § 7, Rn. 14. 490 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 540; der ein von Terroristen gekapertes Flugzeug über der Hohen See vergleicht mit einem Piratenschiff. Dinstein, Self-Defense, S. 182 f.; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 848; Reisman, Houston Journal of International Law 22 (1999), S. 39. 491 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 842, der der Auffassung ist, dass die Zurechnung zu einem Staat im Rahmen der Definition des bewaffneten Angriffs nicht notwendig ist, sondern erst später bei der Frage gegen wen die Selbstverteidigungsmaßnahme zu richten ist. Dinstein, SelfDefense, S. 214; Travalio, Wisconsin International Law Journal 18 (2000), S. 153.
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der territorialen Integrität, die einem Staat ermöglicht, seine inneren Angelegenheiten frei von äußeren Einwirkungen zu bestimmen,492 versagt zugunsten des Schutzes der Souveränität des angegriffenen Staates. Dies wäre nur dann überzeugend, wenn es auf den Unrechtsgehalt des Aufenthaltsstaates privater Akteure nicht ankommt. (c) Rechtscharakter des Selbstverteidigungsrechtes: Notstandsrecht versus Notwehrrecht gegen einen rechtswidrigen Angriff Die Irrelevanz des Unrechtsgehalts des Handelns des Aufenthaltsstaates ließe sich möglicherweise dann herleiten, wenn der Charakter des Selbstverteidigungsrechtes der eines Notstandsrechtes wäre. So wird zum Teil vorgebracht, dass Art. 51 UNC neben der Notwehr auch den Notstand erfasse.493 Zwar ist bereits aus den oben genannten Gründen ein Notstandsrecht außerhalb des Art. 51 UNC als Rechtfertigung für einen militärischen Einsatz gegen terroristische Akte abzulehnen. Dennoch könnte dem Selbstverteidigungsrecht der Notstandsgedanke innewohnen. Als widerstreitende Rechtsgüter stünden sich die territoriale Integrität des angreifenden Staates und die desjenigen Staates, gegen den das Selbstverteidigungsrecht ausgeübt wird, gegenüber. Unabhängig von dem Unrechtsgehalt des Handeln des Staates, auf dessen Territorium sich die terroristischen Akteure befinden, könnte die territoriale Souveränität des angegriffenen Staates überwiegen, so dass der Aufenthaltsstaat in Abwägung der widerstreitenden Interessen zumindest einen militärischen Einsatz gegen die Akteure hinnehmen muss, obwohl ihm selbst kein völkerrechtswidriges für das Selbstverteidigungsrecht relevantes Verhalten zurechenbar ist. Dafür könnte zunächst der Wortlaut des Art. 51 UNC sprechen, der im Unterschied etwa zum Notwehrrecht im deutschen Strafrecht494 nicht explizit von einem rechtswidrigen Angriff spricht. Konsequenz dessen wäre, dass auch bei Vorliegen eines rechtmäßigen Gewalteinsatzes ein bewaffneter Angriff vorliegen könnte, der zur Ausübung eines Selbstverteidigungsrechtes ermächtigt. Dem ist jedoch die Entstehung der Norm als klassisches Notwehrrecht495 entgegenzuhalten. Darüber hinaus existiert zwar im Völkerrecht das Recht des Notstandes. Es ist in Art. 25 Abs. 1 des ILC-Entwurfs zur Staatenver492 Siehe zum Grundprinzip der territorialen Integrität Gloria, in: Ipsen, § 26, Rn. 13; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 456. 493 Pillitu, Stato di necessità, S. 213; Dinstein, Self-Defense, S. 217; Ulrich Fastenrath, Ein Verteidigungskrieg lässt sich nicht vorab begrenzen, FAZ vom 12. November 2001, S. 8; Scholz, forthcomming. 494 Siehe zum Notwehrrecht im deutschen, schweizerischen und italienischen Strafrecht: Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 27 ff. 495 Dazu umfassend Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 81 ff.
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antwortlichkeit festgelegt.496 In der Kommentierung wird jedoch eindeutig eine Trennung zwischen dem Recht auf Selbstverteidigung und dem Notstand geschaffen: „The plea of necessity is exceptional in a number of respects. Unlike consent (article 20), self-defence (article 21) or countermeasures (article 22), it is not dependent on the prior conduct of the injured State.“497 Zwar enthält die Kommentierung anschließend die Feststellung, dass es einige wenige Beispiele in der Staatenpraxis gab, bei denen sich Staaten auf ihr Notstandsrecht berufen haben, um militärische Einsatze zu rechtfertigen.498 Solche Maßnahmen, die nicht im Einklang mit Kapitel VII oder VIII der Charta stehen, werden jedoch ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des Art. 25 ILC-Entwurf ausgeschlossen.499 Die Trennung zwischen Selbstverteidigungsrecht und Notstandsrecht entspricht auch dem Konzept des Notstandes, der hinsichtlich der Selbstverteidigung gar nicht sachgerecht zur Anwendung kommen kann. Denn regelmäßig wird es im Rahmen des Selbstverteidigungsrechtes, wie bereits erwähnt, um die elementaren Interessen der Souveränität und territorialen Integrität eines Staates gehen, der sich terroristischen Angriffen ausgesetzt sieht, und der territorialen Integrität und Ausübung der inneren Souveränität desjenigen Staates, auf dem sich die Täter der Angriffe befinden. Daher käme es im Rahmen des Notstandes zu einer Abwägung zweier zunächst gleichwertig schützenswerter Rechtsgüter beider Staaten. Diese Abwägung zulasten des Aufenthaltstaates aufzulösen wäre ein Verstoß gegen seine elementarsten Interessen und widerspräche somit Art. 25, Abs. 1 (b) ILC-Entwurf. Schließlich findet die Konzeption des Selbstverteidigungsrechtes als Notwehrrecht auch seinen Rückhalt in der zeitlichen Komponente des Art. 51 496 Art. 25: 1. Necessity may not be invoked by a State as a ground for precluding the wrongfiulness of an act not in conformity with international obligations of that State unless the act: (a) is the only means for the State to safeguard an essential interest against a grave and imminent peril; and (b) does not seriously impair an essential interest of the State or States towards which the obligation exists, or of the international community as a whole. 2. In any case, necessity may not be invoked by a State as a ground for precluding wrongfulness if: (a) the international obligation in question excludes the possibility of invoking necessity; or (b) the State has contributed to the situation of necessity. 497 Crawford, State Responsibility, Art. 25, para. 2. 498 Siehe zu den Beispielen im Einzelnen die Crawford, State Responsibility, Art. 25, para. 20. 499 Crawford, State Responsibility, Art. 25, para. 20.
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UNC. Nach überwiegender bisheriger und nach wie vor zutreffender Ansicht muss ein gegenwärtiger bewaffneter Angriff vorliegen.500 Sähe man das Selbstverteidigungsrecht als Notstandsrecht unabhängig von einem staatlichen rechtswidrigen Verhalten, ließe sich regelmäßig auch ein abgeschlossener bewaffneter Angriff, also letztlich eine verbotene Vergeltungsmaßnahme ebenso wie eine Gefahr bevorstehender bewaffneten Angriffen in die Notstandserwägung mit aufnehmen, so dass die endgültige Aufweichung des Selbstverteidigungsrechtes zu befürchten wäre. Allerdings ließe sich der fehlende Unrechtsbeitrag insofern berücksichtigen, als die Gewaltanwendungen in Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes nur gegen die Personen und Einrichtungen der verantwortlichen nichtstaatlichen Akteure ausgeführt werden dürften. Dies änderte jedoch nichts an einer Schwächung der Rechtsposition des Staates. Denn selbst wenn ein Terrorakt nicht direkt von einem anderen Staat ausgegangen ist, wird sich die Selbstverteidigungsmaßnahme in den allermeisten Fällen gegen die territoriale Integrität eines anderen Staates richten müssen. Ausgenommen bleiben lediglich terroristische Akte, die von hoheitsfreien Räumen ausgehen.501 Nicht eindeutig ist, ob diese schützenswerte Rechtsposition auch in Failed-State-Szenarien oder bei terroristischen Akten, die von der Hohen See aus verübt werden, bestehen bleibt. Dies soll jedoch einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden.502 Im Unterschied zum Notstand setzt das Selbstverteidigungsrecht daher völkerrechtliches Unrecht voraus. Der bewaffnete Angriff muss ein völkerrechtswidriges Verhalten sein, weshalb privates Verhalten ausscheidet.503 Die aktuelle Staatenpraxis zeigt, dass im Rahmen des Art. 51 UNC nach wie vor ein völkerrechtswidriges Verhalten eines Staates verlangt wird. Insofern anerkennt das Selbstverteidigungsrecht gerade keine Individuen als Völkerrechtssubjekte. Zwar schützt der Verzicht auf das Erfordernis der Staatlichkeit auf den ersten Blick den Staat, der sich terroristischen Anschlägen ausgesetzt sieht. Die Konsequenz dessen wäre jedoch die Schwächung des gesamten Sys500
Siehe dazu näher S. 308 ff. In diese Richtung weisend Seidel, AVR 41 (2003), S. 469; Cassese, EJIL 12 (2001), S. 998 der durch eine partielle Völkerrechtssubjektivität die Gefahr sieht, dass die „Büchse der Pandora“ geöffnet würde; Mégret, Kritische Justiz 35 (2002), S. 169. 502 Siehe dazu unten S. 256 ff. 503 Schachter, IYHR 19 (1989), S. 217; Abi-Saab in: Bianchi (ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, S. xvii; Ruffert, ZRP 2002, S. 247 f.; Ago, YILC 1980 II/1, S. 15 und 55; Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, S. 45; Klein, in: Seidl-Hohenveldern (ed.), Völkerrecht, S. 371. 501
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tems kollektiver Friedenssicherung, da dann regelmäßig unter dem Vorwand der Bekämpfung des internationalen Terrorismus gewaltsam gegen Staaten vorgegangen werden könnte.504 Diese gewaltsamen Maßnahmen wären dann – lediglich unter dem Korrektiv der Verhältnismäßigkeit – immer vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt. Der Sinn und Zweck des Art. 51 UNC spricht daher ebenfalls eher für die Annahme eines staatlichen bewaffneten Angriffs. (4) Entstehungsgeschichte Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 51 UNC spricht für das Erfordernis eines staatlichen bewafnneten Angriffs. Die Vorarbeiten505 zur Charta und die im Zeitraum vor 1945 abgeschlossenen Bündnisverträge506 sprechen dafür, dass unter einem bewaffneten Angriff im Hinblick auf das in Art. 51 UNC normierte kollektive Selbstverteidigungsrecht nur ein staatlicher zu verstehen ist.507 Weniger eindeutig ist dies hinsichtlich des individuellen Selbstverteidigungsrechtes.508 Da jedoch in Art. 51 UNC keine Unterschiede bezüglich der Voraussetzung des bewaffneten Angriffs bei individueller und kollektiver Selbstverteidigung gemacht werden, muss auch im Rahmen der individuellen Selbstverteidigung von einem Erfordernis der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs ausgegangen werden.509
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Dupuy, in: Bianchi (ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, S. 13; Seidel, AVR 41 (2003), S. 469. 505 Eine ausführliche Darstellung ist hier entbehrlich, da diese bereits mehrfach und umfassend von Autoren getätigt wurde. So Voigtländer, Notwehrrecht und kollektive Verantwortung, S. 121 ff. Genoni, Notwehr im Völkerrecht, S. 81 ff. So etwa die amerikanische erste offizielle Formulierungsvorschlag, siehe dazu Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 215. 506 Siehe dazu ausführlicher Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 22; Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen, S. 57. Steinlein, Der Begriff des nicht herausgeforderten Angriffs, S. 74 ff. 507 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 215. 508 Siehe ausführlich zu der historischen Herleitung des Art. 51 UNC zur individuellen Selbstverteidigung unter Berücksichtigung vor der Entstehung der Charta relevanten Fällen mit grenzübergreifenden Angriffen Privater und mit anderem Ergebnis, Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 218 ff. 509 Ohne Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Selbstverteidigung sehen folgende Autoren in der Historie die Staatlichkeit des gewaffneten Angriffs: Bruha, AVR 40 (2002), S. 393; Kooijmanns, IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupierd Palestinian Territory, Seperate opinion, para. 35. A.A. Dinstein, Self-Defense, S. 241 ff.
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cc) Ergebnis Die textorientierte Auslegung unterstützt die nachfolgende Praxis unter Berücksichtigung der relevanten Resolutionen und Urteile. Daher bedarf der bewaffnete Angriff im Sinne von Art. 51 UNC weiterhin der Zurechenbarkeit zu einem Staat. Während der Wortlaut sowohl für wie auch gegen das Erfordernis eines bewaffneten Angriffs eines Staates angeführt werden kann, sprechen jedenfalls die besseren systematischen und teleologischen Erwägungen für ein solches Tatbestandsmerkmal. b) Anwendbarkeit der Zurechnungskriterien Es stellt sich damit die Frage, inwieweit die bisherigen Zurechnungskonstellationen generell zur Bestimmung der Verwicklung zwischen dem Staat und den terroristischen Angreifern geeignet sind oder ob andere Anknüpfungen, nämlich der Verstoß gegen Kooperationsverpflichtungen des Aufenthaltstaates von terroristischen Gruppierungen oder die analoge Anwendung der Grundsätze des Neutralitätsrechte, für eine Zurechnung notwendig und sinnvoll wären. aa) Verstoß gegen Kooperationsverpflichtung des Aufenthaltsstaates als Anknüpfung für eine Zurechnung Ein Ansatz für eine Zurechnung könnte ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Kooperation bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf Seiten des Staates, auf dessen Territorium sich die Terroristen befinden, bieten. Es kann dahinstehen, welche Verpflichtungen zur Kooperation zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus bestehen, da diese jedenfalls nicht bei einer Verletzung der Pflicht dazu führen, dass ein Recht zur Selbstverteidigung eröffnet wird.510 Zwar bedarf es zur Bekämpfung des Terrorismus einer wirksamen Verfolgung, Anklage und Bestrafung der Täter terroristischer Anschläge. Unabhängig von den generellen Zweifeln, ob militärische Gewaltanwendungen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus überhaupt sinnvoll sind, bedarf es jedenfalls für ein Recht auf Selbstverteidigung einer Verantwortlichkeit eines Staates für den bewaffneten Angriff resultierend aus dem Rechtscharakter des Selbstverteidigungsrechtes als Notwehrrecht. 510 Abi-Saab, in: Bianchi (ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, S. xvii.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
Konsequenz der Annahme einer aus einer Kooperationspflichtverletzung folgenden Verpflichtung zur Duldung eines Militäreinsatzes auf dem Territorium des Aufenthaltsstaates von Terroristen wäre ein Freifahrtschein für Verstöße gegen das Gewaltverbot unter dem Deckmantel der Selbstverteidigung. Es muss eine Balance bestehen zwischen der Verpflichtung zur Kooperation einerseits und der Freiheit der Staaten, Handlungen selbst auszuwählen und zu unternehmen, resultierend aus der inneren Souveränität eines Staates.511 Die Vorstellung einiger Staaten, militärisch gegen internationalen Terrorismus per se vorgehen zu müssen, würde den Staaten, die nicht in ihrem Sinne kooperieren und sich dann Selbstverteidigungsmaßnahmen ausgesetzt sehen, auferlegt werden, ohne ihnen einen eigenen Entscheidungsspielraum zu überlassen. Dies stünde im Widerspruch zur souveränen Gleichheit der Staaten. Damit lässt sich nicht per se aus einem Verstoß gegen Kooperationsverpflichtungen ein staatlicher bewaffneter Angriff herleiten. Es bedarf vielmehr der genauen Betrachtung der einzelnen Konstellationen. bb) Analoge Anwendung des Neutralitätsrechtes auf den Aufenthaltsstaat Eine Unterteilung der Zurechnung in bestimmte Konstellationen ist möglicherweise unter der Heranziehung des Rechtsgedankens der Neutralität entbehrlich. Denkbar ist, dass Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen Terroristen und deren Einrichtungen auf einen nach den bis 2001 geltenden Zurechnungskonstellationen nicht verwickelten Staat analog den Grundsätzen des Neutralitätsrechtes dann durchgeführt werden können, wenn der Staat nicht willens oder in der Lage ist, terroristische Handlungen zu unterbinden.512 Ansatz für den Unrechtsgehalt des Aufenthaltsstaates wäre dann der fehlende Wille oder die Unfähigkeit. Dieser Analogie ist jedoch nicht nur aufgrund der allgemeinen Bedenken, die gegenüber Analogien im Völkerrecht zu Recht bestehen, nicht überzeugend,513 sondern findet keinerlei Rückhalt in der oben dargestellten aktuellen Praxis. Zudem berücksichtigt dieser Ansatz ebenfalls nicht den Rechtscharkter des Selbstverteidigungsrechtes als Notwehrrecht, in dem der Staat, gegen den Selbstverteidigungsmaßnahmen ausgeübt werden, die Schwächung sei511 Zur Verhältnis von Souveränität und Kooperationsverpflichtung von Staaten, Schreuer, in: Delbrück (ed.), Cooperation and State Sovereignty, S. 177 f. 512 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 203; Bruha, AVR 40 (2002, S. 408; bereits vor 2001 auch Schindler, BDGV 26 (1986), S. 11. 513 Statt vieler Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, § 19, Rn. 5 ff.
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ner Rechtsposition aufgrund eigenen Unrechtsverhaltens hinnehmen muss. Schließlich ist er aufgrund der im Folgenden näher darzustellenden Voraussetzungen der Zurechnung in den einzelnen Konstellationen abzulehnen. cc) Ergebnis hinsichtlich der Entbehrlichkeit einzelner Zurechnungskonstellationen Wie im ersten Kapitel dargestellt, entspricht es der völkerrechtlichen Praxis und der herrschenden Lehre bis 2001, dass ein Staat nur für eigenes Verhalten verantwortlich ist, die Handlungen privater Akteure also grundsätzlich nicht als „act of a state“ zu qualifizieren sind. An diesem Grundsatz hat sich auch nach 2001 nichts geändert. Für die Frage, wann das Verhalten Privater dem Staat zuzurechnen ist, bieten nach wie vor die Zurechnungsvorschriften der ILC die maßgebliche Grundlage. Gemäß Art. 4 ILC-Entwurf ist das Handeln staatlicher Organe dem Staat zuzurechnen. Darüber hinaus ist weiterhin auch nach 2001 jedenfalls eindeutig, bestätigt durch Art. 8 des ILC-Entwurfs und durch die dargestellte Staatenpraxis, dass privates Verhalten dann einem Staat ausnahmsweise zugerechnet werden kann, wenn eine materielle und organisatorische Eingebundenheit des betreffenden nicht-staatlichen Verhaltens in die Staatsorganisation und eine damit verbundene effektive Kontrolle durch den Staat gegeben ist.514 Der dahinter stehende Grundgedanke ist derjenige, dass ein Staat nicht die Möglichkeit haben soll, sich seiner Verantwortung durch die Zwischenschaltung von privaten Akteuren zu entziehen. Ob und in welchen Fällen ansonsten eine Zurechnung privater, terroristischer Akte zu einem Staat begründet werden kann, soll im Folgenden anhand der untersuchten Stellungnahmen der Staaten im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. Septembers 2001, der neueren Resolutionspraxis des Sicherheitsrates, der Entwürfe der ILC zur Staatenverantwortlichkeit und der relevanten IGH-Urteile für die einzelnen Zurechnungskonstellationen festgelegt werden. c) Die einzelnen Zurechnungskonstellationen aa) Entsendekonstellation Die bereits vor den Ereignissen des 11. Septembers 2001 erkennbare Einigkeit, einem Staat dann terroristische Handlungen von privaten Akteuren zuzurechnen, wenn der Staat die Terroristen entsandt hat, setzt sich auch 514 So auch nach dem 11. September 2001 alle Autoren, die sich mit der Frage der Zurechnung beschäftigt haben. Statt vieler nur Tietje/Nowrot, NZWehrR 2001, S. 8.
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anschließend fort. Die Stellungnahmen nahezu aller Staaten lassen erkennen, dass entweder eine Duldung oder eine Unterstützung mit unterschiedlicher Gewichtung ausreichen, um eine Zurechnung zu begründen. A fortiori ist dann in der Endsendekonstellation stets eine Zurechnung gegeben. Unterstützt wird dieses Ergebnis auch durch die in Resolution 1373 und 1456 enthaltene Verpflichtung aller Staaten, jegliche Form der Unterstützung zu unterlassen. Auch Art. 8 ILC-Entwurf umfasst eine Zurechnung in dieser Konstellation, da gerade Charakter der Entsendekonstellation ist, dass die Terroristen auf Instruktion eines Staaten einen bewaffneten Angriff in einem anderen Staat begehen. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der bis 2001 festgestellten Konstellation. bb) Unterstützungskonstellation Ob einem Staat eine terroristische Handlung im Rahmen des bewaffneten Angriffs auch zugerechnet werden kann, wenn dieser Staat die nicht-staatlichen Akteure unterstützt und welcher Grad der Unterstützung für eine solche Zurechnung erforderlich ist, bedarf einer genaueren Betrachtung. Sowohl die USA und Großbritannien als auch Kanada stellten hinsichtlich der Verwicklung der Taliban in die Anschläge vom 11. September 2001 in ihren offiziellen Stellungnahmen an den Sicherheitsrat auf eine Unterstützung des de-facto-Regime der Taliban an die terroristische Organisation al Qaida ab. Dabei bezogen sich alle drei Staaten darauf, dass durch die Erlaubnis der Nutzung des Gebietes als „base of operation“ die Anschläge vom 11. September 2001 und die fortgesetzte Bedrohung erst ermöglicht wurden. Auch in der EU-Erklärung sind eine Kumulation von Unterstützung und Beherbergung sowie die mangelnde Bereitschaft zur Kooperation maßgebliche Anknüpfungspunkte für eine Zurechnung. Die Stellungnahmen, die von einer Unterstützungshandlung ausgehen, unterscheiden sich jedoch deutlich von der Nicaragua-Rechtsprechung des IGH. Soweit ersichtlich hat kein Staat vor oder nach Beginn der Kriegshandlungen behauptet, dass die Taliban eine effektive Kontrolle über die terroristische Organisation und die konkreten Anschläge hatten.515 Ebenso wenig wurde ein Selbstverteidigungsrecht aus Mangel an dieser Kontrolle bestritten. Vielmehr scheinen die dem Taliban-Regime vorgeworfenen Unterstützungshandlungen in Form der Erlaubnis, Trainingscamps zu errichten, freier Reisemöglichkeiten im Land sowie Ein- und Ausreise ohne Visa und der Mög515 Murphy, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 50 f; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 189; Ruffert, ZRP 35 (2002), S. 248; Tietje/Nowrot, NZWehrR 2001, S. 9; Stahn, ZaöRV 2002, 227; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 166.
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lichkeit, ungehindert Waffen zu importieren und Gelder mittels der staatlichen Fluglinie zu transportieren in Verbindung mit dem mangelnden Willen zur Kooperation mit der internationalen Staatengemeinschaft und der Auslieferung der verantwortlichen Täter, auszureichen, um eine Zurechnung zu begründen. Durch diese eher passiven Unterstützungshandlungen haben die Taliban nach Auffassung dieser Staaten die terroristischen Anschläge ermöglicht. Daher deutet die analysierte Staatenpraxis auf eine Annahme einer Zurechnung in Fällen einer weit über die Nicaragua-Kriterien hinausgehende Unterstützungskonstellation. Darüber hinaus werden die Anschläge in der gesamten Staatengemeinschaft nahezu einstimmig als bewaffneter Angriff mit zum Teil in Richtung der Duldungskonstellation weisenden Stellungnahmen oder ohne jegliches Eingehen auf die Zurechnung bewertet, so dass zumindest a fortiori von den die Duldung befürwortenden Staaten die Zustimmung zu einer Zurechnung in einer Unterstützungskonstellation angenommen werden kann. Eine passive Unterstützung wurde in den Zurechnungskonstellationen bis 2001 nicht erwähnt, da sie nach dem damaligen Stand nicht in der Staatenpraxis zu finden war. Ein solcher „neuer Zurechnungsansatz“ im Rahmen der Unterstützungskonstellation ist jedoch nach dem eben Dargestellten möglich. Auch in den Sicherheitsratsresolutionen 1373 und 1456 findet sich ausdrücklich die Verpflichtung, aktive und passive Unterstützung zu unterlassen. Resolution 1373 konkretisiert die passive Unterstützung in Übereinstimmung mit den als Unterstützungsmaßnahmen von Großbritannien vorgebrachten Formen dahingehend, dass hierzu Fälle gehören, in denen ein Staat die Rekrutierung von Mitgliedern terroristischer Gruppierungen und die Belieferung von Waffen an Terroristen nicht verhindere. Die Äußerungen der Staaten und Resolutionen deuten mithin auf eine Gleichstellung von aktiver und passiver Unterstützung in der Zurechnung hin. Unterstützt wird diese Tendenz durch den in der Generalversammlungsresolution 59/46 enthaltenen Aufruf. Die aktuelle Staatenpraxis wirft damit die Frage auf, ob jedes staatliche Verhalten genügt, das bei objektiver Betrachtung vorhersehbar der aktiven oder passiven Unterstützung terroristischer Aktivitäten dient, um die betreffende terroristische Organisation als de facto-Organ des Staates zu qualifizieren, und damit die durch die staatliche Unterstützung kausal verursachten Terroranschläge dem Staat als bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNC zuzurechnen.516 Ein Vorteil einer Annahme einer Zurechnung in solchen Situationen erscheint zunächst – unterstützt durch die neuere Staatenpraxis –, dass da516
So vertreten von Tietje/Nowrot, NZWehrR 2001, S. 8.
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durch die Lücke geschlossen wird zwischen der völkerrechtlichen Verpflichtung, jegliche Unterstützung an Terroristen zu unterlassen, und der mangelnden militärischen Durchsetzbarkeit dieser Verpflichtung, die zum Teil ultima ratio erforderlich sein kann. Zur effektiven Durchsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung würde dem den terroristischen Anschlägen ausgesetzten Staat dann bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen ein Recht auf Selbstverteidigung gegen den Unterstützerstaat zur Abwehr des bewaffneten Angriffs zukommen. Diese Verwerfung der Nicargua-Kriterien ließe sich auch rechtlich damit begründen, dass eine Unterstützung ein Indikator für eine „overall control“ eines Staates im Sinne der Tadic-Kriterien sein könnte. Zum Teil sind zudem Konstellationen denkbar, in denen Unterstützungshandlungen größere Wirkung haben als diejenigen in Entsendekonstellationen, gerade im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten.517 Dies ließe sich auch aus Art. 3 (g) Aggressionsdefinition „substantial involvement therein“ ableiten.518 Jedenfalls könnte dann eine ausreichende Zurechnung für einen bewaffneten Angriff bestehen.519 Dagegen bestehen jedoch auch Bedenken. Ob Konsequenz dessen ist, dass bei jeglicher Unterstützungshandlung eine Zurechnung zum Staat zu begründen ist, ist sehr zweifelhaft:520 Man stelle sich einmal folgende Konstellation vor: Ein Staat unterstützt Terroristen durch kleinere Waffenlieferungen im Bewusstsein, dass diese Waffen einmal für einen terroristischen Akt genutzt werden könnten, allerdings ohne jede Kenntnis, wofür genau und gegen wen diese gebraucht werden. Damit verstößt er gegen die sich aus diversen Resolutionen ergebende völkerrechtliche Verpflichtung, jede Unterstützungshandlung an Terroristen und ihre Organisation zu unterlassen. Einige Zeit später begehen diese Terroristen einen Anschlag von hohem Ausmaß gegen einen Staat. Die Waffen werden bei diesem Anschlag genutzt, der Anschlag wäre aber auch ohne diese Waffenlieferung zustande gekommen. Ermöglicht wurde der Anschlag in diesem Maße erst durch hinzutretende andere Terroristen oder durch einen anderen Staat, der seinerseits erhebliche Unterstützungshandlungen leistet. Dies ist vor dem Hintergrund global operierender Terroristen nicht gerade fernliegend. In dieser Konstellation war es objektiv vorhersehbar, dass die Waffenlieferungen zu der Unterstützung irgendeiner terroristischen Aktivität führten. 517 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 33; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/ Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 871. 518 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 33. 519 Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 45 f.; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 871. 520 So auch im Ergebnis Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28.
