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German Pages 523 [532] Year 2006
Schmidt · Integration und Wandel
Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
Band 6
R. Oldenbourg Verlag München 2006
Wolfgang Schmidt
Integration und Wandel Die Infrastruktur der Streitkräfte als Faktor sozioökonomischer Modernisierung in der Bundesrepublik 1955 bis 1975
R. Oldenbourg Verlag München 2006
Umschlagabbildungen: Kasernengebäude in Schwanewede (Foto: Informations- und Medienzentrale, Bildarchiv); Keramikmosaik des Kunstmalers Curd Lessig am Eingang eines Kompaniegebäudes der Kaserne in Hammelburg, Aufnahme von 1960 (Foto: BA-MA, BH 1/7192)
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ISBN-13: 978-3-486-57957-4 ISBN-10: 3-486-57957-6
Inhalt
Vorwort Einleitung I.
Dislozierung und Standortplanung im Spannungsfeld ziviler und militärischer Interessen 1. 2.
II.
Truppenstärke und Verteidigungsplanung Dislozierungs- und Standortplanung angesichts unklarer Infrastrukturlage
Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Landbedarf und Wohnungsbau für die Besatzungsmächte Antizipierte raumwirksame Folgen im Vorfeld des deutschen Streitkräfteaufbaus Gesetzliche Regelungen des militärischen Landbedarfs Militärischer Landbedarf und die Entwicklung des Organisationsgefüges zwischen Bund und Ländern Die Infrastrukturlage der Bundeswehr 1956 unter parlamentarischer Beobachtung Probleme der Organisation des Militärbauwesens in der Bundesrepublik
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen 1. 2. 3.
4.
Garnisonsbewerbungen Auswirkungen auf die Raum- und Siedlungsstruktur Der Bodeneffekt a) Agrarstrukturen und ökologische Folgen b) Siedlungsstrukturelle Folgen Der Infrastruktureffekt
VII 1
19 21 32
69 71 89 103 124 144 160
185 189 232 254 257 279 335
VI
Inhalt
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen 1. 2. 3.
V.
Der Der Der a) b)
Sozialstruktureffekt Beschäftigungseffekt Wirtschaftseffekt Personal und Einkommen Nachfrage
359 359 396 403 404 408
Probleme der Nuklearinfrastruktur am Beispiel des Flugabwehrraketensystems NIKE
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Schlussbetrachtung
467
Verzeichnis der Tabellen Abkürzungen Quellen- und Literatur Personenregister Ortsregister
475 479 481 507 511
Vorwort Erstmals in der deutschen Geschichte gelang mit der Wehrverfassung 1955/56 ein dem demokratischen Staat adäquates Regelwerk, das die bald Bundeswehr genannten westdeutschen Streitkräfte parlamentarisch einhegte. In wenigstens zweifacher Hinsicht war dies unumgänglich gewesen. Zum einen lastete die totale militärische wie moralische Niederlage Deutschlands mit einer vielfach belasteten Wehrmacht als schwere Hypothek auf der Nation. Schon zuvor stand die Reichswehr bestenfalls neutral der Weimarer Republik gegenüber. Demokratisches Bewusstsein war kein Bestandteil deutscher militärisches Tradition. Zum anderen aber hatten sich die politischen und die gesellschaftlichen Verhältnisse seit 1945 grundlegend verändert. Unter den rechtsstaatlichen Bedingungen waren Streitkräfte in der Bundesrepublik kaum anders vorstellbar, als unter dem Primat demokratisch legitimierter Politik. Insoweit lieferte die Wehrverfassung die wichtigste Voraussetzung für die Integration der Bundeswehr in das Gemeinwesen. Aber die faktische Integration und die Nagelprobe für die gesellschaftliche Akzeptanz der »neuen Wehrmacht« fand an anderer Stelle statt. Dabei schien die mit der Aufstellung der Verbände einher gehende schrittweise Eingliederung der Soldaten zwischen zwei Polen zu oszillieren. Einerseits sah der Bürgermeister einer Provinzgemeinde in einer Garnison 1955 »eine feine Sache«. Andererseits wies 1956 ein Plakat an einem Münchner Lokal mit den Worten »Uniformen nicht erbeten« darauf hin, dass der Anblick von Uniformen den zivilen Gästen die gute Laune verderbe. Beiden unterschiedlichen Perspektiven ist gemeinsam, dass sie plakativ auf den Interaktionsprozess hinweisen, den die Implementierung von Truppenkörpern in einer militärkritischen Gesellschaft auslösen musste. Der Aufbau neuer Streitkräfte ging nun nicht mehr nur innerhalb der verfassungs- und sicherheitspolitischen Diskurse vonstatten. Im Angesicht realer Soldaten erreichte die zwischen partieller Zustimmung, verbreiteter Skepsis und offener Ablehnung pendelnde öffentliche Auseinandersetzung den Mann auf der Straße unmittelbar. Im Kontext moderner zeithistorischer Forschung, die sich nicht mehr nur auf die makropolitische Entscheidungsebene konzentriert, sondern auch deren Vorgaben mit ihren bis in die Mikroebene hineinreichenden Wirkungen untersucht, steht auch die vorliegende Studie zur militärischen Infrastruktur als einem Faktor sozioökonomischer Modernisierung in der Bundesrepublik. Ereignisgeschichtlich betrachtet, fiel der Bundeswehraufbau genau in jene Entwicklungsphase Westdeutschlands, die der Begriff vom Wirtschaftswunder
VIII
Vorwort
wohl nur unzureichend umschreibt. Vielmehr gelten die fünfziger Jahre als Sattelzeit eines jetzt einsetzenden, in den folgenden Dekaden immer mehr Fahrt aufnehmenden politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Wandels. Die Impulse dazu kamen auch von der Bundeswehr, die eben nicht nur ein nach außen gerichtetes sicherheitspolitisches Instrument war. Die Armee musste sich vielmehr auf allen Ebenen konkurrierend in die bereits ausformulierten, vom Zivilen dominierten Rahmenbedingungen einfügen. Die Auswirkungen eines so verstandenen innenpolitischen Integrationsprozesses wirkten sich dann dort am stärksten aus, wo die Truppenteile mit Rücksicht auf die Verteidigungsplanung der NATO in bislang von Militär freien Räumen disloziert werden mussten. Weil neue Garnisonen mit ihren großen Kasernenneubauten als augenfälliges raumstrukturelles Merkmal überdies in oft benachteiligten, ländlichen Regionen eingerichtet wurden, lassen sich die damit induzierten Wirkungen im Sinne einer sozialhistorisch verstandenen Zeitgeschichtsforschung an ihnen besonders deutlich messen. Wenigstens zweierlei ist damit gelungen: Einmal kann die Vielfalt sozioökonomischer Entwicklungen Westdeutschlands durch die Betrachtung des bislang weitgehend vergessenen militärischen Bereichs weiter ausgeleuchtet werden. Insoweit ergänzt und ordnet sich die vorliegende Untersuchung ein in die Geschichtsschreibung zur Bundesrepublik, die zunehmend unter den Blickwinkeln einer nach-nationalsozialistischen Nachkriegsgeschichte im Neuaufbruch oder einer Geschichte der Modernisierung von Staat und Gesellschaft steht. Zum anderen löst die Reflexion über die zivil-militärischen Interaktionsprozesse und deren Wirkungen am Beispiel der Streitkräfteinfrastruktur auch das ein, was wir heute unter moderner Militärgeschichte verstehen. Es sind nämlich keineswegs nur die Kriegsvorbereitung oder die Kriegführung selbst, die das Eigentliche militärhistorischer Forschung ausmachen. Das zivilgesellschaftlich bestimmte Gefüge der Bundesrepublik verlangt geradezu danach, den darin enthaltenen Bezugskontext als Erkenntnis leitende Kategorie für eine Geschichte der Bundeswehr heranzuziehen. Dies schließt einen mehrdimensionalen Forschungsansatz ausdrücklich ein, verpflichtet einem interdisziplinären Methodenkanon. Ich danke dem Verfasser der Studie, Herrn Oberstleutnant Dr. Wolfgang Schmidt, für seinen Einsatz und das beeindruckende Ergebnis seiner Forschungsarbeiten. Auch in seinem Namen gilt den Damen und Herren der Schriftleitung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Frau Christine Mauersberger für den Satz, Frau Marina Sandig für die Bildrecherche sowie dem Lektor, Herrn Oberst a.D. Dr. Roland G. Foerster (Kenzingen), für engagierte und kompetente Unterstützung mein aufrichtiger Dank. Dr. Hans Ehlert Oberst und Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
Einleitung
Die Aufrüstung der Bundesrepublik Deutschland war innenpolitisch bis über die Mitte der fünfziger Jahre hinaus bestimmt von zwei zentralen Fragen. Erstens, ob überhaupt ein westdeutscher Verteidigungsbeitrag geleistet werden sollte. Wenn ja, dann zweitens, wie die neue Armee im demokratisch verfassten politischen System zu verankern sei und ihre innere Ordnung beschaffen sein sollte. Unter heftigen, teilweise erbittert geführten parlamentarischen wie gesellschaftlichen Debatten war die Problematik des Ob mit der Aufnahme der Bundesrepublik als 15. Mitglied in die NATO am 9. Mai 1955 entschieden worden. Besonders beim Wie schlug dann die Stunde der Legislative. Angesichts der historischen Belastungen des deutschen Militärs schalteten sich Bundestag und Bundesrat partei- und fraktionsübergreifend sowie mit Nachdruck in die rechtliche Ausgestaltung des Wehrbeitrages ein. Trotz weiterhin bestehender Ablehnung der militärischen Westbindung durch die SPD-Opposition erfolgten die wehrverfassungsrechtlichen Ergänzungen des Grundgesetzes unter pragmatischer Kooperationsbereitschaft dieser Partei. Die weithin erforschte politisch-parlamentarische wie auch gesellschaftspolitische Integrationsleistung dieser so genannten großen Wehrkoalition kann angesichts der Rolle deutscher Streitkräfte bis 1945 nicht hoch genug eingeschätzt werden 1 . Denn letztlich ging es um die weitere Domestizierung der imperial-militärischen Macht durch den seit 1949 demokratisch verfassten Staat und seine zivile Gesellschaft. In nicht einmal zwei Jahren, von 1955 bis 1957, war ein demokratisches Regelwerk entstanden, das die westdeutschen Streitkräfte parlamentarisch einhegte. Etwa durch die Übertragung der Befehls- und Kommandogewalt auf den dem Parlament rechenschaftspflichtigen Verteidigungsminister bzw. im Kriegsfalle auf den Bundeskanzler sowie durch parlamentarische Kontrollmechanismen, wie sie im Aufgabenkatalog des Verteidigungsausschusses 2 oder in der Funktion des Wehrbeauftragten festgeschrieben wurden 3 . Dem entsprachen das nach innen gerichtete Leitbild vom Staatsbürger in Uniform als idealtypischer Rollenbeschreibung des neuen Soldaten sowie die unter dem Begriff der Inneren Führung abgefassten Grundsätze der Menschenführung und Normen für den
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Vgl. Α WS, Bd 2, S. 235-604 (Beitrag Volkmann); AWS, Bd 3, S. 235-560 (Beitrag Ehlert). Vgl. Bald/Sahner/Zimmer, Parlamentarische Kontrolle. Vgl. auch Berg, Der Verteidigungsausschuß. Vgl. zur Entstehungsgeschichte, zu den Kompetenzen und zum Wirken des Wehrbeauftragten Schlaffer, Der Wehrbeauftragte, S. 18.
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Einleitung
internen Alltagsbetrieb4. In Anlehnung an die gesamtgesellschaftliche Signatur der Epoche, welche von der Zeitgeschichtsschreibung in den Begriff der Wandlungsgesellschaft gefasst wird, kann dieser Schritt durchaus als militärkulturelle Modernisierung beschrieben werden. Angesichts der konfliktreichen Vieldimensionalität und Ungleichzeitigkeit, welche gesellschaftliche Entwicklungsprozesse grundsätzlich auszeichnen, nimmt es jedoch kaum wunder, dass auch die Bundeswehr der frühen Jahre gekennzeichnet war »durch die Gleichzeitigkeit von Reformanspruch und Restitution in der Praxis«5 - nicht zuletzt wegen des vor 1945 liegenden primären Sozialisationszeitpunkts ihrer militärischen Positions- und Funktionselite6. Selbst wenn man den demokratisch bestimmten militärkulturellen Modernisierungsprozess, der streitkräfteintern freilich erst zeitversetzt seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre flächendeckender zur Geltung zu kommen schien7, nicht für »eine der innovativsten und kreativsten Neuerungen der Bundesrepublik Deutschland [hält], in ihrer Bedeutung durchaus vergleichbar der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft«8, so ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass die insinuierend genannte »Remilitarisierung« eben keine Rekonstruktion vormaliger, demokratiefeindlicher oder zumindest demokratieneutraler deutscher Wehrformen gewesen ist. Noch im Verlauf der weithin in den Medien verbreiteten Debatten um die Wehrgesetzgebung konnten sich die Bundesbürger im Übrigen auch optisch ein Bild von dem machen, was sie von ihrer neuen Wehrmacht vielleicht zu erwarten hatten. »Erfreulich zivil«, wie sich die gewiss nicht zur Regierungspresse zählende Frankfurter Rundschau ausdrückte, ging es nämlich am 12. November 1955, dem 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst zu, als die ersten 101 Freiwilligen der bundesrepublikanischen Armee ihre Ernennungsurkunden aus der Hand von Verteidigungsminister Theodor Blank erhielten9. In der Tat war die von über 50 Medienvertretern in Wort und Bild der Öffentlichkeit vermittelte Verpflichtungsfeier, der erste offizielle Auftritt der späterhin Bundeswehr (1956) genannten Streitmacht, sehr bescheiden. Nur mäßig schmückten ein übergroßes Eisernes Kreuz, schwarz-rot-goldene Fahnen und wenige Blumenbuketts die zur Feierstunde dekorierte Ausbildungshalle der alten Ermekeilkaserne in Bonn. Keine Marschmusik war zu hören und - anders als bei ähnlicher Gelegenheit in Ostberlin - keine im Stechschritt paradierenden Soldaten waren zu sehen. Überhaupt steckten nur zwölf von ihnen in schlichten mausgrauen Uni4
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8 9
Vgl. zukünftig Nägler, Die personelle Rüstung. Zur innermilitärischen Praxis vgl. Schlaffer, Schleifer a.D.? Bald, Bürger in Uniform, S. 3 9 2 - 4 0 2 , hier S. 402. Vgl. Naumann, Nachkrieg als militärische Daseinsform, S. 4 4 4 - 4 7 1 . Eine seit längerem von der Zeitgeschichtsforschung geforderte Sozialgeschichte der Bundeswehr, durch die ermittelt werden könnte, wann und mit welcher Intensität überkommene militärische Verhaltensmuster durchgängig abgelöst worden sind, steht noch aus. Bedingt vgl. AWS, Bd 3, S. 8 5 1 - 1 1 6 2 (Beitrag Meyer). Vgl. Abenheim, Bundeswehr und Tradition. Vgl. auch Naumenn, Schlachtfeld und Geselligkeit. Bredow, Demokratie und Streitkräfte, S. 112. Vgl. Thoß, Allgemeine Wehrpflicht, S. 1 4 7 - 1 6 2 , hier S. 147.
Einleitung
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formen von zweireihigem Zuschnitt, die keinerlei Ähnlichkeiten mit traditioneller deutscher Uniformmode aufwiesen. Der Rest trug Straßenanzüge und demonstrierte eine augenscheinliche Zivilität. Dass der die Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmende Militarismus offenbar verschwunden war, hätte man wohl schwerlich besser inszenieren können. Obwohl das mediale Bild von Soldaten ohne Uniformen einerseits wohl als Metapher eines postheroischen Habitus verstanden werden konnte, dem, nebenbei bemerkt, keinesfalls alle zu folgen bereit waren, war andererseits aber auch das Behelfsmäßige, offenkundig auch Unfertige des Streitkräfteaufbaus mit Händen zu greifen. Gerade das alt/neue militärische Establishment reagierte mit »Mißstimmung und Verärgerung« über diese reine »Schaunummer für die Presse« und wollte deshalb in dieser Veranstaltung nicht die »Geburtsstunde einer neuen Wehrmacht« sehen. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer hätte es gerne gesehen, »wenn alle schon Uniformen gehabt hätten und wenn zum Schluß der Feier das Deutschlandlied gespielt worden wäre«10. Natürlich ging es dem Kanzler weder um militärisches Zeremoniell als solches noch um das Kleid des Soldaten an sich. Wohl aber wusste er um den Wert staatlicher Repräsentation. Zur Verärgerung bestand aus seiner Sicht außerdem aktueller politischer Anlass. Trotz aller Ankündigungen und Vorarbeiten waren seit der Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO am 9. Mai 1955 noch immer keine Truppenteile aufgestellt. Die Verbündeten zeigten sich irritiert und zweifelten, ob die Deutschen ihre Bündnisverpflichtungen - innerhalb kurzer Zeit einen militärischen Beitrag zu Verteidigung Westeuropas zu leisten - überhaupt ernst nahmen. In der Tat waren die praktischen Arbeiten am Streitkräfteaufbau seit Herbst 1954 de facto zum Stillstand gekommen. Um die heftig umstrittene Ratifizierung der Pariser Verträge nicht zu gefährden, jenes Junktim aus Auflösung des Besatzungsregimes, fester Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Staaten-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sowie Einlösung der eingegangenen militärischen Verpflichtungen, hatte Adenauer selbst die Weiterarbeit an den Wehrgesetzen ausgesetzt11. Übrigens im Wissen um den Zeitbedarf, den sowohl das Gesetzgebungsverfahren als auch die daran anschließenden praktischen Vorarbeiten benötigen würde. Unermüdlich hatte Sicherheitsberater Blank auf fünf Vorbedingungen hingewiesen, die auch nach Ansicht der militärischen Planer erfüllt sein mussten, um die Streikräfteaufstellung zeitgerecht verwirklichen zu können: 1. Schaffung der gesetzlichen Grundlagen als zentrale Voraussetzung für 2. die Bereitstellung der finanziellen Mittel, 3. die Bereitstellung von Personal und Material für die ersten Lehrgänge und Truppenteile, 4. die Einleitung von Baumaßnahmen und 5. den Anlauf von Rüstungsvorbereitungen.
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"
Adenauer an Blank, 17.11.1955, zit. nach Schwarz, Adenauer, Bd 2, S. 246. ΑWS, Bd 3, S. 557 (Beitrag Ehlert).
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Einleitung
Im Sommer 1957 konnte die Wehrgesetzgebung bis auf ganz wenige Ausnahmen (1960 Gesetz über den zivilen Ersatzdienst) abgeschlossen werden. Im Übrigen keine geringe Leistung angesichts eines Pakets von 21 Gesetzen. Aus demokratiegeschichtlicher Perspektive war, wie eingangs erwähnt, der Einbau der Bundeswehr trotz verschiedentlicher Stolpersteine ein Erfolgsmodell. Theodor Blank freilich, seit 1950 als Sicherheitsbeauftragter Adenauers federführend mit der politischen Realisierung des Streitkräfteaufbaus beauftragt, erlebte das Gelingen hingegen nicht mehr im Amt des Verteidigungsministers. Mit seiner Entpflichtung am 16. Oktober 1956 und der Übertragung der Amtsgeschäfte auf Franz Josef Strauß vom Fraktionspartner CSU hatte Bundeskanzler Adenauer nach längerem Zögern für diejenige personelle Konsequenz gesorgt, welche nach Ansicht vieler seiner politischen wie militärischen Berater notwendig geworden war, um den ins Stocken geratenen Aufbau der Bundeswehr wieder - oder überhaupt erst richtig - in Gang zu bringen. Im Nachgang dieses Personal- wie in der Folgezeit projektiven Politikwechsels bei der Aufrüstung kamen schließlich während der Sitzung des CDU-Bundesparteivorstandes am 23. November 1956 vornehmlich unter dem Gesichtspunkt befürchteter außen- bzw. bündnispolitischer Schäden noch einmal alle Schwierigkeiten zur Sprache. Weil man auf dem Gebiete der Aufrüstung völlig versagt habe, so der hier selbstkritische Adenauer, habe die Bundesrepublik schwere Sünden gegenüber der NATO begangen. An den Beginn seiner umfänglichen Philippika rückte er als das zentralste, drängendste Problem die ungelöste Unterbringungsfrage für die einzuziehenden Soldaten, die es so schwierig machte, den ursprünglichen Zeitplan für die Aufstellung der Bundeswehr - 500 000 Mann innerhalb von nur drei Jahren ausgebildet unter Waffen zu haben - einzuhalten: »Wenn wir einem Engländer, einem Franzosen, einem Italiener, einem Amerikaner sagen: Wir haben keine Kasernen, und infolgedessen können wir keine Leute einziehen, dann sagt uns jeder von denen: Fabriken der modernsten Art könnt ihr bauen, ihr könnt unendlich vieles andere tun auf dem Gebiet des Wohnungsbaues und der sonstigen öffentlichen Bauten, nur Kasernen wollt ihr nicht bauen können! Das glauben wir euch nicht, daß ihr das nicht könnt [...] Kein Ausländer, der durch Deutschland reist und sieht, was alles an neuen Bauten hier geschaffen worden ist, nimmt uns die Entschuldigung ab, wir hätten keine Kasernen bauen können und seien infolgedessen nicht in der Lage gewesen, Leute einzuziehen12.« Aus Sicht der Bündnispartner schien das deklamierte Unverständnis über den Stand der militärischen Infrastruktur angesichts der tatsächlich erfolgten enormen Aufbauleistungen in der Bundesrepublik nur allzu berechtigt zu sein13. Nur ein Beispiel aus dem erfolgreichen Bereich der hier angesprochenen Sozialinfrastruktur - aus dem Wohnungsbau - mag die in der Tat ja auch vorgebrachte alliierte Kritik illustrieren: Nicht zuletzt aufgrund erheblicher Anstren-
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Adenauer: Wir haben wirklich etwas geschaffen, S. 1115. Zu den verschiedenen politischen, ökonomischen und sozialen Aspekten und Wirkungsfaktoren des Wiederaufbaus im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik vgl. Modernisierung im Wiederaufbau. Vgl. auch Der Boom, S. 7-32.
Einleitung
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gungen der öffentlichen Hand im Rahmen mehrerer Wohnungsbaugesetze 1950, 1953 und 1956 und von Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau hatte sich beispielsweise die Zahl der Wohnungen von 1950 bis 1961 um über 50 Prozent auf 16,4 Millionen erhöht. Allein fünf Millionen Wohneinheiten entstanden in diesem Zeitraum neu. Im Jahr der Aufstellungskrise der Bundeswehr, 1956, war der Spitzenwert mit 591 082 fertiggestellten Wohnungen erreicht worden. Trotz des teilweise noch erheblichen Zerstörungsgrades der Städte und trotz des stetigen Zustromes von Flüchtlingen aus der DDR konnten die beengten, sanitär häufig unzureichenden Wohnverhältnisse insbesondere durch den Sozialen Wohnungsbau nicht nur überwunden, sondern auch der Wohnstandard deutlich angehoben werden14. Wo aber sollten angesichts eines solch deutlich sichtbaren sozialen Fortschritts, ein Ergebnis jener als Wirtschaftswunder bezeichneten rasanten Wiederaufbauphase nach dem Kriege, nun die Hemmnisse zu suchen sein, die es Westdeutschland nicht erlaubten, die erforderliche militärische Infrastruktur parallel zum Aufwuchs der Truppe bereitzustellen? Sicherlich lag es nicht an einer mangelnden Lagefeststellung. Noch bevor das Vertragswerk zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft am 27. Mai 1952 in Paris unterzeichnet worden war, wurde im Amt Blank ab April diesen Jahres an einer ersten Bestandsaufnahme verfügbarer oder verfügbar zu machender Unterbringungsmöglichkeiten für deutsche Truppen in der Bundesrepublik gearbeitet15. Von 560 auf westdeutschem Territorium liegenden Kasernenanlagen waren etwa 380 von den Besatzungsmächten belegt, 180 dienten als Ersatzunterkünfte für Flüchtlinge, Betriebe oder Behörden. Und genau in diesen vielfältigen, oftmals komplexen Besitz- und Nutzungsverhältnissen lag - nicht ausschließlich - aber immerhin ein Gutteil jener Probleme begründet, die dem Verteidigungsminister eine zeitgerechte infrastrukturelle Sicherstellung des Streitkräfteaufwuchses erschwerte. Rechtlich sah die Situation so aus, dass die bei Kriegsende den Zwecken der ehemaligen Wehrmacht gewidmeten Liegenschaften des Reiches der Beschlagnahme, Verwaltung und Aufsicht durch die Militärregierungen unterlagen. Während die französische und die amerikanische Militärregierung kurz vor der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 in ihren Zonen gelegenes Reichsvermögen auf die Länder übertrugen, stellte die britische Militärregierung die Eigentumsfrage unter Hinweis auf eben dieses Grundgesetz zurück. Ausgehend von der Identitätstheorie, wonach Reich und sein Rechtsnachfolger Bund identisch sind, legte das Grundgesetz in Art. 134 zwar fest, dass das Vermögen des Reiches grundsätzlich Bundesvermögen wird. Andererseits erwies sich die Fassung dieser Gesetzesnorm als wenig glücklich, was der Eile und den beson14
15
Zum Zerstörungsgrad und Wiederaufbau v.a. beim Wohnungsbau vgl. Dokumente Deutscher Kriegsschäden, Bd 5/1. Vgl. auch Häring, Zur Geschichte und Wirkung staatlicher Interventionen, S. 131-140, 237, 240; Neue Städte aus Ruinen; Schildt, Wohnungspolitik, bes. S. 166-178. Zum sozialen Wohnungsbau in der Region vgl. Auffahrt/Saldern, Der soziale Wohnungsbau, S. 161-181; Bauen und Wohnen in Niedersachsen, S. 233 f. Vgl. Koller-Kraus, Die Anfänge der »Militärischen Infrastruktur«, S. 73.
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Einleitung
deren Umständen zugeschrieben wurde, unter denen die Verfassungsarbeit vonstatten ging. Weil nämlich eine exakte Interpretation im juristischen Sinne nicht möglich war, bedurfte es erst des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen von 1951 (sog. Vorschaltgesetz) sowie der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, um dieser Verfassungsnorm in der Auseinandersetzung mit den Ländern bis in die zweite Hälfte der fünfziger Jahre Geltung zu verschaffen. Auch wenn demnach das gesamte ehemalige Wehrmachtliegenschaftsvermögen als Bundesvermögen anzusehen war und ein Land die Herausgabe etwa einer Kaserne für die militärische Wiederverwendung letztlich nicht verweigern konnte, gingen die Fiskalverwaltungen der Länder oftmals nur sehr ungern daran, diese Liegenschaften zurückzugeben. Denn ein Großteil der Kasernen war für Wohnzwecke vermietet worden und stellte somit einen nicht unerheblichen Teil des von den Bundesländern verwalteten Finanzvermögens dar16. Jenseits dieser Rechts- und Fiskalstandpunkte bedeuteten die militärischen Liegenschaften aber auch ein erhebliches sozial- und wirtschaftspolitisches Kapital für die Länder, denen damit die Lösung so drängender Probleme wie Flüchtlingsaufnahme und -integration oder Linderung der Wohnungsnot sehr erleichtert wurde. Aus einer äußerst detailreichen Ubersicht über die im Land Bayern zum 1. April 1951 vorhandenen Kasernen geht zum Beispiel hervor, dass von den 249 dort vorhandenen Militärimmobilien (überwiegend Kasernen, Flugplätze, Lazarette, Hotels, Lager, Übungsplätze und sonstige Freiflächen) 89 von den U.S.-Streitkräften genutzt wurden - nebenbei bemerkt diejenigen mit der neuesten und besten Bausubstanz. Etwa 50 standen der International Refugee Organization for Displaced Persons und für Flüchtlinge zur Verfügung. Bei weiteren 50 war unter der Rubrik Nutzung für zivile Zwecke vermerkt: Wohnungen oder Betriebe. Den Rest nutzten zumeist Behörden oder die Gebäude standen, weil Ruinen oder wegen allzu schlechter Bausubstanz leer17. Infolge solcher Umstände verwundert es nicht, dass Blank in seiner Rechtfertigung gegenüber der Adenauerschen Feststellung vom deutschen Versagen auf dem Gebiete der Aufrüstung die Mitglieder des CDU-Parteivorstandes erneut daran erinnerte, der Verteidigungsminister habe gar nicht die Kompetenz, eine Kaserne zu bauen oder zu räumen: »Sie wissen alle, daß das Räumen der mit Flüchtlingen belegten Kasernen Angelegenheit des Flüchtlingsministers ist im Zusammenwirken mit dem Finanzminister und den Landesregierungen18.« Er habe, so sein Fazit, die Unterbringung »nur in einem sehr beschränkten oder besser gesagt, in keinem Umfang in der Hand«19. In mehrfacher Hinsicht sind die Worte Blanks, der die ungelöste Kasernenfrage gegenüber dem U.S.-Botschafter in Bonn dezidiert als den eigentlichen Grund für seinen »Rausschmiß aus dem Kabinett« benannt hatte20, bemerkens16 17 18 19 20
Vgl. Gressl, Das rechtliche Schicksal, S. 132-134. BA-MA, BW 1/21198. Adenauer: Wir haben wirklich etwas geschaffen, S. 1118. Ebd. Zit. nach AWS, Bd 4, S. 157 (Beitrag Abelshauser).
Einleitung
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wert. Vielleicht nicht so sehr wegen ihres Rechtfertigungscharakters, wiewohl die Argumente in der Sache partiell durchaus zutreffend sein mochten. Schon eher markieren sie einen weiteren integrationspolitischen Abschnitt der westdeutschen Sicherheitspolitik, welche, um das eingangs zitiere Wortspiel vom Ob zum Wie aufzunehmen, zur Frage nach dem Wohin bzw. Wo überleitet. Die im CDU-Bundesvorstand überwiegend vor einem bündnispolitischen und innermilitärischen Hintergrund abgelaufene Erörterung eröffnet nämlich den Zugang zur Untersuchung sehr beträchtlicher integrationspolitischer Weiterungen, die im Kontext der Raumwirkung von Bundeswehreinrichtungen und ihren sozial-, struktur- und wirtschaftspolitischen Folgen stehen. Allein der Hinweis auf das in dieser Angelegenheit erforderliche Zusammenwirken mit anderen Bundesressorts und sogar Landesregierungen verdeutlicht einmal mehr das Bezugssystem, in das sich die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland nicht allein auf der politisch-parlamentarischen Oberebene des Bundes konkurrierend einfügen mussten: eine seit 1949 etablierte und eingespielte Ordnung, die auf einer rechtstaatlichen und föderativen Grundlage ruhte. Innerhalb dieses Gefüges gab es, wie etwa die von 1954 bis 1956 geführten Debatten um den verfassungsrechtlichen Einbau der Bundeswehr im Rahmen der Wehrgesetzgebung zeigten, oftmals erhebliche Interessengegensätze. Solche reklamierte nicht nur die SPD-Opposition. Unterschiedliche Vorstellungen kamen gerade auch von den Ländern, selbst wenn diese fest in CDU-Hand waren. Schließlich ging es mit Blick auf die zuweilen äußerst dominante und verhängnisvolle Rolle des Militärs in Deutschland bis 1945 »als Verfassungsproblem und als Belastung des sozialen Lebens«21 selbst bei der Abstimmung von Ressortkompetenzen im Kern um den besonders heiklen Komplex der »civil control«, der demokratischen Einhegung militärischer Gewalt. Beim hier zur Rede stehenden Bereich sah es beispielsweise so aus, dass dem Verteidigungsminister als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt im Frieden zwar die Planung, Führung, Aufstellung, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte obliegen sollten, die damit teilweise verbundenen administrativen Aufgaben indes zivilen Bundes- bzw. Landesbehörden vorbehalten blieben. Anders ausgedrückt: Das auf demokratischer und föderativer Grundlage ruhende staatliche Gemeinwesen empfand eine zu starke militärische Sonderverwaltung als Störfaktor22. Es wäre aber sicherlich zu kurz gegriffen, wenn man die Suche der neuen Streitkräfte nach Unterbringungsmöglichkeiten und das sich darüber entwickelnde zivil-militärische Verhältnis nur aus demokratie-, verfassungs- und verwaltungsgeschichtlichem Blickwinkel betrachten würde. Zweifellos ist dies wichtig, erklären sich doch so die Handlungsspielräume und eventuell die Muster steuernder Einflussnahme der beteiligten Staatsorgane. Wenn man allerdings den Streitkräfteaufbau ab 1955 unter Beachtung eines weit gefassten Innenpolitik-Begriffs, der die Gesamtheit der Vorgänge um die Innenverhältnisse 21 22
Kocka, 1945: Neubeginn oder Restauration?, S. 157. Vgl. Bode, Militärische und zivile Verteidigung, S. 539-541.
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Einleitung
eines Staats umschließt, als einen integrationspolitischen Prozess begreift, der sich innerhalb jenes fundamentalen sozialen und ökonomischen Wandlungsprozesses abspielte und in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg beileibe nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch große Teile Westeuropas und Amerikas erfasst hatte, dann bedeutet dies konsequenterweise, auch die erzielten Ergebnisse als Untersuchungskategorie mit ihren jeweils eigenen Qualitäten zu berücksichtigen. So geben beispielsweise die Tatsachen, dass die Bundeswehr nach offiziellen Angaben 1969 etwa 3000 Liegenschaften mit einer Gesamtfläche von 250 000 ha nutzte, wovon seit 1955 etwa 42 000 ha neu beschafft und im selben Zeitraum für Baumaßnahmen zwischen 1,3 und 1,4 Mrd. DM im Jahresdurchschnitt verausgabt worden waren23, oder, dass für Zwecke der Verteidigung bis Mitte der siebziger Jahre insgesamt 2,13 Prozent (530 000 ha) der Gesamtfläche der Bundesrepublik beansprucht worden waren, oder, dass alliierte und deutsche Soldaten in zusammen 1000 Garnisonen stationiert waren24, einen Hinweis darauf, im Streitkräfteaufbau stecke womöglich ein enormes raumwirksames Potenzial. Hinterlegt man nun den von der Zeitgeschichtsforschung für die Bundesrepublik in vielfältigen Bereichen konstatierten tiefgreifenden und nachhaltigen sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandel während der fünfziger und sechziger bis hinein in die siebziger Jahre, so stellt sich fast automatisch die Frage nach dem Anteil der Bundeswehr daran. Drei Zahlenbeispiele mögen einen ersten Anhaltspunkt für ein Erkenntnis leitendes Koordinatensystem geben, wo und wie hiervon ausgehende Veränderungs- und Umwälzungseffekte besonders wirksam geworden sein könnten. Mitte der sechziger Jahre gab es in Deutschland laut Verteidigungsminister Kai Uwe von Hassel 357 Bundeswehrstandorte. Davon befanden sich 135 in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern, 65 in Orten mit 5000 bis 10 000 und 102 in Gemeinden mit 10 000 bis 50 000 Einwohnern. Nur 55 Garnisonen hatten mehr als 50 000 Einwohner25. Im strukturschwachen Flächenland Bayern verfügte die Bundeswehr Mitte der siebziger Jahre über 65 Garnisonen, von denen 25 erst nach 1955 aufgebaut worden waren. Lediglich 16 wiesen eine Wohnbevölkerung von über 10 000 Personen auf, bei 20 zählte sie weniger als 500026. Von den 36 Truppenstandorten Baden-Württembergs lagen 80 Prozent in so genannten strukturschwachen Räumen, eine Quote, die sich bei der Betrachtung der nach 1955/56 neu gegründeten Garnisonen gar auf 90 Prozent erhöhte27. Die damit angedeutete Frage nach der zivilen Standortqualität sicherheitspolitisch erforderlicher Infrastruktur - namentlich solcher, die erst neu in bisher noch nicht ständig militärisch genutzten Räumen geschaffen werden musste - , kann jedoch nicht isoliert aus rein militärischem Blickwinkel betrachtet werden. Schon Blanks Rechtfertigungen im CDU-Bundesvorstand haben deutlich werden lassen, dass trotz der im Grundgesetz ausschließlich dem Bund zugespro23 24 25 26 27
Weißbuch 1970, S. 160 f. Willers, Raumwirksamkeit von Verteidigungsanlagen, S. 197. Vgl. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. Vgl. Schmidt, Eine Garnison wäre eine feine Sache, S. 417. Vgl. Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 7.
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chenen Aufgabe, Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen, gerade hier ein vielfältiges innenpolitisches Kompetenz- und zu vermutendes Interessengeflecht zum Tragen kam, dessen Strukturen, Zuständigkeiten und Ziele im Einzelnen untersucht werden müssen. Und dennoch: Eingedenk der Tatsache, dass Streitkräfte ja in erster Linie ein nach außen gerichtetes sicherheitspolitisches Instrument eines Staates sind und in Berücksichtigung der besonderen internationalen Entstehungsbedingungen, die dem Aufbau der Bundeswehr zu Grunde lagen, dürfen gewisse militärische Sachverhalte aber nicht unberücksichtigt bleiben. Zu diesen Faktoren gehören unterhalb der großen sicherheitspolitischen Linien der westlichen Allianz in erster Linie die Vorgaben der Verteidigungsplanung, die ja keineswegs das alleinige Ergebnis nationaler militärischer Zielvorstellungen waren, sondern die vielmehr als Folge der Einbettung der Bundesrepublik in die westliche Allianz wesentlich von der NATO ausgingen. Um lediglich einen hier einschlägigen zentralen rechtlichen Bezugspunkt zu nennen, sei auf das NATO-Truppenstatut verwiesen, bei dessen Unterzeichnung sich die Bundesrepublik 1952 in Artikel 20 Abs. 1 dazu verpflichtet hat, unmittelbar der Verteidigung dienende Anlagen und Werke sowie Sicherheitsvorrichtungen in dem Ausmaß zu errichten und zu ändern, wie sie für die gemeinsame Verteidigung erforderlich sind. Die dahinter stehende gemeinschaftliche Verteidigungsplanung ist - zumindest in ihren groben Grundzügen - auch deshalb als erstes in den Blick zu nehmen, weil vom Bündnis über die - in Anpassung an die jeweils gültige Strategie - getroffenen Entscheidungen etwa zur Lage der Truppen im Raum vermutlich die grundlegenden Impulse für die angenommenen Veränderungen ausgingen. Auf welchen Feldern wären nun der sozioökonomische Strukturwandel und die damit einhergehenden Effekte zu suchen? Die von Theodor Blank angesprochene Länderkompetenz bei der infrastrukturellen Sicherstellung des Bundeswehraufbaus sowie die knappen Aufzählungen etwa über den Landbedarf und die Truppenstandorte deuten bereits an, dass man sich bei der Erforschung dadurch induzierter raumwirksamer Folgen nicht ausschließlich auf der politischen Makroebene des Bundes bewegen darf, sondern vielmehr auch die Meso- und Mikroebene - also die Länder und die Kommunen - in hohem Maße fokussieren muss. Denn die Umwidmung von 42 000 ha Land für militärische Zwecke erfolgte natürlich verteilt in einzelnen Tranchen über das gesamte Bundesgebiet und mochte regional bzw. lokal unterschiedlich tiefe Spuren hinterlassen haben. Ausgehend von einer international bestimmten nationalen Plattform ermöglicht es die Einbeziehung regionaler und lokaler Ebenen der Frage nachzugehen, wie groß die Eindringtiefe von Politik - hier der Sicherheitspolitik - in die Sozialstruktur und ihr Anteil an deren Veränderungen tatsächlich gewesen ist: Fragestellungen, denen eine sich sozialhistorisch verstehende Zeitgeschichtsforschung sich seit geraumer Zeit verstärkt zuwendet, um zu differenzierteren gesamtgesellschaftlichen Analysen zu gelangen. Wo, im Sinne eines solchen Ansatzes, zeigten sich die durch Bundeswehransiedlungen induzierten Wirkungen besonders deutlich und welchen Einfluss hatten sie eventuell auf den sich ab der Mitte der fünfziger Jahre beschleunigenden Strukturwandel -
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etwa in der Landwirtschaft oder im ländlichen Gewerbe, um nur diese beiden Sektoren exemplarisch zu benennen28? Welche gesellschaftlichen Veränderungen mussten zum Beispiel jene 135 Kommunen mit weniger als 5000 Einwohner verkraften, nachdem die Bevölkerungszahl binnen kurzer Zeit durch die Etablierung einer Garnison erheblich angestiegen war - mit im Schnitt bis zu 1000 Soldaten, die in aller Regel wahrscheinlich nicht aus der lokalen oder engeren regionalen Umgebung kamen und eventuell einem anderen sozialen und kulturellen Milieu entstammten? Brachte die Truppe integrationspolitischen Zündstoff mit, der sich am Ende gar zu handgreiflicher Ablehnung auswachsen sollte? So geschehen beispielsweise am 21. September 1956 in der Eifelgemeinde Speicher bei der Freilichtaufführung eines auch so bezeichneten Films über »Die ersten Schritte der Bundeswehr«? Mit einem Pfeifkonzert und lautem, von Trompeten begleitetem Singen sprengte die Dorfjugend die Veranstaltung29. Oder eröffnete eine Garnison am Ende so viele strukturpolitische Chancen, welche die gesellschaftlich messbare Aversion zunächst gegen die Aufrüstung, dann gegen ein persönliches militärisches Engagement im Rahmen der Wehrpflicht oder schließlich die Angst vor nuklearer Zerstörung als durchgängiges und charakteristisches Merkmal bundesrepublikanischer Mentalität30 gar relativierte oder welche die zumindest für das soziale Mikroklima unterstellten Störpotenziale in den Hintergrund drängten? Wenn man nach dem Anteil westdeutscher Sicherheitspolitik innerhalb des sozioökonomischen Strukturwandels fragt, wäre auch die Rolle der Bundeswehr als Standortfaktor im Rahmen eines Bündels politischer Initiativen zu untersuchen, die vom Bund und den Ländern während den fünfziger und sechziger Jahren zum Abbau strukturell wie sozial bedingter Chancenungleichheit sowie zur Hebung des Lebensstandards der Menschen gerade in strukturschwachen Gebieten und ihrer Homogenisierung mit weiter entwickelten Regionen in Angriff genommen worden waren31. Dies schließt, um den strukturund in diesem Sinne auch sozialpolitischen Wert der Bundeswehr zumindest ansatzweise bewerten zu können, eine Relevanz- und sektorale Kosten-NutzenAnalyse ein, die ihren Bezugspunkt im allgemeinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformations- und Modernisierungsschub haben muss, den etwa die benachteiligten Gebiete im Untersuchungszeitraum ja tatsächlich erfahren haben32. Wenn man nach der Verortung der Bundeswehr innerhalb des struktur- und gesellschaftspolitischen Veränderungsprozesses Westdeutschlands forscht, dann darf dies aber nicht allein unter der Deutungsperspektive eines rein positiv konnotierten Modernisierungsbegriffs geschehen. Denn die in den fünfziger und sechziger Jahren von einem Teil, vielleicht auch von der Mehrheit der Zeitgenossen als permanenten, linear weiter ansteigenden Fort28 29 30 31
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Zum Überblick vgl. Bauerkämper, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft. Vgl. Protte, Auf der Suche, S. 575. Vgl. Geyer, Der Kalte Krieg. Vgl. auch Bald, Militär und Gesellschaft. Vgl. Süß, Wer aber denkt für das Ganze?; Schlemmer/Grüner/Balcar, Entwicklungshilfe im eigenen Lande; Lauschke, Von der Krisenbewältigung zur Planungseuphorie. Vgl. Der Boom.
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schritt - im Sinne von Wachstum und Besserung - wahrgenommenen Veränderungen stellten sich nur wenig phasenverschoben spätestens zu Beginn der siebziger Jahre als zu optimistisch beurteilt heraus. In dem Maße nämlich, wie Modernisierung zur »Stillegung traditioneller Krisenpotentiale« beiträgt, beinhaltet sie gleichzeitig »mögliche Inkubationsherde neuer Krisen«33. Dahinter steht zum einen die Frage nach den ökologischen Folgen, die mit Bundeswehransiedlungen im ländlichen Raum verbunden gewesen sein mochten. Berücksichtigt man zudem das charakteristische Diktum des Kalten Krieges, die nukleare Bedrohung, dann gehört hierher auch die Frage nach der Haltung der Bevölkerung gegenüber der atomaren Verteidigungsinfrastruktur. Bekanntermaßen war die Bundesrepublik mit einem Netz von Raketenstellungen überzogen34. Wenn man sich auf den von der Forschung weithin akzeptierten Standpunkt stellt, die fünfziger Jahre seien eine Inkubationszeit gewesen, in der sich das Veränderungs- und Umwälzungspotenzial auf breiter Front Bahn brach35, darin stellt sich natürlich die Frage, in welchem Zeitraum die hier zur Rede stehenden Integrationsaspekte der Bundeswehr ihre unterstellte Wandlungswirkung entfalten konnten. Zunächst einmal erscheint es sinnvoll, jene in kultur- und sozialgeschichtlichen Studien herausgearbeitete These zu übernehmen, wonach je nach Themenstellung ganz unterschiedliche Geschwindigkeiten für die strukturellen und sozioökonomischen Wandlungsprozesse angesetzt werden müssen36. Sicherheitspolitisch induzierte raumwirksame Folgen in der Bundesrepublik zu analysieren bedeutet aber auch, jene Phase ab 1950 mit in den Blick zu nehmen, in der über westdeutsche Streitkräfte zwar verhandelt wurde, die zu zehntausenden über den Atlantik hierher verlegten amerikanischen Soldaten zusammen mit ihren westeuropäischen Verbündeten bis 1955 jedoch das einzige militärische Potenzial darstellten. Zudem wurde bis zur Mitte der fünfziger Jahre jene als »forward strategy« bezeichnete Militärdoktrin entwickelt, nach der im Kriegsfalle die Verteidigung des westeuropäischen Bündnisgebietes so weit im Osten wie möglich aufgenommen werden sollte. Hier knüpften nationale westdeutsche Sicherheitsüberlegungen an, die auch aus operativen Erwägungen eine Dislozierung jedenfalls der Heeresverbände möglichst nahe an der Grenze zu Ostdeutschland und zur Tschechoslowakei favorisierten37. Neben der zeitlichen Einordnung vorliegender Untersuchung weist die Vorwärtsverteidigung aber auch auf den geografischen Bereich hin, wo raumwirksame Effekte der Streitkräfteintegration möglicherweise zu besonders intensiven Ausschlägen geführt haben. Dort, wo die innerdeutsche Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Bayern historisch gewachsene und einstmals in sozialer, infrastruktureller, ökonomischer und kultureller Beziehung zueinander stehende Räume zer33 34 35 36 37
Prinz/Frese, Sozialer Wandel und politische Zäsuren, S. 6. Zur Übersicht vgl. Militarisierungsatlas der Bundesrepublik. Vgl. Sywottek, Wege in die 50er Jahre. Vgl. Bayern im Bund, Bd 1, S. 3. Vgl. Schildt, Materieller Wohlstand. Vgl. Α WS, Bd 2, S. 6 0 5 - 7 5 6 (Beitrag Meier-Dörnberg). Vgl. auch AWS, Bd 3, S. 5 6 1 - 8 5 0 (Beitrag Greiner). Neueste Forschungen bei Thoß, NATO-Strategie.
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schnitten hat, oder wo ohnehin schon strukturell benachteiligte Gebiete noch weiter in eine Randlage gedrückt wurden. Hinsichtlich der Dauer der durch die westdeutsche Sicherheitspolitik ausgelösten regionalen wie lokalen Veränderungsprozesse böten sich gleich mehrere Zäsuren an. Rein formal könnte man sich auf die Position von Verteidigungsminister Kai Uwe von Hassel stellen, der 1965 das Ende der Aufstellungsphase und den Übergang zur so genannten Konsolidierungsphase verfügt hatte. Aus strategiegeschichtlichem und verteidigungspolitischem Blickwinkel wiederum spräche einiges für das Jahr 1967 mit dem offiziell erklärten Übergang von der NATO-Strategie der »massive retaliation« hin zur »flexible response«. Legte man eine eher national bestimmte politikgeschichtliche Messlatte an, dann kämen wohl eher die Jahre des sozialliberalen Aufbruchs ab 1968 in Frage, in welcher die SPD erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik den Verteidigungsminister stellte, der die Bundeswehr dann tatsächlich einer tiefgreifenden Reform auf ganz unterschiedlichen Feldern unterzog. Und noch eine vierte Periodisierung erscheint möglich. Nachdem im Herbst 1955 die ersten 101 Freiwilligen ihre Ernennungsurkunden erhalten hatten und zu Jahresbeginnn 1956 der Bundeskanzler 1500 Soldaten der Lehrkompanien in Andernach begrüßte, konnte der dem Bündnis zugesagte Personalumfang von knapp 500 000 Bundeswehrsoldaten erst während der 1970er Jahre erreicht werden. Auch wenn beim zur Rede stehenden Themenkomplex manches für die innerhalb der sozialgeschichtlichen Forschung formulierte These spricht, dass ein Ende des in den fünfziger Jahren eingeleiteten Strukturumbruchs auf manchen Feldern bis heute kaum als erreicht bezeichnet werden kann38, so liefert das Erreichen des endgültigen Streitkräfteumfangs in den siebziger Jahren doch deshalb ein plausibles Eckdatenfenster, weil die Bundeswehr ihren cum grano salis endgültigen Platz in der Fläche der Bundesrepublik gefunden hatte39. Wie sieht nun der bisherige Forschungsstand aus, und wie ist die Quellenlage beschaffen? Die militärhistorische Forschung in der Bundesrepublik hat sich vergleichsweise spät für die Sozialgeschichte der zivil-militärischen Beziehungen in Friedenszeiten interessiert. Die Impulse dazu kamen auch weniger aus der Geschichtswissenschaft. Vielmehr stellten Raumplaner und Regionalpolitiker aus aktuellen Anlässen in den siebziger Jahren erstmalig Fragen nach den Raumanforderungen, Merkmalsdimensionen, Infrastrukturproblemen, Standortvalenzen sowie den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Faktoren von Militärstandorten. Unter dem Dach der Akademie für Raumforschung und Landesplanung in Hannover legte 1977 der Arbeitskreis »Geschichtliche Entwicklung des Stadtraumes« eine wegweisende Untersuchung zu den historischen und raumplanerischen Apekten von Städten und militärischen Anlagen vor40. Im Ergebnis benannte die einen von der Frühen Neuzeit bis in die damalige Gegenwart weiten Bogen schlagende Studie vielfältige zivil-militärische 38 39 40
Vgl. Frese/Paulus, Geschwindigkeiten, S. 8. Vgl. Kaufmann, Raumwirksamkeit, S. 140. Stadt und militärische Anlagen.
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Wirkungsfelder innerhalb von Stadträumen. Diese erschöpften sich aber nicht, wie man hätte erwarten können, allein auf ökonomische Effekte. Die befundeten Themenfelder reichten generell von systemstabilisierenden und sicherheitspolitischen Aspekten über etwaige Anstöße zum Stadtausbau durch infrastrukturelle Erschließung von Siedlungsgebieten, sie wiesen auf die Folgen von Militäransiedlungen für die zentralörtliche Bedeutung hin und rissen das Verhältnis der Garnisonstruppe zur Kommunalverwaltung sowie deren Einflussnahme auf die Sozialmilieus an. Vornehmlich eine sozialgeschichtlich interessierte stadt- wie militärhistorische Forschung zur Frühen Neuzeit und zum 19. Jahrhundert hat diese unterhalb der klassischen, ereignisgeschichtlichen Betrachtungsweise liegenden Themenfelder dann auch aufgegriffen und an verschiedenen regionalen Fallbeispielen intensiver erforscht. Denn es war offensichtlich geworden, dass mit der Umstellung der Streitkräftestrukturen seit dem 17. Jahrhundert hin zu auch im Frieden permanent unter Waffen stehenden Truppenkörpern die Frage nach deren Unterbringung eine neue Qualität zivilmilitärischer Wechselwirkungen mit sich gebracht hatte. Der Kenntnisstand darüber kann für die Epoche der Frühen Neuzeit sowie für die Zeit vom Vormärz bis zum Ersten Weltkrieg als relativ gut bezeichnet werden41. Sicherlich bedingt durch die alles überlagernde Blickrichtung auf das Kriegsgeschehen des Zweiten Weltkrieges ist das Wissen um die lokal- und regionalwirksamen Beziehungen der Wehrmacht namentlich in den 30er Jahren dagegen gleich null. Auch unter solch wissenschaftlichen Fragestellungen stehende moderne Garnisonsgeschichten, die auf der Mikroebene Licht in diesen Sektor der zivilmilitärischen Beziehungen für die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland während des Kalten Krieges bringen könnten, gibt es im Grunde genommen nicht42. Angesichts der Tatsache, dass der Aufbau der Bundeswehr ein öffentliches Ereignis von besonderer Tragweite und daher auch von besonders großem Interesse gewesen ist, herrscht generell kein Quellenmangel. Das Zusammenfügen von grundlegenden gesellschaftlichen Entwicklungen mit den sicherheitspolitischen Erfordernissen und ihren raumwirksamen Effekten wirft allerdings einige Quellenprobleme auf, die an dieser Stelle summarisch angedeutet werden sollen. Die Bezeichnung Parlamentsarmee drückt im Wesentlichen aus, wo ein Gutteil der Integrationsentscheidungen auf der politischen Oberebene nicht nur gefallen, sondern wo sie auch kodifiziert worden sind. So liegen denn dieser Studie die gedruckten Verhandlungen des Deutschen Bundestages samt Drucksachen zugrunde - sofern es sich um einen Untersuchungsgegenstand
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Vgl. exemplarisch für das 18. Jahrhundert Prove, Stehendes Heer. Für das 19. Jahrhundert vgl. Stadt und Militär und die dort für diese Epoche nachgewiesene Forschungsliteratur. Als neueres regionales Beispiel vgl. Tippach, Koblenz. Bedingt vgl. die u.a. auf Akten des Hessischen Hauptstaatsarchivs basierende, gleichwohl unpublizierte Studie von Schneider, Streitkräfteaufbau. Im Rahmen eines am Münchner Institut für Zeitgeschichte laufenden Projekts zur Gesellschaft und Politik in Bayern 1949 bis 1973 wurde unlängst die Rolle der Bundeswehr als ein Faktor landesplanerischer Entwicklungspolitik untersucht. Vgl. Schmidt, Eine Garnison wäre eine feine Sache; Hillmann, Gamisonsgründungen.
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von allgemeiner politischer Relevanz gehandelt hat. Angesichts der großen Zahl etwa der parlamentarischen Anfragen zu fast allen sicherheitspolitischen Themenkreisen und der meist umfänglichen Redebeiträge ist im Umgang mit diesen Dokumenten eine begründete Auswahl unumgänglich, die sich im Wesentlichen auf die Debatten um die Verabschiedung eines Landbeschaffungsgesetzes für die Bundeswehr beschränkt - also eine zentrale Aufgabe der Legislative. Weil sich die Klärung von parlamentarischen Sachfragen weitgehend in den Fachausschüssen abspielt, nehmen die bislang erst in Ansätzen edierten, im Parlamentsarchiv (Historisches Archiv) des Deutschen Bundestages verwahrten Stenographischen Protokolle des Verteidigungsausschusses von der 2. bis 5. Legislaturperiode eine besonders prominente Stellung innerhalb der Quellenhierarchie ein43. Dies auch deshalb, weil dort die parlamentarische Begleitung des Einbauprozesses der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft meist ohne parteitaktisches Geplänkel vonstatten ging und somit aus den Dokumenten ein weitgehend sachlich bestimmter Problemhorizont herausleuchtet. Nicht allein wegen der föderativen Ordnung des politischen Systems, sondern auch wegen der faktischen Anwesenheit der Soldaten in den Bundesländern war es zudem erforderlich, auch regionale parlamentarische wie administrative Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen. Als Referenzschwerpunkt wurde aus mehreren Gründen Bayern gewählt. Einmal aufgrund seiner im Vergleich zu den übrigen Bundesländern deutlichen Strukturschwäche gerade dort, wo die Verteidigungsplanung neben der mitteldeutschen Tiefebene aus nationalen Erwägungen einen gewissen Nebenschwerpunkt aufbauen wollte - im Nordosten des Freistaates entlang der Grenze zum Thüringer- und zum Böhmerwald. Besonders hier, auf geografisch engstem Raum, wurden signifikant viele neue Bundeswehrstandorte in ganz kleinen Landgemeinden installiert. Der zweite Grund liegt in der besonders guten Quellenlage, Ausfluss einer seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eigentlich nie unterbrochenen zentralstaatlichen Verwaltungspraxis. Die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München verwahrten Akten der Staatskanzlei, die mit allen den Aufbau der Bundeswehr betreffenden Fragen seit Mai 1955 federführend betraut war, und das Schriftgut der weitgehend mit gutachtlicher Koordinierung beauftragten Landesplanungsstelle des Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr erhellen im Wesentlichen die Umsetzung der militärischen Projekte auf Landesebene, meist in Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium, und geben eine Vorstellung von den landespolitischen Erwartungen, die mit dem Aufbau der Bundeswehr verbunden waren. Aus Sicht der Bundeswehr erheischte die Streitkräfteintegration zunächst die Lösung der Dislozierungsfrage, mit anderen Worten, die für eine Verteidigung des Staatsgebietes möglichst sinnvolle Verteilung der Truppe im Raum. Darauf folgte die Unterbringung, mithin die Lösung der Infrastrukturfrage. Das in der Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs in Freiburg i.Br. gelagerte 43
In der im Entstehen begriffenen Editionsreihe der Protokolle des Verteidigungsausschusses vgl. Der Bundestagsausschuss für Verteidigung, Bd 1.
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Schriftgut der Bundeswehr, hier vornehmlich die Überlieferung der Abteilung U (Unterbringung und Liegenschaften) im Bundesministerium der Verteidigung, ermöglicht es, Planung und Entwicklung vieler Standorte in den fünfziger und sechziger Jahren nachzuzeichnen44. Die Archivalieneinheiten enthalten häufig auch kommunale Gesuche um die Errichtung einer Garnison. Mit ihren oftmals erweiterten Bewerbungsunterlagen kann man gar von einer eigenen Quellengattung sprechen, geben diese Dokumente doch Auskunft über die sozialen, kulturellen und ökonomischen Verhältnisse der Petenten. Trotz ihres Werbungscharakters, der zur Vorsicht mahnt, können sie gleichsam als Ausgangsfolie dafür betrachtet werden, zu welchen Veränderungseffekten eine Truppenansiedlung gegebenenfalls führen konnte. Wer nach dem Anteil der Bundeswehr am sozioökonomischen Wandlungsprozess in den ersten knapp drei Jahrzehnten westdeutscher Geschichte fragt, wird jedoch nicht umhin kommen, hierfür empirisch ermittelte Daten heranzuziehen. Grundsätzlich ist die Quellenlage günstig. Die Bundeswehr bzw. die Wehrverwaltung, in deren Aufgabenfeld die militärische Infrastruktur fiel, hat sich seit den fünfziger Jahren immer wieder den Fragen des materiellen Einbaus der Streitkräfte in die lokale und regionale Ebene durch Artikel hauptsächlich in ihrem Publikationsorgan »Die Bundeswehrverwaltung« gestellt45. Hier eine interessengeleitete Informationspolitik zu unterstellen mag zwar nicht immer von der Hand gewiesen werden können, allein der Historiker hat dem durch das Instrument der Quellenkritik Rechnung zu tragen. Bedauerlicherweise wurde eine zum Ende der sechziger Jahre von der Abteilung Raumordnung im Bundesministerium des Innern in Auftrag gegebene wissenschaftliche Untersuchung über die Auswirkungen der Einrichtungen und Anlagen der zivilen und militärischen Verteidigung auf die räumliche und wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik niemals realisiert46. Wohl aber hat sich die Bundesregierung mit Nachdruck für das Wahlverhalten an Bundeswehrstandorten interessiert. Aufhänger waren die Erfolge der rechtsradikalen NPD bei Landes- und Kommunalwahlen Mitte der sechziger Jahre. Im Kern ging es darum zu erfahren, ob sich das Wahlverhalten von Bundeswehrangehörigen signifikant von demjenigen der Zivilbevölkerung unterschied, oder ob es dem durchschnittlichen Verhalten vergleichbarer Gruppierungen entsprach. Weiterhin wollten die Gutachter einem Standorteffekt nachspüren, will sagen, ob sich Abweichungen zwischen Orten mit und ohne Bundeswehr empirisch belegen ließen47. Wissen 44
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Vgl. das maschinenschriftliche Findbuch BW 1, Bundesministerium der Verteidigung. Abteilung Unterbringung, Liegenschafts- und Bauwesen (U) - Unterabteilung Unterbringung (U I). Bearb. von Roland Kleinamter, Freiburg 2005. Vgl. exemplarisch Buchsbaum, Das Raumordnungsgesetz des Bundes; Dücker, Probleme der Raumordnung; Fleckenstein, Gemeinde und Garnison; Gressl, Die Landbeschaffung; Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung; Höhlt, Finanzhilfen des Bundes; Kleber, Militärische Dislozierung; Krupke, Gemeinde und Garnison; Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr; Meyer-Truelsen, Bundeswehr und Gemeinden; Weiss/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten. Vgl. Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr, S. 126. Vgl. Wildenmanri/Schatz, Das Wahlverhalten.
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wollten die verantwortlichen Sicherheitspolitiker aber auch, wie es um die Meinung der Bundesbürger angesichts der nuklearen Bedrohung und, komplementär dazu, um deren Haltung gegenüber der atomaren Bewaffnung stand. Die umfänglichen demoskopischen Erhebungen können eine sozialhistorisch bestimmte Analyse des Streitkräfteeingliederung insoweit ergänzen, weil sie ein Profil kollektiver Mentalitäten konturieren48. Den entscheidenden Datenpool zur Bewertung des raumwirksamen Bundeswehranteils am sozioökonomischen Wandlungsprozess in Westdeutschlands liefern jedoch wirtschaftswissenschaftliche bzw. wirtschaftsgeografische Studien aus den siebziger und achtziger Jahren. Die Verfasser, augenscheinlich auch geprägt von der damals einsetzenden Kritik an den hypertrophen Machbarkeitsvisionen staatlicher Planung im vorangegangenen Jahrzehnt49, interessierten sich vor allem für die Frage, ob Garnisonen der Bundeswehr überhaupt ein regional- und strukturpolitisches Instrument für die Entwicklung und Förderung benachteiligter Teilräume sein können. Unmittelbarer Anlass hierfür waren Behauptungen in der militärkritischen Literatur der frühen siebziger Jahre, wonach Rüstungskäufe nicht zur Entwicklung rückständiger Regionen beitragen, sondern die Disparitäten im Gegenteil eher noch verstärken50. Aus diesem Blickwinkel erschienen auch Garnisonen als ungeeignetes Werkzeug der Landesplanung51. Die Garnisonsanalysten interessierten sich nun nicht für die historischen Aspekte, sondern man wollte sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Modellen folgend »den optimalen Standort« generieren; von diesem Idealtypus wurden perspektivische Planungsimpulse für die Zukunft erwartet. Um einen solchen Standortnukleus aber schaffen zu können, sammelten die Autoren besonders mit Blick auf den ostbayerischen Raum durch demoskopische Erhebungen auf der Mikroebene und auf der Basis teilweise noch laufender Akten der dem Freistaat Bayern regional entsprechenden Wehrbereichsverwaltung VI - zum Teil ergänzt durch Referenzbeispiele aus Hessen, Niedersachsen oder Baden-Württemberg - zahlreiche sozioökonomische Informationen, die Aussagen über die Beziehungen von Garnison und Region zuließen52. Die dabei entstandenen Datenreihen beschränkten sich aus methodischstatistischen Gründen von wenigen Ausnahmen abgesehen hauptsächlich auf die siebziger Jahre. Somit stellt sich einer sozialhistorischen Wirkungsanlyse 48 49 50 51 52
Vgl. mit Hinweisen auf den Datenbestand Geyer, Der Kalte Krieg. Vgl. Ruck, Ein kurzer Sommer. Vgl. Zimmermann, Öffentliche Ausgaben, S. 215. Vgl. Bielfeldt, Rüstungspolitische Aspekte. Vgl. exemplarisch Arnal, Garnisonen im ostbayerische Grenzland; Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik; Bingemann, Belastung eines Verdichtungsraumes; Grumann, Sozialökonomische Auswirkungen; Kaufmann, Raumwirksamkeit; Kohler, Raumwirksamkeit des Staates; Maneval/Neubauer, Wirkungen einer Garnison; Nestler, Wirtschaftliche Auswirkungen von Garnisonen; Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen; Roser, Geographische Aspekte; Strachwitz, Wirkungen dezentraler Verteidigungsausgaben; Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse; Thuemmler, Bedeutung dezentraler Beschaffung; Weigold, Problemorientierte Raumanalyse; Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr.
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das methodische Problem entgegen, den vermuteten und durch verschiedene Faktoren beeinflussten Transformationsprozess nicht empirisch-linear über den gesamten Untersuchungszeitraum verfolgen zu können, sondern im Grunde genommen nur am Endpunkt einer längeren Zeitschiene zu befunden. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf Hauptkapitel. Zu Beginn werden die grundlegenden Bedingungsfaktoren dargelegt, die den Aufbau der militärischen Infrastruktur bestimmten. Dabei richtet sich der Blick zunächst auf den von Bündniserwägungen und nationalen Verteidigungsprojektionen gezurrten Rahmen, um darin nach der Verortung von Dislozierung und der Standortplanung im Spannungsfeld ziviler und militärischer Interessen zu suchen. Uber die sicherheits- wie verteidigungspolitischen Vorgaben hinausweisend, umgreift dann das Hauptkapitel II die nationalen, innenpolitischen Strömungsgrößen, welche die Landbeschaffung für die Belange der Verteidigung - mithin die wesentliche materielle Voraussetzung für den Streitkräfteaufbau - bestimmten. Nach einem als Problemaufriss für wichtig erachteten Rückblick auf den Landbedarf und den Wohnungsbau für die Besatzungstruppen soll der Frage nachgegangen werden, mit welchen raumwirksamen Folgen noch im Vorfeld des Streitkräfteaufbaus die militärischen Planer auf der einen und, noch intensiver, die zivilen Fachbehörden auf der anderen Seite glaubten, rechnen zu müssen. Letztere nicht zuletzt vor der im Hintergrund mitschwingenden Sorge, eine angesichts militärischer Notwendigkeiten vielleicht unmäßige Landnahme für Verteidigungszwecke könnte das ohnehin durch den Krieg und seine vielfältigen Folgen belastete Raumgefüge Westdeutschlands zum Nachteil der Bevölkerung noch weiter stören. Hierher gehört - ganz zentral - auch die Frage nach der Verrechtlichung dieses Prozesses. Selbst wenn sich in der Geschichte der Bundesrepublik das Faktum vielfältig bestätigte, wonach das Verfassungsrecht zwar vergeht, das Verwaltungsrecht jedoch besteht, war es speziell in diesem Fall schlechterdings unmöglich, die nationalsozialistischen Leistungsgesetze mit ihrem uneingeschränkten Vorrang militärischer Bedürfnisse in den demokratischen Rechtsstaat zu übernehmen. So wird bei der gesetzlichen Regelung des militärischen Landbedarfs erneut und über den engeren Binnenhorizont hinausweisend die Frage nach der Verankerung der Streitkräfte im Rechtssystem Bundesrepublik zu analysieren sein. Obwohl Art. 85 a des Grundgesetzes dem Bund die alleinige Kompetenz in Fragen der Verteidigung zumisst, konnte die Ausdifferenzierung der Bundeswehr in der Fläche allerdings nur in Zusammenarbeit mit den Bundesländern vonstatten gehen. Hierfür konkurrierende Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern bei verschiedenen Staatsaufgaben haftbar zu machen, oder gar eine Fortsetzung der durch die Wehrgesetzgebung verhinderten föderativen Eingriffsmöglichkeiten auf die Armee zu vermuten, erscheint freilich nur die eine Seite der Medaille zu sein. Man kann auch vermuten, dass die Länder diesen möglicherweise heftigen, sicherlich punktuellen Integrationsprozess deshalb mit zu steuern suchten, um vorstellbaren Desintegrationsszenarien wie beispielsweise sozialer Überfremdung von vornherein den Boden zu entziehen. Ob und wenn ja, wie die zu integrierende Bundeswehr gegebenenfalls zu einem Faktor aktiver und planvoller
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Landesentwicklungspolitik genutzt werden konnte - eine der zentralen Staatsaufgaben in den ersten drei Jahrzehnten bundesrepublikanischer Geschichte wird ebenfalls nachvollzogen werden müssen. Aufgrund ihres verspäteten Einbaus in das bereits eingespielte staatliche Gefüge war die Bundeswehr im Grunde genommen ein Störfaktor. Sie musste sich nicht nur im emotionalen Haushalt der Gesellschaft erst mühevoll einen Platz suchen, sondern sie konkurrierte ebenso um finanzielle Ressourcen wie um ihre Position innerhalb der Bundesressorts. Gerade die kostenintensive staatliche Infrastruktur war eine zentrale Domäne der zivilen Bundesfinanzverwaltung, die noch dazu im Rahmen der Auftragsverwaltung von den Ländern durchgeführt wurde. Dem Organisationsgefüge des Militärbauwesens, einer bislang weitgehend unbeachteten Facette westdeutscher Verwaltungspraxis, soll nicht nur Raum gegeben werden. Vielmehr wird danach gefragt, ob auf diesem sehr spezifischen Integrationsfeld nicht doch auch jene politische Grunddisposition der Einhegung von Streitkräften zum Tragen kam, am besten zu umschreiben mit dem aus westlichen Demokratievorstellungen entnommenen Begriff der »civil control«. In den Hauptkapiteln III und IV wird schließlich Resümee gezogen. Weil es hier um die durch Bundeswehrsansiedlungen induzierten Wirkungen gehen soll, muss zunächst die Erwartungshaltung derjenigen referiert werden, die davon vermutlich am meisten betroffen gewesen sein würden. Schließlich gilt es, die Folgen neuer Garnisonen vornehmlich auf strukturschwache Räume so differenziert wie möglich herauszuarbeiten. Gemessen an der zeitgenössischen Perspektive - sowohl in regionaler wie auch lokaler Beziehung. Weil es dem Verfasser im Kern aber darum geht, die Relevanz dieses spezifischen Aufrüstungsprozesses am politischen und noch stärker am sozioökonomischen Wandel der Bundesrepublik zu analysieren und zu bewerten, werden die hier ermittelten Befunde immer rückgebunden sein müssen in die Sektoren des übergeordneten Veränderungsprozesses. Es kann an dieser Stelle nur vermutet werden, dass die eben aufgeworfenen Wirkungen cum grano salis in den betroffenen Regionen auch, wenn nicht gar vornehmlich mit einem positiven Vorzeichen versehen wurden. Dies kann indes nicht im Zusammenhang mit dem letzten Hauptkapitel gemutmaßt werden. Hier werden die Fragen, die sich für die Bevölkerung bezüglich der Dislozierung atomarer Einsatzmittel stellten, in den Blick genommen. Emotional stark besetzte Schlagworte wie »Kampf dem Atomtod« aus dem Jahr 1956 deuten darauf hin, dass sich mit der Stationierung atomfähiger Trägersysteme ein gewichtiges polarisierendes und desintegrierendes Potenzial verband.
I. Dislozierung und Standortplanung im Spannungsfeld ziviler und militärischer Interessen
Am 23. September 1957 schrieb der Bürgermeister von Laufen an der Salzach, einer kleinen bayerischen Grenzstadt zu Osterreich, in einem Brief an Verteidigungsminister Strauß von der großen Enttäuschung, die im Ort herrsche, weil man nun leider nicht Bundeswehrstandort werde: »In Ihren Händen, sehr geehrter Herr Bundesminister, liegt das Wohl und Wehe unserer Stadt und ich kann es nicht glauben, daß wir vollkommen abgewiesen werden sollen und wirklich keine Garnison bekommen sollen [...] Sie haben doch erst in Roding wieder einen Kasernenbau genehmigt und den Grundstein dazu gelegt [...] Kann man denn wirklich unserem armen Städtchen nicht zu Hilfe kommen1?« Aber auch wenn Strauß gewollt hätte, diesem von der Hoffnung auf Prosperität diktieren Verlangen zu entsprechen, er bzw. die Bundeswehr hielt nur einen Teil jener Kompetenzen in Händen, die darüber bestimmten, wann wie viele Truppen wohin disloziert werden konnten. Wie die Zuständigkeiten verteilt lagen, fasste wenige Jahre später Verteidigungsminister von Hassel zusammen. Um die Jahresmitte 1964 würdigte er vor einem Kongress der Kommunalpolitischen Vereinigung die Leistungen vieler Kommunen, welche seit 1950 für die Landesverteidigung erbracht worden waren. Bevor er die aus seiner Sicht sicherlich ebenso große politische wie wirtschaftliche Bedeutung der Bundeswehr für die Gemeinden mit vielfältigem Zahlenmaterial herausstellte und um wohlwollendes Entgegenkommen auch bei zukünftigen verteidigungspolitischen Maßnahmen warb, ging er auf die sicherheitspolitischen Bedingungen dafür ein. Im Rückblick auf die Verheerungen im und die Folgen nach dem Zweiten Weltkrieg wäre ohne den sichernden Schirm der NATO - darin eingeschlossen der deutsche Verteidigungsbeitrag nämlich überhaupt kein wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt in der Bundesrepublik möglich gewesen. Die Sicherheit sei abhängig von der Glaubwürdigkeit der Abschreckung, die wiederum auf der Verteidigungskraft und Funktionsfähigkeit der verbündeten Armeen sowie auf der Verteidigungsbereitschaft des ganzen Volkes beruhe. Welchen Einfluss die NATO-Strategie nun mittel- wie unmittelbar auf die Gemeinden haben mochte, deutete er relativ großflächig unter Hinweis auf die Entwicklung der im September 1963 vom Bündnis implementierten - wörtlich von ihm formuliert »befohlenen« - so genannten Vorwärtsverteidigung an. Rückblickend führte er dazu aus, dass vor 1950 die ei1
BA-MA, BW 1/5377.
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I. Dislozierung und Standortplanung
gentliche Verteidigung Europas erst westlich des Rheines eingeplant war. Zu Beginn der fünfziger Jahre sei sie an den Rhein, Mitte des Dezenniums an die Weser-Lech-Linie vorverlegt worden, um heute bereits »vorne am Eisernen Vorhang« einzusetzen2. Indem der Minister gegenüber den Kommunalpolitikern die sich verändernde Militärstrategie an geografischen Merkmalen festmachte, schrieb er dieser offensichtlich eine raumwirksame Funktion zu. Um deren Rolle bezogen auf den strukturpolitischen Kontext als einen Faktor für die Planung von Militärstandorten aber einordnen zu können, muss deren Entwicklung knapp in den Blick genommen werden. Die westliche Welt hatte mit der Gründung der NATO im April 1949 ihren Willen zu gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen demonstriert3. Dies war jedoch zunächst nur ein politisches Signal, da die Bündnismächte der Sowjetunion gerade in Europa auf konventioneller Ebene nur wenige Kräfte entgegensetzen konnten. Insbesondere die USA hatten ihre Truppenstärke nach 1945 drastisch reduziert. Von den am 8. Mai 1945 auf dem europäischen Kriegsschauplatz stationierten 3 069 000 U.S.-Soldaten (davon 1,6 Mio. in Deutschland) waren im Januar 1946 noch 609 020 und mit Stand 1. Juli 1947 nur mehr 135 000 GIs anwesend, davon knapp 104 000 in Deutschland. Bis 1950 reduzierte sich ihre Zahl sogar auf 79 500 Besatzungssoldaten, die knapp zur Hälfte als Polizei truppe im Rahmen der 1946 gegründeten Constabulary zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit der U.S.-Zone eingesetzt wurden. Der Rest stellte zu einem Gutteil das Personal für die 1. Infanteriedivision4. Und auch die Stärke der britischen Rheinarmee sank bis Ende 1948 von etwa 100 000 auf 63 000 Mann, um dann bis Dezember 1950 weiter auf 52 000 zurückzugehen5. In Truppenteilen gerechnet gab es in Frankreich, den Benelux-Staaten und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs 16 westalliierte Divisionen. Demgegenüber schätzten anglo-amerikanische Bedrohungsanalysen um 1950 das Kräfteverhältnis bei den Landstreitkräften auf 4:1 und bei den Luftstreitkräften auf 5:1 zugunsten der Sowjetunion ein. Zu den 175 präsenten Divisionen der Sowjetarmee rechnete man noch weitere 80 bis 90 Divisionen erheblich geringeren Kampfwertes der Satellitenstaaten hinzu. Weiterhin wurden der Sowjetarmee eine gute taktische Führungsqualität bescheinigt, mit der Befähigung auch zur beweglichen Kampfführung. Hinzu kam eine antizipierte Mobilisierungsfähigkeit von 320 Divisionen innerhalb von 30 Tagen bzw. 475 bis 500 Divisionen in einem Jahr. Sowohl die Dislozierung der präsenten Verbände mit deutlichem Schwerpunkt in Ostdeutschland, Österreich, den osteuropäischen Satellitenstaaten und den westlichen Militärbezirken Russlands als auch deren Zusammensetzung (überwiegend Panzer- und mechanisierte Divisionen) stützten die Annahme, dass diese Truppen »eine bewegliche und ge2 3 4
5
Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 196. Siehe hierzu u.a. Das Nordatlantische Bündnis; Von Truman bis Harmel. Schraut, U.S. Forces in Germany. Vgl. Ziemke, The U.S. Army in the Occupation, S. 320, 336; Elser, United States Constabulary; Leuerer, Die Stationierung amerikanischer Streitkräfte, S. 140 f., 331; Sweringen, Sicherheitsarchitektur im Wandel. Α WS, Bd 1, S. 209, 215 (Beitrag Greiner).
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panzerte >Speerspitze< für einen Angriff auf Westeuropa im Kriegsfall« bildeten6. Damit schien ein sowjetischer Vorstoß zum Rhein in fünf, zur Kanalküste in vierzehn Tagen, zum Atlantik in einem und zu den Pyrenäen in zwei Monaten möglich. Westeuropa war zu diesem Zeitpunkt allein durch die abschreckende Wirkung des amerikanischen Nuklearpotenzials geschützt. Doch nach der Zündung einer sowjetischen Atombombe im August 1949 und dem von Moskau angepeilten raschen Aufbau nuklearer Streitkräfte sollte sich dieser Schutz als trügerisch erweisen. Der Ausbruch des Koreakrieges im Sommer 1950 schien ein Indiz dafür zu sein, dass es auch in Europa zu einem Angriff des kommunistischen Blocks kommen konnte, eventuell noch herausgefordert durch die erhebliche Streitkräftelücke im westlichen Lager. Deshalb, und weil die Kriegführung in Asien nachhaltig die weitere Bedeutung auch konventioneller Streitkräfte demonstriert hatte, setzte ein mehrjähriges Ringen um eine gemeinsame Organisation der amerikanisch-europäischen Verteidigung schon im Frieden ein7. Im Kontext der hier zu untersuchenden Frage nach der Rolle der Militärstrategie und der daraus abgeleiteten operativen Erwägungen als ein raumwirksamer Faktor mit gegebenenfalls strukturpolitischen Veränderungspotenzialen erscheinen zwei einander bedingende, weniger politische denn im engeren Sinn militärische Aspekte von zentraler Bedeutung: Truppenstärke und Verteidigungsplanung.
1. Truppenstärke und Verteidigungsplanung Die Aufstockung der eigenen Verbände in Westeuropa, wie sie die Mitgliedstaaten der NATO im September 1950 beschlossen hatten, war eine der wesentlichsten Grundvoraussetzungen zur Minimierung der konventionellen Unterlegenheit des Westens. Nach Auffassung des NATO-Oberfehlshabers Dwight D. Eisenhower erforderte die Verteidigung Mitteleuropas mindestens 50 bis 60 Heeresdivisionen. Eine Größenordnung, die späterhin während der NATORatstagung 1952 in Lissabon für das gesamte europäische Vertragsgebiet auf im Übrigen nicht annähernd zu realisierende 96 Divisionen angehoben wurde, bereitzustellen nach 90tägiger Mobilisierung8, und die durch starke Luft- und Seestreitkräfte in der Nordsee und im Mittelmeer unterstützt werden sollten. Doch nur Bruchteile davon standen zur Verfügung. Trotz der komplementär zum tiefgreifenden Wandel in der amerikanischen Europapolitik seit dem Frühjahr 1951 im Rahmen der »Troops-to-Europe-Decision« als einem Instrument
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7
8
Ebd., S. 199. Zu Veränderungen in der Einschätzung der Bedrohungslage ebd., S. 200-206. Vgl. Wiggershaus, Nordatlantische Bedrohungsperzeptionen. Zu den verschiedenen Formen und Zielsetzungen der gemeinsamen Bündnisverteidigung siehe Thoß, NATO-Strategie; Thoß, Kollektive Verteidigung; Pedlow, Putting the »O«. Greiner, Zur Rolle Kontinentaleuropas, S. 151.
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zum Containment der Sowjetunion angelaufenen Verlegung von vier U.S.-Divisionen (drei Infanteriedivisionen, eine Panzerdivision) nach Deutschland - speziell in die Länder Hessen und Bayern - verfügte das alliierte Oberkommando zum Jahresende lediglich über 20 Divisionen (darunter fünf amerikanische) unterschiedlichen Gefechtswertes auf dem Territorium Westdeutschlands9. Immerhin stieg der Personalumfang zum Beispiel der amerikanischen Heereseinheiten allein im Jahr 1951 von etwas mehr als 86 000 auf 233 565 Mann an. Vom 1. Januar 1950 bis zum 30. Juni 1953 waren die U.S.-Streitkräfte insgesamt (Army, Air Force, Navy, Labor Service, U.S.- und deutsche Zivilangestellte sowie Familienangehörige) von 174 404 Personen auf 365 595 angewachsen10. Bis 1962 stieg die Kopfstärke der dem U.S. European Command unterstellten Truppen auf etwas über 370 000 Mann, wovon 277 000 in der Bundesrepublik stationiert waren, um dann bis zum Beginn der siebziger Jahre kontinuierlich auf 255 555 respektive 210 000 zurückzugehen11. Angesichts der großen Differenzen bei den Truppenstärken zwischen Ost und West war es Staaten wie Großbritannien und den USA spätestens 1950 klar, dass auch eine nur im Ansatz erfolgversprechende Verteidigung Europas trotz der erheblichen alliierten - vornehmlich amerikanischen - Truppenverstärkungen nicht ohne das westdeutsche Potenzial zu realisieren war. Zumal die Präsenz amerikanischer Bodentruppen in Europa ja zeitlich befristet sein sollte, und zwar so lange, bis die kontinentaleuropäischen Länder selbst adäquat aufgerüstet sein würden12. Die hierzu gefassten grundsätzlichen Beschlüsse der NATO-Ratstagung in Brüssel im Dezember 1950, wonach die westlichen Besatzungsmächte aufgefordert wurden, mit der Bundesregierung die Frage einer deutschen Beteiligung an der Verteidigung Europas zu diskutieren, mündeten ab Jahresbeginn 1951 in mehrgleisige, dennoch interdependente Verhandlungen. Während am 9. Januar 1951 auf dem Petersberg bei Bonn eher militärfunktionale Sondierungsgespräche zwischen den alliierten Hochkommissaren und deutschen Militärexperten begannen, erörterte man ab dem 15. Februar 1951 Fragen einer Sicherheitsorganisation im Rahmen einer europäischen Lösung. Die aus deutscher Sicht als conditio sine qua non für einen Militärbeitrag geforderten politischen Souveränitätsrechte wurden gesondert zwischen den Hochkommissaren und dem Bundeskanzler verhandelt13. Auch wenn man die bis Anfang Juni 1951 dauernden Petersberg-Gespräche kaum mehr als ein Abtasten der Standpunkte über ein zukünftiges deutsches Streitkräftekonzept bezeichnen konnte14, so deuteten sich in der Diskussion um den Personalumfang sowie die Dislozierung bzw. Unterbringung bereits ein Bün9 10 11
12
13 14
Α WS, Bd 2, S. 627 (Beitrag Meier-Dörnberg). USAREUR, Historical Division, 1955, S. 11 f. Vgl. Schraut, U.S. Forces in Germany. Haftendorn, Historische Entwicklung, S. 138 f. Vgl. Sweringen, Sicherheitsarchitektur im Wandel. Umfassend zu den Diskussionen um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag bis 1950 Α WS, Bd 1, S. 325-402 (Beitrag Wiggershaus). AWS, Bd 2, S. 27 f. (Beitrag Maier). Umfassend hierzu ebd., S. 630-648 (Beitrag Meier-Dörnberg).
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del zukünftiger Probleme an. Entsprechend den Überlegungen eines militärischen Expertenausschusses, der sich Anfang Oktober 1950 im Auftrag des Bundeskanzlers im Eifelkloster Himmerod zu einer Klausur über verschiedene Aspekte einer möglichen Aufrüstung eingefunden hatte15, brachte die deutsche Seite ein Streitkräfteplafond von zwölf Heeresdivisionen im Umfang von 250 000 Soldaten in Vorschlag. Eine Zahl, der die alliierte Seite zumindest als unverbindliche Planungshypothese für Ende 1952 zustimmte. Auch in Paris, bei der Konferenz über die Bildung einer Europäischen Armee, ging man im Grundsatz von ähnlichen Umfangszahlen aus. In einer ersten Aufstellungsphase sollte die Europaarmee binnen 18 Monaten die Stärke von zehn bis zwölf Divisionen erreicht haben, darin eingeschlossen 100 000 bis 140 000 deutsche Soldaten. Als Endziel im Laufe einer zweiten, unbefristeten Formierungsphase wurden 30 Divisionen angepeilt, mit einem deutschen Anteil von 250 000 bis 300 000 Mann16. Im EVG-Vertrag vom 27. Mai 1952 verpflichteten sich die sechs Mitgliedstaaten schließlich, innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten 57 Divisionen aufzustellen. Maßgebend für den Gesamtumfang, die Größe der Einzelkontingente und den Zeitablauf war der sog. Accord Special, der am 23. Februar 1952 in Lissabon gefasst worden war. Dieses geheime militärische Sonderabkommen blieb auch nach dem Scheitern der EVG von eminenter Bedeutung, weil die darin festgelegte Anzahl der Verbände und die Höchstgrenzen bei den Personalstärken Bestandteil des WEU-Vertrages vom 23. Oktober 1954 wurden, jenes Scharnier, über das die Bundesrepublik dann 1955 in das NATO-Vertragswerk eingegliedert werden konnte17. Mithin bestimmte der im Accord Specical mit zwölf Kampfverbänden (Divisionen) für das deutsche EVG-Heereskontingent festgelegte Umfang zumindest den späteren Rahmen für die Landstreitkräfte der Bundeswehr. Zusammen mit den geplanten 20 Luftwaffengeschwadern (1326 Kampfflugzeuge) und 311 Bootseinheiten für die Marine hätte sich der gesamte Friedensumfang des deutschen EVG-Kontingents ohne militärische Territorialorganisation und Heimatverteidigungskräfte Anfang 1954 planerisch auf 420 000 Mann (Landstreitkräfte 300 000, Luftstreitkräfte 42 000, Seestreitkräfte 18 000) belaufen sollen18. Doch es sollten weit mehr als 22 Monate vergehen, bis die westdeutschen Streitkräfte annähernd diese Stärke erreichten. Zunächst einmal scheiterte das ambitionierte EVG-Projekt in der französischen Nationalversammlung. Eine sicherheitspolitische Ersatzlösung mit weitreichenden deutschlandpolitischen Folgen war zwar rasch gefunden worden. Nach relativ kurzen Verhandlungen konnte am 23. Oktober 1954 in Paris ein Vertragspaket unterzeichnet werden, das der Bundesrepublik nun die direkte NATO-Mitgliedschaft ermöglichte eine Option, die im Mai 1955 auch eingelöst wurde. Mit Blick auf die militärische Struktur des neuen, 15. NATO-Mitgliedstaates bedeutete dies den Aufbau eines nationalen Streitkräftekontingents, implementiert in die Verteidigungsor15 16 17
18
Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«. Α WS, Bd 2, S. 653 (Beitrag Meier-Dörnberg). Umfassend zum Beitritt der Bundesrepublik zu WEU und NATO siehe AWS, Bd 3, S. 1 - 1 3 4 (Beitrag Thoß). AWS, Bd 2, S. 7 0 3 - 7 0 7 (Beitrag Meier-Dörnberg).
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ganisation der NATO. Was die Gesamttruppenstärke anbelangte, war man in militärischen Expertengesprächen unterhalb der politischen Ebene schon während der Konsultationen im Oktober 1954 übereingekommen, an der im Militärischen Sonderabkommen zum EVG-Vertrag vereinbarten Struktur (zwölf Heeresdivisionen) zwar festzuhalten, den Friedensumfang des deutschen Anteils allerdings auf eine Marge zwischen 420 000 und 500 000 Mann zu erhöhen 19 . Eine solche, der NATO zu assignierende Größenordnung erschien nach deutschem Urteil unabdingbar für eine wirksame Verteidigung der Bundesrepublik und Westeuropas zu sein. Sie zu erreichen war letztlich nur möglich mit Hilfe einer auf das System der Wehrpflicht abgestützten Streitkräfteorganisation. Und die deutschen Streitkräfteplanungen wurden immer kühner. Aufgrund der vielfältigen politischen Implikationen, die mit dem westdeutschen Verteidigungsbeitrag verbunden waren, hatte der Bundeskanzler schon von Anbeginn der Verhandlungen auf eine besonders rasche Realisierung gedrungen. Bereits gegenüber der EVG war man deshalb 1952 die Verpflichtung eingegangen, die Kontingente binnen zweier Jahre aufzustellen. Im Sommer 1955 orientierte Generalleutnant a.D. Adolf Heusinger den amerikanischen Botschafter in Bonn, dass die NATO beginnend ab dem 1. Januar 1956 bis zum Jahresende mit 80 000 und ein Jahr später mit 280 000 deutschen Soldaten rechnen könne20. Und im Dezember 1955 bestätigte der deutsche NATO-Botschafter einen dann vom NATO-Rat gebilligten Aufstellungsplan für die Jahre 1956 bis 1958, wonach jeweils zum Jahresende folgendes Personal ausgebildet zur Verfügung stehen sollte: 1956: 96 000 Mann, 1957: 270 000 Marin, 1958: 480 000 Mann21. Wie sich sehr bald herausstellen sollte, waren all diese Planungen nicht zu halten! Zwar versuchte Verteidigungsminister Blank unter ausdrücklicher Unterstützung von Außenminister von Brentano innenpolitisch noch im April 1956 auf einer Friedenspräsenzstärke von 500 000 Mann zu bestehen. Im Rahmen der Debatte um das Wehrpflichtgesetz, worin eine Wehrpflichtdauer von 18 Monaten fixiert werden sollte, mit dessen Hilfe der Personalaufwuchs in solchem Tempo allein realisierbar schien, argumentierte er dahingehend, dass bezogen auf die Gesamtbevölkerung der deutsche Streitkräfteumfang bei lediglich einem Prozent liegen werde. Der Durchschnittsbeitrag der NATO-Partner betrage 1,4 Prozent, derjenige der Ostblockstaaten gar zwei Prozent. Selbst die neutralen Staaten Schweden, Spanien und die Schweiz würden ihre Bevölkerung mit durchschnittlich 1,2, 1,5 oder gar 4,4 Prozent an der persönlich abzuleistenden Verteidigung in Anspruch nehmen. Insoweit lägen die deutschen Zahlen weit unter dem Durchschnitt dessen, was die Partner der Bundesrepublik leisteten bzw. der potenzielle Gegner aufbringe. Mit weniger als 500 000 Mann, so seine Schlussfolgerung, würde man weit hinter dem zurückbleiben, »wozu man einfach nach Treu und Glauben verpflichtet sei«22. 19 20 21 22
Α WS, Bd 3, S. 583 (Beitrag Greiner). Ebd., S. 644. Ebd., S. 656. So Blank am 26.4.1956 vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Vgl. Die CDU/CSU-Fraktion, S. 1062.
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Aus innenpolitischen (u.a. wegen ungenügender organisatorischer und legislativer Vorarbeiten, Uberschätzung des Freiwilligenreservoirs, eklatantem Unterkunftmangel) sowie finanziellen Gründen musste sich die Bundesregierung dann aber schon im Herbst 1956 davon verabschieden, mehr als eine halbe Million Soldaten innerhalb von drei Jahren aufzustellen. Bereits am 10. Juli 1956 hatte die CSU-Landesgruppe den Bundeskanzler auf das sich abzeichnende Desaster bei der Bundeswehrplanung in aller Deutlichkeit hingewiesen und die Entlassung von Theodor Blank als dem Verantwortlichen für diesen vor allem außenpolitischen Schaden gefordert23. Im koalitionsinternen Streit um die Verteidigungspolitik legte die CSU-Landesgruppe im Verein mit der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag am 18. September mit der so genannten Kirchheimer Resolution nach, worin sie sich nicht nur für ein neues Verteidigungskonzept aussprach, sondern zugleich öffentlich für eine Grundwehrdienstzeit von zwölf Monaten plädierte24. In dem Paket, das der jetzt unter enormem, auch öffentlich gemachtem Druck stehende Blank daraufhin zu seiner Rechtfertigung des ins Trudeln geratenen Streitkräfteaufbaus vor dem CDU-Bundesparteivorstand am 20. September 1956 aufschnürte, spielte die Frage nach dem nicht rechtzeitigen Freiwerden von Kasernen eine der zentralen Rollen. Nicht allein, dass die Planungen über das Freiwerden der von Flüchtlingen benutzten Kasernen »in Nichts zerstoben« waren25, auch die Alliierten zeigten sich keineswegs so kooperativ im Hinblick auf die Rückgabe militärischer Liegenschaften wie erhofft und eigentlich auch dringend erwartet wurde. Einige Wochen später brachte Franz Josef Strauß als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag die kritische Lage, in dem der Aufbauprozess der westdeutschen Streitkräfte steckte, erneut auf den Punkt: Selbst Hitler habe bei ungleich günstigerer Ausgangsbasis bis etwa 1938/39 dazu gebraucht, das Heer in ein einsetzbares Instrument zu verwandeln. Das Einziehen von Soldaten setze jedoch nicht nur entsprechende Unterbringung und Ausstattung voraus, auch das innere Gefüge derjenigen, welche die Wehrpflichtigen aufnehmen sollten, müsste bis dahin in Ordnung gebracht worden sein. Seien all diese Voraussetzungen aber nicht gegeben, »dann entstehe mehr Schaden, wenn man die Soldaten einziehe, als wenn man sie nicht einziehe«26. Seinen Erinnerungen zufolge wollte er allerdings nicht alle Schuld bei Blank gesucht haben. Die Umfangszahlen und das rasche Aufbautempo seien vielmehr von den »Alliierten stürmisch gefordert« worden27. Hier hätten die deutschen militärischen Berater, die seinem Eindruck nach über keinerlei Ahnung von militärischer Organisation verfügten, dem alliierten Druck nachgegeben und somit Blank in diese organisatorische Pleite schlittern lassen. Schließlich entpflichtete Adenauer Blank am 16. Oktober von seinem Ministerposten und berief den ungeliebten, weil aus seiner Sicht zu dynamischen Franz Josef Strauß 23 24 25 26 27
Vgl. Schwarz, Adenauer, Bd 2, S. 271. Die CDU/CSU-Fraktion, S. 1219. Adenauer: Wir haben wirklich etwas geschaffen, S. 1062. Die CDU/CSU-Fraktion, S. 1217. Strauß, Die Erinnerungen, S. 298.
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in das Amt des Verteidigungsministers. Er verknüpfte damit zwei Hoffnungen. Einmal sollten durch Strauß' Dynamik die vor allem innerhalb der CSU laut gewordenen Widerstände gegen den verteidungspolitischen Kurs der Regierung leichter überwunden werden. Zum anderen stand der neue Minister vor der undankbaren Aufgabe, gegenüber der NATO erklären zu müssen, warum die Bundesrepublik ihre bisherigen Zusagen nicht hatte einhalten können. Und hier zögerte Adenauer nicht, Strauß öffentlich während der Fraktionssitzung am 16. Oktober zum Erfolg zu verpflichten: »Ich hoffe aber, daß es Herrn Strauß gelingen wird, vor der NATO den Eindruck hervorzurufen, daß die Erklärungen, die er nunmehr abgibt, und die einen geringeren Umfang haben als die bisherigen Zusagen, doch werden innegehalten werden können28.« Der neue Mann hatte Erfolg, wenngleich sein erster Auftritt vor der Prüfungssitzung im Rahmen der Jahreserhebung 1956 vor dem NATO-Rat am 29. Oktober 1956 scheinbar einem Gang nach Canossa gleichkam. Obwohl er sich eigentlich außerstande sah, dem Gremium gegenüber mitzuteilen, wie viele Soldaten wann und mit welcher Bewaffnung aufgestellt sein würden, gab er letztlich bekannt, dass bis zum Jahresende 1956 etwa 70 000 bis 75 000 Mann zur Verfügung stehen würden. Im Jahr darauf seien es dann 120 000. Auf die innen- wie außenpolitischen Turbulenzen vom Sommer und Frühherbst 1956 folgte damit im November eine radikale Reduzierung des Personaltableaus der zukünftigen Streitkräfte unter gleichzeitiger zeitlicher Streckung. Die Bundesregierung legte nunmehr eine Personalstärke von 343 000 Soldaten fest, über verschiedene Zwischenschritte (März 1957: 90 000 Mann, Dezember 1957: 135 000 Mann, März 1958: 165 000 Mann) zu erreichen bis zum 31. Mai 1961, ohne allerdings die ursprünglich anvisierte und auch militärisch für erforderlich gehaltene Größenordnung von etwas über 500 000 Mann an Friedenspräsenzstärke aufzugeben29. Noch 1963 bestätigte Verteidigungsminister von Hassel gegenüber dem amerikanischen Secretary of Defense, Robert McNamara, dieses Ziel30, das unter stetigem Aufwuchs endgültig - wenn auch nur knapp mit 495 000 Mann - erst Mitte der siebziger Jahre erreicht werden konnte.
28 29
30
Die CDU/CSU-Fraktion, S. 1269. AWS, Bd 3, S. 771 (Beitrag Greiner). Zum Atmosphärischen bei der Planungsumstellung im politisch-militärischen Bereich vgl. Strauß, Die Erinnerungen, S. 302-309. AWS, Bd 3, S. 784 (Beitrag Greiner).
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Tabelle 1: Umfangsentwicklung der Bundeswehr 1956-1965 Jahr
Umfang
Jahr
Umfang
1956 1957 1958 1959 1960
67 000 120 000 172 100 230 000 272 200
1961 1962 1963 1964 1965
360 000 390 000 410 000 430 000 449 800
Der personelle Umfang der Bundeswehr und der auf dem Territorium der Bundesrepublik stationierten verbündeten Streitkräfte war aber nur ein, wenngleich gewichtiger militärischer Teilfaktor, der die Standortplanung beeinflussen sollte. Einem sicherheitspolitisch für notwendig gehaltenen Mehr an Soldaten und Truppenteilen folgte nämlich konsequenterweise die Frage nach dem wohin oder - um den militärischen Begriff zu wählen - nach der Dislozierung auf dem Fuß. Sie zu beantworten sollte sich als besonders schwierig für die Streitkräfteplaner herausstellen, hing sie doch auch von Parametern ab, welche die deutsche Seite nur bedingt beeinflussen konnten. Bestimmende Faktoren waren einmal die verfügbare Unterkunftskapazität. Weil aber die aufzustellenden Truppen ja für die Verteidigung des Bündnisgebiets vorgesehen waren, sollten bei der Dislozierung möglicherweise auch operative Überlegungen eine Rolle spielen, auf welche Weise einem Angriff seitens der Sowjetunion am besten zu begegnen wäre. Diese wiederum fußten auf der Strategie der westlichen Allianz und sind deshalb zunächst in den Blick zu nehmen. Unterhalb einer prinzipiellen Strategie der Kriegsverhinderung durch nukleare Abschreckung waren Rückzug und Führung der Verteidigungsschlacht am Rhein die erste operative Planungsempfehlung der Oberkommandierenden der westlichen Besatzungstruppen kurz nach dem Ende der Berlin-Blockade im September 194831. Aber nur im besten Fall hätten es die militärischen Ressourcen der Bündnispartner auf dem Kontinent überhaupt erlaubt, die Rheinlinie zu halten. Alternativplanungen, die eine weitgehende Preisgabe Kontinentaleuropas und spätere Rückeroberungen von der Peripherie aus Großbritannien, Spanien oder gar Nordafrika sowie unter Einsatz massiver - auch nuklearer Luftschläge vorsahen, wurden entwickelt, vornehmlich von den USA. Für Frankreich und die Benelux-Staaten waren solche Perspektiven natürlich wenig verlockend, denn im Kriegsfalle hätten sowjetische Truppen vermutlich binnen kürzester Zeit an deren Ostgrenze gestanden. Auf der NATO-Außenministerkonferenz am 17. September 1949 wurde deshalb einvernehmlich festgestellt, dass bei einem Versagen der Abschreckung in Europa eine direkte Verteidigung zu führen sei. Nur so seien die Territorien der Partner als gemeinsames Bündnisziel zu schützen. Besonders die Kontinentaleuropäer maßen der Di31
Α WS, Bd 1, S. 207 (Beitrag Greiner).
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rektverteidigung aus verständlichen Gründen eine hohe Bedeutung zu32. Die Zündung einer sowjetischen Atombombe im Herbst 1949 und der Ausbruch des Koreakrieges im Sommer 1950 wirkten auch hier wie Katalysatoren. Ein ähnlicher Krieg schien jetzt auch in Europa denkbar, zumal »das Nuklearpotential der USA [...] die UdSSR nicht davor abhalten [hatte] können, diesen Stellvertreter-Krieg in Korea zu genehmigen«33. Unter diesen Umständen waren die bisherigen Vorstellungen einer Rücknahme der eigenen Truppen und die spätere Wiedereroberung des preisgegebenen Territoriums in Mitteleuropa nach dem Wirksamwerden amerikanischer Atomschläge gegen die Sowjetunion dermaßen erschüttert worden, dass NATO-Oberbefehlshaber Eisenhower einen Strategiewechsel hin zu einer »forward defense« anmahnte. Am 19. August 1950 verabschiedete daher die Standing Group einen Aufgabenkatalog für die mittelfristige Verteidigungsplanung, an dessen erster Stelle stand: »Aufhalten des Feindes in Europa so weit im Osten wie möglich34.« Eine Disposition, die aus naheliegenden Gründen auch den Deutschen zupass kam und als eine der zentralen operativen Bedingungen für die Verteidigung Westeuropas im Oktober 1950 in der Himmeroder Denkschrift verankert wurde: »Deutschland darf auf dem Lande nicht als Vorfeld einer am Rhein etwa beabsichtigten Hauptverteidigung angesehen werden35.« Besonders auf niederländisches Drängen hin eine Verteidigung schon »irgendwo in Deutschland« vorzusehen und im Zusammenhang mit den Verhandlungen um den westdeutschen Verteidigungsbeitrag beschloss der NATO-Rat am 18. Dezember 1950 eine »forward strategy« als grundlegende politische Richtlinie für die weiteren strategischen Planungen des Bündnisses: »Die Verteidigung des NATO-Gebietes erfordert, daß Westeuropa so weit im Osten wie möglich verteidigt wird [...] Das ist nur möglich, wenn die westeuropäische Region eine Vorwärtsstrategie anwendet und ihre Verteidigung so dicht am Eisernen Vorhang wie möglich beginnt [...] Die Anwendung einer solchen Strategie ist auch notwendig, damit das beträchtliche Potential Westdeutschlands dem Feind verweigert und für die Alliierten gewonnen wird, um der Land- und Luftverteidigung Tiefe und Dauerhaftigkeit zu geben, um die Zusage der Besatzungsmächte, Westdeutschland zu schützen, abzusichern und den guten Willen von Westdeutschland zu gewinnen36.« Von der Absichtserklärung bis zur konkreten Umsetzung in militärische Operationspläne war es jedoch noch ein weiter Weg. Angesichts des Auseinanderklaffens von Plänen und Mitteln musste sich Eisenhower beim Abschied von seinem Posten als NATO-Oberbefehlshaber im April 1952 enttäuscht eingestehen, dass östlich des Rheins eigentlich kaum Widerstand mit konventionellen Streitkräften geleistet werden konnte. Nicht zuletzt deshalb setzte er als ameri32 33 34 35 36
Ebd., S. 242. Greiner, Zur Rolle Kontinentaleuropas, S. 150-156. Zit. nach Greiner, AWS, Bd 1, S. 301. Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 30. Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S. 169. Zit. nach AWS, Bd 1, S. 302 (Beitrag Greiner).
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kanischer Präsident auf die in den Vereinigten Staaten inzwischen entwickelten, sehr ausdifferenzierten nuklearen Einsatzmittel, womit auch die Verteidigungsprobleme in Europa mit weniger Truppen und scheinbar viel kostengünstiger lösbar schienen. Ein Ziel der unter den Begriff des »New Look« gefassten amerikanischen Sicherheitspolitik und Militärstrategie war es, vor einem Krieg durch die Androhung eines nuklearen Gegenschlages einerseits abzuschrecken und, falls er dennoch ausbrechen sollte, ihn andererseits mit taktischen Atomwaffen zu führen. Auf amerikanisches Drängen revidierte die NATO dann im Strategiepapier MC 48 vom 18. November 1954 ihre strategische Richtlinie u.a. dahingehend, dass ein sowjetischer Angriff, selbst wenn er »nur« konventionell geführt würde, verzugslos mit Nuklearwaffen zu beantworten sei37. Was bedeutete nun diese mit dem Begriff der »massive retaliation« belegte, umfassend nuklearisierte Bündnisstrategie speziell für Deutschland, wo ja das Hauptschlachtfeld in Mitteleuropa gewesen wäre? Sicherheitspolitisch wurde der erste Schritt hin zu dieser Strategie, die Anlandung eines Bataillons nuklearfähiger Artillerie aus Amerika, wie Adenauer sich am 15. September 1953 vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrückte, von der Regierungsseite aus zunächst einmal begrüßt. Sie seien, so der Kanzler, ein »Moment der Sicherheit und nicht des Erschreckens«38. Die genaueren operativen Überlegungen des unter dem Begriff »Schild und Schwert« bekannt gewordenen Konzeptes der NATO erfuhren die Deutschen aber erst, nachdem sie zum Bündnismitglied aufgestiegen waren. Im Sommer 1955 wurde der nachmalige Leiter der Abteilung Streitkräfte im Verteidigungsministerium, Generalleutnant a.D. Hans Speidel, von SHAPE darüber orientiert, dass angesichts der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion im Kriegsfall eine so weit wie möglich nach Osten vorgeschobene Verteidigung nur durch den extensiven Einsatz von Atomwaffen aus der Luft und vom Boden aus möglich sei. Die Verteidigung sollte auch nicht, wie 1950 vom NATO-Rat festgelegt, direkt am »Eisernen Vorhang« aufgenommen werden, sondern erst an einer Linie, die von Hamburg ausging und über Bremen, die Weser, nach Fulda, Gemünden, Würzburg, Schweinfurt, Bamberg, entlang der Regnitz nach Nürnberg, Ingolstadt bis an den Westrand Münchens führte. Weil aber auch diese Linie nur sehr dünn mit eigenen Truppen besetzt war und demzufolge bereits von geringen Feindkräfte hätte durchstoßen werden können, sah das Konzept weiter vor, den Gegner möglichst in bestimmte, truppenfreie aber überwachte Räumen zu zwingen und ihn dort mit konventionell sowie vornehmlich nuklear ausgerüsteten Gegenangriffskräften zu zerschlagen39. Aus der »forward strategy« war also ein mitten durch die Bundesrepublik sich ziehender »forward screen« geworden, an dem
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38 39
Greiner, Zur Rolle Kontinentaleuropas, S. 150. Zur Nuklearisierung der Bündnisstrategie zwischen Bedrohungsperzeption und Finanzierbarkeit vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 39-63. Die CDU/CSU-Fraktion, S. 5. Zum taktischen Einsatz von Atomwaffen vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 7 0 - 7 2 .
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entlang der Atomkrieg toben würde40. Damit wäre das eigentlich zu verteidigende westdeutsche Territorium letztlich zu einem einzigen nuklearen Gefechtsfeld geworden - mit unermesslichen Zerstörungen. Ein im Juni 1955 unter dem Namen »CARTE BLANCHE« durchgeführtes NATO-Luftmanöver mit dem fiktiven Einsatz von 345 taktischen Atomsprengkörpern ließ die auch gegenüber der Öffentlichkeit nicht verheimlichten Folgen erahnen: 1,7 Millionen Tote und 3,5 Millionen Verletzte41. Dabei hatte sich der Bundeskanzler noch im Frühjahr innenpolitisch sehr weit aus dem Fenster gelehnt, indem er vor dem Bundestag nicht zuletzt als Werbung für das Bündnis erklärte, mit dem Beitritt zur NATO würde das Bundesgebiet zukünftig kein Schlachtfeld mehr sein! Dass es dennoch unter den obwaltenden Umständen dazu kommen würde, davor konnten aber selbst die Mitglieder der CDU/CSUBundestagsfraktion nicht mehr die Augen verschließen. Am 12. Juli 1955 referierte vor diesem Gremium der stellvertretende Leiter der Militärischen Abteilung im Verteidigungsministerium, Generalmajor a.D. Hellmuth Laegeler, über die Bedeutung der Atomwaffen und das Manöver »CARTE BLANCHE«. Der Hauptzweck dieses Manövers mit 3000 Flugzeugen sei es gewesen, ein Bild darüber zu gewinnen, wie sich bei einem überfallartigen Kriegsausbruch der Einsatz taktischer Luftwaffen unter Verwendung von Atombomben in den ersten Tagen abspielen würde. Dabei habe sich gezeigt, dass trotz des massiven Nukleareinsatzes die Einrichtungen der eigenen Führungsstäbe sowie der Nachschuborganisation in entscheidenden Teilen nicht hatten ausgeschaltet werden können. Die Übung habe mithin demonstriert, dass es einem Gegner nicht möglich sein werde, die NATO tödlich zu treffen und er darüberhinaus deren atomaren Gegenschlag zu befürchten habe. Vor dem Hintergrund der Annahme, Nuklearwaffen seien ein Mittel aktiven Bevölkerungsschutzes, könne man im Ergebnis der Übung also von einem »absolut wirksamen Schutz sprechen«42. Wie immer auch der tatsächliche, vermutlich noch gar nicht so tiefe Kenntnisstand in dieser Frage bei deutschen Spitzenmilitärs gewesen sein mochte43, der zuhörende Kreis von Parlamentariern verhehlte seine Skepsis keineswegs. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dr. Heinrich Krone stellte angesichts solcher Waffenwirkungen sofort die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Vom SPD-Abgeordneten Hans Geiger kam der Hinweis, dass bereits einige wenige Atombomben genügen würden, um ganz Westeuropa zu verstrahlen und unbewohnbar zu machen. Die überlebende Bevölkerung sei dann einer 40
41
42 43
AWS, Bd 3, S. 615 f. (Beitrag Greiner). Zu den 1955 Speidel gegenüber dargelegten Widerstands- und Verteidigungslinien in der Bundesrepublik vgl. die anschauliche Karte bei Thoß, NATO-Strategie, S. 125. Kelleher, Germany and the Politics, S. 35-43. Zur innenpolitischen Debatte vgl. die Stenographischen Berichte über die 70. Sitzung des deutschen Bundestages am 25.2.1955 und über die 100. Sitzung am 16.7.1955. Die CDU/CSU-Fraktion, S. 717. Von Laegeler ist die angebliche, in schwäbischem Dialekt gesprochene Bemerkung überliefert, »des atomare Zeigs sollet die Ami mache«. Vgl. Meyer, Adolf Heusinger, S. 484. Zum atomaren Kenntnisstand unter dem deutschen militärischen Führungspersonal Mitte der fünfziger Jahre vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 88, 373-408.
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radioaktiven Strahlung ausgesetzt, die über kurz oder lang tödlich sein werde. Prof. Ferdinand Friedensburg, Berliner CDU-Abgeordneter, war nicht klar, wie man angesichts der Wirkungsschilderung von Nuklearwaffen zu dem Schluss kommen könne, dass die Aktionsfähigkeit der alliierten Luftstreitkräfte in wesentlichen Punkten nicht zerstört worden wäre. Ihm drängte sich vielmehr der Eindruck auf, dieses Referat habe dem Zweck gedient, die Notwendigkeit der Aufstellung deutscher Streitkräfte zu beweisen. Franz Josef Strauß (CSU) brachte die Sache schließlich in gewohnt deutlicher Sprache auf den Punkt. Die Bevölkerung »frage nicht danach, ob das letzte Bataillon sowjetisch, amerikanisch oder deutsch, sondern ob sie selbst noch übrig sein werde« 44 . Um unter solchen Umständen innenpolitisch überhaupt glaubwürdig bleiben zu können, war es erklärtes Ziel der in der Bundesrepublik politisch und militärisch Verantwortlichen, die mit der »forward strategy« verbundene Hoffnung auf unmittelbare Verteidigung an der Grenze zum Ostblock so rasch wie möglich einzulösen. Dies hing aber davon ab, wann die der Allianz zugesagten westdeutschen Verbände zur Verfügung stehen und deren angewachsene Kampfkraft der Bundesrepublik zu einem stärkeren Gewicht auch innerhalb der militärischen Entscheidungsgremien im Bündnis verhelfen würden. Solches geschah erstmalig im Sommer 1957, als Generalinspekteur Heusinger im Zuge der Unterstellung der ersten deutschen Heeresdivisionen unter NATO-Kommando die Verwirklichung der »forward strategy« anmahnte. Nach wie vor sollten nämlich die dem NATO-Oberbefehlshaber zur Verfügung stehenden Truppen im Rahmen des »Emergency Defense Plan« auf die Rhein-Ijssel-Linie als erste Verteidigungsstellung zurückgenommen werden. Die gegenüber der Standing Group abgegebenen deutschen Forderungen für den Verteidigungsplan des Jahres 1958 zielten dagegen darauf ab, im Falle eines Angriffs das Verzögerungsgefecht aller in der Bundesrepublik stationierten Bündnisstreitkräfte bereits direkt am Eisernen Vorhang beginnen zu lassen. Eine Verteidigung sollte dann entlang der Linie Weser-Egge-Gebirge-Frankfurter Becken-Miltenberg am Main-Jagst-Iller aufgenommen werden 45 . Doch es sollte noch bis 1963 dauern, bis die NATO ihre Hauptverteidigungslinie an die Flüsse Weser, Fulda, Main und Lech vorverlegte. Im selben Jahr trat schließlich bei der auch für die Bundesrepublik zuständigen NATO-Kommandobehörde (AFCENT) ein Verteidigungsplan in Kraft, nach dem in Mitteleuropa kein Territorium mehr kampflos preisgegeben und der Abwehrkampf unmittelbar an den Grenzen zur DDR und £SSR aufgenommen werden sollte46. Nach 13 Jahren war die Forderung nach einer Verteidigung so weit im Osten wie möglich erfüllt 47 .
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Die CDU/CSU-Fraktion, S. 721. Α WS, Bd 3, S. 745 (Beitrag Greiner). Maiziere, Verteidigung in Europa-Mitte, S. 18. Ausführlich wird das Bemühen der deutschen militärischen Planer um das Einsetzen einer Verteidigung unmittelbar am Eisernen Vorhang analysiert bei Thoß, NATO-Strategie, S. 65-150. Vgl. Hammerich, Kommiss kommt von Kompromiss, S. 131-154.
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2. Dislozierungs- und Standortplanung angesichts unklarer Infrastrukturlage Welchen Einfluss hatten nun die strategischen Überlegungen und operativen Planungen48 auf Dislozierung und Unterbringung der Truppen in Deutschland? Noch ohne über konkrete Informationen zur alliierten Operationsplanung zu verfügen, stand es für deutsche Militärexperten wie Adolf Heusinger am Beginn der fünfziger Jahre außer Zweifel, dass die Zeiten langer Mobilmachung vorbei waren. Das deutsche Heereskontingent müsse sich vielmehr »im Zustand eines schnellstens und dauernd einsatzbereiten Grenzschutzes befinden«49. Bezogen auf ein operatives Konzept beweglicher Verteidigung, empfahl er die Einteilung der Bundesrepublik in drei Abschnitte, aus der sich folgende Dislozierungs- und Unterbringungsschwerpunkte ergaben: vier Divisionen in Süddeutschland im Bereich der Truppenübungsplätze Münsingen, Heuberg, Grafenwöhr sowie im südostbayerischen Raum zwischen Regensburg und München, vier Divisionen im Mittelabschnitt auf den Truppenübungsplätzen Hammelburg, Wildflecken, Sennelager und nördlich von Kassel sowie weitere vier Divisionen auf den Truppenübungsplätzen Bergen, Munster und in nördlich der Elbe gelegenen Gebieten. Weil alle noch brauchbaren Kasernen weitgehend durch die Besatzungstruppen oder durch die Zivilbevölkerung belegt waren, glaubte man sich um der Schnelligkeit des Streitkräfteaufbaus willen gezwungen, nicht nur auf die Truppenübungsplatzflächen zurückgreifen, sondern dort zunächst mit Zelt- bzw. Barackenlagern vorlieb nehmen zu müssen. Und diese Unterkünfte hätte sich die Truppe auch noch selbst bauen sollen50. Eine gewisse Ernüchterung zog dann im Sommer 1952 in Bonn ein, als das NATO-Hauptquartier auf deutsches Drängen hin einen Dislozierungsplan für das deutsche EVG-Kontingent vorlegte. Zu schematisch aufgeteilt zwischen Nordsee und Alpen, lautete das kritische Urteil etwa von Heusinger. Zudem argwöhnte er, dass den deutschen Truppen eine Nachhutaufgabe zugedacht sei, um das Ausweichen der alliierten Verbände an den Rhein zu decken. Demgegenüber orientierte sich der deutsche Alternativvorschlag augenscheinlich sehr viel mehr an der von der NATO ja seit 1950 deklarierten »forward strategy«. Die Infanteriedivisionen sollten in Grenznähe, die Panzerdivisionen etwas weiter westlich untergebracht werden. Immerhin führte die deutsche Beharrlichkeit in der Dislozierungsfrage dazu, dass zu Jahresbeginn 1953 beim Interimsausschuss in Paris ein Dislozierungsauschuss eingerichtet wurde, dem ein Deutscher (Oberstleutnant a.D. Gerhard Wessel) vorstand. Ihm oblag es, die Unterbringung aller in der Bundesrepublik zu stationierender EVG-Verbände mit Vertretern der Dienststelle Blank und anderen Bundesressorts sowie Länderbehörden, SHAPE, den NATO-Hauptquartieren Europa-Mitte und -Nord, 48 49 50
Hierzu eingehend Thoß, NATO-Strategie. Zit. nach Α WS, Bd 2, S. 643 (Beitrag Meier-Dörnberg). Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S. 175.
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den unterstellten Heeresgruppen und Luftflotten, den Hauptquartieren der westlichen Besatzungsstreitkräfte und den Hohen Kommissaren unter operativen Gesichtspunkten abzustimmen. Dabei legte der CINCENT, der französische Marschall Alphonse Juin, nachdrücklich darauf Wert, dass bei der Aufteilung der Garnisonen auf das Gebiet der Bundesrepublik der von der operativen Führung genehmigte und am 9. Februar 1953 bekannt gegebene Dislozierungsplan berücksichtigt werde51. Die Alliierten formulierten auch ganz detaillierte Wünsche nach der Belegung eines bestimmten Ortes mit deutschen Truppen. Solches widersprach zuweilen den Vorstellungen der militärischen Abteilung im Amt Blank, wobei man hier bei fallweiser Nicht-Einigung zunächst eine Uberprüfung des Dislozierungswunsches zusagte, um Zeit zu gewinnen. Grundsätzlich stand die deutsche Seite auf dem Standpunkt, dass sich die Zuständigkeit der alliierten Oberkommandos im Wesentlichen nicht auf die Einzeldislozierung von zu diesem Zeitpunkt noch Kader-Divisionen erstrecke, deren spätere taktische Unterstellung noch gar nicht geklärt sei, sondern sich vielmehr auf die Frage der Freigabe von militärischen Objekten zu beschränken habe. Hierbei sei ein Eingehen auf Detailfragen zuweilen sinnvoll, weil sich in Einzelfällen die Möglichkeit ergeben könne, zusätzliche Kasernenanlagen für die Deutschen freigestellt zu bekommen52. Bis zum Jahresende 1953 stand die Dislozierung des deutschen Heereskontingents dann in Umrissen fest. Die Mehrzahl der acht deutschen Schützendivisionen sollte in den grenznahen Räumen zur DDR und CSR stationiert werden, westlich davon waren die Aufstellungsräume der vier Panzerdivisionen53. Damit wurde den deutschen Vorstellungen von stärkerer Grenznähe nicht nur Rechnung getragen, sondern es zeichnete sich hierin auch eine gewisse, wenngleich vielleicht eher nationalkonventionelle operationeile Logik ab. Die grenznahen Infanteriedivisionen sollten einen Angriff verzögern, die hinten liegenden Panzerdivisionen sollten den Gegenangriff führen. Wie zweckmäßig dieser Plan auch sein mochte, nicht die auf eine Abwehr des angenommenen Gegners eigentlich abzustimmenden militärischen Erfordernisse, sondern die in der Bundesrepublik vorhandene, eben schon angedeutete unzureichende Unterkunftskapazität bestimmte in sehr viel stärkerem Maße die Dislozierung, als es die operative Zweckmäßigkeit eigentlich erforderte54. Dass es mit der Unterbringung hunderttausender Soldaten mit ihrer gesamten Ausrüstung und teilweise mit ihren Familienangehörigen in der Bundesrepublik Probleme geben, ja sie zur Nagelprobe nicht nur des Streitkräfteaufbaus sondern in Teilen auch des zivil-militärischen Innenverhältnisses werden könn51
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53
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BA-MA, BW 9/2382, pag. 7, Schreiben des Oberkommandierenden der Alliierten Landstreitkräfte Europa Mitte an den NATO-Oberbefehlshaber, 26.3.1953, betr. Stationierung europäischer Kampfverbände deutscher Herkunft in Deutschland. BA-MA, BW 9/2382, pag. 42 f., Abteilungsleiter II im Amt Blank an Leiter der deutschen EVG-Delegation, 16.11.1953. Vgl. die schematische Dislozierungskarte des geplanten deutschen Heereskontingents mit Stand Dezember 1953 bei AWS, Bd 2, S. 687 (Beitrag Meier-Dömberg). Ebd., S. 745-747.
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te, darüber herrschte von Anfang an bei jenen deutschen Militärexperten Klarheit, die bereits kurz nach der so genannten Sicherheitsinitiative Adenauers vom August 1950 und noch bevor überhaupt Verhandlungen um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag offiziell begonnen hatten, den Nebelschleier verfügbarer Infrastrukturkapazitäten zu lüften versuchten. Denn substanzielles Wissen etwa über Anzahl und Größe der ehemaligen Wehrmachtliegenschaften oder Truppenübungsplätze war angesichts fehlender Unterlagen rar und zunächst nur über das Netzwerk der Ehemaligen zu erlangen55. Für den zur Rede stehenden Themenkomplex zählten hierzu u.a. die Mitglieder einer von Generalmajor a.D. Hellmuth Reinhardt im Rahmen der U.S. Army Historical Division geleiteten Arbeitsgruppe, die im März 1950 ihren Auftraggebern eine umfängliche und differenzierte Studie unter dem Titel Description of Casernes and Airfields in the Soviet Zone (deutsch: Friedensunterkünfte der deutschen Wehrmacht im alten deutschen Reichsgebiet - ostwärts der Zonengrenze) vorgelegt hatte56. Diese Ausarbeitung beruhte fast ausschließlich auf persönlichen Erinnerungen ehemaliger Offiziere und Wehrmachtbeamten. Anfang November 1950 suchten sowohl das Amt Blank als auch das Institut für Raumforschung um Expertise bei diesem Personenkreis nach. Das 1949 in Bad Godesberg gegründete, 1950 als Bundeseinrichtung in den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern übernommene Institut für Raumforschung ging zurück auf die im Jahre 1935 gebildete Reichsgemeinschaft für Raumforschung, mit der der Versuch einer flächendeckenden übergemeindlichen und überfachlichen Raumplanung im Reich unternommen worden war - nicht zuletzt auch unter dem Vorzeichen der nationalsozialistischen Kriegs- und Großraumpolitik. Aufgabe des nunmehrigen Forschungsinstituts unter demokratischen Vorzeichen war es, der Bundesregierung die Grundlagen zur Lösung aller Fragen der Raumordnung zu verschaffen. Direkt nach seiner Gründung wandte es sich dem damals brennendsten Problem deutscher Raumordnung zu, dem Flüchtlingsproblem, und hier insbesondere dem Bevölkerungsausgleich. Aber auch militärische Fragestellungen standen fast von Beginn an auf der Agenda. Für das Bundesministerium des Innern, zuständig für den Zivilschutz, erarbeitete das Institut Unterlagen und Karten für Fragen der vorsorglichen Evakuierung der Bevölkerung und des Luftschutzes. Hierbei kam es darauf an, zu prüfen und durch Festlegung von Größenordnungen zu belegen, in welchem Umfang bei Vorliegen bestimmter Bedingungen vorsorgliche Evakuierungen erforderlich seien und welche Aufnahmeräume hierfür in Frage kommen könnten. Nachdem recht schnell klar geworden war, dass die westdeutsche Aufrüstung raumwirksame Folgen nach sich ziehen würde, kam der Auftrag hinzu, die Möglichkeiten der Landbeschaffung für Verteidigungs55
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BA-MA, BW 9/2418, pag. 225-228, Protokoll einer Besprechung mit GenMaj a.D. Reinhardt in Königstein, 6.11.1950, Raumbedarf von in Deutschland stationierten Truppenverbänden. BA-MA, ZA 1/1898. Zur Tätigkeit und zur Rolle ehemaliger deutscher Soldaten bei der U.S. Army Historical Division siehe Wegner, Erschriebene Siege. Dort auch weiterführende Literatur.
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zwecke durch die Erfassung von Ödland und Moorflächen unter Berücksichtigung sowohl der militärischen als auch der zivilen Belange zu prüfen 57 . Vor diesem Hintergrund wandte sich der im Institut für Raumforschung als Pressereferent angestellte ehemalige Major Rolf Eginhard Koch-Erpach auf Empfehlung seines Schwagers, des bereits zitierten Generalmajors a.D. Reinhard, Mitte November 1950 an den Generalintendanten a.D. Dr. Erich Knitterscheid. Dieser war nicht nur 1944 Chef jener für Infrastruktur zuständigen Amtsgruppe im Heeresverwaltungsamt gewesen, sondern hatte für das zitierte Casernes Project der Historical Division eine längere Passage über allgemeine Grundsätze der Unterkünfte des deutschen Heeres geschrieben58. Dem Institut für Raumforschung ging es nun darum, von Knitterscheid Aufschluss »über den Umfang eines unter Umständen für alliierte oder deutsche Truppenverbände in Frage kommenden Raumbedarfs« zu erhalten59. Dass der ehemalige Intendanturoffizier ganz offensichtlich in der Lage war, in dieser Angelegenheit auch über den Tellerrand der reinen Verwaltung hinauszublicken, bezeugt bereits der erste Satz seiner diesbezüglich abgefassten Denkschrift über den Landbedarf in Deutschland stationierter Truppenverbände: »Die in der Öffentlichkeit laufend diskutierte Frage der Truppenverstärkungen im Gebiet der Bundesrepublik wirft die Frage auf, welche Konsequenzen sich aus der zu erwartenden Landinanspruchnahme der öffentlichen Hand für militärische Zwecke ergeben werden 60 .« Obwohl sich Knitterscheid nachfolgend sehr bemühte, exakte Angaben über den Flächenbedarf für Übungsplätze und Kasernen zu liefern, waren selbst ihm mangels präziser Aktengrundlagen allenfalls grobe Orientierungen möglich. Weil die Wehrmacht 1939 im Gebiet der Bundesrepublik von 1950 rund 400 000 Soldaten hatte unterbringen können, so schätzte er, dass unter Berücksichtigung der in der Presse genannten alliierten Truppenverstärkungen in dieser Größenordnung »die für die damaligen Verbände bereitgestellten Unterbringungs- und Übungsmöglichkeiten bei ähnlicher Gliederung auch heute für den gleichen Bedarf ausreichen müßten« 61 . Sofern sich aber die Kriterien verschieben würden, wie etwa auf Grund waffentechnischer Entwicklung, dann wäre allerdings ein zusätzlicher Landbedarf vonnöten. Für die Heeresverbände rechnete er mit einem durchschnittlichen Flächenbedarf von insgesamt 180 000 bis 250 000 ha. Hinter dem Bedarf für die Luftstreitkräfte und an Wohnraum für die Angehörigen der Besatzungstruppen musste er allerdings ein Fragezeichen setzen. Auch wenn den Deutschen zu diesem sehr frühen Zeitpunkt die tatsächlichen Faktoren des Landbedarfs für militärische Zwecke noch weitgehend unbe57
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Müller, Institut für Raumforschung. Siehe auch Bericht über Aufbau und Tätigkeit des Instituts für Raumforschung. BA-MA, ZA 1/1898, pag. 22-36. BA-MA, BW 9/2418, pag. 221, Schreiben Koch-Erpach an Generalintendant a.D. Knitterscheid, 17.11.1950. BA-MA, BW 9/2418, pag. 229, Denkschrift: Landbedarf in Deutschland stationierter Truppenverbände, undatiert [1950/51]. Ebd., pag. 230.
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kannt waren, über die Folgen im allgemeinen schien - zumindest bei Knitterscheid - Klarheit zu herrschen: »Wenn der Bund, dem in Artikel 134 des Grundgesetzes das frühere Reichsvermögen und somit auch das Vermögen der ehemaligen deutschen Wehrmacht übertragen wurde, die Liegenschaften der Wehrmacht in seinem Bereich wieder für militärische Zwecke verwenden muß, so wird dies auf den Wohnungsbau, die Landwirtschaft, die Industrie und alle übrigen Wirtschaftszweige erhebliche Rückwirkungen haben62.« Deshalb, und angesichts der raumpolitisch als schwierig eingeschätzten Lage der Bundesrepublik, erschien allein eine vorausschauende und planmäßige Steuerung des Wohn- und Flächenbedarfs für die Streitkräfte ein Garant dafür zu sein, um »Störungen wirtschaftlicher Art und eine stimmungsmäßige Beunruhigung der Bevölkerung«63 zu vermeiden. Wo - bezogen auf diese beiden Felder - der Verfasser eventuell mit Friktionen glaubte rechnen zu müssen, verdeutlichen einige der vorgeschlagenen und möglichst unverzüglich durchzuführenden Untersuchungen. Als erstes sollte der Landbedarf für militärische Zwecke mit den Absichten der Alliierten so in Ubereinstimmung gebracht werden, dass die Ernährungsgrundlagen Westdeutschlands gesichert blieben. Weiterhin sollte geklärt werden, welcher zusätzliche Raumbedarf durch die Evakuierung der derzeitigen Nutzer militärischer Anlagen entstehen würde und wie er befriedigt werden könnte. Ferner wurde der weitere Wohnraumbedarf für die Alliierten und seine Deckung im Rahmen des Wohnraumprogramms angesprochen. Wie noch zu zeigen sein wird, bewegten sich Dislozierungs- und Unterbringungsplanung der deutschen Verbände im Grunde genommen zwischen Scylla und Charybdis. Schon als der EVG-Dislozierungsausschuss Anfang Januar 1953 erstmalig zusammentrat, war sich der inzwischen in das Amt Blank eingetretene Koch-Erpach mit seinem Wissen aus dem Institut für Raumforschung darüber im Klaren, dass bei der Unterbringung eine Vielzahl von Gesichtspunkten berücksichtigt werden musste. Da sich diese fast niemals deckten, sei ein Kompromiss erforderlich. Aber, so das damalige Urteil, es wäre dennoch grundfalsch, wenn sich die Dislozierung »lediglich« nach den Infrastrukturbedingungen bzw. die Unterbringung nach rein operativen Überlegungen richten würde. Die Bemerkung, solchen Aspekten sei in einer an General Speidel ergangenen Dislozierungsweisung »dahingehend Rechnung getragen worden, daß unter vernünftiger Berücksichtigung operativer Notwendigkeiten die Errichtung der Kasernen in den meisten Fällen nach friedensmäßigen Gesichtspunkten zu erfolgen hat«64, fokussierte das je nach Blickwinkel wirklich schwer zu lösende militärische Problem. Aus Sicht des deutschen Delegierten bei der Abteilung Heer im EVG-Militärausschuss in Paris, Oberstleutnant a.D. Peter Sauerbruch, sollten zur Fehlervermeidung bei den Planungsarbeiten die Begriffe Operative Dislozierung und Infrastruktur scharf voneinander abgegrenzt werden. Wäh-
62 63 64
Ebd. Ebd. BA-MA, BW 9/2382, pag. 74 f., Grundsatzfragen zur Unterbringung des deutschen Kontingents, 6.1.1953.
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rend operative Dislozierung die Unterbringung bestimmter Verbände in bestimmten Räumen meine, plane die Infrastruktur nicht nur auf lange Sicht, sondern sie schaffe ein starres Unterbringungssystem, das weniger durch den operativen Plan als vielmehr in erster Linie durch innenpolitische und finanzielle Möglichkeiten bestimmt werde. Die für das deutsche EVG-Kontingent ausgehandelte Dislozierung stellte nach Ansicht der militärischen Planer in Paris eine unglückliche Vermischung beider Systeme dar. Sie sei entweder eine »Friedensdislozierung mit >operativem Beigeschmack< oder eine operative Dislozierung, die auf das Prokrustesbett der innenpolitischen Möglichkeiten gezwungen wird«65. Die Kritik des militärischen Operateurs richtete sich - im Wissen darüber, dass im Falle eines Krieges die Bundesrepublik zum damaligen Zeitpunkt das zentrale Gefechtsfeld sein würde - vor allem auf eine nicht ausreichende Weststaffelung aller nicht unbedingt in der Kampfzone benötigten Teile des deutschen Kontingents. Andererseits hatte man aber auch Verständnis für die Infrastrukturbearbeiter, die sich dagegen sträuben müssten, einen durch momentane militärische Notwendigkeiten bestimmten operativen Dislozierungsplan zum Ausgangspunkt für Bauvorhaben zu nehmen. Weil im Grund genommen das Problem nicht gelöst werden konnte, schlug der deutsche Delegierte vor, die operative Dislozierung völlig unabhängig von der festen Unterbringung zu betrachten. Im Spannungsfall würde das Kontingent dann eben nach dem jeweils gültigen operativen Plan aufmarschieren müssen. Die hier beklagte unglückliche Vermischung flexibler Operationsfähigkeit mit notwendigerweise statischer Unterbringung der Truppe in Friedenszeiten lässt unter strukturpolitischen Gesichtspunkten zwei Schlussfolgerungen zu: Erstens scheint zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar gewesen zu sein, wenn nicht gar grundsätzlich entschieden, dass ohne Kasernenneubauten die eingegangenen militärischen Verpflichtungen überhaupt nicht eingehalten werden konnten. Weil der Bedarf mit den in Deutschland vorhandenen Kasernen nicht gedeckt werden konnte - selbst wenn diese in kürzester Zeit von den Alliierten oder Zivilpersonen geräumt würden - hatte die Dienstelle Blank die Abteilung Geniewesen der EVG sowie ein besonderes Organ beauftragt, Pläne für neue Kasernen zu entwickeln66. Von den Himmeroder Erwägungen des Herbstes 1950, die Truppe solle sich ihre Unterkünfte auf den Truppenübungsplätzen selbst bauen, hatte man allem Anschein nach wegen zu offensichtlicher Behelfsmäßigkeit und Unzweckmäßigkeit schon Abstand genommen. Und zweitens deutet die Formel von den friedensmäßigen Gesichtspunkten auf eine eventuell stärkere Beachtung ziviler Parameter mit innenpolitischem Wirkpotenzial hin. Was sich genauer dahinter verbarg, vertraute im Übrigen der Referent in der Dienststelle Blank, Koch-Erpach, zehn Monate später einer umfänglichen Aktennotiz an, nachdem mit der Herausgabe von Karten die Bearbeitung der Dislozierung der deutschen Heersverbände für die EVG abgeschlossen war. 65 66
Ebd., pag. 51, Vermerk betr. Operative Planung und Infrastruktur, 14.12.1953. BA-MA, BW 9/1695, pag. 4 2 - 4 7 , Bericht über den von der deutschen Delegation der EVG am 7.12.1953 in Paris gehaltenen Vortrag.
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Danach ließ sich die bei der Standortplanung vor allem von den Alliierten angemahnte stärkere Berücksichtigung operativer und taktischer Gesichtspunkte nur innerhalb der Divisionsräume berücksichtigen. Die Einheiten sollten möglichst so disloziert werden, dass bei Versammlungen keine Marschkreuzungen entstünden. Auch sollte bei Rücksichtnahme ausschließlich auf die operativen Gesichtspunkte bedacht werden, dass sich im Falle politischer wie militärischer Lageveränderungen - »einschl. Verminderung der alliierten Truppen« 67 - eventuell nicht unerhebliche Fehlinvestitionen anbahnten. Mit anderen Worten, es hätten darin keine oder weniger Kasernen gebaut werden müssen. Von besonderer Bedeutung erschienen Koch-Erpach allerdings die mit der Neueinrichtung von Standorten verbundenen Gesichtspunkte der Raumordnung. Sie umfassten geografische, wirtschaftliche, administrative, verkehrsmäßige, soziale und bevölkerungspolitische Aspekte und warfen zudem eine ganze Reihe weiterer Probleme auf: »Bevölkerungsstand u. Größe der Garnisonen, Garnisonen in dichtbesiedelten Industriebezirken, Garnisonen in verkehrsungünstigen Gebieten, Rücksichtnahme auf die Verwaltungsgrenzen, auf Klima, Boden, vorhandenes Versorgungsnetz usw.68.« Die beigefügte handschriftliche Marginalie: »Sie sind bisher fast völlig außer Betracht geblieben« wirft im Übrigen ein bezeichnendes Licht auf den auch bei diesem komplizierten Gefüge rein militärfachlichen Tunnelblick, der die meisten deutschen Streitkräfteplaner offensichtlich kennzeichnete - mit Ausnahme jenes Referenten, dem aufgrund seiner früheren Tätigkeit am Institut für Raumforschung solche Weiterungen sehr wohl bewusst waren, ja, der es auch nicht verabsäumte, auf die damit zusammenhängenden politischen Gesichtspunkte hinzuweisen. Bei Bekanntwerden von Einzelheiten der Dislozierung in der Öffentlichkeit, so prognostizierte er, würden diese nämlich eine erhebliche Rolle spielen. Für die Öffentlichkeit stellte in erster Linie nicht die Dislozierung an sich, sondern die damit verbundene Frage nach der Unterbringung all dieser Soldaten mit ihren Waffensystemen das zentrale Problem dar. Zunächst war es die erklärte Absicht der deutschen Planer gewesen, den Bedarf nur mit den schon bestehenden militärischen Objekten der Zeit vor 1945 zu decken. Eine erste Bestandsaufnahme vom April 1952 erbrachte die Zahl von 560 Kasernenanlagen, die zu dieser Zeit auf dem Territorium der Bundesrepublik existierten. Allerdings waren davon 380 von den Alliierten belegt bzw. für eine Nutzung vorgesehen und nur 180 in deutscher Hand. Letztere dienten oftmals als Ersatzunterkünfte für Flüchtlinge, Betriebe oder Behörden. Vor den deutschen Streitkräfteplanern, die hofften, bei Aufstellungsbeginn zumindest auf 100 der eigentlich für notwendig erachteten 200 Kasernen zurückgreifen zu können, tat sich nun eine Zwickmühle auf. Wollte die Liegenschaftsabteilung im Amt Blank auf die zivil genutzten Anlagen zurückgreifen, unabhängig davon, wo sie lagen 67
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BA-MA, BW 9/2382, pag. 95, Aktennotiz betr. Weiterführung der Dislozierung, 26.10.1953. Ursprünglich war die Stationierung besonders der amerikanischen Heeresverbände in Europa nur als zeitlich befristete Übergangslösung gedacht, bis die europäischen Staaten sich selbst im Stande sahen, die Verteidigung ihrer Territorien selbst zu übernehmen. Ebd.
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und ob sie überhaupt ansatzweise mit der operativen Dislozierung in Einklang gebracht werden konnten, standen rechtliche Hindernisse entgegen oder waren zumindest mit den Bundesländern zu regeln. Außerdem musste mit schwerwiegenden wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen gerechnet werden, deren Lösung zumindest viel Geld erforderte. Die bei Kriegsende den Zwecken der ehemaligen Wehrmacht gewidmeten Liegenschaften des Reiches unterlagen gemäß Militärregierungsgesetz Nr. 52 der Beschlagnahme, Verwaltung und Aufsicht durch die Militärregierung. An der Rechtsstellung des Reiches als Eigentümer dieses Vermögens änderte sich dadurch jedoch nichts. Teilweise noch bevor eine Bundesverwaltung existierte, war das nicht von den Besatzungsmächten genutzte ehemalige Wehrmachtgut 1949 den Länderverwaltungen übergeben worden. Nachdem mit der Verkündigung des Grundgesetzes im Art. 134 die Rechtsnachfolge in das Reichsvermögen grundsätzlich geregelt worden war, hob das am 4. Mai 1951 erlassene Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. A 16 die eben skizzierten besatzungsrechtlichen Vorschriften auf. Die Länderverwaltungen ging jedoch sehr ungern daran, diese militärischen Liegenschaften an den Bund zurückzugeben, zumal sie einen nicht unerheblichen Teil des von ihnen verwalteten Finanzvermögens darstellten - also Vermögen, das keinem Verwaltungszweig gewidmet war und somit relativ frei für Wohn- oder Gewerbezwecke benutzt werden konnte. Dass diese Objekte irgendwann einmal militärisch genutzt werden könnten, war beim Inkrafttreten des Grundgesetzes überhaupt nicht vorherzusehen. Die darüber zwangsläufig entstandenen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern konnte erst das Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen (sog. Vorschaltgesetz) vom 27. Juli 1951 klären69. Trotz der rechtlichen Normierung wurden, etwa durch die Ansiedlung von Gewerbe- oder Industriebetrieben auf solchen Arealen, Fakten geschaffen, die schwer zu ändern waren, ohne volkswirtschaftlichen Schaden anzurichten. So erleichterten die in der Regel gut erschlossenen Areale die Gründung von so genannten Flüchtlingsunternehmen, die, wie das Beispiel Bayern zeigt, mit 1324 Betrieben unterschiedlicher Größenordnung etwa 1956 insgesamt knapp 19 000 Personen beschäftigten und damit »einen bemerkenswerten Aktivposten der bayerischen Wirtschaft« darstellten70. Zwar konnte das Land bei einer militärischen Inanspruchnahme die Herausgabe nicht verweigern. Wohl aber konnte es sich dafür stark machen, bei einer gegebenenfalls notwendig erscheinenden Räumungs69 70
Gressl, Das rechtliche Schicksal, S. 132-134. BayHStA, MWi 22501, Aufgaben und Arbeitsergebnisse der Landesplanung in Bayern, Denkschrift vom November 1956, S. 11. Neuere Forschungen betonen freilich, die bisher den Flüchtlingsindustrien zugeschriebene bedeutende Rolle im Rahmen einer so genannten »importierten Industrialisierung« Bayerns nicht zu überschätzen. Das Arbeitskräftepotenzial der Flüchtlinge, so eine These, habe wirtschaftliche Innovationen eher verzögert. Von möglicherweise ebenso großer Bedeutung sei die Verlagerung von Industrieund Dienstleistungsunternehmen aus der SBZ/DDR vor dem Mauerbau 1961 gewesen. Vgl. Erker, Zeitgeschichte als Sozialgeschichte, S. 222; Hefele, Die Verlagerung von Industrie- und Dienstleitungsbetrieben.
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maßnahme nicht nur von fiskalischen Bestimmungen auszugehen, sondern auch die wirtschaftspolitischen Ziele der Länder angemessen zu berücksichtigen. Mit einer etwa von der bayerischen Staatsregierung betriebenen Politik der dezentralen Ansiedlung von Flüchtlingen beförderte man nicht nur die Entstehung einer breit gestreuten Industrie im Lande, sondern unterstützte damit auch das Ziel einer dezentralen Landesentwicklung. Dies zumindest zu bedenken forderte das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft beispielsweise im Falle des in der Nähe von Regensburg gelegenen ehemaligen Fliegerhorstes Neutraubling ein. Wenn durch frühere Wehrmachtanlagen in industrieschwachen Gebieten mit einer Flüchtlingsüberbelegung und struktureller Arbeitslosigkeit entsprechende Arbeitsplätze geschaffen würden, könne man einer Räumung auch im Hinblick auf die anfallenden Kosten nicht zustimmen. Vor allem die Vernichtung aber auch die Verlagerung von Arbeitsplätzen würden weitaus mehr finanzielle Belastungen mit sich bringen, ganz zu schweigen »von den nachteiligen politischen Folgen in den meist an der Grenze Bayerns gelegenen notleidenden Gebieten«71. Bisher hätten sich im infrastrukturell gut erschlossenen ehemaligen Fliegerhorstareal 97 Flüchtlingsbetriebe angesiedelt und etwa 600 Arbeitsplätze geschaffen. Die Standortbedingungen wurden als gut bezeichnet, da Neutraubling am Eingang zum historischen Notstandsgebiet des Bayerischen Waldes und inmitten der schwach industrialisierten Regierungsbezirke Oberpfalz und Niederbayern lag. Durch eine militärische Wiederverwendung würde nicht nur die geplante Ausweitung der regionalen Wirtschaftskraft konterkariert, sondern auch ein zentrales, überörtliches Ziel der bayerischen Wirtschaftsverwaltung beeinträchtigt: Entballung der Großstädte und Verringerung der strukturellen Arbeitslosigkeit notleidender Gebiete72. Vor solchem sozial- und wirtschaftpolitischem Hintergrund war der Bund gut beraten, Vorhaben der militärischen Rückübertragung möglichst einvernehmlich mit den Ländern durchzuführen. Die Maßnahmen und Kosten einer Freimachung, die bis zur Gestellung von Ersatzgelände gehen konnten, musste ohnehin die Bundeskasse tragen. Wollte man aus den angedeuteten Gründen ein Zurückgreifen auf zivil genutzte Liegenschaften - soweit irgend möglich - vermeiden, dann ging das nur über Verhandlungen und im Einvernehmen mit den Besatzungsmächten. Darin war man inzwischen schon etwas geübt. Bereits im Herbst 1950 hatte die Bundesregierung einen interministeriellen Ausschuss eingesetzt mit dem Ziel, eine einheitliche Durchführung aller Maßnahmen zu gewährleisten, die auf deutscher Seite aus Anlass der Verstärkung der alliierten Streitkräfte getroffen werden mussten. Dem Gremium gehörten die Bundesminister für Finanzen, für den Wohnungsbau, für Vertriebene, für Wirtschaft und für Arbeit an. Nach der Schaffung eines Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung 71
72
BayHStA, Mwi 22444, Bayer. Staatsministerium für Wirtschaft an Bayer. Staatsministerium der Finanzen, 31.1.1952. Zur bayerischen Flüchtlingspolitik (Ansiedlung und Industriestandorte) im Uberblick vgl. Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd 4, S. 737-755. Dort auch weiterführende Literatur zum Flüchtlingsproblem im gesamten Bundesgebiet.
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der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen in der Person von Theodor Blank führte dieser den Vorsitz im interministeriellen Ausschuss. Das Hauptaugenmerk lag auf der Unterbringung der alliierten Streitkräfte. Ein im Januar 1951 deshalb an die Alliierten gerichtetes Memorandum verdeutlicht die Zielsetzung dieser Einrichtung: »Da die Finanzierung [der Unterbringung der alliierten Streitkräfte; d. Verf.] aus Bundesmitteln erfolgt und die Unterbringungsmaßnahmen sowohl aus finanziellen wie auch aus bauwirtschaftlichen, bautechnischen und arbeitspolitischen Gründen nach einheitlichen Richtlinien getroffenen werden müssen, bittet die Bundesregierung, die alliierten Anforderungen in allen drei Zonen künftig an die Bundesregierung zu richten. Hierzu wären erforderlich: 1. Die Einrichtung einer Koordinierungsstelle auf alliierter Seite, die als Verhandlungspartner für den deutschen Bevollmächtigten, Abgeordneten Blank, bestimmt und bevollmächtigt werden sollte. 2. Die Aufstellung eines Gesamtunterbringungsplanes, der alle für das Bundesgebiet vorgesehenen Truppenverstärkungen umfaßt, da das bisherige Verfahren zum Teil kurzfristiger Einzelanforderungen zu erheblichen Schwierigkeiten führt. 3. Die Übertragung aller Maßnahmen zur Durchführung dieses Planes auf die deutsche Verwaltung73.« Die Bundesregierung verfolgte damit zwei Ziele. Einerseits ging es ihr ganz offensichtlich darum, im Vorgriff auf den dann realisierten verfassungsrechtlichen Einbau der Verteidigungsbelange in das Grundgesetz auch auf diesem Feld die Kompetenz des Bundes zu stärken. Bisher verfuhren die Besatzungsmächte in dieser Angelegenheit höchst uneinheitlich. Während die Amerikaner bereits ab Herbst 1950 die Federführung des Interministeriellen Ausschusses akzeptiert hatten, verhandelte man in der britischen Zone lediglich auf Länderebene zwischen den jeweiligen Landeskommissaren und Landesregierungen. In der französischen Zone hatten diesbezügliche Unterredungen bislang weder auf Bundes- noch auf Länderebene stattgefunden. Dem Wunsch der Bundesregierung, in Zukunft als zentraler Ansprechpartner akzeptiert zu werden, kamen die Besatzungsmächte dann zwar grundsätzlich entgegen. In einer Besprechung beim Alliierten Sicherheitsausschuss auf dem Petersberg sagten die militärischen Vertreter der alliierten Seite Theodor Blank zu, »die Bitte um Übertragung der Zuständigkeiten für die Unterbringung der Besatzungstruppen auf die Bundesregierung so weit als möglich zu berücksichtigen«74. Freilich unter zwei Vorbehalten: dass den alliierten Anforderungen insbesondere mit Blick auf die gegebenen Termine, die festgelegten Gebiete und Vorschriften in zufriedenstellender Weise entsprochen werde; dass sich die Alliierten daneben aber das Recht vorbehielten, Einzelheiten und - was immer das sein mochte »Angelegenheiten minderer Bedeutung« mit den örtlichen Behörden zu ver73
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BA-MA, BW 1/21199, Memorandum zur Frage der Unterbringung der alliierten Streitkräfte im Bundesgebiet, 2.1.1951. Ebd., Vermerk über die Besprechung beim alliierten Sicherheitsausschuss auf dem Petersberg, 13.3.1951.
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handeln. Faktisch sah es dann so aus, dass die Alliierten ihre Grundstücksanforderungen an die Landesregierungen richteten. Nur solche mit besonders großem Umfang oder erheblicher Bedeutung, die mehrere Länder gleichzeitig berührten, wurden der Dienststelle Blank unmittelbar zugestellt. Eine direkte Fühlungnahme zwischen den alliierten Stellen und privaten Grundbesitzern, Bürgermeistern oder Landräten entfiel75. Das zweite große Ziel, das die Bundesregierung mit ihrem Vorstoß zur Zentralisierung der alliierten Unterbringungsplanung verfolgte, erstreckte sich auf das weite Feld der Innen-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik. Im Wissen um die bisherigen, in der Bevölkerung oft als willkürlich empfundenen Maßnahmen der Besatzungsmächte bat man fast inständig darum, dass sich die Alliierten bei der Durchführung von Truppenverstärkungen zukünftig nicht mehr als Besatzungs- sondern vielmehr als Schutztruppen betrachten und deshalb von Requisitionen und Beschlagnahmen von Grundstücken, Wohnungen oder Gewerbebetrieben grundsätzlich Abstand nehmen sollten. Ganz besonders dann, wenn Gelände für Flug- oder Truppenübungsplätze in Anspruch genommen werden sollte, legte die Bundesregierung Wert auf regelmäßige Information, um »im Interesse der deutschen Ernährungswirtschaft und einer schonenden Behandlung der betroffenen Bevölkerungskreise über die Notwendigkeit und Durchführbarkeit der Anforderungen mit der zuständigen alliierten Stelle zu verhandeln und gegebenenfalls auch Ersatzvorschläge zu machen«76. Nach nicht einmal zwei Jahren Eigenstaatlichkeit waren den Deutschen freilich noch immer enge Grenzen bei ihren Wünschen gesetzt. Generell zeigten sich die Alliierten zwar grundsätzlich zu einem gewissen Entgegenkommen bereit, aber nur so weit, um die eigenen Vorteile nicht zu stark gefährden zu lassen. Es überrascht zudem nicht, wenn auch hier teilweise deutliche Unterschiede unter den Besatzungsmächten zum Vorschein kamen. So trat beispielsweise in der Diskussion über das Memorandum deutscherseits die Frage auf, ob über die von den Alliierten zur Unterbringung ihrer Truppen »festgelegten Gebiete« überhaupt eine Diskussion zugelassen würde. Vom französischen General de division Jean Ganeval, der zugleich den Vorsitz im Alliierten Sicherheitsausschuss führte, musste sich Blank sagen lassen, dass die Alliierten ihre Forderungen stellen würden. Die Deutschen könnten dann zwar Stellung nehmen, die Entscheidung liege aber allein bei den Alliierten. Der amerikanische Vertreter erklärte lapidar, dass bei den festgelegten Gebieten keine Änderungen eintreten würden. Demgegenüber zeigte sich die britische Seite scheinbar etwas konzilianter. Hier verstand man unter »Ortlichkeiten ein erweitertes Gebiet, innerhalb dessen man sich im einzelnen einigen könnte«77.
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76
77
Ebd., BW 1/28464, Derzeitiges Verfahren der Zusammenarbeit zwischen den Alliierten einerseits und der Bundesrepublik, den Ländern und Gemeinden andererseits (Zusammenstellung undatiert; ca. 1952/53). Ebd., BW 1/21199, Vermerk über die Besprechung beim alliierten Sicherheitsausschuss auf dem Petersberg, 13.3.1951. Ebd.
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Ging es 1950/51 bei den Verhandlungen mit den Alliierten zunächst einmal darum, deren Unterbringung in einem noch keineswegs prosperierenden Land wie der Bundesrepublik auszutarieren, so verschärfte sich das Problem zusätzlich, als es um die Frage nach dem Wohin für die Truppen des präsumtiven deutschen Verteidigungsbeitrags ging. Dazu fand am 19. Februar 1953 in Bonn unter dem Vorsitz Blanks eine mit hochrangigen Vertretern des EVG-Interimsausschusses, der NATO-Kommandobehörden sowie der Dienststelle Blank beschickte Sitzung statt, auf der das nun schon ins Detail gehende Vorgehen in der Dislozierungs- und Unterbringungsfrage abgestimmt werden sollte78. Zur Strukturierung schlug Blank zwei so genannte Dislozierungskommissionen vor, bestehend aus Vertretern der Armeegruppen Nord bzw. Mitte, die sich zunächst mit der Unterbringungsplanung für das Heer befassen sollten, da für die Luftwaffe noch weiterer Klärungsbedarf in Paris vonnöten sei. Auf französisches Drängen wurden es dann faktisch drei Kommissionen. In Bad Oeynhausen verhandelte man mit den Engländern, in Heidelberg mit den Amerikanern und in Baden-Baden mit den Franzosen um die Kasernen. Blank legte in dieser Orientierungskonferenz größten Wert darauf, dass die nun einsetzenden Kommissionssitzungen unter strengster Vertraulichkeit ablaufen sollten. Jegliches Aufsehen sollte vermieden werden, um die Öffentlichkeit nicht zu beunruhigen. Er war sogar der Meinung, dass bereits Mitteilungen an nachgeordnete alliierte Stellen genügten, »um Proteststürme gegen angebliche Absichten der Landbeschlagnahme hervorzurufen«79. Dass solches zu verhindern eines der zentralen Anliegen der deutschen Seite war, kam bereits auf der ersten Dislozierungsbesprechung in Heidelberg zum Tragen. Aus Sicht des französischen Vertreters, General Servais, erfolgten die von SHAPE gemachten Dislozierungs- und Unterbringungsvorschläge im Hinblick auf operative Schwerpunkte. Demgegenüber hatte sich der deutsche Vorschlag von psychologischen und innenpolitischen Gesichtspunkten leiten lassen, wie etwa der Forderung nach Einhaltung der Ländergrenzen80. Das eigentliche Problem für die Alliierten war jedoch, dass sie aus operativen, im Falle Frankreichs ebenso sehr aus politischen Erwägungen möglichst viele deutsche Verbände in den von den Besatzungstruppen belegten Räumen haben wollten. Solches betrachtete man deutscherseits freilich mit Argwohn, schien es doch keineswegs ausgeschlossen, dass deutschen Truppen bloß eine Nachhutaufgabe zugedacht war, um das Ausweichen der alliierten Verbände an und das Übersetzen über den Rhein zu decken. Mit Missfallen registrierten die deut78
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Die deutsche Seite wusste zu diesem Zeitpunkt anscheinend schon, in welche Liegenschaften und wo sie ihre Truppen unterbringen wollte. Zumindest hatte man sich bereits ein Bild von der Situation verschafft. Auf einer um 1953/54 zu datierenden Karte, die den gesamten Südteil der Bundesrepublik ab einer Linie Köln-Kassel abbildete, waren zahlreiche Militärobjekte bzw. Standorte unter folgender Kategorisierung farblich unterschiedlich markiert: Bauplätze; leerstehend oder gering von Zivil belegt; räumbar in ca. 5 - 6 Monaten; von alliierten Truppen gering belegt; Muna oder Tanklager; angeforderte bzw. noch nicht belegte Kasernen. Ebd., BW 9/1642cK. Ebd., BW 9/2418, pag. 7. Ebd., BW 9/2380, Protokoll über die 1. Dislozierungsbesprechung in Heidelberg, 17.3.1953.
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sehen Planer die bei den Dislozierungskonferenzen zuweilen »vorgetragenen taktischen Überlegungen und Wünsche [die] in bedenklichem Maße die Vorstellungen eines Rückzuges hinter den Rhein erkennen« ließen81. So forderte beispielsweise der französische Vertreter die Dislozierung eines deutschen Pionierbataillons nicht nach Hanau, sondern in das erheblich weiter westlich liegende Diez mit dem Argument, die Aufgabe dieser Einheit sei in erster Linie das Zerstören von Brücken und Wegen. Der deutsche Delegierte hielt dagegen, dass das Bataillon vielmehr Brücken zu bauen habe und, mit Blick auf die »forward strategy«, viel besser nach Hanau passe. Auch hinsichtlich des Stabes der 7. Division, die u.U. dem französischen II. Korps unterstellt werden sollte, passte der französischen Seite der Standort Gießen nicht. Man wollte ihn vielmehr in Limburg an der Lahn haben. Zur Begründung führte man an, »daß Gießen zu weit vorn und nicht auf der >Bewegungsachse< der Division läge«82. Noch deutlicher wurden die Franzosen bei der Forderung nach Verlegung eines Divisionsflugabwehrbataillons nach Koblenz. Es sollte bei der zu erwartenden Ost-West-Bewegung die Brücken über den Rhein sichern. Die deutsche Seite lehnte das Ersuchen zwar unter Hinweis auf den Hauptauftrag dieses Bataillons - Schutz der Divisionstruppen - ab. Man gestand allerdings die Verlegung eines schweren Flugabwehrbataillons der so genannten Verfügungstruppen dorthin zu, »um auf diese Weise überhaupt zunächst mal nach Koblenz hereinzukommen« 83 . Wenn die Alliierten einerseits aus operativen Gründen deutsche Truppen in bestimmten Räumen disloziert sehen wollten, so sperrten sie sich andererseits oftmals dagegen, dazu die notwendigen Kasernen freizumachen oder zumindest einer Mitbenutzung zuzustimmen. Man führte hier Bestimmungen an, wonach nicht nur keinerlei Integrierung oder Vermischung etwa amerikanischer und deutscher Verbände innerhalb einer militärischen Einrichtung erfolgen dürfe, sondern man wünschte so etwas auch nicht. Raumknappheit und Schwierigkeiten bei der Nachschubverwaltung wurden als Begründung genannt 84 . Vielleicht spielte aber auch eine gewisse Besatzungsmentalität eine Rolle. Wesentlich für dieses Verhalten dürfte allerdings gewesen sein, dass sich die Frage der Kasernenfreigabe mit anderen Kompensationsgeschäften zum Nutzen der Alliierten verbinden ließ. So wollte man einer alliierten Truppenverlegung zugunsten der deutschen Verbände nur zustimmen, wenn ein adäquater Ersatz - einschließlich der Familienunterkünfte - sichergestellt sei85. Trotz aller Bekenntnisse zur Zusammenarbeit war das Ringen um die Freigabe jedes einzelnen Objekts mühevoll. Beide Seiten ließen sich nur ungern in die Karten blicken, wie nachfolgendes Beispiel einer Unterredung zwischen 81
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85
Ebd., BW 9/2389, pag. 258-260, Vermerk G3 Unterabteilung Planung im Amt Blank betr. Dislozierungsbesprechungen in Heidelberg und Baden-Baden, 9.11.1953. Ebd. Ebd. Ebd., BW 9/2380, pag. 21, Protokoll über die 1. Dislozierungsbesprechung in Heidelberg, 17.3.1953. AWS, Bd 2, S. 746 (Beitrag Meier-Dörnberg).
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einem amerikanischen und deutschen Vertreter während einer Dislozierungsbesprechung demonstriert: »Co/. Kraus: Wir bitten, uns Ihren Bedarf mitzuteilen, damit wir Kasernen für Sie aussuchen können. Wir werden die Untersuchungen so schnell wie möglich durchführen, doch müssen wir vorher wissen, wie sieht ein Btl. aus, welche Anforderungen stellen Sie an einen Übungsplatz usw. [...]. Oberst von Bonin: Am besten wäre wohl, wir sehen uns erst einmal an, was in der U.S.-Zone überhaupt verfügbar ist, wie dies auch in Bad Oeynhausen und Baden-Baden abgesprochen wurde. Der Unterschied zwischen einem amer. und deutschen Btl. ist nicht sehr groß, und auch unsere Anforderungen an Übungsplätze sind die gleichen wie bei Ihnen [...] Es ist von Anfang an mein Vorschlag gewesen, daß Sie uns in der U.S.-Zone verfügbare Objekte nennen, die darin durch eine gemischte Kommission erkundet werden, damit wir danach gemeinsam festlegen können, wohin wir die einzelnen Truppen legen wollen [...]. Col. Kraus: Der Grund für unsere Fragen ist der, daß wir Ihnen diese ganzen Erkundungen ersparen wollten. Wenn wir Ihren genauen Bedarf wissen und die Stärke und Zusammensetzung Ihrer Truppen, könnten wir Ihnen entsprechende Vorschläge für die Unterbringung und Ausbildung machen. Oberst von Bonin: Ich glaube nicht, daß Sie uns für alle 40 000 Mann Kasernen zur Verfügung stellen können. Wir können Ihnen zunächst außer den Angaben in der Liste und den Einzeichnungen in der Karte keine anderen Unterlagen zur Verfügung stellen86.« Solche, einer gewissen Besatzungsmentalität geschuldeten Beharrungsmomente waren, neben durchaus auch signifikanten militärischen Erwägungen bei der Dislozierung, jedoch nicht das einzige Problem, welches die Freigabe von Kasernen für die künftigen deutschen Truppen so problematisch machte. Während der dritten Sitzung der Dislozierungskommission bei USAREUR kam der amerikanische Vertreter auf das Flüchtlingsproblem zu sprechen, das seit Beginn der fünfziger Jahre enormen innenpolitischen Regelungsbedarf erforderte und auch erhebliche Auswirkungen auf die Liegenschaftsfrage hatte. Im Zuge einer im Frühjahr 1952 angelaufenen Wehrwerbungs- und Einberufungskampagne zur Volkspolizei in der DDR zogen es vor allem viele Jugendliche vor, diesem Staat den Rücken zu kehren. Nachdem die Zweite Parteikonferenz der SED im Juli dieses Jahres den Aufbau und die Grundlagen des Sozialismus beschlossen hatte, nahm der Strom der DDR-Flüchtlinge weiter zu. Es waren vor allem Angehörige des gewerblichen Mittelstandes und des Handwerks sowie Teile der Bauernschaft, die nach Zwangskollektivierung und Verstaatlichung keine Zukunft mehr in der DDR sahen. Über 76 000 waren von Anfang Februar bis Mitte Oktober 1952 allein nach Westberlin gegangen87. Die wirtschaftliche Krise und die Folgen des 17. Juni 1953 bewirkten schließlich einen sprunghaften Flüchtlingsanstieg einer immerhin schon hohen Quote von 182 393 im Jahr 1952 auf 86
87
BA-MA, BW 9/2380, pag. 59-61, Protokoll über die 2. Dislozierungsbesprechung in Heidelberg, 20.3.1953. BA, Β 106/15854, Vermerk für den BMI, 21.10.1952. Darin eine auch nach soziologischen Kriterien ausdifferenzierte Flüchtlingsstatistik.
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331 39088. Westberlin mit seinen mehr oder weniger durchlässigen Sektorengrenzen als die zentrale Übergangsstelle konnte einen solchen Ansturm trotz des Baus so genannter Notaufnahmelager nicht allein verkraften. Aber auch die Aufnahmekapazität der Bundesländer war für solche Größenordnungen nicht ausgelegt. Es fehlte schlicht an Wohnraum. Der Bundesminister für Vertriebene sah eine schnelle Lösung allein in einer zeitweisen Benutzung von leerstehenden Wehrmachtkasernen. Trotz eigener Bedarfsvorstellungen für die zukünftige Truppenunterbringung konnte das Amt Blank einer Belegung leerstehender Militärobjekte, über die es ohnehin keine vermögensrechtliche Verfügung hatte, wegen des enormen Zustroms von Flüchtlingen und angesichts noch gar nicht aufgestellter Truppen schlecht widersprechen. Zumindest sollte aber versucht werden, diejenigen Liegenschaften, welche für die Unterbringung der ersten Ausbildungseinheiten ins Auge gefasst worden waren, von einer Belegung durch Flüchtlinge freizuhalten89. Bis zum Februar 1953 wurden etwa zwei Drittel des für die künftigen Streitkräfte vorgesehenen Unterbringungsraums zur Einquartierung von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. In der Erwartung, dass nach der Ratifizierung des EVG-Vertrages durch den Bundestag im Frühjahr 1953 recht zügig mit der Truppenaufstellung begonnen werden konnte, sah sich Blank freilich außerstande, dem Vertriebenenminister noch weiter entgegenzukommen, ohne »die Durchführung der mir gestellten Aufgaben zu gefährden«90. Für die Notunterbringung der Flüchtlinge sollte vielmehr der im Flüchtlingsnotleistungsgesetz vorgesehene Weg beschritten werden91. Auch wenn Blank den Bundesvertriebenenminister in aller Deutlichkeit ersuchte, er möge seine »bearbeitenden Herren« veranlassen, sich mit weiteren »Freigabewünschen« zurückzuhalten, gab er sich am Ende angesichts der tatsächlichen Notlage versöhnlich. In Einzelfällen wollte man nach wie vor helfend unterstützen, einer weiteren Belegung ganzer Kasernements würde er jedoch seine Zustimmung verweigern. Die Ereignisse des Jahres 1953 machten es schließlich unmöglich, die ursprünglich zum 31. Dezember befristete Kasernennutzung durch Flüchtlinge aufrechtzuerhalten. An eine grundsätzliche Räumung war aus sozialpolitischen Gründen zunächst überhaupt nicht zu denken. Obwohl für 1953 und 1954 zwei so genannte Wohnbauprogramme für Sowjetzonenflüchtlinge aufgelegt worden 88 89
90 91
Vgl. DDR Handbuch, Bd 1 (A-L), S. 419. BA-MA, BW 9/646, pag. 15 f., Vermerk über eine Besprechung beim BMFin betr. Unterbringung von Ostflüchtlingen, 8.9.1952. Ebd., pag. 146 f., Theodor Blank an Hans Lukaschek, 19.2.1953. Das am 10.3.1953 in Kraft getretene Gesetz über Leistungen zur Unterbringung von Deutschen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin (Flüchtlingsnotleistungsgesetz) stellte das erste bundesdeutsche Leistungsgesetz dar, das den Normen des demokratischen Rechtsstaates angepasst war. Darin wurden auch Befreiungen von der Leistungsverpflichtung geregelt. Befreit waren juristische Personen, Körperschaften von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Behörden, wenn ihre Aufgaben durch diese Leistungserfüllung wesentlich beeinträchtigt würden. Offenbar wollte Blank eine analoge Anwendung im Falle der Kasernen erlangen. Vgl. FlüchtlingsNotleistungsgesetz.
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waren, konnte das Land Baden-Württemberg beispielsweise die bis zum August 1953 unterzubringenden 59 000 Personen nur provisorisch aufnehmen, da mit der Fertigstellung der ersten Wohneinheiten nicht vor dem November zu rechnen war. Bis Jahresende schätzte man, dass lediglich 1/5 des Planungsumfangs bezugsfertig sein würde. Weitere 2/5 könnten schätzungsweise bis zum Frühjahr, der Rest bis zum Frühsommer 1954 gebaut werden. Entsprechend lapidar fiel die Schlussfolgerung des Stuttgarter Ministeriums für Heimatvertriebene und Kriegsgeschädigte aus: »Hieraus ist ersichtlich, daß für den Fall der Räumung der Kasernen nur ein geringer Teil dieser Personen in Wohnungen eingewiesen werden kann92.« Die aus militärischen Erwägungen zwar nachvollziehbare Position von Blank, einer weiteren Kasernenbelegung durch Flüchtlinge nicht mehr ohne Weiteres zustimmen zu wollen, stand aber auch deshalb auf unsicherem Boden, weil der EVG-Vertrag zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht von allen Teilnehmerstaaten ratifiziert worden war. Das wussten natürlich auch die Sozialminister der Länder und nutzten dies für ihre Belange. Weil bis zur Ratifizierung noch eine gewisse Zeit vergehe, schlug der Sozialminister von Nordrhein-Westfalen vor, zunächst einmal feststellen zu lassen, welche Kasernen in absehbarer Zeit überhaupt benötigt würden und demzufolge als erste freigemacht werden müssten. Erst danach sollte geprüft werden, welche Liegenschaft als nächste im Zuge des Streitkräfteaufbaus belegt werden müsste und welche man militärischerseits überhaupt nicht benötige93. Nun kam hinzu, dass nicht nur vom Amt Blank für den deutschen Militärbeitrag vorgesehene Kasernen als Flüchtlingsquartiere zur Verfügung gestellt wurden, auch die Besatzungsmächte konnten sich diesbezüglichen Freigabeersuchen kaum ganz entziehen. Ein Beispiel von vielen war die am 15. Januar 1953 durch die British Army of the Rhine von der Beschlagnahme freigestellte ehemalige Lettow-Vorbeck-Kaseme (St. Andrews Barracks) in Hamburg, die leer stand und wo ca. 800 Personen aufgenommen werden konnten94. Sollten solche Kasernen allerdings wieder mit Truppen belegt werden, dann hätte eigentlich die Besatzungsmacht die Räumung verlangen müssen. In Anbetracht des ohnehin nicht ganz einfachen Verhältnisses zu deutschen Stellen in Fragen der Beschlagnahme und Nutzung deutschen Eigentums zeigten sich die Alliierten hier jedoch zögerlich. Es erschien, wie sich beispielsweise ein amerikanischer Vertreter gegenüber seinem deutschen Verhandlungspartner während einer Dislozierungskonferenz äußerte, »nicht angebracht, daß die U.S.-Streitkräfte die Freigabe und Räumung von den jetzigen deutschen Bewohnern verlangen«95. Dieses Problem sollten die Deutschen selbst lösen. Praktisch bedeutete dies, wie der deutsche Delegierte konstatieren musste, die Flüchtlinge dann irgendwo anders unterzubringen. 92 93
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BA-MA, BW 9/647, pag. 145, 28.9.1953. Ebd., pag. 134-136, Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen an den BMVert, 16.9.1953. Ebd., BW 9/646, pag. 58, GenMaj C.J.G. Dalton an Theodor Blank, 11.12.1952. Ebd., BW 9/2380, pag. 93, Protokoll der 3. Dislozierungsbesprechung in Heidelberg, 1.4.1953.
