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German Pages 430 [455]
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 245
Moritz Hennemann
Interaktion und Partizipation Dimensionen systemischer Bindung im Vertragsrecht
Mohr Siebeck
Moritz Hennemann, geboren 1985; Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg, Krakau, Freiburg (Promotion) und Oxford (Magister Juris); Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg; Rechtsanwalt bei Hengeler Mueller, Düsseldorf; Akademischer Rat a. Z. am Institut für Medien- und Informationsrecht der Universität Freiburg; Visiting Researcher an der Harvard Law School; Habilitation; Inhaber des Lehrstuhls für Europäisches und Internationales Informations- und Datenrecht an der Universität Passau. orcid.org/0000-0003-4697-4532
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Vereins zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e.V. ISBN 978-3-16-159574-5 / eISBN 978-3-16-159575-2 DOI 10.1628/978-3-16-159575-2 ISSN 0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Garamond gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt. Es wurde von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 2019/2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Habilitationsschrift angenommen. Zu tiefstem Dank verpflichtet bin ich meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Boris P. Paal, MJur (Oxon.). Seine wissenschaftliche Förderung, sein stets weit vorausschauender Rat, sein strategischer Blick und sein Zuspruch zur rechten Zeit waren ein Privileg, das ein Schüler sich zwar stets wünscht, aber selten zu finden ist. Sein mir bereits als seinem ersten Doktoranden und Mitarbeiter gewährtes Vertrauen machen mich demütig und glücklich zugleich. Er hat mich, mein Denken, mein Handeln, umfassend geprägt. Die Welt der Wissenschaft eröffnet hat mir Herr Professor Dr. Dres. h.c. Werner F. Ebke, LL.M. (UC Berkeley), an dessen Heidelberger Lehrstuhl ich während meines Studiums als Studentische Hilfskraft tätig war. Für seine frühe Förderung und den damit verbundenen ersten Blick „hinter die Kulissen“ von Forschung und Lehre bin ich sehr dankbar. Ebenso hat mir meine Zeit als Mitarbeiter von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht nicht nur eine kaum fassbare Vielzahl von neuen Perspektiven eröffnet, sondern auch mein Wissenschaftsverständnis nachhaltig geschärft. Dafür bin ich äußerst dankbar. Dank schulde ich zudem Herrn Professor Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke) nicht nur für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens zur Arbeit, sondern vor allem für die – im besten Sinne – konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit meiner Arbeit sowie für weiterführende Hinweise darüber hinaus. Herr Dr. Leonhard Hübner, MJur (Oxon.) ist nicht nur seit unserer gemein samen Zeit am Lehrstuhl Ebke ein überaus geschätzter Gesprächspartner, sondern er hat die Arbeit auch in einer Entwurfsfassung gelesen. Seine Kommentare und Hinweise, sein frischer, kundiger Blick von außen, waren von unschätzbarem Wert für einen Habilitanden mit Tunnelblick in der Phase der Fertigstellung. Der Freiburger Rechtswissenschaftlichen Fakultät danke ich für die Auszeichnung der Arbeit mit dem Peter Schlechtriem-Preis. Dem Verein zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e.V. danke ich für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Frau
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Vorwort
Dr. Scherpe-Blessing, LL.M. (Cantab.), danke ich für die umsichtige und sorgfältige verlagsseitige Betreuung der Drucklegung. Die Fertigstellung der Habilitationsschrift im ersten Halbjahr 2019 wurde nicht zuletzt ermöglicht durch einen Forschungsaufenthalt als Visiting Researcher an der Harvard Law School im Fall Term 2018. Die Arbeit profitierte hier nicht nur von einem inspirierenden Umfeld, sondern vor allem von der für einen Wissenschaftler vielleicht idealen und daher im besten Sinne alltäglichen konzentrierten Ruhe einer traumhaft schönen Bibliothek. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand von Mitte 2019. Im Zuge der Drucklegung wurden geringfügige Anpassungen sowie redaktionelle Überarbeitungen vorgenommen. Passau, im November 2020
Moritz Hennemann
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
Kapitel 1: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1 Untersuchungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 A. Dritte, Digitalisierung und Vernetzung . . . . . . . . . . . . . 8 B. Mehrzahl von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 C. „Neue“ Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 D. Vertragliche Ökosysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 E. Systemische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 § 2 Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 § 3 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Theoretische Fundierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 C. Vertragsrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 D. Fortentwicklungspotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 E. Gesamtschau und Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Kapitel 2: Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 § 4 Entwicklungstreiber . . . . . . . . . . A. Digitalisierung und Multipolarität B. Selbstorganisation und Legal Tech C. Künstliche Intelligenz . . . . . . .
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§ 5 Ausgewählte Referenzfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 A. Online-Plattformen und das Internet der Dinge . . . . . . . . . 31 B. Smart Contracts und dezentrale Kooperationen (Blockchain-basierte Anwendungen) . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Elektronische und autonome Agenten . . . . . . . . . . . . . . 40
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§ 6 Dimensionen systemischer Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 A. Hin zu einem mehrpoligen oder multipolaren Vertrag(srecht)? 43 B. Dezentrale Kooperation(en) zwischen Vertrags- und Gesellschaftsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 C. Modifikationen der Rechtsgeschäftslehre bei autonomen Anwendungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 D. Kernelemente systemischer Bindung(en) . . . . . . . . . . . . . 45 I. Exkurs: Theorie des multipolaren Vertrags (Bleckmann) . 45 II. Annäherung I: Vom Völkervertragsrecht zum Zivilrecht . 47 III. Annäherung II: Die Einbindung Dritter . . . . . . . . . . 47 1. Faktische Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Einseitige intendierte Einbindung I . . . . . . . . . . . 48 3. Einseitig intendierte Einbindung II . . . . . . . . . . . 48 4. Beiderseitig intendierte Einbindung I . . . . . . . . . . 49 5. Beiderseitig intendierte Einbindung II . . . . . . . . . . 49 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 IV. Ein- und Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Abgrenzung von bipolaren Vertragsverhältnissen . . . 50 2. Einbindung Dritter durch eine / beide Vertragspartei(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Interdependenzen und Rückwirkungen . . . . . . . . . 51 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 V. Anwendung auf die ausgewählten Referenzfelder . . . . . 51 1. Online-Plattformen und das Internet der Dinge . . . . 51 2. Smart Contracts und dezentrale Kooperationen (Blockchain-basierte Anwendungen) . . . . . . . . . . . 52 3. Elektronische und autonome Agenten . . . . . . . . . . 52
Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . 55 § 7 Bindung(en) und Erwartung(en) im System Recht . . . . . . . . . 55 A. Das System Recht (Luhmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Recht als autopoietisches System . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Operabilität und Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Rechtssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Willens-Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Bindung(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. Grundlagen: Relationale Vertragstheorie . . . . . . . . . . 62 II. Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
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III. Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 C. Normative Erwartung(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 § 8 Rückbindung(en) an willensbasierte Aktionen . . . . . . . . . . . . 69 A. Ausgangspunkt und ‚Richtung‘ vertraglicher Beziehungen . . 69 B. Anknüpfungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Strenge Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Gelockerte Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Selbstständige Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 § 9 Schutzwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 A. Impetus: Prozedurales Recht und deliberative Diskurstheorie . 73 B. Ordnung durch Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Selbstbindung durch Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 II. Soziale Funktion des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . 75 C. Privatrechtsgesellschaft (Böhm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Regulierung, Wettbewerb und (Austausch-)Verträge . . . 79 III. Bindung(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 IV. Digitale Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 82 D. Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Innovation durch Recht und innovatives Recht . . . . . . 83 II. Innovation und Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 84 III. Zugriff dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 E. Contract Governance (Grundmann/Möslein/Riesenhuber) . . . 85 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Governance of Contract Law . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Governance of Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3. Governance by the Means of Contract Law . . . . . . . 89 4. Governance through Contract . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Dritte, Netzwerke, Organisationen . . . . . . . . . . . . . 90 1. Interdisziplinärer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 IV. Relativität der Schuldverhältnisse und Drittwirkung(en) . 91 1. Grundsatz der Relativität . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Drittwirkung(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Positive Drittwirkung(en) von Verträgen . . . . . . . 94 b) Positive Drittwirkung(en) auf Verträge . . . . . . . . 94 c) Negative Drittwirkung(en) von Verträgen . . . . . . 94 d) Negative Drittwirkung(en) auf Verträge . . . . . . . 95
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3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 F. Zwischenstand: Interaktion und Partizipation in der digitalen Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Bipolarität und Multipolarität . . . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Zentralität und Dezentralität . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 III. Erklärungen und Agenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Kapitel 4. Rechtsdogmatischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . 99 § 10 Von der Computererklärung zur Plattformökonomie . . . . . . . 100 A. Ausgangspunkt: Der zweiseitige Vertrag . . . . . . . . . . . . . 100 I. Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Vorab: Bindung durch faktisches Verhalten? . . . . . . 101 2. Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Äußerer und innerer Tatbestand . . . . . . . . . . . 103 aa) Äußerer Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Innerer Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Auslegung von Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . 110 III. Die ergänzende Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . 112 B. Computererklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Grundsätze der Computererklärung . . . . . . . . . . . . 115 1. Abgrenzung zu elektronisch übermittelten Willenserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Voraussetzungen der Computererklärung . . . . . . . . 116 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Äußerer Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Innerer Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Betriebsbezogene Zurechnung (Wiebe) . . . . . 120 3. Anwendung auf elektronische Agenten . . . . . . . . . 121 C. Vertragsschluss auf Plattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Die eBay-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Vertragsschluss auf eBay . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Kein Zuschlag im Sinne des § 156 BGB . . . . . . . . 124 b) Allgemeine Vorschriften der §§ 145 ff. BGB . . . . . 125
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2. Relevanz Allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . . . 125 a) Unmittelbare Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Stellen durch eine Partei . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Gesonderter (Rahmen-)Vertrag . . . . . . . . . 127 b) Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Allgemeine Geschäftsbedingungen als Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) „Inhaltskontrolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Bausteinvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. „Durchgriff“ bei Bausteinverträgen . . . . . . . . . . . 136 3. (Ergänzende) Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . 140 4. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Sonderfall: (Pauschal-)Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Novelle des Reiserechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Vertragliche Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. (Pauschal-)Reise, Reiseveranstalter, Reisevermittler . . 144 a) Rechtslage vor dem 3. Reiserechtsänderungsgesetz . 144 aa) Reise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Reiseveranstalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 cc) Abgrenzung zum Reisevermittler . . . . . . . . 145 dd) § 651a Abs. 2 BGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Rechtslage nach dem 3. Reiserechtsänderungsgesetz 147 aa) Pauschalreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) Reiseveranstalter und Reisevermittler . . . . . . 148 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Einordnung der Vermittlerklausel . . . . . . . . . . . . 150 a) Widersprüchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . 150 b) (Ergänzende) Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . 150 5. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 IV. Allgemeine Lehren für Vermittlungsplattformen . . . . . 152 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. (Ergänzende Vertrags-)Auslegung der Erklärungen . . 153 3. AGB-rechtlicher Zugriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Individualvereinbarung, § 305b BGB . . . . . . . . . 154 b) Überraschende Klauseln, § 305c Abs. 1 BGB . . . . 154 4. Unionale und unionsrechtliche Impulse . . . . . . . . . 155 a) Mitteilung zu einer Europäischen Agenda für die kollaborative Wirtschaft . . . . . . . . . . . . 156
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b) Asociación Profesional Elite Taxi/Uber Systems Spain SL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 5. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 § 11 Von smarten Produkten zur dezentralen Kooperation . . . . . . . 158 A. Smarte Produkte und das Internet der Dinge . . . . . . . . . . 160 I. Vertragsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Einheitsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Agenturmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Garantiemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Einordnung smarter Anwendungen . . . . . . . . . . . . . 163 1. Erwartung(en) betreffend die smarte Anwendung . . . 163 a) Jüngste Entwicklungen auf unionaler Ebene . . . . . 164 b) Immaterialgüterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Insbesondere: Das Verhältnis zwischen Systemanbieter und Lizenzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Anwendungsbeispiel: Der Gardena-Fall . . . . . . . . . 170 a) Ausgangsszenario . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Abwandlung: Betrieb des Servers durch Dritten . . 171 c) Abwandlung: Betrieb der App durch Dritten . . . . 172 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 B. Dezentrale Kooperationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Blockchain-Technologie zur Vertragsabwicklung . . . . . 174 1. Einzelne bipolare Vertragsverhältnisse . . . . . . . . . 175 2. Kooperatives Minimum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Exkurs: Mehrseitiger Vertrag . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Insbesondere: Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . 180 a) Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 c) Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5. Vertragsrechtliche Einordnung der dezentralen Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Rechtsgeschäftlicher Charakter . . . . . . . . . . . . 183 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Grundkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Exkurs: Kryptowährungen . . . . . . . . . . . . 184 cc) Decentralized Autonomous Organizations . . . 185 II. Verträge „auf“ der Blockchain / Smart Contracts . . . . . 187
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1. „Abbildung“ und „Ausführung“ eines Vertrags in der Blockchain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Vertragliche Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Vertragsschluss mittels Protokollen . . . . . . . . . . 189 aa) Protokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Rechtliche Relevanz der multipolaren Struktur 190 (1) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (2) Mehrseitiger Vertrag . . . . . . . . . . . . . . 191 b) „Exekution“ eines Vertrags . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Blockchain vs. Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . 193 III. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 C. Vertragsnetz(werk)e, Vertragsverbünde, Vertragssysteme . . . 194 I. Grundlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Netzwerkbeziehungen im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . 196 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Ausgewählte Regelungskomplexe . . . . . . . . . . . . 197 a) Einwendungsdurchgriff, §§ 358 f. BGB . . . . . . . . 198 b) Sachwalterhaftung, § 311 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . 198 c) Allgemeine Grundsätze für Vertragsnetzwerke . . . 199 III. Vertragsnetzwerk als eigenständige dogmatische Figur . . 200 1. Analoge Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. (Rechtliche) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. „Entdeckung“ und „Entwicklung“ von Vertragsnetzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) „Nicht-willensbasierte“ Ansätze . . . . . . . . . . . 203 aa) Netzvertrag I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Relationale Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . 205 cc) Vertragsverbund I . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 dd) Vertragsverbund II . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) „Willensbasierte“ Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Vertragsverbindungen . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Erwartungshaltung der Parteien . . . . . . . . . 211 cc) Netzvertrag II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 dd) Trilaterales Synallagma . . . . . . . . . . . . . . 213 ee) Vertragsverbund III . . . . . . . . . . . . . . . . 214 ff) Untypische Gesellschaft bürgerlichen Rechts . . 215 gg) Fortentwicklung des Rechts der Dauerschuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 4. Kritik und Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Rezeption in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 217 b) Ablehnung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Zugriffsansätze der herrschenden Lehre . . . . . . . 219
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aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (1) Denken entlang der „Kettenglieder“ im Vertragsnetzwerk . . . . . . . . . . . . . . 220 (2) Bestimmung der Vertragsinhalte . . . . . . . 220 (3) Qualifikation von Erfüllungsgehilfen . . . . 221 bb) Vertrag zugunsten Dritter, §§ 328 ff. BGB . . . . 222 cc) Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter . 222 dd) AGB-rechtliche Inhaltskontrolle, §§ 305 ff. BGB 223 ee) Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB . . 224 (1) Netzzweck als Geschäftsgrundlage . . . . . 224 (2) Insbesondere: Risikozuweisung . . . . . . . 225 ff) Treu und Glauben, § 242 BGB . . . . . . . . . . 225 IV. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Responsiver dogmatischer Zugriff . . . . . . . . . . . . 226 a) Dogmatische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Responsiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Wille, Erwartung, Relativität und Vertrauen in Vertragsnetzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Willen und Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Relativität und Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Stabilisierung von Erwartungen . . . . . . . . . . . . . 230 4. Umweltsensible Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 230 § 12 Von elektronischen zu autonomen Agenten . . . . . . . . . . . . . . 231 A. Vertragsschluss mit elektronischen Agenten . . . . . . . . . . . 231 B. Vertragsschluss mit autonomen Agenten . . . . . . . . . . . . . 232 I. (Teil-)Rechtsfähigkeit und eigene „Willenserklärung“ des autonomen Agenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Willenserklärung der hinter dem autonomen Agenten stehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Grundsätze der Computererklärung . . . . . . . . . . . 236 2. Grundsätze der Blanketterklärung . . . . . . . . . . . . 239 3. Alternative Formen der Zurechnung . . . . . . . . . . . 241 III. Botenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 IV. Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2. Analoge Anwendbarkeit der Stellvertretungsregelungen auf autonome Agenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Ablehnung einer Analogie . . . . . . . . . . . . 243
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bb) Befürwortung einer Analogie . . . . . . . . . . 244 (1) Umfassende Analogie . . . . . . . . . . . . . 244 (2) Rekurs auf §§ 165, 179 Abs. 3 BGB analog . . 244 b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . 246 (1) Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 (2) Planwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . 247 (1) Grundlinien der Stellvertretung . . . . . . . 247 (2) Bevollmächtigung . . . . . . . . . . . . . . . 247 (3) Schutz des anderen Teils . . . . . . . . . . . . 248 (4) Rechtssubjektsqualität des Stellvertreters . . 249 (5) Autonome Agenten als MinderjährigenÄquivalent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 V. „Vertragsschlussgehilfen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Erfüllungsgehilfe, § 278 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Zurechnung nach § 278 BGB analog . . . . . . . . . . . 252 a) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Faktische Trennung: Schuldner und technische Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 bb) Rechtliche Trennung: Schuldner und technische Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3. „Hilfe“ beim Vertragsschluss nach § 278 BGB analog . 254 a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . 255 c) Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . 255 VI. Praktische Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Alexa / Echo Dot (Amazon Media EU S.à.r.l.) . . . . . 256 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Nutzungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) Rechtliche Bewertung des Vertragsschlusses . . . . 258 2. Google Assistant / Google Home (Google LLC) . . . . 259 a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Nutzungsbedingungen von Google Assistant . . . . 260 c) Rechtliche Bewertung des Vertragsschlusses . . . . 261 aa) Informationsgewinnung und Zugriff . . . . . . 261 bb) Verträge mit Shopping Action-Händlern . . . . 261 cc) Einsatz des Anrufassistenten der Google Duplex-Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . 261
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C. Exkurs: Willensbasierter Vertragsschluss: Eine (immer schon bestehende) Fiktion? . . . . . . . . . . . . . 262 I. Umschau: Grundlegende Erkenntnisse der Hirnforschung 263 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Der strafrechtliche Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Der privatrechtliche Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . 265 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Rückblick: Der AGB-rechtliche Diskurs . . . . . . . . . . 269 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Erste Reaktion(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Schutz durch Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . 270 b) Einbeziehung und Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . 271 4. Allgemeine Geschäftsbedingungen und normative Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Status Quo: Normative Kraft des Faktischen . . . . . . . 273 IV. Ausblick: Faktische Kraft der Technik . . . . . . . . . . . 274
Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 § 13 Vertragsbeziehung(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 A. (Akademische) Vorschläge zu einem Europäischen Vertrags- und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 I. Internationale Vorläufer und Inspirationsquellen: Völkerrecht und Soft Law-Instrumente . . . . . . . . . . . 280 II. Textstufen des Europäischen Privatrechts . . . . . . . . . 282 B. (Akademische) Vorschläge zur Plattformökonomie und zum Internet der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Vorschlag für eine Richtlinie über Online-Vermittlungsplattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Zielrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Trias der Vertragsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . 285 3. Haftungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Definitionen, Art. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Haftung des Plattformbetreibers . . . . . . . . . . . 286 4. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 II. Vorschlag zu den Vertragsbeziehungen beim Internet der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 1. Zielrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
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2. Identifizierte Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 3. Konkrete Umsetzungsvorschläge . . . . . . . . . . . . 292 a) §§ 434, 475 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Händlergarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 c) Direkthaftung des Herstellers . . . . . . . . . . . . . 294 4. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 C. Entwicklungen auf unionaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . 296 I. Gemeinsames Europäisches Kaufrecht . . . . . . . . . . . 296 II. Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 III. Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 IV. Mitteilung zu Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 V. Vorschlag für b2b-Plattform-Verordnung . . . . . . . . . 299 VI. Vorschlag für eine Ergänzung der Verbraucherrechterichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 VII. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 § 14 Dezentrale Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 A. Allgemeine Implikationen der Blockchain-Technologie . . . . 302 B. Rechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I. Finanzmärkte als Fixpunkt der Diskussion . . . . . . . . 303 II. Insbesondere: Vertragsrechtliche Implikationen . . . . . . 304 C. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 I. „Rechtsgültigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 II. Vertragsstruktur(en) und Vertragsverhältnisse bei dezentralen Kooperationsstrukturen . . . . . . . . . . . . 305 § 15 Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 A. Strategischer Diskurs über Künstliche Intelligenz . . . . . . . 306 I. Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung . 307 2. Konkretisierender Exkurs: Novellierung des StVG . . 308 II. Unionale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 1. Mitteilung „Künstliche Intelligenz in Europa“ . . . . . 309 2. Koordinierter Plan für künstliche Intelligenz . . . . . . 310 3. Mitteilung „Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz“ . . . . 311 B. Insbesondere: Entschließung des Europäischen Parlaments zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik . . . . . . . 311 I. Allgemeine Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
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II. Zivilrechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 312 1. Allgemeines Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 III. ePerson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 C. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 II. Materielle Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 III. Institutionelle Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . 317 § 16 Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 A. Gesellschaftliche Vorteile systemischer Bindung . . . . . . . . 319 B. Verifikation und Akzeptanz von Black Boxes . . . . . . . . . . 321 C. Risikoallokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 D. Kodierung, selbstlernende Prozesse und Normsetzung . . . . 324 § 17 Optionen für die Dimensionen systemischer Bindung . . . . . . . 326 A. Systemische Öffnung des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . . 326 I. Ergänzende (gesetzliche) Ansprüche . . . . . . . . . . . . 327 1. Primärleistungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 a) Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 b) Vorschlag zu den Vertragsbeziehungen beim Internet der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Sekundärleistungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 b) Vorschlag für eine Richtlinie über OnlineVermittlungsplattformen . . . . . . . . . . . . . . . . 329 c) Vorschlag zu den Vertragsbeziehungen beim Internet der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 II. Allgemeine Regelung zu Vermittlerklauseln . . . . . . . . 330 III. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 B. Systemische Strukturen des Vertragsrechts . . . . . . . . . . . . 333 I. Neue (multipolare) Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . 334 1. Netzwerkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Bausteinvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 3. Verträge zur Ausgestaltung von Kooperation . . . . . . 335 II. Leistungsfähigkeit des Vertrags- und Gesellschaftsrechts 336 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 C. Systemische Akteure (des Vertragsrechts) . . . . . . . . . . . . 337 I. Akteur und Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
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II. Autonome Erklärungen, autonome Stellvertreter und autonome Vertragsschlussgehilfen . . . . . . . . . . . . . . 338 1. Autonome Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 a) Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 b) Zurechnung der autonomen Erklärung . . . . . . . . 341 2. Autonomer Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 a) Konzeption und Zurechnung . . . . . . . . . . . . . 341 b) Regulierung in Anlehnung an § 179 Abs. 3 BGB . . 342 3. Autonomer Vertragsschlussgehilfe . . . . . . . . . . . . 343 a) Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 b) Ausweitung vertrag(srecht)licher Bindung(en) . . . . 344 4. Regelung zu Verträgen mit autonomen Agenten . . . . 344 5. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 a) Regelung zu Verträgen mit autonomen Agenten . . 345 b) Autonome Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 c) Autonomer Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . 346 d) Autonomer Vertragsschlussgehilfe . . . . . . . . . . 347 III. Rechtspersönlichkeit bzw. (Teil-)Rechtsfähigkeit für autonome Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 1. Der haftungsrechtliche Ausgangspunkt des Diskurses 349 2. Diskurs zu einer Rechtspersönlichkeit autonomer Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Begründung(en) einer Rechtspersönlichkeit . . . . . 351 b) Ausgestaltungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . 353 c) Verfassungsrechtliche Erwägungen . . . . . . . . . . 355 3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 a) Normative Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Leitende Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 c) Verantwortung, Rechtsstatus und die Steuerung von Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 § 18 Parameter für eine Regulierung im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . 362 A. Digitale Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 II. Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 III. Wille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 IV. Vertragliche Ökosysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 V. (System-)Verantwortungszuweisung . . . . . . . . . . . . 367 VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 B. Vertragssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 I. Systemische Bindung, systemische Risiken und Vertragssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
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II. Dimensionen der Vertragssicherheit: Richtungs- und Wertentscheidungen am Beispiel automomer Agenten . . 371 1. Egoistische Agenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 2. Altruistische Agenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 3. Systemsensible Agenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 C. Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 I. Regulierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 1. Traditionelle Formen der Regulierung . . . . . . . . . . 376 2. Ko-Regulierung und Selbstregulierung . . . . . . . . . 378 a) Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 b) Kollaborative Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . 379 II. Insbesondere: Zertifikate und Modifikationen für autonome Agenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 1. Entwicklung von Zertifikaten . . . . . . . . . . . . . . 380 2. Optionen zur Modifikation der vertraglichen Bindung 381 3. Optionen zur Modifikation der Haftung im Übrigen . 382 4. Instrumentendesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 III. Regulierungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Kapitel 7: Gesamtschau in Thesen und Synthese . . . . . . . . . 387 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 B. Rechtstheoretischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 C. Rechtsdogmatischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 I. Von der Computererklärung zur Plattformökonomie . . . 390 II. Von smarten Produkten zur dezentralen Kooperation . . 392 III. Von elektronischen zu autonomen Agenten . . . . . . . . 393 D. Rechtspolitischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 E. Fortentwicklungspotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
Abkürzungsverzeichnis AB1. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft / der Europäischen Union Abs. Absatz / Absätze AcP Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) a. F. alte Fassung ÄndRL Änderungsrichtlinie AG Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AGBG Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäfts bedingungen AJP Aktuelle Juristische Praxis (Zeitschrift) AnwBl Anwaltsblatt (Zeitschrift) AO Abgabenordnung AöR Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Zeitschrift) Art. Artikel Aufl. Auflage AVR Archiv des Völkerrechts (Zeitschrift) b2b business-to-business b2c business-to-consumer BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen BB Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bd. Band/Bände BeckRS Beck-Online Rechtsprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BKartA Bundeskartellamt BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht BT-Drs. Bundesdrucksache bzw. beziehungsweise CR Computer und Recht (Zeitschrift) d. des DAO decentralized autonomous organization DCFR Draft Common Frame of Reference dens. denselben ders. derselbe dies. dieselbe/n DLT Distributed-Ledger-Technologie
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Abkürzungsverzeichnis
DR Deutsches Recht (Zeitschrift) DS-GVO Datenschutz-Grundverordnung Duke L. J. Duke Law Journal (Zeitschrift) E Entwurf ebd. ebenda Ed. Edition EG Europäische Gemeinschaft endg. endgültig ERCL European Review of Contract Law (Zeitschrift) ERPL European Review of Private Law (Zeitschrift) etc. et cetera EU Europäische Union EuCML Journal of European Consumer and Market Law (Zeitschrift) EuGH Europäischer Gerichtshof EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht e. V. eingetragener Verein EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWR Europäischer Wirtschaftsraum f., ff. folgend(e) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung Fn. Fußnote GA Generalanwalt gen. genannt GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GPR Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) GRUR-Prax Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (Zeitschrift) GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Harv. J. L. Harvard Journal of Law and Technology (Zeitschrift) & Tech. Hervorh. Hervorhebung(en) Hrsg. Herausgeber i. im i. e. id est i. S. d. im Sinne des / im Sinne der inkl. inklusive InTeR Zeitschrift zum Innovations- und Technikrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) ITRB IT-Rechtsberater (Zeitschrift) IWRZ Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht J. Cons. Pol’y. Journal of Consumer Policy (Zeitschrift) JherJb Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts (Zeitschrift) JR Juristische Rundschau (Zeitschrift) JURA Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JuS Juristische Schulung (Zeitschrift)
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JZ Juristenzeitung (Zeitschrift) K&R Kommunikation und Recht (Zeitschrift) KG Kammergericht KI Künstliche Intelligenz KritV Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtsprechung (Zeitschrift) KSzW Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) LG Landgericht lit. litera LMK Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung Ls. Leitsatz MDR Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) MedR Medizinrecht (Zeitschrift) Minn. L. R. Minnesota Law Review (Zeitschrift) Mio. Million(en) MMR MultiMedia und Recht (Zeitschrift) m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR NJW Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Zeitschrift) No. Number Nw. Univ. Northwestern University Law Review (Zeitschrift) L. Rev. Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZKart Neue Zeitschrift für Kartellrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Ohio State L. J. Ohio State Law Journal (Zeitschrift) OLG Oberlandesgericht ORDO Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Orig. Original OSTP Office of Science and Technology Policy o. V. ohne Verfasser ProdHaftG Produkthaftungsgesetz Pub.L. Public Law RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RG Reichsgericht RJ Rechtshistorisches Journal (Zeitschrift) RL Richtlinie Rn. Randnummer Rspr. Rechtsprechung RW Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung s. siehe S. Satz / Sätze / Seite Sci Eng Ethics Science and Engineering Ethics (Zeitschrift) Sec. Section
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Abkürzungsverzeichnis
SGB Sozialgesetzbuch S. Cal. L. Rev. Southern California Law Review (Zeitschrift) Stan. Tech. Stanford Technology Law Review (Zeitschrift) L. Rev. Stat. Statute StGB Strafgesetzbuch StVG Straßenverkehrsgesetz st. Rspr. ständige Rechtsprechung Tz. Textziffer u. a. und andere U. C. Davis UC Davis Law Review (Zeitschrift) L. Rev. UN United Nations UNCITRAL United Nations Commission on International Trade Law UNIDROIT Institut international pour l’unification du droit privé Urt. Urteil umstr. umstritten v. von / vom Verf. Verfasser(s) vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkung VuR Verbraucher und Recht (Zeitschrift) VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Wash. U. L. Rev. Washington University Law Review (Zeitschrift) WM Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) WpHG Wertpapierhandelsgesetz WRP Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) WuW Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) z. B. zum Beispiel ZD Zeitschrift für Datenschutz ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZfPW Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft ZfRsoz Zeitschrift für Rechtssoziologie ZfSoz Zeitschrift für Soziologie ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZIS Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZUM Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht ZVglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft ZWeR Zeitschrift für Wettbewerbsrecht
Kapitel 1
Einleitung Kontrahieren bedingt Interaktion und Partizipation. Vertragliche Bindung basiert auf vertraglichen Interaktionen. Die Reichweite vertraglicher Bindung führt zu Partizipation. Das damit angesprochene Vertragsrecht1 stößt derzeit vielerorts auf neue Herausforderungen und hierdurch auch an Grenzen. Damit sind nicht traditionelle territoriale Landesgrenzen angesprochen, sondern vielmehr die „eigenen“ dogmatischen Grenzen des (geltenden) Vertragsrechts.2 Vielfältige Interaktionsformen fordern das Vertragsrecht in besonderer Weise heraus – und es wird zunehmend mit guten Gründen in Frage gestellt, ob das geltende Vertragsrecht noch in der Lage ist, tragfähige Instrumente und Lösungen für die modernen (digitalen) Privatrechtsgesellschaften 3 bereitzustellen.4 Dies gilt zunächst in Bezug auf die Vertragsgegenstände: Diskutiert werden insoweit Fragen und Lösungen in Bezug auf Verträge über Daten bzw. digitale Leistungen sowie mit Daten als Entgelt.5 Die damit verbundenen Fragen sind 1 Vertragsrecht im Sinne dieser Arbeit bezieht sich – soweit nicht anders benannt – auf das nationale Vertragsrecht des BGB sowie die (ergänzenden) vertragsrechtlichen Bestimmungen des unionalen Sekundärrechts. Letztgenannte Bestimmungen bilden freilich bislang kein umfassendes Regelwerk, sondern nur, wenn auch teilweise mit enormer Regelungstiefe, fragmentarische Normbestände. 2 Allgemein zur Diskussion um ein „Update“ des BGB siehe Faust, Digitale Wirtschaft – Analoges Recht: Braucht das BGB ein Update?, Gutachten A zum 71. Deutschen Juristentag, 2016 sowie etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134; Spindler, JZ 2016, 805; Stöhr, ZIP 2016, 1468; Wendehorst, NJW 2016, 2609. 3 Hierzu nachfolgend sub Kapitel 3 § 9 C. 4 Siehe zum Einfluss der „Digital Revolution“ auf das (unionale) Vertragsrecht etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134; Schulze/Staudenmeyer (Hrsg.), Digital Revolution: Challenges for Contract Law in Practice, 2016; Twigg-Flesner, in: De Franceschi (Hrsg.), European Contract Law and the Digital Single Market, 2016, S. 21 ff.; zu Privatrechtsdogmatik und „IT-Revolution“ Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/ Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 ff.; zu Privatrechtsdogmatik und geistiges Eigentum (insbesondere auch zu Verträgen über digitale Güter) Ohly, ebd. S. 987 ff.; allgemein(er) auch Hofstetter/v. Westphalen, AnwBl 2017, 1174. 5 Siehe stellvertretend für die Diskussion Auer, ZfPW 2019, 130; Hacker, ZfPW 2019, 148; Metzger, AcP 216 (2016), 817; Sattler, JZ 2017, 1036; Specht, JZ 2017, 763; Wendland, Z VglRWiss 118 (2019), 191; aus wettbewerb(srecht)licher Sicht etwa Schweitzer, GRUR 2019, 569; dies./ Peitz, NJW 2018, 275; dies./Fetzer/Peitz, Digitale Plattformen: Bausteine für einen künftigen Ordnungsrahmen, Discussion Paper No. 16-042 (29. Mai 2016), S. 20 ff.; sowie die jüngst verabschiedeten Richtlinien (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und
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Kapitel 1: Einleitung
von enormer praktischer und rechtsdogmatischer Bedeutung. Ein adäquater Zugriff erfordert auch und gerade eine Auseinandersetzung mit der Bestimmung von Vertragstypen, des jeweiligen Leistungsgegenstandes, der Pflichten und von Leistungsstörungen. 6 Diese Arbeit möchte sich der Leistungsfähigkeit des Vertragsrechts allerdings aus einem anderen Blickwinkel annehmen. Grundlegender Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die technischen Fortentwicklungen der letzten (und der kommenden) Jahre eine Überprüfung des Vertragsrechts in verschiedenen (weiteren) Dimensionen erforderlich machen.7 Denn die Digitalisierung hat nicht nur neue Vertragsgegenstände „produziert“, sondern darüber hinaus die Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten (zwischen Privaten) ganz grundsätzlich und in verschiedener Hinsicht neuartig ausgestaltet. 8 Drei Entwicklungen sind in diesem Kontext von zentraler Bedeutung: Erstens bedingt die Digitalisierung eine Vielzahl verschiedener Vernetzungsmöglichkeiten und -erfordernisse Privater sowie der eingesetzten technischen Anwendungen.9 Das hierdurch eröffnete Potenzial füllte und füllt (jedenfalls teilweise) die Plattform-Ökonomie aus, die sich zu einem zentralen Strukturmerkmal modernen Wirtschaftens entwickelt hat.10 Plattformen11 bilden dabei als Intermediäre nicht nur die Infrastruktur der Interaktion und Partizipation Privater, sondern gestalten darüber hinaus die auf diesen Plattformen geschlosdigitaler Dienstleistungen (ABl. 2019 L 136, S. 1 ff.) und (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG (ABl. 2019 L 136, S. 28 ff.). 6 Exemplarisch Metzger, AcP 216 (2016), 817. 7 Siehe etwa auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.); Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255; Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.). 8 Siehe in Bezug auf den Vertragsschluss etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (281 ff.). 9 Statt vieler – aus vertragsrechtlicher Perspektive – Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 194 sowie – allgemeiner – Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (341 ff.). 10 Hierzu Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016; Parker/Van Alstyne/Choudary, Platform Revolution, 2016; siehe zuvor aus ökonomischer Perspektive grundlegend Rochet/Tirole, Journal of the European Economic Association 1 (2003), 990 und dies., The RAND Journal of Economics 37 (2006), 645. Aus rechtlicher Perspektive zunächst stellvertretend Engert, AcP 218 (2018), 304 sowie ebd. (305) plastisch: „Plattformen sind die augenfälligsten Akteure der Digitalwirtschaft.“ 11 Zu den verschiedenen Plattformbegriffen siehe etwa Paal, in: Körber/Kühling/Säcker/ Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulierung – Wettbewerb – Innovation, 2017, S. 143 (150 f.); ders./ Hennemann, Big Data as an Asset – Daten und Kartellrecht, 2018, S. 21 ff.; zum ökonomischen Plattformbegriff siehe nur BKartA, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 2016, S. 14. Plattformen eröffnen einen Raum für Interaktionen zwischen verschiedenen Nutzern, teilweise auch zwischen verschiedenen Nutzergruppen, vgl. nur Engert, AcP 218 (2018), 304 (305 ff.) m. w. N.; angesprochen im Sinne dieser Untersuchung sind damit vornehmlich digitale Geschäftsmodelle, die auf eine vertragliche (und nicht nur soziale) Interaktion abzielen. Siehe hierzu noch nachfolgend sub Kapitel 2 § 5 A.
Kapitel 1: Einleitung
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senen Verträge oftmals mit aus.12 Beispielhaft sei nur auf sogenannte Internet auktions-Plattformen verwiesen, auf denen unter Zurverfügungstellung einer Infrastruktur Möglichkeiten zum Vertragsschluss eröffnet werden.13 Verträge werden hier mit weitreichender Assistenz der Technik gebildet. Dies gilt auch und gerade in Ansehung sogenannter smarter Anwendungen, bei denen verschiedene Rechtsverhältnisse in Rede stehen (können).14 Zweitens haben sich in den letzten Jahren zunehmend Formen der technisch basierten Selbstorganisation Privater etabliert. Exemplarisch sei insoweit etwa auf die Abwicklung von Verträgen auf der Basis der Blockchain-Technologie verwiesen.15 Private koordinieren sich dezentral, sprich ohne klassischen Mittelsmann. Das Vertragsrecht ist insofern in diesem Zusammenhang nicht nur als „Auffangordnung“ gegenüber dem speziellen (Personen-)Gesellschaftsrecht angesprochen, sondern vielmehr prägen entsprechende technische Anwendungen die in diesem Kontext geschlossenen Verträge. Die in Rede stehenden Verträge basieren auf dem Zusammenwirken von Akteuren und technischen Grundlagen. Drittens werden Verträge zunehmend unter der Einbindung automatisierter und autonomer Anwendungen geschlossen (also unter Nutzung technischer Programme wie etwa sogenannter Bietagenten oder Bots).16 Angesprochen ist damit der Einsatz von Algorithmen und damit auch Künstlicher Intelligenz.17 Entsprechende technische Programme – insbesondere autonome Anwendungen – assistieren dabei nicht mehr nur den Parteien, sondern „handeln“ und „entscheiden“ vielmehr – zunächst im untechnischen Sinne – selbst. Verträge sind hier ein „Produkt“ der Technik.
12 Siehe stellvertretend zur Diskussion nur Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 ff.; Maultzsch, ERCL 2018, 209; Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.). 13 Zu Plattformen als Marktinfrastruktur etwa Engert, AcP 218 (2018), 304 (307 ff.). 14 Siehe stellvertretend zunächst Bräutigam/Klindt, NJW 2015, 1137; Kiparski/Sassenberg, CR 2018, 596; Regenfus, JZ 2018, 79; Sosnitza, CR 2016, 764; Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 ff. 15 Hierzu stellvertretend De Filippi/Wright, Blockchain and the Law, 2018, S. 72 ff., 131 ff.; Finck, in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart Contracts, 2019, S. 1 ff. Allgemein(er) zu Regulierung und Blockchain Yeung, Modern Law Review 82 (2019), 207. 16 Monographisch Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018; Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019; Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015 sowie bereits John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007. 17 Allgemein zunächst zu Recht und Künstlicher Intelligenz Herberger, NJW 2018, 2825. Siehe zu Charakteristika und Definition(en) Künstlicher Intelligenz nachfolgend sub Kapitel 2 § 4 C.
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Kapitel 1: Einleitung
Gemeinsame Folge dieser Entwicklungen ist, dass vertragliche Bindung in verschiedenen Dimensionen systemisch(er) wird18 – wobei die verschiedenen Entwicklungen zudem und zunehmend in Kombination auftreten.19 Die Beantwortung der grundlegende Frage nach dem Ob und dem Wie der vertraglichen Bindung erfolgt unter Einbindung und bzw. oder mit Bezug auf „dritte“ Partizipierende – natürliche und juristische Personen sowie autonome Anwendungen. Ein auf bipolare Beziehungen und auf den Willen natürlicher Personen ausgerichtetes Vertragsrecht könnte deswegen zu kurz greifen. Treffend fängt dies Malzer ein, wenn er festhält: „Denn tatsächlich knirscht es im ‚Gerechtigkeitsgebälk‘ des BGB gewaltig, sobald ein Dritter die Bühne des bipolaren Vertrages betritt.“20 Die von Medicus benannte „Abkapselung gegenüber „dem Rest der Welt““21 bedarf in Ansehung moderner Interaktions- und Partizipa tionsformen (erneut) der Überprüfung – und gegebenenfalls einer Aktualisierung.22 Exemplarisch sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass die Entwicklungen Plattformen und smarte Anwendungen zunehmend Zweifel an der traditionellen Ausrichtung des Vertragsrechts auf bipolare Schuldverhältnisse ausgelöst haben.23 Es besteht hier der Verdacht, dass die bipolare Grundstruktur dem mehrpoligen Beziehungsgeflecht moderner Interaktion und Partizipation Privater nicht (mehr) gerecht zu werden vermag. Grünberger hat dies jüngst drastisch unterstrichen: „Die Privatrechtswissenschaft kann diese Selbstbe18 Zum Begriff des Systemischen bzw. zu den Begriffen des Systems siehe nachfolgend sub Kapitel 1 § 1 E. sowie Kapitel 2 § 6 D. Siehe in Bezug auf Plattformen und die damit verbundene „systemische Digitalisierung“ jüngst Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (349 ff.). 19 Siehe nur Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (283). 20 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 192. 21 Medicus, JuS 1974, 613 (622). Auf dieses Zitat verweist auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280). 22 So schon Medicus (JuS 1974, 613 [622]), der an der entsprechenden Stelle ausführt: „Die im Schuldverhältnis angelegte Isolation auf [Gläubiger] und [Schuldner], die Abkapselung gegenüber ‚dem Rest der Welt‘, befriedigt heute nicht mehr überall. Daher wird das Schuld verhältnis zunehmend durch Drittbeziehungen erweitert. Ein erheblicher Teil von ihnen trägt insbesondere den sozialen Bindungen Rechnung, die über den rechtlichen Mikrokosmos des Schuldverhältnisses reichen.“ 23 Auer, ZfPW 2019, 130 (146 f.); Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (4 ff.); De Franceschi, in: ders. (Hrsg.), European Contract Law and the Digital Single Market, 2016, S. 1 (15 ff.); Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.); Gsell, ZUM 2018, 75 (82 f.); Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (343); Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78; dies., EuCML 2016, 30 (31 f.); dies., NJW 2016, 2609 (2610); dies., in: Schulze/Staudenmayer (Hrsg.), Digital Re volution: Challenges for Contract Law in Practice, 2016, S. 189 ff. Vgl. auch allgemein(er) Twigg-Flesner, in: De Franceschi (Hrsg.), European Contract Law and the Digital Single Market, 2016, S. 21 (36 ff.). Siehe auch Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/ Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (723).
Kapitel 1: Einleitung
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schreibung der Vertragsverhältnisse als relative Schuldverhältnisse zwischen den jeweiligen Vertragsparteien zum Nennwert akzeptieren. Damit wird sie zum Opfer des bipolaren Vertragsleitbilds.“24 Diese Grundbeobachtung ist keineswegs völlig neu (was auch Grünberger betont 25). So ist bereits vor dem Zeitalter der Digitalisierung zu Recht auf die Verflechtungen moderner Leistungsbeziehungen hingewiesen worden. Denn arbeitsteilige Wertschöpfungsketten zeichnen sich durch die Verknüpfung von (Langzeit-)Verträgen aus. Pars pro toto seien insofern nur Kreditbeziehungen, Lieferketten sowie das Franchising genannt. Die hierdurch vornehmlich seit den 1980er Jahren angestoßene Diskussion zu Vertragsnetzen bzw. -netzwerken 26 hat überwiegend dogmatische Kritik erfahren, wenn und soweit Vertragsformen und bzw. oder vertragliche Ansprüche über die Grenzen der bipolaren Beziehung hinaus vorgeschlagen wurden.27 In jüngerer Zeit hat das Nachdenken über die Einbindung von „dritten“ Partizipierenden allerdings durch die benannten Entwicklungen neue rechtstatsächliche „Nahrung“ erhalten.28 Es wird deswegen eine Reaktivierung der Forschung zu Vertragsnetzwerken ins Spiel gebracht.29 Wohl überwiegend wird allerdings und demgegenüber angenommen, dass das BGB und die deutsche Vertragsrechtsdogmatik auch und gerade in Ansehung von Plattformen, dezentralen Kooperationen und autonomen Anwendungen „leistungsfähig“ sei und es keinerlei (grundlegenden) Anpassungen bedürfe.30 Diese These soll in dieser Arbeit vornehmlich mit Blick auf die benannten Entwicklungen kritisch gewürdigt werden. Hierdurch soll herausgearbeitet 24
Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (282). Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (288 f.). 26 Grundlegend Möschel, AcP 186 (1986), 187; zuvor (für den Abzahlungskauf) Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 ff.; siehe ferner an dieser Stelle nur Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, 1998; Kulms, Schuldrechtliche Organisationsverträge in der Unternehmenskooperation, 2000; Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998; Rohe, Netzverträge, 1998; Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004. Zuletzt monographisch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013 sowie Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017. Hierzu ausführlich nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 C. 27 Siehe nur Grundmann, AcP 207 (2007), 718. 28 Stellvertretend für die Diskussion Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.); Spindler, ZGR 2018, 17 (52 ff.). Allgemein zum „Denken in Netzwerken“ als rechtswissenschaftliches Leibild Braun, Leitbilder im Recht, 2015, S. 139 ff. 29 Siehe etwa Auer, ZfPW 2019, 130 (146 f.); Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.); Spindler, ZGR 2018, 17 (52 ff.); Wendehorst, NJW 2016, 2609 (2610). 30 Stellvertretend für Plattformen (in der Grundtendenz) Engert, AcP 218 (2018), 304; stellvertretend für autonome Agenten Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 145 Rn. 38; Grapentin, NJW 2019, 181 (185); Horner/Kaulartz, InTeR 2016, 22 (22); Riehm, ITRB 2014, 113 (113); Spindler, in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontext von Recht und Moral, 2014, S. 63 (64 f.). Pointiert zu dieser Auffassung Grigoleit, AcP 218 (2018), 601 (602); Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (214 ff.). Siehe allgemein etwa Spindler, in: Auer/ 25
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Kapitel 1: Einleitung
werden, ob und inwieweit das BGB – und damit sind vor allem Ausschnitte der Rechtsgeschäftslehre gemeint – tatsächlich adäquate Instrumente für vertragliche Interaktion und Partizipation im 21. Jahrhundert bereitstellt. In diesem Sinne wird die nachfolgende Untersuchung die rechtstheoretischen Grundlagen sowie den geltenden Rechtsrahmen für vertrag(srecht)liche Interaktion und Partizipation analysieren. Hierauf aufbauend werden sodann – unter Einbeziehung aktueller rechtspolitischer Vorschläge – Fortentwicklungsperspektiven aufgezeigt. Dieser Ansatz bedingt auch, dass weitreichende Änderungen der Grundlagen der Vertragsrechtsdogmatik mitzubetrachten sind – etwa in Bezug auf die Anknüpfung an den menschlichen Willen für die Etablierung vertraglicher Bindung.31 Die vorliegende Arbeit sollte allerdings in ihrem Grundton nicht missverstanden werden: Bezweckt ist keineswegs ein Impetus zum pauschalen Überwinden traditioneller Ansätze. So soll etwa der Grundsatz der Relativität von Schuldverhältnissen 32 nicht leichtfertig geopfert werden. Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht vielmehr die Suche nach Ergänzungsbedarfen und -potenzialen zu allen drei miteinander verknüpften und interdependenten Entwicklungen. Bereits für Plattformen, die als im modernen Wirtschaftsleben vollumfänglich etabliert anzusehen sind, muss nämlich konzediert werden, dass eine adäquate vertragsrechtliche Fassung bislang noch aussteht.33 Gleiches gilt für die modernen Formen dezentraler Kooperation.34 Ob und inwieweit solche Arten der Kooperation noch (einfach) vertragsrechtlich oder bereits gesellschaftsrechtlich erfasst werden können bzw. müssen, ist eine der offenen Fragen. Erst recht ist der bisherige dogmatische Zugriff bei einem Einsatz autonomer Anwendungen mehr als unbefriedigend. So laufen etwa die selbstlernenden Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (710 und 720); ders., ZGR 2018, 17 (52 ff.). 31 Siehe den – theoretisch denkbaren – unterschiedlichen Anknüpfungspunkten für vertragliche Bindung nachfolgend sub Kapitel 2 § 8 B. 32 Hierzu näher nachfolgend sub Kapitel 3 § 9 E. IV. Statt vieler nur Michaels, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/1, 2007, vor § 241 Rn. 7 ff., 21 f.; Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 299 ff. sowie monographisch etwa Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1989. 33 Zur Diskussion siehe etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787; Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska- Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3; Engert, AcP 218 (2018), 304; Maultzsch, ERCL 2018, 209; Schweitzer, ZEuP 2019, 1; Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitzund Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016 sowie die Beiträge in Blaurock/ Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018. Hierzu näher nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 C. Allgemein zur Plattform Governance jüngst auch und in überzeugender Weise Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341. 34 Zur Diskussion siehe etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); De Filippi/Wright, Blockchain and the Law, 2018, S. 72 ff., 131 ff.; Mann, NZG 2017, 1014; sowie – speziell zu Smart Contracts – Möslein, ZHR 183 (2019), 254 und die Beiträge in Fries/ Paal (Hrsg.), Smart Contracts, 2019. Hierzu näher nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 B.
§ 1 Untersuchungsgegenstände
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Prozesse dieser Anwendungen einer Bestimmbarkeit und – zumindest vertragsrechtlich – der Zurechenbarkeit von „Erklärungen“ diametral zuwider.35 Im Lichte und durch die Linse dieser verschiedenen vertragsrechtlichen Dimensionen möchte die vorliegende Arbeit zum aktuellen vertragsrechtlichen Diskurs und zu einem Diskurs über das Vertragsrecht im 21. Jahrhundert beitragen. Vielleicht sind die nachfolgenden Ausführungen allerdings auch nur ein kleiner Eimer vertragsrechtliches Wasser für das Feuer der Digitalisierung. Denn mit Grigoleit ist zu bedenken: „Die Zivilrechtswissenschaft brennt heute nicht in der digitalen Revolution – noch nicht.“36
§ 1 Untersuchungsgegenstände Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist ein rechtliches und rechtstatsächliches Phänomen, das im Grundsatz keineswegs neu ist: Die Drittbetroffenheit und -bezogenheit durch und von Verträge(n). Seit jeher haben Verträge, die zwischen zwei Privatrechtssubjekten geschlossen werden, in vielfältiger Weise auch Einfluss auf bestimmte Dritte37. Ein solcher Einfluss auf (bzw. von) Dritte(n) kann zunächst faktischer Natur sein. So bestehen erhebliche Abhängigkeiten in der arbeitsteiligen Wirtschaft, etwa in Lieferketten. Ebenso kann ein solcher Einfluss rechtlicher Natur sein. Beispielhaft genannt seien nur Verträge zugunsten Dritter, Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, Abtretungen und sonstige (dingliche) Verfügungen sowie familien- und erbrechtliche Verträge. Die Grenzen sind fließend und unterliegen dem steten Wandel – etwa betreffend die Kodifizierung von Regressansprüche in Lieferketten (vgl. etwa jüngst § 445a BGB n. F.). Seit langem etablierte Instrumente der Einbindung Dritter in unterschiedliche Elemente des (grundsätzlich) relativ wirkenden Vertrags sind etwa der Stellvertreter oder Erfüllungsgehilfe. In bestimmten, auf längere Dauer angelegten Geschäftsmodellen wiederum, wie etwa beim Franchising, bestehen oft erhebliche Abhängigkeiten von anderen partizipierenden Dritten, deren Einbindung rechtlicher und faktischer Natur sein kann. 35 Zur Diskussion siehe vornehmlich und grundlegend Teubner, AcP 218 (2018), 155 sowie stellvertretend Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 86 ff.; Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 237 ff.; Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 98 ff. Hierzu näher nachfolgend sub Kapitel 4 § 12 B. 36 Grigoleit, AcP 218 (2018), 601 (605). 37 Der Terminus Dritter ist – soweit nicht anders benannt – stets relativ in Bezug auf ein Vertragsverhältnis zwischen zwei mit dem Dritten nicht identischen Privatrechtssubjekten zu verstehen. Angesprochen sind damit im Grundsatz zwar Rechtssubjekte, schrittweise einbezogen werden aber auch solche Anwendungen, die funktional einem Rechtssubjekt gleichstehen können; so insbesondere autonome Agenten, siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 1 § 1 E. Allgemein im Übrigen zum Begriff des Dritten etwa Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 123 Rn. 71 ff.
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Kapitel 1: Einleitung
A. Dritte, Digitalisierung und Vernetzung Die fortwährende Digitalisierung ermöglicht nunmehr in Qualität und Quantität weitere Formen von Drittbetroffenheit und -bezogenheit. Denn die fortschreitende Technik führt zu und bedingt eine Vielzahl von weiteren (automatisierten und autonomen) Vernetzungen.38 Entsprechende Vertragsschlüsse und Vertragsanbahnungen finden nahezu immer unter Einschluss und mit Einfluss von Dritten statt.39 Dritte werden in diesem Sinne systematisch und in weitreichender Form in verschiedenste Aspekte von Vertragsverhältnissen eingebunden. Die Spannweite der möglichen Dritten reicht hier von Hilfsfunktionen, etwa betreffend die technische Ermöglichung der Kommunikation, über Plattformen, mittels derer Verträge geschlossen werden, bis hin zur Einschaltung von Anwendungen Künstlicher Intelligenz. Standard mag noch der „einfache“ Vertragsschluss zwischen zwei Privatrechtssubjekten mittels modernen Kommunikationsmitteln (wie etwa E-Mails oder auf der Basis entsprechender Eingabemasken auf Webseiten) sein. Über solche Szenarien hinaus wird allerdings oftmals ein „Mittler“ in den Prozess des Vertragsschlusses eingeschaltet und auch Dritte unmittelbar in die Gestaltung des Vertrages eingebunden.40 In diesem Sinne agieren etwa Plattformen als umfassender Vertrags- und Marktintermediär.41 Die benannten Entwicklungen haben eine Vielzahl dogmatischer Fragen aufgeworfen. So sind beispielsweise nicht nur die allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Plattform relevant für die Auslegung von Willenserklärungen der auf der Plattform agierenden Privatrechtssubjekte42 , sondern es werden – etwa bei Blockchain-Anwendungen – Verträge mittels einer Vielzahl von Personen dezentral koordiniert.43
B. Mehrzahl von Verträgen Moderne technische Anwendungen erweitern zudem die Drittbezogenheit in einer weiteren Dimension. Entsprechende Anwendungen sind nahezu stets durch eine Mehrzahl von Verträgen geprägt. So bündeln heutzutage im digitalen Umfeld vor allem technische Geräte bzw. Plattformen oftmals verschiedene vertragliche Beziehungen mit verschiedenen Vertragspartnern (so bestehen etwa beim Betrieb eines Smartphones vertragliche Beziehungen des Endnutzers 38 Stellvertretend 39 Siehe
Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (341 ff.). etwa zum Matchmaking auf bzw. durch Plattformen Engert, AcP 218 (2018), 304
(331 ff.). 40 Siehe etwa Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.). 41 Hierzu stellvertretend nur Engert, AcP 218 (2018), 304 (309 ff.). Allgemein(er) zu Plattformen jüngst Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 42 Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 C. I. 2. 43 Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 B.
§ 1 Untersuchungsgegenstände
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unter anderem zum Gerätehersteller, zum Betreiber des Betriebssystems, zu Betreibern sonstiger verwendeter Software und Apps, zum Mobilfunkanbieter, zum Internet Service Provider und zu Werbetreibenden). In Rede stehen hier auch (separate) Endnutzervereinbarungen (Lizenzen, Updates etc.), die für die Nutzung des (physischen) Geräts von entscheidender Bedeutung sind.44 Dabei finden sich erhebliche Wechselwirkungen und (faktische) Abhängigkeiten – so etwa bei Virtual Reality- sowie bei SmartCar- oder SmartHome-Anwendungen, bei denen verschiedene Dienstleister (und Vertragspartner) zusammenwirken (müssen).45 Exemplarisch sei insofern nur auf den Gardena-Fall betreffend einen durch einen Serverabsturz beeinträchtigten „smarten Garten“ verwiesen.46 Denn im Zuge der sogenannten Industrie 4.0 47 wird verstärkt auf eine Kommunikation unter bzw. Vernetzungen von Produkten und Anlagen („Internet der Dinge“) gesetzt.
C. „Neue“ Akteure Im Zuge der fortschreitenden technologischen Entwicklung ist eine weitere Dimension der Drittbezogenheit zu identifizieren. Es treten „neue“ Akteure auf das vertragsrechtliche Spielfeld.48 Insbesondere werden zunehmend technische Anwendungen zum Kontrahieren eingesetzt. Hierdurch kommt es zu einer 44 Siehe stellvertretend nur Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/ Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (720); Wendehorst, NJW 2016, 2609 (2610). 45 Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/ Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (720). 46 Greis, Serverabsturz macht den Garten dumm (15. August 2017). Hierzu etwa Grün berger, AcP 218 (2018), 213 (286 f.); Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (410 ff.) sowie nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 A. II. 3. 47 Siehe etwa Bundesministerium für Bildung und Forschung, Industrie 4.0, 2013; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Industrie 4.0 und Digitale Wirtschaft, 2015. 48 Zur Diskussion um die Einführung einer eigenen Rechtspersönlichkeit von autonomen Anwendungen bzw. Robotern siehe aus dem deutschsprachigen Schrifttum stellvertretend Beck, JR 2009, 225 (229 f.); dies., in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 239 (254 ff.); dies., AJP 2017, 183 (187 ff.); Gruber, in: Gruber/Bung/Ziemann (Hrsg.), Autonome Automaten, 2015, S. 191 ff.; Ingold, Der Staat 2014, 193; Kersten, JZ 2015, 1 (7); Lohmann, ZRP 2017, 168; Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 83 ff.; Mayinger, Die künstliche Person, 2017, S. 166 ff.; Schaub, JZ 2017, 342 (345 f.); Schirmer, JZ 2016, 660 (663 ff.); Spindler, CR 2015, 766 (774 f.); Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5; ders., AcP 218 (2018), 155; Wettig, Vertragsschluss mittels elektronischer Agenten, 2010, S. 369 ff.; siehe im Übrigen und vor allem die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103(INL)), P8_TA(2017)0051, Haftung Nr. 59 lit. f. (hierzu nachfolgend Kapitel 2 § 4 C. und Kapitel 5 § 15 B.). Siehe für die Anfänge des akademischen Diskurses bereits Allen/Widdison, Harv. J. L. & Tech. 9 (1996), 25. Aus dem englischsprachigen Schrifttum zudem etwa Bayern, Nw. Univ. L. Rev. 108 (2014), 1485; ders., Stan. Tech. L. Rev. 19 (2015), 93; Gunkel, Robot Rights, 2018; LoPucki, Wash. U. L. Rev. 95 (2018), 887; Wallach/Allen, Moral Machines, 2009 sowie die Beiträge in Ander-
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Kapitel 1: Einleitung
weitergehenden Form von Autonomie im Zuge von Verträgen. Denn die vertragliche Bindung „emanzipiert“ sich – Schritt für Schritt – von den Vertragsparteien selbst. Dies betrifft etwa den Einsatz von technischen (Verifikations-) Anwendungen (wie etwa der Blockchain). Hier nehmen die Teilnehmer der Anwendungen in verschiedener Weise Einfluss auf die vertragliche Interaktion. Ebenso sind damit allerdings Anwendungen Künstlicher Intelligenz49 angesprochen. In beiden Formen erfolgt unter Umständen und graduell unterschiedlich die Auswahl des Vertragspartners, die Bestimmung des Leistungsgegenstandes und die Vertragsdurchführung (self-executing contracts) nicht durch die Vertragsparteien selbst, sondern vielmehr durch interagierende (und partizipierende) Dritte.
D. Vertragliche Ökosysteme Die vorbenannten Entwicklungen sind geprägt durch eine zunehmende technisierte „Abwicklung“ von Vertragsschlüssen und Verträgen, die nicht nur im Sinne der Erfüllung vertraglicher Leistungspflichten zu verstehen ist. Technisierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Vertragsschluss und die Vereinbarung der Konditionen per se bzw. ganz überwiegend technischen Anwendungen – elektronische und autonome Agenten – überlassen werden. Verträge werden auf der Grundlage von zuvor programmierten oder selbst erlernten Parametern „durch“ die Anwendungen geschlossen.50 Die damit verbundenen Kommunikationshandlungen müssen hierfür als vertragsrechtlich relevante Erklärungen im Sinne von Willenserklärungen eingestuft werden. Wertungsmäßig besteht die Vermutung, dass solche Anwendungen (zunehmend) „digitale Stellvertreter“ sind, deren „Handlungen“ nur noch eingeschränkt mit dem diese Anwendungen einsetzenden Privatrechtssubjekt verbunden sind (bzw. sein können).51 Die Verwendung entsprechender Anwendungen führt zur Etablierung vertraglicher Ökosysteme. Angesprochen mit einem solchen Ökosystem ist die Eröffnung eines technischen Raums, einer (technisch definierten) Öffentlichkeit, zum Kontrahieren durch eine Vielzahl von technischen Anwendungen. Grundlage entsprechender Räume sind Plattformen, smarte Anwendungen und dezentrale Kooperationsformen. In diesen Räumen – oder um im Bilde zu bleiben: digitalen Habitat – agieren (nur noch oder zumindest) überwiegend elektronison/Anderson (Hrsg.), Machine Ethics, 2011. Ausführlich hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. 49 Siehe hierzu die Definition(en) sub Kapitel 1 § 1 E. und Kapitel 2 § 4 C. 50 Stellvertretend Grapentin, NJW 2019, 181. 51 Siehe zur Diskussion stellvertretend Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/ Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (712 ff.); Teubner, AcP 218 (2018), 155. Im Übrigen nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 B. und § 12 A. und B.
§ 1 Untersuchungsgegenstände
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sche oder autonome Agenten zum Abschluss (und zur Durchführung) von Verträgen. In letztem Fall sind damit insbesondere sogenannte Multiagentensysteme angesprochen: „In Multiagentensystemen kommen mindestens zwei Softwareagenten zusammen, wobei jeder Teilnehmer über eine eigene Wissensbasis, Absichten und Ziele verfügt. Alle Teilnehmer der Agentengesellschaft müssen hierfür zur Kommunikation, Planung und Reaktionsfähigkeit in der Lage sein.“52
Geprägt sind Multiagentensysteme von der Kommunikation unter und Verhandlungen zwischen den Agenten.53 Zwischen den Agenten können (müssen aber nicht) erhebliche Interdependenzen und auch Einflussnahmen bestehen, so etwa bei dem Einsatz von Algorithmen auf beiden bzw. allen Marktseiten in offenen (System-)Umgebungen.54
E. Systemische Bindung Der Einfluss von – im weit verstandenen Sinne – Dritten ist in allen vorbenannten Konstellationen stark, wenn auch unterschiedlich, ausgeprägt. Gemeinsam ist allen Konstellationen, dass aus Sicht der jeweiligen Gegenseite eine Fokussierung allein auf einen Vertragspartner verkürzt erscheint.55 Es ist deswegen denkbar, dass die dem in relativen Beziehungen denkenden klassischen Vertragsrecht zugrunde liegende Annahme der Bipolarität die tatsächlichen Verhältnisse nicht (mehr) vollumfänglich zutreffend abbildet. Wäre dieser Befund zutreffend, müsste konsequenterweise entweder der Grundsatz der Relativität von Schuldverhältnissen einer Revision unterzogen oder die Maßstäbe zur Etablierung relativer Bindung großzügiger gefasst werden. In unterschiedlicher Weise könnten hierdurch Dritte „integriert“ werden. Zu beobachten ist im Ausgangspunkt, dass sämtliche Konstellationen eine Einbettung in einen größeren Sinnzusammenhang – ein System – aufweisen, in dem über die vertragliche Bindung entschieden wird: so etwa auf Plattformen, bei Anwendungen dezentraler Kooperation oder beim Einsatz autonomer 52 Hierzu Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 69 ff. m. w. N. (Zitat S. 70). 53 Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 74 ff. 54 Vgl. Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 81. 55 Siehe nochmals Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (343); Twigg-Flesner, in: De Franceschi (Hrsg.), European Contract Law and the Digital Single Market, 2016, S. 21 (36 ff.); Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78; dies., EuCML 2016, 30 (31 f.); dies., NJW 2016, 2609 (2610); dies., in: Schulze/ Staudenmayer (Hrsg.), Digital Revolution: Challenges for Contract Law in Practice, 2016, S. 189 ff.
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Kapitel 1: Einleitung
Agenten.56 Derartige Konstellationen sollen deswegen nachfolgend – zunächst vorläufig und für die Zwecke der nachfolgenden Darstellung der Untersuchung – als Dimensionen systemischer Bindung bezeichnet werden.57 Der – vielfältig und in verschiedenen Kontexten verwendete – Begriff des Systems und des Systemischen wirft offensichtlich Fragen nach Begriffsdefinition und begrifflicher Klarheit auf. Vorab sei bereits an dieser Stelle auf die folgenden begrifflichen Zuschreibungen hingewiesen: – Systemische Bindung ist kein dogmatischer Begriff, sondern eine Beobachtung. – Grundlegend für alle Formen systemischer Bindung ist, dass ihnen jeweils ein System zugrunde liegt. Hierfür kann zunächst Bezug genommen werden – und im Kant’schen Sinne – auf eine Einheit, „ein nach Principien geordnetes Ganze[s] der Erkenntnis“.58 – Für die hiesige vertragsrechtliche Untersuchung bestehen relevante Systeme somit aus miteinander – sinnhaft – verknüpften bzw. aufeinander bezogenen vertragsrechtlichen Elementen.59 – Nicht angesprochen ist mit System somit das Privatrecht (oder Teile dessen) als Ganzes, als System60 , oder das Rechtssystem im Allgemeinen. Nicht gleichzusetzen ist der Begriff des Systems bzw. der systemischen Bindung auch mit der Verwendung des Begriffs System im Sinne der Systemtheorie – wenngleich letztere zum Verständnis systemischer Bindung beitragen soll. 61 – Bezugspunkt für die systemische Bindung ist vielmehr das Vertragsverhältnis, bei dem über eine rein bipolare Betrachtung hinaus in verschiedenen Formen ein Element des Dritteinflusses identifiziert werden kann. 62 Bindung bezieht sich auf die Etablierung vertraglicher Primärpflichten. – Die innerhalb einer Form von systemischer Bindung miteinander interagierenden (Rechts-)Subjekte werden auch Akteure genannt. – Anwendungen Künstlicher Intelligenz63 sind technische Programme, die im allgemeinen Sprachgebrauch und auch im rechtswissenschaftlichen Diskurs64 üblicherweise als autonome Systeme bezeichnet werden. Um den Begriff 56 Dieser Befund trifft im Grundsatz (und in dem hier verstandenen Sinne) auf sämtliche moderne Erscheinungen der Digitalisierung zu. Nicht zuletzt deswegen verfolgt etwa das IT-Sicherheitsrecht einen „systemischen“ Ansatz, siehe hierzu – und im Kontext der Plattformregulierung – Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (343 f.). 57 Näher nachfolgend sub Kapitel 2 § 6 D. 58 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 1786, S. IV. 59 Siehe nur – vor allem im Kontext des hiesigen Untersuchungsgegenstands – Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 187 mit Fn. 693 und 694. 60 Siehe hierzu grundlegend Canaris, System und Systemdenken in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983 sowie Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 437 ff. 61 Hierzu noch nachfolgend sub Kapitel 3 § 7. 62 Hierzu noch näher nachfolgend sub Kapitel 2 § 6 D. 63 Hierzu noch näher sub Kapitel 2 § 4 C. 64 Siehe stellvertretend Kluge/Müller, InTeR 2017, 24; Pieper, InTeR 2016, 188; Schulz, Ver-
§ 2 Untersuchungsziel
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des Systems in dieser Arbeit nicht überzustrapazieren, sollen solche technischen Programme als autonome Anwendungen bezeichnet werden. – Autonome Anwendungen, die zum Kontrahieren, zur Erzeugung vertraglicher Bindung eingesetzt werden, werden autonome Agenten genannt. 65 Allgemein wird der Begriff des Systems und des Systemischen somit in einer ähnlichen (wenn auch graduelleren) Weise verwendet, wie Spiecker gen. Döhmann dies jüngst allgemein – und über den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit (weit) hinausreichend – für die systemische Digitalisierung getan hat: „Systemische Digitalisierung ist ein qualitativer Sprung ausgelöst von vorrangig quantitativer Veränderung. Sie speist sich aus zwei Entwicklungen. Zum einen ist Treiber die Digitalisierung als solche (…). Der zweite Treiber ist die umfassende Vernetzung oder auch embeddedness unserer Umgebung. Digitale Anwendungen finden nicht mehr dezentral statt, sondern werden – wie es gerade typisch für den Einsatz von Plattformen ist – in einer möglichst weitreichenden und umfassenden Vernetzung angeboten. (…) [D]ie systemische Digitalisierung (…) bedeutet qualitativ weitaus mehr als nur die Zusammenführung von Digitalisierung und Vernetzung, weil sie auf der Basis systemischer Verknüpfungen erfolgt und damit den Systemcharakter in den Mittelpunkt rückt. Diese Verknüpfungen führen im Weiteren dazu, dass ein eigenständiges System mit eigenen Systembedingungen auf der Basis von Vernetzung und Digitalisierung entstehen kann. Denn Netzwerkstrukturen können, in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz und Maschinenlernen, ein komplexes, in sich offenes soziales und technisches System befördern (…).“66
§ 2 Untersuchungsziel Vor dem Hintergrund und auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ist als Forschungsaufgabe zu benennen, anhand der benannten Entwicklungen die Leistungsfähigkeit des geltenden Vertragsrechts zu bewerten sowie – für identifizierte Ergänzungsbedarfe – Fortentwicklungsperspektiven aufzuzeigen. Ziel ist eine adäquate dogmatische Rahmung der im Zuge der Unter suchungsgegenstände aufgezeigten Realphänomene. Damit verbunden ist der Wunsch, einen Beitrag zu leisten zu einem kohärenten Zugriff auf die benannten Dimensionen systemischer Bindung. 67 Hierdurch soll auch und gerade die antwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 42 et passim; Wagner, AcP 217 (2017), 707. 65 Hierzu noch näher sub Kapitel 2 § 5 C. 66 Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (349). 67 Siehe jüngst auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (281): „Die Privatrechtswissenschaft ist aufgefordert, Konzepte zu entwickeln, um die multipolaren Kommunikationsbeziehungen in der Umwelt des Rechts adäquat im Recht abbilden zu können.“ Ebenso – in Bezug auf Plattformen – Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (12): „Für die Zukunft gilt es, ein flexibles und differenziertes zivilrechtliches Kontrollregime zu entwickeln, das der legitimen Funktion der Regelsetzung durch Plattformen ebenso Rechnung trägt wie den im Einzelnen noch zu klärenden regelsetzungsspezifischen Grenzen der Richtigkeitsgewähr.“ Den aktuellen Zugriff des
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Kapitel 1: Einleitung
These überprüft werden, das (deutsche) Vertragsrecht könne – in Bezug auf die hiesigen Untersuchungsgegenstände – „aus sich heraus“ den technologischen Fortschrift der Digitalisierung „verarbeiten“. Leitender Maßstab ist dafür ein mehrdimensionaler Zugriff auf die Formen systemischer Bindung. Denn eine leistungsfähige vertragsrechtliche Ordnung hat nicht nur den zugrunde liegenden (rechtstatsächlichen) Erscheinungsformen gerecht zu werden; maßgeblich ist insoweit vor allem die Erfassung moderner Kommunikations-, Interaktions- und Kooperationsformen. Es sind auch – als Kernanliegen dieser Arbeit – die Vertragsparteien und der Vertragsschluss sachgerecht zu bestimmen. 68 Dabei wird insbesondere der Verknüpfung verschiedener Akteure in den maßgeblichen Vertragsstrukturen besondere Beachtung zu schenken sein. Die Dimensionen systemischer Bindung sollen dazu – im Sinne der Contract Governance-Forschung69 – vertragstheoretisch, vertragsrechtsdogmatisch und rechtspolitisch eingeordnet, erfasst und bewertet werden. Hierzu müssen Lösungsansätze zunächst auf der Grundlage des geltenden Rechts analysiert (und entwickelt) werden. Darauf aufbauend ist zu fragen, ob (und welche) neue(n) vertragsrechtsdogmatische(n) Konzepte vorzugswürdig sind, um den digitalen Kommunikationsformen und Geschäftsmodellen adäquat Rechnung zu tragen. Insgesamt sind sämtliche Fortentwicklungsoptionen in ein kohärentes vertragsrechtstheoretisches Konzept einzubinden. Auf dieser Grundlage sollen Ergänzungs- und Aktualisierungsbedarfe identifiziert und Vorschläge für eine adäquate Erfassung entsprechender Konstellationen unterbreitet werden. Münden soll die Arbeit in praktikable Handlungsempfehlungen für die Legislative und die Rechtsanwendungspraxis; einbezogen werden dazu die nationale und unional-privatrechtliche Ebene. Die Arbeit soll sodann mit der Benennung von (Regulierungs-)Parametern für das Vertragsrecht – und damit für eine adäquate Rahmung von vertraglicher Interaktion und Partizipation – im 21. Jahrhundert schließen. In diesem Sinne sind die AusfühVertragsrechts aus öffentlich-rechtlicher Perspektive treffend zusammenfassend Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (343): „Gerade das IT-Sicherheitsrecht nähert sich dabei einem systemischen Regulierungsansatz (…). Es erfasst daher die Effekte in Systemen und damit auch die systemische, weil netzwerkartige, Struktur von Plattformen gut. Andere Rechtsmaterien, die zumeist von dualen Verhältnissen ausgehen, tun sich damit naturgemäß schwer. Dies ist ein Grund, warum die privatrechtliche Kontrolle der Nutzung von Plattformen, die auf die Kontrolle der privatrechtlichen Nutzungsvereinbarungen angewiesen ist, meist fehlgeht, weil sie Effekte auf Dritte nicht umfänglich einbeziehen kann.“ Vgl. im Übrigen auch Auer, ZfPW 2019, 130 (146 f.). 68 Weitere rechtssystematische Schutzmechanismen, die nachfolgend nicht vertieft behandelt werden können und sollen, bilden etwa das AGB-Recht, der Verbraucherschutz, der Datenschutz oder auch das Wettbewerbsrecht. 69 Hierzu Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 und Grundmann/Möslein/Riesenhuber (Hrsg.), Contract Governance, 2015; siehe hierzu ausführlich(er) nachfolgend sub Kapitel 3 § 9 E.
§ 3 Gang der Untersuchung
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rungen dieser Untersuchung der Regulierung durch Vertragsrecht gewidmet.70 Die Untersuchung versteht sich darüber hinaus auch als Beitrag zur Erfassung und Operationalisierung moderner Interaktionen (im Internet) und damit zur Rahmung der Netzwerkgesellschaft (Castells)71 aus vertragsrechtlicher Perspektive, indem (auch) notwendige Bausteine für eine digitale Privatrechtsgesellschaft 72 präsentiert werden.
§ 3 Gang der Untersuchung Der Gang der Untersuchung für die adäquate Erfassung der Dimensionen systemischer Bindung gliedert sich in sechs aufeinander aufbauende und miteinander verknüpfte Arbeitsfelder: Grundlagen (sub A.), Vertragsrechtstheorie (sub B.), Vertragsrechtsdogmatik (sub C.), potenzielle Fortentwicklungen des Rechtsrahmens (sub D.) sowie Synthese (sub E.).
A. Grundlagen Zunächst gilt es, die rechtstatsächlichen Erscheinungsformen der neuen Dimensionen systemischer Bindung aufzuzeigen, wodurch auch das Bedürfnis nach belastbaren rechtlichen Rahmenbedingungen unterstrichen werden soll. Zentrales Erkenntnisinteresse ist insoweit die Einbeziehung von Dritten im zuvor skizzierten Umfang. Den Ausgangspunkt der Betrachtung markieren verschiedene Entwicklungstreiber moderner Kommunikation. Angesprochen sind hiermit die Digitalisierung, die damit verbundenen modifizierten Formen der Interaktion und die Entwicklungen Künstlicher Intelligenz. Von grundlegender Bedeutung ist, dass die vorbenannten (technischen) Entwicklungen zu einer zunehmenden Vernetzung verschiedener Akteure führen. Denn Geschäftsmodelle der Digitalökonomie schöpfen ihren Wert (unter anderem) daraus, dass über angestammte (lineare) Beziehungen hinaus, Interaktionen und Partizipationen entstehen und gefördert werden. Die Rechtspraxis bietet insoweit vielfältige Anschauungsbeispiele. Aufgrund des sich stets wandelnden dynamischen Umfelds digitaler Geschäftsmodelle ist eine vollständige Aufstellung sämtlicher Erscheinungsformen kaum möglich – und auch nicht zweckmäßig. Vielmehr sollen verschiedene 70 Vertragsrecht bzw. allgemeiner das Privatrecht ist Regulierung, soweit damit der „Einsatz von Recht als staatliches Instrument mit einer über den Einzelfall hinausreichenden Steuerungsfunktion, die auf die Implementierung politischer Allgemeinwohlziele gerichtet ist“, verstanden wird; siehe grundlegend Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 729 f. et passim (Zitat S. 729). 71 Grundlegend Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Bd. 1, 2003. 72 Hierzu nachfolgend sub Kapitel 3 § 9 C. IV.
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Kapitel 1: Einleitung
technische Anwendungen der Arbeit aufgrund ihrer enormen praktischen Relevanz für das Kontrahieren im 21. Jahrhundert als Referenzfelder dienen: Online-Plattformen, das Internet der Dinge, Smart Contracts, Blockchain-basierte Anwendungen sowie automatisierte und autonome Agenten. Die ausgewählten Referenzfelder werden gestrafft darlegt und bilden sodann die Grundlage für eine Kategorisierung systemischer Bindung(en). Die Kategorisierung dient im Anschluss als Referenzpunkt für die weiteren Untersuchungsabschnitte.
B. Theoretische Fundierungen Dimensionen systemischer Bindung sind einzubetten in eine moderne Vertragstheorie. Der rechtliche Zugriff auf Vertragsstrukturen ist maßgeblich geprägt durch und abhängig von den zugrunde liegenden vertragstheoretischen Annahmen zur Funktion des Vertrags bzw. des Vertragsrechts. Aus vertragstheoretischer Perspektive gilt es für die Zwecke dieser Arbeit insbesondere zu entscheiden, welche Formen der (menschlichen) Interaktion unter Beteiligung von Dritten geregelt werden (müssen). Die Untersuchung nimmt daher eine vertragstheoretische Umschau vor, um belastbare Begründungsansätze für (oder gegen) eine Einbindung Dritter zu identifizieren. Hierfür erfolgt eine Analyse der (rechts-)soziologischen Grundlagen, um diese für eine adäquate Erfassung digitaler Interaktion im Kontext von Verträgen fruchtbar zu machen. Insbesondere die Einordnung als Kommunikation(en) im Sinne der Systemtheorie soll in dieser Arbeit einen ersten Impetus für das System Recht liefern. Vor diesem Hintergrund muss bestimmt werden, welche Optionen zur Operabilisierung von Verträgen zuerkannt werden und welche normativen Erwartungen diesbezüglich bestehen. Die Anknüpfung an willensbasierte Handlungen ist zumindest traditioneller Weise der einschlägige Bezugspunkt aus vertragsrechtlicher Perspektive, der in Anbetracht zunehmender Autonomie auf dem Prüfstand steht. Systemtheoretisch ist damit die Frage nach der Schutzwürdigkeit normativer Erwartungen angesprochen. Eine Annäherung an diese Frage wird unter Rückgriff auf den prozeduralen Charakter von Interaktionsregeln (Calliess)73 sowie auf die diskurstheoretische Fundierung des Vertrag(recht)s (Lomfeld)74 erfolgen. Damit verknüpft wird ein Blick auf die Ausformung privater Ordnung (Bachmann)75 im Kontext von Verträgen geworfen. Damit soll nicht nur den Dritten Rechnung getragen, sondern auch deren Partizipation sachgerecht abgebildet werden. Darauf aufbauend wird die Bestimmung der Schutzwürdigkeit von Dimen sionen systemischer Bindung eingebettet werden in das Konzept der Privat73
Calliess, Prozedurales Recht, 1999. Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015. 75 Bachmann, Private Ordnung, 2006. 74
§ 3 Gang der Untersuchung
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rechtsgesellschaft (Böhm)76 . Darzulegen und fruchtbar zu machen sind deswegen zunächst die damit verbundenen Grundannahmen zu Vertrag und Kooperation zwischen Privaten, bevor sodann die Idee einer digitalen Privatrechtsgesellschaft weiter ausbuchstabiert werden kann. Dazu soll vor allem die Funktion und der Wert der Dimensionen systemischer Bindung beleuchtet werden; beides erfolgt insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Innovation. Die Auseinandersetzung mit der Contract Governance-Forschung dient sodann dazu, die identifizierte(n) Schutzwürdigkeit(en) weitergehend rechtswissenschaftlich zu fundieren. Auf der Grundlage der Contract Governance-Forschung ist aufzuzeigen, welche grundsätzlichen Parameter adäquate Regulierungsansätze auf dieser Grundlage aufweisen (können und müssen).
C. Vertragsrechtsdogmatik Die Dimensionen systemischer Bindung sind im Anschluss vertragsrechtsdogmatisch zu erfassen. Wesentliches Ziel ist es, Möglichkeiten einer kohärenten Einordnung in die bestehende Dogmatik ebenso aufzuzeigen wie Konstellationen, in denen eine solche Rahmung nicht (mehr) sachgerecht ist. Ausgangspunkt ist zunächst der etablierte Zugriff auf Dritteinfluss und Drittwirkung von und auf Verträge(n).77 Maßgeblich hierfür sind die bestehenden normativen Anknüpfungspunkte für die Einbeziehung Dritter in Vertragsverhältnisse, so insbesondere die Rechtsinstitute des Vertrags zugunsten Dritter und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, des mehrseitigen Vertrags78 , die Regelungen zu Stellvertretern (§ 164 Abs. 1 BGB) und Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) sowie der Einwendungsdurchgriff (§§ 358 f. BGB)79 und die Sachwalterhaftung (§ 311 Abs. 3 BGB) 80 . Die vorgenannten Regelungskomplexe bilden allfällige Netzwerkbeziehungen im Zivilrecht ab. 81 Für die Fassung der Dimensionen systemischer Bindung ist insbesondere eine Auseinandersetzung mit der Struktur von Verträgen erforderlich. Hierfür sind zunächst der zweiseitige Vertrag und seine Sonderformen (Vertrag zugunsten Dritter, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, mehrseitige Verträge) in den Blick zu nehmen. Eine vertiefte Befassung sollen hierbei der Bausteinvertrag sowie die Verträge zugunsten Dritter und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erfahren. Dies gilt in gleichem Maße für Verträge, die bereits im Ausgangspunkt über eine (rein) zweiseitige Beziehung hinaus reichen. Im 76
Böhm, ORDO 17 (1966), 75. Siehe etwa Grundmann/Renner, JZ 2013, 379; Westermann, AcP 208 (2008), 141. 78 Hierzu ausführlich Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013. 79 Stellvertretend etwa Makowsky, Einwendungen aus fremdem Schuldverhältnis, 2019. 80 Statt vieler Staudinger/Löwisch/Feldmann (Neubearbeitung 2012), § 311 Rn. 167 ff. 81 Hierzu Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017; siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 C. II. 77
18
Kapitel 1: Einleitung
Fokus stehen insoweit nicht nur mehrseitige Verträge, sondern darüber hinaus auch Gesellschaftsverträge. Für eine Beleuchtung des rechtsdogmatischen Diskussionsstands zu Dimensionen systemischer Bindung sind ebenso neuere Ansätze zu den Vertragsformen und Vertragstypen in den Blick zu nehmen. Insbesondere ist hierzu eine Auseinandersetzung mit den Vorschlägen der (Vertrags-)Netzwerkforschung82 unabdingbar. Die bereits seit längerem virulente Frage nach der adäquaten Fassung (und dogmatischen Einordnung) von Netzwerken bzw. Vertragsnetz(werk) en83 stellt sich – wie bereits angedeutet – in Ansehung der Digitalisierung in besonderem Maße. Dabei ist fraglich, ob und inwieweit sich auch entsprechende Konstellationen mit den bisherigen vertragsdogmatischen Grundlagen zutreffend erfassen lassen (Vertrag zugunsten Dritter, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) – oder ob hierin ein Impetus zur Entwicklung neuer vertragsrechtsdogmatischer Konzepte zu sehen ist. Eine Analyse der Grundlagen, aber auch des Nutzens entsprechender Vorschläge, erscheint deswegen auch für die Fassung der Dimensionen systemischer Bindung zielführend. Vor allem Gesellschaftsverträge dürften traditionell (und auch für die Zwecke dieser Arbeit) die umfangreichste Form der Kooperation mehrerer Personen sein. Für die Dimensionen systemischer Bindung, insbesondere für Formen dezentraler Kooperation, bilden solche Verträge gleichsam eine Vergewisserung über die Grenze zwischen allgemeinem (im Zentrum dieser Arbeit stehenden) Vertragsrecht sowie dem Gesellschaftsrecht als „besonderem“ Vertrags- und Kooperationsrecht. Des Weiteren gilt es auch und gerade in Ansehung des Einsatzes automatisierter und autonomer Agenten den Vertragsschluss einer näheren Begutachtung zuzuführen. Grundlegend für die Bewertung des Einsatzes entsprechender Agenten beim Abschluss von Verträgen sind die Grundsätze der sogenannten Computererklärung. In Bezug auf autonome Anwendungen ist zusätzlich eine Auseinandersetzung mit alternativen Grundsätzen der Zurechnung von Willenserklärungen erforderlich. Formen systemischer Bindung sind aus dogmatischer Perspektive ferner abzugleichen mit anderen (möglichen) Textstufen84 der (Privat-)Rechtsentwicklung und (Privat-)Rechtsvereinheitlichung. Mit zu betrachten und zu bewerten sind ebenso die weiteren Vorstöße für eine (weitergehende) Kodifizierung bzw. 82 Siehe zunächst nur und insbesondere Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004; siehe im Übrigen auch nachfolgend sub Kapitel 3 § 7 B. 83 Siehe stellvertretend Möschel, AcP 186 (1986), 187; Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998; Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013; Rohe, Netzverträge, 1998; Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004; Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017. Allgemein(er) die Beiträge in Mittwoch/Klappstein/Botthof/Bühner/Figge/ Schirmer/Stöhr/Wolff (Hrsg.), Netzwerke im Privatrecht, 2016. Im Einzelnen nachfolgend sub Kapitel 3 § 11 C. III. 84 Zur Textstufenforschung siehe stellvertretend nur Zimmermann, EuZW 2009, 319.
§ 3 Gang der Untersuchung
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Schaffung eines Europäischen Privat- bzw. Vertragsrechts85 sowie internationale (Soft Law-)Instrumente. Eine Rechtsvergleichung im eigentlichen Sinne soll diese Arbeit allerdings nicht leisten. Nicht vertieft behandelt werden in dieser Untersuchung zudem die Vorgaben des Verbraucherschutz-, Datenschutz-, Urheber- und Wettbewerbsrechts.
D. Fortentwicklungspotenziale Auf Grundlage der verschiedenen Perspektiven der (rechtstatsächlichen) Erscheinungsformen, der Vertragsrechtstheorie und -dogmatik sowie der (Privat-) Rechtsvereinheitlichung sind konkrete Fortentwicklungspotenziale für die Dimensionen systemischer Bindung zu entwickeln. Dabei soll entlang der identifizierten Kategorien geprüft werden, ob und inwieweit neue (vertragsrechtliche) Instrumente zu etablieren und anzuwenden sind. So wird etwa in Anbetracht des Einsatzes autonomer Anwendungen die vertragsrechtliche Dogmatik ganz grundlegend zu hinterfragen sein. So gilt es zu analysieren, ob und inwieweit neue Handlungsformen, insbesondere autonome Willenserklärungen sowie eine autonome Stellvertretung oder autonome Erfüllungsgehilfen bzw. Vertragsschlussgehilfen in Betracht kommen. Ebenso ist vielschichtige Diskussion zu einer Rechtsfähigkeit autonomer Anwendungen zu würdigen. Auf der Grundlage und am Maßstab der Untersuchungsergebnisse sind für alle Dimensionen systemischer Bindung (rechtspolitische) Handlungsempfehlungen zu formulieren. In Zusammenführung der rechtstatsächlichen, theoretischen und dogmatischen Erwägungen de lege lata und de lege ferenda sollen zudem und abschließend Parameter für die Regulierung des Vertragsrechts im 21. Jahrhundert vorgestellt werden, die den Impetus der verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung aufnehmen und – im übertragenen Sinne – die Sicherheit86 von Verträgen im 21. Jahrhundert befördern.
E. Gesamtschau und Synthese Aufbauend auf den vorherigen Arbeits- und Untersuchungsschritten werden die Untersuchungsergebnisse für die Dimensionen systemischer Bindung schließlich in einer Gesamtschau in Thesen präsentiert, wodurch gleichsam eine Synthese der Arbeit verfolgt wird.
85 Siehe stellvertretend in diesem Zusammenhang nur Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (260 ff.). 86 Zu diesem Begriff näher nachfolgend sub Kapitel 6 § 18 B.
Kapitel 2
Grundlagen Digitalisierung verweist auf die Nutzung des binären Codierungssystems (0 und 1). Auf dieser Grundlage eröffnet die Digitalisierung die Option zur umfassenden Vernetzung.1 Die mit der Digitalisierung verknüpften Prozesse sind vielfältig und (inzwischen) alltäglich. Weite Teile nahezu aller Industrieund Wirtschaftssektoren sind geprägt durch digitale oder digital gestützte Abläufe. Den aktuellen (Fort-)Schritt markieren die Bestrebungen zur Industrie 4.0 und des Einsatzes Künstlicher Intelligenz. Es werden nicht (mehr) nur genuin (zwischen-)menschliche, sondern dezidiert auch intermaschinelle Interaktionen „miteinander“ vernetzt. Das Internet der Dinge ermöglicht verschiedenste Kommunikationen zwischen Sachen bzw. Software für nahezu jedwede Zwecke. Die Vernetzung verschiedenster Akteure (und Sachen) bedingt dabei neuartige und vielfältige rechtlich relevante Interaktionen.2 Hierbei sind regelmäßig mehr als zwei Akteure mit einbezogen. Die maßgeblichen Entwicklungstreiber sowie die damit verbunden rechtstatsächlichen Verhältnisse werden nachfolgend zunächst aufgezeigt. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse sind Ausgangspunkt für eine (weitere) rechtlich-adäquate Erfassung der damit verbundenen Beziehungen. Auf dieser Grundlage können die Dimensionen systemischer Bindung für die Zwecke dieser Arbeit kategorisiert werden, welche sodann den Betrachtungsgegenstand der weiteren Untersuchung bilden.
§ 4 Entwicklungstreiber Geschäftsmodelle der Digitalwirtschaft strebten in der Vergangenheit oftmals zunächst (nur) nach einer Optimierung der Vermarktung ihrer analogen Dienstleistungen. Im Fortgang der Digitalisierung bildeten sich sodann neben „einfachen“ digitalen Dienstleistungen vor allem Plattform-Modelle heraus, de1 Siehe nochmals Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Bd. 1, 2003 sowie stellvertretend etwa Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, insbesondere S. 613 ff.; Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (341 ff.). 2 Stellvertretend zu den aufgeworfenen rechtlichen Fragestellungen etwa Fries, NJW 2016, 2860; Schweitzer, ZEuP 2019, 1; Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341; Teubner, AcP 218 (2018), 155; Wendehorst, NJW 2016, 2609.
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Kapitel 2: Grundlagen
ren Erfolg maßgeblich auf der Nutzbarmachung zwei- und mehrseitiger Märke basiert.3 Hierdurch angestoßen wurde eine erste Stufe der Verknüpfung verschiedener Privater. Eine (zunehmend) große Anzahl entsprechender Platt formanbieter befördern und bezwecken auf diese Weise Interaktionen Privater auf ihren Plattformen. Auf einer zweiten Entwicklungsstufe koordinieren sich Private zunehmend unabhängig von (etablierten) Plattformen; dies erfolgt insbesondere durch die Nutzung technischer Anwendungen, die einen klassischen man in the middle-Intermediär überflüssig machen.4 Auf einer (derzeit) letzten Stufe erfolgt die Interaktion und Kommunikation (auf klassischen Plattformen und darüber hinaus) mittels automatisierter und bzw. oder autonomer Anwendungen.5 Stellvertretend sei insofern auf Spindlers Beschreibung zu Koopera tionen im Lichte der Digitalisierung verwiesen: „(…) [D]ie (…) Verbindung von Unternehmen durch die Digitalisierung [stellt] einen Quantensprung [dar]: So werden Transaktionen ohne jegliche menschliche Kontrolle direkt von Maschine-zu-Maschine abgewickelt (auch wenn beide Maschinen unterschiedlichen Unternehmen angehören), Logistikketten werden ohne menschliche Einwirkung aufgelöst oder neu formiert über elektronische Plattformen mit Hilfe von semi-autonom handelnden Agenten etc.“6
Vor diesem Hintergrund sind drei besonders hervorzuhebende Entwicklungstreiber für vertragliche Beziehungen auszumachen: (1) die fortschreitende Digitalisierung sowie eine damit verbundene (zunehmende) vernetzte Interaktion zwischen Privaten, (2) die Nutzbarmachung von Technik zur Abbildung und zur Ausgestaltung rechtlicher Beziehungen und bzw. oder Rechtspositionen sowie (3) der Einsatz Künstlicher Intelligenz.7
A. Digitalisierung und Multipolarität Die Digitalisierung ist zunächst durch den Austausch und die Verknüpfung von Informationen geprägt. Hierdurch sind veränderte Interaktionsmuster entstanden. Traditionell erfolg(t)en Interaktion zwischen Privatrechtssubjekten persönlich oder mit Hilfe von (zweiseitigen) technischen Mitteln (i. e. Telegraphie, 3 Aus ökonomischer Perspektive grundlegend Rochet/Tirole, Journal of the European Economic Association 1 (2003), 990 und dies., The RAND Journal of Economics 37 (2006), 645 sowie allgemein(er) nur Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016 und Parker/Van Al styne/Choudary, Platform Revolution, 2016. Aus regulatorischer Perspektive Siehe stellvertretend nur Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 619 ff. Siehe im Übrigen nachfolgend sub Kapitel 2 § 5 A. 4 Siehe nur Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (265 ff.). Siehe im Übrigen nachfolgend sub Kapitel 2 § 5 B. 5 Siehe wiederum nur Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (283 f.). Siehe im Übrigen nachfolgend sub Kapitel 2 § 5 C. 6 Spindler, ZGR 2018, 17 (53). 7 Aufgabe dieser Arbeit kann und soll es allerdings nicht sein, die maßgeblichen technischen Grundlagen in extenso darzulegen.
§ 4 Entwicklungstreiber
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Telefon, Telefax, Telegramm). In Zeiten der Digitalisierung bestehen diese auf Bipolarität ausgerichteten Formen selbstverständlich fort – und sind im Grunde wesensähnlich zu modernen Formen der digital gestützten Kommunikation, etwa dem E-Mail-Verkehr. Hinzugetreten sind allerdings Interaktionsformen, die nicht mehr ausschließlich bipolar funktionieren. Informationen werden durch andere Mittler (und in anderen Umständen) wahrgenommen und weitergegeben. Insbesondere auf Plattformen finden mit gänzlich unterschiedlichen Zielrichtungen vielfältige Interaktionen zwischen einer Vielzahl von Beteiligten statt.8 Die technischen Möglichkeiten zur Automatisierung von Interaktionen verstärken diesen Effekt. Dies gilt vor allem, wenn und soweit technische Vorkehrungen bzw. Instrumente maßgeblich die auf solchen Plattformen geschlossenen Verträge und deren Zustandekommen prägen. Lediglich beispielhaft sei insofern auf das Zusammenführen (matching) von Vertragspartnern verwiesen.9 Die skizzierte Entwicklung führt insgesamt dazu, dass sich zwischenmenschliche oder nur menschlich veranlasste intermaschinelle Interaktionen grundlegend wandeln. Dabei wird nicht nur die Interaktion zwischen Individuen und bzw. oder Maschinen beschleunigt. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang vor allem auch, dass die verschiedenen Akteure zunehmend in vernetzten Umfeldern interagieren. Denn jede rechtlich relevante Interaktion involviert schon technisch notwendigerweise die Partizipation einer Vielzahl von Privatrechtssubjekten. Diese durch die Digitalisierung veränderten Interaktionsmuster können als multipolar beschrieben werden. Multipolarität bezeichnet zunächst allgemein das In-Beziehung-Setzen von mehr als zwei Elementen. Gemünzt auf Interaktionen bedingt dies die Beteiligung mehrerer (partizipierender) Akteure. Die einzelnen Akteure sind grundsätzlich unabhängig voneinander zu betrachten und verfolgen jeweils eigene Positionen bzw. Interessen, wovon eine Vielzahl von (zwischenmenschlichen) Beziehungen geprägt ist. Multipolarität menschlicher Interaktion ist keinesfalls ein neues sozialwissenschaftliches Faktum. Beispielhaft seien nur Formen der Arbeitsteilung genannt.10 Deswegen ist Multipolarität auch (und nicht erst in jüngerer Zeit) strukturprägend für Gesellschaften mit – im Sinne der System theorie – ihren Sub-Systemen wie etwa Recht, Wirtschaft und Familie.11 Multipolarität in einem solchen Sinne weist Strukturmerkmale auf, die Aspekte einer 8
Siehe stellvertretend zunächst wiederum nur Engert, AcP 218 (2018), 304 (309 ff.). Siehe etwa Engert, AcP 218 (2018), 304 (331 ff.); Evans/Schmalensee, Matchmakers, 2016 sowie Schulze/Staudenmayer, in: dies. (Hrsg.), Digital Revolution: Challenges for Contract Law in Practice, 2016, S. 26 f. 10 Grundlegend Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, 5. Aufl. 1972. 11 Siehe zum System Recht Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993 sowie nachfolgend Kapitel 3 § 7 A. 9
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Kapitel 2: Grundlagen
Organisation zwischen Privaten enthalten (können).12 Entsprechende Formen der Multipolarität werden deshalb auch als Relationen13 oder auch als Netzwerke verstanden. Multipolarität als rechtstatsächliches Faktum ist somit (notwendiges) Strukturmerkmal der Interaktion von Individuen. Aus der Perspektive der vertraglichen Interaktion bedeutet dies – wie zuvor bereits verschiedentlich angedeutet –, dass auch vertragliche Kommunikation nicht nur bipolar, sondern unter Berücksichtigung und Einbindung Dritter erfolgt bzw. erfolgen (kann). In der wirtschaftswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Literatur14 – die hervorgehoben (auch) auf die Beziehungen abstellt – werden solche relationalen Verträge bzw. Organisationsverträge (oder auch Vertragsnetze) als eine dritte Kategorie neben contract und firm eingestuft, woraus sich auch eine rechtsdogmatisch abweichende Fassung ergeben könnte.15 Diese Formen der Interaktion sind keineswegs neuartig. Gleichwohl illus trieren digitalisierungsbasierte Prozesse die zuvor beschriebenen Wirkmechanismen besonders anschaulich. So benötigt allein der Versand einer E-Mail (als vertragliche Kommunikation) die Unterstützung einer Vielzahl von Akteuren bzw. von diesen zur Verfügung gestellten Infrastrukturen und Applikationen, beteiligt sind unter anderem Telekommunikationsanbieter bzw. Internet Service Provider, Hardwarebetreiber, Betriebssysteme und Software, gegebenenfalls eine Webseite. Diese Akteure können als technisch notwendige Assistenten bezeichnet werden. Eine Beteiligung solcher weiteren Akteure findet allerdings in den vielfältigen Konstellationen digitaler Dienstleistungen auch weit über die technische Notwendigkeit hinaus statt. So wird etwa auf Webseiten Werbung geschaltet, Anwendungen werten das Nutzerverhalten aus, Inhalte der Webseite werden durch die Aggregation fremder Inhalte ge- bzw. aufgefüllt, Inhalte Dritter werden per framing inkorporiert, auf Inhalte Dritter wird verlinkt und Klickzahlen Dritter bestimmen die Anordnung von Inhalten auf einer bestimmten Webseite. All diese nur beispielhaft genannten Aspekte bedingen bereits einen mittelbaren Einfluss auf etwaige, im Zusammenhang mit dem Besuch einer Webseite begründete Vertragsverhältnisse.
12 Siehe etwa Grundmann/Cafaggi/Vettori (Hrsg.), The Organizational Contract, 2013; siehe auch Grundmann, in: ders./Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift Hopt, 2010, S. 61 ff. 13 Grundlegend Williamson, The Journal of Law and Economics 22 (1979), 233. Siehe ferner Teubner, RJ 17 (1998), 234; Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248; Collins, Regulating Contracts, 1999. 14 Ausgehend von Granovetter, American Journal of Sociology 1973, 1360 und Powell, Research in Organizational Behaviour 12 (1990), 295. Hierzu Grundmann, ERPL 2016, 409 (419 ff.). 15 Ausführlicher hierzu nachfolgend sub Kapitel 3 § 7 B. und Kapitel 4 § 11 C.
§ 4 Entwicklungstreiber
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Darüber hinaus zeitigt die skizzierte Vernetzung der Akteure auch unmittelbare Auswirkungen auf die rechtlichen Beziehungen der Beteiligten. Dies ist zunächst der Fall bei mehrseitigen Märkten, insbesondere bei Plattformen, die zahlreiche Wechselwirkungen auch und gerade betreffend die auf den jeweiligen Märkten geschlossenen Verträge bedingen. Zusätzlich steuern und beeinflussen unter Umständen Dritte auch den Kaufpreis und den Kaufgegenstand, die Auswahl des Vertragspartners, die Modalitäten der Vertragserfüllung bzw. -abwicklung sowie die Auslegung von Willenserklärungen der beteiligten Privatrechtssubjekte. Verschiedenste Aspekte vertraglicher Interaktion werden mit Bezug auf Dritte systemisch eingefasst.16
B. Selbstorganisation und Legal Tech Auf einer zweiten Stufe koordinieren sich Private zunehmend unabhängig von (etablierten) Plattformen. Die damit einhergehende Selbstorganisation wird insbesondere ermöglicht durch die technische Fortentwicklung von Verifikationsanwendungen. Solche Anwendungen, vor allem und gerade auf der Basis der Blockchain-Technologie17, weisen für viele Branchen ein disruptives Potenzial auf. Denn die dezentrale Struktur ist gerade nicht (mehr) auf den klassischen man in the middle-Intermediär angewiesen.18 Diese Entwicklung verdeutlicht: Vertragliche Interaktionen und Kommunikationen im vorbenannten Sinne werden nicht nur durch die Wirkmechanismen der Digitalisierung geprägt, sondern definieren und formen ihrerseits digitale Anwendungen. Digitale Instrumente werden zunehmend eingesetzt zur Abbildung rechtlicher Beziehungen (wie eben die Blockchain-Technologie) sowie zur Prüfung rechtlich relevanter Tatsachen. Die damit einhergehende Verbindung aus Recht (Legal) und Technologie (Tech), i. e. Legal Tech, ist damit ein weiterer Entwicklungstreiber moderner vertraglicher Interaktion(en). Eine allgemein anerkannte Definition von Legal Tech hat sich bislang – noch – nicht etabliert. Als kleinster gemeinsamer Nenner kann allerdings (wohl) angenommen werden, Legal Tech sei „die Verwendung algorithmusbasierter Technologien bei der Rechtsanwendung“19. Es sollen auch vormals von juristisch ausgebildeten Personen vorgenommene Aufgaben durch technische Lösungen übernommen werden (können). So ermöglichen etwa die Fortschritte in der Texterkennung die Erschließung und Kontextuali16
Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 1 § 1 E. Finck, in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart Contracts, 2019, S. 1 ff. 18 Statt vieler Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (263). Ausführlich zu Blockchain-basierten Anwendungen nachfolgend sub Kapitel 2 § 5 B. 19 Buchholtz, JuS 2017, 955 (955). Siehe auch Fries, NJW 2016, 2860 (2862 Fn. 32): „die Anwendung moderner Informationstechnologie in der juristischen Arbeit“; ebenso Wagner, BB 2017, 898 (898). Enger Breidenbach/Glatz, in: dies. (Hrsg.), Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, S. V: „Unterstützung der anwaltlichen Arbeit“. 17 Hierzu
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Kapitel 2: Grundlagen
sierung des Bedeutungsgehalts von (juristischer) Sprache. Entsprechende Programme (Codes) unterstützen in diesem Sinne juristische Arbeitsprozesse bis hin zu einer vollständigen Automatisierung.20 Legal Tech ermöglicht damit im Grundsatz disruptive Veränderungen in der Organisation des Rechtsverkehrs.21 Konkret stehen verschiedene Ausprägungen in Rede: So werden etwa mithilfe von Variablen automatisierte Textbausteine für Verträge generiert und Vertragsdokumente systematisch analysiert. Derzeit ist es durch den Einsatz entsprechender Programme bereits möglich, umfangreiche Dokumente sekundenschnell zu analysieren, relevante Daten zu extrahieren und darauf basierende Analysen (etwa für die Beurteilung eines Unternehmens, sog. due diligence, durch e-discovery) zu entwickeln. Durch sowohl qualitativ als auch quantitativ stetig besser werdende Datensätze ist zudem die Bewertung und Erstellung von komplexen Vertragswerken eröffnet. Darüber hinaus schreitet die maschinenlesbare Abbildung von Verträgen rasant voran. Allgemeiner steht damit auch die rechtliche Prüfung von Verträgen oder Vertragsschlüssen bzw. allgemein von technisch befördertem rechtskonformen „Verhalten“ in Rede. Insgesamt zeichnen sich zahlreiche bereits bekannte und weitere noch unbekannte Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz ab.22 Legal Tech eröffnet damit insgesamt vielfältige Optionen zu einer effektiveren Erfassung und Bewertung rechtlich relevanter Interaktionen und damit verbundener Inhalte. Legal Tech ist allerdings (nur) ein Instrument – und als ein solches ist es für die Zwecke dieser Arbeit nachfolgend relevant. Von Interesse sind insbesondere (nur) solche Anwendungen, die Vertragsschlüsse abbilden oder solche befördern. Angesprochen sind damit auch und gerade Anwendungen, die auf einen (möglichst) rechtskonformen Vertragsabschluss abzielen. An dieser Stelle sei allerdings hingewiesen auf die (bislang) enormen Schwierigkeiten, Rechtsregeln in binärer Form bzw. in Algorithmen abzubilden (hierauf wird im Laufe der Arbeit zurückzukommen sein 23).24
20 Zu den Anwendungsbereichen siehe statt vieler Buchholtz, JuS 2017, 955 (955 f.); Fries, NJW 2016, 2860 (2862 ff.); Wagner, Legal Tech und Legal Robots, 2018, S. 11 ff., 23 ff., 31 ff.; ders., BB 2017, 898 (899 ff.). 21 Nicht betrachtet werden nachfolgend Fragen der Rechtsdienstleistung (hierzu etwa Degen/Krahmer, GRUR-Prax 2016, 363; Wettlaufer, MMR 2018, 55), der online dispute resolu tion (hierzu etwa Buchholtz, JuS 2017, 955 [956]; Wagner, BB 2017, 898 [900]) oder der Justiz (hierzu etwa Fries, NJW 2016, 2860 [2864]). 22 Buchholtz, JuS 2017, 955 (956). Vgl. auch Fries, NJW 2016, 2860 (2865). 23 Siehe nachfolgend sub Kapitel 6 § 16 D. 24 Vgl. Buchholtz, JuS 2017, 955 (957 ff.); zur Diskussion siehe nur Engel, JZ 2014, 1096 einerseits sowie Kotsoglou, JZ 2014, 451 und ders., JZ 2014, 1100 andererseits. Zum Stand der Technik sogenannter legal robots Wagner, BB 2017, 898 (902 f.)
§ 4 Entwicklungstreiber
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C. Künstliche Intelligenz Ein maßgeblicher weiterer – wenn nicht entscheidender – Entwicklungstreiber vertraglicher Interaktion sind die Technologien Künstlicher Intelligenz.25 Bereits der Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist allerdings keineswegs geklärt.26 Üblicherweise wird unterschieden zwischen starker und schwacher Künstlicher Intelligenz. Starker Künstlicher Intelligenz liegt die Idee von „Menschen- ähnlichen“ technischen Anwendungen zugrunde; entsprechende Anwendungen sollen sich also durch ein „Bewusstsein“ und gegebenenfalls auch „Gefühle“ auszeichnen.27 Eine solche starke Künstliche Intelligenz ist bislang nicht entwickelt worden. Schwache Künstliche Intelligenz – und (vor allem) diese steht im Zentrum der aktuellen Diskussion um Künstliche Intelligenz – bezeichnet vor allem die (Weiter-)Entwicklung technischer Anwendungen zur Unterstützung bzw. Entlastung menschlicher Entscheidungsprozesse und -handlungen.28 Künstliche Intelligenz bezieht sich deswegen nachfolgend auf schwache Künstliche Intelligenz. Instruktiv zeigt die Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung die verschiedenen (Unter-)Techniken schwacher Künstlicher Intelligenz auf: „1. Deduktionssysteme, maschinelles Beweisen: Ableitung (Deduktion) formaler Aussagen aus logischen Ausdrücken, Systeme zum Beweis der Korrektheit von Hardware und Software; 2. Wissensbasierte Systeme: Methoden zur Modellierung und Erhebung von Wissen; Software zur Simulation menschlichen Expertenwissens und Unterstützung von Experten (ehemals: ‚Expertensysteme‘); zum Teil auch verbunden mit Psychologie und Kognitionswissenschaften; 3. Musteranalyse und Mustererkennung: induktive 25 Einführend und zum Folgenden Kaplan, Artifical Intelligence, 2016. Siehe darüber hinaus etwa Grapentin, NJW 2019, 181; Herberger, NJW 2018, 2825; Stiemerling, CR 2015, 762. Künstliche Intelligenz wird in dieser Arbeit aus vertrag(srecht)licher Perspektive beleuchtet. Weit über das Vertragsrecht hinaus sind mit Künstlicher Intelligenz (und der Robotik) Herausforderungen anderer Rechtsgebiete (insbesondere dem Verfassungs-, Straf- und Deliktsrecht) sowie (vor allem) technische, politische, ethische, ökonomische, kulturelle, soziologische und militärische Fragen verknüpft, vgl. hierzu stellvertretend aus rechtlicher Perspektive Dederer, RW 2018, 380 (zu letalen autonomen Waffensystemen); Fries, RW 2018, 414 (zur automatischen Rechtspflege); Giesen, RW 2018, 431 (zu Robotik und Arbeitsrecht); Schirmer, RW 2018, 453 (zu Robotik und Verkehr); Wischmeyer, AöR 143 (2018), 1 (zur Regulierung intelligenter Systeme); Yuan, RW 2018, 477 (zu lernenden Robotern und Fahrlässigkeitsdelikt) und die Beiträge in Wischmeyer/Rademacher (Hrsg.), Regulating Artificial Intelligence, 2020 sowie die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete Künstliche Intelligenz, COM(2019) 168 final (hierzu nachfolgend sub Kapitel 5 § 15 A. II. 1.). Allgemein(er) die Beiträge in Brockman (Hrsg.), Was sollen wir von Künstlicher Intelligenz halten?, 2017 26 Der folgende Abschnitt C. basiert teilweise auf Vorarbeiten in Hennemann, ZWeR 2018, 161. 27 Siehe Bues, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1166 ff. 28 Siehe Bues, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1169; Linardatos, ZIP 2019, 504 (504 f.) m. w. N.
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Kapitel 2: Grundlagen
Analyseverfahren allgemein, insbesondere auch maschinelles Lernen; 4. Robotik: autonome Steuerung von Robotik-Systemen (…); 5. Intelligente multimodale Mensch-Maschine-Interaktion: Analyse und ‚Verstehen‘ von Sprache (in Verbindung mit Linguistik), Bildern, Gestik und anderen Formen menschlicher Interaktion.“29
Ganz grundsätzlich sind Anwendungen Künstlicher Intelligenz vor allem durch die strukturierte Analyse von Daten bzw. Informationen geprägt; solche Anwendungen erarbeiten Muster und Korrelationen sowie definieren auf dieser Basis allfällige Entscheidungsparameter.30 Nach einer Lernphase, die durch menschliche Überprüfungen präzisiert werden kann, können daher Verallgemeinerungen getroffen werden. Anwendungen Künstlicher Intelligenz „trainieren“ (machine learning) und sind selbstlernend.31 Besonders leistungsfähig sind Strukturierungsformen des deep learning, die sich in ihrer Konstruktion und Funktionsweise am menschlichen Gehirn (neuronale Netze) orientieren.32 Stellvertretend sei insofern auf den Erwägungsgrund AI (sic!) der Entschließung des Europäischen Parlaments zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich der Robotik verwiesen: „(…) adaptive Fähigkeiten und Lernfähigkeiten (…), die ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit in ihrem Verhalten zur Folge haben, da (…) Roboter eigenständig aus ihrer eigenen, variablen Erfahrung lernen und mit ihrer Umwelt auf einzigartige und unvorhersehbare Weise interagieren“.33
Das Europäische Parlament legt dabei das folgende Verständnis über die Fähigkeiten eines „intelligenten Roboter“ zugrunde: „die Fähigkeit, über Sensoren und/oder über den Datenaustausch mit seiner Umgebung (Interkonnektivität) Autonomie zu erlangen und diese Daten zu analysieren (…) [;] die Fähigkeit, durch Erfahrung und Interaktion zu lernen (…)[;] die Form der physischen Unterstützung des Roboters (…)[;] die Fähigkeit, sein Verhalten und seine Handlungen an seine Umgebung anzupassen (…).“34
Wenngleich damit die technischen Prozesse zutreffend beschrieben werden, so ist die vom Europäischen Parlament zugrunde gelegte Verkörperung einer An29 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 5. 30 Siehe etwa Linardatos, ZIP 2019, 504 (505). 31 Siehe nur Bues, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1171; Grapentin, NJW 2019, 181 (183 f.); Linardatos, ZIP 2019, 504 (504 f.); Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (170 f.); ders., ZfPW 2019, 198 (200 f.); jeweils m. w. N. 32 Hierzu etwa Linardatos, ZIP 2019, 504 (505); Zech, ZfPW 2019, 198 (201 f.); ausführlich Kaplan, Artificial Intelligence, 2016, S. 28 ff. sowie Sejnowski, The Deep Learning Revolu tion, 2018. 33 Europäisches Parlament, Entschließung vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103(INL)), P8_ TA(2017)0051, Haftung AI. 34 P8_TA(2017)0051, Anlage.
§ 4 Entwicklungstreiber
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wendung Künstlicher Intelligenz in einem (physisch greifbaren und räumlich abtrennbaren) Roboter für die hiesige Untersuchung nicht entscheidend.35 Eine Anwendung Künstlicher Intelligenz kann zwar als Steuerungselement bzw. „Gehirn“ eines „intelligenten“ Roboters fungieren, ist aber in Ansehung einer Vielzahl anderer Anwendungen nicht notwendigerweise mit einer entsprechenden technischen Gerätschaft verbunden. In diesem Sinne soll nachfolgend der (Über-)Begriff Roboter (nur) verwendet werden für die Kombination aus einer (beweglichen) Sache und einem (technischen) Steuerungselement.36 Anwendungen Künstlicher Intelligenz werden für die Zwecke dieser Untersuchung insofern und demgegenüber nur im Sinne der Software und nicht im Sinne der (Verknüpfung mit) Hardware verstanden.37 Im Gegensatz zur Ortsbezogenheit von Robotern 38 sind Anwendungen Künstlicher Intelligenz somit potenziell – abhängig von den maßgeblichen Schnittstellen – ubiquitär. Dies ist insbesondere der Fall bei einer Vernetzung über das Internet. Zentrales Merkmal von Künstlicher Intelligenz ist nach hiesigem Verständnis und nach alledem, dass die den entsprechenden Anwendungen zugrunde liegenden Algorithmen grundsätzlich adaptiv39, sprich im vorbenannten Sinne selbstlernend sind.40 Damit sind „Handlungen“ bzw. Entscheidungen weder „vorhersehbar“ programmiert bzw. determiniert noch ist die Anwendung auf (vollständige) Nachvollziehbarkeit im Übrigen ausgerichtet.41 Anwendungen Künstlicher Intelligenz sind im Grundsatz eine black box.42 Künstliche Intelligenz ist wiederum Grundlage und Voraussetzung für autonom agierende technische Programme.43 In den Worten des Europäischen Parla35 Siehe hierzu nur Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (165). 36 Siehe zur Verbindung von Software und Hardware etwa Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (168); ders., ZfPW 2019, 198 (202 f.). 37 Vgl. ebenso etwa Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 70. 38 Siehe Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (173 f.). 39 Allgemein zur Adaptivität m. w. N. Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 101 ff. 40 Siehe nur Linardatos, ZIP 2019, 504 (505); Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (170 f.). Eine engere Definition von Algorithmus (nur im Sinne hierarchischer Algorithmen) etwa bei Zech, ZfPW 2019, 198 (199 Fn. 3): „Schritt-fürSchritt-Anleitung zur Lösung einer Aufgabe, deren einzelne Ausführungsschritte so einfach sind, dass sie automatisiert ausgeführt werden können (…).“; vgl. auch ebd. (202). 41 Dies ist eine (eher) enge Definition von Künstlicher Intelligenz, siehe zu den technischen Grundlagen sowie den verschiedenen Ansätzen und Methoden Künstlicher Intelligenz Stiemerling, CR 2015, 762. Siehe im Übrigen etwa Zech, ZfPW 2019, 198 (202). 42 Siehe Bues, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1169; Linardatos, ZIP 2019, 504 (505); Zech, ZfPW 2019, 198 (202). Siehe allgemein(er) Pasquale, The Black Box Society, 2015. 43 Siehe zur technischen Unterscheidung von Autonomiegraden etwa Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 97 ff. m. w. N.
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ments „(…) die Fähigkeit (…), Entscheidungen zu treffen und diese in der äußeren Welt unabhängig von externer Steuerung oder Einflussnahme umzusetzen“44 bzw. in den Worten der Kommission „Künstliche Intelligenz (…) bezeichnet Systeme mit einem ‚intelligenten‘ Verhalten, die ihre Umgebung analysieren und mit einem gewissen Grad an Autonomie handeln, um bestimmte Ziele zu erreichen.“45 Treffend und plastisch führt insofern Zech aus: „Auto nomie bedeutet damit, dass sich ein Agent, beziehungsweise ein System auf eigene Wahrnehmungen verlässt, statt auf Eingaben des Anwenders angewiesen zu sein. Dieser Begriff der Autonomie wird insbesondere von selbstlernenden Systemen erfüllt.“46 Autonome Anwendungen dient für diese Untersuchung deswegen als Sammelbegriff für Anwendungen Künstlicher Intelligenz im hier definierten Sinne. Die Anwendungsfelder solcher autonomer Anwendungen sind mannigfaltig; umfasst ist im Grundsatz das gesamte Spektrum menschlichen Handelns.47 Vor diesem Hintergrund bietet Künstliche Intelligenz enorme gemeinwohlorientierte Chancen (etwa betreffend die Datenanalyse in der Medizin), birgt allerdings auch Risiken (erinnert sei etwa die Diskussion über letale autonome Waffensysteme48). Von Interesse für die Zwecke dieser Arbeit sind allerdings wiederum nur solche Anwendungen, die bei Vertragsschlüssen und bzw. oder zur Beförderung solcher zum Einsatz kommen. Für entsprechende technische Anwendungen hat sich der Begriff autonomer Agent etabliert.49 Die Ausführungen in dieser Untersuchung erfolgen allerdings im Kontext der umfassenden gesellschaftlichen und politischen Herausforderung in Bezug auf Künstliche Intelligenz50 , für die Japan die (von der G7 vereinbarten) Grundsätze definiert
44 Europäisches Parlament, Entschließung vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103(INL)), Erwägungsgrund AA. 45 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Koordinierter Plan für künstliche Intelligenz für Europa, COM(2018) 795 final, S. 1. 46 Zech, ZfPW 2019, 198 (200). 47 Zu den Anwendungsfeldern etwa Zech, ZfPW 2019, 198 (204). 48 Hierzu Dederer, RW 2018, 380. Vgl. auch die 2017 eingerichtete Expertengruppe der Vereinten Nationen zu Lethal Autonomous Weapons Systems (LAWS [sic!]), https://www. unog.ch/80256EE600585943/(httpPages)/F027DAA4966EB9C7C12580CD0039D7B5?Op enDocument (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 49 Hierzu noch nachfolgend sub Kapitel 2 § 5 C. Siehe auch Teubner, AcP 218 (2018), 155 (156 Fn. 1), der den Begriff „Digitaler Agent“ befürwortet, aber annimmt, dass sich der Begriff „autonomer Softwareagent“ im Sprachgebrauch durchgesetzt habe. Zu den technischen Grundlagen autonomer Agenten etwa Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (201 f.). 50 Siehe zum Beispiel White House OSTP, Preparing for the Future of Artificial Intelligence (2016) und etwa Calo, Artificial Intelligence Policy: A Primer and Roadmap (2017); Scherer, 29 Harv. J. L. & Tech. (2016), 353; Van Loo, Duke L. J. 66 (2017), 1267.
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hat: Zusammenarbeit, Transparenz, Kontrollierbarkeit, Sicherheit, Datenschutz, Ethik, Benutzerhilfe, Verantwortlichkeit.51
§ 5 Ausgewählte Referenzfelder Ausprägung der vorbenannten Entwicklungstreiber sind technische Entwicklungen, die mannigfaltige Formen vertraglicher Interaktion bedingen. Das sich stets wandelnde dynamische Umfeld digitaler Geschäftsmodelle bietet hierbei vielfältige und unüberschaubare Anschauungsbeispiele. Nachfolgend sollen daher besonders charakteristische Anwendungen skizziert werden, die der Arbeit an verschiedenen Stellen als Referenzfelder dienen.52 Betrachtet werden Online-Plattformen, das Internet der Dinge, Smart Contracts, Blockchain-basierte Anwendungen sowie elektronische und autonome Agenten.53
A. Online-Plattformen und das Internet der Dinge Online-Plattformen nehmen eine zentrale Stellung in der digitalen Ökonomie ein und haben sich zu einem der prägenden Elemente des Internets entwickelt (platform revolution).54 Grundlage sind die charakteristischen technischen Parameter von Plattformen. Treffend führt insofern Spiecker gen. Döhmann aus: „[Plattformen] agieren gleich einer ‚Spinne im Netz‘: Sie ermöglichen überhaupt erst die Netzwerkstrukturen, sie bilden deren zentralen Knotenpunkt, über den alle Interaktionen und alle Vernetzungen laufen. Daher sind Plattformen typischerweise in unechten Netzwerken anzutreffen, bei denen kaum Verbindungen ohne Beteiligung der Plattform möglich sind. (…) Solche Plattformen agieren auf unterschiedlichen Ebenen, mindestens verknüpfen sie verschiedene Infrastrukturen, Dienste, Anbieter und Nutzer über ein von ihnen vorgegebenes technisches Format bzw. die technischen Schnittstellen, also durch das Mittel der technischen Standardisierung.“55
Eine einheitliche Definition von Online-Plattformen besteht allerdings (noch) nicht; vielmehr haben sich aus verschiedenen Betrachtungswinkeln (etwa des Urheberrechts, des Kartellrechts, des Rundfunkrechts und der Ökonomie) unterschiedliche Zugriffe etabliert.56 So versteht etwa die Wettbewerbsökonomie 51 AI R&D Guidelines, https://www.oecd.org/going-digital/ai-intelligent-machines-sma rt-policies/conference-agenda/ai-intelligent-machines-smart-policies-hirano.pdf (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 52 Zumindest benannt seien im Übrigen etwa Cloud-, eGames sowie virtual reality- und augmented reality-Anwendungen, die im Kern (Online-)Plattformen sind. 53 Die nachfolgenden Referenzfelder werden nicht in extenso dargelegt. 54 Stellvertretend Maultzsch, ERCL 2018, 209 (210) sowie allgemein Parker/Van Alstyne/ Choudary, Platform Revolution, 2016. 55 Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (342). 56 Siehe hierzu nur Paal, in: Körber/Kühling/Säcker/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Regulie-
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unter Plattformen solche Unternehmen, „die als Intermediäre die direkte Interaktion zweier oder mehrerer Nutzerseiten, zwischen denen indirekte Netzwerkeffekte bestehen, ermöglichen.“57 Für die vorliegende Untersuchung sind Plattformen (nur) als Instrument vertraglicher Beziehungen von Interesse. Dennoch ist das wettbewerbsökonomische Verständnis erhellend. Es geht um die Ermöglichung direkter Interaktion zwischen verschiedenen (Nutzer-)Seiten.58 Hiermit sind zwar einerseits nichtvertragliche Kommunikationen (wie etwa regelmäßig bei sozialen Netzwerken), andererseits aber vor allem auch und gerade vertragliche Kommunikationen angesprochen (vor allem auf Handelsplattformen). Insbesondere letztgenannte Plattformen sind für die hiesige Untersuchung von Interesse. Dabei kann zwischen sogenannten Vermittlungs- und Informationsplattformen unterschieden werden.59 Beide Arten Plattformen ermöglichen in verschiedener Art und Weise Vertragsschlüsse. Während Informationsplattformen Vertragsschlüsse durch Informationen befördern, zielen Vermittlungsplattformen ab auf eine Kontrolle der Vertragsschlüsse (auf einem bestimmten Markt). 60 Auf entsprechenden Plattformen sind regelmäßig drei (potenzielle) Vertragsverhältnisse zu unterscheiden: (1) der Vertrag zwischen dem Plattformbetreiber und dem ersten Nutzer der Plattform (etwa der Anbieter einer Ware); (2) der Vertrag zwischen dem Plattformbetreiber und dem zweiten Nutzer (etwa dem Kaufinteressent) sowie (3) der Vertrag zwischen dem ersten und dem zweiten Nutzer.61 Der Plattformbetreiber fungiert demnach betreffend das Verhältnis zwischen den Nutzern als Dritter. Diese Dreipoligkeit selbst ist kein neues Phänomen. Vielmehr reichen Konstellationen des durch eine Person organisierten Zusammentreffens zweier potenziell miteinander kontrahierender Parteien weit zurück (beispielhaft sei insofern auf antike Märkte und Foren verwiesen).62 Eine zumindest qualitative Fortentwicklung dürfte allerdings die Einwirkung auf die Interaktion der kontrahierenden Parteien sein. 63 Denn Plattformen geben – je nach Einzelfall – nicht nur die Rahmenbedingungen des Vertragsschlusses vor, sondern gestalten die auf der Plattform stattfindenden vertraglichen Kommunikationen aus. Dafür stellen Plattformen die dazu erforderlichen Instrumente bereit, sprich vorformulierte Erklärungen einerseits und Nutzungsbedingungen ihrer Plattforrung – Wettbewerb – Innovation, 2017, S. 150 f.; ders./Hennemann, Big Data as an Asset – Daten und Kartellrecht, 2018, S. 21 ff. 57 BKartA, Arbeitspapier – Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 2016, S. 14. 58 Siehe nur Engert, AcP 218 (2018), 304 (305). 59 Engert, AcP 218 (2018), 304 (309 ff.). 60 Engert, AcP 218 (2018), 304 (309 f.). 61 Siehe statt vieler nur Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (787). 62 Siehe die Aufzählung bei Engert, AcP 218 (2018), 304 (305 f.). 63 So auch Engert, AcP 218 (2018), 304 (307).
§ 5 Ausgewählte Referenzfelder
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men andererseits. 64 Der Plattformbetreiber stellt somit nicht nur die für den Vertragsschluss notwendige technische Infrastruktur zur Verfügung, sondern darüber hinaus auch die rechtliche Infrastruktur. 65 Exemplarisch sei insofern auf die Handelsplattform eBay hingewiesen und die hierbei aufgeworfene Frage nach den Auswirkungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay auf die Rechtsbeziehungen der auf eBay kontrahierenden Parteien. 66 Ein „Sammelbecken“ von und für Plattformen – und teilweise selbst Platt formen – sind sogenannte smarte Anwendungen. Entsprechende Endgeräte kombinieren eine Vielzahl unterschiedlicher Rechte bzw. Dienstleistungen. Es entstehen „hybride Produkte“67 durch eine „Verbindung“ eines körperlichen Gegenstands mit digitalen Inhalten auf der Basis verschiedener Vertragsverhältnisse. 68 Internetfähig sind deswegen heutzutage zunehmend Sachen bzw. Bestandteile von Sachen, die mit digitalen Schnittstellen ausgestattet werden (smart things).69 Es ist hierdurch eine weitreichende Vernetzung (auch) zwischen jedweden Sachen möglich. Die sogenannte machine to machine-communication70 betrifft potenziell sämtliche Lebensbereiche.71 Das hierdurch kreierte Internet der Dinge eröffnet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten im gewerblichen Umfeld ebenso wie für den Endverbraucher.72 Beispielhaft sei insofern nur auf smart car- und smart home-Anwendungen hingewiesen. Dabei lassen sich mit Wendehorst in der Regel sechs verschiedene Kategorien von Produktkomponenten unterscheiden: (1) Sachsubstanz; (2) eingebettete Inhalte; (3) ausgelagerte Inhalte; (4) Aktualisierungen; (5) digitale Dienstleistungen; (6) Datennutzung und sonstige Zweitnutzungen.73 Aus vertragsrechtlicher Perspektive stellt sich in Bezug auf die verschiedenen Leistungen regelmäßig die 64
Siehe etwa Engert, AcP 218 (2018), 304 (345 ff.). Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.): „private Gesetzgeber“. 66 Höchstrichterlicher Ausgangspunkt der für die Beurteilung des Vertragsschlusses bei so genannten Internetauktionen war BGH, NJW 2002, 363 – ricardo.de. Ausführlich hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 C. I. 67 Wendehorst, in: dies./Zöchling-Jud (Hrsg.), Ein neues Vertragsrecht für den digitalen Binnenmarkt?, 2016, S. 45 (51 ff.). 68 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (285). 69 Hierzu Heun/Assion, CR 2015, 812 (812) und Sosnitza, CR 2016, 764 (765). 70 Siehe etwa Grünwald/Nüßing, MMR 2015, 378. 71 Heun/Assion, CR 2015, 812 (812). 72 Siehe etwa Fleisch/Weinberger/Wortmann, Geschäftsmodelle im Internet der Dinge (2014); McKinsey&Company, The Internet of Things: Mapping the Value beyond the Hype (2015). Umfassend zur rechtlichen Betrachtung Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 ff. 73 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 111; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander- Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (369). Siehe auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (286) sowie die Darstellung bei Gabriel/Hartmann/Strese/Valldorf/Weiß, Eigentums- und Besitzverhältnisse im Internet der Dinge, 2016, S. 6 ff. 65 Hierzu
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Frage nach dem bzw. den jeweiligen Vertragspartner(n). Dabei sind im Anschluss an Wendehorst drei Grundkonstellationen zu unterscheiden: Einheitsmodell, Agenturmodell und Garantiemodell.74 Im Sinne des Einheitsmodells ist zunächst denkbar, dass der Verkäufer (oder auch: Systemanbieter) des Endgeräts in Bezug auf bestimmte Leistungen, die über den Kauf der Sachsubstanz bzw. den Betrieb des Betriebssystems hinausgehen (wie Dienstleistungen), Vertragspartner ist.75 Dritte bzw. Drittanbieter fungieren dann (nur) als Erfüllungsgehilfen des Systemanbieters. In einer zweiten Variante tritt der Systemanbieter (nur) als Vertreter von oder als Bote für Dritte auf (Agenturmodell), wobei Dritte sich regelmäßig im Zuge einer Auslobung oder einer invitatio ad offerendum an die Nutzer wenden.76 Im Zuge des Garantiemodells bestehen grundsätzlich vertragliche Beziehungen auch zu Dritten (insbesondere Endnutzerlizenzvereinbarungen). Der Systemanbieter verpflichtet sich zudem vertraglich gegenüber dem Nutzer des Geräts dahingehend, dass die für weitere Produktkomponenten erforderlichen Endnutzervereinbarungen mit dem Nutzer abgeschlossen werden bzw. sich Dritte dem Systemanbieter zur Leistung an den Nutzer verpflichtet haben.77 Der Nutzer hat somit im letzten Fall unter Umständen zwei Schuldner betreffend (wirtschaftlich) dieselbe Leistung.78 Im Übrigen eröffnet die Vernetzung verschiedenster Geräte auch die Möglichkeit, vertraglich relevante Kommunikationen zu initiieren. Dies ist vor allem der Fall, wenn Anwendungen des Internet der Dinge mit dem Einsatz von automatisierten und autonomen Agenten verknüpft werden. Diese Verknüpfung erfolgt regelmäßig zum Zwecke des Abschlusses von Verträgen in inzwischen kaum mehr überschaubarem Ausmaß und in unterschiedlichster Weise; beispielhaft sei insofern nur auf den Amazon Dash Button verwiesen.79
74 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5 f.; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (370 ff.). Hierzu noch ausführlich nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 A. I. 75 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (371). 76 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (371). 77 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5 f.; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander- Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (371 f.). 78 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 6. 79 Hierzu – insbesondere zu den verbraucherschutzrechtlichen Schranken nach § 312j BGB – jüngst OLG München, MMR 2019, 532 sowie zuvor LG München I, MMR 2019, 125. Aus unionsrechtlicher Perspektive siehe auch Sein, EuCML 2018, 179.
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B. Smart Contracts und dezentrale Kooperationen (Blockchain-basierte Anwendungen) Smart Contracts80 sind eine der prominentesten Legal Tech-Anwendungen. 81 Entsprechende Verträge sind zwar in aller Munde, eine einheitliche Definition für solche Smart Contracts hat sich bislang aber nicht herausgebildet.82 Vielmehr werden unter diesem Begriff ganz unterschiedliche Zugriffe auf den Einsatz von Computerprogrammen bzw. -protokollen im Kontext von Verträgen vorgenommen.83 Stellvertretend sei insofern zunächst verwiesen auf die „technisch, funktionsbeschreibende Definition ohne rechtliche Vorbewertung“ von Linardatos: „Es handelt sich um digitale, regelbasierte (Wenn-Dann-)Protokolle, die in Soft- und/ oder Hardware implementiert sind, bestimmte Ereignisse zu prüfen, zu verarbeiten und zu dokumentieren, damit – wenn eine vordefinierte Regel erfüllt ist – hieran anknüpfend rechtliche relevante Transaktionen und/oder Handlungen ohne manuellen Einsatz ausgeführt oder veranlasst werden.“84
In ähnlicher Weise haben bereits Kaulartz und Heckmann die folgenden Charakteristika von Smart Contracts benannt: (1) ein digital überprüfbares Ereignis, (2) die Verarbeitung des Ereignisses durch einen Algorithmus und (3) die Exekution einer rechtlich relevanten Handlung. 85 Smart Contracts sind also nicht nur maschinenlesbare Abbildungen von Verträgen, nicht nur eine „digitale Fortentwicklung der herkömmlichen Formularhandbücher“86 . Entscheidend ist vielmehr, dass ein (programmiertechnisch) abgebildeter Vertrag verknüpft wird mit technischen Mechanismen des „Sofortvollzugs“.87 So können etwa definierte Fälle des Schadensersatzes zu einer automatisierten Erfüllung entsprechender Ansprüche oder definierte Fälle der 80 Eingeführt wurde der Begriff von Szabo: „A smart contract is a computerized transaction protocol that executes the terms of a contract.“ (zitiert nach Paulus/Matzke, CR 2017, 769 [771]). Einführend Bertram, MDR 2018, 1416; De Filippi/Wright, Blockchain and the Law, 2018, S. 72 ff.; Kaulartz, InTeR 2016, 201; ders./Heckmann, CR 2016, 618; Möslein, ZHR 183 (2019), 254; Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431; Weber, in: Schulze/Staudenmayer (Hrsg.), Digital Revolution: Challenges for Contract Law in Practice, 2016, S. 163 ff. sowie die Beiträge in Fries/Paal (Hrsg.), Smart Contracts, 2019; siehe ferner Werbach/Cornell, 67 Duke L. J. (2017), 313 und Norton Rose Fulbright & R3, Can smart contracts be legally binding contracts? (2016). 81 Siehe hierzu etwa Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618; Linardatos, K&R 2018, 85; Söbbing, ITRB 2018, 43. 82 Siehe Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (433 Fn. 10). 83 Siehe hierzu die Darstellung bei Linardatos, K&R 2018, 85 (87 f.); Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (259 ff.). 84 Linardatos, K&R 2018, 85 (91). 85 Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (618). Siehe auch Paulus/Matzke, CR 2017, 769 (771 f.) sowie Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (433 f.). 86 So Buchholtz, JuS 2017, 955 (956). 87 Fries, NJW 2016, 2860 (2862); Wagner, BB 2017, 898 (901). Zu den (berechtigten und
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Minderung zu einer automatisiert modifizierten Abrechnung der Leistungen genutzt werden. 88 Aufgrund der Elemente des letztgenannten „Sofortvollzugs“ werden Smart Contracts auch als self-enforcing charakterisiert.89 Nach alledem handelt es sich bei Smart Contracts nicht um eine gänzlich „neue“ Form von Verträgen; Smart Contracts sind nicht selbst der Vertrag.90 Interaktionen mittels Smart Contracts werden schlicht nach rechtlichen Maßstäben bewertet. Es gilt – selbstverständlich – das „Primat des Rechts“.91 Entsprechende Protokolle sind daher weder zwingend smart noch ein Vertrag im rechtlichen Sinne.92 Der Begriff Smart Contracts ist somit zumindest unglücklich, wenn nicht irreführend.93 Hiermit soll allerdings keineswegs in Abrede gestellt werden soll, dass Vertragsparteien etwa mittels elektronischer Protokolle Verträge abschließen können und ein solcher Vertragsabschluss – ein entsprechendes Begriffsverständnis vorausgesetzt – „durch“ einen Smart Contract erfolgt.94 Ein Vertragsschluss mittels Smart Contracts bedeutet in diesem Sinne nichts anders als den Einsatz eines elektronischen (oder eines autonomen) Agenten.95 Im Übrigen können Smart Contracts zwei grundlegende Funktionen erfüllen.96 Einerseits dienen die technischen Mechanismen als „funktionales Vertragsäquivalent“, in dem der Programmcode den Vertrag abbildet.97 Im Übrigen dienen Smart Contracts der Ausführung von Verträgen.98 Hierdurch wird auch – dies war das Grundanliegen Szabos – die Vertragstreue99 der Beteiligten befördert.100 Besondere Anwendungschancen für Smart Contracts werden schließlich in der Verknüpfung mit der Blockchain-Technologie gesehen.101 Die Blockchain-Technologie102 hat als grundlegende Basistechnologie für Interaktionen unberechtigten) Hoffnungen zur (privaten) Rechtsdurchsetzung durch Legal Tech Paulus/ Matzke, CR 2017, 769. 88 Siehe zu den Anwendungsfeldern etwa Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (262 f.). 89 Siehe nur Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (619). 90 Statt vieler Paulus/Matzke, CR 2017, 769 (772); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (433). 91 Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (270) m. w. N. 92 Vgl. zu dieser Kritik auch m. w. N. Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (259). 93 Siehe nur Söbbing, ITRB 2018, 43 (46). 94 Vgl. auch Linardatos, K&R 2018, 85 (88). 95 Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (434) m. w. N. Zu elektronischen und autonomen Agenten siehe sogleich sub Kapitel 2 § 5 C. sowie zur rechtlichen Einordnung und Bewertung siehe nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 B. II. 3. sowie Kapitel 4 § 12 A. und B. 96 Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (264 ff.) m. w. N. 97 Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (264). 98 Paulus/Matzke, CR 2017, 769 (772). 99 Grundlegend Weller, Die Vertragstreue, 2009. 100 Linardatos, K&R 2018, 85 (85 f.). 101 Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1223 ff.; Paulus/ Matzke, ZfPW 2018, 431 (433). 102 Grundlegend aus rechtlicher Sicht De Filippi/Wright, Blockchain and the Law, 2018 sowie etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (138 f.); Glatz, in: Hartung/
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erhebliche Erwartungen geweckt103, deren Kerncharakteristika mit „neue[r] Netzwerktechnologie, Datenbankarchitektur und Applikationsplattform“104 zutreffend beschrieben werden. Die BaFin definiert Blockchains etwa wie folgt: „Blockchains sind fälschungssichere, verteilte Datenstrukturen, in denen Transaktionen in der Zeitfolge protokolliert, nachvollziehbar, unveränderlich und ohne zentrale In stanz abgebildet sind. Mit der Blockchain-Technologie lassen sich Eigentumsverhältnisse direkter und effizienter als bislang sichern und regeln, da eine lückenlose und unveränderliche Datenaufzeichnung hierfür die Grundlage schafft.“105
Erhofft werden durch Blockchain-basierte Anwendungen die Erhöhung von Rechtssicherheit und Transparenz, die (automatisierte) Erfüllung der Primärund Sekundärleistungen, der Verzicht auf einen zentralen Intermediär, eine automatisierte Beweissicherung sowie eine bessere Rechtsdurchsetzung.106 Der Technologie wird deswegen zunehmend das Potenzial zur disruptiven Innovation einer Vielzahl von Wirtschaftsbereichen zugeschrieben. Mittels Blockchain-Anwendungen lassen sich insbesondere – wie auch die BaFin betont – „virtuelle Positionen“ anhand einer dezentral operierenden Verschlüsselungstechnik einerseits individuell zuordnen, andererseits verhältnismäßig sicher transferieren (im Sinne des Vorbenannten eben auch als Basis für Smart Contracts). Für wirtschaftlich vergleichbare Vorgänge wurden bislang traditionell Intermediäre (etwa Banken) eingeschaltet; solche zentralen Intermediäre – dies macht den zentralen Reiz dieser Technologie aus – könnten zukünftig entfallen.107 Intermediär ist nunmehr der Kooperationsmechanismus als solches. Die Anwendungsfelder der Blockchain-Technologie sind mannigfaltig und reichen von verschiedensten Formen der machine to machine-communication bis hin zu zumindest gesellschaftsgleich organisierten decentralized autonomous organizations (DAO).108 Konkrete Anwendungs-Perspektiven lassen sich beispielsweise ausmachen für das Bankenwesen, die Energiewirtschaft, das GeBues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1208 ff.; Kaulartz, CR 2016, 474; ders./Heckmann, CR 2016, 618; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431; Simmchen, MMR 2017, 162. 103 Die großen Erwartungen an diese Technologie unterstreichen etwa die Einschätzungen des Weltwirtschaftsforums, The future of financial infrastructure – An ambitious look at how blockchain can reshape financial services, 2016, und von Roland Berger, Enabling decentralized digital and trusted transactions, 2017, sowie allgemein Tapscott/Tapscott, Die Blockchain Revolution, 2016. 104 Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.) Legal Tech, 2018, Rn. 1208. 105 BaFin, Blockchain-Technologie (19. Juni 2017). 106 In Anlehnung an Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (619 f.) und Linardatos, K&R 2018, 85 (86). 107 Vgl. stellvertretend Simmchen, MMR 2017, 162 (162): „Die wesentliche Errungenschaft liegt in der Entbehrlichkeit von Intermediären.“ Siehe ferner etwa Glatz, in: Hartung/Bues/ Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1208, 1228. 108 Kaulartz, CR 2016, 474 (474). Siehe ferner etwa Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431 (1431).
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Kapitel 2: Grundlagen
sundheitswesen, das Identitätsmanagement, das Internet der Dinge, die Immobilienwirtschaft, das öffentliche Registerwesen, die Rohstoffindustrie(n), die Sharing Economy, das Versicherungswesen, den Vertrieb von urheberrechtlich geschützten Inhalten.109 Basiert eine Blockchain auf einem geschlossenen Netzwerk wird diese als private blockchain bezeichnet; öffentliche (oder auch offene) Netzwerke sind public blockchains. Prominentester Anwendungsfall der Blockchain-Technologie ist derzeit die „digitale Währung“ Bitcoin.110 Beispielhaft sei insofern verwiesen auf die Ausführungen des Kammergerichts: „Unter Bitcoins versteht man ein im Rechenwege durch eine Computerleistung erzeugtes verschlüsseltes elektronisches Zahlensystem (…), das in einem für jeden zugänglichem Netzwerk verwaltet und gespeichert wird und das auf jedermann, der ebenfalls über ein internetfähiges Computersystem verfügt, übertragen werden kann (…). Es gibt keine übergeordnete und bestimmbare (juristische) Person, die regulierend auf die Verteilung der Bitcoins Einfluss nehmen kann (…), vielmehr überwachen alle Teilnehmer die Richtigkeit der Übertragung der Bitcoins innerhalb des Netzwerks. (…) Sein Wert hängt entscheidend von dem ihm durch die Nutzer des Netzwerks zum Zeitpunkt der Wertbeurteilung zugewiesenen Wert ab (…).“111
Technisch ist eine Blockchain vor allem eine dezentrale Datenbank in einem distributiven Netzwerk.112 Die Blockchain gleicht damit einem digitalen Buch, das laufend „fortgeschrieben“ und in Kopie bei allen Teilnehmern (synchronisiert) vorgehalten wird.113 Die Blockchain ist damit eine Fortentwicklung traditioneller Peer-to-Peer-Netzwerke, die Informationen von Nutzern zu (allen) Nutzer(n) übermitteln.114 Die hintereinander geschalteten Interaktionen innerhalb der Blockchain (Transaktionen) werden dabei in Blöcken abgebildet (mining). Diese Blöcke sind wiederum miteinander technisch verknüpft (mittels Hash-Werten und einer darauf aufbauenden asymmetrischen Verschlüsselung). Da Interaktionen dabei jeweils von allen Partizipierenden – im Sinne eines Konsensmechanismus115 – verifiziert und innerhalb der „Kette“ (chain) fortgeschrieben werden, ergibt sich eine block-chain. Eine (private oder öffentliche) Blockchain kann daher auch schlicht als ein Beweissicherungssystem begriffen wer-
109 Aufzählung in Anlehnung an Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1230. 110 Grundlegend Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, 2008; aus zivilrechtlicher Perspektive Beck/König, JZ 2015, 130 (133 ff.); Engelhardt/Klein, MMR 2014, 355. Siehe im Übrigen KG, NJW 2018, 3734 (3735). 111 KG, NJW 2018, 3734 (3735). 112 Zu den technischen Grundlagen etwa Kaulartz, CR 2016, 474 (474); Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431 (1431 f.), auf deren Beschreibungen die nachfolgenden Ausführungen aufbauen. Siehe statt vieler ferner Simmchen, MMR 2017, 162 (162 f.). 113 Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1218. 114 Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1210. 115 Ausführlich hierzu Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1219 ff.
§ 5 Ausgewählte Referenzfelder
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den.116 Es findet eine ständige selbstbezogene Aktualisierung statt. In diesem Sinne mag eine Blockchain – in Anlehnung an die Systemtheorie – als ein in sich geschlossenes operables System bezeichnet werden.117 Durch die Verifikation und die damit verbundene Fortschreibung wird im Grundsatz eine vollständige Transparenz sichergestellt. Die Zuordnung einer bestimmten Position (etwa ein definierter Bitcoin) erfolgt hierdurch (basierend auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen) technisch zweifelsfrei. Das System kann in diesem Sinne die Position nur widerspruchsfrei zuordnen.118 Die Kette kann nur „verlängert“ werden, eine Rückabwicklung im technischen Sinne ist nicht möglich. Die ständige „Verlängerung“ ist allerdings auch die größte Herausforderung für eine (öffentliche) Blockchain; denn für das immer aufwendigere Bilden von Blöcken bzw. die Verifizierung ist eine erhebliche Rechnerleistung erforderlich.119 Die Interaktionen auf der Blockchain sind für die Zwecke dieser Arbeit von besonderem Interesse, wenn und soweit sie vertragliche Interaktionen abbilden und bzw. oder mit vertraglichen Pflichten verknüpft sind. Über eine Blockchain abgebildeten und abgewickelten Verträge sind eine besonders leistungsfähige Form der Smart Contracts im vorbenannten Sinne.120 Glatz weist zu Recht darauf hin, dass in dieser Ausprägung der Blockchain-Technologie Smart Contracts zu „selbstständigen Agenten innerhalb der Blockchain“ aufsteigen könnten.121 Gemeint ist die nach bestimmten Parametern operierende, unter Umständen komplexe Kooperation zwischen einer Mehrzahl von Akteuren.122 Von zentraler Bedeutung ist allerdings für alle Verträge, dass die über die Blockchain abgewickelte „Vereinbarung“ oder der Zuordnungswechsel von Positionen (als Erfüllung im rechtlichen Sinne) nun durch andere an der Blockchain (Mit-)Partizipierende maßgeblich (mit-)bestimmt wird. Vorstellbar ist – je nach Ausgestaltung – auch, dass anhand automatisierter oder autonomer Parameter zusätzlich die Auswahl des Vertragspartners, der konkrete Leistungsinhalt oder der Leistungsgegenstand bestimmt wird.