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Damit würde die entsprechende terroristische Organisation nach dem oben angesprochenen Zurechnungsansatz zum de facto-Organ des Staates und die durch die Unterstützung kausal verursachten Anschläge zum bewaffneten Angriff des Staates. Problematisch ist an dieser Zurechnung jedoch, dass der Anschlag auch ohne die Waffenlieferung geschehen wäre, dem Staat also keinerlei generelle Kontrolle blieb, den Anschlag zu verhindern. Zudem war das Ausmaß des Anschlages ebenfalls nicht für den Staat ersichtlich. Trotzdem muss er dann die Verletzung seiner territorialen Integrität durch gegen ihn mögliche Selbstverteidigungshandlungen hinnehmen. Die Missachtung einer völkerrechtlichen Verpflichtung mündet damit direkt in der Zurechnung einer bewaffneten Angriffs, der für den unterstützenden Staat möglicherweise nicht vorhersehbar und kontrollierbar war. Gegen diese Bedenken ließe sich jedoch wiederum einwenden, dass mit dem Bewusstsein, eine terroristische Organisation zu unterstützen, auch einhergeht, dass durch die Unterstützungshandlung ein terroristischer Anschlag gefördert wird. Somit hat der Staat auch eine Art Vorsatz bezüglich eines terroristische Anschlages, vergleichbar mit dem dolus eventualis des deutschen Strafrechts. Dem Staat bleibt zwar keine Kontrolle über den terroristischen Anschlag, er hat jedoch das Risiko, dass ein solcher begangen wird, durch seine Unterstützungshandlung erhöht. Die damit geschehene Gleichsetzung von völkerrechtlicher Verantwortung und Zurechnung birgt jedoch die Gefahr, dass die Beurteilung, ob eine völkerrechtliche Pflichtverletzung in Form der Unterstützung vorliegt, in das Ermessen des Selbstverteidigung ausübenden Staates gestellt wird. Reicht dann jegliche Unterstützungshandlung aus, so besteht die Gefahr eines zu großen Missbrauchs des Selbstverteidigungsrechtes gegen verschiedene Staaten, denen jede noch so geringe Unterstützungshandlung nachzuweisen ist. Korrektiv für diese Missbrauchsgefahr könnte dann jedoch wieder der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sein. Als Argumentationsansatz für eine Zurechnung bei jeglicher Unterstützungshandlung bleibt die ratio des Selbstverteidigungsrechtes, sich effektiv gegen einen bewaffneten Angriff zum Schutze der eigenen territorialen Integrität zu wehren.521 Dem steht jedoch die territoriale Integrität des sich der militärischen Maßnahme ausgesetzt sehenden Staates entgegen. Ausdruck des Art. 51 UNC ist wie oben bereits erwähnt522 die Schwächung der Rechtsposition eines Staates durch den Unrechtsgehalt seines Verhaltens. Begeht ein Staat einen bewaffneten Angriff, dann ist einleuchtend, dass er anschließend die Verletzung seiner territorialen Integrität durch die Selbst521
Tietje/Nowrot, NZWehrR 2001, S. 8. So bereits oben hinsichtlich der Erforderlichkeit eines staatlichen bewaffneten Angriffs, siehe S. 238. 522
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verteidigungsmaßnahme der Opferstaaten in Kauf nehmen muss. Begeht ein Staat hingegen kleiner Unterstützungshandlungen möglicherweise ohne Kenntnis über Ziel und Ausmaß des terroristischen Anschlags, so müsste der Staat trotz des geringen Unrechtsgehaltes durch die Zurechnung eine Verletzung seiner territorialen Integrität hinnehmen. Ihm wird somit der Schutzzweck der territorialen Integrität, die einem Staat ermöglicht, seine inneren Angelegenheiten frei von äußeren Einwirkungen zu bestimmen,523 versagt, obwohl er nur eine geringe Beteiligung an dem bewaffneten Angriff hat. Allerdings ist auch wieder auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verweisen. Denn die Verletzung seiner territorialen Integrität dürfte nach diesem zu beachtenden Grundsatz nur soweit gehen, dass mit dem mildesten aller verfügbaren Mittel die geringen Unterstützungshandlungen unterbunden werden. Resultierend aus einer Abwägung zwischen dem Schutz des Staates, der sich terroristischen Anschlägen ausgesetzt sieht, und der territorialen Integrität des Staates, der Unterstützungshandlungen vornimmt, ist daher entscheidend, bis zu welchem Grad die Unterstützungshandlungen eines Staates, unabhängig davon, ob sie aktiver oder passiver Natur sind, terroristischen Organisationen die Möglichkeit eröffnet haben, terroristische Anschläge zu begehen, die, wenn sie von einem Staat begangen worden wären, als bewaffneter Angriff zu qualifizieren wären.524 Gewährt ein Staat Terroristen und ihrer Organisation aktive Unterstützung etwa in Form von Waffenlieferungen oder logistische Hilfe und/oder passive Unterstützung in Gestalt von Aufenthalt auf seinem Territorium und ungehindertem Zugang zu Waffen, lässt ihnen Vergünstigungen hinsichtlich der Ein- und Ausreise, Nutzung von öffentlichen Einrichtungen etc., so können diese Handlungen den terroristischen Akt erst ermöglicht haben. Dann besteht insofern jedenfalls eine generelle Kontrolle des Staates über die Terroristen, als er bei Verschließung all dieser Möglichkeiten die Begehung des terroristischen Angriffs verhindern kann. Dadurch, dass er weiterhin die Möglichkeit der Begehung offen lässt, zeigt er seinen Willen zu der Tat und nutzt die Terroristen für die Ausführung der Tat ähnlich einer Beauftragung oder Entsendung. Dies setzt aber auch eine Kenntnis des Staates über Ziel und ungefähres Ausmaß des Anschlages voraus. Damit entspricht der Ansatz nicht nur dem aus der aktuellen Staatenpraxis gewonnenen Bild, sondern ist auch mit der ratio des ILC-Entwurfs, der eine Zurechnung anhand des Maßes an 523
Siehe zum Grundprinzip der territorialen Integrität Gloria, in: Ipsen, § 26, Rn. 14; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 456. 524 So auch Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 33 sowie Krajewski, AVR 40 (2002), S. 192, der allerdings von einer partiellen Völkerrechtssubjektivität von terroristischen Organisationen ausgeht, dessen Ausführungen sich demnach nur über ein darüber hinausgehendes Selbstverteidigungsrecht gegen den Staat beziehen.
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Kontrolle festmacht, vereinbar. Zwar hat der Staat keine direkte Kontrolle eines jeden einzelnen Terroristen. Setzt man jedoch eine gewisse hierarchische Organisationsstruktur terroristischer Organisationen voraus, dann obliegt dem Staat durch die Möglichkeit der Versperrung der aktiven oder passiven Unterstützung die Kontrolle über das „ob“ der Tat. Auch dem vom ICTY im Tadic-Urteil aufgestellten overall controll-Test genügen diese Kriterien. Eine Zurechnung in der Unterstützungskonstellation setzt damit zusammenfassend folgende Kriterien voraus. Ein Staat muss eine terroristische Organisation aktiv oder passiv unterstützen. Er muss dabei jedenfalls ungefähre Kenntnis über Ziel und Ausmaß des Anschlages haben. Es macht dabei keinen Unterschied, ob eine aktive oder passive Unterstützung vorliegt, da allein die besondere Bedeutung für die Tat entscheidend ist. Dem Staat muss jederzeit die Möglichkeit bleiben, die Angriffe durch die Beendigung der aktiven oder passiven Unterstützung zu beenden; insofern obliegt im die generelle Kontrolle über das „ob“ der Tat. Der Staat muss deutlich machen, dass er nichts gegen die Vorbereitung terroristischer Anschläge unternehmen will, sondern er vielmehr an einer Unterstützung aktiver oder passiver Natur festhält, damit die von ihm ausgehende Bedrohungslage weiter gegeben ist. cc) Duldungskonstellation Im Unterschied zur passiven Unterstützungskonstellation weiß ein Staat in der Duldungskonstellation, dass sich Terroristen auf seinem Territorium befinden und unternimmt nichts dagegen, er gewährt ihnen jedoch keine besonderen Vergünstigungen, etwa in Form der Möglichkeit, Waffen in das Land zu schmuggeln, oder aktive Unterstützungsleistungen. Vielmehr lässt er sie lediglich „unbehelligt agieren“. Allerdings entstehen dadurch insofern Vorzüge, als sich Terroristen auf dem Territorium nach begangenen Taten zurückziehen können und von dort aus neue Anschläge vorbereiten können. Der Staat schafft damit einen „safe haven“ (sicheren Hafen) für die Terroristen.525 Auch in der Duldungskonstellation stellt sich erneut die Frage, ob jegliche Form der Duldung für eine Zurechnung ausreichen kann. Auch hier soll ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung gegeben werden: Eine denkbare Konstellation wäre, dass ein Teil der für den Anschlag verantwortlichen Terroristen aus dem Staat flieht, von dem aus der Anschlag 525 In der Praxis könnten sich zum Teil Schwierigkeiten bei der Beweisführung hinsichtlich der Abgrenzung der passiven Unterstützung von der Duldung ergeben.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
ausging und etwa im Nachbarstaat Unterschlupf finden, der seinerseits nicht auf diplomatische Aufforderungen, die Gefahr zu beseitigen, reagiert.526 Hinsichtlich des Taliban-Regimes in Afghanistan war die Bereitstellung des safe haven Ursache für die Feststellung von Friedensgefährdungen durch den Sicherheitsrat bereits in den Resolutionen 1267 und 1333 noch vor den Anschlägen vom 11. September 2001.527 Vor dem Hintergrund der dadurch von dem Territorium dieser Staaten ausgehende Bedrohung liegt es zunächst nahe, auch die Zurechnung dahingehend zu erweitern, dass ein Recht auf militärisches Vorgehen zumindest gegen die terroristischen Einrichtungen auf dem Territorium besteht. So wird vertreten, dass sich die sogenannte „harbouring Doktrin“ aus dem modernen Konzept von Souveränität als Verantwortlichkeit ableiten ließe, in der sich Verpflichtungen zum Schutz gegenüber Drittstaaten finden, sowie aus dem relativen Charakter der territorialen Integrität, der Staaten vor die Verpflichtung stellt, defensive Handlungen eines anderen Staates zuzulassen, wenn keine andere Möglichkeit besteht die Gefährdung zu beenden.528 Gleiches soll dann auch hinsichtlich eines Selbstverteidigungsrechtes gegen Terroristen gelten, die in einen anderen Staat als den Ausgangsstaat fliehen, da es keinen Unterschied machen kann, ob sich der Terrorist im Ausgangsstaat befindet oder hinter dem „Schild der Souveränität“ eines anderen Staates versteckt, der seinerseits nichts gegen die Bedrohung unternehmen will.529 Die oben hinsichtlich der Unterstützungskonstellation aufgeführten Einwände gegen eine pauschale Zurechnung aller Unterstützungskonstellationen gelten hier gleichermaßen. Der Staat, in den einige Terroristen nach begangenem Anschlag fliehen, hatte keinerlei Möglichkeit der Kontrolle über den bewaffneten Angriff, und vermutlich auch keine Kenntnis über Ausmaß und Ziel der Anschläge.530 Die Tatsache, dass ein Staat eine völkerrechtliche Pflicht verletzt, indem er Terroristen auf seinem Territorium nicht 526 Auch Cassese, EJIL 12 (2001), S. 1000 in diese Richtung zu verstehen, der sich gegen ein Recht der USA aus gegen andere Staaten als Afghanistan vorzugehen ausspricht. 527 Res. 1267 (1999) vom 15. Oktober 1999 und Res. 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000. 528 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 865. 529 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 866. 530 Stahn hält es für sinnvoll, militärische Handlungen gegen einen Staat vorzunehmen, auf dessen Territorium sich Trainingscamps global agierender großer terroristischer Gruppierungen befinden, stellt aber zu Recht die Frage, wo liegt die Grenze, z. B. wenn nur einige wenige Terroristen in dem jeweiligen Staat sind oder ein Staat in der Vergangenheit Terroristen unterstützt hat. Ders., in: Walter/Vöneky/ Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 865.
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festnimmt und vor Gericht stellt, führt ebenfalls nicht automatisch zu dem Unrechtsgehalt eines bewaffneten Angriffs.531 Andernfalls müsste man die doch zunächst übertrieben erscheinenden Überlegungen anstellen, ob nicht auch Deutschland wegen seiner Versäumnisse bei der Prävention und Strafverfolgung von Mitgliedern der terroristischen Gruppe al Qaida in Hamburg die Anschläge vom 11. September 2001 zuzurechnen sind. Auch die Feststellung einer Friedensgefährdung durch den Sicherheitsrat durch die Duldung von Terroristen auf einem Territorium hat noch nicht zur Konsequenz, dass die Zurechnung terroristischer Handlungen zu einem Staat erfolgt. Nicht jede Friedensgefährdung stellt bereits einen bewaffneten Angriff dar.532 Zur Begründung der Ablehnung einer Zurechnung in der Duldungskonstellation kann auch der Rechtsgedanke des Art. 3 (f) der Aggressionsdefinition und Art. 16 des ILC-Entwurfs herangezogen werden.533 Gemäß Art. 3 (f) liegt auch dann eine Angriffshandlung im Sinne der Aggressionsdefinition vor, wenn ein Staat es duldet, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen. Eine ähnliche Regelung findet sich auch in Art. 16 des ILC-Entwurfs, der für eine Verwicklung eines Staates in die rechtswidrigen Handlungen eines anderen Staates weniger strenge Zurechnungskriterien vorsieht als im Falle der Zurechnung privater Handlungen. Beide Vorschriften verlangen aber, dass der Wille des duldenden Staates sowohl auf die Überlassung des Territoriums als auch auf die Begehung einer konkreten Angriffshandlung erstrecken muss.534 Dies zeigt, den Rechtsgedanken, dass eine Zurechnung nicht allein durch die Überlassung eines Territoriums erfolgen kann, sondern eine Verbindung zum bewaffneten Angriff bestehen muss. Eine solche Verbindung kann auch nicht mit der Begründung der Besonderheiten des internationalen Terrorismus durch eine Kenntnis von der generellen Zielrichtung der beabsichtigten Terroranschläge ersetzt werden.535 Zwar sind konventionelle militärische Angriffe nicht mit terroristischen Anschlä531 Im Ergebnis auch Krajewski, AVR 40 (2002), S. 194; schon vorher Cassese, ICQL 38 (1989), S. 599. 532 Siehe oben bei der Erforderlichkeit einer Zurechnung zu einem Staat. 533 So auch Bruha, AVR 40 (2002), S. 404, allerdings zur Begründung des Gegenteils. 534 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 29; Bruha, AVR 40 (2002), S. 405 m. w. N. 535 So Bruha, AVR 40 (2002), S. 405, der zwar die doppelte Finalität sieht, aber aufgrund der Besonderheiten des Terrorismus eine Kenntnis von der generellen Zielrichtung der beabsichtigten Terroranschläge als ausreichend ansieht, um diese zu ersetzen.
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gen vergleichbar, da sie nur streng geheim geplant und von einigen wenigen ausgeführt werden. Dennoch verbleiben dem Staat keine Möglichkeiten der Kontrolle über den Angriff im Sinne der Möglichkeit, ihn durch eigenes völkerrechtsgemäßes Verhalten zu verhindern. Auch hat er keine Kenntnis darüber, welche Ausmaße der Anschlag annehmen soll. Allein die Kenntnis der Anwesenheit von Terroristen kann daher noch nicht den Willen zu dem konkreten Anschlag ersetzen. Noch mehr als in der Unterstützungskonstellation stellt sich in der Duldungskonstellation die Frage, ob der Staat mit Zurücknahme der Duldung den terroristischen Anschlag verhindern kann, ihm also eine Kontrollmöglichkeit gegeben ist. In den meisten denkbaren Konstellationen wie der oben beispielhaft geschilderten wird eine solche Kontrolle nicht möglich sein. Dann entfällt eine Zurechnung. Alleine wenn ein Staat eine große Anzahl an Terroristen auf seinem Territorium duldet und diese ungehindert die Möglichkeit haben, einen Anschlag zu planen und alle zur Ausführung des Anschlages erforderlichen Vorbereitungshandlungen ungehindert durchführen können, dann ist die erforderliche Kontrolle des Staates möglicherweise erfüllt. In dieser Situation tritt dann aber neben die alleinige Duldung eine passive Unterstützung der oben beschriebenen Art, denn regelmäßig erfordert die Planung solcher Anschläge etwa die Möglichkeit an Waffen zu gelangen, Terroristen auszubilden oder ähnliches. Liegen diese passiven Unterstützungshandlungen zusätzlich zu einer Duldung vor, so gelten die im Rahmen der Unterstützungskonstellation aufgestellten Kriterien. Die neuere Staatenpraxis bestätigt dieses Ergebnis ebenso wie die bis 2001 geltende Rechtslage. Den Äußerungen der Staaten eine genaue Einordnung zu entnehmen, welches staatliche Handeln erforderlich ist, damit ein terroristischer Akt einem Staat im Rahmen des Art. 51 UNC zugerechnet werden kann, ist zwar schwierig, da sie oftmals (wohl bewusst) vage gehalten sind. Während die Stellungnahme des amerikanischen Präsidenten Bush noch auf eine solche Zurechnung hindeutet, enthält die Stellungnahme der USA im Sicherheitsrat hingegen, wie bereits in der Unterstützungskonstellation gezeigt, eine Zurechnung auf der Grundlage von „support“ und der Tatsache, dass „the attacks on 11 September 2001 and the ongoing threat to United States [. . .] have been made possible by the desicion of the Taliban regime to allow the parts of Afghanistan that it controls to be used by this organization as a base of operation“. Ebenso stellen Großbritannien und Kanada auf eine Unterstützung des Staates ab, während in der EU-Erklärung eine Kumulation von Unterstützung und Beherbergung, sowie die mangelnde Bereitschaft zur Kooperation maßgebliche Anknüpfungspunkte für eine Zurechnung sind. Danach macht es den Eindruck, dass das alleinige Dulden eines Staates, dass eine terroris-
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tische Organisation von seinem Territorium aus gegen das Territorium eines anderen Staates gerichtete Gewaltakte vornimmt, wobei er über Mittel verfügt, die Gewaltanwendung zu verhindern, nicht für eine Zurechnung im Rahmen des Art. 51 UNC ausreicht, wenngleich der von NATO-Generalsekretär Robertson formulierte „Schutz“, den die Taliban der terroristischen Gruppierung Al Qaida und Usama bin Laden gewährt, insofern nicht eindeutig ist, als er sowohl ein Dulden wie auch darüber hinausgehende aktive Schutzhandlungen meinen könnte, die dann in die Richtung einer passiven Unterstützungskonstellation zeigen würden. Schließlich finden sich beispielsweise in den Äußerungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, die mit einigem Abstand zum 11. September 2001 getätigt wurden, keine Hinweise auf eine Zurechnung in der Duldungskonstellation. Vielmehr macht er lediglich deutlich, dass Staaten bei jeglicher Unterstützung von Terroristen mit Maßnahmen vom Sicherheitsrat rechnen müssen.536 Daher lässt sich zusammenfassend feststellen, dass eine Zurechnung in Duldungskonstellation nicht möglich ist, da zwar eine Gefährdung von dem Territorium des Staates ausgeht, der Staat auf dessen Territorium sich die Terroristen befinden, sich jedoch nicht die terroristischen Anschläge zueigen macht und diese kontrollieren kann. Dies ist aber der Grundgedanke der Zurechnung nach dem ILC-Entwurf. Auch die Staatenpraxis ist zwar zum Teil nicht eindeutig spricht aber eher gegen eine Zurechnung in der Duldungskonstellation. Daher kann auch nicht von einem bewaffneten Angriff des Staates ausgegangen werden, und ein Recht auf Selbstverteidigung besteht weder gegen den Staat noch gegen die terroristischen Organisationen auf seinem Territorium. Um der Gefährdung, die von dem Territorium ausgeht, Herr zu werden, muss der Sicherheitsrat handeln, oder eine Kooperation des Staates durch nichtmilitärische Mittel erwirkt werden. dd) Unfähigkeitskonstellation Als letzte Zurechnungskonstellation verbleibt diejenige, in der terroristische Gewaltakte auf dem Territorium eines Staates stattfinden, der Staat jedoch keine ausreichenden Möglichkeiten hat, dagegen vorzugehen. Beispiel für eine solche Zwickmühle war Somalia 1977, als die Lufthansa-Maschine auf dem Flughafen von Mogadischu stand und Somalia keinerlei Mittel zur Verfügung standen, um gegen die Terroristen einzugreifen. Das damalige 536 Dies wurde wiederholt von Generalsekretär Kofi Annan betont, siehe beispielsweise UN Doc. SC/8497 vom 14. September 2005.
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Dilemma löste sich, indem der Staatsminister Wischnewski die Zustimmung Somalias zum Einsatz der deutschen GSG-9 gab und dadurch der terroristische Akt erfolgreich bekämpft werden konnte. In solchen Situationen ist eine Zurechnung zum Staat ausgeschlossen.537 Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass dem Staat kein eigenes völkerrechtswidriges Verhalten angelastet werden kann. Dementsprechend enthalten weder die neueren Resolutionen noch die Äußerungen in der Staatenpraxis Anhaltspunkte, dass in solchen Konstellationen eine Zurechnung erfolgen sollte. Problematisch ist jedoch, dass von einem Territorium eines zur Gefahrbeseitigung unfähigen Staates, jedenfalls wenn sich die Unfähigkeit über einen gewissen Zeitraum erstreckt, eine erhebliche Gefahr für terroristische Anschläge ausgehen kann. Beispiel hierfür wäre ein sogenannter Failed State. In solchen Situationen stellt sich die Frage, ob derjenige Staat, der Opfer solcher Anschläge wird, eine militärische Reaktionsmöglichkeit haben muss gegen die privaten Akteure auf dem Territorium des zur Beseitigung der Gefahr unfähigen Staates. Exemplarisch soll hier auf die spezielle Situation des Failed States bezug genommen werden. (1) Die Zurechnung eines bewaffneten Angriffs bei von einem Failed State ausgehenden terroristischen Handlungen Zwar gehören die militärischen Anschläge der USA und ihrer Verbündeten als Reaktion auf den 11. September 2001 nicht zu diesem Szenario, da Afghanistan zu diesem Zeitpunkt de facto vom Taliban Regime kontrolliert wurde und insofern nach einhelliger Ansicht nicht als Failed State zu bezeichnen ist.538 Dennoch wurde die Kombination der beiden Phänomene, Failed State und internationaler Terrorismus, dadurch stärker in das Bewusstsein gerückt.539 537
Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 36. Byers, ICLQ 51 (2002), S. 405; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 212. 539 So etwa die Rede vom damaligen Bundesaußenminister Fischer vor der 56. Generalversammlung der VN in New York am 12. November 2001 „[. . .] welch existentielle Gefahr für den Weltfrieden von failing states ausgehen kann. Diese schwarzen Löcher des politischen und sozialen Ordnungsverlustes bieten Terroristen einen sicheren Hafen, von dem aus sie ihre mörderischen Netze weltweit organisieren können. Die Staatengemeinschaft muss sich vor diesem Hintergrund mit dem Problem zerfallender Staaten dringend intensiver und vorbeugend befassen – und dies nicht nur in Afghanistan und nicht erst, wenn die Katastrophe eingetreten ist“. Un Doc. E/CN.4/2002/L.11/Add.7 v. 26 April 2002, para. 9 (f). (f) „All States, and local authorities in Somalia, to prevent persons and entities from taking advantage of the situation in Somalia to finance, plan, facilitate, support or commit ter538
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Definitionsgemäß besitzt der Failed State540 keine zentralen staatlichen Organe mehr, die für den Staat handeln und so eine entsprechende Verantwortlichkeit gemäß Art. 4 ILC-Entwurf begründen können.541 Daher kommt eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit lediglich durch die Zurechnung des Verhaltens privater Akteure zum Staat in Betracht. Nach den oben dargestellten Anforderungen, die an eine solche Zurechnung zu stellen sind, bedarf es zumindest einer passiven Unterstützungshandlung und einer generellen Kontrolle des Staates über das „ob“ der Tat. Der Failed State zeichnet sich jedoch gerade dadurch aus, dass keinerlei effektive staatliche Kontrolle mehr vorhanden ist, so dass auch keinerlei Kontrolle mehr über private Akteure ausgeübt werden kann.542 (2) Conduct carried out in the absence or default of the official authorities gemäß Artikel 9 ILC-Entwurf Neben Art. 8 ILC-Entwurf eröffnet auch Art. 9 ILC-Entwurf ausnahmsweise die Möglichkeit, einem Staat unter bestimmten Voraussetzungen die Handlungen privater Akteure ausnahmsweise als eigenes Verhalten zuzurechnen. rorist acts from the country, emphasizing that efforts to combat terrorism in Somalia are inseparable from the establishment of peace and governance in the country, as indicated in the statement by the President of the Security Council of 28 March 2002“. Vgl. einen Brief des Vorsitzenden vom 3. Juli 2002 des gemäß S/RES/751 v. 1992 eingerichteten Sicherheitsratskomitees; S/2002/722 v. 3. Juli 2002, para. 34: „Somalia’s characteristics as a failed state make it attractive for hard-to-trace financial transactions and transhipment of goods and personnel. [. . .] At least one remittance company named Al Barakat has come to Interpol notice on suspicion of financing terrorism“; siehe auch die Äußerung des niederländischen Außenministers Jozias van Aartsen, GA/9963 v. 13. Nov. 2001 sowie SC/7178 v. 19. Okt. 2001 (J. Koonjul Mauritius): „[. . .] past events had shown that failed states were more prone to be the breeding ground for terrorist activities.“ 540 Siehe zur Definition des Failed State umfassend Geiss, Failed States, S. 47 ff.; Thürer, BDGV 34 (1996), S. 10 ff. 541 Zwar ist gemäß dem Wortlaut des Artikel 4 ILC-Entwurf das Verhalten jedes Staatsorgans, unabhängig davon, welcher der drei Gewalten es zuzuordnen ist und welche Position es innerhalb der staatlichen Organisation einnimmt, dem Staat zuzurechnen. Damit wird dem Einheitsprinzip des Staates Rechnung getragen. Danach kann auch die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben auf kommunaler Ebene einem Staat zugerechnet werden. Dennoch ist in einem gescheiterten Staat eben gerade diese Einheit zusammengebrochen, so dass, selbst wenn auf unterster Ebene, etwa in den Kommunen staatliche Aufgaben weiter wahrgenommen werden, mit dem Wegfall der staatlichen Zentralgewalt der Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung entfällt. Siehe dazu ausführlich Geiss, Failed States, S. 257 ff. Siehe auch Thürer, BDGV 34 (1996), S. 32 f.; Bodansky/Crook, AJIL 96 (2002), S. 783. 542 Geiss, Failes States, S. 260 ff.
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Er setzt voraus, dass „the person or group of persons is in fact exercising elements of the governmental authority in the absence or default of the official authorities and in circumstances such as to call for the exercise of those elements of authority.“ Zum Teil wird das Failed State Szenario als Anwendungsfall des Art. 9 ILC-Entwurf gesehen.543 Nach der Kommentierung zu Art. 9 des ILC-Entwurfs deckt dieser „both the situation of a total collapse of State apparatus as well as cases where official authorities are not exercising their functions in some specific respect, for instance, in the case of a partial collapse of the State or its loss of control over a certain locality.“544 Unabhängig von Frage, ob Art. 9 ILC-Entwurf wirklich auf den Failed State anwendbar ist545 – die Kommentierung der ILC zählt beispielsweise Situationen während einer Revolution, eines bewaffneten Konflikts oder einer occupatio bellica auf, nimmt jedoch keinen Bezug auf den vollständig gescheiterten Staat – müssten die Voraussetzungen vorliegen, d.h. die nichtstaatliche Gruppierung müsste Elemente der Regierungsgewalt ausüben. Dass diese in Art. 9 ILC-Entwurf normierte Voraussetzung von terroristischen Gruppierungen erfüllt werden, ist unwahrscheinlich.546 Daher bietet Art. 9 ILC-Entwurf nur eine möglicherweise unzureichende Zurechnungsgrundlage, so dass über ein Korrektiv der Zurechnungskriterien in Failed State Szenarien nachgedacht werden muss. (3) Korrektiv der Zurechnungskriterien in Failed State Szenarien Das Gewaltverbot schützt die Integrität eines Staates nach außen. Korrektiv bei einem effektiven Staat ist die Möglichkeit der Zurechnung von Handlungen zum Staat, aus denen ein Recht auf Selbstverteidigung resultieren kann. Bei einem Failed State Szenario, also dem völligen Zusammenbruch staatlicher Ordnung, schützt das Gewaltverbot die privaten bewaffneten Gruppierungen in ihrem ungehinderten Treiben vor bewaffneter Macht von außen.547 Ein militärisches Eingreifen eines anderen Staates ist 543 Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 222 f., Bodansky/Crook, The ILC’s State Responsibility Articles, in: AJIL 96 (2002), S. 783; Thürer, BDGV 34 (1996), S. 32. 544 Crawford, State Responsibility, Art. 9, para. 5. 545 Siehe dazu näher Geiss, Failes States, S. 261 ff., der entgegen Thürer zu Recht erklärt, dass Artikel 9 keine geeignete Grundlage für eine Zurechnung im Failed State bietet. 546 Gaja, abrufbar unter: http://www.ejil.org/forum-WTC; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 223. 547 Herdegen, BDGV 34 (1996), S. 60 f., der daher für eine teleologische Reduktion des Gewaltverbots, gestützt durch den Wortlaut von Art. 2 Ziff. 4 UNC fordert, eine sogenannte „altruistische“ Intervention, allerdings von ihm nicht auf Szenarien
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aufgrund der fehlenden Zurechnung zum Staat auf der Grundlage des Selbstverteidigungsrechtes nicht mehr möglich, lediglich eine vom Sicherheitsrat autorisierte militärische Maßnahme gemäß Art. 39 ff. UNC ist vorstellbar. Die oben angestrengte Abwägung zwischen Schutz der Souveränität und territorialen Integrität des von Terroristen angegriffenen Staates und beider Rechtsgüter des Aufenthaltstaates von Terroristen gerät in solchen Szenarien ins Wanken. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Sicherheitsrat handlungsunfähig ist und das Existenzrecht eines Staates durch terroristische Anschläge bedroht wird. Daher gibt es in der Literatur verschiedene Ansätze zur Lösung dieses Dilemmas. Einige verzichten vollständig auf das im Rahmen des bewaffneten Angriffs in Art. 51 UNC erforderliche Kriterium der Zurechnung der Handlungen zu einem Staat und leiten aus dem Telos des Gewaltverbots ein Recht auf Selbstverteidigung – das vorliegen der übrigen Voraussetzungen angenommen – gegen die von dem Territorium eines Failed State aus agierende terroristische Gruppierung ab.548 Bruha hingegen vertritt die Auffassung, dass der Failed State weiterhin dem Schutz des Gewaltverbots unterliegt, und deutet an, dass der Gedanke der Geschäftsführung ohne Auftrag in solchen Szenarien Sinn mache.549 Die aufgezeigten Ansätze stimmen mit der ratio des Selbstverteidigungsrechtes überein, dass jeder Staat die Möglichkeit haben muss, seine eigene Existenz zu schützen. Allerdings begegnen dem ersten Ansatz in der Literatur die bereits oben aufgezeigten Bedenken, dass das Selbstverteidigungsrecht den Rechtscharakter eines Notwehrrechtes trägt und damit der Beeinträchtigung der territorialen Integrität und der Ausübung der inneren Souveränität auch des Failed States keine Rechnung getragen wird. Allerdings ist im Zusammenhang mit internationalem Terrorismus gedacht sondern bezogen auf die Möglichkeit einer humanitären Intervention in Failed States. 548 So zum Beispiel Stahn, Nicaragua is dead, long live Nicaragua, S. 25: „Moreover, a teleological reading of Artikel 51 supports an interpret according to which the impact of the attack is considered more decisive than it public or private origin. This is evident in failed State-scenarios in which the organizational structure of the territory has collapsed.“ Ähnlich auch Randelshofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 36. Tietje/Nowrot, NZWehrR, 2002, S. 9 fordern in der Situation, in der das Existenzrecht von Staaten durch terroristische Gruppierungen bedroht wird, die von einem Failed State aus operieren, dass bereits jedes staatlichen Verhalten, welches objektiv vorhersehbar zu einer Unterstützung terroristischer Aktivitäten führen kann, ausreicht, um eine de facto Organeigenschaft der privaten Gruppierung zu begründen und somit die Möglichkeit der Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes aufrecht zu erhalten. 549 Bruha, AVR 40 (2002), S. 409.
