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German Pages 197 Year 2015
Inszenierung oder Legitimation? / Monarchy and the Art of Representation Die Monarchie in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich Herausgegeben von
Frank-Lothar Kroll und Dieter J. Weiß
Duncker & Humblot . Berlin
Prinz-Albert-Studien / Prince Albert Studies
Prinz-Albert-Studien / Prince Albert Studies Herausgegeben von / edited by Frank-Lothar Kroll
Band 31 / Volume 31
Inszenierung oder Legitimation? / Monarchy and the Art of Representation Die Monarchie in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich
Herausgegeben von
Frank-Lothar Kroll und Dieter J. Weiß
Duncker & Humblot · Berlin
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Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: BGZ Druckzentrum GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0941-6242 ISBN 978-3-428-14455-6 (Print) ISBN 978-3-428-54455-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84455-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Prof. Dr. Kurt Kluxen, dem Begründer der Prinz-Albert-Gesellschaft, zum 100. Geburtstag
Vorwort / Preface Zu den auffälligsten Merkmalen in der Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zählt die Spätblüte monarchischer Herrschaft – fast überall in Europa, besonders jedoch in England und in den mittleren und kleineren Fürstenstaaten Deutschlands. Nach den Erschütterungen der Französischen Revolution und den Umwälzungen des Napoleonischen Zeitalters war die Stellung der Monarchie in ganz Europa eine angefochtene, die Rückkehr zu absolutistischen Herrschaftsformen älterer Provenienz schien kaum mehr möglich. Dort, wo man sie – wie in Frankreich nach 1824 – dennoch erprobte, blieb ein längerfristiger Erfolg versagt. Angesichts dieser Situation bedurfte es neuer, zeitgemäßerer Formen einer Legitimation der existentiell bedrohten Königsmacht. Hier gab es im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe miteinander konkurrierender und einander ergänzender Deutungsangebote: die liberale Theorie vom „neutralen Königtum“, das als Vermittler zwischen unterschiedlichen Interessengruppen in Staat und Gesellschaft fungierte, bis heute einen Wert besitzt und gute Dienste leistet; die Theorie konstitutionellen Königtums, das die Modalitäten moderner Verfassungsstaatlichkeit grundsätzlich akzeptiert und im Rahmen des „monarchischen Prinzips“ vorlebt; die Theorie vom Königtum der sozialen Reform, dem als Anwalt der gesellschaftlich unterprivilegierten Schichten die Rolle eines Motors sozialpolitischer Entwicklungen zukommen sollte; schließlich das Phänomen des „kulturellen Königtums“, dessen Vertreter die konventionelle Mäzenatenrolle und damit die Grenzen traditioneller fürstlicher Kunst- und Wissenschaftspflege weit überschritten und zu produktiven, eigenschöpferischen Leistungen von künstlerischem Rang fanden. Einige dieser Modelle und Möglichkeiten wurden im Rahmen der 30. Jahrestagung der Prinz-Albert-Gesellschaft vom 8. bis 10. September 2011 in Coburg in fünf Sektionen im deutsch-englischen Vergleich vorgestellt und diskutiert. Der Großteil der dabei präsentierten Vorträge wird hier, ergänzt um weitere Texte, in überarbeiteten und erweiterten Fassungen vorgelegt.1 Sektion I mit Beiträgen von Karina Urbach und David E. Barclay fragt nach den innovativen Elementen, die das britische und das preußische Königtum im 19. Jahrhundert Anschluss an Modalitäten und Mechanismen des beginnenden Massenzeitalters finden ließ. Matthias Stickler, Simon Heffer, Marc von Knorring und Marion Koschier untersuchen in Sektion II die verfassungspolitischen, verfassungstheoretischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen der Monarchie, orientiert an den Begriffen „monarchisches Prinzip“, „Konstitutionalismus“ und „parlamentarische Monarchie“. Sektion III analysiert in den Bei1 Vgl. als Überblick auch den Tagungsbericht von Martin Munke, in: H-Soz-Kult. 14. Oktober 2011. URL: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3844.
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Vorwort / Preface
trägen von Frank-Lothar Kroll und Frank Prochaska die Reaktionen des Königtums auf das wohl drängendste politische Problem der Zeit: die Soziale Frage. Dieter J. Weiß und Miriam Schneider beleuchten in Sektion IV die Frage, wie die Monarchie ihre vielerorts nicht mehr unbestrittene Stellung durch Inszenierung und Kult neu zu fundieren und international zu vernetzen vermochte. Sektion V öffnet sich mit dem Beitrag von Ulrike Grunewald Fragen und Problemen des Medienzeitalters im Blick auf die Zurschaustellung populärer Symbolleistungen der Krone bis an die Schwelle der Gegenwart. Unser Dank gilt den Förderern der Prinz-Albert-Gesellschaft, welche die Durchführung der Konferenz und die Drucklegung des Tagungsbandes möglich machten: der Stadt Coburg, der Niederfüllbacher Stiftung Coburg, der Sparkasse Coburg-Lichtenfels, der Technischen Universität Chemnitz, der Universität Bayreuth und dem Universitätsverein Bayreuth. Für die redaktionelle Bearbeitung der Beiträge zeichneten Marian Bertz M. A. und Martin Munke M. A. verantwortlich. Dieser Tagungsband ist dem Gründungsvorsitzenden der Prinz-Albert-Gesellschaft und Nestor der deutschen Englandforschung, Herrn Prof. Dr. Kurt Kluxen (1911 – 2003), anlässlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstages in dankbarer Erinnerung gewidmet. Chemnitz und München, im Juni 2015
Frank-Lothar Kroll und Dieter J. Weiß
Inhaltsverzeichnis / Table of contents Frank-Lothar Kroll Modernity of the outmoded? European monarchies in the 19th and 20th centuries
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I. Monarchische Innovationspotentiale / Monarchy and Innovation Karina Urbach Die inszenierte Idylle. Legitimationsstrategien Queen Victorias und Prinz Alberts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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David E. Barclay Das „monarchische Projekt“ Friedrich Wilhelms IV. von Preußen . . . . . . . . . . .
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II. Die Monarchie im Verfassungsgefüge / Monarchy and Constitution Matthias Stickler Monarchischer Konstitutionalismus als Modernisierungsprogramm? Das Beispiel Bayern und Württemberg (1803 – 1918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Simon Heffer Crown and consensus. Walter Bagehot’s reflections on a theory of monarchy
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Marc von Knorring Konservatives Staatsdenken zwischen Beharrung und Wandel. Das „monarchische Prinzip“ bei Carl Ernst Jarcke und Friedrich Julius Stahl . . . . . . . . . . . . . .
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Marion Koschier „Aus solchen Wirren den lösenden Gang zu finden“. Herrschaftskonsolidierung in der Habsburgermonarchie zwischen äußerer Bedrohung und innerer Reform (1848 – 1860) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis / Table of contents
III. Monarchie und Soziale Frage / Monarchy and the Social Question Frank-Lothar Kroll Die Idee eines sozialen Königtums im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Frank Prochaska The Crowned Republic and the Rise of the Welfare Monarchy . . . . . . . . . . . . . . 141 IV. Inszenierung und Kult / Representation and Cult Dieter J. Weiß Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869 – 1955). Thronprätendent in einer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Miriam Schneider “Young, brave and true, he wears the blue”. The concept of the “Sailor Prince” in 19th-Century European Monarchies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 V. Mediale Praxis / Media and Public Relations Ulrike Grunewald Manipulation oder Kooperation? Die Pressepolitik der Royal Family zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Ein Erfahrungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Verzeichnis der Autoren und Herausgeber / List of contributors . . . . . . . . . . . . . . . 195
Modernity of the outmoded? European monarchies in the 19th and 20th centuries By Frank-Lothar Kroll, Chemnitz The history of monarchy is popular once more. This was not always the case – on the contrary! Until well into the 1990s terms such as “crown”, “dynasty”, “aristocracy” or “elite” did not tend to rate highly with German historians. Here monarchies were considered to be antiquated relicts of a pre-democratic mentality which had fortunately been overcome, and which did not seem worthy of study. The royal past of Germany itself was hardly examined here, but was as a rule either suppressed or subjected to mockery and contempt. Nor did the smugly self-sufficient German historiography of the 1970s and 80s take any great interest in the monarchic traditions of its European neighbours. Medieval studies and ancient history were the exceptions to this rule. But Karl Ferdinand Werner could still rightly complain, at the 18th German-French colloquium of historians in 1982, about “the embarrassment of historians in the face of the phenomena of dynasty, monarchy, prince and court in the 19th and 20th centuries”1. Werner’s statement in fact diagnosed a fashion in the social sciences that would largely determine the course of German historical scholarship until 1989. Historians were fixated on a carefully cultivated interest in the milieu of the underclasses, and in the fate of the working class, proclaimed as the driving force of progress in world history. This kind of self-imposed limitation is particularly regrettable in retrospect: through the undeserved neglect of a formative element of Europe’s ruling classes, German historical scholarship – unlike international historical research, particularly in England, France and the United States – deprived itself for decades of the chance to show advances in the field of comparative research into elites. Today, however, the situation has changed. For over a decade now the trend has been reversed. It was no coincidence that critical stimuli for this came from the Anglo-Saxon realm. Thus in 1983, David Cannadine convincingly demonstrated, using the incisive paradigm of an “invention of tradition”, the considerable extent to which the seemingly ancient traditions from which the British monarchy derives much of its legitimizing power to this day, traditions which work well in the media 1 Karl Ferdinand Werner: Fürst und Hof im 19. Jahrhundert. Abgesang oder Spätblüte? In: Idem (ed.): Hof, Kultur und Politik im 19. Jahrhundert. Akten des 18. Deutsch-Französischen Historikerkolloquiums, Darmstadt 27.–30. September 1982. Bonn 1985, 1 – 53, 15.
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Frank-Lothar Kroll
and generate popularity, were in reality 19th-century creations – “invented” traditions, but nonetheless resoundingly effective.2 Continuing Cannadine’s approach, David Barclay, in a weighty book published in 1995, went on to demonstrate similar functional mechanisms for the Prussian monarchy of the mid-19th century. Barclay chose a term similarly incisive as Cannadine’s to characterize his research approach, speaking of the “monarchical project” by means of which Frederick William IVof Prussia, roughly at the same time as his British colleague Queen Victoria, systematically attempted to revive the institution of monarchy, which was of course no longer uncontested, to reconsolidate the principle of kingly rule, and to pave the way for its popularization in both present and future – through ceremonies, speeches and journeys, as well as architectural projects and urban development initiatives.3 Since the beginning of the new millennium, historical scholarship has produced studies on the European history of monarchy with increasingly “culturalistic” modes of argumentation. Thus for example Johannes Paulmann revealed the part played by monarchies in the construction of collective national myths and identities in the 19th and early 20th centuries.4 His studies and those of his colleagues have increased awareness of the significance of the symbolic dimensions of political action in the society of pre-industrial Europe, of which, until the fateful year of 1914, the European dynasties and their respective reigning sovereigns were among the leading representatives. In addition to this, the phenomena of “court” and “court society” have enjoyed close attention in recent years, both in comparisons between German regions and studies of Europe as a whole. Here it is media manifestations of monarchic activity which have particularly attracted researchers’ attention. Crown jubilees, royal wed2
David Cannadine: The Context, Performance and Meaning of Ritual. The British Monarchy and the “Invention of Tradition”, c. 1820 – 1977. In: Eric Hobsbawm / Terence Ranger (eds.): The Invention of Tradition. Cambridge et al. 1983, 101 – 164. German translation: Die Erfindung der britischen Monarchie 1820 – 1994. Translated by Matthias Fienbork. Berlin 1994. Cf. now Benjamin Hasselhorn: Erfindung von Tradition? Viktorianische und wilhelminische Monarchie im Vergleich. In: Frank-Lothar Kroll / Martin Munke (eds.): Hannover – Coburg-Gotha – Windsor. Probleme und Perspektiven einer vergleichenden deutsch-britischen Dynastiegeschichte vom 18. bis in das 20. Jahrhundert / Problems and Perspectives of a Comparative Anglo-German Dynastic History from the 18th to the 20th Century. Berlin 2015 (in print). 3 Cf. David E. Barclay: Frederick William IV and the Prussian Monarchy, 1840 – 1861. Oxford 1995. German translation: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie. Translated by Marion Müller. Berlin 1995. Cf. also the article of the same author in this volume, 35 – 44. 4 Cf. Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn / München / Wien / Zürich 2000; idem: Searching for a „Royal International“. The Mechanics of Monarchical Relations in Nineteenth-Century Europe. In: Martin H. Geyer / Johannes Paulmann (eds.): The Mechanics of Internationalism. Culture, Society and Politics from the 1840 s to the First World War. Oxford 2001, 145 – 176.
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dings, coronation ceremonies or feast days in celebration of imperial orders, the politics of ennoblement and the cult of the monument, royal tours and visits, ventures in construction policy, and not least, royal patronage of the arts, which played a lively and, before 1914, style-defining role, particularly in the medium-sized and smaller German principalities.5 All these forms of monarchic involvement and royal representation can be interpreted as manifestations of performative activity – and thus as indicators of the contemporary modernity which European kingship undoubtedly exhibited before 1914. I would therefore like to add a further neologism to the concepts coined by David Cannadine (“invention of tradition”) and David Barclay (“monarchical project”), and to discuss its usefulness. I am choosing the conceptual paradox of the modernity of the outmoded (“Modernität des Unzeitgemäßen”), by which I mean the mechanisms and modalities of public presence of the European monarchies, particularly at the turn of the 19th to the 20th centuries.6 This period saw the development of the mechanisms of action and the functional contexts from which those European monarchs who survived the period of the World Wars unharmed derive a large part of their legitimizing power to this day. Ceremonies and rituals, with the crown as the binding centre, and as a largely exceptional reference value, served to evoke “community” and the collective representation of national identities. They demonstrated power on the one hand, ties of loyalty on the other. They created potential for emotional fascination, and thereby developed integrative functions, stabilizing and legitimizing authority. Performance as legitimation, legitimation through performance – the interrelationship between these two reference values characterizes the framework within which monarchic rule was constituted and also substantially modernized in the 19th and early 20th centuries. Performance, generally speaking, has always been a key factor in the stabilization of monarchic rule – in all periods of world history and in all regions of the globe. Yet legitimation has not always been one of the necessary components of kingly rule. After all, the only rulers who need to prove their legitimacy are those whose claims are dubious, those who are not trusted automatically, those who know that they are no longer in the undiminished possession of political power. With regard to the monar5 Cf. the articles of Karina Urbach, Dieter J. Weiß and Miriam Schneider in this volume, 23 – 34 (Urbach), 153 – 168 (Weiß), 169 – 182 (Schneider). 6 For the application of this concept on the case of Prussia cf. Frank-Lothar Kroll: Modernität des Unzeitgemäßen? Möglichkeiten und Grenzen einer brandenburgisch-preußischen Dynastiegeschichte in gesamteuropäischer Perspektive. In: Wolfgang Neugebauer (ed.): Oppenheim-Vorlesungen zur Geschichte Preußens an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2014, 329 – 346; further idem: Monarchische Modernisierung. Überlegungen zum Verhältnis von Königsherrschaft und Elitenanpassung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Frank-Lothar Kroll / Martin Munke (eds.): Hannover – Coburg-Gotha – Windsor. Probleme und Perspektiven einer vergleichenden deutsch-britischen Dynastiegeschichte vom 18. bis in das 20. Jahrhundert / Problems and Perspectives of a Comparative Anglo-German Dynastic History from the 18th to the 20th Century. Berlin 2015 (in print).
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chic form of government, this had been the case in England since the beginning of the 17th century, in the states of continental Europe since the mid-18th century, and in most non-European countries only since the mid-20th century. In the Middle Ages and in the early modern period, on the other hand, nearly all European societies were constituted as monarchies. This trend was typical of the time, and there were only a small number of alternative models – such as the Netherlands, Switzerland, commonwealths such as Geneva, Genoa or Venice, the German imperial cities and, as a kind of hybrid, the Polish aristocratic monarchy under an elected kingship which grew weaker by the century. Such republican or aristocratic commonwealths, however, were all exceptions, their sparse numbers confirming the normality of monarchic rule. Up to the beginning of the 17th century, there had been various theories of governance that had engaged theoretically with the monarchy. As a rule, however, with the exception of pamphlets by a few papist scribblers and the theories of the Monarchomachs, they did not do so with fundamentally critical intentions, and thus also had no need to justify the existence of kings. The analogy between kingly and divine rule meant that monarchy was fundamentally legitimized. The monarch was considered God’s representative on Earth, and his subjects were obliged to obey their worldly ruler just as they were obliged to believe in God. A model of monarchy of this kind was based on the conviction that institutions of authority could never be justified only by the interests of those who had created such institutions or were involved in their administration. “Authority” was, instead, based on a norm which ultimately rose above and called into question all human orders, a norm whose vanishing point lay beyond earthly, tangible utility. This meant that it was surrounded with transcendent, magical and sacred associations. Even the coronation of Queen Elizabeth II in June 1953 preserved traces and remnants of a corresponding concept of authority, and presented these to the general public. Admittedly there was one legitimizing point of reference for monarchic rule, even in earlier times, and this point of reference was a direct consequence of the sacred derivation of kingship: the ruler had to make justice prevail. Nobody could exempt the king, least of all he himself, from his dependence on the laws, his obligation towards the law of God and the facts of nature, from his commitment to the common good. For all their emphasis on the exceptional nature of royal power, even the most resolute theoreticians of early and high absolutism – Jean Bodin and Jacques-Bénigne Bossuet in France, for example, or Robert Filmer and James I in England – never left any doubt that the monarch had to serve the general interest, and that he had a duty towards the res publica. The princely representatives of enlightened absolutism in the later 18th century, first and foremost Frederick the Great in Prussia, went on to put this aspect of princely action, this focus on the common good, in the centre of their theoretical reflections and their practical work of government. For Frederick the Great, the ruler was nothing other than a sort of mandatary of the people; the state owed its origin to a con-
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tract negotiated between people and ruler, and it was the task of the ruler to fulfil the obligations arising for him from this contractual relationship with the greatest conscientiousness. As stated in one of Frederick the Great’s better-known political treatises about “Forms of government and duties of rulers”, in 1777, “Princes have […] not been accorded the highest power so that they […] can immerse themselves in debauchery and luxury. They have not been raised above their fellow citizens so that their pride […] can contemptuously mock simple customs, poverty and misery. They are by no means placed at the head of the state in order to surround themselves with a crowd of idlers who, through their indolence and their uselessness, encourage all the vices […] Let this lesson be well learnt: the only reason which inspired humans to give themselves superiors was to maintain laws; for this is the true origin of rulers’ power”7. These words did not come from a pattern book of modern republicanism, but from the pen of the ruling monarch of one of the leading European principalities, who still administered his office in an absolutist manner, but at the same time perceived it as a “service” – a service in the cause of the res publica. In England, however, this sort of viewpoint never became prevalent. In this country, well-known as the location of the first revolutionary overthrow of a king in modern European history, all attempts to establish absolutism as a form of governance failed. Instead the island kingdom became, in many European principalities, the model for the most passionate eulogists of the principle of limited monarchy (which in turn was based on Montesquieu’s ideal of the “mixed constitution”), and the space on to which they projected their ideals. One of its earliest supporters was Jean-Louis de Lolme. Banished from his native city of Geneva, he emigrated into exile in England, where he wrote an important work for the theory of monarchy, “Constitution d’Angleterre”, in 1771, a forerunner of Walther Bagehot’s “The English Constitution”, published just under a hundred years later (1867). According to de Lolme, referring back to Montesquieu, the separation of executive and legislature was consistently achieved in England – but at the same time the complete independence of the executive, i. e. the power of the crown, from the will of the people was ensured. An executive operating with this degree of independence, according to de Lolme, was never in danger of succumbing to unpredictable popular opinions and mass movements, as in republican states. For there, argued de Lolme in the light of his own unpleasant experiences in his native city of Geneva, the wisdom and competence of the few citizens with political experience was swallowed up in the mass of ignoramuses and incompetents, and the credulous and naïve all too often fell victim to the manipulative tricks of power-obsessed demagogues. Monarchic states, on the other hand, in which a royal power with clearly defined rights and duties was supported by an elected parliament of politically trained delegates, responsibly carrying
7 Friedrich der Große: Regierungsformen und Herrscherpflichten (1777). In: Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung, Bd. 7: Antimachiavell und Testamente. Ed. by Gustav Berthold Volz. Translated by Eberhard König, Friedrich von Oppeln-Bronikowski and Willy Rath. Berlin 1913, 225 – 237, 226, 228.
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out its legislative functions, were able, according to de Lolme, to ensure the freedom of all, because here power was appropriately distributed and cleverly balanced. But Jean Louis de Lolme, the emigrant from Geneva and Briton by choice, was not the only person to see England as the model of a political order based on the welltempered equilibrium between monarch and popular representation. The constitution of the island kingdom, seen as an outstanding example of a limited form of kingly rule, was the object of admiring commentary from a vast number of political journalists and thinkers throughout Europe from the early 18th century. In the balance between the monarchic and democratic elements, in the reciprocal distribution of power and balance of power, in the cooperation between the two factors dominating the life of the state, kingship and parliament, people saw the surest guarantee that the interests prevailing in the country would find appropriate expression. Behind this idea was the concern for the general good, which could only be guaranteed by joint efforts and cooperation by all parts of the state. Even in the time of Henry VIII and Elizabeth I, the traditional theoretical construct of the King in Parliament had given expression to this consensus-oriented ideal for political activity. Since the epoch-making constitutional compromise of 1688/89, however, if not before, the weightings were distributed in such a way that the power of the king could increasingly only be exercised through the sovereign parliament, but never, as had often been the case before, against Parliament. All this meant that, by the end of the 17th century, England had already seen the establishment of that constitutional condition which would only gradually become the norm in the continental European states in the course of the “long” 19th century – and indeed in all the monarchic states of the continent, the last one being Russia, which had until then been ruled absolutely or autocratically, in 1906. What is meant here is the model of the constitutional monarchy, of monarchic constitutionalism, which Martin Kirsch most recently reconstructed, in an exemplary study, as the “norm” of European constitutional standards in the 19th and early 20th centuries.8 This type of constitution was just as important for Prussian-German constitutional reality before 1914 as it was, for example, for that of Belgium, Italy, Spain, Sweden, Denmark, Romania, or Bulgaria. The defining characteristic of this type of constitution, monarchic constitutionalism, was – in a logical continuation of the state of development observed in England, once by de Lolme, and later by Bagehot – its pronounced character of compromise. The constitutional system was set up dualistically. It was based on acceptance of the traditional principle of kingly rule on the one hand, and on acknowledgement of the nation’s constitutionally guaranteed right to participate in decision-making, executed by an elected parliament, on the other. Neither of these two related elements of the constitution was able to function on its own without 8
Cf. Martin Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich. Göttingen 1999; Frank-Lothar Kroll: Geburt der Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2013, 11 – 22; and also the articles of Matthias Stickler and Marc von Knorring in this volume, 47 – 66 (Stickler), 77 – 94 (Knorring).
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the other. The monarch could not act without Parliament, but Parliament was also incapable of action without the monarch. This reciprocal association and interlinking of two opposite but equal constitutional principles – the monarchic principle on the one hand and the principle of popular sovereignty on the other – gave rise to the necessity for cooperation, communication and compromise between them, as dictated by practical political reason. In principle, this was the same in Great Britain, except that there, as we know, was no constitution, and therefore, strictly speaking, no constitutional monarchy. Instead the power of the British crown had been tested in centuries of struggles with Parliament, and had, in the process, gradually been contained. The English monarchy had, in the meantime, been able to compensate for this loss of actual power with a continuous increase in authority, and this had enabled it to attain greater stability, as a symbolic embodiment of the state and the nation. Walter Bagehot, who has been mentioned several times so far, the theorist of the English monarchy in the age of mass democracy, saw the complete withdrawal of the monarch from day-to-day politics, the renunciation of almost all political rights, and the resulting position of independence above all parties, as an inestimable asset of the monarchy.9 And in fact: in those countries where the constitutionally reigning kings increasingly withdrew from the everyday business of politics – as in the west and north of Europe –, they gradually assumed a passive role as neutral, largely representative symbols of their states. They operated, as it were, in the slipstream of their respective ministries and parliaments, and could therefore no longer be held accountable for governmental errors and lapses. In this role, they were able to offer new, non-partisan democratic opportunities for identification for all strata of the population, and to fulfil a function in the state which is in many cases still relevant today. The great monarchies of Eastern Europe, Russia, Austria and Prussia, took another path.10 Thus the Hohenzollern monarchy in Berlin had been outwardly stabilized and reconsolidated since the victory of the crown over the parliament’s claims to supremacy in the conflict over the army and the constitution in 1866. Yet this victory was of highly questionable value. Precisely because of its exposed position of power, the Prussian monarchy once again found itself caught between political and social interest groups, making it particularly vulnerable to attack. The constitutionalization of the monarchy, the integration of kingly rule into a constitutional consensus based on the separation of powers, was one crucial prerequisite for the continued existence of monarchic rule in the later part of the 19th century. A second, equally crucial prerequisite for the re-legitimation of royal power arose from the changed relationship between monarchy and nation. In most continental European countries in the first third of the 19th century, this relationship had tended to be a tense one. The principle of the nation state was always closely linked with the 9
Cf. the article of Simon Heffer in this volume, 67 – 76. Cf. Kroll: Modernität des Unzeitgemäßen? (note 6), and the article of Marion Koschier in this volume, 95 – 108. 10
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idea of popular sovereignty; as a rule, attempts were made to achieve this through revolution – and both these things could only excite rejection and resistance in the monarchs of old Europe. It was the model of monarchic constitutionalism which first enabled the kings to ally themselves with the bourgeois representatives of the national movement. Within the framework of this model, the bearers of crowns became, all over Europe, integral components of the national constitutional discourse, and could evolve into personified embodiments of their nations. They acquired the status of national figures of identification. This gradual assumption by most European monarchs of the role of national symbols of unity provided the basis and precondition for the unexpected increase in prestige enjoyed by monarchic rule in large parts of Europe in the last decades of the 19th century. Particularly in “new states” such as Italy or Romania, the “national” dynasties sought to connect with the community of the nation. This proved a highly successful means of re-legitimizing their claim to power, which was by then far from unchallenged. Showing a remarkable ability to adapt, they proved their ongoing relevance as representatives of their respective nations, and thereby stabilized their position under the conditions of modernity – the modernity of the outmoded became their principle and their agenda. Apart from the special case of France, the monarchic form of state only fell victim to revolution in a single European country before 1914: in Portugal in 1910, and this was for quite specific reasons. Such a successful institutional self-stabilization of monarchic rule would hardly have been thought possible in 1848/49, a year of crisis throughout Europe. In England this nationalization of the monarchy, which was at the same time a modernization, was accomplished earlier than anywhere else. It was also here that, from the 1880s, the monarchization of the nation took place in the context of a new phenomenon: the mechanisms of consumption of the modern mass market. In 1887, on Queen Victoria’s Golden Jubilee, her image appeared for the first time on numerous everyday products: on soap boxes, biscuit tins and sausage casings – probably the first time that the portrait of a ruler had been used in this way, purely as a means of advertising. While this had occurred without the express volition of the monarch, two decades later it had developed into a strategy of media self-propagation on the part of the monarchy: when Edward VII visited the naval base in Cardiff in 1907, on the fifth anniversary of his coronation, he had 40,000 tins of chocolate distributed there – the tins bore his portrait and that of Queen Alexandra, in full coronation regalia. There could hardly have been, at that time, a more modern way, or one with more mass appeal, for the monarchy to be presented to and literally “consumed” by the nation. Snapshots of this kind give impressive proof of the ability of European monarchies to re-establish and re-legitimize the basis of their authority, which had been fundamentally subject to challenge since 1789.11 The British monarchy was no exception 11 Another aspect would be their handling of social questions. Cf. the articles of FrankLothar Kroll and Frank Prochaska in this volume, 111 – 140 (Kroll), 141 – 150 (Prochaska)
Modernity of the outmoded?
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here. In many other monarchies of the continent there were, before 1914, comparable phenomena of “monarchic nationalization”, which substantially boosted the legitimacy of the respective dynasties, and which can be regarded as the expression of a successful adaptation of elites, as an example of a very effectively executed institutional modernization. The conclusion to be drawn at the end of this brief discussion is that, before the self-destruction of Europe in the First World War, the monarchic form of state offered much potential for innovation; those monarchies still in existence in Europe today continue to capitalize on this potential.12 It would take another, separate conference, however, to trace this development.
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Cf. the article of Ulrike Grunewald in this volume, 185 – 194.
I. Monarchische Innovationspotentiale / Monarchy and Innovation
Die inszenierte Idylle Legitimationsstrategien Queen Victorias und Prinz Alberts Von Karina Urbach, London Sie lebten mit ihren Kindern in einem Familienidyll. Von ihrem Landsitz aus propagierten sie Schlichtheit, Sparsamkeit und soziales Engagement. Gleichzeitig suchten sie den Kontakt zu Journalisten und Künstlern, die dafür sorgten, dass dieses gelungene Familienleben in Artikeln, Fotos und Gemälden vorteilhaft dargestellt wurde. Eine Biographie über Kronprinz Friedrich und seine Frau Victoria hat gezeigt, wie medienbewusst dieses Paar agierte.1 Natürlich folgten beide hierbei Generationen von fürstlichen Lehrmeistern. Doch der Geschmack des Publikums war im 19. Jahrhundert wankelmütig geworden und die Aufführungen hatten sich verändert. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Inszenierungsstrategien, die Kaiser Friedrich III. und seine Frau Victoria benutzten, auf einem Franchise beruhten. Das Original kam aus Großbritannien. Der Erfinder des Franchise war Prinz Albert, Vater der preußischen Kronprinzessin Victoria. Hinter dem Geschäftsmodell des Franchise steht die Idee der Internationalisierung: Ein unternehmerisches Gesamtkonzept wird mit Know How und Warenzeichen an die Franchisenehmer weitergegeben, „die es dann selbstständig an ihrem Standort umsetzen“.2 Prinz Albert dachte in solchen internationalen Dimensionen – seine Kinder sollten sein „Geschäftskonzept“ in andere Länder exportieren. Am Ende scheiterte das preußische Familienidyll – trotz aller Mühen. Doch das britische Original wurde über Generationen hinweg zu einem großen Erfolg. Es gab eine Reihe von Gründen, die es notwendig gemacht hatten, dass Albert überhaupt ein neues Konzept entwickeln musste. Schon bald nach seiner Ankunft in Großbritannien hatte er erkannt, dass die britische Monarchie vor zahlreichen Herausforderungen stand. Besorgniserregend war für ihn zuerst einmal die sinkende Reputation der Royal Family. Es gibt drei Faktoren, die den Niedergang einer Dynastie einleiten können: erstens der biologische Faktor (Mangel an Erben), zweitens die Be1
Frank Lorenz Müller: Our Fritz. Emperor Frederick III and the political culture of Imperial Germany. Cambridge, MA 2011. Siehe auch Eva Giloi: Monarchy, Myth, and Material Culture in Germany 1750 – 1950. Cambridge 2011; Edward Berenson / Eva Giloi (Hrsg.): Constructing Charisma. Celebrity, Fame, and Power in Nineteenth-century Europe. Oxford 2013. 2 Deutscher Franchiseverband e.v. URL: http://www.franchiseverband.com [29. 06. 2014].
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drohungen von außen (Krieg und Revolution) und drittens die Bedrohung von innen: dysfunktionale Familienbeziehungen. Letzteres fürchtete Albert am meisten. Im Juni 1843 schrieb er: „Kein äußerer Feind kann einer Familie so schaden als die eigenen Glieder.“3 Schaden drohte seiner Meinung nach von zwei Seiten – von der britischen und von der deutschen Verwandtschaft. In den frühen 1840er Jahren spielten Queen Victorias „böse Onkel“ immer noch eine gesellschaftliche Rolle in Großbritannien. Sie sorgten für ständige Unruhe innerhalb der Familie und für öffentliche Skandale. Der Herzog von Cumberland war zwar König von Hannover geworden, konnte sich jedoch nur schwer damit abfinden, dass nicht er, sondern seine Nichte Victoria auf dem britischen Thron saß.4 Prinz Albert nannte Hannover nur den „Satanskönig“ und berichtete über sein gewalttätiges Benehmen anlässlich einer königlichen Hochzeit 1843: „Die Cambridger Familie5, vom alten Satanskönige dazu aufgehetzt, hat sich auf das Unglaublichste ungezogen gegen uns benommen, trotz der größten Aufopferung und Zuvorkommenheit unsererseits zur Gelegenheit der Heirath, so dass wir beschlossen haben sie künftig als gar nicht existierend zu betrachten. Mit dem König sind wir fast zu Faustschlägen gekommen. Er machte während der Ceremonie Attaquen auf den Platz am Altar wo wir standen, wollte mich heraus treiben und gegen alle Sitte mit Gewalth sich Victorias bemächtigen und sie zwingen sich von ihm führen und mich hinterdrein tappeln zu lassen. Ich war genötigt ihm mit einem derben Puff einige Stufen hinunter zu helfen, wo ihn dann der Oberkammerherr beim Arm nahm und zur Capelle hinaus führte. Eine zweite Scene hatten wir als er mir nicht erlauben wollte mit Victoria als Zeugen das Register zu unterschreiben und die Faust aufs Buch legte. Wir manövrierten um den Tisch herum und Victoria ließ sich das Buch hinüberreichen. Da ihn nun der Tisch von uns trennte musste er es geschehen sehen und verließ nach einem dritten Versuche Victoria zu dem zu zwingen was er beföhle im Zorn die Gesellschaft, außer sich über seine Niederlagen. Wir haben seitdem ihn laufen lassen und er ist auch glücklich in Kew über einige Steine gefallen und hat sich mehrere Rippen beschädigt.“6 Körpereinsätze dieser Art schadeten langfristig dem öffentlichen Ansehen der Royal Family. Albert versuchte daher die Verwandtschaft zu verkleinern – in Zukunft sollte nur noch die Kernfamilie – Victoria, Albert und die Kinder – von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Auch das Verhalten der deutschen Verwandten 3 Albert an seinen Bruder Ernst, Staatsarchiv Coburg (künftig: StACo), LA A 6971: Vol. III, 1841 – 1843. 4 Er war der fünfte Sohn Georgs III. Seine Frau sah Albert nur als „den Coburger Eindringling“ und demonstrierte dies bei gesellschaftlichen Anlässen indem sie nicht für ihn aufstand. Ihrer Ansicht nach symbolisierte ihre Familie the „old royal family“. Zitiert in Elizabeth Longford, Victoria R. I. London 1964, 145. 5 Victorias Onkel der Herzog von Cambridge verheiratete 1843 seine Tochter an Friedrich Großherzog von Mecklenburg Strelitz. 6 Prinz Albert an seinen Bruder Ernst, 30. Juli 1843, StACo, LA A 6971: Vol. III, 1841 – 1843.
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musste möglichst zügig unter Kontrolle gebracht werden. Schadensbegrenzung war auch hier dringend notwendig, da Albert zu der festen Überzeugung gekommen war, dass „vices in high places“ soziale Unruhen beschleunigten.7 Sein Bruder Herzog Ernst II. von Coburg war in ständige Affären verwickelt und drohte daher, dem Haus Coburg und seinen Gliedern im In- und Ausland zu schaden. In unzähligen Briefen warnte Albert seinen Bruder vor dem drohenden Niedergang: „Es tut mir noch mehr leid, dass mein einziger Bruder so ganz seinen Lebenszweck verfehlt und so wenig darauf gibt sich einen soliden Ruf zu verschaffen und die gesunkene Meinung von den Gliedern seines Hauses wieder aufzurichten.“8 Bruder Ernst bekam eine Ehefrau verordnet und war damit vorübergehend ruhig gestellt. Diese Neuordnung der Familienverhältnisse bildete die Grundlage, um eine moralisch gefestigte Royal Family aufzubauen. Albert besaß eine seismographische Sensibilität für den Zeitgeist und erkannte, was die aufsteigende Mittelschicht erwartete. Sie suchte nach Vorbildfiguren. „Meritokratie“ lautete jetzt das Schlagwort, und es wurde verlangt, dass Prinzen sich nützlich machen sollten. Eine weitere Herausforderung für die Krone war die Konkurrenz mit charismatischen Politikern, vor allem populären Premierministern. Palmerston und später Gladstone waren beliebter als Queen Victoria (und folglich ihre größten Widersacher). Mit diesen wortgewaltigen Staatsmännern verband die Bevölkerung verstärkt nationale und patriotische Gefühle. Dies wiederum verdeutlichte ein weiteres Problem der Monarchie: Mit dem Anstieg nationaler, bürgerlich geprägter Bewegungen im 19. Jahrhundert wurden die international verknüpften Dynastien in ganz Europa vor die Frage gestellt, wie sie sich überzeugend „nationalisieren“ sollten. Benedict Anderson hat die These aufgestellt, dass dynastische von nationalen Konzepten ersetzt wurden.9 Wenn dies wirklich der Fall war, stand die britische Monarchie also unter großem Legitimationsdruck. Um ihre Nützlichkeit zu demonstrieren und eine neue, erfolgreiche Vorstellung zu bieten, musste sie sich – zumindest nach außen hin – sittsam, meritokratisch-bürgerlich und vor allem national inszenieren. Prinz Albert hatte alle Voraussetzungen, um eine derartige Inszenierung zu verwirklichen. Mit dem bürgerlichen Wertehimmel war er dank seiner Coburger Lehrer bereits früh vertraut. Er glaube an die Wichtigkeit einer unermüdlichen Weiterbildung, an eine starke Arbeitsethik, an Sparsamkeit und natürlich an einen engen Familienzusammenhalt. Diese Werte wollte er nun für die königliche Familie adaptieren und nach außen hin demonstrieren. Bis zu ihrer Eheschließung hatte sich Queen Victoria ausschließlich für die traditionelle Inszenierung von Zeremonien interes7 Siehe Karina Urbach: Introduction. In: Theodore Martin: The Life of the Prince Consort. Prince Albert and his times. Vol. 1. London 2012 (erstmals 1877). 8 Albert an Ernst, StACo, LA A 6971: Vol. III, 1841 – 1843. Albert benutzte u. a. den Ausdruck „moralischer Untergang“ – eine Übersetzung des Begriffs „moral insanity“ – den der englische Arzt James Cowles Prichard 1835 geprägt hatte. „Moral insanity“ stand für Egoismus, Gefühlkälte und Mangel an sittlichem Urteilsvermögen. 9 Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 2006 (erstmals 1983).