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Natürlich wussten die Alliierten, dass es für das Amt Blank unglaublich schwierig war, angesichts eines immer stärker werdenden Flüchtlingsstroms und einer sich ständig verzögernden Truppenaufstellung die Liegenschaften überhaupt freihalten zu können, geschweige denn die darin Untergebrachten fristgerecht zu evakuieren. Wollte man also mögliche politische Rückwirkungen sowohl für die Bundesrepublik als auch für die USA vermeiden, waren die U.S.-Streitkräfte entsprechend der bisherigen Linie der deutschen Dislozierungsdelegation nun an einer sofortigen Freigabe interessiert. Man konnte sie selbst dann »nicht mehr für das Zurückhalten leerer Anlagen kritisieren«96. Auf den weiteren Vorteil, damit auch der Verantwortung für Bewachung und Instandhaltung von ohnehin bald den Deutschen zu übergebenden Objekten ledig zu sein und somit Geld, das ohnedies vom Bundeshaushalt kam, für anderweitige Maßnahmen zu sparen, sei der Vollständigkeit halber hingewiesen. Dennoch war dies kein Punkt, der einfach hätte abgetan werden können. Freilich barg die sofortige Freigabe aller Objekte auch Gefahren in sich. Die Dienststelle Blank würde, so die Einschätzung der Amerikaner, die Verwendung dieser Anlagen für andere Zwecke nicht verhindern können: »Nach unseren [amerikanischen, d. Verf.] diesbezüglichen Erfahrungen ist es fast unmöglich, Flüchtlinge, die in diese Anlagen hineingekommen sind, wieder hinauszubringen, falls man ihnen nicht sofort verfügbaren Wohnraum als Ausgleichsmöglichkeit zur Verfügung stellen kann97.« Das von amerikanischer Seite deshalb vorgeschlagene Freigabeverfahren sollte nun eine 90-tägige Widerrufsfrist enthalten. Dies bedeutete im hier behandelten Kontext, eine für die militärische Nutzung gegebenenfalls notwendig werdende Zwangsräumung hätte von deutscher Seite durchgeführt werden müssen. Um sich dieses Problem zumindest teilweise vom Hals zu halten, änderte das Amt Blank jetzt seine bisherige Position etwas ab. Nun legte man vielmehr großen Wert darauf, die Militäranlagen nicht sofort, sondern erst zu dem Zeitpunkt von den Alliierten übertragen zu bekommen, wenn sie tatsächlich benötigt wurden. Bis dahin sollten sie weiter unter der administrativen Kontrolle der Besatzungsmächte bleiben. Im Sommer 1953 konnte und wollte wohl kaum jemand vorhersehen, dass ein Gutteil der militärischen Liegenschaften noch über Jahre in der Verfügungsgewalt der Besatzungsmächte oder deutscher ziviler Stellen verbleiben würden. Mit dem politischen Scheitern der EVG in der französischen Nationalversammlung ein Jahr später wurden zunächst keine deutschen Truppen aufgestellt. Als sich solches dann ab 1955 unter dem Dach der NATO abzuzeichnen begann, hatte sich bei der Unterbringungsfrage grundsätzlich nicht viel geändert. Nach wie vor wurde die überwiegende Kasernenkapazität von den Besatzungstruppen, dem Bundesgrenzschutz, zivilen Betrieben oder - trotz entsprechender, jedoch nicht ausreichender Wohnbauprogramme - von Flüchtlingen in
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Ebd., BW 9/2389, pag. 12, Protokoll der 8. Dislozierungsbesprechung in Heidelberg, 17.6.1953. Ebd.
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Anspruch genommen98. Obwohl für die 1956 unterzubringende, 96 000 Mann umfassende erste deutsche Aufstellungswelle rechnerisch 114 000 Unterkunftsplätze vorhanden zu sein schienen, waren aus den genannten Gründen tatsächlich nur 43 000 verfügbar". Im Herbst 1955 steckte die Bundeswehr nicht nur in einem Engpass bei der Infrastruktur, sondern das aus unterschiedlichen Gründen nicht rechtzeitige Freiwerden von Kasernen hatte zu einem »totalen Zusammenbruch der Unterbringungsplanung« geführt und damit »eine ungewöhnlich ernste Situation hervorgerufen«100. Dieser Zustand war durch die Abteilung Heer im Amt Blank bereits mehrfach vorhergesagt worden. Ohne die gesamten Konsequenzen zu überblicken, habe dies bereits zu entscheidenden organisatorischen Planungsänderungen geführt. Selbst der Gedanke, vor 1958 keine Wehrpflichtigen einzuziehen, sei erwogen worden101. Ein daraufhin am 30. Dezember 1955 zwischen Verteidigungsminister Blank und dem Minister für Vertriebene, Flüchtlingen und Kriegsgeschädigte, Theodor Oberländer, geführtes Gespräch nährte zwar die Hoffnung, dass 1956 einige der so genannten Flüchtlingskasernen frei würden und das Aufstellungsprogramm der Streitkräfte somit gesichert sei102. Trotz des Mühens des Leiters Gesamtstreitkräfte im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Hans Speidel, die Alliierten in Baden-Baden und Heidelberg zur Freimachung weiterer Kasernen zu bewegen103, konnte das Fehl keineswegs abgebaut werden. Im Falle der britischen Rheinarmee kam noch ein besonderes Problem hinzu. Während die Truppe in Deutschland in relativ neuen Kasernen aus den dreißiger Jahren untergebracht war, hätte sie im Falle einer Verlegung in das englische Mutterland - zu diesem Zeitpunkt stand im Zusammenhang mit grundsätzlichen Reduzierungsplanungen der Abzug einer Panzerdivision auf der Agenda - »most uncomfortable conditions in delapidated wartime camps and old barracks« vorgefunden104. In Zahlen ausgedrückt zeigte sich auf dem Bundesgebiet folgende Lage: 362 Kasernenanlagen wurden von den Alliierten besetzt gehalten. Innerhalb des Verteidigungsministeriums gab man sich freilich optimistisch. Vollmundig sprach der Ministerialrat Kaumann vor den Abteilungsleitern Mitte Februar 1956 davon, dass nach den bisherigen Planungen bis 1957 nicht nur etwa 150 000 Heeressoldaten untergebracht werden könnten, sondern dass für die weiteren Unterbringungsvorhaben ab dem 1. Januar 1958 »im bisherigen Programm noch erhebliche Reserven vorhanden sind, die lediglich deshalb bisher nicht eingesetzt werden konnten, weil der Termin der Räu98
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100 101 102 103 104
BayHStA, MWi 22501, Aufgaben und Arbeitsergebnisse der Landesplanung in Bayern, Denkschrift vom November 1956, S. 11. Vgl. beispielhaft eine umfängliche Zusammenstellung der Abt. IV vom 19.7.1955, die Deckungsmöglichkeiten des Unterkunftsbedarfs im ersten Jahr. Hinter den darin aufgeführten, über das ganze Bundesgebiet verteilten 88 Militärobjekten ist der Grad ihrer Verfügbarkeit für das erste Aufstellungsjahr vermerkt. BA-MA, BW 2/16820. So Ulrich de Maiziere in seinem Tagebuch am 27.10.1955; ebd., BW 9/25277, S. 50. Ebd., 21.12.1955, S. 80. Ebd., 30.12.1955, S. 18 r. Vgl. AWS, Bd 3, S. 675 (Beitrag Greiner). BA-MA, BW 9/2577, Tagebuch de Maiziere, 16.9.1956, S. 15. Mager, Die Stationierung der britischen Rheinarmee, S. 168.
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mung unsicher ist, von denen aber sicher ein großer Teil bis 1958 verfügbar sein dürfte«105. Drei Monate später kehrte dann die große Ernüchterung ein. Jetzt prognostizierte man ein Fehl von 80 000 Unterbringungsplätzen bis zum Ende des ersten Quartals 1958. Minister Blank gab die Schuld u.a. dem Bundesfinanzministerium, welches die Räumung der mit Flüchtlingen aus der DDR belegten, so genannten Oberländer-Kasernen nicht mit dem entsprechenden Nachdruck vorangetrieben habe. Die hierfür erlassenen Richtlinien, so ein weiteres Argument, waren nach dem Bild, das sich Blank in Niedersachsen dargeboten hatte, auch ungenügend. Man kann sich des Eindruckes einer gewissen Hilflosigkeit nicht erwehren, der den Minister in dieser Sache erfasst zu haben scheint, als er vor seinen Abteilungsleitern die Frage aufwarf, »wer in der Angelegenheit der Räumungsrichtlinien die Initiative ergreife« und er eine die Dinge vorantreibende Vorlage an das Finanzministerium forderte106. Darauf wusste in der Runde keiner eine rechte Antwort. Die Bemerkung des Ministerialrates Schiffers, man möge bei den Alliierten wegen der Freigabe weiterer Kasernen nachbohren, beschrieb im Grunde genommen den einzig möglichen Ausweg aus der zeitkritischen Problemlage. Aber auch der hatte seine Stolpersteine. Als Blank einen klaren Uberblick über die Nutzung der von den Alliierten belegten Kasernen verlangte, konnte der Befragte lediglich eine Flächenzahl von 280 000 ha angeben. Fast kleinlaut musste er einräumen, dass alle bisherigen Versuche, die Frage der vorhandenen Effektivstärken zu klären, sich als ergebnislos erwiesen hatten. Wie sehr man mit dem Rücken an der Wand stand, zeigt auch Schiffers' Vorschlag, eine erhoffte Senkung des Fehls um 20 000 Unterkunftsplätze durch eine Überprüfung bisher schon vorliegender Garnisonsangebote anzustreben. Das hätte allerdings vorausgesetzt, alle Angebote ohne Rücksicht auf ihre Lage auszunutzen. Während der offensichtlich jeden Strohhalm ergreifende Blank dieser Auffassung zustimmte, hielt es der Abteilungsleiter Heer, Generalmajor Hellmuth Laegeler, als psychologisch untragbar für die Truppe, Kasernen in völlig abgeschiedene Räume ohne Bahnverbindung und Schulen zu verlegen. Als wären es der Schwierigkeiten noch nicht genug, setzte der Abteilungsleiter Haushalt, Volkmar Hopf, dem Ganzen die - zugegeben analytisch und rational sehr wohl zutreffend abgewogene - Krone auf: »Min.Dir. Hopf hob die Schwierigkeiten hervor, die sich für die weitere Aufstellung nach dem 1.4.1958 dadurch ergeben können, daß die bisherigen Planungen nur eine Unterbringung von ca. 266-330 000 Mann deckten, während dann unter Zuhilfenahme des Landbeschaffungsgesetzes erst nach einer größeren Pause weitere Truppenunterkünfte geschaffen werden könnten. Dies müsse notgedrungen dazu führen, daß auch in der Durchführung der Wehrpflicht im Sommer 1958 und möglicherweise bis Ende 1958 die Kontinuität nicht gewährleistet sei107.« 105
106 107
BA-MA, BW 2/2050, Kurzprotokoll der 17. Abteilungsleiterbesprechung am 15.2.1956, S. 5 f. Ebd., Kurzprotokoll der 29. Abteilungsleiterbesprechung am 23.5.1956, S. 6. Ebd., S. 7.
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So weit war es zwar noch nicht, aber immerhin ließ die Anfang September aufgestellte Prognose, dass bis zum Jahresende die geforderten Personalzahlen erreicht werden würden, die Frage der Unterbringung noch an problematischer Aktualität zunehmen. Einmal mehr wiesen die Vertreter der Teilstreitkräfte auf die Schwerfälligkeit des Infrastrukturverfahrens hin, was Verzögerungen beim Beginn der Bauvorhaben hervorrief. Wenn die Unterkunftsabteilung demgegenüber auf die zähfließenden Verhandlungen mit den Alliierten und die langsamen Räumungsverfahren auf der unteren Ebene aufmerksam machte, die ihrer Meinung nach für die Unterbringungsprobleme verantwortlich waren, und die Einschaltung des Abteilungsleiters IV, Speidel, in die Freigabeverhandlungen mit den Alliierten zur Beschleunigung der Kasernenräumung für zweckmäßig hielt, dann war dies nichts anderes, als das Eingeständnis eigenen Scheiterns. Den Sitzungsteilnehmern klang sicherlich die äußerst optimistische Prognose eben jener zivilen Abteilung aus dem Spätwinter 1956 noch im Ohr, wonach ausreichende Unterkunftsreserven zur Verfügung stünden108. In Zahlen ausgedrückt und mit Blick auf die von den Alliierten verlassenen Kasernen, sah es bis zur Jahresmitte 1956 so aus, dass lediglich 14 für die Bundeswehr freigegeben worden waren. Über weitere zehn Fälle stand man in Verhandlungen109. Somit begann sich im Sommer 1956 im Zuge der geplanten Aufstellung für das Frühjahr 1957 eine weitere Unterdeckung von 50-60 000 Unterkunftsplätzen abzuzeichnen110. Welche Folgerungen sich daraus für den Aufstellungsablauf der Truppe ergaben, mag folgender Bericht veranschaulichen, der am 14. September 1956 innerhalb der Runde der Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium zum Schwerpunktproblem Engpässe bei der Unterbringung der Heeresdivisionen vorgetragen wurde: »Die Aufnahme von Freiwilligen (1. Gren.Div.) ist abhängig von Zubauten in Form von Feldhäusern und der Räumung von Unterkünften durch die Engländer. Letztere muß jedoch als unsicherer Faktor in die Berechnung eingestellt werden, so daß mit rd. 1400 fraglichen Unterkunftsplätzen zu rechnen ist [...] 2. Gren.Div. kann mit den vorhandenen Unterkünften noch 300 Soldaten aufnehmen. Eine geforderte Bekanntgabe über Ort und Zeitpunkt der für die Division zu erwartenden Unterkünfte würde es der Division erleichtern, sich ihrerseits dieser Frage anzunehmen. Eine weitere Aufnahmemöglichkeit ist abhängig von der Instandsetzung der Kasernen. Als besonders lästig wird es empfunden, daß infolge örtlichen Platzmangels Rekruten hin und her verbracht und ganze Einheiten verlegt werden müssen [...] Bei der 3. Pz.Div. bilden Schleswig und Hamburg entscheidende Engpässe in der sonst nicht ungünstig beurteilten Unterbringungslage111.« Rechnet man das für Frühjahr 1957 erwartete Defizit an Unterkunftsplätzen in Kasernen um, dann fehlten immerhin 49 Objekte (20 große und 29 kleinere Kasernenanlagen). Selbst wenn auf bundeseigenen Liegenschaften in Schnellbau108 109
110 111
Ebd., Kurzprotokoll der 43. Abteilungsleiterbesprechung am 7.9.1956, S. 3. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.9.1956, S. 27. BA-MA, Ν 673/v. 20, Tagebuchaufzeichnungen de Maiziere, 16.9. und 20.9.1956. Ebd., BW 2/2051, Kurzprotokoll der 44. Abteilungsleiterbesprechung am 14.9.1956, S. 5.
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weise 13 große Anlagen hergestellt werden könnten, blieb immer noch ein Fehl von 36 Kasernen, welches nur kompensierbar schien durch die Freigabe alliierter Unterkünfte. Und diese machten ihr positives oder negatives Verhalten durchaus auch von Umständen abhängig, die mit dem eigentlichen Sachproblem nichts zu tun hatten. So hielten die Engländer die in Aussicht gestellte Freigabe von 10 000 Unterkunftsplätzen - nach Einschätzung der deutschen Seite zunächst deshalb nicht aufrecht, weil sie über den Nicht-Ankauf von CENTURION-Panzern für deutsche Panzerdivisionen verstimmt waren 112 . Weil die Gemengelage so komplex und die Situation scheinbar so verfahren war, wurde gar überlegt, im Falle Großbritanniens den Bundeskanzler zu einer Initiative auf höchster Ebene zu bewegen 113 . Das jahrelange Gezerre in der Liegenschaftsfrage hatte im Grunde genommen zwei wesentliche Punkte offen gelegt. Obwohl für die Dislozierung und die damit verbundene Unterbringung der deutschen Truppenverbände operative Überlegungen im nationalen und NATO-Rahmen grundsätzlich maßgebend waren, konnten sie gegenüber der sicherheitspolitischen Notwendigkeit eines raschen Streitkräfteaufbaus nicht die ausschlaggebende Rolle spielen. Schon in den EVG-Dislozierungsbesprechungen war im Frühherbst 1953 von den Alliierten letztlich anerkannt worden, dass sich die Dislozierung in erster Linie den ökonomischen Verhältnissen beugen müsse, also dem Vorhandensein schon bestehender Unterkünfte oder ausreichenden Baugeländes. Der andere Gesichtspunkt, die Verteilung der Einheiten nach taktischen und operativen Kriterien, wurde freilich nie ganz fallen gelassen. Ihm sollte so weit als möglich Rechnung getragen werden 114 . Wie man sich vornehmlich auf deutscher Seite eine solche operative »Wunschdislozierung« vorstellte, davon unterrichtete der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans Röttiger, im Frühjahr 1957 die Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages: »Die strategischen Wünsche gehen dahin, daß im grenznahen Raum - was nicht heißt, unmittelbar an der Grenze - im Endziel die Grenadierdivisionen liegen, und hinter den Grenadierdivisionen - abgesehen von den Sonderdivisionen Gebirgsdivision und Luftlandedivision - die Panzerdivisionen. Eine Gruppe [Heeresgruppe, d. Verf.] soll im Norden der Bundesrepublik, eine im Nordosten und eine weitere nördlich liegen 115 .« Der Realisierung dieser Vorstellungen, hinter denen die - wie sie eingeschätzt wurde - alte, auch etwas konventionelle nationale operative Absicht stand, einen Angriff zunächst mit vorne liegenden Infanterieverbänden zu verzögern, um ihn dann mit den dahinter aufgestellten Panzerdivisionen im Gegenangriff zu bekämpfen 116 , stand freilich
112 113 114 115 116
Ebd., Kurzprotokoll der 48. Abteilungsleiterbesprechung am 17.10.1956, S. 3. Ebd., Kurzprotokoll der außerordentlichen Abteilungsleiterbesprechung am 12.11.1956, S. 2. Ebd., BW 9/2389, pag. 240-243, zusammenfassender Bericht über die Dislozierungsbesprechungen am 22.9.[1953] beim Stabe USAREUR. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 145. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 18.3.1957, S. 7. Α WS, Bd 2, S. 687 (Beitrag Meier-Dörnberg).
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die nicht gelöste Unterbringungsfrage entgegen. Hier stieß man allerdings auf das Problem, dass trotz einer gewissen Bereitschaft, die Kasernen frei zu machen, die Stationierung der Besatzungstruppen in der Bundesrepublik selbst sich nur in geringem Umfang überhaupt nach operativen Gesichtspunkten entwickelt hatte. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wusste ihren Lesern deshalb bereits am 23. Februar 1954 - also während der Hochphase der deutschalliierten Dislozierungskonferenzen - überwiegend zutreffend zu berichten, für deutsche Kontingente kämen Standorte in den linksrheinischen Gebieten des Bundesgebiets schon deshalb nicht in Betracht, weil diese bereits von alliierten Truppen überbelegt seien. Gleiches gelte für besonders günstig gelegene Garnisonen ostwärts des Rheins mit ihren von der Bausubstanz her relativ gut erhaltenen Wehrmachtkasernen aus der Mitte der dreißiger Jahre. Hinzu blockiere nach Ansicht der Zeitung das amerikanische Infrastrukturnetz mit seinen Versorgungswegen von Frankreich durch Deutschland ganze Räume, in denen deutsche Einheiten nicht mehr untergebracht werden könnten. Gezwungenermaßen, so die Schlussfolgerung, müsste das deutsche Kontingent ziemlich nahe am Eisernen Vorhang untergebracht werden, »weil hier die anderen noch Platz gelassen haben«117. Im Grunde genommen traf dieser Artikel nicht nur den Nagel auf den Kopf, sondern er beschreibt in groben Umrissen eine infrastrukturelle Ausgangssituation, bei der man hätte meinen können, sie habe den deutschen operativen Vorstellungen von einer »forward defense«, im Kriegsfalle die Verteidigung schon unmittelbar an den Grenzen aufzunehmen, eigentlich entsprochen. Das war aber nur teilweise so. Denn die Praxis des Aufstellungsbeginns 1956 zeigte nämlich sehr rasch, dass dort, wo man Kasernen nach dem Dislozierungsplan eigentlich gebraucht hätte, keine verfügbar waren und auch keine neuen so schnell gebaut werden konnten. Die Dislozierung, so die Klage des deutschen Heeresinspekteurs, folgte weniger operativen Überlegungen, sondern die Verbände wurden nach einer Art »Unterkunftsstrategie« dorthin gebracht, wo freier Platz war. Gegenüber den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses sprach Röttiger davon, dass man sich bei den Truppenaufstellungen mit den vorhandenen oder weiterhin anfallenden Unterkünften »irgendwie« habe abfinden müssen118. Die militärische Bewertung fiel ein gutes Jahr nach Aufstellungsbeginn demnach auch recht zwiespältig aus: »Grenznah, aber viel zu weit auseinandergezogen, lagen die 1., 2. und 4. Grenadierdivision von Norden nach Süden aufgereiht. Die 3. Panzerdivision befand sich nicht im ostfriesischen Raum wie vorgesehen, sondern in Hamburg und Schleswig-Holstein. Die 5. Panzerdivision lag nicht in Nordrhein-Westfalen, vielmehr unmittelbar hinter der 4. Grenadierdivision - auf den Übungsplätzen Grafenwöhr und Hohenfels viel zu dicht an der Grenze. Ihre Verlegung in den Raum Koblenz brachte sie etwas mehr in Überein117 118
Zit. nach Werner, Bodennutzung und Landanforderungen, S. 89. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 145. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 18.3.1957, S. 7.
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Stimmung mit dem Plan, obwohl in diesem Raum eigentlich die noch nicht existierende 7. Panzerdivision hätte stationiert sein sollen119.« Die Abhängigkeit von frei werdenden Kasernen war freilich riskant, wirkte sie sich doch unmittelbar auf die Truppenaufstellung aus. Einige wenige Zahlen von 1957 sollen als Beleg dafür genügen. Wegen Unterkunftsmangel konnten in diesem Jahre beim Heer folgende Aufstellungsvorhaben im Umfang von 10 576 Mann nicht durchgeführt werden120: Tabelle 2: Nicht realisierte Aufstellungsvorhaben des Heeres 1957 Einrichtungen
Stäbe/Truppenteile
Stäbe Bataillone
2 Stäbe 6 Bataillone, 6 Kompanien 8 Stäbe, 34 Kompanien, 9 Lazarette Heeresoffizierschule III
Versorgungseinheiten Schulen
Stärke 218 5707 3645 1000
Aus der Rückschau des Jahres 1958 konnten wegen fehlender Truppenunterkünfte letztlich zwölf Bataillone und 45 Kompanien nicht aufgestellt werden121. Eine besondere Problemzone in der Unterkunftsangelegenheit stellte die Situation im Südteil der Bundesrepublik dar. Für das Aufstellungsjahr 1958 zum Beispiel zeichnete es sich ab, dass die dorthin dislozierte 4. Grenadierdivision und 1. Luftlandedivision mangels ausreichender Kasernen wohl kaum ihre vorgesehenen Stärken erreichen würden122. Um die deutschen Truppenteile geografisch mehr oder weniger dorthin zu bekommen, wo sie ihren militärischen Auftrag am besten erfüllen konnten, mussten die infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Und zwar vornehmlich dort, wo bisher noch keine Truppen stationiert gewesen waren. Konkret beabsichtigte man, die Truppenunterkünfte zu zwei Dritteln in Anlehnung an kleinere Städte zu errichten123. Damit wurde der materielle Streitkräfteaufbau zu einem raumwirksamen Faktor, der aus innen-, wirtschafts-, struktur- und sozialpolitischem Blickwinkel voraussichtlich ein ganzes Bündel von Folgeproblemen nach sich ziehen würde. Regional betrachtet war Mitte der fünfziger Jahre auch schon absehbar, wo verteidigungsplanerische Vorstellungen solche Folgen vermutlich gehäuft induzieren würden, wenn Generalleutnant Röttiger im Verteidigungsausschuss beispielsweise davon sprach, die 4. Grenadierdivision werde entsprechend dem Dislozierungsplan »im nordost-
119 120 121 122 123
AWS, Bd 3, S. 832 (Beitrag Greiner). BA-MA, BH 1/1586, Vortragsnotiz zu den Besprechungen des Herrn Ministers zur Aufstellungsplanung 1958, 3.1.1958. BA, Β 136, Inspekteur des Heeres an Bundeskanzler, 18.11.1958. BA-MA, BH 1/2461, Vortrag anlässlich des Besuchs von General Valluy, 21.12.1957. Ebd., BW 9/1382, pag. 157-161, Notiz einer interministeriellen Besprechung, 19.10.1953.
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wärtigen bayerischen Raum« liegen124. Mit Ausnahme der in das 19. Jahrhundert zurückreichenden alten Garnisonstädte Würzburg, Bamberg, Nürnberg, Ansbach, Amberg, Regensburg, Straubing und Passau sowie der Wehrmachtgarnisonen Hof, Weiden und Deggendorf, die zugleich städtische Zentren darstellten, war diese überwiegend agrarisch geprägte, relativ dünn besiedelte Region von einer ständigen militärischen Belegung in Friedenszeiten bisher weitgehend frei geblieben. Unabhängig davon, wie sich die militärische Inanspruchnahme dieses Raums dann tatsächlich auswirkte, solches wird an anderer Stelle und in anderem Zusammenhang noch eingehender zu analysieren sein, ermöglicht die Untersuchung der Standortplanung in Ostbayern einen beispielhaften Einblick, mit welch großem raumwirksamen Potenzial verteidigungsplanerische Vorstellungen und Maßnahmen behaftet waren. Nicht die ausschließliche, aber eine zentrale Grundvoraussetzung dafür lag in der - man könnte fast sagen, in der absoluten - Abhängigkeit von außerhalb der Bundesrepublik getroffener und nur bedingt von ihr zu beeinflussender Entscheidungen. Verteidigungsminister Blank hat diesen Umstand dem bayerischen Ministerpräsidenten gegenüber prägnant zum Ausdruck gebracht, indem er ihm auf dessen Frage, ob bereits ein Gesamt-Standortplan vorliegen würde, im September 1956 antwortete: »Die darüber hinausgehende Planung des Gesamt-Unterbringungsbedarfs, die von der endgültigen Dislozierung der Streitkräfte und von weiteren Voraussetzungen abhängt, ist im derzeitigen Aufstellungsstadium der Bundeswehr noch nicht möglich. Endgültige Abmachungen über die Dislozierung der Bundeswehr und der Stationierungstreitkräfte liegen noch nicht vor; sie werden in erster Linie von strategischen Gesichtspunkten bestimmt. Die Entscheidung darüber ist gemäß den Verpflichtungen der Bundesrepublik aus den Pariser Verträgen grundsätzlich vom Atlantischen Oberbefehlshaber in Europa (SHAPE) im Einvernehmen mit den zuständigen nationalen Verteidigungsbehörden zu treffen. Eine solche Entscheidung von SHAPE ist noch nicht erfolgt.« Im weiteren Text vergaß Blank aber nicht, auch auf die innerdeutschen Hemmnisse hinzuweisen: »Im übrigen stehen z.Zt. einer endgültigen Gesamtplanung für Dislozierung und Unterbringung auch die in den besonderen Verhältnissen der Bundesrepublik begründeten Schwierigkeiten entgegen (enger Raum, Notwendigkeit der Unterbringung zahlreicher Truppenteile der Bundeswehr und der Stationierungsstreitkräfte, Schwierigkeiten der Landnahme, besonders wegen Fehlens eines Landbeschaffungsgesetzes, Erfordernisse der Ernährungswirtschaft und andere zivile Belange pp). Bereits die ersten Monate der Aufstellung der Bundeswehr haben gezeigt, daß die Dislozierung den jeweiligen Unterbringungsmöglichkeiten angepaßt werden muß. Diese sind aber nicht genügend voraussehbar, um eine Gesamtplanung zu ermöglichen125.« 124 125
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 145. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 18.3.1957, S. 8. BayHStA, StK 115174, BMVg Blank an MinPräs Hoegner, 17.9.1956.
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Hinter den in diesem Brief apostrophierten »strategischen Gesichtspunkten« verbarg sich zu diesem Zeitpunkt eine - bereits kurz angedeutete - sehr grundsätzliche strategische Umorientierung des NATO-Bündnisses, in dessen Kern eine erheblich stärkere Betonung der nuklearen Komponente stand. Die Implementierung der als »massive retaliation« bezeichneten Nuklearisierung in das operative Verteidigungskonzept Westeuropas zog die Ausrüstung der Heeresund Luftwaffenverbände mit taktischen Kernwaffen nach sich. Zum Schutz vor feindlichen Nuklearschlägen sollten diejenigen Verbände, die über eine voll integrierte Atomkampffähigkeit verfügten, weit aufgelockert disloziert werden. Eine durch die taktische Nuklearisierung enorm gesteigerte Waffenwirkung hätte im Befehlsbereich Europa Mitte zudem eine Reduzierung etwa bei den amerikanischen Heeresdivisionen bedeutet 126 . Die Ausrüstung der Allianzstreitkräfte mit taktischen Atomwaffen schloss auch die Bundeswehr mit ein, wobei die nuklearen Gefechtsköpfe unter amerikanischer Kontrolle verblieben. Darüber hinaus bedeutete dies eine den nuklearkampffähigen Bedingungen angepasste Struktur bei den Großverbänden des Heeres, hin zu hoch beweglichen, zur selbständigen Operationsführung fähigen Brigaden innerhalb des Divisionsrahmens 127 . Die Bundeswehr wurde damit bereits in der ersten Aufstellungsphase zu einer tiefgreifenden Umrüstung und Umplanung gezwungen, so dass das Heer zwischen 1955 und 1958 wiederholt Änderungen in der Dislozierung vornehmen musste. Im Kontext der am Beispiel von Ostbayern als raumwirksamem Faktor näher betrachteten Verteidigungsplanung, spielte ein nach Henry I. Hodes, dem Oberbefehlshaber der U.S.-Streitkräfte in Europa, benannter Umgruppierungsplan eine besonders bedeutsame Rolle. Demzufolge sollte ein großer Teil der in Bayern südlich der Donau stationierten amerikanischen Truppen nach Norden, in den Raum beiderseits des Mains bzw. nach Hessen verlegt werden 128 . Um die Jahreswende 1957/58 war sowohl die Abteilung Unterbringung und Liegenschaften wie auch die Abteilung Gesamtstreitkräfte im Verteidigungsministerium überzeugt davon, dass nach der Umsetzung des »Hodes Plans«, der seit dem 6. November 1957 den Namen »Seventh Heaven« trug, genügend Unterkünfte für die in Bayern zu stationierenden Bundeswehreinheiten vorhanden sein würden und man somit auf kostspielige Neubauten verzichten könne129. In Nord- und Ostbayern waren von der Streichung geplanter Standorte betroffen: Ebern, Eschenbach, Hemau und Pressath. Den verantwortlichen Kommunalpolitikern war auch bereits mitgeteilt worden, dass ihre Orte als Garnisonen vo126
127
128
129
Grundsätzlich zum Strategiewechsel und seiner Auswirkung auf die Bundesrepublik vgl. Steinhoff/Pommerin, Strategiewechsel. Zur Implementierung und Europäisierung der massive retaliation vgl. Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie, S. 129-174.Vgl. besonders Thoß, NATO-Strategie, S. 173-198. Birtle, Rearming the Phoenix, S. 326-329. Vgl. Rink, Strukturen, S. 419-455.Vgl. besonders Thoß, NATO-Strategie, S. 173-198. BA-MA, BH 1/6466, Schriftwechsel im Führungsstab des Heeres, 10.9.1959; zur Unterbringung der U.S.-Streitkräfte auch einschlägig ebd., BW 2/2667. Ebd., BW 1/5363, Vermerk betr. Garnisonsplanung Hemau, 6.12.1957; ebd., BW 1/5352, BMVg Abt. IV 4 an Abt. U I 7 betr. Garnisonsplanung Eschenbach, 16.1.1958.
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raussichtlich nicht mehr in Frage kämen. Nachdem sich im Oktober 1958 aber herausstellte, dass »Seventh Heaven« zu den Akten gelegt würde, tauchten diese Städte wieder in der deutschen Standortplanung auf130. Unabhängig von den zivilen Auswirkungen war die Nichtrealisierung von »Seventh Heaven« auch für die deutsche Streitkräfteplanung ein Schlag ins Kontor. Grundsätzlich bestimmte immer noch »die Unterkunftslage in erster Linie das Tempo der Aufstellung«131, wobei man bis 1961 mit erheblichen Verbesserungen auf diesem Gebiet rechnete. Besonders schlecht war die Situation allerdings beim II. Korps. Die ihm unterstellte 4. Division war nicht nur zwangsläufig über ganz Süddeutschland zerstreut, sondern mit einer Besserung war erst »gegen Ende 1959 mit dem Aufkommen der Neubau-Garnisonen im südl. Bayr. Wald und dann erst viel später wieder Ende 1961 mit Aufkommen der Kasernen in der nördl. Oberpfalz« zu erwarten132. Die Aufgabe der amerikanischen Umgruppierungspläne hatte zu Folge, dass die Stationierungsplaner jetzt einen Ausfall von 34 000 Unterkunftsplätzen, die nicht geräumt werden konnten, durch Umdispositionen kompensieren mussten. Jedenfalls waren die Kasernenbauplanungen von der Infrastrukturabteilung im Verteidigungsministerium sowie dem Führungsstab des Heeres mit Blick auf die militärischen Forderungen zu überprüfen und gegebenenfalls einer Inventur zu unterziehen133. Im nord- und ostbayerischen Dislozierungsraum der 4. Division war diese Entwicklung wie angedeutet besonders zu spüren, zumal zeitgleiche Strukturveränderungen (Waffenausstattung und Personal) bei den Heeresverbänden deren Unterkunftsbereich nicht nur vergrößerte, sondern jetzt wiederum zahlreiche Kasernenneubauten erforderlich machten. Durch die auch mit der Nuklearisierung zusammenhängende Umstellung vom Kampfgruppen- auf das Brigademodell innerhalb der Divisionen hatte sich die Zahl der Bataillone nämlich deutlich erhöht. Hierzu wiederum ein Beispiel aus der Region Ostbayern: Roding, das zunächst unter anderem den Stab einer Kampfgruppe aufnehmen sollte, schied nach der neuen Heeresplanung vom Herbst 1958 als Standort für einen Brigadestab und seine Stabseinheiten aus, weil die Garnison wegen des dort verfügbaren großen Übungsplatzes jetzt mit solchen Truppenteilen belegt werden musste, die einen hohen Platzbedarf hatten. Während die ursprüngliche Kampfgruppe lediglich auf die Standorte Freyung, Regen, Cham und Roding verteilt werden sollte, mussten die Planer im Führungsstab des Heeres mit Passau und Pocking zwei weitere Garnisonen in ihr Standortkonzept mit aufnehmen134. Für den Wehrbereich VI, der ganz Bayern umfasste, bedeutete die NichtDurchführung von »Seventh Heaven« in der ursprünglichen Form, dass die Liegenschaftsabteilung beginnend ab Sommer 1958 auf eine Reihe von Standortprojekten zurückkam, die ein Jahr vorher noch storniert worden waren, nun 130 131 132 133 134
Ebd., BW 1/5352, Eschenbach; BW 1/5363, Hemau; BW 1/4512, Pressath; BW 1/5351 Ebern. Ebd., BH 1/1587, Vortrag beim Minister über die Aufstellungsplanung 59, 7.12.1958. Ebd. Ebd., BW 1/29987, Auszugsweise Abschrift aus dem Kurzprotokoll über die 110. Abteilungsleiterbesprechung, 30.10.1958. Ebd., BW 1/4522, Fü Η III an Abt. U, 14.10.1958.
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aber reaktiviert werden mussten, um den Bedarf an Kasernen für die bis zum 1. März 1962 aufzustellenden Truppenteile zu decken. Im Einzelnen waren dies in Nord- und Ostbayern: Tabelle 3: Neuauflage zurückgestellter Standortprojekte in Bayern 1958 Fertigstellungstermin
Standorte
1. März 1960 1. März 1961 1. März 1962
Mellrichstadt, Wildflecken, Ebern Eschenbach, Kemnath, Würzburg, Bayreuth Karlstadt, Neunburg vorm Wald, Königshofen, Oberlauringen, Thurnau, Höchstadt an der Aisch, Pegnitz, Wiesau
Darüber hinaus setzte man die bayerische Staatsregierung davon in Kenntnis, dass landesweit folgende Standortplanungen erneut auf dem Prüfstand stünden: Grafenau, Greding, Hemau, Höchstadt, Königsbrunn, Laufen, Nabburg, Neu-Ulm, Nittenau, Passau, Pfreimd, Plattling, Schweinfurt, Simbach, Waldkraiburg, Wassertrüdingen, Wörth und Zwiesel135. Solches Hin und Her ließ zu keiner Zeit Planungssicherheit aufkommen, die sowohl von der Bundeswehr als auch von den Landes- und Kommunalbehörden dringend eingefordert worden war. In der bayerischen Staatskanzlei zweifelte man angesichts der diffusen Situation bereits im Januar 1957 daran, ob den flächenbeanspruchenden Planungen der Bundeswehr überhaupt eine strategische Konzeption zugrunde lag136. Offenbar war eine solche auch für das Verteidigungsministerium nur schwer zu realisieren. Die Unterbringungs- und Liegenschaftsabteilung favorisierte nämlich ebenfalls zu Jahresbeginn 1957 den Grundsatz, »daß der Stationierungsplan von den operativen Überlegungen getrennt behandelt und nach anderen Grundsätzen entwickelt werden sollte«137. Warum das so sein sollte, erhellt ein Blick auf die konkrete Situation. Zur Klärung der Voraussetzungen für eine tragfähige Stationierungsgrundlage deutscher Heeresverbände wollte die Abteilungsleitersitzung von der Infrastrukturabteilung u.a. wissen, ob eine ursprünglich für Süddeutschland geplante Panzerdivision aufgrund des Rückzugs der Engländer aus dieser Region138 nach Nordrhein-Westfalen bzw. in den westlichen Teil Niedersachsens umgruppiert werden könne - zum Schutz der norddeutschen Tiefebene. Die Argumente sprachen freilich dagegen, und zwar deshalb, weil in Nordrhein-Westfalen schon jetzt 4,22 Prozent der Flächen des Landes für militärische Zwecke in An135
136 137
138
Ebd., BW 1/5351, Abt. U an bayerische Staatskanzlei betr. Errichtung von Kasernenbauten im Wehrbereich VI, 28.8.1958. BayHStA, MWi 22427, Vermerk der Landesplanungstelle, 8.1.1957. BA-MA, BW 2/2666, Abt. IX an Abt. IV betr. Klärung einiger Grundfragen hinsichtlich der Dislozierung der Bundeswehr, 25.2.1957. Zum Abzug und zur Umgruppierung der britischen Rheinarmee in der zweiten Hälfte der fünfziger lahre vgl. Mager, Die Stationierung der britischen Rheinarmee, S. 174-188.
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spruch genommen worden waren, wohingegen in Niedersachsen nur 2,8 Prozent, in Schleswig-Holstein 0,89 Prozent, in Rheinland-Pfalz 2,09 Prozent und in Bayern 1,33 Prozent. Weil Nordrhein-Westfalen mit 389 Einwohnern pro Quadratkilometern außer den Stadtstaaten das am dichtesten bevölkerte Bundesland war, glaubte man in der Infrastrukturabteilung, bei der Stationierung einer weiteren Panzerdivision mit unüberwindbaren Schwierigkeiten rechnen zu müssen. Nicht zuletzt auch mit Blick auf die Fristen, die der Stationierungsplanung zugrunde lagen - u.a. bezifferte man die Vorlauffrist für Planung und Baudurchführung bis zur endgültigen Belegungsfähigkeit einer Kasernenanlage auf 18 bis 20 Monate - , erachtete man neben den operativen Richtlinien gerade »landesplanerische, volkwirtschaftliche, grenzland-politische etc. Erwägungen« für maßgeblich139. Die aus politischen Gründen als unerlässlich bezeichnete Anerkennung und Erfüllung dieser Forderungen in Verschränkung mit dem militärischen Auftrag sowie die Folgerung, den Stationierungsplan von den operativen Überlegungen getrennt zu behandeln, wurde von der militärischen Abteilung im Verteidigungsministerium bedingt akzeptiert. Der Vorgang selbst aber zeigt einmal mehr, welch militärisches Rückkopplungspotenzial in der ausreichenden Verfügbarkeit von Grund und Boden steckte und wie schwer zivil bestimmte Faktoren wogen - selbst innerhalb der Militärorganisation. Zum Jahresende 1957 schien sich beim Infrastrukturprogramm der Bundeswehr dann eine gewisse Stabilisierung abzuzeichnen. Zumindest teilte der Abteilungsleiter der Unterbringungs- und Liegenschaftsabteilung dem Verteidigungsausschuss zuversichtlich mit, dass man nun erstmalig in der Lage sei, »einen Gesamtplan - synchron mit der Aufstellungsplanung der Bundeswehr für die Unterbringung der Bundeswehr wenigstens in Umrissen zu konzipieren«140. Dieses blieb jedoch auch weiterhin Wunschdenken. Nur wenige Tage nachdem der Verteidigungsausschuss von der Infrastrukturseite der Hardthöhe etwas positivere Signale erhalten hatte, musste der Verteidigungsminister höchstpersönlich in seinem Sachstandsbericht zum bisherigen Aufbau und zur weiteren Planung der Bundeswehr wieder etwas Wasser in den Wein gießen. Weil man mit Abzug britischer und französischer Truppen in unbekannter Größenordnung rechnen musste, werde das erhebliche Auswirkungen auf die Infrastrukturplanung haben, bezogen auf einen bis 1961 zu erzielenden Gesamtpersonalumfang von 350 000 Mann. Falls die Engländer in größerem Umfang Truppen aus Deutschland abzögen, darin, so Strauß, müssten weit mehr Gemeinden als bisher damit rechnen, dass zahlreiche, bereits in Aussicht gestellte Garnisonsneubaumaßnahmen hinfällig würden141. Aber auch jetzt war ein Ende der Unsicherheit noch keineswegs in Sicht. Noch während der Beratungen des Haushaltsentwurfs für 1961 referierte Karl Wienand, der Sprecher der SPD im Verteidigungsausschuss, dass die Landesregierungen ständig klagten, vom 139
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BA-MA, BW 2/2666, Abt. IX an Abt. IV betr. Klärung einiger Grundfragen hinsichtlich der Dislozierung der Bundeswehr, 25.2.1957. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 3. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 6. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 29.1.1958. Ebd., stenographisches Protokoll der 7. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 12.2.1958.
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Verteidigungsministerium nicht »definitiv mitgeteilt zu bekommen, was an Anforderungen an die Länder herangetragen werde«142. Heinrich Kaumann, Abteilungsleiter für Unterbringung und Liegenschaften, verstand den Wunsch der Länder nach Information über die militärischen Planungen, allerdings schien seine Abteilung selbst nur unzureichend informiert zu sein. Er erklärte nämlich, dass der Stand der Dinge »in den Fällen«, wo er »überhaupt erkennbar sei«, auch mitgeteilt würde. Fast entschuldigend verwies er in einem Nachsatz auf die sich stetig verändernde Waffenentwicklung, die zum Beispiel unvorhersehbare zusätzliche Ausstattungen der Truppenteile mit Fahrzeugen mit sich brächten und damit zu zusätzlichen Landanforderungen oder gar Umdispositionen bei der Stationierung führen könnten143. Ständig veränderte Dislozierungspläne blieben auch in den sechziger Jahren ein Ärgernis für Landesbehörden und Kommunalpolitiker. Das damit verbundene »Hinhalten und im Unklaren lassen« der Gemeinden wurde im Verteidigungsausschuss selbst von Abgeordneten der Regierungsparteien bemängelt144 und führte insbesondere in zahlreichen Orten in Nord- und Ostbayern, die sich eventuell Hoffnungen auf eine Garnison gemacht hatten, zu Verunsicherung und Resignation. Da man nämlich auf eine geplante Umgruppierung von Verbänden der CENTAG verzichtete und den Heeresumfang neu festlegte, hatten sich im Frühjahr 1964 Anzahl und Auftrag der deutschen Heeresstreitkräfte im süddeutschen Raum derart geändert, dass eine Stationierungsneuplanung unumgänglich war. Hinzu kam, dass bei der Luftwaffe der Luftraumbeobachtungsdienst entlang der Grenze zur DDR und CSSR in einen radargestützten Tieffliegermelde- und -leitdienst umgewandelt wurde, weshalb auch hier mehrere geplante Truppenunterkünfte zur Disposition standen. Das Heer verzichtete auf ursprünglich geplante Garnisonen in Tirschenreuth, Kemnath, Ebermannstadt, Markt Bergel und Stadtlauringen, die Luftwaffe auf Königshofen, Furth im Wald und Laufen. Städte wie Tirschenreuth und Kemnath, die sich nach dem Stand der Dinge erkundigten, erhielten im Sommer 1964 zur Antwort, dass die Errichtung neuer Garnisonen in der nördlichen Oberpfalz von einer Entscheidung der französischen Stationierungsstreitkräfte abhänge. Ein Ergebnis bei den dazu laufenden Verhandlungen sei aber nicht vor Spätherbst oder Winter 1964 zu erwarten145. Zu Jahresbeginn 1965 legte der Führungsstab der Bundeswehr dem Minister neue Pläne vor, die mit den Führungsstäben des Heeres und der Luftwaffe sowie der Abteilung Unterbringung und Liegenschaften abgestimmt waren. Dabei hatte man die für Nord- und Ostbayern geplanten Garnisonen in drei Gruppen
142 143 144
145
Ebd., stenographisches Protokoll der 105. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 12.1.1961. Ebd. So etwa vom CDU-Abgeordneten Kliesing am 15.6.1965. Vgl. ebd., 4. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 115. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 15.6.1965. BA-MA, BW 1/181202, Abt. U I 7 an Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder, Alois Niederalt, 20.8.1964.
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I. Dislozierung und Standortplanung
kategorisiert und bei jedem einzelnen Standort die Aufgabe oder die Fortführung ausführlich begründet146. In die Gruppe Α fielen die Standorte, die aufgegeben werden mussten: Tabelle 4: Nicht mehr benötigte Standorte in Nord- und Ostbayern 1965 Standort
Begründung
Pressath
Nach Übernahme von U.S.-Unterkünften in Regensburg, Straubing und Landshut kein Bedarf mehr. Durch Wegfall eines Pionierbataillons der Territorialverteidigung am Main kein Bedarf mehr. Durch Tausch mit und Freigabe von Anlagen der U.S.Streitkräfte kein Bedarf mehr. Durch Einschränkung Luftraumbeobachtungsdienst kein Bedarf mehr. Durch Einschränkung Luftraumbeobachtungsdienst kein Bedarf mehr. Durch Einschränkung Luftraumbeobachtungsdienst kein Bedarf mehr.
Karlstadt Markt Bergel Königshofen Furth im Wald Laufen
Gruppe Β umfasste Standorte, die auf Grund der Stationierungsplanung bis 1971 benötigt wurden: Tabelle 5: Benötigte Standorte in Nord- und Ostbayern bis 1971 Truppenteil
Voraussichtlicher Baubeginn
Panzer- und Panzergrenadierbataillon, 1100 Mann Grenadierbataillon, 800 Mann Tirschenreuth Höchstadt a.d. Aisch Artilleriebataillon, 700 Mann Stadtlauringen Panzerartilleriebataillon, 500 Mann Versorgungsbataillon, 500 Mann Kemnath
1966
Standort Pegnitz
1967 1968 1968 1969
Die Errichtung gerade dieser Garnisonen war nach damaliger Auffassung im Zuge des strategischen Konzepts der Vorwärtsverteidigung nicht nur besonders notwendig, sondern korrespondierte auch mit einem Programm zum Neubau von Heereskasernen, wobei die Standorte nach der militärischen Dringlichkeit ausgewählt wurden und mit dem Bau zwischen 1965 und 1969 begonnen werden sollte.
146
Zum Folgenden vgl. Schmidt, Eine Garnison wäre eine feine Sache, S. 390 f.
62
I. Dislozierung und Standortplanung
Tabelle 6: Standorte in Nord- und Ostbayern mit voraussichtlichem Kasernenbaubeginn zwischen 1965 und 1969 Baubeginn
Standort
1965
Pfreimd, Heidenheim
1966
Volkach, Pegnitz
1967
Tirschenreuth, Peißenberg
1968
Höchstadt a.d. Aisch, Eichstätt, Stadtlauringen
1969
Grünau, Kemnath, Nittenau
Wirklich gebaut wurden allerdings nur die Kasernen in Pfreimd und Volkach sowie jene in Markt Bergel, obwohl dieser Standort - weil in Gruppe A eigentlich verworfen worden war. Der Gruppe C, also Garnisonen, die von militärischer Seite noch nicht fest eingeplant waren, gehörte nach der Vorlage des Führungsstabs der Bundeswehr lediglich Ebermannstadt an. Bei einer Abteilungsleitersitzung am 2. April 1965 im Verteidigungsministerium wurde der Stationierungsplan für Nordbayern im Wesentlichen auch so beschlossen. Die Standorte der Gruppe Α sollten endgültig entfallen, diejenigen der Gruppe Β dagegen errichtet werden, sofern mit dem Bau spätestens 1966 begonnen werden konnte. In allen anderen Fällen behielt man sich vor, die definitive Entscheidung jeweils ein Jahr vor dem beabsichtigten Baubeginn zu treffen147. Offensichtlich hatte Mitte der sechziger Jahre im Verteidigungsministerium auch ein gewisser Realismus in der Standortfrage Einzug gehalten. Unter erneutem Hinweis auf den politischen Aspekt der Garnisonsplanung, welcher auf der einen Seite eine möglichst frühzeitige Information der betroffenen Landes- und Kommunalpolitiker erforderlich mache und auf der anderen Seite einen zu häufigen Wechsel bei den Planungen unter allen Umständen verbiete, mahnte Verteidigungsstaatssekretär Karl Gumbel vor dem »Beschließen großzügiger Programme«148. Zwei Jahre später war das 1965 beschlossene Konzept jedoch wieder hinfällig geworden, wobei es nicht an einer geänderten Verteidigungsplanung lag. Die wirtschaftliche Rezession und die damit verbundene ungünstige Entwicklung des Bundeshaushalts schlugen ganz massiv auch auf den Verteidigungshaushalt durch. Die bisherigen Infrastrukturforderungen und -planungen waren nach der militärischen Leitlinie auf eine Gesamtstärke der Bundeswehr von 508 000 Mann abgestellt. Die Haushaltslage zwang nicht nur zu einem Einfrieren auf 460 000 Soldaten, sondern für die Infrastruktur mussten Dringlichkeitsfolgen festgelegt werden und zwar, wie der Staatssekretär im Verteidigungsministerium anordnete, »unter Beachtung des Vorrangs für Kampfführungs- und 147
148
BA-MA, BW 1/181202, Vermerk Ministerbüro über das Ergebnis der Abteilungsleitersitzung betr. Garnisonsvorhaben in Nordbayern, 2.4.1965. Ebd., BM 1/1410 g, Kurzprotokoll Abteilungsleitersitzung des BMVg, 2.4.1965.
I. Dislozierung und Standortplanung
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Kampfversorgungsanlagen« 149 . Von den ursprünglich für das Rechnungsjahr 1967 eingeplanten 1,85 Mrd. DM für die Baubelange konnten lediglich 1,35 Mrd. zur Verfügung gestellt werden 150 . Weiterhin sah die mittelfristige Finanzplanung für die militärische Verteidigung bis 1971 nur mehr 96,13 Mrd. DM vor, was einer Minderbemessung von rund 15 Prozent entsprach (16,82 Mrd. DM). Die Haushaltabteilung war also gezwungen gewesen, alle denkbaren Einsparmöglichkeiten in den verschiedenen Bereichen zu überprüfen. Für das Infrastrukturprogramm bedeutete das, im Frühjahr 1967 grundsätzlich alle noch nicht begonnenen Kasernenneubauvorhaben zurückzustellen 151 . Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Eduard Adorno, sprach vor dem Verteidigungsausschuss sogar davon, dass die Bauvorhaben deshalb »vorrübergehend stillgelegt« worden sind, weil »dem Bund zu jenem Zeitpunkt eben das Geld fehlte, die Vorhaben zu dem vorgesehenen Zeitpunkt zu beendigen«152. Doch auch die weitere Prognose sah nicht besonders gut aus. Realisierbarkeitsuntersuchungen auf dem Liegenschaftssektor hatten aufgezeigt, dass die ab 1968 bis 1971 voraussichtlich verfügbaren Mittel nur ausreichen würden, um die laufenden Bauvorhaben fortzuführen und Neubauten hauptsächlich Depots - allenfalls in sehr begrenztem Umfang zu beginnen. Mit Zurückstellungen allein waren aber die erwarteten Einsparungen nicht zu realisieren. Hauptsächlich aufgrund der Haushaltslage - in Verbindung allerdings auch mit zu erwartenden Freigaben durch die Stationierungsstreitkräfte - sah sich die Bundeswehr dazu gezwungen, 28 Garnisonsvorhaben ersatzlos aufzugeben und 51 Vorhaben auf unbestimmte Zeit zurückzustellen - mit dem Ziel, sie endgültig zu streichen. Unter Berücksichtigung von durchschnittlich 50 Mio. DM Gesamtkosten, die bei der Einrichtung eines neuen Truppenstandorts anfielen, belief sich die Einsparsumme bei den 28 ersatzlos aufgegeben Garnisonsvorhaben auf rechnerisch 1,4 Mrd. DM153. Dass die Haushaltslage es 1967 überhaupt nicht zuließ, Neubauvorhaben zu beginnen154, bedauerten natürlich die militärischen Planer ganz besonders. Aus deren Sicht spielten zwei Faktoren eine bedenkenswerte Rolle. Zunächst der Blick auf die übergeordnete militärpolitische Situation. Hier gilt es festzuhalten, dass hinter der Verteilung von Truppenstandorten im Raum eine über strategisch-operative Erwägungen hinausreichende und durchaus sehr umfassende militärpolitische Ratio stand. Sie ergab sich aus der Logik der Systemkonfrontation und zielte auf eine größtmögliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität im »Frontstaat« Deutschland ab. Dazu gehörten der Versuch, Bal149 150 151 152 153
154
Ebd., BW 1/32050, Abteilungsleiter U an StS im BMVg betr. Einsparungen im Liegenschafts- und Buawesen, 3.8.1967. Ebd., BW 1/32053, Mitteilung zu Weißbuch, 29.1.1970. Ebd., BW 1/181202, BMVg an MdB Franz Weigl, 16.3.1967. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 5. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 105. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 7.9.1967, S. 53. BA-MA, BW 1/32050, Abteilungsleiter U an Sts im BMVg betr. Einsparungen im Liegenschafts- und Bauwesen, 3.8.1967. Ebd., BM 1/1403 c, Kurzprotokoll Abteilungsleitersitzung des BMVg, 20.2.1967.
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I. Dislozierung und Standortplanung
lungsräume von Militär möglichst freizuhalten, und die Absicht, durch raumordnerische Impulse auch die »Ausgewogenheit der Teilgebiete im Sinne ihrer Widerstandsfähigkeit bei Erschütterungen wirtschaftlicher Art im Sinne von Krisenfestigkeit zu steigern oder zu erhalten«155. Dahinter stand die in zwei Weltkriegen gemachte Erfahrung, dass sich der Sicherheitsbegriff nicht mehr allein auf die Verteidigung im engeren Sinn erstrecken konnte, sondern wirtschaftliche und soziale Komponenten mit eingeschlossen werden mussten. Im sicherheitspolitischen Schrifttum der Zeit verwies man auf die existenzielle Abhängigkeit der Lebensfähigkeit vom städtischen Siedlungsraum, in dem 40 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik (Städte über 50 000 Einwohner) lebten sowie weitere 20-30 000 in deren Weichbild. Im Frieden weise eine solche Konzentration zwar einige wirtschaftliche Vorteile auf, wohingegen im Kriege damit ungeheuere Risiken verbunden seien. Zur Verdeutlichung einige Zahlen. Etwa 70 Städte und wichtige Industriegebiete - einschließlich des Ruhrgebiets - mit einer Einwohnerzahl von 18 Mio. auf einer Fläche von 20 000 km2, mithin 10 Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik, galten nach einer Untersuchung von 1957 bei einem strategischen, aller Voraussicht nach nuklear geführten Luftkrieg als kritische Zielgebiete156. Bei einer Wasserstoffbombe mit der Sprengkraft von 2 Megatonnen TNT, die in einer Höhe von 1400 m über der Stadtmitte von Köln zur Detonation gebracht worden wäre, schätzte man die Bevölkerungsverluste wie folgt157: Tabelle 7: Schätzungen über Bevölkerungsverluste nach Atomdetonationen über Köln 1954 Zustand Ohne Evakuierung, Warnung und Schutzräume Bei Evakuierung, mit Warnung und Schutzräumen
Einwohner
Tote
Verletzte
Unverletzte
1 020 000
430 000
260 000
330 000
1 020 000
20 000
70 000
600 000 und 330 000 Evakuierte
Konzentration und Ballung könne man nun allerdings nicht mehr zurückdrehen, sie mit einer vorausschauenden Planung wohl aber dadurch mildern, »indem wir eine räumliche Ordnung für die künftige Entwicklung dulden und außerdem durch passive Verteidigungsmaßnahmen, insbesondere des Schutzes, iss Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 127. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 9.1.1957, S. 41. 156 BA, Β 106/17570, BMWo an BMI betr. Schutzraumbautenprogramm der Bundesregierung, 6.5.1957. 157 Ebd., Β 106/17159, Notiz über die Verlustschätzungen (mögliche Verluste in einem Atomkrieg) nach dem Stande von 1954. Zu den befürchteten Auswirkungen eines Atomangriffs auf das Ruhrgebiet vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 97.
I. Dislozierung und Standortplanung
65
die Widerstandsfähigkeit dieser Zentren erhöhen«158. Parallel dazu sprach man sich für eine aktive Raumordnungspolitik aus, die zu einer Auflockerung des Siedlungsgefüges führen sollte159. Für die militärische Dimension dieser Projektion war das Schlagwort von der »Zellenstruktur« von zentraler Bedeutung. Dahinter verstand man ein geschlossenes System kleinerer, überschaubarer Räume von der Größenordnung eines oder mehrerer Landkreise, die im Verteidigungsfall gewisse Mindestfunktionen erfüllen sollten, wie die Aufrechterhaltung der Verkehrs- und Fernmeldeinfrastruktur, der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung sowie die Weiterführung lebens- und verteidigungswichtiger Betriebe. Um solches zumindest im Ansatz realisieren zu können, gehörte hierzu »die Erschließung entlegener oder weniger dicht besiedelter und deshalb von militärischen Einrichtungen bevorzugter Räume«160. So umstritten im System der sozialen Marktwirtschaft die staatliche Intervention im Bereich der wirtschaftlichen Standortpolitik auch immer gewesen sein mochte, die Verteidigungsplanung konnte auf dieses Mittel - das man in diesem Zusammenhang als Dislozierung bezeichnete - nicht verzichten. Folgt man der im Zivilschutz der damaligen Zeit vertretenen Auffassung, dann war für die unter NATOKommando geführten Einsatzverbände die »geographische Lage der Friedensunterkunft zum Einsatzraum zwar nicht gleichgültig, aber letztlich nicht entscheidend«161. Während sich solche Truppenteile losgelöst von standortlichen Bindungen frei in den Räumen bewegen und entfalten sollten, wurde die Dislozierungsfrage hingegen mit dem Bild vom Schachspiel als Dreh- und Angelpunkt bei der Landesverteidigung, der Logistik und dem Sanitätswesen betrachtet: »Damit die Streitkräfte in einem so hoch empfindlichen Gebiet operieren können, bedarf es eines Ordnungs- und Führungssystems, das so unverwundbar wie möglich gestaltet ist. Wie auf einem Schachbrett müssen die Züge von Feld zu Feld geführt werden können [...] Die schwarzen und die weißen Felder sind dafür intakt zu halten. In einem derartigen System der Felder oder Zellen sind am ehesten die Kampfhandlungen durch eine obere militärische Führung zusammenzuhalten. Vom strategischen Auftrag her gesehen, liegt der Schwerpunkt nationaler Führung deshalb eindeutig auf der unteren und mittleren Ebene. Die Planung selbst bleibt natürlich eine zentrale Friedensaufgabe, aber das Objekt der Planung muß in erster Linie die überschaubare räumliche Zelle sein. An diesem regionalen System sollten sich Dislozierung und Führung orientieren162.« Auch mit Hilfe entsprechender Standortverteilungen überschaubare Verteidigungseinheiten zu schaffen, war, trotz der sattsam bekannten, problematischen raumstrukturellen Situation der Bundesrepublik nun keineswegs nur graue Theorie. Solche Erwägungen bildeten vielmehr die Folie, vor der sich die vom iss Beyer, Raumordnung und Landesverteidigung, S. 37. Vgl. Beyer, Landesverteidigung. 159 Vgl. Brockschmidt, Auflockerung des Siedlungsgefüges. 160 Beyer, Raumordnung und Landesverteidigung, S. 38. 161 Beyer, Regionale Integrationsprobleme, S. 189. 162 Ebd.
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I. Dislozierung und Standortplanung
Leiter der Abteilung Unterbringung und Liegenschaften im Verteidigungsministerium vorgenommene Unterrichtung des Verteidigungsausschusses zu Jahresbeginn 1957 abspielte. Hansgeorg Schiffers wies nämlich dabei darauf hin, dass im Rahmen des Grundsatzes vom Freihalten der Ballungsräume von Militär solches bei industriell stark durchorganisierten Regionen wie etwa im Ruhrgebiet oder den Großräumen Frankfurt und Stuttgart versucht werde. Auf der anderen Seite würden 49 Prozent des militärischen Unterbringungsprogramms in den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und in den bevölkerungsärmeren Teilen von Nordrhein-Westfalen liegen, wo hingegen nur 23 Prozent der Gesamtbevölkerung lebe. Im Südraum ergebe sich eine ähnliche Situation, wonach die Planung hauptsächlich Bayern betreffe, »das dünner besiedelt und industriell nicht derart strukturiert ist wie Baden-Württemberg und Hessen«163. Konkret wurden in diesem Zusammenhang der Bayerische Wald und die fränkischen Gebiete entlang der Zonengrenze angesprochen. Freilich schien eine auch im Sinne der Krisenfestigkeit angestrebte Ausfächerung von Garnisonen in die Fläche aus militärischen Gründen dort an Grenzen zu stoßen, wo die Grenze im Wortsinn viel zu nahe lag. Grundsätzlich wurden in der ersten Phase der Aufrüstungsperiode Garnisonsangebote wegen zu starker Grenzlage zunächst nicht weiter verfolgt164. Zunächst sollten Munitionsanstalten nicht näher als 100 km und allgemeine Heeresstandorte nicht näher als 15 bis 20 km an die Demarkationslinie zur DDR herangelegt werden. Solches galt beispielsweise für Mellrichstadt in Unterfranken, wo das ins Auge gefasste Kasernenbaugelände 13 km von der Zonengrenze entfernt lag und die »nächstgelegene ostzonale kasernierte Truppe« sich weitere 12 km weg im thüringischen Meiningen befand165. Nicht allein wegen der Förderung der prekären Wirtschaftslage im Zonenrandgebiet sondern auch wegen des angeblich »dringenden und legitimen Wunsches der Bevölkerung, gerade an der Demarkationslinie deutsche Truppenteile in der Nähe zu wissen«, erschien dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen die Standortsituation vor allem als ein politisch-psychologisches Problem166. Es sei einmal dahingestellt, ob die Vermeidung allzu großer Grenznähe auch einen innerdeutschen, politischen Aspekt beinhaltete, um damit die Teilung Deutschlands nicht noch weiter zu zementieren. Jedenfalls quotierte das Neue Deutschland schon in der Planungsphase den »Kasernengürtel entlang der DDR-Grenze« als eine Maßnahme, bei der »die Rolle der Bonner Armee bei der Vertiefung der Spaltung erneut sichtbar unter Beweis gestellt, und die Politik des Dammbaus quer durch Deutschland, der nach Adenauers eigenen Worten zur erfolgreichen Politik< der Bundesregierung gehört, fortgesetzt« wird167. Den Führungsstab des Heeres bewegten vermutlich weniger solche politischen denn vielmehr militärische Bedenken gegen allzu grenznahe Stand163 Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 127. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 9.1.1957, S. 41. BA-MA, BW 1/11923, Umlauf der Abteilung IX im BMVg, 26.5.1956. Ebd., BH 1/6466, Niederschrift über die Erkundung Mellrichstadt, 2.3.1956. 166 BA, Β 136, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen an BMVg, 23.6.1956. 167 Neues Deutschland, 20.12.1956. 164
165
67
I. Dislozierung und Standortplanung
o r t e w i e e t w a M e l l r i c h s t a d t . D e n n o c h d u r f t e » d i e G r e n z n ä h e für d i e A u s w a h l v o n n e u e n G a r n i s o n e n , v o r a l l e m in s o g e n a n n t e n N o t s t a n d s g e b i e t e n ,
keine
a u s s c h l a g g e b e n d e R o l l e spielen« 1 6 8 . E s sei e i n m a l dahingestellt, o b d i e h i e r u n t e r s c h w e l l i g a r t i k u l i e r t e n B e f ü r c h t u n g e n d a n n a u c h e i n g e t r e t e n sind, als m a n d i e K a s e r n e d o r t s p ä t e r t a t s ä c h l i c h g e b a u t hat. D i e U b e r s t e u e r u n g e n g e r e r m i litärischer E r w ä g u n g e n bei d e r A n l a g e v o n S t a n d o r t e n gibt aber d e n Blick d a r a u f frei, d a s s t r o t z e i n e r als b e d r o h l i c h e m p f u n d e n e n
sicherheitspolitischen
S i t u a t i o n e s d a n n , w e n n es u m d e n A u s g l e i c h m i l i t ä r i s c h e r F o r d e r u n g e n m i t z i v i l e n I n t e r e s s e n g i n g , l e t z t e r e n ein b e s o n d e r s s t a r k e s G e w i c h t z u k a m , ja sie z u den zentralen Prinzipien gehörten, welche die Dislozierungsplanung der Bund e s w e h r b e s t i m m t e n 1 6 9 . So l e g t e d e r L e i t e r d e r L i e g e n s c h a f t s a b t e i l u n g
gegen-
über den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses W e r t auf die Feststellung, die Lebensfähigkeit
der von Standortplanungen betroffenen
Gebietskörper-
s c h a f t e n sei n i c h t n u r z u e r h a l t e n , s o n d e r n » g e g e b e n e n f a l l s d u r c h s o l c h e M a ß n a h m e n - b e s o n d e r s in g r e n z n a h e n Gebieten, in G e b i e t e n einer w i r t s c h a f t l i c h e n Unterentwicklung -
z u steigern« 1 7 0 . D a h i n t e r s t a n d d a s Ziel, d a s s
kleinbäuerlich orientierte Gebiete d u r c h zusätzliche
einseitig
Verdienstmöglichkeiten,
d i e d u r c h E i n r i c h t u n g e n d e r B u n d e s w e h r in d i e s e n G e b i e t e n eröffnet w e r d e n k ö n n t e n , z u einer s t ä r k e r e n G e s u n d u n g k o m m e n u n d n i c h t m e h r n u r einseitig k l e i n b ä u e r l i c h s t r u k t u r i e r t sind.
168
BA-MA, BH 1/6466, Vorschläge des Kommandierenden Generals II. Korps für die Stationierung, 10.9.1959. Relativierend muss an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass im Unterschied zur eben skizzierten Politik einer Stärkung der Krisenfestigkeit zumindest in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre militärische Planungen für den Verteidigungsfall durchaus auch die Möglichkeit der Räumung großer Teile bundesdeutschen Gebiets in Betracht zogen. Darüber wusste selbst die Öffentlichkeit Bescheid. In einem in der Presse heftig diskutierten, in der Zeitschrift »Wehrkunde« unter dem Titel »Das Flüchtlingsproblem in der Bundesrepublik Deutschland« erschienenen Aufsatz konfrontierte der Autor die Leser beispielsweise mit einem 150 km breiten Massenevakuierungsstreifen entlang der Zonengrenze. Aus Bayern, das als pars pro toto an dieser Stelle hergenommen wird, sollten etwa 40 Prozent der Bevölkerung (ca. drei Millionen) nach dem Westen verbracht und die Masse der südlich der Donau wohnenden Bevölkerung in die Alpen »verweist« werden. Vgl. Kohler, Das Flüchtlingsproblem. Zum Presseecho vgl. Evakuierungsplan für 14 Millionen Deutsche. In: Hamburger Echo, 16.4.1958; Über 14 Millionen sollen evakuiert werden. In: Westfälische Rundschau, 16.4.1958; Die Nation marschiert. In: Der Spiegel, 30.4.1958. Weil solche Massenevakuierungen, selbst wenn sie gelenkt hätten durchgeführt werden können, gegebenenfalls die Operationsfreiheit der Truppen beeinträchtigt hätten, vertrat man von Seiten der NATO bald eine so genannte »stay at home policy«. Zu Beginn der sechziger Jahre zielten die Planungen darauf ab, im Wesentlichen alte Menschen, Kranke und Frauen mit Kindern zu evakuieren, ein Personenkreis, der »keine wichtige Aufgaben in den betroffenen Gebieten erfüllen« müsse. Im Einzelnen war daran gedacht, die Bewohner von 76 Städten zu 50 bis 60 Prozent in 20 bis 60 km entfernte Gebiete zu evakuieren und die Bevölkerung von 31 Städten zu etwa 30 Prozent in deren Randgebiete oder in Nachbargebiete umzuquartieren. BA, Β 106/ 50237, Vortrag: Unterrichtung des Bundespräsidenten über den Schutz der Zivilbevölkerung, 27.6.1962. Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 603-721, passim.
169
BA, Β 136, BMVg an Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen, 23.7.1956. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 127. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 9.1.1957, S. 40.
170
68
I. Dislozierung und Standortplanung
Das hier angedeutete Wirksamwerden der Bundeswehr als ein strukturpolitischer Faktor wird an anderer Stelle eingehend zu überprüfen sein. Hier geht es jedoch im Schwerpunkt zunächst noch um die Abhängigkeit der Standortplanung von vornehmlich außerhalb der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Verteidigung des Bündnisses getroffenen Entscheidungen und ihrer militärischen Bewertung. Der am ostbayerischen Beispiel dargestellte Sachverhalt, dass in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine ganze Reihe von geplanten Garnisonen dem Rotstift zu Opfer fiel, hat noch einmal verdeutlicht, wo die entscheidenden Parameter der Standortplanung lagen: Im ständigen Wechsel der NATO-Strategien, die nicht ohne Folgen für die nationalen Streitkräftedispositionen bleiben konnten, und in den in den sechziger Jahren zunehmend schwierigen, vielfach innerdeutsch bedingten wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen. Ob in der erzwungenen Aufgabe verschiedener Standortplanungen auch die im Sinne der Krisenfestigkeit angestrebte eben geschilderte »Zellenstruktur« beeinträchtigt worden ist, kann wegen der komplexen ökonomischen und infrastrukturellen Abhängigkeiten im Einzelfall kaum nachgewiesen werden. Belegt werden können jedoch die Auswirkungen auf die antizipierte Operationsführung der deutschen Streitkräfte in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Da beispielsweise im Freistaat Bayern ein Großteil der Bundeswehreinheiten zu diesem Zeitpunkt vor allem in München und in Südbayern konzentriert war, wäre es im Ernstfall schwierig gewesen, rasch die Verteidigung an den nord- und ostbayerischen Grenzen aufzunehmen. Die Truppenteile hätten erst aufwändige Süd-Nord-Bewegungen vollziehen müssen, um in ihre vorgeplanten und im Wesentlichen nördlich der Donau gelegenen Einsatzräume zu gelangen. Eine Studie der Westeuropäischen Union stellte hierzu fest, dass die Dislozierung der Truppen im Frieden »nicht in einem optimalen Verhältnis zu den vorgesehenen Einsatzräumen steht. Insoweit kann man mit Recht von Stationierungsmängeln (>maldeploymentFrolleins< verbringen und ist kaum für andere Dinge zu interessieren«. Es sei einmal dahingestellt, inwieweit diese Sozialgruppenzuschreibung empirisch mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Einklang gebracht werden konnte. Faktisch war sie aber wenig dazu angetan, den ohnehin nur spärlich artikulierten Problemlösungsansätzen wie Aufnahme in deutsche Sportvereine oder Hinweisen auf das Ebd., Aufzeichnung über die Besprechung im AA am 29.10.1956 über Zwischenfälle und Möglichkeiten zur Verbesserung der Beziehungen zwischen deutscher Zivilbevölkerung und alliierten Soldaten.
102
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
berufliche Weiterbildungsangebot der Handwerks- und Berufsgenossenschaften große Erfolgschancen zuzugestehen. Während die Bewertung benannter Zwischenfälle mit amerikanischen und britischen Soldaten ausnahmslos die soziokulturellen Unterschiede in den Blick nahm, griff der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz hingegen zu rassistischen Argumenten, um die Stationierung von nordafrikanischen Truppenteilen in den französischen Garnisonen seines Bundeslandes zu verhindern. In einem mit geradezu apokalyptischen Visionen gespickten Brief suchte Peter Altmeier um Unterstützung beim Bundeskanzler nach. Auf die in der Presse verbreitete Nachricht, dass im Hinblick auf die zunehmenden Unruhen in Nordafrika weiße durch farbige Truppen ersetzt würden, habe es in Koblenz sehr unliebsame Auseinandersetzungen gegeben, »wo man sich mit großem Unbehagen einer erheblichen Anzahl von Zwischenfällen erinnert, welche durch die dort stationierten marokkanischen Truppenteile verursacht worden sind«99. Und weiter: »Man stelle sich vor, was eintreten würde, wenn gerade die Stadt Trier mit farbigen Soldaten überschwemmt würde.« Wie weit im Übrigen solche Bilder trugen und wie selbstverständlich sie im politischen Geschäft benutzt wurden, erhellt der mit allen Mitteln unternommene Versuch hessischer SPD-Gliederungen, darüber auch die Neueinrichtung von Bundeswehrgamisonen zu Fall zu bringen. In einem an den Wiesbadener Ministerpräsidenten Dr. Georg August Zinn gerichteten Brief erhoben der Kreisvorstand und die Kreistagsfraktion der SPD von FritzlarHomberg die Forderung, die hessische Landesregierung wolle u.a. auch aus folgendem - sachlich freilich in Teilen irrigem - Grund die Freigabe von Land für den Bau von Bundeswehrkasernen verweigern: »Die Auswahl der Einheiten und Truppenverbände, die hier kaserniert werden sollen, untersteht der NATO. So könnte sehr bald der Fall eintreten, daß auch nichtdeutsche Verbände hier einziehen. Es ist also damit zu rechnen, daß der mit diesen Truppen verbundene >zivile Anhang< sowie einzelne Übergriffe, wie sie sich gegenwärtig gerade wieder häufen, ohne Zweifel erhebliche Unruhe in die Bevölkerung bringen würden100.« Insgesamt soll dieses vielschichtige Problem hier nicht weiter ausgelotet werden. Es ist aber immerhin dazu angetan, die Palette möglicher Auswirkungen von Militäransiedlungen um einen, vielleicht besonders schillernden sozialstrukturellen und soziokulturellen Faktor zu ergänzen101.
99 100 101
Ebd., BW 2/1236, MinPräs Peter Altmeier an Bundeskanzler Konrad Adenauer, 29.2.1956. ACDP, 1-326-001/2, Nachlass Max Reichert. Zum sog. Dirnenunwesen in den amerikanischen Garnisonsstädten vor allem in den fünfziger Jahren vgl. Weschler, Little America in Mainz, S. 99-101. Zur Kriminalität durch die Amerikaner in den Garnisonsstädten vor allem während des Vietnam-Krieges vgl. auch Leuerer, Die Stationierung amerikanischer Streitkräfte, S. 195-198.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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3. Gesetzliche Regelungen des militärischen Landbedarfs Die referierten Fälle um die tatsächlichen oder vermeintlichen Folgewirkungen militärischen Landbedarfs haben deutlich gemacht, dass solche verteidigungspolitischen Maßnahmen in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre im lokalen und regionalen Bereich allenthalben auf Unverständnis, manchmal gar auf Widerstand stießen, zumal dann, wenn sie ländliche, überwiegend periphere Gebiete betrafen. Sie schienen überhaupt nicht oder zumindest nur unter großen Schwierigkeiten in die Entwicklungslinien einer vom Bund und den Ländern getragenen Strukturpolitik zu passen, die, um einmal mehr das bayerische Beispiel zu bemühen, als Fernziel die »Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse« 102 anzupeilen suchte und die zeitgleich mit der westdeutschen Aufrüstung einsetzte. Bevor gleichwertige Lebensverhältnisse durch raumordnungspolitische Maßnahmen auch nur im Ansatz erreicht werden konnten, musste nicht nur differenziertes Wissen um die strukturellen Gegebenheiten vorhanden sein, es musste vor allem ein Instrumentarium entwickelt werden, das im Stande war, einen solchen überörtlichen Prozess zu planen und ausgewogen zu steuern. Sehr früh hatte man sich in Bayern zugunsten einer Landesplanung als Staatsaufgabe entschieden. Auf der Basis behördlicher Strukturen aus der Zeit vor 1945 hatte sich bis zum Ende der vierziger Jahre auch eine gewisse landesplanerische Organisation herausgebildet. Die im Zuständigkeitsbereich des bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft angesiedelte Landesplanungsstelle legte schon im November 1949 eine Schrift über die Lage in den ostbayerischen Randgebirgen vor, die das Zurückbleiben dieser Gebiete konstatierte und Vorschläge für ein Hilfsprogramm unterbreitete. Bei der Bundesregierung trug dies zu der Erkenntnis bei, dass die Not einzelner Teile des Bundesgebietes einer längerfristigen Abhilfe auch auf Bundesebene bedurfte. Analog zum bayerischen »Modellbericht« wurden nämlich ähnliche Notstandsgebiete auch in anderen, vergleichbaren Bundesländern ermittelt. Diese Erhebung führte 1951 zu einer Entscheidung des Bundeskabinetts, die eine Abgrenzung von Notstandsgebieten, späterhin als Sanierungsgebiete bezeichnet, festlegte und dafür Bundeshilfen in Aussicht stellte. Mit der Abschottung der Grenze seitens der DDR war schließlich ein wirtschaftliches Problemgebiet entstanden, das den Deutschen Bundestag am 2. Juli 1953 dazu veranlasste, nunmehr seinerseits ein 40 km breites Gebiet entlang der Ostgrenze der Bundesrepublik unter dem Terminus »Zonenrandgebiet« einheitlich zum Fördergebiet zu erklären103. Unabhängig davon, dass es ein staatsrechtliches Novum darstellte, wenn Umfang und Standorte der militärischen Landinanspruchnahme von den Weisungen international zusammengesetzter Gremien mitbestimmt wurden, machte die unbestreitbare Tatsache, dass sich die Bundesrepublik solchen Forderungen gegenübergestellt sah, ihre Lösung zu einer nationalen Aufgabe. Ein mög102 103
Zit. nach Terhalle, Zur Geschichte der Landesplanung, S. 109. Zur regionalen Strukturpolitik vgl. Zimmermann/Postlep, Regionale Strukturpolitik.
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liehst vorausschauender Regelungsbedarf war notwendig, der den militärischen Aspekten und den gerade mühsam auf den Weg gebrachten strukturpolitischen Initiativen gleichermaßen gerecht werden sollte. Das erforderliche gesetzliche Regelwerk und die entsprechenden Verwaltungsbestimmungen waren freilich noch kaum entwickelt, zumal im zur Rede stehenden Politikfeld, die Raumordnungspolitik nämlich, verfassungsrechtlich im Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Ländern angesiedelt war. Das Grundgesetz hatte im Art. 75 Satz 4 dem Bund u.a. die Kompetenz zuerkannt, für die Bodenverteilung und die Raumordnung Rahmenvorschriften zu erlassen - allerdings unter den Voraussetzungen des Art. 72 (konkurrierende Gesetzgebung). Solange der Bund in diesem Falle von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht, haben zwar die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Gesetzgebungsbefugnis. Wenn jedoch eine Angelegenheit durch die einzelnen Länder nicht wirksam geregelt werden kann, die Regelung auf Landesebene die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit ein einheitliches Handeln erforderlich macht, dann hat der Bund in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht. Weil andererseits kaum eine Maßnahme so sehr in das vorhandene Raumgefüge einzugreifen, die gewachsenen territorialen, regionalen und lokalen Grenzen zu überschreiten und überregionale soziale und ökonomische Folgen zu induzieren schien wie der Landbedarf für militärische Zwecke, konnte die Bundesregierung gar nicht umhin, hier von ihrer Rahmengesetzgebungskompetenz Gebrauch zu machen. Aber auch mit Blick auf das zwischenstaatliche Vertragsverhältnis war eine solche Gesetzgebung dringend notwendig geworden. Der am 26. Mai 1952 abgeschlossene und in die Pariser Verträge von 1954 übergeleitete Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland, der so genannte Truppenvertrag, verpflichtete die Bundesrepublik in Art. 37 Abs. 1, dem Bedarf der Verbündeten an Liegenschaften, Sach- und Werkleistungen, Verkehrsleistungen usw. zur Erfüllung der Verteidigungsaufgaben nachzukommen. Zur Realisierung dieser Verpflichtungen forderte Abs. 3 des Artikels von der Bundesrepublik »geeignete Gesetze über die Inanspruchnahme von Sachleistungen, die Beschaffung von Land und die Errichtung von Schutzbereichen« zu erlassen. Bis zu deren Inkrafttreten galten die so genannten Militärlastengesetze aus der Zeit des Nationalsozialismus freilich weiter, »soweit sie sich auf die Ermächtigung zur Inanspruchnahme von Sachleistungen, die Beschaffung von Land und die Einrichtung von Schutzbereichen beziehen: Gesetz über Sachleistungen für Reichsaufgaben (Reichsleistungsgesetz) vom 1. September 1939; Gesetz über die Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935 und Gesetz über die Beschränkung von Grundeigentum aus Gründen der Reichsverteidigung (Schutzbereichsgesetz) vom 24. Januar 1935«104.
104
BGBl., Teil II, 1955, S. 358 f.
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Grundsätzlich stellte die Fortgeltung dieser drei Leistungsgesetze nach dem Untergang des Staates, der sie hervorgebracht hatte, nach Scheitern seiner totalen Kriegführung, auf die sie zugeschnitten waren, ein politisches und juristisches Problem dar105. Trotz höchstrichterlicher Entscheidungen über den Zweck des Reichsleistungsgesetzes als eines Instrumentariums, das den verbrecherischen Angriffskrieg ermöglicht und die Macht des Nationalsozialismus gesichert hatte, setzte sich die generelle Auffassung durch, dass dieses Gesetz - vorbehaltlich der Ungültigkeit einzelner dem neuen Verfassungsrecht widersprechender Bestimmungen - insgesamt fortgelte. Zur Bewältigung der Kriegsfolgen, des Wohn- und Transportmittelmangels sowie zur Erfüllung von Auflagen und Befehlen der Besatzungsmächte wurde das Instrument von den Behörden der neuen, freiheitlich-demokratisch verfassten Länder mit stiller Erleichterung aufgegriffen, freilich angepasst an die neuen rechtsstaatlichen Normen. So konnten nun beispielsweise Leistungsanforderungen oder Enteignungsbescheide auf dem Rechtsweg vor ordentlichen Gerichten angefochten werden. Während also das Reichsleistungsgesetz nach herrschender Ansicht das Kriegsende überdauert hatte und das Schutzbereichsgesetz nach 1945 gegenstandslos geworden war, war die Geltung des Landbeschaffungsgesetzes vom damaligen Gesetzgeber zunächst bis zum 1. April 1938 befristet worden, dann nach mehrfacher Verlängerung bis zum 1. April 1946. Mit Rücksicht auf die weitreichenden politischen Folgen, die die Bonner Verträge für die Bundesrepublik gebracht hätten, war die im Truppenvertrag normierte und in Teilen ja bereits den neuen verfassungsrechtlichen Bestimmungen angepasste Weitergeltung dieses Rechtszustands als Notbehelf gedacht. Gerade bei der Landbeschaffung für militärische Zwecke, bei der gegebenenfalls mit dem Instrument der Enteignung würde gearbeitet werden müssen, mit ihren raumwirksamen Folgen und den daran beteiligten, unterschiedlichen Organen und Körperschaften, war ein diesbezügliches Gesetz aus rechtsstaatlichem und föderativem Blickwinkel besonders drängend. Ganz zu schweigen davon, dass die zeitgerechte Verfügbarkeit von ausreichendem Grund und Boden ein zentrales Kriterium bei der vertraglich vereinbarten Verpflichtung zur Aufstellung deutscher Truppen darstellte. Das Gesetz über die Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935 war ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte gewesen, musste bis dahin für militärischen Landbedarf doch auf die allgemeinen landesrechtlichen Enteignungsgesetze aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zurückgegriffen werden. Politisch begründete sich das Landbeschaffungsgesetz in der nationalsozialistischen Kriegspolitik, wo die Faktoren Masse und Zeit eine relativ große Rolle spielten. Ein 1933 eingeleitetes Aufrüstungsprogramm legte eine Friedenspräsenzstärke des Heers von 300 000 Mann fest, zu erreichen in105
Das verfassungs- und verwaltungsrechtliche Schrifttum hielt die Diskussion etwa um das Reichsleistungsgesetz »zu den interessantesten Beispielen des Zwielichts von Demokratie und Besatzungsregime, Rechtsstaat und Ausnahmelage, in der sich Deutschland nach 1945 befand«. Rumpf, Verteidigungslasten, S. 26.
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nerhalb von vier Jahren. 1935 wurde die Planung erweitert auf einen Friedensumfang von 700 000 Mann, eine Marge, die man 1936 nochmals erhöhte auf 800 000, zu erreichen bis Oktober 1939. Daneben wuchs die zunächst geheim, dann ab 1935 offen aufgestellte Luftwaffe bis zum Kriegsbeginn auf 380 000 Soldaten an. Die personelle Rüstung bedingte als materielles Äquivalent neben einer Forcierung der Waffenproduktion insbesondere die rasche Bereitstellung ausreichender Unterkünfte und Ausbildungseinrichtungen, an denen es mangelte. Stil und Inhalt des gemäß der damaligen Staatsordnung mit totalem Anspruch als Regierungsgesetz verordneten Landbeschaffungsgesetzes entsprachen dem Geist und den Absichten der Zeit. Es war beeinflusst von der NS-Staatslehre, wonach das Eigentum als »Kernstelle der völkischen Lebensordnung« zu verstehen war106. Der liberale Eigentumsbegriff, wie er im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 903) umschrieben wurde, galt für überwunden. In dem Maße, wie man unter »Kernstellung« eine Art nationales Obereigentum verstand, war alles Eigentum Gemeingut und der Eigentümer in der Pflicht gegenüber Volk und Reich. Aus solcher Pflicht- und Dienstgebundenheit folgerte man auch eine besondere Auffassung von den Beschränkungen und Entziehungen des Eigentums. Diese spiegelte sich in der Organisation der Landbeschaffung für die Wehrmacht wieder. Es wurde eine Reichsstelle für die Landbeschaffung gebildet, deren Leiter durch den Reichswehrminister im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bestellt werden sollte. Obwohl sie nach außen eine selbständige Reichsbehörde zu sein schien, stellte sie praktisch eine Abteilung des Reichswehrministeriums, später des Oberkommandos der Wehrmacht dar, das die Dienstaufsicht ausübte. Faktisch verlieh das Reichswehrministerium auch das Enteignungsrecht an die ihm unterstellte Reichsstelle. Um die Tragweite des sich hier bereits abzeichnenden, von den nationalsozialistischen Zielen diktierten, letztlich absoluten Vorrangs militärischer Planungen vor zivilen Erfordernissen ermessen zu können, sei darauf hingewiesen, dass das Reichswehrministerium außer der Reichsstelle für die Landbeschaffung noch eine Reichsstelle für die Umsiedlung sowie eine Reichssiedlungsgesellschaft initiierte. Gleichzeitig mit dem Gesetz über die Landbeschaffung war am 25. März 1935 die Reichsstelle für Raumordnung eingerichtet worden. Vor dem Hintergrund ausufernder Kompetenzzersplitterungen verschiedener, sich in ihrer gegenseitigen Rivalität misstrauender Staats- und Parteiorganisationen, die mit Bau- und Siedlungspolitik befasst waren oder sich aufgrund ihrer ideologischen Orientierung dazu berufen fühlten, sollte diese oberste Reichsbehörde, die mit der Regelung des gesamten Landbedarfs der öffentlichen Hand betraut war, im überörtlichen Planungsbereich zu einer gewissen Beruhigung beitragen. Analog zur Gleichschaltung der Länder und ihrer Umgestaltung zu
106
Zit. nach ebd., S. 100.
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Reichsstatthalterbezirken wurden die bisherigen Organe der föderalistischen Landesplanung dieser obersten Reichsbehörde unterstellt107. Folgt man einem Gutachten des Instituts für Raumforschung aus dem Jahr 1952, dann war es kein Zufall, dass sowohl das Landbeschaffungsgesetz für die Wehrmacht als auch das Gesetz über die Regelung des Landbedarfs der öffentlichen Hand durch die Reichsstelle für Raumordnung am selben Tage verkündet worden waren. Maßgebend für Letzteres sei das Interesse des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft gewesen, denn sein Ressort war von der Landabgabe für militärische Liegenschaften am stärksten betroffen. Diese Tatsache habe die »Schaffung einer neutralen, überressortlichen obersten Reichsbehörde [erfordert], die in der Lage sein sollte, auch den militärischen Stellen gegenüber die Interessen der Ernährungs- und Forstwirtschaft sowie die der übrigen zivilen Ressorts mit Nachdruck zu vertreten und ihre Entscheidungen in Abwägung und Würdigung der sich oft widerstreitenden Interessen allein nach Maßgabe des Allgemeininteresses zu treffen«108. Grundsätzlich waren die Fachministerien, also auch das Reichswehrministerium, der strukturell auf gleicher Ebene stehenden Reichsstelle für Raumordnung gegenüber meldepflichtig. Die Wirkungsmöglichkeit der Reichsstelle blieb freilich begrenzt. Praktisch beschränkte sich ihre Tätigkeit auf die Fachaufsicht der nachgeordneten Planungsgemeinschaften oder die angegliederten Forschungseinrichtungen wie die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung. Auch wenn die Unterlagen der Reichsstelle, soweit sie militärische Planungen betrafen, vor Kriegsende bis auf wenige Akten zum Luftschutz vernichtet worden sind109, spricht manches dafür, dass die planenden militärischen Organisationen sich wenig um die Meldevereinbarung gekümmert haben und von sich aus die Standorte ohne oder mit nur ungenügender Beteiligung der zivilen Raumordnung festlegten. In der Praxis habe sich, wie sich das aus der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung 1948/49 hervorgegangene Institut für Raumforschung erinnerte, auch gezeigt, dass eine von Seiten der Reichsstelle für Raumordnung nachträglich beabsichtigte Änderung eines bereits festgelegten Standorts äußert schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich war110. Welchen Vorrang die militärischen Belange im Bereich der Raumordnung hatten, demonstrierte man recht öffentlichwirksam und, weil bildhaft, auch augenfällig beispielsweise in der propagandistischen Denkschrift »Bayern im ersten Vierjahresplan« von 1937, worin die Leistungen der Landesplanung zwar unmittelbar, aber dennoch nach der Würdigung der Kasernenbauten vorgestellt wurden111. Die politische Notwendigkeit zur gesetzlichen Neuregelung der Landbeschaffung für militärische Zwecke stand spätestens 1952 außer Frage. Im Zu107
108 109
110 111
Zur Organisation der nationalsozialistischen Raumordnungspolitik vgl. Kühne, Bauverwaltung. Gutachten über die Aufgaben der Raumordnung, S. 22. Die Aktenüberlieferung der Reichsstelle für Raumordnung befindet sich als Bestand R 113 im Bundesarchiv. Gutachten über die Aufgaben der Raumordnung, S. 27 f. Bayern im ersten Vierjahresplan, S. 251-255.
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sammenhang mit den zwar laut Besatzungsstatut zulässigen, gleichwohl drückenden Beschlagnahmen durch die Alliierten, war die Bundesregierung nunmehr durch den Bundestag aufgefordert worden, unverzüglich ein Gesetz zur Durchführung der Beschlagnahme von Grund und Boden durch die Besatzungsmächte einzubringen. Darin sollten Regelungen für ein geordnetes Rechtsverfahren und die Mitwirkung des betroffenen Landes im Benehmen mit den Gemeinden enthalten sein112. Im Juli 1952 lag dazu ein Referentenentwurf vor. Trotz der politisch wie verfassungsrechtlich gänzlich anderen Situation der Bundesrepublik stellte das Landbeschaffungsgesetz von 1935 in Teilen nach wie vor ein Vorbild dar. Grundsätzlich sah der Entwurf von 1952 ein deutliches Übergewicht auf Seiten des Bundes vor. Die Anordnungsbefugnis zur Landbeschaffung sollte beim Bundesminister des Innern liegen, die Durchführung bei einem dann einzurichtenden, ihm unterstellten Bundesamt für Landbeschaffung. Als mögliches Problem mochte sich allerdings die Kompetenzabgrenzung mit den Ländern bzw. den dort bereits existierenden Landesplanungsstellen erweisen, auf deren Kenntnisse andererseits aber gar nicht verzichtet werden konnte. Da die staatliche Neuregelung nach 1945 ja zuerst auf föderativer Grundlage erfolgte, nimmt es nicht wunder, dass in den Ländern auf der Basis von Resten der Planungsbehörden des Reiches auch erste Organisationsstrukturen erwachsen sind. Was den Entwurf für ein Landbeschaffungsgesetz von 1952 über den zweifelsohne zunächst vordringlichen Aspekt der raschen Erfüllung eingegangener sicherheitspolitischer Verpflichtungen hinaus so interessant macht, ist der immanente Versuch, ein umfassendes bundesstaatliches Raumordnungsgesetz mitzubegründen. Im Institut für Raumforschung erachtete man allerdings die Einrichtung lediglich eines Bundesamtes für Landbeschaffung als eine unbefriedigende Teillösung. Die Standortwahl für militärische Anlagen müsse »ohne Rücksicht auf Ländergrenzen nach dem Gesichtspunkt einer übergeordneten Raumordnung erfolgen«113. Weil der Landbedarf unübersehbar groß sein werde, weil die Folgeerscheinungen mutmaßlich nicht voll übersehen werden könnten und weil man sich nicht auf die Verhinderung konkreter Überschneidungen (z.B. geplantes Kasernengelände liegt auf der geplanten Trasse einer Bundesstraße) bzw. rein baulicher Zuordnung der Vorhaben beschränken dürfe, sondern vielmehr die möglichen Auswirkungen auf die Lebensvorgänge überhaupt ins Auge gefasst werden müssten, könne solches nur innerhalb eines allen Ressorts übergeordneten Bundesentwicklungsplans geschehen. Deshalb riet man, trotz des großen Zeitdrucks bei der Aufrüstung, wo die Bereitstellung von Grund und Boden für Unterbringung- und Ausbildung der Truppen zu einer Schlüsselstelle geworden war, zu einer universalen Gesamtlösung - die Verabschiedung sowohl eines Bundesraumordnungsgesetzes als auch die 112
113
Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Anlagen Bd 16, Bonn 1952, Drs. 3246. Vgl. auch die Debatte vom 3./4.4.1952 in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Stenographische Berichte, Bd 11, Bonn 1952, S. 8743-8808. Gutachten über die Aufgaben der Raumordnung, S. 41.
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Schaffung einer mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten und ressortübergreifenden obersten Bundesbehörde für Raumordnungsfragen. Ein machtvolles »räumliches Gewissen« des Bundes, worin Zusammenschau und zusammenfassende Gestaltung erfolgen sollte. Gewiss war es aus fachlicher und sicherlich auch aus raumordnungspolitischer Sicht richtig, den militärischen Landbedarf nicht isoliert, sondern ihn vielmehr als Teil eines größeren Ganzen zu betrachten. Schon die Vorstellung, dass ein Raumordnungsgesetz seinen alleinigen Anstoß von der militärischen Planung erhalten könnte, hielten selbst die Befürworter einer solch weitreichenden Rechtsgrundlage im Institut für Raumforschung für »bedauerlich«114. Solche Bedenken wurden jedoch bald gegenstandslos. Die Länder erhoben aus grundsätzlichen staatsrechtlichen Gründen zunächst große Bedenken gegen ein Bundesraumordnungsgesetz, so dass sich der Gesetzgebungsprozess bis 1965 hinzog. Die gesetzlichen Vorbereitungen für die Aufstellung deutscher Truppen duldeten aber keinen Aufschub. In den Zeitplänen für die gesetzliche Vorbereitung des Streitkräftebeitrags hatte Theodor Blank außer dem Eignungsübungs-, dem Schutzbereichs- und dem Bundesleistungsgesetz insbesondere die Regelung des Landbeschaffungsgesetzes mit besonders hoher Priorität versehen115. Trotz der bis 1952 zurückreichenden Vorarbeiten leitete die Bundesregierung eine unter Federführung des Innenministeriums erstellte Gesetzesvorlage erst am 7. Oktober 1955 gemäß Art. 76 (2) GG dem Bundesrat zur Prüfung zu. Am 17. Dezember 1955 wurde der Entwurf eines Gesetzes über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung (Landbeschaffungsgesetz) mit den Änderungsvorschlägen des Bundesrates und den Stellungnahmen der Bundesregierung dem Präsidenten des Deutschen Bundestages zur parlamentarischen Beratung überstellt116. Dass der Gesetzentwurf von 1952 zwischenzeitlich beim Innenministerium in die »Schublade« gewandert war117, lag gewiss auch an der im Amt Blank partiell gepflegten Illusion, man werde für die erste Aufstellungsphase mit den vorhandenen Unterkünften auskommen. Neubauten und somit auch das entsprechende Bauland wären deshalb erst ab 1957 erforderlich. Außerdem würden schon genügend Angebote an Land von den Kommunen vorliegen118. An warnenden, hochrangigen Stimmen hatte es allerdings nicht gefehlt. Schon im Sommer 1954 brachte der Leiter der Militärischen Abteilung, Generalleutnant a.D. Adolf Heusinger, aus Sicht des militärischen Planers die vertrackte Situation in der Kasernenangelegenheit auf den Punkt, als er dem Leiter der Abteilung Unterbringung und Liegenschaften, Ministerialdirigent Gerhard Loosch, gegen114 115 116
117
118
Werner, Bodennutzung und Landanforderungen, S. 90. Α WS, Bd 3, S. 473 (Beitrag Ehlert). Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Anlagen Bd 39, 1955/56, Drs. 1977. So Hanns Werner, im Institut für Raumforschung für diese Belange zuständig, gegenüber einem Beamten der Landesplanungsstelle im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr, 19.1.1955, BayHStA, MWi 22426. Α WS, Bd 3, S. 652 (Beitrag Greiner).
110
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über unmissverständlich erklärte, die in Bearbeitung befindliche Unterbringungsplanung lasse klar erkennen, »daß die noch vorhandenen ehem. Wehrmacht-Liegenschaften und -Anlagen nicht ausreichen, um auch nur den vordringlichsten Bedarf zu decken«119. Eine weitere Freigabe solcher Objekte für andere, zivile Verwendungen schien auch deshalb nicht mehr in Frage zu kommen, weil sonst sehr frühzeitig von einem Landbeschaffungsgesetz Gebrauch gemacht werden müsse, was wiederum »eine innerpolitische Vorbelastung der mil. Aufstellung zur Folge« haben werde120. In der erste Jahreshälfte 1955 war es tatsächlich zu einer gewissen Unruhe in der Bevölkerung gekommen. Gerüchte über angebliche oder tatsächliche Beschlagnahmeaktionen für Verteidigungszwecke, die noch schnell vor dem Wirksamwerden der Verträge über die Bühne gehen sollten, scheinen Teile der Öffentlichkeit in ansteigender Tendenz erregt zu haben. Die Bayerische Staatskanzlei beispielsweise sah sich zur Vermeidung von Aufregung zu der Vorbeugemaßnahme genötigt, vorsorglich das Presse- und Informationsamt anzuweisen, die lokalen Medien des betroffenen Gebiets rechtzeitig vor einer Beschlagnahme mit sachlichen Informationen zu versorgen121. Die Bundesregierung selbst ließ dann im Sommer 1955 auf eine Anfrage des Hessischen Rundfunks bei dem für Infrastruktur zuständigen Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium dementieren, dass bereits entschieden sei, welche ehemaligen Garnisonstädte wieder mit Soldaten belegt würden. Man erachte es deshalb auch nicht für sinnvoll, jetzt bereits den gesamten Umfang des Landbedarfs und wo dieser anfallen werde, zu veröffentlichen, weil alles noch zu sehr im Fluss sei. Um eine unnötige Beunruhigung zu vermeiden, wolle das Ministerium nur endgültige Standortplanungen zur Erörterung stellen. Grundsätzlich aber sei beabsichtigt, bei der Unterbringung der deutschen Streitkräfte in erster Linie auf bundeseigene Liegenschaften zurückzugreifen, »soweit sie heute dafür noch in Betracht kommen«122. Die Hinweise auf verteidigungsplanerische Vorgaben von Seiten der NATO und auf inzwischen zweckentfremdete alte Kasernenanlagen beispielsweise für Krankenhäuser oder Standortübungsplätze für Wohnsiedlungen signalisierten freilich unzweideutig, mit welchem durchaus beträchtlichen Landbedarf nicht nur für Kasernenneubauten gerechnet werden musste. Anders als die Besatzungsmächte würde der Verteidigungsminister aber nicht diktatorisch bestimmen und notfalls das benötigte Gelände beschlagnahmen. Künftig würden Zwangsmaßnahmen, so überhaupt notwendig, wie in jedem Rechtsstaat nur im Wege eines gesetzlich geordneten Verfahrens möglich sein. Ein Landbeschaffungsgesetz werde dafür die Grundlagen schaffen. Diese zwischen dem Bekennen ganzer und halber Wahrheiten einer zunehmend in die Krise geratenen Aufrüstungsplanung und öffentlichen Beschwichtigungsargumenten oszillierende argumentative Mischung verfing natürlich 119 120 121
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BA-MA, BW 9/2382, pag. 145, Leiter II an Leiter IV, 15.6.1954. Ebd. BayHStA, StK 115175, Vormerkung betr. Benachrichtigung des Presseamtes bei Beschlagnahmen für Verteidigungszwecke, 27.6.1955. Unterbringung der Streitkräfte, S. 1390.
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nicht beim politischen Gegner. Während der ersten Lesung des Landbeschaffungsgesetzes vor dem Bundestag kritisierte der SPD-Abgeordnete Dr. Reinhold Martin Schmidt, dass die bisherigen Methoden der Landbeschlagnahme mit den Begriffen von einem demokratischen Staatswesen kaum in Einklang zu bringen seien. Er zieh das Verteidigungsministerium der »Wildschützenart« mit der es bei der bisher wenig planvollen Landbeschaffung »in der Gegend« herumfuchtle, zum Schaden vieler Menschen, in Sonderheit derer, die in der Landwirtschaft ihr Auskommen suchten. Nach so langer Vorbereitungszeit die ersten Initiativen stammten von 1952 - hätte man zumindest ein Gesetz erwarten können, das nicht schon im Bundesrat mit vierzig Änderungsvorschlägen bedacht worden sei123. Damit hatte der SPD-Parlamentarier nur zum Teil Recht. Solange nämlich der formale Startschuss für den westdeutschen Verteidigungsbeitrag nicht gefallen war, konnten die dazu erforderlichen Ausführungsgesetze parlamentarisch gar nicht behandelt werden. Das zunächst auf die Vorgaben der EVG abgestellte Programm der Wehrgesetzgebung hatte im Februar 1954 zwar die grundsätzliche Frage der Wehrhoheit geregelt und dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz in Verteidigungsfragen übertragen (Art. 87 a GG). Nachdem dann aber im Sommer 1954 die EVG gescheitert war, wurden die bisherigen darauf ausgerichteten Vorarbeiten der Wehrgesetzgebung zwar nicht ganz hinfällig, mussten aber an die NATOLösung angepasst werden. Die Neu- und Umplanungsarbeiten dazu standen unter großem Zeitdruck und unter politisch motivierter Behinderung gleichermaßen. Weil die Alliierte Hohe Kommission alle Maßnahmen in Verteidigungsangelegenheiten mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge verbunden hatte und der Ratifizierungsprozess nicht durch allzu eiliges Handeln in Richtung deutscher Nationalarmee belastet werden sollte, hatte Adenauer alle über reine Planungsfragen hinausgehenden Aufstellungsmaßnahmen bis Mai 1955 strikt untersagt. Unter solchen Bedingungen war selbst ein sachlich gebotener Abstimmungsprozess zwischen den einzelnen Ressorts erschwert worden, von einer parlamentarischen Behandlung angedachter Wehrgesetzentwürfe ganz zu schweigen. Weil Blank andererseits wusste, dass bei Aufstellungsbeginn zumindest das Freiwilligen-, das Besoldungs-, das Eignungsübungsgesetz, die Disziplinar- und Wehrbeschwerdeordnung sowie das Bundesleistungs- und das Landbeschaffungsgesetz verabschiedet sein mussten, ihm als Parlamentarier aber klar war, dass das formelle Gesetzgebungsverfahren mindestes mehrere Monate beanspruchen würde, konnte mit einem Inkrafttreten der ersten Wehrgesetze frühestens zum Jahresende 1955 gerechnet werden. Der designierte Minister regte um Zeit zu sparen deshalb an, vorab Kontakt zu den betroffenen Länderministerien aufzunehmen, die Gesetze anschließend im Bundeskabinett zu verabschieden, um sie daraufhin den zuständigen Parlamentsausschüssen zur informellen Beratung zuzuleiten, ohne allerdings den Bundesrat zunächst offiziell einzuschalten. Es sei dahingestellt, ob eine solche, aus taktischen Grün123
Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stenographische Berichte Bd 28, 1956,126. Sitzung, 2.2.1956, S. 6593 f.
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den geborene Idee zur Minimierung eines absehbaren Zeitverzugs bei der Streitkräfteaufstellung eine Manipulation des Gesetzgebungsganges bedeutet und gegebenenfalls verfassungsrechtliche Komplikationen oder Konsequenzen heraufbeschworen hätte. Auf dem Höhepunkt der innenpolitischen Kontroversen um die Ratifizierung des Vertragswerks während der ersten beiden Monate des Jahres 1955 verbot sich ein solches Verfahren schließlich von selbst. Zudem hätte sich die SPD bei einem solchen Vorgehen vermutlich der erforderlichen Mitarbeit bei den Wehrgesetzen verweigert124. Zweifellos zielte das eingebrachte Landbeschaffungsgesetz darauf ab, eine problematische Rechtslage in eine Form zu überführen, die den rechtsstaatlichen Forderungen genügte. Aus Sicht der Bundesregierung ging es aber vornehmlich darum, ein Mittel in die Hand zu bekommen, das ihr die Möglichkeit zu einem freihändigen Landerwerb aus privater Hand einräumte, sofern der Landbedarf für die Zwecke der Verteidigung - sowohl für die deutschen Truppen als auch für die Verbände der Stationierungsstreitkräfte - nicht aus dem Grundvermögen der öffentlichen Hand gedeckt werden konnte. Dass der öffentliche Grundbesitz nicht ausreichte oder vorhandenes Gelände oft nicht mit den sicherheitspolitischen Zielen bzw. verteidigungsplanerischen Vorgaben in Deckung gebracht werden konnte, war ja längst offenkundig geworden. Im Rahmen des freihändigen Erwerbs sollten die Eigentümer grundsätzlich mit Ersatzland als Gegenleistung abgefunden werden und nur im Ausnahmefall mit Geld. Dahinter stand die Überlegung, den bereits einsetzenden landwirtschaftlichen Erosionsprozess nicht noch weiter anzuheizen, sondern die betroffenen Bauern aus strukturpolitischen Erwägungen zum Verbleiben auf der Scholle zu bewegen. Aber daran ließ man auch 1955 keinen Zweifel. Wenn sich langwierige, aussichtslose Kaufverhandlungen mit privaten Eigentümern abzeichnen sollten, welche die militärischen Planungen beeinträchtigen oder überhaupt den Aufbau eines Verteidigungssystems gefährden würden, dann müsste das Gesetz »äußerstenfalls auch die Entziehung des Eigentums« ermöglichen125. Hier folgte der Entwurf naturgemäß den verfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes, das einer selbst zum Wohle der Allgemeinheit zulässigen Enteignung hohe gesetzliche Hürden entgegengestellt hat, einschließlich angemessener Entschädigung und Einräumung des Rechtsweges. Zur Beruhigung wurde der Begründung deshalb die Erklärung vorangestellt, »daß die Enteignung nur das letzte, äußerste Mittel zur Beschaffung von Land ist«126. Ein zwangsweiser Eingriff in die Eigentumsrechte sollte nur so weit zulässig sein, als er zur Erreichung des Enteignungszwecks notwendig sei (§ 14). Einen vollständigen Eigentumsentzug sollte es nur dann geben, wenn er unvermeidlich war. Weil das Verteidigungsinteresse die Durchführung unverzüglich wirksam werdender Verfahren verlangte, waren die Bestimmungen des Enteignungsver-
Vgl. AWS, Bd 3, S. 430-432 (Beitrag Ehlert). 125 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1955/56, Drs. 1977, S. 16. 126 Ebd., S. 19. 124
2. Wahlperiode
1953, Anlagen Bd 39,
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113
fahrens hingegen von einer gewissen Eilbedürftigkeit geprägt. So wurde die in Enteignungsgesetzen sonst übliche Zweiteilung des Verfahrens in ein Planfeststellungs- und ein Entschädigungsverfahren nicht übernommen, die Enteignungsbehörde sollte das gesamte Verfahren möglichst in einer mündlichen Verhandlung durchführen können. In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit war gar eine vorzeitige Inbesitznahme eingeräumt worden127. Bei aller Dringlichkeit des militärischen Landbedarfs, die dem Bund - mit Blick auf die Spannungen um die Beschlagnahmen für die Besatzungsmächte und das demzufolge kaum vorhersehbare Verhalten von Grundbesitzern - bei der Formulierung der umfänglichen Enteignungsbestimmungen die Feder geführt haben mochte, war man sich natürlich der raumwirksamen Folgen durchaus bewusst. Gerade deswegen galt es die Länder auf jeden Fall mit in das Boot zu bringen. In einem möglichst frühzeitigen Stadium sollten die Erfordernisse der Raumordnung nach Anhörung der Regierungen der Länder, in deren Gebiet das zu beschaffende Gelände lag, eine angemessene Berücksichtigung finden (§ 1). Ausdrücklich wurde in der Begründung darauf hingewiesen, dass »die fachmilitärische Überprüfung einer Landanforderung durch Überlegungen zu ergänzen [sind], die den Erfordernissen der Raumordnung Rechnung tragen«. Erst nach Prüfung der Raumordnungsbelange dürfe eine Entscheidung über die Beschaffung des angemeldeten Raumbedarfs erfolgen. Es vermochte vielleicht noch den SPD-Abgeordneten Reinhold Martin Schmidt überrascht haben, dass die von der Landbeschaffung vornehmlich betroffenen Bundesländer bei der Erörterung des Regierungsentwurfs im Bundesrat 40 Änderungsvorschläge einbrachten128. Man befürchtete hier - vielleicht auch nicht ganz zu Unrecht - ein Abringen von Länderkompetenzen zu Gunsten einer Stärkung des Bundes. Verübeln konnte man es den Bundesländern kaum, wenn Sie mit Argusaugen über ihre Prärogative wachten. Eine im Übrigen seit Beginn der Verhandlungen um einen westdeutschen Streitkräftebeitrag geübte Praxis. Von einem mit Waffengetöse untermalten Streit zwischen dem Bund und den Ländern konnte bei den Beratungen über das Landbeschaffungsgesetz für militärische Zwecke natürlich keine Rede sein. Ohnehin war es ein zustimmungspflichtiges Gesetz, konnte also gar nicht ohne die Länderkammer wirksam werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es im Sinne des Art. 84 GG in zahlreichen Bestimmungen das Verwaltungsverfahren der Länder regeln würde. Damit dies auch deklaratorisch zu Ausdruck kam, empfahl der Bundesrat die Aufnahme einer Präambel: »Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen.« Die Bundesregierung stimmte zu. Unter dem Blickwinkel der nicht abschätzbaren lokalen und regionalen Folgewirkungen war man auch bereit, präzisierende Ergänzungen wie diese in den Entwurf aufzunehmen: »Soll Land für die in Absatz 1 genannten Zwecke beschafft werden, so ist die Landesregierung zu hören, die unter angemessener Rumpf, Verteidigungslasten, S. 116. 128 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Anlagen Bd 39, 1955/56, Drs. 1977, S. 3 3 - 4 1 . 127
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Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung, insbesondere der Interessen des Städtebaues und des Naturschutzes, sowie der landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen zu dem Vorhaben Stellung nimmt.« Sperrig zeigte sich die Regierung hingegen, wenn bei ihr der Eindruck aufkam, die Länder würden Möglichkeiten zu weitergehender bundesstaatlicher Mitwirkung ausloten. § 1 Abs. 2 des Kabinettsentwurfs legte fest, dass nach Berücksichtigung der Raumordnungsbelange und nachdem die Landesregierungen angehört worden waren, im Einvernehmen mit den beteiligten Bundesressorts der zuständige Bundesminister der Verteidigung die Landbeschaffungsvorhaben bestimmt und er »durch geeignete Bekanntmachung für die rechtzeitige Unterrichtung der Beteiligten« sorgt129. Weil die Länder aber auch dann noch ein gewisses Mitsprachrecht behalten wollten, schlug der Bundesrat die Einfügung eines Passus vor, wonach nur in zwingenden Fällen von der Stellungnahme der Landesregierung abgewichen werden könne und die Entscheidung darüber auf deren Antrag der Bundesregierung zufallen sollte. Diesem Ansinnen verweigerte sich das Kabinett in Bonn freilich mit dem Argument, eine solche Regelung wäre kaum geeignet, dem Bedürfnis nach Vereinfachung und Beschleunigung des Landbeschaffungsverfahrens Rechnung zu tragen. Zumal - so das zur Beschwichtigung angeführte Gegenargument - »grundsätzlich nur beim Vorliegen bedeutsamer strategischer Erwägungen eine Abweichung von den Vorschlägen der Landesregierung in Betracht kommen wird«130. Aus verfassungsrechtlicher Sicht schien es außerdem bedenklich, wenn den Ländern die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, eine Entscheidung vom zuständigen Ressortminister auf die Ebene des Bundeskabinetts zu verlagern. Wie sehr die Länder gerade bei dieser Frage bzw. bei den Regelungen in strittigen Landbeschaffungsfällen glaubten, eine Übersteuerung vom Bund befürchteten zu müssen, bzw. wie viel ihnen hier an einer weitgehenden gesetzlichen Verankerung aktiver Mitwirkung gelegen war, zeigt die Tatsache, dass dieses Problem noch einmal am 5. Dezember 1956 während der 2. Lesung des Gesetzentwurfs auftauchte. Zuvor hatte der Innenausschuss des Deutschen Bundestages die Formulierung des Regierungsentwurfs schon dahingehend verändert, dass bei einem Abweichen von der Stellungnahme einer Landesregierung der zuständige Bundesminister »die betreffende Landesregierung vor seiner Entscheidung« unterrichtet131. Im Plenum lag nun ein Änderungsantrag der FDP-Fraktion vor, wonach in solchen Fällen die »Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Bundesrat« zu entscheiden habe132. Noch einmal sah sich die Bundesregierung in Person des Innenstaatssekretärs Hans Ritter von Lex gezwungen, aus verfassungsrechtlichem Bedenken gegen eine Annahme des Antrags auszusprechen, weil damit dem Bundesrat eine nach dem Grundgesetz nicht vorgesehene Aufgabe zuteil würde. Der Antrag wurde abgelehnt, der Text des Innenausschusses hingegen angenommen.
129 130 131 132
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. 2. S. 42. Drs. 2909, S. 3. Stenographische Berichte Bd 33,1956,176. Sitzung, S. 9794.
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Aufgrund der Vorkommnisse um die Landbeschlagnahmeaktionen für die Besatzungstruppen, die zu zahlreichen Anfragen auch vor dem Bundestag führten133, hätte man eigentlich erwarten können, dass die Beratungen um das Landbeschaffungsgesetz mit einer gewissen parlamentarischen Schärfe geführt worden wären. Doch dieses war nicht der Fall. Vermutlich auch deshalb, weil das Gesetz ja dazu dienen sollte, begründete Belange für die Verteidigung in rechtstaatliche Bahnen zu lenken und einen möglichst gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Staates und seiner Bürger herbeizuführen. Insoweit eignete sich dieses Gesetz dann auch kaum zum parteipolitischen Schlagabtausch. Dies zeigte sich schon daran, dass bei den Lesungen nicht die in der Sicherheitspolitik profilierte erste Politikergarde auftrat, sondern - der komplexen Materie mit ihren juristischen Bezügen angemessen - eher die Fachleute. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die SPD - vornehmlich angestoßen durch Fritz Erler - auch aus pragmatischen Überlegungen heraus in dieser Zeit in einem sicherheitspolitischen Umorientierungsprozess steckte. Wenn eine westdeutsche Bewaffnung, die man zu diesem Zeitpunkt vornehmlich aus außen- und deutschlandpolitischen Erwägungen für falsch hielt, schon nicht verhindert werden konnte, dann wollte man die Ausbildung des rechtlichen Rahmens aber keinesfalls der Regierungskoalition allein überlassen. Beredtes Zeichen dafür war, dass im Rahmen einer »großen Wehrkoalition« für die ersten Wehrgesetze im Frühjahr 1956 - trotz großer Widerstände - eine Mehrheit in der SPD-Fraktion erreicht und somit die Grundgesetzänderungen verabschiedet werden konnten. Natürlich bedeutete das keine Verwischung der grundlegenden partei- und staatspolitischen Orientierungen, sondern es kam vielmehr zu einer an der Sache orientierten konstruktiven und dennoch kritischen Mitarbeit. Eine solche kann auch am zweimaligen Änderungsantrag zu § 1 Abs. 2 des Landbeschaffungsgesetzes abgelesen werden, den die SPDFraktion in 2. und 3. Lesung stellte134. Während im Abs. 1 des Entwurfs die Landbeschaffung für Zwecke der Verteidigung als eine Aufgabe des Bundes begründete wurde, leitete der Abs. 2 dieses Recht ergänzend von den »Verpflichtungen des Bundes aus zwischenstaatlichen Verträgen über die Stationierung und die Rechtsstellung von Streitkräften auswärtiger Staaten im Bundesgebiet« ab. Der Redner der SPD-Fraktion, der Abgeordnete Dr. Hermann Schmitt-Vockenhausen, setzte nun keineswegs zu einer fundamentalen Kritik an. Sondern er wies in der Sache durchaus auch zutreffend darauf hin, dass die Stationierungsmächte während der Zeit des Besatzungsregimes Land in sehr großem Umfang gehortet hätten. Er plädierte deshalb mit Nachdruck dafür, erst den bundeseigenen Grundbesitz für weitere 133
134
Vgl. die Stenographischen Berichte des Deutschen Bundestages der 1. und 2. Legislaturperiode 1949-1953 und 1953-1957. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stenographische Berichte Bd 33,1956, 176. Sitzung, S. 9793 f. Mit Ausnahme eines Hinweises darauf, dass der Genösse Schmitt-Vockenhausen das Landbeschaffungsgesetz begründen werde, hat sich diese Materie in den bis 1966 edierten Sitzungsprotokollen der SPD-Bundestagsfraktion nicht niedergeschlagen. Vgl. Die SPD-Fraktion, S. 34.
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militärische Zwecke heranzuziehen und mit den Alliierten intensiv über Mitbenutzungsverträge zu verhandeln. Aus Rücksichtnahme um die immer kleiner werdende landwirtschaftliche Anbaufläche sollte die Bundesregierung durch die Annahme des Antrags daran gehindert werden, zusätzlich Flächen in Anspruch nehmen zu können, die nach Ansicht der SPD überhaupt nicht benötigt würden. Es gäbe ausreichend Reserveflächen bei den Stationierungstruppen wie im Bundesbesitz. Statistisch mochten die Argumente zweifellos richtig sein. Aus sicherheitspolitischen Erwägungen der Bundesregierung freilich kaum, um nur auf einen Punkt kurz einzugehen, der bei der Ablehnung dieses Antrags sicherlich eine Rolle spielte. Weil im Kriegsfall eine Verteidigung Deutschlands so weit ostwärts wie möglich einsetzen sollte und demzufolge aus verteidigungsplanerischer Sicht eine ausgewogene Kompatibilität zwischen Dislozierung und Stationierung angestrebt werden musste, blieb gar nichts anderes übrig, als die deutschen Truppen auch dorthin zu bringen - zumeist in ländliche Regionen entlang der Grenze zur DDR und CSFR, die bisher vielfach militärfrei waren. Dennoch war die Kritik der SPD nicht unbegründet, dass im Landbeschaffungsgesetz zwar die Grundsätze der Raumordnung ihre Berücksichtigung finden würden, dieses aber lediglich eine Hilfslösung sei. Besonders aus Sorge vor der Zerschlagung zehntausender bäuerlicher Existenzen kritisierte SchmittVockenhausen die Bundesregierung, sie habe sich nicht intensiv um die Verabschiedung eines Raumordnungsgesetzes gekümmert. Dabei hatte man sich hier der Argumentation des Instituts für Raumforschung bedient. Dieses warnte geradezu davor, aus Zeitgründen oder anderen Schwierigkeiten einer Gesamtlösung aus dem Wege zu gehen und sich auf das Teilgebiet der militärischen Planungsvorhaben zu beschränken135. Versetzt man sich im Zuge der Beratung um das Landbeschaffungsgesetz nun wieder in die Lage des Bundesministers für Verteidigung, so konnte diesem im Hinblick auf die ja bereits eingetretenen Verzögerungen bei der Aufrüstung keineswegs daran gelegen sein, die Frage der Landbeschaffung für militärische Zwecke mit dem offensichtlich riskanten und absehbar langwierigen Verfahren um ein Raumordnungsgesetz verknüpfen zu lassen. Ob sich hinter diesem SPD-Antrag, der selbstredend von der Regierungsmehrheit abgelehnt wurde, nun mehr verbarg, als die bloße Sorge um nicht absehbare Folgewirkungen der militärische Landnahme, ist schwer zu beurteilen. Vermutlich eher nicht. Jedenfalls versuchte der Abgeordnete Dr. Fritz Baade (SPD) während der 3. Lesung um das Landbeschaffungsgesetz bei den Kollegen der Koalitionsfraktion einen, wie er meinte, verbreiteten Irrtum aufzuklären. Die unerschütterliche Geschlossenheit, mit der diese sämtliche Änderungsanträge abgelehnt hätten, habe ihn zunächst einmal nachdenklich gestimmt. Er glaubte, »primitiv ausgedrückt« folgende Auffassung bei ihnen festgestellt zu haben: »Diese bösen Sozis, erst stimmen sie gegen die Dienstpflicht und wollen uns keine auf Grund der Dienstpflicht eingezogenen Soldaten geben, und wenn wir ihnen das ver135
Gutachten über die Aufgaben der Raumordnung, S. 37-45.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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bauen und die Dienstpflicht gegen sie beschließen, wollen sie uns für die Soldaten keine Truppenübungsplätze geben136!« Obwohl die SPD das Dienstpflichtgesetz ablehnte, legte der Redner jedoch Wert auf die Feststellung einer »produktiven Mitarbeit an Verbesserungen« des Landbeschaffungsgesetzes. So sei die Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Naturschutzes über die interfraktionelle Zusammenarbeit im Innenausschuss als unabdingbare Forderung in das Gesetz eingebaut worden, welches Baade »ehrlich und dankbar« begrüßte. Zur gewiss aus sachlichen Erwägungen formulierten Kritik der SPD am Landbeschaffungsgesetz zählte auch die Frage, ob im Rahmen des freihändigen Erwerbs und des Enteignungsverfahrens die bisher geltenden Vorschriften über die Preisbindung bei Grundstückskäufen weiterhin ihre Gültigkeit haben sollten. Unabhängig vom konkreten Zusammenhang mit dem militärischen Landbedarf, gibt die darüber geführte Debatte einmal mehr die unterschiedlichen politischen Schwerpunktsetzungen von Opposition und Koalition wieder, wobei erstere stärker sozialpolitisch, und zwar im restriktiven Sinn, argumentieren sollte, letztere sozial-marktwirtschaftlich. Zum Hintergrund: Im Zuge der wehrpolitisch und rüstungswirtschaftlich orientierten Autarkiepolitik hatten die Nationalsozialisten Ende 1936 im Rahmen des Vierjahresplans ein Gesetz über die Preisbildung für Güter und Leistungen jeder Art erlassen, unter anderem für die gesamte landwirtschaftliche, gewerbliche und industrielle Erzeugung. Eine daraufhin gefasste Verordnung verbot damit zusammenhängende Preiserhöhungen137. Diese so genannte Preisstoppverordnung hatte preisdrückende Wirkung und galt in der Bundesrepublik bis 1955 fort. Der ursprüngliche Regierungsentwurf des Landbeschaffungsgesetzes wollte die bestehenden Preisvorschriften zunächst noch »unberührt« lassen138. Die Debatten im Innenausschuss führten jedoch zu dem mehrheitlichen Konsens, dass der bisherige Preisstopp keine Anwendung mehr finden sollte - eine Wendung, die sich u.a. vom verfassungsrechtlichen Grundsatz eines gerechten Wertausgleichs bei Enteignungen (Art. 14 Abs. 3 GG) leiten ließ. Ausdrücklich wurde betont, dass die bestehenden Preisbestimmungen sich kaum mehr im Einklang mit den bestehenden Wertverhältnissen stünden. Eine Landbeschaffung im Wege des freihändigen Verkehrs wäre praktisch unmöglich139. Die Vertreter der Regierungsparteien verteidigten im Plenum die geänderte Auffassung dann auch mit Verweis auf einen inzwischen faktisch vorhandenen doppelten Preismarkt. Mit anderen Worten, vor dem Notar wurde ein den Preisbindungsvorschriften gemäßer Betrag im Kaufvertrag vereinbart, unter der Hand zahlte man freilich IM Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stenographische Berichte Bd 3 3 , 1 9 5 6 , 1 7 6 . Sitzung, S. 9782. 137
138
139
Gesetz zur Durchführung des Vierjahresplans. Bestellung eines Reichskommissars für die Preisbildung, 29.10.1936, in: RGBl., Teil I, 1936, S. 927 f. Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen, 26.11.1936, in: RGBl., Teil I, 1936, S. 955 f. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Anlagen Bd 39, 1955/56, Drs. 1977, S. 5. Ebd., Drs. 2909, Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, S. 2.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
weit mehr. Der Abgeordnete Hermann Höcherl (CSU) kritisierte an der Weitergeltung der alten Vorschriften, er nannte das gar »beschämend«, dass sie strafbaren Handlungen Tür und Tor öffneten, die selbst von Behörden manchmal durchschritten würden. Sie schüfen nicht nur unehrliche Verhältnisse, sondern der Preisstopp behindere eine echte Marktentwicklung, welche in keinem Fall mehr der tatsächlichen Kaufkraftentwicklung entspreche. Nun betrachtete der gelernte Jurist Höcherl diesen Sachverhalt nicht ausschließlich aus marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, wofür seine Partei mit dem Zusatz »sozial« bekanntermaßen stand. Er lenkte den Blick vielmehr auf die verfassungsrechtliche Seite des Problems. Mit der Unwirksamkeit der Bestimmungen von 1936 falle dem Landbeschaffungsgesetz nämlich ein ganz grundsätzlicher präjudizieller Charakter zu. Denn erstmals werde durch die Entschädigungszahlungen nach dem Verkehrswert das verfassungsrechtliche Gebot eines gerechten Wertausgleichs nicht nur eingelöst, sondern in Zukunft würde es kein Entschädigungsgesetz mehr geben, das nicht gezwungen wäre, auf die hier formulierten Grundsätze zurückzugreifen140. Aufgrund solcher Zusammenhänge hätte man eigentlich eine Zustimmung von Seiten der Opposition erwarten können. Denn in der Regel lag der Verkehrswert eines Grundstücks Mitte der fünfziger Jahre vermutlich höher, als zum Zeitpunkt des Einfrierens der Preise zwanzig Jahre vorher. Die Kritik der SPD an einer völligen Freigabe der Bodenpreise war in gewissem Maße von sozialpolitischen Stabilitätsgründen motiviert und richtete sich gar nicht so sehr an die Regierung, sondern vielmehr gegen den Innenausschuss, der diese Regelung in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hatte. Im Übrigen verwies der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen darauf, dass sowohl verschiedene Ressortminister als auch eine Reihe von Ländern große Bedenken dagegen angeführt hätten. Eine Freigabe werde sich, so die Prognose, ungünstig auf die Preisentwicklung auswirken. Mit Preissteigerungen um 25 bis 50 Prozent und darüber hinaus müsse man rechnen. Es werde zu Bodenspekulationen kommen und zu Verwerfungen beim sozialen Wohnungsbau. Denn »in Zukunft wird es doch so sein, daß jeder Landwirt und jeder vom Gesetz Betroffene gern Land für die Bundeswehr zur Verfügung stellt, und daß die Städte und Gemeinden und wer sonst im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues bauen will, nicht mehr in der Lage sind, Gelände zu angemessenen Preisen zu bekommen«141. Ob diese dramatische Vorstellung Realität werden sollte oder nicht, konnte zum damaligen Zeitpunkt freilich keiner mit Sicherheit sagen. Die Worte bestätigen aber einmal mehr, dass die Integration der westdeutschen Streitkräfte in ein Land, welches dabei war, die kriegsbedingten Verwerfungen langsam abzubauen und sich zugleich in vielen Bereichen auf dem Weg zunehmender Prosperität befand, als Faktor mit unbekanntem Störpotenzial betrachtet wurde. Im konkreten Fall einer Freigabe des Preisstopps bei Landbeschaffungen für die Bundeswehr verkannte der Redner freilich nicht, dass die bisherigen Restriktionen bei starrer 140 141
Ebd., Stenographische Berichte Bd 33,1956,176. Sitzung, S. 9778 f. Ebd., S. 9775.
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Anwendung zu Härten führen könnten. Um sowohl den Interessen der betroffenen Eigentümer als auch befürchteten Spekulationen entgegenwirken zu können, schlug die SPD einen Kompromiss vor. Der besagte, dass »Preisvorschriften, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehen, unberücksichtigt bleiben können, soweit sie zu einem unangemessenen Ergebnis oder zu unbilligen Härten führen«. Wie zu erwarten, versagte die Regierungsmehrheit im Parlament auch diesem Antrag die Zustimmung und lehnte ihn ab. Die Sache war damit freilich noch keineswegs erledigt, sondern sie wurde zum Gegenstand in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses. Am 5. Dezember 1956 verabschiedete der Bundestag das Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung. Obwohl sie in den Ausschüssen konstruktiv daran mitgearbeitet hatte, die Anforderungen in eine rechtsstaatliche Form zu bringen, lehnte die SPD das Gesetz in der Schlussabstimmung entsprechend ihrer bisherigen Haltung gegenüber Zeitpunkt und Bedingungen der westdeutschen Aufrüstung ab. »Wir sind nach wie vor nicht bereit, diesen Folgen auf dem Gebiet der Landbeschaffung für das innerdeutsche Recht zuzustimmen, weil wir die Vertragspolitik der Regierung weiterhin ablehnen142.« In fünf Punkten versagte anschließend die Länderkammer ihre Zustimmung und beantragte die Einsetzung eines parlamentarischen Vermittlungsausschusses. Dahinter standen im wesentlichen zwei Hauptgründe: Der erste Streitpunkt lag in der Aufhebung der Preisvorschriften, wogegen bereits die SPD-Fraktion Einwände vorgebracht hatte, und bei denen nun die Länder aus wohnungspolitischen Gründen nochmals erhebliche Bedenken anmeldeten. Denn eine solche Maßnahme würde sich kaum auf die vom Bund zu erwerbenden Grundstücke beschränken lassen. Darüber hinaus würden die Preisvorschriften auch für sonstige Baulandgrundstücke außer Wirksamkeit gesetzt, da sich die Preise für Bauland weitgehend an den gezahlten Summen bei Vergleichsgrundstücken ausrichteten. Beim Wegfall einheitlicher Bewertungsmaßstäbe konnte eine unregulierbare Preisspirale in Gang kommen, bei der man im Ergebnis mit einem spekulativen Preisanstieg zu rechnen hatte: »Das für Kleinsiedlungen und sonstige Eigentumsmaßnahmen benötigte Bauland könnte voraussichtlich noch schwieriger als jetzt zu tragbaren Preisen erworben werden. Zwangsläufig müßte auch der Einsatz öffentlicher Mittel im Einzelfall und insgesamt weiter erhöht werden. Das mit dem Zweiten Wohnungsbaugesetz angestrebte Ziel, breite Schichten des Volkes durch Beschaffung von Eigenheimen mit Grund und Boden zu verbinden, würde erschwert werden. Insbesondere würden Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen durch eine weitere Kostensteigerung betroffen werden143.« Einer Lösung ohne die sonst aus Sicht einzelner Länder katastrophalen Folgen konnte man am besten dadurch begegnen, dass man es bei der im Regierungsentwurf ursprünglich verankerten Weitergeltung der Preisvorschriften beließe.
142 143
Ebd., S. 9779. Ebd., Anlagen Bd 47, 1956/57, Drs. 3050, S. 2.
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Der Antrag fand allerdings keine Mehrheit im Vermittlungsausschuss. Selbst ein Teil der darin vertretenen Länder lehnte ihn ab144. Gleiches widerfuhr - hier sogar überdeutlich mit 13 zu einer Stimme bei einer Enthaltung - auch dem zweiten Monitum. Es ging um die Entschädigung von Land im Enteignungsfall. Während der gesamten Beratungen war die Frage der Entschädigung ein immer wiederkehrendes und eingehend erörtertes Problem. Im Innenausschuss hatte man sich schließlich dazu durchgerungen, eine Entschädigung müsse im allgemeinen in Geld festgesetzt werden. Nur wenn ein Besitzer, dem ein Grundstück enteignet werde, zur Sicherung seiner Existenz auf Ersatzland angewiesen sei, könne ihm solches auf Antrag gewährt werden. Falls gar die Vernichtung einer bäuerlichen Existenz drohe, dann müsse Ersatzland bereitgestellt werden, sofern der Eigentümer dies verlange. Einzelne Länder befürchteten nun, es käme eine Flut von Landentschädigungsfällen auf sie zu, die mangels ausreichender Grundstücke kaum zu bewältigen wäre. Nachdem im Bundestag sämtlichen Änderungsanträgen des Vermittlungsausschusses zugestimmt worden war, konnte das schließlich 76 Paragraphen zählende Landbeschaffungsgesetz mit Wirkung vom 1. Januar am 23. Februar 1957 in Kraft gesetzt werden145. Was war damit erreicht worden? Mehrfache Zweckbestimmungen wurden erfüllt. Das Gesetz brachte nicht nur eine bundeseinheitliche Regelung für die Beschaffung von Land zu Verteidigungszecken, sondern löste auch eine aus den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik herrührende, in Art. 37 Abs. 3 des Truppenvertrages festgeschriebene Vorgabe ein. In diesem Zusammenhang regelte es gleichzeitig die Abwicklung von Landrequisitionen aus der Besatzungszeit. Der Bund verfügte nun endgültig über ein Instrument, das ihm die aus sicherheitspolitischer und verteidigungsplanerischer Notwendigkeit erwachsene, drängende Beschaffung von Land für die Truppenunterbringung ermöglichte. Dabei lag, abgesehen von der grundsätzlichen Anforderungsbefugnis aus militärischen Gründen, bis 1961 die oberste Sachleitungsbefugnis (Objektplanung und Mittelbereitstellung) zunächst in den Händen des Bundesfinanzministers bzw. bei den nachgeordneten Dienststellen der Bundesvermögensverwaltung. Per Kabinettsbeschluss vom 20. September 1957 ging diese, soweit Bundeswehr und NATO betroffen waren, an den Bundesminister der Verteidigung über. Für den Bedarf der Stationierungsstreitkräfte blieb weiterhin das Finanzressort zuständig146. Im Landbeschaffungsgesetz waren verfassungskonforme Bestimmungen für den Enteignungsfall eingeschlossen, die eine gerechte Entschädigung in materieller Hinsicht vorsahen, und, soweit der Entschädigungsanspruch sich auf die Gewährung von Ersatzland richtete, auch eine volkswirtschaftliche Aufgabe erfüllten. In den präzise und gegenüber dem Staat durchaus sehr restriktiv gefassten Enteignungsbestimmungen trug der Gesetzgeber auch dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung, da es dem Grundsatz 144 145 146
Ebd., Stenographische Berichte Bd 35, 1957, 191. Sitzung, S. 10908. BGBl., Teil 1,1957, S. 134. Vgl. Höhlt, Welche Entschädigung sieht das Landbeschaffungsgesetz vor?, S. 138-140.
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folgte, öffentliche Lasten als eine letzte Aushilfe nur dann auferlegen zu können, wenn die Leistung - im vorliegenden Fall die Bereitstellung von Land nicht durch öffentlichen Besitz oder im Zuge des Erwerbs auf dem freien Markt gedeckt werden konnte. In bewusster Abkehr von den Bestimmungen von 1935 wurde die Durchführung des Enteignungsverfahrens auf verschiedene Instanzen des Bundes und des betreffenden Landes aufgeteilt, mit dem Ziel, den Rechtsschutz des betroffenen grundbesitzenden Bürgers zu stärken. Dazu zählte auch, dass alle Verwaltungsakte der zuständigen Behörden über die verschiedenen gerichtlichen Instanzen anfechtbar waren - man unter Inkaufnahme von etwaigem Zeitverzug dem Rechtsstaatsprinzip mithin besonders Genüge leistete. Jedem Landbeschaffungsvorhaben ging eine Vorprüfung voraus, der die von Anfang an artikulierte Vorstellung zugrunde lag, dass eine jegliche Maßnahme dieser Art in die wirtschaftlichen, kulturellen und landschaftlichen Belange des betroffenen Gebiets eingreift. Weil die Auswahl des Geländes naturgemäß zunächst nach militärischen Gesichtspunkten erfolgte, kam der vorgeschriebenen Anhörung der Länderregierungen (§ 1 Abs. 2) eine entscheidende Regulierungsfunktion im Sinne eines zivilen Ausgleichs lokaler und regionaler Folgewirkungen zu. Aus ausgeprägt föderativem Fokus betrachtet, mochten die gesetzlich formulierten Länderkompetenzen freilich nicht stark genug ausgefallen sein. Uber das hier anzuwendende Raumordnungsverfahren war ihnen letztlich nur eine beratende Rolle zugewiesen worden, an die sich der zuständige Bundesminister rechtlich nicht gebunden zu fühlen brauchte. Immerhin spannte die vorgeschriebene Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung einen Rahmen, der nötigenfalls wohl mit politischen Argumenten ausgefüllt werden konnte. Im Wissen um unausweichliche Folgewirkungen enthielt das Gesetz Bestimmungen, nach denen die eventuell anfallenden Kosten für die Errichtung von Sicherheitsvorkehrungen (§ 4), für die Verlegung von Versorgungseinrichtungen (§ 5) oder für die Veränderungen von kommunalen, kirchlichen und sonstigen öffentlichen Verhältnissen (§ 6) vom Bund übernommen werden sollten. Solches war nur konsequent, wurde eine durch Bundeswehransiedlung induzierte kostenträchtige Infrastrukturmaßnahme doch nicht von einer Kommune veranlasst. Im Übrigen stand diese Muss-Bestimmung zumindest dem Grundsatz nach im Zusammenhang mit dem 1955 als Teil der so genannten Finanzverfassung eingeführten Art. 106 Abs. 8 (Verteilung des Finanzaufkommens) des Grundgesetzes: »Veranlaßt der Bund in einzelnen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) besondere Einrichtungen, die diesen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) unmittelbar Mehrausgaben oder Mindereinnahmen (Sonderbelastungen) verursachen, gewährt der Bund den erforderlichen Ausgleich, wenn und soweit den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) nicht zugemutet werden kann, die Sonderbelastungen zu tragen147.«
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Bereits § 6 2 des Reichsfinanzausgleichsgesetzes in der Fassung vom 23.6.1923 hatte den Gedanken ausgesprochen, dass der Staat Kommunen dann eine Finanzhilfe gewähren müsse, wenn kostenträchtige Infrastrukturmaßnahmen vom Staat verursacht worden sei-
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Vor dem Hintergrund der Frage nach der Integration des Militärischen in das politische System der Bundesrepublik Deutschland erscheint eine rechtspolitische Bewertung des Landbeschaffungsgesetzes erforderlich. Schon die Tatsache des gesuchten und gefundenen Ausgleichs ganz unterschiedlich gelagerter Interessen hat eindrucksvoll demonstriert, dass militärische Vorstellungen, sollten sie auch noch so gut begründet erscheinen und unter einem großen Zeitdruck stehen, keinesfalls Vorrang vor zivilen Erfordernissen per se hatten. Bekanntermaßen war die westdeutsche Aufrüstung im Rückblick auf die Zeit vor 1945 auf einen verbreiteten innenpolitischen Argwohn gestoßen, den abzubauen nur möglich war, wenn die neuen Streitkräfte - dem westlichen Demokratiemodell des Prinzips der >civil control· entsprechend - sich auf allen Feldern dem Primat einer demokratisch legitimierten Gewalt vorbehaltlos unterzuordnen hatten. Innerhalb dieser Grenzen und bezogen auf die gesetzliche Norm war es zweifellos richtig, wenn Theodor Blank nach seiner Demissionierung als Verteidigungsminister in seiner Rechtfertigungsrede für den schleppenden Aufbau der Streitkräfte darauf hinwies, dass der Inhaber dieses Amtes »nicht in der Lage [ist], auch nur eine einzige Kaserne zu bauen und zu räumen«148. Dem Verteidigungsminister als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt im Frieden sollten zwar alle die Kompetenzen zur Verfügung stehen, die ihn zur Ausübung aller im engsten Zusammenhang mit den militärischen Funktionen stehenden Aufgaben befähigte; also Planung, Führung, Aufstellung, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte. Die damit zwingend verbundenen administrativen Aufgaben blieben freilich zivilen Bundes- beziehungsweise Landesbehörden vorbehalten, weil man angesichts eines seit 1949 existierenden, auf demokratischer und föderativer Grundlage ruhenden staatlichen Gemeinwesens eine zu starke militärische Sonderverwaltung als Störfaktor empfand. Dem entsprach auch das Bestreben der zivilen Bundes- und Landesressorts, im Rahmen ihrer Kompetenzen solche Verwaltungsaufgaben für die Streitkräfte zu übernehmen, die in einem engen Zusammenhang mit ihren Fachaufgaben standen - so etwa die Raumordnung149. Genau in diesem Rahmen bewegte sich die im Landbeschaffungsgesetz festgelegte Kompetenzverteilung. Dass bei aller administrativ motivierten »Gewaltenteilung« im Zuge des Landverbrauchs für militärische Aufgaben die Kontrollfunktion des Parlaments nicht zu kurz kommen sollte, kam in einem Beschluss des Bundestages zum Ausdruck, wonach diesem jährlich über Art und Umfang der Landbeschaffungsmaßnahmen Bericht zu erstatten sei150.
en. Dieser Schlussfolgerung war 1955 schließlich Verfassungsrang zugemessen worden. Vgl. Höhlt, Finanzhilfen des Bundes, S. 66-69. 148 Adenauer: Wir haben wirklich etwas geschaffen, S. 1119. 149 Vgl. Bode, Militärische und zivile Verteidigung, S. 538-541. 150 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Anlagen Bd 46, 1956, Drs. 2909. Zu den detaillierten Berichten über Art und Umfang der Landbeschaffungsvorhaben zwischen 1957 und 1961 vgl. ebd., 3. Wahlperiode 1957, Anlagen Bde 58, 64, 71, 1958/1959/1960, Drs. 547, 1341, 2227.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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Im Übrigen waren die wesentlichen Grundlagen dafür auch im Verfassungsrecht festgelegt und vom Gesetzgeber zu respektieren. Der im staatsrechtlichen Schrifttum der Zeit gestellten rhetorischen Frage, »ob das Landbeschaffungsgesetz von 1935 nicht auch unter den veränderten staatsrechtlichen Verhältnissen mit einiger Anpassung in den organisatorischen und entschädigungsrechtlichen Bestimmungen hätte weiterdienen können«151, wurde entgegengehalten, dass eine gewisse Rechtskosmetik gerade bei der Regelung von Eigentumseinschränkungen keineswegs ausreiche, sondern mit den Grundsätzen einer demokratischen Staatsauffassung in Einklang gebracht werden müsse. Vornehmlich der Innenausschuss sah seine Hauptaufgabe darin, einschränkende militärische Leistungsgesetze »im Hinblick auf die Grundrechte des Grundgesetzes zu überprüfen«152. Wurden in der Periode von 1933 bis 1945 Opfer für den Staat groß und Entschädigungen klein geschrieben, so regelte das Landbeschaffungsgesetz von 1957 Art und Ausmaß der Entschädigung zunächst in viel ausführlicherer Weise (53 Paragrafen) als sein Vorgänger. Aus Besorgnis um den Schutz des Individuums, seiner Rechte und Interessen, aber auch der Interessen von Verbänden und Gruppen war der Bundesgesetzgeber aus diesem Grund freilich in eine gewisse Antinomie zwischen Effizienz und Verrechtlichung geraten, die er auf Kosten der Effizienz und zugunsten deutlicher rechtlicher Beschränkungen gelöst hatte. Rechtsstaatlicher Praxis gemäß waren die Kompetenzen verteilt, die Pflichten konkretisiert und beschränkt, die Entschädigungen spezifiziert und die gerichtliche Kontrolle gewährleistet. Dem während der Entwicklungsphase der Bundesrepublik zum Konsens gewordenen politischen Grundsatz vom Primat des Zivilen wurde dadurch entsprochen, dass der Bundesminister der Verteidigung in die Rolle des Antragstellers verwiesen wurde. Das föderative Prinzip kam in der Zuweisung der wichtigsten Befugnisse an die Länderbehörden zum Ausdruck153. Mithin hatte man bei der Formulierung des Landbeschaffungsgesetzes, wie bei den Verteidigungslastengesetzen (Bundesleistungsgesetz und Schutzbereichsgesetz) insgesamt, einen Weg beschritten, dem ein gesetzgeberisches Denken zugrunde lag, welches viel mehr Rücksicht nahm auf die Eigentums- und Vermögensinteressen des Einzelnen oder von Gruppen, sodann auf soziale Belange und Wünsche, als auf die Aufgaben des Staates.
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Rumpf, Verteidigungslasten, S. 52. So die Worte des Berichterstatters des Innenausschusses bei der Beratung des Entwurfs zum Bundesleistungsgesetz. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Anlagen Bd 43, 1956, Drs. 2492. Die Kompetenz der Länder erstreckte sich dabei auf die Mitbeteiligung bei Landerwerb und Raumordnung, jedoch nicht auf die Standortwahl. Eine stärkere Position hätten sie erhalten, wenn ein 1956 eingebrachtes Gesetz über die Organisation der militärischen Landesverteidigung zustande gekommen wäre. Unter augenscheinlicher Rückbesinnung auf eine entsprechende Bestimmung im Wehrgesetz von 1921 (RGBl., Teil I, 1921, S. 332) hätten die Länder »vor der Einrichtung und Aufhebung von Standorten und Verteidigungsanlagen« gehört werden müssen. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Anl. Bd 42, 1956, Drs. 2341.
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Eine solche Akzentverschiebung blieb freilich nicht unwidersprochen. Im staatsrechtlichen Schrifttum der späten fünfziger Jahre war nämlich auch die Auffassung zu lesen, dass die im Landbeschaffungsgesetz zum Ausdruck gebrachte Nachrangigkeit der »Verteidigungsbelange des Ganzen [...] eines von außen gefährdeten Staates« einen »rechtsstaatlichen Dogmatismus, eine individualistische und pluralistische Deutung der Rechtsstaatsidee [verrate], die den Realitäten der außenpolitischen Lage nicht angemessen sind«154. Wie es den Anschein hat, steckten hinter dieser Kritik keineswegs überkommene Militarisierungsargumente. Die offensichtlich von unmittelbaren Bedrohungsvorstellungen geleiteten Darlegungen des Autors fokussierten vielmehr die Substanz des freiheitlichen Rechtsstaates, die, sollte sie in seinen essenziellen Werten erhalten bleiben, verteidigt werden müssten. Um solches zu gewährleisten, müsse der Rechtsstaat aber auch als Verteidigungsstaat anerkannt und ausgestattet werden. Dazu sei er, seiner Auffassung nach, unter anderem mit dem schwerfällig zu handhabenden Landbeschaffungsgesetz kaum in der Lage.
4. Militärischer Landbedarf und die Entwicklung des Organisationsgefüges zwischen Bund und Ländern Mit dem Landbeschaffungsgesetz und seinen weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten in die Rechte Dritter war Anfang 1957 nicht nur das letzte der so genannten Bundesleistungsgesetze in Kraft getreten. Aber mit Blick auf den Zeitpunkt seiner Wirksamkeit ist auch zu konstatieren, dass dieses Gesetz der faktischen Einbettung der Bundeswehr, die ab November 1955 personell und materiell sukzessive Gestalt annahm, in das staatliche und gesellschaftliche Gefüge in gewisser Weise hinterherhinkte. Auf jeden Fall setzte es, wenngleich keinen endgültigen Abschluss, so doch einen ersten vorläufigen Schlusspunkt unter den Einbauprozess der neuen deutschen Streitkräfte in das demokratische System der Bundesrepublik. Es stellte zweifellos eine integrationspolitische Leistung dar, die aus internationalen Verträgen sowie verfassungsrechtlichen Vorgaben und innenpolitischen Vorstellungen resultierende Zwänge ausgewogen verbunden zu haben. Mit der Aufteilung von Kompetenzen verpflichtete es die Vertragspartner - den Bund, die Länder, die Gemeinden - , den Einbau der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft auf diesem Teilgebiet der westdeutschen Aufrüstung einvernehmlich zu lösen. Die keineswegs allein auf die Bundesländer beschränkte Sorge erstreckte sich nun weniger darauf, dass die Bundesrepublik Streitkräfte aufstellte, für die sie folgerichtig auch Platz benötigte. Das Problem lag vielmehr darin, dass im Grunde genommen überhaupt nicht bekannt zu sein schien, in welcher Größenordnung und in welchem zeitlichen Rahmen dieser Prozess vonstatten gehen 154
Rumpf, Verteidigungslasten, S. 116.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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sollte. Insbesondere vor Ort wusste kaum jemand, was auf eine Gemeinde zukommen würde, geschweige denn welche Stadt überhaupt, wann und in welchem Umfang davon betroffen sein könnte. Darüber Informationen zu besitzen, war mit Blick auf das Austarieren der befürchteten raumwirksamen Folgen indes wichtig. Zu denjenigen, die qua Amt zwar besser informiert waren, aber offensichtlich auch nicht entscheidend mehr, zählte auch der Bundesminister der Verteidigung. Zumindest sah sich dieser Anfang Januar 1955 im Verteidigungsausschuss nur in der Lage, höchst allgemein die Frage seines Parteifreundes Josten beantworten zu können, ob denn schon Grundpläne über Standortfragen oder zum Raumbedarf vorlägen. Blarik wusste, wohin die zwölf Divisionen des Heeres gemäß den Empfehlungen von SHAPE disloziert werden sollten, die genauen Bataillonsstandorte kannte man freilich noch nicht. Der Minister streifte nur kurz das Problem der Freimachung zivil oder durch die Stationierungsstreitkräfte belegter ehemaligen Wehrmachtkasernen. Dafür lenkte er die Aufmerksamkeit der Ausschussmitglieder auf den Umstand, dass die Garnisonsplanungen darauf abgestellt werden mussten, wo Grund und Boden möglichst im Bundesbesitz - verfügbar war. Zugleich brachte er die Kommunen und die Länder mit ins Spiel, denen man natürlich nicht einfach eine Kaserne hinsetzen konnte, ohne sich mit ihnen vorher darüber zu vereinbaren. Insgesamt gab Blank aus guten politischen Gründen das Signal ab, man werde bei der Standortfrage im Rahmen der Dislozierungsräume »selbstverständlich mit sich reden lassen«155. Diese Linie vertrat er im Übrigen auch öffentlich, wenn er am 27. Juni 1955 vor dem Plenum des Deutschen Bundestages erklärte: »Die Bundesregierung wird sich mit den Landesregierungen ins Benehmen setzten, bevor sie Garnisonen einrichtet oder bestehende Garnisonen aufhebt, und im Rahmen der ihr selbst gezogenen Grenzen den Wünschen der Länder Rechnung tragen. Dasselbe gilt für die Anlage von Flugplätzen und für den Bau von sonstigen Verteidigungsanlagen156.« Obschon die Beteiligung der Kommunen an der Realisierung der Verteidigung unter Rücksichtnahme auf deren Interessen im Grunde genommen außer Frage zu stehen schien, setzte der Ausschussvorsitzende, Richard Jaeger (CSU), im Januar 1955 zu einer bemerkenswerten Einlassung an. Er legte nämlich »allen Kolleginnen und Kollegen nahe, sich von vornherein nicht darauf einzulassen, im Rahmen der militärischen Planung örtliche Interessen zur Geltung zu bringen. Sonst würden wir in der letzten Konsequenz dazu kommen, daß strategische Planungen nach Wahlkreisinteressen gemacht werden. Das würde zu weit gehen. Wenn wir hier alle hart sind, wird das vorbildlich für das übrige Haus sein«157. Hier sprach ganz offensichtlich nicht der Parlamentarier, dessen Herz vornehmlich für die Belange seines Wahlkreises schlug, sondern vielmehr Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 30. Sitzung des Ausschusses für Fragen der Europäischen Sicherheit, 26.1.1955, S. 39. 15« Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, Stenographische Berichte, Bd 26, S. 5216. 157 Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 30. Sitzung des Ausschusses für Fragen der Europäischen Sicherheit, 26.1.1955, S. 40. 155
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
ein Angehöriger der Regierungskoalition, der mit dazu beitragen wollte, in diese absehbar schwierig zu lösende Materie so wenig wie möglich Sand in das Getriebe kommen zu lassen. Schon bald sollte sich allerdings erweisen, dass die Volksvertreter solche Sorgen keineswegs teilten158. Nicht nur im Bundestagsplenum gehörten bis auf einzelne Kasernen hinunterreichende Anfragen an die Regierung über die Standortplanung zur oft geübten Praxis der Abgeordneten. Als ein Organ der parlamentarischen Kontrolle geriet selbstverständlich auch der Verteidigungsausschuss zur diskursiven Plattform in dieser Angelegenheit, wenn sich etwa bei der Ermittlung möglicher militärischer Standorte regionale Probleme abzeichneten. Und es waren beileibe nicht nur Angehörige der Opposition, die den Finger in die Wunde legten. So hielt sich am 1. Februar 1956 der baden-württembergische CDU-Abgeordnete Paul Bausch für verpflichtet, eine Angelegenheit zur Sprache zu bringen, die in seinem Bundesland für einige Aufregung gesorgt hatte. Er berichtete von Standortrekognoszierungen im Auftrag des Verteidigungsministeriums, zu deren Ergebnissen auf einer Pressekonferenz der Durchführende erklärt habe, in Baden-Württemberg würden 86 000 Bundeswehrsoldaten stationiert, wofür 50 Kasernen neu gebaut werden müssten. Weil für jedes dieser Objekte 15 ha Land benötigt würde, habe dies nicht nur unter der Bauernschaft große Unruhe hervorgerufen. Auch im Landtag sei es darüber zu Auseinandersetzungen gekommen, zumal die Stuttgarter Regierung über diese Pläne überhaupt nicht unterrichtet gewesen sein soll159. Bausch wollte nun Aufklärung darüber, ob der Offizier im Auftrag des Verteidigungsministeriums Standorterhebungen vorgenommen habe und ob er überdies ermächtigt gewesen sei, solche Erklärungen abzugeben160. Zwei Tage später stand Theodor Blank selbst vor dem Ausschuss Rede und Antwort. Der benannte Offizier gehöre zu jenem Personenkreis, der sich gegenwärtig bei den einzelnen Landesregierungen aufhalte. Es handle sich dabei um vorbereitende Maßnahmen für die Einrichtung der nach dem Territorialprinzip zu strukturierenden Wehrbereichskommandos bzw. Wehrbereichsverwaltungen. Alle seine Untersuchungen seien zusammen mit Beamten der Landesregierung unternommen worden, die auch bei der Pressekonferenz zuVgl. beispielhaft die von den Bundestagsabgeordneten Wullenhaupt (CDU) und Geritzmann (SPD) verfasste Denkschrift »Militärflugplatz im Kohlenpott?« vom 11.8.1956. Angereichert mit umfangreichem Datenmaterial, argumentierten die Verfasser, dass ein Militärflugplatz im Zentrum einer 375 000 Einwohner zählenden Industriegroßstadt absurd sei, er durch Baubeschränkungen die Industrie behindere, zahlreiche Schulen, Kirchen und Krankenhäuser belästige und der übervölkerten Stadt wertvolles Siedlungsgelände entziehe. Die von zahlreichen lokalen und regionalen Interessengruppierungen unterzeichnete Petition wurde als Anlage einem überparteilichen Antrag mehrerer Abgeordneter angefügt, wonach der Bundestag beschließen möge, die Bundesregierung zu ersuchen, das fragliche Flugplatzgelände gegen Zahlung einer Entschädigung in Höhe des vom Regierungspräsidenten in Münster festzusetzenden Schätzwertes an die Stadt Gelsenkirchen freizugeben. Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Anlagen Bd 44, 19556, Drs. 2676. 159 Gebhard Müller bremst Theodor Blank, in: Badisches Tagblatt, 27.1.1956. 160 Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 69. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 1.2.1956, S. 7. 158
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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gegen gewesen seien. Von Unkenntnis bei der Landesregierung könne also keine Rede sein. Tatsächlich war im Sommer 1955 ein im Verteidigungsministerium formulierter Brief an die Ministerpräsidenten über die Dislozierungsplanungen dem Bundespräsidenten zur Unterschrift vorgelegt worden161. Dem Abgeordneten Bausch reichten die Erklärungen des Ministers freilich nicht aus. Man dürfe sich nicht wundern, wenn solche »so plötzlich und in so konzentrierter Form« gemachte Mitteilungen in einem teilweise noch agrarisch geprägten Land gewaltiges Aufsehen erregten. Die im Landtag gefallene Äußerung, wonach Baden-Württemberg in der Bundesrepublik »die größte Werkstatt, aber nicht die größte Kaserne« sein wolle, mag einmal vor dem Hintergrund der spezifischen ökonomischen Struktur dieses Landes und seine landespolitischen Projektionen gefallen sein. Zum anderen verweist diese Bemerkung aber auch auf den Umstand, dass die Aufrüstungspolitik zumindest dann, wenn es sich um als unbillig empfundene Sachleistungen handelte, keineswegs auf die notwendige und uneingeschränkte Unterstützung traf. Die kritische Empfehlung des schwäbischen Abgeordneten zur Verbesserung der Informationspolitik des Verteidigungsministeriums schien, zumindest aus parlamentarisch-taktischer Sicht, daher nicht unbegründet: »Wäre es nicht gut und nützlich, wenn solche Belegungs- und Stationierungspläne mit der Landesregierung abgesprochen würden, wenn man mit der Landesregierung, bevor die breite Öffentlichkeit informiert wird, in einen Meinungsaustausch träte, so daß die Meinungen zwischen Bonn und Stuttgart abgestimmt wären? Dann könnte sich die Landesregierung über die geplanten Maßnahmen eine Meinung bilden, und es würden nicht von Bonn her Anordnungen über Landwegnahme und Landbeschlagnahme getroffen, ohne daß vorher die Landesregierung die Möglichkeit gehabt hat, entweder Bedenken zu äußern um deren Ausräumung man sich darin bemühen müßte, oder zuzustimmen162.« Folgt man den Nachrichten in der Presse, so hatte es Ministerpräsident Gebhard Müller auch für falsch gehalten, vor der Öffentlichkeit schon Pläne zu erörtern, für die bisher noch die gesetzlichen Grundlagen fehlten163. Blarik versuchte die dem Verteidigungsministerium unterstellte Überrumpelungsmethode damit zu entkräften, dass er auf den ständigen Gedankenaustausch über die Garnisonierung der Truppen mit allen Bundesländern hinwies. Er selbst habe es sich angelegen sein lassen, mit den Ministerpräsidenten über die Garnisonsproblematik zu sprechen, zum Teil bereits mehrfach. Am 23. März 1955 kam es in München zu einer ersten, grundlegenden Aussprache Blanks mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner164. In einer eigens anberaumten Sondersitzung erläuterten Anfang Juli 1955 hochrangige Mitarbeiter des Amtes Blank dem Bremer Senat die Planungen der Bundeswehr. Die Sitzung habe 161 162
163 164
BA-MA, BW 9/25277, Tagebuch BMVg Abt. II/IV, 26.8.1955, S. 20. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 72. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 4.2.1956, S. 7. BA-MA, BW 9/723a, pag. 11, Presseausschnitt: Keine Kaserne des Bundes, 26.1.1956. Vgl. Bayern und die Dienststelle Blank. In: Bayerische Staatszeitung, 23.4.1955.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
damit gar »den Charakter eines Antrittsbesuchs der neuen Streitkräfte bei der Bremer Landesregierung« erhalten165. Die politischen Mandatsträger zeigten sich zufrieden darüber, dass Bremen »das in der Vergangenheit nie Garnisonsstadt im klassischen Sinne gewesen war«, nur vergleichsweise wenige Truppenteile und Dienststelle erhalten sollte. Dennoch bemühte sich die Landesregierung um eine sehr zurückhaltende Informationspolitik, hielt man die Stationierung deutscher Streitkräfte doch offensichtlich für heikel. Auch wenn ausführliche Informationen über die ersten grundsätzlichen Verhandlungen zwischen der Dienststelle Blank und der hessischen Landesregierung zur Dislozierung und zu den Standorten der Bundeswehr vor 1956 fehlen, so gibt es Hinweise auf eine am 18. Oktober 1955 in der Staatskanzlei in Wiesbaden durchgeführte Besprechung. Wenige Wochen vorher hatte das Verteidigungsministerium der Staatskanzlei in Wiesbaden mitgeteilt, dass man die Landesregierung laufend über alle Unterbringungsfragen von Truppenteilen, Stäben und Dienststellen unterrichten werde. Wiederum persönlich trug Blank am 4. März 1956 dem hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn vor166. Mit einer gewissen Berechtigung konnte sich Blank daher in der um BadenWürttemberg kreisenden Debatte im Verteidigungsausschuss auf den Standpunkt stellen, dass die ganze Aufregung um die Standortverteilung letztlich nur durch die Presse verursacht worden sei167. Dennoch können die dort zu Jahresbeginn 1956 eingetretenen Friktionen zumindest teilweise auf eine unglückliche Informationspolitik des Verteidigungsministeriums zurückgeführt werden. Freilich schienen nicht alle Länder negativ berührt gewesen zu sein. In Schleswig-Holstein etwa informierte der Ministerpräsident sofort sämtliche Bundestags- und Landtagsabgeordnete, sämtliche Ortsvorsteher und Landräte sowie die Presse, nachdem Oberst a.D. Kurt Fett vor dem Verteidigungsausschuss im Oktober 1955 zur Dislozierungsplanung und Standortfrage vorgetragen hatte168. Deshalb sei dort bisher alles reibungslos verlaufen169. In Niedersachsen hingegen sollte, Zeitungsmeldungen zufolge, Beschwerde darüber geführt worden sein, dass das Erkundungskommando der Bundeswehr keinen Antrittsbesuch bei der Landesregierung gemacht habe. So zumindest berichtete es der Abgeordnete Hasso von Manteuffel (FDP)170, Ausführungen, die Blank als böswillige Darstellung und als typisch für die Presse bezeichnete. Vielmehr Sommer, Wiederbewaffnung, S. 198. Vgl. Schneider, Streitkräfteaufbau, S. 35, 41. 167 Zur Resonanz in der Presse vgl. Irrtum, Herr Oberst. In: Volksstimme Stuttgart, 26.1.1956; Gebhard Müller bremst Theodor Blank. In: Badisches Tagblatt, 27.1.1956; Oberstleutnant Barth aus Ulm. In: Schwäbische Donauzeitung, 30.1.1956; Neue Garnisonen? In: Südkurier Konstanz, 2.2.1956. 168 Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 52. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 13.10.1955. 169 So die Einlassungen des Abgeordneten Gerns am 4.2.1956 im Verteidigungsausschuss. Ebd., stenographisches Protokoll der 72. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 4.2.1956, S.U. 170 So die Einlassungen des Abgeordneten von Manteuffel (FDP) am 4.2.1956 im Verteidigungsausschuss, ebd., S. 12. 165 166
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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habe Ministerpräsident Heinrich Hellwege (CDU) die erkundenden Offiziere darum gebeten, ihren Antrittsbesuch um einige Tage zu verschieben. Zwar verfügte auch der Stuttgarter Ministerpräsident Gebhard Müller (CDU) seit einer am 29. Juli 1955 abgehaltenen Unterredung mit Vertretern der Dienststelle Blank über die während der Pressekonferenz verlautbarten Zahlen. Aber diese seien damals als unverbindlich bezeichnet worden, gleichwohl als Geheim eingestuft gewesen. Insoweit war er sehr überrascht, als die Gesamtzahl der Truppen mit ihrem Unterkunftsbedarf auf der Landespressekonferenz bekannt gegeben wurden, ohne dass sich der Ministerpräsident jemals dazu geäußert und von diesen Äußerungen letztlich erst durch die Zeitungen erfahren habe. Müller machte auch kein Hehl aus seiner Auffassung, dass die Offenlegung der Endstationierungspläne und ihrer Auswirkungen der Sache selbst sehr geschadet habe. Auch wenn er sich nicht der Auffassung eines Ministerkollegen anschließen wollte, »diese Sache [habe] die CDU 300 000 Stimmen gekostet«171, hielt er die Eröffnung der Bundeswehrplanung ohne vorherige Verständigung der Landesregierung mit Blick auf den bevorstehenden Landtagswahlkampf für falsch. Die Ausführungen Blanks dazu im Verteidigungsausschuss waren aber nur teilweise defensiver Natur. Immerhin erfuhr der Teilnehmerkreis erneut, dass militärische Neubaumaßnahmen frühestens 1957 in Angriff genommen würden, wobei moderne Kasernements in aufgelockerter Bauweise eines Grundstücksbedarf von 16 bis 20 ha bedürften. Der SPD-Abgeordnete Ernst Paul stellte zwar in Abrede, in so konkreter Form bereits über die auf die Bundesrepublik zukommenden Lasten gesprochen zu haben. Wenn im parlamentarischen Bereich Informationsdefizite bestanden haben mochten, auf der Ebene der Länderverwaltungen wusste man längst Bescheid, welcher durchschnittliche Flächenverbrauch für Kasernenneubauten oder Übungsplätze beansprucht werden würden. Am 15. November 1954 hatte die Dienststelle Blank beispielsweise das Bayerische Staatsministerium der Finanzen über den Geländebedarf für militärische Anlagen (Heer) informiert 172 (siehe Tabelle 13). Politisch wichtig, weil er sich damit vom Odium des Landräubers entlastet sah, war Blarik allerdings der Hinweis darauf, dass in seinem Ministerium von 70 Gemeinden die Bitte vorlag, Garnison zu werden. Just an diesem Tage finde wieder eine Erkundung statt, wo eine Stadt gewillt sei, 150 ha »absolut kulturunwürdiges Ödland« als Kasernenbaugelände zur Verfügung zu stellen. Im weiteren Verlauf der Unterredung mit den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses musste er allerdings zugeben, dass die kommunalen Selbstangebote ihrerseits auch mit Problemen behaftet seien. Je nach Interessenlage gebe es in ein und demselben Ort Garnisonsbefürworter wie -gegner. Offenbar auch deshalb und im Hinblick auf die vom baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Paul Bausch vorgebrachten Umstände wies das Verteidigungsminis-
171 172
BA-MA, BW 9/723a, MinPräs Müller an MdB Bausch und BMVg Blank, 14.2.1956, pag. 3. BayHStA, MWi 22426.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
Tabelle 13: Geländebedarf für militärische Anlagen (Heer) Kasernenbaugelände (bis 1100 Mann) Standortübungsplatz für 1 Bataillon (Infanterie, Artillerie) Standortübungsplatz für 1 Bataillon (Panzer) Standortübungsplatz für jedes weitere Bataillon im Standort 25-50 ha zusätzlich Übungsplatz für 1 Bataillon (Pioniere)
Kleiner Divisionsübungsplatz (Zielgelände einschließlich Sicherheitsbereich für Artillerie mit zahlreichen Feuerstellungen außerhalb des Platzes)
ca. 20 ha (0,2 km2) ca. 150 ha (1,5 km2) ca. 300 ha (3 km2) maximal ca. 500 ha (5 km2) Land: ca. 60-80 ha (0,6-0,8 km2) Wasser: ca. 15-25 ha (0,15-0,25 km2) ca. 1200 ha (12 km2)
terium die Verwaltungsstellen in den Wehrbereichen an, die Garnisonsangebote »nur im engsten Einvernehmen mit der Landesregierung zu verhandeln«173. Die Aussprache im Verteidigungsausschuss Anfang Februar 1956 hatte insofern einen besonderen Charakter, als sich darin wie in einem Brennglas - jenseits gesetzlicher Normierungen - ein Teil der grundlegenden politischen Probleme erkennen lassen, mit denen im Verlauf der Stationierung von zu diesem Zeitpunkt noch geplanten 500 000 Bundeswehrsoldaten innerhalb von drei Jahren zu rechnen sein würde. Die Abhängigkeit von einem nur bedingt von der Bundesrepublik zu beeinflussenden Dislozierungsplan, der seinerseits stark von den Verteidigungsplanungen des NATO-Bündnisses bestimmt wurde, kam ebenso zu Sprache, wie die schwierige innenpolitische Situation, dass bei der infrastrukturellen Ausfächerung der Truppenteile auf das Bundesgebiet man vor Ort damit rechnen müsse, sowohl auf Gegner als auch auf Befürworter von Garnisonen zu stoßen. Deshalb, und nicht, weil man sich in der Sache etwas vorzuwerfen hatte, nahm das Verteidigungsministerium auch den Fall BadenWürttemberg zum Anlass, ihre Informationspolitik in Fragen des Landbedarfs zu überdenken. Zukünftig sollte die Pressearbeit bei den Außenstellen in den Ländern »am kurzen Zügel gesteuert« werden, in der Erwartung, »daß sich entsprechende Fälle nicht wiederholen«174. Zweifellos spielte die veröffentlichte Meinung in der Garnisonsfrage keine unbedeutende Rolle, sorgte sie doch nicht selten für Zündstoff, der sich zu informationspolitischen Friktionen zwischen den Ländern und dem designierten Verteidigungsminister Blank auszuweiten drohte. Zumal bis zur Verabschiedung des Landbeschaffungsgesetzes Anfang 1957 keine verbindlichen Regelungen und Verfahren bei der Landbeschaffung existierten, sondern lediglich im173
174
BA-MA, BW 1/11923, Rundschreiben an die Verwaltungsstellen in den Wehrbereichen, 24.2.1956. Ebd., BW 9/723a, pag. 15, Vermerk, 25.2.1956.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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mer wiederholte Absichtserklärungen auf einvernehmliche Zusammenarbeit mit den Ländern im Raum standen. So hatte Verteidigungsminister Blank beispielsweise Ende Juni 1955 erklärt: »Die Bundesregierung wird sich mit den Landesregierungen ins Benehmen setzen, bevor sie Garnisonen einrichtet ober bestehende Garnisonen aufhebt, und im Rahmen der ihr selbst gezogenen Grenzen den Wünschen der Länder Rechnung tragen. Dasselbe gilt für die Anlage von Flugplätzen und für den Bau von sonstigen Verteidigungsanlagen 175 .« Andererseits hatten die militärischen Erkundungen nach Unterkünften oder nach Kasernenbauland schon längst eingesetzt (Jahresbeginn 1955), was in manchen Bundesländern nicht nur die öffentliche Erregung über den grundsätzlich umstrittenen deutschen Streitkräftebeitrag weiter anstachelte, sondern auch den Bedarf nach einer politisch-administrativen Regelung signalisierte. So konnte man beispielsweise am 9. Februar 1955 in den Nürnberger Nachrichten lesen: »Die bayerische Staatsregierung ist höchst ungehalten über das Amt Blank: Vertreter des Sicherheitsbeauftragten der Bundesregierung reisen im Lande herum und übernehmen von den Amerikanern Kasernen, besichtigen Ländereien usw., ohne die Landesregierung zu verständigen. Ministerpräsident Dr. Hoegner kündigte an, daß er dieses Verhalten des Amtes Blank auf der am 16. und 17. Februar in Düsseldorf stattfindenden Ministerpräsidentenkonferenz zur Sprache bringen werde176.« Dass es dem bayerischen Ministerpräsidenten dabei nicht um ein verfahrenstechnisches Regelwerks aus Ressortgesichtspunkten ging, sondern er die Vorgänge um die Landbeschaffung vielmehr als zentrale politische Angelegenheit betrachtete, verdeutlicht eine Vormerkung für die Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz: »Es erscheint notwendig, bei den Ländern zur Dienststelle Blank eine besondere Stelle zu schaffen, die als korrespondierender Teil zur Dienststelle Blank die gesamten Aufgaben, Wünsche und Anforderungen koordiniert. Eine solche Stelle müßte im Rahmen der Staatskanzlei bestehen, weil gerade diese Fragen von außerordentlicher politischer Bedeutung für die Länder sind. Beläßt man es bei der bisherigen Übung, daß mehr oder weniger die Ressorts je nach ihren Aufgabenbereichen z.B. Finanzministerium - Liegenschaftsangelegenheiten, Landwirtschaftsministerium - Landanforderungen usw. direkt mit der Dienststelle Blank erarbeiten, so ist es möglich, daß trotz des vorhandenen Koordinierungsausschusses für diese Angelegenheiten die Dinge nicht nach ihrer politischen Substanz, sondern nach Ressortgesichtspunkten bewertet werden. Es ist weiterhin erforderlich, schon heute diese gesamte Arbeit der politischen Führung zu unterstellen, weil es späterhin wesentlich schwieriger wäre, die politische Instanz einzuschalten. Es erscheint heute darum leichter, die politische Verantwortlichkeit gegenüber der militärischen Seite zu stärken177.« 175 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 2. Wahlperiode, 92. Sitzung, 27.6.1955, Bd 26, S. 5216 D. 176 177
Zit. nach BayHStA, StK 115174, Amt Blank an bayerische Staatskanzlei, 12.2.1955. Ebd., StK 115173. Bayern stand mit solchen Überlegungen keineswegs allein da. Bereits einige Wochen vorher hatte der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in
132
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
Am Beispiel Bayerns lässt sich zeigen, wie man sich die Integration aller Verteidigungsbelange in den Geschäftsbereich der Staatskanzlei, dem Führungsinstrument des Ministerpräsidenten178, vorzustellen hatte. Notwendig geworden zu sein schien dies, weil inzwischen auf diesem Gebiet offensichtlich strukturelle Unzulänglichkeiten aufgetreten waren und sich zudem ein bürokratischer Wildwuchs zu entwickeln drohte179. Bei dem bereits erwähnten Koordinierungsausschuss handelte es sich um den sogenannten Interministeriellen Ausschuss für Fragen der Kasernenfreimachung in Bayern (IMA). Seine Einrichtung im Oktober 1950 war eine Folge der Vermehrung der alliierten Streitkräfte in Europa. Er ging auf eine grundsätzliche Empfehlung des Bundesministers der Finanzen zurück, welcher sich auch alle anderen Bundesländer mit Ausnahme der Freien und Hansestadt Hamburg angeschlossen hatten180. In NordrheinWestfalen hieß er Interministerieller Ausschuss für Verteidigungsliegenschaften181. Die zentrale Aufgabe der IMA in den Ländern bestand in der Wahrnehmung ziviler Belange gegenüber den Bedürfnissen der alliierten Truppen. Konkret erstreckte sich ihr Aufgabenbereich auf die Räumung von Kasernen oder Truppenübungsplätzen, den Ersatzwohnungsbau oder Neubau militärischer Anlagen, die Verlegung gewerblicher oder landwirtschaftlicher Betriebe bzw. sonstiger Umsiedlungsmaßnahmen einschließlich der Gewährung von Bundesdarlehen. Die Federführung lag zumeist beim jeweiligen Staatsministerium der Finanzen, das ohne zeitraubenden Schriftwechsel die Stellungnahmen der betroffenen Ressorts koordinieren und das Ergebnis dann den Bundesstellen mitteilen sollte. Mit Blick auf die Zusammensetzung dieses von allen Ressorts und verschiedenen Oberbehörden (Oberste Baubehörde, Oberfinanzdirektionen) Nordrhein-Westfalen seinem Ministerpräsidenten gegenüber ebenfalls darauf gedrungen, die Frage der Landanforderungen für militärische Zwecke auf der Ministerpräsidentenkonferenz zu erörtern. Ihm ging es vornehmlich um die Wahrung der Interessen der Bauern und Forstwirte. Ebd., StK 11951, Brief an MinPräs von Nordrhein-Westfalen, 24.1.1955. 178 i\j a c h Art. 43 der Bayerischen Verfassung von 1946 ist die oberste leitende und vollziehende Behörde die Staatsregierung (Ministerrat), die sich zusammensetzt aus dem Ministerpräsidenten, den Staatsministern und den Staatssekretären. Den Vorsitz führt der Ministerpräsident, der die Richtlinien der Politik bestimmt. Sein Führungsinstrument ist die Staatskanzlei. Nach dem Geschäftsverteilungsplan von 1956 werden dort in erster Linie jene Angelegenheiten bearbeitet, die sich auf die Pflege der Beziehungen nach außen erstrecken, die mit dem Abschluss von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen zusammenhängen. Der Staatskanzlei wurden auch immer wieder Ämter angeschlossen, die ressortübergreifende Aufgaben zu erledigen hatten. Vgl. Zittel, Die obersten Staatsbehörden, S. 21 f. 179 Einige Jahre zuvor hatte sich Rheinland-Pfalz in einer ähnlichen Situation befunden. Im Zuge der Landrequisitionen für zehn NATO-Flugplätze plante der rheinland-pfälzische Gemeindetag im Sommer 1951 eine gemeinsame Vorsprache aller Bürgermeister der betroffenen Orte bei der Landesregierung. In Mainz schien es daraufhin angezeigt, diesen Problemkomplex auszutarieren und innerhalb eines möglichst planbaren Prozesses zu steuern. Deshalb richtete die Landesregierung eine der Staatskanzlei angegliederte »Dienststelle für Planungsmaßnahmen« als zentralen Ansprechpartner für diese Belange ein. Plassmann, U.S. Air Base Sembach, S. 15. 180 BayHStA, BBbB 867, Vertretung der Freien und Hansestadt Hamburg bei der Bundesregierung an die Vertretungen der Länder beim Bund, 21.9.1955. 181 Vgl. Reiners, Militärische Anlagen, S. 156.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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beschickten Gremiums in Bayern wird man sagen können, dass es sich trotz regelmäßiger Sitzungen und vielleicht gerade wegen des Bestrebens, bis ins Detail gehende Lösungsmöglichkeiten zu finden, um ein reines Verwaltungsorgan gehandelt hat182. Ab Mitte 1954 trat diese Einrichtung auch kaum noch in Erscheinung, nachdem keine größeren Räumungsmaßnahmen für die Stationierungstruppen mehr zu verzeichnen waren183. Was den bayerischen Ministerpräsidenten bei seinen Überlegungen, die Streitkräftebelange auf der oberen Instanzenebene ganz an die Staatskanzlei heranzuziehen, vermutlich aber mehr beunruhigt haben könnte, als die reaktive Arbeit des Kollegialorgans IMA, war der Versuch des Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr, eine aktivere Rolle bei der Standortfrage zu spielen. Im Grunde genommen gehörte es schon zur Aufgabe der innerhalb des Wirtschaftsressorts eingerichteten Landesplanungsstelle, den Geländebedarf für militärische Zwecke »mit den allgemein-wirtschaftlichen, landwirtschaftlichen, städtebaulichen, verkehrswirtschaftlichen usw. Interessen in Einklang zu bringen«184 - jedoch nur innerhalb des regional begrenzten Raumordnungsverfahrens. So hatte man bereits ab 1953 mit Vertretern des Amtes Blank und des Bundesfinanzministeriums mehrfach über die zukünftige Verwendung ehemaliger Wehrmachtanlagen verhandelt185. In durchaus guter Absicht, da von wirtschaftspolitischen Überlegungen geleitet, übermittelte der Münchner Wirtschaftsstaatssekretär jedoch zu Jahresbeginn 1955 dem Amt Blank eine Liste mit Standortvorschlägen aus allen Regierungsbezirken, die Bonn auf ihre Kompatibilität mit den militärischen Planungen überprüfen sollte.