116
Lindardatos, K&R 2018, 85 (86). Siehe zur Systemtheorie noch nachfolgend sub Kapitel 3 § 7 A. 118 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Blockchain nicht insgesamt verfälscht werden kann; erforderlich hierzu ist, dass ein einzelner Akteur mehr als 50 % Rechner- bzw. Verifizierungsleistung stellt, vgl. Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431 (1432), deren Einschätzung, „[b]ei einem etablierten Blockchain-Netzwerke [sei] eine solche ‚51 %-Attacke‘ quasi unmöglich“, bereits durch jüngere Entwicklungen bei der Bitcoin-Blockchain in Frage gestellt wird, siehe hierzu etwa Horch, Ethereum Classic leidet unter 51-Prozent-Angriff – eine Bestandsaufnahme (8. Januar 2019). Vgl. auch Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1222. 119 Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431 (1432). 120 Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (255). 121 Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1226. 122 Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1226 f. 117
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Kapitel 2: Grundlagen
C. Elektronische und autonome Agenten (Software-)Agenten sind technische Programme.123 Einem solchen Agenten liegt grundsätzlich ein Entscheidungsmechanismus zugrunde, wofür verschiedene technische Architekturen denkbar sind.124 Bei einer üblichen Architektur findet (vereinfacht) der folgende Kreislauf statt: Auf der Grundlage eines Umweltmoments findet eine Aktivierung oder Aktualisierung des Agenten statt; hierdurch werden das Wissen (beliefs) des Agenten ergänzt; daraus abgeleitet werden verschiedene Optionen, die sodann mit möglichen Zielen (desires) abgeglichen werden; es wird eine Auswahl getroffen und ausgewählte Ziele (intentions) sind dann die Grundlage für die Ausführung, die wiederum ein Umweltmoment sein kann.125 Agenten werden in vielfältiger Weise eingesetzt. Von Interesse sind diese Agenten im Folgenden, wenn und soweit sie zum „Abschluss“ von Verträgen eingesetzt werden, sprich ihre „Nutzer gegenüber Dritten repräsentieren und sinnvoll mit [ihrer] Umwelt interagieren“126 . Ein Einsatz kann gegenüber natürlichen Personen oder anderen Agenten erfolgen.127 In letzterem Fall handelt es sich um einen Unterfall der machine to machine-communication, die im Kontext von Geschäftsmodellen der Plattform-Ökonomie bzw. im Zuge von Anwendungen des Internet der Dinge ebenso fruchtbar gemacht wird. Die Spannweite der Einsatzmöglichkeiten umfasst gewerbliche wie private Nutzer. Für den Einsatz im (auch) privaten Umfeld sei stellvertretend hingewiesen auf Programme zum automatischen „Bieten“ bei sogenannten Internetauktionen. Weitere Beispiele für den Einsatz von Agenten finden sich etwa im Hochfrequenz-
123 Ausführlich zu den technischen Grundlagen Kirn/Müller-Hengstenberg, Rechtliche Risiken autonomer und vernetzter Systeme, 2016, S. 17 ff., 59 ff. Monographisch jüngst Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018; Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019; Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015. Nicht in Abrede gestellt werden soll damit, dass der Begriff des Agenten in vielfältigen Bedeutungszusammenhängen eingesetzt wird (etwa in den Wirtschaftswissenschaften); auch aus rechtwissenschaftlicher Perspektive sind – in Abgrenzung zur hiesigen Begriffsverwendung – ebenso menschliche oder Hardware-Agenten von Interesse (hierzu Kollmann, ebd. S. 91 ff.). Diese Formen von Agenten sind nachfolgend nicht von Interesse. 124 Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (200). 125 Die Darstellung des Kreislaufs basiert auf Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (200 f.). In ähnlicher Weise Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 89 ff. 126 Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 39. 127 Siehe etwa Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 63.
§ 5 Ausgewählte Referenzfelder
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handel128 oder in der „klassischen“ Kundenkommunikation129. Im Vordringen befindlich sind darüber hinaus sogenannte „Haushaltsassistenten“ (wie etwa das Produkt Alexa), bei denen der Agent eine physische Verkörperung erfährt. Eine einheitliche Begrifflichkeit zu Agenten hat sich allerdings bislang nicht gebildet.130 Dieser Zustand ist auch durch den jeweiligen Blickwinkel deter miniert. So basieren Agenten zwar auf unterschiedlichen Algorithmen. Der Begriff des Algorithmus für Agenten per se ist allerdings für sich genommen zu allgemein, denn im Grunde wird damit nur die allgemeine mathematische Formel bezeichnet.131 Treffender Überbegriff ist „digitaler Agent“, denn es wird hierdurch einerseits das Element des „Handelns“ betont und andererseits nicht zwischen den verschiedenen Arten von Signalen (elektronisch, biologisch, lichtbasierend) unterschieden.132 Überwiegend wird allerdings synonym der Begriff Softwareagent und – trotz der Unschärfe aufgrund verschiedener Signale – der Zusatz elektronisch oder autonom verwendet; diese Begriffe können als üblich bezeichnet werden:133 Der Zusatz „Software“ ist allerdings im Lichte des Einsatzes von Algorithmen redundant und wird daher nachfolgend nicht weiter verwendet. Vor diesem Hintergrund ist begrifflich zwischen verschiedenen Arten von Agenten zu unterscheiden. Richtigerweise erfolgt diese Unterscheidung aufgrund der Funktionsweise des Algorithmus.134 Es gilt in diesem Sinne, zwischen zwei kategorial unterschiedlichen Formen von Algorithmen zu differenzieren:135 Autonome Agenten sind abzugrenzen von (lediglich) elektronischen Agenten136 – unbeschadet der Tatsache, dass erstere auch als Unterfall letzterer eingestuft werden können. Elektronische Agenten basieren auf und operieren (allein) auf der Grundlage von (vor-)definierten Anweisungen.137 In Rede stehen damit hierarchische oder auch deterministische Algorithmen, eine „einfache“ Wenn-Dann-Programmierung. Diese Agenten werden deswegen teilweise auch als automatisierte Agenten bezeichnet. Entsprechende Agenten können 128 Monographisch Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019. Zur Regulierung durch das Hochfrequenzhandelsgesetz siehe etwa Kobbach, BKR 2013, 233; Kollmann, ebd. S. 196 ff. Vgl. im Übrigen die Nachweise bei Sosnitza, CR 2016, 764 (765 Fn. 8). 129 Hierzu etwa Brunotte, CR 2017, 583. 130 Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (200). 131 Siehe Teubner, AcP 218 (2018), 155 (156 Fn. 1). 132 So Teubner, AcP 218 (2018), 155 (156 Fn. 1). 133 Siehe nur Teubner, AcP 218 (2018), 155 (156 Fn. 1) sowie Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200. 134 Zur damit verbundenen inhaltlichen Unterscheidung siehe nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 B. und § 12 A. und B. sowie etwa – dort ebenso – Teubner, AcP 218 (2018), 155. 135 Zu den technischen Grundlagen etwa Kirn/Müller-Hengstenberg, MMR 2014, 225 (227 ff.). 136 Sosnitza, CR 2016, 764 (765). 137 Sosnitza, CR 2016, 764 (765).
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Kapitel 2: Grundlagen
nichtsdestotrotz eine quasi-unüberschaubare Komplexität aufweisen. Die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen unter Beachtung der verwendeten Parameter bleibt aber (nur) noch theoretisch möglich. Autonome (teilweise auch intelligente) Agenten weisen nach hiesigem Verständnis eine Form von „Selbstständigkeit“ auf. Sie werden als pro- und reaktiv, als interaktionsfähig und lernfähig charakterisiert.138 „Entscheidungen“ des Agenten sind nicht mehr (eindeutig) vorhersehbar und unter Umständen auch nicht mehr nachvollziehbar.139 Dieses Risiko erhöht sich aufgrund der gegenseitigen Einflussnahme in offenen (System-)Umgebungen.140 Entsprechende Agenten operieren mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz im hier verstandenen Sinne141. Angesprochen sind damit sogenannte adaptive Algorithmen. Dies sind vor allem solche, die auf der Basis von machine learning und neuronale Netzen operieren. (Nur) solche Agenten sollen nachfolgend als autonom bezeichnet werden.142 Übrige Formen von Agenten sind dagegen (nur) elektronische Agenten.
§ 6 Dimensionen systemischer Bindung Die mit den im vorherigen Abschnitt herausgearbeiteten Realphänomen verbundenen Einbindungen von Dritten sind in dieser Arbeit als Dimensionen systemischer Bindung bezeichnet worden. Im folgenden Abschnitt sollen diese Formen kategorisiert werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass es nicht eine Dimension systemischer Bindung gibt bzw. geben soll. Vielmehr zeichnen sich die verschiedenen Dimensionen dadurch aus, dass die Einbindung von Dritten in das Ob und Wie der vertraglichen Bindung graduell zunimmt. Dabei handelt es sich um eine übergreifende Beobachtung, die den Impetus für diese Arbeit unterstreicht. Vor diesem Hintergrund sind die verschiedenen Dimen sionen systemischer Bindung näher auszuformen.
138 Siehe etwa bereits Sester/Nitschke, CR 2004, 548 (548 f.), wenngleich diese ein anderes Verständnis von Autonomie zugrunde legen. Ausführlich und m. w. N. Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 38 ff. zu den Charakteristika Reaktivität, Proaktivität, Zielorientiertheit sowie Schlussfolgerungs- und Lernfähigkeit. 139 Grapentin, NJW 2019, 181 (183 f.); Sosnitza, CR 2016, 764 (765). 140 Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 83 f. 141 Zu Begriff und Definition siehe oben sub Kapitel 2 § 4 C. 142 Siehe auch Grapentin, NJW 2019, 181 (183 f.); Sosnitza, CR 2016, 764 (765). Vgl. auch Stiemerling, CR 2015, 762 (765).
§ 6 Dimensionen systemischer Bindung
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A. Hin zu einem mehrpoligen oder multipolaren Vertrag(srecht)? Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass Plattformen zunehmend Zweifel an der traditionellen Ausrichtung des Vertragsrechts auf bipolare (Rechts-)Verhältnisse ausgelöst haben.143 Denn Plattformen nehmen als Vertragspartner und Vermittler eine Doppelrolle ein.144 Die bipolare Grundstruktur des Vertragsrechts könnte dem mehrpoligen Beziehungsgeflecht moderner Interaktion und Partizipation Privater, insbesondere in Ansehung des Internet der Dinge, nicht (mehr) gerecht werden. Vor diesem Hintergrund wird zu Recht (und in Anbetracht der Diskussionen um Vertragsnetzwerke erneut) die Frage aufgeworfen, ob ein Übergang „[v]on der Relativität des Schuldverhältnisses zu multipolaren Rechtsbeziehungen“ – so die Überschrift bei Grünberger – angezeigt ist.145 Der Begriff der multipolaren Rechtsbeziehungen unterstreicht zunächst die oben146 benannte Multipolarität moderner Interaktion. Darüber hinaus beschreiben multipolare Rechtsbeziehungen zutreffend auch die oben147 skizzierten Strukturen vertraglicher Beziehungen. Insbesondere auf die benannten Referenz felder Plattformen, Blockchain-basierte Anwendungen und das Internet der Dinge kann insofern verwiesen werden. Auf dieser Grundlage sind die von Grünberger benannten multipolaren Rechtsbeziehungen148 nach hiesigem Verständnis eine zentrale Dimension systemischer Bindung. Das Ob und das Wie der vertraglichen Bindung in solchen Rechtsbeziehungen erfolgt unter Einbindung von Dritten. Ein Vertrag könnte unter Umständen nicht nur den jeweiligen Vertragspartner binden, sondern gleichsam (auch) den Dritten in das Beziehungsgeflecht einbinden. Die rechtliche Fassung der konkreten Rechtsbeziehungen ist allerdings durch diese Beschreibung noch nicht vorgegeben – wie auch Grünberger richtigerwei143 Siehe wiederum Auer, ZfPW 2019, 130 (146 f.); Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (4 ff.); De Franceschi, in: ders. (Hrsg.), European Contract Law and the Digital Single Market, 2016, S. 1 (15 ff.); Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.); Gsell, ZUM 2018, 75 (82 f.); Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (343); Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78; dies., EuCML 2016, 30 (31 f.); dies., NJW 2016, 2609 (2610); dies., in: Schulze/Staudenmayer (Hrsg.), Digital Revolution: Challenges for Contract Law in Practice, 2016, S. 189 ff. Vgl. auch allgemein(er) Twigg-Flesner, in: De Franceschi (Hrsg.), European Contract Law and the Digital Single Market, 2016, S. 21 (36 ff.). Siehe auch Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/ Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (723). 144 Siehe nur Wendehorst, NJW 2016, 2609 (2610). 145 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280). 146 Siehe oben sub Kapitel 2 § 4 A. 147 Siehe oben sub Kapitel 2 § 5. 148 Siehe etwa auch – in Bezug auf Ratingagenturen – Grundmann/Renner, JZ 2013, 379 (383): „multipolares Interaktionssystem“ mit Verweis auf Korth, Dritthaftung von Rating agenturen, 2010, S. 48 ff.
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Kapitel 2: Grundlagen
se konzediert.149 Vielmehr ist mit der Bezeichnung multipolarer Rechtsbeziehungen wiederum nur eine Beobachtung gefasst, die den Ausgangspunkt dieser Arbeit, für solche Konstellationen Lösungen zu entwickeln, markiert.
B. Dezentrale Kooperation(en) zwischen Vertrags- und Gesellschaftsrecht? Weitere Dimension systemischer Bindung sind Fälle der bereits verschiedentlich angedeuteten dezentralen Kooperation. Im Gegensatz zu Plattformen erfolgt die Interaktion der Beteiligten insoweit nicht mehr zentral über bzw. mithilfe eines Dritten. Vielmehr steht das Element der Selbstorganisation der Beteiligten im Vordergrund. Die Partizipierenden interagieren miteinander zur Verfolgung von Einzel- und Allgemeininteressen. Dabei wollen die Partizipierenden aufeinander angewiesen sein. Die Partizipierenden sind für- und miteinander notwendig vertragsimmanent. Exemplarisch für die benannte dezentrale Kooperation sind Anwendungen auf der Grundlage der Blockchain-Technologie. Eine offene Frage ist, in welcher Weise die an der dezentralen Kooperation Partizipierenden miteinander rechtlich agieren. Soweit „innerhalb“ dieses Systems Verträge abgeschlossen werden, ist zwar grundsätzlich die Domäne des Vertragsrechts eröffnet. Die Kooperation an dem System dezentraler Kooperation kann allerdings „einfach“ vertragsrechtlich oder gesellschaftsrechtlich begriffen werden.150 Es kann als bislang nicht geklärt gelten, ob den Partizipierenden bzw. deren Interaktion mit den geltenden Rechtsrahmungen adäquat gedient ist oder ob neue Formen für diese Form der Selbstorganisation zur Verfügung zu stellen sind. Es ist deswegen zu eruieren, ob und in welcher Form sich das notwendige Zusammenwirken aller Partizipierenden auf die einzelnen Verträge innerhalb des Systems aus- und rückwirkt – und gegebenenfalls einer anderen rechtsdogmatischen Lösung zuzuführen ist.
C. Modifikationen der Rechtsgeschäftslehre bei autonomen Anwendungen? Eine dritte Dimension systemischer Bindung eröffnen Konstellationen des Vertragsschlusses mithilfe autonomer Anwendungen. Die kontrahierenden Akteure binden entsprechende Anwendungen (beidseitig) ein zum Zwecke einer vertraglichen Bindung. Dabei wollen die Parteien, dass solche Anwendungen autonom „handeln“. Dadurch haben autonome Anwendungen selbstständigen
149
Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (295). für die Diskussion Mann, NZG 2017, 1014. Kooperation als solche ist kein etablierter Rechtsbegriff, siehe Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 165 f. 150 Stellvertretend
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Einfluss auf den Abschluss, die essentialia negotii151 und bzw. oder die Erfüllung von Verträgen.152 Autonome Anwendungen unterliegen dabei ihrer eigenen Rationalität; sie basieren auf adaptiven Algorithmen. Ihr Verhalten ist für den jeweils einsetzenden Akteur weder vollkommen vorhersehbar noch (zwingend) nachvollziehbar (black box).153 Beispielgebend für die benannten autonomen Akteure sind vor allem die bereits zuvor154 skizzierten autonome Agenten, die zum Zwecke von Vertragsabschlüssen eingesetzt werden.
D. Kernelemente systemischer Bindung(en) Die vorbenannten Dimensionen systemischer Bindung unterstreichen den Grundimpetus dieser Arbeit. In allen Fällen werden Dritte – auch verstanden in Bezug auf autonome Agenten – in Bezug auf die vertragliche Bindung eingebunden – die vertragliche Bindung wird systemisch. Dies erfolgt konkret etwa durch die Abgabe von Entscheidungsbefugnis an einen autonomen Agenten oder durch die Partizipation an einem Bündel von Vertragsbeziehungen. Um die Kernelemente systemischer Bindungen näher herauszuarbeiten, müssen Wesensmerkmale solcher Konstellationen in den Blick genommen werden. Hierfür ist eine Annäherung an den Begriff der multipolaren Rechtsbeziehungen bzw. Vertragsstrukturen erforderlich. Eine solche Annäherung soll durch einen Blick „von außen“ eröffnet werden: Bleckmanns völkerrechtliche Theorie des multipolaren Vertrags.155 I. Exkurs: Theorie des multipolaren Vertrags (Bleckmann) Bleckmanns völkerrechtliche Theorie basiert auf einem Wandel der Strukturen der Völkerrechtsverträge. Seine Theorie kann damit auch als Reaktion auf Übergang vom Koexistenzvölkerrecht – vornehmlich Abschluss bilateraler Verträge – zum Kooperationsvölkerrecht verstanden werden. Dieser Wandel basiert vor allem auf einer Herausbildung von (völkerrechtlichen) Allgemeinbzw. Wohlfahrtsinteressen, der wachsenden Interdependenz zwischen den Staaten, der Rückwirkung innerstaatlicher Akte auf die völkerrechtlich geschützten Interessen sowie die Rückwirkung der Beeinträchtigung fremder Interessen auf die eigenen.156 Pflichten bestehen nicht mehr nur gegenüber dem
151 Statt vieler Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 6 2. 152 Hierzu stellvertretend Grapentin, NJW 2019, 181 (182 ff.). 153 Siehe nur Teubner, AcP 218 (2018), 155 (174). Im Übrigen zu den technischen Grundlagen oben sub Kapitel 2 § 4 C. 154 Siehe oben sub Kapitel 2 § 5 C. 155 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218. 156 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (219 f.).
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Vertragspartner, sondern unter Umständen (auch) gegenüber der gesamten Völkerrechtsgemeinschaft.157 Bleckmann benennt verschiedene Auswirkungen für das Völkervertragsrecht: Die Rechtsentwicklung wird beschleunigt, insbesondere bedingt der Wunsch nach Rechtssicherheit und Vertrauensschutz den Abschluss von Völkerrechtverträgen. Völkerrechtsverträge sind nunmehr – der Interdependenz und Rückwirkungen geschuldet – ganz überwiegend multilateral.158 Im Gegensatz zu bilateralen Verträgen soll hierdurch (besser) dem Allgemeininteresse, der materiellen Gerechtigkeit (Schutz der Interessen der schwächeren Partei) und dem (völkerrechtlichen) Gleichheitssatz Rechnung getragen werden.159 Entscheidend sei allerdings, dass sich auch die multilateralen Verträge wandeln würden: „An die Stelle von Verträgen, welche nur Bündel bilateraler Rechtsverhältnisse begründen, tritt das ‚multipolare‘ Rechtsverhältnis, das nicht auf den Schutz subjektiver Rechte der Vertragspartner, sondern auf die Durchsetzung eines Allgemeininteresses der Völkerrechtsgemeinschaft gerichtet ist.“160
Ein bipolarer Vertrag sei ein (reiner) Austauschvertrag, der multipolare Vertrag zeichne sich demgegenüber dadurch aus, dass „die Gesamtheit aller Vertragspartner an der Einhaltung der Vertragspflichten durch alle anderen Vertragspartner interessiert“ sei.161 Betroffen sind bei letzterem nämlich „Allgemeininteressen der Vertragsgemeinschaft“.162 Deswegen sei auch die Struktur multipolarer Verträge bestimmt durch die Interessenrichtung der Vertragsparteien.163 Charakteristisch sei, dass an der Gegenseitigkeitsbindung (Reziprozität) nicht festgehalten werde.164 Gleichwohl sei auch bei multipolaren Verträgen eine Bestimmung der Rechte und Pflichten erforderlich. Ob ein „Rechtsverhältnis“ zu allen Vertragspartnern entsteht, sei abhängig vom Zweck des Vertrags165 bzw. der Zielrichtung des Vertrags166 . Entscheidend sei auch, ob alle Vertragsparteien ein Interesse an der Durchsetzung von Pflichten zwischen bestimmten Parteien haben.167 Völker157
Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (220). Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (222 ff.). 159 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (223 f.). 160 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (224), der als Beispiele die Verträge über die Gründung der Europäischen Gemeinschaften, internationale Menschenrechtspakte, Rechtsharmonisierungsabkommen und den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen nennt. 161 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (225). 162 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (228). 163 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (234). 164 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (225 f.), der allerdings auch darauf verweist, dass der Verzicht der Gegenseitigkeit (etwa im Humanitären Völkerrecht) keine gänzlich neue Tendenz ist. 165 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (234). 166 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (236). 167 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (236). 158
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rechtliche Regeln bestehen insoweit nicht.168 Bleckmann greift (deswegen) zum zivilrechtlichen Instrumentarium. Allgemeine Regeln für multipolare Verträge ließen sich „unter Rückgriff auf die ‚hypothetische‘ Auslegung“ entwickeln („wie die Parteien ihre Rechtsbeziehungen angesichts der objektiven Rechtslage wahrscheinlich geregelt hätten“).169 II. Annäherung I: Vom Völkervertragsrecht zum Zivilrecht Die völkervertragsrechtliche Theorie Bleckmanns lässt sich nicht unbesehen auf das Zivilrecht und privatrechtliche Rechtsverhältnisse übertragen. Das Völkervertragsrecht ist von anderen Realitäten, Zwecken und Akteuren geprägt. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass Völkervertragsrecht und (zivilrechtliches) Vertragsrecht grundverschieden sind. Funktional betrachtet geht es auch hier jeweils um die (gegenseitige) Bindung zwischen den Vertragsparteien, um daraus folgende Rechte und Pflichten. Die von Bleckmann herausgearbeiteten Kernelemente des (völkerrechtlichen) multipolaren Vertrags könnten daher auch für das Zivilrecht ein – erster – Indikator für eine zivilrechtliche Fassung entsprechender Strukturen sein. Denn bereits die kursorische Befassung mit der völkerrechtlichen Theorie multipolarer Verträge lässt die Kernelemente der vorbenannten systemischen Bindung aufscheinen. Prima facie könnte nämlich die vertragliche Bindung unter Einbindung und bzw. oder mit Bezug auf dritte Partizipierende geprägt sein durch: (1) Interdependenz und gegen- / mehrfachseitige Rückwirkungen zwischen den Beteiligten; (2) die Verfolgung eines bzw. eines bestimmten „Allgemeininteresses“; (3) das Bestehen eines Interesses aller Beteiligten an der Einhaltung von bestimmte Beteiligte nicht unmittelbar betreffenden Vertragspflichten; (4) das Abstellen auf den Zweck des Vertrages bzw. die Zielrichtung des Vertrages für die Bestimmung von Rechten und Pflichten; (5) insbesondere für die Frage, ob und inwieweit Rechte und Pflichten gegenüber sämtlichen Beteiligten bestehen. Diese Kriterien dienen hier zunächst der Illustration potenzieller (in dieser Arbeit immer wiederkehrender) Kernelemente systemischer Bindung. Im Zuge der vertragsrechtsdogmatischen Fassung der verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung ist zu klären, welche rechtsdogmatische Relevanz diesen zukommt. III. Annäherung II: Die Einbindung Dritter Bevor diese (völkerrechtlichen) Kriterien (mit-)einfließen können in einen zivilrechtlichen Zugriff auf die verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung, 168 Insbesondere nicht das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, siehe Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (226). 169 Bleckmann, AVR 34 (1996), 218 (226).
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Kapitel 2: Grundlagen
ist allerdings zunächst zum Fixpunkt des Dritten zurückzukehren. Dritte sind in unterschiedlichsten Formen in Vertragsverhältnisse eingebunden. Es können hierbei typisierend betrachtet vier Konstellationen unterschieden werden. 1. Faktische Abhängigkeit Die schwächste Form der Einbindung Dritter ist die (rein) faktische Abhängigkeit einer Vielzahl von Akteuren voneinander im Wirtschaftsleben. Diese Abhängigkeiten basieren vor allem auf der Arbeitsteilung, die für ein (effizientes) Wirtschaften zentral ist. Solche Abhängigkeiten zeigen sich besonders deutlich in modernen Wertschöpfungsketten, die zum Teil auf globale Lieferketten angewiesen sind. 2. Einseitige intendierte Einbindung I Traditionell bindet eine Vertragspartei auf ihrer Seite und zu ihren Gunsten Dritte ein. Dieses ist vor allem der Fall bei vertraglichen Hilfsfunktionen. So bedient sich eine Partei etwa eines Boten zur Übermittlung von Willenserklärungen. Zur Erfüllung der vertraglichen Pflichten kann eine Vertragspartei (fast ausnahmslos) auf Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) zurückgreifen. Auf diese Weisen kann eine Vertragspartei mittels Dritter Verträge schließen und vertragskonformes Verhalten sicherstellen, hat je nach Fall allerdings auch eine Zurechnung vertragswidrigen Verhaltens (etwa des Erfüllungsgehilfen) zu akzeptieren. 3. Einseitig intendierte Einbindung II Weitergehend kann eine Partei auch Dritte einschalten, denen ein unmittelbarer Einfluss auf den Vertragsinhalt zugebilligt wird. So wird etwa einem Stellvertreter die Befugnis zur Abgabe einer eigenen Willenserklärung zum Abschluss eines Vertrags gewährt. Eine Partei bindet somit einen Dritten in ein (relatives) Schuldverhältnis ein, indem vertragliche (Kern-)Elemente ausgelagert werden. In ähnlicher Weise kann eine Partei auch Dritte einschalten, denen ein mittelbarer Einfluss auf den Vertragsinhalt zugebilligt wird – so insbesondere bei Einschaltung eines Gutachters (vgl. die Sachwalterhaftung nach § 311 Abs. 3 BGB). Auf diese und andere Art werden Dritte eingebunden bei der Festlegung des Leistungsgegenstandes, der Leistungspflichten, der Bestimmung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, des Vertragsschlusses und der Modalitäten der Vertragsabwicklung. Gerade diese Einbeziehung erfolgt besonders heutzutage häufig bei einer Vielzahl von modernen (digitalen) Geschäftsmodellen. Die Einbindungen finden hier häufig bereits automatisiert statt.
§ 6 Dimensionen systemischer Bindung
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4. Beiderseitig intendierte Einbindung I Über die vorgenannten Dritten hinaus können und werden Dritte durch beide Vertragsparteien bewusst eingebunden. Dies kann zunächst der Fall sein, wenn etwa beide Parteien einem Dritte die Bestimmung des Leistungsgegenstands überlassen. Eine solche Einbindung Dritter kann allerdings auch dadurch erfolgen, dass verschiedene relative Schuldverhältnisse zur Verfolgung eines übergeordneten Zweckes miteinander verknüpft werden. Dies ist etwa beim Franchising der Fall.170 Ebenso weisen eine Vielzahl von modernen Geschäftsmodellen der Plattformökonomie vergleichbare Kriterien auf. Die Einbindung Dritter erfolgt auch hier häufig bereits automatisiert. 5. Beiderseitig intendierte Einbindung II Über die genannten Fälle hinaus bestehen Kooperationsformen zwischen Privaten, bei denen die Mitwirkung Dritter auch und gerade für die Interaktion bzw. Transaktion zweier Privater zwingend erforderlich ist. Die Kooperation mit Dritten erfolgt hier automatisiert und ist vertragsimmanent. Beispielgebend und repräsentativ für derartige Kooperationsformen sind Anwendungen auf der Basis der Blockchain-Technologie. 6. Zwischenergebnis Die Rolle des Dritten ist in den sub 1. genannten Konstellationen rein faktischer Natur. In den sub 2. benannten Konstellationen ist zu konstatieren, dass der Dritte eine überwiegend (einer bestimmten Partei) untergeordnete Bedeutung zukommt. Dagegen hat der Dritte in den sub 3. bis 5. genannten Konstellation innerhalb des Vertragsverhältnisses (auch) eine selbstständige Position inne. Nur die Fälle 3. bis 5. weisen nach hiesigem Verständnis relevante Formen systemischer Bindung auf. Denn zentrales Kriterium für die systemische Bindung ist ein relevanter Dritteinfluss und demnach die Selbstständigkeit des Dritten. IV. Ein- und Abgrenzungen Auf dieser Grundlage können nachfolgend Ein- und Abgrenzungen vorgenommen werden, um den Begriff der systemischen Bindung weiter auszuformen.
170 Allgemein zum Franchising etwa Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 18 sowie stellvertretend – im hiesigen Zusammenhang – im Übrigen Joerges (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991; Teubner, ZHR 154 (1990), 295; ders., ZHR 168 (2004), 78 sowie Güttler, in: Mittwoch/Klappstein/Botthof/Bühner/Figge/Schirmer/Stöhr/Wolff (Hrsg.), Netzwerke im Privatrecht, 2016, S. 69 ff.; Hennemann, in: Aichberger-Beig/Aspöck/Leupold/Oelkers/Perner/Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 ff.
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Kapitel 2: Grundlagen
1. Abgrenzung von bipolaren Vertragsverhältnissen Zunächst sind – negativ – solche Vertragsstrukturen auszuschließen, die trotz Beteiligung (oder der Betroffenheit) von Dritten (nur) als rein zweipolige, bilaterale Vertragsverhältnisse zu charakterisieren sind. Von solchen zweipoligen, bilateralen Vertragsverhältnissen ist zunächst in allen Fällen der rein faktischen Abhängigkeiten des modernen Wirtschaftslebens auszugehen. Hierbei handelt es sich um lediglich hintereinander geschaltete zweipolige Vertragsverhältnisse. Solche Vertragsverhältnisse sind unabhängig voneinander zu betrachten. Entsprechende Verträge stehen (nur) in einem wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang. Ein lediglich zweipoliges, bilaterales Vertragsverhältnis liegt allerdings auch dann vor, wenn der Dritte vollständig „im Lager“ einer Vertragspartei steht. Dies setzt voraus, dass der Dritte unselbstständig und untergeordnet einer Vertragspartei im Zuge des Vertragsverhältnisses dient. Der Dritte kann hinweg gedacht werden, ohne dass sich der Zweck des Vertrages und bzw. oder die essentialia negotii substantiell oder strukturell ändern. Der Dritte leistet nur einen fördernden Beitrag zum Verhältnis zwischen den Vertragsparteien. 2. Einbindung Dritter durch eine / beide Vertragspartei(en) Maßgebliches weiteres (Abgrenzungs-)Kriterium ist, ob die Einbindung des Dritten in das Vertragsverhältnis von nur einer Partei oder von beiden Parteien intendiert ist. Beide Konstellationen können allerdings Formen systemischer Bindung aufweisen. Zunächst sollen solche Konstellationen betrachtet werden, in denen der Dritte nur von einer Vertragspartei in den Vertrag eingebunden wird. Die den Dritten einbindende Vertragspartei „lagert“ hierbei verschiedene vertragsimmanente Tätigkeiten „aus“. Eine solche Auslagerung bzw. Einbindung in den Vertrag bedeutet, dass der Dritte entweder den Zweck und bzw. oder die essentialia negotii des Vertrages (mit-)bestimmt. Die Tätigkeit bzw. Einflussnahme des Dritten ist damit gleichwohl für die andere, ihn nicht einbindenden Vertragspartei von erheblicher Bedeutung. Denn der Dritte handelt selbstständig. Dies bedingt auch, dass unter Umständen Kontrollmöglichkeiten der den Dritten einbindenden Vertragspartei nicht bestehen bzw. gering sind. Konstellationen, in denen beide Vertragsparteien die Einbindung des Dritten intendieren, sind dagegen durch andere Parameter geprägt. In solchen Konstellationen ist die Partizipation des Dritten von beiden Seiten bezweckt und vorausgesetzt. Beide Parteien „lagern“ in diesem Fällen entweder die Festlegung der essentialia negotii auf den Dritten aus und bzw. oder das Vertragsverhältnis ist ohne die Beteiligung des Dritten nicht zweckmäßig ausgestaltet. Die Beteiligung des Dritten ist gerade charakteristisch für den Vertragszweck bzw. -erfolg.
§ 6 Dimensionen systemischer Bindung
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Beide Vertragsparteien sind sich bewusst, dass der Dritte (ebenso) selbstständig, aber im Zusammenwirken agiert. 3. Interdependenzen und Rückwirkungen Die zuletzt skizzierte Fallgruppe der Einbindung des Dritten verläuft parallel zu den von Bleckmann beschriebenen völkerrechtlichen multipolaren Verträgen. Die Vertragsparteien bezwecken gerade die Einbindung Dritter bzw. einer Vielzahl Dritter. Vor diesem Hintergrund ermöglichen – in modifizierter Form – die oben benannten Bleckmann’schen Kriterien auch eine Präzisierung der benannten Fallgruppen der beidseitig intendierten Einbindung Dritter. Bei diesen Fallgruppen bestehen nämlich ebenso erhebliche Interdependenzen und Rückwirkungen zwischen sämtlichen Beteiligten. Das heißt insbesondere, dass alle Beteiligten regelmäßig (auch) einen bestimmten „allgemeinen“, von den Beteiligten definierten oder vorausgesetzten Zweck verfolgen (können). Ebenfalls haben alle Beteiligten ein Interesse an der Einhaltung auch von solchen Vertragspflichten, die nur bestimmte Beteiligte betreffen. Ferner erscheint es prima facie zweckmäßig, für die Bestimmung von Rechten und Pflichten auf den Zweck des Vertrages bzw. die Zielrichtung des Vertrages abzustellen. 4. Zwischenergebnis Zusammengefasst bedeutet dies, dass Formen systemischer Bindung im Sinne dieser Arbeit wie folgt zu verstehen sind: – Der Dritte ist in den Prozess des Vertragsschlusses, etwa die Bestimmung der essentialia negotii, eingebunden. – Es bestehen erhebliche Interdependenzen und Rückwirkungen zwischen den Beteiligten. – Alle Beteiligten verfolgen (auch) einen bestimmten „allgemeinen“, von den Beteiligten definierten oder vorausgesetzten Zweck. Die Annahme systemischer Bindung ist somit kein rechtsdogmatischer Begriff, Zugriff oder Topos, sondern weiterhin und vor allem eine Beobachtung. V. Anwendung auf die ausgewählten Referenzfelder Zur Überprüfung des in dieser Weise verstandenen Begriffs des Systemischen soll nachfolgend skizziert werden, ob und inwieweit sich die ausgewählten Referenzfelder als Fälle systemischer Bindung einstufen lassen. 1. Online-Plattformen und das Internet der Dinge Online-Plattformen stellen die wesentliche technische und „rechtliche“ Infrastruktur für die Parteien zur Verfügung, insbesondere durch die Plattform-AGB
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Kapitel 2: Grundlagen
nimmt der Plattformbetreiber regelmäßig „Einfluss“ auf die Form des konkreten Vertragsschlusses. Es handelt sich demnach nicht um ein rein zweipoliges Vertragsverhältnis. Vielmehr ist der Plattformbetreiber in den Vertragsschluss sowie (teilweise) die Bestimmung der essentialia negotii und die Erfüllung des Vertrages eingebunden.171 Hierbei verfolgt der Plattformbetreiber ein (kommerzielles) Eigeninteresse an dem Vertragsschluss (und dessen Konditionen), zugleich ist die Einbindung des Plattformbetreibers in das Vertragsverhältnis von beiden Parteien intendiert. Zumindest aufgrund der infrastrukturellen Ermöglichung und der Prägung des Vertragsschlusses durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers bestehen erhebliche Interdependenzen und Rückwirkungen zwischen allen (drei) Beteiligten. Vertragsstrukturen smarter Anwendungen zeichnen sich durch die Bündelung einer Vielzahl vertraglicher Beziehungen aus. Diese Beziehungen sind kategorial geprägt durch Interdependenzen und Rückwirkungen. Die ordnungsgemäße Erfüllung von Vertragspflichten eines Akteurs ist in vielfältiger Weise abhängig von der (zumindest) Rücksichtnahme und Beachtung anderer, nicht relativ vertraglich verbundener Akteure. 2. Smart Contracts und dezentrale Kooperationen (Blockchain-basierte Anwendungen) Die der Blockchain-Technologie immanente Verknüpfung der Partizipierenden erzeugt eine besonders anschauliche systemische Bindung. Dies kann an einem über eine Blockchain abgewickelten Smart Contract illustriert werden. Denn eine rein zweipolige Beziehung ist technologisch bereits per definitionem ausgeschlossen, vielmehr sind die Dritten für die Transaktion, sprich Vertragsschluss und -erfüllung, conditio sine qua non. Die Verwendung der Technologie ist darauf ausgerichtet, die anderen Partizipierenden interdependent einzubinden. Die Partizipation der Dritten erfolgt deswegen nicht nur im Fremdinteresse, sondern gerade auch im Eigeninteresse an der Funktionsfähigkeit des Systems. 3. Elektronische und autonome Agenten In strukturell anderer Weise führen dagegen autonome Akteure zu systemischer Bindung. Denn zumindest autonome Akteure bestimmen als autonome Agenten Vertragsschluss, essentialia negotii und / oder die Erfüllung von Verträgen. Auf Künstlicher Intelligenz basierende Anwendungen verfolgen dabei – anders als automatisierte Anwendungen172 – per definitionem eine bei den 171
Siehe hierzu etwa Engert, AcP 218 (2018), 304 (345 ff.). Einsatz automatisierter Anwendungen, die von Dritten zur Verfügung gestellt werden, kann sich allerdings der Einfluss dieses Dritten materialisieren. Wertungsmäßig entspricht diese Konstellation Online-Plattform-Szenarien, siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 C. 172 Beim
§ 6 Dimensionen systemischer Bindung
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Parteien ansetzende, aber über die Parteien hinausreichende Rationalität, was durch die Einbindung entsprechender Anwendungen durch und auf beiden Seiten gerade gewollt ist. Gerade hierdurch werden die erheblichen Interdependenzen und Rückwirkungen zwischen den partizipierenden Akteuren unterstrichen. Allerdings weisen die hier eingesetzten Dritten – de lege lata173 – keine Rechtssubjektqualität auf. Prima facie könnte eine systemische Bindung deswegen abzulehnen sein. Dies wäre nur dann folgerichtig, wenn man einen dritten Partizipierenden im Sinne eines Rechtssubjekts voraussetzen würde. Ein solches Verständnis erscheint allerdings als zu eng. Denn in Ansehung der obigen Einstufung multipolarer Vertragsstrukturen ist das Element eines von beiden Parteien intendierten Dritteinflusses maßgeblich. Hierbei handelt es sich zunächst (nur) um eine (faktische) Charakterisierung der Interaktionen der Partizipierenden. Die Anerkennung der Rechtssubjektqualität von autonomen Akteuren kann (und sollte) daher nicht konstitutiv sein. Abhilfe ist allerdings auch in anderer Weise denkbar. Als „große“ Lösung de lege ferenda mag die Einführung einer Rechtspersönlichkeit bzw. einer (Teil-)Rechtsfähigkeit für autonome Akteure (unter Umständen in Robotern „verkörpert“174) einzustufen sein.
173 Siehe allerdings Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5; ders., AcP 218 (2018), 155; ausführlich hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 12 B. I. und Kapitel 6 § 17 C. III. 174 Siehe hierzu oben sub Kapitel 2 § 4 C.
Kapitel 3
Rechtstheoretischer Diskurs Die Digitalisierung hat sowohl die Formen als auch die Häufigkeit von (vertraglichen) Interaktionen zwischen verschiedenen Akteuren erheblich verändert und erweitert. Die oben benannten Referenzfelder exemplifizieren dies anschaulich. Auf dieser Grundlage sollen nunmehr die theoretischen Maßstäbe für solche Interaktionen näher beleuchtet werden. Denn der Zugriff auf Vertragsstrukturen ist maßgeblich geprägt durch die zugrunde liegenden vertragstheoretischen Annahmen zur Funktion des Vertrags bzw. des Vertragsrechts. Die nachfolgende vertragstheoretische Betrachtung wird daher ausloten, ob und welchen Beitrag bestehende (vertrags-)theoretische Ansätze zur Fassung der Dimensionen systemischer Bindung leisten können. Idealerweise bieten (vertrags-)theoretische Ansätze belastbare Leitlinien dahingehend, ob und inwieweit Formen der (menschlichen) Interaktion in welcher Form geregelt werden (sollten). Auf einer solchen Grundlage kann im Anschluss eine adäquate (rechtsdogmatische) Rahmung der verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung erfolgen.
§ 7 Bindung(en) und Erwartung(en) im System Recht Die Ordnung von Interaktionen ist zunächst Gegenstand der Soziologie. Soziologische und (darauf aufbauend) rechtssoziologische Ansätze werden nachfolgend eine erste theoretische Annäherung an die Dimensionen systemischer Bindung bilden. Den (rechts-)soziologischen Betrachtungen soll dabei kein (unmittelbarer) normativer Wert an sich beigemessen werden; insbesondere die Systemtheorie – als „grand theory“1 – unterstreicht allerdings die maßgeblichen Grundlagen für Wirkungszusammenhänge und normative Regelbildungen.2 Dadurch dient die Systemtheorie der Identifizierung von Herausforderungen für Rechtswissenschaft und Rechtsdogmatik.3 Treffend formuliert Vesting: 1 Vgl.
Vesting, JURA 2001, 299 (299). zum Verhältnis zwischen sozialwissenschaftlichen Theorien und der rechtswissenschaftlichen Methode Petersen/Towfigh, in: dies., Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 14 ff. 3 In Anlehnung an den Untertitel bei Vesting, JURA 2001, 299 („Die Systemtheorie des Rechts als Herausforderung für Rechtswissenschaft und Rechtsdogmatik“). 2 Allgemein
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
„Die Systemtheorie kann (…), darin ist sie einer guten Unternehmensberatung vergleichbar, den Horizont von möglichen Beobachterperspektiven erweitern. [Die Systemtheorie] stellt eine genauere Einschätzung der Produktions- und Reproduktionsbedingungen des Rechts in einer komplexen Gesellschaft zur Verfügung (…).“4
Deswegen soll zunächst eine systemtheoretische Betrachtung für die vertragstheoretische Diskussion systemischer Bindung unternommen werden.
A. Das System Recht (Luhmann) Die Soziologie betrachtet Interaktionen. Insbesondere der Vertrag ist eine besonders bedeutsame Form der Interaktion.5 Hierbei handelt es sich – zunächst noch völlig unabhängig von einer zugrunde liegenden Rechts-Ordnung –, um das (gegenseitige) Versprechen zu einem Tun oder Unterlassen. Entsprechende Interaktionen zwischen mindestens zwei Akteuren bilden die Basis für (Austausch-)Beziehungen jeder Art. Aus der Perspektive der Luhmann’schen Systemtheorie handelt sich es bei diesen Interaktionen um (Rechts-)Kommunika tionen. 6 I. Grundlagen Die Systemtheorie formuliert grundlegend verschiedene Systeme aus; diese Systeme sind – dies gilt es vorab zu betonen – von vornherein nicht deckungsgleich mit der bisherigen Verwendung des Begriffs System oder systemisch(e Bindung).7 Für die Systemtheorie ist ein System „ein Typus von Elementen“8 , es ist ein „in die Zukunft offenes Netzwerk kommunikativer Ereignisse“9. Die Systemtheorie unterteilt die Gesellschaft insgesamt in verschiedene (Teil-)Systeme (etwa Recht, Wirtschaft, Politik und Religion). Diese Systeme werden als selbstreferenziell eingestuft.10 Eines der Systeme unterliegt daher nicht ohne weiteres der Steuerung durch ein anderes System.11 Dies gilt auch
4
Vesting, JURA 2001, 299 (300). folgenden Ausführungen sind auch als umfassende Zustimmung zu Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (241 ff., 251 ff.) zu verstehen. 6 Siehe Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 41. Vgl. auch Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 112. 7 Siehe hierzu oben sub Kapitel 1 § 1 E. und Kapitel 2 § 6 D. 8 Vesting, JURA 2001, 299 (300). 9 Vesting, JURA 2001, 299 (301). 10 Siehe zur Autonomie des Systems und zu Kommunikationen Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 115 f. 11 Siehe nur Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, S. 123. 5 Die
§ 7 Bindung(en) und Erwartung(en) im System Recht
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und gerade für die Teilsysteme Recht und Wirtschaft.12 Jedes System ist vielmehr durch eigene Operationen geprägt.13 Trotz oder wegen der Selbstreferenzialität der Systeme ist eine Kompatibilität zwischen den Teilsystemen von besonderer Bedeutung.14 Denn jede Form von Regulierung muss gerade alle Teilsysteme berücksichtigen, um ein drohendes Regulierungsversagen zu verhindern; in den Worten Teubners gilt: „Wenn Regulierung nicht den Bedingungen der strukturellen Kopplung von Recht, Politik und Gesellschaft gehorcht, dann muß es notwendigerweise in Regulierungsversagen enden.“15 Adäquate Regulierung muss den verschiedenen Teilsystemen gerecht werden.16 Das System Recht muss demnach auf die anderen Teilsysteme bzw. auf die Umwelt abgestimmt werden.17 II. Recht als autopoietisches System Das System Recht ist der Systemtheorie zufolge ein autopoietisches System.18 Autopoiesis „impliziert, daß das Recht Unterscheidungen und Bezeichnungen, die es verwendet, selbst produziert, und daß die Einheit des Rechts nicht anderes ist als das Faktum der Selbstproduktion, der ‚Autopoiesis‘.“19 Das System Recht weist demnach eine operative Geschlossenheit auf.20 Dies bedeutet, „dass die Autopoiesis des Systems nur mit eigenen Operationen durchgeführt, daß die Einheit des Systems nur mit eigenen Operationen reproduziert werden kann; sowie umgekehrt: daß das System nicht mit seiner Umwelt operieren, sich also auch nicht durch eigene Operationen mit seiner Umwelt in Verbindung setzen kann.“21
Systeme basieren allerdings nicht nur auf Operationen, sondern die Operationen sind das jeweilige System: „Strukturen sind zur jeweils hochselektiven Ver12 Teubner, Das regulatorische Trilemma, Quaderni Fiorentini XIII, 1984, 109 (120 ff.); ders., in: Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 1984, S. 290 ff. Vgl. auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (242). 13 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (242 f.); Vesting, JURA 2001, 299 (300). 14 Teubner, Das regulatorische Trilemma, Quaderni Fiorentini XIII (1984), 109 (126). Vgl. auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (242 f.). Siehe ferner Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 128; ders., JURA 2001, 299 (302). 15 Teubner, Das regulatorische Trilemma, Quaderni Fiorentini XIII (1984), 109 (128). Vgl. auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (243). 16 Vgl. Teubner, ZfRsoz 29 (2008), 9 (29 ff.). 17 Teubner, ARSP 1996, Beiheft 65, 199 (217 f.). 18 Siehe nur Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, S. 36 ff., wobei Teubner nicht allein der Systemtheorie zuzuordnen ist, hierzu Sahm, in: Rückert/Seinecke (Hrsg.), Methodik des Zivilrechts, 3. Aufl. 2017, Rn. 1140. Siehe im Übrigen einführend etwa Vesting, JURA 2001, 299 (301 f.). 19 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 30. 20 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 38 ff.; siehe auch Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, S. 36, 93. Siehe im Übrigen nur Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 113; ders., JURA 2001, 299 (301 f.). 21 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 4 40.
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
knüpfung von Operationen erforderlich, aber das Recht hat seine Realität nicht in irgendeiner stabilen Idealität, sondern ausschließlich in den Operationen, die den rechtsspezifischen Sinn produzieren und reproduzieren.“22 Es handelt sich nicht um die Anwendung einer Ordnung, sondern um Praxis im ursprünglichen Wortsinne.23 Recht wird in diesem Sinne begriffen als „informationsverarbeitendes Entscheidungssystem, das nicht hierarchisch, sondern heterarchisch, netzwerkartig, nachbarschaftlich und rekursiv prozessiert, d. h. das Operationen auf Resultate von Operationen anwendet und durch hinreichend lange Wiederholung solche Formen herausfiltert, die unter dynamischen Bedingungen stabil sein können.“24
Von zentraler Bedeutung für jedes System ist die Frage, welche Operationen für das jeweilige System relevant sind; sprich wo die Grenze zwischen System und Umwelt verläuft: „Die Ausgangsfrage lautet (…), wie Operationen die Differenz von System und Umwelt erzeugen und, da dies Rekursivität erfordert, wie Operationen erkennen, welche Operationen dazugehören und welche nicht.“25 Die hiermit benannte Grenze entscheidet mithin über die Operabilität bestimmter Aktionen innerhalb des Systems Recht – es ist nach Luhmann eine Frage der Codierung.26 Dies bedeutet allerdings nach dem zuvor Ausgeführten nicht, dass die Umwelt für das System per se irrelevant ist; vielmehr ist die Umwelt auch und gerade für das System Recht von Bedeutung. Setzt doch das System Recht die Umwelt in vielfältiger Weise voraus. Recht muss in diesem Sinne umweltsensibel sein.27 Eine solche Abstimmung erfolgt, in dem sich das System Recht von seiner Umwelt irritieren lässt.28 Die Irritation eröffnet die Chance der (Selbst-) Korrektur, indem außerrechtliche Erkenntnisse in das System Recht übersetzt werden.29 Ein solches Vorgehen innerhalb des Systems Recht wird als responsiv
22 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 41. Vgl. auch Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 113; ders., JURA 2001, 299 (300). 23 Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 7 m. w. N. 24 Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 7, 129; ders., JURA 2001, 299 (301). 25 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 41. Siehe im Übrigen zur Unterscheidung von System und Umwelt etwa Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 108 ff.; ders., JURA 2001, 299 (300). 26 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 165 ff. Siehe hierzu Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 108, 122. 27 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 4 41; Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, S. 99 ff.; für das Vertragsrecht zutreffend Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (245). 28 Vgl. Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, S. 93 sowie etwa Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (243 f.); Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 116; jeweils m. w. N. 29 Siehe nur Teubner/Zumbansen, ZfRsoz 21 (2000), 189 (190 ff.); Vesting, JURA 2001, 299 (301 f.) sowie Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (243 ff.) m. w. N.
§ 7 Bindung(en) und Erwartung(en) im System Recht
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bezeichnet30 und ist Ausdruck der Suche nach einer gerechten Lösung.31 Für die Abbildung der Umwelt bedarf es einer strukturellen Kopplung mit dem System Recht.32 In Luhmanns Worten: „Von strukturellen Kopplungen soll (…) die Rede sein, wenn ein System bestimmte Eigenarten seiner Umwelt dauerhaft voraussetzt und sich strukturell darauf verlässt (…).“33 Hierdurch kann sich der Impetus eines Teilsystems auf das andere System auswirken.34 Für die Zwecke dieser Arbeit heißt dies konkret: Die zuvor benannten Dimensionen systemischer Bindung sind Realphänomene und damit zwar (zunächst) nur Umwelt des Systems Recht. Die Formen irritieren aber möglicherweise das System Recht und seine aktuellen rechtsdogmatischen Strukturen. Im Sinne einer responsiven Rechtswissenschaft ist deswegen zumindest eine Überprüfung der bestehenden rechtsdogmatischen Strukturen und unter Umständen eine (Selbst-)Korrektur angezeigt.35 Die Unterscheidung 36 in System und Umwelt trifft damit den Kern der vorliegenden Untersuchung systemischer Bindung. Denn die Unterscheidung wirft zwei grundlegende Fragen auf, die für die Arbeit referenziell sind: Zunächst ist zu klären, ob und inwieweit Dimensionen systemischer Bindung Umwelt oder Teil des Systems Recht sind, insbesondere inwieweit das Vertragsrecht betroffen ist. Die Beantwortung dieser Frage leistet vor allem die dogmatische Einordnung der Dimensionen systemischer Bindung. Darüber hinaus ist zu betrachten, ob und inwieweit durch Formen systemischer Bindung ausgelöste Irritationen zu strukturellen Koppelungen mit dem System Recht führen. Hierzu eröffnen die im weiteren Verlauf dieser Arbeit aufgezeigten Fortentwicklungsperspektiven Optionen.37 III. Operabilität und Vertrag Das System Recht ist somit zu verstehen als ein „Zusammenhang von faktisch vollzogenen Operationen, die als soziale Operationen Kommunikationen sein müssen, was immer sie dann noch zusätzlich als Rechtskommunikationen aus30 Ausgehend von – und mit dem Untertitel „Toward Responsive Law“ – Nonet/Selznick, Law and Society in Transition, 1978. Hierzu näher Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (243 f.) m. w. N. 31 Siehe Teubner, ARSP 1996, Beiheft 65, 199 (217 f.). 32 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 4 40 ff. Siehe ferner Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 181 ff.; Teubner, Das regulatorische Trilemma, Quaderni Fiorentini XIII (1984), 109 (128); ders./Zumbansen, ZfRsoz 21 (2000), 189 (197). 33 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 4 41. 34 Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 182 f.: „durch ein Parallelprozessieren von Operationen zweier Systeme, über das sich die jeweiligen Strukturen verschleifen“ (Hervorh. i. Orig.). Siehe auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (243). 35 Vgl. auch Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, S. 88. 36 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 4 41. Vgl. auch Vesting, JURA 2001, 299 (300). 37 Siehe nachfolgend sub Kapitel 6.
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
zeichnet.“38 Für das System Recht können Operationen mit Luhmann als sozial und damit als Rechtskommunikationen verstanden werden.39 Bestimmte Rechtskommunikationen sind innerhalb des Systems Recht operabel. Aus vertraglicher Perspektive ist von zentraler Bedeutung, welche Operationen vertragsrechtliche Relevanz entfalten. Diese Operationen werden vor allem abgebildet durch die zivilrechtliche Rechtsgeschäftslehre, insbesondere durch die die Rechtsgeschäfte bzw. den Vertrag (als zweiseitiges Rechtsgeschäft) konstituierende Willenserklärungen. 1. Rechtssubjekt Vertragliche Rechtskommunikationen, sprich Willenserklärungen, basieren zunächst auf der Verknüpfung der jeweiligen Rechtskommunikation mit einem Rechtssubjekt, mit einer Rechtsperson.40 Rechtssubjekte sind die alleinigen vertraglichen Akteure. Die von diesen Rechtssubjektiven eingesetzten technischen Mittel haben (lediglich) unterstützende Funktion (etwa das gewählte Kommunikationsmedium). Nur Rechtssubjekte können daher im System Recht eine Willenserklärung abgeben. Rechtssubjekte sind im derzeitigen System Recht natürliche Personen und juristische Personen. Beide Formen der Person weisen Rechtsfähigkeit auf, wobei die Rechtsfähigkeit juristischer Personen abhängig ist von bestimmten vorgelagerten Operationen (etwa der Gründung etc.). Insbesondere im Zuge der Auseinandersetzung mit den Dimensionen systemischer Bindung in Bezug auf autonome Anwendungen wird daher auf die Frage zurückzukommen sein, ob die benannte Weichenstellung zugunsten von Rechtssubjekten irritiert ist sowie ob und auf welche Weise diese Irritation gegebenenfalls aufzulösen ist. Diese Frage erscheint prima facie besonders drängend, da insbesondere die benannten Referenzgebiete Industrie 4.0 sowie elektronische und autonome Agenten unterstreichen, dass eine Vielzahl von (vertraglichen) Interaktionen zumindest ohne unmittelbare Einbindung von Rechtssubjekten erfolgen. 2. Willens-Erklärung Vertragliche Rechtskommunikationen von Rechtssubjekten zeichnen sich durch die Anknüpfung an willensbasierte Aktionen aus. Eine Erklärung des Willens, eine Willenserklärung, setzt eine natürliche Person voraus. Dies bedeutet, dass nur natürliche Personen Willenserklärungen abgeben können. Juristische Personen können nicht selbst eine Willenserklärung abgeben. Es sind 38
Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 40 f. Siehe näher etwa Vesting, JURA 2001, 299 (301). 40 Allgemein zum Begriff der Rechtsperson Klingbeil, AcP 217 (2017), 848 (ebd. 861 ff. zur synonymen Verwendung bzw. zur Unterscheidung der Begriffe Rechtssubjekt und Rechtsperson). 39
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allerdings Formen der Zurechnung von Willenserklärungen vorgesehen. So können von natürlichen Personen abgegebene Willenserklärungen auch mit Wirkung für andere Rechtssubjekte, und damit auch für und gegen juristische Personen, abgeben werden. Umgekehrt ist die Zurechnung einer Erklärung eines Nicht-Rechtssubjekts zu einer natürlichen oder juristischen Person nicht möglich.41 Eine Willenserklärung scheidet dann aus, wenn und soweit diese – systemtheoretisch gesprochen – Operation nicht (auch) als Operation einer natürlichen Person eingestuft werden kann. Ein „Agieren“ eines Nicht-Rechtssubjekts allein kann somit nicht dazu führen, dass eine Erklärung mit Wirkung für und gegen eine natürliche oder juristische Person abgeben wird. Das „Agieren“ eines Nicht-Rechtsubjekts ist mithin als vertragliche Rechtskommunikation, etwa in der Form der Willenserklärung, nicht operabel. In Ansehung der vielfältigen und umfassenden Interaktionen nicht mehr nur mittels Maschinen, sondern vor allem auch zwischen Maschinen (machine to machine-communication), ist die Frage aufgeworfen, ob und in welcher Form solche Kommunikationen operabel sind bzw. sein sollen.42 Diese (mangelnde) Operabilität prägt deswegen notwendigerweise zwei dogmatische Fragen. Zum einen muss bestimmt werden, ob und inwieweit Operationen von Nicht-Rechtssubjekten als relevante Operation einer Person bewertet werden können (und sollten). Zum anderen ist die Frage aufgeworfen, ob die Grundsätze der Zurechnung von Willenserklärungen derart irritiert sind, dass eine Modifizierung in Betracht zu ziehen ist.
B. Bindung(en) Wirkung erzeugen vertragliche Rechtskommunikationen im System Recht durch die Annahme von Bindung(en) zwischen den Akteuren. Die Annahme einer Bindung ist ein zentrales Element, wenn nicht sogar der Kern des Vertragsrechts.43 Im System Recht muss daher entschieden werden, welche Rechtskommunikationen zu rechtlichen Bindungen zwischen den jeweiligen Akteuren führen.44 Traditioneller Weise wird Bindung im Vertragsrecht erzeugt durch
41
Siehe hierzu nachfolgend aus rechtsdogmatischer Sicht sub Kapitel 4 § 12 B I. Siehe hierzu nachfolgend aus rechtsdogmatischer Sicht sub Kapitel 4 § 10 B. und § 12 B. sowie Kapitel 6 § 17 C. I. und II. 43 Siehe nur zu Verträgen als Instrument der Bindung Grundmann, in: ders./Haar/Merkt/ Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift Hopt, 2010, S. 61 (72 ff.); aus rechtsökonomischer Perspektive Schmolke, in: Petersen/Towfigh, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 266 ff. 44 Zu rechtlich relevanten Handlungen im Allgemeinen Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 9; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 579 ff. 42
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
Gestaltung (Rechtsgeschäft).45 Um sich dieser für die vorliegende Untersuchung entscheidenden Frage weiter zu nähern, muss zunächst ein (Vor-)Verständnis darüber aufgebaut werden, warum und in welcher Form aus soziologischer Perspektive Bindungen zwischen verschiedenen Akteuren bestehen (können).46 I. Grundlagen: Relationale Vertragstheorie Bindungen basieren der Sozialwissenschaft zufolge auf Beziehungen (Relationen). Der relationalen Vertragstheorie (Macaulay, Macneil)47 zufolge sind (Langzeit-)Verträge als komplexe Sozialbeziehungen zu verstehen.48 Dem Konzept des relational contract folgend ist der Vertrag sozial eingebettet.49 Relational betont in diesem Zusammenhang die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Beteiligten, worunter auch Sozial- und Herrschaftsbeziehungen außerhalb eines Vertrags im engeren Sinne verstanden werden können.50 Im Einzelnen reicht die Bandbreite von Verträgen von diskret bis sehr relatio nal.51 Die Relation wird dabei maßgeblich bestimmt durch das zwischen den Akteuren aufgebaute bzw. erzeugte Vertrauen.52 Dies soll auch und gerade der Fall sein – so der Kern Macaulays Erkenntnis – abseits eines (formal geschlossenen) Vertrages; es ist allerdings zu betonen, dass die Durchsetzbarkeit (enforceability) der (meisten) von Macaulay betrachteten Verträge an der Schriftformklausel des § 2-201 Uniform Commercial Code scheiterte; nach deutschem Recht handelt es sich – mangels eines allgemeinen Schriftformerfordernisses für Verträge – um bindende Verträge.53 Die Erkenntnisse Macauleys sind somit nicht vollständig auf das deutsche Vertragsrecht übertragbar. Seine Beobach-
45
Zur entsprechenden Regelbildung siehe Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 229 ff. Siehe stellvertretend und „‚Towards‘ a Private Law embedded in Social Theory“ Grundmann, ERPL 2016, 409. 47 Grundlegend Macaulay, American Social Review 28 (1963), 55; ders., in: Joerges (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991, S. 179 ff.; Macneil, S. Cal. L. Rev. 47 (1974), 691; ders., The New Social Contract, 1981; ders., Nw. Univ. L. Rev. 72 (1978), 854. Hierzu etwa aus privatrechtlicher Perspektive Hübner/Pika, ZEuP 2018, 32 (40 f.) sowie Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 197 ff. (vgl. insbesondere die Nachweise ebd. in Fn. 728). 48 Hierzu zusammenfassend Teubner, RJ 17 (1998), 234 (245 ff.). 49 Vgl. Grundmann, ERPL 2016, 409 (414). 50 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 200 f. mit Fn. 737; Oechsler, RabelsZ 60 (1996), 91 (114) mit Verweis auf Pound, An Introduction to the Philosophy of Law, 1954. 51 Siehe grundlegend Macneil, S. Cal. L. Rev. 47 (1974), 691 (737 ff.); ders., Nw. Univ. L. Rev. 72 (1978), 854. Ferner Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 203 m. w. N. Die zeitliche Streckung des Vertrags aus rechtswissenschaftlicher Perspektive betonend Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 454 ff. 52 Grundmann, ERPL 2016, 409 (414); Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 200 m. w. N. 53 Hierzu und m. w. N. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 198 f. mit Fn. 733. 46
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tungen zur Zusammenarbeit abseits rechtlicher Bahnen sind allerdings dennoch äußerst aufschlussreich. Auf der Grundlage der relationalen Vertragstheorie wird nämlich der andauernden Interaktion und Kooperation eine „normerzeugende“ Funktion beigemessen bzw. eine Prägung der abgeschlossenen Rechtsgeschäfte.54 Der Vertrag sei mehr Prozess als punktueller Austausch 55 – wodurch auch und gerade Dauerschuldverhältnisse angesprochen werden. So wird die Relation verstanden als Grundlage für vertragsrechtliche Konstrukte (etwa Treu und Glauben) und allgemein für die Identifizierung von relevanten Schutzbedürfnissen im Recht.56 Die (ökonomische) Transaktionskostenforschung hat auf dieser Grundlage (und vor allem für Langzeitbeziehungen) die spezifischen Investitionen in solchen Beziehungen und die Schutzwürdigkeit dieser Investitionen betont.57 Zusammenfassend hat Williamson deswegen relationale Verträge durch die Kriterien (gegenseitige) Investitionen, wiederkehrende Leistungen und unbestimmte Dauer definiert.58 Eine solche Beziehung kann zunächst rein bipolar sein. Dies ist der Ausgangspunkt (auch) für die soziologische Betrachtung von Interaktionen. In eine solche Beziehung können allerdings auch Dritte eingebunden oder eingebettet werden.59 Der Begriff Einbettung sollte dabei keine falschen Bilder erzeugen: „Soziale Einbettung – schon der Ausdruck suggeriert Gemütlichkeit – bedeutet heute gerade nicht, daß ein Vertrag sich in einer kohärenten und konsistenten Gemeinschaft geborgen weiß, sondern daß er eher in einer zersplitterten und widersprüchlichen Vielzahl hochentwickelter sozialer Rationalitäten ausgesetzt ist.“60
Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht wird eine solche Einbettung als besonders stark beschrieben, wenn und soweit Akteure sich korporativ organisieren. Die Akteure handeln in diesen Fällen in Strukturen, die wirtschaftswissenschaftlich als organisation oder firm bezeichnet werden. Eine solche organisa
54 Vgl.
Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 202, 204 m. w. N. Macneil, S. Cal. L. Rev. 47 (1974) 691 (694). Vgl. Teubner, RJ 17 (1998), 234 (245 f.) sowie Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 201. Siehe auch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 458 f. 56 Grundmann, ERPL 2016, 409 (414). 57 Williamson, Journal of Law & Economics 22 (1979), 233. Hierzu Grundmann, ERPL 2016, 409 (415 ff.); Hübner/Pika, ZEuP 2018, 32 (41); Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 199 f. mit Fn. 735. 58 Williamson, Journal of Law & Economics 22 (1979), 233. Siehe auch Hübner/Pika, ZEuP 2018, 32 (41). 59 Vgl. grundlegend zu Netzwerken Granovetter, American Journal of Sociology 1973, 1360 und Powell, Research in Organizational Behaviour 12 (1990) 295 sowie nachfolgend sub Kapitel 3 § 7 B. II. Vgl. im Übrigen Hübner/Pika, ZEuP 2018, 32 (40 f.); Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 201 f. m. w. N. 60 Teubner, RJ 17 (1998), 234 (246). 55
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
tion ist grundsätzlich durch Formen der Hierarchie geprägt. 61 Im Ergebnis ist die Klassifizierung von Verträgen auf der zuvor benannten Achse diskret bis sehr relational somit artverwandt zu dem Übergang zwischen contract and firm bzw. market and hierarchy. 62 Aus rechtlicher Perspektive changieren relationale Verträge somit zwischen punktuellem Austauschvertrag und einer Gesellschaft (bzw. einem Gesellschaftsvertrag). 63 II. Netzwerke Eine Mehrzahl von verknüpften eingebetteten Beziehungen können als Netzwerke bezeichnet werden. 64 Diese Netzwerke sind – wirtschaftswissenschaftlich – weder als reine Austauschbeziehung (market) noch als eine organisation (hierarchy) zu begreifen, sie können vielmehr eine dritte Form der Beziehungen darstellen. 65 Die Erscheinungsformen und Anwendungsfelder sind mannigfaltig – ebenso wie die damit einhergehenden Effekte (etwa potenzielle Wettbewerbsvorteile wie Effizienzsteigerungen, Flexibilität oder Innovationen). 66 Solche Netzwerkstrukturen weisen erst durch die Verknüpfung unterschiedlicher (auch unter Umständen schwacher) Beziehungen eine gewisse Stabilität auf. Soziologisch gesprochen können Netzwerke geprägt sein durch – je nach Anwendungsfall und Ausgestaltung – Information, Vertrauen, Solidarität, Autonomie, Selbstorganisation und Macht(im)balance. 67 Grundlegend für diese wirtschaftssoziologische Erkenntnis von Netzwerken war die Abhandlung Strength of Weak Ties von Granovetter. 68 Granovetter betont nicht nur die starken Verknüpfungen, sondern vor allem die schwachen Verknüpfungen innerhalb sozialer Netzwerke (im Sinne sozialer Strukturen oder auch Beziehungsgeflechten). Die Analyse von Prozessen in interpersonalen Netzwerken sei eine micro-macro bridge; durch (die Beschreibung als) Netzwerke könnten small-scale interactions in large-scale patterns übersetzt werden. 69 Aus rechtlicher Perspektive sind damit Szenarien mit mehr als zwei Akteuren angesprochen, von denen jeder zumindest mit einem weiteren Akteur vertrag61 Vgl. grundlegend Powell, Research in Organizational Behaviour 12 (1990) 295 (300 ff.) sowie etwa Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (258). 62 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 203 Fn. 754. 63 Siehe nur Hübner/Pika, ZEuP 2018, 32 (40) m. w. N. 64 Siehe auch Hübner/Pika, ZEuP 2018, 32 (40 f.). 65 Grundlegend Powell, Research in Organizational Behaviour 12 (1990) 295. Hierzu Grundmann, ERPL 2016, 409 (419 f.). Siehe zur Regelhierarchie privater Regelsetzung auf der Grundlage der ordnungsökonomischen Theorie Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 103. 66 Zu Netzwerken in der Wirtschaftswissenschaft siehe zusammenfassend nur Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 39 ff. 67 Auflistung in Anlehnung an Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 29 ff. – dort auch allgemein zu Netzwerken in der Soziologie. 68 Siehe Granovetter, American Journal of Sociology 1973, 1360. Siehe zudem Powell, Research in Organizational Behaviour 12 (1990) 295. 69 Granovetter, American Journal of Sociology 1973, 1360 (1360).
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lich verbunden ist. Umschrieben werden diese Konstellationen auch als nexus of contracts oder auch als Vertragsnetz.70 Zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist, ob und inwieweit (vertragliche) Direktansprüche auch zu nicht vertraglich verbundenen Akteuren bestehen können bzw. sollen. Daher können auch die zuvor in dieser Arbeit benannten Dimensionen systemischer Bindung als Teil dieser sozialwissenschaftlich benannten Netzwerkstrukturen begriffen werden. Bei Interaktionen auf Plattformen sowie im Zuge dezentraler Kooperation oder eben auch bei der Nutzung autonomer Anwendungen werden jeweils selbstständig agierende Dritte (im weitverstandenen Sinne) eingebettet, zu denen zumindest einer der anderen Akteure eine (vertragsrechtliche) Beziehung aufweist. Die sozialwissenschaftliche Beobachtung solcher Netzwerke wird deswegen auch bereits seit längerem als Ausgangspunkt für eine vertiefte rechtliche Betrachtung der damit verbundenen Vertragsbeziehungen fruchtbar gemacht und soll auch in dieser Arbeit näher beleuchtet werden.71 Denn die von der Sozialwissenschaft beschriebenen Netzwerke basieren auf einer Form generalisierter Reziprozität.72 Insbesondere werden Verträge hiernach nicht als reine (monetäre) Austauschbeziehungen begriffen, sondern als „vielgestaltige und mehrdimensionale Aktivitäten“73. Damit könnten entsprechende Netzwerke als eine Umweltbedingung einzustufen sein, die zumindest prima facie derzeit im System Recht nicht strukturell gekoppelt ist. Dies könnte insbesondere deswegen der Fall sein, weil vertragliche Rechtskommunikationen dadurch geprägt sind, dass diese Kommunikationen im Grundsatz nur relative Wirkungen entfalten. Denn das Vertragsrecht operiert mit dem Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse.74 Hieraus ergibt sich zumindest die Vermutung, dass Netzwerke unter Umständen nicht (adäquat) in das System Recht hineingespiegelt wurden und werden.75 Systemtheoretisch könnte es also am re-entry von Netzwerkstrukturen mangeln.76
70 Hierzu etwa Grundmann, in: ders./Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift Hopt, 2010, S. 61 (76 ff.). 71 Stellvertretend nur Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004. Hierzu ausführlich nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 C. Über den Zuschnitt dieser Arbeit hinaus reichen allerdings rechtstheoretische Ansätze zur Netzwerkgesellschaft (Ladeur), einführend etwa Vesting/ Augsberg, in: Ladeur, Das Recht der Netzwerkgesellschaft (hrsg. v. Vesting/Augsberg), 2013, S. 1 ff. 72 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 10 f. 73 Teubner, RJ 17 (1998), 234 (237) in Bezug auf das Fresko Il buon governo. 74 Hierzu näher nachfolgend sub Kapitel 3 § 9 E. IV. 75 Vgl. Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 126. 76 Zum re-entry Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 76 sowie Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 126 ff.; ders., JURA 2001, 299 (300). Vgl. etwa auch Teubner/Zumbansen, ZfRsoz 21 (2000), 189 (191 ff.).
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
III. Reziprozität Wesentlicher Entstehungsgrund für Bindungen ist aus soziologischer Perspektive das Element der Gegenseitigkeit, sprich der Reziprozität 77, die auch schon im Kontext des Völkervertragsrechts betont wurde.78 Die Operationen der Akteure sind im System sozial; sie sind aufeinander bezogen. Akteure agieren miteinander reziprok.79 Dabei werden regelmäßig zwei Versprechen miteinander verbunden und miteinander in ein Verhältnis gesetzt: Um der Bindung des anderen wegen will jeder Akteur auch die eigene Bindung. Das reziproke Agieren ist somit Grund für die gewillkürte Beziehung der Akteure. Die Gegenseitigkeit hebt die (Vertrags-)Beziehung der Akteure aus der Masse sonstiger Beziehungen hervor. Reziprozität prägt zunächst bipolare Beziehungen. Hier wird Gegenseitigkeit in Reinform verwirklicht. In multipolaren Beziehungen ist Gegenseitigkeit allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr sind auch bei Netzwerken oder multipolaren Beziehungen umfassende Gegenseitigkeit (jeder gegenüber jedem) oder eingeschränkte Gegenseitigkeit (manche gegenüber manchen) denkbar. Während ersteres – wenn gewollt – keine besonderen Fassungsprobleme aufwirft, sind letztere Konstellationen schwieriger zu beurteilen. Dementsprechend ist auch die rechtliche Fassung dieser eingeschränkten Reziprozität herausfordernder.
C. Normative Erwartung(en) Um die soziologischen Erkenntnisse einzuordnen – und für die Betrachtung systemischer Bindung fruchtbar zu machen –, ist eine weitere Beobachtung bzw. Annahme der Systemtheorie erkenntnisreich, die in ähnlicher Weise auch von der relationalen Vertragstheorie zugrunde gelegt wird.80 Die Systemtheorie betont insbesondere die Erwartungen der beteiligten Akteure innerhalb des jeweiligen Systems (im systemtheoretischen Sinne) – für die Zwecke dieser Arbeit also des Systems Recht. Luhmann führt insoweit in Bezug auf die Legitimität von Recht aus: „Legitim sind Entscheidungen, bei denen 77 Hierzu aus rechtlicher Perspektive etwa Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 233 ff., insbesondere 250 ff. Siehe zum Prinzip der Gegenseitigkeit aus verhaltensökonomischer Perspektive Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 498 unter Verweis auf die Forschung von Axelrod (Die Evolution der Kooperation, 7. Aufl. 2009). 78 Siehe hierzu oben sub Kapitel 2 § 6 D. I. 79 Siehe zu Reziprozität als „Funktionsbedingung stabiler sozialer Beziehungen“ Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 240 ff. 80 Siehe etwa Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 204 Fn. 760 in Bezug auf die Relevanz für den Vertrag nicht nur des Willens der Parteien, sondern auch der Sozialbeziehung („der Kontext des Kontrakts“): „Wobei hierdurch insbesondere die Erwartungs- und Vertrauenshaltungen der Beteiligten geschützt werden sollen.“
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man unterstellen kann, daß beliebige Dritte normativ erwarten, daß die Betroffenen sich kognitiv auf das einstellen, was die Entscheidenden als normative Erwartungen mitteilen.“81 Akzeptanz (bzw. die „Unterstellung des Akzeptierens“82) ist die Grundlage für die Stabilisierung sozialer Ordnungen83.84 Eine Fokussierung auf die Erwartungen erscheint besonders vielversprechend. 85 Denn eine solche Perspektive erleichtert (auch) den Zugriff auf die vorbenannten Dimensionen systemischer Bindung. Die Partizipierenden haben Erwartungen in Bezug auf das jeweilige System. Diese Erwartungen müssen nicht für alle beteiligten Akteure identisch sein. Es besteht etwa nicht notwendigerweise eine Erwartung der umfassenden Reziprozität innerhalb des Systems; weswegen auch keine durchgehende Erwartung an eine Bindung gegenüber jedermann angenommen werden kann. Vorliegen dürfte aber zumindest eine Erwartung an die durch die Sozialwissenschaft betonte stabilisierende Wirkung, insbesondere bei Netzwerken. Hiermit verbunden scheint auch eine normative Erwartung an zumindest eine eingeschränkte Bindung innerhalb des Netzwerkes. Dies hat vor allem Teubner herausgearbeitet. Mit Teubner ist deshalb zunächst festzuhalten: „[M]an hegt (…) die legitime Erwartung auf die Vernetzung (…).“86 Darauf aufbauend kann mit Grünberger angenommen werden, es besteht eine „normative Erwartung, dass dieses Systemvertrauen nicht enttäuscht wird.“87 Genauer wird damit Bezug genommen auf die Erwartung eines Funktionierens des Systems, eines zuverlässigen Ablaufens des Systems88 , eines ordnungsgemäßen Zusammenwirkens der Akteure. Das System, auf das sich das Vertrauen bezieht, bezeichnet in diesem Zusammenhang nicht das System Recht, sondern für die Zwecke dieser Arbeit Konstellationen systemischer Bindung. Eine solche Erwartung an ein solches System (im engeren Sinne) bedingt weitreichende Implikationen. Denn in solchen Konstellationen ist zumindest überprüfenswert, ob das Recht seine Funktion(en) in Bezug auf diese Erwartungen (noch) erfüllt. Denn mit Luhmann obliegt Recht die Funktion, „normative Erwartungen zu stabilisieren“.89 Die Stabilisierung normativer Erwartungen kann „nur über eine Selektion von schützenswerten Erwartungen erfol81
Luhmann, Rechtssoziologie, 1972, S. 261. Luhmann, Rechtssoziologie, 1972, S. 261. 83 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (251); Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 8 Fn. 20. 84 Zum soziologischen Konzept der Akzeptanz zusammenfassend etwa Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 160 ff. m. w. N. 85 Siehe aus vertragsrechtlicher Sicht bereits Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997; hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 C. III. 3. b) bb). 86 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 97. 87 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (291) (Hervorh. d. Verf.) mit Verweis auf die Ausbuchstabierung des Systemvertrauens bei Luhmann. 88 Vgl. Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (291). 89 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 137 sowie insgesamt S. 124 ff. Hierzu Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (250 ff.). 82
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
gen.“90 Dem Recht kommt daher eine zentrale Aufgabe zu. Es hat festzulegen, welche Erwartungen es als schützenswert einstuft bzw. welche Erwartungen auch im Enttäuschungsfall sanktioniert werden.91 Denn Normen sind „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen“.92 Bezogen auf das Vertragsrecht bedeutet dies wiederum mit Grünberger, dass „das Vertragsrecht die Aufgabe [hat], schützenswerte normative Erwartungen der Parteien zu selektieren.“93 Eine solche Selektion ist somit angezeigt für die benannten Dimensionen systemischer Bindung. Diese Dimensionen sind somit – auch und gerade aus der Sicht der Systemtheorie – bereits aufgrund der mit ihnen einhergehenden Erwartungen auf ihre vertragsrechtliche Schutzwürdigkeit hin zu überprüfen. Die richtigerweise benannte Erwartung – so viel sei an der dieser Stelle vorweggenommen – wird zum Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Arbeit werden (müssen).
D. Zwischenergebnis Dimensionen systemischer Bindung weisen das Potenzial auf, das System Recht zu irritieren. Dieser Befund bedingt eine Überprüfung bestehender vertraglicher Rechtskommunikationen. Es ist die Frage aufgeworfen, ob und in welcher Form die Dimensionen systemischer Bindung innerhalb des Systems Recht operabel sind. Damit ist für die Zwecke dieser Arbeit insbesondere das Vertragsrecht angesprochen. Für vertragliche Rechtskommunikationen sind Rechtssubjekte als Akteure sowie Willenserklärungen als Interaktionsform von zentraler Bedeutung. Auf dieser Grundlage lösen derzeit (auch nur) Rechtssubjekte und Willenserklärungen Bindung zwischen den Akteuren aus. Maßgeblich für diese Bindung ist aus soziologischer Perspektive das Element der Gegenseitigkeit. Das Prinzip der Gegenseitigkeit besteht vor allem in bipolaren Verhältnissen; die Dimensionen systemischer Bindung weisen gerade nicht notwendigerweise Reziprozität aller Akteure gegenüber allen (anderen) auf. Die Netzwerkforschung legt allerdings zumindest nahe, dass bei den Dimensionen systemischer Bindung vergleichbare Erwartungen, gegebenenfalls auch normative Erwartungen, ausgelöst werden, die über Formen reziproker Bindungen hinausreichen: Erwartungen an die Vernetzung – eine Erwartung an das Funktionieren des Systems. Es stellt sich nach alledem die Frage, ob solche Erwartungen im Vertragsrecht als schützenswert einzustufen sind. Insbesondere mahnen Luhmann und Teubner insofern zu Recht ganz grundsätzlich eine 90
Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 137. Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (251 ff.). 92 Luhmann, Rechtssoziologie, 1972, S. 43; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 134. 93 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (252). 91 Hierzu
§ 8 Rückbindung(en) an willensbasierte Aktionen
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Umweltsensibilität an94, die die theoretische Grundlage für eine adäquate Regulierung bietet. Gleichwohl vermag (und soll) die systemtheoretische Analyse allein noch keine Antwort darauf geben, welche Dimensionen systemischer Bindung in welcher Weise schützenswert sind.
§ 8 Rückbindung(en) an willensbasierte Aktionen Bereits hervorgehoben wurde, dass das Vertragsrecht (bislang) nur mit willensbasierten Interaktionen, i. e. Willenserklärungen, operiert 95; nur solche Interaktionen lösen im System Recht vertragliche Bindungen der Akteure aus. Mit Blick auf die Dimensionen systemischer Bindung und insbesondere die benannten Referenzgebiete spiegelt diese Grundannahme unter Umständen die Erwartungen der Akteure nach dem zuvor Ausgeführten nicht (mehr) hinreichend wider. Es ist somit von grundlegender Bedeutung, ob und inwieweit vertragliche Rechtskommunikationen an willensbasierte Aktionen rückgebunden sind oder sein sollen.
A. Ausgangspunkt und ‚Richtung‘ vertraglicher Beziehungen Ausgangsannahme ist insofern, dass die Erwartungen der Akteure auch die Partizipation anderer Akteure miteinschließen kann. Die Partizipation dieser Personen ist allerdings unter Umständen (im rechtlichen Sinne) nicht mehr willensbasiert. Dies gilt einerseits in Bezug auf solche Akteure, zu denen keine auf Gegenseitigkeit basierende, keine reziproke, willensbasierte Beziehung – also auf der Grundlage von Willenserklärungen – besteht. Andererseits sind dadurch Akteure angesprochen, die zwar eingebunden werden, aber selbst nicht im klassischen Sinne willensbasiert agieren – also insbesondere autonome Akteure. Diese Beobachtung wirft zwei Fragen auf: (1) Sind Partizipierende vertragsrechtlich schutzwürdig, auch wenn keine unmittelbare willensbasierte Beziehung auf der Grundlage von Willenserklärungen besteht? (2) Sind auch solcher Akteure vertragsrechtlich schutzwürdig, obwohl sie nicht willensbasiert agieren? Diese beiden Fragen erscheinen prima facie unterschiedliche Zielrichtungen aufzuweisen: einerseits die Richtung der Beziehung, andererseits der Ausgangspunkt der Beziehung. Beide Fragen sind dennoch eng miteinander verknüpft. Es steht nämlich jeweils die Rückbindung an eine willensbasierte Aktion in Rede. 94 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 4 41; Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989, S. 99 ff. 95 Siehe oben sub Kapitel 3 § 7 B.
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
Ganz grundlegend ist damit wiederum die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit eine Rückbindung an menschliches (bzw. menschlich veranlasstes) Handeln – weiterhin – geboten, sinnhaft und gewünscht ist. Es ist zu entscheiden, ob die (Rück-)Bindung an eine natürliche Person, an willensbasierte Aktionen, durchtrennt werden soll. Dies wirft die Folgefrage auf, ob solche Formen der Interaktion dennoch in die bestehende Vertragsrechtssystematik eingeordnet werden können (bzw. sollen).
B. Anknüpfungsformen Grundlage für und Annäherung an die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen bietet zunächst eine Ausdifferenzierung der potenziell möglichen Formen der Rückbindung an natürliche Personen. Die nachfolgend ausgeführten Anknüpfungen sind zu verstehen als alternative abstrakte Ausgestaltungsformen, die nicht mit der Rechtslage de lege lata zu verwechseln sind. Die Anknüpfungen zeigen vielmehr in Bezug auf die Rückbindung an natürliche Personen verschiedene Optionen auf. Es ist damit ebenso noch keine Aussage darüber verbunden, welche der Optionen (dogmatisch) vorzugswürdig ist. I. Strenge Anknüpfung Ausgangspunkt der Betrachtung ist eine strenge Anknüpfung an natürliche Personen. Jede vertragliche Rechtskommunikation, die vertragliche Bindung erzeugt, muss auf den Willen einer natürlichen Person rückführbar sein. Auf dieser Grundlage ist eine Operation nur gültig, wenn die Erklärung vom Willen der natürlichen Person umfasst ist. Die Rechtskommunikation muss den Willen der Person umfassend äußern. Die umfassende Abbildung des Willens bedeutet im Umkehrschluss auch, dass solche Kommunikationen nicht umfasst sind, die nicht vom Willen der Person umfasst sind, sprich solche Kommunikationen, die die natürliche Person nicht in ihren Willen aufgenommen hat. Die Rechtskommunikation ist damit nur eine Spiegelung des Willens. Mit einer solchen strengen Rückbindung ist zunächst der Einsatz von technischen Mitteln zur Rechtskommunikation nur bedingt vereinbar. Taugliche Mittel wären lediglich solche, die den erklärten Willen nur transportieren. Solche Mittel, die den erklärten Willen „bilden“, ausformen, ergänzen oder modifizieren, wären hiernach untauglich. Auf der Grundlage einer strengen Anknüpfung kann damit etwa die Einbindung autonomer Agenten nicht zu einer vertraglichen Bindung der natürlichen Person führen. Denn entsprechende autonome Agenten bzw. ihr Einsatz werden nur durch die natürliche Person initiiert. Die jeweiligen Interaktionen spiegeln dann nicht unmittelbar den Willen der natürlichen Person. Hier sind allerdings zwei Konstellationen zu unterscheiden: (1) Die vertragliche Interaktion –
§ 8 Rückbindung(en) an willensbasierte Aktionen
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also etwa die „Erklärung“ eines autonomen Agenten zum Abschluss eines Vertrages – ist vollkommen unabhängig von dem Willen der natürlichen Person. In diesen Fall scheidet eine Rückbindung der natürlichen Person bei einer strengen Anknüpfung aus. Die natürliche Person hat sich keinerlei Willen in Bezug auf eine vertragliche Beziehung gebildet (oder geäußert). Ebenso ist bei strenger Anknüpfung allerdings eine Rückbindung zu verneinen, falls (2) die Interaktio nen nur auf einen vom Willen der natürlichen Person getragenen Rahmen basieren. Die natürliche Person überlässt hier dem autonomen Agenten einen Entscheidungsspielraum, der die konkrete „Erklärung“ von dem allgemein vorgegebenen Rahmen entkoppelt. In derselben Weise ist bei einer strengen Rückbindung an den Willen einer natürlichen Person auch die Annahme nicht-willensbasierter vertraglicher Beziehungen nicht vereinbar. Denn vertragliche Rechtskommunikationen müssen im Zuge einer strengen Anknüpfung auf willensbasierten Aktionen basieren. Eine vertragliche Bindung kann somit nur gegenüber solchen Partizipierenden entstehen, die vom Willen des Akteurs umfasst sind. Es ist somit auf der Grundlage einer strengen Anknüpfung nicht möglich, vertragliche Beziehungen zu nicht unmittelbar verbundenen Akteuren zu begründen. II. Gelockerte Anknüpfung Einen anderen Betrachtungsstandpunkt bedingt eine gelockerte Anknüpfung an natürliche Personen. Eine gelockerte Anknüpfung bedeutet, dass eine vertragliche Rechtskommunikation, die vertragliche Bindung erzeugt, nur noch im Grundsatz vom Willen einer natürlichen Person umfasst sein muss. Auf dieser Grundlage kann eine konkrete Kommunikation auch gültig sein, wenn diese nicht mehr vollumfänglich den Willen der natürlichen Person abbildet. Die Rechtskommunikation äußert den inneren Willen der Person nur noch teilweise. Die teilweise Abbildung des Willens bedeutet im Umkehrschluss auch, dass solche Kommunikationen (auch hier) nicht umfasst sind, die noch nicht einmal im Ansatz vom Willen der Person umfasst sind; es handelt sich um Kommunikationen, die die natürliche Person überhaupt nicht in ihren Willen aufgenommen hat. Mit einer solchen gelockerten Rückbindung ist der Einsatz von (technischen) Mittel zur Rechtskommunikation teilweise vereinbar. Tauglich sind nicht nur Mittel, die den erklärten Willen nur transportieren, sondern auch solche, die auf der Basis eines initialen Willens den „erklärten“ Willen ausformen. Auf der Grundlage einer gelockerten Anknüpfung kann die Einbindung autonomer Agenten zu einer vertraglichen Bindung der natürlichen Person führen. Die jeweilige Interaktion muss nicht unmittelbar den Willen der natürlichen Person umfassend spiegeln. Hier sind wiederum zwei Konstellationen zu unterscheiden: (1) Ist die vertragliche Interaktion vollkommen unabhängig von dem Willen der natürlichen Person, scheidet auch bei einer gelockerten An-
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knüpfung eine Rückbindung an die natürliche Person aus. Bei einer gelockerten Anknüpfung ist allerdings eine Rückbindung zu bejahen, falls (2) die Inter aktionen auf einen vom Willen der natürlichen Person getragenen Rahmen basieren und die natürliche Person dem autonomen Agenten einen Entscheidungsspielraum überlässt. Der allgemein vorgegebene Rahmen bedingt eine ausreichende Koppelung mit der konkreten „Erklärung“. Bei einer gelockerten Anknüpfung ist die Annahme nicht-willensbasierter vertraglicher Beziehungen nur bedingt vereinbar. Eine vertragliche Bindung muss somit zumindest im Ansatz auf einem abstrakten Willen der natürlichen Person beruhen. III. Selbstständige Anknüpfung Eine selbstständige Anknüpfung löst sich von dem Willen einer natürlichen Person. Eine vertragliche Rechtskommunikation, die vertragliche Bindung erzeugt, muss auf dieser Grundlage nicht mehr vom Willen einer natürlichen Person umfasst sein. Vertragliche Operationen können vielmehr auch gültig sein, wenn die Erklärung vom Willen der natürlichen Person nicht umfasst ist. Mit einer solchen selbstständigen Bindung ist zunächst der Einsatz von technischen Mittel zur Rechtskommunikation vollumfänglich vereinbar. Entsprechende Mittel „bilden“ und begründen in diesem Fall die vertragliche Bindung und die vertraglichen Beziehungen selbst. Auf dieser Grundlage kann die Einbindung autonomer Agenten zu einer vertraglichen Bindung der natürlichen Person führen. Nur noch der Einsatz eines autonomen Agenten sind noch durch eine natürliche Person initiiert. Die jeweiligen Interaktionen spiegeln allerdings nicht mehr den Willen der natürlichen Person, sondern den „Willen“ des autonomen Agenten. Es erfolgt somit eine Rückbindung ohne Willen. Der autonome Agent ist von der natürlichen Person entkoppelt. Vor diesem Hintergrund kommt bei einer selbstständigen Anknüpfung konsequenter Weise auch die Annahme nicht-willensbasierter vertraglicher Beziehungen in Betracht. Denn vertragliche Rechtskommunikationen müssen bei einer selbstständigen Anknüpfung nicht (mehr) auf willensbasierten Aktionen basieren. Eine vertragliche Bindung kann hier auch gegenüber solchen Partizipierenden entstehen, die nicht vom Willen des Akteurs umfasst sind. Es ist somit auf der Grundlage einer selbstständigen Anknüpfung möglich, vertragliche Beziehungen ohne Willen zu begründen.
C. Zwischenergebnis Die Schutzwürdigkeit der Dimensionen systemischer Bindung lässt sich auf eine Kernfrage zurückzuführen: Sind nur solche Beziehungen vertragsrechtlich
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schützenswert, die eine Rückbindung an den Willen einer natürlichen Person aufweisen? Für diese Frage, die sich weiter durch diese Arbeit ziehen wird, ist insoweit konzeptionell zwischen drei Anknüpfungsformen zu unterscheiden: (1) eine strenge Anknüpfung an den Willen einer natürlichen Person, (2) eine gelockerte Anknüpfung einer natürlichen Person und (3) eine selbstständigen Anknüpfung an autonome Formen der Interaktion, die jeweils zu einer vertraglichen Bindung führen (können).
§ 9 Schutzwürdigkeit Um Antworten auf die Frage nach der Schutzwürdigkeit der Dimensionen systemischer Bindung zu liefern, reicht eine Betrachtung der Interaktionen allein nicht aus. Denn Interaktionen sind „nur“ die Infrastruktur von Beziehungen. Es mangelt noch an der Fundierung dieser Interaktionen, sprich an dem Weshalb. Eine Annäherung an die Dimensionen systemischer Bindung muss deswegen solche Ansätze in den Blick nehmen, die eine solche Begründung leisten (können).
A. Impetus: Prozedurales Recht und deliberative Diskurstheorie Einen Grundimpetus bietet insofern zunächst Calliess’ Konzept eines prozeduralen Rechts.96 Calliess denkt das Recht prozedural. Aufbauend auf der Systemtheorie wird Recht zwar begriffen als „als Handlungs- und Kommunikationssystem in der Gesellschaft“.97 Calliess betont die normative Komponente seines Ansatzes: „Prozedural meint (…) eine bestimmte Weise der Selbstorganisation des Rechts (…); normativ werden solche Strukturen eines Rechtssystems als prozedural ausgewiesen, die am Ideal einer diskursiven Rationalität ausgerichtet sind und auf ein an Freiheit und Autonomie orientiertes Menschenbild verweisen.“98 Die hierdurch aufgezeigte Rechtstheorie ergebe „nur dann Sinn, wenn sie nicht nur von Menschen, sondern auch für Menschen entworfen ist, diesen also dient.“99 Hierdurch wird (richtigerweise) ein Akteur-bezogener Ansatz eingenommen, der auch als eine Fokussierung auf die Interaktion der Partizipierenden verstanden werden kann. Denn für ein solches, dem Menschen dienendes Rechtssystem stellt Calliess die Kommunikation in den Mittelpunkt seiner Betrachtung: „Wenn man das Recht als Kommunikationssystem in einer Kommunikationsgesellschaft versteht, verlagert sich der Schwerpunkt des Interesses 96
Calliess, Prozedurales Recht, 1999. Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 267 (Hervorh. i. Orig.). 98 Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 267 (Hervorh. i. Orig.). 99 Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 267. 97
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von der Rechtsstruktur auf die Rechtsoperation, von der Norm zur Kommunikation.“100 Die Kommunikation wird hierdurch zum Dreh- und Angelpunkt der in den Blick zu nehmenden Regulierung. Denn solche Kommunikationen erzeugen aus soziologischer Sicht und im oben dargelegten Sinne Erwartungen und Bindungen. Eine Grundierung systemischer Bindung könnte daher in dem Diskurs zwischen den Partizipierenden zu sehen sein. Partizipierende dieses Diskurses sind nach dem Vorherigen diejenigen, die jeweils eingebunden sind in die Inter aktion. In diesem Sinne liefert auch die Diskurstheorie101 einen weiteren Initialimpetus für die Fassung systemischer Bindung. Denn idealerweise stellt die Rechtsordnung für den Diskurs adäquate Rahmungen zur Verfügung. Eine Diskurstheorie des Rechts stützt sich hierzu auf die Verbindung von Faktizität und Norm.102 Besondere Bedeutung kommt dabei der Reziprozität von subjektiven Rechten zu.103 Damit soll hier allerdings noch nicht gesagt sein, in welcher Form eine Institutionalisierung der Rechte erfolgt – insbesondere im Vertragsrecht.104 Für eine solche vertragsrechtliche Institutionalisierung unterstreicht die deliberative Diskurstheorie Lomfelds – als Fortentwicklung der Diskurstheorie – einen pluralistischen Ansatz und beschreibt den Vertrag als kommunikative Bindung, als intersubjektiv bindende Relationen: „Der kommunikative Form ›Vertrag‹ eröffnet einen diskursiven Zugang zu sozialer Bindung.“105 Verträge werden von Lomfeld als Rechtsfertigungsverhältnisse zwischen den Parteien verstanden; der Vertrag sei ein diskursives Versprechen von Gründen.106 Zu diesen Gründen des Vertrags zählen die Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit sowie Nutzen.107 Diese Gründe sind (ethische) Prinzipien, die miteinander abgewogen werden müssen; so werden die (akzeptierten) Gründe jeweils aus neue in einen „temporäre[n] Kompromiss der permanenten politischen Verhandlung und Abwägung“108 überführt. In diesem Sinne ist mit Lomfeld von zentraler Bedeutung, welche Gründe (stärker) betont werden (müssen). Denn „[d]er Vertrag erzeugt einen normativen Raum, in dem man mit Gründen über seine Auslegung und Anwendung 100
Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 269. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 1981; ders., Faktizität und Geltung, 1992. 102 Habermas, Faktizität und Geltung, 1992. 103 Habermas, Cardozo Law Review 17 (1996), 771. 104 Siehe nachfolgend sub Kapitel 3 § 9 C. zur Lehre von der Privatrechtsgesellschaft, der sich Habermas entgegenstellt; hierzu zusammenfassend Zöllner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 53 (55 f. mit Fn. 13). 105 Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 7 (Zitat), 14. 106 Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 16, 19. 107 Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 6 , 74. 108 Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 68. 101
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streiten kann. Rechtsordnungen institutionalisieren diesen Raum in Vertragsrechten.“109 Für die Dimensionen systemischer Bindung bedeutet dies (noch) keine Antwort auf die Frage der Schutzwürdigkeit, sondern vielmehr nur den Rahmen für den Weg zu einer Antwort. Dabei werden die (in dieser Arbeit nicht mehr weiterhinterfragten) Gründe Freiheit (und die daraus folgende Privatautonomie) und Sicherheit (etwa die Stabilisierung von Erwartungen) allerdings ein wiederkehrendes Moment sein. In diesem Sinne ist „[d]er Konflikt und die Abwägung pluraler Rationalitäten (…) immer ›politisch‹.“110
B. Ordnung durch Verträge Verträge sind ein wesentliches Strukturelement von Gesellschaften. Privatautonome Verträge sind eines der Kernelemente von (freien) Zivilgesellschaften.111 Die heutigen Zivilgesellschaften sind maßgeblich durch Verträge geprägt.112 I. Selbstbindung durch Vertrag Die Möglichkeit, sich zu binden, mit anderen zu kontrahieren, ist Ausfluss einer gesellschaftlichen Organisationsform. Eine solche Organisation schafft und bedingt zugleich private Ordnung.113 Durch das Element der Ordnung werden teilweise überindividuelle Zwecke in Bezug genommen.114 Angesprochen sind hier allerdings nicht Interessen einer (gar als übergeordnet eingestuften) (Rechts-)Gemeinschaft. Gemeint ist vielmehr (nur), dass der Abschluss von (einer Vielzahl von) Verträgen – auf einer Meta-Ebene – für jedes Privatrechtssubjekt relevant ist. II. Soziale Funktion des Vertrages Die Schutzwürdigkeit der Dimensionen systemischer Bindung soll in diesem Sinne im Folgenden vor allem durch die soziale Funktion des Vertrages unterstrichen werden.115 Denn Verträge sind nicht nur bilateral von Relevanz, sondern werden bei der Einbindung von Dritten „von heteronomen gesellschaftlichen Ordnungsbildungen überformt“116 . Die Betonung der sozialen Funktion
109
Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 8. Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 8. 111 Zur normativen Kraft privatrechtlicher Verträge Mestmäcker, JZ 1964, 441. 112 Stellvertretend nur Lomfeld, Die Gründe des Vertrages, 2015, S. 1. Zur Privatrechtsgesellschaft nachfolgend sub Kapitel 3 § 9 C. 113 Grundlegend Bachmann, Private Ordnung, 2006. 114 Hierzu etwa Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 215; Mohr, Die Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 174. 115 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (294 f.) mit Verweis auf Raiser. 116 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (295). 110
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des Vertrags ergänzt die „Vertragsfreiheit um eine institutionelle und gesellschaftliche Auswirkung“117. Damit wird weniger betont, dass Verträge auch Grundlage für das Sozialwohl118 sind, sondern vielmehr nur, dass die Vertragsfreiheit auch einen Marktstrukturansatz für (menschliche) Interaktionen und die damit einhergehenden Innovationen bedingt.119 Denn das Privatrechtssubjekt ist eingebettet in seine soziale Umgebung – und im Wissen um diese Umgebung schließt das Privatrechtssubjekt Verträge. Aus ökonomischer, soziologischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive ist daher eine Fokussierung allein auf die (formal) vertragsschließenden Parteien zumindest strukturell verkürzt.120 Regelmäßig werden weitere, dritte Subjekte mit in die Betrachtung einzubeziehen sein. Das Abstellen (allein) auf die unmittelbar kontrahierenden Parteien muss damit in Ansehung der Erwartungen sonstiger Partizipierender zu kurz greifen. In den Worten Teubners: „Immer geht es darum, dass ein Vertrag sich nicht auf die expliziten bilateralen Vereinbarungen beschränkt, sondern kraft seiner Sinnstruktur auf andere ‚private‘ Ordnungen verweist.“121 Es besteht – auf der Mikroebene – ein „Rechtspathos des Zusammenhanges“.122 Richtigerweise betont Grünberger in diesem Zusammenhang auch die grundsätzlich(er)en Zweifel an der Tauglichkeit einer rein im Bilateralen verhafteten Sichtweise: „Der Verweis auf die vermeintliche ‚Richtigkeitsgewähr‘ des rechtsgeschäftlichen Konsenses zweier Parteien ist in der seit langem geführten Materialisierungsdebatte brüchig geworden.“123 Verträge zwischen zwei Parteien bieten nicht eine Richtigkeitsgewähr 124 , sondern (nur) eine Richtigkeitschance125: „Der Vertrag ist ein Mittel, das den Vertragsparteien die Chance eröffnet, ihre individuellen Interessen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.“126 Keineswegs ersetzt daher die soziale Funktion des Vertrages den sub117
Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (294). grundlegend Raiser, in: v. Caemmerer/Friesenhahn/Lange (Hrsg.), Festschrift Deutscher Juristentag, 1960, S. 101 ff. 119 Hierzu näher sub Kapitel 3 § 9 D. 120 Siehe stellvertretend etwa zum Verhältnis von Verteilungsgerechtigkeit und Vertragsrecht Schmolke, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 323 ff. 121 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 116. 122 Die Formulierung stammt von Wieacker in gänzlich anderem Zusammenhang, siehe hierzu Mohr, Die Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 167. 123 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (257). 124 Grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130. 125 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, S. 73 f. Hierzu Grundmann, in: ders./Micklitz/Renner (Hrsg.), Privatrechtstheorie, 2015, S. 875 ff.; siehe etwa auch Mohr, Die Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbsund Regulierungsrecht, 2015, S. 191 m. w. N. 126 Mohr, Die Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 174. 118 Siehe
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jektiven Ausgangspunkt von Verträgen. Eine Verkürzung (nur) auf das Soziale entspräche nicht einem auf Selbstbestimmung des Individuums begründeten (Vertrags-)Recht; Verträge bieten (nach wie vor) eine „[s]ubjektive Richtigkeits chance“ und dienen „als Institut des selbstbestimmten Interessenausgleichs“.127 Die Miteinbeziehung der sozialen Funktion des Vertrags(rechts) bedeutet ebenso nicht – so viel sei vorweggenommen –, dass damit der Grundsatz der Relativität unbesehen eingeschränkt werden sollte. Denn auch der Relativitätsgrundsatz weist eine soziale Funktion auf: Die Fokussierung auf (nur) einen anderen Akteur verringert Komplexität.128 In Ansehung mannigfaltiger Einbeziehungen von Dritten – auf die oben benannten Referenzfelder sei insofern wiederum verwiesen – könnte allerdings diese Komplexitätsreduktion eine unzurei chende Vereinfachung sein.129 Umgekehrt trägt die Abbildung der Schutzwürdigkeit der Dimensionen systemischer Bindung auch zur Marktstabilisierung bei.130
C. Privatrechtsgesellschaft (Böhm) Das Soziale im Vertrag – und damit die Schutzwürdigkeit der Dimensionen systemischer Bindung – kann unter Bezug auf die Böhm’sche Idee der Privatrechtsgesellschaft131 näher begründet werden. Böhms Konzeption ist Teil der Freiburger Schule und der hiermit verbundenen Ordnungsökonomik. Von zentraler Bedeutung sind die Annahmen, dass erstens Handeln von informellen und formalen Regeln um- und gerahmt wird sowie dass zweitens wählbare Regeln (d. h. Verträge) ein primäres Instrument zur Gestaltung gesellschaftlicher Interaktion sind.132 I. Grundlagen Die Idee der Privatrechtrechtsgesellschaft stützt sich darauf, dass das Privatrecht der wesentliche Baustein einer Gesellschaftsordnung ist.133 Gleichzeitig ist
127 Mohr, Die Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 193, 196 f. (Zitat). 128 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280). 129 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 f.). 130 Siehe in diesem Zusammenhang Grundmann/Renner, JZ 2013, 379 (389). 131 Grundlegend Böhm, ORDO 17 (1966), 75. Ausführlich zur Lehre Böhms die Beiträge in Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007; zu den verschiedenen Bedeutungsgehalten des Begriffs Privatrechtsgesellschaft Zöllner, ebd. S. 58 ff. m. w. N. 132 Siehe hierzu und einführend zur Freiburger Ordnungsökonomik Vanberg, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 131 (133 f.). 133 Siehe Böhm, ORDO 17 (1966), 75 (78 und öfter). Ferner etwa Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (2 ff.); zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Privatrechtsgesellschaft siehe Kirchhof, ebd. S. 83 ff.
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die Privatrechtrechtsgesellschaft allerdings auch Programmsatz.134 Mit Mestmäcker gilt: „Die Privatrechtsgesellschaft fasst historische Erfahrungen und rechtssystematische Einsichten so zusammen, dass sie polarisierend und eben dadurch aufklärend wirken. (…) Die Privatrechtsgesellschaft gewährleistet Freiheit in Gesellschaft mit anderen, ohne einseitige Zwangsbefugnisse zu begründen.“135
Privatrecht ist prägendes Element und zentrale Einrichtung der Privatrechtsgesellschaft zugleich.136 Das soziale Leben wird grundsätzlich durch das Privatrecht erfasst und regiert.137 Das öffentliche Recht138 ist im Ausgangspunkt subsidiär.139 Böhm definiert die Privatrechtsgesellschaft allerdings nicht, sondern betont die Entwicklungsschritte des Privatrechts und die charakteristischen Merkmale der Privatrechtsgesellschaft.140 So hat das Privatrecht – in Abgrenzung zu früheren Stände- und Privilegienstrukturen – eine rechtliche Ordnung für eine Gesellschaft von Gleichberechtigten etabliert.141 Charakteristisch sind hierfür die Gleichberechtigung aller Gesellschaftsmitglieder, die Eigentumsgarantie, die Privatautonomie und die Vertragsfreiheit.142 Fixpunkt der Privatrechtsgesellschaft ist der freie und gleichberechtigte Einzelne bzw. das Prinzip der individuellen Autonomie.143 In diesem Sinne formuliert etwa Flume zutreffender Weise, dass die Privatautonomie „immer noch (…) das wesentlichste Strukturelement unserer Rechtsordnung [ist]“.144 In der Privatrechtsgesellschaft dominiert – im Sinne Zöllners – deswegen die Gestaltung 134 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (2). Siehe auch Mestmäcker, ebd. S. 36 („rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Interessen“) und Zöllner, ebd. S. 61. 135 Mestmäcker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 35 (35 f.). 136 Böhm, ORDO 17 (1966), 75 (76 und öfter); Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (4). 137 Grundmann, ERPL 2008, 553 (557). 138 Dabei sollte nicht verkannt werden, dass (je nach Definition) Privatrecht im Sinne der Gestaltung einer gesellschaftlichen Ordnung, der Organisation gesellschaftlichen Zusammenwirkens, ebenso als Regulierung(srecht) begriffen werden kann (und sollte). Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 1 § 2 sowie weitergehend und zutreffend Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 730 et passim. 139 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (3). 140 Böhm, ORDO 17 (1966), 75 (75 ff.). Zu dieser Komponente des Subsidiaritätsprinzips Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (7 f.). 141 Böhm, ORDO 17 (1966), 75 (75 und öfter). Hierzu zusammenfassend Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (3 f.) 142 Aufzählung in Anlehnung an Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (4). 143 Böhm, ORDO 17 (1966), 75 (80, 98 f.). Stellvertretend im Übrigen Zöllner, in: Riesenhuber, (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 53 (60). Grundlegend zur Privatautonomie Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 1. 144 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 1 9.
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Privater; (vertrags)rechtlich relevante Interaktionen sind konsequenter Weise konsensbasiert.145 Privatautonomes Handeln gilt es in diesem Sinne zu sichern. Damit die individuelle Autonomie des Einzelnen in der Privatrechtsgesellschaft funktioniert, muss die Autonomie mit einem Prinzip der Selbstverantwortung korrelieren.146 Dieser Befund bedingt unter anderem, dass der Einzelne für seine rechtsgeschäftlichen Interaktionen einzustehen hat.147 II. Regulierung, Wettbewerb und (Austausch-)Verträge Das Konzept der Privatrechtsgesellschaft verfolgt eine Gesellschaftsordnung, die auf Austausch, i. e. Markt, Wettbewerb und damit korrespondierende Werte, setzt.148 Dem Privatrecht kommt in diesem Zusammenhang eine entsprechende Ordnungsfunktion zu.149 Denn wettbewerbliche Prozesse werden durch privatrechtliche Institute ermöglicht, gefördert und erhalten.150 (Staatliche) Subsidiarität ist deswegen ein Strukturansatz der Privatrechtsgesellschaft.151 Zur Gewährleistung größtmöglicher Freiheit des Einzelnen sind Eingriffe in die Gestaltungsmacht Privater deswegen rechtfertigungsbedürftig.152 Im Zweifel ist eine „Selbstregulierung aufgrund Selbstbestimmung“ 153 einer „harten“ Regulierung vorzuziehen. Ein prozeduraler Ansatz ist im Grundsatz gegenüber materiellen Ge- und Verboten vorzugswürdig.154
145 Siehe Zöllner, in: Riesenhuber, (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 53 (59 f.). Stellvertretend im Übrigen und auch zum Folgenden Grundmann, ERPL 2008, 553; siehe auch ders., in: ders./Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift Hopt, 2010, S. 61 (72 ff.). 146 Hierzu Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (9). Siehe in Bezug auf die Willenserklärung Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 8. 147 Vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (9), der (ebd. S. 23 f.) konstatiert: „Im Vertragsrecht findet man (…) einen Rückgang der Selbstverantwortung im Hinblick auf die Vertragsbindung. Die Bereitschaft, sich am eigenen Wort festhalten zu lassen, scheint im Bereich der Verbraucherverträge zu sinken.“ 148 Siehe auch Rawls, A Theory of Justice, 1971. 149 Böhm, ORDO 17 (1966), 75 (102); Mohr, Die Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 133 m. w. N. Angesprochen ist damit ein zen trales Regulierungsziel des Privatrechts, siehe zum Privatrecht als Regulierungswissenschaft und als Regulierungsinstrument Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 325 ff., 564 ff., 736 ff., 743 ff. 150 Siehe nur Mohr, Die Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 132 m. w. N. 151 Siehe Grundmann, ERPL 2008, 553 (560) mit Fn. 9; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (7 f.); siehe auch Zöllner, ebd. S. 60. 152 Grundmann, ERPL 2008, 553 (553 f.); Zöllner, in: Riesenhuber, (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 53 (60). 153 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (8). 154 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (8) mit Verweis auf Canaris, AcP 200 (2000), 273 (283 ff.).
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Die Privatrechtsgesellschaft ist allerdings keine libertäre Ordnung.155 Böhms Zugriff bedeutet nicht, dass Interaktionen nicht (gesetzlich) zu regulieren sind (und beschränkt werden können). Das Gegenteil ist richtig. Denn für das Konzept der Privatrechtsgesellschaft ist von besonderer Bedeutung, dass private Macht begrenzt wird.156 Im Sinne des Ordoliberalismus wird die Notwendigkeit einer handlungsorientierten, adäquaten Gestaltung der Märkte betont – auch und gerade zur Stärkung der individuellen Freiheit. Der Staat hat dafür die wesentlichen Charakteristika der Privatrechtsgesellschaft zu sichern.157 Der Vertrag ist das zentrale privatrechtliche Institut der Privatrechtsgesellschaft. Die Vertragsfreiheit „gehört zu den unverzichtbaren Grundvoraussetzungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung“.158 Ein auf Privatautonomie basierendes Vertragsrecht eröffnet den Akteuren Bindung und Selbstbindung auf der Basis eines Konsenses.159 Die Formung und die Ausübung dieses Konsenses sollten möglichst unbeeinflusst erfolgen. Deswegen müssen staatliche Entscheidungsbefugnisse ebenso wie hierarchische Strukturen in Bezug auf vertragliche Interaktion – im Grundsatz – möglichst minimiert werden.160 Umgekehrt bedeutet dies allerdings auch, dass das Vertragsrecht nur autonomen Entscheidungen Einzelner zur Geltung verhilft. Ein in diesem Sinne verstandenes Vertragsrecht muss daher Vorkehrungen gegen strukturelle oder situative Imbalancen treffen – und damit die Entfaltung Privater zugunsten der Privatautonomie in Einzelfällen beschränken.161 Es gilt, die individuelle Freiheit materiell zu enthalten und zu sichern.162 Ordnungspolitisch bedroht Machtmissbrauch Privater nicht nur die Privatautonomie, sondern auch den Wettbewerb unter Privaten. Regulatorische Konsequenz der Privatrechtsgesellschaft ist daher (auch) die Sanktionierung wettbewerbswidrigen Verhaltens. Die Domäne des Kartellrechts ist deswegen ein wesentlicher Pfeiler der Privatrechtsgesellschaft163, das allerdings im Zuge dieser Arbeit nur punktuell betrachtet werden kann (und
155 Siehe
Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (6). Wichtigste Konsequenz war nach dem zweiten Weltkrieg insbesondere die Etablierung des modernen Kartellrechts im GWB (1957). Allgemein zu privater Macht siehe die Beiträge in Möslein (Hrsg.), Private Macht, 2016. 157 Siehe Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (6). Vgl. auch Vanberg, ebd. S. 131 (142). 158 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 10 Rn. 32. 159 Siehe etwa Zöllner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 53 (59 f.). 160 Grundmann, ERPL 2008, 553 (558); Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (7). 161 Hierzu Grundmann, ERPL 2008, 553 (570 ff.). 162 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (6). 163 Grundmann, ERPL 2008, 553 (558). Siehe zum Kartell- und Wettbewerbsrecht im Lichte des Konzepts der Privatrechtsgesellschaft ausführlich etwa Roth, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 175 ff. 156
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soll).164 Ganz grundsätzlich gilt allerdings im Übrigen, dass die Privatrechtsgesellschaft im bzw. durch das EG- bzw. EU-Primärrecht weitestgehend angestrebt und auch verwirklicht wurde.165 Privatautonomie – die auch vom Gemeinschafts- bzw. Unionsgesetzgeber vorausgesetzt wird166 –, Wettbewerb und Marktordnung bedingen einander.167 III. Bindung(en) Das Konzept der Privatrechtsgesellschaft geht grundlegend davon aus, dass eine auf Konsens und Markt basierende Gesellschaft nicht nur ökonomisch effizienter ist, sondern dass hierdurch auch die persönliche Freiheit des Einzelnen befördert wird.168 Diese Grundannahmen der Freiburger Schule verdienen (nach wie vor) Zustimmung. Das Vertragsrecht materialisiert die persönliche Entfaltungsfreiheit, indem den Privatrechtssubjekten verschiedene Handlungsformen – Rechtskommunikationen in der Sprache der Systemtheorie – zur Verfügung gestellt werden. Diese Handlungsformen eröffnen verschiedene Formen der Bindung. Hierzu zählen der bilaterale Vertrag, aber auch drittbezogene Instrumente (wie etwa den Vertrag zugunsten Dritter). Private Akteure sollen sich durch Bindung entfalten (können). Bindung ist die Grundlage für Austausch, die Auswahl des Vertragspartners Ausdruck von Wettbewerb. Hierdurch funktioniert eine Privatrechtsgesellschaft. Partizipieren (können) sollen dabei alle Privatrechtssubjekte. Umgekehrt folgt hieraus, dass die Rechtsordnung den in der Privatrechtsgesellschaft handelnden Akteuren einen adäquaten (vertragsrechtlichen) Rahmen zur Verfügung stellen muss. Das Vertragsrecht muss taugliches Instrument der Akteure für den Austausch unter Privaten sein. Diese Rolle kann das Vertragsrecht nur ausfüllen, wenn es die Absichten oder Erwartungen der Partizipierenden im Blick behält. Das Vertragsrecht muss – nicht nur, aber auch und gerade im Sinne der Systemtheorie – umweltsensibel sein. Andernfalls kann das Vertragsrecht seine Funktion nicht mehr vollumfänglich erfüllen. Das Vertragsrecht muss daher Interaktionen, die Ausdruck von Absichten oder Erwartungen Privater sind, adäquat abbilden. Solche Interaktionen sind 164
Siehe nachfolgend sub Kapitel 6 § 18 B. und C. unionsrechtlichen Primärrecht, dessen (aktuelle) Ausformung durch die Rechtsprechung des EuGH und zu damit verbundenen Herausforderungen im Licht der Privatrechtgesellschaft siehe etwa Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (12 ff.) sowie ausführlich zu den europa- und wirtschaftsrechtlichen Grundlagen der Privatrechtsgesellschaft etwa Grundmann, ebd. S. 105 ff. 166 Siehe Mülbert, ZHR 159 (1995), 2 (8); Müller-Graff, Privatrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, 2. Aufl. 1991, S. 17 f. sowie Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (13 f.) m. w. N. 167 Hierzu Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (13) m. w. N. 168 Siehe nur Grundmann, ERPL 2008, 553 (558). 165 Zum
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
Teil der persönlichen Entfaltung Einzelner und im oben genannten Sinne schutzwürdig. Eine vertragsrechtliche Ausformung erfolgt auch unter Berücksichtigung der Absichten und Erwartungen anderer Partizipierender. Auf dieser Grundlage wird deutlich, dass auch und gerade das Konzept der Privatrechtsgesellschaft einen konzeptionellen Impetus für eine (Neu-)Fassung der Formen systemischer Bindung enthält. Eingriffe in die Gestaltungsmacht Privater bleiben in diesem Zusammenhang zwar im Grundsatz rechtfertigungsbedürftig – dies ergibt sich auch und gerade aus Art. 2 Abs. 1 GG169. In Ansehung der verschiedenen Akteure und der damit verbundenen Erwartungen muss aber auch eine Regulierung zugunsten der Akteure erfolgen.170 IV. Digitale Privatrechtsgesellschaft Entgegen verschiedener Befürchtungen ist es im 20. Jahrhundert und im beginnenden 21. Jahrhundert auch nicht zu einem umfassenden Rückzug der Privatautonomie171 bzw. zu einem Zusammenbruch der Privatrechtsgesellschaft gekommen.172 Vielmehr hat – unbeschadet der Materialisierung des Privatrechts173 – in vielfacher Weise (monetär-materiell und faktisch) auch ein Vormarsch der Privatautonomie stattgefunden.174 Diese Tendenz unterstreicht nur zu deutlich die Vielzahl vertraglicher Beziehungen im digitalen Raum, weswegen ein Übergang zu einer (auch) digitalen Privatrechtsgesellschaft konstatiert werden kann. Die oben benannten Referenzfelder stehen insofern stellvertretend für die „Digitalisierung“ der Privatrechtsgesellschaft, genauer: den Übergang zu durch die Digitalisierung eröffneten Möglichkeiten der privatrechtlichen Interaktion und
169 Zum verfassungsrechtlichen Schutz der Privatautonomie bzw. der Vertragsfreiheit siehe statt vieler BVerfG, NJW 1997, 1975 (1976) – LPG; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 39. Erg.-Lfg. (Stand: Juli 2001), Art. 2 Abs. 1 Rn. 101; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 1; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 600; Leipold, BGB I: Einführung und Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 2017, § 10 Rn. 2; siehe zur verfassungsrechtlichen Dimension der Vertragsfreiheit im Übrigen nur Canaris, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Festschrift Lerche, 1993, S. 873 ff.; in Bezug auf die Privatrechtsgesellschaft Kirchhof, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 83 ff. 170 Vgl. auch Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (257). 171 Siehe stellvertretend für die Diskussion die Beiträge in Riesenhuber/Nishitani (Hrsg.), Wandlungen oder Erosion der Privatautonomie?, 2007. 172 Siehe stellvertretend zur Privatrechtsgesellschaft mit dem Untertitel „Zur wachsenden Freiheitsbedrohung im Recht und durch Recht“ Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 ff. (sowie ebd. S. 215: „die besondere Gefährlichkeit der modernen Rechts- und Gesellschaftsbedrohung“). Zur „heutige[n] Privatrechtsgesellschaft“ allgemein Riesenhuber, ebd. S. 1 (11 ff.). 173 Grundlegend Canaris, AcP 200 (2000), 273. 174 Siehe hierzu Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, Rn. 181 ff. unter Verweis auf Biedenkopf, in: Horn (Hrsg.), Festschrift Coing, Bd. II, 1982, S. 21 ff.
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Partizipation. In diesem Sinne zeichnet sich die digitale Privatrechtsgesellschaft gerade (auch) durch die Dimensionen systemischer Bindung aus. Das Vertragsrecht wird der digitalen Privatrechtsgesellschaft nur dann gerecht, wenn die speziellen, durch die Technologien (Digitalisierung, Künstliche Intelligenz etc.) eröffneten Interaktionsformen und die damit verbundenen Erwartungen adäquat gefasst werden.175 Das Vertragsrecht stabilisiert in diesem Fall die normativen Erwartungen. Andernfalls verliert das Vertragsrecht seine Ordnungsfunktion. Es gilt daher die im digitalen Kontext abgeschlossenen Verträge und die damit verbundenen (vertraglichen) Beziehungen auf dieser Grundlage auszugestalten. Nur insofern funktionieren Verträge (vollumfänglich) im digitalen Kontext; nur unter diesen Umständen sind Verträge im zuvor verstandenen Sinne sozial. Dabei ist eine digitale Privatrechtsgesellschaft nach hiesigem Verständnis einerseits Faktum; andererseits nach dem Vorherigen wohlverstandenes Desiderat eines umweltsensiblen Rechts. Denn enttäuschte Erwartungen und enttäuschtes Vertrauen würden zu einer Situation führen, in der das Innovationspotenzial der durch die Technologie möglichen Interaktionsformen nicht (ausreichend) abgebildet und damit genutzt wird. Ein nicht umweltsensibles Vertragsrecht würde daher (auch) innovationshemmend wirken.
D. Innovation Die Schutzwürdigkeit der Formen systemischer Bindung könnte daher auch unter dem Gesichtspunkt der Innovation begründet werden.176 Der Topos der Innovation soll deswegen näher ausbuchstabiert werden. I. Innovation durch Recht und innovatives Recht Es kann grundlegend zwischen Innovation(en) durch Recht und innovativem Recht unterschieden werden.177 Beide Aspekte sind miteinander verknüpft. Zwar ist das vornehmliche Ziel, Innovation(en) durch adäquate rechtliche Rahmen zu fördern.178 Erreicht werden kann dies aber gegebenenfalls nur durch innovative, also neue Formen des Rechts bzw. von Regulierungsansätzen. Das Zusammenspiel von Innovation und Recht wurde in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem für das Öffentliche Recht, das Kartellrecht und das Immaterialgüterrecht diskutiert, es ist allerdings auch und gerade für ein modernes 175
Siehe aus der Sicht der Rechtstheorie Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, Rn. 136. Hoffmann-Riem/Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innova tionsforschung, 1998 sowie Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, insbesondere S. 613 ff. 177 Siehe vor allem Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016. 178 Vgl. Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435 (439). 176 Grundlegend
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Vertragsrecht von zentraler Bedeutung.179 Denn im Kontext von Verträgen verwirklichen sich „Informationsdynamik, Wahlmöglichkeiten (…) [und] großes Wechselpotenzial in den maßgeblichen Akteuren“, weswegen die Grundlagen für Innovation besonders hervorstechen.180 Die oben benannten Referenzfelder verdeutlichen dies eindrücklich. Die Innovationskraft und das Innovationspotenzial dieser Formen vertraglicher Interaktion gründen sich im Wesentlichen auf der Digitalisierung sowie der Funktionsweise automatisierter und autonomer Anwendungen. Dies kann (rechts-)ökonomisch nicht verwundern. Denn alle diese Formen der Interaktion sind geprägt durch die Nutzung dezentraler Informationsallokation (v. Hayek).181 II. Innovation und Vertragsrecht Verträge können in diesem Zusammenhang somit auch als (notwendiger) „Motor“ der Innovation begriffen werden.182 Grundmann und Möslein haben vier Dimensionen für den Zusammenhang zwischen Innovation und Vertrag(srecht) ausgemacht.183 In einer ersten Dimension wird bzw. werden (technische) Innovation(en) als Chance(n) für das Vertragsrecht eingeordnet. In einer zweiten Dimension trägt das Vertragsrecht dazu bei, die durch Innovationen erzeugten Probleme zu bewältigen; dies bedeutet insbesondere, die mit Innovationen verbundenen (zu definierenden) Gefahren zu beherrschen. In einer dritten Dimension wird die Tauglichkeit des Vertragsrechts als „Infrastruktur für Innovation“ bewertet.184 Vierte Dimension sind die Innovationsschritte im Vertragsrecht. Die verschiedenen Dimensionen sind miteinander verknüpft. So wird etwa die Tauglichkeit als „Infrastruktur für Innovation“ nicht ohne eine Bewertung der zweiten Dimension erfolgen können. Die Analyse der zweiten Dimension wiederum verspricht Antworten auf die Frage, welche Innovationsschritte innerhalb des Vertragsrechts erforderlich oder möglich sind. Grundlage ist die – zutreffende – Annahme, dass das Vertragsrecht einerseits innovationsförderlich auszugestalten ist, dabei andererseits gefährdungsadäquate Sicherungen aufweist.185
179 Grundmann/Möslein, in: Brömmelmeyer/Ebers/Sauer (Hrsg.), Festschrift Schwintowski, 2017, S. 410 (412); siehe auch dies., ZfPW 2015, 435; jeweils m. w. N. 180 Grundmann/Möslein, in: Brömmelmeyer/Ebers/Sauer (Hrsg.), Festschrift Schwintowski, 2017, S. 410 (412 f.). 181 v. Hayek, The American Economic Review 35 (1945), 519. 182 Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435 (436, 438). Siehe auch Grundmann, in: Vieweg (Hrsg.), Festgabe Institut für Recht und Technik, 2017, S. 19 ff. 183 Hierzu und zum Folgenden Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435 und dies., in: Brömmelmeyer/Ebers/Sauer (Hrsg.), Festschrift Schwintowski, 2017, S. 410 (414 f.). 184 Siehe hierzu auch bereits Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435 (438 ff.). 185 Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435 (439).
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III. Zugriff dieser Arbeit Der Zugriff dieser Arbeit verbindet die verschiedenen vorbenannten Dimensionen Grundmanns und Mösleins. Es soll einerseits ein Beitrag geleistet werden zu den durch verschiedene Innovationen der Digitalisierung aufgeworfenen Fragestellungen. In diesem Sinne soll eine adäquate Rechtsrahmung für Innovationen befördert werden. Dies kann auch und gerade in Ansehung der Referenzfelder allerdings möglicherweise andererseits nicht ohne Innovationen im Vertragsrecht erfolgen. Paradigmatisch könnte insoweit eine Entwicklungsoffenheit des Vertragsrechts sein.186 In diesem Sinne könnte Vertragsrecht auch verstanden werden als innovative Dienstleistung für die Akteure; hiermit wird das Vertragsrecht in seiner ermöglichenden oder dienenden Funktion angesprochen.187 Die Notwendigkeit einer Fortentwicklung des Vertragsrechts wird durch diesen Fokus auf die Akteure besonders hervorgehoben: „Sobald (und erst wenn) man diese dienende Funktion des Vertragsrechts anerkennt, macht es Sinn, über Vertragsrechtsinnovation nachzudenken. (…) Sofern neue Regeln nicht ausschließlich zwingenden oder beschränkenden Charakter haben, sondern den Regelungsadressaten zu dienen bestimmt sind, ihnen also Nutzen bringen sollen, lassen sie sich innovationstheoretisch sinnvoll untersuchen.“188
Hierdurch wird der Impetus dieser Arbeit besonders unterstrichen. Denn jegliche Beurteilung von Regeln hat nicht nur unter Berücksichtigung der Akteure – im Sinne einer Umweltsensibilität – zu erfolgen, sondern gerade – im Sinne der (digitalen) Privatrechtsgesellschaft – für die Akteure. Die Dimensionen systemischer Bindung sind in diesem Sinne ein Innovations-Testfall, den es zu bewältigen gilt. Die benannten Referenzfelder unterstreichen, dass die Tauglichkeit des Vertragsrechts für die damit verbundenen Konstellationen zumindest überprüfenswert ist.
E. Contract Governance (Grundmann/Möslein/Riesenhuber) Um die Dimensionen systemischer Bindung innerhalb der digitalen Privatrechtsgesellschaft adäquat zu (er)fassen und auszugestalten, erscheint zudem die Einbeziehung der Contract Governance-Forschung (Grundmann, Möslein und Riesenhuber) besonders fruchtvoll.189 Denn das Konzept der Contract Governance bezieht nicht nur interdisziplinäre, insbesondere sozialwissenschaftliche 186 Hierzu Grundmann/Möslein, in: Brömmelmeyer/Ebers/Sauer (Hrsg.), Festschrift Schwintowski, 2017, S. 410 (418 ff.). 187 Grundmann/Möslein, in: Brömmelmeyer/Ebers/Sauer (Hrsg.), Festschrift Schwintowski, 2017, S. 410 (416 ff.). 188 Grundmann/Möslein, in: Brömmelmeyer/Ebers/Sauer (Hrsg.), Festschrift Schwintowski, 2017, S. 410 (417 f.). 189 Einführend mit dem Entwurf einer Forschungsagenda Möslein/Riesenhuber, ERCL
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Erkenntnisse (wie zuvor bereits skizziert) in die Erarbeitung adäquater Regulierungsansätze für das Vertragsrecht mit ein190 , sondern eröffnet einen strukturierten Rahmen zur Kategorisierung und potenziell Ausgestaltung der verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung.191 I. Grundlagen Die Contract Governance-Forschung unternimmt einen interdisziplinären Zugriff auf und für ein modernes Vertragsrecht.192 Kern ist die Verbindung der wirtschaftswissenschaftlichen Governance-Forschung mit der Vertragstheorie: „As an umbrella term, contract governance (…) covers various and very diverse issues of governance in contract law and contract practice (…).“193 Governance kann zunächst bezeichnet werden als „die Gesamtheit der kollektiven Einflüsse auf ein soziales System“194. Betrachtet werden nicht nur Recht(sregeln), sondern auch sonstige Einflüsse auf Verhalten: „How to regulate behaviour is indeed an important question here, but the focus is not so much on result-driven steering mechanisms, it is rather on the structure of institutions that shape behaviour.“195 Komplementär zur Corporate Governance-Forschung gründet sich die Contract Governance-Forschung damit auf sozial- und politikwissenschaftliche Ansätze zur Regulierung, Steuerung und Koordinierung von Verhalten.196 Gemeinsamer Ausgangspunkt ist Williamsons Analyse vertraglicher Beziehungen.197 Governance beschreibt Williamson in diesem Zusammenhang als „the institutional matrix within which transactions are negotiated and executed“198 . Im Unterschied zu Williamson beschränkt sich die Contract Governance-Forschung allerdings nicht (im Wesentlichen) auf Langzeitverträge und organisations, sondern bezieht im Grundsatz sämtliche Vertragsformen mit ein.199 Die 2009, 248; Grundmann, ERPL 2016, 409; ausführlich(er) Grundmann/Möslein/Riesenhuber (Hrsg.), Contract Governance, 2015. 190 Vgl. Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (40). 191 Siehe allgemein zur Vertragstheorie und zur ökonomischen Analyse des Vertragsrechts Schmolke, in: Petersen/Towfigh, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 259 ff. 192 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (3). 193 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (3). 194 Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (514). Zustimmend Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 41 f. 195 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (251). 196 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (249 f.). 197 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (249 f.). Siehe auch Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (43). 198 Williamson, Journal of Law and Economics 22 (1979), 233 (239). 199 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (4).
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autonome Entscheidung von Individuen (consent dependency) ist dabei Leitbild und Ausgangspunkt vertrag(srecht)licher Analyse.200 Im Sinne der Institutionenökonomik wird Recht von der Contract Governance-Forschung dabei (nur) als eine (von vielen) Institution(en) verstanden.201 Die Notwendigkeit rechtlicher Regelungen wird hierdurch allerdings nicht in Frage gestellt.202 Es soll vielmehr ein ganzeinheitlicher bzw. differenzierter(er) Ansatz möglich sein 203, der durch eine funktionale Herangehensweise geprägt ist.204 Besonders hervorgehoben wird dabei die Notwendigkeit von Governance – im Gleichlauf zum Kernanliegen dieser Arbeit – für solche Beziehungen, die Dritte mit einbinden bzw. Auswirkungen auf Dritte haben.205 Zur Fassung solcher Beziehungen stützt sich die Contract Governance-Forschung auf die Institutionenökonomik, auf die ökonomische Forschung zu unvollständigen Verträgen und zu relationalen Verträgen, auf die Vertragsnetzwerktheorie und Regulierungstheorie, auf das Konzept des private ordering 206 , Elemente des Ordo-Liberalismus und der Verhaltensökonomik.207 II. Kategorien Möslein und Riesenhuber haben vier Kategorien der Contract Governance vorgeschlagen.208 Diese Kategorien sollen nachfolgend erörtert werden und die jeweilige Anschlussfähigkeit zur Fassung der Dimensionen systemischer Bindung bewertet werden. 1. Governance of Contract Law Contract Governance nimmt zunächst den institutionellen Rahmen für vertragsrechtliche Regelbildung in den Blick.209 Vertragsrechtliche Regeln sind ein „Produkt“ lokaler, nationaler, supranationaler und internationaler (staatlicher) Mechanismen.210 Je nach Regel und je nach Zuständigkeit bilden sich Regeln auf 200
(43).
201
Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3
Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (251). Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (258). 203 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 4; Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (256). 204 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (259). 205 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (3). 206 Siehe hierzu nur Basedow, The Law of Open Societies, 2015. 207 Aufzählung bei Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3; siehe auch ebd. S. 40 ff. 208 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (260). Ebenso Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (42). 209 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (260 ff.). 210 Siehe zu Recht als Produkt stellvertretend etwa Eidenmüller, JZ 2009, 641. 202
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einer dieser Ebenen (bzw. werden gebildet). Insbesondere für die Analyse von Regulierungsoptionen de lege ferenda ist damit die grundlegende Frage nach der „richtigen“ Ebene aufgeworfen. Hierauf wird im Zuge der rechtspolitischen Diskussion der Dimensionen systemischer Bindung zurückzukommen sein.211 2. Governance of Contracts Als zweite Kategorie wird das Vertragsrecht als Rahmen für private Transaktio nen beschrieben.212 Vertragsrecht wird hier als Instrument begriffen für eine „good order and workable arrangements“213. Angesprochen ist damit der rechtliche Rahmen für vertragliche Interaktionen. Besonders hervorzuheben ist, dass damit das Vertragsrecht in seiner fördernden oder ermöglichenden Funk tion benannt wird.214 Vertragsrecht wird hier – zutreffend – begriffen als Infrastruktur für Interaktion und Kooperation Privater.215 Hierdurch wird auch der Impetus des Konzepts der Privatrechtsgesellschaft aufgegriffen.216 Ziel ist somit ein Rechtsrahmen für marktbasierte Interaktionen zwischen Privaten. Dieser Rechtsrahmen soll idealerweise die „richtige“ Balance zwischen individueller Freiheit einerseits und Regulierung andererseits treffen. Hierzu werden auch Erkenntnisse der Verhaltensökonomie sowie der Soziologie mit in die Betrachtung miteinbezogen.217 Insofern erweist sich diese Kategorie der Contract Governance als unmittelbar anschlussfähig zu dem oben dargelegten (rechts-)soziologischen Zugang zu den Dimensionen systemischer Bindung. Erwartungen der Akteure, die als schutzwürdig identifiziert werden, sind im Rechtssystem adäquat abzubilden. Andernfalls würde das Rechtssystem seiner fördernden und ermöglichenden Funktion nicht mehr gerecht. Eine Abbildung im Rechtssystem erfolgt – auch und gerade im Zuge der Contract Governance-Forschung – zunächst durch dis positive und zwingende vertragsrechtliche Regeln, die durch soft law-Instrumente ergänzt werden können.218 Hierdurch wird auch unterstrichen, dass durch die Kategorie Governance of Contracts Parameter für die Bewertung de lege lata sowie für Regulierungsvorschläge de lege ferenda eröffnet.
211
Siehe nachfolgend sub Kapitel 5 und 6. Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (260, 268 ff.). 213 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (268). 214 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (269, 273). 215 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (269, 273) m. w. N. 216 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (269). 217 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (273). Siehe vor allem Grundmann/Möslein/ Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (44 ff.). 218 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (270 f.). 212
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3. Governance by the Means of Contract Law Als weitere Perspektive wird das Vertragsrecht als konkretes Steuerungsinstrument benannt.219 Dem Gesetzgeber diene das Vertragsrecht zur Beeinflussung des Verhaltens Privater.220 In Bezug genommen werden damit gesetzgeberisch definierte Ziele, die sich nicht in der fördernden und ermöglichenden Funktion des Vertragsrechts erschöpften. Vielmehr wird das Vertragsrecht als Steuerungselement des Gesetzgebers begriffen. Vertragsrecht bzw. das Privatrecht allgemein ist in einem modern verstandenen Sinne eben auch Regulierung(srecht). Privatrecht gestaltet die gesellschaftliche Ordnung und organisiert das gesellschaftliche Zusammenwirken. In diesem Sinne reguliert Privatrecht.221 Governance by the Means of Contract Law hebt in diesem Sinne etwa die Prävention und Verhaltenssteuerung durch Vertragsrecht hervor.222 Rezipiert werden hierfür (auch) Ergebnisse der law and economics-Forschung223 und (insbesondere) der Verhaltensökonomik 224 , die allerdings als solche im Zuge der hiesigen Untersuchung nicht im Fokus stehen (können). 4. Governance through Contract Eine vierte Dimension eröffnet ein Verständnis von Verträgen als institutioneller Rahmen und Mechanismus der Selbstbestimmung Privater.225 Es bestehen insoweit Überschneidungen mit dem Ansatz einer Governance of Contracts. Denn die Tatsache, dass Privaten die Gestaltung ihrer Beziehungen offensteht, ist spiegelbildlich zur fördernden und ermöglichenden Funktion des Vertragsrechts. Gleichwohl ist die Governance durch die Parteien von besonderer Bedeutung bei solchen Vertragsbeziehungen, bei denen Dritte in die Vertragsbeziehung eingebettet sind: „Governance through contract is of particular practical relevance where such a relationship is in fact close to organisational structure. Long-term contracts, multi-party contracts and networks are examples.“226
219 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (260, 274 ff.). Siehe auch Grundmann/Möslein/ Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (40 f.). 220 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (274). 221 Siehe bereits oben sub Kapitel 1 § 2 sowie wiederum Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016. 222 Zur Prävention und Verhaltenssteuerung durch Privatrecht allgemein und grundlegend Wagner, AcP 206 (2006), 352. 223 Siehe stellvertretend nur Cooter/Ulen, Law & Economics, 6. Aufl. 2016; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. 2012; Petersen/Towfigh, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017. 224 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (279); Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (41 ff.); jeweils m. w. N. 225 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (260, 281 ff.). 226 Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (281).
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Hierdurch ist deswegen (auch) das Verhältnis zwischen Vertrags- und Gesellschaftsrecht angesprochen.227 Die ausgewählten Referenzfelder unterstreichen die Notwendigkeit einer solchen Governance in besonderer Weise. Denn das Bedürfnis von Governance in diesem Sinne erscheint gerade bei der Einbindung von Dritten besonders drängend. Durch dieses Verständnis von Governance werden trefflich auch die oben dargelegten Erwartungen der Akteure hervorgehoben, wodurch der Impetus für eine vertragsrechtsdogmatische Fassung wiederum betont wird. III. Dritte, Netzwerke, Organisationen Auf dieser Grundlage setzt sich die Contract Governance-Forschung insbesondere mit der Einbeziehung von Dritten, mit Netzwerken und organisations auseinander, die für den hiesigen Untersuchungsgegenstand von zentraler Bedeutung sind.228 Die Contract Governance-Forschung betont die Auswirkungen von Verträgen auf Dritte sowie von Dritten auf Verträge.229 Unterschieden werden dabei jeweils positive und negative Auswirkungen.230 1. Interdisziplinärer Ansatz Wesentlicher Ausgangspunkt für diese Themenkomplexe ist für die Contract Governance-Forschung die Betrachtung soziologischer und verhaltensökonomischer Ansätze.231 In diesem Zusammenhang und mit Bezug auf die Einbindung Dritter werden Aspekte betont, die bereits zuvor hervorgehoben wurden und nun nur zusammenfassen sind:232 So ist aus sozialwissenschaftlicher Perspektive die Einbettung von Individuen maßgeblich; ebenso ist – soziologisch gesprochen – die Stabilisierung von Erwartungen der Akteure zentrales Element von Interaktionen; Regeln, die entsprechende Erwartungen nicht enttäuschen, kommt eine besondere Wirkung zu.233
227
Möslein/Riesenhuber, ERCL 2009, 248 (286). Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), (6 f., 22). 229 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), (6). 230 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), (12 f.). 231 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), (44 ff.). 232 Siehe oben sub Kapitel 3 § 7 A. 233 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), (47 f., 55). 228
Contract Governance, 2015, S. 3 Contract Governance, 2015, S. 3 Contract Governance, 2015, S. 3 Contract Governance, 2015, S. 3 Contract Governance, 2015, S. 3
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2. Grundannahmen Im Einzelnen wird daraus gefolgert, dass Verträge oftmals Teil eines größeren Netzwerks von Beziehungen sind – und daher zum einen grundsätzlich nur bilateral wirken und zum anderen auf andere (vertraglichen) Beziehungen bezogen sind.234 Hieraus wird eine potenzielle Notwendigkeit einer Anpassung des Vertragsrechts abgleitet.235 Als Ausgangspunkt wird dabei skizziert: „Respective contracts may well go beyond legal obligation and create new social relationships, with a potential impact on parties values’ and moral conceptions.“236 Illustriert wird dies zunächst durch die Frage, ob und in welcher Form Direktansprüche zwischen (eigentlich) vertraglich nicht verbundenen Akteuren zu gewähren sind.237 Angesprochen ist damit eine der Kernfragen systemischer Bindung in Bezug auf einen Weg hin zu einem möglichen multipolaren Vertragsrecht.238 Im Sinne der Dimensionen systemischer Bindung wird darüber hinaus insbesondere erwogen, ob und in welcher Form (langfristige) Verträge einer Form der organisation nahekommen.239 Hierdurch verdeutlichen und unterstreichen Grundmann, Möslein und Riesenhuber den zentralen Impetus dieser Arbeit, (moderne Formen) dezentrale(r) Kooperationen zu betrachten. IV. Relativität der Schuldverhältnisse und Drittwirkung(en) Zentraler Baustein de lege lata – und damit vor allem der Governance by the Means of Contract Law – in Bezug auf Dritte im Vertragsrecht ist der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse.240 Vertragliche Bindung besteht grundsätzlich nur relativ, nur zwischen solchen Rechtssubjekten, die jeweils einen entsprechenden Willen entäußert haben (oder denen ein solcher zugerechnet wird). Der Relativität von Schuldverhältnissen ist damit vornehmlich eine Ausprägung der Selbstverantwortlichkeit des Rechtssubjekts.241 Für die Etablierung einer Bindung durch Vertrag ist der Relativitätsgrundsatz somit der 234
Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3
235
Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3
236
Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3
(6).
(15).
(55).
237 Siehe etwa Grundmann, in: ders./Haar/Merkt/Mülbert/Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift Hopt, 2010, S. 61 (76); ders./Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (15). 238 Siehe bereits oben sub Kapitel 2 § 6 A. 239 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies. (Hrsg.), Contract Governance, 2015, S. 3 (6). 240 Statt vieler Michaels, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/1, 2007, vor § 241 Rn. 7 ff., 21 f.; Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 299 ff. sowie monographisch Henke, Die sog. Relativität des Schuldverhältnisses, 1989. 241 Siehe nur Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 299.
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Kapitel 3: Rechtstheoretischer Diskurs
konzeptionelle Ausgangspunkt. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass im Vertragsrecht Dritte sowie Wirkungen auf und von Dritte(n) nicht vielfältig zum Ausdruck gelangt sind. Beides soll nachfolgend skizziert werden. 1. Grundsatz der Relativität Schuldverhältnisse wirken im Ausgangspunkt nur relativ und haben somit im Grundsatz keinen Einfluss auf die Rechtsstellung Dritter.242 Relativ wirkt das Schuldverhältnis gegenüber den am Schuldverhältnis beteiligten Privatrechtssubjekten; regelmäßig den kontrahierenden Parteien (Zwei- oder Mehrparteienverhältnis), wobei Vertragspartei auch mehrere Personen sein können. Ansprüche aus dem Schuldverhältnis (Forderungen) wirken deswegen nicht absolut gegenüber jedermann, sondern nur gegenüber dem jeweiligen Schuldner (Relativität des Schuldverhältnisses im engeren Sinne).243 Der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse hat – hierauf ist bereits hingewiesen worden – auch eine soziale Funktion. Denn zugunsten der Vertragsparteien wird im Grundsatz die soziale Komplexität verringert; die soziale Einbettung des Vertrags kann hierdurch vernachlässigt werden.244 Das Vertragsrecht geht in der Folge grundsätzlich von einer zweipoligen Vertragsstruktur aus. Eine rechtsgeschäftliche Bindung besteht hiernach nur zwischen den (zwei) Vertragsparteien. Es besteht insbesondere keine allgemeine Rücksichtnahmepflicht auf Dritte.245 Theoretischer Ausgangpunkt ist vielmehr die autonome Bindung bzw. der autonome Bindungswille der beteiligten Vertragsrechtssubjekte.246 Der Dritte ist in Bezug auf den zweipoligen Vertrag irrelevant. Dieser Grundansatz wird ergänzt und modifiziert durch verschiedene vertragsrechtliche Institute, die weitere Personen bzw. Dritte einbinden.247 Verträge unter Einschluss solcher Dritter sind teils kodifiziert, teils rechtsfortbildend entwickelt worden (Vertrag zugunsten Dritter, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, mehrseitiger Vertrag, Gesellschaftsvertrag). In der Literatur wurden darüber hinaus verschiedene weitere Vorschläge unterbreitet, die von der Fokussierung auf die autonome (Willens-)Entscheidung zur vertraglichen Bindung abrücken.248 Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusam242 Siehe hierzu und zum Folgenden statt vieler Mansel, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 241 Rn. 4 ff.; Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 299; Sutschet, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 241 Rn. 8 f. 243 Statt vieler Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 305 ff. 244 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280). 245 Siehe hierzu etwa Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, 1992, S. 164 ff. 246 Siehe insbesondere Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999. Vgl. im Übrigen in diesem Zusammenhang grundlegend Canaris, in: Badura/ Scholz (Hrsg.), Festschrift Lerche, 1993, S. 873 ff. 247 Siehe hierzu Grundmann/Renner, JZ 2013, 379; Westermann, AcP 208 (2008), 141. 248 Zusammenfassend zur Diskussion um die „ungewollte Selbstbindung“ etwa Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 243 ff.
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menhang zunächst die Lehre von der Vertrauenshaftung (Canaris) 249, die in § 311 Abs. 3 BGB zumindest teilweise inzwischen auch ihren normativen Ausdruck gefunden hat und damit (auch) Grundlage für die Inanspruchnahme Dritter sein kann. In Rede steht allerdings (nur) eine Haftung, die subsidiär zur rechtsgeschäftlichen Gestaltung ist und keine vertragliche Bindung bedingt.250 Weitergehend – und insbesondere für mehr- bzw. multipolare Strukturen (insbesondere Netzwerke) – werden (vereinzelt) verschiedene alternative Ansätze verfolgt („Netzwerk als Vertragsverbund“251), die (vor allem) rechtssoziologisch (primäre) Leistungspflichten begründen – und daher eine („vollwertige“) vertragliche Bindung Dritter postulieren (können).252 2. Drittwirkung(en) Ganz grundsätzlich bedeutet der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse deswegen nicht, dass Verträge nicht auch Auswirkungen auf Dritte haben können.253 Allerdings sind solche Drittwirkungen 254 im Vertragsrecht (nur) fragmentarisch geregelt und stehen regelmäßig nicht im Zentrum des vertragsrechtlichen Diskurses.255 Die Drittwirkung von Verträgen wird definiert als „eine unmittelbare Auswirkung eines zweiseitigen Schuldverhältnisses auf einen oder mehrere Dritte, die nicht Vertragspartei sind.“256 Im Anschluss an Grundmann und Renner und die obigen Ausführungen zur Contract Governance können verschiedene Drittwirkungen unterschieden werden: positive und negative Drittwirkungen auf bzw. von Verträge(n).257 Grundlage hierfür bilden die normativen Anknüpfungspunkte zur Einbeziehung Dritter, wobei nachfolgend nur eine Auswahl präsentiert werden soll.