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siert und keine eigenen Konzepte entwickelt. Albert entschied sich nun bewusst, eine Doppelstrategie zu verfolgen – der Außenwelt sollte sowohl die traditionelle, repräsentative Seite der Monarchie gezeigt werden als auch eine bürgerlich anmutende Familie. Er erfand hierfür neue Familienrituale, die weit entfernt waren von dem Leben der britischen Aristokratie. Eine königliche Familie, die ihre Kinder zu Gartenarbeit anhielt, mit ihnen Musikabende veranstaltete, unter Weihnachtsbäumen saß und um 10 Uhr ins Bett ging, entsprach nicht dem bisherigem Hofleben. Auf die britische Oberschicht wirkte diese Inszenierung allzu bieder. Doch Alberts Zielgruppe war von Anfang an die Mittelschicht gewesen. Ihr zeigte er ein stark sentimentalisiertes Familienleben und traf damit den Zeitgeist. Die zeitgenössische Saturday Review vertrat die Ansicht, man lebe in einem durch und durch sentimentalen Zeitalter.10 Es erscheint uns heute widersprüchlich, dass sich ausgerechnet die utilitaristischen Viktorianer solchen Gefühlen hingaben. Aber es war eine psychologisch durchaus verständliche Reaktion. Auch wenn die Schornsteine ihnen Reichtum verschafft hatten, lösten die Viktorianer sich nicht über Nacht von alten Lebenskonzepten. Sie waren von einer Sehnsucht nach einem vorindustriellen, ländlichen Leben getrieben – einem Arkadien des menschlichen Miteinanders. Albert erkannte diese Sehnsucht. Seine anheimelnde Familienmonarchie sollte den Menschen Kontinuität in Zeiten des Umbruchs und einen starken moralischen Kompass bieten.11 Die Sentimentalisierung seiner Familie überzeugte auch deshalb, weil Albert selbst – neben seinem analytischen Verstand – eine stark sentimentale Seite hatte. Wie Marcel Prousts Held Auf der Suche nach der verlorenen Zeit konnte er in seinen Briefen ausführlich den Geschmack von Süßigkeiten beschreiben, die er in seiner Kindheit gegessen hatte oder über seine Gefühle beim Tod eines Hundes reflektieren. Der Erfolg des Sentimentalisierungsprojektes hatte jedoch auch Schattenseiten. Die Begehrlichkeiten breiter Schichten nach royalen Bildern wurden dadurch verstärkt – eine Sucht, von der wir uns bis heute nicht befreit haben. Die Objekte der Begierde mussten klug darauf reagieren, wenn sie die Presseberichterstattung in ihrem Sinne beeinflussen wollten. Um die richtigen Bilder von seiner Familie in Umlauf zu setzen benutzte Albert eine neu entdeckte Leidenschaft – die Fotografie. Ob Kinder im Ponywagen oder ihre Hunde, alles wurde dokumentiert. Darüber hinaus half der Hofmaler Franz Xaver Winterhalter, intime Familienporträts zu schaffen.12 Bei aller Natürlichkeit wollte man schöne Menschen zeigen, was aufgrund der hannoveranischen Gene nicht immer einfach war. Queen Victoria lamentierte in unzähligen Briefen über das enttäuschende Aussehen ihres Nachwuchses. Sie selbst emp10
Zitiert in: David Newsome: The Victorian World Picture. London 1997, 10. Karina Urbach: Im viktorianischen Wunderland. In: DAMALS 43 (2011), Nr. 11, 26 f. 12 Manja Wilkens: Liebesgaben für den Prinzgemahl. Gemälde Franz Xaver Winterhalters als Geburtstags-, Hochzeitstags- und Weihnachtsgeschenke von Victoria an Albert und von Albert an Victoria. In: Franz Bosbach / Frank Büttner in Zusammenarbeit mit Michaela Braesel / Christoph Kampmann (Hrsg.): Künstlerische Beziehungen zwischen England und Deutschland in der viktorianischen Epoche. Art in Britain and Germany in the Age of Queen Victoria and Prince Albert. München 1998, 121 – 128, hier: 121. 11
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fand sich ebenfalls als unattraktiv und reflektierte ausführlich über ihre Gewichtsund Hautprobleme. Selbst der schöne Albert stand bald unter Erfolgsdruck. Er musste gegen Haarausfall ankämpfen: „to save my hair from total ruin, I have now started a radical treatment. Mr Mesnakur rubs in rectified spirits on my skin at night and in the morning a very fatty oil. He thinks it will work out very well.“13 Hier handelte es sich nicht nur um männliche Eitelkeit. Es ging vor allem darum, dem intensiven Blick der Öffentlichkeit standzuhalten und ihr die Wunschbilder einer schönen Familie zu liefern.14 Die Kleidung spielte dabei eine wichtige Rolle. Die königliche Familie changierte hier ebenfalls zwischen einer bürgerlichen und einer aristokratischen Inszenierung. Albert und Victoria ließen sich sowohl im Anzug und Tageskleid fotografieren, als auch in Uniform und großer Robe porträtieren. Queen Victoria sollte während ihrer gesamten Regierungszeit durch Kleidung non-verbale Signale setzen. Wenn die Queen bei ihrem politisch schwierigen Irlandbesuch 1849 ein grünes Kleid trug, dann folgte sie damit einer Form von symbolischer Kommunikation, die Monarchen seit Jahrhunderten genutzt hatten.15 Doch dabei ließ sie es nicht bewenden. Auch mit Schlichtheit setzte sie Akzente. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang ihre schwarze Witwenkleidung. Sie war natürlich in erster Linie ein Zeichen echter Trauer und keine Inszenierung. Im Laufe der Jahre erkannte Victoria jedoch auch, welchen Effekt das tiefe Schwarz und die einfache weiße Haube auf die Bevölkerung hatten. Die kleine rundliche Witwe von Windsor wurde von Dichtern besungen und in unzähligen Kinderbüchern verewigt – sie erweckte Beschützerinstinkte und verkörperte Bescheidenheit und Demut. Liebliche Familienbilder waren wichtig, doch sie mussten auch mit vorteilhaften Berichten ergänzt werden. Albert war ein gut informierter Zeitungsleser. Er las „die Deutsche-, die Kölner-, die Berliner-, die Weser- und die Allgemeine Zeitung“16 sowie alle britischen Blätter. Wie wichtig eine gute Presseberichterstattung war, hatte er von seinem Gegenspieler Lord Palmerston gelernt. „Pam“ war einer der ersten britischen Politiker des „Spin“ – ein Mann, der Journalisten hofierte und ihnen vorteilhafte Berichte in den Block diktierte. Soweit konnten Albert und Victoria nicht gehen, aber auch sie fanden Wege, positive Meldungen zu lancieren: erst einmal indirekt, indem sie Bilder und Ereignisse boten, über die man berichten konnte, und dann direkt, indem sie Pamphlete unterstützten. „Prince Albert. Why is he so unpopular?“ war der Titel eines dieser Pamphlete. Der anonyme Autor, der sich sinni13
Royal Archives Windsor, 838 V 16 Bestand RA VIC-Add A 6 Nr. 3. Eine moderne Debatte zu den Erwartungen der Öffentlichkeit über das Aussehen der königlichen Familie löste unlängst ein Essay der Schriftstellerin Hilary Mantel aus. Siehe Hilary Mantel: Royal Bodies. In: London Review of Books, Vol. 35, No. 4, 21. Februar 2013, 3 – 7. 15 Besonders im Fall Irland war es eine wichtige Geste, da das Land von Hungersnöten geschwächt war und die Beziehungen zu London als extrem angespannt galten. Irland blieb bekanntermaßen ein Problem. Victorias Ururenkelin Elisabeth II., die im Mai 2011 ihren ersten Staatsbesuch nach Irland unternahm, trug folglich ebenfalls Grün. 16 Albert an Ernst, 13. April 1848, StACo, LA A 6974, Vol. VI. 1848 – 49. Nr. 45. 14
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gerweise F. Airplay nannte, gab in dieser Verteidigungsschrift zahlreiche Gründe dafür an, warum Albert es verdiente, populär zu sein.17 Fairplay porträtierte Albert nicht als den elitären Prinzen, sondern als underdog (ein kluger Schachzug in einer Gesellschaft, die sich gerne als Champion des underdogs stilisierte): „The Prince has no friends to argue with his detractors, or to defend his conduct, he has no political connexions, whose interest it is to uphold and defend him.“18 Wie medienversiert der underdog Albert jedoch geworden war, zeigen Briefe an seinen Bruder Ernst. Während der Revolution von 1848 riet er ihm, die deutsche Presse zu „inspirieren“ und seine besten Leute hierfür einzusetzen: „Doch hoffe ich du wirst den Muth nicht verlieren denn neben der ersten Explosion ist doch auch ein gutes Gefühl in der Deutschen Bewegung. Ich erwarte große Segen für alle Theile Deutschlands von der nun gesicherten geistigen materiellen und politischen Volksthätigkeit. Das wichtigste ist die freie Presse: sie muss der Hebel sein, durch welchen das Volk erzogen wird und die Regierungen das Vertrauen der Völker sich erhalten. Fordere nur deine besten Leute auf zu schreiben: Keine offiziellen Artikel mit bürokratischer Autorität heruntersehend auf das unverständige uneingeweihte Publikum sondern bloß populär argumentirend und common sense redend. Das ist jetzt wichtiger als alle Acten.“19 In Friedenszeiten unterstützte Albert vor allem Artikel über königliche Reisen und Wohltätigkeit. Eine royale Reisepolitik hatte schon unter Elisabeth I. existiert.20 An diese Tradition knüpfte Sir John Conroy an, als er die 12jährige Victoria auf jährliche Kutschenfahrten durch das Land schickte. Victoria graute es seitdem vor diesen Fahrten, aber Albert wusste sehr wohl, wie wichtig fürstliche Zeigepflichten für die Popularität der Monarchie waren. Die königlichen Reisen in englische Industriestädte und nach Schottland erlangten große Beliebtheit in der Bevölkerung und brachten regelmäßig eine positive Berichterstattung.21 Albert erweiterte die Idee im Laufe der Jahre und schickte seine Söhne als „königliche Stellvertreter“ ins Empire. Wie erfolgreich dieses Konzept wurde, zeigen bis heute die Commonwealthreisen. Ein weiteres Arbeitsfeld der royalen Familie stellte die Wohltätigkeitsarbeit dar. Soziale Probleme waren hierfür ausreichend vorhanden.22 In den Jahren von 1801 bis 1851 verdoppelte sich die Bevölkerung von 9 Millionen auf 18 Millionen Menschen.23 Die Industrielle Revolution schuf Reichtum, aber auch neue soziale Probleme, die von der Krone erkannt werden mussten. Das Satiremagazin Punch behaup17
Urbach: Introduction (wie Anm. 7), S. IX. F. Airplay: Prince Albert. Why is he so unpopular? London 1857, 8. 19 Albert an Ernst, 17. März 1848, StACo, LA A 6974, Band VI. 20 Mit ihren „metaphysical road shows“ steckte diese Queen symbolisch ihr Herrschaftsgebiet ab. 21 Siehe hierzu auch Margaret Homans: Royal Representations. Queen Victoria and British Culture, 1837 – 1876. Chicago 1998. 22 Siehe hierzu auch Urbach: Im viktorianischen Wunderland (wie Anm. 11), 26 f. 23 K. Theodore Hoppen: The Mid-Victorian Generation 1846 – 1886. Oxford 1998. 18
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tete, Albert habe sein soziales Gewissen erst in der Revolution von 1848 entdeckt, als die Throne seiner Verwandtschaft ins Wanken gerieten. Tatsächlich hatte er schon vorher Ausbildungsprogramme für Arbeiter und soziale Wohnprojekte unterstützt. Victoria selbst war Schirmherrin von 150 wohltätigen Vereinen und spendete 15 Prozent ihres Einkommens.24 Dem Paar war durchaus bewusst, dass Wohltätigkeitsarbeit für das Überleben aller königlichen Häuser wichtig war. Als sein Bruder Ernst an genau dieser Stelle sparen wollte, ermahnte ihn Albert zu größeren Ausgaben. Ernst solle seiner Frau ausreichend Taschengeld geben, damit sie ihren karitativen Pflichten als Landesmutter nachkommen konnte. Eine Fürstenfamilie musste als großzügig und fürsorglich wahrgenommen werden. Sie mussten Vater und Mutter sein. So sah es auch später Prinz Alberts Enkelin Königin Maria von Rumänien. Sie schrieb über ihren Cousin Georg V. und seine Frau: „No matter that he has no special personality, that she is stiff and something conventional – they were emblems – flags – the kindly father, the benevolent mother.“25 Schon die Mittelalterforschung hat auf die Fülle von Anekdoten und Legenden über wohltätige Monarchen aufmerksam gemacht. Bei monarchischer Wohltätigkeitsarbeit handelte es sich nicht um „The Kindness of Strangers“, sondern um royale Propagandaarbeit. Gleichzeitig diente sie als Strategie, um soziale Kontrolle über die Bevölkerung aufrechtzuerhalten.26 Eine andere Form der gesellschaftlichen Kontrolle war das Honours System, mit dem der Premier und Königin Victoria gemeinsam Leistungen auszeichnen konnten. Bis heute gibt es nur wenige englische Künstler, Wissenschaftler oder Politiker – ob politisch rechts oder links stehend –, die das Angebot ablehnen, zum Ritter geschlagen zu werden. Die Viktorianer dachten ähnlich und strebten Ehrungen an. Walter Bagehot beschrieb, was seine Zeitgenossen antrieb. Sie glaubten, anders als vorherige Generationen, dass Ungleichheiten „veränderbar“ seien, d. h. dass es theoretisch sehr gut möglich sei, auf der gesellschaftlichen Leiter aufzusteigen – königliche Auszeichnungen inklusive. Der Architekt des Crystal Palace hatte als Gärtnergehilfe angefangen und war zum Sir Joseph Paxton geadelt worden. Jeder Viktorianer träumte von einem derartigen sozialen Aufstieg. Gelernte Arbeiter hofften eines Tages genug gespart zu haben, um einen kleinen Laden zu eröffnen. Ladenbesitzer strebten für ihre Kinder einen Aufstieg in die höheren Berufsstände an. Besonders viel Mobilität schien am oberen Ende der Hierarchie möglich. Wenn man als Geschäftsmann genug Geld verdient hatte, konnte man im Idealfall in den Adelsstand erhoben werden. Victoria und Albert hatten diese menschlichen Eitelkeiten klar erkannt und entwickelten einen eigenen Royal Victorian Order. Hier wurden mit mehreren Rangstufen besondere Dienste für die Krone ausgezeichnet. Dieses Honours System war populär, es 24
Karina Urbach: Queen Victoria. Eine Biografie. München 2011, 91. Brief Maries von Rumänien von 1935, zitiert in: Diana Fotescu (Hrsg.): Americans and Queen Marie of Romania. A selection of documents. Oxford 1998, 112. 26 Stedman Jones hat für den niederen englischen Adel festgestellt, dass die „gentry decided where to place their patronage“. Gareth Stedman Jones: Languages of Class. Studies in English Working Class History, 1832 – 1982. Cambridge 1983, 77. 25
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war ein Ansporn und es war gut exportierbar. Kurz vor seinem Tod 1861 entwarf Albert den Order of the Star of India – ein geschickter Versuch, die Eliten Indiens an die Krone zu binden.27 Ein anderer wichtiger Imagefaktor war die Beziehung der Monarchie zu den Streitkräften. Da Großbritannien – neben dem Krimkrieg – permanent unzählige kleine Kriege im wachsenden Empire führte, konnte man auf diesem Weg sehr öffentlich royalen Patriotismus demonstrieren. Obwohl oder vielleicht gerade weil Queen Victoria ständig mit Elisabeth I. verglichen wurde, empfand sie wenig Begeisterung für diese Vorgängerin. Beide teilten jedoch eine wichtige Gemeinsamkeit: Sie stilisierten sich zu „Warrior Queens“ – unerschrockenen Anführerinnen ihrer Streitkräfte.28 Die Rede Elisabeths I. vor der Niederschlagung der Armada ist hierfür paradigmatisch: „Ich weiß, dass ich nur den Leib einer schwachen und kraftlosen Frau habe; aber ich habe das Herz und das Rückgrat eines Königs, und noch dazu eines Königs von England.“29 Elisabeth appellierte damit an die männlichen Beschützerinstinkte ihrer Soldaten – die Verteidigung einer schwachen Frau –, betonte aber auch gleichzeitig, dass sie in erster Linie König sei, und damit frei von den Einschränkungen ihres Geschlechts. Diesen Widerspruch versuchte auch Victoria zu lösen. In militärischen Krisensituationen litt sie darunter, kein Mann zu sein. Dass Könige sich an die Spitze ihrer Armeen stellten, gehörte zwar seit George II. der Vergangenheit an, aber Victoria sah das Militär als eines ihrer wichtigsten Einflussfelder. Als Tochter eines Soldaten glaubte sie, ein instinktives Verständnis für dieses Metier zu haben. Während des Krimkrieges verabschiedete sie unermüdlich Truppen und verschickte Liebesgaben. Dieser Enthusiasmus für ihre Soldaten war durchaus echt, doch politisches Kalkül spielte immer eine Rolle. Ein Engagement für die Streitkräfte bot eine weitere Möglichkeit, die Monarchie als national zu inszenieren. Gemeinsam mit Albert entwickelte die Königin daher eine Auszeichnung, die es bis heute gibt, das Victoria Cross für außergewöhnliche militärische Heldentaten. Das Besondere am Victoria Cross war seine Egalität: Es konnte an alle Ränge verliehen werden. Die Verleihung selbst wurde zu einem weihevollen Moment inszeniert – eine Art Kommunion zwischen der Königin und ihren Soldaten. Victoria sollte diese „besondere Verbindung“ zu ihren Truppen auch in den Jahren ihrer selbst gewählten Isolation pflegen. Sie reiste lieber nach Aldershot zu Truppenübungen, als das Parlament zu eröffnen. Auch wenn in Großbritannien das Militär die Gesellschaft nie so stark erfasste wie in Österreich-Ungarn oder im Deutschen Reich, so existierte doch ein besonderes Band. Bis heute kämpfen Soldaten für „Queen and country“ und schützen die königliche Familie. Symbolisch kann man dies auch daran sehen, dass die Wellington Barracks 27 Mit dem Order of the Star of India wurden sowohl hochrangige britische Verwaltungsbeamte in Indien als auch indische Eliten ausgezeichnet. Siehe auch Miles Taylor: Queen Victoria and India, 1837 – 61. In: Victorian Studies 46 (2004), H. 2, 264 – 274. 28 Walter Arnstein: The Warrior Queen. Reflections in Victoria and her world. In: Albion 30 (1998), H. 1, 1 – 28. 29 Rede Elisabeths I. an die Truppen in Tilbry 1588.
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gleich am Buckingham Palace gelegen sind und die dort stationierten Soldaten im Notfall sofort ausrücken können. Das 19. Jahrhundert ist als das Jahrhundert der militärischen Monarchien bezeichnet worden. Die Manie der Monarchen, Uniformen auszutauschen, verstärkte sich nach dem Wiener Kongress und wurde außenpolitisch zu einem Symbol der „Internationale der Souveräne“.30 Innenpolitisch war das Tragen von Uniformen jedoch ebenso wichtig – als ein Mittel, um sich national darzustellen. Albert ließ sich auch deshalb in Uniformen porträtieren. Gemeinsam mit Victoria wollte er die nächste Generation nah an militärische Wertvorstellungen heranführen und dies gleichzeitig propagandistisch nutzen. Mehrere ihrer Söhne dienten in der Armee, und am Erfolgreichsten wurde das Konzept des Sailor Prince, das Miriam Schneider in ihrem Beitrag untersucht.31 All diese Inszenierungsstrategien hatten von den 1840er bis 1860er Jahren großen Erfolg. Vergleicht man die Zahl der monarchiekritischen Artikel mit der freundlichen Berichterstattung über royale Empfänge, königliche Reisen und Wohltätigkeitsarbeit, so überwiegen die positiven Berichte eindeutig. Monarchiefreundliche Zeitungsartikel waren sehr viel länger und ausführlicher als die der Monarchiekritiker. Benedict Andersons obenerwähnte These, dass nationale Konzepte sukzessive dynastische ersetzten, trifft auf Großbritannien im 19. Jahrhundert daher nicht zu. Tatsächlich kann man hier sehen, wie sie sich überlappen und erfolgreich miteinander verbinden. Es war Alberts und Victorias Geschick zu verdanken, dass die Monarchie das wichtigste Symbol der Nation wurde. Mit Prinz Alberts Tod 1861 kamen die Inszenierungsinnovationen zu einem vorübergehenden Stillstand. Je länger sich die trauernde Queen zurückzog, um so stärker erinnerte die Presse sie an ihre repräsentativen Pflichten. Es zeigte sich in dieser Phase ganz deutlich, wie wichtig die Sichtbarkeit der Monarchie war – ein Dornröschenschlaf wurde von der Öffentlichkeit nicht toleriert. Doch die Queen war nicht völlig untätig. Sie versuchte auf anderen Wegen mit ihren Untertanen zu kommunizieren: durch die Unterstützung von unzähligen Baudenkmälern für Prinz Albert und die Publikation von Erinnerungsbüchern wie den Highland Journals. Ihr wichtigstes Projekt war es, Prinz Alberts Leben in einer monumentalen Biographie zu feiern. Offiziell wurde Theodore Martin mit dieser Arbeit beauftragt, aber Victoria mutierte bald zur Co-Autorin. Sie nutzte diese Biographie, um mit alten Gegnern abzurechnen, aber auch um ihre und Alberts hohe Arbeitsethik zu demonstrieren: „not a day, scarcely an hour passed, which did not leave its record of some good work done.“32 Es war die perfekte PR. 30 Philip Mansel: Dressed to Rule. Royal and Court Costume from Louis XIV to Eliszabeth II. London 2005, 111. 31 In diesem Band, S. 169 – 182; vgl. auch Miriam Schneider: Royal Naval Education, Sailor Princes, and the Re-Invention of the Monarchy, MPhil thesis, Universität Cambridge 2011. 32 Martin: Life of the Prince Consort (wie Anm. 7), XI.
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Eine andere, gelungene Inszenierung verdankte Victoria ihrem Premier Disraeli. Er hatte schon 1857 die Idee einer indischen Kronkolonie unterstützt – nicht nur aus machtpolitischen, sondern auch aus „erzähltechnischen“ Gründen. Östliche Völker – so seine Vorstellung – brauchten Mythen. Man sollte den Indern also eine märchenhafte und mütterlich gütige Herrscherin bieten – einen Part, den Victoria 1877 mit Verve übernahm.33 Die Königin griff ganz bewusst den Zeitgeist des Hochimperialismus auf und wurde zur Integrationsfigur des Empire. Indem sie ihre nahen Verwandten zu Viceroys ernannte, „schenkte“ sie dem Empire symbolisch auch einen Teil von sich. Die Benennung von Orten, Seen oder Bergen nach Victoria verschaffte ihr nicht nur eine persönliche Befriedigung, sie machte die Monarchie auch omnipräsent.34 Wie Albert es erhofft hatte, wurde das Empire ein wichtiger Bestandteil für die Legitimation der Monarchie. Dies zeigte sich am Deutlichsten an Victorias diamantenem Thronjubiläum 1897.35 Die opulente Feier brachte Monarchiekritiker endgültig zum Schweigen. Die perfekte Inszenierung wurde auf unzähligen Souvenirs verewigt, und Edward Elgar komponierte seinen Imperial March, aus dem später Pomp and Circumstances wurde. Es war ein mitreißendes Leitmotiv – man demonstrierte mit buntem Pomp Großbritanniens Vormachtsstellung in der Welt – und an der Spitze stand die Doyenne der europäischen Monarchen. Festgehalten wurde alles mit dem neuen Propagandamittel Film. Der Zeitgenosse E. F. Benson sah allerdings wenig Zukunft für dieses Medium. Man könne zwar die Queen sehen, „aber durch einen Sturm von Blitzen und großen schwarzen Punkten – es war alles sehr anstrengend für die Augen“.36 Die Königin hingegen war erfahren genug, die Macht der bewegten Bilder zu erkennen. Es war Albert gewesen, der als erster das Werbepotential von Fotografien für die Royal Family entdeckt hatte. Seine Schülerin Victoria erlebte nun die Fortsetzung. David Cannadine stellt in „Ornamentalism“ die These auf, dass Pomp zu einem entscheidenden Faktor für den Zusammenhalt des Empires wurde.37 Victorias Premier Salisbury hätte ihm jedoch widersprochen. Über Indien sagte er: „es ist die nackte Gewalt auf die wir uns in Wirklichkeit verlassen.“38 Tatsächlich war beides nötig. Ein gut inszenierter Überbau war essentiell, um die Gewalt zu kaschieren. 33
Urbach: Queen Victoria (wie Anm. 24), 159 f. Victorias Schwiegersohn wurde 1878 Generalgouverneur von Kanada, andere ihrer nahen Verwandten und Nachkommen wurden in Südafrika, Australien und den Bahamas (Herzog von Windsor) eingesetzt. 35 Miles Taylor: Royal jubilees, past, present and imperial. In: Past and Present, Issue 11, Spring-Summer 2012, 12 f.; Greg King: Twilight of Splendour. The Court of Queen Victoria during her Diamond Jubilee Year. Hoboken, NY 2007. 36 Richard Brown: „It is a very wonderful process“. Film and British royalty 1896 – 1902. In: The Court Historian, 8 (2003), H. 1. 37 Cannadine ist der Ansicht, dass bisher nicht untersucht wurde, wie das Empire systematisch „monarchisiert“ wurde. Vgl. David Cannadine: Ornamentalism. How the British Saw Their Empire. London 2002, 101. 38 Zitiert in Urbach: Queen Victoria (wie Anm. 24), 158. 34
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Dies führt zur der entscheidenden Frage: Kann der Erfolg und das Überleben einer Monarchie allein mit einer gelungenen Außendarstellung erklärt werden?39 Kann die Öffentlichkeit wirklich so leicht mit ornamentalen Leerstellen manipuliert und „sediert“ werden? Oder ist die Theatermetapher ausgereizt, und sicherten am Ende andere Faktoren das Überleben der britischen Monarchie? In der deutschen Geschichtswissenschaft der letzten Jahre hat sich eine Tendenz entwickelt, das repräsentative Element überzubetonen. Die perfekte Inszenierung der Eliten ist als das entscheidende Herrschaftsmittel zum immer wieder zitierten Schlagwort geworden. Die Idee ist nicht neu. Auch adelige Zeitgenossen glaubten an die magischen Auswirkungen ihrer gelungenen Repräsentation. Die Selbstinszenierung der Eliten wurde als die beste Form von Machterhaltung gesehen: „It was a common view in the late nineteenth and early twentieth centuries that ,show‘ was the best way of transfixing the imaginations of the ,masses‘, who were suffering a rationality deficit.“40 Bagehots These, dass die „theatrical show“ zu „social control“ führte, ist jedoch nur teilweise nachvollziehbar. Wie David Craig überzeugend für Großbritannien gezeigt hat, fanden große Zeremonien nur in unregelmäßigen Abständen statt, und ihre dauerhafte Wirkung war geringer als bisher angenommen. Selbst Victorias großer Clan konnte nicht einen ständigen Reigen aus pompösen Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen offerieren. Darüber hinaus führte ein freier Tag oder kostenloses Essen nicht notwendigerweise zum Abbau sozialen Protests. Tatsächlich war am Ende die puristische Politik für das Fortbestehen der Monarchie mitverantwortlich. Es waren die Premierminister und die gesamte gesellschaftliche Führungselite, die kein Interesse daran hatten, republikanische Strömungen zu unterstützen. Ohne den Schutz Gladstones, den Victoria ironischerweise verachtete, und ohne Disraelis Empire-Phantasien hätte Victoria die Proteste der 1870er Jahre nur schwer überstanden. Die Monarchie überlebte, weil es Politiker gab, die ein Interesse am Überleben dieser Institution hatten. Sie waren der festen Überzeugung, dass ohne Monarchie ein Gesichtsverlust in den Kolonien und, schlimmer noch, ein Autoritätsverlust für das gesamte Establishment drohte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte diese keineswegs unbegründete Befürchtung mit dem Zusammenbruch des Empires teilweise Realität werden. Um Queen Victorias und Alberts Erfolge zu verstehen, ist ein kulturhistorischer Ansatz sehr nützlich, man darf dabei aber auch nie die Politikgeschichte aus den Augen verlieren.
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Dies wirft natürlich auch die Frage auf, die sich bereits die Kollegen aus der Frühneuzeit gestellt haben: ob denn alles nur symbolisch sei. Siehe hierzu den Konferenzband Barbara Stollberg-Rilinger / Tim Neu / Christina Brauner (Hrsg.): Alles nur symbolisch? Bilanz und Perspektiven der Erforschung symbolischer Kommunikation. Köln / Weimar / Wien 2013. 40 David M. Craig: The Crowned Republic? Monarchy and Anti-Monarchy in Britain, 1760 – 1901. In: The Historical Journal 46 (2003), H. 1, 167 – 185.
Das „monarchische Projekt“ Friedrich Wilhelms IV. von Preußen Von David E. Barclay, Kalamazoo I. Im Januar 1842 reiste Friedrich Wilhelm IV., seit Mai 1840 König von Preußen, nach England, um der Taufe des kleinen Prinzen von Wales, des künftigen Eduards VII., in Windsor Castle beizuwohnen. Der preußische Herrscher sollte Patenonkel des kleinen Prinzen werden.1 Obwohl nicht sein erster England-Besuch – schon als Kronprinz war er da gewesen –, nutzte er die Gelegenheit aus, seine Bekanntschaft mit dem Coburger Prinzen Albert zu erneuern, wie auch die junge Königin Victoria kennenzulernen.2 Von England war er immer entzückt, und in diesen Jahren war sein Hauptlehrmeister der preußische Gesandte am Hof von St. James, Christian Carl Josias von Bunsen. Angefeuert und angetrieben von seinen unglücklichen Erfahrungen als Gesandter beim Heiligen Stuhl, versuchte der eifrige Protestant Bunsen jetzt, ein protestantisches Bündnis zwischen Großbritannien und Preußen herzustellen, und zwar in Form eines deutsch-englischen Bistums Jerusalem auf dem Gebiet des dahinsiechenden Osmanischen Reichs.3 Ein derartiges Vorhaben war ganz im Sinne des preußischen Herrschers, der eine konservativ-monarchische Erneuerung von Kirche und Staat auf organisch-ständischer Grundlage anstrebte. Und in Großbritannien glaubte 1 Vgl. vor allem Dorothee von Hellermann: Friedrich Wilhelms IV. Besuche in England. In: Friedrich Wilhelm IV. Künstler und König. Zum 200. Geburtstag. Ausstellung vom 8. Juli bis 3. September 1995. Neue Orangerie im Park von Sanssouci. Frankfurt am Main 1995, 142 – 149, bes. 145 – 149. Zu den religiösen und künstlerischen Aspekten des Englandbesuchs vgl. Frank Büttner: Der „Glaubensschild“, das Patengeschenk Friedrich Wilhelms IV. für den Prinzen von Wales. In: Franz Bosbach / Frank Büttner (Hrsg.): Künstlerische Beziehungen zwischen England und Deutschland in der viktorianischen Epoche / Art in Britain and Germany in the Age of Queen Victoria and Prince Albert. München 1998, 95 – 108. 2 Victoria an Friedrich Wilhelm IV. (künftig: FW), 12. Dezember 1841, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (künftig: GStA PK), Brandenburg-Preußisches Hausarchiv (künftig: BPH), Rep. 50 J Nr. 359, Bl. 28; FW an Victoria, 18. Dezember 1841, ebd., BPH, Rep. 50 J Nr. 359, Bl. 28v–29v ; die Briefe FWs an seine Frau, Königin Elisabeth, von seiner England-Reise in: Ebd., BPH, Rep. 50 J Nr. 995 Fasz. 16, Bl. 57 – 58, 116 – 124. 3 Vgl. hierzu David E. Barclay: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie. Berlin 1995, Kap. 4; Robert Blake: The Origins of the Jerusalem Bishopric. In: Adolf Birke / Kurt Kluxen (Hrsg.): Kirche, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich / Church, State and Society in the 19th Century. An Anglo-German Comparison. München 1984, 87 – 97.
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Friedrich Wilhelm, ein Land besucht zu haben, das durch eine antirevolutionäre Gesinnung, eine organische, traditionsgebundene, „antimechanistische“ Gesellschaftsordnung und ein gesundes Verhältnis sowohl zwischen Krone und Ständen als auch zwischen Staat und Kirche gekennzeichnet war. Wichtig in diesem Zusammenhang war seine Lektüre über Großbritannien, unter anderem des Buches The State in Its Relations with the Church, verfasst vom künftigen Premierminister William Gladstone, der behauptete, „the highest duty and highest interest of a body politic alike tend to place it in relations of close co-operation with the church of Christ“.4 Beeinflusst wurde Friedrich Wilhelm auch direkt oder indirekt durch die Auffassungen von englischen Schriftstellern wie Samuel Taylor Coleridge, dessen Ansichten über Wesen und Wirken des Staats mit denjenigen Friedrich Wilhelms in großem Maße zu übereinstimmen schienen. In einem besonders einsichtsvollen Aufsatz über Coleridge hatte der liberal gesinnte John Stuart Mill 1840 geschrieben, der GermanoColeridgian Standpunkt verkörpere „the revolt of the human mind against the philosophy of the eighteenth century. It is ontological, because that was experimental; conservative, because that was innovative; religious, because so much of that was infidel; concrete and historical, because that was abstract and metaphysical; poetical, because that was matter-of-fact and prosaic.“5 Dabei hatte Friedrich Wilhelm, wie Prinz Albert und sein Bruder, Herzog Ernst von Sachsen-Coburg und Gotha, immer wieder kritisch wenngleich indirekt andeuteten, die eigentliche historische Entwicklung Großbritanniens mythologisiert und mißverstanden. Auch wenn Friedrich Wilhelm etwas von der Tagespolitik etwa eines Robert Peel verstand, hatte er keinen richtigen Einblick in die Dynamik der Institutionen und politischen Strukturen Großbritanniens. Von den Einsichten eines Walter Bagehot oder gar eines Benjamin Disraeli weit entfernt, hatte Friedrich Wilhelm IV. eine englische Tradition erfunden, eine angebliche Tradition, die im Dienste dessen, was der Verfasser dieser Zeilen sein „monarchisches Projekt“ genannt hat, stand.6 Und sein etwas künstlich-gekünsteltes England-Bild hatte er nie aufgegeben, unter anderem zum Ärger seiner konservativen Ratgeber, so etwa des Ministerpräsidenten Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg. Im November 1848, kurz nach dem Staatsstreich gegen die preußische Nationalversammlung und einige Wochen vor der Oktroyierung einer neuen preußischen Verfassung, klagte Brandenburg, dass der im Frühjahr 1848 gedemütigte Herrscher sich jetzt im „Siegestaumel“ befinde, „ver-
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W. E. Gladstone: The State in Its Relations with the Church. 3. Aufl. London 1839, 3. John Stuart Mill: Coleridge (1840). In: J. M. Robson (Hrsg.): Collected Works of John Stuart Mill. Bd. 10: Essays on Ethics, Religion and Society. Toronto 1969, 125. 6 Siehe z. B. David E. Barclay: Politik als Gesamtkunstwerk. Das monarchische Projekt. In: Friedrich Wilhelm IV. Künstler und König (wie Anm. 1), 22 – 27. Zur „Erfindung“ der Tradition siehe das klassische Werk von Eric Hobsbawm / Terence Ranger (Hrsg.): The Invention of Tradition. Cambridge 1981. 5
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langt das Unmögliche, Pairs, Lords, Alt-England und was weiß ich sonst noch. Ich mache alle, die den König näher umgeben, hierfür verantwortlich.“7 Friedrich Wilhelms Erfindung einer englischen Tradition entsprach seiner Erfindung einer monarchischen Tradition für Preußen, was wiederum vom Grafen Brandenburg angeprangert wurde. Im November 1850, kurz vor dessen Tod mitten in der Olmütz-Krise, behauptete Brandenburg, die Tradition Preußens bestehe hauptsächlich und gerade im Fehlen einer langen, im Mittelalter verwurzelten Tradition: „ein zentralisierter Militair- und Beamten-Staat. Das war sein Wesen. Das ist schwarzweiß“.8 Auch wenn Brandenburgs Einsichten eher den preußischen Realitäten entsprachen als die romantisch geprägten Einsichten Friedrich Wilhelms IV., übersah er, dass der preußische Herrscher etwas im Sinn hatte, das viel mehr war als bloß eine von der Romantik beeinflusste Flucht in die Phantasie. Vielmehr: in einem zunehmend ideologischen Zeitalter versuchte Friedrich Wilhelm IV. bewusst und konsequent ein ideologisches Modell, ein monarchisches Gegengewicht zu den angeblich „revolutionären“ Tendenzen seiner Zeit aufzubauen. Wichtige Aspekte dieses ideologischen Projekts, besonders in den letzten Vormärzjahren vor 1848, waren das, was wir heutzutage „Propaganda“ nennen würden: also eine bewusste monarchische Selbstdarstellung, die unter anderem öffentliche Selbstdarstellungen und Selbstinszenierungen – Reisen, Reden, Veröffentlichungen, Standbilder, ambitionerte öffentliche Bauprojekte, vorwiegend, doch nicht ausschließlich im Potsdamer Raum – einschloss. Insofern war sein Projekt durchaus modern, durchaus ein Produkt seines 19. Jahrhunderts. Friedrich Wilhelm IV. war viel mehr als „bloß“ ein romantischer Schwärmer, ein wirklichkeitsfremder Phantast, der, dem Geist der Romantik entsprechend, unvermeidlicherweise in Wahnsinn enden sollte. (Was natürlich in Wirklichkeit kein Wahnsinn war: Er litt wahrscheinlich an Alzheimer, hatte ab 1857 auch eine Reihe von Schlaganfällen erlitten).9 Im Gegenteil: Friedrich Wilhelm IV. war wohl der bedeutendste deutsche Herrscher im ganzen Zeitraum zwischen dem Tod Friedrichs des Großen 1786 und der Thronbesteigung Wilhelms II. 1888. Unter anderem erinnert er uns daran, dass das 19. Jahrhundert nicht nur ein Jahrhundert des technischen Fortschritts, der Industrialisierung, der Säkularisierung des Lebens, des Nationalismus, des freigeistigen Liberalismus usw. war, sondern vielfältiger und widerspruchsvoller, als manchmal angenommen wird. In seinem Versuch, ein monarchisches Gegenbild zu einigen der Hauptströmungen seiner Zeit aufzubauen, war Friedrich Wilhelm IV. durchaus ein Kind dieser Zeit selbst. Trotz seiner Vorliebe für ein Mittelalter, das es so in seinem Sinne nie gegeben hatte, ist Friedrich Wilhelm IV. nur im Rahmen seines eigenen Jahrhunderts vorstellbar. Und auch wenn seiner 7
Brandenburg an Leopold von Gerlach, 24. November 1848. In: Abschriften des Nachlasses Leopold von Gerlach, Gerlach-Archiv am Institut für politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Bd. 18, 234. 8 Brandenburg an FW, 4. September 1850, GStA PK, BPH, Rep. 50 J Nr. 212, Bl. 74. 9 Barclay: Anarchie und guter Wille (wie Anm. 3), 390 – 397.
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monarchischen Selbstdarstellung und seinen Selbstinszenierungsversuchen letztlich kein Erfolg beschieden war, gelang es ihm dennoch, die Bedeutung und die Rolle seines Herrscheramts im nachrevolutionären Zeitalter nach 1848 erfolgreich zu behaupten.10 Grundsatz seines Denkens und seines monarchischen Projekts, und das, was dieses Projekt als typisch für das 19. Jahrhundert kennzeichnet, ist die Religion: oder, im Fall Friedrich Wilhelms IV., der Versuch, das Christentum auf eine neue Grundlage zu stellen, und zwar als Bollwerk gegen die sogenannten „auflösenden“ und „mechanistischen“, ja, die – wie er sie immer wieder beschrieb – „satanischen“, „teuflischen“ Tendenzen seiner Zeit. Auch in dieser Hinsicht ist er typisch für sein Jahrhundert.11 Denn die Forschung der letzten drei Jahrzehnte hat die alten Verallgemeinerungen über die Kräfte der Säkularisierung relativiert und teilweise in Frage gestellt. Inzwischen wissen wir, anhand mehrerer Studien, dass das 19. Jahrhundert nicht nur ein Zeitalter der Dechristianisierung, sondern auch und gleichzeitig der Rechristianisierung war. Wie Jürgen Osterhammel es erklärt: „Es gibt gute Gründe dafür, Religiosität, Religion und Religionen in den Mittelpunkt einer Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts zu stellen. […] Religion war überall auf der Welt im 19. Jahrhundert eine Daseinsmacht ersten Ranges,“ und – wichtig für das monarchische Projekt Friedrich Wilhelms IV. – „ein Strukturprinzip gesellschaftlicher Hierarchisierung“.12 10 Zum größeren historischen Kontext siehe Christopher Clark: Iron Kingdom. The Rise and Downfall of Prussia 1600 – 1947. London 2006, insb. Kap. 13 („Escalation“). Zu den biographischen Arbeiten der letzten drei Jahrzehnte siehe unter anderem Otto Büsch (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit. Beiträge eines Kolloquiums. Berlin 1987; Walter Bußmann: Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie. Berlin 1990; Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik. Berlin 1990; Dirk Blasius: Friedrich Wilhelm IV. 1795 – 1861. Psychopathologie und Geschichte. Göttingen 1992; Barclay: Anarchie und guter Wille (wie Anm. 3); Winfried Baumgart: Friedrich Wilhelm IV. In: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.): Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II. 4. Aufl. München 2009, 219 – 240, 333 – 335. Die neuesten Arbeiten zu Friedrich Wilhelm IV. befassen sich zum großen Teil mit seiner Rolle als Künstlernatur und Mäzen, so z. B. Peter Betthausen (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Briefe aus Italien 1828. München 2001; Catharina Hasenclever: Gotisches Mittelalter und Gottesgnadentum in den Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV. Herrschaftslegitimation zwischen Revolution und Restauration. Berlin 2005; Rolf H. Johannsen: Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Von Borneo nach Rom. Sanssouci und die Residenzprojekte 1814 bis 1848. Kiel 2007; Jörg Meiner: Wohnen mit Geschichte. Die Appartements Friedrich Wilhelms IV. von Preußen (1795 – 1861) in historischen Residenzen der Hohenzollern. München 2009; Rolf Thomas Senn: In Arkadien. Friedrich Wilhelm IV. Eine biographische Landvermessung. Berlin 2013; Jörg Meiner / Jan Werquet (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Politik – Kunst – Ideal. Beiträge einer Tagung vom 22. und 23. März 2012 am Kulturforum in Berlin. Berlin 2014. 11 Siehe Hans-Christof Kraus: Friedrich Wilhelm IV. (1795 – 1861) – Christliches Königtum im Schatten der Revolution. In: Rudolf Mau (Hrsg.): Protestantismus in Preußen. Bd. 2: Vom Unionsaufruf 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2009, 243 – 262. 12 Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2009, 1239.
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Was waren nun die Hauptmerkmale, die Antriebskräfte des monarchischen Projekts Friedrich Wilhelms IV.? Wie hat er versucht, sie zu verwirklichen? Wie erfolgreich war er? Was waren die Wirkungen und Auswirkungen dieses Projekts? Und was sind ihre Wirkungen für unser Verständnis der monarchischen Staatsform und der Legitimation monarchischer Staatsstrukturen im 19. Jahrhundert? II. Zunächst zu den Hauptmerkmalen seines Projekts. Verankert wurde es, wie Frank-Lothar Kroll vor über 20 Jahren exemplarisch dargestellt hat, im Staatsdenken der deutschen Romantik.13 An dieser Stelle ist es nicht notwendig, Krolls Ausführungen detailliert wiederzugeben. Summarisch kann hier gesagt werden, dass Friedrich Wilhelms romantische Gedanken schon in seinen Jugendjahren seine Persönlichkeit und sein Weltbild maßgeblich geprägt hatten, wie z. B. seine Vorliebe für romantische Schriftsteller wie Friedrich de la Motte-Fouqué, für die Geschichte des Mittelalters, und vielleicht vor allem seine tiefe Religiosität und sein ausgeprägter ästhetischer Sinn, insbesondere für das Zeichnen und für die Architektur, immer wieder beweisen. Von seinen romantischen Gesichtspunkten ausgehend, sind folgende Gesichtspunkte seines monarchischen Projekts besonders hervorzuheben: 1. Ein tief sitzender Hass gegen alle Aspekte und Formen der „Revolution“. In seiner starken Abneigung gegen die „Revolution“ spiegelten Friedrich Wilhelms Ansichten im großen und ganzen die Denkweise fast aller kontinentalen Konservativen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider. Sein Hass war sowohl persönlicher als auch ideologischer Natur, wie man anhand seiner lebenslangen Abneigung gegen Napoleon I. beobachten kann. 1795 geboren, war Friedrich Wilhelm gerade elf Jahre alt, als seine Familie vom Kaiser der Franzosen gedemütigt wurde; für Friedrich Wilhelm war Napoleon immer die Verkörperung der „Revolution“ und des Bösen schlechthin, des Kampfes des Unrechts gegen die gottgewollte Ordnung des Universums. Diesen Hass verlor er nie. Den französischen Kaiser beschrieb er immer wieder als „Nöppel“, „Satan“ usw., und Paris war ihm zeit seines Lebens nichts anderes als ein „Sündenpfuhl“. Jahrzehnte später, in den 1850er Jahren – so berichtete ein Flügeladjutant –, sei der König immer ein charmanter und angenehmer Gesprächspartner, „nur wenn er auf die napoleonischen Zeiten kam, kochte es in ihm, und über Napoleon I. sprach er in Kräfteausdrücken, die ihm sonst fremd waren“.14 Für Friedrich 13
Kroll: Friedrich Wilhelm IV. (wie Anm. 10); vgl. Hans-Christof Kraus: Politisches Denken der deutschen Spätromantik. In: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin 2002, 33 – 69. – Vgl. ferner den Roman, den Friedrich Wilhelm als Kronzprinz verfasste: Friedrich Wilhelm IV. von Preußen: Die Königin von Borneo. Ein Roman. Hrsg. von Frank-Lothar Kroll. Berlin 2001; zum Ganzen auch Frank-Lothar Kroll: Die Hohenzollern. München 2008, 83 – 96. 14 Friedrich von Bismarck-Bohlen: Aufzeichnungen aus meinem Leben als Flügeladjutant Seiner Majestät König Friedrich Wilhelm IV. (1880), GStA PK, BPH, Rep. 50 F 1, Nr. 6,
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Wilhelm IV. gab es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Jakobinismus und dem „bürokratischen Despotismus“ eines Bonaparte. Beide waren eng verwandt, Letzterer ein notwendiges Produkt des Ersteren. Dies führt uns zum zweiten Punkt. 2. Friedrich Wilhelms Abneigung gegen alle Aspekte des „französisch-modernen“, bürokratischen Zentralismus. Dies ist auch ein Thema, das in der Literatur der vergangenen Jahrzehnte ausführlich behandelt worden ist. Als ein Mann, der an der Idee des „Organischen“ und des „historisch Gewachsenen“ festhielt, stand Friedrich Wilhelm den preußischen Reformern skeptisch gegenüber, Hardenberg vor allem.15 Friedrich Wilhelm verabscheute alle Aspekte des modernen Konstitutionalismus und Parlamentarismus, unter anderem deswegen, weil sie auf dem Prinzip der Repräsentation des Einzelnen beruhten, und nicht auf der Vetretung von historisch gewachsenen und feststellbaren Gruppeninteressen. Deswegen entsprach sein konservatives Weltbild den bekannten Auffassungen anderer Hochkonservativer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch wenn seine Vorstellungen von den göttlich verliehenen und gesegneten Privilegien seines eigenen Amtes hochfliegend waren, lehnte er gleichzeitig alle Formen des Absolutismus ab, auch und gerade des monarchischen Absolutismus, was wiederum zum dritten Punkt führt. 3. Eine ständische Staatsauffassung als Gegengewicht zu „mechanistischen“ Staatsformen wie Parlamentarismus, Verfassungsstaatlichkeit und „bürokratischem Absolutismus“. Friedrich Wilhelm IV. glaubte im wörtlichen Sinn an das gottgewollte Recht aller legitimen Herrscher, deren Machtbefugnisse allerdings durch die ebenfalls historisch verankerten Rechte der historisch gewachsenen Stände eingeschränkt waren. Durch eine auf ständischer Grundlage aufgebaute Staatsordnung sollte eine Alternative zum modernen Parlamentarismus entstehen, worin kein Platz für Willkür und bürokratischen Despotismus war – mithin ein Staatsbild, das harmonisierend und ausgleichend wirken sollte. Solche Gedanken waren nicht unbedingt originell, sie waren feste Bestandteile der Ideenwelt der preußischen Hochkonservativen, unter anderem seiner Freunde im Kronprinzenkreis der 1820er und 1830er Jahre. Man denke etwa an die Brüder Gerlach, deren Weltsicht Hans-Christof Kraus so ausführlich beschrieben hat.16 Friedrich Wilhelm IV. glaubte indes auch, dass seine ständischen Staatsauffassungen durchaus der historischen Entwicklung Deutschlands entsprachen – Deutschland sei also als antirevolutionäres Gegenbild zur „französischen“ Moderne zu verstehen, was zum vierten Aspekt seines Weltbilds führt.
Bl. 10. Vgl. David E. Barclay: Prussian Conservatives and the Problem of Bonapartism. In: Peter Baehr / Melvin Richter (Hrsg.): Dictatorship in History and Theory. Bonapartism, Caesarism, and Totalitarianism. New York, NY 2004, 67 – 81. 15 David E. Barclay: Die Gegner der Reformpolitik Hardenbergs. In: Thomas StammKuhlmann (Hrsg.): „Freier Gebrauch der Kräfte“. Eine Bestandsaufnahme der HardenbergForschung. München 2001, 217 – 229. 16 Unter mehreren wichtigen Arbeiten von Hans-Christof Kraus zu diesem Thema siehe vor allem Ernst Ludwig von Gerlach. Politisches Denken und Handeln eines preußischen Altkonservativen. 2 Bde. Göttingen 1994.
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4. Ein ausgeprägter deutscher Kulturnationalismus, allerdings im Sinne einer Wiederbelebung der Strukturen des Alten Reiches und der Rechte historisch legitimierter Herrscher. Hierzu hat Frank-Lothar Kroll ebenfalls sehr viel geschrieben;17 an dieser Stelle kann betont werden, dass Friedrich Wilhelm IV. immer wieder von einem neu belebten Reich träumte. Hier war er ganz konsequent; das war wiederum einer der Gründe, warum er im Frühjahr 1849 die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone schroff ablehnte, mit den schon vorher erwähnten und bekannten „Kräfteausdrücken“. Auch wenn seine Träume eines wiederbelebten Reiches eher in das Reich der Phantasie gehören, zeigt die Forschung der letzten 30 Jahre, dass sein Urteil über das Wesen und die Strukturen des Reiches vor der Zeit des Reichsdeputationshauptschlusses gar nicht abwegig waren. Wie sein bayerischer Schwager Ludwig I. war Friedrich Wilhelm IV. keineswegs unempfindlich für die nationalen Gefühle seiner Zeit, allerdings im dynastischen, legitimistischen, pluralistischen, föderalistischen Sinne. Den Verfassungsvorschlägen etwa des Prinzen Albert stand er höflich ablehnend gegenüber. Allerdings ließ er sich für die gewagten Ideen eines Joseph Maria von Radowitz stark begeistern, vor allem im Zusammenhang mit dem Radowitzschen Unionsprojekt 1849/50, das tatsächlich im Kontrast zur traditionell pietätsvollen Politik Friedrich Wilhelms gegenüber Österreich, den Habsburgern und den Erinnerungen an das Alte Reich stand.18 5. Der Erneuerung der Kirche als Bollwerk gegen die Revolution galt Friedrich Wilhelms besonderes Interesse, wie schon am Anfang dieser Ausführungen angedeutet wurde. Allerdings war das von ihm befürwortete englisch-preußische Bistum Jerusalem nie besonders erfolgreich. Und die von ihm angestrebte Umstrukturierung der evangelischen Kirche in Preußen ist nicht zustande gekommen. Trotzdem darf man nicht übersehen, dass bei ihm – als einem „Erweckungschristen“, der von den oft stark emotional geladenen religiösen Strömungen seiner Zeit beeinflusst war – die Religion und die Gottesfurcht einen absolut zentralen Bestandteil seines Weltbilds und deswegen auch seines monarchischen Projekts darstellten. Hier kommen wir zum sechsten und letzten, wohl auch zum wichtigsten Aspekt seines monarchischen Weltbilds. 17 Vgl. z. B. Frank-Lothar Kroll: Monarchie und Gottesgnadentum in Preußen 1840 – 1861 (1997). Wiederabgedruckt in: Ders.: Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates. Paderborn / München / Wien / Zürich 2001, 55 – 74; ders: Herrschaftslegitimierung durch Traditionsschöpfung. Der Beitrag der Hohenzollern zur Mittelalter-Rezeption im 19. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 274 (2002), 61 – 85; ders.: Kaisermythos und Reichsromantik. Bemerkungen zur Rezeption des Alten Reiches im 19. Jahrhundert. In: Axel Gotthard / Andreas Jacob / Thomas Nicklas (Hrsg.): Studien zur politischen Kultur Alteuropas. Festschrift für Helmut Neuhaus zum 65. Geburtstag. Berlin 2009, 77 – 95; ders.: Staatsideal, Herrschaftsverständnis und Regierungspraxis Friedrich Wilhelms IV. In: Meiner / Werquet (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (wie Anm. 10), 18 – 30. 18 Vgl. David E. Barclay: Ein deutscher „Tory democrat“? Joseph Maria von Radowitz (1797 – 1853). In: Hans-Christof Kraus (Hrsg.): Konservative Politiker in Deutschland. Eine Auswahl biographischer Porträts aus zwei Jahrhunderten. Berlin 1995, 37 – 67; ders.: Preußen und die Unionspolitik 1849/50. In: Gunther Mai (Hrsg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850. Köln 2000, 53 – 80.