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jedenfalls die Ausübung der inneren Souveränität ohnehin im Failed State Szenario nicht möglich, da es gerade an einer für die Ausübung notwendigen Staatsgewalt fehlt. Es bleibt jedoch die schützenswerte Rechtsposition der territorialen Integrität. Auch der Rechtsgedanke der Geschäftführung ohne Auftrag ist wenig überzeugen, da aus den oben genannten Gründen weitere Rechtfertigungsgründe neben dem Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC nicht bestehen. Allenfalls ließe sich überlegen, ob nicht, unter bestimmten Voraussetzungen, eine Verpflichtung des Territorialstaates zur Gestattung eines Einsatzes besteht, zumindest dann, wenn damit keinerlei ernsthafte Gefahren für die Angehörigen oder Interessen des Territorialstaates verbunden sind.550 Praktische Schwierigkeiten sind jedoch insofern vorhanden, als die für den bewaffneten Angriff verantwortliche terroristische Gruppierung zum Teil nur schwer von den ansonsten vorhandenen aktiven Parteien im Failed State zu trennen sein dürfte.551 Im übrigen lässt sich gegen eine Veränderung der oben aufgestellten Zurechnungskriterien einwenden, dass in solchen Situationen die Bemühungen darauf gerichtet sein müssten, das Gewaltmonopol des betreffenden Staates wiederherzustellen anstelle an der Aufgabe der Unterscheidung zwischen staatlicher Gewalt und privater Kriminalität zu rütteln.552 Schließlich bleibt noch die Möglichkeit einer Autorisierung durch den Sicherheitsrat, an der es in solchen bisher theoretisch gebliebenen worst case Szenarien, in denen terroristische Anschläge von Failed States aus begangen werden, die das Existenzrecht eines anderen Staates bedrohen und nicht anders abwendbar sind als durch den Einsatz militärischer Gewalt, nicht fehlen dürfte. Im Ergebnis bleibt es daher mit dem Verweis auf die Möglichkeit zum Erlaß von Sicherheitsratsmaßnahmen bei den oben aufgestellten Zurechnungskriterien. d) Beweislast Hinsichtlich der Frage, wer die Täter eines terroristischen Anschlages sind und ob und gegebenenfalls welchem Staat sie zurechenbar sind, bedarf es der Zuordnung der Beweislast. Das Verhalten der USA nach dem 11. September 2001 zeigt, dass diese bemüht waren, die von ihnen zusammengetragenen Beweise möglichst vielen Staaten mitzuteilen, etwa im Sicherheitsrat oder durch Informationsmit550 551 552
Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 884. So auch Geiss, Failes States, S. 125 f. Fassbender, EuGRZ 31 (2004), S. 251; Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 536.
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teilungen an den NATO-Rat. Darin kann jedenfalls eine Anerkennung ihrer Beweislast gesehen werden. Auch der IGH hat im Oil Platforms Fall noch einmal bestätigt, dass dem Selbstverteidigung ausübenden Staat die Beweislast hinsichtlich aller die Selbstverteidigung auslösenden Umstände trägt. Dies umfasst vor allem die Pflicht darzulegen, wer die Täter des entsprechenden bewaffneten Angriffs sind und welchem Staat das Verhalten zugerechnet werden kann. Schwieriger ist jedoch die Frage, welchen Anforderungen die Beweispflicht zu genügen hat. Eindeutig ist jedenfalls, dass sie der Sache nach hohen Anforderungen unterliegen muss, da es um die Ausübung militärischer Gewalt und damit um die (möglicherweise gerechtfertigte) Verletzung des höchsten Gutes der Charta der Vereinten Nationen geht. Dem gegenüber stehen praktische Bedenken, dass gerade bei international operierendem Terrorismus der sofortige Zugang zu Informationen oft schwer möglich ist, so dass eine Erbringung von Beweisen ohne jeden Zweifel nicht möglich ist, jedenfalls nicht in dem zeitlichen Rahmen, in dem das Selbstverteidigungsrecht ausgeübt werden müsste.553 Gemäß den Äußerungen im NATO-Rat554 und der Stellungnahme der USA im Sicherheitsrat555 wurden die vorgelegten Beweise als „clear and compelling“ beschrieben.556 Dieser an die Beweislast angelegte Standard ist ein angemessener Ausgleich zwischen der enormen Bedeutung der in Frage stehenden Rechtsfolgen und der Praktikabilität.557 Schließlich liegt es dann an der Einschätzung der internationalen Staatengemeinschaft, ob ein ausreichender Beweis erbracht wurde. Die Reaktionen auf den 11. September 2001 haben jedoch gezeigt, dass es schwer ist, zu entscheiden, ob tatsächlich eine dem dargestellten Standard angemessene Beweislage gegeben ist, da die Beweise oft nicht vollständig offengelegt werden. Die Forderung nach einer solchen umfassenden Offenlegung erscheint zunächst zwar wünschenswert,558 ist jedoch bei näherer Betrachtung unrealistisch und nicht effektiv. Konsequenz der öffentlichen Bekanntgabe aller entsprechenden Beweise wäre u. a., dass Geheimdienstoperationen zur Bekämpfung terroristischer Aktivitäten und zur Verhinderung neuer Anschläge gefährdet werden würden, Überraschungsmomente hinsichtlich da553
Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 113. Siehe Stellungnahme des Generalsekretär Robertson, abrufbar unter: http://www.nato.int/docu/speech/2001/s011002a.htm (Stand: 15. September 2005). 555 Brief des Ständigen Vertreters der USA an den Präsidenten des Sicherheitsrates, UN Doc. S/2001/946 vom 7. Oktober 2001. 556 Ähnlich auch in der Literatur z. B. Lobel, Yale Journal of International Law 24 (1999), S. 538, der von einem „clear and stringent evidentiary standard“ spricht. 557 So auch Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 113. 558 So Charney, AJIL 95 (2001), S. 836. 554
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hingehender Handlungen entfielen und Informationen aufgedeckt würden, die die Ausführungen des Selbstverteidigungsrechtes erschweren würden, da dem Gegner der entsprechenden Maßnahme dann bekannt ist, auf welcher Grundlage der die Selbstverteidigung ausführende Staat seine Operationen plant und durchführt.559 Schon aus diesen Gründen würde sich vermutlich kein Staat zur vollständigen Offenlegung bereit erklären. Eine dahingehende Forderung wäre mithin realitätsfern. Dem berechtigten Vorwurf der Möglichkeit eines Missbrauchs des Selbstverteidigungsrechtes, der durch mangelnde Offenlegung ermöglicht wird,560 steht zudem die Effektivität der Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes entgegen. Zu fordern ist daher ein Ausgleich insofern, als den Staaten eine Verpflichtung aufzuerlegen ist, die entsprechenden Beweise insoweit aufzudecken, dass keine essentiellen Interessen, etwa der erneute Verlust von Menschenleben, durch weitere terroristische Anschläge davon betroffen werden. e) „Bewaffneter“ Angriff Nach der einhelligen Akzeptanz in der Staatengemeinschaft zum militärischen Einsatz in Afghanistan und der einheitlichen Bewertung im Schrifttum bezieht sich in Zukunft nach teleologischer Auslegung der Begriff „bewaffnet“ nicht nur auf herkömmliche Waffen im engen Sinne, sondern schließt auch unkonventionelle Methoden des Gebrauchs von Gegenständen mit ein, deren Auswirkungen denen einer Waffe gleichkommen.561 Eine solche Erweiterung birgt jedoch die Gefahr, dass Staaten sie als Einfallstor für eine Geltendmachung des Selbstverteidigungsrechtes nutzen, um auch anderen Akten, wie z. B. dem internationalen Drogenschmuggel oder Angriffen auf Computernetzwerke,562 die einen vergleichbaren Schaden hervorrufen, auf der Grundlage von Art. 51 UNC zu begegnen. Betrachtet man das Beispiel des internationalen Drogenschmuggels, so ließe sich argumentieren, dass mit der Verteilung von Drogen auch erheblicher Schaden unter einer Bevölkerung hervorgerufen werden kann. Stellte man dann lediglich auf die Auswirkungen eines Handelns ab, um den Begriff „bewaffnet“ i. S. d. Art. 51 UNC näher zu auszulegen, dann fielen 559
Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 114. Charney, AJIL 95 (2001), S. 836. 561 Dinstein, Self-Defense, S. 166. 562 Angesprochen von Koskenniemi, Iraq and the „Bush Doctrine“ of Pre-emptive Self-Defence, abrufbar unter: http//:www.crimesofwar.org/expert/bush-koskennie mie.html.; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 857. 560
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auch solche Handlungen darunter. Eine solche Erweiterung des Verständnisses des „bewaffneten Angriffs“ widerspricht jedoch dem Konzept, wonach Art. 51 UNC als Ausnahme zum Gewaltverbot eng auszulegen ist. Als Eingrenzungskriterium ist daher neben den Auswirkungen auch auf die Verwendung eines Werkzeuges abzustellen.563 Ist die Verwendung mit derjenigen einer Waffe vergleichbar, dann ist das Tatbestandsmerkmal des „bewaffneten“ Angriffs erfüllt. Wird demnach ein nach generellem Verständnis nicht gefährliches Werkzeug auf eine bestimmte Art entgegen der eigentlichen Zweckbestimmung genutzt, wodurch ein erheblicher Schaden sowie die Verletzung oder der Tod von Menschen herbeigeführt werden, dann entspricht diese Nutzung hinsichtlich ihrer Auswirkung und der Verwendung der einer herkömmlichen Waffe. f) Das Intensitätserfordernis bei terroristischen Angriffen Gerade terroristische Anschläge, die, wie die Vergangenheit gezeigt hat, sehr unterschiedliche Ausmaße annehmen können, erfordern die Entscheidung über die Notwendigkeit eines Intensitätserfordernisses im Rahmen des bewaffneten Angriffs des Art. 51 UNC. Schwer vorstellbar erscheint nämlich, dass etwa ein Bombenanschlag mit nur begrenzter Wirkung eines einzelnen Täters als bewaffneter Angriff zu qualifizieren ist, die Zurechnung zu einem Staat einmal vorausgesetzt. aa) Ergebnis der Untersuchung der Staatenpraxis, Resolutionen und Urteile Schon vor den hier im Vordergrund stehenden Ereignissen des 11. Septembers 2001 gab es einige Anhaltpunkte für die Annahme einer bestimmten Intensität. Im Nicaragua-Urteil stellte der IGH fest, dass die in Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition gegebenen Beispiele Fälle eines bewaffneten Angriffs seien. Weiter entschied der Gerichtshof, dass unterschieden werden müsse zwischen einem bewaffneten Angriff und einem „mere frontier incident“, da der bewaffnete Angriff „some scale and effects“ aufweisen müsse.564 Auch im Hinblick auf eventuelle, an den bewaffneten Angriff zu stellende Intensitätsanforderungen könnte wiederum die Aggressionsdefinition 563
Ebenso auch Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 858, der zusätzlich noch verlangt „a corresponding intention of the perpetrator to inflict this damage or injury upon the defending state or ist citizens.“ 564 IGH, Nicaragua-Urteil, ICJ Reports 1986, 103.
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als Auslegungshilfe dienen. So enthält ihr Art. 2 eine sog. de minimis-Klausel, die festlegt, dass keine Aggression vorliegt, wenn die fragliche Handlung nicht von ausreichender Schwere ist („sufficient gravity“). Schließlich spricht die Staatenpraxis für das Erfordernis einer hinreichenden Schwere des Angriffs. Israel berief sich beispielsweise bei der Bekämpfung palästinensischer Guerillas auf eine „accumulation of events“, die zur Selbstverteidigung Anlass gäbe.565 Die überwiegende Anzahl der sich zu dem Vorgehen Israels äußernden Staaten hielt dieses für rechtswidrig. Als Gründe für die Rechtswidrigkeit wurden jedoch vor allem das Verbot der gewaltsamen Repressalie sowie der Verstoß gegen den Proportionalitätsgrundsatz angeführt.566 Die gleiche Situation ergab sich im Hinblick auf Frankreich anlässlich seiner Übergriffe auf tunesisches Gebiet sowie in Bezug auf Großbritannien im Rahmen von Angriffen auf das Territorium des Jemen.567 Daraus lässt sich folgern, dass die Staaten einzelne kleinere Gewaltanwendungen nicht als bewaffneten Angriff ansahen, dass bei einem Zusammentreffen mehrerer kleinerer Vorfälle aber ein bewaffneter Angriff vorliegen kann. In der neueren Staatenpraxis führten insbesondere die Art und das Ausmaß der Anschläge vom 11. September 2001 dazu, dass diese von der Staatengemeinschaft als bewaffneter Angriff gewertet wurden. Entscheidend war die völlig neue Dimension des Anschlages, der im Unterschied zu vorherigen Anschlägen in seiner Wirkung mit einer staatlichen Aggression vergleichbar war.568 Daher deutet die neuere Praxis ebenfalls darauf hin, nur Angriffe mit entsprechender Intensität als bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 UNC anzuerkennen. Darüber hinaus wurde auch im Oil Platforms Fall des IGH das Erfordernis eines bewaffneten Angriffs von hinreichender Intensität im Rahmen des Art. 51 UNC erneut bestätigt.569 Mithin deutet die nachfolgende Praxis insgesamt auf die Erforderlichkeit einer bestimmten Intensität des bewaffneten Angriffs hin. Dieses Ergebnis soll wiederum anhand der textorientierten Auslegung des Art. 51 UNC überprüft werden.
565 566 567 568 569
Zitiert in: Schindler, BDGV 26 (1986), S. 36; Bowett, AJIL 66 (1972), S. 5 f. Dazu Bowett, AJIL 66 (1972), S. 7, m. w. N. Schindler, BDGV 26 (1986), S. 36. Cassese, EJIL 12 (2001), S. 997; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 200. Siehe oben S. 207 f.
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bb) Rechtliche Würdigung der Ergebnisse der Praxis mittels der textorientierten Auslegung (1) Wortlaut Der Wortlaut des Art. 51 UNC spricht lediglich von einem bewaffneten Angriff ohne nähere Qualifizierung. Es ließe sich möglicherweise aus dieser Formulierung herleiten, dass gerade keine ausdrücklichen Anhaltspunkte im Hinblick auf ein Intensitätserfordernis, dem der bewaffnete Angriff genügen muss, in Art. 51 UNC enthalten sind, so dass jeder bewaffnete Angriff unabhängig von seiner Intensität ausreichen könnte.570 Nicht genannt sind insbesondere denkbare Formulierungen wie „schwerer bewaffneter Angriff“ oder eine Mindestanzahl von angreifenden oder angegriffenen Personen oder Gütern. Dagegen ließe sich jedoch einwenden, dass gerade nicht etwa jede Art von gewaltsamem Eingriff erfasst werden soll, sondern ein bestimmter Intensitätsgrad vorauszusetzen ist.571 Dies könnte sich aus dem Wortsinn des bewaffneten Angriffs ergeben. Nach herkömmlichem Verständnis meint ein Angriff ein militärisches Vorgehen einer Truppe gegen einen in Stellung oder im Anmarsch befindlichen Gegner.572 Er scheint also eine gewisse Anzahl von Personen ebenso vorauszusetzen wie ein gewisses Maß an militärischer Aktion. Daher ist jedenfalls nach dem ursprünglichen Sprachgebrauch nicht denkbar, bei einem terroristischen Anschlag durch eine Person, durch den eine kleine Anzahl von Menschen verletzt wird oder etwa ein Sachschaden entsteht, bereits von einem bewaffneten Angriff auszugehen. Danach ist der Wortlaut nicht eindeutig, spricht aber eher für die Annahme eines Intensitätserfordernisses. 570
Dinstein, Self-Defense, S. 192; Franzke, ÖzöR 16 (1966), S. 146. Krajewski, AVR 40 (2002), S. 199, der folgende Kriterien vorschlägt: Gewaltausübung einer Gruppe, die über ein gewisses Maß an Organisationsgrad und institutioneller Struktur verfügt, da es den Wortlaut des „Angriffs“ widerspreche, wenn etwa ein Bombenattentat eines Einzelnen oder einer Gruppe von Einzeltätern als bewaffneten Angriff angesehen würde. Entscheidend sind vor allem Art und Ausmaß der Anschläge. Schröder, JZ 1977, S. 424. Im Ergebnis dem zustimmend allerdings teilweise ohne konkrete Begründung, da jedenfalls im Rahmen des 11. September 2001 Einigkeit über die Erfüllung des Intensitätskriteriums besteht Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 109; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 859 ff.; Kotzur, AVR 40 (2002), mit einzelnen Kriterien und weitere Nachweisen; Tietje/Nowrot, NZWehrR 2001, S. 8; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 8; Bruha, AVR 40 (2002), S. 407, der seine oben zitierten Ausführungen nur für terroristische Anschläge macht, die ihrerseits bereits die Intensität eines bewaffneten Angriffs haben. Für alle anderen, insbesondere die Terroraktionen im Nahen Osten gelten weiterhin im Wesentlichen die Nicaragua-Kriterien. 572 Der große Brockhaus, „Angriff“, S. 286; ebenso Encyclopedia Americana 2, „attack“, S. 519. 571
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(2) Systematik Weitere Anhaltspunkte könnte eine systematische Auslegung liefern. So enthalten auch die Art. 1 Ziff. 1, Art. 39 und Art. 53 UNC den Begriff Angriff, jedoch ebenfalls ohne weitere Erläuterungen. Das Verhältnis von Art. 2 Ziff. 4 UNC zu Art. 51 UNC gibt jedoch Aufschluss darüber, dass ein gewisser Grad an Intensität für einen bewaffneten Angriff erforderlich ist.573 Während im Rahmen von Art. 2 Ziff. 4 UNC von „threat or use of force“ ausgegangen wird, bedarf es innerhalb des Selbstverteidigungsrechtes eines bewaffneten Angriffs. Die Tatsache, dass nicht auch im Rahmen des Art. 51 UNC auf „threat or use of force“ abgestellt wird, lässt darauf schließen, dass nicht gegenüber jeder verbotenen Gewaltanwendung ein bewaffnetes Selbstverteidigungsrecht ausgeübt werden darf, sondern ein bestimmter Grad erreicht sein muss.574 Dies würde jedoch bedeuten, dass ein Staat sich gegen Gewaltandrohungen oder -anwendungen, die unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs bleiben, nur mit den sonstigen im Völkerrecht existierenden Mitteln zur Wehr setzen kann, nicht jedoch mit Gewalt. Dies könnte einen Widerspruch zum Prinzip der Gegenseitigkeit, also zum Reziprozitätsgedanken575, darstellen.576 Letzterer ließe sich zwar vertraglich abbedingen, jedoch bedürfte es dazu einer ausdrücklichen Regelung innerhalb der Charta.577 Dagegen ließe sich einwenden, dass durchaus die Möglichkeit bestünde, leichte Gewaltanwendungen, die zur Selbstverteidigung ausgeübt werden, gar nicht erst unter Art. 2 Ziff. 4 UNC fallen zu lassen.578 Dann wären gegen Gewaltanwendungen, die selbst noch keinen bewaffneten Angriff darstellten, militärische Gegenmaßnahmen zulässig, soweit jene Gewaltanwendungen rechtswidrig wären.579 Diese Konstruktion berücksichtigt jedoch nicht, dass Art. 2 Ziff. 4 UNC, wie gezeigt, ein umfassendes Gewaltverbot festlegt und dementsprechend keine solche Einschränkung zulässt. Der in der Charta verwandte Wortlaut deutet jedoch darauf hin, dass mit der unterschiedlichen Verwendung von Begriffen in Art. 2 Ziff. 4, Art. 39 und Art. 51 UNC gerade unterschiedliche Gewaltanwendungen gemeint wa573
So auch der IGH im Oil Platforms Fall, siehe oben S. 207 f. Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 4; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 199. 575 Siehe allgemein zum Prinzip der Gegenseitigkeit, Kimminich/Hobe, S. 299. 576 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 190; Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 42. 577 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 190. 578 Dahm, Jahrbuch für Internationales Recht 11 (1962), S. 56. 579 So etwa die Argumentation von Richter Simma in seiner abweichenden Meinung zum Oil Platforms Fall des IGH, siehe oben S. 207 f.; Wengler, S. 13. 574
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ren, insofern dem Reziprozitätsgedanken gerade eine vertragliche Absage erteilt wurde. Demnach ergibt sich anhand der systematischen Auslegung, dass der bewaffnete Angriff nur Gewaltanwendung von gewisser Intensität erfasst. (3) Teleologische Auslegung Auch die Auslegung nach Sinn und Zweck gibt Aufschluss darüber, ob im Rahmen des Art. 51 UNC auf die Intensität abzustellen ist. Gegen die Annahme einer bestimmten Intensitätsschwelle bezüglich des bewaffneten Angriffs könnte sprechen, dass infolgedessen bei darunter liegenden Gewaltanwendungen kein Selbstverteidigungsrecht ausgeübt werden könnte. Diese Lücken entsprächen jedoch nicht dem Ziel der Charta der Vereinten Nationen, jegliche Gewaltausübung zwischen den Staaten ihren Regelungen zu unterstellen.580 Dem ist entgegenzuhalten, dass zwar eine Lücke entsteht, diese aber im Sinne des obersten Zieles der Charta, der Friedensschaffung, sehr wohl gewollt sein könnte. Denn wenn jede geringfügige Gewaltanwendung zu einer Selbstverteidigung berechtigte, bestünde die Gefahr andauernder militärischer Auseinandersetzungen. Solchen Bedenken wird entgegengehalten, der Intensität des bewaffneten Angriffs sei im Rahmen einer Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung der Selbstverteidigungsmaßnahmen Rechnung zu tragen.581 Allerdings existiert zwar in der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Rechtsfolgenseite unbestreitbar ein Korrektiv. Dennoch bleibt zweifelhaft, ob die Beantwortung geringfügiger Gewalt mit leichter Gegengewalt nicht zu negativen Entwicklungen in den Beziehungen zwischen den Staaten führte und somit dem Frieden abträglich wäre. Schließlich ließe sich gegen ein bestimmtes Intensitätserfordernis einwenden, dass dieses bei der Qualifizierung bestimmter Handlungen als bewaffneten Angriff zu einer nicht mit dem Ziel der Charta zu vereinbaren Rechtsunsicherheit bezüglich des Gewaltverbotes führen würde. So wäre nämlich fraglich, welcher Intensitätsgrad erreicht werden müsste und wer dieses zu bestimmen hätte, womit das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs von einem Bewertungsspielraum des Selbstverteidigung ausübenden Staates abhängig wäre.582 Zwar ist diesem Argument zu gute zu halten, dass die Festlegung eines Intensitätsgrades immer auch ein gewisses Maß an Bewertungsspielraum mit sich bringt, eine Rechtsunsicherheit jedoch nicht auto580 581 582
Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28; Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 42. Müllerson, IYHR 32 (2002); S. 42; Dinstein, Self-Defense, S. 192. Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28.
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matisch gegeben ist, sondern nur dann zu befürchten wäre, wenn die Kriterien für die Intensität entsprechend weit formuliert sind. Durch hinreichend konkrete Kriterien und einer zusätzlichen Überprüfung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dieser Rechtsunsicherheit zu begegnen. Mithin spricht die teleologische Auslegung für einen bestimmten Intensitätsgrad zur Bestimmung des Merkmals des bewaffneten Angriffs. (4) Entstehungsgeschichte Im Rahmen der San Francisco-Konferenz wurde der genaue Inhalt, den der bewaffnete Angriff erfüllen muss, nicht festgelegt.583 Daher könnte man auch im Rahmen der Entstehungsgeschichte zu dem Ergebnis kommen, dass der Intensitätsgrad nicht bei der Bewertung, ob ein bewaffneter Angriff vorliegt, entscheidend ist, da jedenfalls keine bestimmte Intensität als Mindestanforderung an den bewaffneten Angriff genannt wurde.584 Auf der anderen Seite lässt sich anführen, dass im Zeitpunkt der Entstehung der Charta auf kriegerische Zustände Bezug genommen wurde und insofern bei bewaffneten Angriffen solche von kriegsähnlichem Ausmaß gemeint sein könnten. Zu einer abschließenden Klärung führt die Betrachtung der Entstehungsgeschichte jedenfalls nicht. cc) Ergebnis Bei jedenfalls nicht entgegenstehender Entstehungsgeschichte und einem ebenfalls das Ergebnis nicht widerlegenden Wortlaut sprechen sowohl die systematischen wie auch die teleologischen Auslegungsgesichtspunkte für die Erforderlichkeit einer bestimmten Intensität für die Annahme eines bewaffneten Angriffs. Damit bestätigt die textorientierte Auslegung das Ergebnis der nachfolgenden Praxis, dass eine bestimmte Intensität Voraussetzung für den bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNC ist. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Entscheidung, ob ein terroristischer Angriff die für die Annahme eines bewaffneten Angriffs erforderliche Intensität aufweist, ist ein Vergleich seiner Auswirkungen mit denen eines herkömmlichen bewaffneten Angriffs.585 Zu berücksichtigen sind dabei Natur und Fähigkeiten der Organisation, die den Angriff ausführt, das Ausmaß der tatsächlichen Personen- und Sachschäden, die durch den Angriff verursacht werden bzw. im Falle der Vereitelung oder des Fehl583 584 585
Alexandrov, Self-Defense, S. 96. Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 28 ff. Cassese, EJIL 12 (2001), S. 997; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 200.
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schlagens des Angriffs potentiell verursacht worden wären. Des Weiteren sind die Verbindung zu vorangegangenen Anschlägen und die Art und Weise sowie die Mittel, mit denen der Angriff ausgeführt wurde, von Bedeutung.586 g) Die Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs Nach dem bisherigen klassischen Verständnis von der Erforderlichkeit der Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs wäre jeder terroristische Akt mit gewisser Intensität ein in sich abgeschlossener bewaffneter Angriff und ein Recht auf Selbstverteidigung somit nur möglich, solange der bewaffnete Angriff noch andauert. Da terroristische Angriffe wie bereits erwähnt, typischerweise punktuelle, zeitlich sehr begrenzte Gewaltanwendungen sind, entstünde die Situation, dass militärische Reaktion nach Art. 51 UNC nur in einem unrealistisch engen zeitlichen Rahmen erlaubt wäre.587 Damit wären militärische Reaktionen gegen terroristische Angriffe aufgrund deren kurzer Dauer faktisch nicht möglich. Einem Staat verblieben damit lediglich Reaktionsmöglichkeiten ohne Anwendung von Gewalt. Daher soll im Folgenden im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob die accumulation of events-Doktrin bzw. eine Akkumulation von bereits erfolgten, beendeten terroristischen Anschlägen mit der Androhung neuer Anschläge zu einem fortdauernden bewaffneten Angriff mit Art. 51 UNC vereinbar ist. Bei Bejahung der accumulation of events-Doktrin hinsichtlich terroristischer Akte ergäben sich dann auch Konsequenzen für das Erfordernis einer bestimmten Intensität zur Begründung eines bewaffneten Angriffs. Würden mehrere terroristische Handlungen unterhalb der hier präferierten Schwelle der erforderlichen Intensität des bewaffneten Angriffs verbleiben, ließen sie sich – eine Mehrzahl von derselben Quelle herrührenden terroristischen Akte mit geringer Intensität vorausgesetzt – zu einem bewaffneten Angriff mit der erforderlichen Intensität zusammenfassen.