249 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; ders., in: ders./ Heldrich (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. I, 2000, S. 129 ff. 250 Vgl. zu den entsprechenden Ansichten Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 245 m. w. N. 251 So der Titel von Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004. 252 Ausführlich hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 C. III. 3. a). 253 Zu den gesetzlichen Ausnahmen siehe statt vieler Michaels, in: Schmoeckel/Rückert/ Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II/1, 2007, vor § 241 Rn. 22; Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 308 ff. 254 Siehe etwa Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 460 ff.; Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 289 ff.; Medicus, JuS 1974, 613; Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 331 ff. Vgl. auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 f.). 255 Grundmann/Möslein/Riesenhuber, in: dies., Contract Governance, 2015, S. 3 (12). 256 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (281) unter Verweis auf Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 277 f. 257 Nachfolgende Darstellung im Anschluss an Grundmann/Renner, JZ 2013, 379 (380 ff.).
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a) Positive Drittwirkung(en) von Verträgen Verträge können zunächst positive Drittwirkung(en) aufweisen. Dies bedeutet, dass bestimmte Verträge günstige Auswirkungen für Dritte zeitigen. Dies ist zunächst der Fall bei gesetzlich ausdrücklich normierten Konstellationen. So resultieren aus einem Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB) Primär- und Sekundärleistungspflichten zugunsten eines Dritten.258 Zumindest Sekundärleistungsansprüche können etwa bei einem Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 BGB bestehen.259 Ebenso kommen Sekundärleistungsansprüche in Betracht im Zuge des (nicht ausdrücklich kodifizierten) Rechtsinstituts des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.260 b) Positive Drittwirkung(en) auf Verträge Denkbar ist ebenso eine positive Drittwirkung auf Verträge. Dritte können „von außen“ in den Vertrag eintreten bzw. auf diesen bzw. dessen Inhalt einwirken. So erhalten Dritte etwa die Befugnis eine Leistung zugunsten des Schuldners zu bewirken (§ 267 Abs. 1 BGB). Ein Gläubiger kann eine Forderung an einen Dritten (§ 398 BGB) abtreten. Möglich ist ebenso nach Schuldübernahme nach §§ 414 f. BGB oder auch eine Vertragsübernahme. In gleicher Weise kann eine Leistungsbestimmung durch Dritte (§ 317 BGB) erfolgen. c) Negative Drittwirkung(en) von Verträgen Verträge können allerdings auch negative Drittwirkung(en) erzeugen. Gemeint ist, dass Verträge nachteilige (faktische) Auswirkungen auf Dritte haben. Solche Konstellationen sind nicht explizit geregelt. Vielmehr ist allgemein anerkannt, dass ein Vertrag zulasten Dritter unzulässig ist.261 In Betracht kommen aber faktische negative Auswirkungen, etwa bei sittenwidrigen Verträgen (§ 138 BGB). Abhilfe kann in Einzelfällen ein Anspruch nach § 826 BGB bieten. Ebenso der Verhinderung von faktischen nachteiligen Auswirkungen dienen die Bestimmungen des Kartellrechts. Eine gesetzlich explizit vorgesehene negative Drittwirkung eines Vertrags auf einen anderen ist das Recht der verbundenen Verträge nach den §§ 358 ff. BGB.262 Hiernach werden zwei voneinander rechtlich zu trennende relative Schuldverhältnisse miteinander verknüpft. Zulasten des Vertragspartners des zweiten Vertrages wirkt sich der Widerruf des (ver258 Statt vieler in diesem Zusammenhang Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 343 ff. 259 Statt vieler Staudinger/Löwisch/Feldmann (Neubearbeitung 2012), § 311 Rn. 167 ff. 260 Siehe nur Bayer, JuS 1996, 473; Staudinger/Olzen (Neubearbeitung 2015), § 241 Rn. 348 ff. 261 Siehe nur BGH, NJW-RR 2016, 1391 (1392) sowie Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, Einf v § 328 Rn. 10; Mansel, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 241 Rn. 6. 262 Statt vieler hierzu Grunewald, JuS 2010, 93; Stürner, JURA 2016, 739.
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bundenen) (Haupt-)Vertrags unmittelbar auf die Bindung an den zweiten (verbundenen) Vertrag aus. Nach § 359 BGB ist zudem ein Einwendungsdurchgriff in bestimmten Konstellationen vorgesehen.263 d) Negative Drittwirkung(en) auf Verträge In gleicher Weise sind Konstellationen denkbar, in denen Dritte in nachteiliger Weise (versuchen) auf Verträge einzuwirken. Einer negativen Drittwirkung auf Verträge kann zumindest teilweise mit dem Verweis auf die Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB bzw. einem Anspruch nach § 826 BGB entgegen getreten werden. Ebenso dienen die Bestimmungen des Lauterkeitsrechts partiell der Verhinderung einer solchen negativen Drittwirkung. 3. Würdigung Die Vielzahl unterschiedlicher Einzelregelungen betreffend Drittwirkungen können als gesetzlich geregelte oder rechtsfortbildend geschaffene Rahmung einzelner Aspekte innerhalb von mehrpoligen Konstellationen begriffen werden. Die entsprechenden Regelungen bilden allerdings keine umfassende dogmatische Rechtsrahmung für mehrpolige Szenarien bzw. die Formen systemischer Bindung.264 Diese Feststellung ist nach den obigen theoretischen Ausführungen insbesondere – aber nicht nur – aus wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Sicht bemerkenswert.265 Denn eine strukturierte(re) Fassung von Drittwirkungen erscheint auf der Grundlage der obigen Ausführungen zumindest bedenkenswert. Insbesondere für die benannten Referenzfelder, die sich durch die (systemische) Verknüpfung mehrerer auszeichnen, könnte ein weitergehendes Austarieren förderlich sein. Schließlich „[registriert mit] Drittwirkungen (…) das Privatrecht in abgestuften Graden die Komplexität seiner wirtschaftlichen und – neuerdings – auch technischen Umwelt.“266 Dieser ganz grundsätzliche Befund ist in der Folge als Verbundproblem bezeichnet worden.267 Es wird daher zu Recht die Frage aufgeworfen, ob nicht über die obigen (zentralen) Regelungen hinaus weitergehende Drittwirkungen zugelassen werden sollten.268 Instrumente eines solches Ansatzes könnten sein, (weitergehende oder auch „neue“) Direkt- oder Alternativansprüche zu etablieren oder Inhalt und Ausrichtung der Vertragspflicht(en) zu modifizieren.269 Um diese – wiederholt bereits angedeutete – Frage (zunächst) de lege lata zu unter263 Ausführlich jüngst Makowsky, Einwendungen aus fremdem Schuldverhältnis, 2019, S. 381 ff. 264 Siehe hierzu noch nachfolgend – unter Bezug auf Weber – sub Kapitel 4 § 11 C. II. 265 Hierzu Grundmann, ERPL 2016, 409. 266 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (281). 267 Hierzu und m. w. N. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 185 ff. 268 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (281). 269 Siehe auch Grundmann/Renner, JZ 2013, 379 (389).
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suchen, ist eine tiefergehende Analyse der anerkannten und in der Literatur postulierten Vertragsstrukturen vorzunehmen. V. Zwischenergebnis Insgesamt bildet der Contract Governance-Ansatz somit die konzeptionelle Grundlage für die Fassung der identifizierten Dimensionen systemischer Bindung. Hierauf kann und soll die weitere dogmatische Fassung der Dimensionen systemischer Bindung aufbauen. Zuvor sollen die bisherigen Überlegungen kurz zusammengeführt werden.
F. Zwischenstand: Interaktion und Partizipation in der digitalen Privatrechtsgesellschaft Die Dimensionen systemischer Bindung erzeugen nach dem zuvor Ausgeführten (normative) Erwartungen. Auf diese – in der Sprache der Systemtheorie – Umwelt muss deswegen – responsiv bzw. umweltsensibel reagiert werden. Diesen regulativen Impetus der Systemtheorie unterstreichen auch – aus ihrem jeweiligen Blickwinkel – die Ansätze eines sozialen Vertragsrechts, einer modern verstandenen digitalen Privatrechtsgesellschaft sowie die darauf aufbauende Contract Governance-Forschung. In allen theoretischen Ansätzen scheint das Element einer adäquaten Abbildung und Einbindung von Dritten auf. Es muss deswegen der strukturellen Gefahr entgegengewirkt werden, dass die Partizipation Dritter in einer rein zweipoligen Betrachtung marginalisiert werden. Gemeint ist damit allerdings nicht eine Partizipation im politikwissenschaftlichen bzw. demokratietheoretischen Sinne.270 Partizipation innerhalb der Privatrechtsgesellschaft soll hier verstanden werden als die Spiegelung und Stabilisierung von Erwartungen der Akteure. Hierin ist auch die Schutzwürdigkeit systemischer Bindung begründet. Ziel ist daher eine rechtliche Rahmung, die allen Partizipierenden gerecht wird und die Dimensionen systemischer Bindung adäquat (er)fasst. Die vertragsrechtsdogmatische Analyse soll dazu in drei Schritten, entlang der identifizierten Kernelemente systemischer Bindung erfolgen, die auch und gerade die digitale Privatrechtsgesellschaft prägen. I. Bipolarität und Multipolarität Ausgangspunkt ist nach dem zuvor Ausgeführten das bipolare Verhältnis zwischen zwei Vertragsparteien. Dieses Verhältnis ist der vertragsrechtliche Standardfall. Bereits in diesem Verhältnis ist die Abbildung Dritter bzw. Leistungen Dritter teilweise eröffnet. So können die Parteien einen Vertrag zugunsten 270 Zusammenfassend zu dieser Legitimation durch Teilhabe aus privatrechtlicher Sicht etwa Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 192 f. m. w. N.
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Dritter schließen oder sich selbst in Bezug auf die Leistung eines Dritten verpflichten. Ebenso ist denkbar, dass zumindest aus Sicht einer Vertragspartei, die andere Vertragspartei für ein Bündel von Leistungen (auch solchen von Dritten) einstehen möchte, während aus Sicht der zweitgenannten Vertragspartei nur eine Vermittlung von Leistungen Dritter (grundsätzlich) gewollt sein mag. Es könnte in diesem Kontext – so zunächst die Vermutung – eine Systemverantwortung übernommen worden sein, die den (beiderseitigen) normativen Erwartungen der Akteure entspricht. In welcher Form diese Erwartungen vertragsrechtsdogmatisch stabilisiert werden, gilt es nachfolgend klären. II. Zentralität und Dezentralität In gleicher Weise entstehen entsprechende Erwartungen im Zuge der Kooperation verschiedener Akteure. Bestehen nur dezentrale Akteure, muss beantwortet werden, ob und inwieweit welche Akteure (oder alle gemeinsam) eine Systemverantwortung übernommen haben. Existiert dagegen ein zentraler Akteur, gegenüber dem alle anderen Partizipierenden (zumindest auch) vertraglich gebunden sind, so ist in vergleichbarer Weise zu entscheiden, in welcher Form dieser zentrale Akteur auch eine Bindung in Bezug auf das Verhältnis zwischen den dezentralen Akteuren erfährt. Soweit entsprechende normative Erwartungen bestehen, muss ebenfalls geklärt werden, in welcher Form diese Erwartungen vertragsrechtsdogmatisch stabilisiert werden. III. Erklärungen und Agenten Ein Dritter, wie der zentrale Akteur, kann insofern maßgeblich Einfluss auf den Vertragsschluss nehmen, als dass etwa umfassend (vorgefertigte) Erklärungen bereitgestellt werden. Dies ist in jüngerer Zeit insbesondere – und mit einer neuen Qualitätsstufe – auch der Fall, wenn automatisierte und autonome Agenten durch eine der oder beide Parteien eingesetzt werden. Es stellt sich auch hier die Frage, ob und inwieweit für den Einsatz solcher Agenten eine Systemverantwortung übernommen wird und welche vertragsdogmatischen Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Kapitel 4
Rechtsdogmatischer Diskurs Vertragsschlüsse zwischen Privatrechtssubjekten erfolgen in vielfältigen Formen. Eines der Grundanliegen des Vertragsrechts ist es, zu bestimmen, wer mit wem einen Vertrag geschlossen hat und bejahendenfalls mit welchem Inhalt. Dieser Frage soll sich in Bezug auf die Dimensionen systemischer Bindung im Folgenden vertragsrechtsdogmatisch genähert werden. Zu diesem Zweck werden drei miteinander verknüpfte dogmatische Diskurszusammenhänge exem plarisch betrachtet. Diese Diskurse stehen stellvertretend für die Entwicklungslinien des Vertragsrechts im ausgehenden 20. und bisherigen 21. Jahrhundert. So soll zunächst der vertragsrechtsdogmatische Diskurs zu Willenserklärungen und zum Vertragsschluss mittels moderner Technologien nachgezeichnet und bewertet werden. Seinen Auftakt fand dieser Diskurs schon seit den 1980er Jahren zunächst in der Befassung mit elektronischen Willenserklärungen. Sodann warfen seit den 2000er Jahren Vertragsschlüsse auf Vermittlungsplattformen grundlegende Fragen zum Verhältnis zwischen Willenserklärungen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen Dritter auf. Im Folgenden wurde (und wird) insbesondere das bipolare Konzept von Vertrag und Vertragsschluss auf den Prüfstand gestellt. Sinnbildlich stehen hierfür inzwischen Anwendungen des Internet der Dinge sowie auf Grundlage der Blockchain-Technologie. Derzeitiger (und auf absehbare Zeit andauernder) Höhepunkt der Diskussion ist die Einbindung und Abbildung autonomer Agenten beim bzw. für den Vertragsschluss. Die nachfolgende vertragsrechtsdogmatische Umschau bedingt es jeweils begleitend, die verschiedenen (zweipoligen und mehrpoligen) Vertragsstrukturen darzulegen und diese auf ihre Passfähigkeit in Ansehung moderner Interaktions- und Kommunikationsformen zu überprüfen. Hierauf aufbauend können sodann die verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung analysiert werden. Mit der im folgenden Kapitel durchgeführten Betrachtung de lege lata ist das Erkenntnisinteresse verbunden, ob und inwieweit die Formen systemischer Bindung mit den „analogen“ Regelungen des BGB bzw. mit den etablierten vertragsrechtsdogmatischen Kategorien adäquat erfasst werden (können).
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§ 10 Von der Computererklärung zur Plattformökonomie Zu den Anfangszeiten der elektronischen Datenverarbeitung wurde die Frage aufgeworfen, ob und in welcher Form über dieses neue technische Medium vertragsrechtlich relevante Handlungen abgegeben werden (können). Die Diskussion um automatisierte Erklärungen war der Ausgangspunkt für die vertragsrechtsdogmatische Rahmung der notwendigen Einbindung technischer Anwendungen. Diskutiert wurde, ob und inwieweit das Konzept der Willenserklärung auch für das Zeitalter der Automatisierung und der Digitalisierung fortgeführt werden kann und soll. Unionsrechtlich gab und gibt insoweit Art. 9 Abs. 1 eCommerce-Richtlinie1 allgemein vor: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, daß ihr Rechtssystem den Abschluß von Verträgen auf elektronischem Wege ermöglicht. Die Mitgliedstaaten stellen insbesondere sicher, daß ihre für den Vertragsabschluß geltenden Rechtsvorschriften weder Hindernisse für die Verwendung elektronischer Verträge bilden noch dazu führen, daß diese Verträge aufgrund des Umstandes, daß sie auf elektronischem Wege zustande gekommen sind, keine rechtliche Wirksamkeit oder Gültigkeit haben.“2
Für die Dimensionen systemischer Bindung sind allerdings diese Regelungen nur rahmendes Beiwerk. Nicht entschieden wird durch die Regelungen, ob und auf welche Weise eine vertragliche Bindung entstehen kann. Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend vielmehr – und im Sinne der herausgestellten Referenzfelder – Vertragsschlüsse mittels der ersten Generation von Online-Plattformen (wie etwa sogenannte Internetauktionen) in den Blick genommen werden. Vertragsschlüsse auf solchen Plattformen warfen (und werfen) grundlegende Fragen auf, deren Beantwortung zum Verständnis der weiteren Diskussion(en) zur Plattformökonomie unabdingbar ist. Hierfür sind zuvor die dogmatischen Grundlagen des Vertragsschlusses abzustecken.
A. Ausgangspunkt: Der zweiseitige Vertrag Das zweiseitige Rechtsgeschäft ist der Fixpunkt des Vertragsrechts. Eine rechtsgeschäftliche Bindung besteht hiernach nur zwischen den (zumeist zwei) Vertragsparteien anhand ihrer Willenserklärungen. Grundlage des Vertrages ist die Privatautonomie und die damit verbundene Selbstbindung der Vertragsrechts-
1 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. 2000 L 178, S. 1 ff. 2 Umgesetzt wurde Art. 9 eCommerce-Richtlinie vor allem durch § 126a BGB i. V. m. Signaturgesetz, siehe nur Herresthal, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2017, § 2 Rn. 111.
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subjekte.3 In diesem Sinne gilt, dass „Rechtsgeschäft und Willenserklärung (…) die Gestaltungsinstrumente der Privatautonomie“ und damit grundlegend für die Privatrechtsgesellschaft sind.4 Der zweiseitige Vertrag zeichnet sich grundsätzlich durch das wechselseitige Leistungsversprechen zwischen zwei Parteien aus (§§ 311 Abs. 1, 320 BGB). Die Leistungspflichten sind im Grundsatz reziprok. Spiegelbildlich zur Leistungspflicht steht der jeweils anderen Partei ein Anspruch auf die Leistung zu. Es ist gilt im Grundsatz (und nach wie vor) das grundlegende Prinzip des do ut des.5 I. Vertragsschluss Ein Vertrag kommt im Grundsatz durch Angebot und Annahme zustande. 6 Grundlage und Voraussetzung für das Rechtsgeschäft sind daher zwei aufeinander bezogene Willenserklärungen der beiden Parteien. Hierdurch werden das Ob (Vertragsschluss) und das Wie (Vertragsinhalt) bestimmt. 1. Vorab: Bindung durch faktisches Verhalten? Hingewiesen sei vorab allerdings kurz auf die Versuche vertragliche Bindung allein aufgrund faktischen Verhaltens zu begründen.7 Die Lehre von den faktischen Vertragsverhältnissen (Haupt) bzw. – in der Folge – die Annahme eines sozialtypischen Verhaltens8 hat nur vereinzelt Gefolgschaft gefunden.9
3 Siehe insbesondere Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999. Vgl. auch Canaris, in: Badura/Scholz (Hrsg.), Festschrift Lerche, 1993, S. 873 ff. 4 Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 6 . 5 Siehe nur Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 534 f. 6 Siehe im Übrigen etwa § 156 BGB; ferner sind bei ausgehandelten und zeitgleich unterschriebenen Verträge oftmals Angebot und Annahme nicht mehr trennscharf zu unterscheiden, siehe nur Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 37 Rn. 2. Zu allgemeinen Regelungen im elektronischen Geschäftsverkehr sowie zum Verbraucherschutz beim Vertragsschluss siehe ebd. § 37 Rn. 57 ff. und 62 ff.; zu sonstigen Wirksamkeitshindernissen (unter anderem Geschäftsfähigkeit, Form, Nichtigkeit, Gesetzesverstoß und Sittenwidrigkeit) siehe ebd. §§ 34, 40, 44 ff., 55 ff. 7 Grundlegend Haupt, in: Festschrift Siber, Bd. II, 1943, S. 5 ff. 8 Larenz, NJW 1956, 1897; ders., Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I , 8. Aufl. 1967, § 4 II. 9 Siehe insbesondere BGH, NJW 1956, 1475 (1476) – Hamburger Parkplatzfall; hierzu etwa Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 246 f. Siehe allerdings auch in der jüngeren Vergangenheit BGH, NJW 2014, 3148 (3148): „In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ist grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer so genannten Realofferte zu sehen. Diese wird von demjenigen konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt. Dieser Rechtsgrundsatz (…) trägt der Tatsache Rechnung, dass in der öffentlichen leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen werden. Er zielt darauf ab, einen ersichtlich nicht gewollten vertrags losen Zustand bei den zu Grunde liegenden Versorgungsleistungen zu vermeiden (…), und
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
Die vollständige Loslösung vom Erfordernis einer Willenserklärung ist allerdings aus rechtsdogmatischer Perspektive de lege lata nicht überzeugend. Die an anderer Stelle überzeugend vorgetragenen Argumente gegen diese Auffassung sollen hier nicht wiederholt werden.10 Maßgeblich ist, dass die Annahme eines faktischen bzw. sozialtypischen Verhaltens – bereits konzeptionell – vollständig die privatautonome Entscheidung für oder gegen eine vertragliche Bindung des Rechtsunterworfenen überspielt. Mit Flume gilt im Übrigen: „In Wirklichkeit besteht für die Lehre von den faktischen Vertragsverhältnissen kein Bedürfnis und kein Raum.“11 Denn zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass alternative (rechtsgeschäftliche) Zugriffe denkbar und vorzugswürdig sind. Die relevanten Fallkonstellationen lassen sich anhand der Grundsätze konkludenter Willenserklärungen, mithilfe des Rechtsinstituts der protestatio facto contraria oder auch mittels einer Analogie zu §§ 612, 632 BGB12 adäquat erfassen.13 2. Willenserklärung Willenserklärungen sind gerichtet auf einen rechtlichen Erfolg.14 In den Worten der Motive zum ersten Entwurf: „Rechtsgeschäft im Sinne des [Entwurfs] ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäfts wird darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich bethätigt und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht“.15
berücksichtigt die normierende Kraft der Verkehrssitte, die dem sozialtypischen Verhalten der Annahme der Versorgungsleistungen den Gehalt einer echten Willenserklärung zumisst.“ Hierzu (und zu Recht kritisch) Lorenz, in: Arnold/Lorenz (Hrsg.), Gedächtnisschrift Unberath, 2015, S. 291 ff. 10 Siehe etwa ausführlich Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 8. 11 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 8 1. 12 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 250. 13 Hierzu ebenfalls nur Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 8. 14 Siehe nur Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 580. 15 Mugdan I, S. 421.
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Eine Willenserklärung ist auf dieser Grundlage Geltungserklärung.16 Der Wille17 vollzieht sich selbst.18 Die Willenserklärung wirkt, weil die Wirkung „als gewollt erklärt“ wird.19 Es steht die „Manifestation des Willens“20 , die Entäußerung, die Explikation des Willens in Rede.21 Im Ausgangspunkt ist deswegen für eine Willensklärung zwischen einem äußeren und einem inneren Tatbestand zu unterscheiden. a) Äußerer und innerer Tatbestand Der innere Tatbestand der Willenserklärung bezieht sich auf den Willen des Erklärenden. Äußerer Tatbestand ist die Erklärung des Erklärenden. aa) Äußerer Tatbestand Der äußere Tatbestand, die Erklärung, bezieht sich auf „ein äußeres Verhalten, das nach der Verkehrssitte oder Vereinbarung den Schluß auf einen bestimmten Geschäftswillen zuläßt und dazu bestimmt erscheint, einen derartigen Geschäftswillen anderen kundzugeben.“22 Im Idealfall bildet der äußere Tatbestand den inneren Tatbestand ab. bb) Innerer Tatbestand Zentraler Diskussionspunkt betreffend die Willenserklärung ist deswegen die Frage, ob und inwieweit der innere Tatbestand Wirksamkeitsvoraussetzung der Willenserklärung ist. (1) Meinungsstand Die Spannbreite des Meinungsspektrums ist im 19. Jahrhundert zwischen der Willenstheorie und der Erklärungstheorie entfaltet worden.23 Für die Willens16 Der Begriff geht zurück auf Larenz, siehe nunmehr Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 5 ff. Siehe ferner (auch zur damit verbundenen Diskussion um die sogenannte Geltungstheorie) Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 7 sowie etwa Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 23 mit Fn. 94; Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 594 ff.; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 7 und 17. 17 Ausführlich hierzu Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 474 ff. 18 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 6 . 19 Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 580. 20 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 2 3. a). 21 Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 663: „Das äußere Verhalten muß Sinnbild für eine innere Tatsache sein (…).“ 22 Stellvertretend Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 663. 23 Überblicke bei Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsge-
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
theorie ist der Wille Fixpunkt und zwingende Voraussetzung für eine Willenserklärung.24 Die Erklärungstheorie knüpft dagegen an die „nach außen tretene“ Erklärung als allein maßgebliches Element der Willenserklärung an.25 Das BGB legt sich nicht auf eine der beiden Theorien fest.26 Diese (Nicht-)Festlegung unterstreicht etwa der Dualismus der §§ 133, 157 BGB.27 Ebenso schlagen die Anfechtungsregelungen bei einem Irrtum (§ 119 BGB) einen vermittelnden Weg ein.28 So soll einerseits eine bestimmte Willenserklärung auch ohne einen entsprechenden (Geschäfts-)Willen vorliegen (die Erklärung ist nur anfechtbar) und andererseits relativiert gerade die Anfechtungsmöglichkeit den „Bestand“ einer Erklärung (so dass die Erklärung allein keine endgültige Regelung trifft).29 Lediglich vereinzelt wird (heutzutage) noch angenommen, dass der Wille für eine Willenserklärung vollkommen entbehrlich sei (Lehre von der willenlosen Erklärung).30 Konzeptionell vergleichbar ist dazu die (teilweise) von der Rechtsprechung erfolgte Annahme einer Erklärungsfahrlässigkeit, die einen Sorgfaltspflichtverstoß und nicht den Willen für maßgeblich erklärt.31 So führt der BGH in seiner grundlegenden Sparkassen-Entscheidung etwa aus: „Eine Willenserklärung liegt bei fehlendem Erklärungsbewusstsein (…) nur dann vor, wenn sie dem Erklärenden zugerechnet werden kann. Das setzt voraus, daß dieser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Erklärung oder sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glau-
schäft, 4. Aufl. 1992, § 4 6.; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 674; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 15 f.; Wolf/ Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 2 ff. 24 Grundlegend Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. III, 1840, S. 258 sowie Windscheid, AcP 63 (1880), 72; Zitelmann, JherJb 16 (1878), 357. Siehe aus jüngerer Zeit Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, S. 94 ff. Zum Einfluss der Willenstheorie siehe zusammenfassend Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209 (210 f.). 25 Bähr, JherJb 14 (1875), 393 (400 f.); Roever, Ueber die Bedeutung des Willens bei Wil lenserklärungen, 1874, S. 17 f. 26 Siehe nur Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 21; Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209 (212); Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 675. 27 Siehe Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 21. 28 Siehe nur Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 3. 29 Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 21; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 16. 30 Siehe Brehmer, Wille und Erklärung, 1992, S. 29 ff., 65 ff.; Kellmann, JuS 1971, 609 (614); Leenen, JuS 2008, 577 (579 ff.); Schermaier, in: Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. I, 2003, §§ 116–124 Rn. 14; Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, 2006, S. 76 ff., 106 f., 164. 31 Siehe etwa BGH, NJW 2010, 2873 (2875). Zur Erklärungsfahrlässigkeit grundlegend Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 97 und passim.
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ben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte (…).“32
Die Auffassung, ein umfassender Wille sei für eine Willenserklärung erforderlich, findet sich nur noch punktuell bzw. höchstens in abgeschwächter Form.33 Denn eine solche Auffassung ist schwerlich mit der gesetzgeberischen Ausgestaltung in §§ 116, 119 BGB zu vereinbaren.34 Vielmehr wird von der ganz herrschenden Lehre nach der Art des im Einzelfall vorliegenden Willens differenziert. Hierzu wird der Wille des Erklärenden kategorisiert und daran unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft. Unterschieden wird traditioneller Weise zwischen Handlungswillen, Erklärungswillen und Geschäftswillen.35 Handlungswille bezeichnet den Willen, sich überhaupt zu verhalten, sprich bewusstseinskontrolliert etwas zu tun oder zu unterlassen.36 Der Erklärungswille liegt vor, wenn der Erklärende sich der rechtsgeschäftlichen Natur seines Handeln bewusst ist – daher wird auch von einem Erklärungsbewusstsein gesprochen.37 Der Erklärende weist eine „abstrakt inhaltliche Komponente“ auf.38 Er will im bzw. am Rechtsverkehr partizipieren.39 Der Geschäftswille bezieht sich dagegen auf ein bestimmtes, ein konkretes Geschäft.40 Liegen alle drei Willensarten vor, ist die Willenserklärung „wirklich gewollt“.41 Im Übrigen stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine Willenserklärung kraft normativer Zurechnung angenommen werden soll.42 Einigkeit be32 BGH, NJW 1984, 2279 (2280) – Sparkassenfall; hierzu etwa statt vieler Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209 (218 ff.); Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (220 f.). 33 Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, S. 89 ff.; Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, 1995, S. 45 ff.; ders., JZ 1989, 1030 (1031 ff.). 34 Siehe auch Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 26. 35 Siehe Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 2.; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 664 ff.; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 1. 36 Siehe Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 2 2; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 2. a); Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 578, 664. 37 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 2. b); Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 665. 38 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 2. b). 39 Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 676. 40 Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 666. 41 Statt vieler Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 3. 42 Siehe Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 3.
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steht (außerhalb der Lehre der willenlosen Erklärung), dass der Handlungs wille unabdingbar ist.43 Der überwiegende Teil der Literatur44 und auch die Rechtsprechung45 gehen allerdings davon aus, dass eine Willenserklärung nur einen Handlungswillen voraussetzt. In den Worten des BGH: „Das Recht der Willenserklärung baut nur nicht nur auf der Selbstbestimmung des Rechtsträgers auf; es schützt in §§ 119, 157 BGB das Vertrauen des Erklärungsempfängers und die Verkehrssicherheit.“46 Maßgeblich soll somit „das mit dem Selbstverantwortungsgrundsatz korrespondierende Prinzip des Vertrauensschutzes im Rechtsverkehr“47 sein. Die Gegenansicht nimmt an, es müsse zusätzlich ein Erklärungswillen vorliegen; lediglich der Geschäftswille sei entbehrlich.48 Eine rechtsgeschäftliche Bindung scheide bei einem fehlenden Erklärungswillen daher aus. Betont wird, dass der Willensbezogenheit der gesetzlichen Regelung lediglich durch eine beliebige Handlung nicht gerecht werde.49 Die Regelung des § 119 BGB unterstreiche, dass bei einer bewussten Erklärung trotz Irrtums eine Willenserklärung vorliege (diese aber korrigiert werden kann). Im Umkehrschluss scheide eine Willenserklärung aus, falls überhaupt nichts erklärt werden sollte.50 Als Korrektiv zugunsten des Erklärungsempfängers fungiert dann allein die Vertrauenshaftung des Erklärenden.51 Eine leicht andere Kategorisierung des Willens bzw. der Willensarten nehmen etwa Wolf und Neuner vor, indem sie kompetenzielle und intentionale Voraussetzungen einer Willenserklärung betonen.52 Dabei greifen kompetenzielle und intentionale Voraussetzungen ineinander über. Dem kompetenziell fähigen 43 Siehe nur Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 22 und 27; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 50. 44 Statt vieler etwa Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 3. Überblick zum Meinungsstand m. w. N. Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 19. Teilweise wurde bei fehlendem Erklärungswillen auch von einer nicht „echte[n] Willenserklärung“ gesprochen, siehe Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1960, § 153 III. 45 Statt vieler und grundlegend RGZ 67, 431 (433) einerseits und BGH, NJW 1984, 2279 (2280) – Sparkassenfall andererseits. Weitere Nachweise bei Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 20. 46 BGH, NJW 1984, 2279 (2280) – Sparkassenfall. 47 Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 3. 48 Siehe etwa Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 676 ff., 681 m. w. N.; Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (221 ff.). 49 Siehe stellvertretend etwa Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (223). 50 Siehe stellvertretend etwa Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (223). 51 Siehe hierzu Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 411 ff.; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 677. 52 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 1 ff.
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Erklärenden sei seine Handlung grundsätzlich zuzurechnen.53 Nicht entscheidend sei deswegen ein separater Handlungswille: „[Der] sog. Handlungswillen eignet sich als Zurechnungskriterium indes weder für die Handlung noch für den Erklärungssinn. Für die Zurechnung der Handlung in Form der Explika tion des äußeren Tatbestands kommt es nicht auf ein ‚Wollen‘, sondern allein auf das ‚Können‘ an.“54 Zusätzlich müssten aber intentionale Voraussetzungen einer Willensklärung vorliegen, womit gegenüber der herrschenden Ansicht eine höhere Hürde für eine Willenserklärung statuiert wird.55 Erforderlich seien ein Kommunikations- und ein Partizipationswillen. Ein Kommunikationswille bedeute, dass jemand gegenüber einem Dritten etwas erklären möchte.56 Gestützt auf den Kommunikationswillen muss der Erklärende am rechtgeschäftlichen Verkehr partizipieren wollen, also im Sinne einer privatautonomen Entscheidung rechtsgeschäftlich gestaltend tätig werden möchten.57 Inhaltlich entspricht damit der Partizipationswille dem Erklärungswillen.58 (2) Würdigung Eine Willenserklärung ist Ausdruck einer privatautonomen Gestaltung. Eine solche Gestaltung ist de jure willensgetragen.59 Es bedarf eines Willensmoments60 – auch wenn der innere Wille allein letztlich nicht ergründet werden kann. Es ist somit zunächst der Ansicht, eine Willenserklärung könne gänzlich ohne Willen angenommen werden (Lehre von der willenlosen Erklärung), aus dogmatischen Gründen nicht zu folgen. 61 Denn die Willenserklärung würde ihrem Wesensgehalt nicht mehr gerecht (wenn und soweit man die privatautonome Gestaltung als Wesensgehalt begreift). 62 Verzichtet man dagegen auf einen Erklärungswillen (und stellt nur auf das durch die Handlung erzeugte Vertrauen ab), erodiert der Grundansatz der
53 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 12. Zustimmend Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 27. 54 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 9 f. (Hervorh. i. Orig.). 55 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 13 ff. 56 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 14 ff. 57 Neuner, JuS 2007, 881 (884 ff.); Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 19 ff. Zustimmend Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 38. 58 Siehe auch Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 20 mit dem Hinweis, dass „[b]eide Begriffe (…) wenig aussagekräftig [seien]“. 59 Siehe aber nachfolgend sub Kapitel 4 § 12 B. und Kapitel 6 § 17 C. II. 60 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 28. 61 Zutreffend Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 27 f. 62 Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 678.
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Rechtsgeschäftslehre. 63 Die Willenserklärung kann nicht mehr als Rechtsgestaltung in Selbstbestimmung64 begriffen werden, wenn nicht zumindest der Erklärende überhaupt kommunizieren und partizipieren möchte. 65 Es würde vielmehr die Grenze zwischen privatautonomer Bindung und einer (reinen) Rechtsscheinhaftung bis zur Unkenntlichkeit verwischt. 66 Es besteht gerade kein allgemeines Veranlasserprinzip bzw. keine allgemeine Veranlasserhaftung im bürgerlichen Recht. 67 Nicht zielführend ist deswegen aufgrund der derzeitigen Rechtslage auch die Lehre von der Erklärungsfahrlässigkeit. 68 Ohne eine privatautonomen Grundanstoß kann de lege lata keine Willenserklärung begründet werden. 69 Zustimmungswürdig ist vielmehr die Ansicht, wonach für eine Willenserklärung (auch) ein Erklärungswillen vorliegen muss. Hierdurch wird der privat autonomen Selbstbestimmung des Einzelnen Rechnung getragen.70 Das Er klärungsbewusstsein ist zudem taugliches Abgrenzungskriterium zwischen rechtsgeschäftlicher Bindung und Vertrauenshaftung.71 Ohne Erklärungsbewusstsein ist die Annahme einer Willenserklärung reine Fiktion72 , die die Kompromisslösung zwischen Willens- und Erklärungstheorie überspielt.73 Zutreffender Weise betont deswegen Picker, dass ein Verzicht auf den Erklä-
63 Siehe nur Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 31 Rn. 15 f. 64 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 5 und 8. 65 Demgegenüber für einen umfassenden zurechnungsbasierten Ansatz Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209. 66 Siehe Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (221 f.); Wolf/ Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 28. Vgl. auch Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209 (222 f.), der allerdings das Verhältnis von Rechtsgeschäftslehre und Rechtsscheinhaftung neu (über)denken möchte. 67 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 10 5.; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 684. Siehe auch zur Statuierung eines „individuellen Verschuldensprinzips“ durch die herrschende Lehre und die Rechtsprechung Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 38. 68 Die Nähe dieser Ansicht zur Annahme eines faktischen Vertrags (hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 1.) betonend Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (221). 69 Zutreffend Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 23. 70 Canaris, in: ders./Heldrich (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. I , 2000, S. 129 (142). 71 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 427 f.; ders., in: ders./ Heldrich (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. I, 2000, S. 129 (141 ff.). 72 Siehe Hübner, in: Dietz/Hübner (Hrsg.), Festschrift Nipperdey, Bd. I , 1965, S. 373 (374). 73 Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (219).
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rungswillen einen entscheidenden Wertungsumbruch bedingt.74 Das Überspielen einer autonomen Entscheidung verändert zumindest auch die Grundkonzeption der traditionellen Privatrechtsgesellschaft schleichend75 (was allerdings nicht bedeuten muss, dass dasselbe auch für nicht-menschliche Akteure – de lege ferenda – in der digitalen Privatrechtsgesellschaft gelten muss). Dieser dogmatische Zugriff stimmt überein mit der Statuierung des Erfordernisses eines Kommunikations- und Partizipationswillens für Willenserklärungen de lege lata: „Derjenige, der keinen Partizipationswillen hat, bleibt hingegen dem rechtsgeschäftlichen bzw. marktwirtschaftlichen Terrain von vornherein fern und möchte weder sich noch Dritte verpflichten.“76 Der von Wolf und Neuner angenommene Wille zur Kommunikation und Partizipation spiegelt – auf theoretischer Ebene – auch den im vorherigen Kapitel aufgezeigten Konnex zwischen Interaktion und Partizipation anschaulich wider. Denn das Element der Kommunikation, die Interaktion, weist eine Richtung auf: die Partizipation an einem Rechtsgeschäft. In diesem Sinne ist rechtsgeschäftliche Bindung das Resultat eines (auch) willensrückgebundenen Prozesses.77 Die (zukünftige) Schutzwürdigkeit entsprechender Willensbetätigungen lässt sich allerdings nur in Verbindung mit dem Geltungsgrund von Willenserklärungen charakterisieren. b) Geltungsgrund Der vorbenannte Zugriff verdeutlicht, dass eine Willenserklärung de lege lata einerseits nicht gleichzusetzen ist mit dem Willen des Erklärenden und anderseits stets ein Element „geronnener Privatautonomie“ – in der Form des Kommunikations- und Partizipationswillens – aufweisen muss. Noch nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage nach dem tieferen Geltungsgrund der Willenserklärung. Im deutschen Recht ist der Wille des Erklärenden zwar der theoretische Ausgangspunkt zur Bestimmung des Inhalts der Willenserklärung (vgl. auch § 133 BGB).78 Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind aber im Grundsatz nach der Wahrnehmung des Erklärten, sprich nach dem objektiven Empfängerhorizont, auszulegen (vgl. auch § 157 BGB). Dieser Zugriff wird (wiederum) vor allem durch die Anfechtungsmöglichkeiten (§§ 119 ff. BGB) bei Willensmängeln 74
Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (219 f.). Picker, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 207 (226 ff.) sowie ebd. S. 228: „[Die Entwicklung] zeigt damit an dem Phänomen einer zunehmend praktizierten Haftungserschleichung durch eine fiktive rechtsgeschäftliche Bindung für den Allgemeinen Teil des Zivilrechts die zumeist ignorierte, weil leise, deshalb aber besonders gefährliche Veränderung der Privatrechtsgesellschaft.“ 76 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 2 2. 77 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 8 B. 78 Siehe Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 601: „Bedeutung und Wirkung des Rechtsgeschäfts beruhen auf dem Parteiwillen.“ 75
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unterstrichen. In den Worten Oechslers: „Nicht der Wille oder Vertrauen, sondern Wille und Vertrauen, traditionelle Rechtsgeschäftslehre und Vertrauen konkretisieren den Inhalt vertraglicher Pflichten.“79 In Rede steht die Vereinbarung von Selbstbestimmung und Vertrauensschutz.80 Geltungsgrund ist somit das „Zusammenwirken von Wille und Erklärung“.81 Theoretischer Fixpunkt ist der wahrgenommene Wille. Die Zurechnung der Erklärung stützt sich allerdings vornehmlich auf das Element der Verantwortlichkeit für die Willensbetätigung.82 Durch die Betonung der Verantwortlichkeit wird keineswegs ein nicht vorhandener Wille überspielt.83 Vielmehr muss der Erklärende Verantwortung übernehmen für die willensbasierte Erklärung „mit den durch sie erzeugten Folgen des Vertrauensschutzes. Wie es im sozialen Raum kein Handeln ohne Verantwortung gibt, so trifft auch den, der einem anderen gegenüber eine Geltungserklärung abgibt, eine Verantwortung für die von ihm gewählten Ausdrucksmittel.“84 Systemtheoretisch gesprochen werden hierdurch normative Erwartungen der Partizipierenden bestätigt.85 In diesem Sinne kann auch angenommen werden, die Willenserklärung sei Sozialakt.86 Die Willenserklärung ist „ein Akt zwischenmenschlicher sozialer Kommunikation“87, wodurch nicht nur begrifflich eine Brücke zur Soziologie – oder auch (Rück-)Kopplung – sichtbar wird. 88 II. Auslegung von Willenserklärungen Eine Willenserklärung bedarf zur Bestimmung ihres Inhalts stets der Auslegung. Eindeutige Erklärungen kann es bei der Nutzung des Mediums Sprache – und deswegen auch und gerade aus sprachwissenschaftlicher Perspektive – 79
Oechsler, RabelsZ 60 (1996), 91 (122). Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 8. 81 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 5. Vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 7. 82 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 8: „Rechtsgestaltung in Selbstbestimmung und deshalb auch in Selbstverantwortung“; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 8. 83 Vgl. Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 678. 84 Hierzu ausführlich Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 5 ff. 85 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 C. 86 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1960, § 164 II 3; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 4 8.; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 11. Vgl. auch Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 3; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 13. 87 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 30 Rn. 7. 88 Siehe zu Kommunikationen im System Recht oben sub Kapitel 3 § 7 A. III. 80
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nicht geben. 89 Für die Auslegung ist zu unterscheiden zwischen dem Erklärungstatbestand selbst und der Auslegung desgleichen (was wiederum ein in terpretatorischer Vorgang ist).90 Die Auslegung einer Willenserklärung ist in diesem Sinne die Feststellung des rechtlich maßgeblichen Sinns des Erklärungsakts.91 Zu ermitteln ist in diesem Zusammenhang zunächst, ob überhaupt eine Willenserklärung abgegeben wurde und sodann mit welchem Inhalt.92 Nach § 133 BGB ist bei der entsprechenden Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks festzuhalten. Dagegen sind nach § 157 BGB Verträge so auszulegen sind, wie es Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. § 157 BGB weist demnach auf den objektiven Bedeutungsgehalt hin, während § 133 BGB den empirischen Parteiwillen benennt.93 Da Willenserklärung und Vertrag unmittelbar miteinander verknüpft sind, ist allerdings anerkannt, dass sich einerseits § 157 BGB auch auf die Auslegung von Willenserklärungen bezieht und dass § 133 BGB auch für die Auslegung von Verträgen heranzuziehen ist.94 Die §§ 133, 157 BGB sind grundsätzlich einheitlich als Maßstab zu betrachten.95 Wird eine Willenserklärung gegenüber einem anderen abgegeben96 , ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Vorrangig erfolgt die Feststellung des Erklärungsinhalts bzw. Inhalts des Vertrags auf der Grundlage eines übereinstimmenden Parteiwillens (was bereits eine Auslegung der Erklärungen darstellt).97 Lässt sich ein solcher übereinstimmender Parteiwille in Bezug auf den Vertrag nicht feststellen, offenbart sich ein Spannungsfeld zwischen wirklichem Willen der Erklärenden einerseits und „Wahrnehmung“ der Erklärung durch den jeweils anderen andererseits. Dieses Spannungsfeld wird bei empfangsbedürftigen Erklärungen (weitestgehend) aufgelöst zugunsten der Verkehrserwartung, 89 Siehe ausführlich Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 2 ff. Anders Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 744: „zweifelsfreier Erklärungstatbestand“. Vgl. auch (ebenso gegenläufig) Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 5. 90 Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 5 f. 91 Siehe nur Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 1; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 1. 92 Siehe Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 9; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 32 Rn. 4. 93 Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 1. 94 Siehe stellvertretend nur Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 1 f. 95 Statt vieler Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 743; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 319 ff.; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 1 m. w. N. 96 Zur Auslegung von hier nicht näher betrachteten nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen siehe Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 322; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 13. 97 Hierzu Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 323; Palandt/ Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 8 m. w. N.
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sprich nach dem Rechtsgedanken des § 157 BGB.98 Mit welchem Inhalt eine Willenserklärung gegenüber einem anderen abgegeben wurde, bestimmt sich deswegen aus Gründen der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes aus der Perspektive des (objektiven) Empfängers bzw. anhand des objektiven Empfängerhorizonts (normative Auslegung).99 Im Einzelnen erfolgt die normative Auslegung insbesondere unter Berücksichtigung des Wortlauts, der Begleitumstände und der Interessenlage der Parteien sowie der Verkehrssitte.100 Maßgeblich für die Auslegung von Willenserklärungen und von Verträgen ist damit nicht der (empirische) Wille des Erklärenden. Vielmehr rückt die (gegenseitige und objektivierte) Wahrnehmung der beteiligten Akteure – der objektive Erklärungswert – als zentrales Kriterium für die Bestimmung des Erklärungs- und Vertragsinhalts in das Zentrum der Betrachtung.101 III. Die ergänzende Vertragsauslegung Auf diesen Auslegungsgrundsätzen aufbauend haben sich für Verträge in ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre die weitergehenden Grundsätze der sogenannten ergänzenden Vertragsauslegung etabliert, die mit der Frage der Auslegung von Willenserklärungen unmittelbar verknüpft sind.102 Die ergänzende Vertragsauslegung bezweckt, dass nach der Auslegung der Erklärungen identifizierte „Lücken“ außerhalb der essentialia negotii geschlossen werden.103 Als Rechtsgrundlage für die ergänzende Vertragsauslegung werden die §§ 133, 157 BGB bzw. die §§ 157, 242 BGB benannt.104 98 Siehe nur Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 9; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 29 f. 99 Statt vieler Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 116 Rn. 6; Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 745; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 323; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 7, 9 ff.; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 2 ff. Sich allgemein gegen den nur punktuellen objektiven Empfängerhorizont beim Vertragsschluss wendend Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 458 f. 100 Siehe nur Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 749; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 133 Rn. 14 ff.; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 5 ff. 101 Statt vieler Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 323. 102 Grundlegend Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 16 4. Einführend etwa Erman/Armbrüster, BGB, Bd. I, 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 15 ff.; Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 157 Rn. 26 ff.; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 2 ff. m. w. N. Zu Recht kritisch Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 66 ff. 103 BGH, NJW 1953, 937; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 2. Zur Feststellung von Lücken siehe nur Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 57 ff. Zur Methode der „Lückenfüllung“ siehe Paal, ZVglRWiss 110 (2011), 64. 104 Umstr., siehe nur Erman/Armbrüster, BGB, Bd. I , 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 15; Wolf/ Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 66; jeweils m. w. N. zur entsprechenden Diskussion.
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Die Schließung von Lücken soll dem durch die Parteien intendierten Regelungsplan des Vertrags zur Geltung verhelfen.105 Relevant sind somit „die im Vertrag selbst enthaltenen Regelungen und Wertungen sowie sein Sinn und Zweck“106 . Maßgeblich ist von einem theoretischen Ausgangspunkt aus der konkrete Vertrag und nicht der jeweilige Vertragstyp.107 Nichtsdestotrotz sind Generalisierungen anhand des Vertragstyps de facto unvermeidbar, denn oftmals werden sich ausreichende Hinweise auf den konkreten Regelungsplan der Parteien und die Erfahrungen des täglichen Lebens nicht trennscharf unterscheiden lassen.108 Ob und in welcher Form eine Lücke vorliegt und was der intendierte Regelungsplan der Parteien ist, ist selbstredend bereits eine Frage der Auslegung. Es ist vor diesem Hintergrund zu vergegenwärtigen, dass zumeist eine externe (bzw. richterliche) Ausgestaltung des Vertrags vorgenommen wird.109 Denn das Ausfüllen der Lücke kann sich nicht mehr auf den Willen der Parteien stützen, sondern ist eine Vertragsfortbildung.110 Gleichwohl hat sich der Begriff „ergänzende Vertragsauslegung“ für den nachfolgenden modus operandi in praxi etabliert und wird deswegen zumindest kurz skizziert. Eine relevante Lücke soll hiernach nur vorliegen, falls diese planwidrig ist.111 Eine planwidrige Unvollständigkeit ist anzunehmen, falls der intendierte Regelungsplan auf der Grundlage des (ausdrücklich) Vereinbarten nicht realisiert werden kann: „Von [einer Lücke] kann nach feststehender Rechtsprechung nur gesprochen werden, wenn ein Vertrag innerhalb des tatsächlich gegebenen Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen der Parteien eine ersichtliche Lücke aufweist.“112 Materiell erfolgt die ergänzende Vertragsauslegung durch die Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens.113 Bestimmt werden muss, was beide Parteien redlicher Weise vereinbart hätten, hätten sie den ungeregelten Fall bedacht.114 105
BGH, NJW 1953, 937 (937); Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 2. BGB, Bd. I, 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 20 m. w. N. 107 Erman/Armbrüster, BGB, Bd. I , 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 20. 108 Vgl. auch Erman/Armbrüster, BGB, Bd. I , 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 20 f. 109 Zutreffend Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 60 und 69. 110 Zutreffend Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 157 Rn. 28. 111 Siehe nur BGH, NJW 1994, 3287 (3287); Erman/Armbrüster, BGB, Bd. I , 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 16; Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 157 Rn. 38; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 3; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 59; jeweils m. w. N. 112 BGH, NJW 1963, 2071 (2075). Siehe auch Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 3; Prütting/Wegen/Weinrich/Brinkmann, 13. Aufl. 2018, § 157 Rn. 19. 113 Siehe hierzu Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 343; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 66. 114 BGH, NJW 1982, 2184 (2185); Erman/Armbrüster, BGB, Bd. I, 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 20 f.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 343; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 7. Vgl. auch Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 66 m. w. N. 106 Erman/Armbrüster,
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Dabei darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht dem Vertragsinhalt oder dem tatsächlichen Parteiwillen zuwiderlaufen.115 Insbesondere soll die ergänzende Vertragsauslegung nicht eine (wesentliche) Erweiterung des Vertragsgegenstands zur Folge haben.116 Auf die Anwendung der Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung wird im Zuge der Einordnung moderner Vertragsbeziehungen zurückzukommen sein.117
B. Computererklärungen In Anbetracht der zunehmenden elektronischen Datenverarbeitung sowie des aufkommenden Internet wurde die Frage aufgeworfen, ob und in welcher Form vertragsrechtlich relevante Handlungen bei Nutzung dieser Technologien erfolgen (können).118 Dabei stellten sich zwei grundlegende Fragen: Zunächst galt es (kurz) zu klären, ob Willenserklärungen elektronisch abgegeben werden können. Vor allem waren aber automatisch generierte Erklärungen vertragsrechtsdogmatisch einzustufen, wenn und soweit solche Erklärungen einem potenziellen Vertragspartner (etwa nach einer Interessenbekundung) elektronisch übermittelt wurden. Beide Aspekte wurden (und werden) als Grundsätze der sogenannten Computererklärungen diskutiert. I. Grundlagen Eine elektronische Willenserklärung ist eine „echte“ Willenserklärung.119 Dies kann als allgemein gefestigte Meinung gelten120 und wird inzwischen zudem (implizit) durch § 312j Abs. 3 BGB unterstrichen: „(3) 1Der Unternehmer hat die Bestellsituation (…) zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. (…).“
115 BGH, NJW 1984, 1177 (1178); Erman/Armbrüster, BGB, Bd. I, 15. Aufl. 2017, § 157 Rn. 23; Prütting/Wegen/Weinrich/Brinkmann, 13. Aufl. 2018, § 157 Rn. 29 f.; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 8; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 66. 116 BGH, NJW 1953, 937 (937); Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 157 Rn. 56; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 157 Rn. 9; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 35 Rn. 66. 117 Siehe etwa sub Kapitel 4 § 10 C. IV. und § 11 A. II. 1. 118 Einführend zu „elektronischen Erklärungen“ Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 31 Rn. 10. 119 Siehe stellvertretend nur Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, Einf v § 116 Rn. 1; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 57. 120 Statt vieler Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 41.
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Explizit bezieht sich die Regelung nur auf einem Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat, die damit zum Ausdruck gebrachte Anerkennung elek tronischer Willenserklärungen gilt aber allgemein.121 In den Worten des BGH: „(…) Willenserklärungen können (…) auch durch elektronische Übermittlung einer Datei im Internet – online – abgegeben und wirksam werden.“122 Ein struktureller Unterschied zu einem Anruf, einem Brief oder einem Fax besteht insoweit nicht. Das BGB ist insoweit aus technischer Perspektive innovationsoffen. Sinnbildlich steht hierfür die in § 120 BGB benannte zur Übermittlung verwendete Einrichtung, die unproblematisch auch elektronische Kommunikationsmedien umfasst.123 II. Grundsätze der Computererklärung Die entscheidenden Fragen bei der Verwendung automatisiert erstellter Erklärungen sind zunächst anders gelagert: Welche technischen Vorgänge können als Willenserklärung eines Rechtssubjekts gewertet werden? Welche technischen Prozesse haben rechtsgeschäftlich relevanten Charakter? Wie werden der objektive und subjektive Tatbestand der Willenserklärung in diesem Kontext bestimmt? 1. Abgrenzung zu elektronisch übermittelten Willenserklärungen Ohne besondere Schwierigkeiten lassen sich solche Erklärungen zurechnen, die unmittelbar durch eine menschliche Handlung „auf den Weg“ gebracht werden. Das Versenden etwa einer E-Mail, einer SMS oder eines Tweets ist wertungsmäßig dem Versenden eines Briefes gleichzusetzen.124 Entsprechend ist die übersandte Erklärung eine Erklärung der handelnden Person. Solche elektronisch übermittelten Willenserklärungen werden unstrittig nach allgemeinen Regeln der Geschäftslehre beurteilt.125 Die elektronischen Kommunikationsformen dienen insofern schlicht als weiteres Transportmedium für eine Erklärung. 121 Eine davon zu trennende Frage ist, ob und inwieweit es bei entsprechenden Verbraucherverträgen im Lichte des § 312j Abs. 4 BGB – in Abweichung allgemeiner Grundsätze – zu einer vertraglichen Bindung kommt, siehe hierzu Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 312j Rn. 32 ff. Siehe im Übrigen auch zu den Auswirkungen auf smarte Anwendungen OLG München, MMR 2019, 532 sowie zuvor LG München I, MMR 2019, 125 sowie Sein, EuCML 2018, 179. 122 BGH, NJW 2002, 363 (364). 123 Siehe nur Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 120 Rn. 3. Anders allerdings bei autonomen Agenten, siehe nachfolgend sub Kapitel 4 § 12 B. III. 124 Vgl. auch Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 10; Mehrings, MMR 1998, 30 (31). 125 Statt vieler Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 667; Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 188; Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbe-
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2. Voraussetzungen der Computererklärung Einer differenzierteren Betrachtung bedürfen dagegen solche Erklärungen, die automatisiert übermittelt werden.126 a) Grundlagen Für solche automatisiert übermittelten Erklärungen hat sich der Begriff der Computererklärung etabliert.127 Der Begriff wird allerdings nicht einheitlich gebraucht. Teilweise werden die Begriffe automatisierte Willenserklärung128 oder elektronische Willenserklärung ohne inhaltliche Abweichung zu dem Begriff Computererklärung verwendet.129 Teilweise wird zwischen automatisierten Erklärungen und der Computererklärung unterschieden, wobei sich letztere (zusätzlich) durch die elektronische Übermittlung auszeichnen soll.130 Singer geht dagegen davon aus, dass „computergestützte Willenserklärungen“ nur vorbereitenden Charakter haben, während „automatisiert[e] Willenserklärungen (…) vollständig von einem Computerprogramm generiert werden“.131 Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis ist eine „Computererklärung (…) eine Erklärung (…), die ein Computer aufgrund der Programmierung automatisiert herstellt und die anschließend elektronisch an den Empfänger übermittelt wird.“132 Eine Computererklärung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Erklärung vorab programmiert wird.133 Der genaue Erklärungsinhalt (etwa der Vertragspartner) bestimmt sich unter Zugrundelegung definierter Pamerkung zu §§ 116 ff. Rn. 2. Siehe zu den verbraucherschutzrechtlichen Grenzen (insbeson dere § 312g BGB) etwa Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 12 ff. 126 Siehe hierzu statt vieler etwa Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 37 ff.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 256; Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 188 ff.; Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 6 ff. 127 Siehe etwa Cornelius, MMR 2002, 353 (354 f.). 128 So Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 667; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 256; Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 189 m. w. N. 129 Siehe Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 40; Mehrings, MMR 1998, 30 (31). Teilweise wird der Begriff einer elektronischen Willenserklärung auch weiter verstanden, siehe etwa Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 187. 130 Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 5 f.; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 31 Rn. 10. 131 Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 57. 132 Mehrings, MMR 1998, 30 (31). 133 Siehe etwa Cornelius, MMR 2002, 353 (354) sowie Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 189: „von einer EDV-Anlage auf Grund ihrer Programmierung vollautomatisiert erstellt“.
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rameter bzw. auf der Grundlage von (menschlichen) Voreinstellungen.134 Die konkrete technische Übermittlung an den Empfänger erfolgt sodann ohne weiteres menschliches Zutun.135 Regelmäßig weiß der Betreiber auch nicht positiv, zu welchem genauen Zeitpunkt und wem gegenüber welche Erklärungen abgegeben werden.136 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob in diesen Fällen gleichwohl eine Willenserklärung vorliegt. Genauer: Können solche Erklärungen dem Initiator (dem Betreiber der technischen Anlage) als dessen Willenserklärungen zugerechnet werden? Unbestritten scheint, dass eine umfassende Zurechnung(smöglichkeit) sachgerecht ist, da hierdurch Geschäftsabschlüsse in erheblichem Umfang beschleunigt werden (können). Prüfungsmaßstab für die in Rede stehenden Computererklärungen sind die allgemeinen Grundsätze für Willens erklärungen. b) Äußerer Tatbestand Voraussetzung für die Annahme einer Willenserklärung ist das Vorliegen eines äußeren und eines inneren Tatbestands.137 Der äußere (bzw. objektive) Tatbestand ist nach allgemeinen Regeln zu bestimmen. Denn auch für automatisiert erzeugte Erklärungen ist die objektivierte Wahrnehmung der Erklärung durch den Empfänger maßgeblich138: „Der Inhalt der Erklärung ist (…) nicht danach zu bestimmen, wie sie das automatisierte System voraussichtlich deuten und verarbeiten wird, sondern danach, wie sie der menschliche Adressat nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte verstehen darf. Allein ein solches Verständnis steht mit den §§ 133, 157 BGB und den hierzu entwickelten Auslegungsgrundsätzen in Einklang.“139
Deswegen ist allerdings nicht jede elektronisch übersandte Mitteilung eine (rechtlich erhebliche) Erklärung. Dies verdeutlicht bereits § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB, wonach ein Unternehmer bei einer Vertragsanbahnung im elektronischen Geschäftsverkehr dem Kunden den Zugang dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestätigen hat. Je nach Einzelfall zu bestimmen ist somit, ob es sich bei entsprechenden Mitteilungen nur um eine Zu-
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Mehrings, MMR 1998, 30 (31). Mehrings, MMR 1998, 30 (31); Cornelius, MMR 2002, 353 (354). 136 Cornelius, MMR 2002, 353 (354). 137 Siehe hier allgemein schon oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. a). 138 Statt vieler Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 7, 37; Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 191. 139 BGH, MMR 2013, 296 (297) – „Mr. Noch unbekannt“. Siehe hierzu etwa Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 332. 135
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
gangsbestätigung, um eine reine Information zum Bearbeitungsstand oder tatsächlich um eine Erklärung mit rechtsgeschäftlichem Inhalt handelt.140 c) Innerer Tatbestand Schwieriger zu bestimmen ist der innere Tatbestand der Erklärung. Zum Zeitpunkt der „Erzeugung“ bzw. der Abgabe der Erklärung liegt kein konkreter, sondern nur ein allgemeiner Kommunikationswillen vor.141 Prima facie handelt es sich bei der Erklärung daher um das Produkt einer Maschine, die ohne menschlichen Willen agiert.142 Eine solche – allein auf den „Erzeugungs“-Zeitpunkt abstellende – Betrachtung greift freilich zu kurz. Denn die Erklärung ist das Ergebnis einer menschlichen Programmierung und der dadurch determinierten logischen Operationen.143 aa) Herrschende Meinung Entscheidend soll der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Lehre zufolge für den subjektiven Tatbestand deswegen das willensbasierte Initialmoment sein.144 Computererklärungen bzw. das Produkt entsprechender Programme beruhen auf dem ursprünglichen Willen des Betreibers.145 Computererklärungen können hierdurch stets (mittelbar) – im Sinne einer gelockerten Anknüpfung146 – mit einer menschlichen willensbasierten Handlung verknüpft werden.147 Säcker führt insofern zutreffend aus:
140 Siehe zu den vielfältigen Einzelfällen, insbesondere bei der Nutzung sogenannter Autoresponder, Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 7 f. 141 Vgl. Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 6: „[Es] fehlt dem Betreiber im Zeitpunkt der Erzeugung der Willenserklärung (…) ein konkretes Erklärungsbewusstsein und ein konkreter Geschäftswille.“ 142 Vgl. Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 189. 143 Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 667; Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 189. 144 Höchstrichterlicher Ausgangspunkt war BGH, NJW 2002, 363 (364); siehe im Übrigen m. w. N. zu Rechtsprechung und Literatur Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 6 mit Fn. 24. 145 Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 256; Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 6 m. w. N. 146 Siehe oben sub Kapitel 3 § 8 B. II. 147 Siehe nur Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 31 Rn. 10: „auf eine Person als Urheber rückführbar“ sowie Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 57: „da die durchgeführten Rechenoperationen aufgrund menschlicher Bedienungsanweisungen durchgeführt werden und somit den Willen ihres Urhebers zuzurechnen sind“.
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„Jede Tätigkeit einer EDV-Anlage lässt sich jedenfalls mittelbar auf den (menschlichen) Willen des Anlagenbetreibers zurückführen, der sowohl das Programm als auch den Datenbestand der EDV-Anlage umfasst und der letztlich auch darüber entscheidet, ob die automatisiert hergestellte Erklärung in den Rechtsverkehr gelangt oder nicht.“148
Ausreichend sind deswegen ein genereller Wille zum Einsatz einer entsprechenden Einrichtung sowie ein allgemeiner Kommunikationswille.149 Der Betreiber verfügt regelmäßig über einen entsprechenden Willen bereits deswegen, weil das technische System exakt zum Zwecke der Erzeugung vertraglicher Bindung eingesetzt wird.150 Unschädlich ist, dass die Willensbetätigung und die Erklärungs-„Erzeugung“ zeitlich auseinander fallen, wenn und soweit ein kausaler Zusammenhang besteht.151 Die Willensbetätigung wird gegenüber dem Normalfall vorverlagert. Der Wille „realisiert“ sich erst in der konkreten Erklärung. Konsequenz der (willensbasierten) Zurechnung ist die umfassende Einstufung von Computererklärungen als Willenserklärungen des Betreibers – auf der Grundlage allgemeiner Grundsätze der Willenserklärung.152 Stellvertretend unterstreicht dies etwa der BGH: „Nicht das Computersystem, sondern die Person (oder das Unternehmen), die es als Kommunikationsmittel nutzt, gibt die Erklärung ab oder ist Empfänger der abgegebenen Erklärung.“153 Alternative Begründungsansätze zur Erzeugung einer vertraglichen Bindung des Betreibers haben sich nicht durchsetzen können. So war etwa in der Vergangenheit zum Teil eine analoge Anwendung der Boten- oder Stellvertreterregelungen154 148 Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 189; siehe ebenso statt vieler Cornelius, MMR 2002, 353 (355). 149 Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 6 m. w. N. Siehe im Übrigen etwa auch Mehrings, MMR 1998, 30 (31): „Voraussetzung ist, daß der Einsatz des Computers auf dem Willen des Anlagenbetreibers beruht und daß dieser sich die vom Computer hergestellten Erklärungen als eigene Willenserklärungen zurechnen lassen will oder zurechnen lassen muß.“ Zu Diskrepanz bei Wille und Erklärung siehe Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 192 ff. 150 Cornelius, MMR 2002, 353 (355); Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 667; Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 51. 151 Cornelius, MMR 2002, 353 (355); Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 41 f. 152 Siehe etwa Cornelius, MMR 2002, 353 (355); Kuhn, Rechtshandlungen mittels EDV und Telekommunikation, 1991, S. 69 ff.; Müller-Hengstenberg/Kirn, MMR 2014, 307 (308 f.); Riehm, ITRB 2014, 113 (113). Eine Zurechnung bejahend, aber einen konkreten Geschäftswillen verneinend etwa Köhler, AcP 182 (1982), 126 (134); Mehrings, MMR 1998, 30 (31). Weitere Nachweise bei Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Multimedia-Recht, 45. Erg.Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 55 Fn. 2. 153 BGH, MMR 2013, 296 (297) – „Mr. Noch unbekannt“. 154 Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, 1988, S. 56 ff.; Zuther, Die Auswirkungen der Rationalisierung im Rechtsverkehr auf die Abgabe und Anfechtung von Willenserklärungen, 1968, S. 105 f. (vergleichbare Rechtslage zu einem Boten). Hiergegen etwa Cornelius, MMR 2002, 353 (354 f.).
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
oder der Grundsätze der Blankett-Erklärung155 befürwortet worden. Letztlich besteht somit kein struktureller Unterschied zur Verwendung traditioneller Kommunikationsmedien (wie Telefon oder Brief etc.). bb) Betriebsbezogene Zurechnung (Wiebe) Vereinzelt wird allerdings noch grundlegender nicht (mehr) der Wille des Handelnden betont, sondern (vor allem) das im Rechtsverkehr erzeugte Vertrauen. Der Betreiber müsse sich an der Computererklärung, die durch ihn in den Rechtsverkehr gelangt ist, festhalten lassen.156 Eine Zurechnung erfolgt hier (weitgehend) nicht mehr willensbasiert, sondern aufgrund des Betriebs der EDV-Anlage.157 Wiebe hat insoweit eine eigenständige Kategorie einer elektronischen Willenserklärung herausgearbeitet: „Als Leitgedanke für die Annahme der Verbindlichkeit einer elektronischen Willenserklärung tritt dann stärker der Vertrauensschutz hervor. Die elektronische Willenserklärung verdient Anerkennung, weil auf Seiten des Empfängers schutzwürdiges Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung besteht und aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Funktionsfähigkeit des elektronischen Geschäftsverkehrs eine Anerkennung der Erklärung geboten ist. Der Wille kann hier zwar noch berücksichtigt werden, aber nur in seiner generellen Form. Demgegenüber tritt typologisch stärker der Vertrauens- und insbesondere Verkehrsschutzgedanke hervor. Dies schlägt sich auch in den anzuwendenden Zurechnungsgesichtspunkten nieder, indem das Willens- hinter dem Risikoprinzip zurücktritt.“158
Diese Ansicht verdient von einem konzeptionellen Standpunkt, insbesondere in Ansehung schutzwürdiger normativer Erwartungen159, dem Grunde nach Zustimmung. Soweit man hierdurch allerdings die Überwindung der willensbasierten (Willens-)Erklärung befürwortet160 , ist die Ansicht zumindest de lege lata abzulehnen.161 Denn es mangelt an dem erforderlichen Zusammenwirken 155
Siehe etwa Köhler, AcP 182 (1982), 126 (134). Mehrings, MMR 1998, 30 (31): „Auch wenn die Herstellung der einzelnen Erklärungen der DV-Anlage überlassen wird und damit nicht auf einem konkreten Rechtsfolgewillen (Geschäftswillen) des Anlagebetreibers beruht, arbeitet der Computer auf der Grundlage des „generellen“ Willens, des „allgemeinen Handlungswillens“ und des „allgemeinen Erklärungsbewußtseins“ seines Betreibers. (…) Nach der maßgeblichen Sicht des Erklärungsempfängers macht sich der Anlagenbetreiber die Computererklärungen zu eigen, weil er sie in den Rechtsverkehr gelangen läßt, auch wenn er zunächst weder deren Inhalt noch deren Adressaten kennt.“ 157 Vgl. auch Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr- Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209 (220 f.) sowie Sosnitza, CR 2016, 764 (767). 158 Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, 2002, S. 200. Zustimmend Sosnitza, CR 2016, 764 (767). 159 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 C. 160 So etwa Sosnitza, CR 2016, 764 (767). Siehe im Übrigen hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A I. 2. a) bb) (1). 161 Ablehnend (allerdings wohl auch de lege ferenda) auch Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 57: „Für die Neuschöpfung einer ‚elektronischen Willens156
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von Wille und Erklärung.162 De lege ferenda wird hierauf allerdings zurückzukommen sein.163 3. Anwendung auf elektronische Agenten Den bisherigen Ausführungen zu den Grundsätzen der Computererklärung ist eine wesentliche Annahme zugrunde gelegt worden. Es ist davon ausgegangen worden, dass die eingesetzten technischen Anwendungen Willenserklärungen auf der Grundlage einer (hierarchischen) Wenn-Dann-Programmierung „produzieren“. Die Erklärung ist vordefiniert durch die Programmierung, die wiederum durch den Betreiber willentlich ins Werk gesetzt worden ist.164 Dies rechtfertigt es (noch), einen entsprechenden allgemeinen Kommunikationsund Partizipationswillen des Betreibers in Bezug auf die Ergebnisse der Programmierung anzunehmen.165 Beim Einsatz elektronischer Agenten166 können allerdings auch Geschäfte abgeschlossen werden, deren genaue Konditionen die die Agenten einsetzenden Personen beim Start des Programms nicht kennen (können). Prominente Beispiele bilden sogenannte Bietagenten, die bei Internetauktionen eingesetzt werden.167 Entsprechende Programme geben im Zuge einer entsprechenden Auk tion für den einsetzenden Nutzer abhängig von anderen Geboten (und gegebenenfalls der Marktlage) Gebote ab, die unter Umständen zu einer vertraglichen Bindung führen können. In diesem Fall sind die durch den Agenten abgegebenen Erklärungen durch den Nutzer initiiert und – wenn auch mit anfänglich unbekannten, aber akzeptierten Variablen – bestimmbar.168 Elektronische Agenten bestimmen somit „höchstens den Weg zu einer Erklärung, nicht aber deren Inhalt. Der Inhalt der Erklärung liegt vielmehr im Zielsystem, das der Nutzer vorgegeben hat.“169 Nach alledem erweisen sich die Grundsätze der Computererklärung somit als dogmatisch konsistenter Zugriff für elektroni-
erklärung‘, die aufgrund des Risikoprinzips dem Betreiber zugerechnet werden soll (…), besteht (…) kein Bedarf.“ 162 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. b). 163 Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. II. 164 Mehrings, MMR 1998, 30 (31). 165 Siehe auch Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9. 166 Zum Begriff siehe oben sub Kapitel 1 § 1 E. und Kapitel 2 § 4 C. 167 Vgl. Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 10. Zum Vertragsschluss auf Plattformen näher sub Kapitel 4 § 10 C. 168 Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 55. 169 Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 55 m. w. N.
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sche Agenten.170 Zur Klarstellung sei an dieser Stelle allerdings angemerkt, dass damit nicht der Einsatz autonomer Agenten, also auf Künstlicher Intelligenz basierende Anwendungen, in Rede steht (auf deren Einsatz beim Vertragsschluss zurückzukommen sein wird171).172 Denn elektronische Agenten handeln nicht autonom im hier verstandenen Sinne.173
C. Vertragsschluss auf Plattformen Bislang wurde die Verwendung von Computererklärungen in rein bipolaren Konstellationen erörtert. Dieser Zugriff bedarf einer Erweiterung. Denn mit dem (massentauglichen) Internet ging die Etablierung von Online- bzw. Vermittlungs- und Informationsplattformen einher, auf denen Verträge angebahnt und geschlossen werden sollen (platform revolution).174 Die Plattformökonomie hat sich zu einem zentralen Element modernen Wirtschaftens entwickelt und bedingt eine weitere und richtungsweisende Stufe der Einbindung entsprechender technischer Anwendungen zum Vertragsschluss. Mit Schweitzer gilt es zunächst festzuhalten: „Eine Besonderheit digitaler Plattformen ist bislang allerdings nicht hinreichend zur Kenntnis genommen worden: Charakteristisch für Plattformen ist nicht nur, dass sie eine Mittlerfunktion ausüben – wie dies auch etwa Makler oder Handelsvertreter tun. Ihre Eigenart gegenüber anderen Intermediären liegt vielmehr darin, dass sie Interaktio nen kraft Schaffung einer neuen, jeweils zweckspezifisch ausgestalteten Infrastruktur vermitteln: Die Informationsmittlungs- und Matchingfunktion digitaler Plattformen ist untrennbar mit der Einrichtung von Institutionen und Regeln verknüpft, nach denen die Plattformnutzer auf der Plattform miteinander interagieren.“175
Spezielle vertragsrechtliche Regelungen zu Transaktionen auf Plattformen stehen allerdings noch aus.176 In diesem Sinne soll nachfolgend dargelegt und analysiert werden, in welcher Form und auf welche Weise die Verwendung entspre170 Statt vieler Riehm, ITRB 2014, 113 (113); Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9. 171 Siehe nachfolgend sub Kapitel 4 § 12 B. 172 So zutreffend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (181) m. w. N. Eine Gleichsetzung befürwortend etwa Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, 1988, S. 58 f.; Cornelius, MMR 2002, 353 (355). Ebenso (wohl) Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 667 (der sich auf „sog. kreative Programme“ bezieht); Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 57. 173 Siehe oben sub Kapitel 2 § 4 C. sowie etwa Kitz, in: Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Multimedia-Recht, 45. Erg.-Lfg. (Juli 2017), Teil 13.1. Rn. 55. 174 Siehe nochmals Parker/Van Alstyne/Choudary, Platform Revolution, 2016 sowie aus rechtlicher Sicht stellvertretend Engert, AcP 218 (2018), 304; näher oben sub Kapitel 4 § 5 A. 175 Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3). 176 Maultzsch, ERCL 2018, 209 (210).
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chender Plattformen de lege lata vertragliche Bindung (und im Verhältnis zu wem) erzeugt.177 Der Fokus liegt dabei auf plattformbasierten Transaktionen und damit Vermittlungsplattformen. (Nur) allgemeiner Ausgangspunkt ist, dass der Plattformbetreiber im Grundsatz nicht Vertragspartei eines auf der Plattform geschlossenen Vertrages wird.178 Es gilt der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse.179 Auf einer Plattform abgeschlossene Verträge werfen drei Kernfragen auf: Es ist zu klären, (1) zwischen welchen Parteien ein Vertrag geschlossen wurde. Es ist (2) das Verhältnis zwischen dem auf der Plattform geschlossenen Vertrag (Marktverhältnis) und etwaiger mit dem Plattformbetreiber geschlossenen Nutzervereinbarungen (Nutzungsverhältnis) zu bestimmen.180 Schließlich ist (3) die rechtliche Relevanz der vom Plattformbetreiber regelmäßig „gestellten“ Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu bestimmen. Beispielgebend und prägend für die vertragsrechtliche Fassung von Plattformen – und für die vorbenannten Fragen – ist die Internetauktionsplattform eBay. eBay ist freilich nicht repräsentativ für sämtliche Vermittlungsplattformen, auf denen Transaktionen ermöglicht werden. Die rechtliche Betrachtung darf nicht einem eBay-bias181 unterliegen. Gleichwohl sollen auch im Folgenden zunächst die Vertragsschluss-bezogenen Rechtsfragen bei eBay betrachtet werden. Die mit einem Vertragsschluss auf eBay verbundenen Vertragsbeziehungen waren Gegenstand einer Vielzahl höchstrichterlicher Entscheidungen, die die verschiedenen Rechtsfragen konzise bündeln.182 Sodann sollen die weiteren Sonderformen Bausteinverträge auf Plattformen sowie Pauschalreiseverträge behandelt werden, bevor die Erkenntnisse für allgemeine Lehren für Vermittlungsplattformen überführt werden können. I. Die eBay-Rechtsprechung Die Internetauktionsplattform eBay bietet für Nutzer unter anderem (und vereinfacht) die Option, eine bestimmte Ware bzw. Produkte auf der Webseite von eBay einzustellen und für „Gebote“ anderer Nutzer zu erhalten. Der Höchstbietende erhält nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums den „Zuschlag“.183
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Siehe hierzu etwa Engert, AcP 218 (2018), 304 (344 ff.). Statt vieler nur BGH, MMR 2011, 447 (449 f.); Engert, AcP 218 (2018), 304 (311, 346 f.); Maultzsch, ERCL 2018, 209 (211). Siehe ausführlich zur Pflichtenstruktur des Plattformbetreibers in Bezug auf Vertragsschlüsse auf der Plattform Engert, ebd. 320 ff. 179 Siehe nur Maultzsch, ERCL 2018, 209 (211). 180 Siehe zu den Begriffen Markt- und Nutzungsverhältnis Koch, CR 2005, 502 (502 f.). 181 Siehe den Diskussionsbetrag von Schmidt-Kessel (McColgan, AcP 218 [2018], 377 [378]). 182 BGH, NJW 2002, 363 – ricardo.de; NJW 2005, 53; NJW 2011, 2643; NJW 2014, 1292; NJW 2015, 1009; NJW 2016, 395; NJW 2017, 1660; NJW 2017, 468. 183 Einführend zu den verschiedenen Formen einer Internetauktion etwa Wiebe, MMR 2000, 323 (323). 178
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1. Vertragsschluss auf eBay In den Anfangszeiten des Internet war die rechtliche Einordnung sogenannter Internetauktionen ungeklärt und entsprechend umstritten.184 Dies begann bereits mit der grundsätzlichen Frage, ob der Vertragsschluss wie bei einer „klassischen“ Versteigerung durch einen Zuschlag im Rechtssinne nach § 156 BGB zustande kommt oder ob vielmehr die allgemeinen Regelungen der §§ 145 ff. BGB zur Anwendung gelangen. Darüber hinaus musste geklärt werden, ob und welche Weise (im Übrigen) der Vertragsschluss erfolgt. 2001 erhielt der BGH die erste Chance, einen Teil der vielzähligen dogmatischen (und rechtspraktischen) Fragen zu klären. Der BGH zeigt(e) dabei durchgängig das Bestreben, die mit der Plattform ökonomie verbundenen Geschäftsmodelle adäquat zu rahmen, nicht jedoch zu verhindern oder unverhältnismäßig zu erschweren. Insbesondere entging dem BGH auch nicht die wirtschaftliche Bedeutung entsprechender Geschäftsmodelle.185 So lehnte der BGH in der ersten (Leit-)Entscheidung ricardo.de ganz grundsätzlich eine Qualifikation von Internetauktionen als Spiel im Sinne des § 762 BGB ab; es werde „von den Parteien ein ernsthafter wirtschaftlicher Geschäftszweck verfolgt, der auf den Austausch gegenseitiger Leistungen mit einer Preisbildung durch zeitlich beschränkte Bieterkonkurrenz gerichtet [ist].“186 a) Kein Zuschlag im Sinne des § 156 BGB In Bezug auf den Vertragsschluss verneinte der BGH in ricardo.de zunächst ein Zustandekommen des Vertrags gemäß § 156 BGB.187 Ein Zuschlag setzt eine Willenserklärung des Auktionators voraus, der dadurch das Gebot des Bieters annimmt. Die Mitteilung des Online-„Auktionshauses“ ricardo.de über den „Zuschlag“ sei nicht als Willenserklärung zu qualifizieren – und stelle deswegen (nur) eine Wissenserklärung dar.188
184 Stellvertretend vor der nachfolgend diskutierten Entscheidung des BGH etwa Wiebe, MMR 2000, 323. Detailfragen sind dagegen bis heute umstritten, siehe nur Schinkels, MMR 2018, 351 zu Maximal- und Höchstgeboten. 185 Siehe in diesem Zusammenhang auch Sester, CR 2001, 98 (108). 186 BGH, NJW 2002, 363 (365) – ricardo.de. 187 BGH, NJW 2002, 363 (364); NJW 2005, 53 (54). Ebenso etwa statt vieler Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 145 Rn. 17. Gegenläufig etwa Wiebe, MMR 2000, 323 (324). Eine Berücksichtigung des Leitbildes des § 156 BGB erwägend Sester, CR 2001, 98 (108). 188 BGH, NJW 2002, 363 (364), der allerdings darauf hinweist, dass „[es] deshalb dahingestellt bleiben [kann], ob die hier durchgeführte Online-Auktion den Tatbestand einer Versteigerung i. S. des § 156 BGB erfüllte und ob die (dispositive) Vorschrift des § 156 BGB durch die Präambel der AGB für das Rechtsverhältnis der Parteien [sic!] wirksam abbedungen wurde.“
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b) Allgemeine Vorschriften der §§ 145 ff. BGB Der Vertrag zwischen den Nutzern im Marktverhältnis soll dem BGH zufolge auf der Grundlage der allgemeinen Vorschriften (§§ 145 ff. BGB) geschlossen werden.189 Dieser Befund bedingt eine Einordnung der verschiedenen Tätigkeiten auf der Plattform. In diesem Sinne qualifizierte der BGH zunächst das Einstellen der Ware durch den verkaufenden Nutzer nicht als invitatio ad offerendum, sondern (alternativ) als verbindliches Angebot an den höchstbietenden Nutzer (sprich ad incertam personam) oder als antizipierte Annahme des (wirksamen) Angebots des letzten und höchstbietenden Nutzers.190 Dabei fungiere die Plattform jeweils als Empfangsvertreter (vgl. § 164 Abs. 3 BGB) für die wechselseitigen Erklärungen der Nutzer.191 Im Sinne der zuvor skizzierten Grundsätze zu Willenserklärungen betonte der BGH dabei die Maßgeblichkeit des objektiven Empfängerhorizonts: „Unerheblich ist, ob sich der [Verkäufer] bei Abgabe seiner Willenserklärung und Freischaltung der Angebotsseite des verbindlichen Charakters seiner Erklärung bewusst war. Trotz fehlenden Erklärungsbewusstseins (…) liegt eine Willenserklärung vor, wenn der Erklärende – wie der [Verkäufer] – bei der Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte (…).“192
Der BGH hat seine Rechtsprechungslinie seit ricardo.de in verschiedener Weise ausdifferenzieren und vertiefen können. So bestätigte das Gericht im Jahre 2004 seine Auffassung zur Ablehnung einer Versteigerung und zur Anwendung der §§ 145 ff. BGB; es führte präzisierend aus, dass der Verkäufer regelmäßig ein Angebot an den Höchstbietenden abgebe, das der Höchstbietende mit der Abgabe des Höchstgebots annehme.193 Je nach Auslegung der Erklärungen ist ebenso eine Qualifikation der „Angebots“-Freischaltung als antizipierte Annahmeerklärung denkbar.194 In weiteren Entscheidungen bestätigte der BGH seine Grundlinie.195 2. Relevanz Allgemeiner Geschäftsbedingungen Plattformen eröffnen somit ihren Nutzern die Möglichkeit zur Abgabe von Erklärungen. Der Inhalt entsprechender Erklärungen wird zumeist nur in Bezug auf die essentalia negotii (Warenbezeichnung, Preis) von den Nutzern (aus189
BGH, NJW 2002, 363 (364). BGH, NJW 2002, 363 (364). Siehe statt vieler Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 145 Rn. 17; Wagner/Zenger, MMR 2013, 343 (344). 191 BGH, NJW 2002, 363 (364); eine andere Einordnung vornehmend etwa Schinkels, MMR 2018, 351 (352 f.). 192 BGH, NJW 2002, 363 (365). 193 BGH, NJW 2005, 53 (54). 194 Vgl. Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 145 Rn. 17. 195 Siehe BGH, NJW 2011, 2643; NJW 2014, 1292; NJW 2015, 1009; NJW 2016, 395. 190
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drücklich) bestimmt. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformen machen deswegen oftmals umfangreiche zusätzliche Ausführungen zur Abgabe (und Rücknahme) von Angebot und Annahmeerklärung. Der BGH hatte deswegen neben der Frage des Vertragsschlusses zusätzlich zu klären, welche Bedeutung den grundsätzlich im Nutzungsverhältnis vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zuzuerkennen ist. Hierzu wurden unterschiedliche Zugriffe erwogen, die die komplexe Fassung einer multipolaren Konstellation unterstreichen.196 a) Unmittelbare Einbeziehung Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers könnten in das Marktverhältnis unmittelbar mit einbezogen sein. Eine solche Einbeziehung ist auf verschiedenen Wegen versucht worden zu konstituieren.197 aa) Stellen durch eine Partei Eine unmittelbare Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen könnte zunächst dadurch erzielt werden, dass eine der Vertragsparteien diese im AGB-rechtlichen Sinne „gestellt“ hat (§ 305 Abs. 1 BGB). Dies würde bedeuten, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (zuvor) im Verhältnis zu beiden Nutzern im Zuge des Nutzungsverhältnisses von dem Plattformbetreiber gestellt werden – und sodann sich eine Partei die Bedingungen „zu eigen macht“. Dies ist grundsätzlich abzulehnen.198 Die Zuweisung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu einer Partei ist im Grundsatz eine reine Fiktion. Hierfür spricht zunächst, dass eine Zuweisung zu einer der beiden Parteien rein willkürlich wäre. Es stellt sich die Frage, warum eine der „auf Augenhöhe“ verhandelnden Parteien das Risiko der AGB-rechtlichen Unwirksamkeit tragen sollte. Darüber hinaus entspricht es auch nicht den Erwartungen der Parteien, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von einer Seite zu stellen sind. Vielmehr nutzen beide Parteien gerade gleichzeitig die Infrastruktur der Plattform. Vor diesem Hintergrund betonte auch bereits der BGH in der ricardo.de-Entscheidung, „dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, welche die Parteien bereits bei ihrer Anmeldung als (künftige) Nutzer der Auktionsplattform gegenüber [ricardo.de] anerkannt haben, im Verhältnis der Parteien zueinander von keiner Seite ‚gestellt‘ wurden, so dass keine Vertragspartei ‚Verwender‘ i. S. des § 1 AGBG ist.“199
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Zur den Charakteristika von Multipolarität bereits oben sub Kapitel 2 § 4 A. Siehe hierzu etwa Engert, AcP 218 (2018), 304 (346 ff.). 198 Siehe nur BGH, NJW 2017, 1660 (1661) sowie statt vieler Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 8. Aufl. 2019, § 305 Rn. 22; Engert, AcP 218 (2018), 304 (349). 199 BGH, NJW 2002, 363 (365). 197
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Dies gilt im Grundsatz in gleicher Weise auch bei sogenannten b2c-Geschäften auf entsprechenden Plattformen.200 Dabei werden regelmäßig auch nicht die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens miteinbezogen. Denn es wird insofern zumindest in der Regel an einem ausdrücklichen Hinweis zu einer entsprechenden Einbeziehung fehlen, der nach § 305 Abs. 2 BGB erforderlich ist.201 bb) Gesonderter (Rahmen-)Vertrag Ebenso wurde – von Sester und Ulrici – erwogen, dass der Plattformbetreiber und die Nutzer der Plattform einen gesonderten (Rahmen-)Vertrag abschließen.202 Die Vereinbarung über die bzw. das Einverständnis des Nutzers mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber dem Plattformbetreiber enthielte zugleich ein Angebot an alle (anderen) Nutzer.203 Gegenstand dieses gesonderten Angebots bzw. Vertrages sei die Verpflichtung zur Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in sämtliche (zukünftige) Vertragsver hältnisse zwischen den Nutzern.204 Ebenso seien die korrespondierenden Annahmeerklärungen – auch und gerade bei erst nachträglich hinzutretenden Nutzern – konkludent unmittelbar oder antizipiert in der jeweiligen Nutzungsvereinbarung enthalten.205 Der Plattformbetreiber fungiert wiederum als (ständiger) Empfangsvertreter.206 Allgemein zustimmungswürdig ist Sesters Beobachtung, dass die jeweiligen vertraglichen Beziehungen auf der Grundlage von standardisierten Konditionen erfolgen.207 Die vertragliche Bindung zwischen den Nutzern wird durch die Einschaltung der Plattform organisiert. Erklärungen der Parteien werden ebenso wie der Erwartungshorizont der Parteien umfassend durch den Plattformbetreiber geprägt. Das multipolare Zusammenwirken zwischen Plattform und Nutzern wird durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gesteuert. Die zwischen den Personen stattfindende Kooperation weist – im Ansatz – (personen-)gesellschaftliche Züge auf, weswegen Sester auch nachvollziehbarer Weise für die Inhaltskontrolle208 die vergleichbare Interessenlage bei (Publikums-) 200
Engert, AcP 218 (2018), 304 (349). Siehe nur Koch, CR 2005, 502 (504). 202 Sester, CR 2001, 98 (107), dort „Marktordnung“ genannt; Ulrici, NJW 2001, 1112 (1112). 203 Sester, CR 2001, 98 (107). 204 Sester, CR 2001, 98, (107). 205 Spindler, ZIP 2001, 809 (812). Siehe hierzu auch nachfolgend Kapitel 4 § 11 B. I. 3. und 4. 206 Spindler, ZIP 2001, 809 (812). 207 Sester, CR 2001, 98 (98 f.). 208 Sester, CR 2001, 98 (107 f.). Alternativ zu einer Bezugnahme auf § 242 BGB bzw. die Grundsätze von Publikumspersonengesellschaften erwägt Sester (ebd. 108), dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen speziell bei Internetauktionen am Maßstab des § 138 Abs. 1 201
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Personengesellschaften in den Blick nimmt.209 Denn es verfolgen sämtliche Beteiligte den gemeinsamen Zweck der Eröffnung eines „Marktes“, wofür es einer „Marktordnung“ in Form der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bedarf.210 Das Vorliegen eines gesonderten (Rahmen-)Vertrags wirft freilich die zentrale Frage nach der Grundlage eines solchen Vertrages auf. Dabei gilt es zu klären, ob tatsächlich die Nutzung der Plattform (bzw. die Registrierung auf einer Plattform) auch als Willenserklärung zum Abschluss eines (mehrseitigen) Vertrages mit allen aktuellen und potenziellen Nutzern gewertet werden kann. Überwiegend wird die Annahme einer solchen Willenserklärung abgelehnt mit dem Hinweis, Nutzer wollten sich nicht gegenüber allen anderen Nutzern vertraglich binden.211 Ob und inwiefern eine entsprechende Willenserklärung des Nutzers im Nutzungsverhältnis vorliegt, bestimmt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont. Empfänger der Erklärung ist in diesem Fall der Plattformbetreiber bzw. die anderen, bereits registrierten oder noch zu registrierenden Nutzer. Deren Empfängerhorizont ist allerdings wiederum durch die Vorgaben und das Angebot der Plattform geprägt.212 Denn der registrierte Nutzer gibt eine durch die Plattform vorformulierte Erklärung ab.213 Bezugspunkt für den Empfängerhorizont sind damit (im Ergebnis) die objektiven Erwartungen des sich registrierenden Nutzers. Unbestritten scheint, dass sich die objektiven Erwartungen des Nutzers auf die (reibungslose) Nutzung der Plattform beziehen. Die Nutzung der Plattform umfasst den Abschluss von Verträgen mittels Internetauktionen. Die Erwartung bezieht sich somit auf eine zukünftige vertragliche Bindung gegenüber anderen, einzelnen Nutzern und nicht auf eine unmittelbare vertragliche Bindung gegenüber allen Nutzern bei Registrierung.214 Ohne einen deutlichen Hinweis des Plattformbetreibers wird demnach eine entsprechende Erwartung des Nutzern typischerweise nicht bestehen.215 Die Annahme eines Rahmenvertrages ist damit grundsätzlich abzulehnen.
BGB in Verbindung mit den (Wertungen der) §§ 156, 315 f., 762 BGB zu messen seien; unterstellt, dass § 138 Abs. 1 BGB ein allgemeines Gebot der Fairness im Geschäftsverkehr enthalte. 209 Siehe zum Gesellschaftsrecht noch nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 B. 4. und 5. 210 Wiebe, MMR 2000, 323 (325); ebenso Hellgardt, AcP 213 (2013), 760 (808). Siehe auch Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f., 6). 211 Meyer, in: Borges (Hrsg.), Rechtsfragen der Internet-Auktion, 2007, S. 26 (34); Wagner/ Zenger, MMR 2013, 343 (347). 212 Vgl. auch Koch, CR 2005, 502 (504). 213 Koch, CR 2005, 502 (504). 214 Vgl. auch Koch, CR 2005, 502 (504). 215 Koch, CR 2005, 502 (504 f.).
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b) Vertrag zugunsten Dritter Eine weitere Konzeption zur Fassung der Plattform-seitigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen stützt sich auf das Rechtsinstitut des Vertrags zugunsten Dritter. Diese Ansicht qualifiziert den im Nutzungsverhältnis geschlossenen Vertrag in Bezug auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers als Vertrag zugunsten Dritter, sprich zugunsten der anderen Nutzer.216 Ein Vertrag zugunsten Dritter setzt allerdings ein Leistungsversprechen zugunsten des Dritten voraus. Unklar erscheint bereits, worin dieses Leistungsversprechen im vorliegenden Zusammenhang bestehen soll bzw. worauf der dritte Nutzer einen Anspruch hat. Denkbar erscheint ein Anspruch der anderen Nutzer darauf, dass das Angebot eines Nutzers die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers als eigene miteinbezieht. Nichtsdestotrotz können sich beide Parteien dann allerdings auch vor Vertragsschluss (Relativität der Schuldverhältnisse) die Geltung abweichender Allgemeiner Geschäftsbedingungen vereinbaren (dies gilt unbeschadet einer potenziellen Pflichtverletzung im Nutzungsverhältnis).217 Gegen die Annahme eines Vertrags zugunsten Dritter wurde ganz grundsätzlich eingewendet, dass es sich dabei in der konkreten Situation um einen Vertrag (auch) zulasten Dritter handele.218 Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthielten typischerweise auch Regelungen, die dem anderen Nutzer nicht zum Vorteil gereichen.219 Eine solche Betrachtung kann aus verschiedenen Gründen allerdings bereits im Ansatz nicht überzeugen: Denn der Vertrag zugunsten Dritter begründet für den Dritten keine Rechtspflichten.220 Der Dritte erhält nach dem zuvor Ausgeführten (nur) einen Anspruch auf Verwendung bestimmter Allgemeiner Geschäftsbedingungen bei einem zukünftigen Angebot (bzw. einer korrespondierenden Annahme). Pflichten für den Dritten werden erst begründet durch diesen (zukünftigen) Vertrag (bzw. durch dessen eigenen Vertrag mit dem Plattformbetreiber im Nutzungsverhältnis).221 Die Tatsache, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch Bestandteil des (zukünftigen) Vertrags zwischen den Nutzern im Marktverhältnis werden, bedingt keine abweichende Beurteilung. Denn der andere Nutzer stimmt erst im Zuge des Vertragsschlusses der Geltung dieser Allgemeinen Geschäftsbe216
Koch, CR 2005, 502 (505 ff.). Dieser Befund gilt allgemein, siehe nur die nachfolgend sub Kapitel 4 § 10 C. I. 3. skizzierte BGH-Rechtsprechung (BGH, NJW 2017, 1660 [1661]). Zu seitens des Verkäufers verwendete Allgemeine Geschäftsbedingungen, die von den Plattform-seitigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen abweichen, siehe etwa zuvor Deutsch, MMR 2004, 586 (589); Grapentin, GRUR 2001, 713 (714); Koch, CR 2005, 502 (510); Spindler, ZIP 2001, 809 (812 f.). 218 Siehe etwa Wagner/Zenger, MMR 2013, 343 (347). Vgl. hierzu auch Wiebe, MMR 2000, 323 (323 ff.). 219 Grapentin, GRUR 2001, 713 (714). 220 Vgl. auch Koch, CR 2005, 502 (505 f.). 221 Koch, CR 2005, 502 (505 f.). 217
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dingungen (final) zu. Dies gilt auch wenn – folgt man der vorgenannten Konzeption – der andere Nutzer sich zu einer solchen Zustimmung selbst wiederum im Zuge seines eigenen Vertrags (zugunsten Dritter) im Nutzungsverhältnis verpflichtet hat und der erste Nutzer demnach einen Anspruch auf die Zugrundelegung der bzw. der Zustimmung zu den Plattform-seitigen erstellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen im Verhältnis zwischen den Nutzern hat). Vor diesem Hintergrund liegt deswegen auch materiell keine Belastung des Dritten vor. Denn zunächst hat sich der Dritte gerade selbst dem Plattformbetreiber gegenüber zur Verwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei zukünftigen Verträgen verpflichtet.222 Gleichwohl zeigen die letztgenannten Erwägungen auch die konstruktiven Verrenkungen auf, die zur Annahme eines Vertrags zugunsten Dritter unternommen werden müssen. Dieser Befund wird dadurch unterstrichen, dass beim Vertrag zugunsten Dritter Bezugspunkt der Inhaltskontrolle (und des Inhalts des Leistungsversprechens an den Dritten) die zwei Vertragsparteien sind.223 Ganz grundsätzlich nähert sich zudem die Vielzahl von (aufeinander bezogenen) Verträgen de facto einer Rahmen- bzw. Marktordnung an, die durch einen – zuvor diskutierten – gesonderten (Rahmen-)Vertrag (eher) adäquat erfasst scheint.224 Schließlich ist es nicht der von den Vertragsparteien verfolgte Zweck, punktuell einem Dritten einen Anspruch einzuräumen – im Sinne des Grundkonzepts des Vertrags zugunsten Dritter –, sondern gerade die Nutzer zum Zwecke eines weiteren Vertragsschlusses miteinander unter infrastruktureller Assistenz des Plattformbetreibers interagieren zu lassen.225 Ebenso wie im Zuge der Diskussion eines gesonderten (Rahmen-)Vertrags ist zudem zweifelhaft, ob sich die Nutzer im Zuge des Vertragsschlusses mit dem Plattformbetreiber gegenüber Dritten vertraglich binden wollen.226 Vielmehr – und dies erscheint entscheidend – besteht auch aus der Perspektive des Erklärungsempfängers (in diesem Fall der Plattformbetreiber) keine objektive Erwartung dahingehend, dass der Nutzer anderen Nutzern einen (klagbaren) Anspruch gewähren möchte. Vielmehr ist dem Plattformbetreiber bereits dadurch gedient (und von ihm objektiviert erwartet und erwartbar), dass der Nutzer sich ihm gegenüber den Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterwirft. Darüber hinaus verwendet der Plattformbetreiber die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber allen Nutzern. Da auch die Nutzer sich der Verwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber allen Nutzern bewusst sind, versteht der Plattformbetreiber die Willenserklärung des einzelnen
222 Vgl.
Wiebe, MMR 2000, 323 (325). Sester, CR 2001, 98 (104). 224 Siehe wiederum Sester, CR 2001, 98 (104). Vgl. auch Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.). 225 Sester, CR 2001, 98 (104): „Transaktionsforum“. Siehe auch BGH, NJW 2002, 363 (364). 226 Verneinend etwa statt vieler Wagner/Zenger, MMR 2013, 343 (347). 223
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(sich registrierenden) Nutzern – objektiviert – nur als Begründung von Leistungspflichten ihm gegenüber. Die vertragliche Bindung zwischen den Nutzern wird somit – auch und gerade aus der Perspektive bzw. des Empfängerhorizonts des Plattformbetreibers sowie sämtlicher Nutzer – erst begründet durch den (weiteren) Vertragsschluss auf der Plattform (also etwa die abgeschlossene Internetauktion).227 Nichtdestotrotz erfolgen der Vertragsschluss und damit die Erzeugung vertraglicher Bindung im Kontext der Plattform und vor dem Hintergrund der zur Verfügung gestellten Infrastruktur. Die damit verbundene Multipolarität ist somit mangels eines separaten (Rahmen-)Vertrags (zugunsten Dritter) zwischen den Nutzern selbst abzubilden. c) Allgemeine Geschäftsbedingungen als Auslegungshilfe In diesem Sinne hat der BGH seit der ricardo.de-Entscheidung eine inzwischen nahezu einhellig akzeptierte Lösung gefunden – und dadurch auch einen zentralen Pfeiler der Dogmatik der Plattformökonomie errichtet. aa) Grundsätze Der BGH zieht die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers nur als Hilfestellung zur Auslegung der Willenserklärungen der Nutzer heran.228 De facto haben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Charakter von „Spielregeln“ auf der Plattform.229 In den Worten des BGH gilt: „(…) [D]er Erklärungsgehalt der zu beurteilenden Willenserklärungen [richtet sich] neben den sich dafür aus §§ 133, 157 BGB ergebenden Auslegungsregeln grundsätzlich nach den Bestimmungen über den Vertragsschluss in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen [der Plattform] (…), denen die Parteien vor der Teilnahme an der Verkaufsaktion zugestimmt haben (…).“230
Anlass für die Auslegung im Lichte der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist, dass die Willenserklärungen der Nutzer (beim Vertragsschluss untereinander) auf der hierfür genutzten Plattform abgegeben werden, zumeist nicht aus sich heraus (vollumfänglich) verständlich sind bzw. der Auslegung bedürfen.231 227
Siehe stellvertretend auch BGH, NJW 2017, 1660 (1661). Rspr. seit BGH, NJW 2002, 363 (364) – ricardo.de; siehe im Übrigen etwa BGH, NJW 2005, 53 (54); NJW 2011, 2643 (2643); NJW 2014, 1292 (1293); NJW 2015, 1009 (1010); NJW 2017, 1660 (1661). Zustimmend statt vieler etwa Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 145 Rn. 17. Siehe ferner zur Diskussion vor der ricardo.de-Entscheidung des BGH nur Grapentin, GRUR 2001, 713; Wiebe, MMR 2000, 323. 229 BGH, NJW 2011, 2643 (2644): „[D]ie erläuternden Hinweise von eBay (…) über die ‚Spielregeln‘ der Auktion, die jedem Auktionsteilnehmer zugänglich sind, beeinflussen das wechselseitige Verständnis der Willenserklärungen der Auktionsteilnehmer (…).“ 230 BGH, NJW 2017, 1660 (1661). 231 Siehe nur BGH, NJW 2017, 1660 (1661): „(…) wenn die Erklärungen (…) nicht aus sich 228 St.
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Für eine Auslegung anhand der Allgemeinen Geschäftsbedingungen spricht, dass die Nutzer Plattform-spezifische Erwartungen und eine übereinstimmende Vorstellung über den Ablauf von Transaktionen über die Plattform haben.232 Die von dem Plattformbetreiber im Verhältnis zu den einzelnen Nutzern gestellten Bedingungen „kodifizieren“ somit gleichsam den objektiven Empfängerhorizont. In den Worten des BGH: „(…) Allgemeine Geschäftsbedingungen [können] für Internet-Auktionen als Auslegungshilfe herangezogen werden, wenn Erklärungen der Auktionsteilnehmer nicht immer aus sich heraus verständlich sind. Verständnislücken können dann unter Rückgriff auf die durch die Anerkennung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen begründeten wechselseitigen Erwartungen der Auktionsteilnehmer und deren gemeinsames Verständnis über die Funktionsweise der Online-Auktion geschlossen werden.“233
Dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur als Auslegungshilfe herangezogen werden, ändert nichts an dem grundsätzlichen Vorrang der abgegebenen Erklärungen.234 Weichen die Parteien von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers dezidiert ab, können die Bedingungen deswegen nicht mehr zur Auslegung herangezogen werden.235 Der BGH stellt klar: „Rückt jedoch einer der Teilnehmer an der Verkaufsaktion erkennbar von den Regelungen der eBay-AGB in bestimmter Hinsicht ab, kommt deren Heranziehung insoweit zur Bestimmung des Vertragsinhalts nicht mehr in Betracht. (…) [Es] ist vielmehr das individuell Vereinbarte maßgeblich (…).“236
bb) „Inhaltskontrolle“ Eine Auslegung der Willenserklärungen anhand der Allgemeinen Geschäftsbedingungen legt zudem nahe, dass eine AGB-rechtliche Inhaltskontrolle der zwischen den Nutzern im Marktverhältnis vereinbarten Konditionen ausscheiden muss. Denn bereits mangels Vorliegen Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Marktverhältnis (kein „stellen“) scheidet eine solche Kontrolle ex principii aus. Gleichwohl wurde zumindest (kurz) erwogen, ob nicht der Vertragsschluss
heraus verständlich oder lückhaft sind und der Auslegung bedürfen (…)“; siehe auch etwa Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 145 Rn. 17. Ob die Erklärungen aus sich heraus verständlich sind bzw. aus sich heraus auf den Umfang der vertraglichen Bindung schließen lassen, ist freilich bereits eine Frage der Auslegung; siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 4 § 10 A. II. Kritisch im Übrigen etwa Koch, CR 2005, 502 (505). 232 Siehe BGH, NJW 2002, 363 (364). Zustimmend etwa Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 145 Rn. 17; Wagner/Zenger, MMR 2013, 343 (347). 233 BGH, NJW 2002, 363 (365). 234 Siehe nur Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 145 Rn. 17. Dies als unbefriedigend empfindend Koch, CR 2005, 502 (505). 235 BGH, NJW 2017, 1660 (1. Ls.). 236 BGH, NJW 2017, 1660 (1661).
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als solcher – da im Kontext der Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgend – einer Inhaltskontrolle zu unterziehen sei.237 Ganz grundsätzlich war damit die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit die Vorformulierung bestimmter Erklärungsbestandteile zu einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle führt. Der BGH unterstreicht in diesem Zusammenhang zutreffend: „Der Vertragsschluss hat grundsätzlich individuellen Charakter, auch wenn die Willens erklärungen, aus denen er sich zusammensetzt, vorformulierte Bestandteile besitzen. Daher kommen solche Erklärungen als Gegenstand einer Prüfung gemäß Vorschriften, die sich auf Allgemeine Geschäftsbedingungen beziehen, nicht in Betracht (…).“238
Eine „Inhaltskontrolle“ der Auslegung unter Berücksichtigung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen findet nicht unmittelbar statt. Zu bedenken ist allerdings, dass gleichwohl die Wertungen der §§ 307 ff. BGB mittelbar bei der Auslegung der Willenserklärungen miteinfließen können. Denn solche Allgemeine Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers, die missbräuchlich sind und bzw. oder gegen § 242 BGB verstoßen, sind zutreffender Weise bei der Auslegung, insbesondere bei der ergänzenden Vertragsauslegung, nicht heranzuziehen.239 Zutreffend führt Deutsch aus: „(…) [S]olche AGB, die gewöhnlich nicht bei einer Internetversteigerung zu erwarten sind, [werden] nicht Teil des Empfängerhorizonts (…). Das Gleiche muss ferner für Klauseln gelten, die eine Seite grob benachteiligen und daher gegen Treu und Glauben verstoßen. Mittelbar können so die Wertungen der §§ 305 ff. BGB auch im Verhältnis zwischen den Auktionsteilnehmern Wirkung entfalten.“ 240
In der Regel hat allerdings gerade der Dritte, sprich der Plattformbetreiber, kein Interesse an der Verwendung missbräuchlicher oder treuwidriger Geschäftsbedingungen, die sich auf den Vertragsinhalt zwischen den Nutzer beziehen.241 Denn der Plattformbetreiber möchte im Grundsatz den Parteien ein neutrales level-playing-field zur Verfügung stellen, um Vertragsabschlüsse auf seiner Plattform zu befördern. Eine einseitige Bevorzugung einer Partei ist damit regelmäßig nicht kompatibel.242 3. Würdigung Die eBay-Rechtsprechung unterstreicht, dass die Vertragsbeziehungen auf bzw. mittels Plattformen den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre unterliegen. Die Vertragsverhältnisse zwischen dem Plattformbetreiber und den 237
Vgl. BGH, NJW 2002, 363 (364) sowie Wiebe, MMR 2000, 323 (325 ff.). BGH, NJW 2002, 363 (365). 239 Statt vieler Deutsch, MMR 2004, 586 (588) m. w. N. 240 Deutsch, MMR 2004, 586 (588). 241 Vgl. Grapentin, GRUR 2001, 713 (714). 242 Siehe nur Engert, AcP 218 (2018), 304 (320); Grapentin, GRUR 2001, 713 (714). 238
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einzelnen Nutzern sind strikt zu trennen von den zwischen den Nutzern geschlossenen Verträgen.243 Zwischen den Beteiligten wird kein mehrseitiger (Kauf-)Vertrag244 geschlossen. Ein gesonderter (Rahmen-)Vertrag zwischen den Nutzern betreffend die allgemeine Geschäftsbedingungen ist grundsätzlich nicht anzunehmen; ebenso ist eine Qualifikation des Vertrags zwischen dem Plattformbetreiber und dem einzelnen Nutzer als Vertrag zugunsten Dritter nicht überzeugend. Kernaussage des Zugriffs der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre ist vielmehr, dass bei dem skizzierten Geschäftsmodell der Plattformökonomie keine Durchbrechung des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse erfolgt. Lediglich durch das Vehikel der Auslegung anhand der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Plattformbetreibers wird auf die Ausformung der vertraglichen Bindung von Dritten, hier zwischen zwei Nutzern, eingewirkt. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen werden unmittelbar nur im Verhältnis zwischen dem Plattformbetreiber und dem jeweiligen Nutzer Vertragsbestandteil.245 In diesem Sinne führt der BGH aus: „Denn [die Allgemeinen Geschäftsbedingungen] werden nur zwischen [der Plattform] und dem Inhaber des Mitgliedskontos vereinbart, so dass ihnen keine unmittelbare Geltung im Verhältnis zwischen Anbieter und Kaufinteressent zukommt.“246 Konsequenterweise betont der BGH die Relativität der Vertragsverhältnisse deswegen auch für den Fall, in dem die Nutzer zulasten des Plattformbetreibers den Zweck der Allgemeinen Geschäftsbedingungen konterkarieren. Beispielhaft sei insofern auf den Fall einer Verkürzung von Provisionsansprüchen des Plattformbetreibers hingewiesen, den der BGH in jüngerer Zeit zu entscheiden hatte: Der Verkäufer hatte bei eBay für die „Sofort kaufen“-Option einen niedrigen Preis (mit entsprechend niedriger Provision) angesetzt, in den Erläuterungen zum Angebot aber die Maßgeblichkeit eines deutlich höheren Kaufpreises unterstrichen.247 Anreiz des Verkäufers war eine Provisionsverkürzung gegenüber dem Plattformbetreiber, denn der niedrige Preis sollte nur der (zu niedrigen) Provisionsberechnung im Verhältnis zum Plattformbetreiber dienen. Der BGH führt aus: „[Der] Einwand [der Provisionsverkürzung] berührt das (…) Auslegungsergebnis (…) nicht (…). [Das] Rechtsverhältnis zum Plattformbetreiber (…) [ist] unabhängig und abweichenden Regelungen mit der Folge zugänglich (…), dass in dieser Rechtsbeziehung 243
Vgl. auch Engert, AcP 218 (2018), 304 (311 f.). Hierzu noch ausführlicher sub Kapitel 4 § 11 B. 3. 245 Statt vieler Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2 , 7. Aufl. 2016, § 305 Rn. 22. 246 BGH, NJW 2017, 1660 (1661) m. w. N. 247 Siehe BGH, NJW 2017, 1660 (1660): „Bitte Achtung, da ich bei der Auktion nicht mehr als 100 € eingeben kann (wegen der hohen Gebühren), erklären Sie sich bei einem Gebot von 100 € mit einem Verkaufspreis von 2600 + Versand einverstanden.“ 244
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das individuell Vereinbarte gilt, auch wenn es mit den eBay-AGB nicht im Einklang steht (…).“248
Gleichwohl ist zumindest an dieser Stelle festzuhalten, dass der Plattformbetreiber durch die Vorformulierung von Erklärungen und über den Umweg der Auslegung wesentlich auf den Abschluss und den Inhalt des Vertrages zwischen den Nutzern und damit auf das Marktverhältnis einwirkt.249 Der Plattform kommt somit faktisch eine zentrale Rolle für die Erzeugung der vertraglichen Bindung zu. Denn der Plattformbetreiber übernimmt somit funktional die Eröffnung eines Marktplatzes bzw. eines Systems für vertragliche Bindung unter gleichzeitiger Zurverfügungstellung von Erklärungen. Zentrales Anliegen ist die Zusammenführung zweier Parteien, so dass diese ihren Zwecken entsprechend kontrahieren können. Der Plattformbetreiber verfolgt regelmäßig allerdings auch ein eigenständiges Ziel in Bezug auf die vertragliche Bindung zwischen den Nutzern im Marktverhältnis, etwa durch einen Aufschlag bzw. eine Gebühr für jede Transaktion.250 II. Bausteinvertrag Plattformen bedienen freilich nicht nur das Bedürfnis nach Internetauktionen. Vielmehr werden über Plattformen eine Vielzahl unterschiedlicher Verträge abgewickelt, die sich im Grundsatz nach allgemeinen Regeln richten.251 Dabei ist maßgeblich, ob und inwieweit der Plattformbetreiber selbst als Vertragspartner oder (nur) als Vermittler fungiert. Die damit verbundenen rechtlichen Einordnungsschwierigkeiten treten besonders deutlich bei sogenannten Bausteinverträgen hervor, die auch und gerade mittels bzw. über Plattformen abgeschlossen werden. Solche Bausteinverträge sind ein praktisch höchstbedeutsamer Fall einer (wirtschaftlichen) Verknüpfung von Verträgen, der in jüngerer Zeit von Maultzsch und Czarnecki umfassend aufgearbeitet wurde.252 1. Erscheinungsformen Ein Bausteinvertrag zeichnet sich dadurch aus, dass ein Rechtssubjekt („Kunde“) eine Gesamtheit von Leistungen nachfragt. Zwei Arten von Bausteinverträgen sind dabei zu unterscheiden: Zunächst ist denkbar, dass ein Kunde mit einem Anbieter über verschiedenen Leistungen kontrahiert. Der Leistungsan248 BGH, NJW 2017, 1660 (1662). Zu Recht beklagt allerdings im Übrigen Dornis (JZ 2017, 637 [639 f.]), dass sich der BGH nicht mit einer Sittenwidrigkeit des Vertrages zwischen den Nutzern auseinandersetzte. 249 Siehe auch Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f., 7 ff.). 250 Hierzu Engert, AcP 218 (2018), 304 (309 f.). Das Provisionsinteresse grundlegend für Online-Plattformen betonend BGH, GRUR 2007, 890 (893) – Jugendgefährdende Medien bei Ebay. 251 Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 4 § 10 C. I. 1. 252 Ausführlich Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832.
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bieter steht in diesem Fall für die Gesamtheit der Leistungen ein. So kann es sich etwa beim sogenannten dynamic packaging verhalten. Der Kunde stellt auf einer Plattform unterschiedliche Leistungen zusammen und schließt sodann mit dem Leistungsanbieter einen (einheitlichen) Vertrag über diese Leistungen.253 Diese Form eines Bausteinvertrages wird nachfolgend nicht näher betrachtet. Im Fokus steht dagegen die zweite Form von Bausteinverträgen, für die im Folgenden einheitlich der Begriff Bausteinverträge verwendet werden soll.254 In dieser Konstellation erwirbt der Kunde nicht ein umfassendes Leistungspaket von einem Anbieter, sondern erwirbt Leistungen bei verschiedenen Anbietern auf der Grundlage separater Verträge (dynamic bundle 255). Die Leistungen sind allerdings aufeinander abgestimmt und werden oftmals von einer zentralen Plattform vermittelt; klassisches Beispiel ist ein auf einen bestimmten Flug abgestimmtes Hotel- oder Mietwagenangebot.256 Die Plattform („Vermittler“) verknüpft somit Angebote verschiedener Leistungsanbieter oder auch eigene Leistungen mit solchen anderer Leistungsanbieter. Der Kunde hat hier zumindest regelmäßig ein erhebliches Interesse an dieser koordinierten Leistungserbringung.257 Obwohl die Leistungsanbieter eben dieses Interesse im Sinne der Absatzförderung für sich nutzen (möchten), intendieren sie mit Blick auf die von ihnen jeweils beherrschte Sphäre regelmäßig eine separate rechtliche Betrachtung der Verträge.258 Bausteinverträge werfen somit in den Worten von Maultzsch und Czarnecki „ein allgemeines vertragsrechtlich-schuldrechtliches Problem“259 auf. 2. „Durchgriff“ bei Bausteinverträgen Im Kontext von Bausteinverträgen stellt sich zunächst die Frage, ob und inwieweit sich der Vertrag mit einem Leistungsanbieter auch für die Verträge mit den anderen Leistungsanbietern Relevanz entfaltet. Anders gewendet: Erfährt der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse in diesem Zusammenhang eine Relativierung?260 Es sind verschiedene Themenkomplexe zu unterscheiden – übergreifend steht jeweils die Frage im Raum, wie weit die jeweilige vertragliche Bindung der beteiligten Akteure reicht. So ist zu bestimmen, ob die Unwirksamkeit eines der Verträge auch zur Unwirksamkeit der anderen Verträge führt. Ein Widerruf(s253 Vgl.
Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (832) sowie BGH, NJW 2015, 1444. So auch das Verständnis bei Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (832). 255 Hierzu Schulz, E-Commerce im Tourismus, 2010, S. 199 f. 256 Siehe Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (833). 257 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (834). 258 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (834). 259 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (836). 260 Siehe zum Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse bereits oben sub Kapitel 3 § 9 E. IV. 254
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recht) einem Leistungsanbieter gegenüber könnte auch gegenüber den anderen Leistungsanbietern Auswirkungen haben. Leistungsanbieter binden sich unter Umständen auch für die Leistungen anderer Anbieter. In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze zur rechtlichen Fassung von Bausteinverträgen in Anschlag gebracht. Die Überwindung des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse wird ganz überwiegend ebenso abgelehnt wie eine (analoge) Anwendung der Bestimmungen zu verbundenen und zusammenhängenden Verträgen (§§ 358 ff. BGB).261 Entgegen einer analogen 262 Anwendung der Vorschriften über verbundene Verträge (§§ 358 f. BGB) wird vor allem auf § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB verwiesen: „Eine wirtschaftliche Einheit ist insbesondere anzunehmen, wenn der Unternehmer selbst die Gegenleistung des Verbrauchers finanziert, oder im Falle der Finanzierung durch einen Dritten, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient.“
Bei Bausteinverträgen sei aber der Vermittler (im Grundsatz) neutral; der Vermittler bediene sich nicht des (anderen) Leistungsanbieters.263 Der Vermittler stehe auch nicht in dessen „Lager“.264 Im Übrigen zielten die §§ 358 f. BGB auf die spezifischen Risiken der Finanzierung.265 In gleicher Weise liege grundsätzlich auch kein zusammenhängender Vertrag vor. Denn es fehle an der nach § 360 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen (konkludenten) Vereinbarung zwischen den verschiedenen Leistungserbringern.266 Für eine strikte Beibehaltung der Relativität wird im Übrigen die Praktikabilität betont; es drohe ansonsten eine erhebliche Rechtsunsicherheit durch die schwierige Abgrenzung zu „nur“ relativen Verträgen.267 Ferner wird die Gestaltungsfreiheit privatautonomer Rechtssubjekte unterstrichen; der Relativität wohne eine Entlastungs- und Risikoverteilungsfunktion inne.268 Mit gleicher Stoßrichtung wird (rechts-)ökonomisch vorgetragen, dass die mit der Relativität einhergehende Separierung Spezialisierungsvorteile eröffne; solche Vorteile entfielen, falls rechtlich (nur) Gesamtangebote befördert würden.269 261
Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (841 ff.). Die §§ 358 f. BGB setzen die Verbindung eines Vertrags über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung mit einem Darlehensvertrag voraus, siehe hierzu auch Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (843). 263 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (843 f.). 264 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (844). 265 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (843). 266 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (844). 267 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (841). 268 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (841), die auch auf den Aspekt der Insolvenzfolgen hinweisen. Allgemein im Kontext von Plattformen Maultzsch, ERCL 2018, 209 (229). Vgl. grundlegend zum Bereicherungsrecht Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, § 70 VI 1. 269 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (841); jeweils mit Verweis auf Schanze, in: Joer262
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Von der wohl überwiegenden Ansicht wird unter bestimmten Voraussetzungen vielmehr eine Geschäftseinheit zwischen den Verträgen angenommen, die nach § 139 BGB zu beurteilen sind.270 Hierbei handelt es sich um eine „materiale Geschäftseinheit“. Zwar bezieht sich § 139 BGB zunächst dem Wortlaut nach nicht auf eine Mehrzahl von Rechtsgeschäften, sondern auf den Teil eines Rechtsgeschäfts. Es wird aber überwiegend angenommen, dass die Maßstäbe der Geschäftseinheit auch bei Rechtsgeschäften mit unterschiedlichen Vertragspartnern zur Anwendung gelangen.271 Entscheidende Voraussetzung soll sein, dass die eine Leistung mit der jeweils anderen „stehen und fallen“ soll.272 In den Worten des BGH: „(…) [S]elbstständige Vereinbarungen [können] unter bestimmten Umständen ein einheitliches Rechtsgeschäft darstellen mit der Folge, dass die Nichtigkeit eines der Verträge gem. § 139 BGB zur Nichtigkeit der Gesamtvereinbarung führt. (…) Die Verknüpfung mehrerer Verträge zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft setzt aber voraus, dass sie nach dem Willen der Vertragsschließenden nicht für sich allein gelten, sondern miteinander ‚stehen und fallen‘ sollen (sog. ‚Einheitlichkeitswille‘; […]). Auch wenn nur einer der Vertragspartner einen solchen Einheitlichkeitswillen erkennen lässt und der andere ihn anerkennt oder zumindest hinnimmt, kann ein einheitlicher Vertrag vorliegen (…). Erforderlich ist aber ein Wille zu einer rechtlichen Verknüpfung; ein rein wirtschaftlicher Zusammenhang genügt für sich allein nicht (…).“273
Das bestimmende Kriterium soll nach der überwiegenden Ansicht die Kenntnis der Leistungsanbieter von dem einheitlichen Abschluss der Verträge, sprich von der einheitlichen und wirtschaftlich zusammengehörenden Vermittlung der Bausteine, sein.274 Eine solche Kenntnis ist keine reine Fiktion. Leistungsanbieter bedienen sich ja gerade entsprechender Vermittler, um ihren Absatz zu steigern. Ebenso gehen Leistungsanbieter regelmäßig davon aus, dass die Kunden eine einheitliche rechtliche Rahmung erwarten könnten. Rechtsökonomisch wird zutreffend betont, dass sich die Leistungsanbieter auch kostengünstiger gegen das zusätzliche Risiko absichern könnten (cheaper insurer).275 Gerade letzteres betonen auch solche Stimmen, die das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB für die Behandlung von Bausteinverträgen fruchtbar machen möchten.276 Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei gegenüber der Annahme einer Geschäftseinheit flexibges (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991, S. 67 ff.; ders., 149 Journal of Institutional and Theoretical Economics 149 (1993), 691. Ebenso Maultzsch, ERCL 2018, 209 (229). 270 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (844 f.). 271 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (845) m. w. N. 272 Siehe etwa BGH, NJW 2009, 3295 (3296) einerseits und BGH, NJW 2011, 2874 (2876 f.); zu beiden Entscheidungen ausführlich Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (845 ff.). 273 BGH, NJW 2011, 2874 (2876). 274 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (847). 275 Siehe Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (849); Finkenauer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 8. Aufl. 2019, § 313 Rn. 69. 276 Siehe insbesondere (in Bezug auf Vertragsnetzwerke) Grundmann, AcP 207 (2007), 718
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ler.277 Während im Zuge des § 139 BGB nur ein „alles oder nichts“ in Betracht komme, eröffne § 313 BGB (auch) den Weg zu einer Vertragsanpassung.278 Erforderlich soll sein, dass die Verknüpfung der Verträge erkennbar und ein Festhalten an dem (anderen) Vertrag unzumutbar ist.279 Dabei wird die Aufrechterhaltung der privatautonomen Entscheidung der verschiedenen Akteure unterstrichen.280 Die Verknüpfung der Verträge müsse dem Zweck bzw. den Zwecken aller entsprechen und als Geschäftsgrundlage den Verträgen zugrunde liegen.281 Eine solche Verknüpfung wird von den verschiedenen Leistungsanbietern zumindest auch gewollt sein, wenn ein – etwa in Bezug auf die Abschlusswilligkeit der Kunden – konkreter Mehrwert erwartet wird.282 Vor diesem Hintergrund eigne sich das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor allem für Bausteinverträge.283 Insbesondere könne hierdurch Konstellationen des „gespaltenen Vertragsschluss“ sowie „gespalteten Widerrufs“ adäquat begegnet werden.284 Gemeint sind damit Fälle, in denen einer der Verträge nicht zustande kommt (oder unwirksam ist) bzw. in Bezug auf einen der Verträge ein Widerrufsrecht ausgeübt wird (bzw. werden kann). Darüberhinaus gehend wird allerdings eine „Gesamtbetrachtung“ der Verträge wohl ganz überwiegend abgelehnt. Die einzelnen Leistungsanbieter sollen nicht für das Gesamtpaket der Leistungen haften, sondern nur für ihre „eigene“ Leistung. Jede einzelne Leistungsverpflichtung bzw. der einzelne Baustein umfasse auch nicht (zusätzlich) den Gesamterfolg als vertragsmäßige Beschaffenheit.285 Die Verträge seien isoliert zu betrachten. Die verschiedenen Leistungsanbieter seien auch nicht jeweils Erfüllungsgehilfen in Bezug auf die Leistungen der jeweils anderen Leistungsanbieter.286 Insbesondere sei der Vermittler auch nicht als Erfüllungsgehilfe der Leistungsanbieter in Bezug auf eine entsprechende Koordinierungspflicht zu qua lifizieren.287 Es bestehe bereits keine entsprechende Koordinierungspflicht der bzw. zwischen den verschiedenen Leistungserbringern.288 Der Vermittler (741 ff.); ders., in Festschrift Westermann 2008, S. 227. Siehe zur Diskussion ferner Maultzsch/ Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (847 ff.). 277 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (852). 278 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (852). 279 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (743 f.). 280 Vgl. auch Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (743). 281 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (743). Vgl. auch Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (849). 282 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (849). 283 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (849 f.). Siehe ebd. (850 f.) auch zu einem (im Ergebnis verneinten) Gegenschluss aus dem (Pauschal-)Reiserecht. 284 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (851 ff.). 285 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (855). 286 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (856). 287 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (855). 288 Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (855).
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erbringt vielmehr eine eigenständige (Vermittlungs-)Leistung, die von dem Pflichtenkanon der Leistungsanbieter zu trennen sei.289 Der Vermittler könne allerdings in Bezug auf die mangelnde Koordinierung haften; unter Umständen komme (nur) in Ausnahmefällen (auch) eine Sachwalterhaftung nach § 311 Abs. 3 BGB in Betracht.290 3. (Ergänzende) Vertragsauslegung Tritt man einen Schritt zurück, so ergibt sich das folgende Bild: Ein Leistungsanbieter ist nicht vertraglich in Bezug auf die Pflichten anderer Leistungsanbieter gebunden. Gleichfalls besteht für den Vermittler keine Bindung an die Pflichten der anderen Leistungsanbieter. Die Kunden erwarten allerdings eine umfassende Koordinierung der Leistungen. Der Vermittler eröffnet eine Möglichkeit zum zusammenhängenden und aufeinander abgestimmten Abschluss von Verträgen. Die Leistungsanbieter kennen und nutzen die vorbenannte Konstruktion bewusst als (zusätzlichen) Vertriebskanal. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob nicht im Zuge von Bausteinverträgen (besser) mit dem Instrument der (ergänzenden) Vertragsauslegung operiert werden kann.291 Der Rückgriff auf die (ergänzende) Vertragsauslegung rückt den übereinstimmenden Willen der Partizipierenden an dem gemeinsamen „Gelingen“ des Vertriebskanals „Bausteinverträge“ in den Mittelpunkt: der Wille der Leistungsanbieter zur Bindung gegenüber dem Kunden, der Wille des Vermittlers zur Vermittlung (und gegebenenfalls Sicherstellung bzw. Koordinierung) der Leistungen und der Wille des Kunden an dem Gesamtpaket der Leistungen. Eine umfassende Verpflichtung des Vermittlers würde (wohl) zumindest den Erwartungen des Kunden auf das Gesamtpaket umfänglich Rechnung getragen. Es ist allerdings auch eine weitere Auslegung denkbar, wenn der Kunde im Zuge der Vermittlung mehrere Willenserklärungen zum Abschluss verschiedener Verträge abgibt. Unterstellt werden soll allerdings, dass der Kunde nur an beiden Leistungen zusammen ein Interesse hat. Die jeweiligen Willenserklärungen könnten deswegen jeweils nur unter einer Bedingung abgeben. In Betracht kommt eine aufschiebende und eine auflösende Bedingung. Alle Willens erklärungen könnten aufschiebend bedingt sein auf das Vorliegen aller entsprechenden korrespondierenden Willenserklärungen der Leistungsanbieter. Ebenso könnten die Willenserklärungen bezogen auf den Fall des Nichtzustandekommens aller Verträge auflösend bedingt sein. Dabei wird es auf den Einzelfall ankommen, ob eine aufschiebende oder eine auflösende Bedingung 289
Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (855). Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (855 f. mit Fn. 89). 291 Zur ergänzenden Vertragsauslegung siehe bereits oben sub Kapitel 4 § 10 A. III. Vgl. auch Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (853). 290
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zweckmäßig(er) erscheint. Auf dieselbe Weise könnte die Willenserklärung des Kunden auch derart ausgelegt werden, dass die Möglichkeit eines Widerrufs bzw. dessen Ausübung eine (auflösende) Bedingung sind. Eine Bedingung muss allerdings nicht automatisch dazu führen, dass die Verträge in jedem Fall entweder sämtlich unwirksam oder sämtlich wirksam sind.292 Denn der Kunde kann ein Interesse daran haben, das Gesamtpaket zu erhalten. In dieser Konsequenz ist zumindest nicht undenkbar, dass gerade ein Leistungsanbieter bei Ausfall eines anderen Leistungsanbieters den Vertrag „retten“ will – und in diesem Fall selbst für die Leistung eintreten bzw. zumindest die Option einer „Übernahme“ sich erhalten möchte. Die (ergänzende) Vertragsauslegung sollte im Lichte dieser Interessenlage erfolgen. Hiernach wären die Willenserklärungen des Kunden jeweils unter der Bedingung, dass das Leistungsbündel insgesamt sichergestellt ist. Dies setzt freilich voraus, dass es dem Kunden nicht speziell auf den Abschluss eines Vertrages mit einem bestimmten Leistungsanbieter ankommt. Gerade letzteres kann bei PlattformenKonstellationen, bei denen der Vermittler „im Vordergrund“ steht, der Fall sein. 4. Würdigung Bausteinverträge eröffnen ein zweischichtiges Pflichtenfeld: ein Vertrag zwischen dem Kunden und dem Vermittler einerseits sowie Verträge zwischen dem Kunden und den Leistungsanbietern andererseits. Der Kunde hat in einer reinen Vermittlungskonstellation Primärleistungsansprüche gegen die jeweiligen Leistungsanbieter. Umfang der Ansprüche ist jeweils nur der jeweilige Baustein. Primärleistungsansprüche gegen den Vermittler bestehen insofern nicht. Ebenso binden sich die Leistungsanbieter grundsätzlich nicht in Bezug auf die Leistungen der anderen Leistungsanbieter – auch nicht teilweise mittels einer Pflicht zur Koordinierung. Die Verknüpfung der verschiedenen Verträge kann grundsätzlich durch die Rechtsinstitute der Geschäftseinheit, des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder einer ergänzenden Vertragsauslegung erfolgen. Eine vertragliche Bindung für Leistungen Dritter geht damit nicht einher. Dies gilt auch und gerade für den Vermittler. Dieser haftet im Grundsatz nur für seinen (eigenen) Pflichtenkreis. Der Vermittler bindet sich hiernach nicht in Bezug auf die Hauptleistungen der Leistungsanbieter. Eine ausnahmsweise – dies ist zu betonen – in Betracht kommende Haftung nach § 311 Abs. 3 BGB rechtfertigt keine andere Betrachtung. Denn der Vermittler haftet auch in diesem Fall nur aus einem Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB. 292 Dies ist das Hauptargument von Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (852 f.) gegen das Institut der Geschäftseinheit und für das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
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Diese bisherige (traditionelle) Analyse der involvierten Vertragsbeziehungen wird allerdings nicht unbedingt den normativen Erwartungen des Kunden entsprechen. Denn dem Kunden wird oftmals von dem Vermittler die umfassende Koordinierung der Leistungen in Aussicht gestellt, sprich, dass der Vermittler die verschiedenen vertraglichen Bindungen koordiniert. Der Vermittler eröffnet damit (auch) die Erwartung von zusammenhängenden und aufeinander abgestimmten Verträgen. Je nach Einzelfall weckt der Vermittler unter Umständen zudem (und über die Koordinierung der Leistungen hinaus) die Erwartung, dass er (auch) für das Gesamtpaket selbstständig einsteht. Dies mag insbesondere der Fall sein, wenn für den Kunden gerade der Vermittler und nicht die einzelnen Leistungsanbieter als entscheidender Vertragspartner empfunden bzw. wahrgenommen wird. Rechtlich ist es in diesem Zusammenhang stets schwierig zu bestimmen, wo die Grenze zwischen reiner Vermittlung und der Übernahme einer eigenen (selbstständigen) Verpflichtung des Vermittlers zu ziehen ist. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der Vermittler seine Rolle nicht (hinreichend) transparent macht. Die Annahme einer nur ausnahmsweise bestehenden Sachwalterhaftung und die Ablehnung einer eigenen vertraglichen Bindung des Vermittlers durch die wohl überwiegende Meinung greift vor diesem Hintergrund zu kurz – und bedingt eine genaue(re) (Einzelfall-)Prüfung bzw. Auslegung anhand der normativen Erwartungen. Bevor diese Prüfung in Bezug auf Vermittlungsplattformen im Allgemeinen unternommen werden soll, lohnt ein Blick ins Reiserecht (nun: Pauschalreisevertragsrecht). Damit soll allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, dass Maßstäbe einer bestimmten Vertragsart des besonderen Teils des BGB unbesehen auf (allgemeine) Vermittlerkonstellationen übertragen werden können. So wird eine Übertragung der nachfolgend im Einzelnen skizzierten reisevertraglichen Grundsätze zur sogenannten Vermittlerklausel auf Verträge, die nicht dem Pauschalreisevertragsrecht unterliegen, auch allgemein abgelehnt bzw. auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB (sowie §§ 163 und 242 BGB) verwiesen.293 Insbesondere ist der sogleich betrachteten § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB nicht analog auf andere (gesetzlichen) Vertragstypen anzuwenden.294 Gleichwohl ist das Reiserecht im untersuchungsgegenständlichen Kontext – und im Kontext der Bausteinverträge – beachtenswert. Denn im Reiserecht stehen Vermittler vertraglicher Leistungen bzw. von Bausteine bereits seit längerem im Fokus. Die Maßstäbe des Reiserechts sollen in diesem Sinne auch betrachtet werden, um zu überprüfen, ob und inwieweit diese auch für eine allgemeine Behandlung von Vermittlerkonstellationen und damit unter ande293
294
a. F.).
Siehe hierzu Staudinger/Staudinger (Neubearbeitung 2016) § 651a Rn. 112 f. Staudinger, in: Schulze u. a., BGB, 10. Aufl. 2019, § 651a Rn. 9 (zu § 651a Abs. 2 BGB
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rem die Plattformökonomie (de lege ferenda) fruchtbar gemacht werden können. III. Sonderfall: (Pauschal-)Reise Konstellationen einer Reise bilden einen typischen Anwendungsfall von Bausteinverträgen. Entsprechende Anwendungsfälle unterliegen dem Reiserecht, das in den §§ 651a ff. BGB kodifiziert und jüngst – nunmehr firmierend als Pauschalreisevertragsrecht – neugefasst wurde.295 Die Novellierung des Reiserechts soll nun auch dem Stellenwert des Internets für die Reisebuchungen Rechnung tragen.296 1. Novelle des Reiserechts Die Neufassung des Pauschalreisevertragsrechts erfolgte durch das 3. Reiserechtsänderungsgesetz, das die novellierte EU-Pauschalreise-Richtlinie297 umsetzt. Dabei wurden wesentliche Ergänzungen der bisherigen §§ 651a ff. BGB vorgenommen. Leitbildcharakter für das Reiserecht hat (nun) der gesetzlich kodifizierte Pauschalreisevertrag (§ 651a BGB); hierneben treten unter anderem neue Regelungen zur Reisevermittlung (§ 651v BGB) und zur Vermittlung verbundener Reiseleistungen (§ 651w BGB). 2. Vertragliche Beziehungen Der Pauschalreisevertrag ist auf die Verschaffung einer Pauschalreise gerichtet (§ 651a Abs. 1 Satz 1 BGB).298 Der Reisende schließt – grundsätzlich – nur mit dem Reiseveranstalter einen Vertrag, nicht auch mit den Leistungserbringern (§ 651b Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Leistungserbringer sind Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) des Reiseveranstalters. Nach herrschender Meinung ist der Vertrag zwischen Reiseveranstalter und Leistungserbringer (in der Regel) ein Vertrag 295
Hierzu einführend etwa Paulus, JuS 2018, 647. Siehe nur Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, Vorbemerkungen vor §§ 651a bis 651m Rn. 63c. 297 Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen u. a., ABl. 2015 L 326, S. 1. Diese Richtlinie löste die Richtlinie 90/314/EWG des Rates über Pauschalreisen vom 13. Juni 1990 (ABl. Nr. L 158/59) ab. 298 Zur Rechtsnatur des Pauschalreisevertrags siehe BGH, NJW 1974, 37 (38); NJW 1987, 1931 (1933) sowie m. w. N. zur Diskussion Geib, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 651a Rn. 5 f.; Staudinger, in: Schulze u. a., BGB, 10. Aufl. 2019, § 651a Rn. 2; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, Vorbemerkungen vor §§ 651a bis 651m Rn. 19 f. Ein Reisevermittlungsvertrag ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB), den Abschluss eines Reisevertrags zum Gegenstand hat, siehe nur statt vieler Staudinger, ebd. Rn. 10 sowie Tonner, ebd. § 651a Rn. 46 m. w. N. zur Diskussion und auch zu vereinzelten Gegenansichten. 296
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zugunsten Dritter, des Reisenden.299 Maßgeblich sei, dass die Leistung primär im Interesse des Reisenden liegt: „(…) [D]er Reisende (…) [ist] in besonderem Maße auf die Leistung des [Leistungserbringers] angewiesen. (…) Das Interesse des [Leistungserbringers], lediglich dem Reiseveranstalter zur Leistung verpflichtet zu sein, wiegt demgegenüber gering.“300 Der Reisende erhält somit einen unmittelbaren Anspruch gegen den Leistungserbringer. Die Gegenansicht geht davon aus, dass der der Vertrag zwischen Reiseveranstalter und Leistungserbringern (regelmäßig) nicht ein Vertrag zugunsten des Reisenden ist.301 Der Leistungserbringer habe (nur) ein Interesse an der Erfüllung seiner Schuld gegenüber seinem Vertragspartner, dem Reiseveranstalter.302 3. (Pauschal-)Reise, Reiseveranstalter, Reisevermittler Zentrale Begriffe des (Pauschal-)Reisevertragsrechts waren und sind die der Reise, des Reiseveranstalters und des Reisevermittlers. Der Begriff der (Pauschal-)Reise bestimmt den Anwendungsbereich des (Pauschal-)Reisevertragsrechts. Die (Feststellung der) maßgeblichen vertraglichen Beziehungen wird dagegen geprägt durch die Begriffe des Reiseveranstalters und des Reisevermittlers – die nachfolgend deswegen im Vordergrund stehen sollen. Während sich der Reiseveranstalter selbst in Bezug auf die Erbringung der Reise(leistungen) bindet, vermittelt der Reisevermittler nur die Leistungen Dritter. a) Rechtslage vor dem 3. Reiserechtsänderungsgesetz Für das Begriffsverständnis im Pauschalreisevertragsrecht ist ein Blick auf die Rechtslage vor dem 3. Reiserechtsänderungsgesetz lohnenswert. aa) Reise Vor dem 3. Reiserechtsänderungsgesetz wurde eine Reise als die Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen legaldefiniert (§ 651a Abs. 1 BGB a. F.). Zentrale Bedeutung hatte insofern das Club-Tour-Urteil des EuGH, das den Begriff der Reise näher konkretisierte.303 Das Gericht stellte fest, dass für die Annahme eines Reisevertrages die Bündelung der Reiseleistungen vor Vertrags299 Siehe etwa BGH, NJW 1985, 1457; NJW 1986, 1613 (1614) sowie statt vieler Geib, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 651a Rn. 17; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 39. Siehe ferner zum Verhältnis zwischen Reiseveranstalter und Reiseteilnehmern, die nicht Vertragspartei sind, Geib, ebd. § 651a Rn. 12 ff. und Tonner, ebd. § 651a Rn. 9 ff. 300 BGH, NJW 1985, 1457 (1458). 301 Siehe etwa LG Frankfurt am Main, NJW-RR 1986, 852; Staudinger/Staudinger (Neubearbeitung 2016) § 651a Rn. 59; ders., in: Schulze u. a., BGB, 10. Aufl. 2019, § 651a Rn. 9. 302 LG Frankfurt am Main, NJW-RR 1986, 852 (853). 303 EuGH, EuZW 2002, 402 – Club Tour.
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schluss ausreichend ist.304 Eine solche könne auch erst im Reisebüro und auf Initiative des Kunden erfolgen.305 Eine Bündelung müsse nicht bereits im Zuge des ursprünglichen Angebotes bzw. der Werbung hierfür vorliegen (in casu stand ein Zubuchen eines Fluges für einen Club-Urlaub in Rede).306 Der BGH ist (inzwischen) auf die Linie des EuGH eingeschwenkt. Noch 2011 nahm der BGH allerdings an, dass keine Bündelung vorliege, falls das Reisebüro lediglich auf Kundenwunsch einzelne Reiseleistungen zusammenstelle.307 Abweichend urteilte das Gericht im Jahre 2015: Eine Bündelung von Reiseleistungen sei bei Festsetzung eines Gesamtpreises auch dann anzunehmen, wenn die Reiseleistungen auf Kundenwunsch hin kombiniert werden.308 Der BGH führt aus: „Wer eine nach den Wünschen des Reisenden zusammengestellte Mehrzahl von Reiseleistungen zu einem Gesamtpreis als Reise anbietet, ist auch dann Reiseveranstalter, wenn der Reisende selbst Einzelleistungen von Leistungsträgern auswählt, deren Angebote ihm der Veranstalter im Rahmen eines Buchungsprogramms zur ‚dynamischen Bündelung‘ (…) zu fortlaufend aktualisierten Einzelpreisen zur Verfügung stellt.“309
bb) Reiseveranstalter Als Reiseveranstalter wurde derjenige begriffen, der „als Vertragspartei eine Gesamtheit von Reiseleistungen, die § 651a I 1 BGB als Reise definiert, in eigener Verantwortung zu erbringen verspricht.“310 Nach § 651a Abs. 2 BGB a. F. blieb die Erklärung, nur Verträge mit den Personen zu vermitteln, welche die einzelnen Reiseleistungen ausführen sollen – legal definiert als Leistungsträger –, unberücksichtigt, wenn nach den sonstigen Umständen der Anschein begründet wird, dass der Erklärende vertraglich vorgesehene Reiseleistungen in eigener Verantwortung erbringt. In den Worten des BGH: „Der Veranstalter verspricht damit eine bestimmte Gestaltung der Reise, etwa einer Urlaubsreise. Er vermittelt nicht nur Fremdleistungen, sondern übernimmt selbst die Haftung für deren Erfolg, soweit dieser von seinen Leistungen abhängt (…).“311 cc) Abgrenzung zum Reisevermittler Die Abgrenzung zwischen Reiseveranstalter und Reisevermittler erfolgte somit grundsätzlich aus Sicht eines (durchschnittlichen) Reisenden: „Maßgeblich ist, 304
Siehe EuGH, EuZW 2002, 402 (402) – Club Tour. EuGH, EuZW 2002, 402 (402) – Club Tour. 306 Vgl. EuGH, EuZW 2002, 402 (403) – Club Tour. 307 BGH, NJW 2011, 599. 308 BGH, NJW 2015, 1444. 309 BGH, NJW 2015, 1444 (1. Ls.). 310 BGH, NJW 2015, 1444 (1445); Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, 651a Rn. 8. 311 BGH, NJW 2000, 1188 (1189). 305
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wie sich die Vertragspartner tatsächlich gegenüberstehen, insbesondere wie das Reiseunternehmen aus der Sicht des Reisenden auftritt (…).“312 Die Annahme eines Reisevertrages lag nahe, wenn und soweit Reiseleistungen (auf Wunsch des Kunden) gebündelt wurden und sodann ein Vertrag hierüber (einheitlich) abgeschlossen wird.313 Tendenziell (eher) für einen Reisevermittlungsvertrag sprach dagegen eine bereits durch den Reiseveranstalter erfolgte Bündelung, die sodann ein Dritter gegenüber dem Kunden (nur) vertreibt.314 Die vorbenannte Abgrenzung beschäftigte die Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlicher Weise. Grundlegend und maßstabbildend für die Einführung des § 651a Abs. 2 BGB a. F. war zunächst das Ferienhaus-Urteil des BGH, in dem die Vereinbarung einer Vermittlerklausel letztlich als venire contra factum proprium eingestuft wurde.315 Eine solche Klausel bedingt prima facie für den (selbsternannten) „Vermittler“ den entscheidenden Vorteil, dass hierdurch seine vertragliche Bindung (und damit Haftung) sich nur auf die pflichtgemäße Vermittlung beschränkt und sich gerade nicht auf die pflichtgemäße Verschaffung der Reise(leistungen) erstreckt. Dies erscheint im Regelfall nicht sachgerecht.316 In den Worten des BGH: „[Eine Vermittlerklausel] steht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in unvereinbarem Widerspruch zum tatsächlichen Auftreten der Beklagten, an das sich diejenigen halten durften, die Verhandlungen mit ihr aufnahmen. Unter diesen Umständen trat der etwaige innere Wille der Beklagten, nicht im eigenen, sondern nur in fremdem Namen zu handeln, nicht hinreichend erkennbar hervor und ist daher nach § 164 Abs. 2 BGB unbeachtlich.“317
In der Reitunfall-I-Entscheidung nahm der BGH etwa bei einer am Ort der Reise buchbaren Leistung eine Abgrenzung zwischen Veranstalter- und Fremdleistung vor. Gestützt auf eine Auslegung des Vertrags bejahte der BGH eine Veranstalterleistung: „Dem steht nicht entgegen, dass die [Beklagte] die angebotenen Sportmöglichkeiten in ihrem Reiseprospekt mit ca.-Preisen ausgewiesen und [der Reisende] den Reitausflug nicht bei der [Beklagten] oder deren Reiseleitung, sondern im Club gebucht und bezahlt hat. (…) [Es] macht (…) keinen Unterschied, ob die Leistungen bereits mit der Buchung der Reise in Rechnung gestellt werden oder ob der Veranstalter die Entscheidung des Reisenden zu einem späteren Zeitpunkt ermöglicht. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob der Veranstalter die Erfüllung der vertraglichen Leistung selbst ausführt oder ausführen lässt oder ob über Einzelleistungen mit der Betreibergesellschaft des Clubs ein 312 BGH, NJW 2015, 1444 (1445); Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 43. 313 Siehe BGH, NJW 2015, 1444 (1445). 314 Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 43. 315 BGH, NJW 1974, 37 (39) – Ferienhaus. 316 Siehe auch Geib, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 651b Rn. 1. 317 BGH, NJW 1974, 37 (39) – Ferienhaus.