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6. Friedrich Wilhelm IV. verfocht eine vorwiegend ästhetische Staats- und Gesellschaftsauffassung. Er betrachtete die Welt, auch als Herrscher, vorwiegend als Künstler und Künstlernatur. Bekanntlich bildeten seine fast endlosen Zeichnungen und architektonischen Entwürfe einen Schlüssel zu seinem Weltbild, zu seinen kirchlich-monarchischen, kaiserlichen-politischen Vorstellungen. Vor einigen Jahren sind die ersten Versuche in der Richtung eines catalogue raisonée und einer Gesamtdarstellung seiner Zeichnungen erschienen, und sie liefern wieder den Beweis dafür, dass Friedrich Wilhelms Ästhetik nicht von seiner Politik zu trennen ist, dass seine künstlerischen Tätigkeiten nicht bloß als Flucht in die Phantasie zu beurteilen sind. Das ganze politische und ideologische Projekt Friedrich Wilhelms IV. ist als ein typisches Phänomen des 19. Jahrhunderts zu betrachten, und zwar als eine Art Gesamtkunstwerk, ein „totales“ Projekt – mit dem Ziel, den Geist der „Revolution“ zu bekämpfen und „legitime“ monarchisch-ständische Werte zu vertreten. III. Summarisch kann auf vier konkrete Beispiele dieses monarchischen Projekts Friedrich Wilhelms IV. hingewiesen werden – und zwar: 1. seine ständische Politik in den letzten Vormärzjahren; 2. seine öffentlichen Auftritte, vor, während und nach der 1848er Revolution; 3. seine öffentliche Bild- und Baupropaganda; 4. eine hartnäckige Verteidigung der Ansichten und Auffassungen von seiner königlichen Rolle und seinem königlichen Amt, die den wichtigsten und historisch bedeutsamsten Aspekt seines monarchischen Projekts darstellt, vor allem nach 1848. 1. Die ständischen Bestrebungen Friedrich Wilhelms IV. in den letzten Vormärzjahren waren – bekanntlich – nicht gerade von Erfolg gekrönt. Man denke etwa an die Ständischen Ausschüsse 1844 bis hin zur Allgemeinen Synode 1846 und zum Vereinigten Landtag 1847; dass die ständischen Reformprojekte Friedrich Wilhelms vereitelt wurden, hängt nicht zuletzt mit den für ihn ungünstigen wirtschaftlichen und politischen Umständen der letzten Vormärzjahre zusammen. Aber politisch versagt hatte er in diesen Jahren durchaus. Das ist wohl unbestreitbar, wurde von seinen Kritikern und Freunden zugleich immer wieder festgestellt. Gerade aus diesen Jahren stammt das Klischee von David Friedrich Strauß, das Friedrich Wilhelm als wirklichkeitsfremden „Romantiker auf dem Thron“ darstellte.19 2. Seine öffentlichen Auftritte und seine Fähigkeiten bei der Repräsentation monarchisch-legitimistischer Werte in diesen Jahren erinnern uns indes auch daran, dass Friedrich Wilhelm keineswegs ein bornierter Phantast war, sondern durchaus ein Kind seiner Zeit. Selbstverständlich achtete er auf das höfische Zeremoniell und auf Etikette; aber sein Gefühl für die kommunikativen Möglichkeiten des modernen, technischen Zeitalters war eindrucksvoll. Man denke an die Inszenierung der Berliner Huldigungszeremonie am 15. Oktober 1840, in deren Verlauf er der erste preu19 David Friedrich Strauß: Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren, oder Julian der Abtrünnige. Ein Vortrag. Mannheim 1847.
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ßische Herrscher wurde, der eine öffentliche Rede hielt; und offenbar, wie es immer wieder bestätigt wurde, war er ein hinreißender Redner. Auch reiste er gern durch die preußischen Lande, zumindest vor 1848, und – wie wir am Anfang gesehen haben – häufig ins Ausland. Man darf nicht vergessen, woran Arno Mayer uns vor vielen Jahren erinnerte, dass Europa vor dem Ersten Weltkrieg ein vorwiegend monarchischer Kontinent war, und gerade im Zeitalter schnellerer Kommunikationsmittel – etwa der Eisenbahn – konnten königliche Reisen und Besuche ein probates Mittel monarchischer Repräsentation und Darstellung sein, wie jüngst in einem eindrucksvollen Buch klargestellt worden ist.20 3. Friedrich Wilhelm war eine Künstlernatur, ein Mann, der die Welt hauptsächlich in Bildformen konzipierte. Deswegen kann es nicht überraschen, dass die Bildpropaganda eine zentrale Rolle in seinen Versuchen spielte, sein monarchisches Projekt vorzustellen und darzustellen – wie hauptsächlich, aber nicht ausschließlich im Berlin-Potsdamer Raum zu sehen ist, und zwar anhand seiner verschiedenen Bauprojekte. Wieder muß betont werden: es wäre völlig irreführend, diese Bauprojekte, etwa im Rheinland oder in der Nähe von Sanssouci, als geistige Fluchtorte oder Refugien anzusehen. Denn die Potsdamer Parklandschaft war ein öffentlicher, dem Publikum zugänglicher Raum, und die Bauten, die dort vor allem während seiner Regierungszeit entstanden, dienten durchaus politischen Zwecken. Man kann viele Beispiele nennen: die nie zustande gekommene, aber geplante via triumphalis auf den Höhen von Sanssouci; das 1850 errichtete Triumphtor am Fuße des Weinbergs, das als Eingang zur via triumphalis dienen sollte, mit allegorischen Darstellungen sowohl der modernen Technik als auch des Sieges der preußischen Armee gegen revolutionäre Aufständische 1849 in Baden; oder aber das Michaelsdenkmal neben Schloß Babelsberg, das die Niederwerfung des „Lindwurms“ der Revolution darstellt.21 Es gibt mehrere Beispiele solcher plastischen oder bildlichen Propaganda, wobei man Friedrich Wilhelms Kirchenbauten und -pläne nicht übersehen darf. 4. Somit kommen wir zum vierten und wohl wichtigsten Aspekt des praktizierten monarchischen Projekts Friedrich Wilhelms IV. – sein konkretes Handeln während und nach der 1848er Märzrevolution. In den alten Lehrbüchern wird Friedrich Wilhem IV. nach dem ersten Sieg der Märzrevolution als schwankend, verunsichert und niedergeschlagen dargestellt. Und in der Tat gab es bei ihm, zwischen 1848 und seiner Erkrankung 1857, ein ständiges Auf und Ab der Emotionen und Gefühle. Trotzdem war es ihm gelungen, die Revolution erfolgreich zu überstehen; und außerdem gelang es ihm, trotz seiner häufigen politischen Differenzen mit den eher traditionell 20 Arno J. Mayer: The Persistence of the Old Regime: Europe to the Great War. New York, NY 1981; Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn / München / Wien / Zürich 2000. 21 Vgl. z. B. David E. Barclay: Denkmal und Revolutionsfurcht. Friedrich Wilhelm IV. und die Verherrlichung des preußischen Feldzugs in Südwestdeutschland 1849. Monumentale Beispiele im Potsdamer Raum. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 44 (1993), 130 – 160; Gerd H. Zuchold: Die Triumphstraße König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen in Potsdam. Das Triumphtor. Berlin 1994.
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bürokratischen Konservativen um die beiden Ministerpräsidenten während des Reaktionsjahrzehnts, Graf Brandenburg und Otto von Manteuffel, die wichtigsten Elemente seines Herrscheramts in das von ihm verpönte und verhasste parlamentarische Zeitalter hinüberzuretten. Das tat er widerwillig, aber er blieb hartnäckig, auch wenn er Kompromisse mit der neuen Verfassung und dem Parlamentarismus akzeptieren mußte. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist ein langes, aber wichtiges Zitat aus einem Brief 1854 an den jungen österreichischen Kaiser Franz Josef: „Ew. Majestät wissen, daß die falschen aber ehrlichen Ansichten des unvergesslichen, theuren Grafen v. Brandenburg und seiner Collegen und der bedenkliche Mißbrauch den dies Ministerium von seiner damaligen (ganz exceptionellen) Stellung zu meiner Person gemacht, mich wider Willen und trotz Erschöpfung jedes ehrlichen WiderstandsMittels mich (im eigentl. Sinne des Wortes) gezwungen hat eine miserable, französisch-moderne Constitution zu beschwören!!!! – Gott verzeihe es ihnen! u segne das Andenken der Minister Ew. Majestät, welche Ihnen so etwas nicht zugemuthet haben. – Enfin; es ist geschehen u mein Wort ist heilig und ich brech’ es nicht. Ich kann, ich darf u ich will aber grade mit der Hülfe der beschwornen Gesetze aus denselben herauskommen. Wenn Gott mir beisteht, was ich hoffe, so ersetze u tödte ich die ,französischen‘ ,Ideologien‘ durch ächt-teutsche ständische Einrichtungen, nach dem heiligen Grundsatz, der auf unsrem ersten Haus-Orden zu lesen ist: Suum cuique. – So lange wir aber noch unter der französischen Constitution kränkeln, brauchen wir, u vor Allem, bei den BefreiungsAkten von derselben, der Majoritäten!!“22 Das Thema dieses Tagungsbands ist die Geschichte der Inszenierung und Legitimation monarchischer Werte im 19. Jahrhundert. Sowohl bei seiner Selbstinszenierung als auch bei seinen Versuchen, sich und seine politischen Vorstellungen zu artikulieren und zu legitimieren, war Friedrich Wilhelm IV. viel erfolgreicher, als in der älteren Literatur häufig angenommen. Zwar konnte er seine ständischen und kirchlichen Ansichten nicht durchsetzen. Dass aber die preußische Krone auch nach der Einführung der oktroyierten Verfassung weiterhin enorm einflussreich war – man denke etwa an die königliche Kommandogewalt – war in vielerlei Hinsicht ein Verdienst Friedrich Wilhelms IV. Ob dieses Verdienst für die künftige Entwicklung Preußens und Deutschlands vorteilhaft und positiv war, bleibe dahingestellt. Sicherlich aber hatte diese Entwicklung wenig gemeinsam mit den verschiedenen Verfassungsprojekten für sein deutsches Vaterland, die auch Prinz Albert in diesen schicksalhaften Jahren entwarf.23 Hier ist der Kontrast zwischen Coburg und Windsor einerseits, Potsdam und Berlin andererseits, besonders stark. 22
FW an Franz Josef I., 28./29. September 1853, GStA PK, BPH, Rep. 50 J Nr. 939 Bl. 59v–60. 23 Siehe z. B. den Briefwechsel zwischen Prinz Albert und Friedrich Wilhelm IV. in: GStA PK, BPH, Rep. 50 J Nr. 355. Vgl. dazu jetzt John R. Davis: Liberalisation, the Parliamentary System, and the Crown. The Role of Coburg Dynasties in Nineteenth-Century Constitutional Debate. In: Frank-Lothar Kroll / Martin Munke (Hrsg.): Hannover – Coburg-Gotha – Windsor. Probleme und Perspektiven einer vergleichenden deutsch-britischen Dynastiegeschichte vom 18. bis in das 20. Jahrhundert / Problems and Perspectives of a Comparative Anglo-German Dynastic History from the 18th to the 20th Century. Berlin 2015 (im Druck).
II. Die Monarchie im Verfassungsgefüge / Monarchy and Constitution
Monarchischer Konstitutionalismus als Modernisierungsprogramm? Das Beispiel Bayern und Württemberg (1803 – 1918) Von Matthias Stickler, Würzburg I. Grundsätzliches zum Thema Monarchischer Konstitutionalismus als Modernisierungsprogramm – dieses Thema scheint eine teleologische Weltsicht zu implizieren, als ob versucht werden solle, den monarchischen Konstitutionalismus sozusagen als Modernisierungsprogramm per se zu idealisieren. Dies ist keineswegs beabsichtigt. Der vorliegende Beitrag baut auf der Typologie von Martin Kirsch auf, der in seiner 1999 erschienenen bahnbrechenden Studie „Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert“1 drei idealtypische Erscheinungsformen des monarchischen Konstitutionalismus2 unterscheidet; diese lassen sich national nicht zuordnen und sind auch nicht festlegbar im Hinblick auf ein generelles Entwicklungsmuster, etwa so, dass man davon sprechen könnte, dass sie aufeinander folgen im Sinne einer Höher- oder Weiterentwicklung: Erstens 1 Martin Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich. Göttingen 1999. Vgl. hierzu die begeisterte Rezension von Dieter Langewiesche. In: Archiv für Sozialgeschichte 42 (2002). URL: http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/80302.htm [05.07.2013]. 2 Zum Begriff „monarchischer Konstitutionalismus“ und den damit verbundenen Forschungskontroversen vgl. Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert (wie Anm. 1), 40 – 94. Auch wenn Ernst Rudolf Hubers Interpretation des monarchischen Konstitutionalismus als eigenständiger Verfassungstypus und sein v. a. auf Preußen konzentriertes Geschichtsbild z. T. heftigen Widerspruch erfahren haben und er wegen seiner Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus nach 1945 umstritten war, so ist dennoch das von ihm vorgelegte monumentale Werk zur deutschen Verfassungsgeschichte bis heute ein unentbehrliches Standardwerk geblieben: Vgl. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. 8 Bde. Stuttgart u. a. 1957 – 1991; für das lange 19. Jahrhundert sind einschlägig die Bde. 1 bis 5, 2. Aufl. Stuttgart u. a. 1967, 3. Aufl. Stuttgart u. a. 1988, 2. Aufl. Stuttgart u. a. 1982, Stuttgart u. a. 1978. Zu Huber vgl. ausführlich Ewald Grothe: „Strengste Zurückhaltung und unbedingter Takt“. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und die NS-Vergangenheit. In: Eva Schumann (Hrsg.): Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit. Göttingen 2008, 327 – 348 sowie ders.: Über den Umgang mit Zeitenwenden. Der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber und seine Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart 1933 und 1945. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53/2005, 216 – 235 und ders.: Eine ,lautlose‘ Angelegenheit? Die Rückkehr des Verfassungshistorikers Ernst Rudolf Huber in die universitäre Wissenschaft nach 1945. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), 980 – 1001.
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die konstitutionelle Monarchie mit dominierendem Parlament, wie sie vor allem in der ersten französischen Verfassung vom 3. September 1791, in der am 14. August 1830 revidierten Charte der französischen Juli-Monarchie des Bürgerkönigs Louis Philippe (1830 – 1848), in der Verfassung des Königreichs Belgien vom 7. Februar 1831 sowie in den Verfassungen des Königreichs Sardinien bzw. Italiens vom 4. März 1848 bzw. vom 17. März 1861 verwirklicht wurde. Zweitens die Staatstreich und Plebiszit miteinander verbindende bonapartistische Spielart der konstitutionellen Monarchie, wie sie für das erste und zweite Empire kennzeichnend ist, aber auch für viele Vasallenstaaten Frankreichs nach 1797. Drittens der monarchische Konstitutionalismus mit Vorrang des Königs, wie er idealtypisch in der Charte constitutionnelle des unter dem aus dem britischen Exil zurückgekehrten Ludwig XVIII. (1814 – 1825) restaurierten Königreichs Frankreich vom 4. Juni 1814 verwirklicht wurde; dieser Typus wirkte bekanntlich vor allem auf den Süddeutschen Konstitutionalismus ein.3 Wenn in diesem Beitrag dennoch das Modernisierungsparadigma angewandt wird, dann erstens deshalb, weil der Süddeutsche Konstitutionalismus bekanntlich den Abschluss der Rheinbundreformzeit4 darstellte und erheblich zur Stabilisierung 3 Zum Süddeutschen Konstitutionalismus vgl. neben Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert (wie Anm. 1) v. a.: Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 314 – 386; ders. (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl. Stuttgart u. a. 1978; Hans Boldt (Hrsg.): Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975; Peter Ehrle: Volksvertretung im Vormärz. 2 Bde. Frankfurt am Main 1979. 4 Eine Geschichte des Rheinbunds ist bis heute ein wissenschaftliches Desiderat; vgl. hierzu v. a.: Karl Heinrich Ludwig Pölitz: Der Rheinbund historisch und statistisch dargestellt. Leipzig 1811; Karl Beck: Zur Verfassungsgeschichte des Rheinbunds. Mainz 1890; Theodor Bitterauf: Geschichte des Rheinbundes. Bd. 1: Die Gründung des Rheinbundes und der Untergang des alten Reiches. München 1905 [mehr nicht erschienen]; Rainer Wohlfeil: Untersuchungen zur Geschichte des Rheinbundes 1806 – 1813. Das Verhältnis Dalbergs zu Napoleon. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 108 (1960), 85 – 108; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1 (wie Anm. 2), 75 – 91; Eberhard Weis: Napoleon und der Rheinbund. In: Armgard von Reden-Dohna (Hrsg.): Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons. Wiesbaden 1979, 57 – 80; Peter Burg: Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom alten Reich zum Deutschen Zollverein. Stuttgart 1989; Gerhard Schuck: Rheinbundpatriotismus und politische Öffentlichkeit zwischen Aufklärung und Frühliberalismus – Kontinuitätsgedanken und Diskontinuitätserfahrung in den Staatsrechts- und Verfassungsdebatten der Rheinbundpublizistik. Stuttgart 1994; Georg Schmidt: Der napoleonische Rheinbund – Ein erneuertes Altes Reich? In: Volker Press (Hrsg.): Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? München 1995, 227 – 245; Andreas Fahrmeir: Centralisation versus Particularism in the „Third Germany“. In: Michael Rowe (ed.): Collaboration and Resistance in Napoleonic Europe. State-formation in an Age of Upheaval, c. 1800 – 1815. Hampshire, NY 2003, 107 – 120; Ute Planert: From Collaboration to Resistance: Politics, Experience, and Memory of the Revolutionary and Napoleonic Wars in Southern Germany. In: Central European History 39 (2006) 4, 676 – 705; Matthias Stickler: Erfurt als Wende – Bayern und Württemberg und das Scheitern der Pläne Napoleons I. für einen Ausbau der Rheinbundverfassung. In: Rudolf Benl (Hrsg.): Der Erfurter Fürstenkongreß 1808. Hintergrund, Ablauf, Wirkung. Erfurt 2008, 265 – 300; Herbert Hömig: Carl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons. Paderborn / München / Wien / Zürich 2011.
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der noch ungefestigten süddeutschen Staaten beitrug. Zweitens zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass die Verfassungen der Königreiche Bayern und Württemberg (1818 bzw. 1819) sowie der Großherzogtümer Baden und Hessen-Darmstadt (1818 bzw. 1820) eine im Vergleich erstaunliche Dauerhaftigkeit aufwiesen. Dass diese Verfassungen trotz der fundamentalen Veränderungen im langen 19. Jahrhundert ca. 100 Jahre gültig waren – und damit länger als die Verfassungen aller heutigen deutschen Länder –, stellt ihnen kein schlechtes Zeugnis aus. Die Ursache hierfür dürfte in der diesem Verfassungstypus innewohnenden Flexibilität zu suchen sein: Bereits Kirsch hat zu Recht darauf hingewiesen, dass trotz mannigfaltiger Versuche, unter Verweis auf die Gültigkeit des Monarchischen Prinzips, den Vorrang der Krone gegenüber Parlament und Regierung dauerhaft zu sichern, sich in der Verfassungswirklichkeit ein immer wieder konfliktreiches dualistisches Zusammenspiel von Parlament und Krone entwickelte.5 Es kann bereits an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass man zwar von einer Parlamentarisierung des politischen Systems in Bayern und Württemberg – diese beiden bedeutendsten Staaten des Dritten Deutschlands sollen exemplarisch im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen – seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht sprechen kann; diese vollzog sich vielmehr überstürzt und letztlich zu spät unter dem Eindruck der unabwendbaren Kriegsniederlage im Herbst 1918. Allerdings gelang es beiden Königreichen, die im Vormärz entstandenen Verfassungen immer wieder an veränderte politische Gegebenheiten anzupassen. II. „Nation Building“ durch politische Partizipation – Staatsabsolutismus, Verfassungsgebung und monarchische Regierungspraxis in Bayern und Württemberg 1803 – 1848 Wenn eben von der stabilisierenden Funktion des Süddeutschen Konstitutionalismus die Rede war, so muss dieser Befund gesehen werden vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche im Kontext des Untergangs des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, der Schaffung des Rheinbunds und der Gründung des Deutschen Bundes6 : Bayern und Württemberg7 hatten als Verbündete 5
Vgl. Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert (wie Anm. 1), 372. Vgl. hierzu im Überblick Michael Erbe: Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785 – 1830. Paderborn / München 2004, v. a. 381 – 358; Thomas Nipperdey: 1800 – 1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1983, 11 – 101; sowie die in Anm. 4 angegebene Literatur. 7 Zur Geschichte Bayerns und Württembergs vgl. v. a.: Michael Doeberl: Entwickelungsgeschichte Bayerns. Bd. 2: Vom Westfälischen Frieden bis zum Tode König Maximilians I. 3. Aufl. München 1928 und ders.: Entwickelungsgeschichte Bayerns. Bd. 3: Vom Regierungsantritt König Ludwigs I. bis zum Tode König Ludwigs II. mit einem Ausblick auf die innere Entwicklung Bayerns unter dem Prinzregenten Luitpold. München 1931; Peter Claus Hartmann: Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute. 3. Aufl. Regensburg 2012, 351 – 462; Erwin Hölzle, Württemberg im Zeitalter Napoleons und der Deutschen Erhebung. Eine deutsche Geschichte der Wendezeit im einzelstaatlichen Raum. 6
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des napoleonischen Frankreichs in erheblichem Umfang Gebietserweiterungen erhalten und waren durch den Frieden von Preßburg (26. Dezember 1805) souveräne Königreiche geworden. Daraus ergaben sich für die einzelstaatliche Politik zweierlei Notwendigkeiten. Es war dies – erstens – die Schaffung eines einheitlichen Staatsgebiets nach französischem etatistischem Vorbild ohne Rücksicht auf die bisherigen territorialstaatlichen bzw. verfassungsrechtlichen Verhältnisse. Möglich wurde diese Revolution von oben, die unter Anknüpfung an entsprechende Versuche im 17. und 18. Jahrhundert auf die Errichtung eines monarchisch-absolutistischen Systems hinauslief, durch den Wegfall der Garantie der altständischen Verfassungen als Folge des Preßburger Friedens bzw. der Reichsauflösung 1806. Besonders rabiat ging hierbei König Friedrich von Württemberg (1797/1805 – 1816)8 vor, der nicht nur Säkularisation und Mediatisierung durchführte, sondern zudem den in Württemberg stets lebendig und vor allem innenpolitisch einflussreich gebliebenen altständischen württembergischen Landtag staatsstreichartig beseitigte.9 Doch auch die bayerische Reformpolitik des dortigen Leitenden Ministers Maximilian Graf Montgelas (im Amt von 1799 bis 1817)10 nahm keine Rücksicht auf überkommene Strukturen, sondern schuf einen Stuttgart / Berlin 1937; Hans-Michael Körner: Geschichte des Königreichs Bayern. München 2006; Rolf Kiessling / Anton Schmid (Hrsg.): Die bayerische Staatlichkeit. München 1976; Volker Press: Südwestdeutschland im Zeitalter der französischen Revolution und Napoleons. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons [Ausstellungskatalog]. Bd. 2: Aufsätze. Stuttgart 1987, 9 – 24; Hansmartin Schwarzmaier / Meinrad Schaub (Hrsg.): Handbuch der baden-württembergischen Geschichte. Bd. III: Vom Ende des Alten Reiches bis zum Ende der Monarchien. Stuttgart 1992; Max Spindler (Begr.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV.1: Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Neu hrsg. von Alois Schmid. 2. völlig neu bearbeitete Aufl. München 2003 (v. a. die Beiträge von Eberhard Weis, Andreas Kraus, Wilhelm Volkert und Dieter Albrecht, 3 – 438). 8 Zu diesem so bedeutenden wie umstrittenen Monarchen vgl. Albert Pfister: König Friedrich von Württemberg und seine Zeit. Stuttgart 1888; Erwin Hölzle: König Friedrich von Württemberg. In: Württembergische Vierteljahreshefte/N.F. 1930, 269 – 298; Paul Sauer: Der schwäbische Zar. Friedrich, Württembergs erster König. Stuttgart 1984; Volker Press: König Friedrich I. – Der Begründer des modernen Württemberg. In: Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons (wie Anm. 7), 25 – 40; Wolfram Siemann: Friedrich II./I. In: Sönke Lorenz / Dieter Mertens / Volker Press (Hrsg.): Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon. Stuttgart / Berlin / Köln 1997, 289 – 292. 9 Vgl. hierzu wie zur Verfassungsgeschichte Württembergs in dieser Zeit genauer: Matthias Stickler: Von der Landschaft zur Verfassung von 1819. Württembergs Weg zum monarchischen Konstitutionalismus (1514 – 1819). In: Roland Gehrke (Hrsg.): Aufbruch in die Moderne: Frühparlamentarismus zwischen altständischer Ordnung und monarchischem Konstitutionalismus 1750 – 1850. Köln 2005, 73 – 103; dort auch weitere Spezialliteratur. Vgl. auch Walter Grube: Der Stuttgarter Landtag 1457 – 1957. Von den Landständen zum demokratischen Parlament. Stuttgart 1957. 10 Vgl. hierzu v. a. Hubert Glaser (Hrsg.): Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat. 2 Bde. München 1980; Walter Demel: Der bayerische Staatsabsolutismus 1806/08 – 1817. Staats- und gesellschaftliche Motivationen und Hintergründe der Reformära in der ersten Phase des Königreichs Bayern. München 1983; Michael Henker / Margot Hamm / Evamaria Brockhoff (Hrsg.): Bayern entsteht. Montgelas und sein Ansbacher
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völlig neuen Staat, der mit dem vormaligen Kurfürstentum nur noch den Namen gemeinsam hatte. Erleichtert wurde diese Politik durch die Tatsache, dass angesichts der stattgefundenen territorialen Veränderungen ein echter Reformbedarf schlichtweg nicht zu leugnen war und sich die altständischen Kräfte zudem als wenig kompromissbereit erwiesen hatten. Auch wenn im Interesse volkspädagogisch motivierter Sinnstiftung in Bezug auf Württemberg immer wieder gern das Diktum des englischen Whig-Politikers Charles James Fox (1749 – 1806) „There were only two constitutions in Europe, the British constitution and that of Wirtemberg“11 zitiert wird, so muss dennoch gewarnt werden vor einer allzu romantischen Verklärung der altständischen Verhältnisse in Württemberg. Auf deren Basis hätte eine staatliche Neuordnung niemals gelingen können, weil sie nicht kompatibel waren mit dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen Staatsgebiets bzw. einer weitgehend egalitären Staatsbürgergesellschaft. Die zweite Herausforderung war, die errungene staatliche Souveränität zu sichern. Deswegen sperrten sich Württemberg und Bayern sowohl gegen Versuche, den Rheinbund in einen Bundesstaat umzuwandeln, als auch gegen Bestrebungen der französischen Hegemonialmacht, ihre innenpolitische Souveränität einzuschränken. Die Oktroyierung der bayerischen Verfassung von 180812 muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. An dieser grundsätzlichen Haltung Bayerns und Württembergs änderte sich auch nichts nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Systems, vielmehr galt es nun, die errungene Souveränität gegen Versuche insbesondere Preußens, einen deutschen Bundesstaat zu schaffen, zu verteidigen bzw. alle Bemühungen abzuwehren, die seit 1802/03 stattgefundenen territorialen Veränderungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Hieraus erklärten sich die vor allem von Württemberg 1814/15 für einige Zeit betriebene Politik des „leeren Stuhls“ bei den Verhandlungen über die Neuordnung Deutschlands auf dem Wiener Kongress wie auch die zur gleichen Zeit in Bayern und Württemberg einsetzenden Bestrebungen, moderne Repräsentativverfassungen zu erlassen. Damit wollten beide Staaten möglichen Versuchen Preußens und Österreichs zuvorkommen, durch eine authentische Interpretation des Artikels 13 der Deutschen Bundesakte („In allen Bundesstaaten wird eine Landständische Verfassung stattfinden“) die verfassungspolitische Souveränität der Einzelstaaten einzuschränken. Als weiteres Problem kam seit dem Ende der Koalitionskriege noch die dringend notwendige Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen hinzu; durch die Einräumung verfassungsrechtlich verbriefter PartizipationsMémoire von 1796. Regensburg 1996; Eberhard Weis: Montgelas. Bd. 1: Zwischen Revolution und Reform 1759 – 1799. 2. Aufl. München 1988; ders.: Montgelas. Bd. 2: Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799 – 1838. München 2005. 11 Zitiert nach Hartwig Brandt: Parlamentarismus in Württemberg 1819 – 1870. Anatomie eines deutschen Landtags. Düsseldorf 1987, 19. 12 Vgl. hierzu genauer Michael Doeberl: Rheinbundverfassung und bayerische Konstitution. München 1924; Karl Möckl: Die bayerische Konstitution von 1808. In: Eberhard Weis (Hrsg.): Reformen im rheinbündischen Deutschland. München 1984, 151 – 167 sowie zum gesamtbayerischen Kontext Karl Möckl: Der moderne bayerische Staat. Eine Verfassungsgeschichte vom aufgeklärten Absolutismus bis zum Ende der Reformepoche. München 1979.
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rechte und die Garantie von Freiheit und Eigentum sollte der Boden bereitet werden für die Schaffung von Vertrauen zur Gewährung neuer Kredite. Die Verfassungspolitik der süddeutschen Staaten diente also in erster Linie der Wahrung bzw. dem Ausbau der errungenen innenpolitischen und außenpolitischen Souveränität, ähnlich wie 1776 in den USA, 1812 in Spanien oder 1814 in Norwegen.13 Was das Zustandekommen der Verfassungen anbelangt, so gab es zwischen Bayern und Württemberg einen entscheidenden Unterschied: Während in München eine von König Maximilian I. Joseph (1799 – 1825)14 eingesetzte, von sieben Adeligen und acht Bürgerlichen bestückte Kommission die Verfassung nach dem Vorbild der französischen Charte von 1814 ausarbeitete und der König jene 1818 durch einen einseitigen Hoheitsakt oktroyierte, wählte ausgerechnet der Absolutist König Friedrich für Württemberg einen anderen Weg. Dort wurde, durchaus in Anknüpfung an die altständische Tradition des Landes, 1815 eine Ständeversammlung gewählt und damit implizit eine Vorentscheidung für das Vereinbarungsprinzip getroffen. Erst nach jahrelangen Konflikten zwischen Parlament und Krone sowie als Folge des Thronwechsels von 1816, der Friedrichs Sohn Wilhelm15 auf den württembergischen Thron brachte, trat 1819 eine zwischen Ständeversammlung und König vereinbarte Verfassung in Kraft, die trotz gewisser Reste altständischer Traditionen allerdings dennoch weitgehend dem Vorbild der Charte folgte. Charakteristisch für beide süddeutsche Verfassungen war vor allem die zentrale Stellung des Monarchen, der alle Staatsgewalt in seiner Person vereinigte („Monarchisches Prinzip“16) und seine Herrschaft im Rahmen der Verfassung ausübte – woraus eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten des Monarchen abgleitet werden konnte – sowie das Zweikammersystem („Kammer der Standesherrn“ bzw. „Kammer der Reichsräte“ und „Kammer der Abgeordneten“). Die Erste Kammer war als stabilisierende integrative Kraft vor allem in Bezug auf den mediatisierten Adel und als konservatives Korrektiv gegen allzu liberal-freisinnige Bestrebungen des Abgeordnetenhauses gedacht. Auch wenn sowohl in Bayern als auch in Württemberg noch bis 1848 bzw. 1868/1906 recht restriktive Kurienwahlsysteme auf Zensusbasis galten, so waren die Abgeordnetenkammern dennoch keine Vertretungen spezifischer Standes13
Vgl. Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert (wie Anm. 1), 308. Eine quellenfundierte wissenschaftliche Biographie des ersten bayerischen Königs fehlt bisher; vgl. Adalbert Prinz von Bayern: Max I. Joseph. Pfalzgraf, Kurfürst und König. München 1957; Eberhard Weis: Maximilian I., König von Bayern. In: Neue Deutsche Biographie (künftig: NDB) 16 (1990), 487 – 490. 15 Vgl. Paul Sauer: Reformer auf dem Königsthron. Wilhelm I. von Württemberg. Stuttgart 1997, 32 – 47. Zu Wilhelm I. vgl. ferner Otto Heinrich Elias: Wilhelm I. In: Lorenz [u. a.] (Hrsg.): Das Haus Württemberg (wie Anm. 8), 302 – 306. 16 Vgl. hierzu ausführlich Friedrich Julius Stahl: Das monarchische Prinzip. Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung. Heidelberg 1845; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1 (wie Anm. 2), 651 – 656; Niels Hegewisch: Monarchisches Prinzip. In: Andreas C. Hofmann (Hrsg.): Lexikon zu Restauration und Vormärz. Deutsche Geschichte 1815 bis 1848. URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/8446/ [03.07.2013] sowie den Beitrag von Marc von Knorring in diesem Band, 77 – 94. 14
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interessen mehr, sondern Repräsentanten des gesamten Staatsvolks. Die Regierungen waren im Wortsinn königliche Regierungen, die lediglich vom Vertrauen des Monarchen abhängig und letztlich dessen Richtlinienkompetenz unterworfen waren. Folglich gab es auch anfangs keinen Ministerpräsidenten im heutigen Sinn des Wortes. Dem sogenannten Leitenden Minister – zumeist der Minister des Königlichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten – kam lediglich eine Art Ehrenvorrang zu. Ein parlamentarisches Misstrauensvotum gab es in Bayern und Württemberg selbstredend nicht, wohl aber die Möglichkeit der Ministeranklage. Im Fall des konservativen Leitenden Ministers Eduard von Schenk gelang im Mai 1831 einer liberalen Mehrheit im bayerischen Landtag auf diesem Weg sogar dessen Sturz, weil König Ludwig I. (1825 – 1848)17 sich gezwungen sah, Schenk fallen zu lassen.18 Gleichwohl glückte es dem Abgeordnetenhaus nicht, das Instrument der Ministeranklage dauerhaft zu einer parlamentarischen Waffe gegen die Kompetenzen der Krone auszubauen. In Württemberg existierte als Zugeständnis an die altständischen Kräfte von 1816 bis 1911 noch ein direkt dem König unterstehender Geheimer Rat, der seit 1819 auch in der Verfassung verankert und dem Ministerkollegium formal übergeordnet war. Politisch handeln konnte der Monarch, wie in Bayern, nur über die Minister, weil diese seine Anordnungen gegenzeichnen mussten und auf diese Weise die politische Verantwortung übernahmen. Die sich aus dem Monarchischen Prinzip ergebende starke Stellung des Königs, der in beiden Königreichen über Kompetenzen nicht nur auf dem Feld der Exekutive, sondern auch der Legislative verfügte („hinkende Gewaltenteilung“), konnte sich vor allem dann als problematisch erweisen, wenn ein Herrscher sich nicht damit begnügte, innerhalb des verfassungsrechtlich geschützten Bereichs der formalen monarchischen Nichtverantwortlichkeit die Richtlinien der Politik zu bestimmen (wie etwa König Maximilian I. Joseph von Bayern), sondern daran ging, sich in konkrete politische Tagesfragen einzumischen, wodurch er im politischen Prozess zwangsläufig Partei wurde und damit auch angreifbar blieb. Martin Kirsch hat zu Recht darauf verwiesen, dass in diesem Fall, für den vor allem die französischen Kaiser Napoleon I. und Napoleon III., aber auch König Ludwig I. von Bayern paradigmatisch sind, die Eröffnung dauerhafter Handlungschancen vom Erfolg einer derartigen Politik abhing19, d. h. letztlich machten sie sich abhängig vom Urteil der öffentlichen Meinung. Man könnte insofern etwas überspitzt auch sagen, dass der konstitutionelle Monarch nur dann wirklich regieren konnte, wenn er bereit war, sich in gewissem Umfang bonapartistischen Spielregeln zu unterwerfen. Eine 17 Vgl. Egon Caesar Conte Corti: Ludwig I. von Bayern. Ein Ringen und Freiheit, Schönheit und Liebe. München 1937 und Heinz Gollwitzer: Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie. München 1987. 18 Vgl. Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert (wie Anm. 1), 365 und Dirk Götschmann: Das bayerische Innenministerium 1825 – 1864. Organisation und Funktion, Beamtenschaft und politischer Einfluss einer Zentralbehörde in der konstitutionellen Monarchie. Göttingen 1993, 202 – 211. 19 Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert (wie Anm. 1), 331 f.
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Niederlage, wie sie etwa Ludwig I. in der Lola-Montez-Affäre erlitt, bedeutete einen empfindlichen Gesichtsverlust, welcher die Chancen künftiger Erfolge auf dem Feld des persönlichen Regierens einschränken musste. Die Abdankung Ludwigs I. am 20. März 1848 war deshalb, obgleich sie streng genommen unnötig war, vor dem Hintergrund des Herrschaftsverständnisses des Königs konsequent. Willhelm I. von Württemberg hat sich demgegenüber im Vormärz wesentlich zurückhaltender verhalten, auch als im Gefolge der Juli-Revolution die liberale Opposition in Stuttgart an Zulauf gewann. Wilhelms starke Stellung beruhte natürlich, ähnlich wie bei Ludwig I., auf seinem herrscherlichen Selbstbewusstsein und seiner tiefen Überzeugung von der unbedingten Gültigkeit des Monarchischen Prinzips. Genauso entscheidend war allerdings, dass er von Anfang an einen gut ausgebildeten und loyalen Beamtenapparat aufgebaut hatte, der effizient und relativ reibungslos funktionierte.20 III. Der monarchische Konstitutionalismus und die Herrschaft der Ministerialbürokratie: Das Regierungssystem des Königreichs Bayern 1848 – 1912 Die Revolution von 1848/49 bedeutete für Bayern eine wichtige Zäsur. Der neue König Maximilian II. (1848 – 1864)21 musste entgegen seiner inneren Überzeugung wichtige liberale Zugeständnisse machen, darunter die Einführung eines allgemeinen Wahlrechts für alle Männer, die direkte Steuern zahlten und die Einführung des Gesetzesinitiativrechts für beide Kammern des Landtags. Dennoch gelang es nicht, das bestehende Balance-System dauerhaft zugunsten des Parlaments zu verschieben. Dies schien erst zu glücken mit der Entlassung Ludwig von der Pfordtens22 als Leitender Minister am 1. Mai 1859, nachdem die Landtagsauflösung und Neuwahlen kein dem König genehmes Ergebnis erbracht hatten. Der bekannte Ausspruch Maximilians II. – „Ich will Frieden haben mit meinem Volke und mit den 20 Zur Entwicklung des politischen Systems in Württemberg vgl. neben der bereits genannten einschlägigen Literatur ausführlich Franz Mögle-Hofacker: Zur Entwicklung des Parlamentarismus in Württemberg. Der „Parlamentarismus der Krone“ unter König Willhelm I. Stuttgart 1981 sowie Hartwig: Parlamentarismus in Württemberg 1819 – 1870 (wie Anm. 11). Zum württembergischen Landtag im langen 19. Jahrhundert im Überblick vgl. auch Frank Raberg (Bearb.): Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 – 1933. Stuttgart 2001, IX–L. 21 Vgl. Rainer A. Müller (Red.): König Maximilian II. von Bayern 1848 – 1864. Hrsg. vom Haus der Bayerischen Geschichte. Rosenheim 1988; Andreas Kraus: Maximilian II., König von Bayern. In: NDB Bd. 16. Berlin 1990, 490 – 495; Achim Sing (Hrsg.): Die Memoiren König Maximilians II. von Bayern 1848 – 1864. Mit Einführung und Kommentar. München 1997; Johannes Merz: Max II. Die soziale Frage. In: Alois Schmid / Katharina Weigand (Hrsg.): Die Herrscher Bayerns. 25 historische Portraits von Tassilo III. bis Ludwig III. München 2006, 330 – 342. Eine quellenfundierte, moderne Biographie dieses bedeutenden bayerischen Königs fehlt. 22 Vgl. Wilhelm Volkert: Pfordten, Ludwig Carl Heinrich Freiherr von der. In: NDB 20 (2001), 359 f.
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Kammern“23 – dokumentiert diese königliche Niederlage, die allerdings gleichwohl keine Parlamentarisierung einleitete. Denn sowohl Maximilian II. als auch sein Nachfolger Ludwig II. (1864 – 1886)24 hielten unverbrüchlich an dem Grundsatz fest, dass die Regierung ausschließlich vom Vertrauen des Monarchen abhängig war. Der unfreiwillige Regierungswechsel von 1859 begründete insofern keine Tradition, vielmehr gelang es beiden Monarchen angesichts der Heterogenität des politischen Liberalismus in Bayern in den 1860er Jahren, den Vorrang der Krone im politischen Prozess zu wahren. Gleichzeitig hatte Maximilian II. aber die Stellung der Regierung gestärkt, indem er 1849 die Funktion eines Vorsitzenden des Ministerrats einführte. Der Ministerrat konnte seither auch ohne königliche Einberufung zusammentreten, er erhielt zusätzliche Kompetenzen für den Fall der Abwesenheit des Königs und im Verkehr mit dem Landtag. Auch wenn mit dem neuen Amt keinerlei Richtlinienkompetenz verbunden war und der Titel „Ministerpräsident“ bewusst vermieden wurde, bedeutete diese Neuregelung eine wesentliche Stärkung des Ministeriums und einen ersten Schritt zu dessen Teilemanzipation von der Krone. Gestärkt wurde die Stellung der Regierung noch durch eine Besonderheit des bayerischen Wahlrechts: Es gab in Bayern bis 1906 keine gesetzlich festgelegten Wahlbezirke, vielmehr konnten deren Grenzen per Verordnung durch die jeweilige königliche Regierung gezogen werden, was selbstverständlich die Möglichkeit der legalen Wahlmanipulation eröffnete. Hinzu kam, dass es bis 1881 keine geheimen Wahlen zum Abgeordnetenhaus gab und die Abgeordneten bis 1906 indirekt, d. h. über Wahlmänner, gewählt wurden. Die Tatsache, dass dennoch 1869 erstmals die katholisch-konservative Patriotenpartei (seit 1887 bayerisches Zentrum) die Mehrheit der Landtagssitze errang und seither stärkste Fraktion blieb, verhinderte mehr als 30 Jahre lang eine Reform des bayerischen Wahlrechts, weil die seit den 1870er Jahren amtierenden liberal-staatskonservativen Regierungen eine weitere Stärkung des Zentrums zu verhindern trachteten und dieses umgekehrt der Regierung manipulatorische Absichten unterstellte. Erst 1906 gelang durch eine bemerkenswerte Allianz von Zentrum und SPD eine sehr weitgehende Anpassung des Landtagswahlrechts an das Reichstagswahlrecht.25
23 Zit. nach Doeberl: Entwickelungsgeschichte Bayerns. Bd. 3 (wie Anm. 7), 285. Vgl. hierzu auch Theodor Henner: Zur Entstehung des Königswortes „Ich will Frieden haben mit meinem Volke“. Würzburg 1918. 24 Die Literatur zu Ludwig II. ist Legion, wobei häufig einseitig der „Märchenkönig“ im Mittelpunkt des Interesses steht. Vgl. v. a. Ludwig Hüttl: Ludwig II., König von Bayern. Eine Biographie. München 1986; Christof Botzenhart: „Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein“. Die Regierungstätigkeit König Ludwigs II. von Bayern. München 2004; Götterdämmerung. König Ludwig II. und seine Zeit (Landesausstellung Schloss Herrenchiemsee, 14. Mai bis 16. Oktober 2011). 2 Bde. Augsburg 2011; Hermann Rumschöttel: Ludwig II. von Bayern. München 2011. 25 Vgl. hierzu ausführlich Spindler (Begr.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV.1: Das Neue Bayern (wie Anm. 7), 362 – 369.
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Zu den Besonderheiten der bayerischen Politik nach 1869 gehörte es, dass Ludwig II. und nach ihm Prinzregent Luitpold (1886 – 1912)26 trotz der starken Stellung des Zentrums im Landtag durchweg liberale Regierungen beriefen. Hierfür gab es vor allem vier Gründe: Erstens die reichsweite Dominanz des politischen Liberalismus in der politischen Öffentlichkeit der Gründerzeit bzw. die Tatsache, dass die bayerischen Kabinette Rückhalt bei Bismarck hatten und dieser den König in seinem Sinne zu beeinflussen suchte. Zweitens die als Folge der Reformen Maximilians II. gestiegene Bedeutung des Ministeriums bzw. der Leitenden Minister, die ihre starke Stellung zum Machterhalt nutzten und Ludwig II. einerseits seine Grenzen im politischen Prozess immer wieder aufzeigten, andererseits ihm zu vermitteln vermochten, dass die Bildung einer von der parlamentarischen Mehrheit getragenen Regierung geeignet war, die Stellung der Krone dauerhaft zu schwächen. Hier traf sich die auf Machterhalt zielende Intention der Ministerien mit dem selbstherrscherlichen Selbstverständnis Ludwigs II., welches streng genommen freilich weder mit dem Parlamentarismus noch mit dem monarchischen Konstitutionalismus seiner Zeit vereinbar war, in welch letzterem er wohl nur das kleinere Übel erblickte. Ludwig II. fehlte – drittens – darüber hinaus, wie die beiden bekannten gescheiterten Versuche eines grundsätzlichen innenpolitischen Kurswechsels nach 1871 (in den Jahren 1872 bzw. 1875) zeigten, die politische Erfahrung und Härte für derartige Experimente. Viertens wird man annehmen dürfen, dass Ludwig II., der politisch keineswegs so desinteressiert war, wie der Mythos vom Märchenkönig glauben machen will27, mit der Politik seiner liberal-staatskonservativen Ministerien doch in erheblichem Umfang übereinstimmte. Im Ergebnis entwickelte sich unter Ludwig II. die konstitutionelle Monarchie in Bayern hin zu einer Herrschaft der Ministerialbürokratie: „Zwischen dem verfassungsrechtlich nur mit beschränkten Kompetenzen ausgestatteten Parlament und dem die Verfassungswirklichkeit nur begrenzt gestaltenden Königtum konnten sich Ministerium und hohe Ministerialbürokratie sowie Kabinettssekretariat und Geheimkanzlei zu den maßgeblichen politischen Faktoren im Lande entwickeln.“28 Insbesondere das Ministerium Johann von Lutz29 (1880 – 1886 und 1886 – 1890) richtete 26
Vgl. hierzu: Karl Möckl: Die Prinzregentenzeit. Gesellschaft und Politik während der Ära der Prinzregenten Luitpold in Bayern. München [u. a.] 1972; Ulrike Leutheusser / Hermann Rumschöttel (Hrsg.): Prinzregent Luitpold von Bayern. Ein Wittelsbacher zwischen Tradition und Moderne. München 2012; Katharina Weigand / Jörg Zedler / Florian Schuller (Hrsg.): Die Prinzregentenzeit. Abenddämmerung der bayerischen Monarchie? Regensburg 2013. Eine quellenfundierte wissenschaftliche Biographie des Prinzregenten Luitpold fehlt. 27 Zum konkreten Regierungshandeln Ludwigs II. vgl. v. a. Botzenhart: „Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein“ (wie Anm. 24), v. a. 82 – 100, 101 – 103 und 114 – 131. Botzenhart hat in dieser wichtigen Arbeit die immer noch verbreitete Vorstellung vom weltfremden, unpolitischen Märchenkönig überzeugend falsifiziert. 28 So Dieter Albrecht in: Spindler (Begr.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV.1: Das Neue Bayern (wie Anm. 7), 383. 29 Vgl. Walter Grasser: Johann Freiherr von Lutz. Eine politische Biographie. München 1967 und ders.: Johann Freiherr von Lutz. In: NDB 15 (1987), 568 – 570.