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Die Arbeit der IMA hat sich u.a. niedergeschlagen in einem Bestand von 145 Akten. Vgl. BayHStA, StK 115026-115171. Ebd., BBbB 867, Bayerische Staatskanzlei an Bevollmächtigten Bayerns beim Bund, 17.10.1955. Ebd., MWi 22501, Denkschrift: Aufgaben und Arbeitsergebnisse der Landesplanung in Bayern, November 1956. Per Ministerratsbeschluss vom 1.7.1945 waren die Reste der bisher dem Reich unterstellten Landesplanungsbehörden auf Landesebene dem Staatsministerium für Wirtschaft (Landesplanungsstelle) und auf der Ebene der Mittelbehörden den Bezirksregierungen (Bezirksplanungsstellen) angegliedert worden. Zunächst mit den eng begrenzten Aufgaben betraut, im Zusammenhang mit der U.S.-Militärregierung ehemalige Wehrmachteinrichtungen zu beräumen und baldmöglichst einer vornehmlich wirtschaftlich sinnvollen Nutzung zuzuführen, entwickelte sich die Landesplanungsstelle zunehmend zu einem mit umfassenden Querschnittsaufgaben betrauten Organ einer als Staatsaufgabe verstandenen Landesplanung. Nachdem zu Beginn der fünfziger Jahre die ressortmäßige Zuordnung zwischen den Staatsministerien der Wirtschaft und des Innern umstritten war, entschied das Gesetz über die Landesplanung vom 21.12.1957 über den Verbleib beim Wirtschaftsministerium. Vgl. Terhalle, Zur Geschichte der Landesplanung, bes. S. 108-116. BayHStA, MWi 22443.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
Tabelle 14: Bayerische Standortvorschläge 1955 Regierungsbezirk
Standortvorschlag
Oberbayern Niederbayern Oberpfalz Oberfranken Mittelfranken
Laufen Passau, Straubing, Bogen, Plattling Schwandorf, Weiden Stadtsteinach, Marktredwitz, Wunsiedel Feucht, Feuchtwangen, Wassertrüdingen, Neustadt a.d. Aisch, Treuchtlingen Kitzingen Günzburg, Friedberg
Unterfranken Schwaben
Das bayerische Wirtschaftsministerium, bzw. die Landesplanungsstelle, wollten sich freilich nicht auf die Abgabe einer einzigen Vorschlagsliste beschränken. Sie suchten nach aktiver Mitwirkung, indem man von der Dienstelle Blank um grundsätzliche Informationen über militärische Standortqualitäten für die Ausarbeitung weiterer Vorschläge bat186. Es sei einmal dahingestellt, ob man die Initiative der Landesplanungsstelle pauschal als ein mit negativen Vorzeichen apostrophiertes Vorpreschen bezeichnen kann, das bei der Standortauswahl ausschließlich wirtschaftspolitische Belange im engeren Sinn als Maßstab anlegte. Immerhin fand zeitgleich eine Debatte um die zweckdienliche ressortmäßige Federführung dieser Dienststelle statt. Unter dem Gesichtspunkt, dass Landesplanung von mehr Politikfeldern bestimmt sei, als nur von wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, stand ein Wechsel zum Staatsministerium des Innern durchaus ernsthaft auf der Tagesordnung, der letztlich aber dann doch unterblieb187. In einer Ende 1956 vorgelegten Denkschrift über die bisherige Landesplanungsstelle konnte als Leistungen dieser Behörde vor allem zweierlei verbucht werden: Seit 1950 war es ihr gelungen, die Landanforderungen vor allem der alliierten Streitkräfte wesentlich zu reduzieren und somit wertvollen Grund und Boden der Land- und Forstwirtschaft zu erhalten. So mussten zum Beispiel in Unterfranken zwischen 1950 und 1956 mehr als 50 Anträge der U.S.-Truppen auf Bereitstellung von Ubungsgelände und Biwakplätzen behandelt werden, wobei als Erfolg vermeldet wurde, »daß weit über 10 000 ha land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen, die beansprucht werden sollten, der uneingeschränkten Bewirtschaftung erhalten bleibe. Allein in den Räumen Alzenau, Aschaffenburg, Wildflecken und im Hochspessart wurden Anforderungen auf 6600 ha abgelehnt«188. Auch in Niederbayern und in der Oberpfalz war man den 186
187
188
Ebd., BBbB 867, Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr an Amt Blank, 18.2.1955. Bis 1970 war die Landesplanung dem Wirtschaftsministerium zugewiesen. Mit Gründung des Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen wurde die Landesplanung zu einer der beiden Hauptaufgaben dieses Ressorts. Vgl. Terhalle, Zur Geschichte der Landesplanung. BayHStA, MWi 22501, Denkschrift: Aufgaben und Arbeitsergebnisse der Landesplanung in Bayern, November 1956, S. 9.
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Amerikanern nicht in jeder Hinsicht entgegengekommen; hier blieb man etwa 8000 ha hinter den amerikanischen Wünschen zurück. Jedenfalls hielt man es für eine große Leistung, den komplexen Ausgleich zwischen zivilen und militärischen Interessen auch in schwierigen Fällen ohne Komplikationen durchgeführt zu haben. Zwar greift es an dieser Stelle über den engeren zeitlichen Kontext hinaus, dennoch soll zur Abrundung des Blicks auf das bayerische Organisationsgefüge in der Standortfrage nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Mitglieder des Unterausschusses Infrastruktur, der innerhalb des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags eingerichtet worden war, im September 1956 die Meinung vertraten, durch die Arbeit der Landesplanungsstelle seien die Bundeswehrplanungen wesentlich rascher und reibungsloser umgesetzt worden, als in anderen Ländern189. Zurück in das Jahr 1955. Benannter Artikel in den Nürnberger Nachrichten vom 9. Februar 1955 war offensichtlich nur der letzte Anstoß gewesen, der den bayerischen Ministerpräsidenten dazu veranlasste, alle Fragen mit militärischem Bezug aus einem der komplexen Materie nicht angemessenem Nebeneinander in die Hände der Staatskanzlei zu legen und damit für klarere Strukturen zu sorgen. Denn die auf die Pressemeldung erfolgte Versicherung des für Infrastrukturfragen zuständigen Abteilungsleiters beim Sicherheitsbeauftragten des Bundeskanzlers, man sei bei Liegenschaftserkundungen für die zukünftigen deutschen Streitkräfte in allen Fällen vorher an das bayerische Innenministerium herangetreten, hatte den Kreis der für befugt gehaltenen ja noch um eine weitere Behörde vergrößert. Rasch zeichnete es sich auch ab, dass Wilhelm Hoegner nicht geneigt war, die strukturelle Umorientierung auf die lange Bank zu schieben. Obwohl Theodor Blank ihm nach Erscheinen der Zeitungsmeldungen sofort erklärte, er würde nicht nur größten Wert darauf legen, bei allen militärischen Maßnahmen - insbesondere bei den Truppenstärken und der Dislozierung - ein Einvernehmen herbeizuführen, eine Willensbekundung, die Hoegner »als eine verbindliche Zusage seinerseits meiner Regierung gegenüber« verstehen wolle190, blieben in München offensichtlich einige Fragen offen. Ein persönlicher Gedankenaustausch schien notwendig. Vermutlich auf Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten kam es daraufhin am 23. März 1955 zu einer gründlichen Aussprache zwischen Blank und der bayerischen Staatsregierung, an der sich auch Vertreter verschiedener, von der Sachlage her betroffener Ressorts beteiligten. Falls der Ministerrat vielleicht gehoffte hatte, etwas mehr über konkrete Planungen und Absichten zu erfahren, so wurde man freilich enttäuscht. Nicht zuletzt deswegen, weil die Pariser Verträge noch nicht verabschiedet waren. Wohl aber erreichte Hoegner, wie er es dann in einer Regierungserklärung vor dem Landtag verlautbarte, dass der größte Teil der Probleme »besprochen oder wenigstens berührt« worden ist und dass sich Herr 189
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Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.9.1956. Vgl. Abgeordnete suchen Exerzierplätze. In: Süddeutsche Zeitung, 30.6.1956. Zit. nach BayHStA, StK 115174, Der Bevollmächtigte Bayerns beim Bund an den bayerischen MinPräs, 10.2.1955.
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Blank den bayerischen Wünschen durchaus aufgeschlossen gezeigt habe. Das im Kontext der hier behandelten Frage nach der Koordination der Standortplanungen im Land sicherlich wichtigste Ergebnis war, »daß sich das Amt Blank künftighin in den zu klärenden grundsätzlichen Fragen an die Bayerische Staatregierung selbst, nicht mehr an die verschiedenen Ministerien wenden wird und daß unmittelbare Verhandlungen des Amtes Blank mit einzelnen bayerischen Behörden unterbleiben werden«191. Glaubt man einem mit der Schlagzeile »Bayern wehrt sich gegen Blank« überschriebenen Artikel des Nürnberger 8 Uhr-Blattes vom 5. April 1955, so scheinen die Zentralisierungsabsichten des Regierungschefs nicht bei allen Staatsministerien sofort angekommen zu sein. Im Landwirtschaftsministerium wurde nämlich ein Referat unter Leitung eines Regierungsdirektors Ziegler eingerichtet - die Tageszeitung Die Welt schrieb gar von einem Anti-Blank Referat192 - welches die »Interessen des Landes gegenüber den Bonner Plänen zur Errichtung von Truppenübungsplätzen, Schießständen und Kasernen« wahrnehmen soll193. An dem Tag, an dem die Nachricht in der Presse erschien, war ihr Inhalt bzw. dieses Referat aber bereits hinfällig geworden. Denn Ministerpräsident Hoegner hatte bereits am 4. April in einem Rundschreiben an alle Ministerien verfügt, dass wegen der überwiegend politischen Bedeutung von Garnisonplanungen künftig jeglicher Schriftverkehr mit der Dienststelle Blank ausschließlich über die Staatskanzlei zu führen sei, wo die mit der Aufstellung deutscher Streitkräfte zusammenhängenden Fragen federführend, aber im Einvernehmen mit den Staatsministerien bearbeitet werden. Und auch den Kommunen wurde nahegelegt, selbstverständlich unter Beachtung der kommunalen Selbstverwaltungsrechte, ihre Verhandlungen ebenfalls unter Einschaltung der Staatskanzlei zu führen194. Zwar lässt es sich für Bayern nicht nachweisen, dass die Gemeinden in der Standortfrage ein unredliches Spiel trieben. Wohl aber gibt es Hinweise aus NordrheinWestfalen, die aus Sicht der dortigen Landesregierung ein stärkeres Anbinden der Kommunen rechtfertigten. Folgt man den Erkenntnissen des nordrheinwestfälische Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, so legten die Städte aus finanziellen Gesichtspunkten nicht nur Wert auf Garnisonen, was an sich nicht zu beanstanden war. Für anstößig aber hielt man es, wenn die Kommunen der Dienststelle Blank unter Umgehung der Landesregierung in Düsseldorf Angebote auf Kasernen und Übungsplätze machten und - der eigentliche Kritikpunkt - »dabei auch auf Gelände in den benachbarten Kreisen, über das ihnen ein Verfügungsrecht nicht zusteht«, verwiesen195. Man könnte es durchaus als Kirchturmpolitik bezeichnen, wenn die Städte in ihrem Bestreben,
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Ebd., StK 115174, Entwurf einer Regierungserklärung über die Besprechung mit dem Beauftragten des Bundeskanzlers für Sicherheitsfragen, Theodor Blank, 23.3.1955 in München. Vgl. Bayern und die Dienststelle Blank. In: Bayerische Staatszeitung, 23.4.1955. Die Welt, April 1955. Bayern wehrt sich gegen Blank. In: Nürnberger 8 Uhr-Blatt, 5.4.1955. BA-MA, BW 1/28937, Rundschreiben des bayerischen MinPräs an alle Staatsministerien, 4.5.1955. BayHStA, StK 11951, Schreiben an den MinPräs von Nordrhein-Westfalen, 24.1.1955.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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Truppenstandort zu werden, den Forderungen der militärischen Stellen sehr weit entgegenzukommen schienen, ohne dabei den zivilen überörtlichen Ausgleich entsprechend zu beachten. Eine solche nach der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Seite hin gerichtete Überprüfung konnte in der Tat nur dort geschehen, wo die entsprechende politische und fachliche Kompetenz gebündelt war. Deshalb richtete man in Bayern, aufbauend auf einem seit 1945 bestehenden Referat für Besatzungsfragen, Ende 1955 in der Staatskanzlei ein so genanntes Wehrreferat ein, das federführend und im Einvernehmen mit den zuständigen Ressorts sowie den Behörden der Mittelinstanz alle mit der Aufstellung der deutschen Streitkräfte und den Belangen der Alliierten zusammenhängenden Fragen bearbeiten sollte. Im Übrigen war das Referat für Besatzungsfragen nicht nur der administrative Nukleus des Wehrreferats, sondern in gewissem Sinn ein politisch-protokollarisches Gelenkstück. Weil alle auf Landesebene zu behandelnden Fragen dort koordiniert wurden, konnte auf der einen Seite eine einheitliche Haltung der Besatzungsmacht gegenüber gewährleistet werden. Auf der anderen Seite hatte die Besatzungsmacht die höchste bayerische Behörde zum Gesprächspartner - mithin also auch eine Frage der politischen Augenhöhe. Dezidiert wies eine wahrscheinlich in der Staatskanzlei entstandene Denkschrift darauf hin, dass »im Hinblick auf die zukünftige deutsche Wehrmacht, besonders auch in Bezug auf den Verkehr zwischen Verteidigungsministerium und Ländern die Verhältnisse ähnlich liegen«196. Im Bestreben, eine gewisse Einflussnahme und zumindest begrenzte Mitentscheidung bei den militärischen Angelegenheiten zu erlangen, war es dann natürlich konsequent, diese Dienststelle zum so genannten Wehrreferat aufzubohren. Für wie bedeutsam man dieses Amt offensichtlich gehalten hat, mag auch in der Bestellung dessen ersten Leiters zum Ausdruck gebracht worden sein, wenngleich vorausgeschickt werden muss, dass die möglicherweise dahinter steckenden politischen Absichten quellenmäßig nicht belegt, sondern allenfalls vermutet werden können. Erster Referatsleiter wurde der Regierungsrat und Referent für staatsbürgerliche Bildung bei der bayerischen Landespolizei, Franz Pöschl. Als Oberstleutnant a.D. und Mitglied im Personalgutachterausschuss für die neuen Streitkräfte war er dafür besonders prädestiniert'97. Hinzu kam, dass er SPDMitglied war und offensichtlich das Vertrauen von Wilhelm Hoegner besaß. Als Innenminister im zweiten Kabinett von Hans Ehard (CSU) hatte dieser ihn nicht nur in den Polizeidienst berufen, sondern ihn als Referenten vielmehr mit der staatsbürgerlichen Bildung der Polizei beauftragt. Außerdem beriet Pöschl die 1%
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Ebd., Denkschrift: Die neue deutsche Wehrmacht vom Gesichtspunkt der Länder (undatiert, 1955/56). Franz Pöschl, Geburtsjahrgang 1917, war seit 1936 Berufsoffizier in der Wehrmacht. Er nahm an den Feldzügen gegen Polen, Griechenland, Kreta, Russland sowie an den Kämpfen in Italien und Norwegen teil. Ausgezeichnet u.a. mit dem Ritterkreuz, absolvierte er ab 1947 ein Studium für das Lehramt an Volksschulen. 1948 bis 1951 Lehrer, 1952 bis 1955 Referent für die staatsbürgerliche Bildung der bayerischen Polizei bzw. Polizeischulrat. 1960 trat er im Dienstgrad Oberstleutnant wieder in die Bundeswehr ein und brachte es bis zum Generalleutnant und Kommandieren General des III. Korps. BA-MA, Pers 1/43487, Personalakte GenLt Franz Pöschl.
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bayerische SPD in allen Wehrfragen und hatte insbesondere Hoegners Vorstellungen von einer deutschen Milizarmee mit militärfachlichen Argumenten untermauert198. Schließlich wurde auch noch der direkt dem bayerischen Ministerpräsidenten unterstellte Amtsgerichtsrat Dr. Gerhard Reischl als eine Art »Militärbevollmächtigter«199 an die Dienstelle des bayerischen Bevollmächtigten beim Bund abgeordnet; ihm oblag die Bearbeitung aller Angelegenheiten, die mit den Ausschüssen des Bundestages und des Bundesrats für Fragen der europäischen Sicherheit zusammenhingen200. An dieser Stelle schließt sich auch wieder der Kreis, der, angestoßen durch die Frage der Landbeschaffung in den Nürnberger Nachrichten, mit der Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten im Februar 1955 begonnen hatte, über die Ministerpräsidentenkonferenz anzuregen, dass bei den Ländern eine besondere Stelle geschaffen werde, die als korrespondierender Teil zur Dienststelle Blank die gesamten Aufgaben, Wünsche und Anforderungen koordiniert. Der spiegelbildlich, vielleicht mit geringfügig anderen Tendenzen, was die administrative Abwicklung anbelangte, auch in anderen Ländern artikulierte Vorschlag201 wurde vom damaligen Vorsitzenden des Bundesrats, dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Peter Altmeier (CDU), sofort aufgegriffen und am 20. Mai 1955 vom Bundesrat angenommen. Zum ersten Vorsitzenden dieses Sicherheitsausschusses, späterhin zum Ausschuss für Verteidigung umbenannt, wählte man in der konstituierenden Sitzung am 3. Juni den bayerischen Ministerpräsidenten202. Dieser Ausschuss war und ist im engeren Sinn freilich kein korrespondierender Teil des Verteidigungsministeriums, sondern vielmehr das förderative Arbeits- und Diskussionsorgan des Bundesrats bei seiner ihm verfassungsrechtlich bestimmten Rolle im bundesstaatlichen Gesetzgebungsverfahren. In einer Rückschau auf den Streitkräfteaufbau im Jahr 1955 198
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Vgl. Pöschl, Der Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik. Grundsätzlich zu den sozialdemokratischen Wehrmodellen in den fünfziger Jahren vgl. Soell, Fritz Erler, S. 189-232. Dieser Begriff erinnert an die Dienststelle des bayerischen Militärbevollmächtigten in Berlin, die im Vollzug des Schutz- und Trutzbündnisses geschaffen worden war, das Bayern 1867 mit Preußen geschlossen hatte. Die im Zuge der Reichsgründung in Versailles 1870/71 bestätigte Einrichtung war eine selbständige Dienststelle der bayerischen Armee und nicht ein der bayerischen Gesandtschaft in Berlin beigestellter Militärattache. Die Aufgabe des Militärbevollmächtigten bestand in der Kontaktpflege zum preußischen Kriegsministerium und in der Informierung des bayerischen Kriegsministeriums. Außerdem unterstanden ihm die nach Berlin kommandierten bayerischen Offiziere. Vgl. Heyl, Militärwesen, S. 335. BA-MA, BW 1/28937, MinPräs Hoegner an BMVg Blank, 26.10.1955. Vgl. Wilhelm Hoegner, Bayern und die Aufstellung der deutschen Streitkräfte. In: Bayerische Staatszeitung, 7.1.1956. In Nordrhein-Westfalen regte der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an, den Landesregierungen ein grundsätzliches Vorschlagsrecht bei der militärischen Landinanspruchnahme einzuräumen. Die militärischen Stellen sollten ihre Anforderungen an die Landesregierung oder an eine von ihr bestimmte Stelle richten, dabei ihre besonderen Auflagen mitteilen und ein Suchgebiet angeben, innerhalb dessen das Gelände liegen sollte. BayHStA, StK 11951, Schreiben an MinPräs von Nordrhein-Westfalen, 24.1.1955. Wilhelm Hoegner, Bayern und die Aufstellung der deutschen Streitkräfte. In: Bayerische Staatszeitung, 7.1.1956.
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stellte der Initiator die hohe Bedeutung und die Leistungen dieses Bundesratsauschusses dementsprechend heraus: »Die große Bedeutung des Sicherheitsausschusses hat sich in seinen bisher neun Sitzungen überzeugend erwiesen. Wichtige Gesetze, wie das Freiwilligengesetz, das Bundesleistungsgesetz, das Schutzbereichsgesetz, das Bundesbesoldungsgesetz und Änderungen und Ergänzungen des Grundgesetzes wurden eingehend behandelt. Weitere wesentliche Fragen, wie das Wehrpflichtgesetz, das Soldatenversorgungsgesetz und das Organisationsgesetz stehen noch zur Beratung. Während im Ausschuß des Bundesrats für auswärtige Angelegenheiten wegen der festgefahrenen Weltlage vorläufig Ebbe eingetreten ist, nehmen die Länder im Sicherheitsausschuß mit Tatkraft und Erfolg Einfluß auf alle Fragen, die bei der Aufstellung der deutschen Streitkräfte für die Länder erheblich sind203.« Diese sicherlich auch im (Selbst)Bewusstsein der eigenen Rolle verfassten Zeilen entsprachen freilich nicht ganz der tatsächlichen Bedeutung des Sicherheitsausschusses. Gewiss, das was Hoegner von der Ebbe im Auswärtigen Ausschuss sagte, war richtig, aber nicht unbedingt nur mit Blick auf die Weltlage. Mit seinem Verhalten beim Ratifizierungsverfahren der Westverträge im Jahre 1953, die Ratifizierungsgesetze zu den Hauptverträgen als nicht zustimmungspflichtig zu betrachten sowie den Nebenverträgen faktisch zuzustimmen - mithin also das außenpolitische Mitspracherecht der Länderkammer über die Interpretation der Zustimmungsbedürftigkeit zu definieren - , hatte sich der Bundesrat nämlich selbst zu einer »rein rechtstechnischen Prüfungsinstanz« degradiert204. Ob Hoegner geglaubt haben mochte, diesen Prozess mit Hilfe des Sicherheitsausschusses zurückdrehen zu können und der Länderkammer wieder zu einer stärkeren bundespolitischen Bedeutung zu verhelfen, lässt sich allenfalls vermuten. Eine gewisse Bestätigung dafür kann man in dessen Bemühen erkennen, eine bundeseigene Verwaltung, wie sie von Seiten der Bundesregierung und des Bundestages für die Wehrverwaltung und das Wehrersatzwesen beabsichtigt war, nur mit ausdrücklicher Zustimmung und nur in solchen Bereichen, wo dies sachlich geboten schien, für zulässig zu erklären. Nach anfänglicher Unterstützung etwa durch den Ministerpräsidenten von Bremen fand der Vorstoß aus Bayern aber keine Mehrheit im Bundesrat. Als zentrales Gegenargument wurde die Auffassung vertreten, dass der Aufbau der Streitkräfte wesentlich erschwert und verlangsamt werde, wenn die Länderkammer jedes Wehrgesetz für zustimmungspflichtig erklären könne205. Faktisch beschränkte sich der Sicherheitsausschuss in seinen Stellungnahmen zur Wehrgesetzgebung in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre auf »verwaltungstechni-
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Ebd. Sommer, Wiederbewaffnung, S. 291. Ebd., S. 207. In der Frage der Wehrverwaltung setzte sich die Auffassung NordrheinWestfalens durch, wonach die Wehrverwaltung ausschließlich von zivilen Beamten und möglichst durch bereits vorhandene Behörden wahrgenommen, wohingegen das Wehrersatzwesen von den Ländern im Rahmen der Auftragsverwaltung für den Bund gehandhabt werden sollte.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
sche[n] Betrachtungen und Entscheidungen«206 und nahm keinen Anspruch auf eine politische Mitwirkung im Wortsinn wahr. Bei der mit der Standortauswahl in besonders engem Zusammenhang stehenden Beratung des Landbeschaffungsgesetzes war in der Länderkammer ohnehin nicht der Sicherheitsausschuss, sondern der Ausschuss für Innere Angelegenheiten federführend befasst207. Und die Stationierungsfrage, sprich die Unterbringung mehrerer hunderttausend Soldaten, sollte ja wegen der bei den Stationierungsstreitkräften schon erfahrenen, bei der Bundeswehr analog antizipierten Folgewirkungen die eigentliche Belastung darstellen, welche die Länder hinsichtlich der Beschaffung von Flächen zu tragen hatten. Da der Standortplanungsprozess aus militärischen Gründen - Einhaltung des der NATO gegenüber zugesagten Aufstellungsrahmens und -tempos - bereits vor Verabschiedung eines Landbeschaffungsgesetzes eingesetzt hatte, war die Fortschreibung oder Entwicklung eines administrativen Instanzenzugs innerhalb der Bundesländer absolut notwendig. Sicherlich wurden die darin enthaltenen politischen Implikationen auch von allen Ländern erkannt, das administrative Instrumentarium aber bei weitem nicht überall so darauf zugeschnitten wie in Bayern. Während man hier den Interministeriellen Ausschuss für Fragen der Kasernenfreimachung nicht mehr für die Bundeswehr aktivierte, sondern dafür das Wehrreferat in der Staatskanzlei als Koordinierungsinstanz zu den verschiedenen Ressorts und zu den Mittelbehörden etablierte, übernahm diese Aufgabe beispielsweise in Nordrhein-Westfalen der seit 1950 etablierte Interministerielle Ausschuss für Verteidigungsliegenschaften. Ressortierend beim Finanzministerium, waren alle Landesministerien in diesem Gremium vertreten. Der normale Verfahrensweg bei Landbeschaffungen in Nordrhein-Westfalen sah vor, dass dem für den Suchraum bzw. das Objekt örtlich zuständigen Regierungspräsidenten die Liegenschaftsanforderung zugeleitet wird mit dem Auftrag, das Anhörungsverfahren durchzuführen. Das geschah bei kleineren Maßnahmen im schriftlichen Umlaufverfahren oder, und das war der Regelfall, durch eine Ortbesichtigung mit den Vertretern der Fachbehörden. Nach Abschluss des Anhörungsverfahrens oblag es dem Regierungspräsidenten, aus den vielfältigen Auffassungen und divergierenden Meinungen eine abschließende Stellungnahme an die Landesregierung zu erarbeiten. Mit einem positiven, negativen oder gegebenenfalls mit Auflagen verbundenen Votum wurde dies dem Finanzminister als dem Vorsitzenden des Interministeriellen Ausschusses für Verteidigungsliegenschaften zugestellt. Der wiederum leitete den Bericht den Ressorts zur Stellungnahme zu, bevor eine abschließende Äußerung abgegeben wurde. Diese vom Interministeriellen Ausschuss für Verteidigungsliegenschaften formulierte Zusammenfassung war gleichzeitig das Votum der Landesregierung gegenüber dem Bund208.
206 207
208
Niemarin, Die bundesstaatliche Bedeutung des Bundesrates, S. 226. Archiv des Bundesrats, Tagesordnung für die 6. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit am 13.10.1955, 4.10.1955. Reiners, Militärische Anlagen, S. 156 f.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
Hessen ging ähnlich vor wie Nordrhein-Westfalen. Schon vor Erlass des Landbeschaffungsgesetztes existierte hier eine interministerielle Kommission. Am 17. Mai 1957 beschloss das Wiesbadener Kabinett die Einsetzung eines Interministeriellen Ausschusses, dem mit Ausnahme des Justizressorts Vertreter sämtlicher Ministerien sowie der Staatskanzlei angehörten. Die Geschäftsführung hatte der Staatsminister des Innern; und zwar deshalb, weil zu seinem Bereich zum einen die Kommunalaufsicht gehörte, deren Augenmerk sich vor allem auf den Erhalt und die Stärkung der gemeindlichen Finanzkraft richtete, und zum anderen die Landesplanung. Ferner fielen in seinen Zuständigkeitsbereich das hessische Landesamt für Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte, wo federführend am so genannten Hessenplan (später Strukturentwicklungsplan) gearbeitet wurde. Dieser bildete die Grundlage für eine innerhessische Umsiedlung von über 100 000 Menschen vorwiegend aus den so genannten Notstandsgebieten Nord- und Mittelhessens in den wirtschaftlich erheblich entwickelteren südhessischen Raum. Sozial- und wirtschaftspolitische Gründe waren also dafür maßgebend, dass der Minister des Innern als Geschäftsführer des Ausschusses in allen mit der Inanspruchnahme von Grundstücken für Verteidigungszwecke und der Stationierung von Streitkräften zusammenhängenden Fragen die Interessen dieses Bundeslandes zu wahren hatte. Über den Ablauf des äußerst bürokratischen Verwaltungs- und Entscheidungsprozesses, nun schon unter den Bedingungen des Landbeschaffungsgesetzes, einigte man sich auf der ersten Sitzung des Interministeriellen Ausschusses am 17. Juli 1957. Die vom Verteidigungsministerium bzw. der territorial zuständigen Wehrbereichsverwaltung IV eingegangenen Landanforderungen wurden in nachstehender Anzahl wie folgt an die Ressorts zur einstweiligen Kenntnisnahme zugeleitet209: Tabelle 15: Beteiligte Staatsministerien bei der Landanforderung für Belange der Verteidigung in Hessen Ministerium Staatskanzlei Staatsministerium der Finanzen Staatsministerium für Arbeit, Wirtschaft und Verkehr Staatsministerium für Landwirtschaft und Forsten Staatsministerium für Erziehung und Volksbildung Ministerium des Innern
Ausfertigungen 2 4 5 6 3 4
Gleichzeitig wurde der zuständige Regierungspräsident mit der Einleitung der Standortermittlung sowie der Anhörung von Landkreis und Gemeinde beauftragt, wozu er 15 Ausfertigungen des Landbeschaffungsantrags erhielt. Hier 209
Zum Interministeriellen Ausschuss in Hessen vgl. Schneider, Streitkräfteaufbau, S. 35-41; vgl. auch Brief von Bernd Schneider an den Verfasser, 22.2.1998 (Sammlung MGFA, FB III).
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
geschah die eigentliche Arbeit. Gemäß Inrtenministerialerlass vom 23. Juli 1957 war für das Verfahren auf der Ebene der Mittelinstanz festgelegt, dass die Federführung im Regierungspräsidium zweckmäßigerweise beim Dezernat für Verteidigungsfragen liegen sollte. Dieses beteiligte in der Regel sämtliche Dezernate der allgemeinen und inneren Verwaltung und führte die Anhörung des Landrats und des Gemeindevorstands durch. Je nach Standtortqualität wurde in Einzelfällen außerdem die Bundesbahndirektion, die Bundesvermögensstelle, Sachverständige für Bodenforschung, der Landeswohlfahrtsverband Hessen, der Hessische Gemeindetag oder auch die Schießstandkommission des Innenministeriums hinzugezogen. Nach Abschluss des Anhörungs- und Prüfverfahrens hatte der Regierungspräsident seine zusammenfassende Stellungnahme dem Innenminister in 30-facher Ausfertigung vorzulegen. Der Bericht war Grundlage dafür, das jeweilige militärische Vorhaben aus fachlichen und politischen Gesichtspunkten bewerten zu können. Deshalb sollte der Regierungspräsident sein Augenmerk besonders auf die bei Streitkräfteansiedlungen zu erwartenden kommunalen Folgewirkungen richten. Nachdem die einzelnen Fachressorts Kenntnis genommen oder sich geäußert hatten, tagte der Interministerielle Ausschuss zur Vorbereitung der Kabinettsentscheidung. Wenn man die Infrastrukturproblematik der im Entstehen begriffenen Bundeswehr betrachtet, die sich wegen des unübersichtlichen, von Seiten der Alliierten wenig kooperativen Verhaltens und wegen der von deutscher Seite vielleicht auch zu optimistisch eingeschätzten Lage der Kasernenfreimachung aus integrationspolitischer Sicht ergab, so wird man zweifellos sagen können, dass 1956 ein Schwellenjahr war. In erster Linie weniger aufgrund der Arbeit am Landbeschaffungsgesetz, sondern vielmehr deshalb, weil die dem Gesetzgebungsprozess ab Jahresbeginn vorauseilenden Standorterhebungen faktisch strukturelle Regelungsmechanismen induzierten. Gewiss war es schwierig, von den Staatsbürgern Landabgaben zu fordern und dem deutschen Steuerzahler die Finanzierung neuer Kasernenbauten so lange zuzumuten, wenn solche numerisch zwar in großer Zahl vorhanden zu sein schienen, aber von den verbündeten Streitkräften gleichsam gehortet wurden. Dass die Aufstellungspläne aber nur bei ausreichender und zeitgerecht vorhandener Unterkunftskapazität würden realisiert werden können, darauf wurde bereits mehrfach hingewiesen. Neubauten zu einem relativ frühen Zeitpunkt zu erstellen, war ursprünglich auch gar nicht beabsichtigt gewesen, sondern letztlich nur den Umständen geschuldet. Um rechtzeitig fertig zu werden, hätten die Bauvorhaben eigentlich schon zu Jahresbeginn 1955 begonnen werden müssen, doch das war freilich politisch und rechtlich vollkommen undenkbar. 1956 war auch insoweit ein Schwellenjahr, weil es dem Verteidigungsminister nach gewissen Irritationen zu Beginn in persönlichen Gesprächen gelang, die Ministerpräsidenten, gleichviel, ob sie politisch im eigenen oder anderen Lager standen, für die aus bündnispolitischen Gründen nolens volens in Angriff zu nehmenden Garnisonsneugründungen und Kasernenbauten grundsätzlich mit in das Boot zu bringen. Hier herrschte auch keinerlei Unterschied zwischen Blank und Strauß, bei aller sonstiger Differenz in verteidigungspoliti-
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sehen Angelegenheiten. Die persönliche Fühlungnahme mit den Regierungschefs der Bundesländer kann, neben dem Ausräumen von Missverständnissen, aber auch als Teil einer absolut notwendigen Integrationspolitik bewertet werden. Schon die Debatten um die Wehrverfassung im Bundestag hatten gezeigt, dass die Bundeswehr nur im weitgehenden Konsens aller Beteiligter erfolgreich aufgestellt werden konnte. Umso mehr galt dies in der tatsächlichen Umsetzungsphase, wenn u.U. ganze Bevölkerungsgruppen von Landabgaben oder Umsiedlungsmaßnahmen betroffen sein konnten. Da außerdem die Zeit wegen des bündnispolitischen Drucks drängte, blieb dem Verteidigungsministerium als »Newcomer« gar nichts anderes übrig, als einen raschen Schulterschluss mit den Repräsentanten des föderativen Systems zu suchen. Als Paradebeispiel dafür kann ein Brief von Verteidigungsminister Strauß an den hannoveraner Ministerpräsidenten Heinrich Hellwege bezeichnet werden. In der Sache ging es um die dringliche Verwirklichung des NATO-Flugplatzprogramms, der sich in Niedersachsen verschiedentliche Widerstände entgegenstellten. Obschon der Minister sie schriftlich zu widerlegen suchte, endete der Brief mit einem fast appellhaften Wunsch, aus dem die Aufstellungslast deutlich herauszulesen ist: »Ich bitte, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, meinen vorstehenden Ausführungen entnehmen zu wollen, daß die Bundesregierung im Hinblick auf die Bedeutung einer rechtzeitigen und umfassenden Verwirklichung des NATO-Flugplatz-Programms bereit ist, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet erscheinen, die hiermit verbundenen Schwierigkeiten auf ein Mindestmaß zu verringern. Ich würde es besonders begrüßen, wenn ich mit Rücksicht auf die Bedeutung dieses Programms demnächst Gelegenheit nehmen dürfte, zunächst mit Ihnen persönlich die Probleme zu erörtern, die hiermit im Zusammenhang stehen und die teilweise zusätzlich zu den von mir in meinen vorstehenden Ausführungen berührten Fragen noch bestehen können. Ich würde es außerdem für sehr wünschenswert erachten, wenn später eine umfassende Erörterung dieser Fragen gemeinsam mit Ihrem Landeskabinett erfolgen könnte, zu welcher - wie ich mir anheimzugeben erlauben darf - von Seiten meines Hauses noch die zuständigen Abteilungsleiter für Luftwaffen- und Liegenschaftsangelegenheiten herangezogen werden könnten. Ich wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr dankbar, wenn Sie mir möglichst bald einen Termin für unsere Besprechung vorschlagen wollten, der fernmündlich zwischen unseren persönlichen Referenten vereinbart werden könnte210.« Grundsätzlich konstatierte eine zur Inspektion der militärischen Infrastrukturlage ausgesandte Kommission des Verteidigungsausschusses, über ihren Auftrag wird an anderer Stelle noch berichtet werden, bereits im Sommer 1956 eine gute Zusammenarbeit mit den Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Bayern sowie auch mit deren mittleren und unteren Instanzen. Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet »Militärische Anlagen« sei ausgezeichnet. Bestes, weil prominentes Beispiel hierfür ist Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD), der, obwohl er politisch im anderen Lager stand und persönlich ein an210
BA-MA, BW 1/21564, BMVg Strauß an MinPräs Heinrich Hellwege, 20.12.1956.
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deres Streitkräftemodell, das Milizsystem, favorisiert hatte, mit folgendem Satz zitiert wird: »Er sagte, man könne über die politischen Zweckmäßigkeiten, die Frage der Aufstellung, die Frage des Zeitpunktes verschiedener Meinung sein; nachdem aber die gesetzgebenden Körperschaften, Bundestag und Bundesrat, entsprechend beschlossen hätten, sei es Sache der Demokratie, den Willen des Gesetzgebers zu respektieren211.« Für eine solche demokratiekonsensuale Haltung, die unter Umständen auch ganz praktische landespolitische Hintergründe haben mochte, darüber wird noch zu sprechen sein, musste er freilich auch Kritik einstecken. Während einer Landtagssitzung hielt ihm sinnigerweise ein CSU-Abgeordneter entgegen, man habe bei der Christlich-Sozialen Union »schon boshaft festgestellt, daß Herr Blank Ihnen gewissermaßen jeden Wunsch von den Augen ablesen will«212. Natürlich kommentierte Hoegner diese Bemerkung nicht, wohl aber nahm er die Debatte zum Anlass, die Abgeordneten anhand eines Schreibens aus dem Verteidigungsministerium erstmalig offiziell über die Flächenanforderungen für die Bundeswehr zu informieren - begleitet von lebhaften Hört, hört-Rufen. So fielen beispielsweise für den Landübungsplatz eines Pionierbataillons 50 ha und für einen Wasserübungsplatz 15 bis 20 ha an. Ein Infanterie- oder Artilleriebataillon benötigte für seinen Standortübungsplatz 150 ha, ein Panzerbataillon etwa 300 ha. Wie es sich für den Ministerpräsidenten eines damals noch Agrarlandes gehörte, beschloss er die Ausführungen mit dem Versprechen, sich bemühen zu wollen, die Anforderungen zur Schonung landwirtschaftlich wertvollen Bodens möglichst herabzuschrauben.
5. Die Infrastrukturlage der Bundeswehr 1956 unter parlamentarischer Beobachtung Das Jahr 1956 war in der Infrastrukturfrage insofern entscheidend, weil im Rahmen des 3. Vorwegbewilligungsantrags für einen Nachtrag zum Einzelplan 14 (Kapitel 1412) des Bundeshaushaltsplans der Bundesminister der Finanzen am 21. Juni nicht nur die Mittel für die ersten Kasernenneubauten einbrachte, sondern - nach damaligem Kenntnisstand - erstmals exakt angegeben wurde, wo gebaut werden würde. Der Grund für den Antrag lag darin, dass eine planmäßige Aufstellung der Bundeswehr nur durchführbar sei, wenn ausreichende Unterkünfte rechtzeitig verfügbar seien, wozu »neben der Freimachung ehemaliger militärischer Liegenschaften für den ersten Bedarf und der Übernahme von Kasernen des Bundesgrenzschutzes nunmehr auch der Neubau
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212
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.9.1956, S. 14. Stenographische Berichte des Bayerischen Landtags, 54. Sitzung, 1.3.1956, S. 1715.
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von Kasernen erforderlich« war213. Um die von der Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen erfüllen zu können, wozu für das Rechnungsjahr 1956 die Einberufung von 156 000 Soldaten gehörte, mussten dem Verteidigungsminister die entsprechenden Mittel an die Hand gegeben werden. Insgesamt belief sich die Höhe der beantragten Vorwegbewilligungen auf 2 633 751 600 DM. Davon entfielen 634 531 600 DM auf marineeigentümliches Gerät (1. Vorwegbewilligung), 554 000 000 DM auf Kampf- und Kraftfahrzeuge mit Zubehör (2. Vorwegbewilligung) und 1 445 220 000 DM auf Kasernen- und Wohnungsbauten für nichtkasernierte Angehörige der Bundeswehr (3. Vorwegbewilligung). Die letztgenannte Summe verteilte sich wiederum wie folgt: Tabelle 16:3. Vorwegbewilligung für Kasernen- und Wohnungsbauten der Bundeswehr 1956 Summe in DM 48 105 000
Betreff
Bemerkungen
Sachausgaben
Unterhaltungs- und Bewirtschaftungskosten Darlehen und Zuschüsse an öffentliche Körperschaften zu Aufschließungsmaßnahmen Vorbereitende Planungsmaßnahmen für militärische Bauten, Rückführung von ehemals militärischen und Beschaffung nicht bundeseigener Liegenschaften sowie Kasernen und Wohnungsbauten
100 000 000
Allgemeine Ausgaben
129 000 000
Einmalige Ausgaben
Das Bauprogramm für die eigentlichen Kasernenneubauten war in Höhe von 690 Mio. DM festgesetzt. Dafür sollten in 29 Standorten 42 Kasernen errichtet werden.
213
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, gemeinsame Sitzung des Haushaltsauschusses und des Ausschusses für Verteidigung, 5.7.1956. Anlage: Vorlage des BMFin an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses betr. Vorwegbewilligung von Haushaltsmitteln für den weiteren Aufbau der deutschen Bundeswehr.
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Tabelle 17: Anzahl und Kostenschätzung neu zu erbauender Bataillonskasernen in den Wehrbereichen I-VI nach der 3. Vorwegbewilligung für Kasernen- und Wohnungsbauten der Bundeswehr 1956 Ort
Bataillonskasernen (Anzahl)
Kostenanschlag in DM
Wehrbereich I Itzehoe Rendsburg Husum Schwarzenbek Eutin Flensburg-Weiche Plön-Stadtheide Boostedt
2 2 2 1 1 2 1 2
32 900 31 850 30 055 17 425 16 030 34 400 16 700 35 635
000 000 000 000 000 000 000 000
1 2 2 2
14 663 37 005 29 277 29 350
000 000 000 000
2 1 1 1 1
32 000 17 300 14 450 15 600 17 400
000 000 000 000 000
1 2
16 440 000 32 880 000
1 1 1 1 1
16 500 14 700 15 300 16 500 23 265
000 000 000 000 000
1 1 2 1 2 1
16 400 14 500 27 070 26 400 32 880 15 500
000 000 000 000 000 000
Wehrbereich II Achim Dörverden Schwanewede Langendamm Wehrbereich III Dülmen Minden Rheine Wesel Borken Wehrbereich IV Wolfshagen Allendorf Wehrbereich V Pfullendorf Walldürn Sigmaringen Immendingen Großengstingen Wehrbereich VI Bogen Mellrichstadt Roding Ingolstadt Landsberg Cham
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass sich der finanzielle Infrastrukturaufwand zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht auf Kostenanschläge für Neubaumaßnahmen beschränkte. Diese stellten vielmehr Projektionen dar,
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die sich erst in Jahresschritten realisieren sollten. Zur ersten Bedarfsdeckung an Unterkünften war bereits im Mai 1955 ein erstes Bauprogramm eingeleitet worden, welches im Wesentlichen 26 instandzusetzende Objekte umfasste. Bis zum Mai des folgenden Jahres befanden sich dann schon 124 ehemalige Kasernen, Flugplätze und sonstige militärische Liegenschaften mit einem geschätzten Gesamtkostenaufwand von knapp 195 Mio. DM in der Instandsetzung, wobei dem Stand der Bauarbeiten entsprechend zu diesem Zeitpunkt 77 Mio. DM (mithin knapp 40 Prozent) angewiesen worden waren214. Der 3. Vorwegbewilligungsantrag des Verteidigungsetats enthielt darüber hinaus weitere 25 520 000 DM die eingestellt worden waren, um 26 Unterkünfte herzurichten oder mit Zubauten zu ergänzen, die auf Grund des 2. Gesetzes über den Bundesgrenzschutz für militärische Zwecke zur Verfügung gestellt werden sollten215. Es kann nun nicht darum gehen, in jedem einzelnen Fall zu untersuchen, ob alle 1956 als Neubau beantragten Kaserne auch tatsächlich gebaut worden und welche lokalen Folgewirkungen daraufhin eingetreten sind. Die Realisierung hing in starkem Maße auch von der Variablen Verteidigungsplanung ab, welche sich genau in jenem Zeitraum grundlegend zu verändern begann, in den der erste Kasernenbauabschnitt fallen sollte. Viel wesentlicher erscheint die Feststellung, dass mit diesem Vorwegbewilligungsantrag erstmals konkrete Fakten auf dem Tisch lagen, die parlamentarisch behandelt werden konnten. Darum waren der Haushalts- und der Verteidigungsausschuss auch vom Bundesminister der Finanzen mit dem Ziel gebeten worden, noch vor Beginn der Parlamentsferien in gemeinsamer Sitzung eine zustimmende Entscheidung herbeizuführen. Im Übrigen hielt der Verteidigungsausschuss die Infrastruktur für ein zentrales Aufgabenfeld, welches unter besondere parlamentarische Beobachtung gestellt werden müsse. Schon am 22. März 1956 hatte man deshalb auf Vorschlag von Fritz Erler neben den Unterausschüssen für Haushalt, für Führung und für Beschaffung auch einen Unterausschuss für Infrastruktur gebildet. Hier sollte der Komplex »Bau, Stationierung, Garnison« zur parlamentarischen Entscheidungsreife gebracht werden. Die Beschlussfassung im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens oblag freilich dem Verteidigungsausschuss216. Dabei liefen die Unterredungen sowohl im Unterausschuss für Infrastruktur als auch im Verteidigungsausschuss selbst zum 3. Vorwegbewilligungsantrag im Grunde genommen ziemlich unspektakulär ab. Die Parlamentarier hatten die grundsätzliche Notwendigkeit eines Kasernenbauprogramms akzeptiert, zumal der Berichterstatter (MdB Albert Frenzel, SPD) versicherte, jede Frage, die mit den einzeln geplanten Kasernen zusammenhänge, sei mit den Ländern abgesprochen worden. Etwas intensiver diskutiert wurde der Titel 530, hinter 214
215
216
Ebd., Unterausschuss Infrastruktur des Ausschusses für Verteidigung, Gem. Zusammenstellung des BMVg und des BMFin betr. Bauten für die Verteidigung, 14.6.1956. Zur Übernahme von Teilen des Bundesgrenzschutzes in die Streitkräfte vgl. AWS, Bd 3, S. 1138-1142 (Beitrag Meyer). Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 88. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 22.3.1956, S. 3.
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dem sich 100 000 000 DM als »Darlehen und Zuschüsse zu Aufschließungsmaßnahmen und Folgeeinrichtungen besonderen Umfangs bei militärischen Bauvorhaben und Wohnsiedlungen« verbargen. Dass hier eingehakt würde, war klar, betraf der Titel im Ergebnis doch die Kommunen in ganz entscheidendem Maße. Dabei hatte sich die Regierung schon in der Begründung des Vorwegbewilligungsantrags und im Vorgriff auch auf inhaltliche Tendenzen des Landbeschaffungsgesetzes wie folgt festgelegt: »Der Bau von militärischen Anlagen großen Ausmaßes und damit im Zusammenhang stehenden Wohnsiedlungen erfordert Aufschließungsmaßnahmen und Folgeeinrichtungen außergewöhnlichen Umfangs, deren Kosten von den zuständigen öffentlichen Körperschaften oder sonst Verpflichteten allein nicht getragen werden können. Es muß daher die Möglichkeit geschaffen werden, die das zumutbare Maß übersteigenden Kosten durch eine Finanzhilfe des Bundes aufzufangen. Diese Hilfe soll durch Darlehen gewährt, bei nicht werbenden Anlagen durch Zuschüsse gegeben werden217.« Folgt man dem Berichterstatter des 3. Vorwegbewilligungsantrags, so waren weniger verfassungsrechtliche, eher wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte wichtig. Mit Blick auf die verteidigungsplanerischen Vorstellungen und die Raumstruktur der Bundesrepublik stellte sich nämlich einmal mehr die Frage, ob man Kasernen am Rand der großen Städte oder »auf das Land hinaus bauen« sollte218. Während sich bei ersteren die Aufschließungsmaßnahmen eher in Grenzen halten dürften, träfe solches bei kleineren Städten kaum zu. Hier würden sich die Kosten für den Bund auch deshalb noch weiter erhöhen, weil aus struktur- und entwicklungspolitischen Gründen beabsichtigt sei, gerade die so genannten Grenz- und Notstandsgebiete mit neuen militärischen Liegenschaften besonders zu berücksichtigen. Die Debatte darüber drehte sich nun nicht etwa um die Abfederung militärischer Folgewirkungen in kleinen Kommunen. Die Abgeordneten redeten vielmehr darüber, wohin die Darlehensrückflüsse laufen würden - zum Verteidigungs- oder zum Finanzministerium. Dahinter steckte die Sorge, das Verteidigungsressort könne sich ein finanzielles Extrapols217
218
Ebd., Unterausschuss Infrastruktur des Ausschusses für Verteidigung, Gem. Zusammenstellung des BMVg und des BMFin betr. Bauten für die Verteidigung, 14.6.1956, S. 4. Unter Aufschließung versteht man die Baureifmachung und die Herstellung der erforderlichen Anschlüsse an das Versorgungs-, Entwässerungs- und Verkehrsnetz. Folgeeinrichtungen sind »öffentliche und diesen gleichzuachtende bauliche Anlagen [...], die infolge der Einrichtung einer großen Anzahl von Wohnungen erforderlich sind, um die notwendige bildungsmäßige, seelsorgerische, gesundheitliche, soziale und verwaltungsmäßige Betreuung zu gewährleisten«. Höhlt, Finanzhilfen des Bundes, S. 67. Werbende Anlagen werden grundsätzlich nur mit Bundesdarlehen gefördert. Hierzu zählen in erster Linie Anlagen der Wasserversorgung, da über den von der Bundeswehr an die Gemeinden zu zahlenden Wasserpreis nicht nur die laufenden Unterhaltungskosten gedeckt werden, sondern diese auch eine Amortisation der Anlagekosten bewirken. Anlagen der Entwässerung und der verkehrsmäßigen Erschließung sind grundsätzlich unrentierliche Anlagen, da z.B. die Entwässerungsgebühren in der Regel eine Amortisation der Anlagekosten nicht gestatten. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 106. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 3.7.1956, betr. Beratung des 3. Vorwegbewilligungsantrags für das Infrastrukturprogramm, S. 7.
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ter verschaffen, indem es die Gelder seinem allgemeinen Titel zukommen lasse, um Panzer zu kaufen. Der Vertreter des Verteidigungsministers konnte die Befürchtung mit dem Hinweis darauf entkräften, dass die Gelder titelgebunden zurückfließen würden und, den voraussichtlich längeren zeitlichen Ablauf des Streitkräfteaufbaus vor Augen habend, im Sinne eines revolvierenden Fonds den Gemeinden die Aufschließungs- und Folgekosten erleichtern. Für Zündstoff sorgte die Behandlung des Titels 790, der die Rückführung von ehemals militärischen Liegenschaften zu ihrem ursprünglichen Verwendungszweck betraf. Konkret ging es um 165 000 000 DM an Abfindungen für die Verlagerung von Flüchtlingsindustrien oder die Beschaffung von Ersatzwohnungen219. Es war nicht die Höhe der Summe, welche für Erregung sorgte, sondern vielmehr die in der Praxis bei der Kasernenfreimachung offenbar zu Tage getretenen Unzuträglichkeiten. Der CDU-Abgeordnete Heinrich Gerns zitierte eindrucksvoll aus einem Brief, den er aus seinem Wahlkreis erhalten hatte: »Der Bau der Plöner Kaserne hat eine politisch radikalisierende Wirkung für die Flüchtlinge im Lager aus folgenden Gründen. Die Baubehörde Lübeck beschlagnahmte für ihre Bauleitung eine der Baracken des Oberlagers. Diese Baracke hat einen Verkaufswert von etwa 1500 DM. Sie wurde für die Bauleitung hergerichtet, der Kostenaufwand mit der bescheidenen Summe von 46 000 DM veranschlagt und durch Abstrich eines Anbaus auf 39 000 gesenkt. Die Bewohner der Baracke - der Mann lag gerade im Krankenhaus bekamen tags zuvor Nachricht, daß sie räumen sollten, und tatsächlich stand am nächsten Morgen um 7 Uhr ein Wagen da, der sie Hals über Kopf in sechs Stunden herauslüftete. Für die Herrichtung der ihnen zugewiesen Räumlichkeiten im Unterlager erhielten sie 30 DM220.« Das um Abhilfe solcher »skandalöser Zustände« ersuchte Verteidigungsministerium zog sich den Schuh allerdings nur halb an. Auch wenn die Baudurchführung in den Händen des dem Finanzministerium nachgeordneten Bereichs (bei den jeweiligen Oberfinanzdirektionen) lag, konnte es dem Verteidigungsressort, wie sich der Haushaltsabteilungsleiter Volkmar Hopf ausdrückte, weder moralisch noch aus militärischen Gründen gleichgültig sein, wenn bei der Kasernenfreimachung unsozial verfahren würde. Dies würde sich herumsprechen und sei somit effektiv von Schaden für die Armee. Sachlich, und dies unterstreicht einmal mehr die komplexe Problematik der Streitkräfteintegration bis hinunter auf die niedrigste Ebene, war es tatsächlich so, dass die unmittelbare Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums eigentlich mit der Landnahme endete. Die Baudurchführung war Sache der Bauverwaltung des Finanzministeriums. Mit bürokratischen Erklärungen wollte es der Verteidigungsausschuss, in Sonderheit Helmut Schmidt (SPD), allerdings nicht bewenden lassen. Unter Hinweis auf auch andernorts geführte Klagen über rücksichtslose Räumungs2,9 220
Im Haushaltsjahr 1955 waren für diesen Zweck 140 000 000 DM bewilligt worden. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 106. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 3.7.1956, betr. Beratung des 3. Vorwegbewilligungsantrags für das Infrastrukturprogramm, S. 13.
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aktionen für die Bundeswehr und die dadurch entstandenen skandalösen Verhältnisse, die zu großer Verbitterung geführt hätten, riet er beiden Ministerien dringend, diese Vorfälle generell zu bereinigen und nicht nur Einzelfällen nachzugehen. Weil dieser Bereich des materiellen Streitkräfteaufbaus offenbar zu einem flächendeckenden Problem vor Ort geworden war, regte Schmidt eine parlamentarische Begutachtung an, die durch eine Bereisung des Unterausschusses Infrastruktur erfolgen könne. Denn vor weiterer Beratung sollten sich die Abgeordneten, »ein vollständiges Bild von dem Ausmaß bürokratischer Dummheit gemacht haben, das sich im Augenblick breitgemacht hat, nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern offenbar auch anderswo«221. Ob hinter dieser Idee und der dadurch erreichten Aufdeckung skandalöser Zustände auch politische Hintergedanken steckten, die auf den in Turbulenzen geratenen Theodor Blank abzielten, dafür findet sich freilich kein zitierfähiger Beleg. Jedenfalls fiel die Anregung einer parlamentarischen Vororterkundung auf fruchtbaren Boden, auch wenn der Ausschussvorsitzende Richard Jaeger sich noch dazu berufen fühlte, reisekostenrechtliche Hürden aufzubauen, um den Teilnehmerkreis entsprechend klein zu halten222. Die Infrastrukturreise fand noch vor den Parlamentsferien im Juli 1956 statt. Sie führte in die Wehrbereiche I und VI nach Schleswig-Holstein bzw. nach Hamburg und Bayern, also dorthin, wo gewisse Schwerpunkte des materiellen Streitkräfteaufbaus lagen. Im September lag der Reisebericht dem Verteidigungsausschuss vor, der im Grunde genommen ein Mängelbericht über den ins Stocken geratenen, zentralen ersten Teil des Bundeswehraufbaus war223. Die Parlamentarier wurden begleitet von hohen Beamten des Verteidigungs-, Finanz· und Wohnungsbauressorts, der jeweiligen Wehrbereichsverwaltungen, der Oberfinanzdirektionen sowie Vertretern der Landesregierungen. Vor Ort waren in der Regel die jeweiligen Bürgermeister und Offiziere der regional bzw. lokal zuständigen Bundeswehrdienststellen sowie Vertreter der Stationierungsstreitkräfte zugegen, in bestimmten Fällen auch lokale Bundes- bzw. Landtagsabgeordnete. Wenn man die Reiseroute etwas näher betrachtet, so kann man feststellen, dass sie gerade nicht in solche Orte führte, wo erstmalig Truppen stationiert werden sollten. Das hätte vermutlich auch wenig Sinn gehabt, steckten die im 3. Vorwegbewilligungsantrag eingestellten Kasernenneubauten doch noch überwiegend in der Planungsphase. Lediglich bei acht Kasernen hatte der Bau entweder bereits begonnen oder die Bauaufträge waren vergeben worden. Für weitere 15 sollten die Aufträge im Herbst 1956 vergeben werden. Die übrigen Projekte steckten wegen des noch nicht abgeschlossenen Zukaufs von Privatgelände oder notwendig gewordener Teilräumungen in zeitlichen Problemen224. Besichtigt wurden deshalb im Wehrbereich I die Stand221 222 223
224
Ebd., S. 17. Ebd., S. 3 - 2 3 . Ebd., Unterausschuss Infrastruktur, Berichte über die Bereisung der Wehrbereiche I und VI durch den Unterausschuss Infrastruktur. Ebd., stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.9.1956, S. 34.
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orte Kiel, Plön, Uetersen, Pinneberg und Hamburg. Im Wehrbereich VI begannen die Ausschussmitglieder in Regensburg und fuhren dann nach Ingolstadt, Neuburg a.d. Donau, München, Feldafing, Lechfeld, Memmingen und Sonthofen - jeweils Orte, die spezifische Probleme aufzuweisen hatten, aus denen man einen Gesamteindruck abzuleiten hoffte. Stellvertretend für die lokalen Problemstellungen sei aus Presseberichten zitiert, die den Inspektionsbesuch einmal in einer Großstadt und das andere Mal in einer Kleinstadt schildern. Fragen des Ersatzwohnungsbaus, der Verdrängung von Flüchtlingsbetrieben und des sattsam bekannten Problems, auf den guten Willen der Stationierungstruppen angewiesen zu sein, markierten z.B. die wichtigsten Problemfelder in der Großstadt Regensburg225. Auf dem Fliegerhorst Lechfeld, am Rand der Ortschaften Klosterlechfeld und Untermeitingen im Landkreis Schwabmünchen, hakte es dagegen vor allem an folgenden Problemen: »Es geht hier um Wiederinstandsetzung und Neubautätigkeit. Lechfeld hat eigenes Gelände, es braucht weiteres Gelände nicht in Anspruch genommen zu werden [...] Der erste Teil des Bauprogramms gilt der Instandsetzung von 22 teilbeschädigten Gebäuden, der zweite Teil bringt weitere Instandsetzungsarbeiten, die Errichtung der erforderlichen Schulen und der Großküche sowie die Instandsetzung des großen Gebäudes entlang der Β 17. Es ist geplant, diesen zweiten Teil in der zweiten Hälfte des Jahres 1957 fertigzustellen; 22,6 Millionen DM sind bereits bewilligt. Die Endlösung des Wiederaufbaues wird Ende 1956 erreicht sein. Es wurde die in der Öffentlichkeit aufgetauchte Frage erörtert, ob die Wiedererrichtung militärischer Anlagen nicht das zivile Bauwesen in unerwünschter Weise störe. MdB Dr. Mende stellte selbst diese Frage und beantwortete sie: mit dem Hochziehen der Kasernenbauten wird erst im September/Oktober begonnen, also zu einer Zeit, da die zivile Bautätigkeit bereits zurückgeht. Es gibt also keine Überschneidungen. Regierungsbaudirektor Loibl ergänzte diese Ausführungen mit der Angabe, daß das gesamte Bauvolumen der deutschen Bauwirtschaft im vergangenen Jahr 22 Millionen betragen habe, das größtmögliche Ausmaß im Verteidigungssektor werde aber die Höchstsumme von vier Milliarden sein. Dieser Anteil ist also nicht zu groß und überdies kann damit gerechnet werden, daß auf verschiedenen Sektoren der zivilen Bauwirtschaft eher eine rückläufige Bewegung eintrete226.« Im Grunde decken diesen lokalen Momentaufnahmen einen Gutteil der grundsätzlichen Problemfelder ab, mit denen die Bundeswehr sich bei ihrem Weg der materiellen Implementierung in das staatliche und gesellschaftliche Gefüge herumzuschlagen hatte. Auch wenn es stimmte, »daß die vom Bundesverteidigungsministerium für die Fertigstellung der militärischen Anlagen gesetzten
225
226
Bundestagsabgeordnete besuchten die Regensburger Kasernen. In: Regensburger Stadtumschau, 24.7.1956. Die Bundesfahne weht über dem Fliegerhorst Lechfeld. In: Schwabmünchner Zeitung, 27.7.1956.
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Termine zumindest optimistisch angesetzt sind«227 und man an fast allen Stellen eine Überschreitung der Fertigstellungstermine um schätzungsweise bis zu eineinhalb Jahre gewärtigen musste, war dies jedoch keineswegs allein die Schuld der Bundeswehr. Lässt man die Hindernisse bei der Kasernenfreimachung - sei es von Flüchtlingen oder von alliierten Truppen - einmal unberücksichtigt, dann schienen sich Schwierigkeiten vorrangig bei der Baulandbeschaffung zu konzentrieren. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass sich zum Zeitpunkt der Bereisung des Infrastrukturausschusses das Gesetz· über die Landbeschaffung noch in der parlamentarischen Beratung befand. Zwei Hauptgründe wurden als Hemmschuh bei der Geländebeschaffung ausgemacht. Gegenüber Flugplatzerweiterungen, wie sie etwa bei Neuburg a. d. Donau vorgesehen waren, regte sich deshalb Widerstand, weil verschiedentlich bäuerliche Existenzen auf dem Spiel standen228. Im Falle einer Vergrößerung der Start- und Landebahn befürchtete man eine Sicherheitsbeeinträchtigung der nach Auffassung der Kommune dann viel zu nahe an bebautes Gebiet heranreichenden Anlage. Aus heutiger Sicht mag man es vielleicht als Kuriosum abtun, wenn der Fluglärm als Initiator für den technologischen Wandel in der Landwirtschaft eingeschätzt und - unter Berücksichtigung kleinbäuerlicher Betriebsstrukturen - als bedrohlich empfunden wurde: »Besonders gravierend wirkt sich für die bäuerliche Bevölkerung jedoch aus, daß Landwirte, deren bewirtschaftete Flächen in der Nähe der Startbahn liegen, ihre Pferde- und Ochsengespanne auf Zugmaschinen umstellen müssen. Diese Umstellung hätte die weitere Folge, daß für die normalerweise mit Pferde- oder Ochsengespann durchzuführenden Hackarbeiten zusätzliches Gerät zum Anhang an die Zugmaschinen beschafft werden muß. Derartige Anschaffungen überschreiten die Leistungsfähigkeit der betroffenen landwirtschaftlichen kleinen Betriebe bei weitem229.« Die Sicherheitsbedenken und die Frage der Lärmbelästigung, welche die Kommune Umtrieben, scheinen im Übrigen durchaus von einiger Qualität gewesen zu sein. Während die Stadt Neuburg etwa 1,5 km vom Flugplatz entfernt lag, reichten die Gemeinden Zell und der Ortsteil Marienheim bis auf 500 m an die Platzgrenze heran. Als besonders erhebliches Gefahrenmoment bewertete man die geringe Distanz (4 km) der Start- und Landebahn zum größten Tanklager der Bundesrepublik. Die Bayerische Staatsregierung teilte die Sorgen der Stadt und stimmte im Rahmen des Raumordnungsverfahrens dem weiteren Ausbau 227
228
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Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.9.1956, S. 6. Problematisch stellte sich die Situation bei der Landbeschaffung v.a. dort dar, wo landwirtschaftlicher Boden mit hoher Bonität für die Erweiterung von Standortübungsplätzen ins Auge gefasst worden war. Wie etwa bei der in der Nähe von Regensburg an der Schwelle zum fruchtbaren Gäuboden gelegenen Ortschaft Oberhinkofen, wo der Landrat »sehr aggressiv die dortige Bevölkerung gegen alle wehrpolitischen Maßnahmen >in Schwung gebracht haben soll«. Ebd., S. 14. Ebd., Unterausschuss Infrastruktur, Schreiben des Landrats von Neuburg a.d. Donau an MdB Frenzel betr. Landinanspruchnahme zur Erweiterung von Startbahnen im Rahmen des U.S.-Auflockerungsprogramms, 4.8.1956.
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des ehemaligen Wehrmachtfliegerhorstes als Staffelflugplatz für die deutsche Luftwaffe mit folgender Begründung nicht zu: »Eine militärische Flugbasis für Düsenflugzeuge mit regem Flugbetrieb in unmittelbarer Nähe einer Stadt von 18 000 Einwohnern muß als Fehlplanung bezeichnet werden und würde das Gefüge des betroffenen Raumes tiefgreifend stören 230 .« Generell stand die Luftwaffe zunächst vor großen Schwierigkeiten, was - mit Blick auf die technischen Voraussetzungen der Düsenflugzeuge - den zeitgemäßen Ausbau der ersten Flugplätze betraf. Der Liegenschaftsabteilung des Verteidigungsministeriums war aus den Raumordnungsverfahren nur allzu gut bekannt, »mit welchen starken Argumenten und in welch eindringlicher Form von ziviler Seite Einwendungen gegen den Bau der NATO-Flugplätze erhoben werden, insbesondere wegen der befürchteten Gefährdung der Bevölkerung im Ernstfalle in der näheren Umgebung der Flugplätze sowie wegen der Lärmbelästigung« 2 3 1 . Nun nahm die Luftwaffe dieses Problem keineswegs auf die leichte Schulter. Eine »Ausarbeitung zu den Problemen, die bei der Anlage von milit. Flugplätzen für die zivile Bevölkerung entstehen« sollte den Landesregierungen bzw. den Regierungspräsidenten zugestellt werden, um die Schwierigkeiten beheben zu helfen. In der Liegenschaftsabteilung erhob man jedoch deshalb »erhebliche Bedenken« gegen eine solche Schrift, weil sie offenbar mit Ungereimtheiten behaftet war und demzufolge mehr Schaden als Nutzen bringen würde. Einige Beispiele: »2. Auflockerung: a) Die Ausarbeitung bringt zum Ausdruck, daß für den Unterkunftsbereich in jedem Fall ein Abstand von ca. 7 km zur Basismitte anzustreben ist und nur in Ausnahmefällen eine geringere Entfernung vertretbar sei [...] b) Die Erklärung in der Ausarbeitung, daß >in allen Fällen Überlegungen angestellt werden, ob weitergehende Maßnahmen zum Schutz der zivilen Bevölkerung getroffen werden müssen< körinen in dieser Form nur als deklamatorisch angesehen werden, da Hinweise, durch welche praktischen Maßnahmen und aus welchen Haushaltsmitteln dieser Schutz der zivilen Bevölkerung tatsächlich verwirklicht werden kann oder könnte, fehlen [...] 3. Überflughöhe: [...] b) Von sehr großer Bedeutung für die zivile Bevölkerung ist jedoch nach den bisherigen Ergebnissen des Raumordnungsverfahrens das Problem des Uberfliegens von geschlossenen Siedlungen. Insoweit dürfte die Ausarbeitung, falls sie die Planungen der Flugplatzvorhaben erleichtern soll, sich nicht darauf beschränken, zu sagen, daß >die deutsche Luftwaffe versuchen wird, Beschränkungen für die Überflughöhen, - wenigstens bei Großstädten - , festzulegen [...] 5. Störung der landwirtschaftlichen Produktion: a) Die in der Ausarbeitung angeregte Umlegung landwirtschaftlicher Nutzflächen, die von den langen Startbahnen zerschnitten werden, ist außerordentlich schwierig und mit hohen Kosten verbunden; es wird als Man230 231
BA-MA, BW 1/21564, Bayerische Staatskanzlei an BMVg, 2.5.1957. Ebd., BMVg Abt. IX an Abt. VI, 16.5.1957.
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gel von den zivilen Dienststellen empfunden werden, daß sich die Denkschrift insoweit nicht über die Kostentragung ausspricht, b) Dasselbe trifft zu für den Hinweis in der Ausarbeitung, daß es zweckmäßig sei, bäuerliche Anwesen in der durch den Düsenlärm gefährdeten Umgebung der Flugplätze umzusiedeln. Dieses Problem wird von der Abt. IX mit dem BMF z.Zt. behandelt, ohne daß bisher wegen der schwierigen rechtlichen und haushaltsmäßigen Situation eine befriedigende Lösung gefunden werden konnte232.« In der Flugplatzfrage stand die Luftwaffe auch im Hinblick auf die NATOForderung nach Auflockerung und Überlebensfähigkeit der Verbände bei Atomschlägen offenbar an der Wand233! So konnte die Öffentlichkeit im »Spiegel« von einem vertraulichen Besprechungsbericht zwischen Vertretern des Verteidigungsministeriums und verschiedenen Landesbehörden erfahren, wonach Luftwaffeninspekteur Josef Kammhuber nicht nur über den Raummangel für Fliegerhorste klagte, der die Erreichung der Einsatzbereitschaft gefährde. Allein durch die Regelungen des Landbeschaffungsgesetzes - gemeint war vermutlich die Möglichkeit der Enteignung - könnte dieser Mangel beseitigt werden, aber ein entsprechendes Vorgehen kam seiner Meinung nach im Wahljahr 1957 nicht in Frage234. Im konkreten Fall des Flugplatzes Neuburg an der Donau sollte es so weit aber gar nicht kommen. Das Verteidigungsministerium bemühte vielmehr eine andere Bestimmung des Landbeschaffungsgesetzes, um die als unabdingbar erklärte militärische Forderung zu realiseren. Weil die zivilen Stellen im Rahmen des Raumordnungsverfahrens lediglich gehört werden mussten, konnte die militärische Seite im Konfliktfall ihre Vorstellungen erforderlichenfalls als vorrangig durchsetzen. So auch hier! Trotz des Wahljahres zeigte sich der Verteidigungsminister zu seinem »Bedauern nicht in der Lage, auf die Erweiterung des o.a. Platzes zu verzichten«235. Die der Stadt Neuburg daraus erwachsenen Nachteile waren »den Interessen der Landesverteidigung unterzuordnen«. Als zweites Hindernis bremsten Bodenspekulationen die Baulandbeschaffung für die Bundeswehr. Der Berichterstatter für die Reisegruppe Süd, Erich Mende (FDP), wusste seinen Kollegen im Verteidigungsausschuss von einem augenscheinlich besonders spektakulären Fall zu berichten. Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass gewisse Geländeteile für die Bundeswehr benötigt würden, stieg der geforderte Kaufpreis eines Bauernhofs von ursprünglich geschätzten 130 000 DM über 200 000 DM auf letztlich 600 000 DM. Mende sprach sich deshalb für die beschleunigte Verabschiedung eines Baulandbeschaffungsgesetzes aus, von dem er sich eine prohibitive Wirkung versprach. Allein die Existenz eines solchen Gesetzes werde den Spekulationen Einhalt gebieten. Wenn bekannt sei, dass Grundstücke im Rahmen eines Enteignungsverfahrens 232 233 234 235
Ebd. Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 428-431. Der Spiegel, 20 (1957), S. 11; vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau, S. 428. BA-MA, BW 1/21564, BMVg an den bayerischen MinPräs, Juni 1957 (Entwurf); nachfolgendes Zitat ebd.
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unter Umständen zu einem Taxpreis abgegeben werden müssten, würden Eigentümer es sich vermutlich überlegen, einen Phantasiepreis zu verlangen. In diesem Zusammenhang sei auf die im Rahmen des Landbeschaffungsgesetzes ebenfalls behandelte Baulandpreisproblematik hingewiesen. Das im Übrigen keineswegs neuartige Phänomen von Bodenspekulationen und Preistreiberei im Zuge der Einrichtung militärischer Anlagen hatte auch schon den Bayerischen Landtag beschäftigt. Dabei wurde dem Landwirtschaftsminister und gleichzeitigen stellvertretenden Ministerpräsidenten, Joseph Baumgartner, der zugleich Vorsitzender der Bayernpartei war, besonders aus den Reihen der oppositionellen CSU vorgeworfen, er würde wilde Hetzreden vor der Bauernschaft halten. Er mache dahingehend Stimmung bei den Bauern, ihre Grundstücke für Verteidigungsbelange nicht herzugeben. Falls sie es dennoch tun müssten, dann »sollten sie möglichst ungeheuer hohe Preise verlangen«236. Diese Attacke reihte sich ein in den Reigen der heftigen Auseinandersetzungen, die beide Parteien im Kampf um die politische Vormachtstellung im konservativen Milieu Bayerns mit allen Mitteln austrugen 237 . In noch einem weiteren Zusammenhang geriet die Baulandbeschaffung der Bundeswehr zum Vehikel, über welches sich dieser regionalpolitische Machtkampf führen ließ. Den Abgeordneten, die im Sommer 1956 die Streitkräfteinfrastruktur in Augenschein genommen hatten, war eine gewisse Tendenz aufgefallen, dass Orts- und Regionalbehörden dazu neigten, beim Landbedarf lieber auf Privat- denn auf Gemeinde- oder Staatsbesitz zurückzugreifen. Das schien nicht aus der Luft gegriffen zu sein, korrespondierte diese Haltung doch mit der bereits zitierten Debatte im Bayerischen Landtag vom März 1956. Auf einen Antrag des Bayernpartei-Abgeordneten Konrad Frühwald, bei der Einrichtung von Truppenübungsplätzen und Garnisonen in erster Linie auf Staatsbesitz zurückzugreifen, warf der CSU-Abgeordnete Franz Magerl der Ministerialbürokratie - insbesondere den Beamten des Staatsministeriums für Landwirtschaft und Forsten - vor, sich dem beharrlich entgegenzustellen und stattdessen auf bäuerlichen Besitz zurückzugreifen. Indem Magerl auf das ganz ähnlich praktizierte Verhalten in der NS-Aufrüstungsphase hinwies, hegte er die Befürchtung, dass das Privateigentum schwinden und dafür das Staatseigentum gemehrt würde. Dies führe zur Vernichtung zahlreicher bäuerlicher Existenzen. Der hier artikulierten Sorge versuchte das zu Jahresbeginn 1957 verabschiedete Landbeschaffungsgesetz dann dahingehend vorzubeugen, dass im Rahmen des Anhörungsverfahrens die Landesregierungen in ihren Stellungnahmen besonders darauf ein Auge werfen sollten, »ob das Vorhaben aus Grundbesitz der öffentlichen Hand [...] befriedigt werden kann« (§ 1 Abs. 2 LBG). Wie sah es nun aber tatsächlich aus? In der Literatur taucht zumindest der pauschale Hinweis auf, dass der jedenfalls in Bayern vorhandene umfangreiche staatliche Forstbesitz eine große Erleichterung bei der Befriedigung der Landbeschaffung 236 237
Stenographische Berichte des Bayerischen Landtags, 54. Sitzung, 1.3.1956, S. 1715. Vgl. Wolf, CSU und Bayernpartei.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
für militärische Zwecke mit sich gebracht habe. Bezogen auf eine Aktendurchsicht bei der Staatskanzlei im Jahre 1974 wurde festgehalten: »Der bayerische Staat gab das Land für die Standortübungsplätze, Depots und Flugplätze, die Gemeinden den Platz für die Bauten/Kasernenanlagen238.« Ohne hier die sicherlich beträchtlichen regionalen und örtlichen Schwankungsbreiten im Einzelnen berücksichtigen zu können, die Grundeigentumsverhältnisse variierten aus historischen, topografischen, kulturellen und ökonomischen Gründen vermutlich sehr stark, seien zur generellen Überprüfung einmal die Landbeschaffungsübersichten der Jahre 1957 bis 1960 in den Blick genommen. Solche hatte der Deutsche Bundestag bei der Verabschiedung des Landbeschaffungsgesetzes für jedes Jahr verpflichtend von den damit befassten Ministerien (Finanzen, Verteidigung und wirtschaftlicher Besitz des Bundes) abgefordert239. Die in Tabelle 18 aufgeführten Zahlen beschränken sich an dieser Stelle nicht zuletzt auch aus Gründen der Übersichtlichkeit ausschließlich auf die Beschaffungen durch freihändigen Ankauf für Zwecke der Bundeswehr. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 954,42 ha Fläche aus dem Besitz der öffentlichen Hand angekauft, dem 14 506,63 ha gegenüberstanden, die von privaten Eigentümern stammten. Der hierin nicht enthaltene Anteil des durch Enteignungen beschafften Landes war dagegen marginal. Lediglich für das Fiskaljahr 1958/59 wurden 15 Enteignungsfälle vermerkt bei einem Flächenaufkommen von insgesamt 979 ha. Sollte angesichts der 1957 stattgefundenen Bundestagswahlen eine diesbezügliche Furcht vor negativen Rückwirkungen auf die Regierung im Raum bestanden haben240, so entbehrte das angesichts der tatsächlichen Verhältnisse jedweder Grundlage. Mit Blick auf die geringe Anzahl könnte man den Eindruck gewinnen, dass die im Landbeschaffungsgesetz formulierten umfänglichen Auflagen bei Enteignungen, um die ja besonders lange und intensiv gerungen worden war, letztlich gar nicht notwendig gewesen wären. Aber angesichts der Verhältnisse in der Zeit der Besatzungsherrschaft konnte man es sich vielleicht gar nicht vorstellen, dass bei den beispielsweise bis 1964 in der Bundesrepublik stattgefundenen 20 000 Beschaffungsfällen die Quote der nach dem Landbeschaffungsgesetz vorgenommenen Enteignungen bei nur 0,4 Prozent lag241. In Bayern kam es im Zuge der bis 1968 durchgeführten 4000 Raumordnungsverfahren für militärische Anlagen lediglich zu fünf Enteignungsmaßnahmen242.
Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 19. 239 Nachfolgende Zahlen aus Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode 1957, Anlagen Bd 58, 64, 71, 1958, 1959, 1960, Drs. 547, 1341, 2227. Die Daten wurden exakt erhoben für den Zeitraum vom 1.1.1957 bis 31.3.1960. 240 Werner Abelshauser spricht im Rahmen seiner Untersuchung zu Wirtschaft und Rüstung in den fünfziger Jahren davon, dass eine erste große Enteignungswelle genau auf den Wahlkampf von 1957 zugerollt sei. Vgl. AWS, Bd 4, S. 157 (Beitrag Abelshauser). 241 Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. 242 Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 19. 238
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
Tabelle 18: Für Zwecke der Verteidigung beschaffte Flächen 1957-1960 Verwendungszweck
Beschaffte Fläche in ha aus öffentlicher Hand
privater Hand
1. Januar 1957 bis 31. März 1958 Kasernen Flugplätze Übungsplätze Wohnungsbauten Sonstige Anlagen
106,34 2,45 90,04 -
635,62 123,48 9 279,45 -
8,52
171,90
152,77 57,90 123,01
1138,22 215,58 769,55
1. April 1958 bis 31. März 1959 Kasernen Flugplätze Übungsplätze Wohnungsbauten Sonstige Anlagen
-
-
35,89
313,16
Kasernen Flugplätze Übungsplätze Wohnungsbauten Sonstige Anlagen
138,21 6,82 197,01
312,16 192,90 1101,96
35,46
252,65
Insgesamt
954,42
14 506,63
1. April 1959 bis 31. März 1960
-
-
Ausgangspunkt, sich das statistische Material einmal genauer anzusehen, war ja, dass die Mitglieder des Unterausschusses Infrastruktur bei ihren Besichtigungsreisen den Eindruck gewonnen hatten, Orts- und Regionalbehörden neigten bei der Befriedigung des militärischen Landbedarfs tendenziell eher dazu, auf Privat- als auf Gemeinde- oder Staatsbesitz zurückzugreifen. Der Eindruck täuschte keineswegs! Denn als Tendenz kann man es wahrlich nicht bezeichnen, wenn von 1957 bis zur Jahresmitte 1960 knapp 94 Prozent - also nahezu der gesamte Bedarf - über den Ankauf aus Privatbesitz gedeckt wurde. Damit ist freilich noch nichts über die antizipierten sozialen und ökonomischen Folgen gesagt, die von manchen Zeitgenossen als besonders bedrohlich eingeschätzt wurden. Sicherlich ist zu vermuten, dass durch Bundeswehransiedlungen veränderte Eigentumsverhältnisse eine wichtige Strömungsgröße in jenem Veränderungsprozess darstellte, dem in dieser Zeitspanne ein Großteil der Bundesrepublik generell unterworfen war. Darauf wird noch bis auf die entscheidende Wirkungsebene vor Ort zurückzukommen sein. Hier geht es zunächst darum, solche Strömungsgrößen zu lokalisieren, die mit dem infrastrukturellen Aufwuchs der Bundeswehr zusammenhingen. So kam außer der Landproblematik während der Inspektionsreise die Frage auf, ob denn die not-
158
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
wendigerweise rasch in Angriff zu nehmenden militärischen Baumaßnahmen allein schon von ihrem Umfang her nicht die zivile Bautätigkeit beinträchtigen würden. Das Dementi erfolgte zwar noch umgehend vor Ort. Dennoch bleibt die Frage im Raum stehen, weil 1956 vermutlich kaum jemand die tatsächliche Entwicklung auf dem Bausektor richtig prognostizieren konnte. Worauf im hier zu behandelnden Kontext aber hingewiesen werden muss, auf dem Weg der Integration der Bundeswehr in das Gefüge der Bundesrepublik Ursachen für die Hemmnisse und Unzuträglichkeiten zu suchen, die möglicherweise außerhalb der Streitkräfte lagen, ist, dass die Strukturen des öffentlichen Bauwesens sehr kompliziert waren. Während der Debatte um den Bericht der parlamentarischen Inspektoren sah sich Verteidigungsstaatssekretär Dr. Josef Rust aufgrund der zu Tage getretenen erheblichen Terminüberschreitungen zur Erklärung genötigt, dass man natürlich um die ungewöhnlich schwierige Problematik der Infrastruktur wisse. Zudem sei das Verteidigungsministerium an die geografischen Gegebenheiten gebunden und, »da es in der Bauwirtschaft letztlich als Unternehmer auftrete, auch den Schwierigkeiten unterworfen, die sich aus den komplizierten Verfahren und der Notwendigkeit der Mitwirkung zahlreicher anderer Behörden ergäben«243. Was die Terminpläne des Neubauprogramms betraf, so waren diese bereits vor der Reise des Unterausschusses Infrastruktur deutlich revidiert worden. Nunmehr wurden vier bis sechs Wochen für die Planung der Bauvorhaben und neun bis zwölf Monate für die Baudurchführung selbst zugrundegelegt. Doch selbst diese Projektion stand unter einem erheblichen Fragezeichen. Mit Blick auf die Schwierigkeiten bei der Landbeschaffung gestand der Vertreter des Verteidigungsministeriums gegenüber den Abgeordneten im Verteidigungsausschuss ein, dass »vielleicht auch diese Termine [...] noch etwas irreal« seien244. Tatsächlich waren von denjenigen Kasernen, für die der Verteidigungsund der Haushaltsausschuss vor den parlamentarischen Sommerferien 1956 im Zuge der Vorwegbewilligung die Mittel genehmigt hatten, acht Anlagen entweder bereits begonnen bzw. die Bauaufträge dafür vergeben worden. Bei 15 weiteren war die Planung abgeschlossen. Es klang fast ein wenig hilflos, als Staatssekretär Rust reichlich unklar erklärte, das Tempo müsse aus dem Wesen des Bauens heraus gesehen werden, obwohl es der Sache selbst nicht zuträglich ist. Dasselbe Argument verwendete im Übrigen auch Theodor Blank vor dem CDU-Parteivorstand gegenüber der Adenauerschen Feststellung vom deutschen Versagen245. Die Infrastrukturmisere, in der die Bundeswehr im Sommer 1956 steckte, war nämlich keineswegs nur ein Fachproblem. Sie stellte vielmehr in höchstem Maße auch eine bündnispolitische Reizfrage dar, die letztlich Blank seinen Kopf als Verteidigungsminister kosten sollte. Bei seinem vermutlich letzten persönlichen Auftritt vor dem Verteidigungsausschuss am 10. Oktober
243
244 245
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.9.1956, S. 23. So der Leiter der Liegenschaftsabteilung im BMVg; ebd., S. 34. Adenauer: Wir haben wirklich etwas geschaffen, S. 1118.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
159
1956 beherrschte denn auch die Bauproblematik einen Gutteil der Tagesordnung. In aller Deutlichkeit fasste der Minister die für die Bundeswehr prekäre Situation auch unter Zugrundelegung politischer Argumente zusammen: »Auf die Vergabe von Bauaufträgen und Instandsetzungsarbeiten habe das Verteidigungsministerium nicht den geringsten Einfluß. Selbst wenn es sich nur um kleine Arbeiten handle, etwa den Anstrich eines Zimmers, sei die Adresse zunächst der Bundesfinanzminister, aber auch nur in einem sehr beschränkten Umfange. Auch der Finanzminister könne nichts anderes tun, als die Aufträge durch seine Baudirektion an die Landesbauverwaltungen geben. Diese Frage habe bei der Beratung der Grundgesetzergänzung im Bundesrat eine erhebliche Rolle gespielt. Der Bundesrat würde auch nicht der geringsten Grundgesetzergänzung zugestimmt haben - darin seien alle Länder einig gewesen - , wenn er hätte befürchten müssen, daß der Bund sich auf dem Umwege über Heeresbauverwaltungen nachgeordnete Baubehörden zulege [...] Die Landesbauverwaltungen gäben die Aufträge dann weiter herunter an die Finanzneubauämter. Der dort tätige Beamte müsse die Arbeiten ausschreiben, selbst wenn es sich nur um den Anstrich eines Zimmers handle und es nur zwei Malermeister in dem betreffenden Dorf gebe246.« Wie stichhaltig diese Argumente waren, oder ob sie eher als ein letztes politisches Manöver des um seine Demissionierung fürchtenden Ministers zu werten sind, wird noch zu untersuchen sein. Für die Legislative stand zu jenem Zeitpunkt der Zusammenbruch der Planungen auf diesem Gebiet des Bundeswehraufbaus jedenfalls außer Frage - und zwar aus vielerlei Gründen. Am deutlichsten trat dieser Eindruck bei den Haushaltsberatungen zu Tage. So stellte der Berichterstatter des Einzelplans 14 im Nachtragshaushalt für das Rechnungsjahr 1956 bei Kapitel 1412 (Unterbringung) besonders umfangreiche Veränderungen gegenüber den bisherigen Plänen fest. Nun übersah er freilich nicht die Schwierigkeiten bei der Landbeschaffung und beim Instanzenzug des Bauwesens, so dass man wohl auch in Zukunft mit erheblichen Änderungen des Kapitels 1412 rechnen müsse. Die parlamentarischen Gremien waren jedenfalls hellhörig geworden und gingen dazu über, speziell diesen Bereich noch stärker zu kontrollieren als bisher. Der Berichterstatter zum Nachtraghaushalt hatte auch ganz konkrete Vorstellungen, wie man dabei vorzugehen habe, wobei er den Verteidigungsausschuss als die eigentliche parlamentarische Kontrollinstanz dafür ansah: »Wir sollten uns bei der nächsten Gelegenheit einen eingehenden Vortrag auf Grund eines vom Verteidigungsministerium einzureichenden Exposes darüber halten lassen, wie zur Zeit der Stand der Unterbringung ist, mit welchen Freigaben von Kasernen zu rechnen ist, die zur Zeit von den Stationierungsstaaten benutzt werden, und welche weiteren Unterbringungsplanungen vom Verteidigungsressort beabsichtigt sind [...] Das Kapitel 1412 ist für uns unübersichtlich, zumal es sich ununterbrochen ändert. Nachdem ursprünglich in großem Umfange Soldaten einberufen wurden, komme ich nun allmählich zu der Befürchtung, daß wir unter Umständen eines Tages 246
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 10.10.1956, S. 6 f.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
mehr Unterkünfte haben, als wir brauchen. Das Verteidigungsministerium sollte uns daher präzise vortragen, für wieviele Soldaten erstens Unterkünfte vorhanden sind, zweitens von Flüchtlingen freigemacht werden, drittens von den Stationierungsstaaten freigemacht werden, viertens gebaut werden und für wieviele Soldaten fünftens der Bau von Unterkünften durch Verhandlungen mit den örtlichen Stellen sichergestellt sind und sechstens sich noch im Zustand der Planung befindet247.« Im Ergebnis sah der Berichterstatter nun freilich keinen Sinn mehr darin, sich noch in der laufenden Legislaturperiode mit der Infrastrukturproblematik zu beschäftigen, zumal man davon ausgehen musste, dass die vorliegenden Positionen allenfalls »den derzeitigen Kenntnisstand auf dem Unterbringungswesen« wiedergaben. Das hieß nichts anderes und wurde auch so angeregt, dass das Verteidigungsministerium erst einmal die geforderten Fragen präzise beantworten sollte, bevor es sich zumindest aus Haushaltssicht lohnte, darauf erneut einzugehen.
6. Probleme der Organisation des Militärbauwesens in der Bundesrepublik Bei einer politischen Bewertung des Instanzenzugs bei militärischen Baumaßnahmen wird man sagen können, dass damit ein wesentlicher Punkt in den Debatten um die deutsche Wiederbewaffung berührt wird: der vor dem Hintergrund der Rolle des Militärs in Deutschland besonders heikle Komplex der »civil control«. Dem Verteidigungsminister oblag zwar als Inhaber der Befehlsund Kommandogewalt im Frieden die Planung, Führung, Aufstellung, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte. Weil man angesichts eines seit 1949 existierenden, auf demokratischer und föderativer Grundlage ruhenden staatlichen Gemeinwesens aber eine zu starke militärische Sonderverwaltung als Störfaktor empfand, blieben für die Durchführung des Streitkräfteauftrags gewisse notwendige administrative Aufgaben zivilen Bundes- bzw. Landesbehörden vorbehalten. Die dafür einschlägige grundgesetzliche Regelung erfolgte mit dem durch Gesetz vom 19. März 1956 eingefügten Art. 87 b: »Die Bundeswehrverwaltung wird in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt. Sie dient den Aufgaben des Personalwesens und der unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte. Aufgaben der Beschädigtenversorgung und des Bauwesens können der Bundeswehrverwaltung nur durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, übertragen werden.« Konkret hieß das: Nachdem 1945 die Reichsbauverwaltung in die
247
Ebd., Ausschuss-Drucksache Nr. 231, Bericht des Abgeordneten Trossingen für den Haushalts- und Verteidigungsausschuss über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines 6. Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956, S. 10 f.
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
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Befugnisse der Länder übergegangen war, fielen auch die Kasernenbauten der Bundeswehr in die Kompetenz der Landesfinanzverwaltung. Dabei waren die Weichen für ein möglichst weitgehend föderativ geregeltes Verteidigungsbauwesen schon zu einer Zeit gestellt worden, als an westdeutsche Streitkräfte noch gar nicht zu denken war. Nach dem im Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 zwischen dem Bundesminister der Finanzen und den Finanzministern der Länder getroffenen Verwaltungsabkommen wurden die Baubehörden der Landesfinanzverwaltungen allgemein mit der Erledigung der Bauaufgaben des Bundes beauftragt248. Über die Zuständigkeit für die Militärbauten hatten sich Theodor Blank und Finanzminister Fritz Schäffer im Zuge eines schon im November 1951/März 1952 erfolgten Briefwechsels dahingehend verständigt, die für die künftigen deutschen Streitkräfte anfallenden Bauaufgaben unter technischer Oberaufsicht des Bundesfinanzministeriums durchführen zu lassen249. Offensichtlich spielten dabei weniger politische als vor allem praktische Gründe eine Rolle. Unbestritten bestand ein auch historisch begründeter enger Sachzusammenhang von Bauwesen, Haushalt und Vermögen, der grundsätzlich zur Zusammenfassung staatlicher Bauaufgaben innerhalb des Finanzministeriums geführt hatte. Ebensowenig konnte eine Gemeinsamkeit des militärischen Bauwesens mit dem im Finanzressort bearbeiteten öffentlichen Bauwesen von der Hand gewiesen werden. Und schließlich sprach für eine solche Arbeitsteilung auch das Vorhandensein eines sofort arbeitsfähigen Stabes von Baubeamten im Finanzministerium und die nur dort gegebene Weisungskompetenz, entsprechend der Bestimmungen des Finanzverwaltungsgesetzes Bundesbauaufgaben durch die in der unteren Instanz allein vorhandenen Baudienststellen der Länder durchführen zu lassen250. Letztlich bedeutete das aber, dass bei den Bauaufträgen für die Bundeswehr 14 Instanzen durchlaufen werden mussten, nach einer späteren Einschätzung waren es gar 26. Insofern klang es dann auch etwas resigniert, wenn der Verteidigungsminister davon sprach, dass die Länderregierungen hier sehr eifersüchtig über ihre Kompetenzen wachten, weil es nun einmal entschieden sei, »daß das Bauen Aufgabe der Länder und ihrer nachgeordneten Behörden, nicht des Bundes sei«251. Da war es auch wenig tröstlich, wenn der Berichterstatter des Einzelplans 14 für das Jahr 1957 auf den generell komplizierten Instanzenzug beim öffentlichen Bauwesen hinwies252.
248
249 250
251
252
Vgl. Müller, Bauen für die Bundeswehr. di e j n Auszügen abgedruckte Niederschrift der diesbezüglichen Übereinkunft in: Kleine Chronik der Unterabteilung U III, S. 5 f. BA-MA, BW 1/10787, Vermerk betr. Übertragung der Zuständigkeit für Aufgaben des Bauwesens der Bundeswehr auf das BMVg anlässlich der vorgesehenen Bildung des Schatzministeriums, 26.10.1957. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 109. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 10.10.1956, S. 19. Ebd., Ausschuss-Drucksache Nr. 231, Bericht des Abgeordneten Trossingen für den Haushalts- und Verteidigungsausschuss über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines 6. Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956, S. 10.
Vgl
162
II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
Nun gibt es zwar Hinweise, in den Aufbaujahren der Bundeswehr sei verschiedentlich der Wunsch formuliert worden, das Bauwesen in die Hände der Bundeswehrverwaltung zu überführen, entsprechend der im Art. 87 b des Grundgesetzes eingeräumten Möglichkeiten. Wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit im Hinblick auf den eher vorhandenen Trend zum föderalistischen System sei so etwas aber nie ernsthaft betrieben worden253. Solches deckt sich mit den im Verteidigungsministerium im Jahre 1957 angestellten Überlegungen einer Reform des Infrastruktur- und Liegenschaftswesens. Dazu wollte man Veränderungen innerhalb der Organisation der Bundesregierung bewirken und nicht den Weg gehen, der eines »gesetzgeberischen Aktes bedürfe«254. Begründet wurde dies mit der sattsam bekannten Feststellung, dass die rechtzeitige Bereitstellung der für die Aufnahme der militärischen Einrichtungen benötigten Liegenschaften eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die Erfüllung der Aufstellungsplanung und die Festigung der Einheiten sei. Hier kam es allerdings aus organisatorischen Gründen zu enormen Verzögerungen. Die auf Anforderung des Verteidigungsministeriums vom Bundesminister der Finanzen erteilten Planungs- und Bauaufträge gelangten nicht unmittelbar an die ausführenden Behörden, weil dieser im Grundsatz nur befugt ist, die Aufträge an die Landesfinanzministerien zu erteilen. Zwangsläufig mussten dadurch bereits erste Verzögerungen in der Umsetzung des Willens des militärischen Bauherrn eintreten, zumal zwischen den Ressorts oftmals erst ein Meinungsbildungsprozess abzuschließen war. Zum anderen verfügten die Länderverwaltungen über einen maßgeblichen Einfluss auf den zeitlichen Ablauf der Baumaßnahmen, womit sie hinsichtlich der Truppenaufstellung ihr Gewicht zur Geltung bringen konnten. In seinem deshalb für notwendig gehaltenen Versuch, mehr Nachdruck auf den Fortgang von Planung und Durchführung militärischer Bauten auszuüben, ging das Verteidigungsministerium nicht so weit, die Forderung nach einer eigenständigen Bundeswehrbauverwaltung zu erheben. Ein solches Unterfangen hätte schon wegen des Mangels an Fachpersonal kaum realisiert werden können. Außerdem herrschte absolute Klarheit darüber, dass eine hierfür erforderliche gesetzliche Regelung entsprechend Art. 87 b GG von der Zustimmung der Länder abhing. Eine solche würde »jedoch niemals erteilt werden«255. Eine Verbesserung glaubte man aber im Organisatorischen - ohne Verletzung des Finanzverwaltungsgesetzes und ohne Eingriffe in das Bund-Länder-Verhältnis - dadurch erreichen zu können, dass man die für das militärische Bauwesen im Finanzministerium gebildeten Referate nach Zusammenfügen zu einer Unterabteilung so lange in das Verteidigungsressort abordnen wollte, bis die Zeit des Bundeswehraufbaus vorüber sei.
253 254
255
Müller, Bauen für die Bundeswehr, S. 105. BA-MA, BW 1/10787, Denkschrift betr. Reform des Infrastruktur- und Liegenschaftswesens, undatiert [1957]. Ebd.
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163
Verteidigungsminister Strauß beeilte sich auch sofort, diese Überlegungen politisch umsetzen zu lassen, möglichst noch vor Bildung des neuen Bundeskabinetts im Herbst 1957. Denn es zeichnete sich ab, dass mit der Ausgliederung der fachlichen Zuständigkeit für die Liegenschaftsverwaltung und die Bauangelegenheiten aus dem Finanzressort und deren Übertragung an ein Bundesschatzministerium eine weitere Zersplitterung auf diesem Sektor eintreten würde256. Unter Hinweis auf den für die Aufstellung noch immer bedenklichen Engpass beim Bau militärischer Liegenschaften erhob Strauß deshalb beim Bundeskanzler die Forderung, dass seinem Ressort »die Befugnis zur obersten Sachleitung gegenüber dem Teil der Bauverwaltung eingeräumt [werden müsse], der die mil. Bauten bearbeitet«257. Weil auch Adenauer »die Klagen über immer wieder auftretende Schwierigkeiten und Verzögerungen auf diesem Gebiet Sorge« bereiteten258, begrüßte er alle Möglichkeiten, die geeignet schienen, das militärische Bau- und Liegenschaftswesen zu vereinfachen. Er ersuchte deshalb Strauß und den neu ernannten Bundesminister für den Wirtschaftlichen Besitz des Bundes, Hermann Lindrath, sich darüber auszutauschen und ihm dann gegebenenfalls abgestimmte Vorschläge zu unterbreiten. Eine daraufhin auf Staatssekretärsebene abgehaltene Besprechung führte zu einem Ergebnis durchaus im Sinne der Bundeswehr; zumindest hatte man bei diesem neuen Ressort einen Verbündeten gefunden. Falls nämlich im Zuge von Verhandlungen zwischen dem Finanz- und dem Schatzministerium eine weitere Aufsplitterung des Bau- und Liegenschaftswesens zu gewärtigen sei, dann werde von letzterem anerkannt, »daß der Verteidigungsminister für mil. Bauten eine stärkere Stellung bei Planung, Durchführung und Betrieb eingeräumt erhalten muß, als die zivilen Bundesressorts in Bezug auf die von ihnen genutzten Gebäude«259. Wenn man, wie Verteidigungsstaatssekretär Volkmar Hopf es formuliert hat, das Bauwesen als den eigentlichen »Flaschenhals für die Aufstellung der Bundeswehr« betrachtete260, im Bundesschatzministerium bezeichnete man die Schaffung von Baulichkeiten für die Bundeswehr gar als »Politikum erster Ordnung«261, so musste man sich neben der ministeriellen Zuständigkeitsverteilung auch die tatsächlichen Kapazitäten auf den Durchführungsebenen der Finanzbauverwaltung näher ansehen. Aus haushaltsrechtlicher Sicht bat nämlich der Bundesrechnungshof im Frühherbst 1957 das Finanzministerium um Auskunft darüber, inwieweit die Finanzbauverwaltungen der einzelnen Ländern in der Lage seien, das Bauvolumen der Bundeswehr für das Jahr 1958 unter Berücksichtigung der Ausgabenreste von 1956 und 1957 zu verkraften. Das Bauvolumen belief sich auf ca. 2,8 Mrd. DM. Bei zeitgerechtem Einreichen der militäri256
257 258 259 260 261
Das Bundesschatzministerium existierte von 1957 bis 1969. Vgl. Caesar/Hansmeyer, Finanzen und öffentliche Verwaltung. BA-MA, BW 1/10787, Schreiben BMVg an Bundeskanzler, 25.10.1957. Ebd., Schreiben Bundeskanzler an BMVg, 21.10.1957. Ebd., Kurzvermerk für den Herrn Minister, 20.12.1957. Ebd., BW 1/19139, Schreiben an BMF, 8.11.1957. Ebd., Vermerkentwurf betr. Bauvolumen der Bundeswehr im Haushaltsjahr 1958, Mai 1958.
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II. Landbeschaffung und Baumaßnahmen für Belange der Verteidigung
sehen Infrastrukturforderungen sowie Bereitstellung des Baugeländes würden diese Summen von den 8000 Angehörigen der Landesbauabteilungen auch verbaut werden können. Zur weiteren Sicherstellung sollten außerdem geeignete freischaffende Architekten - nicht zuletzt auch eine Forderung des Deutschen Bundestages - bei größeren Bauaufgaben herangezogen werden262. Mit Blick auf die Verhältnisse im Haushaltsjahr 1957 hielt der Bundesrechnungshof eine solche Prognose freilich für »nicht bedenkenfrei«263. Man begründete dies damit, dass die 8000 Personen schon jetzt nicht in der Lage waren, das nur bei der Hälfte von 1958 liegende Bundeswehrbauvolumen (1,4 Mrd. DM) zeitgerecht abzuarbeiten. Mit Personalverstärkungen konnte man angesichts eines sattsam bekannten Technikermangels wohl kaum rechnen. Nach den Erfahrungen der Rechnungsprüfer hatten auch die herangezogenen freischaffenden Architekten nicht immer zu einer Entlastung der faktisch überforderten Bauämter geführt264. Ähnlich problematisch schätze das ab dem Jahresende 1957 dafür dann zuständige Bundesschatzministerium die Lage ein. Eine zwischenzeitlich vorgenommene Überprüfung hatte nämlich auch hier die Bedenken wachsen lassen, dass der Durchführbarkeit des Bauprogramms für 1958 von der Personalseite her Schwierigkeiten drohen könnten. Tatsächlich war die Anzahl der technischen Beamten und Angestellten für die außergewöhnliche Situation relativ knapp bemessen265. Wegen des offenbar zu niedrigen Lohntarifs, der im öffentlichen Dienst für diese Fachkräfte damals bezahlt wurde, waren solche angesichts einer boomenden Bauwirtschaft zumindest in größerer Zahl auch nicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar. Trotz der auch vom Schatzministerium als Problem anerkannten Verzögerungen bei den Bundeswehrbauten konnte es andererseits nicht erwünscht sein, die Bauverwaltung für eine an sich zeitlich befristete Bauaufgabe aufzublähen. Um voranzukommen, blieb letztlich nichts anderes übrig, als freischaffende Kräfte zur temporären Mitarbeit heranzuziehen, womit zumindest eine Entlastung bei den planerischen Arbeiten erreicht werden konnte. Freilich um den Preis, dass teilweise allzu individuelle Planungen der Architekten wiederum eine Belastung der Baudienststellen hervorrief, denen ohnehin schon die Leistungsbeschreibung, die Massen- und Kostenberechnungen, die Überwachung der Bauausführung und schließlich noch die Abrechnung überlassen blieben266. Dass diese Sorge keineswegs unbegründet war, zeigte nach-
262
263 264
265
266
Ebd., BMF an Bundesrechnungshof, 1.10.1957. Vgl. ebd., BW 1/30012, Vermerk der Unterabteilung U III 8 im BMVg über die richtunggebenden Komponenten der bisherigen Entwicklung sowie die Erfahrung bei Unterkunftsbauten der Bundeswehr seit 12 Jahren, 28.8.1963. Ebd., BW 1/19139, Bundesrechnungshof an BMF, 17.10.1957. BMVg Strauß hingegen warb mit Blick auf erhoffte, raschere Bauausführungen öffentlich - etwa bei der Grundsteinlegung einer Kaserne im ostbayerischen Roding - für die Einschaltung freischaffender Architekten. Stadtarchiv Roding, Die Vorgeschichte der Garnison in Roding von Roland Matejka, S. 16. BA-MA, BW 1/29987, Vermerk betr. Durchführung des Neubauprogramms für die Bundeswehr durch die Bauverwaltung, 21.7.1958. Ebd., BW 1/19139, Entwurf BMBes an Bundesrechnungshof betr. Bauvolumen der Bundeswehrbauten im Haushaltsjahr 1958, Mai 1958.
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drücklich eine im Rückblick getroffene Feststellung des Haushaltsausschusses: »Bei der Planung und dem Bau neuer Kasernen werden die besonderen militärischen Erfordernisse und Zweckmäßigkeiten nicht immer im notwendigen Umfange berücksichtigt und öfters, insbesondere bei Einschaltung freischaffender Architekten, zugunsten architektonischer Anliegen vernachlässigt. Die Baudienststellen haben sich offenbar in vielen Fällen freischaffenden Architekten gegenüber nicht durchsetzen sowie unzweckmäßige Planungen und Bauausführungen nicht verhindern können267.« Noch 1963 bemängelte die Abteilung Unterbringung und Liegenschaften im Verteidigungsministerium die »individualistische Einstellung dieser Kreise« - gemeint waren die Architekten - welche die baufachlichen Richtlinien nicht unbedingt eingehalten hätten und somit Übersteigerungen hinsichtlich Gestaltung und Ausführungen nicht vermieden werden konnten268. Aus ministerieller Sicht sollen allerdings auch »politische Einstellungen« in einzelnen Ländern eine gewisse Rolle bei den teilweise erheblichen Verzögerungen der Bauvorhaben gespielt haben. Zumindest vermutete das Schatzministerium solches bei verschiedenen nordhessischen Kasernenplanungen, »trotz ehrlichen Bemühens der bei der zuständigen OFD verantwortlichen Herren«269. Nun war es tatsächlich so gewesen, dass sich namentlich die Sozialdemokraten in Hessen sehr schwer mit der Etablierung der Bundeswehr taten. Schon Anfang 1952 hatten sich mehrere Kreiskonferenzen eindeutig gegen einen deutschen Verteidigungsbeitrag ausgesprochen. Im Frühjahr 1955 wurde ein Antrag auf Ablehnung jeglicher Mitarbeit der SPD an den Wehrgesetzen nur mit knapper Mehrheit abgelehnt - nach stundenlanger Debatte. Auf ihrem Bezirksparteitag 1956 in Limburg konstatierten die südhessischen Sozialdemokraten mit Genugtuung, dass es der Bundesparteiführung zusammen mit der Bundestagsfraktion gelungen sei, den Zeitplan der Bundesregierung für die Aufstellung der »Wehrmacht« um entscheidende Jahre aufzuhalten. Schließlich empfahl der Landesausschuss der Hessen-SPD 1956 »zur Frage der Kasernierung von Truppen in Hessen größte Zurückhaltung«270. Inwieweit nun die streitkräftekritische Haltung innerhalb der hessischen Regierungspartei wirklich bis auf die tatsächliche Durchführung von Kasernenbaumaßnahmen durchschlug, ist schwer zu beurteilen. Die eben benannte »Empfehlung« soll nicht mit dem Mehrheitswillen der Bevölkerung in Übereinstimmung gestanden haben271. Andererseits überlegte man im Bundesministerium für den Wirtschaftlichen Besitz wegen der aufgetretenen Verzögerungen beim Kasernenbau - namentlich in Schwarzenborn und Wolfshagen - das mit dem Bundesland Hessen im Rahmen des 267 268
269
270 271
Ebd., Umlaufentwurf Unterabteilung III Β im BMVg, 19.12.1960. Ebd., BW 1/30012, Vermerk über die richtunggebenden Komponenten der bisherigen Entwicklung sowie der Erfahrung bei Unterkunftsbauten der Bundeswehr seit 12 Jahren, 28.8.1963. Ebd., BW 1/29987, Vermerk betr. Durchführung des Neubauprogramms für die Bundeswehr durch die Bauverwaltung, 21.7.1958. Zit. nach Schneider, Streitkräfteaufbau, S. 12. So zumindest die Bewertung von Bernd Schneider, ebd., S. 46.
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Finanzverfassungsgesetzes bestehende Verwaltungsabkommen aufzukündigen. Das Bemerkenswerte an diesem Vorgang ist nun nicht die ins Spiel gebrachte Drohkulisse, mit der ein Bundesland zur Raison gebracht werden sollte. Bemerkenswert ist vielmehr die im Bundesschatzministerium angestellte Überlegung, »auf Grund der in dem Bundeswehrbauprogramm bisher gemachten Erfahrungen in vorsichtiger Form die Frage des grundsätzlichen Verhältnisses zwischen Bund und Ländern bei der Durchführung von Bauaufgaben der Bundeswehr aufzurollen«272. Im Klartext konnte dies nur heißen, eine bundeswehreigene Bauverwaltung zu schaffen. Obwohl das Schatzministerium die politische Konstellation zumindest für die Abänderung des Verwaltungsabkommens einerseits als »nicht ungünstig« bewertete, war man sich andererseits sehr wohl klar darüber, dass die Länder mit Sicherheit auf ihren ministeriellen Befugnissen gerade auf dem Bausektor beharren würden, mithin mit entsprechend großem Widerstand gerechnet werden müsste. Ganz offensichtlich war die termingerechte Fertigstellung der Bundeswehrbauten darin doch nicht so wichtig, um den verfassungsrechtlich begründeten Aufgabenverbund zwischen dem Bund und den Ländern auf den Prüfstand zu stellen. Was aus Sicht der Bundeswehr in Sachen Verfahrensvereinfachung hoffnungsvoll begonnen hatte, blieb indes bald im bürokratischen Dickicht stecken. Ende November 1959 wurde Strauß von seiner Abteilung Infrastruktur und Liegenschaften ein Vermerk »mit der Bitte um Genehmhaltung [sie!] und bejahendenfalls Entscheidung vorgelegt, ob der Fragenkomplex zunächst in einer Chef- oder Staatssekretär-Besprechung erörtert oder unmittelbar eine Kabinettsvorlage gefertigt werden soll«273. Weil die Sache verfahren war, versprach man sich von einer Erörterung auf Referenten- oder Abteilungsleiterebene gar keinen Erfolg mehr. Was war der Sachstand? In den vergangenen zwei Jahren war es offenbar nicht gelungen, durch die Neuverteilung von Zuständigkeiten bei der Umorganisation der Bundesregierung eine Form zu finden, die auf dem Gebiet des militärischen Bauwesens »die gegenüber den mannigfachen materiellen den Aufbau der Bundeswehr behindernden Schwierigkeiten die notwendige Durchschlagskraft gewährleistet« hätte274. Das lag vor allem daran, dass sich ein erheblicher Teil der Arbeitskraft aller Beteiligter auf die unproduktive Beseitigung innerer Reibungen beschränkt hatte. Vielfach mussten Auffassungsunterschiede über langwierige interministerielle Instanzenwege bereinigt werden. Selbst die NATO hatte schon mehrfach die Umständlichkeit des deutschen Liegenschaftsbeschaffungs- und Infrastrukturverfahrens moniert. Es schien also angezeigt, die Frage der Zuständigkeit über das militärische Bauwesen erneut in Angriff zu nehmen. Auch wenn die Baudurchführung selbstverständlich weiterhin den Ländern überlassen bleiben sollte, würde man, so die allgemeine Einschätzung, trotzdem 272
273 274
BA-MA, BW 1/29987, Vermerk betr. Durchführung des Neubauprogramms für die Bundeswehr durch die Bauverwaltung, 21.7.1958. Ebd., BW 1/10788, Vermerk 25.11.1959. Ebd.
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aus dieser Richtung mit Schwierigkeiten rechnen müssen. Zumal vermutlich das Finanzverwaltungsgesetz geändert werden musste. Andererseits gab es auch Hinweise z.B. vom Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, dass eine Neuregelung dieses Sektors unter Umständen sogar begrüßt würde. Strauß reagierte in zweifacher Hinsicht. Ausweislich einer Marginalie auf dieser Vorlage ordnete er im Zusammenhang mit einer NATO-Anmahnung über den Rückstand bei der deutschen Militärinfrastruktur an, dass die Angelegenheit dem Bundesverteidigungsrat vorzulegen sei. Desweiteren wurde eine Kabinettsvorlage erarbeitet, mit der man die Bundesregierung ersuchte, die oberste Sachleitung der Verteidigungsbauten auch in baufachlicher Hinsicht in den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung zu überweisen. Zentrale Begründung war der im Ressortdenken verhaftete Verwaltungsmehraufwand, der selbst in Fällen minderer Bedeutung ein Vorgehen über den interministeriellen Weg notwendig mache und somit zu erheblicher Behinderung sowie zu Zeitverlust führe. Durch Übertragung der obersten Sachleitungskompetenz für Verteidigungsbauten wären diese Schwierigkeiten nicht nur aus dem Weg geräumt. Die dann bei den Vorbereitungen gesparte Zeit konnte zudem der Bauausführungszeit zugute kommen und es ermöglichen, »daß die bereits mehrfach geänderten, nun aber wegen der Rückwirkung auf die Aufstellungsplanung der Bundeswehr und darüber hinaus der Gesamtverteidigungsplanung der NATO kaum mehr hinauszuschiebenden Baufertigstellungstermine, trotz der durch die Bauhochkonjunktur bedingten längeren Ausführungszeiten, einzuhalten«275 sein würden. Gleichsam als »Abfallprodukt« sollte bei einer damit verbundenen Verwaltungsvereinfachung Personal freigestellt werden, welches zur Lockerung des als bedrohlich bezeichneten Personalengpasses bei der Bundeswehr beitragen mochte. Nun gingen die Bauverzögerungen natürlich nicht allein auf das Konto der Finanzbauverwaltungen. Militärisch bedingte Änderungen bei den Bau- und Landanforderungen sowie Arbeitsüberlastung des Personals innerhalb des Verteidigungsministeriums wurden ebenfalls als Bremse betrachtet. Denn bis es zu einer so genannten Militärischen Infrastrukturforderung (Bauauftrag) kam, waren damit mehrere Abteilungen befasst: die Führungsstäbe der drei Teilstreitkräfte, die Abteilung Unterkunft und Liegenschaften, die Haushaltsabteilung, für technisch schwierige Bauten auch die Abteilung Technik; in der Mittelinstanz waren die Wehrbereichsverwaltungen in diese Aufgabe eingeschaltet276. Die wirklichen Verzögerungen führte man jedoch zurück auf die gesetzlich bedingte Einbeziehung der Länderregierungen und deren Baubehörden. Immerhin rechnete man bei einer Überführung der bisher beim Bundesschatzministerium liegenden Zuständigkeiten auf das Verteidigungsressort mit einem Zeitgewinn von 5 bis 10 Prozent der Gesamtdauer von Landbeschaf275 276
Ebd., Kabinettsvorlage. Komplizierter Instanzenweg bei Bundeswehr-Bauten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.10.1960. Zum strukturellen Anlauf militärischer Bauverfahren vgl. Radioff, Militärische Infrastruktur. Zur Problematik beim Bau von Fliegerhorsten vgl. Radioff, Die liegenschaftsmäßige Vorbereitung.
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fungs- und Bauvorhaben, die um 1960 ein Volumen von 4000 bis 5000 Einzelmaßnahmen hatten277, allein durch Einsparung des aufgrund der Gemeinsamen Geschäftsordnung erforderlichen formalen Schriftverkehrs278. Für eine Kompetenzverlagerung sprach aus Sicht des Verteidigungsministeriums auch, dass damit eine engere sachliche Zusammenarbeit zwischen militärischer Planung und baufachlicher Durchführung sichergestellt sei. Bei Meinungsverschiedenheiten würde die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers möglich sein, es müsse nicht erst das Einvernehmen auf Sachbearbeiter-, Referentenoder Abteilungsleiterebene herbeigeführt werden. Um sich ein Bild vom organisatorischen Ablauf zu machen, sei aus einer Fülle von administrativ ins Stocken geratener Bauverfahren jenes zum Neubau einer Heereskaserne im hessischen Diez beispielhaft als Tabelle 19 angeführt. Nach zwei Jahren Planungsvorlauf konnte im Sommer 1958 mit dem Bau begonnen werde, dessen Fertigstellung man zum April 1960 erwartete. Schützenhilfe bei ihrem Versuch, die obersten Sachleitungsbefugnisse bei Militärbauten in eigener Regie zu übernehmen, erhielt das Verteidigungsministerium im Übrigen auch aus den Reihen der FDP. Vor dem Plenum des Deutschen Bundestages stellte der Abgeordnete Reinhold Kreitmeyer die rhetorische Frage, ob man die bei Bundeswehrbauten bestehenden organisatorischen Unzulänglichkeiten im Zuge der Neubesetzung des Ministerpostens im Bundesschatzministerium, Hermann Lindrath war am 22. Februar 1960 gestorben, nicht gleich mitbereinigen könne und die Liegenschaften dorthin transportieren, wo sie hingehörten, in die Obhut des Verteidigungsministers279. Dieser bedankte sich zwar nicht öffentlich dafür, bestätigte aber die Umstände der Verzögerungen und zeigte sich darüber sehr unglücklich. Am 30. August 1961, kurz vor Ende der dritten Legislaturperiode, stand die organisatorische Zuständigkeit für Verteidigungsbauten auf der Tagesordnung des Bundesverteidigungsrats. Die militärischerseits vorgebrachten Argumente scheinen den Bundeskanzler auch überzeugt zu haben, weshalb er in dieser Sitzung entschied, dass »die Aufgaben aus den Abteilungen II >Bundesvermögen< und III >Bauabteilung< - soweit sie sich auf den Sachbereich der Verteidigung beziehen« vom Schatzministerium auf das Verteidigungsministerium zu überführen seien280. Ein paar Tage später lag die entsprechende Vorlage dem Bundeskabinett zur Beschlussfassung vor281. Nachdem in all diesen Debatten um eine Organisationsreform immer wieder Ressortgesichtspunkte als ein Hindernisgrund genannt worden waren, verwundert es natürlich nicht, wenn 277
278
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281
BA-MA, BW 1/10789, Sprechzettel für den Minister für die Sitzung des Verteidigungsrates bzw. des Bundeskabinetts, 19.8.1961. Ebd., BW 1/10788, Vorlage an den Minister betr. Übernahme von Bau- und Liegenschaftsaufgaben in das Verteidigungsressort, 7.1.1960. Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Stenographische Berichte, 110. Sitzung, 8.5.1960, S. 6118. BA-MA, BW 1/10789, Vorlage der Abteilung Unterbringung u n d Liegenschaften an Minister, 1.9.1961. Ebd., Kabinettsvorlage, 5.9.1961.
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Tabelle 19: Planungsvorlauf eines Kasernenneubauvorhabens in Diez 1956-1958 Datum
Vorgang
11.09.1956
BMVg reicht Militärische Infrastrukturforderung (Bauantrag) beim BMBes ein BMBes gibt Bauplanungsauftrag an OFD Koblenz; Bitte an BMVg, die noch ergänzungsbedürftige Militärische Infrastrukturforderung für den Kfz-Bereich zu übersenden Ergänzung der Militärischen Infrastrukturforderung von BMVg an BMBes Anforderung von 100 000,- DM an Planungsmitteln durch BMBes Zuweisung der 100 000,- DM Planungsmittel durch BMVg Besprechung des ersten Lageplanvorschlags zwischen BMVg und BMBes Anerkennung des Lageplanvorschlags durch BMVg gegenüber BMBes BMBes teilt Anerkennung des Lageplans der OFD Koblenz mit BMBes teilt erstmalig mit, dass die Neubauplanung an einer Grundstücksgrenze mit der Planung einer Umgehungsstraße kollidiert BMBes übersendet BMVg die Unterlagen nach § 14 der Reichshaushaltsordnung Teil I (Tiefbau) zur Genehmigung Genehmigung dieser Unterlagen durch BMVg BMBes teilt Genehmigung dieser Unterlagen OFD Koblenz mit BMBes übersendet BMVg die Unterlagen nach § 14 der Reichshaushaltsordnung Teil II (Hochbau) zur Genehmigung Genehmigung dieser Unterlagen durch BMVg BMBes teilt Genehmigung der Unterlagen OFD Koblenz mit
18.10.1956 13.12.1956 22.03.1957 16.05.1957 13.04.1957 20.05.1957 07.06.1957 02.01.1958
07.03.1958 21.04.1958 28.05.1958 23.07.1958 18.08.1958 22.08.1958
Finanz- und Schatzministerium zu remonstrieren begannen. Der Finanzminister hob darauf ab, dass sich aus seiner Sicht die bisherige einheitliche Verwaltungsorganisation doch bestens bewährt habe. Bei einer Zuständigkeitsverlagerung würde diese auseinandergerissen, mit zweifelhaft erscheinenden Vorteilen, ganz gewiss aber mit erheblichen Nachteilen. Letztlich war es das formale Zeitargument, das den Finanzminister dazu veranlasste, um eine Absetzung der Angelegenheit von der Tagesordnung der nächsten Kabinettssitzung zu ersuchen. Weil die Vorlage erst am 11. des Monats eingegangen war, stand die zur Besprechung mit den beteiligten Ressorts erforderliche Zeit nicht zur Verfü-
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gung282. Das Bundesschatzministerium ließ den Vorwurf, die Bearbeitung der Bauaufträge für die Bundeswehr seien nicht mit der erforderlichen Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit an die militärischen Erfordernisse abgearbeitet worden - was ja das zentrale Argument des Verteidigungsministers war natürlich nicht ohne weiteres auf sich sitzen. Zur Rechtfertigung und zur Darlegung einer doch erfolgreichen Abwicklung der Militäraufträge bemühte man die Statistik: »In der Zeit bis Juni 1961 wurden für die Bundeswehr in etwa 8000 Einzelfällen rund 23 000 ha Land beschafft. Zur Zeit laufen noch Beschaffungsvorhaben über weitere rund 24 000 ha. Bis zum 31.3.1961 wurden allein 357 Kasernen, Übungs- und Schießplätze, Flugplätze und sonstige Anlagen in einer Flächengröße von insgesamt 14 000 ha, die vermietet oder verpachtet waren, freigemacht und für die militärische Nutzung hergerichtet283.« Was die erbrachten Jahresbauleistungen in Mio. DM anbetraf, so benannte man diese für die Jahre 1956 bis zum August 1961 wie folgt284: Tabelle 20: Jahresbauleistung 1956-1961 Jahr 1956 1957 1958 1959 1960 1961
Jahresbauleistung in Mio. DM 160 380 540 845 850 610 (bis August)
Vor dem »Beschlußbegehren des Herrn Bundesministers für Verteidigung«, ihm die oberste baufachliche Leitung der Verteidigungsbauvorhaben zu übertragen, warnte man im Hinblick auf die dann nicht mehr gewährleistete Einheitlichkeit des Verwaltungsganges nachhaltig. Wenn solches durchgesetzt werde, darin würden künftig innerhalb der Bauverwaltung Weisungen von zwei zentralen Leitungsspitzen an die nachgeordneten Dienststellen der Landesbau Verwaltungen ergehen. Im Unterschied zu jener 1956 während der Reise des Unterausschusses Infrastruktur des Verteidigungsausschusses getroffenen Feststellung, dass die Verteidigungsbauten keine Auswirkungen auf die Bauwirtschaft haben würden, sah das Schatzministerium nämlich genau darin die Schwierigkeiten, in denen der Kasernenbau steckte - in den Kapazitäten des Bau- und Arbeitsmarktes! Dies könne auch nicht durch eine Verlagerung von Zuständigkeiten behoben werden. Letztlich wogen die Argumente aus dem Verteidigungsministerium aber schwerer. Immerhin hatten sich die betroffenen Ministerien mittlerweile darauf verständigt, dass zwar die vom Verteidigungsressort beantragte Kompetenz282 283 284
Ebd., BMF an Staatssekretär des BKA, 11.9.1961. Ebd., Bundesminister für wirtschaftlichen Besitz an Staatssekretär im BKA, 12.9.1961. Ebd., Graphik: Entwicklung und Verlauf der Bundeswehrbauaufgaben, 8.9.1961.
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und Personalverlagerung stattfinden werde, die Gesamtverantwortung für das Bundesbauwesen aber nach wie vor in der Zuständigkeit des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz verbleibt285. Nachdem das Bundeskabinett dem Antrag des Verteidigungsministers stattgegeben hatte, ging die bis dahin im Bundesschatzministerium tätige Unterabteilung Verteidigungsbauwesen in der Unterkunftsabteilung der Hardthöhe auf. Um den Verwaltungszug auch nach unten zu optimieren, erfolgte in diesem Zusammenhang mit Wirkung vom 1. März 1962 die Versetzung der als Referat Verteidigungsbauwesen benannten Gruppe von Bauverwaltungsfachleuten aus der Bundesbaudirektion in das gerade in Aufstellung befindliche Bundeswehrverwaltungsamt. Diese nunmehr als Bauabteilung fungierende Gruppe von beamteten und angestellten Architekten, Ingenieuren für Bauwesen, Bergbau, Elektrotechnik und Maschinenbau diente der Entlastung der ministeriellen Unterabteilung286. Trotz der noch bis zum Schluss erhobenen Einwände gegen diese Auftragsverlagerung stellte es das Bundesschatzministerium dann in der Öffentlichkeit so hin, als ob man die aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen getroffene Kompetenzverschiebung begrüße, sie gar als willkommene Bereinigung ansehe. Der »Spiegel« urteilte freilich ein bisschen anders darüber. Indem er schrieb, dass der Verteidigungsminister die Bauabteilung des Schatzministeriums »erobert« habe, bediente er zunächst das nachhaltig von diesem Organ negativ bestimmte Strauß-Klischee. Andererseits scheint das Verwaltungsrevirement bei der Organisation des militärischen Bauwesens zumindest im Lichte des Spiegel-Artikels auch mit einem gewissen partei- bzw. koalitionspolitischen Akzent behaftet gewesen zu sein. Nachdem die CDU/CSU bei den Bundestagswahlen von 1961 ihre absolute Mehrheit eingebüßt hatte, musste sie nolens volens eine Koalition mit der FDP eingehen. Mit der »Amputation« des Schatzministeriums um seine Kompetenzen im Verteidigungsbauwesen habe Adenauer dem künftigen Koalitionspartner einen Streich gespielt - so der »Spiegel«. Der neue Schatzminister, der schwäbische FDPBundestagsabgeordnete Hans Lenz, wird mit den Worten zitiert: »Ich habe ein arg zerzaustes Haus übernommen287.« Hinsichtlich des politischen Gewichts innerhalb der Koalition mag man in der FDP die »Dezimierung« (Der Spiegel) bedauert haben. Andererseits wollte die Stuttgarter Zeitung erfahren haben, dass dieses Ressort sogar froh darüber gewesen sei, nun keine Vorhaltungen wegen nicht eingehaltener Fertigstellungstermine mehr entgegennehmen zu müssen. Teile der Presse sahen es jedoch durchaus kritisch, wenn der Bundeswehr damit auf dem Gebiet des Bauwesen eine so große Kompetenz zugewiesen wurde. Einmal stand bei den anderen Ressorts die Befürchtung im Raum, die Koordinierung der Bautätigkeit des Bundes könne dadurch eine gewisse Komplizierung erfahren. Zum anderen glaubte man, in Anbetracht der Erhitzung auf dem Bausektor unter Umständen über weniger konjunkturpolitische Steuerungsmöglichkeiten zu verfügen:
Ebd., Ergebnisvermerk, 19.9.1961. 286 Müller, Bauen für die Bundeswehr, S. 105. 2β7 Verteidigungsbauten in eigener Hand. In: Der Spiegel, 19.9.1962. 285
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»Bekanntlich gestalteten sich schon in diesem Frühjahr, als Wohnungsbauminister Lücke einen befristeten Baugenehmigungsstop empfahl, in den insbesondere auch Bauten der öffentlichen Hand einbezogen werden sollten, die Verhandlungen zwischen den einzelnen Bundesressorts darüber, welche Bauten zurückgestellt werden könnten, um die Baukonjunktur zu beruhigen, sehr schwierig. Das Verteidigungsministerium ist auf der anderen Seite das einzige Bundesressort, das laufend Bauaufträge erheblicher Größenordnung zu vergeben hat. Man befürchtet, daß eine konjunkturpolitische Steuerung des Bauens infolge der neuen Maßnahmen schwieriger werde288.« Es sei zunächst einmal dahingestellt, inwieweit der angesprochene Sachverhalt tatsächlich in diese Richtung weisende Folgewirkungen nach sich zog, weil hier eher die mit dem militärischen Bauwesen in Zusammenhang stehenden verfassungsrechtlichen und -politischen Integrationsbemühungen der Bundeswehr näher untersucht werden sollen. Vom Standpunkt der Streitkräfte aus betrachtet war es natürlich sinnvoll, wenn irgend möglich mehr Einfluss auf den Kasernenbau zu gewinnen und insbesondere die für zu lange gehaltenen Bauzeiten zu minimieren. Weil die verfassungsrechtliche Hürde im Art. 87 b GG, der Bundeswehrverwaltung das gesamte Militärbauwesen zu übertragen, als zu hoch eingeschätzt wurde und sich mit Blick auf ein schon existierendes staatliches Bauwesen zunächst auch aus rein praktischen Erwägungen von selbst verbot, blieb letztlich nur der Weg über administrative Organisationsmaßnahmen der Bundesregierung. Für wie fragil man im Bundesministerium der Verteidigung offenbar die Erfolgsaussichten für die Entscheidung gehalten hat, die dann getroffen wurde, kann man einem ergänzenden Sprechzettel entnehmen, der zur Präparierung des Ministers erstellt worden war. Sofern dort auch die Frage der rechtlichen oder verwaltungsmäßigen Auswirkungen benannter Aufgabenüberleitung erörtert werden sollte, wurde vorsorglich ausgeführt: »Art. 87 b GG steht der Übernahme der Bauaufgaben durch BMVtdg nicht entgegen. Der Vorbehalt einer gesetzlichen Regelung mit Zustimmung des Bundesrates bezieht sich nur auf die Regelung im nachgeordneten Bereich289.« Dem hypothetischen Einwand, das mit der obersten Sachleitungsbefugnis verbundene Weisungsrecht gegenüber den Landesbauabteilungen stehe nach dem Finanzverwaltungsgesetz dem Finanzminister zu, hätte der Verteidigungsminister entgegenhalten sollen, dass dem Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz bei dessen Einrichtung 1957 genau dieses Weisungsrecht ohne Änderung der gesetzlichen Regelung eingeräumt worden sei. Dennoch taucht in der Literatur der Hinweis auf, dass so, wie die militärischen Bauaufgaben im Bundeswehrverwaltungsamt gebündelt waren, dies dem Art. 87 b scheinbar entgegengestanden habe. Tatsächlich hatte der Bundestag eine geschäftliche Überprüfung der Tätigkeit des Bundeswehrverwaltungsamtes durch Vertreter des Bundesrechnungshofs und des Finanzministeriums gefordert. Laut Bericht des Bundesministeriums der Finanzen vom 7. Februar 1969 wurde der Charakter des Bundeswehrverwaltungsamtes darin gesehen, dass diese Behörde keinen unzulässigen Unterbau 288 289
Strauß bekommt eigene Bauverwaltung. In: Stuttgarter Zeitung, 22.9.1961. BA-MA, BW 1/10789, Sprechzettel, 12.9.1961.
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als solchen darstellte, sondern vielmehr Aufgaben wahrnimmt, die dem Amt vom Ministerium delegiert werden. Also die im ministeriellen Bereich liegenden Aufgaben wie Grundlagenermittlung und Grundsatzplanungen für Baufachliche Richtlinien sowie Baufachliche Nachschau als Tätigkeiten, die von Bundesoberbehörden in eigener Zuständigkeit abschließend bearbeitet werden können290. Obwohl das Bundesministerium der Verteidigung 1961 die oberste Fachleitungsbefugnis bei Verteidigungsbauten erhalten und obwohl man sich in der Arbeitsstruktur anscheinend ökonomische Planungs- und Administrationsinstanzen geschaffen hatte, schleppte sich das Anwachsen der militärischen Infrastruktur wegen auch weiterhin umständlicher Bauverfahrensabläufe vor sich hin291. 1964 waren aus dem im Bundeshaltshaltsplan eingestellten knapp 2,4 Mrd. DM umfassenden Gesamtinfrastrukturetat lediglich 67 Prozent (1,5 Mrd. DM) verbaut worden292. Im Frühjahr 1965 sah sich Verteidigungsminister Kai Uwe von Hassel durch die »ständige Kritik an unserem Bauwesen«293 deshalb dazu veranlasst, die Infrastrukturfrage zur Chefsache zu erklären und zu diesem Thema eine dreitägige Klausurtagung mit den verantwortlichen Spitzen aus dem Verteidigungsministerium, den Wehrbereichen und den Oberfinanzpräsidien abzuhalten. Ohne es anhand der verfügbaren Quellen überprüfbar belegen zu können, wurde dabei offenbar festgestellt, dass vom Haushaltsansatz für die Bundeswehrbauten des Jahres 1965 bisher zu wenig abgeflossen war und demzufolge die Baumaßnahmen nicht so voranzukommen schienen, wie die militärischen Notwendigkeiten es erforderten. Zumindest verlangte der Verteidigungsminister von den Ministerpräsidenten einen Sachstandsbericht. Neben abrechnungstechnischen Verfahren und schwierigen Wetterverhältnissen führten die Länder im Grunde genommen drei zentrale Hinderungsgründe an, von denen sie zwei den Streitkräften selbst anlasteten. Da waren einmal die immer wieder geänderten, kurzfristig erhobenen militärischen Forderungen, die zu Umplanungen und demzufolge zu Verzögerungen führten - bei Marinebauvorhaben in Wilhelmshaven beispielsweise bis zu sieben Monaten. Zum anderen überstiegen die von der Bundeswehr gesetzten Haushaltsvolumen teilweise die Kapazitäten der Landesbauverwaltungen. 290 291
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Müller, Bauen für die Bundeswehr, S. 105. Aus Sicht der Finanzverwaltung und in der Rückschau hatte die Übertragung der obersten baufachlichen Sachleitung an das Verteidigungsministerium den verwaltungsmäßigen Instanzenweg für das Verteidigungsbauwesen zwar abgekürzt, zu Lasten freilich einer einheitlichen Bundesbauverwaltung. Denn seither hatten es die Länderbauverwaltungen bei der Durchführung von Bundesbauten mit zwei obersten technischen Instanzen zu tun. Vgl. Strobel, Vom Militärbauwesen im Königreich Bayern, S. 49. BA-MA, BW 1/181196, Ministervorlage betr. Gesamtinfrastrukturetat 1964 und 1965, 21.3.1966. Zum in Kap. 1412 des Verteidigungshaushalts eingestellten Gesamtinfrastrukturetat gehörten die einmaligen Bausgaben etwa für Kasernenneubauten, aber auch die nationalen Anteile zur NATO-Infrastruktur (u.a. Flugplätze, Femmeldeeinrichtungen, Radaranlagen), die fortdauernden Ausgaben für den Bauunterhalt sowie die Aufwendungen für den Wohnungsbau. BA-MA, Ν 609/3, Tagebuch Kai-Uwe von Hassel, Bd 3 (20.4.-19.9.1965), S. 14, Eintrag vom 26.4.1965.
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Trotz geforderter Beschränkung auf einen zu verbauenden Umfang von 2,1 Mio. DM musste die Oberfinanzdirektion Hannover mit einer Forderung von 2,34 Mio. DM zurande kommen 294 . Die Anforderungen der Streitkräfte an den Umfang der Bauleistungen und ihre zeitlichen Vorstellungen waren, so die Hauptbegründung fast aller Länder, jedoch nur bei ausreichendem Personal zu gewährleisten. Dieses aber fehlte den meisten Bauverwaltungen. So konnten die Staatlichen Hochbauämter in Baden-Württemberg ihre Bundesbauaufgaben nur deshalb durchführen, weil außer den dafür eingesetzten 1069 etatmäßigen Bediensteten (darunter 708 Techniker) speziell bei der Durchführung der Bundeswehrbauten 165 freischaffende Architekten und Ingenieure zur Unterstützung mit herangezogen wurden. Das entsprach einem Anteil von ca. 30 Prozent des hierfür beschäftigten Personals295. In Rheinland-Pfalz sah es schon wieder anders aus. Hier hätte es eigentlich 590 Techniker bedurft, allein die Landesbau Verwaltung verfügte nur über 475. Nun überrascht die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Begründung nicht, dass aufgrund einer boomenden Bauwirtschaft, in der erheblich höhere Löhne gezahlt wurden, kaum ein Ingenieur sich bereit fand, in den Staatsdienst zu treten. Grundsätzlich wirft sie aber wiederum ein Licht auf die Konkurrenzsituation, welche die Implantierung der Streitkräfte in das staatliche, soziale und wirtschaftliche Gefüge offenbar so schwierig machte. Aber auch spezielle, zeitlich begrenzte Personalmaßnahmen, wie eine zur terminlichen Fertigstellung der Bundeswehrbauten zumindest denkbare Umbesetzung von Fachkräften innerhalb der Bauverwaltungen, schienen höchst riskant zu sein. Solche im Finanzbauamt Koblenz unternommenen Versuche wurden »regelmäßig mit Kündigungsdrohungen beantwortet, die im Hinblick auf die anderweitigen günstigeren Stellenangebote auch ernst genommen werden müssen«296. Im Klartext mochte das heißen, dass die Länder trotz aller Beteuerungen, die Bauleistungen nach Möglichkeit weiter zu steigern, nicht bereit waren, durch letztlich temporäre Bauaufgaben für die Bundeswehr die eigene Personaldecke selbst weiter zu verkleinern und damit gegebenenfalls ihre Bauverwaltungen wie auch ihre eigenen Bauvorhaben zu gefährden. Niedersachsen hat diesen Zusammenhang zumindest angedeutet, indem es Minister von Hassel zu verstehen gab, dass die angespannte Personallage nicht nur zu Lasten der Bundeswehr gehe. Während bis zur Jahresmitte 1965 der Anteil der Bauleistung bei den militärischen Vorhaben bei knapp 29 Prozent lag, hinkten die Landesbauvorhaben mit 27 Prozent etwas hinterher297. Trotz aller Hemmnisse zeigten sich die Länder aber davon überzeugt, bis zum Jahresende 1965 die von ihnen geforderte Bauleistung weitgehend abgearbeitet zu haben. Tatsächlich wurde 1965 eine Auslastungsquote von immerhin 83 Prozent (2,3 Mrd. DM Soll, 1,9 Mrd. Ist) erreicht298. 294
295 296 297 298
Ebd., BW 1/181196, MinPräs von Niedersachsen an BMVg, 16.9.1965. Ähnlich äußerte sich auch der hessische MinPräs. Ebd., Finanzministerium Baden-Württemberg an BMVg, 13.9.1965. Ebd., MinPräs Rheinland-Pfalz an BMVg, 21.10.1965. Ebd., MinPräs Niedersachsen an BMVg, 16.9.1965. Ebd., Ministervorlage betr. Gesamtinfrastrukturetat 1964 und 1965, 21.3.1966.
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Von daher könnte man zu der Auffassung gelangen, dass bei aller damit verbundenen Belastung die Länder durchaus daran interessiert waren, diese speziellen räum- und kostenintensiven Bundesbauaufgaben durchzuführen. Konnte denn auf dieser konkreten administrativen Umsetzungsebene, insbesondere im Hinblick auf die antizipierten, vielfältigen Konsequenzen der Verteidigungsbauten vor Ort, nicht ein gewisser steuernder Einfluss ausgeübt werden? Zumindest ist es vorstellbar, dass solche Gedanken vielleicht ganz im Sinne des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Hoegner gewesen wären. Der hatte nämlich schon 1955 dafür plädiert, gerade bei der Unterkunftsfrage über das Vehikel der Verwaltungsinstanzen gewissen bundeszentralistischen Bestrebungen gegenzusteuern299. Spekulieren kann man aber auch in die andere Richtung. Man stelle sich vor, den Länderfinanzverwaltungen wäre, angesichts ständig erklärter Überlastung durch die Errichtung von Verteidigungsbauten, ihre Zuständigkeit bei den Bundesbauaufgaben entzogen worden. Ohne sich die strukturellen Folgen dieser Fiktion hier weiter auszumalen, hätte so etwas sicherlich ihr bundesstaatliches Gewicht vermindert. Natürlich kam es dazu nicht. Nachgedacht hat man im politischen Raum freilich schon darüber, wie man das System der Bundeswehrbauten neu regeln könnte. Im Verteidigungsausschuss schien man es 1965 sogar bedauert zu haben, keiner eigenständigen militärinternen Bauverwaltung zugestimmt zu haben. Immerhin belegt die Bemerkung des FDP-Abgeordneten Kreitmeyer, dass in der Anfangszeit der westdeutschen Aufrüstung selbst das Militärbauwesen nicht in erster Linie aus seinen fachlichen Zwängen heraus betrachtet wurde, sondern dieses auch zum Instrument politischer Einhegung herhalten durfte: »Abg. Kreitmeyer spricht sich für eine eigene Bauorganisation der Bundeswehr aus. Als der Ausschuß vor zehn Jahren noch mit dem berühmten Mißtrauen an die Bundeswehr herangegangen sei, habe er ihr eine solche Bauorganisation verweigert300.« Mochte man solche Sätze vielleicht noch als kritische Einzeläußerung abtun, der Instanzenweg bei den militärischen Infrastrukturmaßnahmen sollte sich weiterhin als sehr zeitintensiv und demzufolge als Behinderung des weiteren Streitkräfteaufbaus erweisen. Immer wieder wurde darüber im Verteidigungsausschuss gesprochen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer sich verändernden Bundeswehrplanung, die 1967 ganz besonders durch den Strategiewechsel und die finanzwirtschaftliche Situation im Inneren bestimmt wurde. Was den Infrastrukturkomplex betraf, so richtete sich die Hauptkritik der Abgeordneten nach wie vor auf eine hier anzutreffende, offensichtlich mangelhafte Koordination zwischen den militärischen und den zivilen Stellen301. Dem Anschein nach hatte sich die Bundeswehrverwaltung aber zum Ende der sechziger Jahre mit der gewiss nicht einfachen Situation im Verteidigungsbauwesen abgefunden. Jedenfalls legten dies die Ausführungen eines hohen Bundeswehrver299 300
301
BayHStA, StK 115173, Denkschrift (undatiert, ca. 2. Jahreshälfte 1955). Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 4. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 115. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 15.6.1986, S. Β 10. Ebd., 5. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 58. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 7.9.1967, S. 41 f.
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waltungsbeamten nahe. Im Rahmen einer Geschichte über die Einweihung einer neuen Truppenunterkunft an einem fiktiven Standort, in der ein Leiter der örtlichen Landesbaudienststelle, der Infrastrukturdezernent aus einem Wehrbereichskommando und der Liegenschaftsdezernent einer Wehrbereichsverwaltung einem Hauptmann den bauorganisatorischen Zusammenhang erklärten, versuchte der Autor seinen Lesern in durchaus humorigen Worten nahezubringen, warum von der ersten Vorplanung einer Garnison bis zu ihrer Fertigstellung oftmals sechs Jahre ins Land gehen konnten. Was auf den ersten Blick vielleicht als Rechtfertigungsschrift für das in der Tat schleppende Infrastrukturverfahren aussah, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein durchaus bemerkenswertes Plädoyer für die dahinter stehenden demokratischen Normen. Denn der Verfasser breitete die Gefühle seiner drei Protagonisten aus, als diese bei der Einweihungsrede des Öfteren von der langwierige Bauzeit zu hören bekamen: »Nun standen sie wieder da, verwundet wie stets, wenn sie den wohlbekannten Unterton hörten, in dem unausgesprochen entweder der Vergleich mit den rapiden Militärbauten miterlebter diktatorischer Zeitläufte oder mit den pilzartig aus dem Boden schießenden Anlagen der profithungrigen Industrie mitschwang. Alle Teilnehmer an der Kaserneneinweihung mußten doch eigentlich wissen, daß die Bundeswehr wegen des freiheitlichen Wesensgehalts des Grundgesetzes, das sowohl den einzelnen Bürger wie auch die Gemeinden, Länder und Träger öffentlicher Interessen vor staatlichem Zwang nach Möglichkeit schützt, ihre Bauten nicht mit den Machtmitteln vergangener Epochen durchzusetzen vermag. Auch der unausgesprochen im Raum stehende Vergleich mit der Industrie hinkte aus einem eigentlich leicht einzusehenden Grunde: Die Industrie baut, um zu verdienen, das heißt, für sie sind die einmaligen Kosten der Planung und der Bauausführung relativ uninteressant, wenn nur - time is money - durch die schnelle Fertigstellung die Produktion rasch anlaufen kann und so der erwartete Gewinn per saldo bei kurzer, teuerer Bauzeit größer ist als bei längerer und billigerer Durchführung des Projekts. Die Bundeswehr ist kein auf Gewinn ausgerichteter Unternehmer und kann daher keine derartige GewinnVerlustrechnung aufstellen. Sie ist nach dem Haushaltsgesetz und unter der stets argwöhnischen Kontrolle des Bundesfinanzministeriums verpflichtet, so kostensparend wie nur möglich planen und bauen zu lassen302.« Die auch auf diesem Feld durchaus akzeptierte Integration der Bundeswehr in die rechtsstaatliche und förderative Struktur der Bundesrepublik änderte freilich nichts an der Tatsache, dass die Infrastrukturlage fünfzehn Jahre nach Aufstellungsbeginn der Streitkräfte noch immer auf einem Schlingerkurs fuhr. Die vom SPD-Verteidigungsminister Helmut Schmidt nach Übernahme des Ressorts 1969 angeordnete kritische Bestandsaufnahme der Bundeswehr brachte den letztlich unhaltbaren Zustand unzweideutig auf den Tisch. Noch vor dem Regierungswechsel beklagte man in der Abteilungsleiterrunde des Verteidi-
302
Meyer-Truelsen, Was man sich über die Infrastruktur erzählt, T.
S. 469 f.
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gungsministeriums das - aus Sicht der Bundeswehr - schleppende Freigabeverfahren der Bauunterlagen durch das Finanzministerium 303 . Trotz beachtlicher Aufwendungen für den Ankauf von Liegenschaftsflächen und den Bau infrastruktureller Einrichtungen konnte der Bedarf laut Weißbuch 1970 noch nicht einmal annähernd gedeckt werden. Zum damaligen Zeitpunkt fehlten u.a. noch 51 000 Unterkunftsplätze in Kasernen und Schulen, vier Lazarette, 120 Ausbildungs- und Sporthallen, Depotraum für 192 000 Tonnen Gerät, für 267 000 Tonnen Munition und 439 000 Kubikmeter Brenn- und Betriebsstoffe. Gewiss, ein Gutteil des Rückstandes lag in der finanzwirtschaftlichen Rezession begründet, in die die Bundesrepublik im letzten Drittel der sechziger Jahre geraten war. Zum Jahresbeginn 1967 hatte die Abteilung Unterbringung und Liegenschaften prognostiziert, dass die Bundeswehr allein drei Jahre brauchen werde, um die schon begonnenen Bauvorhaben fertigzustellen 304 , eine Prognose, die aufgrund der damals notwendig gewordenen Umplanungen - innerhalb des Heeres sprach man vom »Schock des Jahres 1967«305 - noch 1969 nichts von ihrer Gültigkeit verloren hatte306. So hätten nach der sachlichen Dringlichkeit jährlich 1,2 Mrd. DM verbaut werden müssen. Die Festsetzungen des Haushaltsansatzes im Jahr 1969 auf 1 Mrd. DM sowie die zögerliche Mittelfreigabe von Seiten des Finanzministers zwangen hingegen zu einer zeitlichen Streckung bereits begonnener Vorhaben und führten dazu, den Beginn weiterer Baumaßnahmen hinauszuschieben. Daneben förderte die »Kritische Bestandsaufnahme« aber auch »vielfältige Klagen über die Langwierigkeit und Umständlichkeit der Bauverfahren zutage«307. So dauere die Herstellung eines Bauwerks von der Anmeldung der militärischen Bedarfsanforderung bis zur Übergabe in der Regel viereinhalb bis sechseinhalb Jahre. Die kritischen Inspektoren fanden heraus, dass es zum Teil am schwerfälligen Raumordnungsverfahren lag, welches nach dem Landbeschaffungsgesetz jedem Infrastrukturvorhaben vorausgehen musste, bevor der eigentliche Grunderwerb erfolgen konnte. Hier spielten die Länderregierungen eine große Rolle. Außerdem waren bei der Durchführung der Raumordnungsverfahren selbst eine Vielzahl höherer und mittlerer Verwaltungsbehörden, kommunaler Stellen, Wasserwirtschafts-, Landwirtschafts-, Verkehrs- und Naturschutzbehörden eingeschaltet. Oft hatten die Bauvorhaben ein lokalpolitisches Gewicht, was wiederum zu verzögernden, weil zu prüfenden Interventionen von Bundestags- oder Landtagsabgeordneten und Ministerpräsidenten führte. Wenn man die im Weißbuch von 1970 gewählten Formulierungen für bare Münze nimmt, dann scheint es so, als ob die infrastrukturelle Integration der Bundeswehr es fast mit einer griechischen Tragödie habe aufnehmen können: »Ein Paradebeispiel für labyrinthische Verwaltungsabläufe bietet auch die Prozedur der Bauprojektierung und der Baudurchführung. Acht Institutio303 304 305 306 307
BA-MA, BM 1/1411 c, Kurzprotokoll Abteilungsleitersitzung, 7.7.1969, S. 4. Ebd., BM 1/1403 c, Kurzprotokoll Abteilungsleitersitzung, 20.2.1967, S. 5. Ebd., BW 1/32053, Fü Η III 4: Infrastruktur-Bilanz des Heeres 1969, Bonn 1970. Ebd., BM 1/1411 c, Kurzprotokoll Abteilungsleitersitzung, 7.7.1969, S. 4. Weißbuch 1970, S. 161.
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nen, ohne Hinzurechnung der beteiligten Stellen in den einzelnen Verwaltungen, bearbeiten in 41 Arbeitsgängen, die jeweils eine Bewegung der Bauakte zwischen den Verwaltungen auslösen, jedes einzelne Bauprojekt. Zu den Planungsvorbereitungen tragen mit Schwerpunkt bei: das Verteidigungs- und das Finanzministerium, die Mittelinstanz der Bundeswehrverwaltung, das jeweilige Länderfinanzministerium und die betroffene Oberfinanzdirektion (Landesbauverwaltung). Die groteske Umständlichkeit des Verfahrens mag das Beispiel eines Sporthallenbaus erhellen, wobei in Klammern jeweils die Bearbeitungszeit angeführt ist308.« Auf die Aufzählung der einzelnen Instanzen sei hier verzichtet, innerhalb derer die Akten vom Beginn der Aufstellung der militärischen Forderung durch das zuständige Infrastrukturreferat einer Teilstreitkraft bis zur Erteilung des Bauauftrags durch eine Oberfinanzdirektion über 84 Wochen hinweg bewegt wurden. Die Bauzeit selbst nahm dann lediglich 40 Wochen in Anspruch. Für die Übergabe an die zuständige Standortverwaltung und den militärischen Nutzer benötigte man dann nur noch eine Woche. Beim Bau einer Sporthalle handelte es sich freilich um eine relativ einfache Bauaufgabe, die kein Raumordnungsverfahren auslöste. Ein besonderer Kritikpunkt war laut Weißbuch auch das zwischen dem Finanz· und Verteidigungsressort gehandhabte ministerielle Verfahren. Als hemmend wirkte es sich aus, dass vom Finanzministerium die Zustimmung zu einer Baumaßnahme grundsätzlich nur dann erteilt wurde, wenn vorher eine Stärke- und Ausrüstungsnachweisung abschließend verhandelt worden war. Der Entwurf einer solchen galt als nicht ausreichend, auch wenn die endgültige Nachweisung voraussichtlich keinerlei wesentliche Änderungen auf die geplante Baumaßnahme erwarten ließ. Während hier nur die Bundesregierung über einen Kabinettsbeschluss für Abhilfe sorgen konnte, zielten die Mühen des Verteidigungsministeriums bei der Beschleunigung des Bauverfahrens - wie schon ein Jahrzehnt zuvor - auch auf die mittleren und unteren Instanzen ab. Rationalisierung des Bauverfahrens hieß das Schlagwort, wofür eine von der Bundesregierung einzusetzende Kommission, in welcher natürlich auch die zuständigen Bundesressorts und Länderbehörden vertreten sein sollten, bis zum 31. Dezember 1970 Vorschläge unterbreiten sollten. Es war nun nicht das Bundeskabinett, sondern das Bundesministerium der Finanzen, welches benannte Kommission berief und die Rationalisierungs- sowie Beschleunigungsverfahren empfahl. So wurden laut Weißbuch 1971/72 einmal die Richtlinien für die Bauaufgaben neu gefasst sowie auch die Weichen für so genannte Standardplanungen gestellt. An sich war letzteres im Grunde genommen nichts grundlegend Neues. Bereits zur Zeit der EVG war vorgesehen gewesen, typisierte Kasernen aufführen zu lassen, entlang der Richtlinie »ohne Aufwand, solide und schlicht«309 sowie angelehnt an die Normen der für Engländer und
308 309
Ebd., S. 162. BA-MA, BW 1/30012, Vermerk über die richtunggebenden Komponenten der bisherigen Entwicklung sowie der Erfahrung bei Unterkunftsbauten der Bundeswehr seit 12 Jahren, 28.8.1963.
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Amerikaner errichteten Kasernenneubauten in Deutschland. Das hing u. a. auch damit zusammen, dass die für Verteidigungsbauten der Bundeswehr zuständige Gruppe im Finanzministerium sich organisatorisch aus der entsprechenden Abteilung für Besatzungsbauten heraus entwickelte310. Ursprünglich sollte es für die Landstreitkräfte zwei verschiedene Arten von Kasernen geben - zur Unterbringung für 1100 bzw. für 750 Mann. Da sich diese Form schon in der Planungsphase als zu starr erwiesen hatte, entschloss man sich zum Bau von so genannten Einheitskasernen, denen die Kompanie (130 bis 200 Mann) als Maßstab zugrunde lag. Pro Einheit sollte es ein Hauptgebäude geben, welches nach Empfehlung des Bundeswirtschaftsministeriums aus wirtschaftlichen Gründen in mehrstöckiger, massiver Bauweise aufzuführen war. Nach diesem System konnte der Aufbau von Kasernements stufenweise erfolgen - zunächst nur die erforderlichen Gebäude, denen bei Erhöhung der Personalstärke bzw. je nach Art des Verbandes zusätzliche Bauten beigestellt hätten werden konnten311. Interessanterweise flössen in die Kasernenbauüberlegungen des Jahre 1952/53 auch Argumente mit ein, wie diese Anlagen gegebenenfalls später einmal zivil umgewidmet werden konnten: »Da noch nicht übersehen werden kann, ob die in vorbeschriebener Weise errichteten Häuser mit einer Lebensdauer von etwa 50 Jahren die Zeit ständiger Verteidigungsbereitschaft überschreiten werden, muß die Umwandlung zu anderen, insbesondere Wohnungszwecken ins Auge gefaßt werden. Im Hinblick darauf wären Neubauten als 2-geschossige Zeilenbauten erwünscht, in denen sich die Mannschaftsstuben diesseits und jenseits des Mittelflurs genau gegenüberliegen. Im Falle der späteren Verwendung als Wohnung müßten die Flure in Stubenbereiche unterteilt, in diesen Treppen zum Obergeschoß und Eingänge von außen angelegt werden, sodaß Eirifamilienreihenhäuser entstünden312.« Offensichtlich waren die Planungen darauf auch schon abgestellt; denn während einer Infrastrukturausstellung, die zum Jahresende 1953 in Paris stattfand, sprang den französischen Bausachverständigen »der zivile (siedlungsmäßige) Charakter in die Augen«, welcher den Umbau zu einer Wohnsiedlung erleichtere, und auch das Fehlen von Exerzier- bzw. Paradeplätzen wurde »lächelnd bemerkt«313. Ohne dies hier weiter zu verfolgen, hat es den Anschein, dass diese sehr konkrete Projektion einer »Friedensdividende« militärischer Maßnahmen mit jener Entspannungszwischenphase zusammenhing, die nach Stalins Tod kurzzeitig in die westeuropäische Sicherheitspolitik eingezogen war314. Bekanntlich erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Und auch im Kasernenbau ist späterhin von vorab zu berücksichtigenden zivilen Adaptionsmöglichkeit nicht mehr die Rede. Im Grunde genommen lebte die EVG-Einheitskaserne, die für Einheiten aller Waffengattungen des Heeres Verwendung finden sollte, auch in der ersten Zeit 310 311
312 313 3,4
Kleine Chronik der Unterabteilung U III, S. 8 - 1 2 . BA-MA, BW 9/1695, pag. 4 2 - 4 7 , Bericht über den von der deutschen Delegation der EVG am 7.12.1953 in Paris gehaltenen Vortrag. Ebd., pag. 34 f., Dienststelle Blank an BMF betr. Vergleiche der Baukosten, 14.1.1953. Ebd., pag. 59, Bericht über die Infrastruktur-Ausstellung am 7.12.1953 in Paris. Siehe hierzu Loth, Blockbildung und Entspannung.
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der Bundeswehrplanung weiter fort. Im Verteidigungsausschuss wurden 1956 Norm- und Typenpläne einer Musterkaserne für das Heer behandelt, die für 1200 Mann vorgesehen und in der Bauabteilung des Finanzministeriums entwickelt worden war315. »Konfektionierung statt Maßschneiderei« hieß das Credo, mit dem man die problematische Unterkunftslage in der ersten Aufbauphase der Bundeswehr anpacken wollte316. Um die Bauverwaltung in die Lage zu versetzen, möglichst rationell arbeiten zu können und bei der Unterkunftsbemessung für die Truppengattungen von Einheitsgebäuden ausgehen zu können, standen drei Gebäudetypen zur Verfügung: für Kompanien die Typen A (141 Mann) und Β (108 Mann) sowie für einen Zug der so genannte Typ Ζ (68 Mann). Sofern mit Blick auf die Mannschaftsstärke truppengattungsspezifisch notwendig, konnten die Typgebäude um eine oder mehrere Achsen vergrößert werden. Die grundsätzliche Raumkonzeption wurde damit beibehalten, nur das Gebäude um einen oder mehrere Unterabschnitte erweitert. Gleiches galt auch für die übrigen Gebäude und Anlagen (Stabsgebäude, Wirtschaftsgebäude, Lehrsaalgebäude, Werk- und Kraftfahrzeughallen), für die es ebenfalls typisierte Vorlagen gab. Somit entstanden regelrechte Grenadier-, Panzerjäger-, Panzer-, Pionier- usw. Kasernen, die man als Kasernen nach Maß bezeichnen konnte. Bis 1960 waren davon insgesamt 30 Bataillonskasernen gebaut worden. Sie hatten den Vorteil, dass sie bei nur geringen Belegungstoleranzen zweckbestimmt ausgenutzt werden konnten. Der Nachteil lag allerdings in der verminderten Austauschfähigkeit mit Truppenteilen anderer Waffengattungen. Schon in der ersten Aufstellungs- und Bauphase war dieses System deshalb auch an seine Grenzen gestoßen. Die Umstellung des Heeres von Kampfgruppen auf Brigaden war mit weitgehenden Änderungen der Truppenstärke (meist kleinere Einheiten) verbunden gewesen. Um die zukünftigen Planungen darauf abzustellen, um zu einem rationelleren Bausystem zu kommen und um eine vielseitigere Verwendung der Liegenschaften zu ermöglichen, ging man bereits Ende der fünfziger Jahre dazu über, für das Heer insgesamt nur drei Kasernentypen zu schaffen: für voll- und teilgepanzerte sowie für sonstige Verbände. Falls erforderlich, konnten innerhalb dieser Typen die Truppenteile weitgehend ausgetauscht werden317. Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass sich auch der Verteidigungsausschuss 1961 mit der Zweckmäßigkeit der für die Bundeswehr errichteten 315
316
317
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, BMVg an Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, 23.5.1956. Im Bestand BA-MA, BW 9/507bk, haben sich für Standardgebäude eines Fliegerhorstes entwickelte Pläne erhalten, die im September/November 1952 durch die Finanzbauverwaltung erstellt worden sind. BA-MA, BW 2/2051, Kurzprotokoll der 44. Abteilungsleiterbesprechung am 15.10.1956, S. 3. Radioff, Die Entwicklung zur Einheitskaserne. Vgl. Radioff, Gliederung und Gestaltung. Die neu errichteten Heereskasemen der Bundeswehr waren keine beziehungslosen Neuschöpfungen, sondern standen in der Tradition des Kasemenbaus für die Wehrmacht in den dreißiger Jahren - natürlich weiterentwickelt in Bezug auf veränderte militärische Forderungen und bautechnische Errungenschaften. Vgl. Schmidt, Nutzung und Bauform von Kasernenbauten.
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Kasernenneubauten befasste. Auf die Frage des FDP-Bundestagsabgeordneten Fritz-Rudolf Schultz, dem als ehemaligem Major der Wehrmacht solche Bereiche keineswegs fremd waren, ob die in der Truppe gemachten Erfahrungen von der Bundeswehrführung ausgewertet worden seien und ob in Zukunft mit Änderungen gerechnet werden müsse, antwortete der Leiter der Liegenschaftsabteilung, dass die Zweckmäßigkeit laufend zwischen den Führungsstäben und seiner Abteilung diskutiert werde. Demnach hatten sich die ausgewählten und festgelegten Kasernentypen bewährt. Auch an der einmal getroffenen Entscheidung, innerhalb einer Kasernenanlage ein spezielles Lehrsaalgebäude zu errichten, hielt der Führungsstab des Heeres deshalb fest, weil nur so die notwendigen Lehrmöglichkeiten für die technische Ausbildung vorgesehen werden konnten. Am zentralen Hörsaalgebäude hatte der Abgeordnete Schultz besonders kritisiert, dass manche Kompanien angeblich bis zu 25 Minuten Fußmarsch zurücklegen mussten, bevor sie die Unterrichtsräume erreichten. Unter Hinweis auf den Gesamtumfang einer Kaserne, der allenfalls Wegstrecken von bis zu 400 m nach sich zog, wurde der Einwand freilich als nicht ganz zutreffend zurückgewiesen. Als Kritik griff man allerdings auf, dass beim Bau in Zukunft weniger Glas verwendet werden sollte. Außerdem hatte die Standardausstattung nicht befriedigt - von einem ästhetischen Standpunkt aus betrachtet. Hier waren neue Konstruktionstypen in der Entwicklung, ebenso wie bei der Beleuchtung der Unterkunftsräume. Weil man sich einen günstigeren Einfluss auf die Personal Werbung erhoffte, gab Minister Strauß 1962 die Weisung aus, die Unterkünfte »attraktiv« zu gestalten318. Fragen nach stärkerer Einflussmöglichkeit der Truppenkommandeure auf die Gestaltung einer Kaserne - ein Abgeordneter verglich den Innenausbau der Offizierkasinos mit einem »Metzgerladen« - wurden dahingehend beantwortet, dass aufgrund der notwendigerweise frühen Bauplanung in den meisten Fällen der Name des späteren Verbandskommandeurs kaum bekannt sei. Man sprach es zwar nicht so direkt an, aber die sachlich zutreffende Bemerkung, dass ein Kommandeur nur eine bestimmte Zeit in der Kaserne bleibt und sein Nachfolger »wieder eine ganz andere Auffassung über die architektonische und ästhetische Gestaltung« hat, verhinderte man nicht nur das Wirksamwerden wechselnder Geschmacksvarianten, sondern entzog solchen Überlegungen, falls sie aufgekommen wären, von vornherein jede Realisierungschance. Weil der Verteidigungsausschuss andererseits immer auch in Kategorien von Rationalisierung und vor allem Einsparungen dachte, entwickelte ein anderer militärerfahrener Abgeordneter, der ehemalige Admiral und jetzige CDU-Parlamentarier Hellmuth Heye, einen - zumindest aus heutiger Sicht - kurios anmutenden Vorschlag. Da die Bundeswehr für jeden Soldaten statistisch mindestens eineinhalb Betten vorhalten musste (bei der Marine gar drei!), hielt er die Einführung von Hängematten für ein probates Mittel, um die Größe einer Kaserne 318
BA-MA, BW 1/30012, Vermerk über die richtunggebenden Komponenten der bisherigen Entwicklung sowie der Erfahrung bei Unterkunftsbauten der Bundeswehr seit 12 Jahren, 28.8.1963.
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»sicher um ein Zehntel« zu vermindern319. Nebenbei bemerkt war er der Auffassung, dass eine solche Einrichtung auch im Sinne einer feldverwendungsfähigen Erziehung für den »in Bezug auf Unterbringung sehr verwöhnten« deutschen Soldaten sehr zweckmäßig sein mochte. Gleich zwei weitere Ausschussmitglieder aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion schlossen sich Heye an. Dazu sollte es aber dann doch nicht kommen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil die Argumentation des württembergischen Abgeordneten Paul Bausch - bei aller lauteren Absicht - dann doch etwas zu weltfremd war und aus monetärem Blickwinkel der Ersatz schon beschaffter Betten durch Hängematten letztlich wohl kaum haushaltsrelevante Einspareffekte erbracht hätte: »Es habe Zeiten gegeben, wo der Haushaltsausschuß begierig gewesen sei, einen ernsthaften Vorschlag zu erhalten, der 10 % Einsparungen bei den Generalunkosten für die Unterbringung der Truppe zur Folge habe. Die Zeit komme wieder, wo man für solche Vorschläge dankbar sein werde. Das Argument, daß die Truppe seit Jahr und Tag in Betten schlafe, zieht nicht. Man könnte es auch anders machen320.« Die gegen Ende der fünfziger Jahre vorgenommenen Standardisierungen bei den Kasernenbauten scheinen nicht weit genug gegangen zu sein. Oder sie hatten nur bedingt Einfluss auf das Prozedere von Baugenehmigungsverfahren und Baudurchführung321. Wie sah das Rationalisierungsverfahren der siebziger Jahre nun also aus? Zunächst einmal wurde die Zuständigkeit bei Typenbauten auf die Mittelinstanzen der Finanzbauverwaltungen delegiert, also auf die Oberfinanzdirektionen, wo zumeist in den nachgeordneten Hochbauämtern spezielle Planungsgruppen gebildet wurden. Bestimmte Bauwerksgattungen wie Unterkunftsgebäude, Wohnheime, Betreuungseinrichtungen wurden bestimmten Oberfinanzdirektionen zur verbindlichen Typenausplanung übertragen, um sie dann in einen Standardplanungskatalog zu überführen322 (siehe Tabelle 21). Aufgrund ihrer Gleichartigkeit konnten die Musterpläne dann flächendeckend den Bauausführungen zugrunde gelegt werden. Ziel war es, die Bauämter von umfangreichen Planungsarbeiten im Einzelfall323 zu entlasten und eine Einheitlichkeit von Funktionen und Standards zu gewährleisten. Was das Weißbuch noch sehr zuversichtlich mit den Worten ausdrückte, dass »dank der Rationalisierung des Infrastrukturverfahrens [...] Bauten für die Bundeswehr jetzt schnel319
320 321
322 323
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 3. Legislaturperiode, stenographisches Protokoll der 105. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.1.1961, S. A 15. Ebd., S. A 16. A u s eher technisch bestimmtem baufachlichen Standpunkt der achtziger und neunziger Jahre galten die funktionalen Beschreibungen und Stichskizzen nicht als Standard- bzw. Typenplanungen im engeren Sinn. Vgl. Bauen für die Bundeswehr. Truppenunterkünfte, S. 32. Vgl. ebd., S. 5-9. In der Regel planten Bauämter oder beauftragte Architekten bis zu diesem Zeitpunkt die gesamten Einrichtungen einer K a s e m e n a n l a g e a u f g r u n d funktioneller Beschreibungen, die in der Finanzbauabteilung des Bundesfinanzministeriums entwickelt worden waren. Beispiele hierzu in Bauen für die Bundeswehr. Truppenunterkünfte, S. 54 f.