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weiterer – entgeltlicher – Vertrag zustande kommt. Der Reiseveranstalter, der nicht eindeutig und ausdrücklich sein umfassendes Angebot einschränkt (…), hat (…) dafür einzustehen (…).“318
In der Folge entschied der BGH zudem, dass der Reiseveranstalter selbst bei einer Fremdleistungserklärung sich unter Umständen nicht auf die Vermittlerposition berufen kann (in casu aufgrund der Gestaltung eines Werbezettels).319 dd) § 651a Abs. 2 BGB a. F. Mit der Einführung des § 651a Abs. 2 BGB a. F. wurde die zuvor skizzierten Rechtsprechung aus dem Jahre 1973 klarstellend kodifiziert.320 In der Sache wurde damit das Anliegen verfolgt, einer Benachteiligung des Reisenden durch die Vereinbarung einer Vermittlerklausel entgegenzuwirken. Dieser Zugriff ist überzeugend – andernfalls könnte sich der „Vermittler“ umfänglich der Primärund Sekundärhaftung entziehen 321 – und entspricht in aller Regel dem Auftreten des „Vermittlers“ und den Erwartungen des Reisenden. Diesen Befund unterstreicht auch ein Blick auf die Ebene der Sekundäransprüche. Denn es mangelt dem Reisenden oftmals an einer Kenntnis etwaiger (von dem Vermittler verschiedener) Reiseveranstalter, weswegen bei anderer Einstufung der Vermittlerklausel (auch) die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten mit unter Umständen erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden ist – insbesondere bei Leistungserbringern im Ausland.322 b) Rechtslage nach dem 3. Reiserechtsänderungsgesetz Im Zuge der Novellierung der §§ 651a ff. BGB wurden sowohl der Begriff der (Pauschal-)Reise wie auch die Abgrenzung zwischen Reiseveranstalter und Reisevermittler näher präzisiert. aa) Pauschalreise Eine Pauschalreise ist nach § 651a Abs. 2 Satz 1 BGB eine Gesamtheit von mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise. Eine Pauschalreise liegt nach § 651a Abs. 2 Satz 2 BGB auch dann vor, wenn (Nr. 1) die von dem Vertrag umfassten Reiseleistungen auf Wunsch des Reisenden oder entsprechend seiner Auswahl zusammengestellt wurden oder (Nr. 2) der Reiseveranstalter dem Reisenden in dem Vertrag das Recht einräumt, 318
BGH, NJW 2000, 1188 (1189) – Reitunfall I. BGH, NJW-RR 2007, 1501 (1501 ff.). Vgl. ferner auch Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, 651a Rn. 91b ff. 320 BT-Drs. 8/2343, S. 7 f. 321 Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, 651a Rn. 9 0. 322 Geib, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 651b Rn. 1; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, 651a Rn. 9 0. 319 Siehe
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die Auswahl der Reiseleistungen aus seinem Angebot nach Vertragsschluss zu treffen.323 Durch § 651a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 wurde daher auch das Club-TourUrteil des EuGH „umgesetzt“.324 bb) Reiseveranstalter und Reisevermittler Die Abgrenzung zwischen Reiseveranstalter und Reisevermittler bestimmt sich nun nach § 651b BGB. Der Telos des § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB entspricht zunächst demjenigen der Vorgängernorm des § 651a Abs. 2 BGB a. F.325 Nach § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich ein Unternehmer326 unter bestimmten Voraussetzungen nicht darauf berufen, nur Verträge mit Leistungserbringern zu vermitteln. Leistungserbringer sind dabei legaldefiniert als solche Personen, welche alle oder einzelne Reiseleistungen ausführen sollen. Allgemeine Voraussetzung für eine Einstufung des Unternehmers als Reiseveranstalter ist, dass dem Reisenden mindestens zwei verschiedene Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise erbracht werden sollen. Alternativ muss entweder (Nr. 1) der Reisende die Reiseleistungen in einer einzigen Vertriebsstelle des Unternehmers im Rahmen desselben Buchungsvorgangs ausgewählt haben, bevor er sich zur Zahlung verpflichtet, oder (Nr. 2) der Unternehmer die Reiseleistungen zu einem Gesamtpreis anbietet oder zu verschaffen verspricht oder in Rechnung stellt oder (Nr. 3) der Unternehmer die Reiseleistungen unter der Bezeichnung „Pauschalreise“ oder unter einer ähnlichen Bezeichnung bewirbt oder auf diese Weise zu verschaffen verspricht. Dies bedeutet etwa, dass eine Pauschalreise auch bei Abschluss zweier separater Verträge mit unterschiedlichen Leistungserbringern vorliegt, falls durch den Unternehmer ein Gesamtpreis gebildet wird.327 Der breite Anwendungsbereich des Begriffs des Reiseveranstalters wird deutlich durch § 651b Abs. 2 Satz 1 und § 651c Abs. 1 BGB. Denn nach § 651b Abs. 2 Satz 1 BGB sind Vertriebsstellen nicht nur (Nr. 1) unbewegliche und bewegliche Gewerberäume, sondern auch (Nr. 2) Webseiten für den elektronischen Geschäftsverkehr und ähnliche Online-Verkaufsplattformen sowie (Nr. 3) Telefondienste. § 651b Abs. 2 Satz 2 BGB stellt klar, dass es sich um eine (und nicht mehrere) Vertriebsstelle(n) handelt, falls bei mehreren Webseiten und ähnlichen Online-Verkaufsplattformen der Anschein eines einheitlichen Auftritts begründet wird.
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Zu bestimmten Legalausnahmen des Reisebegriffs siehe § 651a Abs. 4 und 5 BGB. Paulus, JuS 2018, 647 (649); Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 45a. 325 Siehe nur Staudinger, in: Schulze u. a., BGB, 10. Aufl. 2019, § 651b Rn. 1. 326 Der Unternehmerbegriff im pauschalreisevertragsrechtlichen Sinne knüpft an § 14 BGB an, siehe nur Staudinger, in: Schulze u. a., BGB, 10. Aufl. 2019, § 651a Rn. 8. 327 Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 45a. 324
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Für die praktisch äußerst relevanten Online-Buchungen bestimmt § 651c Abs. 1 BGB, dass ein Unternehmer, der mittels eines Online-Buchungsverfahrens mit dem Reisenden einen Vertrag über eine Reiseleistung geschlossen hat oder ihm auf demselben Weg einen solchen Vertrag vermittelt hat, als Reiseveranstalter anzusehen, wenn – kumulativ – der Unternehmer (Nr. 1) dem Reisenden für den Zweck derselben Reise mindestens einen Vertrag über eine andere Art von Reiseleistung vermittelt, indem er den Zugriff auf das Online-Buchungsverfahren eines anderen Unternehmers ermöglicht, (Nr. 2) den Namen, die Zahlungsdaten und die E-Mail-Adresse des Reisenden an den anderen Unternehmer übermittelt und (Nr. 3) der weitere Vertrag spätestens 24 Stunden nach der Bestätigung des Vertragsschlusses über die erste Reiseleistung geschlossen wird. Nach § 651c Abs. 2 BGB gelten die vom Reisenden geschlossenen Verträge zusammen als ein Pauschalreisevertrag, falls nach § 651c Abs. 1 BGB ein Vertrag über eine andere Art von Reiseleistung oder mehrere Verträge über mindestens eine andere Art von Reiseleistung zustande kommen. cc) Zwischenergebnis Allgemein führen die Änderungen durch das 3. Reiserechtsänderungsgesetz somit dazu, dass (zukünftig) eine Reiseveranstaltereigenschaft leichter (bzw. öfter) zu bejahen ist.328 Die Möglichkeit, (nur) als Reisevermittler zu agieren, ist erheblich eingeschränkt worden. Die Konsequenz einer Einstufung als Reiseveranstalter ist erheblich, führt sie doch zu einer umfassenden vertraglichen Bindung in Bezug auf die Pauschalreise. Der Telos des § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB entspricht demjenigen der Vorgängernorm des § 651a Abs. 2 BGB a. F.329 In Ergänzung dazu sind allerdings – wie § 651b Abs. 2 Satz 1 und § 651c Abs. 1 BGB unterstreichen – vor allem das Internet bzw. Online-Buchungen in das Blickfeld des Reiserechts gerückt. Denn die Pauschalreise-Richtlinie (sowie deren Umsetzung) bezwecken eine Erhöhung des Schutzes von Reisenden in Bezug auf diesen (inzwischen) zentralen Vertriebskanal für Reisen: „Ziel der Richtlinie ist es, die Rechte von Reisenden an die Entwicklung des Marktes anzupassen und Regelungslücken zu schließen. Insbesondere soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass zusätzlich zu den traditionellen Vertriebswegen das Internet als Mittel zum Angebot von Reiseleistungen erheblich an Bedeutung gewonnen hat.“330
328 Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, §651a Rn. 45a. S iehe aber auch die §§ 651v und 651w BGB zur Reisevermittlung und zur Vermittlung verbundener Reiseleistungen. 329 Siehe nur Staudinger, in: Schulze u. a., BGB, 10. Aufl. 2019, § 651b Rn. 1. 330 BT-Drs. 18/10822, S. 48.
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4. Einordnung der Vermittlerklausel Für das Verständnis der Vermittlerklausel und der mit einer Reise verbundenen Vertragsverhältnisse darf nicht die allgemeine zivilrechtliche Grundierung des Normregimes aus den Augen verloren werden. a) Widersprüchliches Verhalten Das Berufen auf die Vermittlerklausel stellt sich (nach wie vor) als ein widersprüchliches Verhalten, ein venire contra factum proprium, dar.331 Sachlich kann die Norm auch im Lichte des § 309 Nr. 7 BGB gelesen werden. Denn eine (vollständige) Negierung einer Primärverpflichtung steht wertungsmäßig einem umfassenden Haftungsausschluss nahe.332 Vor diesem Hintergrund wird bezweifelt, ob der Regelung des § 651a Abs. 2 BGB a. F. (bzw. nun § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB) ein eigenständiger Wert beizumessen ist.333 Die Norm wird teilweise sogar als überflüssig eingestuft.334 Ganz überwiegend wird (demgegenüber) davon ausgegangen, dass die Norm deklaratorisch sei und klarstellende Bedeutung habe.335 Die Regelung sei nur eine Konkretisierung allgemeiner Grundsätze sowie des vorbenannten § 309 Nr. 7 BGB.336 b) (Ergänzende) Vertragsauslegung Von entscheidender Bedeutung ist allerdings vielmehr, dass § 651a Abs. 2 BGB a. F. nur eine Hilfestellung für die Auslegung von Willenserklärungen bzw. die ergänzende Vertragsauslegung darstellte.337 Die Erklärung des „Vermittlers“ ist auf der Grundlage und am Maßstab der §§ 133, 157 BGB zu bewerten.338 Dies
331 BGH, NJW-RR 2007, 1501; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 651b Rn. 3; Staudinger/Staudinger (Neubearbeitung 2016) § 651a Rn. 106; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 9 0. So schon vor Einführung der Norm(en) die Rechtsprechung, siehe zuvor sub Kapitel 4 § 10 C. III. 3. a). 332 Staudinger/Staudinger (Neubearbeitung 2016) § 651a Rn. 106; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 9 0. 333 Zur (umstrittenen) Stellung der Norm zusammenfassend siehe Staudinger/Staudinger (Neubearbeitung 2016) § 651a Rn. 106 ff. 334 Vgl. Teichmann, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 651a Rn. 14. 335 Auf der Grundlage der Gesetzesbegründung zu § 651a Abs. 2 BGB (BT-Drs. 8/2347, S. 7). 336 Statt vieler Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 651a Rn. 9 0. 337 Siehe insbesondere bereits BT-Drs. 8/2347, S. 7. Zur ergänzenden Vertragsauslegung siehe oben Kapitel 4 § 10 A. III. 338 Siehe nur BT-Drs. 8/2347, S. 7; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 651b Rn. 3.
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bedeutet, dass der Inhalt der Erklärung des „Vermittlers“ nach der objektiven Würdigung des Verhaltens zu bestimmen ist.339 Gerade die Konkretisierung durch die Norm rechtfertigt allerdings ihre Kodifizierung. Die Norm typisiert den jeweiligen objektiven Empfängerhorizont und trägt damit zur Operationalisierung der (ergänzenden) Vertragsauslegung bei – auch und gerade deswegen, weil (nun) objektive Buchungsvorgänge im Vordergrund stehen.340 Eine solche objektive Würdigung wird regelmäßig dazu führen, dass der Reisende den Eindruck gewinnt bzw. seine Erwartung erzeugt wird, der „Vermittler“ verschaffe und koordiniere die Leistungen.341 De facto wird die Auslegung der Willenserklärungen durch die Regelung prädeterminiert. Die Norm dient damit der Rechtsklarheit 342 , indem die normativen Erwartungen des Reisenden abgebildet und effektuiert werden. 5. Würdigung Die gesetzliche Ausformung der Pauschalreiseverträge befördert die Annahme eines einheitlichen Vertragspartners des Reisenden. Der Reisende soll im Unterschied zu Bausteinverträgen nicht mit einem mehrspurigem Anspruchs- und Pflichtenfeld konfrontiert werden. Es besteht grundsätzlich aus Sicht des Reisenden nur ein Vertrag mit dem Reiseveranstalter. Nur ausnahmsweise bestehen ein Vertrag zwischen dem Kunden und dem Vermittler einerseits sowie Verträge zwischen dem Kunden und den Leistungsanbietern andererseits. Der Reisende hat (wiederum im Unterschied zu Bausteinverträgen) Primärleistungsansprüche nicht nur gegen den Reiseveranstalter, sondern auch gegen die jeweiligen Leistungserbringer (im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter). Der Umfang der Ansprüche ist unterschiedlich: Der Reiseveranstalter ist eigenständig in Bezug auf sämtliche Reiseleistungen gebunden. Der Anspruch gegen den Reiseveranstalter umfasst somit das Gesamtpaket. Die Ansprüche gegen die Leistungserbringer richten sich dagegen jeweils nur auf die jeweilige Reiseleistung. Im Gleichlauf zu den Bausteinverträgen stützt sich eine vertragliche Bindung bei Pauschalreiseverträgen im Grundsatz auf einen entsprechenden (geäußerten) Willen der Beteiligten. Die Bestimmung des Willens erfolgt insbesondere auf der Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung bzw. unter Rückgriff auf den Grundsatz des venire contra factum proprium – vor allem auf der Seite des „Vermittlers“ (also des Reiseveranstalters). Damit entspricht die Analyse der involvierten Vertragsbeziehungen den (normativen) Erwartungen des Reisen339 Staudinger, in: Schulze u. a., BGB, 10. Aufl. 2019, § 651b Rn. 1. Vgl. auch Geib, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 651b Rn. 4. 340 Siehe nochmals Geib, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 651b Rn. 4. 341 Siehe bereits zuvor zu Bausteinverträgen oben sub Kapitel 4 § 10 C. II. 342 Erman/Schmid, BGB, Bd. I , 15. Aufl. 2017, § 651a Rn. 52 f.
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
den. Denn den Kunden wird von dem „Vermittler“ die umfassende Koordinierung der Leistungen in Aussicht gestellt. Der „Vermittler“ eröffnet dabei nicht nur die Erwartung von zusammenhängenden und aufeinander abstimmten Verträgen. Vielmehr wird das objektive Bild erzeugt, dass der „Vermittler“ (über die Koordinierung der Leistungen hinaus) für das Gesamtpaket selbstständig einsteht. Dies ist gerade der Fall, wenn für den Reisenden der „Vermittler“ und nicht die einzelnen Leistungserbringer als entscheidender Vertragspartner empfunden bzw. wahrgenommen wird. Rechtlich ist es auch in diesem Zusammenhang schwierig zu bestimmen, wo die Grenze zwischen reiner Vermittlung und der Übernahme einer eigenen (selbstständigen) Verpflichtung des „Vermittlers“ zu ziehen ist. Für die maßgebliche (ergänzende) Vertragsauslegung besteht allerdings mit § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB eine maßgebliche (und hilfreiche) Konkretisierung für die (ergänzenden) Vertragsauslegung (bzw. der damit rechtlich operationalisierten Erwartungen) – und damit zugunsten einer vertragliche Bindung des „Vermittlers“. IV. Allgemeine Lehren für Vermittlungsplattformen Diese Tendenz könnte auch und gerade für Vermittlungsplattformen allgemein nachzuvollziehen sein. Es ist überprüfungswürdig, ob und inwieweit sich Plattformbetreiber selbst vertraglich in Bezug auf die auf der Plattform angebotenen Leistungen bzw. gehandelten Waren bindet. Hierfür sind auch die für Bausteinverträge im Allgemeinen und für Pauschalreiseverträge im Besonderen herausgearbeiteten Ansätze fruchtbar zu machen. Es gilt auch zu prüfen, ob und inwieweit diese Ansätze auf Plattformen zu übertragen sind.343 Dabei erfolgt ganz grundsätzlich ein allgemein vertragsrechtlicher (und nicht nur etwa ein verbraucherschutzrechtlicher) Zugriff.344 1. Grundlagen Zentrale Frage ist insoweit – wie bereits im Pauschalreisevertragsrecht –, ob der Plattformbetreiber lediglich Vermittler oder vielmehr (auch) Anbieter der jeweiligen Leistung ist.345 Im letzteren Fall übernimmt der Plattformbetreiber eine eigene selbstständige Schuld, gegebenenfalls als Mitschuld neben einem Nutzer der Plattform. Die Übernahme einer solchen Schuld ist vornehmlich bei 343 In Bezug auf das Pauschalreisevertragsrecht befürwortend Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (5 und 8); ablehnend etwa (wohl auch de lege ferenda) Spindler, JZ 2016, 805 (815). 344 Unbeschadet dessen bzw. gerade deswegen hat eine Abweichung von dem Grundsatz einer nur im Marktverhältnis bestehenden vertraglichen Bindung auch eine erhebliche ökonomische Bedeutung, siehe Engert, AcP 218 (2018), 304 (313). 345 Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (5). Siehe in diesem Zusammenhang auch Engert, AcP 218 (2018), 304 (311 f.).
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Vermittlungsplattformen 346 in Betracht zu ziehen.347 Wo die Grenze zwischen Vermittlung und der Übernahme einer eigenen Verpflichtung zu ziehen ist, ist freilich schwierig zu bestimmen. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der Plattformanbieter seine Rolle nicht (hinreichend) transparent macht bzw. nicht ausdrücklich eine eigenständige (Primärleistungs-)Verpflichtung übernimmt. Nicht näher betrachtet werden soll deswegen nachfolgend der vergleichsweise unproblematische Fall, dass der Plattformbetreiber explizit eine Verpflichtung übernimmt. Nur Ausgangspunkt der Überlegungen im Übrigen kann sein, dass der Plattformbetreiber grundsätzlich keine eigenständige Verpflichtung übernehmen will.348 Denn eine Vielzahl von Plattformen bezweckt aus verschiedenen Gründen (etwa aus Werbegründen oder auch regulatorischen Vorgaben) eine Mithaftung.349 2. (Ergänzende Vertrags-)Auslegung der Erklärungen Anknüpfungspunkt de lege lata für die Etablierung einer eigenständigen Verpflichtung sind die auf der Plattform abgegebenen Erklärungen des Plattformbetreibers und des jeweiligen Nutzers. Vehikel ist eine Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts.350 Erforderlich ist jeweils eine Gesamtschau der jeweiligen Konstellation.351 Auf diesem Wege vermag eine Primärleistungspflicht des Plattformbetreibers auf der Grundlage der (ergänzenden) Vertragsauslegung352 zu erzielen sein und entsprechende normative Erwartungen rechtlich operationalisiert werden. Voraussetzung hierfür ist, dass entsprechenden normativen Erwartungen bestehen. Eine solche Bestimmung ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls. Dieser Befund bedeutet allerdings keineswegs, dass sich nicht gewisse Tendenzen identifizieren lassen – und unter Umständen auch einen Impetus für eine adäquate (weitergehende) rechtliche Rahmung liefern. So ist zumindest teilweise zu beobachten, dass Nutzer davon ausgehen, dass der Plattformbetreiber Vertragspartei der jeweiligen Leistung ist.353 Maßgeblich können hierfür 346
Siehe zum Begriff oben sub Kapitel 2 § 5 A. auch Engert, AcP 218 (2018), 304 (312): „Ernsthaft in Betracht kommt das nur, wenn der Vertrag über die Leistung auf der Plattform selbst geschlossen wird, also bei Vermittlungsplattformen.“ 348 Siehe Maultzsch, ERCL 2018, 209 (211) sowie die Hinweise bei Busch/Schulte-Nölke/ Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (5 und 7). 349 Näher Engert, AcP 218 (2018), 304 (312 f.). 350 Siehe Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (5); Engert, AcP 218 (2018), 304 (313); Maultzsch, ERCL 2018, 209 (216). 351 Maultzsch, ERCL 2018, 209 (217). 352 Zur (ergänzenden) Vertragsauslegung siehe bereits zuvor sub Kapitel 4 § 10 A. III. 353 Siehe auch Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (7 f.); Engert, AcP 218 (2018), 304 (313); Maultzsch, ERCL 2018, 209 (216). 347 Siehe
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verschiedene Indizien sein: das Layout der Webseite (vgl. auch wiederum § 651b Abs. 2 Satz 2 BGB) bzw. der mobilen Applikation, das durch Werbung erzeugte Erscheinungsbild, die Verwendung einer bestimmten Marke, das Zurverfügungstellen von Einrichtungen zum Vertragsschluss, eine Mitwirkung bei der Erfüllung sowie die Festlegung des Preises oder sonstiger Vertragskonditionen.354 In diesem Sinne ist bereits de lege lata eine vertragliche Bindung des Vermittlers konstruierbar.355 3. AGB-rechtlicher Zugriff Zugunsten der Etablierung einer vertraglichen Bindung des Plattformbetreibers könnte erwogen werden, das AGB-Recht zu aktivieren.356 a) Individualvereinbarung, § 305b BGB Erster Ansatzpunkt wäre anzunehmen, Nutzer und Plattformbetreiber würden jeweils (und zusätzlich) eine Individualvereinbarung (§ 305b BGB) über die Übernahme der Verpflichtung seitens des Plattformbetreibers schließen.357 Ein solcher Zugriff ist allerdings richtigerweise abzulehnen. Zum einen werden gerade sämtliche Erklärungen standardisiert abgegeben.358 Zum anderen erwartet wohl auch kaum ein Nutzer auf einer Plattform – auch und gerade mangels einer unmittelbaren zwischenmenschlichen Interaktion –, dass ihm zugunsten eine im eigentlichen Sinne individuelle Vereinbarung getroffen wird. b) Überraschende Klauseln, § 305c Abs. 1 BGB Zweiter Ansatzpunkt ist die Erwägung, dass der Nutzer sich mit einer Konstellation überraschender Klauseln (§ 305c Abs. 1 BGB) konfrontiert sieht.359 Bezugspunkt wäre nicht zwingenderweise eine bestimmte, überraschende Klausel (wenngleich auch und gerade bei Plattformen Vermittlerklauseln denkbar sind). Im Fokus stände vielmehr die Tatsache, dass der Plattformbetreiber überhaupt nicht Vertragspartei werden soll.
354 In Anlehnung an Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (8 f.) und Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (791) bzw. Art. 18 des Vorschlags für eine EU-Richtlinie zu Online-Vermittlungsplattformen (englische Version bei Research group on the Law of Digital Services, EuCML 2016, 164 [166 ff.]). Zum Vorschlag siehe noch nachfolgend sub Kapitel 5 § 13 B. I. 355 Siehe auch Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (5); Maultzsch, ERCL 2018, 209 (216). 356 Hierzu Engert, AcP 218 (2018), 304 (313 f.). 357 Siehe in diesem Zusammenhang Erman/Roloff, BGB, Bd. I , 15. Aufl. 2017, § 305b Rn. 4; Ulmer/Schäfer, in: Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 305b BGB Rn. 10 f. 358 Engert, AcP 218 (2018), 304 (313). 359 Hierzu Engert, AcP 218 (2018), 304 (313 f.).
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Ein Rekurs auf § 305c Abs. 1 BGB ist deshalb zu erwägen, da die Regelung den normativen Erwartungen des Klauselgegners in besonderer Weise Rechnung tragen soll.360 § 305c Abs. 1 BGB kodifiziert damit einen Aspekt der Maßstäbe des objektiven Empfängerhorizonts, die wertungsmäßig auch und gerade der reiserechtlichen Regelung zu Vermittlerklauseln zugrunde liegt.361 Dogmatisch steht vornehmlich eine Ermittlung des Erklärungsinhalts am Maßstab der §§ 133, 157 BGB in Rede. Im Ergebnis bleibt es dabei, dass im Falle eines entsprechend erzeugten objektiven Empfängerhorizonts eine vertragliche Bindung des Vermittlers anzunehmen ist. Ein abweichender Zugriff eröffnet sich, wenn man über (die Wertung des) § 305c Abs. 1 BGB eine interessengerechte Ausformung der Erklärung(en) konstruiert, die zugunsten des Nutzers (stärker als bisher) eine vertragliche Bindung stützten könnte.362 Engert weist in diesem Zusammenhang auf die bestehenden Parallelen zur Ferienhaus-Rechtsprechung des BGH363 hin und erwägt richtigerweise eine auf § 305c Abs. 1 BGB gestützte Vermutung zugunsten einer vertraglichen Bindung des Plattformbetreibers.364 4. Unionale und unionsrechtliche Impulse In seiner Stoßrichtung entspricht ein solcher Zugriff für Plattformen den Ausführungen der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung zu einer Europäischen Agenda für die kollaborative Wirtschaft365 und des EuGH in der Rs. Asociación Profesional Elite Taxi/Uber Systems Spain SL 366 . Nicht verkannt werden sollte allerdings, dass der hier vor allem im Fokus stehende öffentlich-rechtliche Zugriff nicht unbesehen in die vertragsrechtliche Bewertung übertragen werden darf.367 Die Übergänge sind allerdings – auch und gerade im
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Engert, AcP 218 (2018), 304 (314). Engert, AcP 218 (2018), 304 (313 f.). 362 Siehe Engert, AcP 218 (2018), 304 (314). 363 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 C. III. 3. a). 364 Engert, AcP 218 (2018), 304 (315). 365 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft, COM(2016) 356 final. 366 EuGH, GRUR 2018, 308 – Asociación Profesional Elite Taxi/Uber Systems Spain SL; zur Entscheidung siehe etwa Busch, EuCML 2018, 172; De Franceschi, EuCML 2018, 1; Hacker, ERCL 2018, 80; Schaub, EuCML 2018, 109. Siehe jüngst auch die Schlussanträge des GA Szpunar in der Rs. AIRBNB Ireland UC (C-390/18). Siehe auch das (nicht entschiedene) Vorabentscheidungsersuchen vom 25. Juni 2015 in der Rs. TrustBuddy AB/Lauri Pihjalaniemi (C-311/15, ABl. C 294, S. 38); hierzu etwa Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (6). 367 Zutreffend Maultzsch, ERCL 2018, 209 (227). 361
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Sinne einer Regulierung durch Privatrecht368 – fließend.369 Fest steht nur, dass bislang – insbesondere im Verbraucherrecht – keine unionale (sekundärrechtliche) Regelung zu den hier im Fokus stehenden Fragen betreffend den Vertragsschluss auf Plattformen getroffen wurde.370 a) Mitteilung zu einer Europäischen Agenda für die kollaborative Wirtschaft Die Europäische Kommission führt in Bezug auf die eCommerce-Richtlinie371 und die Reichweite der damit verbundenen Privilegierungen aus: „Ob eine kollaborative Plattform die zugrunde liegende Dienstleistung auch selbst anbietet, muss normalerweise im Einzelfall entschieden werden. Dabei können mehrere sachliche und rechtliche Kriterien eine Rolle spielen. Das Ausmaß der Kontrolle oder des Einflusses, die bzw. den die kollaborative Plattform über bzw. auf die Anbieter solcher Dienstleistungen ausübt, ist im Allgemeinen sehr bedeutend.“372
Die Europäische Kommission betont als zentrale, nicht zwingend kumulative Kriterien für Kontrolle und Einfluss die Setzung des Preises und von Vertragsbedingungen durch die Plattform sowie das Eigentum der Plattform an den in Rede stehenden Gütern.373 Je nach Einzelfall könnten auch andere Kriterien relevant sein, so etwa eine Kosten- oder Risikoübernahme.374 Nicht ausreichend sollen in der Regel dagegen lediglich unterstützende Angebote (wie etwa eine Versicherung oder Zahlungsabwicklung) sein.375 Insgesamt soll gelten: „[Es] kann im Allgemeinen gesagt werden: Je größer das Ausmaß, in dem kollaborative Plattformen die Auswahl der Anbieter der zugrunde liegenden Dienstleistungen und die Art und Weise der Durchführung regeln und organisieren (z. B. indem sie die Qualität der Dienstleistungen direkt prüfen und darauf einwirken), desto deutlicher wird, 368 Siehe zur Governance by the Means of Contract Law oben sub Kapitel 3 § 9 E. II. 3. sowie allgemein Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016. 369 Weiterführend etwa Wagner, in: Blaurock/Hager (Hrsg.), Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, 2010, S. 13 ff. 370 Hierzu ausführlich Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (5 f.), die hinweisen auf den (nicht realisierten) Kommissionsvorschlag zu Art. 7 der Verbraucherrechte-Richtlinie (KOM[2008] 614 endg.), der unter bestimmten Voraussetzungen einen eigenen Vertrag des Vermittlers etablieren sollte: „(1) Vor dem Abschluss des Vertrags klärt der Vermittler den Verbraucher darüber auf, dass er im Namen und im Auftrag eines anderen Verbrauchers handelt und dass der geschlossene Vertrag nicht als zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden, sondern als Vertrag zwischen zwei Verbrauchern gelten wird und als solcher nicht unter diese Richtlinie fällt. (2) Kommt ein Vermittler seiner Pflicht gemäß Absatz 1 nicht nach, so gilt der Vertrag als in seinem eigenen Namen geschlossen.“ 371 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. 2000 L 178, S. 1 ff. 372 COM(2016) 356 final, S. 6 f. 373 COM(2016) 356 final, S. 7. 374 COM(2016) 356 final, S. 7. 375 COM(2016) 356 final, S. 7.
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dass sie auch als Erbringer der zugrunde liegenden Dienstleistungen betrachtet werden könnten.“
b) Asociación Profesional Elite Taxi/Uber Systems Spain SL Der EuGH hatte sich in der Rs. Asociación Profesional Elite Taxi/Uber Systems Spain SL nur mit der Frage auseinander zu setzen, ob das Unternehmen Uber als Anbieter von Personenbeförderungsleistungen zu öffentlich-rechtlichen Genehmigungszwecken einzustufen ist. Eine vertragsrechtliche Einordnung der verschiedenen Rechtsverhältnisse ging damit nicht einher. Dennoch verdienen die Erwägungen des EuGH zur Beurteilung der – für die Geschäftsmodelle der Plattformökonomie typischen – normativen Erwartungen Beachtung: „Eine Dienstleistung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist jedoch nicht nur ein Vermittlungsdienst, der darin besteht, mittels einer Smartphone-Applikation eine Verbindung zwischen einem nicht berufsmäßigen Fahrer, der das eigene Fahrzeug benutzt, und einer Person herzustellen, die eine Fahrt im innerstädtischen Bereich unternehmen möchte. In einer Situation (…), in der die Personenbeförderung durch nicht berufsmäßige, das eigene Fahrzeug benutzende Fahrer vorgenommen wird, gibt der Erbringer dieses Vermittlungsdienstes nämlich gleichzeitig ein Angebot über innerstädtische Verkehrsdienstleistungen ab, das er unter anderem durch Software-Tools wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Applikation zugänglich macht und dessen allgemeine Funktionalität für Personen, die dieses Angebot für eine innerstädtische Fahrt in Anspruch nehmen möchten, er organisiert. Insoweit geht aus den dem EuGH vorliegenden Informationen hervor, dass der Vermittlungsdienst von Uber auf der Auswahl nicht berufsmäßiger, das eigene Fahrzeug benutzender Fahrer beruht, denen diese Gesellschaft eine Applikation stellt, ohne die zum einen die Fahrer nicht Verkehrsdienstleistungen erbringen würden und zum anderen die Personen, die eine Fahrt im innerstädtischen Bereich unternehmen möchten, nicht die Dienste dieser Fahrer in Anspruch nehmen würden. Zudem übt Uber einen entscheidenden Einfluss auf die Bedingungen aus, unter denen diese Fahrer die Leistung erbringen. Dabei ist insbesondere klar ersichtlich, dass Uber durch die gleichnamige Anwendung zumindest den Höchstpreis für die Fahrt festsetzt, dass diese Gesellschaft den Preis beim Kunden erhebt und danach einen Teil davon an den nicht berufsmäßigen Fahrer des Fahrzeugs überweist und dass sie eine gewisse Kontrolle über die Qualität der Fahrzeuge und deren Fahrer sowie über deren Verhalten ausübt, die gegebenenfalls zu ihrem Ausschluss führen kann.“376
5. Würdigung Nicht nur die Ausführungen der Europäischen Kommission und des EuGH unterstreichen, dass sich gerade nicht nur die Geschäftsmodelle durch die Plattformökonomie verändert haben. Vielmehr haben sich auch die normativen Erwartungen der Nutzer dieser Plattformen verändert. Plattformen erzeugen diese Erwartungen oftmals auch ganz bewusst, etwa bei einem einheitlichen Auf376 EuGH, GRUR 2018, 308 (310) – Asociación Profesional Elite Taxi/Uber Systems Spain SL; hierauf bereits verweisend Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (283).
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tritt oder durch die Verwendung einer einheitlichen Marke. In diesem Sinne ist bereits de lege lata eine vertragliche Bindung des Plattformbetreibers (verstärkt) anzunehmen bzw. konstruierbar. Gleichwohl ist zuzugestehen, dass die damit verbundene Grenzziehung zwischen Vermittlerposition und der Übernahme einer eigenständigen Verpflichtung mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden ist. Zunächst kann der Vermittler durch entsprechende Hinweise zumindest versuchen, der normativen Erwartung einer eigenständigen Bindung entgegen zu treten. Darüber hinaus ist stets eine umfassende Gesamtabwägung erforderlich. Ferner sind ganz grundsätzlich die Grenzen einer (ergänzenden) Vertragsauslegung in Erinnerung zu rufen.377 Die Annahme einer auf (den Rechtsgedanken des) § 305c Abs. 1 BGB gestützten Vermutung zugunsten einer vertraglichen Bindung des Plattformbetreibers verdient insofern zwar Zustimmung (als erster Schritt). Eine belastbare Basis als die allgemeinen Auslegungsmaßstäbe bildet eine solche (nicht kodifizierte) Annahme allerdings (wohl) nicht. Es mangelt zudem auch bislang an Kriterien für das Eingreifen einer solchen Vermutung, wenn auch die oben genannten Merkmale als Indizien fungieren könnten. Vor diesem Hintergrund ist überprüfungswert, ob und inwieweit de lege ferenda die (zustimmungswürdige) Stoßrichtung zugunsten einer vertraglichen Bindung ausgeformt werden kann. Hierauf wird im Zuge der Befassung mit dem rechtspolitischen Diskurs sowie mit etwaigen Fortentwicklungsoptionen näher eingegangen. Insbesondere steht damit die Einführung einer expliziten allgemeinen Regelung für die vertragliche Bindung von Plattformen in Rede, ergänzt durch Regelbeispiele bzw. gesetzliche Kriterien, sprich – etwas überspitzt formuliert – eine Verallgemeinerung des seit den 1970er Jahren praktizierten und funktionierenden reiserechtlichen Zugriffs.378
§ 11 Von smarten Produkten zur dezentralen Kooperation Während die zuvor dargelegten Vertragsverhältnisse auf Plattformen mit drei Beteiligten – noch – als verhältnismäßig übersichtlich bezeichnet werden können, trifft dies auf die im letzten Jahrzehnt entwickelten smarten Produkte nicht mehr in gleicher Weise zu.379 Der technologische Fortschritt bedingt über die platform revolution hinaus (bzw. diese fortführend) eine immer weitergehende Verknüpfung verschiedener Akteure. Mit sogenannten hybriden Pro-
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Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. III. Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 A. II. und III. 379 Siehe auch bereits oben sub Kapitel 1 § 1 C. 378
§ 11 Von smarten Produkten zur dezentralen Kooperation
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dukten bzw. hybriden Vertriebsstrukturen 380 einher gehen eine Vielzahl verschiedener Vertragsverhältnisse.381 Dies unterstreicht bereits die übliche Nutzung eines Smartphones mit verschiedenen installierten Apps. Die damit verbundene Vernetzung zwischen Menschen ist darüber hinaus auch in die „offline“-Welt übertragen worden. Anwendungen des Internet der Dinge führen zu einer Digitalisierung von Sachen bzw. Produkten. Auf der Grundlage von machine to machine-communication werden durch einen oder mehrere Anbieter Dienstleistungen angeboten, die in der Regel mit der Steuerung bestimmter Produkte einhergeht. Stellvertretend sei insoweit nur auf sogenannte Smart Home-Anwendungen verwiesen. Die Anwendungen des Internet der Dinge weisen zumeist noch einen dem Endnutzer gegenüber auftretenden Intermediär bzw. Koordinator (im Folgenden: Systemanbieter) auf. Diese Eigenschaft unterscheidet entsprechende Anwendungen kategorial von der Vernetzung verschiedener Akteure, die auf der Grundlage bzw. mittels der Blockchain-Technologie vorgenommen werden. Die damit verbundene „Ausschaltung“ des Intermediärs (bei gleichzeitiger Verifikationssicherheit) ist der Kernfortschritt dieser Technologie.382 Im Folgenden sollen allerdings nicht sämtliche Rechtsfragen smarter Produkte, des Internet der Dinge und von Blockchain-Anwendungen aufgegriffen werden.383 Im Sinne des untersuchungsgegenständlichen Zugriffs erfolgt vielmehr eine Betrachtung der Vertragsstrukturen und der damit gegebenenfalls über die unmittelbare Vertragsschließenden hinaus einhergehenden vertraglichen Bindung.384 Insbesondere sollen die zuvor benannten Anwendungen als Anlass genommen werden, sich mit den verschiedenen Vorschlägen zu Netz(werk)verträgen, Vertragsverbünden und multipolaren Konstellationen – und damit mit der potenziell verbundenen Durchbrechung (oder Aufweichung) der Relativität der Schuldverhältnisse – auseinander zu setzen.
380 Siehe Wendehorst, in: dies./Zöchling-Jud (Hrsg.), Ein neues Vertragsrecht für den digitalen Binnenmarkt?, 2016, S. 45 (51 ff.) sowie Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (285 ff.). 381 Stellvertretend Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langen bucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (720). 382 Siehe zu den technischen Grundlagen wiederum Finck, in: Fries/Paal (Hrsg.), Smart Contracts, 2019, S. 1 ff. 383 Siehe insoweit nur die ausführliche Studie von Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016. 384 Ausführlich zur schuldrechtlichen (vertragsrechtlichen) Ebene und zur sachenrechtlichen (zumeist urheberrechtlichen) Ebene bei smarten Anwendungen siehe Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (370 ff.) sowie – speziell zu digitalen Leistungen, insbesondere zu den schuld- und sachenrechtlichen Aspekten der Lizenzeinräumung– etwa jüngst Auer, ZfPW 2019, 130.
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
A. Smarte Produkte und das Internet der Dinge Smarte Produkte bzw. Anwendungen des Internet der Dinge (nachfolgend: smarte Anwendungen) können aus vertragsrechtlicher Perspektive auf vollkommen unterschiedliche Weise ausgestaltet sein. Die Gestaltungsoptionen können von rein bipolaren Ansätzen bis hin zum Zusammenwirken verschiedenster Akteure auf der Basis verschiedener Verträge reichen. Nachfolgend sollen bzw. können daher nur typische Erscheinungsformen in Bezug auf die Begründung bzw. den Umfang vertraglicher Bindung betrachtet werden. I. Vertragsstrukturen Aus vertragsrechtlicher Perspektive stellt sich in Bezug auf die verschiedenen mit smarten Anwendungen verbundenen Leistungen regelmäßig die Frage nach dem bzw. den jeweiligen Vertragspartner(n). Dabei sind im Anschluss an Wendehorst die bereits zuvor skizzierten drei Grundkonstellationen zu unterscheiden: Einheitsmodell, Agenturmodell und Garantiemodell.385 Unter Berücksichtigung der bisherigen Untersuchung können die verschiedenen Konstellationen eingeordnet, bewertet und (im Falle des Garantiemodells) näher betrachtet werden. 1. Einheitsmodell Das sogenannte Einheitsmodell soll nachfolgend nicht weiter vertieft behandelt werden. In entsprechenden Konstellationen handelt es sich – aus der Perspektive der vertraglichen Bindung – um eine bipolare Konstellation. Der Systemanbieter fungiert als einziger Vertragspartner des Endnutzers; Dritte bzw. Drittanbieter sind (nur) Erfüllungsgehilfen des Systemanbieters.386 Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Vertrag zwischen dem Systemanbieter und dem Dritten als Vertrag zugunsten des Endnutzers eingestuft werden kann (hierzu sogleich).387 Eine Einstufung als Einheitsmodell setzt freilich einen entsprechenden Vertragsschluss zwischen Systemanbieter und Endnutzer voraus. Während ein solcher Vertragsschluss offenkundig sein kann, sind auch und gerade in Ansehung der verschiedenen Akteure Szenarien denkbar, in denen eine vertiefte Betrach-
385 Siehe Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5 f.; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (370 f.) sowie bereits oben sub Kapitel 2 § 5 A. 386 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5. 387 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5.
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tung erforderlich erscheint.388 Veranschaulicht wird dies etwa durch die Frage, wer (und in welchem Umfang) dem Endnutzer Updates bei mobilen Endgeräten bzw. Internet der Dinge-Produkten schuldet.389 In gleicher Weise spricht etwa bei der Lieferung einer körperlichen Sache zusammen mit ausgelagerten digitalen Inhalten (beispielsweise eine Steuerungs-App) für eine Internet der Dinge-Anwendung aufgrund der objektiviert erzeugten Erwartungen für die Annahme des Einheitsmodells.390 Schwieriger erscheint die Einstufung dagegen bei sonstigen digitalen Inhalten, die extern (etwa in Clouds) gespeichert sind. Liegen die Dienste außerhalb des Einflussbereichs des Systemanbieters spricht dieser Befund im Grundsatz gegen das Einheitsmodell391; eine andere Betrachtung bedingt freilich ein enges Zusammenwirken bzw. ein einheitlicher Auftritt von Systemanbieter und Drittem.392 Sind entsprechende digitale Inhalte für die Erbringung der vertragscharakteristischen Leistung erforderlich, so spricht auch diese Tatsache (eher) für das Einheits- und nicht für das Agenturmodell.393 2. Agenturmodell Mit der zweiten Variante, dem Agenturmodell, sind Mittler-Szenarien angesprochen. Der Systemanbieter wird tätig als Stellvertreter bzw. Bote eines oder mehrerer Vertretenen bzw. Erklärenden. Regelmäßig tritt in diesem Zusammenhang der bzw. die Vertretene(n) bzw. Erklärende(n) zuvor an den Endnutzer heran (per Auslobung oder invitatio ad offerendum).394 Insoweit stellen sich aus der Perspektive der vertraglichen Bindung keine besonderen Schwierigkeiten. Der Vertrag wird zwischen Endnutzer und dem bzw. den Vertretenen bzw. Erklärenden geschlossen – und es handelt sich auch insofern um eine bipolare Konstellation. 388 Siehe nun auf die jüngst verabschiedeten Digitale Inhalte-Richtlinie und die Warenkauf-Richtlinie, hierzu nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 A. II. 1. a) sowie Kapitel 5 § 13 C. II. und III. 389 Vgl. Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 24 f., 33. 390 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 18; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander- Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (386). Siehe nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 A. II. 1. a) zu jüngeren unionsrechtlichen Entwicklungen. 391 Siehe auch Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (396). 392 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 25, 33. 393 Vgl. auch Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 33. 394 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5: „(…) im Unterschied zum Einheitsmodell ist die vom Händler erbrachte Dienstleistung aber nicht unmittelbar die zur Verwendung des Produkts erforderliche digitale Dienstleistung, sondern eine Vermittlerleistung.“
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Etwas anderes kann freilich gelten, wenn der Systemanbieter – aus der Sicht des Endnutzers – immer weiter „in den Vordergrund“ rückt.395 In solchen Fällen ist zu prüfen, ob nicht eine Einstufung als Bausteinvertrag in Betracht kommt oder der Systemanbieter als Vermittlungsplattform fungiert. Die rechtliche Bewertung erfolgt dann nach den oben dargelegten Kriterien.396 Insbesondere ist jeweils zu evaluieren, ob und inwieweit der Systemanbieter selbst Vertragspartner für die Gesamtleistung wird oder im Sinne des nachfolgenden Garantiemodells eine Garantie für Drittleistungen übernommen wurde.397 3. Garantiemodell Eine vertiefte Betrachtung verdient nicht nur deswegen das Garantiemodell. In den damit benannten Fällen bestehen verschiedene vertragliche Beziehungen zu dem Endnutzer.398 Insbesondere Endnutzervereinbarungen werden direkt zwischen dem Rechteinhaber und dem Endnutzer abgeschlossen.399 Im Fall des Garantiemodells garantiert der Systemanbieter regelmäßig vertraglich gegenüber dem Nutzer des Geräts, dass die für Produktkomponenten erforderlichen Endnutzervereinbarungen mit dem Endnutzer abgeschlossen werden bzw. dass sich ein Dritter dem Systemanbieter zur Leistung an den Nutzer verpflichtet hat.400 Der Nutzer hat in diesen Fällen unter Umständen zwei Schuldner betreffend dieselbe Leistung.401 Verschiedene vertragliche Beziehungen bestehen somit jeweils zwischen den bzw. allen Beteiligten: Systemanbieter, Endkunde, Dritter (nachfolgend exemplarisch ein Lizenzgeber, der eine für die smarte Anwendung zwingend erforderliche Lizenzvereinbarung mit den Endnutzer abschließt).402 Diese Beziehungen gilt es typisierend zu betrachten. 395 Vgl. auch Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5: „Auch damit würde der Händler immer mehr zum Dienstleister (…).“ 396 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 C. II. 397 Zur Frage der Vereinbarkeit eines Ausschlusses einer Garantie in Bezug auf Drittleistungen mit dem AGB-Recht siehe Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 25 f. Siehe nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 A. II. 1. a) zu jüngeren unionsrechtlichen Entwicklungen. 398 Des Weiteren kommen etwa bestimmte Produkthersteller, Dienstleister und Datenaggregateure in Betracht. 399 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 12. 400 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 5 f. 401 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 6. Siehe zur Bestimmung des Vertragspartners in diesem Zusammenhang etwa auch Beale, in: Schulze/Staudenmayer/Lohsse (Hrsg.), Contracts for the Supply of Digital Content: Regulatory Challenges and Gaps, 2017, S. 33 (37 ff.). 402 Der Lizenzgeber soll hier (teilweise) nur als Proxy verstanden werden für die weiteren mitwirkenden Personen, die die Gesamtleistung des Systems erst ermöglichen. Aus Gründen
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Das Verhältnis zwischen dem Systemanbieter und dem Lizenzgeber soll funktional der Leistungserbringung des Systemanbieters in dessen Verhältnis zum Endnutzer dienen. Der Endkunde soll in die Lage versetzt werden, sämtliche Dienste bzw. Produktkomponenten auf der Grundlage von Endnutzervereinbarungen zu nutzen. Hierzu verpflichtet sich der Systemanbieter zumindest dem Nutzer gegenüber bzw. erzeugt eine legitime Erwartung dahingehend. Der Lizenzgeber wiederum weiß regelmäßig um das Geschäftsmodell des System anbieters (das ihm, dem Lizenzgeber, mittelbar dient) und erzeugt beim Systemanbieter eine legitime Erwartung, dass dessen Geschäftsmodell gestützt wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und in welcher Form die legitime Erwartung des Endnutzers, die smarte Anwendung zu erhalten, auch gegenüber dem Lizenzgeber zur Geltung kommt. De lege lata ist insoweit eine Qualifikation der Vertragsstruktur(en) zwischen den Beteiligten erforderlich. Ganz grundsätzlich könnte erwogen werden, ob sich alle Parteien gemeinsam im Rahmen eines Vertrags verpflichtet haben. Dann läge ein mehrseitiger Vertrag vor. Ist dies nicht der Fall, so könnte es sich bei dem Vertrag zwischen dem Systemanbieter und dem Lizenzgeber um einen Vertrag zugunsten des Endnutzers handeln.403 II. Einordnung smarter Anwendungen In diesem Sinne ist überprüfungswürdig, wie die vertraglichen Beziehungen bei smarten Anwendungen einzuordnen sind. Ziel ist es, die entsprechenden normativen Erwartungen der Beteiligten im Sinne der theoretischen Herleitung404 rechtlich zu operationalisieren. Der dafür bereits de lege lata vorhandene Kanon der Vertragstypen bietet hierfür bereits vielfältige Ansätze.405 1. Erwartung(en) betreffend die smarte Anwendung Zunächst ist zu fragen, ob und inwieweit die Erwartung des Endnutzers an ein funktionierendes Ganzes, die smarte Anwendung, mit dem bestehenden Instrumentarium abbildbar ist. Hierfür ist eine Betrachtung mit Blick auf die (potenzielle) vertragliche Bindung der Beteiligten untereinander erforderlich. Die Erwartungen des Endnutzers sind dafür von zentraler Bedeutung.406 Im digitader Anschaulichkeit der Darstellung wird im Folgenden auch von nur einem Dritten ausgegangen, praktisch werden allerdings regelmäßig mehrere Dritte beteiligt sein. 403 Vgl. auch Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (371 Fn. 9). 404 Siehe oben sub Kapitel 3 § 7. 405 Siehe auch ausführlich Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (374 ff.). 406 Diese „Gretchen-Frage“ zutreffend betonend Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (250): „Im Kern ist uns dabei immer die Frage nach den normativen Erwartungen der Parteien bei Verträgen über den Zugang zu digitalen Gütern begegnet (…).“
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len Kontext bestimmen sich Erwartungen freilich nicht immer im Gleichlauf mit der „analogen“ Welt.407 Erforderlich ist vielmehr eine Bestimmung je nach Anwendung. Die Formulierung allgemeiner (schutzwürdiger bzw. legitimer) Erwartungen (bzw. diese herausbildenden Standards) steht bislang allerdings noch aus408 – auch und gerade das für smarte Anwendungen besonders bedeutsame Immaterialgüterrecht ist bislang nicht in der Lage entsprechende Erwartungen zu determinieren409. a) Jüngste Entwicklungen auf unionaler Ebene Eine gewisse Abhilfe haben an dieser Stelle die jüngst verabschiedeten Richtlinien zu digitalen Inhalten und digitalen Dienstleistungen (Digitale Inhalte-Richtlinie)410 sowie zum Warenkauf (Warenkauf-Richtlinie)411 geleistet. Anwendbar sind beide Richtlinien allerdings nur bei einem Verbraucher als Vertragspartner auf Käufer- bzw. Kundenseite. Ausweislich des Erwägungsgrunds 21 der Digitale Inhalte-Richtlinie gilt zur Abgrenzung412 und zum (potenziellen) Umfang der jeweiligen vertraglichen Bindung: „Die [Warenkauf-Richtlinie] sollte für Verträge über den Verkauf von Waren gelten, einschließlich Waren mit digitalen Elementen. Der Begriff Waren mit digitalen Elementen sollte sich auf Waren beziehen, die in einer Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen könnten. (…) Ob die Bereitstellung enthaltener oder verbundener digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen Bestandteil des Kaufvertrags mit dem Verkäufer ist, sollte vom Inhalt dieses Kaufvertrags abhängen. Dies sollte enthaltene oder verbundene digitale Inhalte oder Dienstleistungen umfassen, deren Bereitstellung im Vertrag ausdrücklich vorgese407 Siehe nur Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/ Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (719). Zur Diskussion um die Feststellbarkeit von Erwartungen bei digitalen Inhalten bzw. Dienstleistungen siehe auch Haidmeyer, AcP 218 (2018), 297 (297 ff.). 408 Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/ Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (721). Siehe allerdings die Ergebnisse einer durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz in Auftrag gegebene Studie zum „Online-Erwerb von digitalen Inhalten“ bei Baier/Sänn, ZUM 2018, 92. 409 Siehe Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/ Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (734 ff.) sowie ausführlich Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (374 ff.). 410 Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, ABl. 2019 L 136, S. 1 ff. Hierzu auch nachfolgend sub Kapitel 5 § 13 C. II. 411 Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/ EG, ABl. 2019 L 136, S. 28 ff. Hierzu auch nachfolgend sub Kapitel 5 § 13 C. III. 412 Siehe auch Erwägungsgrund 13 Warenkauf-Richtlinie.
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hen ist. Dies umfasst auch Kaufverträge, die dahin gehend verstanden werden können, dass sie die Bereitstellung spezifischer digitaler Inhalte oder einer spezifischen digitalen Dienstleistung abdecken, weil diese bei Waren der gleichen Art üblich sind und der Verbraucher sie – in Anbetracht der Beschaffenheit der Waren und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Verkäufer oder im Auftrag des Verkäufers oder von anderen Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, einschließlich des Herstellers, abgegeben wurden – vernünftigerweise erwarten könnte. (…) Dies sollte auch gelten, wenn die enthaltenen oder verbundenen digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht vom Verkäufer selbst, sondern gemäß Kaufvertrag von einem Dritten bereitgestellt werden. (…)“413
Die Warenkauf-Richtlinie umfasst somit etwa sogenannte smarte Dinge („Waren […], die in einer Weise digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen nicht erfüllen könnten“).414 Konzeptionell nehmen sich beide Richtlinien allerdings nur teilweise der Multipolarität damit verbundener Verträge bzw. Geschäftsmodelle an, im Grundsatz bleiben sie in einem bipolaren Denken entlang einer Absatzkette verhaftet.415 Vor allem solche smarten Anwendungen des Internet der Dinge, die mit einer Vielzahl von Vertragsverhältnissen verbunden sind, werden zumindest nicht näher abgebildet.416 Für übrige, „einfachere“ Konstellationen präzisieren die Erwägungsgründe 21 a. E. sowie 22 der Digitale Inhalte-Richtlinie: „Darüber hinaus sollte gegen die Feststellung, dass eine zweiseitige Vertragsbeziehung zwischen dem Verkäufer und dem Verbraucher besteht, zu der die Bereitstellung enthaltener oder verbundener digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen gehört, nicht allein der Umstand sprechen, dass der Verbraucher einer Lizenzvereinbarung mit einem Dritten zustimmen muss, um digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen nutzen zu können. Im Gegensatz dazu sollte, wenn das Fehlen der enthaltenen oder verbundenen digitalen Inhalte oder Dienstleistungen die Ware nicht daran hindert, ihre Funktionen zu erfüllen, oder wenn der Verbraucher einen Vertrag über die Bereitstellung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen abschließt, der nicht Bestandteil eines Kaufvertrags über Waren mit digitalen Elementen ist, dieser Vertrag als getrennt vom Vertrag über den Verkauf der Waren angesehen werden, selbst wenn der Verkäufer als Vermittler dieses zweiten Vertrags mit dem Drittanbieter fungiert, und dieser Vertrag könnte in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.“417
413
Hervorh. d. Verf. Siehe Art. 3 Abs. 4 i. V. m. 2 Nr. 3 Digitale Inhalte-Richtlinie sowie Art. 3 Abs. 3 Warenkauf-Richtlinie. 415 Stellvertretend Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (288); Gsell, ZUM 2018, 75 (82); Metzger, JZ 2019, 577 (578) m. w. N. 416 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (287). Siehe aber zumindest zu Fällen unsachgemäßer Integration Art. 9 Digitale Inhalte-Richtlinie sowie Art. 8 Warenkauf-Richtlinie. 417 Siehe ebd. auch zur beispielhaften Darlegung dieser Maßstäbe für Smart-TVs, Smartphones, Smartwatches und Apps. Siehe ebenso Erwägungsgrund 15 und 16 Warenkauf-Richtlinie. 414
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Mit letzteren Ausführungen ist das Agenturmodell angesprochen, wobei den Ausführungen wohl keine allgemeinen Erwartungshaltungen dahingehend des Nutzers entnommen werden kann. Ein umfassender Leistungsanspruch des Endnutzers auf eine smarte Anwendung kann vielmehr vertragsrechtlich im Ausgangspunkt auf zweierlei Wegen gewährleistet werden. Ein solcher Anspruch würde dem Endnutzer zunächst bei Abschluss eines entsprechenden mehrseitigen Vertrags zwischen Endnutzer, Systemanbieter und Lizenzgeber zustehen. Dies würde voraussetzen, dass der Lizenzgeber dem Endnutzer gegenüber die legitime Erwartung auf einen unmittelbaren Leistungsanspruch geweckt hat. Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein418 , gerade weil der Systemanbieter in diesen Fällen als einheitlicher „Garant“ der smarten Anwendung dem Endnutzer gegenüber „auftritt“. Es erscheint gerade deswegen naheliegender – bzw. es ist zu erwarten, dass vielmehr der Systemanbieter umfassend für die Erbringung der smarten Anwendung einsteht bzw. diese garantiert (im Zuge des Einheits- oder Garantiemodells) – und damit auch die Leistungen, die dann von Dritten, wie dem Lizenzgeber, erbracht werden. Hierfür kann auch auf Art. 9 der Warenkauf-Richtlinie: „Wenn eine Beschränkung, die sich aus einer Verletzung von Rechten Dritter, insbesondere von Rechten des geistigen Eigentums, ergibt, die Nutzung der Waren im Sinne der Artikel 6 und 7 verhindert oder einschränkt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Verbraucher Anspruch auf die Abhilfen bei Vertragswidrigkeit gemäß Artikel 13 hat, es sei denn, im nationalen Recht ist die Nichtigkeit oder Auflösung des Kaufvertrags für solche Fälle vorgesehen.“
sowie auf Art. 10 der Digitale Inhalte-Richtlinie verwiesen werden: „Wenn eine Beschränkung, die sich aus der Verletzung von Rechten Dritter – insbesondere von Rechten des geistigen Eigentums – ergibt, die Nutzung der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen im Sinne der Artikel 7 und 8 verhindert oder einschränkt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Verbraucher Anspruch auf die Abhilfen bei Vertragswidrigkeit gemäß Artikel 14 hat, es sei denn, im nationalen Recht ist in solchen Fällen die Nichtigkeit oder Aufhebung des Vertrags über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen vorgesehen.“419
Hieraus ergibt sich zumindest, dass der unionale Gesetzgeber ein (begrenztes420) Bewusstsein für die betroffenen Immaterialgüterrechte hatte.421 Oftmals wird allerdings der Unternehmer nicht der Inhaber des Immaterialgüterrechts 418
In Betracht kommt allerdings ein Vertrag zugunsten Dritter, siehe hierzu sogleich. Siehe auch Erwägungsgrund 53 und 54 Digitale Inhalte-Richtlinie. 420 Zutreffend Metzger, JZ 2019, 577 (578, 584). 421 Metzger, JZ 2019, 577 (581). Anders noch in der Entwurfsfassung, siehe dort Art. 8: „Damit die digitalen Inhalte vertragsgemäß genutzt werden können, müssen sie zu dem Zeitpunkt ihrer Bereitstellung für den Verbraucher frei von Rechten Dritter – einschließlich frei von Rechten an geistigem Eigentum – sein.“; hierzu recht kritisch Ohly, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 987 (998). 419
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sein422 , sondern – je nach Ausgestaltung – als Unterlizenzgeber oder nur als Vermittler oder Garant für die den Abschluss eines (weiteren) Lizenzvertrag mit dem Rechteinhaber auftreten. Art. 9 respektive Art. 10 können nun dahingehend verstanden werden, dass sich der Unternehmer umfassend auch und gerade betreffend die einzuräumenden immaterialgüterrechtlichen Befugnisse – zumindest im Sinne des Garantiemodells – bindet.423 Die Richtlinien könnten insoweit allerdings auch zugunsten des Endnutzers eine Erwartung auf eine umfassende Gewährung der smarten Anwendung durch den Systemanbieter prägen. Für eine potenziell weitreichende vertragliche Bindung kann in diesem Sinne vor allem auch Art. 7 Abs. 3 der Warenkauf-Richtlinie: „Im Falle von Waren mit digitalen Elementen sorgt der Verkäufer dafür, dass der Verbraucher über Aktualisierungen, einschließlich Sicherheitsaktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit dieser Waren erforderlich sind, informiert wird und solche erhält (a) während des Zeitraums, den der Verbraucher aufgrund der Art und des Zwecks der Waren und der digitalen Elemente und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags vernünftigerweise erwarten kann, wenn im Kaufvertrag die einmalige Bereitstellung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung vorgesehen ist, oder (b) während des gesamten in Artikel 10 Absatz 2 oder Absatz 5 genannten Zeitraums, wenn im Kaufvertrag die fortlaufende Bereitstellung des digitalen Inhalts oder der digitalen Dienstleistung über einen Zeitraum vorgesehen ist.“424
sowie Art. 8 Abs. 1 lit. a und b der Digitale Inhalte-Richtlinie ins Feld geführt werden: „Zusätzlich zur Einhaltung der subjektiven Anforderungen an die Vertragsmäßigkeit müssen die digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen (a) sich für die Zwecke eignen, für die digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen derselben Art in der Regel genutzt werden, (…); (b) der Quantität, den Eigenschaften und den Leistungsmerkmalen – darunter Funktionalität, Kompatibilität, Zugänglichkeit, Kontinuität und Sicherheit – entsprechen, die bei digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen derselben Art üblich sind und die der Verbraucher aufgrund der Art der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen und unter Berücksichtigung öffentlicher Erklärungen, die von dem Unternehmer oder anderen Personen in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette oder in deren Namen insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett abgegeben werden, vernünftigerweise erwarten kann (…).“425
422 Stellvertretend Metzger, JZ 2019, 577 (578); Ohly, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herres thal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 987 (998) m. w. N. 423 Siehe Grünberger, ZUM 2018, 73 (74); ders., AcP 218 (2018), 213 (287). 424 Hervorh. d. Verf. Siehe auch Erwägungsgrund 32 und 34 Warenkauf-Richtlinie. 425 Hervorh. d. Verf. Siehe allgemein zum Mangelbegriff der Digitale Inhalte-Richtlinie (auf der Grundlage des überarbeiteten Entwurfs) Riehm/Abold, ZUM 2018, 82 (84 ff.); siehe auch ebd. (86) zur Kritik an dem objektiven Mangelbegriff des (nun) Art. 8.
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b) Immaterialgüterrecht Im Übrigen ist das Immaterialgüterrecht aufgrund der Abhängigkeit smarter Anwendungen von Lizenzvereinbarungen426 (potenziell immer weitergehend) mit dem Vertragsrecht abzustimmen427, wenngleich die UsedSoft-Entscheidung des EuGH428 – und die Novellierungen durch die Richtlinien429 – auch als Primat der „vertraglichen“ Endnutzererwartungen verstanden werden kann (und muss).430 Mit Ohly gilt: „Die gemeinsame Aufgabe des Urheberrechts und des Schuldrechts besteht darin, die berechtigten Verbrauchererwartungen zu schützen. Im analogen Zeitalter bewirkte der urheberrechtliche Erschöpfungsgrundsatz, dass der Endabnehmer das Medium frei nutzen und frei weiterveräußern konnte und durfte. In der digitalen Welt erlangt aber der ‚Käufer‘ eines Hörbuchs oder Films nur noch begrenzte Befugnisse, die in aller Regel durch AGB ausgestaltet und deren Grenzen durch technische Schutzmaßnahmen abgesichert sind.“431
Eine (nur) rechtstechnisch davon zu trennende Frage ist, ob und in welchem Umfang dem Endkunden eine Lizenz (durch einen Dritten) erteilt wird.432 Der Umfang der Lizenzerteilung (auf abstrakt-dinglicher Ebene) ist bei digitalen Geschäftsmodellen für die Nutzung der smarten Anwendung von entscheidender Bedeutung. Denn ohne Lizenzerteilung ist dem Endkunden eine (rechtskonforme) Nutzung der smarten Anwendung (wohl) nicht möglich.433 Grundlage für die Lizenzerteilung ist das (kausale) Lizenzgrundgeschäft, das nach dem Vorherigen mit dem Endkunden abgeschlossen wird.434 Die insoweit bestehenden Erwartungen an die smarte Anwendung müssen auch in diesem Rah-
426 Siehe nur Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (228 ff.) sowie wiederum etwa die Erwägungsgründe 53 und 54 der Digitale Inhalte-Richtlinie. Vgl. auch Metzger, JZ 2019, 577 (584). 427 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (232, 248). Ausführlich und mit einer Vielzahl von Lösungsvorschlägen, insbesondere betreffend die urheberrechtliche Auslegung und AGB- rechtliche Bewertung Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (374 ff.). 428 EuGH, GRUR 2012, 904 – UsedSoft. 429 Grünberger, ZUM 2018, 73 (74). (Nur) formal bleibt das Urheberrecht etwa durch die Digitale Inhalte-Richtlinie unberührt (vgl. Art. 3 Abs. 9). 430 Zutreffend Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (248 f., 275 f.); Wendehorst, in: Micklitz/ Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (380 und öfter). 431 Ohly, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 987 (998). Zustimmend Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (249). 432 Hierzu Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (374 ff.). 433 Zum hierdurch entstehenden Spannungsfeld Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (248 f.). Siehe nun auch Erwägungsgrund 53 und 54 Digitale Inhalte-Richtlinie. 434 Hierzu Auer, ZfPW 2019, 130 (137 ff.); Ohly, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/ Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 987 (998).
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men zur Geltung gebracht werden.435 Das Vertragsrecht führt.436 Mit Grünberger gilt: „Welche normativen Verbrauchererwartungen stabilisiert werden, beantwortet das Vertragsrecht.“437 Dies kann wiederum einerseits durch eine Auslegung der Erklärungen erfolgen. Andererseits steht insoweit allerdings auch eine AGB-rechtliche Inhaltskontrolle438 des Lizenzgrundgeschäfts in Rede – wenngleich dabei die urheber- und lizenzrechtlichen Maßstäbe nicht vollständig konterkariert werden dürfen.439 2. Insbesondere: Das Verhältnis zwischen Systemanbieter und Lizenzgeber Der Endnutzer – auch und gerade im Lichte der Digitale Inhalte- und Warenkauf-Richtlinien – erwartet regelmäßig einen Vertragspartner, der umfassend die Funktionalität der smarten Anwendung sicherstellt bzw. sicherstellen will. Dieser Befund bedeutet allerdings nicht, dass eine Einordnung des Vertrags zwischen Systemanbieter und Lizenzgeber als Vertrag zugunsten des Endnutzers per se ausscheidet.440 Zunächst scheint es aus Sicht des Endnutzers vorteilhaft, einen im Wesentlichen inhaltsgleichen Leistungsanspruch gegen den Systemanbieter und den Lizenzgeber innezuhaben. Für eine Annahme eines Vertrags zugunsten Dritter ist die Endnutzerperspektive freilich nicht unmittelbar maßgeblich. Für das Verhältnis zwischen dem Systemanbieter und dem Lizenzgeber kann diese Perspektive nur mittelbar Berücksichtigung finden, wenn beide Parteien wechselseitige entsprechende Erwartungen erzeugen bzw. akzeptieren. Prima facie hat der Lizenzgeber nur ein Interesse, sich gegenüber dem Sys temanbieter zu binden. Zwar verpflichtet sich der Lizenzgeber gegenüber dem 435 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (248 ff.); Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (387 und öfter). Siehe demgegenüber Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (723). 436 In Anlehnung an die Überschrift bei Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (247): „Vertragsrecht und Immaterialgüterrecht: Wer führt?“ 437 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (249). 438 Siehe Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (249 f.); Ohly, in: Auer/Grigoleit/Hager/ Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 987 (998 f.); Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (374 ff.). Zur Leistungsfähigkeit des AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle allgemein Wagner, ZEuP 2018, 821 (834 ff.). 439 Auer, ZfPW 2019, 130 (145 f.); Ohly, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/ Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 987 (999). Ausführlich mit Vorschlägen zur Auslegung von Erklärungen und maßgeblicher urheberrechtlicher Normen sowie zur AGB-rechtlichen Bewertung bestimmter Klauseln Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (374 ff.). 440 Siehe auch Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (371 Fn. 9).
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Systemanbieter dazu, mit dem Endnutzer eine Lizenzvereinbarung abzuschließen. Eine solche Verpflichtung dem Systemanbieter gegenüber ist aber nicht unbesehen mit der Einräumung eines Leistungsanspruchs dem Endnutzer gegenüber auf Abschluss einer Lizenzvereinbarung gleichzusetzen. Demgegenüber scheint der Systemanbieter (mit Blick auf seine eigene Verpflichtung bzw. Garantie dem Endnutzer gegenüber) ein Interesse daran zu haben, dem Endnutzer soweit wie möglich zu dienen – und auch seine eigene Leistungserfüllung abzusichern. Diese Erwartung des Systemanbieters erscheint auch aus der Perspektive des Lizenzgebers zur Funktionsgewährleistung der smarten Anwendung als legitim. Dieses sich annähernde Verständnis von Systemanbieter und Lizenzgeber, insbesondere das oftmals bestehende Interesse beider an der anzubietenden Dienstleistung, könnte im Zuge einer (ergänzenden) Vertragsauslegung fruchtbar gemacht werden. Auf diesem Wege ist bereits de lege lata eine vertragliche Bindung des Lizenzgebers – im Sinne eines Vertrags zugunsten Dritter – (auch) dem Endnutzer gegenüber konstruierbar.441 3. Anwendungsbeispiel: Der Gardena-Fall Im Lichte der vorherigen Ausführungen soll der bereits zuvor exemplarisch erwähnte Gardena-Fall beispielhaft rein erwartungsbezogen untersucht werden. Dem Fall liegt das folgende Szenario eines „smarten Garten“ zugrunde442: Aufgrund eines Serverabsturzes waren die Bewässerungsventile und Rasenmäher nicht mehr über die dafür vorgesehene App zu erreichen. Hierdurch kam es bei den Nutzern unter anderem zu Vertrocknungen, denn die nutzereigenen Bewässerungs- bzw. Geräteprofile waren nicht abrufbar bzw. wurden teilweise gelöscht. a) Ausgangsszenario Der Fall ist in seiner Ausgangssituation als (eher) bipolar einzustufen, denn Gardena betreibt den Server und die App selbst. Gardena bindet sich somit vertraglich in Bezug auf die smarte Anwendung, insbesondere in Bezug auf die
441 De lege ferenda für eine action directe nach französischem Vorbild plädierend Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/ Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (723). Siehe im Übrigen nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 A. 442 Greis, Serverabsturz macht den Garten dumm (15. August 2017). Hierzu etwa bereits Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (286 f.). Einen vergleichbaren Fall diskutierend Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (410 ff.).
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Funktionsfähigkeit der App und des Servers.443, 444 Das Unternehmen ist somit der Systemanbieter im Zuge eines Einheitsmodells. Entsprechend haftet somit Gardena auch für etwaige (verschuldete) Ausfälle des Systems bzw. für dadurch entstandene Schäden aus dem Vertrag. b) Abwandlung: Betrieb des Servers durch Dritten Schwieriger ist die Einstufung des Falles, wenn dieser modifiziert wird. So könnte der Server von einer dritten Person betrieben werden.445 Gardena stände mit dem Betreiber in entsprechenden vertraglichen Beziehungen. Der Betreiber verpflichtet sich zur Zurverfügungstellung entsprechender Speicherbzw. Zugriffskapazitäten in Bezug auf die für die Steuerung der Geräte relevanten Daten. Unterstellt, dass der Endnutzer mit dem Serverbetreiber keine eigenen vertraglichen Beziehungen eingeht, stellt sich die Frage, ob sich Gardena hinsichtlich der Speicher- und Zugriffskapazitäten gegenüber dem Endnutzer vertraglich bindet. Hierfür spricht zunächst, dass aus der Perspektive des Endnutzers die Serverleistung unmittelbar mit der Funktionsfähigkeit der smarten Anwendung verknüpft ist. Gardena erzeugt die objektivierte Erwartung, dass der Endnutzer seine Geräte steuern kann (wofür ein Datenzugriff erforderlich ist). Die Tatsache, dass der Endnutzer überhaupt nicht mit dem Serverbetreiber unmittelbar in Kontakt tritt bzw. bei normalem Verlauf treten muss, unterstreicht zusätzlich, dass lediglich Gardena als entsprechender Vertragspartner in Betracht kommt. Dabei ist im Einzelfall zu klären, ob Gardena sich selbst (im Sinne des Einheitsmodells) zur Erbringung der Serverleistungen verpflichtet oder ob Gardena eine Erbringung von Serverleistungen durch den Dritten garantiert (im Sinne des Garantiemodells).446 In jedem Fall kommt – auf der Grundlage der obi443 Es wird davon ausgegangen, dass der Endnutzer das Internet der Dinge-fähige Gerät direkt bei Gardena erwirbt. Für den Fall eines Vertriebs durch einen Dritten muss unterschieden werden zwischen der vertraglichen Verpflichtung des Distributeurs und Gardena. Soweit der Distributeur nicht lediglich als Stellvertreter auftritt, ist bereits auf der Ebene des Distributeurs zu prüfen, ob und inwieweit eine vertragliche Bindung eingegangen ist. Dies beurteilt sich mutatis mutandis entlang der nachfolgend dargelegten Maßstäbe zur vertraglichen Bindung von Gardena. 444 Muss der Endnutzer die App mittels eines App Stores herunter laden, ist denkbar (freilich nicht zwingend), dass der App Store-Betreiber als Vertragspartner dazwischen tritt (siehe hierzu sogleich). Die Verpflichtung von Gardena besteht dann darin, die eigene App über den Store bereit- und einen Abschluss eines entsprechenden Softwarenutzungsvertrags sicherzustellen. 445 Die nachfolgenden Ausführungen typisieren die verschiedenen vertraglichen Vereinbarungen; die rechtliche Bewertung erfolgt somit unbeschadet etwaiger abweichender vertraglicher Vereinbarungen. 446 Siehe auch Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (386 und 411).
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gen Ausführungen447 – eine Einstufung des Vertrages zwischen Gardena und dem Serverbetreiber als Vertrag zugunsten Dritter, also des Endnutzers, in Betracht. c) Abwandlung: Betrieb der App durch Dritten Eine weitere potenzielle Modifizierung wäre, dass nur die App von einer dritten Person betrieben wird. Gardena stände mit dem Betreiber der App in entsprechenden vertraglichen Beziehungen. Der Endnutzer schließt regelmäßig den konkreten Softwarenutzungsvertrag betreffend eine bestimmte App je nach Ausgestaltung im Einzelfall entweder mit dem App Store-Betreiber oder mit dem Anbieter der jeweiligen App ab.448 Für den einzelnen Nutzer ist dabei allerdings nicht immer zu erkennen, mit welchem Vertragspartner ein Softwarenutzungsvertrag abgeschlossen wird bzw. werden soll.449 Unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts könnte es mit Blick auf die Aufmachung als Store prima facie naheliegender sein, dass der Vertrag mit dem App Store-Betreiber abgeschlossen wird. Für den abgewandelten Gardena-Fall wirft diese Konstruktion die Frage auf, in welchen Umfang Gardena vertraglich gebunden ist. Zunächst wird unterstellt, dass die Oberfläche der App ein Gardena-Branding aufweist und dass der Endnutzer die App nach einem entsprechenden Hinweis von Gardena in einem App Store heruntergeladen hat. Für eine umfassende vertragliche Bindung Gardenas ist in dieser Konstellation vor allem die Aufmachung der App anzuführen. Aus der Perspektive des Endnutzers ist die App zudem unmittelbar mit der Funktionsfähigkeit der smarten Anwendung verknüpft. Gardena erzeugt die objektivierte Erwartung, dass der Endnutzer durch die Nutzung der App seine Geräte steuern kann. Dabei ist wiederum im Einzelfall zu klären, ob Gardena sich selbst (im Sinne des Einheitsmodells) zur Leistung der App verpflichtet oder ob Gardena eine Zurverfügungstellung durch den App Store-Betreiber garantiert (im Sinne des Garantiemodells). In jedem Fall kommt wiederum eine Einstufung des Vertrages zwischen Gardena und dem App-Betreiber als Vertrag zugunsten Dritter, also des Endnutzers, in Betracht. Unterstellt, dass die Oberfläche der App kein Gardena-Layout aufweist, kann allerdings eine abweichende Betrachtung erforderlich sein. Erwartet der Endnutzer bei Vertragsschluss keine bestimmte App, ändert sich die rechtliche Betrachtung nicht. Die Zurverfügungstellung einer App durch Gardena ist, vom objektiven Empfängerhorizont aus, Teil des üblichen Leistungsumfangs und damit der vertraglichen Bindung von Gardena. Diese Beurteilung ändert 447
Siehe oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 2. Klein/Datta, CR 2016, 587 (588 ff.); dies., CR 2017, 174 (175). 449 Siehe hierzu Klein/Datta, CR 2016, 587 (588 f.); dies., CR 2017, 174 (175); jeweils m. w. N. 448
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sich, wenn bei Vertragsschluss dem Endnutzer gegenüber hervorgehoben wurde, dass eine App eines Drittanbieters genutzt werden soll bzw. muss. Die Zurverfügungstellung einer App durch Gardena wird nicht objektiviert erwartet. In Betracht kommt allerdings eine Verpflichtung dahingehend, den Gebrauch der App zu ermöglichen. Falls vertragliche Beziehungen zwischen Gardena und dem App-Betreiber bestehen, kommt wiederum eine Einstufung des entsprechenden Vertrags als Vertrag zugunsten des Endnutzers in Betracht. III. Zwischenergebnis Die Befassung mit den Vertragsstrukturen smarter Anwendungen unterstreicht dreierlei. Die benannten Anwendungen sind erstens durch eine Vielzahl aufeinander abgestimmter Verträge bzw. Vertragsverhältnisse geprägt. Der Endnutzer nimmt allerdings regelmäßig nur eine (Gesamt-)Dienstleistung wahr (was auch von dem bzw. den Anbieter(n) bezweckt ist). Die Vertragsverhältnisse im Zuge smarter Anwendungen können zweitens mit dem bestehenden dogmatischen Instrumentarium erfasst werden.450 Unbeschadet abweichender vertraglicher Vereinbarungen ist das Bestehen konkreter Ansprüche drittens stets abhängig von den Umständen des Einzelfalls – wozu vor allem die in Rede stehende Dienstleistung zählt. Erforderlich ist deswegen stets eine (ergänzende) Ver tragsauslegung der abgegebenen Erklärungen im Sinne der (Funktionsfähigkeit der) smarten Anwendung. Die Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes darf allerdings nicht über zwei in härente Herausforderungen hinwegtäuschen. Zunächst sind die Grenzen der (ergänzenden) Vertragsauslegung zu beachten und als limitierender Faktor zu begreifen.451 Darüber hinaus verhindert die Abhängigkeit der rechtlichen Beurteilung vom konkreten Geschäftsmodell die Herausbildung einheitlicher Maßstäbe, wenngleich die jüngst verabschiedeten Richtlinien zu Digitalen Inhalten und zum Warenkauf hierfür einen wichtigen Impetus geliefert haben. Es ist vor diesem Hintergrund gleichwohl überprüfungswert, ob und inwieweit de lege ferenda die mit smarten Anwendungen verbundenen Vertragsverhältnisse anderweitig bzw. ergänzend gerahmt werden müssen – hierauf soll im Zuge der Befassung mit dem rechtspolitischen Diskurs sowie mit etwaigen Fortentwicklungsoptionen näher eingegangen werden.452
450 Siehe in der Grundtendenz auch Wendehorst, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (374 ff.). 451 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. III. 452 Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 A.
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B. Dezentrale Kooperationsstrukturen Die Vernetzung verschiedener Akteure hat in den letzten Jahren über die „klassische“ Digitalisierung hinaus durch weitere technische Entwicklungen eine kategoriale Veränderung erfahren. Angesprochen sind hiermit dezentrale Kooperationsstrukturen, insbesondere die Blockchain-Technologie.453 Dieses Referenzfeld der gegenständlichen Untersuchung steht in hervorgehobener Weise für die fortgeschritten (und neuen) Möglichkeiten der maschinen-basierten Interaktion zwischen Personen bzw. der machine to machine-communication. Der Blockchain-Technologie wird deswegen bereits heute zu Recht ein erheblicher Einfluss auf die Abwicklung von Verträgen zugesprochen.454 Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend die Technologie im vertragsrechtlichen Kontext analysiert werden. In Anbetracht des Untersuchungsgegenstandes steht dabei der Vertragsschluss bzw. die Begründung vertraglicher Bindung im Vordergrund. Es soll unterstellt werden, dass natürliche Personen (im eigenen Namen bzw. als Vertreter einer juristischen Person) die Technologie ohne autonome Agenten nutzen. Die mit autonomen Agenten verbundenen Fragestellungen werden im Anschluss an diesen Abschnitt behandelt.455 I. Blockchain-Technologie zur Vertragsabwicklung Grundvoraussetzung für das Verständnis von über eine Blockchain abgewickelten Verträgen ist zunächst das (rechtliche) Verhältnis der verschiedenen Teilnehmer – gemeint sind damit im Folgenden Private Key Holder und (je nach Blockchain) die sogenannten Miner.456 Es ist zu fragen, ob und inwieweit die an einer Blockchain partizipierenden Teilnehmer über ein Basis- oder Rahmenrechtsverhältnis zum Zwecke der Nutzung der Blockchain miteinander vertraglich verbunden sind. Dabei wird in dieser Untersuchung grundsätzlich davon 453 Grundlegend aus rechtlicher Perspektive De Filippi/Wright, Blockchain and the Law, 2018; aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive Mann, NZG 2017, 1014; Spindler, ZGR 2018, 17 (44 ff.); Teichmann, ZfPW 2019, 247 (265 ff.); aus internationalprivatrechtliche Perspektive Martiny, IPRax 2018, 553; Zimmermann, IPRax, 2018, 566. Zu den technischen Details siehe oben sub Kapitel 2 § 5 B. 454 Siehe stellvertretend Guggenberger, in: Schulze/Staudenmayer/Lohsse (Hrsg.), Contracts for the Supply of Digital Content: Regulatory Challenges and Gaps, 2017, S. 83 ff. und Möslein, ZHR 183 (2019), 254 sowie die Beiträge in Fries/Paal (Hrsg.), Smart Contracts, 2019. Die Anwendungsbereiche reichen allerdings weit über das Vertragsrecht hinaus; stellvertretend aus der Perspektive des Immaterialgüterrechts etwa Lehner, in: Hennemann/Sattler (Hrsg.), Immaterialgüter und Digitalisierung, 2017, S. 43 ff. 455 Sub Kapitel 4 § 12 B. 456 Private Key Holder sind diejenigen Teilnehmer einer Blockchain, die Inhaltsänderungen an einem (Datenbank-)Eintrag in der Blockchain vornehmen können. Das sogenannte Mining bezieht sich auf die Schaffung von Token (siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 2 § 5 B.). Das Mining dient als Anreizsystem für die Nodes einer Blockchain. Siehe zu alledem Kaulartz/Matzke, NJW 2018, 3278 (3278).
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ausgegangen, dass sämtliche Teilnehmer an der Blockchain außerhalb von einzelnen Transaktionen keine ausdrücklichen vertraglichen Beziehungen eingegangen sind. Dies bedeutet, dass (vor allem) offene Blockchains nachfolgend betrachtet werden.457 Geschlossenen Blockchains wird in nahezu allen Fällen ein – zumeist ausdrücklich geschlossener – (Gesellschafts-)Vertrag zugrunde liegen. 1. Einzelne bipolare Vertragsverhältnisse Von einem theoretischen Standpunkt aus erscheint zunächst denkbar, dass jeder (neu hinzutretende) Teilnehmer (konkludent) mit allen anderen Teilnehmern jeweils (!) einen Vertrag über die Nutzung der Blockchain abschließt. Inhalt eines solchen Vertrags könnte die gegenseitige Verpflichtung sein, die Blockchain nur zu den dafür vorgesehenen Zwecken (etwa eine Kryptowährung) zu nutzen und die Abwicklung von Transaktionen ohne Rechtsgrund zu unterlassen. Bereits eine solche Betrachtung löst allerdings erhebliche Bedenken aus. Die Annahme einer vertraglichen Bindung zwischen den Teilnehmern erfordert entsprechende (konkludente) Willenserklärungen. Basis entsprechender Erklärungen ist der entäußerte Wille bzw. sind die dadurch bei den jeweils anderen Teilnehmern erzeugten Erwartungen.458 Entsprechende Erwartungen dürften allerdings regelmäßig nicht bestehen. Dies bezieht sich vor allem auf den Umstand, überhaupt eine vertragliche Bindung jeweils einzeln mit allen anderen Nutzern einzugehen. Dieser Befund trifft exemplarisch zu auf die vorgenannten potenziellen Pflichten zur zweckkonformen Nutzung bzw. zur rechtskonformen Nutzung der Blockchain. Denn die Blockchain zeichnet sich aus durch bestimmende technische Merkmale, insbesondere Verifizierbarkeit und eindeutige Zuordnung von Positionen. Aufgrund dieser technischen Funktionen der Blockchain besteht zunächst – nur – eine Erwartung in die Blockchain. Die für die Annahme vertraglicher Bindung wesentlichen Erwartungen könnten daher leerlaufen. Es herrscht zunächst ein Vertrauen in die Technik. Dieses Vertrauen bildet nicht die Basis für etwaige einzelne (bipolare) vertragliche Beziehungen zwischen den einzelnen Teilnehmern. 2. Kooperatives Minimum Prima facie müssten daher auch sämtliche sonstige Formen vertraglicher Bindung zwischen allen Teilnehmern ausscheiden. Gleichwohl drängt sich damit die Frage auf, ob das Vertrauen in den dezentralen Kooperationsmechanismus 457 Zur Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Blockchains siehe bereits oben sub Kapitel 2 § 5 B. 458 Siehe auch oben sub Kapitel 3 § 7 C.
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gleichwohl (vertrags-)rechtliche Bindungen für die Nutzer bedingt bzw. bedingen kann. Eine solche Annahme erscheint nur dann (wenn überhaupt) gerechtfertigt, falls ein gemeinsames Grundverständnis der Teilnehmer existiert, gleichsam ein Nukleus der Kooperation, der nicht bereits durch die inhärenten technischen Bedingungen gewährleistet wird. Zu diesem Grundverständnis könnte zählen, dass die Blockchain von den Teilnehmern nicht als solche in Frage gestellt wird. Dies wäre der Fall, falls ein Teilnehmer die Blockchain verfälscht – was den Kernnutzen der Blockchain als Verifikationsinstrument in Frage stellt. Mit Verfälschen ist in diesem Zusammenhang nicht die Abwicklung von Transaktionen ohne valide Basis in der realen Welt gemeint, sondern eine Veränderung der Verifikation zu eigenen Gunsten. Ein solches Vorgehen ist möglich, falls ein Teilnehmer mehr als 50 % der Rechner- und Verifizierungsleistung innehat.459 Eine 50 %+-Attacke bezeichnet eine Situation, in der ein Akteur über 50 % der Miningkapazitäten stellt und deswegen „seine“ Blockchain, sprich „falsche“ Blöcke, zu seinen Gunsten durchsetzt.460 Im gleichen Sinne fallen allerdings auch Programmierfehler in diese Kategorie461 oder unter Umständen Fälle, in denen ein Teilnehmer einen diesem Teilnehmer nicht zustehenden Private Key einsetzt. Die Aufrechterhaltung der charakteristischen Bedingungen könnte zunächst als Geschäftsgrundlage im rechtlichen Sinne (nach Maßgabe von § 313 BGB) begriffen werden. Es mangelt dann allerdings an dem Vertrag, auf den sich die Geschäftsgrundlage bezieht. Naheliegender erscheint es, die gegenseitige Gewährleistung des Systems als ein kooperatives Minimum zu begreifen. Eine solche Qualifikation geht freilich davon aus, dass die Teilnehmer, dem grundlegenden Narrativ der Blockchain-Technologie entsprechend, miteinander kooperieren wollen – und nicht die Kooperation als Vorbedingung eines Wettkampfes verstehen. Unbeschadet des letztgenannten Verständnisses ließe sich etwa argumentieren, die Möglichkeit einer 50 %+-Attacke sei dem System inhärent und die Teilnehmer hätten konsequenterweise von vornherein kein entsprechendes Vertrauen in das System. Gerade das mangelnde Vertrauen in das System an dieser Stelle legt allerdings nahe, dass die Teilnehmer doch eine Kooperationsform en miniature anstreben bzw. durch ihre Partizipation entsprechende Erwartungen erzeugen und nicht enttäuscht wissen wollen. Dieses kooperative Minimum könnte als mehrseitiger Vertrag zu qualifizieren sein. Die Teilnehmer einer 459 Siehe o. V., Was ist eine 51 %-Attacke und wie funktioniert sie?, BTC-Academy sowie Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1222; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431 (1432). 460 Siehe o. V., Was ist eine 51 %-Attacke und wie funktioniert sie?, BTC-Academy, wo auch auf das Risiko hingewiesen wird, dass auch unter 50 % eine Attacke (mit geringerer Wahrscheinlichkeit) möglich ist. 461 Vgl. Mann, NZG 2017, 1014 (1016).
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Blockchain versprechen sich jeweils gegenseitig somit die Grundfunktionen der Blockchain. Antizipiert stimmen die Teilnehmer dabei auch dem Beitritt weiterer Nutzer zu dem mehrseitigen Vertrag zu bzw. umgekehrt erklären neue Teilnehmer, in den bestehenden Vertrag einzutreten.462 Aus rechtlicher Perspektive steht damit allerdings nicht fest, welche Form eines mehrseitigen Vertrages zwischen den Partizipierenden geschlossen wird, sprich welches konkrete gegenseitige Versprechen zwischen den Teilnehmern vorliegt. Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend zunächst in einem Exkurs der mehrseitige Vertrag im Allgemeinen (Sonderform ist etwa ein Gesellschaftsvertrag) näher betrachtet werden, um sodann die dezentrale Kooperation mittels der Blockchain-Technologie vertragsrechtlich einzuordnen. 3. Exkurs: Mehrseitiger Vertrag Der mehrseitige Vertrag ist eine anerkannte Vertragsstruktur. Gleichwohl wird dem mehrseitigen Vertrag in aller Regel nur begrenzte Aufmerksamkeit zuteil.463 In Anbetracht seiner praktischen Relevanz verwundert dies.464 Der mehrseitige Vertrag ist die „stärkste“ Form der vertraglichen Bindung zwischen mehr als zwei Personen465 – und damit von besonderem Interesse für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand. Die nachfolgenden Ausführungen zum mehrseitigen Vertrag knüpfen dabei an die grundlegende Arbeit (und Terminologie) von Zwanzger an, der die Dogmatik und Funktion mehrseitiger Verträge monographisch untersucht hat.466 a) Definition Der mehrseitige Vertrag ist abzugrenzen vom (nur) zweiseitigen Vertrag.467 Ein mehrseitiger Vertrag (im weiteren Sinne) wird zunächst dadurch charakterisiert, dass Willenserklärungen von mehr als zwei Beteiligten für das Zustandekommen des Vertrages notwendig sind.468 Dies bedeutet, dass die Frage der Mehrseitigkeit im weiteren Sinne nicht verknüpft ist mit der (weitergehenden) Frage der Wirksamkeit (also etwa betreffend die Zustimmung eines Dritten) 462
Siehe zu diesem Aspekt auch bereits oben sub Kapitel 4 § 10 C. I. 2. und lesenswert hierzu Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 1: „Der mehrseitige Vertrag genießt in der zivilrechtlichen Literatur ungefähr den Stellenwert, der in Familien edleren Geblüts einem missratenen Sprössling zuteil wird: Man weiß, dass es ihn gibt, man erwähnt ihn, wenn man muss, man hat ein ungutes Gefühl, wenn man an ihn denkt, und man vermeidet es, sich mit ihm zu beschäftigen, soweit man kann.“ 464 Vgl. auch Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 3 f. 465 An dieser Stelle soll nicht hervorgehoben eingegangen werden auf Gesellschaftsverträge, hierzu nachfolgend sub Kapitel 3 § 11 B. 4. 466 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013. 467 Zum zweiseitigen Vertrag siehe oben sub Kapitel 4 § 10 A. 468 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 9 f. 463 Pointiert
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oder des Inhalts des Vertrags; ebenso ist damit nicht gesagt, für wen etwaige Rechte und Pflichte begründet werden (sollen).469 Solche mehrseitigen Verträge (im weiteren Sinne) sind deswegen weiter zu untergliedern. Unterschieden werden muss zwischen verfügenden und schuldrechtlichen Verträgen.470 Verfügende Verträge, die einen Rechtszustand aufheben, übertragen, belasten oder ändern, sollen mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit nicht näher betrachtet werden. Nichtverfügende bzw. Verpflichtungsverträge teilen sich Zwanzger zufolge in bipolar-mehrseitige Verträge und multipolar-mehrseitige Verträge. Bei bipolar-mehrseitigen Verträge sind zwar mehr als zwei Parteien beteiligt; die Beteiligten teilen sich aber in (nur) zwei „Lager“ auf, sodass hierdurch keine besonderen Schwierigkeiten bestehen (vgl. auch die §§ 420 ff. BGB); beispielhaft sei insofern auf einen Mietvertrag zwischen einem Vermieter und mehreren Mietern verwiesen.471 Multipolar-mehrseitige Verträge sind dagegen „echte“ mehrseitige Verträge (oder mehrseitige Verträge im engeren Sinne).472 Diese Verträge zeichnen sich dadurch aus, dass zwischen den Beteiligten mehr als zwei Interessenkonfliktlinien vorhanden sind.473 Beispiele für solche multipolar-mehrseitigen Verträge sind etwa Ringtauschverträge, Vereinbarungen im Interbankensystem, Gesellschaftsverträge, Forschungskooperationen, mehrseitige Vereinbarungen von Wohnungseigentümern und dreiseitige Vertragsübernahmen.474 Übergreifend mag man die benannten Szenarien auch als Kooperationsverträge bezeichnen. Der Begriff des Kooperationsvertrags wird allerdings in praxi in sehr unterschiedlicher Weise verwendet475 , insbesondere umfasst der Begriff auch rein zweiseitige Vertragsverhältnisse476 , so dass hiervon im Folgenden Abstand genommen wird. Multipolar-mehrseitige Verträge sind zunächst abzugrenzen von Sonderformen des zweiseitigen Vertrags. Verwiesen werden kann insoweit auf den Vertrag zugunsten Dritter oder den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Ebenso zu unterscheiden sind multipolar-mehrseitige Verträge von Kombinationen verschiedener zweiseitiger Verträge. Hierunter zu fassen sind verbundene Verträge oder Bausteinverträge. Letztere weisen einen von allen Beteiligten (oftmals) geteilten Zweck auf, sind aber dogmatisch betrachtet nicht als ein, sondern als mehrere Vertragsverhältnisse einzustufen. Bei multipolar-mehrseitigen 469
Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 9. Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 10. 471 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 10 f. 472 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 12. 473 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 11. 474 Beispiele nach Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 2 ff. 475 Vgl. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 166 mit Fn. 586 und 587, 168 mit Fn. 595; siehe ebd. S. 167 f. auch und zusammenfassend zum kartellrechtlichen Kooperationsbegriff. 476 Siehe zu verschiedenen Kooperationsformen bzw. -verträgen nur Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 170 ff. 470
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Verträgen handelt es sich dagegen um ein einziges Vertragsverhältnis.477 Solche Verträge können unter anderem dienen zur Verhaltenskoordinierung, Verschaffung von Leistungen, Beilegung von Unsicherheiten und Auseinandersetzung von Vermögensmassen, für Rahmenverträge und Vergleiche sowie zum Austausch von Parteien in bestehenden Verträgen.478 b) Vertragsschluss Zum Abschluss eines multipolar-mehrseitigen Vertrags sind Willenserklärungen aller Parteien gegenüber allen anderen Parteien notwendig.479 Dies bedeutet, dass kein wirksamer Vertragsschluss vorliegt, falls nicht alle Parteien ihre jeweiligen, für alle Parteien kongruenten Willenserklärungen abgeben.480 Besondere Beachtung aus der Perspektive der hiesigen Untersuchung verdient allerdings vor allem die Auslegung von Willenserklärungen im Zuge eines multipolar-mehrseitigen Vertrages.481 Es muss für die normative Auslegung auf den gemeinsamen objektiven Empfängerhorizont aller Vertragsparteien abgestellt werden.482 Es ist mithin zu fragen, wie alle Parteien eine Erklärung bei verständiger Würdigung verstanden haben.483 Etwaiges Sonderwissen einzelner kann deswegen keine Berücksichtigung finden.484 c) Funktionsweise Multipolar-mehrseitige Verträge sind oftmals geprägt von einem Auseinanderfallen von Anspruchs- und Vertragsbeteiligung.485 Konsequenterweise können Regelungen zu zweiseitigen Verträgen nicht unbesehen angewendet werden. Insbesondere kommt der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse486 nicht in vollem Umfang zum Tragen.487 Die Verfügungsbefugnis eines Gläubigers über seine vertraglichen Ansprüche ist beschränkt.488 Unbeschadet einzelner Ansprüche gegen bestimmte Vertragsparteien betont Zwanzger eine Vertragsdurchführungsabrede zwischen allen Vertragsparteien 477
Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 18. Im Anschluss an Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 37 ff. und 433. 479 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 133 ff., 143 ff. und 437. 480 Siehe auch Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 174 und 437. 481 Zwanzger betont im Übrigen zutreffend, dass eine an mehrere Parteien gerichtete Willenserklärung de lege lata Friktionen mit der bipolaren Grundstruktur der Rechtsgeschäftslehre bedingt, siehe Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 135 ff., 145 ff., 154 ff., 164 ff., 171 ff., 190 ff. 482 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 183 ff. 483 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 187. 484 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 187 f. und 438. 485 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 47 ff. und 433. 486 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 9 E. IV. 487 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 39 ff. und 434. 488 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 53 ff. und 434, 439. 478
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als gemeinsame (Vertrags-)Grundlage des multipolar-mehrseitigen Vertrags.489 Sämtliche Parteien versprächen einander, den Vertrag in der von allen vorgesehenen Weise durchzuführen.490 Dem Willen zum Vertragsschluss sei auch der Wille zur Vertragsdurchführung wesensimmanent.491 Die Vertragsdurchführungsabrede umfasse das für alle Parteien geltende Pflichtenprogramm.492 Im Einzelnen umfasst ist zunächst die (Neben-)Pflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, „alles zu unterlassen, was die Vertragsdurchführung gefährden könnte.“493 Darüber hinaus „begründet die Vertragsdurchführungsabrede einen Anspruch jeder Vertragspartei gegen jede andere Vertragspartei, das vertragliche Pflichtenprogramm tatsächlich durchzuführen.“494 Vertragsparteien, die in Bezug auf eine bestimmte Leistung nicht Gläubiger sind, können deswegen von dem Schuldner des Anspruchs die Leistungserbringung an den jeweiligen Gläubiger verlangen. Die Vertragsparteien haben somit hinsichtlich der geschuldeten Leistungen einen Vertragsdurchführungsanspruch.495 4. Insbesondere: Gesellschaftsvertrag Eine speziellere – und besonders kodifizierte – Form des multipolar-mehrseitigen Vertrags ist der Gesellschaftsvertrag. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts soll dafür nachfolgend als Beispiel dienen496 , deren Grundsätze in Bezug auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand in Erinnerung gerufen werden sollen. a) Vertragsschluss Grundlage eines Gesellschaftsvertrags ist eine Einigung zwischen den Parteien auf der Grundlage entsprechender Willensklärungen (§ 705 BGB).497 Der Abschluss eines Gesellschaftsvertrags betreffend eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann auch konkludent erfolgen (und ist grundsätzlich formfrei möglich).498 Die Vertragsparteien müssen sich dabei nicht ausdrücklich auf die 489
Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 73 ff. und 434. Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 79. 491 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 79. 492 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 79. 493 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 8 0. 494 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 8 0. 495 Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 8 0 und 434. 496 Es handelt sich um einen multipolar-mehrseitigen Vertrag, wenn und soweit mehr als zwei Parteien den Vertrag abschließen; hiervon wird im Folgenden ausgegangen. Für den Abschluss des Gesellschaftsvertrags sind im Übrigen grundsätzlich nur zwei Parteien erforderlich. Siehe auch Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 18, 21. 497 Statt aller Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 705 Rn. 10 f. 498 Siehe Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 25 ff. und 32 (zu [gewillkürten] Formbedürfnissen in bestimmten Fällen Rn. 33 ff.); Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 17, 27; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 705 Rn. 11 f.; Stürner, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 705 Rn. 17. 490
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Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts einigen.499 Vielmehr muss sich das Erklärungsbewusstsein überhaupt nicht auf die Errichtung einer Gesellschaft beziehen.500 Ein konkludenter Vertragsschluss bzw. dessen Zeitpunkt können unter Umständen schwierig festzustellen sein; insbesondere ist dies bei sogenannten Gelegenheitsgesellschaften der Fall.501 Ganz grundsätzlich gilt, dass eine rein faktische Willensübereinstimmung nicht ausreicht.502 Ebenso ist deswegen ein bloßes Zusammenwirken allein nicht ausreichend.503 Die Annahme rechtlich bindender Willenserklärungen richtet sich somit nach dem Einzelfall; es gelten grundsätzlich die allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung zwischen Gefälligkeit und Auftrag bzw. zur Annahme einer Willenserklärung.504 Zu berücksichtigen ist insbesondere ein etwaiges wirtschaftliches Interesse.505 Es müssen die „Art des gemeinsamen Projekts sowie [das] (…) primär gesellschaftlich-sozial[e] bzw. [das] aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen über den zwischenmenschlichen Bereich hinausgehend[e] Interesse der Beteiligten“506 betrachtet werden.507 Falls die Beteiligten im gegenseitigen Einverständnis mit der Durchführung beginnen, so soll eine widerlegbare Vermutung für den Abschluss eines Gesellschaftsvertrags bestehen.508 b) Voraussetzungen Für den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages müssen die Vertragsparteien insbesondere einen gemeinsamen Zweck und wechselseitige Pflicht(en) zur Förderung dieses Zwecks vereinbaren (§ 705 BGB).509 Die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks sowie die Pflicht zur Förderung desselben sind somit kon stitu tiver Bestandteil der rechtsgeschäftlichen Bindung durch den Gesellschaftsvertrag.510 Zentrales Merkmal und Bezugspunkt der Förderverpflichtung ist zunächst die gemeinsame Zweckverfolgung. Der Zweck ist das gemeinsame, überindivi499 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 2 2; Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 20. 500 OLG München, BeckRS 2012, 03817; Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 19. 501 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 25 f. 502 Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 18. 503 Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 705 Rn. 11. 504 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 18. Vgl. auch Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 19. 505 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 26. 506 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 19. 507 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 19. 508 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 26. 509 Statt vieler hierzu nur Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 17; Stürner, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 705 Rn. 1. 510 Siehe nur Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 153; Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 2.
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duelle Ziel des Zusammenschlusses.511 Die Zwecksetzung durch den Gesellschaftsvertrag gibt für jedes Handeln den Bezugspunkt und den Rahmen vor.512 Eine Förderung des Zweckes erfolgt durch Beitragsleistung oder in sonstiger vereinbarter Weise (§ 706 BGB).513 Die Förderverpflichtung betreffend den Zweck muss zwischen den Parteien vereinbart werden.514 c) Gesellschaft Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsteht zumindest als Innengesellschaft durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags.515 Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann nämlich zum einen lediglich als Innengesellschaft oder zum anderen als (rechtsfähige516) Außengesellschaft fungieren. Während die Innengesellschaft allein durch Abschluss des Gesellschaftsvertrags entstehen kann, entsteht die Außengesellschaft durch den Beginn des Geschäftsbetriebs gegenüber Dritten.517 Hierzu müssen sämtliche Gesellschafter dem Geschäftsbeginn zustimmen.518 Abgrenzungskriterium ist, ob die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnimmt.519 Die Innengesellschaft tritt demnach nicht als solche Dritten gegenüber auf. Indiziellen Charakter soll haben, ob und inwieweit die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks oder (zumindest) das gemeinsame Interesse nach außen hervortritt.520 Der Gesellschaftsvertrag kann in doppelter Weise qualifiziert werden. Der Vertrag zwischen den Gesellschaftern ist zunächst ein schuldrechtlicher Vertrag. Darüber hinaus ist der Gesellschaftsvertrag auch Organisationsvertrag.521 Im Unterschied zu den zuvor diskutierten multipolar-mehrseitigen Verträgen zielt ein Gesellschaftsvertrag (zusätzlich) ab auf die Bildung eines über die Parteien hinausgehenden Verbands.
511 Siehe nur BGH, NJW 1951, 308 (308); Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 2. 512 Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 3. 513 Siehe nur Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 1. 514 Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 705 Rn. 20 f. 515 Statt aller Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 1 f., 6. 516 Siehe grundlegend BGHZ 146, 341. Überblick zur Diskussion etwa bei Stürner, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 705 Rn. 1. 517 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 2. 518 Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 2. 519 Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 7. 520 Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 7. 521 Siehe nur Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 17; Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 705 Rn. 1.
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5. Vertragsrechtliche Einordnung der dezentralen Kooperation Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, in welcher Form die Teilnahme bzw. die Mitwirkung an einem Mechanismus dezentraler Kooperation, hier exemplifiziert an einer Blockchain, vertragsrechtlich zu qualifizieren ist.522 Vorrangig ist dabei ein Gesellschaftsvertrag – als Sonderform des multipolar-mehrseitigen Vertrages – in Betracht zu ziehen.523 Dabei wird zugrunde gelegt, dass sich mehrere Personen an einer bereits operierenden Blockchain beteiligen. Während zuerst die Grundkonstellation einer („freischwebenden“) offenen Blockchain betrachtet wird, werden sodann die beiden Sonderfälle Kryptowährung und sogenannte decentralized autonomous organizations – DAOs eingeordnet. a) Rechtsgeschäftlicher Charakter Das oben skizzierte kooperative Minimum ist nach dem zuvor Ausgeführten Grundlage für eine vertragliche (noch nicht zwingend gesellschaftsvertragliche) Interaktion zwischen den Teilnehmern. Die Teilnehmer erzeugen jeweils durch ihre Teilnahme bei den anderen Teilnehmern die normative Erwartung, die charakteristischen Bedingungen der Blockchain aufrechtzuerhalten. Gesellschaftsrechtlich ist es dabei gerade nicht erforderlich, dass die Partizipierenden sich ausdrücklich auf die Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts einigen bzw. dass sich das Erklärungsbewusstsein überhaupt auf die Errichtung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bezieht (beides wird selten vorliegen). Vielmehr unterstreicht das (zumindest regelmäßig vorliegende) wirtschaftliche Interesse der Teilnehmer den rechtsgeschäftlichen Charakter der Interaktion – auf der Grundlage der Charakteristika der Blockchain und des damit verbundenen, über den zwischenmenschlichen Bereich hinausreichenden Interesses.524 Das kooperative Minimum im Zuge einer Blockchain ist somit keine rein faktische Willensübereinstimmung bzw. ein bloßes faktisches Zusammenwirken zwischen den Partizipierenden, sondern ist als ein konkludenter mehrseitiger Vertragsschluss zu bewerten. b) Voraussetzungen Der Abschluss eines Gesellschaftsvertrags setzt voraus, dass sich die Teilnehmer der Blockchain auf einen gemeinsamen Zweck sowie wechselseitige Pflicht(en) zur Förderung dieses Zwecks geeinigt haben. 522 Angesprochen ist damit allerdings nicht eine internationalprivatrechtliche Qualifika tion; siehe hierzu Martiny, IPRax 2018, 553; Zimmermann, IPRax, 2018, 566. 523 Allgemein zu Blockchain und Gesellschaftsrecht siehe Mann, NZG 2017, 1014; Spindler, ZGR 2018, 17 (44 ff.); Teichmann, ZfPW 2019, 247 (265 ff.). 524 Siehe zu diesem Kriterium Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 19.
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aa) Grundkonstellation Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis ist der Zweck im Grundsatz die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Blockchain. Dieser gemeinsame Zweck wird dadurch gefördert, dass die Blockchain regulär genutzt wird, insbesondere, dass keine 50 %+-Attacken525 unternommen werden. Diese Beitragsleistung erfolgt in sonstiger vereinbarter Weise (vgl. § 706 BGB). Die Verpflichtung bezieht sich nicht auf die sonstige (allgemeine) Nutzung der Blockchain, denn insoweit ist bereits technisch kein abweichendes Verhalten denkbar. Insofern wird nach dem bereits zuvor Ausgeführten keine entsprechende (objektivierte) Erklärung abgegeben bzw. kein entsprechendes Vertrauen erzeugt. Denn aufgrund der technischen Charakteristika ist eine entsprechende Stabilisierung solcher Erwartungen von vornherein gerade nicht erforderlich. Insoweit ist die Mitwirkung an der Blockchain, da nicht modifizierbar, mit bereits bei Vertragsschluss bestehenden Pflichten zu vergleichen – was einer Etablierung von Beitragspflichten bzw. dem Entstehen von (weiteren) Rechtswirkungen entgegensteht.526 Hiernach ist somit eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit den Teilnehmern der Blockchain als Gesellschaftern anzunehmen.527 Aufgrund der Struktur der Blockchain (Zugang per Private Key bzw. Mining) kann grundsätzlich ein Eintritt in die und der Austritt aus der Gesellschaft jederzeit erfolgen. Richtig ist deswegen, dass die jederzeitige Ermittlung des Gesellschafterbestands schwierig sein kann.528 Die Entstehung bzw. die Existenz einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts hindert dies freilich nicht. Oftmals handelt es sich mangels Auftretens im Rechtsverkehr nicht um eine Außen-, sondern nur um eine Innengesellschaft. Vornehmliche Folge ist, dass jeder Gesellschafter die Förderung der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Blockchain von den anderen Gesellschaftern, sprich etwa die Unterlassung von 50 %+-Attacken bzw. den Einsatz nur eigener Private Keys, verlangen kann. bb) Exkurs: Kryptowährungen Ursprünglicher Hauptanwendungsfall der Blockchain-Technologie waren Kryptowährungen (insbesondere Bitcoin und Ethereum).529 Für solche Block525
Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. 1. und 2. Schäfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 6 , 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 17 ff. und 153. Vgl. auch Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 705 Rn. 20. 527 A. A. etwa Zimmermann, IPRax 2018, 566 (567 f.). Vgl. auch Martiny, IPRax 2018, 553 (559). 528 Spindler/Bille, WM 2014, 1357 (1360). 529 Zur rechtlichen Einordnung (der Verschaffung) von Bitcoins siehe Pesch, Cryptocoin-Schulden, 2017, S. 71 ff., 129 ff. 526
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chains wird zum Teil angenommen, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Teilnehmern ausscheide. Es wird ganz grundsätzlich darauf hingewiesen, dass die Teilnehmer keinen Rechtsbindungswillen aufwiesen.530 Zudem mangele es an einem gemeinsamen Zweck.531 Vor dem Hintergrund der hier vertretenen Ansicht vermögen diese Annahmen nicht per se zu überzeugen. Richtigerweise wird demgegenüber betont, dass ein Teilnehmer nicht die Bitcoins anderer „garantieren“ möchte.532 Dies ist aufgrund des Verifikationsmechanismus im Grundsatz überhaupt nicht erforderlich (und deswegen auch nicht rechtsgeschäftlich zu regeln). Entscheidend ist deswegen vielmehr, worüber ansonsten eine (gesellschafts-)vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. Angenommen wird etwa, dass die Teilnehmer Bitcoin allein als Zahlungsmittel nutzen, Bitcoin allerdings nicht in der Form einer Gesellschaft fördern wollen.533 Gerade weil es allerdings zutrifft, dass ein Teilnehmer Bitcoin als Zahlungsmittel einsetzen möchte, möchten sie Bitcoin erhalten und damit „fördern“ im zuvor dargelegten Sinne. cc) Decentralized Autonomous Organizations Verdeutlicht und unterstrichen wird die gesellschafts(vertrags)rechtliche Fassung von Blockchain-Aktivitäten durch den Fall der (für diesen Typus namensgebenden) decentralized autonomous organization – DAO (teilweise auch decentralized autonomous corporation – DAC genannt).534 Hierunter wird eine „virtuelle“ Kooperationsform auf der Grundlage einer Blockchain verstanden.535 Die Organisation dient meist dazu, Kapital einzusammeln und dieses Kapital nach den programmierten und durch die Blockchain selbstausgeführten Regeln zu verwalten.536 Die Einstufung einer decentralized autonomous organization als Gesellschaft liegt bereits aufgrund ihrer Funktion als Kapitalsammelstelle und Investment530
Schlund/Pongratz, DStR 2018, 598 (600). Schlund/Pongratz, DStR 2018, 598 (600). 532 Spindler/Bille, WM 2014, 1357 (1360). 533 So Spindler/Bille, WM 2014, 1357 (1360). 534 Zur den Grundlagen einer und den Hintergründen der ersten publik gewordenen decentralized autonomous organization siehe Mann, NZG 2017, 1014 (1015 f.) und Teichmann, ZfPW 2019, 247 (266 ff.); siehe ferner Spindler, ZGR 2018, 17 (51 f.) und Zimmermann, IPRax 2018, 566 (570 ff.). 535 (US) Securities and Exchange Commission, Report of Investigation Pursuant to Section 21(a) of the Securities Exchange Act of 1934: The DAO, Release No. 81207 (25. Juli 2017), S. 1: „The DAO is one example of a Decentralized Autonomous Organization, which is a term used to describe a ‚virtual‘ organization embodied in computer code and executed on a distributed ledger or blockchain.“ 536 Siehe (US) Securities and Exchange Commission, Report of Investigation Pursuant to Section 21(a) of the Securities Exchange Act of 1934: The DAO, Release No. 81207 (25. Juli 2017), S. 4; Mann, NZG 2017, 1014 (1015); Teichmann, ZfPW 2019, 247 (266 f.).“ 531
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vehikel nahe.537 Von besonderer Bedeutung ist insoweit, dass präzise unterschieden wird zwischen der eingesetzten Technik und den rechtsgeschäftlichen Beziehungen, die damit verbunden sind. Die Blockchain selbst ist de lege lata nicht die Gesellschaft (und auch kein Rechtssubjekt). Ebenso wenig ist die Blockchain der Gesellschaftsvertrag.538 Vielmehr werden die vertraglichen Beziehungen nur durch die Blockchain abgebildet (oder vollzogen) und stehen „hinter“ der Technik. Die Frage des Vertragsschlusses bzw. der konkrete Inhalt des (Gesellschafts-) Vertrags muss folgerichtig (nur) mit Blick auf die Technik angegangen werden; die technischen Grundlagen dienen (lediglich) der Bestimmung und Auslegung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen.539 Im Sinne der allgemeinen Grundsätze zum multipolar-mehrseitigen Vertrag ist für die normative Auslegung auf den gemeinsamen objektiven Empfängerhorizont der Teilnehmer abzustellen.540 Dabei muss (wiederum) berücksichtigt werden, dass für Standardoperationen „auf“ der Blockchain gerade keine vertragliche Vereinbarung erforderlich ist. Vielmehr „operiert“ die Blockchain insoweit gerade anhand eines selbstvollziehenden Mechanismus. Dieser Grundmechanismus könnte gegen die Annahme eines Rechtsbindungswillen in Stellung gebracht werden.541 Das Gegenteil ist der Fall. Denn gerade im Falle einer decentralized autonomous organization muss ein kooperatives Minimum zwischen den Teilnehmern gewährleistet sein – das deswegen auch den Erwartungen der Teilnehmer entspricht. Auf dieser Grundlage besteht ein Rechtsbindungswille der Teilnehmer in Bezug auf die Aufrechterhaltung und die (programmiertechnische) Fehlerfreiheit des operierenden Mechanismus.542 Insoweit besteht hierin auch die für die Annahme e ines Gesellschaftsvertrags (und nicht nur eines einfachvertraglichen mehrseitigen Vertrags) notwendige Zweckvereinbarung und Förderverpflichtung. Es wird bei einer decentralized autonomous organization Kapital bereitgestellt und „durch“ die Blockchain „organisiert“.543
537 Nicht eingegangen werden soll in diesem Zusammenhang auf die Frage, welches (Gesellschafts-)Recht auf eine solche decentralized autonomous organization anwendbar ist, vgl. hierzu Mann, NZG 2017, 1014 (1018 f.) sowie (allgemeiner) Martiny, IPRax 2018, 553; Zimmermann, IPRax 2018, 566. 538 Mann, NZG 2017, 1014 (1016). 539 Mann, NZG 2017, 1014 (1016 f.). 540 Siehe bereits oben sub Kapitel 4 § 11 B. 3. b) sowie Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 183 ff. 541 Siehe auch Mann, NZG 2017, 1014 (1016). 542 Zutreffend Mann, NZG 2017, 1014 (1016): „Auf der anderen Seite kann es für die Betroffenen sinnvoll sein, eine rechtliche Bindung herbeizuführen, um mögliche Fehler im Programmcode auszugleichen. Denn liegt ein Programmierfehler vor, besteht die Gefahr, dass eine ungewollte Vermögenstransaktion durchgeführt wird.“ 543 Mann, NZG 2017, 1014 (1017); Spindler, ZGR 2018, 17 (51); Teichmann, ZfPW 2019, 247 (269).
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Dabei ist der Initiator der Blockchain nicht zwingend Gesellschafter der decentralized autonomous organization (zumindest nicht aufgrund der Initiierung), kann allerdings in einem sonstigen vertraglichen Verhältnis zu den Kapitalgebern stehen.544 Geboten ist ein solches vertragliches Verhältnis nicht – gerade und insbesondere dann, wenn die decentralized autonomous organization als anonymes Kapitalsammelbecken genutzt wird. Dabei wird eine decentralized autonomous organization in aller Regel nicht als Kapitalgesellschaft tätig sein. Hierfür sprechen schon die (ansonsten zu beachtenden) formalen Vorgaben (etwa Eintrag in das Handelsregister) und das benannte, mitunter auch durch – zumindest teilweise unlautere – Haftungserwägungen getriebene Interesse an der Anonymität der Teilnehmer (der eine einzureichende Gesellschafterliste zuwiderlaufen würde); ebenso wenig kommt deswegen eine Kommanditgesellschaft in Betracht.545 Vor diesem Hintergrund wird zu Recht angenommen, dass eine decentralized autonomous organization als Gesellschaft bürgerlichen Rechts einzustufen ist.546 II. Verträge „auf“ der Blockchain / Smart Contracts Neben der Frage, ob und auf welche Weise die Teilnehmer einer Blockchain miteinander vertraglich verbunden sind, hat die Abwicklung vertraglicher Beziehungen „auf“ einer Blockchain teils (sehr) hohe Erwartungen geweckt. Grundlage ist die seit den 1990er Jahren diskutierte (nicht auf die Blockchain-Technologie beschränkte) Idee von Smart Contracts.547 Die Entwicklung der Blockchain-Technologie hat vor allem zunächst bei Informatikern, inzwischen allerdings auch bei Juristen, die Hoffnung geweckt, Verträge „rechtssicher“ zu „automatisieren“.548 1. „Abbildung“ und „Ausführung“ eines Vertrags in der Blockchain Smart Contracts zeichnen sich nach dem bereits zuvor ausgeführten Begriffsverständnis vor allem dadurch aus, dass die zugrunde liegenden Protokolle an (1) ein digital überprüfbares Ereignis, (2) die Verarbeitung des Ereignisses durch einen Algorithmus und (3) die Exekution einer rechtlich relevanten Handlung
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Mann, NZG 2017, 1014 (1017). Siehe zu alledem Mann, NZG 2017, 1014 (1017). 546 Siehe Mann, NZG 2017, 1014 (1017); Spindler, ZGR 2018, 17 (51); Teichmann, ZfPW 2019, 247 (269). Siehe zur Beurteilung anhand des Internationalen Gesellschaftsrechts Zimmermann, IPRax 2018, 566 (570). 547 Siehe hierzu bereits oben Kapitel 2 § 5 B. sowie stellvertretend Möslein, ZHR 183 (2019), 254; Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 und die Beiträge in Fries/Paal (Hrsg.), Smart Contracts, 2019. 548 Siehe nur Glatz, in: Hartung/Bues/Halbleib (Hrsg.), Legal Tech, 2018, Rn. 1223 ff. 545
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anknüpfen.549 Dies setzt voraus, dass Verträge – soweit wie technisch möglich – in entsprechende Computerprotokolle transferiert werden. Auf diese Weise können Smart Contracts zum einen einen Vertragsschluss „herbeiführen“ und abbilden.550 Zum anderen dienen Smart Contracts der Ausführung von Verträgen, sprich der Erfüllung vertraglicher Primär- oder Sekundäransprüche.551 Denn Smart Contracts können kombiniert werden mit weiteren technischen Mitteln, die die konkreten vertraglichen Leistungen exekutieren. So ist etwa denkbar, dass bei einem Vorliegen zuvor definierter Voraussetzungen eine bestimmte Überweisung bzw. der Transfer eines bestimmten Gutes ausgelöst wird. Hierdurch weisen Smart Contracts Mechanismen des „Sofortvollzugs“552 auf bzw. sind als self-enforcing zu charakterisieren.553 Wird der Vertrag auf einer Blockchain effektuiert, sprich werden Positionen (bzw. Token) unmittelbar nach vorab definierten Parametern transferiert554, wird dieser Transfer (nur) durch die Blockchain ermöglicht und verifiziert. Als entscheidender Vorteil gilt, dass zum einen nicht mehr einseitig in die Exekution eingegriffen werden kann und zum anderen, dass aufgrund der Verifikationsleistung des Systems beide Akteure (absolute) Sicherheit über die Erfüllung vertraglicher Pflichten erhalten. Paulus und Matzke führen deswegen zu Recht aus: „Im Rahmen einer Blockchain-Datenbankumgebung übernehmen Smart Contracts in aller Regel die Funktion eines Datenbankverwalters, indem sie bestimmte vorprogrammierte Abläufe initiieren und autonom (d. h. ohne weitere Einflussmöglichkeit von außen) inhaltliche Änderungen (insb. Transaktionen oder Statusänderungen) in der Datenbank vornehmen können. So können Smart Contracts z. B. (automatisiert) den Saldo eines Kontos um einen bestimmten Betrag verringern und den eines anderen Kontos um eben diesen Betrag erhöhen, wodurch sich dann eine Zahlung abbilden lässt. Handelt es sich bei dem durch einen Smart Contract veränderten Wert um einen sog. Token, d. h. um das Abbild einer Währungs- bzw. Werteinheit (…), spricht man auch von einer Tokentransaktion. (…) Im Grunde sind Tokens (oder Coins) nach jetzigem Stand nichts anderes als Datenbankeinträge.“555
2. Vertragliche Bindung Nur in aller Kürze sei (nochmals556) darauf hingewiesen, dass es sich bei Smart Contracts nicht um eine gänzlich „neue“ Form von Verträgen handelt. Smart 549 Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (618). Sich darauf ebenso beziehend Paulus/Matzke, CR 2017, 769 (771 f.); Spindler, ZGR 2018, 17 (47) sowie oben sub Kapitel 2 § 5 B. 550 Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (264); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (433 f.). 551 Paulus/Matzke, CR 2017, 769 (772). 552 Fries, NJW 2016, 2860 (2862); Wagner, BB 2017, 898 (901). 553 Siehe nur Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (619) sowie oben sub Kapitel 2 § 5 B. 554 Von einer „Tokenisierung des Rechts“ sprechen Kaulartz/Matzke, NJW 2018, 3278; zu den verschiedenen Arten von Token siehe ebd. (3279 f.). 555 Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (436 f.). 556 Siehe oben sub Kapitel 2 § 5 B.
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Contracts sind nicht selbst der Vertrag.557 Ob und inwieweit Smart Contracts rechtswirksam oder rechtskonform sind, ist selbstständig (allein) aus rechtlicher Perspektive zu prüfen.558 Der Begriff Smart Contracts ist somit zumindest unglücklich, wenn nicht irreführend.559 Entsprechende Mechanismen bezwecken nicht in jedem Fall die Erzeugung vertraglicher Bindung zwischen Rechtssubjekten, sondern können auch lediglich der Umsetzung eines auf andere Weise (zuvor) Vereinbarten dienen.560 Aus vertragsrechtlicher Perspektive sind deswegen zwei Konstellationen zu unterscheiden.561 Zunächst können vertragsrechtlich relevante Kommunikationen, wie etwa ein Angebot oder eine Annahme, mittels eines Computer-Protokolls übermittelt werden (Vertragsschluss). Darüber hinaus kann der Einsatz von Computer-Protokollen (nur) der Umsetzung zuvor getroffener vertraglicher Vereinbarungen dienen (Vertragsdurchsetzung). Beide Szenarien sind auf der Grundlage der Blockchain-Technologie denkbar. a) Vertragsschluss mittels Protokollen Die für einen Vertragsabschluss erforderlichen Erklärungen können mittels elektronischer Protokolle erfolgen. Aus rechtlicher Perspektive ist es nicht problematisch, dass es bei der Verwendung von Protokollen zu einer – je nach Einzelfall graduellen – Automatisierung des Vertragsschlusses kommt. So kann etwa auch beim Einsatz entsprechender Protokolle die Vertragsanbahnung ebenso „automatisiert“ werden wie der Vertragsschluss.562 Im Einzelnen werden demnach Erklärungen automatisiert generiert, automatisiert versendet und automatisiert angenommen.563 Die technischen Vorgänge lassen sich anhand der etablierten Grundsätze zur Willenserklärung (äußerer und innerer Tatbestand) einordnen.564 Es finden grundsätzlich die Grundsätze der Computerer557 Statt vieler Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (623); Paulus/Matzke, CR 2017, 769 (772); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (433); Sandner/Voigt/Fries, in: Breidenbach/Glatz (Hrsg.), Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, S. 119 (126); anders (wohl) aus US-amerikanischer Perspektive Werbach/Cornell, 67 Duke L. J. (2017), 313 (338 ff.). 558 Statt vieler Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (270) m. w. N.; ebenso ist die Einordnung des jeweiligen Vertragstyps unabhängig von der Verwendung eines Smart Contract, siehe Paulus/ Matzke, ZfPW 2018, 431 (449). 559 Siehe nur Söbbing, ITRB 2018, 43 (46). 560 Siehe nur Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (623); Mann, NZG 2017, 1014 (1016); Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (270 f.). 561 Siehe hierzu auch Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (264 ff.). 562 Hierzu etwa Linardatos, K&R 2018, 85 (89). 563 Siehe hierzu Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (270 ff.); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (440 f.). Eine andere Bewertung muss erfolgen, wenn und soweit die Protokolle mit Künst licher Intelligenz operieren (was hier noch bewusst ausgeklammert worden ist). Zutreffend etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (139); siehe im Übrigen nachfolgend sub Kapitel 4 § 12 B. 564 Ausführlich hierzu Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (270 ff.); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (438 ff.).
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klärung Anwendung.565 Ein Vertragsschluss mittels Smart Contracts bedeutet in diesem Sinne nichts anders als den Einsatz eines elektronischen (oder eines autonomen) Agenten zum Vertragsschluss.566 aa) Protokolle Dieser Befund gilt im Ausgangspunkt auch dann und gerade, wenn entsprechende Protokolle „auf“ einer Blockchain operieren, sprich wenn Angebote und Annahmeerklärung mittels Protokollen (als Token) übermittelt (bzw. in der Blockchain fortgeschrieben) werden.567 Die vorgenommenen technischen Schritte (auf der Blockchain) können vertragsrechtlich qualifiziert werden – als invitatio ad offerendum, (konkludentes) Angebot oder (konkludente) Annahme.568 Die entsprechende Blockchain-Transaktion ist nicht selbst das Rechtsgeschäft.569 Ebenso wenig wie das Papier, auf dem ein Vertrag festgehalten wird, der Vertrag ist. Dabei ist zu beachten, dass jedwede vertragsrechtliche Kommunikation auf diese Weise, sprich entsprechend der Funktionalitäten der Blockchain-Technologie, verarbeitet wird bzw. nur so erfolgen kann. Dieser Befund bedeutet, dass die vertragliche Kommunikation zwischen zwei Personen (nachfolgend: Hauptparteien) nur unter Mitwirkung der gesamten Blockchain möglich ist. Der Prozess der Verifizierung bedingt, dass weitere Teilnehmer (nachfolgend: Dritter bzw. Dritte) an der Kommunikation beteiligt sind. bb) Rechtliche Relevanz der multipolaren Struktur Vor diesem Hintergrund ist die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit dieser Dritteinfluss auch die vertragsrechtliche Einordnung prägt. (1) Grundlagen So erscheint es prima facie denkbar, lediglich auf die technische Notwendigkeit der Mitwirkung der Dritten zu verweisen – und die Mitwirkung der Dritten somit als für die vertragsrechtliche Einordnung irrelevant einzustufen. Da die vertragliche Kommunikation zwischen den Hauptparteien nur möglich ist, falls andere mitwirken, stellt sich allerdings die Frage, ob und, falls ja, auf welche 565
Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (445 ff.). Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (434) m. w. N. Zu elektronischen und autonomen Agenten siehe oben sub Kapitel 2 § 5 C. sowie zur rechtlichen Einordnung und Bewertung siehe zuvor sub Kapitel 4 § 10 B. II. 3. und nachfolgend Kapitel 4 § 12 A. und B. 567 Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (435 f.). 568 Siehe etwa Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (621); Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (274). 569 Hierzu Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618 (621 ff.); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (435 f. und 448 f.). 566
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Weise eine Mitwirkung von Dritten den Hauptparteien gegenüber abgesichert werden kann. Schließlich haben die Hauptparteien ein evidentes Interesse an ihrer Transaktion und damit (mittelbar) an der Funktionsfähigkeit der Blockchain. Die damit verbundene Erwartung der Teilnehmer an die Funktionsfähigkeit – und die damit einhergehenden rechtsgeschäftlichen Implikationen – sind bereits zuvor beschrieben worden.570 Die Erwartung und das damit korrespondierende Vertrauen konkretisieren sich hier in Bezug auf eine einzelne Transaktion, sprich vertragliche Kommunikationen, über eine Blockchain. Zu fragen ist allerdings, auf welcher „Ebene“ in diesem Zusammenhang die Erwartung bzw. das Vertrauen geschützt wird. Ein solcher Schutz kommt auf zwei Wegen in Betracht: Zum einen könnten die Mitwirkung des Dritten bzw. die Funktionsfähigkeit der Blockchain auf der gesellschaftsrechtlichen Ebene Wirkung entfalten. Eine mangelnde bzw. fehlerhafte Mitwirkung wäre dann als Verstoß gegen den Gesellschaftsvertrag bzw. die daraus folgenden Pflichten zu begreifen. Demgegenüber erscheint ebenso denkbar, einen „einfach“ vertragsrechtlichen Ansatz zu verfolgen. Ein solcher Ansatz müsste die Notwendigkeit der Mitwirkung aller Beteiligten abbilden. Diese Zielsetzung würde erreicht, falls jede vertragliche Kommunikation bzw. Transaktion auf der Blockchain als ein mehrseitiger Vertrag zwischen allen Teilnehmern eingestuft werden würde. (2) Mehrseitiger Vertrag Die Vorstellung, alle Teilnehmer einer Blockchain schließen für jede (!) Transaktion einen mehrseitigen Vertrag, erscheint zunächst fernliegend. Es stellt sich die Frage, ob denkbar ist, dass sich sämtliche Teilnehmer einer Infrastruktur für jede Interaktion mittels dieser Infrastruktur vertraglich binden sollten. Wenngleich diese Frage im Ergebnis tatsächlich für die Blockchain-Technologie mit guten Gründen verneint werden kann – so viel sei vorweggenommen –, so lohnt ein Blick auf die gegenteilige Annahme. Denn ein mehrseitiger Vertrag erscheint in principii geeignet, die verschiedenen Interessenlagen der Teilnehmer adäquat zu erfassen. Ein mehrseitiger Vertrag zeichnet sich gerade dadurch aus, dass zwischen den verschiedenen Vertragsparteien ein abgestufter bzw. differenzierter Pflichtenkanon besteht bzw. bestehen kann.571 Auf eine Blockchain-Transaktion gewendet würde dies bedeuten, dass die Hauptparteien neben der technisch erforderlichen Mitwirkung uno actu Angebot und Annahme abgeben, während sämtliche übrigen Teilnehmer der Blockchain (abgestuft) nur zur technischen Mitwirkung, sprich der Verifikation, verpflichtet sind. Im Ergebnis ist ein mehrseitiger Vertrag für die benannte Konstellation (doch) zu verneinen. Denn nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis be570 571
Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. 3.
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steht für sämtliche Teilnehmer einer Blockchain bereits auf der Grundlage des Gesellschaftsvertrags die Verpflichtung zur technischen Mitwirkung, also zur Erbringung des technisch erforderlichen Beitrags. Eine Verpflichtung über bereits bestehende Pflichten ist zwar theoretisch möglich, gleichwohl bestehen insoweit aber grundsätzlich keinerlei (objektivierte) Erwartungen, die entsprechende Willenserklärungen grundieren könnten. Dieser Befund bedingt zwei Folgerungen. Grundsätzlich bleibt es bei Blockchain-Transaktionen zum Zwecke eines Vertragsschlusses bei einer bipolaren Vertragsstruktur.572 Diese Betrachtung des Vertrages ist allerdings Ausfluss des – gleichsam als „Geschäftsgrundlage“ bestehenden – Gesellschaftsvertrags zwischen den Teilnehmern der Blockchain. Der Gesellschaftsvertrag ist somit bei jeder Transaktion „mitzudenken“ – und damit mit zu betrachten. Umgekehrt bedeutet dies auch: Lehnt man einen Gesellschaftsvertrag entgegen dem hier zugrunde gelegten Verständnis573 ab, so muss folgerichtig ein mehrseitiger Vertrag pro Transaktion geprüft (und angenommen) werden. b) „Exekution“ eines Vertrags Wie zuvor benannt können geschlossene Verträge bzw. damit verbundene Primär- und Sekundärleistungsansprüche „durch“ die Blockchain exekutiert werden, sprich Smart Contracts dem Vertragsschluss nachgeschaltet werden.574 Die Exekution des Vertrags auf der Grundlage einer Blockchain-Transaktion ist vertragsrechtlich somit zumeist als Erfüllung der vertraglich definierten Pflichten zu bewerten. Wiederum kann die Erfüllung einer Verbindlichkeit, soweit sie in der Blockchain-Transaktion besteht, nur im Zusammenwirken mit anderen Teilnehmern erfolgen. Je nach Einzelfall kann die technische Operation auch als Leistungspflichtkonkretisierung575 oder als Ausübung eines einseitigen Rechtsgeschäfts576 gewertet werden – nicht weil dies technisch vorgegeben ist, sondern weil die Parteien den technischen Operationen privatautonom eine entsprechende vertragliche Wirkung zuerkannt haben. Falls in Erfüllung des Vertrags ein (weiterer) Vertrag abgeschlossen wird, „schließt“ diesen wiederum nicht die Blockchain, sondern der Vertrag beurteilt sich nach den Grundsätzen der Computererklärung und damit nach den zuvor abgegebenen Erklärungen der Parteien.
572
Siehe etwa auch Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (138). Siehe oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. 5. 574 Dies betonend Linardatos, K&R 2018, 85 (88). 575 Siehe zum Zahlungsauftrag allgemein Köndgen, JuS 2011, 481 (485 f.). 576 Siehe Limbach, Der Leistungsabruf im Bezugsvertrag, 2014, S. 92 f. 573
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3. Blockchain vs. Rechtsgeschäftslehre Umfassend diskutiert wird, ob und auf welche Weise mittels einer Blockchain-Transaktion geschlossene Verträge mit der Rechtsgeschäftslehre zu „vereinbaren“ sind.577 Aus der Perspektive des hiesigen Untersuchungsgegenstands kann für die Erzeugung vertraglicher Bindung, den Vertragsschluss, auf die obigen Ausführungen zu Smart Contracts verwiesen werden.578 Die im Übrigen geführte Diskussion aus der Perspektive der Rechtsgeschäftslehre bezieht sich vornehmlich auf Fragen der Rückabwicklung nichtiger bzw. anfechtbarer Verträge. In Anbetracht des hiesigen Untersuchungsgegenstands soll hierauf nicht näher eingegangen werden.579 III. Würdigung Die Vertragsstrukturen auf einer Blockchain können mit dem bestehenden vertragsrechtlichen Instrumentarium adäquat erfasst werden.580 Voraussetzung hierfür ist nach hiesigem Verständnis, dass die Funktionalität der Blockchain bzw. die technisch erforderliche Partizipation sämtlicher Teilnehmer abgebildet wird. Die zuvor befürwortete Annahme einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist freilich umstritten und mit Zweifeln behaftet. Die bisherige Betrachtung war zudem – bewusst – unterkomplex, soweit von einer unmittelbaren Partizipation der Teilnehmer an der Blockchain ausgegangen wurde. Denn in praxi sind in die Teilnahme an einer Blockchain bzw. zur Ermöglichung einer solchen Teilnehme weitere Akteure eingeschaltet. Es handelt sich hierbei regelmäßig um Anbieter sogenannter Online-Wallets, die die zur Partizipation erforderlichen Private Keys verwalten. Zwischen dem Teilnehmer und entsprechenden Anbietern besteht ein Vertragsverhältnis in der Gestalt einer Cloud Computing-Dienstleistung. Der Private Key wird auf diese Weise vorgehalten bzw. entsprechender Speicherplatz nebst Zugriffsoption bereitgestellt. Die vertragstypologische Einordnung entsprechender Verträge ist umstritten, bedarf allerdings – ebenso wie die Einschaltung entsprechender Dienstleister im Allgemeinen – für den hiesigen Untersuchungsgegenstand keiner näheren Bewertung.581 Denn entsprechende Anbieter assistieren lediglich 577 Siehe zur Diskussion Bertram, MDR 2018, 1416; Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255; Möslein, ZHR 183 (2019), 254; Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431; Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431. 578 Siehe oben Kapitel 4 § 11 B. II. 2. a). 579 Die entsprechenden rechtlichen Fragen sollten allerdings nicht überschätzt werden, zutreffend (allgemein auf den Vertragsschluss bezogen) Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (434), die zu Recht darauf hinweisen, dass zumindest die Automatisierung der Vertragsabwicklung kategorial keineswegs ein neues Phänomen ist. 580 Ebenso Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (435 ff.). 581 Hierzu im Einzelnen etwa Boehm/Bruns, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 13. Teil E Rn. 32 ff. sowie Seitz, in: Taeger (Hrsg.), Recht 4.0, 2017, S. 784 f.
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zum Zwecke der Erzeugung vertraglicher Bindung zwischen den Teilnehmern. Die Verwaltung des Zugriffsinstruments, des Private Key, ist eine reine Depotfunktion. Auf den Vertragsschluss bzw. auf die sonstige Partizipation auf der Blockchain wirken solche Anbieter nicht ein.
C. Vertragsnetz(werk)e, Vertragsverbünde, Vertragssysteme Die technischen Fortschritte durch die Digitalisierung in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten sind mannigfaltig. Aus vertragsrechtlicher Perspektive wird bzw. wurde dies in den vorherigen Ausführungen verdeutlicht durch smarte Anwendungen und die Blockchain-Technologie. Das Systemische der zugrunde liegenden Vertragsstrukturen war – wie im Ansatz bereits ebenso bei Plattformkonstellationen – das im Zuge dieser Anwendungen stets wiederkehrende Moment (und eines der Grundanliegen dieser Untersuchung). Interaktionen zwischen einer Vielzahl von Akteuren in vertrag(srecht)lichen Konstellationen wird „the new normal“.582 Die rechtliche Fassung entsprechender Konstellationen mit dem geltenden Rechtsregime ist (selbstverständlich) möglich. Es wird aber mit guten Gründen vermutet, dass die geltende Rechtsrahmung nicht restlos zufriedenstellend ist.583 Diese Vermutung hat ein Nachdenken über „alternative“ rechtsdogmatische Strukturen ausgelöst. Insbesondere wird – auch und gerade in Ansehung der durch die Digitalisierung eröffneten Multipolarität – in jüngerer Zeit eine Reaktivierung und Fruchtbarmachung der Forschung zu Vertragsnetzwerken erwogen.584 Stellvertretend sei insoweit nur hingewiesen auf die Ausführungen von Spindler zur Industrie 4.0: „(…) [D]ie rechtliche Bewältigung neuer Phänomene der arbeitsteiligen Zusammenarbeit in der digitalisierten Wirtschaft, namentlich der sog. Industrie 4.0-Kooperationen (…) [betrifft] (…) – ungeachtet der mannigfaltigen Variationen in der Praxis – (…) die bereits bekannten netzwerkförmigen Kooperationen zwischen selbständigen Unternehmen, die allerdings durch die Digitalisierung neue Akzente erhalten. So ist die enge Zusammenarbeit und Abhängigkeit zwischen Unternehmen ohne kapital- oder stimmrechtsmäßige Verflechtung seit längerem bekannt (…).“585
Ein Blick auf die seit den 1980er Jahren geführte Diskussion über Vertragsnetz(werk)e, Vertragsverbünde bzw. Vertragssysteme (im Folgenden zusammen Vertragsnetzwerke) erscheint (nicht nur) deswegen lohnenswert.586 582
Siehe etwa Spindler, ZGR 2018, 17 (53). stellvertretend Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 196 f.; Spindler, ZGR 2018, 17 (53). 584 Siehe etwa Auer, ZfPW 2019, 130 (146 f.); Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.); Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.); Spindler, ZGR 2018, 17 (52 ff.); Wendehorst, NJW 2016, 2609 (2610). 585 Spindler, ZGR 2018, 17 (52). 586 Allgemein(er) zu Netzwerken im Recht etwa die Beiträge in Amstutz (Hrsg.), Die vernetzte Wirtschaft, 2004; Boysen/Bühring/Franzius/Herbst/Kötter/Kreutz/v. Lewinski/ 583 Vgl.
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Die mit Vertragsnetzwerken verbundenen rechtlichen Fragestellungen waren ursprünglich bedingt durch das Zusammenwirken einer Vielzahl von Akteuren in modernen Wirtschaftsformen.587 Insbesondere das Bankenwesen, das Franchising, Lieferbeziehungen bzw. -ketten standen dabei im Fokus. Mit den benannten technologischen Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung (und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Vertragspraxis) hat die zuvor teils abstrakte und auf eingeschränktem Fallmaterial basierende, gleichwohl wichtige Diskussion vielfältige rechtstatsächliche „Nahrung“ erhalten. Kernfrage ist heute (wie zuvor), ob und inwieweit das schuldrechtliche Dogma der Relativität der Schuldverhältnisse588 noch aufrechterhalten werden kann bzw. muss. Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend die verschiedenen rechtsdogmatischen Ansätze skizziert, bewertet und für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit fruchtbar gemacht werden. Die nachfolgenden Ausführungen profitieren dabei erheblich von der sorgfältigen Aufbereitung und Analyse der Diskussion durch Malzer 589 und Weber 590 in jüngerer Zeit. I. Grundlinien Bereits auf der Grundlage des geltenden Zivilrechts besteht eine Vielzahl von Regelungen, die im Zusammenhang mit einem grundsätzlich bipolaren Vertrag Dritte mitbetrachten. Auf die damit verbundenen positiven und negativen Drittwirkungen von Verträgen und auf Verträge kann an dieser Stelle verwiesen werden.591 Die Diskussion zu Vertragsnetzwerken reicht allerdings über diese punktuellen Einzelregelungen (wie etwa §§ 311 Abs. 3, 328, 358 f. BGB) in zweifacher Hinsicht hinaus. Zunächst ist die Frage aufgeworfen, ob sich aus den benannten Einzelregelungen einheitliche Maßstäbe gewinnen lassen – sprich, ob sich aus diesen Normen eine systematische Struktur für Vertragsnetzwerke ergeben kann. Stellvertretend für eine Analyse entsprechender Normen steht die Arbeit von Weber 592 , auf die sogleich näher eingegangen werden soll. Vor allem stellt sich aber die Frage, ob und inwieweit das Vertragsnetzwerk als eigenständige dogmatische Figur de lege lata zu begreifen ist. Die mannigfaltige Diskussion darf als einer der innovativsten vertragsrechtlichen Ansätze der letzten Jahrzehnte bezeichnet werden. Maßgeblich hierfür ist vor allem die Rezeption ökonomischer und (rechts-)soziologischer Erkenntnisse. AngesproMeinel/Nolte/Schönrock (Hrsg.), Netzwerke, 2007 (aus öffentlich-rechtlicher Perspektive) und Mittwoch/Klappstein/Botthof/Bühner/Figge/Schirmer/Stöhr/Wolff (Hrsg.), Netzwerke im Privatrecht, 2016 (aus privatrechtlicher Perspektive). 587 Siehe stellvertretend nur zur Planung und Risikoverteilung bei Großprojekten Hager, in: Weyers (Hrsg.), Die Verflechtung von Verträgen, 1991, S. 65 ff. 588 Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 3 § 9 E. IV. 589 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013. 590 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017. 591 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 9 E. IV. 2. 592 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017.
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chen sind damit vor allem das (ökonomische) Denken in Beziehungen bzw. Relationen (relational contracts) sowie die soziologische, insbesondere systemtheoretische, Vorstellung der stabilisierenden Wirkung von (legitimen bzw. normativen) Erwartungen. Die Fruchtmachung dieser zuvor bereits skizzierten ökonomischen und (rechts-)soziologischen Forschungsansätze593 für die vertragsrechtliche Dogmatik soll im Folgenden ebenso dargelegt werden wie die (erhebliche und umfassende) Kritik an einem solchen Vorgehen. Ohne zu viel vorwegzunehmen – und wenig überraschend – kann allerdings bereits konstatiert werden: Zufriedenstellend gelöst wurde die rechtliche Fassung von Vertragsnetzwerken bislang nicht.594 Nach wie vor ist nicht entschieden bzw. geklärt, ob das geltende Recht den aufgeworfenen Problemlagen adäquat begegnen kann. Die bisherigen Untersuchungen zu Plattformen, smarten Produkten, dem Internet der Dinge und Formen dezentraler Kooperation haben hieran zumindest keine fundamentalen Zweifel aufkommen lassen. Das Operieren mit Auslegung von Willenserklärungen, mit objektivierten Empfängerhorizonten sowie mit normativen Erwartungen erscheint allerdings zumindest prima facie wenig(er) geeignet, zur Herausbildung übergreifender Kriterien beizutragen – weswegen ein Blick auf die Diskussion zu Vertragsnetzwerken umso notwendiger erscheint. II. Netzwerkbeziehungen im Zivilrecht Weber hat in seiner in jüngerer Zeit erschienenen Arbeit die verschiedenen im Zivilrecht kodifizierten „Netzwerkbeziehungen“ analysiert.595 Seine Untersuchung unterstreicht die – manchmal unterschätzte – Omnipräsenz von Drittbzw. Dreieckskonstellationen im geltenden Recht.596 Solche Konstellationen sind freilich nicht auf das (Kern-)Vertragsrecht begrenzt, sondern prägen etwa Teile des Bereicherungsrechts, des Deliktsrechts, des Sachenrechts und des (Kollektiv-)Arbeitsrechts597 sowie des Verwaltungsrechts (beispielsweise drittbegünstigende oder drittbelastende Verwaltungsakte). 1. Grundlagen Das Vertragsrecht erkennt in einer Vielzahl von Konstellationen an, dass schuldrechtliche Verträge im Kontext von anderen schuldrechtlichen Verträgen geschlossen werden. Besonders naheliegend ist dies bei „akzessorischen“ Ver593
Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 B. Siehe jüngst nur Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (288 ff.). 595 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 72 ff. 596 Siehe auch Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (1367); Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (733 ff.). 597 Siehe zu den benannten Rechtsgebieten Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 214 ff., 262 ff., 284 ff., 293 ff. 594
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trägen, wie etwa der Bürgschaft. In gleicher Weise kann insofern auf Vermittlerkonstellationen verwiesen werden. Neben dem bereits diskutierten (Pauschal-) Reiserecht ist in diesem Zusammenhang auf den Maklervertrag hinzuweisen.598 Einen Zuwachs haben entsprechende Normen im Zivilrecht durch verschiedene (aber nicht nur) verbraucherschutzrechtliche Erwägungen erfahren, die teilweise auch unionsrechtlich induziert sind.599 Ebenso hat der Gesetzgeber zum Teil richterrechtlich entwickelte Zugriffe kodifiziert, so etwa die Sachwalterhaftung in § 311 Abs. 3 BGB. Netzwerk ist unbeschadet der vielfältigen Regelungen de lege lata kein konturierter Rechtsbegriff. 600 Weber betont für eine Begriffsbestimmung zutreffend – und im Gleichklang zu den in dieser Untersuchung herausgearbeiteten Grundlagen601 – die Notwendigkeit „einer umweltsensiblen Vorgehensweise“602 . Vor diesem Hintergrund plädiert Weber für ein weites Begriffsverständnis und definiert ein Netzwerk als einen „Verbund von mindestens drei ver schiedenen Akteuren (…), der sich vor einem bestimmten Hintergrund bildet“.603 Das Netzwerk sei „hauptsächlich als Metapher für den Verflechtungscharakter von mehreren Beziehungen“ zu verstehen. 604 Verwiesen wird damit auf einen umfassenden Ansatz, der (weit) über das Vertragsrecht hinausreicht. 2. Ausgewählte Regelungskomplexe In Anbetracht des Untersuchungsgegenstands dieser Arbeit sollen ausgewählte Regelungskomplexe nachfolgend kurz skizziert werden. Lohnenswert erscheint vor allem ein Blick auf den in den §§ 358 f. BGB geregelten Einwendungsdurchgriff und auf die Sachwalterhaftung nach § 311 Abs. 3 BGB. 605 Diese beiden Normkomplexe stehen für zwei unterschiedliche Regelungsansätze in Bezug auf miteinander im Zusammenhang stehende Verträge. Im Falle eines Einwendungsdurchgriffs wird das „Schicksal“ zweier Verträge unmittelbar verknüpft. 606 Demgegenüber eröffnet die Sachwalterhaftung nach § 311 Abs. 3 BGB die (separate) Inanspruchnahme eines Dritten, mit dem keine vertragliche
598 Siehe
Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 141 ff. Siehe nur Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (736). 600 Statt vieler Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 72 m. w. N. Vgl. auch Buxbaum, Journal of Institutional and Theoretical Economics 149 (1993), 698 (704). 601 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 A. 602 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 73, 388. 603 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 73. 604 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 388. 605 Zu sonstigen Regelungen bzw. Regelungskomplexen ausführlich Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, passim. 606 Statt vieler hierzu einführend Stürner, JURA 2016, 739 und Grunewald, JuS 2010, 93 sowie ausführlich zum Einwendungsdurchgriff jüngst Makowsky, Einwendungen aus fremdem Schuldverhältnis, 2019, S. 381 ff. 599
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Bindung bestand bzw. besteht, der allerdings ein erhebliches Vertrauen erzeugt hat. 607 a) Einwendungsdurchgriff, §§ 358 f. BGB Grundlage für einen Einwendungsdurchgriff ist die Annahme verbundener Verträge. Nach § 358 Abs. 3 Satz 1 BGB sind ein Vertrag über die Lieferung einer Ware oder über die Erbringung einer anderen Leistung und ein Darlehensvertrag (im Sinne des § 358 Abs. 1 und 2 BGB) verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Nach § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB ist eine wirtschaftliche Einheit insbesondere anzunehmen, wenn der Unternehmer selbst die Gegenleistung des Verbrauchers finanziert, oder im Falle der Finanzierung durch einen Dritten, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient. Verbundene Verträge sind somit Bausteinverträge im hier diskutierten Sinne und – soweit der Darlehensgeber sich eines Dritten bedient – ein Anwendungsbeispiel des Agenturmodells. 608 Von zentraler Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die Bezugnahme auf den übergeordneten Zweck zweier separater Vertragsverhältnisse. Mit der Referenz auf eine wirtschaftliche Einheit wird – in Ansätzen – versucht, den (normativen) Erwartungen (insbesondere des Verbrauchers) an das Kauf- und Finanzierungskonstrukt gerecht zu werden. Ganz grundsätzlich können die Regelungen der §§ 358 f. BGB als diejenigen zivilrechtlichen Normen begriffen werden, die einer netzwerkorientierten Regulierung (bislang) am nächsten kommen. 609 Denn die Normen zielen ab auf „netzwerkorientierte Organisa tionsformen“610 . b) Sachwalterhaftung, § 311 Abs. 3 BGB Nach § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB kann ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch zu solchen Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB präzisiert, dass ein solches Schuldverhältnis insbesondere entsteht, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst. 607 Hierzu statt vieler Staudinger/Löwisch/Feldmann (Neubearbeitung 2012), § 311 Rn. 167 ff. 608 Siehe zu Bausteinverträgen oben sub Kapitel 4 § 10 C. II. sowie zum Agenturmodell oben sub Kapitel 2 § 5 B. und Kapitel 4 § 11 A. I. 2. 609 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 73, 119 f. 610 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 73 mit Verweis auf Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 10.