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sich in der gegebenen Situation recht gut ein. Bezeichnend war, dass Lutz angesichts der immer mehr eskalierenden Königskrise nicht zuletzt deshalb die Entmachtung Ludwigs II. betrieb, weil die Gefahr der Entlassung seines Ministeriums durch den König im Raum stand bzw. bei weiterem Zuwarten die Gefahr bestand, dass das Ministerium vom Landtag für die prekäre Finanzlage des Königs mitverantwortlich gemacht werden konnte. Die Entmündigung Ludwigs II. im Juni 1886 kann man insofern, um es etwas überspitzt zu formulieren, auch als eine Art legalen Staatstreich sehen mit dem Ziel, die Dominanz der regierenden Eliten weiterhin zu sichern.30 Dass es Lutz hierbei gelang, den Prinzen Luitpold mit ins Boot zu holen, begründete eine gewisse Abhängigkeit des seitherigen Regenten von der Ministerialbürokratie, die gewährleistete, dass das eingefahrene Regierungssystem noch weitere 26 Jahre fortgesetzt werden konnte (Ministerium Lutz 1886 – 1890, Ministerium Crailsheim31 1890 – 1903, Ministerium Podewils 1903 – 1912). Dass dies möglich war, hing auch damit zusammen, dass Prinzregent Luitpold als Monarch kein Machtmensch war, der autonom und offensiv politisch gestaltete. Er verließ sich bei seiner Entscheidungsfindung vielmehr auf langjährige Vertraute und Berater, insbesondere auf die Chefs seiner Geheimkanzlei, die an die Stelle des vormaligen königlichen Kabinettssekretariats trat. Der Beraterkreis Luitpolds beeinflusste diesen durchweg im Sinne einer Fortführung des liberal-staatskonservativen Systems und gegen die katholisch-konservative Landtagsopposition. Die bereits erwähnte Wahlrechtsreform von 1906 leitete dann mittelfristig das Ende der Vorherrschaft des liberal-staatskonservativen Systems ein, weil die Liberalen politisch immer mehr an Boden verloren. IV. Die steckengebliebene Parlamentarisierung: Bayern 1912 – 1918 Nach den Landtagswahlen des Jahres 1912, bei denen ein Wahlbündnis aus Liberalen, SPD und Bauernbund zwar beträchtliche Stimmengewinne verbuchen konnte, es aber nicht gelang, die absolute Mehrheit des Zentrums zu brechen, berief Luitpold dann nicht, wie erwartet, erneut Hans Maria Clemens Franz Konstantin Graf von Podewils-Dürniz32 zum Ministerratsvorsitzenden, sondern den bayerischen Reichsrat und Vorsitzenden der Reichstagsfraktion des Zentrums Georg von Hertling33 ; dieser 30 Vgl. Spindler (Begr.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV.1: Das Neue Bayern (wie Anm. 7), 392 f. und Hüttl: Ludwig II. (wie Anm. 24), 362 – 412. 31 Zu Crailsheim vgl. Karl Ottmar Freiherr von Aretin: Crailsheim, Krafft Graf von. In: NDB 3 (1957), 387 f. und Uwe Schaper: Krafft Graf von Crailsheim: Das Leben und Wirken des bayerischen Ministerpräsidenten. Nürnberg 1991. 32 Vgl. Werner K. Blessing: Clemens Hans Maria Franz Konstantin Graf von PodewilsDürniz. In: NDB 20 (2001), 557 f. 33 Zu Hertling vgl. v. a. Winfried Becker: Georg von Hertling 1843 – 1919. Bd. 1: Jugend und Selbstfindung zwischen Romantik und Kulturkampf. Mainz 1981 [mehr nicht erschienen]; ders. (Hrsg.): Georg von Hertling 1843 – 1919. Paderborn / München [u. a.] 1993; Klaus Eitel: Georg von Hertling 1843 – 1919. In: Wilhelm von Sternburg (Hrsg.): Die deutschen Kanzler. Von Bismarck bis Merkel. Berlin 2006, 157 – 174; Katharina Weigand: Georg von
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erhielt sogar die Erlaubnis, sein Ministerium selbst zusammenzustellen. Zu diesem Schritt hatte dem greisen Prinzregenten u. a. sein Sohn und potentieller Nachfolger Prinz Ludwig geraten, der, anders als sein Vater, als zentrumsnah galt. Damit verfügte Bayern erstmals seit der Reichsgründung über eine Regierung, die sich auf eine sichere parlamentarische Mehrheit stützen konnte. Allerdings bedeutete dieses epochale Ereignis keineswegs den Übergang zum Parlamentarismus. Dies hing vor allem damit zusammen, dass der aus einer rheinpfälzischen Familie stammende Hertling trotz seiner Verwurzelung im politischen Katholizismus letztlich kein Mann des bayerischen Zentrums war, dass er diesem vielmehr distanziert bis misstrauisch gegenüber stand und sein Ministerium gerade nicht als Parteiministerium begriff, sondern als Ministerium der Krone, wie er dies selbst ausdrückte. Angesichts der sozialdemokratischen Wahlerfolge in Bayern und im Reich betrieb Hertling mit Rückhalt Luitpolds bzw. nach dessen Tod des Prinzregenten Ludwig bzw. König Ludwigs III. (1912/13 – 1918)34 eine Politik der scharfen Abgrenzung nach links und gegen jede Weiterentwicklung des monarchischen Konstitutionalismus zur parlamentarischen Monarchie. Dieser Kurs stand teilweise quer zur Programmatik des bayerischen Zentrums, wo demokratisch-partikularistische Tendenzen immer mehr an Bedeutung gewannen. Hertling bildete ein reines Beamtenkabinett und setzte gewissermaßen unter umgekehrten weltanschaulichen Vorzeichen die Tradition der Ministerialherrschaft fort, gemildert lediglich durch den Umstand, dass die Regierung nun über eine parlamentarische Mehrheit verfügte. Anders als in einem „echten“ parlamentarischen System war es allerdings nicht so, dass die Regierung von der Zentrumsfraktion abhängig gewesen wäre, jene nahm die Zentrumsfraktion vielmehr für ihre politischen Ziele in Anspruch – ein Verfahren, das dadurch erleichtert wurde, dass es ein hohes Maß an grundsätzlicher politischer Übereinstimmung zwischen Regierung und Mehrheitsfraktion gab.35 Die Parlamentarisierung des politischen Systems in Bayern erfolgte dann, wie oben bereits erwähnt, unter großem Druck im Angesicht der drohenden militärischen Niederlage im Herbst 1918. Vor diesem Hintergrund konnte die Anfang November 1918 zwischen Regierung und Landtagsparteien vereinbarte Verfassungsreform keine systemstabilisierende Wirkung mehr entfalten.36
Hertling. In: Katharina Weigand (Hrsg.): Große Gestalten der bayerischen Geschichte. München 2011, 317 – 340. Eine quellenorientierte wissenschaftliche Gesamtbiographie dieses bedeutenden katholischen Politikers fehlt. 34 Vgl. hierzu Alfons Beckenbauer: Ludwig III. von Bayern 1845 – 1921. Ein König auf der Suche nach seinem Volk. Regensburg 1987; Hubert Glaser: Ludwig II. und Ludwig III. – Kontraste und Kontinuitäten. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 59 (1996), 1 – 14; Wolfgang Zorn: Ludwig III. In: NDB 15 (1987), 379 – 381. Eine quellenfundierte wissenschaftliche Biographie dieses letzten bayerischen Königs fehlt. 35 Vgl. Spindler (Begr.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV.1: Das Neue Bayern (wie Anm. 7), 409 f. 36 Vgl. ebd., 433 – 435.
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V. Vom monarchischen Konstitutionalismus zur „Königlichen Republik“. Verfassung und Regierungspraxis in Württemberg 1848 – 1918 In Württemberg war, anders als in Bayern, in den Jahren 1848/49 keine wirkliche Verfassungsreform gelungen. Zwar hatte König Wilhelm I. am 9. März 1848 ein Märzministerium unter dem Liberalen Friedrich (seit 1852 von) Römer37 berufen, welches wichtige Märzforderungen umsetzte. Es gelang dem im Mai auf der Basis des bisherigen Wahlrechts neu gewählten, sogenannten „langen“ Landtag, in dem die Regierung Römer über eine knappe Mehrheit verfügte, allerdings nicht, eine grundlegende Verfassungsreform durchzusetzen; dies auch deshalb, weil der fast 70-jährige König echten Reformen abwartend bis ablehnend gegenüberstand. Zwar setzte die liberale und demokratische Landtagsmehrheit im Januar 1849 die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossenen Grundrechte des deutschen Volkes für Württemberg in Kraft, drängte den widerstrebenden König am 25. April 1849 zur Anerkennung der Frankfurter Reichsverfassung und erzwang gegen den Widerstand der Ersten Kammer am 1. Juli 1849 ein Gesetz über die Einberufung einer Ein-Kammer-Landesversammlung auf der Basis eines geheimen, direkten und unmittelbaren Wahlrechts für alle Männer, die direkte Steuern zahlten. Doch kamen diese Erfolge zu spät, weil seit dem Jahresende 1848 in Preußen und Österreich, aber auch in Württemberg, die antirevolutionären Kräfte wieder an Boden gewannen. Bei insgesamt drei Wahlen zur verfassunggebenden Landesversammlung in den Jahren 1849 und 1850 erreichte die radikaldemokratische Volkspartei jedes Mal mehr als zwei Drittel der Stimmen, weshalb eine Verfassungsreform nach den Wünschen des Königs und der gemäßigten Konstitutionellen scheiterte. Ende Oktober 1849 entließ Wilhelm I. die Regierung Römer und ernannte eine reine Beamtenregierung unter Johannes von Schlayer.38 Dadurch wurde in Württemberg endgültig die Gegenrevolution eingeleitet: Ein vierter Anlauf, eine einvernehmliche Verfassungsreform durch einen am 6. Mai 1851 nach dem alten Wahlrecht von 1819 neu gewählten Landtag verabschieden zu lassen, scheiterte letztlich an der konservativen Wende im Deutschen Bund; im Frühjahr 1852 wurde das Projekt „Verfassungsreform“ endgültig begraben und die Verfassung von 1819 wiederhergestellt. Unter dem seit 1850 amtierenden konservativen Leitenden Minister Joseph von Linden39, der bis zum Tod Wilhelms I. am 25. Juni 1864 im Amt blieb, kam dann in Württemberg jede Reformpolitik zum Erliegen. 37 Vgl. Frank Raberg: Römer, Christof Gottlob Heinrich Friedrich. In: NDB 21 (2003), 724 f. und ders.: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 – 1933 (wie Anm. 20), 734 f. 38 Vgl. Frank Raberg: Schlayer, Johannes von. In: NDB 23 (2007), 30 f. und ders.: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 – 1933 (wie Anm. 20), 787 f. 39 Vgl. Franz Menges: Joseph Freiherr von Linden. In: NDB 14 (1985), 589 und Raberg: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 – 1933 (wie Anm. 20), 508 – 510.
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Die Thronbesteigung von Wilhelms ungeliebtem Sohn Karl (1864 – 1891)40 leitete fünf Jahre später als in Bayern auch in Württemberg eine Wende ein. Der neue König, der bestrebt war, sich von seinem Vater abzusetzen und offenbar auch tatsächlich liberaler eingestellt war, ernannte den liberalkonservativen Landtagsabgeordneten Karl von Varnbühler41 zum Leitenden Minister. Die folgenden Jahre stellten für die weitere Verfassungsentwicklung Württembergs insofern eine Schlüsselepoche dar, als sich das Königreich innenpolitisch völlig neu positionierte. Ähnlich wie in Preußen spaltete sich auch dort der politische Liberalismus in die regierungsfreundliche „Deutsche Partei“ und in die linksliberal-demokratische „Volkspartei“. Daneben gab es noch die ebenfalls oppositionell eingestellten konservativen Großdeutschen und die so genannten „Ministeriellen“, gouvernemental eingestellte Abgeordnete, welche die Regierung im Wahlkampf besonders unterstützte. In der Frage der weiterhin drängenden Verfassungsreform kam die Regierung Varnbüler der Opposition insofern entgegen, als wenigstens das Minimalziel einer Wahlrechtsänderung erreicht wurde: Das indirekte Wahlrecht wurde durch ein direktes, geheimes und für alle volljährigen württembergischen Männer geltendes ersetzt. Allerdings blieben auch künftig die 23 so genannten „privilegierten Mandate“ in der zweiten Kammer erhalten. Als Folge dieser Veränderungen verfehlte das Ministerium Varnbühler bei den am 8. Juli 1868 stattfindenden Landtagswahlen42 erstmals die Parlamentsmehrheit. Bei den Haushaltsverhandlungen im Frühjahr 1870 versuchte die Opposition ihre starke Stellung auszunutzen. Es gelang ihr durch Etatverweigerung, König Karl zu einer Regierungsumbildung zu drängen, wobei allerdings Varnbüler im Amt blieb. Dieser Konflikt hätte den Anfang einer Parlamentarisierung des politischen Systems bilden können, doch änderte sich die innenpolitische Lage grundsätzlich, als bei den unter dem Eindruck des Deutsch-französischen Krieges stattfindenden Landtagswahlen vom 5. Dezember 1870 die Opposition eine vernichtende Niederlage erlitt und die gouvernementale „Deutsche Partei“ stärkste Fraktion im Landtag wurde. Da sich an diesen Mehrheitsverhältnissen bis zum Ende des Jahrhunderts nichts mehr änderte, wurde einer echten Parlamentarisierung der Riegel vorgeschoben, dennoch konnte die seit Herbst 1870 amtierende Regierung unter dem gouvernementalen Landtagsabgeordneten und Justizminister Hermann von Mittnacht43 in 40 Vgl. Paul Sauer: Regent mit mildem Zepter. König Karl von Württemberg. Stuttgart 1999 und Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen: Karl. In: Lorenz [u. a.] (Hrsg.): Das Haus Württemberg (wie Anm. 8), 319 – 323. 41 Vgl. Raberg: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 – 1933 (wie Anm. 20), 943 – 945. Eine quellenfundierte wissenschaftliche Biographie dieses wichtigen Politikers fehlt. 42 Vgl. hierzu und zum Folgenden v. a. Folkert Nanninga: Wählen in der Reichsgründungsepoche. Die Landtagswahlen vom 8. Juli 1868 und 5. Dezember 1870 im Königreich Württemberg. Stuttgart 2004 sowie Rosemarie Menzinger: Verfassungsrevision und Demokratisierungsprozeß im Königreich Württemberg. Ein Beitrag zur Entstehung des Parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland. Stuttgart 1969. 43 Vgl. Klaus-Jürgen Matz: Mittnacht, Hermann Freiherr von. In: NDB 17 (1994), 589 f., Raberg: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 –
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den kommenden 25 Jahren im Einvernehmen mit dem Landtag regieren, was den Anschein parlamentarischer Verhältnisse erweckte. Die weitere Entwicklung in Württemberg ähnelte, trotz anderer Mehrheitsverhältnisse im Landtag, in manchem der in Bayern: Dies vor allem deshalb, weil König Karl, der von Anfang an vergleichsweise wenig Interesse an praktischer politischer Arbeit gezeigt hatte, sich seit der von ihm innerlich abgelehnten Reichsgründung immer mehr dem politischen Tagesgeschäft entzog. Scherzhaft wurde Karl wegen seiner Vorbliebe für Reisen in mondäne Badeorte als „königlicher Urlauber“ bezeichnet. Durch den faktischen Ausfall des Königs im politischen Prozess – im Unterschied zu Ludwig II. versuchte er sich nicht nur seinen Repräsentationspflichten sondern auch der dringend notwendigen bürokratischen Routinearbeit zu entziehen – wurde die Stellung der Regierung gestärkt, die, anders als in Bayern, zudem ja noch über eine parlamentarische Mehrheit verfügte. Mit der Berufung eines Ministeriums aus den Reihen der parlamentarischen Opposition war in Württemberg nicht nur aus weltanschaulich-politischen Gründen sondern auch wegen der Lethargie Karls keinesfalls zu rechnen. 1876 erreichte Mittnacht den Höhepunkt seiner Machtstellung als er, der bereits seit 1870 Präsident des Geheimen Rats und seit 1874 zusätzlich Minister des Äußeren und des Königlichen Hauses war, an die Spitze des neu geschaffenen Staatsministeriums berufen wurde, dem alle Minister angehörten, und das als Kollegialorgan die Richtlinien der Politik bestimmte. Den Vorsitz in diesem Gremium hatte zwar formal der König inne, aber da Karl ja stets abwesend war, nahm diese Funktion Mittnacht wahr, der auf diese Weise auch indirekt die Dienstaufsicht über die einzelnen Ressorts ausübte. Faktisch war Mittnacht auf diese Weise, obwohl er den Titel nicht führte, der erste wirkliche Ministerpräsident Württembergs geworden. Persönlich liberalkonservativ eingestellt, griff er das Problem der Verfassungsreform wieder auf, konnte wegen des Widerstands der Ersten Kammer allerdings nur Teilerfolge erringen: Das Abgeordnetenhaus erhielt eine eigene Geschäftsordnung und damit das Recht, selbst einen Präsidenten zu wählen; es bekam überdies das Gesetzesinitiativrecht – ausgenommen davon blieben Finanzgesetze. Den Mandatsträgern wurde außerdem Indemnität und Immunität zugesichert und die bislang gültige diskriminierende Beurlaubungspraxis für Beamte wurde abgeschafft. Damit gab die Exekutive Mittel aus der Hand, mit deren Hilfe bisher Druck auf den Landtag bzw. missliebige Abgeordnete ausgeübt werden konnte. Die von Mittnacht geschaffenen Fakten hatten auch nach dem Thronwechsel von 1891 Bestand. Der neue König Wilhelm II. (1891 – 1918)44, ein Neffe Karls, beließ den Ministerpräsidenten im Amt; anders als sein Vorgänger nahm er an den Staatsgeschäften regen Anteil und pflegte intensiven Kontakt mit Regierung und Parlament, vermied es aber, seine königlichen Prärogativen, etwa bei Personalentschei1933 (wie Anm. 20), 568 – 570 und Georg H. Kleine: Der württembergische Ministerpräsident Frhr. Hermann von Mittnacht (1825 – 1909). Stuttgart 1969. 44 Vgl. Paul Sauer: Württembergs letzter König. Das Leben Wilhelms II. Stuttgart 1994 und Dieter Langewiesche: Wilhelm II. In: Lorenz [u. a.] (Hrsg.): Das Haus Württemberg (wie Anm. 8), 330 – 334.
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dungen und den Grundlinien der Politik, allzu intensiv wahrzunehmen.45 Mit dieser Regierungsweise stärkte der König das Vertrauen des Parlaments gegenüber der Regierung46 und förderte eine faktische Parlamentarisierung des politischen Prozesses. Ein Anliegen war ihm von Anfang an die immer noch ausstehende Verfassungsreform, d. h. die Umwandlung des Abgeordnetenhauses in eine echte Volkskammer und die Reform der Ersten Kammer. Hauptgegnerin der Reformpläne war die Erste Kammer selbst. Da die württembergische Verfassung nicht die Möglichkeit eines Pairsschubs kannte – d. h. die Ernennung neuer Kammermitglieder durch die Krone mit dem Ziel, dort neue Mehrheiten zu erreichen –, waren dem König hier die Hände gebunden. Gleichzeitig warf die Frage der Parlamentsreform schwierige konfessionelle Probleme auf, weil in der Ersten Kammer, was 1819 keineswegs so beabsichtigt war, inzwischen eine katholische Mehrheit existierte, deren Interessen quer standen zu denen des protestantisch dominierten Abgeordnetenhauses. Vor diesem Hintergrund bedeuteten die Landtagswahlen vom 1. Februar 1895 ein Fanal, als die „Deutsche Partei“ erstmals seit 25 Jahren ihre Mehrheit verlor und die „Volkspartei“ und das katholische Zentrum erheblich an Stimmen gewannen. Dennoch hielt der König Mittnacht, obwohl dieser die ihn bisher tragende Mehrheit verloren hatte, noch fünf Jahre im Amt und kehrte damit zu einer klassischen monarchisch-konstitutionellen Regierungsweise zurück. Erst nach dem endgültigen Scheitern von Mittnachts Verfassungsreformplänen im Dezember 1898 endete die Ära Mittnacht, der am 10. November 1900 seine Ämter niederlegte. Das politisches Gewicht der Krone war wegen der unsicherer gewordenen Mehrheitsverhältnisse seit 1895 wieder gestiegen: Nach dem nur wenige Monate als Ministerpräsident amtierenden Kriegsminister Max Schott von Schottenstein47 waren die beiden folgenden Regierungen Wilhelm August Breitling48 (1901 – 1906) und Karl von Weizsäcker49 (1906 – 1918) wieder Beamtenministerien. Am Ziel der Verfassungsreform hielt König Wilhelm II. nach wie vor fest. In zähen Verhandlungen gelang Breitling 1906 gegen den Willen des Zentrums die Reform beider Häuser des Landtags: Die zweite Kammer wurde nun zu einer reinen „Volkskammer“, indem die Privilegierten in die Erste Kammer „befördert“ wurden. Für die deshalb hinzukommenden neuen Abgeordnetensitze galt seither das Verhältniswahlrecht in zwei großen Landeswahlkreisen. Das passive Wahlalter wurde auf 45
Vgl. Sauer: Württembergs letzter König (wie Anm. 44). 137 ff. Vgl. ebd., 139. 47 Vgl. Raberg: Biographisches Handbuch der württembergischen Landtagsabgeordneten 1815 – 1933 (wie Anm. 20), 834. 48 Vgl. Max Miller: Breitling, Wilhelm August von. In: NDB 2 (1955), 579 und Helge Dvorak: Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Bd. I: Politiker, Teilband 1: A–E. Heidelberg 1996, 133. 49 Vgl. Frank Raberg: Ein Staatsmann zwischen Königreich und Republik. Einer der fähigsten Politiker seiner Zeit: Carl Hugo von Weizsäcker (1853 – 1926). In: Schlösser BadenWürttemberg Nr. 3, 2003, 34 – 36 und Martin Wein: Die Weizsäckers. Geschichte einer deutschen Familie. Stuttgart 1988, 143 – 203. 46
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25 Jahre herabgesetzt. Mittelfristig profitierten Zentrum und SPD am meisten von der Wahlrechtsreform. Wie sehr die Reform des Abgeordnetenhauses dessen Selbstverständnis beeinflusste, zeigte sich an der Sitzordnung: Seither saßen die Parlamentarier fraktionsweise zusammen, bisher hatten sie nach dem Lebensalter geordnet Platz genommen50. Die Erste Kammer wurde von 29 auf 51 Mitglieder vergrößert, neu waren dort vor allem fünf berufsständische Vertreter. Gleichzeitig wurde auch die Budgetkompetenz des Landtags ausgeweitet. Damit war das brennendste innenpolitische Problem in Württemberg im Wesentlichen gelöst, weitere Schritte hin auf eine tatsächliche Parlamentarisierung fanden vor dem Ersten Weltkrieg nicht statt. Es blieb vielmehr bei dem seit 1895 praktizierten, dem klassischen monarchischen Konstitutionalismus verpflichteten Verfahren einer vom König ernannten Regierung, die sich ihre Mehrheiten im Parlament suchen musste. Das dem König entgegengebrachte Vertrauen und das Fingerspitzengefühl seiner Ministerpräsidenten verhinderten hierbei größere Konflikte. Bemerkenswert war etwa, dass Karl von Weizsäcker nach seiner Ernennung aus der „Deutschen Partei“ austrat und dadurch die strikte Trennung von Legislative und Exekutive bzw. Staatsamt und Partei betonte. Bezeichnend war ebenso, dass der Ausgang der Landtagswahlen des Jahres 1912, als sich die siegreiche Zentrumspartei und Konservative/Bauernbund zum sogenannten „Schwarzblauen Block“ zusammenschlossen, der im Abgeordnetenhaus über die Hälfte der Stimmen verfügte, zu keinen Veränderungen in der Regierung führte. Die Regierung Weizsäcker suchte sich jeweils Mehrheiten im Parlament, zu einer Demokratisierung des politischen Systems im Sinn parlamentarischer Verantwortlichkeit der Regierung kam es bis zum Sturz der Monarchie in Stuttgart am 9./10. November 1918 nicht. Wie gut der monarchische Konstitutionalismus in Württemberg am Vorabend des Ersten Weltkriegs funktionierte, zeigte sich auch an der Einbindung der Sozialdemokratie. Das Verhältnis zwischen Krone und Sozialdemokratie war insbesondere deshalb nicht ganz einfach, weil der linke Flügel der SPD die Partei in allen Bundesstaaten des Reichs auf Fundamentalopposition zu verpflichten suchte.51 Dennoch gab es in Württemberg Annäherungen: Während die SPD-Abgeordneten der Landtagseröffnung 1901 noch demonstrativ ferngeblieben waren, um dem König nicht, wie vorgeschrieben den Treueid leisten zu müssen, nahmen sie 1909 an einem Besuch des Landtags bei Wilhelm II. in Schloss Friedrichshafen teil und beteiligten sich am Hoch der Abgeordneten auf den König.52 Zwei Jahre zuvor hatte die Regierung Weizsäcker den Sozialdemokraten gestattet, den Internationalen Sozialistenkongress in
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Vgl. Günter Cordes: Württembergischer Landtag bis 1918. In: Peter Blickle [u. a.]: Von der Ständeversammlung zum demokratischen Parlament. Die Geschichte der Volksvertretungen in Baden und Württemberg. Stuttgart 1982, 123 – 152, hier: 151. 51 Vgl. Sauer: Württembergs letzter König (wie Anm. 44), 165 – 169. 52 Vgl. ebd., 165 und Cordes: Württembergischer Landtag bis 1918 (wie Anm. 50), 147.
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Stuttgart abzuhalten.53 Die pragmatische Haltung in Stuttgart gegenüber der Sozialdemokratie fiel im Reich auf, weshalb man am Berliner Hof gerne abfällig von „der ,Königlichen Republik Württemberg‘“54 sprach. VI. Zusammenfassung Zusammenfassend kann man festhalten, dass die eingangs aufgestellte These von der hohen Anpassungsfähigkeit des monarchischen Konstitutionalismus sowohl durch das bayerische als auch durch das württembergische Beispiel eindrucksvoll belegt wird. Es kam zu bemerkenswerten Machtverschiebungen weg von der Krone hin zu den Parlamenten bzw. Regierungen; letztere emanzipierten sich hierbei immer mehr von den regierenden Monarchen und wurden dadurch zu eigenständigen Mitspielern im politischen System, deren Interessen sich insbesondere in Bayern nicht selten von denen der Krone und des Parlaments unterschieden. Der Grad dieser Emanzipation bzw. der grundsätzlichen Veränderung des Willensbildungsprozesses hing hierbei in hohem Maß von den jeweiligen Herrscherpersönlichkeiten ab. Zu einer Parlamentarisierung im Sinn einer parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung kam es in beiden Königreichen nicht, entsprechende Forderungen wurden, abgesehen von der Sozialdemokratie, Teilen des Zentrums und des Linksliberalismus, in den Parlamenten auch gar nicht erhoben. Aber auch diese Parteien stellten das System des monarchischen Konstitutionalismus insgesamt nicht in Frage. „Eine wirkliche Demokratisierung der Denkstrukturen und Handlungslogiken, der politischen Kultur und der politprogrammatischen Leitlinien“ gab es vor 1914 nicht.55 Insofern war der Sturz der Monarchie in Bayern und Württemberg im November 1918 nicht die Folge eines Scheiterns des Systems des monarchischen Konstitutionalismus an sich, sondern vor allem durch externe Faktoren – insbesondere die drohende Kriegsniederlage – bedingt. Hinsichtlich der grundsätzlichen Entwicklungsfähigkeit des monarchischen Konstitutionalismus ist ferner festzustellen, dass sich die Stellung der Krone seit der Jahrhundertmitte grundlegend verändert hatte: Auch wenn der politische Vorrang des Königs im Bereich der Exekutive erhalten blieb56, so war dennoch ein „persönliches Regiment“ im Stile Ludwigs I. im frühen 20. Jahrhundert nicht mehr durchsetzbar, wie übrigens auch der „Fall Kaiser Wilhelm II.“, letztlich eine Karikatur des persönlichen Regiments, eindrucksvoll 53 Vgl. Carl E. Schorske: German Social Democracy, 1905 – 1817. The Development of the Great Schism. 4. Aufl. Cambridge/London 1993, 79 – 87 sowie Sauer: Württembergs letzter König (wie Anm. 44), 164 f. 54 Cordes: Württembergischer Landtag bis 1918 (wie Anm. 50), 149. 55 Bernhard Löffler: Wie funktioniert das Königreich Bayern? Zur politisch-sozialen Verfassung Bayerns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Götterdämmerung. König Ludwig II. und seine Zeit (wie Anm. 24). Bd. 2: Aufsätze, 22 – 33, hier 31. 56 Vgl. Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert (wie Anm. 1), 368.
Monarchischer Konstitutionalismus als Modernisierungsprogramm?
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zeigt.57 Umso mehr kam es darauf an, dass die Monarchen ihr symbolisches Kapital entfalteten, ein Feld, das Ludwig II. und Karl I. vernachlässigt hatten. Prinzregent Luitpold und König Wilhelm II., ersterer als jovialer Landesvater58 und letzterer als Bürgerkönig im besten Sinn des Wortes59, waren da wesentlich erfolgreicher und deshalb außergewöhnlich populäre Monarchen, deren Nimbus bis in die Gegenwart reicht. Doch ist dieser mediengeschichtliche Aspekt des monarchischen Konstitutionalismus60 ein anderes Thema.
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Zu Kaiser Wilhelm II. vgl. im Überblick Frank-Lothar Kroll: Wilhelm II. (1888 – 1918). In: Ders. (Hrsg.): Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II. 2., 4. Aufl. München 2009, 290 – 310 und 338 – 341 sowie zuletzt die sehr abgewogene Biographie von Christopher Clark: Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers. München 2008 (englische Originalausgabe 2000); dort auch eine ausführliche Auswahlbibliographie. 58 Vgl. Spindler (Begr.): Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. IV.1: Das Neue Bayern (wie Anm. 7), 396. 59 Vgl. Sauer: Württembergs letzter König (wie Anm. 44), 169 – 182. 60 Vgl. hierzu etwa: Martin Kohlrausch: Monarchische Repräsentation in der entstehenden Mediengesellschaft. Das deutsche und das englische Beispiel. In: Jan Andres u. a. (Hrsg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 2005, 93 – 122; ders.: Chance und Gefährdung. Wilhelm II. und Ludwig II. als Medienmonarchen. In: Götterdämmerung. König Ludwig II. und seine Zeit (wie Anm. 24). Bd. 2: Aufsätze, 34 – 43.
Crown and consensus Walter Bagehot’s reflections on a theory of monarchy By Simon Heffer, Cambridge / London Britain is very proud of its constitution, even though it is “unwritten” and therefore, clever philosophers would argue, does not technically exist as such. What passes for the British Constitution is made up of three things: custom and practice, which we might also call precedent, and two forms of law. One is that made by the British legislature, in parliament; the other is that made by judges, as they take statute law and interpret it. Some say it would be much easier were we to have a written constitution, such as the Americans have, but, equally, some of us doubt that. What seems to matter in a mature democracy is not whether the rules are strictly codified, but whether those who are governed by those rules are content with them, and have the opportunity to change the rule-makers from time to time. Britain has a complication that renders it, as a democracy and a state, different from America, or Germany. It has a monarchy – a constitutional monarchy. The adjective is important. “Constitutional” is a euphemism for “largely powerless”. There are what we call reserve powers – more of those in a moment – but they are, while important, minimal, and in modern times more constrained than ever. It is because the British monarchy is “constitutional” that it not only still exists, but is immensely popular with the British people. It is even popular with non-British people who chose to have Queen Elizabeth II as their head of state: the resounding defeat of the republican movement in Australia in the 1999 referendum, and the failure by a left-wing Australian government to re-visit the question, prove that point. Some British republicans – and there are a few – represent the House of Mountbatten-Windsor as some sort of medieval relic. But that assertion is repudiated by the adjective “constitutional”. There was nothing “constitutional” about the personal rule of Henry VIII, or of other members of his family. When his Stuart successors tried to continue that style of government they excited opposition for two reasons: a toxic mixture of being perceived to overturn the Reformation settlement, and of seeking to govern without reference to a parliament that had become slowly more conscience of its role in helping England avoid tyranny. The execution of Charles I in 1649 and the removal from the throne of his younger son James II/VII in 1688 were two important steps in ending the notions of medieval kingship, and of the implicit idea of the divine right of kings.
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However, just as important was the natural end of the legitimate Stuart dynasty that came with the death of Queen Anne in 1714, and her replacement by the Elector of Hanover. Power had been seeping away even under Anne, who had found herself more and more at the mercy of the Junto of peers who ran her government: although she had endured long arguments from time to time in getting her own supporters appointed to key posts in the administration. George I’s accession, however, marked the beginning of a great grab by politicians of the Sovereign’s powers. As a Protestant, the Elector of Hanover satisfied the popular desire and constitutional requirement that the Throne – by this stage the British Throne, following the Act of Union between England and Scotland in 1707 – be Protestant. However, King George I spoke little English at the start of his reign, and he certainly didn’t understand the English parliamentary system and its degrees of difference from Hanover, where he had been an absolute ruler. He therefore had to rely for the management of his country on a group of native politicians. Within seven years one of them, Sir Robert Walpole, had become what we would now call the Prime Minister, though the title was not formalised until 1905. Things would never be the same again: it is a universal rule that once politicians are given operative power, they never surrender it, but use it to acquire more. The Whigs won a great victory in 1715 and gave an immediate example how they intended to extend their power: they passed the Septennial Act, which was not repealed until 1911, and which extended the life of a parliament in Britain to a maximum of seven years. The king rarely attended meetings of his cabinet, and before long it became the custom and practice that he should not do so. He left it to Walpole to appoint whomever he chose as ministers; and increased the amount of patronage available to Walpole, notably by reviving the Order of the Bath, so that the First Lord of the Treasury could create a clientele of his own, and therefore a powerbase of his own. This meant that if the king dismissed his minister he risked great political upheaval, as a whole superstructure would go with him. This understanding gave huge additional power to the prime minister at the expense of the sovereign. The story of the next 300 years of British government would be characterised by a steady transfer of power from Crown to Parliament, with parliament’s power, from the 19th century onwards, being made more and more accountable to an electorate after the Reform Acts of 1832, 1867 and 1884, and the extension of suffrage to women in 1918 and 1928. What in the beginning monarchs were slow to learn was that, under a system where the governing party is elected, it is unwise to take sides oneself. George I had reason to be suspicious of the Tories, as some of them cosied up to the Stuart pretender following their defeat in 1715. However his partiality towards the Whigs was of a sort that would probably bring down the monarchy today. Many of you will be well aware that Queen Victoria herself had her favourites: but these were choices made according to the personalities of her ministers, not according to their politics. Yet the Crown remains, even to this day, more than an ornamental part of the British Constitution. Although the present Government is in the process of legislating to
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have fixed-term parliaments and to give parliament the right to decide on its own dissolution, at the moment a prime minister who wishes to call a general election must ask the Sovereign to dissolve parliament. This is not necessarily the formality it usually appears. In April 1992 John Major won a general election with a majority of 21 – a majority that, as it turned out, enabled him through great tribulations to govern for the full five-year term. However, in September of that year he and his administration were humiliated by the collapse of their flagship policy – their determination to keep the pound sterling within the European Exchange Rate Mechanism. Major suffered attacks from his own backbenchers, and was briefed against by some of his fellow ministers. Angry, he briefed the Sunday press at the end of October 1992 that if his party didn’t behave he would shut them up by going to ask the Queen for a dissolution. About a year later, when the shouting had died down, I asked a very senior constitutional adviser of the Queen’s what would have happened had Major carried out his threat. The adviser said he was far from sure that the Queen would have granted him his dissolution. He explained to me, in outlining his reasoning, the purpose of the reserve powers. They were there, he said, “to protect the country against the caprices of its prime minister”. Calling an election six months after there has been one, and one that has furnished a working majority for the government, was, he said, just one such caprice. It is that protection of the public that the present British prime minister is seeking to do away with. Another reserve power that seems to exist only in name is the Sovereign’s right to appoint a prime minister. Until 1963 she could send for whomever she liked. After that, both main parties in Britain set about electing their leaders, which limited the choice open to the Queen. However, there remains something to this reserve power. Suppose in 1992 John Major had made his request to have a dissolution, and she had refused it. The custom is that the Queen acts on the advice of her prime minister and, if she chooses to ignore it, then the Prime Minister has to resign. It is a nice point whether the request for a dissolution is a piece of advice, or is simply a request. It must, in my view, be the former – the request is advice from a prime minister to the Queen to dissolve. It is his wish, and all his other such wishes when expressed to her have the standing of “advice”. So the Queen could have said to him: if you don’t feel you can command a majority in the Commons send me someone who can. That might have been one of Major’s cabinet colleagues; it might, less probably, have been the leader of the opposition. Her Majesty’s constitutional experts would have given her a list of the likely contestants before the conversation. Either way, it would have been an entirely accurate exhibition of the Sovereigns reserve power to appoint her prime minister. The understanding of these powers in Britain today is based extensively – and, in my view, somewhat unhealthily – on a speculative essay in a book written by a journalist nearly 150 years ago, in the decade after the death of Prince Albert, when the Queen was still paralysed by hysterical grief, becoming distant from her people, and
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feeding a strain of republicanism far more militant than anything alive today. That journalist was Walter Bagehot, founder and editor of The Economist. His book was The English Constitution.1 The essay was the one within it concerning the constitutional role of the Crown. I have lost count of the number of times I have seen Bagehot’s precepts quoted with oracular authority by journalists who take it as holy writ when pontificating on constitutional matters; or by elected politicians who use him as a comfort-blanket in their relentless drive to accrete more power to themselves. His most famous precept of all is in the two-part essay on monarchy: “To state the matter shortly”, he says, after having gone on for an inordinate length of time, “the sovereign has, under a constitutional monarchy such as ours, three rights – the right to be consulted, the right to encourage, the right to warn”.2 Now this all seems very sensible, in terms of its being advice for a democratic age. Bagehot was writing at the time of the great reform crisis of the 1860’s. Russell’s and Gladstone’s measure had failed and brought down the government; Derby and Disraeli were now trying instead. Also, it was only just over 30 years since a British monarch had last chosen a prime minister against the will of parliament, and so disastrous had that episode been that Bagehot was right to imply that such a power could no longer be exercised. William IV, in 1834, had been reluctant to accept Lord John Russell, whom he loathed, as Leader of the House of Commons after Melbourne chose to appoint him. He had therefore appointed Peel, a Tory, as his first minister, but Peel had been unable to govern effectively, or for more than a few months. The result had been that Melbourne had come back into office, bringing Russell with him, and effectively humiliating the King, who had failed to get his own way. It was settled that the Sovereign could not trump in the majority in the Commons; and Bagehot, in his expression of constitutional doctrine, correctly reflects that. Much of what Bagehot writes is enlightened in this respect: but, although he had the high political contacts of any respectable gentleman journalist, even he was not privy to what was going on at the time. Queen Victoria was pushing the bounds of her authority as far as she could; her son and heir, Edward VII, would spend much of his short reign striving to push them too. It was not until 1910, when George V succeeded his father during a massive constitutional crisis between the House of Lords and the House of Commons, and brought to the Throne a distinct lack of political interest and motivation of a sort not shared by either his father or grandmother, that Bagehot’s assumptions took on a prophetic status. This was not least because the political class at the time of George V’s accession found Bagehot’s belief in the greater power of their order, and the shrinking power of the monarchy, exactly the right prescription for them. Confronted by a king who just wanted a quiet life, and who was 1 Walter Bagehot: The English Constitution. Oxford 1928 (1st ed. 1867). For an interpretation in German see Franz Nuscheler: Walter Bagehot und die englische Verfassungstheorie. Geschichte eines klassischen Modells parlamentarischer Regierung. Meisenheim am Glan 1969. 2 Bagehot: English Constitution (note 1), 67.
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dreading the prospect of having to sanction the creation of 500 peerages to allow the Liberal government to get its “People’s Budget” through the House of Lords, the Asquith administration had something of a pushover. The Conservative opposition at the time were more than willing to move on from the Edwardian monarchy, in which the King sought from time to time to quarrel with the advice of his ministers, and to seek to demand the sacking of ministers he didn’t like and their replacement by others whom he did. The 1928 Oxford edition of Bagehot, from which I am quoting, had an introduction by Arthur James Balfour, who had found Edward VII particularly tiresome in is interference in foreign affairs. Balfour found Bagehot’s prescriptions very much to the point, describing his work as a “brilliant analysis”.3 Bagehot made a distinction between the “efficient” and the “dignified” parts of our constitution. The former meant the two chambers of parliament, where men (and they were all men in those days) entered the fray and bloodied each other in the pursuit and exercise of power. The latter was the Sovereign and her “family on the Throne”. He asserted that “the use of the Queen, in a dignified capacity, is incalculable”, and said that “without her in England, the present English Government would fail and pass away”.4 As with all journalists, Bagehot could not resist a joke: and he immediately referred to the Queen and the Prince of Wales as being “a retired widow and an unemployed youth” in seeking to describe why their actions were of significance. He described monarchy as an “intelligible” form of government, on the grounds that people “are governed by the weakness of their imaginations”. People understand a monarch because they can envisage him or her; they cannot envisage a constitution. He took as his evidence the preference in France in 1851 for Louis Napoleon over an assembly; yet, within four years of his writing, France would become used to having a president, who would be visible in the way that a monarch is visible. Bagehot argued that the British monarchy retained enough of the ancient romance of kingship to make it appealing to sentiment, a point harder to make credibly in that age of active republicanism than in this age of the Duke and Duchess of Cambridge. He argued that a republic was a “difficult” idea: whereas monarchy was an “easy” one.5 This led him on to his point about the comprehensibility of a “family on the throne”, an idea he thought popular because of the enthusiasm for the marriage of the Prince of Wales in 1863. Bagehot was ahead of his time, too, in understanding what we would now call the celebrity appeal of monarchy. Now, witnessing that celebrity has become something of a hobby for millions of people, and magazines and newspapers make much money on the strength of it. Bagehot was slightly higher-minded in his view of the value of the institution: “a royal family sweetens politics by the seasonable addition of nice and pretty events”.
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Ibid., XIII. Ibid., 30. 5 Ibid., 34. 4
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In other words, political life is at best necessary and at worst loathsome, and it is made interesting by the adornment of a monarchy. That may well be true, but at the time when Bagehot was writing it was almost certainly not the whole truth. Monarchy certainly did not see itself in 1867, or for quite some time afterwards, as an adornment. In between her bouts of hysteria and morbid reclusiveness, the Queen was still very interested in having her government run broadly in keeping with how she wanted it to be run. In 1880, three years after Bagehot’s death, she went to enormous lengths to prevent Gladstone from succeeding Disraeli as her first minister. She failed, as her uncle had failed in his attempt to avoid Lord John Russell, because of the will of the majority in the House of Commons. That will was well understood by both Hartington and Granville, who were her first and second choices to receive her commission. However, the crucial advice to her came from her frequently-despised son, the Prince of Wales, who warned her that the country wanted Gladstone, even if she did not. But that did not mean she did not feel she had a perfect right to try to assert her personal will, as she had sought to do ever since the bedchamber incident, when Peel had wanted his Tory ladies to replace Melbourne’s Whig ones at Court. Bagehot wrote, as if the mood had passed, that George III had been a “consecrated obstruction” who “was always resisting what ought to be, and prolonging what ought not to be […] he was the sinister but sacred assailant of half his ministries”. Much the same could have been said of Queen Victoria, even if her success rate was somewhat lower than her grandfather’s. Bagehot congratulates her on having shown restraint in the difficult period between 1857 and 1859, but we can assume that that was not least because she had failed to have Palmerston prevented from becoming prime minister in 1855, when it was the last thing she wanted. Bagehot writes of the advantage of a long-serving monarch acquiring wisdom and experience: one can imagine how this would apply to the present Queen, two years after the Diamond Jubilee of her accession to the throne. With Queen Victoria, that wisdom came not least from realising how her ministers, or the majority in the Commons, would conspire to stop her having her own way. Yet Bagehot was perceptive enough to realise that the real growth of wisdom and experience during Victoria’s reign was on the part of the Prince Consort, who he readily conceded “had the rare gifts of a constitutional monarch”.6 Yet he saw that during Albert’s short life he was dealing with men, such as Palmerston and Peel, of far greater experience than he had had: Bagehot’s point was that had he survived longer, beyond the age perhaps of Gladstone and Disraeli, he would have been a formidable check on the actions of prime ministers. As it was, men such as Salisbury had little difficulty with Queen Victoria precisely because they saw she lacked Albert’s gifts, and treated her accordingly. Bagehot’s justification of the continuation of monarchy is probably fair enough; though he makes little of the obvious point that the English monarchy had not, since the 17th century, evinced the sort of contempt for its subjects that been the undoing of Louis XVI; or sought to maintain the kind of autocracy that would undo the Roma6
Ibid., 69.