586
Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 109. Eine generelle Anwendbarkeit ist vor dem Hintergrund der nachfolgenden Diskussion ebenfalls gut begründbar, eine neuere Staatenpraxis unabhängig von terroristischen Anschlägen existiert bisher jedoch nicht, so dass abzuwarten bleibt, ob sich dass hier vertretene Ergebnis für terroristische Anschläge auch allgemein durchsetzen kann. 587
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aa) Ergebnis der Untersuchung der Staatenpraxis, Resolutionen und Urteile Bis 2001 hatte sich ein Recht im Sinne der accumulation of events-Doktrin nicht durchsetzen können. Allerdings ließ sich eine Tendenz im Hinblick auf die Annahme der Doktrin auch schon vor 2001 innerhalb der Staatenpraxis ausmachen. Die Stellungnahmen der USA zu dem militärischen Einsatz in Afghanistan als Reaktion auf den 11. September 2001 zeigten, dass die USA weiter daran festhalten. Die nahezu durchgängig die amerikanische Sichtweise unterstützenden Äußerungen der Staaten lassen sich nicht anders deuten, als dass eine zunehmende Akzeptanz der Staaten in Bezug auf diese accumulation of events-Doktrin vorhanden ist, wenngleich, soweit ersichtlich, kein Staat explizit auf die Doktrin Bezug genommen hat.588 Sowohl in den Stellungnahmen der Staaten589 wie auch in der Literatur590 werden die Anschläge vom 11. September 2001 mit den Begriffen „ongoing threat“ oder Wiederholungsgefahr akkumuliert, um so die entsprechende Erklärung zu erreichen, weshalb die militärischen Einsätze trotz eigentlich abgeschlossener Anschläge weiterhin dem Gegenwärtigkeitskriterium unter Zugrundelegung eines neuen Maßstabes genügen.
588
Dieser Interpretation zustimmend auch Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 110. Siehe S. 183 ff. 590 Zumindest in diese Richtung gehend Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 542; Delbrück, GYIL 44 (2001), S. 16; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 165. Krajewski, AVR 40 (2002), S. 201; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 14 scheinen davon auszugehen, dass die accumulation of events-Doktrin ausschließlich einzelne, jeweils unterhalb der Schwelle der ihrer Meinung nach erforderlichen Intensität liegende Gewalttaten als einen, fortdauernden erheblichen Angriff zusammenfassen wolle, nicht jedoch, um weiteren, bevorstehenden Angriffen begegnen zu können. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr ist jedoch auch bei diesen maßgeblich, um dem Gegenwärtigkeitskriterium im Sinne des Art. 51 UNC zu genügen. Andere wiederum halten die Maßnahmen der USA gegen Afghanistan nach Art. 51 UNC für gerechtfertigt, erwähnen jedoch das Kriterium der Gegenwärtigkeit und die accumulation of events-Doktrin gar nicht. Da jedoch keine andere Möglichkeit ersichtlich ist, als eine Wiederholungsgefahr zusammen mit den Ereignissen des 11. Septembers 2001 zu einer noch bestehenden Lage eines bewaffneten Angriffs zu kommen, kann diesen wohl auch die Zustimmung zur Doktrin unterstellt werden. So z. B. Frowein, ZaöRV 42 (2002) S. 886, der zumindest im Rahmen der Verhältnismäßigkeit als Anknüpfungspunkt das Ziel, eine weitere Bedrohung auszuschalten, vorgibt. 589
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bb) Rechtliche Würdigung der Ergebnisse der Praxis mittels der textorientierten Auslegung (1) Wortlaut Nach dem Wortlaut des Art. 51 UNC besteht ein Recht auf Selbstverteidigung nur, „if an armed attack occurs“. Danach ist die Gegenwärtigkeit des Angriffs erforderlich, allerdings werden keine Voraussetzungen aufgestellt, wann ein solcher Angriff gegenwärtig ist. Daher werden die Grenzen des Wortlautes des Art. 51 UNC nicht dadurch überschritten, dass man eine Reihe von einzelnen bewaffneten Angriffen, deren Verursachung aus einer gemeinsamen Quelle entspringt, zu einem gesamten fortgesetzten bewaffneten Angriff zusammenfasst.591 Der Akkumulation mehrerer Anschläge liegt der Gedanke zugrunde, dass anstelle von konventioneller Kriegsführung andere Methoden, nämlich die Taktik der „Nadelstiche“ einen „Quasi-Kriegszustand“592 auslösen, wenn die einzelnen Handlungen als Angriffe einer gesamten Operation zu betrachten sind. Eine solche Zusammenfassung unter Inkorporierung solcher Angriffe, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch geschehen werden (Wiederholungsgefahr) kann jedoch nur dann dem Wortlaut des Art. 51 UNC gerecht werden, wenn diese zeitlich eng aufeinanderfolgen. Einzelne bewaffnete Angriffe, zwischen denen lange zeitliche Intervalle liegen, ließen sich nicht mehr mit dem Wortlauterfordernis „if an armed attack occurs“ vereinbaren. (2) Teleologische Auslegung Bei Ablehnung der Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs in Situationen, in denen ein vom Ausmaß mit denen des 11. Septembers 2001 vergleichbarer terroristischer Angriff bereits abgeschlossen ist und weitere von der gleichen terroristischen Organisation bevorstehen, entstünde eine unhaltbare Regelungslücke: Da auf völkerrechtlicher Ebene keine durch eine Dauergefahr begründete Notstandslage als Rechtfertigung neben Art. 51 UNC existiert und auch die bewaffnete Repressalie nach fast einhelliger Ansicht keine Rechtsgrundlage im Völkerrecht findet, bliebe bei Anwendung des klassischen Gegenwärtigkeitsmaßstabes dem angegriffenen Staat praktisch keine militärische Reaktionsmöglichkeit.593 Den zeitlich sehr begrenzten 591 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 198; Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 84. 592 So Hailbronner, BDGV 26 (1985), S. 84.
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terroristischen Akten könnte nur während der eigentlichen Ausführungsphase begegnet werden. Darüber hinaus bliebe lediglich ein Rückgriff auf das antizipatorische Selbstverteidigungsrecht.594 Dem Staat, der sich einem terroristischen Anschlag und der Androhung weiter ausgesetzt sieht, bliebe somit eine Verteidigung mit entsprechendem Ermessenspielraum hinsichtlich der Art und Weise, wie er diese ausüben will, verwehrt, was dem Sinn und Zweck des Art. 51 UNC deutlich widerspräche.595 Dass mit einem erweiterten Verständnis der Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs auch Bereiche der bewaffneten Repressalie tangiert werden, spricht ebenfalls nicht gegen dieses Verständnis. Zwar haben Selbstverteidigungsmaßnahmen in Reaktion auf bereits abgeschlossene terroristische Angriffe tatsächlich den Charakter einer bewaffneten Repressalie. Nach dem erweiterten Verständnis der Gegenwärtigkeit ist dieser Bereich jedoch mit der Wiederholungsgefahr verbunden. Bezüglich der noch bevorstehenden Angriffe hat die Selbstverteidigungsmaßnahme den ihrem Schutzzweck entsprechenden defensiven Charakter. Würdigt man beide Teilbereiche als eine Gesamtsituation bleibt mindestens eine auch defensive Zielsetzung der Gegenmaßnahme, wodurch sie sich von verbotenen bewaffneten Repressalien unterscheidet.596 Auch lässt sich der Vorwurf, mit einem solchen Verständnis der Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs werde die antizipatorische Selbstverteidigung sanktioniert, entkräften.597 Wie oben dargestellt sind die wesentlichen Argumente gegen ein Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung neben dem Wortlaut – dieses Argument ist hinsichtlich einer Bejahung eines fortbestehenden Angriffs bei bereits begangenen und noch bevorstehenden terroristischen Akten entkräftet – auch die Missbrauchsgefahr. Der bedeutende Unterschied zwischen antizipatorischer Selbstverteidigung und einem Selbstverteidigungsrecht bei bewaffneten Angriffen, deren Gegenwärtigkeit sich aus einem bereits begangenen und einem noch bevorstehenden Angriff ergibt, ist jedoch, dass bei letzterem bereits ein Angriff stattgefunden haben muss, so dass nicht die Gefahr besteht, dass „aus heiterem Himmel“ gegen eine vermeintlich unmittelbare Bedrohung nach Ermessen 593 Travalio, Wisconsin International Law Journal, 18 (2000), S. 165; Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 41; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 75 f., 81. So auch schon vorher Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 201. 594 Siehe unten S. 308 ff. 595 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 542; Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 165; Bruha, AVR 40 (2002), S. 409; So auch schon vor 2001 durchgängig die Befürworter der accumulation of events-Doktrin, siehe oben S. 170. 596 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 201. 597 Siehe dazu bereits Schachter, Michigan Law Review 82 (1984), S. 1638; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 201.
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eines Staates militärische Gewalt ausgeübt wird. Zudem wirkt das Kriterium der erforderlichen zeitlichen Nähe zwischen den bereits geschehenen Angriffen und dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretenden neuen Gewaltakt einer missbräuchlichen militärischen Reaktion entgegen. (3) Ergebnis In Anlehnung an die jüngste, einhellige Staatenpraxis und aufgrund der teleologischen Auslegung ist daher zumindest in Bezug auf terroristische Anschläge ein gegenwärtiger bewaffneter Angriff dann anzunehmen, wenn bereits begangene und noch bevorstehende Anschläge zu einem fortgesetzten Angriff zusammengefasst werden können. Dem stehen auch der Wortlaut und die sich nicht damit auseinandersetztende Entstehungsgeschichte nicht entgegen.598 Voraussetzung für die Erfüllung des Gegenwärtigkeitserfordernisses in seiner „modernen Gestalt“ ist, dass einzelne von der selben Quelle herrührende terroristische Gewaltakte gegen einen Staat gerichtet werden und in naher Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Gewaltakte derselben Herkunft zu erwarten sind. Hinsichtlich der erforderlichen Intensität des bewaffneten Angriffs besteht nach den gefundenen Auslegungsergebnissen auch die Möglichkeit, eine Mehrzahl von derselben Quelle herrührender terroristischer Akte mit geringer Intensität zu einem bewaffneten Angriff mit ausreichender Intensität zusammennehmen. Dies setzt ebenfalls eine enge zeitliche Nähe zwischen den einzelnen terroristischen Akten von der gleichen terroristischen Organisation voraus sowie die eben beschriebenen Erfordernisse zur Begründung einer Wiederholungsgefahr. 2. „Gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ Die Unberechenbarkeit terroristischer Angriffe hinsichtlich ihrer Angriffsziele macht es notwendig, die im Rahmen des Art. 51 UNC zulässigen Objekte bewaffneter Angriffe zu bestimmen. Denn terroristische Angriff werden oftmals nicht nur gegen staatliche Einrichtungen sondern gegen Individuen innerhalb und außerhalb der entsprechenden Staatsgrenzen gerichtet. Beispiele dafür sind etwa die Geiselnahme von Staatsangehörigen auf fremdem Territorium durch Terroristen, die damit ein bestimmtes Verhalten ei598 Für eine genaue Analyse der Entstehungsgeschichte siehe Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, S. 201, der zum gleichen Ergebnis kommt.
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ner Regierung erzwingen wollen oder Flugzeugentführungen. Der Art. 51 UNC bleibt insofern weitgehend unklar, als dort lediglich normiert ist, dass der bewaffnete Angriff gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen erfolgen muss. a) Der Staat als Ziel terroristischer Anschläge Zur Wahrung der territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit eines Staates als Schutzgut des Selbstverteidigungsrechtes müssen jedenfalls seine Streitkräfte innerhalb und auch außerhalb eines Staates, im letzten Fall dann als „Außenposten“ eines Staates, was sich nicht zuletzt aus Art. 3 (d) der Aggressionsdefinition ergibt,599 den Schutz des Gewaltverbots genießen und dem bewaffneten Angriff subsumieren werden. Ebenfalls zulässige Angriffsziele sind einzelne Kriegsschiffe.600 Auch terroristische Akte innerhalb des Territoriums eines Staates gegen Staatsbeamte, staatliche Gebäude oder die Polizei sind geeignet, die staatliche Souveränität zu destabilisieren und mithin als bewaffneter Angriff zu betrachten.601 Ob dies auch im Ausland gilt ist nicht eindeutig. Unterschiedlich bewertet wird bereits, ob diplomatische Vertretungen im Ausland zulässiges Angriffsziel sind.602 Aus der neueren Staatenpraxis ergeben sich keine Anhaltspunkte, die auf eine solche Annahme hindeuten. In der Staatenpraxis bis 2001 lässt sich jedenfalls durch die ausgebliebenen Proteste 1998 im Zusammenhang mit den amerikanischen Militäraktionen gegen Afghanistan und Sudan als Reaktion auf die terroristischen Angriffe auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam603 eine Tendenz zur Annahme diplomatischer Vertretungen als zulässige Angriffsziele ausmachen,604 wenngleich diese nicht ausreicht, um von einer gewohnheits599
So statt vieler Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 24; Kreß, ZaöRV 57 (1997), S. 345; a. A. Meier, Der bewaffnete Angriff, S. 382, der unzutreffend vertritt, dass ein Angriff auf im Ausland stationierte Streitkräfte ein nicht gegen die Gebietshoheit eines Staates gerichteter sei, mithin das zu fordernde grenzüberschreitende Element fehle und somit kein bewaffneter Angriff vorläge. 600 Siehe IGH im Oil Platforms Fall, S. 207 ff. 601 Schachter, IYHR 19 (1989), S. 215; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 852. 602 Dagegen sprechen sich aus: Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 70; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 26 und wohl auch Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 35. Dafür hingegen Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 854; Dinstein, Self-Defense, S. 177; Schachter, IYHR 19 (1989), S. 215. 603 Siehe dazu oben S. 146. 604 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 853.
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rechtlichen Anerkennung eines Selbstverteidigungsrechtes gemäß Art. 51 UNC in solchen Situationen auszugehen.605 b) Individuen als Ziel terroristischer Anschläge Schwieriger hingegen gestaltet sich die Bewertung des zulässigen Angriffsziels, wenn nur Individuen betroffen sind. Zum einen stellt sich dabei die Frage, ob jeder Anschlag gegen Individuen den Staat, auf dessen Territorium die Anschläge erfolgen, zu einem Selbstverteidigungsrecht ermächtigt. Zum anderen stellt sich die Frage, ob Staatsangehörige im Ausland zulässiges Angriffsziel zur Begründung eines bewaffneten Angriffs darstellen. aa) Individuen im Inland Hinsichtlich der ersten Frage ist festzustellen, dass sich alle Staaten wie auch Autoren der Völkerrechtsliteratur nach dem 11. September 2001 einig waren, dass Anschläge von solchem Ausmaß einen bewaffneten Angriff gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen darstellen. Es hätte auch keinen Unterschied gemacht, wenn „nur“ das World Trade Center und nicht das Pentagon, und damit lediglich Individuen und kein staatliches Gebäude betroffen gewesen wäre. Dies deutet darauf hin, dass ein Staat bei Angriffen auf seine Angehörigen auf eigenem Territorium ein Selbstverteidigungsrecht ausüben darf. Die Anschläge wurden mit dem Ziel der Destabilisierung der staatlichen Souveränität der USA vorgenommen und dürften somit vergleichbar mit herkömmlichen kriegerischen Zielen sein. Anderseits erscheint ein solches Selbstverteidigungsrecht ausgeschlossen bei terroristischen Akten, die nur eine sehr kleine Gruppe oder nur einen einzelnen Menschen als Opfer haben, da diese die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit eines Staates nicht ernsthaft in Frage stellen können.606 In solchen Konstellationen ist aber bereits dem Intensitätserfordernis nicht genüge getan, so dass sich die Frage des zulässigen Ziels bereits nicht mehr stellt. Handelt es sich hingegen um terroristische Anschläge von ausreichender Intensität, denen wie in der Terrorismusdefinition oben gezeigt immanent ist, dass sie mit dem Ziel verfolgt werden, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen,607 dann haben diese Anschläge zumindest die Wirkung eines indirek605 606 607
In diese Richtung auch Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 35. Arend/Beck, S. 199. Siehe oben hinsichtlich der Arbeitsdefinition S. 93.
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ten Angriffs gegen den Staat selbst, so dass sie als Anschläge „gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ zu qualifizieren sind.608 bb) Individuen im Ausland In der Staatenpraxis nach 2001 lassen sich keine direkten, neuen Erkenntnisse hinsichtlich der Zulässigkeit eines Selbstverteidigungsrechtes bei terroristischen Angriffen gegen Staatsangehörige im Ausland ausmachen. Insofern haben sich die Meinungen im Schrifttum hinsichtlich des bereits lange vor 2001 vielfach diskutierten Einsatzes militärischer Gewalt zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland609 auch nach 2001 nicht grundlegend geändert. Größtenteils wird dieses Problem in der Bewertung der Staatenpraxis aus mangelndem Anlass ausgelassen. Weiterhin wird unter denjenigen, die sich damit befassen, zum Teil vertreten, dass ein Staat nicht das Recht habe, gegen einen begonnenen und noch andauernden gewaltsamen Anschlag staatlich unterstützter Terroristen gegen seine Staatsangehörigen im Ausland militärisch einzuschreiten, da dann kein bewaffneter Angriff gegen ein Staat vorliege.610 Die Gewaltausübung gegen Staatsangehörige im Ausland stelle im Regelfall keine Gefährdung der Existenz des Heimatstaates als solchem dar, so dass eine Gleichsetzung solcher Situationen mit einem Angriff auf einen Staat selbst nicht möglich sei.611 Dem wird entgegengehalten, dass sich bereits aus der Staatenpraxis vor 2001 ein Recht auf Selbstverteidigung bei terroristischen Anschlägen auf Staatsangehörige im Ausland ergebe, wenn die Bedrohung oder die Anschläge schwer sind und die Intention des die Staatsangehörigen schützen608 In diese Richtung auch Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 854, der die Intention, den Staat als Ziel zu haben, in zwei Fällen gegeben sieht: 1. wenn die Opfer Ziel der Anschläge waren, um Terror gegen oder in einem speziellen Staat zu begründen und 2. wenn die Individuen allein aufgrund ihrer Nationalität Opfer des Anschlages werden. Beide Fälle sind der Definition des Terrorismus immanent. Siehe auch Schachter, IYHR 19 (1989), S. 215. 609 Im Rahmen der Diskussion um ein Recht auf militärische Maßnahmen zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland wird zum Teil auf ein neben Art. 51 UNC bestehender eigener Rechtfertigungsgrund, „die Intervention zum Schutz eigener Staatsangehöriger“, zurückgegriffen. Dieser Ansatz kann jedoch schon aufgrund der im Rahmen der Rechtsquellen gewonnenen Erkenntnisse nicht überzeugen. 610 Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht, S. 70; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 26; Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 540. 611 Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 34 f., der allerdings eine zukünftige Änderung der Staatenpraxis in bezug auf terroristische Anschläge für möglich hält; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 26. Schon vorher Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen, S. 59; Neuhold, Internationale Konflikte, S. 146; Ronzitti, Rescuing Nationals Abroad, S. 11; Lersner, HUV 12 (1999), S. 162.
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den Staates sich auf diesen Schutz beschränke und keine weiteren Interessen damit verfolgt würden.612 Unterstützend wird zum Teil nach den Ereignissen des 11. Septembers 2001 herangezogen, dass bei einem modernen Verständnis von Art. 51 UNC, der auch nicht-staatliche terroristische Anschläge als bewaffneten Angriff, auch in Situationen, in denen ein Staat unfähig oder nicht Willens ist, fremde Staatsangehörige vor terroristischen Anschlägen zu schützen, ein Recht auf militärische Rettung der eigenen Staatsangehörigen bei vorliegen aller weiteren Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes besteht, da gerade Charakteristikum des modernen Terrorismus sei, die Zivilbevölkerung zu bedrohen.613 Zwar ist letzterem zuzustimmen. Dem Charakter terroristischer Anschläge sind Bedrohungen der Zivilbevölkerung immanent.614 Aufgrund der hier vertretenen Ansicht, dass weiterhin ein Erfordernis der Zurechnung terroristischer Anschläge zum Staat besteht und diese nicht schon allein durch Unfähigkeit oder Duldung des Staates begründet wird,615 ist jedoch nur dann ein Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland denkbar, wenn die oben beschriebenen Voraussetzungen, insbesondere die erhöhten Anforderungen an die Zurechnung erfüllt sind. Es fragt sich daher, ob bei Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen dem Charakter terroristischer Anschläge Rechnung zu tragen und ein Recht auf militärische Maßnahmen zum Schutz eigener Staatsangehöriger zuzulassen ist. In der Praxis gab es eine Vielzahl von Beispielen für Interventionen zum Schutz eigener Staatsangehöriger616, so etwa die Rettung belgischer Staatsangehöriger aus dem Kongo 1960, der militärische Einsatz der USA in der Dominikanischen Republik 1965 und der wohl prominenteste Fall Entebbe 1976 sowie die Rettungen eigener Staatsangehöriger in Grenada 1983 und Panama 1989. Während diese Beispiele bis 1990 zum Teil erheblichen Widerspruch in der Staatengemeinschaft auslösten,617 gab es in den Fällen Li612
Franck, Recourse to Force, S. 96. Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 856 f. In diese Richtung bereits vorher statt vieler Schröder, JZ 1977, S. 424. 614 Siehe oben zur Terrorismusdefinition S. 94. 615 Siehe oben zu den einzelnen Zurechnungskonstellationen S. 251 ff. 616 Zu einer umfassenden Ausarbeitung der älteren Staatenpraxis mit diesen und weiteren Beispielen siehe Ader, Gewaltsame Rettungsaktionen, S. 97 ff.; Alexandrov, Self-Defense, S. 190 ff.; Franck, Recourse to Force, S. 78; Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen, S. 413 ff. 617 Im Rahmen des belgischen Einsatzes im Kongo äußerten Großbritannien, Italien, Frankreich und Argentinien ihre Zustimmung, während insbesondere die ehemalige Sowjetunion und Tunesien der Auffassung waren, dass es sich dabei um einen völkerrechtswidrigen Aggressionsakt handelte, UN Doc. S/PV.873, paras. 79 f., 103, 104 f. Ähnlich zweigeteilt waren auch die Stellungnahmen zu den Handlungen 613
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
berias 1990 und Albaniens 1997618 kaum Kritik.619 Eine gefestigte gewohnheitsrechtliche Entwicklung zur Annahme eines Rechts auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UNC zum Schutz eigener Staatsangehöriger lässt sich daraus jedoch noch nicht erkennen.620
der USA in der Dominikanischen Republik. China stimmte der amerikanischen Rechtfertigung des Schutzes eigener Staatsangehöriger zu, Kuba hingegen bestritt ausdrücklich das Bestehen eines solchen Rechtfertigungsgrundes, UN Doc. S/PV.1202, para. 19; UN Doc. S/PV.1196, paras. 100, 126. Weitere Staaten wie etwa die ehemalige UdSSR, das damalige Jugoslawien und Polen hielten den Einsatz ebenfalls für rechtswidrig, UN Doc. S/PV.1196, paras. 11 ff.; UN Doc. S/6330, S. 2; UN Doc. S/6339. Im Rahmen des israelischen Einsatzes stellte die USA ausdrücklich klar, dass ein anerkanntes Recht bestünde, in Situationen, in denen eine große Bedrohung für das Leben von eigenen Staatsangehörigen auf fremdem Territorium vorläge und der Staat, dessen Territorium betroffen sei, handlungsunfähig oder -unwillig ist, militärische Aktionen zum Schutz dieser Staatsangehörigen zu unternehmen. Sie beriefen sich dabei jedoch nicht auf Art. 51 UNC, UN Doc. S/PV.1941, para. 77. Eine Vielzahl von afrikanischen und Ostblockstaaten sahen in dem Einsatz hingegen einen schwerwiegenden Verstoß gegen das internationale Recht und gegen die Charta. Die ehemalige UdSSR und Panama erwähnten ausdrücklich, dass sie zwar ein Recht und eine Pflicht auf den Schutz der eigenen Staatsangehörigkeit anerkennen, deren Mittel aber nur mit friedlichen Mitteln geschehen dürfe. UN Doc. S/PV.1941, para. 154; UN Doc. S/PV.1942, para. 30. In Grenada wurde bereits bestritten, dass eine Gefahr für die Staatsangehörigen überhaupt vorgelegen habe, z. B. von Nicaragua, UN Doc. S/PV.2487, para. 32. Ein dahingehender Rechtfertigungsgrund wurde von der Arabischen Liga angezweifelt, UN Doc. S/PV.2491, para. 300. Im Rahmen des Panama-Konfliktes wurde vor allem kritisiert, dass es der USA nicht um den Schutz eigener Staatsangehöriger sondern um die Verhaftung des Präsidenten Noriega gegangen sei, GA Res. 240/44 vom 29.12.1989, UN Doc. A/44/21, S. 52. 618 Ruanda 1994 kann nicht als Nachweis für Staatenpraxis dienen, da bezüglich des Einsatzes eine Einwilligung aller Konfliktparteien vorlag, siehe dazu Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 34. 619 Während der von amerikanischem Militär durchgeführten Evakuierung in Liberia wurden vorwiegend Flüchtlingsprobleme diskutiert, es gab jedoch keine Stimmen von Staaten, die das Verhalten der USA als völkerrechtswidrig bezeichneten, lediglich Kuba kritisierte das Vorgehen des USA, ohne Erlaubnis des Sicherheitsrates auf das Territorium von Liberia vorgedrungen zu sein: siehe hierzu die Ausführungen von Lillich, GYIL 35 (1992), S. 211 f. Kurz vor dem Einsatz der Bundeswehr in Tirana beschäftigte sich auch die Bundesregierung Deutschlands auf Anfrage der Bündnis 90/Grünen mit der Zulässigkeit von Evakuierungen eigener Staatsangehöriger aus dem Ausland. Die Bundesregierung stellte fest, dass dies die schwierige Frage des Gewaltverbotes betreffe und daher in jedem konkreten Einzellfall geprüft werden müsse, ob ein solcher Einsatz mit dem Völkerrecht im Einklang stehe. Eine generelle Annahme einer Rechtfertigung militärischer Einsätze zum Schutz eigener Staatsangehöriger erfolgte nicht, BT-Drs. 13/6924 vom 7.02.1997, S. 7. 620 Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 34; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 26; Epping, AöR 124 (1999), S. 463; Bothe, in: Vitzthum, S. 596.
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Für die Annahme eines Rechts auf Selbstverteidigung zum Schutz eigener Staatsangehöriger im Rahmen des Art. 51 UNC621 spricht, dass bei terroristischen Anschlägen von großem Ausmaß gegen fremde Staatsangehörige im Ausland zwar im Regelfall keine Gefährdung der Existenz des Heimatstaates gegeben ist,622 dennoch durch solche Anschläge oft versucht wird, die Regierung des Heimatstaates zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Damit ist nicht nur das Staatsvolk als eines der drei konstitutiven Elemente des Staates betroffen, sondern ebenfalls die Staatsgewalt. Eine Vergleichbarkeit mit herkömmlichen bewaffneten Angriffen „gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen“ ließe sich dann begründen. Auch der Wortlaut stünde dieser Ansicht nicht entgegen. De lege ferenda ist ein solches Recht mithin begrüßenswert, die Staatenpraxis bis 2001 ergibt jedoch kein so einheitliches Bild dahingehend, dass sich bereits ein solches Recht etabliert hat. III. Rechtsfolge des Selbstverteidigungsrechtes 1. Wahrung des Unmittelbarkeitszusammenhangs Der Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Angriffshandlung und korrespondierender Gegenwehr muss in Abgrenzung zum Präventivschlag623 gewahrt bleiben. Eine gewisse Zeit ist dabei gerade bei bewaffneten Angriffen nicht-staatlicher Organisationen, die einem Staat zuzurechnen sind, einzuräumen, da herausgefunden werden muss, von wem der Angriff ausgegangen ist und wie am effektivsten darauf reagiert werden kann, also zur Erfassung von Geheimdienstinformationen, Vorbereitung für die militärischen Gegenmaßnahmen, Koalitionsbildung und zur Ausschöpfung aller friedlichen Lösungsmöglichkeiten.624 Eine konkrete zeitliche Angabe, wann der Unmittelbarkeitszusammenhang noch erfüllt ist, ist jedoch nicht sinnvoll, da die jeweiligen Vorbereitungshandlungen abhängig von der jeweiligen Situation deutlich variieren können. Eindeutig ist insofern nur, dass ein Zeitraum von mehreren Jahren nicht mehr dem Erfordernis der Unmittelbar621
In der Staatenpraxis wurde zum Teil ein solches Recht nicht direkt auf Art. 51 UNC gestützt sondern auf Gewohnheitsrecht. Der Ansatz überzeugt jedoch aus den oben genannten Gründen im Rahmen der Rechtsquellen nicht. In Betracht wird hier daher nur eine gewohnheitsrechtliche Weiterentwicklung des Art. 51 UNC gezogen. 622 Mit der Begründung der fehlenden Existenzbedrohung und der dadurch gegebenen Nichtvergleichbarkeit mit herkömmlichen bewaffneten Angriffen ein solches Recht ablehnend Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 34 f.; Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 26; Lersner, HUV 1999, S. 162; Neuhold, Internationale Konflikte, S. 146. 623 Kotzur, AVR 40 (2002), S. 474. 624 Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 40; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 201.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
keit gerecht würde, da dann die Angriffe vollständig abgeschlossen sein dürften und eine Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes lediglich Strafcharakter hätte.625 2. Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit Durch die erweiterte Auslegung der einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes im Lichte der neuen Staatenpraxis gewinnt die Verhältnismäßigkeitsprüfung an Bedeutung zur Vermeidung missbräuchlicher militärischer Maßnahmen unter ihrem Deckmantel. Zur Verhinderung unzulässiger Militäreinsätze mit Straf- oder Vergeltungscharakter muss eine Selbstverteidigungsmaßnahme zunächst erforderlich sein, um dem Angriff zu begegnen, und in einem angemessenen Verhältnis zur Bedrohungssituation stehen.626 Da wie oben mehrfach betont Charakteristikum terroristischer Anschläge deren mehrfaches punktuelles Auftreten ist und die Gegenwärtigkeit auch bei Vorliegen eines solchen Anschlages in Verbindung mit einer Wiederholungsgefahr begründet wird, kann daher grundsätzlich auch eine gegen die Wiederholung von Anschlägen gerichtete Selbstverteidigungsmaßnahme verhältnismäßig sein. Hingegen wären militärische Gegenmaßnahmen allein gegen bereits geschehene Angriffe nicht zulässig, da sie neben der Missachtung des Gegenwärtigkeitskriteriums lediglich punitiven Charakter besäßen und folglich unverhältnismäßig wären. Denn Selbstverteidigungsmaßnahmen sind nur verhältnismäßig, wenn sie allein die Abwehr des Angriffs verfolgen und zu diesem Zweck das mildeste Mittel aller militärischen Reaktionsmöglichkeiten nutzen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bezieht sich dabei sowohl auf die militärische Operation insgesamt als auch auf jede einzelne militärische Maßnahme im Rahmen der Operation.627 Die militärischen Reaktionen der USA und ihrer Verbündeten auf die Anschläge vom 11. September 2001 haben gezeigt, dass die Verhältnismäßigkeit sehr unterschiedlich bewertet wird. Während gerade in der amerikanischen Literatur der militärische Einsatz in Afghanistan oftmals als verhältnismäßig eingestuft wurde628, haben sich die Stimmen in der Wissenschaft gehäuft, die an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes zweifeln und die militärischen Reaktionen der USA zum Teil als Verteidigungsexzess werten.629 625 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 201, siehe ebenfalls oben zur Unzulässigkeit von militärischen Handlungen mit reinem Strafcharakter S. 269 ff. So auch Dinstein, Self-Defense, S. 195; Alexandrov, Self-Defense, S. 166. 626 Schrijver, NILR 48 (2001), S. 290; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 15. 627 Gardam, AJIL 87 (1993), S. 404; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 208. 628 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 80.