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Haftungsgrund gegenüber der vertraglich nicht verbundenen Person ist somit die Erzeugung einer bestimmten Erwartung. 611 Anders benannt: Der Sachwalter erbringt eine „Leistung“612 und geriert sich in entsprechenden Mehrpersonenkonstellationen als „quasi-verantwortlich“. Das über die (ursprüngliche) bipolare Vertragsbeziehung hinausgehende Vertrauen sanktioniert § 311 Abs. 3 BGB mit Sekundäransprüchen. Damit wird über das Vertragsverhältnis hinaus „eine schuldrechtlich berücksichtigungsfähige Vertrauensgrundlage“613 postuliert. § 311 Abs. 3 BGB kann vor diesem Hintergrund (ebenso) als Regulierung „netzwerkorientierte[n] Verhalten[s]“ eingestuft werden. 614 c) Allgemeine Grundsätze für Vertragsnetzwerke Die unterschiedlichen Regulierungsansätze der §§ 358 f. BGB und des § 311 Abs. 3 BGB unterstreichen zwei elementare – über die vorbenannten Ausführungen hinausragenden – Fragen für Vertragsnetzwerke. Zum einen ist die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit bei einer Mehrzahl von Vertragsbeziehungen Wechselwirkungen zwischen den Vertragsbeziehungen anzuerkennen sind – bzw. ob und inwieweit diese Wechselwirkungen einen mehrseitigen Vertrag zwischen den Akteuren oder ein weiteres (gesetzliches) Schuldverhältnis zwischen den Akteuren nahelegen, erfordern oder rechtfertigen. Zum anderen – und mit Parallelen zu den Ausführungen zum Bausteinvertrag – ist zu fragen, ob und inwieweit solche Personen aufgrund ihrer Stellung bzw. des von ihnen erzeugten Vertrauens – etwa als Vermittler oder als Sachwalter – vertraglich gebunden sein sollten. Mit Blick auf die allein durch die zwei vorbenannten Regelungskomplexe aufgezeigten Ansätze betont Weber zu Recht, dass „kein [einzelnes, d. Verf.] Rechtsinstitut von vornherein für die Aufstellung von pauschalen Netzwerkregeln geeignet ist“615. Auf dieser Grundlage gelangt Weber in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass: „(…) viel für die Konstruktion des Vertragsverbunds als übergeordnete Rechtsgrundlage zwischen den Netzwerkakteuren [spricht]. Nur diese Rechtsfigur schafft es, die relativ freie Stellung der Beteiligten mit ihren gleichzeitigen, symbiotischen Streben nach individuellen und kollektiven Zielen angemessen zu berücksichtigen. Dementsprechend sind besondere Verpflichtungen lediglich dann anzunehmen, wenn und soweit es die Sicherung des Verbundzwecks erfordert. (…) Durch die wechselseitige Verweisung der Verträge, den einheitlichen Verbundzweck und das enge Kooperationsverhältnis liegt eine ausreichende Vertrauensgrundlage zwischen allen Netzwerkakteuren vor. Jeder Betei611 Siehe
Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (738). Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (738 f.). 613 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 195. 614 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 194. Siehe auch Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (738). 615 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 388. 612 Hierzu
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ligte ist sich mit der individualvertraglichen Verbindung zu einem Verbundpartner auch über die kollektive Verfolgung des Verbundzwecks und die Begründung kollektiver Verpflichtungen bewusst.“616
Diese Ausführungen Webers – auf die im Einzelnen noch zurückzukommen sein wird – mögen schlaglichtartig als Einstieg in die nachfolgend skizzierte Diskussion zu Vertragsnetzwerken als eigenständige (dogmatische) Figur dienen. III. Vertragsnetzwerk als eigenständige dogmatische Figur Denn vor diesem Hintergrund ist zu erörtern, ob und inwieweit Vertragsnetzwerke als eine eigenständige dogmatische Figur anzuerkennen sind. Berühmt geworden – und Antipode der Diskussion – ist insoweit der Ausspruch Buxbaums: „Network is not a legal concept.“617 Unbestritten ist dagegen die praktische Relevanz von Vertragsnetzwerken: „Ohne Vertragsnetz keine Marktwirtschaft. Es bildet das Rückgrat der Wertschöpfungskette.“618 Kaum ein Produkt ist heutzutage nicht das Ergebnis verschiedener Verträge – selten (etwa beim Direktverkauf durch die Landwirtschaft) wird im Zuge der Erzeugung und des Vertriebs nur ein einziger Vertrag (mit dem Endkunden) abgeschlossen. 619 Die mit Vertragsnetzwerken verbundenen Fragestellungen sollen an dieser Stelle zunächst de lege lata betrachtet werden. 620 Mit Grundmann können Vertragsnetzwerke wie folgt beschrieben werden: „Charakteristisch für das Vertragsnetz ist es jedenfalls, dass eine Mehrheit von Verträgen aus Sicht der Parteien dergestalt miteinander verknüpft erscheint, dass die Verträge nur im Verbund den von allen Beteiligten gewünschten Erfolg gewährleisten. Charakteristisch ist also, dass die Parteien diese Verträge jedenfalls in diesem Umfang bewusst verknüpfen (…).“621
Mit letzterem ist nicht zwingend gemeint, dass die Parteien die „Verknüpfung“ rechtsgeschäftlich abbilden. Vielmehr wird damit auf die – unbestrittene – Tatsache hingewiesen, dass die Parteien zumindest von einem wirtschaftlichen Zusammenhang der verschiedenen Verträge ausgehen. 622 616
Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 396. Buxbaum, Journal of Institutional and Theoretical Economics 149 (1993), 698 (704). 618 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (721). 619 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (722). 620 Die nachfolgenden Erwägungen zu Vertragsnetzwerken basieren in Teilen auf den bzw. sind eine vollständig neubearbeitete Erweiterung der Ausführungen in Hennemann, in: Aichberger-Beig/Aspöck/Leupold/Oelkers/Perner/Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 ff. 621 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (720), dessen Definition noch zusätzlich aufführt bzw. endet mit: „obwohl sie gerade nicht alle untereinander Verträge abschließen“. Gerade dieser Befund steht allerdings im Streit und soll im Zuge der nachfolgenden Ausführungen näher betrachtet werden. 622 Siehe nur Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (720 f. Fn. 3). 617
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1. Analoge Ausgangspunkte Die Diskussion um Vertragsnetzwerke nahm ihren (analogen) rechtstatsächlichen Ausgangspunkt in den über die Zeit stets komplexer werdenden Vertragsbeziehungen modernen Wirtschaftens – insbesondere dem Bank- und Kreditverkehr, Lieferbeziehungen sowie dem Franchising. 623 Die damit verbundenen Vertragsbeziehungen stellen sich „graphisch“ als Kette, Stern, Dreieck und Kreis dar. 624 Ketten finden sich etwa bei Lieferbeziehungen, Transportleistungen oder der Vermarktung, Sterne (und Sub-Sterne) in der Produktion und in hierarchischen Vertriebssystemen, Dreiecke bzw. Kreise bei verbundenen Verträgen (im Sinne der § 358 f. BGB) oder bei mehrseitigen Verträgen (wie etwa dem Ringtausch).625 Im Ursprung handelt es sich somit bei einem Vertragsnetzwerk zunächst um ein rechtstatsächliches Phänomen, das die faktische bzw. vor allem wirtschaftliche Verknüpfung verschiedener zweiseitiger Vertragsbeziehungen bezeichnet. Die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen vertraglich und nicht (unmittelbar) vertraglich miteinander verbundenen Akteuren nährte die Vermutung, dass das rechtsdogmatische Instrumentarium erweitert werden muss. Stellvertretend sei insofern auf das Franchising verwiesen. 626 Der Franchisenehmer steht (grundsätzlich) nur mit dem Franchisegeber in einem unmittelbaren vertraglichen Kontakt. Regelmäßig treten allerdings sämtliche Franchisenehmer unter einer einheitlichen Marke bzw. mit einer einheitlichen Aufmachung am Markt auf. Endkunden sind sich der Tatsache eines Kontrahierens mit einem Franchisenehmer oftmals überhaupt nicht bewusst. 627 Dies bedeutet auch, dass das Auftreten eines Franchisenehmers auch Auswirkungen auf die (externe Wahrnehmung der) anderen Franchisenehmer haben kann. Vor diesem Hintergrund befinden sich die Franchisenehmer ökonomisch in einem Zustand, der einerseits durch Wettbewerb (competition) und andererseits durch Kooperation (cooperation) geprägt ist – und deswegen cooptition getauft wurde.628
623 Siehe hierzu (auch zur Behandlung in Rechtsprechung und Dogmatik) ausführlich Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 188 ff. 624 In Anlehnung an die Überschrift bei Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (722). 625 Siehe hierzu bzw. zum Realphänomen Vertragsnetzwerke und zu deren rechtspraktischer Bedeutung statt vieler Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (721 ff.). 626 Siehe hierzu bereits Teubner, ZHR 154 (1990) 295; ders., ZHR 168 (2004), 78 sowie aus jüngerer Zeit nur Güttler, in: Mittwoch/Klappstein/Botthof/Bühner/Figge/Schirmer/Stöhr/ Wolff (Hrsg.), Netzwerke im Privatrecht, 2016, S. 69 ff. und Hennemann, in: Aichberger-Beig/ Aspöck/Leupold/Oelkers/Perner/Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 ff. 627 Zu den damit verbundenen stellvertretungsrechtlichen Fragen siehe etwa Buck-Heeb/ Dieckmann, JuS 2008, 583. 628 Hierzu Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 176 ff.
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2. (Rechtliche) Grundlagen Ausgangspunkt der rechtswissenschaftlichen Diskussion629 ist – wie bereits zuvor angedeutet –, dass solche „Beziehungen“ zwischen (mehr als zwei) Privaten je nach Sachverhalt zum Teil vertragsrechtlich, mitunter mit gesellschaftsrechtlichen Elementen erfasst werden. Aus rechtswissenschaftlich dogmatischer Perspektive wurde deswegen bislang ganz überwiegend die Anerkennung des Vertragsnetzwerkes als eigenständige dogmatische Rechtsfigur abgelehnt, da ein solches Vertragsnetzwerk nicht in die traditionelle, auf relativen (mithin zweipoligen) Schuldverhältnissen basierende Rechtsdogmatik „eingepasst“ werden könne. 630 Eine allgemein anerkannte „Dogmatik der Kooperationsverhältnisse“631 oder eine eigenständige „Dogmatik der Vertragsnetze“632 besteht (noch) nicht. Demgegenüber möchte eine Literaturströmung nicht an dem traditionellen Zwei-Säulen-Denken von Vertragsrecht einerseits und Gesellschaftsrecht ande629 Zu Vertragsnetzwerken siehe erstmals Möschel, AcP 186 (1986), 187; zuvor für den Abzahlungskauf bereits Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 ff. Siehe ferner etwa Amstutz, in: Honsell/Portmann/Zäch/Zobl (Hrsg.), Festschrift Rey, 2003, S. 161 ff.; ders., KritV 2006, 105; Dolžan, Außen- und Binnendurchgriff im Vertragsnetz, 2015; Druey, KritV 2006, 163; Grundmann, AcP 207 (2007), 718; Güttler, in: Mittwoch/Klappstein/Botthof/Bühner/Figge/Schirmer/Stöhr/Wolff (Hrsg.), Netzwerke im Privatrecht, 2016, S. 69 ff.; Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, 1998; ders., KritV 2006, 173; Hennemann, in: Aichberger-Beig/Aspöck/Leupold/Oelkers/Perner/Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 ff.; Kulms, Schuldrechtliche Organisationsverträge in der Unternehmenskooperation, 2000; Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998; Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013; Meier, in: Mittwoch/Klappstein/Botthof/Bühner/Figge/Schirmer/Stöhr/Wolff (Hrsg.), Netzwerke im Privatrecht, 2016, S. 221 ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997; Rohe, Netzverträge, 1998; Schluep, in: Honsell/Portmann/Zäch/Zobl (Hrsg.), Festschrift Rey 2003, S. 285 ff.; Teubner, ZHR 154 (1990), 295; ders., ZHR 165 (2001), 550; ders., Netzwerk als Vertragsverbund, 2004; Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017; Wellenhofer, KritV 2006, 187 sowie Amstutz (Hrsg.), Die vernetzte Wirtschaft, 2004; Joerges (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991; Nicklisch (Hrsg.), Netzwerke komplexer Langzeitverträge, 2000 und die (weiteren) Beiträge im Sonderheft Heft 2/3 der KritV 2006 (von Abegg, Böhmer, Brownsword, Deakin, Heermann, Heldt, M. Wolf ) und dem Heft 1 der KSzW 2015 (von Aedtner, Becker, Crea, Glückler, Hammer, Krebs, Jung, Schultes, Teubner, Weitzenboeck). Zu Netzwerken aus Sicht des öffentlichen Rechts siehe etwa Boysen/Bühring/Franzius/Herbst/ Kötter/Kreutz/v. Lewinski/Meinel/Nolte/Schönrock (Hrsg.), Netzwerke, 2007. 630 Aus rechtsdogmatischer Sicht Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (733); Wellenhofer, KritV 2006, 187 (188). Siehe zudem – mit Blick auf Bausteinverträge – Maultzsch/Czarnecki, ZEuP 2016, 832. 631 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 181, 196, der zu Recht allerdings auf wiederkehrende „Grundmuster“ für in der Rechtsprechung anerkannte Kooperationsformen hinweist. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Kooperationsverträgen – im Unterschied zu den im Folgenden behandelten Konstellationen – stets um Fälle, in denen die rechtsgeschäftliche Bindung zwischen den Parteien (auf der Grundlage entsprechender Willenserklärungen) außer Frage steht. 632 Siehe aber Grundmann, AcP 207 (2017), 718 sowie nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 C. III. 4. c).
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rerseits festhalten. Erwogen wird ein tertium bzw. eine Zusammenführung von Vertrags- und Gesellschaftsrecht. 633 Bezug genommen wird dazu regelmäßig auf wirtschaftswissenschaftliche und (rechts-)soziologische Erkenntnisse. 634 3. „Entdeckung“ und „Entwicklung“ von Vertragsnetzwerken Mit Blick auf den Abzahlungskauf stellte Gernhuber bereits erste Überlegungen zum „Austausch und Kredit im rechtsgeschäftlichen Verbund“ an und leitete daraus allgemeine Grundsätze zu Vertragsverbindungen ab.635 In gleicher Weise grundlegend für die Befassung mit Vertragsnetzwerken ist die Abhandlung von Möschel zum Zahlungsverkehr. 636 Beide Pionierarbeiten zogen sodann verschiedene, vor allem rechtssoziologisch inspirierte Vorschläge zum Umgang mit dem (rechtstatsächlichen) Phänomen der Vertragsnetzwerke nach sich („neue Strömung“637). 638 Alle Ansätze – bei vielfältigen Unterschieden in der Begründung und im Detail – stützten sich dabei einerseits auf die veränderten rechtstatsächlichen Rahmenbedingungen sowie andererseits auf eine kritische Bewertung der bipolaren Ausrichtung des Vertragsrechts. 639 Inhaltliche Kernfrage sämtlicher Vorschläge ist und bleibt dabei, ob und inwieweit der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse überwunden werden soll. 640 a) „Nicht-willensbasierte“ Ansätze Eine Strömung innerhalb des Diskurses zu Vertragsnetzwerken löst ihre Erwägungen weitgehend vom dogmatischen Korsett des Zivilrechts. Die Vertreter dieses Ansatzes beziehen sich vor allem und zuvörderst auf (wirtschafts- und rechts-)soziologische Erkenntnisse der relationalen Vertragstheorie, der Systemtheorie und der Netzwerkforschung. Die damit verbundenen Ansätze sollen hier – der Einfachheit halber – „nicht-willensbasierte“ genannt werden, womit nicht in Frage gestellt werden soll, dass auch dieser Strömung zufolge ihre Lösungsvorschläge – systemtheoretisch gesprochen – innerhalb des Rechtssystem operabel sein sollen. 633 Grundlegend insoweit Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004. Siehe im Übrigen auch die Ausführungen zur contract governance-Forschung oben sub Kapitel 3 § 9 E. I. bis III. 634 Siehe zu diesen bereits oben sub Kapitel 3 § 7 B. 635 Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 ff. und ders., Das Schuldverhältnis, 1989, S. 710 ff. Hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 25 f. und 216 ff. 636 Möschel, AcP 186 (1986), 187. 637 Begriff von Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 197, 273. 638 Siehe statt vieler zum Diskussionsstand Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (724 ff.). 639 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 197. 640 Siehe nur Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (283) mit Verweis auf Zwanzger, Der mehrseitige Vertrag, 2013, S. 18.
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aa) Netzvertrag I Möschel wies in seiner grundlegenden Abhandlung zum bargeldlosen Zahlungsverkehr auf Vertragsgeflechte jenseits von Verträgen zugunsten Dritter (bzw. der Drittschadensliquidation) hin.641 Möschel stellt die zahlreichen (hintereinander geschalteten) Einzelverträge im Interbankenverkehr heraus, bei denen eine Abwicklung entlang der Überweisungskette (oftmals) nicht wertungsgerecht sei. 642 Die Verträge dienten vielmehr „dem einheitlichen Zweck der Zahlungsdurchführung“. 643 Dieser Zweck sei kein Zweck im Sinne des Gesellschaftsrechts (§ 705 BGB), vielmehr bestehe ein Verbundcharakter der Verträge bzw. ein Verbundsystem. 644 Vor diesem Hintergrund etabliert Möschel die Bezeichnung Netzvertrag645 und schlägt eine „neue dogmatische Kategorie des Verbunds- oder Netzvertrags“ vor. 646 Diese Vertragskategorie ist somit nicht auf den Bankenverkehr beschränkt. 647 Von besonderer Bedeutung ist, dass ein solcher Netzvertrag nicht auf einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung, auf entsprechenden Willenserklärungen, aufbaut.648 Möschel bezieht sich (eher) auf die Idee einer Sonderverbindung649 bzw. der Vertrauenshaftung650 . 651 Gleichwohl ist zu betonen, dass Möschel keine (zusätzlichen) Primärpflichten konstruieren möchte, sondern die Pflichten und den Schutz innerhalb des Netzes auszubalancieren versucht. 652 Möschel zufolge kommt es insgesamt zu einer „Einbettung in ein Gesamtsystem“653, womit auf die sozialwissenschaftliche Netzwerkforschung rekurriert wird.654
641 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (211 ff.). Zu Möschels Konzeptions siehe etwa Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (724 ff.); Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 227 ff. 642 Vgl. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 2 28. 643 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (222). 644 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (211 ff., 222). 645 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (211). Vgl. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 227: „Geburt des Netzvertrags“. 646 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (235). 647 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (223). 648 Hierzu sowie zu der damit verbundenen Kritik Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 228 Fn. 877 und S. 230 f. 649 Picker, AcP 183 (1983), 369. 650 Grundlegend Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; ders., in: ders./Heldrich (Hrsg.), Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, Bd. I, 2000, S. 129 ff. 651 Siehe Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 2 28 Fn. 877 und S. 231 Fn. 896. 652 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (222). 653 Möschel, AcP 186 (1986), 187 (235). 654 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 B.
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bb) Relationale Verträge Insbesondere Schanze und Joerges rezipierten früh die relationale Vertragstheorie655 und leiteten daraus eigenständige Rechtswirkungen ab. So befürwortet Schanze die Annahme eines symbiotischen Vertrags. 656 Der Begriff symbiotisch ist der Biologie entlehnt und bezieht sich auf das Zusammenleben unterschiedlicher Arten, wobei Vor- und Nachteile bzw. Macht und (Un-)Gleichgewicht der Arten variieren. 657 Diese Merkmale prägen auch den relationalen Vertrag. In diesem Sinne überführt Schanze die Kriterien für einen (sehr) relationalen Vertrag (Langzeitbeziehung, Abhängigkeit und Asymmetrie, besondere Verbundenheit) in die Voraussetzungen eines symbiotischen Vertrags. 658 Schanze hat das Konzept symbiotischer Verträge allerdings nicht umfassend ausgearbeitet. 659 Deutlich wird freilich, dass sich dieser Ansatz (nur) auf bestimmte Dauerschuldverhältnisse bzw. auf long term-contracts bezieht – diese sieht Schanze als unzureichend geregelt an. 660 Ein symbiotischer Vertrag soll der Sozialsphäre der Parteien größeres Gewicht zumessen. Im Wesentlichen scheint die Betrachtung Schanzes allerdings auf rein zweipolige Vertragsverhältnisse beschränkt zu bleiben. 661 Im Ausgangspunkt stützt sich Joerges in gleicher Weise auf die relationale Vertragstheorie. 662 Betont wird ebenso, dass ein relationaler Vertrag durch Komplexität und Langfristigkeit definiert sei. 663 Diese Merkmale legten nahe, der relationale Vertrag sei mehr Status als Kontrakt. 664 Joerges versucht damit die grundlegende Unterscheidung von Maine665 fruchtbar zu machen. Konsequenz ist (auch hier), dass sich die vertragliche (Langzeit)-Beziehung nicht mehr allein nach dem rechtsgeschäftlich vereinbarten richtet, sondern die soziale Beziehung die Rechtstellung (mit-)prägt. 666 Ebenso wie Schanze zielt Joerges so655
Hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 B. I. Schanze, in: Joerges (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991, S. 67 ff. Hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 204 ff.; Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 79. 657 Siehe und m. w. N. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 205 Fn. 768 und 206 mit Fn. 771. 658 In Anlehnung an Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 206. 659 Siehe Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 214 f. mit Fn. 815; Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 79. 660 Vgl. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 204 f. 661 Schanze, in: Joerges (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991, S. 70 ff. Vgl. auch Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 81. 662 Joerges, AG 1991, 325 (328 f.); ders., in: ders. (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991, S. 11 ff. Hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 208 ff.; Staudinger/ Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 81. 663 Siehe nur Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 211. 664 Joerges, AG 1991, 325 (328 f.). Vgl. auch Schanze, in: Joerges (Hrsg.), Franchising and the Law, 1991, S. 86 ff. 665 Maine, Ancient Law, 1861 (Nachdruck 1970), S. 163 ff. 666 Siehe Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 210. 656
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mit allerdings nur auf bestimmte Langzeitverträge ab. Zentrales Beispiel ist das Franchising. 667 Punktuelle Beziehungen werden nach wie vor als Kontrakte begriffen, die rechtsgeschäftlich und willensbasiert gestaltet werden bzw. werden können. 668 Zusätzlich werden allgemein aus dem relationalen Vertrag bzw. aus der rela tionalen Vertragstheorie keine (gesonderten) Primäransprüche abgeleitet – wie allgemein der konkrete Pflichtenkanon der vorbenannten Ansätze unklar bleibt. 669 cc) Vertragsverbund I Die wohl wirkmächtigsten Beiträge zur Diskussion um Vertragsnetzwerke stammen von Teubner. 670 Maßgebliche Referenzfelder sind vor allem – und wie bei den meisten Autoren der „neuen Strömung“ – Just in time-Systeme, Vertriebssysteme, das Franchising und der bargeldlose Zahlungsverkehr. 671 Im Fokus stehen bei Teubner somit Unternehmensnetzwerke. 672 Teubner betont die Verknüpfung von Einzel- und gemeinsamen Zwecken: „Es ist also kein Zufall, sondern in der Struktur der Netzwerke bedingt, dass die Frage nach dem ‚gemeinsamen Zweck‘ selbst nur mit einem Widerspruch beantwortet werden kann. Netzteilnehmer müssen der widersprüchlichen Doppelanforderung genügen: in Bezug auf die gleiche Handlung eigene Geschäftszwecke zu verfolgen und zugleich das Netzinteresse zu verwirklichen.“673
Hieraus folge ein „[h]ybrides Regime“. 674 Insbesondere weist Teubner auf die Parallelität von Wettbewerb und Kooperation hin. Netzwerke seien deswegen „chamäleonartig“. 675 Zugriffe des geltenden Rechts (etwa der Vertrag mit Schutzwirkung, ein separater Vertrag oder die Drittschadensliquidation) seien hierfür unzureichend, da die Erwartungen innerhalb des Netzwerks nicht ad667
Siehe etwa Joerges, AG 1991, 325 zu „Status und Kontrakt im Franchise-Recht“. Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 210. 669 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 214 f.; Staudinger/Martinek/ Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 84. 670 Vor allem Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004. Siehe zudem Teubner, ZHR 154 (1990) 295; ders., ZGR 1991, 189; ders., in Krohn/Küppers (Hrsg.), Emergenz: Die Entstehung von Ordnung, Organisation und Bedeutung, 1992, S. 189 ff.; ders., KritV 1993, 367; ders., ZHR 165 (2001) 550; ders., in: Amstutz (Hrsg.), Die vernetzte Wirtschaft, 2004, S. 11 ff. Zur Konzeption Teubners siehe Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (729 f.); Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 260 ff.; Sahm, in: Rückert/Seinicke (Hrsg.), Methodik des Zivilrechts, 3. Aufl. 2017, Rn. 1171 ff.; Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 80. 671 Siehe nur zum Franchising Teubner, ZHR 154 (1990) 295. Siehe auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 260 f. 672 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 41 ff. 673 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 78. 674 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 71. 675 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 211. 668 Siehe
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äquat abgebildet werden. 676 Teubners verweist hierzu auf bzw. rezipiert insoweit auch (rechts-)soziologische Erkenntnisse. Teubner hebt hervor, das geltende Recht vernachlässige den Kontext von Verträgen – insbesondere und gerade bei netzwerkartigen Strukturen. 677 Das Netzwerk stehe vielmehr „jenseits von Vertrag und Organisation“. 678 Vor diesem Hintergrund entwickelt Teubner den an § 358 BGB angelehnten, aber über diesen hinausgehenden Begriff des Vertragsverbunds. 679 Teubner zufolge besteht ein Vertragsverbund unter den folgenden Voraussetzungen: „Zum üblichen Tatbestand des bilateralen Vertragschlusses müssen die folgenden Elemente hinzukommen, wenn ein rechtlicher Vertragsverbund entstehen soll: (1) wechselseitige Verweisungen der bilateralen Verträge aufeinander, im Leistungsprogramm und/ oder in der Vertragspraxis (‚Mehrseitigkeit‘), (2) ein inhaltlicher Bezug auf das gemeinsame Projekt des Vertrags-verbunds (‚Verbundzweck‘), (3) eine rechtlich relevante enge Kooperationsbeziehung zwischen den Verbundbeteiligten (‚wirtschaftliche Einheit‘).“680
Das „‚Netzwerk als Vertragsverbund‘ wird im Tatbestand durch Doppelkonstitution von Vertrag und Verbund und in den Rechtsfolgen durch selektive Doppelzurechnungen definiert.“681 Charakteristikum ist der „Doppeltatbestand“ des Vertragsverbundes, sprich die Verknüpfung von „bilaterale[n] Vertragselemente[n] mit multilateralen Sonderverbindungselementen“. 682 Teubner verankert seine Konzeption somit außerhalb bisheriger dogmatischer Strukturen. 683 Er befürwortet die (teilweise) Überwindung des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse explizit.684 Gleichwohl werden Vertragsverbünde eher vertragsrechtlich als organisationsrechtlich eingestuft. 685 Die genaue dogmatische Einordnung des Vertragsnetzwerkes bestimmt sich in den Worten Teubners wie folgt: „Zur dogmatischen Erfassung der Netzwerke ist ein ‚Vertragsorganisationsrecht‘ zu entwickeln, das deren hybriden Charakter mit dem Einbau von ‚organisatorischen‘, d. h. relationalen und multilateralen, Elementen in den Vertrag gerecht wird.“686 676 Siehe insbesondere Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 94 ff., 101 ff., 173 ff. Siehe die Zusammenfassung der Kritik Teubners an anderen Ansätzen der „neuen Strömung“ bei Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 264 f. Fn. 1074. 677 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 71 ff., 101. 678 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 38. Siehe hierzu auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 263 Fn. 1070. 679 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 101 ff., 114 ff. Siehe hierzu auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 266 f. mit Fn. 1081. 680 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 117. 681 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 138. 682 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 129. 683 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 101. 684 Siehe nur Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 114 ff. 685 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 101. Siehe hierzu auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 266 f. 686 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 101.
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
Gesetzlicher (minimaler) Anker ist insoweit neben den §§ 358 f. BGB vor allem die Sachwalterhaftung nach § 311 Abs. 3 BGB. 687 Zentrales Moment dieses Rechtsverhältnisses ist das Element des Vertrauens in das Netzwerk.688 Vor diesem Hintergrund gelangt Teubner zu der Ansicht, Vertragsverbünde seien als ein Rechtsverhältnis sui generis einzustufen. 689 Ein Vertragsverbund wird auf dieser Grundlage als eine selbständige Zurechnungseinheit begriffen. 690 Folge sind im Voraus nicht vereinbarte Verbundpflichten der Netzwerkteilnehmer. 691 Die Verbundpflichten bestimmen sich nach dem Zweck des Netzwerkes – angesprochen sind damit insbesondere Treue-, Förder- und Schutzpflichten. 692 Im Ergebnis werden somit vertragliche Pflichten gegenüber vertraglich nicht verbundenen Dritten statuiert. 693 Zumindest für eine solche Durchgriffshaftung kann Teubner auf die Rechtsgedanken des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und der Sachwalterhaftung verweisen. 694 dd) Vertragsverbund II Im Ergebnis ähnlich wie Teubner – bzw. diesem im Grundsatz zustimmend – gelangt Weber zu dem Ergebnis, dass das Verhältnis zwischen Netzwerkteilnehmern als Vertragsverbund eingestuft werden kann. 695 Weber führt insoweit aus: „Erst wenn kein eindeutiger und wirksamer Wille zwischen den Beteiligten ermittelt werden kann, spricht viel für die Konstruktion des Vertragsverbunds als übergeordnete Rechtsgrundlage zwischen den Netzwerkakteuren. Nur diese Rechtsfigur schafft es, die relativ freie Stellung der Beteiligten mit ihren gleichzeitigen, symbiotischen Streben nach individuellen und kollektiven Zielen angemessen zu berücksichtigen.“696
Voraussetzung sei, dass (zusätzliche) Pflichten erforderlich sind, um den Verbundzweck sicherzustellen. 697 Im Einzelnen kämen „Kooperations-, Loyalitäts-, Systemförderungs-, Informations-, Geheimhaltungs-, Gleichbehand687 Siehe hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 271 sowie oben sub Kapitel 4 § 11 C. II. b). 688 Siehe Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 232. 689 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 86, 94. 690 Siehe wiederum Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 138. 691 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 138 ff. Siehe hierzu auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 268 ff. 692 Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 151 ff. 693 Siehe auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 269 f. Unbeschadet der Frage, ob in diesen Fällen nicht ein Vertrag zugunsten Dritter oder ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Betracht kommt. Beide Rechtsinstitute sind allerdings von Teubner ex principii verworfen worden. 694 Vgl. etwa Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 233 ff. Siehe hierzu auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 270 f. 695 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 373 ff., 396. 696 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 396. 697 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 396.
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lungs-, Vorteilsteilungs- und Risikoteilungspflichten“ in Betracht. 698 Pflichten resultierten aus „einer kollektivvertraglichen Sonderverbindung nach dem Vorbild der culpa in contrahendo“. 699 Maßgeblich ist für Weber: „Durch die wechselseitige Verweisung der Verträge, den einheitlichen Verbundzweck und das enge Kooperationsverhältnis liegt (…) eine fundierte Vertrauensgrundlage vor.“700 Grundlage für Pflichten ist Weber zufolge nicht eine rechtsgeschäftliche, willensbasierte Bindung: „[Es] müssen selbst dann Verpflichtungen bejaht werden, wenn sie nicht unmittelbar individualvertraglich vereinbart wurden.“701 Vielmehr sei somit das Vertrauen der Partizipierenden in den Verbund von maßgeblicher Bedeutung. Dieses Vertrauen speise sich daraus, dass jeder „sich mit der individualvertraglichen Verbindung zu einem Verbundpartner auch über die kollektive Verfolgung des Verbundzwecks und die Begründung kollektiver Verpflichtungen bewusst [sei].“702 Jeder Partizipierende müsse sich „über die an ihn gerichteten Erwartungen im Klaren sein.“703 Unklar im Lichte der vorbenannten Ansicht(en) Webers bleibt allerdings, warum sodann – scheinbar willensbasiert – ausgeführt wird: „Gerade im wirtschaftlichen Bereich ist infolge der Bedeutung für die Beteiligten ein darauf gerichteter Rechtsbindungswille anzunehmen.“704 b) „Willensbasierte“ Ansätze Eine weitere Strömung innerhalb des Diskurses zu Vertragsnetzwerken grundiert ihre Erwägungen stets mit Bezug zur Dogmatik des Zivilrechts. Die damit verbundenen Ansätze sollen hier „willensbasiert“ genannt werden, womit insbesondere die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen auf rechtsgeschäftlicher, sprich willensbasierter Basis hervorgehoben werden soll. aa) Vertragsverbindungen Gernhuber befasst sich in seiner grundlegenden Arbeit von 1973 mit Vertragsverbindungen.705 Gernhuber konstatiert für die Zivilrechtswissenschaft ein 698
Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 396. Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 396. 700 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 374 sowie 396. 701 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 374. 702 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 396 sowie 374. 703 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 374 mit Verweis auf Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 406 ff. Siehe zur Konzeption Oechslers allerdings noch nachfolgend sub Kapitel 4 § 11 C. III 3. b) bb). 704 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 374 (Hervorh. d. Verf.). 705 Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 ff. Zuvor bereits zu Drittwirkungen im Schuldverhältnis ders., in: Festschrift Nikisch, 1958, 699
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fehlendes „Denken in vertraglichen Bezügen“.706 Anlass ist die Konstellation wirtschaftlich verbundener Verträge bei Abzahlungsverkäufen. Zum Zeitpunkt Gernhubers Untersuchung waren verbundene Verträge bzw. die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit noch nicht gesetzlich geregelt707, sondern lediglich richterrechtlich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entwickelt und ausgeformt worden708 .709 Gernhuber beschränkt sich allerdings nicht auf den Abzahlungskauf, sondern stellt Vertragsverbindungen in verschiedenen Kontexten heraus.710 Ein Verbund von Verträgen soll sich durch einen Finalnexus auszeichnen, sprich die Verträge sollen eine „normative Zweckstruktur“ aufweisen.711 Diese Zweck einheit basiert auf dem Willen der Parteien.712 Folge ist, dass die Verträge genetisch miteinander verbunden sind.713 Eine solche Vertragsverbindung ist in den Worten Gernhubers: „jede Mehrheit aufeinander bezogener Schuldverhältnisse mit bilateralen oder multilateralen Parteienkonstellationen, deren Verknüpfungen unmittelbar eintretende Einwirkungen (generischer, funktioneller oder konditioneller Art) zur Folge hat (…)“.714 Folge einer solchen Vertragsverbindung ist, dass die damit verbundenen Verträge rechtlich einheitlich betrachtet werden müssen, insbesondere, dass sie miteinander stehen und fallen.715 Es besteht demnach zwischen den verbundenen Verträgen eine Form von Synallagma.716 Die Verträge verlaufen synchron.717 Rechtsfolgen über diese benannte Verknüpfung hinaus – also insbesondere für
S. 249 ff.; siehe auch ders., Das Schuldverhältnis, 1989, S. 710 ff. Siehe zur Konzeption Gern hubers ausführlich Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 216 ff. 706 Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 (455). 707 Siehe zunächst § 9 Verbraucherkreditgesetz a. F. sowie inzwischen §§ 358 f. BGB, siehe zu letzteren oben sub Kapitel 4 § 11 C. II. 2. a). 708 Siehe etwa BGH, NJW 1971, 2303 (2306). 709 Hierzu insgesamt Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 217 mit Fn. 824 und 825 710 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 710 ff.; speziell zum Abzahlungskauf ebd. S. 712 ff. 711 Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 (470). Hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 218 f. 712 Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 (470, 473); ders., Das Schuldverhältnis, 1989, S. 731. 713 Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 (476 ff.); ders., Das Schuldverhältnis, 1989, S. 731 ff. 714 Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 710. 715 Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift Larenz, 1973, S. 455 (476 ff.); ders., Das Schuldverhältnis, 1989, S. 712 f., 731 ff. 716 Siehe Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, S. 733 ff. 717 Siehe Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 2 21.
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den Fall, dass die Verknüpfung der Verträge nicht auf dem Willen beider Parteien basiert – werden nicht im Einzelnen betrachtet.718 bb) Erwartungshaltung der Parteien Auf eine dezidiert dogmatische Lösung im umfassenden Sinne zielt Oechsler.719 In Ansehung von „mehrgliedrigen Verträgen“ und „Dreiecksbeziehungen“ benennt Oechsler die bipolare Ausrichtung des Vertragsrechts als nicht (mehr) passend.720 In gleicher Weise verwehrt sich Oechsler gegen die – hier so genannten – „nicht willensbasierten“ Ansätze.721 Den Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse gelte es nicht zu überwinden.722 Oechsler stellt demgegenüber auf die Erwartungen der Parteien ab. In diesem Sinne betont Oechsler: „In einer modernen, sich arbeitsteilig organisierenden Wirtschaft kommt der Spezifikation der Erwartungsinhalte von Vertragsparteien eine überragende Bedeutung zu.“723 Dieser Befund benennt einen grundlegenden Impetus, dem auf der Grundlage der hier angestellten theoretischen Ausführungen vollumfänglich zugestimmt werden kann.724 Oechslers Untersuchung führt seinen zuvor benannten und hier als zustimmungswürdig bewerteten Grundsatz fort, dass weder der Wille noch allein das Vertrauen maßgeblich sind für die Bestimmung vertraglicher Pflichten, sondern dass es gerade die Kombination aus Wille und Vertrauen ist.725 cc) Netzvertrag II In Fortführung der Untersuchungen seines Lehrers Möschel untersucht Rohe umfassend Netzverträge.726 In der Grundanalyse moderner Wirtschaftsbeziehungen stimmt Rohe mit Möschel überein. Rohe betont ebenso die Langfristig718 Kritisch etwa zum Fehlen von „[k]onkrete[n] Rechtswirkungen oder Konzepte[n]“ Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 221. 719 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997. Zu Oechslers Konzep tion ausführlich Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 232 ff. 720 Siehe etwa Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 368. 721 Siehe etwa zur Konzeption Teubners Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 381 ff. 722 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 373 ff. 723 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 374. 724 Siehe zu Erwartungen im System Recht oben sub Kapitel 3 § 7 C. 725 Oechsler, RabelsZ 60 (1996), 91 (122). Siehe auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 374 f.: „Damit macht sich das Recht in seiner gestalterischen Aufgabe paradoxer Weise den Horizont des Rechtsunkundigen zu eigen. Diese Paradoxie läßt sich auflösen, wenn man berücksichtigt, daß vertragliche Pflichten auf dem Willen der jeweiligen Leistungsschuldner und dem Vertrauen der jeweiligen Leistungsgläubiger in die abgegebenen Leistungsversprechen beruhen.“ (Hervorh. i. Orig.). 726 Rohe, Netzverträge, 1998. Zur Konzeption Rohes ausführlich Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 237 ff.
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keit und Komplexität moderner Vertragsverflechtungen.727 Ausführlich widmet sich Rohe – von ihm so benannten – kleinen Netzen (wie etwa der Abzahlungskauf), hierarchischen Netzen (wie etwa das Franchising) und dezentralen Netzen (wie etwa Kreditkartensystemen).728 Die bisherigen dogmatischen Zugriffe – wie etwa Drittschadensliquidation oder (eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des) § 278 BGB – seien nicht geeignet, solche Netze adäquat zu erfassen.729 Rohe stellt die wirtschaftliche Motivation der Parteien zur Verknüpfung von Verträgen heraus.730 Fixpunkt sei der von den Parteien verfolgte Zweck.731 Die Parteien bestimmten durch eine Zweckvereinbarung, dass nicht mehr in getrennten Rechtsverhältnissen zu denken sei. Dabei komme es zu einer Paral lelität von Netzzweck einerseits und abweichenden sonstigen Zwecken der Beteiligten andererseits.732 Der vereinbarte einheitliche Netzzweck sei maßgebliches Kriterium der Auslegung in entsprechenden Netzen.733 Vor allem überforme das Netz bzw. der vereinbarte Zweck die Rechtsbeziehungen zwischen den im Übrigen vertraglich verbundenen Parteien.734 Hierdurch soll der Netzzweck im Sinne aller am effizientesten erreicht werden.735 Voraussetzungen des Netzvertrags sind Rohe zufolge (1) die Vornahme von „Sekundärtransaktionen“ zwecks Erreichung einer „Primärtransaktion“, (2) hohe Effizienz aufgrund von Standardisierung, (3) koordiniertes Zusammenwirken einer Vielzahl von Beteiligten, und (4) im Profitinteresse aller Beteiligten.736 Die Hürden eines Netzvertrages sind somit nicht allzu hoch. (1) und (3) lassen sich als zweckmäßige Koordination zusammenfassen, (2) und (4) dagegen umfassen die wirtschaftliche Rationale zur Beteiligung an dem Netz. Die Kriterien Rohes unterstreichen damit bündig die Maßstäbe, die (wohl) von allen Vertretern der „neuen Strömung“ (implizit) geteilt werden. Insgesamt ist der Zugriff Rohes somit ein anderer als derjenige Möschels. Rohe gelangt gerade nicht zu der Auffassung, dass ein Vertragsnetzwerk eine nicht auf Willenserklärungen basierende rechtliche Zurechnungseinheit ist. Der Netzvertrag komme mit allen Beteiligten auf der Grundlage einer entsprechen727
Rohe, Netzverträge, 1998, S. 1 ff. Rohe, Netzverträge, 1998, S. 52 ff., 305 ff., 346 ff. Hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 237 Fn. 928. 729 Rohe, Netzverträge, 1998, S. 5. Vgl. hierzu auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 238. 730 Siehe etwa Rohe, Netzverträge, 1998, S. 11. 731 Siehe beispielhaft Rohe, Netzverträge, 1998, S. 76. 732 Rohe, Netzverträge, 1998, S. 65. 733 Rohe, Netzverträge, 1998, S. 494. 734 Rohe, Netzverträge, 1998, S. 492 ff. 735 Siehe beispielsweise Rohe, Netzverträge, 1998, S. 493: „Der einheitliche Vertragszweck einer Effizienzsteigerung wird zum entscheidenden Maßstab.“ 736 Rohe, Netzverträge, 1998, S. 66 und 491 f. sowie in Anlehnung an Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 240. 728 Siehe
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den rechtsgeschäftlichen Vereinbarung zustande.737 Die Qualifikation als rechtsgeschäftliche Erklärungen sei maßgeblich durch die Erwartungen und das schutzwürdige Vertrauen der Parteien bestimmt.738 Grundlage für einen solchen mehrseitigen Vertragsschluss ist die Annahme entsprechender konkludenter Bevollmächtigungen zum Abschluss eines Netzvertrags zwischen den Parteien.739 Insgesamt soll der Netzvertrag somit obligatorischer und nicht organisationsrechtlicher Natur sein.740 dd) Trilaterales Synallagma Einen anderen Standpunkt nimmt demgegenüber Heermann ein.741 Er entwickelt die Rechtsfigur eines trilateralen Synallagma.742 Die Figur eines trilateralen Synallagma stützt sich auf Vorarbeiten von Pfister, der sich bereits im Jahre 1971 mit dem mehrseitigen Austauschvertrag auseinandergesetzt hatte.743 Heermann zielt ab auf Vertragsverhältnisse „zwischen den Rechtsfiguren des Verbandes und des Vertrages“, um durch Arbeitsteilung ausgelöste Vertragsverflechtungen besser zu erfassen.744 Bezugspunkt sind für Heermann hierfür drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte.745 Insbesondere der Abzahlungskauf mit seinen drei (relativen) Vertragsbeziehungen steht im Fokus der Betrachtung.746 Heermann verweist auf das Synallagma bei zweiseitigen Verträgen (§§ 320 ff. BGB) und konstatiert ein vergleichbares Verhältnis zwischen den drei Rechtsgeschäften des finanzierten Erwerbsgeschäfts. Alle Rechtgeschäfte seien – im Sinne Gernhubers – durch einen Finalnexus miteinander verbunden.747 Heermann geht somit davon aus, dass die Parteien die „Abstraktion“ ihrer Rechtsgeschäfte von den einzelnen Beziehungen hin zu einem einzigen wollen.748 Das trilaterale Synallagama bleibt somit im Grundsatz auf dem Boden der Rechtsge737
Rohe, Netzverträge, 1998, S. 194. Siehe hierzu Rohe, Netzverträge, 1998, S. 168 ff., 178 ff., 188 ff., 194. 739 Rohe, Netzverträge, 1998, S. 171. Hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 241 f. 740 Siehe etwa Rohe, Netzverträge, 1998, S. 67 und 492. Hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 242. 741 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, 1998. Zu Heermanns Konzeption ausführlich Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (726 f.); Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 253 ff. 742 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte 1998, S. 95 ff. 743 Pfister, JZ 1971, 284. 744 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte 1998, S. V f. 745 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte 1998, S. 10 ff. Vgl. hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 254 f. 746 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte 1998, S. 28 ff. (B-Geschäft); zum sogenannten A- und C-Geschäft siehe ebd. S. 26 f. und 31 f. 747 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte 1998, S. 146. Vgl. hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 257. 748 Siehe hierzu Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 259 f. 738
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schäftslehre – soweit ein entsprechender Wille der Parteien vorliegt.749 Folge sei, dass – Kern des trilateralen Synallagma – ein do ut des ut des vorliegt.750 Im Ergebnis gleicht der Vorschlag Heermanns somit der Rechtsfigur eines mehrseitigen Vertrages751, die bereits ausführlich diskutiert wurde.752 ee) Vertragsverbund III (Wohl überwiegend) aufbauend auf Teubner – aber explizit nach einer „in das Gesamtsystem der schuldrechtlichen Dogmatik eingebetteten Lösung“ strebend – befasst sich Malzer mit Vertragsverbünden und Vertragssystemen.753 Maßgeblicher Ausgangspunkt ist Malzers Auffassung, dass sich aus der Gesamtschau aller Durchbrechungen des Grundsatzes der Relativität im Zivilrecht eine „Verbundwirkung“ bzw. ein „Verbundprinzip“ ableiten ließe.754 Im Einzelnen hebt Malzer hierfür die Merkmale (1) Voluntativverbindung, (2) Wertungsverbindung, (3) Finalnexusverbindung und (4) Bona fide-Verbindung hervor, aus denen er verschiedene Verbundregeln ableitet.755 Im Einzelnen soll dies zunächst bedeuten, dass voluntativ begründete Relativität aus Wertungsgründen eingeschränkt werden kann.756 Zudem könnten „Finalitätsüberlegungen (…) den Ein- und Auswirkungsbereich des Schuldverhältnisses (…) ausdehnen“ und „[r]echtsgeschäftsähnliche Verbindungen (…) zu ‚Dritten‘ im Rahmen einer Sonderverbindung entstehen, sofern dies erkennbar war und vom „Dritten“ erwartet werden konnte.“757 Diese Verbundregeln sollen „die Basis für ein Recht der Kooperativen Vertragsverbünde“ sein.758 Malzer skizziert hierzu die aufeinander aufbauenden Stufen (1) Schuldverhältnisse, (2) Drittwirkungen (für welche § 311 Abs. 3 BGB als „Basisnorm eines einheitlichen Drittwirkungskonzepts im Schuldrecht“ eingestuft wird759), (3) Vertragsverknüpfung und (4) Vertragsorganisationsrecht.760 Unter seinem Entwurf eines Vertragsorganisations rechts versteht Malzer:
749 Denn, ob die Parteien wirklich ein solches Triallagma wollen, ist die herausfordernde Frage; kritisch und verneinend hierzu etwa Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (726 f.). 750 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte 1998, S. 120 ff., 129 f., 140 ff. 751 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte 1998, S. 144 verweist etwa auf die Konstellation eines Ringtausches. Siehe hierzu auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 258 Fn. 1049. 752 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. 3. 753 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 491, 542 et passim. 754 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 424. 755 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 425 f. 756 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 425 f. 757 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 426. 758 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 426. 759 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 450 f. 760 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 434 f.
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„Gegenstand des Vertragsorganisationsrechts sind Organisationsverträge im engeren und im weiteren Sinne. Es handelt sich (…) um den Teil des Schuldrechts, der die Organisation von kooperativen Leistungsprozessen anhand von Verträgen zum Gegenstand hat. Dies kann durch einen (multipolaren) Vertrag oder durch die Koordination und Abstimmung einer Vielzahl von Verträgen geschehen (Vertragsverknüpfung). Durch den Organisationsvertrag [im engeren Sinne] entsteht eine rechtlich eigenständige Organisationseinheit.“761
Mit letzteren sind daher (nur) klassische Gesellschaftsverträge angesprochen.762 Mit der Vertragsverknüpfung können dagegen „einzelne Schuldverhältnisse oder Verträge durch Zweckbestimmung (Finalnexus) oder durch Vertragsverbindung miteinander verknüpft werden.“763 Insgesamt ist Malzer der Auffassung: „Durch diese Einbindung und Systematisierung (…) lassen sich Realsysteme und Realprozesse rechtlich nachmodulieren und abbilden. Das Vertragsorganisationsrecht wird (…) zum ‚Mittler‘ zwischen der ökonomischen Prozessorganisation und ihren rechtlichen Abbildern, den Verbänden und Vertragsverknüpfungen.“764 Einer eigenständigen Rechtsfigur eines Netzvertrages bedürfe es hiernach bzw. im Übrigen nicht.765 ff) Untypische Gesellschaft bürgerlichen Rechts Einen weiteren Zugriff auf (einzelne) Vertragsnetzwerke eröffnen Engel766 , Merz767 und Steinmann768 . Sämtliche Autoren – mit gewissen Unterschieden im Detail – wollen Vertragsnetzwerke gesellschaftsrechtlich fassen.769 Ausgangspunkt waren Lieferbeziehungen und vor allem (faktisch) über das zweiseitige Verhältnis hinaus wirkende Qualitätssicherungsvereinbarungen.770 Das hierdurch entstehende Geflecht bzw. die (Aus-)Wirkungen der Vereinbarungen soll – so der Vorschlag – als ein gesellschaftsähnlicher Vertrag, als untypische Ge761 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 434. Siehe auch ebd. S. 554 (und in Anlehnung an Gernhuber, in: Paulus/Diederichsen/Canaris [Hrsg.], Festschrift Larenz, 1973, S. 455 [493 f.]): „Die Lehre vom ‚Vertragsorganisationsrecht‘ ist folglich in dieser Arbeit bloße Skizze und Fragment geblieben. Ihr grundsätzlicher Entwurf kann freilich durch Lücken und Fehler im Detail nicht in Frage gestellt werden!“ 762 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 552. 763 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 493. 764 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 5 43. 765 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 493 ff., 553. 766 Engel, RabelsZ 57 (1993), 556 (561). 767 Merz, Qualitätssicherungsvereinbarungen, 1992, S. 257 ff. in Bezug auf die Beziehung zwischen Zulieferer und Abnehmer. 768 Steinmann, Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Endproduktherstellern und Zulieferern, 1993, S. 27 f. 769 Siehe hierzu Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (727 f.). Zum Abzahlungskauf bereits Emmerich, JuS 1971, 273 (279 ff.). Vgl. auch Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998, S. 422 ff. 770 Hierzu Steinmann, Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Endproduktherstellern und Zulieferern, 1993.
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sellschaft bürgerlichen Rechts, eingeordnet werden.771 Zentrale Weichenstellung ist die Einordnung des Netzzweckes als gemeinsamer Zweck im Sinne des § 705 BGB.772 gg) Fortentwicklung des Rechts der Dauerschuldverhältnisse Aufbauend auf (aber nicht nur 773) den Erkenntnissen der relationalen Vertragstheorie setzte sich zudem bereits seit Mitte der 1980er Jahren Nicklisch intensiv mit werkvertraglichen Vertragsstrukturen auseinander.774 Solche Vertragsstrukturen stünden – im Anschluss an die von Macneil aufgezeigte Spannbreite von diskret bis relational – an dem (fließenden) Übergang zwischen punktuellem Austauschvertrag und Dauerschuldverhältnis.775 Mit Blick auf die Komplexität moderner Projektstrukturen (etwa im Flughafenbau oder bei der Entwicklung komplexer technischer Anwendungen) schlug Nicklisch das Konzept des komplexen Langzeitvertrags vor.776 Solche Verträge sind vornehmlich dadurch geprägt, dass sie den Beteiligten einen Rahmen für ihre Kooperation eröffnen.777 De lege ferenda werden unter anderem wechselseitige Informations- und Mitwirkungspflichten gefordert.778 Allgemein bleibt die Betrachtung Nicklischs allerdings im Werkvertragsrecht verhaftet.779 In ähnlicher Weise befasst sich auch Lange mit der Herausforderung einer „Dogmatik der Netzwerke“.780 Aufhänger und zentraler Gegenstand seiner Untersuchung ist dabei die Produktion und der Vertrieb in der Automobilindustrie.781 Im Einzelnen betont Lange vor allem die Notwendigkeit, eine Vielzahl von Verträgen aufeinander abzustimmen, wobei insbesondere Rahmenverträ771 So – vorsichtig – Steinmann, Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Endproduktherstellern und Zulieferern, 1993, S. 27 f. 772 Vgl. (im Ergebnis ablehnend) Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (727 f.). 773 Siehe Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 2 24 Fn. 861. 774 Nicklisch, JZ 1984, 757; ders., in: ders. (Hrsg.), Bau- und Anlagenverträge, 1984, S. 41 ff.; ders., NJW 1985, 2361; ders., in: ders. (Hrsg.), Der Komplexe Langzeitvertrag, 1987, S. 17 ff. Siehe zur Konzeption Nicklischs ausführlich Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 222 ff. und Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 78. 775 Siehe Nicklisch, JZ 1984, 757 (760 f.); ders., in: Nicklisch (Hrsg.), Der Komplexe Langzeitvertrag, 1987, S. 18. 776 Siehe hierzu zusammenfassend Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 226. 777 Siehe Nicklisch, JZ 1984, 757 (763); ders., in: ders. (Hrsg.), Bau- und Anlagenverträge, 1984, S. 47 ff.; ders., in: ders. (Hrsg.), Der Komplexe Langzeitvertrag, 1987, S. 17 ff. Vgl. auch Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 223. 778 Hierzu näher Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 2 26. 779 Siehe Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 2 27; Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 78. 780 Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998, S. 5. Zur Konzeption Langes ausführlich Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 245 ff. 781 Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998, S. 41 ff.
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gen eine entscheidende Funktion zukomme.782 Während Lange etablierte dogmatische Zugriffe (wie etwa den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) als nicht ausreichend einstuft783, folgt er ebenso nicht den „nicht-willensbasierten“ Ansätzen Möschels und Teubners.784 Vielmehr solle das Recht der Dauerschuldverhältnisse ergänzt werden – hierfür sei insbesondere Nicklischs Konzept komplexer Langzeitverträge geeignet.785 4. Kritik und Reaktion Die verschiedenen dargelegten Vorschläge zu Vertragsnetzwerken seit den 1980er Jahren haben überwiegend nicht die Gefolgschaft der Literatur oder auch der Rechtsprechung gefunden. Unbeschadet dessen weisen zudem (und wenig verwunderlich) die Vertreter der „neuen Strömung“ – mit Unterschieden im Detail – zumeist die jeweils anderen Vorschläge innerhalb der Strömung zurück.786 a) Rezeption in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat sich überhaupt nicht nennenswert explizit mit den unterschiedlichen Konzeptionen der Vertragsnetzwerke befasst.787 Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass die Rechtsprechung nicht eine Vielzahl von Fällen aus verschiedenen Rechtsgebieten zu beurteilen hatte (und hat), die Fragen der Verknüpfung von Verträgen, von Drittwirkungen von bzw. Wechselwirkungen zwischen Verträgen zum Gegenstand hatten. Gleichwohl wurden diese Konstellationen regelmäßig ohne weitere Hervorhebungen mit dem bestehenden dogmatischen Instrumentarium gelöst. Hinzuweisen ist dabei darauf, dass funktional damit auch Fragen des Bereicherungsrechts angesprochen sind788 – etwa im Zuge des bereicherungsrechtlichen Durchgriffs in Anweisungsfällen789. Ob und inwieweit die durch die Recht782
Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998, S. 95 ff. Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998, S. 194 ff. Siehe hierzu die Zusammenfassung bei Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 251 Fn. 1017. 784 Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998, S. 105 f. 785 Lange, Das Recht der Netzwerke, 1998, S. 2 23 ff. 786 Siehe etwa umfassend Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 340 ff., 376 ff. Zur Kritik an der Konzeption Möschels siehe etwa die Nachweise in Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 230 Fn. 891 und S. 231 Fn. 893. Zur Kritik an Rohes Netzvertrag ebd. S. 244. Zusammenfassend zur Kritik Teubners an sämtlichen anderen Konzeptionen siehe etwa Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 265 Fn. 1074. 787 Siehe aber etwa BGH, NJW-RR 2003, 1635 – Apollo-Optik zum Franchising sowie BGH, NJW 2002, 3695 zu einem eigenständigen allgemeinen Bankvertrag (als Rahmenvertrag). 788 Zutreffend Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (719) m. w. N. 789 Stellvertretend BGH, NJW 2015, 3093; hierzu Foerster, BKR 2015, 473; Jansen, JZ 2015, 952. 783
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sprechung gefundenen Lösungen allerdings dogmatisch überzeugen, soll in diesem Rahmen nicht erörtert werden. b) Ablehnung im Schrifttum Die „neue Strömung“ hat nur vereinzelt Zustimmung gefunden.790 Die herrschende Meinung in der Literatur lehnt die Idee von Vertragsnetzwerken als eigenständige Figur bzw. vor allem nicht-willensbasierte Konzeptionen zumeist umfassend ab.791 Auf die Hauptargumente sei insofern nachfolgend kurz hingewiesen. Abgelehnt werden zunächst solche Vorschläge, die eine Durchbrechung des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse fordern bzw. bedingen. Die Annahme nicht-willensbasierter Sonderverbindungen widerspreche dem Relativitätsgrundsatz.792 Eine solche (echte) Durchbrechung des Grundsatzes scheide deswegen aus dogmatischen Gründen aus.793 Zudem gewährleiste (nur) der Relativitätsgrundsatz die Handhabbarkeit und Rechtssicherheit von Rechtsbeziehungen.794 Es wird ferner betont, dass keiner der Vorschläge der „neuen Strömung“ eine Letztbegründung bzw. ein charakteristisches Entscheidungskriterium für eine gesonderte Rahmung von Vertragsnetzwerken darzulegen vermöge.795 Teubners Konzeption eines Vertragsverbundes befände sich (bewusst) fern jeder Dogmatik – es mangele an der gesetzlichen Grundlage und sei zudem „rein dezisionistisch“.796 Zudem sei die konkrete Ausarbeitung von Haftungsmodellen ausgeblieben.797 Alternative – auf der tradierten Rechtsgeschäftslehre aufsetzende – Wege (wie insbesondere die Annahme all- bzw. wechselseitiger Bevollmächtigungen in Rohes Netzvertrag) seien „offensichtlich eine Fiktion“.798 Oftmals widersprä790 Siehe etwa Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 2 Rn. 70 f., § 23 Rn. 127 ff. sowie jüngst Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.) und Spindler, ZGR 2018, 17 (52 ff.). 791 Siehe statt vieler und ausführlich Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (730 ff.); Maultzsch/ Czarnecki, ZEuP 2016, 832 (841 ff.); K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 35 Rn. 42; Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 80; WellenhoferKlein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, 1999, S. 174 ff.; dies., KritV 2006, 187 (189 f.). 792 Siehe Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (732). 793 Vgl. Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (730). 794 Siehe etwa Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, 1999, S. 176. 795 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (730); Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privatund Wirtschaftsrecht, 1999, S. 176 f. 796 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (730, 732), der gleichwohl Teubners Vorschlag als auf theoretischer Ebene für erwägenswert und überzeugend einstuft. Siehe im Übrigen etwa nur Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 80. 797 Siehe Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 8 0 in Bezug auf Teubner. 798 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (725) in Bezug auf Rohes Vorschlag; ebenso („Fikti-
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chen die Annahmen der „neuen Strömung“ dem (ausdrücklichen) Parteiwillen bzw. der von den Parteien gewählten rechtlichen Gestaltung ihrer Beziehungen.799 Der Grundsatz der Privatautonomie werde insoweit missachtet. 800 Im Übrigen werde nicht dargetan, dass (rechts-)praktische Probleme tatsächlich (besser) gelöst würden.801 Es bleibe oftmals bei Ansätzen, „zu deren Konkretisierung letztlich nur immer wieder die materielle Gerechtigkeit beschworen werden kann. Für die juristische Kärrnerarbeit im Umgang mit den heutigen Rechtsproblemen der modernen Vertragstypen erweist sich das dargestellte Theoriepotential derzeit im Grunde als wenig fruchtbar.“802
c) Zugriffsansätze der herrschenden Lehre Dieser Befund bedeutet keineswegs, dass die herrschende Ansicht in der Literatur nicht ebenso nach adäquaten Rahmungen für die mit dem Realphänomen Vertragsnetzwerke verbundenen rechtlichen Herausforderungen strebt. Dabei wird zum einen eine gesonderte Behandlung von Vertragsnetzwerken für entbehrlich gehalten. 803 Darüber hinaus gehend sind zum anderen verschiedene Zugriffsansätze aufgezeigt worden, die bekanntes dogmatisches Terrain nicht verlassen (wollen).804 Insbesondere Grundmann hat eine „Dogmatik der Vertragsnetze“ vorgestellt: „mit dem Ziel eigenständige Ergebnisse im Vertragsnetz durchaus zu behaupten, diese jedoch dogmatisch und nicht „visionär“ zu begründen.“805 aa) Grundlagen Ganz grundsätzlich ist der Zugriff dieser Literaturströmung auf Vertragsnetzwerke determiniert durch den Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse on“, ebd. 728) in Bezug auf den Abschluss eines Gesellschaftsvertrags. Ebenso („Fiktion“) in Bezug Rohes Vorschlag Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, 1999, S. 177. 799 Siehe nur Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (728) in Bezug auf die Annahme einer Gesellschaft zwischen den Netzwerkteilnehmern. 800 Sehr klar Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (728). 801 Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 17 I 3 c und § 18 I 4 d; Staudinger/Martinek/ Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 83 f.; Wellenhofer, KritV 2006, 187 (199, 206 f.). 802 Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 84. 803 Siehe etwa nur die Lehrbücher von Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 21. Aufl. 2015; dies., Schuldrecht II, 18. Aufl. 2018. 804 Bemühung um eine Einordnung von Vertragsnetzwerken in die zivilrechtliche Dogmatik etwa bei Grundmann, AcP 207 (2007), 718; ders., in: Aderhold/Grunewald/Klingberg/ Paefgen (Hrsg.), Festschrift Westermann, 2008, S. 227 ff.; Wellenhofer, KritV 2006, 187 sowie Hennemann, in: Aichberger-Beig/Aspöck/Leupold/Oelkers/Perner/Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 ff.; siehe allgemein auch Grundmann/ Renner, JZ 2013, 379 sowie K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 35 Rn. 42. 805 So Titel und Konzeption von Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (Zitat auf 733).
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sowie die Bestimmung der Vertragsinhalte (durch Auslegung) sowie die Qualifikation von Erfüllungsgehilfen. (1) Denken entlang der „Kettenglieder“ im Vertragsnetzwerk Von zentraler und leitbildhafter Bedeutung ist für Grundmann insoweit der den Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse unterstreichende Ansatz, „dass das Netz grundsätzlich von Vertrag zu Vertrag gedacht werden muss, gleichsam die Kette entlang, und nicht in Sprüngen (…). Dies hat zur Folge, dass dann vertieft auf das jeweilige Kettenglied einzugehen ist und gerade dort nach Instrumenten zu suchen ist, die die Verbundenheit verschiedener Verträge als Aspekt in Fragen des Inhalts und des Bestandes des einzelnen Vertrages zum Tragen bringen (…).“806
Im Einzelnen weist Grundmann zutreffend darauf hin, dass sich zwei zentrale Fragen in Bezug auf Vertragsnetzwerke stellen – unterstellend, dass kein mehrseitiger Vertrag zwischen den Netzwerkteilnehmern geschlossen wurde: (1) Begründet ein (bilaterales) Rechtsverhältnis einen Anspruch (wobei Grundmann allerdings nur auf Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB zielt) für eine nicht unmittelbar kontrahierende Partei? (2) Inwieweit werden (bilaterale) Rechtsverhältnisse aufgrund der (faktischen) Einbindung in das Netzwerk modifiziert?807 Ganz grundlegend betont Grundmann in diesem Zusammenhang, dass im BGB bereits eine Vielzahl von Regelungen zu Dritten bzw. Drittwirkungen vorhanden ist.808 Auf die obigen Ausführungen zur positiven und negativen Drittwirkung sowie zu Netzwerkbeziehungen im Zivilrecht (Weber) sei insofern verwiesen. 809 Diese bestehenden Regeln (bzw. die hierzu ergangene Rechtsprechung) böten zunächst und vornehmlich für die dogmatische Rahmung von Vertragsnetzwerken bereits eine Basis – und seien für eine rechtliche Rahmung fruchtbar zu machen.810 (2) Bestimmung der Vertragsinhalte Grundsätzlich bedingt der Zugriff auf die verschiedenen vertraglichen Rechtsverhältnisse die Bestimmung der (vertrags-)charakteristischen Leistung. 811 Diese Feststellung ist die (erste) zentrale Weichenstellung im Umgang mit (potenziellen) wirtschaftlichen Verflechtungen in Vertragsnetzwerken. Denn die 806
Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (719). Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (723 f., 749). 808 Siehe Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (734). 809 Siehe oben sub Kapitel 3 § 9 E. IV. 2. und Kapitel 4 § 11 C. II. 810 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (734): „Es scheint geradezu so, als wäre die Dogmatik der Vertragsnetze so schwach und gäbe es anscheinend so wenig Bedarf für eine solche, weil die Einzelstücke in Gesetzgebung und Rechtsprechung so umfangreich ausgebaut sind. Vieles ist zumindest im Ansatz gelöst und regelmäßig auch überzeugend.“ 811 Siehe hierzu im untersuchungsgegenständlichen Kontext Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (750 ff.). 807
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Definition der jeweiligen Leistungsgegenstände – stets eine Frage der Auslegung – bedingt eine Vergewisserung über die „Kettenglieder“ des Vertragsnetzwerkes. Zusätzlich und vornehmlich erfolgt hierdurch auch eine (erste) Annäherung, wem gegenüber die vertraglichen Pflichten bestehen. Die Auslegung der Vertragsinhalte kann dabei die wirtschaftliche Rationale der Vertragsparteien, den Netzzweck, berücksichtigen. 812 Auf dieser Grundlage mag der Zuschnitt der Primärleistung ebenso konturiert werden wie etwaige sonstige (Neben-)Pflichten. Solche (Neben-)Pflichten können für Vertragsnetzwerke eine erhebliche Bedeutung entfalten. Denn auf diesem Wege kann die Kooperation der Vertragsparteien in Bezug auf die sonstigen Netzteilnehmer sichergestellt werden. 813 Dies gilt vornehmlich für das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien. Es ist allerdings ebenfalls – in Bezug auf Haupt- und Nebenleistungen – zu ermitteln, ob und inwieweit Dritte Ansprüche geltend machen können (bzw. auf Grundlage der Erklärungen der Parteien können sollen). Auf die damit verbundenen Maßstäbe wird sogleich zurückzukommen sein. (3) Qualifikation von Erfüllungsgehilfen Zuvor sei darauf hingewiesen, dass es im Übrigen für die Bestimmung etwaiger (Sekundär-)Ansprüche eine höchst relevante Frage ist, welche (dritten) Rechtssubjekte als Erfüllungsgehilfen fungieren. Klassischerweise füllen etwa Subunternehmer (oder hier nicht weiter von Relevanz: Arbeitnehmer) eine solche Rolle aus. Charakteristisch für Vertragsnetzwerke ist allerdings zumeist, dass entsprechende (Über- und) Unterordnungsverhältnisse nicht vorliegen. Es handelt sich demgegenüber in Vertragsnetzwerken regelmäßig eher um (dezentrale) Teilleistungen verschiedener Akteure. Solche Akteure werden grundsätzlich nicht als Erfüllungsgehilfen einzustufen sein. Dies unterstreicht ex maiore ad minus bereits ein Blick auf den traditionellen Zugriff der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur auf hintereinandergeschaltete Fertigungsstufen. So werden insbesondere selbstständige Vertragspartner in Vertragsketten nicht als Erfüllungsgehilfen des Letztunternehmens (gegenüber dem Endkunden) qualifiziert (vgl. für das Kaufrecht nun auch die Neuregelung in §§ 445a f. BGB). 814 Die Frage nach der Bestimmung von Erfüllungsgehilfen in Vertragsnetzwerken soll nachfolgend gleichwohl nicht weiter vertieft werden. Denn es steht insoweit nicht die Frage des Bestehens bzw. des Umfangs der vertraglichen Bindung bzw. etwaiger (Primär-)Ansprüche in Rede, sondern (nur) die Frage der Zurechnung in Bezug auf eine Pflichtverletzung und das Verschulden.
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Vgl. hierzu auch Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (759 f.). Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (762 f.) unter Bezugnahme von § 242 BGB. 814 Siehe nur BGH, NJW 2014, 2183. Näher Lorenz, LMK 2014, 359378. Zur umfangreichen Kritik eines Teils der Literatur siehe etwa Witt, NJW 2014, 2156 (2157) m. w. N. 813 Siehe
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bb) Vertrag zugunsten Dritter, §§ 328 ff. BGB Für eine dogmatische Rahmung des Realphänomens Vertragsnetzwerke815 ist nach alldem zunächst die Qualifikation der Vertragsbeziehungen von zentraler Bedeutung. So stellt sich insbesondere die Frage, ob einzelne (bilaterale) Rechtsverhältnisse, einzelne „Kettenglieder“, als Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB) qualifiziert werden können. Entsprechende Verträge wären sodann die Grundlage für etwaige „durchgreifende“ Ansprüche einer nicht (unmittelbar) kontrahierenden Partei. Die damit verbundenen Hürden für die Annahme eines Vertrags zugunsten Dritter sind bereits zuvor im Zuge der Befassung mit smarten Anwendungen dargelegt und erläutert worden.816 Speziell mit Bezug zur Diskussion um Vertragsnetzwerke erscheint deswegen eine Qualifikation bestimmter Vertragsverhältnisse als Vertrag zugunsten Dritter durchaus naheliegend.817 Dabei kommen auch „wechselseitige“ Verträge zugunsten Dritter in Betracht, sodass jeder Netzwerkteilnehmer – je nach Einzelfall – auf dieser Grundlage Ansprüche gegen unter Umständen jeden anderen Netzwerkteilnehmer hat. Maßgeblich für die Annahme eines bzw. mehrerer Verträge zugunsten Dritter ist die Auslegung der entsprechend abgegebenen Willenserklärungen. cc) Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter In gleicher Weise kommt in Betracht, dass (bilaterale) Vertragsbeziehungen innerhalb eines Vertragsnetzwerkes – je nach Einzelfall – als Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter qualifiziert werden können.818 Ein solcher Vertrage bietet (zwar nur) die Grundlage für etwaige Sekundäransprüche einer nicht (unmittelbar) kontrahierenden Partei. Die Qualifikation von Verträgen in Vertragsnetzwerken als Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stellt aber nichtsdestotrotz eine zentrale Weichenstellung dar. Denn eine entsprechende Annahme würde das Rechte- und Pflichtengefüge in Vertragsnetzwerken insgesamt prägen. Denn aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter fließen Schutz-, Treue-, und Rücksichtnahmepflichten sowie – unter Umständen als „Hilfsrechte zum Erfüllungsanspruch“ – Warn-, Weisungs-, Informations- und Inspektionspflichten.819 Entsprechende Pflichten können – je nach Einzelfall – (auch) im Sinne des Netzzwecks begriffen werden. 815 Vertragsnetzwerk bezieht sich im Folgenden auf das Realphänomen, nicht auf ein damit etwaig verbundenes rechtsdogmatisches Konzept bzw. eine rechtsdogmatische Figur. 816 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 817 Siehe bereits Hennemann, in: Aichberger-Beig/Aspöck/Leupold/Oelkers/Perner/ Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 (292 ff.). 818 Siehe bereits Hennemann, in: Aichberger-Beig/Aspöck/Leupold/Oelkers/Perner/ Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 (292 ff.). Tendenziell zurückhaltender Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (751, 753 ff., 767). 819 Siehe – im untersuchungsgegenständlichen Kontext – Grundmann, AcP 207 (2007), 718
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Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setzt Leistungsnähe, Einbeziehungsinteresse, Erkennbarkeit und Zumutbarkeit sowie ein Schutzbedürfnis voraus. 820 Insbesondere das Kriterium der Leistungsnähe ist in diesem Zusammenhang kurz näher zu betrachten. Eine Leistungsnähe soll üblicherweise dann angenommen, wenn „[d]er Dritte (…) bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung [kommt] und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt [ist] wie der Gläubiger (…).“821 Zu beachten sind bei der Bestimmung der Leistungsnähe allerdings auch die zwischen den Parteien getroffenen Abreden. 822 Die sich aus solchen Abreden ergebenen Wertungen sind entsprechend zu berücksichtigen – sprich, ob und inwieweit der Dritte „bestimmungsgemäß“ mit der Leistung „konfrontiert“ wird. Maßgeblich ist insbesondere, inwieweit der Leistende erwartet, dass „sein Vertragspartner auch den Schutz wiederum seines Vertragspartners wünschte“.823 Von einer entsprechenden Erwartung wird regelmäßig auszugehen sein, wenn der Dritte (Vertragspartner des Vertragspartners des Leistenden) die Leistung des Leistenden indirekt vergütet – also die Leistung des Leistenden wirtschaftlich betrachtet dem Dritten gegenüber geleistet wird. 824 Denn in diesen Fällen hegt auch der Dritte die Erwartung der (ordnungsgemäßen) Leistung durch den Leistenden.825 Freilich ist in diesen Situationen sorgfältig zu prüfen, ob nicht ein Vertrag zugunsten Dritter und nicht (nur) ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vorliegt. dd) AGB-rechtliche Inhaltskontrolle, §§ 305 ff. BGB Eine weitere Möglichkeit, den (wirtschaftlichen bzw. faktischen) Eigenarten und Eigenrationalitäten von Vertragsnetzwerken gerecht zu werden, bildet die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle. 826 Vornehmlich das Kriterium der unangemessenen Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 BGB) könnte als Hebel dienen, die Interessenkonfliktlinien und die jeweiligen Erwartungen der Beteiligten im bzw. an das Netzwerk abzusichern. Zunächst wäre allerdings zu ermitteln, ob dem jeweiligen Vertragsnetzwerk ein bestimmter Vertragstypus zugrunde liegt. In Ansehung der vielfältigen (756 ff.) (tendenziell zurückhaltend) sowie bereits Hennemann, in: Aichberger-Beig/Aspöck/ Leupold/Oelkers/Perner/Ramharter (Hrsg.), Vertrauen und Kontrolle im Privatrecht, 2011, S. 285 ff. 820 BGH, NJW-RR 2017, 888 (890) (st. Rspr.). 821 BGH, NJW-RR 2017, 888 (890) (st. Rspr.). 822 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (754). 823 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (754 f.) (Hervorh. i. Orig.). 824 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (755) mit Verweis auf Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, S. 275 ff., 359 f. et passim. 825 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (755). 826 Siehe hierzu Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (747 ff.). Zustimmend etwa Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (291).
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Konstellationen von hier untersuchungsgegenständlichen (potenziellen) Vertragsnetzwerken (Plattform-Szenarien, Internet der Dinge, Blockchain) steht nicht ein Vertragstyp in Rede, sondern eine Vielzahl von Vertragstypen, für die sich teilweise noch keinerlei (anerkanntes) Leitbild herausgebildet hat. Ist dies der Fall, so ist dieses Leitbild als Maßstab für die Beurteilung heranzuziehen (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).827 ee) Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB Weiterer gesetzlicher Dreh- und Angelpunkt für Vertragsnetzwerke könnte das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage sein. Auf der Grundlage von § 313 BGB könnten „Drittwirkungen“ von einem zu einem anderen vertraglichen Rechtsverhältnis „entstehen“. Voraussetzung hierfür ist, dass die Existenz bzw. eine Pflichtverletzung innerhalb eines Rechtsverhältnisses die Geschäftsgrundlage des anderen Rechtsverhältnisses bildet. 828 In einem „perfekten“ Vertragsnetz ist dies gar wechselseitig für jedes Rechtsverhältnis zueinander der Fall. Dem BGH zufolge wird die Geschäftsgrundlage „gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluß aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut (…).“829
(1) Netzzweck als Geschäftsgrundlage Die Fruchtbarmachung des Rechtsinstituts der Geschäftsgrundlage hatte L arenz bereits zum Abzahlungskauf vorgeschlagen. 830 Grundmann 831 verallgemeinert diese Überlegung für Vertragsnetzwerke: „[D]ie Figur vom Wegfall der Geschäftsgrundlage [sei] passgenau geeignet (…), die Idee vom Netzzweck zu erfassen (…).“ 832 Geschäftsgrundlage soll der Netzzweck bzw. die „Verbundenheit“ zwischen den Netzwerkteilnehmern bzw. den verschiedenen Rechtverhältnissen sein, sprich dass „alle Netzmitglieder das Funktionieren des Netzes als die Grundlage des eigenen Erfolges einstufen“.833 Der Netzzweck ist somit auf der Grundlage der zuvor skizzierten Rechtsprechung ein „Teil der beim Vertragsschluss zutage getretenen gemeinsamen Vor827
Vgl. zu einer Konstellation des Franchising Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (747 ff.). im Kontext des Finanzierungsleasings BGH, NJW 1990, 314 (315); NJW 1991, 1746 (1748). 829 BGH, NJW 1991, 1478 (1478) – Salome (st. Rspr.). 830 Larenz, in: Pawlowski/Wieacker (Hrsg.), Festschrift Michaelis, 1972, S. 193 (203 ff.). 831 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (741 ff.) sowie (noch) ausführlicher ders., in: Aderhold/Grunewald/Klingberg/Paefgen (Hrsg.), Festschrift Westermann, 2008, S. 227 ff. 832 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (741). 833 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (742). 828 Siehe
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stellungen (…) und auf denen sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut.“834 Der in dieser Weise verstandene Netzzweck wird somit von allen Beteiligten vorausgesetzt, ohne allerdings Vertragsbestandteil zu werden. Wäre letzteres der Fall, läge keine Geschäftsgrundlage vor. Somit kann der Zweck auch kein gemeinsamer Zweck im Sinne des § 705 BGB sein. Maßgeblich hierfür sei, dass die Parteien den Zweck „mit getrennten Kassen“ erreichen wollen.835 Dieser Befund bedeutet im Einzelnen, dass die Parteien im Grundsatz entlang der jeweils vertraglich (bilateral) vereinbarten Rechtsverhältnisse agieren (wollen) und nur ausnahmsweise dort eine Modifikation zulassen, wo eine solche Mo difikation die allgemeine Erwartung aller Beteiligten widerspiegelt.836 Angesprochen werden sollen damit nicht nur der „Zusammenbruch“ des Vertragsnetzwerks, sondern allgemein(er) „die Störung oder (…) die unerwartete Produktivität“.837 Insgesamt wird hiermit – wie bereits zuvor im Zuge der Auseinandersetzung mit Plattformen sowie smarten und Blockchain-Anwendungen838 – die (schützenswerte) Erwartung in die Funktionsfähigkeit hervorgehoben. (2) Insbesondere: Risikozuweisung Ob (und inwieweit) eine Störung der Geschäftsgrundlage zu Änderungen an der vertraglichen Übereinkunft führt, beurteilt sich nach der Zumutbarkeit eines Festhaltens am Vertrag für die betroffene Partei. Die Frage der Zumutbarkeit richtet sich nach § 313 Abs. 1 BGB zuvörderst – und unbeschadet der weiteren Voraussetzungen (Vorhersehbarkeit, außergewöhnliche Belastung, Verursachung, Ausweichmöglichkeit) – nach der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung.839 Diese Zuordnung kann durch die Parteien selbst getroffen werden – vor allem und gerade durch die Wahl des Vertragstyps.840 Bezogen auf ein Vertragsnetzwerk bedeutet dies, dass zunächst die (bzw. der Umfang der) vertragliche(n) Risikozuweisung zu ermitteln ist, die ebenfalls (nur) nach den (schützenswerten) Erwartungen der Parteien bestimmt werden kann. ff) Treu und Glauben, § 242 BGB Schließlich bildet auch der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB einen bereits gesetzlich verankerten Mechanismus, um die Rechtsbeziehungen innerhalb von Vertragsnetzwerken zu präzisieren und auszuformen. Insbeson834 Siehe Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (743) mit Verweis auf die vorbenannte Rechtsprechung. 835 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (742). 836 Siehe Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (742). 837 Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (742 f. mit Fn. 5 4). 838 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 C. sowie § 11 A. und B. 839 Zusammenfassend Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (744 f.) m. w. N. 840 Siehe Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (744) m. w. N.
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dere kann in diesem Rahmen der wirtschaftliche Gesamtzusammenhang der Rechtsverhältnisse, das Netzwerk, zur Entfaltung gebracht werden.841 Freilich werden die maßgeblichen Erwägungen oftmals bereits auch schon (und ausreichend) im Zuge der Bestimmung des Vertragstyps (bilateraler Vertrag, Vertrag zugunsten Dritter, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) sowie der Geschäftsgrundlage(n) miteinfließen. IV. Würdigung Die mannigfaltige Diskussion um Vertragsnetzwerke unterstreicht zunächst die rechtstatsächliche Bedeutung, die der zunächst faktischen Verknüpfung von Verträgen bzw. der Vertragsverflechtungen beigemessen wird. Die in dieser Untersuchung gewählten Referenzfelder bestätigen diesen Ansatzpunkt. Plattformen, smarte Anwendungen und Blockchain-basierte Anwendungen weisen per definitionem stets eine Mehrzahl von Verträgen auf, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang geschlossen werden. 1. Responsiver dogmatischer Zugriff Allein die (Rechts-)Tatsache eines wirtschaftlichen Zusammenhangs bei Vertragsnetzwerken rechtfertigt es allerdings (noch) nicht, entsprechende Verträge zwingend einem vollständig anderen bzw. neuen dogmatischen Regime zu unterwerfen. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Rechtsfortbildung ist bislang – auch und gerade in Ansehung der (dogmatisch geleiteten) Zugriffsansätze der herrschenden Meinung – nicht hinreichend belegt. 842 a) Dogmatische Fundierung Vertragsnetzwerke können im Ausgangspunkt mit dem geltenden dogmatischen Instrumentarium er- und gefasst werden. Für eine vollkommen selbstständige rechtliche Anknüpfung von Vertragsnetzwerken – für einen dritten Weg zwischen Vertrag und Gesellschaft – fehlen de lege lata die gesetzlichen Grundlagen. Ein Vertragsnetzwerk kann nicht – entgegen Möschel, Teubner und Weber – fern einer auch willensbasierten Rechtsgeschäftslehre begründet werden. Das Vertragsnetz ist mit K. Schmidt „eine rechtsdogmatisch faszinierende, mit dem konventionellen Vertragsrecht allerdings schwer in Einklang zu bringende Rechtsfigur“. 843 Dies bedeutet allerdings in keiner Weise, dass damit die Vorschläge – und Erkenntnisse – der „neuen Strömung“ in Bausch und Bogen verworfen werden 841
Siehe hierzu Grundmann, AcP 207 (2007), 718 (740 f., 763). hierzu etwa auch Staudinger/Martinek/Omlor (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 662 ff Rn. 82 ff. 843 K. Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 35 Rn. 42. 842 Siehe
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sollten. Vielmehr ist es vorzugswürdig, die dortigen Erwägungen – auf der Grundlage und in Fortführung der Grundmann’schen Dogmatik der Vertragsnetzwerke – dogmatisch zur Geltung zu bringen. Dieser Befund bedingt zunächst, dass jedwede Lösung sich auf die dogmatischen Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre rückzubesinnen hat. Die zu diesem Zwecke getroffenen Annahmen prägen – konsequenterweise – umfänglich auch und gerade die Einordnung von Vertragsnetzwerken. b) Responsiver Ansatz In diesem Sinne ist es Aufgabe einer responsiv verstandenen Rechtswissenschaft844, den rechtstatsächlichen Gegebenheiten adäquat Rechnung zu tragen. Hierfür ist die Funktion von Erwartungen im Vertragsrecht herauszustellen, sodass diesen Erwägungen de lege lata durch eine aktualisierte Normanwendungspraxis, sprich eine umweltsensible Auslegungspraxis, Rechnung getragen werden kann (und muss). Wellenhofer betont in diesem Sinne zutreffenderweise und stellvertretend für die (wohl) herrschende Lehre: „Die Aufgabe heißt (…), netzspezifische Besonderheiten zu erkennen, um sie bei der Vertragsauslegung, Pflichtenbestimmung und AGB-Kontrolle angemessen berücksichtigen zu können, soweit dies notwendig erscheint, um die gegebenen Interessenstrukturen hinreichend erfassen zu können.“845 Diese Befunde sollen nun näher ausgeführt werden. 2. Wille, Erwartung, Relativität und Vertrauen in Vertragsnetzwerken Vertragsnetzwerke bedingen ein komplexes Verhältnis von Wille, Erwartung, Relativität und Vertrauen. Es ist betont worden, „[d]as Netzwerkproblem [werde] zwischen den Polen „Willensfreiheit“ und „Erwartungsvertrauen“ entschieden.“846 Ferner fungierten Relativität und Vertrauen als Gegensätze für die vertragsrechtliche Behandlung von Vertragsnetzwerken. 847 Diesen Grundannahmen sollen einer Würdigung unterzogen werden. a) Willen und Erwartung Für Willenserklärungen (nicht nur in Vertragsnetzwerken) bilden Willen und Erwartung miteinander verwobene Elemente.848 Mag der (theoretische) Ausgangspunkt des Inhalts der Willenserklärung der Wille sein, so bestimmt sich 844
Siehe hierzu zuvor bereits oben sub Kapitel 3 § 7. Wellenhofer, KritV 2006, 187 (190); ebenso schon dies., Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, 1999, S. 176. 846 Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 216. 847 So Malzer, Vertragsverbünde und Vertragssysteme, 2013, S. 336. 848 Siehe nochmals und stellvertretend Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997, S. 374 f. 845
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gerade die Willenserklärung nach den oben skizzierten Grundsätzen nach der Kombination aus Wille und Vertrauen.849 Maßgeblich ist deswegen auch und gerade der objektive Empfängerhorizont bzw. – in Bezug auf ein zweiseitiges Rechtsgeschäft wie den Vertrag – die beiderseitigen Empfängerhorizonte. Mit dem Konzept des Empfängerhorizonts wird Bezug genommen auf die (jeweils wechselseitig) erzeugten Erwartungen. Das Konzept des Empfängerhorizonts sanktioniert die Maßgeblichkeit von Erwartungen, die in diesem Sinne als normative Erwartungen zu qualifizieren sind.850 Hierdurch ist auch der Weg eines (ersten) Zugriffs auf Vertragsnetzwerke gespurt. Die vertraglichen Beziehungen sind vor diesem Hintergrund mehrdimensional zu betrachten. Die Erwartungen determinieren die Einordnung, ob eine Willenserklärung abgegeben wurde, wem eine Willenserklärung gegenüber abgegeben wurde und mit welchem Inhalt die Willenserklärung abgegeben wurde. An die untersuchungsgegenständlichen Referenzfelder ist in diesem Sinne heranzutreten. Wie bereits zuvor dargelegt851 entfaltet etwa die Frage nach dem Ob einer Willenserklärung Relevanz für der Frage, ob und inwieweit etwa auf einer (Vermittlungs-)Plattform (auch) ein Vertrag zwischen dem Endkunden und dem Plattformbetreiber über das in Rede stehende Produkt oder die Dienstleistung abgeschlossen wurde. In gleicher Weise ist damit die für Blockchain-Anwendungen maßgebliche Frage nach der Basis der (mehrseitigen) Rechtbeziehungen angesprochen, also ob und inwieweit die Teilnehmer einer Blockchain einen mehrseitigen Vertrag bzw. einen Gesellschaftsvertrag abschließen. Mit der Frage nach einem Ob einer Willenserklärung ist unmittelbar auch die Frage nach dem Inhalt der Willenserklärung verknüpft – auch insofern sind die normativen Erwartungen der Parteien von entscheidender Bedeutung. So ist auf dieser Grundlage etwa bei Anwendungen des Internet der Dinge zu eruieren, in welchem Umfang die Vertragspartner mit dem Endkunden kontrahieren. Von besonderem Interesse ist damit die bereits diskutierte Frage, ob einer der Vertragspartner des Endkunden sich umfassend betreffend die smarte Anwendung vertraglich bindet (Einheitsmodell).852 Der letztbenannte Gedanke dürfte grundsätzlich für Vertragsnetzwerke verallgemeinerungsfähig sein. Stets ist zu beurteilen, ob nicht einer der Vertrags teilnehmer die Erwartung umfassender Bindung erzeugt hat. Ist dies der Fall, verlieren Fragen, die die Diskussion über Vertragsnetzwerke prägen, an Bedeutung. So stellt sich das Problem gespaltener Verantwortlichkeiten nicht mehr. Die Frage des Durchgriffs auf vertraglich nicht verbundene Netzwerkteilnehmer verliert zumindest etwas an Schärfe. Denn der Endkunde kann sich stets 849
Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 C. 851 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 C IV. 1. und 2. 852 Siehe oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 850
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zumindest an einen zentralen Verantwortlichen wenden. Hiermit angesprochen ist auch die Frage, wemgegenüber sich die Netzwerkteilnehmer vertraglich binden. Erwartungen können nicht nur gegenüber dem möglicherweise primär adressierten Vertragspartner erzeugt werden. Vielmehr besteht auch und gerade bei Vertragsnetzwerken die „Gefahr“, Erwartungen in Bezug auf weitere Teilnehmer hervorzurufen. Dabei kommen verschiedene Erwartungen in Betracht. So ist zu unterscheiden zwischen einem (potenziellen) Vertrag zugunsten Dritter, einem mehrseitigen Vertrag unter Einschluss des Dritten und einem (separaten, zweiten) Vertrag mit dem Dritten. Freilich bedingt nicht das Erzeugen jedweder (gegenseitiger) Erwartung eine rechtsgeschäftliche Bindung. Vielmehr ist für die Annahme einer Willenserklärung eine entsprechende (rechtsgeschäftliche) Wahrnehmung aus der Sicht des Empfängers erforderlich – diese Wahrnehmung ist die als eine rechtsgeschäftliche Handlung bewertete, normative Erwartung. Die konzeptionelle Grundlage einer rechtsgeschäftlichen Erklärung, der Wille, spiegelt sich in entsprechend erzeugten Erwartungen. Als praktisch relevanter Anknüpfungspunkt für eine Willenserklärung tritt der Wille allerdings weitgehend hinter die (objektiviert) erzeugten Erwartungen zurück – und verliert damit bereits bisher und in noch größerem Maße zukünftig seine faktische Relevanz. b) Relativität und Vertrauen Auf der Grundlage der vorgenannten Maßstäbe bilden auch der Grundsatz der Relativität und das Element des Vertrauens keine (nur) gegensätzlichen Parameter. Vielmehr realisiert sich das Vertrauen gerade auch in relativen Schuldverhältnissen. Denn Vertrauen bildet sich aus geronnenen Erwartungen – und gewollte rechtlich erhebliche Erwartungen sind die Grundlage für rechtsgeschäftliche, relative Bindung(en). Es geht damit keine Ausdehnung des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse einher. Vielmehr wird demgegenüber ein tendenziell erweitertes Verständnis der Vertrauenserzeugung als Grundlage rechtsgeschäftlicher Bindung zugrunde gelegt. Dies bedingt auch und gerade für Vertragsnetzwerke eine aktualisierte Betrachtung. Es ist in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, welche Art von Erwartungen die Beteiligten eines Vertragsnetzwerkes erzeugen. Teilaspekte verschiedener Erwartungen sind bereits im Zuge der Diskussion um Plattformen, das Internet der Dinge und Blockchain-Anwendungen deutlich geworden.853 Als Anknüpfungspunkte für Erwartungen kommen in Betracht: Erwartungen an einzelne Netzwerkteilnehmer, Erwartungen in das Netzwerk-spezifische Zusammenwirken aller Teilnehmer und Erwartungen in das Netzwerk als solches. Diese unterschiedlichen, unter Umständen auch kumulativ vorliegenden Arten von Erwartungen gilt es in der rechtlichen Analyse von 853
Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 C. IV. § 11 A. II. und B. I. 5.
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
Vertragsbeziehungen innerhalb des Netzwerks adäquat abzubilden. Die Spiegelung von Erwartungen beeinflusst – im Lichte des zuvor Ausgeführten – damit umfassend die Begründung und Ausformung von (weiteren) Kettengliedern innerhalb des Netzwerks – bis hin zur Annahme mehrseitiger Verträge zwischen mehreren bzw. allen Teilnehmern des Vertragsnetzwerks. 3. Stabilisierung von Erwartungen Von entscheidender Bedeutung ist nach alledem die Stabilisierung von Erwartungen innerhalb des Netzwerks. Dies erfolgt – insbesondere – durch den Schutz der als legitim eingestufter bzw. – rechtlich gesprochen – als normativ eingestufter Erwartungen.854 Umgesetzt werden kann ein solcher Schutz durch verschiedene Mechanismen. In Betracht kommen unterschiedliche rechtliche Instrumentarien. Die Anerkennung rechtsgeschäftlicher Bindung zwischen zwei (oder mehreren) Teilnehmern des Vertragsnetzwerks ist de lege lata die stärkste Form des Schutzes – gehen damit doch vertragliche und nicht nur quasi-vertragliche oder deliktsrechtliche Rechte und Pflichten einher. Ferner bilden etwa Verträge zugunsten Dritter oder mit Schutzwirkung zugunsten Dritter weitere Schutzoptionen. 4. Umweltsensible Auslegung Vor dem Hintergrund der vorherigen Ausführungen ist das Vertragsnetzwerk – und damit auch der wirtschaftliche Zusammenhang, der einem Vertragsnetzwerk zugrunde liegt – vor allem mittels der Auslegung fruchtbar zu machen. Die Auslegung von Willenserklärungen ist allgemein das „Schmiermittel“ der Rechtsgeschäftslehre. Dies gilt auch und gerade für Vertragsnetzwerke. So ist durch Auslegung zu ermitteln, ob und in welcher Weise sich ein objektiver bzw. objektivierter Empfängerhorizont gebildet hat. Dies umfasst notwendigerweise auch die Auseinandersetzung mit dem Zweck des Vertragsnetzwerks – auch und gerade bei der AGB-Kontrolle.855 Besteht ein solcher Zweck, muss eine netzwerkspezifische Auslegung erfolgen. Eine solche Auslegung ist umwelt sensibel.856 Eine solchermaßen verstandene Auslegung dient der Stabilisierung von Erwartungen der Netzwerkteilnehmer in das Vertragsnetzwerk – und damit (zumindest mittelbar) dem Vertragsnetzwerk als solchem. Eine solche netzwerkspezifische Auslegung muss freilich nicht nur hinsichtlich der konkrekten Rechte und Pflichten erfolgen, sondern insbesondere auch in Bezug auf die Frage, ob ein Vertrag, welche Art von Vertrag und mit wem ein Vertrag geschlossen wurde. 854
Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 3 § 7 C. Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (291). 856 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 A. 855
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§ 12 Von elektronischen zu autonomen Agenten Die erste und zweite Dimension systemischer Bindung werden zunehmend mit einer weiteren Dimension kombiniert: dem Einsatz elektronischer und autonomer Agenten. Der Einsatz solcher Agenten prägt eine Vielzahl von Vertragsschlüssen im digitalen Zeitalter. In mannigfaltiger Weise werden Vertragsschlüsse auf diese Weise „durch“ technische Anwendungen operationalisiert. Eine solche Operationalisierung kann zunächst bedeuten, dass der Prozess des Vertragsschlusses (vollkommen) automatisiert wird. Beispielhaft kann verwiesen werden auf den Einsatz von Agenten in Online-Shops (insbesondere zur Ausnutzung von Geschwindigkeitsvorteilen bei einem begrenzten Kontingent oder einer begrenzten Auflage eines Produkts). 857 In den Fokus rückt allerdings inzwischen immer mehr (insbesondere soweit autonome Agenten in Rede stehen), dass Vertragsschlüsse der unmittelbaren menschlichen Steuerung – im Ursprung bewusst – entzogen werden. Es drängt sich (auch hier) der Eindruck auf, dass der menschliche Wille sich langsam (aber stetig) als das vertragliche Bindung begründendes Element schrittweise verabschiedet – und deswegen die dogmatischen Friktionen zunehmen.858
A. Vertragsschluss mit elektronischen Agenten In diesem Zusammenhang ist zunächst die Unterscheidung zwischen elektronischen und autonomen Agenten in Erinnerung zu rufen.859 Elektronische Agenten basieren auf und operieren (allein) auf der Grundlage von (vor-)definierten, wenn auch unter Umständen äußerst komplexen Anweisungen. Die Operationen solcher Agenten bleiben allerdings theoretisch bestimmbar und nachvollziehbar – und handeln nicht autonom. Autonome Agenten basieren demgegenüber auf Künstlicher Intelligenz im hier verstandenen Sinne (machine learning und deep learning). Solche Agenten weisen eine Form von „Selbstständigkeit“ auf, indem sie pro- und reaktiv, interaktionsfähig und lernfähig operieren. 857
Siehe hierzu Ernst, Mensch gegen Maschine, FAZ v. 22. Januar 2019, S. T4. Hierzu umfassend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (ebd. 159: „Die Verantwortungsdefizite entstehen, solange die Dogmatik darauf besteht, auf die neuen digitalen Realitäten nur mit dem hergebrachten begrifflichen Instrumentarium zu reagieren. Um dann aber dennoch mit den digitalen Entwicklungen einigermaßen Schritt zu halten, sieht sie sich gezwungen, mit fragwürdigen dogmatischen Hilfskonstruktionen wenigstens manchen der bisher unbekannten Risiken der Softwareagenten zu begegnen.“). Gegenläufig die Tauglichkeit der aktuellen Instrumente betonend und insofern stellvertretend für die (wohl) herrschende Meinung in der Literatur etwa Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 145 Rn. 38. Siehe zudem aus unionsrechtlicher Perspektive, insbesondere betreffend die Verbraucherrechte-Richtlinie, Sein, EuCML 2018, 179. 859 Siehe hierzu und zum Nachfolgenden – auch zu den damit verbundenen Nachweisen – oben sub Kapitel 2 § 4 C. Im Übrigen zu Recht die Relevanz dieser Unterscheidung betonend etwa Specht/Herold, MMR 2018, 40 (44). 858
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
Autonome Agenten sind in der Lage ihr „Verhalten“ entsprechend „selbstständig“ anzupassen.860 Die „Entscheidungen“ des Agenten sind nicht mehr (eindeutig) vorhersehbar und – unter Umständen – auch nicht mehr nachvollziehbar. Eine Auseinandersetzung mit Vertragsschlüssen mit Hilfe elektronischer Agenten fand bereits im Zusammenhang mit den Grundsätzen der Computererklärung statt. 861 Insofern sei nur in gebotener Kürze daran erinnert, dass von der ganz überwiegenden – und auch hier vertretenen – Ansicht elektronische Agenten von den Grundsätzen der Computererklärung adäquat erfasst werden. Elektronische Agenten stellen (lediglich) die technische Übermittlung einer Willenserklärung sicher. Das „Verhalten“ des elektronischen Agenten stellt kein eigenes rechtliches Verhalten dar, sondern es handelt diejenige natürliche oder juristische Person, die den elektronischen Agenten zum Zwecke von Vertragsschlüssen auf der Grundlage einer (Vor-)Programmierung ein- bzw. in Gang gesetzt hat. Nur in diesem Sinne kann davon die Rede sein, dass der elektronische Agent der natürlichen oder juristischen Person „zugerechnet“ wird. Dies rechtfertigt es (noch), einen entsprechenden allgemeinen Kommunikationswillen des Betreibers in Bezug auf die Ergebnisse der Programmierung anzunehmen. Es besteht somit eine Rückbindung an den Willen einer natürlichen Person. 862 Dies bedeutet allerdings nicht, dass jedes Ergebnis der Programmierung zuvor benannt werden können muss. Es können vielmehr auch unbekannte Variablen genutzt werden (wie etwa der Marktpreis eines Rohstoffes zu einem konkreten Zeitpunkt). Ausreichend ist neben der Initiierung (nur), dass das Ergebnis der Programmierung bestimmbar ist. Beispiele für den Einsatz entsprechender elektronischer Agenten sind etwa Bietagenten bei Internetauktionen oder Bestellprogramme „smarter Haushaltsgeräte“ (soweit diese nicht mithilfe Künstlicher Intelligenz operieren). 863
B. Vertragsschluss mit autonomen Agenten In Bezug auf autonome Agenten stellt sich ebenso die Frage, in welcher Form ein entsprechender Einsatz solcher Agenten beim Vertragsschluss im Lichte der Rechtsgeschäftslehre zu bewerten ist.864 Von zentraler Bedeutung ist, ob und 860 Siehe nur Grapentin, NJW 2019, 181 (183 f.); Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9 sowie bereits Cornelius, MMR 2002, 353. 861 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 B. 862 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 8 B. 863 Nicht näher eingegangen werden soll auf die verbraucherschutzrechtlichen Schranken (insbesondere nach § 312j BGB), denn insoweit steht nicht eine Problemstellung systemischer Bindung bzw. eines Dritteinflusses in Rede. Zu den damit verbundenen Fragen siehe jüngst OLG München, MMR 2019, 532 sowie zuvor LG München I, MMR 2019, 125. 864 Siehe grundlegend Teubner, AcP 218 (2018), 155. Ferner jüngst etwa Grapentin, NJW
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inwieweit die vorgenannten Grundsätze für elektronische Agenten auch auf autonome Agenten übertragen werden können, sprich elektronische und autonome Agenten vertragsrechtlich gleichzusetzen sind. 865 I. (Teil-)Rechtsfähigkeit und eigene „Willenserklärung“ des autonomen Agenten Vor diesem Hintergrund stellt sich zunächst die Frage, ob autonome Agenten eine eigene Willenserklärung abgeben können. Hierfür vorgreiflich ist die Frage danach, ob autonome Anwendungen (teil-)rechtsfähig sind. 1. Meinungsstand Autonome Agenten weisen nach der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur de lege lata keine eigene Rechtspersönlichkeit bzw. Rechtsfähigkeit auf.866 Entsprechende Agenten sind keine natürlichen oder juristischen Personen (wobei für letztere auch wiederum nur – auf letzter Stufe – natürliche Personen eine Erklärung abgeben können). Auf dieser Grundlage ist konsequenter Weise anzunehmen, dass autonome Agenten auch keine eigenen Willenserklärungen abgeben (können). Denn Willenserklärungen können nur durch Rechtssubjekte erfolgen. Die Gegenansicht nimmt dagegen an, dass autonomen Agenten – unter näheren Voraussetzungen – eine eigene Rechtspersönlichkeit bzw. eine Teilrechtsfähigkeit zugeschrieben werden kann.867 Auf dieser Grundlage könnten autonome Agenten dann auch grundsätzlich eigene Willenserklärungen (als Stellvertreter) abgeben. Teubner begründet eine Teilrechtsfähigkeit für autonome Agenten mit rechtssoziologischen und rechtsdogmatischen Erwägungen. 868 Befürwortet wird ein „Status [von Softwareagenten] als Aktanten, als teilrechtsfähige Akteure, deren autonome Entscheidungen mit Rechtsverbindlichkeit ausgestattet werden und Haftungsfolgen auslösen können“ 869, sprich „Algorithmen als handlungsfähige Akteure mit beschränkter Rechtsfähigkeit an2019, 181 (184 f.); Specht/Herold, MMR 2018, 40. Monographisch Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 86 ff.; Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 237 ff.; Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 98 ff. 865 Siehe zum Einsatz elektronischer Agenten beim Vertragsschluss im Übrigen die Ausführungen sub Kapitel 4 § 10 B. II. 3. und Kapitel 4 § 12 A. 866 Statt vieler Müller-Hengstenberg, MMR 2014, 307 (307 f.); Paal, ZGR 2017, 590 (612); Riehm, ITRB 2014, 113 (113); Sosnitza, CR 2016, 764 (766); Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9. 867 Vor allem Teubner, AcP 218 (2018), 155; zuvor ders., ZfRsoz 27 (2006), 5; siehe auch etwa Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). Siehe ferner die Diskussion um eine Rechtspersönlichkeit für autonome Anwendungen de lege ferenda nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. 868 Siehe hierzu Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5 (14 ff.); ders., AcP 218 (2018), 155 (177 ff.). 869 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (177).
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zuerkennen“870 . Teubner verweist hierzu auch auf das Autonomierisiko von Agenten.871 Insbesondere hebt er die bestehenden zivilrechtlichen Haftungslücken, also die erheblichen rechtlichen Zuordnungs- und (Nicht-)Verantwortungsrisiken bei einem Einsatz autonomer Agenten, hervor.872 Rechtsdogmatisch verweist Teubner zudem auf die judikative, rechtsfortbildende Anerkennung von (Teil-)Rechtsfähigkeiten: „Dass die Verleihung der Rechtsfähigkeit schon de lege lata möglich ist, zeigt die Geschichte des nicht-rechtsfähigen Vereins, besonders der Gewerkschaften, der Vorgesellschaft, der Wohnungseigentümergemeinschaft und jüngst die Entscheidungen zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft. Dies sind Präjudizien, in denen die Gerichte praeter legem, wenn nicht extra legem, (beschränkte) Rechtsfähigkeit an zuvor nichtrechtsfähige Entitäten verliehen haben.“873
Ausgangspunkt der rechtsdogmatischen Folgerungen Teubners ist eine rechtssoziologische Betrachtung der beteiligten Akteure. In Fortschreitung der Luhmann’schen Konzeption betont Teubner zunächst: „Akteure existieren nicht per se, sondern Sozialsysteme konstruieren ihre Akteure, indem sie semantischen Artefakten – den Personen – Subjektivität zuschreiben. Individuelle wie auch kollektive Akteure werden überhaupt erst im Wege sozialer Zuschreibung produziert. Aber so paradox es klingt: mit solche[n] Fiktionen werden harte soziale Realitäten geschaffen.“874 Unter Bezugnahme auf Latours Aktor-Netzwerk-Theorie875 hebt sodann Teubner die Kommunikation mit Aktanten hervor.876 In Rede steht die Herausbildung eines „genuine[n] Sozialsystem[s]“.877 Von zentraler Bedeutung ist, ob nur technische Prozesse wahrgenommen werden oder tatsächlich kommunikative Ereignisse, sprich eine „autonome Einheit von Information, Mitteilung und Verstehen“, stattfinden878: „Softwareagenten sind – ebenso wie Unternehmen und andere formale Organisationen – nichts anderes als bloße Informationsströme, die dann zu ‚Personen‘ (oder Teilpersonen) werden, wenn sie im Kommunikationsprozess eine soziale Identität aufbauen und wenn ihnen zusammen mit den notwendigen organisatorischen Vorkehrungen, z. B. Vertretungsregeln, eigene Handlungsfähigkeit effektiv zugerechnet wird.“879
Teubner nimmt auf dieser Grundlage eine Teilrechtsfähigkeit und keine allgemeine Rechtsfähigkeit autonomer Agenten an, „in funktionaler Sicht genügt die 870
Teubner, AcP 218 (2018), 155 (204 f.). Teubner, AcP 218 (2018), 155 (163 ff.). 872 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (157 ff. und 177 ff.). 873 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (182). 874 Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5 (9). 875 Latour, Das Parlament der Dinge, 2001, S. 93 ff. 876 Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5 (10 ff.); ders., AcP 218 (2018), 155 (163 ff.). 877 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (166). 878 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (166 f.). 879 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (168). 871
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bloße Teilrechtsfähigkeit, die Stellvertretungsfähigkeit“.880 Hiernach können autonome Agenten eigene Willenserklärungen abgeben. Eine Zurechnung zur durch den Agenten repräsentierten Person soll dann analog zu den Stellvertreterregelungen erfolgen.881 In ähnlicher Weise betonen zudem etwa Specht und Herold, dass autonome Agenten als „juristische Verantwortungsträger“ eingestuft werden könnten. 882 Voraussetzung sei, dass für die Zuerkennung von Rechtssubjektsqualität an die Kontrolle und Beherrschung des Verhaltens angeknüpft werde – und nicht an die Fähigkeit eines Menschen zur Willensbildung.883 Autonome Agenten könnten ihr „Verhalten“ kontrollieren und beherrschen – und insofern „intentional“ agieren.884 Specht und Herold beziehen im Ergebnis ihre Ausführungen allerdings nur auf § 179 Abs. 3 (Satz 2) BGB und möchten keine allgemeine Rechtssubjektsqualität de lege lata begründen. 885 2. Würdigung Teubners Behandlung von autonomen Agenten überzeugt in seiner Würdigung der Rolle und der Wahrnehmung von autonomen Agenten – auch und gerade in Bezug auf die Notwendigkeit eines responsiven Rechts.886 Seine grundlegenden Ausführungen werden die Betrachtungen de lege ferenda prägen.887 Gleichwohl sollte aus Teubners zutreffenden Analyse von autonomen Agenten keine Anerkennung von autonomen Agenten als Rechtssubjekte bzw. als teilrechtsfähiges Subjekt de lege lata folgen. Den Ausführungen Teubners – wie auch schon in Bezug auf Vertragsnetzwerke888 – fehlt es (bewusst) an jeder gesetzlichen Verankerung. Anders als etwa bei der in Bezug genommenen Außen-GbR889 fehlen bislang allgemein rechtliche Maßstäbe, aus denen eine (Teil-)Rechtsfähigkeit präpariert werden kann. Stand bei der Außen-GbR die Anerkennung einer Rechtsfähigkeit für einen weiteren Gesellschaftstyp in Frage, steht bei autonomen Anwendungen die Anerkennung einer Rechtsfähigkeit für einen neu(artig)en Typs von Rechtspersonen in Rede. Es ist deswegen eine rechtspolitische Entscheidung erforderlich. Dieser Befund gilt gerade auch in Ansehung der Vielfalt autonomer Anwendungen.890 Es ist zu entscheiden, welche Formen autonomer Anwendungen als (teil-)rechtsfähig einzustufen sind, sprich, wo die 880
Teubner, AcP 218 (2018), 155 (182). Teubner, AcP 218 (2018), 155 (182). 882 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 883 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 884 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 885 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43 f.). 886 Siehe zu diesem Ansatz bereits oben sub Kapitel 3 § 7 A. 887 Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. 888 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 C. III. 3. a) cc). 889 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (182). 890 Vgl. auch Spindler, CR 2015, 766 (774 f.). 881
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Grenze für die Anerkennung liegt bzw. liegen soll. Gerade diese Grenze war etwa bei der Außer-GbR durch die §§ 705 ff. BGB bereits gezogen. (Nur) aus dogmatischer Perspektive ist deswegen Teubners Ansicht de lege lata abzu lehnen. Autonome Agenten sind somit nicht de lege lata als Rechtssubjekte bzw. als (teil-)rechtsfähig einzustufen. Autonome Agenten sind weder natürliche noch juristische Personen und auch keine sonstigen „juristischen Verantwortungsträger“.891 Folgerichtig geben autonome Agenten deswegen auch keine eigenen Willenserklärungen ab. Unabhängig davon ist allerdings die Frage aufgeworfen, ob die Stellvertretungsregelungen analog auf autonome Agenten anzuwenden sind und damit eine vertragliche Bindung der „repräsentierten“ Person konstruiert wird. Wenngleich Teubner zuzugestehen ist, dass die analoge Anwendung einer Anerkennung einer Teilrechtsfähigkeit zumindest sehr nahe kommt. 892 II. Willenserklärung der hinter dem autonomen Agenten stehenden Person Der herrschenden Meinung zufolge ist beim Einsatz autonomer Agenten zu Vertragsschlüssen vielmehr eine Willenserklärung der hinter dem autonomen Agenten stehenden Person anzunehmen.893 1. Grundsätze der Computererklärung Der herrschenden Meinung zufolge erfolgt eine Zurechnung der eingesetzten autonomen Anwendung auf der Grundlage der Grundsätze der Computererklärung.894 Da Anwendungen Künstlicher Intelligenz keinen eigenen Willen formen können, sei an den bewährten Kategorien der Zurechnung festzuhalten.895 Den Grundsätzen der Computererklärung liegt freilich die Annahme zugrunde, dass die hinter dem Agenten stehende Person einen generalisierenden 891
Hierzu noch näher betreffend § 179 Abs. 3 BGB (analog) sub Kapitel 4 § 12 B. IV. 2. Teubner, AcP 218 (2018), 155 (181 Fn. 110). 893 Siehe die nachfolgenden Nachweise sowie für die Rechtsprechung BGH, NJW 2013, 598. 894 Siehe Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 145 Rn. 38; Cornelius, MMR 2002, 353 (355); Horner/Kaulartz, InTeR 2016, 22 (22); Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 667 (der sich auf „sog. kreative Programme“ bezieht); Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 255 ff.; Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. 2016, Rn. 256; Paulus/ Matzke, ZfPW 2018, 431 (443 f.); Säcker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 188 ff.; Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 164 Rn. 109; Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9; ders., in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontext von Recht und Moral, 2014, S. 63 (64 f.); ders., in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/ Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (713); Sorge, Softwareagenten, 2006, S. 36; Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 57. Siehe hierzu auch Schirmer, JZ 2016, 660 (663 f.). 895 Siehe stellvertretend Spindler, in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontext von Recht 892 Vgl.
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Handlungswillen (und ein Erklärungsbewusstsein) aufweist. 896 Eine Zurechnung setzt voraus, dass die Erklärung von dem (Initial-)Willen der Person gedeckt ist. Von der herrschenden Meinung wird eine solche Zurechnung – mit unterschiedlichen Begründungen im Detail897 – bejaht.898 Stellvertretend kann insofern auf die Ausführungen von Spindler verwiesen werden: „Der Handlungswille kommt im willentlichen Aktivieren des elektronischen Agenten zum Ausdruck. Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille liegen wie bei der Computererklärung im Zeitpunkt der Erzeugung des objektiven Tatbestands der Willenserklärung durch den Agenten nicht vor. Da aber Softwareagenten nur die vom Menschen bestimmten Vorgaben ausführen und vom Anwender willentlich aktiviert werden müssen, muss auch hier eine Zurechnung der Willenserklärung erfolgen.“899
Es wird etwa angenommen, dass das jeweilige Programm unterschiedliche Erklärungen „auf Vorrat“ vorhalte und auch selbstlernende Algorithmen diese Erklärungen nur „abrufen“.900 Der adaptive Algorithmus könne die „Grenzen“ des Programms und dessen Funktionalitäten nicht überschreiten.901 Der Sache nach vollzieht die herrschende Meinung eine gelockerte Anknüpfung an den Willen einer natürlichen Person.902 Genau aus diesem Grund überzeugt der vorbenannte Zugriff der herrschenden Meinung beim Einsatz autonomer Agenten allerdings nicht.903 Denn nach und Moral, 2014, S. 80; ders., in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (713). 896 Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 4 § 10 B. 897 Siehe hierzu die Darstellung des Meinungsstands bei Teubner, AcP 218 (2018), 155 (179 f.). 898 Siehe Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, 1988, S. 58 f.; Busche, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 145 Rn. 38; Grapentin, NJW 2019, 181 (184); Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 164 Rn. 109; Spindler, in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontext von Recht und Moral, 2014, S. 63 (64 f.); ders., in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9; Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, 2002, S. 204 ff. 899 Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, Vorbemerkung zu §§ 116 ff. Rn. 9. Zustimmend etwa Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (443 f.). 900 Spindler, in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontext von Recht und Moral, 2014, S. 63 (64 f.). 901 Spindler, in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontext von Recht und Moral, 2014, S. 63 (65). Vereinzelt wird auch der Grundsatz von Treu und Glauben betont, der die Annahme einer Willenserklärung stütze, vgl. in diesem Zusammenhang etwa Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5 (15) unter Verweis auf die im Zuge der Inanspruchnahme von Leistungen im Massenverkehr diskutierte protestatio factum contrarium. 902 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 8 B. 903 Ausführlich und überzeugend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (177 ff.) mit umfangreichen Nachweisen zum Streitstand. Eine Einordnung als Computererklärung ebenso ablehnend etwa Beck, AJP 2017, 183 (186); Groß/Gressel, NZA 2016, 990 (991 f.); Schirmer, JZ 2016, 660 (663 f.); Specht/Herold, MMR 2018, 40 (42 f.). Eine Unwirksamkeit ebenso befürwortend Clemens, NJW 1985, 1998 (2000 ff.). Vgl. auch Gitter, Softwareagenten im elektronischen Geschäftsverkehr, 2007, S. 171 ff.; John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007, S. 96 f.
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
Sinn und Zweck – und Funktionalität – des autonomen Agenten operieren diese gerade ohne einen umfassenden menschlichen Einfluss in Bezug auf den erklärten „Willen“.904 Zutreffend gilt insofern mit Grapentin: „Weil sich der Mensch somit jegliche Erklärungshandlung der Software zurechnen lassen muss und im Vorwege nicht mehr genau vorhergesagt werden kann, wie das von der Software hervorgebrachte Ergebnis konkret aussehen wird und ob es noch dem Willen des Anwenders entspricht, übergibt er sein Erklärungsschicksal vollends in die Hände der eingesetzten Software.“905
Im Lichte der Bestimmbarkeit der Willenserklärung ist entscheidend, dass sich die „Erklärung“ des autonomen Agenten gerade durch die Nicht-Vorsehbarkeit des Erklärungsinhalts auszeichnet. Ein Lernen des Agenten – und damit Abweichungen von der ursprünglichen Konfiguration – sind intendiert. Die Annahme eines konkreten Geschäftswillens stößt hier unmittelbar an faktische Grenzen (wenngleich dies die Annahme einer Willenserklärung nicht behindert906).907 Allerdings ist auch darüber hinaus, das Vorliegen eines Erklärungsbewusstseins mit einem Fragezeichen zu versehen. Denn unter Wertungsgesichtspunkten wird sich des autonomen Agenten zur Abgabe von Erklärungen bedient. Funktional entspricht der autonome Agent somit einem Stellvertreter.908 Zutreffend führen Specht und Herold aus: „Anders als bei teilautomatisierten Systemen oder automatisiert agierenden Agenten trifft der Inhaber eines autonom agierenden Systems weder konkrete Voreinstellungen noch Anweisungen, die die Behandlung der Willenserklärung als eigene begründen könnten, sondern kontrolliert lediglich die technischen Rahmenbedingungen, die der Entscheidung des autonom agierenden Systems zu Grunde liegen. [Der Inhaber] hat im Falle einer durch ein autonom agierendes System abgegebenen Erklärung nicht einmal abstrakt Kenntnis davon, wann diese abgegeben wird, mit welchem Inhalt oder aus welchem Grund (keine konkrete Nachvollziehbarkeit des Entscheidungsalgorithmus).“909
Die „Erklärung“ kann (und soll) überhaupt nicht mehr von dem ursprünglichen Willen bei Ingangsetzen des autonomen Agenten gedeckt sein, sondern es wird (nur) allgemein eine Anwendung „in Bewegung gesetzt“. Hierdurch läuft der Einsatz entsprechender Agenten der Grundannahme der Grundsätze der Com904 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). Dies auch andeutend Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 164 Rn. 12: „Dagegen sind intelligente Agenten lernfähig und handeln durch und aufgrund der Lernfähigkeit, so dass eine solche Handlung nicht direkt auf die Programmierung des Nutzers zurückzuführen ist.“ 905 Grapentin, NJW 2019, 181 (184), der allerdings zuvor betont: „(…) [D]er Mensch [bleibt] ausschließliches Zurechnungsobjekt für Handlungen der Software; jede von ihr getroffene Entscheidung ist auf seinen Willen rückführbar und von diesem gedeckt.“ 906 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. 907 Siehe Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (139); Pieper, InTeR 2016, 188 (192); Sosnitza, CR 2016, 764 (767). 908 Siehe hierzu auch sogleich sub Kapitel 4 § 12 B. IV. 909 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (42 f.). Siehe auch Pieper, InTeR 2016, 188 (192).
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putererklärung – im Sinne eines bestimmbaren Prozesses – zuwider.910 Die Einschaltung eines autonomen Agenten unterbricht somit prima facie die Zurechnung des „Erklärten“ zu der dahinterstehenden Person. Die Annahme einer Willenserklärung ist – ein wenig überspitzt formuliert – „eine unhaltbare Fik tion“911. 2. Grundsätze der Blanketterklärung Eine Ansicht schlägt (deswegen) vor, die Grundsätze der Blanketterklärung (bzw. Blanketturkunde oder Blankettunterschrift) auf den Einsatz autonomer Agenten anzuwenden.912 Eine Blanketterklärung ist eine Urkunde im Sinne des § 172 BGB, bei der jemand „eine bewusst unvollständige oder gänzlich fehlende Erklärung unterschreibt (…), damit er als Aussteller der Urkunde in Erscheinung tritt“, wobei er „das Ausfüllen oder Ergänzen der Erklärung einem anderen überlässt“.913 Wird die Erklärung von einem anderen vervollständigt und im Rechtsverkehr eingesetzt, liegt mangels Handeln in fremdem Namen eine Stellvertretung im Sinne der §§ 164 ff. BGB nicht vor.914 Vielmehr wird dem Aussteller die Erklärung als eigene zugerechnet.915 Grundlage der Zurechnung ist ein Vertrauenstatbestand.916 Derjenige, der einen autonomen Agenten einsetze, sei sich in vergleichbarer Weise über die Möglichkeit zur Erklärungsabgabe in seinem Namen im Klaren.917 Er wisse, dass er die konkrete Ausgestaltung der Erklärung nicht beeinflusst.918 Maßgeblich sei (nur) deswegen das Verwenden des autonomen Agen910
Specht/Herold, MMR 2018, 40 (42 f.). Teubner, AcP 218 (2018), 155 (179). 912 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 33 ff.; Gitter/Roßnagel, K&R 2003, 64 (66); Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 91 ff., 100; Groß/ Gressel, NZA 2016, 990 (992); Möslein, ZHR 183 (2019), 254 (273 f.); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (444 f.); Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 109 ff.; Sester/Nitschke, CR 2004, 548 (550). Vgl. auch Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (139); Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). Zur Diskussion im Übrigen etwa Gitter, Softwareagenten im elektronischen Rechtsverkehr, 2007, S. 180; John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007, S. 102 ff. 913 Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 172 Rn. 2. 914 Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 172 Rn. 2. 915 Statt vieler BGH, NJW 1996, 1467 (1469): „Nach der Rechtsprechung des BGH muß in entsprechender Anwendung des § 172 II BGB derjenige, der ein Blankett mit seiner Unterschrift aus der Hand gibt, den durch dessen Ausfüllung geschaffenen Inhalt einem gutgläubigen Dritten gegenüber als seine Erklärung gegen sich gelten lassen, unabhängig davon, ob der vervollständigte Text seinem Willen entspricht oder nicht (…).“ Die dogmatische Begründung ist umstritten, siehe hierzu nur John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007, S. 103 f. 916 Statt vieler Schäfer, in: Beck’scher Online-Kommentar BGB, 49. Ed. (Stand: Februar 2019), § 172 Rn. 3; Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 172 Rn. 4. 917 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 34; Gitter/Roßnagel, K&R 2003, 64 (66);. 918 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 34. 911
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ten.919 Zwar bestehe – ebenso wie bei Blanketterklärungen allgemein – die Möglichkeit, dass ein autonomer Agent stets manipuliert oder missbräuchlich „handele“ (etwa durch Viren).920 Dieses Risiko sei aber ausschließlich von demjenigen zu tragen, der den autonomen Agent nutzt.921 Denn die den autonomen Agenten einsetzende Person habe einen umfassenden Vertrauenstatbestand geschaffen. Eine Zurechnung der „Erklärung“ des autonomen Agenten erfolge deswegen auf der Grundlage des § 172 BGB.922 Deswegen müsse mit Blick auf die andere Vertragspartei – ebenso wie bei Blanketterklärungen – im Übrigen etwa auch eine Anfechtung sowie ein Berufen auf (vorgelagerte) Irrtümer grundsätzlich ausscheiden.923 Im Ergebnis überzeugt die Anwendung der Grundsätze der Blanketterklärung allerdings genauso wenig wie die Anwendung der Grundsätze der Computererklärung – allerdings aus anderen Gründen. Denn die Grundsätze der Blanketterklärung fingieren zwar nicht unmittelbar einen Willen, betonen aber das durch die (ausgefüllte) Urkunde geschaffene Vertrauen – und nehmen auf dieser Grundlage eine Willenserklärung an. Diesem Zugriff ist – wie schon oben zur herrschenden Meinung betreffend den inneren Tatbestand einer Willenserklärung924 – vorzuhalten, dass die Annahme einer Willenserklärung von einem Willen der dahinter stehenden Person weitestgehend entkoppelt wird. In Rede steht vielmehr auf der Grundlage eines Rechtsscheintatbestands eine Rechtsscheinhaftung für das positive Vertrauen – was wirtschaftlich zur identischen Verpflichtung führt. Zusätzlich besteht allerdings beim Einsatz von autonomen Agenten wertungsmäßig keine „vergleichbare Interessenlage“ zu herkömmlichen Blanketterklärungen. Denn die den autonomen Agenten einsetzende Person erteilt – auch und gerade aus der Sicht aller Beteiligten – zumindest allgemeine Anweisungen zu den abzuschließenden Verträgen (objektive Funktion), die allerdings nach hier vertretener Auffassung gerade nicht die Schwelle einer (eigenen) Willenserklärung überschreiten. Trotz der Tatsache, dass entsprechende einschränkende Anweisungen auch auf einem Blankett möglich sind, wird der autonome Agent allerdings wie ein klassicher Stellvertreter eingesetzt.925 Durch die technischen Vorgaben soll das Risiko, dass das System die Erklärung „irgendwie“ ausfüllen kann, gerade begrenzt werden. Diese Vorgaben „im Innenverhältnis“ sollen deswegen auch gerade „im Außenverhältnis“ 919 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 34; Gitter/Roßnagel, K&R 2003, 64 (66). 920 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 35. 921 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 35. 922 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 34. 923 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 51 f. 924 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. a) bb). 925 Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 93. Siehe hierzu auch sogleich sub Kapitel 4 § 12 B. IV.
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Wirkung entfalten. Die den autonomen Agenten einsetzende Person möchte gerade nicht das einer Blanketterklärung innewohnende erhöhte abstrakte Risiko eingehen. In diesem Sinne erweist sich auch und gerade der mit der Annahme einer Blanketterklärung einhergehende Ausschluss des Anfechtungsrechts als nicht sachgerecht.926 3. Alternative Formen der Zurechnung Es stellt sich somit die Frage, ob eine Willenserklärung der hinter dem autonomen Agenten stehenden Person gleichwohl vorliegt (bzw. vorliegen kann). Ein denkbarer Ansatz wäre die vollständige Loslösung von einer willensbasierten Willenserklärung.927 Maßgeblich für eine Willenserklärung wäre allein die Übermittlung einer rechtsgeschäftlich erheblichen Erklärung durch den autonomen Agenten. Die Erklärung würde auch und gerade aus der Sicht des objektiven Empfängerhorizonts weder den Eindruck einer Willensentäußerung hervorrufen noch überhaupt auf einem Willen basieren. Lediglich der Einsatz des autonomen Agenten wäre initiiert durch ein Rechtssubjekt – und die Erklärung diesem Rechtssubjekt (pauschal) zuzurechnen. In diesem Sinne könnte etwa Hübner zu verstehen sein, wenn ausgeführt wird: „Entscheidend ist, daß Planung und Herkunft über die technischen Vorgänge beim Anlagenbetreiber verbleiben.“928 In Rede steht damit eine selbstständige Anknüpfung.929 Die Willenserklärung würde ihrem eigenen Wesenskern freilich nicht mehr gerecht. Vom Willen bliebe nichts mehr übrig. Der Grundansatz der (deutschen) Rechtsgeschäftslehre, für rechtsgeschäftliche Bindung den Willen als Ausgangspunkt zu nehmen, wäre ad absurdum geführt. Zumindest de lege lata ist auf diesem Wege somit eine rechtsgeschäftliche Bindung der hinter dem autonomen Agenten stehenden Person nicht zu konstruieren. Ob und inwieweit das rechtsgeschäftliche „Handeln“ autonomer Agenten somit den diese Anwendungen einsetzenden Rechtssubjekten zuzurechnen ist, muss (und kann somit nur) auf anderem Wege beantwortet werden. Die Beantwortung dieser Frage könnte davon abhängen, ob und inwieweit auf der Grundlage anderer Institute der Rechtsgeschäftslehre eine Zurechnung begründet werden kann (bzw. sollte). Hierzu sind nachfolgend die Institute der Botenschaft, der Stellvertretung und – modifiziert – des Erfüllungsgehilfen in den Blick zu nehmen.
926 Siehe auch Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 93, der alledings im Ergebnis dennoch eine Anwendung der Grundsätze der Blanketterklärung bejaht. 927 So im Ergebnis für autonome Agenten Sosnitza, CR 2016, 764 (767); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (444 f.); jeweils unter Verweis auf Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, 2002; siehe hierzu und im Übrigen oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. a) bb) (1). 928 Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 667. 929 Siehe oben sub Kapitel 3 § 8 B.
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
III. Botenschaft Die Einordnung eines autonomen Agenten als Boten ist allerdings unter zweierlei Gesichtspunkten nicht besonders fruchtbar. Denn zum einen setzt die Annahme einer Botenschaft wiederum voraus, dass zunächst einmal eine Willenserklärung durch die hinter dem autonomen Agenten stehende Person „auf den Weg“ gegeben wurde.930 Dies ist nach den vorherigen Ausführungen zu den Grundsätzen der Computererklärung gerade nicht der Fall beim Einsatz autonomer Agenten. Zum anderen – und grundsätzlicher – ist eine Einordnung eines autonomen Agenten auch wertungsmäßig nicht stimmig. Denn der Bote übermittelt (lediglich) eine (fremde) Willenserklärung. Eine solche zu übermittelnde Erklärung liegt allerdings in dieser Konstellation überhaupt nicht vor.931 Der Bote modifiziert die Erklärung nicht bzw. wirkt nicht gestaltend auf den Erklärungsinhalt ein. Der autonome Agent zeichnet sich demgegenüber gerade durch die Gestaltung des Erklärungsinhalts aus.932 IV. Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB Die Zurechnung einer Willenserklärung kann zudem und grundsätzlich nach den Regeln der Stellvertretung erfolgen. Es stellt sich die Frage, ob der Einsatz autonomer Agenten auf diesem Wege adäquat erfasst werden kann. 1. Allgemein Die (rechtsgeschäftliche) Stellvertretung setzt voraus, dass die Stellvertretung im konkreten Fall zulässig ist, dass der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgibt, dass die Abgabe der Willenserklärung im fremden Namen, sprich im Namen des Vertretenen, erfolgt sowie dass die Willenserklärung von der dem Vertreter von dem Vertretenen erteilten Vertretungsmacht gedeckt ist (§ 164 Abs. 1 BGB). Es fällt unmittelbar ins Auge, dass der Einsatz autonomer Agenten die vorgenannten Kriterien de lege lata nicht erfüllt bzw. erfüllen kann. Der autonome Agent ist kein Rechtssubjekt und kann deswegen keine eigene Willenserklärung abgeben.933 Eine unmittelbare Anwendung der Stellvertretungsregelungen muss somit ausscheiden.
930 Siehe allgemein zur Einschaltung von Boten nur Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 33 Rn. 42 ff. 931 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 932 Cornelius, MMR 2002, 353 (355); Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 30; Sosnitza, CR 2016, 764 (766); Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 933 Siehe nur Sosnitza, CR 2016, 764 (766); Spindler, JZ 2016, 805 (816) sowie bereits zuvor sub Kapitel 4 § 12 B. I.
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2. Analoge Anwendbarkeit der Stellvertretungsregelungen auf autonome Agenten Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht die Stellvertretungsregelungen der §§ 164 ff. BGB analog auf autonome Agenten anzuwenden sind.934 a) Meinungsstand Die (wohl) herrschende Ansicht in der Literatur verneint eine analoge Anwendbarkeit der Stellvertretungsregelungen auf autonome Agenten. Dieser Auffassung sind in jüngerer Zeit verschiedene Ansichten in unterschiedlicher Weise entgegengetreten. aa) Ablehnung einer Analogie Überwiegend wird eine Analogie der Stellvertretungsregelungen de lege lata abgelehnt.935 Eine Anwendbarkeit des Stellvertretungsrechts wird insbesondere in Bezug auf § 179 Abs. 1 BGB als nicht sachgerecht eingestuft.936 § 179 Abs. 1 BGB ordnet an, dass ein Vertreter ohne Vertretungsmacht nach Wahl der anderen Vertragspartei zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn und soweit der (vermeintlich) Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert. Soweit der autonome Agent seine Vertretungsmacht überschreiten würde, ginge der Anspruch des § 179 Abs. 1 BGB somit ins Leere.937 Der an deren Vertragspartei stünde mangels Rechtssubjektsqualität des autonomen Agenten kein Anspruchsgegner zur Verfügung.938
934 Siehe für einen entsprechenden Zugriff aus US-amerikanischer Perspektive Scholz, Stan. Tech. L. Rev. 20 (2017), 128. Ausführlich zur Diskussion im deutschen Recht etwa Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 94 ff. 935 Siehe etwa Grapentin, NJW 2019, 181 (184); Kluge/Müller, InTeR 2017, 24 (27); Sester/ Nitschke, CR 2004, 548 (550); Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 164 Rn. 109; Sosnitza, CR 2016, 764 (766); Spindler, in: ders./Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 164 Rn. 12; ders., JZ 2016, 805 (816); ders., in: Auer/ Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (713). 936 Stellvertretend etwa Bräutigam/Klindt, NJW 2015, 1137 (1138); Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 98; ders., NJW 2019, 181 (184); Horner/Kaulartz, InTeR 2016, 22 (22); Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 248 f.; Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 164 Rn. 109; Sosnitza, CR 2016, 764 (766). 937 Siehe nur Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 164 Rn. 109; Sosnitza, CR 2016, 764 (766). 938 Bräutigam/Klindt, NJW 2015, 1137 (1138); Cornelius, MMR 2002, 353 (355); Dienst/ Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 32; Grapentin, NJW 2019, 181 (184); Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 164 Rn. 109; Sester/Nitschke, CR 2004, 548 (550); Sosnitza, CR 2016, 764 (766).
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
bb) Befürwortung einer Analogie Die Gegenansicht in der Literatur bejaht demgegenüber – mit Unterschieden im Detail – eine (teilweise) analoge Anwendung der Stellvertretungsregelungen bzw. von Stellvertretungsgrundsätzen.939 (1) Umfassende Analogie Eine (Unter-)Ansicht nimmt an, dass die §§ 164 ff. BGB (insgesamt) auf autonomer Agenten analog anwendbar seien.940 Keßler geht davon aus, dass wertungsmäßig die Prozesse bzw. die Entscheidungsfindung innerhalb eines autonomen Agenten der Willensbildung eines (menschlichen) Vertreters gleichgestellt werden könnten.941 Erforderlich sei dafür, dass aufgrund der technischen Eigenarten eine wertungsmäßige Qualifikation des autonomen Agenten als Vertreter (im Unterschied zum Botenäquivalent) in Betracht komme. Diese Abgrenzung müsse nach Verkehrsschutzgesichtspunkten erfolgen.942 (2) Rekurs auf §§ 165, 179 Abs. 3 BGB analog Eine weitere (Unter-)Ansicht nimmt an, dass autonome Agenten nach § 179 Abs. 3 BGB analog zu behandeln seien.943 Nach § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB haftet ein Vertreter nicht, wenn der andere Teil, sprich der anvisierte Vertragspartner, den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste. Der Regelung liegt die Ratio zugrunde, dass der andere Teil in dieser Situation nicht schutzwürdig (und schutzbedürftig) ist.944 Nach § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB haftet ein beschränkt geschäftsfähiger Vertreter dem anderen Teil nicht beim Überschreiten der Vertretungsmacht, es sei denn, dass der beschränkt Geschäftsfähige mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters handelte. Sinn und Zweck der Norm ist der Minderjährigenschutz.945 An der beschränkten Geschäftsfähigkeit scheitert nämlich die Vertretung im Übrigen nicht. Denn nach § 165 BGB hindert die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Vertreters die Wirksamkeit einer abgegebenen Willenserklärung nicht. Es müsste der den autonomen Agenten einsetzenden Person insoweit freigestellt bleiben, den Vertrag nach § 177 Abs. 1 BGB (analog) zu genehmigen.
939 So Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 33 f.; Gitter/Roßnagel, K&R 2003, 64 (66); Keßler, MMR 2017, 589 (592); Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). Vgl. auch zur Diskussion Sorge, Softwareagenten, 2006, S. 118. 940 Keßler, MMR 2017, 589 (592); Teubner, AcP 218 (2018), 155 (181 ff.). 941 Keßler, MMR 2017, 589 (592). 942 Keßler, MMR 2017, 589 (592). 943 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 944 Siehe nur Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 56. 945 Siehe nur Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 61.
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Auf dieser Grundlage sind dieser Ansicht zufolge die zwei (unterschiedlichen) Wertungen des § 179 Abs. 3 BGB betreffend autonome Agenten in Betracht zu ziehen bzw. zu kombinieren. Auf der Grundlage der Konstellation des § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB wird der autonome Agent zunächst wie ein Vertreter ohne Vertretungsmacht behandelt. Es ist entscheidend, ob der andere Teil den Einsatz eines autonomen Agenten kannte oder kennen musste. Unbeschadet der Schwierigkeiten, den Einsatz eines autonomen Agenten zu erkennen: Geholfen ist dem anderen Teil selbst im Falle eines Nicht-Kennen oder Nicht-Kennen-müssen im Grundsatz nicht. Denn der autonome Agent ist kein Haftungssubjekt, das der andere Teil nach § 179 Abs. 1, 3 Satz 1 BGB in Anspruch nehmen könnte. Damit gleicht der autonome Agent – so diese Ansicht – einem beschränkt geschäftsfähigen Vertreter, insbesondere einem sieben Jahre oder älteren Minderjährigen.946 Ein solcher Minderjähriger soll nach der Grundwertung des § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB (ebenso) nicht selbst haften. § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB liegt allerdings die Annahme zugrunde, dass der andere Teil die Minderjährigkeit des Vertreters erkennen kann. Gerade für autonome Agenten greift diese Erwägung nicht im selben Maße. Denn der Einsatz eines autonomen Agenten kann im Gegensatz zu einem Minderjährigen als Vertreter nicht (vergleichsweise) leicht erkannt werden. Stufte man einen autonomen Agenten als (pauschal) vergleichbar zu einem minderjährigen Vertreter ein, so bedingt dies die folgende Risikoverteilung: Nach § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB würde der andere Teil immer dann das Risiko eines Überschreitens der Vertretungsmacht tragen, wenn und soweit ein Erkennen des Einsatzes autonomer Anwendungen nicht sichergestellt ist – das Erkennen ist und bleibt somit der Dreh- und Angelpunkt. Vor diesem Hintergrund – und der damit verbundenen Unwucht zugunsten des anderen Teils – erwägen Specht und Herold eine Verpflichtung zur Offenlegung des Einsatzes eines autonomen Agenten und zur Benennung der diesen Agenten einsetzenden Person.947 Hierdurch läge wertungsmäßig ein Fall der durch § 179 Abs. 3 BGB in verschiedener Weise sanktionierten Kenntnis vor. Der andere Teil kann auf dieser Grundlage beurteilen, ob er das Risiko eines Überschreitens der Vertretungsmacht und eines mangelnden Haftungsobjekts tragen möchte.948 b) Würdigung Erfolgt die maßgebliche „Willensbildung“ durch einen autonomen Agenten, ist es prima facie naheliegend, einen autonomen Agenten als Stellvertreteräquivalent einzuordnen – und die Stellvertretungsregelungen analog anzuwenden. 946
Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 948 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). 947
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Diesem Impuls sollte allerdings – zumindest de lege lata – nicht nachgegeben werden.949 Denn Voraussetzung einer Analogie ist eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage. Während eine planwidrige Regelungslücke angenommen werden kann, liegt eine vergleichbare Interessenlage nicht vor, wie nachfolgend aufgezeigt werden soll. aa) Planwidrige Regelungslücke In Anbetracht des Einsatzes von autonomen Agenten zum Abschluss von Verträgen besteht eine planwidrige Regelungslücke. (1) Regelungslücke Zunächst ist zu konzedieren, dass der Einsatz entsprechender autonomer Anwendungen bislang nicht geregelt ist. Es finden die allgemeinen Regelungen der Rechtsgeschäftslehre Anwendung auf den Vertragsschluss. Gesonderte Normen zum Einsatz technischer Anwendungen beim Zustandekommen für Verträge bestehen nicht. Es ergibt sich lediglich (mittelbar) aus § 120 BGB, dass technische Anwendungen zur Ermöglichung eines Vertragsschlusses eingesetzt werden können. Die Regelung bezieht sich allerdings nur auf die Übermittlung von entäußerten Willenserklärungen, nicht hingegen auf die Abgabe – oder in diesem Zusammenhang: die „Herstellung“ – von Willenserklärungen selbst. (2) Planwidrigkeit Der (deutsche) Gesetzgeber hat sich zudem bislang im Kontext des Vertragsrechts bzw. der Rechtsgeschäftslehre nicht mit dem Einsatz von autonomen Agenten zum Vertragsschluss auseinandergesetzt.950 Die Regelungslücke ist somit auch planwidrig. Dieser Befund wird auch und gerade dadurch unterstrichen, dass sich der Gesetzgeber aus der Perspektive anderer Rechtsgebiete – wenngleich nur in Ansätzen – vereinzelt zumindest mit dem Einsatz Algorithmus-gestützter Dienste befasst hat. So regelt etwa der unionale Gesetzgeber in Art. 22 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) 951 die grundsätzliche (Un-)Zulässigkeit einer automatisierten Entscheidung im Einzelfall.952 Nach Art. 22 Abs. 1 DS-GVO hat die betroffene Person das Recht, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten 949
Siehe zu Vorschlägen de lege ferenda nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. Siehe auch nachfolgend sub Kapitel 5 § 15 A. I. 951 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 (4. Mai 2016), S. 1 ff. 952 Ausführlich hierzu etwa Martini, in: Paal/Pauly (Hrsg.), Datenschutz-Grundverordnung – Bundesdatenschutzgesetz, 2. Aufl. 2018, Art. 22 DS-GVO Rn. 1 ff. 950
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Verarbeitung (einschließlich Profiling) beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, die ihr gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt. Dieses „Recht“ (besser: Verbot) besteht nach Art. 22 Abs. 2 lit. a und lit. c DS-GVO unter anderem dann nicht, wenn die Entscheidung für den Abschluss oder die Erfüllung eines Vertrags zwischen der betroffenen Person und dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen erforderlich ist oder die Entscheidung mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person erfolgt. Aus dieser datenschutzrechtlichen Regelung (zudem auf Unionsebene) lässt sich allerdings kein Befund für die (nationale) Rechtsgeschäftslehre ableiten. Dies gilt auch und gerade deswegen, weil sich Art. 22 DS-GVO expressis verbis nur auf die automatisierte Entscheidungsfindung bezieht. Wenngleich damit im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses auch eine autonome Entscheidungsfindung umfasst sein dürfte, ist die mangelnde Auseinandersetzung mit autonomen Anwendungen auch insofern greifbar. bb) Vergleichbare Interessenlage Die Interessenlage beim Einsatz von autonomen Agenten zum Abschluss von Verträgen ist – im Ergebnis – nicht mit der Interessenlage bei der Stellvertretung, insbesondere mit der rechtsgeschäftlichen (bzw. gewillkürten) Bevollmächtigung, vergleichbar.953 (1) Grundlinien der Stellvertretung Die Stellvertretung ermöglicht es grundsätzlich, eine andere Person vertraglich zu verpflichten. Eine Person wird in die Lage versetzt, Erklärungen mit Wirkung für und gegen eine andere Person abzugeben. Die Stellvertretung basiert somit auf der Zurechnung einer fremden Willenserklärung. Der Stellvertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab. Charakteristisch ist insoweit, dass der Stellvertreter einen eigenen Handlungsspielraum zugewiesen bekommt (andernfalls erklärt der – vermeintlich – Vertretende selbst seinen Willen und es handelt sich um eine schlichte Botenschaft).954 Ob der Stellvertreter durch die Ausübung seines Handlungsspielraums den Vertretenen sodann bindet bzw. wie weit die vorbenannte Zurechnung durch eine Stellvertretung reicht, ist eine Frage des Umfangs der Bevollmächtigung. (2) Bevollmächtigung Die Funktion einer Bevollmächtigung des Stellvertreters ist insbesondere die Definition des Rahmens, innerhalb dessen der Stellvertreter agieren kann. Der 953
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Formen der gesetzlichen Bevollmächtigung bleiben nachfolgend außer Betracht. Siehe nur Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 164 Rn. 71 f.
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Bevollmächtigung liegt damit (auch) der Gedanke der Risikobegrenzung zugrunde. Der Vertretene soll wissen, in welchem Umfang eine vertragliche Bindung (höchstens oder mindestens) in Betracht kommt. Der Einsatz von autonomen Anwendungen ist wertungsmäßig von einem vergleichbaren Impetus getrieben. Der autonome Agent wird eingesetzt, um eine bestimmte Art von Rechtsgeschäften „abzuschließen“. Um das Risiko zu begrenzen, werden dem autonomen Agenten dafür Vorgaben gemacht – in der Form von programmierten Anweisungen. Beispielhaft kann auf die Vorgabe, ein bestimmtes Produkt nur in einer bestimmten Menge zu erwerben, verwiesen werden. Ebenso wie bei einer Bevollmächtigung werden dem autonomen Agenten allerdings gerade nicht sämtliche Vertragsparameter einprogrammiert. Sinn und Zweck des Einsatzes eines autonomen Agenten – ebenso wie bei einem Stellvertreter – ist es ja gerade, dass das eingesetzte Instrument einen Handlungsspielraum erhält, um aufgrund eigenen „Könnens“ bzw. „Wissens“ für den Vertretenen zu operieren. Der Einsatz autonomer Anwendungen basiert zumeist sogar darauf, dass der Vertretene von einem überlegenden „Können“ bzw. „Wissen“ ausgeht – sei es in Bezug auf die Rationalität oder die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung. In Bezug auf die Ratio einer Bevollmächtigung könnte somit zunächst von einer vergleichbaren Interessenlage ausgegangen werden. Dieser Befund dürfte insbesondere zutreffend sein, wenn man mit der oben skizzierten Ansicht den Einsatz eines autonomen Agenten wertungsmäßig mit der Erteilung einer Blankovollmacht bzw. einer Blanketterklärung gleichsetzt.955 Selbst wenn allerdings dem autonomen Agenten vollkommen freie Hand erteilt werden würde, darf ein anderer Aspekt nicht vernachlässigt werden. Die Regelungen zur Stellvertretung dienen auch und gerade dem Schutz des anderen Teils (sprich des Erklärungsgegners) und bestimmten Stellvertretern. Die Bevollmächtigung eines Vertreters sollte deswegen nicht isoliert betrachtet werden – und in dieser Weise zum Maßstab einer vergleichbaren Interessenlage erhoben werden. Vergleichsgegenstands für die Ermittlung einer vergleichbaren Interessenlage sollte deswegen das Gesamtgefüge der stellvertretungsrechtlichen Regelungen, insbesondere der Schutz des anderen Teils, sein. (3) Schutz des anderen Teils Das Stellvertretungsrecht eröffnet nicht nur dem Vertretenden eine Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten, sondern zielt ganz grundsätzlich auf einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Vertretenem, Vertreter und dem anderen Teil. Während ein Schutz des Vertreters, hier des autonomen Agenten, (zunächst) nicht beachtenswert scheint, ist ein Blick auf die Schutzmechanismen zugunsten des anderen Teils erforderlich. 955
Hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. II. 2.