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novs, the Hohenzollerns or the Habsburgs. The very visible (but unspoken) obedience of the Crown to the elected political order since 1689, and the equally visible shift in power away from the Crown and towards elected politicians since 1714, made the Crown an exceptionally popular form of social and national leadership: for when things went wrong it was the fault of the political, and not of the monarchical class. This, indeed, is the usual reason cited when one is asked for reasons why the British monarch should not interfere in politics, and why the present heir to the Throne is so unpopular in certain sections whenever he does sound off about matters considered to be in the territory of politicians. A cabinet has become, to use a modern phrase, a permanent air-raid shelter for the monarchy. Bagehot supported the notion that monarchy gives continuity. He argued that it was a “disguise” for change and upheaval in government.7 This, of course, is true only because of the distance the Crown has put between itself and politics. But Bagehot also had a low view of the English people, who he described as so unphilosophical as to be incapable of dealing with a change of head of state every four or five years. This cynicism about the British people also led him to note that “the masses of Englishmen are not fit for an elective government; if they knew how near they were to it, they would be surprised, and almost tremble”.8 They were to be near to it shortly after his book rolled off the presses. In the second part of his essay, Bagehot, having justified the continued existence of the Crown, went on to outline its powers. Here, precisely because his words required more precision and less speculation, he was on somewhat more contentious ground. He states as a matter of fact that the Queen had no veto in the way that the House of Lords or the House of Commons had: the veto had not been used since Queen Anne refused assent to the Scots Militia Bill in 1708. He supported this by saying that the Queen „must sign her own death warrant if the two Houses unanimously send it up to her“.9 Bagehot was relying on custom and practice in decreeing the end of the veto. The sovereign still technically has it, and still technically could use it, though to do so in a fully democratic age would precipitate an unimaginable constitutional crisis. Such a crisis would have been unimaginable to Queen Victoria, but that would not stop her testing the constitutional waters. She may not have vetoed legislation, but it is equally clear from parts of her correspondence that she sought to influence legislation before it reached her for Royal Assent so that it would not offend her principles. She and Albert together, for example, sought to do this with Peel in 1842 after attempts on the Queen’s life, when the couple considered the proposed penalties for an attempt on her life to be inadequate.10 She also put heavy pressure on parliament via her ministers – successfully – to vote the right amount of funds for the establish7
Ibid., 48. Ibid. 9 Ibid., 51. 10 See Peel Papers, British Library, London, Add MS 40434 ff174, 183. 8
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ment of appropriate memorials to her husband in Kensington in 1862/63.11 Bagehot, conscious of his own position as an outsider, and knowing he would not be alive to read the history of the Queen’s reign when it was finally, and properly, written, observed that it was “an accepted secret doctrine that the Crown does more than it seems”.12 Bagehot was wrong, however, in his assertion that a prince who comes to the Throne in later life must be “unfit to work”. He clearly had in mind George IV – he uses the phrase “pleasure-loving lounger” to describe the sort of man he is talking about – as his example: too used to idleness to exert himself, too old to learn.13 I would argue that Victoria and Albert’s son, Edward VII, gave the lie to this. After a life spent in an idleness largely enforced by his mother, he was determined to take his responsibilities seriously when he succeeded her in 1901. He was also determined to have fights with his ministers when to do otherwise would mean him accepting something he felt either personally unpalatable or, occasionally, bad for the country. I considered the contrast of Bagehotian theory with Edwardian practice in my book on Edward VII’s political life.14 Edward’s papers at Windsor teem with evidence of conflicts between him, Salisbury, Balfour, Campbell-Bannerman and Asquith, his four prime ministers. Edward clearly felt an unbroken link stretching back to George I, and would only concede to a limited extent that the nature of his powers had evolved. It is clear from the Royal Archives that he was not, at the time of his death, minded to concede Asquith’s demand for 500 new peers. Part of the problem was that Edward was not an intellectual, and that he was a bad picker of people. Although Lord Knollys, his private secretary, understood the rules, some of his irregulars did not. Worst of them was Lord Esher, who clearly saw himself as a courtier of the type that served Henry VIII rather than Edward VII, and who turned the King’s head by advancing his own, frankly anachronistic, interpretation of the King’s powers. The other was his ad hoc foreign affairs adviser, Sir Charles Hardinge, who as a trained diplomat should have known better, but who enjoyed royal favour to the extent that he determined to go against his training, and to help the King run rings round not just the Foreign Office but also around the elected government in matters of foreign policy, notably in the background to the Entente Cordiale. Bagehot had in some respects been ahead of his time when he wrote, and was still ahead of it when Edward succeeded Victoria in January 1901. The prime minster sat in the House of Lords, and nobody much minded. Less than half the King’s adult subjects had the vote, but the nascent women’s suffrage movement minded that very 11 A letter outlining the demands the Queen would make to Palmerston, and thence to parliament, about this is in the archive of the 1851 Commission at Imperial College, London, reference RC/H/1/D/409. It is written by General Grey, the Queen’s private secretary. 12 Bagehot: English Constitution (note 1), 53. 13 Ibid., 76. 14 Simon Heffer: Power and Place. The Political Consequences of King Edward VII. London 1998.
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much. The press was more deferential than it had been forty years beforehand, in the era of Bagehot, and the epidemic of aggressive pamphleteering of the 1860’s and 1870’s had been quelled not just by reform, but by a vast improvement in living standards. All these factors led Edward and some of his advisers to conclude that there were aspects of government in which an element of personal rule could be introduced, whatever Bagehot might have said about it. The King proceeded to test the waters, and tested them quite hard. Esher encouraged him to throw his weight about in matters concerning the two armed forces, and he did. He demanded an inquiry into the Army be set up after the near-debacle of the Boer War. Not only was that acceded to, but Esher was put in charge of it. His initiative that led to the Entente Cordiale was much more his own work, and in the end his Government had little choice but to go along with it – and, after his death, Balfour (the prime minister at the time) even sought to take credit for it.15 The King did not win every tussle. He attempted to stop the award of the Garter to the Shah of Persia, on the grounds that the Shah was not a Christian and the Order was, and was browbeaten by Balfour and Salisbury into conceding the award: but there is no doubt that the government had erred in suggesting the award, for diplomatic reasons, and that the King was right to point out their error. But Bagehot’s main irrelevance by the turn of the 19th century lay in his underestimate of the British people. His firm belief that they were too stupid to understand any more sophisticated form of government was simply wrong. It may have been stupidity, or lack of sophistication, that caused so many millions of Queen Victoria’s subjects to rejoice at her Jubilees in 1887 and 1897; or to mourn at her funeral and celebrate the coronation of her son in 1901 and 1902. Or, it may have been an educated sense of understanding the stability monarchy brought with it; of understanding what, in that era, it represented about British greatness and the country’s burgeoning prosperity. Not only had the people won the sort of political power that, had they known of it in 1867, would have made them tremble; they had had a degree of education that Bagehot, in his patronising dismissal of the lower orders, would have been made to tremble at too. It is more likely, by 1902, that any outpouring of affection for the monarchy was a genuine expression of approval brought about by weighing up the facts than a kneejerk reaction effected by stupidity. Bagehot admitted that his analysis was based on observation and not on evidence. He admitted there was no “blue book” that outlined what the Queen did. It was all about custom and practice: and these things are not set in stone when there is no written constitution, but must be susceptible to changes in mood, fashion and scarcely perceptible shifts in power. They are open to interpretation as much by a monarch as by his ministers: and Edward had his own idea of what he called “Le metier d’un roi” and sought to live up to it. We would have seen the limits of Bagehot, or otherwise, had he not died before the constitutional crisis of 1909/11 was played 15
Ibid., 298.
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out. As I have noted, his son and heir would never have had the motivation to take up the challenge. In writing that “some good lawyer ought to write a careful book to say which of these powers are really usable, and which are obsolete”, Bagehot appeared to be owning up to the fact that he was merely a journalist taking a punt, and not a constitutional expert.16 He was also alert to the dangers of trying to codify what the monarch could do, because the aura of the Crown relied, as he saw it, on an element of mystery. “When there is a select committee on the Queen, the charm of royalty will be gone. Its mystery is its life. We must not let daylight in upon magic.”17 Bagehot’s theory of monarchy was just that: a theory. It was a remarkably successful one, in that it found favour with constitutionalists and opinion formers until such times as it became the accepted practice. That is Bagehot’s achievement. He outlined something that appeared so deceptively reasonable – and which would be understood to be reasonable by those towards whom power was in any case shifting – that it could not but become holy writ. Today, the present Queen still enjoys the right to be consulted, the right to encourage and the right to warn. For all we know, she may have even more power than that. Just as Bagehot’s accuracy could only be tested when all the documents were available, so too will we be able to see how useful his doctrine is for contemporary monarchy only when the entrails of the present reign are, in decades to come, opened up for the scrutiny of scholars and constitutionalists, professional and amateur.
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Bagehot, English Constitution (note 1), 52. Ibid., 53.
Konservatives Staatsdenken zwischen Beharrung und Wandel Das „monarchische Prinzip“ bei Carl Ernst Jarcke und Friedrich Julius Stahl1 Von Marc von Knorring, Passau I. Der Begriff „monarchisches Prinzip“ wird in der Forschung zumeist als ein „terminus technicus“2 verstanden und gebraucht. Er bezieht sich auf diejenigen Bestimmungen in den frühen deutschen Verfassungen und den rechtlichen Rahmensetzungen des Deutschen Bundes nach 1815, die zum Ziel hatten, den zunehmenden liberalen Begehrlichkeiten einen Riegel vorzuschieben. Nach Französischer Revolution, Napoleonischer Herrschaft und Befreiungskriegen sahen sich die alten Gewalten gezwungen, den Forderungen nach einer verfassungsmäßigen Verankerung von Mitspracherechten des Volkes nachzugeben3 – ein Zurück zu vorrevolutionären Zuständen schien unmöglich. Um die Monarchie vor allzu weitgehenden Beschränkungen zu schützen, formulierten zuerst die süddeutschen Konstitutionen die Prärogative des Königs in Anlehnung an die französische Charte constitutionelle von 1814, die für das „monarchische Prinzip“ in diesem Sinne Pate stand4. Den Anfang machte die Verfassung des Königreichs Bayern von 1818 in Artikel II, 1; dort heißt es: „Der König ist das Oberhaupt des Staates, vereiniget in sich alle Rechte der Staatsgewalt, und übt sie unter den von ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde
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Der vorliegende Beitrag stellt die im Wortlaut veränderte, erweiterte und mit Anmerkungen versehene Fassung meines Vortrags dar. Zu seiner Konzeption vgl. unten, Anm. 30. 2 Hans Boldt: Deutsche Staatslehre im Vormärz (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 56). Düsseldorf 1975, 16. 3 Vgl. Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Zweiter Band: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800 – 1914. München 1992, 99; Hans Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert. In: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 4. Stuttgart 1978, 189 – 214, hier: 189. 4 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 103; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 15; Werner Heun: Das monarchische Prinzip und der deutsche Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts. In: Jörn Ipsen / Edzard Schmidt-Jortzig (Hrsg.): Recht – Staat – Gemeinwohl. Festschrift für Dietrich Rauschning. Köln u. a. 2001, 41 – 56, hier: 41 f.
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festgesetzten Bestimmungen aus. Seine Person ist heilig und unverletzlich.“5 Da sich gleichwohl die Tendenz einer fortschreitenden Liberalisierung abzeichnete, präzisierte der Deutsche Bund diese Verordnungen, um die Gliedstaaten wirkungsvoll gegen ein Zuviel an Reformen zu schützen. So legte Artikel 57 der Wiener Schlussakte von 1820 fest: „Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so muß dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge die gesamte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden.“6 Alle Gewalt gehe also vom Monarchen aus, lediglich bei der Wahrnehmung ganz bestimmter, festgelegter Rechte sei eine verfassungsmäßig garantierte Einflussnahme der Stände möglich7. „Es sind diese Formulierungen gewesen, die, eigentlich zum Schutz des monarchischen Prinzips gedacht, alsbald als dieses selbst verstanden wurden, und unter diesem Namen in die Literatur eingingen.“8 Die verantwortlichen Staatsmänner und Beamten, allen voran der österreichische Kanzler Clemens Fürst von Metternich und sein Mitarbeiter Friedrich von Gentz, sahen sich dabei in der Defensive. Die „landständischen Verfassungen“, die bereits Artikel 15 der Bundesakte von 1815 als Zugeständnis an den Zeitgeist für alle Gliedstaaten vorgeschrieben hatte9, sollten in ihrem Sinne altständisch, nicht repräsentativ organisiert sein10. Bald jedoch war klar, dass die Praxis in der Regel anders aussehen würde, da „viele Einzelstaaten ihre Vertretungskörperschaften nicht auf altständischer Grundlage, sondern aus ge-
5 Zitiert nach Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 19. Vgl. Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 103; Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert. In: Ders. (Hrsg., unter Mitarbeit von Rainer Wahl): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815 – 1918). Köln 1972, 146 – 170 (zuerst 1967), hier 148. Ausführlich zu Genese und Bedeutung des „Monarchischen Prinzips“ in den süddeutschen Verfassungen Heinrich Otto Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip im Zeitalter der Restauration und des Deutschen Bundes. Neudruck der Ausgabe Breslau 1913. Aalen 1969, 215 – 248. 6 Zitiert nach Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 20. 7 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 103; Heun: Das monarchische Prinzip (wie Anm. 4), 41; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 20; Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 200; Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. I: Reform und Restauration 1789 bis 1830. Stuttgart u. a. 1961, 651 – 653; Gerhard Oestreich: Monarchisches Prinzip. In: Ernst Fraenkel / Karl Dietrich Bracher (Hrsg.): Das Fischer Lexikon Staat und Politik. Neuausgabe. Frankfurt am Main 1957, 199 – 202, hier: 200. 8 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 20; vgl. Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 203. 9 Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 202; Oestreich: Monarchisches Prinzip (wie Anm. 7), 200. 10 Oestreich: Monarchisches Prinzip (wie Anm. 7), 200; vgl. Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 201.
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wählten Repräsentanten von Stadt und Land bildeten“11, wobei zumindest der Kreis der „Stände“ erweitert und die Grenzen zwischen ihnen durchlässiger wurden12. Der oben zitierte Artikel 57 der Wiener Schlussakte sollte nun einer weiteren Elaboration der Volksvertretungen vorbeugen13, und das verfassungsmäßig verankerte „monarchische Prinzip“ sollte dabei ganz konkret die königlichen Rechte gegen „Prinzipien der Gewaltenteilung und der Volkssouveränität“ schützen14, also die Dominanz der Monarchen im neuen Staatsgefüge garantieren15. Das große Manko dieser Formulierungen war freilich ihre Unbestimmtheit. Dies galt bereits für die Frage nach dem Zustandekommen der Verfassung: Zwar wurden formal nahezu alle deutschen Konstitutionen dieser frühen Zeit vom jeweiligen Herrscher freiwillig gewährt16, doch konnte man sich darüber streiten, ob diese Akte nun tatsächlich bloße Konzessionen unabhängig von der jeweiligen Verfassung legitimierter Monarchen darstellten17, oder nicht doch ausgehandelte Kompromisse waren18, was zwangsläufig die Möglichkeit weitergehender Beschränkungen der eigentlich postulierten Machtfülle des Landesherrn implizierte – im Extremfall gar bis hin zu seiner Absetzung als eines bloßen Staatsorgans19. Zentral war dann natürlich die Frage nach Umfang und Ausmaß der den Ständen nach dem „monarchischen Prinzip“ tatsächlich einzuräumenden Mitwirkungsrechte20, die ja alles andere als abschließend festgelegt waren. Schließlich konnte man sich auch über Zusammensetzung und Funktionsweise der Vertretung trefflich streiten. Es sind diese offenen Fragen gewesen, die schon früh Intellektuelle verschiedenster Couleur auf den Plan riefen21 und vielerlei Theorien der konstitutionellen Monarchie entstehen ließen, wobei aber nicht zuletzt auch immer wieder die Frage dis-
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Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte I (wie Anm. 7), 652. Im Detail dazu Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 250 – 281. 13 Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte I (wie Anm. 7), 652; Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 104. 14 Oestreich: Monarchisches Prinzip (wie Anm. 7), 200. 15 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 17 f.; Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 201, 205; Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 198. 16 Württemberg machte hier die Ausnahme (Übereinkunft zwischen dem Landesherrn und den Ständen); Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 100. 17 Vgl. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte I (wie Anm. 7), 653 f.; Böckenförde: Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie (wie Anm. 5), 148. 18 Vgl. Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 32 f. 19 Vgl. zu diesem Problemkomplex Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 103 ff.; Böckenförde: Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie (wie Anm. 5), 149. 20 Vgl. Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 32. 21 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 101 f.; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 38, 41 ff.; Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 203. 12
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kutiert wurde, ob „Monarchie“ und „Konstitution“ überhaupt vereinbar seien22. Wenn nun hier der Blick speziell auf die konservativen Staatsdenker des Vormärz gerichtet wird, so rechtfertigt sich dies aus der Tatsache, dass ihnen naturgemäß besonders daran gelegen war, die unter Druck geratene Monarchie als Herrschaftsform nicht nur zu legitimieren, sondern auch zu konzeptualisieren. Dabei wäre es nun freilich wenig sinnvoll, den Begriff „Monarchisches Prinzip“ auf den entsprechenden Verfassungsterminus zu verengen, wie dies in der Forschung oft mit Nachdruck verlangt wird23. Wenngleich Friedrich Julius Stahl als einer der ihren die wirkmächtigsten Überlegungen zur konstitutionellen Monarchie überhaupt entwickelte24, so lehnte doch die überwältigende Mehrzahl der konservativen Staatstheoretiker eine geschriebene Verfassung grundsätzlich ab25. Eine Beschränkung der Betrachtung auf Stahl würde mithin ein wichtiges Stück konservativer Überlegungen zu Legitimation und Ausgestaltung der Monarchie als Staatsform, mithin Überlegungen auch zu den oben genannten, durch die konstitutionelle Verankerung der königlichen Machtstellung aufgeworfenen Fragen26, ignorieren. Es empfiehlt sich daher, den Begriff „monarchisches Prinzip“ in einem weiteren Sinne zu begreifen27 – nämlich als Bezeichnung für den Grundsatz der unabhängigen und unbegrenzten Vorherrschaft des Königs im Staat schlechthin. Rechtfertigen lässt sich dies zum einen aufgrund der Tatsache, dass der Begriff „monarchisches Prinzip“ bereits in den „Philosophischen Vorlesungen“ Friedrich Schlegels von 1804 bis 1806 in diesem allgemeineren Sinne eingeführt wurde, wo das Königtum als unverzichtbarer Faktor für die Stabilität jeglicher Ordnung erscheint28. Zum anderen wird es eben der Vielfalt staatstheoretischen 22 Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 201 f. – Die Frage nach dem Charakter der konstitutionellen Monarchie als Staatsform (Eigenständige Spielart oder Mischung verschiedener, unvereinbarer Formen und daher Übergangstyp?) ist hier nicht weiter zu verfolgen. Vgl. die Zusammenfassung dieser Diskussion bei Martin Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich. Göttingen 1999, 57 ff.; s. auch Heun: Das monarchische Prinzip (wie Anm. 4), 52 – 56. 23 Ausdrücklich etwa Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 20 f.; Heun: Das monarchische Prinzip (wie Anm. 4), 41 f.; Heinz Gollwitzer: Ein Staatsmann des Vormärz: Karl von Abel 1788 – 1859. Beamtenaristokratie – Monarchisches Prinzip – Politischer Katholizismus. Göttingen 1993, 44; vgl. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte I (wie Anm. 7), 651 ff.; Böckenförde: Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie (wie Anm. 5), 148. 24 S. unten, Abschnitte IV. und V. 25 S. unten, Abschnitte II. und III. 26 Zur „Verwandtschaft“ der konservativen Legitimitäts- und Patrimonialprinzipien (vgl. ebd.) mit dem „Monarchischen Prinzip“ vgl. Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 111, 133. 27 In diesem Sinne dezidiert Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 104 f. Diese Möglichkeit räumt auch Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 16, zumindest ein. Entsprechend interpretierbar auch Manfred Botzenhart: Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 – 1850. Düsseldorf 1997, 30 f. 28 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 15 f.; Heun: Das monarchische Prinzip (wie Anm. 4), 41; Wilhelm Füßl: Professor in der Politik: Friedrich Julius Stahl (1802 – 1861). Das
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Denkens im Vormärz weit mehr gerecht, die Verengung auf einen „terminus technicus“ zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund wird im Anschluss zunächst eine knappe Einführung in das konservative Denken im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts und die darin dominierende altständische Richtung der Monarchie- bzw. Staatstheorie gegeben. Anschließend soll mit Carl Ernst Jarcke dem bereits genannten Friedrich Julius Stahl ein exponierter Vertreter dieser Richtung gegenübergestellt werden, der nur ein Jahr älter war als Stahl – somit aus dem Horizont derselben Generation heraus dachte und schrieb – und dessen Ansichten als typisch für das konservative Staatsdenken seiner Zeit angesehen werden können29. Auf diese Weise soll die Spannweite vormärzlichen konservativen Staatsdenkens in Bezug auf Legitimation und Konzeption von „Monarchie“ verdeutlicht werden30, um schließlich noch einen Blick auf die Praxisrelevanz und die Nachwirkung dieser Theorien zu werfen. II. Das Grundproblem der Verfassungsgebung nach 1815 lag für das Gros der konservativen Politiker und Theoretiker darin – ganz gleich ob nun Staatsrechtler, Philosophen oder Publizisten, Protestanten oder Katholiken31 –, dass die Rechte, die der Monarch seinen Untertanen einmal gewährte, im Zuge ihrer schriftlichen Fixierung für den Herrscher unwiederbringlich verloren gingen32. Umgekehrt wiederum konnte die explizite Formulierung der dem König zustehenden Kompetenzen als Verzicht auf alle übrigen interpretiert werden33. „Letztlich, so sahen die Konservativen ganz richtig, war die Verfassungsbewegung eine schiefe Ebene, auf der es bis zur gänzlichen Beseitigung der Monarchie abwärts ging“34, auch wenn der Ultra-LibeMonarchische Prinzip und seine Umsetzung in die parlamentarische Praxis. Göttingen 1988, 42. 29 Vgl. Hans-Christof Kraus: Carl Ernst Jarcke und der katholische Konservatismus im Vormärz. In: Historisches Jahrbuch 110 (1990), 409 – 445. 30 Die Schriften Jarckes und Stahls sind in der Literatur zur Genüge referiert worden, abweichende Lesarten liegen dabei allenfalls im Detail vor und sind in diesem Rahmen nicht von Bedeutung. Für die im folgenden (ab Abschnitt III.) gebotene Gegenüberstellung der unterschiedlichen Theorien in ihrem Kern – die in dieser Form neu ist – wurde daher auf eine abermalige Reproduktion der zentralen Gedanken aus den Originaltexten verzichtet, die Ausführungen basieren vielmehr auf einer Synopse der (wichtigsten) Forschungsliteratur. 31 Einen Überblick gibt Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. II: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850. Nachdruck der zweiten, verbesserten Aufl. Stuttgart u. a. 1975, 327 – 345, 358 – 363; vgl. auch Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 144 ff. 32 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 100 f.; Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 207. 33 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 39. 34 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 101; vgl. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. III: Bismarck und das Reich. Nach-
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ralismus mit seinen für die Zeitgenossen zum Teil extremen Vorstellungen, die bis hin zur reinen Parlamentsverfassung reichten, in der Praxis noch keine Chance hatte, sein Maximalprogramm zu verwirklichen35. Größten Anklang fanden in konservativen Kreisen vor diesem Hintergrund die unmittelbar nach 1815 formulierten Ideen des Schweizers Karl Ludwig von Haller (1768 – 1854), mit denen dieser die Haltung der sogenannten Alt- oder Hochkonservativen36 maßgeblich prägte, die wiederum als einzige in ihrem Lager ausformulierte Staatstheorien hervorbrachten37, während die „Nationalkonservativen“ mit der Hinwendung zum Repräsentativsystem (nach 1848) ebenso wie die „Staatskonservativen“ mit ihren spätabsolutistischen Vorstellungen ohne Einfluss auf die Diskussion blieben38. Für Haller und seine Schule waren sowohl der Absolutismus Friedrichs des Großen als auch die Revolution und ihre Forderung nach Demokratisierung inakzeptabel39. Aus einerseits legitimistischem, andererseits patrimonialem Denken heraus traten sie für einen christlich fundierten, altständischen Staat vorabsolutistischen Typus’ ein, in dem die Macht des von Gottes Gnaden regierenden Monarchen lediglich „durch die hierarchische Ordnung der Stände begrenzt sein“ sollte40. Ausdrücklich sprachen sie sich gegen die Vorstellung vom Gesellschaftsvertrag, gegen Gewaltenteilung, Grundrechte, Volksvertretung usw. aus41 – ihr Programm beinhaltete also „letztlich […] die Negation geschichtlicher Entwicklung“.42 Führende Vertreter43 dieser Positionen waren neben Haller bzw. in dessen Nachfolge etwa Friedrich Ancillon, Romeo Maurenbrecher oder Karl Friedrich Vollgraff, vor allem aber Friedrich von Gentz und eben Carl Ernst Jarcke, der nicht nur in der Forschung durchweg als dezidierter Haller-Nachfolger erscheint44, sondern bereits von Friedrich Julius Stahl selbst als Hauptvertreter der Hallerschen Lehren genannt worden ist45. druck der zweiten, verbesserten Aufl. Stuttgart u. a. 1978, 3 f.; Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 193. 35 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 121. 36 Vgl. zu diesen Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 331 – 339, sowie ebd., 358 – 363, zu den bei Huber von ihnen getrennten, wenngleich als ideenverwandt angesehenen katholischen Konservativen. 37 Vgl. ebd., 340 – 345. 38 Ebd., 342 – 345. 39 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 153 f.; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 331 f. 40 Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 335. 41 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 144 ff.; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 331 ff. 42 Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 145. 43 Vgl. ebd., 144 – 152. 44 Ebd., 148, 152; Wilhelm Füßl: Friedrich Julius Stahl (1802 – 1861). In: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin 2002, 179 – 191, hier: 185; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 195; Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 411.
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III. Carl Ernst Jarcke, 1801 in Danzig als Sohn protestantischer Eltern geboren, studierte ab 1819 Rechtswissenschaften in Göttingen und Bonn, wo er 1822 mit seiner Göttinger Dissertation auch habilitiert wurde. Als Strafrechtler erlangte er 1825 eine außerordentliche Professur in Berlin und wurde im Jahr darauf Mitglied der Gesetzgebungskommission für die Revision des preußischen Landrechts. Vergeblich hoffte er auf ein Ordinariat, das ihm trotz bedeutender wissenschaftlicher Leistungen versagt blieb, wobei wohl seine Ende 1824 oder Anfang 1825 noch im Rheinland erfolgte Konversion zum katholischen Bekenntnis keine geringe Rolle spielte46. Jarcke beließ es jedoch nicht bei seiner akademischen Tätigkeit. Mit einer anonym veröffentlichten, dezidiert kritischen Schrift über die Revolution von 1830 in Frankreich „lenkte er die Aufmerksamkeit von Staatsmännern und Politikern auf sich, die ihn nicht mehr losließen, sondern alles taten, um ihn von der Strafrechtswissenschaft wegzuziehen und an die Arbeit für den Staat, für seine Erhaltung und seine Bewahrung vor der Revolution zu binden“.47 Gemeinsam mit Joseph Maria von Radowitz und den Brüdern Gerlach gründete er unmittelbar darauf das „Berliner Politische Wochenblatt“, dessen Losung sich ausdrücklich sowohl gegen den Absolutismus als auch gegen die Revolution richtete und „das er – als dessen erster Redakteur – sehr schnell zum führenden Organ des christlich-altständischen Konservatismus machte“.48 Binnen kurzem wurde Jarcke so zu dem „in ganz Deutschland, ja in der Welt bekannte[n] führende[n] Schriftsteller der konservativen Sache“.49 So ist es kein Wunder, dass Metternich schon bald auf ihn aufmerksam wurde und ihm 1832 die Nachfolge des verstorbenen Gentz in der Wiener Staatskanzlei anbot. Jarcke nahm an und blieb bis zu seinem Tod 1852 in Österreich, bis 1848 in Diensten Metternichs, den er im Kampf gegen den Liberalismus unterstützte, auch wenn sich mancherlei Spannungen aufgrund unterschiedlicher Ansichten über die Meinungs-
45 Friedrich Julius Stahl: Das monarchische Prinzip. Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung. Mit einem Nachwort von Mario Krammer. Berlin 1926 (zuerst 1845), 6. 46 Zum Leben Jarckes Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 410 ff.; Neue Deutsche Biographie 10 (1974), 353 f. (Eduard Winter); Allgemeine Deutsche Biographie 13 (1881), 711 ff. (N. Eisenhart); Otto Depenheuer: Auf der Suche nach der verlorenen Einheit. Carl Ernst Jarcke und die religiöse Fundierung von Recht und Staat. In: Stefan Muckel (Hrsg.): Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag. Berlin 2003, 111 – 129, hier: 113 ff.; Arthur Wegner: Carl Ernst Jarcke. In: Festschrift für Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag am 14. August 1949. Berlin 1949, 65 – 117; Otto Weinberger: Karl Ernst Jarcke. Ein Beitrag zu seiner Würdigung nebst unveröffentlichten Aktenstücken. In: Historisches Jahrbuch 46 (1926), 563 – 593, hier: 563 ff. 47 Wegner: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 87; vgl. Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 114; Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 440. 48 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 411; vgl. Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 114; Wegner: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 95; Weinberger: Karl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 566 f. 49 Wegner: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 97.
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freiheit und die Kirchenpolitik ergaben50. Daneben hatte Jarcke zunächst weiter für das „Berliner Politische Wochenblatt“ gearbeitet, sich in Folge des Kölner Mischehenstreits von 1837 jedoch von seinem früheren Kreis abgewandt und sich – zunehmend für die Sache der katholischen Kirche in der Politik eintretend – ab 1838 als ein Redaktionsleiter der in München neu ins Leben gerufenen „Historisch-politischen Blätter“ engagiert51. Seine Theorie vom Staat hat Jarcke vornehmlich in diesem Jahrzehnt schriftlich festgehalten, zunächst in dem schmalen Band „Die ständische Verfassung und die deutschen Constitutionen“52, sodann an verschiedenen Stellen seiner „Vermischten Schriften“, deren erste drei Bände 1839 erschienen, ein vierter wurde postum herausgegeben53. Grundlegend für seine Staatsauffassung ist hier die Absolutsetzung der natürlichen, und das heißt bei Jarcke der göttlichen Ordnung, wie sie die Bibel widerspiegelt. Aus göttlichem Willen heraus sei die Familie entstanden und habe ihre innere Ordnung erhalten, die geprägt sei durch hierarchischen Aufbau und Machtgefälle, durch Ungleichheit im Hinblick auf die dem Einzelnen zustehenden Rechte als Grundlage seiner individuellen Macht und zugleich als Grenze für Rechte und Macht des jeweils anderen. Die Familie wiederum habe – über das Zwischenstadium der Volksstämme – als Keimzelle des Staates diesem seine Verfasstheit, mithin die Ungleichverteilung politischer Rechte und Kompetenzen vorgegeben, aber auch das Miteinander, die gegenseitige Verpflichtung von über- und untergeordneten Kräften, das Angewiesensein von Fürst und Volk aufeinander präfiguriert54. Schon hier wird klar, dass in Jarckes Denken weder Platz für Absolutismus einerseits, noch für naturrechtliche Vertragslehre und Konstitutionalismus sowie Volkssouveränität andererseits ist, weil, wie er immer wieder betont, beide Varianten gleichermaßen die von Gott gegebene Ordnung missachteten – und somit im Grunde nur zwei Seiten derselben Medaille darstellten55 ! Unbedingt zu bewahren und zu schützen sei vielmehr das Ergebnis der „natürlichen“ Entwicklung von der Patriarchalbzw. Patrimonialherrschaft zur Monarchie. In ihr wiederum sei nun der Herrscher 50
Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 412 – 414; Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 114 f.; Wegner: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 109. Im Detail zu Jarckes Tätigkeit hier Weinberger: Karl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 573 – 577. 51 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 413 f.; Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 114 f. 52 Carl Ernst Jarcke: Die ständische Verfassung und die deutschen Constitutionen, Leipzig 1834. 53 Carl Ernst Jarcke: Vermischte Schriften. 4 Bde. München 1839 (I–III) und Paderborn 1854 (IV, unter dem Titel: Prinzipienfragen. Politische Briefe an einen deutschen Edelmann nebst gesammelten Schriften). 54 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 418 – 422; Frieda Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung und ihre geistigen Quellen. Diss. Köln 1926, 13 – 21; Weinberger: Karl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 567 – 570; Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 116. 55 Weinberger: Karl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 567 – 570; Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 117; Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 11, 22, 26; Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 422, 425, 436.
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– als im wahrsten Sinne des Wortes Landesvater – im Besitz der Souveränität, dem Recht der höchsten politischen Machtausübung, weil dieses ihm letztlich von Gott als Eigentum verliehen worden sei. Er herrsche somit von Gottes Gnaden und sei nur diesem verpflichtet, zumal es aufgrund der natürlichen, von Gott bewirkten Entwicklung niemanden in Staat und Gesellschaft gebe, der ihm weitgehendere Befugnisse übertragen könnte56. Diese Inhaberschaft der von allen anderen Kräften „unabhängigen Macht“ sei es, die dem Monarchen seinen „Vorrang vor allen anderen Menschen“ verleihe – nicht etwa ein „überirdische[r] Nimbus“57. Es ist aber, wie bereits angedeutet, für Jarcke eben nicht nur der Monarch im Besitz solcherlei Rechte. Überkommene und damit legitime Rechte sind bei ihm in vielerlei Abstufungen auch den Untertanen zu eigen. Historisch gewachsener Ausdruck der göttlichen Ordnung sei dabei das im Ursprung bereits mittelalterliche Ständewesen58, das durch die Wahrung der angestammten, abgestuften Rechte und damit der Freiheit eines jeden seiner Glieder gekennzeichnet ist59. Diese „bestehenden ständisch-korporativen Rechte“ zu schützen60 sei erste Amtspflicht des Landesherrn61, während den Ständen im Gegenzug „die unbedingte Anerkennung der fürstlichen Autorität innerhalb der ihr rechtlich bestimmten Grenzen“ obliege62. Mit diesen Vorstellungen, das ist offensichtlich, lässt sich eine revolutionäre Umschichtung von privaten, öffentlichen und Souveränitätsrechten, in welchem Umfang auch immer, auf keinen Fall vereinbaren63; sie bedeutete für Jarcke vielmehr „die völlige Umkehrung der geschichtlich gewachsenen und göttlich legitimierten Ordnung“.64 Der Monarch steht in diesem System unangefochten an der Spitze, er hat „die Rechte der Minorität dem großen Haufen gegenüber“ zu vertreten und dabei „nicht nach der Zahl, sondern nach dem Wert der Stimmen“ zu urteilen65. Die Stände stellten demgegenüber, „als Vertretung sämtlicher im Lande bestehender Interessengruppen […,] eine Vertretung tatsächlicher praktischer Interessen“ und damit die wahre Repräsentation dar, im Gegensatz zur ideologiebestimmten Volksvertretung
56 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 21 – 23, 28; Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 423 f., 426; Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 117; Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 148. 57 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 28; vgl. ebd., 30. 58 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 432 f. Zur Verwurzelung von Jarckes Monarchiekonzeption in mittelalterlichem Denken vgl. Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 26; Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 421, 424. 59 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 11 f. und 28. 60 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 423 f. 61 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 29. 62 Ebd., 36. 63 Ebd., 10; Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 428 f.; Weinberger: Karl Ernst Jarcke (wie Anm. 46), 568. 64 Depenheuer: Auf der Suche (wie Anm. 46), 114. 65 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 38.
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im liberalen Modell66 – „Repräsentation“ ist für Jarcke dezidiert nur in diesem Sinne denkbar67. Wie aber soll vor diesem Hintergrund die konkrete Kompetenzverteilung im politischen Alltag aussehen? Der König vereinige in sich alle drei Gewalten, da Legislative, Exekutive und Judikative realiter gar nicht voneinander trennbar seien. Bei der Ausübung dieser Kompetenzen benötige er freilich Unterstützung, die er durch die Stände erhalte, indem diese ihr Selbstverwaltungsrecht wahrnähmen – so die Form ihres „Gesamtanteils an der staatlichen Macht“68 –, wobei der Landesherr eindeutig übergeordnet bleibe und die letzte Entscheidung treffe69. Daneben besitzen die Stände bei Jarcke schließlich auch ein Widerstandsrecht70, das sich allerdings darin erschöpft, dem Monarchen eine Beteiligung an Verstößen gegen die göttliche Ordnung zu verweigern. An einen gewaltsamen Umsturz ist nicht zu denken, würde er doch gegen das Prinzip der Legitimität verstoßen71. Ohnehin, so die Vorstellung Jarckes, suchten König und Stände im Regelfall nicht die Konfrontation, sondern das Zusammenwirken, den Kompromiss, sie „fühlen sich als Glieder eines Ganzen, erkennen einander als notwendig und nützlich an“.72 Von diesem in wesentlichen Punkten zweifellos unscharfen „Programm der altständischen Restauration“ ist Jarcke bis zuletzt nicht abgewichen73, auch wenn er im Hinblick auf die praktische Umsetzung seiner Vorstellungen von der Monarchie mit sich selbst in Widerspruch geriet, denn seinen Prinzipien zufolge waren schließlich auch die im Zuge der fortschreitenden Modernisierung bereits neu verteilten Rechte zu respektieren74. IV. Deutlich anders liegen die Dinge in der Vorstellung Friedrich Julius Stahls75. Stahl wurde 1802 im fränkischen Heidingsfeld als Sohn jüdischer Eltern geboren; er wuchs in München auf, konvertierte 1819 zum lutherischen Christentum und begann im selben Jahr ein Jurastudium, das ihn nach Würzburg, Heidelberg, Erlangen und schließ66
Ebd., 31. Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 427, 433; vgl. Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 148 f. 68 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 30. 69 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 425; Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 38. 70 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 433. 71 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 37. 72 Ebd., 36 f. (das Zitat ebd., 36). 73 Kraus: Carl Ernst Jarcke (wie Anm. 29), 431. 74 Peters: Carl Ernst Jarcke’s Staatsanschauung (wie Anm. 54), 30 f. 75 Das folgende nach Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 179 ff.; Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 152 f.; Allgemeine Deutsche Biographie 35 (1893), 392 – 400 (Ernst Landsberg). Die Literatur zu Stahl ist kaum noch zu übersehen. Ausgewählt wurden hier neuere sowie Standardwerke, die seine Monarchietheorie prägnant und bündig fassen bzw. einen besonderen Akzent darauf setzen. 67
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lich nach München führte, wo er sich 1827 mit einer Arbeit zum älteren römischen Klagerecht habilitierte. Auch Stahl trat 1830 zuerst politisch hervor, und zwar als Redakteur des „Thron- und Volksfreunds“, einer regierungsnahen bayerischen Zeitung. Zwei Jahre später erhielt er ein Extraordinariat in Erlangen, noch im selben Jahr einen Lehrstuhl in Würzburg, 1834 wiederum einen Ruf an die Universität Erlangen, deren protestantische Professorenschaft er 1837 auch im Münchner Landtag vertrat. In diesem Jahr schloss er mit dem dritten Band zugleich die erste Auflage seines einflussreichen Werks „Die Philosophie des Rechts“76 ab, das er 1830 begonnen hatte. Wegen regierungskritischer Äußerungen in Bayern vom Staats- zum Zivilrechtslehrer „degradiert“, kam ihm 1840 der Ruf nach Berlin durch König Friedrich Wilhelm IV. gerade recht. Hier „stieg Stahl zu einem der gefeiertsten, aber auch angefeindetsten Professoren und Politiker seiner Zeit auf“, wozu seine 1845 erstmals erschienene Schrift „Das monarchische Princip“77 nicht wenig beitrug, mit der er sich von altkonservativen Vorstellungen vollständig distanzierte78. 1848 trat er mit Artikeln in der „Evangelischen Kirchenzeitung“ und der „Kreuzzeitung“ hervor. Im Paulskirchenparlament war er wohl nicht vertreten79, doch gestaltete er gemeinsam mit Ernst Ludwig von Gerlach die konservative Partei in Preußen. Ab 1849 Mitglied der preußischen Ersten Kammer, saß er ab 1850 auch im Erfurter Unionsparlament; hier etablierte er sich „als anerkannter Parteiführer der rechten Konservativen“.80 Enge berufliche und private Beziehungen pflegte er vor diesem Hintergrund zum Beraterkreis um König Friedrich Wilhelm IV., insbesondere zu Ernst Ludwig von Gerlach und dessen Brüdern. Er war an zahlreichen Revisionen der preußischen Verfassung beteiligt und engagierte sich darüber hinaus auch in kirchlichen Fragen, auf evangelischen Kirchentagen ebenso wie im Oberkirchenrat. Die Politik der nach ihm benannten Fraktion im preußischen Herrenhaus prägte er bis zu seinem Tod im bayerischen Bad Brückenau im Jahr 1861. Die genannten Schriften Stahls sind als sein Hauptwerk81 auch im hier verfolgten Zusammenhang maßgeblich, wobei die Ideen, die er im „Monarchischen Princip“ entwickelte82, in seine Überarbeitungen der „Philosophie des Rechts“ einflossen83, die noch zu seinen Lebzeiten in dritter Auflage erschien84. Stahl geht hier ebenfalls vom Gottesgnadentum des Königs aus, begründet dies aber, deutlich anders als Jar76
Friedrich Julius Stahl: Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht. 3 Bde. Heidelberg 1830 – 37. 77 Stahl: Das monarchische Prinzip (wie Anm. 45). 78 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 41; Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 186. 79 Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 187. 80 Ebd., 183; vgl. ebd., 188. 81 Ebd., 184. 82 Vgl. Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 198. 83 Besonders deutlich bei Johann Baptist Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls. Neubiberg 1999. 84 Friedrich Julius Stahl: Die Philosophie des Rechts. 2 Bde. 3. Aufl. Heidelberg 1854 – 56.
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cke, nicht im Rückgriff auf mittelalterliche Vorstellungen. Als Ebenbild Gottes sei der Mensch „mit Personenhaftigkeit“, d. h. „mit Freiheit und Willen ausgestattet […], allerdings im Rahmen eines göttlichen Weltplans“, dessen „Vollendung“ in Form der „höchsten Sittlichkeit“ ihm daher aufgetragen sei85– im Sinne der Verwirklichung göttlicher Gebote und christlicher Werte86. Ebenso, wie die Existenz des personenhaften Gottes erst die Einheit des Universums ermögliche, könne der Staat „nur dann als Einheit und von dem individuellen Belieben der Individuen unabhängige Macht“ bestehen und dem Ideal eines „sittlichen Reiches“ näherkommen, wenn eine einzelne Person an seiner Spitze unangefochten die Herrschaft ausübe87. Nur die durch göttliche Fügung entstandene, unabhängig vom Willen der Bevölkerung existente Erbmonarchie könne diesem Anspruch gerecht werden und diese Aufgabe erfüllen88, woraus sich ihre Rechtfertigung und Legitimation ableite89 – auch in dieser Theorie ist offensichtlich kein Platz für die Staatsgründung durch zwischenmenschliche Vereinbarung gemäß der Vertragslehre90. Der König ist bei Stahl im Besitz der Souveränität, der Vollgewalt im Staat91, „seine Stellung [ist] ein Ausfluß göttlichen Willens“92. Er herrscht dabei aber keineswegs absolut, und seine Machtbefugnisse sind auch nicht sein Eigentum, er muss sich vielmehr in den göttlichen Plan einfügen und ist auf das Streben nach Verwirklichung des „sittlichen Reiches“ verpflichtet93. Ganz konkret bedeutet dies – und hier führt Stahl ein Novum in das konservative Denken seiner Zeit ein –, dass der Staat unter Führung des Monarchen ein „Rechtsstaat“ zu sein habe94, der zuvörderst die Persönlichkeits-, Freiheits- und Eigentumsrechte der Untertanen gesetzlich schützen
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Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 184. Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 10; Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 184; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 37. 87 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 303 f. (die Zitate ebd., 304). 88 Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 20; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 36. 89 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 37; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 10. „Aber auch eine zunächst illegitim zustandegekommene Monarchie würde mit der Zeit durchaus Legitimität erhalten, sofern nur ihre dynastische Herrschaft einen Generationen überdauernden Bestand vorweisen könnte: ihre Rechtmäßigkeit ergebe sich dann aus der Positivität ihres Bestehens.“; Thomas Meyer: Stand und Klasse. Kontinuitätsgeschichte korporativer Staatskonzeptionen im deutschen Konservativismus. Opladen 1997, 136. 90 Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 184 f.; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 33. 91 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 305. 92 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 37. 93 Ebd., 32, 37. 94 Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 185; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 15. 86
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müsse95. Hierzu bedürfe es außer des Königs auch einer „echten Volksvertretung“96, die Stahl weder im altständisch-konservativen noch im liberalen Sinne, sondern vielmehr aus Elementen beider Richtungen – die er jeweils für sich genommen strikt ablehnte97 – neu definiert98. Auch bei ihm sind es „Stände“, die die Untertanenschaft repräsentieren, doch nicht als Vertreter von Interessengruppen, sondern der ganzen Bevölkerung, wobei sowohl politische Stände im Sinne von Herrschaftsträgern als auch Berufsstände eine Rolle spielen sollen – orientiert an den tatsächlichen Gegebenheiten, wenngleich der Adel bzw. die Schicht der Grundbesitzer, ganz im konservativen Sinne, einen Vorrang erhält99. Die genaue Form der Vertretung ist indes nicht entscheidend100. Wichtiger ist für Stahl – und das schied ihn nun endgültig von den altkonservativen Vorstellungen –, in welchem rechtlichen Rahmen diese angesiedelt sein sollte. Er geht von der Möglichkeit aus, die real existierende und zu beobachtende Verfasstheit des Staates schriftlich zu fixieren, eine „Konstitution“ aufzustellen101, allerdings nur auf dem Weg monarchischer Verordnung, die noch dazu schrittweise erfolgen müsse, um nicht als ein neuer staatsbegründender Akt missverstanden zu werden102. Eine „einmal installierte konstitutionelle Grundlage“ solle dann aber „nicht mehr verlassen werden“103. Es gehe im Kern nicht um die Frage ob, sondern wie und in welcher Form Monarchie und Konstitution vereinbar seien104– die Frage also nach der Kräfteverteilung zwischen Monarch und Volksvertretung innerhalb des konstitutionellen Systems105 –, und damit eben auch um die Frage nach der Ausgestaltung des „Monarchischen Prinzips“ im Sinne des eingangs erläuterten „terminus technicus“. Grundsätzlich sei das monarchische Prinzip, so Stahl, nur dann verwirklicht, wenn der König auch „die reale Macht im Staate ausübe“ – und nicht die Volksvertretung; in diesem Fall nämlich herrsche das „parlamentarische Prinzip“, wie etwa in Groß-
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Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 32; Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 185; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 16. 96 Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 186. 97 Vgl. Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 16, 19 und 21. 98 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 308; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 37 f.; Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 185 f. 99 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 39 – 41; Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 303; Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 131, 139 ff. 100 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 303. 101 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 33 f.; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 16. 102 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 205; Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 310; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 34, 47; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 337. 103 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 198. 104 Ebd., 196, 198 f., 201. 105 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 302.