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Zwar wird von einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Autoren im Fall terroristischer Aktivitäten ein Vorgehen gegen die Organisationsstrukturen einer terroristischen Organisation als zulässig angesehen. Dies wird entweder auf eine partielle Völkerrechtssubjektivität der terroristischen Organisation oder aber auf eine herabgesetzte Zurechnungsschwelle gestützt. Dennoch werden die Zielsetzung der USA und ihrer Verbündeten, das Regime der Taliban zu stürzen, als nur noch schwerlich mit Art. 51 UNC zu vereinbaren qualifiziert.630 Während nämlich ursprünglich die Vernichtung des Netzwerks von al Qaida das offizielle Ziel der Kampfeinsätze der USA war, wandelte sich dieses wenige Tage nach deren Beginn zu der Beseitigung des Taliban-Regimes in Afghanistan. Im Vordergrund standen damit nicht mehr die Anschläge vom 11. September 2001, sondern die Gefahr, die ein solches Regime für die friedliche Weltordnung darstellte.631 Dass jedoch zumindest als Urheber der Anschläge lediglich die al Qaida Organisation in Betracht kommt, wird selbst von den USA nicht bestritten.632 Die diesbezügliche Kritik des Einsatzes ist begrüßenswert und berechtigt. Setzt man einmal voraus, dass eine Zurechnung der Anschläge vom 11. September 2001 zum Taliban-Regime nach der oben dargestellten passiven Unterstützungskonstellation möglich ist, dann ist zwar ein Vorgehen gegen den Staat vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt, jedoch nur insoweit, als damit neue Anschläge verhindert werden. Zu diesem Zweck ist zunächst gegen die Einrichtungen der terroristischen Organisation vorzugehen. Sind diese so bekämpft, dass terroristische Anschläge nicht mehr von ihnen ausgehen können, stellt sich als nächstes die Frage, ob überhaupt noch gegen das Regime vorgegangen werden muss, da bereits eine wirksame Verhinderung neuer Anschläge durch die Bekämpfung der Verursacher erfolgte. Allenfalls ließe sich überlegen, ob gegen die Taliban Selbstverteidigungsmaßnahmen verhältnismäßig wären, um weitere Unterstützungshandlungen zu vermeiden. Allerdings ist sehr fraglich, ob die Absetzung eines Regimes das mildeste Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist. Zwar ist das Regime zweifellos kritikwürdig, allerdings berechtigt diese weit verbreitete Meinung über die Taliban kein Recht zur Selbstverteidigung. Lediglich Selbstverteidigungsmaßnahmen zur Verhinderung weiterer Unterstützungshandlungen, von denen eine Gefahr weiterer Anschläge ausgeht, wären verhältnismäßig. 629 Seidel, AVR 41 (2003), S. 471; Krajeweski, AVR 40 (2002), S. 207; Bruha/ Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 167. In diese Richtung offenbar auch Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 543. 630 Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 167; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, 15; Delbrück, GYIL 44 (2001), S. 17; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 209. 631 Tomuschat, EuGRZ 2002, 542. 632 Vergleiche Abs. 2 und 3 der offiziellen Stellungnahme der USA im Sicherheitsrat, UN Doc. S/2001/946.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
Da sich die Unterstützungshandlungen der Taliban gemäß den Darstellungen der amerikanischen und britischen Regierung auf die Bereitstellung des Territoriums und das Gewähren von Vergünstigungen jeglicher Art beschränken, also keine eigenständige Planung zu neuen terroristischen Akten von Seiten des Regimes ausgeht, ist eine Wiederholungsgefahr solcher Anschläge mit der Bekämpfung der terroristischen Organisation beseitigt. Daher ist das von den USA verfolgte Ziel der Beseitigung des Taliban-Regimes und die Schaffung einer neuen afghanischen Regierung als nicht mehr verhältnismäßige Selbstverteidigungsmaßnahme zu bewerten. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass auch der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1378 (2001) vom 14. November 2001 lediglich seine Unterstützung für „the efforts of the Afghan people to replace the Taliban regime“ erklärt hat.633 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es weiterhin bei den Anforderungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bleibt, dass nur die Selbstverteidigungshandlungen zulässig sind, die den terroristischen Angriff abwehren und weitere Fortsetzungen im Sinne der Kriterien der Wiederholungsgefahr verhindern.634 Dabei kann die militärische Gewalt, die für eine solche Abwehr notwendig ist, auch die Intensität der Angriffe überschreiten.635 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sind Umfang und Auswirkung des Angriffs ins Verhältnis zu setzen mit Umfang und Auswirkung der Verteidigungshandlung.636 Nicht zulässig sind hingegen über die Abwehr bereits geschehener und bevorstehender Angriffe hinausgehende Zielsetzungen und Handlungen. Zudem sind die Grundsätze des internationalen humanitären Völkerrechts in die Erwägungen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit einzubeziehen.637 Insbesondere die Frage, ob bestimmte Waffen eingesetzt werden dürfen, wie eine militärische Aktion im Einzelnen ablaufen darf sowie das Ausmaß des mittelbar verursachten menschlichen Leids (Versorgungslage der Zivilbevölkerung, Flüchtlingsströme etc.), muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden.638
633
Delbrück, GYIL 44 (2001), S. 17; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 15. Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 109. 635 Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 74. 636 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 208. 637 Cassese, EJIL 12 (2001), S. 999; Dinstein, Self-Defense, S. 140 ff.; Gardham, AJIL 87 (1993), S. 405 ff.; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 209. 638 Bruha/Bortfeld, Vereinte Nationen 2001, S. 167; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 209. Von beiden werden diese Aspekte hinsichtlich der militärischen Reaktionen der USA und ihrer Verbündeten auf den 11. September 2001 zu Recht kritisiert. 634
3. Kap.: Selbstverteidigungsrecht nach dem 11. September 2001
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IV. Ergebnis Die neue Bewertung der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes hat gezeigt, dass in Bezug auf terroristische Anschläge die Voraussetzungen durch die Staatenpraxis der letzten Jahre zum Teil erweitert worden sind, jedoch keine vollkommene Veränderung erfahren haben. Als Rechtsquelle einer Rechtfertigung unilateraler, militärischer Einsätze gegen internationalen Terrorismus kommt in Übereinstimmung mit der zu Beginn vorgenommenen textorientierten Auslegung weiterhin nur Art. 51 UNC in Betracht. Hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 51 UNC bedarf es weiterhin eines staatlichen bewaffneten Angriffs. Insbesondere eine partielle Völkerrechtssubjektivität terroristischer Gruppierungen ist aufgrund des Rechtscharakters des Selbstverteidigungsrechtes als Notwehrrecht abzulehnen. Zurechenbar ist einem Staat ein terroristischer Anschlag dann, wenn der Staat die Terroristen selbst entsandt hat oder er die Terroristen aktiv oder passiv unterstützt hat und ihm dabei die Möglichkeit geblieben ist, die Angriffe durch Beendigung der Unterstützung zu verhindern. Im Vergleich mit der alten Rechtslage ist somit die Konstellation der passiven Unterstützung hinzugekommen, ein gewisses Maß an erforderlicher Kontrolle der terroristischen Anschläge durch den unterstützenden Staat jedoch weiterhin geblieben. Eine darüber hinausgehende Erweiterung der Zurechenbarkeit terroristischer Anschläge ist jedoch nach wie vor ausgeschlossen. Neu ist zudem das Verständnis der Gegenwärtigkeit. Die Gegenwärtigkeit eines bewaffneten Angriffs ist in Bezug auf terroristische Anschläge im Unterschied zur alten Rechtslage auch dann anzunehmen, wenn bereits begangene und noch bevorstehende Anschläge von der selben Quelle herrühren, sich gegen denselben Staat richten und die noch bevorstehenden Anschläge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Dann können diese Anschläge unter dem Aspekt der Wiederholungsgefahr zu einem fortgesetzen bewaffneten Angriff zusammengefasst werden, so dass die erforderliche Gegenwärtigkeit erfüllt wird. Diese Zusammenfassung verschiedener terroristischer Anschläge zu einem zusammengesetzten Angriff hat auch insofern Auswirkungen auf die nach alter wie nach neuer Bewertung erforderliche Intensität, als dann mehrere Anschläge zusammen betrachtet das Intensitätserfordernis erfüllen, obwohl jeder einzelne Anschlag für sich betrachtet dies nicht erfüllen würde. Ob ein Anschlag letztlich die erforderliche Intensität aufweist, ist anhand eines Vergleiches mit den Auswirkungen eines herkömmlichen bewaffneten Angriffs im Einzelfall zu ermitteln.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
An den übrigen Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes hat sich nichts geändert, wenngleich durch die eben verdeutlichte Erweiterung die Verhältnismäßigkeitsprüfung an Bedeutung gewinnt, um rechtsmissbräuchliche militärische Einsätze zu verhindern.
4. Kapitel
Das antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Anschläge Neben den durch die Ereignisse nach dem 11. September 2001 herausgearbeiteten Änderungen der Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechtes gemäß Art. 51 UNC ist im Zusammenhang mit internationalem Terrorismus jüngst wieder zunehmend diskutiert worden, ob ein Recht auf präventive Selbstverteidigung gegen Staaten oder sich darin aufhaltende terroristische Organisationen besteht. Dabei ist zwischen antizipatorischer und präemptiver Selbstverteidigung zu differenzieren. Eine solche begriffliche Unterscheidung dieser beiden Formen präventiver Selbstverteidigung gab es in Literatur und Praxis bis 2001 nur vereinzelt. Im Kontext der neueren Entwicklungen ist sie jedoch unverzichtbar. Antizipatorische Selbstverteidigung ist angelehnt an den Caroline-Fall und meint eine militärische Verteidigung gegen einen unmittelbar bevorstehenden Angriff, „which leaves no choice of means and no moment of deliberation“. Verglichen damit ist präemptive Selbstverteidigung weitergehender und hat vor allem ein anderes Ziel. Präemptive Selbstverteidigung meint eine beginnende Entwicklung abzuwehren, die zwar bisher noch nicht abgeschlossen ist, aber nach Einschätzung des potentiellen Opferstaates bei ihrer Vollendung in einer objektiven Bedrohung oder Anwendung von Gewalt münden wird, die Selbstverteidigungsmaßnahmen rechtfertigen würde.639 Auf der Grundlage dieser begrifflichen Differenzierung sollen im Folgenden die die Debatte auslösenden aktuellen Ereignisse, die nationale Sicherheitsstrategie der USA und die Geschehnisse im Irak im Jahre 2003, kurz dargestellt werden. Abschließend soll dann eine Bewertung erfolgen, ob ein Recht auf antizipatorische und/oder präemptive Selbstverteidigung gegen 639
Reisman, AJIL 97 (2003), S. 87; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 31.
4. Kap.: Das antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsrecht
285
terroristische Anschläge besteht und welchen Voraussetzungen es gegebenenfalls unterliegt.
A. Die National Security Strategy der USA von 2002 Auslöser für das neue Aufflammen der Debatte über ein Recht auf antizipatorische und präemptive Selbstverteidigung war unter anderem die National Security Strategy, welche im September 2002 von den USA präsentiert wurde.640 Sie bildete im Vorfeld des Irakkonflikts die Grundlage für die Überlegungen, ob militärische Maßnahmen der USA gegen terroristische Einrichtungen nicht durch dieses Recht gedeckt sein könnten. Die Nationale Sicherheitsstrategie legt Richtlinien für die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik für die Zukunft fest. Wesentlicher Inhalt des Papiers ist die Frage präventiver Gewaltanwendung gegen sogenannte „Schurken-Staaten“ und die Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Dort wird zunächst dem Anschein nach an die Webster-Formel angeknüpft. Nach dieser Formel ist, wie bereits oben dargestellt,641 ein Recht auf Selbstverteidigung auch dann gegeben, wenn eine Situation vor einem bewaffneten Angriff vorliegt, in der „a necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means and no moment for deliberation“ besteht. „For centuries, international law recognized that nations need not suffer an attack before they can lawfully take action to defend themselves against forces that present an imminent danger of attack. Legal scholars and international jurists often conditioned the legitimacy of pre-emption on the existence of an imminent threat – most often a visible mobilization of armies, navies, and air forces preparing to attack.“642
Anschließend erfolgt jedoch eine Kritik der Webster-Formel643: „We must adapt the concept of imminent threat to capabilities and objectives of today’s adversaries. Rogue states and terrorists do not seek to attack us using conventional means. They know such attacks would fail. Instead, they rely on acts of terror and, potentially, the use of weapons of mass destruction – weapons that can be easily concealed, delivered covertly, and used without warning [. . .]. The United States has long maintained the potion of preemptive actions to counter a sufficient threat to our national security. The greater the threat, the greater is the risk of inaction – and the more compelling the case for taking anticipatory action 640 National Security Strategy, abrufbar unter: www.whitehouse.gov/nsc/nss.pdf. (Stand: 15. September 2005). 641 Siehe oben S. 172. 642 National Security Strategy, S. 15, abrufbar unter: www.whitehouse.gov/nsc/ nss.pdf. (Stand: 15. September 2005). 643 So auch Bothe, AVR 41 (2003), S. 261; Reisman, AJIL 97 (2003), S. 82 ff.
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
to defend ourselves, even if uncertainty remains as to the time and place of the enemy’s attack. To forestall or prevent such hostile acts by our adversaries, the United States will, if necessary, act preemptively.“
Das Strategiepapier, dem an sich jedenfalls völkerrechtlich betrachtet zunächst kein rechtlicher Wert zukommt, welchem jedoch neben einer politischen Erklärung auch eine Rechtsüberzeugung entnommen werden kann, verleiht der amerikanischen Ansicht Ausdruck, dass in Zukunft nicht nur antizipatorische, sondern auch präemptive Selbstverteidigung möglich sein muss, insbesondere gegenüber Terroristen und „Schurkenstaaten“.
B. Der militärische Einsatz im Irak 2003 Auf der Grundlage der nationalen Sicherheitsstrategie war es in erster Linie der militärische Einsatz der USA und ihrer Verbündeten im Irak, der Anlass zur Diskussion über antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsmaßnahmen bot. I. Sachverhalt Kurz nach der Beendigung des Militäreinsatzes in Afghanistan als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 konzentrierte sich die Außenpolitik der Vereinigten Staaten auf die von Präsident Bush so genannte „Achse des Bösen“, zu der auch der Irak gezählt wurde.644 Ergebnis dessen war der Beginn eines militärischen Vorgehens der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gegen den Irak am 20. März 2003. Um eine rechtliche Einordnung vornehmen zu können, d.h. im Sinne der Arbeit die Möglichkeit von Rechtfertigungsgründen für den militärischen Einsatz untersuchen zu können, bedarf es zunächst eines kurzen Rückblicks beginnend mit dem Überfall des Irak auf Kuwait am 2. Oktober 1990. In verschiedenen Resolutionen forderte der Sicherheitsrat den Irak auf, sich bedingungslos aus Kuwait zurückzuziehen und den status quo ante wiederherzustellen.645 Zudem verhängte er Wirtschaftssanktionen,646 erklärte die vom Irak prokla644
Siehe dazu nur: The President’s State of the Union Address vom 29. Januar 2002, abrufbar unter: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/01/2002012911.html (Stand: 15. September 2005). Zur „Achse des Bösen“ gehören neben dem Irak auch Nordkorea und Iran. 645 SC Res. 660 vom 2. August 1990; SC Res. 661 vom 6. August 1990; SC Res. 662 vom 9. August 1990; SC Res. 664 vom 18. August 1990, SC Res. 665 vom 25. August 1990; SC Res. 666 vom 13. September 1990; SC Res. 667 vom 16. September 1990; SC Res. 669 vom 24. September 1990; SC Res. 670 vom 25. September 1990; SC Res. 674 vom 29. Oktober 1990; SC Res. 677 vom 28. November 1990; SC Res. 678 vom 29. November 1990; SC Res. 686 vom 2. März. 1991.
4. Kap.: Das antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsrecht
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mierte Annexion Kuwaits als 16. Provinz für nichtig647 und ermächtigte die Mitgliedstaaten, das Wirtschaftsembargo durch den Umständen angemessene Maßnahmen ihrer Seestreitkräfte sicherzustellen.648 Die nach Resolution 660 erlassenen Sanktionsmaßnahmen des Sicherheitsrates blieben jedoch hinsichtlich ihres Zieles wirkungslos. Daraufhin kam es nach erfolglosem Ablauf des Ultimatums am 17. Januar 1991 zur Operation „Desert Storm“, die am 28. Februar 1991 mit der Befreiung Kuwaits und einem vollständigen Rückzug der irakischen Truppen aus kuwaitischen Gebieten endete. In Resolution 678 vom 29. November 1990 autorisierte der Sicherheitsrat die Verbündeten Kuwaits, diesem Hilfe zu leisten, die Besetzung Kuwaits durch den Irak mit militärischen Mitteln zu beenden und die vorausgegangenen Sicherheitsratsresolutionen durchzusetzen.649 Rechtfertigung für den militärischen Einsatz war somit eine Ermächtigung nach Kapitel VII.650 Am 3. April 1991 wurden dann in Resolution 687 die Bedingungen für einen Waffenstillstand festgelegt. Zu diesen Bedingungen gehörte, dass sich der Irak verpflichtete, atomare, biologische und chemische Waffen unter internationaler Aufsicht abzurüsten und einer fortdauernden Kontrolle seiner Rüstungsaktivitäten zu unterziehen. Diesen Verpflichtungen kam der Irak jedoch in den Folgejahren nicht nach, was zum Erlass weiterer Sicherheitsratsresolutionen führte, die den Pflichtverstoß feststellen und diesen als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit qualifizierten.651 Ein solcher Verstoß war auch Inhalt der letzten vor den militärischen Maßnahmen erlassenen Resolution 1441 vom 8. November 2002.652 Eine eindeutige ausdrückliche Ermächtigung zum Einsatz militärischer Mittel gegen den Irak hat es nach der 12 Jahre zurückliegenden Resolution 678 nicht 646
SC Res. 661 vom 6. August 1990. SC Res. 662 vom 9. August 1990. 648 SC Res. 664 vom 18. August 1990. 649 SC Res. 678 vom 29. November 1990. 650 In der Literatur wurde dies nach herrschender Meinung ebenfalls so gesehen, siehe dazu Nachweise bei Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 646, Fn. 14. Manche sahen hingegen die Operation „Desert Storm“ durch ein Recht auf kollektive Selbstverteidigung aus Art. 51 UNC gerechtfertigt. Die Resolution 678 hätte nicht die Funktion einer eigenständigen Rechtfertigung basierend auf Kapitel VII sondern hätte lediglich vorweg klarstellen wollen, dass ein Recht auf kollektive Selbstverteidigung bestünde, somit eine dahingehende zukünftige militärische Maßnahme vom Sicherheitsrat gebilligt würde. 651 Vergleiche SC Res. 707 SC vom 15.08.1991; SC Res. 986 vom 14. April 1995; SC Res. 1060 vom 12.06.1996; SC Res. 1134 vom 23.10.1997; SC Res. vom 05.11.1998; SC Res. 1284 vom 17. Dezember 1999; siehe auch Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 653. 652 SC Res. 1441 vom 8. November 2002. 647
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mehr gegeben. Dennoch begannen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten am 20. März 2003 mit einem Militäreinsatz gegen den Irak. Es gab verschiedene Ansätze seitens des amerikanischen Präsidenten Bush, den Militäreinsatz zu rechtfertigen.653 Zum einen stellt er auf die Autorisierung durch den Sicherheitsrat mit der Resolution 678 ab, nachdem der Irak es zwölf Jahre versäumt habe,654 den Abrüstungsverpflichtungen nachzukommen: „In the case of Iraq, the Security Council did act, in the early 1990s. Under Resolutions 678 and 687 – both still in effect – the United States and our allies are authorized to use force in ridding Iraq of weapons of mass destruction. This is not a question of authority, it is a question of will.“
Als Bestätigung dieser Ermächtigungsgrundlage wird Resolution 1441 angeführt, ohne sie als eigenständigen Rechtfertigungsgrund zu nennen.655 Zweiter Ansatz zur Rechtfertigung des militärischen Vorgehens gegen den Irak ist die vom Irak ausgehende Bedrohung, dass der Irak selbst Massenvernichtungswaffen einsetzen oder mit der Hilfe des Iraks terroristische Gruppierungen davon Gebrauch machen könnten.656 653 Die nachfolgenden Ansätze für eine Rechtfertigung finden sich z. B. auch in einer Stellungnahme von Powell im Sicherheitsrat, in der er versucht, für die jeweiligen Ansätze Beweise zu präsentieren: UN Doc. S/PV.4701, S. 2–17. 654 Der bis zum militärischen Einsatz begangene Weg wird ebenfalls in der Rede des Präsidenten vom 17. März 2003, in der er Saddam Hussein ein Ultimatum setzte, den Irak binnen 48 Stunden zu verlassen, abrufbar unter: http://www.white house.gov/news/releases/2003/03/20030317-7.html (Stand: 15. September 2005, im Folgenden: Ultimatumsrede) ausgeschmückt: „Since then, the world has engaged in 12 years of diplomacy. We have passed more than a dozen resolutions in the United Nations Security Council. We have sent hundreds of weapons inspectors to oversee the disarmament of Iraq. Our good faith has not been returned.“ Ähnlich auch in der State of Union-Rede, S. 6. 655 In der Ultimatumsrede heißt es: „On November 8th, the Security Council unanimously passed Resolution 1441, finding Iraq in material breach of its obligations and vowing serious consequences if Iraq did not fully and immediately disarm.“ 656 Siehe dazu z. B. die Ultimatumsrede: „And it [the regime] has aided, trained and harbored terrorists, including operatives of al Qaeda. The danger is clear: using chemical, biological or, one day nuclear weapons, obtained with the help of Iraq, the terrorists could fulfil their stated ambitions and kill thousands or hundreds of thousands of innocent people in our country, or any other.“ Ähnlich auch der Präsident schon am 28. Januar 2003 in seiner State of Union-Rede, abrufbar unter: http://www.whitehouse.gov/news/releases/2003/01/20030128-19.html (Stand: 15. September 2005) (im Folgenden: State of Union-Rede) wo er ausführte: „Today, the gravest danger in the war on terror, the gravest danger facing America and the world, is outlaw regimes that seek and possess nuclear, chemical, and biological weapons. These regimes could use such weapons for blackmail, terror, and mass murder. They could also give or sell those weapons to terrorist allies, who would use them without the least hesitation. [. . .] Some have said we must not act until the
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Zu diesem Vorwurf ist rückblickend festzustellen, dass Irak Chemiewaffen besaß, die im Krieg gegen Iran auch eingesetzt wurden. Des Weiteren richtete der Staat in den Jahren 1987 und 1988 unter Führung Saddam Husseins im internen Konflikt Giftgaseinsätze gegen die kurdische Opposition. Von den drei entscheidenden Konventionen zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen hat Irak nur zwei ratifiziert.657 Der Irak ist seit 1964 Vertragspartei des Atomwaffensperrvertrages658 und seit 1991 Mitglied der Biowaffenkonvention.659 Hingegen hat der Staat die Chemiewaffenkonvention von 1993 nicht einmal unterzeichnet.660 Großbritannien legte 2002 einen Bericht vor, der Beweise enthalten sollte über Massenvernichtungswaffen und die Bedrohungen, die von Saddam Hussein ausgehen.661 Im Zeitraum zwischen dem 27. November 2002 und dem 18. März 2003 wurden dann unter der Leitung von UNMOVIC-Exekutivdirektor Blix und IAEO-Generaldirektor ElBaradai Inspektionen im Irak durchgeführt, die jedoch nicht zu einem Fund von Massenvernichtungswaffen führten.662 threat is imminent. Since when have terrorists and tyrants announced their intentions, politely putting us on notice before they strike? If this threat is permitted to fully and suddenly emerge, all actions, all words, and all recriminations would come too late. Trusting in the sanity and restraint of Saddam Hussein is not a strategy, and it is not an option.“ 657 Eine Legaldefinition des Begriffs Massenvernichtungswaffen existiert in den bisherigen Vertragswerken nicht. Unter Massenvernichtungswaffen werden im Folgenden nach allgemeinem Sprachgebrauch solche Waffen verstanden, die in großem Ausmaß und flächendeckend (Personen-) Schäden verursachen, ohne zwischen Kombattanten und Zivilisten zu unterscheiden. Zu der Definition und einer Bewertung der einzelnen Konventionen Peters, in: Sutter-Somm/Hafner/Schmid/Seelmann, Risiko und Recht, S. 314 ff. 658 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968; in Kraft getreten am 5. März 1970, 729 UNTS 161 (188 Mitgliedstaaten). 659 Vertrag über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen vom 10. April 1972, in Kraft getreten am 26. März 1975, 1015 UNTS 163 (152 Mitgliedstaaten). 660 Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen vom 13. Januar 1993, in Kraft getreten am 29. April 1997, 32 ILM 800 (1993) (164 Mitgliedstaaten). 661 U. a. enthielt der britische Bericht den Vorwurf, dass chemische und biologische Waffen innerhalb von 45 Minuten zum Einsatz gebracht werden könnten. Der Bericht vom September 2002 ist abrufbar unter: http://www.fco.gov.uk/Files/kfile/ iraqdossier.pdf (Stand: 15. November 2005). 662 In diesem Zeitraum führte UNMOVIC mehr als 600 Inspektionen in über 400 Anlagen durch. Dabei wurden 72 Al-Samoud-Raketen und 47 Gefechtsköpfe unter der Aufsicht von UNMOVIC zerstört. Blix legte die Ergebnisse der Inspektion am 5. Juni 2003 im 13. Vierteljahresbericht von UNMOVIC dem Sicherheitsrat der Ver-
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Auch der Vorsitzende der Iraq Survey Group, David Kay, stellte in seinem Bericht von 2003 fest, dass im Irak lediglich Hinweise auf Programme gefunden werden konnten, die möglicherweise zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen könnten, dass ein zwingender Zusammenhang jedoch nicht hergestellt werden könnte.663 Bezüglich der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen haben die USA selbst rückwirkend öffentlich eingeräumt, dass solche nicht im Irak gefunden wurden.664 Der dritte Rechtfertigungsansatz, der sich aus den Äußerungen Bushs ergibt, ist die Notwendigkeit eines Regimewechsels aus humanitären Erwägungen eng verknüpft mit dem zweiten Ansatz, also mit der Gefahr des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen. In seiner State of the Union-Rede heißt es: „The dictator who is assembling the world’s most dangerous weapons has already used them on whole villages – leaving thousands of his citizens dead, blind, or disfigures. Iraqi refugees tell us how forced confessions are obtained – by torturing children while their parents are made to watch. International human rights groups have catalogued other methods used in the torture chambers of Iraq: electric shock, burning with hot irons, dripping acid on the skin, mutilation with electric drills, cutting out tongues, and rape. If this is not evil, then evil has no meaning. And tonight I have a message for the brave oppressed people of Iraq: Your enemy is not surrounding your country – your enemy is ruling the country. And the day he and his regime are removed from power will be the day of your liberation.“
Dieser dritte Rechtfertigungsansatz für den Einsatz militärischer Gewalt gegen den Irak scheint eine Mischung aus einer humanitären Intervention verknüpft mit einer sogenannten demokratischen Intervention und der Gefahr von Massenvernichtungswaffen zu sein.665 einten Nationen vor. In diesem Bericht bedauerte er, dass UNMOVIC nicht genügend Zeit eingeräumt wurde, die Inspektionen im Irak zu Ende zu führen. Der insbesondere unbeantwortet gebliebende Sachverhalt war, dass UNMOVIC weder ausschließen noch belegen konnte, dass der Irak Massenvernichtungswaffen oder Vorläuferprodukte dazu besaß. Der IAEO lag bei der Suspendierung der Inspektionen am 17. März 2003 durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen keine Anzeichen und keine plausiblen Hinweise auf die Wiederaufnahme des irakischen Nuklearprogramms vor. Bericht abrufbar unter: http://www.un.org/Depts/unmovic/new/ documents/quarterly_reports/s-2003-580.pdf (Stand: 15. September 2005). 663 Im Januar 2004 räumte er dann ein, dass sich alle getäuscht hätten und legte den Vorsitz der Gruppe nieder. Bericht abrufbar unter: http://www.issues2000.org/tran scripts/100604_iraq_survey_group_Comp_Report_Key_Findings.pdf (Stand: 15. September 2005). Für einen genaue Betrachtung der Beweisführung von den USA und Großbritannien siehe McGoldrick, From 9-11 to the Iraq war 2003, S. 97 ff. 664 Vergleiche „Comprehensive Reports on the special Advisor to the DCI on Iraq’s WMD 30 September 2004“, abrufbar unter: www.cia.gov/cia/reports/ iraq_wmd_2004/ (Stand: 15. September 2005).