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Tabelle 21: Standardplanungskatalog für Kasernenbauten nach Bauwerksgattungen und planender Oberfinanzdirektion 1971 Bauwerksgattung
planende Oberfinanzdirektion
Kompaniegebäude, Zuggebäude (in Großtafelbauweise) Kompaniegebäude, Zuggebäude (in Großtafelbauweise) Offizierwohnheime Feldwebelwohnheime Unteroffizierheime Offizierheime Teilsozialgebäude Schwimmhallen
Freiburg Frankfurt Hannover Münster Stuttgart Karlsruhe Hannover Münster
ler realisiert« werden324, sollte sich, zumindest nach Auffassung der Infrastrukturabteilung im Bundesministerium der Verteidigung, in der Rückschau offensichtlich auch als zutreffend erweisen. Das zu Beginn der siebziger Jahre angeordnete Liegenschafts- und Bauprogramm hätte ohne Rationalisierungsverfahren und Standardplanungen »unter den zeitlichen Bedingungen nicht erfolgreich durchgeführt werden können«325. Zumindest scheint es dadurch gelungen zu sein, den mit der 1972 durchgesetzten Verkürzung der Wehrdienstdauer von 18 auf 15 Monate anfallenden Mehrbedarf an Unterkunftsplätzen zeitgerecht zu decken. Mit der Novellierung des Wehrdienstgesetzes konnten nun etwa 75 Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs eingezogen werden, gegenüber bisher rund 60 Prozent. Von den somit zusätzlich notwendig gewordenen 15 000 Unterkunftseinheiten waren bereits 6420 im Oktober 1973 flächendeckend fertiggestellt.
324 325
Weißbuch 1971/72, S. 151. Bauen für die Bundeswehr. Truppenunterkünfte, S. 7.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen Schon der Titel einer um die Jahreswende 1949/50 durchgeführten Befundstudie des EMNID-Instituts für Marktforschung und Marktbeobachtung sprach Bände: »75 Prozent der Westdeutschen lehnen es ab Soldat zu werden 1 .« Aufgeschlüsselt nach Altersgruppen hielten die zwischen 16 und 30 Jahre alten Bundesbürger noch weniger vom Soldatwerden, als die über 50-Jährigen. Weil über sieben Zehntel jeder Generationenkohorte das Soldatwerden unbedingt verwarfen, zog die Demoskopie daraus den Schluss: »Die Abkehr von militaristischer Gesinnung ist also für die Deutschen kein Problem der Generationen mehr, sondern Ausdruck einer allen Altersstufen und Geschlechtern gemeinsamen Überzeugung 2 .« Kaum zehn Jahre später sah dies deutlich anders aus. Eine beispielsweise unter den Wahlberechtigten Niedersachsens durchgeführte Erhebung des Instituts für Demoskopie in Allensbach erfasste nur noch 33 Prozent, die im März 1959 dagegen waren, dass Westdeutschland wieder über Militär verfügte. Vielmehr sprachen sich jetzt 45 Prozent, also knapp die Hälfte der Befragten, dafür aus, bei einer Unentschiedenenquote von 22 Prozent 3 . Nur geringfügig schlechter, aus Sicht der diese Umfrage in Auftrag gegebenen Bundesregierung, sah die Situation in Rheinland-Pfalz aus: 44 Prozent dafür, 35 Prozent dagegen, 21 Prozent unentschieden. Diese Trendumkehr hatte verschiedene Ursachen. Als eine davon sollte sich die Anwesenheit von Truppen vor Ort erweisen, also das faktische Vorhandensein von Soldaten. Der Befund überrascht zunächst. Denn gerade in diesem Bundesland wurden doch besonders massive Proteste gegen die Stationierung von amerikanischen Truppen zu Beginn der fünfziger Jahre erhoben. Um die These zu erhärten, wonach das faktische Vorhandensein von Soldaten eine Trendumkehr in der Haltung der Westdeutschen zum Militär mit bewirkt haben soll, muss zunächst einmal eine Erhebung betrachtet werden, die danach fragte, ob am Wohnort oder in der näheren Umgebung Truppen stationiert waren. Für den März 1959 sah die Quote 4 wie folgt aus:
1 2 3 4
BA, Β 145/1568. Ebd. Ebd., Β 145/4231. Die Summe der Prozente addiert sich zu mehr als 100, da an den Wohnorten bzw. in näherer Umgebung einiger Befragter Truppen verschiedener Nationen stationiert waren.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Tabelle 22: Truppenstationierungen in der Bundesrepublik 1959 Nationalität Amerikanische Truppen Deutsche Truppen Französische Truppen Kanadische Truppen Keine Angaben Keine Truppen am Wohnort des Befragten stationiert
Anteil in Prozent 40 27 24 2 10 26
Für sich genommen, lassen diese »Berührungsquoten« zunächst noch keine weiteren Schlussfolgerungen zu. Wohl aber im Zusammenhang mit der ebenfalls gestellten Frage nach möglicherweise in Aussicht stehenden Standortvermehrungen. Während sich im März 1955 noch 56 Prozent der Bürger von Rheinland-Pfalz dafür aussprachen, dass »solche Anlagen in andere Bundesländer kommen«, hielten diese Meinung vier Jahre später im März 1959 nur mehr 39 Prozent aufrecht. Wollten derartige Einrichtungen ursprünglich nur zehn Prozent in ihrer Umgebung wissen, so hatte sich die Bereitschaft dazu immerhin fast verdoppelt auf 18 Prozent. Gleichzeitig war die Fundamentalopposition, nichts dergleichen zu bauen, aber ebenfalls gestiegen, wenngleich von nur drei auf fünf Prozent. Eine Steigerungsrate konnte im Übrigen auch bei denjenigen festgestellt werden, die sich zu keinem Urteil durchgerungen hatten (31 Prozent in 1955, 38 Prozent in 1959). Dass die Intensität der Truppenstationierung, erlebt innerhalb kurzer Zeit, zumindest statistisch offenbar in einem deutlichen Zusammenhang stand mit der Bereitschaft, militärische Infrastruktur in der Nähe des eigenen Wohnumfeldes zu akzeptieren, unterstreicht weiterhin das Referenzbeispiel Niedersachsen. Weniger belastet von Soldaten als der Südwesten, votierten dort im Frühjahr 1959 nur 32 Prozent der Wahlberechtigten dafür, dass solche Anlagen in andere Bundesländer kommen sollten. Dementsprechend höher als in Rheinland-Pfalz war mit 24 Prozent auch die Akzeptanz, hier Kasernen zu errichten. Mit 44 Prozent lag die Quote derjenigen, die kein Urteil abgaben, aber signifikant höher. Die zwar nicht mehrheitlich artikulierte, wohl aber grundsätzlich gestiegene Bereitschaft zur Aufnahme von Truppenkörpern in unmittelbarer Nähe stand freilich in einem gewissen Kontrast zur durchaus deutlich vorgebrachten Meinung, dass »die Verteidigungsbauten im Ernstfall nur die Bevölkerung in Gefahr« bringen würden. Vierzig Prozent in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz maßen ihnen ein Gefährdungspotenzial zu und nur 19 Prozent hielten sie für einen guten Schutz5 - ein Ergebnis, das cum grano salis auch für die übrigen Bundesländer gegolten haben mochte. Wie passten diese eigentlich auseinan5
Die Quote derjenigen, die davon überzeugt waren, dass Verteidigungsanlagen überhaupt keinen Wert hätten, lag 1959 bei 16 Prozent in Niedersachsen und 18 Prozent in Rheinland-Pfalz. Kein Urteil erlaubten sich 26 bzw. 22 Prozent der Befragten.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
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derweisenden Meinungen zusammen? Nun ist generell zu konstatieren, dass sich die Kriegsangst innerhalb der westdeutschen Gesellschaft während der fünfziger Jahre gegenüber den anderen westeuropäischen Staaten einerseits auf einem überdurchschnittlichen Niveau bewegte. Andererseits sank die Furcht vor einem unmittelbar bevorstehenden Kriegsausbruch von bis zu 60 Prozent am Beginn des Jahrzehnts bis 1960 auf fünf Prozent, die solches für wahrscheinlich hielten. Immerhin waren noch 39 Prozent von einer Möglichkeit überzeugt, während bereits 56 Prozent das für unwahrscheinlich einschätzten 6 . Freilich, die Stimmung schwankte durchaus signifikant, abhängig von den sicherheitspolitischen Erschütterungen in dieser Epoche. Besonders klar lassen sich diese Ausschläge bei gleichzeitig deutlich zurückgehender Kriegsangst erneut am Beispiel einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie nachvollziehen 7 : Auf die Frage: »Machen Sie sich Sorge, daß in diesem Jahr ein neuer Weltkrieg ausbricht?« antworteten im Juni/Juli 1950 knapp die Hälfte der Bundesbürger (47 Prozent), keine Kriegsfurcht zu haben. Bis Januar 1953 stieg der Anteil auf 74 Prozent, um dann wenige Wochen später im Frühjahr 1954 bei noch höheren 84 Prozent anzukommen. Bedingt durch die Suez- und Ungarnkrise 1956 fiel der Wert im November dieses Jahres freilich auf 49 Prozent ab. Die statistisch messbare Besorgnis währte aber nicht lange. Auf die zweieinhalb Jahre später im Zuge der Berlin-Krise erneut gestellte Kriegsfurchtfrage erhob das Institut für Demoskopie unter den Bundesbürgern die immerhin beachtliche Marke von 80 Prozent, die sich keine Sorge machten, dass »in diesem Jahr« ein neuer Weltkrieg ausbrechen könnte. In dem Maße freilich, wie im Laufe des Dezenniums einerseits die Angst vor einer militärischen Auseinandersetzung zurückging, andererseits die alliierten Truppen - vornehmlich jene aus den USA - vermehrt in die Bundesrepublik einrückten und zusätzlich die westdeutsche Armee reale Gestalt anzunehmen begann, machte sich eine sehr selektive Wahrnehmung sicherheitspolitischer Zusammenhänge bemerkbar. Insbesondere dort, wo sich die Masse der Soldaten befand oder - besser - zukünftig befinden sollte: überwiegend auf der sozialen Mikroebene. So hat es den Anschein, dass die Schatten der Vergangenheit - 410 000 Luftkriegsopfer unter der Zivilbevölkerung in Deutschland 8 oder rund 2,2 Mio. total zerstörte Wohnungen 9 - keine Rolle mehr spielten, als beispielsweise die kleine, 3800 Einwohner zählende südostbayerische Stadt Laufen an der Salzach an den Verteidigungsminister schrieb: »In Ihren Händen, sehr geehrter Herr Bundesminister, liegt das Wohl und Wehe unserer Stadt und ich kann es nicht glauben, daß wir vollkommen abgewiesen werden sollen und wirklich keine Garnison bekommen sollen [...] Sie haben doch erst in Roding wieder einen Kasernenbau genehmigt und den Grundstein dazu gelegt. Warum gehen Sie an Laufen vorbei? Auch in 6 7
8 9
Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 308 f. BA-MA, Β 145/4231, Die Stimmung im Bundesgebiet, Umfrage Nr. 375: Kriegsfurcht nicht aktuell, 2.5.1959. Vgl. Dokumente deutscher Kriegsschäden, 2. Beiheft, S. 492-495. Vgl. Dokumente deutscher Kriegsschäden, Bd 4/1, S. 3 f.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Bad Reichenhall werden bald die Jäger Einzug halten. Warum kann man sich nicht entschließen, nach Laufen, das doch bereits während des letzten Krieges Gebirgsjäger stationiert hatte, wieder Jäger herzutun? Kann man denn wirklich unserem armen Städtchen nicht zu Hilfe kommen 10 ?« Auch wenn der zum Ausdruck gebrachte, vermutlich ökonomisch motivierte »Hilfeschrei« gewiss eine Ubertreibung war, so lenkt dies doch den Blick darauf, welchen eigenen Stellenwert die Sicherheitspolitik aus der Mikroperspektive inzwischen offensichtlich eingenommen hatte. Ohne die Motivlage im Einzelnen zunächst weiter auszuloten, belegt die darin enthaltene Bezugnahme auf den Zweiten Weltkrieg den eben referierten Befund vom zumindest partiellen Verblassen vergangener Kriegserfahrung. Jedenfalls dann, wenn man die zeitgleichen Planungen des Zivilschutzes einmal unberücksichtigt lässt, die sich sehr wohl an den Geschehnissen bis 1945 orientierten 11 . Darüber hinaus lassen diese beispielhaften Sätze aber auch deshalb aufhorchen, weil der darin enthaltene Hilferuf anscheinend im Gegensatz zu dem stand, was insbesondere die Fachleute für Raumforschung mit Blick auf die Bundesrepublik insgesamt und teilweise auch die Landesregierungen für ihren Bereich seit Beginn des westdeutschen Aufrüstungsprozesses sorgenvoll umgetrieben hatte. Militärischer Landbedarf und Baumaßnahmen würden, so das seit 1950 formulierte Credo, das Raumgefüge der Bundesrepublik nicht nur beeinträchtigen, ein solcher Prozess hätte auch überwiegend negative Folgen. Sei es durch den Entzug landwirtschaftlich wertvollen Bodens oder die Umsiedlung ganzer Ortschaften, Maßnahmen, die dann wiederum nicht nur ökonomische und infrastrukturelle, sondern vor allem tiefgreifende soziale Veränderungen nach sich ziehen würden. All dies aber schien - zumindest bei vorliegendem Beispiel - keine Gültigkeit mehr zu besitzen. Vielmehr hatte es den Anschein, als ob die benannten sozialstrukturellen Negativfolgen erst recht auftreten würden, wenn die Stadt keine Garnison erhielte. Nun verweist der Brief aus Laufen aber noch auf einen anderen Aspekt. Nimmt man den Text für bare Münze, so könnte man meinen, dass die gesamte Kommune geschlossen hinter dieser Initiative gestanden hat. Wenn man sich den Meinungsbildungsprozess vor Ort aber etwas genauer ansieht, dann drängt sich zumindest der Eindruck auf, dass im Wesentlichen die Gewerbetreibenden als eine pressure group auftraten 12 . Aber wie repräsentativ war diese Gruppe wirklich, der man vermutlich nicht zu Unrecht ein unmittelbares ökonomisches Interesse unterstellen darf? Ohne den konkreten Fall weiter auszuführen sei zumindest die Frage aufgeworfen, ob es andere soziale oder politische Teilgruppen gab, die, ebenfalls ihren Interessen folgend, eine abweichende Meinung vertraten. Jedenfalls sprach Verteidigungsminister Blank zu Jahresbeginn 1956 vor dem Verteidigungsausschuss nicht zum erstenmal davon, dass die mit 10 11 12
BA-MA, BW 1/5377, 23.9.1957. Zu den Planungen des Zivilschutzes vgl. Thoss, NATO-Strategie, S. 620-651. So untermauerte der stellvertretende Innungsmeister des Kreises einen weiteren Vorstoß in der Garnisonsangelegenheit unter Beifügung von 84 Firmenstempelabdrücken der Laufener Gewerbetreibenden. BA-MA, BW 1/5377,12.7.1957.
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dem Wunsch nach einer Garnison eingereichten kommunalen Selbstangebote durchaus mit Problemen behaftet seien: »In manchen Fällen kommen aus demselben Ort Leute mit genau entgegengesetzten Wünschen; die einen wollen gern eine Garnison haben, die anderen wollen keine Garnison, weil ihre Interessen anders gelagert sind13.«
1. Garnisonsbewerbungen
Bereits die alliierten Truppenvermehrungen zu Beginn der fünfziger Jahre hatten deutlich werden lassen, dass die materielle und vor allem personelle Integration von Streitkräften in das gesellschaftliche Gefüge der Bundesrepublik gerade auf der kommunalen und regionalen Ebene die vermutlich intensivsten Ausschläge aufweisen würde - und zwar solche, die mit einem negativen Vorzeichen besetzt schienen. Die Belegung mit U.S.-Truppen im Blick, welche 9,6 Prozent der Landesfläche mit Beschlag belegt hatten, bat der hessische Ministerpräsident Zinn darum, den Aufbau der Bundeswehr zu überprüfen, um die Aufnahmefähigkeit seines Landes nicht zu überfordern14. Die Bemerkung Blanks vor dem Verteidigungsausschuss im Februar 1956 generierte zudem ein Bild, wonach der Aufbau von Streitkräften nun nicht mehr nur als etwas Abstraktes auf einer relativ hohen Entscheidungsebene Anlass zum politischen Streit bot, wie er etwa im Rahmen der Debatten um die Wehrgesetzgebung ablief15. Es hatte vielmehr den Anschein, dass der tatsächliche Realisierungsprozess, der aufgrund internationaler Verpflichtungen freilich zu keinem Zeitpunkt jemals zur Disposition stand, dann offensichtlich Fraktionierungen selbst innerhalb kleiner und kleinster politisch-gesellschaftlicher Strukturen induzierte. Im Grunde genommen ist ein aus unterschiedlichen Interessen gespeister Dissens in politischen Sachfragen für sich genommen noch nichts Außergewöhnliches in einer offenen Gesellschaft. Hinterlegt man dies freilich mit dem Begriff von der Wandlungsgesellschaft, mit dem die Zeitgeschichtsforschung den politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Transformationsprozess Deutschlands nach 1945 in einen seit der Jahrhundertwende währenden, langfristigen Trend einordnet16, dann mag eine so verstandene Integration der Bun13
14 15 16
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 72. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 4.2.1956, S. 16. Schon ein gutes Jahr vorher hatte Blank vor dem selben Gremium von »den Interessierten auch von den Desinteressierten« gesprochen, »die nicht wünschen, daß in ihrer Stadt so etwas geschieht«. Ebd., Stenographisches Protokoll der 30. Sitzung des Ausschusses für Fragen der Europäischen Sicherheit, 21.1.1955, S. 39. Vgl. Schneider, Streitkräfteaufbau, S. 8. Vgl. AWS, Bd 3, S. 4 3 0 - 5 5 2 (Beitrag Ehlert). Unter Berücksichtigung sämtlicher Lebensbereiche vgl. hierzu beispielhaft Modernisierung im Wiederaufbau; Schildt, Moderne Zeiten; Politische Zäsuren; Bayern im Bund, Bde 1 und 2; Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch.
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deswehr zumindest die Frage nach deren Anteil dabei aufwerfen - dem hier zur Rede stehenden Untersuchungsgegenstand entsprechend bezogen auf folgende, generalisierte Entwicklungsfaktoren17: 1. Demokratisierung von Staat und Gesellschaft unter Ausweitung auf Partizipationsmöglichkeiten bei der Gestaltung sozialer Strukturen und Emanzipationsbestrebungen von überkommenen autoritären Bindungen. 2. Hebung von Lebensstandard und Sozialchancen. 3. Zivilisatorische Verbesserungen und Erleichterung der Daseinsbedingungen. 4. Wandel zu städtischen Formen der Siedlungs- und Lebensweise. Um innerhalb dieses Kontexts Antworten auf die Frage nach der Teilhabe der Bundeswehr im kommunalen und gegebenenfalls auch regionalen Kalkül der fünfziger und sechziger Jahre zu erhalten, müsste zunächst einmal das politische, ökonomische und soziale Gefüge dieser Epoche genauer betrachtet werden. Denn es liegt auf der Hand, darin die Motive zu vermuten, aufgrund derer man sich als Truppenstandort bewarb. Folgt man der Schlagzeile »Die goldenen Fünfziger«, mit der ein Journalist im Jahre 1959 seine Artikelserie über die westdeutsche Wirtschaftsentwicklung überschrieben hat18, dann suggeriert diese das Bild einer raschen wirtschaftlichen Erholungen nach 1949, welche in einen präzedenzlosen Boom mündete. Unbestritten, die Bundesrepublik war das »Wirtschaftswunderland« schlechthin - auch im europäischen Vergleich19. Die von den jungen Literaten der Gruppe 47 bemühte Metapher vom weißen Leinentuch, welches der Winter über das Nachkriegsdeutschland ausgebreitet und in eine ökonomische, soziale, politische und geistige Verwirrung gestürzt habe20, war zwar verschwunden. Gewiss, die wirtschaftliche Erholung mündete in eine industrielle Expansion mit ungewöhnlichen Zuwachsraten, die ab Mitte der fünziger Jahre zur Vollbeschäftigung führte. Dementsprechend ging auch die Arbeitslosenquote im Bundesdurchschnitt von ursprünglich 11,0 Prozent im Jahr 1950 über 4,4 Prozent 1956 auf 0,7 Prozent 1962 zurück21. Dennoch schmolz der Schnee nicht überall gleichmäßig schnell und gleichmäßig stark. Der Boom war eben kein flächendeckender, er zeigte ein branchenspezifisches, sektorales und nicht zuletzt ein regionales Gesicht. Wie sich inzwischen nachweisen lässt, verlief der politische, ökonomische, soziale und kulturelle Wandel also keineswegs als linearer Prozess mit gleicher Tiefenwirkung. Zu kämpfen hatten nämlich vor allem solche Regionen, die ohnehin mit historisch gewachsenen Struk17 18 19 20
21
In Auswahl folgend Schäfers, Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland, S. 10 f. Ferdinand Fried, Die goldenen Fünfziger, in: Die Welt, 18.4., 22.4., 25.4, 29.4.1959. Vgl. Der Boom. »Der Winter hat sein weißes Leinentuch über Deutschland ausgebreitet. Ein trostloses, armseliges Weihnachten ist vorübergegangen. Der Schnee, der über die Felder und Städte rieselt, deckt Ruinen und Gräber zu. Elend und Hunger wachsen mit den langen Winternächten. Die Öfen sind ungeheizt, die Menschen mangelhaft gekleidet, die Kinder unterernährt. Frierend und hungernd versucht ein jeder sich unter den größten Beschaffungsschwierigkeiten über die kommenden dunklen Monate hinwegzuretten.« Zwischen Freiheit und Quarantäne. In: Der Ruf. Unabhängige Blätter der Jungen Generation, 10, 1.1.1947, S. 1. Daten nach Rytlewski/Opp de Hipt, Die Bundesrepublik Deutschland in Zahlen, S. 141.
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turdefiziten ausgestattet waren. Unter den hinter der allgemeinen Entwicklung des Bundesgebiets zurückgebliebenen Gebieten verstand man solche, »die eine niedrige Bevölkerungsdichte, Bevölkerungsabnahme, -stagnation oder unterdurchschnittliche Bevölkerungszunahme, einen niedrigen Industriebesatz, eine geringe Realsteuerkraft und ein niedriges Bruttoinlandsprodukt aufweisen«22. Nach den Erhebungen des 1. Raumordnungsberichts der Bundesregierung lag das entscheidende Kennzeichen - zugleich Hauptursache - für die Strukturprobleme darin, dass es vor allem an ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft mangelte. In Konsequenz dazu war die Zahl der Fernpendler aus diesen Gebieten sowohl im Verhältnis zu den örtlichen Arbeitsplätzen als auch absolut sehr hoch. An weiteren Strukturmängeln hatten die hinter der allgemeinen Entwicklung bis in die sechziger Jahre hinein zurückbleibenden Gebiete mit einem Rückstand in der Ausstattung der Verkehrsinfrastruktur, der öffentlichen Versorgung, der Bildung und Kultur, der Gesundheitsversorgung sowie den Einkaufsmöglichkeiten zu kämpfen. Noch problematischer sah es allerdings im so genannten Zonenrandgebiet im Osten der Bundesrepublik aus, einem Streifen von 40 km Breite, der entlang der »Demarkationslinie« von Flensburg bis in den Bayerischen Wald hinein führte. Dabei besaß dieses Gebiet keine einheitliche Struktur. In dieses 46 800 km2 umfassende, weitgehend von Land- und Forstwirtschaft bestimmte Areal (19 Prozent der Fläche Westdeutschlands) fielen ebenso industrialisierte Großstädte (Kiel, Lübeck, Braunschweig, Kassel, Salzgitter) wie klassische Notstandsgebiete entlang des Bayerischen und Oberpfälzer Waldes, dem Frankenwald oder der Röhn. Zwar hatten sich spätestens nach dem Ersten Weltkrieg das Reich und das Land Bayern mit verschiedenen Förderprogrammen und unter dem Einsatz großer finanzieller Mittel sehr um die Linderung der Armut bemüht. Von einer planvollen Bekämpfung oder gar Lösung der Strukturprobleme konnte freilich nicht die Rede sein23. Selbst die vom Bundestag im Sommer 1953 beispielsweise für das bayerisch-tschechische Grenzgebiet beschlossenen Hilfsprogramme griffen offensichtlich kaum, allenfalls sehr langsam. Während die Arbeitslosigkeit zum Jahresende 1953 im Bundesdurchschnitt 8,9 Prozent betrug, lag sie in den Arbeitsamtsbezirken Cham und Deggendorf - also im Wesentlichen im gesamten Bayerischen Wald, der 1950 vom Bundeskabinett neben Berlin, Wilhelmshaven und Salzgitter zum Notstandsgebiet erklärt worden war - noch immer bei 35,8 bzw. 33,1 Prozent24. Hinzu kamen die Folgen des Zweiten Weltkrieges bzw. der deutschen Teilung, die auch manche der ursprünglich besser ausgestatteten Regionen in das strukturelle Abseits drängen konnten. Aufgrund der weitgehenden Unterbrechung der Verkehrsströme verloren entlang der innerdeutschen Grenze selbst Mittelzentren, die an den Hauptbahnstrecken lagen, ihre gute Verkehrsanbin22
23 24
1. Raumordnungsbericht der Bundesregierung 1963. In: Deutscher Bundestag, 4. Legislaturperiode, Anlagen, Drucksache IV/1492, S. 16. Vgl. Erker, Keine Sehnsucht nach der Ruhr. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode. Stenographischer Bericht über die 13. Sitzung des Deutschen Bundestages, 5.2.1954, S. 383 f.
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dung und gerieten somit in eine verkehrsgeografische Randlage. So war etwa der Ost-West-Personenzugverkehr in Niedersachsen von 1938 bis zur Einstellung des lokalen Interzonenverkehrs 1952/53 auf 2,6 Prozent seines ursprünglichen Volumens zurückgegangen. In dem Maße, wie das bundesdeutsche Grenzgebiet von traditionellen Wirtschaftsbeziehungen zum östlichen Hinterland abgeschnitten wurde, ging auch ein deutlicher Absatzrückgang zwischen 30 und 80 Prozent einher. So klagte die Industrie und Handelskammer in Lübeck 1952 beim Großhandel über einen Absatzrückgang von ca. 50 Prozent, ein Volumen, welches ursprünglich in Mecklenburg und in Vorpommern angefallen war. Noch dramatischer sah es in Braunschweig aus, wo bis 1945 bis zu 60 Prozent des Güter- und Dienstleistungsaustauschs mit Mittel- und Ostdeutschland abgewickelt worden war. Zudem litten die Industrien in den neuen Grenzgebieten unter dem Verlust ihrer bisherigen Bezugsquellen kostengünstiger Rohstoffe und Vorprodukte, wie beispielsweise der mitteldeutschen Braunkohle. 1953 kostete eine Tonne dort produzierter Braunkohlebriketts im nordbayerischen Hof DM 39,80, während für dieselbe Menge aus dem rheinischen Revier DM 51,60 bezahlt werden mussten. Die verlängerten Lieferwege von ursprünglich 120 km auf 480 km erhöhten generell die Stückkosten, verschlechterten somit die Angebotssituation und verminderten die Konkurrenzfähigkeit. Besonders für das mittelständische, handwerklich geprägte und oftmals regional ausgerichtete Konsumgütergewerbe bedeutete die Randlage zumeist eine Wachstumsbremse25. Angesichts der strukturellen Defizite und ihrer Folgen, mit denen sowohl die alten wie neuen Not- und Grenzgebiete zu kämpfen hatten, lag es im Grunde genommen auf der Hand, dass die betroffenen Kommunen jede sich bietende Chance zur Abhilfe ergriffen. Dazu gehörte offensichtlich auch, eine Garnison als »eine feine Sache« zu begreifen, um eine Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung vom Sommer 1955 zu zitieren, also zu einer Zeit, in der die westdeutschen Streitkräfte langsam erste reale Konturen in der Öffentlichkeit auszunehmen begannen26. Zumindest lässt es sich statistisch belegen, dass Randlage und Standortwunsch offensichtlich in einem Zusammenhang standen. So fielen von jenen 16 hessischen Orten aus einem Umkreis von 100 Kilometern südlich Kassel, welche ein Garnisonsangebot unterbreitet hatten und 1956 von der Wehrbereichsverwaltung V auf ihre Standorteignung geprüft werden sollten, sechs in den unmittelbaren Zonenbereich (10 bis 20 km: Hünfeld, Hersfeld, Bebra, Rotenburg, Sontra, Eschwege). Bei den übrigen (Schotten, Alsfeld, Treysa, Homberg, Gensungen, Neustadt) schwankte die Entfernung zur Grenze zwischen 50 und 80 km27. Ganz ähnlich lagen die Verhältnisse in Bayern. Vor allem dort, wo historische Notstandsgebiete und neue, politisch begründete Randlagen zusammentrafen. Noch 1957 zählten die Statistiker unter den 34
25 26 27
Vgl. Kopper, Zonenrandförderung. Süddeutsche Zeitung, 15.7.1955. BA-MA, BW 1/11923, Zusammenstellung 26.5.1956.
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ärmsten Landkreisen in ganz Westdeutschland 32 bayerische28. Allein aus dem strukturschwachen, relativ dünn besiedelten Regierungsbezirk Oberpfalz bemühten sich am Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre 24 Gemeinden darum, als Truppenstandort berücksichtigt zu werden. Das war immerhin ein Drittel aller Gesuche aus Bayern29, bezogen auf ein Siebtel der gesamten Landesfläche. Wenn man diesem regionalen Beispiel noch einige empirische Befunde sowohl im bundesweiten als auch innerbayerischen Vergleich hinterlegt, und zwar Zahlen, die bereits in einer Phase relativen Wohlstandes Mitte der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre erhoben wurden, dann wird deutlich, um wie viel größer die Disparitäten in den fünfziger Jahren gewesen sein müssen. Auch wenn der Raumordnungsbericht der Bundesregierung 1966 zu der sicherlich zutreffenden Feststellung gekommen war, dass das Zonenrandgebiet in den letzten Jahren stärker an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung teilgenommen habe als im Jahrzehnt zuvor, blieben regional deutliche Unterschiede erkennbar. Generell war beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt je Kopf der Wirtschaftsbevölkerung im Zonenrandgebiet von 3440 DM im Jahr 1957 um 1550 DM auf 4990 DM im Jahr 1961 gewachsen. Damit verzeichnete es zwar eine geringfügig höhere Zuwachsrate als insgesamt im Bundesgebiet (1540 DM), blieb aber nominal immer noch hinter der deutschlandweiten Durchschnittsmarge von 5840 DM deutlich zurück. Besonders krass nehmen sich die Abweichungen freilich aus, wenn man sich einzelne beispielhafte Kreiswerte näher anschaut. So ging der Spitzenwert beim Bruttoinlandsprodukt innerhalb des Zonenrandgebiets mit 13 230 DM an die kreisfreie »Autostadt« Wolfsburg. Im ebenfalls kreisfreien, industrialisierten Salzgitter lag es bei 7880 DM. Weit abgeschlagen am Ende und deutlich unterhalb des Mittelwertes rangierten die agrarisch strukturierten, ostbayerischen Landkreise Oberviechtach mit 2290 DM und Kötzting mit 2180 DM30. Pro Quadratkilometer lebten 1976 im gesamten Bundesland Bayern durchschnittlich 153 Einwohner. Während Oberbayern mit 204 Einwohnern die Skala aller Regierungsbezirke anführte, war die Oberpfalz das Schlusslicht mit 101. Und selbst hier ging es noch tiefer, wie die Verhältnisse im nordostoberpfälzischen Grenzlandkreis Neustadt an der Waldnaab mit nur 66 Einwohnern aufzeigen. Komplementär zur Bevölkerungsverteilung verhielten sich auch Bruttosozialprodukt, Industriedichte, Steuereinnahmen, Löhne und Gehälter sowie Anzahl der Krankenhausbetten 31 .
28 29 30
31
Bayern im Bund, Bd 1, S. 14. Strunz, Ausgewählte Schwerpunkte der landesplanerischen Tätigkeit. Raumordnungsbericht 1966 der Bundesregierung. In: Deutscher Bundestag, 5. Legislaturperiode, Anlagen, Drucksache V/1155, S. 82. Zur Datenbasis vgl. Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr.
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Tabelle 23: Indikatoren und Zahlen der sozioökonomischen Verhältnisse in Bayern 1976 Indikatoren
BIP in DM (1974) pro Einwohner Industriedichte pro Einwohner Steuereinnahmen pro Einwohner (DM) Lohn- und Gehaltssumme pro Beschäftigter in DM Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner
Bayern
Regierungs- Regierungs- Landkreis bezirk bezirk Neustadt Oberbayern Oberpfalz a.d.W.
15 280,00
17 520,00
12 480,00
8440,00
116,00
93,00
100,00
116,00
545,00
653,00
416,00
314,00
23 318,00
26 665,00
20 349,00
18 526,00
11,90
12,49
10,64
5,95
So war das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, um nur diesen einen Indikator nochmals herauszugreifen, in Nordostbayern um ein knappes Drittel geringer ausgefallen, als der bayernweite Durchschnitt. Trotz identischer Industriedichte im bayernweiten Vergleich kletterte das Bruttoinlandsprodukt im Landkreis Neustadt a.d. Waldnaab aber lediglich auf 55 Prozent. Die Frage, wie man die hier nur ansatzweise angedeuteten Probleme der alten wie der neuen Notstandsgebiete lösen konnte, stand bei den politischen Entscheidungsträgern ganz weit oben. Zwei Lösungswege konkurrierten dabei miteinander. Einmal die Politik der aktiven Sanierung, die auf Intervention und Investition durch die öffentlichen Hände hinauslief. Durch die Ansiedlung von Gewerbebetrieben oder die Ausweitung des Produktionsgefüges sollten die Ursachen der Strukturdefizite beseitigt werden, um damit gleichzeitig das Wachstumspotenzial zu stärken. Dem stand die am Markt orientierte Theorie der passiven Sanierung gegenüber, also die Forderung nach verstärkter Mobilität der Bürger. Hier kamen Argumente zur Anwendung, die auf einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage abzielten. Eine solche Lösung hätte freilich die Abwanderung von Arbeitskräften in prosperierende Regionen mit sich gebracht und somit gegebenenfalls die Gefahr heraufbeschworen, in Deutschland Verhältnisse wie im Mezzogiorno zu schaffen32. Die politisch Verantwortlichen waren sich der Zwickmühle durchaus bewusst, in der man steckte. So warnte etwa 1955 der Vorsitzende des Landtagsausschusses für Wirtschaft und Verkehr im Bayerischen Landtag, Richard Oechsle (SPD), davor, die bayerischen Notstandsgebiete könnten zwischen die »Skylla« hoher Arbeitslosigkeit und die Zu den in der Zeit entwickelten Konzepten von aktiver und passiver Sanierung vgl. Tuchfeldt, Infrastrukturinvestitionen.
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»Charybdis passiver Sanierung« geraten33. Weil die passive Sanierung mit der zweifellos verständlichen Furcht vor weiterer sozialer Erosion besonders in den Randgebieten behaftet war, wurde sie vor Ort überwiegend abgelehnt. Dafür forderten viele Mandatsträger energisch Hilfe vom Bund und von den Landesregierungen, mit dem Ergebnis, dass seit 1951 Gelder für regionale Förderprogramme im Bundeshaushalt eingestellt wurden und 1953 ein Gesetz zur »Ostrandhilfe« den Bundestag passierte, dem weitere Hilfsprogramme auf Länderebene folgten. Ziel dieser Politik war es, benachteiligte Regionen »zu einem gleichrangigen Wirtschaftsfaktor gegenüber anderen Regionen zu gestalten«34. Der statistische Befund eines Zusammenhangs zwischen strukturdefizitärer Randlage und dem Wunsch nach einem Militärstandort gewinnt im Blick auf die hier angedeutete aktive Sanierungspolitik noch eine weitere Dimension. Der materielle Aufbau der Bundeswehr wurde nun offensichtlich nicht, wie man anhand der Vorkommnisse um den Einbau der Stationierungstruppen zu Beginn der fünfziger Jahre hätte vermuten können, als ein sozialpolitischer Störfaktor betrachtet, sondern vielmehr als eine Perspektive zur Verbesserung der Lebens- und Standortbedingungen. Denn genau die Hoffnung darauf, die weitere Erosion vor allem im Zonenrandgebiet, aber nicht nur dort, zu verlangsamen, vielleicht zu stoppen, auf jeden Fall aktiv dagegen anzugehen, wurde in den einschlägigen Bewerbungsschreiben überdeutlich zum Ausdruck gebracht. Dabei spielte es auch keine Rolle, ob sich die betreffende Kommune unmittelbar an das Verteidigungsministerium wandte oder eine andere Bundes- oder Landesbehörde um Vermittlung ersuchte. So klang es durchaus dramatisch, als zum Beispiel der Oberbürgermeister von Passau - immerhin eine Stadt mit mehreren zehntausend Einwohnern - darum bat, die Bayerische Staatskanzlei möge bei den Bundesbehörden darauf hinwirken, dass die Dreiflüssestadt als Truppenstandort berücksichtigt werde: »Passau ist heute die am weitesten nach Osten vorgeschobene Stadt der Bundesrepublik. Weitab von den Rohstoffquellen des Landes, eingeengt durch politische Grenzen im Süden und Osten und durch das Notstandsgebiet des Bayerischen Waldes nach Norden, kann sich das Wirtschaftsleben unserer Stadt nur unter schwersten Bedingungen entfalten. Ich bin der Auffassung, daß durch die Beherbergung und Versorgung einer Truppeneinheit zahlreichen Gewerbebetrieben neue Impulse zugeführt werden könnten, die sich auf die Dauer gesehen für unsere gesamte Wirtschaft nur vorteilhaft auswirken würden 35 .« Einmal davon abgesehen, dass diese Zeilen prägnant das Bündel regionaler Strukturdefizite als zentrales Bewerbungsmotiv benennt, gibt diese Quelle gleichsam nebenbei auch einen Hinweis auf den Bewerbungsimpuls. Wenn man die Motive der Kommunen oder Landkreise näher gewichtet, so stand zweifellos das Bedürfnis nach wirtschaftlicher Sanierung an erster Stelle, gefolgt von der Hoffnung auf den Ausbau der Infrastruktur oder einer moder33 34 35
Zit. nach Bayern im Bund, Bd 1, S. 14. Schlemmer/Griiner/Balcar, Entwicklungshilfe im eigenen Lande, S. 385. BayHStA,MWi 22443, 21.4.1955.
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neren Ortsgestaltung36. Nun war es aber durchaus nicht so, dass der Wunsch, Truppenstandort zu werden, auf der Prioritätenliste immer ganz oben gestanden hätte. Hier spielten auch Überlegungen eine Rolle, ob Kasernen und Industrie- bzw. Gewerbegebiete überhaupt in einer Gemeinde miteinander vereinbar waren37. Zumindest wusste man im Verteidigungsministerium von den Bemühungen des niedersächsischen Wildeshausen um eine Industrieansiedlung. Erst als sich dies zerschlagen hatte und sich auch kein Silberstreif in dieser Richtung mehr abzuzeichnen schien, setzte man »in dem Kampf der Städte und Orte um die Belebung ihrer Wirtschaft« auf eine Garnison38. Ganz ähnlich verhielt es sich im fränkischen Mellrichstadt. Auch hier erklärte man der Hardthöhe mit aller Deutlichkeit, dass man sich nur deshalb jahrelang beworben habe, weil »es heute kaum mehr gelingt, hier im Zonengrenzgebiet weitere Industriebetriebe anzusiedeln und die Errichtung von Garnisonen in unseren kleinen Kreisstädten eine wesentliche wirtschaftliche Stärkung und Belebung herbeiführen würde«39. Dabei wiesen die Gesuche mancher Kommunen oftmals eine erstaunliche Kontinuität auf, die weit zurückreichte, unbeschadet inzwischen erfolgter staatsrechtlicher Veränderungen. Wildeshausen ist hier ebenso zu nennen wie die am Fuße des Bayerischen Waldes liegende Stadt Cham, wo sich dieser Vorgang besonders augenfällig zeigt. So zog die nationalsozialistische Kriegsrüstungspolitik während der dreißiger Jahre, die als materielles Äquivalent für die numerische Vervielfachung der Wehrmacht insbesondere der raschen Bereitstellung von Unterkünften bedurfte, eine regelrechte Kasernenneubauwelle nach sich. Wie viele andere Städte bewarb sich auch Cham 1935 um die ständige Belegung mit Truppen. Als Hauptargument führte man die defizitäre wirtschaftliche Lage an, in welche die unmittelbar an der Grenze zur Tschechoslowakei gelegene Region nach 1918 geraten sei. Dass die militärische Lagebeurteilung vermutlich auch auf ganz andere Kriterien achten würde, scheint dabei durchaus einkalkuliert worden zu sein. Mit Blick auf den zunehmend hohen Mobilitätsgrad der Wehrmacht sparte man daher nicht damit, den infrastrukturellen Erschließungsgrad (Eisenbahn- und Straßenverbindungen) in höchsten Tönen zu loben. Schließlich sollte noch ein ganz kleiner Schuss zeittypischer Ideologie den Bewerbungscocktail insgesamt schmackhaft machen: »Und nicht zuletzt würde durch die ständige Belegung der Stadt Cham mit einer militärischen Formation der Glaube eines Grenzvolkes an die Hilfe des Reiches gestärkt40.« Trotz allem reichte es für die Etablierung einer Garnison nicht aus. Wohl aber blieb die Vorstellung virulent, von einer Truppenstationierung hinge die Prosperität des Gemeinwesens ab. Sofort nach Etablierung des
36
37 38
39 40
Allgemein und im Rückblick auf die Aufstellungsphase der Bundeswehr vgl. hierzu MeyerTruelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr. Vgl. ebd., S. 125. BA-MA, BW 1/19990, Stadtverwaltung Wildeshausen an Verwaltungsbezirkspräsidenten von Oldenburg, 3.3.1955. Ebd., BW 1/5379, Landratsamt Mellrichstadt an BMVg, 12.5.1957. Bügermeister Stadt Cham an Wehrersatzinspektion Regensburg, 17.6.1935, abgedr. in: Chronik des Jägerbataillons 113, S. 28 f.
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Bundesgrenzschutzes im Jahre 1951 bemühte sich deshalb der Bürgermeister um die Stationierung einer Hundertschaft. Ein Strohhalm, den im Übrigen auch andere an der Grenze liegende Gemeinden ergriffen, wie der nur wenige Kilometer entfernt gelegene Markt Roding41. Der Deutsche Bundestag stimmte dem Bau einer Bundesgrenzschutzkaserne auch sofort zu, um »den Bayerischen Wald als wirtschaftliches Notstandsgebiet zu stützen«42. Was diese Stützung bewirken sollte, also die konkreten Erwartungen, mit denen viele Kommunen auf den Zuschlag als neue Garnisonsstadt hofften, fasste prägnant der Landrat von Günzenhausen in einem Satz zusammen: »Mit dem Eintreffen der Soldaten und ihrer Familien würde die Kaufkraft gesteigert, das Straßennetz verbessert und das landschaftlich reizvolle Gebiet auch für den Fremdenverkehr erschlossen43.« Die in der Regel von den Bürgermeistern oder Landräten in dramatischer oder blumiger Wortwahl oft schon vor dem eigentlichen Aufstellungstermin der Bundeswehr verfassten Eingaben, häufig bei den staatlichen Aufsichtsbehörden eingereicht und über die jeweiligen Staatsregierungen an das Verteidigungsministerium weitergeleitet, oder aber auch direkt in Bonn abgegeben, sollten beim Adressaten in erster Linie Aufmerksamkeit für die missliche Lage der Kommunen wecken. So brachten »die in jeder Hinsicht sozial- und volkswirtschaftlich denkenden Stadtväter des fränkischen Ebern große Opfer, um ihrer Heimatstadt die Ehre und das Glück zu ermöglichen, Garnisonsstadt zu werden«. Dort hielt man eine Garnison aber nicht nur für »wirtschaftlich notwendig«, sondern erachtete sie auch als wichtigen Faktor »für die geistige und kulturelle Weiterentwicklung« des Ortes und seiner Bürger44. Ein historisch genährtes, traditionelles Streitkräftebild mit dem auf der sozialen Rangskala ganz oben stehenden Offizier brach sich hier augenscheinlich Bahn. Oder sollte das Ziehen solcher Register nur einen vermeintlichen Milieuaffekt anreizen, der beim militärischen Adressaten die Zuschlagsfreudigkeit für eine Garnison hob? Die Stadt Eschenbach in der nördlichen Oberpfalz, eine kleine Kreisstadt mit lediglich 2500 Einwohnern, begründete ihren Antrag von 1955 erstaunlicherweise mit der Errichtung des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr im Jahre 1907 und seiner Erweiterung 1938, womit das wirtschaftliche Hinterland entrissen und »eine unüberbrückbare Todeszone an unserer Stadtgrenze« geschaffen worden sei45. Garnisonstadt zu werden, betrachtete man vor Ort als eine Art »Wiedergutmachtung der verursachten wirtschaftlichen und finanziellen Schädigung, welche Eschenbach seither zu Gunsten des Übungsplatzes Grafenwöhr« erlitten haben wollte. Eine solche Argumentation überrascht allerdings, klingt sie doch wenig plausibel. Gerade das Umland um den Übungsplatz im Allgemeinen und der Landkreis Eschenbach im Besonderen litten unter den Auswirkungen der militärischen Übungen, vornehmlich jener der amerikanischen 41 42 43 44 45
Stadtarchiv Roding; Manuskript: Die Vorgeschichte der Garnison Roding. BA-MA, BW 1/4492, Innenministerium an BMVg, 1.4.1956. Ebd., BW 1/5362, Landrat von Günzenhausen an Inspekteur des Heeres, 24.9.1956. Ebd., BW 1/5350, Stadtrat Ebern an Landratsamt Ebern, 19.11.1955. Ebd., BW 1/5352, Stadtrat Eschenbach an Amt Blank, 31.1.1955.
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Truppen, seit Beginn der fünfziger Jahre nicht unerheblich. Wegen Blindgängergefahr mieden die Soldaten nämlich das unberäumte Gelände im Zentrum des Platzes und rückten mit ihren Übungen immer mehr an die Platzgrenzen und über sie hinaus. Damit wurde, zumindest nach Einschätzung der Landesplanungsstelle im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr, die Gefahr einer ständigen, latenten Erweiterungstendenz heraufbeschworen 46 . Der an sich verbotene Verkehr mit Rad- und Kettenfahrzeugen auf den Bundes-, Staats- und Gemeindestraßen beschädigte das regionale Straßennetz in ungeahntem Maße. Man kann durchaus von dramatischen, vor Ort unlösbaren finanziellen Folgen sprechen, denen die kleine Landkreisgemeinde Nitzlbuch gegenüberstand, als sie sich hilfesuchend an den Finanzminister in Bonn wandte: »Insbesondere wird davon die von der Bundesstraße 85 bei Welluck über Nitzlbuch nach Bernreuth führende Verbindungsstraße betroffen, deren Ausbau bis Nitzlbuch die Gemeinde im Jahre 1949 mit einem Kostenaufwand von 23 000 DM durchgeführt hat. Das zu den dauernd belegten Schießständen und zur Panzerabschußbahn führende Teilstück dieser Straße, in einer Länge von 1200 m, wird fast täglich von überschweren Fahrzeugen der Besatzungsmacht benutzt und gleicht in seinem jetzigen Zustande einer Berg- und Talstraße. Die Schlaglöcher und wellenförmigen Vertiefungen im Grundbau des ganzen Straßenzuges werden durch die ständige Uberbelastung immer zahlreicher und größer und beeinträchtigen die Verkehrssicherheit in hohem Maße. Verkehrsschwierigkeiten bestehen auch wegen der unzureichenden Fahrbahnbreite von 3,50 m, die bei Gegenverkehr zwar für den Zivilverkehr, nicht aber für die Kolosse der Besatzungsmacht genügt. Die Folge davon ist auch eine starke Beschädigung der Straßengräben und Böschungen47.« Die auf knapp 70 000 DM bezifferten Schäden konnte die ohnehin defizitäre Gemeindekasse in keinem Fall tragen. Solche Negativbilder tauchten bei der Bewerbung der Landkreismetropole freilich nicht auf! Auch wenn es absehbar blieb, dass die hier geschilderten Umstände und Folgen militärischer Belastung sich kaum grundsätzlich bessern würden. Im konkreten Fall wurde die betreffende Gemeindestraße 1953/54 zwar auf Bundeskosten ausgebaut und mit einer Teerdecke befestigt. Allein vier Jahre später hatte sie der militärische Kolonnenverkehr - inzwischen auch durch Bundeswehrfahrzeuge - wieder so ramponiert, dass eine erneute Grundsanierung anstand oder eine Ortsumgehung gebaut werden musste 48 . Die positiv besetzte Projektion vom wirtschaftlichen Wohlergehen durch viele an den Ort gebundene Soldaten war dennoch nicht zu erschüttern. Eine im Übrigen weit verbreitete Auffassung, die sich etwa auch der hessische Innenminister im Hinblick auf die Bewerbung Hombergs als Truppenstandort zu eigen machte. Zwar sei dort, wo viel Licht sei, auch viel Schatten, »wobei er mit dem Licht die zweifellosen wirtschaftlichen Vorteile, mit den Schatten aber die der Stadt ent46 47 48
Ebd., BW 1/22242, Landesplanungsstelle an Staatsministerium der Finanzen, 17.8.1953. Ebd., BW 1/22241, Schreiben vom 5.6.1953. Ebd., Bayerische Staatskanzlei an BMVg, 29.8.1958.
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stehenden Kosten für Versorgungsanlagen, Abwässerbeseitigung, Straßenbau und anderes meinte«49. Aber selbst auf die Schatten sollte durchaus noch Licht fallen. Als sich die Entscheidung im Fall der Garnisonsbewerbung Eschenbachs über mehrere Jahre hinzog, insistierte - trotz der aktenkundigen Schattenseiten - 1959 der Bürgermeister bei Verteidigungsminister Strauß außer mit dem Hinweis auf die Verbitterung »sowohl bei der Bevölkerung als auch unter Parteifreunden« mit dem Begehren, »einen bescheidenen Platz am Wirtschaftswundertisch der Bundesrepublik« zu erhalten50. Zeichnete sich der letztlich unerfüllt gebliebene Antrag von Eschenbach um eine Garnison durch eine offensive, nach vorne schauende Argumentation aus, so bedienten sich andere Gemeinden unterschiedlicher Darlegungsmuster, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Komplementär zu dem hier bemühten Wohlstandsargument hatte man nur wenige Kilometer weit entfernt Angst, ohne Garnison in die Armut abzurutschen. Nach dem Protokoll einer Bürgerversammlung in Pfreimd waren sich 300 Bürger bewusst, dass etwas geschehen müsse, »um das Wirtschaftsleben der Gemeinde vor einem völligen Ruin zu bewahren«, und begrüßten deshalb das Bestreben des Bundestagsabgeordneten Alois Niederalt (CSU), »die Einbeziehung der armen Oberpfalz in das Aufbauprogramm des Bundesverteidigungsministeriums zu erreichen«51. Die Auflistung wirtschaftlicher Strukturdefizite wie fehlende Industrie und zu wenige Dauerarbeitsplätze alleine boten aber keine Gewähr, als Standort berücksichtigt zu werden, auch wenn diese Aspekte mit mehr oder weniger Nachdruck hervorgehoben und in aller Regel durch Bundes- wie Landtagsabgeordnete oder Vertreter der Landesregierungen an das Verteidigungsministerium herangetragen wurden. Ein interessanter Fall von politischem Lobbyismus zeigte sich bei der Gamisonsbewerbung der kleinen ostbayerischen Stadt Roding, wo der zentrale sicherheitspolitische und verteidigungsplanerische Leitgedanke des westlichen Bündnisses, die Vorneverteidigung, wenn nicht den unmittelbaren Impuls für diese Initiative geliefert hatte, so zumindest doch als Baustein für die politische Kommunikation herhalten durfte. 1954 soll der zuständige Landtagsabgeordnete das zwar seit 1949 formulierte, angesichts der schwachen eigenen Kräfte aber keineswegs verwirklichte »Prinzip der Vorneverteidigung zum Anlaß [genommen haben], die Errichtung von Truppenunterkünften im Grenzland zu fordern«52. Man wird es wohl kaum belegen können, aber die deutschen militärischen Planer dürften sich vermutlich darüber gefreut haben, wenn ihr ständiges Mahnen innerhalb der Allianz auf Einlösung der »forward strategy« selbst in kleinsten innenpolitischen Entitäten nicht nur wahrgenommen, sondern auch in aktives politisches - zumindest regional- oder gar nur lokalpolitisches Handeln - umgesetzt wurde. Damit die Verteidigung aber unmittelbar an der Gren-
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ACDP, 1-326-001/2, Nachlass Max Reichert. BA-MA, BW 1/5352, Stadtrat Eschenbach an BMVg Strauß, 29.9.1959. Ebd., BW 1/4508, Protokoll vom 30.6.1956. Matejka, Roding, S. 132.
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ze aufgenommen werden konnte, bedurfte es entsprechender Truppen, die in nicht allzu großer Entfernung davon stationiert waren. Nun mag es dahingestellt bleiben, ob jener Landtagsabgeordnete diese Zusammenhänge alle durchschaut hat. Sein Parteifreund Richard Jaeger, CSU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, aber mit Sicherheit. Jedenfalls signalisierte dieser »gute Aussichten«, dass Roding als Truppenstandort in Betracht gezogen werden könne und ermunterte die regionalen Partei- und Kommunalgremien, deshalb bei der Dienststelle Blank vorstellig zu werden. Wenige Tage vor dem Jahreswechsel 1954/55 sandte der Bürgermeister dann ein entsprechendes Bewerbungsschreiben nach Bonn53. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist nun nicht die Intervention von Bundestagsabgeordneten an sich, sondern die Rolle, die der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses dabei spielte. Benannter Brief war noch nicht lange in Bonn angekommen, da stand im Januar 1955 unter anderem die Standortfrage der westdeutschen Streitkräfte auf der Tagesordnung im Verteidigungsausschuss. Weil er es zu diesem Zeitpunkt selbst nicht besser wusste, konnte Blank den anwesenden Parlamentariern zwar nur kryptische Antworten auf die besonders vor Ort drängend gestellte Frage geben, wo genau deutsche Truppen stationiert würden. Zumindest sagte er bei der Auswahl der Standorte eine Beteiligung der Kommunen sowie die Rücksichtnahme auch auf deren Interessen zu. Hier sah sich der Ausschussvorsitzende allerdings zu einem an alle »Kolleginnen und Kollegen« gerichteten Appell veranlasst. Er legte ihnen nahe, »sich von vornherein nicht darauf einzulassen, im Rahmen der militärischen Planung örtliche Interessen zur Geltung zu bringen. Sonst würden wir in der letzten Konsequenz dazu kommen, daß strategische Planungen nach Wahlkreisinteressen gemacht werden. Das würde zu weit gehen. Wenn wir hier alle hart sind, wird das vorbildlich für das übrige Haus sein54.« Wer glaubt, dass hier der Angehörige einer Regierungskoalition sprach, der mit dazu beitragen wollte, in dieser absehbar schwierig zu lösende Materie so wenig wie möglich Sand in das Getriebe kommen zu lassen, der täuscht sich allerdings. Die verlangte Vorbildhaftigkeit galt für Jaeger selbst nämlich nicht! Außer, dass er schon im Herbst den Rodinger Parteifreunden die günstige Lage für deren Garnisonsbewerbung signalisiert hatte, warf er speziell hier sein ganzes persönliches und politisches Gewicht in die Waagschale, als er zusammen mit benanntem Landtagsabgeordneten und dem Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Franz Josef Strauß, in der Rodinger Angelegenheit bei Blank vorstellig wurde55. Im Übrigen: So wenig sich Jaeger an seinen verbalen Kodex hielt, so wenig teilten auch die übrigen Volksvertreter dessen artikulierte Sorge, Wahlkreisinteressen würden die Verteidigungsstrategie beeinträchtigen. Lokale und regionale Sorgen 53
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Abgedruckt ebd. Auf die Strategie der Vorneverteidigung als Bewerbungsmotiv wird hierin allerdings nicht eingegangen. Vielmehr beschränkte man sich auf die klassischen ökonomischen Argumente. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 30. Sitzung des Ausschusses für Fragen der Europäischen Sicherheit, 26.1.1955, S. 40. Matejka, Roding, S. 134.
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lagen der Mehrzahl der Parlamentarier am Ende nämlich weit mehr am Herzen, als großflächige internationale Strategiediskussionen - bestimmt auch aus wahltaktischen Erwägungen heraus. Eine besonders exponierte Rolle in diesem Prozess spielte im Übrigen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß selbst, und zwar vornehmlich in seiner Eigenschaft als CSU-Mitglied mit ausgeprägtem Sinn für die Förderung partikularer Interessen. Er nahm im Sommer 1959 »in aller Bescheidenheit« für sich in Anspruch, dass er bis an die »Grenzen seiner Möglichkeiten und Amtspflichten« gegangen sei, »um für Bayern im allgemeinen und gerade für Niederbayern etwas zu tun«, wobei er dezidiert »an die Erfüllung zahlreicher Wünsche auf Stationierung einer Truppe aus wirtschaftlichen Gründen« erinnerte56. Das war in der Tat so. Darüber hinaus setzte er sich weiterhin für schon aus der Garnisonsplanung herausgefallene Städte ein. Als 1958 etwa entschieden worden war, für eine Einheit der Fernmeldeelektronischen Aufklärung der Luftwaffe eine Kaserne in Kötzting und nicht im benachbarten Furth im Wald zu bauen, wies er die Unterkunftsabteilung seines Hauses mit folgender, militärisch durchaus einleuchtender Begründung an: »Ich habe Sie gebeten zu prüfen, für welchen Zweck eine militärische Unterkunft in Furth i.W. vorgesehen werden kann. Ich war und bin der Auffassung, daß die territoriale Verteidigung in grenznahen Gebieten stärker berücksichtigt werden muß, als es bisher der Fall war. Ich könnte mir vorstellen, daß Furth i.W. sich für eine solche Kaserne eignen würde. Ich bitte auf alle Fälle, die Bekanntgabe der Errichtung einer Kaserne in Kötzting bis zur Klärung dieser Frage zurückzustellen57.« Dabei folgte Strauß in seiner Politik schon vor Übernahme des Verteidigungsressorts der Devise »Bayern zuerst«. Mit den Worten, er sei vermutlich »der letzte Bundesatomminister, der eindeutig vor allem seinem Heimatlande Bayern alle Hilfe zukommen lassen möchte«58, mahnte er die aus föderalistischen Erwägungen zögerliche Staatregierung in München, den Anschluss beim Aufund Ausbau zukunftsweisender Technologien und Forschungseinrichtungen nicht zu verpassen. Sein verteidigungspolitischer Lobbyismus für Bayern gründete im Übrigen auf einem militärpolitischen Programm, welches im September 1956 von der Münchner CSU-Landtagsfraktion und der Bonner CSU-Landesgruppe beschlossen worden war. Darin ging es keineswegs nur um eine Änderung der Verteidigungsplanung im engeren, militärischen Sinn, sondern auch um die Vergabe von Rüstungsaufträgen für die deutsche und - besonders bayerische Wirtschaft59. Schon 1957 konstatierte, um dies nur an einem Beispiel einer Bayern scheinbar begünstigenden Rüstungspolitik aufzuzeigen, die Landesgruppe mit Befriedigung, dass knapp 40 Prozent der öffentlichen Aufträge 56
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Ebd., BW 1/12339, BMVg Strauß an MinPräs Seidel betr. Garnisonsplanung Pocking (undatiert; A u g u s t 1959). Ebd., BW 1/45385, Strauß an Abt. U I, 23.3.1959. Tatsächlich sollte Furth i.W. dann als Standort für die 3. Kompanie der Luftraumbeobachtungsabteilung 313 in Stärke von 210 Soldaten vorgesehen werden. Doch auch dieses Vorhaben wurde nicht realisiert. Zit. nach Weber, Föderalismus und Lobbyismus, S. 106. Zu den engeren rüstungswirtschaftlichen Maßnahmen vgl. ebd., bes. S. 106-111.
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des Verteidigungsministeriums an den bayerischen Mittelstand gingen. Strauß hatte bei seinem Engagement jedoch weniger die Mittelstandspolitik im Sinn, als vielmehr die Modernisierung Bayerns durch den Aufbau einer Luftfahrtindustrie voranzutreiben. Hier schließt sich im Übrigen auch wieder der Kreis zur Frage nach den Militärstandorten. Als nämlich der von der Bayerischen Staatsregierung angeregte Aufbau einer Luftwaffenerprobungsstelle in Anlehnung an den Flugplatz Manching bei Ingolstadt zu wackeln begann, Industriekreise sollen das pfälzische Speyer als Alternative vorgeschlagen haben, bemühte sich der CSU-Parteivorsitzende Hanns Seidel, beim Verteidigungsminister »zu einer für Bayern günstigen Lösung zu gelangen«60. Trotz großzügiger finanzieller Unterstützung aus dem Verteidigungsetat lösten die Bemühungen des Ministers um eine Konzentration in Süddeutschland jedoch auch Unmut innerhalb der diese Region nicht so einseitig präferierenden Teile der Luftfahrtindustrie aus61. Wenn Seidel nun weiter darum bat, ihn vor der endgültigen Entscheidung doch zu benachrichtigen, um »der Bayerischen Staatsregierung die Gelegenheit zu geben, die für Manching sprechenden Gründe durch ein neutrale Kommission überprüfen und mit der Lage in Speyer vergleichen zu lassen«, so bedeutete das nichts weniger als ein Spielen auf der parteipolitischen Vorteilsklaviatur. Ohne den Fall Manching weiter zu verfolgen, die Luftwaffenerprobungsstelle wurde tatsächlich dort eingerichtet, es ist bei der von Strauß nota bene selbst zugegebenen, generellen Bayernorientierung bei der Befürwortung neuer Militärstandorte davon auszugehen, dass die Entscheidung natürlich nicht ganz losgelöst von den militärischen Planungen erfolgen konnte und sich der Minister auch nur bedingt von seiner politischen Hausmacht hineinreden ließ. Auch wenn in seinem Ministerbüro Major Dr. Rolf Acker sehr engen Kontakt mit der Landesgruppe hielt, so wurde sie in wichtigen Entscheidungen kaum von Strauß konsultiert62. So passte es zu seinem von »einsamen Entschlüssen« bestimmten Stil, wenn der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU erst aufgrund eines Artikels in der Bayerischen Staatszeitung über Bundeswehrbauvorhaben in Bayern darauf dringen musste, die Landesgruppe rechtzeitig über solche Maßnahmen zu informieren63. Was dem einen Verteidigungsminister recht war, blieb seinem Nachfolger freilich billig. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die meisten Standortentscheidungen grundsätzlich in der Amtszeit von Strauß gefallen waren, wollte Kai Uwe von Hassel nicht zurückstehen. In einem programmatischen Artikel, in dem er auf fast zehn Jahre Zusammenwirken zwischen Gemeinden und Landesverteidigung zurückblickte, stellte auch er sein persönliches Bemühen heraus, »die schwach strukturierten Gebiete und das Zonenrandgebiet durch Gar-
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ACSP, LG, 3. WP, Nr. 159, Vorsitzender CSU-Landesgruppe an BMVg, 25.5.1959. Zum Konzentrationsprozess der Luftfahrtforschung und -Industrie in Bayern und dem Anteil von Franz Josef Strauß vgl. Trischler, Nationales Innovationssystem, S. 134-147. Vgl. Jäger-Lizenzbauprogramm freigegeben. Weber, Föderalismus und Lobbyismus, bes. S. 107. ACSP, 3. WP, Nr. 159, Gerhard Wacher an BMVg, 20.1.1959.
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nisonen wirtschaftlich« gestärkt zu haben64. Wie nachhaltig das Bemühen dieser beiden Minister immer gewesen sein mochte, Tatsache ist, dass es sich aufgrund der zu gewärtigenden strukturpolitischen Folgen kaum ein Politiker leisten konnte, nicht Stellung zu den Garnisonswünschen zu nehmen. Dabei spielten dann selbst die parteipolitischen Bindungen ab einem gewissen Zeitpunkt eine eher untergordnete Rolle, wenn sogar der sicherheitspolitisch profilierteste Vertreter der SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Erler, sich in seiner Eigenschaft als Wahlkreisabgeordneter um die Unterbringung von Bundeswehreinheiten und die Erstellung von militärischen Anlagen im Zollernalbkreis Balingen sorgte65. Man musste ja auch nicht so weit gehen, wie der CSU-Abgeordnete Alois Niederalt, der sein politisches Gewicht gleich hinter die Garnisonsbewerbungen mehrerer ostbayerischer Städte (Cham, Roding, Neunburg v.W., Pfreimd, Kötzting) gleichzeitig stellte. Im Übrigen war es ein Merkmal demokratischer Kultur, Interessen auch vertikal zu artikulieren, um sie innerhalb verschiedener politischer Instanzen einem Ausgleich zuzuführen. Nicht nur im Bundestagsplenum gehörten grundsätzliche Anträge oder einzelne Standorte betreffende Anfragen an die Regierung über Belange der Standortplanung zur späterhin oft geübten Praxis der Abgeordneten66. Als ein Organ der parlamentarischen Kontrolle geriet selbstverständlich auch der Verteidigungsausschuss zur diskursiven Plattform in dieser Angelegenheit, wenn sich etwa bei der Ermittlung möglicher militärischer Standorte regionale Probleme abzeichneten. Aber selbst hier gingen Partikularinteressen dem, man möchte fast sagen, Gemeinwohl vor. Man hatte wenig Verständnis dafür, wenn Landräte, Bürgermeister oder sonstige Fürsprecher im Verteidigungsministerium mehr und detaillierter informiert wurden als Ausschussmitglieder. Dabei entzündete sich die parlamentarische Kritik manchmal gar nicht ausschließlich an Sachfragen, die ihrerseits eher geringfügiger Natur sein mochten. Es konnte, wie die an Theodor Blank gerichteten Worte des Abgeordneten Dr. Hermann Götz (CDU/CSU-Fraktion) demonstrieren, zusätzlich auch um die politische Reputation eines Parlamentariers vor Ort gehen: »Es ist nicht nur für den betreffenden Abgeordneten sehr peinlich, wenn er in einer Versammlung auf ein interessantes Objekt angesprochen wird [...] wenn er dazu nicht viel sagen kann - sei es aus eigener Erkenntnis oder sei es, weil er es nicht für zweckmäßig hält - und wenn er dann erleben muß, daß Leute aus der Versammlung erklären, sie seien im Verteidigungsmi64 65 66
Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. AdSD, NL Fritz Erler, Box 129. Beispiele: Anfrage des MdB Felder, ob Pegnitz zur Garnisonstadt bestimmt wird. In: Deutscher Bundestag, 3. Legislaturperiode, 132. Sitzung, 11.11.1960; Anfrage des MdB Wolf, warum erst nach zwölf Jahren entschieden wurde, dass die Stadt Quakenbrück keine Garnsion erhalten soll. In: Ebd., 4. Legislaturperiode, 155. Sitzung, 17.12.1964, S. 7632 C; Anfrage des MdB Weigl, wann mit dem Baubeginn der Garnisonen Kemnath und Tirschenreuth gerechnet werden kann. In: Ebd., 4. Legislaturperiode, 30. Sitzung, 16.5.1962, S. 1257 B; Anfrage des MdB Dr. Schultze-Vorberg, ob die Bundesregierung zum Fortgang der Arbeiten zur Errichtung der Garnison in Volkach Stellung nehmen kann. In: Ebd., 5. Legislaturperiode, Anlagen Bd 106,1966, Drs. V/907.
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nisterium gewesen und hätten dort wesentlich mehr erfahren, und wenn sie nun mit Mitteilungen aufwarten, die geeignet sind, in den davon betroffenen Kreisen eine weitgehende Unruhe herbeizuführen67.« Dass die Gemeinden ihre Wünsche oft unmittelbar oder mittelbar über parlamentarische Repräsentanten an die Dienststelle Blank bzw. später an das Verteidigungsministerium richteten, passte freilich nicht allen ins Konzept. Immerhin stapelten sich zu Jahresbeginn 1956 nach eigenem Bekunden 70 Garnisonsbewerbungen auf dem Tisch des Verteidigungsministers. Und noch zehn Jahre später scheinen Bundeswehreinrichtungen nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt zu haben, lagen doch 1966 dem Verteidigungsministerium nach wie vor Bewerbungen von 250 Gemeinden um eine Stationierung vor68. Nicht allein die Tatsache der Bewerbung erfreute Theodor Blank 1956, sondern das aus Sicht der Bundeswehr besonders Positive daran war, dass sich die Kommunen vornehmlich bemühten, das erforderliche Land zur Verfügung zu stellen69. Daran hatten namentlich die Länder allerdings schon frühzeitig Anstoß genommen. So klagte zum Beispiel das nordrhein-westfälische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht über den Wunsch nach Garnisonen an sich. Vielmehr glaubte man ein zu weitgehendes Entgegenkommen gegenüber den militärischen Forderungen zu erkennen, welches oftmals auch zu Lasten von Nachbargemeinden ging. Für besonders kritikwürdig und als einen gravierenden Fehler hielt man es jedoch, wenn dieser Prozess ablief, »ohne auf einen Ausgleich mit den zivilen Interessen der Bevölkerung genügend zu achten«70. Hier brachten sich dann die Länder selbst nachdrücklich mit ins Spiel, indem sie nicht nur von der militärischen Seite verlangten, bei der Landbedarfsdeckung strukturell und institutionell beteiligt zu werden. Die Vorstellung, dass die Dienststelle Blank die kommunalen Angebote an die Landesregierungen abgeben sollte, um sie dort auf ihre politischen, sozialen und wirtschaftlichen Weiterungen hin zu überprüfen, konnte zwar nicht hundertprozentig erfüllt werden. Immerhin erhielten die Länder durchaus großzügig bemessene, gesetzliche Mitwirkungsrechte im Rahmen des Landbeschaffungsgesetzes und des Raumordnungsverfahrens zugebilligt. Im länderinternen Prozess der Lenkung von Garnisonsbewerbungen stießen die Staatsregierungen jedoch an verfassungsrechtliche Grenzen. Die von Land zu Land durchaus unterschiedlich ausgeprägten kommunalen Selbstverwaltungsrechte boten den Gemeinden nämlich nicht nur gewisse Freiheiten, sie hatten geradezu das Recht dazu, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen und im Rahmen der Gesetze
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Ebd., Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 72. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 4.2.1956, S. 15 f. Vgl. Sicken, Stadt und militärische Anlagen, S. 100. Vgl. auch Städte umwerben Bundeswehr: Garnisonen bringen bares Geld. In: Welt am Sonntag, 7.4.1968. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 72. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 4.2.1956, S. 14. BayHStA, StK 11951, Schreiben an den MinPräs von Nordrhein-Westfalen, 24.1.1955.
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nach eigenem Ermessen zu handeln71. Daran wollte sicherlich niemand rütteln. Wohl aber wurde, um zumindest im Abgleichen regionaler Zusammenhänge über einen Informationsvorsprung zu verfügen, jedenfalls in Bayern den Kommunen nahegelegt, ihre Verhandlungen in diesen Angelegenheiten unter Einschaltung der Münchner Staatskanzlei und dem speziell dafür dort eingerichteten Referat für Wehrfragen zu führen72. Überörtliches Planen und Handeln konnte freilich nicht von Orten verlangt werden, die sich im Schlagschatten einer langsam prosperierenden Bundesrepublik sahen. Hier ging es vielmehr darum, sich den militärischen Forderungen oder den Vorstellungen gegenüber, die man davon hatte, möglichst positiv zu präsentieren. Am Rande sei erwähnt, dass das Wissen um die westdeutschen Streitkräfte gerade auf dem Lande, also dort, wo man sich möglicherweise große Vorteile von einer Bundeswehransiedlung versprach, wenig ausgeprägt war. Jedenfalls wusste 1959 ein Gutteil der Bewohner von Kleinstädten und die Landbevölkerung (Siedlungsgröße zwischen 2000 bis 50 000 Einwohner) auf Befragen keine rechte Antwort auf die Personalstärke der Armee zu geben jener Faktor, der doch für die Verteilung der Standorte im Raum nicht ganz unwesentlich war. Es sei einmal dahingestellt, ob es am vielleicht geringen sicherheitspolitischen Informationsbedürfnis gelegen hat, wenn die Bayern oder die Bewohner von Schleswig-Holstein sich im bundesweiten Vergleich am häufigsten bei der Angabe des Personalumfangs irrten. Auch wenn man es nun nicht unmittelbar auf die Prosperitätshoffnungen der garnsionswilligen Gemeinden wird transponieren können, aber die Antwortenverteilung auf die Frage, ob man den bisherigen Aufbau der Bundeswehr für zweckmäßig oder verfehlt halte, gibt dennoch ein Indiz dafür ab, wo am ehesten die Vorteilsvermutungen lagen. So urteilten die in der Großstadt Lebenden weniger häufig positiv (38 Prozent zweckmäßig, 40 Prozent verfehlt, 22 Prozent keine Meinung) als die Landbevölkerung. Dort meinten 43 Prozent, die Art und Weise des Streitkräfteaufbaus sei bisher zweckmäßig gewesen, während ihn 29 Prozent für verfehlt hielten (28 Prozent keine Meinung)73. Das Ringen darum, Garnisonstadt zu werden, fand oftmals in harter Konkurrenz zu den Nachbargemeinden statt, deren wirtschaftliche Situation kaum besser aussah. Jene südlich von Kassel liegenden 16 hessischen Orte, die Mitte 1956 eine Garnisonsbewerbung abgegeben hatten, lagen alle in einem Umkreis von höchstens 50 Kilometern74. Dabei war es Wunschdenken, wenn der Landrat des fränkischen Mellrichstadt eine militärische Konzeption nicht für sich allein 71
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Grundsätzlich zum Verhältnis zwischen Kommunen und Land im Rahmen der westdeutschen Modernisierungsphase bis zum Beginn der siebziger Jahre vgl. Balcar, Die Kosten der Erschließung; vgl. auch Grunow/Pamme, Kommunale Verwaltung. BA-MA, BW 1/28937, Rundschreiben des Bayerischen MinPräs an alle Staatsministerien, 4.5.1955. BA, Β 136/6811, Service-Institut für Marktforschung, Der Aufbau der Bundeswehr im Spiegel der öffentlichen Meinung. Ergebnisse einer Meinungsbefragung, Juli 1959 (Typoskript). BA-MA, BW 1/11923, Zusammenstellung, 26.5.1956.
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im Raum stehen sah, sondern zudem sichergestellt wissen wollte, dass man »auch auf die örtlichen Gegebenheiten Rücksicht nehmen muß«75. Bei seiner Entscheidung waren für das Verteidigungsministerium dann jedoch nicht die wirtschaftlichen Sorgen, sondern, außer bei grundsätzlicher Kompatibilität mit der Verteidigungsplanung, vielmehr die infrastrukturellen Gegebenheiten, die verkehrsgeografische Lage sowie die problemlose und ausreichende Verfügbarkeit von Land maßgeblich. Da den Gemeinden dies offenbar bekannt war oder sie bei eventuellem Interesse am Standort um Unterrichtung gebeten wurden, finden sich in den Bewerbungs- oder Angebotsschreiben teilweise sehr differenzierte Ortsbeschreibungen - in manchen Fällen allerdings etwas geschönt, zum Teil auch weniger aussagekräftig oder mit solchen emotionalen Argumenten angereichert, die man für förderlich hielt. Geschickt erhöhte Roding seine Einwohnerzahl um 25 Prozent auf fast 3000, indem es die Bewohner der am Rand gelegenen Ortschaften einfach mitzählte. Das geschah nicht ohne Grund. In den fünfziger Jahren herrschte im Verteidigungsministerium nämlich die später aus anderen Gründen notgedrungen fallen gelassene Meinung vor, dass aus Sorge vor einer Überfremdung der prozentuale Anteil der Bundeswehr an der zivilen Bevölkerung die Quote von 10 Prozent nicht übersteigen sollte76. Im vorliegenden Fall stand anscheinend die Befürchtung im Raum, dass man bei einem um das dreieinhalbfache erhöhten Soldatenanteil (ein Bataillon zählte rund 800 Soldaten) bereits von Anfang an aus dem Bewerberkreis eliminiert werden konnte. Durch die Bewerbung aufmerksam geworden auf das an der Grenze zum ehemaligen Land Thüringen gelegene Ebern, erbat das Verteidigungsministerium eine Karte mit Geländevorschlägen für einen Kasernenbau- und Standortübungsplatz sowie Informationen über Schulen und Verkehrsverbindungen. Letztere waren nach Auskunft des Bürgermeisters »einzigartig. Sowohl Eisenbahn wie Fernstraßen verbinden die Stadt mit den entlegensten Winkeln unseres Vaterlandes«77. Womöglich versprach sich der Stadtrat des fränkischen Höchstadt a.d. Aisch bessere Chancen, als er die Hinweise auf die gute ärztliche Versorgung und das neue städtische Krankenhaus mit der Bemerkung ergänzte, dass der »gegenwärtige Leiter des Krankenhauses [...] bei der ehem. Wehrmacht als Chirurg tätig« war78. Mit der Schilderung noch weiter zurückreichender militärischer Begebenheiten glaubte die Stadt Neustadt am Rübenberge in Niedersachsen zur Steigerung der Attraktivität ein besonders militärfreundliches Klima signalisieren zu müssen: »Durch die Kalenberg'schen Herzöge Erich I. und II. wurde sie zur starken Festung ausgebaut und war während des 30-jährigen Krieges ein starkes Bollwerk. Auch zur Zeit der hannoverschen Könige waren immer Jägerkompanien hier stationiert. Von November 1914 bis November 1918 lag in Neustadt a/Rbge. eine Maschinengewehr-Ersatz-Kompanie. Daraus mag 75 76 77 78
Ebd., BW 1/5379, Landratsamt Mellrichstadt an MinPräs Hoegner, 15.4.1957. Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr. BA-MA, BW 1/5350, Bürgermeister von Ebern an BMVg, 5.9.1955. Ebd., BW 1/5364, Stadtrat von Höchstadt a.d. Aisch an BMVg, 9.1.1957.
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hervorgehen, daß Neustadt a/Rbge. und seine Bevölkerung schon von jeher Beziehungen zum Militär hatten, dem es auch heute noch wohlgesonnen ist, wie der einstimmig gefaßte Ratsbeschluß beweist79.« Entscheidend für die Errichtung einer Kaserne an einem bestimmten Ort war, ob ausreichend und vor allem geeignetes Land zur Verfügung stand. Und selbst daran richteten sich spezielle Anforderungen. Im Hinblick auf den enormen Termindruck, welcher auf der Aufrüstung insgesamt lastete, lag dem Verteidigungsministerium sehr viel daran, möglichst exakte Angaben über die zeitliche Verfügbarkeit des Geländes zu erhalten. Wie stand es generell um die Erwerbsmöglichkeit? Bestand die Bereitschaft zum Verkauf oder nur zu einer Verpachtung oder musste gar mit Enteignungen gerechnet werden? Und schließlich die Frage, wie viel der Eigentumserwerb des Kasernenbaugeländes voraussichtlich kosten würde 80 . Selbstverständlich setzten die Kommunen ihre Signale besonders in diese Richtungen ab. In Roding beispielsweise gab es nicht nur außerordentlich brauchbares Gelände für den Bau von Kasernen und Übungsplätzen. Vielmehr sollten »tausende ha Staats- und Privatwald im Umkreis bis zu 20 km« günstige Voraussetzungen »für eine gefechtsnahe Ausbildung« liefern81. Und Neustadt am Rübenberge brüstete sich gar damit, dass »in allen 4 Himmelsrichtungen« um die Stadt ideales Übungsgelände vorhanden sei, besonders für Panzer82. Mit Kasernenbaugelände sah es dort freilich weniger gut aus. Weil die Stadt offenbar nicht über genügend kommunalen Grund verfügte oder weil man den vorhandenen vielleicht für andere Investitionsvorhaben zurückhalten wollte, lenkte man den Blick des Verteidigungsministeriums auf die Flächen der Stadtrandgemeinden. Dabei traten dann genau die Probleme auf, vor denen man andernorts, etwa im Düsseldorfer Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, schon Jahre vorher gewarnt hatte: »Voller Beunruhigung und Bestürzung verfolgt die bäuerliche Bevölkerung von Metel, Krs. Neustadt a. Rbg., die Bemühungen der Kreisstadt Neustadt a. Rbg., Garnisonsstadt zu werden 83 .« Grundsätzlich gab man Minister Strauß freilich zu verstehen, dass die namentlich unterzeichneten Inhaber sämtlicher (28) am Ort ansässiger landwirtschaftlicher Betriebe nichts gegen den Bau einer Kaserne in Neustadt einzuwenden hätten. Der Protest richtete sich vielmehr gegen die Art und Weise, wie die Kreisstadt der Bundeswehr Kultur- und Grünland als Übungsfläche anbot. Denn davon hing erklärtermaßen die Existenzgrundlage des kleinen, nur 35 Häuser umfassenden Bauerndorfes ab. Es sei einmal dahingestellt, ob sich die angstvolle Einschätzung von der Vernichtung bäuerlicher Existenzen durch Bundeswehransiedlungen im konkreten Fall als zutreffend erweisen sollte. Dennoch stellte die hier artikulierte Sorge keineswegs einen Einzellfall dar. Ein solcher Protest gehörte mit zu den generellen Begleiter79 80
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Ebd., BW 1/10975, Bewerbungsschreiben, 26.10.1956. Ebd., BW 1/11923, Anweisung BMVg an die Verwaltungsstellen der Wehrbereiche betr. Überprüfung der Garnisonangebote, 24.2.1956. Matejka, Roding, S. 133. BA-MA, BW 1/10975, Bewerbungsschreiben, 26.10.1956. Ebd., Schreiben der Bauernschaft Metel an BMVg, 20.2.1957.
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scheinungen der Garnisonsbewerbungen. In zweifacher Hinsicht akzentuieren solche Vorkommnisse dann auch einen integrationspolitischen Problemkomplex. Einerseits signalisiert die Begebenheit, wie schwierig die materielle Aufstellung der Bundeswehr werden konnte, wenn gerade dort, wo ein Truppenkörper disloziert werden sollte, nicht genügend Land zur Verfügung stand. In den kommunalen Bewerbungsschreiben liest man zwar davon, dass, wie etwa im nordbayerischen Ebern, für das Kasernengrundstück die Grundeigentümer »ihre volle Zustimmung einer freiwilligen Abtretung« gegeben hätten84. Tatsächlich aber ergaben sich sehr oft Schwierigkeiten, wie am Beispiel des niedersächsischen Metel demonstriert, mit einzelnen bäuerlichen Landbesitzern oder ganzen Gruppen, die um ihre Existenz fürchteten. Offensichtlich hielten nicht alle Bürger eine Garnison für erstrebenswert. Der Blick auf den innerörtlichen Diskussionsprozess um eine Bundeswehransiedlung ermöglicht es jedoch, die Veränderungen der politischen und sozialen Strukturen auf dem Lande in den späten fünfziger Jahren und darüber hinaus nachzuvollziehen. Seit dem Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts waren Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft enormen Veränderungsschüben unterworfen85. Generell wurden diese vor Ort als eine politisch-ökonomische Fremdsteuereung empfunden, wozu man zwangsläufig auch die Ansiedlung von Bundeswehrgarnisonen zählte. Man kann nur mutmaßen, dass gerade diese Maßnahmen vielleicht deshalb als ein besonders drohendes Phänomen eingeschätzt wurde, weil sich der Prozess innerhalb einer Generation zu wiederholen schien - freilich jetzt nicht mehr unter dem Zeichen nationalsozialistischer Kriegsrüstungspolitik. Aber spielte das politische Fundament, auf dem der Staat gründete, auf den ersten Blick überhaupt eine so große Rolle? Ging es in den kleinräumlichen Bezugssystemen nicht eher darum, den durch solch externe Modernisierungsschübe schon lange absehbar ins Rollen gekommenen Zug sich verändernder bäuerlicher Lebens- und Arbeitsmuster zu stoppen oder zu verlangsamen? Und wenn nicht insgesamt, dann mochte er vielleicht durch eine Weiche gerade um den einen Ort herumgelenkt werden. So klagten die Bewohner von Degersheim beim Verteidigungsministerium, der Bürgermeister habe entsprechende Zusagen eigenmächtig und gegen den Willen der Grundbesitzer gemacht. Neben dem Vorwurf des möglichen Eigeninteresses wandte man sich vehement vor allem dagegen, dass bei einer eventuellen Gemeindeversammlung zur Klärung der Vorfälle auch Nicht-Landwirte wie Vertriebene und Fürsorgeempfänger zugelassen werden würden86. Als die Ortsbauernschaft angeblich aus der Zeitung erfahren haben wollte, »daß die Stadt Günzburg in geheimer Sitzung den Beschluß gefaßt hat, entsprechendes Gelände zur Anlegung eines Truppenübungsplatzes mit Kasernen anzubieten, ohne daß die dadurch in Mitleidenschaft gezogenen Bevölkerungskreise vorher befragt oder in Kenntnis gesetzt wurden«, warf man dem Stadtrat 84 85 86
Ebd., BW 1/5350, Stadtrat Ebern an Landratsamt Ebern, 19.11.1955. Allgemein hierzu vgl. Exner, Beständigkeit und Veränderung. BA-MA, BW 1/5362, 14.10.1959
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nicht nur Kompetenzüberschreitungen vor: Er habe damit geradezu »in einer vollkommen undemokratischen Weise über die soziologische Gestaltung [sie!] einer Stadt auf Jahrzehnte hinaus eine nicht zu verantwortende Entscheidung getroffen«87. Im ähnlich gelagerten Fall von Heidenheim, Mittelfranken, wo sich die Grundbesitzer darüber aufgeregt hatten, dass bei einer Gemeindeversammlung »alle Leute, ob Bauer, Landwirt, Vertriebener, Fürsorgeempfänger usw. zur Abstimmung zugelassen« worden seien88, wandte sich Verteidigungsminister Strauß, als er davon erfuhr, an den zuständigen Bundestagsabgeordneten Friedrich Bauereisen, damit dieser im Sinne der notwendigen Verteidigungsmaßnahmen Aufklärungsarbeit gegen die »von einigen Wortführern gesteuerte Aktion« leiste89. Schließlich musste die Wehrbereichsverwaltung VI der Liegenschaftsabteilung im Verteidigungsministerium mitteilen, dass wegen starker Widerstände aus landwirtschaftlichen Kreisen mit einem baldigen Abschluss des Raumordnungsverfahrens für eine Kaserne in Höchstadt a.d. Aisch nicht zu rechnen sei90. In einer von 30 Personen unterzeichneten Denkschrift gegen die Errichtung einer Garnison in Oberviechtach kritisierten die Autoren nicht nur den im Hinblick auf sechs weitere Truppenstandorte in der Region ihrer Meinung nach überflüssigen Kasernenneubau. Sie behaupteten zudem, dass dieser für die überwiegend bäuerliche Bevölkerung existenzgefährdend sei und zahlreiche Familien von ihrem seit Generationen kultivierten und vererbten Land abwandern müssten: »Und dazu getrieben wurden sie durch Minderheiten, die sich an der Errichtung einer Garnison mit ihren unausbleiblichen Erweiterungen und den damit verbundenen Grundstücksabtretungen gewisse persönliche Vorteile versprechen91.« Der Zusammenhang von berufsspezifischen und gesellschaftlichen Veränderungen war ein durchgängig bemühtes Motiv bei den Gegnern von Standortneugründungen besonders im ländlichen Raum. Abgesehen von den militärischen Aspekten dieser Fälle, demonstrieren die Einlassungen der Protestierenden auf den ersten Blick ein nachgerade restauratives, an den Besitz gebundenes bürgerliches Repräsentationsbewusstsein. Hier kamen ganz deutlich Ordnungsvorstellungen noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zum Tragen, die objektiv betrachtet freilich schon längst im Niedergang begriffen waren. Innerhalb der ländlichen Gesellschaft war ursprünglich nicht das Individuum der bestimmende Faktor, sondern in erster Linie Besitz und Familie. Erstgenannter Umstand bildete das entscheidende Kriterium für die Platzierung innerhalb des ländlichen Produktions- und Sozialverbandes und formierte so ein »Denken in besitzhierarchischen Systemen«92. Besitz und Familie zusammen prägten nicht nur das einzelne Individuum ein Leben lang, sondern sie bestimmten als 87 88 89 90 91 92
Ebd., BW 1/12321, Ortsbauernschaft Günzburg an BMVg, 12.3.1956. Ebd., BW 1/5362, Protestschreiben vom 15.12.1959. Ebd., BMVg Strauß an MdB Friedrich Bauereisen, undat. Reinentwurf vom Januar 1960. Ebd., BW 1/5364. Ebd., BW 1/4503, Denkschrift, 22.11.1958. Grundlegend zur Sozialgeschichte der Familie in Deutschland vgl. Weber-Kellermann, Die Deutsche Familie, Zitat S. 86. Vgl. auch Kaschuba/Lipp, Dörfliches Überleben.
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Merkmale der sozialen Schichtung auch die Teilhabe an der politischen Leitung im Ort. Vor dem Hintergrund solcher sozialstruktureller Verhältnisse, die über Generationen ihre Gültigkeit besaßen, verwundert es dann nur zum Teil, wenn der - zumindest in Bayern - seit 1946 expressis verbis verankerte verfassungsrechtliche Grundsatz von der »Gleichheit der politischen Rechte und Pflichten aller in der Gemeinde wohnenden Staatsbürger« keineswegs überall bzw. in allen Belangen hinreichende Akzeptanz fand93. Insoweit mag die verbreitete Vorstellung von der Passivität und Resistenz der bäuerlichen Bevölkerung gegen den ökonomischen und politischen Wandel eine gewisse Bestätigung finden94. Doch unbenommen davon beleuchten solche Vorgänge andererseits und erneut die realen sozialpolitischen Gegebenheiten, denen vornehmlich die agrarisch geprägten Landesteile spätestens seit 1945 ausgesetzt waren. »Minderheiten«, zu denen die »Fürsorgeempfänger« sowie die »Vertriebenen«, ungeachtet ihres oftmals relativ hohen Bevölkerungsanteils wohl deshalb gerechnet wurden, weil sie zumeist nicht von den Erträgen des eigenen Grundes und Bodens lebten, empfand die angestammte Agrargesellschaft offenbar als Profiteure der Soldatenansiedlung - ohne dass diese spezielle Projektion zunächst freilich substanziiert wurde. Dies hatte wohl weniger mit den permanenten Reibereien zu tun, welche den Alltag der Alteingesessenen mit Flüchtlingen und Heimatvertriebenen in der Nachkriegszeit oft bestimmten95. Tatsächlich haben nur noch wenige der über 300 000 land- und forstwirtschaftlich Selbständigen unter den Flüchtlingen oder Vertriebenen sowie ihrer über 400 000 mithelfenden Familienangehörigen (Stand 1939) so in der Bundesrepublik weitergelebt und -gearbeitet wie in ihren angestammten Regionen. Gerade einmal 60 000 bewirtschafteten 1960 einen Hof, darunter über die Hälfte lediglich einen Kleinstbetrieb oder gar nur eine Nebenerwerbsstelle mit bis zu 5 ha Nutzfläche. Bezogen auf die gesamte landwirtschaftliche Fläche entsprach dies einem Anteil von weniger als 0,5 Prozent. Die überwiegende Mehrzahl dieser Flüchtlings- und Vertriebenengruppe hatte inzwischen außerhalb der Landwirtschaft eine Beschäftigung gefunden96. Der Vorwurf so qualifizierter »Minderheiten« in der Garnisonsfrage, die sich für eine bäuerlich orientierte Schicht auf die Frage nach der Abgabe von Grund und Boden reduzierte, verweist auf den tiefgreifenden Transformationsprozess, in dem sich die jahrhundertealten Sozialstrukturen auf dem Lande damals befanden. Die Petenten des Dorfes Metel bei Neustadt am Rübenberge nahmen es zwar erfreut zur Kenntnis, wenn das Verteidigungsministerium Rücksicht auf die Belange der Betroffenen signalisierte - ohne dass es sich freilich in irgendeiner Weise festlegte. Man sah auch ein, dass bei der Einrichtung von militärischen Übungsflächen Härtefälle auftreten konnten. Sollten diese jedoch schon
93 94 95
96
Art. 11 Abs. 5 der Verfassung des Freistaates Bayern. Kritisch hierzu vgl. Erker, Der lange Abschied vom Agrarland. Beispielhaft hierfür vgl. Klee, Im Luftschutzkeller. Zu den Problemen der Flüchtlingsintegration vgl. auch Holtmann, Flüchtlinge in den 50er Jahren. Bauerkämper, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft, S. 191.
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nicht verhindert werden können, darin aber bitte abgestuft nach Erwerbszugehörigkeit und Schollenbindung: »Auf der anderen Seite muß man jedoch auch berücksichtigen, daß die meisten Metler Bauernfamilien seit dem 15. Jahrhundert auf ihren Höfen sitzen und dem kargen Heideboden ihre Ernteerträge abringen. Eine Verkleinerung der Landflächen bei einer finanziellen Entschädigung ist deshalb kaum für uns möglich und würde unsere Existenz gefährden. Vielleicht besteht die Möglichkeit, daß wir dadurch entschädigt werden, indem durch Umsiedlung anderer noch nicht so verwurzelter Metler Betriebe für die alten Höfe Land frei gemacht werden könnte. In dieser Hinsicht bin ich durchaus bereit, weiterhin meinen Einfluß geltend zu machen97.« Soweit die Vorstellungen des demonstrativ mit »Bauer Heinrich Schlemme« unterzeichnenden Wortführers. Fürwahr ein bauernschlauer Kuhhandel! Die Bundeswehr hätte ihr Übungsgelände erhalten und die angestammten landwirtschaftlichen Betriebe wären nicht nur vor Ort geblieben, sondern mit der Absiedlung der Neubürger schien das alte Sozialgefüge wieder restauriert. Letztlich ging es bei diesen Protestbemühungen um nichts anderes, als um die Auswirkungen einer Garnison auf die lokalen Erwerbs- und nachfolgend auch Sozial- und Politikstrukturen. Demzufolge waren die Debatten oftmals äußerst kontrovers. So sah sich 1956 der Bezirksverband des Bayerischen Bauernverbandes nicht nur von den an einer Garnison interessierten Rodinger Geschäftsleuten unter Druck gesetzt. Der Kreisobmann soll während einer dazu einberufenen politischen Versammlung im Beisein von Landtagsabgeordneten beleidigt worden und »knapp an der Verprügelung durch den Gastwirt Zierer vorbeigekommen« sein98. Scharfe Vorwürfe richteten die Bauernvertreter vor allem an jene Grundbesitzer, die ihre Felder seit Jahren nicht mehr selbst bewirtschaftet, sondern verpachtetet hatten, und sie gerne für den Kasernenbau abgeben wollten. Diesen sei es offenbar völlig gleichgültig, »was die große Zahl der Rodinger Kleinlandwirte für Existenzgrundlagen in der Zukunft haben«99. Von einer besonderen Qualität, weil mit einem relativ hohen Organisierungsgrad behaftet und über einen recht langen Zeitraum am Leben gehalten, zeigte sich die Protestbewegung im mittelfränkischen Heidenheim. Im Grunde genommen war es ein Zufall, der den kleinen Marktflecken im Landkreis Günzenhausen in das Blickfeld der Bundeswehrstationierung rückte. Weil Wassertrüdingen im benachbarten Kreis Dinkelsbühl seine ursprünglich gegebene Zusage zurückgenommen hatte, ein Bataillon aufzunehmen, suchte man nördlich der Donau im Raum zwischen Ulm, Neuburg a.d. Donau und Dinkelsbühl nach Standortalternativen. Zwar hat es den Anschein, dass man sich in der Region schon länger mit diesem Gedanken getragen hatte100. Allein es bedurfte offensichtlich eines Hinweises durch den CDU-Bundestagsabgeordneten und 97 98
99 100
BA-MA, BW 1/10975, Schreiben an BMVg, 16.4.1957. Ebd., BW 1/4520, Bayerischer Bauernverband, Bezirksstelle Cham, an Bezirksplanungsstelle, 9.2.1956. Ebd. Vgl. Beyer, Chronik Panzerbataillon 304, S. 34.
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späteren Bundeswirtschaftsministers Kurt Schmücker, sinnigerweise der Vertreter des norddeutschen Wahlkreises Vechta-Cloppenburg, der den Stein endgültig ins Rollen brachte. Warum setzte sich Schmücker in einem persönlichen Brief an Verteidigungsstaatssekretär Rust für Heidenheim ein? Nun, der damalige Landrat des Kreises Günzenhausen, Hansgeorg Klauss, war ein ehemaliger Mitarbeiter von Schmücker. Bei einem Besuch vor Ort hatte letzterer nicht nur Einblicke in die dortigen Verhältnisse erlangt, sondern er war dabei auch »zu der Überzeugung gekommen, daß man etwas für den Landkreis Günzenhausen tun müßte«101. Deshalb bot Schmücker expressis verbis in Übereinstimmung mit dem zuständigen CSU-Bundestagsabgeordneten Richard Stücklen und der Bezirksregierung von Mittelfranken die Marktgemeinde Heidenheim als Ersatzstandort für Wassertrüdingen an. Schon mehrfach wurde betont, dass gerade in strukturschwachen, ländlichen Regionen Nachbargemeinden um eine Garnison konkurrierten. Im vorliegenden Fall war es die Stadt Oettingen, welcher die prüfende Wehrbereichsverwaltung in München ohnehin den Vorzug gab - zumindest als Standort für ein Transportbataillon. Während man aus Sicht der militärischen Forderungen die Geländebedingungen noch als gleich gut geeignet beurteilte, schnitt Oettingen wegen seiner günstigeren Lage am überörtlichen Straßennetz besser ab. Hinzu kam, dass es in Heidenheim keinen Bahnhof gab. Auch unter dem Gesichtspunkt der Truppenbetreuung sprach der insgesamt dörfliche Charakter nicht gerade für den Ort im fränkischen Jura: »Heidenheim, das mit seinen nur 1400 Einwohnern einem großen Dorf ähnelt, besitzt außer einer evang. Bekenntnisschule keine Schulen, kein Krankenhaus, keine Sportanlage, kein Schwimmbad, weder Kinos noch sonstige kulturelle Betreuungsmöglichkeiten102.« Unter dem Blickwinkel einer aktiven Sanierungspolitik freilich erschienen solche strukturschwachen Gegebenheiten geradezu als paradigmatische Voraussetzungen einer zivilen Landesplanung. Wo, wenn nicht hier, konnte die Bayerische Staatsregierung von einer Bundeswehransiedlung Unterstützung bei ihrem ehrgeizigen Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse erwarten: »Das in seiner Geschichte als Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum des gesamten Hahnenkammgebietes einst bedeutende Heidenheim hat immer mehr von seinen früheren Funktionen eingebüßt. Eine Stärkung der Wirtschaftskraft durch Ansiedlung von Gewerbebetrieben ist wegen der ungünstigen Standortverhältnisse ohne Erfolg geblieben [...] Der Hahnenkamm muß daher als Notstandsgebiet betrachtet werden. Die Garnison würde die erwünschte Aufwärtsentwicklung einleiten können und vor allem die als Voraussetzung für eine entscheidende Verbesserung der Standortverhältnisse unbedingt notwendige Modernisierung der Straßenverbindungen des Hahnenkammgebietes in so kurzer Frist und in einem Umfang ermöglichen, wie dies durch nur zivile Maßnahmen in absehbarer Zeit nicht zu erreichen
101 102
BA-MA, BW 1/5362, 5.5.1959. Ebd., WBV VI an BMVg, 22.7.1955.
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wäre. Vom Standpunkt der regionalen Landesentwicklung erscheint somit die Errichtung einer Garnison in Heidenheim geradezu wünschenswert103.« Dessen ungeachtet blieb es dem Landrat natürlich nicht verborgen, dass aus militärischer Sicht die Karten eigentlich schlecht für Heidenheim standen. Zur Wahrung der Chancen wandte er sich deshalb direkt an den Inspekteur des Heeres, um ihm die Vorteile Heidenheims zu erläutern. Sie bestanden seiner Meinung nach im Wesentlichen darin, dass mehr Land als in (Dettingen bereitgestellt werden konnte, welches gegebenenfalls für den Bau von Unterkünften für mehr als nur für ein Bataillon ausreichte. Geschickt konterte er das nicht wegzuleugnende Strukturdefizit des fehlenden Bahnhofs mit dem Verweis auf einen Vortrag des Leiters der Unterabteilung Logistik im Verteidigungsministerium, Brigadegeneral Albert Schnez. Dieser habe bei der Jahresversammlung der Gesellschaft zur Förderung des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster verlautbart, dass nicht mehr die Eisenbahn als militärisches Transportmittel erster Ordnung angesehen werde, sondern die Straße das militärisch wichtigste Verkehrsnetz darstelle. Wie Oettingen lag aber auch Heidenheim an einer Staatsstraße. Nun ging es dem in Verteidigungsbelangen orientierten Landrat sicherlich nicht darum, mit militärischem Wissen zu glänzen. Vielmehr geriet jede Information zum Argument für das politische Ziel, über eine Standortgründung den im Schatten stehenden Regionen eine Perspektive auf, wie man es verstand, Besserung zu verschaffen. Damit hielt man dem Heeresinspekteur gegenüber auch keineswegs hinter dem Berg: »Heidenheim liegt im Juragebiet, das im Falle der wirtschaftlichen europäischen Integration als Ackerbaugebiet keine Aussichten mehr hat, lebensfähig zu sein. Mit der Stationierung von Truppen in Heidenheim wäre jedoch ein neuer Kristallisationspunkt für das ganze Hahnenkammgebiet geschaffen. Heidenheim wäre in der Lage, freiwerdende landwirtschaftliche Arbeitskräfte der Garnison zur Verfügung zu stellen. Mit dem Eintreffen der Soldaten und ihrer Familien würde die Kaufkraft gesteigert, das Straßennetz verbessert und das landschaftlich reizvolle Gebiet auch für den Fremdenverkehr erschlossen werden104.« Wenn man die genau neben diese Passage gesetzte Fragenotiz »Geeignet für Schaffung eines gr.[oßen] Tr. [uppen] Üb.[ungs] Platzes?« so lesen will, dann interessierte sich Heeresinspekteur Hans Röttiger kaum für die Sorgen vor Ort. Ob es am militärischen Tunnelblick lag, ob die Last des nicht rasch genug voranschreitenden Bundeswehraufbaus dahinter stand oder ob er schon mehr als genug solcher Ausführungen gelesen hatte sei einmal dahingestellt. Die Marginalie gibt jedoch erneut Aufschluss darüber, wo die Prioritäten der Militärs lagen. Durch die erklärte Aussicht auf ausreichend Land mochten diese ebenso befriedigt werden, wie die Feststellung des Landrats im Sinne der Streitkräfte doch sehr beruhigend klangen, dass die »Einstellung der Bevölkerung zur Bundeswehr und zu einer Garnison positiv« sei105. Beides sollte sich als zumindest 103 104 105
Ebd., Bayer. Staatskanzlei an BMVg, 19.5.1960. Ebd., 24.9.1959. Ebd.
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sehr optimistisch erweisen. Zunächst sah aber alles danach aus, dass sich das Blatt zugunsten der kleinen Marktgemeinde wenden werde. Ob die Interpellation des Landrats bei General Röttiger dazu den Ausschlag gegeben hat, kann nicht belegt werden. Wohl aber gab die Bundeswehr jetzt Heidenheim als Standort für ein Panzerbataillon den Vorzug vor den in Konkurrenz dazu stehenden Orten Parsberg, Neumarkt und Greding. Und zwar deshalb, weil nur im fränkischen Jura ein Garnisonsvorhaben mit einem Standortübungsplatz von 300 ha verwirklicht werden konnte. Weil die Bezirksregierung von Mittelfranken hinter dem Projekt stand und man deshalb mit dem Abschluss des Raumordnungsverfahrens bis Jahresbeginn 1960 rechnete, prognostizierte die Wehrbereichsverwaltung VI sehr optimistisch, dass im Frühjahr 1960 mit dem Grunderwerb begonnen werden könne. Dieser würde sich erfahrungsgemäß ein Jahr hinziehen, so dass einem Baubeginn im Herbst 1961 und der Fertigstellung der Kaserne zwei Jahre später im Oktober 1963 nichts mehr im Wege zu stehen schien106. Ganz so einfach wurde es dann aber doch nicht. Erst nach weiteren zehn Jahren konnte im Frühjahr 1973 in der so genannten Hahnenkammkaserne der Dienstbetrieb aufgenommen werden107. Was war geschehen? Wenige Tage bevor eine Behördenkommission, bestehend aus Vertretern der Bundeswehr, der Bezirksregierung, der Land-, Straßen-, Finanzbauämter, des Landratsamtes und der Kommune sowie des Bayerischen Bauernverbandes das Gelände für Kaserne und Standortübungsplatz erkundete, formierte sich der bäuerliche Protest vor Ort. Am 15. Dezember 1959 schlossen sich 50 Bauern aus Heidenheim zusammen und legten in einer an das Verteidigungsministerium gerichteten Resolution die Gründe nieder, warum man von einer Garnison verschont werden wollte. So würden bei der Abgabe von 300 ha mehrere selbständige Landwirte die Existenzgrundlage verlieren »und als Fabrikarbeiter auf die Straße gedrückt, wie Landrat Klauss bei der Bauernbundversammlung am 12.12.1959 zutreffend sagte. >Nach Günzenhausen müßte Industrie kommen, damit ein Kleinlandwirt, der von seinem Betrieb nicht mehr leben kann, sich umstellen und in die Fabrik gehen kann.< Das ist eine sonderbare Einstellung des Vertreters seines Kreises für seine Landwirte. Der Bauer hängt an seiner Scholle. Die Einwohner von Heidenheim ernähren sich ausschließlich durch Ackerbau und Viehzucht108.« Das daneben bemühte Argument vom Bauern als dem »Ernährer des Volkes« fand zu diesem Zeitpunkt höheren Ortes freilich kaum mehr den entsprechenden Widerhall, zumindest nicht im konkreten Fall. Wegen der besonders in dieser Region kleinteiligen Anbauflächen auf kargen Böden und demzufolge auch bescheidenen Betriebsgrößen befürchtete die Münchner Staatskanzlei vielmehr in Zukunft ernsthafte Schwierigkeiten auf diesem Wirtschaftssektor109. Noch am Beginn der Dekade hatte die deutsche Agrarpolitik ganz unter dem Ebd., Niederschrift über die Infrastrukturbesprechung am 4.12.1959 bei der OFD Nürnberg. 107 Beyer, Chronik Panzerbataillon 304, S. 37. 108 Ebd. 109 BA-MA, BW 1/5362, Bayer. Staatskanzlei an BMVg, 19.5.1960. 106
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Zeichen von Ernährungssicherung und Produktionssteigerung gestanden. Im Landwirtschaftsgesetz, das der Bund 1955 verabschiedet hatte, war der bäuerliche Familienbetrieb, der zwei Arbeitskräften ein gesichertes Einkommen bot, als so genannter Haupterwerbsbetrieb zum agrarpolitischen Leitbild geformt worden. Die Eingliederung der deutschen Landwirtschaft in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft stellte jedoch neue Anforderungen. Die meist geringen Betriebsgrößen nährten bei den agrarpolitisch Verantwortlichen in den Ländern und im Bund die Sorge, im Wettbewerb mit den oftmals leistungsfähigeren Betrieben in den übrigen Staaten der EWG nicht mithalten zu können. Nur wenige Höfe - in Bayern drei Zehntel, im Bund lediglich ein Viertel - verfügten über eine konkurrenzfähige Größe von über 10 ha. Betriebsvergrößerungen waren freilich nicht einfach zu realisieren. Freie und geeignete Flächen waren knapp in der Bundesrepublik. Marktwirtschaftlich sinnvolle Betriebsgrößen konnten eigentlich nur realisiert werden, wenn Klein- und Nebenerwerbslandwirte ihre Flächen abgaben, um den Haupterwerbsbetrieben bessere Wachstumschancen zu ermöglichen. Im Bundeslandwirtschaftsministerium gingen die Überlegungen zu Beginn der sechziger Jahre so weit, Argarhilfen nur noch hauptberuflichen Landwirten angedeihen zu lassen, die Besitzer der Kleinbetriebe hingegen zur Landabgabe zu ermuntern. Um einer eventuell damit einhergehenden Landflucht zu begegnen, sollte dieser Prozess von einem ländlichen Strukturplan begleitet werden, worunter man u.a. auf die Förderung des Fremdenverkehrs, die Ansiedlung von Industrie oder die Errichtung vom Bildungseinrichtungen abzielte110. Ein so verstandener landwirtschaftlicher Transformationsprozess mochte, makro- und mikroökonomisch betrachtet, den einzig gangbaren Weg vorzeichnen. Darüber schien sich der zuständige Landrat, der in der Garnsionsinitiative eindeutig den Ton angab, völlig im Klaren zu sein, wenn er davon sprach, dass in einem gemeinsamen Europa schwere Zeiten für Heidenheim anbrechen würden. Wie wenig ertragreich die Böden des Hahnenkammgebiets tatsächlich seien, werde man dann erst merken, »wenn einmal der Preisdruck von außen komme und die Subventionen abgebaut seien. Dann würden hier oben viele Bauernhöfe nicht mehr lebensfähig sein«111. Statistisch sollte er im Übrigen Recht bekommen, gingen doch bayernweit im Verlauf der sechziger Jahre diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe, welche eine Fläche von unter 10 ha bewirtschafteten, von 34 300 um knapp 38 Prozent auf 21340 zurück112. In einem traditionell kleinagrarisch geprägten sozialen Milieu, wie es in Heidenheim vorherrschte, musste die auf der Linie von Bund und Land liegende Politik des Landrates aber unweigerlich zu erheblichen Friktionen führen. Dabei war es unerheblich, dass es sich im konkreten Fall um eine Landabgabe für die Belange der Verteidigung handelte. Über den eigentlich begründenden Anlass wurde überhaupt nicht diskutiert. 110 111 112
Vgl. Eichmüller, I hab' nie viel verdient, bes. S. 199-210. Wird n u n Heidenheim Standort einer Garnison? In: Altmühl-Bote, 5.8.1960. Statistisches Jahrbuch für Bayern 1972, S. 141.
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Offensichtlich auf den Besuch der Erkundungskommission kurz vor Weihnachten hin erreichte am 8. Januar 1960 ein noch schärfer formulierter Brief als der vom Dezember das Verteidigungsministerium - »Abteilung Errichtung von Panzergarnisonen«. Nach »eingehender erregter Aussprache« bekräftigten die Unterzeichner darin unter Hinweis auf den grundgesetzlichen Schutz des Privateigentums nicht nur ihren ablehnenden Standpunkt sondern verwiesen als weiteres Argument auf die Unsicherheit von Industriearbeitsplätzen. Auf eine Aussage des Landrats, dass die Besitzer der nicht mehr lebensfähigen landwirtschaftlichen Betriebe in die Fabrik nach Günzenhausen gehen sollten, erwiderten sie: »Wielang? Bis die Industrie keine Absatzmöglichkeiten mehr hat. Und was dann? Wir sind ehrliche und anständige Bauern und Landwirte und übergeben unseren Kindern das Gut, was wir von unseren Vätern erhalten haben113.« Schrieben so »Patrioten, die lautstark in ihren Dörfern, soweit sie Gelegenheit haben, gegen dieses Objekt zu Felde zu ziehen«114? Jedenfalls glaubte der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen Richard Stücklen, der zudem für Mittelfranken als Abgeordneter im Deutschen Bundestag saß, solch ein negativ bestimmtes Urteil fällen zu müssen, als er dem »lieben Franz«, gemeint war der Verteidigungsminister, von den Schwierigkeiten bei der Landbeschaffung in Heidenheim berichtete. Die Intervention an höchster Stelle richtete sich jedoch nicht ausschließlich auf den Sachverhalt im engeren Sinn. Erklärtermaßen ging es ihm auch um generelle Parteidisziplin in der Verteidigungspolitik, der offensichtlich höhere Priorität eingeräumt wurde, als agrarstrukturellen Vorstellungen. Stücklen wollte nämlich gehört haben, dass die Protestierer den Abgeordnetenkollegen Friedrich Bauereisen, ebenfalls CSU, vor ihren Karren zu spannen gedachten. Die Sorge schien nicht unbegründet, stammte jener doch aus der Gegend um Dinkelsbühl und musste als ehemaliger Bauernverbandsvorsitzender durchaus als versierter und akzeptierter bäuerlicher Interessenvertreter eingeschätzt werden. In deutlichen Worten legte Stücklen dem Ministerfreund Folgendes nahe: »Lasse bitte Herrn Bauereisen einen Brief schreiben, ohne auf die Informationsquelle einzugehen, in dem eindeutig und unmißverständlich zu lesen sein sollte, daß man nicht auf der einen Seite die Verteidigungspolitik der Bundesregierung im Parlament bejahen kann, ansonsten auch im kräftigen Hurra-Patriotismus sich gebärdet, und wenn es zur praktischen Durchführung der Verteidigungsmaßnahmen kommt, dann gewollt oder ungewollt dem eigenen Minister in den Rücken fällt115.« Sofort ordnete Strauß auch an, im Sinne dieses Schreibens zu verfahren. Allein der Leiter der Unterbringungsabteilung seines Ministeriums führte ihn wieder auf den Boden der Tatschen zurück. Außer den bekannten Protestschreiben der Heidenheimer Bauern lagen hier nämlich keine Erkenntnisse über ein diesbezügliches Engagement von Bauereisen vor. Damit es aber erst gar nicht zu einem Abweichen kommen konnte, fasste Strauß den »sehr geehrten Herrn Kol113 114 115
Ebd., Protestschreiben, 8.1.1960. BA-MA, BW 1/5362, MdB Richard Stücklen an Franz Josef Strauß, 7.1.1960. Ebd.
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legen« insofern beim Portepee, indem er ihn nun seinerseits um einen Aufklärungseinsatz für eine Bundeswehrgarnison in dessen »Einflußgebiet« bei Heidenheim ersuchte. Und er machte in seiner beim Durchsetzen des politischen Kurses durchaus autoritativen Art auch gar kein Hehl daraus, wenn er mit folgenden Worten das Einhalten regierungsparteilicher Disziplin einforderte: »Da Sie als Mitglied unserer Fraktion die Verteidigungspolitik der Bundesregierung im Parlament stets bejaht haben, darf ich hoffen, daß Sie mich auch bei der praktischen Durchführung der Verteidigungsmaßnahmen nachdrücklich unterstützen116.« Wenn, was nicht bekannt ist, Bauereisen dieser Aufforderung gefolgt sein sollte, dann war er allerdings zunächst nicht besonders erfolgreich. Denn kaum war die Entscheidung der Bundeswehr endgültig gefallen, bis 1964 in Heidenheim eine ständige Truppenunterkunft für bis zu zwei Panzerbataillone zu bauen, unterzeichneten 53 Landwirte im Dezember 1960 eine gegenseitige Verpflichtungserklärung, wonach keiner ohne die Zustimmung des anderen Land durch Verkauf oder Tausch an den Bund abgeben sollte. Expressis verbis: »Wir lehnen die Errichtung einer Garnison oder eines Truppenübungsplatzes oder beide auf unseren Besitzungen ab117.« Indem diese Bauern nach eigenen Angaben zusammen über gut 500 ha an Ackern, Wiesen und Wald verfügten, konnte sich freilich eine durchaus brenzliche Situation für die Bundswehr ergeben. Denn erklärtermaßen war man auf Heidenheim deshalb angewiesen, weil das Heer in Mittelfranken einen Panzerstandort mit 300 ha benötigte und nur hier ein solches Angebot des Gemeinderats vorlag118. Und selbst das schien jetzt nicht mehr sicher zu sein. Drei pfiffige Protestler, die ihrem Namen den Zusatz »Ortsbauernführer« nachgestellt hatten und damit nebenbei vielleicht auch einem allenthalben noch in dieser Zeit existierenden bauerntumsideologischen Agrarfundamentalismus Ausdruck verliehen119, schickten dem Verteidigungsministerium die auszugsweise Abschrift des Heidenheimer Gemeinderatsbeschlusses vom Jahresbeginn 1960. Daraus ging nicht nur hervor, dass von den zehn anwesenden Gemeinderäten jeweils fünf für, die anderen aber gegen eine Garnison gestimmt hatten. Viel schlimmer mochte es aus Sicht der Bundeswehr sein, wenn damals bei einer Enthaltung neun Kommunalvertreter die Ansicht vertreten hatten, dass die erforderlichen 300 ha Grund keinesfalls aufgebracht werden könnten120. Jetzt wurde es für den Landrat zunehmend eng, der das Garnisonsprojekt inzwischen als gefährdet einzuschätzen begann. Auch wenn er der Hardthöhe noch versichern konnte, dass sich der Gemeinderat weiterhin um einen Militärstandort bewerbe, wählte er bei der Landfrage nun elastischere Formulierungen. Zwar stellte er die Auffassung des Gemeinderats, es könnten keine 300 ha beschafft werden, als eine bloße Vermutung hin. Dennoch musste er einräumen, dass die Entscheidung darüber, ob entsprechende Flächen für 116 117 118 119 120
Ebd., Strauß an MdB Bauereisen (Reinentwurf, undatiert, Januar 1960). Ebd., BW 1/24472, Verpflichtungserklärung, 7.12.1960. Wird nun Heidenheim Standort einer Garnison? In: Altmühl-Bote, 5.8.1960. Vgl. Megerle, Die Radikalisierung blieb aus, S. 114. BA-MA, BW 1/5362, Beschluss des Gemeinderats Heidenheim, 11.1.1960.
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Kaserne und Standortübungsplatz zur Verfügung gestellte werden könnten, erst dann falle, wenn die Bundesvermögensverwaltung die Grundstücksverhandlungen abgeschlossen habe. Wichtig erschien es ihm jetzt, diese nicht nur zu beschleunigen, sondern vor allem »einen anständigen Preis zu bezahlen, der es den landabtretenden Bauern ermöglicht, sich von dem Erlös eine neue Existenz aufzubauen«121. Er dachte dabei an einen »politischen Bodenpreis« von 1 DM pro Quadratmeter. Letztlich ließ es sich aber nicht mehr übersehen, dass im mittelfränkischen Jura nun ein etwas rauerer Wind zu blasen begann. Wenn es denn stimmte, was die sich inzwischen als »Notgemeinschaft Heidenheim« bezeichnenden bäuerlichen Garnisonsgegner das Verteidigungsministerium wissen ließ, dann hatte auch der Bauernverband sein ursprünglich offenbar negatives Gutachten zu den landwirtschaftlichen Erträgen revidiert. Heidenheim war demnach kein Notstandsgebiet mehr, zumal »hier die beste Braugerste erzeugt« werde122. Dennoch fielen schon bald die Worte »Unruhen« und »Gewalt«. Das konnte als eine Drohung aufgefasst werden, zumal sie schriftlich von einem Ortsobmann des Bayerischen Bauernverbandes abgegeben worden war. Im Übrigen nährte die Intervention der Bauernorganisation auch die Vermutung, dass sich der ehemalige Bauernfunktionär Friedrich Bauereisen nicht, oder nicht nachdrücklich genug im Sinne von Franz Joseph Strauß für diesen Truppenstandort eingesetzt hat. Jedenfalls war im Frühjahr 1961 eine Situation entstanden, die selbst dem Gunzenhausener Landrat bedrohlich vorkam und ihn anscheinend in Gewissensnöte stürzte. Zunächst einmal musste man vor Ort akzeptieren, dass es sich bei den Protestierern eindeutig um keine grundsätzlichen Gegner des Streitkräfteaufbaus handelte, wie es Richard Stücklen durch die verteidigungspolitische Brille auf der Nase vielleicht gesehen haben mochte. Der Hauptgrund für die zunehmende Unzufriedenheit in der Bevölkerung gründete vielmehr in der Angst, die Bundeswehr wolle durch weitere Landinanspruchnahmen aus der Garnison einen Truppenübungsplatz machen. Dass dabei Vorstellungen von Zwangsenteignung oder Evakuierung von Bauernfamilien bzw. Absiedelung ganzer Ortschaften aufkamen, dürfte im Hinblick auf die wenige Jahre zuvor erfolgten Maßnahmen bei der erneuten militärischen Nutzung und Erweiterung des Truppenübungsplatzes Hohenfels kaum überraschen123. So betrachtet, hielt inzwischen aber auch der Landrat die Sorgen der Bauern für begründet. Denn niemand, weder der zuständige Bundestagsabgeordnete noch die Bezirksregierung von Mittelfranken, konnte »bindend« erklären, ob mit den bisher geforderten Grundabtretungen alle Landansprüche der Garnison in Zukunft befriedigt waren. Und genau das, ein Schriftstück mit bindender Versicherung, worin das bislang geforderte Land das Maximum selbst eines zukünftigen Geländebedarfs darstellen sollte, verlangte Landrat Klauss vom Verteidigungsministerium. Andernfalls befürchtete er, »daß wir die 121 122 123
Ebd., BW 1/24472, Landrat von Günzenhausen an BMVg, 17.1.1961. Ebd., Notgemeinschaft Heidenheim an BMVg, 19.2.1961. Vgl. hierzu Renner, Zerstörte Heimat Hohenfels.
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Garnison in Heidenheim nur mit Gewalt und unter großer Verbitterung der Bevölkerung des ganzen Gebietes errichten können«124. Vielleicht kam auch die Einsicht auf, dass bei aller schwunghaft in Angriff genommenen, von strukturund wirtschaftspolitischen Vorstellungen geleiteten Modernisierung die sozialen Gegebenheiten und psychologischen Befindlichkeiten der besonders stark von Veränderungen betroffenen Bevölkerungsteile keinesfalls negiert werden durften. Es klang zumindest nach einer gewissen Läuterung, wenn der Landrat jetzt dem Verteidigungsministerium schrieb: »Auch mir würde eine solche Entwicklung leid tun, denn ich wollte mit der Garnison Heidenheim und dem Landkreis helfen und nicht dazu beitragen, daß die Bauern dieses Gebiets durch weitere Landinanspruchnahmen enteignet bezw. evakuiert werden müßten125.« Letztlich löste die Errichtung der Garnison in Heidenheim keine handgreiflichen Bauernunruhen aus. Wie generell der soziale Transformationsprozess in der Bundesrepublik zu keiner Radikalisierung geführt hatte, zumal die sozialen Problemlagen nicht zuletzt durch die ökonomische Entwicklung positiv verliefen126. Trotzdem dauerte es in Heidenheim sehr viel länger mit dem Truppeneinzug, als man ursprünglich erwartet hatte, auch wenn die Front der landabgabeunwilligen Gegner zu bröckeln schien. Hoffnungsvoll konnte die Oberfinanzdirektion zum Jahresende 1962 nach Bonn berichten, dass sich mittlerweile 42 Eigentümer im Wesentlichen verkaufsbereit gezeigt hatten und auch mit keinerlei weiteren Schwierigkeiten gerechnet werden musste127. Bis 1967 konnte ein Teil der Kasernengebäude auch hochgezogen werden. Allein die bis dahin offenbar nicht gelöste Flächenarrondierung für den Standortübungsplatz führte zu einem Baustopp. Zwei Jahre wurde sogar über eine Ersatznutzung (Bundesgrenzschutz oder Zivilschutz) der bereits bebauten Flächen nachgedacht. Nach offensichtlicher Einigung nahm man 1969 die Arbeiten wieder auf, so dass die Hahnenkammkaserne mit dem erforderlichen Standortübungsplatz von 300 ha im Jahre 1973 der Truppe übergeben werden konnte128. Die Angst vieler Landwirte vor beruflicher und gesellschaftlicher Veränderung - im schlimmsten Fall sozialer Deklassierung - stieß vor allem, aber nicht nur in den Grenzregionen auf taube Ohren, wo die Lebenschancen der nichtbäuerlichen Bevölkerung sehr ungünstig waren. Diese Tatsache wurde von den Kommunalpolitikern meist besonders betont, wenn sie sich um eine Garnison bewarben. Gegenüber der Bayerischen Staatskanzlei vertrat der Landrat von Neunburg vorm Wald 1956 die Auffassung, dass die Ursache für die extreme Steuerschwäche seines Landkreises in der geringen Zahl an krisensicheren Arbeitsplätzen begründet liege. Vor allem im Winter stünden »die Stempler Schlange bei der Nebenstelle des Arbeitsamtes«129. Eine Kaserne »bedeutet für das Wirtschaftsgebiet Neunburg v. Wald in seiner Auswirkung einen Betrieb«. 124 125 126 127 128 129
BA-MA, BW 1/24472, Landratsamt Günzenhausen an BMVg, 27.3.1962. Ebd. Generell hierzu vgl. Megerle, Die Radikalisierung blieb aus. BA-MA, BW 1/24472, OFD Nürnberg an BMVg, 7.12.1962. Beyer, Chronik Panzerbataillon 304, S. 37. BA-MA, BW 1/4498.
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Auch in Mellrichstadt130 und Regen glaubte man, mit einer Garnison fehlende Dauerarbeitsplätze schaffen zu können und zugleich ein vor allem in Ostbayern, aber nicht nur dort bekanntes soziales Problem lösen zu können: »Bekanntlich werden im Frühjahr viele arbeitsfähige Männer nach dem Westen durch das zuständige Arbeitsamt in Arbeit vermittelt. Alle Arbeiter, die bisher seit Jahren im Frühjahr zur Arbeit wegfahren müssen, freuen sich schon jetzt darauf, wenn für sie durch den Kasernen- und Wohnungsbau im kommenden Jahre die Möglichkeit besteht, endlich einmal daheim bei der Familie bleiben zu können131.« Kommunalpolitiker, die mit solchen Argumenten um eine Garnison warben und dabei wenig Rücksicht auf diejenigen nahmen, die das Land dafür zur Verfügung stellen mussten, entstammten nur selten dem bäuerlichen Milieu. Jedenfalls kritisierte der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner solche veränderungs- und modernisierungsfreudigen politischen Mandatsträger, die sich massiv und mit nur wenig Rücksicht auf die Landinanspruchnahme wegen der erwarteten wirtschaftlichen Vorteile sehr um eine Garnison bemühten132. Von den Verantwortlichen für den Streitkräfteaufbau wurden solche Initiativen natürlich geschätzt. Dankbar nahm Wolf Graf von Baudissin, der auf den ersten Blick damit nichts zu tun zu haben schien, den Vorschlag von Max Reichert, dem Bürgermeister von Homberg, an, Truppen in diesem hessischen Ort zu stationieren. Baudissin goutierte dies auch deshalb, weil er Reichert offenbar zu den Vertretern einer modernen Politikergeneration zählte, die ohne weitere Vorgaben von sich aus die Initiative ergriffen: »Wir müssen Ihnen sehr dankbar sein, daß Sie sich so tatkräftig für die uns alle angehenden Fragen einsetzen. Weithin leiden wir Deutsche ja noch unter dem obrigkeitsstaatlichen Erbe und warten, bis es von oben geregelt wird133.« Dabei handelten die Bürgermeister in gewissem Sinne undemokratisch - auch manchmal ohne vorherige Information der oder Diskussion und Abstimmung durch die Kommunalvertretung. Von Roding wird berichtet, dass der Bürgermeister das Bewerbungsschreiben »wegen der gebotenen Eilbedürftigkeit - auch andere Städte waren hellhörig geworden« ohne vorherige Konsultierung des Stadtrates unterschrieben und habe absenden lassen134. Selbst wenn sich die kommunalen Mandatsträger einig waren, dann ging der Diskussionsprozess oftmals hinter verschlossenen Türen vonstatten. Sicherlich deshalb, weil man sich die ablehnende Reaktion derjenigen, die von der Landabgabe für eine Garnison am meisten betroffen waren, vorstellen konnte. Unumwunden gaben Bürgermeister und Rat der Marktge-
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131 132
133 134
Ebd., BW 1/5378, Gutachten des Landratsamtes Mellrichstadt betr. Garnisonsbewerbung, 19.8.1955. Ebd., BW 1/4513, CSU-Ortsverband Regen an BMVg Strauß, 22.11.1956. Wilhelm Hoegner, Bayern und die Aufsstellung der deutschen Streitkräfte. In: Bayerische Staatszeitung, 7.1.1956. ACDP, 1-326-001/2, NL Max Reichert, Schreiben vom 21.1.1955. Matejka, Roding, S. 134.
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meinde Peißenberg in Oberbayern zu, dass man die Ansiedlung der Bundeswehr im Ortsbereich »wärmstens befürwortet habe«135. Auch der Bonner Generalanzeiger stellte in seinem Artikel »Bundeswehr schluckt ein Fünftel des Gemeindebodens« die Frage: »Wußte Bürgermeister Gimnich Bescheid136?« Dabei ging es in der Gemeinde Alfter bei Bonn darum, ob den kommunalen Gremien und den betroffenen Waldbesitzern der ganze Umfang des projektierten Bundeswehrvorhabens überhaupt bekannt gewesen sei. Beide Gruppen behaupteten, sie seien trotz wiederholten Drängens nicht über den Verhandlungsstand informiert worden. Ursprünglich habe der Rat mehrheitlich dafür gestimmt, mit den Bundes- und Landesbehörden über eine Garnison in Verhandlungen einzutreten. Es ging ursprünglich nur um 12 ha Land. Der Verhandlungsauftrag sei inzwischen aber hinfällig geworden, »weil die Bundeswehr sich anschicke, ein Fünftel des Gemeindeterritoriums zu schlucken und die Bevölkerung im Laufe der kommenden Jahre einer völligen Überfremdung ausgesetzt werden würde« 137 . Immerhin standen jetzt 200 ha Landbedarf im Raum. Rat und Waldbesitzer auf der einen Seite unterstellten dem Bürgermeister und seinem Amtsdirektor, sie hätten unbefugt über fremdes Eigentum verhandelt. Die gescholtenen Mandatsträger redeten sich auf die Behörden hinaus, welche angeblich mit falschen Karten gespielt hätten und von einer nicht vorhandenen Zustimmung der Bevölkerung ausgegangen seien. Zu allem Überfluss präsentierte der Interministerielle Ausschuss für Bundeswehrliegenschaften bei der Landesregierung in Düsseldorf am Ende noch ein Protokoll, wonach die Gemeinde sehr wohl gehört worden sei. Es hat den Anschein, dass in der von Halbwahrheiten, Dementis und Gerüchten beherrschten Alfter Szene sehr widersprüchliche Zielsetzungen miteinander konkurrierten. Wenn man sich in diesem Zusammenhang allerdings die Einlassungen der überregionalen nordrhein-westfälischen Landesplanung anschaut, dann scheinen zumindest die Zielkonturen interpretiert werden zu können, die den Bürgermeister antrieben. Die Landesplanung war gegen das Bundeswehrprojekt in einem solch großen Umfang, weil der damit verbundene Siedlungsansatz den Gemeinderahmen sprengen würde. Anstelle einer für ausgewogen erachteten Maximalgröße von 6000 Einwohnern standen nun 15 000 Personen im Raum, die untergebracht werden mussten. Mit der Verwirklichung des Kasernenbauvorhabens war nach Ansicht der Landesplanung der Anfang gemacht bei der Entstehung eines neuen Siedlungstorsos. Den später aufzufüllen erachtete man als schwierig. Jedenfalls musste damit gerechnete werden, dass weiteres bisher unangetastetes Terrain zersiedelt werden würde. Besonders schwer wog, dass damit in ein Landschaftsschutzgebiet eingegriffen wurde, welches als Teil des grünen Vorgebirgsgürtels die Ballungszentren Köln und Bonn miteinander verband und das als Erholungsgebiet für eine im Wachsen begriffene Bevölke-
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136 137
ACSP, LG, 4. WP 212, Bauernschaft der Gemeinde Peißenberg an CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 15.7.1963. Generalanzeiger für Bonn und Umgegend, 19.8.1964. Ebd.
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rung erhalten bleiben sollte. Es kann im konkreten Fall nun nicht belegt werden, ob dem Bürgermeister von Alfter tatsächlich die Erhöhung der Einwohnerzahl und die gegebenenfalls damit verbundenen fiskalischen Folgen wichtiger waren, als die Bewahrung der naturräumlichen Gegebenheiten. Zeitbedingt und im Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen lässt sich ein alles bestimmender Wunsch nach Gemeindevergrößerung aber hinlänglich vermuten. Einmal mehr machen die Vorgänge um Alfter deutlich, wie schwierig es ist, in der Garnisonsfrage »Gut und Böse« voneinander zu unterscheiden. Die antizipierten Folgen eines Garnisonswunsches wurde von jeder Gruppe in ihrem Sinn bewertet. Dabei war es nun beileibe nicht so, dass nur die lokalen Mandatsträger in Gegenden mit unterentwickelter Infrastruktur drängten. Wenn etwa der Bayerische Ministerpräsident Hoegner diese Gruppe kritisierte, dann hätte er konsequenterweise auch seine eigene Staatsverwaltung mit einschließen müssen. Zumindest könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Bezirksplanungsstelle der Regierung von Unterfranken einer »Militarisierung« des bayerischen Staatsgebiets nordwestlich einer Linie Würzburg-BambergCoburg geradezu Vorschub leistete. Denn sie war der Meinung, dass im nördlichen Unterfranken eine Division oder zumindest eine Kampfgruppe »gut und zweckmäßig untergebracht werden könnte«138. Immerhin eine Größenordnung zwischen 12 000 und 6000 Mann, die, wenn es nach der Bezirksplanungsstelle gegangen wäre, in die recht nahe beieinander liegenden Städte Brückenau, Mellrichstadt, Königshofen, Ebern, Hofheim, Hammelburg und Stadtlauringen hätte einziehen sollen. Damit wäre die Zahl der Soldaten in dieser Region vermutlich um das Doppelte gestiegen, beherbergten doch bereits Aschaffenburg, Würzburg, Kitzingen, Bamberg, Schweinfurt, Bad Kissingen und Wildflecken große amerikanische Garnisonen mit damals etwa 18 000 Soldaten zuzüglich F amilienangehör igen139. Politische Gesinnung oder parteiliche Bindung spielte in der Debatte zwar eine gewisse Rolle, letztlich blieb vor allem die parteiliche Bindung aber eher von untergeordneter Bedeutung. Natürlich herrschte nicht überall so großes Einvernehmen, wie in Neustadt am Rübenberge oder in der nahe an der tschechischen Grenze gelegenen Kreisstadt Regen im Bayerischen Wald. Beide Stadträte legten Wert auf die Feststellung, dass der Beschluss zur Bewerbung um eine Bundeswehreinheit von den Stadträten (im Falle Regens acht CSU, fünf SPD, zwei BHE und je einer BP bzw. parteilos) einstimmig erfolgt sei140. Auf welche Weise diese Beschlüsse zustande gekommen sind, ist freilich nicht schriftlich überliefert. Aus Höchstadt a.d. Aisch hingegen erfuhr Staatssekretär Rust, dass die politischen Vertreter der Bürgerschaft der Einrichtung eines militärischen Standorts zwar wohl wollend gegenüber stünden, von den 16 Stadträten sich jedoch die drei Vertreter der SPD ihrer Stimme enthalten hätten141. 138 139 140
141
BA-MA, BW 1/5379, Landratsamt Mellrichstadt an BMVg, 12.4.1957. Vgl. Schott, Die Struktur der amerikanischen Armee. BA-MA, BW 1/10975, Stadtdirektor von Neustadt an BMVg, 26.10.1956; ebd., BW 1/4513, CSU-Ortsverband Regen an BMVg Strauß, 22.11.1956. Ebd., BW 1/5364, Stadtrat Höchstadt a.d. Aisch an BMVg, 9.1.1957.
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Und auch die Rodinger SPD scheint in der Garnisonsfrage gespalten, zumindest unschlüssig gewesen zu sein. Jedenfalls berichtet die Uberlieferung, dass bei der Abstimmung einer der beiden SPD-Stadträte den Arm seines Genossen »gleich mit hochriß und damit sein Zaudern überwand«, gegen die Truppenstationierung zu stimmen142. Eindeutig positionierte man sich im oberpfälzischen Neumarkt. Aber nicht deshalb, weil man grundsätzlich den westdeutschen Verteidigungsbeitrag ablehnte, sondern weil sie an einem Nutzen für ihre Kommune zweifelten, stimmten die acht Stadträte der SPD dagegen. Die SPDFraktion hatte sich bei ihrer Entscheidung von der Befürchtung leiten lassen, dass die Lasten - gemeint waren in erster Linie die Erschließungsmaßnahmen für das Kasernengelände - für die Stadt so hoch sein könnten, dass der zivile Sektor darunter leide. Dennoch signalisierte man ein Überdenken der Entscheidung, falls Erfahrungen anderer Garnisonsstädte vorlägen143. Nachdem die SPD auf Bundesebene ihre grundsätzlichen Bedenken gegenüber der westdeutschen Aufrüstung zurückgefahren und durchaus sehr konstruktiv an den Wehrgesetzen mitgearbeitet hatte, blieben den lokalen und regionalen Parteigliederungen ohnehin nur noch sozialpolitische Argumente übrig, um ihre nicht überall aufgehobenen Bedenken gegen das Militär zu untermauern. Wenn es schon nicht grundsätzlich klappte, dann, so zumindest der sich aufdrängende Eindruck, sollte die Truppe wenigstens nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft zu gehäuft auftreten. Jedenfalls begründete auch die SPD-Mehrheitsfraktion des hessischen Landkreises Fritzlar-Homberg im Herbst 1956 ihre Ablehung neuer Garnisonen mit dem Argument, dass den finanziell schwachen Gemeinden ansonsten eine solche Bürde auferlegt werde, die diese unmöglich tragen könnten. Wenn man den strukturschwachen Gegenden helfen wolle, darin ginge das nur über die Förderung und Neuansiedlung industrieller oder gewerblicher Betriebe. Wenngleich das Wort Spaltung vielleicht zu hoch gegriffen ist, heizten solche Erklärungen die Stimmung vor Ort natürlich an. Wie in demokratischen Gesellschaften üblich, focht man den Streit aber keineswegs nur in den parlamentarischen Gremien aus, sondern via Presse selbstredend auch in der Öffentlichkeit. Ob die Zeitung allerdings zu 100 Prozent die Stimmungslage in Homberg wiedergab, wenn dort zu lesen stand: »Mit heftiger Erregung und eindeutigem Unwillen wendet sich der größte Teil der Homberger Bürgerschaft gegen den Versuch der SPD-Fraktion des neuen Kreistages, die Errichtung einer Garnison in Homberg zu sabotieren. Vor allem aber kritisiert die Bevölkerung der Efzestadt die Erklärung der SPD-Fraktion, der Kreis Fritzlar-Homberg wünsche keine neuen Garnisonen und die Errichtung von Kasernen bringe dem Kreis keine wirtschaftliche Hilfe144.« Immerhin hatte man sich bemüht, der Stimmung gleichsam empirisch nachzuspüren. Obwohl es vermutlich keine repräsentative Erhebung war, bejahten bei weit über 100 befragten Bewohnern immerhin mehr als 90 die Frage, ob eine Garnison den wirtschaftli142 143 144
Matejka, Roding, S. 134. Neumarkter Tagblatt, 20.10.1959: »Stadtrat plädiert für eine Garnison in Neumarkt«. ACDP, 1-326-001/2, Nachlass Max Reichert.
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chen Aufschwung befördern werde. Auch im fränkischen Mellrichstadt hatte die Parteizugehörigheit etwas Gewicht in der Diskussion um das Für und Wider einer Garnison. Wie das Landratsamt berichtete, versuchten die »linksgerichteten Kreise der Mellrichstädter Bevölkerung [...] mit allen Mitteln zu verhindern [...] daß Mellrichstadt Garnisonsstadt wird«145. Der unterzeichnende Landrat versäumte es dabei auch nicht, auf seine langjährige CSU-Mitgliedschaft und auf seinen persönlichen Einsatz bei der Uberzeugung der Bevölkerung »von der Richtigkeit der Wehrpolitik der Deutschen Bundesregierung« hinzuweisen. Gegenüber dem SPD-Ministerpräsidenten Hoegner enthielt sich der Landrat freilich solcher Bemerkungen, als er ihn um Unterstützung darum bat, sich doch für das aus militärischen Erwägungen zwischenzeitlich ins Trudeln geratene Garnisonsvorhaben einzusetzen 146 . Bei Hoegner konnte der Landrat im Übrigen sicher sein, mit seinem Gesuch nicht abgewiesen zu werden. Ganz im Gegenteil! Auch wenn der bayerische Ministerpräsident das offenbar manchmal ungestüme Vorgehen einiger Lokalpolitiker im Rennen um Militärstandorte kritisiert hatte, so richtete sich dies wohl in erster Linie gegen unkoordinierte Aktionen, die möglicherweise zu Lasten anderer Gemeinden gingen oder eine auf den Gesamtstaat abzielende, zentral von München aus zu lenkende Planung störten. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung von 1954 hatte er erklärt, dass man auf die Landesplanung und die Landesentwicklung ein besonderes im Auge richten werde147. Was die parteiliche Orientierung von Hoegner in der Wehrfrage anlangte, so folgte dieser zunächst einmal grundsätzlich der SPD-Linie. Generell hatte er eine starke Abneigung gegen die Wiederbewaffnung. In Sonderheit lehnte er die Einführung der Wehrpflicht ab und favorisierte gemeinsam mit seiner Partei eine Milizarmee nach Schweizer Vorbild. Hier mögen ihn durchaus seine Erfahrungen geleitet haben, die er im Schweizer Exil während der NS-Zeit gewonnen hatte148. Nachdem die Wehrgesetze aber von Bundestag und Bundesrat verabschiedet waren, akzeptierte er nicht nur dieses Votum, sondern bekannte sich auch öffentlich zu Verteidigung und Wehrform. Hoegners Haltung deckte sich, mit wenigen Ausnahmen vielleicht, im Übrigen mit derjenigen der anderen Regierungschefs aus den Reihen der SPD sowie der Generallinie der Bundespartei. Man bemühte sich, wie etwa der Bürgermeister der Freien und Hansestadt Bremen, Wilhelm Kaisen, um normale Kontakte zwischen den entstehenden Dienststellen und Einheiten der Bundeswehr einerseits und den lokalen Gremien andererseits: »Nachdem die Bundeswehr als Institution auf verfassungsmäßigem Wege entstanden sei, müsse die Gefahr verhindert werden, daß sie als Fremdkörper der Demokratie aufwachse. Daher dürfe auf keinen Fall der
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BA-MA, BW 1/5379, Landratsamt Mellrichstadt an BMVg Strauß, 14.4.1957. Ebd., Landratsamt Mellrichstadt an MinPräs Hoegner, 15.4.1957. Generell zu diesem Politikfeld vgl. Schlemmer/Grüner/Balcar, Entwicklungshilfe im eigenen Lande. Kritzer, Wilhelm Hoegner, S. 315-317, 336 f.
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Eindruck entstehen, als ob der Senat als Landesregierung von vorneherein dieser Institution feindlich gegenüberstehe 149 .« Generell sollte mit einer solchen Haltung verhindert werden, dass die - tatsächliche oder vermeintliche - parteipolitische Affinität der Bundeswehrführung sowie eines großen Teils des Offizierkorps zur Bonner Regierungskoalition durch die Zurückhaltung der SPD gegenüber den Streitkräften noch verstärkt würde. Indem die Opposition die verfassungsgemäße Entscheidung zum Wehrbeitrag letztlich vorbehaltlos akzeptierte, wollte sie außerdem ihr demokratisches Verantwortungsbewusstsein herausstellen. In einer Sitzung des bayerischen Ministerrats am 3. April 1957, an der auch Verteidigungsminister Strauß teilnahm und die nicht zuletzt einberufen worden war, um Unterkunftsprobleme der Streitkräfte zu lösen, verdeutlichte Hoegner pointiert und ohne parteipolitische Scheuklappen, allenfalls gewürzt mit einem Schuss bayerischen Föderalismus, seine Grundauffassung zum Aufbau der Bundeswehr: »Bayern lege nicht nur Gewicht darauf, daß seine verfassungsmäßigen und geschichtlichen Rechte erhalten blieben. Es werde aber immer mit der Bundesregierung loyal zusammenarbeiten. Was die Wehrfrage anbelange, so gebe es nur eine Meinung, nämlich daß die Verteidigung der Bundesrepublik und damit der Freiheit notwendig sei. Uber die Art und Weise, wie dies geschehen könne, seien verschiedene Auffassungen möglich. Nachdem aber das Bundesgesetz über die allgemeine Wehrpflicht verabschiedet sei, habe man sich daran zu halten und die Verpflichtung, seitens der Länder loyal mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten 150 .« Insofern war Hoegner konsequent, als er versicherte, dass die bayerische Staatsregierung »alles tun werde, um die Pläne des Bundesverteidigungsministeriums zu unterstützen« 151 . Dies schloss ein hartes Verhandeln in der Stationierungsfrage zum Nutzen bayerischer Interessen keineswegs aus. Jedenfalls war Hoegner dazu fest entschlossen, wie sich auch daran zeigte, dass er die mit dem Bundeswehraufbau verbundenen Aufgaben direkt an sich zog, bzw. ein eigenes Wehrreferat innerhalb der Staatskanzlei installierte. So machte der Ministerpräsident beispielsweise gleich zu Beginn jener Unterredung im April 1957 Strauß auf ein »besonderes Sorgenkind der Bayerischen Staatsregierung« aufmerksam, und zwar auf Laufen an der Salzach. Die Stadt habe bereits erhebliche finanzielle Vorleistungen in Höhe von 195 000 DM zum Ankauf von Tauschflächen gemacht. Dass Laufen nun keine Garnison erhalten solle, bedeute für die unter hoher Arbeitslosigkeit leidende Stadt einen schweren Schlag. Strauß ließ sich aber nicht umstimmen und antwortete lapidar, es bestehe wohl vorerst keine Möglichkeit, Laufen zu berücksichtigen. Durch die parteipolitische Brille betrachtet, kam es freilich zu manch kuriosen Begebenheiten. Es sah zeitweise so aus, als ob der SPD-Politiker Hoegner mehr ein Befürworter des Bundeswehraufbaus zu sein schien, als mancher Vertreter der Regierungspartei CSU, die noch dazu den Verteidigungsminister 149 150 151
Sommer, Wiederbewaffnung, S. 199. BayHStA, StK 115174, Protokoll des außerordentlichen Ministerrats Nr. 132, 3.4.1957. Ebd.
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stellte. Das bei allen sonstigen politischen Differenzen konstruktive Einvernehmen zwischen Ministerpräsident und Verteidigungsminister in der Landbeschaffungsfrage schien allerdings schnell wieder gefährdet. Mit Bezug auf eine dpa-Meldung, derzufolge »in der nächsten Zeit militärische Projekte auf bayerischem Boden wenig Aussicht auf Genehmigung durch die Bayerische Staatsregierung haben«152, bat Strauß um Aufklärung darüber, ob das Kabinett Hoegner seinen bisher sehr loyalen Kurs gegenüber dem Verteidigungsministerium zu ändern gedenke. Falls es zuträfe, dass der Kurswechsel durch das Verhalten einiger CSU-Landräte meist bäuerlicher Herkunft herausgefordert worden sei, weil diese »in Versammlungen erklärt hätten, daß die gegenwärtige Koalitionsregierung unter Befürwortung der SPD sich nicht scheue, den Bauern Land für militärische Zwecke abzunehmen«, bäte er um die Namen der Redner. Er selbst stehe im Übrigen nach wie vor auf dem Standpunkt, Projekte der Verteidigung weder nach partei- noch nach wahlpolitischen Aspekten zu behandeln, eine Position, die er auch weiterhin vom bayerischen Ministerpräsidenten erwarte. In der umgehend formulierten Antwort ließ Hoegner daran auch keinen Zweifel aufkommen. In der Sache selbst bestätigte er die dpa-Meldung; bei den Verhandlungen mit dem Verteidigungsministerium hätten in letzter Zeit deshalb keine vernünftigen und tragbaren Vereinbarungen erzielt werden können, weil sich insbesondere »Freunde Ihrer Partei« den militärischen Vorhaben oftmals entschieden widersetzt und teilweise die bayerische Staatsregierung wegen ihrer loyalen Haltung zu den Anforderungen der Streitkräfte angegriffen hätten. Als Beleg dafür fügte Hoegner seinem Brief ein längeres Zitat einer Rede an, die er am 25. Mai 1957 vor der Versammlung des Landkreisverbandes Bayern gehalten hatte: »Es ist für mich eine schmerzliche Überraschung, daß jetzt bei der Durchführung unangenehmer staatlicher Aufgaben da und dort versagt und eine Sprache geführt wird, die des Ostens würdig wäre. Es handelt sich um die Landbeschaffung für die Bundeswehr. Die Bayerische Staatsregierung ist bestrebt, bei der Beschaffung von Flug- und Übungsplätzen wertvolles Land zu schonen, den Notwendigkeiten der Landesverteidigung aber Rechnung zu tragen. Nun geht es wahrlich nicht an, einerseits patriotische Worte im Munde zu führen, dann aber, um sich die Gunst der Wähler nicht zu verscherzen, vernünftige Abmachungen wieder über den Haufen zu werfen. Ich muß es ein für allemal ablehnen, die gegenwärtige Bayerische Staatsregierung für die bitteren Notwendigkeiten der deutschen Aufrüstung aus parteipolitischen Gründen verantwortlich machen zu lassen. Ich werde an den Herrn Bundesminister für Verteidigung die Frage richten, was er zu tun gedenkt, um die Bayerische Staatsregierung bei der Durchführung der Bundeswehrgesetze zu unterstützen. Landräte, die unangenehme staatliche Aufgaben nicht erfüllen, sondern nur nach dem Beifall ihrer Wähler schielen, sind fehl am Platze. Es ist meine bitterernste Erfahrung, daß man wieder
152
Ebd., BMVg Strauß an MinPräs Hoegner, 27.5.1957; das folgende Zitat ebd.
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die Frage aufwerfen muß, ob unser Volk wirklich reif für die Demokratie sei153.« Das Verhalten mancher CSU-Mandatsträger in der Landbeschaffungsfrage veranlasste den Landesvorsitzenden der bayerischen SPD und zeitweilig heftigen Kritiker der Aufrüstung, Waldemar von Knoeringen, dazu, sich eindeutig hinter die Politik der Staatsregierung zu stellen. Zudem ironisierte er die Argumente aus dem Bauernflügel der CSU, dass diese »einer antimilitaristischen Auffassung alle Ehre und den Gegnern der Aufrüstung Freude machen«154. Aufgrund der Informationen von Hoegner ließ Strauß über Friedrich Zimmermann, den Generalsekretär der CSU, bei sämtlichen Untergliederungen der Partei klarstellen, dass die militärischen Vorhaben nur nach sachlichen Gesichtspunkten behandelt werden dürften und wähl- bzw. parteipolitische Einflüsse dem Staatsinteresse zuwiderliefen155. Daraus nun zu folgern, dass nur die bayerische SPD die Gamisonsansiedlung als Chance zur Modernisierung des Landes begriffen habe, wäre natürlich irrig, wie die Bemühungen zahlreicher CSU-Bürgermeister und Landräte um Einrichtungen der Bundeswehr zeigten, von denen bereits die Rede war. Wenn die Bundeswehr in der Standortfrage beim Münchner SPD-Regierungschef einen starken Verbündeten gefunden hatte, der damit durchaus eigene landespolitische Entwicklungsziele verfolgte, so sah es im ebenfalls SPDdominierten und in Teilen ebenso strukturschwachen Hessen augenscheinlich etwas anders aus. Jedenfalls konnte der Zeitungsleser unter der Schlagzeile »Wiesbaden im Sitzstreik. Verschleppte Garnison-Entscheidungen - Parteisoll wird erfüllt« erfahren, dass man »im hessischen Regierungspalais« seit Monaten versuche, »mit fadenscheinigen Gründen die Errichtung dieser Garnisonen zu hintertreiben«156. Konkret ging es um die Garnisonsbemühungen der Orte Homberg, Treysa, Wolfhagen und Hünfeld. Die Landesbehörden, so der Vorwurf, versuchten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden bürokratischen Mitteln die Landbeschaffungsfrage zu verschleppen, obwohl die Gemeinden sich »eine Garnison geradezu herbeiwünschen«. Tatsächlich war das hessische Verfahren bei der Standortneugründung etwas komplizierter als vielleicht in Bayern. In Wiesbaden musste in jedem Einzelfall eine Kabinettsentscheidung herbeigeführt werden157. Was aber sollte das mit der Erfüllung eines vorgeschriebenen Parteisolls zu tun haben? Max Reichert, Bürgermeister von Homberg/Efze, CDU-Mitglied und unermüdlicher Motor bei der Standortbewerbung für seine Stadt, glaubte zu wissen, worin aus Sicht der SPD die eigentlichen Gründe für die in Hessen artikulierten Widerstände gegen militärische Einrichtungen bestanden. Es ging seiner Meinung nach nicht um eine vorgebliche Überbelastung durch Aufschließungsmaßnahmen. Das Problem lag in der Zusammensetzung des Wiesbadener Landesparlaments. Dort verfügte die SPD 153 154 155 156 157
Ebd., MinPräs Hoegner an BMVg Strauß, 1.6.1957. Schwäbische Landeszeitung vom 7.5.1957: »Landbedarf der Bundeswehr ein heißes Eisen«. BayHStA, StK 115174, BMVg Strauß an MinPräs Hoegner, 13.8.1957. ACDP, 1-326-001/2, Nachlass Max Reichert. Vgl. Schneider, Streitkräfteaufbau, S. 47.
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über 44 von 96 Sitzen. Für die Regierungsmehrheit von 49 Stimmen bedurfte es allerdings der Unterstützung durch die Abgeordneten des BHE. Und diese konnte Reichert zufolge bei der nächsten Landtagswahl verloren gehen, auch wegen der angeblich wenig bundeswehrfreundlichen Haltung. Welche Rolle spielte hier die Garnisonsfrage? Der (wähl- und standort)kämpferische Autor erklärte es seinen Lesern so: »Die Garnisonsfrage ist deshalb für die SPD in den Wahlkreisen, die in jedem Falle eine sichere Mehrheit besitzen, und in denjenigen, in denen die SPD sowieso hoffnungslos unterlegen ist, nur von untergeordneter Bedeutung. Soll jetzt allerdings in heiß umkämpften Wahlkreisen, in denen SPDKandidaten nur mit sehr geringem Vorsprung gewählt wurden, eine Garnison errichtet werden, dann ist die Garnisonsfrage eine Frage auf Leben und Tod der derzeitigen hessischen Regierungsmehrheit. Die Öffentlichkeit sollte daher aufmerksam verfolgen, mit welchen Mitteln Gemeinden am wirtschaftlichen Aufstieg durch die Errichtung einer Garnison verhindert werden, nur damit die Wahlchancen der SPD in diesen Kreisen nicht beeinträchtigt werden und die jetzige Regierungspartei in Hessen am Ruder bleiben kann158.« Auch wenn die SPD bis in die achtziger Jahre Regierungspartei bleiben sollte und demnach die Garnisonsfrage durchaus keine Uberlebensfrage bedeutet hatte, so muss man Reichert doch insoweit zustimmen, dass die Hessen-SPD durchaus von einer wenig kompromissbereiten Haltung gegenüber den Folgen des Streitkräfteaufbaus geprägt war. Jedenfalls hatte deren Landesausschuss am 28. April 1956 zur Frage der Kasernierung von Truppen in Hessen größte Zurückhaltung empfohlen 159 . Dem konnte sich der Ministerpräsident möglicherweise nicht ganz entziehen. Vielleicht lag darin auch der Grund, jede Standortentscheidung über den Kabinettstisch laufen zu lassen. Allem Anschein nach führten parteipolitische Friktionen dennoch nur ganz selten dazu, dass Garnisonsprojekte aufgegeben werden mussten. Würzburg war so ein Fall. Hier hatten SPD-Kreisverband und -Stadtratsfraktion, unterstützt von einigen Professoren der Universität, als Motto für den Kommunalwahlkampf von 1956 ausgegeben: »Würzburg braucht keine Kasernen.« Gegenüber Ministerpräsident Hoegner begründete die Landtagsabgeordnete Gerda Laufer die ablehende Haltung der Würzburger SPD und eines großen Teils der Öffentlichkeit damit, dass die Erinnerung an die fürchterlichen Zerstörungen der fränkischen Mainmetropole durch die Luftangriffe während des Zweiten Weltkrieges noch relativ frisch seien. Zudem herrsche bei den Bürgern die Auffassung vor, »ohne die Kasernen wäre Würzburg Lazarettstadt geworden und der Angriff wäre in dieser brutalen Form nicht erfolgt«160. Die Standortplaner wichen daraufhin für den dafür vorgesehenen Divisionsstab in das benachbarte Veitshöcheim aus. Offenbar dort, wo der Luftkrieg besonders stark gewütet hatte, herrschte generell wenig Neigung vor, erneut Truppenstandort zu wer158 159 160
ACDP, 1-326-001/2, Nachlass Max Reichert. Vgl. Baier, SPD-Hessen, S. 192. BA-MA, BW 1/115175, MdL Laufer an MinPräs Hoegner, 4.12.1956.
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den. Wie in Würzburg erklärte auch der Oberbürgermeister von Kassel, in seiner Stadt habe man kein Interesse, wieder Garnisonstadt zu werden: »Das Beispiel des letzten Krieges schrecke noch heute ab. Damals habe der Begriff »Panzer· und Tigerstadt< zu der mehr als 80prozentigen Zerbombung Kassels geführt. Nach 1945 seien in Hessen 36 Betriebe demontiert worden, davon allein 21 in Nordhessen. Kassel, so der spätere Bundesminister Dr. Lauritzen, sei bestrebt, bei der Ansiedlung von Industrien und bei deren Ausweitung eine Produktion zu fördern, die dem Frieden diene161.« Hier sprach zwar ein SPDMitglied, das augenscheinlich der dortigen, spezifischen Parteilinie folgte, dessen Erwägungen angesichts des nicht zu leugnenden historischen Sachverhalts vor Ort aber sicherlich nicht ganz an der Stimmung unter den Bewohnern vorbeigingen. Bunte Blüten trieb das parteipolitische Konkurrenzdenken auch in den kleinen oberpfälzischen Städten Tirschenreuth und Wiesau, die sich beide als Truppenstandort beworben hatten. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Franz Wittmann setzte sich am 28. November 1958 bei Verteidigungsminister Strauß aber nicht nur deshalb für eine Bevorzugung von Tirschenreuth ein, weil dieses Kreisstadt war, sondern weil dort ein sehr aufgeschlossener CSU-Bürgermeister regiere, während der sozialdemokratische Bürgermeister von Wiesau »etwas schwieriger zu behandeln« sei162. Gut zwei Wochen später wurde Wittmann in einem weiteren Brief massiver: »Als die Kommission zur Besichtigimg des Geländes in Wiesau durch die Gemeinde Leugas fuhr, haben die Bauern der Gemeinde Leugas sich mit Dreschflegeln und Sensen bewaffnet an die Straße gestellt und eine drohende Haltung eingenommen, weil sie keinesfalls Grundstücke für den Kasernenbau abgeben wollen. Der SPD-Bürgermeister von Wiesau hat der Wehrbereichsverwaltung nicht die Wahrheit gesagt, wenn er angab, die Grundstücksfrage in Wiesau sei gelöst163.« Es waren aber schließlich nicht diese wenig dezenten Hinweise, die den Ausschlag für Tirschenreuth gaben. Der Führungsstab des Heeres begründete seine Entscheidung damit, dass Tirschenreuth die größere Stadt sei und über bessere schulische und kulturelle Einrichtungen verfüge als Wiesau164. Groß war die Überraschung für den Bürgermeister jedoch, als sich seine »Untertanen« - so formulierte es zumindest der Redakteur im Coburger Tagblatt - darüber keineswegs begeistert zeigten und in Briefen sogar beim Stadtrat energisch gegen den geplanten Kasernenbau protestierten. Der Bürgermeister, der befürchtete, die Vorteile fielen jetzt an die Nachbargemeinde Wiesau, reagierte in einer Sitzung des Stadtrates mit den bezeichnenden Worten: »Wir aber haben die Protestunterschriften. Sie werden in die Chronik der Stadt aufgenommen, auf daß einmal unsere Nachfahren wissen, wer den wirtschaftlichen Aufstieg ihrer Heimatstadt hintertrieben hat165.« Die ablehnende Haltung von Teilen der Bürgerschaft blieb jedoch ohne Konsequen161 162 163 164 165
ACDP, 1-326-001/2, Nachlass Max Reichert. BA-MA, BW 1/4530, MdB Wittmann an BMVg Strauß, 26.11.1958. Ebd., MdB Wittmann an BMVg Strauß, 9.12.1958. Ebd., BMVg Fü Η III 4 an U I 7, 16.2.1959. Coburger Tagblatt, 4.2.1960: »Es geht um den Bau einer Kaserne.«
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zen. Die Bundeswehr hielt am Standortvorhaben Tirschenreuth fest. Erst als 1967 wegen der schlechten Haushaltslage neue Garnisonen nicht mehr finanzierbar waren, stellte man vermutlich zum Bedauern mancher die Planung zunächst zurück, um sie später ganz aufzugeben166. Im Für und Wider einer Garnison standen wirtschaftliche Argumente ganz oben auf der Debattenskala vor Ort, gefolgt von daraus herrührenden Ängsten vor sozialen und, vielleicht etwas schwächer ausgeprägt, politischen Veränderungen. Mit Argwohn beobachteten allerdings auch gewisse kirchliche Kreise insbesondere katholische Pfarrer ländlicher Gemeinden - die Garnisonsbewerbungen. Auf den ersten Blick mag dies überraschen. Denn die Debatten um die Aufrüstung waren innerhalb des westdeutschen Katholizismus relativ reibungslos abgelaufen, geprägt von der Vorstellung des Kommunismus als einer Inkarnation des Bösen, das bekämpft werden musste. In gewissem Gegensatz dazu stand die Position der evangelischen Kirche, wo die Auseinandersetzung um den Militärseelsorgevertrag und die Debatten um die Atombewaffnung der Bundeswehr hohe Wellen geschlagen hatten167. Weshalb sollten Katholiken, die in den fünfziger Jahren bis zu 60 Prozent die Wähler der christlich-konservativen Parteien der Bonner Regierungskoalition stellten, Anstoß an der materiellen Umsetzung der Sicherheitspolitik nehmen? Es ging um die Folgen dieses Prozesses, genauer gesagt um die Angst vor den sozialen Konsequenzen innerhalb der Garnisonsstädte. So ließen denn den in Neunburg vorm Wald, eine in den fünfziger Jahren noch von tiefer Religösität geprägten oberpfälzischen Region, wirkenden Expositus Franz Xaver Irsigler vornehmlich Sittlichkeitserwägungen gegen eine Garnison zu Felde ziehen. Aus Sorge »um die Belange eines gesunden im Boden festverwurzelten kath. Bauerntums und Landlebens« wandte er sich unmittlbar an Bundeskanzler Konrad Adenauer. Nachdem er zunächst den Ablauf einer vom Landrat und einem Großkaufmann einberufenen Werbeveranstaltung geschildert hatte, bei der auch Worte wie »Bauernverräter« gefallen sein sollen, kam er zum eigentlichen, ihn bewegenden Thema: »Um nicht mißzuverstehen möchte ich Ihnen, hochverehrter Herr Bundeskanzler, versichern, daß die Bevölkerung in meinem seelsorgl. Verantwortungsbereich voll hinter Ihrer Politik, auch Wehrpolitik u. Wehrpflicht, steht, daß es aber keiner der zur Zeit verantwortl. Männer - ich habe mit vielen Bauern, keinen Hinterwäldlern! gesprochen - verstehen kann, daß Kasernen ausgerechnet hierheraus auf das Dorf, Neunburg vorm Wald mit seinen 4000 Einwohnern ist ja nicht mehr als ein größeres Dorf, gebaut werden [...] Ich war selbst beim RAD und 6 Jahre Soldat und weiß was für eine Strahlungskraft - hier im unguten Sinn - eine Kaserne hat, die sich am Land befindet. Noch heute oder gerade heute sehen wir den Substanzschwund in jenen Familien, die, damals infiziert, heute fast zwangsläufig versagen müssen [...] Es geht doch um die Gesunderhaltung, Wiedergesundung des Menschen, uns hier des ländlich verwurzelten Menschen, um ein kerniges doch so be166 167
BA-MA, BW 1/181202, BMVg Abt. U an MdB Weigl, 16.3.1967. Grundsätzlich hierzu Doering-Manteuffel, Katholizismus und Wiederbewaffnung; vgl. Ehlert, Interessenausgleich zwischen Staat und Kirchen.
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drohtes Bauerntum, die ja noch immer eine der kraftvollsten Gesundbrunnen unseres Volkes sind [sie!] [...] Daß nun ausgerechnet in unserem [sie!] Landkreis wie auch in den von Roding Garnisonen gelegt werden sollen, kann ich in keiner Weise begreifen. In unserem Neunburger Kreis hat ja unter Bayerns neuer Ordnung auch der Bau einer landwirtschaftlichen Zentralberufsschule ausgerechnet in der >Stadt< begonnen, zu der die Burschen und Mädchen zwischen 15-18 Jahren einmal wöchentlich vom ganzen Landkreis zusammenströmen, einfacher Weg 16 km, und dort jeder ernstl. Kontrolle entzogen auf der Heimatscholle verwurzeln [sie! wohl entwurzeln] werden. Dies wird umso leichter geschehen können als sich unmittelbar daneben nach den maßgeblichen Herren in Stadt- und Landkreis Neunburg die Kasernen erheben werden. Daß hier Geleise gelegt werden, die dem Mühen von uns Landvolkseelsorgern direkt dawider laufen, werden Herr Bundeskanzler verstehen168.« Der Bundeskanzler erfüllte zwar die Bitte Irsiglers, »in dieser Angelegenheit Nachschau halten zu lassen«, aber der Leiter der Abteilung Unterbringung und Liegenschaften im Verteidigungsministerium vermochte dessen Sorge um die Gefährdung der Jugend durch die Verlegung eines Truppenteils nach Neunburg nicht zu teilen169. Wie tief, wie verbreitet und wie lange anhaltend solche Sorgen im Klerus offenbar verbreitet waren, belegt ein ganz ähnliches Beispiel aus dem Rheingau. Obwohl man hätte meinen können, dass sich mit der Zeit auch in dieser Angelegenheiten die Gemüter beruhigen würden, brachte der Pfarrer von St. Martin in Lorch noch 1961 ganz entsprechende Argumente wie sein oberpfälzischer Amtsbruder vor, als er dem Verteidigungsminister schrieb: »Ich bejahe und verteidige diese Einrichtung [Bundeswehr; d.Verf.] als eine Lebensnotwendigkeit des Staates; doch bin ich der Auffassung, daß die Einrichtung einer Garnison in irgendwelcher Form im Verhältnis zu der Zahl der Bevölkerung stehen müßte170.« Das war gewiss richtig und wurde, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, von den Streitkräfteplanern grundsätzlich genauso gesehen. Man nahm die Überfremdungsängste durchaus ernst und achtete besonders in den ersten Jahren ziemlich streng darauf, eine einseitige Prägung der Standortgemeinden zu vermeiden. Den Sorgen des Pfarrers lagen freilich keine säkularen soziologischen Motive zugrunde, sondern er meldete aus zweierlei Gründen Bedenken an. Zum einen rechnete er mit »Nachteilen auf sittlichem Gebiet«, wenn 1200 Mann in einen Ort verlegt würden, der lediglich 2771 Einwohner zählt171. Zum anderen befürchtete er die Störung der Gläubigen beim Gebet, wenn, wie anscheinend vorgesehen, die Kaserne in unmittelbarer Nähe einer alten Kapelle gebaut würde. Doch wiederum biss der Pfarrer auf Granit. Ebensowenig wie schon Jahre zuvor in Neunburg vermochte der Verteidigungsminister auch in diesem Fall keine »besondere sittliche Gefährdung« zu erkennen172. 168 169 170 171 172
BA-MA, BW 1/4498, Expositus Irsigler an Bundeskanzler Adenauer, 20.8.1956. Ebd., BMVg an Expositus Irsigler, 2.10.1956. Ebd., Kath. Pfarramt St. Martin an BMVg, 1.2.1961. Ebd., BW 1/11458, Kath. Pfarramt St. Martin an BMVg, 1.2.1961. Ebd., BMVg an Kath. Pfarramt S. Martin, 6.3.1961.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
2. Auswirkungen auf die Raum- und Siedlungsstruktur Bereits die ersten Überlegungen eines westdeutschen Verteidigungsbeitrages hatten an der Frage nach der Unterbringung deutscher bzw. alliierter Truppen das Problem offenkundig gemacht, dass dieser Prozess nicht ohne einschneidende Auswirkungen auf das Raum- und Siedlungsgefüge der Bundesrepublik verlaufen würde. Dabei waren es weniger die militärischen Experten im Amt Blank, die sich darum kümmerten. Sie hatten andere Sorgen und waren ganz auf Streitkräftestrukturen, Personal und Unterkünfte konzentriert. Vielmehr wiesen Untersuchungen des Instituts für Raumforschung auf gravierende raumstrukturelle Folgen hin, wenn zusätzlich zu den alliierten Truppen noch weitere 500 000 westdeutsche Soldaten integriert werden mussten. Nicht diese Zahl allein schien das Problem zu sein, sondern die technische Fortentwicklung der Waffen und die weitgehende Motorisierung müsse mit im Blick behalten werden, wenn erheblich größere Flächen als vor 1945 zusätzlich zu den schon belegten beansprucht würden. Das würde folgende Negativeffekte induzieren, deren Wirkungen sich kaum lokal begrenzen ließen, sondern bis in den überregionalen Bereich ausstrahlen könnten: 1. Entzug land- und forstwirtschaftlichen Bodens 2. Umsiedlung von Ortschaften 3. Behinderung von Industrieerweiterung 4. Überlastung örtlicher und regionaler Infrastruktur 5. Umweltbelastung durch Erosion und Schadstoffemission. Um die antizipierten Folgen und Auswirkungen militärischer Landnutzung bewerten zu können, bedürfte es zunächst exakter Zahlen über den tatsächlich beanspruchten Grund und Boden. Weil die Differenzierung freilich an statistische Grenzen stößt, muss sich die vorliegende Untersuchung bei der Frage nach der überregionalen Raumwirksamkeit mit einem Überblick begnügen. Die Daten, die über die Inanspruchnahme von Grund und Boden für Verteidigungszwecke existieren, sind alles andere als einheitlich. Dies mag auch auf unterschiedliche Bedeutungsinhalte innerhalb der Terminologie zurückzuführen sein. Was heißt es, wenn Land für militärische Zwecke »in Anspruch genommen« wurde? Ist dabei allein der im Eigentum des Bundes befindliche Grund und Boden gemeint, oder schließt der Begriff auch so genannte Nutzungs- oder Pachtverträge ein, die nur über einen bestimmten Zeitraum abgeschlossen worden sind? Haben auch die nach dem Schutzbereichsgesetz gegenüber den Eigentümern verfügten Bau- und Nutzungsbeschränkungen im Einzugsbereich bestimmter militärischer Einrichtungen (z.B. Flugabwehrraketenstellungen oder Radaranlagen) Eingang in die Zahlen gefunden? Unabhängig davon müssen teilweise erhebliche Diskrepanzen bei den Zahlen in Kauf genommen werden, für die es keine plausible Erklärung gibt173. 173
Zur Datenproblematik vgl. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 16 f.
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Das meiste Land musste bei der Einrichtung neuer Truppenübungsplätze und Garnisonen beschafft werden. Bei letzteren galt dies jeweils für die Truppenunterkunft, den Standortübungsplatz, die Standortmunitionsniederlage und die Standortschießanlage. Entscheidendes Kriterium bei der Landmenge war, wofür das entsprechende Gelände bestimmt war. Dies ergab sich wiederum aus dem Charakter der Truppe, die es nutzten sollte. Die Größenordnungen, mit denen man bei Neuanlage militärischer Einrichtungen infolgedessen rechnen musste, schätzte man zu Beginn der fünfziger Jahre auf beispielsweise 15 000 ha oder mehr für einen großen Schieß- und Übungsplatz. Für Fliegerhorste kalkulierte man mit 600 ha und bei einer Kaserne für etwa 1000 Soldaten mit durchschnittlich 20 ha, zuzüglich 120 bis 150 ha bei nichtgepanzerten Truppen, eine Quote, die sich bei gepanzerten Verbänden auf bis zu 500 ha erhöhen konnte. Die Schätzungen erwiesen sich in der Regel als zu niedrig. Im Schnitt verschlang eine für 1000 Soldaten angelegte Heereskaserne 25 ha Land. Ein entscheidendes Kriterium für Kampfkraft war die ausreichende Bevorratung mit Munition, Geräten, Verpflegung und Sanitätsmaterial, die in der Regel nur zu einem sehr geringen Teil innerhalb der Kasernements zu lagern war. Hierfür benötigte man große, relativ zentral gelegene Depotanlagen, die wiederum ein Erhebliches an Grund und Boden beanspruchten: Munitionsdepot (10 000 t) Gerätedepot (10 000 t) Verpflegungsdepot (4000 t) Sanitätsdepot (1000 t)
80 38 20 10
ha ha ha ha
Konzentriert man den Blick auf die Truppenunterkünfte, dann ist die so genannte Landgebühr - wofür wie viel Land - das entscheidende Kriterium. Sie gründete wiederum auf einer so genannten Raumgebühr, in der folgende Flächennormen ihren Niederschlag fanden174:
174
Unter »Land- und Raumgebühr« versteht die Bundeswehr eine Zusammenstellung der Nonnen für die Größe von Räumen und Gebäuden, für den Umfang und Leistungsbereich technischer Anlagen und Ausbildungseinrichtungen sowie für Flächen und Straßen. Vgl. Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 6; Zahlen nach Sicken, Stadt und militärische Anlagen, S. 96 f.