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britannien106, wo das Staatsoberhaupt zwar dem Wortlaut der Verfassung nach die Souveränität besitze, faktisch jedoch das Parlament regiere107. Entscheidend sei, dass „der Fürst der Schwerpunkt der Verfassung“ und zugleich maßgeblicher Gestalter der Dinge im Staat sei108 – und nicht etwa die Volksvertretung109, was dem beschriebenen Ideal des „sittlichen Reiches“ diametral zuwiderlaufen und zur Auflösung der Ordnung führen würde110. Um dem vorzubeugen, legt Stahl Artikel 57 der Wiener Schlussakte sehr eng aus111: Exekutive und Legislative müssten prinzipiell in der Hand des Monarchen liegen112, der zudem als oberster Richter und Hüter der Verfassung zu fungieren habe113. Aufgabe der Volksvertretung sei es in erster Linie, „den Einzelnen in seinen Rechten zu schützen und die Interessen des Volkes bei der Regierung zu Gehör zu bringen“.114 Das bedeutet zum einen, dass die grundsätzlich zum Gehorsam gegenüber dem König verpflichteten Stände auch ein Widerstandsrecht besitzen, allerdings nur für den Fall, dass der Monarch dezidiert das Ideal der „Sittlichkeit“ missachtet oder aber der Staat in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen eingreift115. Zum anderen sollen die Volksvertreter „echte Mitbestimmungsrechte“ haben, die Stahl allerdings eng umgrenzt116. Er entwirft dabei sein Idealmodell der Kompetenzverteilung im Staat, indem er die Verfassungswirklichkeit im Großbritannien seiner Zeit als Negativfolie benutzt und die reale Machtverteilung, wie er sie dort als gegeben sieht, in ihr Gegenteil verkehrt117. Dem König118 solle dabei zunächst die Administration ohne Einschränkung unterstehen, und auch die Minister sollen nur ihm verantwortlich sein. Sodann habe 106 Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 187 (Zitate); Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 41; vgl. Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 300; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 336. 107 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 46; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 201. Zur Unterscheidung von monarchischem Prinzip und Souveränität bei Stahl vgl. ebd., 199 f.; Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 204. 108 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 301 (Zitat), 308, 311. 109 Ebd., 303. 110 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 40; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 19 f. 111 Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 132; vgl. Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 214. 112 Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 133. 113 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 47. 114 Ebd., 39. 115 Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 14 f. 116 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 196 (Zitat), 204; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 22. 117 Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 48 f.; Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 308; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 201. 118 Zu dessen Kompetenzen vgl. Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 308 f.; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 201 f.; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 336; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 46.
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der Monarch allein das Recht zur Gesetzesinitiative sowie zur Verfügung über die Staatsausgaben. Die Volksvertretung119 solle demgegenüber im Gesetzgebungsverfahren ein Zustimmungs- und Petitionsrecht haben; zustimmungspflichtig seien lediglich Gesetze, die geeignet wären, privatrechtliche Besitzstände zu gefährden. Ihr steht darüber hinaus ein eingeschränktes Steuerbewilligungsrecht zu, das sich lediglich auf den „nicht notwendigen“ Teil der Abgaben bezieht, im übrigen hat sie dem königlichen „Voranschlag“ zuzustimmen, und zwar für jeweils „möglichst lange Finanzperioden“120, um sicherzustellen, „daß dem König und dem Staat ausreichende Mittel für ihren Finanzbedarf“ zur Verfügung stehen121. Schließlich haben die Stände das Recht zur Ministeranklage, allerdings nur bei einem offensichtlichen Bruch der Verfassung, etwa durch persönliche Vorteilsnahme oder ein ähnliches Vergehen; außerhalb dessen ist nur eine – rechtlich folgenlose – Beschwerde möglich. Der Volksvertretung wird damit alles in allem lediglich eine Funktion als „Verteidiger, Wächter und Garanten des öffentlichen Rechtszustandes“ eingeräumt122 – zu dem übrigens auch die ständisch-korporativen Freiheiten zählen, als Teil der göttlichen Ordnung und Ergänzung der obrigkeitlichen Tätigkeit –, mithin „ein gewisses Fixum politischer Freiheit, das überall im modernen Staate verwirklicht sein muß“123. Die Prärogative des Monarchen ist überdeutlich und wird schließlich dadurch „gekrönt“, dass der König bei Konflikten um die Umsetzung der Verfassung, und dabei nicht zuletzt um die Kompetenzverteilung, das letzte Wort haben soll124. Stahl hat damit insgesamt eine Definition des „monarchischen Prinzips“ vorgelegt, die zwar liberale Forderungen nach einer Verfassungsbindung des Königs mit traditionellen Vorstellungen von dessen unbegrenzter Gewalt vereinigt125, zugleich aber das Ausmaß der Zugeständnisse stark begrenzt und umfangreiche Vorkehrungen gegen eine drohende Übernahme der Lenkungsfunktion durch die Volksvertretung beinhaltet126. „Aus dem monarchischen Prinzip ist [so] die monarchistische Konsequenz gezogen.“127 Zu beachten ist dabei jedoch, dass es Stahl im End119 Vgl. Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 308 f.; Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 131 f.; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 201 – 203; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 336; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 46. 120 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 201. 121 Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 336. 122 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 308 (Zitat); Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte II (wie Anm. 31), 336; Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 34. 123 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 311. 124 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 203 f.; Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 131. 125 Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 131. 126 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 308 f.; Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 203; vgl. Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 131. 127 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 201 (Zitat).
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effekt um die Sicherung der Monarchie in der Realpolitik ging128, und dass er in seinen Schriften ganz bewusst „Idealvorstellungen und Maximalforderungen“ formulierte, deren Unerreichbarkeit ihm völlig bewusst war129. V. Wie stand es nun um die Praxistauglichkeit bzw. Realitätswirkung der konservativen Ansichten über die Ausgestaltung des „monarchischen Prinzips“? „Für das deutsche Staatsrecht ist das monarchische Prinzip ein Jahrhundert lang, gerechnet von seiner ersten Formulierung in der Bayerischen Verfassungsurkunde des Jahres 1818 an bis zum Ende der Monarchien 1918, die zentrale Kategorie gewesen.“130 Aufgrund seiner begrifflichen Offenheit erfuhr es dabei durch die einzelstaatlichen Verfassungen selbst seine Konkretisierung131 und wurde im Neben- und Miteinander der Kräfte in seiner Ausprägung bestimmt132. Legitimistische und patrimoniale Staatsauffassungen waren vor diesem Hintergrund auf lange Sicht in keiner Weise zu halten133. Altständisch-konservative Theoretiker wie Carl Ernst Jarcke scheiterten daran, dass sie „den Boden des Verfassungsrechts, wie es die Zeitereignisse geschaffen hatten und auf dem es zu überzeugen galt“, gar nicht erst betreten wollten und „die Forderungen des Gegners, deren teilweise Berechtigung die Praxis bereits anerkannt hatte, einfach ignorierte[n]“134. Zwar waren sie lange Zeit publizistisch präsent, doch wurden sie schließlich „von der Stahlschen Versöhnung von Konservatismus und Konstitutionalismus überspielt“135. Friedrich Julius Stahl hat mit seiner Art der theoretischen Verknüpfung von Monarchie und Konstitution auf dem Boden der Realitäten136 den konservativen Kräften in Preußen und damit in Deutschland den Weg aus dem Dilemma gewiesen, dass die unabdingbare Formulierung der Vorherrschaft des Königs in der Verfassung zugleich
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Ebd., 197. Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 187 (Zitat); Füßl: Professor in der Politik (wie Anm. 28), 48 f. 130 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 15; vgl. Heun: Das monarchische Prinzip (wie Anm. 4), 41; Oestreich: Monarchisches Prinzip (wie Anm. 7), 199; Gollwitzer: Ein Staatsmann des Vormärz (wie Anm. 23), 45; Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte III (wie Anm. 34), 12. 131 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 33 ff., 48 ff. 132 Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 132. 133 Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 207 f. 134 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 159. 135 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 195; vgl. Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 152 f. 136 Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), betont passim den Realitätssinn Stahls. 129
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den Keim des Niedergangs der Monarchie in sich trug137. Die altkonservativen, an den Lehren Hallers und seiner Schule orientierten Politiker, insbesondere die Brüder Gerlach als Stahls Weggefährten – und damit auch König Friedrich Wilhelm IV. – verhielten sich freilich skeptisch bis ablehnend gegenüber diesen Zugeständnissen an den „Zeitgeist“138. Entgegenzusetzen hatten sie allerdings wenig, und sie mussten letztlich froh sein, in ihren Reihen einen Denker zu haben, der in der Lage war, konservativen Anschauungen durch Realpolitik Erfolge zu verschaffen139 – in einer Zeit, deren Tendenz eindeutig dahin ging, die konstitutionellen Volksvertretungen im liberalen Sinne weiter zu stärken140, und in der auch die Theorie des Gottesgnadentums in allen ihren Schattierungen endgültig ihre Bedeutung als Legitimationsgrundlage für die Königsherrschaft verlor141. Stahl war es, der 1848 die Zugeständnisse Friedrich Wilhelms IV. gegenüber den Revolutionären „als Weiterbildung der Landesverfassung interpretierte“, sie „aus der Machtvollkommenheit des Königs erklärte“ und damit in Preußen zugleich einen „reaktionären Staatsstreich“ verhinderte142. Bei der Revision der oktroyierten Verfassung im Jahr 1850 gelang es Stahl und dem „linken“ Flügel der Konservativen, einen Kompromiss mit den gemäßigten Liberalen zu schließen und das „Monarchische Prinzip“ im Sinne des königlichen Vorrangs, trotz Zugeständnissen etwa in den Fragen der Gesetzgebung, weitgehend zu wahren143. Die bestehende preußische Verfassung hat Stahl dann auch niemals in Frage gestellt, sie im Gegenteil immer wieder bekräftigt144. Seine „synthetische Leistung ermöglichte es den preußischen Konservativen [mithin], nicht nur die eigenen Ultras abzuwehren, sondern auch die dem Zeitgeist entsprechenden Forderungen nach Verfassung, nationaler Repräsentation, Grundrechten und Rechtsstaat zu adaptieren und auf diese Weise jenen ,konservati137
Vgl. Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 196; Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 193; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 23; Meyer: Stand und Klasse (wie Anm. 89), 130; Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 187. 138 Vgl. Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik. Berlin 1990, 101 – 107; zuletzt ders.: Staatsideal, Herrschaftsverständnis und Regierungspraxis Friedrich Wilhelms IV. In: Jörg Meiner / Jan Werquet (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Politik – Kunst – Ideal. Berlin 2014, 18 – 30. 139 Vgl. Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 190. 140 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 44 und 213 f.; Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 204 f.; vgl. Gollwitzer: Ein Staatsmann des Vormärz (wie Anm. 23), 45. 141 Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 206 – 208; Frank-Lothar Kroll: Monarchie und Gottesgnadentum in Preußen 1840 – 1861 (1997). Wiederabgedruckt in: Ders.: Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates. Paderborn / München / Wien / Zürich 2001, 55 – 74. 142 Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 188. 143 Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte III (wie Anm. 34), 7 – 9; Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 189; Oestreich: Monarchisches Prinzip (wie Anm. 7), 201. 144 Meisner: Die Lehre vom monarchischen Prinzip (wie Anm. 5), 307 f.; vgl. Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 23.
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ven Konstitutionalismus‘ geistig vorzubereiten, dessen sich Bismarck ab 1866 bedienen konnte.“145 Schließlich war Stahls Ideen eine lange Nachwirkung auf dem Gebiet der Theorie beschieden. Seine „Definition des monarchischen Prinzips [erlangte] für die Staatslehre in Deutschland, aber auch in anderen Ländern […] prägend[e]“ Wirkung146, seine Schriften wurden bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nachgedruckt. Ihm ist es letztlich zuzuschreiben, dass „die Vorstellung vom Monarchen als wahrem Herrscherkönig“ zumindest bis 1918 „Gemeingut der deutschen konstitutionellen Theorie“ blieb147 – wenngleich dies eine fortschreitende Auseinanderentwicklung von „Theorie und Wirklichkeit“ bedeutete148.
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Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 3), 153. Füßl: Friedrich Julius Stahl (wie Anm. 44), 186. 147 Boldt: Deutsche Staatslehre (wie Anm. 2), 44; vgl. ebd., 213 f.; Müller: Die Staatslehre Friedrich Julius Stahls (wie Anm. 83), 8. 148 Boldt: ,Monarchie‘ im 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), 211. 146
„Aus solchen Wirren den lösenden Gang zu finden“1 Herrschaftskonsolidierung in der Habsburgermonarchie zwischen äußerer Bedrohung und innerer Reform (1848 – 1860) Von Marion Koschier, Klagenfurt „Es ist ein Kampf auf Leben und Tod, der noch lange nicht aus ist, und es ist mit Berechnung auf unsere vollkommene Zerstörung abgesehen. Wenn man alle Welt gegen sich und gar keinen Freund hat, so ist wenig Aussicht auf Erfolg, aber man muß sich so lange wehren, als es geht, seine Pflicht bis zuletzt tun und endlich mit Ehre zu Grunde gehen.“2 Was Kaiser Franz Joseph I. am Vortag der Unterzeichnung des Prager Friedensvertrages mit Preußen an seine Mutter Erzherzogin Sophie schrieb, spiegelt nicht nur die isolierte außenpolitische Situation der Monarchie nach der verlorenen Schlacht von Königgrätz wider3, sondern gewährt auch Einblick in das monarchische Selbstverständnis jenes Habsburgers, der während seiner 68-jährigen Regierungszeit ebenso von dynastischem Verantwortungsbewusstsein wie von pragmatischer Beharrlichkeit und vom unbedingten Willen zur Bewahrung des mitteleuropäischen Vielvölkerstaates geprägt war. Der preußisch-österreichische Krieg, den der Kaiser noch im Mai 1866 dezidiert einem „langsam aufreibenden faulen Frieden“4 vorgezogen hatte, führte das Land einmal mehr in eine jener tiefgreifenden Krisen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt auftraten und für seine politische Ausgestaltung jeweils weitreichende Folgen hatten. Das mit Königgrätz besiegelte, endgültige Ausscheiden aus Deutschland nach einer Jahrhunderte anhaltenden staatsrechtlichen Verbindung beschleunigte den seit 1848 in Gang befindlichen innenpolitischen Wandlungsprozess der Habsburger1 Carl Friedrich Freiherr Kübeck von Kübau an Anton Graf Prokesch von Osten, Frankfurt, 14. 4. 1850. In: Max Freiherr von Kübeck (Hrsg.): Tagebücher des Carl Friedrich Freiherrn Kübeck von Kübau, Bd. 2: 1840 – 1855. Wien 1909, 202. – Der vorliegende Aufsatz beruht auf einem Vortrag im Rahmen des Workshops „European Constitutional Dynasties“ am 23./ 24. August 2012 in Kopenhagen. 2 Franz Joseph an Erzherzogin Sophie, Schönbrunn, 22. 8. 1866. In: Franz Schnürer (Hrsg.): Briefe Kaiser Franz Josephs I. an seine Mutter 1838 – 1872. München 1930, 358. 3 Zum wachsenden preußisch-österreichischen Antagonismus innerhalb des Deutschen Bundes vgl. Jürgen Angelow: Von Wien nach Königgrätz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht, 1815 – 1866. München 1996, bes. 165 – 255. 4 Franz Joseph an Erzherzogin Sophie, Schönbrunn, 3. 5. 1866. In: Schnürer: Briefe (wie Anm. 2), 352.
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monarchie, der durch den 1859 erzwungenen Rückzug aus Lombardo-Venetien noch zusätzlich an Schwung gewonnen hatte. Die 1815 grundgelegte Wiener Ordnung war mit diesen Entwicklungen endgültig zerbrochen. Die daraus resultierenden politischen, territorialen und wirtschaftlichen Veränderungen waren dem Sieg des nationalen Prinzips in Europa geschuldet und rüttelten per se an der Existenz des multinational-dynastischen Gesamtstaates wie auch an dessen Status als Großmacht. Franz Joseph, der „sein Herrscherrecht von niemandem in Frage stellen ließ“5, reagierte auf diese Bedrohungen von außen mit mannigfaltigen innenpolitischen Reformversuchen, die vom neoabsolutistischen Experiment6 bis zum „österreichischungarischen Ausgleich“ von 1867 reichten, mit dem der Konstitutionalismus endgültig in der nunmehrigen Doppelmonarchie Einzug hielt. Zweifellos versprach sich der Kaiser von dem Schritt in den Dualismus nicht nur die innere wie äußere Konsolidierung seines Reichsverbandes, sondern – letztlich untrennbar damit verbunden – auch einen wesentlichen Beitrag zur „Konservierung und Verteidigung der Dynastie“7, an deren Spitze er seit 1848 stand. Franz Josephs Selbstverständnis als habsburgischer Herrscher beruhte zu großen Teilen auf seiner Erziehung, die – dem Wunsch der ehrgeizigen, tiefkatholischen Mutter entsprechend – streng nach konservativen, im Ancien Régime wurzelnden Grundsätzen angelegt worden war, um ihn auf seine verantwortungsvolle Rolle als Kaiser von Österreich vorzubereiten: „Alle Berufswissenschaften umfassend, soll ihm kein Fach fremd bleiben, weil das Heil eines jeden von ihm [Franz Joseph] ausgeht“8, betonte eine Denkschrift des Majors Franz von Hauslab, der als militärischer Ausbildner des Thronfolgers fungierte. Zu seinem Erzieher hatte Erzherzogin Sophie mit dem aus Görz stammenden Grafen Coronini-Cronberg ebenfalls einen Mann des Militärs berufen; als „Ajo“9 wurde Graf Heinrich von Bombelles, Sohn einer ehemals im Dienst der Bourbonen stehenden französischen Diplomatenfamilie und enger Vertrauter Metternichs, bestimmt.10 Der alte Staatskanzler nahm auch persönlich entscheidenden Einfluss auf die Ausbildung Franz Josephs, indem er ihm ab dem sechzehnten Lebensjahr sonntägliche Lektionen in Staats- und Regierungskunde erteil5 Helmut Rumpler: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie (Österreichische Geschichte 1814 – 1914). Wien 1997, 310. 6 Grundlegend zur Dekade des Neoabsolutismus nach wie vor Harm-Hinrich Brandt: Der österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen und Politik 1848 – 1860, 2 Bd. Göttingen 1976. 7 Péter Hanák: Ungarn in der Donaumonarchie. Probleme der bürgerlichen Umgestaltung eines Vielvölkerstaates. Wien 1984, 57. 8 Zit. n. Richard Charmatz: Kaiser Franz Joseph I. Bielefeld 1917, 3. 9 Die aus dem Italienischen und Spanischen stammende Bezeichnung wurde am österreichischen Hof, dem spanischen Vorbild entsprechend, für den obersten Erzieher des Thronfolgers verwendet. 10 Bombelles’ Fähigkeiten als Erzieher galten schon unter Zeitgenossen als umstritten. Vgl. dazu Heinrich Friedjung: Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 1: Die Jahre der Revolution und der Reform 1848 bis 1851. 4. Aufl. Stuttgart / Berlin 1918, 109 – 111.
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te.11 Dabei war es ihm ein besonderes Anliegen, vor dem Hintergrund einer schleichenden, aber unverkennbar gewordenen Verschlechterung der politisch-sozialen Stabilität in der Monarchie vor der Gefahr eines Umsturzes und dem damit einhergehenden Verlust der „Ordnung“ zu warnen: „Revolutionen brechen niemals ohne lange Vorbereitung über Reiche herein. Elemente, aus denen sich der Umsturz herausbildet, sind stets und unter allen Verhältnissen vorhanden. Zum Ausbruch reifen sie nur durch Schuld der obersten schirmenden Macht, möge sich diese im Mißbrauch oder im Nichtgebrauch der Gewalt aussprechen.“12 Unter Berücksichtigung seiner Erziehung mag es wenig verwundern, dass die Erfahrung der tatsächlich losbrechenden Revolution und die damit verbundenen ersten Zerfallserscheinungen des habsburgischen Länderkonglomerats für den knapp Achtzehnjährigen zum abschreckenden „Grunderlebnis seiner politischen Erfahrungen“13 wurden und entscheidend seinen künftigen Regierungsstil beeinflusst haben. Für die vorliegende Betrachtung von Interesse sind die – im europäischen Vergleich zum Teil anachronistisch anmutenden – politischen Maßnahmen, die Franz Joseph mit dem anerzogenen Bewusstsein, ein Herrscher „von Gottes Gnaden“ zu sein, zum Zweck der Herrschafts- und Systemkonsolidierung einleitete. Das Hauptaugenmerk soll auf sein erstes Herrschaftsjahrzehnt gelegt werden, also den Zeitraum von seiner Thronbesteigung inmitten der Revolution bis zum Scheitern des neoabsolutistischen Experiments und der zumindest partiellen Rückkehr zur konstitutionellen Monarchie. I. Die Legitimitätskrise von 1848/49: Verfassungsstaat als Versprechen? Mit der Februarrevolution des Jahres 1848 und der Entmachtung König Louis Philippes war in Paris jener Funke entzündet worden, der in der Folge auf weite Teile Mitteleuropas übersprang und den liberalen, republikanischen und demokratischen Bewegungen eine Initialzündung verlieh, derer sie für die als längst überfällig empfundene Durchsetzung politischer und sozialer Umstürze bedurften. Dabei bildete – mit Ausnahme Frankreichs – die seit Beginn des 19. Jahrhunderts mit immer stärkerer Strahlkraft ausgestattete Idee des Nationalstaates als neues Ordnungssystem in Europa den „Kern aller Revolutionsprogramme“.14 Für die Habsburgermon11
Charmatz: Franz Joseph (wie Anm. 8), 2. „Leitfaden zur Erklärung meiner Denk- und Handlungsweise während meines neununddreißigjährigen Ministeriums“. Abgedr. in: Richard Metternich-Winneburg (Hrsg.): Aus Metternichs nachgelassenen Papieren, geordn. u. zusammengest. v. Alphons v. Klinkowström, 2. Tl.: Friedensaera 1816 – 1848, Bd. 5. Nachdr. Wien 1883, 621. 13 Hugo Hantsch: Franz Joseph. In: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), 361 – 364. 14 Dieter Langewiesche: Wirkungen des „Scheiterns“. Überlegungen zu einer Wirkungsgeschichte der europäischen Revolutionen von 1848. In: Ders. (Hrsg.): Die europäischen Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte. Ergebnisse und Nachwirkungen. Beiträge des Symposions in der Paulskirche vom 21. bis 23. Juni 1998. München 2000, 5 – 21, hier: 13. 12
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archie als multiethnischen Reichsverband barg jene Entwicklung, die nach Ludwig Börnes Wortschöpfung als „Völkerfrühling“15 bezeichnet wurde, enorme politische Sprengkraft in sich und führte sie näher an den Rand des Zusammenbruchs als zu jedem anderen Zeitpunkt bis zu ihrem endgültigen Zerfall im Jahr 1918.16 Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete der Umstand, dass es an einem identitätsstiftenden, allumfassenden „österreichischen Staatsgedanken“ mangelte, der als einigender Faktor der verschiedenen Ethnien hätte wirken können: „Oesterreich ist ein imaginärer Name, welcher kein in sich abgeschlossenes Volk, kein Land, keine Nation bedeutet – eine konventionelle Benennung für einen Komplex von unter sich scharf abgesonderten Nationalitäten. […] Oesterreich, Oesterreicher, eine oesterreichische Nationalität gibt es nicht, und hat es nicht gegeben, […] keine Sympathien, keine Erinnerungen an jahrhundertelange Eintracht und Größe, keine historischen Bande […] knüpfen die verschiedenen Stämme eines und desselben Staates an einander.“17 Das Fehlen einer „österreichischen Idee“ offenbarte sich in seiner ganzen Problematik im Frühling 1848: Anfang März wurde in den böhmischen Ländern der Ruf nach einer modernen Verfassung laut; Mitte des Monats lehnten sich in Lombardo-Venetien und in Ungarn Revolutionäre gegen die österreichische Vorherrschaft auf und forderten politische Selbständigkeit; Kroaten, Ruthenen, Slowaken und Serben organisierten sich in „Nationalräten“; in Wien selbst konnte die Ruhe zunächst durch die Demissionierung Metternichs, das rasche Inaussichtstellen einer Verfassung und die Aufhebung der Zensurbestimmungen wieder hergestellt werden. Doch die explosive Stimmung hielt an und musste in den folgenden Monaten in Oberitalien, Ungarn, in Prag und in der Reichs- und Residenzhauptstadt mit militärischen Mitteln unter Kontrolle gebracht werden.18 Mit Felix Fürst zu Schwarzenberg betrat offiziell am 21. November 1848 ein Mann die politische Bühne Wiens, der nicht nur bald wesentlichen Einfluss auf 15
Zur Begriffsgeschichte des Terminus vgl. Gotthold Rhode: „Vormärz“ und „Völkerfrühling“ in Ostmitteleuropa. Triebkräfte und Probleme. Einleitungsvortrag. In: Rainer Riemenschneider (Red.): Die deutsch-polnischen Beziehungen 1831 – 1848. Vormärz und Völkerfrühling. XI. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker vom 16. bis 21. Mai 1978 in Deidesheim (Rheinland-Pfalz). Braunschweig 1978, 22 – 36. 16 Vgl. Alan Sked: The Decline and Fall of the Habsburg Empire. 1815 – 1918. 3. Aufl. London / New York, NY 1990, 137. 17 Viktor Franz Andrian-Werburg: Oesterreich und dessen Zukunft, Bd. 1, 3. Aufl. Hamburg 1843, 8 f. Der 1813 geborene Andrian-Werburg zählte zu den schärfsten Kritikern des politischen Systems der Habsburgermonarchie. Er veröffentlichte sein Werk anonym. Aufschlussreich dazu Franz Adlgasser (Hrsg.): Viktor Franz von Andrian-Werburg. Tagebücher 1839 – 1858, 3 Bde. Wien 2011. Zur grundsätzlichen Problematik der „österreichischen Idee“ nach wie vor richtungsweisend Friedrich Heer: Der Kampf um die österreichische Identität. 3. Aufl. Wien / Graz 2001. 18 Eine kompakte Übersicht zum Verlauf der Revolution in den habsburgischen Ländern bietet Hans Peter Hye: 1848/49 – Revolution in der Habsburgermonarchie. Intensivierung von Staatlichkeit, Konstitutionalisierung, Nationsbildung und soziale Frage. In: Martin Scheutz / Arno Strohmayer (Hrsg.): Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte. Innsbruck / Wien u. a. 2010, 189 – 215.
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den jungen Monarchen und dessen politische Entscheidungen erlangte, sondern der zuvor auch entscheidend zu dessen Thronbesteigung beigetragen hatte. In seiner Doppelfunktion als Ministerpräsident und Minister des Äußeren19 war der böhmische Aristokrat und Schwager des politisch ebenso einfluss- wie militärisch erfolgreichen Feldmarschalls Windischgrätz angetreten, um gemeinsam mit seinem gemäßigt liberalen Kabinett die Revolution endgültig niederzuschlagen und die Konsolidierung der Monarchie auf Basis des Gesamtstaates herbeizuführen: „Bezwingung des Aufruhrs überall und um jeden Preis, Wahrung der Rechte der Dynastie gegen die Übergriffe der Revolution […] und Aufrechterhaltung der Integrität der Monarchie nach außen werden das Programm des neuen Kabinetts sein.“20 Wenngleich Schwarzenberg von Anfang an als Befürworter einer starken Zentralgewalt auftrat, bekannte er sich in seiner Regierungserklärung doch ausdrücklich zu einer konstitutionellen Monarchie als künftiger Staatsform, „deren Wesen und gesicherten Bestand wir in der gemeinschaftlichen Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch den Monarchen und die Repräsentantenkörper Österreichs erkennen“.21 Zur Durchführung dieses Vorhabens bedurfte es jedoch vor allem einer starken, integrierenden Führungsfigur aus dem habsburgischen Kaiserhaus, die eine Wiederherstellung der monarchischen Gewalt auf nunmehr konstitutioneller Basis einleiten könnte; Ferdinand I., seit 1835 an der Spitze der Dynastie, schien allerdings zur Erfüllung dieser Aufgabe wenig geeignet, war ihm doch aufgrund seiner zahlreichen körperlichen Gebrechen und offensichtlicher Führungsschwächen bereits 1836 mit der Geheimen Staatskonferenz ein beratendes Gremium zur Seite gestellt worden, das de facto die Regierungsgeschäfte an seiner Stelle führte.22 Eine Abdankung Ferdinands war bisher nie zur Diskussion gestanden: Sowohl Kaiser Franz I. als auch Metternich hatten das Prinzip der Legitimität für unantastbar und eine Änderung der Erbfolge somit für unvereinbar mit dem dynastischen Staatsgedanken erklärt.23 Schwarzenberg, der sich seiner immensen politischen Verantwortung für den Fortbestand des Kaiserstaates bewusst war, trat unmittelbar nach seinem Amtsantritt vehement dafür ein, so rasch wie möglich die Krone dem jungen, politisch voll handlungsfähigen Erzherzog Franz Joseph übertragen zu lassen. Ehe dieser Schritt voll19 Mit der zusätzlichen Übernahme des Außenressorts stellte sich der Ministerpräsident in die Tradition Metternichs, der ab 1821 ebenfalls beide Ämter in seiner Person vereinigt hatte. Vgl. dazu Stefan Lippert: Felix Fürst zu Schwarzenberg. Eine politische Biographie. Stuttgart 1998, 173. 20 Schwarzenberg an Radetzky, Olmütz, 22. 10. 1848; zit. n. Lippert: Schwarzenberg (wie Anm. 19), 212. 21 Zit. n. Rumpler: Chance für Mitteleuropa (wie Anm. 5), 309. 22 Mitglieder der Geheimen Staatskonferenz waren neben Erzherzog Ludwig und Erzherzog Franz Karl auch Fürst Metternich und dessen politischer Gegenspieler Graf KolowratLiebsteinsky. Vgl. dazu Eduard von Wertheimer: Fürst Metternich und die Staatskonferenz. In: Österreichische Rundschau 10 (1907); August Fournier: Graf Kolowrat und die österreichische Staatskonferenz. In: Österreichische Rundschau 26 (1911). 23 Adam Wandruszka: Das Haus Habsburg. Die Geschichte einer europäischen Dynastie. Wien 1956, 184.
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zogen werden konnte, bedurfte es zuvor noch der formellen Verzichtserklärung Ferdinands, der allerdings nicht lange überzeugt werden musste; bereits nach dem Rücktritt Metternichs im März hatte er vergeblich den Wunsch geäußert, zu abdizieren. Auch Erzherzog Franz Carl, der die nächste Stelle in der Thronfolge einnahm, erklärte sich bereit, den Weg zu Gunsten seines Sohnes freizugeben.24 Die entsprechenden Papiere wurden nach langwierigen Vorbereitungen im Ministerrat – immerhin fehlte es an einem aktuellen Präzedenzfall – am 2. Dezember 1848 im Prunksaal des erzbischöflichen Palais in Olmütz unterzeichnet, wohin der Hof nach den blutigen Oktober-Aufständen in Wien geflüchtet war. In Anwesenheit der kaiserlichen Familie, des Hofstaates, der Regierungsmitglieder, der hohen Beamtenschaft sowie der Generalität wurde der Thronwechsel offiziell vollzogen und Franz Joseph I. als neuer Herrscher „von Gottes Gnaden“ eingesetzt. Um den Fortbestand der Monarchie zu gewährleisten, wurde also eine partielle, zumindest die Erbfolge betreffende Abkehr vom zuvor noch für unantastbar erklärten Legitimitätsprinzip akzeptiert. War im März eine Abdizierung Ferdinands noch ausgeschlossen worden, um nicht den Eindruck zu erwecken, der Druck der Straße habe den legitimen Herrscher zu Fall gebracht, erschien dieser Schritt wenige Monate später als letzte Möglichkeit, die Integrität der Monarchie zu erhalten.25 Die Idee des Gottesgnadentums wurde dabei bewusst perpetuiert, gleichsam als vorsorgliche Abwehr potenzieller Ansprüche auf das Prinzip der Volkssouveränität.26 Schwarzenberg und sein Kabinett reisten noch am selben Tag weiter in die mährische Stadt Kremsier, um den aus Wien verlegten, konstituierenden Reichstag27 über den eben vollzogenen Herrscherwechsel in Kenntnis zu setzen und ein kaiserliches Reskript zu übermitteln, in welchem Franz Joseph seinem Wunsch Ausdruck verliehen hatte, „daß das Verfassungswerk sobald als möglich zustande gebracht werde“.28 Sein anscheinendes Bekenntnis zu einer konstitutionellen Monarchie wurde von den Deputierten als positives Zeichen für das künftige politische System der Habsburgermonarchie gewertet; in der Retrospektive erscheint das Versprechen als gezielte Maßnahme, um den Thron und damit den Bestand des Gesamtstaates kurzfristig zu stabilisieren. Im Fall des nach wie vor revolutionären Ungarns, das seit der Sanktionierung der Aprilgesetze durch Kaiser Ferdinand I. lediglich durch eine Personal24 Erzherzog Franz Carl zeigte im Gegensatz zu seiner ehrgeizigen Ehefrau Sophie zeitlebens wenig Interesse an Regierungsgeschäften und Politik. Sie war es, die – mit Unterstützung Kaiser Franz’ I. – ihren Erstgeborenen systematisch zum Thronfolger erziehen ließ. Vgl. dazu Charmatz: Franz Joseph (wie Anm. 8), 2; Jean Paul Bled: Franz Joseph. „Der letzte Monarch alter Schule“. Wien / Köln u. a. 1988, bes. 12 – 20. 25 Vgl. Rudolf Kiszling: Fürst Felix zu Schwarzenberg. Der politische Lehrmeister Kaiser Franz Josephs. Graz / Köln 1952, 54. 26 Vgl. dazu Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 4 (2006), s.v. „Gottesgnadentum“, 1051 – 1052. 27 Der erste gewählte Reichstag war am 22. 7. 1848 in der kaiserlichen Hofreitschule in Wien durch Erzherzog Johann eröffnet worden, wurde jedoch nach Ausbruch der Oktoberrevolution durch ein kaiserliches Patent nach Kremsier verlegt. 28 Zit. n. Lippert: Schwarzenberg (wie Anm. 19), 189.
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union mit der Monarchie verbunden war und eine Schlüsselposition im Ringen um den Weiterbestand des Reichsverbandes einnahm, verfehlte die Bemühung jedenfalls ihr Ziel: „Wir glauben, daß er [Franz Joseph] ebensowenig König von Ungarn als König von Jerusalem ist.“29 Inwiefern der neue Kaiser zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereit gewesen ist, dauerhaft auf den Weg des Konstitutionalismus einzuschwenken, ist nicht eindeutig klärbar.30 Feldmarschall Windischgrätz dagegen, dessen politischer Einfluss auf Regierung und Herrscherhaus seit seiner erfolgreichen Niederschlagung der Aufstände in Prag und Wien deutlich gestiegen war, sprach sich gegenüber Schwarzenberg bereits seit Ende November wiederholt für eine Auflösung des Reichstages und eine Rückkehr zur absolutistischen Herrschaftsform aus.31 II. Herrschaftskonsolidierung abseits konstitutioneller Pfade Mit seiner Ablehnung des Verfassungsstaates modernen Zuschnitts stand Windischgrätz innenpolitisch nicht lange allein. In Abstimmung mit Franz Joseph I. ließ Schwarzenberg am 4. März 1849 überraschend eine von der Regierung ausgearbeitete Verfassung oktroyieren, die – anders als die im April des Vorjahres mit Kaiser Ferdinands I. Zustimmung erlassene Pillersdorfsche Verfassung – auch für den ungarischen Reichsteil Gültigkeit haben sollte. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt, beschloss doch der Kremsierer Reichstag ebenfalls am 4. März seine in monatelanger Detailarbeit entstandene, länderföderalistisch gestaltete Verfassung, die allerdings Lombardo-Venetien und Ungarn, wo noch das Kriegsrecht herrschte, aussparte.32 Nicht nur, dass dieser Verfassungsentwurf in den Augen Schwarzenbergs durch die Förderung der Länderautonomie sein Programm eines starken Zentralstaates gefährdete und den zentrifugalen Kräften Tür und Tor öffnete – untergrub sie doch zusätzlich durch ihr Bekenntnis zur Volkssouveränität die mühsamen Bestrebungen zur Wiederherstellung einer starken Stellung des Kaisers. Die oktroyierte Verfassung hingegen verfolgte zwar nicht „die Wiederherstellung der vollen monarchischen Au29
Sitzung des ungarischen Repräsentantenhauses, 7. 12. 1848, zit. n. Egon Caesar Corti / Hans Sokol: Kaiser Franz Joseph. Graz / Wien u. a. 1960, 92. Eine endgültige Niederschlagung der Revolution in Ungarn gelang erst mit der Hilfe russischer Truppen im August 1849. 30 Dass der Kaiser „von Natur und Überzeugung aus […] in seinem innersten Herzen seit der Thronbesteigung von der Idee beseelt“ gewesen sei, „erneut den Absolutismus einzuführen“, wie Jean Paul Bled anführt, erscheint argumentativ zu weit gegriffen. Vgl. Bled: Franz Joseph (wie Anm. 24), 98. 31 Vgl. dazu Lippert: Schwarzenberg (wie Anm. 19), 195 – 197. 32 Zum Kremsierer Verfassungsentwurf siehe ausführlich Andreas Gottsmann: Der Reichstag von Kremsier und die Regierung Schwarzenberg. Die Verfassungsdiskussion des Jahres 1848 im Spannungsfeld zwischen Reaktion und nationaler Frage. Wien 1995. Eine kompakte Übersicht bei Bertrand Michael Buchmann: Hof, Regierung, Stadtverwaltung. Wien als Sitz der österreichischen Zentralverwaltung von den Anfängen bis zum Untergang der Monarchie. Wien / München 2002, 103 – 105; Friedrich Walter: Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1500 – 1955. Aus dem Nachlass herausgegeben von Adam Wandruszka. Wien / Köln u. a. 1972, bes. 143 – 168.
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torität in dem alten Sinne des dynastischen Obrigkeitsstaates“33, wie es ihr Kritiker vorwarfen, zielte aber zumindest auf die Schaffung eines zentralistischen Einheitsstaates mit einer starken Stellung des Monarchen. Zusätzlich sollte ein „Reichsrat“ als beratendes Gremium des Herrschers eingerichtet werden. Nach dem Verfassungsoktroy ließ Franz Joseph I. am 7. März unter einem Vorwand mittels Manifest die Auflösung des konstituierenden Reichstages verkünden: „Wir gaben Uns […] der Hoffnung hin, daß diese Versammlung, die gegebenen Verhältnisse im Reiche im Auge haltend, die ihr übertragene Aufgabe ehebaldigst zu einem gedeihlichen Ergebnisse führen werde. Leider ist diese Unsere Erwartung nicht in Erfüllung gegangen. […] [Wir] schließen hiedurch die Versammlung des Reichstags zu Kremsier, lösen denselben auf und verordnen, daß dessen Mitglieder sofort nach Veröffentlichung dieses Beschlusses auseinander gehen.“34 Mit dieser Maßnahme setzte der junge Monarch in Betonung der fürstlichen Souveränität ein erstes deutliches Zeichen für seinen unbedingten Willen, die Rolle des Herrschers nach eigenen Vorstellungen auszufüllen. Das in der oktroyierten Verfassung vorhandene Bekenntnis, das „Kaiserthum Oesterreich“ sei eine „freie, selbständige, untheilbare und unauflösbare konstitutionelle österreichische Erbmonarchie“35, sollte vor allem eine starke Signalwirkung an die Frankfurter Paulskirche haben, die im Ringen um einen deutschen Nationalstaat mit ihrer „Frage an Österreich“ an den Grundfesten der Habsburgermonarchie rüttelte. Schon im Oktober 1848 hatte die Nationalversammlung mit den Paragraphen 2 und 3 der Reichsverfassung beschlossen, dass kein Teil des künftigen Deutschen Reiches staatlich mit einem nichtdeutschen Land vereinigt sein dürfe, außer über die bloße Form einer Personalunion. Damit wurde nicht weniger gefordert als eine Teilung des österreichischen Kaiserstaates, der mit den Alpen- und Sudetenländern einen Teil des deutschen Nationalstaates bilden und mit Ungarn, Galizien und Lombardo-Venetien nur noch in lockerer staatsrechtlicher Verbindung stehen würde. Für Schwarzenberg stand solch eine Lösung, die nicht nur die endgültige Zerschlagung des Deutschen Bundes und die Anerkennung der preußischen Hegemonie innerhalb eines nationalen deutschen Bundesstaates, sondern mittelfristig auch den Zerfall der Habsburgermonarchie bedeutet hätte, nicht zur Debatte. Unter offener Androhung einer militärischen Auseinandersetzung gelang es ihm, Preußen im November 1850 zu einer Rückkehr in den Deutschen Bund und zu einer Verhandlungs-
33 Josef Redlich: Das österreichische Staats- und Reichsproblem. Geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reiches, Bd. 1: Der dynastische Reichsgedanke und die Entfaltung des Problems bis zur Verkündigung der Reichsverfassung von 1861. Leipzig 1920, 350. 34 Manifest zur Reichsverfassung, 4. März 1849. [Onlinefassung]. URL: http://www.verfas sungen.de/at/at-18/manifest49.htm [07. 05. 2013]. Nur einzelne Teile der Verfassung traten tatsächlich in Kraft. 35 Reichsverfassung für das Kaiserthum Oesterreich, 4. März 1849. [Onlinefassung]. URL: http://www.verfassungen.de/at/at-18/verfassung49.htm#verfassung [07.05.13].
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zusage über dessen künftige Reform zu bewegen.36 Durch Schwarzenbergs politischen Einsatz war das Projekt einer nationalen Einigung Deutschlands unter preußischer Führung damit zunächst auf Eis gelegt und Franz Joseph I. auch „in seinem Rang als erster deutscher Fürst bestätigt“.37 Die aus der Revolution resultierende, unmittelbare Bedrohung des habsburgischen Thrones war vorerst abgewandt – Franz Joseph konnte sich nun aktiv der innenpolitischen Ausgestaltung seiner Herrschaft widmen. Hatte sich der zunächst noch unerfahrene junge Kaiser in den ersten beiden Jahren nach seiner Thronbesteigung politisch in weitgehender Übereinstimmung mit seinem Ministerpräsidenten befunden, setzte bei ihm spätestens Ende des Jahres 1850 ein bemerkenswerter „Emanzipationsprozess“ ein, der besonders aus den divergierenden Auffassungen bezüglich der politischen Neuformierung des Vielvölkerstaates gespeist wurde. Schwarzenberg sah die Zukunft nach wie vor in einer konstitutionellen Monarchie, obwohl er die oktroyierte Märzverfassung inzwischen als überkommen betrachtete. Sie sei „in großer Eile und zumeist nach den vorliegenden Mustern des Auslandes“38 entstanden, darum wäre ihr Inkrafttreten nicht verantwortbar: „Das Experiment wäre unter allen Umständen ein bedenkliches, ich möchte sagen gewissenloses.“39 Der Kaiser dagegen war es nach einer ersten erfolgreichen Konsolidierung seiner Machtposition grundsätzlich leid, sich gegen sein Selbstverständnis im engen Korsett eines konstitutionellen Herrschers mit eingeschränkter Regierungsgewalt bewegen zu müssen. Zudem schrieb er den Ausbruch der Revolution, der Metternichschen Argumentation folgend, zum großen Teil der Schwäche seines Vorgängers zu – ein Umstand, den es seiner Auffassung nach unbedingt zu vermeiden galt. Unterstützung in der Abkehr von Schwarzenbergs Linie und dem sukzessiven Aufbau einer Autokratie erhielt er in der Person des ehemaligen Hofkammerpräsidenten Baron Kübeck, in dessen Augen die Verfassung und die gewährten Grundrechte in direktem Widerspruch zum „monarchischen Zwecke“ stünden.40 Franz Joseph schlug daher vor, den bereits in der Märzverfassung vorgesehenen Reichsrat als Gegengewicht zur Regierung und gleichsam als Ersatz für den Ministerrat einzurich36 Das preußische Einlenken war letztlich auch der russischen Drohung, auf österreichischer Seite in den Konflikt einzugreifen, geschuldet. Vgl. dazu Andreas Kaernbach: Preußen, Olmütz und die Deutsche Frage. Die deutschlandpolitischen Konzepte Preußens im Vorfeld der Dresdener Konferenz. In: Jonas Flöter / Günther Wartenberg (Hrsg.): Die Dresdener Konferenz 1850/51. Föderalisierung des Deutschen Bundes versus Machtinteressen der Einzelstaaten. Leipzig 2002, 79. 37 Bled: Franz Joseph (wie Anm. 24), 122. 38 Zit. n. Heinrich Friedjung: Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 2. 3. Aufl. Stuttgart / Berlin 1912, 160. 39 Ebd. 40 Wilhelm Brauneder: Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 – 1918. In: Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918. Bd. VII/1: Verfassung und Parlamentarismus. Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften. Wien 2000, 69 – 237, hier: 137.