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Während die beiden ersten Rechtfertigungsgrundlagen auch in der offiziellen Stellungnahme der Vereinigten Staaten an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 21. März 2003 zu finden sind, wird indes der dritte Ansatz dort nicht verfolgt, so dass die Vermutung nahe liegt, dass es sich bei dem dritten Ansatz lediglich um eine politische Stellungnahme handelt,666 nicht jedoch um eine rechtliche Rechtfertigung für den Militäreinsatz. Denn im Unterschied zu den bisher dargestellten Reden des Präsidenten Bush zielen die Erklärungen nicht auf die politische Legitimation in der eigenen Bevölkerung ab, sondern beinhalten rechtliche Rechtfertigungsversuche gegenüber anderen Staaten und den Vereinten Nationen. Im Übrigen kann das bis heute nicht gefestigte und sehr umstrittene Institut humanitärer Einsätze auch nicht als Rechtfertigung für den militärischen Einsatz im Irak dienen.667 Das Institut der humanitären Intervention wurde bereits im Zusammenhang mit den Nato-Einsätzen im Kosovo 1999 ausführlich diskutiert, eine neue Völkerrechtsregel ist jedoch daraus nicht entstanden.668 Dies zeigt schon der Umstand, dass sowohl der Nato-Generalsekretär wie auch beispielsweise der deutsche Bundesaußenminister Kinkel den Ausnahmecharakter der Maßnahme betonten.669 Nimmt man dennoch die Existenz einer dahingehende Regel des Völkerrechts an, bedarf es jedenfalls enger Voraussetzungen, zu denen vor allem schwerste systematische Menschenrechtsverletzungen gehören, die eine Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit begründen.670 Die schweren Menschenrechtsverletzungen im Irak liegen jedoch schon einige Jahre zurück. Zudem ist es mehr als zweifelhaft, 665 Vergleiche auch z. B. die Rede des britischen Premierministers Tony Blair in einer Sondersitzung des Unterhauses am 24.9.2002, abrufbar unter: http://www.pm. gov.uk/output/Page1727.asp (Stand: 15. September 2005) „[. . .] So the ending of regime would be the cause of regret for no-one other that Saddam. But our purpose is disarmament.“ 666 Hinsichtlich des dritten Ansatzes übereinstimmend Bothe, AVR 41 (2003), S. 258 f. 667 Ebenfalls Bruha, AVR 41 (2003), S. 296; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 32. 668 Hier statt vieler: Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 23. 669 Kinkel: „Die Entscheidung der NATO darf kein Präzedenzfall werden. Was das Gewaltverbot des Sicherheitsrates betrifft, so müssen wir vermeiden, auf die schiefe Bahn zu geraten.“ Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 13/248, 16.10.1998, S. 7. 670 Siehe umfassend zur Zulässigkeit der humanitären Intervention und ihren Voraussetzungen: Delbrück, Friedens-Warte 74 (1999), S. 148 ff.; auch Farer, Humanitärian Intervention before and after 9/11: Legality and Legitimacy, in: Holzgrefe/ Keohane (eds.), Humanitarian Intervention, Ethnical, Legal and Political Dilemmas (2002), S. 53 ff. Neben diesem ersten Umstand bedarf es zudem folgender Voraussetzungen: 1. Der Sicherheitsrat hat sich ebenfalls mit der Situation beschäftigt, ist jedoch nicht in der Lage, Zwangsmaßnahmen zur Beendigung der Menschenrechtsverletzungen zu beschließen.
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ob von der humanitären Intervention, sofern man sie denn als völkerrechtliches Institut anerkennt, auch Interventionen gegen ein Regime gedeckt sind, welches in der Lage sein könnte, schwere Menschenrechtsverletzungen zu begehen.671 Dies haben wohl auch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten erkannt, da es in den Erklärungen entweder gar nicht oder nur als vage gehaltener Nachsatz auftaucht, dass man auch das irakische Volk befreien wolle. Darüber hinaus stellt zwar das Regime Saddam Husseins eine Gefahr für den Frieden dar, eine solche muss jedoch zunächst mit friedlichen Mittel bekämpft werden.672 Allein der Ansatz mancher Staaten, dass Diktaturen keine wünschenswerte Staatsform sind, reicht nicht aus, um sie mittels militärischer Gewalt in demokratische Systeme zu verwandeln und sich als Rechtfertigung auf eine sogenannte „demokratische Intervention“ zu berufen.673 Konsequenz einer solchen Rechtfertigungsmöglichkeit wäre, dass einer Vielzahl von Gewalteinsätzen zur Durchsetzung von Menschenrechten und demokratischen Grundsätzen überall auf der Welt die Türen geöffnet würden. Daher soll im Folgenden lediglich auf die Rechtfertigung aus Kapitel VII und dem Selbstverteidigungsrecht eingegangen werden. Als letzter Rechtfertigungsversuch, der sich – aus gutem Grund – ebenfalls nicht in den offiziellen Stellungnahmen der Vereinigten Staaten an den Präsidenten des Sicherheitsrates wiederfinden lässt, wurde jedenfalls von Bush immer wieder die Verbindung des Irak zum internationalen Terrorismus, insbesondere die Beziehung zwischen Saddam Hussein und al Qaida betont674 und auch eine konkrete Mitwirkung des Irak an den Terror2. Eine Staatengruppe oder militärische Paktorganisation, nicht hingegen ein einzelner Staat, intervenieren allein zu dem Zweck der Beendigung der Menschenrechtsverletzung. 3. Der Sicherheitsrat wird andauernd über die militärischen Maßnahmen unterrichtet. 4. Nach Wiederherstellung der Ordnung ist die Intervention zu beenden. 5. Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Siehe zu den Voraussetzungen im Einzelnen Delbrück, Friedens-Warte 74 (1999), S. 152 ff.; Thürer, AVR 38 (2000), S. 8; Seidel, AVR 41 (2003), S. 457 f. 671 Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 21. 672 Siehe dazu auch Delbrück, Zeitschrift für Evangelische Ethik 47 (2003), S. 168. 673 So auch Kunig, AVR 41 (2003), S. 330. 674 Siehe so noch zuletzt die Ausführungen Bushs am 17.06.2004 im Kabinett: „The reason I keep insisting that there was a relationship between Iraq and Saddam and al Qaeda, because there was a relationship between Iraq and al Qaeda. This administration never said that the 9/11 attacks were orchestrated between Saddam and al Qaeda. We did say there were numerous contacts between Saddam Hussein and al Qaeda. For example, Iraqi intelligence officers met with bin Laden, the head
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anschlägen vom 11. September 2001 suggeriert.675 Eine direkte Verbindung zu den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde auch vom amerikanischen Außenminister Powell im Sicherheitsrat behauptet.676 Nachweise für eine konkrete Beteiligung oder Unterstützung an den Ereignissen des 11. Septembers 2001 wurden jedoch zu keinem Zeitpunkt erbracht, so dass sich auch darauf keine Rechtfertigung des Militäreinsatzes stützen lässt. Dass es keine ausreichenden Beweise für eine solche Verbindung gäbe, bestätigte auch nachträglich die unabhängige National Commission on Terrorist Attacks der USA in ihrem Bericht von 2004.677 of al Qaeda, in the Sudan.“, http://www.whitehouse.gov/news/releases/2004/06/ print/20040617-3.html (Stand: 15. September 2005). 675 Vergleiche Walter Pincus and Dana Milbank, Al Qaeda-Hussein Link Is Dismissed, WashingtonPost.com, June 17, 2004, abrufbar unter: http://www.washington post.com/wp-dyn/articles/A47812-2004Jun16.html (Stand: 15. September 2005). 676 US-Außenminister Powell versuchte vor dem Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 einen solchen Nachweis zu führen. Er konnte jedoch lediglich vereinzelte Beispiele aufführen, wo al Qaida-Mitglieder im Irak tätig waren, ein Beweis dahingehend, dass die Anschläge vom 11. September 2001 auch durch Saddam Hussein bzw. seine Organe unterstützt wurden oder ähnliches konnte nicht geführt werden, UN Doc. S/PV.4701, S. 14 ff. So eindeutig auch im Bericht der 9-11-Kommission: „According to the reporting, Iraqi officals offered Bin Laden safe haven in Iraq. Bin Laden declined, apparently judging that his circumstances in Afghanistan remained more favourable that the Iraqi alternative. The reports describe friendly contacts and indicate some common themes in both sides’ hatred of United States. But to date we have seen no evidence that these or the earlier contacts ever developed into a collaborative operational relationship. Nor have we seen evidence indicating that Iraq cooperated with al Qaeda in developing or carrying out any attacks against the United Nations.“, abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/report/911 Report.pdf (Stand: 15. September 2005). In dieser Hinsicht sind sich, so hat es den Anschein, alle einig, siehe statt vieler nur Kurth, ZRP 2003, S. 195. 677 Siehe dazu den Bericht der Kommission, „Overview of the Enemy“, Staff Statement No. 15, S. 5, abrufbar unter: http://www.9-11commission.gov/staff_state ments/staff_statement_15.pdf (Stand: 15. September 2005), „Bin Ladin also explored possible cooperation with Iraq during his time in Sudan, despite his opposition to Hussein’s secular regime. Bin Laden had in fact at one time sponsored anti-Saddam Islamists in Iraqi Kurdistan. The Sudanese, to protect their own ties with Iraq, reportedly persuaded Bin Laden to cease this support and arranged for contacts between Iraq and al Qaeda. A senior Iraqi intelligence officer reportedly made three visits to Sudan, finally meeting Bin Laden in 1994. Bin Laden is said to have requested space to establish training camps, as well as assistance in procuring weapons, but Iraq apparently never responded. There have been reports that contacts between Iraq and al Qaeda also occurred after Bin Laden had returned to Afghanistan, but they do not appear to have resulted in a collaborative relationship. Two senior Bin Laden associates have adamantly denied that any ties existed between al Qaeda and Iraq. We have no credible evidence that Iraq and al Qaeda cooperated on attacks against the United States.“
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II. Stellungnahmen der Staaten zum Einsatz militärischer Gewalt im Irak Bereits am 24. Februar 2003 und damit knapp einen Monat vor dem militärischen Handeln der USA verfassten Frankreich, Deutschland und Russland ein Memorandum, in dem es heißt: „The military option should only be a last resort. So far, the conditions for using force against Iraq have not been fulfilled: – While suspicions remain, no evidence has been given that Iraq still possesses weapons of mass destruction or capabilities in this field – Inspections have just reached their full pace; they are functioning without hindrance; they have already produced results – While not yet fully satisfactory, Iraqi cooperation is improving, as mentioned by the Chief Inspectors in their last report.“678 Damit lässt sich dem Memorandum entnehmen, dass die drei Staaten den Einsatz militärischer Gewalt im Irak in der konkreten Situation für rechtswidrig hielten. Auf den ersten Blick hat sich etwa Deutschland auch nicht direkt an den Kampfhandlungen beteiligt. Bei genauerer Betrachtung ist die Situation jedoch komplexer. Denn Deutschland war keineswegs völlig unbeteiligt am Kriegsgeschehen. Vielmehr unterstützte es die militärischen Handlungen oder ließ diese zumindest zu, so z. B. durch die Gewährung von Überflugrechten, durch die Beteiligung deutscher Soldaten am Einsatz der AWACS-Flugzeuge im türkischen Luftraum sowie durch die Bewachung amerikanischer Militäreinrichtungen. Daher war es der deutschen Regierung auch nicht möglich, von einem Verstoß gegen das Völkerrecht, insbesondere gegen das Gewaltverbot, zu sprechen, denn dies hätte zur Folge, dass zu untersuchen wäre, inwieweit Deutschland sich wegen einer Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt gemäß Art. 16 des ILC-Entwurfs zur Staatenverantwortlichkeit verantworten müsste.679 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Hilfeleistungen ausreichend sind, um eine solche Beihilfe zu begehen. Ansatzpunkte hierfür hält das Neutralitätsrecht bereit, wogegen die Bundesrepublik eindeutig verstoßen hat.680 Unabhängig 678
Annex to the letter dated 24 February 2003 from the Permanent Representative of France, Germany and the Russian Federation to the United Nations addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/2003/214, Memorandum, Nr. 1. 679 Darin heißt es: „A State which aids or assists another State in the commission of an internationally wrongful act by the latter is internationally responsible for doing so if: (a) that State does so with the knowledge of the circumstances of the internationally wrongful act (b) the act would be internationally wrongful if committed by that State.“
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davon bleibt jedoch die seitens Deutschlands geäußerte Rechtsüberzeugung, dass ein militärischer Einsatz im Irak abzulehnen ist.681 Unklar bleibt nach diesem Memorandum allerdings, ob die drei Staaten, wenn Beweise für einen Besitz oder das Vertreiben von Massenvernichtungswaffen an terroristische Organisationen vorlägen, ein Recht auf präemptive Selbstverteidigung zuließen. Ebenfalls am 24. Februar 2003 und in geänderter Fassung dann endgültig am 6. März 2003 stellten die USA, Großbritannien und Spanien einen Entwurf für eine neue Resolution im Sicherheitsrat vor, der nach ihrer Auffassung eine eindeutige Ermächtigung zum militärischen Einsatz beinhaltete,682 nachdem die Resolution 1441 dahingehend wohl bewusst zweideutig formuliert war.683 Sie drängten auf dessen Annahme, führten aber gleichzeitig aus, dass sie auch ohne eine neue Resolution militärische Gewalt anwenden würden.684 Wenige Stunden vor Beginn des Konfliktes wurde in den Debatten im Sicherheitsrat noch einmal von einigen Staaten betont, dass die Möglichkeiten, den Konflikt friedlich zu beenden, noch nicht ausgeschöpft seien685 und dass es keine Grundlage in der Charta der Vereinten Nationen für einen Regimewechsel mit militärischen Mitteln gäbe.686 Anschließende Debatten zeigten, dass Russland, Indien und wenig überraschend auch Israel einem Recht auf präemptive Selbstverteidigung zustimmten. Demgegenüber lehnten Deutschland, die Schweiz und Frankreich 680
Dazu näher Bothe, AVR 41 (2003), S. 267 f. So beispielsweise das immer wieder vom damaligen Bundeskanzler Schröder geäußerte „kategorische Nein“ zum Militäreinsatz. 682 Siehe UN Doc. S/2003/215. 683 Dazu auch Bruha, AVR 41 (2003), S. 307; Hofmann, GYIL 45 (2002), S. 22. 684 Antonopoulos, Leiden Journal of International Law 17 (2004), S. 173. 685 So etwa der französische Außenminister De Villepin, der sich gegen die Möglichkeit präventiver militärischer Handlungen aussprach und eine langfristige friedliche Lösung befürwortete, UN Doc. S/PV.4721, S. 5; ebenso der russische Außenminister Ivanov, UN Doc. S/PV.4721, S. 7, der überzeugt war, dass die Berichte von Blix und ElBaradei zeigten, dass die internationalen Inspekteure bereits Erfolge erzielt hätten und insofern der Sicherheitsrat deren weiteres Arbeiten sichern müsse, um eine friedliche Lösung zu erreichen. Deutlich schärfer äußerten sich der stellvertretene Premier- und Außenminister Syriens Al-Shara’, id., S. 9: Syria believs [. . .] that the objective is not to disarm Iraq of weapons of mass destruction, but to occupy it and usurp its natural resources, in contravention of all norms and laws.“ Auch gut einen Monat vorher am 5. Februar 2003 hatten einige Staaten die Notwendigkeit für eine friedliche Lösung betont, so z. B. der chinesische Außenminister Tang Jiaxuan, UN Doc. S/PV. 4701, S. 18. 686 So z. B. der ehemalige deutsche Außenminister Fischer, UN Doc. S/PV.4721, S. 4; siehe etwa Malaysia Stellungnahme, nach der eine Autorizierung durch den Sicherheitsrat nicht stattgefunden habe, UN Doc. S/PV.4709, S. 10. 681
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ein solches Recht ausdrücklich ab.687 Auch in den Ländern, in denen die Regierungen grundsätzlich Befürworter präemptiver Maßnahmen waren, wurde jedoch eine kontroverse Diskussion in Politik und Lehre um die Zulässigkeit des Einsatzes militärischer Gewalt geführt.688 Generelle Kritik an dem militärischen Einsatz im Irak wurde von Seiten der AU689, der OIC690 und der CARICOM691 geäußert. III. Rechtfertigungsansätze des Militäreinsatzes und ihre Bewertung 1. Ermächtigung des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VII Die Vereinigten Staaten berufen sich in ihrer offiziellen Stellungnahme an den Sicherheitsrat größtenteils auf Kapitel VII als Rechtfertigung des militärischen Einsatzes, der unbestritten zunächst gegen das Gewaltverbot gemäß Art. 2 Ziff. 4 UNC verstößt.692 Es bedarf zunächst einer Bewertung dieses Ansatzes, um deutlich zu machen, dass er nicht als Rechtfertigung für den Militäreinsatz dienen konnte, weshalb dann die Auseinandersetzung mit dem antizipatorischen und präemptiven Selbstverteidigungsrecht erforderlich ist. Der Rechtfertigungsansatz ist nicht neu. Er wurde bereits während der 90er Jahren häufig als Rechtfertigung militärischer Maßnahmen gegen den Irak verwendet.693 So ist auch der Brief des Ständigen Vertreters Großbritanniens und Nordirlands, Greenstock, an den Präsidenten des Sicherheitsrates zu verstehen, wenngleich er nicht ausdrücklich von einem Recht auf militärischen Einsatz aus Kapitel VII spricht.694 Grundlage der Rechtfertigung ist die alte Resolution 678 (1990), die eine Autorisierung zum mili687
Siehe UN Doc. S/PV.4721. So z. B. in den USA: Gassama, Emory International Law Review 18 (2004), S. 22 f. 689 Siehe „Declaration of the Central Organ of the Mechanism for Conflict Prevention, Management and Resolution of the African Union on the Iraqi Crisis“, Addis Ababa, vom 3. Februar 2003, abrufbar unter: http://www.african-union.org (Stand 15. September 2005). 690 Communiqué on Iraq’ and Declaration on Palestine, OIC Summit, Dohar, Qatar, vom 5. März 2003, abrufbar unter: http://www.oic-cio.org (Stand 15. September 2005). 691 Statement on Iraq’ Conference of Heads of Government of the Caribbean Community, Port-of-Spain, vom 15. Februar 2003, abrufbar unter: http://www.cari com.org (Stand 15. September 2005). 692 Siehe dazu den Brief des Ständigen Vertreters der Vereinigten Staaten, Negroponte, an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 21. März 2003, UN Doc. S/2003/351. 693 Bothe, AVR 41 (2003), S. 261. 688
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tärischen Einsatz zur Befreiung Kuwaits von irakischer Besetzung enthält. Nach Auffassung der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten wurde zwar ein Waffenstillstand mit der Resolution 687 im Jahre 1991 vereinbart. Dieser ist jedoch durch die in der Resolution enthaltenen Voraussetzungen bedingt, nämlich die ausnahmslose Zulassung von Kontrollen der atomaren, biologischen und chemischen Abrüstung unter internationaler Aufsicht sowie die fortdauernde Kontrolle der Rüstungsaktivitäten. Der Irak habe jedoch in der Folgezeit mehrmals bestätigt durch den Sicherheitsrat gegen die Umsetzung dieser Bedingungen verstoßen. Dies wird im Grundsatz auch von keinem Staat der internationalen Gemeinschaft bezweifelt. Dieser „material breach“ sei insbesondere in der Resolution 1441 vom Sicherheitsrat noch einmal bestätigt worden.695 Daher lägen die Bedingungen für einen Waffenstillstand nicht mehr vor, so dass die Resolution 678 wieder auflebe, die ihrerseits eine Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen nach Kapitel VII enthalte und insofern den am 20. März 2003 begonnenen Gewaltverstoß der Vereinigten Staaten gegen den Irak rechtfertige. a) Bewertung der Rechtfertigung durch die Resolutionen 678, 687 und 1441 Der von den Vereinigten Staaten vorgebrachte Rechtfertigungsansatz begegnet jedoch vielen Bedenken. Der Ansatz, dass Resolution 1441 einen 694 Siehe dazu den Brief des Ständigen Vertreters von Großbritannien und Nordirland, Greenstock, an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 21. März 2003, UN Doc. S/2003/350: „The action follows a long history of non-cooperation by Iraq with the United Nations Special Commission (UNSCOM), the United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission (UNMOVIC) and the International Atomic Energy Agency (IAEA) and numerous findings by the Security Council that Iraq has failed to comply with disarmament obligations imposed on it by the Council, including in resolutions 678 (1990), 687 (1991) and 1441 (2002). In its resolution 1441 (2002), the Council reiterated that Iraq’s possession of weapons of mass destruction constitutes a threat to international peace and security; that Iraq has failed, in clear violation of its obligations, to disarm; and that in consequence Iraq is in material breach of the conditions for the ceasefire at the end of hostilities in 1991 laid down by the Council in its resolution 687 (1991). Military action was undertaken only when it became apparent that there was no other way of achieving compliance by Iraq.“ Deutlicher formuliert ist ein Rechtsgutachten, welches der britische Justizminister dem Parlament vorgelegt hat, siehe dazu die Zusammenfassung in der Mitteilung der Britischen Botschaft, abrufbar unter: http://www.british embassy.de/en/news/items/030317a.htm (Stand: 15. September 2005). 695 Vergleiche im operativen Teil der Resolution 1441 (2002), Ziffer 1: „Decides that Iraq has been and remains in material breach of its obligations under relevant resolutions, including resolution 687 (1991), in particular through Iraq’s failure to cooperate with United Nations inspectors and the IAEA, and to complete the actions required under paragraphs 8 to 13 of resolution 687 (1991).“
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Pflichtverstoß des Irak bestätige und dadurch die den Waffenstillstand auslösende Bedingung der Resolution 687 weggefallen sei und somit das Mandat zur Gewaltanwendung aus Resolution 678 wieder auflebe, ist inhaltlich nicht überzeugend. Zudem unterliegt die Resolution 678 auch einer zeitlichen Begrenzung. Darüber hinaus enthält Resolution 1441 keine direkte Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt. Ausgangspunkt für eine Rechtfertigung nach Art. 39 ff. UNC ist die Feststellung eines Bruchs oder einer Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit. Zwar ist ex post betrachtet die Bedrohung durch den Besitz und möglichen Gebrauch von Massenvernichtungswaffen seitens des Irak im Grunde widerlegt worden.696 Dies ändert jedoch nichts am Vorliegen einer Situation des Art. 39 UNC. Allein die vom Sicherheitsrat beanstandete Unterdrückung der Zivilbevölkerung und die Nichtbefolgung der Verpflichtung, gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen, dürften ausreichen, um eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit zu statuieren. Wie bereits festgestellt, hat der Sicherheitsrat schon mehrfach entschieden, dass internationaler Terrorismus eine Bedrohungen des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellen kann.697 Auch schwere Menschenrechtsverletzungen wurden bereits mehrfach vom Sicherheitsrat als Bedrohung des Weltfriedens bewertet.698 Allein das Vorhandensein einer Bedrohung des Weltfriedens reicht jedoch nicht aus, um militärische Maßnahmen zu ergreifen. Erforderlich ist vielmehr eine ausdrückliche dahingehende Ermächtigung des Sicherheitsrates. Diese Ermächtigung lässt sich jedoch weder aus Resolution 678 noch aus Resolution 1441 herleiten. aa) Inhaltliche und zeitliche Reichweite der Resolution 678 (1990) Vor allem ist der Inhalt der Resolution 678 (1990) eng begrenzt, so dass schon aus diesem Grund eine darauf gestützte Rechtfertigung nicht möglich ist. Die in der Resolution 678699 enthaltene Ermächtigung lautet folgendermaßen: 696 Vergleiche „Comprehensive Reports on the special Advisor to the DCI on Iraq’s WMD, 30. September 2004“, abrufbar unter: www.cia.gov/cia/reports/ iraq_wmd_2004/ (Stand: 15. September 2005). 697 Siehe oben: Res. 731 vom 21 Januar 1992; Res. 1044 vom 31. Januar 1996; Res. 1054 vom 26. April 1996; Res. 1267 vom 15. Oktober 1999; Res. 1333 vom 19. Dezember 2000 etc. 698 So z. B. in Somalia, Rwanda, dem ehemaligen Jugoslawien und Zaire.
4. Kap.: Das antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsrecht
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„The Security Council [. . .] Acting under Chapter VII of the Charter, [. . .] 2. Authorizes Member States co-operating with the Government of Kuwait, unless Iraq on or before 15 January 1991 fully implements, as set forth in paragraph 1 above, the above-mentioned resolutions, to use all necessary means to uphold and implement resolution 660 (1990) and all subsequent relevant resolutions and to restore international peace and security in the area;“
Die am 2. August 1990 ohne Gegenstimmen verabschiedete Sicherheitsratsresolution 660, auf die in Resolution 678 ausdrücklich Bezug genommen wird, hat im Wesentlichen den Inhalt, dass mit der irakischen Invasion Kuwaits am 2. August 1990 ein Bruch des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit festgestellt wird und der Sicherheitsrat gemäß Art. 39 und 40 UNC den Irak auffordert, alle seine Streitkräfte unverzüglich und bedingungslos aus Kuwait zurückzuziehen.700 Auslöser des in Resolution 660 konstatierten Friedensbruchs ist somit die Invasion Iraks. An diesen Friedensbruch knüpft die Resolution 678 an, wenn sie zum Einsatz militärischer Gewalt ermächtigt. Sinn und Zweck der Resolution ist es „to uphold and implement resolution 660 (1990) and all subsequent relevant resolutions“. Demnach wird in Resolution 678 im operativen Teil Ziffer 1 die Verpflichtung des Irak festgelegt, Resolution 660 und alle nachfolgenden einschlägigen Resolutionen zu erfüllen. Welche Resolutionen sich dahinter verbergen ergibt sich direkt aus Abs. 1 der Präambel.701 Auch diese nachfolgenden zehn Resolutionen beziehen sich alle auf den in Resolution 660 konstatierten Friedensbruch und enthalten Maßnahmen, um den Frieden wiederherzustellen. Beispielsweise enthält Resolution 661 (1990) Wirtschaftssanktionen, 662 (1990) die Aufforderung an alle Staaten und internationale Organisationen, die rechtswidrige Annexion nicht anzuerkennen und 664 (1990) die Verpflichtung des Irak, die sofortige Ausreise der Staatsangehörigen dritter Staaten aus Kuwait und Irak zu gestatten. In allen zehn aufgelisteten Resolutionen nimmt der Sicherheitsrat zudem in der Präambel Bezug auf die In699 Die Resolution erging mit 12 Stimmen bei 2 Gegenstimmen seitens Jemen und Kuba und einer Enthaltung von China. 700 Siehe operativer Teil Nr. 2 der Resolution 660 vom 2. August 1990. Bereits damals wurde zum Teil in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der Sicherheitsrat durch die Vorgabe „to restore international peace and security in the area“ eine Ermächtigung erteilt habe, die auch ein militärisches Vorgehen im Irak selbst zur Absetzung der irakischen Regierung beinhalte, siehe dazu zusammenfassend Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 647, der eine solch weite Interpretation zu Recht als nicht von Art. 39 UNC gedeckt wertet. 701 Dazu gehören folgende Sicherheitsratsresolution: Res. 661 (1990) vom 6. August 1990; Res. 662 (1990) vom 9. August 1990; Res. 664 (1990) vom 18. August 1990; Res. 665 (1990) vom 25. August 1990; Res. 666 (1990) vom 13. September 1990; Res. 667 (1990) vom 16. September 1990; Res. 669 (1990) vom 24. September 1990; Res. 670 (1990) vom 25. September 1990; Res. 674 (1990) vom 29. Oktober 1990 und Res. 677 (1990) vom 28. November 1990.