234
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Tabelle 24: Land- und Raumgebühr für Truppenunterkünfte 1. Wohnfläche Mannschaftsdienstgrad (Wehrpflichtiger) Mannschaftsdienstgrad (Längerdienender) Verheiratete, nicht kasernenpflichtige Soldaten Unteroffizier (Einzelstube) Feldwebel (Einzelstube) Offizier (Appartement)
4,50 6,75 2,25 13,50 20,25 30,00
m2 m2 m2 m2 m2 m2
480 7 350 7 350 15 300 900 900 10 000
m2 m2 m2 m2 m2 m2 m2
2. Antrete- und Ausbildungsplätze, Hallen Antreteplatz je Einheit Platz für Grundausbildungseinheit Ausbildungsplatz Sportplatz Ausbildungshalle Sporthalle Parkplätze für Privat-PKW 3. Abstellfläche für Fahrzeuge und Geschütze 1 Fahrzeug oder Geschütz
je nach Größe 2
60 m2
4. Werkräume und -hallen für ein Bataillon Kammergebäude Werkhalle Werkstätten Gerätelager
840 532 25 30-65
m2 m2 m2 m2
Wie Tabelle 25 exemplarisch belegt, führten Truppengattung (Erstbelegung), Größe der Einheit und Topografie freilich zu manchmal geringfügigen, teilweise aber auch zu erheblichen Schwankungen beim tatsächlichen Flächenverbrauch einer Truppenunterkunft175. Im Wesentlichen auf der Grundlage oben skizzierter Land- und Raumgebühr setzte ab 1956 der Kasernenneubau für die Bundeswehr ein. Dem personellen Aufwuchs folgend, sollten in einem ersten Schritt zunächst in 29 Standorten 42 Kasernen errichtet werden, für die im 3. Vorwegbewilligungsantrag zum Einzelplan 14 (Kapitel 1412) 690 Mio. DM eingestellt worden waren. Etwas überzogen standen nach einer Verlautbarung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie 1957 bereits 102 Bataillonskasernen in 86 Standorten auf der Agenda176. Möglicherweise beinhaltet die Zahl auch Planungsgrößen, die wegen der genau zu diesem Zeitpunkt bis auf die Standortplanungen durchschlagende 175 176
Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 32. BA-MA, BW 1/30024, Pressemitteilung, 6.5.1957.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
235
Tabelle 25: Flächenverbrauch ostbayerischer Heerskasernen Standort
Truppe
Cham ungepanzertes Infanteriebataillon Neunburg v.W. Panzerbataillon Panzerartilleriebataillon Oberviechtach gepanzertes Infanteriebataillon Roding ungepanzertes Infanteriebataillon Panzeraufklärungsbataillon
Kaserne in ha
StandortÜbungsplatz
25,9 30,7
143,5 292,5
27,1 32,6
196,8 165,8
Neuausrichtung der Bundeswehr gar nicht so rasch realisiert werden konnten. Im Übrigen hatte man 1957 bei den Verhandlungen für den Nachtragshaushalt 1956 festgestellt, dass praktisch alle Neubauten langsamer vorankamen, als ursprünglich gedacht177. Hierfür mochten neben militärimmanenten Beweggründen freilich auch spezifische Ursachen innerhalb der boomenden Baubranche mit verantwortlich gewesen sein. Hinzu kamen Schwierigkeiten bei der Baulandbeschaffung. Tatsächlich verfügte die Bundeswehr zum Jahresende 1959 erst über 76 Neubauten. Das war aber immerhin ein knappes Viertel der zum damaligen Zeitpunkt insgesamt in Benutzung stehenden 346 Anlagen. Allein in diesem Jahr konnten 20 Kasernen fertiggestellt werden, wobei sich noch 130 Anlagen im Bau oder in der Planung befanden178. Weitere sechs Jahre später (1965), als Verteidigungsminister von Hassel das Ende der Aufstellungphase der Bundeswehr erklärt hatte, belegte allein das Heer 511 Kasernen. Während 360 davon als so genannte Altanlagen aus der Zeit vor dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg stammten, waren inzwischen 151 Neubauten fertiggestellt worden, 43 befanden sich im Bau und 120 standen noch in einer nicht weiter ausdifferenzierten Planungsphase. Tabelle 26 zeigt die Neubaustatisik am 1. September 1965 bezogen auf die Bundeswehr insgesamt179. Ohne die Neubaumaßnahmen im Einzelnen qualitativ zu bewerten - hinter den Zahlen stecken höchst unterschiedliche Größenordnungen, die von Munitionsanstalten, Bataillonskasernen und Fliegerhorsten bis zu Marinestützpunkten reichten - lassen sich die dafür benötigten enormen Flächen erahnen. Öffentlich dazu geäußert hat sich erstmalig Verteidiungsminister von Hassel in seinem als Leistungsbilariz aufzufassenden, programmatischen Aufsatz zum Verhältnis von Gemeinden und Landesverteidigung. Darin war die Rede von über 73 000 ha, die man bis 1963 für die Bundeswehr und weitere 102 000 ha, die man für die Stationierungsstreitkräfte in Anspruch genommen habe. Während 177
178 179
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, VerteidigungsausschussDrucksache Nr. 231. Bericht des Abg. Lenz für den Haushalts- und Verteidigungsausschuss über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines 6. Nachtrages zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956. Überblick über den Aufbaustand der Bundeswehr, 15.2.1960. BA-MA, BW 1/32062, Statistik BMVg U II 3 (Planung), 1.9.1965.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Tabelle 26: Neubaustatistik der Bundeswehr 1965 Wehrbereich
vorhanden
im Bau
in der Bauplanung
Bauplanung noch nicht eingeleitet
3
5
3
22
20
1
4
12
37
9
5
6
7
27
19
12
11
5
47
gesamt
Heer I II III IV V VI Gesamt
11
18
2
4
2
26
23
6
7
8
44
100
29
37
37
203
4
2
3
1
10
Luftwaffe I II III IV V VI Gesamt
8
1
2
10
21
11
3
3
4
21
6
5
3
-
14
4
1
2
1
8
8
5
5
1
19
41
17
18
17
93
7
8
2
31
-
9
Marine I II Gesamt
14 3 17
7
17
12 2
43
für die Alliierten in über 33 000 Einzelfällen etwa 38 000 ha Fläche neu angekauft wurde, schwieg sich der Minister hinsichtlich der Beschaffungsmarge für die Bundeswehr jedoch aus. Lediglich die Zahl der Erwerbsfälle (20 000) wurde genannt, einschließlich der mit 0,4 Prozent in der Tat äußerst niedrigen Enteignungsquote180. Zu Jahresbeginn 1966 standen in der öffentlichen Kommunikation 175 000 ha, welche insgesamt von der Landesverteidigung beansprucht waren; davon 102 000 ha durch die Stationierungsstreitkräfte und 73 000 ha durch die Bundeswehr181. Offiziellen Angaben zufolge war die Bundeswehr 1967 Eigentümerin von 170 000 ha Land, das zu 74,2 Prozent als Übungs- und Schießplätze genutzt wurde; auf 7,5 Prozent der Fläche standen Kasernenanlagen182. 180 181 182
Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195 f. Ehrlicher, Soldaten bringen Geld unter die Leute. Die Liegenschaften der Bundeswehr in Zahlen, S. 213 f.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
23 7
Etwas deutlicher nachvollziehbar wird das Volumen für die Landbeschaffung seit Aufstellungsbeginn im Weißbuch des Jahres 1970. Demnach fielen die Zahlen geringer aus, als sie von Hassel einige Jahre früher verlautbart hatte. Laut Weißbuch wurden zwischen 1955 und 1969 für sämtliche Infrastrukturmaßnahmen der westdeutschen Streitkräfte insgesamt 42 000 ha beschafft. Obwohl bis 1967 ein gewisser Sättigungsgrad bei den Großbauvorhaben - vor allem bei Kasernenneubauten - eingetreten war, mussten aufgrund einer immer noch merklichen Unterdeckung in verschiedenen Bereichen bis 1978 immerhin weitere 24 000 ha hinzuerworben werden. Nach einer Bedarfsschätzung von 1970 fehlten beispielsweise 50 000 Unterkunftsplätze, 55 Standortübungsanlagen, 27 Flugabwehrraketenstellungen, 157 Soldatenheime, 79 Standortmunitionsniederlagen sowie Depotkapazitäten im Umfang von 461 000 to bzw. 439 000 m 3 - um nur die größten Defizitmargen anzuführen183. Nicht alles wurde später realisiert. Zum Ende der sechziger Jahre waren dem Bundesinnenministerium zufolge insgesamt für Zwecke militärischer Art etwa 530 000 ha in Anspruch genommen worden184. Die Bundeswehr nutzte davon 250 000 ha, die Stationierungsstreitkräfte 200 000 ha. Darüber hinaus wurden für weitere 80 000 ha Nutzungsverträge angegeben185. Umgelegt auf die Standorte bedeutete dies, dass alliierte und deutsche Soldaten in zusammen 1000 Garnisonen stationiert waren186. Für diesen Zeitabschnitt müssen allerdings erhebliche statistische Abweichungen bei den Angaben zur Flächennutzung konstatiert werden. Überraschenderweise weist der Raumordnungsbericht der Bundesregierung für 1973 in einer Rubrik über die Flächennutzung Westdeutschlands, die reichlich konfus mit »Friedhöfe, öffentliche Parkanlagen, Sport-, Flug- und Übungsplätze« bezeichnet ist, die Zahl von 358 328 ha aus187. Demgegenüber ging das Weißbuch des Jahres 1973/74 zum selben Zeitpunkt nur von 423 000 ha Militärfläche aus. Im Einzelnen wurden 264 000 ha für die Bundeswehr und 159 000 ha für die Alliierten angegeben. Der Rest in Höhe von 140 000 ha verteilte sich auf die Truppenübungsplätze188. Die Zahlendiskrepanz mag der Fähigkeit geschuldet gewesen sein, im Jahr 1973 militärisch genutzte Flächen etwa den nicht mehr landwirtschaftlich genutzten Flächen aus dem Raumordnungsbericht zuzuschlagen. Militärkritische Beobachter aus dem kirchlichen Raum kamen hingegen zu der Auffassung, dass die Streitkräfte bereits fünf Jahre vor dem Erscheinen des Weißbuchs 1973/74 rund 100 000 ha mehr Fläche genutzt hatten, als darin angegeben wurde189. Dies wären 520 000 ha ausschließlich zur militärischen Nutzung, womit die im Raumordnungsbericht 1970 verlautbaren Zahlen im Wesentlichen bestätigt wurden.
iss vgl. Weißbuch 1970, S. 160 und Weißbuch 1971/72, S. 161. Raumordnungsbericht 1970, S. 17. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 16. 186 Willers, Raumwirksamkeit von Verteidigungsanlagen, S. 197. 187 Raumordnungsbericht 1974, S. 47. 188 Weißbuch 1973/74, S. 203. 189 Militär und Umwelt, S. 10. 184
185
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Bereits zu Beginn der achtziger Jahre waren wirtschaftsgeografische Arbeiten auf diese doch erheblichen Zahlenunterschiede gestoßen190. Für das Auseinanderklaffen der Zahlen gibt es keine andere plausible Erklärung, als von unterschiedlichen Perspektiven bei der Rubrizierung auszugehen. Generell kann allerdings davon gesprochen werden, dass die Landnutzungsquote für militärische Zwecke in der Bundesrepublik sich auf einer im Trend stets aufsteigenden Kurve bewegte. Zwar ist für die siebziger Jahre und später eine flachere Krümmung vorstellbar, als in den beiden Aufbaujahrzehnten zuvor, wobei es aber auch hier Hinweise auf merkbare Steigerungsraten gibt. Das Umweltgutachten der Bundesregierung von 1978 stellte beispielsweise zwischen 1966 und 1976 eine Nutzungsveränderung von Land im Umfang von 29,1 Prozent zugunsten jener eigentümlichen Zusammenschau »Friedhöfe, öffentliche Parkanlagen, Sport-, Flug- und Übungsplätze« fest191. Es erscheint schwer vorstellbar, diese Steigerung eines derartig umfangreichen Raumbedarfs den Friedhöfen, Parkanlagen oder Sportplätzen zuzuschreiben. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen kam vielmehr zu dem Schluss, dass Bundeswehr und verbündete Streitkräfte zusammen ihre militärischen Anlagen von 1972 bis 1977 um etwa 35 Prozent ausgedehnt hatten, eine Quote, hinter der sich eine militärische Raumnutzung von ca. 600 000 ha verbarg. Im Vergleich mit der Wirtschaftsfläche der Bundesrepublik (die Wirtschaftsfläche entspricht 99,5 Prozent der Landesfläche) schlug der militärische Anteil nun mit 2,4 Prozent zu Buche, eine doch signifikante Marge192. Nicht weiter überprüfbaren Quellen zufolge soll 1977 die Gesamtflächenforderung der westdeutschen Streitkräfte zu etwa 86 Prozent erfüllt gewesen sein193. Wenn man nun eine Fläche von 250 000 ha akzeptiert, die cum grano salis 1980 von der Bundeswehr genutzt wurde, dann verteilten sich darauf ca. 4500 Anlagen unterschiedlicher Größenordnung. Dazu gehörten 530 Truppenunterkünfte, 130 Flugplätze und Flugabwehrraketenstellungen sowie 1172 Depots und Lager, um nur die raumgreifendsten anzuführen194. Die Gesamtfäche hatte sich damit in mehr als 20 Jahren um etwa 80 000 ha (32 Prozent) erhöht195. Lässt man die in diesem Zeitraum zwar in geringerem Umfang, aber immer noch von den Alliierten freigegebenen oder aus dem zivilen Bereich überlassenen Objekte unberücksichtigt, dann wird man sagen können, dass auch im Hinblick auf die in den Weißbüchern gemachten Angaben grob geschätzt die Hälfte des Landes erst nach 1955 beschafft worden ist.
190
191 192 193 194 195
Selbst hier traten noch weitere Ungereimtheiten im Umfang von fast 15 000 ha auf. Während Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 17 ein Defizit von 100 000 ha zu erkennen glaubt, ergibt sich nach Brucker, Die Raumwirksamkeit militärischer Einrichtungen, S. 3 lediglich ein Fehl von 15 000 ha zu den Angaben aus dem Weißbuch 1973/74. Umweltgutachten 1978, Ziff. 1209, S. 389. Vgl. Bartjes/Krysmanski/Wiengarn, Militarisierung der Umwelt, S. 1447. Vgl. Kaufmann, Raumwirksamkeit, S. 140. Brucker, Die Raumwirksamkeit militärischer Einrichtungen, S. 3. Die Liegenschaften der Bundeswehr in Zahlen, S. 213.
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Dass der Faktor Landbeschaffung für die Landesverteidigung deshalb von besonderer Konsequenz auch für die Raumstruktur sein würde, weil sich damit eine Nutzungsänderung und eine Veränderung der örtlichen Verhältnisse verband, war im Grunde genommen allen Beteiligten von Beginn der westdeutschen Aufrüstung an klar. Wenngleich die Aufbauphase schon fast zehn Jahre währte, so brachte das Wissen um dieses Grundproblem und im Blick auf den bisherigen Verlauf dieser Angelegenheit Verteidigungsminister von Hassel 1964 mustergültig auf den Punkt, als er den hiervon wohl am meisten betroffenen Kommunalpolitikern erklärte: »Die Maßnahmen der Verteidigung beeinflussen die räumliche Struktur, da mit unserer Landinanspruchnahme für Kasernen, Flugplätze, Übungsplätze und Depots usw. die Nutzungsänderung oft eine ganze Veränderung der örtlichen Verhältnisse mit sich bringt196.« Die Auswirkungen derartiger Vorhaben hingen jedoch sehr von den militärischen Vorstellungen, den raumstrukturellen Gegebenheiten und der jeweiligen Zeit ab. Denn die Umwidmung von Land für militärische Zwecke erfolgte natürlich verteilt in einzelnen Tranchen über das gesamte Bundesgebiet und mochte regional bzw. lokal unterschiedlich tiefe Spuren hinterlassen haben. Um zunächst der Frage nachzugehen, wo dieser Prozess in der Fläche am nachhaltigsten gewesen ist, muss die regionale Verteilung der Militärstandorte - in Sonderheit die neu gegründeten - etwas genauer betrachtet werden. Noch vor Aufstellungsbeginn der Bundeswehr gaben die Raumforscher der Hoffnung Ausdruck, dass, sofern militärisch vertretbar, Ballungsgebiete mit ihrer Häufung von Menschen und Betrieben auf engem Raum weitgehend ausgeklammert würden und man stattdessen weniger industrialisierte Klein- und Mittelstädte bevorzuge. Auch wenn der Begriff von der Notstandsindustrie bzw. vom Industrieersatz so nicht fiel, genau das war gemeint, wenn die Forderung nach Berücksichtigung der Zonenrand- oder der Sanierungsgebiete erhoben wurde197. Selbst bei den Verteidigungsplanern in Bonn lagen der Einrichtung neuer Garnisonen nicht nur verteidigungspolitische und strategische Erwägungen zu Grunde. Auch für sie war die Stärkung des ländlichen Raumes erklärtermaßen ein wichtiges Anliegen. Zumal darin, wenn Mitglieder des Verteidigungsausschusses in solchen Gegenden ihren Wahlkreis hatten. Aus der Fülle der Belege sei fürs Erste auf die Beratung des Infrastrukturprogramms im Verteidigungsausschuss am 3. Juli 1956 verwiesen, als sich die Abgeordneten für eine Berücksichtigung der Grenz- und Notstandsgebiete bei den Kasernenbauten aussprachen198. Hier zog die Abteilung Unterbringung und Liegenschaften im Verteidigungsministerium aber noch nicht so ganz mit. Jedenfalls sollten zum damaligen Zeitpunkt ein Teil der vorliegenden Gamisonsangebote dann nicht weiter verfolgt werden, wenn sie in verkehrsmäßiger Hinsicht zu abseits oder aber in zu großer Nähe der Grenze lagen199. Wenige Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. 197 Werner, Bodennutzung und Landanforderungen, S. 88. 198 Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 106. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 3.7.1956. 199 BA-MA, BW 1/11923, Rundschreiben der Abt. IX betr. Garnisonsangebote, 26.5.1956. 196
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Monate später wogen solche Gründe offenbar nicht mehr so schwer. Der Abteilungsleiter Unterbringung und Liegenschaften, Hansgeorg Schiffers, wies nämlich im Verteidigungsausschuss darauf hin, dass man als Konsequenz aus der Bedrohungsperzeption einerseits versuche, Ballungsräume und industriell stark durchorganisierte Regionen von Militär möglichst freizuhalten. Auf der anderen Seite würden 49 Prozent des militärischen Unterbringungsprogramms in den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und in den bevölkerungsärmeren Teilen von Nordrhein-Westfalen liegen, wo hingegen nur 23 Prozent der Gesamtbevölkerung lebte. Im Südraum ergebe sich eine ähnliche Situation, wonach die Planung hauptsächlich Bayern betreffe, »das dünner besiedelt und industriell nicht derart strukturiert ist wie Baden-Württemberg und Hessen«200. Auch der Deutsche Bundestag kam in seinem ersten Raumordnungsbericht 1963 zu der Erkenntnis, dass das Innenministerium und das Verteidigungsministerium, sofern militärisch sinnvoll, durchaus mit der Verlegung von Truppenteilen strukturschwache Räume wirtschaftlich kräftigen könnte. Im Wissen darum, dass »Maßnahmen der militärischen und zivilen Verteidigung« in der Regel die räumliche Struktur beeinflussen«, seien insbesondere die Zonenrandgebiete von Schleswig-Holstein, Hessen, Bayern und Niedersachsen »mit Bedacht« ausgewählt worden201. Schließlich erklärte 1964 Verteidigungsminister von Hassel, er sei persönlich bemüht, »die schwach strukturierten Gebiete und das Zonenrandgebiet durch Garnisonen wirtschaftlich zu stärken«202. Diese politischen Absichtserklärungen und strukturpolitischen Visionen ließen sich offenbar auch empirisch erhärten. Zur Jahresmitte 1961 vermeldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass bei »der Unterbringung der Bundeswehr auch [...] die Notstandsgebiet berücksichtigt [wurden], in denen 20 Garnisonen liegen. Weitere 130 Kasernen sollen bis zum Abschluß des Bundeswehraufbaues abseits von Räumen wirtschaftlicher Konzentration entstehen«203. Mitte der sechziger Jahre streute die Deutsche Presseagentur die Meldung, wonach die Bundeswehr nachhaltig das Bestreben der Raumordnung unterstützt habe, die Wirtschaftskraft der von der Konjunktur vergessenen Gebiete zu stärken: »Etwa Zweidrittel aller militärischen Bauten sind bisher in solchen Bezirken errichtet worden. So trägt die Bundeswehr dazu bei, benachteiligten Gebieten neue Erwerbsquellen zu erschließen204.« Immerhin kam ein von der Bundesregierung einberufener Sachverständigenausschuss 1965 zu dem Ergebnis, dass »die neuen Standorte der Bundeswehr raumordnungspolitisch zu einem großen Teil gut gewählt worden sind und die Gründung der Garnisonen in den Gemeinden sogar eine außerordentlich gute Entwicklung der Kaufkraft bewirkt hat«205.
200 Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 127. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 9.1.1957, S. 41. 201 202 203 204 205
Erster Raumordnungsbericht, S. 42. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. 376 Kasernen der Bundeswehr. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.9.1961. Ehrlicher, Soldaten bringen Geld. Jacobs, Die liegenschaftsmäßigen Aufgaben der Bundeswehrverwaltung, S. 126.
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An diesem Punkt mündet die Nutzung von Land für die Belange der Verteidigung in den allgemeinen Trend raumstruktureller Entwicklungsplanungen, die in den sechziger Jahren die Bundesrepublik erfasst hatte. Weil die Raumordnung lange Zeit als typisches zentralistisches Produkt der nationalsozialistischen Diktatur angesehen wurde, hatten jenseits fachlicher Erwägungen und administrativer Maßnahmen die politischen Bemühungen auf der Ebene des Bundes erst relativ spät Mitte der fünfziger Jahre eingesetzt. Einen wesentlichen Schub bekam dieser Prozess mit den vom Bundesministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung als federführendem Ressort 1962 verabschiedeten Grundsätzen für die raumbedeutsamen Maßnahmen des Bundes und ihre Koordinierung. Der Sachgehalt der Grundsätze zielte z.B. darauf ab, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet durch Abschwächung des regionalen Leistungsgefälles zwischen den unterschiedlich strukturierten Räumen anzustreben. Des Weiteren sollte raumstrukturellen Mängeln von allgemeinwirtschaflicher Bedeutung durch die Maßnahmen der Wirtschaftsförderunng in strukturschwachen Gebieten entgegengewirkt werden, wobei man der Stärkung des Zonenrandgebiets ein besonderes Augenmerk schenken wollte. Neben diesen vornehmlich auf ökonomische Prosperität und positive Veränderungen angelegten Zielen kamen aber auch bewahrende Aspekte zum Tragen, die von den gewachsenen oder tradierten raumstrukturellen Gegebenheiten ausgingen. Hierzu gehörte, dass bauliche Maßnahmen der als raumordnerisches Leitbild apostrophierten, aufgelockerten Siedlungsstruktur entsprechen sollten. Eine Vorstellung, die grundsätzlich auch den Zielen der Verteidigung zupass kam. Denn im Fall einer militärischen Auseinandersetzung wurde der Grad der Empfindlichkeit eines Raumes umso geringer bewertet, je weiträumiger und aufgelockerter die Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur beschaffen war206. Im Übrigen wurde die Sorge für ausreichende und überregionale Erholungsgebiete in angemessener Zuordnung zu den Ballungsgebieten ebenso festgeschrieben wie die Wiederherstellung und die Pflege der Landschaft und des Gleichgewichts ihres Naturhaushalts. Expressis verbis wurden ebenso wie die Reinhaltung von Wasser und Luft die Vermeidung von Lärmschäden benannt207. Gerade diese raumordnungspolitischen Grundsätze sollten, wie noch zu sehen sein wird, von den raumbeanspruchenden Maßnahmen der Verteidigung nachhaltig betroffen sein. Ihren rechtlichen Rahmen erhielt die Raumordnung auf Bundesebene durch die Verabschiedung des Bundesraumordnungsgesetzes im Jahr 1965. Auch mit Rücksicht auf die föderative Tradition in Westdeutschland begnügte sich der Bund freilich mit der Normierung bestimmter sachlicher Grundsätze, innerhalb derer die Länder zusammenfassende Pläne und Programme aufzustellen hatten. Im ersten Entwurf der für raumordnungspolitisch wichtig gehalteten Grundsätze waren die Maßnahmen der Verteidigung zunächst noch 206 Vgl. Brockschmidt, Auflockerung des Siedlungsgefüges. 207
Vgl. Ernst, Die Bundesraumordnung, S. 15.
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unberücksichtigt geblieben. Erst im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens wurde bei der Beschreibung der Ziele der Raumordnung ergänzend eingefügt, dass »die Erfordernisse der zivilen und militärischen Verteidigung zu beachten sind« (§ 2 Abs. 1 Nr. 9)208. Verengt man den Blick bei der Frage der Landbeschaffung für die Bundeswehr auf das Normative, dann wird man mit einer gewissen Berechtigung allerdings sagen können, dass im Raumordnungsgesetz den militärischen Erwägungen Vorrang vor den zivilen eingeräumt worden ist. Möglicherweise war dies eine Reaktion auf den offensichtlich doch schwierigen Prozess, seit 1955 für Streitkräfte ausreichend - und vor allem innerhalb kurzer Zeit - Grund und Boden zu erwerben. Jedenfalls kam Generalinspekteur Ulrich de Maiziere zu der Bewertung, die Bereitstellung von ausreichendem Gelände vornehmlich für die Standortübungsplätze sei in der dicht besiedelten Bundesrepublik teilweise auf »kaum überbrückbare Schwierigkeiten« gestoßen209. Eine Feststellung, die tatsächlich am Beispiel des langwierigen Verfahrens im mittelfränkischen Heidenheim nachhaltig belegt werden konnte. Bei der Frage nach dem gesetzlichen Vorrang militärischer Erfordernisse darf allerdings umgekehrt nicht vergessen werden, dass bei raumfordernden Planungen der Verteidigung den übrigen Raumordnungsgrundsätzen entsprochen werden musste - und zwar lange vor Verabschiedung der Bundesraumordnungsgesetze. Hierzu zählten u.a. im Sinne der Weiterentwicklung und Angleichung unterschiedlicher Lebensverhältnisse die Berücksichtigung der wirtschaftlichen, bevölkerungs- wie siedlungsstrukturellen und ökologischen Gegebenheiten. Jedenfalls betonten die Autoren des Raumordnungsberichts von 1966 den Umstand, dass »bereits vor Inkraftreten des Raumordnungsgesetzes [...] die Standorte von Verteidigungsanlagen [...] nach diesen Gesichtspunkten ausgewählt« worden seien210. Betrachtet man nun einige der in Folge des Bundesraumordnungsgesetzes verabschiedeten Entwicklungs- oder Raumordnungspläne der Länder daraufhin genauer, dann fällt auf, dass darin die Land beanspruchenden Maßnahmen der Verteidigung wie in der Vor- und Frühphase des Streitkräfteaufbaus nicht mehr nur mit negativ apostrophierten Effekten versehen sind. Dennoch muss festgehalten werden, dass nicht alle Bundesländer im Formulieren ihrer Entwicklungsziele von tendenziellen Strukturverbesserungen durch Militärstandorte überzeugt waren, bzw. ihre Auffassungen auch änderten. Das 1966 verabschiedete Landesraumordnungsprogramm von Niedersachsen arbeitete beispielsweise sehr deutlich heraus, auf welche Weise und mit welchen Schwerpunkten alle Planungen und Maßnahmen der Verteidigung mit den Zielen der Raumordnung in Ubereinstimmung zu halten seien. Im Wissen darum, dass die wehrgeografische Lage es erforderlich machte, das gesamte Gebiet mit einem dichten Netz von Anlagen für Einsatzaufgaben sowie Einrichtungen zur Unterbringung, Versorgung und Ausbildung der Streitkräfte zu überdecken, sollten 208 209 210
Ebd., S. 20. Maiziere, Verteidigung in Europa-Mitte, S. 42. Raumordnungsbericht der Bundesregierung 1966, S. 80.
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zumindest die Truppenunterkünfte möglichst in zentralen Orten außerhalb der Verdichtungsräume errichtet werden. Damit war die Hoffnung verbunden, »daß die erforderlichen infrastrukturellen Maßnahmen der Bundeswehr und der Stationierungsstreitkräfte, z.B. der Neubau und der Ausbau von Versorgungsanlagen, Verkehrsstraßen, Sportstätten und kulturellen Einrichtungen, gleichzeitig zur Stärkung der Wirtschaftsstruktur dieser Orte beitragen«211. Hinter einer so verstandenen Lenkung von Militärstandorten trat der zunehmend in der Erschließungspolitik verwertete Zentrale-Orte-Gedanke hervor, welchen man auch als dezentralisierte Verdichtung umschreiben kann. Im Unterschied zu einer Politik passiver Sanierung der Rückstandsgebiete und der Nutzung ihrer Agglomerationsvorteile zugunsten der Bedürfnisse der Ballungsräume setzte eine so verstandene Erschließungspolitik auf wirtschaftlich gut durchblutete Klein- und Mittelstädte als Kristallisationskerne. Ziel war es, damit zu einem gesunden Verhältnis zwischen Stadt und Land zu kommen, um somit die tradierten, oftmals kleinteiligen Wirtschafts- und Sozialstrukturen nicht noch weiter erodieren zu lassen. Darauf hob wörtlich das 1968 verabschiedete Landesentwicklungsprogramm von Rheinland-Pfalz ab, indem es festschrieb, dass »als Garnisonen bevorzugt zentrale Orte in besonders förderungswürdigen Gebieten [...] oder in ländlichen Räumen in Betracht« kämen212. Niedersachsen gehörte aber auch zu jenen Ländern, die beim Fortschreiben ihres Landesentwicklungsprogramms in den siebziger Jahren nicht mehr nur positive Wirkungen von Militärstandorten ableiteten. Jetzt sprach man zunächst davon, dass Niedersachsen von der Inanspruchnahme von Land nicht nur mehr betroffen sei als andere Bundesländer, sondern solche Maßnahmen würden vielmehr »in ihrer Gesamtheit eine Belastung« darstellen213. Zwar wurde ihnen weiterhin noch ein mögliches strukturverbesserndes Potenzial zugemessen, um diese Projektion zugleich aber mit damit zusammenhängenden Problemen zu kontrastieren: »Die hieraus resultierenden Investitionen können zwar die Sozial-, Wirtschafts- und Verkehrsstruktur des Landes zumindest auch positiv beeinflussen. Andererseits wird es aber zunehmend schwieriger, dabei den Erfordernissen der Raumordnung, den wirtschaftlichen Interessen, den Belangen des Städtebaus und des Naturschutzes angemessen Rechnung zu tragen. Die moderne Waffentechnik wirkt sich stellenweise als schwerer Störfaktor aus214.« In Hessen vermochte die Landesplanung in der militärischen Landnutzung hingegen von Anfang an keine strukturfördernden Effekte erkennen - zumindest finden sich darüber keine Ausführungen im Landesraumordnungsprogramm. In Wiesbaden beschränkte man sich zum einen auf die bundesgesetzliche Vorgabe, die Erfordernisse der Verteidigung zu beachten. Zum anderen sollten die Verteidigungsmaßnahmen weder die Wasserversorgung, den Ver211 212
213 214
Dedekind, Langfristige Verteidigungsplanung, S. 564. Landesentwicklungsprogramm Rheinland-Pfalz, Bd 2. In: Staatsanzeiger für RheinlandPfalz, 2.6.1968. Reiners, Militärische Anlagen, S. 165. Ebd.
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kehr, die Landschaft, die Erholungsmöglichkeiten noch die Wohngebiete »wesentlich beeinträchtigen«215. Hingegen ging der Entwurf des saarländischen Raumordnungsprogramms von 1967 in die gleiche Richtung wie ursprünglich in Niedersachsen. Hiernach sollten bei der Errichtung der Verteidigungsanlagen die Erfordernisse der Raumordnung Berücksichtigung finden, soweit sie dazu geeignet waren, mit ihrer Hilfe wirtschaftlich schwache Räume zu fördern. Dezidiert wies man auf »Garnisonen und gleichwertige militärische Einrichtungen« hin, die dort am besten platziert seien, »wo die Tragfähigkeit des Raumes erhöht« werden sollte216. So sah man es auch in Baden-Württemberg, wo Einrichtungen der Verteidigung nach Möglichkeit »im ländlichen Raum« dazu beitragen sollten, die Raumstruktur und die Infrastruktur zu verbessern und die Wirtschaft zu beleben217. Lange vor dem Bundesraumordnungsgesetz und den eben benannten Erwägungen in Niedersachsen und im Saarland hatte sich Bayern schon in den fünfziger Jahren Gedanken über eine - wenn möglich - steuernde Mitwirkung bei der Standortfrage gemacht. Eine auch als Prioritätenkatalog zu verstehende Denkschrift der Landesplanungsstelle von 1956 listete 14 raumordnungswirksame Bereiche auf, wobei an erster Stelle die »Planungen der Stationierungsstreitkräfte« rangierten, gefolgt von »Standortvorschlägen und Planungen der Bundeswehr«218. Auf den daraufhin eingeschlagenen politischen Kurs vornehmlich unter dem SPD-Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner und seine dazu eingeleiteten administrativen Strukturmaßnahmen ist an anderer Stelle bereits eingegangen worden. Auch wenn es in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren nicht nach der Errichtung allzu vieler weiterer Garnisonen aussah, obwohl die Truppe nach wie vor nicht optimal disloziert war, gab die Münchner Staatsregierung ihre mit der Bundeswehr verbundenen strukturpolitischen Zielsetzungen keineswegs auf. Im Gegenteil: Ahnlich wie in Niedersachsen und im Saarland verknüpfte das 1976 als langfristiges Konzept verabschiedete Landesentwicklungsprogramm pointiert die Anforderungen der Landesplanung mit den Vorhaben der militärischen Verteidigung. Ausgehend von der geostrategischen Lage, den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik, der Sorge um die territoriale Unversehrtheit und den Schutz der Zivilbevölkerung setzte man auf ein Netz von Einrichtungen zur Unterbringung, Versorgung und Ausbildung der Streitkräfte, das so dicht sein müsse, dass es nahezu keine militärfreien Räume geben könne219. Außerdem erhob man die Forderung, Verteidigungseinrichtungen so zu lokalisieren, »daß sie zur
215 216
217 218
219
Ebd. BA-MA, BW 1/29579, Entwurf für ein Raumordnungsprogramm des Saarlandes. I. Allgemeiner Teil, 22.9.1967. Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg, S. 169. BayHStA, MWi 22501, Aufgaben und Ergebnisse der Landesplanung in Bayern, November 1956. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 17 f.
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Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung beitragen«220. Deshalb sollten sich Vorhaben der Verteidigung möglichst in die vorhandene wirtschafliche, soziale und räumliche Struktur einfügen. Bevorzugte Fremdenverkehrs- und Naherholungsgebiete sollten von größeren militärischen Anlagen freigehalten werden - ein deutliches Anknüpfen an die bewahrenden raumordnungspolitischen Grundsätze des Bundesraumordnungsgesetzes. Aufgrund des Vorgenannten überrascht es kaum, wenn eine Lozierung von Kasernen in ländlichen Gebieten und an zentralen Orten gefordert wurde. Nicht nur um Lebens- und Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Mit den dazu erforderlichen infrastrukturellen Maßnahmen verknüpfte man ganz allgemein die Hoffnung auf eine vorteilhaftere Struktur dieser Orte. Als das Landesentwicklungsprogramm 1984 fortgeschrieben wurde, wurden diese Ziele noch einmal bekräftigt, obwohl es zwischen 1976 und 1984 weder in Bayern noch anderwärts zur Errichtung neuer Garnisonen oder zu vergleichbar großflächigen Verteidigungsvorhaben kam. Allerdings war mittlerweile unübersehbar geworden, dass sich der Stellenwert militärischer Einrichtungen für die Landesplaner geändert hatte. Rangierten in der Denkschrift der bayerischen Landesplanungsstelle von 1956 die Anforderungen der Streitkräfte noch auf den Plätzen eins und zwei des Aufgabenkatalogs, so setzte das neue Landesentwicklungsprogramm diese an die letzte Stelle - ein unübersehbares Zeichen, dass die raumbeanspruchenden Maßnahmen von Bundeswehr und Stationierungsstreitkräften einen gewissen Sättigungsgrad erreicht hatten. Weil bis in die siebziger Jahre im Grunde genommen fast alle Standortentscheidungen gefallen waren, ging das Interesse an militärischen Einrichtungen generell zurück, wie man anhand der Verhältnisse in Baden-Württemberg sehen kann. Forderte der in Stuttgart 1972 formulierte Landesentwicklungsplan noch analog zu den übrigen Bundesländern eine Strukturförderung ländlicher Gebiete durch Verteidigungseinrichtungen, so verzichtete nur knapp zehn Jahre später der Raumordnungsbericht des Regionalverbandes Mittlerer Neckar völlig auf die Behandlung von Verteidigungsbelangen. Schon der 1977 verabschiedete Strukturentwicklungsplan dieses Regionalverbandes hatte nur kurz die militärischen Einrichtungen gestreift, jetzt jedoch ausschließlich aus der Blickrichtung landesplanerischer Behinderungen221. Bevor abschließend der Umfang militärischer Flächennutzung in Westdeutschland als raumwirksamer Faktor bilanziert wird, sei eines deutlich herausgestellt: Beim Exkurs über die mit militärischen Einrichtungen verbundenen raumstrukturellen Leitzielen auf Länderebene darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Bundesländer über keinerlei planungsrechtliche Instrumente in dieser Angelegenheit verfügten. Weil die Belange der Verteidigung gemäß Art. 87 a GG ausschließlich in die Kompetenz des Bundes fielen, blieb der Einfluss der Landesplaner im Grunde genommen beschränkt auf die seit 1956 bereits geregelte, raumverträgliche Prüfung gemäß Landbeschaffungsge220 221
BGVB1., 1976, Anlagen: Landesentwicklungsprogramm, S. 119. Vgl. Kaufmann, Raumwirksamkeit, S. 164.
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setz. Die »Raumordnungsklausel« (§ 1 Abs. 2 LBG) legte fest, dass bevor Grundstücke für militärische Zwecke beschafft werden konnten, »die Landesregierung zu hören [ist], die nach Anhörung der betroffenen Gemeinden (Gemeindeverband) unter angemessener Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung, insbesondere der landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen sowie der Belange des Städtebaues und des Naturschutzes dazu Stellung nimmt«. Damit war zwar rechtlich die Möglichkeit gegeben, einen Standort mit der Begründung seiner Unvereinbarkeit mit den Zielen der Raumordnung zu verhindern. Selbst die Infrastrukturfachleute der Bundeswehr gingen Mitte der sechziger Jahre davon aus, dass die Streitkräfte trotz des hohen Rangs der Landesverteidigung mit Rücksicht auf die zivilen Belange gewisse Verzögerungen ihrer Planungsvorhaben in Kauf zu nehmen hatten. Bei aller Bedeutung militärischer Erfordernisse gebe es aber immer einen »gewissen Spielraum«, der es erlaubte, »nach Ersatzlösungen zu suchen, wenn sich ein militärisches Vorhaben als zu große Störung für die Verwirklichung der zivilen Raumplanung erweist«222. Daraus bzw. aus den Landesentwicklungs- oder Raumordnungsprogrammen eine wie auch immer geartete Steuerung bei der Auswahl künftiger Garnisonen abzuleiten, wäre jedoch erheblich überzogen. Das gilt besonders im Hinblick darauf, dass in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine ganze Reihe geplanter Garnisonen aus militärischen Erwägungen oder mit Rücksicht auf den zeitweilig angespannten Bundeshaushalt dem Rotstift zum Opfer fiel. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Bundeswehr sehr wohl anteilig an der Landesplanung mitwirkte und gar Mitglied in deren Gremien war. Als Beispiel sei Nordrhein-Westfalen angeführt, wo die Wehrbereichsverwaltung III seit 1963 kraft Gesetz als Beteiligte bei den durch die Landesplanungsgemeinschaften erarbeiteten Gebietsentwicklungsplänen mitwirkte. Gewiss war es für die militärischen Planungen von Vorteil, wenn man rechtzeitig Kenntnis von der langfristigen Landesentwicklungsplanung erhielt. Umgekehrt konnte diese auch mit den Absichten der Landesverteidigung vertraut gemacht werden. Betrachtet man aber den Teilhabeprozess genauer, darin wird man nicht fehl in der Annahme gehen, dass den militärischen Erfordernissen ein gewisser Vorrang zukam223. Denn die Wehrbereichsverwaltung prüfte in Zusammenarbeit mit den militärischen Dienststellen (Luftwaffenkommando Nord, Wehrbereichskommando III und den Verbindungsstellen der Stationierungsstreitkräfte), »inwieweit sich Überschneidungen zwischen den vorgesehenen Maßnahmen der Landesplanung mit den geplanten militärischen Vorhaben ergeben, um diese rechtzeitig koordinieren zu können. Zu diesem Zweck teilt sie der Landesplanungsgemeinschaft ihre etwaigen Bedenken im Hinblick auf konkrete militärische Vorhaben bzw. deren Schutzbereichsbestimmungen mit und bemüht sich um eine Berücksichtigung der militärischen Belange in der Landes-
222 223
Jacobs, Die liegenschaftsmäßigen Aufgaben, S. 126. In diesem Sinn bereits Reiners, Militärische Anlagen, S. 163.
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planung« 224 . Konkret musste die zivile Seite etwa bei der Trassierung von Gas-, Pipeline- und Überlandstarkstromleitungen, bei der Flurbereinigung oder bei der Aufstellung von Bauleitplänen durch die Gemeinden auf die Vorhaben der militärischen Seite Rücksicht nehmen. Zurück zum Einfluss der Länder und Gemeinden auf die Lage von Garnisonen, der trotz der Zielvorgaben in den Länderentwicklungsprogrammen als sehr gering zu veranschlagen ist. Denn es gilt in diesem Zusammenhang auch die Zeitachse zu berücksichtigen. Als diese planungspolitischen Richtlinien ab Mitte der sechziger Jahre verabschiedet wurden, war der überwiegende Teil der Garnisonsvorhaben bereits realisiert oder zumindest die Planungen dafür abgeschlossen. Wenn die Bundesregierung schon 1965 zum Ergebnis gekommen sein will, die neuen Standorte der Bundeswehr seien vor dem Hintergrund strukturellen Ungleichgewichts raumordnungspolitisch gut loziert, dann mögen dafür drei überwiegend militärische Gründe in fallender Linie hauptsächlich verantwortlich gewesen sein: 1. Zur Realisierung der Vorneverteidigung forcierte die Bundesregierung eine Stationierung ihrer Truppen entlang der Ostgrenze - also im Bereich des strukturschwachen Zonenrandgebiets. 2. Weil die verdichteten, historischen Militärräume oftmals von den Alliierten belegt und zudem für die Zwecke der Vorneverteidigung nicht optimal gelegen waren, blieb gar nichts anderes übrig, als in bisher militärfreie Regionen auszuweichen. 3. In stärker verdichteten Räumen oder gar in Ballungsgebieten war der entsprechende Grunderwerb mit erheblich größeren Schwierigkeiten verbunden. Die rechtlichen Bestimmungen schlossen sowohl die Landesregierungen als auch die Gemeinden grundsätzlich von der Möglichkeit konstruktiven planerischen Einwirkens auf die Dislozierung aus und ließen somit eine bevorzugte Garnisonsbildung in bestimmten Räumen oder zentralen Orten gar nicht zu. Ein Umstand, der im Grunde genommen die Errichtung von Garnisonen zu einem raumpolitisch ungeeigneten, aktiven Lenkungsinstrument macht. Selbst im Lichte semantischer Bewertung wird deutlich, wie wenig im Grunde genommen die ökonomischen und sonstige Strukturdefizite bei der Installierung von Militäreinrichtungen wogen. Schon der erste Raumordnungsbericht der Bundesregierung konnte unter Hinweis auf das Landbeschaffungsgesetz nur lapidar fetsstellen, dass über das Anhörungsrecht der Landes- bzw. Ortsbehörden bei der Beschaffung von Grundstücken für die Streitkräfte der Bundesminister für Verteidigung lediglich »enge Fühlung« mit dem Interministeriellen Auschuss für Raumordnung hält und ihn über alle raumbedeutsamen Landbeschaffungs- und Schutzbereichsmaßnahmen »unterrichtet«. Formulierungen wie, »soweit es die strategischen Erfordernisse zulassen [werde] darauf Bedacht genommen, Räume mit dichter Besiedlung bzw. landwirtschaftlich ertragreichen Flächen [...] auszunehmen«, lassen deutlich erkennen, wie schwergewich224
Jacobs, Die liegenschaftsmäßigen Aufgaben, S. 127.
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tig die militärischen Notwendigkeiten oder was man dafür hielt, wogen. Demgegenüber klingt die Wortfolge »soweit es die Belange der Verteidigung zulassen, sind der [...] Bundesminister der Verteidigung bemüht, die schwach strukturierten Gebiete und das Zonenrandgebiet durch die Verlagerung von Verteidigungsanlagen - insbesondere auch durch die Errichtung von Garnisonen - wirtschaftlich zu stärken« nach einem weichen Formelkompromiss. Verfehlt wäre es jedoch, wenn man den damals Verantwortlichen ein Denken unterstellte, wonach Strukturdefizite ausschließlich und unmittelbar mit Garnisonsneugründungen hätten behoben werden können. Der Raumordnungsbericht von 1963 hob nämlich in zurückhaltenden Formulierungen ausdrücklich und außerdem zutreffend hervor, dass damit nur »auf lange Sicht in Verbindung mit anderen strukturverbessernden Maßnahmen ein wesentlicher Beitrag für die Gesundung der schwach entwickelten Gebiete geleistet werden kann«225. Dessen ungeachtet, wo immer sich militärische und raumordnerische Zielvorstellungen trafen, zogen die Maßnahmen der Verteidigung naturgemäß raumwirksame Folgen nach sich. Betrachtet man nun die militärische Flächennutzung insgesamt, so stellt sich bei der Bilanzierung das Problem, dass auf sämtliche Bundesländer bezogene und miteinander vergleichbare Flächenangaben erst seit Ende des Kalten Krieges vorliegen. Um die Auswirkungen auf die Raum- und Siedlungsstruktur abgewogen bewerten zu können, reichen die näher am Untersuchungszeitraum erhobenen, indes sehr groben Daten einfach nicht aus. So ging das Verteidigungsministerium selbst in der Mitte der siebziger Jahre davon aus, dass 2,13 Prozent der Fläche der Bundesrepublik Deutschland militärisch genutzt werden - Bundeswehr und Stationierungsstreitkräfte zusammengenommen. Die Umschreibung, dass dies einer Fläche der Verdichtungsräume Rhein-Main, Stuttgart, Hamburg und München zusammen entspreche, ist zwar plakativ, für eine Relevanzanalyse hingegen kaum zu verwerten226. Aus zwei Gründen erscheint es aber gerechtfertigt, die Analyse der auf das gesamte Bundesgebiet bezogenen, raumbeanspruchenden Integration der Bundeswehr zunächst auf die 1990 erhobene Datenbasis zu stützen. Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass der Streitkräfteumfang unmittelbar am Ende des Kalten Krieges wohl wenig signifikante Unterschiede zu jener bis 1970 zurückreichenden Epoche aufweist. Mithin ist zumindest nicht von einer deutlichen Abnahme der Militärflächen auszugehen. Zum anderen deuten in den siebziger Jahren erhobene Regionalwerte darauf hin, dass kaum übermäßige Steigerungen aufgetreten sind227.
Bericht der Bundesregierung über die Raumordnung vom 1.10.1963. In: Deutscher Bundestag, 4. Legislaturperiode, Anlagen, Drucksache IV/1492, S. 42. 226 Willers, Raumwirksamkeit von Verteidigungsanlagen, S. 197. 227 Für Nordrhein-Westfalen ist bekannt, dass Mitte der siebziger Jahre 44 200 ha militärisch genutzt wurden. Vgl. Reiners, Militärische Anlagen, S. 165. Im Jahr 1990 muss von 48 520 ha ausgegangen werden. Vgl. Studie des Instituts für Stadtforschung und Strukturpolitik GmbH, Berlin. In: Städtebauliche Möglichkeiten, S. 5. 225
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Generell weist das Bild der für die Verteidigung genutzten Flächen eine ungleichmäßige, großräumige Verteilung der Militärstandorte auf. Zwischen den einzelnen Bundesländern und Regionstypen zeichnen sich markante Unterschiede ab, wobei sich sowohl historisch überkommene Strukturen als auch verteidigungsplanerische Folgerungen des Kalten Krieges durchpausen. Insgesamt war den Streitkräften 2,5 Prozent der Landesfläche direkt zum Gebrauch überlassen, mithin um 0,37 Prozent mehr, als knapp zwei Jahrzehnte zuvor. Legt man den in der eher militärkritischen Literatur gefundenen Wert zugrunde, wonach um die Mitte der siebziger Jahre 2,4 Prozent der Fläche der Bundesrepublik militärisch genutzt worden seien (600 000 ha), so läge die Steigerungsrate bei 0,1 Prozent228. An absoluten Flächen waren um 1990 ca. 340 000 ha unmittelbar von der Bundeswehr belegt. Darauf verteilten sich 724 Kasernenanlagen oder vergleichbare Einrichtungen mit einem geschätzen Bodenvolumen von 104 000 ha (ohne Truppen- und Standortübungsplätze). Die U.S.-Streitkräfte, um nur diesen einen Allianzpartner zu nennen, verfügten zu diesem Zeitpunkt über 877 nicht näher differenzierte Militäreinrichtungen mit einer Gesamtfläche von 117 989 ha229. Hinzugerechnet werden müssen insgesamt noch 2 Prozent an indirekter Nutzung, wie sie sich etwa durch Schutzbereiche ergaben. Die Verteilung auf die Bundesländer sah zu diesem Zeitpunkt wie folgt aus230: Tabelle 27: Militärische Flächennutzung in der Bundesrepublik 1990 Bundesland
Anteil militärischer Liegenschaften mit Standortund Truppenübungsplätzen an der Landesfläche absolut in ha
Baden-Württemberg Bayern Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein
27 710 90 600 610 900 19 410 96 910 48 520 37 410 1470 17130
in Prozent 0,8 1,3 1,5 1,2 0,9 2,0 1,4 1,9 0,6 1,1
Zunächst belegen die Zahlen eine große Varianzbreite militärischer Flächennutzung von 0,6 bis 2,0 Prozent zwischen den einzelnen Bundesländern. An der Spitze steht Niedersachsen, gefolgt von Rheinland-Pfalz und Bayern. Am unte228 229 230
Bartjes/Krysmanski/Wiengarn, Militarisierung der Umwelt, S. 1447. Vgl. Schott, Die Struktur der amerikanischen Armee, S. 342. Zahlen nach Städtebauliche Möglichkeiten, S. 5.
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ren Ende der Skala rangieren Hessen und Baden-Württemberg. Im Saarland ist die Bedeutung der Flächen am geringsten. Die im Verhältnis zur Landesfläche relativ hohen Werte für die Stadtstaaten Bremen und Hamburg sind insofern etwas überraschend, weil es seit Aufrüstungsbeginn doch erklärte Absicht des Verteidigungsministeriums war, Ballungsräume und industriell stark durchorganisierte Regionen von Militär möglichst freizuhalten. Andererseits wurde dem Verteidigungsauschuss 1956 bedeutet, dass knapp die Hälfte des militärischen Unterbringungsprogramms der Bundeswehr in die Länder Niedersachsen, Schleswig-Holstein und in die bevölkerungsärmeren Teile von NordrheinWestfalen gelenkt werde, wo lediglich 23 Prozent der Gesamtbevölkerung lebten, sowie in das dünner besiedelte und weniger als Baden-Württemberg und Hessen industrialisierte Bayern231. Bevor diese Erklärung im empirischen Längsschnitt überprüft wird, sei ganz kurz ein kleiner, ape^uhafter Blick auf das Jahr 1960 geworfen. Denn selbstverständlich kann die militärische Flächennutzung nicht losgelöst vom übergeordneten politischen Problem des Hineinwachsen der Bundeswehr in ein schon weitgehend ausgebildetes demokratisches Gemeinwesen gesehen werden. Konkret ging es im Herbst dieses Jahres darum, dass der FPD-Abgeordnete Rolf Dahlgrün vom Verteidigungsminister wissen wollte, wie viel Land in der Bundesrepublik für Truppenübungsplätze, Schießplätze und Standortübungsplätze genutzt werde. Keine ungebührliche Frage in einem Parlament, könnte man meinen. Minister Strauß war jedoch anderer Auffassung. Unter Beifall seiner Fraktionskollegen vertrat er die Position, »daß es nicht tragbar ist, die vom Fragesteller gewünschte Auskunft im einzelnen vor dem Plenum zu geben«232. Lediglich dem Verteidigungsausschuss gegenüber zeigte sich Strauß im Detail rechenschaftspflichtig. Öffentlich erhielt der Abgeordnete deshalb keine exakten Daten, wobei ihm der Minister allerdings zusicherte, »dem Fragesteller in seinem Amte darüber detaillierte Auskunft zu geben«. Dem Plenum gegenüber äußerte sich Strauß nur höchst summarisch darüber, wonach auf Niedersachsen bei weitem die höchste Nutzungsquote militärischer Flächen entfalle, Hessen hingegen das Land mit dem niedrigsten Anteil sei. Eine grobe Trendfeststellung, an der sich auch dreißig Jahre später noch wenig Grundlegendes geändert hatte. Und noch eine weitere Information sollte ihre Richtigkeit behalten. Wohl zeittypisch, nutzte Strauß seine Einlassungen dazu, im Verhältnis zur DDR den Flächenbedarf der Bundesrepublik in einem günstigen Licht darzustellen. Sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zur Bevölkerung werde in Westdeutschland nur ein Bruchteil des Landes für militärische Zwecke in Anspruch genommen. Er hatte Recht! 1990 ermittelte man 475 040 ha Militärflächen in der DDR, die, bei erheblich kleinerer Landesfläche, damit die Bundesrepublik um 72 Prozent überragte. Auch hinsichtlich der betroffenen Regionen war eine durchgängige und deutlich höhere Belastung vorhanden. Selbst wenn
231
232
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 127. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 9.1.1957, S. 41. Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, 133. Sitzung, 17.11.1960, S. 7575.
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der Spitzenwert von 6,2 Prozent auf dem Territorium des ehemaligen Landes Brandenburg zu Teilen auf historische Militäranlagen zurückgeführt werden konnte, rangierten Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen mit je 3,2 Prozent immer noch erheblich vor dem höchsten Wert in der Bundesrepublik (Niedersachsen 2,0 Prozent)233. Zurück zur Frage, wohin der militärische Flächenbedarf in Westdeutschland gelenkt worden ist. Wenn man die in über dreißig Jahren sicherlich stattgefundene Binnenwanderung einmal unberücksichtigt lässt, dann kann im Lichte der Flächennutzungserhebungen von 1990 zumindest tendenziell davon gesprochen werden, dass die strukturpolitischen Zielvorstellungen des militärischen Unterbringungsprogramms der fünfziger Jahre sich offenbar nicht im vollen Umfang bzw. nicht überall realisieren ließen. Eine auf der Basis dieser Flächennutzung hinterlegte, qualitative Stationierungsanalyse brachte nämlich zutage, dass die Bundeswehr ihre Soldaten lediglich zu einem Viertel (25,8 Prozent) in ländlichen Regionen stationiert hatte, die einen Anwohneranteil von 16,3 Prozent an den alten Bundesländern ausmachten. Demgegenüber konnte ein signifikantes Land-Stadt-Gefälle belegt werden, wiesen doch Regionen mit großen Verdichtungsräumen bei einem Anwohneranteil von 54,1 Prozent einen Soldatenanteil von 30,4 Prozent auP34. Damit steht dieser Befund auch im Widerspruch zu den Verlautbarungen des Verteidigungsministeriums vom Beginn der siebziger Jahre. Laut Weißbuch 1973/74 sollen zum damaligen Zeitpunkt in 350 Städten und Gemeinden - überwiegend Klein- und Mittelstädte - Soldaten mindestens in Bataillonsstärke stationiert gewesen sein. Die Standorte selbst lagen meist außerhalb der industriellen Ballungszentren »in der östlichen Hälfte« der Bundesrepublik 235 . Nun gibt es begründete Annahmen, dass dieses von den innen- bzw. entwicklungspolitischen Sonntagsreden bzw. den soeben zitierten amtlichen Verlautbarungen doch erheblich abweichende empirische Resultat keineswegs auf militärstrukturelle Veränderungen in den achtziger Jahren zurückgeführt werden kann. Es ist im Gegenteil offenbar als eine seit Aufstellung der westdeutschen Streitkräfte existierende Teilkonstante zu bewerten. Darauf haben wehr- bzw. wirtschaftsgeografische Regionalstudien im Übrigen schon seit den siebziger Jahren immer wieder hingewiesen. So verteilten sich beispielsweise 1975 die 44 000 ha Militärfläche in Nordrhein-Westfalen zu 43 Prozent allein auf die Ballungs- bzw. Industrieregion der Regierungsbezirke Köln und DüsseldorP 36 . Und selbst in Bayern, jenem Bundesland, das im Untersuchungszeitraum über eine geringere Bevölkerung als Niedersachsen verfügte und deutlich agraischer geprägt war, fällt die Raum- bzw. Flächenbilanz in gewissem Sinn ernüchternd aus - wohlgemerkt ausschließlich bezogen auf die verbalisierte politische Messlatte, mit Garnisonen vornehmlich strukturschwache Räume in der Ost233
234 235 236
Zu den in der DDR militärisch genutzten Liegenschaften vgl. Gießmann, Das unliebsame Erbe, S. 177-209. Vgl. auch Armee ohne Zukunft, S. 364. Städtebauliche Möglichkeiten, S. 6. Weißbuch 1973/74, S. 127. Reiners, Militärische Anlagen, S. 165.
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hälfte der Bundesrepublik zu unterstützen. So lagen in Bayern, wo die Bundeswehr in der Mitte der siebziger Jahre 65 Garnisonen unterhielt, zwar 25 - oder 38,5 Prozent - in einer Region, wo die Lebens- und Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden sollten. Führt man allerdings eine ex-post-Regionalisierung der militärischen Standorte auf der Basis jener 18 Planungsregionen durch, die 1972 eingerichtet worden waren, dann ergibt sich freilich ein anderes Bild. Zu so genannten Planungsregionen wurden »Gebiete zusammengefaßt, zwischen denen ausgewogene Lebens- und Wirtschaftsbeziehungen bestehen oder nach den Erfordernissen der Raumordnung entwickelt werden sollen«237. Allein zehn Garnisonen lagen innerhalb der am höchsten entwickelten Planungsregion 14, die sich um die Landeshauptstadt München herumgruppierte. Entscheidendes Kriterium war nun nicht so sehr die Zahl der Garnisonen, sondern die Anzahl der stationierten Soldaten. In der Planungsregion 14 waren zum benannten Zeitpunkt 37 000 Bundeswehrangehörige und damit knapp 30 Prozent des Personals sämtlicher bayerischen Garnisonen stationiert. Berücksichtigt man dabei, dass diese Region mit einem Anteil von nur 7,8 Prozent an der Landesfläche 20,7 Prozent der Einwohner Bayerns auf sich vereinigte, dann überragte die militärische Belegung dieser Planungsregion den Landesdurchschnitt bei weitem. Uberspitzt formuliert, übertraf die militärische Konzentration im Verhältnis noch die Bevölkerungskonzentration. Geradezu umgekehrt verhielt es sich im Zonenrandgebiet, das doch erklärtermaßen im Zentrum militärischer Strukturhilfe stehen sollte. Bei einem Anteil von 25 Prozent an der Gesamtfläche des Freistaats lebten dort nur 20 Prozent der Einwohner. Hier lagen aber 24,6 Prozent - in absoluten Zahlen 16 - der bayerischen Bundeswehrstandorte, und die knapp 20 000 Soldaten machten 14,75 Prozent des Personalumfangs im gesamten Wehrbereich VI aus. Setzt man nun den Anteil des militärischen Personals in Beziehung zur Fläche und zum Bevölkerungsanteil des Zonenrandgbiets, so kann von einer Bevorzugung dieses Raums gerade deshalb nicht gesprochen werden, weil auf 25 Prozent der Fläche Bayerns mit einem Anteil von 20 Prozent der Bürger lediglich 14,5 Prozent der Bundeswehrangehörigen stationiert waren. Demgegenüber waren die Verdichtungsräume, welche »als zusammenhängende Gebiete mit mindestens 100 000 Einwohnerfn] um Kernstädte mit Einwohner/Arbeitsplatzdichte von mindestens 1250«238 definiert wurden - also um Würzburg, Nürnberg/Fürth/Erlangen, Regensburg, Ingolstadt, Neu-Ulm, Augsburg und München - , deutlich im Vorteil. Dort lagen 14 Garnisonen (21,5 Prozent) mit einem Personalbestand von 48 500 Mann, was einem bayernweiten Anteil von 37,4 Prozent entsprach239. Wenn Angehörige der Bundeswehrverwaltung nun zu Beginn der siebziger Jahre verlautbarten, »militärische Überlegungen decken sich vielfach mit den Zielen der Raumordnung, die zum Bei-
237 238 239
Landesplanung, S. 13. Landesentwicklungsprogramm Bayern, S. 28. Vgl. Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 122-140.
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spiel eine Entlastung der Verdichtungsräume anstreben«240, dann kann im Lichte dieser empirischen Befunde weder Nordrhein-Westfalen noch Bayern gemeint gewesen sein. Dennoch wäre es falsch, solche Sätze grundsätzlich unter das Verdikt positiver Public Relations wider besseren Wissens zu stellen. Denn es gab tatsächlich Regionen in der Bundesrepublik, wo eine signifikante Mehrzahl der Standorte außerhalb von Verdichtungsräumen lag. Allerdings waren diese weniger an der Ostgrenze loziert, sondern im Südweststaat BadenWürttemberg. Dessen 27 710 ha Militärfläche beanspruchte ohnehin nur 0,8 Prozent der Landesfläche (Stand 1990), eine Quote, die der im Vergleich mit Bayern deutlich geringeren Zahl von 36 Garnisonen entsprach (Stand 1980). Tatsächlich lagen davon 61 Prozent außerhalb von Verdichtungsräumen und deren Randzonen, hingegen 80 Prozent im strukturschwachen Raum. Lenkt man den Blick auf die 16 Neugründungen von Bundeswehrstandorten, dann fiel die Rate mit einer Lozierung von 90 Prozent »außerhalb der Schwerpunktgebiete Baden-Württembergs« aus Sicht der Landesplanung noch viel erfreulicher aus241. Wenn man an dieser Stelle zur eingangs referierten Besorgnis des Instituts für Raumordnung zurückkehrt, die Integration deutscher Truppen werde das Raumund Siedlungsgefüge der Bundesrepublik entscheidend beeinflussen, dann stellt sich freilich die Frage, ob die bisher referierten summarischen Angaben zur militärischen Flächennutzung allein für eine Relevanzanalyse geeignet sind. Schon der Blick auf die politischen Zielvorstellungen der Ostrandförderung oder auf die Verdichtungsräume hat deutlich gemacht, dass im Lichte des empirischen Datenmaterials hier offensichtlich eine Lücke besteht. Andererseits ist zu vermuten, dass solche Raumbezeichnungen tatsächlich viel zu unscharf sind, um letztlich die Auswirkungen von Militärstandorten bewerten zu können. Denn dass darüber Wirkungsbezüge geschaffen worden sind, steht außer Frage. Anknüpfend an Bundespräsident Walter Scheel, der 1978 in einer Rede über die sittlichen Grundlagen von Verteidigungsbereitschaft und demokratischem Bewusstsein gefragt hat »Wo sind eigentlich diese 500 000 Mann242?«, sind die Wirkungszusammenhänge bei der Raum- und Siedlungsstruktur vermutlich eher auf der Mikroebene nachzuweisen, also bei den Garnisonsstädten und in ihrer näheren Umgebung. Die von Scheel aufgeworfene Frage hatte der dritte Bundesminister der Verteidigung, Kai Uwe von Hassel, im Übrigen schon 14 Jahre vorher beantwortet. Zumindest teilte er einem Kongress von Kommunalpolitikern mit, dass in den Großstädten die Zahl der Garnisonen außerordentlich beschränkt sei. 1964 verfügte die Bundesrepublik über 357 Militärstandorte, von denen mehr als die Hälfte (202) in Gemeinden bis zu 10 000 Einwohnern lagen (137 in kleinen Orten unter 5000 Einwohnern) und lediglich 102 in Städten mit einer Bevölkerungszahl zwischen 10 000 und 50 000243. Um 1970 gab es etwa 550 Garnisons-, Depot- und Übungs-
240 241 242 243
Buchsbaum, Landbeschaffung, S. 373. Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 7. Scheel/Apel, Die Bundeswehr und wir, S. 2. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
platzgemeinden; das waren etwas über 2 Prozent aller Gemeinden Westdeutschlands, die eine wie auch immer geartete militärische Belegung aufwiesen244. Das mochte nun jedoch nicht automatisch bedeuten, in der Mehrzahl der Standorte auch die Mehrzahl der Soldaten anzutreffen. Allerdings können diese Angaben die Hypothese stützen, wonach raumbeanspruchende Maßnahmen der Streitkräfte bei den kleineren Garnsionsorten signifikantere Wirkungen gezeigt haben zumindest in Relation zu Bevölkerungszahl, Siedlungsfläche und Wirtschaftsstruktur. Hierauf den Blick zu werfen erscheint auch deshalb vernünftig, weil ja gerade von der kommunalen Ebene oftmals die Wünsche nach Truppenansiedlung ausgingen. Insoweit kann eine vornehmlich auf die Garnisonsneugründungen fokussierte Raumanalyse auch mit dazu beitragen, die beim Bewerbungsverfahren artikulierten Projektionen auf ihre tatsächliche Standortwirksamkeit zu überprüfen. Um darauf Antworten zu finden, bietet es sich sinnvollerweise an, zunächst von folgenden Kategorien raumwirksamer Effekte auszugehen und die darin enthaltenen Veränderungsimpulse sowohl im zeitlichen Längsschnitt als auch überregional vergleichend zu analysieren: 1. Bodeneffekt 2. Infrastruktureffekt 3. Sozialstruktureffekt 4. Beschäftigungseffekt 5. Wirtschaftseffekt. Im Ergebnis wird eine Antwort auf die Frage nach den Veränderungsimpulsen erwartet, die vom Einbau der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft ausgingen. Qualitativ wird zu untersuchen sein, inwieweit eine so verstandene materielle Integration eher positive oder eher negative Auswirkungen hervorgebracht hat.
3. Der Bodeneffekt Es liegt in der Natur der Sache, dass der Bodenentzug die erste gravierende Begleiterscheinung militärischer Einrichtungen war. Wie immer die Ergebnisse vor dem Hintergrund dieses Wirkungsplafonds im Detail ausfallen mögen, so kann die Bundeswehr bereits im Lichte ihres enormen Flächenverbrauchs und aus umwelthistorischer Perspektive zweifellos zu jenen Körperschaften gezählt werden, welche den bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts reichenden, vergleichsweise umweltverträglichen Entwicklungspfad verlassen haben. Die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte in den fünfziger Jahren fiel mit jener umwelthistorisch als Sattelzeit (Christian Pfister) bezeichneten Epoche zusammen, die in den folgenden Jahrzehnten in eine exponentielle Wachstumsphase mündete. Ein Merkmal dieses als »1950er Syndrom« bezeichneten Prozessses war der quantitativ belegbare Flächenverbrauch, der verbunden mit anderen, im steti244
Vgl. Wöhr, Belastungstatbestände, S. 219 f.
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gen Anstieg begriffenen Faktoren (Energieverbrauch, Abfallvolumen, Schadstoffbelastung von Luft, Wasser und Boden) zu tiefgreifenden sozioökonomischen Veränderungen führte245. Nun könnte man einwenden, dass ähnlich wie beim kommunalpolitischen Ringen um Bundeswehransiedlungen die mit dem Landverbrauch beispielsweise verbundenen agrarstrukturellen Folgen am Anfang dieses Prozesses noch gar nicht überblickt werden konnten. Im Verteidigungsministerium wusste man allerdings sehr wohl, dass mit der Landinanspruchnahme eine Nutzungsänderung des Bodens verbunden sein würde, welche ihrerseits erhebliche Veränderungen der ganzen örtlichen Verhältnisse induzieren konnte. Deshalb war es erklärter politischer Wille, bei der Deckung des Landbedarfs nicht nur dicht besiedelte Räume, landwirtschaftlich ertragreiche Flächen oder sonstige schutzwürdige Gebiete auszunehmen, sondern auch bevorzugt geringwertige Böden in Anspruch zu nehmen. Freilich, und das war bezogen auf die hehre Absicht die Zwickmühle, in der man steckte, »soweit es strategische Erfordernisse irgendwie zulassen«246. Nicht immer ließen diese es zu. Unabhängig von der Bonität mochte die Nutzung des Bodens für militärische Zwecke aber auch andere Folgewirkungen aufwerfen. Außer an die Agrarstruktur könnte man beispielsweise an die Umweltentwicklung oder die Siedlungsstruktur denken. Wenn man den militärischen Landbedarf auf der Mikroebene betrachtet, so wird man generell sagen können, dass in den meisten werdenden Garnisonsgemeinden, die in ländlichen Gegenden lagen, bisher kaum derart große zusammenhängende Flächen arrondiert werden mussten. Dabei zeigte sich die Bundeswehr als »Landfresser« in aufsteigender Tendenz im Großen wie im Kleinen. Schätzte man zu Beginn der fünfziger Jahre den Geländebedarf für eine Truppenunterkunft mit einer Belegungsstärke von 1000 Soldaten auf durchschnittlich 20 ha sowie weitere 120 bis 150 ha für den notwendigen Standortübungsplatz, so wurde 1965 bereits ein Mittelwert von 180 ha angegeben. Zum Ende der sechziger Jahre war der Durchschnittswert laut offiziösen Bundeswehrangaben bereits auf 200 ha gestiegen, davon 180 ha für den Standortübungsplatz247. Knapp zehn Jahre später sah es zumindest im Bundesland Bayern, wofür empirisches Datenmaterial vorliegt, faktisch so aus, dass der Mittelwert um 22,4 Prozent überschritten worden war. Er lag jetzt im Schnitt bei 244,7 ha, wobei 31,6 ha auf das Kasernenareal, 191,2 ha auf den Standortübungsplatz, 13,8 ha auf die Standortmunitionsniederlage und 8,1 ha schließlich auf die Standortschießanlage entfielen. Freilich gab es lokale Abweichungen. Aber, wie die nachfolgenden, in neuen Heeresstandorten mit einer Belegungsstärke von 1000 bis 1500 Soldaten erhobenen Zahlen belegen, war der Trend nach immer mehr Umnutzung von Boden für militärische Zwecke fast überall zu finden248:
245 246 247 248
Vgl. Pfister, Das »1950er Syndrom«. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr, S. 124. Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 32.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Tabelle 28: Flächenverbrauch in ostbayerischen Heeresstandorten mit einer Belegungsstärke von 1000-1500 Soldaten 1975 Standort Bogen Hemau Oberviechtach Neunburg v.W. Cham Roding Ebern Mellrichstadt Donauwörth
Fläche in ha 195 246 244 335 182 208 230 236 202
Unabhängig davon, welche Folgen die neue militärische Nutzung unmittelbar für den Boden brachte, muss zunächst in Rechnung gestellt werden, dass es oftmals kein bundeseigenes Land war, das herangezogen wurde. Für die Jahre 1957 bis 1960 stammten lediglich 6 Prozent des in diesem Zeitraum aquirierten Grund und Bodens aus öffentlichem Besitz. In absoluten Zahlen ausgedrückt, standen 954 ha aus Bundes-, Landes- oder Gemeindeeigentum 14 506 ha gegenüber, die aus Privathand erworben worden sind249. Bei der Darstellung der Garnisonsbewerbungen klang bereits an, wie schwierig die Beschaffung von Grund und Boden für die Errichtung der militärischen Einrichtungen für die Gemeinden im Einzelfall gewesen sein mochte. So waren in Baden-Württemberg zahlreiche Gemeinden nicht in der Lage, die militärischen Flächenforderungen durch Verkauf von gemeindeeigenem Grundbesitz zu befriedigen. Es mussten deshalb oft Grundstücksverhandlungen mit zahlreichen privaten Grundstücksbesitzern geführt werden. Wenn sich diese finanzielle Vorteile versprachen, dann konnte die Transaktion relativ schnell über die Bühne gebracht werden. In der Regel dauerten die Raumordnungsverfahren, innerhalb derer die Grundstücksgeschäfte vollzogen wurden, neun Monate250. Waren aber nur einer oder einige wenige darunter, die sich weigerten zu verkaufen, sei es wegen zu gering gehaltener Bodenpreise, zu schlecht befundenem Ersatzland oder aus Sorge vor Verlust der bäuerlichen Existenzgrundlage, dann konnte es dauern. Zumal es ja nicht um den Erwerb einzelner Grundstücke ging, sondern diese innerhalb der Gemarkungsfläche zusammenhängend bereitgestellt werden mussten. Der sich über zehn Jahre hinziehende Verhandlungsmarathon im fränkischen Heidenheim kann als »Paradebeispiel« für den in Teilen langwierigen Arrondierungsprozess bezeichnet werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass im Landbeschaffungsgesetz zwar durchaus die Möglichkeit der Enteignung eingeräumt worden war, allein es hat 249 250
Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode 1957, Anlagen Bde 58, 64, 71 (1958, 1959, 1960), Drs. 547,1341, 2227. Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 19.
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257
den Anschein, als habe man trotz der militärischen Notwendigkeiten aus klugen, innenpolitischen Gründen ganz selten zu diesem Mittel gegriffen und fast immer auf dem Verhandlungsweg einen für alle Parteien zufriedenstellenden Konsens gesucht. Jedenfalls sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache. Für das Fiskaljahr 1958/59 konnte das Verteidigungsministerium dem Deutschen Bundestag von lediglich 15 Enteignungen im Umfang von 9,8 ha berichten, für die Alliierten rund 35 ha251. Bei 20 000 Beschaffungsfällen im Jahr 1964 lag die Enteignungsquote im Bundesgebiet bei nur 0,4 Prozent252. Und in Bayern wurde im Zuge der bis 1968 durchgeführten 4000 Raumordnungsverfahren für militärische Anlagen lediglich fünfmal zum Mittel der Enteignung gegriffen253. Im Lichte dieser Werte drängt sich die sicherlich zutreffende Feststellung auf, wonach selbstredend auch der materielle Integrationsprozess der Bundeswehr nicht nur der Durchsetzung gesetzlicher Prinzipen gefolgt ist. Ohne dies hier im Einzelfall belegen zu können, scheint es auch die erklärte politische Marschroute der für den Streitkräfteaufbau Verantwortlichen gewesen zu sein, die erst zu gewinnende Akzeptanz der Bundeswehr innerhalb der Gesellschaft nicht durch den übergebührlichen Einsatz solch drastischer Rechtsmittel gegebenenfalls zu belasten. Immerhin rangierte der Schutz des Privateigentums im Unterschied zur Zeit vor 1945 ganz oben auf der verfassungsrechtlichen Werteskala.
a) Agrarstrukturen und ökologische Folgen Wie auch immer das Land für die Bundeswehr beschafft wurde, in vielen Fällen mochte die Flächenarrondierung tatsächlich eine Existenzbedrohung vornehmlich für die betroffenen Landwirte darstellen. Konnte hier ein Ausgleich gefunden werden? In Baden-Württemberg initiierten manche Gemeinden dazu agrarstrukturelle Maßnahmen. Genauer gesagt, man führte eine so genannte private Flurbereinigung durch. Um beispielsweise innerhalb der Gemarkungsfläche von Pfullendorf 245 ha für Kaserne und Übungsplatz bereitstellen zu können, mussten 35 ortsansässige Landwirte im Durchschnitt 30 Prozent ihrer Wirtschaftsflächen abtreten. Um keine Existenzgefährung heraufzubeschwören, kaufte die Kommune in der Nähe derjenigen Landwirte, die Land abgeben mussten, Grundstücke von anderen Besitzern auf und entschädigte die betroffenen Eigentümer: »So kam eine Arrondierung zustande, über welche rückblickend nur wenige Landwirte klagen254.« Die Stadt Külsheim musste 20 Prozent ihrer Gemarkungsfläche (510 ha sowie den Ort Wolferstetten) für die Errichtung einer Garnison an den Bund verkaufen. Ein schwieriges Unterfangen, weil es sich im speziellen Fall um 2500 Parzellen handelte, die 750 Grundstückseigentümern gehörten. Die Existenzbedrohung vieler Bauern war daher sehr groß. In einer Flurbereinigung lag der einzig mögliche Ausweg aus der durch militärische 251 252 253 254
Uberblick über den Aufbaustand. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 19. Kohler, Bundeswehrgamisonen, S. 694.
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Forderungen erzwungenen Situation, die aus geografischer Sicht als »moderne Form totaler Flur- und partieller Ortswüstung bezeichnet werden kann«255 mithin ein negativer Bodeneffekt durch Militäransiedlung. Das 1964/65 angeordnete und 1974 abgeschlossene Flurbereinigungsverfahren sollte sich aber nicht nur als das offenbar beste damalige Mittel vor Ort erweisen, um die Existenz vieler Landwirte zu sichern, welche ursprünglich nur über eine unrentable Betriebsgröße von durchschnittlich 6 ha verfügten. Im Vergleich zu den Nachbargemeinden, deren Flurbereinigungsverfahren erst Mitte der siebziger Jahre anliefen, um zu größeren oder für die Bewirtschaftung günstiger zugeschnittenen Betriebsflächen zu gelangen, verfügte Külsheim vielmehr deutlich früher über Standortvorteile bei der Landwirtschaft, angestoßen durch Maßnahmen der Verteidigung. Überdies kamen die Bauern durch die Grundstücksverkäufe an den Bund zu Bargeld, »das meist zur Anschaffung von Maschinen oder zur Auszahlung von erbberechtigten Geschwistern verwandt wurde [...] und [die] in ihrer Gesamtauswirkung zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung« beigetragen haben soll256. Ortliche Flurbereinigungen im Zusammenhang mit der Landbeschaffung für militärische Zwecke scheinen im gesamten Bundesgebiet im Übrigen relativ weit verbreitet gewesen zu sein. Jedenfalls berichtete davon ein SPD-Abgeordneter im Verteidigungsausschuss. Zudem war es auch finanziell nicht unattraktiv, bestand im Rahmen des Landbeschaffungsverfahrens doch die Möglichkeit, die Flurbereinigungskosten einschließlich der Personalkosten bei den Amtern der Durchführungsebene im Einzelfall mit auf die Kosten der Landbeschaffung zu übernehmen. Eine generelle Kostenübernahme auf den Verteidigungsetat bestand allerdings nicht257. Inwieweit die Maßnahmen der Flurbereinigung dann auf lange Sicht tatsächlich nur positive Folgen für ländlich geprägte Regionen mit sich brachte, muss hier nicht weiter verfolgt werden. Generell hat sich die Gestalt einer oftmals jahrhundertealten Kulturlandschaft jedoch deutlich verändert, nicht selten einhergehend mit erst später aufgetretenen ökologischen Problemen durch die intensive Bodenbearbeitung mit Kunstdünger und Pestiziden sowie durch den Einsatz immer größerer und leistungsfähiger Agrartechnik258. Die mittelbaren Folgewirkungen militärischer Landnutzung liefern jedoch auch das Stichwort, die unmittelbaren Bodeneffekte näher in den Blick zu nehmen. Weil vornehmlich die Standortübungsplätze besonders viel Land beanspruchten und einer intensiven militärischen Nutzung zugeführt wurden, wird man gerade hier schwerwiegende ökologische Folgen zu vermuten haben. Einige Zahlen sollen dazu die Größenordnungen umreißen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums belief sich 1972 die Gesamtfläche aller von der Bundeswehr genutzten Standort-, Panzer-, Pionierwasser- sowie Pionierland255 256 257
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Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 10. Kohler, Bundeswehrgarnisonen, S. 694. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 3. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 105. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 12.1.1961, S. A 5 f. Vgl. generell Born, Die Entwicklung der deutschen Agrarlandschaft. Vgl. auch Hampicke, Landwirtschaft und Umwelt.
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Übungsplätze auf 37 958 ha. Insgesamt waren es zum damaligen Zeitpunkt 241 Areale, wobei die Standortübungsplätze mit 196 deutlich überwogen. Hinzugerechnet werden müssen aber auch jene 142 Standortübungsplätze der Stationierungsstreitkräfte mit insgesamt knapp 23 000 ha. Weiterhin benutzten Bundeswehr und Alliierte zusammen 152 040 ha an Truppenübungs- bzw. LuftBoden-Schießplätzen, womit sich eine Gesamtfläche von 212 918 ha ergab, die permanent unter militärischer Übungsnutzung unterschiedlicher Intensität stand. Entsprechend der Unterdeckung bei den Kasernen zu Beginn der siebziger Jahre war aber auch hier noch keine Ende absehbar. Nach dem Stand vom 1. Januar 1973 sollten für sämtliche Streitkräfte in der Bundesrepublik weiterhin 13 820 ha Grund und Boden für die Umwidmung zu Übungsplätzen beschafft werden 259 . Was den Bodeneffekt anbetrifft, so ist grundsätzlich festzuhalten, dass diese Übungsflächen einer landwirtschaftlichen Nutzung weitgehend entzogen sind, sieht man einmal von der darauf oftmals betriebenen Schafhutung ab. Mitte der siebziger Jahre weideten ca. 40 000 Schafe auf diesen Arealen, was der Bundeswehr 200 000 DM an jährlichen Einnahmen erbrachte260. Vor allem die im Zuge von Garnisonsneugründungen umgewidmeten Flächen stellen der Physiognomie nach Fremdkörper auf den Gemarkungen der Gemeinden dar. Sie sind dem Öd- oder Unland zuzurechnen. Ein zentrales Problem stellte dabei das Anteilsverhältnis von offenem Gelände zum Wald dar. Insbesondere bei der Einrichtung von Standortübungsplätzen konnte relativ viel Wald abgeholzt werden, um die militärische Forderung nach zwei Dritteln Freifläche zu einem Drittel Wald zu erfüllen261. Soweit empirisch für den Untersuchungszeitraum überprüfbar, muss aber auch hier von erheblichen regionalen wie lokalen Schwankungen ausgegangen werden. Exakte Daten liegen lediglich für den Wehrbereich VI, also das Bundesland Bayern, für die Zeit der frühen siebziger Jahre vor. Hier lag der Waldanteil auf den Standortübungsplätzen im Landesdurchschnitt mit 35,3 Prozent (3416 ha) merklich über dem für die militärische Ausbildung von Heerestruppen für sinnvoll gehaltenen Waldsoll von 15 Prozent262. Trotz dieses verhältnismäßig guten Wertes blieben Eingriffe in das Ökosystem Wald auch auf den bayerischen Standortübungsplätzen nicht aus. So waren die Freiflächen bei zwölf Anlagen mit einer Gesamtfläche von knapp 2,2 ha im Verlauf einer neuneinhalbjährigen Nutzungsdauer von 41 auf 45 Prozent angewachsen, während der Forstbestand bezogen auf die Gesamtfläche von ursprünglich 52 Prozent auf 45 Prozent abgenommen hatte. Der Rest von 10 Prozent verteilte sich auf Wege oder Liegenschaften. Besonders deutlich hatte sich die Landschaftsstruktur des zur Garnison Neunburg vorm Wald gehörenden Standortübungsplatzes Bodenwöhr verändert. Waren 1964 bei der Übernahme des 292 ha großen Areals lediglich 1,2 ha Freifläche zu verzeichnen 259 Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 6 - 8 . 260 Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 36. 261 Militärische Infrastrukturforderung in der Fassung v o m August 1968. Vgl. Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 25. 262 Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 36.
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gewesen, so betrug diese 1973 bereits 99,3 ha. Der Nadelwaldbestand verringerte sich im gleichen Zeitraum von 288,72 ha um weit über ein Drittel auf 178,97 ha. Dagegen betrugen die Verdichtungsbereiche, also die Länge der befestigten Straßen, nicht mehr nur 150 m sondern 4000 m263. Aus heutiger ökologischer Perspektive überraschend ist allerdings, dass bundeswehrnahe Agrarwissenschaftler in diesen Befunden zum Zeitpunkt ihrer Erhebung trotz des erklärten Wissens um die damit auf jeden Fall zusammenhängende Beeinflussung des Mikroklimas keine »wesentliche Klimabeeinflussung durch Reduzierung des Waldanteils auf Standortübungsplätzen« zu erkennen glaubten264. Man argumentierte, dass sich die Streitkräfte nicht wie die Industrie an dem unverkennbaren Problem der Luftverschutzung beteiligten, sondern »nur wie Verkehrsteilnehmer«. Bei einem Bestand von 17,7 Mio. Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik im Jahr 1970 hatte die Bundeswehr einen Anteil von etwas mehr als 1 Prozent (186 000). Die durchschnittliche Fahrleistung, also eines der Kriterien für die Schadstoffemission, sämtlicher westdeutscher Kraftfahrzeuge betrug 17 000 km pro Jahr. Die auf 54 Standortübungsplätze in Bayern bezogene Gegenrechnung der Bundeswehr sah wie folgt aus: Pro Jahr würden die Areale an 183 Tagen von Rad-, an 151 Tagen von Kettenfahrzeugen benutzt. Angewiesen auf die Nutzung dieser Plätze waren 15 668 Rad- und 2528 Kettenfahrzeuge, wobei die Kilometerbegrenzung für letztere 1000 km für 1974 betrug. Im Vergleich von Fahrzeugbestand und Kilometerleistung mit dem Gesamtbestand an Kraftfahrzeugen und Fahrleistung in Westdeutschland kam man zu dem Ergebnis, keine ins Gewicht fallende Luftverschmutzung durch Fahrzeuge der Streitkräfte feststellen zu können. Das war gewiss eine Milchmädchenrechnung, schloss sie doch weitere Kriterien der Schadstoffemission (etwa Abhängigkeit von Hubraum zum Kohlendioxydbzw. -monoxyd- oder Rußausstoß) einfach aus. Die tatsächlichen, vermutlich langfristigen Auswirkungen allein dieser Umweltbelastungen auf die Vegetation der Standortübungsplätze zu messen, würde jedoch ein Abgleichen mit den lokalen bzw. regionalen Waldzustandsberichten aus den achtziger und neunziger Jahren erforderlich machen. Aber selbst wenn man die Fahrleistung als einzigen Indikator heranzieht, dann muss auch auf erhebliche lokale Abweichungen hingewiesen werden. Gerade der als Beispiel angeführte Übungsplatz Bodenwöhr hatte nicht allein eine erhebliche Reduzierung seines Baumbesatzes zu verkraften, auch die Platznutzung lag bei den Radfahrzeugen um 73 Prozent (250 Tage im Jahr) und bei den Kettenfahrzeugen um 68 Prozent (220 Tage im Jahr) über dem bayerischen Jahresdurchschnitt265. Dieser Befund lenkt den Blick auf weitere Beeinträchtigungen, welche im Wesentlichen für die Freiflächen galten: Vernichtung der Vegetation, Degradierung des Bodens und partielle Störung der Fauna durch die Bewegungen der schweren Rad- und Kettenfahrzeuge. Geografische Studien zogen 1973 generell 263 264 265
Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 24, 57. Ebd., S. 24. Ebd., Anlage 3.
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die Schlussfolgerung, dass »die vollständige Vernichtung und Unbrauchbarkeit von Übungsplatzgelände [...] bedrohliche Ausmaße [annehme]. Etwa 60 000 ha Boden gelten heute als versteppt, versumpft oder vermint«266. Tatsächlich waren die Schäden durch Bodenverdichtung schwerwiegend. Fahrten von Kettenfahrzeugen im Gelände bewirkten weitflächige Verdichtungszonen - vornehmlich an immer wieder benutzten Fahrstrecken - , wobei die Sickerfähigkeit des Bodens gegen null sank. Weil der Oberboden durch die Gleisketten zerschert, während gleichzeitig der Unterboden verdichtet wurde, kam es auch zu erheblichen Zerstörungen der Vegetation in diesem Bereich. Als weitere Folge stellte sich bei Starkregen eine Bodenerosion ein. Die Versickerung konnte mit den Niederschlagsmengen nicht mehr Schritt halten. Erosionsrillen führten zu metertiefen Verschlammungen und Geröllmassen in den Mulden, wobei hangabwärts führende Panzerspuren diesen Vorgang noch beschleunigen konnten267. Nimmt man wiederum die Datenbasis der bayerischen Standortübungsplätze zur Hand, dann lag zumindest dort aufgrund der generellen Beschaffenheit des Terrains (relativ hohe sand- und lehmhaltige Böden) die Gefährdungsintensität der Bodenabtragung bei 50 Prozent. Dieser als »sehr stark« klassifizierte Wert wurde noch verstärkt durch die oft fehlende Anpflanzung bzw. Vegetation, ein negativer Effekt, welcher sich durch die ständige Befahrung der Bodendecke wiederum potenzierte. Hinsichtlich der Vegetation kam man zu Beginn der siebziger Jahre mit Hilfe von Luftaufnahmen schließlich zu dem traurigen Ergebnis, dass auf den Standortübungsplätzen »leider nicht das Pflanzenkleid den Charakter der Gegend bestimmt, sondern eben das weitgehend fehlende Pflanzenkleid Bedeutung hat«268. Das war aber nur die eine Seite der Medaille! Schon zum Ende der sechziger Jahre schien sich abzuzeichnen, dass die als Ödland bezeichneten Übungsplätze keineswegs grundsätzlich als verlorenes Gebiet betrachtet werden mussten. Es kam auf die Perspektive an. Weil die Gelände einer intensiven wirtschaftlichen Nutzung entzogen waren, beobachteten Landschafts- bzw. Naturschutzfachleute summarisch »eine ökologisch bedeutsame Ansammlung der heimischen Pflanzen- und Tierwelt«269. Die schon mehrfach zitierte Erhebung auf den bayerischen Standortübungsplätzen konnte solches dem Augenschein nach aber nur bedingt bei neun von 54 Arealen bestätigen. Für die Abweichung könnte man sich folgende Gründe vorstellen: Zum einen mag dieser empirische, gleichwohl ökologisch enttäuschende Befund den tatsächlichen lokalen Gegebenheiten entsprochen haben. Eine Überprüfung ist allerdings kaum möglich, beruhte die Datenerhebung doch hauptsächlich auf einer Fragebogenaktion bei den entsprechenden Standortverwaltungen270. Zu vermuten wäre auch, dass die Befragten keineswegs alle Punkte beantwortet haben, wofür es Indizien bei anderen Fragekomplexen gibt. Letztlich mag es aber auch an der Perspektive des 266 267 268 269 270
Roser, Geographische Aspekte, S. 39. Vgl. Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 10. Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 32. Kragh, Der Schutz der Landschaft, S. 226. Das Ausgangsmaterial liegt benannter Studie leider nicht bei.
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Autors bzw. seines Relevanzrahmens für diese Untersuchung gelegen haben. So war Arndt-Diether Thormeyer zum Zeitpunkt seiner Ausarbeitung Brigadegeneral und Stellvertretender Territorialer Befehlshaber bei AFNORTH sowie vor seinem Eintritt in die Bundeswehr als studierter Landwirt wissenschaftlicher Berater für Pflanzenschutz in der chemischen Industrie gewesen. In seiner Studie kommt nun deutlich zum Ausdruck, dass es dem Soldaten bei der Analyse von Umweltentwicklungen auf den Übungsflächen vornehmlich um eine Optimierung dieser Plätze für die adäquate militärtische Nutzung ging. Fragen des Naturschutzes spielten keine Rolle. In zweifacher Hinsicht bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Erläuterung einer Fotografie, auf der von augenscheinlich seltenen Pflanzen umsäumte, mit Wasser gefüllte Sprenglöcher zu sehen sind: »Der Platz ist mit seiner Naßbodenvegetation nur beschränkt für gezielte Ausbildungsvorhaben nutzbar271.« Wenn man dem ehemaligen landwirtschaftlichen Pflanzenschutzfachmann unterstellen will, dass er eine naturnahe Vegetation auf kaum ertragreichen Böden als überflüssiges Unkraut betrachtete, dann stand eine solche Auffassung freilich im Einklang mit dem noch wenig ausgeprägten ökologischen Zeitgeist. Selbst für die organisierten Naturschützer hatte in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik die Produktion von Industrie und Landwirtschaft Vorrang. Bevor ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ein Umdenkprozess einsetzte, zählten Umweltschäden zu den scheinbar unvermeidlichen Folgen von Wirtschaftswachstum und Fortschritt im Allgemeinen. Sicherlich drängte man bei den Verursachern darauf, Schadstoffemissionen zu reduzieren. Passend zur hier in Rede stehenden Vegetation auf militärischen Übungsplätzen stellten Naturschützer aber auch Überlegungen an, wie die Natur besser gegen die Schadstoffe abgehärtet werden konnte, mit anderen Worten, wie sie eine Anpassungsleistung erbringen mochte272. Der generelle Mangel an ökologischem Bewusstsein - im Sinne von Nachhaltigkeit - kann im hier verhandelten Untersuchungsrahmen aber auch empirisch aufgezeigt werden, zumindest tendenziell. Folgt man eher militärkritischen Autoren, so unterlagen Mitte der siebziger Jahre 2,4 Prozent (ca. 600 000 ha) der Wirtschaftsfläche der Bundesrepublik einer militärischen Nutzung. Demgegenüber umfasste die Gesamtfläche der Naturschutzgebiete 1976 lediglich 0,9 Prozent der Landesfläche oder 216 000 ha (die Wirtschaftsfläche entspricht 99,5 Prozent der Landesfläche)273. Trotz eines enormen Anstiegs der Naturschutzgebiete von ca. 450 zu Beginn der Bundesrepublik auf 2380 im Jahr 1987 unterlagen selbst dann noch lediglich 280 000 ha oder 1 Prozent der Landesfläche der schärfsten Form des Naturschutzes274. Obwohl die Umweltrelevanz raumbeanspruchender Maßnahmen im Prinzip seit Beginn des 20. Jahr271 272
273
274
Thormeyer, Landnutzung für sicherheitspolitische Bedürfnisse, S. 27. Vgl. beispielhaft Olschowy, Industrielle Immissionsschäden. Zur Entwicklung von Naturund Umweltschutz in der Bundesrepublik im internationalen Vergleich vgl. Natur- und Umweltschutz. Umweltgutachten 1978, Ziff. 1209. Vgl. Bartjes/Krysmanski/Wiengarn, Militarisierung der Umwelt, S. 1447. Vgl. Ditt, Naturschutz und Tourismus, S. 257.
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hunderts bekannt war (§ 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches), wurden doch erst Anfang der siebziger Jahre Forderungen nach einem umweltbewussteren Verständnis der Raumordnung mit größerem Nachdruck erhoben. Nahezu überall in Westeuropa geriet der Umweltschutz zu einer staatlichen Aufgabe von eigenem Gewicht275. Es mag auf den ersten Blick überraschen, wenn die umweltpolitischen Impulse, denen die Bundesrepublik um die Wende von den sechziger zu den siebziger Jahren unterlag, nicht allein auf die USA als damaliger Vorreiter in Umweltfragen zurückgingen, sondern hierbei auch Initiativen aus der NATO eine doch wichtige Rolle spielten. Dabei passte es durchaus in deren Grundorientierung seit ihrer Gründung, sich nicht nur als ein reines Militärbündnis zu verstehen, sondern vor dem Hintergrund einer weiter gefassten Verteidigungsphilosophie vielmehr immer auch für politisch relevante westliche Werte einzutreten oder dies zumindest zu versuchen276. Ganz in diesem Sinne hatte der amerikanische Präsident Richard Nixon anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums der NATO vor den Außenministern der Mitgliedsländer dazu angeregt, die beiden traditionellen Aufgaben des Bündnisses - militärischer Schutz und politische Beratung - um eine dritte Dimension zu erweitern, welche um die Entwicklung von Lösungsvorschlägen für die gesellschaftspolitischen Probleme der Zeit kreisen sollte. Neben anderen Faktoren benannte er nachdrücklich die Umwelt. NATO-Generalsekretär Manlio Brosio konkretisierte den Appell aus dem Munde des höchsten Repräsentanten der westlichen Führungsmacht mit einer umweltpolitischen Themenliste, die u.a. folgende Problemfelder umriss: Luft-, Boden- und Gewässerverschmutzung, Klimauswirkungen durch Zunahme der Kohlendioxydemission, Wetterund Klimakontrolle, Lärm, Verkehrswesen. Noch im Sommer desselben Jahres beschloss der NATO-Rat daraufhin einen entsprechenden Ausschuss für die Probleme der modernen Gesellschaft (Committee on the Challenges of Modern Society - CCMS) einzurichten, der schließlich Ende 1969 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat. Die Große Koalition in Bonn hatte diese Initiative trotz verbaler politischer Zustimmung durch Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger zunächst etwas dilatorisch behandelt. Offenbar waren ihr die damit angeschnitteten Problemkreise nicht wichtig genug. Weil aber die NATO eine klare Erwartungshaltung gegenüber den europäischen Staaten und damit auch gegenüber der Bundesrepublik an den Tag legte, sich an Vorschlägen für die Konzeptionierung einer Umweltpolitik zu beteiligen, musste Bonn seine bisherige abwartende Haltung aufgeben - nicht zuletzt auch deshalb, um die Gefahr von Prestigeeinbußen abzuwehren. Im Übrigen trafen die Erwartungen des Bündnisses mit den generellen Reformabsichten der neuen sozialliberalen Regierung zusammen, welche schließlich am 29. September 1971 ihr Umweltprogramm verabschiedete277. Damit ergriff die Bundesregierung auch im Hinblick 275
276 277
Zur Entwicklung von Umweltschutz und Umweltpolitik in der Bundesrepublik vgl. Ditt, Die Anfänge der Umweltpolitik. Vgl. auch Bergmeier, Umweltgeschichte der Boomjahre. Vgl. Krüger, Sicherheit durch Integration?, passim. Vgl. Ditt, Die Anfänge der Umweltpolitik, S. 320-328. Vgl. auch Hünemörder, Vom Expertennetzwerk zur Umweltpolitik.
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auf die gesamteuropäische Umweltproblematik insofern die umweltpolitische Initiative, als sie die bisherigen Instrumente der Infrastruktur- und Raumordnungspolitik um ein neues, das der vorausschauenden Umweltplanung erweiterte. Künftig sollten bei allen raumverändernden Maßnahmen auch ökologische Maßstäbe beachtet werden. Raum und Naturgrundlagen wie Wasser, Luft, Rohstoffe und Boden sollten nur so weit in Anspruch genommen werden dürfen, damit auch die nachfolgenden Generationen noch den größtmöglichen Nutzen davon hätten. Tatsächlich führten die staatlichen Maßnahmenbündel innerhalb weniger Jahre auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene etwa zur Reduzierung von Schadstoffen und zu einer Verbesserung der Wasserqualität. Problematisch blieb allerdings der Naturschutz, weil der Trend zu einer extensiven Landwirtschaft aus ökonomischen Gründen weiterhin politische Priorität besaß. Mit der Folge, dass sich die Landwirtschaft als größter Flächennutzer in der Bundesrepublik wegen der immer weiter zunehmenden Mechanisierung und Chemisierung der Produktion »zum größten Artenvernichter entwickelte«, um beispielsweise die Negativrelevanz auf Flora und Fauna zu benennen278. Wenn man an dieser Stelle der weit über den engeren Untersuchungszeitraum hinausreichenden allgemeinen Umweltprojektionen, die ihre Impulse auch aus dem westlichen Militärbündnis erhalten hatten, wieder zurückkehrt in jene Zeit, in der die umfangreichsten Flächenveränderungen für militärische Zwecke stattgefunden haben, dann lässt sich zunächst einmal Folgendes feststellen: Zivile Stellen wie auch die Bundeswehr gingen in den fünfziger und sechziger Jahren mit den ökologischen Folgen auf den zu Standortübungsplätzen umgewidmeten Böden zwiespältig um. Die militärische Seite, der selbstverständlich bewusst war, dass landnutzende Maßnahmen zwangsläufig zu Interessenkollisionen etwa mit dem Naturschutz führten, stand bei ihren Maßnahmen allerdings im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen. Denn die rechtlichen Grundlagen des Natur- und Landschaftsschutzes, wie sie 1936 im Reichsnaturschutz verankert worden waren, galten weiter fort - obwohl in der Präambel vorangestellte typische Gedankengänge des NS-Regimes sowie gewisse autoritäre Regelungen (z.B. entschädigungslose Enteignung oder Auschluss verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung von Entscheidungen der Naturschutzbehörden) sich nicht mehr mit der freiheitlichen Fundierung des Grundgesetzes vereinbaren ließen. Forderungen, die aufgrund dessen darauf hinausliefen, diesem als typisch nazistisch bezeichneten Gesetz die Weitergeltung zu versagen, wurde von bundeswehreigenen Juristen allerdings entgegengehalten, dass der Gedanke des Naturschutzes keineswegs eine Erfindung des Nationalsoziaismus gewesen sei. Unter Hinweis auf den seit der Jahrhundertwende aufgekommenen Naturschutzgedanken verwies man beispielsweise auf einen Erlass des Preußischen Kriegsministeriums vom 13. September 1907 (Förderung der Naturdenkmalpflege durch die Intendanturen), wonach auch militärisch genutzte Flächen in den Dienst des Naturschutzgedankens zu stellen 278
Ditt, Die Anfänge der Umweltpolitik, S. 344. Zur europäischen Umweltpolitik vgl. Pohl, Grün ist die Hoffnung.
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seien. Auch wenn die Weitergeltung des Gesetzes von 1936 nach 1949 durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 1958 an die positiven, rechtstaatlichen Bestimmungen des Grundgesetzes gebunden war, legte man im Verteidigungministerium aus naheliegenden Gründen großen Wert auf die weiterhin wirksamen Bestimmungen in § 6 des Reichsnaturschutzgesetzes: »Durch den Naturschutz dürfen Flächen, die ausschließlich oder vorwiegend Zwecken der Wehrmacht, der wichtigen öffentlichen Verkehrsstraßen, der Seeund Binnenschiffahrt oder lebenswichtiger Wirtschaftsbetriebe dienen, in ihrer Benutzung nicht beeinträchtigt werden.« Daraus ergab sich einerseits, dass die der Bundeswehr dienenden Flächen nicht zu einem Naturschutz- oder Landschaftsschutzgebiet bzw. zu einem Naturdenkmal umgewidmet werden durften. Zum anderen waren aber damit Einwendungen der Naturschutzbehörden, die grundsätzlich bei Maßnahmen oder Planungen, die zu wesentlichen Veränderungen der freien Landschaft führen konnten, beteiligt werden mussten »insoweit jedoch unbeachtlich, als ihre Berücksichtigung zu einer Beeinträchtigung der militärischen Zweckbestimmung dieser Flächen führte«279. Diese Rechtsauffassung blieb nun keinesfalls nur Hypothese, sondern sie wurde nötigenfalls auch durchgesetzt. Dabei schien der Bundeswehr sehr daran gelegen zu sein, Streit in natur- und landschaftzschutzrechtlichen Fragen nicht unbedingt vor den dafür zuständigen Verwaltungsgerichten ausfechten zu lassen, sondern das Problem außergerichtlich im Rahmen der Bestimmungen des für sie günstigeren Landbeschaffungsgesetzes abschließend zu klären. Als beispielsweise der Interministerielle Auschuss für Verteidigungsfragen in Nordrhein-Westfalen die Hardthöhe aufforderte, für die Anlage Buchhagen deshalb eine Ausnahmegenehmigung bei der unteren Verwaltungsbehörde einzuholen, weil ein Teil des Terrains in einem Landschaftsschutzgebiet lag, sträubte sich die Liegenschaftsabteilung dagegen, indem sie die Grundsatzfrage aufwarf, »in welchem Umfang Fragen des Natur- und Landschaftsschutzes im Anhörungsverfahren gem. § 1 Abs. 2 LBG abschließend zu behandeln sind und inwieweit noch Raum bleibt für ein Genehmigungsverfahren vor den Naturschutzbehörden«280. Nun schmeckten die Regelungen des Landbeschaffungsgesetzes der Bundeswehr deshalb besser, weil beim dabei vorgeschriebenen Raumordnungsverfahren die Landesregierungen zu den Verteidigungsvorhaben unter angemessener Berücksichtung auch zu den Belangen des Naturschutzes lediglich Stellung zu nehmen hatten. Hinter der insinuierenden Formulierung, wonach eine unterschiedliche Beurteilung des Vorhabens im Anhörungs- und im Genehmigungsverfahren kaum vorstellbar sei, steckte nun folgendes Kalkül: Im Unterschied zu einem Genehmigungsverfahren unter den Normen des Naturschutzgesetzes konnte man sich nämlich über die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens nach Landbeschaffungsgesetz im Zweifels- bzw. Bedarfsfall hinweg-
279
280
Mussei, Anlagen der Bundeswehr, S. 214. Vgl. Oberkrome, Kontinuität und Wandel im deutschen Naturschutz. BA-MA, BW 1/28711, Schreiben vom 22.5.1962.
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setzen (§ 1 Abs. 3 LBG)281. Zusätzlich zu diesem Verfahrensargument wartete das Verteidigungsministerium im konkreten Vorgang mit einem weiteren, rechtshierarchischen Argument auf, welches die wenig durchschlagenden naturschutzrechtlichen Gegenvorstellungen noch mehr abzuschwächen geeignet schien. Die Weitergeltung des Reichsnaturschutzgesetzes seit 1958 im Rahmen der Landesgesetzgebung konnte den Bund in Ausübung seiner Verteidigungshoheit - dazu zählte man offensichtlich auch die Landbeschaffung für militärische Zwecke - deshalb nicht binden, weil gemäß Art. 73 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz in Verteidigungsangelegenheiten ausschließlich dem Bund zugewiesen worden war. Um in Fragen des Vorrangs von den Aufgaben der Verteidigung vor dem Landschafts- bzw. Naturschutz nun überhaupt keine Lücke aufkommen zu lassen, offensichtlich maß das Verteidigungsministerium seinen Rechtsargumenten selbst nicht das letztlich dominierende Gewicht zu, bemühte man in der Sache noch eine qualitative Beweisführung, welche den für den Naturschutz zuständigen Gremien eine militärische Kompetenz absprach: »Weiterhin ist der im deutschen öffentlichen Recht allgemein anerkannte Rechtsgrundsatz zu berücksichtigen, daß ein Hoheitsträger (Land) nicht befugt ist, in die hoheitliche Tätigkeit eines anderen Hoheitsträgers (Bund) einzugreifen. Eine andere Auffassung würde die Naturschutzbehörden weit überfordern, müßten sie doch strategische und taktische Erwägungen anstellen, um beurteilen zu können, ob die militärischen Interessen den Vorrang vor Naturschutzinteressen haben sollen oder nicht282.« Gewiss war dies ein »Totschlagsargument«, jedoch vom Standpunkt der Streitkräfte und in der Sache wohl nicht ganz zu Unrecht vorgebracht, zumindest vor dem Hintergrund der Verteidigungsmentalität dieser Epoche. Je mehr Zeit allerdings ins Land ging und ein gesamtgesellschaftliches Umweltbewusstsein zunehmend an Gewicht gewann, desto schwieriger wurde es, den raumbeeinflussenden Maßnahmen der Verteidigung weiterhin nahezu absoluten Vorrang zuzugestehen - freilich innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Ganz allgemein, und nicht nur bezogen auf die Maßnahmen der Verteidigung, sollte sich in der Bundesrepublik bis zur Mitte der siebziger Jahre ein Perpektivenwechsel vollziehen, der, um die Vorgaben des Bayerischen Landesentwicklungsplans als pars pro toto zu bemühen, »bei Zielkonflikten zwischen wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Interessen und den Erfordernissen des Umweltschutzes letzteren Vorrang [einräumt], wenn es um [...] insbesondere den Gesundheitsschutz der Bevölkerung geht«283. Dabei begleitete die Kritik an und die Sorge vor den Folgen der hier im Blickpunkt stehenden raumbeanspruchenden Vorhaben die Aufstellung der Bundeswehr von Anfang an, wenngleich nicht flächendeckend, sondern eher punktuell. Und es standen zunächst auch nicht die ökologischen sondern vielmehr die ökonomischen Effekte im Vordergrund. Besonders plakativ, ein bisschen populistisch und sicherlich nicht ohne Hinter281 282 283
Vgl. Schwalm, Landbeschaffung. BA-MA, BW 1/28711, Schreiben vom 22.5.1962. Landesentwicklungsprogramm Bayern, S. 393.
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gedanken im Kampf gegen die zur Aufrüstung drängende Regierungsmehrheit drückte es die der SPD nahestehende Neue Rhein-Zeitung so aus: »Alarmstimmung in den ländlichen Wohngebieten am Westrand des Truppenübungsplatzes Senne in Westfalen! 83 Bauern und 91 Pächter haben einen geharnischten Protest gegen die vom Bundesverteidigungsministerium geplante Erweiterung des Truppenübungsplatzes losgelassen. Sie erklärten, bis zum äußersten für ihr Recht kämpfen zu wollen. Nur mit »brutaler Gewalt< werde man sie aus ihren Häusern verjagen können284.« Bereits während der Planungsphase neuer Garnisonen bedauerten manche Behörden, die im Rahmen der Raumordnung zur Stellungnahme aufgefordert worden waren, die Zweckentfremdung von land- und forstwirtschaftlichem Boden. Das Landwirtschaftsministerium etwa enthielt sich 1956 bezüglich Cham nur deshalb eines Einspruchs, weil »in diesem Falle das öffentliche Interesse an diesem, für das Wirtschaftsleben des ganzen Grenzlandbezirkes im allgemeinen und das der Stadt Cham im besonderen, bedeutsamen Projekte in einem Maße überwiegt, daß Einwände und Bedenken der Landwirtschaft zurückgestellt werden müssen«285. Nicht so das Forstamt Ebern, welches 1955 die wirtschaftlichen Gründe für die Einrichtung einer Garnison zwar anerkannte, diese jedoch »aus forstlichen Gesichtspunkten heraus« nicht befürwortete286. Der aus ökologischen Erwägungen erfolgte Einspruch wurde allerdings übergangen, wie andernorts auch. Selbst dort, wo bereits relativ frühzeitig ein politischer Wille zum Schutz der Umwelt artikuliert wurde. So sollten beispielsweise durch die am 6. September 1961 erlassene Landschaftsschutzverordnung des ostbayerischen Landkreises Roding auch Landschaftsteile unter Schutz gestellt werden, die für die Bildung eines Standortübungsplatzes benötigt wurden. In Konsequenz dazu stellte sich der Landkreis auf den Standpunkt, dass eine militärische Inanspruchnahme fraglicher Grundstücke für Verteidigungszwecke nicht mehr zulässig sei. Die Infrastrukturabteilung im Verteidigungsministerium wies das Ansinnen allerdings als unzutreffend zurück. Zum einen datiere der Erlass zur Einleitung des Raumordnungsverfahrens auf den 11. November 1959, dem die Bayerische Staatskanzlei gemäß § 1 LBG schließlich am 13. März 1961 - also vor der Verabschiedung der regionalen Landschaftsschutzverordnung - zugestimmt hatte. Zum anderen verwies man auf die Fortgeltung des Reichsnaturschutzgesetzes, wonach bei Interessenkollisionen des Naturschutzes mit Aufgaben der Landesverteidigung als der privilegierten Hoheitsverwaltung der Vorrang eingeräumt wurde. Eine nachträgliche Unterschutzstellung war demnach nicht nur unwirksam, sondern die Infrastrukturfachleute in Bonn konnten auch mit Recht argumentieren, dass darüber hinaus keinerlei rechtliche Bedenken gegen die Landbeschaffung für diesen Übungsplatz bestanden287.
284 285
286 287
Senne-Bauern weichen nur der brutalen Gewalt. In: Neue Rhein-Zeitung, 2.11.1957. BA-MA, BW 1/4492, Landwirtschaftsamt Cham an Bezirksplanungsstelle Regensburg, 23.5.1956. Ebd., BW 1/5350, Forstamt Ebern an Stadtrat Ebern, 24.10.1955. Ebd., BW 1/28711, Beurteilung der Rechtslage betr. Truppenübungsplatz Nittenau, 26.6.1962.
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Vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte westdeutscher Streitkräfte und ihres Einbaus in die schon ausgestaltete demokratische Staatsform versteht es sich nachgerade von selbst, dass auch die umweltberührenden Folgen der militärischen Flächennutzung unter parlamentarischer Beobachtung standen. Am Beginn der Epoche war dies allerdings noch ein wenig ausgeprägtes »zartes Pflänzchen«. So gab sich die Bundestagsabgeordnete Dr. Emmy Diemer-Nicolaus 1963 auf ihre Anfrage, inwieweit bei Bundeswehrbauten die Maßnahmen der Landschaftspflege beachtet würden, offensichtlich mit der lapidaren Antwort zufrieden, diesen würde Rechnung getragen. Dahinter lugte im Übrigen ein seit den dreißiger Jahren besonders in Deutschland gepflegtes Naturschutzargument hervor, welches vornehmlich darauf abzielte, Bauten der Technik und der Wirtschaft in erster Linie möglichst ästhetisch und erst in zweiter Linie auch ökologisch in die jeweilige Landschaft einzupassen288. Ohne letztlich mit konkreten Angaben aufzuwarten, verstand auch Verteidigungsstaatssekretär Volkmar Hopf unter der Beachtung von Landschafts- bzw. Naturschutz »die Erhaltung der Landschaft, ihre Kultivierung durch Zupflanzung und das Abdecken etwa störender Bauten«289. Die Bedenken gegen eine übermäßige militärische Nutzung der Natur blieben aber augenscheinlich bestehen, so dass sich Verteidigungsminister von Hassel 1964 gar zu der Polemik hinreißen ließ, es komme nicht darauf an, ob »ein Panzerübungsplatz [...] vielleicht eines Tages ein schöner Erholungsort und eine Erholungsstätte oder ein Erholungsgebiet werden könnte. Lediglich die Frage sei interessant, ob auf diesem Panzerübungsgelände deutsche oder sowjetische Panzer führen. Etwas anderes interessiert leider nicht«290! Dabei umriss Hassel plakativ einen Interessengegensatz, der einerseits auf das Dauerproblem von zu wenig militärischer Übungsfläche und andererseits auf den sich in diesen Jahren verstärkenden Trend zur Schaffung von Kompensationsräumen in der Natur für Zivilisationsgeschädigte Städter hinweist. Die Erschließung der Natur und Landschaft für den mit dem »Wohlstand für alle« einhergehenden gesellschaftlichen Freizeitkonsum291 war aber nicht nur ein zentrales Anliegen in Naturschutzkreisen, sondern innerhalb dieses Prozesses gerieten auch die schon vorhandenen großen militärischen Übungsbereiche oder die für eine militärische Nutzung vorgesehenen Flächen fast zwangsläufig mit in das Blickfeld daran immer stärker interessierter Bevölkerungskreise. Hinter ökologischen Beweggründen verbargen sich aber auch oft ökonomische Argumente, vornehmlich in der Frühphase dieses Prozesses. So etwa im 288 289 290 291
Ditt, Naturschutz und Tourismus, S. 258 f. Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/1665, S. 4621 B. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 197. Während beim Freizeitverhalten der bundesdeutschen Familien an den Wochenenden bis zum Ende der fünfziger Jahre noch vornehmlich die »Häuslichkeit« dominierte, geriet im selben Zeitraum die Urlaubreise zunehmend zur gesellschaftlichen Norm. Diese führte zum weitaus überwiegenden Teil zunächst noch zu inländischen Zielen. Vgl. Schildt, Moderne Zeiten, S. 151, 195, 363-384. Zur Entwicklung der touristischen Erschließung von Naturräumen vgl. Ditt, Naturschutz und Tourismus, bes. S. 257-264.
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Falle der Wiederinanspruchnahme eines ehemaligen, ca. 260 ha großen Wehrmachtflugplatzes im niederbayerischen Pocking. Diese noch Ende der fünfziger Jahren mit Flüchtlingen belegte Anlage sollte wegen ihres geschlossenen Areals zu einem Standort für ein Panzerbataillon umgebaut werden. Aufgrund des in unmittelbarer Nachbarschaft geplanten Thermalbades in Füssing kam es jedoch 1959 zu einem Interessengegensatz zwischen den Initiatoren dieser Kureinrichtung, darunter verschiedene Landkreise und der Bezirkstag von Niederbayern, mit dem Verteidigungsministerium. Bringt man die Eingaben der gewiss nicht militärfeindlichen Thermalbadschöpfer auf den Punkt, dann besorgte man hier die Furcht vor Motorengeräuschen oder Staubbelästigung in unmittelbarer Nachbarschaft (1,5-2 km) zur Kuranlage weniger als Beeinträchtigung der Gesundheit denn vielmehr als Behinderung der Rentabilität dieser Einrichtung selbst unter den vom Landesgesundheitsrat vertretenen Angehörigen der ärztlichen Standesorganisationen292. Mit der Frage der Lebensumstände hatte es dann schon gar nichts mehr zu tun, wenn ein Bundestagsabgeordneter und Parteifreund des Verteidigungsministers mit dem politischen Argument aufwartete, dass er im Kreistag bereits »zwei scharfe Resolutionen seitens der SPD verhindert« habe293. Um die politische Linie aber weiter halten zu können, empfahl er Strauß, die gemachten Einwände zu respektieren und auf den Parizerstandort zu verzichten. Den interessierten jedoch weder diese doch sehr lokalpolitischen Argumente noch erschienen ihm die beharrlich aus Niederbayern vorgebrachten Umweltgründe überzeugend. Zumal die Bundeswehr durchaus ein gewisses Entgegenkommen signalisierte, indem man zur Verhinderung von Geräuschbelästigungen die Pflanzung eines Lärmschutzwaldes zusagte. Als nun der Bezirkstagspräsident, erklärtermaßen selbst Forstwirt, den Verteidigungsminister belehrte, wie lange solch eine Schutzbepflanzung zum Wachstum benötigte, bis sie allenfalls eine Blick- und keine Geräuschkulisse darstellte (20 Jahre), konnte der sichtlich genervte Strauß nicht mehr an sich halten. Wohl auch deshalb, weil der Provinzparlamentspräsident »mit allem Nachdruck die höfliche wie energische Bitte [wiederholte], daß eine andere Disposition von Ihrem Ministerium für den ehemaligen Flugplatz Pocking gesucht und gefunden werden muß«, entschied jener per handschriftlicher Marginalie: »Jetzt erst recht nicht294!« Zeittypisch setzte sich der »pflichtgemäß« handeln müssende Verteidigungsminister auch durch, wogen doch die »dringenden Erfordernisse der Landesverteidigung gerade im bayerischen Osten und die Erfüllung unserer Bündnisverpflichtungen« ungleich schwerer295. Im Großen und Ganzen aber scheinen die Bewohner der alten wie neuen Garnisonstädte die negativen Begleiterscheinungen der permanenten Truppenpräsenz zumindest in den fünfziger und noch weit in die sechziger Jahre hinein weitgehend klaglos akzeptiert zu haben. Schließlich waren die Übungsplätze 292
293 294 295
BA-MA, BW 1/12339, 1. Vorsitzender des Bayerischen Landesgesundheitsrats an BMVg, 11.8.1959. Ebd., MdB Franz Xaver Unertl an BMVg, 27.6.1959. Ebd., BMVg an Bezirkstagspräsident Niederbayern, 8.7.1959. Ebd., BMVg an den bayerischen MinPräs, 29.7.1960.
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militärisches Sperrgebiet und zumeist noch relativ abseits der zivilen Wohngebiete gelegen. Die so genannten Manöver- oder Flurschäden, die im Untersuchungszeitraum in nicht unerheblichen Maße auftraten, können hier weitgehend unberücksichtigt bleiben. Selbstverständlich stellten sie einen enormen negativen Effekt von Streitkräften im Allgemeinen dar, der schubweise und meist regionsübergreifend außerhalb der permanenten Übungsgebiete auftrat296. Sie standen allerdings in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausfächerung von Bundeswehrwehrgarnisonen und deren lokalen bzw. ortsnahen Folgen. Dennoch ist zu konstatieren, dass sich besonders Luftkur- oder Fremdenverkehrsorte von den aus Rücksicht auf Vegetationsschäden bzw. zur Minimierung der Entschädigungsleistungen vornehmlich im Herbst abgehaltenen Manövern dann doch stark belästigt oder gar wirtschaftlich beeinträchtigt sahen, wenn sie sich auf die so genannte Nachsaison spezialisiert hatten. Gegen Ende der sechziger Jahre lag der Landesregierung in Kiel sogar der Wunsch einer Kreisverwaltung vor, die Bundeswehr möge ihr vom Fremdenverkehr geprägtes Kreisgebiet generell von jeglichen Übungen ausnehmen297. Noch bevor die sozialliberale Koalition ab 1970 ihr um weltpolitisches Reformprogramm in Kraft setzte, konfrontierten im Frühjahr 1969 verschiedene SPD-Bundestagsabgeordnete die Bundesregierung mit folgender Anfrage: 1. »Ob ein landschaftlich schöner, zu Übungszwecken nicht benutzter Teil eines Truppenübungsplatzes an Wochenenden für die Bevölkerung zugänglich gemacht werden kann, wenn Bedarf an einem Erholungsgebiet besteht? 2. Ob dort nicht für diese Zeit zumindest einige Spazierwege ausgewiesen werden können298?« Der zur Beantwortung verpflichtete Verteidigungsminister drehte das der Anfrage vermutlich zugrunde liegende Gesundheitsargument zunächst einmal um, indem er Truppenübungsplätze - nicht unzutreffend - wegen der Folgen der dort abgehaltenen militärischen Übungen als eine ständige Gefahrenquelle bezeichnete, vor der die Bevölkerung geschützt werden musste. Einer Lockerung des durch Schilder markierten Betretungsverbots stand zum einen die permanente Nutzung dieser Areale auch am Wochenende entgegen, Folge eines Mangels an Übungsgelände in der Bundesrepublik. Zum anderen bargen Geländeteile, die wegen ihrer geologischen oder geografischen Verhältnisse bei Übungen kaum betreten, sondern als Zielgebiete für den scharfen Schuss verwendet wurden, wegen der nicht aufgefundenen Blindgänger oft ein hohes Gefährdungspotenzial. Weil militärische Ausbildungseinrichtungen weithin auf 296
297 298
Umfassend mit Statistiken zu Manöverschäden hierzu Roser, Geographische Aspekte, S. 46-78. Unabhängig von den direkten Raumwirkungen induzierten Manöver natürlich auch indirekt bzw. mittelbar negative Umwelteffekte, die mit dem Ausstoß von Schadstoffen zusammenhingen. Laut Weißbuch 1971/72, S. 33 verbrauchte eine PzGrenBrig während einer zweiwöchigen Übung 825 m 3 Betriebsstoff. Ein F-104 Jagdbomberbeschwader verbrauchte 1970 etwa 35 000 m 3 Betriebsstoffe, was umgerechnet der Transportkapazität von 35 Güterzügen mit jeweils 50 Kesselwagen von 20 Tonnen entsprach. Merten, Bundeswehr und Fremdenverkehr. Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, Anlagen Bd 128 (1959), Drs. V/3953.
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Kinder und Jugendliche eine besondere Anziehungskraft ausübten, sollten diese wegen der dort lauernden Gefahrenquellen unbedingt ferngehalten werden. Schließlich sah sich der Minister auch nicht in der Lage, für bestimmte Zeiten zumindest einzelne Spazierwege ausweisen zu lassen, weil Wanderwege in der Regel so unübersichtlich verliefen, »daß sowohl ein unbeabsichtigtes Verlassen als auch ein beabsichtigtes Einsickern in das Gelände nicht immer bemerkt werden kann«. Um Nämliches zu verhindern, stand kein ausreichendes Personal zur Verfügung. Sein Bedauern, einer generellen Öffnung militärisch genutzten Geländes leider nicht zustimmen zu können, versuchte Minister Gerhard Schröder freilich mit dem Hinweis in ein etwas freundlicheres Licht zu tauchen, dass in besonderen Einzelfällen, etwa zum Besuch von Gedenk- oder Kultstätten, auch weiterhin Ausnahmegenehmigungen erteilt würden. Die mit einem unpassenden Schlussargument - zumindest bezogen auf die Umweltproblematik - beantwortete Anfrage aus den Reihen der Opposition stand im Übrigen auch konträr zu einem innenpolitischen Entwicklungsziel der CDU/CSU-geführten Bundesregierung. Im Bundesraumordnungsgesetz war 1965 nämlich die Sorge für ausreichende und überregionale Erholungsgebiete in angemessener Zuordnung zu den Ballungsgebieten ebenso festgeschrieben worden, wie die Verpflichtung zur Wiederherstellung und Pflege der Landschaft und des Gleichgewichts ihres Naturhaushalts299. Zumindest belegt die überwiegend nach 1955 erfolgte Lozierung der Standortübungsplätze im schon mehrfach als Referenzbeispiel herangezogenen Bayern, dass gerade diesem raumordnungspolitischen Entwicklungsziel mit seinen vielfältigen ökologischen Weiterungen kaum hinreichend entsprochen worden war. Zehn der 48 Standortübungsplätze der Bundeswehr im Wehrbereich VI lagen innerhalb von »Räumen zur stadtnahen Erholung um die Kernstadt eines Verdichtungsraumes«. Außerhalb jeglicher Naherholungsräume befanden sich hingegen nur elf Standortübungsplätze, was in einer entsprechenden Studie zu dem Umkehrschluss führte, wonach zwei Drittel der Standortübungsplätze innerhalb der Naherholungsgebiete lagen300. In anderen Regionen Westdeutschlands sah es ganz ähnlich aus. Innerhalb eines Naturparkareals im westlichen Teil des nordrhein-westfälischen Industriereviers, welches als Naherholungsgebiet zur aktiven Freizeitbeschäftigung stark frequentiert wurde, lagen 20 Verteidigungsanlagen verschiedener Art. Mit einem Umfang von 27 km2 waren der Bevölkerung zu Erholungszwecken rund 15 Prozent entzogen. Durch die Anordnung von Schutzbereichen vor allem für Depots wurden die Nutzungsbeschränkungen noch vergrößert301. Wenn die Bundeswehr mit dem Problem Freizeit- bzw. Erholungsräume versus militärisch genutzte Flächen konfrontiert wurde, dann reagierte sie außer mit der zweifellos zutreffenden Feststellung, dass diese großflächigen Militärarilagen bestanden, bevor ein Naturpark gegründet worden war, grund299 Vgl. Ley, Naturschutz, Landschaftspflege und Erholungsplanung. 300 301
Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 35,146. Reiners, Militärische Anlagen, S. 186.
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sätzlich auch mit einem Verweis auf die verteidigungspolitischen Notwendigkeiten, denen sich die Gemeinschaft zu beugen habe. In einem Artikel zum Thema »Bundeswehr und Fremdenverkehr« legte der offensichtlich bundeswehrnahe Autor die Messlatte noch 1969 besonders hoch - ganz der Linie des ehemaligen Verteidigungsministers von Hassel folgend. Der Bitte einer Kreisverwaltung aus dem Fremdenverkehrsland Schleswig-Holstein, ihren Landstrich generell von Manövern auszunehmen, konnte seiner Meinung nach aus folgenden Gründen nicht stattgegeben werden: »Wer die Freiheit will, muß auch ihre Verteidigung wollen. Diese Einsicht muß auch jeder Erörterung des Themas Bundeswehr und Fremdenverkehr zugrunde liegen. Es kann nicht ohne Störungen der Bürger und auch nicht ohne jede Störung des Gastes - auch des kranken und Erholung suchenden - abgehen302.« Trotz dieses emotional gehaltenen Appells plädierte der Autor letztlich für die Suche nach Kompromissen. Solche wären in der Umgebung der Ostseebäder - der Artikel nahm ausnahmslos die Küstenregion von Schleswig-Holstein in den Blick - zur Zufriedenheit beider Seiten auch meist erfolgreich erzielt worden. An Beispielen wurden u.a. der Schießplatz Putlos angeführt. Als nahe an der Platzgrenze ein neuer Fremdenverkehrsort im Entstehen begriffen war, suchte die Bundeswehr zunächst das Vorhaben nachdrücklich zu verhindern. Sie befürchtete nicht nur Schadensersatzforderungen wegen der Schießplatzgeräusche, sondern sie machte zudem geltend, dass eine Gefährdung von Personen im Randgebiet des Übungsgeländes nicht auszuschließen sei. Da bisher allerdings kein Schutzbereich ausgewiesen worden war und seit Jahren ein großer Campingplatz direkt am Zaun des Platzes betrieben wurde, hatten die Streitkräfte keinerlei Aussicht auf Erfolg mit ihrem Widerspruch. Der Kompromiss bestand nun darin, dass der Gast, der das neben einem Schießplatz neu errichtete Seebad aufsuchte, von der zivilen Seite auf die dortigen Umstände in geeigneter Weise hingewiesen werden sollte. Wenn es nach dem Autor gegangen wäre, dann am besten im Rahmen der Fremdenverkehrswerbung. Nun ist nicht bekannt, ob die speziell in dieser Gemeinde für den Tourismus Verantwortlichen solches überhaupt in Erwägung gezogen oder die von militärischen Schießübungen ausgehenden Gefahren gar Eingang in die Werbeprospekte gefunden haben. Vermutlich wohl kaum, passten doch die negativen Seiten einer Erholung versprechenden Kundenwerbung so gar nicht in das Image von Kurorten, die sich am konkurrierenden Markt behaupten wollten. Wie auch immer der konkrete Fall ausgegangen sein mochte, manche Gemeinde, die sich aus klimatischen oder geologischen Gründen an und für sich für die Einrichtung von Kuranlagen eignete, musste durch gutachterliche Äußerungen zur Kenntnis nehmen, dass das Vorhandensein einer Garnison für den Ausbau zum Kurort schädlich sei303. Insgesamt war die Akzeptanzschwelle gegenüber militärischen Flächennutzungen bzw. gegenüber den damit einhergehenden Folgen zu diesem Zeitpunkt bereits erheblich im Sinken begriffen. Beredtes und relativ frühes Beispiel dafür 302 303
Merten, Bundeswehr und Fremdenverkehr, S. 34. Vgl. Wöhr, Belastungstatbestände, S. 219 f.
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ist der Vorgang um die Errichtung einer Garnison in der Gemeinde Alfter bei Bonn. Dabei hätten die hierfür umzuwidmenden 200 ha Grund und Boden der Zersiedlung eines Landschaftsschutzgebietes Vorschub geleistet, welches nach dem Willen der Landesplanung als Teil des grünen Vorgebirgsgürtels die Ballungszentren Köln und Bonn miteinander verband und als Erholungsgebiet für eine im Wachsen begriffene Bevölkerung erhalten bleiben sollte304. Wie sich die Zeiten aber geändert hatten! Als ein Jahrzehnt zuvor im Zuge der Geländeanforderung für einen Bordwaffenschießplatz der RAF in der Nähe von Xanten die betroffenen Kreisverwaltungen dagegen protestierten, weil diese Maßnahme u.a. »eine zusätzliche Beeinträchtigung des Erholungs- und Ausflugsverkehrs für die Bevölkerung des Industriegebietes Moers-Wesel« darstellte, hatte die Landesplanung lapidar geurteilt: »Der eintretenden Beeinträchtigung des Ausflugsverkehrs wird m. E. eine zu große Bedeutung zugemessen. Es bleiben nicht unbeträchtliche Randflächen für den Verkehr völlig frei, und darüberhinaus wird das Sicherheitsgebiet nur an Wochentagen, an denen der Ausflugsverkehr an sich gering ist, gesperrt und zum Wochenende für den Ausflugsverkehr zugänglich sein305.« Gegenüber der Bundeswehr wurde man Mitte der sechziger Jahre dagegen sehr viel prinzipieller. Noch war man innerhalb der Düsseldorfer Landesregierung allerdings der Auffassung, dass trotz vieler Schwierigkeiten im Rahmen der Raumordnungsverfahren immer wieder ein Ergebnis erzielt werden konnte, »das den Forderungen der Verteidigung und den Lebensinteressen der Bevölkerung gerecht wird«306, etwa bei der Anlage des Truppenübungsplatzes Vogelsang307. Dennoch glaubte man Mitte der sechziger Jahre sich den Hinweis auf Verständnis und Rücksichtnahme auf Seiten von Bundeswehr und Bundeswehrverwaltung gegenüber der Bevölkerung nicht ersparen zu können. Denn diese war nicht nur gegen einen äußeren Feind zu schützen, »sondern deren lebenswichtige Interessen [müssten] auch in der friedensmäßigen Entwicklung und Intensivierung des engen Lebensraums berücksichtigt werden«308. Nur wenige Jahre später bestimmten gerade solche zivilen Interessen in sehr viel größerem Maße als zuvor die politischen Linie, die man nun im Hinblick auf die Bereitstellung von Land zur Errichtung von Verteidigungsanlagen einnahm. Eindeutig stellte der Landesentwicklungsbericht 1972 fest: »Bisher sind für [...] [Verteidigungsjzwecke nicht unerhebliche Flächen im Lande Nordrhein-Westfalen bereitgestellt worden, so daß die Belastbarkeit eines so dicht besiedelten und stark industrialisierten Landes bereits weitge304
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Bundeswehr schluckt ein Fünftel des Gemeindebodens. In: Generalanzeiger für Bonn und Umgegend, 19.8.1964. Kabinettsvorlage des Finanzministers vom 8.7.1954 betr. Anforderung eines Geländes für einen Bordwaffenschießplatz der RAF, abgedr. in: Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung Nordrhein-Westfalen 1950 bis 1954, S. 1184-1187. Dücker, Probleme der Raumordnung, S. 125. Vgl. das Schreiben des MinPräs des Landes Nordrhein-Westfalen, Franz Meyers, an BMVg Strauß vom Januar 1959, abgedr. in: Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung Nordrhein-Westfalen 1958 bis 1962, S. 2 0 6 - 2 0 8 . Dücker, Probleme der Raumordnung, S. 125.
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hend überschritten erscheint. Dies gilt um so mehr, als eine größere Zahl von Verteidigungsanlagen bereits in den Naturparks bzw. in den bevorzugten Erholungsgebieten angelegt worden ist. Weitere großräumige Flächenanforderungen können deshalb in Nordrhein-Westfalen ohne Beeinträchtigung vitaler Lebensinteressen nicht mehr befriedigt werden309.« Angesichts solcher politischer Willensbekundungen überraschen die in den siebziger Jahren einsetzenden, teilweise heftigen Reaktionen, die sich in der Bevölkerung bemerkbar machten, dann kaum - unabhängig davon, ob es sich um neue Flächennutzungen für die Bundeswehr oder für die verbündeten Streitkräfte handelte. Obschon innerhalb eines bereits militärisch genutzten Geländes gelegen, führte die geplante Herrichtung einer kleinen grasbewachsenen Waldlichtung zu einem Außenlandeplatz für Übungen des Flugzeugtyps HARRIER der Royal Air Force nicht nur zu Anfragen im Landtag von NordrheinWestfalen und im Deutschen Bundestag, die örtlichen Behörden riefen jetzt sogar zum Widerstand auf. Dieser richtete sich vor allem gegen die hohe Lärmbelästigung, welche beim Starten und Landen mit bis zu 120 Dezibel das Wandergebiet wegen der damit verbundenen gesundheitlichen Gefärdungen nahezu wertlos machen würde310. Das Verteidigungsministerium setzte sich zwar über den Ablehungsbescheid der Landesregierung hinweg und stimmte einer Nutzungsänderung auf diesem ehemaligen Wehrmachtgelände zu. Aber nicht zuletzt auch wegen der anhaltenden Proteste der angrenzenden Bewohner entschloss sich die Royal Air Force schließlich zu einer Verlegung des Harrierverbands311. Im Grunde genommen mehrte sich fast überall zu Beginn der siebziger Jahre die Kritik an der Ausweitung militärischer Areale. Ganz offensichtlich war der höhere Stellenwert ökologischer Fragen dafür verantwortlich, dass das Thema Umweltschutz und Bundeswehr ein Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung wurde. Umstritten war vor allem die Neuanlage ausgedehnter Übungsgebiete in der Nähe von städtischen Verdichtungsräumen312. So forderte der bayerische Landtag aufgrund eines Dringlichkeitsantrags der SPD-Fraktion am 24. Juni 1971 die Staatsregierung auf, darauf hinzuwirken, dass im Südosten von Nürnberg kein neuer Übungsplatz angelegt werde313. Heftiger Bürgerprotest aus Mittelfranken gegen eine militärische Nutzung dieses letzten waldreichen Naherholungsgebiets, die möglicherweise eine Gefährdung des Wasserschutzgebietes nach sich gezogen hätte314, führten 1973 nicht nur zu einem 309 310
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Landesentwicklungsbericht 1972, Ziff. 1.2.14, S. 19. Generell war die Tolereanzschwelle gegenüber Fluglärm in der Bundeswehr gesunken. Während sich laut einer EMNID-Untersuchung 1960 nur rund 8 Prozent der Befragten durch Fluglärm gestört fühlten, waren es 1976, also etwa zur Zeit der Einrichtung dieses Harrierlandeplatzes, 17,7 Prozent. Vgl. Bartjes/Krysmanski/Wiengarn, Militarisierung der Umwelt, S. 1449. Reiners, Militärische Anlagen, S. 187. Generell zur umwelthistorischen Epochenschwelle nach der Wende von den sechziger zu den siebziger Jahren vgl. Kupper, Die »1970er Diagnose«. Bayerischer Landtag, Stenographische Berichte, Bd 1, 24.6.1971, S. 930. Jurczek, Probleme militärischer Raumnutzung.
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weiteren Antrag im Landtag zur Eindämmung militärischer Eingriffe in den Naturhaushalt315, sondern sie veranlasste die zuständigen Stellen der Bundeswehr, das Vorhaben schließlich ganz aufzugeben. Einen ähnlichen Fall gab es in München. Am Nordrand der bayerischen Landeshauptstadt lagen die meisten Kasernen. Dort erstreckten sich auch zwei Standortübungsplätze - Feldmoching und Fröttmaninger Heide - einschließlich einer Schießanlage. Beide Übungsgebiete wurden in den dreißiger Jahren eingerichtet bzw. als Ersatz für das anlässlich der Olympischen Spiele 1972 bebaute alte Exerziergelände Oberwiesenfeld erweitert. Lag das Terrain einstmals fernab der Stadt, so wurde es inzwischen von Wohngebieten umrahmt oder die kommunale Bautätigkeit strebte unaufhaltsam darauf zu. Diese Plätze stellten zu Beginn der siebziger Jahre das größte Problem der Bundeswehr in München dar, sowohl hinsichtlich des Dienstbetriebes als auch mit Blick auf das Verhältnis zur Kommune. Denn diese drängte die Truppe, lärmerzeugende Übungen zu reduzieren. Infolgedessen wurde zuerst die Schießausbildung eingeschränkt, ragte das dafür benutzte Gelände doch am weitesten in das zivile Siedlungsgebiet hinein316. Mit Rücksicht auf die dicht herangerückte Wohnbevölkerung wurden dann auch die Übungen auf dem Feldmochinger Teil verringert. Nur war er indes schon bald den erhöhten Beanspruchungen durch die inzwischen größere Anzahl gepanzerter Truppenteile nicht mehr gewachsen. Seit 1971 arbeitete man an einer Verlegung des Standortübungsplatzes weiter nach Norden, wodurch sich der Platz über die Grenzen Münchens hinaus in die Gemarkungen dreier Nachbargemeinden (Oberschleißheim, Eching, Garching) vorschob. Diese wehrten sich unter Ausnutzung aller Rechtsmittel dagegen. Die zuständigen Landesbehörden genehmigten im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach dem Landbeschaffungsgesetz 1972 den neuen Standortübungsplatz der Münchner Garnison trotzdem und wiesen die Einwände der Anrainergemeinden deshalb als unbegründet zurück, weil man sie »im Verhältnis der Bedeutung der Maßnahme als nicht durchgreifend« ansah317. Damit konnte freilich nur gemeint sein, dass die von einem solchen Gelände bzw. den darauf stattfindenden militärischen Übungen ausgehende Belästigungsquote weder gesundheitsgefährdende Grenzwerte überschreiten noch zu unzumutbaren Beeinträchtigungen etwa der Lebensqualität führen werde. Im Lichte der Frage nach den ökologischen Effekten militärischer Flächennutzung kommt den Vorgängen um den Münchner Standortübungsplatz insofern besondere Bedeutung zu, weil dazu empirisch abgestützte Daten einer Bürgerbefragung vorliegen, deren Ergebnisse allerdings in gewissem Sinn überraschen. Dazu muss zunächst ein methodisches Problem angesprochen werden. Die Erhebung stammt aus dem Frühjahr 1981, mithin einer Zeit, die relativ weit 315 316
317
Verhandlungen des Bayerischen Landtages, Drucksachen, Bd 12, Antrag vom 6.4.1973. Offensichtlich ging man erst Mitte der achtziger Jahre daran, die bei Schießanlagen der Bundeswehr auftretende Lärmemission bzw. den damit verbundenen Belastungstatbestand der Bevölkerung wissenschaftlich zu untersuchen, um gesicherte Erkenntnisse über die Zumutbarkeitsgrenzen zu erlangen. Vgl. Schaefgen, Militärische Infrastruktur, S. 236. Ebd., S. 238.
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außerhalb der eigentlich zu untersuchenden Epoche liegt. Damit können die Werte kaum als unmittelbares Abbild von Einstellungen zu den Umweltfolgen militärischer Flächennutzung in jener von den fünfziger bis zum Beginn der siebziger Jahre reichenden Epoche benutzt werden. Andererseits eröffnet diese singuläre, ohne Vergleichszahlen dastehende, letztlich nur für den bestimmten Zeitpunkt gültige Datenerhebung aber weiterreichende Forschungsfragen. Wie dargelegt, war mit Antritt der sozialliberalen Regierungskoalition nach 1969 das ökologische Bewusstsein innerhalb der Gesellschaft im Verlauf der siebziger Jahre in einem stetigen Anstieg begriffen318. Bei der auf fast allen Feldern einsetzenden Reformpolitik stand die Bundeswehr keineswegs außen vor. Die bisher angeführten Beispiele vom Verzicht auf so manche raumbeanspruchenden Maßnahmen haben deutlich werden lassen, dass die ökologische Trendwende nolens volens den bisherigen, man kann fast sagen oftmals absoluten Vorrang militärischer Erfordernisse gebrochen hat. Das betraf vermutlich auch bestimmte Streitkräfteinterne Abläufe. Die Nutzungseinschränkungen bestimmter Einrichtungen mit hohen Emissionswerten, wie es etwa bei der Münchner Standortschießanlage der Fall war, die Verwendung regenerativer Energien für die Beheizung bzw. Warmwasserversorgung der Kasernen319 oder das Mitte der siebziger Jahre der Bevölkerung - wo vertretbar - an übungsfreien Tagen bzw. an Wochenenden gestattete Betreten der Übungsplätze320 deuten auf diesen Umstand hin. Solche Maßnahmen mögen, um sich nun den Münchner Daten von 1981 unmittelbar zuzuwenden, sich durchaus positiv im Bewusstsein der Befragten abgelagert haben. Hier gilt es aber auch die Altersschichtung und die Wohnzeit in diesem Stadtviertel zu beachten. Die Antwortquote der aus drei verschiedenen Siedlungsgebieten befragten Personen lag ohnehin bei nur 50 Prozent. Darunter waren die jüngeren Jahrgänge (18 bis 39 Jahre) unterrepräsentiert und mehr als 85 Prozent der Anrainer lebten länger als fünf Jahre im Umfeld des Standortübungsplatzes und der Kasernen. Das hatte sicherlich etwas mit der Entwicklung dieser Stadtteile zu tun. Man wird aber zumindest nicht ganz fehl in der Annahme gehen, wenn man die älteren Bewohner eher einer streitkräftefreundlicheren Gruppe zuteilt. Tatsächlich hielten 90 Prozent der befragten Einwohner die Bundeswehr für notwendig. Außerdem kann vermutet werden, dass entsprechend zum gesamtgesellschaftlichen Trend das Umweltbewusstsein unter den älteren weniger stark ausgeprägt war, als bei den jüngeren Jahrgängen. Auf die Frage, ob sie sich durch Bundeswehreinrichtungen belästigt fühlten, antworteten 14,5 Prozent, dass sie sich stark und 3,5 Prozent, dass sie sich unzumutbar belästigt fühlten. Lediglich gestört durch die bloße Existenz von Bundeswehreinrichtungen fühlten sich immerhin 17,6 Prozent, wobei wegen der Lärmbelästigung naturgemäß der Schießbetrieb die Spitze des qualita-
318
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Beispielsweise zur Haltung der gesellschaftlichen Gruppen zur Umweltpolitik der Bundesregierung vgl. Ditt, Die Anfänge der Umweltpolitik, S. 334-342. Vgl. Regula, Solar-Anlagen. Vgl. Theile, Landbeschaffung.
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tiven Störungspotenzials markierte. Unter Berücksichtigung der methodischen Einschränkungen lässt die im Grunde genommen gering ausgeprägte Störungsquote aber doch aufhorchen. Sollte die von raumbeanspruchenden Anlagen der Bundeswehr ausgehenden, zweifelsohne objektiven Umweltwirkungen eine vom Lebensalter abhängige Belastungsrelevanz aufweisen? Nur abgestützt auf diesen einen Befund und ohne weitere, vergleichbare Mikrountersuchungen wird man diese Frage nicht beantworten können. Immerhin brachte die Münchner Erhebung zu Tage, dass Kasernen und, etwas schwächer ausgeprägt, auch ein Standortübungsplatz anderen als negativ betrachteten Einrichtungen wie Industrieanlagen, Verkehrswegen, Kläranlagen oder Kraftwerken eindeutig vorgezogen wurden. Die Daten zumindest deuten an, dass die Bundeswehr offensichtlich als das kleinere Übel betrachtet wurde. Zumal aus der Erhebung, die auch nach der Bereitschaft fragte, bestimmte Einrichtungen in der unmittelbaren Nachbarschaft zu akzeptieren, folgende Skala in fallender Reihung hervorging321: Tabelle 29: Akzeptanzquote von umweltbelastenden Einrichtungen 1975 Einrichtung Bundeswehr Verkehrswege Industrieanlagen Kraftwerke Kläranlagen
Akzeptanzquote in Prozent 62,0 55,4 33,2 20,8 11,5
Wollte man dieses Ergebnis nun zurückprojizieren auf das Urteil der Landesregierung zum Standortübungsplatz der Münchner Garnison von 1972, dann könnte man bei aller gebotenen Zurückhaltung gegenüber den erst später erhobenen Zahlen darin eine tendenzielle Bestätigung vermuten, dass die Befürchtungen der zukünftigen Anrainer vor den Belästigungen durch den neuen Standortübungsplatz womöglich etwas überzogen waren. Wie relativ allerdings solche Befunde und die daraus gezogenen Schlüsse waren und wie sehr sie in Abhängigkeit zu den verschiedenen Einflussfaktoren standen, zeigt sich im Vergleich zur deutlich negativeren Einstellung jener Bürger (Gemeinde Eching), die von der bevorstehenden Nordverschiebung des Münchner Übungsgeländes unmittelbar betroffen waren. Dabei herrschte allerdings keine allgemeine Abneigung gegen militärische Einrichtungen vor. Das projektierte Vorhaben führte jedoch zu einem kumulativen Wahrnehmungseffekt, war diese Gemeinde doch bereits von der Autobahn München-Nürnberg und der Bahnlinie nach Landshut einer starken Lärmemission ausgesetzt. Dazu sollte nun auch noch der Übungsplatz kommen, der sich bis auf einen Kilometer an den Südrand der Wohnbebauung heranschob. Damit noch nicht genug: Vom innerhalb der Gemarkung geplanten Großflughafen München drohte eine weitere Lärmbelästi321
Vgl. Maneval/Neubauer, Untersuchungen über raumwirtschaftliche Wirkungen, S. 268-270.
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gung durch die Flugbewegungen. All dies führte in der gesamten Gemeinde zu einer gereizten Stimmung. Befürchtete Beinträchtigungen der Lebensqualität bewirkten bereits in der Projektphase einen stetigen Rückgang der Grundstückspreise. Außerdem verzeichnete man eine hohe Umzugsquote der Wohnbevölkerung, die gegebenenfalls noch ansteigen mochte. Immerhin erwogen 64,5 Prozent der Wohnbevölkerung eine Abwanderung, falls die künftigen Belastungen als zu groß empfunden würden322. Trotz dieser Vorgeschichte konnte 1979 der Übungsbetrieb auf dem auf 1000 ha projektierten Platz aufgenommen werden, nachdem drei Viertel der Fläche (750 ha) im Wesentlichen ohne Enteigung in das Eigentum oder zumindest in den Besitz des Bundes überführt werden konnte. Allein der Rechtsstreit zwischen den betroffenen Kommunen und dem Bund zog sich weiter durch alle Instanzen. Er endete letztinstanzlich damit, dass die Bundeswehr den Standortübungsplatz im Jahr 1986 räumen musste. Die obsiegenden Gemeinden nahmen das Gelände dann »friedlich« wieder in Besitz, veranstalteten ein Freudenfest und erwogen, daraus ein Erholungsgebiet zu machen323. Unabhängig von der lokalen Bedeutung kommt diesem Vorgang aber durchaus auch eine darüber hinausweisende Relevanz zu. Die gerichtlich erzwungene Rückgabe militärisch genutzter Flächen markierte einen deutlichen Bruch zu einer im Kalten Krieg jahrzehntelang geübten Praxis, scheinbar unabdingbar erforderlichen verteidigungspolitischen Notwendigkeiten den Vorrang einzuräumen. Trotz des unvermindert andauernden Ost-West-Konflikts bestimmten die zivilen Vorstellungen - hier vor allem die Umweltproblematik die soziale Wirklichkeit der Bundesrepublik in viel entscheidenderem Maße, als zu Beginn des westdeutschen Aufrüstungsprozesses. Und das nicht nur im Bereich der großen städtischen Ballungsgebiete, wo man aufgrund der Sozialstruktur einen höheren Bevölkerungsanteil vermuten darf, welcher der Bundeswehr oder generell der Verteidigungspolitik gegenüber kritischer eingestellt war. Selbst in ländlichen Regionen, wie im doch bundeswehrfreundlichen Cham, wo man angesichts der regionalen Strukturdefizite im bayerischtschechischen Grenzland die Garnison an sich als einen bedeutenden Standortfaktor sehr schätzte, gründete sich 1979 eine Bürgerinitiative, die zum Widerstand gegen die Erweiterung des Standortübungsplatzes aufrief324. Der Blick auf die in Jahrzehnten offenbar deutlich gewandelte Haltung der Bevölkerung gegenüber den raumwirksamen Maßnahmen der Streitkräfte wäre allerdings unvollständig, wenn man die militärische Seite unberücksichtigt ließe. Hatten sich im Vergleich zur beginnenden Aufstellungsphase auch bei ihr die Bestimmungsgrößen verschoben? Dem Anschein nach zunächst nicht! Der in den Art. 87 a und b GG niedergelegte Verfassungsauftrag, der auch das Gebot umfasst, Vorkehrungen und Regelungen zu treffen, um die Funktionstüchtigkeit der Streitkräfte zu gewährleisten, stand selbstverständlich zu keinem 322
323 324
Gemeindeentwicklungsplan Eching, S. 23. Schaefgen, Militärische Infrastruktur, S. 238. Vgl. Chronik des Jägerbataillons 113, S. 140.
V g L
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Zeitpunkt zur Disposition. Nach wie vor verfügte die Bundeswehr aus ihrer Sicht über zu wenige Übungsräume und zu wenige Unterbringungsplätze. Geändert hatte sich jedoch, dass dieser Teil der Auftragserfüllung in der Alltagspraxis zunehmend auf vielfältige Barrieren tatsächlicher und rechtlicher Art gestoßen war. Dabei waren militärische Standortentscheidungen und Baumaßnahmen für Verteidigungsanlagen nicht allein der gesellschaftlichen Kritik ausgesetzt. Sie waren auch Teil einer umfassenderen Zivilisations- oder Modernisierungskritik, welche die Bundesrepublik nach einer über zwanzigjährigen Boomphase erfasst hatte. Diese richtete sich vornehmlich gegen Kernkraftwerke, Flugplätze und Autobahnen, bisherige Ikonen eines modernen Gemeinwesens. Den Preis dafür, Landverbrauch und umweltschädigende Folgewirkungen, wollte die Gesellschaft aber offenbar nicht mehr im bisherigen Umfang hinnehmen. Die Tatsache, dass einzelne Bürger, Bürgerinitiativen oder kommunale Gebietskörperschaften den Landerwerb oder den Bau militärischer Anlagen verhindern wollten, weil sie die unmittelbare Lebenssphäre tangieren konnten, brachte die Bundeswehr in eine Zwickmühle. So existierten nicht wenige Vollzugsdefizite. Aber auch wenn leitende Beamte der Bundeswehrverwaltung kein Hehl aus ihrer Auffassung machten, dass ein auf die Betonung von Individualoder Gruppeninteressen ausgerichtetes Rechtsverständnis der auf das Gemeinwohlinteresse ausgerichteten Landesverteidigung große Steine in den Weg legten, akzeptierte die Bundeswehr dennoch ohne Vorbehalt, dass die Verteidigung kein vorrangiges »Majestätsrecht« gegenüber anderen Staatsaufgaben begründe. Vielmehr musste in jedem Einzelfall dargelegt und legitimiert werden, ob bei raumbeanspruchenden militärischen Maßnahmen die Rechte Dritter tangiert werden könnten. Insoweit kann man es durchaus als einen demokratieadäquaten Veränderungseffekt bezeichnen, wenn von Seiten der Bundeswehr - in diesem Fall und aufgabengerecht aus den Reihen der Wehrverwaltung spätestens in den achtziger Jahren die Maxime verlautbart wurde, die Zielsetzungen des Umweltschutzes und die Belange der Bürger auf ein erträgliches Nebeneinander zu bringen325. Ob solche Absichtserklärungen sich auch empirisch belegen lassen, muss hier freilich unbeantwortet bleiben.
b) Siedlungsstrukturelle Folgen Man würde den Bodeneffekt bei den raumbeanspruchenden Maßnahmen der Verteidigung nur teilweise umrissen haben, wenn man sich auschließlich auf die Übungsplätze konzentrierte und allein diese Flächen im Lichte der unmittelbaren ökonomischen wie ökologischen Folgen analysierte. Selbstverständlich mussten sich auch die mindestens 20 ha großen Kasemenareale durch ihre Hoch- und Straßenbauten auf die Beschaffenheit des Bodens auswirken. Da die Standortplaner vornehmlich wegen des hohen Motorisierungsgrades der Trup325
Vgl. Schaefgen, Militärische Infrastruktur, S. 235-239.
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pe und aus Gründen der Verkehrsführung gefordert hatten, neue Heereskasernen am Rand von Ortschaften anzulegen326, konnte sich das traditionelle Ortsbild gerade auf dem Land gravierend verändern. Parlamentarische Anfragen zeigen, dass dies im Einzelfall nicht unhinterfragt blieb. Die zu Beginn der fünfziger Jahre nach vorgefertigten Standardplänen angelegten Stützpunkte der amerikanischen Streitkräfte oder die dazugehörenden U.S. Housing Areas mit ihren schematisch in die Landschaft gesetzten mehrgeschossigen, von weiten Rasenflächen, Barbecueplätzen und Carports umgebenen Zeilenbauten mochten möglicherweise einen Vorgeschmack auf das geben, was vielleicht auch die neuen Bundeswehrgarnisonen treffen sollte. Jedenfalls galten die amerikanischen Gebäude bei den deutschen Baubehörden architektonisch nicht immer als bedenkenfrei327. In Bitburg erhob das Bauamt beispielsweise Einspruch - wenngleich vergeblich - gegen die Flachdächer, die jeglicher regionalen Bautradition widersprachen328. Auch in Baumholder, einem ebenfalls in Rheinland-Pfalz gelegenen großen Truppenübungsplatzstandort, bestand ein deutlicher physiognomischer Kontrast zwischen der ackerbürgerlichen Altstadt und zwei U.S.Neubauvierteln. Ohne Anpassung an lokale Bautraditionen und ohne Rücksicht auf die vorhandene Siedlungsstruktur waren 31 Wohnblocks mit zusammen 1237 Wohneinheiten nach rein zweckmäßigen Gesichtspunkten erbaut worden. Das Fehlen größerer Baumgruppen oder Grünanlagen verstärkte noch zusätzlich den kahlen Anblick der amerikanischen Siedlung, zumal sich diese in Hanglage oberhalb der Stadt befand und somit baulich dominierte. Die räumliche Trennung sollte aber ein organisches Zusammenwachsen auch auf anderen sozialen Feldern verhindern. Ein im konkreten Fall erklärtermaßen von den amerikanischen Streitkräften eigentlich gar nicht so erwünschter Effekt. Jedenfalls bewertete zu Beginn der sechziger Jahre ein amerikanischer Autor den Umstand, dass den 10 000 U.S.-Militärangehörigen und ihren Familien in Baumholder alle notwendigen Einrichtungen, Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe innerhalb des Truppenübungsplatzes zur Verfügung standen, wie folgt: »Dies verleiht ihnen auch ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit und natürlich auch der Abgeschlossenheit, was an sich bewunderungswürdig ist und im wahrsten Sinn des Wortes den sog. >esprit de corps< ausmacht329.« Waren solche Folgen auch für die Bundeswehr, die ja dezidiert in die demokratische Struktur und in die offene Gesellschaft der Bundesrepublik implantiert
Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 30. Sitzung des Ausschusses für Fragen der Europäischen Sicherheit, 21.1.1955, S. 37. Neben einer topografischen Geländeeignung waren an weiteren Voraussetzung gefordert: Bahnanschluss, Verbindungsstraße Kaserne-Standortübungsplatz unter Vermeidung stark befahrener Bundesstraßen und enger Ortsdurchfahrten, kurze Straßenverbindung von Kaserne zu nächster qualifizierter Straße, ausreichend tragfähige Brücken bzw. genügend hohe Unterführungen in Kasemennähe. Vgl. Radioff, Gliederung und Gestaltung. 32? vgl. Daub, Durchführung der Baumaßnahmen, S. 9. 328 Vg] Neu, Der Bau des Militärflugplatzes, S. 52. 329 McCord, Das Leben auf dem Truppenübungsplatz Baumholder, S. 123; zit. nach Roser, Geographische Aspekte, S. 124; vgl. Amerikaner als Besatzer. 326
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werden sollte, wenn schon sicherlich nicht wünschenswert, so doch gegebenenfalls vorstellbar? Mit dem Wandel des Ortsbildes - hier als ästhetische Kategorie angesetzt musste freilich gerechnet werden. Vermutlich würde damit auch eine Veränderung der Siedlungsstruktur einhergehen. Jedenfalls befürchtete die nordrheinwestfälische Landesplanung im Falle der Realisierung einer Kaserne in Alfter bei Bonn die Entstehung eines neuen Siedlungstorsos, dessen spätere Auffüllung man als schwierig erachtete. Zweifellos stand zu erwarten, dass zusätzliches Terrain zersiedelt werden würde330. Vor solchem Hintergrund muss auch der Wunsch der schleswig-holsteinischen Landesregierung gesehen werden, als sie auf eine räumliche Integration zweier - letztlich aufgrund der geänderten NATO-Strategie nicht gebauten - Kasernenanlagen in das Weichbild der Städte Mölln und Schwarzenbek pochte331. Zur Verdeutlichung der Größenordnungen seien einige auf die gesamte Bundesrepublik bezogene quantitative empirische Befunde angeführt. Obzwar die Daten um 1980 bzw. um 1990 erhoben worden und darin auch die vor 1945 für das Militär umgewidmeten Flächen enthalten sind, können sie unter Hintansetzung methodischer Bedenken - die Akkumulation seit den siebziger Jahren z.B. wird ebensowenig berücksichtigt wie die zivile Siedlungsausweitung durch Eingemeindungen, und die Zahlen lassen nicht immer eine ausreichende Differenzierung in von der Bundeswehr- bzw. von den Alliierten genutzten Flächen zu - durchaus zur Beschreibung eines selbst bis zum Beginn der westdeutschen Aufrüstungsphase zurückreichenden tendenziellen Trends benutzt werden. So lag rein quantitativ betrachtet etwa ein Drittel aller Militärflächen (überwiegend Kasernen und dazugehörige Infrastruktur) am Rande oder innerhalb von Städten und Ortschaften. Innerhalb der Gemeindegebiete schwankte der Anteil der von den Streitkräften genutzten Areale in der Regel zwischen 3 und 6 Prozent. Mit im Schnitt zwischen 1 und 9 Prozent variierte die Quote der von der Truppe belegten Siedlungsfläche an den Siedlungsflächen der Städte freilich stärker, wobei der Anteil tendenziell mit sinkender Gemeindegröße anstieg. Drei Beispiele hierzu: 1. In der in der Neckar-Region gelegenen U.S.-Garnisonstadt Ostfildern (30 000 Einwohner) verfügten die amerikanischen Truppen über ein vorwiegend nach 1945 geschaffenes Kasernengelände von 141 ha, im Wesentlichen bestehend aus der Kaserne im engeren Sinn mit den technischen Bereichen, einem Hubschrauberlandeplatz sowie der Housing Area mit ziviler Infrastruktur. Damit nahm das Militär 6,2 Prozent des Gemeindegebiets ein. 2. In der etwa 1,3 Mio. Einwohner zählenden bayerischen Landeshauptstadt München, einer der größten Garnisonstädte in der Bundesrepublik, gab es zehn Kasernen mit einem Flächenumfang von fast 300 ha. Neun der Anlagen wurden von der Bundeswehr, eine von den U.S.-Streitkräften genutzt. Mit weiteren drei Standortübungsplätzen sowie fünf Wohnanlagen und sechs 330
331
Bundeswehr schluckt ein Fünftel des Gemeindebodens. In: Generalanzeiger für Bonn und Umgegend, 19.8.1964. Vgl. Hillmann, Garnisonsgründungen, S. 210.
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größeren Verwaltungs- bzw. Infrastruktureinrichtungen erhöhte sich die Militärfläche auf knapp 900 ha, womit 2,8 Prozent des Münchner Stadtgebiets unter militärischer Nutzung standen332. 3. Im nordbayerischen Bayreuth, dem Verwaltungssitz des Regierungsbezirks Oberfranken, beanspruchten U.S. Army, Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zusammen ca. 560 ha. Die Fläche enstprach 8,4 Prozent des gesamten Stadtgebiets oder nahezu dem Vierfachen der öffentlichen Park- und Grünflächen Bayreuths, einschließlich der Friedhöfe333. Der Bau militärischer Infrastruktur in städtischer Randlage war in Deutschland zunächst einmal nichts Neues. Die ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Zeichen imperialer Großmachtpolitik einsetzenden Heeresvermehrungen führten zu regelrechten Kasernenbauwellen. Bedingt auch durch waffentechnische Umrüstungen beanspruchten die in der Regel für personalstarke Truppenkörper vorgesehenen Kasernenanlagen so viel an Fläche, dass dieser Bedarf nicht mehr innerstädtisch, sondern nur noch an der Peripherie zu decken war. Die Areale verfügten über Gebäude für zahlreiche Zwecke (Truppenunterkünfte, Pferdeställe, Geschütz-, Wagen- und Reithallen), welche in ihrer städtebaulichen Anlage oftmals Innenhöfe ausbildeten, die - als Exerzierplatz bezeichnet - der soldatischen Ausbildung dienten. Mit dem Kasernenbau einher ging die Anbindung an die sich ebenfalls in dieser Epoche ernorm entwickelnde kommunale Infrastruktur (Kanalisation, Gas, Strom, Straßenbahn), die im Nachgang ein Heranrücken vorstädtischer Siedlungsgebiete oder die Erschließung und Förderung peripherer Stadtteile erleichterte. Ein neuer städtischer Wohnquartiertypus, das so genannte Kasernenviertel war entstanden. In ganz besonderem Maße prägte die Blockrandbebauung der zumeist drei- bis vierstöckigen Truppenunterkünfte diese Wohnviertel recht nachhaltig. Überwiegend aus witterungsresistenten Sichtklinkern aufgeführt, hoben sich die mit historisierenden Stilelementen (z.B. Zinnen) gezierten, oft mit wuchtigen Treppentürmen oder Haupteingängen akzentuierten, teilweise mehrflügeligen Unterkunftsbauten von der umgebenden Bebauung ab und sprangen mit ihren entlag der Straßen in den öffentlichen Raum weisenden Fassaden sofort ins Auge. Analog zur Behörden- und Industriearchitektur der Zeit herrschten in der Fassadengestaltung zunächst Zitate aus Gotik und Renaissance vor, bis in der Phase vor dem Ersten Weltkrieg auch neubarocke Formen und selbst Elemente des Jugendstils in Erscheinung traten334.
332 333 334
Vgl. die Studie Städtebauliche Möglichkeiten, S. 7 , 1 4 7 , 1 6 4 f. Vgl. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 54. Grundsätzlich zu den Zusammenhängen zwischen Kasemierung und städtebaulicher Entwicklung im 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland vgl. Sicken, Stadt und militärische Anlagen. Zu regionalen Beispielen bis zum Ersten Weltkrieg vgl. Schmidt, Eine Stadt und ihre Militär, S. 8 5 - 1 3 2 ; Bruder, Nürnberg als bayerische Garnison, S. 102-197; Lankes, München als Garnison; Tippach, Koblenz als Festungs- und Garnisonstadt; Metzler, Militärbauten; Lammers, Die Garnisonstadt Münster. Generell zur Kasernenarchitektur vgl. Kaiser, Das deutsche Militärbauwesen.
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Die ab 1933 auf die Entfesselung eines Krieges abzielende NS-Aufrüstungspolitik benötigte als materielles Äquivalent zur personellen Rüstung neben der Produktion von Waffen und Munition ebenfalls die rasche Bereitstellung ausreichender Unterkünfte und Ausbildungseinrichtungen. Ein enormes Bauprogramm setzte ein, in dem nicht nur schon vorhandene Kasernenareale durch umfängliche Zubauten verdichtet, sondern zahllose neue Anlagen aufgeführt wurden. Allein die Heeresbau Verwaltung errichtete von 1934 bis 1938 532 Kasernen mit 2500 Mannschaftshäusern. Diese Gebäude beherbergten nun nicht mehr wie vor 1914 größere Truppenkörper, sondern waren bestimmt für die Aufnahme einer Kompanie (ca. 150 Soldaten), jene Formation, welche sich im Ersten Weltkrieg als die entscheidende taktische Größenordnung auf dem Gefechtsfeld erwiesen hatte. Die damit verbundenen Ausbildungsforderungen, wozu nicht zuletzt auch emotionale Elemente wie die Schaffung eines Zusammengehörigkeitsgefühls gehörten, sollten baulich unterstützt werden. Unter Berücksichtigung des Aufrüstungstempos - die Forderung, eine Bataillonskaserne binnen Zweijahresfrist fertigzustellen, stand im Raum - bedingte im Ergebnis eine weitgehende Normierung und führte zur Herstellung serieller Bauten ähnlichen Typus. Die Mannschafts- und Stabsgebäude waren in der Regel mit je einem Keller- und Erdgeschoss sowie einem oder - beim Heer überwiegend - zwei Obergeschossen aufzuführen. In Abhängigkeit zur Kompaniestärke variierte die Gebäudelänge zwischen 50 und 85 m, während die Gebäudetiefe üblicherweise 15 m betrug. Charakteristisch für die Silhouette der langgestreckten und wuchtigen Baukörper, deren Fassaden durch hochrechteckige Fenster durchbrochen wurden, war - jedenfalls für den überwiegenden Teil der bis 1936/37 erbauten Kasernen - das auf den Gebäudekubus aufgesetzte Walmdach. Diese Form hing damit zusammen, dass ein großer Teil der Dachgeschosse zum Schutz vor Splitter- oder Brandbomben bis zu Zweidrittelhöhe betoniert und darüber ein hölzerner Dachstuhl gesetzt worden war. Engpässe bei der Zementproduktion führten spätestens 1938 dazu, die Dächer nicht mehr in dieser aufwändigen Art als so genannte »Sargdeckel« auszubilden, sondern verstärkt auf Satteldachformen zurückzugreifen. Legt man nun eine raumwirksame Messlatte an die Wehrmachtkasernen, dann lassen sich im Grunde genommen zwei gegensätzliche bauästhetische, mehr noch, kulturpolitische Strömungen ablesen. Auch wenn der Nationalsozialismus das als »jüdischen Kulturbolschewismus« stigmatisierte Neue Bauen der zwanziger und frühen dreißiger Jahre bekämpfte, so können die städtebaulich oftmals, aber nicht ausschließlich streng symmetrisch angelegten Gebäudetypen der Wehrmachtkasernen ihre aus dieser Richtung erhaltenen Impulse keineswegs verleugnen335. Zum einen lag dies daran, dass eine so große Anzahl in kürzester Zeit nur dann errichtet werden konnte, wenn man sich rationeller Fertigungstechniken und moderner Materialien bediente, wie sie etwa im Umfeld des Bauhauses entwickelt worden waren. Zum anderen fanden nicht weni335
Zur städtebaulichen Typologie von Wehrmachtkasernen vgl. Kasernenkonversion, bes. 142 f.
Lüken-Isberner/Möller,
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ge der dort ausgebildeten jungen Architekten Lohn und Brot bei den Bauverwaltungen der drei Wehrmachtteile und führten somit die Tradition zumindest biografisch weiter. NS-ideologische Vorbehalte, etwa gegenüber Flachdächern, hatte man aus Bedarfsgründen jedenfalls bei den Bauten in den technischen Bereichen der Kasernen (Fahrzeughallen, Werkstätten) ohnehin schon fallen lassen. Und auch die wuchtigen Kuben der Mannschaftshäuser selbst kamen, abgesehen einmal von ihren Walmdächern und hochrechteckigen Fenstern, dem Leitbild eines sozialethisch bestimmten, gleichwohl von der NS-Kulturpolitik als proletarisch verurteilten Massenwohnungsbau sehr nahe, wie er in den zwanziger Jahren entwickelt worden war und in enormem Umfang dann nach 1945 in Deutschland verwirklicht werden sollte. An der durchaus modernen Nüchternheit der raumgreifenden Wehrmachtkasernen, welche in Anlehnung an die von der architekturhistorischen Forschung verbreiteten Auffassung als anschauliche Belege für die Kontinuität einer technisch verzerrten Moderne zwischen 1933 und 1945 gelten können336, schieden sich freilich auch die Geister. Zumal dann, wenn sie den luftschutztechnischen Vorstellungen der Zeit folgend in gebührendem Abstand zu städtischen Siedlungs- oder Gewerbezonen hochgezogen wurden. Trotz der Forderung, sie in ihrer städtebaulichen Anordnung der dort vorherrschenden Bebauung möglichst anzupassen, wirkten die Bauten oftmals wie Fremdkörper, vornehmlich dort, wo sie das gewachsene städtische Siedlungsbild dominierten. Erfolgte schon die Dislozierung der Truppenteile und die Neuanlage von Kasernen komplementär zur Dominanz des Militärischen im NS-Staat ausschließlich nach militärischen Erwägungen, so ließ die Heeresverwaltung allenfalls bedingt über gewisse Zugeständnisse hinsichtlich des Landschafts- oder Stadtbildes mit sich reden. In Bergzabern kam man bespielsweise den Anforderungen der Landschaft nach Einhaltung der Traufhöhe dadurch entgegen, dass man statt eines dreigeschossigen Stabshauses zwei Stabsgebäude mit jeweils zwei Stockwerken errichtete. Trotz eines gewissen Entgegenkommens bei der Wirkung auf das Stadtbild war dem Oberkommando des Heeres aber sehr wohl daran gelegen, dass die Kasernenneubauten als markantes Zeichen der von ihrem Anspruch her neuen Zeit gebührend in Erscheinung traten. So fühlte man sich hinsichtlich der Anlage in Ludwigsburg gegenüber dem württembergischen Landesplanungsreferenten zu der Bemerkung veranlasst, »daß es nicht angängig ist, Kasernen der Wehrmacht als zweitklassige Einrichtungen zu werten, die um eines übertriebenen Schönheitssinnes willen dem allgemeinen Blick entzogen werden müssen«337. Der hauptsächliche Grund für das Zurückdrängen vornehmlich ästhetisch bestimmter landesplanerischer Vorstellungen lag, neben der allenthalben erkennbaren Renommiersucht des Regimes, allerdings am Zeitdruck, unter dem das militärische Bauprogramm stand. So sollen im Wehrkreis I (Ostpreußen) fast alle Bauvorhaben deshalb um mindestens ein Jahr verzögert worden sein, »weil die zuständigen Landesplanungsstellen ein 336 337
Grundlegend hierzu Fehl, Die Moderne unterm Hakenkreuz. Zit. nach Schmidt, Nutzung und Bauform von Kasernenbauten, S. 37.