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Die §§ 164 ff. BGB statten den anderen Teil mit verschiedenen Instrumenten aus. So normiert etwa § 170 BGB, dass eine dem anderen Teil gegenüber erklärte Vollmacht diesem gegenüber in Kraft bleibt, bis ihm das Erlöschen von dem Vollmachtgeber angezeigt wird. Eine ähnliche Regelung trifft § 171 Abs. 2 BGB. § 174 Satz 1 BGB bestimmt Näheres zur Vorlage der Vollmachtsurkunde bei einseitigen Rechtsgeschäften durch den Stellvertreter. Insbesondere eröffnen allerdings die §§ 178 f. BGB einen umfassenden Schutzmechanismus zugunsten des anderen Teils bei einem Vertragsschluss mit einem Stellvertreter ohne Vertretungsmacht.956 Nach § 178 Satz 1 BGB kann der andere Teil bis zur Genehmigung des Vertrags durch den Vertretenen den Vertrag grundsätzlich widerrufen. Vor allem stattet § 179 Abs. 1 BGB den anderen Teil mit einem gesetzlichen Anspruch gegen den Stellvertreter ohne Vertretungsmacht aus – gerichtet auf Erfüllung oder Schadensersatz (bzw. auf das negative Interesse in den Fällen des § 179 Abs. 2 BGB). Die Regelung des § 179 Abs. 1 BGB unterstreicht eine grundlegende Stoßrichtung des Stellvertretungsrechts. Wenn und soweit der andere Teil auf einen Vertragsschluss vertraut, so wird dieses Vertrauen im Grundsatz geschützt.957 Dieser Schutz erfolgt dadurch, dass dem anderen Teil ein Haftungssubjekt zur Verfügung gestellt wird. Haftungssubjekt kann zum einen der Vertretene sein, wenn und soweit dieser den durch den Stellvertreter ohne Vertretungsmacht geschlossenen Vertrag genehmigt. Zum anderen – bzw. falls eine Genehmigung nicht erfolgt – ist die als Stellvertreter auftretende Person das maßgebliche Haftungssubjekt. Diese stellvertretungsrechtliche Grundkonzeption setzt überhaupt erst den Anreiz, auch mit einem Vertreter der Gegenseite zu kontrahieren.958 Denn der andere Teil kann sich zumindest der Zugriffsmöglichkeit auf den (vermeintlichen) Stellvertreter sicher sein. (4) Rechtssubjektsqualität des Stellvertreters Das Vorhandensein eines Haftungssubjekts ist somit eine zentrale Weichenstellung des Stellvertretungsrechts. Grundlegende Voraussetzung der Zugriffsmöglichkeit auf ein Haftungssubjekt ist die Rechtssubjektsqualität des Stellvertreters bzw. die Zuordnung einer Vermögensmasse zum Stellvertreter. Eine solche Rechtssubjektsqualität oder Vermögensausstattung weisen autonome Agenten de lege lata nicht auf.959 Die Konsequenzen kann man nüchtern akzep956 Siehe zur Genese sowie zu Sinn und Zweck des § 179 BGB Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 1 ff. Im Übrigen dient § 177 Abs. 2 BGB (auch) dem anderen Teil. 957 Zur Einordnung von § 179 Abs. 1 BGB als Vertrauenshaftungstatbestand Mansel, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 179 Rn. 4; Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 2 m. w. N. 958 Siehe Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 2. 959 Siehe hierzu bereits zuvor sub Kapitel 4 § 12 B. I.
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tieren: „Eine Eigenhaftung des Softwareagenten wie ein falsus procurator des § 179 BGB ginge mangels Eigenvermögen ins Leere, wie es auch in anderen Fällen, in denen der falsus procurator nicht erreichbar ist, geschieht.“960 Dieser Befund erscheint allerdings unbefriedigend. Eine vergleichbare In teressenlage zur Stellvertretung beim Einsatz von autonomen Agenten sollte deswegen nicht angenommen werden. Denn andernfalls würde das stellver tretungsrechtliche Regelungsgefüge eine Unwucht zulasten des anderen Teils erhalten. Überschreitet der autonome Agent seine „Vertretungsmacht“ aus irgendeinem Grund und erfolgt keine Genehmigung durch den Vertretenen, so ist der andere Teil schutzlos. Er hätte keinen Anspruch gegen den Vertretenen und keinen Anspruch „gegen“ den autonomen Agenten. (5) Autonome Agenten als Minderjährigen-Äquivalent Soweit in der Literatur eine Parallele zum beschränkt Geschäftsfähigen, insbesondere zu einem Minderjährigen, gezogen wird961, erscheint ein solcher Ansatz aus mehreren Gründen im Ergebnis nicht zielführend. Zunächst ist ganz grundlegend darauf hinzuweisen, dass die §§ 165, 179 Abs. 3 Satz 2 BGB zwar nicht Geschäftsfähigkeit voraussetzen, aber zumindest eine Rechtssubjektsqualität und eine beschränkte Geschäftsfähigkeit erfordern.962 Die Regelung des § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB, sprich die ausnahmsweise Verneinung eines Anspruchs des anderen Teils, erscheint beim Einsatz von autonomen Agenten auch im Übrigen als nicht interessengerecht. Ganz grundlegend dient § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB dem Minderjährigenschutz.963 Der andere Teil ist dadurch allerdings nicht einseitig benachteiligt. Denn falls der andere Teil mit einem Minderjährigen als Stellvertreter kontrahiert, kann er (in aller Regel) unmittelbar erkennen, dass ein Minderjähriger ihm gegenüber auftritt. Der andere Teil kann sodann selbst entscheiden, ob er das Risiko eines Vertragsschlusses eingehen möchte, ohne dass auf den Vertreter (bei Überschreiten der Vertretungsmacht) zugegriffen werden kann. Bei dem Einsatz eines autonomen Agenten ist die Lage dagegen grundverschieden. Denn der andere Teil weiß in der Regel gerade nicht, dass ihm gegenüber ein autonomer Agent (oder „nur“ ein elektronischer Agent) eingesetzt wird. Der andere Teil kann somit überhaupt nicht bestimmen, welcher Risikoverteilung er sich durch den Vertrags960 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (184), der allerdings eine Vermögenszuordnung de lege ferenda befürwortet und bei einer für den Einsatz des autonomen Agenten abgeschlossenen Versicherung einen Zugriff auf die Versicherungssumme nach § 179 BGB analog erwägt (ebd. Fn. 124). 961 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. I. 1. 962 Siehe auch Keßler, MMR 2017, 589 (591): „mangels Haftungssubjekt“; Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 164 Rn. 109. 963 Siehe wiederum Schubert, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 61.
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schluss ausgesetzt sieht. Es ist in diesen Fällen allein in das Belieben des Vertretenen gestellt, ob dieser durch eine Genehmigung dem Vertrag zur Wirksamkeit verhilft. Ergänzend sei noch auf das Folgende hingewiesen: Selbst, wenn – de lege ferenda – ergänzend ein Anspruch auf Offenlegung des Einsatzes eines autonomen Agenten statuiert würde, wird hierdurch allein ein zielführender Interessenausgleich nicht gewährleistet. Zwar wäre der andere Teil dann in dem Sinne geschützt, dass er um den Einsatz als autonomer Agent wüsste. Die Konsequenz hieraus erscheint aber fragwürdig. Denn ein solcher Ansatz könnte – im Sinne einer Analyse des mit einer Stellvertretung verbundenen Anreizsystems – dazu führen, dass mit autonomen Agenten überhaupt nicht mehr bzw. signifikant weniger kontrahiert werden könnte. Dieser Befund trifft zumindest dann zu, falls nicht de lege ferenda zusätzlich ein entsprechender Einsatz autonomer Agenten mit einem anderweitigen Ausgleichmechanismus (etwa einer Ver sicherungspflicht) belegt werden würde. Bis dahin gilt allerdings, dass die „Sicherheit“ des anderen Teils zu einer Reduzierung vertraglicher Austauschbeziehungen führen bzw. die mit dem Einsatz autonomer Agenten verbundenen Chancen, insbesondere Effizienz- und Innovationsgewinne, ungenutzt lassen könnte.964 cc) Zwischenergebnis Die Stellvertretungsregelungen sind nicht insgesamt oder teilweise analog auf autonome Agenten anzuwenden. Es mangelt nach der hier vertretenen Auffassung an einer vergleichbaren Interessenlage. Lösungen für einen adäquaten Umgang mit autonomen Agenten aus der Perspektive der Rechtsgeschäftslehre können auf dieser Weise nicht gewonnen werden. Vielmehr legen die hier angestellten Beobachtungen nahe, eine Regelung de lege ferenda ins Auge zu fassen.965 V. „Vertragsschlussgehilfen“ Zuvor sei allerdings noch eine andere Analogie für den Einsatz von autonomen Agenten beim Vertragsschluss in Betracht gezogen. Das „Handeln“ autonomer Agenten könnte der einen autonomen Agenten einsetzenden Person für die Zwecke des Vertragsschlusses möglicherweise nach § 278 BGB analog umfassend zugerechnet werden. 1. Erfüllungsgehilfe, § 278 BGB § 278 BGB bezieht sich im Ausgangspunkt auf die Verhaltens- und Verschuldenszurechnung in Bezug auf eine Pflichtverletzung, nicht auf den Vertrags964 965
Zu Innovation durch Vertragsrecht siehe oben sub Kapitel 3 § 9 D. Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C.
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schluss. Erfüllungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Schuldners in dessen Pflichtenkreis tätig wird.966 Erfüllungsgehilfe kann – ohne Vorgriff auf die nachfolgenden Ausführungen – im Grundsatz nur ein Rechtssubjekt sein. Einem Schuldner wird das Verhalten und Verschulden seines Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB zugerechnet – und muss deswegen unter Umständen haften. Ein Schuldner muss auf dieser Grundlage entscheiden, ob und inwieweit er einen Erfüllungsgehilfen zur Erfüllung seiner Pflichten einsetzt. 2. Zurechnung nach § 278 BGB analog In Bezug auf § 278 BGB wird allerdings erwogen, ob und inwieweit diese Regelung auch für den Einsatz von technischen Anwendungen nutzbar gemacht werden kann.967 Dabei wird von der Grundkonstellation ausgegangen, dass der Schuldner selbst nicht (schuldhaft) handelte (in Bezug auf den Betrieb oder die Wartung), der Einsatz einer technischen Anwendung gleichwohl zu einer Pflichtverletzung führte. Eine Zurechnung würde unbestritten dazu führen, dass – aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive – die Kosten für „maschinelle Pflichtverletzungen“ internalisiert werden würden.968 a) Streitstand Die (wohl) überwiegende Ansicht nimmt an, dass das „schuldhafte Handeln“ technischer Anwendungen dem Schuldner nicht nach § 278 BGB analog zuzurechnen sei.969 Der Schuldner hafte (nur) für eigenes Verschulden bei der (Fehl-) Bedienung der technischen Anwendung oder bei einer Instandhaltung der technischen Anwendung entgegen Sorgfaltsstandards.970 Hierfür wird vorgebracht, dass Schuldner im modernen Wirtschaftsumfeld auf den Einsatz technischer Anwendungen angewiesen sind.971 Bei einer Zurechnung der technischen Anwendung würde das Verschuldenskriterium gänzlich unterlaufen.972 Die Gegenansicht nimmt an, dass eingesetzte technische Anwendungen dem Schuldner (rechtsfortbildend) zugerechnet werden.973 Es drohe ansonsten eine Haftungslücke, die diejenigen, die technische Anwendungen einsetzen, über966 Siehe nur BGH, NJW 1954, 1193 (Ls.; st. Rspr.) sowie etwa Stadler, in: Jauernig BGB, 17. Aufl. 2018, § 278 Rn. 6 . 967 Ausführlich hierzu jüngst etwa Teubner, AcP 218 (2018), 155 (185 ff.) m. w. N. zum Streitstand (ebd. Fn. 126 und 133) sowie Zech, ZfPW 2019, 198 (211 f.). 968 Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 278 Rn. 46. 969 Siehe stellvertretend Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 278 Rn. 46; Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, § 278 Rn. 11. 970 Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 278 Rn. 46. 971 Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 278 Rn. 46. 972 Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2 , 8. Aufl. 2019, § 278 Rn. 46. 973 Siehe etwa Bauer, Elektronische Agenten in der virtuellen Welt, 2006, S. 219 ff.; Dienst/ Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 65; Keßler, MMR 2017, 589 (592); Schirmer, JZ 2016, 660 (665); Teubner, AcP 218 (2018), 155 (185 ff.); Wolf, JuS 1989,
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mäßig bevorteilen würde.974 Mit dieser Stoßrichtung nimmt etwa Schirmer eine Qualifikation von Robotern als Erfüllungsgehilfen an.975 Nicht maßgeblich sei, dass der Roboter (de lege lata) nicht schuldhaft handeln könne.976 Vielmehr sei wertungsmäßig ein Vergleichsmaßstab heranzuziehen, ob ein schuldhaftes Verhalten vorläge, wenn der Schuldner selbst gehandelt hätte.977 b) Würdigung Unbeschadet der Entscheidung des vorbenannten Streitstands unterstreicht die damit verbundene Diskussion grundlegende Annahmen, die auch in dieser Untersuchung immer wieder aufscheinen und zugrunde gelegt werden. aa) Faktische Trennung: Schuldner und technische Anwendung Zunächst gehen beide Ansichten davon aus, dass technische Anwendungen nicht (mehr) vollumfassend beherrschbar bzw. steuerbar sein können. Es wird anerkannt, dass der menschliche Einfluss auf diese Anwendungen – bis zu einem gewissen Grad – bewusst schwindet bzw. aufgegeben wird. Gleichwohl werden entsprechende Anwendungen als prägend für das heutige Wirtschafts(und Privat-)Leben eingestuft. In der Tat prägen entsprechende technische Anwendungen in vielfältiger Weise Formen des Wirtschaftens, der Produktion, der Dienstleistung und der Interaktion – und sind im Ausgangspunkt und im Grundsatz wohlfahrtsfördernd. Gerade aufgrund der grundsätzlich positiven Haltung gegenüber dem Einsatz entsprechender Anwendungen wird eine faktische Trennung zwischen – in diesem Fall – Schuldner und dessen technischer Anwendung unterstrichen. Ein solcher Ansatz spiegelt die zunehmende faktische Verselbstständigung von technischen Anwendungen anschaulich wider. bb) Rechtliche Trennung: Schuldner und technische Anwendung Über diese faktischen Bezugspunkte hinaus nehmen (wohl) beide Ansichten, zumindest aber die vorgenannte Gegenansicht, auch eine rechtliche Bewertung in Bezug auf technische Anwendungen vor. Es wird die Tendenz deutlich, technischen Anwendungen (immer weiter) Rechtssubjekten anzunähern. Denn die (Erwägung der) Gleichstellung mit Erfüllungsgehilfen bedeutet im Grundsatz nichts anders, als die Einführung einer bzw. die Fortentwicklung der typischerweise rechtssubjektsspezifischen Trennung zwischen dem Schuld899 (901). Einschränkend auch Soergel/Pfeiffer, BGB (Bearbeitung 2014), § 278 Rn. 25; vgl. auch Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5. 974 Dienst/Falke, in: Bräutigam/Rücker (Hrsg.), E-Commerce, 2017, 14. Teil Rn. 65; Teubner, AcP 218 (2018), 155 (186). 975 Schirmer, JZ 2016, 660 (664 f.). 976 Schirmer, JZ 2016, 660 (665). 977 Schirmer, JZ 2016, 660 (665).
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ner und dessen technischen Anwendungen. Ein solcher Ansatz kann bereits als Vorbote der umfassenden Diskussion um die rechtliche Verselbstständigung von technischen Anwendungen begriffen werden.978 Diese Diskussion wird allerdings – ganz überwiegend und zutreffend – de lege ferenda geführt.979 Die mit einer Verneinung einer analogen Anwendung von § 278 BGB entstehende „schwer erträgliche Haftungslücke, die sich in Zukunft noch ausweiten wird, je mehr Aufgaben der Vertragserfüllung an autonome Softwareagenten delegiert werden“980 , soll damit freilich nicht geleugnet werden.981 Diese Lücke unterstreicht vielmehr die Notwendigkeit einer Regelung de lege ferenda. 3. „Hilfe“ beim Vertragsschluss nach § 278 BGB analog De lege lata stellt sich allerdings zuvor die Frage, ob die vorgenannte Diskus sion um technische Anwendungen als Erfüllungsgehilfen auch für die Betrachtung des hier im Fokus stehenden Vertragsschlusses mithilfe autonomer Agenten von Nutzen sein kann. a) Allgemein Dabei gilt im Ausgangspunkt, dass die Regelungen der Rechtsgeschäftslehre eine dem Rechtsinstitut des Erfüllungsgehilfen vergleichbare Zurechnung (von Dritten) für den Vertragsschluss nicht vorsehen. Zumindest erwogen werden sollte allerdings, ob der Rechtsgedanke des § 278 BGB nicht gleichwohl auch für den Vertragsschluss als solchen fruchtbar gemacht werden kann. Dies würde voraussetzen, dass das durch § 278 BGB eröffnete Instrument der Zurechnung auf den Vertragsschluss übertragen wird. Konkret würde dies bedeuten, dass § 278 BGB umfassend auf die Abgabe von Willenserklärungen angewendet werden würde – der Rechtsperson würden auf dieser Grundlage die „Erklärungen“ des autonomen Agenten als eigene Willenserklärungen zugerechnet werden. Umfang und Grenze der Zurechnung würde dann durch ein Tätigwerden der autonomen Anwendung im vertraglichen – gesondert zu bestimmenden und in Anlehnung an den Pflichtenkreis so genannten – Bindungskreis definiert werden. Rechtstechnisch steht damit eine „doppelte“ Analogie des § 278 BGB im Raum. Fraglich ist, ob die vorgenannten Erwägungen den an eine Analogie zu stellenden Voraussetzungen standhalten. Dafür soll zunächst auf die vergleich-
978 Siehe insbesondere Teubner, AcP 218 (2018), 155 (185 ff.), der im Anschluss an die Anerkennung einer Teilrechtsfähigkeit autonomer Anwendungen konsequenter Weise eine analoge Anwendung von § 278 BGB auf das „Verhalten“ autonomer Agenten befürwortet. 979 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. I. sowie nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. 980 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (186). 981 Zur (falschen) Anreizsetzung durch eine mangelnde Haftung siehe aus rechtsökonomischer Perspektive etwa Eidenmüller, ZEuP 2017, 765 (771 f.).
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bare Interessenlage und sodann auf die Planwidrigkeit der Regelungslücke eingegangen werden. b) Vergleichbare Interessenlage Zur Bestimmung einer vergleichbaren Interessenlage ist zunächst die Funktion autonomer Agenten beim Vertragsschluss in Erinnerung zu rufen. Autonome Anwendungen werden von einer Person eingesetzt, um für (und gegen) die Person Verträge abzuschließen. Das jeweilige Rechtssubjekt bedient sich des autonomen Agenten um bestimmte rechtlich erhebliche Erklärungen gegenüber Dritten abzugeben. Während beim Erfüllungsgehilfen die Erfüllung einer Pflicht in Rede steht, bezieht sich der Einsatz eines autonomen Agenten auf die Erzeugung der (vertraglichen) Bindung bzw. Pflicht. Autonome Agenten könnten vor diesem Hintergrund als „Vertragsschlussgehilfen“ bezeichnet werden. Autonome Agenten ersetzten die de facto und – nach hier vertretener Ansicht auch de jure 982 – die Willensbetätigung der hinter dem autonomen Agenten stehenden Person. Das Rechtssubjekt lagert das grundlegende Element seiner vertraglichen Bindung bzw. seiner vertraglichen Beziehungen aus an den autonomen Agenten. In diesem Sinne erscheint es zumindest prima facie naheliegend, eine Übertragung des Rechtsgedankens des § 278 BGB in Betracht zu ziehen. Die Annahme einer vergleichbaren Interessenlage erscheint deswegen mit guten Gründen vertretbar. c) Planwidrige Regelungslücke Die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist dagegen mehr als zweifelhaft – aus mehreren Gründen. Zunächst kann bereits die Existenz einer „Lücke“ in Zweifel gezogen werden. Denn der Gesetzgeber hat im Zuge der kodifizierten Rechtsgeschäftslehre (§§ 104 ff., 130 ff., 145 ff. BGB) umfassende Regelungen zum Abschluss von Verträgen vorgesehen. Insbesondere wurden explizit Regelungen zur Einbindung von zum einen technischen Anwendungen (vgl. § 120 BGB) sowie zum anderen von Dritten (§§ 108 ff., 120, 164 ff. BGB) beim Vertragsschluss vorgesehen. Es besteht kein Anhaltspunkt, dass die vorbenannten Bestimmungen und die damit verbundenen Rechtsinstitute nicht als abschließend zu begreifen sind. Bei Erlass (und Novellierungen) der vorgenannten Regelungen hatte der Gesetzgeber allerdings autonome Anwendungen (noch) nicht im Blick. Selbst wenn man vor diesem Hintergrund davon ausgeht, dass eine Regelungslücke vorliegt, so ist die Planwidrigkeit dieser Regelungslücke in Frage zu stellen. Denn der Gesetzgeber hat mit der Konzeption der Rechtsgeschäftslehre eine umfassende Abwägung der beteiligten Akteure und deren Interessen vor982
Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. II.
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genommen. Von zentraler Bedeutung ist insofern, dass die „Erzeugung“ vertraglicher Bindung (nur) auf der Grundlage einer Willensbetätigung in Betracht kommt – sei es durch die sich bindende Person selbst, sei es durch einen Stellvertreter. Vertragliche (Primär-)Bindung ohne Willen ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Jeglicher Ausschluss einer nicht-willensbasierten vertraglichen Bindung ist somit nicht planwidrig, sondern plangemäß. De lege lata ist eine Zurechnung von technischen Anwendungen nach § 278 BGB analog somit nicht zu befürworten. Eine solche Analogie führt zu einer weitreichenden vertraglichen Bindung, die sich (nur) nach dem vertraglichen Bindungskreis der die technische Anwendung einsetzenden Person bestimmt werden würde. Hierdurch würde das entsprechende Rechtssubjekt in eine Position gedrängt, in der de lege lata nicht mehr nur deliktsrechtlich (etwa im Zuge der Produzentenhaftung) für technische Anwendungen (unbeschränkt) gehaftet wird, sondern gerade die Technik (allein) auch die vertragliche Bindung determiniert. VI. Praktische Anwendungsbeispiele Die vorgenannten dogmatischen Ausführungen und Erkenntnisse sollen abschließend an konkreten Beispielen demonstriert werden. Als praktische Anwendungen werden das von der Amazon Media EU S.à.r.l. (nachfolgend: Amazon) angebotene Produkt Echo Dot sowie das von der Google LLC (nachfolgend: Google) angebotene Dienstleistung Google Assistant in den Blick genommen. Während (derzeit) Echo Dot bzw. das zugrunde liegende Programm Alexa (noch) kein autonomer Agent im zuvor ausgeführten Sinne ist, weist Google Assistant bereits (erste) Merkmale eines autonomen Agenten auf. 1. Alexa / Echo Dot (Amazon Media EU S.à.r.l.) Erstes praktisches Anwendungsbeispiel sind die sogenannten Alexa-Geräte von Amazon, wie etwa das Gerät Echo Dot (in der 3. Generation).983 a) Grundlagen Das Produkt Echo Dot mit Alexa weist nach der Eigendarstellung von Amazon unter anderem die folgenden Charakteristika auf: „Echo Dot ist [ein] sprachgesteuerter Lautsprecher (…). Alexa kann Musik abspielen, Fragen beantworten, die Nachrichten und den Wetterbericht vorlesen, Wecker stellen, kompatible Smart Home-Geräte steuern und vieles mehr. (…) Sie können Personen, die ein Echo-Gerät oder die Alexa App haben (…), per Sprachbefehl anrufen und ihnen
983
Siehe hierzu aus rechtlicher Sicht etwa auch Specht/Herold, MMR 2018, 40 (41 f.).
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Nachrichten schicken. (…) Alexa lernt ständig dazu und erhält neue Funktionen und Skills (…).“984
Dem Kunden wird es dabei auch ermöglicht, Vertragsverhältnisse einzugehen. Per Sprachbefehl können (insbesondere) Einkäufe über die Online-Handelsplattform Amazon getätigt werden. In Rede stehen damit Verträge, die unmittelbar mit Amazon oder mit Dritten bzw. Drittanbietern über die Plattform geschlossen werden.985 b) Nutzungsbedingungen Den Alexa-Geräten liegen die sogenannten Alexa Nutzungsbedingungen986 zugrunde. Die Alexa Nutzungsbedingungen stellen eine zwischen Amazon als Anbieter und dem Kunde als Benutzer der Dienstleistung Alexa geschlossene vertragliche Vereinbarung dar.987 Die Bedingungen sind allgemeine Geschäftsbedingungen und werden – nach hiesigem Kenntnisstand – nicht individuell verhandelt. Der Kunde stimmt bei Nutzung oder Zugriff auf Alexa – neben den vorgenannten Alexa Nutzungsbedingungen – auch den Amazon.de Allgemeine Geschäftsbedingungen, Geschäftsbedingungen zu weiteren Diensten sowie (falls eine Bestellung durchgeführt wird, der Kunde sich registriert oder ein Amazon-Gerät nutzt) den Nutzungsbedingungen für Amazon-Geräte zu.988 Die Alexa Nutzungsbedingungen enthalten nur begrenzte Ausführungen im Kontext des Einsatzes von Alexa bei Vertragsschlüssen. Zum sogenannten Spracheinkauf bestimmt 1.4 der Alexa Nutzungsbedingungen (die Ziffer soll für die nachfolgenden Betrachtungen der Veranschaulichung halber als allein maßgebliche Bestimmung zugrunde gelegt werden): „Alexa ermöglicht Spracheinkäufe über Amazon unter Verwendung Ihrer StandardZahlungs- und Standard-Versandeinstellungen. (…) Nachdem Sie eine Bestellung aufgegeben haben, steht Ihnen, bevor Ihre Bestellung verbindlich wird, ein Zeitfenster zur
984 https://www.amazon.de/Echo-Dot-Intelligenter-Lautsprecher-Alexa/dp/B0792HC FTG/ref=sr_1_4?ie=UTF8&qid=1543526480&sr=8-4&keywords=alexa (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 985 Siehe zu Vertragsschlüssen auf bzw. über Plattformen bereits oben sub Kapitel 4 § 10 C. 986 Die (aktuellen) Alexa Nutzungsbedingungen sind abrufbar unter https://www.ama zon.de/gp/help/customer/display.html?nodeId=201809740 (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020); Stand der zugrunde gelegten Nutzungsbedingungen ist der 15. November 2018. 987 Etwas unscharf: „Indem Sie Alexa verwenden, erkennen Sie die Bedingungen dieser Vereinbarung an.“, vgl. https://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html?nodeId=201 809740 (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 988 https://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html/ref=hp_left_v4_sib/257-7282 330-9840730?ie=UTF8&nodeId=201566380 (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020).
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Verfügung, innerhalb dessen Sie Ihre Bestellung einsehen, Details bestätigen und die Bestellung ändern oder widerrufen können.“989
c) Rechtliche Bewertung des Vertragsschlusses Auf der Grundlage des vorbenannten 1.4 der Alexa Nutzungsbedingungen können Verträge mit Amazon bzw. mittels Amazon mit Dritten abgeschlossen werden. Es wird allerdings in dieser Regelung (bzw. in vergleichbaren Bedingungen anderer Anbieter) nicht deutlich, zu welchem Zeitpunkt der Kunde eine Willenserklärung abgibt. Es sind zwei unterschiedliche Bewertungen möglich. Zunächst könnte bereits der Sprachbefehl als Willenserklärung des Kunden gewertet werden. Zwar sprechen die Nutzungsbedingungen von „bevor Ihre Bestellung verbindlich wird“. Diese Aussage steht allerdings im Zusammenhang mit einem dem Kunden eröffneten Zeitfenster. Daher könnte es sich um eine aufschiebend bedingte Willenserklärung handeln (§ 158 Abs. 1 BGB), wobei der Inhalt der Bedingung das Verstreichen des Zeitfensters ist. Demgegenüber könnte mit dem Sprachbefehl allerdings auch nur eine Vertragsanbahnung in Rede stehen, da der Ziffer 1.4 zufolge noch „Details [bestätigt]“ werden können bzw. müssen. Im Sinne dieser Auslegung leitet die technische Anwendung zum Zeitpunkt des Sprachbefehls (noch) keine Willenserklärung weiter, sondern (gegenüber Amazon) nur ein Äquivalent zu einem Entwurf einer Willenserklärung. Die Willenserklärung selbst gibt der Kunde erst bei seiner Bestätigung ab. Bei beiden Varianten steht allerdings nicht die Einschaltung eines autonomen Agenten im oben genannten Sinne in Rede. Denn der unmittelbare Anknüpfungspunkt für die Willenserklärung ist der durch den Menschen (den Kunden) abgegebenen Sprachbefehl oder die durch den Menschen getätigte (nachträgliche) „Bestätigung“. Die zuvor benannten rechtlichen Kategorien (bedingte Willenserklärung oder Vertragsanbahnung) sind allerdings gleichwohl beachtenswert, weil hiermit auch und gerade die (nach wie vor) menschliche – und im untersuchungsgegenständlichen Sinne – traditionelle Abgabe einer Willenserklärung bei der Einschaltung entsprechender Anwendung unterstrichen wird. Keineswegs alle vernetzten Produkte bzw. Produkte des Internet der Dinge basieren auf einer vertragsrechtlich relevanten „Autonomie“. Vielmehr wird hierdurch zusätzlich unterstrichen, dass bei einem Einsatz autonomer Agenten stets eine scharfe Abgrenzung zwischen menschlicher und autonomer Entscheidungsfindung zu erfolgen hat. Selbst wenn man der hier vorgenommenen rechtlichen Qualifikation des „Handelns“ autonomer Agenten990 nicht folgen mag, so weist die vorstehende Bewertung der Ziffer 1.4 ganz allgemein auch auf mögliche Kategorisie989 https://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html?nodeId=201809740 (Stand 15. November 2018). 990 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. II.
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rungen von autonomen Agenten de lege lata (bedingte Willenserklärung oder Vertragsanbahnung) hin. 2. Google Assistant / Google Home (Google LLC) Zweites praktisches Anwendungsbeispiel ist die Dienstleistung Google Assistant von Google, die etwa über den „intelligenten“ Lautsprecher Google Home gesteuert werden kann: „Google Home ist ein sprachgesteuerter Lautsprecher, in dem der Google Assistant steckt.“991 a) Grundlagen Der Google Assistant eröffnet nach der Selbstbeschreibung durch Google dem Kunden Hilfe „in allen Lebenslagen“.992 Hierunter werden verstanden „Aufgaben verwalten“, „Tag planen“, „Unterhaltung genießen“, „Erinnerungen schaffen“ und – für das Leben allgemein nie zu unterschätzen – „Antworten erhalten“. Im Einzelnen wird verwiesen auf Google Dienstleistungen (etwa bestimmte Apps) sowie Dienstleistungen Dritter – beispielhaft seien genannt die Bereiche Restaurants, Wörterbuch, Übersetzungen, Einkaufsliste verwalten, Informationen zu Menschen erhalten und Informationen zu Medien und Unterhaltung erhalten. Im Grundsatz wird Google Assistant somit für vielfältige Zwecke, eben „in allen Lebenslagen“ eingesetzt. Aus rechtlicher Perspektive steht damit auch und gerade ein vertragsrechtlich relevantes Verhalten in Rede – und zwar in zweierlei Hinsicht. Zunächst greift Google Assistant für den Nutzer auf eine Vielzahl verschiedener Apps von Google sowie Apps von Drittanbietern zu. Da die Nutzung einer (monetär-entgeltfreien) App mit einem entsprechenden Vertragsverhältnis verbunden ist, wird in der Regel insoweit ein eigenständiges Vertragsverhältnis zwischen Google und dem jeweiligen Appanbieter bestehen. Diese vertragliche Beziehung soll im untersuchungsgegenständlichen Kontext nicht näher betrachtet werden. Nähere Betrachtung erfordert dagegen der Einsatz von Google Assistant bei Vorgängen, bei denen der Kunde Vertragspartner ist. Dies mag bereits dann der Fall sein, wenn der Google Assistant für den Kunden auf dessen Apps oder dessen Entertainmentangebote zugreift. Insbesondere soll (zukünftig) allerdings ein eigener Vertragsschluss des Kunden auch bei Google Assistant in Betracht kommen, soweit dem Kunden Einkäufe per Sprachbefehl ermöglicht werden (ähnlich wie bei Alexa).993 Hierzu etabliert Google (derzeit) ein Netz von so genannten Shopping Action-Händlern, bei 991 https://store.google.com/de/product/google_home_speaker (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 992 Hierzu und zum Folgenden https://assistant.google.com/intl/de_de/platforms/pho nes/ (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 993 Klein, Shopping Actions: Einkaufen mit Google Assistant und Express (20. März 2018).
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denen mit Hilfe des Google Assistant Waren und Produkte bestellt werden können.994 Über die vorgenannten Funktionen hinaus geht der geplante Einsatz von Google Assistant zusammen mit der dem Anrufassistenten Google Duplex.995 So kann (bzw. wird) das Programm auch zu „selbstständigen“ Anrufen bei Dritten genutzt werden (können). Der Google Assistant ruft beispielsweise bei einem Restaurant an und nimmt eine Tischreservierung vor.996 Das Programm spricht im wörtlichen Sinne mit dem Angerufenen. Dabei weist der Anrufer sich als Google Assistant aus und informiert den Angerufenen über den Mitschnitt des Telefonats.997 b) Nutzungsbedingungen von Google Assistant Der Dienstleistung Google Assistant liegen die allgemeinen Google Nutzungsbedingungen998 zugrunde. Die Google Nutzungsbedingungen beinhalten bzw. komplementieren die vertragliche Vereinbarung, die zwischen Google als Anbieter und dem Nutzer als Benutzer der Dienstleistung Google Assistant geschlossen wird. Die Google Nutzungsbedingungen sind allgemeine Geschäftsbedingungen und werden – nach hiesigem Kenntnisstand – nicht individuell verhandelt. Die Google Nutzungsbedingungen gelten allgemein für alle Google Anwendungen bzw. Produkte. Separate Nutzungsbedingungen für Google Assistant (bzw. Google Duplex) können im Zuge des Vertragsschlusses vereinbart werden. Die Google Nutzungsbedingungen enthalten deswegen (derzeit) keine Ausführungen zum Einsatz von Google Assistant (bzw. Google Duplex) bei Vertragsschlüssen. Lediglich allgemein ist unter „Nutzung unserer Dienste“ der Bedingungen bestimmt: „Sie dürfen unsere Dienste nur in dem gesetzlich zulässigen Rahmen nutzen.“999 Für die Zwecke der nachfolgenden Betrachtung ist zu unterstellen, dass auch in etwaig separaten Nutzungsbedingungen für die Dienstleistung Google Assistant der Einsatz des Programms gegenüber Dritten nicht näher ausgeführt wird.
994
Klein, Shopping Actions: Einkaufen mit Google Assistant und Express (20. März 2018). Pakalski, Weitere Details über Googles Anrufassistenten (21. Mai 2018). 996 Siehe etwa Welch, How to use Google Duplex to make a restaurant reservation (5. Dezember 2018). Eine frühe Demonstration eines solchen Anrufs aus dem Mai 2018 ist abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=-RHG5DFAjp8 (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 997 Siehe Pakalski, Weitere Details über Googles Anrufassistenten (21. Mai 2018). 998 Die Google Nutzungsbedingungen (nachfolgend: Nutzungsbedingungen) sind abrufbar unter https://policies.google.com/terms/archive?hl=de&gl=DE (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020); Stand der hier zugrunde gelegten Nutzungsbedingungen ist der 25. Oktober 2017. 999 https://policies.google.com/terms/archive?hl=de&gl=DE (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 995 Siehe
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c) Rechtliche Bewertung des Vertragsschlusses Auf der Grundlage der Google Nutzungsbedingungen sind drei verschiedene Konstellationen möglich, die aus vertragsrechtlicher Perspektive streng voneinander zu trennen sind. aa) Informationsgewinnung und Zugriff Möglich ist zunächst, dass Google Assistant dem Kunden bei Vertragsschlüssen assistiert, indem produktbezogene Informationen zur Verfügung gestellt werden, Angebote (Dritter) aufbereitet werden oder durch das Programm auf sonstige Apps zugegriffen wird. Eine solche Assistenz ist grundsätzlich als (reine) Unterstützung im vorvertraglichen Bereich zu qualifizieren. Beim Zugriff auf Dienste (Dritter) durch Google Assistant kann eine solche Assistenz auch ein faktisches Tätigwerden des Nutzers (durch Google Assistant) innerhalb einer bereits bestehenden Vertragsbeziehung bedingen. Eine relevante Mitwirkung des Google Assistant in Bezug auf die vertragliche Bindung liegt in beiden Fällen nicht vor. bb) Verträge mit Shopping Action-Händlern Bei der Eröffnung einer Einkaufsfunktion bei sogenannten Shopping Action-Händlern beurteilt sich die vertragsrechtliche Lage (vorbehaltlich sonstiger Nutzungsbestimmungen) im Grundsatz nach den allgemeinen Grundsätzen zum Vertragsschluss auf Plattformen. In diesem Fall ist Google Assistant die Plattform bzw. der Vermittler von Verträgen. Vertragspartner sind im Grundsatz der Kunde und der Shopping Action-Händler. Der Google Assistant bzw. Google ist grundsätzlich als Plattform weder selbst an dem Vertrag beteiligt noch Stellvertreter. Eine eigene Bindung Googles kann aber nach den obigen Grundsätzen zu Plattformen in Betracht kommen.1000 cc) Einsatz des Anrufassistenten der Google Duplex-Technologie Eine davon wiederum gesonderte Betrachtung bedarf der Einsatz des Google Assistant zusammen mit der dem Anrufassistenten Google Duplex. In diesem Fall könnte der Google Assistant „selbstständig“ gegenüber Dritten auftreten, um „für“ den Kunden Verträge zu schließen – hierzu mag die zuvor skizzierte Tischreservierung als Anschauungsbeispiel dienen. Denkbar ist zunächst, dass der Angerufene den Einsatz des Google Assistant überhaupt nicht bemerkt. Der Angerufene wird allerdings aufgrund der Selbstbezeichnung des Google Assistant zu Beginn des Telefonats zwar regelmäßig (aber nicht zwingend stets) erkennen, dass er mit einem Computerprogramm 1000
Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 C. IV.
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kommuniziert. Materiell übernimmt Google Assistant hier sämtliche Funktionen eines Stellvertreters. Man mag zunächst in casu einwenden, die Reservierung eines Tisches sei kein Abschluss eines Vertrages. Dies ist zwar im Grundsatz richtig, nichtsdestotrotz wird damit aber mindestens der vorvertragliche Bereich betreten; soweit nicht in Bezug auf bestimmte übermittelte Kundenwünsche oder die rechtzeitige Stornierung bei Nichterscheinen doch bereits je nach Einzelfall ein Vertragsverhältnis begründet wird. Vertragspartner eines solchen (einmal unterstellten) Vertragsverhältnisses könnte neben dem angerufenen Restaurant(betreiber) de lege lata entweder der den Google Assistant verwendenden Kunde oder Google sein (der Google Assistant selbst ist nach geltendem Recht kein tauglicher Vertragspartner). Nach den Grundsätzen der Computererklärung kommt (nur) der Kunde selbst als Vertragspartner in Betracht – auch und gerade, wenn der Angerufene den Einsatz des Google Assistant überhaupt nicht bemerkt. Im Übrigen führt das Auftreten im Namen des Kunden auch dann zu einer vertraglichen Bindung des Kunden, wenn man die Regeln der Stellvertretung für analog anwendbar auf den Einsatz von Google Assistant hält. Anders verhält es sich, wenn man die Möglichkeit der Abgabe einer Willenserklärung beim Einsatz autonomer Agenten grundlegend in Frage stellt.1001 Eine Willenserklärung des Kunden scheidet dann de lege lata aus. Grundlegende (und nach hiesiger Ansicht entscheidende) Vorfrage ist somit, ob der Google Assistant (zukünftig) als elektronischer oder als autonomer Agent einzustufen ist.1002
C. Exkurs: Willensbasierter Vertragsschluss: Eine (immer schon bestehende) Fiktion? Die verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung unterstreichen eine Kontextualisierung der (Rechts-)Beziehungen.1003 Die Bedeutung des Willens der einzelnen Akteure nimmt graduell ab.1004 Die rechtliche Operationalisierung anhand normativer Erwartungen nimmt demgegenüber schrittweise zu. Der voranschreitende Einsatz von Computererklärungen, die Verwendung elektronischer und autonomer Agenten sowie allgemein die Fortschritte Künstlicher Intelligenz stellen deswegen die etablierte Grundannahme des Vertragsrechts – den Willen als Basis rechtsgeschäftlicher Bindung – immer weiterge1001
Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. II. zur Abgrenzung zwischen elektronischen und autonomen Agenten oben sub Kapitel 2 § 4 C. 1003 Allgemein zum Willen im Vertragsrecht Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 474 ff. (ebd. S. 524 ff. auch zu Fällen des „Scheinwillens“) et passim zur „Überwindung“ der Willenstheorie. 1004 Zur „Erosion der Vertragsgestaltungsmacht“ Grapentin, NJW 2019, 181; zur Erosion der Autonomie bei Onlinetransaktionen von Verbrauchern Mik, Law, Innovation and Technology 8 (2016), 1. 1002 Siehe
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hend in Frage.1005 Diese Entwicklung ist allerdings keineswegs nur durch den technologischen Fortschritt der Digitalisierung bedingt. Vielmehr „erodiert“ der Wille als maßgeblicher Basis für menschliche Entscheidungen bereits seit längerem.1006 Dieser Befund trifft aus rechtlicher wie aus außerrechtlicher Perspektive zu. Aus rechtlicher Perspektive steht hierfür stellvertretend der Diskurs zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Auf diesen Diskurs soll nachfolgend ein Rückblick geworfen werden. Zuvor sollen die grundlegenden Ergebnisse der (jüngeren) Hirnforschung zum menschlichen Willen im Zuge einer interdisziplinären Umschau referiert werden (und aus zivilrechtlicher Perspektive bewertet werden). I. Umschau: Grundlegende Erkenntnisse der Hirnforschung Die Hirnforschung (insbesondere und stellvertretend Roth und Singer) hat in jüngerer Zeit herausgearbeitet, dass der Wille möglicherweise kein (alleiniger) tauglicher Anknüpfungspunkt für menschliche Entscheidungen ist.1007 1. Grundlagen In Untersuchungen wurde vor allem unterstrichen, dass der „Befehl“ des Hirns an den Körper, eine bestimmte Handlung auszuführen, zu einem der (subjektiven) Wahrnehmung der Willensausübung vorgelagerten Zeitpunkt erfolgt.1008 „Organisatorischer Machtapparat“ sei das limbische System.1009 Menschliche Handlungen seien damit nicht im engeren Sinne willensbasiert. Der Mensch habe lediglich den Eindruck einer Willensausübung – und einer daraus folgenden eigenen Handlung. Der Mensch unterliege einer Selbsttäuschung; er hande-
1005 Siehe allgemein Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (712) sowie bereits oben die Kategorien sub Kapitel 3 § 8 B. Allgemeiner und insgesamt auf das Vertragsrecht bezogen Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 524, der „verdeutlichen [will], wie viele Vertragsinhalte unabhängig vom Parteiwillen bei Vertragsschluss sind.“ 1006 Siehe stellvertretend Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 454 ff., der sich gegen die punktuelle zeitliche Manifestation des Willens wendet, sowie etwa jüngst – in Bezug auf technische Anwendungen – Grapentin, NJW 2019, 181. 1007 Siehe die Beiträge in Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004; insbesondere Singer, ebd. S. 31 ff.; aus medizinischer Sicht ferner etwa R. Lorenz, ZRP 2006, 27. 1008 Siehe Libet, in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 268 ff. sowie Roth, in: Dölling (Hrsg.), Festschrift Lampe, 2003, S. 43 ff. Zusammenfassend zu den Untersuchungen und zum Folgenden Hirsch, ZIS 2010, 62 (62); Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (160 ff.). 1009 So eingeordnet von Hillenkamp, JZ 2005, 313 (314). Vgl. auch Hirsch, ZIS 2010, 62 (62); Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (170).
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
le nur vermeintlich frei.1010 Menschliche Handlungen sind hiernach determiniert.1011 Die Ergebnisse der Hirnforschung waren (und sind) Gegenstand erheblicher (auch fachinterner) Kritik.1012 Die Einzelheiten sind an anderer Stelle bereits ausführlich dargelegt worden.1013 Insbesondere wird bezweifelt, ob und inwieweit die zugrunde liegenden Experimente (insbesondere von Libet1014) Schlüsse auf (außerhalb von Laborbedingungen getroffene) komplexe Entscheidungen zulassen.1015 Gleichwohl bzw. nichtsdestotrotz hat sich ein prominenter Teil der Neurowissenschaften den Grundansatz des Determinismus zu Eigen gemacht.1016 Unterstellt daher, dass Handlungen im vorbenannten Sinne determiniert sind, so unterminiert dieser Befund möglicherweise den freien Willen als rechtlich relevante Kategorie. Die (theoretischen) Konsequenzen des Determinismus sind weitreichend. Nicht nur wird damit etwa das philosophische Fundament der Aufklärung in Frage gestellt1017, sondern auch aus rechtlicher Perspektive drängen sich grundlegende Fragen auf.1018 In diesem Sinne wird aus der Perspektive der (einen Determinismus befürwortenden) Hirnforschung etwa die Abschaffung eines an der Schuld orientierten Strafrechts gefordert.1019 2. Der strafrechtliche Diskurs Denn Wille und Schuld sind zentrale Anknüpfungsmomente für das Strafrecht. Es ist deswegen konsequent, dass die Rezeption der Hirnforschung für dieses Rechtsgebiet zuerst erfolgte – und eine Grundsatzdebatte über die Legitimität der konzeptionellen Grundlagen des Strafrechts und des Strafens ausgelöst hat.1020 1010 Roth, in: Dölling (Hrsg.), Festschrift Lampe, 2003, S. 43 (52). Vgl. auch Hirsch, ZIS 2010, 62 (62). 1011 Singer, in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 6 4. Siehe auch Kriele, ZRP 2005, 185 (185). Zu Frage eines Vetowillens Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (169 f.). 1012 Siehe auch Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 10 Rn. 15 m. w. N. 1013 Umfassende Übersicht zu Kritik und Gegenkritik bei Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (163 ff.). 1014 Darstellung bei Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (161 ff.). 1015 Siehe m. w. N. Hirsch, ZIS 2010, 62 (63); Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (167). 1016 Siehe hierzu Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (170 ff.). 1017 Hierzu Kriele, ZRP 2005, 185. 1018 Neben dem nachfolgend diskutierten Straf- und Zivilrecht siehe etwa aus grundrechtlicher Perspektive nur Wolff, JZ 2006, 925. 1019 Roth, in: Dölling (Hrsg.), Festschrift Lampe, 2003, S. 43 (56 f.); Singer, Ein neues Menschenbild?, 2003, S. 33 ff., 50 f., 65. 1020 Zur Diskussion aus strafrechtlicher Perspektive siehe etwa Hillenkamp, JZ 2005, 313; ders., ZStW 127 (2015), 10; ders., JZ 2015, 391; Hirsch, ZIS 2010, 62; Reinelt, NJW 2004, 2792; Schiemann, NJW 2004, 2056 sowie die (weiteren) Beiträge in Hillenkamp (Hrsg.), Neue
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Die feinen Ausziselierungen der facettenreichen strafrechtlichen Diskussion müssen im Zuge dieses Exkurses nicht umfassend nachgezeichnet werden. Mit Blick auf den vertragsrechtlichen Zugriff dieser Arbeit ist allerdings hervorzuheben, dass die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur das strafrechtliche System des Vorsatzes und der Schuld trotz der (umstrittenen) Erkenntnisse der Hirnforschung nicht in Frage stellen möchte.1021 Dabei wird die Analyse menschlichen Willens (durch die Hirnforschung) nicht (immer) in Frage gestellt.1022 Betont wird vielmehr, dass für das Strafrecht die Anknüpfung an den menschlichen Willen pragmatisch (und von den Rechtsunterworfenen auch gewünscht) sei.1023 Zwei zentrale Gründe werden vorgebracht. Zum einen könne auch die (nur) subjektive Empfindung der Willensausübung durch den Täter als taugliches Anknüpfungskriterium dienen.1024 Zum anderen – will man das Strafrecht nicht vollständig abschaffen – führe ein nicht an den menschlichen Willen anknüpfendes Strafrecht zu nicht vermittelbaren (und prinzipiell abzulehnenden) Folgen (etwa medizinische Eingriffe zur „Heilung“ des Täters?).1025 Es droht insofern ein Widerspruch zu zentralen grundgesetzlichen Wertungen.1026 Das Grundgesetz bedinge – auch und gerade im Sinne der Aufklärung – einen Bezug auf das Individuum und dessen – wenn auch nur rechtlich konzedierte – Entscheidungsfähigkeit und -kraft.1027 3. Der privatrechtliche Diskurs Die Rezeption der Hirnforschung für das Privat-, insbesondere das Vertragsrecht ist nur vereinzelt erfolgt.1028 Dieser Befund überrascht prima facie.1029 Hirnforschung − Neues Strafrecht?, 2006 und die umfassende Nachweise zum Diskurs bei Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (156 f. Fn. 20 und 21). 1021 Statt vieler Hillenkamp, JZ 2005, 313 (318 ff.) sowie etwa Kriele, ZRP 2005, 185 (186). Siehe zur Verwendung des Tatbestandsmerkmals „freie Willensbestimmung“ in verschiedenen Gesetzen Hillenkamp, JZ 2015, 391. 1022 Hirsch, ZIS 2010, 62 (67): „Nach alledem besteht keine Veranlassung, sich durch die von den genannten Hirnforschern prophezeiten Änderungen unseres Weltbildes verunsichern zu lassen.“; Kriele, ZRP 2005, 185 (186). 1023 Kriele, ZRP 2005, 185 (186). Siehe auch Hirsch, ZIS 2010, 62 (64). 1024 Hirsch, ZIS 2010, 62 (65); Kriele, ZRP 2005, 185 (186 f.). 1025 Hirsch, ZIS 2010, 62 (65). 1026 Siehe Kriele, ZRP 2005, 185 (187 f.) zur Vereinbarkeit mit dem Konzept der Menschenwürde. 1027 Kriele, ZRP 2005, 185 (186), ebd. auch zur begrenzenden Funktion des Strafrechts. 1028 Laufs, MedR 2011, 1; Mankowski, AcP 211 (2011), 153; Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 226 ff.; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 10 Rn. 11 ff. Vgl. im Übrigen auch Hillenkamp, ZStW 127 (2015), 10 (41 f.); Reinelt, NJW 2004, 2792 sowie die (übrigen) Nachweise bei Hillenkamp, JZ 2015, 391 (392 Fn. 5). 1029 So bereits Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (158): „Das Recht der Willenserklärungen aber hat der Sturm bisher kaum erreicht.“ Siehe auch Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 226 (239).
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Denn der menschliche Wille scheint doch der Dreh- und Angelpunkt der Rechtsgeschäftslehre des BGB zu sein.1030 Allgemein angesprochen ist damit die allgemeine Diskussion um die Rückbindung an willensbasierte Aktionen im (Vertrags-)Recht.1031 a) Meinungsstand Die Erkenntnisse der Hirnforschung stellen zunächst und vor allem das Rechtsinstitut der Willenserklärung grundlegend in Frage.1032 Denn der konzeptionellen Grundlage der Willenserklärung, der Entäußerung des inneren Tatbestands, wird möglichweise das prägende Fundament entzogen.1033 Handlungswille, Erklärungsbewusstsein und Geschäftswille – nach traditioneller Doktrin – bzw. Kommunikations- und Partizipationswillen stehen zur Diskussion.1034 In gleicher Weise geraten damit prima facie auch weitere Rechtsinstitute – wie etwa die Irrtumslehre – in unsicheres konstruktives Fahrwasser. Soweit die Literatur zu den vorgenannten Erwägungen Stellung bezieht, wird zunächst auf die Gesetzgebungshistorie hingewiesen. Der Gesetzgeber des BGB habe sich – insbesondere mit der Formulierung in § 104 BGB („freie Willensbestimmung“) – nicht für oder gegen einen Determinismus oder Indeterminismus entscheiden wollen.1035 Darüber hinaus wird betont, dass die Rechtsgeschäftslehre zwar an den Willen, nicht aber an die Freiheit des Willens anknüpft.1036 Zutreffend führt Mankowski aus: „Das Recht stellt die Freiheit der Willensbildung nicht in den Mittelpunkt. Es gründet den Zurechnungspunkt für seine Systemfolgen auf andere Strukturen. (…) Mit den Erfordernissen des rechtsgeschäftlichen Verkehrs wäre dies [andernfalls] nicht in Einklang zu bringen. Dies würde umso mehr gelten, weil es an verlässlichen und belastbaren Signalträgern dafür, dass ein Wille konkret wirklich frei gebildet würde, generell fehlt.“1037
Insbesondere der Rechtsbindungswillen sehe „auf das Resultat und nicht auf die Quelle“.1038 Eine wirkliche Willensbetätigung sei nicht erforderlich. 1030
Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (158). Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 3 § 8 B. 1032 Hierzu und zum Folgenden Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (173 ff.); Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 226 (233 ff., 238 ff.); Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 10 Rn. 13. 1033 Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 10 Rn. 13. Siehe auch den Impetus von Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (158). 1034 Analyse anhand dieser subjektiven Elemente bei Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (175 ff.). 1035 Hierzu Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (174) mit Verweis auf Mot. I 129 ff. Siehe auch Hillenkamp, JZ 2015, 391 (393 mit Fn. 18 f.). 1036 Vgl. auch Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 226 (244 ff.). 1037 Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (174) (Hervorh. d. Verf.). 1038 Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (178). 1031
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In diesem Sinne kann auch darauf verwiesen werden, dass bereits auf der Grundlage der derzeitig herrschenden Doktrin der Wille nur noch als konzeptioneller Ausgangspunkt fungiert, so dass insbesondere das forum internum nur teilweise geschützt wird.1039 Eine Determination schlägt damit nicht entscheidend zu Buche.1040 Der objektive Empfängerhorizont bzw. die normativen Erwartungen stehen im analytischen Fokus. Maßgeblich ist vor allem die empfundene Wahrnehmung einer Willensbetätigung. Anknüpfungspunkt bleibt die nach außen wirkende Person; diese ist nicht extern gesteuert: „Das eigene Gehirn aber ist ein Teil des Erklärenden, keine vom Erklärenden verschiedene Person. Entlang dieser ebenso einfachen wie strikten Grenze gehört die nicht extern gesteuerte Tätigkeit des eigenen Gehirns zur Autonomie des Erklärenden. (…) Selbstbestimmt sind Handlungen, wenn sie unabhängig von Faktoren sind, die nicht dem Selbst zuzurechnen sind.“1041
b) Würdigung Postuliert man den Willen als zentrales Element der Privatautonomie, mag eine solche Schlussfolgerung möglicherweise Zweifel aufwerfen. Argumentiert werden könnte, dass die allgemeine Rechtsgeschäftslehre – wie auch eine Vielzahl anderer Rechtsgebiete (etwa das Delikts- und das Erbrecht) – de lege lata konzeptionell an den Willen als solchen anknüpft. Richtigerweise steht aber rechtlich nicht ein wirklich freier Wille im Sinne der Hirnforschung im Vordergrund. Neurowissenschaften und Recht sind eben – systemtheoretisch gesprochen – zwei unterschiedliche (Teil-)Systeme. Eine Rückkopplung1042 findet gerade nicht statt.1043 Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die Erkenntnisse der Hirnforschung zwar eine richtige (und wichtige) Beobachtung sind. Aus der Perspektive der Rechtsgeschäftslehre hiermit aber keine entscheidenden rechtlichen Implikationen bedingt sind.1044
1039 Siehe Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (173 f., 183 ff.) sowie bereits Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209 (218 f.). Siehe auch Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 226 (235). 1040 Siehe Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (185): „Wenn die Motivation, auf der eine Willenserklärung beruht, aber prinzipiell unbeachtlich ist, muss es auch prinzipiell unbeachtlich sein, ob der Willensbildung eine bewusste Entscheidung in subjektiver oder objektiver Freiheit zugrunde liegt oder nur neuronale Determinierung.“ Siehe etwa auch (zustimmend) Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 8. Siehe ferner Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 226 (245 f.). 1041 Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (187). 1042 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 A. 1043 Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (191). 1044 So im Einzelnen herausgearbeitet von Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (173 ff.), der zutreffend den (bereits konzeptionell) unterschiedlichen Ansatz des Strafrechts betont (ebd. 188 ff.). Siehe auch Schur, in: Lampe/Pauen/Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ord-
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Kapitel 4: Rechtsdogmatischer Diskurs
Die „Rückstellung“ eines wirklich freien Willens erweist sich im Übrigen und vor allem als argumentativ begründbar und stimmig1045 , wenn man annimmt, die Rechtsgeschäftslehre knüpfe vornehmlich an die Erzeugung normativer Erwartungen an.1046 Materiell steht damit eine Ordnung durch die Zurechnung von Erklärungen im Raum: „Zurechnung ist eine verobjektivierte Prädizierung. (…) Der Willensbegriff im Recht der Willenserklärungen soll eben nicht nur individuelle Zurechnung gewährleisten, sondern erfüllt zugleich eine soziale Ordnungsfunktion, die materiell das Minimum an Rationalitätsvorgaben transportiert.“1047
Die Bezugnahme auf normative Erwartungen dient in diesem Sinne der Ordnungsfunktion der Rechtsgeschäftslehre, die andernfalls in Frage gestellt würde.1048 So gilt mit Mankowski: „An Rationalitätskriterien orientierte Figuren des normativierten Willens stabilisieren den Rechtsverkehr.“1049 Argumentativ einher geht hiermit zwar das Eingeständnis, dass ein schrittweiser Rückzug eines vollständig willensbasierten Vertragsrechts akzeptiert werden muss.1050 Eine zwingende Aufgabe des Willens als Basis privatautonomer Bindung bedeutet dies freilich nicht. Geltungsgrund der Willenserklärung ist schließlich das Zusammenwirken von Wille und Erklärung.1051 Rechtliche Folge der Erkenntnisse der Hirnforschung ist somit nicht, dass eine willenlose Erklärung anzunehmen – und allein auf den äußeren Tatbestand sowie dessen Auslegung zu rekurrieren – ist. Im Duktus der systemtheoretischen Ausführungen ist vielmehr anzunehmen, dass der determinierte Wille kein Bestandteil des Systems Recht ist. Die Willensbildung ist insoweit nicht operabel. In welcher Weise bzw. ob der Willen intern wirklich frei gebildet wurde, ist nicht entscheidend.1052 Eine solchermaßen verstandene Willensfreiheit ist rechtlich außer Acht zu lassen.
nung, 2008, S. 226 (246 f.); Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11. Aufl. 2016, § 10 Rn. 15 f. 1045 Siehe auch schon oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. sowie im Übrigen Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 8. 1046 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 C. 1047 Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (190). Siehe etwa auch Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 8 , der ebenso die normative Zurechnung durch die Rechtsgeschäftslehre betont. 1048 Siehe auch Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 8 . 1049 Mankowski, AcP 211 (2011), 153 (194). 1050 Vgl. auch bereits Hepting, in: Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 209 (218 f.). 1051 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. b). 1052 Staudinger/Singer (Neubearbeitung 2017), Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 8 .
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II. Rückblick: Der AGB-rechtliche Diskurs De facto hat sich die (Privat- bzw. Vertrags-)Rechtswissenschaft allerdings bereits vor längerer Zeit von einem willensbasierten Ansatz für Verträge in einem praktisch höchst relevanten Bereich (nahezu) abgewendet: Verträge unter Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.1053 1. Grundlagen In realiter ist Ausgangspunkt für die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Annahme, dass die andere Vertragspartei (zumeist) durch die Unterschrift unter den Vertrag – oder das Klicken eines entsprechenden Buttons – den gesamten Vertragsinhalt inklusive der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihren Willen aufnimmt. Die vertragliche Bindung erstreckt deswegen auf den gesamten Vertrag. Diese Rechtswirkung tritt unabhängig davon ein, ob die andere Vertragspartei den Vertrag gelesen oder verstanden hat. Der dem Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüberstehenden Partei ist es oftmals im alltäglichen Geschäftsverkehr nicht zumutbar (wenn auch faktisch möglich), die Bedingungen vollständig zu lesen. Noch wichtiger ist allerdings, dass ein Lesen und Aushandeln (faktisch) zweckbefreit ist.1054 Einerseits besteht (in fast allen Fällen) eine mangelnde Verhandlungsbereitschaft des Verwenders. Andererseits ist der mit einer Prüfung der Bedingungen verbundenen Aufwand für die andere Vertragspartei regelmäßig wirtschaftlich unverhältnismäßig – ökonomisch gesprochen bestehen prohibitiv wirkende Transaktionskosten.1055 Aus der Perspektive der anderen Vertragspartei liegt ein „take it or leave it“-Szenario vor.1056 Die andere Vertragspartei ist situativ unterlegen.1057
1053
Hierzu ausführlich Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 802 ff. Zum insoweit bestehenden partiellen Marktversagen siehe nur Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 4 ff. 1055 Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 7. 1056 Vgl. auch Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 4: „widerspruchslos hinnimmt“. 1057 Siehe nur Lieb, AcP 178 (1978), 196 (201 f.) sowie etwa BT-Drs. 7/3919, S. 13 zum AGBG: „(…) [N]icht selten wird [die Überlegenheit des Verwenders] aber noch dadurch verstärkt, daß der Vertragspartner, der sich den AGB unterwerfen soll, wirtschaftlich schwächer oder intellektuell unterlegen ist.“ Die Rede von einer intellektuellen oder strukturellen Unterlegenheit (oder auch von allgemeinen Ungleichgewichtslagen) ist allerdings im Grundsatz nicht mit der Idee einer Privatrechtsgesellschaft mit gleichberechtigten Subjekten vereinbar, vgl. hierzu Zöllner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 53 (72 f.). 1054
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2. Erste Reaktion(en) Die (ursprüngliche) Schärfe, die einem solchen Ansatz innewohnt(e), tritt im Massenverkehr offen zutage. Ohne eine wirksame Kontrolle muss die andere Vertragspartei darauf vertrauen, dass die Konditionen für sie noch in einer Weise akzeptabel sind. Die umfassende Bindung an den geschriebenen Vertragstext für jegliche Vertragspartei ist im Grundsatz der allgemeine vertragsrechtliche und privatautonome Ausgangspunkt. Das deutsche Recht hat mit dem Grundsatz von Treu und Glauben allerdings einen zentralen Korrekturmechanismus – auch und gerade für Allgemeine Geschäftsbedingungen – aktiviert. Der Sache nach geht es um die Grenzziehung zwischen formaler und materialer Vertragsfreiheit.1058 Bereits früh hat die Rechtsprechung in die unbeschränkte vertragliche Bindung der Vertragsparteien auf dieser Grundlage eingegriffen.1059 Verschiedene Klauseln wurden so nach und nach zunächst nach § 138 BGB, sodann vor allem gemäß § 242 BGB für unwirksam erklärt.1060 3. Kodifizierung Im weiteren Verlauf sind diese Grundsätze in Gesetzesform gegossen worden (AGBG) – und ebenso unter unionalem Einfluss – weiter ausgebaut und schließlich ins BGB überführt worden (§§ 305 ff. BGB). a) Schutz durch Inhaltskontrolle Zentrales Element der Regelungen ist die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle. Für diese Kontrolle werden unterschiedliche Zwecke (teils kumulativ) benannt. Ausgangspunkt soll die beschriebene situative Unterlegenheit der anderen Vertragspartei sein. In Bezug auf die Aushandlung der Konditionen kommt es zu einem Marktversagen.1061 Die situative Unterlegenheit des Klauselgegners basiert auf der Informationsasymmetrie zugunsten des Verwenders.1062 Im Sinne einer individuellen Rechtfertigung verfolgt die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle somit zunächst den Schutz des Klauselgegners vor Fremdbestimmung. 1058
Siehe zum AGB-Recht nur Oetker, AcP 212 (2012), 202 (203) m. w. N. Siehe hierzu Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 11 f. 1060 Überblick m. w. N. bei Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 12. 1061 Siehe hierzu etwa nur Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 4 ff.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (21). 1062 Siehe etwa Adams, BB 1989, 781 (783 f.); weitere Nachweise bei Oetker, AcP 212 (2012) 202 (218 Fn. 80); siehe im Übrigen Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 234 ff. 1059
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Überindividuell wird die wohlfahrtssteigernde Wirkung der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle betont.1063 Insbesondere ist insofern die Erleichterung von Vertragsabschlüssen hervorzuheben. Es werden die Transaktionskosten des jeweiligen Vertragsschlusses erheblich reduziert.1064 Darauf aufbauend wird das Vertrauen der anderen Vertragspartei in den Massenverkehr allgemein und das jeweilige Vertragsangebot im Besonderen erhöht – sodass unter Umständen überhaupt erst Verträge in dieser Weise bzw. ein bestimmter Vertrag(styp) geschlossen wird. b) Einbeziehung und Rechtsgeschäftslehre Nach § 305 Abs. 2 BGB werden allgemeine Geschäftsbedingungen nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss die andere Vertragspartei ausdrücklich oder je nach Umständen durch einen adäquaten Aushang auf die Bedingungen hinweist und zusätzlich der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise von dem Inhalt der Bedingungen Kenntnis zu nehmen sowie – dies ist nachfolgend allein von Interesse – die andere Vertragspartei mit der Geltung der Bedingungen einverstanden ist. Allgemeine Geschäftsbedingungen werden somit de jure auf rechtsgeschäftlicher Grundlage einbezogen. Der gesetzgeberische Ansatz reagierte damit auch auf eine zuvor abweichende Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach eine „echte“ rechtsgeschäftliche Einigung abgelehnt und vielmehr die „Unterwerfung unter eine fertig bereit liegende Rechtsordnung“ bejaht wurde1065 bzw. auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: „(…) Die Anforderungen an die Einbeziehung (…) bewegen sich zum Teil erheblich unterhalb der Schwelle, welche die §§ 145 ff. BGB ansonsten für das Zustandekommen vertraglicher Vereinbarungen aufstellen. (…) Der grundsätzlich zu fordernde Verweis des Klauselverwenders auf seine AGB wird bei bestimmten Fallgestaltungen für entbehrlich gehalten, so etwa wenn die Verwendung von AGB branchenüblich ist oder einer Verkehrssitte entspricht.“1066 1063 Zur Rationalisierung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen siehe nur Basedow, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, Vorbemerkung vor § 305 Rn. 2 sowie bereits Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 20 f. 1064 Siehe Leyens/Schäfer, AcP 210 (2010), 771 (775, 784 f.); Nachweise im Übrigen bei Oetker, AcP 212 (2012), 202 (218 Fn. 81). 1065 RG, DR 1941, 1210 (1210): „Der Abschluß von Verträgen, die unter Bezugnahme auf oft sehr umfangreiche Allgemeine Geschäftsbedingungen geschlossen werden, stellt sich kaum noch als eine echte vertragliche Vereinbarung dar, bedeutet viel eher eine Unterwerfung unter eine fertig bereitliegende Rechtsordnung, und es kommt wenig darauf an, was dem in diese Rechtsordnung freiwillig Eintretenden im einzelnen von ihrem Inhalt bekannt ist. (3. Leitsatz)“; siehe auch ebd. (1212) das zusätzlich geklammerte „(freiwillig)“ in den Urteilsgründen. 1066 BT-Drs. 7/3919, S. 13. Siehe auch zur alten Rechtslage Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1996, Rn. 691 f.
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Bei der Einführung der AGB-rechtlichen Regelungen (zunächst im AGBG) benannte der Gesetzgeber deswegen die folgende Motivation: „Demgegenüber will [die Neuregelung] sicherstellen, daß die Einbeziehung von AGB in den Einzelvertrag wieder fest auf dem Boden des nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch maßgeblichen rechtsgeschäftlichen Vertragswillens verankert wird, ohne dabei jedoch Anforderungen zu stellen, die entgegen der legitimen Rationalisierungsfunktion von AGB den Rechtsverkehr insbesondere bei Massengeschäften des täglichen Lebens unnötig behindern.“1067
4. Allgemeine Geschäftsbedingungen und normative Erwartungen Die Notwendigkeit der Verwendung und Kontrolle standardisierter Geschäftsbedingungen, die Rationalisierungsfunktion, für den modernen Massenverkehr stehen außer Zweifel. In gleicher Weise ist allerdings die AGB-rechtliche Einbeziehung und Kontrolle dieser Geschäftsbedingungen – neben den vorgenannten Zwecken – ein schleichender Rückzug eines auch willensbasierten Vertragsschlusses.1068 Quasi niemand liest Allgemeine Geschäftsbedingungen im Alltag, weil aufgrund des AGB-Rechts niemand Allgemeine Geschäftsbedingungen lesen muss. Quasi niemand bildet sich einen Willen über die Inhalte der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Selbst wenn die „Kenntnis“ bzw. das „zur Kenntnisnehmen“ der Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch das Setzen eines entsprechenden Häkchens „bestätigt“ wird, geht damit eine Lektüre der Allgemeinen Geschäftsbedingungen allenfalls äußerst selten einher. Eine „Zustimmung“ zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, genauer: die Abgabe einer Willenserklärung – sei es Angebot oder Annahme – unter Beachtung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verwenders, ist in aller Regel nicht durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen geprägt. Die andere Vertragspartei stimmt vielmehr – vor allem in b2c-Beziehungen – „blind“ zu. Aufgrund der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle ist ein solches Vorgehen gleichwohl rational (es besteht eine ra tionale Apathie). Mit der Aufnahme der Regelungen in den (entäußerten) Willen ist dies allerdings nur noch sehr begrenzt verbunden. Vielmehr erwartet die dem Verwender gegenüberstehende Vertragspartei beim Vertragsschluss zweierlei: Zunächst erwartet die Vertragspartei eine Gesetzeskonformität der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Eine vertragliche Bindung an solche Bedingungen wird auch ohne positive Kenntnis zum Zwecke des Vertragsschlusses im Massenverkehr hingenommen. Darüber hinaus erwartet die Vertragspartei aufgrund der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle die Irrelevanz solcher Bestimmungen, die AGB-rechtswidrig sind, also insbesondere sie, die Vertragspartei,
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BT-Drs. 7/3919, S. 13. Siehe nochmals Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 802 ff.
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unangemessen benachteiligen.1069 Das AGB-Recht stärkt in letzter Konsequenz somit die (gegenseitige) Erwartung, sich keinen näheren Willen bilden zu müssen. III. Status Quo: Normative Kraft des Faktischen Der skizzierte AGB-rechtliche Zugriff spiegelt den aktuellen Diskurs zu den zuvor beschriebenen Grundsätzen der Computererklärung1070 anschaulich wider. Hier wie dort operiert das (Vertrags-)Recht an der Grenze zur Fiktion. Während das AGB-Recht eine Aufnahme in den Willen unterstellt, wird zumindest von der herrschenden Meinung bei autonomen Agenten angenommen, das nicht vorhersehbare, adaptive und unter Umständen auch nicht nachvollziehbare Ergebnis technischer Prozesse sei von der (Initial-)Willensbildung gedeckt.1071 Derartige Ansätze sind – faktisch – sehr nachvollziehbar. Treiber der zugrunde liegenden dogmatischen Konstruktionen ist der Wille, dass entsprechende Verfahren (rechts-)praktisch funktionieren. Allgemeine Geschäftsbedingungen sollen – aus guten Gründen – verwendet werden. Der Einsatz technischer Anwendungen (elektronische und autonome Agenten) – diesem Impetus folgen auch und gerade die in dieser Untersuchung folgenden Vorschläge1072 – eröffnet ein enormes wohlfahrtsförderndes Potenzial und soll (bzw. muss) deswegen in die bestehenden dogmatischen Formen eingepasst werden. Friktionen werden ignoriert, obwohl „[d]och (…) heute kein Mensch Vertrauen darauf [hat], dass bei Internet-Verträgen ausschließlich Menschen die Vertragspartner sind.“1073 Über die benannten Formen der Interaktion hinaus wird eine Vielzahl von Verträgen heutzutage automatisiert abgewickelt. Entsprechende Verträge sind – wenn überhaupt – nur noch mit einem Initialwillen der Vertragsparteien versehen. Exemplarisch sei auf Vertragsschlüsse im Zuge des sogenannten High Frequency Trading hingewiesen.1074 Bei entsprechenden Verträgen treffen die zuvor genannten Tendenzen – und sämtliche Dimensionen systemischer Bindung – zudem zumeist zusammen. Es werden elektronische oder autonome Agenten in Plattformkonstellationen (und gegebenenfalls auf einer Blockchain) eingesetzt und diese operieren zugleich auf der Grundlage (vor-)definierter Allgemeiner Geschäftsbedingungen1075 – und im übertragenen Sinne mag man sich
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Siehe auch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, S. 820 ff. Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 B. 1071 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. II. 1072 Siehe nachfolgend sub Kapitel 6 § 17. 1073 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (181). 1074 Vgl. auch Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (262). Siehe im Übrigen monographisch Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019. 1075 Siehe etwa zu AGB im sogenannten M-Commerce siehe Janal, NJW 2016, 3201. 1070
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an das (etwas abgegriffene) Bonmot der „normativen Kraft des Faktischen“ erinnert wissen. IV. Ausblick: Faktische Kraft der Technik Die faktischen Möglichkeiten der Technik werden auch in Zukunft die rechtliche Organisation von Verträgen prägen. Illustriert werden kann das zunächst mit einem rechtsgebietsfremden Blick auf jüngere verwaltungsrechtliche Regelungen, die die Allgegenwärtigkeit automatisierter Prozesse unterstreichen.1076 So bestimmt etwa § 35a VwVfG: „Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht.“ In ähnlicher Weise, wenngleich detaillierter, regelt § 31a Satz 1 SGB X: „Ein Verwaltungsakt kann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern kein Anlass besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten.“1077 Die technologischen Entwicklungen in Bezug auf Verträge sind freilich noch nicht allumfassend absehbar. Zumindest grundlegende Entwicklungstendenzen – auch und gerade für Verträge bzw. für das Vertragsrecht – zeichnen sich allerdings dennoch in Grundzügen ab. So erscheint es äußerst wahrscheinlich, dass technisch gestützte und durch autonome Anwendungen vollzogene Vertragsschlüsse in ihrer Bedeutung und Anzahl weiter zunehmen werden. Die auch zukünftig wohl omnipräsente Plattformökonomie wirkt hier ebenso als Treiber wie Anwendungen des Internet der Dinge. Durchaus naheliegend ist überdies, dass die vertragliche Vernetzung „zwischen“ Produkten ganze Einsatzszenarien solcher Produkte – wenn nicht gar Lebensbereiche – prägen wird. So könnte etwa der Straßenverkehr bzw. könnten Mobilitätsdienstleistungen ausschließlich oder ganz überwiegend auf miteinander „kommunizierenden“ Akteuren basieren – sprich auf (rahmen-)vertraglich miteinander verbundenen Subjekten – seien es die Eigentümer, die Halter oder die Fahrer (oder die autonome Anwendung selbst1078). Damit verbunden ist auch die Überlagerung bzw. Rahmung bisher durch das Deliktsrecht determinierter rechtstatsächlicher Erscheinungen (auch) durch das Vertragsrecht. Ebenso werden sich auch solche Szenarien fortentwickeln, die bereits bislang durch das Vertragsrecht erfasst werden.1079 Die Partizipation autonomer Agen1076 Siehe ferner § 88 Abs. 5 Satz 1 AO: „Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern (…) automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme).“ 1077 Siehe zu § 35a VwVfG und § 31a SGB X etwa Martini/Nink, NVwZ-Extra 2017, 1. 1078 Siehe hierzu noch nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. 1079 Die folgenden Ausführungen erfolgen in Anlehung an Hennemann, AcP 219 (2019), 818 (852 f.).
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ten zum Vertragsschluss dürfte mittel- bis langfristig zum Standard einer Vielzahl von Geschäftsmodellen aufwachsen. Diese Entwicklung wird voraussichtlich durch eine Algorithmisierung von Verbrauchern (Gal/Elkin-Koren) ergänzt werden.1080 Jede Marktseite (und Marktstufe) wird für sich Algorithmen (seien es elektronische oder autonome Agenten) „arbeiten“ lassen – auch und gerade Endnutzer bzw. Verbraucher. Erste Ansätze einer entsprechenden Algorithmisierung verdeutlicht der Einsatz digitaler Assistenzsysteme („digitaler Butler“), die zuvor beispielhaft skizziert wurden.1081 Dabei ist zu berücksichtigen, dass entsprechende Assistenzsysteme (noch) nicht „im Lager“ des Verbrauchers stehen.1082 Solche Systeme sind vielmehr ein Instrument der Marktgegenseite, die wahlweise Intermediärsbzw. Plattform-Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Zumindest mittelfristig dürften sich allerdings marktgängige Dienstleistungen entwickeln (bzw. sich durchsetzen), die als eine „echte“ Assistenz auf Seiten des Endkunden zu begreifen sind – sprich ausschließlich bzw. überwiegend im (wirtschaftlichen) Interesse des Endkunden operieren.1083 Diesen Prozess mag man auch mit der (validen) Hoffnung verbinden, ein derartiger Einsatz von elektronischen bzw. autonomen Agenten durch Endkunden könne zu einem empowerment der Endkunden gegenüber der (marktmächtigen) Marktgegenseite führen.1084 Die „Wiederherstellung“ der Machtbalance würde gleichsam mit einer materialen Gleichberechtigung einhergehen – und damit konzeptionell die digitale Privatrechtsgesellschaft befördern.1085 Ergänzend ist damit die Aussicht verbunden, dass Verträge bzw. Vertragsverhältnisse (wohlfahrtsökonomisch gesprochen) effektiver organisiert werden – auch und gerade zugunsten der Verbraucherwohlfahrt. Imbalancen bzw. Informationsasymmetrien der unterschiedlichen Marktpartizipierenden würden ausgeglichen (bzw. reduziert). Märkte könnten einen höheren Grad des Wett bewerbs bzw. einen niedrigeren Grad von Wettbewerbsbeschränkungen auf weisen.
1080 Grundlegend Gal/Elkin-Koren, Harvard J. of Law & Tech. 30 (2017) 309 zu Algorithmic Consumers (aus kartellrechtlicher Perspektive). Näher noch nachfolgend sub Kapitel 6 § 18 B. II. 1. 1081 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. VI. 1082 Skeptisch, dass sich tatsächlich „unabhängige“ digitale Assistenzsysteme („virtous assistants“) auf den Märkten durchsetzen werden Stucke/Ezrachi, Is Your Digital Assistant Devious?, University of Tennessee Legal Studies Research Paper # 304 (2016), S. 11 ff. Vgl. auch Gal/Elkin-Koren, Harvard J. of Law & Tech. 30 (2017) 309 (324). 1083 Hierzu m. w. N. Hennemann, AcP (219) 2019, 818 (851 ff.). 1084 Skeptisch, ob hieraus ein taugliches Marktgegengewicht zu (den Algorithmen von) marktmächtigen Unternehmen resultiert, Monopolkommission, Wettbewerb 2018 – XXII. Hauptgutachten, 2018, Tz. 196. Siehe auch Paal, GRUR 2019, 43 (46). 1085 Zum Konzept der Böhm’schen Privatrechtsgesellschaft sowie zur Privatrechtsgesellschaft im Lichte der Digitalisierung siehe oben sub Kapitel 3 § 9 C.
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Vor diesem Hintergrund bestimmt die faktische Kraft der Technik ganz grundlegend die vertragliche und vertragsrechtliche Arena im 21. Jahrhundert – allerdings nicht erst zukünftig, sondern mit Blick auf plattformbasierte Anwendungen, smarte Anwendungen, Blockchain-basierte Anwendungen sowie den Einsatz automatisierter und autonomer Agenten bereits heute. In diesem Sinne sollen im Folgenden die im vorgenannten Sinne konsequenter Weise zu erwägenden – im übertragenen Sinne unausweichlichen – Fortentwicklungen von Verträgen, der Vertragsorganisation und des Vertragsrechts umfassend betrachtet werden. Alter Wein in neuen Schläuchen1086 kann nicht (mehr) der Maßstab sein.
1086 Sehr lesenswert Grigoleit, AcP 218 (2018), 601, der äußerst pointiert und amüsant das Verhältnis von Privatrecht(lern) und Digitalisierung ausmalt.
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Rechtspolitischer Diskurs Die hier definierten Dimensionen systemischer Bindung1 sind Gegenstand eines mannigfaltigen und anhaltenden rechtspolitischen Diskurses, der sich auch in das politische Großziel eines einheitlichen digitalen Binnenmarkts einfügt.2 Dieser Diskurs soll im Folgenden aus der Perspektive des Untersuchungsgegenstands dieser Arbeit skizziert und gewürdigt werden. Dabei steht (vor allem) die Erzeugung vertraglicher Bindung im Fokus. Technische Einzelfragen der damit berührten Vertragsverhältnisse sollen dagegen an dieser Stelle nicht vertieft werden. Im Einzelnen findet insbesondere eine Auseinandersetzung statt mit rechtspolitischen Entwicklungen, aktuellen Strategiepapieren, Vorschlägen und Gesetzesvorhaben. Angesprochen sind damit etwa in Bezug auf die Vertragsbeziehungen die jüngst verabschiedeten Richtlinien zu digitalen Inhalten 3 sowie zum Warenkauf4, der Vorschlag einer Ergänzung der Verbraucherrechterichtlinie5 und der Vorschlag für eine Verordnung zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiens-
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Siehe oben sub Kapitel 2 § 6. Siehe die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, COM(2015) 192 final. Hierzu aus vertragsrechtlicher Perspektive De Franceschi, in: ders. (Hrsg.), European Contract Law and the Digital Single Market, 2016, S. 1 ff.; allgemein(er) Adamski, Common Market Law Review 55 (2018), 719. 3 Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, ABl. 2019 L 136, S. 1 ff. 4 Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/ EG, ABl. 2019 L 136, S. 28 ff. Hierzu Bach, NJW 2019, 1705. 5 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185 final. 2
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ten6 (im Zuge des sogenannten New Deals7). Zudem werden auch akademische Vorschläge betrachtet. Dies umfasst insbesondere den Vorschlag zu einer Richtlinie über Online-Vermittlungsplattformen8 sowie die Vorschläge von Wendehorst zu vertragsrechtlichen Aspekten des Internet der Dinge.9 Neben den derzeit auf rechtspolitischer Ebene, insbesondere der Europäischen Union, diskutierten (neuen) Instrumenten soll auch und gerade der größere Kontext der Vertragsrechtsentwicklung nicht aus dem Blick verloren werden, weswegen auch die sonstigen Textstufen10 der Privatrechtsentwicklung und Privatrechtsvereinheitlichung in Europa bzw. in der Europäischen Union – und da bereits zeitlich weiter zurückliegend: vor die Klammer gezogen zuerst – kurz betrachtet werden.
§ 13 Vertragsbeziehung(en) Im rechtspolitischen Diskurs stehen bislang gänzlich „neue“ Konzeptionen der Vertragsbeziehung(en) nicht im Fokus. Zu Recht konstatierten im Jahre 2016 Busch, Schulte-Nölke, Wiewiórowska-Domagalska und Zoll: „The existing consumer contract law of the EU and its Member States seems to be rather outdated with respect to the dynamics of the platform economy. Consumer contract law primarily deals with ‘bipolar’ contractual relationships between a trader and a consumer. If a trader and a consumer conclude their contract via an online platform such as Ebay or Airbnb, the platform is usually not party to this contract between the consumer and the supplier of the goods or services. In such a ‘triangular’ situation, however, there are also legal relationships between the platform and the consumer, as well as between the platform and the supplier.“11
Die bislang bestehende „Trennung“ der verschiedenen rechtlich relevanten Beziehungen in praxi sei zudem nur durch einen Hinweis auf die Nutzungsbedingungen zu Amazons Alexa unterstrichen:
6 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten, COM(2018) 238 final; hierzu etwa Busch, IWRZ 2018, 147; Twigg-Flesner, EuCML 2018, 222; Wais, EuZW 2019, 221. 7 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher, COM(2018) 183 final. Zum New Deal und den damit verbundenen Novellierungen etwa Augenhofer, EuZW 2019, 5. 8 Research group on the Law Digital Services, EuCML 2016, 164 (166 ff.); deutsche Übersetzung bei Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (790 ff.). 9 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016. 10 Siehe stellvertretend nur Zimmermann, EuZW 2009, 319. 11 Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (4).
§ 13 Vertragsbeziehung(en)
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„Amazon ist für Dienste Dritter nicht verantwortlich oder haftbar. (…) 2.2 Produkte Dritter. Alexa-fähige Produkte und Unterstützte Produkte umfassen Produkte Dritter, die nicht von Amazon entwickelt oder hergestellt werden. Amazon wird möglicherweise für den jeweiligen Hersteller automatisierte Updates der Firmware für bestimmte [u]nterstützte Produkte vornehmen. Amazon ist für solche Produkte Dritter oder die vom Hersteller bereitgestellte Firmware nicht verantwortlich oder haftbar.“12
Zunächst mag der vorbenannte Stand Ausfluss der Tatsache sein, dass die bisherigen Vertragsstrukturansätze sich als operabel erwiesen haben. Ebenso mag dieser Befund der Umsetzungswahrscheinlichkeit entsprechender Verstöße geschuldet sein. Die bislang umgesetzten Vorschläge auf unionaler und nationaler Ebene konzentrieren sich (deswegen) regelmäßig auf punktuelle Ergänzungen, die als besonders dringlich bzw. eminent regelungsbedürftig eingestuft werden. Inzwischen greifen Vorschläge zu entsprechenden Ergänzungen allerdings bereits vereinzelt die verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung auf. Ein „großer Wurf“, etwa im Sinne einer Überwindung eines rein bipolaren Denkens, wird damit allerdings nicht bezweckt.13
A. (Akademische) Vorschläge zu einem Europäischen Vertrags- und Privatrecht Die gemeinsame Tradition des Europäischen Privatrechts bzw. der europäischen Privatrechte ist in den letzten Jahrzehnten (wieder) verstärkt betont worden.14 Auf dieser Grundlage wird konzeptionell das damit verbundene ius commune als (taugliches) Fundament eines (zukünftigen) Europäischen bzw. Unionalen Vertrags- und Privatrechts begriffen. Rechtsvergleichend bzw. historisch-rechtsvergleichend sind in diesem Sinne verschiedene Versuche eines restatement bzw. einer (akademischen) „Kodifizierung“ unternommen worden.15 Das Vertragsrecht stand dabei zumeist im Mittelpunkt.16 Ein solcher Zugriff erfolgte zum einen aufgrund der praktischen Bedeutung des Vertragsrechts. 12 Alexa Nutzungsbedingungen, https://www.amazon.de/gp/help/customer/display.htm l?nodeId=201809740 (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 13 Dies in Bezug auf den Richtlinienvorschlag zu bestimmten vertragsrechtlichen Aspekten der Bereitstellung digitaler Inhalte beklagend Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (287 f.). Siehe auch Auer, ZfPW 2019, 130 (146 f.). 14 Hierzu etwa Zimmermann, JZ 1992, 8. Siehe auch ders., AcP 202 (2002), 243. Vgl. ferner zur globalen Dimension des EU-Privatrechts etwa Grundmann, in: Kaal/Schmidt/Schwartze (Hrsg.), Festschrift Kirchner, 2014, S. 53 ff. 15 Überblick bei Zoll, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 9 Rn. 1 ff. Umfassend Jansen/Zimmermann (Hrsg.), Commentaries on European Contract Laws, 2018. 16 Hierzu Schulze/Zoll, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2017. Siehe etwa auch die Principles of European Insurance Contract Law (PEICL), hrsg. von Basedow/Birds/Clarke/ Cousy/Heiss/Loacker, 2. Aufl. 2016, und die Principles of European Tort Law, hrsg. von der European Group on Tort Law, 2005 sowie zu weiteren Vorschlägen Zoll, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 9 Rn. 43 ff.
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Zum anderen ist insofern allerdings auch der Leitbildcharakter des Vertragsrechts für die Zivilrechtsordnung(en) nicht zu unterschätzen. Angeregt wurden die Arbeiten nicht zuletzt auch durch entsprechende Initiativen des Europäischen Parlaments17 und der Europäischen Kommission18 . Konzeptionelle Ausgangs-, Referenz- und Anknüpfungspunkte seit den 1970er Jahren waren – wenn auch nicht im engeren Sinne europäisch – das UN-Kaufrecht (1980)19 und die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (im Folgenden: UNIDROIT Principles; erste Version 1994, inzwischen vierte Version 2016).20 Im letzten Jahrzehnt sind insbesondere, aber nicht nur, mit dem Draft Common Frame of Reference (DCFR) 21 auch weitere Rechtsgebiete mitbetrachtet bzw. dem Impetus der notwendigen Abstimmung und Verknüpfungen zwischen den Rechtsgebieten nachgegangen worden. In jüngster Zeit stehen allerdings wiederum „engere“, sprich auf bestimmte Realphänomene fokussierte, Vorschläge im Vordergrund. Außer Frage steht im Übrigen, dass sich auf unionaler Ebene ein nicht unwesentlicher – vor allem verbraucherschutzrechtlicher – acquis communitaire herausgebildet hat.22 Der acquis ist in verschiedener Weise in die nachfolgend betrachteten Vorschläge mit eingeflossen.23 I. Internationale Vorläufer und Inspirationsquellen: Völkerrecht und Soft Law-Instrumente Das UN-Kaufrecht befasst sich mit Fragen der systemischen Bindung von Verträgen bzw. mit Aspekten der Drittwirkung in Vertragsstrukturen nicht im Detail. Die Regelungen zum Vertragsschluss (Art. 14 ff.) gehen von einer (rein) bipolaren Konstellation aus.24 17 Europäisches Parlament, Entschließung zu den Bemühungen um eine Angleichung des Privatrechts der Mitgliedstaaten vom 26.5.1989, ABl. 1989 Nr. C 158/400; Entschließung zur Angleichung bestimmter Bereiche des Privatrechts der Mitgliedstaaten vom 06.05.1994, ZEuP 1995, 669. 18 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein kohärentes Europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan, KOM(2003) 68 endg. 19 Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über den internationalen Warenkauf, BGBl. 1989 II S. 586, berichtigt BGBl. 1990 II S. 1699. 20 Versionen abrufbar unter https://www.unidroit.org/ (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 21 v. Bar/Clive/Schulte-Nölke (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of Euro pean Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR), 2009. 22 Zu den Grundsätzen des Vertragsschlusses im acquis communitaire Schulze, GPR 2005, 56. 23 Siehe hierzu zusammenfassend, insbesondere zur Acquis Group, Zoll, in: Gebauer/ Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 9 Rn. 10 ff. 24 Siehe im Übrigen zur Vereinbarung eines Anspruchs eines Dritten bzw. eines Vertrags zugunsten Dritter auf der Grundlage von Art. 6 UN-Kaufrecht Schwenzer/Hachem, in: Schwenzer (Hrsg.), Schlechtriem & Schwenzer Commentary on the UN Convention on the International Sale of Goods (CISG), 4. Aufl. 2016, Art. 4 Rn. 21.
§ 13 Vertragsbeziehung(en)
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Die UNIDROIT Principles verstehen sich als Beitrag zur Konturierung einer lex mercatoria und als restatement des Rechts der internationalen Handelsverträge.25 Der aufgestellte Regelbestand bildet ein soft law-Instrument. Die UNIDROIT Principles befassen sich ebenfalls nur punktuell mit verschiedenen Formen des Dritteinflusses. So hat etwa die Preisbestimmung durch eine dritte Person mit Art. 5.7 Abs. 3 eine Regelung erfahren. Eine explizite Regelung zum Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse ist hingegen nicht aufgenommen worden.26 Es bleibt somit bei der allgemeinen Stellungnahme zu Art. 1.3 (Binding character of contract): „3. Effects on third persons not dealt with. While as a rule a contract produces effects only between the parties, there may be cases where it also affects third persons. Thus, a seller may under some domestic laws be under a contractual duty to protect the physical integrity and property not only of the buyer but also of accompanying persons during their presence on the seller’s premises; (…) By stating the principle of the binding force of the contract between the parties, this article does not intend to prejudice any effect which that contract may have vis-à-vis third persons under the applicable law. (…)“27
Die UNIDROIT Principles (2004) erweitern den Zugriff und regeln nun explizit etwa die Stellvertretung (Art. 2.2.1 ff.) oder Ansprüche bzw. Rechte Dritter (Art. 5.2.1 ff.).28 Hervorzuheben ist insoweit insbesondere, dass die Principles explizit einen Vertrag zugunsten Dritter (Art. 5.2.1) aufnehmen.29 Im Übrigen wurde der Grundsatz beibehalten, dass Drittwirkungen außer durch die explizit benannten Regelungen gegenüber dem (ansonsten) anwendbaren Recht nicht präformiert werden sollen.30
25 Siehe hierzu einführend Kleinheisterkamp, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch Europäisches Privatrecht, 2009, S. 1547 ff. („eine [sekundäre] Rechtserkenntnisquelle, die den Zugriff auf die darin widergespielten international anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze des Vertragsrechts in systematischer Form erlaubt“). Ausführlich Vogenauer, in: ders./Kleinheisterkamp (Hrsg.), Commentary on the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC), 2009, Introduction Rn. 1 ff. 26 Siehe zu den Hintergründen Vogenauer, in: ders./Kleinheisterkamp (Hrsg.), Commentary on the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC), 2009, Art. 5.2.1 Rn. 3. 27 UNIDROIT, Principles of International Commercial Contracts, 1994, S. 10. Vgl. auch Vogenauer, in: ders./Kleinheisterkamp (Hrsg.), Commentary on the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC), 2009, Art. 5.2.1 Rn. 3. 28 Siehe auch den überarbeiteten Kommentar zu Art. 1.3 bei UNIDROIT, UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2004, 2004, S. 11. 29 Näher zur Regelung Vogenauer, in: ders./Kleinheisterkamp (Hrsg.), Commentary on the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC), 2009, Art. 5.2.1 Rn. 1 ff. 30 UNIDROIT, UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2010, 2010, S. 11.
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Das UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce 199631 widmet sich konkret dem Abschluss von Verträgen mit elektronischen Mitteln.32 Art. 11 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. a des Model Law gestattet einen solchen Vertragsschluss. Eine data message wird dem originator auch dann zugerechnet, wenn diese gesendet wurde „by an information system programmed by, or on behalf of, the originator to operate automatically“ (Art. 13 Abs. 2 lit. b). Die nicht von Deutschland ratifizierte33 Convention on the Use of Electronic Communications in International Contracts 2005 der Vereinten Nationen 34 regelt in Art. 12 in vergleichbarer Weise die Verwendung von „Automated Message Systems“ zum Vertragsschluss35: „A contract formed by the interaction of an automated message system and a natural person, or by the interaction of automated message systems, shall not be denied validity or enforceability on the sole ground that no natural person reviewed or intervened in each of the individual actions carried out by the automated message systems or the resulting contract.“
In beiden vorbenannten Rechtsakten werden materiell die Grundsätze der Computererklärung wiedergegeben.36 II. Textstufen des Europäischen Privatrechts Die Principles of European Contract Law (PECL)37 wurden seit dem Jahre 1995 schrittweise publiziert (und teils überarbeitet). Die PECL verstehen sich als restatement und fokussieren sich damit auf die gemeinsamen Linien sowie Rechtstraditionen der europäischen Vertragsrechte.38 Die PECL orientieren sich gleichfalls für Verträge am Dogma der Bipolarität. Vorgesehen in Bezug auf Drittwirkungen sind etwa – wie oftmals auch in den folgenden Textstufen – Regelungen zur Stellvertretung (Art. 3:101 ff.), zur Preisbestimmung durch einen Dritten (Art. 6:106), zur Relevanz des Verhaltens Dritter im Zuge des Vertragsschlusses (beispielsweise durch die Angabe fehlerhafter Informationen) für die 31 http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/electcom/V1504118_Ebook.pdf (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 32 Siehe hierzu auch Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 100. 33 https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=IND&mtdsg_no=X-18&chap ter=10&lang=en (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 34 https://treaties.un.org/doc/Treaties/2005/11/20051128 %2004-23 %20PM/Ch_X_18p. pdf (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 35 Hierzu auch Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 100. 36 Hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 B. 37 Lando/Beale (Hrsg.), Principles of European Contract Law – Part I and II, 2000 und Lando/Clive/Prüm/Zimmermann (Hrsg.), Principles of European Contract Law – Part III, 2003. Einführend Zimmermann, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch Europäisches Privatrecht, 2009, S. 1177 ff. 38 Siehe im Überblick zu den PECL sowie ihrer Entwicklung und Methodik Zoll, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 9 Rn. 5 ff.
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Kenntnis bzw. das Kennenmüssen einer Vertragspartei (Art. 4:111) sowie zu einem Vertrag zugunsten Dritter. Einen dezidiert methodisch anderen Ansatz als die Verfasser der PECL verfolgte die Acquis Group. Die Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles)39 nehmen (insbesondere) den unionsrechtlichen acquis communitaire zum Ausgangspunkt.40 Ziel ist eine Systematisierung des acquis bei gleichzeitiger Freilegung (allgemeiner) vertragsrechtlicher Grundsätze.41 In Bezug auf den Vertragsschluss verfolgen die Acquis Principles allerdings ebenso einen traditionellen Ansatz und sind ausgerichtet an dem Dogma der Bipolarität.42 Die allgemeine Regelung des Art. 4:101 ist Ausfluss der Tatsache, dass auch im acquis das Prinzip der Vertragsfreiheit bzw. ein Vertrag als Grundlage von Bindung zwischen den Parteien vorausgesetzt wird.43 Der DCFR44 führt die Arbeiten an den vorbenannten Textstufen zusammen.45 Der Entwurf geht allerdings wie die vorherigen Textstufen von einer (rein) bipolaren Betrachtung des Vertrages aus. Art. II. – 1:103 (Binding effect) stipuliert etwa: „A valid contract is binding on the parties.“46
B. (Akademische) Vorschläge zur Plattformökonomie und zum Internet der Dinge In jüngerer Zeit sind zwei konkrete rechtspolitische Vorschläge erfolgt, die für den hiesigen Untersuchungsgegenstand von besonderem Interesse sind und 39 Research Group on the Existing EC Private Law (Aquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles): Contract I, 2007; dies., Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles): Contract II, 2009. Im Überblick zu den Acquis Principles Grigoleit/Tomasic, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch Europäisches Privatrecht, 2009, S. 12 ff. 40 Dannemann, in: Research Group on the Existing EC Private Law (Aquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles): Contract I, 2007, S. XXIII. 41 Siehe zusammenfassend nur Zoll, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privatund Unternehmensrecht, 2016, § 9 Rn. 10 f. 42 Hierzu ausführlich Schulze, GPR 2005, 56. 43 Schulze, GPR 2005, 56 (57); ders., in: Research Group on the Existing EC Private Law (Aquis Group), Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles): Contract II, 2009, S. 182 f. 44 Hierzu einführend und im Einzelnen etwa Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529; Zimmermann, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch Europäisches Privatrecht, 2009, S. 276 ff.; jeweils m. w. N. Institutioneller Ausgangspunkt war Europäische Kommission, Ein kohärentes Europäisches Vertragsrecht – Ein Aktionsplan, KOM(2003) 68 endg. 45 Im Überblick zur Entstehung und Zusammenführung der verschiedenen Vorarbeiten Zimmermann, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch Europäisches Privatrecht, 2009, S. 278 f.; Zoll, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 9 Rn. 12 ff. 46 Zit. nach v. Bar/Clive/Schulte-Nölke (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR), 2009, S. 183.
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stellvertretend für die damit verbundenen Herausforderungen de lege lata und de lege ferenda stehen: Einerseits von der Research group on the Law of Digital Services zur Plattformökonomie und andererseits von Wendehorst zum Internet der Dinge. I. Vorschlag für eine Richtlinie über Online-Vermittlungsplattformen 2015 wurde ein akademischer Entwurf für eine EU-Richtlinie zu Online-Vermittlungsplattformen vorgelegt.47 1. Zielrichtung Zielrichtung des Vorschlags ist es, „zu der Debatte über die Notwendigkeit einer Regelung von Online-Plattformen beizutragen.“48 Der Entwurf soll „einer ‚Visualisierung‘ der konkreten rechtspolitischen Handlungsoptionen“ dienen, wobei die Verfasser um „eine[n] angemessenen Ausgleich zwischen Verbraucherschutz, Vertragsfreiheit und Innovationsförderung“ rangen.49 Es soll „der aktuellen Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Vertragsund Verbraucherrecht [ein] neue[r] Fokus“ gegeben werden.50 Explizit stehen damit nicht die in Deutschland zu Plattformen bislang vor allem im Fokus der Diskussion stehenden kartellrechtlichen Fragen auf dem Prüfstand51, sondern – im Sinne des hiesigen Untersuchungsgegenstands sehr begrüßenswert – „[d]ie Frage nach der vertrags- und haftungsrechtlichen Verantwortung des Plattformbetreibers“52 .53
47 Siehe für den auf Englisch vorgelegten Entwurf Research group on the Law of Digital Services, EuCML 2016, 164 (166 ff.); für eine deutsche Übersetzung siehe Busch/Dannemann/ Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (790 ff.); da die deutsche Übersetzung „an einigen Punkten Berichtigungen und Klarstellungen“ (ebd. 787 Fn. 1) enthält, wird die deutsche Version für die nachfolgende Diskussion zugrunde gelegt. Siehe ferner ebd. 787 f. zum Forschungsnetzwerk und zur Arbeitsmethode. Projektleiter waren Busch, Schulte-Nölke, Wiewiórowska-Domagalska und Zoll (vgl. ebd. 788 Fn. 5). Näher zum Vorschlag auch Busch, in: Blaurock/Schmidt- Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 ff. Zur Diskussion über den Vorschlag siehe Engert, AcP 218 (2018), 304 (315 ff.); Maultzsch, ERCL 2018, 209. 48 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (787). 49 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (787). 50 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (787). 51 Siehe hierzu nur Bundeskartellamt, Marktmacht von Plattformen und Netzwerken (2016); Hamelmann/Haucap, Kartellrecht und Wettbewerbspolitik für Online-Plattformen (2015); Lettl, WRP 2018, 145; Paal, in: Telemedicus e. V. (Hrsg.), Die Macht der Plattformen, 2017, S. 84 ff.; ders./Hennemann, Big Data as an Asset, 2018; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98; Schweitzer, ZEuP 2019, 1; dies./Peitz, NJW 2018, 275; dies./Fetzer/Peitz, Digitale Plattformen: Bausteine für einen künftigen Ordnungsrahmen (2016). 52 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (788). 53 Siehe in jüngerer Zeit allerdings insbesondere auch Engert, AcP 218 (2018), 304.
§ 13 Vertragsbeziehung(en)
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2. Trias der Vertragsbeziehungen Der Entwurf geht für die Vertragsbeziehungen der Plattformökonomie von der üblichen Trias der Verträge aus54: „[B]ei Online-Plattformen [greifen] drei unterschiedliche Verträge [ineinander], nämlich (1) der Vertrag zwischen Plattformbetreiber und Anbieter, (2) der Vertrag zwischen Plattformbetreiber und Kunden und (3) der Vertrag zwischen Anbieter und Kunden.“55 Zentrales Moment ist dabei die Frage, ob und inwieweit der Plattformbetreiber auch für vertragliche (und bzw. oder eigene) Pflichten betreffend den in Rede stehenden Leistungsgegenstand haftet.56 3. Haftungskonzept Der Entwurf betritt insofern Neuland: „Anlass für kontroverse Debatten bietet auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Betreiber einer Online-Plattform für die nicht ordnungsgemäße Erfüllung der Vertragspflichten durch die Plattformnutzer haften soll. (…). Der Diskussionsentwurf folgt im Grundsatz dem Modell der E-Commerce-RL (Art. 9) und überträgt diesen Ansatz auf den Bereich des Vertragsrechts. Danach trifft den Plattformbetreiber keine allgemeine Überwachungspflicht. (…) Darüber hinaus legt das Haftungsmodell des Entwurfs einen ‚subjektiven Ansatz‘ zu Grunde, der auf dem Gedanken der Vertrauenshaftung beruht. Maßgebliches Kriterium ist dabei, ob der Kunde vernünftigerweise darauf vertrauen darf, dass der Plattformbetreiber einen beherrschenden Einfluss auf den Anbieter ausübt (Art. 18). Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit einer originären Haftung von Plattformbetreibern für irreführende Angaben zu Anbietern oder Kunden (Art. 19) sowie für eigene Garantien (Art. 20).“57
Dieses Modell bedarf der näheren Betrachtung.58 a) Definitionen, Art. 2 Der Entwurf definiert die zentralen Akteure. Eine Online-Vermittlungsplattform ist nach Art. 2 lit. a des Entwurfs „ein über das Internet oder ähnliche digitale Medien zugänglicher Dienst der Informa tionsgesellschaft, der es Kunden ermöglicht, Verträge mit den Anbietern von Waren, Dienstleistungen oder digitalen Inhalten zu schließen. Dies umfasst nicht Dienste, die 54
Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 2 § 5 A. Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (787). 56 Zu verschiedenen (ökonomischen) Begründungen einer solchen Direkthaftung siehe Maultzsch, ERCL 2018, 209 (212 f.) m. w. N. 57 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (789). 58 Siehe auch die Bewertungen von Engert, AcP 218 (2018), 304 (315 ff.); Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (284); Maultzsch, ERCL 2018, 209. Dabei sei allerdings darauf hingewiesen, dass dieser Teil des Entwurfs „Gegenstand kontroverser Debatten in den Arbeitsgruppen des Forschungsnetzwerks“ war und es als „work in progress“ zu begreifen ist, siehe Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (788). 55
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
nur passende Vertragspartner ermitteln und die Kunden zu den Internetseiten oder Kontaktangaben von solchen Vertragspartnern weiterleiten“.59
Die Vertragsparteien betreffend den charakteristischen Leistungsgegenstand sind demnach Anbieter und Kunde. Kunde ist nach Art. 2 lit. c „jede natürliche oder juristische Person, die eine Online-Vermittlungsplattform nutzt, um Waren, Dienstleistungen oder digitale Inhalte zu beziehen“. 60 Gemäß Art. 2 lit. d ist Anbieter „jede natürliche oder juristische Person, die eine Online-Vermittlungsplattform nutzt, um Waren, Dienstleistungen oder digitale Inhalte an Kunden abzusetzen“.61 Beide werden übergreifend als „Nutzer“ bezeichnet (Art. 2 lit. j). b) Haftung des Plattformbetreibers Die Art. 16 ff. buchstabieren das Haftungskonzept für Plattformbetreiber näher aus. 62 Entscheidend ist zunächst – auch und gerade im Sinne der normativen Erwartungen der Beteiligten –, in welcher Weise der Plattformbetreiber als Vermittler auftritt. 63 So soll nach Art. 16 Abs. 1 „[e]in Plattformbetreiber, der sich gegenüber Kunden und Anbietern in besonders hervorgehobener Weise als Vermittler darstellt, (…) nicht für die Nichterfüllung von Anbieter-Kunden-Verträgen [haften].“64 Offen bleibt allerdings, ob ein Plattformbetreiber – im Gegenschluss – immer dann (mit-)haften soll, wenn er sich nicht „in besonders hervorgehobener Weise als Vermittler darstellt“. 65 Es wird zudem nicht deutlich, ob in diesem Fall der Plattformbetreiber einziger Vertragspartner des Kunden wird oder eine (gesetzliche) Mithaftung für die vertragliche Bindung des Anbieters übernimmt. 66 Für die zweite Variante spricht tendenziell die weitere Regelung des Art. 18. 67 Denn – so die Überschrift von Art. 18 – die Haftung des Plattformbetreibers für die Nichterfüllung durch den Anbieter ist der zentrale Baustein des Haftungskonzepts des Vorschlags.68 Nach dieser Regelung besteht die Möglichkeit, 59
Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (790). Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (790). 61 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (790). 62 Siehe hierzu auch Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (48 ff.). 63 Siehe hierzu auch oben sub Kapitel 4 § 10 C. IV. 64 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (791). 65 Hierauf zu Recht hinweisend Engert, AcP 218 (2018), 304 (315 Fn. 41); Maultzsch, ERCL 2018, 209 (217 f.). 66 Hierzu näher Maultzsch, ERCL 2018, 209 (218 f.). 67 Vor allem aus Praktikabilitätsgründen befürwortet Maultzsch, ERCL 2018, 209 (219 f.) die erste der zwei Varianten; siehe auch zum Verhältnis von Art. 16 und Art. 18 ebd. 222 f. 68 Neben der Haftung für (die Nichtentfernung) irreführende(r) Angaben (Art. 17 und 19) und für abgegebene Garantien (Art. 20). Siehe auch den Hinweis von Busch/Schulte-Nölke/ Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (8 Fn. 33) auf den (nicht realisierten) Kommissionsvorschlag zu Art. 7 der Verbraucherrechte-Richtlinie (KOM[2008] 614 endg.), der 60
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dass „der Plattformbetreiber und der Anbieter gesamtschuldnerisch für eine Nichterfüllung des Anbieter-Kunden-Vertrages durch den Anbieter [haften] (…).“69 Anknüpfungspunkt ist, dass „der Kunde vernünftigerweise darauf vertrauen kann, dass der Plattformbetreiber einen beherrschenden Einfluss auf den Anbieter hat (…).“70 Das Kriterium des beherrschenden Einflusses nimmt nicht Bezug auf gesellschaftsrechtliche Vorbilder (wie etwa § 17 Abs. 1 AktG), sondern stützt sich auf Ansätze der Europäischen Kommission und des EuGH.71 Die Haftungsregelung des Art. 18 legt den Verfassern des Vorschlags zufolge „(…) einen ‚subjektiven Ansatz‘ zu Grunde, der auf dem Gedanken der Vertrauenshaftung beruht.“72 Ratio der Haftungsregelung sei, dass sich Plattformen im zwischen den klassischen Polen von firm und market (Coase und Williamson)73 bewegen.74 Art. 18 Abs. 2 präzisiert im Einzelnen, wann der Kunde auf einen beherrschenden Einfluss vertrauen kann bzw. können soll: „Bei der Beurteilung, ob der Kunde vernünftigerweise auf einen beherrschenden Einfluss des Plattformbetreibers auf den Anbieter vertrauen kann, sind insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen: (a) Der Anbieter-Kunden-Vertrag wird ausschließlich über Einrichtungen geschlossen, die von der Plattform zur Verfügung gestellt werden (…) [;] (b) Der Plattformbetreiber kann Zahlungen zurückbehalten, die Kunden im Rahmen von Anbieter-Kunden-Verträgen leisten (…) [;] (c) Die Bedingungen des Anbieter-Kunden-Vertrages werden im Wesentlichen von dem Plattformbetreiber festgelegt (…) [;] (d) Der Preis, der vom Kunden bezahlt werden muss, wird durch den Plattformbetreiber festgelegt (…) [;] (e) Der Plattformbetreiber stellt ein einheitliches Erscheinungsbild der Anbieter oder eine Marke zur Verfügung. (…) [;] (f) Die Werbung stellt den Plattformbetreiber und nicht die Anbieter heraus (…) [;] (g) (…) [Optional:] Der Plattformbetreiber verspricht, das Verhalten der Anbieter zu überwachen.“75
4. Würdigung Der Entwurf zu einer unionsrechtlichen Richtlinie für Online-Vermittlungsplattformen ist in seiner Grundrichtung zu begrüßen.76 Die Tendenz hin zu einer verstärkten Inanspruchnahme von Plattformen entspricht dem zuvor aufgeebenso eine Haftung des Vermittlers etablieren sollte; hierzu schon oben sub Kapitel 4 § 10 C. IV. 69 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (791). 70 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (791). 71 Siehe Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (789 mit Fn. 2 2) sowie Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (50). Hierzu näher Maultzsch, ERCL 2018, 209 (225 f.) sowie bereits oben sub Kapitel 4 § 10 IV. 4. 72 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (789). Siehe auch Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (49); ders./Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (8). 73 Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 3 § 7 B. 74 Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (49 f.). 75 Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (791). 76 Siehe auch Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (284) sowie im Übrigen noch nachfolgend
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
zeigten und unterstrichenen Impetus dieser Arbeit. Im Lichte der normativen Erwartungen der Endkunden ist eine Fassung und Einbindung von Plattformen im Grundsatz sachgerecht.77 Dies gilt vor allem, soweit mit Art. 16 materiell die allgemeinen Auslegungsregeln unterstrichen werden. Nicht vollends überzeugen kann allerdings die Anknüpfung einer (gesetzlichen) Mithaftung an „einen beherrschenden Einfluss auf den Anbieter“.78 Ganz grundsätzlich ist zunächst zu betonen, dass der beherrschende Einfluss des Plattformbetreibers auch ohne (Mit-)Haftung positive Effekte zugunsten des Kunden haben kann. Engert hat zutreffend herausgearbeitet, dass gerade der beherrschende Einfluss des Plattformbetreibers auf Anbieter, etwa betreffend Qualitätsstandards, zugunsten der Nutzer wirkt.79 Im Übrigen ist aus rechtsdogmatischer Sicht zumindest zweifelhaft, ob eine Haftung sich allein auf den beherrschenden Einfluss auf ein anderes Rechtssubjekt gestützt werden sollte. Die Regelung knüpft nicht an traditionelle Bezugspunkte vertraglicher Bindung an. So stellt die Haftungskonzeption zunächst keine Ausprägung der (ergänzenden Vertrags-)Auslegung dar. Vielmehr greift die Haftung nach Art. 18 aufgrund beherrschenden Einflusses (wohl) sogar dann ein, wenn der Plattformbetreiber im Sinne des Art. 16 Abs. 1 seine Vermittlerrolle deutlich hervorgehoben hat. Ebenso kann (deswegen) auch nicht auf die Grundsätze der protestatio facto contraria als Wertungsgrundlage verwiesen werden.80 Schließlich bleibt offen, warum das Vertrauen in die Einflussnahme Anknüpfungspunkt für eine Haftung sein soll.81 Vor diesem Hintergrund könnte die Haftungsanknüpfung des Art. 18 der auf privatautonome Entscheidungen basierenden Grundstruktur der Rechtsgeschäftslehre bzw. des Vertragsrechts grundsätzlich zuwiderlaufen.82 Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn eine vertragliche Bindung im Sinne eines Primärleistungsanspruchs ex lege eingeführt wird. Die Formulierung „für eine Nichterfüllung (…) [haften]“ ist zumindest nicht eindeutig. Die derzeitige Konzeption des Art. 18 lässt diese Zuordnung – mit Blick auf das jeweils auf den Vertrag anwendbare Vertragsrecht – anscheinend bewusst offen.83 Gegen einen Primärleistungsanspruch könnte die Bezugnahme auf die Vertrauenshafsub Kapitel 6 § 17 A. Ablehnend etwa Engert, AcP 218 (2018), 304 (315 ff.); Maultzsch, ERCL 2018, 209. 77 Allegemein(er) auch Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (349 ff.). 78 Kritisch ebenso Engert, AcP 218 (2018), 304 (315 f.); Maultzsch, ERCL 2018, 209 (227 ff.). 79 Engert, AcP 218 (2018), 304 (315 und 351 ff.). 80 So aber Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (50), der darauf verweist, dass Einfluss und Kontrolle „visible to the user“ sei. Zutreffend dagegen Maultzsch, ERCL 2018, 209 (231 f.). Zur protestation facto contraria siehe bereits oben sub Kapitel 4 § 10 C. III. 4. 81 Maultzsch, ERCL 2018, 209 (234). 82 So Maultzsch, ERCL 2018, 209 (227 f.), der davon ausgeht, Art. 18 begründe einen Primärleistungsanspruch. 83 Siehe den Diskussionsbericht von Weber/Albrecht, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler
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tung sprechen84 – wodurch das Spannungsfeld zwischen Haftung und (nicht vorliegender) privatautonomer Entscheidung freilich nicht vollends ausgeräumt wird. Die Haftung für Nichterfüllung nach Art. 18 ist zudem ausweislich des Texts nicht an weitere Bedingungen geknüpft (was zumindest im Ansatz für einen Primärleistungsanspruch sprechen könnte). Insbesondere ist kein Verschulden des Plattformbetreibers und bzw. oder des Anbieters (vergleichbar § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder eine Fristsetzung (vergleichbar § 281 Abs. 1 BGB) erforderlich. Die Bestimmung einer entsprechenden Haftung erfolgt nach Art. 18 Abs. 2 zudem nicht dergestalt, dass bei Vorliegen einer der Tatbestände oder nur bei einem Vorliegen aller Kriterien eine Haftung per se anzunehmen ist.85 Vielmehr benennt Art. 18 Abs. 2 (nur) verschiedene Kriterien. Diese Kriterien sind zunächst nicht abschließend zu begreifen („insbesondere“). Im Übrigen sind die Kriterien lediglich Anhaltspunkte für die „Beurteilung“ der Frage, ob und inwieweit Vertrauen aufgebaut wurde bzw. legitimer Weise vertraut wurde. Die Kriterien sollen ex lege keine (widerlegliche) Vermutung zugunsten eines maßgeblichen Vertrauens aufstellen (auch wenn absehbar ist, dass den Kriterien in der Rechtspraxis eine vergleichbare Wirkung zukommen könnte). Insofern ist vielmehr ein offener Abwägungsprozess im Lichte der verschiedenen Kriterien eröffnet.86 Die Bestimmung der Haftung des Plattformbetreibers erfolgt nach dieser Konzeption einzelfall- und wertungsorientiert. Busch verweist insofern auf das Wilburg’sche bewegliche System. 87 Die Kriterien legen dafür eine typisierende Betrachtung zugrunde. 88 Eine Rangfolge wird zwischen den Kriterien nicht statuiert. Ebenso wird auch keine allgemeine Zweifelsregelung aufgestellt, an der sich Rechtsanwender oder Rechtsbetroffene orientieren könnten. Eine (konkretisierende) Fallgruppenbildung steht insofern aus. Dies gilt freilich unbeschadet der Auslegung verschiedener Tatbestandsmerkmale – so etwa eine Festlegung der Bedingungen „im Wesentlichen“ im Sinne des Art. 18 Abs. 2 lit. c. (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 257 (258 f.). Maultzsch (ERCL 2018, 209 [223 f.]) geht im Grundsatz davon aus, es könne auch die (Primär-)Leistung verlangt werden. 84 Siehe auch Busch/Dannemann/Schulte-Nölke, MMR 2016, 787 (789): „Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit einer originären Haftung von Plattformbetreibern für irreführende Angaben zu Anbietern oder Kunden (Art. 19) sowie für eigene Garantien (Art. 20).“ (Hervorh. d. Verf.) sowie (ohne unmittelbaren Bezug zum Vorschlag) Busch/Schulte-Nölke/ Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (8): „Such a ‚secondary liability‘ can take different forms, be it just reliance damages or an obligation of the platform to make the supplier perform (and, consequently, the platform’s liability for expectation damages, if that fails).“ 85 Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (49). 86 Siehe auch Maultzsch, ERCL 2018, 209 (222). 87 Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (49). 88 Maultzsch, ERCL 2018, 209 (222) mit Verweis auf Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 461 ff.
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Soweit eine Haftung des Plattformbetreibers auf diesem Wege konzeptionell konstruiert wird – ob im Sinne eines Primärleistungsanspruchs oder (nur) eines Sekundärleistungsanspruchs –, steht eine Überwindung der Bipolarität bzw. des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse in Rede.89 Hierdurch nähert sich die Konzeption des Vorschlags materiell den „nicht-willensbasierten“ Ansätzen zu Vertragsnetzwerken90 an91, die nach hiesiger Ansicht zumindest dogmatisch nicht überzeugen und deswegen auch nicht als pauschales Vorbild für eine Regulierung de lege ferenda dienen sollten.92 Der Grundimpetus des vorgeschlagenen Haftungskonzepts ist allerdings zustimmungswürdig. Hervorzuheben ist auch die mit dem Vorschlag verbundene Systematisierungsleistung. Dies gilt auch und gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für die Zielrichtung eines solchen soft law-Instruments eine Konkretisierung und Ausdifferenzierung (soweit man sich auf diese einigen kann) nicht zwingend erforderlich ist. Darüber hinaus ist aus der Perspektive der hiesigen Untersuchung ein Rekurs auf und eine Suche nach Lösungen mithilfe der Forschung zu Vertragsnetzwerken im Grundsatz zu befürworten. Inhaltlich näher gelegen hätte es allerdings nach hiesiger Ansicht nicht auf einen beherrschenden Einfluss, sondern auf die Koordination der Leistung bzw. den einheitlichen Auftritt nach außen abzustellen93 (letzteres soll „nur“ ein Kriterium zur Bestimmung eines beherrschenden Einflusses sein). Denn hierdurch würde den normativen Erwartungen gegenüber dem Plattformbetreiber (besser) entsprochen. Hierauf wird im Folgenden zurückzukommen sein.94 II. Vorschlag zu den Vertragsbeziehungen beim Internet der Dinge Im Jahre 2016 hat Wendehorst umfangreiche Vorschläge betreffend Internet der Dinge-Anwendungen vorgelegt. Im Einzelnen wird eine Ergänzung verschiedener vertragsrechtlicher, insbesondere kaufrechtlicher Regelungen vorgeschlagen.95 Die nachfolgende Betrachtung beschränkt sich im Sinne des hiesigen Untersuchungsgegenstands auf die Analyse des Umfangs der vertraglichen Bindung bzw. des Kreises der Anspruchsgegner für bestimmte Leistungen.96
89 Siehe
Maultzsch, ERCL 2018, 209 (229). Hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 C. III. 3. a). 91 Ausdrücklich in Bezug nehmend Busch, in: Blaurock/Schmidt-Kessel/Erler (Hrsg.), Plattformen, 2018, S. 33 (50). Hierauf ebenso verweisend Maultzsch, ERCL 2018, 209 (228 ff.). 92 Siehe oben sub Kapitel 4 § 11 C. III. 4. und IV. als auch nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 B. sowie Maultzsch, ERCL 2018, 209 (229). 93 Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (284) betont dagegen einen „erheblichen (…) Einfluss“. 94 Siehe nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 A. 95 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 62 ff. 96 Siehe im Übrigen zur „[s]trukturelle[n] Erosion von Eigentum und Besitz“ Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Inter90
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1. Zielrichtung Wendehorst benennt zutreffend die „Aufspaltung von Vertragsbeziehungen“ als zentrale rechtliche Herausforderung bei Internet der Dinge-Anwendungen: „Ein besonderes Problem für den Verbraucher stellt die Aufspaltung der Ansprechpartner bei schuldrechtlicher Geltung des Agenturmodells oder des Garantiemodells nach Ablauf der Garantiefrist dar: Hinsichtlich einzelner Produktkomponenten ist Ansprechpartner der Händler, hinsichtlich anderer Produktkomponenten sind Ansprechpartner der Hersteller oder andere Dritte.“97
Falls einer der „Ansprechpartner“ außerhalb der EU bzw. der EWR seine Niederlassung habe, führe die Aufspaltung mit Blick auf die Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten zu einem „geradezu enteignenden Charakter“.98 2. Identifizierte Optionen Zentrales Moment ist wiederum die Frage, ob und inwieweit der Systemanbieter, etwa der Verkäufer einer Internet der Dinge-fähigen Sache (nebst begleitenden Applikationen etc.), auch für vertragliche Pflichten betreffend Leistungen dritter Diensteanbieter eine vertragliche Bindung eingeht.99 Wendehorst identifiziert drei Optionen der Fortentwicklung.100 Zunächst könne das Einheitsmodell kodifiziert werden: „[D]er Verkäufer [werde] als dauerhafter, einheitlicher Ansprechpartner für den Verbraucher festgelegt.“101 Darüber hinaus steht ein „[a]kzentuierter Ausbau des Garantiemodells“ in Rede – unbeschadet auch von Wendehorst benannter unionsrechtlicher Bedenken: „Jeder Kauf würde damit offen zur zeitbezogenen Zugangsgewährung umfunktioniert.“102 Schließlich wird das „Konzept einer (gewährleistungsähnlichen) Direkthaftung des Herstellers“ vorgeschlagen: „Während der gewöhnlichen Lebensdauer eines Produkts steht dem Verbraucher ein im EWR-Gebiet ansässiger Unternehmer als (zweiter) Schuldner gegenüber. Dieser könnte dem Produzenten i. S. d. Produkthaftungs-RL bzw. dem Hersteller i. S. d. ProdHaftG net der Dinge, 2016, S. 62 ff., 89 ff., 117 ff.; dies., in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 367 (407 ff.). 97 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 72 ff. sowie S. 121 f. (Zitat S. 72.) Siehe auch schon oben zu Wendehorsts Einheits-, Agentur- und Garantiemodell sub Kapitel 2 § 5 A und Kapitel 4 § 11 A. I. 98 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 72 ff. 99 Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 100 Vgl. auch oben sub Kapitel 4 § 11 A. I. 101 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 73. 102 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 73.
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entsprechen.“ 103 Denkbar sind ebenso Kombinationen der verschiedenen Ansätze.104 3. Konkrete Umsetzungsvorschläge Auf dieser Grundlage spricht sich Wendehorst für eine Kombination der verschiedenen Modelle aus.105 Im Einzelnen wird konkret eine Erweiterung der §§ 434, 475 BGB, eine gesetzliche Händlergarantie im Verbrauchsgüterkauf und eine Direkthaftung des Herstellers vorgeschlagen.106 Diese Vorschläge sollen näher betrachtet werden. a) §§ 434, 475 BGB Ergänzt werden soll zunächst die Regelung zu Sachmängeln im Kaufrecht (§ 434 BGB). § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB-E wird ergänzt um die Worte „und sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet.“107 § 434 Abs. 1 Satz 2 BGB-E enthält die Regelung zur gewöhnlichen Verwendung und zur üblichen Beschaffenheit. Nach dem neuen § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB-E ist eine Sache nur dann frei von Sachmängeln, wenn: „2. mit einem Anspruch auf solche Leistungen verbunden ist, die erforderlich sind, um die Sache für die nach Satz 1 oder Satz 2 Nr. [1]108 maßgebliche Verwendung zu nutzen, die Früchte aus der Sache zu ziehen oder die Sache weiter zu veräußern, soweit diese Leistungen durch einen vom Hersteller bestimmten Dritten zu erbringen sind und der Käufer sie nach der Art der Sache, der Höhe des Preises und den sonstigen Umständen erwarten kann (…).“109
Bezweckt ist insbesondere eine – schrittweise – Ausweitung der Verkäuferhaftung, denn der Verkäufer hätte auch Drittleistungen sicherzustellen bzw. „entsprechende Vorkehrungen“ zu treffen.110 Der Sachmangelbegriff soll hiernach
103 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 73. 104 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 73. 105 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 74. 106 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 74 ff. 107 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 74. 108 Bei dem benannten „Satz 2 Nr. 2 “ scheint es sich um einen Verweisungsfehler zu handeln. 109 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 74 f. 110 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 74.
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objektiviert werden.111 Wendehorst zufolge soll die Ergänzung des § 434 BGB „das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht den Anforderungen der Digitalisierung anpassen.“112 Die vorbenannten Konstruktion löst – wie auch Wendehorst betont – „noch nicht das Aufspaltungsproblem, da die Möglichkeit des Versprechens durch einen Dritten (…) ausdrücklich bestehen bleiben soll.“113 Denn es entspricht gerade der Konzeption einer Vielzahl von Internet der Dinge-Anwendungen, dass für den Betrieb bzw. die Nutzung der Sache erforderliche Dienste von Dritten erbracht werden.114 Andererseits – so die Grundannahme von Wendehorst – binde sich der Verkäufer nicht von vornherein für sämtliche erforderlichen Dienste selbst: „Auch die Annahme, dass sich der Verkäufer selbst zur Leistung verpflichtet und den Software-Hersteller als seinen Erfüllungsgehilfen einsetzt, entspricht nicht dem nach §§ 133, 157 zu ermittelnden Parteiwillen. Dem Verkäufer kann kaum unterstellt werden, dass er sich für eine weit über die Gewährleistungsfrist hinausgehende Zeit zur Erbringung von Leistungen verpflichten wollte, auf deren Erbringung er – auch abstrakt – keinerlei Einfluss hat.“115
b) Händlergarantie Vor diesem Hintergrund schlägt Wendehorst eine „gesetzliche Garantie für Drittleistungen“ vor. In einem neuen § 477a BGB soll geregelt werden: „(1) Unbeschadet einer weiter gehenden Garantie, die der Unternehmer (…) übernommen hat, kann sich der Verbraucher (…) wegen Leistungen im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 auch dann an den Unternehmer halten, wenn die Leistungen von einem Dritten geschuldet sind. (2) Werden Leistungen im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 für welche der Unternehmer nach Absatz 1 zu garantieren hat, nicht oder nicht wie geschuldet erbracht und wird der Verbraucher dadurch mehr als nur unerheblich in seiner Möglichkeit beeinträchtigt, die Sache für die nach § 434 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 Nr. 2 maßgebliche Verwendung zu nutzen, die Früchte aus der Sache zu ziehen oder die Sache weiter zu veräußern, kann der Käufer gegenüber dem Verkäufer die gleichen Rechte geltend machen als wenn die Sache bereits bei Gefahrübergang mit einem Mangel behaftet gewesen wäre. (…)“116 111 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 75; siehe auch ebd. zu unionsrechtlichen Vorgaben bzw. Erwägungen. 112 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 75. 113 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 76. 114 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 77. 115 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 77. 116 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 76 f.; Abs. 3 des § 477a BGB-E sieht zusätzlich
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Diese Garantieverpflichtung des Verkäufers soll einen „effektiven Verbraucherschutz“ bezwecken, indem dem Verbraucher zumindest für eine bestimmte Zeit die Funktionalität der Sache bzw. Anwendung erhalten bleibt („gewöhnliche Gewährleistungshaftung“).117 c) Direkthaftung des Herstellers Über die vorbenannten Vorschläge ist Wendehorst der Ansicht, „dass das Internet der Dinge zum Aufbrechen des starren bipolaren Vertragsverständnisses und dazu zwingt, verstärkt den Hersteller i. S. d. ProdHaftG in die Pflicht zu nehmen.“118 Wendehorst bezieht sich dafür explizit auf den „Gedanken der Netzwerkhaftung“.119 In einem neuen § 477b BGB soll deshalb eine „Direkthaftung des Herstellers“ etabliert werden: „(1) Der Käufer kann die in § 437 Nr. 1 und Nr. 3 genannten Rechte auch gegenüber dem Hersteller der Sache (§ 4 des Produkthaftungsgesetzes) geltend machen, wenn 1. nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 geschuldete Leistungen nicht oder nicht wie geschuldet erbracht werden und der Verbraucher dadurch mehr als nur unerheblich in seiner Möglichkeit beeinträchtigt wird, die Sache für die nach § 434 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 Nr. 2 maßgebliche Verwendung zu nutzen, die Früchte aus der Sache zu ziehen oder die Sache weiter zu veräußern; oder 2. ein Fehler (§ 3 des Produkthaftungsgesetzes) oder ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften hervortritt, der der Sache bereits im Zeitpunkt des Inverkehrbringens anhaftete und aufgrund dessen dem Käufer die weitere Verwendung der Sache nicht zuzumuten ist. (…)“120
Bezweckt wird, dass der Verbraucher mindestens im Anschluss an kaufrechtliche Gewährleistungspflichten bzw. die zuvor dargelegte Garantieverpflichtung des Verkäufers den Hersteller direkt in Anspruch nehmen kann.121 Die „Aufspaltung der Ansprechpartner“ wird in diesem Zusammenhang demnach durch eine Haftungserweiterung auf einen weiteren Ansprechpartner „überwunnoch eine Regelung zur Gesamtschuldnerschaft von Verkäufer und Drittem sowie zum Regress des Unternehmers vor. 117 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 77 f.; siehe ebd. (S. 78) auch zum Geltungszeitraum der Garantie. 118 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78. 119 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78; siehe zur Diskussion um Vertragsnetzwerke oben sub Kapitel 3 § 7 B. und Kapitel 4 § 11 C. 120 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78. § 477b Abs. 2 BGB-E sieht eine Anwendung der §§ 12, 13 ProdHaftG betreffend die Verjährung und das Erlöschen der Ansprüche gegen den Hersteller vor. Nach § 477b Abs. 3 BGB-E soll zudem § 477a Abs. 3 BGB-E entsprechend gelten. 121 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78.
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den“.122 Die Direkthaftung sei „auf bestimmte Fälle zu beschränken, in denen er der Ursache des aufgetretenen Problems besonders nahe steht.“123 4. Würdigung Die verschiedenen Vorschläge von Wendehorst sind in ihrer Grundausrichtung zu begrüßen. Die Tendenz hin zu einer verstärkten Inanspruchnahme des Systemanbieters entspricht dem zuvor aufgezeigten und unterstrichenen Impetus dieser Arbeit. Im Lichte der normativen Erwartungen bei der Nutzung entsprechender Anwendungen124 ist eine Fassung und Einbindung des Systemanbieters im Grundsatz sachgerecht – und im Gleichlauf zu dem zuvor dargelegten Entwurf zu Plattformen. Dabei ist zu betonen, dass die Konzeption von Wendehorst in Bezug auf Systemanbieter des Internet der Dinge vielschichtiger als der Vorschlag der Research group on the Law of Digital Services (durch den Fokus auf Plattformen) ansetzen kann. So erweitert die Modifikation des § 434 BGB bereits den Primärleistungsanspruch des Käufers. Damit wird der Systemanbieter unmittelbar auf die Funktionalität der Internet der Dinge-Anwendung verpflichtet. Wenngleich der Verkäufer sich nicht selbst (umfassend) zu den verschiedenen Leistungen – nach Auslegung der Erklärungen anhand von §§ 133, 157 BGB – verpflichtet, so führt die vorgenannte Konstruktion doch an eine solche vertragliche Bindung unmittelbar heran. Gerade weil auch Wendehorst „den legitimen Erwartungshorizont des Käufers“ betont125 , erscheint es durchaus erwägenswert, dass doch bereits auf der Grundlage von §§ 133, 157 BGB eine umfassende Bindung des Systemanbieters konstruierbar ist (wenn auch mit den jeder Auslegung verbundenen Schwierigkeiten belastet).126 In der Sache erzielt Wendehorst freilich denselben Effekt, in dem eine Händlergarantie befürwortet wird. Ob vor diesem Hintergrund die umfassende Direkthaftung des Herstellers erforderlich ist, ist zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen. Zumindest könnte die Haftung als Ausfallhaftung konzipiert werden oder zumindest erst nach Ablauf der kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte gegen den Systemanbieter eingreifen. Eine solche zeitliche Komponente wird auch von Wendehorst betont, ergibt sich allerdings nicht aus dem vorgeschlagenen Normtext des
122 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 78. 123 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 79. 124 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 125 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 77. 126 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 A. II.
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
§ 477b BGB-E. Vielmehr weist Wendehorst gegenläufig dazu, auf „die Vermeidung unnötiger Regressketten“ hin.127 Ebenso ist zu erwägen, ob eine Begrenzung auf kaufrechtliche Konstellationen zweckmäßig ist. Den unterschiedlichen Anwendungsformen beim Internet der Dinge (wie auch der Plattform-Ökonomie) dürfte nicht immer einen Kaufvertrag mit dem Systemanbieter als Ausgangspunkt haben. Insofern ist zu betonen – auch und gerade im Sinne des Grundimpetus dieser Arbeit –, dass die damit zustimmungswürdigen Wertungs- und Zuordnungsfragen auch in sonstigen Konstellationen zur Geltung gelangen können bzw. sollten.
C. Entwicklungen auf unionaler Ebene Auf unionaler Ebene kann die Diskussion zu den Dimensionen systemischer Bindung (wohlwollend) als fragmentiert bezeichnet werden. Verschiedene Vorschläge im Vertrags- bzw. Kaufrecht ergänzen und überlagern sich in den letzten Jahren. So ist etwa der DCFR (bislang) nicht in einen – unbeschadet der Rechtsnormqualität – Common Frame of Reference gemündet.128 Vorgeschlagen wurde in der Folge des DCFR allerdings ein (optionales) Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (GEK).129 Zwischenzeitlich sind weitere Initiativen, Gesetzesvorschläge und Gesetzesvorhaben vertragsrechtlicher Art erfolgt, die sich insbesondere der Regulierung von Verträgen für digitale Geschäftsmodelle widmen. Diese Entwicklung soll nachfolgend näher betrachtet werden.130 Im Sinne des Fokus dieser Untersuchung stehen dabei Fragen der vertraglichen Bindung im Mittelpunkt. Hierfür ist nochmals in Erinnerung zu rufen, dass der verbraucherrechtlicher acquis bislang keinen umfassenden vertragsrechtlichen Regelungsrahmen auf unionaler Ebene bietet. I. Gemeinsames Europäisches Kaufrecht Mit dem Vorschlag für ein GEK wurde die (querschnittliche) Regulierung eines gesamten Vertragsrechtsgebiets auf unionaler Ebene in den Blick genommen. Das GEK sollte nicht in Richtlinien oder Verordnungsform (Kauf-)Verträge unmittelbar regeln, sondern von den Vertragsparteien als anwendbarer Regel127 Wendehorst, Verbraucherrelevante Problemstellungen zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen beim Internet der Dinge, 2016, S. 79. 128 Im Anschluss an die Publikation des DCFR wurde vielmehr – ohne wesentliche Rezeption – 2011 die Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU, Abl. L 304/64) verabschiedet, siehe nur Zoll, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, 2016, § 9 Rn. 21. 129 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM(2011) 635 endg. 130 Siehe zu den jüngst verabschiedeten Richtlinien zu Digitalen Inhalten und zum Warenkauf auch bereits oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 1.
§ 13 Vertragsbeziehung(en)
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satz gewählt werden können (optionales Instrument).131 Das GEK erreichte zumindest den Status eines offiziellen Gesetzesentwurfs der Europäischen Kommission, wurde sodann allerdings nicht realisiert. Der Vorschlag des GEK enthielt aus deutscher Perspektive nicht nur kaufrechtliche Regelungen, sondern auch Bestimmungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre bzw. des allgemeinen Vertragsrechts.132 So umfasste der Vorschlag insbesondere Regelungen zum Vertragsschluss. Teil II des GEK benennt Regelungen zum Zustandekommen eines bindenden Vertrags, insbesondere die Art. 30 ff. GEK buchstabieren Einigung, Angebot und Annahme sowie weitere Voraussetzungen des Vertragsschlusses aus. Die (nur) relativen Wirkungen des Vertrags werden (implizit) durch die Benennung der Vertragsparteien vorausgesetzt. Drittwirkungen des Vertrags werden nicht statuiert. Das GEK orientiert sich somit (allein) am bipolaren (Kauf-)Vertragsverhältnis und trifft darüber hinaus keine weitergehende Regelung. II. Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen 2015 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte.133 Aufmerksamkeit hat der Vorschlag insbesondere erfahren, weil die Hingabe von bzw. die Gewährung eines Zugriffs auf Daten als Gegenleistung qualifiziert wird.134 Im Mai 2019 wurde das Vorhaben als Digitale Inhalte-Richtlinie verabschiedet.135 Aus der Perspektive des hiesigen Untersuchungsgegenstands ist vor allem zu betonen, dass die Richtlinie das Zustandekommen von Verträgen nicht regelt.136 Vor allem geht die Richtlinie aber von einem bipolaren Vertragsmodell aus. Wenngleich die Richtlinie richtigerweise die jeweili131 Siehe Art. 3 des Verordnungsvorschlags (KOM(2011) 635 endg., S. 28) zum fakultativen Charakter des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts. 132 Siehe etwa Art. 10 GEK zu – in dortiger Terminologie – Mitteilungen (KOM(2011) 635 endg., S. 43). 133 Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte, COM(2015) 634 final. Siehe hierzu etwa Faust, Digitale Wirtschaft – Analoges Recht: Braucht das BGB ein Update?, Gutachten A zum 71. Deutschen Juristentag, 2016, S. A 13 ff.; Ostendorf, ZRP 2016, 69; Spindler, MMR 2016, 147 und 219; Staudenmayer, NJW 2016, 2719; ders., ZEuP 2016, 801. 134 Art. 3 des Vorschlags (COM(2015) 634 final, S. 28): „Diese Richtlinie gilt für alle Verträge, auf deren Grundlage ein Anbieter einem Verbraucher digitale Inhalte bereitstellt oder sich hierzu verpflichtet und der Verbraucher als Gegenleistung einen Preis zahlt oder aktiv eine andere Gegenleistung als Geld in Form personenbezogener oder anderer Daten erbringt.“ Zur Diskussion Hacker, ZfPW 2019, 148; Metzger, AcP 216 (2016), 817; Sattler, JZ 2017, 1036; Specht, JZ 2017, 763; Wendland, ZVglRWiss 118 (2019), 191. 135 Hierzu etwa Bach, NJW 2019, 1705. 136 Art. 3 Abs. 10 sowie Erwägungsgründe 12 und 24 Digitale Inhalte-Richtlinie. Näher hierzu Metzger, JZ 2019, 577 (583 f.).
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
gen Erwartungen betont und operationalisiert137, bleibt die Richtlinie im Übrigen einem Denken in traditionellen Absatzketten verhaftet.138 Eine „Überwindung“ der Bipolarität bleibt den nationalen Gesetzgebern vorbehalten.139 Die Richtlinie regelt insofern Drittwirkungen nur mittelbar. Hinzuweisen ist auf Art. 20 Satz 1 zum Regress, wobei nicht die Erzeugung vertraglicher Bindung in Rede steht: „Haftet der Unternehmer dem Verbraucher für die nicht erfolgte oder die nicht vertragsgemäße Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen infolge eines Handelns oder Unterlassens einer Person in vorhergehenden Gliedern der Vertragskette, ist der Unternehmer berechtigt, den oder die innerhalb der gewerblichen Vertragskette Haftenden in Regress zu nehmen. Welche Person der Unternehmer in Regress nehmen kann, sowie die diesbezüglichen Maßnahmen und Bedingungen für die Geltendmachung der Rückgriffsansprüche bestimmt das nationale Recht.“140
Im Übrigen haben Rechte Dritter in Bezug auf die vertragsgegenständlichen digitalen Inhalte eine Regelung erfahren (Art. 10).141 III. Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs 2015 veröffentlichte die Europäische Kommission zudem einen Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren.142 Im Mai 2019 wurde das Vorhaben als Warenkauf-Richtlinie (und nicht mehr betreffend den Online-Warenhandel) verabschiedet.143 Die Richtlinie aktualisiert und konkre-
137
Siehe bereits oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 1. Gsell, ZUM 2018, 75 (82); Metzger, JZ 2019, 577 (578, 581, 584) m. w. N. 139 Siehe Erwägungsgrund 13 Digitale Inhalte-Richtlinie („Den Mitgliedstaaten steht es außerdem weiterhin frei, beispielsweise Haftungsansprüche eines Verbrauchers gegenüber einem Dritten zu regeln, bei dem es sich nicht um einen Unternehmer handelt, der die digitalen Inhalte liefert oder die digitale Dienstleistung erbringt, bzw. sich dazu verpflichtet, wie z. B. ein Entwickler, der nicht identisch mit dem Unternehmer nach dieser Richtlinie ist.“) sowie Erwägungsgrund 34 Digitale Inhalte-Richtlinie („Die vorliegende Richtlinie sollte nationale Rechtsvorschriften unberührt lassen, durch die geregelt wird, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag über die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen als verbunden mit oder akzessorisch zu einem anderen Vertrag betrachtet werden kann, den der Verbraucher mit demselben oder einem anderen Unternehmer geschlossen hat, welche Rechtsbehelfe für die jeweiligen Verträge vorgesehen sind und welche Auswirkungen die Beendigung eines der beiden Verträge auf den anderen Vertrag hat.“). 140 Siehe auch Erwägungsgrund 78 Digitale Inhalte-Richtlinie. 141 Hierzu näher schon oben sub Kapitel 4 § 11 A. II. 1. a). 142 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren, COM(2015) 635 final; Neufassung sodann unter COM(2017) 637 final. 143 Hierzu Bach, NJW 2019, 1705. 138
§ 13 Vertragsbeziehung(en)
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tisiert vornehmlich die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie144.145 Das Zustandekommen von Kauferträgen wird nicht geregelt.146 Die Regelungen betreffend Dritte – soweit hier von Interesse – gleichen im Wesentlichen der Digitale Inhalte-Richtlinie (vgl. Art. 9 und 18 Warenkauf-Richtlinie).147 IV. Mitteilung zu Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt 2016 publizierte die Europäische Kommission ferner eine Mitteilung zu Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt.148 Die Kommission zielt ab auf „[e]in[en] ausgewogene[n] Regelungsrahmen für Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt“.149 In diesem Zusammenhang erwägt die Kommission den Haftungsrahmen für Online-Plattformen, etwa in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen150 , nicht aber die Statuierung zusätzlicher Ansprüche der Verbraucher in Bezug auf die durch die Vermittlung der Plattform erworbene Primärleistung. Als Maxime der (künftigen) Gesetzgebung wird allerdings – unter anderem – ausgeführt, dass „Transparenz und Fairness zur Erhaltung des Nutzervertrauens und der Innovationsfähigkeit“ erforderlich seien.151 V. Vorschlag für b2b-Plattform-Verordnung In der Folge und auf der Grundlage der vorbenannten Mitteilung hat die Europäische Kommission im Jahre 2018 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten vorgelegt (im Folgenden: b2b-Plattform-Verordnung).152 Der Vorschlag macht insbesondere Vorgaben zum Vertragsverhältnis
144 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171, S. 12 ff. 145 Bach, NJW 2019, 1705 (1705). 146 Art. 3 Abs. 6 sowie Erwägungsgrund 18 Warenkauf-Richtlinie. 147 Siehe im Übrigen bereits zuvor sub Kapitel 4 § 11 A. II. 1. a). 148 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt – Chancen und Herausforderungen für Europa, COM(2016) 288 final. Siehe auch Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Europäische Agenda für die kollaborative Wirtschaft, COM(2016) 356 final; hierzu bereits zuvor sub Kapitel 4 § 10 C. IV. 4. a). 149 COM(2016) 288 final, S. 5. 150 COM(2016) 288 final, S. 8 ff. 151 COM(2016) 288 final, S. 6 . 152 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten, COM(2018) 238 final. Hierzu im Einzelnen Busch, IWRZ 2018, 147; Twigg-Flesner, EuCML 2018, 222; Wais, EuZW 2019, 221.
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
zwischen einem Online-Vermittlungsdienst und einem gewerblichen Nutzer.153 Online-Vermittlungsdienste sind solche Dienste, die „es gewerblichen Nutzern [ermöglichen], Verbrauchern Waren oder Dienstleistungen anzubieten, indem sie die Einleitung direkter Transaktionen zwischen diesen gewerblichen Nutzern und Verbrauchern erleichtern, unabhängig davon, wo diese Transaktionen letztlich geschlossen werden“.154
Der Vorschlag bezieht sich somit auf Plattformen im Sinne dieser Untersuchung und spiegelt den traditionellen Zugriff auf Plattformen geschlossenen Verträgen wider. Ausgegangen wird von unterschiedlichen Vertragsverhältnissen zwischen den Beteiligten einerseits sowie mit den Verbrauchern andererseits: „[Die Dienste werden] gewerblichen Nutzern auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses zwischen einerseits dem Anbieter dieser Dienste und andererseits den gewerblichen Nutzern sowie den Verbrauchern, denen diese gewerblichen Nutzer Waren Dienstleistungen anbieten, bereitgestellt“.155
VI. Vorschlag für eine Ergänzung der Verbraucherrechterichtlinie In unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zu dem Vorschlag für eine b2b-Plattform-Verordnung hat die Europäische Kommission zudem einen Vorschlag zur Ergänzung unter anderem der Verbraucherrechterichtlinie156 vorgelegt.157 Vorgeschlagen wird ein neuer Art. 6a der Verbraucherrechterichtlinie zu „[z]usätzliche[n] Informationspflichten bei auf Online-Marktplätzen geschlossenen Verträgen“. Mit derselben Stoßrichtung wie der Vorschlag der b2b-Plattform-Verordnung soll die Transparenz auch im Verhältnis zwischen OnlineMarktplatz und Verbraucher verbessert werden. Art. 6a soll lauten: „Bevor ein Verbraucher auf einem Online-Marktplatz durch einen Fernabsatzvertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Online-Marktplatz zusätzlich über Folgendes: a) die Hauptparameter für das Ranking der Angebote, die dem Verbraucher als Ergebnis seiner Suchanfrage auf dem Online-Marktplatz präsentiert werden; b) ob es sich bei dem Dritten, der die Waren, Dienstleistungen oder di-
153 Ebenso werden Regelungen zu Online-Suchmaschinen getroffen, vgl. Art. 1, 2 Nr. 5 und 6 sowie etwa Art. 5 Abs. 2 des Vorschlags, COM(2018) 238 final, S. 22 f., 25. 154 COM(2018) 238 final, S. 23. 155 COM(2018) 238 final, S. 23. 156 Richtlinie 2011/83/EU, Abl. L 304/64. 157 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185 final.
§ 13 Vertragsbeziehung(en)
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gitalen Inhalte anbietet, um einen Unternehmer handelt oder nicht, auf der Grundlage der Erklärung dieses Dritten zum Online-Marktplatz; (…).“158
Ein Online-Marktplatz wird nach Art. 2 Nr. 19 des Vorschlags definiert als ein Diensteanbieter, der es Verbrauchern ermöglicht, über die Online-Benutzeroberfläche des Online-Marktplatzes Online-Verträge mit Unternehmern und Verbrauchern abzuschließen. In Rede stehen hier somit Verträge zwischen zwei Nutzern der Plattform, die nicht identisch mit dem Betreiber des Online-Marktplatzes sind. Der Dienstanbieter ist vielmehr Dritter in Bezug auf den Vertrag zwischen den Nutzern. Die vorgeschlagene Regelung des Art. 6a statuiert nun Pflichten für den Dienstanbieter in Bezug auf dieses Vertragsverhältnis. Denn die Information des Verbrauchers durch den Diensteanbieter soll vor einer „Bindung“ des Verbrauchers erfolgen. Dies eröffnet die Möglichkeit zur Interpretation, dass der Verbraucher nur gebunden sein soll bzw. kann, falls eine entsprechende Information erfolgt ist. Nach dieser Lesart wäre die Information durch den Dienstanbieter eine Voraussetzung für die vertragliche Bindung zwischen den Nutzern. Hierdurch würde die Bipolarität des Vertragsverhältnisses zwischen den Nutzer aufgebrochen. Es ist allerdings zweifelhaft, ob Art. 6a des Vorschlags derart weitreichende Wirkungen konstituieren möchte. Erwägungsgrund 19 des Vorschlags betont in Bezug auf die Regelung lediglich „besondere Transparenzanforderungen (…), um Verbraucher, die Online-Marktplätze nutzen, (…) zu informieren“.159 Das „Bevor (…) gebunden ist“ ist somit wohl nur in zeitlicher Hinsicht zu verstehen. VII. Würdigung Die verschiedenen Vorschläge auf unionaler Ebene sind in Bezug auf die Konstituierung systemischer Bindung(en) als nicht nennenswert fortschrittlich zu bezeichnen.160 Ganz grundsätzlich ist dieser Befund zunächst Ausfluss der Tatsache, dass das Zustandekommen eines Vertrages unionsrechtlich nicht geregelt wird bzw. geregelt werden soll. Allerdings erfolgt auch im Übrigen ein traditioneller Zugriff. So konstituiert sich die vertragliche Haftung des Plattformbetreibers unional (nach wie vor) ausschließlich im konkreten Vertragsverhältnis mit dem Nutzer. Durchgängig wird entlang der Vertragsbeziehungen gedacht. Eine Erweiterung der vertraglichen Bindung auf Dritte bzw. auf vertraglich nicht verbundene Personen wird 158
Hierzu etwa Föhlisch, CR 2018, 583 (584 f.). COM(2018) 185 final, S. 29. 160 Siehe auch – vor allem in Bezug auf die Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen – Auer, ZfPW 2019, 130 (146 f.); Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (287 f.); Gsell, ZUM 2018, 75 (82). Vgl. auch Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (4). 159
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nicht verfolgt. Im Einzelnen ist insbesondere zu betonen, dass die verschiedenen Vorschläge keine Primärleistungsansprüche oder (gesamtschuldnerischen) Sekundärleistungsansprüche gegen Plattformbetreiber begründen (sollen). Gleichwohl entspricht die aufgezeigte Tendenz, Plattformen neben der vertraglichen Bindung verstärkt in Anspruch zu nehmen, dem zuvor aufgezeigten und unterstrichenen Impetus dieser Arbeit.