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vasion Iraks und auf die Resolution 660, also dem darin festgestellten Friedensbruch. Darin betont er die Zielsetzung, der Besetzung Kuwaits ein Ende zu bereiten und die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität Kuwaits wiederherzustellen. Mit der Vertreibung des Irak aus Kuwait ist das Ziel der Ermächtigung in Resolution 678 erreicht, die Resolution 660 und die nachfolgenden Resolutionen durchzusetzen. Diese Ermächtigung ist somit spätestens mit dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes am 11. April 1991 gegenstandslos geworden, obwohl der Sicherheitsrat die Ermächtigung zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich aufgehoben hat. Zudem ergeben sich sowohl aus der am 2. März 1991 erlassenen Resolution 686 als auch aus der Waffenstillstandsresolution Anhaltspunkte, dass der Sicherheitsrat die Ermächtigung in Resolution 678 (1990) als beendet betrachtet. Die nach der Einstellung der Kampfhandlungen ergangene Resolution 686 enthält im operativen Teil Ziffer 4 die Anerkennung, dass während des Zeitraums, den der Irak benötigt um die vorstehenden Ziffern 2 und 3 Folge zu leisten, die Ziffer 2 der Resolution 678 (1990) ihre Gültigkeit behält. Es wird demnach ausdrücklich festgelegt, dass die erteilte Ermächtigung noch in diesem Zeitraum weitergelten solle. Dies lässt den Schluss zu, dass der Sicherheitsrat die zeitliche Begrenzung der Ermächtigung aus Resolution 678 erkannt hat und sich daher veranlasst sah, diese noch für einen bestimmten Zeitraum zu verlängern oder wenigstens ihrer fortbestehenden Gültigkeit Ausdruck zu verleihen.702 Mit der dann einen Monat später ergangenen, umfassenden Waffenstillstandsresolution ist diese Ermächtigungsverlängerung hinfällig geworden, was sich insbesondere aus Ziffer 1 der Waffenstillstandsresolution 687 ergibt:703 Dort heißt es: „Affirms all thirteen resolutions noted above, except as expressly changed below to achieve the goals of the present resolution, including a formal cease-fire; [. . .]“. Weiter wird in Ziffer 6 festgestellt, dass, sobald der Generalsekretär dem Rat den Abschluss der in Ziffer 5 ersuchten Dislozierung der Beobachtereinheit der Vereinten Nationen bekannt gibt, die Bedingungen geschaffen sein werden, „in accordance with resolution 678 (1990) to bring their military presence in Iraq to an end consistent with resolution 686 (1991).“ Letztes und vielleicht deutlichstes Indiz für die Beendigung der Ermächtigung ist die Erklärung des Sicherheitsrates in Ziffer 33 der Resolution 687, dass, sobald der Irak dem Generalsekretär und dem Sicherheitsrat offiziell die Annahme der vorstehenden Bestimmung notifiziert, eine formelle Waffenruhe zwischen dem Irak und Kuwait und den mit Kuwait gemäß Resolution 678 (1990) kooperierenden Mitgliedstaaten in Kraft tritt. Schließlich finden sich in den nach der Waffenstillstandsresolution er702 703
Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 650. So auch Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 650; Gray, BYIL 65 (1994), S. 139.
4. Kap.: Das antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsrecht
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gangenen Resolutionen des Sicherheitsrates im Übrigen auch keine Hinweise für eine Weitergeltung der Ermächtigung zu militärischen Handlungen aus Resolution 678 (1990). Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die Ermächtigung zum militärischen Einsatz in Resolution 678 ausschließlich aufgrund des Friedensbruchs verursacht durch die irakische Invasion in Kuwait erging, allein dieser also inhaltlicher Anknüpfungspunkt der Resolution ist, und spätestens mit dem formellen in Kraft treten des Waffenstillstandes beendet war. Eine Aufhebung des vom Sicherheitsrat deklarierten Waffenstillstandes kann darüber hinaus auch nur von diesem selbst und nicht von einem einzelnen Staat erfolgen.704 Des Weiteren ist nicht vorstellbar, dass die in Resolution 678 enthaltene Ermächtigung vom Sicherheitsrat auf zukünftige Mandate angelegt war. Der Sicherheitsrat muss, um erheblichen Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, möglichst genau bestimmen, welches der Umfang und die Reichweite der Ermächtigung zur Gewaltanwendung ist.705 Die Resolution 678 könnte demnach nur dann als Ermächtigungsgrundlage dienen, wenn in ihr bereits eine Anwendung auf spätere Fälle ausdrücklich angelegt wäre. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Vielmehr bezieht sich die Resolution 678 ausdrücklich auf Resolution 660 (1990) und die zehn in der Präambel darüber hinaus genannten Resolutionen. Allein zu deren Durchsetzung wurde ein Mandat erteilt, nicht hingegen etwa pauschal zur Durchsetzung dann folgender Resolutionen.706 Gegen eine weitere, zukunftsorientierte Auslegung spricht auch der Wortlaut der Formulierung „to restore international peace and security“ als dem zweiten Zweck der Resolution neben dem Ziel der Durchsetzung der Resolutionen 660 und ihren Folgeresolutionen. Auch diese Formulierung bezieht sich auf den in Resolution 660 festgestellten bereits begangenen Friedensbruch.707 Der Begriff „to restore“ lässt sich nicht auf zukünftige Sachverhalte anwenden. Um dies zu ermöglichen, hätte der Sicherheitsrat Formulierungen wie etwa „to maintain“ verwenden müssen.708
704
Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 19. Umfassend zur Interpretation von Sicherheitsratsresolutionen siehe bei Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 648; Lobel/Ratner, AJIL 93 (1999), S. 124; Frowein/ Kirsch, in: Simma, Art. 42, Rn. 25. 706 Hofmann, GYIL 45 (2002), S. 17; Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 646. 707 So auch Bothe, AVR 41 (2003), S. 263. 708 Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 649. 705
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Aufgrund der inhaltlich und zeitlich begrenzten Reichweite ist daher ein Rückgriff auf die Ermächtigung aus Resolution 678 (1990) nicht zulässig. Insbesondere ist schwer vorstellbar, dass der Einsatz militärischer Gewalt im Jahre 2003, der einem völlig neuen Ziel dient, nämlich der Entwaffnung des Irak, durch diese Resolution gerechtfertigt sein kann. Vielmehr ist schon aus diesem fehlenden inhaltlichen Bezug die Resolution 678 nicht geeignet, als Ermächtigung für einen solchen Einsatz zu fungieren.709 bb) Resolution 687 (1991) und ihre Konsequenzen für Resolution 678 (1990) Zudem überzeugt auch das Vorbringen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten nicht, dass durch die immer wieder festgestellten Verstöße gegen Resolution 687 die Resolution 678 wieder aufleben könnte. In der sogenannten Waffenstillstandsresolution 687 vom 3. April 1991710 werden die Bedingungen festgelegt, deren offizielle Annahme seitens des Irak eine formelle Waffenruhe zwischen Irak und Kuwait einschließlich der kooperierenden Mitgliedstaaten zur Folge hat. Zu den Bedingungen gehörte vor allem, dass der Irak die unter internationaler Aufsicht erfolgende Vernichtung und Beseitigung aller chemischen und biologischen Waffen sowie aller ballistischen Flugkörper bedingungslos zu akzeptieren habe.711 Die dort beschlossenen, vom Irak zu erfüllenden Maßnahmen ergingen auf der Grundlage von Kapitel VII, d.h. der Sicherheitsrat ging davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt zumindest eine Friedensbedrohung vorlag. Aus dem Inhalt der Resolution ergibt sich jedoch, dass es sich hierbei um eine Friedensbedrohung handelt und nicht mehr um den in Resolution 678 konstatierten Bruch des Friedens durch die irakische Invasion in Kuwait. Dadurch, dass der Sicherheitsrat eine inhaltlich veränderte Friedensbedrohung festgestellt hat und im Vergleich zu den vorangegangenen Resolutionen völlig neue Maßnahmen zur Beseitigung dieser Bedrohung beschlossen hat, kann bei Verletzung der neuen Maßnahmen nicht einfach die alte Resolution, deren Voraussetzungen sich mit der Vertreibung der irakischen Streitkräfte aus Kuwait bereits erledigt hat, wieder aufleben.712 709
Ebenso Murswiek, NJW 2003, S. 1016; Bothe, AVR 41 (2003), S. 263 mit weiteren Nachweisen; Hofmann, GYIL 45 (2002), S. 16 f. 710 Die Resolution wurde mit 12 Stimmen bei einer Gegenstimme von Kuba und zwei Enthaltungen von Ecuador und Jemen verabschiedet. 711 Siehe operativer Teil C Ziffer 8 a) und b) der Resolution. Dazu gehören auch die Vernichtung von mit diesen Waffen zusammenhängende Subsysteme und Komponenten sowie alle Forschungs-, Entwicklungs-, Unterstützungs- und Produktionseinrichtungen. 712 So auch und überzeugend Bothe, AVR 41 (2003), S. 263 f.
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cc) Der „material breach“-Ansatz gemäß Resolution 1441 und die Konsequenzen für Resolution 678 (1990) Auch die Resolution 1441 vom 8. November 2002 kann nichts daran ändern, dass sich die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten nicht auf Resolution 678 berufen können. (1) Direkte Ermächtigung des Sicherheitsrates in Resolution 1441? Eindeutig ist zunächst, dass die Resolution 1441 jedenfalls keine ausdrückliche Erlaubnis zum Einsatz militärischer Mittel erteilt.713 Weder enthält sie die bisher üblicherweise verwandte Formulierung „to use all necessary means“ noch wird festgelegt, wer gegen wen Gewalt ausüben dürfe.714 In Resolution 1441 findet sich lediglich im operativen Teil Nr. 13 die Androhung des Sicherheitsrates, dass dieser selbst ernsthafte Konsequenzen beschließen werde.715 Diese Formulierung unterscheidet sich jedoch insofern von den sonstigen zu Gewaltmaßnahmen autorisierenden Resolutionen, als sie keinen bestimmbaren Adressatenkreis festlegt, der mögliche Maßnahmen treffen könnte, und auch weniger konkret im Hinblick auf die erlaubte Handlung ist. Bisher allgemein anerkannt war, dass eine Autorisierung zur Gewaltanwendung nur ausdrücklich erfolgen kann, und zwar in Form einer Festlegung im operativen Teil der Resolution, wer gegen wen Gewalt einsetzen darf. Daran ist auch weiter festzuhalten, da es dem System der Charta widerspricht, dass der Sicherheitsrat es den Staaten selbst überlässt, wann und wie und gegen wen sie Gewalt einsetzen dürfen. Dieser Auffassung sind auch nach wie vor alle Staaten, da in den Debatten des Sicherheitsrates von allen, inklusive von amerikanischen und britischen Vertretern geäußert wurde, dass Ziffer 13 keine automatische Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt beinhalte.716 Allerdings behielten sich die USA das Recht vor, Selbstverteidigung auszuüben oder die entsprechenden Resolutionen durchzusetzen, falls der Sicherheitsrat nach einem Verstoß gegen die Resolution 1441 durch den Irak nicht handeln würde.717 Zudem 713 Gassama, Emory International Law Review 18 (2004), S. 12; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 15; Hofmann, GYIL 45 (2002), S. 22; Hmoud, Cornell International Law Review 36 (2004), S. 439. 714 Etwa in Resolution 678 wird ausdrücklich genannt: „Authorizes Member States [. . .] to use all necessary means.“ 715 „Recalls, in that context, that the Council has repeatedly warned Iraq that it will face serious consequences as a result of its continued violations of its obligations.“ 716 Genauerer Überblick über die verschiedenen Äußerungen: Hofmann, GYIL 45 (2002), S. 23 f.
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wäre eine Resolution mit ausdrücklicher Ermächtigung zum Gewalteinsatz insbesondere am Willen Frankreichs, Chinas und Russlands gescheitert.718 Insofern lässt sich auch eine Ermächtigung aus der Resolution direkt nicht entnehmen.719 (2) Implizite Ermächtigung des Sicherheitsrats durch Resolution 1441? Fraglich ist jedoch, inwieweit sie implizit den Rückgriff auf die vor 12 Jahren in Resolution 678 erteilte Ermächtigung erlaubt, und somit die von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten geltend gemachte Rechtfertigung Bestand hat. Abgesehen von der oben bereits deutlich gemachten inhaltlichen Unanwendbarkeit der Resolution 678 auf heutige militärische Einsätze lässt sich der Ansatz einer impliziten Ermächtigung schon im Hinblick auf Resolution 1441 nicht halten. Zwar enthält sie in ihrer Präambel folgende Absätze: „Recalling that its resolution 678 (1990) authorized Member States to use all necessary means to uphold and implement its resolution 660 (1990) of 2 August 1990 and all relevant resolutions subsequent to resolution 660 (1990) and to restore international peace and security in the area; 717
Siehe Explanation of Vote by Ambassador John D. Negroponte, United States Permanent Representative to the United Nations, following the vote on the Iraq Resolution, Security Council, 8. November 2002, abrufbar unter: http://www.un.int/ usa/02print_187.htm (Stand: 15. September 2005): „As we have said on numerous occasions to Council members, this Resolution contains no „hidden triggers“ and no „automaticity“ with respect to the use of force. If there is a further Iraqi breach, reported to the Council by UNMOVIC, the IAEA, or a member state, the matter will return to the Council for discussions as required in paragraph 12. The Resolution makes clear that any Iraqi failure to comply is unacceptable and that Iraq must be disarmed. And one way or another, Mr. President, Iraq will be disarmed. If the Security Council fails to act decisively in the event of a further Iraqi violation, this resolution does not constrain any member state from acting to defend itself against the threat posed by Iraq, or to enforce relevant UN resolutions and protect world peace and security.“ 718 Siehe dazu: Joint statement by the People’s Republic of China, France and the Russian Federation, UN Doc. S/2002/1236, Annex, in der es heißt: „Resolution 1441 (2002) adopted today by the Security Council excludes any automaticity in the use of force. In this regard, we register with satisfaction the declarations of the representatives of the United States and the United Kingdom confirming this understanding in their explanations of vote, and assuring that the goal of the resolution is the full implementation of existing Security Council resolutions on disarmament of Iraq’s weapons of mass destruction. All Security Council members share this goal.“ 719 Ebenso Murswiek, NJW 2003, S. 1016; Gassama, Emory International Law Review 18 (2004), S. 12; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 15; Hofmann, GYIL 45 (2002), S. 22; Hmoud, Cornell International Law Review 36 (2004), S. 439.
4. Kap.: Das antizipatorische und präemptive Selbstverteidigungsrecht
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Further recalling that its resolution 687 (1991) imposed obligations on Iraq as a necessary step for achievement of its stated objective of restoring international peace and security in the area.“
Weiter heißt es dann im operativen Paragraphen 1, „[. . .] that Iraq has been and remains in material breach of its obligation under relevant resolutions, including resolution 687 (1991), in particular through Iraq’s failure to cooperate with United Nations inspectors and the IAEA, and to complete the actions required under paragraphs 8 to 13 of resolution 687 (1991).“
Die Einbeziehung der Resolution 678 in die Präambel und im operativen Teil in Paragraph 1 bedeutet jedoch nicht automatisch, dass diese weiterlebe. Sie muss vielmehr im Zusammenhang mit der im operativen Teil Ziffer 13 enthaltenen Aussage, dass bei nochmaligem Verstoß des Irak der Sicherheitsrat zu ernsthaften Konsequenzen greife, als Androhung verstanden werden, dass auch militärische Maßnahmen vom Sicherheitsrat autorisiert werden könnten. Darüber hinaus entspricht ein über die Resolution 1441 eröffneter Rückgriff auf die damalige Ermächtigung in Resolution 678 ebenfalls nicht dem Willen der Sicherheitsratsmitglieder, die die Resolution 1441 verabschiedet haben.720 Ebenso wenig entsprach es dem Willen der Sicherheitsratsmitglieder, die Resolution als Generalvollmacht für weitere Gewaltanwendungen im Zusammenhang mit Konflikte mit dem Irak zu erteilen. Selbst im fiktiven Falle, dass heute erneut eine mit 1990 vergleichbare Situation aufträte, in welcher der Irak Kuwait besetzte, bliebe zweifelhaft, ob ein Rückgriff auf die Resolution 678 überhaupt möglich wäre, da selbst in dieser Konstellation Umstände gegeben wären, welche bei der Verabschiedung der Resolution nicht miteinbezogen wurden. Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass der militärische Einsatz der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Irak nicht durch eine Ermächtigung des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Charta gerechtfertigt war.721 b) Nachträgliche Genehmigung des militärischen Einsatzes durch den Sicherheitsrat Eine nachträgliche Genehmigung des militärischen Einsatzes durch den Sicherheitsrat könnte allenfalls in Resolution 1483 zu sehen sein. Als nach720 Siehe dazu Joint statement by the People’s Republic of China, France and the Russian Federation, UN Doc. S/2002/1236, Annex. 721 Im Ergebnis ebenso: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, in: Ambos/Arnold, S. 224 ff.; Bruha, AVR 41 (2003), S. 296; Kurth, ZRP 2003, S. 197; Hmoud, Cornell International Law Journal 36 (2004), S. 438 ff.
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trägliche Genehmigung wurde bisher in der Praxis der Vereinten Nationen die Resolution 1244 in Bezug auf den militärischen Einsatz der NATOStaaten im Kosovo gesehen. Die Resolution 1483 vom 22. Mai 2003 enthält jedoch keine dahingehend interpretierbare Formulierung.722 Es wird darauf verzichtet, die ausländische Truppenpräsenz im Irak zu autorisieren, wohingegen in Resolution 1244 ausdrücklich die Mitgliedstaaten und zuständigen Organisationen unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zur Errichtung einer internationalen Sicherheitspräsenz ermächtigt wurden. Resolution 1483 stellt lediglich die tatsächliche Situation dar. Zudem präzisiert sie die Pflichten, die sich für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten dadurch ergeben, dass sie Besatzungsmächte im Sinne der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konventionen sind.723 Den Vereinten Nationen soll im Irak nur eine „vital role in humanitarian relief, the reconstruction of Iraq, and the restoration and establishment of national and local institutions for representative governance“ zukommen.724 Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass der militärische Einsatz der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak nicht durch eine Autorisierung vom Sicherheitsrat gerechtfertigt war. Daher bedarf es einer genaueren Betrachtung der Möglichkeit der Rechtfertigung des Einsatzes durch das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNC. 2. Rechtfertigung des Einsatzes durch das Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 UNC Ein Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung im Sinne der WebsterFormel lag hinsichtlich des Iraks nicht vor und wurde soweit ersichtlich auch von keinem behauptet.725 Es bleibt jedoch die Frage, ob die in der National Security Strategy aufgeführte Erweiterung auf ein präemptives Selbstverteidigungsrecht im Irak Einzug gefunden hat und Ausdruck einer neuen Rechtsüberzeugung ist. Dagegen wird eingewandt, dass eine solche 722
So auch Kirgis, ASIL Insights, May 2003, abrufbar unter: www.asil.org/ insights/insigh107.htm (Stand: 15. September 2005); Kunig, AVR 41 (2003), S. 323; ausführlich: Hmoud, Cornell International Law Journal 36 (2004), S. 435 ff. 723 Vgl. zu den sich im Einzelnen ergebenen Verpflichtungen Heintschel von Heinegg, AVR 41, (2003), S. 273 ff. 724 Resolution 1483, Präambel, Absatz 7.; Zur kritischen Würdigung der Resolution im Hinblick auf den Grundsatz „ex iniuria ius non oritur“ und die fehlende Kontrollkompetenz der UN siehe überzeugend Bruha, AVR (41) 2003, S. 311 f., der zu Recht zu dem Schluss kommt, dass die Nachkriegsverwaltung des Irak sobald wie möglich einem Mandat der Vereinten Nationen zu unterstellen ist. 725 So zu Recht Byers, in: Ambos/Arnold, S. 240; Bothe, AVR 41 (2003), S. 262.
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Rechtsbehauptung von Seiten der USA im Bezug auf den Irakeinsatz nicht vorgelegen habe, da die Bedrohung als Rechtfertigungsstrategie im Bereich der politischen Erklärungen blieb und nicht Teil der rechtlichen Rechtfertigung wurde.726 Dafür spricht zunächst, dass sich die Regierung Washingtons in ihrer Stellungnahme an den Sicherheitsrat in erster Linie auf eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat nach Kapitel VII berief und somit eine gewohnheitsrechtliche Weiterentwicklung des Selbstverteidigungsrechtes auf vor einem Angriff liegendende Situationen möglicherweise nicht anbringen wollte. Dennoch führte sie darüber hinaus in der Stellungnahme aus: „They [the actions] are necessary stepps to defend the US and the international community from the threat posed by Iraq and to restore international peace and security in this area“727 Zwar wird hier nicht ausdrücklich auf Art. 51 UNC oder ein gewohnheitsrechtlich verankertes Selbstverteidigungsrecht eingegangen und es fehlt auch an einem Hinweis, dass der Brief als Notifikation im Sinne von Art. 51 UNC zu verstehen ist, obwohl eine solche gemäß Art. 51 UNC erforderlich wäre. Auch scheint der Zusatz „to restore international peace and security“ auf die Ermächtigung in Resolution 678 zu verweisen, die ebenfalls einen solchen Passus enthält. Hinzu kommt, dass sich die Verbündeten der USA auch nicht auf das Selbstverteidigungsrecht berufen.728 Dennoch wird in der offiziellen Stellungnahme der Vereinigten Staaten im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Maßnahme auch die Verteidigung angeführt und nicht etwa allein die Notwendigkeit, den Irak zur Einhaltung der einschlägigen Resolutionen zu zwingen. Ausdruck einer bestimmten Rechtsüberzeugung im Hinblick auf die Entwicklung neuen Völkergewohnheitsrechts oder die Interpretation alten Rechts ist zudem die innerstaatliche Erklärung zur Rechtfertigung des Einsatzes. In der Congressional Joint Resolution, in der der Präsident zur Entsendung von US-Truppen in den bewaffneten Konflikt gegen den Irak autorisiert wurde, wird die Notwendigkeit zur Verteidigung der nationalen Sicherheit gegen die Bedrohung durch den Irak deutlich und in der Reihenfolge vor der Rechtfertigung durch die Sicherheitsratsresolutionen betont.729 726
Bothe, AVR 41 (2003), S. 262. Vorletzter Abschnitt des Briefes des Ständigen Vertreters der Vereinigten Staaten an den Präsidenten des Sicherheitsrates vom 21. März 2003, UN Doc. S/2003/351. 728 Second Report from the Foreign Affairs Committee, Session 2002–2003, Foreign Policy Aspects of the War against Terrorism, Hansard HC, para 161 vom 19. Dezember 2002. 729 „. . . to use the Armed Forces of the United States as he determines to be necessary and appropriate in order to . . . defend the national security of the United States against the continuing threat posed by Iraq; and . . . enforce all relevant Security Council resolutions regarding Iraq.“, Pub. L No. 107-243, 116 Stat. 1498, 1501 (2002), zitiert nach Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 27. 727
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Nach bisheriger Rechtslage730 ist zu konstatieren, dass ein Recht auf präemptive Selbstverteidigung nicht besteht. Ob eine dahingehende neue gewohnheitsrechtliche Entwicklung nach 2001 stattgefunden hat, soll daher im Folgenden genauer untersucht werden.
C. Die „neue“ Bewertung des Bestehens und der Voraussetzungen der antizipatorischen und präemptiven Selbstverteidigung Unter dem Eindruck der geschilderten Entwicklung gilt es demnach festzustellen, inwieweit sich bereits ein gewohnheitsrechtliches Recht auf antizipatorische oder präemptive Selbstverteidigung herausgebildet hat und inwiefern die Anerkennung dieser beiden Rechtfertigungsgründe für einen militärischen Einsatz de lege ferenda in Betracht kommt. I. Das Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung Die Rechtsgrundlage für ein Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung kann nur Art. 51 UNC sein.731 Diese Vorschrift lässt an sich keine Form der präventiven Selbstverteidigung zu. Angesichts der beschriebenen neueren Entwicklungen stellt sich jedoch die Frage, ob es den Staaten tatsächlich zuzumuten ist, angesichts von Bedrohungen, welche offensichtlich unmittelbar bevorstehen und mit großen Gefahren einhergehen, erst den ohnehin erfolgenden bewaffneten Angriff abzuwarten, um reagieren zu können. Möglicherweise könnte das Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung im Sinne der Caroline-Kriterien inzwischen bereits Völkergewohnheitsrecht geworden sein.732 Dagegen wird eingewandt, dass es keine konstante und widerspruchsfreie Staatenpraxis für die Existenz eines solchen Rechtes gäbe.733 Allerdings könnte ein Indiz für die Entwicklung einer solchen Staatenpraxis bereits diejenige vor 2001 sein. Beispielhaft sei neben dem CarolineFall dazu das Verhalten des Sicherheitsrates 1967 heranzuziehen.734 Damals verurteilte er das Verhalten Israels nicht, als Israel militärisch gegen ägyptische und andere bewaffnete Streitkräfte vorging, bevor diese die israe730
Siehe oben S. 172. Siehe oben S. 127 ff. 732 Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 41; Franck, Recourse to Force, S. 104; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 33; Van den Hole, American University International Law Review 19 (2003), S. 105. 733 Antonopolus, Leiden Journal of International Law 17 (2004), S. 176. 734 Siehe bereits oben S. 172. 731
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lische Grenze erreicht hatten. Auf der anderen Seite verurteilte der Sicherheitsrat jedoch einstimmig Israels Bombardierung und Zerstörung des irakischen Atomreaktors im Jahre 1981, während er sich noch im Bau befand, obwohl Israel argumentierte, dass seine Existenz bedroht sei, wenn der Irak Atomwaffen besäße.735 Während der erste Fall die Caroline-Kriterien erfüllt, ist der von 1981 der präemptiven Selbstverteidigung zuzuordnen, wodurch auch das unterschiedliche Verhalten des Sicherheitsrats zu erklären wäre. Die Analyse der neueren Entwicklungen hat ergeben, dass der Irakkonflikt von 2003 jedenfalls nicht als Beispiel antizipatorischer Selbstverteidigung herangeführt werden kann.736 Daher ist zu konstatieren, dass es bei einer nicht ganz eindeutigen Staatenpraxis für die Annahme der Existenz eines antizipatorischen Selbstverteidigungsrechtes wie bereits vor dem Jahre 2001 bleibt. Für die Annahme eines solchen Rechts spricht allerdings die wachsende Zahl an Staaten, die sich ausdrücklich oder implizit dazu bekannt haben. Neben den USA, die ihre Überzeugung im Nationalen Strategiepapier verdeutlicht haben, hat auch Großbritannien sich zu einem solchen Recht bekannt.737 A maiore ad minus lässt sich auch aus den positiven Äußerungen einiger Staaten hinsichtlich der Annahme eines präemptiven Selbstverteidigungsrechtes erst recht ein antizipatorisches Selbstverteidigungsrecht herleiten.738 Soweit ersichtlich hat es im Zuge der Debatten um die Rechtfertigung des Irakeinsatzes jedenfalls keinen Staat gegeben, der ein Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung nach den Caroline-Kriterien bestritten hat. Im Übrigen hat auch Kofi Annan zuletzt im März 2005 in seinem Bericht zur Reformierung der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich ein Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung angenommen.739 Für die Annahme eines antizipatorischen Rechts auf Selbstverteidigung spricht neben dieser opinio iuris die Unzumutbarkeit, dass ein Staat andernfalls darauf warten müsste, bis er angegriffen wird, um sich mit militäri735
UN Doc. S/RES/487 vom 19. Juni 1981. Hmoud, Cornell International Law Journal 36 (2004), S. 443. 737 Siehe die Erklärung des Premieministers und des Foreign Secretary im Second Report from the Foreign Affairs Committee, Session 2002–2003, Foreign Policy Aspects of the War against Terrorism, Hansard HC, para 159 vom 19. Dezember 2002, abrufbar unter: http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200203/cm select/cmfaff/196/19609.htm (Stand 15. September 2005). 738 Zu den Äußerungen gleich ausführlich unten. 739 Siehe UN Doc. A/59/2005, abrufbar unter: www.un.org/largerfreedom/reportlargerfreedom.pdf, Rn. 124. 736
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2. Teil: Rechtfertigung für militärisches Vorgehen gegen int. Terror
schen Mitteln zu wehren. Auch widerspricht die Annahme eines solchen Rechts nicht dem Grundsatz des Selbstverteidigungsrechtes als eng auszulegende Ausnahme zum Gewaltverbot. Zwar erfordert Art. 51 UNC dem Wortlaut nach einen bereits begonnenen bewaffneten Angriff.740 Dieser ist insbesondere in der englischsprachigen Fassung deutlich, in der es heißt: „if an armed attack occurs“, etwas weniger deutlich die französische Version „dans le cas où un Membre des Nations Unis est objet d’une agession armée.“ Ein neben Art. 51 UNC bestehendes völkergewohnheitsrechtliches antizipatorisches Selbstverteidigungsrecht kommt zudem aus den oben genannten Gründen741 nicht in Frage. Der dahinter stehende Zweck dieser Forderung dürfte sein, Missbräuche zu verhindern. Eine Entscheidung über die Frage eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs müsste zwangsläufig dem jeweiligen Staat überlassen bleiben, der sich auf das Selbstverteidigungsrecht berufen möchte. Ein Ermessensmissbrauch wäre vorprogrammiert.742 Eine solche Missbrauchsgefahr ist jedoch dann minimiert, wenn objektiv glaubwürdige Beweise erbracht werden können, dass ein unmittelbar bevorstehender Angriff existiert und keine anderen Möglichkeit besteht, den bewaffneten Angriff abzuwenden, ergo die Caroline-Kriterien strikt erfüllt werden. Dem ließe sich auch nicht entgegen halten, dass eben diese Voraussetzungen in der Vergangenheit zu wenig Beachtung gefunden haben und sich daher zeige, dass die Gefahr des Missbrauches antizipatorischer Selbstverteidigung zur Durchsetzung anderer Interessen als derjenigen der Notwehr gegen einen Angriff ausgesprochen groß ist.743 Denn diese Kritik mag zwar in der Sache richtig sein, die nicht konsequente Einhaltung einer Norm ändert jedoch nichts am Bestehen einer solchen. Darüber hinaus bietet gerade Art. 51 UNC einem Staat den Schutz, sich gegen einen rechtswidrigen bewaffneten Angriff eines anderen Staates zu wehren. Kann dieses nur geschehen, indem er bereits vor Beginn des eigentlichen Angriffs sich zur Wehr setzt, weil er nach Beginn nicht mehr die 740 Stellvertretend für Vertreter gegen ein präventives Selbstverteidigungsrecht: Alexandrov, Self-Defense, S. 162; Cassese, in: Cot/Pellet, S. 776 ff.; Fischer, in: Ipsen, § 59, Rn. 30; Wengler, Gewaltverbot, S. 5 f.; Brownlie, International Law and the Use of Force, S. 275 ff.; Schulze, in: Wolfrum, Nr. 102, Rn. 22; SeidlHohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 1675. 741 Siehe oben S. 127. 742 Randelzhofer, in: Simma, Art. 51, Rn. 34, der jedoch die Bereitschaft zur Einhaltung des Verbotes einer präventiven Selbstverteidigung unter den Vorbehalt der Zweitschlagskapazität stellt. 743 Anghie, ASIL Proceedings 2004, S. 328; Antonopolus, Leiden Journal of International Law 17 (2004), S. 176; Dinstein, S. 183; Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 31.