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ten und parallel die nötigen Vorarbeiten für eine Aufhebung der Verfassung einzuleiten.41 Gegen den zunächst massiven Widerstand Schwarzenbergs und seines Kabinetts begann der Kaiser mit der Umsetzung von Kübecks Empfehlungen und ernannte ihn schließlich zum Präsidenten des neuen Reichsrates und somit zu seinem wichtigsten Berater. Das neue Gremium wurde mit acht politisch erfahrenen, bereits im Vormärz loyal der Krone dienenden Männern besetzt, die von Kübeck vorgeschlagen worden waren.42 Was folgte, war die systematische, jedoch stillschweigend erfolgende Entmachtung Schwarzenbergs: Der Kaiser übernahm persönlich den Vorsitz im Ministerrat und erklärte kurz darauf, das Ministerium sei ausschließlich „gegenüber dem Monarchen und dem Throne“, jedoch gegenüber keiner „anderen politischen Autorität“ mehr verantwortlich.43 Im August 1851 teilte er dem Ministerrat schließlich die endgültige „von allen Einsichtvollen anerkannte Unanwendbarkeit des englisch-französischen konstitutionellen Prinzips auf den österreichischen Kaiserstaat“ mit.44 Mit der schrittweisen Kapitulation des Ministeriums vor dem wachsenden Druck des Herrschers war der Weg frei für den „dynastisch-zentralistischen Absolutismus“45, mit dessen Hilfe Franz Joseph die inneren Verhältnisse der Monarchie in umfassender Weise auf neue Grundlagen stellen wollte. Gegenüber seiner Mutter äußerte er sich erleichtert: „Wir haben das Konstitutionelle über Bord geworfen und Österreich hat nur mehr einen Herrn. Jetzt muß aber noch fleißiger gearbeitet werden.“46 Es war Schwarzenberg, der in den folgenden Monaten vergeblich versuchte, den Kaiser von der Rückkehr zu einer absolutistischen Herrschaftsform abzuhalten. Am 31. Dezember 1851 erließ Franz Joseph dennoch das „Silvesterpatent“, das Verfassung und Grundrechte aufhob, somit den Völkern seines Reiches jegliche politische Partizipation entzog und die monarchische Souveränität im Stil des Ancien Régime vollständig wiederherstellte, ohne dabei jedoch das vormärzliche Regierungssystem zu übernehmen. Stattdessen wurde per kaiserlichem Dekret eine neue Regierungsform etabliert, die als „neuständisch beschränkte Monarchie mit starker Dominanz des Monarchen“47 definiert werden kann. An revolutionären Errungenschaften blieben lediglich die bäuerliche Grundentlastung sowie die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz bestehen.
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Rumpler: Chance für Mitteleuropa (wie Anm. 5), 322. Kiszling: Schwarzenberg (wie Anm. 25), 185. 43 Wiener Zeitung, 26. August 1851. 44 Zit. n. Corti: Franz Joseph (wie Anm. 29), 127. 45 Rumpler: Chance für Mitteleuropa (wie Anm. 5), 323. 46 Franz Joseph an Erzherzogin Sophie, Schönbrunn, 26. 8. 1851. In: Schnürer: Briefe (wie Anm. 2), 166. 47 Brauneder: Verfassungsentwicklung 1848 – 1918 (wie Anm. 40), 138. Als theoretische Fundierung des neuen Regierungssystems diente das Historische Staatsrecht, welchem zufolge historisch gewachsene Institutionen jeweils den aktuellen Bedürfnissen angepasst bzw. fortentwickelt werden sollten. 42
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Im Bewusstsein, dass es dem Vielvölkerstaat nach wie vor an einer „zwingenden Staatsidee“ mangelte, mit deren Hilfe die nachhaltige Konsolidierung hätte erreicht werden können, leiteten Franz Joseph und seine Ratgeber unmittelbar nach der Aufhebung der Verfassung eine „Revolution von oben“48 ein, deren Zweck eine weitestgehende Modernisierung der Habsburgermonarchie war. Als Entschädigung für den Ausschluss von der politischen Willensbildung – so der Plan – sollte ein wirtschaftlicher Aufschwung den Wohlstand der Untertanen befördern. Dies war allerdings nur durch eine großangelegte Reform der Staatsfinanzen bei gleichzeitigem Abbau der Staatsschuld zu erreichen.49 Der überraschende Tod Schwarzenbergs im April 1852 bremste Franz Josephs Reformpläne nicht; der Kaiser entschloss sich konsequenterweise, die Stelle des Ministerpräsidenten nicht mehr zu besetzen. Das mit dem Silvesterpatent grundgelegte System des „Neoabsolutimus“, als dessen Architekt Reichsratspräsident Kübeck betrachtet werden kann, gründete sich auf drei „große Hebel der monarchischen Gewalt“.50 Dazu zählte allen voran die Armee, zu welcher der Herrscher seit der Niederwerfung der Revolution ein besonderes Nahverhältnis hatte. Sie hatte der Dynastie in höchster Not gedient und die Monarchie vor dem Auseinanderbrechen bewahrt, als alle übrigen einigenden Klammern bereits versagt hatten: „Der Degen des schwarz-gelben, übernationalen kaiserlichen Offiziers war es gewesen, der als entscheidendes Gewicht in die Waagschale geworfen wurde und der diese schließlich zugunsten der alten Ordnung wieder gesenkt hatte.“51 Und nach wie vor war es das Militär, das die Aufrechterhaltung des inneren Friedens garantierte, galt doch in Wien, Prag und den Festungen Böhmens bis 1853 der Belagerungszustand, in Ungarn und Lombardo-Venetien sogar noch bis 1854. Als die zweite Säule der monarchischen Gewalt, auf die sich Franz Joseph nunmehr stützte, stellte sich die katholische Amtskirche dar. Wenngleich in der Monarchie eine Vielzahl von Konfessionen beheimatet war, hatte die katholische Kirche doch vor allem in den ländlichen Regionen ausgeprägten Einfluss, was sie zu einem wertvollen Verbündeten bei der Festigung der dynastischen Herrschaft machte. Es war daher kein Zufall, dass das Konkordat52, das einen Schlussstrich unter die 48
Rumpler: Chance für Mitteleuropa (wie Anm. 5), 324. Einen solchen Versuch stellte die 1854 aufgelegte Nationalanleihe dar. Vgl. dazu die gleichermaßen umfassende wie detailreiche Studie von Georg Christoph Berger Waldenegg: Mit vereinten Kräften! Zum Verhältnis von Herrschaftspraxis und Systemkonsolidierung im Neoabsolutismus am Beispiel der Nationalanleihe von 1854. Wien / Köln u. a. 2002. 50 Heinrich von Srbik: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch. Bd. 2. Wien 1925, 370. 51 Johann Christoph Allmayer-Beck: Das Heerwesen. In: Friedrich Engel-Janosi / Helmut Rumpler (Hrsg.): Probleme der franzisko-josephinischen Zeit 1848 – 1916. Wien 1967, 67 – 78, hier: 69. 52 Vgl. dazu Erika Weinzierl-Fischer: Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933. München 1960; Maximilian Liebmann: Staat und Kirche als Vertragspartner. Die Konkordatsfrage nach 1855. In: Heimo Kaindl (Hrsg.): Thron und Altar. 1000 Jahre Staat und Kirche. Graz 1996, 137 – 146. Zur Aufnahme des Konkordats in der Öffentlichkeit vgl. Gottfried 49
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durch Joseph II. bestimmte Bevormundung der Kirche durch den Staatsapparat setzte, am 25. Geburtstag des Kaisers unterzeichnet wurde. Damit wurden das Schulwesen wie auch das Eherecht künftig der Zuständigkeit der katholischen Kirche übergeben; im Gegenzug für diese Machterweiterung erwartete Franz Joseph vom Klerus die bedingungslose Unterstützung seines neoabsolutistischen Systems. Schließlich bildete die Bürokratie den dritten Eckpfeiler des Neoabsolutismus. In dem Bestreben, das 1848 abgeschaffte Feudalsystem zu ersetzen und die Vereinheitlichung der Monarchie voranzutreiben, sorgte Innenminister Alexander Bach für den Aufbau einer modernen, mehrstufigen Verwaltungsstruktur, die das Reich bis in den letzten Winkel durchdringen sollte. Das Beamtentum wurde damit zum „eigentlichen Träger des Staates“53, der Kaiser selbst zu dessen sprichwörtlichem „ersten Diener“. Als besonders schwierig erwies sich die Verwaltungsreform in Ungarn: Dort wurden die ambitionierten Modernisierungsversuche als Ausdruck der seit 1849 wieder hergestellten habsburgischen Fremdherrschaft und als gewaltsame Eingliederung in den zentralistischen Gesamtstaat empfunden. Eine Verschärfung erfuhr diese Problematik durch die vorwiegende Verwendung des Deutschen als interner Verwaltungssprache. Nicht ganz zu Unrecht musste sich die Regierung den Vorwurf einer „Germanisierung“ gefallen lassen. Der inneren Konsolidierung stand eine zunehmend prekäre außenpolitische Entwicklung gegenüber. Russland, das einen wesentlichen Beitrag zur Niederschlagung der ungarischen Revolution geleistet hatte, erwartete in der Orientalischen Frage die Gefolgschaft des Kaiserstaates. Stattdessen zog sich die österreichische Außenpolitik unter Graf Buol-Schauenstein durch ihre unkluge Diplomatie während des Krimkrieges nicht nur die unverhohlene Feindschaft des Zarenreichs zu, sondern trieb die Monarchie auch gegenüber den europäischen Westmächten in die Isolation.54 Die diplomatischen Fehlentscheidungen der 1850er Jahre führten letztlich zu den Niederlagen von Magenta und Solferino und damit zum Verlust der oberitalienischen Besitzungen. Dem habsburgischen Vielvölkerstaat war es trotz seiner Stellung als Präsidialmacht des Deutschen Bundes nicht gelungen, Preußen als Bündnispartner gegen die Allianz des Königreichs Sardinien und Frankreichs unter Napoleon III. zu gewinnen. Die nach dem Wiener Kongress grundgelegten Mächtesolidaritäten, auf die der in zwischenstaatlicher Politik noch unerfahrene Kaiser gezählt hatte, Mayer: Österreich als katholische Großmacht. Ein Traum zwischen Revolution und liberaler Ära. Wien 1989, 205 – 210. 53 Friedjung: Österreich von 1848 bis 1860. Bd. 2 (wie Anm. 38), 186. 54 Zur Stellung des Habsburgerreiches innerhalb des europäischen Staatensystems und seiner Suche nach Bündnispartnern zwischen Krimkrieg und dem Kaiserfrieden von Villafranca siehe Katharina Weigand: Österreich, die Westmächte und das europäische Staatensystem nach dem Krimkrieg, 1856 – 1859. Husum 1995. Zur Bündnispolitik der europäischen Großmächte ab 1850 vgl. Katja Frehland-Wildeboer: Treue Freunde? Das Bündnis in Europa 1714 – 1914. München 2010, bes. 293 – 348. Das im Zuge des Krimkriegs eingetretene Zerwürfnis mit Russland sollte sich in den folgenden Jahrzehnten anhand der Balkanfrage noch zuspitzen. Vgl. Hugo Hantsch: Kaiser Franz Joseph und die Außenpolitik. In: Janosi / Rumpler (Hrsg.): Probleme der franzisko-josephinischen Zeit (wie Anm. 51), 25 – 39, hier 27 f.
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waren zerbrochen; schwer wog auch, dass Ansehen und Glaubwürdigkeit der kaiserlichen Armee immens gelitten hatten. Es war somit ein außenpolitischer Misserfolg, der Franz Joseph ab 1859 zu einer Abkehr vom Neoabsolutismus zwang. Die Brisanz der Lage schilderte der Schweizer Gesandte in seinem Bericht nach Bern, in welchem er vermutete, „die Dynastie [habe] nie einen gefährlicheren Schlag erlebt […] als diesen. […] Wenn der Kaiser mit der Idee zurückkommt, das jetzige Regierungssystem aufrechtzuerhalten und durch die Hilfe des Konkordats und der militärischen Günstlinge zu regieren, so wird die Monarchie einer trüben Zukunft entgegengehen; dieses System ist durch und durch faul und muß brechen. […] Alle haben ihren hier angeborenen Nimbus für die Person des Kaisers verloren“.55 Es war nicht nur das „Image“ Franz Josephs, das sowohl in den Augen seiner Untertanen als auch in denen Europas gefährliche Kratzer erhalten hatte. Auch die finanziellen Nachwirkungen des vergangenen Jahrzehnts trugen zur neuerlichen Destabilisierung der Monarchie bei. Die Kosten für den Armeeunterhalt während des Krimkrieges und für den gescheiterten Präventivschlag in Italien hatten den Staatshaushalt an seine Grenzen geführt. Zusätzlich stellte die gewaltsame Herauslösung des ökonomisch prosperierenden lombardo-venetianischen Gebiets für den Wirtschaftsraum der Habsburgermonarchie, der wie ganz Europa seit 1857 von einer Rezession erfasst worden war, einen kaum wieder gutzumachenden Verlust dar. Wollte man den öffentlichen Haushalt sanieren, so konnte dies nur über Kredite geschehen; zu deren Gewährung bedurfte es einer Budgetpolitik modernen Zuschnitts, wie sie nur im Rahmen einer konstitutionellen Regierungsform möglich war. Obwohl es der Kaiser noch kurz zuvor dezidiert ausgeschlossen hatte, schlug die Habsburgermonarchie mit dem Erlass des Oktoberdiploms am 20. Oktober 1860 zaghaft, aber endgültig den Weg in Richtung Verfassungsstaat ein.56 Franz Joseph I. hatte zur Konsolidierung seiner Herrschaft einmal mehr Kompromissen zustimmen müssen, die seiner eigentlichen Überzeugung zuwider liefen – es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. III. Fazit Kaum ein anderer europäischer Staat wurde von den im Zuge der Revolution von 1848 postulierten Forderungen mehr in seiner Existenz in Frage gestellt als die multiethnische Habsburgermonarchie, die im Zeitalter der aufkeimenden Nationalismen zunehmend als ein anachronistisch anmutendes staatsrechtliches Gebilde wahrgenommen wurde. Es war das Fehlen eines integrativen „österreichischen Staatsgedankens“ sowie die Schwäche des Regenten und seiner Berater, die den Vielvölkerstaat 55
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Steiger an Staempfli, 11. Juni 1859, zit. n. Corti / Sokol: Franz Joseph (wie Anm. 29),
56 Das „Oktoberdiplom“ entsprach lediglich dem Typus einer „landständischen Verfassung“ und schloss die Weiterentwicklung zu einer Repräsentativverfassung dezidiert aus. Vgl. dazu Brauneder: Verfassungsentwicklung 1848 – 1918 (wie Anm. 40), 148 – 151.
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an den Rand des Zusammenbruchs führten. Sowohl das Herrscherhaus als auch seine politischen Ratgeber erkannten, dass nur ein rascher Thronwechsel zugunsten einer starken Führungs- und Integrationsfigur die Monarchie und damit auch die habsburgische Dynastie retten konnte. Indem das Legitimitätsprinzip eine neue Auslegung erfuhr und damit nun eine Änderung der als „göttlich“ festgelegten Erbfolge erlaubte, gelangte Franz Joseph I. im Dezember 1848 an die Herrschaft. Die während seiner Einsetzung erfolgte Bezugnahme auf das Gottesgnadentum diente dabei der indirekten Ablehnung jeglicher Form der Volkssouveränität. Wenn der junge Monarch zunächst ein Verfassungsversprechen abgab, so diente es jedenfalls der Stabilisierung des Gesamtstaates – ob er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereit gewesen ist, langfristig eine konstitutionelle Monarchie zuzulassen, erscheint unwahrscheinlich. Eine Schlüsselposition an der Seite des jungen Franz Joseph nahmen während der Bekämpfung der Revolution Feldmarschall Windischgrätz als Oberbefehlshaber der Armee und Ministerpräsident Schwarzenberg als politscher Lehrmeister ein. Divergierend in ihrer Auffassung über die künftige Regierungsform, übten doch beide starken Einfluss auf den Kaiser aus. Besonders Schwarzenberg, der den Thronwechsel initiiert hatte, trat den Zerfallserscheinungen der Monarchie mit der Idee des zentralistischen Einheitsstaates kraftvoll entgegen. Die entsprechende, im März 1849 oktroyierte Verfassung war mehr Betonung der fürstlichen Souveränität denn Bekenntnis zum Konstitutionalismus, galt es doch vor allem, dem Verfassungsentwurf des gewählten Reichstages zuvorzukommen und gleichzeitig gegenüber der Frankfurter Nationalversammlung die Unteilbarkeit des multinationalen habsburgischen Länderkonglomerats zu demonstrieren, dabei aber die Stellung des Kaisers im Deutschen Bund als primus inter pares zu sichern. Mit der erfolgreichen innenpolitischen Konsolidierung schwenkte Franz Joseph I. zunehmend auf einen autokratischen Herrschaftsstil ein, der in der schrittweisen Entmachtung seines Ministerpräsidenten und der Einführung eines „dynastisch-zentralistischen Absolutismus“ gipfelte. Basierend auf einem dreisäuligen Modell, das durch die Armee, die katholischer Kirche und das Beamtenheer repräsentiert wurde, versuchte der Monarch, seine Herrschaft abseits einer Verfassungsgrundlage neu zu definieren. Ein „von oben“ verordnetes Reformpaket sollte dabei den Wohlstand der Untertanen befördern und sie für die fehlende Möglichkeit politischer Partizipation entschädigen. Die 1859 erlittenen Niederlagen in Oberitalien und der damit verbundene Verlust Lombardo-Venetiens führten den mühsam konsolidierten Thron Franz Josephs I. jedoch in eine Krise, der nur durch eine – anfänglich partielle – Rückkehr auf den Weg des Konstitutionalismus beizukommen war.
III. Monarchie und Soziale Frage / Monarchy and the Social Question
Die Idee eines sozialen Königtums im 19. Jahrhundert Von Frank-Lothar Kroll, Chemnitz Schon oft hat die historische Forschung darauf verwiesen, in welch starkem Ausmaß die Institution der Monarchie während des 19. Jahrhunderts fast überall in Europa einer vermehrten legitimatorischen Rechtfertigung bedurfte, um als Staatsform unverminderte Akzeptanz zu behalten, und um weiterhin den Anspruch erheben zu können, den Willen breiter Bevölkerungsschichten angemessen zu repräsentieren.1 Nach den Erschütterungen der Französischen Revolution und den Umwälzungen des Napoleonischen Zeitalters war die Stellung der Monarchie prinzipiell angefochten, die Rückkehr zu absolutistischen Herrschaftsformen älterer Provenienz schien, zumindest in West- und Mitteleuropa, kaum mehr möglich. Dort, wo man solche Herrschaftsformen dennoch zu reaktivieren versuchte, blieb ihnen der längerfristige Erfolg versagt. 1830, mit dem Sturz der Bourbonenherrschaft in Frankreich, war endgültig deutlich geworden, dass das traditionalistische Monarchie-Modell, wie es König Karl X. (1757 – 1836) noch einmal im Rückbezug auf vorrevolutionäre Habitusformen zu installieren versucht hatte, keine Überlebenschancen in der Zukunft besaß. Angesichts dieser Situation lag es nahe, neue, zeitgemäßere Formen einer Legitimation der existentiell bedrohten Königsmacht zu erproben. Von manchen damaligen Herrschern, etwa von Königin Victoria von England (1819 – 1901) oder König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795 – 1861), ist dieses Legitimationsdefizit in1 Vgl. zuletzt skizzenhaft Dieter Langewiesche: Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert. Heidelberg 2013; umfassender Volker Sellin: Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen. München 2011; ferner Frank-Lothar Kroll: Herrschaftslegitimierung durch Traditionsschöpfung. Der Beitrag der Hohenzollern zur Mittelalter-Rezeption im 19. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 274 (2002), 61 – 85; ders.: Zwischen europäischem Bewusstsein und nationaler Identität. Legitimationsstrategien monarchischer Eliten im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In: Hans-Christof Kraus / Thomas Nicklas (Hrsg.): Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. München 2007, 353 – 374; ders.: Monarchie und Moderne. Über einige Aspekte landesfürstlicher Herrschaft in der Spätzeit des Deutschen Kaiserreichs. In: Meike Buck / Maik Ohnezeit / Heike Pöppelmann (Hrsg.): 1913 – Herrlich moderne Zeiten? Zwischen Monarchie und Moderne. Braunschweig 2013, 64 – 70; ders.: Modernität des Unzeitgemäßen? Möglichkeiten und Grenzen einer brandenburgisch-preußischen Dynastiegeschichte in gesamteuropäischer Perspektive. In: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): OppenheimVorlesungen zur Geschichte Preußens an der Humboldt-Universität zu Berlin und der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2014, 329 – 346.
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tuitiv erkannt und durch die Entwicklung entsprechender Strategien zur Neufundierung monarchischer Herrschaft zu beheben versucht worden. Auch die zeitgenössische Staatslehre und Verfassungstheorie hat hier eine Fülle verschiedenartigster Deutungsangebote vorgelegt, deren Zielvorgaben letztlich allesamt darauf hinausliefen, dem Königsamt durch Einpassung in einen veränderten politischen Funktionsrahmen erneuerten Reputationsgewinn und dringend benötigten Ansehenszuwachs zu verschaffen. Zwei solcher Modelle monarchischer Machtstabilisierung haben sich im 19. Jahrhundert als besonders erfolgreich erwiesen. Dies war – erstens – das Modell eines konstitutionellen Königtums2, das den Herrscher durch Einbindung in die Modalitäten und Mechanismen der Verfassungsstaatlichkeit zu einem integralen und unverzichtbaren Bestandteil des politischen Lebens der so organisierten Gemeinwesen machte – und das waren in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, nachdem auch in Russland dieses System 1906 eingeführt worden war, mit Ausnahme der beiden Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, alle monarchisch verfassten Länder Kontinentaleuropas. Daneben stand – zweitens – das Modell des sich zunehmend nationalisierenden Königtums, das im Schulterschluss mit den jeweiligen Nationalbewegungen, oder doch jedenfalls in der verstärkten Identifikation mit der Nation, legitimitätssteigerndes Kapital ansammelte.3 Abgesehen vom österreichisch-ungarischen Kaiser und König, der bekanntlich einem multi-nationalen Imperium präsidierte, verstanden sich alle europäischen Monarchen in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in diesem Sinne als symbolische Verkörperungen der einen und unteilbaren Staatsnation. Jenes Modell von Königsherrschaft, das im Mittelpunkt dieser Darlegungen stehen soll, ist, anders als das konstitutionelle und das nationale Königtum, nur sehr bedingt ein gesamteuropäisches Erfolgsmodell gewesen. Seine vollständige Realisierung hat es nirgendwo erfahren, zumindest nicht in Europa und jedenfalls nicht in jenen Formen, die seinen Verfechtern als Idealbild vor Augen standen. Gleichwohl hat dieses Modell erhebliche Strahlkräfte besessen, seine Durchsetzung schien eine zeitlang mancherorts nicht gänzlich ausgeschlossen – und an einer Übernahme einzelner mit ihm verbundener Charakterzüge in die Alltagswirklichkeit moderner Monarchien hat es nicht gefehlt. Gemeint ist das Modell eines sozialen Königtums, das im Kreis der preußischen Konservativen der 1850er und 1860er Jahre erstmals theoretisch entwickelt und ausformuliert worden ist. Der nachstehend unternommene Versuch, dieses Monarchie-Modell in seinen Grundzügen erstmals umfassend zu 2 Dazu grundlegend die neueren Arbeiten von Martin Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich. Göttingen 1999, bes. 11 – 39, 45, 49 f.; ders. / Pierangelo Schiera (Hrsg.): Denken und Umsetzung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Berlin 1999; ders. / Anne G. Kosfeld / Pierangelo Schiera (Hrsg.): Der Verfassungsstaat vor der Herausforderung der Massengesellschaft. Konstitutionalismus um 1900 im europäischen Vergleich. Berlin 2002. 3 Vgl. beispielhaft Volker Sellin: Monarchie und Nation in Deutschland 1848 – 1914. In: Ders.: Politik und Gesellschaft. Abhandlungen zur europäischen Geschichte. Hrsg. von FrankLothar Kroll. Berlin / Boston, MA 2015, 415 – 434.
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rekonstruieren, wird zunächst (I.) die Rahmenbedingungen seiner Entstehung und seine konkreten inhaltlichen Bezugspunkte vorstellen. Danach werden die Chancen und Möglichkeiten seiner Realisierung in der politischen Praxis diskutiert – sowohl im Blick auf den preußisch-deutschen Geschehensraum (II. und III.) als auch unter Berücksichtigung der in Frankreich zu beobachtenden Entwicklung (IV.). Schließlich (V.) ist der Frage nachzugehen, welche Elemente und Motive des sozialmonarchischen Herrschaftsmodells – über die Dauer seiner kurzzeitigen Aktualität in der politischen Theoriedebatte Deutschlands und in der staatlichen Regierungspraxis Frankreichs hinausweisend – dauerhaft den Weg in die Wirklichkeit herrscherlichen Handelns im 19. und 20. Jahrhundert gefunden haben. I. Allgemeiner Bezugsrahmen der Idee eines „sozialen Königtums“ war die Heraufkunft der Sozialen Frage – also das Phänomen der massenhaften Verarmung, Verelendung und Verwahrlosung ganzer Sozialformationen, der städtischen Unterschichten zumal, verkörpert durch die rasch anwachsende Gruppe der Industriearbeiter, wie sich dieses Phänomen als Folge der Industriellen Revolution, der raschen Bevölkerungsvermehrung und des wachsenden Missverhältnisses von Kapital und Arbeit im sogenannten Pauperismus nach 1815 besonders in England, Frankreich und Preußen abzuzeichnen begann.4 Wenn nicht nur Einzelpersonen oder einzelne Berufsgruppen, sondern weite Kreise der Gesellschaft einem irreversiblen Depravationsprozess ausgesetzt waren, dann konnten auch die klassischen Instrumente caritativer Fürsorgeleistung und Wohlfahrtspflege keine effektive Wirkung mehr entfalten. Dann bedurfte es anderer, gewaltigerer Anstrengungen, um die prekäre Lage in den Griff zu bekommen und um den möglicherweise drohenden gewaltsamen Umsturz der bestehenden sozialen und politischen Ordnung abzuwenden. Und waren dann nicht auch die Könige gefragt, die Landesväter und Landesmütter, denen doch das Wohl der ihnen anvertrauten Untertanen als Hauptanliegen ihres Regierungshandelns gelten musste? Der erste deutschsprachige Autor von Format, der die damit verbundene Problematik eingehend durchdacht hat, und den man mit einigem Recht als den eigentlichen Begründer der Theorie vom „sozialen Königtum“ in Deutschland und Österreich bezeichnen kann,5 war der zunächst in Kiel, seit 1855 in Wien tätige Staatsrechtslehrer 4
Vgl. zur Orientierung noch immer den instruktiven Überblick von Carl Jantke: Zur Deutung des Pauperismus. In: Ders. / Dietrich Hilger (Hrsg.): Die Eigentumslosen. Der deutsche Pauperismus und die Emanzipationskrise in Darstellungen und Deutungen der zeitgenössischen Literatur. Freiburg / München 1965, 7 – 47. 5 Romantisch-naive Vor- und Frühformen entsprechender Überlegungen, wie sie besonders im Umfeld des katholischen Münchner Publizisten Franz von Baader (1765 – 1841) anzutreffen waren, bleiben im Folgenden außer Betracht; dazu speziell Johannes Sauter: Franz von Baaders romantische Sozialphilosophie. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 81 (1926), 449 – 481; Hanns Ernst Jansen: Das Proletariat im Vormärz in den Anschauungen
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und Nationalökonom Lorenz von Stein (1815 – 1890). Sein scharfer analytischer, der Hegelschen Rechts- und Staatsphilosophie verpflichteter Blick6 war geschult an den in Frankreich herrschenden politisch-sozialen Verhältnissen.7 Dort hatte sich das 1830 zur Macht gelangte Königtum Louis-Philippes von Orléans (1773 – 1850), das sogenannte Bürgerkönigtum, auf eine geradezu selbstmörderisch anmutende Liaison mit den Wirtschaftsinteressen der Bourgeoisie, der „Klasse der Besitzenden“,8 eingelassen. Es war dann rasch von deren Repräsentanten in Dienst genommen worden, hatte sich ihren Wünschen gebeugt, ihrem Herrschaftsanspruch unterworfen, hatte dem kapitalistischen Gewinnstreben einer sich hemmungslos bereichernden Oligarchie freien Lauf gelassen und mit alledem eine Verschärfung der sozialen Gegensätze im Land weithin tatenlos hingenommen.9 Damit jedoch untergrub es seine eigene Stellung, die Stein ganz im Sinn der ihr von seinem Zeitgenossen Benjamin Constant (1767 – 1830) zugewiesenen Position einer unabhängigen, überparteilichen, klassenübergreifenden Schlichtungsinstanz verstanden wissen wollte – und das hieß: als neutrale Vermittlungsagentur oberhalb aller politischen Gegensätze und gesellschaftlichen Partikularanliegen.10 Die Sorge auch und gerade für das Wohl der Unterschichten, der Nichtbesitzenden, der sozial Deklassierten, gehörte aus dieser Perspektive zu den selbstverständlichen Aufgaben des Herrscheramtes, welches ja auf die Existenzsicherung und auf das gedeihliche Auskommen aller Staatsbürger bedacht sein musste und die Unterdrückung einer bestimmten Klasse der Gesellschaft durch eine andere auf keinen Fall widerstandslos akzeptieren durfte.11 Aus dieser schichtenübergreifenden Funktionszuweisung der den Staat verkördeutscher Denker. Essen 1928, 39 – 47; Ernst Benz: Franz von Baaders Gedanken über den „Proletair“. Zur Geschichte des vor-marxistischen Sozialismus. In: Zeitschrift für Religionsund Geistesgeschichte 1 (1948), 97 – 123; Willy Real: Franz von Baader und die Genesis christlicher Sozialreform. In: Lothar Koch / Joseph Stanzel (Hrsg.): Christliches Engagement in Gesellschaft und Politik. Beiträge der Kirchen zur Theorie und Praxis ihres Sozialauftrages im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland. Frankfurt am Main / Bern / Cirencester, 57 – 70. 6 Dazu im vorliegenden Zusammenhang sehr fundiert Paul Vogel: Hegels Gesellschaftsbegriff und seine geschichtliche Fortbildung durch Lorenz Stein, Marx, Engels und Lasalle. Berlin 1925, 125 – 207. 7 Vgl. Lorenz Stein: Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. Bd. 1: Der Begriff der Gesellschaft und die sociale Geschichte der französischen Revolution bis zum Jahre 1830; Bd. 2: Die industrielle Gesellschaft. Der Socialismus und Communismus Frankreichs von 1830 bis 1848; Bd. 3: Das Königthum, die Republik, und die Souveränetät der französischen Gesellschaft seit der Februarrevolution 1848. Leipzig 1850. 8 Stein: Das Königthum (wie Anm. 7), 104. 9 Ebd., 58 ff. 10 Vgl. ebd., z. B. 38, 41, 57; dazu im vorliegenden Zusammenhang noch immer maßgeblich Lothar Gall: Benjamin Constant. Seine politische Ideenwelt und der deutsche Vormärz. Wiesbaden 1963, 174 – 198. 11 Den damit bei Stein wesentlich verbundenen Aspekt der „Daseinsvorsorge für die Bürger“ als Hauptanliegen allen staatlichen Verwaltungshandelns betont Ernst Rudolf Huber: Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaats (1958). Wiederabgedruckt in: Ders.: Nationalstaat und Verfassungsstaat. Studien zur Geschichte der modernen Staatsidee. Stuttgart 1965, 127 – 143, bes. 130 ff.
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pernden Krongewalt leitete Stein dann jenes Postulat ab, das dem Königtum in einer neuartigen Rollenverteilung empfahl, sich zum Anwalt der Unterprivilegierten und zum Motor sozialpolitischer Entwicklungen zu machen. In diesem Zusammenhang, und mit Blick auf die hier vollkommen versagende Juli-Monarchie in Frankreich, formulierte Stein jenes berühmte Diktum, das die Quintessenz seiner monarchietheoretischen Überlegungen prägnant auf den Punkt brachte: „Alles Königthum wird fortan entweder ein leerer Schatten, oder eine Despotie werden, oder untergehen in Republik, wenn es nicht den hohen sittlichen Muth hat, ein Königthum der socialen Reform zu werden“.12 Die Botschaft solcher rhetorischen Deklamationen war nun allerdings ebenso eindeutig wie der Weg zu ihrer Realisierung vage und unklar blieb. Stein vermied in dieser Hinsicht jede konkrete Festlegung, und es bleibt ungewiss, in welche Richtung er sein vollmundig ausgelobtes „Sozialkönigtum“ profiliert zu sehen wünschte.13 An eine „parlamentarisch“-konstitutionelle Lösung, d. h. ein wie auch immer geartetes Zusammengehen von Krone und Volksvertretung bei Durchführung der Sozialreform scheint Stein nicht gedacht zu haben – die bürgerlichen Majoritäten in den vor- und nachmärzlichen deutschen landesstaatlichen Parlamenten, mit ihrem Übergewicht der von Stein so skeptisch beurteilten Repräsentanten der „besitzenden Klassen“, ließen diese Option faktisch ausscheiden, zumal Stein in den 1850er Jahren generell davon überzeugt war, „daß eine Volksvertretung in Preußen nicht den Schwerpunkt des preußischen Staatslebens bilden kann.“14 Doch auch ein schlichtes Bündnis zwischen Krone und Arbeiterschaft gegen die Herrschaftsansprüche der Bourgeoisie bot kaum ernsthafte Aussichten auf Realisierung eines konsistenten Sozialprogramms, weil das Königtum dadurch seine gesellschaftlich neutrale, klassenüberwölbende und überparteiliche Stellung aufgeben und erneut zum interessegebundenen Anwalt einer partikularen Sozialformation avancieren würde – diesmal eben des bisher recht- und mittellosen Vierten Standes. Vielmehr dachte Stein an ein interventionistisches, obrigkeitsstaatliches Agieren der Krone. Leitbild war für ihn ein starkes, autonomes Königtum, das – erneut ganz im Sinne des idealistischen Staatsverständnisses Hegelscher Prägung15 – „die Staatsgewalt als eine selbstständige über die
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Ebd., 49. Dazu eingehend Dirk Blasius: Lorenz von Stein. Grundlagen und Struktur seiner politischen Ideenwelt. Phil. Diss. Köln 1970, 20 ff.; ders.: Lorenz von Steins Lehre vom Königtum der sozialen Reform und ihre verfassungspolitischen Grundlagen. In: Der Staat 10 (1971), 33 – 51; ders.: Lorenz von Stein und Preußen. In: Historische Zeitschrift 212 (1971), 339 – 362; ders.: Konservative Sozialpolitik und Sozialreform im 19. Jahrhundert. In: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.): Rekonstruktion des Konservatismus. Freiburg/Br. 1972, 469 – 488, bes. 473 ff; ders. / Eckart Pankoke: Lorenz von Stein. Geschichts- und gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven. Darmstadt 1977. 14 So Lorenz von Stein: Zur Preußischen Verfassungsfrage (1852). Neudruck Darmstadt 1961, 29. 15 Dazu speziell und sehr instruktiv Ernst Rudolf Huber: Vorsorge für das Dasein. Ein Grundbegriff der Staatslehre Hegels und Lorenz v. Steins (1972). Wiederabgedruckt in: Ders.: 13
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Klassen der Gesellschaft“ erhebe, wodurch es „der natürliche und nothwendige Träger aller wahren gesellschaftlichen Freiheit“ werde.16 Das Königtum repräsentiere „das Prinzip des Staates“,17 ja die „Staatsidee“ selbst18, der Staat wiederum bringe „die Idee der Freiheit“ zum Ausdruck.19 Daher stehe es im vollkommenen Belieben der jenseits aller Individual-, Gruppen- und Parteiinteressen „als wollend und handelnd“20 auftretenden Persönlichkeit des Herrschers, die soziale Reform einzuleiten und so den Ausgleich gesellschaftlicher Spannungen und Konflikte, „die sozialstaatliche Aufhebung der Klassengegensätze“21 zum Nutzen der Gesamtheit zu realisieren. So theoretisch unbefriedigend und denkerisch unbestimmt sich Lorenz von Steins Lehre vom „sozialen Königtum“ in der Rückschau auch ausnehmen mochte22 – Resonanz und Rezeption vor allem im Lager der preußischen Konservativen war ihr um die Jahrhundertmitte allemal gewiss.23 Als deren prominenteste Verfechter firmierten um 1850 der Publizist, Diplomat und Politiker Joseph Maria von Radowitz (1797 – 1853) – Freund und Ratgeber Friedrich Wilhelms IV. und 1850, im Zusammenhang der von ihm verantworteten kleindeutschen Unions-Politik, kurzzeitig preußischer Außenminister – sowie Hermann Wagener (1815 – 1889), Chefredakteur der KreuzBewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. Berlin 1975, 319 – 342, bes. 334 ff. 16 Stein: Das Königthum (wie Anm. 7), 22; ähnlich 52: „Sein wahres, allgemeinstes […] Wesen ist und bleibt demnach das, daß es der Vertreter der selbstständigen, über der Gesellschaft stehenden persönlichen Idee des Staats und mithin seiner Bestimmung nach der Träger der freiheitlichen Entwicklung ist.“ 17 Ebd., 52. 18 Ebd., 57; ähnlich 51: „[…] dieser reinste Ausdruck der selbstständigen, von aller gesellschaftlichen Bewegung abgeschlossenen, nur für die eigentlichen Zwecke des Staats lebenden Staatsidee […]“. 19 Ebd., 52 20 Ebd., 65. 21 So treffend Wilhelm Bleek: Lorenz von Stein (1815 – 1890). In: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus – Liberalismus – Sozialismus. 2., völlig neu bearb. Aufl. Berlin 2002, 587 – 604, hier 587. 22 So die Kritik bei Erich Angermann: Zwei Typen des Ausgleichs gesellschaftlicher Interessen durch die Staatsgewalt. Ein Vergleich der Lehren Lorenz von Steins und Robert Mohls. In: Werner Conze (Hrsg.): Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815 – 1848. Stuttgart 1962, 173 – 205, bes. 182 ff.; vgl. demgegenüber die Deutung Steins als „Realist“ bei Ernst-Wolfgang Böckenförde: Lorenz von Stein als Theoretiker der Bewegung von Staat und Gesellschaft zum Sozialstaat (1963). Wiederabgedruckt in: Ders.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. Erweiterte Ausg. Frankfurt am Main 2006, 170 – 208, bes. 203 f., 207. 23 Für den Zusammenhang noch immer nützlich, da materialreich Karl Valerius Herberger: Die Stellung der preußischen Konservativen zur sozialen Frage 1848 – 62, Meißen 1914, bes. 64 ff.; Hildegard Goetting: Die sozialpolitische Idee in den konservativen Kreisen der vormärzlichen Zeit. Berlin 1920, bes. 11 ff., 50 – 64; vgl. zuletzt Doron Avraham: In der Krise der Moderne. Der preußische Konservatismus im Zeitalter gesellschaftlicher Veränderungen 1848 – 1876. Göttingen 2008, bes. 230 ff., 380 ff.
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zeitung (Neue Preussische Zeitung), des Parteiblatts der Konservativen, späterer Landtags- und Reichstagsabgeordneter und zeitweise engster Mitarbeiter Otto von Bismarcks (1815 – 1898) im Umfeld der preußisch-deutschen Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre. Beide, Radowitz und Wagener gleichermaßen, teilten Lorenz von Steins tiefgehende Abneigung gegen den Standesegoismus der Bourgeoisie ebenso wie dessen unbedingte Hochschätzung der Monarchie als einer den Staat lebendig verkörpernden, integrativ wirkenden Institution, deren vorrangige Aufgabe darin liege, zur Versöhnung gesellschaftlicher Klassengegensätze, zum Ausgleich der Interessen zwischen Kapital und Arbeit beizutragen – und das hieß konkret: die Treuhandschaft für den Vierten Stand zu übernehmen. Radowitz24 hatte schon früh in einer die Steinschen Positionen antizipierenden Diktion eine Allianz zwischen Königtum und Arbeiterschaft befürwortet und die berechtigten Emanzipationsforderungen des notleidenden Proletariats auch deshalb ernstzunehmen empfohlen, weil so den Agitationszielen der revolutionären Umsturzpartei eine erfolgversprechende Gegenstrategie zur Seite gestellt werden könne: „Die Fürsten“, so verkündete Radowitz 1846 in seinen Gesprächen aus der Gegenwart programmatisch, „mögen den Mut haben, sich an die Massen zu wenden. Dort, in den unteren und zahlreichsten Volksklassen, sind noch ihre natürlichsten Verbündeten, sind noch unverbrauchte Kräfte, sind noch Naturen, die der Dankbarkeit, der Ehrerbietung, der Belehrung fähig sind.“25 Solche Worte akzentuierten eine weitere wesentliche Zielvorgabe monarchischen Regierungshandelns, die den Programmatikern des „sozialen Königtums“ im vorund nachmärzlichem Preußen vor Augen stand und in den erklärten Maximen Lorenz von Steins bereits angelegt war. Hatte dieser vor allem darauf vertraut, dass ein „der niedern Klasse die Hand reichendes“ Königtum die „[…] mächtigste, dauerndste und geliebteste“ Herrschaftsform etablieren werde26, weil es den Besitzlosen, Beherrschten und Entrechteten die Möglichkeit eröffne, durch Arbeit eigenes Kapital zu erwerben und sich damit aus der Abhängigkeit von der „Klasse der Besitzenden“ zu befreien, so sah Radowitz eine sozial verantwortete Monarchie verstärkt strategisch unter dem Gesichtspunkt der Herrschaftssicherung und Revolutionsprophylaxe. Das angestrebte Bündnis zwischen Krone und Arbeiterschaft sollte nicht nur die Lösung der Sozialen Frage befördern, sondern, darüber hinaus, auch dem Königtum neue Machtquellen erschließen und ausdrücklich dessen zukünftige Überlebenschancen sichern. Unter dem bedrückenden Erlebnis der Berliner Märzrevolution von 1848 warnte Radowitz seinen königlichen Herrn mit großem Nachdruck davor, die Aufstände in den Berliner Arbeitervierteln etwa unter Anwendung militärischer Gewalt niederzuwerfen. Das hungernde Proletariat müsse vielmehr, ganz 24 Zu den sozialpolitischen Auffassungen von Radowitz weiterhin sehr ergiebig Walter Früh: Radowitz als Sozialpolitiker. Seine Gesellschafts- und Wirtschaftsauffassung unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Frage. Berlin 1937, bes. 24 ff., 34 ff., 65 ff., 87 ff. 25 Joseph Maria von Radowitz: Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche (1846). Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Wilhelm Corvinus, Bd. 1. Regensburg 1911, 214. 26 Stein: Das Königthum (wie Anm. 7), 71, 48.
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im Gegenteil, durch großzügiges Entgegenkommen, durch ein Ernstnehmen seiner berechtigten Anliegen, durch umfassende sozialpolitische Unterstützungs- und Fürsorgemaßnahmen „von oben“, systematisch für die Krone gewonnen und an die Strukturen des bestehenden Staates gebunden werden.27 Die Theorie vom „sozialen Königtum“ gewann hier eindeutig den Charakter einer den Bestand der Krone stabilisierenden Legitimationsideologie. Bei Hermann Wagener finden sich die von Stein und Radowitz vorgetragenen Überlegungen zur sozialpolitischen Avantgarde-Funktion des preußischen Königtums dann zu dem vielleicht überzeugendsten und auf jeden Fall am stärksten der politischen Praxis verpflichteten Gedankengebäude verdichtet, das im Umfeld des preußischen sozialkonservativen Milieus zwischen 1850 und 1890, nicht zuletzt infolge reger publizistischer Aktivitäten ihres Propagandisten28 und aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit Wageners mit Otto von Bismarck, einige Resonanz zu finden vermochte.29 Wagener war, ähnlich wie Radowitz, fest davon überzeugt, dass persönlicher Besitz keine willkürlich verfügbare Manövriermasse individuellen Wirtschaftens darstelle, sondern als sozial gebundenes Sachgut firmiere, dessen Verwaltung die Verantwortlichkeit der Besitzenden gegenüber den Nichtbesitzenden einschloss. In diesem Sinne hatte bereits Ernst Ludwig von Gerlach (1795 – 1877), der Gründer, langjährige Führer und theoretische Kopf der Konservativen Partei Preußens, im Revolutionsjahr 1848 seinen Parteifreunden ins soziale Gewissen geredet: „Nur in Verbindung mit den darauf haftenden Pflichten“, so meinte Gerlach damals, „ist das Eigentum heilig; als bloßes Mittel des Genusses ist es nicht heilig, sondern schmutzig. Gegen ein Eigentum ohne Pflichten hat der Kommunismus recht.
27 Radowitz an Friedrich Wilhelm IV., 16. März 1848; Druck bei Paul Hassel: Joseph Maria von Radowitz, Bd. 1 (1797 – 1848). Berlin 1905, 572 ff.; zum Ganzen Friedrich Meinecke: Radowitz und die deutsche Revolution. Berlin 1913, 77 f. 28 Vgl. z. B. Hermann Wagener: Die Lösung der sozialen Frage vom Standpunkte der Wirklichkeit und Praxis. Von einem praktischen Staatsmanne. Bielefeld / Leipzig 1878, bes. 17 ff., 23 ff., 70 ff., 122 ff.; ders.: Erlebtes – Meine Memoiren aus der Zeit von 1848 bis 1866 und von 1873 bis jetzt. 2 Bde. Berlin 1883/84; ders.: Die Mängel der christlich-sozialen Bewegung. Minden 1885; zum „sozialen Königtum“ speziell ders.: Die kleine aber mächtige Partei – Nachtrag zu „Erlebtes“. Berlin 1885, 5 – 14. 29 Zur Wirkungsgeschichte noch immer anregend die Skizze von Hans-Joachim Schoeps: Konservativer Sozialismus. In: Ders.: Konservative Erneuerung. Ideen zur deutschen Politik. Stuttgart 1958, 45 – 82; vgl. ferner grundlegend ders.: Hermann Wagener – Ein konservativer Sozialist. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Sozialismus. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 8 (1956), 193 – 217. Wiederabgedruckt in: Ders.: Das andere Preußen. Konservative Gestalten und Probleme im Zeitalter Friedrich Wilhelms IV. 3. Aufl. Berlin 1964, 246 – 274; neuerdings Klaus Hornung: Preußischer Konservatismus und Soziale Frage – Hermann Wagener (1815 – 1889). In: Hans-Christof Kraus (Hrsg.): Konservative Politiker in Deutschland. Eine Auswahl biographischer Porträts aus zwei Jahrhunderten. Berlin 1995, 157 – 183, sowie zuletzt sehr kritisch Henning Albrecht: Antiliberalismus und Antisemitismus. Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen 1855 – 1873. Paderborn / München / Wien / Zürich 2010, 65 ff., 510 ff.