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zu weit gehendes Recht des Einspruchs hinsichtlich der Bauausführung (z.B. eingeschossige oder zweigeschossige Bauweise im Hinblick auf das Landschaftsbild, Dachformen und -arten, gärtnerische Anlagen usw.) in Anspruch nehmen«338. Daher die Maxime der Militärbehörden: »Das Anpassen der Bauform an das Landschaftsbild kann bestmöglichst angestrebt werden, darf aber nicht entscheidend sein339.« Hierauf passten im Grunde genommen jene gegensätzlichen Gestaltungsideen, die am Beginn der zweiten Kasernenbauwelle 1936/37 verfügt worden waren. Mit künstlerischem Schmuck in ortsüblichen Formen und Baustoffen sollten die bisher nur an Zweckmäßigkeitsvorstellungen orientierten Typenbauten ein gefälligeres und vor allem abwechslungsreiches Aussehen erhalten. Hinter solchen Anweisungen trat in gewissem Sinn jenes andere, dem Nationalsozialismus inhärente kulturelle Ideologem hervor, der so genannte Heimatstil. Dabei handelt es sich auch hier um die ideologieadäquate Bastardisierung besonders der »Stuttgarter Schule«, deren Vertreter für eine gemäßigtere Architekturmoderne standen, als ihre Kollegen etwa aus dem internationaler orientierten Bauhaus, und die sich in ihrer Gestaltungsauffassung stärker an nationalen Bautraditionen aus der Zeit um 1800 orientierten. Heruntergebrochen auf das Erscheinungsbild der in der Masse letztlich schmucklosen Kasernen erscheint es allerdings fraglich, ob vereinzelt auftretende landschaftstypische oder historisierende Versatzstücke, welche sich ohnehin nur auf Klinkerfassaden, mit Hausteinen rustizierte Sockelzonen oder Gebäudekanten bzw. schiefer- oder reetgedeckte Dächer reduzierten, die von der Propaganda erhobenen sinnstiftenden Forderungen tatsächlich eingelöst haben. Folgt man der zeitgenössischen Interpretation, so baute die Wehrmacht deshalb landschaftsgebunden, weil der »formschöne und landschaftsverbundene Bau [wichtig] für die seelische Gesundheit« des Volkes sei340. Im Lichte der damals gerade auch nach innen gerichteten militärischen Gewaltstruktur scheint die Vorstellung jener positiv konnotierten Empathie, dem Soldaten mit solchen gestalterischen Zutaten an den Kasernengebäuden eine Heimat zu bieten, an die er Zeit seines Lebens zurückdenkt, einer unglaublich verqueren Phantasie entsprungen. Solcher vorgeschaltete Gestaltungsanspruch - sowohl materiell im Wort- als auch teilweise im ideellen Sinn - fehlte zwar, als man in den fünfziger Jahren in Westdeutschland eine neue Runde im Kasernenbau einläutete. Dennoch lässt sich eine manchmal mehr, manchmal weniger ausgeprägte Kontinuität mit Händen greifen - sowohl in städtebaulicher und gestalterischer als auch in biografischer Hinsicht, ganz so, wie generell in der Architektur der Zeit341. Einmal 338 339 340
341
Ebd. Ebd. Ebd., S. 48. An Forschungsliteratur zu den Wehrmachtkasemen vgl. Heiß, Militärbauten; Hildebrand, Rathenow; Tietz, Zwei Kasernenbauten; Fehlhauer, Wünsdorf/Zossen; Quednau, Die Artilleriekaseme in Soest; Buchinger, Die Heeresreitschule in Krampnitz. Grundlegend zur Frage von Architekten- und Architekturkontinuität in Deutschland vgl. Durth, Deutsche Architekten. Vgl. auch Wagner-Kyora, Das Zweckmäßige ist fast immer auch schön. Zur biographischen Kontinuität von der Heeres- bzw. Luftwaffenbauver-
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davon abgesehen, dass für den Kasernenbau nunmehr keine streitkräfteeigene Bau- sondern die zivile Finanzbauverwaltung verantwortlich zeichnete. Wie es scheint, wurde am Beginn dieses Aufrüstungsaspekts ein zunächst deutlich stärkerer, grundsätzlicher Neuansatz versucht, als er bei den zivilen Bauaufgaben festgestellt werden kann. Denn überwiegend keine nationalen Erwägungen lagen der westdeutschen Sicherheitspolitik als zentrale Bestimmungsgrößen zugrunde, sondern die Vorstellung von einer gemeinsamen europäischen Verteidigung mit der Idee integrierter Streitkräfte fungierte als Pate der militärischen Planungen. Entsprechend dem schwierigen Herantasten der westdeutschen Vertreter bei den Verhandlungen um eine europäische Verteidigungsorganisation nimmt es nicht wunder, dass man sich innerhalb der von den Westeuropäern dominierten EVG beim Kasernenneubau für typisierte Gebäude aussprach, welche nicht allein entlang der Richtlinie »Ohne Aufwand, solide und schlicht«342 aufgeführt, sondern überdies anzulehnen waren an die Normen jener Kasernenneubauten, welche für Engländer und Amerikaner bereits in der Bundesrepublik hochgezogen worden waren. Daraus entwickelten die aus Bonn entsandten EVGUnterhändler aber schon bald Gegenvorschläge. Auf den ersten Blick ohne Wenn und Aber deutscher militärbaulicher Tradition folgend, sollte weiterhin die Kompanie (130 bis 200 Mann) als die zentrale Konstante dienen. Um diese herum sollte nicht nur das einzelne Mannschaftshaus konzipiert werden, ein solches Modul ließ zudem Varianten für größere oder kleinere Lösungen zu, je nach Truppengattung oder Personalumfang. Aus wirtschaftlichen Gründen plädierte vornehmlich das Finanzministerium im Unterschied zu den erklärten angelsächsichen Vorbildern für eine mehrstöckige und massive Bauweise343. Ursprüngliche Erwägungen, die zukünftigen Truppen gar in Baracken unterzubringen, lehnte man kategorisch ab. Einmal deshalb, weil solche Baulichkeiten als veraltet betrachtet wurden. Zum anderen ging davon kaum eine Werbekraft für die jedenfalls in den Anfangsjahren beständig in Personalnöten steckende Bundeswehr aus. Aber auch baufachliche und finanzielle Gründe sprachen deutlich für den dreigeschossigen Massivbau. Während hierfür die auf 20 Jahre prognostizierten Gesamtkosten (einschließlich Bauunterhalt und Wertminderung) bei 0,92 Mio. DM lagen, schlug dies bei erdgeschossigen Holzbaracken mit knapp 1,3 Mio. DM zu Buche344. Einmal mehr zog der Bundesminister der Finanzen mit Rücksicht auf eine die übrigen staatlichen Aufgaben nicht allzu-
342
343
344
waltung der Wehrmacht zu den Finanzbauverwaltungen der Länder vgl. Strobel, Vom Militärbauwesen im Königreich Bayern, S. 43. Vgl. auch Kleine Chronik der Unterabteilung U III, S. 6. BA-MA, BW 1/30012, Vermerk über die richtunggebenden Komponenten der bisherigen Entwicklung sowie der Erfahrung bei Unterkunftsbauten der Bundeswehr seit 12 Jahren, 28.8.1963. Ebd., BW 9/1695, pag. 42-47, Bericht über den von der deutschen Delegation der EVG am 7.12.1953 in Paris gehaltenen Vortrag. Ebd., BW 1/30012, Vermerk über die richtunggebenden Komponenten der bisherigen Entwicklung sowie der Erfahrung bei Unterkunftsbauten der Bundeswehr seit 12 Jahren, 28.8.1963.
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sehr störende Finanzierbarkeit der westdeutschen Aufrüstung die im zivilen Wohnungsbau aktuell gemachten Erfahrungen heran, wonach die Geschosszahl einen großen Einfluss auf die Senkung der Baukosten hatte345. Mit der Entscheidung für den mehrgeschossigen Massivbau hatte es mit den überkommenen Vorstellungen einer Truppenunterkunft zunächst jedoch sein Bewenden. Wenn es vermutlich auch nicht mit einer grundsätzlichen Abneigung gegen die Wiederbewaffnung zusammenhing, so zeugt ein bemerkenswerter Zusatzvorschlag seitens des Finanzressorts doch von jenen großen Herausforderungen, mit welchen das öffentliche Bauwesen zu jener Zeit vorrangig fertig zu werden hatte: »Da noch nicht übersehen werden kann, ob die in vorbeschriebener Weise errichteten Häuser mit einer Lebensdauer von etwa 50 Jahren die Zeit ständiger Verteidigungsbereitschaft überschreiten werden, muß die Umwandlung zu anderen, insbesondere Wohnungszwecken ins Auge gefaßt werden. Im Hinblick darauf wären Neubauten als 2-geschossige Zeilenbauten erwünscht, in denen sich die Mannschaftsstuben diesseits und jenseits des Mittelflurs genau gegenüberliegen. Im Falle der späteren Verwendung als Wohnung müßten die Flure in Stubenbereiche unterteilt, in diesen Treppen zum Obergeschoß und Eingänge von außen angelegt werden, sodaß Einfamilienreihenhäuser entstünden346.« Die Planungen waren darauf bereits abgestellt. So wusste der Spiegel seinen Lesern zu berichten, dass die Finanzbaubeamten auf ihre geplante Musterkaserne deshalb besonders stolz waren, weil die Gebäudeanordnung »für einen Kasernenhof alter Art keinen Raum bietet. Die modernen Kasernenkomplexe sollen wie stark aufgelockerte Wohnsiedlungen wirken«347. Neue Formen des Zusammenlebens erhoben auch die Vertreter der Inneren Führung zu ihrer Leitmaxime, wobei sich deren Augenmerk weniger auf eine zivile Umnutzung, sondern vielmehr auf den zu schaffenden Staatsbürger in Uniform richteten. Man plädierte deshalb für eine offene und leichte, in gewissem Sinne durchlässige Bauweise, weil die Kasernen grundsätzlich dem Bild des neuen Soldaten entsprechen sollten. Nach den Worten von Heinz Karst, einer der Protagonisten der Inneren Führung, dürfe aus erzieherischen Gründen »nicht die Kaserne, deren Vorbild schon äußerlich der alte autoritäre Herrschaftsstaat war und in die der Mensch hineingepfropft wurde [...] im Vorder-
345 346
347
Ebd., BW 9/1695, BMF an Amt Blank, 14.1.1953. Ebd., pag. 34 f., Dienststelle Blank an BMF betr. Vergleiche der Baukosten, 14.01.1953. 50 Jahre später, im Zuge der Konversion von Militärbauten nach dem Ende des Kalten Krieges, sollten bei der Umnutzung für zivile Wohnzwecke ganz ähnliche Gestaltungsideen zum Tragen kommen. Grundlegend vgl. die Studie Städtebauliche Möglichkeiten. Speziell für die Wehrmachtkasernen vgl. Quadflieg, Das Umnutzungsvorhaben Wrexham Barracks; Gerl, Wohnen auf dem Kasernenhof. Für Bundeswehrkasernen vgl. Röhse/ Reusehl, Gewerbepark Passau Kohlbruck. Musterkasemen. Raum für Vögel und Mopeds. In: Der Spiegel, 21.11.1956. Vgl. das abgedruckte Entwurfsmodell einer Truppenunterkunft für 1000 Mann von 1952 in: Kleine Chronik der Unterabteilung U III, Anlage 1.
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grund stehen, sondern eine Kaserne, die um den Menschen herumgebaut ist«348. Karst bemühte hier subkutan eine reduzierte Form jenes Bildes vom Kasernenstaat, welches der amerikanische Politologe Harold D. Lasswell 1941 in Anlehnung an Erkenntnisse des deutschen Sozialhistorikers Otto Hintze geprägt hatte, wonach die Kaserne zum Topos einer auf Krieg und Militär hin optimierten Gesellschaft geronnen war - vornehmlich bezogen auf die Epoche vor dem Ersten Weltkrieg349. Jetzt allerdings sollten keine Mauern die Anlage von ihrer zivilen Umgebung mehr abschotten, sondern es reichte ein »durchsichtiger Maschenzaun«, der den Sicherheitsbedürfnissen vollkommen zu genügen schien. Das Postulat vom im Mittelpunkt stehenden Menschen - allerdings als Funktionselement des »kleinen Kampfteams« - sollte sich bei den Wohnschlafräumen ebenfalls in der Baugestaltung wiederfinden. Weil, wie Baudissin als einer der Väter des Konzepts der »Inneren Führung« und des »Staatsbürgers in Uniform« es formulierte, auch »vom Räumlichen her die Gemeinschaft zu bilden [sei], in der der Soldat später zu fechten habe«, lehnte man den Bau von Einzelstuben hingegen ab und favorsierte Sechs- bis Achtmannstuben350. Ob solcher Überlegungen, »die das Lebensgefühl des Bürgers, das Bewußtsein, auch unter diesen uniformierten Umständen ein Mensch zu bleiben, aufrechterhalten solle«, zeigte sich der Vorsitzende im Sicherheitsausschuss »mit dem geschilderten Kasernentyp [...] einverstanden [...] Sauberkeit müsse herrschen, aber die Sauberkeit der Unterkunft dürfe nicht ein Gegenstand des ständigen Schreckens oder Terrors sein«351. Rein funktional betrachtet, zeichneten sich die Gestaltungsvorstellungen aus dem Kreis der Inneren Führung nun ebensosehr durch ideolgisch aufgeladene Erziehungsvorstellungen aus, wie einstmals beim Kasernenbau der Wehrmacht. Das demokratische Bezugssystem und die politische Zielsetzung hätten freilich kaum gegensätzlicher zum nationalsozialistischen Kriegerideal sein können. Wenn es hier auch nicht um die nach innen, auf die Streitkräfte gerichtete Wirksamkeit baulicher Maßnahmen gehen kann, so ermöglichen solche Gestaltungsaspekte dennoch Fragen nach den bauideologischen Strömungen in der frühen Bundesrepublik. Gab es im zivilen Hochbau ähnliche Vorstellungen, dem Materiellen innerhalb des demokratischen Verfassungsstaates einen eigenen Ausdruck zu verleihen? Oder beschränkten sich solche Forderungen tatsächlich nur auf die militärische Teilgesellschaft, die es offensichtlich am nötigsten hatte? Wenn nicht, lassen sich gar wechselseitige Einflüsse nachvollziehen? Grundsätzlich hat die architekturhistorische Forschung herausgearbeitet, dass in den fünfziger Jahren sowohl im Anspruch des modernen Städtebaus als auch Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 40. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.7.1956, S. 9. 349 Vgl. Lasswell, The Garrison State. Zur Forschreibung der Theorie vom Kasernenstaat nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Lasswell, Die Kasemenstaats-Hypothese heute. 350 Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 40. Sitzung des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit, 21.7.1956, S. 25. Zur Rolle Baudissins vgl. demnächst Nägler, Die personelle Rüstung. 351 Ebd., S. 34 f. 348
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in den Bauformen selbst ein neuer, demokratischen Idealen folgender Gestaltungswille Raum gegriffen hat, bei aller Gleichzeitigkeit heterogener Architekturauffassungen, welche bereits das offizielle wie das private Bauen unter Hitler geprägt hatten352. Im Hinblick auf manche personale Kontinuität darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass auch unter der Architektenschaft die Anpassung an die Moderne zuweilen nur eine formale war353. Die durch den Bombenkrieg und die Erdkämpfe zertrümmerten Städte machten es einzelnen Protagonisten unter den Stadtplanern leicht, einen scheinbar demonstrativen, programmatischen Bruch mit der prahlerischen, axialsymmetrischen NSMonumentalarchitektur und dem hierarchischen Bauen der vordemokratischen Kaiserzeit zu suchen354. Übereinstimmendes städtebauliches Ziel im ersten Nachkriegsjahrzehnt war die gegliederte und aufgelockerte Stadt355, organisch strukturiert nach folgendem Leitbild: 1. Verringerung der Einwohnerdichte in den Zentren durch aufgelockerte, niedriggeschossige Bauweise und Erweiterung öffentlicher Freiräume. 2. Dezentrale Gliederung der Siedlungsmasse in einzelne, möglichst durch Grünflächen voneinander getrennte Nachbarschaften. 3. Weiträumige Verkehrserschließung, um dem erwarteten Individualverkehr Rechnung tragen zu können. Hans Scharoun, einer der radikalsten Vertreter unter den Befürwortern einer solchen Stadtlandschaft, fasste die dahinterstehende, ideelle Programmatik schon im Sommer 1946 anlässlich der Eröffnung der Ausstellung »Berlin plant« ganz besonders prägnant zusammen 356 : In der gegliederten Stadtlandschaft soll »aus Natur und Gebäuden, aus Niedrigem und Hohem, aus Engem und Weitem, eine neue lebendige Ordnung enstehen«. Dies bedeutete nicht nur eine Absage an das Hierarchische, welches zu lange auch bei der Architektur in Deutschland dominiert hatte, sondern es mutet gar wie eine ins Materielle transponierte Vorwegnahme jenes erst drei Jahre später im Grundgesetz verankerten demokratischen Gleichheitsgrundsatzes an, wenn er weiterhin verlangte: »Wir brauchen Gefüge gleichgewichtiger Straßen, die das Gefüge gleichgewichtiger Wirtschafts- und Wohnstätten organisch miteinander verbindet.« Bei aller Neuorientierung darf aber nicht übersehen werden, dass sich in der Terminologie gewissermaßen auch ein Akt der Entnazifizierung wiederspiegelt. So lieferte das erste Städtebaulehrbuch nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Metaphern für den organischen Städtebau bzw. die organische Siedlungszelle biologistische Bezugsgrößen, welche die einstmalige NS-Ortsgruppe als Siedlungs352
Grundlegend und als Überblick vgl. Harlander, Wohnen und Stadtentwicklung. Vgl. auch So viel Anfang war nie. Mit lokalen Beispielen vgl. Neue Städte aus Ruinen. 353 Vgl. Nerdinger, Aufbrüche und Kontinuitäten, bes. S. 14. 354 Vgl. ebd., bes. S. 17. 355 Der Begriff geht zurück auf eine Publikation von Göderitz/Rainer/Hoffmann, Die gegliederte und aufgelockerte Stadt, obschon das Gestaltungskonzept bereits 1944 im Umkreis der Deutschen Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung angedacht worden war. Vgl. Wagner-Kyora, Das Zweckmäßige ist fast immer auch schön, S. 618 f. 3» Nachfolgende Zitate nach Durth, Kontraste und Parallelen, S. 599.
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zelle jetzt zur Nachbarschaftseinheit mutieren ließ357. Andererseits erheischte die Not knapper Materialien fast zwangsläufig einen sparsamen, phantasievollen Umgang mit den kostbaren Baustoffen. Schwebende und geschwungene Vordächer, sich wendelnde Treppenhäuser sowie dünnhäutige Fassaden mit feiner Ornamentik und zierlichen Stützen erscheinen wie eine sinnliche Gegenwelt zur Schwere des verrufenen »Blut- und Bodenstils« jener vergangenen Epoche. Die Transparenz breiter Wandverglasungen erleichterte die Massigkeit großflächiger Gebäudevolumen ebenso, wie sich die Vorliebe für organisch gerundete, asymmetrische Formen der starren Geradlinigkeit repräsentativer Bauten entgegenstellte358. Fraglos konnten und wollten sich die Planer der neuen Bundeswehrkasernen den zeitgenössischen politischen wie architektonischen Strömungen nicht entziehen. Auch hier stand erklärtermaßen der Mensch im Mittelpunkt. In der Erinnerung sollte dies bedeutet haben, »mit den Bauten nicht Massenquartiere zu schaffen, sondern im besten Sinne menschliche Maßstäbe zu verwirklichen«359. Dabei schlugen sich in den neuen Truppenunterkünften teilweise solche zeittypische Gestaltungsmerkmale nieder, die durchaus Anlass zu kontroversen Reaktionen boten. Obwohl der Idee aus der Frühphase der EVG, schon im Ansatz eine spätere zivile Nutzungen mitzuberücksichtigen, keine lange Lebensdauer beschieden war, muteten die neuen Anlagen in städtebaulicher Hinsicht auf den ersten Blick als mustergültige Umsetzungen des Leitbildes einer organisch gegliederten Stadt im Kleinen an. Im Allgemeinen bestand eine Kaserne, jedenfalls bei der hier ins Zentrum gerückten Referenzteilstreitkraft Heer, aus folgenden sechs Bereichen360: 1. Zum Unterkunftsbereich als dem Kern der Anlage gehörten die Kompanieund das Wirtschaftsgebäude sowie der Sanitätsbereich. 2. Im Ausbildungs- und Sportbereich waren das Lehrsaalgebäude, die Ausbildungshalle, der ABC-Ubungsraum, der Kleinschießplatz, die Antreteplätze und die Sportanlagen mit Hindernisbahn situiert. 3. Der Kraftfahrzeug- oder Technische Bereich verfügte über Werkhallen verschiedenen Typs, Tankstellen, Brennstofflager, Unterstell- bzw. Abstellflächen und Straßen. 4. Zum Verwaltungsbereich zählte man die Wache, das Stabsgebäude, das Kammergebäude, die Heizzentrale und die Lagerplätze. 5. Als Munitionsbereich wurde die feste Standortmunitionsniederlage bezeichnet. 6. Im Wohnbereich waren acht Wohnungen für Dienstgrade und Zivilbedienstete vorgesehen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben unmittelbar neben der Kaserne wohnen mussten. 357
Anhand der Publikationen von Reichow ist dieser Transformationsprozess stringent nachvollziehbar. Vgl. Reichow, Grundsätzliches zum Städtebau; vgl. auch Reichow, Organische Stadtbaukunst. 358 vgl. Nerdinger, Materialästhetik und Rasterbauweise. 359 Kleine Chronik der Unterabteilung U III, S. 16. 360 Zu den nachfolgenden Komponenten vgl. Radioff, Gliederung und Gestaltung.
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Zur Unterstützung eines reibungslosen Dienstbetriebes sollten die Bereiche wie auch die Einzelobjekte zueinander so gruppiert werden, dass zumindest unnötige Umwege vermieden wurden. Dies galt besonders für die Platzierung des Wirtschafts- und Lehrsaalgebäude sowie der Ausbildungshalle bzw. die KfzAbstellplätze und Sportanlagen, welche zentral von den Unterkunftsgebäuden aus erreicht werden mussten. Für das Stabsgebäude war eine Stelle vorzusehen, von der man die gesamte Anlage gut übersehen konnte. Der Sanitätsbereich sollte hingegen abseits vom Dienstbetrieb eingerichtet werden. Trotz scheinbar augenfälliger Bezüge zum zivilen städtebaulichen Leitbild der fünfziger Jahre hat letztlich der Grundriss einer Bundeswehrkaserne damit nur sehr bedingt etwas gemein. Denn diesen Objekten lagen keineswegs sozialethisch oder sozialpolitisch begründete Reformideen zugrunde. Hauptsächlich militärisch-funktionale Zweckmäßigkeitsvorstellungen bestimmten die Struktur, ganz zu schweigen vom jedenfalls in der Öffentlichkeit kommunizierten Finanzdiktat. So wusste der Spiegel seinen Lesern zu berichten, dass die Kasernenbaureferenten im Finanzministerium die Musteranlagen mehr errechnet denn entworfen hatten361. Trotz aller Erklärungen, auch im Kasernenbau für die Bundeswehr einen Neuansatz zu verfolgen, fußte jedenfalls die städtebauliche Anlage auch auf den Baugrundsätzen der Wehrmachtkasernen, welche die Trennung des Wohn- vom Technischen Bereich zum Grundsatz erhoben hatten362. Im Zuge der westdeutschen Aufrüstung passte man diese allenfalls den neuen Bedürfnissen an, wie sie etwa eine erheblich gestiegene Motorisierung verlangte. In einer gewisser Abkehr zu dieser Tradition stand allerdings die stärkere Berücksichtigung der Topografie. Unterstrichen bei den Wehrmachtkasernen oftmals axiale Symmetrien die nationalsozialistischer Bauauffassung immanenten Hierarchien, so vermied man in den fünfziger und sechziger Jahren oftmals einen zu schematischen, rechtwinkligen Aufbau, sondern positionierte die Bauten durchaus auch organischer im Gelände363. Bei der Auflockerung haben aber auch die Lehren des Bombenkrieges und die Forderungen des Luftschutzes ihre Spuren hinterlassen. So erschien schon dem EVG-Interimsausschuss, als er 1953 die ersten deutschen Typenpläne prüfte, eine halbkreisförmige Anordnung zweckmäßiger, weil »hierdurch der Gegner bei Luftangriffen zur Erreichung vollkommener Vernichtung zu mehreren Anflügen gezwungen wird«364. Dessen ungeachtet zeigen die städtebaulichen Strukturen eine für jene Jahre typische Figuration von Erschließungsstraßen und Wegen sowie zwei- bis dreigeschossiger, zuweilen leicht gewinkelter Zeilenbebauung aus langestreckten Baukörpern, ganz so, wie sie etwa ab der Mitte der fünfziger Jahre bei den
361 362
363
364
Vgl. Musterkasernen. Raum für Vögel und Mopeds. In: Der Spiegel, 21.11.1956. Als zeitgenössischen Beleg vgl. Mascke, Der Lageplan einer Kaserne, S. 13 f. Vgl. auch Schmidt, Nutzung und Bauform von Kasernenbauten, S. 39 f. Als Beispiele sei auf die ost- und nordbayerischen Kasernenanlagen in Bogen, Cham, Ebern, Kümmersbruck, Neunburg v.W. und Regen verwiesen. Vgl. die Abbildungen bei Oster/Sander, Gesichter einer Division, S. 54-63. BA-MA, BW 9/1695, Vermerk der Abt. Genie im Amt Blank betr. Militärische Infrastrukturforderungen für Truppenunterkünfte, 7.1.1954.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Wache Stabsgebäude Kommergebäude Wirtschaftsgebäude Heizzentrole Stabskompanie Kompaniegebäude Erw. Sanitätsbereich Zug-Gebäude Versorgungs-Kompanie Offiziers-Kas'no Lehrsaalgebäude Wohnungen
14 Ausbildungshalle 15 Aero-Halle 16 Gasprüfraum 17 Werkstattgebäude 18 Kfz.-Halle 19 Wärme-Halle 20 Grundausbildungsplatz 21 Sportplatz 22 Boxen überdocht 23 Panzerabstellfläche 24 Kfz.-Abstellplotz 25 Schießplatz 26 Hindernisbahn
Lageplan einer Kaserne in Baden-Württemberg Die Bauverwaltung 9. Jg. Nr. 8, August 1960
Α Β C D Ε F G Η I J Κ L Μ Ν Ο—Oi P—Pi P. Q R S Τ U V W X Y Ζ
Lageplan einer Kaserne in Baden-Württemberg Die Bauverwaltung 9. Jg. Nr. 8, August 1960
Wirtschaftsgebäude Kompaniegebäude Kompaniegebäude Kompaniegebäude Kompaniegebäude Zuggebäude Kompaniegebäude Lehrsaalgebäude Kammergebäude Stabsgebäude Sanitätsbereich Heizgebäude Werkstatt Wärmehalle Hallen Schutzdächer überdachte Abstellflächen Tankstellen Abschmierrampen Gasprüfraum Wache Trafostation Feldwebelwohnungen Ausbildungshalle Abschmierrompen Ölwechselrampe Kleinschießplatz
1 2 3 4 5 6
Monnschoftsunterkunft Waffenreinigung Putzraum Woffenkammer U f f t . vom Dienst Lehrsaal
< -• w Kompaniegebäude und Ausbildungshalle einer Kaserne in Baden-Württemberg Die Bauverwaltung August 1960
9. Jg. Nr. 8,
i
•
Wirtschaftsgebäude einer Kaserne in Baden-Württemberg Die Bauverwaltung August
1 2 3 4 5 6 7 8 9
10 11 12 13 14 15 16 17 18
Garderobe Friseur Mannschaften Speiseausgabe Köche I j.r der Büro / Garderobe Nebenraum Uffz.-Speisesaal und -heim
Tagesvorräte Gemüsevorbereitung Fleichvorbereitung Vorraum Kühiraum Kalte Küche Kochküche Topfspüle Anrichte
„»
V
0 12 3
19 Geschirrspüle 20 Offiziersheim 21 MannschaftsspeisesaaJ 22 Bühne 23 Nebenräume der Bühne 24 Geschirrückgabe 25 Selbstbedienungsgang 26 Telefonzelle 27 Gartenhof
1 m ^Sffi 1 1 1 IΜ 1
!J 1
9. Jg. Nr. 8.
1960
Bm
Graf-Aswin-Kaserne in Bogen 1966 Amt für Nachrichtenwesen
der Bundeswehr
Kaserne in Feldafing 1961. Im Vordergrund die Gebäude der ehemaligen NAPOLA aus den dreißiger Jahren, im Hintergrund die Ergänzungbauten für die Bundeswehr. BA-MA, BW 2/1412
Kompaniegebäude einer Kaserne in Nordrhein-Westfalen Die Bauverwaltung
9. Jg. Nr. Θ, August
1960
< «Stabsgebäude einer Kaserne in Nordrhein-Westfalen Die Bauverwaltung August
I960
9. Jg Nr 8.
Wirtschaftsgebäude einer Kaserne in Nordrhein-Westfalen Die Bauverwaltung August
9. Jg. Nr. 6,
1960
Innenansichten eines Kompaniegebäudes in Nordrhein-Westfalen Die Bauverwaltung
9. Jg. Nr. 8, August
1960
Kompaniegebäude in einer für ein Panzerbataillon bestimmten Kaserne Streitkräfteamt, Informations- und Medienzentrale,
Bildarchiv
Blick in die Stauffenberg-Kaserne Streitkräfteamt, Informations- und Medienzentrale,
Bildarchiv
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
ebenfalls außerhalb städtischer Kernbereiche angelegten Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus zu beobachten waren. Nun wird man sicherlich nicht so weit gehen können, der vom Funktionalen her bestimmten Kasernenarchitektur der Bundesrepublik einen allzu aufgeladenen Bedeutungsgehalt zuzumessen. Solches verhüteten allein schon die generell auf Sparsamkeit hin orientierten Grundsätze des fiskalischen Bauens sowie die Notwendigkeit, rasch ausreichende Unterkunftsplätze bereitzustellen. Letzteres begünstigte auch das Aufgreifen rationeller Fertigungstechniken und führte allen prinzipiellen Erwägungen zum Trotz gar zu Bauten in Leichtbauweise, die ihren provisorischen Charakter nicht verbergen konnten. Aber auch hier legte man Wert auf die Feststellung: »Es ist nicht beabsichtigt, die Forderungen an Qualität und Dauerhaftigkeit herabzusetzen zugunsten der Möglichkeit, das Bauwerk schnell und häufig umsetzen zu können, obwohl die Konstruktion auf eine Wiederverwendung an anderer Stelle Rücksicht nehmen soll365.« Zentrale Gestaltungsgrundlage des hier im Schwerpunkt betrachteten Kasernenbaus für das Heer waren die von der Bauverwaltung des Bundesministeriums der Finanzen am 25. August 1956 verfügten »Vorläufigen Richtlinien für Planung und Ausführungen ständiger Truppenunterkünfte (Heer) in örtlich ausgeführter Massivbauart«. Aufgrund biografischer Kontinuitäten der von der wehrmachteigenen Bauverwaltung nahtlos in die staatliche Hochbauorganisation übergewechselten Beamtenschaft und deren Arbeiten für die Besatzungstruppen wird man zunächst wohl nicht unbegründet von der Vermutung ausgehen können, dass dabei entwickelte Gestaltungsformen auch Eingang gefunden haben in die neue militärische Bauaufgabe366. Jedenfalls versetzten die typisierten Planungsrichtlinien die Beamten in den regionalen Baudienststellen der Oberfinanzdirektionen bzw. die von ihnen beauftragten freien Architekten in die Lage, relativ rasch den örtlichen topografischen Gegebenheiten angepasste Baupläne und im Grunde genommen vornehmlich normierte Gebäude zu erstellen. Im Ergebnis führte dies zu schmalen, langgestreckten, überwiegend zweibis dreigeschossigen Gebäuden bei Stabsgebäuden und Mannschaftsunterkünften. Die durch symmetrische und hochrechteckige Fensterachsen gegliederten, kaum einmal durch angesetzte Treppenhauspilaster oder breitere Korridorfenster ausgezeichneten Fassaden bestanden in der Regel aus Putzziegel- oder auch Verblendmauerwerk aus Klinker, die von einem kaum traufüberkragenden, meist hoch auflaufenden Satteldach überwölbt wurden. Darüber hinaus gab es bei den Mannschafts- und Stabsgebäuden auch Varianten mit flachen Satteldächern bis zu 25 Grad Neigung. Selbst reine Flachdächer kamen zur Ausführung. Flache Dachformen bis hin zu Impluviumslösungen blieben in der Regel aller365
366
Dies bezog sich auf die Planung und Ausführung zusätzlicher Unterkünfte in feuerhemmender Bauart. Ebd., BW 1/30012, Richtlinie G von BMVg U III 1,1.3.1962. Trotz einer inzwischen intensivierten Erforschung der Architektur in den ersten Nachkriegsjahrzehnten blieb dieser spezifische Aspekt staatlichen Hochbaus bisher unberücksichtigt. Vgl. die kursorischen Hinweise auf Militärgebäude und Personen bei Strobel, Vom Militärbauwesen im Königreich Bayern, S. 43-49, 56.
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dings den zentralen Wirtschaftsgebäuden vorbehalten, die auch aufgrund ihres größeren Raumprogramms schon im Grundriss stärker gegliedert waren und als städtebauliche Dominanten betrachtet werden können. Zuweilen wurden auch Funktionsgebäude für den Stab, für die sanitätsdienstliche Versorgung oder Lehrsaalgebäude mit Flachdächern versehen. Eine gewisse Auflockerung erfuhr die nüchterne, zuweilen streng anmutende Sachlichkeit der Kompaniegebäude, welche ihre Abkunft vom Kasernenbau der späten dreißiger Jahre augenscheinlich kaum leugnen konnte, allenfalls durch angesetzte, meist ebenerdige Unterrichtsräume mit breiter Fensterverglasung, die oft ein flachgeneigtes Pultdach auszeichnete. Stilistisch entsprachen die so gestalteten Mannschaftsunterkünfte dem üblichen Geschosswohn- und Verwaltungsbau der Zeit in seiner eher einfachen Version, ganz orientientiert an einer möglichst großen Raumgewinnung für Unterkunftszwecke. Allenfalls in den großzügigen, manchmal fast die Gebäudebreite einnehmenden Glasfassaden bei Wirtschaftsgebäuden und Unterrichtsräumen oder in rasterförmig gestalteten, die gesamte Gebäudehöhe aufbrechenden Treppenhausverglasungen finden sich Stilzitate, mit denen man damals wie heute die als Gegenentwurf zum Monumentalismus der NS-Zeit besondere Leichtigkeit der Architektur der fünfziger Jahre verbindet367. Hierher gehört auch die so genannte Kunst am Bau, welche aufbauend auf Überlegungen zu Beschäftigungsprogrammen für Künstler in der Weimarer Republik 1934 als Zeichen sozial- und kulturpolitischen Engagements des NSRegimes gesetzlich verankert worden war368. Von der bundesdeutschen Gesetzgebung aus sozialen Erwägungen 1950 erneuert, sollte »ein angemessener Betrag der Bauauftragssumme öffentlicher Gebäude für Werke bildender Künstler ausgegeben werden«369. Gewiss, schon die Supraporten mancher Wehrmachtkaserne zierten beispielsweise steinerne Reliefs oder Fresken, wobei die weitgehend militärischen Sujets einer nationalsozialistischen Ästhetik folgten und ideologieadäquate kriegerische Vorbilder beschworen370. »Heldenkitsch« sollte es in den modernen Bundeswehrkasernen hingegen auf keinen Fall geben! So jedenfalls fassten die Stuttgarter Nachrichten 1958 die im Verteidigungsministerium dazu angestrengten, durchaus kontroversen Überlegungen zusammen. Ganz im Gegenteil lieferte auch bei diesem auf den ersten Blick scheinbar unwesentlichen Detail die Suche nach dem Neuen vor der Folie der unseligen Vergangenheit die entscheidende Marschzahl: »Immerhin kann man sagen, daß eine große Zahl - vielleicht die meisten der Raumschmuckexperten einer unmittelbaren Darstellung des Soldatenlebens mit heilsamer Vorsicht gegenübersteht. Stattdessen empfiehlt man lieber eine Ausweitung der Themenwahl auf allgemeine Lebensbereiche. Das 367
368 369
370
Die Kasernenarchitektur der Bundeswehr ist bislang unerforscht. Vgl. bedingt die wenigen Hinweise in Bauen für die Bundeswehr. Generell zur westdeutschen Architektur in den ersten Nachkriegsjahrzehnten vgl. Architektur der Wunderkinder. Vgl. Teut, Architektur im Dritten Reich, S. 9 5 - 9 9 . Förderung der bildenden Kunst. In: Verhandlungen des Deutschen Bundestages. 1. Wahlperiode 1949, Anlage - Bd 4, Bonn 1991, Drs. Nr. 1085. Vgl. Wesser, Von »Kunst am Bau«, S. 3 0 - 4 5 . Vgl. Schmidt, Nutzung und Bauform von Kasernenbauten, passim.
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entspreche der modernen Auffassung vom Soldaten umso mehr, als dieser ja kein Fremdkörper innerhalb des Volkes sei, sondern Bürger unter Bürgern. Sein Verteidigungsauftrag erstrecke sich auf alle jene Lebenswerte, die auch für den Zivilisten schützenswert seien. Aus dieser Sicht öffnet sich für die Motivwahl ein weites Feld. >Warum nicht statt Kanonen Kornfelder, statt Sturmgeschützen Städtebilder?< hieß es im Ministerium. Nicht die Mittel, sondern die Zwecke der Verteidigung sind darstellenswürdig; nicht das >WomitWofürTraditionAusschaun tut's da wie in an Sanatoriumihre< Gemeinde zu verpflanzen. Beide Siedlungsprojekte - mit insge444
Daten nach Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 108; vgl. Kaufmann, Raum Wirksamkeit, S. 236.
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samt 396 Wohnungen - liegen zwar dicht an der Kaserne, gleichzeitig jedoch am Rande der Gemeinde, die erst langsam, im Zuge der Vergrößerung, an sie heranwächst. So abgedroschen und bösartig das Wort >Ghetto< klingt - es trifft hier auf die räumliche Isolierung der Soldaten zu445.« Zur als mangelhaft empfundenen externen trat das Problem der internen Integration. Will heißen, die Angehörigen derselben hierarchisch gegliederten Berufsgruppe saßen mit ihren Familien in den so genannten Bundeswehrghettos sehr eng aufeinander. Man fühlte sich ständig beobachtet oder kontrolliert, die Ausweichmöglichkeiten waren gering446. Das fränkische Hammelburg mit seinen großen Wohnbereichen, die im Zuge des Ausbaus zum Truppenübungsplatz erforderlich geworden waren, kann hierfür als Beispiel dienen. Insgesamt standen dort den Bundeswehrangehörigen 729 Wohnungen zur Verfügung, die hauptsächlich von der Gemeinnützigen Deutschen Wohnungsbaugenossenschaft in drei Baugebieten ab 1956 erstellt worden waren. Aufgrund der Tatsache, dass die Siedlungen nach Dienstgradgruppen getrennt wurden und die für Offiziere bestimmten Komplexe in der bevorzugten Wohnlage der Stadt »Am Heroldsberg« noch dazu besser ausgestattet waren, ließ sich eine gewisse Abkapselung nicht vermeiden, die zu einem eigentümlichen Gruppendenken führte. Dennoch musste man den Wunsch vieler Offiziersfamilien konstatieren, sich lieber auf dem privaten Wohnungsmarkt einzumieten, um der Vermengung von Wohnen und Freizeit in berufsbedingter Umgebung zu entfliehen. Wollte man diese sozialen Folgen allein auf die erste Zeit der im Entstehen begriffenen Bundeswehr zurückführen, so sollte man sich freilich täuschen. Die weitere Entwicklung in Hammelburg während der sechziger Jahre spricht hier eine deutliche Sprache - jedenfalls aus dem Blickwinkel einer wissenschaftlichen Untersuchung, die sich zu Beginn der siebziger Jahre mit den sozialgeografischen Auswirkungen von Truppenübungsplätzen auf ihre Standorte befasste: »Auch bei dem neuesten Wohnviertel der BW, das seit 1963 bebaut wird, fallen die hohe Wohndichte (Blockbauten) und damit verbundene psychologische Probleme auf. Der häufige Wohnortwechsel der Soldaten, im Durchschnitt ist eine Wohnung nur 2 Jahre von einer Partei belegt, der Kinderreichtum gerade der unteren Dienstgrade und der häufige Neid auf ranghöhere Nachbarn lassen kein homogenes Wohnklima aufkommen und verhindern ein organisches Zusammenwachsen dieser Bevölkerungsgruppe mit der restlichen Stadtbevölkerung447.« Wie wichtig besonders unter dem letztgenannten sozialen Umstand eine bauliche Eingliederung der Bundeswehrwohnungen nach dem Grundsatz einer gebündelten Streuung in das bestehende Siedlungsgefüge war, offenbart sich am Vergleich von drei Standorten in Baden-Württemberg. Während auch hier die militärischen Wohnghettos in Großengstingen und Pfullendorf die gesellschaftliche Integration der Soldaten in die Ortsgemeinschaft nicht gerade för445 446 447
Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 875. Vgl. Fleckenstein, Gemeinde und Garnison, S. 16. Roser, Geographische Aspekte, S. 123.
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derte, war die Situation in Külsheim eine ganz andere. Weil dort der Grundsatz der gebündelten Streuung zumindest teilweise realisiert werden konnte, fühlten sich die militärischen Neubürger auch bald zur Ortsgemeinschaft zugehörig. Ein neu ausgewiesenes Baugelände von 10 ha wurde vermischt mit Privat- und Bundeswehrwohnungen bebaut. Dies war deshalb möglich geworden, weil die Bundeswehr im Wesentlichen zwei- bis zweieinhalbgeschossige Häuser errichten ließ448. Was den Wohnungstyp anbetraf, so lag der Schwerpunkt der Bundeswehrwohnungen auf der 3-Zimmerwohnung mit separater Küche und Bad, wobei sich im Hinblick auf die personelle Zusammensetzung der Truppenteile oder Dienststellen durchaus Unterschiede ergeben konnten. Im hessischen Stadtallendorf beispielsweise, eine Neubaugarnison, waren 50,4 Prozent aller Wohnungen (3 Zimmer) auf die Größe einer augenscheinlich für durchschnittlich gehaltenen Bundeswehrfamilie zugeschnitten. Die größeren 4-Zimmerwohnungen umfassten ein weiteres Drittel des Bauvolumens, während sowohl die kleineren 2-Zimmerwohnungen, gedacht für kinderlose Ehepaare, als auch die großen 5-Zimmerwohnungen relativ selten waren449: Tabelle 33: Verteilung von Wohnungstypen für die Bundeswehr in Stadtallendorf (in Prozent) 2-Zimmer 13,0
3-Zimmer 50,4
4-Zimmer 23,5
5-Zimmer 10,8
Je größer im Übrigen die Garnisonstadt war, desto geringere Integrationsprobleme ergaben sich in Abhängigkeit von der Wohnsituation. So konnte in der 65 000 Einwohner zählenden oberfränkischen Bezirksmetropole Bayreuth beispielsweise keine besondere Konzentration von Wohnstandorten für längerdienende, nicht kasernenpflichtige Bundeswehrangehörige festgestellt werden, die einen Anhaltspunkt für Integrationsprobleme geliefert hätten. Zwar bildete sich bei der räumlichen Verteilung eine gewisse Häufung in den kasernennahen Stadtteilen ab. Im Ergebnis wurde dies allerdings »nicht als Zeichen mangelnder Integration gewertet [...] da einmal offensichtlich nicht der Fall einer geschlossenen, isolierten Wohnsiedlung vorliegt und zum anderen rd. 40 % der befragten Garnisonsangehörigen über das ganze Stadtgebiet verteilt wohnen«450. Befragt nach ihrem Kontaktverhältnis zur Zivilbevölkerung, gaben 47 Prozent dieser Personengruppe an, über einen großen Bekanntenkreis am Standort zu verfügen. Als mittelgroß bezeichneten ihn immerhin noch 37 Prozent, während er für 16 Prozent nur klein war. Neben der rein quantitativen Erfassung wurden zur Beurteilung des integrativen Wertes der Freundes- und Bekanntschaftsbeziehungen die sozialen 448 449 450
Vgl. Kohler, Bundeswehrgamisonen, S. 691; vgl. auch Lamping, Truppenübungsplätze, S. 225. Nachfolgende Zahlen nach Klüver, Bundeswehrstandorte im ländlichen Raum, S. 104-106. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 136.
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Kontakte auch qualitativ betrachtet. Es ging um die Frage, ob es sich bei den Bekannten am Standort überwiegend um Angehörige der Streitkräfte oder um Zivilisten handelt. Die Auswertung ergab erneut eine deutliche Korrelation zwischen der Art des Bekanntenkreises und der jeweiligen Wohnsituation. Wenig überraschend war, dass fast zwei Drittel der innerhalb der Kasernen Wohnenden (überwiegend unverheiratete Wehrpflichtige) ihren Freundeskreis unter den Soldaten hatten. Die Mehrzahl (75 Prozent) der außerhalb der militärischen Einrichtungen Wohnenden besaßen hingegen einen zivilen Freundes- oder Bekanntenkreis. Eine weitere Bestätigung dieses statistisch gemessenen, relativ hohen Integrationsniveaus ergab sich auch daraus, wie die nicht-kasernenpflichtigen Garnisonsangehörigen die Kontakte zur Zivilbevölkerung selbst beurteilten451: Tabelle 34: Selbsteinschätzung der Kontakte von Bundeswehrangehörigen zur Zivilbevölkerung in Bayreuth (in Prozent) sehr gut
gut
gering
sehr gering
11
64
17
9
Die Quote von 75 Prozent in den Antwortklassen sehr gut bis gut deutet darauf hin, dass sich im Hinblick auf die Wohnsituation die Mehrzahl in die Stadt integriert fühlte. Zurück zu den raumwirksamen Folgen von Bundeswehrsiedlungen. Wenn gleichzeitig in unmittelbarer Nähe zu den Kasernen und militärischen Wohneinheiten ein ziviles Siedlungsgebiet mit Infrastruktureinrichtungen wie Hotel, Kino und Läden entstand, dann erhielt das einstmals vielleicht beschauliche Dorf faktisch einen baulich erschlossenen neuen Ortskern, der allerdings mehrere Kilometer von der früheren Ortsmitte entfernt lag. Aus einer ursprünglichen Streusiedlung mochte somit eine Ortschaft entstanden sein, die in keiner Weise mehr an eine dörfliche Gemeinde erinnerte. In Verbindung mit der zivilen Bautätigkeit hatte die Garnisonsgründung bewirkt, dass die einstmalige Gemeinde »teilweise den Charakter einer vorstädtischen Wohnsiedlung annahm«452. Nicht in jedem Fall führten die großräumigen neuen Wohngebiete allerdings zur Herausbildung von solchen beschriebenen Subzentren. Obwohl die in drei Baugebieten errichteten 729 Bundeswehrwohnungen die bisherige stadträumliche Gliederung von Hammelburg so stark veränderten, wie es sonst bei Städten dieser Größenordnung kaum anzutreffen war, behielt der Altstadtbereich seine bisherige Dienstleistungsfunktion (Geschäfte, Behörden, Banken)453. Und dennoch: Auch wenn solche Massenwohnquartiere, die sich durch langgestreckte, drei- bis viergeschossige Wohnblocks, gegebenenfalls mit da451 452
453
Daten in nachfolgender Tabelle nach ebd., S. 141. Vgl. Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - viele Soldaten, S. 874, worin die Folgen der Garnisonsgründung am Beispiel einer fiktiven norddeutschen Stadt Mitte der sechziger Jahre aufgezeigt werden. Vgl. Lamping, Truppenübungsplätze, S. 225.
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zwischengestreuten Hochhäusern oder Reihenhauszeilen, mehr oder weniger großzügige Grün- und meist gut ausgebaute Verkehrsflächen auszeichneten, Merkmale jener grundlegenden Forderungen enthielten, die führende Vertreter des Neuen Bauens schon 1933 in der Charta von Athen erhoben hatten und die dann cum grano salis für den Wohnbau der Nachkriegszeit gelten sollten454, ist eine gewisse Gestaltungsmonotonie nicht zu leugnen. Ein im Übrigen genereller Trend bei der Errichtung neuer Wohnquartiere bis in die siebziger Jahre hinein. Das lag zum einen an der für Bundeswehrsiedlungen geltenden Orientierung am sozialen Geschosswohnungsbau der Zeit. Angesichts der allgemeinen Armut nach Kriegsende und der Notwendigkeit, die zerstörten Gebiete rasch wieder aufzubauen, sah man grundsätzlich im mehrgeschossigen Mietwohnhaus das geeignete Grundelement des Wiederaufbaus455. Ungeachtet der Gefahr gravierender Bausünden und mangelhafter sozialer Integration der Soldaten und ihrer Familien in die Standortgemeinden, Folgen, die in der Anlage der Wohnkomplexe begründet waren, erkannte aber auch manche Kommune die Chance, die militärische Infrastruktur für den in den sechziger und siebziger Jahren boomenden zivilen Wohnungsbau zu nutzen456. Bereits 1961 berichtete die Süddeutsche Zeitung unter der Schlagzeile »Parksiedler auf der Panzerstraße« von Plänen der Stadt Donauwörth mit ihren 10 000 Einwohnern, in Anlehnung an die Kaserne eine »Trabantenstadt« mit 400 Wohnungen, Geschäftszentrum, Schulen, Kirche und Freibad zu errichten: »Die Bundeswehr hat auf dem Schellenberg eine breite Straße gebaut, die zu dem Schieß- und Exerzierplatz und dem Munitionsdepot in kilometerweiter Entfernung führt. Aber von der gleichen Hauptstraße können auch die Seitenstraßen in die Parkstadt abgezweigt werden. Unter der 32 Zentimeter dicken Asphaltschicht dieser Panzerstraße liegen noch 100 Zentimeter Kies. >Eine solche Straße hätten wir uns als Gemeinde nie leisten könnenfortschrittlich< oder >großstädtisch< zu erscheinen461.« Dennoch entsprachen die zeittypischen städtebaulichen Planungsgrundsätze - weniger vielleicht das Hochhaus an sich, so doch die Vorstellung von einer aufgelockerten und gegliederten Stadt oder die Anlage von Trabantenstädten durchaus den Zielen einer weitblickenden Landesverteidigung im Kleinen, die wegen der Totalität eines möglichen Krieges im Großen auf eine Regionalisierung und Auflockerung der Wohn- und Industriezentren hinausliefen462. Hält man allerdings das traditionelle, von Region zu Region durch höchst unterschiedliche Hauslandschaften geprägte Raumgefüge im Blick, dann wird man in der Rückschau durchaus jenen Kritikern Recht geben müssen, die schon in den fünfziger Jahren vor den raumwirksamen Negativfolgen des Kasemenbaus gewarnt hatten. Die materielle Integration der Bundeswehr vor allem in die kleineren Landgemeinden abseits der städtischen Verdichtungsräume trug ihren Teil dazu bei, neben gewachsenen, im Einklang mit der Natur und traditionellen Lebens- wie Wirtschaftsformen stehenden, oft jahrhundertealten Siedlungsstrukturen das rasante Wachsen eines amorphen Siedlungsbreis in Gang zu setzen, der weder als städtisch noch als ländlich bezeichnet werden konnte. Die Tradition blieb auf der Strecke! Insoweit gelten auch für die spezifisch auf die Bundeswehr zurückzuführenden raumstrukturellen Effekte jene grundsätzlichen Beobachtungen des Fernsehjournalisten Dieter Wieland, die er seit den siebziger Jahren gemacht hatte - vielleicht nicht zufällig formuliert mit auch im Militärischen gebräuchlichen Begriffen: »Zweimal dasselbe Dorf - der Ortsname deckt zwei Welten. Einmal Leben in der Gemeinschaft, das andere Mal im Planquadrat. Die Vielfalt weicht der Einfalt, die Harmonie der Monotonie, die Kurve dem rechten Winkel, die Phantasie dem Paragraphen463.«
4. Der Infrastruktureffekt Mit der Errichtung neuer Standorte wurden vornehmlich die strukturschwachen Gemeinden etwa im Zonenrandgebiet vor Aufgaben gestellt, auf die sie in den meisten Fällen nicht vorbereitet waren. Schulverhältnisse, Straßenbau so461
462
463
Zit. nach Rabeier, Wiederaufbau und Expansion, S. 205 f. Zur architektonischen Seite des bundesdeutschen Siedlungsbaus namentlich in den fünfziger und sechziger Jahren vgl. Architektur der Wunderkinder, passim. Deutscher Bundestag, Erster Raumordnungsbericht, 1.10.1963, S. 42; vgl. Beyer, Landesverteidigung; vgl. auch Thoß, NATO-Strategie, S. 666 f. Wieland, Bauen und Bewahren, S. 13.
336
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
wie andere kommunale und auch kirchliche Einrichtungen entsprachen keineswegs den Anforderungen, zumal die Einwohnerzahl mit Aufstellung der Garnison sprungartig größer werden würde. Der Wunsch, über Bundeswehransiedlungen auch die zivile Infrastruktur zu verbessern und somit im Ringen um wirtschaftliche Prosperität gegebenenfalls über qualitativ höhere Standortfaktoren zu verfügen, konnte indes sehr kostspielig werden. Blickt man etwa auf die nordhessische Stadt Homberg an der Efze, so lassen sich die in der lokalen Öffentlichkeit kursierenden Sorgen beispielhaft und plakativ illustrieren. So teilte der Sonderbeauftragte des hessischen Ministerpräsidenten für militärische Planungen einem Landtagsabgeordneten mit, dass die Stadt für die Garnison zwischen 600 000 und 800 000 DM aufbringen müsse. Die Summe ergebe sich daher, weil die Aufschließungsmaßnahmen zu Lasten der Gemeindekasse fallen würden, wofür weder der Bund noch das Land Beihilfen gewähren könnten. Auch der Innenminister in Wiesbaden schaltete sich ein und erklärte, man müsse ernsthaft überprüfen, ob Homberg tatsächlich in der Lage sei, die unerlässlichen finanziellen Leistungen für die Versorgungsanlagen der Garnison zu tragen464. Obschon es um enorme Investitionen etwa für ein mit der Garnison zusammenhängendes neues Wasserwerk ging, sollte sich das Wetterleuchten keineswegs zu einem Hagelschlag entwickeln. Gerade im Falle Homberg - wie auch der übrigen hessischen Bundeswehrvorhaben - spielten parteipolitische Erwägungen keine ganz unwesentliche Rolle. Es liegt die begründete Vermutung nahe, dass der besonders in diesem Bundesland pointiert kritisch dem Streitkräfteaufbau gegenüberstehenden SPD jedes Argument recht war, um die Standortneugründungen zu verhindern. Ob immer alles stimmte, was dabei in die Öffentlichkeit getragen wurde, darauf kam es dann oftmals nicht so an. Die infrastrukturellen Belastungstatbestände, vor denen besonders die kleineren Kommunen zweifelsohne standen, wenn sie freiwillig oder unfreiwillig Garnison werden sollten, müssen in einem differenzierten Licht gesehen werden. Ein Blick in die Süddeutsche Zeitung vom 24. Februar 1959 kann diesen Sachverhalt etwas erhellen, zeigt er doch die andere Seite der Medaille. Anlässlich der Übergabe der neuen Kasernen im ostbayerischen Roding wusste das Blatt zu berichten: »Ohne Bundeswehr hätte es in Roding in Jahrzehnten noch keine Kanalisation gegeben465.« Darüber hinaus konnten die Leser erfahren, dass das Verteidigungsministerium der Stadt 850 000 DM für die Bewältigung der Folgelasten des Kasernenbaus überwiesen habe. Damit war ein zentrales Thema angeschnitten: die Auswirkung der Truppenstationierung auf die zivile Infrastruktur. Wie diese aussehen und um wieviel Geld es gehen konnte, darauf gibt ein Beispiel eine Antwort, in welchem die Integration von etwa 3000 Soldaten in eine fiktive Gemeinde von 7340 Einwohnern thematisiert wird: »Unmittelbar mit der Errichtung der Garnison wurden folgende Maßnahmen notwendig:
464 465
ACDP, 1-326-001/2, Nachlass Reichert. Süddeutsche Zeitung, 24.2.1959: »Roding verbündet sich mit der Bundswehr.«
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
337
Tabelle 35: Unmittelbare Folgemaßnahmen für die zivile Infrastruktur Bau einer 21-klassigen Volksschule Straßenbau (Anschluss an die Siedlungen der Bundeswehr) Bau eines Kindergartens
4 463 000 DM 386 000 DM 100 000 DM
Als mittelbare Folgemaßnahmen aus dem Bau der Garnison musste die Gemeinde weitere Projekte durchführen: Tabelle 36: Mittelbare Folgemaßnahmen für die zivile Infrastruktur Installation einer Straßenbeleuchtung Kauf eines weiteren Feuerlöschfahrzeugs Bau einer Friedhofskapelle
196 000 DM 16 000 DM 30 000 DM
Diese Investitionen waren notwendig, da das erhöhte Verkehrsaufkommen (u.a. 800 Bundeswehr-Kfz und 750 Privat-Kfz von Soldaten) bessere Straßenverhältnisse erforderte. Weitere z.T. bestehende Einrichtungen reichten für den stark gewachsenen Ort einfach nicht mehr aus466.« Es ist naheliegend, dass angesichts solcher in den Raum gestellten Summen die Gemeinden ebenso wie die kommunalen Aufsichtsbehörden schon wissen wollten, ob diese Investitionen zumindest teilweise vom Bund vergütet würden. In ihrer Stellungnahme zum abgeschlossenen Raumordnungsverfahren für das Kasernenprojekt in Cham machte die Bayerische Staatskanzlei 1956 ihre Zustimmung unter anderem davon abhängig, »daß der Bund eine angemessene Beteiligung an den Kosten der Umgehungsstraße von Cham (im Zuge der bayerischen Ostmarkstraße) zusichert«467. Im Oktober 1966 erkundigte sich die Stadt Kemnath aus der Oberpfalz, die sich seit 1959 um eine Garnison bewarb, bei der Wehrbereichsverwaltung VI in München, ob man beim nun nicht mehr länger aufzuschiebenden Schulhausneubau auch die geschätzten 70 bis 75 Kinder der Soldaten mit einem zusätzlichen Bedarf von zwei Klassenräumen berücksichtigen solle468. Diese Beispiele mögen genügen, um zu verdeutlichen, dass militärische Infrastruktur ohne zivile Infrastruktur nicht denkbar ist, und gleichzeitig auf zwei wichtige strukturwirksame Faktoren aufmerksam zu machen, die mit der Eingliederung der Truppe in die lokalen Ebenen zusammenhingen, was für die Gemeinden langfristig wirkende Folgen mit sich brachte: zivile Infrastruktur von militärischem Interesse und Ausgleichszahlungen nach Art. 106 Abs. 8 GG. Unter ziviler Infrastruktur von militärischem Interesse versteht man »Anlagen des Verkehrs-, Versorgungs-, Gesundheits und Fernmeldewesens, die we466 467 468
Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 874. BA-MA, BW 1/14492, Bayerische Staatskanzlei an BMVg, 10.10.1956. Ebd., BW 1/181202, Stadtverwaltung Kemnath an WBV VI, 6.10.1966.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
der im Eigentum und in der Verwaltung der Bundeswehr stehen noch von ihr übernommen werden«469. Zur Sicherstellung ihres Auftrages kann die Bundeswehr - in der Regel die entsprechende Wehrbereichsverwaltung - Forderungen hinsichtlich Erhaltung, Änderung, Ergänzung oder auch des Neubaus solcher Anlagen stellen. Die Kosten, die sich daraus etwa für Post, Bahn, Oberfinanzdirektion oder die Landkreis- und Gemeindeverwaltung ergeben, werden teilweise aus dem Verteidigungsetat bestritten oder in geringem Umfang durch Darlehen gedeckt470. Den Erklärungen von Verteidigungsminister von Hassel zufolge, abgegeben bei einem kommunalpolitischen Kongress, wurden bis 1963 an Finanzhilfen bezahlt: eine Viertelmilliarde DM an Zuschüssen und an Darlehen 138 Mio. DM. Im Jahr 1964 sollen 120 Mio. DM an Zusschüssen und 30 Mio. DM an Darlehen ausgegeben worden sein471. Zieht man um 1970 publizierte Angaben heran, so wurden auf das gesamte Bundesgebiet bezogen von 1956 bis 1969 an die Baulastträger für den Ausbau der zivilen Infrastruktur von militärischem Interesse insgesamt 750 Mio. DM an Zuschüssen und 27 Mio. DM an Darlehen ausgeschüttet472. Den durch die wirtschaftsgeografischen Forschungen der siebziger und achtziger besonders gut aufbereiteten Daten in Bayern zufolge stellte die Wehrbereichsverwaltung VI zwischen 1957 und 1977 für insgesamt 324 Maßnahmen Zuschüsse in einer Höhe von 242 365 632 Mio. DM und acht Darlehen mit noch einmal 2 709 173 Mio. DM bereit. Inflationsbereinigt betrug die Gesamtsumme der Zuschüsse bezogen auf den Geldwert von 1977 real 325 699 879 Mio. DM und die der Darlehen 3 926 493 Mio. DM, wobei sich die Summen im Verlauf der sechziger Jahre kontinuierlich erhöhten473. Wo und in welcher Höhe kam das Geld an? Blickt man nur auf das strukturschwache Ostbayern, so zeigt sich bei den vier Heeresstandorten mit mehr 1000 Soldaten hinsichtlich der seit 1965 gewährten Zuschüsse folgendes Bild474:
Handbuch militärische Infrastruktur des Bundesministeriums der Verteidigung 1975, zit. nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 78. 470 Jacobs, Die liegenschaftsmäßigen Aufgaben, S. 152. 471 Vgl. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 196. 472 Schnell, Bundeswehr finanziert öffentliche Einrichtungen, S. 374. 473 vVeiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 151. Für den Preisbereinigungsfaktor wurden die Entwicklung des Preisindex für den Straßenbau von 1963 bis 1977 verwendet, für 1957 bis 1962 wurde ein geschätzter Preisanstiegswert unterstellt. 474 Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 152. 469
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
339
Tabelle 37: Zuschüsse für zivile Infrastruktur von militärischem Interesse in ostbayerischen Standorten mit mehr als 1000 Soldaten 1965-1977 Jahr
1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 Summe
Oberviechtach und Neunburg vorm Wald in DM (nominal)
in DM (real)
1 040 997
1 631 242
171 005 7 526 127
284 552 11 951 489
283 192
9 021 321
Cham und Roding in DM (nominal)
in DM (real)
431 411 59 570 434 200
684 649 99 124 689 509
1 521 592 1 630 637
2 011 544 1 995 899
93 053
109 058
1 726 466
1 726 466
5 896 929
7 316 249
302 732
14 170 015
Auch die an kleinere bayerische Standorte ausbezahlten Gelder konnten sich sehen lassen. Bereinigt nach den Preisen des Jahres 1982 stellen sich Infrastrukturzuschüsse und -darlehen wie folgt dar475: Tabelle 38: Infrastrukturzuschüsse und -darlehen an kleinere Standorte in Bayern 1958-1977 Ort Hemau Ebern Mellrichstadt Donauwörth Bogen Regen Freyung
Zahlungszeitraum 1965-1977 1962-1977 1964-1976 1963-1977 1958-1966 1958-1966 1958-1966
Summe
475
Daten nach Kaufmann, Raumwirksamkeit, S. 234.
Zuschüsse und Darlehen in Mio. DM 10,4 4,7 11,1 7,8 6,6 5,0 16,4 62,0
340
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Welche Vorhaben wurden mit diesen Mitteln gefördert? Als Referenzregion soll wiederum der Wehrbereich VI, mithin das strukturschwache Bayern dienen. Mit 94,2 Prozent machte der Straßenbau (205 858 036 DM) den Löwenanteil aller geförderter Projekte aus476, gefolgt von Brücken (3,4 Prozent), Geh- und Radwegen (1,3 Prozent) sowie Verladeanlagen an Bahnhöfen (1,0 Prozent). Der hohe Anteil des Straßenbaus war vor allem auf die Forderung zurückzuführen, Verbindungen von der Kaserne zum Standortübungsplatz nicht durch enge Ortsdurchfahrten zu führen, um den Verkehr nicht zu beeinträchtigen, sowie die Erschließungs- und Zubringerstraßen zwischen der Kaserne und dem überörtlichen Straßennetz den Bedürfnissen schwerer Kettenfahrzeuge anzupassen477. Generell bezeichneten die militärischen Stellen die Straßenverhältnisse in vielen Standorten als schlecht. Wenn man, wie das Wehrbereichskommando IV in Wiesbaden beispielsweise festhielt, »im Rahmen der Mitbestimmung bei Auswahl von Standorten stets ein vollwertiges Straßennetz für Schwerlasten vorausgesetzt hätte, wäre es gezwungen gewesen, bei der Prüfung viele der bezogenen Standorte abzulehnen«478. Angesichts solcher militärischer Notwendigkeiten wird klar, warum aufgrund ihrer Randlage und demzufolge deutlich schlechteren Verkehrsinfrastruktur in den ostbayerischen Garnisonen sogar 96 Prozent der Mittel in den Straßenausbau gesteckt wurden479. Je nach örtlicher Situation konnten die Teilmengen jedoch deutlich variieren, wie Tabelle 39 zu den Zuschüssen und Darlehen für Tiefbaumaßnahmen demonstriert480. Insgesamt aber ist die Vermutung mehr als begründet, dass die Zuschüsse und Darlehen aus dem Verteidigungsetat im ortsnahen Bereich der Standortgemeinden zu einer signifikanten Verbesserung der insbesondere zivil nutzbaren Infrastruktur führten. Dies hing vor allem mit der Qualität der Verkehrsinfrastruktur zusammen. Obwohl die Dichte des Straßennetzes im Flächenland Bayern Mitte der fünfziger Jahre mit 146 km pro 100 km2 kaum schlechter bestellt war als in Baden-Württemberg und sogar besser als in Niedersachsen, Hessen oder Schleswig-Holstein, war dies primär auf den hohen Anteil an Gemeindestraßen zurückzuführen, der bei ca. 75 Prozent lag - im südwestdeutschen Nachbarland hingegen bei nur 55 Prozent. Um den Zustand der Gemeindestraßen war es jedoch äußerst schlecht bestellt. Sie unterschieden sich »teilweise kaum von Wirtschafts- oder Forstwegen«481. Über 70 Prozent aller Gemeindestraßen waren nur einfach befestigt und damit bereits für den im
Allgemein vgl. Soete, Mittel für Straßen, S. 151 f. Radioff, Gliederung und Gestaltung; vgl. BA-MA, BW 1/12317, Pionierstab WBV VI an BMVg F Ü H I I I 4 , 3.10.1959, der wegen des schlechten Ausbau- und Unterhaltungszustandes der Straßen im Raum Ebern zur Bewältigung des militärischen Verkehrs dringend den Ausbau verschiedener Straßen forderte. 478 BA-MA, BW 2/1184, WBK IV an Amt für Territoriale Verteidigung, Abt. Transport und Verkehrswesen, 5.8.1957. 479 Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 80 f. 480 Nachfolgende auf das Jahr 1982 preisbereinigte Daten nach Kaufmann, Raumwirksamkeit, S. 233 f. 481 Gall, Gute Straßen bis ins kleinste Dorf!, S. 131. 476
477
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
341
Tabelle 39: Zuschüsse und Darlehen für Tiefbaumaßnahmen bayerischer Garnisonen in Preisen von 1982 Standortgemeinde Hemau Oberviechtach Neunburg v.W. Cham Roding Ebern Mellrichstadt Donauwörth
Summe in Mio. DM 7,3 2,8 2,9 1,7 5,7 2,8 4,1 3,6
Anteil an gesamten Zuschüssen in Prozent 70.2 34,1 56,7 46.0 46.3 59.6 36.7 46.1
Anstieg begiffenen zivilen Kraftfahrzeugverkehr auf Dauer ungeeignet, von schweren militärischen Kettenfahrzeugen gar nicht zu reden. Die hohe Investitionsquote aus dem Verteidigungshaushalt für das ostbayerische Straßennetz rührten im Übrigen auch daher, weil gerade diese Region (vornehmlich die Regierungsbezirke Oberpfalz und Niederbayern) auch im innerbayerischen Vergleich am unteren Ende der Beschaffenheitsskala rangierte. In Niederbayern besaßen nur 15 Prozent der in der Obhut der Kommunen befindlichen Straßen eine staubfreie Oberfläche. Angesichts solcher Umstände erklären sich jene 3 Mio. DM Zuschüsse für Straßenbaumaßnahmen, die beispielsweise zwischen 1957 und 1960 aus dem Verteidigungsetat nach Freyung in den Bayerischen Wald geflossen sind482. Im Vergleich zu der in den sechziger Jahren einsetzenden Länderförderung des kommunalen Straßenbaus - 1963 305 Mio. DM, 1966 434 Mio. DM - nahmen sich jene 206 Mio. DM militärische Verkehrsinfrastrukturzuschüsse zwar bescheiden aus. Obwohl dieser Anteil im Detail nicht herausgerechnet werden kann, fällt es zumindest auf, dass gerade in jenen Gebieten an der Grenze zur CSSR und zur DDR, in denen die relativ meisten neuen Garnisonen loziert wurden, sowohl die Straßendichte als auch die Straßenqualität im Verlauf der sechziger Jahre überproportional deutlich zunahmen - mithin ein weiteres Indiz für die Rolle der Bundeswehr als Modernisierungskatalysator neben anderen483:
482 483
Vgl. Kaufmann, Raumwirksamkeit, S. 234. Daten nachfolgender Tabelle nach Gall, Gute Straßen bis ins kleinste Dorf!, S. 178. Hier auch Hinweise auf die weiteren von Bund und Ländern getragenen Subventionsmaßnahmen für die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Tabelle 40: Straßendichte in oberpfälzischen Landkreisen Straßendichte in oberpfälzischen Landkreisen mit Garnison am 1. Januar 1966 gegenüber 1961 (in Klammern) Gesamtstraßenkilometer pro 100 km 2
Landkreis Cham Neunburg v.W. Oberviechtach Roding
156,4 (+19 139,1 (+ 34 148,2 (+11 175,0 (+ 21
Prozent) Prozent) Prozent) Prozent)
Generell lag zum Jahresbeginn 1966 die Dichte des klassifizierten Straßennetzes in allen oberpfälzischen Landkreisen mit 150,5 km pro 100 km 2 nun etwas über dem gesamtbayerischen Durchschnitt (148,5 km pro 100 km2). Auch die Fahrbahnqualität der Gemeindestraßen, diese lagen offensichtlich im Zentrum der Bezuschussung durch das Verteidigungsministerium, konnte sich im Vergleich mit den übrigen bayerischen Landkreisen durchaus sehen lassen. Verfügten bislang lediglich 20,4 Prozent der Gemeindestraßen in der Oberpfalz im Jahr 1961 über staubfrei zu befahrende Decken, so waren es fünf Jahre später immerhin schon 42,3 Prozent, eine Steigerung um 21,9 Prozent. Auch wenn es sich nicht um einen Standort im engeren Sinn handelt, am Beispiel des zwischen den beiden großen Übungsplätzen Grafenwöhr und Hohenfels gelegenen und von mehreren amerikanischen wie bundesdeutschen Garnisonen durchsetzten Landkreises Amberg lässt sich die bis 1971 eingetretene Wirkung der für den Straßenbau verausgabten Mittel aus dem Verteidigungsetat recht anschaulich messen. In dieser besonders stark durch Militärverkehr betroffenen Region führte vornehmlich das Befahren mit schweren Kettenfahrzeugen dazu, den Straßenbelag schnell zu verschleißen. Deshalb war man schon bald darum bemüht, wenigstens die übungsplatznahe Verkehrsinfrastruktur panzerfest zu machen. So galt der bevorzugte Ausbau zunächst den Bundes- und Staatsstraßen, die den Landkreis Amberg mit 52 bzw. 160 km durchzogen. Ende 1971 kam mit der Autobahnteilstrecke Nürnberg-Amberg noch ein wichtiger Bereich der überörtlichen Verkehrsanbindung hinzu. Im Detail flössen von 1958 bis 1970 für den aus militärischen Gründen notwendigen Straßenausbau Mittel in folgender Höhe in den Kreis Amberg484: Tabelle 41: Straßenausbau im Landkreis Amberg 1958-1970 Jahre
1958-1963 1964-1969 1970
Anzahl der Anzahl der Baumaß- ausgebauten km nahmen 25 29 2
103,07 64,96 4,0
Bausummen in DM 18 812 100 26 947 000 2 180 000
484 Nachfolgende Zahlen nach Roser, Geographische Aspekte, S. 48.
Zuschüsse in DM 16 976 200 25 497 000 1 990 000
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
343
Unter Berücksichtigung der 5 Prozent Eigenleistungen, die die Gemeinden aufzubringen hatten und denjenigen des Kreises, welche bei 10 Prozent lagen, stammten 44 463 200 DM oder 92,7 Prozent der gesamten Bausummen für die Straßen um Amberg aus dem Verteidigungshaushalt. Mit anderen Worten, aufgrund verteidigungspolitisch für notwendig gehaltener Investitionen war der überwiegende Teil dieses Landkreises am Beginn der siebziger Jahre verkehrsmäßig sehr gut erschlosssen, was »der allgemeinen Wirtschaftsstruktur (Erreichbarkeit, Pendlerwege) zugute kommt«485. Auch wenn man sich nicht ganz der Auffassung wird anschließen können, wonach man »die Amberger und Regensburger Autobahn wie auch die breiten Straßen im Grenzland allein den Bedarfswünschen der Bundeswehr« verdankte486, findet die Annahme, dass die militärisch begründeten Bundesfinanzhilfen besonders in Ostbayern einen deutlichen Beitrag zur Verbesserung der Straßeninfrastruktur geleistet haben, im Hinblick auf den südlich an den Truppenübungsplatz Hohenfels angrenzenden Landkreis Parsberg eine weitere Bestätigung. Noch wichtiger für die Entwicklung der zivilen Infrastruktur auf der unmittelbaren lokalen Ebene waren jedoch die als Bundesfinanzhilfen bezeichneten Ausgleichszahlungen, die als Teil der Finanzverfassung im Art. 106 Abs. 8 GG verankert worden waren: »Veranlaßt der Bund in einzelnen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) besondere Einrichtungen, die diesen Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) unmittelbar Mehrausgaben oder Mindereinnahmen (Sonderbelastungen) verursachen, gewährt der Bund den erforderlichen Ausgleich, wenn und soweit den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) nicht zugemutet werden kann, die Sonderbelastungen zu tragen.« Der bereits im § 62 des Reichsfinanzausgleichsgesetzes in der Fassung vom 23. Juni 1923 ausgesprochene Gedanke, dass der Staat Gemeinden dann eine Finanzhilfe gewähren müsse, wenn kostenträchtige Infrastrukturmaßnahmen vom Staat verursacht würden, hatte nun also Verfassungsrang erhalten. Allerdings sahen die Bestimmungen nicht vor, den Gemeinden für die Aufschließungsmaßnahmen der Kasernenareale und Wohnsiedlungen oder für notwendige Folgeeinrichtungen den vollen Betrag zu erstatten, sondern eine dem Einzelfall entsprechende anteilige Entschädigung aus dem Verteidigungsetat zu gewähren487. Die Entscheidung darüber lag im Ermessen der Bundeswehrverwaltung und wurde stets als Restfinanzierung angesehen. Zuvor mussten die Gemeinden Eigenmittel zur Verfügung stellen oder sonstige Finarizierungsmöglichkeiten wie Landes- oder Kreisbeihilfen ausschöpfen. Grundsätzlich wurden einer Kommune nicht mehr als 30 Prozent der Kosten als Bun485 486 487
Ebd. Hahn, Bundeswehr als Wirtschaftsfaktor, S. 26. Unter Aufschließung versteht man die Baureifmachung und die Herstellung der erforderlichen Anschlüsse an das Versorgungs-, Entwässerungs- und Verkehrsnetz. Folgeeinrichtungen sind »öffentliche und diesen gleichzuachtende bauliche Anlagen [...], die infolge der Einrichtung einer großen Anzahl von Wohnungen erforderlich sind, um die notwendige bildungsmäßige, seelsorgerische, gesundheitliche, soziale und verwaltungsmäßige Betreuung zu gewährleisten«. Höhlt, Finanzhilfe des Bundes, S. 67.
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III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
desfinanzhilfe zugebilligt. Nur dann, wenn der Straßenausbau im alleinigen Interesse der Landesverteidigung erfolgte, konnten die Aufwendungen auch in voller Höhe finanziert werden. Dieses traf zum Beispiel 1957/58 für zwei Anschlussstücke an die Bundesstraße 22 bei Cham zu, deren Kosten deshalb vollständig aus dem Verteidigungshaushalt bestritten wurden, weil ihr Ausbau wegen der Errichtung einer Kaserne unumgänglich war488. Ob zinsverbilligte Darlehen oder Zuschüsse gewährt wurden, hing davon ab, ob das zu fördernde Vorhaben eine werbende Anlage oder ein unrentierliches Unternehmen war489. Eingeleitet wurde das Finanzhilfeverfahren durch einen Antrag der Gemeinde, dem Stellungnahmen der Kommunal- oder Kirchenaufsichtsbehörde zur Finanzlage beizulegen waren. Nachdem Umfang, technische Notwendigkeit und Art der geplanten Ausführung durch die Oberfinanzdirektion geprüft waren, entschied die Wehrbereichsverwaltung bei Aufschließungsmaßnahmen bis zu 2 Mio. DM und bei Folgeeinrichtungen bis zu 500 000 DM in eigener Zuständigkeit. Höhere Beträge konnten ausschließlich von entsprechenden Stellen im Verteidigungsministerium vergeben werden490. An den Regularien und am Verfahren entzündete sich allerdings die Kritik. So standen nach Ansicht vieler Gemeinden in Bayern die ausbezahlten Gelder in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Aufwendungen - eine Ansicht, der sich auch der Landtag anschloss. Die Abgeordneten ersuchten die Staatsregierung sogar, beim Bund darauf hinzuwirken, den Gemeinden und Landkreisen alle aus der Errichtung von Garnisonen entstehenden Ausgaben in vollem Umfang zu ersetzen. Die Vertreter der kommunalen Verbände zeigten sich ferner darüber enttäuscht, dass die Gemeinden durch den Antragszwang »in die Rolle von Bittstellern gedrängt [werden], während es uns notwendig erscheint, daß der Bund freiwillig als Gebender in Erscheinung tritt«491. Die Landratsämter und nicht die Bundeswehr sollten entscheiden, ob es sich bei der jeweiligen Maßnahme um eine werbende oder unrentierliche Anlage handle. Die ursprüngliche Befürchtung des bayerischen Landkreisverbandes, Darlehen seien das Normale und Zuschüsse die Ausnahme, sollte sich jedoch nicht bestätigen. So wurden für Maßnahmen nach Art. 106 Abs. 8 GG im gesamten Bundesgebiet von 1956 bis 1969 insgesamt 650 Mio. DM an Zuschüssen und nur 230 Mio. DM an Darlehen gewährt492. Noch günstiger sah die Bilanz für die bayerischen Kommunen aus: Hier vergab man von 1957 bis 1977 an 113 Gemeinden 639 Zuschüsse, die insgesamt 219 684 724 DM (nominal; nach dem Geldwert von 488 489
490 491 492
BA-MA, BW 1/4492, WBV VI an BMVg, 22.10.1957. Werbende Anlagen werden grundsätzlich nur mit Bundesdarlehen gefördert. Hierzu zählen in erster Linie Anlagen der Wasserversorgung, da über den von der Bundeswehr an die Gemeinden zu zahlenden Wasserpreis nicht nur die laufenden Unterhaltungskosten gedeckt werden, sondern diese auch eine Amortisation der Anlagekosten bewirken. Anlagen der Entwässerung und der verkehrsmäßigen Erschließung sind grundsätzlich unrentierliche Anlagen, da zum Beispiel die Entwässerungsgebühren in der Regel eine Amortisation der Anlagekosten nicht gestatten. Jacobs, Die liegenschaftsmäßigen Aufgaben, S. 128 f. Münchner Merkur, 4.1.1960: »Die Garnisonsgemeinden sind enttäuscht.« Schnell, Bundeswehr finanziert öffentliche Einrichtungen, S. 373 f.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
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1977 real 391 705 940 DM) betrugen. An 71 Gemeinden gingen 194 Darlehen in einer Höhe von 62 272 422 DM (nominal; nach dem Geldwert von 1977 real 115 387 791 DM). Der größte Teil der Finanzierungshilfen wurde dabei in den sechziger Jahren ausgeschüttet. Eine Aufschlüsselung der Zuschüsse nach ihrem Verwendungszweck ergibt folgendes Bild493: Tabelle 42: Verwendungszwecke militärischer Zuschüsse und Darlehen in Bayern 1957-1977 Maßnahme
Wasser- und Abwasserversorgung Straßen und Energie Kindergarten Volksschule Berufsschule Realschule Gymnasium Turnhalle Sportplatz Freibad Hallenbad Krankenhaus Kirche Feuerwehrhaus und Feuerwehrgerät Sonstiges
Anzahl
163 23 77 109 7 21 45 34 5 13 17 15 57 42 11
Zuschüsse in Mio. DM (nominal) 71,3 3,0 7,9 62,8 1,1 7,4 18,7 1,3 0,7 1,7 7,4 6,0 17,6 3,7 2,3
Zuschüsse in % 33,5 1,4 3,7 29,5 0,5 3,5 8,8 0,6 0,3 0,8 3,5 2,8 8,3 1,8 1,1
Mit über 33 Prozent entfielen die meisten Zuschüsse auf die Wasserversorgung und Kanalisation, gefolgt von Zuschüssen für Volksschulen, Gymnasien und Kirchen. Bei einer Wirkungsanalyse dieser Gelder darf aber nicht übersehen werden, dass von den 18 Planungsregionen, die es seit 1972 in Bayern gab, die Region 14 - also München und die direkt angrenzenden Landkreise - insgesamt 25,8 Prozent (56,624 Mio. DM nominal) aller bis Ende 1977 ausbezahlten Zuschüsse und Darlehen494, darunter beispielsweise 6,2 Mio. DM an Bundesfinarizhilfen für die Schulen der Landeshauptstadt, erhalten hat. Die Verantwortlichen im Verteidigungsministerium waren sich dabei durchaus im Klaren darüber, dass die nach dem Gießkannenprinzip großzügig selbst in wohlhabende Kommunen ausgeschütteten Gelder vielleicht woanders nötiger gebraucht wurden. Jedenfalls teilte die Hardthöhe München im Sommer 1963 mit, dass man der Stadt aufgrund der angespannten Haushaltslage nicht mehr wie bisher entgegenkommen könne: 493 494
Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 71 - 7 3 . Ebd., S. 125.
346
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
»Mit den [...] nur noch in geringem Umfang zur Verfügung stehenden Mitteln muß ich in erster Linie kleineren Gemeinden helfen, die durch die Errichtung von Garnisonen finanziell ungleich schwerer getroffen werden. Das Haushaltsvolumen dieser Gemeinden ist meist so gering, daß eine echte Unzumutbarkeit gemäß Art. 106 Abs. 7 GG nahezu stets gegeben ist. Bei einer Großstadt vom Range Münchens muß dagegen davon ausgegangen werden, daß bei strenger Auslegung der o. a. Bestimmungen die damit verbundenen Belastungen zumutbar sind. Eine Gebietskörperschaft mit einem Haushaltsvolumen von über einer Milliarde DM ist eher in der Lage, gewisse Belastungen im Zusammenhang mit der Einschulung der Kinder von Bundeswehrangehörigen abzufangen, als kleinere Gemeinden, die häufig nicht imstande sind, auf sie zukommende zusätzliche Aufgaben aus eigenen Mitteln zu bewältigen495.« Wie Recht die Liegenschaftsabteilung hatte, beschreibt wiederum das »literarische Planspiel« jener kleinen, fiktiven Garnisonstadt aus Norddeutschland, in der exemplarisch die »Realität« sämtlicher Folgewirkungen dargestellt worden ist. So hatte die kaum 7500 Einwohner zählende Kunststadt trotz gewährter Finanzhilfen von 1960 bis 1965 knapp 1,8 Mio. DM als Folgelasten für die Errichtung einer 3000 Soldaten umfassenden Garnison als Eigenmittel aufzubringen gehabt. Das ging nur mit Erhöhung der Pro-Kopf-Verschuldung. Während die Gesamtschuldenlast 1957 lediglich 346 000 DM betrug, wovon auf den einzelnen Bürger 73 DM entfielen, war die Gemeinde 1965 mit 2,6 Mio. DM verschuldet. Das entsprach einer Belastung je Einwohner von 353 DM. Dementsprechend stieg auch der Kapitaldienst. Hatte der Ort 1957 noch 26 000 DM jährlich zu verzinsen und zu tilgen, so war die Verschuldung acht Jahre später etwa um das Siebenfache gestiegen (212 100 DM). Mit dieser Entwicklung hielt aber das Steueraufkommen nicht Schritt. Das Realsteuereinkommen war zwar von 144 000 DM 1957 auf 270 000 DM im Jahr 1965 gestiegen, doch deckte das Aufkommen nicht einmal die Personalkosten der Gemeindeverwaltung. Der fiktive Ort war daher gezwungen gewesen, »Haushaltsausgaben bis zum Jahre 1996 (!) festzulegen, um die notwendigsten Maßnahmen überhaupt durchführen zu können. Der Spielraum, den damit eine Gemeinde für kommunale Ausgaben in den nächsten Jahrzehnten hat, wird durch den Kapitaldienst so eingeengt, daß größere Vorhaben nur noch bei weiterer Verschuldung möglich sind496.« Dass Kommunen vor allem dann einen oftmals schwierigen finanziellen Kraftakt zu bewältigen hatten, wenn man außer der Ansiedlung einer Garnison zeitgleich noch weitere Infrastrukturmaßnahmen in Angriff nahm, zeigte sich real am Fall Roding. Die dortige kommunale Erschließungspoltik begann 1954/55 mit der erfolgreichen Bewerbung um einen Truppenstandort. Damit waren aber kurzfristig beträchtliche Kosten verbunden. Die Wasserversorgung und das innerörtliche Straßennetz mussten modernisiert, eine Neubausiedlung für die Soldaten und eine Realschule gebaut werden. Parallel dazu investierte 495 496
BA-MA, BW 1/32186, BMVg an Landeshauptstadt München, 14.8.1963. Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 874.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
347
die Stadt viel Geld in die Erschließung eines Industriegebiets, um zaghaft in Aussicht gestellten Unternehmensgründungen Anreize zu bieten. Da all diese Zukunftsinverstitionen gleichzeitig angegangen wurden, geriet die Stadt Mitte 1958 an den Rand der Zahlungsunfähigkeit, freilich ohne dass ein Ende der Ausgaben absehbar war. Innerhalb von wenigen Jahren hatte sich bis 1959 der ordentliche Kommunalhaushalt verdoppelt und war auf über 500 000 DM angewachsen. Im außerordentlichen Haushalt standen nun 1,5 Mio. DM (zum Vergleich: 1951 lediglich 64 000 DM), zu dessen Deckung eine halbe Million aufgenommen werden musste, trotz Bundes- und Landesfinanzhilfen. Mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 311,17 DM (gesamt 1 Mio. DM) war Roding die am höchsten verschuldete Gemeinde nicht nur im Landkreis, sondern fast bayernweit. Für die Rechnungsprüfungsstelle beim Landratsamt hatte die kleine Kreisstadt die Grenze einer tragbaren Schuldendienstbelastung überschritten. Da es sich aber in der Masse lediglich um eine temporäre Kreditaufnahme zur Überbrückung einer Finanzierungslücke gehandelt hatte, die deshalb aufgetreten war, weil die im Zuge der Bundeswehransiedlung zugesagten Bundeszuschüsse auf sich warten ließen, konnten die Schulden dann rasch getilgt werden, nachdem die Finanzhilfen angelaufen waren497. Zurück auf die gesamtbayerische Ebene. Obwohl die Landeshauptstadt mit einem Viertel der bis 1977 gewährten Zuschüsse und Darlehen nach Art. 106 Abs. 8 GG besonders zu profitieren schien, konnten sich auch die strukturschwachen ländlichen Gebiete keineswegs beklagen. Die Finanzierungshilfen für die Planungsregionen 6 (nordöstliche Oberpfalz) und 12 (östliches Niederbayern) lagen wegen ihres hohen Nachholbedarfs bei den öffentlichen Einrichtungen anteilig über dem Wert von München. Um nun ermessen zu können, welche Auswirkungen diese Finanzspritze für die Infrastruktur des unterentwickelten ostbayerischen Raums hatte, sollen wiederum vier Standorte exemplarisch untersucht werden. Wie viele Zuschüsse und Darlehen (auf der Preisbasis von 1977) sind dorthin geflossen und zu welchem Zweck wurden sie verwendet498?
497 498
Vgl. Balcar, Die Kosten der Erschließung, S. 262 f. Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 74, 148-150.
348
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
Tabelle 43: Verwendungszwecke militärischer Zuschüsse und Darlehen in ostbayerischen Garnisonen (in DM) Maßnahme
Oberviechtach Neunburg v.W.
Cham
Roding
Zuschüsse Wasser- und Abwasserversorgung Volksschule Berufsschule Realschule Gymnasium Kirche Kindergarten Krankenhaus Soldatenheim Turnhalle Feuerwehrhaus Feuerwehrgeräte Summe pro Standort
1 916 655
1 814 987
611 841
196 920
897 759 2 752 016 368 700
374 670 762 577 87 978
461 310 129 500
259 002 116 327 305 120
255 110
3 634 161
661110 147 784 283 050 346 139 147 784 178 622 246 042 281 770
87 722 87 103 23 520 3 175 732
2 047 908 5 044 317
256 115
328 200 1 284 411
101 000
Darlehen Wasser- und Abwasserversorgung Volksschule Berufsschule Realschule Kirche Kindergarten Krankenhaus Soldatenheim Feuerwehrgeräte Summe pro Standort
190 440 91728 164 710 118 350 30 576 305 120 1 963 768 2 154 208
2 058 973 30 576 420 825
633 320 3 614 614
Die im Verhältnis zu anderen Vorhaben sehr hohen Zuschüsse und Darlehen für Aufschließungsmaßnahmen - im vorliegenden Fall knapp 45 Prozent - sind darauf zurückzuführen, dass die Kasernenanlagen in diesen Orten neben dem bereits existierenden Siedlungskern errichtet wurden. Nimmt man die Finanzhilfen noch hinzu, die in den vier anderen bayerischen Heeresgarnisonen mit einer Belegungsstärke von 1000 bis 1500 Soldaten (Hemau, Ebern, Mellrichstadt, Donauwörth) in entsprechende Projekte flössen, dann lagen die Zuschüsse für die Aufschließungen mit 50,6 Prozent um 22 Prozent deutlich über der Quote des gesamten Wehrbereichs. Vergleicht man die Zahlen für Roding, Cham, Neunburg vorm Wald und Oberviechtach, so fällt die enorme Summe auf, die in Roding für die Wasserver-
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
349
und Abwasserentsorgung ausgegeben wurde. Kein Wunder, dass es hieß, ohne die Bundeswehr hätte es in Roding noch in Jahrzehnten keine Kanalisation gegeben, und dass der zuständige Regierungspräsident bemerkte, die anderen Städte der Oberpfalz würden mit Neid auf diesen Aufschwung blicken499. Dieser Kasernenbau kam den Bundesfinanzminister nicht zuletzt wegen der Anbindung an das Wasser- und Abwassernetz teuer zu stehen. Zumindest kalkulierte man bereits in der Planungsphase bei »niedrigster Berechnung« mit Kosten für die äußere Aufschließung, die bei einem Verhältnis von rund 11 Prozent zur Bausumme »an der Grenze des noch Vertretbaren« lägen500. Ein Großteil der Mittel, welche hier für den Ausbau der Wasserversorgung und Kanalisation anfielen, ergaben sich im Übrigen aus der spezifischen Lage von Truppenunterkunft und gewachsenem Siedlungskern zueinander. Da von den für die Wasserwirtschaft zuständigen Stellen der Bau einer eigenen kleinen Kasernenkläranlage und die Einleitung der Kasernenabwässer in den Fluss Regen oberhalb der Stadt vor allem aus hygienischen Gründen abgelehnt worden war - das vorhandene Flussbad wäre somit unbenutzbar geworden - , blieb gar nichts anderes übrig, als den Kanalstrang durch die Gemeinde zu legen und in diesem Zusammenhang das gesamte innerörtliche Kanalnetz auszubauen, um dann sämtliche Abwässer gemeinsam über eine große Sammelkläranlage in den Unterlauf des Flusses einzuleiten501. Die Zuschüsse und Darlehen für die Folgeeinrichtungen waren deutlich niedriger, wobei in den vier Referenzstandorten zusammen 21,8 Prozent auf Soldatenheime, 16 Prozent auf Neu- und Erweiterungsbauten von Schulen, 8,7 Prozent auf Kirchen, 4,0 Prozent auf Krankenhäuser, 1,9 Prozent auf Kindergärten, 1,8 Prozent auf Sportstätten und 1,2 Prozent auf die Feuerwehr entfielen. Auffallend sind dabei die relativ hohen Beträge - überwiegend Darlehen - für die beiden Soldatenheime in Oberviechtach und Roding. In erster Linie waren diese der katholischen oder evangelischen Kirchenverwaltung unterstellten Einrichtungen als Zentren für die Freizeitgestaltung der Soldaten in entlegenen Standorten gedacht. Darüber hinaus sollten sie aber auch eine Begegnungsstätte zwischen den Soldaten und den Bürgern der Standortgemeinden sein. Weil die Räumlichkeiten auch von der Zivilbevölkerung genutzt werden konnten, trugen sie durchaus zur Verbesserung der sozialen und kulturellen Infrastruktur wie auch des Gemeindelebens bei. Mit dem Zuzug von Zeit- und Berufssoldaten und ihren Familien wuchs die Bevölkerung in den Garnisonsstädten, was nur allzuoft dazu führte, dass Schulen und Kindergärten erweitert oder neu gebaut werden mussten. So rechtfertigte etwa der Zuzug von 120 Soldatenfamilien nach Aussage der politisch Ver499
500 501
Mittelbayerische Zeitung, 8.2.1957: »Kasernenbau löst Rodinger Kanalisationsproblem.« Vgl. Süddeutsche Zeitung, 24.2.1959: »Roding verbündet sich mit der Bundeswehr.« BA-MA, BW 1/4520, BMF an BMVg, 25.10.1956. Ebd., Denkschrift der Stadt Roding, 6.11.1956. Aus einem ganz ähnlichen Grund kam auch die baden-württembergische Gamsionsstadt Külsheim zu einer modernen Ortskanalisation mit mechanisch-biologischer Sammelkläranlage. Vgl. Kohler, Bundeswehrgarnisonen, S. 690.
350
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
antwortlichen in Roding den Bau einer Mädchenschule, einer Berufsschule sowie eines Kindergartens502. Um welche Summen es dabei ging und wie solche Maßnahmen finanztechnisch ablaufen konnten, soll mit einem Beispiel aus einem anderen Bundesland illustriert werden. Im Zuge der Garnisonsgründung im hessischen Treysa beantragte der zuständige Landrat von Ziegenhain eine Bundesfinanzhilfe für die Erweiterung des Gymnasiums um neun Klassenräume. Diese Schule sollte u.a. die Kinder der Bundeswehrangehörigen aus den Standorten Treysa, Schwarzenborn und zum Teil auch aus Neustadt aufnehmen. Der Schlüssel für die Bundesbeteiligung sah wie folgt aus: In den drei genannten Garnisonen würde die Bundeswehr über 341 Wohneinheiten verfügen. Pro Wohneinheit rechnete man mit 1,5 Kindern, also mit insgesamt 511. Gemäß der vom Verteidigungsministerium festgelegten Schlüsselquote würden 51 Kinder (10 Prozent) das Gymnasium besuchen. Weil man aber inzwischen festgestellt hatte, dass die Prozentsätze in schon bezogenen Garnisonen weit über 10 Prozent lagen (in Idar-Oberstein etwa bei 30 Prozent) und um eine Uberbelegung der Oberschulklassen zu vermeiden, hob man im vorliegenden Fall den Mindestsatz auf 15 Prozent (76 Kinder) an. Bei einer unterstellten Klassenkapazität von 35 Schülern war demnach eine Kostenbeteiligung für zwei Klassen möglich. Umgelegt auf den Finanzrahmen, der für die Schulerweiterung im Räume stand, sah dies folgendermaßen aus: Die Gesamtbaukosten waren von der Landesbauabteilung in Frankfurt einschließlich der Grunderwerbskosten auf 2 434 000 DM festgesetzt worden. Die Finanzierung war so vorgesehen: Eigenmittel der Gemeinde: Landeszuschuss: Bundeszuschuss: Bundesdarlehen:
274 000 1 750 000 260 000 150 000
DM DM DM DM
Auf Vorschlag der Wehrbereichsverwaltung IV wurden dem Landkreis Ziegenhain der beantragte Zuschuss von 260 000 DM und das Darlehen in Höhe von 150 000 DM bewilligt. Aufgrund der generell schlechten Finanzlage des Kreises erschien zudem eine »Darlehensgewährung zu 1,5 % Zins und 2 % Tilgung vertretbar«503. Mit der gleichen Begründung wie für die Schulen flössen Finanzierungshilfen des Bundes - hauptsächlich Zuschüsse - in Kirchenbauten. Nun besaßen die Katholiken in Treysa, um zunächst noch in dieser nordhessischen Gemeinde zu verweilen, kein eigenes Gotteshaus. Die Gottesdienste für die 1300 Kirchenglieder wurden in einer angemieteten Hospitalkapelle abgehalten. Mit seinen 100 502
503
Süddeutsche Zeitung, 24.2.1959: »Roding verbündet sich mit der Bundeswehr.« Ähnlich die Situation auch in anderen Nachkriegsgarnisonen. Die Aufstockung eines Progymnasiums zu einem Vollgymnasium im baden-württembergischen Pfullendorf war mit auf den Einfluss der Bundeswehr zurückzuführen. Vgl. Kohler, Bundeswehrgarnisonen, S. 691. BA-MA, BW 1/12055, WBV IV an BMVg, 27.4.1962.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
351
Sitzplätzen reichte der Raum jedoch für die Zivilgemeinde kaum aus, und nach Auffassung des Katholischen Wehrbereichsdekans schon gar nicht für die zu erwartenden Bundeswehrangehörigen. Wie hat man sich nun die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Kirchenneubau vorzustellen? Darüber gibt ein speziell für diesen Standort angefertigter Vermerk Auskunft: »In Treysa ist [...] betr. Endstationierung Heer die Unterbringung des Artl.Btl 21 und der Artl.Bttr. 22 vorgesehen. Die Stärke der Einheiten beträgt [...] 587 plus 136 gleich 723 Mann. Bei Anwendung des Konfessionsschlüssels von 60 % zu 40 % kann hiernach mit 289 katholischen Soldaten gerechnet werden. Geht man davon aus, daß 12 % der Soldaten verheiratet sind, so erhöht sich die vorerwähnte Zahl bei zwei Kindern je Familie um 3 mal 12 % von 289 gleich 104, also auf 393 katholische Bundeswehrangehörige. Dies entspricht einem Anteil von 23 % der 1693 Mitglieder der Gesamtkirchengemeinde. Da die Gemeinde die Kirche nicht in der sonst allgemein üblichen Größenordnung bauen läßt (Sitzplätze für 1/3 der Gemeindemitglieder), sondern erheblich kleiner, kann das Verhältnis zwischen Zahl der Gemeindemitglieder zur Zahl der Militärkirchenmitglieder in diesem Fall für die Berechnung der Höhe der Finanzhilfe nicht zugrundegelegt werden. Es ist vielmehr von dem Interesse der Bundeswehr auszugehen. Eine ausreichende seelsorgerische Betreuung der Bundeswehrsoldaten und ihrer Angehörigen setzt voraus, daß mindestens 100 Sitzplätze für die Bundeswehr vorgesehen werden. Die Kirche ist für 274 Sitzplätze vorgesehen. Bei den Gesamtkosten für die Kirche in Höhe von 304 000 DM würde ein Sitzplatz ca. 1100,- DM kosten (304 000 : 274). Bei dem Interesse der Bundeswehr würde die finanzielle Beteiligung der Bundeswehr 100 χ 1100 = 110 000,- betragen können u. zw. als Zuschuß. Gegen die Gewährung des beantragten Zuschusses in Höhe von 110 000,- DM dürften daher keine Bedenken bestehen. Da es der Kirchengemeinde wegen ihrer besonders schwierigen Finanzlage nicht möglich ist, die Restfinanzierung in Höhe von 50 000,- DM anderweit sicherzustellen, bestehen keine Bedenken, das beantragte Darlehen in Höhe von 50 000,- DM mit 3 % Tilgung und 3 % Verzinsung zu gewähren504.« Am Ende, als der Kirchenneubau 1964 tatsächlich in Angriff genommen wurde, gewährte das Verteidigungsministerium dann einen Zuschuss von 300 000 DM. Das waren mithin etwas mehr als 26 Prozent der Gesamtbaukosten, die sich auf über 1,1 Mio. DM belaufen sollten und die durch weitere Eigenmittel, Landesund Kreisbeihilfen bestritten wurden505. Wenn man nun wiederum die acht neuen bayerischen Heeresgarnisonen, in denen jeweils zwischen 1000 und 1500 Soldaten stationiert waren, etwas näher betrachtet, so fällt auf, dass Hemau, Oberviechtach, Neunburg vorm Wald, Cham, Roding und Donauwörth, nicht aber Ebern und Mellrichstadt mit Finanzhilfen für Kirchen bedacht wurden. Insgesamt wurden acht kirchliche Projekte bezuschusst. Die Garnisonstädte, denen die Mittel zugute kamen, lagen zwar in überwiegend katholischen Gebieten, gefördert wurde jedoch in immerhin fünf Fällen der Bau eines evangelischen Gotteshauses. Dieser Befund 504 505
Ebd., Vermerk, 16.3.1959. Ebd., Bewilligungsbescheid der WBV IV, 16.10.1964.
352
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
wie auch die Ausführungen zu Treysa deuten auf die Veränderung konfessioneller Strukturen im Zuge der Stationierung von Truppen hin, die im Zusammenhang mit den sozialpolitischen Folgen noch erörtert werden. Interessant erscheint auch ein Blick auf das Förderverhalten der Bundeswehr bei Sportanlagen wie Hallen- oder Freibädern sowie Sportplätzen und -hallen, wenn in Bayern nur 5,2 Prozent der Finanzhilfen auf derartige Projekte entfielen506. Hier wurde allerdings deutlich, dass bei der Mittelgewährung sehr darauf geachtet wurde, dass Kosten und Nutzen für die Truppe in einem vernünftigen Verhältnis standen, wie man am Beispiel Roding zeigen kann: Die Stadt plante 1960, den alten Sportplatz für mehr als 200 000 DM auszubauen. Neben einer Eigenleistung von 20 000 DM und 70 000 DM an Zuschüssen von Bund, Land und Landessportverband rechnete man mit einem großzügigen Engagement der Bundeswehr, die den Rest bestreiten sollte. Die Wehrbereichsverwaltung VI gab sich freigiebig und stimmte diesem Antrag tatsächlich zu: »Unter dem Gesichtspunkt jedoch, daß es sich hierbei um geschätzte Mindestbaukosten für eine Sportplatzausführung einfachster Art handelt und daß bei Benutzung der städtischen Anlage ein Kontakt mit der Zivilbevölkerung hergestellt wird, der zum besseren Verständnis für die Bundeswehr beiträgt und gleichzeitig auch als Werbung dienen mag, wird in Anbetracht der kurzen Entfernung zum städtischen Gelände vorgeschlagen, die Sportanlage mit einer Beteiligung des Bundes in Form eines Zuschusses von 130 000 DM von der Stadt errichten zu lassen507.« Das II. Korps bewertete die Angelegenheit jedoch ganz anders. Demnach entsprach der Rodinger Sportplatz, den die Bundeswehr bisher mitbenutzt hatte, wegen seines schlechten Zustandes nicht den Anforderungen der Truppe. Außerdem benötigten die Soldaten für den An- und Abmarsch jeweils 20 Minuten. Auch andere Gründe (Zeitverzug durch An- und Abmarsch, Dienstaufsicht) sprächen gegen den Vorschlag der Stadt, weshalb das Korps für einen Sportplatz auf dem Kasernengelände plädierte. Einen solchen errichtet zu bekommen - ursprünglich sollten militärische Sportplätze nur dann gebaut werden dürfen, wenn es im Umkreis von einem Kilometer keinen zivilen Sportplatz gab508 - war auch das Ziel der militärischen Dienststellen. Unterstrichen wurde dieses zudem mit der NATO-Bereitschaftsforderung, nach der ein Drittel aller Soldaten zum ständigen Aufenthalt innerhalb der Kaserne verpflichtet werden musste. Zur Freizeitgestaltung sei eine Sportanlage innerhalb der Truppenunterkunft aber aus Fürsorgegründen dringend geboten, da hierfür lediglich die Kantine zur Verfügung stand. In den Garnisonen Cham, Oberviechtach und Regen waren die Verhältnisse ähnlich509. Die Stadtväter von Roding gaben jedoch nicht auf und versuchten sogar, Verteidigungsminister Franz Josef Strauß mit der Bemerkung auf ihre Seite zu ziehen, dass das »bisher außerordentlich gute Verhältnis zwischen Truppe und
506 507 508 509
Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 73-75. BA-MA, BW 1/4523, WBV VI an BMVg, 21.1.1960. Radioff, Gliederung und Gestaltung, S. 310. BA-MA, BW 1/4523, II. Korps G 3 Infra an BMVg Fü Η III 5, 22.1.1960.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
353
Bevölkerung [...] sehr darunter leiden [würde], wenn unser Vorhaben unter Nichtberücksichtigung der Interessen der Stadt (der Sportplatz soll doch auch öffentlichen Zwecken dienen können) und der Interessen der Schulen (der Sportplatz soll doch auch Schulen zur Verfügung stehen) und der Interessen des Sportvereins, dem ja auch zahlreiche aktive Sportler der Bundeswehr angeschlossen sind, abgelehnt würde«510. Nachdem sich aber auch der Führungsstab des Heeres gegen eine Finanzhilfe des Bundes und für einen eigenen Sportplatz ausgesprochen hatte, blieb der Liegenschaftsabteilung im Verteidigungsministerium nichts anderes übrig, als der Stadt Roding mitzuteilen, dass mit Rücksicht auf die von der Truppe geltend gemachten Gründe eine Sportanlage auf dem Kasernengelände errichtet werden würde. Dennoch hoffe man weiterhin auf ein gutes Verhältnis zwischen Bundeswehr und Stadt511. Davon konnte man auch ausgehen, zumal später 280 000 DM aus Bundesmitteln in einen Tumhallenneubau flössen. Wie sehr manche Gemeinden schon mit Zuschüssen und Darlehen rechneten, bevor der Bau einer Kaserne überhaupt begonnen hatte, zeigen die Beispiele Kemnath und Tirschenreuth. Beide Städte hatten sich 1959 bzw. 1957 erfolgreich um eine Garnison beworben; allerdings war der erste Spatenstich aus militärischen Gründen immer wieder verschoben worden. In Kemnath ging es 1966 darum, ob man beim bevorstehenden Neubau der Volksschule den geschätzten Zuzug von 90 Soldatenfamilien mit etwa 70 bis 75 Kindern in der Planung für die Klassenräume mit berücksichtigen solle512. Weil die schlechte Haushaltslage die Bundeswehr jedoch 1967 zwang, alle noch nicht begonnenen Standortprojekte aufzugeben, empfahl Verteidigungsminister Gerhard Schröder der Stadt Kemnath dringend, »von Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Errichtung einer Garnison stehen«, abzusehen513. Ahnlich verhielt es sich im benachbarten Tirschenreuth, wobei es sich zusätzlich zur Erweiterung einer Schule um den Neubau einer Kläranlage handelte. Man hatte sich so sicher gefühlt, dass man den erwarteten Zuschuss für den Ausbau der Oberrealschule in Höhe von 300 000 DM aus Rücklagen vorfinanzierte. Bei der Kläranlage - Gesamtkosten 2,8 Mio. DM - waren die Abwassermengen von Truppenunterkunft (1200 Personen), Standortverwaltung (100 Personen) und Bundeswehrwohnungen (375 Bewohner) mit 510 Kubikmetern pro Tonne an der Gesamtmenge (3600 Kubikmetern pro Tonne) wie selbstverständlich mitberücksichtigt worden. Da man Gefahr laufe, andere Zuschüsse der öffentlichen Hand zu verlieren, wenn nicht noch 1967 mit dem Bau begonnen werde, erbat die Stadt von der Wehrbereichsverwaltung dringend eine Entscheidung darüber, ob auf dieser Grundlage nicht doch mit einer Finanzhilfe des Bundes gerechnet werden könne. Kritisch beschrieb der Bürgermeister nicht nur das Dilemma, in dem sich die Stadt befand, er ließ auch durchblicken, dass ein gewisses Abhängigkeitsver510 511 512 513
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
Stadtverwaltung Roding an BMVg Strauß, 6.2.1960. BMVg Abt. U I 7 an Stadtverwaltung Roding, 2.4.1960. BW 1/181202, Stadtverwaltung Kemnath an WBV VI, 6.10.1966. BMVg Schröder an MdB Weigl, 8.2.1967.
354
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
hältnis zwischen kommunaler Modernisierung und militärischer Standortentscheidungen bestand: »Der unterfertigte Bürgermeister kann es gegenüber seinem Stadtrat und der Öffentlichkeit nicht mehr länger verantworten, daß durch eine an der Ostgrenze Bayerns gelegene Kleinstadt riesige Geldmittel für Zwecke der Bundesverteidigung weiter vorfinanziert werden. Andere wichtige kommunale Maßnahmen werden dadurch laufend blockiert. Aus der Bevölkerung kommt bereits ein gewisser Vorwurf, weil die Stadt infolge Inanspruchnahme teurer Darlehen ihre Kanalbenutzungsgebühren wesentlich mehr erhöhen mußte als das der Fall gewesen wäre, wenn Bundesbeihilfen gewährt worden wären. In diesem Zusammenhang darf auch darauf hingewiesen werden, daß wegen des Einsatzes dieser großen Beträge für Zwecke der Bundeswehr die dringend notwendige Erweiterung der städtischen Schulgebäude bis heute zurückgestellt werden mußte. Die Stadt Tirschenreuth ist der Auffassung, daß nun nach nahezu 6 Jahren, seitdem der erste Antrag auf Bundesbeihilfe gestellt wurde, eine Entscheidung fallen muß ohne Rücksicht darauf, ob in Tirschenreuth eine Truppenunterkunft errichtet wird oder nicht. Sollte sich die Entscheidung wieder längere Zeit hinziehen, wäre die Stadt gezwungen, ihr Anliegen der Öffentlichkeit in einer Bürgerversammlung vorzutragen und den Bayer. Landtag um Hilfe zu bitten514.« Die Entscheidung fiel relativ rasch am 16. März 1967. Wegen der schwierigen Haushaltslage wurde das Garnisonsprojekt Tirschenreuth überhaupt aufgegeben, und von damit zusammenhängenden Baumaßnahmen empfahl man ganz abzusehen. Eine finanzielle Beteiligung des Bundes an der städtischen Kläranlage lehnte das Verteidigungsministerium daher ab. Wohl aber sagte es zu, dass Aufwendungen, die beim Bau der Entwässerungsanlage und der Erweiterung der Oberrealschule »ausschließlich im Interesse des Bundes getätigt wurden [...] der Stadt Tirschenreuth erstattet [werden], soweit die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 8 GG vorliegen und sobald Haushaltsmittel zur Verfügung stehen«515. Im Ganzen machten nur verhältnismäßig wenige Gemeinden Ansprüche auf Ersatz von finanziellen Aufwendungen geltend, nachdem sich ihre Hoffnungen, Garnisonstadt zu werden, 1967 aufgelöst hatten. Bis zum Jahresbeginn 1969 waren knapp 3,2 Mio. DM an finanziellen Forderungen auf die Bundeswehr zugekommen bzw. bereits abgegolten worden516. Es ist unstrittig, dass strukturschwache Gemeinden von den im Zuge der Errichtung von Garnisonen bereitgestellten Bundesmitteln profitierten. Die vom Bund mitgeförderten Projekte verschafften den Standortgemeinden offenbar größere Chancen als anderen Kommunen, ihren Nachholbedarf an Modernisierung schneller zu decken als andere. Bereits in einer Untersuchung aus dem Jahr 1966 wurde dies bezüglich der Wasserversorgung, der Müllbeseitigung, der Gesundheitsversorgung, der Sporteinrichtungen und Kirchen in Oberviechtach, Neunburg vorm Wald, Roding, Cham, Bogen, Regen, Freyung und
514 515 516
Ebd., Stadtverwaltung Tirschenreuth an WBV VI, 30.1.1967. Ebd., BMVg Abt. U an MdB Weigl, 16.3.1967. Vgl. Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr, S. 126.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
355
Passau festgestellt517. Auch bei der Abwasserentsorgung scheinen die neuen Standortgemeinden an der Spitze des Forschritts marschiert zu sein. Obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg immer deutlicher erkennbar geworden war, dass die Belastungsfähigkeit des Naturhaushalts an seine Grenzen gestoßen war, hatte sich beispielsweise die Industrie bis weit in die sechziger Jahre hinein oftmals gegen Maßnahmen zur Reinhaltung der Gewässer gewandt, weil sie diese als zu übertrieben und zu kostspielig erachtete. Bei besonders umweltbelastenden Branchen wie die Chemieindustrie dauerte es oftmals bis in die siebziger Jahre und bedurfte einiger Katastrophen, bis diese in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Umweltschutz nachließen518. Natürlich können kleine Landgemeinden solchen Industrieunternehmen nicht gleichgesetzt werden. Dennoch kam man dem Grundsatz des umweltpolitischen Verursacherprinzips schon recht nahe, wenn die Truppenansiedlung in Roding den Kanalbau für die ganze Stadt samt Kläranlage in Gang setzte. Solches galt im Übrigen auch anderwärts. Vor dem Einzug der Bundeswehr in das baden-württembergische Külsheim flössen die Abwässer aus den Häusern in ungeklärtem Zustand über Straßenrinnen in die kleinen Bäche der Stadt ab. Innerhalb eines Jahres war bei einer finanziellen Beteiligung der Gemeinde von nur 15 000 DM eine moderne Ortskanalisation mit mechanisch-biologischer Kläranlage errichtet worden519. Bundeswehrnahe Wirtschaftsgeografen kamen sogar zu dem Ergebnis, dass die Streitkräfte durch die quantitative und qualitative Verbesserung der Infrastruktur in fast allen Bereichen ihren Anteil daran hatten, wenn sich manche Standortgemeinden zu zentralen Orten entwickeln konnten. Für Baden-Württemberg lässt sich dieser Befund auch im Detail belegen. So verdankte das als kooperative Gesamtschule konzipierte Bildungszentrum in Großengstingen seine Bedeutung, seine Qualifikation und seinen großen Einzugsbereich, der auch nahegelegene größere Städte einschloss, den Erfordernissen der Bundeswehrfamilien und deren Kinder. In Pfullendorf soll der Bürgermeister den panzerfesten Ausbau der Straße von der Kaserne zur Munitionsniederlage und darüber hinaus als eine »Großtat des Bundes« bezeichnet haben, führte dies doch zur Anbindung an das überregionale Verkehrsnetz520. In vollem Umfang trifft dieser Befund, dass mit der Ansiedlung der Bundeswehr eine deutliche Verbesserung der örtlichen Infrastruktur einherging, auf die 13 Garnisonsgemeinden in der Oberpfalz zu521. Welche Wirkungen die durch die Bundeswehr ausgelösten Infrastrukturbesserungen entfalten konnten, kann exemplarisch für den Standort Roding belegt werden. Dort gab die Bewerbung um eine Garnison den Startschuss für die kommunale Erschließungspolitik. Die nicht zuletzt dadurch deutlich verbesserte Infrastruktur bewog eine ganze Reihe von Industriebetrieben, sich dort anzusiedeln. Innerhalb von zehn Jahren, zwischen 1956 und
5,7 518 519 520 521
Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 35. Vgl. Ditt, Die Anfänge der Umweltpolitik, S. 337 f. Vgl. Köhler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 8. Ebd.; vgl. Kohler, Bundeswehrgarnisonen, S. 691. Strunz, Ausgewählte Schwerpunkte der landesplanerischen Tätigkeit, S. 149.
356
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
1966 war die Gewerbeindustriedichte von sechs Betrieben mit 149 Beschäftigten auf 45 Produktionsstätten mit nunmehr 2228 Arbeitnehmern angewachsen522. Andere wirtschafts- und sozialgeografische Untersuchungen ziehen hingegen ein geradezu entgegengesetztes Fazit, wenn sie die Infrastrukturmaßnahmen mit der jeweiligen ökonomischen Relevanz am Ort oder in der Region zu verrechnen suchen. In ihrer Kritik heben sie vor allem darauf ab, dass die Bundeswehr die Erhöhung der produktiven lokalen Infrastruktur wie Straßen, Wasserversorgung, Kanalisation und Energieversorgung zwar bezahlt habe, diese »aber in aller Regel nicht durch Gewerbeansiedlung genutzt« worden sei523. Weil sich die Zuschüsse für Kindergärten, Schulen, Sportanlagen, Kirchen und Gesundheitsversorgung ausschließlich am Bedarf der Streitkräfte orientierten, führten sie allenfalls zu einer Senkung gewisser Ausstattungsdefizite. Somit könne weder von einer größer gewordenen Attraktivität der Standortgemeinden gesprochen noch ein wachstumsfördemder Ausstattungsvorsprung gegenüber anderen Kommunen festgestellt werden. Für problematisch wurde auch gehalten, dass der Bund im Rahmen seines Interessenanteils Zuschüsse und Darlehen für die erstmalige Herstellung kommunaler Einrichtungen (Versorgungsbetriebe, Schulen, Kindergärten, Sportplätze, Turnhallen, Frei- und Hallenbäder) gab, der weitere Betrieb dieser Anlagen jedoch den Gemeinden selbst überlassen blieb. Wegen der Grundsteuerfreiheit des Bundes darf auch nicht übersehen werden, dass die für militärische Zwecke durch Kasernen oder Übungsplatzflächen belegten Gemarkungsteile die Gemeinden mit einem vollkommenen Grundsteuerausfall für diese Bereiche belasteten524. Retrospektiv und im Wissen um die finanziellen Schwierigkeiten, in welche manche Gemeinde in Zeiten späterer wirtschaftlicher Stagnation geriet, mag diese Einschätzung durchaus stichhaltige Argumente aufweisen. Selbst bundeswehrnahe Analysten kamen etwa mit Blick auf das Schulzentrum und die Bundeswehrwohnsiedlung in Pfullendorf nicht umhin, festzustellen: »Die Lage der Schulen und Kindergärten bei Bundeswehr-Wohnsiedlungen zeigt schon deren Abhängigkeit von ihrem >Hauptverbraucher Bundeswehr525.« Die aus dem Verteidigungsetat bezahlten Infrastrukturzuschüsse waren aber nur ein Teil dessen, was an Fördergeldern ausgegeben wurde. Wie die exemplarischen Ausführungen zu den Gemeindestraßen, Schulen und Kirchen nachweisen, ging es außerdem nicht allein darum, eine mit dem Zuzug von Soldaten durchaus zu befürchtende Ausstattungsverschlechterung lediglich aufzufangen. Die Projektionen der meisten Politiker auf allen Ebenen in dieser Zeit richteten sich vielmehr auf eine generelle Aufwärtsentwicklung. Namentlich von der lokalen Positionselite vornehmlich in den ländlichen, strukturschwachen Gebieten wurden die mit der Bundeswehransiedlung verbundenen Folgeeinrichtungen als Inkubations- oder Umwälzungsfaktoren auf dem Weg zu einer allfälligen,
522 523 524 525
Vgl. Balcar, Die Kosten der Erschließung, S. 263 f. Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgamisonen, S. 316. Vgl. Wöhr, Belastungstatbestände, S. 219 f. Kohler, Bundeswehrgarnisonen, S. 691.
III. Bundeswehrstandorte als Faktoren räumlicher und struktureller Veränderungen
357
strukturellen Modernisierung begriffen. Aus der Bundeswehr ließ sich neben und mit anderen staatlichen Fördermaßnahmen zusammen offensichtlich ein Nutzen ziehen, der geeignet war, den Schwellenwert im Hinblick auf eine fortschreitende räumliche Entwicklung mit zu überschreiten, um in Kombination von Verkehrsleistungen, Schulen, kulturellen Leistungen und Erholungsmöglichkeiten wiederum den Investitions- oder Wirtschaftswert attraktiver auszugestalten. Gerade die durch militärische Einrichtungen nota bene verbesserte Verkehrsinfrastruktur, um diesen Faktor noch einmal exemplarisch herauszugreifen, bot lokalen Anbietern gegebenenfalls die Chance zu einem Wettbewerbsvorteil, der sich in sinkenden Transportkosten niederschlagen konnte526.
526
Zu den langfristigen, erst nach Jahrzehnten messbaren Wirkungen von Bundeswehransiedlungen vgl. Kaufmann, Raumwirksamkeit.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
1.
Der Sozialstruktureffekt
Beim Aufbau einer Garnison mit zumeist männlichen Personen, die in aller Regel nicht der einheimischen Bevölkerung entstammten, musste damit gerechnet werden, dass sich die historisch gewachsenen sozialen Strukturen gerade kleinerer Landgemeinden dramatisch verändern könnten. Durchschnittlich 700 meldepflichtige Soldaten (Offiziere und Unteroffiziere), 450 Familienangehörige und 1100 nicht meldepflichtige Soldaten (Wehrpflichtige) strömten in der Hochphase der Bundeswehransiedlungen Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre in einen Standort und führten innerhalb von ein bis zwei Jahren zu einem abrupten, kräftigen Einwohnerzuwachs1. Die im Verteidigungsministerium daher erwogenen Vorstellungen, Garnisonen möglichst nur in Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern zu errichten, relativierte sich jedoch sehr bei dem »Mangel an geeigneten Garnisonen«. Deshalb, so Bundeskanzler Konrad Adenauer an einen Pfarrer in der Oberpfalz, sei man dazu gezwungen, auch Angebote kleinerer Gemeinden zu berücksichtigen2. Wollte man außerdem die Vorneverteidigung mit Leben erfüllen, so gerieten die Streitkräfteplaner mit ihren Dislozierungen fast zwangsläufig in jene bevölkerungsärmeren Landstriche entlang der innerdeutschen Grenze bzw. der Grenze zur Tschechoslowakei. Dennoch versuchte man besonders in der Frühphase des Streitkräfteaufbaus noch ziemlich streng darauf zu achten, eine einseitige Prägung der Standortgemeinden zu vermeiden, zumal auch viele Kommunen von Überfremdungsängsten nicht ganz frei waren und eine solche Entwicklung nicht wünschten. Mit dem Hinweis, dass bei Belegung mit nur einem Bataillon der Anteil der Garnison mehr als 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen würde, begründete das Verteidigungsministerium 1958 seine Entscheidung, im oberpfälzischen Eschenbach vorläufig keine Truppe zu stationieren. Solche ungünstigen Verhältnisse würden »nur aus zwingender Notwendigkeit« in Kauf genommen3. Dies entsprach einer Maxime von Staatssekretär Volkmar Hopf, der in den fünfziger Jahre die Ansicht vertrat, die Obergrenze des Bundeswehran1 2 3
Vgl. Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 7. BA-MA, BW 1/4498, BMVg an Expositus Franz Irsigler, 2.10.1956. Ebd., BW 1/5352, BMVg Β IV 4 an U I 7 betr. Gamisonsplanung Eschenbach, 16.1.1958.
360
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
teils an der zivilen Wohnbevölkerung eines Standorts solle 10 Prozent nicht übersteigen 4 . Die Angst vor Überfremdung war aber nur eine Seite der Medaille, denn sehr kleine Standortgemeinden mochten auch für die dorthin versetzten Soldaten zu einem Problem werden. Die Frage nach den sozialstrukturellen Effekten ( z.B. soziale Schichten oder Stände, Verhältnis von weiblicher zu männlicher Wohnbevölkerung, Altersstruktur, Konfessionsverhältnisse) verlangt daher nach einer Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen zwischen militärischen Neubürgern und angestammter Einwohnerschaft, will man eine Antwort auf den Grad der sozialen Integration geben. Schon bei der Erkundung eines Kasernenbauplatzes im nur 1400 Bewohner zählenden mittelfränkischen Heidenheim wies der Vertreter der Wehrbereichsverwaltung VI Ende 1959 auf die dort dann möglicherweise nicht sehr einfache psychologische Lage der Truppe hin. Aufgrund der geringen Attraktivität solcher kleinen Standorte befürchtete man einen Einbruch bei der ohnehin schwierigen Freiwilligenanwerbung 5 . Selbst Jahre nach einer Garnisonsgründung blieb die Situation in den so genannten Einödstandorten oftmals noch schwierig und unbefriedigend. Pointiert listete der Standortälteste von Neunburg vorm Wald 1964 anlässlich einer wehrpolitischen Tagung der FDP die Nachteile auf, die sich aus der peripheren Lage und geringer Größe des Ortes ergaben. So sei es unmöglich, an einem Tag die Landeshauptstadt München zu erreichen und wieder zurückzufahren. Ein Besuch im 50 km entfernten Regensburg sei zwar mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich, die Rückreise müsse aber spätestens zwischen 18.00 und 19.00 Uhr angetreten werden, weil es einen späteren Bus oder Bahnanschluss nicht gab. Der Besuch kultureller Veranstaltungen komme deshalb nur für solche Soldaten in Frage, die ein Auto besäßen. Das Angebot vor allem an höherwertigen Lebensmitteln und Textilien vor Ort sei zu gering und die Waren zudem überteuert. Die gleichen Kleidungsstücke kosteten in Amberg 35 DM, während man in Neunburg 65 DM dafür verlange. Da es keine weiterbildenden Schulen gebe - eine Mittelschule war erst im Aufbau - , müssten die Schüler oftmals Fahrzeiten von bis zu eineinhalb Stunden in Kauf nehmen, um nach Cham, Nittenau, Schwandorf oder Amberg zu gelangen. Zum kulturellen Angebot führte der Standortälteste aus: »In Neunburg gibt es zwei Kinos mit einer unzureichenden Ausstattung. Der Film reißt, oder muß umgespult werden; während der Vorstellung fallen ganze Sitzreihen um! Die Wochenschau ist bis zu sechs Wochen alt, außerdem laufen nur minderwertige Filme6.« Die exemplarisch angeführte Klage deckte sich im Großen und Ganzen mit der Gesamtsituation in der Bundesrepublik. Weil es sich bei der Mehrzahl der Standortgemeinden höchstens um Kommunen mit mittlerer Wirtschafts- und Finanzkraft handelte, hatte dies fast zwangsläufig zur Folge, dass öffentliche 4 5 6
Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr, S. 123. BA-MA, BW 1/5362, Erkundungsniederschrift Heidenheim, 18.12.1959. Ebd., BW 2/20280, Vortrag des Standortältesten von Neunburg vorm Wald: Probleme der Bw-Standorte im Bayer. Grenzland vom Sommer 1964.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
361
Einrichtungen wie Kindergärten, Spielplätze, Schulen, Bibliotheken, Hallenund Freibäder oder Theater nicht in dem Maße zur Verfügung standen, wie in Gemeinden mit stärkerem Industrialisierungsgrad und dementsprechend höherem Realsteueraufkommen. 1968 schließlich schlug der Deutsche Bundeswehrverband Alarm. Eine von ihm in Auftrag gegebene Studie »Zur Lage der Wohnungsfürsorge in der Bundeswehr« wies auf zahlreiche Missstände hin, unter denen viele Soldatenfamilien in Einödstandorten, in Insel- und Grenzorten und am Rande von Truppenübungsplätzen zu leiden hätten: schlechte Verkehrsverbindungen, unzureichende und überteuerte Einkaufsmöglichkeiten, erschwerter Schulbesuch, eingeschränkte Berufsausbildung für schulentlassene Kinder, kaum Arbeitsmöglichkeiten für Ehefrauen, ungenügende ärztliche Versorgung, mangelnde Gelegenheit zum Besuch kultureller Veranstaltungen7. Konnten die militärischen Neubürger das mangelnde Kulturangebot vielleicht noch am ehesten verschmerzen, so waren die zunächst oft noch unzureichenden schulischen Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten für die Kinder schon kein kleines Problem mehr. Und auch die Ehefrauen der Zeit- und Berufssoldaten traf der geringe Industrialisierungsgrad der Standortgemeinden oft hart. Je qualifizierter nämlich deren Berufsausbildung war, desto schwieriger gestaltete sich die Suche nach einem adäquaten Arbeitsplatz. Nach bundeswehrinternen Befragungen der Gruppe Wehrpsychologie waren um 1970 30,8 Prozent der Unteroffizier-Ehefrauen berufstätig. Davon arbeiteten 17,2 Prozent ganztags. Der besonders bei der Bundeswehr feststellbare Trend zur so genannten Frühehe (die Hälfte der durchschnittlich 26 Jahre alten Zugführer war bereits verheiratet) hatte zur Folge, dass zur Finanzierung etwa von Haushalt und Wohnung die Ehefrau auch nach der Heirat gezwungen blieb, mitverdienen zu müssen. Bei 72 Prozent unter den Ehefrauen der Unteroffiziere war das zumindest temporär der Fall, bei 21,2 Prozent ein dauerhafter Zustand. Nur am Rande sei erwähnt, dass sie sich damit innerhalb jenes im Steigen begriffenen gesellschaftlichen Konsenses über die dazuverdienende Erwerbsarbeit von Ehefrauen bewegten. Bis 1970 war fast jede zweite erwerbstätige Frau in der Bundesrepublik verheiratet. Wie insgesamt in der Zivilgesellschaft hatte diese spezifische Modernisierung der Geschlechterverhältnisse sicherlich auch Auswirkungen auf das Rollenverhalten innerhalb der Soldatenehen. Mit der Teilhabe an der sozialen Absicherung der Familie erweiterte sich der Handlungsspielraum der Frauen beträchtlich. Die Geschlechterordnung wurde zwar nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Aber voll berufstätige Ehefrauen konnten, vorsichtig und ohne Datenbasis formuliert, durchaus Einfluss haben auf das streitkräftespezifische Phänomen einer versetzungsbedingten sozialen Mobilität, mit vielleicht sozialstruturellen Folgen vor Ort8. Umgelegt auf die Beschäftigungsverhältnisse in den Garnisonen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es valide Daten 7
8
Zur Lage der Wohnungsfürsorge, S. 3 f. Vgl. »Die Soldaten fühlen sich verlassen«. Massive Kritik an Wohnungsmangel in den Standorten der Streitkräfte. In: Die Welt, 3.12.1968. Untersuchungen, die eine solche Hypothese für den hier in Rede stehenden Zeitraum bestätigen, konnten bislang nicht nachgewiesen werden. Insgesamt zum Wandel der Erwerbstätigkeit von Frauen in der Bundesrepublik vgl. Oertzen, Teilzeitarbeit.
362
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
dazu nur für die Mitte der sechziger Jahre gibt, scheinen die Arbeitsmöglichkeiten für diese spezifische Personengruppe allerdings nur bei gut der Hälfte der Heeresstandorte (54 Prozent) günstig bzw. sehr günstig gewesen zu sein. Bei 27 Prozent wurde dieses soziale Kriterium als einigermaßen und bei 18 Prozent gar als ungünstig bezeichnet9. Mitte der sechziger Jahre gab es in der Bundesrepublik über 357 Standorte. Davon befanden sich 135 in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern, 65 in Gemeinden mit 5000 bis 10 000 und 102 in Gemeinden mit 10 000 bis 50 000 Einwohnern10; nur 55 Standortgemeinden hatten mehr als 50 000 Einwohner. Berücksichtigt man die föderale Struktur Westdeutschlands, dann verteilten sich die Standorte der Heereseinheiten auf die einzelnen Bundesländer wie folgt: Schleswig-Holstein 8 Prozent, Hamburg 3 Prozent, Bremen 1 Prozent, Niedersachsen 26 Prozent, Nordrhein-Westfalen 11 Prozent, Hessen 10 Prozent, Rheinland-Pfalz 10 Prozent, Saarland 1 Prozent, Baden-Württemberg 11 Prozent und Bayern 20 Prozent. Der überwiegende Anteil der Heeresstandorte befand sich um 1970 in der Osthälfte der Bundesrepublik - also eher abseits der Ballungszentren in weniger dicht besiedelten und noch überwiegend landwirtschaftlich genutzten Räumen. Erste sozialwissenschaftliche Untersuchungen aus den Jahren 1963/64 brachten zutage, dass die Masse der Standortgemeinden so genannte Klein- und Mittelstädte waren. Knapp die Hälfte aller Heereseinheiten (48 Prozent) lagen damals in Kleinstädten von 2000 bis 20 000 Einwohnern. In Mittelstädten bis zu einer Bevölkerung von 100 000 befanden sich 31 Prozent und in Großstädten von 100 000 und mehr Einwohnern 16 Prozent der Truppenteile. Infolge weiterer Garnisonsneugründungen war die Quote der in Klein- und Mittelstädten (2000 bis 50 000 Einwohner) stationierten Soldaten bis 1970 auf 55,6 Prozent angestiegen11. Wie sah die Lage in einem struktur- und punktuell bevölkerungsarmen Flächenland wie Bayern aus, das deshalb gut als Referenzbeispiel herangezogen werden kann, weil dort der Anteil an kleinen Kommunen recht hoch lag? Bis in die Mitte der siebziger Jahre hatte die Bundeswehr im Freistaat ihre Verbände in 65 Garnisonen stationiert, von denen 25 (38 Prozent) erst nach 1955 aufgebaut worden waren. Bezogen auf die Gesamtzahl der Standorte wiesen lediglich 16 eine Wohnbevölkerung von über 10 000 Personen auf, bei 20 zählte sie weniger als 5000. Eine differenzierte Analyse ergab 1968 für acht ostbayerische Garnisonen, dass lediglich 15,7 Prozent der Soldaten aus dem Stationierungslandkreis und 9,7 Prozent aus den angrenzenden Landkreisen stammten. Mithin kamen also 74,6 Prozent der Soldaten nicht aus der Umgebung12. Unter Berücksichtigung der Gemeindegröße konnte das Zuzugspotenzial einer Garnison auf jeden Fall zu einer quantitativen Verschiebungen der Bevölkerungsstruktur führen. So war für Cham und Roding zwischen 1961 und 1970 ein Bevölkerungszu-
9 10 11 12
Vgl. Fleckenstein, Gemeinde und Garnison, S. 585. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 195. Fleckenstein, Gemeinde und Garnison, S. 585. Vgl. Arnal, Garnisonen im ostbayerischen Grenzland, S. 94.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
363
wachs von 6 bzw. 17,1 Prozent registriert worden, der unter anderem auch mit der Truppenstationierung zu erklären ist. Dabei lagen die hier angeführten Kommunen im bundesweiten Vergleich noch keineswegs an der Spitze. Im baden-württembergischen Külsheim belief sich das Zuzugspotenzial der 1964 gegründeten Garnison auf 26,5 Prozent und in Niederstetten mit dem offensichtlich höchsten Wert auf 30,8 Prozent. Auch die nordhessischen Bundeswehrneugründungen lagen in diesem Fall tendenziell über den bayerischen Verhältnissen13: Tabelle 44: Militärisches Zuzugspotenzial in nordhessischen Garnisonen Standort
Gründungsjahr
Zuzugspotenzial in Prozent zur Wohnbevölkerung
Homberg Fritzlar Treysa
1956/1961 1956 1961
14,1 21,6 10,8
Generell war die Wohnbevölkerung der Bundesrepublik in den ländlichen Regionen zwischen 1950 und 1961 stark rückläufig. Die Abnahme war hauptsächlich auf die Binnenwanderung von Flüchtlingen und Vertriebenen zurückzuführen. Auch wenn in den sechziger Jahren tendenziell eine Bevölkerungszunahme in den ländlichen Kreisen festgestellt werden konnte, vorwiegend zu erklären mit natürlichem Wachstum aufgrund des einsetzenden Geburtenüberschusses, wurde diese im Bundesdurchschnitt in denjenen Kreisen noch übertroffen, welche in den sechziger Jahren über eine Garnison verfügten. Besonders signifikant kann dieser Prozess bei Großengstingen in Baden-Württemberg verfolgt werden. Dort wuchs die Gesamtbevölkerung zwischen 1950 und 1961 zwar um 119 Prozent, die Zivilbevölkerung allerdings nur um 44 Prozent. Der überwiegende Anteil entfiel auf die Integration der Soldaten14. Als Konsequenz daraus lässt sich daher verallgemeinernd sagen, dass Militärstandorte mit dazu beigetragen haben, die seit den fünfziger Jahren vornehmlich aus ökonomischen Gründen grassierende Abwanderung aus strukturschwachen Gemeinden zumindest teilweise zu kompensieren. Exakt nachweisen lässt sich der Zusammenhang von Garnison und Bevölkerungswachstum am Beispiel von Altenstadt, einer im Südwesten Bayerns an der Iiier gelegenen Gemeinde. Sie fällt insofern allerdings etwas aus dem Rahmen, als dort schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine Garnison bestand und die hierzu erbauten Kasernen nach Beginn der westdeutschen Aufrüstung wieder belegt worden waren. Ungeachtet dieser Voraussetzungen hatte sich zwischen 1939 und 1950 die Einwohnerzahl von 825 kriegs- und nachkriegsbedingt auf 2535 mehr als verdreifacht. Das Freimachen der Wehrmachtkaserne von Evakuierten und Flüchtlingen und deren Rückführung oder Umsiedlung analog 13 14
Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 73-77. Vgl. Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 5.
364
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
zum gesamtbayerischen Trend15 führte bis 1956 zu einer Reduktion der Bevölkerung auf 1636 Einwohner. Nach der erneuten Einrichtung einer Garnison 1956 stieg die Einwohnerzahl bis 1961 wieder auf 2079 an16. Der relativ hohe Anteil der Bundeswehrangehörigen an der Wohnbevölkerung der jeweiligen, vornehmlich neuen Standortgemeinden blieb im Laufe der Zeit jedoch nicht konstant. Ein Blick auf das ostbayerische Roding gibt darüber exemplarisch Auskunft. Während die 1960 dort stationierten 850 Soldaten noch in einem Verhältnis von etwa 28 Prozent zu den 3000 Einwohnern standen, hatte sich ihr Anteil 1978 trotz der Aufstockung der Garnison auf jetzt 1100 Mann auf etwa 10 Prozent deutlich reduziert - eine Entwicklung, die vor allem auf die in den siebziger Jahren abgeschlossene Gebietsreform zurückzuführen war. Die Eingemeindung benachbarter Dörfer hatte die Zahl der Rodinger auf 10 000 Einwohner anwachsen lassen17. Qualitativ wirkte sich die Integration von Soldaten zunächst einmal auf das Geschlechterverhältnis der Standortgemeinde aus. Da es bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts weder eine Wehrpflicht noch andere militärische Laufbahnmuster für Frauen gab (Ausnahme: einige wenige weibliche Stabsärztinnen ab Mitte der siebziger Jahre), fällt als demografische Besonderheit der Bundeswehr deren hoher Männeranteil auf. Ein weiteres hierher gehörendes Merkmal ergibt sich bei der Untersuchung der Altersstruktur. Bezogen auf den anliegenden Untersuchungszeitraum von den fünfziger bis zu den siebziger Jahren bestand die Masse der Soldaten, fast zwei Drittel der Gesamtstärke der Bundeswehr, aus Wehrpflichtigen und Soldaten auf Zeit. Wehrpflichtige wurden üblicherweise zwischen dem 18. und 20. Lebensjahr einberufen, die freiwillige Verpflichtung schloss sich in der Regel unmittelbar an die Zeit des Grundwehrdienstes an. In Anlehung an eine Untersuchung, die das Wahlverhalten an Bundeswehrstandorten zum Ende der sechziger Jahre betrachtete, kann daher festgehalten werden, dass das Durchschnittsalter in den Garnisonen relativ niedrig war. In der Gruppe der Wehrpflichtigen bzw. Zeitsoldaten lag es im Schnitt unter 25 Jahren. Und bei den Berufssoldaten wirkte sich das im Verhältnis zu den übrigen Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst niedrige Pensionierungsalter vermindernd auf das Durchschnittsalter aus18. Eine diesbezügliche Analyse der bayerischen Garnisonsorte bis zu 10 000 Einwohner aus dem Jahr 1976 ergab, dass mit abnehmender Größe der Kommune der Männeranteil zunahm. Während in Standortgemeinden mit einer Wohnbevölkerung zwischen 5000 und 10 000 (19 Garnisonen) der Männeranteil bei 49,6 Prozent und damit um 4,4 Prozent über dem Landesdurchschnitt lag, stieg er bei einer Wohnbevölkerung von 200 bis 500 Einwohnern (eine Garnison) gar auf 82 Prozent an und lag somit 65,7 Prozent über dem Landesdurchschnitt19. Über die Effekte der durchaus signifikant veränderten Sexualproportion durch den 15
16 17 18 19
Eichmüller, Landwirtschaft und bäuerliche Bevölkerung, S. 41. Weigold, Problemorientierte Raumanalyse, S. 17. Maneval/Neubauer, Wirkungen einer Garnison, S. 178. Vgl. Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten, S. 66 f. Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 52 f.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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Zuzug der Bundeswehr wurde schon in den sechziger Jahren spekuliert. So schrieb man den empirisch gemessenen Geschlechterdaten »insgesamt eher eine störende als eine erfreuliche Wirkung« zu20. Unter dem Merkmal störend verbargen sich nun nicht etwa Verhältnisse, wie man sie im Hinblick auf die Zustände in den Standorten der Alliierten vielleicht vermuten könnte - also beispielsweise ein Anstieg der Sexualdelikte. Weit gefehlt! Störend umschrieb hier vielmehr den demografischen Umstand, dass die nota bene überwiegend aus jüngeren Jahrgängen bestehende Soldatenpopulation in den Garnisonen offensichtlich aus bevölkerungspolitischer Sicht nicht dazu im Stande war, den als Folge des Zweiten Weltkrieges eingetretenen Frauenüberschuss auszugleichen, der sich hauptsächlich auf die älteren Jahrgänge erstreckte. Da die Soldaten und Zivilangestellten der Bundeswehr aus allen Teilen der Republik kamen, veränderte sich vornehmlich im katholisch geprägten Südund in Teilen Westdeutschlands auch das Konfessionsgefüge. Grundsätzlich überwogen in den Streitkräften die Protestanten mit 70 Prozent gegenüber dem bundesweiten Durchschnitt, der für die sechziger Jahre mit ca. 45 Prozent bestimmt wurde. In diesem Zusammenhang muss auch der relativ hohe Anteil von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen vornehmlich unter den Zeit- und Berufssoldaten erwähnt werden, der sich in einem Verhältnis von 35 Prozent innerhalb der Bundeswehr zu 25 Prozent in der Gesamtgesellschaft verhielt. Beide Merkmale standen deshalb in einem wechselseitigen Zusammenhang, weil der Protestantenanteil in den nicht zur Bundesrepublik gehörenden Territorien des ehemaligen Deutschen Reiches den Katholikenanteil beträchtlich überwog. Bei einzelnen Dienstgraden war die Heimatvertriebenen- und demzufolge auch die Quote des evangelischen Bekenntnisses besonders hoch. Eine 1963 durchgeführte Befragung brachte zutage, dass jeweils weniger als die Hälfte der Offiziere und Offizieranwärter (42 Prozent bzw. 48 Prozent) aus dem Gebiet der Bundesrepublik stammten. Mit 78 Prozent bei den Wehrpflichtigen entsprach dieser Wert hingegen dem Bundesdurchschnitt 21 . Dieser Trend bildete sich dann auch in den Standorten ab. Nach der Volkszählung von 1970 lag der Anteil der Protestanten an der Wohnbevölkerung Altenstädts bei 17,9 Prozent deutlich über dem des Landkreises mit nur 10,9 Prozent. Nimmt man die nur mit zweitem Wohnsitz dort Gemeldeten (vor allem Wehrpflichtige) in den Blick, so bewegte sich der Anteil der evangelischen Christen mit 11,9 Prozent weit über dem des Kreises Schongau (4,1 Prozent) und des Regierungsbezirks Oberbayern (6,5 Prozent). Der Bürgermeister von Altenstadt führte dies darauf zurück, dass viele der Wehrpflichtigen nicht aus der Region stammten 22 . Folgt man der Auffassung wirtschaftsgegografischer Untersuchungen aus den späten achtziger Jahren, dann spielten solche Änderungen in der konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung »offensichtlich keine tragende 20 21
22
Vgl. Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten, S. 98. Vgl. Waldmann, Soldat im Staat, S. 232; vgl. auch Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten, S. 67. Weigold, Problemorientierte Raumanalyse, S. 15.
366
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Rolle mehr im Sozialleben« der Gemeinden23. Vornehmlich in den ersten beiden Jahrzehnten der Geschichte der Bundesrepublik mag dies aber noch ganz anders ausgesehen haben. Man denke beispielsweise daran, dass etwa in Bayern in den fünfziger und teilweise noch in den sechziger Jahren ein konfessionspolitischer Streit um die so genannte Bekenntnisschule geführt wurde. Bis zur Novellierung im Jahr 1968 stellte nach Art. 135 der Bayerischen Verfassung von 1946 die Bekenntnisschule die Regelschule dar. Gemeinschaftsschulen waren zwar zugelassen, jedoch nur auf Antrag und in Orten mit gemischt-konfessioneller Bevölkerung. Das lange Festhalten am Bekenntnisschulprinzip bewirkte nun nicht unbedingt eine Flut neuer konfessioneller Volksschulen. Zwischen den Schuljahren 1950/51 und 1959/60 war bei den katholischen Schulen lediglich ein Anstieg von 4961 auf 5204 und bei den evangelischen Schulen eine Zunahme von 1519 auf 1557 feststellbar. Die Zahl der Gemeinschaftsschulen ging offensichtlich wanderungsbedingt sogar von 277 auf 242 zurück. Ursächlich lag es auch nicht an der vermehrten Gründung von Zwergschulen mit Bekenntnischarakter, dass die Anzahl der einklassigen Volksschulen innerhalb eines Jahrzehnts enorm anstieg: 1949 waren es nur 903 von 6529 Schulen, 1960 hingegen 1853 von 7096. Wie neuere Forschungen zum bayerischen Bildungssystem herausgearbeitet haben, hat das Festhalten am Bekenntnisschulsystem jedoch einen Konzentrationsprozess hin zu leistungsfähigeren Verbandvolksschulen lange verhindert24. Dabei mochte die Integration kinderreicher Bundeswehrangehöriger doch eine größere Rolle im Sozialleben mancher Gemeinden gespielt haben, als man es im Nachhinein vermutete. Jedenfalls waren es insbesondere die Soldatenfamilien, die unter den konfessionellen Strukturen litten. In Neunburg vorm Wald etwa gab es 1964 zwar eine gut ausgestattete katholische Bekenntnisschule, während die evangelische Volksschule vollkommen überlastet war: eine einzige Lehrkraft unterrichtete alle acht Klassen mit insgesamt 39 Kindern in einem Raum. Auch der katholische Kindergarten war an seiner Kapazitätsgrenze angelangt und nicht mehr aufnahmebereit25. Die sozialstatistischen Daten reichen allein aber nicht aus, um den Problemen bei der sozialen Integration der Bundeswehr in ihre Standortgemeinden auf die Spur zu kommen. War es wirklich so, wie Verteidigungsminister Gerhard Schröder bei einer Festansprache verkündete, dass »diese neue Kaserne [...] ein Stück der Stadt Dülmen« ist und Soldaten und Bürger »Glieder einer und derselben großen Schicksalsgemeinschaft, Glieder unseres Volkes« sind26? Selbst Bundeswehrpublikationen nahmen Mitte der sechziger Jahre kein Blatt vor den Mund, als sie davon sprachen, dass es zwar seit dem Aufbau von Garnisonen kaum Reibungspunkte zwischen Neubürgern und Alteingesessenen gegeben habe: »Dieses reibungslose Verhältnis täuscht. Man lebt im besten Ein23 24 25
26
Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 76. Vgl. Müller/Schröder/Mößlang, Vor uns liegt ein Bildungszeitalter, S. 277-290. BA-MA, BW 2/20280, Vortrag des Standortältesten von Neunburg vorm Wald. Probleme der Bw-Standorte im Bayerischen Grenzland vom Sommer 1964. ACDP, Nachlass Schröder, Ansprache des BMVg bei der Übernahme der Kaserne in Dülmen, 23.6.1967.
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vernehmen - hat jedoch kaum Berührungspunkte. Es ist eher ein Neben- als ein Miteinanderleben27.« Lag es wirklich daran, dass den von auswärts zugezogenen Zeit- und Berufssoldaten und ihren Familien die Landschaft und das Klima meist wenig zusagte? Oder war es der städtebauliche Charakter der Ortschaft, der reizlos erschien? Oder wirkte am Ende gar die Nähe zur Großstadt eher abschreckend als werbend? Tatsächlich kam es nicht selten zu einer Ghettobildung mit Isolationsfolgen, eine Entwicklung, welche die Verantwortlichen eigentlich vermeiden wollten. Ganz im Sinne der eben gestellten Fragen müssen zur Qualifizierung des Integrationsniveaus aber noch weitere Kriterien herangezogen werden. Außer der schon untersuchten Wohnsituation wird man zu diesem Komplex vermutlich nur dann hinreichende Antworten erhalten, wenn man folgende Interaktionsfelder etwas intensiver in den Blick nimmt: zivilmilitärisches Kontaktverhältnis, Interesse am Lokalgeschehen, aktive Beteiligung am sozialen und politischen Leben sowie die Selbsteinschätzung auf der zivilen wie militärischen Seite. Wendet man sich dem letztgenannten Aspekt zu, dann wird man auch die Größe der Garnisonstadt mit ihrer sozialen Infrastruktur berücksichtigen müssen. Zudem wird es vermutlich eine Rolle spielen, ob man vor Ort die Verlegung eines Truppenteils in seine Mauern als allfälligen Modernisierungsfaktor begriff oder ob man einer Militäransiedlung gegenüber grundsätzlich eher negativ eingestellt war. Dass selbstredend die lokalen politischen Verhältnisse von großer Bedeutung waren, hatte sich ja bereits bei den Garnisonsbewerbungen abgezeichnet. Und hier konnten die Argumente quer durch die Parteien gehen. Während die hessischen SPD-Gliederungen den Garnisonsneugründungen besonders skeptisch gegenüberstanden, bemühten sich die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und Regierenden Bürgermeister um die Herstellung »normaler Kontakte zwischen den entstehenden Dienststellen und Einheiten der neuen westdeutschen Streitkräfte einerseits und den entsprechenden lokalen und regionalen Gremien gerade auch in den sozialdemokratisch regierten Bundesländern«28. Aber gerade hier bewegte man sich vor allem zu Beginn auf recht dünnem Eis. Während sich etwa der Oberbürgermeister von Mainz weigerte, sich bei der Indienststellung des Wehrbereichskommandos zusammen mit einem General fotografieren zu lassen, bemühte sich der vom SPD-Politiker Wilhelm Kaisen geführte Bremer Senat sichtlich um die Kontaktpflege zur Bundeswehr. So wurden zu den Bremer Abenden in der Bonner Vertretung des Stadtstaates ab Dezember 1955 auch viele Mitarbeiter aus dem Verteidigungsministerium eingeladen. In Bremen empfangene Offiziere sollen sich höchst beeindruckt von der Art des Willkommens gezeigt haben. Wenn es aber um die aktive Werbung für die Bundeswehr ging, sogar noch unter Zurschaustellung eines Panzers bei einer Landwirtschaftsmesse, dann remonstrierten einige Senatoren mit Nachdruck. Die sattsam bekannten »Tage der Wehrmacht« standen offenbar noch in zu frischer Erinnerung und das Bemühen um ein normales 27 28
Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 873. Sommer, Wiederbewaffnung, S. 197.
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Verhältnis fand hier seine Grenzen. Die Position Kaisens zur Bundeswehr stand im Übrigen im Einklang mit der Parteilinie, wenn er erklärte: »Ich habe in meinem langen Leben schon zweimal erlebt, wohin es führt, wenn wir Sozialdemokraten durch unsere grundsätzliche Abneigung und Ablehnung des Militärs die stärkste Machtbasis der staatlichen Gewalt allein unseren Gegner überlassen. Ich habe die infame Neutralität der Reichswehr gegen die Republik erlebt, ich habe die nicht minder infame Neutralität höchster militärischer Kommandostellen gegenüber der blutigen Despotie Hitlers erlebt - soll sich das noch einmal wiederholen29?« Ungeachtet dessen und obwohl die Präsenz von Senatsvertretern bei offiziellen Anlässen der Bundeswehr bald zu einer festen Gewohnheit wurden, überließen Kaisen und seine sozialdemokratischen Senatoren diesen Teil der Kontaktpflege in der Regel den bürgerlichen Senatskollegen. Nicht überall freilich scheinen sich die Verhältnisse in diese Richtung hin entwickelt zu haben. Jedenfalls beklagte sich der Standortälteste im sozialdemokratisch regierten Wuppertal noch 1967 öffentlich über die Reserve, mit der die Wuppertaler der Bundeswehr gegenüberstünden. Trotz vielfacher Initiativen sollen die Veranstaltungen »praktisch von den maßgebenden Herren nicht oder nur höchst selten« besucht worden sein. Nach den möglichen Gründen gefragt, vermutete der Oberst: »Man könnte meinen, es handle sich um eine Abneigung gegen die Bundeswehr überhaupt. Für manche hier in Wuppertal scheint sie eine Einrichtung zu sein, von der man sich fernhält30.« Das betraf augenscheinlich aber nicht nur die Institution. Die in dieser Industriestadt wohnenden Offiziere hätten keine Verbindung zur Bevölkerung. Kontaktversuche schlügen, im Gegensatz etwa zu Krefeld, fehl. Waren es in Bremen praktische Gründe, die das SPD-Stadtoberhaupt zu einer ressentimentfreien Zusammenarbeit bewegten, so antworteten Mandatsträger, die um die Einrichtung eines Standorts geworben hatten, freilich äußerst positiv auf die Frage nach der Integration der Soldaten. Nicht immer sollte man aber alles für bare Münze nehmen, kann man den Äußerungen doch eine von Interessen - sprich Harmonie aus wirtschaftlichen Erwägungen - geleitete Absicht unterstellen. So reagierten der Zweite Bürgermeister von Neunburg vorm Wald und der Vorsitzende des dortigen CSU-Kreisverbandes gegenüber Staatssekretär Karl Gumbel aus dem Verteidigungsministerium »schockiert«, als die auch von der Presse aufgegriffene Kritik des Standortältesten an der mangelhaften Infrastruktur der Stadt bekannt wurde. Zwar mussten sie die angeführten Defizite tatsächlich bestätigen, sie relativierten sie aber zugleich mit dem Hinweis, »daß diese Benachteiligung nicht nur die Bundeswehr, sondern auch Verbraucher und Geschäftsleute gleich spüren«31. Das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Bevölkerung sei nach wie vor gut, was auch der Landrat zu bekräftigen suchte:
29 30 31
Ebd., S. 200. Wuppertal scheut den Kontakt zur Bundeswehr. In: Westdeutsche Rundschau, 18.3.1967. BA-MA, BW 2/20280, Vortrag des Standortältesten von Neunburg vorm Wald. Probleme der Bw-Standorte im Bayerischen Grenzland vom Sommer 1964.
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»Wer wie ich eine so enge Verbindung zu seinen Soldaten hält und das Leben und Treiben in der Kaserne und in der Garnisonsstadt beobachtet, kann ehrlich sagen, daß die Bundeswehr kein >Staat im Staate< ist und daß das Zusammenleben der Soldaten mit der Zivilbevölkerung so gut ist, wie ich es mir als Landrat bisher gar nicht besser wünschen könnte. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß jemals ein Fall bekannt wurde, der zu Ärgernissen mit der Bundeswehr Anlaß gegeben hätte. Die Soldaten benehmen sich ordentlich und korrekt und sind aus dem Stadtbild gar nicht mehr wegzudenken [...] Bei meinen zahlreichen Gesprächen mit den Soldaten habe ich niemals etwas davon gehört, daß sie sich schlecht behandelt fühlten oder sich gar als >Schrumpfköpfe< vorkämen [...] Auch ein >Standesdenken< der Offiziere ist mir nie aufgefallen, eher ein berechtigter Stolz auf die erzielten Erfolge und Leistungen32.« Ob es immer die örtlichen Mandatsträger oder die Bevölkerung waren, die den Kontakt zu den Streitkräften aufnahmen, sei zumindest mit einem kleinen Fragezeichen versehen. Denn es liegen durchaus empirisch abgestützte Informationen vor, etwa für Koblenz, wo die Kontaktsuche in stärkerem Maße von Seiten der Soldaten in Richtung der Zivilbevölkerung ausging und nicht umgekehrt33. Gerade von den Amts- und Mandatsträgern, die sich seit 1956 vehement für eine Garnison eingesetzt und davon einen Innovationsschub erhofft hatten, waren nur positive Äußerungen - zumal in Festschriften anlässlich von Standortjubiläen 34 - über das Zusammenleben zwischen Soldaten und Bürgern zu erwarten. Aber waren dies wirklich harte Argumente? Es mag im vorliegenden Fall tatsächlich so gewesen sein. Allein selbst bundeswehreigene Zeitschriften machten kein Hehl aus ihrer Skepsis, wenn sie die Tragweite offizieller Kontakte, welche die Bundeswehr zu den Vertretern und Gruppierungen der Standortgemeinde angebahnt hatte, eher als beschränkt bewerteten - jedenfalls für die Zeit um 1965: »Die Garnison hat sich seit mehreren Jahren mit einigem Erfolg darum bemüht, Kontakte zu den Ortschaften der näheren Umgebung in Form von Patenschaftsübernahmen zu schaffen [...] Pate unserer Gemeinde ist ein Bataillon des Standortes. Es fehlt ihm zwar nicht an guten Kontakten zu den örtlichen Institutionen und Vereinen - jedoch beschränkt sich dieses Verhältnis im wesentlichen auf die Teilnahme an Festlichkeiten. Eine echte Verbindung ist hier nicht zustandegekommen. Es mag daran liegen, daß Soldaten hier nichts besonderes sind, sondern zum täglichen Bild des Garnisonslebens gehören. Offizielle Einladungen untereinander, die das Offizier-Korps und Gemeindevertreter geben, halten zwar gute Kontakte und bewirken, daß man sich untereinander kennt. Sie führen jedoch nicht dazu, die gegenseitigen Verbindungen zu mehr als einer Zweckgemeinschaft auszubauen 35 .« Was sollte es denn auch mehr sein in einer solchen Stadt von knapp 7400 Einwohnern, wo auf zwei Zivilisten ein Soldat kam und die erklärtermaßen nie 32 33 34 35
Ebd. Vgl. Silbermann/Krüger, Rechtsradikalismus, S. 576. 20 Jahre Regen; vgl. Oster/Sander, Gesichter einer Division, S. 48. Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 875.
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Garnison werden wollte? Immerhin kam in einer 1969 publizierten Rückschau der Autor, zugegebenermaßen ein hochrangiger Angehöriger der Bundeswehrverwaltung, zu dem Ergebnis, dass in den Standortgemeinden auch ein deutlich über 10 Prozent liegendes Verhältnis von Soldaten zur zivilen Wohnbevölkerung verkraftet werden könne, ohne dass es dadurch zu einer befürchteten Überfremdung komme. Gerade kleinere und mittlere Gemeinden bzw. deren Mandatsträger hätten angesichts der angepeilten Modernisierungschancen solchen Bedenken ohnehin keinerlei Beachtung geschenkt. Dazu zählte beispielsweise auch der öffentlich erklärte Wunsch der Gemeinde Hürth bei Köln, mit ihrer Bewerbung um eine Bundeswehrschule die von Bauern und Arbeitern bestimmte, historisch gewachsene Sozial- und Berufsstruktur zu verändern. Lehrer wie Schüler sollten eine »neue Mittelschicht bringen« 36 . Solches war nicht ganz unrealistisch. Bei der zu Beginn der sechziger Jahre erhobenen sozialen Herkunft der Offiziere (befragt 329) und Offizieranwärter (befragt 137) fällt ein entsprechend hoher Anteil von Beamten, Freiberuflern und Selbständigen auf37: Tabelle 45: Soziale Herkunft von Offizieren und Offizieranwärtern der Bundeswehr 1962 Soziale Herkunft (Beruf des Vaters) Ungelernte Arbeiter Facharbeiter Angestellte Beamte Berufsoldaten Freie Akademiker Selbständige Geschäftsleute Landwirte Sonstige Berufe Keine Angaben
Offiziere in Prozent 0 16 8 12 11 27 17 7 1 1
Offizieranwärter in Prozent 0 23 9 16 12 20 10 7 2 2
Diesen Erhebungen zufolge waren im damaligen Offizierkorps offensichtlich die mittlere und die obere Sozialschicht überproportional stark vertreten, wenngleich die vorgenommene soziale Qualifizierung einigermaßen holzschnittartig war. Dennoch wird man das Urteil grundsätzlich teilen, dass höhere und mittlere gesellschaftliche Gruppen im Offizierkorps nicht mehr so dominierten wie früher 38 . Überhaupt bemühte sich die Bundeswehr in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, dem neuen und unprätentiösen Auftreten der Soldaten auch einen bildhaften Ausdruck zu verleihen. So widmete sich ein 1958 produzierter, als Jah36 37 38
Städte umwerben Bundeswehr: Garnisonen bringen bares Geld. In: Welt am Sonntag, 7.4.1968. Nachfolgende Daten nach Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten, S. 68. Vgl. zu zeitgenössischen Urteilen den Band Verteidigung der Freiheit, S. 431.
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resrückblick konzipierter Informationsfilm der Streitkräfte unter dem Titel »Die Bundeswehr im Jahre 1957« auch dem Thema Garnison. Filme wie diese richteten sich sowohl an eine militärische als auch an eine zivile Öffentlichkeit. Als Medium der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung eigneten sich die filmischen Tätigkeitsberichte besonders dazu, militärische Normalität zu konstruieren. Bei den Jahresrückblicken wurde der Versuch unternommen, über die Anknüpfung an althergebrachte lebensgeschichtliche und strukturelle Muster im Verhältnis zwischen Militär und Bevölkerung auch ein neues Selbstbewusstsein im Hinblick auf die Einbindung der Streitkräfte in die offene Gesellschaft der Bundesrepublik zu signalisieren. Dazu vollzieht die Bildsprache in benanntem Film eine Mischung aus vermeintlich zeitlos traditionellen Elementen mit betonter Fröhlichkeit und Natürlichkeit, indem die Sequenz mit der Aufnahme eines Ortsschildes beginnt, das unter Trommelwirbel auf den Kopf gestellt wird. Die mit Marschmusik unter lebhafter Anteilnahme der Bevölkerung durch die Stadt marschierenden Truppenkörper konnten, von den Uniformen und den Details des Stadtbildes einmal abgesehen, auch aus vergangener Zeit stammen. Im Kommentar wird jedoch zumindest versucht, die rückwärtsgewandte Assoziation vom Einzug in die Stadt mit klingendem Spiel aufzubrechen: »Buxtehude stand Kopf. Dieses niederdeutsche Städtchen, bekannt durch den Wettlauf zwischen Hase und Igel, wurde wieder Garnison. Wie an vielen Orten kam die Bundeswehr auch hier dem Wunsche der Stadtverordneten nach, in ihren Mauern eine Garnison unterzubringen. Von den Bürgern freudig begrüßt, ziehen die Grenadiere ein, allerdings nicht mehr im lauten Marschtritt, sondern der zeitgemäßen Ausrüstung entsprechend auf Gummisohlen 39 .« Mit der beiläufigen Erwähnung der Stiefel nimmt der Film Bezug auf die jahrelangen Debatten um die Ausrüstung der Bundeswehr. Der bis 1945 gebräuchliche deutsche Stahlhelm und die »Knobelbecher« genannten Schaftstiefel waren zum Symbol der Wehrmacht geworden. Wie historisch belastet das Schuhwerk der deutschen Armee galt, mag anhand eines dem französischen Botschafter Andre Frangois-Poncet zugeschriebenen Bonmots ermessen werde. Als seine Frage, ob denn die deutschen Soldaten wieder mit genagelten Stiefeln ausgestattet würden, mit dem Hinweis beschieden wurde, diese verfügten nun über gummierte Laufsohlen, soll er bemerkt haben: »Um so schlimmer, dann werden sie auf leisen Sohlen kommen.« Selbstverständlich ging es nicht um die Stiefel. Diese Bemerkung war vielmehr Ausdruck einer besonders in den westeuropäischen Nachbarstaaten gehegten Sorge, ob das im Aufwuchs befindliche deutsche militärische Potenzial auch eingehegt bleiben werde 40 . Die scheinbar unbeschwerte Wiederbelebung traditioneller zivil-militärischer Beziehungsmuster in den Garnisonen fällt bei der medialen Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr im Übrigen deutlich reduzierter aus, als in den Städten selbst. Der 1957 von einem ortsansässigen Fotohaus produzierte Informations39 40
Zit. nach Protte, Auf der Suche, S. 586. Vgl. Schmidt, Filzlaus.
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film »Lingen wieder Garnison« zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass konservative militärische Repräsentationsformen eine enge Verbindung mit der Konsumgesellschaft eingehen. Das konservative Element wird dem Zuschauer am Ende des Films vorgeführt, wenn sich zur Begrüßung des Bataillons auf dem Rathausbalkon Bürgermeister, Geistlicher und militärischer Befehlshaber gleichsam als Exponenten einer immer noch ständisch gegliederten Gesellschaft der Öffentlichkeit präsentieren. Es mag durchaus der militärische Geist als bestimmendes Element von Vergangenheit und Zukunft der Stadt zum Ausdruck gebracht werden, wenn Soldaten am Kriegerdenkmal einen Kranz niederlegen oder sich ein kleiner Junge mit der Eistüte in der Hand zu einer Gruppe Soldaten gesellt. Was auf den ersten Blick wie eine Renaissance traditioneller zivilmilitärischer Beziehungsmuster aussieht, entpuppt sich beim näheren Hinsehen jedoch als ein Beispiel dafür, wie sehr die westdeutschen Streitkräfte zumindest in einem Teilbereich der bundesrepublikanischen Gegenwart angekommen waren. Denn der Film gibt in erster Linie das Konsumverhalten der Soldaten wieder und trägt streckenweise den Charakter eines Product Placement. Noch bevor die ersten Truppen marschieren, sieht man den Lastwagen eines Getränkelieferanten in das Kasernentor einbiegen. Soldaten betanken ihre Zivilfahrzeuge an der örtlichen Tankstelle, sitzen im Eiscafe oder im Gasthaus und kommen mit neu gekauften Fotoapparaten gerade aus dem Fotogeschäft, das diesen Film gedreht hat. Solche Szenen sind zunächst ein Hinweis darauf, welche Rolle die lokale Marktwirtschaft der Bundeswehr zumaß. Zieht man die Brennweite aber etwas weiter auf, dann öffnen sich über das Konsumverhalten bzw. über die zeitgenössische Kritik daran41 weitere zivil-militärische Interaktionen und Integrationsbezüge, die bis auf das Feld der Geschlechterverhältnisse reichen. Dass sich die Stellung von Soldaten in der modernen Konsumgesellschaft offensichtlich keineswegs mehr von der ihrer zivilen Geschlechtsgenossen unterschied, beschreibt ein Artikel in »magnum«, der »Zeitschrift für das moderne Leben«: »Wir hatten im Verteidigungsministerium mit Offizieren ein Gespräch anberaumt. Wir wollten wissen, wie der Mann heute mit der soldatischen Idee zurechtkommt. Wir waren auf Ideologie und heldisches Pathos vorbereitet. Aber wir begegneten Männern, die uns von den ernsten Schwierigkeiten erzählten, die sie mit ihren Frauen haben. Das war Thema Nr. 1. Die Konsumgesellschaft treibt zum Konsum und damit zum Verdienen. Der Trend geht durch die Seelen der Frauen, sie wirken weiter auf den Mann. Sie sind vor allem um den Lebensstandard besorgt. Sieh, wie der Nachbar verdient! Der Nachbar, vielleicht Ingenieur, kann von Klöckner zu Phoenix-Rheinrohr gehen oder umgekehrt, um sich zu verbessern. Offiziere sind keine Landsknechte, sie können nicht zur französischen oder italienischen Wehrmacht hinüberwechseln, auch wenn sie bessere Gehälter zahlt [...] Der Mann in Uniform ist heute genauso betreten wie der Zivilist. Vielleicht macht ihn das erst sympathisch42.« 41 42
Hierzu vgl. Ruppert, Zur Konsumwelt der 60er Jahre. Zit. nach Protte, Auf der Suche, S. 588.
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Wie »der Zivilist« fühlte sich auch die tendenzielle Mehrheit der Soldaten selbst. Befragt nach ihrer sozioökonomischen Selbsteinschätzung gaben Mitte der sechziger Jahre 85,1 Prozent der Subalternoffiziere (Leutnant bis Hauptmann) - also die in der Regel jüngeren bis mittleren Jahrgänge, die im Lebensalter zwischen 20 und bis zu 40 Jahren standen - an, dass sie sich im täglichen Leben dem zivilen Staatsbürger als gleichgestellt einschätzten. Nur 2,7 Prozent glaubten sich auf einer gehobeneren Stellung angesiedelt und immerhin 11,9 Prozent meinten, dass ihre Position als gering eingeschätzt werde. Mit abnehmendem Dienstgrad verschob sich im Übrigen die Perzeption ganz deutlich. Wollten nicht einmal mehr drei Viertel der Offizieranwärter (63,9 Prozent) eine gleichrangige Stellung erkennen, so lag die Quote derjenigen, die glaubten etwas Besseres zu sein, schon bei 5,6 Prozent, während 29,4 Prozent auf keinen Fall mit ihrem Sozialprestige einverstanden waren43. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser sozialen Selbsteinschätzung, gemessen an vorausgegangenen Vorbildern, verliefen Einflussnahme und Auftreten der Bundeswehr innerhalb der Garnisonen im notwendigen und bescheidenen Rahmen, ein Umstand, der bundeswehrinternen Beobachtern zufolge wesentlich dazu beigetragen habe, »daß die anfänglichen Überfremdungsbefürchtungen sich selbst bei extremen Verhältnissen als unbegründet erwiesen haben«44. Ein solcher genereller Befund schloss gewisse Differenzierungen vor Ort natürlich nicht aus, namentlich nachdem sich die Truppe in den Kommunen etabliert hatte. So wies etwa der Bürgermeister von Altenstadt 1977 darauf hin, dass sich ausgeschiedene Zeitsoldaten genauso oft in der Gemeinde niederließen wie ehemalige Kommandeure und andere Berufsoffiziere der Luftlandeschule. Sollten diese Ex-Soldaten ihre alten Verbindungen aufrechterhalten, konnten sich nach Ansicht des Bürgermeisters Integrationsprobleme ergeben. Zudem erschienen ihm die relativ jungen Bundeswehrpensionäre viel zu aktiv. Sie brächten »manchmal mehr Schwung als nötig in die eher ruhige Gemeinde«45. Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit diese Bewertung auch auf die anderen Garnisonen übertragen werden konnte. Allein die Bemerkung leitet über zur Frage nach der politischen Partizipation der militärischen Neubürger. Diese kann einerseits als Gradmesser für das Integrationsniveau am Lokalgeschehen interpretiert werden. Andererseits könnte man sich auch fragen, ob der Soldatenanteil signifikant dazu beigetragen hat, die politischen Strukturen gegebenenfalls zu verändern. Jedenfalls erschienen den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Verteidigung innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Soldaten deshalb parteitaktisch interessant, weil sie zusammen mit ihren Familienangehörigen eine große Zahl der Wahlberechtigten stellten46. Und auch der Landesvorsitzende der CSU, der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, stimmte 1965 seine Parteifreunde u.a. auf den bevorstehenden Wahlkampf ein: 43 44
45 46
Vgl. Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten, S. 88. Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr, S. 123. Weigold, Problemorientierte Raumanalyse, S. 48. ACSP, Nachlass Jaeger, Nr. 245. Bundestagsfraktion (CDU/CSU)- Arbeitsgruppe Verteidigung 1960-1970, Sitzungsniederschrift, 15.12.1960.