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Möglichkeit dazu hätte, widerspräche es dem Sinn und Zweck des Selbstverteidigungsrechtes, nicht gegen einen solchen Staat vorgehen zu dürfen. Dogmatisch ließe sich der Ansatz insofern begründen, als in den Wortlaut, der die Gegenwärtigkeit eines Angriffs bestimmt, schon die unmittelbar vor dem Angriff liegenden bereits abgeschlossenen Vorbereitungshandlungen mit aufzunehmen wären. Daher besteht aufbauend auf die opinio iuris vieler Staaten und nach textorientierter Auslegung ein Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung in eng begrenzten Ausnahmefällen. Die Voraussetzungen,744 unter denen ein solches Recht ausnahmsweise zulässig erachtet werden sollte, sind dann folgende: 1. Es muss ein unmittelbar bevorstehender bewaffneter Angriff eines Staates vorliegen, der durch objektiv überzeugende Beweise darzulegen ist. 2. Die Gefahr darf nicht anders abwendbar sein, insbesondere ist die Möglichkeit der Autorisierung durch den Sicherheitsrat vorher auszuschöpfen. 3. Es gelten die übrigen oben aufgestellten Kriterien des Selbstverteidigungsrechtes, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. II. Die Existenz und Legitimation eines Rechts auf präemptive Selbstverteidigung Anders verhält es sich hingegen mit dem seit dem Irakkonflikt 2003 diskutierten präemptiven Selbstverteidigungsrecht. Insbesondere im amerikanischen Schrifttum ist die Vorverlagerung des Selbstverteidigungsrechtes vor dem Hintergrund der neuen Bedrohungsszenarien gefordert worden.745 Begründet wird diese Erweiterung ebenfalls mit der Unzumutbarkeit, darauf warten zu müssen, bis ein von Staaten oder terroristischen Organisationen bevorstehender Einsatz von Massenvernichtungswaffen nach den Voraussetzungen der antizipatorischen Selbstverteidigung bevorsteht.746 Die Unzumutbarkeit gründet sich zum einen darauf, 744 Franck, Recourse to force, S. 97-108; Alexandrov, Self-Defense, S. 149; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.) Terrorism as a Challenge, S. 867; Hofmann, GYIL 45 (2003), S. 31; Hmoud, Cornell International Law Journal 36 (2004), S. 443; Van den Hole, American University International Law Review 19 (2003), S. 10; Schaller, ZaöRV 62 (2002), S. 660; Murswiek, NJW 2003, S. 1016; Nolte, FAZ vom 10. Januar 2003, S. 8. 745 Reisman, AJIL 97 (2003), S. 86; Arend, The Washington Quarterly 26 (2003), S. 97 f.; Yoo, AJIL 97 (2003), S. 574; Wedgwood, AJIL 97 (2003), S. 583; Stromseth, AJIL 97 (2003), S. 634; Sofaer, EJIL 14 (2003), S. 226. 746 Wedgwood, AJIL 97 (2003), S. 583; Yoo, AJIL 97 (2003), S. 574, der den Militäreinsatz im Irak daher auf der Grundlage von Art. 51 UNC für gerechtfertigt hält.
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dass ein Angriff mit Massenvernichtungswaffen zeitlich schneller durchgeführt werden kann und sich dementsprechend die Vorbereitungshandlungen verkürzt haben. Zum anderen führt die größere Wahrscheinlichkeit, dass solche Waffen auch in den Besitz terroristischer Organisationen geraten können, zu einer Erweiterung des möglichen Täterkreises. Diese beinhaltet die Gefahr, dass terroristische Organisationen, wie bereits mehrfach betont, in der Verborgenheit operieren. Schließlich wird vielfach die Möglichkeit des enormen Schadensausmaßes als Begründung für eine präemptive Selbstverteidigung herangezogen. Auf der Hand liegt, dass die vielkritisierten Einsätze Israels 1981 und der USA 2003 im Irak nicht annähernd als Staatenpraxis ausreichen, um eine dahingehende gewohnheitsrechtliche Regel zu kreieren. Dies wird auch nicht einmal in der National Security Strategy der USA angenommen.747 Auch das Handeln Kennedy’s in der Kuba-Krise, Reagan’s Verhalten in Grenada und die Vorbereitungen Clintons zum Einsatz militärischer Gewalt gegen Nordkorea im Jahre 1994 basierten auf dem Gedanken der „preemption“ ,748 ohne dass dies jedoch klar benannt wurde und sich eine dementsprechende opinio iuris gebildet hätte. Betrachtet man die Äußerungen beteiligter Staaten an dem Konflikt im Irak 2003 so ist zu konstatieren, dass beispielsweise Großbritannien sich gerade nicht auf ein Recht auf Selbstverteidigung berief, sondern vielmehr im Bericht des britischen Foreign Affairs Committee das hohe Risko eines präemptiven Selbstverteidigungsrechtes aufgezeigt wird, „that this will be taken as legitimising the aggressive use of force by other, less law-abiding states.“749 Dies wurde jedoch von Seiten der britischen Regierung abgetan, indem sie feststellte, dass sie militärische Maßnahmen als letztes Mittel betrachte und alles, was sie getan hätten im Einklang mit dem internationalen Recht stünde.750 Ein Recht auf präemptive Selbstverteidigung wurde ausdrücklich anerkannt.751 Auch Indien und Israel stimmten einem solchen Recht zu. 747
Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 33. Hill, ASIL Proceedings 2004, S. 329. 749 Second Report from the Foreign Affairs Committee, Session 2002–2003, Foreign Policy Aspects of the War against Terrorism, Hansard HC, para 154 vom 19. Dezember 2002, abrufbar unter: http://www.publications.parliament.uk/pa/cm 200203/cmselect/cmfaff/196/19609.htm (Stand 15. September 2005). 750 Response of the Secretary of State for Foreign Affairs, S. 8. 751 Siehe die Erklärung des Premieministers und des Foreign Secretary im Second Report from the Foreign Affairs Committee, Session 2002–2003, Foreign Policy Aspects of the War against Terrorism, Hansard HC, para. 159 vom 19. Dezember 2002, abrufbar unter: http://www.publications.parliament.uk/pa/cm200203/cm select/cmfaff/196/19609.htm (Stand 15. September 2005). 748
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Demgegenüber stehen jedoch die Stellungnahmen derjenigen, die deutlich die Ablehnung des Irakkrieges äußerten. Diese Ablehnung wurde zum Teil damit begründet, dass keine Rechtsgrundlage dafür bestünde, noch nicht alle Möglichkeiten zur Abwendung eines Konfliktes ausgeschöpft wurden, dass ein militärisches Vorgehen gegen den Irak die Souveränität desselben verletze und das Ausmaß des Konfliktes nicht abzuschätzen sei.752 Zwar gab es im Kontext einiger terroristischer Anschläge in den letzten Jahren einige wenige Staaten, die ein solches präemptives Selbstverteidigungsrecht ebenfalls befürworteten. Nach den terroristischen Anschlägen in Bali 2002 äußerte sich beispielsweise Australien jedenfalls in die Richtung eines solch weitgehenden Rechts auf Selbstverteidigung.753 Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Thailand wiesen dieses Recht jedoch zurück.754 Auch Russland schloss die Möglichkeit eines solchen Rechtes noch unter dem Eindruck der Geiselnahme in Beslan 2004 stehend nicht aus.755 Auch vom Japanischen Verteidigungsminister wurde berichtet, dass dieser präemptive militärische Maßnahmen gegen Nordkorea für zulässig halte.756 Eine einheitliche oder zumindest überwiegende Staatenpraxis und opinio iuris lässt sich daraus jedoch nicht herleiten. Auch Kofi Annan kommt in seiner im März 2005 veröffentlichten Stellungnahme zur Reformierung der Charta der Vereinten Nationen zu dem Ergebnis, dass ein solches Gewohnheitsrecht nicht besteht. Darüber hinaus existieren auch diverse Gründe, das Recht auf Selbstverteidigung de lege ferenda nicht auf präemptive Handlungen auszudehnen. 752 Siehe die Äußerungen einer Vielzahl von Staaten UN Doc. S/PV.4701, S. 17 ff. 753 Australia supports pre-emptive strikes, The Guardian, 2 December 2002. Darin stellte der australische Premieminister John Howard fest: „It stands to reason that if you believe that somebody was going to launch an attack on your country, either of a conventional kind or a terrorist kind, and you had a capicity to Stopp it and there is no alternative other than to use that capacity.“ 754 „Australia’s new ‚hairy chested‘ attitude riles its east Asian neighbours“, The Guardian, 4 December 2002. Der Australischen Sichtweise entgegenhaltend Malaysia „then we will consider this an act of war and we will take action according to our laws to protect the sovereignty and independence of our country.“ 755 So russische Generalstabschef Juri Balujewski gegenüber der Nachrichtenagentur Itar-Tass am 10. September 2004, abrufbar unter: spiegel-online, „Russland droht seinen Nachbarstaaten“, www.spiegel.de (Stand 15. September 2005). Ebenso wenige Tage später am 13. September der russische Präsident Putin, der davon sprach, dass Terroristen direkt in ihren Lagern vernichtet werden müssten. „Wenn es nötig ist, muss man sie auch im Ausland erwischen“, siehe die Rede in deutsche Übersetzung abrufbar unter: www.tagesschau.de (Stand 15. September 2005). 756 „The Times“ vom 26. Februar 2003.
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Die Gefahr, dass terroristische Gruppierungen und Staaten Zugang zu Massenvernichtungswaffen erhalten, ist zwar unbestreitbar mit der Entwicklung solcher Waffen und dem höheren Potential von terroristischen Vereinigungen größer geworden. Falscher Ansatzpunkt zur Bekämpfung ist jedoch die Aufweichung des Selbstverteidigungsrechtes. Gegen die Annahme eines präemptiven Selbstverteidigungsrechtes spricht zunächst der eindeutig entgegenstehende Wortlaut. Außerdem bestünde die Gefahr eines ähnlichen Vorgehens anderer Staaten, die zu einer erheblichen Erschütterung des Gewaltverbots führen würde und dem Schutzzweck des Selbstverteidigungsrechtes widerspräche.757 Gegen eine solche Annahme spricht aber vor allem die erhebliche Missbrauchsgefahr. Es erscheint nicht fernliegend, dass ein Staat militärische Gewalt unter dem Deckmantel des präemptiven Selbstverteidigungsrechtes unter Vorgabe einer vermeintlichen Gefahr, die zu beseitigen ist, ausübt, die eigentlichen Interessen des gewaltausübenden Staates jedoch in eine ganz andere Richtung zielen.758 Selbst wenn man versuchen würde, Kriterien zu entwickeln, die einer missbräuchlichen Nutzung des Selbstverteidigungsrechtes entgegenwirken sollen, blieben erhebliche Zweifel: Welcher Maßstab ist für eine solche latente Gefährdung anzulegen? Wer entscheidet, ob eine latente Gefahr existiert? Wie soll eine solche Entscheidung kontrolliert werden? Das Recht auf Selbstverteidigung wurde zudem geschaffen als Reaktion auf eine konkrete Verletzung der territorialen Integrität eines Staates im Sinne eines Notwehrrechts.759 Die abstrakte Gefahr, dass ein solcher Angriff stattfinden könnte, kann jedoch nicht gleichwertig die Verletzung der territorialen Souveränität rechtfertigen.760 Im Unterschied zu den objektiv bestehenden Kriterien eines bereits begonnenen bewaffneten Angriffs liefe eine präemptive Selbstverteidigung darauf hinaus, dass eine Staat, der diese Rechtfertigung für eine militärische Maßnahme nutzen will, nach rein subjektiven Maßstäben entscheidet, ob eine abstrakte Gefährdung vorliegt.761 Solche rein subjektiven Entscheidungen sind weitaus schwerer nachzuvoll757 Fassbender, EuGRZ 31 (2004), S. 250; Tomuschat, Vereinte Nationen 2003, S. 45; Maogoto, NILR 51 (2004), S. 39; Antonopolus, Leiden Journal of International Law 17 (2004), S. 176; Hofmann, GYIL 45 (2002), S. 34; Gardner, AJIL 97 (2003), S. 585; McGoldrick, From 9-11 to the Iraq War 2003, S. 76; Falk, AJIL 97 (2003), S. 598; Franck, AJIL 97 (2003), S. 611; Sapiro, AJIL 97 (2003), S. 601. 758 Maogoto, NILR 2004, S. 39; Antonopolus, Leiden Journal of International Law, 17 (2004), S. 176. 759 Siehe oben S. 239 ff. 760 Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 33. 761 Peters, Risiko und Recht, S. 332; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.), Terrorism as a Challenge, S. 868.
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ziehen und zu kontrollieren als die objektiven Kriterien, anhand derer eine Situation als bewaffneter Angriff eingestuft wird. Einer missbräuchlichen Anwendung des Selbstverteidigungsrechtes kann auch nicht durch innerstaatliche demokratische Kontrolle abgeholfen werden.762 Zunächst ist schon zweifelhaft, ob demokratisch organisierte Staaten aufgrund ihres Systems einen Missbrauch ausschließen können.763 Darüber hinaus sollte ein solches Selbstverteidigungsrecht jedoch unabhängig von nationalen Gegebenheiten funktionieren, zumal der Geltungsbereich nicht nur auf demokratische Staaten beschränkt sein sollte.764 Es bleibt zudem nach wie vor im Unterschied zur Situation einer antizipatorischen Selbstverteidigung die Unsicherheit, ob sich die latente Gefahr überhaupt einmal realisiert oder ob sich ex post nicht herausstellt, dass die zu bewertende Situation nie den Anforderungen des Art. 51 UNC im klassischen Sinne genügt hätte. Dass diese Probleme entstehen, hat bereits der Irakkonflikt 2003 eindrucksvoll gezeigt. Schließlich hätte eine Annahme der präemptiven Selbstverteidigung erhebliche Konsequenzen für das internationale Rechtssystem insgesamt. Das System würde dann von einer auf Rechtsregeln basierenden Weltordnung zu einem machtorientierten System transformiert.765 Die Anwendung militärischer Mittel würde nicht mehr ultima ratio erfolgen.766 Eine Vorverlagerung des Rechts auf Selbstverteidigung im Sinne einer vorsorglichen Kriegsführung liefe daher darauf hinaus, dass dem gesamten System kollektiver Sicherheit der Vereinten Nationen eine Absage erteilt wird.767 Insgesamt ist daher festzuhalten, dass aufgrund mangelnder Einheitlichkeit der Staatenpraxis und entgegenstehender opinio iuris einiger Staaten sowie in Übereinstimmung mit der textorientierten Auslegung ein Recht auf präemptive Selbstverteidigung abzulehnen ist. Demgegenüber besteht ein Recht auf antizipatorische Selbstverteidigung in eng begrenzten Ausnahmefällen. 762 Reisman, AJIL 97 (2003), S. 89 scheint dies Argument zu benutzen, was von Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), S. 34 zu Recht kritisiert wird. 763 Moore, AJIL 97 (2003), S. 283 ff. 764 Anghie, ASIL Proceedings 2004, S. 327. 765 Gardner, der darin das Öffnen der Büchse der Pandora sieht, AJIL 97 (2003), S. 585; McGoldrick, From 9-11 to the Iraq War 2003, S. 76; Stahn, in: Walter/ Vöneky/Röben/Schorkopf (eds.) Terrorism as a Challenge, S. 869; In diese Richtung gehend auch die Stellungnahme Kofi Annans vom 21.03.2005 zur Reformierung der Charta der Vereinten Nationen, UN Doc. A/59/2005, abrufbar unter: www.un.org/largerfreedom/report-largerfreedom.pdf, Rn. 125 f. 766 Peters, Risiko und Recht, S. 332. 767 Bruha, AVR 41 (2003), S. 297; Thürer, AVR 41 (2003), S. 317; Anghie, ASIL Proceedings 2004, S. 329.
Zusammenfassung und Schlussbemerkungen Die Grundlage der Untersuchung bildete die im ersten Teil anhand des Vergleichs internationaler, regionaler und nationaler Normen entwickelte Arbeitsdefinition des Terrorismusbegriffes mit folgenden Kriterien: 1. Eine terroristische Tat erfordert zunächst als objektives Element eine Tathandlung, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Person oder eine schwere Beschädigung öffentlichen oder privaten Eigentums herbeiführt. 2. Als subjektives Element muss die Handlung darauf abzielen, eine Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. 3. Dabei ist der Täterkreis nicht eingeschränkt. Als Täter kommt jedermann in Betracht. Auch Staatsterrorismus, ist mit umfasst, sofern ein internationaler Bezug vorliegt. 4. Ausgeschlossen sind nur die Tätigkeiten der Streitkräfte während eines bewaffneten Konflikts, im Sinne des humanitären Völkerrechts. Anhand dieser Arbeitsdefinition wurde im zweiten Teil der Arbeit aufgezeigt, welche rechtlichen Erweiterungen sich hinsichtlich des Selbstverteidigungsrechtes nach den neueren Entwicklungen im Völkerrecht ergeben haben. Die Würdigung aller für das Selbstverteidigungsrecht rechtlich relevanten Ereignisse seit 2001 hat unter Berücksichtigung der textorientierten Auslegung ergeben, dass nach wie vor mit dem Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UNC die einzige Rechtfertigungsmöglichkeit unilateraler, militärischer Maßnahmen gegen terroristische Angriffe besteht. Neben der damit erfolgten Absage an eine Aufweichung des Gewaltverbotes durch Schaffung neuer Rechtfertigungsmöglichkeiten, ist auch der neueren Tendenz im Schrifttum, auf einzelne Kriterien im Rahmen des Art 51 UNC zu verzichten oder diese zu sehr zu erweitern, entschieden entgegenzutreten. Schutzzweck des Art. 51 UNC ist die territoriale Integrität und Souveränität des angegriffenen Staates. Dem steht die Rechtsposition eines Staates, auf dessen Hoheitsgebiet sich Terroristen befinden, gegenüber, konkret die Einschränkung seiner territorialen Integrität und inneren Souveränität. Als
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Notwehrrecht sieht Art. 51 UNC dann eine Schwächung der Rechtsposition des Aufenthaltsstaates vor, wenn durch den Unrechtsgehalt seines Verhaltens der bewaffnete Angriff entstanden ist. Damit bedarf es weiterhin eines staatlichen bewaffneten Angriffs. Eine partielle Völkerrechtssubjektivität von Terroristen kommt insofern nicht in Betracht. Wann terroristische Angriffe einem Staat zurechenbar sind, bestimmt sich danach, ob der Staat die privaten Akteure aktiv oder passiv unterstützt hat und dem Staat die Möglichkeit offen stand, durch Beendigung der Unterstützung die Anschläge zu verhindern. Ihm muss also die Kontrolle über das „ob“ der Tat obliegen. Die reine Duldung von Terroristen auf dem Hoheitsgebiet genügt für eine Zurechnung nicht. Diese eröffnet lediglich die Möglichkeit eines militärischen Vorgehens nach Kapitel VII der Charta. Im Übrigen ist auf eine nichtmilitärische strafrechtliche Verfolgung der Terroristen zu verweisen. Im Rahmen der weiteren Voraussetzungen hat das Erfordernis einer gewissen Intensität des Angriffs seine Bestätigung in der neueren Staatenpraxis ebenso wie in der textorientierten Auslegung gefunden. Eng mit dem Intensitätserfordernis verknüpft ist die neue Bewertung der Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs. In Anlehnung an die jüngste, einhellige Staatenpraxis und aufgrund der teleologischen Auslegung ist zumindest in Bezug auf terroristische Angriffe ein gegenwärtiger bewaffneter Angriff dann anzunehmen, wenn bereits begangene und noch bevorstehende Angriffen zu einem fortgesetzten Angriff zusammengefasst werden können. Voraussetzung für die Erfüllung des Gegenwärtigkeitserfordernisses in seiner „modernen Gestalt“ ist, dass die terroristischen Anschläge von der selben Quelle herrühren, gegen den gleichen Staat gerichtet werden und in naher Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Gewaltakte derselben Herkunft zu erwarten sind. Hinsichtlich der Zulässigkeit eines Selbstverteidigungsrechtes bei terroristischen Angriffen gegen Staatsangehörige im Ausland ergeben sich keine neuen Erkenntnisse aus der untersuchten Praxis. De lege ferenda ist ein solches Recht jedoch begrüßenswert und lässt sich aus der Betroffenheit des konstitutiven Elements der Staatsgewalt herleiten. Die Staatenpraxis bis 2001 ergibt jedoch kein so einheitliches Bild, aus dem sich ableiten ließe, dass sich bereits ein solches Recht etabliert hat. An der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ändert sich nichts. Diesem gebührt jedoch vor dem Hintergrund der Erweiterung der Zurechenbarkeit und der Gegenwärtigkeit besonders sorgfältige Anwendung. Darüber hinaus hat die Analyse der aktuellen Staatenpraxis und opinio iuris gezeigt, dass ein antizipatorisches Selbstverteidigungsrecht nach ein-
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heitlichem Willen der Staaten besteht, allerdings aufgrund der möglichen Missbrauchsgefahr nur unter engen Voraussetzungen. Die Voraussetzungen, unter denen ein solches Recht ausnahmsweise als zulässig erachtet wird, sind folgende: 1. Es muss ein unmittelbar bevorstehender bewaffneter Angriff eines Staates vorliegen, der durch objektiv überzeugende Beweise darzulegen ist. 2. Die Gefahr darf nicht anders abwendbar sein, insbesondere ist die Möglichkeit der Autorisierung durch den Sicherheitsrat vorher auszuschöpfen. 3. Es gelten die übrigen oben aufgestellten Kriterien des Selbstverteidigungsrechtes, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der zum Teil vertretene Ansatz eines Rechts auf präemptiven Selbstverteidigung findet hingegen weder ausreichenden Rückhalt in der Staatenpraxis noch ist er vereinbar mit dem Wortlaut und Sinn und Zweck des Art. 51 UNC. Eine Annahme eines solchen Rechtes eröffnete den Staaten praktisch nicht mehr kontrollierbare Möglichkeiten unilateraler Gewalteinsätze und ist daher strikt abzulehnen. Selbst im Hinblick auf mögliche Entwicklungen von Massenvernichtungswaffen ist ein präemptives Selbstverteidigungsrecht etwa gegen wieder in Betrieb genommene Atomreaktoren nicht zulässig, da der Zweck der Inbetriebnahme nicht automatisch derjenige eines bewaffneten Angriffs sein muss. In den Fällen, in denen nach den erarbeiteten Voraussetzungen kein Raum für einen unilateralen militärischen Einsatz nach dem Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 UNC besteht, ist jedenfalls ein Handlungsspielraum für den Sicherheitsrat eröffnet, da internationaler Terrorismus per se eine Friedensbedrohung darstellt. Dieser Weg ist in jedem Fall auch erfolgsversprechender im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, insofern müssen die Staatenbeispiele Afghanistan und Irak als nicht genutzte Chance angesehen werden, Geschlossenheit innerhalb der Staatengemeinschaft zu demonstrieren. Insgesamt betrachtet, bietet die Charta mit ihrem System ausreichend Schutz, um den Gefahren des internationalen Terrorismus jedenfalls im Hinblick auf militärische Maßnahmen in angemessener Weise begegnen zu können. Es bleibt die deutliche Notwendigkeit der Reformbedürftigkeit des Sicherheitsrates. Verstärkte Bemühungen sind gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt erkennbar. Doch ebenso klar ist, dass eine durchgreifende Reform zur Erhöhung der Funktionsfähigkeit des Sicherheitsrates gegenwärtig politisch noch schwer durchsetzbar ist. Weder für eine Anpassung und Konkretisierung der Art. 2 Ziff. 4 und Art. 51 UNC noch für Änderungen der Zu-
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sammensetzung oder des Verfahrens des Sicherheitsrates gibt es eine Mehrheit der Mitgliedstaaten der Staatengemeinschaft.1 Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag Kofi Annans, eine Sicherheitsratsresolution zu verabschieden, in der die Grenzen des Gewaltverbots und des Selbstverteidigungsrechtes hinsichtlich aller angesprochenen Streitpunkte festgelegt werden, sehr zu begrüßen.2 Zu erinnern bleibt ferner an die deutlich wirksameren nichtmilitärischen Verhinderungs- und Bekämpfungsmöglichkeiten gegen internationalen Terrorismus. „Terrorism springs out of despair and injustice; it is the weapon of the weak, not the coward; it is indiscriminate and a crime against its innocent victims. It must be addressed with effective and legitimate means by law enforcement and national justice systems of all countries of the world. The control of its manifestations depends on international cooperation, but prevention requires addressing its causes.“3 Vor diesem Hintergrund darf nicht vergessen werden, dass der Einsatz militärischer Gewalt gegen internationalen Terrorismus immer nur das letzte Mittel sein darf, um diesen wirksam zu bekämpfen.
1 Fassbender, EuGRZ 2004, S. 241; Speziell zur Reform des Sicherheitsrates auch ders., in: Max Planck UNYB 7 (2003), S. 183 ff. 2 Siehe die Stellungnahme Kofi Annans vom 21.03.2005 zur Reformierung der Charta der Vereinten Nationen, UN Doc. A/59/2005, abrufbar unter: www.un.org/ largerfreedom/report-largerfreedom.pdf, Rn. 126. 3 Bassiouni, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 103.
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Stichwortverzeichnis Accumulation of events-Doktrin 169 ff., 269 ff. Aggressionsdefinition 137 f., 174, 149 ff. Antiterrorkonventionen 34 Anti-Terrorpakete 87 Archille Lauro 42, 59 armed conflict 50, 101 ff. armed forces 50 f., 73, 104 ff. Auslieferung 36, 68 aut dedere aut judicare 34, 77 Beslan 63, 197 f. bewaffneten Angriff 137 ff., 232 ff. – Gegenwärtigkeit 169 ff., 269 ff. – Intensität 168, 263 ff. – Staatlichkeit 138 ff. Beweislast 260 ff. Caroline-Fall 173 ff. Counter Terrorism Committe 62 de facto-Organ 219 Draft Convention for the Prevention and Punishment of Certain Acts of Terrorism 29 Duldungskonstellation 139, 167 f., 251 ff. effektive Kontrolle 164 f. Entsendekonstellation 139, 166, 245 f. Europäischer Haftbefehl 73 europäischer Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung 70 ff. Europol 69 f., 74
Failed State 256 ff. Finanzierungsübereinkommen 37 ff. Friendly Relations Declaration 40 f. Geldwäsche 74 Generalversammlungsresolution 40/61 42 Generalversammlungsresolution 49/60 38, 43, 60 Generalversammlungsresolution 56/1 44 Genfer Abkommen 49 ff., 100 ff. Genfer Konvention zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus 28 Geschäftsführung ohne Auftrag 128, 259 Gewaltverbot 124 ff. grenzüberschreitende Kriminalität 94 Highlevel Panel on Threats Challenges and Change 57 f. implied state complicity 220 Internationaler Strafgerichtshof 64 ff. Interventionsverbot 118 ius cogens 124 Konventionsentwurf 45 ff. Kooperationsverpflichtung 243 f. Kuala Lumpur Declaration 79 Lockerbie 59, 63 Massenvernichtungswaffen 311 f. Mauergutachten 210 ff. München 29
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Stichwortverzeichnis
nationale Befreiungskämpfe 39, 47 ff., 103 ff. nationale Definitionsansätze 83 ff. nationale Sicherheitsstrategie 285 f. Naturrecht 130 f. Neutralitätsrecht 244 f. Nicaragua-Urteil 151 ff. Notstandsrecht 128, 239 ff. Notwehrrecht 239 ff. Nuklearterrorismus 55 nullum crimen sine lege 32 objektives Element 84 ff., 91 ff. Oil Platforms-Fall 207 ff. partielle Völkerrechtssubjektivität 236 ff. politische Straftat 36, 68 politischer Zweck 43, 97 f. Rechtssicherheit 32, 59 regionale Terrorismusabkommen 67 ff. Repressalie 128, 270 Resolution 1368 60 f., 198 ff. Resolution 1373 60 f., 198 ff. Resolution 1566 63 Reziprozität 266 Ruandatribunal 64 Rußland 197 f. safe haven 251 ff. Schutz eigener Staatsangehörige 276 ff. Selbstbestimmungsrecht 42 f., 77, 106 ff.
Selbstverteidigungsrecht – antizipatorisches 308 ff. – kollektives 177 – präemptives 311 ff. – präventives 172 ff. – Rechtsquelle 127 ff., 229 ff. – Schutzzweck 238 f. – Voraussetzungen 137 ff., 232 ff. Souveränität 239 ff. Staatenverantwortlichkeit 122, 138, 215 ff. Staatsterrorismus 38, 52 f., 114 ff. subjektives Element 38, 87 ff., 94 ff. Tadic-Fall 162 ff. Taliban 180 ff. Tathandlung 46, 91 ff. Tatmotiv 47, 94 ff. Teheraner Geiselfall 160 ff. territoriale Integrität 239 ff. terroristische Vereinigung 87 f. TREVI 69 Unfähigkeitskonstellation 139, 168, 255 ff. Unterstützungskonstellation 139, 166 f., 246 ff. uti possidetis-Prinzip 108 Vergeltungsmaßnahmen 170 f. Verhältnismäßigkeit 134, 171, 176, 280 ff. Vorbereitungshandlung 311 Webster-Formel 180 ff.