§ 14 Dezentrale Kooperation Die Mechanismen der dezentralen Kooperation, vor allem Anwendungen auf der Basis der Blockchain-Technologie, stehen seit den letzten Jahren bereits im Fokus des rechtspolitischen Diskurses. Hierzu zählen in Ansätzen auch vertragsrechtliche Aspekte, insbesondere mit Bezug auf Smart Contracts.161
A. Allgemeine Implikationen der Blockchain-Technologie Losgelöst von einzelnen Rechtsfragen wird im rechtspolitischen Raum zunächst eine weitergehende Förderung der Blockchain-Technologie in Erwägung gezogen.162 Ausgangspunkt ist die Hoffnung, Anwendungen auf der Basis dieser Technologien könnten disruptives Potenzial entfalten.163 In diesem Sinne hat die Bundesregierung die Erarbeitung einer Blockchain-Strategie angekündigt: „Mit der Blockchain-Strategie sollen Maßnahmen und Vorhaben im Bereich Blockchain- und Distributed-Ledger-Technologien ergriffen werden.“164 Auf europäischer Ebene wird eine europäische Blockchain-Infrastruktur (European Blockchain Services Infrastructure) ins Auge gefasst.165
161 Nicht näher betrachtet werden im Folgenden die akademischen Entwürfe zu einem Europäischen Privatrecht, die aufgrund ihrer Entstehungszeitpunkte die technischen Fortentwicklungen durch die Blockchain-Technologie noch nicht berücksichtigen konnten. 162 Auf unionaler Ebene etwa die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. Dezember 2018 zum Thema „Blockchain – eine zukunftsorientierte Handelspolitik“ (2018/2085(INI)), P8_TA-PROV(2018)0528. 163 Kleine Anfrage der Abgeordneten Janeczek u. a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Blockchain und Distributed-Ledger-Technologien – Potenziale und Anwendungsfelder“ v. 25 Oktober 2018, BT-Drs. 19/5278, S. 1. 164 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Janeczek u. a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 19/5868, S. 4. 165 https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/blockchain-technologies (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020).
§ 14 Dezentrale Kooperation
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B. Rechtliche Implikationen Aufgeworfen sind durch die vielfältigen Einsatzfelder der Blockchain-Technologie166 eine Vielzahl von Fragen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten, die die rechtspolitische Diskussion prägen. In Rede stehen dabei zivilrechtliche (etwa zur Qualifikation der Tokens, der Haftung und zum Vertragsschluss167), öffentlich-rechtliche (etwa zum Banken- bzw. Kapitalmarktaufsichtsrecht, zum Verwaltungs- und Steuerrecht) und strafrechtliche Aspekte (etwa zur Finanzierung illegaler Tätigkeiten mithilfe virtueller Währungen). I. Finanzmärkte als Fixpunkt der Diskussion Im Zentrum der rechtspolitischen Diskussion steht die Blockchain-Technologie (nach wie vor) aufgrund der Einsatzmöglichkeit als „virtuelle Währung“.168 Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die derzeitige rechtspolitische Diskus sion auf die damit verbundenen (drängenden) Fragen. Dieser Befund gilt für die nationale ebenso wie für die unionale Ebene. Konkrete Verstöße und Initiativen erfolgten somit bislang vor allem mit Bezug zu den Kapitalmärkten.169 Kapitalmarkt- und bankaufsichtsrechtlich ist etwa zu klären, wie „Währungseinheiten“ der jeweiligen Blockchain (wie etwa ein „Bitcoin“) zu qualifizieren sind.170 Viele weitere Fragen sind nach wie vor nicht geklärt.171 So hat auf europäischer Ebene etwa die European Banking Authority auf den Missbrauch von virtuellen Währungen hingewiesen.172 166
Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 2 § 5 B. Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 4 § 11 B. II. 168 Siehe etwa die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Mai 2016 zu virtuellen Währungen (2016/2007(INI)), P8_TA(2016)0228. 169 Siehe auf unionaler Ebene etwa die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Mai 2017 zur Finanztechnologie: Einfluss der Technologie auf die Zukunft des Finanzsektors (2016/2243(INI)), P8_TA(2017)0211 sowie die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. Oktober 2018 zu dem Thema „Dezentrale Transaktionsnetzwerke und Blockkettensysteme – mehr Vertrauen durch verringerte Kreditmittlertätigkeit“ (2017/2772(RSP)), P8_TA-PROV(2018)0373. Zum geltenden Recht insoweit ausführlich Hofert, Regulierung der Blockchains, 2018, S. 84 ff., 128 ff., 178 ff. 170 Hierzu KG, NJW 2018, 3734. 171 Siehe ausführlich Langenbucher, AcP 218 (2018), 385. 172 European Banking Authority, EBA Opinion on ‚virtual currencies‘, EBA/Op/2014/08 (4. Juli 2014), S. 21 ff. Siehe zudem auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Mai 2016 zu virtuellen Währungen (2016/2007(INI)), P8_TA(2016)0228, S. 5 ff. sowie etwa Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. g und h Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl. 2015 L 141/73, geändert durch Art. 1 ÄndRL (EU) 2018/843 vom 30.5.2018, ABl. 2018 L 156/43. 167
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II. Insbesondere: Vertragsrechtliche Implikationen Vertragsrechtliche Aspekte im Kontext der Blockchain-Technologie standen bislang nicht in der ersten Reihe der rechtspolitischen Diskussion. Hinzuweisen ist allerdings auf erste Anregungen zum Umgang mit Smart Contracts173. So sieht etwa die FDP-Fraktion im Bundestag Handlungsbedarf in Bezug auf Smart Contracts: „Transaktionen in der Blockchain werden häufig mithilfe sogenannter Smart Contracts abgewickelt. Derzeit bestehen jedoch Bedenken bezüglich der Rechtsgültigkeit (…) von Smart Contracts. Die Bundesregierung muss in diesem Zusammenhang die Rechtsgültigkeit von Smart Contracts prüfen und Vorschläge erarbeiten, um für mehr Rechtssicherheit bei Smart Contracts zu sorgen.“174
Das Europäische Parlament trägt mit derselben Stoßrichtung vor: „(…) [I]ntelligente Verträge (‚Smart Contracts‘) [sind] ein wichtiges, über dezentrale Transaktionsnetzwerke bereitgestelltes Element (…) und [können] für die Einführung dezentraler Anwendungen von wesentlicher Bedeutung sein (…); Rechtssicherheit in Bezug auf die Gültigkeit einer digital verschlüsselten Signatur [ist] ein entscheidender Schritt (…), um intelligente Verträge voranzubringen; (…) die Kommission [soll] eine eingehende Analyse des bestehenden Rechtsrahmens in den einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Durchsetzbarkeit intelligenter Verträge [durchführen]; (…) die Kommission [wird aufgefordert], für den Fall, dass sich bei dieser Analyse mögliche Hemmnisse für die Nutzung intelligenter Verträge im digitalen Binnenmarkt ergeben, angemessene Maßnahmen zu ergreifen und zu prüfen, ob diese Hemmnisse verhältnismäßig sind; (…).“175
Ergänzend betont die Bundesregierung auch das Einsatzpotenzial von Smart Contracts für bzw. bei der machine to machine-communication: „Sogenannte ‚Smart Contracts‘ haben anwendungsübergreifend das Potenzial, die unterschiedlichsten Prozesse zu automatisieren. Eingebettet in eine weitgehend fälschungssichere und damit vertrauenswürdige Technologie ermöglichen sie Transaktionen zwischen sich möglicherweise unbekannten Personen oder auch zwischen Maschinen.“176
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Siehe zu Smart Contracts bereits oben sub Kapitel 2 § 5 B. und Kapitel 4 § 11 B. II. der Abgeordneten Schäffler u. a. und der FDP-Fraktion „Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die Distributed Ledger-Technologie im Finanzmarkt schaffen“ v. 11. September 2018, BT-Drs. 19/4217, S. 4. 175 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. Oktober 2018 zu dem Thema „Dezentrale Transaktionsnetzwerke und Blockkettensysteme – mehr Vertrauen durch verringerte Kreditmittlertätigkeit“ (2017/2772(RSP)), P8_TA-PROV(2018)0373, Tz. 36 ff. 176 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Janeczek u. a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 19/5868, S. 8 f. 174 Antrag
§ 14 Dezentrale Kooperation
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C. Würdigung Die bisherigen rechtspolitischen Vorstöße auf unionaler und nationaler Ebene haben zu Recht die grundlegende Bedeutung und das disruptive Potenzial der Blockchain-Technologie177 hervorgehoben. I. „Rechtsgültigkeit“ Die benannten rechtlichen Bedenken betreffend Smart Contracts vermögen dagegen – zumindest für das deutsche Vertragsrecht – nicht vollends zu überzeugen.178 Die vertragliche Bindung zwischen den Parteien beurteilt sich unabhängig von diesem Abbildungsmechanismus. Etwaige Bedenken an der Wirksamkeit entsprechender Verträge könnten allerdings aus dem Modus des Zustandekommens resultieren. Vorbehalte bestehen insofern allerdings nur, falls zu diesem Zweck autonome Agenten eingesetzt werden.179 Ein entsprechender Einsatz ist allerdings nicht spezifisches Resultat der Blockchain-Technologie, kann aber mit dieser verknüpft werden. II. Vertragsstruktur(en) und Vertragsverhältnisse bei dezentralen Kooperationsstrukturen Keine Relevanz in der rechtspolitischen Diskussion entfaltet derzeit die Einordnung der Vertragsstruktur(en) und Vertragsverhältnisse bei dezentralen Kooperationsstrukturen (wie eine Blockchain). Zu unterscheiden ist insofern die Initiierung eines dezentralen Kooperationsmechanismus und die Abwicklungen von Rechtsgeschäften mithilfe einer dezentralen Kooperationsstruktur. Angesprochen ist damit die nicht (bzw. nur am Rande) betrachtete Frage nach der Qualifikation der Blockchain-Partizipation „selbst“, sprich das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Teilnehmern.180 Bislang ebenso (wohl) nicht betrachtet wird auf rechtspolitischer Ebene die Frage, ob, und wenn ja, welche Auswirkungen die (erforderliche) Mitwirkung der anderen Teilnehmer der Blockchain bei Vertragsschlüssen „auf“ der Blockchain haben, sprich nach einem potenziell nicht bipolaren, sondern multipolaren Vertragsverhältnis. Unbeschadet der vertragsrechtlichen Diskussion scheint zudem bislang auf rechtspolitischer Ebene auch ganz grundsätzlich – soweit ersichtlich – keine vertiefte Auseinandersetzung mit der vertragsrechtlichen Haftung für den „Betrieb“ einer Blockchain bzw. für die auf einer Blockchain stattzufindenden Interaktionen zu erfolgen.
177
Siehe hierzu auch bereits oben sub Kapitel 2 § 5 B. Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 4 § 11 B. II. 2. und 3. 179 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. II. 180 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. 5. 178
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
§ 15 Autonomie Der rechtspolitische Diskurs zu den Rechtsfragen autonomer Anwendungen bzw. Künstlicher Intelligenz findet derzeit in Bezug auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand ganz überwiegend auf unionaler Ebene statt.181 Leit- und maßstabbildend ist insoweit die Entschließung des Europäischen Parlaments zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik.182 Daneben tritt die Ausarbeitung verschiedener Strategien und Pläne zur Förderung und zum Einsatz Künstlicher Intelligenz auf unionaler und nationaler Ebene.
A. Strategischer Diskurs über Künstliche Intelligenz Internationale Organisationen183 und die Europäische Union sind ebenso wie die Mitgliedsstaaten darum bemüht, Künstliche Intelligenz als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts einerseits zu fördern und andererseits adäquat – auch und gerade in Ansehung damit verbundener Risiken – regulatorisch zu rahmen. I. Nationale Ebene Auf nationaler Ebene benennt die Strategie der Bundesregierung zu Künstlicher Intelligenz die Hauptstoßrichtung betreffend Künstliche Intelligenz.184 Für künftige regulative Ansätze sei stellvertretend darauf hingewiesen, dass bereits 2017 das Straßenverkehrsgesetz (StVG) novelliert worden ist, um das autonome Fahren zu befördern bzw. zu erleichtern.
181 Siehe zu den unterschiedlichen US-amerikanischen und unionalen (sowie britischen) Ansätzen in Bezug auf Künstliche Intelligenz Cath/Wachter/Mittelstadt/Taddeo/Floridi, Sci Eng Ethics 24 (2018), 505. 182 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103(INL)), P8_TA(2017)0051. 183 Siehe nur – inhaltlich ähnlich zu den nachfolgenden Dokumenten – OECD, Recommendation of the Council on Artificial Intelligence (Mai 2019) https://legalinstruments.oecd. org/en/instruments/OECD-LEGAL-0449 (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020); nicht amtliche Übersetzung: OECD, Empfehlung des Rats zu künstlicher Intelligenz (Mai 2019), http:// www.oecd.org/berlin/presse/Empfehlung-des-Rats-zu-kuenstlicher-Intelligenz.pdf (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 184 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018).
§ 15 Autonomie
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1. Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung Die Strategie der Bundesregierung setzt sich das Ziel, Künstliche Intelligenz „ethisch, rechtlich, kulturell und institutionell in die Gesellschaft ein[zu]betten“.185 Als allgemeine Zielsetzungen werden betont: „Wir setzen uns für eine menschenzentrierte Entwicklung und Nutzung von KI-Anwendungen ein (…). Wir wollen die Potenziale von KI nutzen, um für alle Bürgerinnen und Bürger Sicherheit, Effizienz und Nachhaltigkeit in Anwendungsfeldern von besonderer Bedeutung weiter zu verbessern, und gleichzeitig soziale und kulturelle Teilhabe, Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger fördern (…).“186
Für einen (künftigen) Regulierungsrahmen für Künstliche Intelligenz setzt die Strategie der Bundesregierung einen Schwerpunkt bei kartellrechtlichen Fragestellungen, auch und gerade in Bezug auf die Nutzbarmachung und Zurverfügungstellung von Daten.187 In Bezug auf den (sonstigen) Ordnungsrahmen für Künstliche Intelligenz definiert die Bundesregierung die folgenden Leitplanken: „KI-Anwendungen werden in Zukunft nicht nur zur Mustererkennung und Analyse eingesetzt, sondern zunehmend zur Entscheidungsfindung im Alltag beitragen bzw. diese im Hintergrund steuern.“188 Zusätzlich wird weiterer Anpassungsbedarf identifiziert: „Der bestehende Ordnungsrahmen bietet bereits eine stabile Grundlage mit hohen Standards. Die Bundesregierung wird den Rechtsrahmen auf Lücken bei Algorithmen- und KI-basierten Entscheidungen, Dienstleistungen und Produkte überprüfen und ggf. anpassen, um die sie im Hinblick auf mögliche unzulässige Diskriminierungen und Benachteiligungen überprüfbar zu machen. Aufgrund der zunehmenden Durchdringung von KI und der damit einhergehenden Intensivierung von Mensch-Maschine-Inter aktion erfordern die Entwicklung und Anwendung von KI die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards.“189
Dabei zeigt die Bundesregierung auch Ansätze190 für eine potenzielle (zukünftige) vertragsrechtliche Regulierung auf: „Beim Einsatz von KI muss sichergestellt sein, dass ein effektiver Schutz gegen Diskriminierung, Manipulation oder sonstige missbräuchliche Nutzung möglich ist. Nur ein 185 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 7. 186 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 9 (Hervorh. d. Verf.). 187 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 33 ff. 188 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 38. 189 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 38. 190 Eine nähere Auseinandersetzung mit autonomen Agenten erfolgt bislang – soweit ersichtlich – nicht, vgl. auch Grapentin, Vertragsschluss und vertragliches Verschulden beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Softwareagenten, 2018, S. 84 f.
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transparenter Umgang mit KI kann das Vertrauen von Menschen in algorithmenbasierte Systeme zur Entscheidungsvorbereitung oder sogar in autonom arbeitende und entscheidende Systeme schaffen.“191
Die Bundesregierung identifiziert insofern eine Verbindung zwischen Regu lierung und Technikgestaltung – und weist den Weg in Richtung regulierter Selbstregulierung: „Ethische und rechtsstaatliche Anforderungen sollten als integraler Bestandteil (…) im gesamten Prozess der Entwicklung und Anwendung von KI Beachtung finden. Dies umfasst die Forschung, Entwicklung und die Produktion von KI, aber auch den Einsatz, den Betrieb, die Kontrolle und die Governance KI-basierter Anwendungen. Entwicklung von Verfahren zur Kontrolle und Nachvollziehbarkeit algorithmischer Entscheidungen sollte alle Akteure, inkl. Industrie, einbeziehen. Die Bundesregierung prüft die Einrichtung bzw. den Ausbau von staatlichen Stellen und privaten Prüfinstitutionen zur Kontrolle algorithmischer Entscheidungen mit dem Ziel, missbräuchliche Nutzungen und Diskriminierungen zu verhindern und negative gesellschaftliche Folgen abzuwenden. Hierzu sollen unter anderem Auditierungsstandards etabliert und Standards für Folgenabschätzungen entwickelt werden.“192
2. Konkretisierender Exkurs: Novellierung des StVG Im Zuge der Novellierung des StVG sind bereits explizite Regelungen zu Fahrzeugen mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion eingeführt worden.193 Gemäß § 1a StVG ist der Betrieb eines Kraftfahrzeugs mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion zulässig, wenn die Funktion bestimmungsgemäß verwendet wird.194 Entsprechenden Kraftfahrzeuge zeichnen sich neben der Fähigkeit zur verkehrsgerechten Fahrzeugsteuerung dadurch aus, dass nach § 1a Abs. 2 Nr. 3 und 4 StVG die technische Steuerung jederzeit durch den Fahrzeugführer manuell übersteuerbar oder deaktivierbar ist sowie die technische Steuerung die Erforderlichkeit der eigenhändigen Fahrzeugsteuerung durch den Fahrzeugführer erkennen kann. Entscheidend – vor allem für den straßenverkehrsrechtlichen Haftungstatbestand des § 18 StVG195 – ist allerdings, dass derjenige, der eine hoch- oder vollautomatisierte Fahrfunktion aktiviert und zur Fahrzeugsteuerung verwendet, Fahrzeugführer bleibt, auch wenn er im
191 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 39. 192 Bundesregierung, Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung (November 2018), S. 39. 193 Siehe hierzu etwa König, NVZ 2017, 123; ders., NZV 2017, 249; kritisch zur Novelle Schirmer, NZV 2017, 253. 194 Näher hierzu König, NZV 2017, 123 (124 f.). 195 Zu den Haftungsfragen siehe Buck-Heeb/Dieckmann, NZV 2019, 113; Greger, NZV 2018, 1.
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Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung dieser Funktion das Fahrzeug nicht eigenhändig steuert (§ 1a Abs. 4 StVG).196 Die Novellierung führt somit nicht zu einem fahrzeugführerlosen Zustand. Ebenso ist der Hersteller nicht Fahrzeugführer. Das Fahrzeug selbst ist mangels Rechtssubjektsqualität ebenfalls kein tauglicher Fahrzeugführer. Mit der Entscheidung, den Verwender weiterhin als Fahrzeugführer einzustufen, lehnt der Gesetzgeber eine „Verselbstständigung“ der Haftung bzw. des Haftungsobjekts ab. Die Grundentscheidung, den Verwender als Verantwortlichen einzuordnen, entspricht im Grundsatz auch den (derzeitigen) Überlegungen zu einer Haftungskonzeption auf unionaler Ebene. II. Unionale Ebene Auf unionaler Ebene hat die Europäische Kommission im Anschluss an ihre Mitteilung zu Künstlicher Intelligenz in Europa197 Ende 2018 einen Koordinierten Plan für Künstliche Intelligenz198 vorgelegt. Im April 2019 folgten eine weitere Mitteilung zur Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz199, die auf die zeitgleich von der High-Level Expert Group on Artificial Intelligence publizierten Ethics Guidelines for Trustworthy AI 200 Bezug nimmt. 1. Mitteilung „Künstliche Intelligenz in Europa“ In der im Frühjahr 2018 veröffentlichten Mitteilung zu Künstlicher Intelligenz in Europa legt die Europäische Kommission die grundsätzlichen politischen Parameter für den Umgang mit und die Förderung von Künstlicher Intelligenz fest. Künstliche Intelligenz wird als eine „der strategisch bedeutendsten Technologien des 21. Jahrhunderts“ eingestuft. Deswegen sei Ziel – unter anderem 196 Hierzu etwa Buck-Heeb/Dieckmann, NZV 2019, 113 (114); König, NZV 2017, 123 (125). Siehe im Übrigen zu den Rechten und Pflichten eines entsprechenden Fahrzeugführers § 1b StVG. 197 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Künstliche Intelligenz für Europa, COM(2018) 237 final. 198 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Koordinierter Plan für künstliche Intelligenz für Europa, COM(2018) 795 final nebst Annex. 199 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz, COM(2019) 168 final. 200 High-Level Expert Group on Artificial Intelligence, Ethics Guidelines for Trustworthy AI (April 2019), https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/ethics-guide lines-trustworthy-ai (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020).
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– die „Gewährleistung eines geeigneten ethischen und rechtlichen Rahmens“.201 Explizit in Bezug auf vertragliche Beziehungen unterstreicht die Kommission: „Die großmaßstäbliche Nutzung von KI-fähigen Instrumenten für Geschäfte zwischen Unternehmen und Verbrauchern muss fair und transparent sein und dem Verbraucherrecht entsprechen. (…) Einzelpersonen sollten die mithilfe dieser Instrumente generierten Daten kontrollieren können und darüber informiert sein, ob sie mit einer Maschine oder einem anderen Menschen kommunizieren. Bei der Interaktion mit automatisierten Systemen sollte insbesondere überlegt werden, wann die Nutzer darüber informiert werden sollten, wie ein Mensch erreicht und wie sichergestellt werden kann, dass die Entscheidungen eines Systems überprüft oder berichtigt werden können.“202
In Bezug auf die Parameter für Sicherheit und Haftung – und nicht explizit in Bezug auf vertragliche Interaktionen – ergänzt die Kommission: „Das Entstehen von KI, insbesondere das komplexe Ökosystem zu ihrer Unterstützung sowie das Thema autonomer Entscheidungen machen es notwendig, Überlegungen über die Eignung einiger geltender Vorschriften über die Sicherheit und zivilrechtliche Haftungsfragen anzustellen. Beispielsweise können fortschrittliche Roboter und Produkte des Internets der Dinge, die von KI getragen werden, sich in einer Art und Weise verhalten, die zum Zeitpunkt, als die Systeme erstmals zum Einsatz kamen, nicht in Betracht gezogen wurde.“203
Die Kommission betont dazu Möglichkeiten der Standardisierung: „Die Weiterentwicklung und Förderung solcher Sicherheitsnormen und die Unterstützung der europäischen und internationalen Normungsorganisationen werden mit dabei helfen, dass die europäischen Unternehmen sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können und das Vertrauen der Verbraucher gestärkt wird.“204
2. Koordinierter Plan für künstliche Intelligenz Im Annex zum Koordinierten Plan für künstliche Intelligenz betont die Kommission zum regulatorischen Rahmen in Ergänzung zur vorbenannten Mitteilung „Künstliche Intelligenz für Europa“ insbesondere Aspekte der Bewertung von Regulierungsoptionen und der Cybersicherheit. Zur Bestimmung adäquater Regulierungsformen werden Möglichkeiten einer modellhaften Erprobung angeraten 205 , in Bezug auf die Gewährleistung von Cybersicherheit wird hervorgehoben: „Die Anforderungen an die Cybersicherheit von KI sollten festgelegt und es sollte dafür das Zertifizierungssystem im Rahmen des vorgeschlagenen europäischen Rahmens für die Cybersicherheitszertifizierung genutzt werden.“206 201
COM(2018) 237 final, S. 4. COM(2018) 237 final, S. 19. 203 COM(2018) 237 final, S. 19. 204 COM(2018) 237 final, S. 19. 205 COM(2018) 795 final Annex, S. 21. 206 COM(2018) 795 final Annex, S. 20. 202
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3. Mitteilung „Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz“ Die Europäische Kommission ergänzte ihre strategischen Erwägungen, um eine weitere Mitteilung zur „Schaffung von Vertrauen in eine auf den Menschen ausgerichtete künstliche Intelligenz“. Konzeptioneller Ausgangspunkt ist (auch hier207) das Leitbild einer menschenzentrierten Künstlichen Intelligenz.208 Dafür bezieht sich die Mitteilung auf die Ethics Guidelines for Trustworthy AI der High-Level Expert Group on Artificial Intelligence.209 Die Europäische Kommission schließt sich insbesondere den sieben Kernforderungen der Expert Group, die der strategischen Stoßrichtung der vorherigen Dokumente entsprechen.210 Ausführungen zum Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Erzeugung vertraglicher Bindung enthält die Mitteilung nicht. Betont wird nur, dass der Einsatz Künstlicher Intelligenz beim Kontrahieren zum Standard anwachsen wird211 und dass etwa in Ansehung der verwendeten Datensätze Diskriminierungen oder unlauterer Wettbewerb drohen (können).212 Lediglich angedeutet wird, dass eine (wie auch immer geartete) „Aufsicht“ über den Einsatz Künstlicher Intelligenz in diesem Zusammenhang allerdings weniger intensiv sein muss: „[Die sieben Kernforderungen] sollen zwar generell für alle KI-Systeme in verschiedenen Umfeldern und Branchen gelten, bei ihrer konkreten und verhältnismäßigen Umsetzung sind aber der jeweilige spezifische Anwendungskontext und die möglichen Folgen zu berücksichtigen. So wäre beispielsweise eine KI-Anwendung, die ein unpassendes Buch vorschlägt, weit weniger gefährlich als etwa eine Anwendung, die eine falsche Krebsdiagnose stellt, und könnte daher einer weniger strengen Aufsicht unterliegen.“213
B. Insbesondere: Entschließung des Europäischen Parlaments zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik Die zuvor dargelegten Mitteilungen der Kommission und der Bundesregierung können als Grundlagendokumente bezeichnet werden können. Die verschiedenen Dokumente setzen (nur) die strategischen Parameter für den Umgang mit und die Regulierung von Künstlicher Intelligenz. Demgegenüber hat das Europäische Parlament bereits 2017 eine vergleichsweise detaillierte Entschließung 207
Siehe oben sub Kapitel 5 § 15 A. I. 1. zur Strategie der Bundesregierung. COM(2019) 168 final, S. 2 f. 209 COM(2019) 168 final, S. 2 , 4 ff. 210 COM(2019) 168 final, S. 4: (1) Vorrang menschlichen Handelns und menschlicher Aufsicht; (2) Technische Robustheit und Sicherheit; (3) Privatsphäre und Datenqualitätsmanagement; (4) Transparenz; (5) Vielfalt, Nichtdiskriminierung und Fairness; (6) Gesellschaftliches und ökologisches Wohlergehen; (7) Rechenschaftspflicht. 211 COM(2019) 168 final, S. 3. 212 COM(2019) 168 final, S. 7. 213 COM(2019) 168 final, S. 4. 208
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zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik vorgelegt.214 Die Erwägungen der Entschließung zielen auch auf einen (zukünftigen) vertragsrechtlichen Ordnungsrahmen für Künstliche Intelligenz. Die entsprechenden Leitlinien sind daher im Sinne des hiesigen Untersuchungsgegenstands von besonderer Bedeutung. I. Allgemeine Implikationen Dem Europäischen Parlament zufolge ist bedenkenswert, „dass sich gegenwärtig eine langfristige Tendenz der Entwicklung von intelligenten und autonomen Maschinen mit der Fähigkeit zum unabhängigen Erlernen und zur unabhängigen Entscheidungsfindung abzeichnet, die nicht nur mit wirtschaftlichen Vorteilen, sondern auch mit einer Vielzahl von Bedenken hinsichtlich der unmittelbaren und mittelbaren Folgen für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit verbunden ist (…).“215
Es gelte zu berücksichtigen, „dass letzten Endes die Möglichkeit besteht, dass die KI langfristig die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen überflügeln könnte (…).“216 Aus Regulierungsperspektive hält das Europäische Parlament „ein Regelwerk, insbesondere für Haftungsfragen und Fragen der Transparenz und Rechenschaftspflicht, [für] sinnvoll (…).“217 II. Zivilrechtliche Implikationen Die Entschließung definiert sodann die zivilrechtlichen Grundparameter für mit Künstlicher Intelligenz operierende Roboter – womit auch und gerade die im Sinne dieser Arbeit untersuchten autonomen Anwendungen angesprochen sind.218 1. Allgemeines Haftungsrecht Das Europäische Parlament konstatiert zunächst, dass „die rechtliche Verantwortung, die sich aus schädigenden Handlungen eines Roboters ergeben, zu einer zentralen Frage [werden] wird (…).“219 Es wird das Leitbild zugrunde gelegt, „dass (…) Roboter (…) durch die Entwicklung bestimmter autonomer und kognitiver Merkmale – beispielsweise (…) quasi-unabhängige Entscheidungen zu treffen – (…) [menschlichen] Akteuren (…) immer ähnlicher geworden sind 214 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103(INL)), P8_TA(2017)0051. 215 P8_TA(2017)0051, Einleitung G. 216 P8_TA(2017)0051, Einleitung P. 217 P8_TA(2017)0051, Allgemeine Grundsätze U. 218 Siehe zum Begriffsverständnis von Künstlicher Intelligenz, Robotern und autonomen Anwendungen oben sub Kapitel 1 § 1 E. und Kapitel 2 § 4 C. 219 P8_TA(2017)0051, Haftung Z.
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(…).“220 Vor diesem Hintergrund sei die Frage nach einer Modifizierung der Haftungsregelungen ebenso angezeigt wie Erwägungen betreffend die Rechtsnatur autonomer Anwendungen.221 Übergreifender haftungsrechtlicher Grundsatz soll sein, dass „es aufgrund des Trends zur Automatisierung erforderlich ist, dass diejenigen, die an der Entwicklung und dem Inverkehrbringen von KI-Anwendungen beteiligt sind, (…) darauf vorbereitet sein müssen, die rechtliche Haftung für die Qualität der von ihnen hergestellten Technologie zu übernehmen (…).“222
Hierzu wird unter anderem ausgeführt, „die Haftung (…) [sollte] grundsätzlich im Verhältnis zum tatsächlichen Ausmaß der Anweisungen stehen (…), die dem Roboter gegeben worden sind, sowie im Verhältnis zum Grad der Autonomie des Roboters; je größer also die Lernfähigkeit oder die Autonomie eines Roboters sind und je länger das Training eines Roboters dauert, desto größer sollte die Verantwortung seines ‚Trainers‘ sein.“223
Für diese Frage sind „Fertigkeiten, die sich aus der ‚Schulung‘ ergeben, die einem Roboter erteilt wird, nicht mit den Fertigkeiten [zu] verwechsel[n] (…), die voll und ganz von dessen Selbstlernfähigkeiten abhängen (…).“224 2. Vertragsrecht Von besonderem Interesse für den hiesigen Untersuchungsgegenstand sind die Ausführungen des Europäischen Parlaments zum Einsatz autonomer Anwendungen im Kontext eines Vertragsschlusses. Die Entschließung betont – im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung225 –, „dass Defizite des derzeit geltenden Rechtsrahmens auf dem Gebiet der Vertragshaftung insofern offensichtlich sind, als Maschinen, die dazu konzipiert sind, ihr jeweiliges Gegenüber auszuwählen, vertragliche Bedingungen auszuhandeln, Verträge abzuschließen und zu entscheiden, ob und wie sie diese Verträge umsetzen, die herkömmlichen Regeln unanwendbar machen, was die Notwendigkeit für neue, wirksame und aktuelle Regeln unterstreicht, die den kürzlich auf dem Markt erschienenen und verwendeten technologischen Entwicklungen und Innovationen entsprechen müssen (…).“226
220
P8_TA(2017)0051, Haftung Z. Siehe P8_TA(2017)0051, Haftung AB., AC. und AF. 222 P8_TA(2017)0051, Einleitung M. 223 P8_TA(2017)0051, Haftung Nr. 56. 224 P8_TA(2017)0051, Haftung Nr. 56. 225 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. 226 P8_TA(2017)0051, Haftung AG. 221
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
III. ePerson Schließlich hat die Entschließung des Europäischen Parlaments besondere Aufmerksamkeit dafür erhalten, dass eine Einführung einer (bestimmten Form einer) Rechtspersönlichkeit für Roboter erwogen wird.227 Das Parlament „fordert die Kommission auf, bei der Durchführung einer Folgenabschätzung ihres künftigen legislativen Rechtsinstruments die Folgen (…) möglicher Lösungen zu untersuchen, zu analysieren und zu bewerten, und (…) langfristig einen speziellen rechtlichen Status für Roboter zu schaffen, damit zumindest für die ausgeklügeltsten autonomen Roboter ein Status als elektronische Person festgelegt werden könnte, die für den Ausgleich sämtlicher von ihr verursachten Schäden verantwortlich wäre, sowie möglicherweise die Anwendung einer elektronischen Persönlichkeit auf Fälle, in denen Roboter eigenständige Entscheidungen treffen oder anderweitig auf unabhängige Weise mit Dritten interagieren (…).“228
C. Würdigung Die grundsätzliche Stoßrichtung der verschiedenen unionalen und nationalen Dokumente ist zu begrüßen. Die Erwägungen zeigen den umfassenden Regulierungsbedarf bei und bereits einzelne Regulierungsoptionen für autonome(n) Anwendungen auf. I. Grundlagen Zustimmungswürdig ist zunächst die allen Dokumenten innewohnende Grundannahme einer menschenzentrierten Künstlichen Intelligenz. Jegliche (zukünftige) Regulierung sollte Künstliche Intelligenz als dem Individuum dienend verstehen. Der Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen sind vor diesem Hintergrund zentrale Ausgangspunkte einer (auch) vertragsrechtlichen Regulierung der Mensch-Maschinen-Interaktion bzw. der machine to machine-communication. II. Materielle Parameter Als zentrales Leitmoment in materieller Sicht zieht sich das Vertrauen der (End-)Anwender durch die verschiedenen unionalen und nationalen Dokumente. Ein solcher Ausgangs- und Fixpunkt der Regulierung kann in Ansehung der Leitfunktion von Vertrauen für den Schutz normativer Erwartungen nur unterstrichen werden. Eine entsprechende Regulierung autonomer Anwendungen spiegelt treffend den Grundsatz dieser Arbeit wider, Erwartungen als zentralen Regulierungsimpetus zu begreifen.229 227
Ausführlich hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. P8_TA(2017)0051, Haftung Nr. 59 lit. f. 229 Siehe ausführlich hierzu oben sub Kapitel 3 § 7. 228
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Inhaltlich übereinstimmend betonen die Dokumente darüber hinaus die Kriterien Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit. In diesem Sinne ist zu klären, ob diese Kriterien (auch) auf den Endverbraucher abzielen. Die Künstlicher Intelligenz zugrunde liegenden technischen Prozesse sind hochkomplex und per definitionem zumindest nicht im Vornherein auf Nachvollziehbarkeit ausgelegt.230 Eine (nachträgliche) Überprüfbarkeit ist dagegen eine verständliche Forderung (wenngleich auch insofern der Endverbraucher dies unter Umständen nicht selbst vornehmen kann bzw. muss). Die Statuierung von Transparenzanforderungen ist zudem oftmals ein zweischneidiges Schwert. Denn einerseits kann eine (überbordende) Information des Anwenders zu einem information overkill (und damit zur wissentlichen Nichtwahrnehmung entsprechender Informationen führen). Eine zu weitreichende Offenlegung zugrunde liegender algorithmischer Prozesse steht andererseits im Widerspruch zu einem legitimen Schutzinteresse an Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Ob und inwieweit somit die benannten Kriterien effektiv für den Einsatz von (Alltags-)Anwendungen fruchtbar gemacht werden können, ist zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen. Im Lichte materieller Vorgaben ist demgegenüber richtig, dass autonome Anwendungen auf eine Anwendungssicherheit zielen sollten. In diesem Sinne werden Sicherheitsstandards vorzugeben sein. Im Einzelnen ist damit insbesondere die Frage nach einem Schutz vor Manipulatio nen angesprochen. Zutreffend betont insbesondere das Europäische Parlament in Bezug auf das hier im Fokus stehende Vertragsrecht, dass die derzeitigen Regelungen in Ansehung von Anwendungen Künstlicher Intelligenz nicht mehr als ausreichend eingestuft werden können.231 Überzeugender Weise wird deswegen auch die Frage nach einer konzeptionellen Rahmung von autonomen Anwendungen aufgeworfen. Eine Prüfung der Rechtssubjektsqualität entsprechender Anwendungen ist auch und gerade mit Blick auf die Instrumente der Rechtsgeschäftslehre de lege lata (und deren Grenzen) angezeigt. III. Institutionelle Parameter Nachvollziehbarer Weise wird in institutioneller Hinsicht betont, dass die Einbindung spezialisierter staatlicher Stellen oder privater (Prüf-)Institutionen einen adäquaten Regulierungsrahmen fördern bzw. ein adäquates Schutzniveau befördern können. Angesprochen sind hiermit Formen regulierter Selbstregulierung. Diese Form gesetzgeberischer Governance erscheint prima facie erörterungswürdig in Bezug auf zwei (miteinander unter Umständen verbundenen) Regulierungsinstrumente, die in den verschiedenen Dokumenten bereits auf 230 231
Siehe oben sub Kapitel 2 § 4 C. Siehe auch bereits oben sub Kapitel 4 § 12 B. II.
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Kapitel 5: Rechtspolitischer Diskurs
gezeigt werden: Zum einen die Entwicklung von Standards bzw. von Maßstäben der Standardisierung; zum anderen die Entwicklung von Zertifikat(ssystem)en.
Kapitel 6
Fortentwicklungspotenziale Der status quo des Vertragsrechts ist – in Bezug auf die Dimensionen systemischer Bindung – nicht in jeder Hinsicht zufriedenstellend. Plattformen in unterschiedlicher Form und Ausgestaltung, Mechanismen dezentraler Kooperation sowie der Einsatz Künstlicher Intelligenz zum und beim Kontrahieren führen an verschiedenen Stellen das Vertragsrecht an seine Grenzen.1 Die Mehrpoligkeit von Plattformen, die Notwendigkeit technischen Zusammenwirkens bei dezentralen Kooperationsformen, die Einbindung autonomer Anwendungen irritiert systemtheoretisch gesprochen das System Recht. In verschiedener Form wird die (zunehmende) Einbindung technischer Anwendungen nicht mehr hinreichend gespiegelt. Die Erwartungen der beteiligten Akteure werden nicht mehr durchgängig stabilisiert.2 Das Recht ist insoweit nicht mehr responsiv. Da die rechtstatsächlichen Interaktions- und Partizipationsformen systemischer werden, muss auch das Vertragsrecht systemischer werden. In diesem Sinne sollen nachfolgend Fortentwicklungspotenziale aufgezeigt und bewertet werden. Dafür ist zunächst eine Vergewisserung über die (unsichere) technische Fortentwicklung erforderlich. Insbesondere ist für potenzielle rechtspolitische Empfehlungen darzulegen, auf welchen (außerrechtlichen) Grundannahmen entsprechende Empfehlungen basieren. So kann diese Untersuchung etwa nicht die mit der Blockchain-Technologie verbundenen zukünftigen systemischen Risiken für Märkte prognostizieren. Ebenso ist etwa in vielfältiger Weise ungeklärt, ob und in welcher Weise autonome Anwendungen zum allgemeinen Standard für vertragliche Interaktionen aufwachsen werden (und sollen) – sei es bei der Mensch-Maschine-Interaktion oder bei der Maschine-Maschine-Interak tion. Es kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden (aber es ist stark zu vermuten), ob bzw. dass eine Partizipation autonomer Anwendungen im Alltagsleben üblich(er) werden wird. Aus rechtlicher Perspektive sind gleichwohl auf der Grundlage der zuvor dargelegten rechtspolitischen Rahmenbedingungen und Initiativen sowie auf der Basis von (sogleich getroffenen) Grundannahmen Optionen für die Dimensionen systemischer Bindung aufzuzeigen. Dabei ist näher zu erörtern, ob und, 1 Siehe wiederum nur Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (280 ff.); Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255; Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.). 2 Anders etwa im Pauschalreisevertragsrecht, siehe oben sub Kapitel 4 § 10 C. III.
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
falls ja, mit welchem Zugriff neue legislative Instrumente für die Dimensionen systemischer Bindung in Erwägung zu ziehen sind – sei es in Bezug auf die Vertragsstrukturen (moderne Vernetzungen), sei es in Bezug die Handlungsformen der Rechtsgeschäftslehre (autonome Anwendungen) oder sei es in Bezug auf die vertraglichen Akteure (Rechtspersönlichkeit bzw. Rechtsfähigkeit für autonome Anwendungen). Münden sollen die Vorschläge in einer darauf aufbauenden Konzeption für die vertragliche Bindung – und damit das (Kern-)Vertragsrecht – im 21. Jahrhundert. Denn anhand der verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung können die zentralen Bausteine für das Vertragsrecht herausgearbeitet werden. Vertragsrechtliche Lösungen im 21. Jahrhundert werden sich entlang und anhand dieser Bausteine – rechtspolitisch – entscheiden (müssen). Ausgangspunkt dafür ist, dass die Dimensionen systemischer Bindung in ihrem Zusammenwirken und – Stufe für Stufe – die Grundlagen einer digitalen Privatrechtsgesellschaft verwirklichen.3 Auf dieser Grundlage können verschiedene Weichenstellungen für die Konzeption des (aktuellen und zukünftigen) Vertragsrechts getroffen werden: Welche vertraglichen Akteure soll es geben? Welche Ziele soll das Vertragsrecht verfolgen? An welchen Parametern richtet sich das Vertragsrecht aus? Welche Regulierung dient dem Vertragsrecht?
§ 16 Grundannahmen Rechtspolitische Vorschläge basieren stets (auch) auf außerrechtlichen (Be-)Wertungen. Vorschläge können in diesem Sinne nicht wertfrei erfolgen.4 Auf dieser Grundlage sollen nun die verschiedenen Grundannahmen offengelegt werden, die den im nachfolgenden Abschnitt diskutierten und entwickelten Fortentwicklungsperspektiven zu den verschiedenen Dimensionen systemischer Bindung zugrunde liegen. Die nachfolgenden Grundannahmen un ternehmen dabei den Versuch, die in dieser Arbeit vorgenommenen (vertrags-)theoretischen Überlegungen in belastbare Maßstäbe für eine Regulierung zu überführen. Idealerweise bilden diese Maßstäbe auch einen Referenzraum zur Entscheidung (und Bewertung) der verschiedenen Fortentwicklungs perspektiven.
3
Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 9 C. zur Relevanz etwa von sozialwissenschaftlichen Theorien für die Rechtssetzung Petersen/Towfigh, in: dies., Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 40 ff. 4 Allgemein
§ 16 Grundannahmen
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A. Gesellschaftliche Vorteile systemischer Bindung Erste Grundannahme für potenzielle Fortentwicklungsperspektiven ist: Den Formen systemischer Bindung wohnt ein enormes gesellschaftliches Potenzial inne, das genutzt werden sollte. Anwendungen der Plattformökonomie, Mechanismen dezentraler Kooperation und Anwendungen Künstlicher Intelligenz sind Grundlage für Innovationen. Die Plattformökonomie hat nahezu alle Wirtschaftsbereiche beeinflusst und – zum Teil – reorganisiert. Neue (oder wesentlich verbesserte) Intermediärsdienste sind mit der Plattformökonomie untrennbar verbunden. Im Kern führen Plattformen Marktakteure zusammen. Hiermit verknüpft ist das Abzielen auf ökonomische Effekte. So zeichnen sich Geschäftsmodell der Plattformökonomie oftmals aus durch die Nutzung direkter und indirekter Netzwerk effekte sowie von Lock in-Effekten.5 Mit entsprechenden Effekten gehen vor allem kartellrechtliche Fragestellungen (oder auch Risiken) einher. 6 Aus der Perspektive der vertraglichen Bindung sind Plattformen allerdings auch und gerade Fazilitätsmotoren für den Abschluss von Verträgen. Längst haben sich Plattformen zu Schalt- und Drehstellen für vertragliche Verhältnisse entwickelt. Dies ist besonders augenfällig bei Vertragsbeziehungen von smarten Anwendungen. Mit solchen Anwendungen ist ein enormes Potenzial verbunden. Angesprochen sind damit nicht nur neue Produkte und Dienstleistungen, sondern auch und gerade allgemeine gesamtwohlfahrtsfördernde Effekte. Die Plattformökonomie bietet der Gesellschaft in diesem Sinne somit eine vorteilhafte Infrastruktur. Vor diesem Hintergrund sollten Geschäftsmodelle der Plattformmodelle auch und gerade dadurch gefördert werden, dass ein adäquater Rechtsrahmen für entsprechende Anwendungen zur Verfügung steht. Ebenso ist die Blockchain-Technologie als im Grundsatz positiv einzustufen. Das mit dieser Technologie verbundene Innovationspotenzial sollte nicht unterschätzt werden. Die Übernahme der Intermediärsfunktion birgt die Chance, in den nächsten Jahren weitere Umwälzungen von Marktstrukturen in verschiedensten Wirtschaftssektoren anzustoßen. Dabei werden Intermediärsfunktionen nicht vollkommen ersetzt. Vielmehr werden sich veränderte (und neue) Intermediärsstrukturen herausbilden. Vor diesem Hintergrund soll – ohne Verkennung der Risiken7 – auch der gesamtgesellschaftliche Nutzen bzw. die Wohlfahrtsförderung der Blockchain-Technologie angenommen werden.
5
Siehe hierzu nur Paal/Hennemann, Big Data as an Asset, 2018, S. 21 ff. m. w. N. Siehe zu den damit verbundenen Herausforderungen etwa Paal/Hennemann, Big Data as an Asset, 2018; Schweitzer, GRUR 2019, 569; dies./Peitz, NJW 2018, 275; dies./Fetzer/Peitz, Digitale Plattformen: Bausteine für einen künftigen Ordnungsrahmen, Discussion Paper No. 16-042 (29. Mai 2016), S. 20 ff. 7 Siehe hierzu nur oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. 2. 6
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
Die Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz für Vertragsbeziehungen sind mannigfaltig. 8 Mit Teubner gilt: „[D]ie Abhängigkeit der Gesellschaft von autonomen Softwareagenten im großen Maßstab [nimmt] zu und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Gesellschaft auf deren Nutzen verzichtet.“9 Anwendungen Künstlicher Intelligenz sind bereits heute und werden zukünftig noch weitergehend mit Anwendungen der Plattformökonomie und der dezentralen Kooperation (durch Smart Contracts) zu Vertragsschlüssen verknüpft und verzahnt. Künstliche Intelligenz wird genutzt, um (vertragliche) Handlungen vorzunehmen, vertragliche Handlungen zu ermöglichen und zu dezentralen Kooperationsstrukturen beizutragen. Die Entwicklung eines technischen Ökosystems für vertragliche Beziehungen zeichnet sich bereits ab.10 So werden Verträge immer mehr mithilfe von autonomen Agenten über Plattformen oder dezentrale Kooperationsmechanismen abgeschlossen und abgewickelt. Auf die Zunahmen digitaler Butler und Multiagentensysteme sei nur stellvertretend verwiesen.11 Die technischen Prozesse – und damit die Vertragsschlüsse – erfolgen in einer Geschwindigkeit (bei gleichzeitiger Aus- und Bewertung von Informationen), die manuell nicht (mehr) leistbar ist. Die eindringlichen Warnungen vor Künstlicher Intelligenz sollten dabei nicht übergangen werden. So wird aus der Perspektive unterschiedlicher Fachdisziplinen auf potenziell negative Effekte und Konsequenzen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz hingewiesen. So ist es etwa eine offene Frage, ob und inwieweit sich Anwendungen Künstlicher Intelligenz gegen Menschen richten (können) sollen. Insbesondere militärische Einsatzszenarien werden äußerst kontrovers diskutiert.12 Künstliche Intelligenz als Machtfaktor prägt den geostrategischen und politischen Diskurs.13 Die identifizierten (und kontrovers diskutierten) Risiken sind auch und gerade für den vertragsrechtlichen Zugriff zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz müssen die benannten gesamtwohlfahrtsfördernden Effekte Künstlicher Intelligenz für Verträge letztlich unabhängig von etwaigen Risiken in anderen Bereichen betrachtet werden. Eine solche Annahme entbindet allerdings nicht davon zu prüfen, ob und inwieweit 8 Allgemein zu Chancen und Risiken beim Einsatz autonomer Anwendungen etwa Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 71 ff. 9 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (157) mit Verweis auf Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 15. 10 Siehe etwa ausführlich zu den positiven und negativen Implikationen beim sogenannten algorithmischen und Hochfrequenzhandel Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 128 ff. 11 Siehe hierzu oben sub Kapitel 1 § 1 D. und Kapitel 4 § 12 B. VI. 12 Siehe etwa zu letalen autonomen Waffensystemen Dederer, RW 2018, 380. 13 Stellvertretend insoweit die Aussagen des russischen Staatspräsidenten Putin: „Wer [betreffend Künstliche Intelligenz, Anm. d. Verf.] die Führung übernimmt, wird Herrscher der Welt“ (zit. nach: Holland, Putin: Wer bei KI in Führung geht, wird die Welt beherrschen [4. September 2017]).
§ 16 Grundannahmen
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der Einsatz Künstlicher Intelligenz auch vertragsrechtsimmanent negative Effekte erzielt. Unbeschadet des zuvor Ausgeführten mag ebenso argumentiert werden, dass sich der Einsatz der verschiedenen Formen systemischer Bindung de facto nicht aufhalten (bzw. effektiv) rechtlich begrenzen lässt, sodass eine Befassung mit entsprechenden Fortentwicklungsperspektiven bereits auf dieser Grundlage gerechtfertigt ist.
B. Verifikation und Akzeptanz von Black Boxes Das Zusammenspiel von Formen dezentraler Kooperation und dem Einsatz autonomer Agenten ist durch einen zentralen Gegensatz geprägt. Im Zuge der dezentralen Kooperation (etwa einer Blockchain) steht die Verifikationsmöglichkeit im Vordergrund. Die Nachvollziehbarkeit von „Handlungen“ ist geradezu paradigmatisches Funktionselement dieser Anwendungen. Gerade aufgrund dieser Funktion wird der Blockchain-Technologie ein enormes Potenzial zugeschrieben.14 Anwendungen Künstlicher Intelligenz im hier verstandenen Sinne sind gerade demgegenüber nicht auf Nachvollziehbarkeit ausgelegt und ausgerichtet. Die jeweiligen Algorithmen passen sich vielmehr ständig an. Entscheidungen sind damit nicht nur nicht vorsehbar, sondern möglicherweise auch nicht in jeder Hinsicht im Nachhinein rekonstruierbar. Diese Funktionalität ist wiederum paradigmatisches Funktionselement von Anwendungen Künstlicher Intelligenz. Entsprechende Algorithmen werden deswegen auch als Black Box bezeichnet.15 Spiecker gen. Döhmann führt zutreffend aus: „So unterschiedlich Maschinenlernen auch verlaufen mag, so werden doch zunehmend automatisierte Prozesse möglich, die nicht mehr von der Institution, dem Programmierer oder dem konkreten Datenverarbeiter gesteuert werden, sondern die gezielt ‚blinde Flecken‘ zwischen Input und Output einer Entscheidung belassen. Mittel, Wege und Ziele werden dann im konsequent weitergedachten Anwendungsszenario nicht mehr menschlich, sondern maschinell gesetzt, ohne dass die maschinelle Vorgehensweise vorhergesagt oder nachvollzogen werden kann. Denn fortgeschrittenes Maschinenlernen bedeutet vor allem, dass die normativen Grundlagen vom maschinengetriebenen System selbst bestimmt und variiert werden können.“16
Werden autonome Anwendungen etwa im Kontext einer Blockchain-Anwendung eingesetzt, so ergibt sich das folgende Bild: Auf der Ebene der Blockchain sind die „Handlungen“ der Anwendung Künstlicher Intelligenz, sprich solche mit „Außenwirkung“, sichtbar und verifizierbar. Dass eine Entscheidung und mit welchem Inhalt eine Entscheidung getroffen wurde, ist dokumentiert. Der interne Entscheidungsprozess der autonomen Anwendung, sprich die Ebene 14
Siehe hierzu oben sub Kapitel 5 § 14 A. Siehe hierzu oben sub Kapitel 2 § 4 C. Allgemein(er) wiederum Pasquale, The Black Box Society, 2015. 16 Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (349). 15
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
der autonomen Anwendung selbst, ist dagegen unter Umständen nicht dokumentiert bzw. dokumentierbar. Den prägenden Funktionalitäten Verifikation und Black Box wohnen daher Vor- und Nachteile inne. Faktische Nachteile können etwa anhand der Friktionen der Blockchain-Technologie mit der Rechtsgeschäftslehre untermalt werden.17 Im Übrigen sei an dieser Stelle nur noch darauf hingewiesen, dass mit der Verifikation verbundene Dokumentation und Nachvollziehbarkeit datenschutzrechtrechtliche Implikationen auslöst.18 Der Mechanismus der Blockchain basiert schließlich auf aufeinander aufbauenden und miteinander verzahnten Kettengliedern. Die Fortschreibung von Daten ist damit zentral. Datenschutzrechtlich Grundsätze der Datensparsamkeit und der Zweckbindung stehen damit prima facie im Widerspruch zum Funktionsmechanismus der Blockchain. Diese datenschutzrechtlichen Fragen benötigen allerdings aus der Perspektive des Vertragsrechts an dieser Stelle keiner Vertiefung. Vor diesem Hintergrund soll für die Fortentwicklungsperspektiven die folgende Annahme getroffen werden: Trotz und gerade in Kenntnis auch der Nachteile von Verifikation einerseits und Black Box andererseits sollen die damit verbundenen Technologien (und deren Einsatz) unter dem Gesichtspunkt der Innovation gefördert werden. Mit Teubner gilt: „Die eigentliche Rechtfertigung liegt im ‚Entdeckungsverfahren‘ des Einsatzes autonomer Algorithmen, in ihrem enormen Innovationspotential.“19 Insbesondere ist das Charakteristikum der mangelnden Nachvollziehbarkeit deswegen kein Ausschlusskriterium für den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Die mangelnde Nachvollziehbarkeit ist vielmehr als ein im Grundsatz zu akzeptierendes Risiko zu begreifen.20 Dieses Risiko muss die Gesellschaft bereit sein zu tragen. Konsequenterweise soll und muss deswegen die Gesellschaft den Einsatz – soweit technisch möglich – rechtlich rahmen und damit ausgestalten.21 Hiermit soll zwar nicht behauptet werden, dass der Einsatz autonomer Anwendungen de lege lata aufgrund der beschriebenen Charakteristika per se pflichtwidrig ist und es einer gesetzgeberischen „Zulassung“ bedarf.22 Eine entsprechende Ausgestaltungspflicht des Gesetzgebers ist allerdings in diesem Zusammenhang gleichwohl besonders zu betonen. Hierauf zielen auch die nachfolgenden Fortentwicklungsperspektiven für das Vertragsrecht. 17
Siehe die Nachweise oben sub Kapitel 4 § 11 B. II. 3. Hierzu etwa Bechtolf/Vogt, ZD 2018, 66. 19 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (175 f.). 20 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (176). 21 Siehe Teubner, AcP 218 (2018), 155 (176): „Wenn das Recht das Entdeckungsverfahren autonomer Algorithmen zulässt, wenn es erlaubt, dass Softwareagenten autonome Entscheidungen treffen dürfen, ist es unabdingbar, dass gerade dafür das Recht wirksame Verantwortungsformen für den Enttäuschungsfall bereitstellt.“ 22 So Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (191 ff.). Vgl. auch Teubner, AcP 218 (2018), 155 (175). 18
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C. Risikoallokation Die Zuweisung von Risiken ist eine Kernaufgabe des Zivilrechts. Die Zuweisung von technischen Risiken auch (aber nicht nur) des Technikrechts.23 Stets aufs Neue sind – auch und gerade im Kontext von technologischen Fortschritten – die anzuwendenden Maßstäbe auszutarieren.24 Dieser Befund gilt im Kontext der Dimensionen systemischer Bindung in besonderer Weise. Denn die Dimensionen sind geprägt (und definiert) durch die Ablösung von einer (überwiegend) bipolaren Betrachtung hin zur Einbindung und Einbettung weiterer Akteure in die vertragliche Bindung. So muss zwangsläufig für die Dimensionen systemischer Bindung die (rechtspolitische) Frage der (adäquaten) Risikoallokation betrachtet werden. Risiken sind zunächst im Kontext der Plattformökonomie neu zu allokieren.25 Insbesondere steht dabei die Frage im Vordergrund, inwieweit Plattformen auch Systemverantwortung zu übernehmen haben: So etwa einerseits betreffend den auf der Plattform abgeschlossenen Verträgen; andererseits auch und gerade für Fallkonstellationen des Internet der Dinge, bei denen ein Sys temanbieter gegenüber dem Vertragspartner (dem Endkunden) auftritt. In gleicher Weise ist zu überprüfen, ob und inwieweit die bestehende Risikoallokation bei dem Betrieb bzw. bei der Nutzung von Systemen dezentraler Kooperation anzupassen ist. Das (notwendige) Zusammenwirken einer Vielzahl von Akteuren mag durch das bestehende Recht bereits als adäquat erfasst eingestuft werden.26 In Ansehung der identifizierten Rechtsunsicherheiten ist allerdings zumindest zu erwägen, eine Modifizierung der Allokation von Risiken vorzunehmen. Dabei können (und sollen) unter Umständen auch die im Kontext von Plattformen identifizierten Perspektiven fruchtbar gemacht werden. Insbesondere ist eine Neubewertung der Risikoallokation bei dem und für den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Kontext von Verträgen erforderlich, sprich die Zuweisung des Autonomierisikos.27 Dieser Befund wird durch den derzeitigen Zugriff der herrschenden Meinung mittels der Grundsätze der Computererklärung unterstrichen.28 Die Anwendung dieser Grundsätze ist 23 Siehe Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (196 f.). 24 Dieser Befund mag (auch) als Ausschnitt der Ausformung einer Ordnung für die digitale Risikogesellschaft begriffen werden, in Anlehnung an und grundlegend Beck, Risikogesellschaft, 1986 (fortgeführt durch dens., Weltrisikogesellschaft, 2007). 25 Siehe hierzu etwa auch – und nicht nur aus vertragsrechtlicher Perspektive – Engert, AcP 218 (2018), 304; Schweitzer, ZEuP 2019, 1. 26 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. und II. 27 Hierzu Janal, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 141 (158 f.); Mayinger, Die künstliche Person, 2017, S. 213 ff.; Teubner, AcP 218 (2018), 155 (157 ff., 163 ff.); Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (175 f.). 28 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 B. und § 12 B. II. 1.
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aus hiesiger Sicht unzureichend. Dieser Befund gilt in besonderem Maße für den Einsatz autonomer Agenten für den bzw. bei einem Vertragsschluss.29 Auf dieser Grundlage ist zunächst die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit „Handlungen“ von autonomen Anwendungen demjenigen, der ihren Einsatz initiiert, zugerechnet werden sollen – und welche alternativen Anknüpfungspunkte für eine Konstituierung vertraglicher Bindung bestehen. In diesem Zusammenhang ist auch und gerade die – über das Vertragsrecht weit hinausreichende – Frage zu erörtern, ob und inwieweit autonomen Anwendungen eine eigene Rechtspersönlichkeit bzw. ein eigenständiger rechtlicher Status zugewiesen werden sollte. Dabei ist zu bestimmen, auf welcher theoretischen Grundlage eine Risikoallokation vorzunehmen ist. Denn eine solche Entscheidung kann anhand unterschiedlicher Maßstäbe erfolgen. Die diesbezüglichen Fortentwicklungsperspektiven knüpfen dafür an die rechtstheoretischen, insbesondere systemtheoretischen, Betrachtungen im Zuge dieser Arbeit an.30 Ergänzt werden sollen die Ausführungen an verschiedenen Stellen um rechtsökonomische Argumente, wenn und soweit dies zweckmäßig und zielführend erscheint.
D. Kodierung, selbstlernende Prozesse und Normsetzung Insbesondere eine potenzielle Regulierung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz sieht sich mit einer grundlegenden Frage konfrontiert: Kann man das „Unvorhersehbare“ regeln? Denn die auf Künstlicher Intelligenz basierenden Algorithmen werden (nur noch) „grund“-programmiert. Die Kodierung des Algorithmus ist nicht abschließend, nicht definitiv, sondern darauf ausgerichtet zu lernen. Selbstlernende Prozesse zeichnen Künstliche Intelligenz gerade aus. Die zugrundeliegenden Algorithmen sind (deswegen) adaptiv; ihre „Entwicklung“ ist nicht (mehr) determiniert. Auf dieser Grundlage ist anzunehmen, dass eine adäquate Regulierung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz auf die Kodierung und auf den Prozess des Selbstlernens von Algorithmen ausgerichtet sein muss.31 Andernfalls erscheinen Fortentwicklungsperspektiven systemtheoretisch gesprochen nicht als umweltsensibel und damit tauglich. Für einen solchen Zugriff der Regulierung müssen unter Umständen auch bisher unbeschrittene Pfade der (vertragsrechtlichen) Regulierung beschritten werden. Hierbei darf nicht verkannt werden, dass die Beachtung von Normen durch Algorithmen nicht einfach angeordnet werden sollte. Denn die Implementie29
Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. II. 1. Siehe oben sub Kapitel 3. 31 Allgemein zur Regulierung von Algorithmen siehe nur Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1; Wischmeyer, AöR 143 (2018), 1; aus der Perspektive verschiedener Rechtsgebiete siehe die Beiträge in Wischmeyer/Rademacher (Hrsg.), Regulating Artificial Intelligence, 2020. Allgemeiner zur rechtsverträglichen Gestaltung von Technik etwa Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Systemen, 2015, S. 85 ff. 30
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rung und Programmierung von rechtlichen Regeln ist keineswegs trivial.32 Die Umsetzung normativer Vorgaben in technische Prozesse bedingt ein multiples Übersetzungsproblem. Zunächst sind rechtliche Regelungen nicht eindeutig. Denn Normen sind gestaltet mit dem Medium Sprache. Sprache ist (und muss) sprachtheoretisch mehrdeutig, unklar und uneindeutig sein.33 Sprache selbst ist Deutung. Diese Deutung muss programmierseitig in eine andere Sprache und damit in eine andere Deutung überführt werden. Auf einer nächsten Ebene ist Recht selbst nicht eindeutig. Recht ist das Ergebnis hermeneutischer Prozesse, Ausfluss eines (jahrtausendealten) Zusammenspiels von Recht und Gesetz, von Interpretation und Auslegung, von Werten und Wertungen. Recht ist teils geschrieben und teils ungeschrieben, von unterschiedlichen Normgebern und der Rechtsprechung auf unterschiedlichen Ebenen, zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kontexten „geschaffen“, geformt und ausgeformt. Recht muss zudem stets angewendet werden. Die Klärung der bzw. die Annäherung an die (relevanten) Tatsachen ist somit eine weitere Dimension, die wiederum technisch übersetzt werden müsste. Die Setzung von Recht und die Rechtsfindung sind und bleiben damit notwendigerweise unscharf – auch in einer digitalisierten Welt.34 Die Abbildung von (Vertrags-)Recht in Programmiersprache ist somit eine enorme Herausforderung. Algorithmen das Recht zu „lehren“ bzw. dass Algorithmen Recht „lernen“, ist eine (vielleicht gar zu) komplexe Aufgabe. Derzeit kann eine solche Programmierung noch nicht geleistet werden.35 Es ist aktuell nicht möglich, rechtliche Vorgaben – bzw. eine vertretbare Auslegung dieser Vorgaben – beim Einsatz von Algorithmen umfassend „einzubetten“. Ein in jeder Hinsicht rechtskonformes „Verhalten“ von Algorithmen kann somit (derzeit) nicht programmiert (und damit garantiert) werden. Deswegen sollte eine entsprechende Programmierung (oder gar ein entsprechendes Selbstlernen) von Algorithmen auch nicht (rechtlich) verlangt werden. Verlangt werden kann daher nur eine Annäherung an rechtskonformes Verhalten. Die Präformierung von Algorithmen durch technische Normen kann in diesem Sinne die Erfüllung (komplexer) gesetzlicher Vorschriften (nur) unterstützen, aber nicht durchgehend gewährleisten. Damit soll nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil unterstrichen werden, dass Algorithmen, auch und gerade mithilfe Künstlicher Intelligenz, möglicherweise zukünftig einen (durchschnittlichen) Rechtsanwender weitgehend ersetzen können. Unter Umständen werden Anwendungen Künstlicher Intelli32 Siehe zur Kodierung von Rechtsnormen und zu deren Grenzen etwa Spindler, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 333 (335 ff.) m. w. N. 33 Hierzu umfassend Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, §§ 2 ff. 34 Boehme-Neßler, NJW 2017, 3031 (3036 f.); siehe auch bereits ders., Unscharfes Recht, 2008. 35 Siehe stellvertretend in Bezug auf Smart Contracts Möslein, ZHR 183 (2019), 255 (269).
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genz zu einem bestimmten Zeitpunkt derart ausgeklügelt sein, dass diese Systeme den gesetzlichen Vorschriften im Regelfall entsprechen (können). In diesem Fall wäre ein entsprechendes System vergleichbar mit einem durchschnittlichen Rechtsunterworfenen, welcher sich regelmäßig, aber vielleicht nicht immer, rechtskonform verhält.
§ 17 Optionen für die Dimensionen systemischer Bindung Auf der Grundlage und am Maßstab der vorbenannten Grundannahmen können nachfolgend konkrete Fortentwicklungsperspektiven für die Dimensionen systemischer Bindung in den Blick genommen werden. Im Lichte des in dieser Arbeit vorgenommenen Zugriffs auf Formen vertraglicher Bindung soll der Einbau systemischer Elemente in das Vertragsrecht erwogen werden.36 Hierzu ist zunächst zu eruieren, ob und inwieweit das Vertragsrecht systemisch zu öffnen ist. Eine solche Öffnung könnte etwa durch die Etablierung neu(artig)er (gesetzlicher) Ansprüche erfolgen. Darüber hinausgehend könnten auch die (Grund-)Strukturen des Vertragsrechts systemischer werden – etwa durch die Einführung von neu(artig)en Vertragstypen. Abschließend stellt sich die Grundsatzfrage, ob das Vertragsrecht um neu(artig)e systemische Akteure zu ergänzen ist. Wenn und soweit hiermit die Etablierung einer eigenen Rechtspersönlichkeit oder eines sonstigen Rechtsstatus für autonome Anwendungen verbunden ist, entfaltet eine solche Fortentwicklungsperspektive substanzielle Wirkungen (weit) über das Vertragsrecht hinaus.
A. Systemische Öffnung des Vertragsrechts Vertragsrechtliche Instrumente können bereits de lege lata systemisch wirken. Eine solche Drittwirkung entfalten die Konzeptionen eines mehrseitigen Vertrags oder eines Vertrags zugunsten Dritter. Ob und inwieweit einer dieser Vertragstypen anzunehmen ist, ist in praxi mit erheblichen Auslegungsschwierigkeiten verbunden.37 Um dieser Rechtsunsicherheit zu begegnen kann mit unterschiedlichen Stoßrichtungen operiert werden.38 So können positiv (ergänzende) Ansprüche etabliert werden, die sich – je nach Ausgestaltung – auf die Primärund bzw. oder auf die Sekundärleistung beziehen. Ebenfalls können gesetzliche Regelungen bzw. gesetzliche Vermutungen aufgestellt werden, wonach eine genuine vertragliche Bindung einer Partei zusätzlich „entsteht“. 36
In Anlehnung an Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 2004, S. 101. Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 4 § 10 C. IV. 1. 38 Siehe etwa zu Plattformen Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (269 ff.); Mak, EuCML 2016, 19 (20 ff.) sowie darüber hinaus die Perspektive des öffentlichen Regulierungsrechts etwa bei Ludwigs, NVwZ 2017, 1646. 37
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I. Ergänzende (gesetzliche) Ansprüche Ergänzende gesetzliche Ansprüche sind insbesondere zu erwägen für die hier diskutierten Geschäftsmodelle der Plattformökonomie (wobei sich die nachfolgenden Ausführungen ebenso für smarte Anwendungen fruchtbar machen lassen). So stellt sich etwa die Frage nach unmittelbaren Ansprüchen gegen einen Plattformbetreiber. Ausgangspunkt dafür ist, dass ein Endkunde auf der Plattform mit einem anderen Nutzer (dem Anbieter) der Plattform über eine bestimmte Leistung kontrahiert hat. 1. Primärleistungsansprüche In Betracht kommt zunächst die Etablierung von Primärleistungsansprüchen. a) Konstruktion Ein Primärleistungsanspruch gegen den Plattformbetreiber würde bedeuten, dass der Endkunde die Leistung auch vom Plattformbetreiber verlangen kann. Vertragspartner des Plattformbetreibers würde der Endkunde nicht. Denn ex lege würde in dieser Konstruktion kein Vertragsverhältnis zwischen dem Endkunden, sondern vielmehr kraft Gesetzes ein Schuldverhältnis zwischen Plattformbetreiber und Endkunden etabliert. In den Wirkungen gleicht ein solcher Zugriff einem Schuldbeitritt. Ein Schuldbeitritt ist de lege lata zum einen gesetzlich in bestimmten Fällen vorgesehen, zum anderen kann ein solcher Beitritt rechtsgeschäftlich vereinbart werden.39 Rechtstechnisch handelt es sich bei der Etablierung eines Primäranspruchs aber um die Begründung einer eigenständigen Schuld ab initio und gerade nicht um den Beitritt zu einer bestehenden Schuld. Resultat einer Einführung eines entsprechenden gesetzlichen Primärleistungsanspruchs wäre auch, dass dem Endkunden dann auch Sekundärleistungsansprüche gegen den Plattformbetreiber zustünden, wenn und soweit der Plattformbetreiber seine Primärleistungspflicht nicht oder schlecht erfüllt. Primär- und Sekundärleistungsansprüche gegen den Plattformbetreiber treten dabei neben die Ansprüche gegen den Anbieter, den unmittelbaren Vertragspartner des Endkunden. Der andere Nutzer und der Plattformbetreiber könnten in Bezug auf die Leistung als Gesamtschuldner im Sinne der §§ 421 ff. BGB eingestuft werden. Die vorbenannte Konstruktion eines Primärleistungsanspruchs müsste nicht auf „klassische“ Online-Plattformen begrenzt bleiben, sondern könnte in gleicher Weise auch für Anwendungen des Internet der Dinge etabliert werden.40 39 Hierzu m. w. N. und mit Verweis auf die gesetzlichen Regelungen Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, Überbl v § 414 Rn. 2. 40 Siehe auch – de lege ferenda für eine action directe nach französischem Vorbild bei smar-
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Angesprochen sind hiermit die Parallelkonstellationen, in denen auch und gerade für solche Anwendungen schwierig zu bestimmen ist, ob und in welchem Umfang Leistungsbeziehungen als Vertrag zugunsten Dritter eingeordnet werden können bzw. sollen.41 b) Vorschlag zu den Vertragsbeziehungen beim Internet der Dinge Der zuvor dargelegte Vorschlag von Wendehorst42 operiert im Ansatz mit Primärleistungspflichten in Bezug auf Internet der Dinge-Käufe bzw. Anwendungen. So profitiert der Käufer gegenüber dem Verkäufer vor allem auch von der Ausweitung des Sachmangelbegriffs, der Rückwirkungen auf den Primärleistungsanspruch auf Lieferung und Übereignung der Sache zeitigt. Im Übrigen stünden mit der Einführung einer Garantieverpflichtung (gegenüber dem Verkäufer) und einer Direkthaftung des Herstellers (weitere) Gewährleistungsansprüche in Rede. Der Vorschlag etabliert somit in allen Varianten kein zusätzliches Vertragsverhältnis zwischen den verschiedenen Akteuren. In Betracht kommt allerdings aufgrund der Statuierung ergänzender (gesetzlicher) Gewährleistungsansprüche ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen Käufer und Hersteller (hierzu sogleich). 2. Sekundärleistungsansprüche In abgeschwächter Form könnten vis-à-vis Plattformbetreibern (oder Systemanbietern bei smarten Anwendungen) auch (nur) ergänzende (gesetzliche) Sekundärleistungsansprüche eingeführt werden. a) Konstruktion Solche Sekundärleistungsansprüche gegen den Plattformbetreiber bedeuten, dass der Endkunde den Plattformbetreiber wegen Nicht- bzw. Schlechtleistung des anderen Nutzers in Anspruch (insbesondere auf Schadensersatz) nehmen kann. Der Endkunde würde auch in diesem Fall nicht Vertragspartner des Plattformbetreibers (in Bezug auf die Leistung). Zumindest wirtschaftlich bzw. monetär würde der Endkunde allerdings weitgehend einem solchem Vertragspartner gleichgestellt. Diese Konstruktion wäre wiederum ex lege in ihren Wirkungen einem Schuldbeitritt des Plattformbetreibers angenähert, rechtstechnisch handelt es sich allerdings auch hier und anders als bei einem Schuldbeitritt um die Begründung einer eigenständigen Schuld ab initio. Resultat einer Einten Anwendungen plädierend – Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/ Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (723). 41 Vgl. auch in Bezug auf Vertragsverbünde Grünberger, AcP 218 (2018), 213 (290 ff.). 42 Siehe oben sub Kapitel 5 § 13 B. II.
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führung eines entsprechenden gesetzlichen (Sekundärleistungs-)Anspruchs könnte ebenfalls ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Endkunden und Plattformbetreiber sein. Sekundärleistungsansprüche gegen den Plattformbetreiber treten dabei neben die Ansprüche gegen den Anbieter, den unmittelbaren Vertragspartner des Endkunden. Eine Nicht- bzw. Schlechterfüllung des Anbieters ist allerdings Voraussetzung für die Aktivierung etwaiger Sekundärleistungsansprüche gegen den Plattformbetreiber. Im Sinne des Grundsatzes der Naturalerfüllung43 besteht somit ein Stufenverhältnis zwischen den Ansprüchen. Denn die Primärleistung kann in dieser Konstruktion nur von dem Anbieter gefordert (bzw. muss von diesem vorrangig eingefordert) werden. b) Vorschlag für eine Richtlinie über Online-Vermittlungsplattformen Der bereits dargelegte44 Vorschlag für eine Richtlinie über Online-Vermittlungsplattformen operiert (wohl) mit Sekundärleistungsansprüchen gegen den Plattformbetreiber. Der Betreiber soll nach Art. 18 des Vorschlags zusammen mit dem „Anbieter“, sprich dem anderen Nutzer, „gesamtschuldnerisch für eine Nichterfüllung des Anbieter-Kunden-Vertrages durch den Anbieter [haften]“. Der Vorschlag etabliert damit im vorgenannten Sinne (wohl) kein Vertragsverhältnis zwischen dem Endkunden und dem Plattformbetreiber sowie (wohl) keinen Primärleistungsanspruch des Endkunden gegen den Plattformbetreiber.45 c) Vorschlag zu den Vertragsbeziehungen beim Internet der Dinge Umfassend operiert der Vorschlag von Wendehorst mit der Etablierung zusätzlicher (bestimmter) Sekundärleistungsansprüche. Die Erweiterung des Sachmangelbegriffs schlägt sich (auch) in einem erweiterten sachlichen Anwendungsbereich der Gewährleistungsrechte gegenüber dem Verkäufer nieder. Die Einführung einer gesetzlichen Garantieverpflichtung statuiert darüber hinausgehende Gewährleistungsrechte. Schließlich führt die Einführung einer Direkthaftung des Herstellers zu ergänzenden Gewährleistungsansprüchen – und zu einer Ausweitung der maßgeblichen Anspruchsgegner. Zwischen Käufer und Hersteller wird auf dieser Grundlage (nur) ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet. Originäre Primärleistungspflichten bzw. ein vertragliches Schuldverhältnis sind damit hingegen nicht verbunden.
43 Hierzu
Riehm, Der Grundsatz der Naturalerfüllung, 2015. Sub Kapitel 5 § 13 B. I. 45 Siehe allerdings zur Diskussion zu Art. 16 und 18 des Vorschlags Kapitel 5 § 13 B. I. 3. b). 44
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
II. Allgemeine Regelung zu Vermittlerklauseln Eine weitere systemische Öffnung des Vertragsrechts könnte durch eine „strukturelle Förderung“ der Etablierung vertraglicher Bindung(en) der beteiligten Akteure erfolgen. Hierbei steht bei Plattformkonstellationen ebenso wie bei Internet der Dinge-Anwendungen die Bindung des Plattformbetreibers oder des Systemanbieters in Rede. Während beim Systemanbieter eine Ausweitung der vertraglichen Haftung auf das (Gesamt-)System in Rede steht, zielt eine vertragliche Bindung für Plattformbetreiber darauf ab, überhaupt erst eine Bindung (in Bezug auf die Leistung bzw. den Leistungsgegenstand) zum Plattformbetreiber zu begründen. Die so definierte vertragliche Bindung lässt sich de lege lata durch eine Auslegung der Erklärungen nach §§ 133, 157 BGB kon struieren.46 Der Vorschlag der Research group on the Law of Digital Services etabliert zwar keine entsprechende vertragliche Bindung für Plattformbetreiber.47 Durch die Statuierung einer gesetzlichen Haftung bei Nichterfüllung des anderen Nutzers wird aber eine wirtschaftlich vergleichbare Haftung erzielt. Der Wendehorst’sche Vorschlag differenziert: Die Ausweitung des Sachmangelbegriffs erweitert die vertragliche Haftung. Die Garantieverpflichtung besteht dagegen auf gesetzlicher Basis. Um diese zustimmungswürdigen Erweiterungen allein auf vertraglicher Basis rechtssicher zu erzielen, dürfte ein Abstellen nur auf §§ 133, 157 BGB nicht immer ausreichend sein. Vielmehr bestünde – in praxi viel zu einfach – die Möglichkeit, einer entsprechenden Auslegung durch vertragliche Klauseln entgegenzutreten. Als Regelung der Hauptleistungspflicht unterfielen solche Klauseln zudem grundsätzlich nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Gangbar erscheint deshalb nur, eine entsprechende Klausel als umfassende Negierung von Primärpflichten einzustufen und an § 309 Nr. 7 BGB zu messen.48 Abhilfe könnte eine Regelung gewährleisten, die eine solche „Flucht durch Klauseln“ verhindert. Die hiermit angesprochene Situation erscheint altbekannt mit Blick auf die Diskussion um Vermittlerklauseln im Reiserecht.49 Wertungsmäßig besteht bei Plattformkonstellationen und smarten Anwendungen – wie bereits zuvor angedeutet50 – oftmals eine zu Vermittlerkonstellationen im Reiserecht vergleichbare Interessen(konflikt)lage.51 Auf dieser Grundlage 46
Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 C. IV. Siehe allerdings wiederum die Diskussion zu Art. 16 des Vorschlags oben sub Kapitel 5 § 13 B. I. 3. b). 48 Siehe zu § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB (bzw. § 651a Abs. 2 BGB a. F.) oben sub Kapitel 4 § 10 C. III. 4. a). 49 Siehe hierzu ausführlich oben Kapitel 4 § 10 C. III. 3 und 4. 50 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 C. IV. 51 Ebenso etwa Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (5). 47
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ist die Einführung einer zu § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB vergleichbaren Regelung zu erwägen. De lege ferenda könnten sich der Plattformbetreiber oder der Systemanbieter nicht auf eine Klausel berufen, wonach eine eigene vertragliche Bindung dem Endkunden gegenüber ausgeschlossen ist. Dieser Zugriff würde in praxi zu einer umfassenden vertraglichen Bindung des Plattformbetreibers bzw. des Systemanbieters führen. Bei einer solchen Regelung würde es sich – ebenso wie bei § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB – um eine kodifizierte Ausprägung des Grundsatzes des venire contra factum proprium sowie um eine Konkretisierung der Auslegung von Willenserklärungen bzw. um eine ergänzende Vertragsauslegung handeln, wobei gerade die Konkretisierung durch eine entsprechende Norm deren Kodifizierung rechtfertigen würde. III. Würdigung Die verschiedenen vorbenannten Vorschläge gilt es kritisch zu würdigen. Sämtliche Vorschläge verfolgen eine gemeinsame Stoßrichtung. Wenn auch in unterschiedlicher Weise, auf unterschiedlichen dogmatischen Wegen, so bezwecken alle Ansätze in der einen oder anderen Form eine Aufweichung oder eine Überwindung der Bipolarität. In diesem Sinne spiegelt sich in den verschiedenen Vorschlägen die normative Erwartung dieser Arbeit wider. In gleicher Weise mag man in Ansehung der dargelegten Stellungnahmen und Initiativen auf nationaler und unionaler Ebene zumindest im Grundsatz einen rechtspolitischen Rückenwind konstatieren – trotz oder gerade aufgrund der Tatsache, dass hier bislang nur Einzelaspekte in den Blick genommen werden. Die konkreten Vorschläge der Research group on the Law of Digital Services und von Wendehorst sind vor diesem Hintergrund in dieser Arbeit überwiegend begrüßt worden.52 Isoliert für das Kaufrecht überzeugen etwa die Vorschläge von Wendehorst weitgehend. Beide Vorschläge haben allerdings nur den Anspruch, Teilaspekte der hier betrachteten Formen systemischer Bindung zu regeln. Deswegen erscheint im Übrigen aufgrund der einheitlichen Wertung dieser Ansätze ein übergreifender Zugriff lohnenswert. Die verschiedenen Ansätze sollten deshalb weitergehend ergänzt und miteinander kombiniert werden. Eine solche Kombination erzielt die Einführung einer allgemeinen Regelung betreffend Vermittlerklauseln bzw. zu Vermittlerkonstellationen de lege ferenda. Die Regelung wäre nicht auf ein bestimmtes Rechtsgebiet zu beschränken (wie etwa das Kaufrecht). Denn die verschiedenen Konstellationen und Vertragsbeziehungen bei modernen Anwendungen (auch und gerade beim Internet der Dinge) reichen darüber oftmals hinaus. Zusätzlich sind auch nicht nur „klassische“ Plattformen (wie Online-Marktplätze) zu adressieren, ansonsten würden Systemanbieter bei Internet der Dinge-Anwendungen ausgeschlossen. 52
Siehe oben sub Kapitel 5 § 13 B.
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(Limitierendes) Anknüpfungsmerkmal sollte vielmehr die zentrale Koordinierung von Leistungen sein, sprich die Koordination eines Systems vertraglicher Bindung(en).53 Es soll nämlich gerade nicht in Frage gestellt werden, dass Vermittlungsplattformen in concreto unterschiedlich operieren (können).54 Zwei, sich ergänzende modi operandi sind denkbar: So könnte die Regelung zunächst (wie bislang § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB) dazu führen, dass sich ein Plattformbetreiber bzw. Systemanbieter nicht auf eine Vermittlerklausel berufen kann. Darüber hinausgehend und zusätzlich könnte auch eine Vermutung zugunsten einer (umfassenden) vertraglichen Bindung kodifiziert werden. Gerade letzterer Zugriff erscheint in Ansehung auch und gerade der anderen rechtspolitischen Vorschläge erwägenswert. In beiden Szenarien dürften die von der Research group on the Law of Digital Services in Art. 18 Abs. 2 vorgeschlagenen Kriterien als wertvolle Inspiration für ergänzende gesetzliche Auslegungs- und Konkretisierungskriterien dienen. So könnte etwa eine Vermutung zugunsten einer umfassenden vertraglichen Bindung dann bestehen, wenn der Vertrag des Endkunden mit einem anderen Nutzer mittels der Plattform geschlossen wird, die Bedingungen des Vertrages, inklusive des Preises, von dem Plattformbetreiber im Wesentlichen festgelegt werden, der Plattformbetreiber ein einheitliches Erscheinungsbild von Anbietern (oder Marken) aufweist oder auch die Werbung den Plattformbetreiber und nicht andere Nutzer in den Vordergrund rückt.55 Eine solche Regelung weist verschiedene Vorzüge auf. Zunächst würde eine solche Regelung die Etablierung von (weitergehenden) Ansprüchen auf privatautonomer Grundlage unterstreichen. Eine echte Überwindung der grundlegenden bipolaren Ausrichtung von Verträgen ist damit nicht verbunden. Die Regelung dient vielmehr der Rechtsklarheit bei der und für die Auslegung von Erklärungen am Maßstab der §§ 133, 157 BGB. Es würden hierdurch – so wie bereits de lege lata im (Pauschal-)Reise(vertrags)recht – die normativen Erwartungen der Endkunden effektuiert. Dabei würde die Regelungskonzeption den jeweiligen objektiven Empfängerhorizont typisieren. Auf dieser Grundlage würde zur Operationalisierung der (ergänzenden) Vertragsauslegung beigetragen werden. De facto würde die Auslegung der Willenserklärungen durch die Regelung prädeterminiert. Denn eine entsprechende Regelung wäre eine default rule, die aufgrund der damit verbundenen Standardsetzung Steuerungswirkung entfaltet.56 Die Feststellung einer vertraglichen Bindung setzt im 53
Siehe hierzu oben Kapitel 4 § 10 C. IV. und § 11 A. II. Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/ Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (725 f.). 55 In teilweiser Übernahme und Anlehnung an Art. 18 Abs. 2 des Vorschlags der Research group on the Law of Digital Services, siehe hierzu oben Kapitel 5 § 13 B. I. 3. 56 Zur Setzung von Standards durch default rules aus verhaltensökonomischer Perspektive Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 535 ff. 54
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Einzelfall freilich eine Prüfung der Erwartungen der Beteiligten voraus. Vorgenommen werden muss eine umfassende Würdigung der objektivierten bzw. objektivierbaren Umstände. Eine entsprechende Würdigung tendiert in Richtung vertraglicher Bindung, falls und soweit der Endkunde den Eindruck gewinnt bzw. seine Erwartung erzeugt wird, der „Vermittler“ verschaffe und koordiniere im Endeffekt die (Gesamt-)Leistungen.57 Der vorgenannte Zugriff gilt zunächst nur gegenüber Plattformbetreibern und Systemanbietern bei Internet der Dinge-Anbieter, nicht dagegen etwa gegenüber dem Hersteller einer Sache bei einer Lieferkette. Eine solche „Begrenzung“ erscheint sachgerecht. Denn Anknüpfungspunkt für eine vertragliche Bindung wäre die bestehende vertragliche Interaktion des Endkunden mit den anderen Akteuren. Mit dem Hersteller etwa steht der Endkunden dagegen gerade nicht in vertraglichen Beziehungen (vorbehaltlich vermittelter Endnutzervereinbarungen oder sonstiger Garantien). Es fände eine systemische Öffnung der Vertragsbeziehungen statt, nicht jedoch eine vollständige Neubegründung eines Vertragsverhältnisses ex lege. Dieser Befund soll gleichwohl nicht in Frage stellen, dass de lege ferenda – im Sinne des Vorschlags von Wendehorst – die Etablierung einer Direkthaftung auf der Grundlage eines gesetzlichen Schuldverhältnisses unbeschadet dessen erwogen werden mag.58
B. Systemische Strukturen des Vertragsrechts Die zuvor diskutierten Vorschläge mögen noch – cum grano salis – entlang der altbekannten dogmatischen Linien verlaufen. Eine Loslösung von bekannten Mechanismen ist damit nicht verbunden. In Anbetracht der vielfältigen Interaktionsformen zwischen Privaten – insbesondere der Formen dezentraler Kooperation – soll nachfolgend der Frage nachgegangen werden, ob auch insofern ein systemischer Ansatz de lege ferenda verfolgt werden sollte. Dieser Zugriff bedingt auch und gerade eine Auseinandersetzung mit den derzeit weitgehend bipolaren Vertragsstrukturen des Vertragsrechts. Im Gegensatz zu den vorherigen Ausführungen zur systemischen Öffnung des Vertragsrechts ist damit eine echte Überwindung der Bipolarität angesprochen. In Rede steht die Etablierung einer vertraglichen Bindung über die (unmittelbare) privatautonome Bindung hinaus. In diesem Sinne sind nachfolgend verschiedene Konzeptionen zu betrachten. Ebenfalls ist zu klären, ob es einer solchen „Überwindung“ in Anbetracht bestehender Instrumente bedarf.
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58
Siehe auch zu Bausteinverträgen oben sub Kapitel 4 § 10 C. II. Siehe allerdings auch die Bedenken oben sub Kapitel 5 § 13 B. II.
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I. Neue (multipolare) Vertragstypen Zunächst soll erörtert werden, welche neuen Vertragstypen eingeführt werden könnten.59 1. Netzwerkvertrag Die Forschung zu Vertragsnetzwerken hat in verschiedener Art und Weise versucht, einen Netz- oder Netzwerkvertrag zu „entdecken“. Entsprechende Zugriffe haben allerdings sämtlich keine nachhaltige Gefolgschaft gefunden. Hauptkritikpunkt war (und bleibt), dass ein entsprechender Vertrag(styp) de lege lata keine dogmatische, insbesondere rechtsgeschäftliche Fundierung aufweist. 60 Vor diesem Hintergrund ist zu analysieren, ob ein entsprechender Zugriff de lege ferenda erwogen werden sollte. So ist zum Teil bereits gefordert worden, die Idee eines Netzwerkvertrags für die – hier im Fokus stehende – Digitalökonomie fruchtbar zu machen. 61 Demgegenüber steht die Einschätzung, dass – auch de lege ferenda – die rechtssichere „Identifizierung“ eines Netzwerks mit erheblichen Schwierigkeiten belastet ist. In Anbetracht der Vielgestaltigkeit der Fallkonstellationen könnte Weber zu folgen sein, demzufolge „die Juristerei ein Netzwerk zu keinem Rechtstatbestand machen [kann].“62 Unbeschadet dieser Definitionsfragen ist allerdings von grundlegender Bedeutung – und nachfolgend deshalb von herausgehobenem Interesse –, ob und, falls ja, wie weitgehend tatsächlich ein solcher Vertragstyp eingeführt werden sollte. Dabei steht nicht in Rede, nur einen (bestimmten) mehrseitigen Vertrag zu kodifizieren. Denn ein solch mehrseitiger Vertrag basiert auf rechtsgeschäftlicher Grundlage – die Beteiligten entscheiden sich privatautonom für die vertragliche Bindung. Vielmehr ist – im Sinne einer echten Überwindung der Bipolarität – damit ein Vertrag angesprochen, der nicht mehr (allein) rechtsgeschäftlich grundiert wäre. Zwischen den Beteiligten bestünden (netz)vertragliche Pflichten, zu denen sich die Beteiligten nicht privatautonom (zumindest nicht jedem Beteiligten gegenüber) verpflichtet hätten. Es ist damit die grundlegende Frage aufgeworfen, ob entsprechende, die Bipolarität übersteigende vertragliche Pflichten in einem solchen Netzwerkvertrag hinreichend legitimiert sind. Dies gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob insofern Primärleistungspflichten oder (nur) Sekundärleistungspflichten aufgerufen sind. Eine solche Legitimation ist allerdings zweifelhaft. In Anknüpfung an die Ausführungen de lege lata 63 überzeugt eine Loslösung von einer rechtsge59
Siehe allgemein etwa Kirn/Müller-Hengstenberg, NJW 2017, 433. Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 C. III. 4. und IV. 61 Siehe etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (136 ff.). 62 Weber, Netzwerkbeziehungen im System des Zivilrechts, 2017, S. 388. Siehe wiederum auch Buxbaum, Journal of Institutional and Theoretical Economics 149 (1993), 698 (704). 63 Siehe oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. 60
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schäftlichen Grundierung nicht. Denn den rechtsgeschäftlichen Formen der Interaktion wohnt eine Begrenzungsfunktion inne. Das Vertragsrecht setzt sich auf diese Weise vom Deliktsrecht (und dessen Haftungskonzeptionen) ab. Das Vertragsrecht gewährleistet die Zuordnung privatautonom begründeter Pflichten. Hierzu stehen deliktsrechtliche Pflichten, insbesondere Verkehrssicherungspflichten, in einem Gegensatz. Solche Pflichten bestehen im Grundsatz gegenüber jedermann. Eine nicht privatautonom (initiierte) vertragliche Bindung würde somit die Grenzen zwischen Vertrags- und Deliktsrecht verschwimmen lassen. Wenn und soweit mit einem Netzwerkvertrag (auch) die Statuierung von Primärleistungsansprüchen verbunden sein soll, so trifft eine solche Konzeption auf weitere Bedenken. Denn einer Verpflichtung zur Leistung soll ein Rechtsunterworfener im Grundsatz nur ausgesetzt sein, wenn dieser sich hierzu entschieden hat. Angesprochen ist damit die grundlegende Funktion des Grundsatzes der Relativität von Schuldverhältnissen. 64 Sichergestellt werden soll die Kalkulierbarkeit des eigenen Haftungsrisikos sowie – damit verbunden – die Versicherbarkeit von Risiken und die Zuordnung von Insolvenzrisiken der Gegenseite. Vor diesem Hintergrund sollte ein „freischwebender“ Netzwerkvertrag nicht etabliert werden. 2. Bausteinvertrag Erwägenswert erscheint zudem, dass de lege ferenda der Bausteinvertrag als eigenständiger Vertragstyp ausdrücklich kodifiziert wird. Auf der Grundlage des geltenden Rechts hat sich gezeigt, dass damit verbundene Verträge eine erhebliche Anzahl von Fragen aufwerfen. 65 Soweit allerdings mit der Einführung eines Bausteinvertrags die Loslösung von rechtsgeschäftlich grundierten vertraglichen Bindungen verbunden ist, stehen einem solchem Ansatz dieselben Erwägungen entgegen, die bereits gegen einen eigenständigen Netzwerkvertrag sprechen. Soweit im Übrigen eine Bündelung von Leistungen verschiedener Dritter in Rede steht, kann auf die Ausführungen zur systemischen Öffnung des Vertragsrechts verwiesen werden. 66 Die dortigen Erwägungen sind auch und gerade für Bausteinverträge maßgeblich bzw. fruchtbar zu machen. 3. Verträge zur Ausgestaltung von Kooperation In Bezug auf Formen dezentraler Kooperation könnte de lege ferenda die Kodifizierung eines eigenständigen Vertragstyps erwogen werden. Hierdurch könnten unter Umständen zwar die mit solchen Formen verbundenen Einordnungsschwierigkeiten – zwischen Vertrags- und Gesellschaftsrecht – überwunden 64
Hierzu oben sub Kapitel 3 § 9 E. IV. Siehe zu Bausteinverträgen oben sub Kapitel 4 § 10 C. II. 66 Siehe oben sub Kapitel 6 § 17 A. 65
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werden. 67 Die Einführung eines entsprechenden Vertragstyps würde aber die grundlegende Frage der dezentralen Kooperation, ob und inwieweit sich die Beteiligten rechtsgeschäftlich binden wollen, nicht beantworten. Diese Vorfrage bestünde vielmehr in gleicher Weise unbeantwortet fort. Selbst wenn mit der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht68 eine rechtsgeschäftliche Bindung regelmäßig bejaht wird, bleibt zu erwägen, ob mit der Einführung eines neu(artig)en Vertragstyps gegenüber dem bestehenden Instrumentarium etwas gewonnen werden kann. Hieran sind zumindest Zweifel angezeigt. Denn in Ansehung der Vielgestaltigkeit von Kooperationsformen scheint ein einzelner (wenn auch dis positiv ausgestalteter) Vertragstyp nicht besonders zweckmäßig zu sein. Im Übrigen dürfte auch und gerade das Gesellschaftsrecht – insbesondere die Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts –, wenn und soweit die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, eine ausreichende Flexibilität für die betroffenen Konstellationen bieten. II. Leistungsfähigkeit des Vertrags- und Gesellschaftsrechts Ganz grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang deswegen – neben den zuvor betonten Vorschlägen der systemischen Öffnung des Vertragsrechts – zusätzlich die Leistungsfähigkeit des bestehenden Vertrags- und auch Gesellschaftsrechts zu betonen. So stellt das Vertragsrecht bereits de lege lata ein umfassendes Instrumentarium zur Erfassung vertraglicher Bindung bereit. 69 Dieses gilt – etwa in Ansehung von Modellen dezentraler Kooperation – auch und gerade für das „besondere“ Recht der mehrseitigen Verträge, das Gesellschaftsrecht. Dieser Befund soll in keiner Weise bestehende und auch zukünftig bestehende Auslegungsschwierigkeiten bei der Bestimmung des Inhalts von Willenserklärungen negieren. Im untersuchungsgegenständlichen Kontext ist damit insbesondere die Bestimmung der maßgeblichen Erwartungen der beteiligten Akteure angesprochen. Dabei handelt es sich allerdings gleichsam um „allgemeine Lebensrisiken“ des Vertragsrechts.70 Eine auf privatautonome Bindung basierende Ordnung muss die damit verbundene punktuelle Unsicherheit in Kauf nehmen. Die hier de lege lata vorgenommene Auslegung, die Bildung von Fallgruppen sowie eine stetige Überprüfung und Aktualisierung der Rechtsanwendungspraxis dürften allerdings auch für die hier diskutieren Konstellationen einen adäquaten Zugriff gewährleisten. Die Herausbildung von (normativen) 67
Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. Oben sub Kapitel 4 § 11 B. I. 5. 69 Siehe Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (737): „Die Privatrechtsdogmatik und das KernBGB sind in der Lage, zahlreiche Probleme mit einer flexiblen Handhabung vor allem im Vertragsrecht [zu] bewältigen.“ 70 Vgl. auch Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/ Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (726). 68
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Erwartungen steht zwar für viele digitale Geschäftsmodelle überwiegend noch aus71, eine entsprechende Standardisierung im technischen Sinne und eine „Standardisierung“ durch die Praxis ist allerdings zu erwarten. Für Plattformen, smarte Anwendungen und Formen dezentraler Kooperation sei im Übrigen beispielhaft darauf verwiesen, dass in vielfältiger Weise der gemeinsame Zweck der Beteiligten fruchtbar gemacht werden kann. Der Zweck entfaltet nicht nur für die Annahme eines Gesellschaftsvertrags zwischen den Beteiligten Relevanz, sondern kann auch außerhalb eines Gesellschaftsvertrags für die Auslegung von Erklärungen in sonstigen Konstellationen fruchtbar gemacht werden.72 III. Zwischenergebnis Systemische Strukturen, sprich grundlegend neue Vertragstypen, sind demgegenüber aus hiesiger Sicht (derzeit) nicht erforderlich, um vertragliche Interaktion und Partizipation adäquat zu rahmen. Einer echten Überwindung der Bipolarität bedarf es nicht. Die Basis vertraglicher Bindung ist und bleibt das privatautonome Rechtsgeschäft. Die Konzeption vertraglicher Bindung sollte auch zukünftig auf privatautonomen Entscheidungen basieren.
C. Systemische Akteure (des Vertragsrechts) In Anbetracht des (zunehmenden) Einsatzes autonomer Anwendungen – im vertraglichen Kontext: autonome Agenten – drängt sich freilich die Frage auf, wer entscheidet. Denn die bislang benannte systemische Öffnung des Vertragsrechts ist fokussiert auf die vertrag(srecht)lichen Beziehungen. Im Sinne eines responsiven Zugriffs – im Sinne einer Umweltsensibilität gegenüber veränderten Interaktions- und Partizipationsformen – ist zu bestimmen, wer privat und autonom handelt. Grundfragen waren und sind: Kann in Bezug auf den Einsatz autonomer Agenten noch von einer Erklärung des Willens gesprochen werden? Wem ist unter welchen Voraussetzungen eine „Erklärung“ eines autonomen Akteurs zuzurechnen? Muss auch die Akteurs- und „Handelnden“-Betrachtung (im Vertragsrecht) systemischer werden?
71 Siehe allerdings nun die jüngst verabschiedeten Richtlinien zu Digitalen Inhalten und zum Warenkauf, siehe hierzu oben Kapitel 5 § 13 II. und III. 72 Siehe auch – im Kontext von Plattformen – Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (7 f.). Siehe auch oben zu Vertragsnetzwerken sub Kapitel 4 § 11 C. IV.
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I. Akteur und Entscheidung Die Betrachtung von autonomen Agenten de lege lata hat verschiedene konzeptionelle Schwierigkeiten offenbart.73 Die dogmatische Fassung von autonomen Agenten erweist sich als vielschichtig. Eine Anwendung der Grundsätze der Computererklärung überzeugen nicht.74 Vielmehr scheint die rechtsgeschäftlich valide Verknüpfung zwischen autonomen Agenten und der diesen einsetzenden Person äußerst fragil. Die zunehmende Autonomie, die autonome Entscheidungsfindung autonomer Agenten fügt sich nicht bruchlos in die Interaktions- und Partizipationsformen der Rechtsgeschäftslehre (Willenserklärung, Bote, Stellvertreter) ein. Die Regelungen der Rechtsgeschäftslehre sind insoweit nicht umweltsensibel und damit nicht responsiv. Aus regulatorischer Perspektive ist daher zu bewerten, dass eine „Flucht in die autonome Computererklärung“75 in Rede steht. Auf dieser Grundlage sind zwei konzeptionell unterschiedliche Reaktionen denkbar: Zunächst ist eine vertragsrechtsimmanente Anpassung in Betracht zu ziehen, die die Instrumente der Rechtsgeschäftslehre ergänzt. Über das Vertragsrecht hinaus reicht der Ansatz, (bestimmten) autonomen Anwendungen Rechtssubjektsqualität bzw. (Teil-)Rechtsfähigkeit zu verleihen. Im Gefolge einer solchen vertragsrechtsimmanenten oder -externen Lösung ist zu eruieren, ob und auf welche Weise solche Rechtssubjekte auf dieser (neuen) Basis vertraglich interagieren können (sollen).76 II. Autonome Erklärungen, autonome Stellvertreter und autonome Vertragsschlussgehilfen Vertragsrechtsimmanent geben autonome Agenten de lege lata weder Willenserklärungen ab noch sind sie Boten oder Stellvertreter.77 Eine Zurechnung des „Handelns“ des autonomen Agenten in Bezug auf den Vertragsschluss nach § 278 BGB analog scheidet ebenso aus.78 Eine vertragsrechtsimmanente Lösung könnte somit die Einführung entsprechender ergänzender Regelungen sein.
73 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. sowie etwa Teubner, AcP 218 (2018), 155 (157 ff. und 177 ff.). 74 Siehe stellvertretend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (177 ff.) sowie oben sub Kapitel 4 § 12 B. II. 75 Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (445). 76 Siehe im Übrigen zu einer analogen Anwendung von § 831 Abs. 1 BGB auf Roboter etwa Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (190, 194 ff.). 77 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. I. bis IV. 78 Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. V.
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1. Autonome Erklärung In Betracht zu ziehen ist zunächst die Einführung einer eigenständigen Kategorie von Willenserklärungen: eine autonome Erklärung.79 Rechtstechnisch könnte eine solche Erklärung in der Art und Weise eingeführt werden, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Willenserklärung gesetzlich fingiert wird.80 a) Konzeption Angesprochen ist mit einer autonomen Erklärung eine rechtsgeschäftliche Erklärung, die „durch“ einen autonomen Agenten „erzeugt“ wird. Eine autonome Erklärung könnte sich dadurch auszeichnen und definiert werden, dass sie ein Funktionsäquivalent zu einer „echten“ Willenserklärung ist. Diesem Zugriff zufolge sollten zunächst sämtliche Voraussetzungen einer Willenserklärung gegeben sein, die nicht auf der Willensbetätigung einer Person basieren. Es gilt, „digitale Äquivalente für die sogenannten subjektiven Voraussetzungen der Willenserklärung, besonders für das Erklärungsbewusstsein, zu finden.“81 Maßgeblich kann nicht der Wille bzw. der wahrgenommene Wille sein. Anzuknüpfen ist vielmehr an die Erzeugung normativer Erwartungen. 82 Mit Teubner kommt es „für die Personifizierung nicht-menschlicher Entitäten nicht [an] auf Bewusstsein, sondern auf Kommunikation“.83 Im Einzelnen müssen demnach objektiv die essentialia negotii vorliegen. Zum anderen muss aus der Perspektive des Empfängers, sprich nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB), eine Erklärung vorliegen. Hiermit verbunden ist die mit jeder rechtsgeschäftlichen Interaktion verbundene Bewertung der Erklärung, sprich der Auslegung, ob eine Erklärung und, falls ja, mit welchem Inhalt eine Erklärung vorliegt. Dieser Prozess erfolgt im Grundsatz anhand der für Willenserklärungen benannten Grundsätze.84 Nicht angeknüpft werden kann an die Erwartung einer Willens-Entäußerung. Vielmehr muss aus Empfängerperspektive – „subjektiv“ – das System, der autonome Agent, ein Kommunikations- und Partizipationsmoment aufweisen. Aus technischer Perspektive sind damit die kognitiven Kommunikationsfähigkeiten autonomer Agenten angesprochen, sprich die „Kenntnis“, also die Pro79 Siehe in diesem Zusammenhang grundlegend bereits Wiebe, Die elektronische Willenserklärung, 2002, S. 200 ff.; zu Wiebes Konzeption bereits oben sub Kapitel 4 § 10 B. II. 2. c) bb). Vgl. im Übrigen Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (442 ff.). 80 Allgemein zur gesetzlichen Fiktion von Willenserklärungen Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 10 2. 81 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (183). 82 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 C. 83 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (183) (Hervorh. d. Verf.). 84 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2.
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grammierung, von sozialen Normen. 85 In diesem Sinne weist auch ein autonomer Agent eine Form von „Erklärungsbewusstsein“ auf, wobei die kognitiven Kommunikationsfähigkeiten als Äquivalent zu einem menschlichen Bewusstsein fungieren.86 Das Kommunikations- und Partizipationsmoment ist das Gegenstück zu dem Kommunikations- und Partizipationswillen einer natürlichen Person. Konzeptionell ist die Annahme eines Kommunikations- und Partizipationsmoment von einer Zurechnung nach Fahrlässigkeitsmaßstäben zu unterscheiden. Die insofern für (menschliche) Willenserklärungen aufgestellten Grundsätze der Rechtsprechung87 sollten nicht auf autonome Willenserklärungen übertragen werden. 88 Denn auch für eine Erklärung eines autonomen Agenten ist zu verlangen, dass der Agent zumindest „wusste“, sprich programmierseitig abbildet, dass er überhaupt rechtsgeschäftlich tätig wird. Der allgemein mit einer autonomen Erklärung einhergehenden „Objektivierung“ stehen aus dogmatischer Perspektive keine überwindbaren Hürden entgegen.89 Dieser Befund trifft zunächst zu, falls man mit der herrschenden Meinung subjektiv für eine Willenserklärung nur einen Handlungswillen verlangt.90 Denn diese Ansicht hat bereits die Willensklärung weitestgehend objektiviert. Zutreffend führt Teubner aus: „An dieser Stelle kommen die bekannten Objektivierungstendenzen in der Rechtsgeschäftslehre der Möglichkeit, dass bewusstseinslose Softwareagenten rechtswirksame Willenserklärungen abgeben können, weit entgegen. (…) Der objektive Vertrauensgrundsatz hat die subjektiven Vorstellungen der Parteien verdrängt.“91
Nimmt man dagegen mit der hier vertretenen Ansicht an, dass ein Erklärungsbewusstsein als zusätzliches subjektives Element erforderlich ist, so ergeben sich erst recht keine Friktionen. Denn die Anerkennung einer autonomen Erklärung unterstreicht gerade die Irrelevanz des menschlichen Willens, was gerade den Unterschied zwischen menschlicher und autonomer Erklärung verdeutlicht. Besonderheiten ergeben sich zusätzlich, falls und soweit der Empfänger einer autonomen Erklärung wiederum ein autonomer Agent ist. Zu etablieren und erforderlich sind in dieser Konstellation genuin eigene Maßstäbe, um den Kommunikations- und Partizipationswillen des (jeweils) anderen autonomen Agenten festzustellen.
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Teubner, AcP 218 (2018), 155 (183 f.). Teubner, AcP 218 (2018), 155 (183 f.). 87 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. I 2. a) bb) (1). 88 So aber im Ansatz Teubner, AcP 218 (2018), 155 (183). 89 Zutreffend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (182 f.). 90 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. a) bb) (1). 91 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (183). 86
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b) Zurechnung der autonomen Erklärung Selbst wenn eine man eine autonome Erklärung de lege ferenda anerkennen wollte, ist zu klären, wem die Erklärung zuzurechnen ist – unterstellt, der autonome Agent kann mangels Rechtssubjektsqualität keine eigene Erklärung abgeben. Die Zurechnung könnte zunächst vergleichbar zu den Grundsätzen der Computererklärung erfolgen.92 Entscheidend wäre somit, welche Person den Einsatz des autonomen Agenten initiiert hat. Zurechnungsgrund wäre eine (dann) kodifizierte „Veranlasserhaftung“ für das vertragliche Interagieren des autonomen Agenten. Die Erklärung des autonomen Agenten wäre rechtlich als Willenserklärung der Person einzustufen. Mit einem solchen Zugriff würden demnach (nur) die derzeitigen dogmatischen Schwächen de lege lata bei der Zurechnung anhand der Grundsätze der Computererklärung überwunden. Nicht dagegen gelöst wäre hierdurch die Frage, ob eine umfassende Zurechnung der Erklärung zu dem Veranlasser zweckmäßig ist. Denn konzeptionell handelt der autonome Agent als verlängerter Arm der Person. Folge wäre deswegen dann auch, dass der Veranlasser umfassend an die Erklärung des autonomen Agenten gebunden ist bzw. sich die Wirksamkeit der Willenserklärung im Übrigen nach allgemeinen Grundsätzen beurteilt – etwa in Anbetracht von Willensmängeln oder auch aufgrund der Minderjährigkeit der Person. 2. Autonomer Stellvertreter Eine konzeptionell abweichende Zurechnung einer autonomen Erklärung bedingt die Einstufung eines autonomen Agenten als autonomen Stellvertreter de lege ferenda. a) Konzeption und Zurechnung In diesem Fall würde der autonome Agent als Stellvertreter im Sinne der §§ 164 ff. BGB behandelt werden. Als solcher gibt der autonome Agent eine eigene (autonome) Erklärung ab. Die fehlende Rechtssubjektsqualität des autonomen Agenten würde eine Erklärung als Stellvertreter in diesem Sinne nicht beeinträchtigen. Es würde vielmehr eine Erklärung ohne Erklärenden (im Sinne einer Person) fingiert. Die Stellvertretereigenschaft des autonomen Agenten wäre eine (bewusste) reine Fiktion. Der autonome Agent wäre Vehikel einer Erklärung, aber eben nicht nur Bote. Hiervon weicht der Vorschlag von Teubner ab, wonach autonomen Agenten eine Teilrechtsfähigkeit, eine Stellvertretungsfähigkeit, zustehen soll.93 Ein solches teilrechtsfähiges Subjekt könnte – abweichend von den nachfolgenden 92 Zu den Kriterien der Grundsätze der Computererklärung siehe ausführlich oben sub Kapitel 4 § 10 B. 93 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (182), hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. I. 1.
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Ausführungen – Anspruchsgegner nach § 179 Abs. 1 BGB sein. Soll die Inanspruchnahme nicht ins Leere gehen, muss dem Subjekt ein Vermögen (de lege ferenda) zuordnet werden.94 Auf die Konstruktion Teubners soll daher (erst) im Zuge einer Anerkennung einer Rechtssubjektsqualität bzw. einer (Teil-) Rechtsfähigkeit autonomer Anwendungen eingegangen werden.95 Beide vorbenannten Konstruktionen haben allerdings im Übrigen nicht nur begrifflich einen anderen Anknüpfungspunkt als die zuvor behandelte Anwendung der Grundsätze der Computererklärung. Im Vergleich zu diesen Grundsätzen bestehen veritable Unterschiede für die Zurechnung der autonomen Erklärung. Denn Voraussetzung für eine Zurechnung müsste im Ausgangspunkt die Anwendung der Stellvertretungsregeln sein. Grundlegend bedingt eine solche Zurechnung demnach, dass die „initiierende“ Person den autonomen Agenten bevollmächtigt hat. Diese Bevollmächtigung ist eine (eigenständige) Willenserklärung. Freilich stellt auch diese Willenserklärung eine Fiktion dar. Denn diese Erklärung wird – so ist hier zu unterstellen – mangels Rechtssubjektsqualität des autonomen Agenten nicht gegenüber einer Person abgegeben. Vielmehr ist die Vollmachtserteilung ein Akt der Initiierung gegenüber dem autonomen Agenten. Es handelt sich somit betreffend den Vertragsschluss nicht um eine eigene Willenserklärung des Vertretenen, sondern um eine fremde (fiktiv angenommene) Erklärung, die dem Vertretenen zugerechnet wird. Vor diesem Hintergrund sind auch etwaige Willensmängel, Anfechtungsmöglichkeiten und sonstige Wirksamkeitshindernisse zu bewerten. So käme etwa die Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB ebenso wie § 166 Abs. 2 BGB in Betracht. Konsequenz dieser Konzeption wäre allerdings auch, dass bei Überschreiten der Vertretungsmacht – etwa bei einem technischen Fehler – keine Zurechnung der autonomen Erklärung erfolgt. Der dritte Teil, der potenzielle Vertragspartner des (vermeintlich) Vertretenen, hätte in diesem Fall grundsätzlich das Nachsehen. Denn es stünde kein Rechtssubjekt für eine etwaige Inanspruchnahme nach § 179 Abs. 1 BGB zur Verfügung. b) Regulierung in Anlehnung an § 179 Abs. 3 BGB Von der vorbenannten Konzeption weicht der Vorschlag von Specht und Herold teilweise ab.96 Befürwortet wird dort eine Behandlung des autonomen Agenten vergleichbar eines Vertreters ohne Vertretungsmacht, bei dem der andere Teil die mangelnde Vertretungsmacht erkennen kann bzw. vergleichbar einem nicht 94 So explizit Teubner, AcP 218 (2018), 155 (184); siehe auch Börding/Jülicher/Röttgen/ v. Schönfeld, CR 2017, 134 (140). 95 Siehe hierzu nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. 96 Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43); siehe zu dieser Ansicht auch schon bereits oben ausführlich sub Kapitel 4 § 12 B. I. 1. sowie § 12 B. IV. 2. a) bb) (2).
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(so) bevollmächtigtem Minderjährigen, der nach § 179 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht als falsus procurator in Anspruch genommen werden kann. Da der Erkennbarkeit in beiden Fällen maßgebliche Bedeutung zukommt, erwägen Specht und Herold eine Verpflichtung zur Offenlegung des Einsatzes eines autonomen Agenten und zur Benennung der diesen Agenten einsetzenden Person.97 Dieser Vorschlag ist bereits de lege lata abgelehnt worden.98 De lege ferenda sei (nochmals) in aller Kürze auf das Folgende hingewiesen. Ein solcher Anspruch auf Offenlegung würde für sich genommen keinen zielführenden Interessenausgleich gewährleisten. Verträge bedürften stets für ihre Wirksamkeit der Genehmigung des Vertretenen. Lediglich unter bestimmten (beschränkten) Umständen käme eine Wirksamkeit nach Maßgabe des „Taschengeld“-Paragraphen (§ 110 BGB analog) in Betracht.99 3. Autonomer Vertragsschlussgehilfe Eine alternative Zurechnungsoption eröffnet die Einführung der Rechtsfigur eines autonomen Vertragsschlussgehilfen. a) Konzeption Entsprechend eines Erfüllungsgehilfen bei der Erfüllung von Verbindlichkeiten (§ 278 BGB) würde der autonome Vertragsschlussgehilfe beim Vertragsschluss tätig. Während (natürliche) Personen in Bezug auf bestimmte Handlungsformen definiert sind (Bote, Stellvertreter), könnte für autonome Anwendungen auf diese Weise eine neu(artig)e Kategorie der Handlungsformen de lege ferenda eingeführt werden. Die vertrag(srecht)liche Interaktion des autonomen Agenten würde auf dieser Grundlage demjenigen zugerechnet werden, in dessen Bindungskreis der autonome Agent tätig wird. Anknüpfungspunkt ist somit, ob und inwieweit der autonome Agent zum Abschluss von Verträgen, sprich zur Etablierung vertraglicher Bindung, eingesetzt wird. Umfang und Grenze der Zurechnung bestimmen sich durch ein „Tätigwerden“ autonomer Anwendungen im – gesondert zu bestimmenden – vertraglichen Bindungskreis. Die autonome Erklärung des autonomen Agenten würde in diesem Sinne als Willenserklärung zugunsten der Person gewertet werden. Es wird somit rechtlich nur eine Willenserklärung abgegeben (und zugerechnet). Zurechnungsgrund wäre, dass der autonome Agent die Willensbetätigung der den auto nomen Agenten einsetzenden Person ersetzt. Die Person bedient sich zum
97
Specht/Herold, MMR 2018, 40 (43). Siehe oben sub Kapitel 4 § 12 B. IV. 2. b). 99 Siehe in diesem Zusammenhang Specht/Herold, MMR 2018, 40 (42). 98
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Vertragsschluss des autonomen Agenten, so wie sich ein Schuldner eines Erfüllungsgehilfen bedient. b) Ausweitung vertrag(srecht)licher Bindung(en) Der Statuierung der Rechtsfigur eines Vertragsschlussgehilfens wohnt ein konzeptioneller Paradigmenwechsel inne.100 Die vertragliche Bindung wird durch die Einschaltung von Technik determiniert. Willensbezogener Anknüpfungspunkt wäre nur noch die (willentliche) Nutzung eines autonomen Agenten im vertrag(srecht)lichen Kontext. Die Möglichkeit und „Gefahr“ rechtsgeschäftlicher Bindung wird durch eine solche Rechtsfigur somit (erheblich) erweitert – auch und gerade in Abhängigkeit der Definition des vertraglichen Bindungskreises. Falls die Definition des Bindungskreises zu weit gerät, drohen die Grenzen zwischen rechtsgeschäftlicher Interaktion und sonstiger (nur deliktsrechtlich sanktionierter) Interaktion zu verwischen. 4. Regelung zu Verträgen mit autonomen Agenten Schließlich ist de lege ferenda eine Bindung an durch autonome Agenten „geschlossene“ Verträge auch durch eine allgemeine gesetzliche Regelung zu Verträgen mit autonomen Agenten zu erreichen. Eine solche Regelung würde nicht an die (Willens-)Erklärungen der Akteure anknüpfen. Vielmehr würde (zunächst nur) klargestellt, dass entsprechende Verträge wirksam sind bzw. unter Einsatz von autonomen Agenten wirksam geschlossen werden können. Anschauungsbeispiel für eine entsprechende Regelung ist der US-amerikanische Uniform Eletronic Transactions Act der Uniform Law Commission, der in den meisten Bundesstaaten Gesetzeskraft erlangt hat.101 Im Einzelnen führt Sec. 14 Uniform Electronic Transactions Act aus: „In an automated transaction, the following rules apply: (1) A contract may be formed by the interaction of electronic agents of the parties, even if no individual was aware of or reviewed the electronic agents’ actions or the resulting terms and agreements. (2) A contract may be formed by the interaction of an electronic agent and an individual, acting on the individual’s own behalf or for another person (…).“102 100
Siehe hierzu auch bereits oben sub Kapitel 4 § 12 B. V. Uniform Law Commission, Uniform Electronic Transactions Act (1999), 1999. 102 Uniform Law Commission, Uniform Electronic Transactions Act (1999), 1999, S. 9; siehe hierzu auch Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5 (15 f.); ders., AcP 218 (2018), 155 (177 f.). Sec. 14 Abs. 3 stipuliert: „The terms of the contract are determined by the substantive law applicable to it.“ Ergänzend sei mit Blick auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand darauf hingewiesen, dass die Uniform Law Commission jüngst eine Mitteilung (Guidance Note regarding the Relation between the Uniform Electronic Transactions Act and Federal Esign Act, Blockchain Technology and „Smart Contracts“ [11. März 2019]) publiziert hat, die sich (unter anderem) auf die Beziehung zwischen dem Act, dem Einsatz der Blockchain-Technologie und Smart Contracts bezieht: „Recently, a variety of states enacted or considered legislation that amends the Uniform Electronic Transactions Act (UETA) to specifically address ‚blockchain‘ 101
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Dieses Gesetz bezieht sich explizit nur auf electronic agents. Ein electronic agent ist nach Sec. 2 para. 6 Uniform Electronic Transactions Act legaldefiniert als „a computer program or an electronic or other automated means used independently to initiate an action or respond to electronic records or performances in whole or in part, without review or action by an individual.“ Der Act weist allerdings luzide bereits auf autonome Agenten hin: „While this Act proceeds on the paradigm that an electronic agent is capable of performing only within the technical strictures of its preset programming, it is conceivable that, within the useful life of this Act, electronic agents may be created with the ability to act autonomously, and not just automatically. (…) If such developments occur, courts may construe the definition of electronic agent accordingly, in order to recognize such new capabilities.“103
5. Würdigung Im Sinne der zuvor getroffenen Grundannahmen ist zunächst zu befürworten, dass überhaupt eine Regelung zum Einsatz autonomer Agenten im vertrag(srecht)lichen Kontext getroffen wird. Dabei ist zu bewerten, wie sich eine solche Regelung in die bestehende Dogmatik einfügen kann. Zugrunde gelegt wird zunächst, dass autonome Agenten keine Rechtssubjektsqualität aufweisen bzw. solchen Agenten kein entsprechender Status verliehen wird. a) Regelung zu Verträgen mit autonomen Agenten Augenfällig ist zunächst, dass (nur) die Einführung einer einfachen gesetzlichen Regelung zu Verträgen mit autonomen Agenten allein nicht überzeugen kann. Denn die (schlichte) Klarstellung, dass entsprechende Verträge wirksam sind, dürfte der Ausdifferenziertheit der deutschen Rechtsgeschäftslehre nicht gerecht werden. Denn unklar bliebe etwa, ob nach wie vor von einer Willenserklärung der den autonomen Agenten einsetzenden Person ausgegangen werden kann. Ebenso wäre zu bestimmen, anhand welcher Maßstäbe sich die Wirksamkeit der Erklärung beurteilt. Insbesondere bliebe offen, unter welchen Umständen die vertragliche Bindung nicht eintritt bzw. begrenzt werden kann. Denn die Anordnung der Wirksamkeit entsprechender Verträge führt im Grundsatz or ‚smart contracts.‘ Such amendments directly contravene the technology-neutral principles that have enabled the UETA to remain effective over the course of nearly two decades of technological change. In fact, rather than improve the UETA, these blockchain or smart contract amendments undermine the efficacy of the UETA going forward. (…) [T]his Guidance Note explains that the UETA already adequately encompasses blockchain and smart contracts, and changes to specifically address these technologies are not only unnecessary but also detrimental. (…) [T]his Guidance Note analyzes blockchain and smart contracts (…), demonstrating that the UETA, without amendment, adequately governs blockchain and smart contracts when incorporated into a legally enforceable contract.“ (ebd. S. 1). 103 Uniform Law Commission, Uniform Electronic Transactions Act (1999), 1999, S. 9.
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dazu, dass die den autonomen Agenten einsetzende Person umfänglich und bedingungslos gebunden ist. b) Autonome Erklärung Die Einführung einer neu(artig)en Kategorie von Willenserklärungen, eine autonome Erklärung, erscheint prima facie nachvollziehbar. Denn es wird hiermit den Funktionalitäten Künstlicher Intelligenz und der damit verbundenen Autonomie des autonomen Agenten Rechnung getragen. Der autonome Agent „erzeugt“ die Erklärung selbst, weswegen die Erklärung schwerlich als die Erklärung einer anderen Person ab initio konstruierbar scheint. Die Einführung einer autonomen Erklärung ist vor diesem Hintergrund konsistent. Mit der Anerkennung einer autonomen Erklärung wird allerdings im Ergebnis kein wesentlicher rechtspraktischer Vorteil erreicht. Denn mangels Rechtssubjektsqualität eines autonomen Agenten muss nach wie vor bestimmt werden, wem die Erklärung des autonomen Agenten zuzurechnen ist. Eine Zurechnung wäre grundsätzlich möglich anhand der Grundsätze der Computererklärung. Konzeptionell überzeugend ist eine solche Zurechnung allerdings nur bedingt. Denn in Rede stünde bei der Anwendung der Grundsätze der Computererklärung eine eigene Willenserklärung der den autonomen Agenten einsetzenden Person. Konzeptionell wird die autonome Erklärung damit in eigene Interak tionen der einsetzenden Person überführt. Der Autonomie der Erklärung – und dem damit verbundenen Bedarf (auch) nach Begrenzung der Zurechnung – würde somit keine Rechnung getragen. c) Autonomer Stellvertreter Dogmatisch überzeugender könnte deswegen die Annahme eines autonomen Stellvertreters sein. Der autonome Agent gibt eine eigene Erklärung ab und diese Erklärung entfaltet Wirkung für und gegen die einsetzende Person. Zentrale Herausforderung eines solchen Zugriffs ist und bleibt allerdings, dass bei einem Überschreiten der Vertretungsmacht dem anderen Teil kein Haftungssubjekt zur Verfügung steht.104 Zudem erscheint die Erteilung der erforderlichen Vollmacht an einen autonomen Agenten als „verkapptes Insichgeschäft“. Denn ohne Rechtssubjektsqualität entspricht wertungsmäßig eine solche Vollmacht eher einer Willenserklärung an sich selbst. Alternativ bedient sich die Person einem (technischen) Mittel zur Erfüllung bestimmter Aufgaben, so dass man auch einen Vergleich mit einer Weisung an einen im Abhängigkeitsverhältnis stehenden (Verrichtungs-)Gehilfen ziehen könnte. Vor diesem Hintergrund – und auch mit Blick auf die (fehlende) Anreizwirkung einer solchen Konzeption105 – 104 105
Siehe bereits oben sub Kapitel 4 § 12 B. IV. 2. b). Siehe zuvor sub Kapitel 4 § 12 B. V.
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ist zu eruieren, ob zweckmäßiger Weise nicht ein von der bisherigen Dogmatik abweichender Zugriff erfolgen sollte. d) Autonomer Vertragsschlussgehilfe Einen solchen Zugriff würde die Annahme von autonomen Agenten als Vertragsschlussgehilfen de lege ferenda bedingen. Hiermit verbunden wäre eine Loslösung von typischen Zurechnungstatbeständen der Rechtsgeschäftslehre in Bezug auf die vertragliche Bindung. Die Erklärung für die konkrete vertragliche Bindung erfolgt durch den autonomen Agenten, der dem Vertragspartner gegenüber agiert und interagiert. Eine Willenserklärung im herkömmlichen Sinne wäre (nur noch) die Bestimmung des vertraglichen Bindungskreises für den Vertragsschlussgehilfen. Wertungsmäßig entspricht eine solche Bestimmung einer Vollmacht. In der Sache steht damit allerdings eine nicht empfangsbedürftige Willensklärung in Rede. Denn der autonome Agent ist kein Rechtssubjekt, demgegenüber eine Erklärung abgegeben wird. Der autonome Agent „handelt“ somit für die sie einsetzende Person. Die Folgen dieses „Handeln“ träfen die den autonomen Agenten einsetzende Person vertraglich. Ob die Person den konkreten Vertrag gewollt hat, ist nicht relevant. Vertragliche Bindung würde allein durch eine Zurechnung erfolgen. Ein Überschreiten des vertraglichen Bindungskreises berührt (grundsätzlich) nur das „Innenverhältnis“. Die den autonomen Agenten einsetzende Person wäre vollumfänglich gegenüber den Vertragspartnern an die „durch“ den autonomen Agenten geschlossenen Verträge gebunden. Ein solcher Zugriff entspricht in seiner Grundtendenz auch der auf unionaler Ebene geforderten umfassenden Haftung für den Einsatz autonomer Anwendungen.106 Gleichwohl ist – auch und gerade aus Verbrauchersicht – die Frage aufgeworfen, ob und in welcher Weise der vertragliche Bindungskreis begrenzt werden kann. Ebenso ist auch unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des (potenziellen) Vertragspartners zu bestimmen, wann eine vertragliche Bindung ausnahmsweise zu verneinen ist. Beide Aspekte sind Teil derselben Medaille. Denn anhand dieser Maßstäbe dürfte sich der Anreiz zum praktischen Einsatz entsprechender Systeme beurteilen. Im Sinne der zuvor benannten Grundannahmen sollte deswegen eine Regulierung, in einer solchen Art und Weise erfolgen, dass autonome Agenten tatsächlich für vertragliche Interaktionen genutzt werden. Im Einzelnen ist dafür zu definieren, auf welche Weise der vertragliche Bindungskreis technisch abgebildet wird. Denn es sollte befördert werden, dass sich der autonome Agent – soweit wie technisch möglich – innerhalb dieses Kreises bewegt. Insofern könnte etwa eine Standardisierung betreffend autonome Agenten in Erwägung zu ziehen sein. Ebenfalls ist an eine Zertifizierung von 106
Siehe oben sub Kapitel 5 § 15 A. II. und B.
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autonomen Agenten zu denken. Auf diese Weise könnte ein kontrolliertes Kontrahieren mit autonomen Agenten befördert (allerdings nicht garantiert) werden. Unter Umständen könnte an den Einsatz eines standardisierten oder zertifizierten autonomen Agenten auch eine Haftungsbegrenzung geknüpft werden. Darüber hinaus ist ebenso der Umfang der Regressmöglichkeit gegen den Anbieter (nicht notwendiger Weise der Programmierer) eines autonomen Agenten zu bestimmen, wenn und soweit es zu einer „ungewollten“ vertraglichen Bindung durch einen autonomen Agenten kommt. An dieser Stelle zunächst festzuhalten bleibt allerdings, dass (theoretisch) eine vertragliche Bindung durch den Vertragsschlussgehilfen auch bei Überschreitung des vertraglichen Bindungskreises „erzeugt“ werden kann – sei es, weil dieser ungenau bestimmt (bzw. programmiert ist), sei es, weil der autonome Agent aufgrund eines technischen Fehlers ungenau operiert. Im Grundsatz hat – auf der Basis der zuvor benannten Grundlagen und der rechtspolitischen Stoßrichtung – die den autonomen Agenten einsetzende Person das damit verbundene „Risiko“ zu tragen. III. Rechtspersönlichkeit bzw. (Teil-)Rechtsfähigkeit für autonome Anwendungen Auf dieser Grundlage kann sich nun der Frage zugewendet werden, ob die Zuweisung von (vertraglichen) Risiken beim Einsatz autonomer Anwendungen grundlegend anders gedacht werden muss. Angesprochen ist damit die schon verschiedentlich in den bisherigen Ausführungen aufscheinende Frage nach einer Rechtssubjektsqualität autonomer Anwendungen de lege ferenda.107 Die Einführung einer Rechtspersönlichkeit oder einer (Teil-)Rechtsfähigkeit würde einen fundamental abweichenden Zugriff auf den Einsatz autonomer Anwendungen (nicht nur) im vertraglichen Bereich bedingen.108 Autonome Anwendungen wären potenziell in der Lage, selbst Risiken zu tragen bzw. „Verantwor107 Zur Diskussion um die Einführung einer eigenen Rechtspersönlichkeit von autonomen Anwendungen bzw. Robotern siehe aus dem deutschsprachigen Schrifttum stellvertretend Beck, JR 2009, 225 (229 f.); dies., in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 239 (254 ff.); dies., AJP 2017, 183 (187 ff.); Gruber, in: Gruber/Bung/Ziemann (Hrsg.), Autonome Automaten, 2015, S. 191 ff.; Ingold, Der Staat 2014, 193; Kersten, JZ 2015, 1 (7); Lohmann, ZRP 2017, 168; Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 83 ff.; Mayinger, Die künstliche Person, 2017, S. 166 ff.; Schaub, JZ 2017, 342 (345 f.); Schirmer, JZ 2016, 660 (663 ff.); Spindler, CR 2015, 766 (774 f.); Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5; ders., AcP 218 (2018), 155; Wettig, Vertragsschluss mittels elektronischer Agenten, 2010, S. 369 ff.; siehe im Übrigen und vor allem die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103(INL)), P8_TA(2017)0051, Haftung Nr. 59 lit. f. (zu letzteren bereits oben sub Kapitel 5 § 15 B.). Aus dem englischsprachigen Schrifttum etwa Bayern, Nw. Univ. L. Rev. 108 (2014), 1485; ders., Stan. Tech. L. Rev. 19 (2015), 93; Gunkel, Robot Rights, 2018; LoPucki, Wash. U. L. Rev. 95 (2018), 887. 108 Siehe hierzu stellvertretend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (161).
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tung“ zu übernehmen. Autonome Anwendungen könnten aus zivilrechtlicher Perspektive insbesondere auch taugliche Haftungssubjekte sein. Aus vertragsrechtlicher Perspektive würde die Einführung einer Rechtspersönlichkeit autonomer Anwendungen im Grundsatz eine Vereinfachung darstellen. Denn autonome Agenten – als eine Art autonomer Anwendungen – könnten eigene (Willens-)Erklärungen abgeben, selbst kontrahieren oder als Stellvertreter fungieren.109 Zu klären und zu bestimmen ist dann nur, auf welche Weise ein autonomer Agent seine Erklärung abgibt. Zunächst gilt es allerdings zu erörtern, ob und in welchem Umfang eine Rechtspersönlichkeit für autonome Agenten de lege ferenda einführt werden sollte. Hierfür ist eine Gesamtschau zivilrechtlicher sowie intra- und interdisziplinärer Erwägungen angezeigt. 1. Der haftungsrechtliche Ausgangspunkt des Diskurses Die Frage nach einer Rechtsfähigkeit für technische Anwendungen ist bereits seit längerem Gegenstand einer intensiven und kontroversen Diskussion.110 Im Mittelpunkt des Diskurses stehen dabei Fragen der Verantwortlichkeit für Robotik und Künstliche Intelligenz. Aus rechtlicher Perspektive werden insbesondere die zivil- und strafrechtliche Haftung diskutiert. Dafür ist zu unterscheiden zwischen einer Haftung für Robotik und Künstliche Intelligenz einerseits und einer Haftung von autonomen Anwendungen bzw. einem Roboter andererseits.111 Diese haftungsrechtliche Betrachtung prägt auch und gerade die aktuelle rechtspolitische Debatte, auf die bereits in Teilen – auch mit ihren vertragsrechtlichen Bezügen – verwiesen wurde.112 Zusammenfassend wird zu Recht konzediert, dass die geltenden Haftungsregeln die Autonomie autonomer Anwendungen nicht adäquat erfassen können.113 Die Bestimmung von Verantwort109
Siehe etwa Mayinger, Die künstliche Person, 2017, S. 257 ff. die Nachweise zuvor. Aus rechtshistorischer Perspektive Schirmer, JZ 2016, 660 (660 f.) (zur Eisenbahn), Harke, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 97 ff. (zur Sklavenhalterhaftung in Rom) sowie Möller, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 119 ff. (zum römischen Deliktsrecht). 111 Zur haftungs-, vor allem deliktsrechtlichen Diskussion siehe etwa Denga, CR 2018, 69; Hanisch, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 109 ff.; ders., in: Hilgendorf (Hrsg.), Robotik im Kontext von Recht und Moral, 2014, S. 27 (33 ff.); Horner/ Kaulartz, CR 2016, 7; dies., InTeR 2016, 22; Linardatos, ZIP 2019, 504; Janal, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 141 ff.; Kluge/Müller, InTeR 2017, 24; Pieper, InTeR 2016, 188 (192 ff.); Schaub, JZ 2017, 342 (343 ff.); Spindler, CR 2015, 766 (767 ff.); Wagner, AcP 217 (2017), 707; Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 ff.; ders., ZfPW 2019, 198. Einführend etwa Börding/Jülicher/Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (139 f.). 112 Siehe hierzu ausführlich oben sub Kapitel 5 § 15. 113 Siehe Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/ 110 Siehe
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lichkeiten und die Ermittlung des Verantwortlichen sind erheblich erschwert.114 Vor allem in Bezug auf die selbstlernende und adaptive Fortentwicklung von autonomen Agenten bestehen Schutzlücken.115 Erwogen werden de lege ferenda – vereinfacht – insbesondere eine Gefährdungshaftung des Herstellers, eine Gefährdungshaftung des Betreibers ergänzt um eine Versicherungspflicht sowie eine allgemeine Unfallversicherung.116 Ebenso ist umstritten, ob und inwieweit eine adäquate Lösung in der Einbringung einer autonomen Anwendung bzw. eines Roboters in eine Gesellschaft de lege ferenda zu sehen ist.117 So wird etwa (ohne Verleihung einer Rechtsfähigkeit) vorgeschlagen, autonome Anwendungen hierdurch (de facto) zu effektuieren (insbesondere als Sacheinlage und bzw. oder durch Verzicht eines menschlichen Geschäftsführers).118 Soweit die eigene Haftung von autonomen Anwendungen in den Blick gerät, bedingt dies sinnlogisch eine Möglichkeit der Haftungszuordnung. Nur Rechtssubjekten kann eine Haftung zugeordnet werden.119 2. Diskurs zu einer Rechtspersönlichkeit autonomer Anwendungen Vor diesem Hintergrund wird von einem Teil der Literatur die Zuerkennung einer Rechtspersönlichkeit de lege ferenda in Betracht gezogen.120 Erwogen wird eine solche Rechtspersönlichkeit auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Zielrichtungen.121 So reichen die Begründungen einer Rechtspersönlichkeit von der Anerkennung der sozialen Wirklichkeit bis hin zu einer (potenziell) einfacheren rechtlichen Handhabung. Zugleich werden allerdings auch gewichtige Argumente gegen eine Rechtspersönlichkeit autonomer Anwendungen vorgetragen122 oder zumindest einer umfassenden Rechtssubjekti2103(INL)), P8_TA(2017)0051, Haftung AF sowie etwa Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (176 ff. et passim). 114 P8_TA(2017)0051, Haftung AF; Pieper, InTeR 2016, 188 (192 ff.); Taeger, NJW 2016, 3764 (3765). 115 P8_TA(2017)0051, Haftung AI sowie etwa Taeger, NJW 2016, 3764 (3765). 116 Siehe nur Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (200 ff., 204).; ders., ZfPW 2019, 198 (214 ff.). 117 Dies erwägend Paal, ZGR 2017, 590 (612 ff.): „Roboter mit beschränkter Haftung“; siehe demgegenüber etwa Schirmer, JZ 2016, 660 (661); Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (202 f.). 118 Hierzu Paal, ZGR 2017, 590 (612 ff.). 119 Siehe hierzu – auch mit Nachweisen zu vereinzelten gegenteiligen Ansichten de lege lata – oben sub Kapitel 4 § 12 B. I. 120 Siehe zur Diskussion die zuvor benannten Nachweise. Stellvertretend für die Befürworter eines (umfassenden) Rechtssubjektsstatus Mayinger, Die künstliche Person, 2017, S. 258 f. 121 Frühzeitig etwa Sorge, Softwareagenten, 2006, S. 33. 122 Einer Rechtspersönlichkeit wohl auch de lege ferenda skeptisch gegenüber stehen etwa Paal, ZGR 2017, 590 (616); Paulus/Matzke, ZfPW 2018, 431 (441); Riehm, ITRB 2014, 113 (113); Sosnitza, CR 2016, 764 (766); Spindler, CR 2015, 766 (774 f.); Taeger, NJW 2016, 3764 (3765).
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vität für autonome Anwendungen widersprochen.123 Den Diskurs zu einer Rechtspersönlichkeit autonomer Anwendungen gilt es nachfolgend zunächst nachzuzeichnen, um sodann eine Würdigung einer Rechtspersönlichkeit de lege ferenda vorzunehmen. a) Begründung(en) einer Rechtspersönlichkeit Beck hat frühzeitig darauf hingewiesen, dass ein Status wie die Rechtspersönlichkeit sich aus zwei Wurzeln speisen kann. Immanent – aus dem Ding selbst – kann sich ein solcher Status ergeben, falls höhere Wertungen dem Rechtssystem zugrunde gelegt werden – so insbesondere die Natur der Sache bzw. religiöse oder weltanschauliche Paradigmen.124 Der Status ist vorrechtlich und wird vorgefunden. Zudem kann ein Status ebenso indirekt – aus der Gesellschaft heraus – konzipiert werden.125 Der Status wird hierbei durch die Gesellschaft gesetzt, ist nicht universell und kann (deswegen) überzeugend, aber auch widersprüchlich, inkonsistent oder ineffizient sein.126 Während sich der natürliche Status an vorrechtliche, naturrechtliche Konzepte anlehnt, entspringt der gesetzte Status einem rechtspositivistischen Verständnis.127 Materiell begründet wird die Rechtssubjektsqualität für autonome Anwendungen mit zwei unterschiedlichen Stoßrichtungen. Einerseits wird die Annäherung an menschliche Handlungs- und Entscheidungsprozesse betont. Andererseits wird auf Effizienzsteigerungen durch Einführung eines entsprechenden Status verwiesen. Ein Teil der Literatur betont die Übertragbarkeit menschlicher Muster auf autonome Anwendungen.128 Selbstlernende, adaptive Prozesse führten dazu, dass autonome Anwendungen einem Menschen gleich, „unbekannte“ bzw. neue Situationen einordnen und bestehende „Regeln“ auf solche Situationen übertragen.129 Menschliche Kategorien könnten – angepasst – auf autonome Anwendungen übertragen werden (womit nicht gesagt wird, autonome Anwendungen seien menschlich); so insbesondere Autonomie, Handlung und Intention sowie eine Form von Erkenntnis.130 Argumentiert wird deswegen, dass entscheidend
123 Siehe etwa Teubner, AcP 218 (2018), 155 (162), der sich sodann für eine Teilrechtsfähigkeit ausspricht (vgl. hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. I. und nachfolgend sub Kapitel 6 § 17 C. III. 2.). 124 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 245 f. 125 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 246. 126 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 246. 127 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 246 f. 128 Siehe – auf die Zukunft bezogen – Gruber, in: Beck (Hrsg.), Jenseits von Mensch und Maschine, 2012, S. 133 (157 ff.). 129 Siehe in diesem Zusammenhang Taeger, NJW 2016, 3764 (3765). Ablehnend etwa demgegenüber Gleß/Weigend, ZStW 2014, 561 (568 ff.). 130 Hierzu Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 4 4 ff.
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für einen eigenständigen Status die Fähigkeit zur (Selbst-)Kontrolle sei.131 Hieraus folge die Möglichkeit, „juristischer Verantwortungsträger“ zu sein.132 Autonome Anwendungen könnten auf externe Faktoren reagieren und interne „Wünsche“ aufweisen.133 Demgegenüber wird geltend gemacht, dass eine solche Übertragung nicht zielführend sei. Vor allem werde verkannt, dass autonome Anwendungen bzw. Roboter von Menschen selbst entwickelt würden.134 Zudem gehe mit einer Übertragung (und Anerkennung) menschlicher Kategorien auch einher, dass die Nichtzuerkennung bestimmter Rechte rechtfertigungsbedürftig werde.135 Methodisch hiervon abweichend wird – in jüngerer Zeit prominent von Schirmer – angenommen, dass die Frage nach einer Rechtspersönlichkeit unter Effizienzgesichtspunkten zu beantworten sei.136 Zu eruieren ist hiernach, ob die Einführung eines entsprechenden Status aus rechtspraktischer Sicht zweckmäßig ist.137 Es soll nicht (nur) eine allgemeine Rechtssubjektsqualität in den Blick genommen werden. Vielmehr sei zu fragen, welche Fähigkeiten das Rechtssubjekt zweckmäßiger erhalten soll.138 Ein solcher Zugriff bedeutet, dass jeweils (isolierte) Regelungen für bestimmte Situationen bzw. Lagen getroffen werden (müssten).139 Ein solcher Regelungsansatz ist mit der Hoffnung verbunden, dass hierdurch (besser) auf die jeweiligen Besonderheiten reagiert werden kann.140 Autonome Anwendungen bzw. Roboter seien hiernach (zumindest) dann als rechtsfähig einzustufen, wenn ein solcher Status für den Rechtsverkehr einen Mehrwert bedingt – oder zum Schutz des Systems bzw. des Roboters erforderlich erscheint.141 Eine solche Rechtsfähigkeit sei deswegen (nur) „Schritt für Schritt“ zu etablieren.142 Angeknüpft wird hierzu an andere Formen bzw. Abstufungen der Rechtsfähigkeit (ungeborener oder verstorbener Mensch, Außen-GbR oder Wohnungseigentümergemeinschaft).143 Demgegenüber wird geltend gemacht, dass mit einem solchen Ansatz die zentrale Unterscheidung von Mensch und Maschine aufgegeben bzw. aufgeweicht 131
Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 57 ff. Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 60 ff. 133 Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 55 ff. 134 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 253. 135 Schirmer, JZ 2016, 660 (662). 136 Schirmer, JZ 2016, 660 (663). 137 John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007, S. 376 m. w. N.; Schirmer, JZ 2016, 660 (663). 138 Schirmer, JZ 2016, 660 (663). 139 Schirmer, JZ 2016, 660 (663). 140 Schirmer, JZ 2016, 660 (663). 141 Siehe Schirmer, JZ 2016, 660 (663); ähnlich Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255; Gruber, in: Beck (Hrsg.), Jenseits von Mensch und Maschine, 2012, S. 133 (154). 142 Schirmer, JZ 2016, 660 (663). 143 Schirmer, JZ 2016, 660 (663). 132 Siehe
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werden könnte.144 Insofern wird betont, dass die rechtspraktische Anerkennung von autonomen Anwendungen bzw. Robotern Rückwirkungen auf die Wahrnehmung und Bewertung solcher Systeme haben kann: „(…) als zumindest die Möglichkeit besteht, dass die auf diese Weise gebildeten moralischen und rechtlichen Regelungen größere Akzeptanz finden, eben weil sie an bestehende Intuitionen und Traditionen anknüpfen. Das Behandeln einer Entität als Person ist sowohl in der gelebten Moral als auch im bestehenden Recht tief verankert, eingeübt und hat im Alltag nicht mehr hinterfragte, intuitive Verhaltensweisen zur Folge.“145
b) Ausgestaltungsoptionen Es werden vor diesem Hintergrund ganz grundsätzlich unterschiedliche Ausgestaltungsoptionen für den Status autonomer Anwendungen bzw. für Roboter erwogen. Die Vorschläge reichen von punktuellen Modifikationen bis hin zu einem Vollstatus.146 Vorgeschlagen wird etwa, dass autonome Anwendungen zumindest für vertragliche Interaktionen einen rechtlichen Status als besondere Form des Boten147 bzw. eine Teilrechtsfähigkeit als Stellverteter (und Erfüllungsgehilfe) erhalten148 . Darüber hinausgehend könnten autonome Anwendungen bzw. Roboter mit einem Rechtsstatus in Anlehnung an juristische Personen ausgestaltet werden.149 In Rede steht damit ein „vollwertiger“ Rechtssubjektsstatus. Noch weitergehend ist zumindest denkbar, autonomen Anwendungen bzw. Robotern einen dem Menschen vergleichbaren Status zu verleihen.150 In gleicher Weise könnten für autonome Anwendungen bzw. Roboter Anleihen bei dem derzeitigen rechtlichen Status von Tieren genommen werden.151 In Betracht kommen auch auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkte Stati.