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»In den letzten Jahren - die Tendenz ist progressiv - verändern die Bundeswehreinheiten auch die politische Struktur der Standorte47.« An dieser Stelle gilt es allerdings zunächst die Frage nach der möglichen politischen Wirksamkeit der Bundeswehrwähler zu präzisieren. Die Arbeitsgruppe Verteidigung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte in erster Linie die aktive Wahlbevölkerung für die Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen im Sinn. Wenn es im Rahmen dieser Untersuchung aber darum gehen soll, dem Integrationsprozess innerhalb der Standorte nachzuspüren, dann muss auch die Teilhabe von Soldaten an den lokalen politischen Interessenvertretungen und Gremien in den Blick genommen werden. Wie wirkte sich das aktive Wahlverhalten der Bundeswehrangehörigen konkret aus? Veränderte es, wie Strauß meinte, tendenziell die Struktur der Garnisonsorte? Genau dieses wollte das Bundespresseamt wissen, als es nach zehnjähriger Existenz der Bundeswehr bei dem renommierten Politikwissenschaftler Rudolf Wildenmann und seinem Mitarbeiter Heribert Schatz erstmalig eine entsprechende Studie in Auftrag gab48. Anlass hierfür war ein Anstieg rechtsradikaler Parteien in der Wählergunst, weshalb die, soviel sei vorweggenommen, später im Verteidigungsministerium stark kritisierte Ausgangshypothese folgendermaßen formuliert wurde: »Die besonderen Umstände der deutschen Wiederbewaffnung - der Zusammenbruch von 1945, die auf die Ausrottung aller militärischen Ambitionen gerichtete Reeducation-Politik der Alliierten und ihre in vieler Hinsicht radikale Umorientierung zu Beginn der fünfziger Jahre all das und die Unannehmlichkeiten, die die Anwesenheit von Truppen an einem Ort mit sich bringen, könnten geeignet sein, soziale Spannungen zu erzeugen, die nun nach dem Auftauchen der NPD manifest werden und sich im Wahlverhalten der Bevölkerung an Garnisonsorten niederschlagen49.« Im Kern ging es darum zu erfahren, ob sich das Wahlverhalten von Bundeswehrangehörigen signifikant von demjenigen der Zivilbevölkerung unterschied, oder ob es dem durchschnittlichen Verhalten vergleichbarer Gruppierungen entsprach. Weiterhin wollten die Gutachter einem Standorteffekt nachspüren, will sagen, ob sich Abweichungen zwischen Orten mit und ohne Bundeswehr empirisch belegen ließen. Zur Operationalisierung ihrer Untersuchung sezierten die Wissenschaftler zunächst einige für relevant gehaltene demographische Bestimmungsfaktoren, und zwar vergleichend zwischen Bundeswehr und ziviler Gesellschaft: Herkunft, Alter, Geschlecht, Konfession, Berufsstruktur, Heimatvertriebene bzw. Flüchtlinge. Einen wesentlichen Aspekt stellte die Ermittlung politischer Attitüden und Parteienpräferenzen unter den Soldaten dar. Unter Bezugnahme auf eine bereits 1963 durchgeführte Befragung50 kamen die Autoren zu folgendem, nach Dienstgraden aufgeschlüsselten Ergebnis51: 47 48 49 50 51
Ebd., Rundschreiben an alle Parteimitglieder betr. Wahlkampfvorbereitung, 22.12.1965. BA, Β 145/6140, Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten (Manuskript). Ebd., S. 2. Vgl. Eric Waldmann, Soldat im Staat, Boppard 1963. Nachfolgende Daten nach BA, Β 145/6140, Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten (Manuskript), S. 19.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 46: Parteienpräferenz von Bundeswehrangehörigen 1963 Dienstgrad Rekruten Gefreite Unteroffiziere Feldwebel Offizieranwärter Offiziere (Leutnant bis Hauptmann)
CDU/CSU in Prozent
SPD in Prozent
58,2 65,2 78,8 79,8 77,2 78,6
29,4 28,3 14,0 12,2 7,8 7,8
FDP in Prozent 7,9 4,3 3,5 4,5 12,1 12,1
Sonstige in Prozent 4,5 2,2 3,7 3,5 2,9 2,9
Ganz eindeutig stiegen die CDU-Sympathien mit dem Dienstgrad an. Nicht ohne Grund bezeichnete der politische Gegner die Bundeswehr der fünfziger und sechziger Jahre als eine CDU-Armee. Hierzu passte, dass die Präferenz der SPD unter den Soldaten insgesamt markant unter dem Ergebnis in der Gesamtbevölkerung lag. Bezogen auf die Bilanz der Bundestagswahlen von 1957 und 1961 bewegte sich der Anteil der durch Bundeswehrangehörige für die SPD abgegebenen Stimmen bei 18,3 Prozent, während die Marge im Bundesgebiet bei 26,7 Prozent (1957) bzw. 30,4 Prozent (1961) lag. Eine größere Bereitschaft, die SPD zu wählen, bekundeten lediglich die Mannschaftsdienstgrade, deren Sozialstruktur ohnedies am ehesten dem Bevölkerungsquerschnitt entsprach. Unter den Offizieren hatte die SPD zu diesem Zeitpunkt augenscheinlich kaum Anhänger. Als Grund für das relativ gute Abschneiden der FDP vor allem in der Gunst der Offizieranwärter und Offiziere machten Wildenmarin und Schatz die sozialstrukurellen Besonderheiten (z.B. hoher Herkunftsanteil aus Beamten-, Freiberufler- und Akademikerfamilien, überwiegend der protestantischen Konfession zugehörig) dieser Laufbahngruppe aus, wenngleich sie insgesamt unter dem Mittelwert der Gesamtbevölkerung rangierte. Dies soll an der wenig liberalen Grundeinstellung der Unteroffiziere und Feldwebel gelegen haben. Wie sah die politische Partizipation, reduziert auf das Wahlverhalten gegenüber der rechtsradikalen NPD nun in den Bundeswehrstandorten 1965 aus? Nimmt man die so genannte Fünf-Prozent-Klausel der gültigen Wählerstimmen als Maßstab, die in der Regel die Eintrittsquote in die Parlamente darstellte, so ergab sich unter 100 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Garnisonen folgende Rangliste in fallender Linie52:
52
Nachfolgende Daten nach ebd., S. 56.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 47: Stimmanteile der NPD in Bundeswehrstandorten 1965 Platzziffer
Standort
Bundesland
Wahlberechtigte
Zweitstimmenanteil NPD in %
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Kaufbeuren Langendamm Bayreuth Zeven Hambühren Günzburg Nürnberg Cham Leipheim Zweibrücken Landsberg Passau Celle Idstedt Neustadt i.H. Preußisch Oldendorf Berchtesgaden Jever Varel Bischofswiesen Fürstenfeldbruck
Bayern Niedersachsen Bayern Niedersachsen Niedersachsen Bayern Bayern Bayern Bayern Rheinland-Pfalz Bayern Bayern Niedersachsen Schleswig-Holstein Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen
25 387 1581 44 515 5 511 1 823 7 837 339 606 6 363 2 875 23 832 9197 21249 58 315 400 9 306 1 795
8,1 7,7 7,0 6,9 6,3 6,3 6,0 6,0 5,8 5,8 5,7 5,7 5,7 5,7 5,5 5,3
17 18 19 20 21
Bayern Niedersachsen Niedersachsen Bayern Bayern
3 7 9 4 12
374 314 476 752 839
5,3 5,2 5,1 5,1 5,0
Mit elf Standorten war Bayern bemerkenswert oft vertreten, gefolgt von sechs niedersächischen Garnisonen. Trotzdem bewegte sich die NPD-Zustimmung in den bayerischen Standorten eher im Mittelfeld. In nicht weniger als 72 Gemeinden ohne Bundeswehr gewann die Neonazipartei mehr als 10 Prozent Stimmanteile, angefangen beim niederbayerischen Moosham mit fast 31 Prozent. Angesichts solcher Befunde konnte man trotz der eben skizzierten Rangliste keineswegs folgern, dass die Anwesenheit von Bundeswehr einen dominanten Einfluss auf das Wahlverhalten in diese extreme politische Richtung gehabt hätte. Im Hinblick auf die statistische Verteilung der Bundeswehrangehörigen im Durchschnitt belief sich diese auf weniger als 3 Prozent an der in den etwa 600 Standorten lebenden Zivilbevölkerung - war es ohnehin kaum möglich, so deren Wahlverhalten nachzuzeichnen. Ganz zu schweigen davon, damit gegebenenfalls auch die Frage nach politisch-strukturellen Veränderungsimpulsen zu klären. Solche konnten auf jeden Fall dort vermutet werden, wo überproportional viele Soldaten stationiert waren, wie beispielsweise im nordrheinwestfälischen Luftwaffenstandort Nörvenich.
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Bevor das Wahlverhalten an diesem spezifischen Standort untersucht wird, dessen Soldatenanteil an der Bevölkerung mehr als 40 Prozent ausmachte, seien kurz einige sozialstrukturelle Daten skizziert. Als Folge des Bundeswehraufbaus stieg die Einwohnerzahl dort innerhalb eines Jahrzehnts von 930 im Jahre 1950 sprunghaft bis 1961 auf 2580 an. Mit diesem Bevölkerungszuwachs um 277 Prozent verwandelte sich der bisherige zehnprozentige Frauenüberschuss in ein Frauendefizit: auf 1000 Männer entfielen nun nur noch 355 Frauen. Durch den hohen Anteil an Heimatvertriebenen bei der Bundeswehr kletterte die Quote dieser Bevölkerungsgruppe im Vergleich zu den Nachbargemeinden leicht auf 22,5 Prozent. Dementsprechend sank der Anteil der Katholiken auf 63,2 Prozent, während die umliegenden Ortschaften ihren ursprünglichen, fast rein katholischen Konfessionszuschnitt behielten. Angesichts einer solchen sozialstatistischen Bundeswehrdominanz überrascht es einigermaßen, dass nach dem Zuzug der Bundeswehr in Nörvenich die Wahlbeteiligung an den Bundestagswahlen 1961 und 1965 bzw. an der Landtagswahl 1962 im Vergleich zu den anderen Gemeinden siginifikant zurückgegangen ist. Und dennoch konnte in Korrelation zwischen Wahlbeteiligung und Gewinn- bzw. Verlustrechnung festgestellt werden, dass die Neuwähler - also die Soldaten - 1961 zu mehr als 60 Prozent die CDU gewählt hatten. Unter den alteingesessenen Wahlbeteiligten lag die so errechnete CDU-Quote allerdings bei 70 Prozent. Das hieß, der Bundeswehranteil hat sich in Nörvenich parteipolitisch-strukturell keineswegs als dominant erwiesen - jedenfalls nicht 1961. Ganz anders sah es da in Augustdorf bei Detmold aus. Im Unterschied zu Nörvenich handelte es sich hier um einen Heeresstandort, belegt mit Panzerund Infantrietruppenteilen, die einen entsprechend hohen Anteil an Wehrpflichtigen bzw. viele Angehörige der unteren Dienstgradgruppen aufwiesen. Wie in Nörvenich war die Bevölkerungszahl mit der Bundeswehr stark gestiegen: von 4200 im Jahr 1956 auf 6184 im Jahr 1965. Mehr als ein Viertel der Einwohner waren Soldaten. Wie veränderte sich nun das Wahlverhalten im Vergleich zu einer ähnlich strukturierten Kommune in der Umgebung, die allerdings über keinerlei Soldaten verfügte? Als Referenzgemeinde bot sich das ebenfalls im Landkreis Detmold gelegene Horn an. Es war etwa gleich groß und hatte ebenfalls einen starken Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen gehabt, seit 1939 um die 87 Prozent. Hier lag der Frauenüberschuss bei 12 Prozent, während in Augustdorf auf 1000 Männer nur 706 Frauen kamen. Im Vergleich der Wahlbeteiligungsentwicklung und der auf die einzelnen Parteien entfallenen Stimmanteile zeigten sich freilich deutliche Abweichungen. In beiden Orten war die SPD während der fünfziger Jahre die stärkste Partei. Während nun in Horn dem allgemeinen Trend folgend die CDU von 1957 auf 1961 3 Prozent der Stimmen verloren hatte, konnte sie in Augustdorf, wo sich die Zahl der Wahlberechtigten sprunghaft um 570 erhöht hatte, hingegen 3,5 Prozent Stimmanteile hinzugewinnen. Umgekehrt sah es bei der SPD aus. In Horn stieg die Zahl der SPDWähler kräftig an, während sie in Augustdorf einen kleinen Rückschlag erlitt. Einen noch deutlicheren Hinweis darauf, dass die konservative Parteipräferenz der Soldaten im Stande war, die politischen Strukturen innerhalb kürzester Zeit
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nach Gründung einer Garnison zumindest zu beeinflussen, zeigte sich am Ergebnis der Bundestagswahl von 1965. Im Landkreis Detmold gewann die CDU gegenüber 1961 fast 7 Prozent hinzu, während sie in ganz Nordrhein-Westfalen ihren Anteil lediglich um 5 Prozent steigern konnte. Die SPD stagnierte. Und in Augustdorf lag der Zuwachs noch spürbarer über dem des Wahlkreises und von Horn. Dass dieser Umschwung eindeutig auf die Bundeswehr zurückging, begründete sich darin, dass die Streitkräfte als einzige schwerpunktbildende Wählergruppe destilliert werden konnte. Andere Wählergruppen wie Flüchtlinge oder Landwirte verteilten sich nämlich einigermaßen gleichförmig über alle Stimmbezirke. Die beiden Beispiele Nörvenich und Augustdorf mögen genügen, um ein Zwischenfazit ziehen zu können. Gefragt war, ob der Soldatenanteil signifikant dazu beigetragen hat, die politischen Verhältnisse in den Standorten zu verändern. Unter Berücksichtigung der empirisch vorliegenden Ergebnisse kann für die Mitte der sechziger Jahre festgehalten werden53, dass die in der Wahlbeteiligung sich ausdrückende politische Partizipation offensichtlich gesunken war, nachdem die Orte Garnison geworden waren. Die Stimmanteile der CDU lagen in der Bundeswehr zwischen 50 und 75 Prozent, diejenigen der SPD zwischen 9 und 25 Prozent. Sie oszillierten mithin innerhalb einer auch bei der Zivilgesellschaft feststellbaren Wechselspanne. CDU- bzw. SPD-Anteile in der Bundeswehr ließen jedoch einen deutlichen Einfluss auf die regionale Parteistruktur erkennen. In CDU-Gebieten lag die CDU bei den Soldaten am oberen Ende ihres Schwankungsbereichs, in SPD-Regionen die SPD. Obschon der Stimmanteil der CDU unter den Bundeswehrangehörigen je nach örtlichen Gegebenheiten in ganz Westdeutschland zwischen 120 und 150 Prozent am CDU-Anteil der Zivilbevölkerung einnahm, ließ sich zumindest die empirisch messbare Tendenz nicht leugnen, dass die CDU/CSU-Präferenz im Abbau begriffen war. Mit sinkendem CDU/CSU-Anteil stieg der SPD-Anteil innerhalb der Streitkräfte zwar an, allein er erreichte noch keineswegs Werte wie in der Zivilbevölkerung. Dennoch: die Analysten Wildenmann und Schatz glaubten bei ihren Standortuntersuchungen eine geringe ideologische Verwurzelung politischer Vorlieben in der Bundeswehr festgestellt zu haben, ein Befund, der ihrer Meinung nach die politische Umorientierung auch dieser Berufsgruppe begünstigte. Und wie sah es mit der Affinität zur NPD aus? Obwohl die Stimmanteile in den oben aufgeführten 21 Standorten kaum Anlass zur Besorgnis zu geben schienen, waren die Ergebnisse keinesfalls dazu angetan, Entwarnung zu blasen. Immerhin hatten die Erfolge der NPD bei den bayerischen Landtagswahlen von 1966 zu einer Verdoppelung der Stimmanteile dieser Partei geführt. Vielfältige Spannungen und Konfliktsituationen innerhalb der Bundeswehr, die vor allem auf eine deutlich messbare Unzufriedenheit mit der politischen Führung und der Organisation der Streitkräfte zurückgingen (u.a. Starfighterkrise und Generalskrise sowie Gewerkschaftserlass) ließen die Besorgnis aufkommen, dass sich die NPD-Erfolge in Zukunft noch vergrößern mochten. An vielen 53
Vgl. ebd., S. 76 f.
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Militärstandorten schien sich das Unbehagen zum Zeitpunkt der vom Bundespresseamt in Auftrag gegebenen Untersuchung nur noch nicht strukturiert zu haben. Jedenfalls hielten es die Politologen Wildenmann und Schatz nicht für übertrieben, das NPD-Potenzial in der Bundeswehr auf 20 bis 25 Prozent zu schätzen, gegenüber einem weit geringeren Wert in der Gesamtbevölkerung, der auf immerhin zwischen 10 und 16 Prozent beziffert wurde. Eine letztlich schlüssige Antwort für die trotz allem unterschiedlich hohen NPD-Anteile an einzelnen Standorten fanden allerdings auch sie nicht. Es klingt schon etwas wie das Lesen im Kaffeesatz, wenn es hieß, »einige Korrelationen [deuten] darauf hin, daß hohe Anteile von Selbständigen, Angestellten und Beamten und Heimatvertriebenen [unter der familiären Herkunft der Soldaten; d.Verf.] zumindest in einer wenn-dann-Beziehung zu Erfolgen der NPD stehen. Weniger bedeutsam scheint die allgemeine wirtschaftliche Lage an Bundeswehrstandorten zu sein«54. Am Rande sei erwähnt, dass die Befragungsergebnisse und besonders die Wertungen im Verteidigungsministerium nicht gerade ungeteilte Freude hervorriefen. Der für die innere Lage zuständige Referatsleiter im Führungsstab der Streitkräfte (Fü S VII1) hielt die Angaben über die demografischen Besonderheiten in der Bundeswehr und die politisch relevaten Attitüden und Parteipräferenzen für anfechtbar. Einen empirischen Gegenbeweis konnte er aber ebenso wenig führen, wie Verteidigungsstaatssekretär Günther von Hase. Nach seiner Auffassung enthielt die Studie »keine objektiven und wissenschaftlich exakten Aussagen zu dem Wahlverhalten an Bundeswehrstandorten« 55 . Ob er sie überhaupt gelesen hatte? Er berief sich dazu auf ein von ihm in Auftrag gegebenes »unabhängiges Gutachten eines Professors der Sozialwissenschaften«, worin der Studie angeblich schwerwiegende methodische Mängel attestiert wurden. Kurzum, das Verteidigungsministerium wollte verhindern, dass die Ergebnisse gerade vor dem Hintergrund der NPD-Erfolge in die Öffentlichkeit gelangten. Aber was war denn eigentlich so negativ daran? Im Bundespresseamt zeigte man sich nunmehr besorgt, welche Wendung die Untersuchung u.U. zu nehmen drohte. Die Argumentation aus dem Verteidigungsministerium roch doch schon ein bisschen nach Informationsmanipulation. Vor allem wenn bekannt würde, dass ein Gegengutachten existierte, träfe dieser Vorwurf, es würden eher politische denn methodische Motive unterstellt, vermutlich die Bundesregierung insgesamt. Und ein in den Sozialwissenschaften übliches Gegengutachten, das sich in den Akten nicht finden ließ, bewies nach Ansicht der Pressefachleute gar nichts. Zudem hatte man Sorge, sich in einen dann möglicherweise öffentlich ausgetragenen Streit zwischen dem Verteidigungsministerium und Prof. Wildenmann hineinziehen zu lassen, dessen Dienste sich die Bundesregierung im Übrigen schon wiederholt bedient hatte.
54 55
Ebd., S. 110. Ebd., StS BMVg an StS des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Günther Diehl, 5.8.1968.
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Ohnehin schien dieser beim Verteidigungsressort geradezu verhasst gewesen zu sein, wenn man das dort angeblich aufgeschnappte Ondit »Dem Schwein wollen wir es einmal besorgen« so bewerten möchte. Bei einem Streit, so die Befürchtung aus dem Presseamt, würden die Streitkräfte wohl den Kürzeren ziehen. Aber auch mit Totschweigen, wie ebenfalls von der Hardthöhe angedeutet, war die Sache wohl kaum aus der Welt zu bringen. Jenseits dieser taktischen Bewertung verstand man im Bundespresseamt ohnehin die im Verteidigungsministerium vorgenommene inhaltliche Bewertung der Wildenmann-SchatzStudie nicht ganz. Abgesehen einmal von den methodischen Mängeln, welche die Gutachter allein zu verantworten hatten, war die politische Substanz der Untersuchung doch gar nicht so schlecht ausgefallen. Auch wenn die charakteristischen Eigenschaften des typischen NPD-Wählers (Protestant, männlich, heimatvertrieben) bei der Bundeswehr überwogen und daraus die theoretische Folgerung abgeleitet wurde, dass dort für diese Partei hohe Wahlerwartungen vorliegen könnten, betonten die Wissenschaftler doch andererseits, dass sich diese Erwartungen durchaus nicht generell erfüllten. Sie verwiesen hingegen auf die - zwar bedauerliche - geringe Wahlbeteiligung der Soldaten an ihren Standorten. Und auch die durchaus unterschiedlich zu beurteilende Schlusshypothese auf der Wenn-Dann-Basis war eben keine konkrete Aussage über tatsächliche Gegebenheiten, sondern nur eine Annahme. Das einzige, was negative Wirkungen in der Öffentlichkeit hätte hervorrufen können, war die relativ breite Darstellung bundeswehrinterner Querelen. Aber hier zog sich das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung kühl auf den Standpunkt zurück: »Das vom BMVtg empfohlene Vorgehen würde nur ein Ergebnis haben: den Eindruck in der Öffentlichkeit, die Bundeswehr und das BMVtg hätten etwas zu verbergen. Das kann kein vernünftiger Mensch empfehlen. Ich rate also entschieden davon ab, den von St v. Hase empfohlenen Weg zu gehen56.« Nolens volens beugte sich die Hardthöhe diesem Ratschlag und die Studie über das Wahlverhalten an Bundeswehrstandorten wurde 1969 ungekürzt publiziert57. Wie Recht das Presseamt im Übrigen mit seiner Warnung hatte, dass ein Totschweigen jener schon bald in die Öffentlichkeit getragenen Ergebnisse nichts brachte, zeigt sich auch in einer Folgestudie zum Rechtsradikalismus an einem anderen Bundeswehrstandort58. Damit war Koblenz gemeint, wo bei der Landtagswahl 1967 in einem ausschließlich von Soldaten und ihren Angehörigen bewohnten Wahlbezirk ein Anteil von 12,1 Prozent NPD-Wähler festgestellt werden konnte, während der Durchschnittswert aller Wahlbezirke für die NPD 4,2 Prozent betrug. Im Unterschied zu Wildenmann und Schatz fragten diese Autoren bei 190 Soldaten (ausschließlich Zeit- und Berufssoldaten) und zivilen Einwohnern nun nicht nach ihrem Wahlverhalten. Sie versuchten vielmehr mit Hilfe der Interviews diesem »vorgelagerte Einstellungen bei Bundeswehrangehörigen und Zivilisten vergleichend« gegenüberzustellen, um somit Verhal56 57 58
Ebd., Vermerk betr. Studie »Das Wahlverhalten an Bundeswehrstandorten«, 15.8.1968. Vgl. Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten, S. 196-198. Vgl. Silbermann/Krüger, Rechtsradikalismus.
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tensdispositionen abzugrenzen, »in denen sich möglicherweise rechtsradikales Wahlverhalten unter spezifischen Bedingungen mobilisieren ließe«59. Die Arbeitshypothese unterstellte dem Soldaten einerseits eine stärkere Neigung zu rechtsradikalen Einstellungen, während sich Zivilisten offenbar eher zur Demokratie hingezogen fühlten. Unter Anwendung sehr komplexer sozialwissenschaftlicher Rechenoperationen konnte aber lediglich bei einem Kriterium ein signifikater Unterschied zwischen den beiden Gruppen ermittelt werden. Mehr Soldaten als Zivilisten glaubten, die totalitäre Regierungsform sei durch Schwerfälligkeit gekennzeichnet. Hinsichtlich der Beurteilung der demokratischen Regierungsform kam heraus, »daß sich die Soldaten in der Demokratie wesentlich stärker bedroht und unterdrückt sowie umgekehrt weniger geborgen fühlen als die Zivilisten«60. Hier offenbarte sich einmal mehr das Gefühl von Unterprivilegierung bei den Soldaten, ein im Übrigen von Wildenmann und Schatz keineswegs so deutlich ermittelter Zustand. Zum anderen liefert dieser Befund einen offensichtlichen Hinweis auf das noch immer verbreitete Unsicherheitsgefühl von Bundeswehrangehörigen innerhalb der demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung am Ende der sechziger Jahre. Sieht man sich die teilweise nervösen Reaktionen innerhalb der Streitkräfte beispielsweise auf die Ideen der so genannten Leutnante 70 an, die angetreten waren, demokratische Verhaltensnormen mit der militärisch notwendigen Hierarchie zu verschränken61, dann findet die eben zitierte Erkenntnis ebenso ihre Bestätigung wie im langen Ringen um die Zulassung zur gewerkschaftlichen Betätigung von Soldaten62. Was aber die Anfälligkeit der Soldaten gegenüber rechtsradikalen Tendenzen anbetraf, so ließ sich jedenfalls in Koblenz ein Unterschied zwischen dem Staatsbürger in Uniform und seinem Pendant in Zivil nicht feststellen. Dabei spielte es auch kaum ein Rolle, dass bei den Soldaten die beiden rechtsradikalen Einstellungsfaktoren nationale Ehre und - mit gegen die »Besatzungsmächte« gerichtetem Unterton - Verteidigung der Freiheit ohne Verbündete aufgrund des spezifischen Charakters ihrer institutionellen Sozialisation stärker vertreten waren. Kurzum, mit einem Anteil von 15 bis 20 Prozent rechtsradikal eingestellter Personen, der Wert galt sowohl für Soldaten als auch für Zivilisten, entsprach die Koblenzer Bundeswehrstichprobe in etwa jenem Umfang, welchen Wildenmann und Schatz aufgrund ihrer wahlstatistischen Betrachtung schon einige Jahre vorher für die gesamte Bundeswehr vermutet hatten. Auch hier war die Armee ganz offensichtlich ein Spiegelbild der Gesellschaft.
59 60 61 62
Ebd., S. 569. Ebd., S. 574. Vgl. Simon, Die Integration der Bundeswehr, S. 112-114. Zur Haltung der Bundeswehr in der Gewerkschaftsfrage in der ersten Hälfte der sechziger Jahre vgl. Hülsmann, Bundeswehr und Gewerkschaften; vgl. auch Haferkamp, Kontakte der Gewerkschaften. Generell zum Annäherungsprozess von Bundeswehr und gewerkschaftlicher Interessenvertretung vgl. Trottenberg, Bundeswehr und Gewerkschaften. Zum politisch-kritischen Potenzial innerhalb der Bundeswehr vgl. Rautenberg, Soldateninitiativen.
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Unter dem Stichwort Wahlbeteiligung sei ergänzend noch auf einen singulären Vorgang eingegangen, der allerdings einen Seitenblick auf durchaus mögliche mittelbare politische Wirkungen von Bundeswehransiedlungen erlaubt. Es geht nochmals um Nörvenich und um die in der Einflugschneise zu diesem Flugplatz liegende Ortschaft Oberbolheim. Täglich donnerten dort Dutzende von STARFIGHTERN über die Hausdächer. Es gab erbitterte Proteste seitens der Bevölkerung, man fürchtete um Schäden an Hab und Gut, an Gesundheit und Leben, zumal ein Flugzeug in einen Bauernhof abgestürzt war. Die wahlberechtigten Einwohner (134) gingen nun etwa nicht auf die Barrikaden, sondern 1962 mehrheitlich gar nicht zur Landtagswahl. Lag die Wahlbeteilung bei der Bundestagswahl im Jahr davor bei knapp 85 Prozent, so fiel sie jetzt auf knapp unter 24 Prozent. Offensichtlich handelte es sich um einen Denkzettel für den CDU-Landtagsabgeordneten, der sich ihrer Meinung nach nicht ausreichend für die Abstellung des Fluglärms eingesetzt hatte63. Die aktive Wahlbeteiligung als ein relativ formales soziales Strukturmerkmal liefert jedoch nur bedingt Daten, welche geeignet erscheinen, über die Teilhabe am politischen Geschehen die Qualität des Integrationsniveaus der Soldaten in ihren Standorten weiter auszudifferenzieren. Um dem auf die Spur zu kommen, müssen noch andere Partizipationsformen untersucht werden, sowohl im engeren Sinn politische als auch eher allgemein gehaltene, wie das Interesse an lokalen Ereignissen. Zunächst zur Frage nach den kommunalen Mandatsträgern unter den Soldaten. Die Bereitschaft, sich in dieser Form politisch zu betätigen, scheint generell relativ gering ausgeprägt gewesen zu sein. Das mag auch soziale Gründe gehabt haben. Grundsätzlich hatten die Soldaten das passive Wahlrecht im gleichen Umfang wie alle anderen Staatsbürger. Allerdings traten nach den Bestimmungen des 1956 verabschiedeten Soldatengesetzes die Staatsbürger in Uniform, die eine Wahl in den Bundestag, einen Landtag oder eine kommunale Vertretungskörperschaft annahmen, automatisch in den einstweiligen Ruhestand. Waren sie Zeitsoldaten, darin erhielten sie für die Dauer ihres Mandats, längstens jedoch bis zum Ende der Verpflichtungszeit, halbe Dienstbezüge. Mit dem 4. Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes, welches am 9. Juli 1962 in Kraft trat, veränderte sich jedoch die Grundlage. Weil es erklärtermaßen »sowohl im Interesse der Gemeinden, die Standorte sind, [liegt], wie auch im Interesse der Truppe, wenn die Soldaten aktiv an der Gemeindearbeit teilnehmen«, konnten sich Soldaten nun in den Gemeinderat ihrer Garnison oder in den Kreistag wählen lassen, ohne dass sich dies auf ihr Dienstverhältnis auswirkte64. Nach der Neuregelung blieben sowohl der bisherige Dienstgrad als auch die fortlaufenden Bezüge erhalten. Bundeswehrinternen Erhebungen zufolge spielte das politische Engagement auf der lokalen Ebene trotzdem eine jedenfalls statistisch messbare bescheidene Rolle.
63 64
Vgl. Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten. Taschenbuch für Wehrfragen 1963/64, S. 274; vgl. Frank, Die kommunalpolitische Bedeutung, S. 818. Grundsätzlich zum aktiven wie passiven Wahlrecht für Soldaten vgl. Nägler, Die personelle Rüstung.
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In jener fiktiven Referenzgarnison aus der Zeitschrift Truppenpraxis stellten die Soldaten mit ihren Familienangehörigen 30 Prozent der Einwohnerschaft. Immerhin stellten sich zu den Kommunalwahlen von 1964 Soldaten als Kandidaten zur Verfügung. Nur zweien gelang es, in das Gemeindeparlament einzuziehen: »Grund war die geringe Wahlbeteiligung in den Bezirken der Gemeinde, in denen vorwiegend Soldaten stimmberechtigt waren. Die Wahlbeteiligung lag hier erheblich unter der zur letzten Bundestagswahl 65 .« Die Realität entsprach dem literarischen Planspiel voll und ganz! Bei den Kommunalwahlen von 1964 in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland hatten insgesamt nur 304 Soldaten kandidiert. Davon gelang 127 - vom Oberst bis zum Unteroffizier - der Einzug in ein Gemeinde- oder Kreisparlament66. Woran mochte die als gering eingestufte Bereitschaft gelegen haben? Vermutlich nicht daran, weil die Bundeswehr sehr wohl ein Auge darauf warf, dass sich »der Soldat nicht durch zu umfangreiche Arbeit in der Kommunalpolitik seinen dienstlichen Aufgaben entzieht«67. Vieles deutet darauf hin, dass es wahrscheinlich auch nicht die lokalen Verhältnisse waren, sondern überwiegend die historisch bestimmte militärische Sozialisation oder die Unsicherheit im Umgang mit demokratischen Formen dafür verantwortlich gemacht werden können. Jener Kapitänleutnant aus Neustadt in Holstein mag für viele seiner Kameraden gesprochen haben, wenn er sagte: »Was uns an der Politik stört, ist die Unseriosität [...] In unseren Kreisen besteht wenig Interesse an einer politischen Betätigung. Für uns, wie wir erzogen sind, wirkt Politik abstoßend68.« Worin die tieferen Ursachen hierfür wiederum liegen konnten, darauf gab ein Luftwaffenhauptmann aus dem Standort Celle eine Antwort: »Diese Leute [vor allem Unteroffiziere und Feldwebel; d.Verf.] fühlen sich durch die Vergangenheit geteert und gefedert. Sie haben Anpassungsschwierigkeiten an die neuen politischen Verhältnisse und daher häufig die Tendenz zur Zurückhaltung und Resignation69.« Angesichts dessen war jener Marineoffizier vermutlich ein doch recht einsamer Rufer in der Wüste, als er 1967 seinen Kameraden vielleicht einen Tick zu emphatisch ins Stammbuch schrieb: »Staatsbewußtsein und Zugehörigkeit zur Gemeinde sollten für Soldaten Verpflichtung sein [...], sich zu tätiger Mitarbeit im wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben seiner Garnisonsgemeinde bereit zu erklären70.« Auch liegt die Vermutung nahe, dass an Standorten, in denen bei den militärischen Vorgesetzten parteineutrale Attitüden vorherrschten - eine parteipolitische Beeinflussung Untergebener oder eine politische Betätigung im Dienst waren ohnehin unzulässig 71 - , kaum mit einer Aktivierung politischer Interessen gerechnet werden konnte. Wildenmann 65 66 67 68 69 70 71
Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 876. Vgl. Frank, Die kommunalpolitische Bedeutung, S. 818 f. Taschenbuch für Wehrfragen 1963/64, S. 274. Zit. nach BA, Β 145/6140, Wildenmann/Schatz, Das Wahlverhalten (Manuskript), S. 85. Zit. nach ebd., S. 86. Frank, Die kommunalpolitische Bedeutung, S. 818. Vgl. Taschenbuch für Wehrfragen 1963/64, S. 274.
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und Schatz wiesen anhand komplexer Indexberechnungen auf Stimmbezirksebene nach, dass die örtlich schwankenden Wahlbeteiligungsmargen zum großen Teil auf diesen personalen Faktor zurückzuführen waren. Auch dafür ist jener bereits zitierte Kapitänleutnant ein Gewährsmann: »Häufig wurde geäußert, die politische Partizipation der Soldaten hänge viel eher davon ab, welches Vorbild ihnen ihr unmittelbarer Vorgesetzter gebe und inwieweit es ihm gelinge, sie in dieser Beziehung >aufzubohrenAm Plan< und um den Münsterplatz. Flippern, trinken und tanzen. Das große nächtliche >Highlife< findet aus Geldmangel nur selten statt. Obwohl meist Ausgang bis zum Wecken: im >Playboy< in der Mehlgasse sitzen zu später Stunde in der Mehrzahl brave Koblenzer Bürger vor der Leinwand, auf der in schweißtreibender Arbeit die Akteure das verrichten, was Regisseur und Kameramann gefordert haben [...] >Soldaten kommen auch schon mal·, weiß die Barfrau während sie in atemberaubender Geschwindigkeit den spendierten Drink herunterkippt. >Meist nur, wenn es Geld gegeben hat.< Dann säßen sie lange vor einem Getränk. Wie anders? 200 (oder 240 Mark für den Gefreiten) müssen da in Relation gebracht werden zu 7,80 Mark für ein Bier und den obligatorischen Schnaps. Ärger gibt es also dort kaum mit den Funkern, Pionieren, Panzersoldaten, Instandsetzungssoldaten und den Grenadieren. Nur als ein Offizier erfuhr, daß sich vor einer Striptease-Bühne Soldaten im Kampfanzug niedergelassen hatten, nahm er es mit seiner Aufsichtspflicht etwas genauer. Man kann unterstellen, daß dies ein Einzelfall war. Zumal, wer in Koblenz erwartet, am Abend wären die 13 000 [Soldaten; d.Verf.] auszumachen, beherrschten Uniformen die Szene in der >größten Garnison der Republik«, der irrt. Die hängen fast ausschließlich nach Feierabend im Spind. Das ehemalige >Ehrenkleid der Nationc bis zum Morgen vergessen. Das ist kein Ausdruck des Protestes. Postbeamte ziehen sich auch den blauen Rock aus, wenn sie zum Stammtisch gehen90.« Die augenscheinliche Suche des Journalisten nach einem Garnisonsklischee mündete in eine moderne militärische Realität, die nichts mehr mit der Vergangenheit zu tun hatte. Wohl aber beschrieb der Artikel einen offensichtlichen, empirisch belegbaren Zustand, den mancher besorgte Bürger mit Blick auf negative soziale Begleiterscheinungen am Beginn der westdeutschen Aufrüstung so vielleicht nicht erwartet hatte. Der Staatsbürger in Uniform geriet im Leben einer Gamisonstadt eben zu keiner Gefährdung oder gar nennenswerten Belästigung für den Staatsbürger in Zivil. Schon anders sah die Lage freilich in Standorten mit überwiegend alliierten, vorzugsweise amerikanischen Soldaten aus. Hier hatte sich graduell offensichtlich wenig verändert seit den fünfziger Jahren. Kaiserslautern zum Beispiel hatte erklärtermaßen seine »entscheidende Prägung [...] zu einem wesentlichen Teil durch die schon zwei Jahrzehnte währende Stationierung der amerikanischen Streitkräfte im hiesigen Raum« erhalten91. Die Belebung der lokalen Wirtschaft war die eine Seite der Medaille, die mit der Truppenmassierung verbundenen Schwierigkeiten jedoch die andere. Relativ überschaubar gestalteten sich Anfang der siebziger Jahre zwar die verkehrspolizeilichen Aufgaben, die durch die Anwesenheit von 20 000 Kraftfahrzeugen der U.S.-Streitkräfte entstanden waren. Immerhin aber beanspruchte die hohe Verkehrsfrequenz den Straßenraum in Stadt und Landkreis erheblich. So konnte es nicht ausbleiben, dass bei einem Viertel aller Verkehrsunfälle alliierte Soldaten, Zivilangestellte oder deren Familienangehörige beteiligt waren.
90 91
Gellersen, Nach dem Dienst, S. 114 f. Ochs, Probleme der größten Nato-Garnisonsstadt.
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Schwer zu beziffern war der Anteil an der Kriminalität. Nach Einschätzung des Polizeipräsidiums hielt Kaiserslautern jedenfalls im Vergleich mit den rheinland-pfälzischen Großstädten Mainz, Ludwigshafen, Koblenz und Trier einen unerfreulichen Rekord, lag die Häufigkeitsziffer krimineller Handlungen (bekannt gewordene Straftaten errechnet auf 100 000 Einwohner) doch über der aller anderen genannten Städte. Natürlich waren die GIs nicht allein für das hohe Kriminalitätsaufkommen verantwortlich, jedoch galt es in Polizeikreisen als sicher, dass die Anwesenheit größerer Truppenkontingente in der Garnisonstadt zumindest einen kriminalitätsfördernden Nährboden erzeugt hatte. Und obwohl sich die Freizeit(Vergnügungs)struktur in Kaiserslautern auf den ersten Blick gar nicht so sehr von derjenigen in Koblenz zu unterscheiden schien, sahen die Folgen aufgrund polizeilicher Erkenntnisse doch ganz anders aus: »Wo immer auch junge, lebenslustige Soldaten Vergnügen suchen, schafft das Gaststättengewerbe baldige Gelegenheit hierzu. Kaum eine andere Stadt vergleichbarer Größenordnung hat so viele Gaststätten und Barbetriebe aufzuweisen wie Kaiserslautern. In der Natur der Sache liegt es, daß in nicht wenigen dieser Betriebe billige Getränke zu übersetzten Preisen von entsprechend aufgemachten >Damen< an den Mann gebracht werden, der dann spätestens bei Begleichung seiner Zeche feststellt, wo er hingeraten ist. Der sich dann nicht selten anschließende Streit über die Rechnung endet häufig in Handgreiflichkeiten zwischen Gast, Bedienung und Wirt, die Nacht für Nacht die Funkstreifenbesatzungen beschäftigen. Dies gilt besonders an den sogenannten >pay-daysKaserneGunstgewerblerinnen< aus anderen deutschen Großstädten ein. Im Gefolge dieser >Auswärtigen< gaben sich die Zuhälter aller Art in Kaiserslautern ein Stelldichein. Jedoch durch dauernde Kontrollen, Uberprüfungen und Razzien allzusehr >belästigtDamen< allerdings mit einem großen Berufsrisiko erarbeiten. Körperverletzung, Raubüberfälle gehören fast schon zum Alltag der Dirnen und gar nicht so selten muß die Polizei sich mit dem Mord an einer Prostituierten beschäftigen. Die Ermittlungen in all diesen Fällen sind naturgemäß meist schwierig, langwierig und nicht immer erfolgreich. Eine Identifizierung der oft farbigen Täter ist für die deutsche Polizei häufig unmöglich. Die Erfahrung zeigt, daß Wahlgegenüberstellungen zu 90 % scheitern, da der Erkennungszeuge Farbige von Farbigen kaum zu unterscheiden vermag. Das Rassenproblem erschwert nicht nur die Arbeit der Polizei, sondern läßt sie auch quantitativ anwachsen, da sich in letzter Zeit zunehmend farbige Soldaten von ihren weißen Landsleuten absetzen und sich in eigenen Zirkeln treffen. Unter der
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Losung >black is beautiful· wird nicht selten die Konfontation mit anderen Rassen gesucht [...] Diese Zirkel sind ein idealer Schlupfwinkel für eine Kriminalität, die sich besonders mit dem illegalen Waffen- und Rauschgifthandel befaßt. Damit ist das Stichwort für ein weiteres größeres und schwer faßbares Problem gegeben, nämlich die Rauschgiftwelle, die heute zwar nicht mehr allein durch Angehörige der U.S.-NATO-Streitkräfte beeinflußt wird, die aber sicher durch die von asiatischen Kriegsschauplätzen gekommenen GIs in Kaiserslautern initiiert wurde. Für Haschisch und Marihuana waren deutsche Studenten und Schüler dankbare Abnehmer [...] Als dann in den Vereinigten Staaten die Welle der harten Drogen anbrandete, wollte hier niemand so recht daran glauben, daß sie auch über den Atlantik schwappen könnte. Diese Fehleinschätzung der Lage mußte in Kaiserslautern schon sehr früh korrigiert werden. Als anderswo Rauschgiftfahnder noch relativ harmlose Cannabisprodukte sicherstellten, fiel hiesigen Beamten schon schneeweißes Pulver in die Hände: Heroin [...] Amerikanische Soldaten erschließen den Markt, um ihn dann deutschen und internationalen Händlern zu überlassen92.« Die prägnant formulierten Negativfolgen einer lokalen militärischen Dominanz können jedoch nicht unmittelbar mit den deutschen Verhältnissen verglichen werden. Dabei spielen weniger Größe, Struktur und regionale Lage der Garnisonstadt oder die Truppenstärke eine Rolle, sondern vielmehr die Binnenstruktur der Streitkräfte und, was das Rauschgiftproblem anbetraf, auch der damalige südostasiatische Einsatzraum der U.S.-Truppen. Zum ersten Punkt nur so viel: In den Vereinigten Staaten von Amerika veränderte sich in den fünfziger und sechziger die bisher gültige Gesellschaftsordnung dramatisch. Die von Farbigen getragene inneramerikanische Bürgerrechtsbewegung bildete sich auch besonders stark in den Streitkräften ab, weil diese zum damaligen Zeitpunkt in der Masse ihre unteren Ränge eben aus jenem Bevölkerungsanteil rekrutierten. Insoweit war der hohe Farbigenanteil unter den Straftätern von Kaiserslautern eine - statistisch betrachtet - nachgerade logische Folge der gesellschaftlich bestimmten Rekrutierungspraxis. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass es sich bei den GIs überwiegend um Zeitsoldaten handelte, die im Grundsatz über erheblich mehr Geld verfügten als die deutschen Wehrpflichtigen mit ihrem schmalen Wehrsold. Die Untersuchung über den Standort Bayreuth lässt es zu, diese Behauptung zum Ausgehverhalten auch empirisch zu belegen, weil dort sowohl amerikanische als auch deutsche Soldaten stationiert waren. Während die Wehrpflichtigen der Bundeswehr nur durchschnittlich an 5,2 Tagen pro Monat eine Gaststätte aufsuchten, lag die Besuchsquote ihrer amerikanischen Kameraden (dienstgradübergreifend) bei monatlich 7,5 Tagen. Zudem gaben U.S.-Soldaten im Durchschnitt das Zweieinhalbfache dessen aus, was sich ein deutscher Mannschaftsdienstgrad leistete. Überhaupt scheinen die in Deutschland stationierten Amerikaner die Masse ihres Geldes, das sie außerhalb der militärischen Einrichtungen ausgaben, im Bereich des Gaststättengewerbes verkonsumiert zu haben. Jedenfalls kam deren Konsumtätigkeit 1980 zu 92
Ebd.
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90 Prozent (2,8 Mio. U.S. Dollar absolut) diesem Bayreuther Gewerbezweig zugute. Mit nur 1,34 Mio. DM lagen die Bundeswehrangehörigen (Wehrpflichtige sowie Zeit- und Berufssoldaten zusammen) um weit über der Hälfte darunter93. Schließlich sind auch die ganz erheblichen sozialen Barrieren (Sprache, Kultur, Hautfarbe) zu berücksichtigen, die es den außerhalb ihres Heimatlandes stationierten U.S.-Soldaten so viel schwerer machten, sich in ihre deutsche Umgebung zu integrieren, sofern sie das überhaupt wollten. Bei allen feststellbaren regionalen, kulturellen oder familiären Unterschieden, die Wehrpflichtigen der Bundeswehr lebten im Großen und Ganzen auch weiterhin in ihrer vertrauten Umgebung. Aufgrund der wenig ausgeprägten Bindungen und Kontakte der kasernenpflichtigen Bundeswehrsoldaten zu ihrer Standortgemeinde ergaben sich also kaum Integrationsprobleme. Wie stand es nun aber um die Zeit- und Berufssoldaten, die mit ihren Familien dort lebten? Wie sehr waren oder fühlten sie sich integriert? Wenn man dafür die außerdienstlichen Kontakte als Maßstab verwendet, dann könnte man zu der Auffassung gelangen, diese Berufsgruppe pflegte einen von der zivilen Bevölkerung abgekapselten Umgang. Auf die 1967 von der System-Forschung gestellte Frage: »Zu welcher Berufsgruppe gehören die Bekannten (Freunde), mit denen Sie am häufigsten verkehren?«, wurden von den Offizieren mehrheitlich wiederum Offiziere genannt: unter den Zugführern 80 Prozent, unter den Kompaniechefs 87 Prozent und unter den Kommandeuren 89 Prozent. Das kann allerdings zunächst kaum als außergewöhnlich bewertet werden, dürfte ein durch die Arbeit bestimmter Kreis von Kontaktpersonen doch auch bei anderen Berufsgruppen jedenfalls dem Grundsatz nach dominiert haben. Bei den Offizieren mochten aber vielleicht noch traditionelle und militärimmanent emotionale Gründe katalysierend gewirkt haben. Obwohl beim Aufbau der Bundeswehr auch aus Kostengründen fürs Erste nicht vorgesehen war, Offizierheime um einen Preis von durchschnittlich je 500 000 DM zu bauen - es sollte lediglich Offizierversammlungsräume geben - wurde der Ruf danach bald lauter. Nach längeren Erwägungen innerhalb der Bundesregierung einigten sich Verteidigungs- und Finanzministerium 1961 darauf, wegen dringlicher dienstlicher Gründe solche Heime ab 25 Tischteilnehmern zu errichten, vornehmlich in entlegenen, neu eingerichteten Standorten. Von 258 derartigen Neubauten war die Rede94. Da der Haushaltsausschuss aber mit seiner Befürchtung nicht hinter dem Berg hielt, dass dadurch ein unerwünschtes Korpsdenken der Offiziere befördert werde könne, beeilte sich die Hardthöhe mit der Versicherung, nicht soziale, sondern vielmehr dienstliche Gründe stünden dahinter. War das Hauptgewicht tatsächlich nur dienstlicher Natur, oder ging es bei solchen Einrichtungen, die es bei anderen Berufsgruppen in dieser Form keineswegs gab, nicht doch auch um den Esprit de Corps? Darauf deuten jedenfalls die Erklärungen hin, die Brigadegeneral Werner Drews, Leiter der Unterabteilung Innere Führung und Personal im Führungs93 94
Vgl. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 100-103. BA, Β 136, BMF an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, 9.1.1961.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
stab der Bundeswehr vor den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses zum geflissentlich nicht als Offizierkasino bezeichneten Offizierheim abgab. Außer für die wöchentlich je einen halben Tag stattfindende taktische Ausbildung und sonstige Weiterbildung in der Handhabung von Vorschriften sollte in den Räumen auch ein- bis zweimal im Monat eine abendliche Diskussionsrunde zwischen aktiven und Reserveoffizieren stattfinden. Nachdem noch monatlich zwei bis drei Stunden lebenskundlicher Unterricht in Form von Offizierarbeitsgemeinschaften hinzugeschlagen wurden, kam der General zu dem Ergebnis, dass ein Offizierheim zwischen 50 und 60 Stunden schon überwiegend dienstlich ausgelastet sei. Aber auch an das Soziale war gedacht, sowohl im Verhältnis zu den Einwohnern der Garnison, als auch untereinander. Für den ersteren Komplex waren beispielsweise gemeinschaftliche Vortragsveranstaltungen vorgesehen, die der Förderung und Vertiefung des Kontakts zum zivilen Bereich dienen sollten. Zum privat-dienstlichen Gebrauch hatte man folgende Vorstellungen: »Außerdem werde das Offizierheim als Klubhaus für Offizierskorps und Reserveoffiziere einschließlich der Familien zur Vertiefung des außerdienstlichen Kontakts genutzt. Auch zur privatdienstlichen Unterhaltung mit Angehörigen der alliierten Streitkräfte stehe es zur Verfügung, ferner den jungen unverheirateten Offizieren und den Familien der älteren Offiziere95.« Wie beurteilten nun die Familienangehörigen die Wirkung solch milieuspezifischer Einrichtungen? Es liegt jedenfalls nahe, auch darin einen der Gründe zu sehen, warum 38 Prozent der Offizierehefrauen um 1970 erklärten, ihnen sei ein nur aus Soldaten bestehender Bekanntenkreis der Familie zu einseitig zusammengesetzt. Allerdings fühlten sich immerhin knapp die Hälfte (47 Prozent) sehr wohl im militärischen Milieu. Lediglich 10 Prozent hatten keinen privaten Umgang mit Soldaten. Im Umkehrschluss musste dies natürlich nicht automatisch bedeuten, dass sich die Offizier- und Unteroffizierfamilien nicht in der Gemeinde wohlfühlten. Hierfür spielten noch ganz andere Faktoren eine Rolle. Dazu gehörten etwa die infrastrukturellen Voraussetzungen in der Gemeinde, auf die im Zusammenhang mit den Beschäftigungsmöglichkeiten für Soldatenfrauen bereits eingegangen worden ist. Allerdings wird man berücksichtigen müssen, dass die Rahmenbedingungen nicht nur von Ort zu Ort unterschiedlich waren, sondern diese infolge des dynamischen Strukturwandels der Bundesrepublik während der sechziger und siebziger Jahre überall zu einem Besseren führten - auf jeden Fall tendenziell. Dass die Frage, ob man sich am Standort wohlfühlte, bei aller individueller Abweichung nicht unbedingt etwas mit den sozialen Kontakten oder mit der Garnsionsgröße zu tun haben musste, darüber zeigten sich Sozialwissenschaftier schon um 1970 überrascht. Obwohl ein Drittel der Unteroffiziere der Bundeswehr mit den allgemeingesellschaftlichen Verbindungen unzufrieden bzw. sehr unzufrieden war (38,1 Prozent zufrieden, 31,3 Prozent teils-teils zufrieden, 29,8 Prozent unzufrieden bzw. sehr unzufrieDeutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 3. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 113. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 2.3.1961, S. 19; vgl. ebd., Stenographisches Protokoll der 105. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 12.1.1961, S. A 11-A 13.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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den), stellte die Wehrpsychologische Forschungsgruppe innerhalb dieser Gruppe einen ausgeprägten Trend zur Zufriedenheit fest. Ein durch Zahlen erhärtetes, vergleichsweise hohes Maß an Zufriedenheit mit den jeweiligen Lebensverhältnissen konnte auch bei den Offizierfamilien festgestellt werden. 44 Prozent der Frauen fühlten sich am derzeitigen Wohnort - aus statistischen Gründen gleichgesetzt mit Garnison - sehr wohl. Weitere 36 Prozent gaben an, dass es ihnen einigermaßen gefiel. Für 6 Prozent der Befragten war es nicht wichtig, wo sie lebten. Die Quote derjenigen, welche sich nicht sehr wohl fühlten, belief sich auf 12 Prozent. Für 5 Prozent müssen die Umstände so negativ gewesen sein, dass sie lieber heute als morgen an einen anderen Ort strebten. Summa summarum lebten offensichtlich drei Viertel (77 Prozent) der Offizierfrauen relativ gerne an den Dienstorten ihrer Männer 96 . Ob alle Familienangehörigen der gleichen Meinung waren, kann nicht hinreichend beantwortet werden. Im Hinblick auf solche Versetzungsfolgen wie den Schulwechsel muss vielmehr von innerfamiliären Differenzierungen und wohl auch Differenzen ausgegangen werden. Im Koblenz-Heft der Zeitschrift Merian las sich das so: »Peter Bolte, Oberstleutnant, ist Presseoffizier [...] 5Zimmer-Wohnung in der Stadt. Bolte gehört zum Wanderzirkus des Heeres. Für Sterne in Silber und Gold auf den Schultern müssen auch die Offiziere in Koblenz allzeit mobil sein. Bolte akzeptiert dies, seine Frau weiß es, die drei heranwachsenden Kinder versuchen, es zu verstehen. Letzter Umzug war im Herbst des vergangenen Jahres, nachdem man sich an Veitshöchheim gewöhnt hatte97.« Dass die Zeit meist dabei hilft, sich an etwas zu gewöhnen, ist zwar eine Binsenweisheit, mit Blick auf die selbst eingeschätzte Integrationsqualität von Bundeswehrangehörigen aber von entscheidender Bedeutung. Weil Offiziere im Schnitt kaum länger als zwei bis drei Jahre an einem Standort blieben, galt diese Laufbahngruppe generell als am wenigsten in eine Gemeinde integriert. Leichter hatten es da die Unteroffiziere mit ihrer üblicherweise viel längeren Stehzeit. Jedenfalls soll das in jenem fiktiven, namenlosen Standort, über den 1965 in der Truppenpraxis geschrieben wurde, der Fall gewesen sein. Nicht zuletzt auch deshalb waren Ansätze zu einem engeren Zusammenleben vorhanden, weil in den acht Jahren, seitdem die Garnison existierte, 86 Soldaten ortsansässige Mädchen geheiratet hatten 98 . Auf die Frage, ob sie sich als Bayreuther Bürger empfänden, votierten am Ende der siebziger Jahre 72 Prozent der außerhalb der Kasernen, aber innerhalb des Stadtgebiets Wohnenden für diesen Titel. Skaliert nach Wohndauer wuchs das Identifikationsgefühl ab fünf Jahren signifikant99:
96 97 96 99
Vgl. Fleckenstein, Gemeinde und Garnison, S. 17. Gellersen, Nach dem Dienst, S. 113. Vgl. Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 876. Nachfolgende Daten nach Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 191.
396
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 48: Identifikationsgefühl von Bundeswehrangehörigen in Bayreuth Wohndauer seit letztem Jahr 3 bis unter 5 Jahre 5 bis unter 10 Jahre über 10 Jahre
Bayreuther Bürger in Prozent 0 33 75 79
2. Der Beschäftigungseffekt Es bedarf exakter Zahlen, um wenigstens in Ansätzen untersuchen zu können, ob sich die Hoffnungen und Ängste erfüllten, die mit der Errichtung eines Standorts verbunden waren. Als ein zentraler Punkt stand die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den strukturschwachen, vom langsamen Aufschwung fast vergessenen Regionen und Gemeinden ganz weit oben auf der Wunschliste bei Garnisonsbewerbungen. Gerade ein noch weitgehend agrarisch geprägtes Land wie Bayern mit seinen alten wie neuen Notstandsgebieten entlang des Eisernen Vorhangs, bietet sich exemplarisch für eine Untersuchung an. Unter den 65 Garnisonen lagen viele der neu eingerichteten Standorte in den strukturschwachen Gebieten Nord- und Ostbayerns: fünf im Regierungsbezirk Oberfranken an der innerdeutschen Grenze, weitere 15 in der Oberpfalz mit seiner Grenzlinie zur Tschechoslowakei und vier in Niederbayern. Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre bewarben sich allein im Regierungsbezirk Oberpfalz 24 Gemeinden um eine Garnison; 13 Bewerbungen waren erfolgreich100. In nur 15 Jahren entstanden in Ostbayern zwischen Pfreimd im Norden, Freyung im Süden und Hemau im Westen folgende Heeresgarnisonen in Kleinstädten: Bogen (1958), Cham (1959), Roding (1959), Regen (I960), Kümmersbruck (1960), Oberviechtach (1961), Neunburg vorm Wald (1963), Hemau (1966), Pfreimd (1971). Sieht man von den ebenfalls mit Bundeswehrtruppenteilen wiederbelegten größeren Städten Amberg, Regensburg und Weiden sowie dem nicht wieder beanspruchten Deggendorf ab, so hatte es in dieser überwiegend von der Landwirtschaft geprägten Region bisher keine Militärstandorte gegeben. Wo, wenn nicht hier, mochten die von den Streitkräften ausgegangenen Veränderungsimpulse messbare Wirkungen entfaltet haben? Zudem begünstigt es die Quellenlage, die für diese Region ermittelten Ergebnisse stellvertretend als Teil eines größeren Ganzen zu bewerten. Mitte der siebziger Jahre interessierten sich Volkswirte und Wirtschaftsgeografen für die Frage, ob Garnisonen der Bundeswehr ein regional- und strukturpolitisches Instrument für die Entwicklung loo Vgl Strunz, Ausgewählte Schwerpunkte der landesplanerischen Tätigkeit, S. 149; vgl. Witzmann, Zur Geschichte der Landesplanung in Bayern, S. 139 f.
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und Förderung benachteiligter Teilräume sein könnten. Konkreter Anlass hierfür waren Behauptungen in der militärkritischen Literatur der frühen siebziger Jahre, wonach Rüstungskäufe nicht zur Entwicklung rückständiger Regionen beitrugen, sondern die Disparitäten im Gegenteil eher noch verstärkten101. Die Verfasser der wirtschafts- und organisationswissenschaftlichen Studien beschäftigten sich nun speziell mit dem ostbayerischen Raum102. Die dabei auf der Aktenbasis der territorial zuständigen Wehrbereichsverwaltung VI sowie aufgrund eigener, in den Standorten durchgeführter Umfragen entstandenen Datenreihen beschränken sich aus methodisch-statistischen Gründen zwar hauptsächlich auf die siebziger Jahre und lassen Rückschlüsse auf die Frühphase der Bundeswehr nur bedingt zu. Wenn man aber berücksichtigt, dass strukturelle Veränderungsimpulse erst über einen längeren Inkubationszeitraum hinweg ihre Wirkung zu entfalten beginnen, dann sind sie eine hervorragende Quelle zur analytischen Bewertung historischer Prozesse. Im ersten Halbjahr 1978 verfügte die Bundeswehr in Bayern über einen Personalbestand von 130 488 Personen, darunter 97 311 Soldaten (74,6 Prozent) und 33 177 Zivilbeschäftigte (25,4 Prozent). Sie war nach den Gebietskörperschaften mit 228 500 Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber, noch vor der Siemens AG oder Post und Bahn. Eine Erhebung über die Zivilbediensteten der Bundeswehr aus dem Jahr 1978 ergab folgende Beschäftigungsstrukturen103: Tabelle 49: Beschäftigungsstrukturen der Zivilbediensteten der Bundeswehr in Bayern 1978 Status
absolut
in Prozent
Beamte Angestellte Arbeiter Sonstige (Praktikanten, Auszubildende, etc.)
4 851 10 378 17 243 705
14,6 31,3 52,0 2,1
Verglichen mit dem übrigen öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik zeigten sich hier einige atypische Phänomene. Besonders auffällig war der hohe Arbeiteranteil mit über der Hälfte der Beschäftigten, eine Quote, die in den anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung bei nur 23 Prozent lag. Insbesondere in den neuen, zumeist in strukturschwachen ländlichen Gebieten gelegenen StandVgl. u.a. Zimmermann, Öffentliche Ausgaben, S. 215. Vgl. beispielhaft Arnal, Garnisonen im ostbayerischen Grenzland; Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr; Maneval/Neubauer, Untersuchungen über die Wirkung von Verteidigungsausgaben; Maneval/Neubauer, Die Rolle der Garnisonen. 103 Nachfolgende Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 5 4 - 6 7 . Natürlich müssten bei einer Analyse der arbeitsmarktpolitischen Relevanz auch die Auswirkungen der soldatischen Arbeitsplätze mit betrachtet werden, zumal sich das längerdienende Unteroffizierkorps zunehmend aus der Umgebung der Garnison rekrutierte. Eine solche Erhebung liegt bislang allerdings nicht vor. 101
102
398
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
orten übertraf der Arbeiteranteil die Vergleichszahlen für den öffentlichen Dienst in der Regel erheblich den gesamtbayerischen Wert. Tabelle 50: Beschäftigungsstrukturen der Zivilbediensteten der Bundeswehr in nordund ostbayerischen Heeresgarnisonen Dezember 1977/Januar 1978 Standort
Bogen Oberviechtach Cham Ebern Hemau Neunburg vorm Wald Roding
Zivilbe- Beamte dienstete absolut insgesamt
Beamte in %
Angestellte absolut
Angestellte in %
Arbeiter absolut
Arbeiter in %
316 153
44 22
13,9 14,4
114 33
36,1 21,5
158 98
50,0 64,1
184 350 166 112
28 44 12 9
15,2 12,6 7,2 8,0
47 109 26 27
25,5 31,1 15,7 24,1
109 197 128 76
59,3 56,3 77,1 67,9
133
10
7,5
27
20,3
96
72,2
Durchschnittlich 260 zivile Arbeitsplätze bei einer Standortverwaltung machten die Bundeswehr in den kleinen und mittleren Garnisonen in der Regel zu einem der größten Arbeitgeber104. Jedenfalls so lange, bis sich auch dort Industrieoder Gewerbeansiedlungen etwa infolge der Grenzlandförderungen deutlicher bemerkbar machten. Nationalökonomen sahen in der starken Nachfrage nach Arbeitern ein Positivum für die Garnisonsgemeinden, weil diese Arbeitsplätze durch Personen aus dem Ort oder der näheren Umgebung besetzt werden konnten. Besser qualifiziertes Personal wie Beamte und Angestellte stammte meist nicht aus der Region, es kam durch Zuwanderung in die Garnison. Qualitativ zeichneten sich die von der Bundeswehr geschaffenen zivilen Arbeitsplätze dadurch aus, dass sie gegenüber einem industriellen Beschäftigungsplatz nicht konjunkturabhängig waren. Somit konnte man durchaus davon sprechen, dass der verbreitete Wunsch der politischen Mandatsträger nach krisensicheren Dauerarbeitsplätzen erfüllt worden ist. Mit 47,1 Prozent (7750 absolut) stellten im Bereich der Wehrbereichsverwaltung VI die ungelernten Arbeiter neben Schustern, Schneidern oder Tischlern nahezu die Hälfte der gesamten Arbeiterschaft. Für die genannten historischen und auf dem Land weit verbreiteten Handwerksberufe, denen in der freien Wirtschaft aus Gründen der Rationalisierung und der maschinellen Produktion längst das Aussterben drohte oder die zumindest unter einem starken Konkurrenzdruck litten, bot die Bundeswehr offensichtlich ein Rückzugsgebiet. Andererseits musste aber als Folge gesicherter Arbeitsplätze bei den Standortverwaltungen in fast allen Garnisonsgemeinden die Aufgabe von selbständigen Handwerksbetrieben fest104
Vgl. Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 9.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
399
gestellt werden105. Den ungelernten Arbeitern folgten in der Beschäftigtenstruktur die Facharbeiter mit 39,2 Prozent (6446 absolut) und die Kraftfahrer mit 13,8 Prozent (2277 absolut). Vor dem Hintergrund des Strukturwandels in der Land- und Forstwirtschaft kam den weniger qualifizierten Arbeitsplätzen eine relativ große Bedeutung zu. Innerhalb von nicht einmal 70 Jahren oder knapp drei Generationen war die Zahl der Erwerbstätigen, die in der Landwirtschaft ihr Auskommen gefunden hatten, von 52,8 Prozent im Jahr 1907 auf 13,2 Prozent um 1970 zurückgegangen106. Dementsprechend sank auch die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe107. In manchen Gemeinden der Region beschleunigte sich dieser Prozess im Verlauf der sechziger Jahre noch erheblich. Er führte dazu, dass die einstmals bestimmende landwirtschaftliche Beschäftigungsstruktur fast überall marginalisiert wurde. Dies beschränkte sich nicht nur auf Ostbayern, sondern betraf alle Garnisonsgemeinden mit vergleichbarem Gefüge108 (Tabelle 51). Angesichts enormer argarstruktureller Veränderungen, die auch das Ende einer jahrhundertealten und raumprägenden bäuerlichen Kultur bedeuteten, konnte es nicht ausbleiben, dass besonders in der ersten Planungsphase weite Teile der bäuerlichen Bevölkerung die Ansiedlung von Garnisonen keineswegs als positiven Innovationsschub betrachteten. Die Bundeswehr wurde von nicht wenigen Traditionalisten vielmehr als weiterer Teil eines existenzbedrohenden Erosionsprozesses betrachtet. Nicht ohne Grund und offensichtlich zur agrarpolitischen Beruhigung hatte Ministerpräsident Wilhelm Hoegner daher am 1. April 1956 in der ersten Debatte des Bayerischen Landtages, bei der es um die Beschaffung von Land für militärische Zwecke ging, auf die Bemühungen der Staatsregierung verwiesen, landwirtschaftlich wertvollen Boden vor einer militärischen Nutzung möglichst zu verschonen109. Weil das natürlich kaum zu verhindern war, bemühte man sich jedoch darum, die davon betroffene Bevölkerung zumindest arbeitsmarktpolitisch aufzufangen. So bat die Staatskanzlei etwa in ihrem abschließenden Raumordnungsbericht zu Heidenheim das Verteidigungsministerium darum, bei »der Einstellung von zivilen Arbeitskräften für die Garnison [...] bei gleicher Eignung mit anderen Bewerbern den Angehörigen der von der Landabgabe betroffenen kleinbäuerlichen Betriebe« den Vorzug zu geben110. Und noch im Landesentwicklungsprogramm von 1976 hielt man an der Forderung fest, den »aus der Land- und Forstwirtschaft Aussscheidenden geeignete nichtlandwirtschaftliche Arbeitsplätze in ihrem bisherigen Lebensraum zur Verfügung« zu stellen111. Für die zunehmende Zahl der Nebenerwerbslandwirte war unter anderem der Wachdienst eine besonders interessante Vgl. ebd. 106 Vgl. Erker, Keine Sehnsucht nach der Ruhr, S. 490. 107 Differenziert hierzu Eichmüller, Landwirtschaft und bäuerliche Bevölkerung, S. 108-118. los Nachfolgende Daten nach Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 229. 109 Stenographische Berichte des Bayerischen Landtags, Bd 2, München 1954, S. 1716. 110 BA-MA, BW 1/5362, Bayerische Staatskanzlei an BMVg, 19.5.1960. 111 Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1976, Anlagen: Landesentwicklungsprogramm, S. 94. 105
400
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 51: Landwirtschaftlich Beschäftigte in bayerischen, baden-württembergischen, hessischen und niedersächsischen Garnisonsgemeinden Orte in Bayern
1961 absolut
1961 in Prozent
1970 absolut
1970 in Prozent
202 190 81
5 14 6
110 114 37
3 6 3
1961 absolut
1961 in Prozent
1970 absolut
1970 in Prozent
130 289 245 148 458
2 31 9 8 43
75 176 133 61 199
1 15 4 3 12
Orte in Hessen
1961 absolut
1961 in Prozent
1970 absolut
1970 in Prozent
Homberg Fritzlar Treysa Schwarzenborn
107 156 139 230
5 5 5 44
42 90 37 130
2 2 1 19
1961 absolut
1961 in Prozent
1970 absolut
1970 in Prozent
142 44 247
17 53 44
Cham Roding Kötzting Orte in Baden-Württemberg Bad Mergentheim Niederstetten Tauberbischofsheim Lauda Külsheim
Orte in Niedersachsen Wesendorf Dedelstorf Ehra-Lessingen
64 23 99
6 15 19
Alternative. Weil nach einem Arbeitstag bei der Bundeswehr in der Regel ein freier Tag folgte, ließen sich Wachdienst und Landwirtschaft gut ergänzen112. Besonders eindrucksvoll zeigte sich dies im Umfeld der großen Truppenübungsplätze, die generell in äußerst ländlichen Gegenden lagen. So verzeichneten die Gemeinden um die Lagerstandorte des Truppenübungsplatzes Hohenfels einen besonders hohen Anteil an Nebenerwerbslandwirten, und zwar auch erheblich früher als in anderen Gebieten. Als Beispiel kann der kleine, bäuerlich geprägte Flecken Großbissendorf dienen. Dort fanden 1950 82 Prozent der Erwerbspersonen auf mittel- bis großbäuerlichen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben ihr Auskommen. Zwanzig Jahre später gab es nur noch acht Vollerwerbs- und 16 Nebenerwerbsbetriebe, von denen 15 Betriebsinhaber einer Beschäftigung auf dem Truppenübungsplatz nachgingen. Bis auf die Eigentü112
Vgl. Kohler, Geographische Aspekte der Landesverteidigung, S. 9.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
401
mer der größeren, wirtschaftlich offenbar noch ertragreichen Betriebe (zwischen 17 und 38 ha landwirtschaftliche Nutzfläche) hatten alle anderen die neuen, günstigeren Arbeitsmöglichkeiten beim Militär ergriffen. Dem Bürgermeister zufolge war Großbissendorf damit zu einer der wenigen gut strukturierten Agrargemeinden im westoberpfälzischen Landkreis Parsberg geworden 113 . Kritische Stimmen hielten die positiven Auswirkungen von Bundeswehreinrichtungen auf den Arbeitsmarkt allerdings für begrenzt. Die Folgen des Strukturwandels im Agrarsektor hätten lediglich in den fünfziger und sechziger Jahren in gewissem Umfang durch den Aufbau der Streitkräfte und die Errichtung von Garnisonen kompensiert werden können114. Zweifelsohne waren es aber gerade Anforderungsprofil und Qualifikationsniveau, die für die Attraktivität der Arbeitsplätze bei der Bundeswehr sorgten. So wären nach Angabe des Bürgermeisters von Altenstadt vor allem die in der Kaserne beschäftigten Angestellten (67) und Arbeiter (152) unter den insgesamt 257 zivilen Mitarbeitern in der freien Wirtschaft nur sehr schwer untergekommen 115 . Außer für Umsteiger aus landwirtschaftlichen Berufen eröffnete die Bundeswehr im Übrigen auch Berufschancen für Frauen. Am 23. Mai 1978 waren in Bayern mehr als ein Viertel (26,2 Prozent) aller zivilen Bundeswehrmitarbeiter Frauen (insgesamt 8702); davon 176 als Beamtinnen (3,6 Prozent), 4620 als Angestellte (44,5 Prozent) und 3906 als Arbeiterinnen (21,8 Prozent). Außer in der Verwaltung fanden vor allem die Arbeiterinnen überwiegend im Reinigungs- und Küchendienst Verwendung, wo es insgesamt 2800 Stellen gab. Nach einer 1981 durchgeführten Erhebung für die Garnison Bayreuth lag der Frauenanteil bei Lager-, Kanal-, Gärtner- sowie Küchen- und Reinigungsarbeiten, wo überwiegend ungelernte Kräfte eingesetzt wurden, mit 60 Prozent deutlich über dem Durchschnitt. Überproportional war mit 55 Prozent auch die Quote der weiblichen Reinigungs- und Küchenhilfskräfte. Während Frauen noch zu rund 40 Prozent (absolut 39) als Büro- und Verwaltungsangestellte beschäftigt wurden, waren die insgesamt 48 Beamtenstellen ausnahmslos mit Männern besetzt116. Wegen abweichender statistischer Befunde lässt sich nicht exakt bewerten, welche Veränderungen in der Berufs- und Erwerbsstruktur einer Gemeinde letztlich der Bundeswehr allein zugeschrieben werden können. Die sozialen und ökonomischen Verhältnisse waren zwischen 1955 und 1975 einem so tiefgreifenden Wandel unterworfen, dass die Wirkungen eines einzelnen Faktors nur schwer gewichtet werden können. Eine bayernweite Untersuchung von 1978, die danach fragte, wie solche Prozesse gesteuert werden könnten, folgerte daher nur sehr allgemein, dass mit »den durch eine Garnison im Bereich der Bundeswehr geschaffenen Arbeitsplätzen [...], in Abhängigkeit vom Umfang der Erwerbsbevölkerung in der Garnisonsgemeinde, durchaus eine Änderung der lokalen Beschäftigungsstruktur verbunden sein« kann117. Zur Begründung 113
Vgl. Roser, Geographische Aspekte, S. 103 f. Vgl. Grundmann, Regionale Konversion, S. 31. 115 Vgl. Weigold, Problemorientierte Raumanalyse, S. 17. 116 Vgl. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 62. π? Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 65. 114
402
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
verwies der Autor auf die relativ große Zahl von Garnisonen in kleinen Gemeinden. Nicht zu Unrecht kann demnach davon ausgegangen werden, dass Bundeswehrstandorte gerade im strukturschwachen ländlichen Raum einen wichtigen arbeitsmarktpolitischen Faktor darstellten. Die Verhältnisse am oberbayerischen Standort Mittenwald im Jahre 1975 bestätigen diesen Befund, wobei die 450 Beschäftigten der dortigen Standortverwaltung einem Anteil von 11 Prozent an der zivilen Erwerbsbevölkerung (insgesamt 3900) entsprachen. Damit war diese Dienstelle zwar der wichtigste Arbeitgeber, ohne jedoch eine dominierende Stellung am lokalen Arbeitsmarkt einzunehmen118. Sieht man sich nun die regionale Verteilung der Zivilbediensteten der Bundeswehr in ganz Bayern nach dem Stand vom Januar 1977 an, so konzentrierten sie sich aber gerade nicht in den strukturschwachen ländlichen Gebieten Nordund Ostbayerns, sondern - entsprechend der Konzentration der Soldaten119 besonders im Verdichtungsraum um München. Um die Bedeutung der von der Bundeswehr geschaffenen Arbeitsplätze für die Beschäftigungsstruktur und den regionalen Arbeitsmarkt adäquat erfassen zu können, ist es notwendig, sowohl die allgemeine wirtschaftliche Lage als auch ganz besonders die spezielle Situation des jeweiligen Standorts mit zu berücksichtigen. Während sich in Zeiten der Hochkonjunktur die Bindung von Arbeitskräften an die Bundeswehr wachstumshemmend auswirken mochte, konnte dies andererseits in Zeiten der Rezession durch die Krisenfestigkeit solcher Arbeitsplätze das Ausmaß der Arbeitslosigkeit reduzieren helfen120. Dennoch fehlte es nicht an kritischen Stimmen, die, bedingt durch das auch statistisch nachzuweisende undifferenzierte Angebot an Arbeitskräften für mäßig qualifizierte Kräfte, von der Gefahr einer Monostrukturierung sehr bundeswehrorientierter Kommunen sprachen. Um zu einer abgerundeten Relevanzanalyse zu kommen, muss man auch die mit einer Bundeswehransiedlung einhergehenden, durchaus negativen beschäftigungspolitischen Wirkungen berücksichtigen. Auf den Rückgang selbstständiger Handwerksbetriebe in Garnisonsgemeinden wurde bereits hingewiesen. Die Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt wichen in Teilen sehr deutlich von den ursprünglichen Erwartungen ab. Demnach hatten sich die erhofften Beschäftigungseffekte für die Standortgemeinden im Wesentlichen auf die Gründungsphase der Garnison beschränkt. Der Grund dafür lag hauptsächlich in der durch die Stärke und Ausrüstungsnachweisungen der Truppenteile bestimmten, relativ statischen Beschäftigtenzahlen. Somit eröffneten sich keine Spielräume für eine aktive regionale Beschäftigungspolitik, wie sie etwa durch die Industrieansiedlungen möglich geworden war. Die Zahlen sprechen hier eine deutliche Sprache! Allein durch die 290 Betriebe, die man zwischen 1957 und 1966 in der Oberpfalz angesiedelt hatte, wurden 21 455 neue Arbeitsplätze geschaffen121, was allein bereits etwa 65 Prozent aller zivilen Bundeswehrarbeits-
118 119 120 121
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Maneval/Neubauer/Nohr, Wirkungen eines militärischen Standortes, S. 91. Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 122-125. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 56 f. Strunz, Ausgewählte Schwerpunkte der landesplanerischen Tätigkeit, S. 153.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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plätze in Bayern entsprach. Auch wenn die Garnison den ersten, vielleicht auch entscheidenden Entwicklungsimpuls beispielsweise für Roding gegeben hat, so bezeichnete man im dortigen Landratsamt 1968 nicht dies, sondern die Ansiedlung eines Zweigwerks der Firma Vaillant, die Gasdurchlauferhitzer produzierte, als »die wichtigste Erschließungsmaßnahme des Landkreises«122. Ohne dass die übrigen Wirkungen von Bundeswehransiedlungen bereits im Detail dargelegt worden sind, neigten Wirtschaftsgeografen jedoch dazu, in der Beschäftigung örtlich angeworbener Arbeitskräfte den wichtigsten Effekt von Garnisonsneugründungen zu sehen123.
3. Der Wirtschaftseffekt Wesentliches Motiv für die Anstrengungen der meisten Gemeinden in den fünfziger Jahren, eine Bundeswehrgarnison zugesprochen zu bekommen, war die Hoffnung auf eine Besserung der misslichen ökonomischen Verhältnisse. Die interessierten Gemeinden wurden darin nicht nur von den meisten Landesregierungen unterstützt, die diese Erwartungen teilten und ebenfalls fest mit positiven Effekten rechneten. So prognostizierte etwa der bayerische Wirtschaftsminister Otto Schedl in seiner Ansprache zur Eröffnung des Sommersemesters 1959 vor der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie München, dass das Grenzland durch die Investitionen der Bundeswehr für militärische Baumaßnahmen eine weitere wirtschaftliche Kräftigung zu erwarten habe. Nach Fertigstellung der Bauten werde die militärische Belegung »zu einer spürbaren Hebung der Kaufkraft in den schwach entwickelten Gebieten beitragen«124. Hoffnungen und Absichtserklärungen gab es zwar viele, doch wie sah die Realität aus? Verteidigungsminister von Hassel nannte 1964 zum Beispiel eine Besoldungssumme von 3,3 Mrd. DM, die zum »allergrößten Teil in den Garnisonen ausgegeben wird«125. Für den Zeitraum von 1960 bis 1963 habe man errechnet, dass das örtliche Handwerk bundesweit mit einem Gesamtbetrag von 2,2 Mrd. DM (anteilig 46 Prozent des Gesamtumsatzes) an den festen Kosten - zum Beispiel für die Kasernenbewirtschaftung - der Bundeswehr beteiligt gewesen sei. Bei einem Bataillon mit 1000 Soldaten flössen dem lokalen, respektive regionalen Gewerbe jährlich rund 800 000 DM an Verpflegungsgeld und 125 000 DM für die Instandsetzung von Uniformen und Schuhen sowie für Reinigungsarbeiten zu. Die Ausgaben für Kasernenbewirtschaftung (Heizung, Strom, Gas, Wasser, Müllabfuhr) lägen im Durchschnitt bei 575 DM pro Mann und Jahr. 122 123 124 125
Zit. nach Balcar, Die Kosten der Erschließung, S. 264. Vgl. Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 317. BayHStA, Nachlass Schedl, I; Ministereden, 1. Serie, Bd 20, 13.4.1959. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 197.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Wie wenig abgesichert und somit wenig aussagekräftig solche Zahlen aber sind, zeigt eine nur wenige Jahre später von einem Beamten der Bundeswehrverwaltung publizierte Studie. Danach schlug eine 1000 Mann starke Garnison nun jährlich mit insgesamt 3 Mio. DM für die Liegenschaftsbewirtschaftung zu Buche. Das Auftragsvolumen für Reparatur der Bekleidung sowie Verpflegungsbeschaffung stimmte dagegen mit den Zahlen aus dem Jahr 1964 überein. Von den pro Jahr etwa gezahlten 10 Mio. DM an Gehältern und Löhnen sei der Löwenanteil am Standort ausgegeben worden. Der Autor wies jedoch darauf hin, dass es schwierig sei zu bewerten, wie sich die Stationierung der Truppen auf die Finanzkraft und den Haushalt einer Standortgemeinde ausgewirkt habe126. Es liegt auf der Hand, dass die Bundeswehr in ihrer öffentlichen Kommunikation sehr viel Wert darauf legte, als positiver Wirtschaftsfaktor wahrgenommen zu werden - gerade auf der Mikroebene. Mitte der sechziger Jahre verbreitete die Deutsche Presse Agentur die Meldung, dass ein Bataillon von 1000 Soldaten jährlich rund 800 000 DM an Verpflegung ausgebe, »die zu 10 Prozent vom Einzelhandel und den landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben, zu 30 Prozent von der Industrie und zu 50 Prozent vom örtlichen Großhandel einkassiert werden«127. Lediglich zu 10 Prozent würden Waren aus dem übrigen Bundesgebiet bezogen. Sicher, die Soldaten brachten »Geld unter die Leute«. Aber schlug sich dies im Lichte empirischer Erhebungen tatsächlich überwiegend dort nieder, wo man es erhofft hatte? Lohnte es sich im Hinblick auf die marktwirtschaftlichen Eigengesetzlichkeiten in der Bundesrepublik tatsächlich, Garnison zu sein? Gehälter und Aufträge - militärische Beschaffung - der Streitkräfte für das örtliche und regionale Gewerbe sind zwei wichtige Kriterien, mit denen sich die ökonomischen Wirkungen einer Garnison messen und bewerten lassen. Als dritte strukturwirksame Kategorie müssen auch noch die Aufwendungen für den Kasernenbau selbst sowie die Kosten für den ständigen Bauunterhalt in den Blick genommen werden. Empirisches Datenmaterial liegt - mit teilweise bis in die fünfziger Jahre zurückreichenden Angaben - für die Zeitspanne von 1970 und 1980 sowohl für Bayern als Ganzes als auch für einzelne bayerische Standorte wie Mittenwald, Roding und Bayreuth vor. Darüber hinaus finden sich vereinzelt Befunde zu baden-württembergischen, hessischen und niedersächsischen Garnisonsgemeinden, womit eine bundesweit vergleichende Relevanzund Wirkungsanalyse ermöglicht wird.
a) Personal und Einkommen Mit der Stationierung von Truppen veränderte sich nicht nur die Sozialstruktur der Gemeinden. Die Anzahl der Soldaten wirkte sich auch mittelbar auf deren Haushalt und unmittelbar auf deren Wirtschaftsgefüge aus. Bevor die ökonomischen Effekte untersucht werden, die sich auf das Einkommen der Soldaten 126 Vgl. Meyer-Truelsen, Bundeswehr und Gemeinden, S. 74. 127
Ehrlicher, Soldaten bringen Geld.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
405
zurückführen lassen, seien einige allgemeine Bemerkungen über den Zusammenhang von Truppenstärke und Gemeindebudget vorweggeschickt. Kraft Verfassungsauftrag sind die Länder verpflichtet, den Städten und Gemeinden über den kommunalen Finanzausgleich einen Anteil am Aufkommen der Gemeinschaftssteuern zukommen zu lassen. Durch diese Schlüsselzuweisungen sollen insbesondere strukturschwache Gemeinden in der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gestärkt werden. Die Höhe richtet sich dabei auch nach der Anzahl der Soldaten sowie ihrer Angehörigen. Dabei wurden die meldepflichtigen Zeit- und Berufssoldaten mit ihren Familien wie sonstige Einwohner mit dem entsprechenden Kopfbetrag bedacht, die Wehrpflichtigen dagegen, die nicht in der Standortgemeinde gemeldet sein mussten und dort auch selten länger als 12 bis 18 Monate lebten, mit einem ungleich geringeren Betrag128. Je größer also die Einwohnerzahl, desto höher fielen die Schlüsselzuweisungen aus. Dass die Standortgemeinden einen größeren Teil an Steuergeldern erhielten, war jedoch nur eine erfreuliche Wirkung, die der Aufbau einer Garnison mit sich brachte. Dazu kam, dass die Soldaten und zivilen Beschäftigten zumindest einen Teil ihres Einkommens direkt am Standort oder in dessen nächster Umgebung ausgaben und so zu einer Belebung der Wirtschaft beitrugen. Um diesen Zusammenhang analysieren zu können, muss zunächst einmal das den Angehörigen der Bundeswehr zur Verfügung stehende Einkommen quantifiziert werden. Auf der Basis der versteuerten Gehälter oder Löhne ergaben sich 1978 die folgenden Durchschnittssummen, die Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr im Wehrbereich VI als jährliches Einkommen zur Verfügung standen129: Tabelle 52: Verfügbares Jahreseinkommen von Bundeswehrangehörigen 1978 im Wehrbereich VI Status Offizier Unteroffizier Mannschaft (Soldat auf Zeit) Wehrpflichtiger Beamter Angestellter Arbeiter
Verfügbares Jahreseinkommen in DM (pro Person) 31 20 15 3 29 19 17
910 734 380 560 022 307 914
Demnach lässt sich für die 130 000 Bundeswehrangehörigen in den 65 bayerischen Garnisonen ein verfügbares Jahreseinkommen von knapp 1,9 Mrd. DM errechnen130. Pro Standort betrug dieses im Durchschnitt etwas über 29 Mio. DM, wobei die Zahlen teilweise erheblich differierten. Während in die Stadt München mit 128 129 130
Kohler, Bundeswehrgarnisonen, S. 692 f. Nachfolgende Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 98. Vgl. ebd., S. 99.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
ihren 14 702 Bundeswehrbeschäftigten - darunter überproportional viele und besser verdienende Offiziere und Beamte - allein 14,1 Prozent (267,2 Mio. DM) aller Löhne und Gehälter flössen, blieben für das oberfränkische Naila (542 Soldaten und Zivilbedienstete) bei einem Anteil von 0,4 Prozent nur 7,8 Mio. DM übrig. In den Heeresgarnisonen der strukturschwachen nord- und ostbayerischen Region sah das verfügbare Jahreseinkommen 1978 wie folgt aus131: Tabelle 53: Verfügbares Jahreseinkommen von Bundeswehrangehörigen in nord- und ostbayerischen Heeresgarnisonen 1978 Standort Bogen Regen Freyung Pfreimd Oberviechtach Neunburg vorm Wald Cham Roding Ebern Mellrichstadt
Gesamtpersonal 1577 1028 948 981 1175 1208 1191 1271 1571 1199
Verfügbares Jahreseinkommen in DM 19 990 11 661 10 868 11 865 13 379 13 239 14 964 15 285 19 044 12 177
660 235 392 657 569 805 857 745 971 235
Für die Standortgemeinden war jedoch weniger die Höhe des verfügbaren Jahreseinkommens entscheidend, sondern wieviel davon am Ort ausgegeben wurde. Hier spielte die Gewerbestruktur eine wichtige Rolle. Je besser das Konsumgüterund Dienstleistungsangebot bestellt und je differenzierter das Warenangebot war, desto mehr würden die Soldaten und ihre Familienangehörigen in der Garnison ausgeben - jedenfalls kann man dies so vermuten. Ohne genaue Wertangaben stellte man 1966 für einige Standorte im Bayerischen Wald durch Befragung der Soldaten summarisch fest, dass 49 Prozent den größten Teil ihres Geldes in der Standortgemeinde ausgaben, 7 Prozent ihre Konsumgüter im Landkreis erwarben, immerhin 44 Prozent aber außerhalb. Etwas anders sah es da knapp zehn Jahre später in Mittenwald aus. Lediglich 38 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten sollen ihr verfügbares Einkommen in ortsansässige Geschäfte getragen haben. Dafür lag der Wehrpflichtigenanteil mit 48 Prozent höher als in Ostbayern132. Wie man darauf kommen konnte, dass im Schnitt knapp die Hälfte des Einkommens im Standort ausgegeben wurde, darauf versuchte man in drei baden-württembergischen Garnisonsgemeinden eine Antwort zu finden. Mitte der siebziger Jahre wurden in Großengstingen monatlich 2,4 Mio. DM, in Pfullendorf 2,0 Mio. DM und in Külsheim 1,8 Mio. DM an Löhnen und Gehältern ausbezahlt. Auf diese harten Zahlen wurde nach »raumordnerischen Erfahrungswerten [...] eine allge131 132
Nachfolgende Daten nach ebd., S. 162. Vgl. Maneval/Neubauer/Nohr, Wirkungen eines militärischen Standorts, S. 86-91.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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meine Verwendungsquote von 48 Prozent angesetzt«133. Bedeutete diese nun tatsächlich, dass knapp die Hälfte des Einkommens am Standort ausgegeben wurde? Zweifel sind hier deshalb angebracht, weil schon Mitte der sechziger Jahre selbst in Bundeswehrpublikationen darüber geklagt wurde, dass sich die Kaufkraft der Soldaten nur teilweise positiv auf den örtlichen Handel ausgewirkt habe, das Geld eher an der Gemeinde vorbeiströme. Obwohl mit der Bundeswehr einige Einzelhandelsgeschäfte hinzugekommen seien, würde ein Großteil der Kaufkraft in nahegelegene größere Städte mit attraktiverem Angebot abfließen134. Da amtliche Angaben darüber fehlen, wie die Soldaten und Zivilbediensteten ihr Geld in den Standorten verwendeten135, muss man mit einer differenzierten, auf einer Fragebogenaktion beruhenden Untersuchung über Roding vorlieb nehmen, wo 1978 ein verfügbares Jahreseinkommen (theoretisches Konsumvolumen) von 15 Mio. DM vorhanden war. Bezogen auf einzelne Konsumarten ergab sich folgendes Bild136: Tabelle 54: Ausgaben der Bundeswehrangehörigen im Standort Roding nach Konsumarten 1978 Sektor Handwerk Kfz-Gewerbe Friseur Sonstiges Handel Nahrungs- und Genussmittel Kraftstoff Kfz-Gewerbe Hausrat Möbel/Einrichtung Bekleidung Sonstiges Gastronomie Übrige Bereiche Summe
Wehrpflichtige in DM 263 736
Zeit- und Berufssoldaten in DM
Zivilbedienstete in DM
404 649 260 943
108 772 33 570 12 672 462 461 274 748
41 955 30 906 100 385 502 058 97 189
133 326 38190 1985 4 293
146 579 48 623 161 171 51 631
224 131 27 955 61 166 137 162
429 185 66 744 1 603 051
289 712
66 855
1 589 939
1 289 762
Dieser Statistik zufolge verblieben von den insgesamt verfügbaren 15 Mio. DM knapp 30 Prozent (rund 4,5 Mio. DM) in der Gemeinde Roding. Um nun aber die Relevanz für die lokale Wirtschaft bewerten zu können, bietet sich ein Vergleich mit der Umsatzsteuerstatistik des Handels an. Hier lag der Anteil der 133
Kohler, Bundeswehrgarnisonen, S. 692. Vgl. Weiß/Haasler, Kleine Gemeinde - Viele Soldaten, S. 875. 135 Vgl. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 90. 136 Nachfolgende Daten nach Maneval/Neubauer, Wirkungen einer Garnison, S. 197-200. 134
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Konsumausgaben des Militärpersonals jedoch bei nur 6,2 Prozent, wobei auf den Bereich Nahrungs- und Genussmittel 24,0 Prozent entfielen. Als Fazit kann daher festgestellt werden, dass die Angehörigen der Garnison zwar einen relativ großen Teil ihres Einkommens in Roding ließen. Dieser Faktor war gewiss bedeutsam, spielte jedoch keine überragende Rolle. Dies mochte in den fünfziger und sechziger Jahren vielleicht noch anders gewesen sein, allein liegen für jenen Zeitraum keine Daten vor. Die summarischen Hinweise aus dieser Zeit lassen allerdings befürchten, dass die Verhältnisse nicht grundlegend anders waren. So müssten etwa die mit der gestiegenen Mobilität zu vermutende potenzielle Ausweitung des Bezugsumfeldes, aber auch die strukturellen Veränderungen vor allem im Handel mit in die Wirkungsanalyse der Konsumausgaben einbezogen werden. Inwieweit sich eine mit der Garnison einhergehende Erhöhung der Wohnbevölkerung auf den Konzentrationsprozess im Einzelhandel von Roding ausgewirkt haben mag - zwischen 1961 und 1970 sank die Zahl der Geschäfte von 216 auf 172 (bezogen auf Stadt und Landkreis) - muss hier offenbleiben. Auch ist davon auszugehen, dass Umfang und Qualität des lokalen Konsumgüterangebots eine gewisse Rolle bei der Nachfrage gespielt haben. Tatsächlich wurde in Roding 1978 die zivile Kleidung in großem Maße außerhalb gekauft. Somit kann die allgemeine Vermutung jedenfalls tendenziell nicht bestätigt werden, dass das Konsumverhalten der Bundeswehrangehörigen von den Konsumgüteranbietern oder den Dienstleistungsunternehmen als Anreizeffekt etwa zur gezielten Verbreiterung ihres Warenangebots genutzt wurde, um Umsatz und Gewinn zu steigern137.
b) Nachfrage Neben den individuellen Ausgaben der Militärangehörigen stellten die Dienststellen der Bundeswehr selbst ein strukturwirksames Element im regionalen und lokalen Wirtschaftsgefüge dar. Zwar wurde der Material- und Dienstleistungsbedarf meist zentral durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung und das Verteidigungsministerium gedeckt138. Ein Teil fiel jedoch unter dem Begriff »Dezentrale Beschaffung« den Wehrbereichsverwaltungen, den Standortverwaltungen und auch den Truppenteilen selbst zu. Die Summe, die Vgl. Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 246. 138 N a c h einer Aufstellung des Amts für Wehrtechnik und Beschaffung waren in den ersten drei Jahren nach Aufstellungsbeginn zwischen Oktober 1955 und Mai 1958 insgesamt 2210 Aufträge im Wert von 734,9 Mio. DM an die bayerische Wirtschaft vergeben worden. Dies entsprach 18 Prozent des gesamten inländischen Auftragsvolumens in Höhe von knapp 4 Mrd. DM. Immerhin lag die pro Kopf-Quote der bayerischen Bevölkerung mit 79,95 DM noch etwas über dem Bundesdurchschnitt (74,1 DM), aber weit vor der Baden-Württembergs (55,5 DM), Nordrhein-Westfalens (48,1 DM) und Hessens (58,9 DM). ACSP, CSU-Landesgruppe, 3. Wahlperiode, Nr. 159, Amt für Wehrtechnik und Beschaffung an die Vertretung der Bayerischen Wirtschaft in Bonn, 22.9.1958. Zu den regionalen und lokalen Auswirkungen zentraler Bundeswehrbeschaffungen, die dem Rüstungssektor zuzurechnenen sind und daher nicht im Blickfeld vorliegender Untersuchung stehen. Vgl. Maneval/Neubauer/Jakobs-Wolfering, Wirkungen von Rüstungsausgaben. 137
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im Verteidigungsetat für dezentrale Beschaffungsmaßnahmen eingestellt war, war zwar relativ gering - 1975 lag der Anteil bei 4,3 Prozent (absolut 1,3 Mrd. DM), während die zentrale Beschaffung mit 28,3 Prozent (absolut 8,8 Mrd. DM) zu Buche schlug - , sie mochte sich jedoch unter Umständen direkt auf die Standorte und ihren Einzugsbereich auswirken. Volumen und regionale Verteilung dezentraler Ausgabenströme differierten stellenweise erheblich. Von den 1975 im Wehrbereich VI für 179 Mio. DM veranlassten Beschaffungen entfielen 10,6 Prozent (19 Mio. DM) auf die Wehrbereichsverwaltung, 23,5 Prozent (42,1 Mio. DM) auf die Truppenteile und 65,8 Prozent (117,9 Mio. DM) auf die 42 bayerischen Standortverwaltungen. Während die Wehrbereichsverwaltung VI ihren Bedarf nur zu 22 Prozent in Bayern selbst deckte, lag diese Quote bei den Standortverwaltungen bei 85 Prozent139. Erfreulich für die bayerische Wirtschaft war sicherlich die Tatsache, dass das dezentrale Beschaffungsvolumen von Standortverwaltungen und Truppenteilen kontinuierlich von nominal 93,5 Mio. DM 1970 auf 132,7 Mio. DM 1977 wuchs. Inflationsbereinigt dürfte der Zuwachs zwar erheblich niedriger ausfallen, aber vor allem aufgrund der Regelmäßigkeit der Nachfragen ist von einer belebenden Wirkung für die Wirtschaft auszugehen. Wichtig neben Umfang und regionaler Streuung ist auch die Frage, welche Sektoren der Wirtschaft das Geld erreichte. Nach einer Statistik von 1977 kauften die bayerischen Standortverwaltungen Lebensmittel für knapp 90 Mio. DM - das waren nahezu 72 Prozent aller Ausgaben; weitere 22 Mio. DM (18 Prozent) wurden für übrige Waren und Dienstleistungen verwendet 140 . Wie wirkten sich die Aktivitäten der lokalen Beschaffungsstellen nun auf die Nachfrage im strukturschwachen Ostbayern aus? Ein Blick auf die Situation in Roding kann helfen, diese Frage exemplarisch zu beantworten. Als dezentrale Beschaffungsstellen fungierten hier die Standortverwaltung Cham mit ihrer Außenstelle Roding, das Finanzbauamt Regensburg, die Truppenverwaltung und die Kantine. 1978 gaben sie folgende Summen aus141: Standortverwaltung Cham Finanzbauamt Regensburg Truppenverwaltung Kantine
1 245 000 1 745 000 274 400 645 600
DM DM DM DM
Von den insgesamt 3,4 Mio. DM (ohne Kantine) verblieben lediglich 18,8 Prozent in der Garnisonstadt selbst. Nimmt man den Landkreis Cham hinzu, dem die Stadt Roding nach der Gebietsreform von 1972 zugeschlagen worden war, so erhöhte sich der regionalökonomisch wirksame Anteil immerhin auf 53,8 Prozent. Der Rest ging zu 15,3 Prozent in die nächstgelegene, ca. 45 km 139
Vgl. Maneval/Neubauer/Nohr, Wirkungen eines militärischen Standortes, S. 87; vgl. auch Röhken, Die Standortverwaltung, S. 45-50. 140 Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 153 f. 141 Nachfolgende Daten nach Maneval/Neubauer, Wirkungen einer Garnison, S. 179.
410
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
entfernte Großstadt Regensburg, zu 25,8 Prozent in das übrige Bayern und zu 5,1 Prozent in andere Bundesländer. Ein erstaunliches Ergebnis zeigte sich allerdings bei der Verpflegungsbeschaffung142: Tabelle 55: Regionale Verteilung der Verpflegungsbeschaffung für den Standort Roding 1978 Beschaffungsstelle StandortVerwaltung Kantine
Roding
Landkreis Cham
Regensburg
übriges Bayern
andere Bundesländer
9,1 %
12,9 %
14,2 %
53,8 %
11,3 %
55,4 %
16,9 %
0,3 %
20,3 %
7,1 %
Augenscheinlich kaufte die Kantine bevorzugt am Ort und bei Betrieben in der näheren Umgebung, während die Lieferanten der wesentlich finanzkräftigeren Standortverwaltung oft weiter entfernt waren, obwohl es sich um Waren des täglichen Bedarfs handelte und demnach eine ortsnahe Beschaffung durchaus hätte in Frage kommen können. Man vermutete, dass die »periodisch vorzunehmenden Ausschreibungen, genau festgelegte Lieferzeiten, anspruchsvolle Hygienevorschriften und bürokratische Zahlungsmodi« das mittelständische Handwerk am Ort abschreckten und sich Kleinunternehmer mit der Belieferung der umfangreichen Auftragsposten überfordert sahen. Außerdem wurden heimische Anbieter für weniger risikobereit gehalten, denn ein Vertrag mit der Standortverwaltung konnte durchaus eine Art Abhängigkeitsverhältnis begründen, weil entweder neue Kapazitäten hätten geschaffen oder alte Kunden abgewiesen werden müssen. In Anbetracht der kurzen Laufzeit solcher Lieferverträge befürchteten manche Kleinunternehmer, »nach einem Jahr nicht mehr zum Zuge zu kommen und dann beträchtliche Leerkapazitäten in Kauf zu nehmen«143. Dass die Situation in Roding während der siebziger Jahre durchaus symptomatisch für kleine Garnisonsgemeinden war, zeigen die Verhältnisse in manchen Truppenübungsplatzgemeinden am Ende der sechziger Jahre und in Mittenwald aus dem Jahr 1975. Auch in Hammelburg waren ortsansässige Betriebe um 1970 offenbar wegen ihrer wenig rationellen Arbeits- und Betriebsweise nicht konkurrenzfähig, so dass ein 60 km entfernter Betrieb die Lebensmittel trotz höherer Transportkosten preisgünstiger liefern konnte. Vielleicht spielte hier aber auch das Verhalten der militärischen Beschaffungsstelle eine Rolle. Wenn es zutraf, dass zur Verhinderung einer monostrukturellen Entwicklung Militärlieferungen nicht mehr als 30 Prozent am Gesamtumsatz eines Betriebes ausmachen durften und bei gleichen Angeboten gerne ein neuer Lieferant genommen wurde, dann mag dies eine Kapazitätsausweitung durchaus behindert haben. Nicht ganz von der Hand gewiesen werden konnte auch eine gering 142 143
Nachfolgende Daten nach ebd., S. 180. Ebd.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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ausgeprägte unternehmerische Risikobereitschaft. Jedenfalls machte man die unter den Gewerbetreibenden von Baumholder scheinbar herrschende »kleinbürgerliche Mentalität« dafür verantwortlich, dass nur ein auswärtiger Unternehmer mit dem Neubau einer Großbäckerei im Jahre 1962 auf diesem Sektor städtischen Gewerbes den Durchbruch geschafft hatte. Um 1970 beschäftigte die Unternehmung 26 Mitarbeiter und belieferte sowohl die U.S. Army als auch die Bundeswehr mit Brötchen144. Wie in Roding kamen auch in Mittenwald vom Verpflegungsbudget der Standortverwaltung nur 0,3 Prozent örtlichen Betrieben sowie weitere 9,7 Prozent solchen aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen zugute. Während das Weizenkleingebäck überwiegend aus dem Landkreis kam, reichte der Lieferantenkreis für Teigwaren 180 km weit nach Schwaben, für Brot bis in das 160 km entfernte Landshut; Marmelade wurde aus München 100 km weit herantransportiert. Ähnlich wie in Roding waren die ortsansässigen Produzenten von ihrer Kapazität her auch hier nicht in der Lage, zugleich die Bedürfnisse des Fremdenverkehrsgewerbes und der Bundeswehrdienststellen zu befriedigen. In der Vor- und Nachsaison gab es zwar ungenutzte Kapazitäten, da die Standortverwaltung aber an längerfristigen Verträgen interessiert war, kamen die Handwerker und Einzelhändler Mittenwalds lieber mit den Fremdenverkehrsbetrieben ins Geschäft145. Vergleicht man die Ergebnisse von Roding und Mittenwald mit der Situation in der Großstadt Bayreuth, wo 1980 knapp 30 Prozent der Lebensmittel in der Stadt und im Landkreis sowie 60 Prozent im Regierungsbezirk Oberfranken beschafft wurden 146 , so bestätigt sich der schon bei den Konsumausgaben erhobene Befund, dass wirtschaftlich starke Regionen erheblich mehr von der Bundeswehr profitierten als Gebiete mit mehr oder weniger großen Strukturproblemen. Nur dann, wenn kurzfristige Lieferfristen erforderlich wurden, dann waren ortsansässige Geschäfte oft unschlagbar. Das galt aber fast nur für die Anrainergemeinden von Truppenübungsplätzen und auch nur, wenn der unter amerikanischer Verwaltung stehende Übungsplatz Grafenwöhr beispielsweise kurzfristig für eine Übung der Bundeswehr freigegeben wurde. Dann blieben 75 Prozent der von der deutschen Standortverwaltung für Milch, Getränke, Fleisch, Wurst und sonstige Lebensmittel ausgebenen 2 Mio. DM in der Gemeinde Grafenwöhr. Weitere 20 Prozent wurden in der näheren Umgebung beschafft. Das kurzfristige und unregelmäßige Abrufen der Waren bedeutete allerdings, dass die Bundeswehr in diesem speziellen Fall einen etwas höheren Preis bezahlen musste, als üblicherweise bei Großabnehmern 147 . Unter Zuhilfenahme der Datenbasis von Mittenwald lassen sich auch gewisse Veränderungstrends bei den zwischen 1959 und 1975 beschafften Gütern nachvollziehen. So genannte allgemeine Beschaffungsgüter, also Verbrauchsartikel wie Büromaterial und Reinigungsmittel, wurden Anfang der sechziger 144 145 146 147
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Roser, Geographische Aspekte, S. 91. Maneval/Neubauer/Nohr, Wirkungen eines militärischen Standorts, S. 87 f. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 76. Roser, Geographische Aspekte, S. 90.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Jahre noch sehr stark aus Mittenwald bezogen. 1959/60 wurden für die Warengruppe etwa 78 000 DM vor Ort und 18 000 DM in München ausgegeben. Danach nahm das Volumen stetig ab. 1975 rangierte Mittenwald mit 10 000 DM am Ende der Skala, während 32 000 DM nach München, 30 000 DM in das übrige Bayern, 25 000 DM in den Landkreis Garmisch-Partenkirchen und immerhin 20 000 DM in andere Bundesländer flössen. Diese Trendwende ist in erster Linie vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Standortverwaltungen Anfang der sechziger Jahre noch nicht in der Lage waren, den Markt vollständig zu überblicken und entsprechend zu handeln. Vielleicht standen sie auch noch nicht so sehr unter Druck, das preisgünstigste Angebot zu ermitteln, wie Wirtschaftsgeografen meinen148. Eventuell hielten sich die Beamten der Standortverwaltungen aber auch weitgehend punktgenau an jenen Erlass des Verteidigungsministeriums vom 14. Juli 1956, wonach die Beschaffungsstellen der Bundeswehrverwaltung verpflichtet waren, »eine angemessene Beteiligung kleiner und mittlerer gewerblicher Unternehmen sicherzustellen«149. Neben den Standortverwaltungen traten die Truppenteile selbst mit ihren Truppenverwaltungen als eigenständige Beschaffer im lokalen und regionalen Wirtschaftsgefüge auf - zumeist innerhalb von Rahmenverträgen für die Wartung von technischem Gerät wie handelsüblichen PKW oder durch Handkäufe für Büromaterialien. Das Ausgabenvolumen, das auch von der Spezifikation der Truppe abhängig war - besonders ausgabenintensiv zeigten sich die Verbände der Instandsetzung - , war jedoch relativ gering und lag bezogen auf den Wehrbereich VI im Jahre 1977 mit insgesamt 29 164 300 Mio. DM bei nur 21,9 Prozent des Beschaffungsvolumens sämtlicher Standortverwaltungen150. Fasst man die Ausgaben von Standortverwaltungen und Truppenteilen zusammen, so vermitteln die relativ geringen Summen allerdings den Eindruck, dass die lokale und regionale Wirtschaft zu einem wesentlichen Teil nicht von diesen Aufträgen abhängig gewesen ist. Baumaßnahmen für die Bundeswehr gehören ebenfalls zu den Faktoren, die es erlauben, die ökonomische Wirkung und Bedeutung einer Garnison zu bewerten. Diese fallen zwar zum größten Teil in den Aufgabenbereich der staatlichen Finanzbauverwaltung, aber auch die Standortverwaltungen hatten dann ein Wort mitzureden, wenn die Kasernen fertiggestellt waren. Die Finanzbauämter waren für den Kasernenneubau und alle späteren großen Baumaßnahmen zuständig, die Standortverwaltungen dagegen für den kleinen Bauunterhalt151. Da beide Posten für die regionale Wirtschaft durchaus bedeutsam waren, sollen sie im Rahmen der dezentralen Beschaffung mit behandelt werden. Auf eine Analyse der Baulandbeschaffung wird hingegen verzichtet, weil diese etwa aufgrund der Bonität der Böden sehr unterschiedlich ausfallen konnte. Zudem
Vgl. Maneval/Neubauer/Nohr, Wirkungen eines militärischen Standorts, S. 88. Doerr, Die Beteiligung mittelständischer Gewerbetreibender, S. 3. IM Vgl. Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 86. 151 Vgl. Röhken, Die Standortverwaltung, S. 50-72. 148
149
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
413
war bis 1962 ein Preisstopp in Kraft, weshalb ein Einfluss der Bundeswehrkäufe auf die Grundstückspreise nicht ermittelt werden kann152. Der Neubau einer Kaserne beanspruchte erhebliche Summen. Für den Zeitraum von 1958 bis 1961 standen pauschal etwa 17-25 Mio. DM bereit, für 1969 37 Mio. DM153. Wegen der knappen Fristen - die Kasernen in Bogen, Regen, Roding und auch anderswo wurden innerhalb von zwei Jahren errichtet - waren die wirtschaftlichen Impulse, die davon ausgingen, allerdings relativ kurz. Um einen Eindruck des vorgesehenen Bauvolumens zu vermitteln, sei exemplarisch die 1957 im Bauprogramm der Bundeswehr ausgeworfene Anzahl der Bataillonskasernen angeführt, gegliedert nach Wehrbereichen, sowie die dafür voraussichtlich auflaufenden Gesamtkosten154: Tabelle 56: Kasernenbauprogramm der Bundeswehr 1957 Wehrbereich I II III IV
V VI
Anzahl der Kasernen 16 14 20 16 10 26
Voraussichtliche Gesamtkosten in Mio. DM 273,9 189,8 322.7 258.8 156.9 448.8
Offiziellen Angaben aus dem Verteidigungsministerium zufolge waren im Haushaltsplan für 1957 2,4 Mrd. DM für Verteidigungsbauten ausgeworfen. Der Betrag verteilte sich zu 0,2 Mrd. DM auf den Wohnungsbau, zu 0,5 Mrd. DM auf zehn Flugplätze, zu 0,13 Mrd. DM auf Marineanlagen, zu 0,17 Mrd. DM auf Gebäudeinstandsetzung und zu 1,4 Mrd. DM auf den Kasemenneubau. Damit kam die letztgenannte Summe den Angaben aus dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie mit 1,65 Mrd. DM doch recht nahe. Am Bauvolumen sollten die einzelnen Bundesländer wie folgt beteiligt sein155:
152 153 154
155
Vgl. Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 83 f. Vgl. ebd., S. 169, 174. Nachfolgende Daten nach BA-MA, BW 1/30024, Nachrichtenspiegel Nr. 12/57 des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, 6.5.1957. Nachfolgende Daten nach BA-MA, BW 1/30024, BMVg, Abt. IX, Sprechzettel für eine Sitzung mit dem Bundesfinanzminister, 4.4.1957.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 57: Anteile der Bundesländer am Volumen des Kasernenbauprogramms der Bundeswehr 1957 Bundesland
Anteil am Bauvolumen in Prozent
Schleswig-Holstein Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Hessen und Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern
24 17 14 13 8 24
Deutlich sichtbar ist, wie relativ stark die beiden strukturschwachen Flächenländer im Norden und im Süden der Bundesrepublik mit insgesamt der Hälfte der Bauinvestitionsmittel bedacht worden waren. Das mochte aber durchaus auch auf verteidigungsplanerische Gründe zurückzuführen gewesen sein. In Bayern jedenfalls lag der bauliche Schwerpunkt hauptsächlich im nordbayerischen Raum sowie im Gebiet des Bayerischen Waldes. Insgesamt gab die Bundeswehr zwischen 1957 und 1969 knapp 19 Mrd. DM (nominal) für das militärische Bauwesen aus156. Einer Untersuchung über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Verteidigungsausgaben von 1967 zufolge hatten diese Summen in den Jahren, in denen viele Kasernen gebaut wurden, folgenden Anteil am Gesamtumsatz des Bauhauptgewerbes der Bundesrepublik157: Tabelle 58: Anteil der Kasernenbauten für die Bundeswehr am Umsatz des Bauhauptgewerbes der Bundesrepublik 1960-1964 Jahr 1960 1961 1962 1963 1964
Militärische Bauausgaben in Mio. DM 357 262 2162 1948 2271
Anteil am Umsatz des Bauhauptgewerbes in Prozent 1,4 0,9 6,5 5,4 5,3
Ursprünglich hatte das Verteidigungsministerium für 1962 etwa. 1,5 Mrd. DM an Bauausgaben veranschlagt, ein Ansatz der im Jahresverlauf durch Mehrausgaben von 670 Mio. DM um 45 Prozent überschritten wurde. Die vielen Militär156 Weißbuch 1970, S. 197. Angemerkt werden muss, dass die Datenlage jedoch nicht einheitlich ist. Nach einer Übersicht der für das militärische Bauwesen im Verteidigungsministerium zuständigen Unterabteilung III beliefen sich die Bauausgaben zwischen 1956 und 1970 auf knapp 15,9 Mrd.; vgl. Kleine Chronik der Unterabteilung U III, S. 22. Nach Schwalm, Militärbauten, S. 153, sollen im Zeitraum von 1956 bis 1979 insgesamt 27,942 Mrd. DM für Baumaßnahmen ausgegeben worden sein. 157
Nachfolgende Daten nach Jaeger, Wirtschaftliche Auswirkungen der Verteidigungsausgaben, S. 124-127.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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bauten wurden aber nicht überall begrüßt. Ökonomen wie Politiker befürchteten vielmehr eine Überhitzung der ohnehin sehr angespannten Bauwirtschaft - besonders im Hochbau, zumal hier auch über einen großen Arbeitskräftemangel geklagt wurde. Noch vor dem Aufrüstungsstart wies das Münchner IFO-Institut im April 1955 auf die Belastungen hin, welche die militärischen Bauvorhaben dem zivilen Wohnungsbau bringen könnten158. Und selbst das Bundesbauministerium gab im Herbst 1958 zu verstehen, dass sich die Fertigstellung der Kaserne in Cham »wegen des bekannten Mangels an Facharbeitern nicht vor dem 1.5.1959 ermöglichen lassen« werde159. Auch in Regen, wo im Sommer 1960 etwa 400 Arbeiter beschäftigt waren, klagte der Oberbauleiter sowohl über Facharbeitermangel als auch über Engpässe beim Materialnachschub. Sein Fazit: »Die allgemeine Baukonjunktur bekommen auch wir zu spüren160.« Was war darunter zu verstehen? Ein Blick auf die Entwicklung des bayerischen Bauhauptgewerbes zeigt, dass bei den Verkehrsprojekten und öffentlichen Bauten der Umsatz zwischen 1950 und 1966 um 632 Prozent (nominal; real 339 Prozent) gestiegen war. Die starke Belebung des öffentlichen Hochbaus nach 1959 hing neben dem enormen Nachholbedarf an Wohnungen sicherlich auch mit den zahlreichen militärischen Bauvorhaben zusammen161. Grundsätzlich wuchsen die jährlichen Volumen für militärische Bauten sehr schnell an und erreichten bald ein Vielfaches an dem für zivile Bauten. Ohne Ubertreibung wird man festhalten können, dass das militärische Bauprogramm für ein gutes Jahrzehnt zum Schwerpunkt der staatlichen Hochbauinstanzen zählte162. So lagen beispielsweise Ende 1959 bei den bayerischen Finanzbauämtern 15 Planungsvorhaben für Truppenunterkünfte vor, die bis zur Jahresmitte 1961 durchgeführt werden sollten163. Angesichts der boomenden Baukonjunktur gerieten die Verteidigungsbauten zu Beginn der sechziger Jahre aber immer stärker in das Fadenkreuz derjenigen, welche dadurch negative Auswirkungen auf diesen so wichtigen Sektor der Volkswirtschaft befürchteten. Verteidigungsstaatssekretär Volkmar Hopf gab sich zumindest verbal kompromissbereit, wenn er dem Bundesfinanzminister signalisierte, man werde bei der hoffentlich nur vorübergehenden Uberhitzung des Baumarktes bestrebt sein, bei der Planung und Vergabe öffentlicher Bauaufträge Zurückhaltung zu üben, um dämpfend auf Baukonjunktur und -preise zu wirken. Allein jetzt kamen die militärischen Notwendigkeiten zum Zuge, die freilich wie ein Totschlagargument wirken mussten: »Das ist jedoch leider bei den militärischen Bauvorhaben der Bundeswehr, der NATO und der Stationierungsstreitkräfte im allgemeinen kaum möglich, 158 159 160 161
162 163
Kasernen bedrohen unseren Wohnungsbau. In: Die Freiheit, 13.4.1955. BA-MA, BW 1/4493, Vermerk, 29.9.1958. Passauer Neue Presse, 23.7.1960: »Die Spuren des Kasernen-Winterbaues sind beseitigt.« Die bayerische Bauwirtschaft, S. 31. Vgl. Strobel, Vom Militärbauwesen im Königreich Bayern, S. 48 f. Vgl. Kleine Chronik der Unterabteilung U III, S. 21. BA-MA, BW 1/12317, Niederschrift einer Infrastrukturbesprechung bei der OFD Nürnberg, 4.12.1959.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
da die militärische Lage der Bundesrepublik und der NATO dringend einer raschen Besserung bedarf; dies ist jedoch nur zu erreichen, wenn in schnellstmöglichem Maße Kasernen, Führungsanlagen, Depots, Flugplätze und Anlagen für Sonderwaffen errichten werden. Solange die derzeitige Lage auf dem Baumarkt anhält und nicht durch andere Maßnahmen (eine evtl. nur sehr geringfügig nötige Reduzierung des Wohnungsbauprogramms) beruhigt werden kann, wird deshalb in Kauf genommen werden müssen, daß bei militärischen Bauvorhaben diejenigen Preise bewilligt werden, die von den übrigen großen Baubedarfsträgern nunmehr gezahlt werden164.« In der Tat scheint es am Termindruck gelegen zu haben, unter dem die Fertigstellung der für die Verteidigungsbereitschaft notwendigen Infrastruktur litt und wodurch die Baupreise in die Höhe kletterten. Das kam auch dem Bundeskanzler zu Ohren, der seinen Verteidigungsminister deshalb darum bat, die Lage überprüfen zu lassen und ihm dann zu berichten. Nun gab es tatsächlich eine Kabinettsentscheidung vom Jahresanfang 1960, wonach die für eine stabile Wirtschaftsentwicklung zweifellos erforderlichen staatlichen Dämpfungsmaßnahmen im Bereich der Verteidigung nur insoweit angewandt werden konnten, wie diese einer rechtzeitigen Herstellung der Einsatzbereitschaft oder den im Bündnis eingegangenen Verpflichtungen nicht im Wege standen. Im Ergebnis zog sich die Hardthöhe aber nicht allein auf die militärischen Notwendigkeiten zurück. Man war außerdem der Auffassung, dass die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Terminbindungen im Verteidigungsbau und ihr Einfluss auf das allgemeine Preisgefüge überschätzt würden. Mit einem Anteil von 10 Prozent am Bauvolumen der öffentlichen Hand, welcher 1960 bei etwa 30 Prozent des Gesamtbauvolumens der Bundesrepublik lag, entfielen auf den Verteidigungsbau demnach nur 3 Prozent. Ein Einfluss auf das Preisgefüge in der Gesamtbauwirtschaft war damit ausgeschlossen. So jedenfalls lautete die Meldung von Verteidigungsminister Strauß an den Bundeskanzler165. Mit 2,1 bis 3 Prozent lag die Angabe, die der Leiter der Liegenschaftsabteilung im Verteidigungsministerium 1961 vor den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses machte, noch niedriger. Damit hatte Hansgeorg Schiffers offenbar versucht, die Abgeordneten im Zuge der Beratungen über den neuen Haushalt zu beruhigen. Zwar konzedierte er eine gewisse »Anspannung der Bauwirtschaft« sowie erhebliche Preis- und Kapazitätsschwankungen, doch störende Einflüsse von Bundeswehrbauten vermochte auch er nicht zu erkennen. Vielmehr hob er hervor, dass die Bundeswehr durch den Bau von Unterkünften und Depots in den abgelegenen Landesteilen »zu einer Belebung des dort stagnierenden Marktes« beitrage166. Ganz so einfach war es jedoch offensichtlich doch nicht. Trotz des relativ geringen Anteils konnten Verteidigungsbauten nämlich schon eine negative konjunkturelle Wirkung entfalten, wenn sie in Regionen mit gering ausgeprägter 164 165 166
Ebd., BW 1/30024, StS BMVg an BMF Franz Etzel, Januar 1960 (Entwurf). Ebd., BMVg Strauß an Bundeskanzler, Januar 1961 (Verfügung). Ebd., BW 1/54946, 3. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 105. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 12.1.1961
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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eigener Baukapazität errichtet werden mussten. Im Bauministerium sorgte man sich nämlich um den Wohnungsbau, der dann Schaden nehmen konnte, wenn für den Kasernenbau zusätzlich herangezogenen Baufirmen Preise bewilligt wurden, »die den Rahmen der bisher in solchen Gebieten geforderten Baupreise völlig sprengen«167. Auch im Verteidigungsministerium glaubte man offenbar nicht ganz daran, dass von militärischen Baumaßnahmen keine Gefährdung der Konjunktur ausgehen könnte. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man im Herbst 1961 die Baumaßnahmen nach Dringlichkeit sortierte. Baumaßnahmen für die Ausbildung und die Einsatzbereitschaft der Truppe waren davon zwar unberührt, nicht jedoch die Dienst- oder Verwaltungsgebäude sowie Offizier-, Soldaten- und Erholungsheime. Solche durften nur dann begonnen oder weitergebaut werden, wenn eine besondere Dringlichkeit nachgewiesen werden konnte, beispielsweise auf Flugplätzen oder an abgelegenen Standorten. Dennoch schien die Situation im Sommer 1962 zu eskalieren. Der Finanzminister bewilligte seinem Ressortkollegen auf der Harthöhe einfach keine Mittel mehr für einmalige Baumaßnahmen - sprich für Neubauten. Erst nach einem Spitzengespräch zwischen den Staatssekretären verständigte man sich im Wesentlichen darauf, dass mit einem jährlichen Volumen von 1,5 Mrd. DM die Planungs- und Herstellungskapazität erschöpft sei. Für 1963 mussten die militärischen Bauprogramme auf ein Volumen von 1,6 Mrd. DM zusammengestrichen werden168. Gewiss bewegte sich das Verteidigungsministerium in dieser Sache zwischen Scylla und Charybdis. Um den Flaschenhals der Streitkräfteaufstellung zu weiten, musste so rasch wie möglich dort gebaut werden, wo es verteidigungsplanerisch notwendig war. Andererseits zeigte sich ganz deutlich, dass diejenigen politischen Kräfte, welche für den Bereich der zivilen Daseinsvorsorge zuständig waren, in keinem Fall dazu bereit waren, einen zu starken Drall in diese Richtung zuzulassen. Auch hier musste sich die verspätete Armee mit einer jedenfalls partiellen Nachrangigkeit im staatlichen Gefüge abfinden. Im Übrigen schlug die veröffentliche Meinung in dieselbe Kerbe, wenn sie forderte: »Mag die Verteidigungsnotwendigkeit unantastbar sein, der Etat und vor allem die Ausgaben für den Verteidigungsbau dürfen nicht tabu sein [...] Der Staatsbürger ruft nach der objektiven Unterrichtung darüber, wie es um die Verteidigungsausgaben und Preissteigerungen steht169.« Damit erklären sich aber auch die Aussagen von Verteidigungsminister von Hassel in der Öffentlichkeit, wonach die Bundeswehr keine Schuld an der Erhitzung der Baukonjunktur treffe. Offenbar war es ihm besonders wichtig, bei der Jahreskonferenz der Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise, jenem gesellschaftlichen Instrument zur
167 168
169
Ebd., BW 1/30024, StS Bauministerium an StS Bundeskanzleramt, 20.2.1961. Ebd., Abschrift aus dem Kurzprotokoll der 194. Abteilungsleiterbesprechung am 7.8.1962, 9.8.1962. Antonius John, Verteidigungsbau ist nicht tabu. In: Handelsblatt, 18.7.1963.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Propagierung der Regierungspolitik 170 , davon zu sprechen, dass man keine Kostenverteuerung akzeptiere, um die Konjunktur noch überschäumender zu machen. In scharfen Worten verwahrte er sich auch dagegen, für die Überhitzung der Baukonjunktur verantwortlich gemacht zu werden: »Aber dagegen wehre ich mich. Dass von dem Baugeschehen in Deutschland - 63 Milliarden ist das Bauvolumen dieses Jahres - der Bundeswehr, die 2,1 Bauvolumen hat, den Vorwurf macht, sie sei schuld an der Überhitzung der Baukonjunktur; nicht wir sind schuld daran, sondern alle möglichen Bauherren insgesamt. Wir bemühen uns, unseren Auftrag zur Verteidigung durchzuführen und bei 3,4 % am Gesamtbauvolumen sind nicht wir diejenigen, die die Baukonjunktur überhitzt und wir verbitten uns, wenn uns von dieser Richtung Vorwürfe gemacht werden171.« Ganz ähnlich äußerte er sich bei einem Kongress vor Kommunalpolitikern. Dort sprach er allerdings nur noch von einem Anteil von deutlich unter 5 Prozent, mit denen die Bundeswehrbauten an den gesamten Hochbauvorhaben in der Bundesrepublik zwischen 1961 und 1963 in einem für die Bauwirtschaft verträglichen Rahmen gelegen habe172. Die volkswirtschaftliche Rolle der militärischen Baumaßnahmen war eine Sache. Wie und in welchem Umfang trugen sie aber zur Belebung des stagnierenden Marktes in den entlegenen Landesteilen bei, von der vor dem Verteidigungsausschuss die Rede gewesen war? 1963 ließ die Abteilung Wehrverwaltung den Verteidigungsminister wissen, dass durchschnittlich 60 Prozent aller Bauaufträge an Handwerks- und sonstige mittelständische Betriebe des Zonenrandgebietes vergeben würden 173 . Die Intensität dieser Belebung hing von zwei Voraussetzungen ab. Einmal vom Kostenschlüssel, der bei Infrastrukturinvestitionen der Bundeswehr anfiel. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass bei den militärischen Baumaßnahmen das Verhältnis von Hoch- zu Tiefbau bei 80 : 20 lag. Beim Hochbau, typisch für Kasernenanlagen, schlüsselten sich die Kosten weiter auf in rund 13 Prozent für Programmfestlegung und Planung, 6 Prozent für die Bauleitung, 32 Prozent für den Rohbau und 49 Prozent für den Ausbau. Umgelegt auf den Nachfrageeffekt bedeutete dies, dass günstigstenfalls 50 Prozent der Gesamtkosten beim Bauhauptgewerbe des Hochbaus (vor allem Maurerarbeiten, Holzbau, Installation) hängen blieben174. Zur zweiten Voraussetzung zählt die Kapazität der Bauunternehmen vor Ort. Da in der Regel derjenige Submittent den Zuschlag erhielt, der das günstigste Angebot abgegeben hatte, waren kleinere Firmen in der Region oft nicht konkurrenzfähig. So hatte schon 1956 eine Klage den Verteidigungsausschuss erreicht, dass in Lechfeld
170
171 172 173
174
Eine der wichtigsten Aufgaben der 1951 gegründeten Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise bestand in der psychologischen Vorbereitung des deutschen Verteidigungsbeitrags. Vgl. Jahn, An Adenauers Seite. ACDP, VI-025-2/5, Nachlass Hassel, 15.9.1964. Vgl. Hassel, Gemeinde und Landesverteidigung, S. 196. BA-MA, BW 1/181185, Sprechzettel für den BMVg über die Beteiligung mittelständischer Unternehmen und von Bewerbern aus den Zonenrandgebieten bei den Beschaffungen der Bundeswehr, 4.6.1963. Vgl. Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 169.
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bei einem Bauvolumen von 20 Mio. DM Gewerbetreibende aus dem Landkreis nicht einmal zu 5 Prozent berücksichtigt worden seien. Dagegen habe man Aufträge in großem Stil bis nach Köln vergeben175. Dieses Beispiel verweist sowohl auf eine breite regionale Streuung der Aufträge - im nordrhein-westfälischen Dülmen sollen 255 Firmen am Bau einer Kaserne beteiligt gewesen sein176 - als auch auf eine Bevorzugung großer und leistungsstarker Firmen, die nicht zuletzt auf Grund ihrer Erfahrung und ihrer Logistik solche Großprojekte auch bewältigen konnten. Eine Erfahrung im Übrigen, die die Anrainergemeinden der Truppenübungsplätze schon zu Beginn der fünfziger Jahre gemacht hatten, als mit der Erhöhung der Stationierungsstreitkräfte punktuell ein wahrer Bauboom ausbrach. In Hohenfels beispielsweise erhielten Großfirmen aus Nürnberg, München und Stuttgart Aufträge im Wert von 10 Mio. DM177. So gingen von den Ausgaben für den Bau der ostbayerischen Kasernen zwischen 1957 und 1963 lediglich im Fall von Oberviechtach 12 Mio. DM an das Baugewerbe im Landkreis. In Roding, Cham, Bogen, Regen und Freyung soll es jeweils nur 1 Mio. DM gewesen sein178. Während sich in Roding die ortsansässigen Handwerker zu Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen hatten, um die Aufträge verkraften zu können179 - in der Literatur werden zwölf ortsansässige Firmen genannt, an die 2,5 Mio. DM der Gesamtbausumme gingen180 - , verhinderten bei einem vergleichbaren Kasernenprojekt in Großengstingen, BadenWürttemberg »Uneinigkeit und Engstirnigkeit innerhalb der örtlichen Handwerkerschaft« eine erfolgreiche Kooperation181. Hinzu kam, dass die Kapazität ortsansässiger Baufirmen in den kleinen bis mittleren Kommunen oftmals auf den lokalen Wohnungs- und Straßenbau ausgerichtet war. Damit waren sie, wie Erhebungen aus dem fränkischen Hammelburg belegen, so lange gut beschäftigt, bis in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ein gewisser Sättigungsgrad auf diesem Sektor eintrat. Während bis dahin allein 67 Prozent der Rohr- und Tiefbauarbeiten für den Bau der Saaleck-Kaserne von einer Würzburger Firma bestritten wurde, übernahmen seit 1967 die drei ortsansässigen Unternehmungen ein Drittel dieser Arbeiten182. Wie ausschlaggebend die regionale Gewerbestruktur dafür war, was von den Kasernenbaukosten in das Bauhauptgewerbe in die zukünftige Garnisonsgemeinde oder in deren Umgebung flössen, zeigt sich im Vergleich einiger ostbayerischen Standorte mit solchen aus Baden-Württemberg und Hessen183:
BA-MA, BW 1/54928, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 115. Sitzung des Ausschusses für Verteidigung, 10.10.1956. 176 ACDP, NL Schröder, Ansprache des BMVg bei der Übernahme der Kaserne in Dülmen, 23.6.1967. 177 Vgl. Roser, Geographische Aspekte, S. 82. 178 Kaufmann, Raumwirksamkeit militärischer Einrichtungen, S. 231. 179 Süddeutsche Zeitung, 24.2.1959: »Roding verbündet sich mit der Bundeswehr.« 180 Oster/Sander, Gesichter einer Division, S. 67. 181 Kohler, Bundeswehrgarnisonen. 182 Vgl. Roser, Geographische Aspekte, S. 85. 183 Nachfolgende Daten nach Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgamisonen, S. 174. 175
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 59: Kasernenbaukosten und Anteile am Bauhauptgewerbe in bayerischen, baden-württembergischen und hessischen Garnisonen Garnison Cham Roding Kötzting Bad Mergentheim Tauberbischofsheim Lauda Homberg Treysa
Kasernenbaukosten in Mio. DM
Geschätzter Anteil am Bauhauptgewerbe
12,8 16,0 4,1 47,7 37,6 22,6 41,8 16,9
6,4 8,0 2,0 26,5 21,1 40,1 26,1 8,4
Exakt messen lassen sich die lokalen bzw. regionalen Auswirkungen an der Verteilung der Investitionssummen für das Lager Hammelburg zwischen 1959 und 1970184: Tabelle 60: Sektorale Verteilung der Kasernenbausummen in Hammelburg 1959-1970 Sektor Roh- und Tiefbau Putz- und Malerarbeiten Schlosser- und Elektroarbeiten Schreiner- und Dachdeckerarbeiten
Summe in DM 72 627 7 152 9 073 5 945
000 000 000 000
Lediglich 14 Prozent (15 357 100 DM) der insgesamt vom Finanzbauamt Würzburg ausgegebenen 111 455 000 DM gingen in die Stadt Hammelburg und noch einmal 3,7 Prozent (4 097 400 DM) in den Landkreis. Unternehmen aus Würzburg hingegen profitierten zu etwas mehr als der Hälfte (50,1 Prozent; 55 836 900 DM) von dem Geld. Weitere 22 312 000 DM (20 Prozent) verteilten sich auf den Regierungsbezirk Unterfranken und noch einmal 14 049 700 DM gingen in die gesamte Bundesrepublik. Wenn große auswärtige Firmen den Zuschlag für die Kasernenneubauten erhielten, so bedienten sie sich doch sicherlich auch lokaler Subunternehmer und schöpften damit für die Bauzeit das Reservoir an wenig qualifizierten Arbeitskräften ab, so dass indirekt wenigstens ein Teil der Auftragssumme in die Region geflossen ist. In der Oberpfalz sollen während der etwa zweijährigen Bauzeit pro Vorhaben zwischen 150 bis 200 Arbeiter aus dem entsprechenden Landkreis eine Beschäftigung gefunden haben185. Ohne allerdings die gesamt184 Nachfolgende Daten nach Roser, Geographische Aspekte, S. 85 f. 185 Vgl. Strunz, Ausgewählte Schwerpunkte der landesplanerischen Tätigkeit, S. 149.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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wirtschaftliche Entwicklung zu berücksichtigen, führte der Landrat von Roding den Rückgang der Arbeitslosen in seinem Landkreis von 27 Prozent 1956 über 18 Prozent 1957 auf 2,5 Prozent 1959 auf den in dieser Zeit durchgeführten Kasernenneubau zurück186. Ähnliches konnten die Truppenübungsplatzgemeinden schon ein paar Jahre zuvor feststellen187. Dass sich mit den militärischen Großbaustellen aber auch die lokalen Beschäftigungsverhältnisse und das Lohnniveau in eine als negativ empfundene Richtung bewegen konnten, davon wollte jedenfalls der FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Karl Atzenroth erfahren haben. Weit weg von Roding, in Lorch am Rhein, habe eine Firma den Kasernenbauauftrag übernommen, ohne zunächst über die erforderlichen Arbeitskräfte zu verfügen. Nun würden sie diese bei ortsansässigen Betrieben abwerben, indem sie erheblich bessere Löhne anböten, als es ortsüblich der Fall sei (statt Tarif nach Ortsklasse III nach Ortsklasse I)188. Das Verteidigungsministerium konnte die Angaben zwar nicht bestätigen, weil sie offensichtlich auf falschen Informationen beruhten. Wohl aber sind sie ein Indiz dafür, welche beschäftigungspolitischen Impulse den Streitkräftebauten zugemessen wurden. Neben den Neubauten dürften in Anbetracht der Gewerbestrukturen vor allem die notwendigen und permanenten Bauunterhaltungs- und Reparaturmaßnahmen wegen ihres oftmals geringeren Umfangs für das lokale Baugewerbe interessant gewesen sein. Je älter die Liegenschaften wurden, desto stärker stiegen die Summen für den Unterhalt. Während die Bundeswehr 1956 insgesamt hierfür lediglich 2,5 Mio. DM ausgab, kletterte die allerdings von der Baupreisentwicklung abhängige Summe kontinuierlich über 42,9 Mio. DM 1961 und 239,9 Mio. DM 1971 auf 562,3 Mio. DM 1978189. Analog entwickelten sich die Ausgaben für den Bauunterhalt im Wehrbereich VI190. Tabelle 61: Bauunterhalt für Bundeswehrkasernen im Wehrbereich VI 1970-1977 Jahr 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977
Ausgaben in DM (nominal) 39 600 37 500 47 500 56 800 68 000 93 600 96 200 96 900
000 000 000 000 000 000 000 000
Ausgaben in DM (real) 61 000 52 200 62 100 69 400 75 800 99 600 94 500 96 900
000 000 000 000 000 000 000 000
Süddeutsche Zeitung, 24.2.1959: »Roding verbündet sich mit der Bundeswehr.« Vgl. Roser, Geographische Aspekte, S. 83. 188 BA-MA, BW 1/30024, MdB Karl Atzenroth an BMVg Strauß, 6.7.1962. 189 Vgl. Schwalm, Militärbauten, S. 156. 190 Nachfolgende Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 90. Der jährliche Preisbereinigungsfaktor wurde nach der jeweiligen Entwicklung des Preisindex für die 186
187
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Wie diese Mittel verwendet worden sind, zeigt wiederum das Beispiel Roding. Die 1,7 Mio. DM, die 1978 vom Finanzbauamt Regensburg für Baumaßnahmen ausgegeben wurden, machten im Übrigen den größten Posten in der Kategorie »Dezentrale Beschaffung« aus, wobei allerdings die Summen, die im Rahmen des so genannten kleinen Bauunterhalts (Kostengrenze 5000 DM) durch die Standortverwaltung aufgewendeten wurden, noch hinzugerechnet werden müssen. Die regionale Verteilung sah wie folgt aus191: Tabelle 62: Regionale Verteilung des Kasernenbauunterhalts im Standort Roding 1978 Beschaffungsstelle
Roding
Landkreis Cham
Finanzbauamt Regensburg Standortverwaltung
24.3 %
45,0 %
16.4 %
31,4 %
Regensburg
übriges Bayern
andere Bundesländer
11,3 %
19,4 %
0,1 %
51,8 %
Das Finanzbauamt Regenburg bevorzugte mit fast 70 Prozent eindeutig die Region, einschließlich des wenig mehr als 40 km entfernten Regensburg. Ähnlich lagen die Verhältnisse in der großen Garnisonstadt Bayreuth. Von über 2,7 Mio. DM, die dort 1979 für den Bauunterhalt aufgewendet werden mussten, flössen 88,6 Prozent in den Regierungsbezirk Oberfranken, nur 11,4 Prozent gingen in das übrige Bayern192. Das Beispiel Mittenwald, wo die Situation wieder anders aussah, deutet allerdings darauf hin, dass der regionalökonomische Nutzen solcher Ausgaben mit der Größe einer Baumaßnahme oder der örtlichen Firmenstruktur im Bauwesen korrespondierte. Während dort 1975 nur knapp 30 Prozent der Bauleistungssummen an lokale Firmen oder solche aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen gingen, konnte ein Münchner Unternehmen einen Großauftrag von fast 1,7 Mio. DM an sich ziehen, der mit 66 Prozent am Ausgabenvolumen der Finanzbauverwaltung zu Buche schlug193. Eine nicht ganz unwichtige Rolle bei der Auftragsvergabe im Bauunterhalt spielte aus der Sicht von Bundeswehr- oder Finanzverwaltung neben der Kapazität der lokalen Firmen sicherlich auch deren kurzfristige Erreichbarkeit. Umgekehrt dürfte es mittelständische Unternehmer selten an Arbeitsstätten gezogen haben, die über 40 bis 50 km entfernt lagen. Jedenfalls konnte für den Standort Hammelburg mit seinem großen Truppenlager festgestellt werden, dass bei Ausbesserungs- und Kleinarbeiten ortsansässige Firmen wegen ihrer Instandhaltung von Wohngebäuden berechnet. Für 1977 wurde ein Index von 154,0 zum Basisjahr 1970 unterstellt. 191 Nachfolgende Daten nach Maneval/Neubauer, Wirkungen einer Garnison, S. 180. 192 Vgl. Baer, Raumwirksamkeit staatlicher Dezentralisierungspolitik, S. 81. ι» Ygi Maneval/Neubauer/Nohr, Wirkungen eines militärischen Standortes, S. 88 f.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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Erreichbarkeit bevorzugt beschäftigt wurden. Handwerksbetriebe wie Putzer, Maler, Schlosser, Elektriker, Schreiner, Zimmerer und Dachdecker aus dem Hammelburger Gebiet konnten sich so einen festen Marktanteil sichern194. Ein ganz ähnliches Bild ergab sich bei der räumlichen Eingrenzung für die laufende Bauunterhaltung in den ostbayerischen Standorten Bogen, Cham, Freyung, Passau und Regen. Die Auftragnehmer stammten alle vom Ort oder aus dem lokalen Umfeld195. Setzt man nun den Anteil des militärischen Bauunterhalts in Beziehung zur lokalen Umsatzsteuerstatistik der entsprechenden Branchen, dann ergab sich wiederum exemplarisch für Roding 1978 ein Anteil von nur 2,5 Prozent beim Handwerk und 1,9 Prozent beim Bauhauptgewerbe196. Damit bestätigt sich auch hier das Ergebnis, dass von der Bundeswehr zwar lokal und regional spürbare Wirkungen ausgingen, denen im Verhältnis zur Umsatzentwicklung jedoch nicht der Stellenwert zukam, den viele erwartet hatten. Zudem erhärten die Ergebnisse den schon 1970 von der Unterbringungsabteilung auf der Hardthöhe erkannten makroökonomischen Befund, dass die Verteidigungsinfrastruktur für konjunktursteuemde Maßnahmen nicht geeignet sei: »Ein sichtbares Ergebnis konjunktursteuernder Maßnahmen kann nicht erzielt werden, da der prozentuale Anteil der Bundeswehrbauten am Gesamtbauvolumen der Bundesrepublik völlig unbedeutend ist und im Rj. 1969 nur 1,3 % betragen hat197.« Wie raumprägend waren nun die Ausgaben der Bundeswehr? Schließlich waren das Verteidigungsministerium und auch die meisten Staatsregierungen in ihren Dislozierungsvorstellungen und in ihrem Ringen um die beste Lage der neuen Standorte doch auch davon ausgegangen, durch die Ansiedlung von Garnisonen strukturschwache Regionen und insbesondere das Zonenrandgebiet wirtschaftlich zu stärken. Der exemplarische Befund für das Bundesland Bayern in den siebziger Jahren (1978), der durchaus eine bundesweite Relevanz beanspruchen kann, ist in gewissem Sinn ernüchternd! Wie dargelegt, standen die Faktoren Personalumfang und verfügbares Jahreseinkommen bei der Frage nach der lokalen Konsumwirkung in einem unmittelbaren Zusammenhang. Verteilt man das 1978 in Bayern stationierte Bundeswehrpersonal, ihr verfügbares Jahreseinkommen und die Anzahl der Garnisonen auf die seit 1972 im Rahmen des Landesentwicklungsprogramms eingeführten Planungsregionen, dann ergibt sich folgendes Bild198:
Vgl. Roser, Geographische Aspekte, S. 86. Vgl. Kaufmann, Raumwirksamkeit militärischer Einrichtungen, S. 237. 196 Nachfolgende Daten nach Maneval/Neubauer, Wirkungen einer Garnison, S. 200. 197 BA-MA, BW 1/32053, Beitrag des Referats U II 3 zum Weißbuch, 29.1.1970. we Nachfolgende Daten nach Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 123. 194
195
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 63: Verteilung des verfügbaren Jahreseinkommens der Bundeswehrangehörigen auf die Planungsregionen des Freistaates Bayern 1978 Region
1 2 3
Garnisonen —
Bundeswehrangehörige —
Anteil in %
Verfügbares Jahreseinkommen in tausend DM
-
2 4
3 315 8 008
2,56 6,18
3 6 2 2 5 4 4 6 3 10 3 4 4 4
3 311 7 825 5 252 1854 7 559 9 526 9 367 7 001 2 939 37148 5 658 7 937 7 307 5 558
2,56 6,04 4,05 1,43 5,83 7,35 7,23 5,40 2,27 28,67 4,37 6,13 5,64 4,29
—
44 966 98 932
Verfügbares Jahreseinkommen in % —
2,37 5,17
Λ
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
45 97 73 25 112 134 118 84 37 652 79 125 99 66
035 934 013 984 132 930 314 130 847 496 008 527 718 899
2,38 5,17 3,85 1,37 5,91 7,12 6,24 4,44 2,00 34,42 4,17 6,62 5,26 3,53
So lagen in Bayern zwar 25 Garnisonen (38,5 Prozent der bayerischen Standorte) in einer Region, wo die Lebens- und Arbeitsbedingungen nachhaltig gestärkt werden sollten. In ihnen sollten vor allem Arbeitsplätze geschaffen und die Einkommensverhältnisse verbessert sowie einer Abwanderung entgegengewirkt werden. Aber vom verfügbaren Jahreseinkommen der dort stationierten knapp 42 000 Personen, das waren 32,1 Prozent der bayernweit stationierten Soldaten und Zivilbediensteten, flössen lediglich ein gutes Viertel (28,2 Prozent) der im gesamten Wehrbereichs VI verfügbaren Summe in diesen Raum. Demgegenüber waren die Verdichtungsräume um Nürnberg, Augsburg und besonders München deutlich im Vorteil. Allein in der Planungsregion 14, also dem industrialisierten Ballungsraum München mit Teilen des die Stadt umgebenden Regierungsbezirks Oberbayern, waren über 37 000 Bundeswehrangehörige stationiert, mithin ebensoviele, wie in den strukturschwachen Gebieten zusammen. Nahm München schon beim verfügbaren Jahreseinkommen die Spitzenposition ein, so führte eine Regionalisierung der Ausgleichszahlungen nach Art. 106 GG zu einem ähnlichen Ergebnis. Mit den bis 1977 gewährten Zuschüssen von insgesamt 56,624 Mio. DM kamen der Landeshauptstadt und ihrem Umland wiederum ein Viertel aller in Bayern bezahlten Ausgleichsgelder zugute.
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
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Ein Merkmal von strukturschwachen Gebieten war die relativ geringe Einwohnerzahl. Auch wenn die Bundeswehransiedlungen in allen Garnisonsgemeinden zweifelsohne zu einer Erhöhung der Wohnbevölkerung geführt haben, so stellte sich dies aus regionalpolitischer Sicht freilich nicht ganz so positiv dar. In nur sechs Planungsregionen mit unterdurchschnittlicher Bevölkerungsdichte konnte eine überdurchschnittliche Belegung mit Soldaten festgestellt werden; darunter die besonders armen Gebiete in der fränkischen Röhn (Planungsregion 3) und der Oberpfalz (Planungsregion 6). Noch stärker fiel dieses Missverhältnis beim Zonenrandgebiet aus, zu dem Landkreise und kreisfreie Städte zählten, die mit mehr als der Hälfte ihrer Fläche bis zu 40 km von den Grenzen zur DDR und CSSR entfernt lagen. In Bayern reichte diese über mehrere hundert km von Mellrichstadt im Norden bis nach Passau im Süden. Bei einem Anteil von 25 Prozent an der Gesamtfläche lebten dort nur 20 Prozent der Einwohner Bayerns. Im Zonenrandgebiet lagen 24,6 Prozent der bayerischen Bundeswehrstandorte (insgesamt 16), und die knapp 20 000 Soldaten und Zivilbediensteten, die hier stationiert worden waren, machten 14,75 Prozent des Personalumfangs im Wehrbereich VI aus. Das verfügbare Jahreseinkommen der Militärangehörigen, das in diesen Raum floss, umfasste 232 Mio. DM, lag damit aber lediglich bei 12 Prozent des gesamten Jahreseinkommens im Wehrbereich. Setzt man nun den Anteil des militärischen Personals in Beziehung zur Fläche und zum Bevölkerungsanteil des Zonenrandgebiets, so kann von einer Bevorzugung dieses Raumes deshalb nicht gesprochen werden, weil auf 25 Prozent der Fläche Bayerns mit einem Anteil von 20 Prozent der Bürger lediglich 14,8 Prozent der Bundeswehrangehörigen stationiert waren. Aufschlussreich für die raumwirksame Bedeutung von Personal und Einkommen ist auch ein Vergleich des Zonenrandgebietes mit der Garnison München. In die bayerische Landeshauptstadt gingen 1978 exakt 267177 440 Mio. DM an verfügbarem Jahreseinkommen. Obwohl der Personalstand um 30 Prozent niedriger lag als bei allen Standorten im Zonenrandgebiet zusammen, übertraf das verfügbare Jahreseinkommen des Militärpersonals in München das ihrer Kameraden in den grenznahen Gebieten jedoch um 23,2 Prozent199. Berücksichtigt man diese Ergebnisse, dann täuschte die Anzahl der Standorte offensichtlich darüber hinweg, dass von einer Bevorzugung strukturschwacher Räume sowie des Zonenrandgebietes keineswegs die Rede sein kann. Auch im Hinblick auf die zentralen Beschaffungen scheint sich dieser Befund zu bestätigen, und zwar bereits für die ersten Jahre des Aufbaus der Bundeswehr. Von den Aufträgen, die das Amt für Wehrtechnik und Beschaffung zwischen 1955 und 1958 an die bayerische Wirtschaft erteilte (734,9 Mio. DM), gingen lediglich 6,5 Prozent (47,9 Mio. DM) an so genannte bevorzugte Bewerber aus dem Zonenrandgebiet bzw. an Flüchtlingsbetriebe200. Kritische Urteile gipfeln daher in der These, dass mit dem Aufbau von Garnisonen die räumlichen Ungleichge199 200
Vgl. Weiskopf, Garnisonen der Bundeswehr, S. 135-140. ACSP, CSU-Landesgruppe, 3. Wahlperiode, Nr. 159, Amt für Wehrtechnik und Beschaffung an die Vertretung der Bayerischen Wirtschaft in Bonn, 22.9.1958.
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IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
wichte in Bayern eher verstärkt als verringert worden sind. Dies kann an dieser Stelle zwar nicht überprüft werden. Wohl kann aber aufgrund der für Bayern vorliegenden Datenbasis folgender, allgemein für die Bundesrepublik gültiger Schluss gezogen werden. Zweifellos wurden die Ressourcen eines Raumes durch Garnisonsgründungen nach 1955 vermehrt. Sieht man einmal davon ab, dass durch den Bau von Kasernen oder die Anlage von Standortübungsplätzen ein Teil des Bodens einer landwirtschaftlichen Nutzung entzogen worden ist, so veränderte sich die regionale Produktionsstruktur durch Garnisonen aber nicht unmittelbar. Grundsätzlich bedeutsam für die lokale wie regionale Wirtschaft war der Geldstrom, der als direkte Nachfrage und über das Einkommen des Personals seine Wirkung entfaltete. Dabei hat sich gezeigt, dass der Einkommenseffekt in Abhängigkeit zur vorhandenen Wirtschaftsstruktur stand. Gemeinden mit zunehmender ökonomischer Höherrangigkeit konnten mehr Kaufkraft aus einer Garnison an sich binden als solche, deren Gewerbestruktur gering ausgeprägt war. Die Hoffnung darauf, dass Einkommens- und Nachfrageeffekt eine Kapazitätssteigerung im örtlichen Wirtschaftsraum hätten induzieren sollen, erfüllten sich hingegen nur bedingt. So schätzte man beispielsweise für Roding, dass durch die Nachfragewirkung der Garnison 47 Arbeitsplätze in der Stadt und noch einmal über 100 im Landkreis geschaffen worden sind201. Aber was war das schon im Verhältnis zu jenen 39 Industriebetrieben, die zwischen 1956 und 1966 dort angesiedelt werden konnten? Sie schraubten in dieser nur zehnjährigen Spanne die Zahl der Arbeitsplätze von 149 auf 2228 hoch, mithin eine Steigerung auf 1495,3 Prozent202. Um die raumwirksame wirtschaftliche Bedeutung von Bundeswehrgarnisonen abschließend bewerten zu wollen, bietet sich das Bruttoinlandsprodukt je Kopf der Wirtschaftsbevölkerung als zentraler Indikator an. Damit kann die Entwicklung der Garnisonslandkreise mit den übergeordneten Gebietseinheiten (Regierungsbezirke) sowie der westdeutschen Volkswirtschaft verglichen werden. Um eine hinreichende Relevanz bei der Aussagekraft für die gesamte Bundesrepublik zu erhalten, sollen verschiedene strukturschwache Garnisonslandkreise aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen betrachtet werden. Für 1961 und 1970 ist die Vergleichbarkeit der Daten auf Kreisebene auch hinreichend gewährleistet203:
VGL Kaufmann, Raumwirksamkeit militärischer Einrichtungen, S. 62. Vgl. Balcar, Die Kosten der Erschließung, S. 264. 203 Nachfolgende Daten nach Roeder, Auswirkungen von Bundeswehrgarnisonen, S. 288. 201
202
427
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Tabelle 64: Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts bayerischer, baden-württembergischer, hessischer und niedersächsischer Garnisonslandkreise 1961-1970 Region
Regierungsbezirk Oberpfalz Landkreis Cham Landkreis Roding Regierungsbezirk Niederbayern Landkreis Kötzting Regierungsbezirk Nord-Württemberg Landkreis Bad Mergentheim Regierungsbezirk Nordbaden Landkreis Tauberbischofsheim Regierungsbezirk Kassel Landkreis Fritzlar-Homberg Landkreis Ziegenhain Regierungsbezirk Lüneburg Landkreis Gifhorn
Bruttoinlandsprodukt 1970 in DM
Änderung in %
870 700
933 600
+ 0,8
39 100 952 600 952 600
44 200 29 500 989 600
+ 1,4 + 0,7 + 0,4
30 800 3 097 000
30 500 3 571 300
-0,1 + 2,2
43 000
45 600
+ 0,3
1 777 900
2 008 200
+ 1,6
74 300
80 900
+ 0,9
1 246 100 66 200
1 345 000 68 200
+ 0,6 + 0,2
48 900 877 600
50 000 975 600
+ 0,1 + 1,2
90 800
93 900
+ 1,4
Bruttoinlandsprodukt 1961 in DM
Nur in den Landkreisen Cham und Gifhorn lag das Bruttoinlandsprodukt über dem des übergeordneten Regierungsbezirks. In Kötzting war es in den sechziger Jahren sogar zurückgegangen. Alle aufgeführten Gebietseinheiten lagen jedoch deutlich unter dem jährlichen Produktivitätszuwachs der Bundesrepublik. Im Ergebnis bedeutet dies, dass Garnisonen während der sechziger Jahre in strukturschwachen Regionen keine konjunkturelle Belebung bewirkten. Die lokalen und regionalökonomischen Wirkungen wurden offensichtlich überschätzt! Vermutlich deshalb, weil sie von den politischen Mandatsträgern aller Ebenen aber auch von den Angehörigen der Wehrverwaltung in der Regel nicht auf einer rationalen Ursache- und Wirkungsanalyse gründeten. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die Stationierung von Bundeswehreinheiten als ein strukturpolitischer Faktor neben anderen betrachtet worden ist. Für manche Kommune, die selbstverständlich lieber einen Industriebetrieb vorgezogen hätte, erschien eine Garnison - insbesondere in den späten fünfziger
428
IV. Bundeswehrstandorte als Faktoren sozialer und ökonomischer Veränderungen
Jahren - offenbar als die einzige Chance, um aus dem wirtschaftlichen Abseits herauszukommen. Sicherlich nicht ohne Grund führte der Landrat von Neunburg vorm Wald pessimistisch aus, dass die »vielen Versuche, dieser strukturellen Arbeitslosigkeit durch Ansiedlung von Betrieben eine Abhilfe zu schaffen« bisher nicht nur gescheitert seien, sondern dass nach den bisherigen Erfahrungen auch kaum mehr Aussicht auf Besserung bestünde204.
204
BA-MA, BW 1/4498, Landrat von Neunburg vorm Wald an Staatskanzlei, 27.6.1956.
V. Probleme der Nuklearinfrastruktur am Beispiel des Flugabwehrraketensystems NIKE Wie dargelegt, war die Integration der Bundeswehr in das bereits bestehende politische, soziale und ökonomische System Teil eines tiefgreifenden Transformationsprozesses, welcher die Bundesrepublik im Verlauf der fünfziger und sechziger Jahre erfasst hatte. Gerade auf der Mikroebene, überwiegend in ihrem agrarisch verfassten Teil, stand man Gamisonsneugründungen und den von ihnen ausgehenden Veränderungsimpulsen zumindest am Beginn dieser Periode ambivalent gegenüber. Während das eher beharrende Milieu darin ein gewisses Gefährdungspotenzial zu erkennen glaubte, setzte vornehmlich bei den politischen Mandatsträgern ein Prozess des Umdenkens ein, in dem der Bundeswehraufbau zunehmend als Modernisierungsfaktor wahrgenommen wurde. Erklärtermaßen brachten, um es beispielhaft mit den etwas emphatischen Worten modernisierungsfreudiger politischer Funktionseliten auszudrücken, »die in jeder Hinsicht sozial- und volkswirtschaftlich denkenden Stadtväter große Opfer um ihrer Heimatstadt die Ehre und das Glück zu ermöglichen, Garnisonsstadt zu werden« 1 . Mochte dieser Prozess - vornehmlich am Anfang - noch von Gegensätzlichem geprägt gewesen sein, in einem Punkt lag jedoch ein weitgehend übereinstimmender Grundkonsens vor, der jegliche (Opfer)Bereitschaft erlahmen ließ. Wenn es nämlich darum ging, dass in der Nähe eine Raketenstellung eingerichtet werden sollte, dann nahmen die Gemeinden in aller Regel eine Verweigerungshaltung ein. Einem leitenden Beamten der Wehrverwaltung, der für den Komplex Bundeswehr und Gemeinden sowohl fachlich zuständig war und sich dazu auch publizistisch mehrfach geäußert hatte, war diese stete Weigerung der Kommunen, eine Flugabwehrstellung in ihrem Gebiet aufzunehmen, auch in der Rückschau noch völlig unverständlich. Gerade weil die Gemeindevertreter um die Bombennächte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wussten, hätte man die Einrichtung solcher Abwehrsysteme als eine Selbstverständlichkeit ansehen und daher alles zu deren Verwirklichung beitragen müssen. Dass dem nicht so war, gehörte seiner Meinung nach zu den »negativen Erscheinungen einer nur nach wirtschaftlichen und selbstbezogenen Überlegungen ausgerichteten Einstellung« 2 . Was war der Grund für diesen
BA-MA, BW 1/5350, Stadtrat von Ebern an Landratsamt Ebern, 19.11.1955. Meyer-Truelsen, Die Auswirkungen der Bundeswehr, S. 126.
430
V. Probleme der Nuklearinfrastruktur
»Raketenschreck«, dass Stellungen wie Waffensysteme als existenzbedrohend empfunden wurden3? Hierzu gilt es noch einmal einen Blick auf die in dieser Phase durchgeführte, umfassende Nuklearisierung des Verteidigungskonzepts der NATO zu werfen, welche die dahinter liegende grundsätzliche Folie für diese Anti-Haltung darstellte4. Hand in Hand mit diesem Strategiewandel ging die Implementierung technologischen Fortschritts innerhalb des defensiv angelegten Teils einer im Aufbau befindlichen, integrierten Luftverteidigung in Europa einher, welche der NATO-Rat im Dezember 1954 auf den Weg gebracht hatte und die 1955 im Rahmen des Strategiepapiers MC 54 verabschiedet wurde5. Konkret bedeutete dies, dass zur Abwehr feindlicher Luftangriffe u.a. verstärkt bodengestützte Raketensysteme eingesetzt werden sollten. Um der Bedrohung aus der Luft adäquat begegnen zu können, entwickelte die NATO in Europa ein doppeltes, aufeinander bezogenes Flugabwehrsystem, mit dem sowohl tief- wie hochfliegende Verbände bekämpft werden konnten. Ab 1957 wurde begonnen, dieses die Prinzipien von Raum- und Objektschutz vermischende Konzept in der Bundesrepublik auszufächern. In gewissem Abstand entlang der Zonengrenze sollte ein von Nord- bis Süddeutschland reichender Flugabwehrraketengürtel entstehen, bestimmt zur Bekämpfung von Zielen in mittleren und niederen Höhen. Weiter westlich, gestaffelt in der Tiefe des Raumes, hauptsächlich zum Schutz der amerikanischen Flugzeugbasen mit ihrem angriffsfähigen StrikePotenzial, wurden in 19 so genannten Luftverteidigungszonen (Rear Area Defense Zones) Verbände gruppiert, deren Aufgabe in der Bekämpfung von hoch anfliegenden feindlichen Bomberströmen bestand6. In beiden Fällen stützte man sich mangels anderer Alternativen ausschließlich auf amerikanische Raketenentwicklungen ab7. Grundsätzlich war dazu während der NATO-Ratstagung im Dezember 1956 in den Militärhilfeprogrammen ab 1957 die Ausrüstung fast aller NATO-Partner mit modernen Waffensystemen vorgesehen worden. Dies schloss nuklearfähige Boden-Boden- und BodenLuft-Raketen mit ein8. Zu diesem Zeitpunkt waren zunächst nur Raketensysteme gegen hoch anfliegende Ziele einsatzfähig - vielsagend benannt nach der griechischen Siegesgöttin Nike. Die Entwicklung von Flugabwehrraketen hatte
3 4
5
6 7
8
Im Jura geht der Raketenschreck um. In: Süddeutsche Zeitung, 17.1.1958. Zu den militärpolitischen und strategischen Bezügen vgl. Greiner/Maier/Rebhan, Die NATO. Im Hinblick auf deren Umsetzung in konkrete verteidigungsplanerische Maßnahmen vgl. bes. Thoß, NATO-Strategie, S. 432-511. NATO-Archiv, Brüssel, IMS, CD 002, MC 54, Report by the Military Committee to the North Atlantic Council on Air Defense Command and Control in NATO Europe, 11.10.1955. Zu Aufbau und Entwicklung der europäischen integrierten Luftverteidigung vgl. Krüger, Die Entstehung der NATO-Luftverteidigung; vgl. auch Thoß, NATO-Strategie, S. 200-207. Zum folgenden vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau, S. 151-267, passim. Generell zur Ausrüstung der Bundeswehr mit amerikanischem Material vgl. Rohde, Der Transfer amerikanischer Militärtechnologie. Speziell zur Implementierung des NIKEFlugabwehrsystem in der Bundeswehr vgl. Spreckelsen/Vesper, Blazing Skies, S. 57-81. Rebhan, Der Aufbau, S. 236.
431
V. Probleme der Nuklearinfrastruktur
in den USA zum Ende des Zweiten Weltkrieges eingesetzt. Sie wurde nach 1945 fortgesetzt, nicht zuletzt mit dem erbeuteten Know How deutscher Militärtechnologie9. Im Frühjahr 1954 waren die ersten U.S.-Batterien mit dem Raketentyp NIKE »AJAX« ausgestattet worden. Bis 1958 standen insgesamt 200 solcher Einheiten im Dienst, vornehmlich disloziert um die großen Städte in den nördlichen Gebieten und an den Küsten der Vereinigten Staaten. Schon die Testphase hatte aber deutlich gemacht, dass die mit einem konventionellen Gefechtskopf bestückte AJAX nicht in der Lage war, die mit massenweisem Einsatz von Fernbombern angenommenen sowjetischen Luftangriffe hinreichend zu bekämpfen. In Ergänzung und als Ersatz entwickelte man das leistungsfähigere System NIKE »HERCULES«, das optional zu einem konventionellen mit einem nuklearen Gefechtskopf ausgestattet werden konnte10. Seine Einführung in den USA begann 1958, wo der Typ bis zum Ende der siebziger Jahre im Dienst stand, in den NATO-Partnerstaaten gar bis in die frühen neunziger Jahre hinein11. Ab 1956 optimierten die U.S.-Streitkräfte die Luftverteidigung in Europa, indem sie begannen, sechs mit NlKE-Raketen ausgestattete Flugabwehrbataillone in Westdeutschland sowie drei in der Türkei und zwei in Norwegen zu stationieren. Im Januar diesen Jahres wurden Verteidigungsminister Blank und General Heusinger kurz darüber informiert. Nach ersten Kontaktaufnahmen mit den Landesregierungen im März legte das U.S.-Hauptquartier dem Bundesministerium für Verteidigung Mitte Mai 1956 unter Bezugnahme auf den
9 10 11
Vgl. Neufeld, Overcast. Zur technologischen Entwicklung vgl. Spreckelsen/Vesper, Blazing Skies, S. 57-62. Insgesamt zum U.S.-Raketenprogramm vgl. Lonnquest/Winkler, To Defend and to Deter. Das NlKE-Flugabwehrraketensystem wurde in diesem Zeitraum von nahezu allen NATOMitgliedern und mehreren asiatischen Staaten verwendet: Tabelle 65: Anzahl der NlKE-Flugabwehrbatterien weltweit Land Bundesrepublik Deutschland Belgien Dänemark Frankreich Griechenland Italien Japan Südkorea Niederlande Norwegen Spanien Taiwan Türkei USA in Deutschland in USA Typ AJAX 1954-1965 in USA Typ HERCULES 1958-1974 Vgl.
Anzahl der Batterien 24 8 4 8 4 12 5 4 8 4 4 8 4 24 77 134
432
V. Probleme der Nuklearinfrastruktur
Art. 38 des Truppenvertrages - Vereinbarung zwischen den U.S.-Streitkräften und den deutschen Bundesbehörden über die Durchführung des Liegenschaftsprogramms - das 5. Liegenschaftsergänzungsprogramm vor. Es enthielt dringende Geländeanforderungen für 24 NlKE-Flugabwehrraketenstellungen mit entsprechendem Unterkunfts- und sonstigem Gelände (vor allem Radarstellungen und Sicherheitsbereiche), das in den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz raschestmöglich benötigt wurde12: Tabelle 66: Geländeanforderungen für amerikanische NIKEFlugabwehrraketenstellungen in der Bundesrepublik 1956 Bundesland
Gemeinde
BadenWürttemberg
Reisenbach (Krs. Buchen)
77,6
Mosbach Pforzheim Großsachsenheim (Kr. Ludwigsburg) Kleingartach (Kr. Heilbronn) Darmstadt Erbach Wackernheim (Kr. Bingen)
77,6 12 62
Hessen RheinlandPfalz
Schwabsburg (Kr. Mainz) Worms Quirnheim (Kr. Frankenthal) Kriegsfeld (Kr. Kirchheimbolanden) Essweiler (Kr. Kusel) Büchenbeuren (Kr. Hahn) Spangdahlem (Kr. Wittlich) Möhn (Kr. Trier) Steinsfeld (Kr. Wittlich) Speyersdorf (Kr. Speyer) Germersheim (Kr. Germersheim) Rehbach (Kr. Pferdsfeld)
Landbedarf in ha
107 91,2 46,9 20,8 60 68 65,6 54,5 8,9 10,25 73,4 66,2 67 23 13,7
Entsprechend einer Vereinbarung vom 2. August 1956 war ursprünglich beabsichtigt gewesen, diese Anforderungen direkt zwischen dem U.S.-Kommandobereich und der betreffenden Landesregierung zu verhandeln. Bis zum Frühjahr 1957 wurden solche Landanforderungen auch auf dieser Ebene bis ins Kleinste erörtert, allein Lösungsmöglichkeiten konnten zumeist keine gefunden werden. Aus amerikanischer Sicht drängte aber die Zeit. Der Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland, General Henry I. Hodes, wies deshalb Minister Strauß persönlich auf das Dilemma hin. Weil im Sommer diesen 12
BA-MA, BW 1/1833, Office of the CINCEUR Representative an BMVg, 17.5.1956.
V. Probleme der Nuklearinfrastruktur
433
Jahres Mannschaften und Material aus Übersee in Deutschland eintreffen sollten, verlangte der CINCEUR gemäß Art. 38 Truppenvertrag eine Sitzung des Zentralen Liegenschaftsausschusses (Vertreter der USA, des Bundes und der Länder), bei der ausschließlich das Problem der Landbeschaffung für NIKE behandelt werden sollte13. Die Infrastrukturabteilung des Verteidigungsministeriums konstatierte, dass es gar nicht mehr um die Landbeschaffung an sich ging. Vielmehr stellte die allgemeine Unsicherheit bei der Bevölkerung und in den politischen Körperschaften, »die aus der Natur der Nike-Stellungen zu folgern ist«14, das Problem dar. Im Klartext konnte das nur heißen, diese Art von Waffen wurde zunehmend als militärische Bedrohung der eigenen Gemeinde wahrgenommen. Schon 1954 hatte im Übrigen das Institut für Demoskopie in Allensbach für die Bundesregierung ermittelt, dass sich im Kriegsfalle fast drei Viertel (72 Prozent) der erwachsenen Bevölkerung der Bundesrepublik an ihrem gegenwärtigen Wohnort von Atombomben bedroht fühlten15. Genau so sah es auch der NlKE-Beauftragte von USAREUR, Generalmajor Ker, selbst wenn er den Sachverhalt im Zentralen Liegenschaftsausschuss nur höchst zurückhaltend ansprach. Nach einem Jahr zahlreicher Verhandlungen habe man die notwendigen Grundstücke nur für sieben von 24 geplanten U.S.-Batteriestellungen ziemlich sicher beschaffen können. Um einem weiteren Mittelverlust vorzubeugen und das Luftverteidigungssystem voll zur Wirkung zu bringen, verlangten die USA daher von der Bundesrepublik, diese Stellungen unverzüglich verfügbar zu machen. Dabei stellte man durchaus in Rechnung, wie schwer sich vor allem die deutschen Mittelbehörden taten, die militärischen Forderungen mit den Bedürfnissen der örtlichen Bevölkerung in Einklang zu bringen. Beunruhigt zeigte man sich allerdings, »daß der Widerstand anscheinend nicht auf wirklichen wirtschaftlichen Faktoren beruht, sondern auf einer verallgemeinerten Einwendung gegen das NIKE-Programm als solches«16. Von Seiten der U.S.-Streitkräfte habe man alles getan, um die Landanforderungen schmackhaft zu machen. Von der Bundesrepublik verlangte man somit unter nochmaligem Hinweis auf den Truppenvertrag das Land für die restlichen Stellungen zu beschaffen, und zwar »unter Anwendung der ihr erforderlich erscheinenden Mittel«17. Wer zwischen den Worten zu hören verstand, dem musste klar sein, dass die Amerikaner die Sorgen der deutschen Bevölkerung um die NlKE-Raketenstellungen nicht teilten. Generell betrachteten sie die Stationierung nuklearfähiger Waffensysteme in den NATO-Staaten als eine Art Routineangelegenheit im Rahmen der Modernisierung ihrer Streitkräfte, obwohl sie wussten, dass im Sommer 1957 77 Prozent der Westdeutschen jede Stationierung von Atomwaf-
13
14 15
16 17
BA-MA, BW 1/11832, CINCEUR an BMVg, 15.5.1957; vgl. ebd., BMVg an MinPräs von Rheinland-Pfalz und Hessen, 29.5.1957. Ebd., BW 1/11833, Sprechzettel, 18.6.1957. BA, Β 145/4225, Die Stimmung im Bundesgebiet, Nr. 157: Furcht vor dem Atom-Krieg Die Wasserstoffbombe. BA-MA, BW 1/11833, Reden Generalmajor Ker, 19.7.1957. Ebd.
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V. Probleme der Nuklearinfrastruktur
fen in der Bundesrepublik ablehnten18. Von daher waren sie augenscheinlich kaum gewillt, der Bundesrepublik beim Durchsetzen der ihnen vertraglich zugesicherten Maßnahmen politisch zu helfen. Allenfalls zeigte man vor den Mitgliedern des Zentralen Liegenschaftsausschusses einen Film mit dem Titel »Luftverteidigung«, der die Wirkungsweise der NlKE-Waffen demonstrierte. Während Generalmajor Ker die Hauptschwierigkeiten bei der Suche nach NlKE-Stellungen nur angedeutet hatte, stimmte ihm der Leiter der Abteilung Infrastruktur und Liegenschaften im Verteidigungsministerium nicht nur vorbehaltlos zu, er wies auch deutlich darauf hin, wo die Probleme lagen: weniger im ökonomischen sondern vielmehr im politischen Bereich. Schiffers machte mehrere Gründe dafür aus. Einmal herrsche bei den politischen Instanzen vor Ort eine gewisse Unklarkeit über das NlKE-Programm, da Funktion und Notwendigkeit dieses Waffensystems der Öffentlichkeit bisher nicht verdeutlicht worden seien. Psychologische Bedenken ließen es der Bevölkerung deshalb zweifelhaft erscheinen, ob NIKE Schutz oder Gefährdung bedeutete. Inwieweit man deutscherseits den Grad der Verunsicherung in den betroffenen Gegenden auch auf eine unglückliche Informationspolitik der U.S.-Streitkräfte zurückführte, ist schwer zu beurteilen. Die Bemerkung von Schiffers, wonach trotz unzureichender Kenntnisse in den Gemeinden und bei den Landesregierungen eine weitere Aufklärung durch die Amerikaner nicht notwendig erscheine, lässt freilich aufhorchen. In der Sache selbst, um die es eigentlich ging, die noch nicht realisierte Landbeschaffung bei zahlreichen Stellungen, erkannte der leitende Beamte ausdrücklich die Vorgaben aus Truppenvertrag und Landbeschaffungsgesetz an, wonach das betreffende Bundesland bei der Geländewahl angehört werden musste. Dieses Anhörungsrecht legte Schiffers den amerikanischen Sitzungsteilnehmern aber dahingehend aus, dass eine Geländeanforderung ohne Einverständnis der Landesregierung »wegen politischer Auswirkungen tunlichst vermieden werden« sollte19. Das konnte man durchaus als eine mehr oder weniger deutliche Absage in Richtung einer Anwendung der gesetzlich eingeräumten Enteignungsbestimmungen verstehen. Hatte Generalmajor Ker die vertragliche Verantwortung der Bundesrepublik für die rechtzeitige Bereitstellung von Grund und Boden zunächst nur dezent angedeutet, so wurde er nunmehr sehr viel deutlicher. Unmissverständlich wies er auf die Pflicht der Bundesrepublik hin, den Anforderungen der USA zu entsprechen. Die Länder von der Notwendigkeit zur Landabgabe zu überzeugen sei alleinige Aufgabe der Bundesregierung. Hier steckte der westdeutsche Partner bei noch so demonstrativ erklärter, prinzipieller Übereinstimmung aber in einer Zwickmühle. Wegen der erheblichen politischen Bedenken aus den Reihen der Bevölkerung war man kaum bereit, die Gegenargumente vor Ort anders als über einen Konsens zu überwinden. Grundsätzlich hatte sich das Mei18 19
Vgl. Rebhan, Der Aufbau, S. 236. Zum demoskopischen Kenntnisstand der USA und dessen Bewertung vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 371. BA-MA, BW 1/11833, Protokoll der Sitzung des Zentralen Liegenschaftsausschusses, 19.6.1957.
V. Probleme der Nuklearinfrastruktur
435
nungsbild in der Frage einer Atombewaffnung nämlich innerhalb Jahresfrist noch weiter verschlechtert. Sprachen sich im März 1956 beispielsweise schon knapp die Hälfte der Bundesbürger (49 Prozent) gegen die Ausrüstung der deutschen Truppen mit Nuklearwaffen aus, so lag die Quote im April 1957 bereits bei 63 Prozent. Die mit 32 Prozent noch relativ hohe Zahl unter den Befürwortern des Jahres 1956 war 1957 auf 17 Prozent abgesackt. Das lag an jenem unter dem Namen Göttinger Erklärung bekanntgewordenen Aufruf von 18 deutschen Atomphysikern, die gegen eine Ausrüstung deutscher Truppen mit Atomwaffen appellierten. Immerhin hatten fast drei Viertel (72 Prozent) der Bundesbüger von diesem Aufruf gehört. Das Institut für Demoskopie in Allensbach war sich in seiner politisch-psychologischen Bewertung der Umfrageergebnisse dann auch recht sicher: »Die Abneigung gegen die atomare Ausrüstung der deutschen Truppen hat zugenommen: wir stehen hier einer Wand von fast zwei Dritteln (63 Prozent) der Bevölkerung gegenüber. Läßt man die unentschiedenen Personen beiseite, die erfahrungsgemäß eher zur Majorität als zur Minorität tendieren dürften, so zeigt sich, wie ernst die psychologische Situation ist. Kaum ein Fünftel (17 Prozent) entscheidet sich heute noch dafür, daß die Bundeswehr Atomwaffen bekommen soll. Ohne Zweifel haben wir bei der so auffälligen Abnahme der Zustimmung zur atomaren Ausrüstung der Bundesrepublik mit einer ersten, drastischen Auswirkung des Göttinger Appels zu tun. Die tragende Regierungspartei mit ihrer starken weiblichen Wählerschaft wird sich damit auseinanderzusetzen haben, daß die Frauen noch zahlreicher gegen Atomwaffen für die Bundeswehr eintreten, als die Männer [Frauen 67 Prozent, Männer 59 Prozent; d.Verf.]. Sie muß sich darüber hinaus darüber klar sein, daß rund die Hälfte ihrer Anhänger (48 Prozent) einen negativen Standpunkt einnimmt 20 .« Angesichts eines solchen Klimas wird klar, warum Schiffers im Zentralen Liegenschaftsausschuss so dezent formulierte, man könne »unter gewissen Voraussetzungen nach Landbeschaffungsgesetz von Vorschlägen der Länder abgehen«. Dahinter verbarg sich natürlich die Möglichkeit der Enteignung. In eine ganz ähnliche Kerbe, was die unsensible Beachtung der Ängste in der Bevölkerung durch die U.S.-Streitkräfte anbetraf, hieb im Übrigen auch der Delegierte aus der Staatskanzlei von Rheinland-Pfalz - einem von U.S.-Einrichtungen hoch belasteten Land, in dem weitere 17 NlKE-Stellungen angelegt werden sollten. In aller Deutlichkeit hielt Regierungsdirektor Dr. Köhler unter Bezugnahme auf die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung um die Kampagne »Kampf dem Atomtod« dem amerikanischen General kritisch entgegen: »Die Debatten auf höchster Ebene in der Bundesrepublik sind Ihnen bekannt. Auch der Bundeskanzler hat dazu Stellung genommen. In einem demokratischen Staat müssen wir auf die Stellungnahme der Bevölkerung zu den Nike-Waffen als nuklearen Waffen Bedacht nehmen. Informationen über Nike-Stationen sind in großen Städten in aller Öffentlichkeit gezeigt worden. Sie sind auch in der Presse auf Grund amerikanischer Orientierung veröf20
BA, Β 145/4229, Die Stimmung im Bundesgebiet, Nr. 291: Die Atomrüstung.
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V. Probleme der Nuklearinfrastruktur
fentlicht worden. Diese Presseverlautbarungen nehmen jedoch auf die deutsche Mentalität keine Rücksicht. Es ist jedoch nicht die erforderliche propagandistische Vorbereitung gemacht worden. Die deutsche Bevölkerung hat eine Abneigung gegen alles, was mit Nike zusammenhängt. Dieser Problematik sehen wir uns bei der Landesregierung gegenüber21.« Nach diesen Ausführungen wurde der Ton zunehmend spannungsgeladener. Auf die lapidare Antwort eines Amerikaners, dass die NIKE ausschließlich eine Defensivwaffe sei, setzte der Vertreter aus dem baden-württembergischen Finanzministerium nach. Für ihn war die Frage nach der Nähe einer solchen Stellung zu einer Stadt sehr wohl »diskussionsbedürftig«. Auch wollte er wissen, ob die Einwände dagegen begründet seien und ob durch die Abstrahlungen der Radarstellungen vielleicht benachbarte Städte verraten werden könnten. Dies dementierte der Vertreter von USAREUR. Etwas unlogisch mutete allerdings der Nachsatz an: Ein Pilot würde einen Anflug auf einen Abstrahlpunkt wegen der damit für ihn verbundenen Gefahr nicht wagen. Inwieweit diese Einschätzung richtig war, konnte kaum überprüft werden. Nach Lage der Dinge scheinen die Flugabwehrraketenstellungen zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich keine vorrangige Angriffsoption der gegnerischen Luftmacht gewesen zu sein. Im Rahmen der eigenen Bedrohungsanalyse ging man vielmehr davon aus, dass der potenzielle Gegner zunächst mehrere Wellen älterer Flugzeugmuster zum Einsatz bringen werde, um dadurch den bodengestützten Luftverteidigungsgürtel »auszubluten« oder eine Bresche hineinzuschlagen. Im Schatten dieser ersten Wellen würden dann die Hauptangriffskräfte gegen die Strike-Basen auf westdeutschem Territorium angesetzt werden, stellten diese doch mit ihren darauf stationierten Luftangriffsmitteln eine direkte Bedrohung des potenziellen Angreifers dar22. Die eben erwähnte Bemerkung vom Umfliegen der Stellungen diente dann augenscheinlich auch nur zur Vorbereitung einer als Beruhigung zu verstehende Behauptung, wonach in den USA nicht nur keine Bedenken gegen NlKE-Stellungen herrschten, sondern - im Gegenteil - die Bevölkerung solche gar gefordert habe23. Offensichtlich wurde dem geglaubt. Der durchaus kritische Vertreter aus Rheinland-Pfalz schlug daraufhin nämlich vor, durch Aufklärung in Presse und Rundfunk nicht nur die Animosität in der Öffentlichkeit zu beseitigen, sondern »durch Propaganda eine gewisse Sehnsucht der Bevölkerung nach Nike hervorzurufen«24. Dazu sollte man
21
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24
BA-MA, BW 1/11833, Protokoll der Sitzung des Zentralen Liegenschaftsausschusses, 19.6.1957. Zum öffentlichen Kampf um die Atombewaffnung der Bundeswehr vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 354-370; vgl. auch Bald, Die Atombewaffnung. Zum strategisch-taktischen Konzept des Warschauer Pakts vgl. Nielsen, Die DDR und die Kernwaffen; auf S. 69 f. Hinweise auf den Einsatz der Luftstreitkräfte in der Mitte der sechziger Jahre. Andererseits liegen Informationen vor, wonach sich auch in den USA Gemeinden wegen des Landbedarfs und auch aus Bedrohungsvorstellungen gegen die Errichtung von NlKEStellungen in unmittelbarer Nachbarschaft aussprachen. Vgl. BA-MA, BW 1/11833, Protokoll der Sitzung des Zentralen Liegenschaftsausschusses, 19.6.1957.
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NIKE mit einem Hofhund vergleichen, »der nur denjenigen beißt, der sich dem Hofe in verbrecherischer Absicht nähert«25. Trotz solch scheinbar erzielter Harmonie war das Besprechungsergebnis im Zentralen Liegenschaftsausschuss dürftig. Im Grunde genommen wurden lediglich Positionen ausgetauscht, wobei die amerikanische Seite die mit einer solchen Stationierung verbundenen politischen und psychologischen Zusammenhänge wohl zur Kenntnis nahm, sie aber im Bestreben ihrer auf die Termine zur Herstellung der Einsatzfähigkeit gerichteten Argumentation weitgehend unberücksichtigt ließ. Sie stellte sich auf den vertraglich vereinbarten Rechtsstandpunkt und forderte die Bundesregierung auf, die Landfrage zu lösen. Diese stimmte zwar der amerikanischen Haltung grundsätzlich zu, wollte das Stellungsproblem aber auf gar keinen Fall in Konfrontation mit den Landesregierungen lösen. Der Kompromiss in jenen Fällen, wo die Stellungssuche noch nicht erfolgreich verlaufen war, lautete also, ein weiteres Erörtern dieser politischen Frage auf die Ebene Verteidigungsminister-Ministerpräsidenten zu schieben. Um aber Kompromisse zu finden, bedurfte es einer gewissen Zeit. Und diese hatten die amerikanischen Streitkräfte erklärtermaßen nicht. Im Oktober 1957 richtete deshalb der USAREUR, General Henry I. Hodes, persönlich deutliche Worte an Franz Josef Strauß. Zwar versicherte er dem Minister sein volles Verständnis für die vielen Schwierigkeiten, denen sich dieser gegenübersah. Andererseits zeigte er sich darüber enttäuscht, dass die erhoffte »unmittelbare und vollständige Unterstützung« durch den deutschen Minister bei der Lösung des Stellungsproblems offensichtlich nicht erfolgreich verlaufen sei. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg hätten die übrigen Länder keine erkennbaren Bemühungen unternommen, um Gelände verfügbar zu machen. Unter neuerlichem Verweis auf die im Truppenvertrag eingegangenen Verpflichtungen erinnerte Hodes nochmals an die Dringlichkeit des Luftverteidigungssystems. Weiterhin bat er darum, möglichst bald über die beabsichtigten Maßnahmen unterrichtet zu werden, »die die Bundesregierung zu unternehmen gedenkt, um das für die Erfüllung meiner Aufgaben, wozu auch der Schutz und die Verteidigung eines Teils der Bundesrepublik gehört, benötigte Gelände zur Verfügimg zu stellen«26. Was sich aus Sicht der Amerikaner vielleicht als ein lösbares administratives Problem darstellte, war für diejenigen, die in der Bundesrepublik sicherheitspolitische Verantwortung trugen, alles andere als eine leicht zu knackende politische Nuss. Zumal sich dieses Problem noch dadurch vervielfältigte, weil die integrierte NATO-Luftverteidigung in Europa natürlich nicht allein von den USA getragen werden sollte. Auch die übrigen Stationierungsstreitkräfte Frankreichs, Belgiens und der Niederlande erhielten Luftverteidigungszonen zuge-
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Ebd. Auch deutsche Militärs dachten kurzzeitig an eine weitreichende Aufklärung der Bevölkerung über die nuklearen Rahmenbedingungen. Aufgrund befürchteter Unruhen sah man davon allerdings ab. Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 365. Ebd., Oberbefehlshaber USAREUR an BMVg, 1.10.1957.
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wiesen, innerhalb derer sie NlKE-Stellungen einrichteten 27 . Außerdem war im Zuge des Einbaus der Bundeswehr in das Bündnis von 1957 bis 1962 beschlossen worden, sechs deutsche NlKE-Flugabwehrbataillone mit jeweils 1800 Soldaten und insgesamt 24 Batterien aufzustellen. Aufgrund ihrer systembedingten Größe - zu jeder Batterie gehörten drei Abschussgruppen mit je drei Lafetten benötigte eine solche Einheit mit 16 bis 20 ha eine relativ große Fläche. Eine Stellung (Air Defense Site) bestand aus dem Abschussbereich (Launching Area) sowie den davon bis zu mehreren Kilometern abgesetzten Radar- und Feuerleitstellungen (Radar Site und Integrated Fire Control Area)28. Insgesamt bezifferte man den Geländebedarf für sämtliche NlKE-Stellungen auf deutschem Territorium auf über 580 ha29. Folgt man nun dem unter der Schlagzeile »Im Jura geht der Raketenschreck um« zitierten Artikel in der Süddeutschen Zeitung, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass es den auf die Kunde, »Esselberg wird Raketenabschussbasis« bis »zum bitteren Ende« zum Protest bereiten Bauern nur um die Einschränkung ihrer Landwirtschaftsflächen ging30. Gewiss wurden solch wirtschafts- und verkehrspolitischen Gegenargumente als alleiniger Grund dafür angeführt, ähnlich wie von verschiedenen Gemeinden im Rahmen des Erörterungstermins einer Stellung nahe dem westfälischen Siegen31. Oft gründete die Ablehnung zusätzlich zu den ökonomischen Motiven aber tiefer und bezog ihren Anstoß aus dem politischen Abwehrkampf gegen die Atomrüstung. Auch wenn die Bevölkerung es nicht genau wusste, so ahnte sie zumindest, dass sich hinter dem Terminus Raketenstellungen weit Existenzbedrohenderes verbergen mochte als Grundabtretungen und mögliche Gefährdungen bäuerlicher Existenzen. Rasch gelangte der vor Ort artikulierte Widerspruch auch in die Parlamente, wo er, je nach Einstellung zum Prozess der Rüstungsmodernisierung, politisch behandelt wurde. So nahm die Unruhe, die sich in der Bevölkerung nördlich von Ingolstadt durch Gerüchte über angeblich dort projektierte Abschussstellungen bemerkbar gemacht hatte, beispielsweise der Führer der Bayernpartei Alois Baumgartner zum Anlass, im Landtag zu fragen, ob erstens in Bayern Gelände zur Errichtung von Raketenstellungen bereitgestellt werden solle; und zweites, ob die Landesregierung bereit sei, wie in Hessen mit allen ihr zu Geboten stehenden Mitteln die Errichtung solcher Anlagen zu verhindern. Die lapidare Antwort lautete: »Der Bayerischen Staatsregierung ist nicht bekannt, daß die Bundeswehr oder die Stationierungsstreitkräfte die Absicht haben, in Bayern Abschußbasen für
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Von den 77 Stellungen, die innerhalb der vorgesehenen 19 Luft Verteidigungszonen nach dem Stand vom Jahresbeginn 1959 geplant waren, entfielen sieben auf Frankreich, 22 auf Belgien und sieben auf die Niederlande. Die USA schlug mit 24, die Bundesrepublik mit 17 zu Buche. BA-MA, BW 1/11834, Übersicht NlKE-Stellungen, 14.2.1959. Vgl. Spreckelsen/Vesper, Blazing Skies, S. 67 f. BA-MA, BW 1/30032, Geländebedarf für NlKE-Stellungen (undatierte Zusammenstellung, Anfang 1959). Im Jura geht der Raketenschreck um. In: Süddeutsche Zeitung, 17.1.1958. BA-MA, BW 1/11322, Bericht der 3. Luftverteidigungsdivision, 30.6.1959.
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Mittelstreckenraketen zu errichten32.« Dagegen bestätigte Ministerpräsident Hanns Seidel, dass in der Bundesrepublik ein Netz von Flugabwehrraketenstellungen geplant sei. Er hielt den Abgeordneten auch ein Kolleg über Raketen, da in der Presse - sei es aus Unkenntnis oder mit Absicht - oft kein Unterschied gemacht werde. Weil die in der fraglichen Stellung - sie sollte beim unterfränkischen Miltenberg gebaut werden - die zu stationierenden NlKE-Raketen nur der Verteidigung und somit dem Schutz der Bevölkerung dienten, sah Seidel keinen Grund, gegen eine solche Anlage politische Einwände zu erheben. Die relative Offenheit, mit der Seidel den Landtag informierte, war freilich dem Umstand geschuldet, dass die Planung von Stellungen bereits viel öffentlichen Staub aufgewirbelt hatte. Die ursprüngliche Absicht, solche Vorhaben zwischen dem Verteidigungsministerium und den Landesregierungen vertraulich zu behandeln, war nämlich fehlgeschlagen. Auch wenn der Ministerpräsident es für bedauerlich hielt, dass SPD-Bundestagsabgeordnete speziell diese Stellungsplanung wegen parteipolitischer Propaganda an die Presse herangetragen hatten, zog er die im Grunde genommen richtige Schlussfolgerung. Maßnahmen der Verteidigung, die wie das Aufstellen von Flugabwehrraketen dem Schutz der Zivilbevölkerung dienten, sollten in ihrer Gesamtheit und öffentlich behandelt werden, um die Bevölkerung über die Notwendigkeit solcher Verteidigungsmaßnahmen aufzuklären33. Dies schloss ein selektives Vorgehen und die Bekämpfung des politischen Gegners nicht aus. Wie oftmals üblich, wenn Fragen der Verteidigung öffentliche Kontroversen hervorriefen, griff der bayerische Ministerpräsident im konkreten Fall denn auch zu entsprechender Munition: dem Kommunismusverdacht. So machte Seidel nicht nur die SPDnahe Presse, sondern sowjetzonale Agenten für die Unruhe in der Miltenberger Bevölkerung verantwortlich34. Doch dem war offensichtlich nicht so! Der Protest vor Ort kam sogar aus dem Lager von CSU-Mandatsträgern. Zumindest bedauerte es der Autor einer Glosse im Münchner Merkur, nachdem er Seidels Raketenkolleg vor dem Landtag zunächst als notwendig gelobt hatte, dass sich »nicht nur die örtlichen Vertreter jener Parteien, die in Opposition zur Wehrpolitik der Bundesregierung stehen, [...] gegen das Projekt zu Felde gezogen [sind], sondern auch die Mandatsträger der Partei, die in Bonn wie in München regiert, haben sich wohl, um nicht gegen den Strom zu schwimmen, den Protesten angeschlossen«35. Tatsächlich hatte der gesamte Stadtrat von Miltenberg am 16. Dezember 1957 in öffentlicher Sitzung beschlossen, aus Gründen der Sicherheit für die Zivilbevölkerung der bayerischen Staatsregierung die Genehmigung zur Durchführung von Vermessungsarbeiten für den Bau einer Raketen-
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Stenographische Berichte des Bayerischen Landtags, Bd 4, 1958, S. 4063 f. Z u m deutschen Interesse an Mittelstreckenraketen und zu den darüber geführten Verhandlungen vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 4 5 0 - 4 5 7 . BA-MA, BW 1/11833, MinPräs Seidel an BMVg, 11.1.1958. Vgl. die Vorgänge u m den Militärflugplatz im rheinland-pfälzischen Sembach. Seidls Raketenkolleg. In: Münchner Merkur, 29.1.1958; vgl. Nur »Nike«-Raketen nach Bayern. In: Münchner Merkur, 29.1.1958.
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Stellung zu verweigern 36 . Der Landrat des betreffenden Kreises erhob hingegen keine Einwände gegen die Vermessung oder gegen die Raketenstellung. Er vertrat den Standpunkt, dass gegen eine solche reine Verteidigungsanlage keine Einsprüche geltend gemacht werden konnten, zumal die Landinanspruchnahme keinen wesentlichen Schaden für die Land- und Forstwirtschaft nach sich zog. Ob diese Beurteilung wohl mit einer Besprechung zusammenhing, welche die CSU-Staatsregierung im Auftrag des Verteidigungsministers mit ihm durchgeführt hatte 37 ? Wenig später war die Miltenberger Stellung gar Thema im Deutschen Bundestag. Der SPD-Abgeordnete Georg Dewald wollte von der Bundesregierung wissen, was diese zu tun gedenke, um dem einmütigen Willen der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Der Verteidigungsminister selbst übernahm die Antwort, die im Ergebnis darauf hinauslief, dass die Bundesregierung die erbetene Versicherung, die Errichtung der geplanten NlKE-Stellung könne unterbleiben, nicht gab. Im Wissen um den amerikanischen Druck deutete Strauß sogar an, sich erforderlichenfalls über die Einwände vor Ort hinwegsetzen zu wollen. Das Landbeschaffungsgesetz erforderte nämliche keine Zustimmung von den Kommunen, wenn es sich um Bundeseigentum handelte. Es genügte eine Anhörung, welche im vorliegenden Fall durchgeführt worden war. Ähnlich, wie es schon der bayerische Ministerpräsident und alle übrigen Befürworter der Implementierung dieses Waffensystems getan hatten, folgte Strauß der Argumentationslinie, nach der es sich bei NIKE um ein defensives Instrument der Flugabwehr handle, das nicht mit Mittel- oder Kurzstreckenraketen verwechselt werden dürfe. Auf die Frage, ob solche Luftverteidigungsstellungen bei entsprechender Vorbereitung nicht auch in Abschussbasen für andere Raketen umgerüstet werden könnten, antwortete der Minister freilich ausweichend: »Wir haben bisher weder um die Anlegung von Abschußbasen für Mittelstreckenraketen nachgesucht noch sind wir zu Vorschlägen dieser Art aufgefordert worden 38 .« Das war zwar richtig, traf aber nicht den Kern der Frage. Denn selbstverständlich konnten die nuklear bestückten NlKE-Raketen auch Bodenziele bekämpfen und zwar in einem Radius von bis zu 180 Kilometern 39 . Dafür wurden die Bedienungsmannschaften nicht nur ausgebildet, sondern ihre Fertigkeiten bei der erforderlichen Berechnung solcher Einsätze auch immer wieder überprüft, ungeachtet der Tatsache, dass Ausbildungsverzögerungen die nukleare Einsatzfähigkeit der deutschen NIKE-Verbände bis weit in die sechziger Jahre hinein belasteten 40 . Der politisch interessierten Öffentlichkeit war diese spezifische nukleare Einsatzform im Übrigen bekannt. Zumindest berichtete das SPD-Organ »Vorwärts«
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Kraushaar, Die Protest-Chronik, Bd 3, S. 1754. BA-MA, BW 1/11833, Bayerischer MinPräs an BMVg Strauß, 11.1.1958. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Sitzung vom 12.2.1958, Bd 39, Bonn 1958, S. 427. Zu den Einsatzarten Surface-to-Air Engagement (Boden-Luft) und Surface-to-Surface Mission siehe die Prinzipskizzen in: ; vgl. Spreckelsen/Vesper, Blazing Skies, S. 163-166. Vgl. Lemke, Konzeption und Aufbau, S. 248-260.
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in einem Artikel über die militärischen Baumaßnahmen in Hessen und Rheinland-Pfalz von diesen Fähigkeiten41. Vor dem Hintergrund der höchst emotional geführten Debatte um die Atombewaffnung der Bundeswehr wollte Strauß offensichtlich nicht durch allzu präzise Antworten auch noch Ol in das Feuer gießen. Ihm kam es, wie er sagte, vielmehr darauf an, dass Regierung und Abgeordnete bei der Aufklärung der Bevölkerung so zusammenwirkten, wie er die Funktion und die Aufgabe von NIKE als ein Flugabwehrsystem geschildert hatte. Um die Stellungsplanung bei Miltenberg polemisierte man übrigens ein gutes Jahr später noch einmal im Bundestagsplenum. Während der Debatte um den Verteidigungshaushalt kam Strauß auf die Schwierigkeiten zu sprechen, welche vornehmlich die SPD-geführten Länder und auch dieser Partei angehörende Abgeordnete beim Aufbau des Luftverteidigungsriegels gemacht hatten. Ganz konkret nannte er Heinrich Georg Ritzel, der mit ihm einen erbitterten Kampf um die NLKE-Stellungen im Odenwald geführt hatte. Der Parlamentarier aus den Reihen der Opposition habe es fertiggebracht, dass die Einrichtung in das benachbarte Bayern transferiert wurde. Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle Heiterkeit bei der SPD, was den Verteidigungsminister zu einer aufschlussreichen Bemerkung animierte: »Ja, ich habe Ihnen dabei geholfen. Ich stand ja vor der Wahl. Sie sind der letzte, der mir das vorwerfen darf; denn meine Pflicht erfüllen musste ich, nämlich Stellungen bauen, und zwar entweder in Ihrem Wahlkreis oder, da Hessen schon mit Stellungen belastet war, im Nachbarwahlkreis in Miltenberg. Aber dass ich Sie mit dieser Nike-Stellung verschont habe, hat mir in keiner Weise genützt, in Miltenberg die örtlichen Proteste zu überwinden; die habe ich alleine durchstehen müssen42.« Der daraufhin erfolgte Zuruf des benannten Abgeordneten, er sei damals auch der Willensvollstrecker der CDU gewesen, erhellt noch einmal den überparteilichen Konsens gegen solche Luftverteidigungsanlagen vor Ort. Tatsächlich war es so gewesen, dass der Kreistag des hessischen Landkreises Erbach im Odenwald einstimmig beschlossen hatte, »der Errichtung von Radarstellen und einer Abschußbasis für Nike-Stellungen mit aller Entschiedenheit zu widerstreben«43. Im Übrigen verwahrte er sich gegen die Behauptung, die Verlegung der Stellung nach Miltenberg sei ursächlich auf ihn zurückzuführen. Ritzel legte Wert auf die Feststellung, dass er den Verteidigungsminister ausdrücklich darum ersucht habe, dafür zu sorgen, zur Stationierung dieser Raketen nicht ersatzweise den Raum Unterfranken heranzuziehen44. Aber auch das war nur die halbe Wahrheit. In seiner Eigenschaft als Präsident der Interessengemeinschaft Odenwald, die sich zum Jahresanfang 1 9 5 7 als Protestplattform gegen den Bau von NIKEStellungen konstituiert hatte, richtete er an Strauß »die dringende Bitte, alles zu 41 42
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Millionen für Militärbauten. In: Vorwärts, 9.5.1958. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Sitzung vom 12.6.1959, Bd 43, Bonn 1959, S. 4130. BA-MA, BW 1/11832, MdB Ritzel an BMVg, 6.2.1957. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Sitzung vom 12.6.1959, Bd 43, Bonn 1959, S. 4134.
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tun, um [...] die Errichtung einer solchen Abschußbasis im Odenwald zu verweigern« 45 . Im Gegenzug hatte es der Verteidigungsminister gleichfalls mit der Wahrheit nicht ganz genau genommen, als er den Eindruck erweckte, die Verlegung nach Bayern sei auf das Insistieren Ritzels erfolgt. Vielleicht lag es an einem etwas getrübten Erinnerungsvermögen, wenn er sich nicht mehr an einen Brief erinnerte, gerichtet an seinen Parteifreund und Münchner Ministerpräsidenten, worin er mitteilte, »daß die Verlegung der ursprünglich bei Vielbrunn geplanten Stellung auf bayerisches Gebiet bereits erörtert wurde, bevor Herr Bundestagsabgeordneter Ritzel erstmalig (nämlich am 21.1.1957) Einwendungen erhob. Ausschlaggebend für die Verlegung waren objektive Gesichtspunkte und zwar liegenschaftsmäßiger, taktischer und elektronischer Natur« 46 . Bei allem Insistieren seitens der Bundesregierung auf dem defensiven Charakter des Luftverteidigungsgürtels: die Informationspolitik darüber ließ doch wesentliche Aspekte unberücksichtigt. Nun war dies gewiss dem politischen Kalkül geschuldet, das Luftverteidigungssystem möglichst störungsfrei zu installieren und vor allem dessen Einsatzfähigkeit rasch herzustellen. Zur Meinungslenkung mochte - aus Sicht der im Bund verteidigungspolitisch Verantwortlichen, aber auch ihrer Parteifreunde in den Ländern - eine selektive Informationspolitik angezeigt sein. Im Zuge der beispielhaft vorgestellten parlamentarischen Debatte aus dem Münchner Landtag beeilte sich denn auch die Bayerische Staatszeitung, das offiziöse Organ der Münchner Staatsregierung, von einer unverständlichen »Raketenhysterie« zu schreiben, die eine sachliche Erörterung der Erfordernisse moderner Luftverteidigung kaum zulasse. Gewiss, die feindlichen strategischen Bomber konnten im Ernstfall überwiegend nur mit Raketen bekämpft werden. Aber es grenzte schon an Verschleierung, wenn das Regierungsblatt beim Aufzählen der Mängel, mit denen die an sich sehr ausgereiften NlKE-Raketen vom Typ HERCULES behaftete waren, eigentlich ins Marginale abdriftete. Die hohen Kosten (500 000 DM pro Rakete wurden genannt) und der Einsatz aus ortsfesten Anlagen begrenzten den Flächenschutz der Bundesrepublik47. Was die Öffentlichkeit erfuhr, hing in erster Linie damit zusammen, welche Informationen das Verteidigungsministerium preisgab. So berichtete etwa die sozialdemokratische Neue Rhein-Zeitung ihren Lesern, dass der Befehlshaber im Wehrbereich III die Landesregierung in Düsseldorf zwar über den geplanten Bau von Rampen für Abwehrraketen unterrichtet habe. Aber mit dem Hinweis, es würden Stellungen nur für NlKE-Raketen ohne nuklearen Gefechtskopf gebaut, habe der General zumindest nur die »Halbwahrheit« gesagt48. Die Sprachregelung, den Schwerpunkt der Information und somit die Diskussion möglichst auf das Feld des Verteidigungsgedankens zu lenken, entsprach im Übrigen ganz der Kommunikationspolitik des Verteidigungsministeriums. Aus einem durchaus umfänglichen Merkblatt mit dem Titel »Fla-Raketen45 46 47
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BA-MA, BW 1/11832, Interessengemeinschaft Odenwald an BMVg, 12.2.1957. Ebd., BW 1/11833, BMVg an MinPräs Seidel, 23.1.1958. Raketenhysterie und Erfordernisse der Luftverteidigung. In: Bayerische Staatszeitung, 24.1.1958. Raketen um das Ruhrgebiet schaffen keine Sicherheit. In: Neue Rhein-Zeitung, 15.2.1958.
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Batterien vom Typ Nike im Rahmen der modernen Luftverteidigung« erfuhr der Leser zwar Vieles über den Auftrag, die Organisation, die Sicherheitsbestimmungen und die Arbeitsweise raketengestützter Luftverteidigung. Allerdings nur Weniges, und noch nicht einmal Falsches fand sich darin zu den Sprengköpfen. Zunächst, so hieß es, würden für die Bundeswehr solche Raketen beschafft, die keinen Atomsprengkopf tragen könnten. Eine spätere Umrüstungsoption wurde mit der - durchaus zutreffenden - Bemerkung klein geredet, »daß die nukleare Munition entsprechend der amerikanischen Gesetzgebung ausschließlich in amerikanischer Verfügungsgewalt bleibt und eine entsprechende deutsche Produktion weder möglich noch beabsichtigt ist«49. Dass diese Munition aber bevorratet werden musste, wie die entsprechenden Lager aussahen - so genannte Special Ammunition Sites (SAS) - und in welcher Nähe zu den Stellungen diese eingerichtet werden sollten, darüber schwieg sich das Merkblatt aus. Zu Beginn der siebziger Jahre lagerten ca. 3500 amerikanische Atomsprengköpfe auf dem Territorium der Bundesrepublik. Damit wurde Westdeutschland zur drittgrößten Lagerstätte von Atomwaffen in der Welt50. Dabei mochten Geheimhaltungsgründe durchaus auch eine wichtige Rolle gespielt haben, schließlich wollte man dem Gegner keine unmittelbaren Zielkoordinaten liefern. Tatsächlich war die deutsche Luftwaffe zunächst nur mit Raketen vom Typ AJAX ausgestattet. Die Assignierung der ersten Verbände bei der NATO erfolgte 1962. Die nuklearfähige Ausrüstung des Systems HERCULES begann 1963 und dauerte bis in die zweite Hälfte der sechziger Jahre51. Die Systeme der U.S.-Verbände und diejenigen der anderen, auf deutschem Territorium stationierten NATO-Partner waren aber bereits mit Atomsprengköpfen ausgestattet. Unabhängig davon, ob die Flugabwehrraketen nuklearfähig waren oder nicht - nicht alle deutschen Einheiten waren von Beginn an mit atomaren Sprengköpfen bestückt - , begründeten die Gemeinden den Widerstand gegen solche Stellungen in ihrer Gemarkung mit der nicht von der Hand zu weisenden Vorstellung, dass solche Anlagen grundsätzlich das Ziel feindlicher Luftangriffe sein würden. Die gleichen Einwände erhoben im Übrigen auch solche Orte, in deren Nähe ein Militärflugplatz errichtet werden sollte. Flugplätze, so die Auffassung in der Bevölkerung, würden bei einer militärischen Auseinandersetzung als erste von der Wirkung von Atomwaffen betroffen sein. Das bedeutete die Vernichtung all derer, die in der Nähe solcher Anlagen wohnten52. Bereits 1954 hatte eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Umfrage ein tief sitzendes Gefühl der Unsicherheit vornehmlich unter den Bewohnern westdeutscher Großstädte ermittelt. Außer den Bürgern von Hamburg, Bremen und des nordrhein-westfälischen Industriereviers sah sich auch die Bevölkerung von Rheinland-Pfalz wegen der dort gelegenen alliierten Nachschubbasen 49 50 51 52
BA-MA, BW 1/11834, Merkblatt, 7.8.1958. Thoß, NATO-Strategie, S. 432 f. Spreckelsen/Vesper, Blazing Skies, S. 160-163. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 2. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 127. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 9.1.1957, S. 49.
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bedroht. Bezogen auf Ortsgröße und Region ergab die im Juli 1954 den Bundesbürgern gestellte Frage: »Glauben Sie, daß wir hier ziemlich sicher vor Atombomben sind, oder denken Sie, daß im Falle eines Krieges vielleicht auch hier in dieser Gegend Atombomben abgeworfen werden, oder daß sie bis hierher wirken?«, folgendes Bild53: Tabelle 67: Bedrohungsgefühl in der Bundesrepublik gegenüber Atombomben 1954 (in Prozent) Ortsgröße
Nicht sicher
Dorf Kleinstadt Mittelstadt Großstadt
66 69 74 79
Regionale Gliederung Schleswig-Holstein Bremen, Hamburg Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern
Ziemlich sicher 13 11 11 8
Nicht sicher
Ziemlich sicher
62 84 75 79 71 78 72 59
21 5 8 7 11 4 12 16
Ganz sicher 5 6 4 4 Ganz sicher 6 5 5 4 3 3 5 8
Unmöglich zu sagen 16 14 11 9 Unmöglich zu sagen 11 6 12 10 15 15 11 17
Obwohl man sich in den beiden ländlichsten Bundesländern Bayern und Schleswig-Holstein noch am sichersten fühlte, wenn man Werte um 60 Prozent in der Rubrik >Nicht sicher< so interpretieren will, sagten selbst zwei Drittel (66 Prozent) unter den Bewohnern von Landgemeinden, dass es in einem künftigen Kriege keine Sicherheit vor Atombomben geben werde. In einer NATO-Empfehlung, das Flugbetriebsgelände in einem Sicherheitsabstand von 7 km von der eigentlichen Truppenunterkunft zu errichten, fand das Gefährdungsargument zumindest indirekt seine Bestätigung54. Mit besonderer Gefährdung argumentierte beispielsweise die Gemeinde Heuchelberg bei Heilbronn, die sich gegen die Errichtung einer NlKE-Abschussstellung zur Wehr setzte55. Um sie zu verhindern, gründeten Bürger mehrerer umliegender Ortschaften im Februar 1958 die »Schutzgemeinschaft Heuchelberg«. Dass NlKEBasen »harmlos wie eine Tankstelle« seien56 - so drückte sich ein CDU-Land53 54 55 56
Nachfolgende Daten nach BA, Β 145/4225, Die Stimmung im Bundesgebiet, Nr. 157: Furcht vor dem Atom-Krieg - Die Wasserstoffbombe. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, 3. Legislaturperiode, Stenographisches Protokoll der 6. Sitzung des Verteidigungsausschusses, 29.1.1958. Ebd., Ausschuss für Verteidigung, Drucksache Nr. 17, StS Rust an MdB Merten, 4.7.1958. Kraushaar, Die Protest-Chronik, Bd 3, S. 1797.
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tagsabgeordneter aus glaubten dort nämlich nur Wenige. Mit seiner Meinung stand dieser Landespolitiker im Übrigen sogar im Gegensatz zu Verteidigungsminister Strauß. Schon 1956 hatte jener dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen gegenüber nicht mit der zweifellos zutreffenden Auffassung hinter dem Berg gehalten, »daß es im dicht bevölkerten Gebiet der Bundesrepublik kaum möglich sein wird, militärische Anlagen so einzuplanen, daß hierdurch nicht zugleich eine mögliche Gefährdung größerer ziviler oder wehrwirtschaftlich wichtiger Objekte eintritt«57. Die antizipierten Folgen eines Atomkrieges waren sowohl dem Verteidigungsministerium als auch den Führungsstäben der Bundeswehr bekannt. Komplementär dazu ließ der Führungsstab der Bundeswehr 1958 eine Karte »Empfindliche Punkte« vorbereiten, die besonders schützenswerte Objekte von herausragendem kulturellen oder wirtschaftlichen Wert enthielt. Ziel war es, die deutschen Verbindungsoffiziere bei den Großverbänden der Verbündeten zumindest in die Lage zu versetzen, die verantwortlichen taktischen Führer im Falle eines Nukleareinsatzes mit den vermutlichen Folgen ihrer Entscheidung auf dem Territorium der Bundesrepublik zu konfrontieren 58 . Die Gegend um Heilsbronn lag wegen ihrer Industrie und Bevölkerungsdichte inmitten der besonders empfindlichen Rhein-NeckarRegion. Erste Protestkundgebungen in Heuchelberg führten jedenfalls zur Verabschiedung einer Resolution, worin Bundes- wie Landesregierung aufgefordert wurden, die schon begonnenen Bauarbeiten sofort einzustellen, weil man sich »durch das Vorhandensein einer derartigen Basis, insbesondere aber im Falle kriegerischer Verwicklungen, an Leben und an Existenz bedroht« fühlte 59 . Bald zogen die Proteste auf der Alb weitere Kreise. Ende Februar traten die mit Rodungsarbeiten für diese Basis beschäftigten Waldarbeiter in einen Streik60. Der Stadtrat im nahe gelegenen Heilbronn verabschiedete eine Resolution gegen die Stellung. Und der SPD-Oberbürgermeister forderte die Stuttgarter Landesregierung zur Rücknahme der bereits erteilten Baugenehmigung auf: »Die Nachricht von der Errichtung einer Raketenabschußbasis im Gebiete Heuchelbergs (etwa 15 Kilometer vom Stadtkern Heilbronns entfernt) hat große Erregung in der Bevölkerung unserer Stadt hervorgerufen. Alle Sprecher der Gemeinderatsfraktionen haben in ihren Ausführungen schärfsten Protest gegen die Errichtung einer Raketenabschußbasis auf dem Heuchelberg eingelegt, in der sie eine ernste und dauernde Gefahrenquelle für Stadt und Bevölkerung sehen61.« Eine zusätzlich ins Leben gerufene >Schutzgemeinschaft Heilbronn< organisierte den regionalen Widerstand. Am 5. März 1958 fanden sich rd. 1000 Bürger zu einer Protestkundgebung in Heilbronn ein. Der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft, ein evangelischer Pfarrer, zog eine Parallele zwischen einem Luftangriff aus dem Jahr 1944, der 7000 Heilbronnern das Leben gekostet hatte, und der ge57 58 59 60 61
BA-MA, BW 1/21564, BMVg Strauß an MinPräs Hellwege, 20.12.1956. Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 473 f., 604-620. Zit. nach Kraushaar, Die Protest-Chronik, Bd 3, S. 1800. Ebd., S. 1804. Zit. nach ebd., S. 1809.
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planten Raketenstellung, aus der auch atomare Sprengköpfe verschossen werden könnten. Raketenstellungen seien Magnete für einen Gegenschlag, weshalb die »Parole von der Verteidigung durch Nike, von der Sicherheit durch Raketen« keinesfalls überzeugen und schon gar nicht beruhigen könne62. Die Luftkriegserfahrungen des Zweiten Weltkriegs waren ein immer wieder bemühtes Gegenargument, mit dem auch die Stadt und der Landkreis Pforzheim ihre Ablehnung einer NlKE-Stellung untermauerten. Die Erinnerung an jene Nacht vom 23. auf den 24. Februar 1945, in der ein Fliegerangriff mehr als 17 000 Einwohner tötete und mehr als 65 Prozent der Wohngebäude zerstörte, war 14 Jahre später immer noch sehr präsent63. Schon früh hatte sich im Übrigen der aus Pforzheim stammende SPD-Wehrexperte Fritz Erler in dieser Sache zu Wort gemeldet. Beim Pforzheimer Stellungsprojekt handelte es sich um ein bereits zu Jahresbeginn 1957 unter amerikanischer Ägide ins Leben gerufenes Vorhaben, welches nach Verlautbarung Erlers nicht mit dem Bundesverteidigungsministerium, sondern nur mit der baden-württembergischen Landesregierung abgestimmt gewesen sein soll. Eine solche Information nahm die Presse natürlich gerne zum Anlass, um nachzufragen, wer denn überhaupt die Verantwortung für Pforzheim trage. Vermutlich referierte der Artikel die Auffassung Erlers, wenn da zu lesen stand, dass das Verteidigungsministerium für den Schutz der Stadt zuständig sei. In Bonner militärischen Kreisen, mit denen der Abgeordnete darüber gesprochen haben wollte, herrschte zudem die Auffassung vor, wonach derartige Anlagen unter gar keinen Umständen in oder bei Städten errichtet werden sollten, »deren Zerstörung im Kriege schon erwiesen habe, daß sie im Ernstfall wichtige Bombenziele seien«64. Die Interpellation Erlers zeigte im Übrigen Wirkung, geriet sie doch zur Munition bei den deutsch-amerikanischen Verhandlungen um die Bereitstellung von Land für NlKE-Stellungen. Während der Sitzung des Zentralen Liegenschaftsausschusses benutzten die deutschen Vertreter expressis verbis das Schreiben von Erler, um von der amerikanischen Seite zu verlangen, solche Projekte in Zukunft zweckmäßigerweise vorher mit dem Verteidigungsministerium abzustimmen. Solche konkreten Aktionen gegen die Errichtung von NlKE-Stellungen stehen nun nicht allein für den Protest auf lokaler und regionaler Ebene65, sondern diese Beispiele spiegeln vielmehr die generelle Befindlichkeit der westdeutschen Gesellschaft gegenüber Raketenwaffen wieder. Vor der Folie der großen innenpolitischen Debatte um die Atombewaffung der Bundeswehr, die ja mit 62 63 64 65
Zit. nach ebd., S. 1811. Ebd., S. 2083. Wer trägt die Verantwortung für Pforzheim? In: Stuttgarter Nachrichten, 27.4.1957. Weitere Resolutionen von Gemeindeparlamenten gegen NlKE-Stellungen ergingen u.a. in Remscheid, im südhessischen Dieburg, in Schweinfurt und in Dortmund. Abgesehen von Sitzblockaden, etwa gegen eine englische Flugabwehreinheit bei Dortmund, scheint der Protest nur in einem Fall zu gewaltsamen Aktionen geführt zu haben. Nachdem der Elan gegen die Planungen bei Heuchelberg anscheinend wegen Aussichtslosigkeit erlahmt war, wurde im Oktober 1958 ein Wohnwagen der Bauarbeiter, die mit der Errichtung der Raketenbasis beschäftigt waren, angezündet. Vgl. Kraushaar, Die Protest-Chronik, Bd 3, S. 1909 f., 1998, 2103 f., 2106, 2121, 2133.
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der Ausrüstung nuklearfähiger Systeme wie NlKE-Flugabwehrraketen des Typs HERCULES erst konkrete Gestalt annahm, welche parallel zur Stellungssuche ablief und den großen politischen Protest vielfach erst induzierte, führte das Institut für Meinungsforschung EMNID im Auftrag der SPD im Februar 1958 eine Spezialerhebung durch. Ziel war es, die Einstellung der Bevölkerung zur Errichtung von Raketenbasen in Westdeutschland zu ermitteln66. Zwei Fragen wurden einer strukturgetreuen Population von jeweils etwa 1000 erwachsenen Personen im Alter von 16 Jahren und darüber gestellt, die ein repräsentatives Modell der Gesamtheit der erwachsenen Bevölkerung des Bundesgebiets (das Saarland ausgenommen) darstellten. Fassung Α fragte: »Wenn Sie einmal die gegenwärtige politische und militärische Gesamtsituation kurz bedenken: Sind Sie für oder gegen die Errichtung von Abschußstellen für Atomraketen im Gebiet der Bundesrepublik?« Die Formulierung von Fassung Β unterschied sich vordergründig betrachtet - nur marginal. Anstelle von Atomraketen stand Raketenwaffen. Die Meinungsumfrage brachte eine ganz überwiegend negative Einstellung der westdeutschen Bevölkerung gegenüber der Einrichtung von Raketenbasen zu Tage. Einer Mehrheit von 81 Prozent, die dagegen war, stand eine Minderheit von nur 15 Prozent entgegen, die sich für die Einrichtung solcher Anlagen aussprach. Dieses Ergebnis bestätigte im Grunde genommen das Resultat einer Blitzumfrage, die dasselbe Institut bereits im Dezember 1957 in zwölf deutschen Großstädten durchgeführt hatte. Damals hatte sich ergeben, dass drei Viertel der Befragten mit oder ohne Einschränkung gegen eine Errichtung von Raketenstellungen waren. Die Tatsache, dass im Februar 1958 nur ein geringer Prozentsatz keine Stellung zu dieser Frage bezogen hatte (insgesamt nur 4 Prozent bei Formulierung Α und 5 Prozent bei Formulierung B), zeugte nach Ansicht der Befrager von der außerordentlich hohen Aktualität dieses Problems. Eindeutig schien festgestellt worden zu sein, dass die gegebenen Antworten in erster Linie ein Bild gefühlsmäßiger Einstellungen darstellten. Die Abneigung gegenüber den Raketenstellungen durchzog auch sämtliche sozialen Gruppen. Bei Arbeitern, Angestellten, Selbständigen und Rentnern lag die Ablehnungsquote bei über 80 Prozent, während die Landwirte zu 78 Prozent und die Beamten bzw. Behördenangestellten zu 70 Prozent dagegen votierten. Insgesamt artikulierten sich die Frauen noch stärker abgeneigt (83 Prozent) als die Männer (78 Prozent). Auch bei den Altersgruppen konnten nur verhältnismäßig geringfügige Unterschiede ermittelt werden. Mit 18 Prozent wiesen die jüngeren Jahrgänge allerdings etwas mehr Befürworter auf als die mittleren und älteren (13 Prozent bzw. 15 Prozent). Das ablehnende Votum stieg mit Zunahme der Alterskohorten von 78 Prozent bei den 16- bis unter 20-Jährigen auf 84 Prozent bei der Gruppe der über 65-Jährigen. Obwohl man hätte erwarten können, dass die Einstellung gegenüber den Raketenbasen erheblich durch die politische Sympathie der Erwachsenen mit geprägt sein würde, ergab sich trotz statistischer Unterschiede eine eindrucksvolle Mehrheit von ablehnenden Stimmen: 66
BA, Β 136/6889, Spezialerhebung: Raketenbasen in Westdeutschland?, März 1958.
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Tabelle 68: Einstellungen der westdeutschen Bevölkerung zu Raketenstellungen nach Parteienpräferenz 1958 (in Prozent) Anhänger von: SPD CDU/CSU FDP
Dafür
Dagegen
8 23 15
90 71 85
Die Gabelung der Befragung in zwei Formulierungen (Atomraketen bzw. Raketenwaffen) zeigte im Ergebnis, dass von der Bevölkerung zwischen beiden Begriffen keine große Unterscheidung getroffen und Raketen mit Atomwaffen weitgehend gleichgesetzt wurden. Allerdings verstärkte die ausdrückliche Betonung des Wortes Atomrakete die Mehrheit der ablehnenden Äußerungen noch weiter - im Durchschnitt um vier Prozent: Tabelle 69: Einstellungen der westdeutschen Bevölkerung zu Raketen bzw. Atomraketen nach Geschlechterzugehörigkeit 1958 (in Prozent) Für Raketen Insgesamt Männer Frauen
16 21 12
Gegen
Atomraketen 13 17 10
Raketen 79 76 80
Atomraketen 83 80 86
Die beim Begriff Raketenstellung offenbar sofort wirksam werdende Bedrohungs- bzw. Gefährdungsassoziation blieb im Übrigen ein durchgehendes Muster im Widerstand gegen solche Anlagen während der Aufbauphase des Luftverteidigungsgürtels und reichte bis in die späten sechziger Jahre hinein. Ein kurzer Blick auf verschiedene Zeitungsartikel aus dieser Epoche mag genügen, den öffentlich artikulierten Protest punktuell anhand einiger Vorgänge aus Bayern nachzuzeichnen. Als zur Ergänzung gegen die Bekämpfung tieffliegender Flugzeuge ab 1960 das nicht mit einem nuklearen Gefechtskopf ausgerüstete Flugabwehrraketensystem HAWK eingeführt wurde, wollte sich beispielsweise der Oberbürgermeister von Würzburg unter Zustimmung aller Stadtratsfraktionen an die Spitze eines Demonstrationszuges von zehntausenden von Bürgern stellen, wenn die U.S. Army eine solche Abschussstellung in Stadtnähe errichte67. Bei den ersten, gerüchteweise bekannt gewordenen Informationen 67
Würzburg Basis für Abwehrraketen. In: Münchner Merkur, 17.4.1961. Generell stand man in Würzburg angesichts der schmerzvollen Zerstörungen an der historischen Bausubstanz durch Luftangriffe gegen Ende des Zweiten Weltkrieges einer Truppenstationierung sehr ablehnend gegenüber. Bereits 1956 war der Wahlkampf der örtlichen SPD auch unter dem Motto »Würzburg braucht keine Kasernen« geführt worden. Offensichtlich aufgrund des historisch bestimmten negativen Meinungsbildes, scheint die beabsichtigte Verlegung eines Bundeswehr-Divisionsstabes in die fränkische Mainmetropole der Bevölkerung nicht
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über den beabsichtigten Bau einer französischen Flugabwehrstellung im Isartal bei München liefen die Orts- und Kreisbehörden 1966 Sturm gegen dieses Projekt. Eine Bürgerinitiative - der Journalist schrieb noch von Interessengemeinschaft - sah bei Verwirklichung des Projekts das Isartal als Naherholungsgebiet beeinträchtigt. Ein Bürgermeister wurde schon deutlicher: »Wenn diese Raketen wirklich zu uns kommen, bedeutet das akute Gefahr für die ganze Umgebung68.« Blieb das Gefahrenargument hier auch nur vage angedeutet, so druckte es der Münchner Merkur ein paar Jahre später durchaus konkreter ab. In einem Artikel über die bevorstehende Belegung des Marktes Lenggries mit einem Flugabwehrraketenbataillon und einer damit verbundenen, im Umland neu zu schaffenden HAWK-Einsatzstellung stand unter Berufung auf militärische Kreise zu lesen: »Eine Gefährdung der Umgebung sei in Friedenszeiten keinesfalls gegeben, da ja nur im Ernstfall mit den >Habichten< geschossen werde. Dann aber sei es durchaus strittig, ob es von Nutzen oder Schaden sei, sozusagen im >Raketen-Schatten< zu leben69.« Ob es im apostrophierten Ernstfall tatsächlich tröstlich sein mochte, wenn HAWK-Batterien keine »atomwaffenwürdigen« Angriffsobjekte darstellten, sei einmal dahingestellt, unabhängig von der Frage, ob die Qualitätseinschätzung nach der Angriffswürdigkeit überhaupt stimmte. Abschließend noch ein Blick auf einen in diesem Zusammenhang vielleicht als etwas kurios zu bezeichnenden Vorgang. Im Sommer 1968 informierte der Münchner Merkur nämlich in einem weiteren Artikel seine Leser darüber, dass offenbar nicht immer militärische Bedrohungsängste die Bevölkerung motivierten, gegen geplante Raketenstellungen zu Felde zu ziehen. Es ging um ein Vorhaben auf dem in der Nähe von Rosenheim gelegenen Eckersberg. Hier machte eine angeblich innerhalb kürzester Zeit auf 30 000 Mitglieder angewachsene Schutzgemeinschaft ökologische und zugleich ökonomische Bedenken geltend. Die für die militärische Nutzung erforderlichen Tiefbauarbeiten mit den notwendigen Sprengungen würden nach Ansicht der Stellungsgegner den geologischen Aufbau des Wasserschutzgebietes so empfindlich stören, dass die Quellflüsse in tiefere Schichten durchsackten. Um die Wasserversorgung der Anrainergemeinden weiter sicherstellen zu können, müsste ein kostspieliges Verbundnetz gebaut werden. Was die Grundeigentümer dieser Gegend aber offensichtlich noch besonders negativ berührte, war der Umstand, dass die strengen wasserschutzrechtlichen Bestimmungen den Neubau von Wohnhäusern verboten. Für eine Raketenstellung mit Treibstofflagern, sanitären Anlagen und Truppenunterkunft sollte solches nicht gelten. Verständlich, wenn die Klage über die »Schizophrenie behördlicher Gedankengänge« die Runde machte70. Zurück in das Jahr 1958 und zur Stellungsplanung für die schweren NlKEBatterien. Das Ergebnis der EMNID-Umfrage lieferte der SPD natürlich Munition in ihrem Kampf gegen die Politik der nuklearen Teilhabe, wie sie von der
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vermittelbar gewesen zu sein, weshalb der Heeresstab dann in das benachbarte Veitshöchheim kam. Vgl. Schmidt, Eine Garnison wäre eine feine Sache, S. 398. Die Isartaler wollen keine NATO-Raketen. In: Abendzeitung München, 9.4.1966. Gerüchte über Raketenstellung. In: Münchner Merkur, 23.3.1968. Die Bauern vom Eckersberg weichen nur nackter Gewalt. In: Münchner Merkur, 2.8.1968.
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Bonner Regierung verfolgt wurde 71 . So lehnte etwa der Bundestagsabgeordnete Hans Merten (SPD), einer der sicherheitspolitischen Experten seiner Fraktion, der schon die Weigerung der Gemeinde Heuchelberg, Land für Raketenbasen zur Verfügung zu stellen, an den Verteidigungsausschuss lanciert hatte, die Anschaffung von NiKE-HERCULES Raketen ab, »solange nicht geklärt sei, welches Unheil am Boden angerichtet wird, wenn eine Atomgranate ein Atomflugzeug trifft«72. Öffentlich warf der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Fritz Erler der Bundesregierung vor, sie wolle durch die Einführung dieser beständig als defensiv hingestellten Luftabwehrraketen der Bevölkerung die Atombewaffnung generell schmackhaft machen - ein nicht von der Hand zu weisendes Argument. Dabei werde negiert, dass die Strahlenemissionen bei Detonationen gegen Ziele in zehn Kilometern Höhe auf dem Boden erhebliche Verheerungen hervorrufen würden 73 . Dass die überwältigende Mehrheit der Bundesbürger Raketenstellungen in der Nähe ihrer Wohnorte ablehnte, war eine Tatsache, die - nolens volens - zu berücksichtigen auch für das Verteidigungsministerium galt. In den Gesprächen mit den U.S.-Streitkräften kam dieser Umstand ja bereits zur Sprache. Wollte man hingegen das für sinnvoll erachtete Luftabwehrsystem innerhalb des mit der NATO vereinbarten Zeitfensters aufbauen, dann bedeutete dies aber auch, die innenpolitische Konfrontation darüber so gering wie möglich zu halten. Für einen im Grundsatz kompromissbereiten Kurs sprach zudem die Rechtslage. Denn das für die Stellungen erforderliche Gelände konnte in den Fällen, wo es keinen bundeseigenen Grund und Boden gab, nur unter den Vorgaben des Landbeschaffungsgesetzes sichergestellt werden. Und in diesem Prozess spielten die Länder, die Kommunen, die Gebietskörperschaften und selbstredend die Masse der privaten Grundbesitzer ja eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Allerdings bezog sich die Kompentenz der Landes- und Kommunalorgane auf die Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung, insbesondere der wirtschaftlichen Interessen. Die Legitimation für ein politisch motiviertes Widerstandsmandat konnte man daraus freilich nicht ableiten. Die Aversion, die in der Bevölkerung gegen Flugabwehrraketenstellungen generell herrschte, stand jedoch nicht für eine grundsätzliche Ablehnung der Stationierung von Soldaten. Und schon gar nicht ging es in den meisten Fällen um eine Fundamentalopposition gegen die gesamte Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Bundesregierung. Vielmehr spielte in dieser Frage die »Qualität« von dem, was man in seinen Mauern oder in der Nähe beherbergte, eine ganz entscheidende Rolle. So wurde gegen eine angeblich in Worms geplante amerikanische NlKE-Stellung, bei der schon die Bauarbeiten begonnen hatten, 71
72
73
Die Ergebnisse dieser Repräsentativerhebung wurden auch im SPD-Pressedienst veröffentlicht. Vgl. Kraushaar, Die Protest-Chronik, Bd 3, S. 1816. Vgl. auch Thoß, NATOStrategie, S. 2 4 9 - 5 1 1 . Herkömmlicher Luftschutz ist nicht möglich. In: Hamburger Echo, 24.6.1958; vgl. Ja und Aber der SPD zur atomaren Flugabwehr. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 25.6.1958. Wieder Streit um Atomrüstung. In: Süddeutsche Zeitung, 6.12.1958; vgl. SPD kritisiert atomare Luftabwehr. In: Stuttgarter Nachrichten, 6.12.1958.
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seitens der Stadtverwaltung und des Landes zwar schärfster Protest erhoben. Niemals habe man dem Projekt zugestimmt. Nachdem die U.S.-Streitkräfte aber aus militärisch-taktischen Erwägungen von einem weiteren Ausbau absahen, war der rheinland-pfälzische Ministerpräsident nicht nur hochzufrieden, sondern insbesondere darüber erfreut, weil jetzt die Planung einer Pioniergarnison in Worms umso intensiver betrieben werden konnte. Dazu stand auf einmal auch stadteigenes Gelände für den Kasernenbau und für den Übungsplatz in ausreichendem Umfang zur Verfügung 74 . Mit der Aufgabe von Worms hatte sich dieses eine Problem in RheinlandPfalz zwar erledigt. Indem die Stellung jetzt aber bei Reitscheid im Saarland gebaut werden sollte, beschwor das Vorhaben einen gewissen Dissens mit der Saarbrücker Landesregierung herauf. Dieser zielte interessanterweise in eine ganz andere Richtung, als es der bisherige Verlauf der Debatte um die Luftverteidigungsstellungen vermuten ließ. Im Frühjahr 1958 beschwerte sich der Innenminister des Saarlandes bei seinem Kollegen beim Bund darüber, dass der Chef des Führungstabes der Bundeswehr, Brigadegeneral Werner Panitzki, vor Journalisten erklärt hatte, die 17. NlKE-Stellung werde nicht in Rheinland-Pfalz, sondern vielmehr im Saarland errichtet. Eine vorherige Information der Landesregierung war nicht erfolgt75. Nun ließ sich das vielleicht etwas ungeschickte Verhalten der Bundeswehr rasch bereinigen, indem man die amtliche Benachrichtigung über das geplante Stellungsvorhaben nachreichte. Der saarländische Ministerrat erhob auch keinerlei grundsätzliche Bedenken und war mit den Vermessungen und Vorerkundungen durch die U.S.-Streitkräfte einverstanden, soweit es sich um landeseigenes Gelände handelte. Rechtliche Bedenken gab es allerdings, diese Entscheidung auf den privaten Grundbesitz auszuweiten. Denn das im Februar 1957 verabschiedete Landbeschaffungsgesetz galt noch nicht im Saarland, welches erst am 1. Januar diesen Jahres der Bundesrepublik beigetreten war. Eine Unterstützung der saarländischen Behörden wurde davon abhängig gemacht, ob die betroffenen privaten Grundstückseigentümer gegen die Vermessungen und Erkundungen keinen Widerspruch erhoben. Wie positiv die Regierung des Saarlandes im Übrigen zu diesem speziellen verteidigungspolitischen Sektor stand, zeigte sich daran, dass man dem Verteidigungsministerium auch gleich noch den Tipp gab, Widersprüche von Seiten der Grundeigentümer gar nicht erst entstehen zu lassen. Gewiss, sie sollten schon in »ortsüblicher Weise« von den geplanten Maßnahmen in Kenntnis gesetzt werden. Aber man hielt es für geboten, dass »dabei die Bevölkerung zunächst noch nicht informiert wird, zu welchem militärischen Zweck das Gelände vorgesehen ist«76. Genau der Bestimmungszweck solcher Einrichtungen stellte freilich das Problem dar und blieb der Öffentlichkeit natürlich nicht lange verborgen. Insoweit war die Vorstellung Saarbrückens abwegig, und wohl eher dazu geeignet,
74 75 76
BA-MA, BW 1/11833, MinPräs Rheinland-Pfalz an BMVg, 27.6.1957. Ebd., BW 1/11841, BMI an BMVg, 31.5.1958. Ebd., Innenminister des Saarlandes an BMVg, 5.8.1958.
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den Protest bei eventuell den Verteidigungsbelangen aufgeschlossen gegenüberstehenden Bürgern möglicherweise erst herauszufordern. Wie mit einer Bevölkerung zwischen Atomangst und Verteidigungsbereitschaft umzugehen sei, das war auch ein Problem, vor dem man in Bayern stand. Während der dritten Aussprache des Verteidigungsministers mit dem bayerischen Ministerrat im Sommer 1958, bei der auch die Errichtung der NlKEStellung bei Miltenberg zur Sprache kam, wurde Strauß bedeutet, »daß sich die Bedenken des dortigen Bürgermeisters gegen die Einrichtung einer NlKEStellung überhaupt richten. An sich habe der Bürgermeister gegen eine militärische Belegung nichts einzuwenden 77 .« Wie mit der Situation umgegangen werden sollte, darüber herrschte freilich eine gewisse Ratlosigkeit. Ein dilatorisches Vorgehen, wie von Ministerpräsident Hanns Seidel vorgeschlagen, schien wenig erfolgversprechend. Strauß verwies - außer auf die Notwendigkeit, dass dieses für einen berechtigten Zweck errichtete U.S.-Verteidigungssystem deutscherseits unterstützt werden müsse - auf Hessen, wo es gelungen war, sich über die dortigen Einsprüche hinwegzusetzen. Sein Vorschlag lautete, in der Argumentation gegenüber den Opponenten darauf zu verweisen, es würden »keine Daueranlagen, sondern nur provisorische Einrichtungen zugelassen«78. Da nicht anzunehmen ist, dass dem Verteidigungsminister die auf eine gewisse Dauerhaftigkeit angelegten infrastrukturellen Voraussetzungen des Flugabwehrraketensystems NIKE unbekannt gewesen sind79, mag man dies als taktische Darlegung werten, entnommen der für die politische Kommunikation in der Regel großzügig bemessenen Rubrik der Methode Sand in die Augen zu streuen. Was den Hinweis von Franz Josef Strauß auf die befriedigende Lage in Hessen anbelangt, so hatte auch diese Medaille freilich ihre zwei Seiten. Zunächst ist festzuhalten, dass Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) schon im Sommer 1956 von Verteidigungsminister Theodor Blank über ein NlKE-Stellungsnetz informiert worden war, welches die Amerikaner über RheinlandPfalz, Hessen und Baden-Württemberg zu spannen beabsichtigten. Im Zuge der weiteren Planungen führte man in Wiesbaden am 12. August 1957 einen Kabinettsbeschluss herbei, der festlegte, NlKE-Stellungen auf hessischem Boden nicht zuzustimmen 80 . Die Initiative dazu war insbesondere von Darmstadt ausgegangen, wo eine solche Einrichtung installiert werden sollte und der Magistrat sich am 4. Februar 1957 mit der Bitte um Intervention an die Landesregierung gewandt hatte. Ein Motiv war auch hier die Erinnerung an einen schweren nächtlichen Bombenangriff im Sommer 1944. Selbst wenn eingeräumt wurde, dass Flugabwehrraketen rational betrachtet ein Mittel zum Schutz darstellten, so wog dies die gegenstehende Vorstellung keinesfalls auf, eine Luftverteidi-
77 78 79
80
BayHStA, MWi 22429, Protokoll des außerordentlichen Ministerrats Nr. 36,14.7.1958. Ebd. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass zum Schutz der Waffensysteme vor gegnerischen Luftschlägen auch temporär zu besetzende Stellungen in Erwägung gezogen worden waren. BA-MA, BW 1/11834, Übersicht NlKE-Stellungen, 14.2.1959. Kraushaar, Die Protest-Chronik, Bd 3, S. 1755.
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gungsstellung sei ein primäres Angriffsziel81. Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Josef Rust, ließ das Bedrohungsargument freilich nicht gelten. Diese von den Amerikanern zu betreibenden Stellungen würden »wegen ihrer geringen Größe kein Ziel für feindliche Raketen bieten« und demnach sei eine zusätzliche Bedrohung der Bevölkerung nicht zu befürchten, eine Feststellung, die auch die U.S. Army teilte82. Wie sehr den Amerikanern offensichtlich am Stellungsbereich Darmstadt gelegen war, verdeutlicht ein sorgenvolles Schreiben des Chefs des Stabes USAREUR an den deutschen Verteidigungsminister. Seit acht Monaten verhandle man bereits mit der hessischen Landesregierung; allein das Kabinett verweigere seine Zustimmung. Noch nicht einmal eine Geländealternative sei angeboten worden. Ob es dessen bedurfte oder nicht, jedenfalls legte der amerikanische General H.G. Maddox dem Minister dar, dass die Anlage des Flugabwehrsystems einem bestimmten Szenario folge, welches den besten Schutz gewähre, sodass die Auswahl des benötigten Terrains daher keinesfalls dem Zufall überlassen werden könne. Zu den technischen Voraussetzungen, die erfüllt sein mussten, gehörten gewisse Anhöhen für die Radargeräte, wenig umführende Stromleitungen und eine hinreichende Entfernung von Wohngebäuden. Bei der Geländewahl, so die Versicherung, werde zudem besonders darauf geachtet, zunächst auf streitkräfteeigenen, dann auf in öffentlicher Hand befindlichen und ganz zum Schluss erst auf privaten Grundbesitz zu reflektieren. Das fragliche Terrain bei Darmstadt, der so genannte Griesheimer Platz, war Bundeseigentum. Hier waren weder Eingriffe in den Baumbestand erforderlich noch wurde Ackerland in Mitleidenschaft gezogen. Eine wesentliche Qualität dieses Platzes bestand darin, dass er in einer Wechselbeziehung mit fünf weiteren Stellungen stand. Beim Verzicht auf Darmstadt war wiederum deren Neuausrichtung erforderlich. Erkundungen hatten ergeben, dass ein den technisch-taktischen Anforderungen entsprechendes Alternativgelände innerhalb eines angemessenen Radius nur unter Rückgriff auf privaten Grund und Boden beigebracht werden konnte. Sollte man darauf eingehen müssen, dann bezifferte der U.S.-General einen finanziellen Verlust von 50 000 DM, zusätzlich zum Zeitverlust von etwa 15 Monaten. Nicht zuletzt der Dringlichkeit der Entscheidung wegen ersuchte er den Minister, »sich persönlich in dieser Sache einzuschalten, sodaß zum frühestmöglichen Termin eine Entscheidung erreicht werden kann«83. Ob die Amerikaner bei aller Umtriebigkeit und allem auf das Tempo drücken in der Stellungsangelegenheit Darmstadt oder anderswo immer den Schutz des Territoriums der Bundesrepublik als solches im Auge hatten oder ob es ihnen in erster Linie zunächst um den Schutz ihrer eigenen Stützpunkte ging, sei einmal dahingestellt84. 81 82
83 84
BA-MA, BW 1/11832, 4.2.1957; vgl. BA-MA, BW1/11832, MdB Metzger an BMVg, 28.2.1957. Ebd., StS Rust an MdB Metzger an BMVg, 15.2.1957; ebd., Chief of Staff USAREUR an BMVg, 22.3.1957. Ebd. Vgl. Krüger, Die Entstehung der NATO-Luftverteidigung, S. 529. Mit Hinweisen auf Kompromisse zugunsten deutscher Vorstellungen, NlKE-Stellungen für die Luftverteidi-
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Im Ergebnis zogen die Hessen zwar den Kürzeren, da die Aufstellung auf bundeseigenem Gelände rechtlich nicht verhindert werden konnte. Darauf hatte sich Strauß vor dem bayerischen Ministerrat offensichtlich berufen, als er von einer bereinigten Lage in Hessen sprach. Glaubt man freilich der im SPDZentralorgan Vorwärts verbreiteten Variante, dann soll die Bereinigung eher einer Überrumpelung gleichgekommen sein. Obwohl man Zinn angeblich zugesagt hatte, von der Aufstellung einer NlKE-Batterie Abstand zu nehmen - was ausweislich des eben rekonstruierten Vorgangs nicht stimmt -, habe man die Abwesenheit des Ministerpräsidenten im Ausland genutzt, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Wie auch immer, selbst der Vorwärts musste zugeben, dass die Landesregierung wegen der Besitzverhältnisse des Griesheimer Platzes »bedauerlicherweise nur protestieren« konnte 85 . Dass man sich aber generell bei der Stellungswahl überwiegend auf bundes- oder landeseigenes Gelände abgestützt hätte, mag zwar ursprüngliche Absicht gewesen sein - vielleicht aber auch nur ein frommer Wunsch. Faktisch sah es mit Stand Februar 1959 allerdings so aus, dass bei der Landbeschaffung für die zu diesem Zeitpunkt insgesamt geplanten oder schon im Bau befindlichen 77 französischen, belgischen, niederländischen, amerikanischen und deutschen Stellungen bei 27 auf fiskalisches und bei 24 auf privates Grundeigentum zurückgegriffen wurde 86 . Was nun den Umgang mit partout sich verweigernden Landesregierungen anbetraft, so war bereits nach dem eben zitierten Brandschreiben aus dem Hauptquartier der U.S. Army innerhalb der Abteilung Unterbringung und Liegenschaften des Verteidigungsministeriums erwogen worden, einen solchen Widerstand gegen ein militärisches Vorhaben erstmalig über das Vehikel des Landbeschaffungsgesetzes zu brechen. Man war sich im Klaren darüber, dass es sich dabei um eine politische Entscheidung von besonderer Bedeutung handelte. Zunächst wollte der Minister freilich noch nicht so weit gehen. Er schlug dem hessischen Ministerpräsidenten vielmehr vor, seine bisherige ablehnende Haltung zur Stellungsplanung bei Darmstadt einschließlich des von den Amerikanern ins Auge gefassten Alternativgeländes und unter Berücksichtigung der militärischen Notwendigkeiten des zum Schutze der Bevölkerung vorgesehenen Luftverteidigungssystems noch einmal zu überprüfen. Gerne erbot sich Strauß, den Sachverhalt persönlich zu erörtern, erforderlichenfalls unter Beiziehung des NlKE-Gesamtverantwortlichen bei USAREUR 87 . Der im politischen Geschäft erfahrene Verteidigungsminister beließ es freilich nicht beim nochmaligem Appell an das staatspolitische Gewissen des SPD-Ministerpräsidenten, zumal es nicht sehr wahrscheinlich schien, dass dort ein Sinneswandel eintreten würde. Vielmehr informierte er mit gleicher Post seinen CDU-Parteifreund, den Darmstädter Bundestagsabgeordneten Walter Lohr, sowie Bundesaußenminis-
85 86
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gung der Bundesrepublik näher an den Eisernen Vorhang heranzuschieben, vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 448. Millionen für Militärbauten. In: Vorwärts, 9.5.1958. BA-MA, BW 1/11834, Übersicht NlKE-Stellungen, 14.2.1959. Bei 26 Stellungen sind in diesem Dokument keine Angaben über die Eigentumsverhältnisse vermerkt. Ebd., BW 1/11832, BMVg an MinPräs Zinn, 3.4.1957.
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ter Heinrich von Brentano, der den Nachbarwahlkreis im Parlament vertrat. Er bat beide wegen der dringenden militärischen Notwendigkeit des Vorhabens um politische Unterstützung bei der Verwirklichung vor Ort. Offenbar gerne lieferte Brentano die erbetene Schützenhilfe, indem er den Darmstädter Stadtrechtsrat darauf persönlich ansprach. Und dieser sicherte auch zu, sich der Angelegenheit im verteidigungspolitischen Sinne der Bundesregierung anzunehmen88. Wie es scheint, nahmen die U.S.-Streitkräfte vor Ort die Sache zudem in die eigene Hand. Im Sommer 1957 musste der Oberbürgermeister nämlich aus der Zeitung erfahren, dass eine amerikanische Pioniereinheit bereits mit dem Stellungsausbau begonnen habe. In einem Brandbrief teilte man dies der um Hilfe ersuchten Landesregierung mit. Obschon es damals sicherlich ernst gemeint war und vermutlich auch einen Teil der sozialpolitisch motivierten Sorgen anschaulich wiedergibt, muten die Argumente mit Blick auf das doch eigentlich weitaus wichtigere Nuklearproblem aus heutiger Sicht doch etwas kurios an: »Wir möchten endlich nicht verhehlen, daß sich die VertriebenenSiedlung St. Stephan der Ungarn-Deutschen in einem Zustand allerhöchster Erregung befindet. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil Arbeiten in unmittelbarer Nähe der Kirche vorgenommen werden, und weil ein Betonsockel mitten auf dem Sportplatz von St. Stephan errichtet wurde, der dadurch mit einmal unbrauchbar geworden ist89.« Aber gerade diese sozialpolitische Weiterung einer verteidigungspolitischen Maßnahme wurde vom Staatssekretär im Verteidigungsministerium für besonders berücksichtigenswert erachtet, als man die U.S.-Botschaft in Bonn um Aufklärung über den vermeintlichen Stellungsbau bat. Am Ende dieses Vorgangs, den außerdem noch ein Schriftwechsel zwischen Adenauer, Zinn sowie dem hessischen Innenminister und dem Bundesverteidigungsminister begleitet haben soll, stand dann eine vielsagende Pressemitteilung der Wiesbadener Staatskanzlei. Diese zielte darauf ab, dass die Bundesregierung zwar über ihr in Hessen liegendes Gelände frei verfügen könne, man es andererseits als zumindest ungewöhnlich empfand, solche Verfügungen zu treffen, ohne der Landesregierung auch nur eine Mitteilung zu machen90. Eine in der Rückschau sicherlich nicht haltbare Auffassung, die wohl der parteipolitischen Informations-, besser vielleicht Desinformationspolitik geschuldet gewesen war. Die selektive Informationspolitik, derer man das Verteidigungsministerium bei der Frage nach dem Wohin der NlKE-Stellungen anprangerte, betraf augenscheinlich aber nicht nur die im anderen politischen Lager stehenden Landesregierungen. Bereits zu Beginn der Planungen für die U.S.-Stellungen hatte der Interministerielle Ausschuss für Unterbringungs- und Liegenschaftsfragen der Streitkräfte im baden-württembergischen Finanzministerium die unzulängliche Aufklärung in Wort, Schrift und Bild über die Notwendigkeit und die Funktionsweise der NlKE-Abschussbasen moniert. Dieses Defizit empfand man des88 89 90
Ebd., AA an BMVg, 12.4.1957. Ebd., BW 1/11833, Magistrat Darmstadt an Staatskanzlei Wiesbaden, 30.7.1958. Schneider, Streitkräfteaufbau, S. 28.
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halb umso ärgerlicher, weil nach Einschätzung der Stuttgarter Staatsregierung auch in der südwestdeutschen Öffentlichkeit völlig falsche Vorstellungen über den Zweck und die Bedeutung dieser Anlagen herrschten. Als Folge sah man sich deshalb vor Einwände gegenüber Geländewünschen gestellt, die von Angst und Misstrauen gegenüber der Verteidigungsplanung genährt wurden91. Auch der CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Franz Meyers, berichtet in seinen Memoiren davon, dass ihm das Bundesverteidigungsministerium Angaben darüber, wo NlKE-Raketen stationiert werden sollten, verweigert habe. Erst nach einem Besuch beim NATO-Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte Europa Mitte, dem deutschen General Hans Speidel am 1. Juni 1959 in Fontainebleau, will er erfahren haben, »wo die Nike-Raketen stationiert werden sollten«92. Er habe daraufhin eine Kommission eingesetzt, bestehend aus dem Chef der Staatskanzlei sowie den Staatssekretären des Landwirtschaftsund des Innenministeriums. Ihre Aufgabe bestand in der Erkundung geeigneter Standorte. Weil es in anderen Bundesländern über die Aufstellung der Raketen bereits zu Unruhen gekommen war, empfahl der Ministerpräsident eine unauffällige Arbeitsweise. Seine konkrete Anweisung lautete: Zuerst Ödland in den betreffenden Gegenden zu suchen und dabei erst nach Bundes-, dann nach Landes-, sodann nach Kommunal- und erst zuletzt nach Privatbesitz zu forschen. Fürwahr kein originäres landesspezifisches Verfahren, sondern eigentlich eine zumindest erklärte grundsätzliche Vorgehensweise der politischen Leitung wie der militärischen Planer. Da das Gremium seine Aufgabe so hervorragend erledigt hatte, ging die Einrichtung der NlKE-Stellungen - den Erinnerungen Meyers zufolge - in Nordrhein-Westfalen »völlig geräuschlos vonstatten«93. Bezogen auf die von der Bundeswehr zu betreibenden Stellungen mag das vielleicht so gewesen sein, unter Berücksichtigung der Proteste gegen eine anscheinend geplante englische NlKE-Stellung in Brakel, einem Vorort von Dortmund, ist dies allerdings wenig wahrscheinlich. Am 3. Februar 1959 suchte der dortige Oberbürgermeister, Dietrich Keuning (SPD), Franz Josef Strauß in Bonn auf, um ihm den Protest des gesamten Stadtrates, dem auch 22 CDU-Abgeordnete angehörten, gegen dieses Stellungsvorhaben zu übermitteln. Die Ratsherren waren der Ansicht, es sei unverantwortlich, inmitten des dichtbesiedelten Ruhrgebiets eine Raketenbasis zu errichten. Hier sind zunächst einmal die parteipolitischen Schlussfolgerungen interessant, welche aus dieser Unterredung von der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag gezogen und über zwei Presseerklärungen auch verbreitet wurden. Ohne die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die britischen Streitkräfte auszuloten, wertete der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Wehrexperte Erler die Erklärung des Verteidigungsministers, er wolle über den Standort der britischen Raketeneinheit noch einmal mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen verhan91 92 93
BA-MA, BW 1/11832,13.3.1957. Meyers, gez. Franz Meyers, S. 330. Ebd.; vgl. Die Kabinettsprotokolle der Landesregierung Nordrhein-Westfalen 1958 bis 1962.
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dein, einmal als »Beweis dafür, dass auch er [Strauß, d. Verf.] Bedenken gegen eine Stationierung in Dortmund hat«94. Zum anderen mutet es aber sehr nach dem St. Florians-Prinzip an, wenn die politisch gegen eine Atombewaffnung kämpfende SPD gleichzeitig dazu ermunterte, »im Wege eines Tausches eine solche Einheit, deren Auswirkungen auf die Sicherheitslage der näheren Umgebung umstritten sind, von Dortmund wegzubringen«95. Oder bestimmte die Vorstellung apokalyptischer Zerstörungen in einer Großstadt das politische Vorgehen und war somit ein Argument der Schadensminderung? Trotz solcher Ungereimtheiten wusste man die geplante Dortmunder Raketenstellung aber vortrefflich in einen Zusammenhang mit dem 1958 maßgeblich von der SPD initiierten, indes gescheiterten Versuch zu setzen, eine Volksbefragung über die Atombewaffnung der Bundeswehr durchführen zu lassen. Geschickt hob die Presseerklärung zunächst auf den Grad der Legitimität politischer Entscheidungen ab. Weil der Rat der Stadt Dortmund seine Beschlüsse in dieser Frage einstimmig gefasst habe, würde ihnen dies eine größere Rechtmäßigkeit verleihen, als sie die Bundesregierung für eine Reihe ihrer wehrpolitischen Maßnahmen beanspruchen könne, die der Bundestag nicht einstimmig beschlossen hatte. Der Hinweis darauf, dass dem Bund nach dem Grundgesetz die alleinige Kompetenz in Verteidigungsangelegenheiten zukam und die entsprechende Gesetzgebung das vorgeschriebene parlamentarische Verfahren durchlaufen hatte, mag hier als Gegenargument genügen. Interessant freilich ist die Frage der Legitimität im Zusammenhang mit dem pfiffig formulierten Argument, mit welchem die SPD-Fraktion die Erklärung aus dem Verteidigungsministerium kommentierte, wonach es einer eingehenden Überprüfung bedürfe, ob tatsächlich so viele Menschen Einwände gegen die Stationierung einer Raketeneinheit hatten: »Wenn das Verteidigungsministerium im Falle Dortmund eine Art Volksabstimmung für erwünscht halten sollte, ist es schlechterdings unverständlich, warum man in der Frage der Atombewaffnung überhaupt eine Volksbefragung verhindert hat96.« Mit der Versicherung des Verteidigungsministers, nach Dortmund - wenn überhaupt - dann allenfalls provisorisch eine solche Einheit zu verlegen, gab man sich vor Ort allerdings nicht zufrieden. Aus Furcht vor der Dauerhaftigkeit vieler Provisorien bewegte sich am 7. Februar ein Autokorso mit etwa 1000 Demonstranten aus dem gesamten Ruhrgebiet in den Vorort Brakel, wo, wie man vermutete, die britischen Abschussbasen auf einem ehemaligen Flugplatz eingerichtet werden sollten. Der Zug wurde begleitet von einem Lautsprecherwagen, über den Parolen wie »Dortmund will keine Atomraketen!« verbreitet wurden. Im Verlauf der Abschlusskundgebung mündete der örtliche Protest dann ein in eine allgemeine Ablehnung der nuklearen Rüstung und in die Forderung nach einem kernwaffenfreien Deutschland. Eine Bemerkung am Rande, 94
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AdSD, NL Fritz Erler, Box 15, Sozialdemokratische Bundestagsfraktion, Pressestelle: Mitteilungen für die Presse Nr. 64/59 betr. Raketeneinheiten in Dortmund, 4.2.1959. Ebd. Ebd., Nr. 66/59, betr. Raketeneinheiten in Dortmund, 4.2.1959.
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welche die überregionale politische Relevanz einer scheinbar lokalen militärischen Maßnahme unter Beweis stellt, war die Reaktion in der DDR. Diese machte sich das Aufbegehren in Dortmund zunutze, indem das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« eine Karte verbreitete, auf der die Reichweite des durch diese Raketenstationierung angeblich entstehenden Bedrohungsradius eingezeichnet war97. Und mit noch einer weiteren Aktion geriet Dortmund zur Zielscheibe des ostzonalen Kampfs gegen die Nuklearrüstung. Mit 150 000 Briefen, die angeblich von Bürgern der DDR geschrieben worden waren, wollte man sich mit den Einwohnern der Ruhr-Stadt in ihrem Kampf gegen die Stationierung britischer Atomraketen solidarisieren98. Dass die Strafkammer des Landgerichts Dortmund auf Antrag von Bundesinnenminister Gerhard Schröder ein Verfahren zur Beschlagnahme eröffnete, das die Vernichtung sämtlicher, als durchsichtige kommunistische Propaganda eingestufter Briefe nach sich zog, mag zwar durchaus eine damals übliche Praxis gewesen sein. Aber geräuschlos ging dies vermutlich nicht vonstatten. Überregionale Aufmerksamkeit dürften schließlich die Protestaktionen am 13. und 14. März 1959 erzielt haben, bei denen u.a. der evangelische Pfarrer Martin Niemöller als einer der prominentesten deutschen Atomwaffengegner unweit der geplanten NlKE-Stellung eine Mahnwache eröffnete. Für eine - unter Zugrundelegung der damaligen Beurteilung außerparlamentarischer, bürgerlicher Protestformen - politische Radikalisierung sorgten schließlich Vertreter der Internationalen Kriegsdienstgegner (IdK) und der Sozialistischen Jugend Deutschlands - Die Falken, die eine Sitzblockade vor der Zufahrt zum Flugplatz organisierten. Internationale Unterstützung erhielt die Aktion vom englischen Unterhausabgeordneten Stuart Morris, der in seiner Eigenschaft als Generalsekretär des War Resisters International der Gruppe seinen Dank dafür abstattete, dass erstmalig nach britischem Vorbild ein Sitzstreik in Deutschland durchgeführt wurde. Diese Form des Protests zog ein gutes Jahr später allerdings ein Nachspiel nach sich. Einer der Blockierer musste sich im März 1960 vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Dortmund wegen Aufruhrs und Landfriedensbruch verantworten99. Allein unter Berücksichtigung der Vorgänge in Dortmund scheint die Erinnerung des damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, der Aufbau des Luftverteidigungsgürtels sei in seinem Bundesland »geräuschlos« vonstatten gegangen, getrübt gewesen zu sein. Und noch in einem anderen Punkt dürfte sich dieser Prozess nicht so abgespielt haben, wie es Franz Meyers seinen 97
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Dortmunder Bevölkerung antwortet auf Drohung der Militaristen. Nun erst recht Kampfaktionen. In: Neues Deutschland, 7.2.1959. In der offiziellen DDR-Geschichte rühmte man sich, speziell über die Aktionen zu Dortmund nicht nur eine Kundgebung gegen die Stationierung von Atomwaffen mit angestoßen, sondern vielmehr einen wachsenden Einfluss auf die öffentliche Meinung in Westdeutschland ausgeübt zu haben. Man habe somit dazu beigetragen, »daß sich in den verschiedensten Schichten der westdeutschen Bevölkerung bis in das Bürgertum die Opposition gegen die antinationale NATO-Politik der Adenauer-Regierung entwickelte«. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd 8, S. 146. Zu den Protestaktionen in Dortmund vgl. Kraushaar, Die Protest-Chronik, Bd 3, S. 2103 f., 2106, 2121, 2133.
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Lesern glauben machen wollte. Folgt man seinen Ausführungen, so könnte der Eindruck entstehen, dieses Bundesland habe einen großen Einfluss auf die Stellungswahl ausgeübt, im Ergebnis zum Wohle aller Beteiligter. Für die Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen mochte das vielleicht zugetroffen haben. Aus Sicht der Bundeswehr stellte sich der Vorgang zumindest in der Anfangsphase und bezogen auf das ganze Bundesgebiet dagegen nicht annähernd so glatt dar. Im Herbst 1959 sah sich der Inspekteur der Luftwaffe veranlasst, den Verteidigungsminister generell über die Schwierigkeiten bei der NlKE-Infrastruktur zu informieren. Wegen des Einspruchs der Länder mussten Stellungserkundungen immer wieder verworfen werden, womit jegliche militärische Planung zur Illusion gerann100. Bezogen auf Nordrhein-Westfalen beklagte die zuständige Wehrbereichsverwaltung sich sehr darüber, dass die »im Verhältnis zur besonders vordringlichen Verwirklichung der Lenkwaffenvorhaben in NRW eingetretene starke Verzögerung in der Durchführung des Raumordnungsverfahrens [...] vornehmlich auf die Haltung des MinPräs NRW zurückzuführen [ist], der aus politischen Gründen trotz wiederholter Erinnerungen und Hinweise auf die Eilbedürftigkeit das sog. >grüne Licht< für 2 Stellungsvorhaben erst am 13.5.1959 gegeben hat«101. Im Übrigen stützen auch die amtlichen Akten die Behauptung Meyers vom geräuschlosen Ablauf der Stellungswahl nicht unbedingt in allen Punkten. Ein Grund für die monierten Verzögerungen lag darin, dass die an der Stellungserkundung beteiligten Vertreter der entsprechenden Selbstverwaltungsorgane infolge der Besonderheiten der Raketenvorhaben in jedem Fall darauf beharrten, zunächst eine Entschließung des Gemeinderates herbeizuführen. Es ist mit Blick auf die Situation in anderen Bundesländern kaum vorstellbar, dass der Meinungsbildungsprozess gerade in dieser Angelegenheit nicht auch von Kontroversen überschattet gewesen wäre. Im Wissen um die politischen Schwierigkeiten, welche die Debatte um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr im Allgemeinen und die Aufstellung von Flugabwehrraketen im Besonderen ausgelöst hatte, erscheint es auch sehr zweifelhaft, dass gerade der Ministerpräsident in Düsseldorf nicht über das Ausmaß des hierfür erforderlichen Landbedarfs aufgeklärt worden wäre. Das Gegenteil war der Fall. Schon im Januar 1958 hatte der Befehlshaber im Wehrbereich III die Staatskanzlei in Düsseldorf über den geplanten Bau von Flugabwehrraketenstellungen informiert102. Am 20. Dezember 1958 waren dem Interministeriellen Ausschuss für Verteidigungsliegenschaften die Unterlagen über die ersten in Nordrhein-Westfalen vorgesehenen NlKE-Stellungen und über weitere Stellungen in der nachfolgenden Zeit mit der Bitte um Einleitung des Raumordnungsverfahrens übersandt. Am 13. Januar 1959 wurden Vertreter der Landesregierung durch das BMVg über grundsätzliche Fragen des ΝΐΚΕ-Einsatzes unterrichtet. Weil das
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BA-MA, BL 1/14665, Tagebuch Inspekteur Luftwaffe: Kommandeurbesprechung durch den BMVg am 29./30.10.1959. Ebd., BW 1/10797, WBV Düsseldorf an Abteilung Infrastruktur im BMVg, 8.12.1959. Raketen um das Ruhrgebiet schaffen keine Sicherheit. In: Neue Rhein-Zeitung, 15.2.1958.
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Raumordnungsverfahren nicht eingeleitet worden war, wandte sich Strauß persönlich an den Düsseldorfer Ministerpräsidenten 103 . Und im April 1959 wurde auf mindestens zwei Kabinettssitzungen die Stationierung von NlKE-Bataillonen in Nordrhein-Westfalen erörtert 104 . Ausweislich eines Briefes der Infrastrukturabteilung im Verteidigungsministerium an den niedersächsischen Innenminister waren die Länderregierungen von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen bereits in Kenntnis gesetzt worden. Jetzt, im Februar 1959, sollte die Landesregierung in Hannover auf den gleichen Kenntnisstand gebracht werden 105 . Auch wenn Franz Meyers' Erinnerungen nicht ganz dem tatsächlichen Verlauf - besonders im Hinblick auf die Schilderung des Informationsflusses - entsprachen, in einem stimmen sie mit den Fakten überein. Trotz der dichten Besiedelung dieses Bundeslandes hat die Landesregierung bzw. der zuständige Interministerielle Ausschuss für Fragen der Landbeschaffung nachdem die verschiedenen Interessen abgeklärt und ein Konsens herbeigeführt worden waren allen NIKE-Vorhaben zugestimmt. Hier funktionierte der parteipolitische Konsens in der Verteidigungspolitik offenbar prächtig. Zur Situation in Niedersachsen: Nach einer kurzen, schriftlichen Vorabinformation des Ministerpräsidenten aus dem Verteidigungsministerium über die beabsichtigte Aufstellung von fünf NlKE-Bataillonen im Wehrbereich II (Niedersachsen und Bremen) trug am 27. Februar 1959 der Kommandeur der 3. Luftverteidigungsdivision in Hannover vor dem Innenstaatssekretär und mehreren leitenden Beamten über die Notwendigkeit raketengestützter Luftverteidigung, über die technischen und topografischen Voraussetzungen für die Stellungen sowie über die vermeintliche Gefahrlosigkeit der sowohl mit konventionellen als auch nuklearfähigen Raketen bestückten »Fla-LenkwaffenSchutzzone« vor. Einem Vermerk der Infrastrukturabteilung des Verteidigungsministeriums zufolge soll dieses Briefing bewirkt haben, dass sich die niedersächsische Landesregierung den militärischen Notwendigkeiten gegenüber nicht nur aufgeschlossen zeigte, sondern auch keine grundsätzlichen Bedenken gegen die erforderlichen Erkundungsmaßnahmen anmeldete. In gewissem Sinne bemerkenswert, weil auch hier in einem bestimmten Umfang das St. Florians-Prinzip galt, nahm sich allerdings die Antwort des Generals auf die vom Staatsekretär gestellte Frage nach der Gefährdung der Bevölkerung aus. So stelle die Flugabwehrzone nicht nur die zur Zeit einzig mögliche wirksame Abwehr gegen Luftangriffe dar, sondern sie wirke »zudem durch ihr bloßes Vorhandensein abschreckend, so daß man eher schließen dürfe, daß eine Angriffsformation die innerhalb der Reichweite der Fla-Lenkwaffen-Batterien liegende Zone bewußt umfliegen werde« 106 . Dass an diesen Ausführungen Anstoß genommen worden wäre, kann in den Quellen nicht nachvollzogen werden. 103 104
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BA, Β 136, BMVg an Bundeskanzler, 19.3.1959. Vgl. die Kabinettsprotokolle der Landesregierung Nordrhein-Westfalen 1958 bis 1962, S. 259, 271. BA-MA, BW 1/23539, 31.1.1959. Ebd., Vermerk betr. NATO-Luftverteidigungsvorhaben in der Bundesrepublik: Einrichtung von NlKE-Stellungen im Wehrbereich II, 11.3.1959.
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Andererseits überrascht es auch kaum, wenn aus diesem Kreis kein genereller Einspruch gegen die Erkundungsmaßnahmen laut wurde, zumindest, wenn man den Vorgang aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel betrachtet. Die Kompetenz in Verteidigungsbelangen - einschließlich der Landbeschaffung lag in den Händen des Bundes. Einer der wesentlichsten Aspekte der Stellungserkundung, die so genannte Radarausleuchtung zur Ermittlung eines möglichst optimalen Erfassungssektors, wurde demnach auch ganz bewusst unter Verweis auf § 30 des Landbeschaffungsgesetzes begründet: Hierin waren u.a. den für die Planung zuständigen Behörden - also dem Verteidigungsministerium bzw. seinen nachgeordnet beauftragten Organen - die Befugnisse übertragen worden, die für Maßnahmen der Verteidigung in Betracht gezogenen Grundstücke zu betreten und zu vermessen, um sie somit auf ihre militärische Eignimg hin zu überprüfen - vorausgesetzt, der Eigentümer wurde vorher benachrichtigt. Die Erfüllung dieser Auflage war mit der Information der Landesregierung eingeleitet worden. So ganz scheint man sich der artikulierten, grundsätzlichen Geneigtheit der Hannoverschen Landesregierung dann doch nicht sicher gefühlt zu haben. Wegen der politischen Tragweite der gesamten Maßnahme, die im Nachbarland Hessen ja erheblichen Staub aufgewirbelt hatte, vermutete die regional zuständige Wehrbereichsverwaltung, dass der gesamte Fragenkomplex um die Flugabwehrraketenstellungen federführend beim Innenministerium behandelt oder er gar dem Kabinett vorgetragen werden könnte. Aufgrund von Andeutungen aus dem niedersächsischen Innenministerium rechnete man in der Wehrverwaltung vor den Landtagswahlen, die für Mitte April 1959 anberaumt waren, auch kaum noch in der laufenden Legislaturperiode mit einer Genehmigung der beabsichtigten Radarausleuchtung der einzelnen Stellungen107. Die Einschätzung war richtig. Erst zum Ende des Monats April stimmte der Innenminister in Hannover diesen Maßnahmen zu. Aus zwei Gründen kann der weitere Verlauf der Stellungserkundungen für Flugabwehrraketen in Niedersachsen als charakteristisch für einen Teil des materiellen, aber durchaus auch psychologischen Integrationsprozesses der Bundeswehr in Staat und Gesellschaft insgesamt bezeichnet werden. Erstens lässt sich anhand der Einwände, die ein Teil der betroffenen Kommunen gegen solche Einrichtungen vorbrachte, das ambivalente Verhältnis zur Verteidigung bis auf die kleinsten politisch-gesellschaftlichen Organisationsgrößen nachzeichnen, wenn konkrete Maßnahmen damit verbundenen waren. Zweitens demonstriert der Umgang der Streitkräfte mit den Einwänden, dass diese in einem hohen Maße daran interessiert waren, gerade in einer so wichtigen Angelegenheit und trotz vertraglicher Bindungen innerhalb der NATO, warin immer möglich einen für beide Seiten befriedigenden Konsens herbeizuführen. Nicht immer beharrte man auf der Durchsetzung scheinbar unumstößlicher militärischer Notwendigkeiten. Augenscheinlich hatte Minister Strauß dem niedersächsischen Innenminister Otto Bennemann auch ein weitgehendes Entgegenkommen 107
Ebd., WBV II an BMVg, 6.4.1959.
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signalisiert, das bei besonders strittigen Fällen auch die Möglichkeit von Umplanungen einschloss108, vielleicht ein Ergebnis oder gar ein Lerneffekt aus dem bisherigen Prozess seit 1957. Das Programm des Jahres 1960 sah vor, in Niedersachsen insgesamt 13 NIKEStellungen für die Bundeswehr einzurichten. Bei acht Standorten brachten die zivilen Stellen keine Einwände vor. Im Falle von Schilling, Langeoog, Bad Zwischenahn und Petersdorf zeigte sich die Landesregierung allerdings hartnäckig. Innerhalb dieser Gruppe ragt die nordfriesische Insel Langeoog als ein besonders prägnantes Beispiel hervor. Unter der Schlagzeile »Raketen am Badestrand? Langeoog will keine militärischen Einrichtungen« erregte das Vorhaben der nördlichsten Flankenstellung innerhalb des deutschen NlKE-Riegels eine gewisse Aufmerksamkeit innerhalb der regionalen Medien109. Über die Hamburger Morgenpost vom 8. September 1960 und ihren Artikel »Alarm um Langeoog« kam der Vorgang dann auf den Schreibtisch des Verteidigungsministers. Vielleicht war es folgende Formulierung, die den Minister zu der Marginalie »Was ist daran wahr?« animierte: »Unmittelbar neben den Heimen und sonstigen Erholungsstätten würden künftig amerikanische Nike-Raketen ihr spitzes Maul erheben, wenn es Strauß gelingt, >im Rahmen der NATO-Luftverteidigung< natürlich, seine Pläne zu verwirklichen110.« Die Sache verhielt sich wie folgt: Obwohl den Inselbewohnern bewusst war, dass es sich »bei dem geplanten Objekt um eine Batterie von NlKE-Raketen mit Atomsprengköpfen« handelt111, legte die Gemeinde im Anhörungsverfahren aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen Einspruch gegen das Vorhaben ein. Ob die Atomangst vor Ort tatsächlich keine Rolle gespielt hat, ist schwer zu ermitteln. Das Anhörungsverfahren nach dem Landbeschaffungsgesetz sah politische Gegenargumente ja nicht vor, sondern verlangte lediglich eine angemessene Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung - insbesondere der landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen - sowie der Belange des Städtebaus und des Naturschutzes. Selbst der Bericht der 3. Luftverteidigungsdivision über diesen Erörterungstermin gibt außer der Bemerkung, es wären »eine Fülle von gefühlsbetonten Momenten und nicht beweisbaren Behauptungen der Gemeindevertreter gegen die Nike-Stellung« gefallen112, in dieser Richtung nichts weiter her. Die Frage muss also offen bleiben. Inhaltlich begründete die Gemeinde ihren Protest im Einzelnen damit, dass die Insel ihrer Meinung nach keine entscheidende Bedeutung innerhalb der strategischen Planungen des Luftverteidigungsgürtels besitze. Die Raketen könnten überall entlang des Küstenbereichs aufgestellt werden. Als anerkanntes Nordseeheilbad mit rund 35 000 Kurgästen und über 500 000 Übernachtungen jährlich gehörte Langeoog aber zu den führenden deutschen Seebädern. Insbe108 109 110 111
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BA-MA, BW 1/23539, Vermerk Dr. Kaumann, 20.12.1960. Vgl. Hannoversche Presse, 8.9.1960. BA-MA, BW 1/11119. Ebd., Schreiben der Inselgemeinde Langeoog an den Regierungspräsidenten in Aurich und die betroffenen Dienststellen, 19.7.1960. Ebd., Bericht, 22.7.1960.
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sondere in den vorgesehenen Stellungsbereich, einen ehemaligen Flugplatz, hatte man erhebliche Mittel investiert und dort eine Kurklinik für Kinder eingerichtet. Die Presse würzte den Appell um den Erhalt dieser karitativen Einrichtung dann mit einem besonders ausgefallenen, typischen Kalter-KriegArgument: »Dieser Kinderkur komme besondere Bedeutung angesichts der verstärkten Bemühungen der Sowjetzone zu, Kinder und Jugendliche aus der Bundesrepublik zu Ferienaufenthalten in die Zone zu verleiten. Die Errichtung einer Raketenbasis unmittelbar neben der >Kinderkur< würde für sowjetzonale Stellen eine willkommene Propagandagelegenheit bieten113.« Eine solche Bezugnahme geht aus der Resolution der Inselgemeinde zwar nicht hervor. Wohl aber rechnete diese damit, dass bei einer Stationierung der Raketen mit den Atomsprengköpfen die Eltern ihre Kinder auf anderweitigen Schulinternaten unterbringen würden. Auch wenn das Argument keinem direkten Bedrohungsempfinden vor Ort entsprungen schien, so geriet die andernorts empfundene Atomgefahr doch indirekt zu einem beeinträchtigenden Faktor für die Insel, deren wirtschaftliche Grundlage der Fremdenverkehr bildete: »Wenn sich auch in gewissen Großstädten die Bevölkerung mit diesen militärischen Objekten zu einem Grade vertraut gemacht hat, so will sie doch Erholung fern von Raketenbasen finden. Der Charakter eines Heilbades muß mit der unbedingten Freihaltung von Schutzzonen für die Zivilbevölkerung verbunden werden114.« Mit solchen Äußerungen hat Langeoog aus Sicht jenes eingangs erwähnten leitenden Beamten der Bundeswehrverwaltung wohl auch das negative Erscheinungsbild bereichert, das dieser von vielen Gemeinden gewonnen haben wollte, die den selbstbezogenen wirtschaftlichen Eigennutz vor den verteidigungspolitisch eigentlich erwarteten Gemeinnutz gestellt hätten. Die drastische Befürchtung, die »Erholungssuchenden würden es als eine seelische Belastung empfinden, wenn sie die Stationierung einer Fla-Rak-Bttr wahrnähmen«115, wollte der Regierungspräsident in Aurich vielleicht so nicht ganz teilen, wohl aber hielt auch er eine solche Dislozierung wegen möglicher Auswirkungen auf den Kurbetrieb für nicht vertretbar. Er schlug eine Verlegung auf das gegenüberliegende Festland vor. Dabei hatten sich die Vertreter der 3. Luftverteidigungsdivision, die beim Anhörungstermin zugegen waren, noch große Hoffnungen auf eine positive Stellungnahme von den Landesbehörden gemacht. Man war sich sicher gewesen, die Gegenargumente der Gemeinde vom Sachlichen her entkräftet zu haben. Die Stellung war deshalb gewählt worden, weil hier besonders günstige taktische Möglichkeiten zum Schutz vor Feindflugzeugen vorlagen, die über die Deutsche Bucht einfliegen konnten. Dem Kurbetrieb werde allein schon deshalb keine Störung drohen, weil aus der Stellung in Friedenszeiten nicht geschossen werde. Außerdem verwies man auf den einfriedenden Zaun und die hohen Wälle. Durch persönliche Beobachtungen und
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Raketen am Badestrand? In: Hannoversche Presse, 8.9.1960. BA-MA, BW 1/11119, Schreiben der Inselgemeinde Langeoog an den Regierungspräsidenten in Aurich und die betroffenen Dienststellen, 19.7.1960. Ebd., BW 1/23539, Bearbeitungsstand der NlKE-Stellungen im Wehrbereich II, 11.8.1960.
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vertrauliche Äußerungen wollten die anwesenden Militärs festgestellt haben, dass im Anschluss an den Erörterungstermin einzelne Gemeinderatsmitglieder sehr eifrig beschäftigt waren, sich bereits den wirtschaftlichen Vorteil dieser Stellung auszurechnen. Das klang doch sehr nach Wunschdenken. Zunächst beeilte sich die Abteilung Liegenschaften im Verteidigungsministerium zwar, diese Auffassungen über das Pressereferat zu verbreiten. Bei der NlKE-Stellung handle es sich um eine hochtechnisierte Anlage, der Dienst werde ausschließlich innerhalb des eingefriedeten Bereichs abgewickelt, sodass die von der Gemeinde geltend gemachten negativen Auswirkungen auf den Fremdenverkehr »in jeder Hinsicht übertrieben« erschienen116. Der Druck aus der Öffentlichkeit wurde aber immer stärker. Es versteht sich fast von selbst, wenn der Deutsche Bäderverband die Haltung Langeoogs unterstützte. Und auch der Deutsche Städtetag informierte den Bundesminister des Innern über die Sorgen der Inselbevölkerung. Freilich, seine dabei hergestellte Verbindung zwischen Verteidigung und Fremdenverkehr muten schon etwas eigenwillig an: »Die Argumente sind nicht etwa solche gegen einen Verteidigungsbeitrag, sondern in einem weit umfassenderen Sinne für einen solchen: indem man alles tun sollte, um den schwer strapazierten Menschen der Industriegebiete ihr Gesundheitsreservoir zu erhalten. Diese Menschen fahren bewußt nicht nach Italien, Spanien oder Ägypten, sondern auf die >friedliche< Insel Langeoog 117 .« Der Physiker und CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. Pascual Jordan übermittelte dem Verteidigungsministerium die - letztlich ebenfalls touristisch motivierten - Sorgen des katholischen Inselpfarrers gegen die Stationierung einer NlKE-Batterie. Immerhin bot die konfessionelle Orientierung dieser Persönlichkeit nach Auffassung des sehr distinguiert formulierenden Politiker-Gelehrten hinreichende Versicherung dahingehend, hinter den vorgetragenen Bedenken »irgendwelche grundsätzliche Abneigungen gegen unsere Verteidigungspolitik zu vermuten« 118 . Schließlich griff erneut die regionale Presse geschickt den Protest auf, indem sie im Zusammenhang mit der Einweihung eines neuen Kinderdorfes in einem großen, dreispaltigen Artikel mit einem Foto von spielenden Kindern das Thema unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt »Paradies der Kinder ist in Gefahr« behandelte und den Vorgang somit - ganz ohne den nuklearen Aspekt zu berühren - aus sozialpolitischer Sicht emotional weiter auflud119.
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Ebd., BW 1/11119, 16.9.1960. Ebd., 8.9.1960. Ebd., Jordan an Ministerialrat Wittkowski, 5.9.1960. Im Zuge des Protestes der Göttinger Professoren gegen die Atombewaffnung hatte Jordan dem BMVg eine Gruppe von Wissenschaftlern vermittelt, die sich von dem Manifest ihrer Kollegen distanzierten. Aus dieser Gruppe um Jordan wollte das BMVg einen eigenen Beirat zur Beratung des Ministeriums in Kernwaffenfragen konstituieren. Vgl. Thoß, NATO-Strategie, S. 360 f. Gefahr für die Kinderinsel? In: Hildesheimer Presse, 28.9.1960. Der gleichlautende Artikel erschien auch in der Hannoverschen Presse, der in Auszügen noch am selben Tag vom WBK in Hannover per Vorrang-Fernschreiben dem Pressereferat im BMVg zugestellt wurde. BA-MA, BW 1/11119, 28.9.1960.
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Als für den Tourismus zuständiger Fachminister und unter Vorbehalt einer besonderen Stellungnahme bat schließlich der Bundesminister für Verkehr um eine Unterrichtung über den Sachverhalt120. Wie sehr sich das Verteidigungsministerium bei der Stellung Langeoog anscheinend schon unter Druck fühlte, verdeutlicht eine Marginalie auf dem Antwortschreiben: »Es dürfte möglich sein, den Herrn BMV als Bundesgenossen zu gewinnen121.« Noch zu Beginn des Monats Dezember 1960 vertrat die Hardthöhe die Auffassung, auf Langeoog in keinem Fall verzichten zu können, weil die taktisch-technischen Forderungen an eine NlKE-Stellung an der nördlichsten Flanke des Luftverteidigungsriegels besonders günstig waren. Trotz weiter geführter Unterhandlungen rechnete die Infrastrukturabteilung aber jetzt kaum mehr mit einer Auffassungsänderung bei den zuständigen Behörden im Land Niedersachsen. Das galt im Übrigen nicht nur für Langeoog, sondern auch für die umstrittenen Stellungsvorhaben Schilling, Bad Zwischenahn und Petersdorf. Obwohl in allen Fällen militärische Gründe für eine Nutzung dieser Orte sprachen, schlug der Abteilungsleiter Infrastruktur vor, für die genannten vier Stellungen Ersatzvorschläge zu erarbeiten. Dabei sollte Gelände ausgewiesen werden, das möglichst weit von dichtbesiedelten Räumen entfernt lag122. Bezüglich Langeoog wurde die Wehrbereichsverwaltung in Hannover schon im Januar 1961 angewiesen, gemeinsam mit dem Regierungspräsidenten in Aurich und der Luftwaffengruppe Nord eine Ersatzstellung auf dem Festland in Küstennähe auszuwählen. Aus »landesplanerischen Gründen« 123 , was nichts anderes bedeutete, als dass die Proteste erfolgreich waren und die zivilen Behörden sich durchgesetzt hatten, musste die Inselstellung aufgegeben werden. Als Ersatz wurde die NlKE-Flugabwehrraketenstellung in die Nähe von Aurich nach Dornum gelegt. Dort erhob niemand Einwände dagegen, auch wenn von der Beschaffung des erforderlichen Grundes mit einer einzigen Ausnahme nur Privateigentümer betroffen waren.
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BA-MA, BW 1/11119, 21.10.1960. Ebd., 14.11.1960. Ebd., BW 1/23539, Sprechzettel für den Besuch beim StS des niedersächsischen IM betr. NIKE-Planungen, 22.8.1961. Ebd., BW 1/11119, Verfügung Abteilung U I 3 BMVg an BMBes, 5.5.1961.
Schlussbetrachtung
Die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte nach 1955 war ein Ergebnis der weltpolitischen Frontstellung im Kalten Krieg. Sie erfolgte im Rahmen der NATO, die Strategie, Struktur und Aufgaben nachhaltig bestimmte. Als weitere Bestimmungsgröße kam hinzu, dass die neuen Streitkräfte in die Bundesrepublik Deutschland eingepasst werden und ihren Platz in Konkurrenz zu den schon entwickelten politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen finden mussten. Innerhalb dieses Beziehungsgeflechts vollzog sich auch der materielle Aufbau der Bundeswehr, die für ihre Soldaten zunächst einmal ausreichende Unterkünfte benötigte, dabei aber bündnispolitische, militärstrategische und wirtschaftliche Zwänge zu berücksichtigen hatte. Aufgrund der föderativen Ordnung der Bundesrepublik konnte diese Aufgabe nur in Zusammenarbeit mit den Ländern bewältigt werden. Jenseits aller politischer Auseinandersetzungen um die Tatsache der Aufrüstung und einer demokratieverträglichen Verankerung der neuen Streitkräfte in das politische System, die auch die Ausgestaltung der Binnenstruktur nachhaltig bestimmte, sollte sich die materielle Integration als eigentliche Nagelprobe für die gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr herausstellen. Denn die aus scheinbar zwingenden militärischen Notwendigkeiten bestimmte Frage nach dem Wohin der deutschen Truppen musste zwangsläufig einen zivil-militärischen Interaktionsprozess auslösen, dessen Folgen man zu Beginn der 50er Jahre keineswegs überblicken konnte. Der rüde Umgang der sich oftmals noch als Besatzungstruppen fühlenden zukünftigen alliierten Streitkräftepartner etwa bei der Requisition von Land für die Einrichtung militärischer Infrastruktur und die darauf erfolgte teilweise heftige Abwehrreaktion der betroffenen Bevölkerung schien ein Vorzeichen von dem zu bedeuten, was den Aufbau eines immerhin eine halbe Million Soldaten umfassenden deutschen Verteidigungsbeitrages überschatten würde und möglicherweise nicht nur irritieren sondern auch beeinträchtigen könnte. Gewiss, hier mochte bei den Westdeutschen im Einzelfall noch eine latente Aversion gegen die Sieger von 1945 zum Ausdruck kommen. Im Angesicht der beginnenden Eigenstaatlichkeit ab 1949 blickten manche aber auch mit steigendem Argwohn auf eine tatsächliche oder vermeintliche Fortsetzung bisheriger Fremdbestimmung. Allein die Ursachen solcher Ängste und Reaktionen lagen tiefer. Zu Beginn ihres ersten Jahrzehnts begannen sich für die Bundesrepublik die Umrisse eines fundamentalen Umwälzungsprozesses abzuzeichnen, der in den nachfolgenden Dekaden das sozioökonomische Gefüge des westdeutschen Teilstaates radikal veränderte. Tempo
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Schlussbetrachtung
und Dynamik dieses säkularen Strukturwandels sorgten dafür, dass u. a. die bislang oft gravierenden Gegensätze zwischen Stadt und Land, zwischen politisch-kulturellen Zentren und provinzieller Peripherie, zwischen industriellen, kleingewerblichen und agrarischen Zonen sowie zwischen den konfessionellen Milieus sich zunehmend nivellierten und an Wirkungskraft verloren. Wenn man die Abwehrreaktionen namentlich der betroffenen Bevölkerung bislang ausschließlich agrarisch geprägter Regionen gegenüber den alliierten Landanforderungen etwa zum Bau von Flugplätzen betrachtet, dann wird deutlich, dass die unmittelbaren Folgemaßnahmen sicherheitspolitischer Dispositionen auf der Mikroebene zunächst nicht unbedingt als Sicherheitsinvestition sondern vielmehr als weitere Katalysatoren eines Wandlungsprozesses begriffen wurden, der die schon als gefährdet betrachteten ökonomischen und sozialen Strukturen weiter erodieren lassen würde. Jenseits aller politischen Orientierungen wurden Streitkräfte in solchem Zusammenhang als Belastungstatbestände empfunden. Aus dieser Deutungsperspektive tat sich für diejenigen, die im Bund und in den Ländern politische Verantwortung trugen, das Dilemma möglicherweise negativer innenpolitischer Rückkopplung auf. Einerseits war man aus überstaatlichem Sicherheitsinteresse davon überzeugt, dass möglichst rasch alles dafür getan werden musste, für die militärische Sicherheitsvorsorge die materiellen Voraussetzungen zu schaffen. Andererseits aber durfte eine sich langsam entwickelnde demokratische Gesellschaftsordnung nicht schon zu Beginn mit Maßnahmen belastet werden, die den Charakter militärischen Zwangs in sich trugen. Die etwa mit Blick auf die nationalsozialistischen Leistungsgesetze bestimmte Erinnerung an die erst wenige Jahre zurückliegende Prädominanz militärischer Forderungen wog schwer. Auch konnte man noch nicht einschätzen, inwieweit sich lokale Proteste dann radikalsieren würden, wenn sich eine ostdeutsche Agitation dieser Vorgänge bemächtigte und deren antiimperialistische Propaganda vielleicht in antiwestliche Stimmung umschlug. Letztlich verblieben der Bundesregierung nur zwei in Abhängigkeit zueinander stehende Lösungswege, um die mit der Aufrüstung ganz allgemein erwarteten, am Beginn der fünfziger Jahre noch überwiegend mit negativen Vorzeichen apostrophierten raumstrukturellen Folgen auszutarieren. Zum einen musste versucht werden, die Forderungen der Alliierten zu beschränken. Wenngleich die Handlungsspielräume zu Beginn oft begrenzt schienen, gelang solches zunehmend in partizipatorischer Teilhabe etwa über die Kommissionen zur Kasernenfreimachung auf dem Verhandlungsweg - und zwar auf allen hierarchischen Ebenen des politischen und administrativen Prozesses. Das hatte natürlich seinen Preis. Denn die Infrastrukturinvestitionen der Alliierten waren ja Teil auch der westdeutschen Sicherheitsarchitektur, weshalb die Kosten zu einem Gutteil der deutsche Steuerzahler trug. Indem die Bundes- und Landesregierungen gegenüber den Bündnispartnern zum anderen auf rechtsförmige Verfahrensabläufe drängten, die das Siegerrecht ersetzen sollten, konnte auch darauf gehofft werden, dass bei den von solchen spezifischen militärischen Maßnahmen Betroffenen die Akzeptanzschwelle für diese unumgänglichen
Schlussbetrachtung
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Belastungen anstieg. Das Prinzip demokratisch legitimierter Rechtsstaatlichkeit galt für die gesamte Ausgestaltung des westdeutschen Sicherheitskomplexes, auch wenn dies mehr Zeit erfordern sollte, als es die militärischen Erfordernisse zuzulassen schienen. Umso mehr traf das dann zu, wenn in das Eigentum der Bürger eingegriffen werden musste. Die Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes bauten für den Bund als Träger der Wehrhoheit relativ hohe Hürden ein, die einen ungehemmten Zugriff verhinderten. War man bei der letzten Aufrüstungswelle in den dreißiger Jahren mit der Enteignung recht schnell bei der Hand gewesen, so belegte das bundesdeutsche Gesetzgebungsverfahren dieses Zwangsmittel als ultima ratio. Die Bundesregierung, das sei nicht verschwiegen, hätte es gerne einfacher gehabt. Im Übrigen durchzogen das Landbeschaffungsverfahren für die Streitkräfte Mechanismen, die demokratisch bestimmter civil control entsprangen. Über die normierte Beteiligung der Länder, Kommunen und anderer gesellschaftlicher Interessennehmer am Raumordnungsverfahren kam jene für die Bundesrepublik konstitutive horizontale Gewaltenteilung zum Tragen. Jenseits aller Verfassungsrechtsgrundsätze konnte damit gewährleistet werden, dass raumbeanspruchende Maßnahmen der Verteidigung innerhalb eines konsenssuchenden Prozesses oder zumindest auf der Basis eines Kompromisses zustande kamen, die Legitimation eigentumseinschränkender Maßnahmen mithin überzeugender war. Zweifellos lag die rechtliche Ausgestaltung der Landbeschaffung für die Streitkräfte in den Händen der Deutschen. Schwieriger wurde es schon mit der Frage, wo denn diese Bestimmungen zur Anwendung gebracht werden müssten und raumwirksame Folgen zu Tage treten würden. Die Strategie des nordatlantischen Bündnisses und die daraus abgeleitete Verteidigungsplanung für die Bundesrepublik waren hierfür die entscheidenden Strömungsgrößen. Nationale Sicherheitsvorstellungen ließen keine andere Alternative zu, als in einem möglichen Krieg die Verteidigung so nahe wie möglich und unverzüglich an der Ostgrenze der Bundesrepublik aufzunehmen. Die von SchleswigHolstein bis nach Bayern sich ziehenden, agrarisch strukturierten und oftmals dünn besiedelten Grenzregionen waren militärisch hingegen nur gering erschlossen. Zudem lagen sie im Schlagschatten einer langsam beginnenden Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung. Wegen dieser Struktur- und Ausstattungsdefizite war der zwangsläufig auf diese Regionen Westdeutschlands gefallene Blick derjenigen, die ab 1955 für den Aufbau der Bundeswehr verantwortlich zeichneten, nicht ungetrübt. Das lag nicht nur an den enormen Bauinvestitionen, die dort in besonderem Maße erbracht werden mussten und die boomende Bauwirtschaft, Leitsektor des Wirtschaftswunders, tatsächlich mit zu überhitzen begannen, auch wenn die Verteidigungsminister solches immer vehement und dennoch falsch zurückwiesen. Ein Integrationsproblem bot dieser Aspekt des Streitkräfteaufbaus schon, wenn man bedenkt, dass die Administration dieser Aufgabe der zivilen staatlichen Bauverwaltung überantwortet war und der Kasernenbau von Mitte der fünfziger bis weit in die sechziger Jahre hinein das größte Volumen des staatlichen Hochbaus ausmachte. Weil man aus durchaus nachvollziehbaren politischen Erwägungen einer als störend emp-
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fundenen militärischen Sonderverwaltung auf diesem Gebiet nicht zu folgen bereit war, musste man aber akzeptieren, dass die Kasernenbauadministration und demzufolge auch die örtlich oder regional geforderte Verteidigungsfähigkeit nicht mit der Schnelligkeit vonstatten ging, wie es namentlich die Militärs mit ihren verteidigungsplanerischen Denkweisen erwarteten. Das für die Geschichte der Bundesrepublik signifikante Phänomen der Nachrangigkeit militärischer Notwendigkeiten vor zivilen Bedürfnissen fand hierin einmal mehr seinen Ausdruck. Wenn man bei der Betrachtung des Integrationsweges der Bundeswehr in die mit Ausstattungsdefiziten belasteten Regionen und Kommunen die um ein sozialverträgliches Miteinander des militärischen Zuzugspotenzials mit der angestammten Bevölkerung besorgte Makroebene des Bundes verlässt, dann zeigt sich freilich sehr rasch, dass die politischen Eliten in den Ländern und Gemeinden schon früh bereit waren, die Bundeswehr als Wandlungskraft zu begreifen. Mit durchaus erhofften positiven Folgen. Die parteipolitische Fundierung spielte dabei oftmals eine nur geringe Rolle. Obwohl beispielsweise der Bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner als Mitglied der SPD in der Wiederbewaffungsdebatte eine eher ablehnende Position eingenommen hatte, war gerade er es, der im Sinne seiner Politik der inneren Kolonisierung die neuen Truppenstandorte als ein strukturpolitisches Mittel für die Entwicklung seines Landes zu nutzen versuchte. Auch wenn das Verteidigungsministerium immer wieder im Sinne gesellschaftlicher Krisenfestigkeit betonte, durch die Errichtung von Garnisonen unterentwickelte Regionen stützen zu wollen, gelang es letztlich aber nicht, die Standortplanung im struktur- und wirtschaftspolitischen Sinne zu steuern. Die Auswahl der Garnisonen erfolgte primär nach militärspezifischen Kriterien, und die Möglichkeiten der Einflussnahme etwa landesplanerischer Instanzen waren begrenzt. Dennoch bemühten sich die zuständigen Behörden durchaus, den militärischen Planern strukturschwache Gemeinden, die sich als Garnsionsorte beworben hatten, nachdrücklich zu empfehlen. Viel wesentlicher für die Entscheidung zugunsten eines bestimmten Ortes waren allerdings die militärischen Anforderungen, die sich aus den Vorgaben der Verteidigungsplanung ergaben, die Verfügung über ausreichenden und zweckmäßigen Grund und Boden sowie nicht zuletzt auch die Höhe des Verteidigungsetats. Immerhin erforderten die gesetzlichen Normen eine Abstimmung der militärischen Landanforderungen mit den zivilen Interessen, was bei einem von der Bundesregierung einberufenen Sachverständigenausschusses für Raumordnung zu der Ansicht geführt haben mag, dass die neuen Standorte der Bundeswehr raumordnungspolitisch zu einem großen Teil gut gewählt worden seien und die Gründung der Garnisonen in den Gemeinden sogar eine außerordentlich gute Entwicklung der Kaufkraft bewirkt habe. In der Tat war eine große Zahl der neuen Bundeswehrgarnisonen in Gegenden eingerichtet worden, die zu den strukturschwächsten Regionen zählten. Komplementär zu einer aktiv gestaltenden Landespolitik, die die Erkundungen der Bundeswehr nach neuen Standorten unter überregionalen Gesichtspunkten zu ordnen und zu steuern suchte, spielten die kommunale Eliten auf der Mi-
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kroebene eine ganz besonders wichtige Rolle. Letztlich ging es hier um die Frage, ob man vorhandene Strukturdefizite und den zunehmenden ökonomischen und sozialen Erodierungsprozess einfach hinnehmen oder ob man nicht aktiv nach Hilfe suchen sollte. Gewiss stand die Bundeswehr nicht ganz oben auf der Agenda jener Bürgermeister, die ihre Gemeinde zu modernisieren gedachten. Die infrastrukturellen Voraussetzungen waren aber Mitte der fünfziger Jahre noch keineswegs so gut, dass man Wirtschaftsbetriebe hätte überall hinlocken können, namentlich in abgelegene Regionen vornehmlich im Osten. Genau dorthin musste die Armee aber gehen, wollte man verteidigungsplanerischen Worten auch Taten folgen lassen. Dass sich die ökonomischen Verhältnisse der Bundesrepublik dann binnen weniger Jahre rasch und derart nachhaltig so zum Positiven verändern würden und damit eine breite Palette von Förderungen auch in jene Gegenden gelangten, konnten zum damaligen Zeitpunkt wohl nur die Wenigsten ahnen. Obwohl dem Aufbau der Bundeswehr als Katalysator lokaler Modernisierung eine gewisse Zufälligkeit freilich nicht abgesprochen werden kann, ist es dennoch verständlich, dass sich gerade benachteiligte Gemeinden in großer Zahl um eine Garnison bewarben. Der Wunsch nach dauerhafter Stationierung von Soldaten wurde jedoch keineswegs von allen Bürgern geteilt. Nicht nur zu Beginn der fünfziger Jahre sondern fast durchgängig bis zu einem gewissen Abschluss der Garnsionsgründungen Anfang der siebziger Jahre fürchteten insbesondere Teile der bäuerlichen Bevölkerung durch die Landabgabe für Kasernenbauten um ihre Existenz. Dabei war es oft mehr als nur die Angst vor dem wirtschaftlichen Ruin. Hatten schon die nach dem Krieg in die oftmals Jahrhunderte alten Sozialstrukturen eingedrungenen besitzlosen Flüchtlinge das Herrschaftsgefüge der Gemeinde aus Sicht der angestammten Bevölkerung beschädigt, so mochte die Bundeswehr über den für die militärische Infrastruktur abgezogenen Besitz der sozialen Ordnung den endgültigen Todesstoß versetzen. Nun bewirkten die Standortgründungen zweifelsohne einen nachhaltigen Wandel. Besonders in den ländlich geprägten Gemeinden mit überproportional hohem Soldatenanteil, wenngleich mit unterschiedlichen und keineswegs nur positiven Folgen. Die von außerhalb zuziehenden neuen Bürger mussten sich in die gewachsenen sozialen Gegebenheiten einordnen, veränderten diese aber gleichzeitig. Die Verschiebung des Konfessionsgefüges, ein in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren angesichts von Bekenntnisschulen nicht gering zu bewertender Faktor, mag hier für manches andere stehen. Insgesamt betrachtet scheint die Integration der Soldaten in die Standortgemeinden aber ohne größere Schwierigkeiten gelungen zu sein, sieht man einmal von den nicht überall vermiedenen Ghettobildungen aufgrund der abseits von den Ortschaften angelegten Kasernenarealen und Bundeswehrsiedlungen ab. Auch eine anfangs von beiden Seiten befürchtete Überfremdung mit der Folge sozialer Spannungen blieb aus. Hier wirkte ganz offensichtlich die Dominanz des Zivilen vor dem Militärischen. Es mag durchaus sein, dass mancher Zeit- oder Berufssoldat sich räumlich, sozial und mental als »Soldat im Ghetto« (Heinz Karst) empfunden hat. Allein der soziologische Befund schon der Zeitgenossen
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spricht in der Tendenz eine ganz andere Sprache. Der noch am Beginn der fünfziger Jahre für die westdeutsche Gesellschaft befundete latente und kollektive militärische Habitus war bereits zum Ende der Dekade einer zivilen, zunehmend von Konsum und Individualismen bestimmten Lebensweise gewichen. Diese macht auch vor Soldatenfamilien nicht halt, und schon gar nicht vor den Wehrpflichtigen. Auf den ersten Blick sichtbare räumliche Wandlungen brachten die großen Kasernenanlagen mit sich. Sie veränderten oftmals das gewachsene Ortsbild erheblich. Dabei war es nicht die erste Kasernenbauwelle, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts über Deutschland gekommen war und die zu diesem Effekt führte. Aber die gesellschaftliche Wahrnehmung verband mit Kasernen bislang immer das Symbol von Militarismus, ja Unterdrückung und menschenunwürdiger Behandlung. In der teilweise bis hinein in die städtebauliche Anordnung und den verwendeten Baumaterialien bewusst gesuchten Abkehr vom bisherigen Kasernenstil, vollzog sich nun in der Bundesrepublik eine Anpassungsleistung an einen zurückhaltend zivilen Architekturduktus, der vielleicht manchem alten Soldaten befremdlich erschien, über die aber eine zeitgenössisch verstandene ästhetische Modernisierung oft zum ersten Mal Einzug hielt in der Provinz. Die damit teilweise einhergehende Verstädterung des Landes wurde damals zwar überwiegend als Errungenschaft begrüßt, selbst wenn sie objektiv der Zersiedelung der Landschaft Vorschub leistete. Auch darf in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Umwidmung von Boden zu militärischen Übungsflächen ein Degradierungspotenzial darstellte, das in einem Land mit endlichem Anteil an Naturflächen im Zuge des ökologischen Umdenkungsprozesses ab den siebziger Jahren zunehmend als bedrohlich eingestuft wurde. Auf solche Belange Rücksicht zu nehmen fiel der in erster Linie auf militärische Erfordernisse bedachten Bundeswehr zunächst zwar schwer. Allein die Erkenntnis, in einem Rechtsstaat kaum Zielvorstellungen gegen die Bevölkerung durchsetzen zu können, das galt gerade für die virulenten regionalen ökologischen Bewegungen, führte auch hier zu einem Umdenkprozess. Mit den Anforderungen einer Garnison stieg grundsätzlich die Qualität der örtlichen Infrastruktur. Der hohe Motorisierungsgrad der Truppe und die wiederum aus Verteidigungsbelangen notwendige Anbindung an das überörtliche Verkehrsnetz erzwangen einen Ausbau der lokalen Verkehrsinfrastruktur. Mit zum Teil erheblichen finanziellen Zuwendungen aus dem Verteidigungshaushalt wurden Straßen befestigt und Ortsumgehungen gebaut. Die Anlagen für die Ver- und Entsorgung der Kasernen mit Wasser und Abwasser gaben in manchen Kommunen den Anlass, das zivile örtliche Leitungsnetz zu modernisieren, bezuschusst von der Bundeswehr. Lange bevor gewerbliche Einrichtungen Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ergriffen, wurde die Armee nolens volens in ihren neuen Standorten zu einem Motor des Umweltschutzes. Da sich durch den Zuzug der Soldaten und ihrer Familien die Wohnbevölkerung erhöhte, erhielten die Kommunen Ausgleichszahlungen für so genannte Folgeeinrichtungen, die zur Erweiterung oder Modernisierung gemeindlicher Anlagen wie Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Kirchen verwendet wurden.
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Bei der Verbesserung ihrer Infrastruktur hatten Garnisonsgemeinden ohne Zweifel zu Beginn Vorteile gegenüber militärfreien Orten, bis auch diese im Zuge ziviler Modernisierungskampagnen in den sechziger und siebziger Jahren aufholten. Galt der Profit aber auch im Hinblick auf die lokale und regionale Wirtschaft, die zu beleben doch oft der Hauptgrund für eine Garnisonsbewerbung war? Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich die Wirksamkeit sozioökonomischer Inkubationen erst in langfristiger Dimension messen lässt. Das Ergebnis dieses zweifelsohne wichtigen Umwälzungsprozesses fällt im vorliegenden Fall zwiespältig und unter Berücksichtigung der einstmals gehegten Hoffnungen in gewissem Sinn auch etwas ernüchternd aus. Auf der Basis empirischer Befunde, die gut zwei Jahrzehnte nach Gründung der meisten Bundeswehrgarnisonen beispielsweise für die strukturschwache Region Ostbayern erhoben worden sind, aber unter Beiziehung überregionaler punktueller Daten generelle Aussagekraft mit bundesweitem Anspruch haben, zeigt sich einerseits zwar deutlich, dass dort zwar relativ zahlreiche Standorte zu finden sind. Aber die aus dem Verteidigungshaushalt dorthin geflossenen und regionalökonomisch wirksam gewordenen Gelder hatten keinen tiefgreifenden Einfluss auf diesen Wirtschaftsraum. Ganz im Gegenteil scheint sich die Erkenntnis zu bestätigen, dass zentrumsnahe Räume erheblich mehr von den Bundeswehrinvestitionen profitierten als die fern der sozialen und wirtschaftlichen Ballungszonen liegende Provinz. In den kleinen Garnisonstädten spielten neben der Tatsache, dass eine gewisse Anzahl überwiegend niedrigqualifizierter Arbeitsplätze geschaffen worden waren, insbesondere die Konsumausgaben der Bundeswehrangehörigen eine Rolle. Aber es wurde dabei auch eine breite regionale und überregionale Streuung festgestellt - ein Ergebnis, das sich durch die Analyse der Beschaffungsmaßnahmen von Truppenteilen und Dienststellen bestätigte. Der Nachfrageeffekt war also relativ gering, sodass sich beim lokalen Handel und Gewerbe nur bescheidene Umsatzanteile niederschlugen und nur geringe Kapazitätsausweitungen induziert wurden. Bei aller gebotenen Zurückhaltung gegenüber Zahlen, die am Ende der hier zu untersuchenden Zeitspanne erhoben worden sind, und angesichts der enormen ökonomischen Entwicklungen, die auch die benachteiligten Räume in einem breiten Streifen entlang der Grenze von Flensburg bis Passau im Verlauf der sechziger und siebziger Jahre erfahren haben, können jedoch nur bedingt Rückschlüsse auf die Wirkung von Bundeswehransiedlungen seit 1955 gezogen werden. Der begründete Eindruck ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass die Streitkräfte auf der lokalen Ebene nur kurzfristig wirksam werdende wirtschaftliche Effekte induziert haben. Unter bestimmten Konstellationen konnte etwa die Lage einer Kaserne sogar zu einem Investitionshemmnis für eine Gewerbeansiedlung werden und zog mithin einen innovations- oder modernisierungsfeindlichen Effekt nach sich. Nachhaltigkeit im Sinne ökonomischer Prosperität konnten letztlich nur solche Industrien, Gewerbebetriebe oder Produzenten bieten, die sich an gewerblicher Umsatz- und Gewinnmaximierung orientierten und in revolvierendem Sinn reinvestierten. Solches schied für die rein konsumtiv strukturierten Streitkräfte grundsätzlich aus. Mit Blick auf
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die damalige Situation in den strukturschwachen Gebieten Mitte der fünfziger Jahre stellten die Garnisonen und andere Einrichtungen der Bundeswehr als Projektion auf bessere Zeiten durchaus einen wichtigen Standortfaktor dar. Tatsächlich wurden aber schon diejenigen, die sich für eine Truppenansiedlung engagierten, von den reinen ökonomischen Fakten des Booms eines Besseren belehrt. Es spricht manches dafür, dass die perzipierte Wirkung überschätzt wurde und davon keineswegs das Wohl und Wehe einer Stadt abhing, wie ein Bürgermeister 1957 glauben mochte. Ganz anders sah dies jedoch im Falle der Nuklearinfrastruktur aus. Auch wenn das ökonomische Wandlungspotenzial beschränkt war, verlief die Integration der Bundeswehr gerade wegen der damit verbundenen Hoffnungen in der Fläche weitgehend problemlos ab. Die hinter dem westdeutschen Verteidigungsbeitrag liegende militärische Bedrohungsperzeption wurde ganz offensichtlich so lange verdrängt, bis die zerstörerische Kraft eines möglichen Nuklearkrieges in Gestalt von Luftverteidigungsstellungen unmittelbar am Ortsrand in Erscheinung treten sollte. Aber auch wenn sich 1957/58 kurzfristig eine bundesweite Bewegung im Kampf gegen den Atomtod zusammenfand und zeitweise politischen Rückhalt bei der Opposition bekam, so weiteten sich lokale Protestaktionen gegen die Stationierung nukelarfähiger Luftabwehrraketen nicht zu einem flächendeckenden Sturmlauf gegen die Aufstellung der Bundeswehr aus. Dazu mag ganz allgemein der Politisierungsgrad innerhalb der Bevölkerung noch nicht ausgeprägt genug gewesen sein. Trotz Überzeugung von der militärischen Notwendigkeit dieser speziellen Infrastrukturmaßnahme scheute das Verteidigungsministerium auch den prinzipiellen Konflikt. Denn die Hardthöhe wusste wohl genau, dass der Verteidigung dienende Anlagen letztlich nur dann erfolgreich errichtet werden konnten, wenn das darin enthaltene desintegrative Potenzial möglichst weich verpackt daherkam. Aus sich selbst heraus konnten die nukleare Bedrohung und ihre Folgemaßnahmen das zwar nicht erreichen. Aber in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Nuklearfrage letztlich immer nur in akuten Krisen virulent geworden ist. Hinzu kam innerhalb der Gesellschaft eine vom Ende der fünfziger bis in die siebziger Jahre hineinreichende merkliche Randständigkeit der sicherheitspolitischen Debatte. Solche Fragen waren kein großes Diskussionsthema. Die entscheidende Ursache aber dafür, dass die Rüstung im Allgemeinen und die atomare Bewaffnung im Besonderen in dieser Epoche zu keinen wirklichen Unruhen geführt hat, wird man in der ausgeprägten ökonomischen und sozialen Stabilität Westdeutschlands verorten können. Weil die Prosperität der Bundesrepublik zu keinem Zeitpunkt auf dem Spiel stand, konnte allen Belastungstatbeständen, wie sie etwa der Aufbau und die Integration der Streitkräfte mit sich brachten, standgehalten werden. Weil die Bundesrepublik als zutiefst ziviler Staat angelegt worden war, fanden militärische Forderungen, auch wenn sie noch so begründet erschienen, ihre Grenze immer an der Dominanz des Zivilen.
Verzeichnis der Tabellen Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
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Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17:
Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23:
Umfangsentwicklung der Bundeswehr 1956-1965 Nicht realisierte Aufstellungsvorhaben des Heeres 1957 Neuauflage zurückgestellter Standortprojekte in Bayern 1958 Nicht mehr benötigte Standorte in Nord- und Ostbayern 1965 Benötigte Standorte in Nord- und Ostbayern bis 1971 Standorte in Nord- und Ostbayern mit voraussichtlichem Kasernenbaubeginn zwischen 1965 und 1969 Schätzungen über Bevölkerungsverluste nach Atomdetonationen über Köln 1954 Ausgaben für die Besatzungsstreitkräfte in der Bundesrepublik 1951-1953 Kosten des USAREUR Construction Program 1950-1953 Größe, Kostensätze und Ausstattung von Besatzungsbauten 1950 Verkehrsunfälle in der Region um Bitburg 1952-1955 Kapitalverbrechensstatistik von Stationierungstruppen 1955/56 Geländebedarf für militärische Anlagen (Heer) Bayerische Standortvorschläge 1955 Beteiligte Staatsministerien bei der Landanforderung für Belange der Verteidigung in Hessen 3. Vorwegbewilligung für Kasernen- und Wohnungsbauten der Bundeswehr 1956 Anzahl und Kostenschätzung neu zu erbauender Bataillonskasernen in den Wehrbereichen I-VI nach der 3. Vorwegbewilligung für Kasernen- und Wohnungsbauten der Bundeswehr 1956 Für Zwecke der Verteidigung beschaffte Flächen 1957-1960 Planungsvorlauf eines Kasernenneubauvorhabens in Diez 1956-1958 Jahresbauleistung 1956-1961 Standardplanungskatalog für Kasernenbauten nach Bauwerksgattungen und planender Oberfinanzdirektion 1971 Truppenstationierungen in der Bundesrepublik 1959 Indikatoren und Zahlen der sozioökonomischen Verhältnisse in Bayern 1976
27 54 58 61 61 62 64 77 78 84 100 101 130 134 141 145
146 157 169 170 183 186 194
476 Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37:
Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48: Tabelle 49: Tabelle 50:
Verzeichnis der Tabellen
Land- und Raumgebühr für Truppenunterkünfte Flächenverbrauch ostbayerischer Heereskasernen Neubaustatistik der Bundeswehr 1965 Militärische Flächennutzung in der Bundesrepublik 1990 Flächenverbrauch in ostbayerischen Heeresstandorten mit einer Belegungsstärke von 1000-1500 Soldaten 1975 Akzeptanzquote von umweltbelastenden Einrichtungen 1975 Haushaltsmittelverbrauch für den Wohnungsbedarf der Bundeswehr 1956-1963 Wohnungsbestand der Bundeswehr 1967 Anzahl der Bundeswehrwohnungen in süddeutschen Garnisonen Verteilung von Wohnungstypen für die Bundeswehr in Stadtallendorf (in Prozent) Selbsteinschätzung der Kontakte von Bundeswehrangehörigen zur Zivilbevölkerung in Bayreuth (in Prozent) Unmittelbare Folgemaßnahmen für die zivile Infrastruktur Mittelbare Folgemaßnahmen für die zivile Infrastruktur Zuschüsse für zivile Infrastruktur von militärischem Interesse in ostbayerischen Standorten mit mehr als 1000 Soldaten 1965-1977 Infrastrukturzuschüsse und -darlehen an kleinere Standorte in Bayern 1958-1977 Zuschüsse und Darlehen für Tiefbaumaßnahmen bayerischer Garnisonen in Preisen von 1982 Straßendichte in oberpfälzischen Landkreisen Straßenausbau im Landkreis Amberg 1958-1970 Verwendungszwecke militärischer Zuschüsse und Darlehen in Bayern 1957-1977 Verwendungszwecke militärischer Zuschüsse und Darlehen in ostbayerischen Garnisonen (in DM) Militärisches Zuzugspotenzial in nordhessischen Garnisonen Soziale Herkunft von Offizieren und Offizieranwärtern der Bundeswehr 1962 Parteienpräferenz von Bundeswehrangehörigen 1963 Stimmanteile der NPD in Bundeswehrstandorten 1965 Identifikationsgefühl von Bundeswehrangehörigen in Bayreuth Beschäftigungsstrukturen der Zivilbediensteten der Bundeswehr in Bayern 1978 Beschäftigungsstrukturen der Zivilbediensteten der Bundeswehr in nord- und ostbayerischen Heeresgarnisonen Dezember 1977/Januar 1978
234 235 236 249 256 277 322 323 327 329 330 337 337
339 339 341 342 342 345 348 363 370 375 376 396 397
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Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 51: Tabelle 52: Tabelle 53: Tabelle 54: Tabelle 55: Tabelle 56: Tabelle 57: Tabelle 58: Tabelle 59: Tabelle 60: Tabelle 61: Tabelle 62: Tabelle 63: Tabelle 64: Tabelle 65: Tabelle 66: Tabelle 67: Tabelle 68: Tabelle 69:
Landwirtschaftlich Beschäftigte in bayerischen, badenwürttembergischen, hessischen und niedersächsischen Garnisonsgemeinden Verfügbares Jahreseinkommen von Bundeswehrangehörigen 1978 im Wehrbereich VI Verfügbares Jahreseinkommen von Bundeswehrangehörigen in nord- und ostbayerischen Heeresgarnisonen 1978 Ausgaben der Bundeswehrangehörigen im Standort Roding nach Konsumarten 1978 Regionale Verteilung der Verpflegungsbeschaffung für den Standort Roding 1978 Kasernenbauprogramm der Bundeswehr 1957 Anteile der Bundesländer am Volumen des Kasernenbauprogramms der Bundeswehr 1957 Anteil der Kasernenbauten für die Bundeswehr am Umsatz des Bauhauptgewerbes der Bundesrepublik 1960-1964 Kasernenbaukosten und Anteile am Bauhauptgewerbe in bayerischen, baden-württembergischen und hessischen Garnisonen Sektorale Verteilung der Kasernenbausummen in Hammelburg 1959-1970 Bauunterhalt für Bundeswehrkasernen im Wehrbereich VI 1970-1977 Regionale Verteilung des Kasemenbauunterhalts im Standort Roding 1978 Verteilung des verfügbaren Jahreseinkommens der Bundeswehrangehörigen auf die Planungsregionen des Freistaates Bayern 1978 Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts bayerischer, baden-württembergischer, hessischer und niedersächsischer Garnisonslandkreise 1961-1970 Anzahl der NlKE-Flugabwehrbatterien weltweit Geländeanforderungen für amerikanische N I K E Flugabwehrraketenstellungen in der Bundesrepublik 1956 Bedrohungsgefühl in der Bundesrepublik gegenüber Atombomben 1954 (in Prozent) Einstellungen der westdeutschen Bevölkerung zu Raketenstellungen nach Parteienpräferenz 1958 (in Prozent) Einstellungen der westdeutschen Bevölkerung zu Raketen bzw. Atomraketen nach Geschlechterzugehörigkeit 1958 (in Prozent)
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400 405 406 407 410 413 414 414 420 420 421 422 424 427 431 432 444 448 448
Abkürzungen
AA ACDP
Auswärtiges Amt Archiv für ChristlichDemokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung ACSP Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-SeidelStiftung e.V. AdSD Archiv der sozialen Demokratie AFCENT Allied Forces Central Europe AFNORTH Allied Forces Northern Europe Art. Artikel AWS Anfänge westdeutscher Sicherheitpolitik BA Bundesarchiv BA-MA Bundesarchiv-Militärarchiv Bayer. Bayerische(s) BayHStA Bayerisches Historisches Staatsarchiv BGBl. Bundesgesetzblatt BGVB1. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt BHE Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten BKA Bundeskanzleramt BMBes Bundesminister(ium) für Beschaffung BMF/ Bundesfinanzminister(ium)/ BMFin Bundesminister(ium) der Finanzen BMI Bundesminister(ium) des Innern
BMVert BMVg BMWo BP Btl Bw CCMS
Bundesminister(ium) für Vertriebene Bundesminister(ium) der Verteidigung Bundesminister(ium) für Wohnungsbau Bauernpartei Bataillon Bundeswehr Committee on the Challenges of Modern Society
CENTAG Central Army Group CINCENT Commander-in-Chief Allied Forces Central Europe CINCEUR Commander-in-Chief United States European Command Col. Colonel (Oberst) Ceskoslovenskä socialistickä CSSR republika CSU Christlich Soziale Union DDR Deutsche Demokratische Republik DFS 904 Deutscher Freiheitssender 904 DM Deutsche Mark dpa Deutsche Presseagentur Drs. Drucksache DSS 935 Deutscher Soldatensender 935 ECA Europe Continental Airways EMNID Erforschung der öffentlichen Meinung, Marktforschung,
480 Nachrichten, Informationen und Dienstleistungen EUCOM European Command EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft FDP Freie Demokratische Partei GenLt/GL Generalleutnant GenMaj/GM Generalmajor Grundgesetz GG Gl ugs. für Soldaten der U.S. Army GrenDiv Grenadierdivision Hektar ha HICOG High Commissioner for Germany IdK Internationale der Kriegsdienstgegner Institut für WirtschaftsforIFO schung IMA Interministerieller Ausschuss für Fragen der Kasernenfreimachung in Bayern International Military Staff IMS Kfz Kraftfahrzeug KPD Kommunistische Partei Deutschlands Landbeschaffungsgesetz LBG Mitglied des Bundestages MdB MGM Militärgeschichtliche Mitteilungen MinDir Ministerialdirektor MinPräs Ministerpräsident Millionen Mio. Militärpolizei MP Milliarden Mrd.
Abkürzungen
Muna Munitionsanstalt NAPOLA Nationalpolitische Erziehungsanstalten NATO North Atlantic Treaty Organization NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands OFD Oberfinanzdirektion PzDiv Panzerdivision PzGrenBrig Panzergrenadierbrigade RAD Reichsarbeitsdienst RAF Royal Air Force RGBl. Reichsgesetzblatt Rj. Rechnungsjahr SAS Special Ammunition Sites SBZ Sowjetische Besatzungszone SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SHAPE Supreme Headquarters Allied Powers Europe SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands StS Staatssekretär TNT Trinitrotoluol (Sprengstoff) Abteilung Unterbringung und U Liegenschaften im BMVg USAREUR United States Army Europe VOB Verdingungsordnung für Bauleistungen WBK Wehrbereichskommendo WBV Wehrbereichsverwaltung Westeuropäische Union WEU WWR Wehrwissenschaftliche Rundschau
Quellen- und Literatur
Archivalische Quellen
Archiv des Bundesrats Niederschriften des Ausschusses für Verteidigung Archiv des Deutschen Bundestages Protokolle des Verteidigungsausschusses, 1.-5. Wahlperiode Archiv der sozialen Demokratie, Bonn (AdsD) Nachlass Fritz Erler Nachlass Helmut Schmidt Archiv für Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin (ACDP) Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise Nachlass Karl Gumbel Nachlass Kai Uwe von Hassel Nachlass Georg Kliesing Nachlass Max Reichert Nachlass Gerhard Schröder Sitzungsprotokolle Bundesausschuss für Verteidigungspolitik Archiv für Christlich-Soziale Politik, München (ACSP) Nachlass Richard Jaeger Nachlass Hanns Seidel Nachlass Franz Josef Strauß Nachlass Hans Wolf Korrespondenz CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag Sitzungsprotokolle CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (BayHStA) BBbB: Bevollmächtigter Bayerns beim Bund MWi: Ministerium für Wirtschaft StK: Staatskanzlei Nachlass Otto Schedl
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Quellen und Literatur
Bundesarchiv, Koblenz (BA) Β 106: Bundesministerium des Innern Β136: Bundeskanzleramt Β 145:
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Bundesarchiv-Militärarchiv, i.Br. (BA-MA) BH1: FührungsstabFreiburg des Heeres BMI: Führungsstab der Marine BW 1: Bundesministerium der Verteidigung BW 2: Führungsstab der Streitkräfte BW 9: Deutsche Dienststellen zur Vorbereitung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft BW 17: Militärischer Führungsrat Ν 609: Tagebuch Kai Uwe von Hassel Ν 673: Tagebuch Ulrich de Maiziere Pers 1/43487: Personalakte Franz Pöschl ZA 1: Studiengruppe U.S. Historical Division Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam Materialsammlung Forschungsbereich III NATO-Archiv, Brüssel International Military Staff Stadtarchiv Roding Manuskript: Die Vorgeschichte der Garnison in Roding von Roland Matejka Raumordnung
Gedruckte Quellen
Adenauer: »Wir haben wirklich etwas geschaffen.« Die Protokolle des CDUBundesvorstandes 1953-1957. Bearb. von Günter Buchstab, Düsseldorf 1990 (= Protokolle CDU-Bundesvorstand, 1) Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1976. Hrsg. von der Bayerischen Staatskanzlei, Bonn 1976 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Jahrgänge 1955 ff. Bundesgesetzblatt, Teil II. Hrsg. vom Bundesminister der Justiz, Bonn 1955 Bundesgesetzblatt, Teil I. Hrsg. vom Bundesminister der Justiz, Bonn 1957 Dokumente deutscher Kriegsschäden: Evakuierte, Kriegssachgeschädigte, Währungsgeschädigte. Die geschichtliche und rechtliche Entwicklung. Hrsg. vom
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Personenregister
Acker, Rolf 202 Adenauer, Konrad 3 f., 12, 22-26, 29 f, 34, 52, 66, 73, 80, 96-98,102, 111,158,163,168,171, 230, 359, 435, 455 Adorno, Eduard 63 Altmeier, Peter 102,138 Atzenroth, Karl 421 Baade, Fritz 116 f. Balkenhol, Bernhard 308 Baudissin, Wolf Graf von 220, 288 Bauereisen, Friedrich 209, 216-218 Baumgartner, Alois 438 Baumgartner, Joseph 155 Bausch, Paul 126 f., 129,182 Bennemann, Otto 461 Blank, Theodor 2-4, 6, 8 f., 24 f., 41-43, 46 f., 49 f., 55, 69 f., 80, 93,109,111,116,122,125-129, 131,135 f., 142,144,150,154,158, 161,170,188 f., 200, 203 f., 431, 452 Blankenhorn, Herbert 97 Brentano, Heinrich von 24, 26, 455 Brosio, Manlio 263 Clay, Lucius D. 76 Conant, James B. 88 Le Corbusier 331 Dahlgrün, Rolf 250 Dewald, Georg 440 Diemer-Nicolaus, Emmy 268 Döpfner, Julius 96 Drews, Werner 393 f.
Ehard, Hans 94,98,137 Eisenhower, Dwight D. 21, 28 Erich I. 206 Erich II. 206 Erler, Fritz 115,147, 446, 450, 456 Etzel, Franz 416 Felder, Josef 203 Fett, Kurt 128 Forbat, Fred 332 Fra^ois-Poncet, Andre 371 Frenzel, Albert 147 Friedensburg, Ferdinand 31 Frühwald, Konrad 155 Ganeval, Jean 42, 80 Geiger, Hans 30 Geritzmann, Robert 126 Gerns, Heinrich 149 Gimnich, Johannes Cossens 221 Götz, Hermann 203 Gumbel, Karl 62,368 Haase, Detlef 321 Haasler, Rupprecht 385 Hase, Günther von 379 f. Hassel, Kai Uwe von 8,12,19 f., 26, 173 f., 202, 235, 237, 239 f., 253, 268, 272, 316, 325, 338, 403, 417 f. Hellwege, Heinrich 129,143 Hengsbach, Franz 316 Heusinger, Adolf 24, 31 f., 109, 431 Heuss, Theodor 308 Heye, Hellmuth 181 f. Hintze, Otto 288 Hitler, Adolf 25, 289, 368
Personenregister
508 Hodes, Henry I. 56, 432 f., 436 f. Höcherl, Hermann 118 Hoegner, Wilhelm 127,131,133, 135-139,143 f, 175, 220, 222, 224-228, 244, 310, 399, 470 Höge, William H. 78 Hopf, Volkmar 50,149,163, 268, 359, 415 Husted, Ellery 85 Irsigler, Franz Xaver 230, 231 Jaeger, Richard 125,150, 200 Jordan, Pascual 464 Josten, Johann Peter 69 Juin, Alphonse 33 Kaisen, Wilhelm 224, 367 f. Kammhuber, Josef 154 Karst, Heinz 471 Kaumann, Heinrich 49, 60, 310 Keuning, Dietrich 456 Ker 433 f. Kielmansegg, Johann Adolf Graf von 69 Kiesinger, Kurt-Georg 263 Klauss, Hansgeorg 212, 214, 218 Knitterscheid, Erich 35 Knoeringen, Waldemar von 227 Koch-Erpach, Rolf Eginhard 35-38 Köhler 435 Kreitmeyer, Reinhold 168,175, 321 Krone, Heinrich 30 Kuyck, Hugo von 85 Laegeler, Hellmuth 30, 50 Lasswell, Harold D. 288 Laufer, Gerda 228 Lauritzen, Lauritz 229 Lenz, Hans 171 Lex, Hans Ritter von 114 Lindrath, Hermann 163,168 Lohr, Walter 453 Loibl 151 Loosch, Gerhard 109
Lücke, Paul 83,172,316 Lukaschek, Hans 46 McCloy, John 97 McNamara, Robert 26 Maddox, H.G. 453 Magerl, Franz 155 Maiziere, Ulrich de 242 Manteuffel, Hasso von 128 Mayr 331 Meitinger, Franz X. 99 Mende, Erich 151,154 Merten, Hans 314 f., 450 Meyers, Franz 456,458-460 Morris, Stuart 458 Müller, Gebhard 127 f. Niederalt, Alois 199, 203 Niemöller, Martin 458 Nixon, Richard 263 Oberländer, Theodor 49 Oechsle, Richard 194 Panitzki, Werner 451 Paul, Ernst 129 Pfister, Christian 254 Pöschl, Franz 137 Probst, Maria 97-99 Reichert, Max 220, 227 f. Reinhardt, Hellmuth 34 f Reischl, Gerhard 138 Ritzel, Heinrich Georg 441 f. Röttiger, Hans 52, 54, 213 f. Rust, Josef 158,212,453 Sauerbruch, Peter 36 Schäffer, Fritz 79, 81, 87,161 Scharnhorst, Gerhard von 2 Scharoun, Hans 289 Schatz, Heribert 374 f., 378-381, 384 f. Schedl, Otto 403 Scheel, Walter 253
509
Personenregister
Schiffers, Hansgeorg 50, 66, 240, 416, 434 f. Schlemme, Heinrich 211 Schmidt, Helmut 149 f., 176, 324 Schmidt, Reinhold Martin 111,113 Schmitt-Vockenhausen, Hermann 115 f., 118 Schmücker, Kurt 212 Schnez, Albert 213 Schröder, Gerhard 271, 353, 366, 458 Schultz, Fritz-Rudolf 181, 302 Seidel, Hanns 439,452 Servais (General) 43 Speidel, Hans 29, 36, 49, 51, 202, 456 Stahlberg, Hermann 384 Stalin 179 Strauß, Franz Josef 4,19, 25, 31, 59 f., 142 f., 163,166 f., 171,181, 199-202, 207, 209, 216, 218, 225-227, 229, 250, 269, 310, 315, 352, 373 f., 385, 416, 418, 432, 437, 440-442, 445, 452-457, 459-462 Stücklen, Richard 212, 216, 218 Thormeyer, Arndt-Dieter 262 Trossingen 160 f.
Truman, Harry S. 76 Unertl, Franz Xaver 269 Valluy 54 Wacker, Oskar 315 Weigl, Franz 63, 203, 230, 353 f. Weiss, Otto 385 Weller, Franz 98 Werner, Harms 109 Wessel, Gerhard 32 Wieland, Dieter 335 Wienand, Karl 59,320 Wildenmann, Rudolf 374,378-381, 383, 385 Wildermuth, Eberhard 83 Wittmann, Franz 229 Wolf 203 Wullenhaupt, Heinrich 126 Ziegler 136 Zierer 211 Zimmermann, Friedrich 227 Zinn, Georg August 97,102,128,189, 452, 454
Ortsregister Achim 146 Alfter 221 f., 273, 281 Allendorf 146 Allensbach 185 Alsfeld 192 Altenstadt 363,365,373 Alzenau 134 Amberg 55, 313, 342 f., 360, 386, 396 Ansbach 55 Andernach 12 Aschaffenburg 222 Augsburg 252,424 Augustdorf 377 f. Aurich 463, 465 Bad Brückenau 96 Bad Godesberg 34 Bad Kissingen 222 Bad Mergentheim 327, 400, 420, 427 Bad Oeynhausen 43, 45 Bad Orb 97 Bad Reichenhall 188 Bad Zwischenahn 462, 465 Baden-Baden 43,45,49 Balingen 203 Bamberg 29,55,222 Baumholder 280,411 Bayreuth 58, 282, 329, 376, 386 f., 389, 392 f., 395 f., 401, 404, 411, 422 Bebra 192 Berchtesgaden 376 Bergen 32 Bergzabern 284 Berlin 27,191 Bernreuth 198 Bischofswiesen 376
Bitburg 72, 86,100 Bodenwöhr 259 f. Bogen 134,146, 256, 310, 327, 339, 354, 396, 398, 406, 413, 419, 423 Bonn 2, 6, 22, 32, 43,114, 127,197 f., 200, 219, 221, 263, 267, 273, 281 Bonnland 93 Boostedt 146 Borken 146 Brakel 456 f. Braunschweig 191 f. Bremen 29,139, 224, 249 f., 362, 367 f., 443, 460 Bremerhaven 72 Brückenau 99,222 Brüssel 22 Buchhagen 265 Büchenbeuren 432 Buxtehude 371 Canossa 26 Celle 376,383 Cham 57,146,196, 203, 235, 256, 267, 278, 327, 337, 341 f., 344, 348, 351 f., 354, 360, 362, 376, 396, 398, 400, 406, 409 f., 415, 419 f., 422 f., 427 Coburg 222 Darmstadt 432,452-454 Dedelstorf 400 Degersheim 208 Deggendorf 55, 396 Detmold 377 f. Dieburg 446 Diez 44,168 Dinkelsbühl 211,216
512 Dörverden 146 Donauwörth 256, 310 f., 331 f., 339, 341, 348, 351 Dornum 465 Dortmund 456-458 Dülmen 146,366,419 Düsseldorf 221,251,442 Ebermannstadt 60, 62 Ebern 56, 58 197, 206, 208, 222, 256, 267, 339, 341, 348, 351, 398, 406 Eching 275,277 Ehra-Lessingen 400 Eichstätt 62 Erbach im Odenwald 432, 441 Erlangen 252 Eschenbach 56, 58,197,199, 359 Eschwege 192 Esselberg 438 Essweiler 432 Eutin 146 Feldafing 131,310 f. Feldmoching 275 Feucht 134 Feuchtwangen 134 Flensburg 324,473 Flensburg-Weiche 146 Frankfurt am Main 66, 72, 76, 96, 183 Freiburg i.Br. 14,183 Freudenberg 386 Freyung 57, 327, 339, 341, 354, 396, 406, 419, 423 Friedberg 134 Fritzlar 102, 327, 363, 400, 427 Fürstenfeldbruck 376 Fürth 252 Füssing 269 Fulda 29 Furth im Wald 60 f., 201 Garching 275 Garmisch-Partenkirchen 411 f., 422 Gelsenkirchen 126
Ortsregister
Gemünden 29 Gensungen 192 Germersheim 432 Gießen 44 Gifhorn 427 Grafenau 58 Grafenwöhr 32, 53, 94, 342, 411 Greding 58,214 Großbissendorf 400 f. Großengstingen 146, 31, 327 f., 355, 363, 406, 419 Großsachsenheim 432 Grünau 62 Günzburg 134,208,376 Günzenhausen 197, 211, 241, 216 Hahn 72 Hambühren 376 Hamburg 29,47,132,150 f., 248-250, 324, 362, 443 Hammelburg 32,93-98,222,328, 330, 410, 419 f., 422 Hanau 44 Hannover 12,174,183,465 Heidelberg 43,49,86 Heidenheim 62, 209, 211 - 219, 242, 256, 360, 399 Heilbronn 444 f. Hemau 56, 58, 256, 339, 341, 348, 351, 396, 398 Hersfeld 192 Heuberg 32 Heuchelberg 444 f., 450 Himmerod 23,37 Höchstadt an der Aisch 58, 61 f., 206, 222 Hof 55 Hofheim 222 Hohenfels 53, 218, 342 f., 400, 419 Homberg (Efze) 192,198, 220, 223, 227, 311, 327, 332, 336, 363, 406, 420, 427 Horn 377 f. Hünfeld 192,227 Hürth 370
513
Ortsregister
Husum 146 Idar-Oberstein 350 Idstedt 376 Immendingen 146, 307 Ingolstadt 29,146,151, 202, 252, 438 Itzehoe 146 Jever 376 Kaiserslautern 71, 73, 390-392 Karlsruhe 183 Karlstadt 58,60 Kassel 32,191 f., 205, 229,427 Kaufbeuren 376 Kemnath 58,60-62,337,353 Kiel 151,191,270 Kitzingen 134,222 Kleingartach 432 Klosterlechfeld 151 Koblenz 44, 53, 58,102,174, 369, 380 f., 389-391, 395 Köln 64, 221, 251, 273, 324, 370, 388, 419 Königsbrunn 58 Königshofen 58, 60 f., 222 Kötzting 193, 201, 203, 327, 400, 420, 427 Krefeld 368 Kriegsfeld 432 Külsheim 257, 327, 329 355, 363, 400, 406 Kümmersbruck 396 Landsberg 146,376 Landshut 277, 313, 411 Landstuhl 72 Langendamm 146, 376 Langeoog 462-465 Lauda 327,400,420 Laufen an der Salzach 19, 58, 60 f., 134,187 Lechfeld 151,418 Leipheim 376 Lenggries 449
Leugas 229 Limburg an der Lahn 44,165 Lingen 372 Lissabon 21, 23 Lorch am Rhein 231,421 Ludwigsburg 284 Ludwigshafen 391 Lübeck 149,191 f. Lüneburg 427 Mainz 367,391 Manching 202 Marienheim 152 Markt Bergel 60-62 Marktredwitz 134 Maxhof bei Starnberg 310 Meiningen 66 Mellrichstadt 58, 66 f., 146,196, 205, 220, 222, 224, 256, 339, 341, 348, 351, 406, 425 Memmingen 151 Metel 207,210 Miltenberg a.Rh. 31, 439, 441, 452 Minden 146 Mittenwald 402,404,406,410-412, 422 Möhn 432 Mölln 281 Moers 273 Moosham 376 Mosbach 432 Moskau 21 Mühlacker-Maulbronn 93 München 14, 29, 32, 68, 96,135,151, 201, 212, 224, 248, 252, 275, 281, 310, 313, 324, 337, 345-347, 360, 402 f., 405, 412, 419, 424 f., 449 Münsingen 32 Münster 183 Munster 32 Nabburg 58 Naila 406 Neuburg an der Donau 151 f., 154, 211, 310
514 Neumarkt 214,222 Neunburg vorm Wald 58, 203, 219, 230 f., 235, 256, 259, 327, 341 f., 348, 351, 354 Neustadt am Rübenberge 206 f., 210, 222 Neustadt an der Aisch 134 Neustadt an der Waldnaab 193 f. Neustadt in Hessen 192, 350 Neustadt in Holstein 376, 383 f., 376, 383 f. Neutraubling 40 Neu-Ulm 58,252 Niederstetten 327, 363, 400 Nittenau 58,62,360 Nitzlbuch 198 Nörvenich 376-378, 382 Nürnberg 29, 96, 376, 384, 419, 424
Ortsregister
Plön 149,151 Plön-Stadtheide 146 Pocking 57,269 Pressath 56, 61 Preußisch Oldendorf 376 Putlos 272 Quakenbrück 203 Quirnheim 432
Oak Ridge 322 Oberbolheim 382 Oberhinkofen 152 Oberlauringen 58 Oberschleißheim 275 Oberviechtach 193, 235, 256, 341 f., 348 f., 351 f., 354, 396, 398,406,419 Oettingen 212 f. Ostberlin 2 Ostfildern 281, 311 f.
Regen 57, 222, 311, 327, 339, 349, 352, 354, 396,406, 413,415, 419, 423 Regensburg 32,40, 55,151, 252, 313, 360, 396, 409 f., 422 Rehbach 432 Reisenbach 432 Reitscheid 451 Remscheid 446 Rendsburg 146 Rheine 146 Roding 19, 57,146,187,197,199 f., 203, 207, 220, 231, 235, 256, 267, 313, 327, 336, 341 f., 347-349, 351-355, 362, 364, 396, 398, 400, 403 f., 406-411, 413, 419-423, 426 f. Rosenheim 449 Rotenburg 192, 316 f. Roth 384 f. Rottenburg an der Laaber 311
Paris 5,23,37 Parsberg 214,343,401 Passau 55, 57 f., 134,195, 313, 327, 355, 376, 423, 425, 473 Pegnitz 58, 61 f. Peißenberg 62,221 Petersberg bei Bonn 22, 41 Petersdorf 462,465 Pferdsfeld 72 Pforzheim 432,446 Pfreimd 58, 62,199, 203, 396, 406 Pfullendorf 146, 257, 327 f., 355 f., 406 Pinneberg 151 Plattling 58,134
Saarbrücken 451 Salzgitter 191,193 Schilling 462,465 Schongau 365 Schotten 192 Schwabmünchen 151 Schwabsdorf 432 Schwandorf 134,360 Schwanewede 146 Schwarzenbek 146,281 Schwarzenborn 165, 350, 400 Schweinfurt 29, 58, 95, 222 Sembach 71-74,89 Senne 267 Sennelager 32
Ortsregister
Siegen 438 Sigmaringen 146 Simbach 58 Sonthofen 151 Sontra 192 Spangdahlem 72,432 Speicher 10 Speyer 202 Speyersdorf 432 Stadtallendorf 311,329 Stadtlauringen 60-62, 222 Stadtsteinach 134 Starnberg 310 Steinsfeld 432 Straubing 55,134 Stuttgart 66, 74, 82,127,183, 248, 312, 324, 419 Sulzbach 386 Tauberbischofsheim 327, 400, 420, 427 Thurnau 58 Tirschenreuth 60 - 62, 229 f., 353 f. Treuchtlingen 134 Treysa 192, 227, 327, 350, 352, 363, 400, 420 Trier 102,391 Uetersen 151 Ulm 211 Untermeitingen 151 Varel 376 Veitshöcheim 395 Vielbrunn Vogelsang 273
515 Volkach 62 Wackernheim 432 Waldkraiburg 58 Walldürn 146 Wassertrüdingen 58,134, 212 Weiden 55,134,396 Welluck 198 Wesel 146,273 Wesendorf 400 Westberlin 45 f. Westertimke 316 f. Wetzlar 96 Wiesau 58,229 Wiesbaden 128, 227, 243, 336, 340, 452 Wildeshausen 196 Wildflecken 32, 58, 97, 99, 222 Wilhelmshaven 191 Wörth 58 Wolferstetten 257 Wolfhagen 227 Wolfsburg 193 Wolfshagen im Harz 146,165 Worms 432, 450 f. Würzburg 29, 58, 96, 222, 228 f., 252, 420 Wunsiedel 134 Wuppertal 368 Xanten 273 Zell 152 Zeven 376 Ziegenhain 350,427 Zweibrücken 376 Zwiesel 58
Bruno Thoß
NATO-Strategie und nationale Verteidigungsplanung
Bruno Thoß, NATO-Strategie und nationale Verteidigungsplanung. Planung und Aufbau der Bundeswehr unter den Bedingungen einer massiven atomaren Vergeltungsstrategie 1952 bis 1960, München: Oldenbourg 2006, IX, 774 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 1) ISBN-13: 978-3-486-57904-8 ISBN-10: 3-486-57904-5
Planung und Aufbau der Bundeswehr unter den Bedingungen einer massiven atomaren Vergeltungsstrategie 1952-1960
OLOENBOURG
Ziel der Buchreihe ist es, die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und den Aufbau ihrer Streitkräfte seit dem Bündnisbeitritt 1955 darzustellen. Auf der Basis einer intensiven Quellenauswertung in nationalen und internationalen Archiven kann damit die ganze Bandbreite westdeutscher Bündnis- und Streitkräftegeschichte analysiert werden. Der Zusammenhang von NATO-Vorgaben und nationaler Verteidigungsplanung wird dazu ebenso eingehend erschlossen wie die Integration der aufwachsenden Streitkräfte in Staat und Gesellschaft und das Innenleben der Bundeswehr. Den Auftakt bildet die grundlegende Studie von Bruno Thoß über das Zusammenspiel von bündnisstrategischen Vorgaben und nationaler Verteidigungsplanung 1952 bis 1960. Der Autor zeigt auf, dass sich nationale Sicherheit nur noch im übernationalen Rahmen verwirklichen lässt. Darüber hinaus belegt er, dass militärische Planung vor dem Hintergrund eines antagonistischen Systemkonflikts wie des Kalten Krieges mit seinen totalen Bedrohungsperzeptionen nicht mehr mit den herkömmlichen Mitteln reiner Militärstrategie zu betreiben ist. Schließlich macht er deutlich, wie solches Denken in den Kategorien potentiell totaler Kriegführung weit auf das ökonomische und gesamtgesellschaftliche Umfeld ausstrahlt.
Bernd Lemke Dieter Krüger Heinz Rebhan Wolfgang Schmidt
Die Luftwaffe 1950 bis 1970
Konzeption, Aufbau, Integration
Bernd Lemke, Dieter Krüger, Heinz Rebhan, Wolfgang Schmidt, Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Konzeption, Aufbau, Integration. Mit Beiträgen von Hillrich von der Felsen, Peter Klatte, Axel B. Kleppien, Siegfried Pacholke, Klaus-Peter Scheibe und Winfried Schwenke, München: Oldenbourg 2006, X, 869 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 2) ISBN-13: 978-3^86-57973^ ISBN-10: 3-486-57973-8
Gestützt auf bislang unausgewertete Quellen werden Konzeption, Organisation und Technik der deutschen Luftwaffe in der westlichen Allianz nachgezeichnet. Zentrale Bedeutung für Ausbildung, Ausrüstung und Einsatzrollen gewinnen dabei der Einbau in die Nuklearstrategie des Bündnisses und ihr Wandel seit Beginn der sechziger Jahre. Ergänzt werden diese Aspekte durch Einblicke in die Luftverteidigung der NATO. Auch die wichtige Rolle der USA beim Aufbau der Luftwaffe findet ihren Niederschlag. Aufbau und Entwicklung bleiben dabei eng verknüpft mit den Komplexen Rüstungsbeschaffung, technologische Entwicklung und materielle Einsatzbereitschaft. Hochrangige Zeitzeugen vertiefen diese Einsichten aus ihrem Miterleben in den fliegenden Verbänden, der Flugabwehrraketentruppe und der Logistik.
Helmut R. Hammerich Dieter H. Kollmer Martin Rink Rudolf J. Schlaffer Helmut R. Hammerich, Dieter H. Kollmer, Martin Rink und Rudolf J. Schlaffer, Das Heer 1950 bis 1970. Konzeption, Organisation und Aufstellung. Unter Mitarbeit von Michael Poppe, München: Oldenbourg 2006, X, 822 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 3) ISBN-13: 978-3-486-57974-1 ISBN-10: 3-486-57974-6
Das Heer 1950 bis 1970
Konzeption, Organisation und Aufstellung
OLDENBOURG
Nach erstmaliger breiter Quellenauswertung können Konzeption und Aufbau eines neuen deutschen Heeres im Rahmen der NATO nachgezeichnet werden. Dazu werden die deutschen Ansätze für moderne Landstreitkräfte im Spannungsbogen zwischen atomarer Abschreckung und konventioneller Bündnisverteidigung analysiert. Das Besondere des deutschen Heeresbeitrages stellte dabei das Konzept einer beweglichen Kriegführung dar, mit dem die einseitige Abhängigkeit von Atomwaffen reduziert werden sollte. Der Aufbau konventioneller Verbände und ihre Umrüstung im Zuge der Strategieentwicklung in der NATO spiegelt sich wider in den notwendigen Anpassungen wechselnder Heeresstrukturen und modernisierter Rüstung. Begleitet wurden diese kontinuierlichen Veränderungen aber auch von Problemen der Personalgewinnung und Menschenführung.
Johannes Berthold Sander-Nagashima
Die Bundesmarine 1950 bis 1972
Johannes Berthold Sander-Nagashima, Die Bundesmarine 1950 bis 1972. Konzeption und Aufbau. Mit Beiträgen von Rudolf Arendt, Sigurd Hess, Hans-Joachim Mann, Klaus-Jürgen Steindorff, München: Oldenbourg 2006, X, 605 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 4) ISBN-13: 978-3-486-57972-7 ISBN-10: 3-486-57972-X
Konzeption und Aufbau
Erstmals auf so breiter Quellenbasis kann der Weg nachgezeichnet werden von den konzeptionellen Vorüberlegungen für eine neue deutsche Marine bis zu ihrer Umsetzung im Streitkräfteaufbau ab 1955. Als Teil einer Bündnisarmee bewegten sich Planung und Aufbau zunächst in den eng gezogenen Grenzen einer Verteidigung der Ostseeausgänge. Auftrag, Bewaffnung und Ausrüstung ließen sich mit dem zunehmendem Vertrauensgewinn im Bündnis erweitern, sobald die NATO nach ihrem Strategiewechsel ab dem Ende der 60er Jahre auch zur See ihre konventionellen Fähigkeiten in Nord- und Ostsee zu erhöhen suchte. Erfahrungsberichte hochrangiger Zeitzeugen vertiefen dies auf den Feldern der Militärpolitik, des Aufbaus einer Marinefliegertruppe und der technologischen Entwicklung.
Rudolf J. Schlaffer
Der Wehrbeauftragte 1951
Rudolf J. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte 1951 bis 1985. Aus Sorge um den Soldaten, München: Oldenbourg 2006, XIV, 380 S. (= Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 5) ISBN-13: 978-3-486-58025-9 ISBN-10: 3-486-58025-6
Aus Sorge um den Soldaten
Die Studie befasst sich mit dem Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages in den Phasen seiner Konzeption, Formierung und Entwicklung von 1951 bis 1985. Dabei wird diese Institution auf vier zentralen Untersuchungsfeldern analysiert: Auftrag, Stellung im parlamentarischen System, Konfrontation und Kooperation mit der Bundeswehr, Rezeption in der Öffentlichkeit. Schließlich werden Wirkung und soziokulturelle Bedeutung dieser Institution im Rahmen des westdeutschen Modernisierungs- wie Demokratisierungsprozesses untersucht, der die Streitkräfte und die Gesellschaft erfasst hatte. Es entsteht das Bild einer politisch-parlamentarischen Einrichtung in ihrer Funktions- sowie Wirkungsweise auf die Bundeswehr im politischen und gesellschaftlichen System der Bundesrepublik Deutschland.
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Kaserne in Allendorf. Wandgemälde im Mannschaftsspeisesaal 1964 Wandgemälde im Speisesaal für Mannschaften in der Kaserne in Wolfhagen 1964 Keramikmosaik im Mannschaftsheim der Kaserne in Diez 1964 Wandgemälde im Speisesaal für Unteroffiziere in der Kaserne in Wolfhagen 1964 Wandbild im Mannschaftsspeisesaal der Kaserne in Mengeringhausen 1964