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Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 254. Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 249. 146 Siehe zum Meinungsstand etwa Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 252 ff. sowie Teubner, AcP 218 (2018), 155 (160 ff.); jeweils m. w. N. 147 Siehe John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007, S. 88 ff. 148 Ausführlich Teubner, AcP 218 (2018), 155 (177 ff., 185 ff.). Siehe auch Börding/Jülicher/ Röttgen/v. Schönfeld, CR 2017, 134 (140); Gitter, Softwareagenten im elektronischen Rechtsverkehr, 2007, S. 177 ff.; Gruber, Bioinformationsrecht, 2015, S. 227 ff.; Specht/Herold, MMR 2018, 40 (42 f.). Zur Diskussion etwa (im Ergebnis ablehnend) John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007, S. 77 ff. 149 Zum Vorschlag einer ePerson siehe Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2103(INL)), P8_TA(2017)0051, Haftung Nr. 59 lit. f (hierzu näher oben sub Kapitel 5 § 15 B.). Vgl. ferner etwa Schaub, JZ 2017, 342 (345 f.). 150 Siehe in diesem Zusammenhang nur Matthias, Automaten als Träger von Rechten, 2. Aufl. 2010, S. 4 4 ff. 151 Hierauf zumindest vergleichend verweisend etwa Teubner, ZfRsoz 27 (2016), 5 (30 und öfter). 145
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
Im Einzelnen erwägt etwa Beck, dass ein eigenständiger Status (im Sinne einer „e-Person“) geschaffen wird.152 Ein solcher Status sei an den Menschen angenähert, aber keine Gleichsetzung mit dem Menschen.153 Insbesondere seien Konzepte wie Handlung, Intelligenz, Autonomie und Schuld nur bei Unvermeidbarkeit zu übernehmen.154 Eine entsprechende Annäherung an den Menschen solle nur dort erfolgen, wo dies „plausibel“ sei und der Mensch nicht „geschwächt“ werde.155 In eine grundsätzlich ähnliche Richtung weisen Vorschläge, die mit Blick auf die Eigenständigkeit von „Handlung“ und „Wille“ der autonomen Anwendung einen eigenständigen Status befürworten.156 Das autonome System müsse – gleich einer juristischen Person – mit einer Identität ausgestattet werden, Zurechnungsobjekt für Rechte und Pflichten sein sowie im Rechtssinne „handeln“ und dafür verantwortlich sein können.157 In diesem Sinne werden eine Registerpflicht und eine Kapitalausstattung entsprechender Systeme erwogen.158 Im Geschäftsverkehr handelnde Rechtssubjekte könnten mit Zertifikatspflichten oder einer Versicherungspflicht159 belegt werden. Unbestritten scheint, dass vor allem die Einführung einer Rechtspersönlichkeit auf einfachgesetzlicher Ebene unter Umständen weitere Folgeänderungen bedingen würde. Denn die Einführung einer Rechtspersönlichkeit beantwortet noch nicht, in welcher Form ein solches Rechtssubjekt haftet. Denn zumindest eine verschuldensabhängige Haftung bedingt (noch) ein Handeln einer natürlichen Person. Denn Schuld ist die an natürliche Personen anknüpfende, individuelle Vorwerfbarkeit. Eine autonome Anwendung könnte deswegen trotz Rechtssubjektsqualität nicht schuldhaft handeln.160 Anzuknüpfen wäre vielmehr an das rechtswidrige Fehlverhalten.161 In ähnlicher Weise kann darauf hingewiesen werden, dass autonome Akteure keinen Willen bilden können. Hielte man deswegen an einer subjektiven Komponente für Willenserklärungen
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Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255 ff. Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255. 154 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255. 155 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255. 156 In diese Richtung Pieper, InTeR 2016, 188 (191). 157 Siehe Pieper, InTeR 2016, 188 (191). Vgl. auch Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255 ff. 158 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255 ff.; Schaub, JZ 2017, 342 (345 f.). Siehe auch bereits Sester/Nitschke, CR 2004, 548 (549). 159 Vgl. Bräutigam/Klindt, NJW 2015, 1137 (1137). 160 Siehe in diesem Zusammenhang allgemein nur Spindler, in: Auer/Grigoleit/Hager/ Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 709 (733). 161 Ausführlich Teubner, AcP 218 (2018), 155 (192 und öfter). 153
§ 17 Optionen für die Dimensionen systemischer Bindung
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fest, so könnte das autonome System trotz Rechtssubjektsqualität keine Wil lenserklär ungen abgeben.162 c) Verfassungsrechtliche Erwägungen Die Zuerkennung einer Rechtspersönlichkeit wirft zusätzlich verfassungsrechtliche Fragestellungen auf. So wird teilweise angenommen, Art. 19 Abs. 3 GG stünde einer Rechtspersönlichkeit autonomer Systeme entgegen.163 Dabei wird darauf verwiesen, dass Status der Rechtspersönlichkeit nicht-menschlichen Einheiten nur dann verliehen werden könne, wenn gleichsam ein personales Substrat vorhanden ist.164 Denn ein solcher Status sei Ausfluss der hinter der Einheit stehenden natürlichen Personen.165 Die Rechtssubjektsqualität müsse (letztlich) auf der Willensmacht beruhen.166 Demgegenüber wird darauf verwiesen, dass das Grundgesetz die Verleihung von Rechtssubjektsqualität nicht exklusiv dem Menschen zuweise.167 Die Ausübung von Willensmacht stütze (und begründe) nur die Rechtssubjektsqualität des Menschen, treffe allerdings keine darüber hinausgehende Festlegung.168 Hierfür wird auch auf die Rechtspersönlichkeit juristischer Personen sowie auf die Diskussion um das Wesen der juristischen Person verwiesen.169 3. Würdigung Ein potenzieller Rechtsstatus von autonomen Anwendungen ist auf unterschiedlichen Ebenen zu würdigen. Anker der Betrachtung soll hier die vertragsrechtliche Perspektive sein. Ein solcher Status muss allerdings auch gesamtzivilrechtlich sowie rechtsgebietsübergreifend und verfassungsrechtlich bewertet werden. Schließlich müssen die sozialen (und auch ökonomischen) Implikationen der Einführung eines entsprechenden Status mitbedacht werden. Die Begründung eines entsprechenden Status steht auf einem instabilen Fundament. Ob Rechtssubjekte vorgefunden werden oder durch die Rechtsord162 Siehe hierzu allerdings bereits oben sub Kapitel 6 § 17 C. II. sowie auch Pieper, InTeR 2016, 188 (191 f.). 163 So (wohl) Müller-Hengstenberg/Kirn, MMR 2014, 307 (307 f.). Siehe auch Sosnitza, CR 2016, 764 (766): „da sich solche Modelle zu sehr vom Menschenbild des BGB entfernen, das auch im ethischen Personalismus Immanuel Kants wurzelt“. 164 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, 57. Erg.-Lfg. (Stand: 2010), Art. 20a Rn. 75. Vgl. hierzu Müller-Hengstenberg/Kirn, MMR 2014, 307 (307 f.) sowie Beck, in: Japanisch-Deutsches Zentrum (Hrsg.), Mensch-Roboter-Interaktionen aus interkultureller Perspektive, 2010, S. 124 (135 f.) m. w. N. Hierzu auch Schirmer, JZ 2016, 660 (661). 165 Vgl. hierzu (allerdings de lege lata) Müller-Hengstenberg/Kirn, MMR 2014, 307 (307 f.); Paal, ZGR 2017, 590 (612). 166 Grundlegend Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. II, 1840, S. 1 ff. 167 Kersten, JZ 2015, 1 (7); Schirmer, JZ 2016, 660 (662). 168 Schirmer, JZ 2016, 660 (662). 169 Schirmer, JZ 2016, 660 (662).
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
nung positiv gesetzt werden, ist rechtspraktisch – bei aller gebotenen Vorsicht – nicht die entscheidende Frage. Dieser Befund gilt unbeschadet der Tatsache, dass in der Vergangenheit zur Begründung entsprechender Stati stets vorrechtliche und rechtliche (oder: moralische) Maßstäbe herangezogen wurden.170 Denn eine Rechtssubjektqualität kann nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht nur de lege ferenda statuiert werden. Es soll damit allerdings nicht in Frage gestellt, sondern im Gegenteil gerade unterstrichen werden, dass der Normbestand durch vor- oder außerrechtliche Gegebenheiten und Entwicklungen irritiert werden kann. Im Sinne eines umweltsensiblen und responsiven Rechts kann mit dieser Begründung171 eine Ergänzung bzw. Erweiterung des Normbestands geboten sein. a) Normative Erwartungen Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu fragen, ob und inwieweit ein Rechtsstatus für autonome Anwendungen geboten ist. Die Einführung eines eigenständigen Status wäre dann folgerichtig, wenn vertragliche Interaktionen hierdurch besser abgebildet werden würden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn und soweit die Interagierenden entsprechende normative Erwartungen bei der vertraglichen Interaktion hegen.172 Entsprechende Erwartungen könnten dadurch begründet werden, dass sich Normunterworfene immer weiter von autonomen Anwendungen distanzieren. Eine solche Distanzierung läge dann vor, wenn die Normunterworfenen autonome Anwendungen als eigenständige Akteure wahrnehmen würden – dann läge auch die Zuerkennung eines eigenständigen Rechtsstatus nahe. Autonome Anwendungen müssten als selbstständig begriffen werden – in dem Maße, in dem eine solche Selbstständigkeitserwartung auch gegenüber anderen Rechtssubjekten zum Ausdruck gebracht wird – wobei sich als Vergleichsmaßstab (zunächst) juristische Personen anbieten.173 Eine Vermenschlichung autonomer Anwendungen muss nicht erfolgen.174 Vielmehr können autonome Anwendungen als nicht-menschliche Akteure begriffen werden.175 Bislang dürfte eine Selbstständigkeitserwartung allerdings noch nicht vorliegen. Es überwiegt (noch) die Erwartung der Fremdnützigkeit von Agenten, sprich zugunsten der sie einsetzenden Person im Rahmen einer Form von Prin170 Hierzu Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 246. 171 Siehe hierzu oben sub Kapitel 3 § 7 A. 172 Siehe zu diesem Maßstab oben sub Kapitel 3 § 7 C. 173 Siehe Teubner, AcP 218 (2018), 155 (164). Vgl auch Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 57 VII. und VIII. 174 Siehe auch aus soziologischer Perspektive Teubner, AcP 218 (2018), 155 (164 ff.). 175 Siehe Teubner, AcP 218 (2018), 155 (166), der sich auf Latours Aktanten-Begriff bezieht. Siehe auch bereits oben sub Kapitel 4 § 12 B. I. 1.
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zipal-Agenten-Beziehung176 .177 Überspitzt formuliert gilt mit Teubner: „Softwareagenten sind digitale Sklaven, aber Sklaven mit übermenschlichen Fähigkeiten.“178 Hiermit ist allerdings nicht allein gemeint, dass der Normunterworfene gegenüber der Funktionsweise Künstlicher Intelligenz eine Erwartungshaltung aufbauen muss. Die Erwartung an einen selbstlernenden, adaptiven Algorithmus bezieht sich zunächst nur auf die Funktionsweise, sprich etwa die Verwendung von deep learning und die Nachbildung neuronaler Netze. Ein solches Verständnis ist noch nicht gleichzusetzen mit einer Distanzierung. Vielmehr kann der Normunterworfene entsprechende Anwendungen auch und gerade mit ihren Charakteristika, etwa betreffend die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen, hinnehmen und verwenden. Diesem Zugriff folgend, blieben autonome Anwendungen reine „verlängerte Arme“ von Menschen – und wären folgerichtig nicht als Rechtssubjekt zu klassifizieren. Entsprechenden Anwendungen würde kein Eigenleben zugebilligt, sondern die Anwendungen würden – nur – verstanden werden als praktische Instrumente. Die Nutzung entsprechender Anwendungen ist das eigene Risiko.179 Eine solche absolute Betrachtung ist zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen. Denn im Grundsatz gehen Entscheidung und Verantwortung Hand in Hand.180 Insofern müsste konsequenterweise auch eine Erwartung umfassender Verantwortlichkeit aufseiten der autonome Anwendungen einsetzenden Personen bestehen. Eine solche Erwartung wird zumeist an die Beherrschbarkeit geknüpft.181 Rechtlich ist dieser Zugriff mannigfaltig kodifiziert (etwa durch die Verschuldenshaftung im Vertragsrecht). Eine umfassende Beherrschbarkeit weisen Anwendungen Künstlicher Intelligenz allerdings gerade per definitionem nicht auf. Deswegen erscheint es im Ausgangspunkt naheliegend, dass eine normative Erwartung auf eine Begrenzung der Verantwortlichkeit besteht. Eine solche Begrenzung kann auf unterschiedliche Weise regulativ umgesetzt werden – und gerade nicht nur durch die Einführung eines eigenständigen Rechtsstatus. So kann zunächst der Einsatz der Technik in toto untersagt werden. Ebenso kann der Einsatz Künstlicher Intelligenz besonderen Anforderungen (Zertifikaten, Genehmigungen etc.) unterworfen werden. Ferner kann die Haftung für entsprechende Anwendungen begrenzt oder einem bestimmten Akteur (sei es die einsetzende Person, sei es der Programmierer oder sei es ein 176 Siehe allgemein zum Prinzipal-Agenten-Problem Schmolke, in: Petersen/Towfigh, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 304 ff. 177 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (162). 178 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (162). 179 Siehe allerdings zu Mensch-Maschinen-Hybriden Teubner, AcP 218 (2018), 155 (196 ff.). 180 Siehe Teubner, AcP 218 (2018), 155 (160). 181 Vgl. – im Kontext der „Abgabe“ von Willenserklärungen durch autonome Agenten – Sosnitza, CR 2016, 764 (767): „abstrakte Beherrschbarkeit“.
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
Dritter) positiv zugewiesen werden. In diesem Sinne können etwa die obigen Ausführungen zu Vertragsschlussgehilfen verstanden und eingeordnet werden. Eine weitergehende Betrachtung ist erforderlich, falls (und soweit) die Autonomie technischer Anwendungen den menschlichen Blick insgesamt auf das Zusammenspiel von Mensch und Technik verändert.182 Angesprochen ist hiermit der Übergang von einer instrumentellen zu einer partizipierenden Betrachtung, sprich zu einer Herausbildung einer Kommunikation mit autonomen Anwendungen.183 Soziologisch steht damit „die gesellschaftlich wirksame Zuschreibung von eigener Handlungsfähigkeit an Kommunikationsprozesse“ in Rede.184 Unschädlich ist es in diesem Zusammenhang, dass diese Interaktion zwischen Menschen und Agenten asymmetrisch ist – und zwar in Bezug auf die mangelnde Psyche von Agenten, mangelnde Reziprozität der Verhaltenswahl und des mangelnden Verstehens (im Sinne eines Innenlebens) des Agenten.185 Dafür, dass es zu einer solchen Wahrnehmungsverschiebung kommt, sprechen zumindest Anhaltspunkte: Technische Anwendungen, insbesondere autonome Anwendungen, werden zunehmend als Interaktionspartner wahrgenommen. Auf die Anwendungen Amazon Alexa und Google Assistant sei an dieser Stelle nur stellvertretend verwiesen.186 Entsprechende Systeme werden (wohl) noch als Proxy der jeweiligen Produzenten begriffen. Nicht auszuschließen ist, dass sich dieses Verständnis in näherer Zukunft ändern wird. Die potenziell emotionale Bindung an Sprachassistenten sei insofern beispielhaft genannt. Wenn auch heute noch der Begriff digitaler Butler für entsprechende Programme weitgehend irreführend ist, so bedingt dieser Befund keine Aussage für die Zukunft. Das Gegenteil scheint eher richtig zu sein. Es dürften sich gerade aufgrund der (Monopol-)Stellung und der damit verbundenen Entwicklungsmöglichkeiten der derzeit großen Anbieter andere Angebote (mittelfristig und) auf Wettbewerbsbasis entwickeln. Mit einer solchen Entwicklung könnte auch die Wahrnehmung autonomer Anwendungen als Interaktionspartner weiter zunehmen. Dies scheint auch und gerade dort zu gelten, wo autonome Anwendungen auch physisch abgegrenzt „in“ einem Roboter agieren. Bei entsprechenden Anwendungen könnte gerade aus der Verknüpfung von Autonomie und Abgegrenztheit eine Distanzierung erfolgen. Anlass und Grund dürfte auch der Wunsch nach Zuordnung von Verantwortlichkeit und Haftung sein – vor allem in Bezug auf das Deliktsrecht, aber auch betreffend das Vertragsrecht.
182 Allgemein(er) und m. w. N. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 57 VII. und VIII. 183 Siehe Teubner, AcP 218 (2018), 155 (162, 166 ff.). 184 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (165). 185 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (167 f.). 186 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. VI.
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b) Leitende Parameter Für autonome Anwendungen ist demnach rechtspolitisch zu entscheiden, welche Form von Selbstständigkeit bzw. welcher Anknüpfungspunkt für die Selbstständigkeit gewählt werden sollen, sprich welches rechtliche Autonomiekriterium gewählt wird.187 Der interdisziplinäre Diskurs hierzu ist vielschichtig. Während beispielsweise Floridi Interaktion, die Fähigkeit zur Zustandsveränderung und die Entscheidungsstrategieanpassung betont188 , stellen andere auf ganz unterschiedliche Kriterien, wie etwa Kontroll- oder Lernfähigkeit bzw. ein „Selbstbewusstsein“ autonomer Anwendungen, ab.189 Überzeugender Weise wird – auch und gerade im Sinne des Zugriffs der hiesigen Untersuchung – daran anzuknüpfen sein, ob und wieweit autonome Anwendungen interagieren und partizipieren, sprich die vorbenannten Erwartung einer eigenständigen Kommunikation (artificial communication190) erzeugen.191 Maßgeblich ist die „Kommunikationsteilnahmekompetenz“192 . Rechtlich ist dafür ein intentionales Moment erforderlich, womit nicht der innere Wille, sondern nur ein diesbezügliches Äquivalent gemeint ist.193 Die Intention würde durch das Rechtssystem zugeschrieben.194 Eine Form von starker Künstlicher Intelligenz195 sollte dagegen kein rechtlich erheblicher Anknüpfungspunkt sein, denn – mangels absehbarer Realisierung – wäre mit einem solchen Kriterium de facto eine Flucht vor der (notwendigen) Regulierung verbunden.196 Basis können vielmehr solche Charakteristika sein, die in dieser Untersuchung durchgehend dem Verständnis von Künstlicher Intelligenz zugrunde gelegt wurde: Selbstlernend, nicht vorhersehbar und nicht nachvollziehbar.197 Mit Teubner gilt insofern: „Wenn (1) ein Softwareagent so programmiert ist, dass er zwischen Alternativen zu entscheiden hat, wenn (2) er diese Entscheidung als Optimierung verschiedener Kriterien treffen muss und (3) ein Programmierer das Verhalten des Softwareagenten weder nachträglich erklären noch für die Zukunft voraussagen kann, sondern nur noch ex post korrigieren kann, dann sollte das Recht von Autonomie, d. h. von Entscheidungsfähigkeit und Verantwortungsfähigkeit des Softwareagenten ausgehen.“198 187 Hierzu
Teubner, AcP 218 (2018), 155 (170 ff.). Floridi, in: Anderson/Anderson (Hrsg.), Machine Ethics, 2011, S. 184 (192). 189 Hierzu und mit umfangreicher Auflistung und Nachweisen zu den verschiedenen Vorschlägen Teubner, AcP 218 (2018), 155 (170). 190 Esposito, ZfSoz 46 (2017), 249. 191 Siehe auch Teubner, AcP 218 (2018), 155 (172): „Artificial communication und nicht artificial intelligence ist entscheidend.“ (Hervorh. i. Orig.) unter Verweis auf Esposito. 192 Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5 (12). 193 Siehe Teubner, AcP 218 (2018), 155 (172) sowie bereits oben sub Kapitel 6 § 17 C. II. 1. a). 194 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (172). 195 Zu Begriff und Definition siehe oben sub Kapitel 2 § 4 C. 196 Zutreffend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (173). 197 Zu verstehen auch als Zustimmung zu Teubner, AcP 218 (2018), 155 (174, 179). 198 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (174). 188
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
c) Verantwortung, Rechtsstatus und die Steuerung von Erwartungen Vor diesem Hintergrund ist die Anerkennung eines Rechtsstatus für autonome Akteure freilich nicht zwingend, wenn auch eine Zuweisung von Verantwortung geboten ist.199 Eine (auch ökonomisch fundierte) rechtliche Rahmung solcher Systeme könnte prima facie auch allein mittels Versicherungsmodellen oder alternativen Haftungsmodellen zu erzielen sein. Aus hiesiger Perspektive bedürfte es zumindest minimalinvasiver Anpassungen des Vertragsrechts, die auf den vorgenannten Kriterien aufsetzen könnten (etwa zur Bestimmung einer autonomen Erklärung, eines autonomen Stellvertreters oder eines Vertragsschlussgehilfen).200 Im Übrigen kann trefflich darüber gestritten werden, ob die Einführung etwa einer Versicherungslösung nicht auch bereits eine Handlungsfähigkeit von autonomen Agenten implizieren.201 Entsprechende Zugriffe wären funktionale Äquivalente zu einer Rechtssubjektivität autonomer Agenten.202 Weitergedacht und im Lichte der fortschreitenden technologischen Entwicklung könnte die Anerkennung eines Rechtsstatus bzw. einer (Teil-)Rechtsfähigkeit für autonome Anwendungen allerdings auch ein Vehikel bilden, um die Erwartungen in solche Anwendungen langfristig zu stabilisieren – auch und gerade für vertrag(srecht)liche Interaktionen. Die Tatsache, dass autonome Anwendungen bzw. Roboter immer weitergehend Alltagskonstellationen prägen werden, ist stark zu vermuten.203 Es ist auch damit zu rechnen, dass die Erwartungen gegenüber autonomen Akteuren anwachsen werden.204 Dies gilt vor allem dann, falls autonome Anwendungen zukünftig die Fähigkeit zu einem selbstbezogenen Handeln aufweisen; zuzustimmen ist insoweit der Ansicht, dass eine vollumfängliche Rechtssubjektivität (erst) dann in Betracht kommt, falls autonomen Akteuren eigene Ressourcen zur Verfolgung eigener (Profit-) Interessen zuordnet würden.205 Dass eine Einführung eines entsprechenden Status – unbeschadet ob auf nationaler oder auf unionaler Ebene – erhebliche rechtsdogmatische Friktionen und weitere Anpassungsbedarfe auslöst, steht außer Frage.206 Umso mehr könnte durch die Einführung zumindest einer Teilrechtsfähigkeit für autonome Anwendungen bereits frühzeitig die Interaktion und Partizi-
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Teubner, AcP 218 (2018), 155 (175). Siehe zu den Vorschlägen oben sub Kapitel 6 § 17 II. 201 Bejahend Teubner, AcP 218 (2018), 155 (195). 202 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (195). 203 Siehe nur Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 255; Teubner, AcP 218 (2018), 155 (162). 204 Siehe auch Gruber, in: Beck (Hrsg.), Jenseits von Mensch und Maschine, 2012, S. 133 (157 ff.). 205 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (162 mit Fn. 26). 206 Dies etwa zu Recht hervorhebend Schaub, JZ 2017, 342 (346). 200
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pation mit autonomen Anwendungen gerahmt und begleitet werden.207 Vor allem könnten hierdurch auch Erwartungen gesteuert werden. Denn – wie Beck zutreffend hervorgehoben hat 208 – bedingt eine entsprechende Regulierung erhebliche Rückwirkungen auf die Gesellschaft – und präformiert den Umgang mit und die Einstellung zu entsprechenden Anwendungen: „[D]urch das Zusprechen eines bestimmten (rechtlichen) Status [könnte] auch die moralische Intuition der Gesellschaft in die eine oder andere Richtung verstärkt werden. (…) Ausweitungen eines bestimmten Status auf neue Entitäten [können] eine starke gesellschaftliche Akzeptanz der mit Blick hierauf neu zu erlassenden Regelungen begründen (…).“209
Erforderlich erscheint deswegen ein regulatorischer Zugriff, der einen Rechtsstatus zweckmäßig in die bestehenden Rechtsgebiete einpasst – und damit der Interaktion zwischen Mensch und Agent dient 210 .211 In diesem Sinne fügt sich etwa der Vorschlag eines teilrechtsfähigen autonomen Agenten, dem ein Vermögen zugeordnet wird 212 , in die vorherigen Überlegungen und definierten Maßstäbe ein. Die rechtspolitische Entscheidung einer Anerkennung einer Teilrechtsfähigkeit autonomer Agenten unterstellt, wird diese Lösung auch dem – für das Stellvertretungsrecht zentralen 213 – § 179 Abs. 1 BGB gerecht. Im Übrigen muss sich etwa das Strafrecht in keiner Weise einen zivilrechtlich (de lege ferenda) begründeten Status übernehmen. In gleicher Weise ist ein Rechtsstatus für Roboter auch verfassungsrechtlich zu beurteilen. Warum die Einführung eines Haftungssubjekts an die Grenzen von Art. 19 Abs. 3 GG stößt, ist prima facie nicht zu erkennen. In keinem Fall müsste im Übrigen eine Grundrechtsfähigkeit autonomer Anwendungen etabliert werden. Vielmehr sollten auch und gerade für den Privatrechts- und Wirtschaftsverkehr die Parameter und der Zuschnitt eines entsprechenden Status anhand ökonomischer Zweckrationalitäten, insbesondere einer adäquaten Risikoallokation, vorgenommen werden. Aus vertragsrechtlicher Perspektive sind dabei (auch hier) die normativen Erwartungen der Beteiligten zu würdigen und zu schützen. In diesem Sinne reihen sich die vorbenannten Erwägungen zu autonomen Anwen207 Allgemein zu den Vorteilen und Nachteilen einer (allgemeinen) Statusdebatte Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 247 ff., 250 ff. 208 Siehe hierzu auch oben sub Kapitel 6 § 17 III. 2. a). 209 Beck, in: Hilgendorf/Günther (Hrsg.), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S. 253 und 257, die allerdings darauf hinweist, dass diese Erkenntnis sowohl für als auch gegen einen Rechtsstatus ins Felde geführt werden kann (ebd. S. 253). 210 Siehe zur dienenden Funktion eines Rechtsstatus Gruber, in: Gruber/Bung/Ziemann (Hrsg.), Autonome Automaten, 2015, S. 191 (198); ders., in: Beck (Hrsg.), Jenseits von Mensch und Maschine, 2012, S. 133 ff. 211 So auch der Zugriff von John, Haftung für künstliche Intelligenz, 2007, S. 376; Schirmer, JZ 2016, 660 (663) sowie Teubner, AcP 218 (2018), 155 (162, 169, 177 ff.) unter Verweis auf Gruber (siehe vorherige Fn.). 212 Siehe etwa Teubner, AcP 218 (2018), 155 (181 ff.); Schaub, JZ 2017, 342 (345 f.). 213 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. IV. und Kapitel 6 § 17 C. II.
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
dungen ein in das allgemeine Bestreben dieser Arbeit, die Dimensionen systemischer Bindung adäquat zu rahmen.
§ 18 Parameter für eine Regulierung im 21. Jahrhundert Die in dieser Arbeit betrachteten Dimensionen systemischer Bindung sind in vielfältiger Hinsicht miteinander verknüpft. Abschließend sollen deswegen die verschiedenen Erwägungen zusammengeführt werden. Dies soll auch dazu dienen, allgemeine Parameter für die Regulierung der Dimensionen systemischer Bindung im 21. Jahrhundert herauszuarbeiten und hervorzuheben.214
A. Digitale Privatrechtsgesellschaft Moderne Gesellschaften sind Privatrechtsgesellschaften (Böhm).215 Im ausgehenden 20. Jahrhundert und zu Beginn des 21. Jahrhundert haben sich diese Privatrechtgesellschaften in digitale Privatrechtsgesellschaften verwandelt.216 I. Grundlagen Das Vertragsrecht ist befasst mit der Interaktion und Partizipation von Akteuren. Zentrale Vorfrage ist und bleibt, welche Interaktionen für das (zukünftige) Vertragsrecht relevant sind.217 In dieser Untersuchung sind verschiedene Zugriffe präsentiert und bewertet worden, auf welche unterschiedliche Weise de lege lata und de lege ferenda eine Grenzziehung erfolgen kann. Entgegen teilweise unternommenen Vorstößen sollte dabei – auf der Grundlage der in dieser Arbeit erfolgten Würdigung – an einer rechtsgeschäftlichen Grundierung vertraglicher Beziehungen festgehalten werden. Prägendes Leitmotiv soll (und muss) auch für die digitale Privatrechtsgesellschaft die Interaktion und Partizipation auf der Grundlage von Verträgen bleiben. Vertragliche Bindung wird nach wie vor durch privatrechtliche Regelgebung organisiert. Dieser Befund gilt für alle Dimensionen systemischer Bindung. Vertragliche Bindung sollte nicht auf gesetzlicher Grundlage „erzeugt“ werden. Entsprechenden Ansätzen etwa der „neuen Strömung“ zu Vertragsnetzwerken sollte in diesem Sinne auch und gerade im digitalen Zeitalter – trotz mannigfaltiger Vernetzungen – nicht gefolgt werden. Dennoch ist eine graduelle Ausweitung der rechtsgeschäftlich basierten Beziehungen erforderlich. Die 214 Zu Regulierungszielen und Regulierungsinstrumenten allgemein Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 492 ff. 215 Böhm, ORDO 17 (1966), 75. 216 Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 3 § 9 C. 217 Siehe auch oben sub Kapitel 3 §§ 7 und 8.
§ 18 Parameter für eine Regulierung im 21. Jahrhundert
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hierfür zu aktivierende Auslegung kann durch gesetzliche Regelungen allerdings konturiert und prädeterminiert werden – wie etwa durch eine allgemeine Regelung zu „Vermittlerklauseln“ bei Vermittlungsplattformen.218 Die digitale Privatrechtsgesellschaft ist zudem durch technische Fortentwicklungen mit neuartigen ergänzenden Fragen konfrontiert. Maßgeblich ist, dass privatrechtliches Kontrahieren heute sowie zukünftig immer mehr und umfassend auf technischen Anwendungen basiert. Diese vertragliche Kommunikation basiert auf und erfolgt durch Algorithmen. Die zunehmende Nutzung solcher technischen Instrumente hat neu(artig)e Formen der Organisation vertraglicher Beziehungen eröffnet. Interaktion und Partizipation haben sich verändert. Das Vertragsrecht im 21. Jahrhundert muss sich unter diesen Rahmenbedingungen (erneut und immer wieder) fragen (lassen), ob und inwieweit durch das Vertragsrecht hinreichend die normativen Erwartungen geschützt und dadurch vertragliche Beziehungen stabilisiert werden. Hiermit verbunden ist die grundlegende Herausforderung (und Aufgabe) des Vertragsrechts, die Mensch-Technik-Beziehung (weiterhin) zu prägen.219 Vertragliche Interaktionen werden systemischer. Dieser Entwicklung gegenüber muss das Vertragsrecht responsiv sein. Es ist dafür stets aufs Neue zu klären, wer Subjekt vertraglicher Interaktionen sein kann (oder soll). Es ist zu identifizieren, wie weitgehend eine vertragliche Bindung etabliert wird. Zudem ist zu fragen, mit wem eine (zusätzliche) vertragliche Bindung zustande kommt. II. Akteure Für die digitale Privatrechtsgesellschaft ist zu entscheiden, welche Akteure vertrag(srecht)lich partizipieren und damit welche Akteure das Vertragsrecht (künftig) prägen (sollten). Spätestens mit den technologischen Fortschritten der Robotik und der Kybernetik seit den 1940er Jahren ist eine Annäherung von Mensch und Technik erfolgt. Stellvertretend sei insofern nur auf die grundlegenden Arbeiten von Wiener verwiesen.220 Die Interaktion mit technischen Geräten ist in den vergangenen Jahrzehnten the new normal geworden.221 Digitale Butler mögen insoweit (nochmals) als derzeitiges Beispiel dienen.222 In vielfältiger Weise ist in allen Dimensionen systemischer Bindung mindestens für eine Vertragspartei deshalb vielfach keine natürliche Person (mehr) am unmittelbaren Prozess der Vertragsgestaltung beteiligt. Gleichwohl bzw. dennoch scheint in den meisten (wenn nicht sogar allen) Rechtsordnungen ein Verständnis dahingehend zu bestehen, dass die automatisierte elektronische Kom218
Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 C. III. 4. Hierzu grundlegend Gruber, Bioinformationsrecht, 2015. 220 Wiener, Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine, 1948. 221 Siehe auch Teubner, AcP 218 (2018), 155 (157). 222 Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 12 B. VI. 219
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munikation die Grundlage für einen Vertrag bzw. eine Willenserklärung sein – und damit zu einer vertraglichen Bindung führen kann. Dies wird manchmal in den entsprechenden Normen expressis verbis ausgedrückt223 – andere Rechtsordnungen stellen bei der Verwendung entsprechender Algorithmen auf den (Initial-)Willen desjenigen ab, der die Interaktion startet und bzw. oder kon trolliert.224 Der Prozess des Kontrahierens hat in jüngerer Zeit eine kategoriale Veränderung erfahren. Die Mechanismen der Entscheidungsfindung sind nicht mehr nur hierarchisch-strukturierte Algorithmen. Beim Vertragsschluss eingesetzte Algorithmen basieren in zunehmendem Maße auf Anwendungen Künstlicher Intelligenz.225 Der Einsatz Künstlicher Intelligenz führt dabei zu artifiziellem Kontrahieren, bei dem die die Erzeugung vertraglicher Bindung auf autonome Agenten ausgelagert wird.226 Relevante Anwendungsfelder sind potenziell alle (Groß-)Handelsmärkte227, beispielhaft sei auf den Hochfrequenzhandel verwiesen.228 Ebenso erreichen allerdings entsprechende Anwendungen (wie etwa Haushaltsroboter) die privaten Haushalte. Autonome Agenten suchen dabei Vertragspartner, „verhandeln“ und schließen Verträge ab. Dabei „verhandeln“ autonome Agenten auf verschiedenen Marktplätzen teilweise mit anderen autonomen Agenten und in verschiedenen Arten von Netzwerken – so etwa bei Blockchain-basierten Interaktionen oder bei Anwendungen des Internet der Dinge. Die vertragsrechtliche Einordnung von autonomen Agenten ist vielschichtig.229 (Nicht nur) für das Vertragsrecht im 21. Jahrhundert muss deswegen (stets aufs Neue) entschieden werden, ob und inwieweit die Handlungsformen 223 Siehe wiederum Sec. 2 para. 6 Uniform Electronic Transaction Act; hierzu oben sub Kapitel 6 § 17 C. II. 4. 224 Siehe zu den Grundsätzen der Computererklärung oben sub Kapitel 4 § 10 B. 225 Demgegenüber kann Künstliche Intelligenz auch dazu eingesetzt werden, bestehende Verträge zu analysieren und darauf aufbauend Bausteine für künftige Verträge herauszuarbeiten, siehe insoweit etwa Rich, How AI Is Changing Contracts, Harvard Business Review (12. Februar 2018). 226 Vgl. stellvertretend Grapentin, NJW 2019, 181. 227 Siehe die britische Financial Conduct Authority, Algorithmic Trading Compliance in Wholesale Markets (2018). 228 Siehe http://www.finra.org/industry/algorithmic-trading (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020) sowie stellvertretend Kobbach, BKR 2013, 233 und Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019 (siehe ebd. S. 122 ff. auch zu sogenannten Handels agenten Klasse 3, die sich durch [vollständige] Autonomie und Adaptivität auszeichnen). Vgl. auch nachfolgend sub Kapitel 6 § 18 B. I. 229 Siehe bereits oben sub Kapitel 4 § 12 B. sowie für das US-amerikanische Recht etwa Scholz, Law and Autonomous Systems Series: Toward a Consumer Contract Law for an Algorithmic Age (2018): „The algorithmic contracts that present the most significant problems for contract law are those that involve ‚black box‘ algorithmic agents. These algorithms have decision-making procedures that are not functionally human-intelligible before the program runs – and often cannot even be parsed after the program runs.“
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der Rechtsgeschäftslehre natürlichen Personen vorbehalten sind – sei es, dass diese Personen im eigenen Namen oder im fremden Namen agieren. Hierzu sind in dieser Untersuchung verschiedene Vorschläge unterbreitet worden.230 Dahinter steht die Frage, ob und inwieweit eine Öffnung des Vertragsrechts zugunsten nicht-menschlicher Akteure erfolgen soll. Zukünftig wird allerdings auch zu entscheiden sein, auf welche Weise mit etwaigen Hybriden, sprich der Verbindung von Mensch und Technik, umzugehen ist.231 Bis dahin ist konzeptionell zu unterscheiden zwischen den Mechanismen der Entscheidungsfindung (etwa durch autonome Agenten) und der Verkörperung eines solchen Mechanismus (etwa in einem Roboter). Die Anerkennung autonomer Agenten (oder Roboter) als Rechtssubjekt bzw. als (teil-)rechtsfähig 232 ist ein möglicher Weg die vertraglichen Beziehungen zu ordnen – sei es, dass der autonome Agent hierdurch als Stellvertreter agieren kann und bzw. oder als Haftungssubjekt fungiert. Aus vertragsrechtlicher Perspektive ist die Anerkennung eines entsprechenden Status nach hier vertretener Ansicht keineswegs zwingend, wenn und soweit auf andere Weise sichergestellt ist, dass die vertraglichen Beziehungen (und die damit verbundenen Erwartungen) de lege ferenda adäquat gerahmt werden – sei es durch die Einführung der Rechtsfigur des Vertragsschlussgehilfen, sei es durch andere Formen der Regulierung des Einsatzes entsprechender Agenten. Eine weit über das Vertragsrecht hinausgehende Frage bleibt allerdings, ob nicht in näherer oder fernerer Zukunft ein Rechtsstatus bzw. eine (Teil-)Rechtsfähigkeit von autonomen Anwendungen auch als Schutz instrument der Gesellschaft gegenüber solchen Anwendungen in Stellung gebracht werden muss.233 III. Wille Für die digitale Privatrechtsgesellschaft ist zu entscheiden, ob und zu welchem Grade der menschliche Wille maßgeblicher Anknüpfungspunkt für vertragliche Bindung bleiben soll. Die Untersuchung hat an verschiedenen Punkten deutlich gemacht, dass der (innere) Wille der Akteure zunehmend in den Hintergrund rückt. Vordringlicher Maßstab ist die objektivierte Wahrnehmung der Interaktion. Interaktionen sind geprägt durch die hierdurch erzeugten Erwartungen. Vertragsrechtlich relevante Interaktionen sind verknüpft mit schutzwürdigen Erwartungen. Entsprechende Interaktionen sind – systemtheoretisch gesprochen – im System Recht operabel und effektuieren deswegen normative Erwartungen. De lege lata ist der menschliche Wille allerdings nach wie vor
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Siehe oben sub Kapitel 6 § 17 C. II. Siehe grundlegend Gruber, Bioinformationsrecht, 2015. 232 Siehe oben sub Kapitel 6 § 17 C. III. 233 Hierzu schon Teubner, ZfRsoz 27 (2006), 5 (30). 231
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Ankerpunkt und Teil des Geltungsgrundes vertraglicher Bindung.234 In Ansehung der benannten „neuen“ Akteure wird sich diese Anknüpfung nicht mehr umfassend aufrecht erhalten lassen. In Rede steht vielmehr ein Übergang von einer strengen (oder gelockerten) Anknüpfung an den menschlichen Willen zu einer selbstständigen Anknüpfung.235 Eine selbstständige Anknüpfung löst sich vollständig von dem Willen einer natürlichen Person. Auf dieser Grundlage kann die Einbindung autonomer Agenten zu einer vertraglichen Bindung führen. Entschieden werden muss allerdings darüber, welches Äquivalent bei der Erklärungsabgabe für den menschlichen Willen gefordert wird. Im Licht der obigen Ausführungen wäre ein Äquivalent, eine intentionale Kommunikation des nicht-menschlichen Akteurs zu verlangen.236 Unbeschadet der Frage eines Rechtssubjektsstatus für autonome Anwendungen wären autonome Agenten nur noch – wenn überhaupt – durch eine natürliche Person initiiert. Die einzelne intentionale Kommunikation ist gelöst von jedwedem (konkreten) Willen der natürlichen Person. Der autonome Agent wäre von der ihn einsetzenden natürlichen Person entkoppelt. Eine Willensausübung erfolgt (nur noch) bei einer Erklärung an den autonomen Agenten.237 IV. Vertragliche Ökosysteme Die digitale Privatrechtsgesellschaft wird auch und gerade geprägt sein von vertraglichen Ökosystemen. Angesprochen sind damit technische Räume, einer (technisch definierten) Öffentlichkeit, zum Kontrahieren durch eine Vielzahl von technischen Anwendungen. Solche Ökosysteme bilden sich auch und gerade auf Plattformen oder durch Mechanismen dezentraler Kooperation. Besondere Bedeutung werden solche Räume erlangen, in dem nur noch elektronische oder autonome Agenten zum Abschluss (und zur Durchführung) von Verträgen interagieren und partizipieren. Für die Ausgestaltung und Rahmung solcher vertraglichen Ökosysteme ist zu beachten, dass der in diesen Räumen stattfindende Vertrags(rechts)verkehr geordnet verläuft. Zwischen den Agenten können erhebliche Interdependenzen bestehen. Dies ist etwa der Fall bei der Verwendung adaptiver, gar wechselseitig aufeinander reagierender Algorithmen bzw. bei dem Einsatz bestimmter (einheitlicher) Algorithmen auf bestimmten Marktseiten.
234
Siehe hierzu oben sub Kapitel 4 § 10 A. I. 2. b). Siehe zu diesen Anknüpfungsformen oben sub Kapitel 3 § 8 B. 236 Siehe hierzu oben sub Kapitel 6 § 17 C. II. 1. a). 237 Siehe hierzu auch Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (283). 235
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V. (System-)Verantwortungszuweisung Virulente Frage ist und bleibt es, für die identifizierten (und zukünftigen) Dimensionen systemischer Bindung Verantwortungen zuzuweisen.238 Dies umfasst auch und gerade die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit einzelnen Akteuren eine Systemverantwortung zukommt.239 Die vorliegende Untersuchung hat zu diesem Zwecke verschiedene Zugriffsmöglichkeiten hervorgehoben: Die stärkere Akzentuierung einer Haftung von Plattformbetreibern und Systemanbietern bei smarten Anwendungen (auch und gerade effektuiert durch eine allgemeine Regelung zu „Vermittlerklauseln“), ein auch gesellschaftsrechtlicher Zugriff auf Anwendungen dezentraler Kooperation sowie die Etablierung von Zurechnungsformen für autonome Agenten. Systemverantwortung übernehmen etwa Plattformbetreiber, falls und soweit eine eigenständige vertragliche Bindung in Bezug einen auf der Plattform geschlossenen Vertrag eingegangen wird.240 Im Zuge von Anwendungen dezentraler Kooperation können sämtliche Teilnehmer auf gesellschaftsvertraglicher Basis Systemverantwortung übernehmen. Je nach Ausgestaltung der Haftungsmaßstäbe und -institute müssen autonome Anwendungen selbst oder die sie einsetzenden Personen Verantwortung übernehmen, wobei „das Vernetzungsrisiko, das entsteht, wenn Computer nicht isoliert agieren, sondern in enger Verflechtung mit anderen Computern“241 zusätzlich zu betrachten ist. Auf letzteres wird sogleich zurückzukommen sein. Für die adäquate Ausbalancierung (auch) der Verantwortlichkeiten im Kontext vertraglicher Bindung sind die Besonderheiten der Dimensionen syste mischer Bindung zu bedenken, die in verschiedener Weise die vertraglichen Beziehungen prägen. Mit Schweitzer gilt etwa für Geschäftsmodelle der Plattformökonomie: „Digitale Plattformen (…) setzen Marktordnungs- bzw. Marktverhaltensregeln – und häufig darüber hinaus auch Regeln, die das Verhältnis zwischen Dritten ausgestalten sollen.“242 VI. Zwischenergebnis Im 21. Jahrhundert sind und bleiben Verträge das zentrale Instrument der digitalen Privatrechtsgesellschaft. Nahezu sämtliche Lebensbereiche sind oder werden kontraktualisiert. Der Einbindung technischer Anwendungen kommt dabei eine prägende Effektuierungs- und Steuerungsfunktion zu. Das Vertrags238 Siehe zur Zuweisung von Verantwortungen allgemein – insbesondere unter Verweis auf Luhmann – Linardatos, ZIP 2019, 504 (506) m. w. N. 239 Hierzu aus datenschutz- und IT-sicherheitsrechtlicher Perspektive Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (343 ff.). 240 Zur (stärkeren) Inanspruchnahme von Plattformen allgemein auch Spiecker gen. Döhmann, GRUR 2019, 341 (349 ff.). 241 Teubner, AcP 218 (2018), 155 (164). 242 Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.).
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recht des 21. Jahrhunderts muss die sich hieraus ergebenen vertraglichen Ökosysteme als ständige Herausforderung und Aufgabe begreifen. Denn für die Gesellschaft des voranschreitenden 21. Jahrhundert wird immer deutlicher, dass Mensch und Technik miteinander interagieren und partizipieren.
B. Vertragssicherheit Das Vertragsrecht wird (auch) im 21. Jahrhunderts unterschiedliche Ziele verfolgen. Erstens soll das Vertragsrecht (nach wie vor) die individuelle Autonomie sichern, indem die Grenzen zwischen vertraglicher und nicht-vertraglicher Bindung gezogen werden. Zweitens ist das Vertragsrecht ein Mechanismus, um Bindung zu effektuieren. Das Vertrauen zwischen den Vertragsparteien soll befördert werden. Drittens dient das Vertragsrecht überindividuellen Zielen, die sich widersprechen (können) oder besser: ausgeglichen werden müssen: Austausch von Gütern und Handel, Allokation von Waren, Abbau von (Informations-)Asymmetrien, Verbraucherschutz sowie etwa kartellrechtliche oder strafrechtliche Compliance und Produktsicherheit. I. Systemische Bindung, systemische Risiken und Vertragssicherheit Diese Ziele gilt es, auch in Ansehung der digitalen Privatrechtsgesellschaft und der Dimensionen systemischer Bindung zu verfolgen. Dies soll beispielhaft an dem Einsatz autonomer Agenten exemplifiziert werden: – Auf welche Weise wird sichergestellt, dass die von autonomen Agenten abgeschlossenen Verträge oder die Vereinbarungen, die autonome Agenten (in vertraglichen Ökosystemen) bilden, den anerkannten Zielen des Vertragsrechts dienen? – Kann bzw. wie kann sichergestellt werden, dass autonome Agenten zum Nutzen ihrer Benutzer handeln? – Wie kann sichergestellt werden, dass autonome Agenten einem anderen autonomen Agenten oder der dahinter stehenden Partei nicht „schaden“ bzw. dass ein autonome Agent absichtlich oder unabsichtlich für solche Zwecke eingesetzt wird?243 – Wie kann sichergestellt werden, dass der autonome Agent nicht die „falschen“ Dinge lernt? So etwa (vielleicht etwas übersitzt) illegal Waffen im Darknet kauft oder (vielleicht weniger offensichtlich) seine Marktmacht (oder besser: die Marktmacht des Nutzers) zum Nachteil von Wettbewerbern oder Verbrauchern missbraucht.
243 Siehe allgemein zu Lösungsstrategien beim Prinzipal-Agenten-Problem Schmolke, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 307 ff.
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– Sind technische safeguards notwendig, um das Vertrauen der Nutzer (und der Öffentlichkeit) in den Einsatz Künstlicher Intelligenz beim Vertragsschluss zu gewährleisten? – Hierauf aufbauend und zusammenfassend: Wie kann sichergestellt werden, dass autonome Agenten in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen „handeln“?244 Am prominentesten wird die Frage von Rechtsverletzungen „durch“ Algorithmen derzeit (wohl) aus kartellrechtlicher Perspektive diskutiert. Hierbei steht eine mögliche „Kartellbildung“ bzw. ein marktmissbräuchliches Verhalten durch autonome Agenten in Rede.245 Betreffend das Vertragsrecht bzw. das Kontrahieren mit und durch Künstlicher Intelligenz im Allgemeinen gab es bislang (noch) keinen „Sputnik“-Moment. Es ist noch kein Markt vollständig aufgrund „verrückt gewordener“ Agenten zusammengebrochen oder durch solche eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst worden. Gleichwohl stehen zwei Vorfälle exemplarisch für das Potenzial autonomer Agenten.246 So kam es im Mai 2010 zu einem sogenannten Flash Crash, unter anderem zu einem Absturz des Index Dow Jones um sechs Prozent innerhalb weniger Minuten, der im unmittelbaren Anschluss mit dem Einsatz von Agenten erklärt wurde.247 Wenngleich später ein solcher Geschehenszusammenhang erschüttert wurde – anscheinend war doch ein (menschlicher) Einzeltäter die treibende Kraft –, so verwendete der Täter zumindest sogenannte Spoofing-Algorithmen 248 und die Funktionswei244 Zu den Rechtsgebieten, die neben dem Vertragsrecht (im engeren Sinne) im Kontext des Kontrahieren betroffen sind, zählen etwa das Verbraucherschutzrecht, das Lauterkeitsrecht, das Daten(schutz)recht, das Kartellrecht sowie in gewissem Umfang das öffentliche Recht (etwa Verbotsgesetze im Steuerrecht) und das Strafrecht (unter anderem im Hinblick auf den Betrugstatbestand). Zu den Compliance-Anforderungen an Programmierer von Agenten siehe jüngst Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200; zum dort sogenannten „Legalitätsprinzip“ siehe ebd. 206 f. 245 Grundlegend Stucke/Ezrachi, Artificial Intelligence & Collusion: When Computers Inhibit Competition, University of Tennessee Legal Studies Research Paper No. 267 (2015); siehe auch dies., Virtual Competition, 2016; dies., Two Artificial Neural Networks Meet in an Online Hub and Change the Future (of Competition, Market Dynamics and Society), University of Tennessee Legal Studies Research Paper No. 323 (2017); Gal/Elkin-Koren, Harv. J. L. & Tech. 30 (2017), 309; Hennemann, ZWeR 2018, 161; ders., in: Wischmeyer/Rademacher (Hrsg.) Regulating Artificial Intelligence, 2020, S. 361 ff.; Künstner, GRUR 2019, 36; Mehra, 100 Minn. L. R. (2015–2016), 1323; Paal, GRUR 2019, 43; Pohlmann, in: Kokott/Pohlmann/ Polley (Hrsg.) Festschrift Schroeder, 2018, S. 633 ff.; Schwalbe, ebd. S. 739 ff.; Zimmer, ebd. S. 999 ff.; sowie OECD, Algorithms and Collusion – Competition Policy in the digital age (2017), http://www.oecd.org/daf/competition/Algorithms-and-colllusion-competition-poli cy-in-the-digital-age.pdf (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020). 246 Allgemein(er) in diesem Zusammenhang Gruber, Soziale Systeme 19 (2013/14), 327. 247 Siehe die Übersicht bei Siedenbiedel, Der Mann, der die Wall Street in die Knie zwang (24. April 2015). Siehe hierzu auch Gruber, Soziale Systeme 19 (2013/14), 327 (330 f.) sowie ausführlich Kollmann, Autonome und intelligente Wertpapierhandelssysteme, 2019, S. 144 ff. 248 Siehe etwa die Definition in Sec. 747 des US-amerikanischen Dodd-Frank Wall Street
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se(n) anderer Algorithmen wirkten verstärkend.249 In ähnlicher Weise wurde etwa im Februar 2018 berichtet, dass erhebliche Kursschwankungen ebenfalls an der New Yorker Börse auf den Einsatz von Agenten zurückzuführen seien.250 Die Effekte lassen sich auch außerhalb des High Frequency Trading veranschaulichen. Berühmt geworden sind etwa die Bietagenten, die auf Amazon. com um das Buch „The making of the fly“ konkurrierten und die Gebote für das Buch auf USD 23,7 Mio. hochtrieben.251 Es erscheint keineswegs unwahrscheinlich, dass entsprechende Szenarien wiederum eintreten (werden bzw. können). Die Beispiele unterstreichen: Sämtliche der vorbenannten Fragen sind im Ausgangspunkt technisch und nicht rechtlich. Antworten bzw. entsprechende safeguards sind im Idealfall technische Instrumente, die die Einhaltung rechtlicher Vorgaben sicherstellen.252 Solche Instrumente existieren freilich (noch) nicht bzw. eine Compliance-Garantie durch Technik ist – ebenso wenig wie etwa eine entsprechende Garantie durch anwaltliche Beratung – gar nicht möglich.253 Möglich ist stets nur eine Annäherung an rechtskonformes Verhalten. Rechtlich kann allerdings eine solche Technik-gestützte Annäherung auf verschiedene Weise befördert werden – sei es etwa durch technische Vorgaben, Zertifizierungen oder sonstige Formen der (Selbst-)Regulierung (hierzu sogleich). Sämtliche Dimensionen systemischer Bindung unterstreichen die Technisierung des Kontrahierens. Dabei wird zunehmend der Einsatz autonomer Agenten mit einer (gleichzeitigen) Interaktion mit einer Vielzahl von Akteuren, auch und gerade mittels Plattformen, verbunden. Die auf diese Weise technisch vollzogenen Vertragsschlüsse führen zu weitreichenden vertraglichen Ökosystemen, die bislang vor allem den Börsenhandel prägen.254 Die Plattformökonomie trägt diesen Mechanismus in potenziell alle Wirtschaftsbereichen – unter Beteiligung von (End-)Verbrauchern. Damit einhergeht – auch dies unterstreichen die vorbenannten Fragen – eine Abhängigkeit von der eingesetzten Technik. Diese Abhängigkeit könnte potenziell weiter zunehmen, vor allem wenn und soweit immer weitergehend die Statuierung vertraglicher Bindung auf auReform and Consumer Protection Act v. 21. Juli 2010, Pub.L. 111–203, 124 Stat. 1739: „bidding or offering with the intent to cancel the bid or offer before execution“. 249 Siedenbiedel, Der Mann, der die Wall Street in die Knie zwang (24. April 2015), der auch auf Zweifel an der Einzeltätertheorie („der ‚Franz Ferdinand‘ des Flash Crash“) hinweist. 250 Siehe Isidore, Machines are driving Wall Street’s wild ride, not humans (6. Februar 2018). 251 Solon, How A Book About Flies Came To Be Priced $24 Million On Amazon, Wired (27. April 2011). 252 Siehe zur Techniksteuerung durch Recht Zech, ZfPW 2019, 198 (206 mit Fn. 34). 253 Siehe hierzu bereits oben sub Kapitel 6 § 16 D. 254 Siehe oben Kapitel 2 § 4 C. sowie Kapitel 6 § 18 A. II.
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tonome Agenten ausgelagert wird. Die Dimensionen systemischer Bindung erzeugen insofern eben auch systemische Risiken – auf individueller und überindividueller, auf der mikro- und der makroökonomischen Ebene. Vor diesem Hintergrund könnte man die Aufgabe des Vertragsrechts des 21. Jahrhundert auch dahingehend verstehen, vertragliche Bindung, sprich Vertragsschlüsse, in einem unmittelbar technischen Sinne und in einem übertragenden Sinne sicherer zu machen. Dies gilt für alle Dimensionen der systemischen Bindung. Eine in dieser Weise verstandene Sicherheit erfordert das Zusammenspiel rechtlicher und technischer Instrumente. Die in dieser Untersuchung bislang vorgeschlagenen rechtlichen Zugriffe sind insofern nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem Vertragssicherheitsrecht im 21. Jahrhundert. Ein umfassendes Vertragssicherheitsrecht muss sich gerade dem Einsatz technischer Mittel zum Vertragsschluss zuwenden.255 Grundmann und Hacker führen insofern in Bezug auf den Einsatz von Agenten zutreffend aus: „The automated transaction between digital assistants themselves might become less relevant for contract law as the focus will be on their factual implementation and execution. Meanwhile, more explicitly regulatory approaches will then be needed, where necessary, to shape the design of and the interactions between the digital assistants themselves (…).“256
Die Regulierung des Einsatzes bestimmter technischer Instrumente erfordert – wie jede Form der Regulierung – grundlegende Richtungs- und Wertentscheidungen. II. Dimensionen der Vertragssicherheit: Richtungs- und Wertentscheidungen am Beispiel automomer Agenten Die mit der technischen Regulierung der Sicherheit von Verträgen verbundenen Richtungs- und Wertentscheidungen sollen nachfolgend am Beispiel des Einsatzes autonomer Agenten zum Vertragsschluss dargelegt werden.257 Denn in An255
In diesem Sinne etwa auch Specht/Herold, MMR 2018, 40 (42). Siehe im Ansatz auch Grundmann/Hacker, ERCL 2017, 255 (283). 257 Zur konkreten Technikregulierung im Kontext von Agenten siehe auch Specht/Herold, MMR 2018, 40 (42), wobei dort – anders als nachfolgend – die Regulierung der Mensch-Maschinen-Interaktion im Vordergrund steht: „So fragt Alexa bereits zum jetzigen Zeitpunkt auf freiwilliger Basis nach, ob die Bestellung ausgeführt werden soll, und es ist ebenfalls möglich, die Abfrage eines Sicherheitscodes einzurichten. Auch an einer Stimmerkennung wird z. T. bereits gearbeitet, allerdings wiederum nur auf freiwilliger Basis. Konkret vorgeschlagen sei hier aber, die Hersteller aller, vor allem zukünftiger, automatisiert agierender Systeme zu dieser technischen Ausgestaltung rechtlich zu verpflichten. Es geht insofern um Technikregulierung, die die Risiken zwischen Hersteller und Inhaber automatisiert agierender Systeme sowie den jeweiligen Vertragspartnern angemessen verteilt und die technische Grundlage schafft, um technisch neue Sachverhalte angemessener rechtlicher Beurteilung zuzuführen. Dem Inhaber stünden bei derartiger Regulierung der technischen Anforderungen im Falle fehlerhafter Konstruktion, Fabrikation oder Instruktion als Ausgleich Ansprüche gegen den Hersteller zu, die auf die Produzentenhaftung gestützt werden können.“ 256
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betracht der mit dem Kontrahieren einhergehenden individuellen und überindividuellen, oder auch systemischen, Risiken scheinen zwei grundlegend gegensätzliche Zugriffe denkbar. 1. Egoistische Agenten Autonome Agenten könnten durch einen allein wettbewerbsorientierten Ansatz gerahmt werden – autonome Agenten wären hiernach im übertragenden Sinne egoistisch.258 Im Einzelnen würde dieser Zugriff bedeuten, dass autonome Agenten als „normales Produkt“ betrachtet werden. Die Anbieter autonomer Agenten würden in Bezug auf die Gestaltung der zugrunde liegenden Algorithmen – und das Lernen der Algorithmen – umfassend miteinander konkurrieren.259 Algorithmen hätten nur Zugriff auf die eigenen und gesammelten Daten des Anbieters sowie auf offen verfügbare Daten. Autonome Agenten würden ausschließend anhand der Vorgaben des Anbieters „handeln“ bzw. lernen. Autonome Agenten agieren auf dieser Grundlage ausschließlich im definierten Interesse des Nutzers (bzw. (auch) des Anbieters).260 Dies beinhaltet beispielsweise auch die Möglichkeit, für potenziell rechtswidrige Handlungen genutzt zu werden. Es ist wahrscheinlich, dass ein solcher Ansatz zu einem intensiven Wettbewerb in Bezug auf autonome Agenten führen würde. Dieser Wettbewerb wäre durch die (anfängliche) Programmierung des Algorithmus auf der einen Seite und das (schrittweise) Lernen des Algorithmus vor und nach der Bereitstellung an den Nutzer geprägt.261 Ein solches „algorithmisches Rennen“ könnte bereits einigen der oben genannten Ziele des Vertragsrechts dienen. So haben etwa Gal und Elkin-Koren zu Recht darauf hingewiesen, dass der Einsatz von Algorithmen bzw. von autonomen Agenten ein Gegengewicht zugunsten der Endnutzer schaffen könnte: Verbraucher würden zu algorithmischen Verbrauchern (algorithmic consumers).262 Entsprechende Agenten müssten dazu allerdings „im Lager“ des Verbrauchers „agieren“.263 In diesem Sinne mag der Einsatz autonomer Agenten (noch) 258 Der nachfolgende Gegensatz zwischen egoistisch und altruistisch ist inspiriert von Benkler, The Unselfish Gene, Harvard Business Review (2011). 259 Ungeachtet dessen ist es freilich denkbar, dass einer der autonomen Agenten zu einem Marktstandard (für einen bestimmten Markt) aufwächst. 260 Mit guten Gründen kann argumentiert werden, dass autonome Agenten letzteres nicht sollten, vgl. Balkin/Zittrain, A Grand Bargain to Make Tech Companies Trustworthy, The Atlantic (3. Oktober 2016). 261 Falls bzw. wenn autonome Agenten als Rechtssubjekt eingestuft werden, kann man eine weitere Komplexitätsstufe hinzufügen, indem man zwischen dem Interesse des autonomen Agenten und seinem Handeln im Interesse eines anderen unterscheidet. 262 Siehe Gal/Elkin-Koren, Harv. J. L. & Tech. 30 (2017), 309 sowie bereits oben sub Kapitel 4 § 12 C. III. und IV. Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf Hennemann, AcP 219 (2019), 818 (852 f.). 263 Erlaubt sei nochmals der Hinweis auf Stucke und Ezrachi (Is Your Digital Assistant Devious?, University of Tennessee Legal Studies Research Paper # 304 [2016], S. 11 ff.), die die
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kein Allheilmittel sein.264 Denn (bislang) sind Agenten nicht digitale Butler des Verbrauchers265 , sondern – entgegen der üblichen Marketingversprechen – Butler des Anbieters. Im Übrigen setzt ein valides Gegengewicht voraus, dass die Verbraucher über eine gewisse (Käufer-)Marktmacht verfügen und dass Anbietern keine First-Mover-Vorteile aufgrund der (nur) ihnen zugänglichen Datensätze zugutekommen.266 Deswegen ist jüngst von der Monopolkommission ein Gegengewicht auf Verbraucherseite bezweifelt worden.267 Vorschnell sollte eine entsprechende Hoffnung allerdings nicht aufgegeben werden.268 Dabei bleibt allerdings zu bedenken, ob und inwieweit technisch wenig(er) erfahrene Nutzer einen Nachteil erleiden 269 und – auch und gerade aus ökonomischer Perspektive – eine digitale „Aufrüstung“ (auf beiden Seiten) zu wohlfahrtsökonomischen Verlusten führt bzw. führen kann 270 . Andererseits könnte die „Wiederherstellung“ der Machtbalance gleichsam zu einer materiellen Gleichberechtigung führen – und damit konzeptionell die digitale Privatrechtsgesellschaft befördern.271 2. Altruistische Agenten Denkbar ist ebenso – zunächst (nur) auf theoretischer Ebene –, dass autonome Agenten nicht nur in der zuvor genannte Weise egoistisch, sondern (auch) altruistisch „handeln“.272 Hiermit verbunden wäre eine Abkehr von e inem rein wettbewerbsorientierten Ansatz. Zur Umsetzung eines solchen Ansatzes erscheint Entstehung tatsächlich „unabhängiger“ digitaler Assistenzsysteme („virtous assistants“) bezweifeln. Vgl. wiederum auch Gal/Elkin-Koren, Harvard J. of Law & Tech. 30 (2017), 309, 324. 264 Siehe – vornehmlich aus kartellrechtlicher Perspektive – zu Imbalancen beim Einsatz digitaler Assistenzsysteme Stucke/Ezrachi, Is Your Digital Assistant Devious?, University of Tennessee Legal Studies Research Paper # 304 (2016). 265 Hierzu Gal, Michigan Technology Law Review 25 (2018), 59 (64 ff.). 266 Siehe hierzu Monopolkommission, Wettbewerb 2018 – XXII. Hauptgutachten, 2018, Tz. 196 sowie etwa Paal, GRUR 2019, 43 (46). 267 Monopolkommission, Wettbewerb 2018 – XXII. Hauptgutachten, 2018, Tz. 196. 268 Siehe hierzu etwa Tillmann/Vogt, VuR 2018, 447; dies., Personalisierte Preise – Diskriminierung 2.0?, 2018, S. 4 m. w. N. 269 Wagner/Eidenmüller, Down by Algorithms? – Siphoning Rents, Exploiting Biases and Shaping Preferences – The Dark Side of Personalized Transactions (19. April 2018), S. 8 und öfter; siehe zudem Tillmann/Vogt, Personalisierte Preise – Diskriminierung 2.0?, 2018, S. 3 sowie auch Europäische Kommission, Executive Summary, https://ec.europa.eu/info/sites/ info/files/aid_development_cooperation_fundamental_rights/aid_and_development_by_to pic/documents/exec_summary_online_personalisation_study_en.pdf (zuletzt abgerufen 4. Juli 2020), S. 4. 270 Wagner/Eidenmüller, Down by Algorithms? – Siphoning Rents, Exploiting Biases and Shaping Preferences – The Dark Side of Personalized Transactions (19. April 2018), S. 8 , 26 (aufgrund eines Gefangenendilemma-Szenario). 271 Zum Konzept der Böhm’schen Privatrechtsgesellschaft sowie zur Privatrechtsgesellschaft im Lichte der Digitalisierung siehe oben sub Kapitel 3 § 9 C. und Kapitel 6 § 18 A. 272 Siehe nochmals Benkler, The Unselfish Gene, Harvard Business Review (2011).
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zunächst erforderlich, dass sich autonome Akteure technisch bis zu einem gewissen Grad von den Interessen des Nutzers (bzw. des Anbieters) lösen und unter anderem Marktgrundsätze wie Fairness und Rechtmäßigkeit repräsentieren. Es steht damit die technische Implementierung von – verhaltensökonomisch gesprochen – Fairnessnormen in Rede.273 Autonome Agenten würden zu „Treuhändern“ des Marktes.274 Autonome Agenten würden zu einem gemeinsamen level-playing-field für die Marktteilnehmer beitragen. Hierfür erscheint im Ausgangspunkt förderlich, dass autonome Agenten auf einer (soweit erforderlich) gemeinsamen Datenbasis aufbauen (können). In diesem Sinne könnte es erforderlich sein, den Zugang zu bzw. den Austausch von entsprechenden Daten zu eröffnen bzw. ermöglichen – auch und gerade zum Aufbau eines validen (ökonomischen) Gegengewichts auf Verbraucherseite. 3. Systemsensible Agenten Konzeptionell wären altruistische Agenten dann nicht mehr nur ein Werkzeug, sondern hätten eine immanente Funktion zu einem rechtskonformen Agieren. Im übertragenen Sinne hätten autonome Agenten einen entsprechenden „Berufsethos“ bzw. „Marktethos“. Autonome Agenten würden nicht nur den individuellen, sondern auch überindividuellen, gesellschaftlichen Zielen dienen: ein rechtmäßiges (und gegebenenfalls faires) Agieren in vertraglichen Ökosystemen. Im Fokus stünden nicht mehr allein die vertragliche Beziehung, sondern auch die anderen Teilnehmer.275 Eine solche Rahmung für autonome Interaktionen könnte allerdings (mittelbar) auch die individuelle Freiheit sichern, da illegale (und unfaire) Verträge, die von autonomen Agenten abgeschlossen werden, weniger wahrscheinlich würden. Hierdurch könnte auch insgesamt das (individuelle) Vertrauen in ein Kontrahieren mit bzw. durch autonome(n) Akteure(n) befördert werden. Aus der überindividuellen Marktperspektive könnten die allgemeinen Marktstrukturen verbessert werden, da nicht rechtskonformes Verhalten zumindest aufwendiger wird. Demgegenüber würden für legale Transaktionen Transaktionskosten gesenkt und Informationsasymmetrien abgebaut. Autonome Agenten würden systemsensibel. Vergleichbar zu Balkins Konzept von information fiduciaries 276 273 Siehe zu Fairnessnormen Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 494 ff. 274 In Anlehnung an das durch Balkin geprägte Konzept von Informationstreuhändern (information fiduciaries), siehe Balkin, U. C. Davis L. Rev. 49 (2016), 1183; ders., Ohio State L. J. 78 (2017), 1217; ders./Zittrain, A Grand Bargain to Make Tech Companies Trustworthy, The Atlantic (3. Oktober 2016); hierzu näher sogleich. 275 Vgl. auch Balkin, Ohio State L. J. 78 (2017), 1217 (1231 f.). 276 Siehe nochmals Balkin, U. C. Davis L. Rev. 49 (2016), 1183; ders., Ohio State L. J. 78 (2017), 1217; ders./Zittrain, A Grand Bargain to Make Tech Companies Trustworthy, The Atlantic (3. Oktober 2016).
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wären autonome Agenten sensibel gegenüber verschiedenen Marktteilnehmern – und würden dadurch für Markt- und damit Gemeinwohlbelange in die Pflicht genommen.277 Systemsensible Agenten eröffnen damit die Chance einer Balance zwischen der Vertragsfreiheit einerseits und der Beachtung überindividueller Ziele andererseits – wobei die überindividuellen Ziele wiederum mittelbar dem Erhalt einer materiellen Freiheit und Autonomie dienen (können). Durch den Einsatz systemsensibler Agenten nehmen die beteiligten Akteure „ihre“ Verantwortung in entsprechenden vertraglichen Ökosystemen wahr. Denn eine solche Ordnung vertraglicher Ökosysteme verbindet die individuelle Entfaltung und eine überindividuelle, die Autonomie befördernde Marktordnung278 im Sinne der digitalen Privatrechtsgesellschaft.279
C. Instrumente Vor diesem Hintergrund ist die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit die technische Seite des Vertragssicherheitsrechts reguliert werden soll bzw. inwieweit durch Technik reguliert werden kann.280 Dies soll nachfolgend ebenfalls an autonomen Agenten exemplifiziert werden.281 Bislang besteht weder ein übergreifendes noch ein vertragsrechtliches Regelungsregime für autonome Agenten.282 277 Siehe die „Laws of the Algorithmic Society“ bei Balkin, Ohio State L. J. 78 (2017), 1217 (1227): „(1) With respect to clients, customers, and end-users, algorithm users are information fiduciaries. (2) With respect to those who are not clients, customers, and end-users, algorithm users have public duties. If they are governments, this follows from their nature as governments. If they are private actors, their businesses are affected with a public interest, as constitutional lawyers would have said during the 1930s. (3) The central public duty of algorithm users is to avoid externalizing the costs (harms) of their operations. The best analogy for the harms of algorithmic decision-making is not intentional discrimination, but socially unjustified pollution. Obligations of transparency, interpretability, due process and accountability flow from these three substantive requirements. Transparency– and its cousins, due process, accountability, and interpretability– apply in different ways with respect to all three principles. Accountability, transparency, interpretability, and due process may be fiduciary obligations. They may follow from public duties. And they may be a prophylactic measure to prevent unjustified externalization of harms, or to provide a remedy for harm.“ (Hervorh. i. Orig.). 278 Zur Marktordnung durch Plattformen siehe Schweitzer, ZEuP 2019, 1 (3 f.). 279 Siehe oben sub Kapitel 3 § 9 C. und Kapitel 6 § 18 A. 280 Allgemein zur Regulierung durch Technik Spindler, in: Micklitz/Reisch/Joost/Zander-Hayat (Hrsg.), Verbraucherrecht 2.0, 2017, S. 333 ff. m. w. N.; zur Rolle der Ko-Regulierung im Digitalzeitalter siehe ders./Thorun, MMR-Beilage 2016, 1. Zu Regulierungsinstrumenten insgesamt sowie zur Wahl eines Regulierungsinstruments siehe Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 492 ff., 565 ff. 281 Siehe für eine (allgemeinere) gesetzliche Ausgestaltung der Compliance betreffend Agenten Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (202 ff.). 282 Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (201 ff.) unter Verweis auf einzelne sektorspezifische Regelungen; siehe zu § 80 WpHG nachfolgend sub Kapitel 6 § 18 C. I. 1.
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I. Regulierungsinstrumente Die erste Option ist (wie stets), von jedweder Regulierung abzusehen – und auf Marktkräfte zu vertrauen.283 Eine solches Vorgehen könnte allerdings dazu führen, dass autonome Agenten immer weiter zunehmend Austausch und Handel auf verschiedensten Märkten betreiben und – vor allem – prägen. Ein solches Kontrahieren basierte auf ständig angepassten Entscheidungsprozessen, die unter Umständen nicht nachvollziehbar oder rekonstruierbar sind. Feststellbar ist jeweils nur (im Nachhinein) das Ergebnis: der konkret geschlossene Vertrag. Unter der Annahme, dass hiermit systemische Risiken verbunden sind 284 , ist demgegenüber der Rahmen für eine potenzielle Regulierung abzustecken. 1. Traditionelle Formen der Regulierung Keine zielführende Lösung wäre es zunächst, pauschal die Verwendung solcher Algorithmen zu verbieten, die zu einem illegalen (oder unfairen) „Verhalten“ führen (können). Denn ein solcher Ansatz ist naiv – auch und gerade, wenn man den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und die damit verbundenen Innova tionspotenziale nicht (vollkommen) behindern will. Künstliche Intelligenz ist dadurch definiert, dass kein spezifisches „Verhalten“ des Algorithmus umfassend prädeterminiert werden kann (und soll).285 Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass Gesetzgeber bzw. Regulierungsbehörden zumindest Regelungen einführen werden, die die Nutzung Künstlicher Intelligenz nach best practises fördert, unter Umständen im Sinne der G7-Prinzipien (oder ähnlicher Ansätze).286 Auf dieser Grundlage könnte unter anderem kodifiziert werden, dass Unternehmen (oder auch Verbraucher) zum Zwecke der Vertragsgestaltung keine Algorithmen verwenden dürfen, die absichtlich so programmiert sind, dass Verträge illegalen (oder unfairen) Bedingungen abgeschlossen werden.287 Ebenso könnten Regelungen vorgesehen werden, wonach stets der Verwender eines Agenten offenzulegen ist288 und zudem der
283 Siehe zu den unterschiedlichen Regulierungsansätzen Marktsteuerung, Selbstregulierung, Ko-Regulierung und staatliche Regulierung Spindler/Thorun, MMR-Beilage 2016, 1 (7 ff.). 284 Siehe hierzu oben sub Kapitel 6 § 18 B. I. 285 Siehe auch zu den hier getroffenen Grundannahmen sub Kapitel 6 § 18 A. 286 Siehe hierzu oben sub Kapitel 2 § 4 C. Siehe auch Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (203 ff.), die neben dem nachfolgend diskutierten auch die Einführung eines „Ethikprinzip“ und ein „Kontrollprinzip“ fordern. 287 Vgl. auch Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (206 f.). 288 Siehe Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (202 f.): „Identitätsprinzip“; mit Verweis ebd. auf bestehende Informationspflichten nach Art. 13 f. DS-GVO sowie § 72 Abs. 1 Nr. 10 WpHG: „1Der Betreiber eines multilateralen oder organisierten Handelssystems ist dazu verpflichtet, (…) 10. Regelungen festzulegen für die Kennzeichnung aller Aufträge, die durch den algorithmischen Handel im Sinne des § 80 Absatz 2 Satz 1 erzeugt werden, durch die Handel-
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Agent nicht „wissentlich“ falsche oder fehlerhafte Informationen übermitteln darf289. Kodifiziert werden könnten auch allgemeine Vorgaben zum Einsatz von Algorithmen. Anhaltspunkt könnte insofern § 80 Abs. 2 WpHG sein, der Vorga80 ben zum algorithmischen (Hochfrequenz-)Handel macht.290 So sieht § Abs. 2 Satz 3 bis 4 WpHG vor: „3Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das algorithmischen Handel betreibt, muss über Systeme und Risikokontrollen verfügen, die sicherstellen, dass 1. seine Handelssysteme belastbar sind, über ausreichende Kapazitäten verfügen und angemessenen Handelsschwellen und Handelsobergrenzen unterliegen; 2. die Übermittlung von fehlerhaften Aufträgen oder eine Funktionsweise des Systems vermieden wird, durch die Störungen auf dem Markt verursacht oder ein Beitrag zu diesen geleistet werden könnten; 3. seine Handelssysteme nicht für einen Zweck verwendet werden können, der gegen die europäischen und nationalen Vorschriften gegen Marktmissbrauch oder die Vorschriften des Handelsplatzes verstößt, mit dem es verbunden ist. 4Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das algorithmischen Handel betreibt, muss ferner über wirksame Notfallvorkehrungen verfügen, um mit unvorgesehenen Störungen in seinen Handelssystemen umzugehen, und sicherstellen, dass seine Systeme vollständig geprüft sind und ordnungsgemäß überwacht werden. (…)“
Unter Berücksichtigung der dem Selbstlernprozess von Algorithmen innewohnenden Unsicherheit, der potenziellen Anzahl der jeweils abgeschlossenen Verträge und der Bindung an jeweilige Verträge erscheint eine reine ex post-Kon trolle ein nur partiell taugliches Regulierungsinstrument. In diesem Sinne müssen ex ante-Instrumente in den Blick genommen werden. Erwogen wird in diesem Zusammenhang etwa, dass staatlicherseits Algorithmen genehmigt oder zertifiziert werden.291 Aus verschiedenen Gründen ist allerdings ein solcher Ansatz mit einem Fragezeichen zu versehen. Zunächst erfordert eine staatliche Genehmigung bzw. eine Zertifikatserteilung neben dem Gesetzgebungsverfahren stets ein Verwaltungsverfahren. Unter Umständen wären somit bereits bei steilnehmer und für die Offenlegung der hierfür jeweils verwendeten Handelsalgorithmen sowie der Personen, die diese Aufträge initiiert haben“. 289 Siehe Schuhmacher/Fatalin, CR 2019, 200 (207 f.): „Kommunikationswahrheitsprinzip“; mit Verweis ebd. auf Art. 5 Abs. 1 lit. f. i. V. m. 32 Abs. 1 lit. b DS-GVO und § 80 Abs. 2 Satz 2 WpHG. 290 § 8 0 Abs. 2 Satz 1 WpHG legaldefiniert algorithmischen Handel als das Betreiben von „Handel [in der Weise] mit Finanzinstrumenten (…), dass ein Computeralgorithmus die einzelnen Auftragsparameter automatisch bestimmt, ohne dass es sich um ein System handelt, das nur zur Weiterleitung von Aufträgen zu einem oder mehreren Handelsplätzen, zur Bearbeitung von Aufträgen ohne die Bestimmung von Auftragsparametern, zur Bestätigung von Aufträgen oder zur Nachhandelsbearbeitung ausgeführter Aufträge verwendet wird“. 291 Siehe zum Beispiel aus US-amerikanischer Perspektive im Kontext der Produktsicherheit Scherer, Harv. J. L. & Tech. 29 (2016), 353 (befürwortet wird eine Behörde, die Künstliche Intelligenz-Algorithmen zertifiziert und eine damit verbundene Haftungsbeschränkung [ebd. 393 ff.]) sowie ferner Tutt, Administrative Law Review 69 (2017), 83. Vgl. im Übrigen auch Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (193).
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Abschluss des Genehmigungsverfahrens die zugrunde gelegten Maßstäbe veraltet. Ein entsprechender Ansatz dürfte somit sehr wahrscheinlich unflexibel und ineffizient sein. Darüber hinaus ist praktisch zu bedenken, dass der Staat etwaige Genehmigungsstandards oder Zertifikate (wohl) nicht mit eigenem Personal entwickeln könnte, weswegen die Vergabe an ein Unternehmen und der damit „eingekaufte“ Standard unter Umständen dem Wettbewerb und der Innovation abträglich sein könnten. Denn es drohen zum einen Lock in-Effekte zum Vorteil des Unternehmens und zum anderen werden Innovationspoten ziale anderer Akteure nicht genutzt. 2. Ko-Regulierung und Selbstregulierung Vor diesem Hintergrund sind alternative Ansätze zu erwägen. So könnten staatlicherseits Formen der (Ko-)Regulierung bzw. der regulierten Selbstregulierung292 gefördert werden – auch und gerade im Sinne der digitalen Privatrechtsgesellschaft.293 a) Standardisierung So ist zunächst die Entwicklung von Industriestandards zum Vertragsrecht zu erwägen. Entsprechende Standards könnten durch Verbände oder andere Formen kollektiver Interessenwahrnehmung(en) entwickelt werden. Als Referenzbeispiel mag insofern die Entwicklung von Standardisierungsnormen gelten (wie etwa die DIN-Normen).294 Entsprechende Normen bündeln das Knowhow zu bestimmten technischen Spezifikationen. Gleichzeitig wird damit auch ein Prozess der Vereinheitlichung angestoßen. Zu bedenken ist allerdings, dass auch Standardisierungsprozesse entsprechenden Vorlauf und damit verbundene Abstimmungsprozesse benötigen. Es besteht somit zumindest die Gefahr, dass Standardisierungsvorhaben mit dem jeweiligen Stand der Technik nicht mithalten können. Die Einbindung einer Standardisierungsinstitution könnte sich somit – je nach Einzelfall – (ebenso) als unflexibel und ineffizient erweisen. Dieser Befund gilt unbeschadet der kei292 Siehe Spindler/Thorun, MMR-Beilage 2016, 1 (7): „Ko-Regulierung bezeichnet eien kooperative Regulierungsform, bei der private Akteure innerhalb eines gesetzlichen Rahmens bzw. auf rechtlicher Grundlage selbst-regulierend tätig werden. Oftmals sind die durch Selbstregulierung formulierten Standards verzahnt mit der staatlichen Regulierung und ihrer Durchsetzung, etwa durch staatliche Anerkennungsakte.“ In Rede steht damit im Grundsatz eine indirekte Form der Regulierung, siehe Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 490 f. 293 Für eine Stärkung der Ko-Regulierung siehe auch Spindler/Thorun, MMR-Beilage 2016, 1 (2 f. und 14 f.). Zur „Selbstregulierung aufgrund Selbstbestimmung“ siehe auch Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2007, S. 1 (8) sowie bereits oben sub Kapitel 3 § 9 C. 294 Siehe hierzu im Kontext von Robotern Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (183 f.).
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neswegs trivialen Frage, welche Institution mit der Aufgabe betraut bzw. für diese Aufgabe gegründet wird. b) Kollaborative Instrumente In Betracht zu ziehen sind deswegen auch die Förderung sonstiger kollaborativer Elemente. Angesprochen sind damit konkret kooperative Instrumente wie etwa Peer-to-Peer-Netzwerke und Open Source-Modelle. Die Vorteile der Zusammenarbeit, Kollaboration und Kooperation im digitalen Zeitalter werden seit längerem hervorgehoben.295 Peer-to-Peer-Netzwerke und Open-SourceAnsätze bieten die Möglichkeit einer nicht-hierarchieorientierten, fair(er)en und fruchtbare(re)n Organisation menschlicher (und technischer) Interaktion. Peer-to-Peer-Netzwerke bieten die Teilnahme für eine definierte Gruppe zu (normaler und idealer Weise) gleichen Bedingungen. Die Netzwerkstruktur ermöglicht den Austausch von Daten und Informationen ohne einen (traditionellen) Vermittler. Die in dieser Arbeit diskutierte Blockchain ist der prominenteste Anwendungsfall in jüngerer Zeit.296 Formen der Kollaboration mithilfe von Open Source erscheinen besonders wertvoll für (Forschungs- und) Entwicklungsprozesse zu sein. Jeder Teilnehmer kann den entsprechenden (Software oder Produkt-)Code verwenden, Schwachstellen der Programmierung identifizieren, den Code für eigene Zwecke anpassen und bzw. oder den Teilnehmern Vorschläge für Änderungen unterbreiten. Auf diese Weise kann der jeweilige Code ständig weiterentwickelt und verbessert werden. Hierdurch können Innovation, Transparenz sowie die Berücksichtigung von (allgemeinen und Partikular-)Interessen strukturell befördert werden. Deshalb und vor diesem Hintergrund erscheint es erwägenswert, dass Gesetzgeber bzw. Regulierungsbehörden den Einsatz von autonomen Agenten im Sinne einer regulierten Selbstregulierung rahmen – und dabei Formen der Zusammenarbeit, Kollaboration und Kooperation fördern. II. Insbesondere: Zertifikate und Modifikationen für autonome Agenten Im Folgenden soll in Grundzügen dargelegt werden, wie eine solche Ko-Regulierung gesetzgeberseits ausgestaltet werden könnte.297
295 Siehe, unter anderem, Benkler, The Wealth of Networks, 2006; ders., The Penguin and the Leviathan: How Cooperation Triumphs over Self-Interest, 2011. 296 Aus rechtlicher Perspektive siehe nur De Filippi/Wright, Blockchain and the Law, 2018 sowie oben sub Kapitel 2 § 5 B. und Kapitel 4 § 11 B. 297 Insbesondere der deliktsrechtliche Vorschlag von Scherer (29 Harv. J. L. & Tech. [2016], 353) zeigt ebenso bereits potenzielle Regulierungsfelder bzw. -elemente auf (ebd. 393 ff.). Ausführlich zu den Parametern einer Ko-Regulierung Spindler/Thorun, MMR-Beilage 2016, 1 (15 ff.).
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1. Entwicklung von Zertifikaten Ausgangspunkt für eine Ko-Regulierung könnte sein, dass der Gesetzgeber Parameter für eine Zertifizierung von autonomen Agenten etabliert, sprich Legal Tech-Instrumente298 , die auf ein rechtskonformes „Handeln“ von Algorithmen abzielen.299 Die Programmierung eines solchen algorithmischen Konformitätsprüfungsschema könnte auch (müsste aber nicht) auf einem Open Source-Prozess basieren. Auf der Grundlage der durch den Gesetzgeber (oder einer Regulierungsbehörde) festgelegten Ziele300 würden Kriterien und Schwellenwerte für Zertifikate etabliert. In Anlehnung an die DS-GVO kann von einer contract security by design gesprochen werden. Solche Zertifikate werden – höchstwahrscheinlich – allerdings nicht in der Lage sein, rechtskonforme Handlungen zu garantieren. Vielmehr ist es das Ziel, dass Algorithmen im Zuge der Zertifizierung mithilfe eines Testschemas getestet und dann zertifiziert werden, falls unter normalen Umständen ein rechtskonformes Verhalten (höchst) wahrscheinlich ist. Dies bedeutet keineswegs, dass nur ein einziges Zertifikat zu entwickeln ist. Stattdessen kann es auch zu einem Wettbewerb verschiedener Zertifikate kommen – auch und gerade im Hinblick darauf, auf welcher Grundlage und mit welchem finanziellen Anreizstrukturen Anwendern der Zertifizierungsprozess zugänglich gemacht wird. Ebenso erscheint es naheliegend, dass für verschiedene Anwendungsbereiche, verschiedene Wirtschaftsbereiche und bzw. oder in Bezug auf die jeweils anwendbaren gesetzlichen Vorschriften gesonderte Zertifikate entwickelt bzw. vergeben werden. Kernstück des Zertifikats ist ein Testmechanismus autonomer Agenten. Dafür sind sogenannte black box-Tests ein Standardansatz.301 In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass Anwendungen Künstlicher Intelligenz in Bezug auf alle Schichten, einschließlich der Hardware-Schicht, programmiert werden müssen. Denn der Test des Algorithmus selbst soll für diesen „unerkannt“ bleiben, um zu gewährleisten, dass sich der Algorithmus nicht an die 298
Siehe hierzu oben sub Kapitel § 4 B. Siehe auch bereits frühzeitig Sorge, Softwareagenten, 2006, S. 43 ff. 300 Spindler/Thorun, MMR-Beilage 2016, 1 (2) verweisen zu Recht darauf, „dass die Ko-Regulierung nur dann sinnvoll eingesetzt werden kann, wenn Mindestanforderungen hinsichtlich der Standardsetzung und -durchsetzung eingehalten werden.“ (Hervorh. i. Orig.). 301 Siehe allgemein White House OSTP, Preparing for the Future of Artificial Intelligence (2016), p. 32: „There are several technical approaches to enhancing the accountability and robustness of complex algorithmic decisions. A system can be tested ‚in the wild‘ by presenting it with situations and observing its behavior. A system can be subjected to black-box testing, in which it is presented with synthetic inputs and its behavior is observed, enabling behavior to be tested in scenarios that might not occur naturally. Some or all of the technical details of a system’s design can be published, enabling analysts to replicate it and analyze aspects of its internal behavior that might be difficult to characterize with testing alone. In some cases it is possible to publish information that helps the public evaluate a system’s risk of bias, while withholding other information about the system as proprietary or private.“ 299
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Testumgebung anpasst.302 Eine entsprechende Programmierung kann daher auch ein wirksamer Mechanismus sein, um die Sicherheit der Zertifikate zu befördern und einen Missbrauch von Zertifikaten (so weit wie möglich) zu verhindern. 2. Optionen zur Modifikation der vertraglichen Bindung Einen Anreiz zur Verwendung entsprechender Zertifikate durch Unternehmen und Verbraucher könnte die Ausgestaltung der Maßstäbe für die vertragliche Bindung bzw. für die Haftung beim Einsatz autonomer Agenten bedingen. Aus gesetzgeberischer Perspektive bestehen allgemein für die Haftung für bzw. die vertragliche Bindung durch autonome Anwendungen unterschiedliche Ausgestaltungsoptionen 303: So könnte zunächst der Programmierer des autonomen Agenten das (gesamte) Risiko tragen (etwa vergleichbar der Produkthaftung). In gleicher Weise könnte man (allein) dem Verwender des Algorithmus (und damit – je nach Ausgestaltungsoption – dem vertraglich Verpflichteten) das Haftungsrisiko (endgültig) zuweisen. Eine Zuweisung des gesamten Risikos an den Programmierer könnte allerdings Innovationen behindern; denn selbstlernende Prozesse führen gerade dazu, dass die Vorhersehbarkeit beschränkt ist und Künstliche Intelligenz in diesem Sinne per definitionem riskant ist. Zudem könnte eine strenge Haftungszuweisung auch als Markteintrittsschranke fungieren (insbesondere für solche [kleineren] Unternehmen, deren Algorithmen mangels ausreichender Datenbasis noch nicht ausreichend „gelernt“ haben). Ebenso erscheint eine Risikozuweisung allein an den Verwender nicht vorzugswürdig. Denn ein solcher Ansatz würde aller Voraussicht nach zu einem erheblichen Rückgang der Nutzung von autonomen Agenten führen, da die Benutzer (normalerweise) nicht die Möglichkeit haben, den Algorithmus zu ändern oder anzupassen (und gleichwohl ohne Regressmöglichkeit haften müssten). Demgegenüber steht dem Gesetzgeber die Option zu, den autonomen Agenten selbst haften zu lassen. Angesprochen sind hiermit zum einen die bereits skizzierten Überlegungen zu einer Rechtssubjektsqualität autonomer Anwendungen.304 Zum anderen sind weitere Mechanismen zu erwägen (etwa eine versicherungsbasierte Lösung), wobei die Einführung entsprechender Modelle mit einem gewissen Verwaltungsaufwand (und eine keineswegs triviale Quantifizierung des mit autonomen Agenten verbundenen Risikos) verbunden wäre. Eine weitere Möglichkeit ist die Kombination der vorbenannten Zertifikate mit einer Modifikation des Umfangs der vertraglichen Bindung bzw. der Haf302 Siehe Arnold/Scheutz, The „big red button“ is too late: an alternative model for the ethical evaluation of AI systems (2018); die Autoren weisen auf ein weites Spektrum von Normen hin, die implementiert werden können (bzw. müssen): ethische Prinzipien, Gesetze und soziale Normen. 303 Siehe auch schon oben sub Kapitel 6 § 17 C. III. 1. 304 Siehe hierzu oben sub Kapitel 6 § 17 C. III. 2.
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tung. So könnte erwogen werden, die Verwendung zertifizierter autonomer Agenten als Option zur „Vermeidung“ einer vertraglichen Bindung zu eröffnen.305 Unternehmen oder auch Verbraucher, die ein entsprechendes Zertifikat verwenden, würden entlastet, wenn sich eingesetzte autonome Agenten nicht initiierungskonform (entsprechend des definierten vertraglichen Bindungskreises) bzw. rechtskonform „verhalten“. Soll in diesem Fall (dennoch) ein Haftungssubjekt zur Verfügung stehen, so käme insoweit etwa eine an den Einsatz geknüpfte Versicherung(spflicht) oder der Agent selbst (einen Rechtssubjektsstatus vorausgesetzt) in Betracht. 3. Optionen zur Modifikation der Haftung im Übrigen Näher im Übrigen zu bestimmen wäre, in welchen Fällen eine Haftung für sonstige Rechtsverletzungen ausgeschlossen wird.306 Ausscheiden dürfte eine Entlastung von vornherein, wenn und soweit ein nicht rechtskonformes „Verhalten“ des autonomen Agenten bezweckt war, sprich der (Ausgangs-)Algorithmus zugunsten rechtswidrigen „Verhaltens“ programmiert wurde. In allen übrigen Fällen gleicht der autonome Agent aufgrund des latenten Risikos eines nicht rechtskonformen „Verhaltens“ einer Gefahrenquelle. Insoweit ist vornehmlich zu bestimmen, ob der Verwender des autonomen Agenten diesen (laufend) zu überwachen und gegebenenfalls den Einsatz zu unterbrechen bzw. zu modifizieren hat. In diesem Sinne ist erwägenswert, ob rechtliche Grundsätze für vergleichbare Konstellationen fruchtbar gemacht werden können, um taugliche Haftungsmaßstäbe zu entwickeln. Lösungen verschiedener Zivilrechtsgebiete könnten in diesem Sinne als potenzielle Vorbilder für eine adäquate haftungsrechtliche Rahmung dienen. Wertungsmäßig ist ein Blick auf die (Mit-)Haftung für ein rechtsverletzendes Verhalten Dritter naheliegend – insbesondere die Haftung für mittelbare Verletzungen im Deliktsrecht sowie die Intermediärshaftung im Lauterkeits- und im Immaterialgüterrecht.307 Überträgt man die deliktsrechtlichen Grundsätze zu mittelbaren Verletzungen, so würde eine Haftung neben der Realisierung
305 Denkbar ist freilich auch eine Verpflichtung zur Verwendung zertifizierter Algorithmen. Dies erscheint allerdings mit Blick auf das Innovationspotenzial von Algorithmen (derzeit) sehr (bzw. zu) weitgehend. 306 Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf den, erfolgen in Anlehnung an die und in Fortführung der kartellrechtlichen Ausführungen bei Hennemann, ZWeR 2018, 161 (176 ff. und 180 ff.). 307 Siehe instruktiv in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung mit informationstechnischen Haftungserweiterungen bei Gruber, in: Beck (Hrsg.), Jenseits von Mensch und Maschine, 2012, S. 133 (140 ff.). Siehe im Übrigen aus (vornehmlich) deliktsrechtlicher Perspektive zu Verkehrssicherungspflichten bei einem Einsatz Künstlicher Intelligenz (und Robotik) Zech, ZfPW 2019, 198 (206 f. und 210 ff.); zur Produkthaftung für autonome Systeme allgemein siehe Wagner, AcP 217 (2017), 707.
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der „Gefahr“, sprich einem ungewollten Verhalten, eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten voraussetzen: „[D]erjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, [ist] grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (…). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.“308
In gleicher Weise führt der BGH für das Lauterkeitsrecht aus: „Wer durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr die ernsthafte Gefahr begründet, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, ist auf Grund einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht dazu verpflichtet, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen. Wer in dieser Weise gegen eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verstößt, ist Täter einer unlauteren Wettbewerbshandlung.“309
In ähnlicher Weise operiert die Rechtsfigur der Störerhaftung betreffend die Inanspruchnahme von Intermediären im Immaterialgüterrecht.310 Haften soll als Störer derjenige, der – ohne Täter zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt sowie rechtlich und technisch mögliche, insbesondere zumutbare Prüf- oder Überwachungspflichten verletzt hat.311 Ziel der vorgenannten Haftungsmodifikationen ist stets ein Ausgleich zwischen der mangelnden Möglichkeit des Intermediärs zur Kontrolle jeglicher Handlungen Dritter auf bzw. mittels der Plattform und den legitimen Interessen der Rechteinhaber, deren Rechte verletzt wurden. (Ökonomischer) Ausgleich erfolgt durch die Auferlegung der Prüf- und Überwachungspflichten betreffend die Handlungen Dritter. Für das Auslösen konkreter Pflichten ist (zumeist) das Inkenntnissetzen des Intermediärs über eine begangene Rechtsverletzung auf bzw. mittels der Plattform maßgeblich. 308 BGH, NJW 2010, 1967 (st. Rspr.); ausführlich zu diesem Themenkomplex Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 380 ff. 309 BGH, GRUR 2007, 890 (2. Ls.) – Jugendgefährdende Medien bei eBay. Noch weitergehend BGH, GRUR 2009, 587 – Halzband. Hierzu siehe nur Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 3 Rz. 62 ff.; ausführlich zur Haftung von Intermediären Ohly, GRUR 2017, 441. 310 Zur Störerhaftung und zur Inanspruchnahme von Intermediären statt vieler Leistner, GRUR-Beilage zu Heft 1/2010, passim; Ohly, ZUM 2015, 308. Siehe im Übrigen weiterführend Ohly, in: Auer/Grigoleit/Hager/Herresthal/Hey/Koller/Langenbucher/Neuner/Petersen/Riehm/Singer (Hrsg.), Festschrift Canaris II, 2017, S. 987 ff. 311 Siehe nur BGH, MMR 2004, 668 (671 f.) – Internetversteigerung; GRUR 2011, 152 (155 f.) – Kinderhochstühle im Internet (st. Rspr. des I. Zivilsenats); ohne wesentliche inhaltliche Divergenzen verwendet der VI. Zivilsenat die Terminologie mittelbarer Störer, vgl. v. Pentz, AfP 2014, 8 (15 ff.); dies., AfP 2015, 11 (19).
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Erwägenswert ist es deswegen, diese Maßstäbe auch auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz beim Kontrahieren zu übertragen 312 (ggf. wenn und soweit vorbenannte Zertifikate genutzt werden). De lege ferenda führe dies zu Vertragssicherungspflichten oder Vertragssicherheitspflichten betreffend die eingesetzten Anwendungen Künstlicher Intelligenz. Autonome Agenten entsprächen dabei funktional dem Rechtsverletzer. Verwender begründen im Sinne von Vertragssicherungspflichten die ernsthafte Gefahr von Verstößen (oder haben im Sinne der Störerhaftung in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Handlung oder Unterlassung mitgewirkt). Rechtlich und tatsächlich mögliche sowie zumutbare Prüf- oder Überwachungspflichten würden allerdings erst eintreten, wenn und soweit der Verwender Rechtsverstöße auf der Grundlage des eingesetzten adaptiven Algorithmus kannte bzw. kennen musste. Der Verwender hätte konsequenter Weise dann auch vergleichbare Verstöße – soweit technisch möglich – zu verhindern, um einer Haftung zu begegnen.313 4. Instrumentendesign Für jedwede Regulierung ist darüber hinaus zu erörtern, welches Design für neu(artig)e Regulierungsinstrumente vorzugswürdig ist. Hierfür sind insbesondere auch die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik mit zu betrachten.314 Dies soll nachfolgend in Bezug auf den Einsatz von Zertifikaten beispielhaft illustriert werden. Dabei soll unterstellt werden, dass der Einsatz eines Zertifikats regulatorisch als optionales Instrument ausgestaltet und mit einer Modifikation der vertraglichen Bindung bzw. einer Haftungsmodifikation verknüpft wird. Bei jedem optionalen Instrument hat der Regelgeber zu entscheiden, an welche Voraussetzungen die Wahl des bzw. die Entscheidung für das Instrument gebunden wird. So ist es zu bestimmen, ob das Instrument als Opt-in- oder als Opt-out-Modell ausgestaltet wird, sprich, ob sich der Verwender positiv für 312 Vgl. auch zu gesellschaftsrechtlichen Organisationspflichten beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz Linardatos, ZIP 2019, 504 (507 f.). 313 Siehe BGH, GRUR 2007, 890, 3. und 4. LS – Jugendgefährdende Medien bei eBay und BGH, MMR 2016, 180 – Goldesel betreffend die Störerhaftung eines Access-Providers. Eine solche Überwachungspflicht kommt derjenigen nahe, die (faktisch) aus der Eturas-Entscheidung des EuGH (NZKart 2016, 133); in Rede stand hier die über eine genutzte Plattform getätigte Kommunikation, siehe nur Käseberg/von Kalben, WuW 2018, 2 (4). Siehe auch BGH, GRUR 2013, 751 (754) – Autocomplete zur Verhinderung zukünftiger Rechtsverletzungen für das Persönlichkeitsrecht. Zur Produktbeobachtungspflicht bei Robotern siehe Zech, in: Gless/Seelmann (Hrsg.), Intelligente Agenten und das Recht, 2016, S. 163 (181 f., 189, 194); zu Beobachtungspflichten und zu Reaktionspflichten betreffend autonomer Systeme siehe Wagner, AcP 217 (2017), 707 (750 ff. und 754 ff.). 314 Einführung in die Verhaltensökonomik bei Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 479 ff.
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oder – umgekehrt – positiv gegen einen entsprechenden Einsatz zu entscheiden hat. Das Setzen eines entsprechenden Standards bedingt als default rule regelmäßig Auswirkungen auf die tatsächliche Verwendung.315 In diesem Sinne wäre etwa zu entscheiden, ob die Verwendung eines Zertifikats bei einem Einsatz durch autonome Agenten aufgrund der Voreinstellungen standardmäßig erfolgt oder ob der Verwender ausdrücklich zugunsten einer Verwendung (bei jedem Einsatz oder generell) ein Wahlrecht ausüben muss. Die erste Option kann – wiederum in Anlehnung an die DS-GVO – als contract security by default bezeichnet werden. Das Setzen eines entsprechenden Standards ist nur eine von einer Vielzahl von Maßnahmen, die zur „weichen Lenkung“ des Verwenders dienen können. Angesprochen ist damit das Konzept des Nudging (Thaler und Sunstein).316 Dem Rechtsunterworfenen wird kein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben, sondern er wird (nur) in eine bestimmte, als förderungswürdig (für das Gemeinwohl) benannte Richtung „angestoßen“.317 In diesem Sinne könnte die Ausübung der Option betreffend ein Zertifikat mit weiteren Maßnahmen verknüpft werden. Denkbar erscheinen etwa Formen der Vereinfachung, den Einsatz sozialer Normen, Informationen und Aufklärung, Warnungen, Erinnerungen, Abfrage von Handlungsintentionen oder auch Informationen über die Konsequenzen eigener Entscheidungen.318 III. Regulierungsebene Die Regulierung von Optionen der Dimensionen systemischer Bindung wird auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen – wobei allerdings unterstellt werden soll, dass eine vertragsrechtliche Regelung auf völkervertragsrechtlicher Ebene auf absehbarer Zeit nicht erfolgen wird. Vielmehr erscheint eine Ausgestaltung auf nationaler und unionaler Ebene naheliegender. Soweit die Plattformökonomie in Rede steht, bestehen mit den Regulierungsinstrumenten der b2b-Plattform-Verordnung319 sowie der (Ergänzung der) Verbraucherrechterichtlinie320 bereits unionale Anknüpfungspunkte. Dies gilt 315 Siehe zum framing und zu default rules Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 535 ff. 316 Siehe etwa Thaler/Sunstein, Nudge, 2009; Sunstein, J. Cons. Pol’y. 37 (2014), 583. Einführung bei Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 545 ff. 317 Zum Konzept des Nudging zusammenfassend Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 548 f. 318 Aufzählung in Anlehnung an die Übersicht über die verschiedenen Instrumente bei Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, Rn. 551. 319 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischens Parlaments und des Rates zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten, COM(2018) 238 final. Siehe hierzu oben sub Kapitel 5 § 13 C. V. 320 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, der Richtlinie 98/6/EG des Eu-
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Kapitel 6: Fortentwicklungspotenziale
auch und gerade in Bezug auf die bestehenden haftungsrechtlichen Regelungen des unionalen Sekundärrechts.321 Die Europäische Union hat eine Vorreiterrolle bei der Plattformregulierung übernommen.322 Eine weitergehende Regulierung auf dieser Ebene scheint – auch und gerade in Ansehung der vielfältig grenzüberschreitend agierenden und im Wettbewerb stehenden Plattformen – sachgerecht.323 Für Anwendungen dezentraler Kooperation ist dieser Zugriff allerdings ebenso wenig wie für autonome Anwendungen ausgemacht. Vielmehr stehen insoweit grundlegende vertrags- (und gesellschafts-)rechtsdogmatische sowie (vertrags-)rechtspolitische Fragestellungen in Rede. Berührt ist insbesondere die bislang nicht unionsrechtlich harmonisierte Rechtsgeschäftslehre. Wenngleich die Perspektive eines Unionalen Vertragsrechts reizvoll ist: Eine zeitnahe Kodifizierung eines unionsrechtlichen Vertragsrechts unter Einschluss der Rechtsgeschäftslehre ist derzeit nicht absehbar324 – unbeschadet der kompetenziellen Zuständigkeit der Union für entsprechende Regelungen. Einzelne Modifizierungen – ohne Gesamtkodifikation der Rechtsgeschäftslehre – bergen freilich die Gefahr eines regulatorisch wenig wünschenswerten Flickenteppichs. Modifizierungen der Rechtsgeschäftslehre sollten somit – bis zu einer potenziellen Gesamtkodifikation auf nationaler Ebene erfolgen. Einer anderen Bewertung unterliegen allerdings die zuvor diskutierten Formen einer Regulierung des Vertragssicherheitsrechts, insbesondere betreffend Zertifikate und Haftungsmodifikationen. Hier ist ebenfalls ein unionaler Zugriff denkbar und in Anbetracht des grenzüberschreitenden Handels wünschenswert.325
ropäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, COM(2018) 185 final. Siehe hierzu oben sub Kapitel 5 § 13 C. VI. 321 Siehe hiezu im Kontext von Plattformen Maultzsch, ERCL 2018, 209 (224 ff.). 322 Siehe nur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt – Chancen und Herausforderungen für Europa, COM(2016) 288 final. Siehe hierzu oben sub Kapitel 5 § 13 C. IV. 323 Ebenso Busch/Schulte-Nölke/Wiewiórowska-Domagalska/Zoll, EuCML 2016, 3 (4) aus verbraucherrechtlicher Perspektive. Vgl. auch Maultzsch, ERCL 2018, 209 (212). 324 Siehe oben sub Kapitel 5 § 13 A. 325 Siehe insoweit auch die ganz überwiegende Mehrheit von Stakeholdern (96 %), die sich betreffend die Regulierung von Robotik und Künstlicher Intelligenz (im Allgemeinen) für eine Regelung auf unionaler oder internationaler Ebene und gegen eine Regelung auf Ebene der Mitgliedsstaaten ausprechen, siehe European Parliamentary Research Service, Public consultation on robotics and Artificial Intelligence (13. Juli 2017), S. 9.
Kapitel 7
Gesamtschau in Thesen und Synthese Die vorliegende Untersuchung hat sich den hier als maßgeblich identifizierten Dimensionen systemischer Bindung zunächst aus vertragstheoretischer Perspektive angenommen. Sodann wurde die rechtsdogmatische Rahmung des geltenden Rechts anhand und in Bezug auf ausgewählte Referenzfelder dargelegt und gewürdigt. Anschließend sind die aktuellen rechtspolitischen Diskurse aufgezeigt und hierauf aufbauend Fortentwicklungsperspektiven für die rechtliche Rahmung der Dimensionen systemischer Bindung bewertet sowie entwickelt worden. Im Einzelnen können die Ergebnisse der Untersuchung wie folgt zusammengefasst und in Beziehung zueinander gesetzt werden:
A. Grundlagen 1. Rechtsgeschäftliches Kontrahieren, sprich die Etablierung vertraglicher Bindung, bedingt Interaktion und Partizipation. Vertragliche Bindung basiert auf Interaktionen. Akteure interagieren im vertraglichen Kontext, um vertragliche Bindung zu erzeugen. Ob und inwieweit eine vertragliche Bindung der Akteure etabliert wird, ist eine Frage der Partizipation. 2. In der digitalen Privatrechtsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist Kontrahieren zunehmend durch vielschichtige Verknüpfungen von Verträgen und Akteuren geprägt. Zentrale Entwicklungstreiber moderner Kontrahierungsformen sind die voranschreitende Digitalisierung und die damit einhergehende Multipolarität der Beziehungen, die Entwicklung neuer Technologien (wie etwa dezentralen Kooperationsmechanismen) sowie Anwendungen Künstlicher Intelligenz. 3. Verträge werden zunehmend auf Plattformen organisiert, mittels technischer Anwendungen dezentral koordiniert und mithilfe Künstlicher Intelligenz technisiert. 4. Vertragliche Bindung wird unter Einbindung technischer Anwendungen somit immer weitergehend von den Vertragsparteien abstrahiert. Die Erzeugung vertraglicher Bindung wird schrittweise in Systeme überführt, wobei solche Systeme (zunächst nur) abstrakt zu verstehen sind als aufeinander bezogene vertrag(srecht)liche Elemente. 5. Kontrahieren wird systemischer, was im Lichte des traditionell bipolaren Zugriffs der Rechtsgeschäftslehre jedenfalls Elemente eines Dritteinflusses be-
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Kapitel 7: Gesamtschau in Thesen und Synthese
dingt. Der Begriff der systemischen Bindung bezeichnet hierbei keinen rechtsdogmatischen Begriff, Zugriff oder Topos. Systemische Bindung beschreibt vielmehr eine Beobachtung vor dem Hintergrund rechtsdogmatischer Kategorien. 6. Systemische Bindung ist dadurch charakterisiert, dass ein Dritter in den Vertragsschluss eingebunden ist, der (auch) genuin eigene Zwecke verfolgt, und gleichzeitig erhebliche (faktische) Interdependenzen und Rückwirkungen zwischen den Beteiligten über das rein bipolare Vertragsverhältnis hinaus bestehen. 7. Als Referenzfelder herausgegriffen werden Online-Plattformen, Smart Contracts, dezentrale Kooperationen, smarte Anwendungen sowie automatisierte und autonome Agenten. Auf diese Weise können verschiedene Dimensionen systemischer Bindung erfasst und abgebildet werden. 8. Für die Formen systemischer Bindung entscheidet das Vertragsrecht, welche Interaktionen und wessen Interaktionen relevant sind. Der rechtsdogmatische Zugriff auf diese Entscheidung erfolgt auf rechtstheoretischer Basis.
B. Rechtstheoretischer Diskurs 9. Das System Recht (Luhmann) ist durch die zentralen Entwicklungstreiber moderner Kontrahierungsformen irritiert. Es bedarf daher systemtheoretisch gesprochen der (steten) Rückkopplung mit anderen gesellschaftlichen (Teil-) Systemen. Nur auf diese Weise hat das Recht die Chance, in der gebotenen Weise responsiv und umweltsensibel zu sein. 10. Für das Vertragsrecht bedingt dieser Befund die Notwendigkeit einer ständigen (Neu-)Bewertung und Vermessung seiner Grundlagen. Für das vertragsrechtlich zentrale Moment, die Erzeugung vertraglicher Bindung, kommt es deswegen darauf an, welche Interaktionen und Partizipationen im System Recht, genauer: im Vertragsrecht, operabel sind. Hierfür sind insbesondere die Bindungen und Erwartungen innerhalb des Systems Recht zu benennen und zu bewerten. Denn das Vertragsrecht stabilisiert normative Erwartungen. 11. Normative Erwartungen können im System Recht vertragliche Bindung erzeugen. Dafür sind der Ausgangspunkt und die Richtung vertraglicher Beziehungen zu bestimmen. Im geltenden System Recht erfolgt eine Rückbindung vor allem über den (menschlichen) Willen. 12. Diese Art der Rückbindung bedarf im Lichte der aktuellen Entwicklungen der Überprüfung. Zu fragen ist insbesondere, ob nur solche Beziehungen vertragsrechtlich schützenswert sind, die eine Rückbindung an den Willen einer natürlichen Person aufweisen. Zur Beantwortung dieser Frage ist konzeptionell zu unterscheiden zwischen drei verschiedenen Anknüpfungsformen (strenge oder gelockerte Anknüpfung an den Willen einer natürlichen Person sowie selbstständige Anknüpfung an autonome Formen der Interaktion).
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13. Die Schutzwürdigkeit der Formen systemischer Bindung beurteilt sich anhand einer Funktionsbestimmung von Verträgen. Verträge erzeugen private Ordnung (Bachmann). Verträge eröffnen nicht nur die Chance zur Selbstbindung, sondern zeichnen sich durch eine soziale und eine Marktdimension aus. Eröffnet wird durch Verträge ein Raum des Austauschs und des Wettbewerbs. Hiernach sind Verträge ein elementarer Baustein der Privatrechtsgesellschaft (Böhm). 14. Die technischen Fortentwicklungen der Digitalisierung markieren den Übergang zu einer digitalen Privatrechtsgesellschaft. Die digitale Privatrechtsgesellschaft zeichnet sich (auch) durch die unterschiedlichen Formen systemischer Bindung aus. In diesem Sinne ist die digitale Privatrechtsgesellschaft sowohl Faktum als auch Desiderat einer hinreichend umweltsensiblen Ordnung von und durch Verträge(n). 15. Eine privatrechtliche Ordnung für Verträge sollte nach einem innova tionsfördernden und gleichzeitig gefährdungsadäquaten Zugriff streben. Ein solcher Zugriff erfolgt (auch) durch ein innovatives Vertragsrecht, dem eine ermöglichende oder dienende Funktion innewohnt. Die Dimensionen systemischer Bindung stellen sich in diesem Zusammenhang als ein Innovations-Prüfstein dar, dem es zu genügen und den es zu bewältigen gilt. 16. Theoretischer Rahmen für die Bewältigung dieses Prüfsteins ist der Zugriff der Contract Governance-Forschung (Grundmann/Möslein/Riesenhuber). Sämtliche Schichten dieses Ansatzes (Governance of Contract Law, Governance of Contracts, Governance by Means of Contract Law, Governance through Contracts) sind für die Betrachtung und Bewertung der Dimensionen systemischer Bindung heranzuziehen. 17. Wiederkehrendes Moment der Contract Governance in dieser Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der Einbindung von Dritten, mit Kooperation und mit Autonomie im Recht. Rechtsdogmatisch interagieren damit die willensbasierte Rechtsgeschäftslehre, der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse und die sogenannten Drittwirkungen im Recht. 18. Die Vielzahl unterschiedlicher Einzelregelungen betreffend Drittwirkungen de lege lata bildet keine umfassende dogmatische Rechtsrahmung für mehrpolige Szenarien bzw. die Dimensionen systemischer Bindung. Dieser ganz grundsätzliche Befund manifestiert sich in einem Verbundproblem. Denn es besteht unter Berücksichtigung der verschiedenen theoretischen Ansätze die strukturelle Gefahr, dass Partizipationen Dritter in einer rein zweipoligen Betrachtung marginalisiert werden. 19. Partizipation ist verknüpft mit der Stabilisierung von Erwartungen innerhalb von Systemen. Eine rechtsdogmatische Betrachtung erfordert deswegen die Auseinandersetzung mit der Systemverantwortung der Akteure. Hierzu erforderlich ist eine Ausbalancierung zwischen bipolaren und multipolaren Vertragsbeziehungen, zwischen Zentralität und Dezentralität von Kooperationen
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Kapitel 7: Gesamtschau in Thesen und Synthese
sowie zwischen der Steuerung und Autonomie beim Einsatz automatisierter und autonomer Anwendungen im vertrag(srecht)lichen Kontext.
C. Rechtsdogmatischer Diskurs 20. Die rechtsdogmatische Betrachtung der Dimensionen systemischer Bindung erfolgt anhand dreier ausgewählter, sich überschneidender Entwicklungsstufen: Von der Computererklärung zur Plattformökonomie (Stufe 1), von smarten Produkten zur dezentralen Kooperation (Stufe 2) sowie von elektronischen zu autonomen Agenten (Stufe 3). I. Von der Computererklärung zur Plattformökonomie 21. Dogmatischer Ausgangspunkt ist der zweiseitige Vertrag basierend auf zwei Willenserklärungen. Eine Willenserklärung setzt neben einem äußeren Tatbestand als inneren Tatbestand einen Kommunikations- und einen Partizipationswillen (Wolf/Neuner) voraus. Die Willenserklärung ist Rechtsgestaltung in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung (Flume). Geltungsgrund der Willenserklärung ist die Verbindung von Wille und Erklärung. 22. Die sogenannte Computererklärung stellt eine „echte“ Willenserklärung dar. Maßgebliches Zurechnungselement nach den Grundsätzen der Computererklärung ist ein genereller Wille zum Einsatz einer entsprechenden Einrichtung und ein damit verbundener Kommunikations- und Partizipationswille. 23. Die Grundsätze der Computererklärung erweisen sich als dogmatisch konsistenter Zugriff für elektronische Agenten. Die „durch“ den elektronischen Agenten abgegebenen Erklärungen sind initiiert durch den Verwender und – wenn auch teilweise mit anfänglich unbekannten, aber akzeptierten Variablen – bestimmbar. 24. Der Vertragsschluss auf Plattformen unterliegt den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre. Die Vertragsverhältnisse zwischen dem Plattformbetreiber und den einzelnen Nutzern sind strikt zu trennen von den zwischen den Nutzern geschlossenen Verträgen. Zwischen den Beteiligten wird kein mehrseitiger Vertrag geschlossen. Ein gesonderter (Rahmen-)Vertrag zwischen den Nutzern ist grundsätzlich nicht anzunehmen; ebenso ist eine Qualifikation des Vertrags zwischen dem Plattformbetreiber und dem einzelnen Nutzer als Vertrag zugunsten Dritter nicht überzeugend. Es erfolgt keine Durchbrechung des Grundsatzes der Relativität der Schuldverhältnisse. 25. Gleichwohl wirkt der Plattformbetreiber durch die Vorformulierung von Erklärungen (und über den Umweg der Auslegung) wesentlich auf den Abschluss und den Inhalt des Vertrages zwischen den Nutzern und damit auf das gesamte Marktverhältnis ein. Der Plattformbetreiber übernimmt funktional die Eröffnung eines Systems für vertragliche Bindung.
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26. Die zunehmend auf Plattformen abgeschlossenen Bausteinverträge eröffnen ein differenziertes Pflichtenfeld: Der Kunde hat Primärleistungsansprüche gegen die jeweiligen Leistungsanbieter. Primärleistungsansprüche gegen den Vermittler bzw. die Plattform bestehen de lege lata in der Regel nicht. Ebenso binden sich die Leistungsanbieter nicht in Bezug auf die Leistungen der anderen Leistungsanbieter. Eine vertragliche Bindung für Leistungen Dritter geht damit grundsätzlich nicht einher. 27. Diese (traditionelle) Analyse der betroffenen Vertragsbeziehungen bei Bausteinverträgen entspricht nicht in jedem Fall den (normativen) Erwartungen des Kunden. Der Vermittler eröffnet vielmehr mitunter die Erwartung von zusammenhängenden und aufeinander abgestimmten Verträgen sowie – je nach Einzelfall – eines Einstehens für das Gesamtpaket. In diesem Sinne koordiniert der Vermittler ein System vertraglicher Bindung(en). Die Grenze zwischen reiner Vermittlung und der Übernahme einer eigenen (selbstständigen) Verpflichtung des Vermittlers ist an dieser Stelle fließend. 28. Vergleichbar tendiert die gesetzliche Regelung des Pauschalreisevertrags, eines Sonderfalls der Bausteinverträge, in Richtung eines einheitlichen Vertragspartners des Reisenden. Der Reisende soll nicht mit einem mehrspurigen Anspruchs- und Pflichtenfeld konfrontiert werden. Allerdings hat der Reisende in der Regel Primärleistungsansprüche nicht nur gegen den Reiseveranstalter, sondern auch gegen die jeweiligen Leistungserbringer (im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter). 29. Die Bestimmung der Erklärungen der Akteure beim Pauschalreisevertrag erfolgt auch und gerade auf der Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung bzw. unter Rückgriff auf den Grundsatz des venire contra factum proprium. Hierdurch entspricht die Analyse der involvierten Vertragsbeziehungen den (normativen) Erwartungen des Reisenden. Der „Vermittler“ eröffnet die Erwartung eines (selbstständigen) Einstehens für das Gesamtpaket. Für die (ergänzende) Vertragsauslegung besteht mit § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB eine maßgebliche (und hilfreiche) Konkretisierung. 30. Die für Bausteinverträge im Allgemeinen und für Pauschalreiseverträge im Besonderen herausgearbeiteten Ansätze sind auf Plattformkonstellationen im Grundsatz übertragbar. De lege lata kann eine Primärleistungspflicht des Plattformbetreibers oder Vermittlers auf der Grundlage der (ergänzenden) Vertragsauslegung konstruiert werden, um entsprechende (normative) Erwartungen rechtlich zu operationalisieren. 31. In Anbetracht der Grenzen der (ergänzenden) Vertragsauslegung sind alternative (bzw. konkretisierende) Formen der Erzeugung vertraglicher Bindung de lege ferenda zu prüfen.
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II. Von smarten Produkten zur dezentralen Kooperation 32. Smarte Anwendungen können aus vertragsrechtlicher Perspektive auf unterschiedliche Weise ausgestaltet werden. Die Gestaltungsoptionen reichen von rein bipolaren Ansätzen bis hin zum Zusammenwirken von Akteuren auf der Basis verschiedener Verträge. Im Anschluss an Wendehorst sind drei Grundkonstellationen zu unterscheiden: Einheitsmodell, Agenturmodell und Garantiemodell. 33. Smarte Anwendungen sind oftmals durch eine Vielzahl aufeinander abgestimmter Verträge bzw. Vertragsverhältnisse geprägt. Die Vertragsverhältnisse im Zuge smarter Anwendungen können mit dem bestehenden dogmatischen Instrumentarium im Grundsatz erfasst werden. Für die Einordnung vertraglicher Beziehungen smarter Anwendungen weist der vorhandene Kanon der Vertragstypen vielfältige Zugriffsmöglichkeiten auf. 34. Neben rein bilateralen Rechtsbeziehungen, insbesondere auch einer (umfassenden) Garantie, können bei smarten Anwendungen je nach Einzelfall Verträge zugunsten Dritter bzw. mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bestehen. Erforderlich ist eine (ergänzende) Vertragsauslegung der abgegebenen Erklärungen im Sinne der (Funktionsfähigkeit der) smarten Anwendung. Ein mehrseitiger Vertrag zwischen Kunden, Systemanbieter und (zum Beispiel) Lizenzgeber besteht regelmäßig nicht. 35. Teilnehmer eines dezentralen Kooperationsmechanismus (wie Blockchain-basierte Anwendungen) gehen oftmals vertragliche Bindungen ein, die als mehrseitiger Vertrag qualifiziert werden können. Regelmäßig wird (konkludent) ein Gesellschaftsvertrag betreffend eine (Innen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts geschlossen. So liegt etwa im Zuge einer (typisierend betrachteten) Blockchain nicht nur eine rein faktische Willensübereinstimmung bzw. ein bloßes faktisches Zusammenwirken zwischen den Teilnehmern vor. Vielmehr einigen sich die Teilnehmer (mindestens) auf das kooperative Minimum, sprich in Bezug auf die Grundfunktionen der jeweiligen Blockchain. 36. Die Vertragsstrukturen auf einer Blockchain können mit dem bestehenden vertragsrechtlichen Instrumentarium adäquat erfasst werden. Voraussetzung hierfür ist nach hiesigem Verständnis, dass die Funktionalität der Blockchain und die technisch erforderliche Partizipation sämtlicher Teilnehmer adäquat abgebildet werden. Vertragliche Kommunikation zwischen zwei Personen kann insoweit nur unter Mitwirkung anderer Teilnehmer erfolgen und ist somit notwendigerweise multipolar. 37. Die Multipolarität der verschiedenen untersuchten Vertragsstrukturen, sprich vor allem von Interaktionen zwischen einer Vielzahl von Akteuren in vertrag(srecht)lichen Konstellationen, kann mit dem geltenden Rechtsregime erfasst werden. Der derzeitig eröffnete Zugriff ist aber nicht in jeder Hinsicht zufriedenstellend. Das Operieren mit objektiven Empfängerhorizonten und
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normativen Erwartungen bedingt eine Vielzahl von Schwierigkeiten bei der (ergänzenden) Auslegung von Willenserklärungen bzw. Verträgen. 38. Eine Lösung für solche Konstellationen de lege lata durch die Annahme von Vertragsnetz(werk)en, Vertragsverbünden bzw. Vertragssystemen (zusammen: Vertragsnetzwerke) ist nicht zu befürworten. Dieser Befund stellt gleichwohl die rechtstatsächliche Bedeutung der faktischen Verknüpfung von Verträgen bzw. der Vertragsverflechtungen nicht in Frage. Die in dieser Untersuchung gewählten Referenzfelder bestätigen diesen Standpunkt. 39. Vertragsnetzwerke sind de lege lata nicht als eigenständige dogmatische Figur zu begreifen. Für eine selbstständige rechtliche Anknüpfung von Vertragsnetzwerken – für einen dritten Weg zwischen Vertrag und Gesellschaft – fehlen de lege lata insbesondere belastbare gesetzliche Grundlagen. 40. Vorzugswürdig ist es deswegen – auf der Grundlage und in Fortführung der Grundmann’schen „Dogmatik der Vertragsnetzwerke“ – Vertragsnetzwerke dogmatisch zur Geltung zu bringen. Das komplexe Verhältnis von Willen, Relativität und Vertrauen ist de lege lata durch eine umweltsensible Auslegungs- und Normanwendungspraxis zur Geltung zu bringen. 41. Folgerichtig sind die vertraglichen Beziehungen in Vertragsnetzwerken systemisch zu betrachten. Die durch das Vertragsnetzwerk erzeugten Erwartungen sind mittels (ergänzender) Auslegung fruchtbar zu machen. Dem Zweck des jeweiligen Netzwerks muss auf diese Weise spezifisch Rechnung getragen werden. Von besonderem Interesse für Vertragsnetzwerke ist die Frage, ob sich einer der Vertragspartner des Endkunden betreffend die Systemleistung vertraglich bindet. III. Von elektronischen zu autonomen Agenten 42. Die Erzeugung vertraglicher Bindung wird zunehmend mithilfe elektronischer sowie autonomer, sprich auf Künstlicher Intelligenz basierender, Agenten unternommen. In mannigfaltiger Weise werden Vertragsschlüsse auf diese Weise technisiert und operationalisiert. 43. Entgegen der herrschenden Meinung bestehen erhebliche Zweifel, ob autonome Agenten mit den Grundsätzen der Computererklärung adäquat erfasst werden (können). Autonome Agenten operieren – „bewusst“ – ohne einen ausreichenden menschlichen Einfluss in Bezug auf den erklärten „Willen“. Unter Wertungsgesichtspunkten und funktional betrachtet entspricht ein autonomer Agent einem Stellvertreter. 44. Alternative Formen der Zurechnung autonomer Agenten de lege lata überzeugen nicht. Für die vollständige Loslösung von einer willensbasierten Willenserklärung fehlt insoweit insbesondere die gesetzliche Grundlage. Autonome Agenten sind zudem nicht als Boten oder Stellvertreter im Rechtssinne zu
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qualifizieren. Die Regelungen der Stellvertretung können auch nicht analog Anwendung finden. 45. Autonome Agenten können schließlich de lege lata auch nicht als Vertragsschlussgehilfen bewertet werden. Zugunsten einer analogen Anwendung des § 278 BGB besteht zwar eine vergleichbare Interessenlage. Es mangelt aber an dem Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. 46. Die Verschiebung vertraglicher Bindung von den Vertragsparteien hin zu technischen Anwendungen erweist sich als konsistente Entwicklung, wenn und soweit man – wie in dieser Arbeit exkursartig erfolgt – die Erkenntnisse der Hirnforschung zur Bildung eines freien Willens sowie die Behandlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Recht dagegen legt. Treiber der jeweiligen dogmatischen Konstruktionen ist das Bedürfnis, dass entsprechende Konstruktionen (rechts-)praktisch funktionieren. 47. Die faktischen Möglichkeiten der Technik werden auch in Zukunft die Organisation von Verträgen prägen. Die technologischen Entwicklungen in Bezug auf Verträge sind hierbei noch nicht belastbar abschließend absehbar. Es erscheint jedenfalls als wahrscheinlich, dass technisch gestützte und durch autonome Anwendungen vollzogene Vertragsschlüsse in ihrer Bedeutung und Anzahl weiter zunehmen werden. 48. Für das Vertragsrecht dürfte das „Mitwirken“ autonomer Agenten mittelbis langfristig zum Standard aufwachsen. Diese Entwicklung wird voraussichtlich auch zur Herausbildung von algorithmic consumers (Gal/Elkin-Koren) führen. 49. Vor diesem Hintergrund bestimmt die faktische Kraft der Technik ganz grundlegend die vertraglichen und vertragsrechtlichen Rahmenbedingungen im 21. Jahrhundert. In diesem Sinne ist die – im übertragenen Sinne unausweichliche – Fortentwicklung von Verträgen, der Vertragsorganisation und des Vertragsrechts zu betrachten.
D. Rechtspolitischer Diskurs 50. Die Dimensionen systemischer Bindung sind Gegenstand eines vielschichtigen rechtspolitischen Diskurses auf unionaler, nationaler und akademischer Ebene. 51. Die akademischen Vorschläge zu einem Unionalen bzw. Europäischen Vertragsrecht sind für die Dimensionen systemischer Bindung wenig ergiebig. Demgegenüber sind der Entwurf zu einer unionsrechtlichen Richtlinie für Online-Vermittlungsplattformen (Research group on the Law of Digital Services) und die Vorschläge von Wendehorst zu Vertragsbeziehungen im Internet der Dinge wichtige Referenzpunkte für die Diskussion de lege ferenda. Die gemeinsam zugrunde liegende Tendenz hin zu einer verstärkten Inanspruchnahme von Plattformen bzw. Systemanbietern entspricht dem Impetus dieser Arbeit.
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52. Die verschiedenen Vorschläge und die jüngst verabschiedeten Gesetzesvorhaben auf unionaler Ebene können für die Dimensionen systemischer Bindung fruchtbar gemacht werden. Eine Verfestigung des Diskurses im Übrigen hat noch nicht stattgefunden. Dies gilt auch und gerade für Formen dezentraler Kooperation aus vertrag(srecht)licher Perspektive. 53. Erste konzeptionelle Ansätze bestehen zumindest betreffend die Regulierung(soptionen) für autonome Anwendungen. Zentrales Leitmoment ist insoweit das Vertrauen der (End-)Anwender in Künstliche Intelligenz. Zutreffend betont deshalb insbesondere das Europäische Parlament, dass die derzeitigen Regelungen nicht (mehr) ausreichen. In institutioneller Hinsicht wird zu Recht betont, dass Formen regulierter Selbstregulierung, etwa zur Entwicklung von Standards oder zur Entwicklung von Zertifikat(ssystem)en, in Betracht zu ziehen sind.
E. Fortentwicklungspotenziale 54. Als Fortentwicklungsperspektiven sind eine systemische Öffnung des Vertragsrechts, systemische Strukturen des Vertragsrechts und systemische Akteure (des Vertragsrechts) zu prüfen. 55. Erwogen werden sollte de lege ferenda eine allgemeine Regelung betreffend Vermittlerklauseln in der Plattformökonomie. Eine solche Regelung sollte nicht auf ein bestimmtes Rechtsgebiet beschränkt werden. Denn die verschiedenen Konstellationen und Vertragsbeziehungen der systemischen Bindung (auch und gerade bei smarten Anwendungen) reichen darüber oftmals hinaus. Verbindendes Anknüpfungsmerkmal ist die Koordinierung eines Systems vertraglicher Bindung(en). 56. Insbesondere zwei, sich ergänzende modi operandi sind für eine Normierung vorzugswürdig: Die Regelung könnte so konzipiert werden (wie bislang § 651b Abs. 1 Satz 2 BGB), dass sich ein Plattformbetreiber bzw. ein Systemanbieter nicht auf eine Vermittlerklausel berufen kann. Darüber hinausgehend könnte eine Vermutung zugunsten einer (umfassenden) vertraglichen Bindung kodifiziert werden. 57. Die in Art. 18 Abs. 2 des Entwurfs einer unionsrechtlichen Richtlinie für Online-Vermittlungsplattformen vorgeschlagenen Kriterien sollten für gesetzliche Auslegungs- und Konkretisierungskriterien herangezogen werden. Anknüpfungsmerkmal ist insoweit die zentrale Koordinierung von Leistungen, sprich die Koordination eines Systems vertraglicher Bindung(en). 58. Systemische Strukturen, sprich grundlegend neue Vertragstypen, sind demgegenüber aus hiesiger Sicht (jedenfalls derzeit) nicht erforderlich, um vertragliche Interaktion und Partizipation adäquat zu rahmen. Einer echten Überwindung der Bipolarität bedarf es somit (noch) nicht.
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59. Die Basis vertraglicher Bindung ist und bleibt das privatautonome Rechtsgeschäft. Die Konzeption vertraglicher Bindung sollte hiernach auch zukünftig auf privatautonomen Entscheidungen und damit erzeugten Erwartungen basieren. 60. Das Vertragsrecht hat auf neue, systemische Akteure zu reagieren. Es ist eine Regelung zum Einsatz autonomer Agenten im vertrag(srecht)lichen Kontext zu treffen. Nicht zu empfehlen ist hierfür eine allgemeine Klarstellung zur Wirksamkeit entsprechender Verträge. Ebenso ist die Einführung einer neu(artig)en Kategorie von Willenserklärungen, sprich eine autonome Erklärung, abzulehnen, wenn und soweit autonomen Agenten kein Rechtssubjektsstatus zuerkannt wird. In gleicher Weise ist die Einführung eines autonomen Stellvertreters nicht überzeugend, wenn nicht gleichzeitig die Zuweisung einer Haftungsmasse erfolgt. 61. Zu erwägen ist de lege ferenda die Annahme von autonomen Agenten als Vertragsschlussgehilfen. Der Einsatz eines Vertragsschlussgehilfen führt zur Zurechnung einer Willenserklärung, wenn und soweit der Vertragsschlussgehilfe im vertraglichen Bindungskreis agiert. 62. Regulativ befördert werden sollte, dass sich der autonome Agent innerhalb dieses Bindungskreises bewegt. Insofern ist eine Standardisierung betreffend autonome Agenten oder eine Zertifizierung von autonomen Agenten in Erwägung zu ziehen. 63. Die Begründung eines Rechtssubjektsstatus für autonome Anwendungen steht auf einem instabilen soziologischen Fundament. Die Anerkennung eines Rechtsstatus für autonome Anwendungen könnte in diesem Zusammenhang allerdings ein Vehikel bilden, um die Erwartungen in solche Anwendungen langfristig zu stabilisieren – dies gilt auch und gerade für vertrag(srecht)liche Interaktionen. Durch die Einführung eines Rechtsstatus für autonome Anwendungen würden bereits frühzeitig die Interaktion und die Partizipation mit autonomen Anwendungen gerahmt werden. Vor allem könnten hierdurch auch Erwartungen gesteuert werden. 64. Erforderlich ist ein regulatorischer Zugriff, der einen Rechtsstatus zweckmäßig in die bestehenden rechtlichen Rahmungen einpasst. So muss etwa das Strafrecht nicht einen zivilrechtlich (de lege ferenda) begründeten Status übernehmen. In gleicher Weise ist ein Rechtsstatus für Roboter auch verfassungsrechtlich zu beurteilen. Eine Grundrechtsfähigkeit autonomer Anwendungen müsste nicht etabliert werden. Vielmehr sollten auch und gerade für den Privatrechts- und Wirtschaftsverkehr die Parameter und der Zuschnitt eines entsprechenden Status anhand ökonomischer Zweckrationalitäten, insbesondere durch adäquate Risikoallokation, vorgenommen werden. 65. Die in dieser Arbeit betrachteten Dimensionen systemischer Bindung sind in vielfältiger Hinsicht miteinander verknüpft und bilden die Basis für all-
§ 18 Parameter für eine Regulierung im 21. Jahrhundert
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gemeine Parameter einer vertragsrechtlichen Ordnung im 21. Jahrhundert. Dabei gilt es, die digitale Privatrechtsgesellschaft (weiter) zu befördern. 66. Sämtliche Dimensionen systemischer Bindung unterstreichen die Technisierung des Kontrahierens. Die auf diese Weise technisch vollzogenen Vertragsschlüsse führen zu weitreichenden vertraglichen Ökosystemen. Damit einher geht eine Abhängigkeit von der eingesetzten Technik. Diese Abhängigkeit könnte potenziell weiter zunehmen, vor allem wenn und soweit immer weitergehend die Statuierung vertraglicher Bindung auf autonome Agenten ausgelagert wird. Die Dimensionen systemischer Bindung erzeugen insofern nicht zuletzt auch systemische Risiken – auf individueller und überindividueller, auf der mikro- und der makroökonomischen Ebene. 67. Eine wesentliche Aufgabe des Vertragsrechts des 21. Jahrhundert ist, vertragliche Bindung, sprich Vertragsschlüsse, in einem unmittelbar technischen Sinne und in einem übertragenden Sinne sicherer zu machen. Eine in dieser Weise verstandene Sicherheit erfordert das Zusammenspiel rechtlicher und technischer Instrumente. So sind etwa autonome Agenten aufgrund des latenten Risikos eines nicht iniitierungskonformen bzw. nicht rechtskonformen „Verhaltens“ eine potenzielle Gefahrenquelle. 68. Die in dieser Untersuchung vorgeschlagenen rechtlichen Zugriffe sind ein erster Schritt auf dem Weg zu einem Vertragssicherheitsrecht im 21. Jahrhundert. Ein umfassendes Vertragssicherheitsrecht muss sich gerade (auch) dem Einsatz technischer Mittel zum Vertragsschluss zuwenden. Beispielhaft sei auf systemsensible autonome Agenten in vertraglichen Ökosystemen verwiesen. 69. Die konkrete Umsetzung eines Vertragssicherheitsrechts wurde anhand der Regulierung von autonomen Agenten exemplifiziert. Eine entsprechende Regulierung sollte nicht nur auf ex post-, sondern auch auf ex ante-Instrumente setzen. Dafür ist insbesondere die Förderung kollaborativer Elemente zu erwägen. Angesprochen sind insoweit konkret Instrumente wie etwa Peer-to-PeerNetzwerke und Open Source-Modelle. 70. Eine solche (ko-)regulierte Selbstregulierung könnte unter anderem auf die Entwicklung von Zertifikaten abzielen. Ziel wären damit Legal Tech-In strumente, die auf ein rechtskonformes „Handeln“ von Algorithmen abzielen. Unternehmen (oder auch Verbraucher) sollten einen spürbaren Anreiz haben, entsprechende Zertifikate zu verwenden. 71. Soweit nicht das autonome System selbst haftet, ist zu erwägen, Rechtssubjekten die Verwendung zertifizierter autonomer Agenten als Option zur Begrenzung vertraglicher Bindung bzw. zur Haftungsbegrenzung zu eröffnen. 72. Im 21. Jahrhundert sind und bleiben Verträge das zentrale Instrument der digitalen Privatrechtsgesellschaft. Nahezu sämtliche Lebensbereiche sind oder werden kontraktualisiert. Der Einbindung technischer Anwendungen kommt dabei eine prägende Effektuierungs- und Steuerungsfunktion zu. Das Vertragsrecht des 21. Jahrhunderts muss die sich hieraus ergebenen vertraglichen
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Kapitel 7: Gesamtschau in Thesen und Synthese
Ökosysteme als ständige Herausforderung und Aufgabe begreifen. Denn für die Gesellschaft des voranschreitenden 21. Jahrhundert gilt: Mensch und Technik interagieren und partizipieren.
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Sach- und Personenregister Agenten, autonome 30, 40 ff., 52, 121 ff., 232 ff., 250 ff., 371 ff., 393 – Altruistische Agenten 373 f. – Anwendungsbeispiele 256 ff. – Botenschaft 242 – Egoistische Agenten 372 f. – Modifikation der Haftung 382 – Modifikation der vertraglichen Bindung 381 f. – Rechtsfähigkeit 233 ff. – Regulierung 344 f., 375 ff., 384 ff., 397 – Stellvertretung 242 ff. – Systemsensible Agenten 374 f. – Vertragsschluss 232 ff. – Vertragsschlussgehilfen 251 ff., 396 – Willenserklärung 236 – Zertifikate 380f., 397 Agenten, elektronische 40 ff., 52, 121 ff. – Computererklärung 121, 390 Agenturmodell 34, 160 ff., 198, 291 Akteure 9 f., 12, 337 ff., 363 ff., 396 Algorithmisierung 275 Allgemeine Geschäftsbedingungen 269 ff. Amazon Alexa 256 ff., 278 f. Anwendungen, autonome 30, 306, s. Künstliche Intelligenz – Rechtspersönlichkeit 348 ff. Artificial Communication 359 Automatisierte Agenten, s. Agenten, elektronische Autonome Agenten, s. Agenten, autonome Autonomie 306 ff. Bachmann, Gregor 389 Balkin, Jack 374 Bausteinvertrag 135 ff., 335, 391 Beck, Susanne 354 Beziehungen 21
Bindung(en) 61 ff., 81 f. Bindung, systemische s. Systemische Bindung Bipolarität 11, 23, 96 f., 175, 282 f., 290, 298, 301, 331, 333 f., 337, 395 Black Box 29, 321 f. Blanketterklärung 239 ff. Bleckmann, Albert 45 ff. Blockchain 35 ff. – Allgemeine Implikationen 302 – Gesellschaftsvertrag180 – Rechtliche Implikationen 303 f. – Vertragsabwicklung 174 ff. – Verträge 392, s. Smart Contracts Böhm, Franz s. Privatrechtsgesellschaft Botenschaft 242 Busch, Christoph 278, 289 b2b-Plattform-Verordnung 299 f. Calliess, Gralf-Peter 73 f. Castells, Manuel s. Netzwerkgesellschaft Computererklärung 114 ff., 390 – Grundlagen 114 f. – Grundsätze 115 ff. Contract Governance 14, 85 ff., 389 – Drittwirkung 93 ff., 389 – Grundlagen 86 f. – Netzwerke und Organisationen 90 f. – Kategorien 87 ff. – Relativität der Schuldverhältnisse 91 ff. Cooptition 201 Czarnecki, Mark Andre 135 f. Decentralized Autonomous Organizations 37, 185 ff. Deep Learning s. Künstliche Intelligenz Deliberative Diskurstheorie 73 ff. Dezentrale Kooperation 35 ff., 44, 174 ff., 302 ff.
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Sach- und Personenregister
Digitale Inhalte-Richtlinie 164 ff., 297 ff. Digitalisierung 8, 21 ff. Digitale Privatrechtsrechtsgesellschaft 1, 82 f., 362 ff., 373, 375, 389 – Akteure 363 ff. – Grundlagen 362 – Wille 365 f. – Systemverantwortung 367 – Vertragliche Ökosysteme 366 Draft Common Frame of References 283, 296 Dritte 8, 47 ff., 90, 93 ff. Drittwirkungen 93 ff., 389
Herold, Sophie 235, 238, 245, 342 f. Hirnforschung 263 Hübner, Heinz 241 Innovation 83 ff – Vertragsrecht 84 f. Interaktion 1, 96 f. Internet der Dinge 31 ff., 290 ff., 328 f. – Einordnung smarter Anwendungen 163 – Online-Plattformen 31 Joerges, Christian 205
eBay-Rechtsprechung 123 ff. – Relevanz Allgemeiner Geschäftsbedingungen 125 – Vertragsschluss 124 Einheitsmodell 34, 160 f. Elkin-Koren, Niva 275, 372 Elektronische Agenten, s. Agenten, elektronische Engel, Christoph 215 Erklärung, autonome 339 ff., 346 Erwartungen, normative s. Normative Erwartungen
Kaulartz, Markus 35 Kodierung 324 ff. Kollaboration 379 Kooperation, dezentrale 174 ff. – Strukturen 174 – Verträge 335 f. – Vertragsrechtliche Einordnung 183 – Gesellschaft 44, 180 ff. Kryptowährungen 184 f. Künstliche Intelligenz 12 f., 27 ff., 306 ff. – Regulierung 324 ff. – Strategie der Bundesregierung 306 ff.
Floridi, Luciano 359 Flume, Werner 78, 102, 390 Freiburg, schönes 14, 57, s. Passau
Lange, Knut Werner 216 f. Larenz, Karl 224 Legal Tech 25 ff. Lomfeld, Bertram 74 f. Luhmann, Niklas 56 ff., 67 f., 234, 388, s. System Recht
Gal, Michal 275, 372 Garantiemodell 34, 160, 162 f., 291 Gemeinsames Europäisches Kaufrecht 296 f. Gernhuber, Joachim 203, 209 ff., 213 Gesellschaftsvertrag 180 ff. Google Assistant 259 ff. Grapentin, Justin 238 Grigoleit, Hans Christoph 7 Granovetter, Mark S. 64 Grünberger, Michael 4 f., 43 f., 67 f., 76 Grundmann, Stefan 85 ff., 200, 219 ff., 371 Hacker, Philipp 371 Haupt, Günter 101 Heckmann, Jörn 35 Heermann, Peter W. 213 f.
Macaulay, Stewart 62 Macneil, Ian R. 62, 216 Machine Learning s. Künstliche Intelligenz Machine to Machine-Communication 33, 37, 40, 61, 159, 174, 304, 314 Malzer, Matthias 195, 214 f. Mankowski, Peter 266, 268 Matzke, Robin 188 Maultzsch, Felix 135 f. Merz, Axel 215 Möschel, Wernhard 203 f., 211, 217, 226 Möslein, Florian 85 ff. Multiagentensysteme 11, 320
Sach- und Personenregister
Multipolarität 22 ff., 43 f., 45 ff., 96 f., 131, 165, 194, 387, 392 f. Neuner, Jörg 106, 109, 390 Neuronale Netze s. Künstliche Intelligenz Netzwerke 64 f., 197, s. Vertragsnetz werke Netzwerkbeziehungen im Zivilrecht 196 ff. Netzwerkgesellschaft 15 Netzwerkvertrag 334 f. Nicklisch, Fritz 216 f. Normative Erwartungen 66 ff., 97, 167, 227 ff., 230, 272 f., 356 ff., 388 Oechsler, Jürgen 211 Ohly, Ansgar 168 Ökosysteme, vertragliche s. Vertragliche Ökosysteme Partizipation 1, 96 f. Passau, schönes 19, 78, s. Freiburg Paulus, David 188 Pauschalreise 143 ff., 391 Platform Revolution 122, 158 Plattformen 31 ff. – Vertragsschluss 122 ff. – Vertragsverhältnisse 32 – Vorschlag für eine Richtlinie zu Online-Vermittlungsplattformen 284, 329, 394 f. Principles of European Contract Law 282 f. Privatrechtsgesellschaft 77 ff., 362 – Bindung 81 – Grundlagen 77 – Interaktion und Partizipation 96 f. – Regulierung 79 Privatrechtsgesellschaft, digitale s. Digitale Privatrechtsgesellschaft Prozedurales Recht 73 f. Rechtspersönlichkeit für autonome Anwendungen 314, 348 ff. Rechtssubjekt 60, 249 f., 314, 348 ff. Regulierung 326 ff., 362 ff., 375 ff., 381 ff., 385 f.
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– Instrumentendesign 384 f. – Kollaboration 379 – Ko-Regulierung und Selbstregulierung 378 ff. – Standardisierung 378 f. Relativität der Schuldverhältnisse 90 ff. Responsivität 58 f., 96, 226 f., 235, 317, 337 f., 356, 363, 388 Reziprozität 64 f., 66 ff., 74, 358 Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs s. Warenkauf-Richtlinie Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen s. Digitale Inhalte-Richt linie Riesenhuber, Karl 85 ff. Risikoallokation 323 f. Rohe, Mathias 211 ff., 218 Schanze, Erich 205 Schmidt, Karsten 226 Schulte-Nölke, Hans 278 Schutzwürdigkeit 73 ff. Selbstbindung 75 Selbstorganisation 25 Sester, Peter 127 Smarte Produkte 31 ff., 160 ff., 170 ff., 290 ff., s. Internet der Dinge Smart Contracts 35 ff., 52, 187 ff., 305 – Abbildung und Ausführung 187 – Rechtsgültigkeit 305 – Rechtsgeschäftslehre 193 – Vertragliche Bindung 188 Specht, Louisa 235, 238, 245, 342 f. Spiecker gen. Döhmann, Indra 13, 31 Spindler, Gerald 22, 194, 237 Standardisierung 378 f. Steinmann, Christina 215 Stellvertretung 242 ff. Stellvertreter, autonomer 341 ff., 346 f. System 12 – Autopoietisches 57 f. System Recht 55 ff., 388 Systemische Akteure des Vertragsrechts 337 ff., 396
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Sach- und Personenregister
Systemische Bindung 11 ff., 42 ff., 326 ff., 368 ff., 388, 397 – Ein- und Abgrenzungen 49 – Gesellschaftliche Vorteile 319 ff. – Schutzwürdigkeit 73 ff., 389 – Vertragssicherheit 368 ff., 397 Systemische Öffnung 326 ff. Systemische Risiken 368 ff., 371, 397 Systemische Strukturen des Vertragsrechts 333 ff., 395 Systemtheorie s. System Recht Teubner, Gunther 57, 76, 206 ff., 214, 217 f., 226, 233 ff., 320, 322, 339 ff., 357, 359 Ulrici, Bernhard 127 Umweltsensibilität 58, 69, 81, 83, 85, 96, 227, 230, 324, 337 f., 356, 388 f., 396 UNIDROIT Principles 280 f. UN-Kaufrecht 280 Verbundproblem 95, 389 Vermittlerklauseln 146 ff., 150 f., 330 f. Vermittlungsplattformen 152 ff. – AGB-rechtlicher Zugriff 154 – Auslegung 153 – Grundlagen 152 – Unionsrecht 155 – Vertragsschluss 152 ff. – Vorschlag für eine Richtlinie zu Online-Vermittlungsplattformen 284 ff., 329, 394 f. Vertrag, mehrseitiger 17, 177 ff., 191 f. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 17 f., 92, 222 f. Vertrag zugunsten Dritter 17 f., 81, 92, 129 ff., 222, 328 Vertrag, zweiseitiger 17, 100 ff. – ergänzende Vertragsauslegung 112 ff.
– Vertragsschluss 101 ff. – Willenserklärung 110 ff. Vertragliche Ökosysteme 10 f., 366 Vertragsnetzwerke 8, 194 ff., 199 f., 200 ff. – Dogmatik 202, 219 ff. – Dogmatische Figur 200 ff. – Grundlinien 195 Vertragsrecht, multipolares 43 f., 45 ff., 392 f. Vertragsschlussgehilfe, autonomer 343 f., 347 f. Vertragssicherheit 368 ff., 397 Vertragssysteme s. Vertragsnetzwerke Vertragstheorie, relationale 62 ff., 205 f. Vertragsverbünde s. Vertragsnetzwerke Verbraucherrechterichtlinie 300 f. Vesting, Thomas 55 f. Vorschlag für eine Richtlinie über Online-Vermittlungsplattformen 284 ff., 329, 394 f. Warenkauf-Richtlinie 164 ff., 298 f. Weber, Sebastian 195 ff., 199 f., 208 f., 220, 226, 334 Wellenhofer, Marina 227 Wendehorst, Christiane 33 f., 290 ff., 328, 330 f., 394 Wiebe, Andreas 120 f. Wiewiórowska-Domagalska, Aneta 278 Wille 262 ff., 365 f. Willenserklärung 102 ff., 110 ff., 233 ff. – autonome Erklärung 339 ff., 346 – elektronische s. Computererklärung Williamson, Oliver E. 287 Wolf, Manfred 106, 109, 390 Zech, Herbert 30 Zertifikate 379 ff. Zoll, Fryderyk 278 Zwanzger, Michael 177 f.