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[…] Heilig ist das Eigentum nur in den Händen derer, die nicht für sich besitzen, die also die an ihnen haftenden sozialen Pflichten voll anerkennen.“30 Was bei Gerlach und seinen altkonservativen Parteifreunden noch Ausdruck einer paternalistischen Gesinnung war,31 die sich den Traditionen und Konventionen christlicher Mildtätigkeit, Nächstenliebe und Armenfürsorge verpflichtet wusste, gerann bei Wagener zum konzisen Programm eines konservativen preußischen Staatssozialismus auf der Basis eines interventionistischen Wirtschaftsmodells.32 In einer Fülle politischer Denkschriften,33 in zahlreichen Beiträgen der von 1855 bis 1875 erscheinenden Zeitschrift Berliner Revue34 sowie in sozialpolitisch gewichtigen Artikeln des von ihm zwischen 1859 und 1867 in 23 Bänden herausgegebenen, enzyklopädisch angelegten Staats- und Gesellschaftslexikons hat Wagener dieses Programm unermüdlich vorgetragen und weiterentwickelt. Eine Beteiligung der Arbeiterschaft an den Unternehmensgewinnen war darin ebenso einbeschlossen wie die Etablierung von Gewerkschaften, die Garantie von Mindestlöhnen, staatliche Sozialhilfe, eine progressive Einkommenssteuer und die Ermöglichung nachhaltiger Kapitalbildungsmaßnahmen zugunsten des Vierten Standes. „Konservativ“ erschien bei alle30 Zitiert nach Hans-Joachim Schoeps: Preußentum und Gegenwart. In: Ders.: Konservative Erneuerung (wie Anm. 29), 94 f.; zum Verhältnis Gerlachs zu Wagener vgl. knapp HansChristof Kraus: Ernst Ludwig von Gerlach. Politisches Denken und Handeln eines preußischen Altkonservativen. Göttingen 1994, 657 ff., 788 ff.; dort auch eine Zusammenfassung der „sozialpatriarchalischen Ordnungsvorstellungen“ (658) Gerlachs mit ihren die Brisanz der Sozialen Frage verkennenden Konsequenzen. In ähnlicher Diktion wie Gerlach verwarf auch Radowitz „die heidnische Unbeschränktheit des Eigentums“ und verwies auf die nur allzu oft verdrängte Tatsache, „daß jeder Besitz nur ein geliehener, jeder Besitzer nur ein Verwalter“ sei, der über die Verwendung seines Besitzes „nicht bloß dem ewigen Richter Rechenschaft schulde, sondern auch seinen Mitmenschen“ gegenüber in der Verantwortung stehe; zit. nach Früh: Radowitz als Sozialpolitiker (wie Anm. 24), 28, mit Anm. 34. 31 Zu den sozialpolitischen Auffassungen und Aktivitäten dieses Kreises vgl. für die 1830er Jahre eingehend Wolfgang Scheel: Das „Berliner Politische Wochenblatt“ und die politische und soziale Revolution in Frankreich und England. Ein Beitrag zur konservativen Zeitkritik in Deutschland. Göttingen / Berlin / Frankfurt [am Main] 1964, 144 – 167; im Umfeld der 1848er Revolution zuletzt ausführlich Wolfgang Schwentker: Konservative Vereine und Revolution in Preussen 1848/89. Die Konstituierung des Konservativismus als Partei. Düsseldorf 1988, 184 – 214. 32 Dazu ausführlich bereits die älteren Studien von Fritz Eberhard: F. W. H. Wagener. Die ideellen Grundlagen seines Konservatismus und Sozialismus. Leipzig 1922, und Siegfried Christoph: Hermann Wagener als Sozialpolitiker. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Ideen und Intentionen für die große deutsche Sozialgesetzgebung im 19. Jahrhundert. Erlangen 1950; zum Problem eines „preußischen Sozialismus“ vgl. in diesem Zusammenhang generell, mit weiterführenden Hinweisen Frank-Lothar Kroll: Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen. Berlin 2010, 45 – 51. 33 Dazu speziell Hans-Christof Kraus: Hermann Wagener (1815 – 1889). In: Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts (wie Anm. 21), 537 – 586, bes. 564 f., 568 ff., 574 f. 34 Das sozialkonservative Blatt befand sich seit den frühen 1860er Jahren in Wageners Besitz; dazu aufschlussreich Adalbert Hahn: Die Berliner Revue. Ein Beitrag zur Geschichte der konservativen Partei zwischen 1855 und 1875. Berlin 1934, bes. 112 ff., 194 ff.
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dem letztlich nur noch die Tatsache, dass solche Aktivitäten vom Königtum ausgehen und im Namen der Krone durchgeführt werden sollten. Den Intentionen Lorenz von Steins folgend, erblickte Wagener die Hauptaufgabe der Monarchie im aktiven Vorantreiben des gesellschaftlichen Interessensausgleichs zugunsten „der Schwachen, […] der Bettler und […] der Masse des Volkes“. Einem derart positionierten „sozialen Königthum“ gehöre als „der einzig möglichen Form der Monarchie“ die „Zukunft“. „Als König der Industrie-Fürsten, als Schirmherr der Börsen-Barone und als Wohlthäter der oberen Zehntausend“ indes habe kein einziger Kronenträger in der modernen industriellen Gesellschaft eine Überlebenschance.35 II. Solche Positionen markierten das Grundanliegen der Verfechter des Programms eines „sozialen Königtums“ in seiner spezifisch preußisch-deutschen Variante. Die unkonventionelle Kühnheit dieser Konzeption darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei alledem zunächst nur um bloße Gedankenspiele, um „Erzeugnisse der Studierstube“36 handelte – um ideenpolitische Wunschbilder, deren Profillinien nicht unbedingt passförmig zum zeitgenössischen politischen Tagesgeschäft verliefen, und deren praktische Realisierungschancen noch am ehesten im Blick auf jene beiden Akteure und Aktionszentren auszuloten sind, die als unmittelbare Adressaten der sozialmonarchischen Idee firmierten – die Arbeiterschaft und das Königtum.37 Es ist bekannt und vielfach dargelegt worden,38 dass kein Geringerer als Ferdinand Lassalle (1825 – 1864), der Begründer und zu Lebzeiten unbestrittene Führer der deutschen Arbeiterbewegung, seit Beginn der 1860er Jahre mit der Idee eines „sozialen Königtums“ sympathisiert hat.39 Lassalle hatte damals einem Bündnis zwischen dem monarchischen preußischen Staat und der sozialistischen deutschen Ar35
Alle Zitate bei Wagener: Die Lösung der sozialen Frage (wie Anm. 28), 66. So treffend Angermann: Zwei Typen des Ausgleiches gesellschaftlicher Interessen (wie Anm. 22), 203. 37 Das Augenmerk richtet sich dabei auf die für den behandelten Themenkreis zentrale deutsche Geschehensregion, auf Preußen. Parallele, an Umfang, Ausmaß und Wirkung deutlich nachgeordnete Phänomene und Entwicklungen andernorts bleiben hier hingegen außer Betracht. Zu entsprechenden Bemühungen sozialkonservativer Kreise in München, die bayerische Krone zum Schulterschluss mit dem notleidenden Proletariat zu veranlassen vgl. beispielhaft Alfred Otto Stolze: „Der vierte Stand und die Monarchie“. Die Politik des RohmerBluntschlikreises während der Frühjahrsrevolution in Bayern 1848. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 8 (1935), 27 – 83, bes. 67 ff. 38 Vgl. weiterhin unübertroffen die klassische Schilderung von Hermann Oncken: Lassalle. Eine politische Biographie. 4., durchgearbeitete Aufl. Stuttgart / Berlin 1923, 374 ff.; neuere Darstellung bei Shlomo Na’aman: Lassalle. Hannover 1970, 605 – 789, bes. 676 ff. 39 Vgl. z. B. Ferdinand Lassalle: Gesammelte Reden und Schriften. Hrsg. von Eduard Bernstein. Bd. 4. Berlin 1919, 154, 159, 218 – 223; ders.: Nachgelassene Briefe und Schriften. Hrsg. von Gustav Mayer. Bd. 6. Stuttgart / Berlin 1925, 91, 147. 36
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beiterbewegung das Wort geredet und entsprechende Kontakte zu Otto von Bismarck als damaligem preußischen Ministerpräsidenten zu knüpfen versucht. Der Vierte Stand, so hatte er seinen Berliner Korrespondenzpartner wissen lassen, erblicke „in der Krone den natürlichen Träger der sozialen Diktatur, im Gegensatz zu dem Egoismus der bürgerlichen Gesellschaft“ – unter der Voraussetzung allerdings, dass „die Krone ihrerseits sich jemals zu dem – freilich sehr unwahrscheinlichen – Schritt entschließen könnte, eine wahrhaft revolutionäre und nationale Richtung einzuschlagen und sich aus einem Königtum der bevorrechteten Stände in ein soziales und revolutionäres Volkskönigtum umzuwandeln.“40 In ähnlicher Weise äußerte sich Lassalle wenig später gegenüber Victor Aimé Huber (1800 – 1869) – einem Hauptvertreter des Gedankens genossenschaftlich organisierter Selbsthilfe der Arbeiterschaft auf christlich-konservativer Basis41, der den Vierten Stand durch Einrichtung von „Produktivassoziationen“ („Arbeiterfabriken“)42 und durch Gewährung weitgehender innerbetrieblicher Mitbestimmungsrechte der Belegschaften in die bürgerliche Gesellschaft einzugliedern bestrebt war und in der Monarchie die Leitinstanz zum Ausgleich sozialer Gegensätze sah.43 Keine staatliche Institution, so schrieb Lassalle 1864 an Huber, könne eine segensreichere Wirkung im politischen Tagesgeschäft entfalten, „als das Königtum, wenn es sich nur eben entschließen könnte, soziales Königtum zu werden. Mit Leidenschaft würde ich dann sein Banner tragen […].“ Doch im Nachsatz fügte er sogleich vieldeutig hinzu: „Aber wo gäbe es ein Königtum, das den Mut und die Einsicht hat, sich zum sozialen Königtum herzuge-
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Lassalle an Bismarck, 8. Juni 1863. In: Gustav Mayer (Hrsg.): Bismarck und Lassalle. Ihr Briefwechsel und ihre Gespräche. Berlin 1928, 59 f. 41 Zur Huberschen Genossenschaftsidee im Einzugsfeld konservativer Sozialpolitik des 19. Jahrhunderts weiterhin umfassend und unentbehrlich William O. Shanahan: Der deutsche Protestantismus vor der sozialen Frage 1815 – 1871. München 1962, bes. 175 ff., 328 ff., 334 ff., 414 ff.; speziell mit Blick auf Huber Helmut Faust: Viktor Aimé Huber. Ein Bahnbrecher der Genossenschaftsidee. Hamburg 1952, sowie umfassend ders.: Geschichte der Genossenschaftsbewegung. Ursprung und Aufbruch der Genossenschaftsbewegung in England, Frankreich und Deutschland sowie ihre weitere Entwicklung im deutschen Sprachraum. 3. Aufl. Frankfurt am Main 1977. 42 Vgl. speziell Victor Aimé Huber: Ueber Association mit besonderer Beziehung auf England. Ein Vortrag, veranstaltet von dem Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen. Berlin 1851; ders.: Ueber die cooperativen Arbeiterassociationen in England. Ein Vortrag, veranstaltet von dem Central-Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen. Berlin 1852. 43 Gute Darstellung dieser Bemühungen bei Ingwer Paulsen: Viktor Aimé Huber als Sozialpolitiker. 2. Aufl. Berlin 1956, bes. 42 ff., 151 – 159, 195 ff.; knapper ders.: Victor A. Huber und die Sozialpolitik des deutschen Protestantentums. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 5 (1954), 299 – 303; zuletzt Sabine Hindelang: Konservatismus und soziale Frage. Viktor Aimé Hubers Beitrag zum sozialkonservativen Denken im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main / Bern / New York, NY 1983, bes. 88 ff., 108 ff. (zum „sozialen Königtum“), 120 ff., sowie Eike Baumann: Der Konvertit Victor Aimé Huber (1800 – 1869). Geschichte eines Christen und Sozialreformers im Spannungsfeld von Revolution und Reaktion. Leipzig 2009, bes. 276 ff.
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ben?“44 Lassalle wurde bekanntlich wenige Wochen nach diesen Äußerungen in ein Duell verwickelt, und niemand vermag zu sagen, wie sich das Projekt einer Verbindung von Monarchie und Arbeiterbewegung entwickelt hätte, wenn diese fatale Unternehmung nicht mit Lassalles Tod geendet hätte. Die historische Forschung ist sich heute jedenfalls weitgehend darüber einig, dass für Lassalle das „soziale Königtum“ ein möglicher Weg zur Realisierung des erstrebten sozialistischen Zukunftsstaates gewesen ist45 – aber eben nur ein möglicher Weg, und nicht das Ziel aller sozialpolitischen Bemühungen, wie eben bei Hermann Wagener und den anderen Vertretern des preußischen Sozialkonservativismus, etwa bei dem ausgewiesenen Bismarck-Kritiker Rudolf Hermann Meyer (1839 – 1899),46 Wageners wichtigstem Mitarbeiter und zeitweiligen Chefredakteur der auf sozialpolitische Fragen spezialisierten Berliner Revue, oder bei dem einflussreichen Nationalökonomen und führenden Theoretiker des Staatssozialismus Johann Karl Rodbertus (1805 – 1875), der in den Jahren des Vormärz für die Errichtung einer „Arbeitsmonarchie“ plädierte (Die Forderungen der arbeitenden Klassen, 1837; Zur Erkenntniss unsrer staatswirthschaftlichen Zustände, 1842) und im Märzmonat 1848 kurzzeitig als preußischer Kultusminister und Parlamentarier amtierte.47 Zwar ließen sich, neben und nach Lassalle, auch andere Führungspersönlichkeiten des 1863 gegründe44
Lassalle an Huber, 24. Februar 1864; zitiert nach Oncken: Lassalle (wie Anm. 38), 445. Dazu im Kontext vergleichbarer Konzeptionen aus dem Umfeld Lassalles sehr instruktiv Christine Stangl: Sozialismus zwischen Partizipation und Führung. Herrschaftsverständnis und Herrscherbild der sozialistischen deutschen Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1875. Berlin 2002, bes. 177 ff., 202 ff., 323, 333 – 340. 46 Zu dessen sozialmonarchischem Konzept vgl. z. B. Rudolf Hermann Meyer: Die bedrohliche Entwickelung des Sozialismus und die Lehre Lassalles. Berlin 1873; ders.: Der Emancipationskampf des vierten Standes. 2 Bde. Berlin 1874/75; ders.: Der Capitalismus fin de siècle. Wien 1894; ders.: Hundert Jahre conservativer Politik und Literatur. Wien / Leipzig 1895, bes. 269 ff., 284 ff.; zu Meyer weiterhin Kurt Feibelmann: Rudolf Hermann Meyer. Ein Beitrag zur politischen Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts. Phil. Diss. Leipzig, Würzburg 1933, bes. 39 – 65, 80 ff.; die spätere Skizze von Hans-Joachim Schoeps: Rudolf Meyer und der Ausgang der Sozialkonservativen. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Sozialismus. In: Ders.: Studien zur unbekannten Religions- und Geistesgeschichte. Göttingen / Berlin / Frankfurt [am Main] / Zürich 1963, 335 – 344, enthält leider zahlreiche sachliche Fehler und Unstimmigkeiten. 47 Nicht zufällig waren es Hermann Wagener (Aus Rodbertus’ Nachlaß. Minden/ Westf. 1886) und Rudolf Meyer (Briefe und Socialpolitische Aufsätze von Dr. RodbertusJagetzow. 2 Bde. Berlin 1881/82), die jeweils eine Auswahl von Rodbertus’ Schriften nach dessen Tod herausgaben. Über Rodbertus selbst vgl. – neben der im vorliegenden Zusammenhang wichtigen Spezialstudie von Herbert Sultan: Rodbertus und der agrarische Sozialkonservativismus. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 82 (1927), 75 – 113 – zuletzt Udo Engbring Romang: Karl Rodbertus (1805 – 1875). Sozialismus, Demokratie und Sozialreform. Studien zu Leben und Werk. Pfaffenweiler 1990; für den Zusammenhang explizit auch Hans-Joachim Schoeps: Deutsche Geistesgeschichte der Neuzeit. Bd. 4: Die Formung der politischen Ideen im 19. Jahrhundert. Mainz 1979, 379 – 411, sowie Frank-Lothar Kroll: Konservatismus in Deutschland nach 1945 – Probleme und Perspektiven. In: Hans Zehetmair / Philipp W. Hildmann (Hrsg.): Zukunft braucht Konservative. Freiburg / Basel / Wien 2009, 12 – 28, bes. 33 ff. 45
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ten Allgemeinen deutschen Arbeitervereins zeitweise von der Idee eines mit der Hohenzollernmonarchie gemeinsam zu realisierenden „preußischen Staatssozialismus“ in Bann ziehen – Johann Baptist von Schweitzer (1833 – 1875) ebenso wie Carl Wilhelm Tölcke (1817 – 1893) oder Wilhelm Hasenclever (1837 – 1889).48 Doch dauerhaft konnten sich solche Ideen in den Kreisen der frühen Arbeiterbewegung nicht durchsetzen, zumal deren Hauptvertreter in Deutschland seit Mitte der 1870er Jahre, anders als ihre Gesinnungsfreunde in Frankreich oder Großbritannien, zunehmend der intransingenten marxistischen Ideologie und deren revolutionärem staatsfeindlichen Dogmatismus verfallen sollten. Einer am Marxismus orientierten Sichtweise mussten freilich alle Bemühungen zur friedlichen und gewaltfreien Lösung der Sozialen Frage „von oben“, also auch die später, im kaiserlichen Deutschland, durch Gesetzgebungsakte der Krone realisierten Kranken-, Unfall- und Invaliditätsversicherungen für die Arbeiterschaft, von vorneherein als bloße Ablenkungsmanöver erscheinen – mit dem Ziel, die politischen Emanzipationsbestrebungen und Partizipationshoffnungen des Vierten Standes mittels unlauterer Taschenspielertricks zum Verschwinden zu bringen.49 III. Die Frage nach den Erfolgsaussichten des sozialmonarchischen Modells auf Seiten der Vertreter des preußischen Königtums, als des vornehmlichsten Adressaten entsprechender Überlegungen, lenkt den Blick zunächst auf Friedrich Wilhelm IV. – jenen Herrscher, dessen Regierungszeit die wohl heftigsten sozialen Verwerfungen in der bisherigen Geschichte des Hohenzollernstaates erleben sollte. Wie stand dieser Monarch zu der ihm angetragenen Rolle eines „Vorpostens“ der sozialistischen Avantgarde? Man kann nicht sagen, dass den von ständisch-patrimonialstaatlichen Idealen50 und von der zeittypischen Mittelalterbegeisterung51 geprägten „Romantiker auf 48 Dazu resümierend Stangl: Sozialismus zwischen Partizipation und Führung (wie Anm. 45), 202 – 216, mit weiterführender Literatur. Die vor allem von Otto Vossler: Bismarcks Sozialpolitik (1943). Neudruck Darmstadt 1961, 7 f., 21 ff., vorgetragene groteske Unterstellung einer prinzipiellen Unvereinbarkeit der preußisch-deutschen Verfassungsstruktur einerseits und einer arbeiterfreundlichen Sozialpolitik andererseits ist von der neueren Forschung mittlerweile restlos widerlegt worden. 49 Tatsächlich mangelte es nicht wenigen Vertretern des preußischen Sozialkonservativismus am Verständnis für die politischen Dimensionen und Implikationen der Sozialen Frage und für die Berechtigung dahingehender Partizipationsforderungen der Arbeiterschaft. Das galt auch noch für manch führenden „Kathedersozialisten“ aus den Reihen des 1872 gegründeten „Vereins für Sozialpolitik“; dazu vorzüglich Dieter Lindenlaub: Richtungskämpfe im Verein für Socialpolitik im Kaiserreich, vornehmlich vom Beginn des „Neuen Kurses“ bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1890 – 1914). 2 Bde. Wiesbaden 1967, sowie Albert Müssiggang: Die soziale Frage in der historischen Schule der deutschen Nationalökonomie. Tübingen 1968, bes. 10 ff., 77 ff. 50 Vgl. Frank-Lothar Kroll: Staatsideal, Herrschaftsverständnis und Regierungspraxis Friedrich Wilhelms IV. In: Jörg Meiner / Jan Werquet (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Politik – Kunst – Ideal. Berlin 2014, 18 – 30.
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dem Thron“ solche Vorstellungen völlig unberührt gelassen hätten – im Gegenteil! Bereits als Kronprinz nahm er regen Anteil an den sozialpaternalistischen Bestrebungen der Berliner „Erweckungschristen“, wie sie sich in den 1820er und 1830er Jahren vor allem im vielfältigen philanthropischen Wirken des aus Schlesien stammenden Barons Hans Ernst von Kottwitz (1757 – 1843) verdichteten.52 Ideelle Begleitung und finanzielle Unterstützung von königlicher Seite erfuhren darüber hinaus die um Johann Hinrich Wichern (1808 – 1881) und Theodor Fliedner (1800 – 1864) versammelten Protagonisten der Inneren Mission und der evangelischen Diakonie,53 mit denen der preußische König in persönlichem Kontakt und brieflichem Austausch stand.54 Ihnen ging es darum, durch caritative, vom Gebot praktischer Nächstenliebe und werktätiger Barmherzigkeit geleitete wohlfahrtspflegerische Aktivitäten auf dem Gebiet der Armenfürsorge, Krankenpflege und Gefangenenbetreuung die soziale Not der unteren Volksschichten zu lindern und zugleich deren „Wiederverchristlichung“ zu befördern. In eine ganz ähnliche Richtung bewegten sich die von Friedrich Wilhelm IV. selbst eingeleiteten Initiativen – etwa die im Ergebnis allerdings weitgehend fehlgeschlagene Wiederbelebung des Schwanenordens 1843, einer hochadlig-ritterlichen Vereinigung im Dienst christlicher Mildtätigkeit, oder die auf ähnlichen Grundsätzen beruhende, erheblich erfolgreichere Neustiftung der Ballei Brandenburg des Johanniterordens 1852.55 51 Dazu speziell Frank-Lothar Kroll: Kaisermythos und Reichsromantik. Bemerkungen zur Rezeption des Alten Reiches im 19. Jahrhundert. In: Axel Gotthard / Andreas Jakob / Thomas Nicklas (Hrsg.): Studien zur politischen Kultur Alteuropas. Festschrift für Helmut Neuhaus zum 65. Geburtstag. Berlin 2009, 77 – 95, bes. 85 – 90. 52 Zu Kottwitz vgl. im vorliegenden Zusammenhang – neben der Edition: Baron E. H. v. Kottwitz und die Erweckungsbewegung in Schlesien, Berlin und Pommern. Briefwechsel. Eingeleitet und hrsg. von Friedrich Wilhelm Kantzenbach. Ulm 1963 – Peter Maser: Hans Ernst von Kottwitz. Studien zur Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts in Schlesien und Berlin. Göttingen 1990, sowie ders.: „Berathung der Armuth“. Das soziale Wirken des Barons Hans Ernst von Kottwitz zwischen Aufklärung und Erweckungsbewegung in Berlin und Schlesien. Frankfurt am Main / Bern / New York, NY / Paris 1991. 53 Zu Wichern in diesem Zusammenhang weiterhin unübertroffen Martin Gerhardt: Johann Hinrich Wichern. Teil 1: Jugend und Aufstieg 1808 – 1845; Teil 2: Höhe des Schaffens 1846 – 1857; Teil 3: Ausbau und Ende 1857 – 1881. Hamburg 1927 – 31; neuere Interpretationen bei Stephan Sturm: Sozialstaat und christlich-sozialer Gedanke. Johann Hinrich Wicherns Sozialtheologie und ihre neuere Rezeption in systemtheoretischer Perspektive. Stuttgart 2007. – Zu Fliedner ebenfalls weiterhin grundlegend Martin Gerhardt: Theodor Fliedner. Ein Lebensbild. 2 Bde. Kaiserswerth 1933/37; die neueste Literatur verzeichnet Norbert Friedrich: Theodor Fliedners Englandreisen. In: Frank-Lothar Kroll / Martin Munke (Hrsg.): Deutsche Englandreisen / German Travels to England 1550 – 1900. Berlin 2014, 203 – 215. 54 Johann Hinrich Wichern: Gesammelte Schriften, Bd. I: Briefe und Tagebuchblätter. Hrsg. von D. J. Wichern. Hamburg 1901, Bd. 1: 1826 – 1848, 356 (1844); Bd. 2: 1849 – 1857, 92 (1849), 432 (1855), 461 f. (1856); Gerhardt: Theodor Fliedner (wie Anm. 53), Bd. 2, S. 137 ff., 169 ff., 247 ff., 251 ff., 549 ff.; vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz / Brandenburg-Preußisches Hausarchiv, Repositur 50 J, Nr. 387: Briefe und Immediatberichte des Pfarrers Fliedner an den König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1848 – 1858). 55 Eine quellenbasierte Studie zum sozialen Engagement Friedrich Wilhelms IV., dessen ideellen Motiven und politischen Hintergründen, wäre ein lohnendes Desiderat der Forschung;
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Den Erwartungen der Protagonisten eines „sozialen Königtums“ konnten solche partielle, auf Privatinitiative setzende humanitäre Fürsorgemaßnahmen freilich nicht genügen. Stein und Radowitz, Wagener, Meyer und Rodbertus – sie alle wollten keine bloß individuelle fürstliche Armenpflege und Wohlfahrtstätigkeit, kein halbherziges Herumkurieren an den Symptomen der sozialen Zeitkrankheit. Ihnen stand ein entschlossenes Handeln der Krone vor Augen, die zielstrebig den Ursachen der Sozialen Frage auf den Grund ging und dabei den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess ebenso vorantrieb wie sie einen gewaltsamen Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung durch die aktive Einbindung des Vierten Standes in den monarchischen Staat präventiv verhinderte. Fast mag es scheinen, als habe Friedrich Wilhelm IV., der doch sonst so viele Gelegenheiten zur royalen Repräsentation in der Öffentlichkeit, „zur Darstellung und Vermittlung monarchischer Werte und Loyalitäten“ virtuos zu nutzen wusste,56 das enorme legitimationssteigernde Potenzial nicht erkannt oder doch jedenfalls nicht gewinnbringend auszuschöpfen vermocht, das dem preußischen Königsamt im Falle eines stärkeren Vorantreibens sozialreformerischer Bemühungen unzweifelhaft zugewachsen wäre. Wenn überhaupt, so hat sich dieser romantisch bewegte Hohenzollernherrscher mit der Idee einer sozialen Monarchie nur in jenen Formen befreunden können, wie sie ihm Bettina von Arnim (1785 – 1859) zwischen 1840 und 1848 in zahlreichen Briefen57 und in ihrem 1843 veröffentlichten Werk Dies Buch gehört dem König nahezubringen versuchte.58 erste Hinweise bietet Ursula Röper: Mariane von Rantzau und die Kunst der Demut. Frömmigkeitsbewegung und Frauenpolitik in Preußen unter Friedrich Wilhelm IV. Stuttgart / Weimar 1997, 73 – 112; zur Verschränkung christlicher und caritativer Ideale bei Friedrich Wilhelm IV. vgl. neben der noch immer lesenswerten älteren Studie von Ewald Schaper: Die geistespolitischen Voraussetzungen der Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms IV. von Preußen. Stuttgart 1938, 68 – 71, instruktiv Joachim Melhausen: Friedrich Wilhelm IV. Ein Laientheologe auf dem preußischen Königsthron. In: Henning Schröer / Gerhard Müller (Hrsg.): Vom Amt des Laien in Kirche und Theologie. Festschrift für Gerhard Krause zum 70. Geburtstag. Berlin / New York, NY, 185 – 214. 56 So David E. Barclay: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie. Berlin 1995, 166; vgl. ders.: Ritual, Ceremonial, and the „Invention“ of a Monarchical Tradition in Nineteenth-Century Prussia. In: Heinz Duchhardt / Richard A. Jackson / David Sturdy (Hrsg.): European Monarchy. Its Evolution and Practice from Roman Antiquity to Modern Times. Stuttgart 1992, 207 – 220. 57 „Die Welt umwälzen – denn darauf läufts hinaus“. Der Briefwechsel zwischen Bettina von Arnim und Friedrich Wilhelm IV. Hrsg. und kommentiert von Ursula Püschel unter Mitarbeit von Leonore Krenzlin. Bielefeld 2001; vgl. Ursula Püschel: Bettina von Arnim und Friedrich Wilhelm IV. In: Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft 3 (1989), 93 – 125; dies.: Bettina von Arnims Briefe im September 1848 an den König von Preußen (1997). Wiederabgedruckt in: Dies.: Bettina von Arnim – politisch. Erkundungen, Entdeckungen, Erkenntnisse. Bielefeld 2005, 193 – 244. 58 Bettina von Arnim: Werke und Briefe. Bd. 3: Dies Buch gehört dem König. Hrsg. von Gustav Konrad. Frechen 1963; die politischen Dimensionen der Beziehung zwischen Bettina von Arnim und Friedrich Wilhelm IV. analysiert ausführlich Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik. Berlin 1990, 53 – 61; dort auch alle ältere Literatur.
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Hier, wie auch in anderen Schriften – etwa dem 1852 erschienenen Buch Gespräche mit Dämonen oder dem 1844 verfassten Armenbuch – wurde ausdrücklich einem vom Vertrauen der Untertanen getragenen „Volkskönigtum“ das Wort geredet. Volk und Herrscher sollten „wie Eisen und Magnet“59 in einer symbiotischen Gemeinschaft miteinander leben, ja gleichsam ineinander verschmelzen – unbeschwert von parlamentarischen Institutionen und von schriftlich fixierten Verfassungsnormen: „Eins ist des andern Lebensquelle, jedes hängt vom andern ab“.60 Der Herrscher als „Stellvertreter des Ideals einer Nation“61 verdankte alle seine Kräfte, und letztlich auch die Legitimationsgrundlage seiner Herrschaft, der Liebe und Zuneigung seines Volkes, dessen Wünsche er zu respektieren und dessen Wille er zu exekutieren verpflichtet sei. In der konkreten Zeitsituation, angesichts eminenter sozialer Verwerfungen, schloss das auch die verstärkte Hinwendung zu den Notleidenden und wirtschaftlich Schwachen ein, deren Schicksale Bettina vor allem in den 1840er Jahren intensiv beschäftigt und zur Präsentation verschiedentlicher Initiativen zwecks Lösung der „Armenfrage“ veranlasst hatten.62 Kühnen Plänen zur Gründung von Armensiedlungen, Armenstädten und Armenkolonien traten dabei Vorschläge zur Etablierung eines „Armenministeriums“ zur Seite, das die (seit 1819 bzw. 1826 auf kommunaler Ebene betriebene) staatliche Armenpflege in Preußen institutionalisieren und als festen Bestandteil obrigkeitlicher Daseinsvorsorge etablieren sollte.63 Vom König selbst forderte Bettina in diesem Zusammenhang nichts Geringeres, als dass er „mit abgelegtem Stolz sich niederbeugt zu dem zerrütteten Land“,64 um als „Eigentum […] des Volkes […] den Übermut der Bevorrechteten zu bekämpfen“65 und den „Erniedrigten und Beleidigten“ zu ihrem Recht zu verhelfen.66 Ein 59 Bettina von Arnim: Werke und Briefe. Bd. 4: Gespräche mit Dämonen. Des Königsbuchs zweiter Band. Hrsg. von Gustav Konrad. Frechen 1962, 360. 60 Ebd., 323. 61 Ebd., 321. 62 Darüber zusammenfassend noch immer Ingeborg Drewitz: Bettine von Arnim. Romantik, Revolution, Utopie. Düsseldorf / Köln 1969, 203 ff., 223 ff.; speziell Wilhelm Frels: Bettina von Arnims Königsbuch. Ein Beitrag zur Geschichte ihres Lebens und ihrer Zeit. Schwerin 1912, 74 ff.; zur ideengeschichtlichen Einordnung überblickshaft Hans Kals: Die soziale Frage in der Romantik. Köln / Bonn 1974, 243 – 251. 63 Für den realgeschichtlichen Zusammenhang vgl. den Überblick bei Jürgen Reulecke: Die Anfänge der organisierten Sozialreform in Deutschland. In: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.): „Weder Kommunismus noch Kapitalismus“. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära Adenauer. München 1985, 21 – 59, bes. 25 ff., 30 ff., sowie neuerdings Ewald Frie: Armut und Armenpolitik im langen 19. Jahrhundert. Preußen im europäischen Vergleich. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N. F. 20 (2010), 55 – 71. 64 Arnim: Gespräche mit Dämonen (wie Anm. 59), 421. 65 Bettina von Arnims Armenbuch. Hrsg. von Werner Vordtriede. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1981, 70 f. 66 In diesem Zusammenhang war übrigens auch die Etablierung des „Schwanenordens“ durch Friedrich Wilhelm IV. 1843 von Bettina begrüßt worden, wenn auch mit gewissen Vorbehalten; vgl. Bettina von Arnim: Werke und Briefe. Bd. 5: Briefe. Hrsg. von Johannes
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derart unmittelbares persönliches Eingreifen der Krone in das soziale und politische Gefüge des Landes war auch von den meisten anderen frühen Verfechtern eines „sozialen Königtums“ als monarchische Handlungsoption erwogen worden, stand jedoch seit dem Übergang Preußens zum konstitutionellen Regierungssystem vollkommen außerhalb aller Möglichkeiten. Die hier jedem Throninhaber unweigerlich auferlegten Restriktionen wurden von Bettina indes ebenso geflissentlich ignoriert, wie sie ihr eigenes Ideal eines zum Wohl aller Staatsbürger tätigen Herrschers durch das abseitige Postulat entwertete, dieser möge „mit Demagogen gemeinsame Sache machen“,67 sich gar als ein „Demagogenfürst“ an die Spitze aller revolutionären Kräfte stellen. Dem Adressaten solcher Offerten, in denen man eine bis zur letztmöglichen Konsequenz getriebene Gipfelung sozialmonarchischer Phantasien erblicken kann, mochte die ihm von Bettina angetragene Rolle eines aus eigener Machtvollkommenheit souverän entscheidenden Herrschers bis zu einem gewissen Grad habituell durchaus entgegenkommen.68 Doch hätte eine solche Rolle, abgesehen von aller verfassungspolitischen Problematik, ganz generell vorausgesetzt, das Herrscheramt seiner metaphysischen Weihen zu entkleiden und es in eine Art Anstalt zur funktionalen Lösung sozialer Probleme der frühindustriellen Gesellschaft zu verwandeln. Friedrich Wilhelm IV. war dazu indes nicht bereit und wohl auch nicht in der Lage, obgleich sich das Königtum der Hohenzollern seit den Zeiten Friedrich Wilhelms I. stark von seiner sozialen Wirksamkeit her definiert hatte und von vielen Zeitgenossen inner- und außerhalb Deutschlands seit dem 18. Jahrhundert speziell in diesem Funktionsrahmen wahrgenommen wurde.69 Auch in der Folgezeit kam es in Preußen nur sehr bedingt zur Ausrichtung des Herrscheramtes auf die von den Matadoren eines „sozialen Königtums“ propagierten Ziele. Friedrich Wilhelms IV. Großneffe, Kaiser Wilhelm II. (1859 – 1941), hat, unter allerdings erheblich gewandelten Zeitumständen, für eine kurze Zeit daran geMüller. Frechen 1961, 380: „[…] diese einzige Idee, die den König und sein Volk in Verbindung bringen konnte […]“. 67 Arnim: Dies Buch gehört dem König (wie Anm. 58), 190. 68 Zum Herrscherbild Friedrich Wilhelms IV. speziell Frank-Lothar Kroll: „Es gibt Dinge, die man nur als König weiß“. Herrschaftsverständnis und Regierungspraxis Friedrich Wilhelms IV. In: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV., Künstler und König. Zum 200. Geburtstag. Ausstellung vom 8. Juli bis 3. September 1995, Neue Orangerie im Park von Sanssouci. Frankfurt am Main 1995, 28 – 34; ders.: Monarchie und Gottesgnadentum in Preußen 1840 – 1861 (1997). Wiederabgedruckt in: Ders.: Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates. Paderborn / München / Wien / Zürich 2001, 55 – 74, hier: 63 f. 69 Dazu maßgeblich bereits Wilhelm Dilthey: Das Allgemeine Landrecht. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. XII: Zur Preussischen Geschichte. Stuttgart 1960, 183 f.; zur frühen sozialen Wirksamkeit der Hohenzollernkönige in gesamteuropäischer Perspektive vgl. ferner beispielhaft Karl Heinz Metz: Staatsraison und Menschenfreundlichkeit. Formen und Wandlungen der Armenpflege im Ancien Régime. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 72 (1985), 1 – 26.
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dacht, in die Rolle eines „sozialen Monarchen“ zu schlüpfen. Beeinflusst von caritativ-paternalistischen Fürsorgeidealen des Berliner Stadtmissionars, Hofpredigers und Politikers Adolf Stoecker (1835 – 1909)70, zugleich beunruhigt von einem flächendeckenden, 1889 an der Ruhr ausgebrochenen Arbeitsstreik, nahm er damals entschieden zugunsten der protestierenden Bergleute Partei, plädierte für Lohnerhöhungen und Arbeitszeitbeschränkung und geißelte Gewinnsucht und Profitgier der Unternehmer. Es war, nicht zuletzt, diese direkte persönliche kaiserliche Intervention, die den Vertretern der Montan- und Schwerindustrie ein Einlenken nahelegte und eine Entschärfung der explosiven Lage durch eine Verhandlungslösung ermöglichte.71 Darüber hinaus formulierte der junge Herrscher im Januar 1890 in zwei eigenhändigen Niederschriften (Bemerkungen zur Arbeiterfrage und Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Arbeiter) ein großräumiges Sozialprogramm, das auf die restlose Integration der Arbeiterschaft in Staat und Gesellschaft zielte.72 Vorgesehen waren, unter anderem, ein komplettes Verbot der Sonntagsarbeit, Vorkehrungen zum Schutz der Kinder- und Frauenarbeit, vermehrte Sicherungen für Leben und Gesundheit am Arbeitsplatz und, nicht zuletzt, Regelungen zur Einführung von Vermittlungsausschüssen und Arbeitervertretungen in größeren Unternehmen („Betriebsräte“).73 Solch ambitionierte Zielsetzungen standen nun freilich in einem bewussten und gewollten Gegensatz zum antisozialistischen Konfrontationskurs Otto von Bismarcks. Dieser strebte damals nach einer Verschärfung des Sozialistengesetzes und wünschte keine weiteren sozialpolitischen Reformen. Wilhelm II. wiederum drängte auf eine rasche Realisierung seines Programms und bewirkte Anfang 1890 die Veröffentlichung zweier diesbezüglicher kaiserlichen Direktiven („Februarerlasse“), ohne die erforderliche ministerielle Gegenzeichnung. Abgesehen von der verfassungsrechtlichen Problematik dieses Vorgehens, das bekanntlich in die Verabschiedung Bismarcks Ende März 1890 einmünden sollte,74 hätte die mit alledem eingeschlagene Wegrichtung, konsequent fortgesetzt, vielleicht zu einer allmählichen Aussöhnung der sozialistischen Arbeiterbewegung mit der Hohenzollernmonarchie, oder doch zumindest zu einem beiderseitigen Arrangement nach englischem Vorbild führen können. Ein „Gefühl für die Bedürfnisse und Anliegen des Industriezeitalters 70
Dazu speziell, mit reicher Literatur Norbert Friedrich: Die Christlich-soziale Bewegung und Wilhelm II. In: Stefan Samerski (Hrsg.): Wilhelm II. und die Religion. Facetten einer Persönlichkeit und ihres Umfelds. Berlin 2001, 105 – 131. 71 Zu den Einzelheiten vgl. Max Jürgen Koch: Die Bergarbeiterbewegung im Ruhrgebiet zur Zeit Wilhelms II. (1889 – 1914). Düsseldorf 1954, bes. 137 ff. 72 Darüber zuletzt sehr ausgewogen Christopher Clark: Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers. München 2008, 59 ff., sowie mit innovativen Akzentsetzungen Eberhard Straub: Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit. Die Erfindung des Reiches aus dem Geiste der Moderne. Berlin 2008, 138 – 145. 73 Zum Sozialprogramm Wilhelms II. vgl. in diesem Zusammenhang vorzüglich Elisabeth Fehrenbach: Wandlungen des deutschen Kaisergedankens 1871 – 1918. München / Wien 1969, 191 ff. 74 Für die entsprechenden Zusammenhänge vgl. knapp Frank-Lothar Kroll: Wilhelm II. (1888 – 1918). In: Ders. (Hrsg.): Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II. 4. Aufl. München 2009, 290 – 310, hier: 295.
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und ein Interesse an der alltäglichen Welt des Arbeiters“75 hat Wilhelm II., ganz im Unterschied zu Bismarck, allemal besessen. Doch sein Interesse an einer Rolle als „sozialer Kaiser“ erlahmte rasch, und von der Pflege eines produktiven oder auch nur einigermaßen ausgewogenen Verhältnisses zur Sozialdemokratie, wie dies für einen konstitutionellen Monarchen – trotz der auf einen gewaltsamen Umsturz der bürgerlichen Ordnung zielenden revolutionären Programmatik der SPD – ratsam gewesen wäre und andernorts, etwa in Baden, Bayern, Württemberg oder HessenDarmstadt, zusehends praktiziert wurde, entfernte er sich mit den Jahren immer mehr. Da im Lager der politischen Arbeiterbewegung, nach zwölfjähriger Verbotszeit, ebenfalls die meisten versöhnlichen Stimmen verstummt waren, die, wie einst Ferdinand Lassalle, dem preußischen Herrscherhaus eine überzeugende und erfolgreiche Vertretung von Arbeiterinteressen zutrauen mochten,76 verlor die Vision eines den Belangen des Vierten Standes ernsthaft zugewandten Sozialkönigtums nach allen Seiten an Resonanz. Das galt auch für das Lager der preußischen Konservativen, innerhalb dessen sich zum Jahrhundertende die politischen Akzentsetzungen deutlich verschoben. Ihre parlamentarische Vertretung im Reichstag und im Preußischen Abgeordnetenhaus, die Deutsch-Konservative Partei, hatte bis in die 1880er Jahre einen durchaus vernehmlichen sozialkonservativen Flügel besessen, der, ähnlich wie die britischen „Torys“, darum bemüht war, Kontakte zur Arbeiterschaft zu pflegen und hier nicht gänzlich den Sozialdemokraten das Feld zu überlassen. Diese sozialkonservative Gruppierung verlor in der Partei jedoch zunehmend an Einfluss und versank nach der Verabschiedung des neuen Parteiprogramms 1892, das sich auf eine Politik rein agrarischer Interessenvertretung festlegte, in die Bedeutungslosigkeit. Spätestens seitdem der schlesische Rittergutsbesitzer Ernst von Heydebrand und der Lasa (1851 – 1924) ab 1906 die Geschicke der Partei im Sinne einer systematischen parlamentarischen Obstruktionspolitik gegenüber allen sozialpolitischen Initiativen der Reichsregierung bestimmte, konnte bei den Deutschkonservativen von einer verständnisvollen Einstellung gegenüber den Belangen der Arbeiterschaft keine Rede mehr sein.77
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So Fehrenbach: Wandlungen des deutschen Kaisergedankens (wie Anm. 73), 193. Den zeitgenössischen Diskussionshorizont markiert Karl Frohme: Monarchie oder Republik? Kulturgeschichtliche Streifzüge. Hamburg 1904, 266 – 323; Frohme (1850 – 1933), sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter seit 1881 (und bis 1924), zugleich Redakteur der SPD-Zeitung Hamburger Echo, zählte im Vorkriegsjahrzehnt zu den einflussreichsten Verfechtern eines „gemäßigten“ Kurses, der, in der Nachfolge Lassalles, seine Hoffnungen auf eine Aussöhnung zwischen Arbeiterbewegung und Hohenzollernmonarchie setzte; zum Ganzen ausführlich Peter Domann: Sozialdemokratie und Kaisertum unter Wilhelm II. Die Auseinandersetzung der Partei mit dem monarchischen System, seinen gesellschafts- und verfassungspolitischen Vorraussetzungen. Wiesbaden 1974. 77 Für den Zusammenhang noch immer unübertroffen Karl Erich Born: Staat und Sozialpolitik seit Bismarcks Sturz. Ein Beitrag zur Geschichte der innenpolitischen Entwicklung des Deutschen Reiches 1890 – 1914. Wiesbaden 1957, bes. 62 ff. 76
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So stammte der letzte ernstzunehmende Versuch, Monarchie und Arbeiterschaft, Kaiseramt und Massendemokratie im wilhelminischen Deutschland doch noch einander anzunähern, weder aus konservativer noch aus sozialistischer, sondern aus liberaler Feder. Der Theologe, Publizist und Parlamentarier Friedrich Naumann (1860 – 1919) präsentierte am Jahrhundertbeginn in seinem vieldiskutierten Buch Demokratie und Kaisertum sowie in anderen begleitenden Publikationen78 das Wunschbild eines cäsaristischen „Industriekaisers“, der als aktiv handelnder, in die aktuellen Tagesgeschäfte persönlich eingreifender Monarch imperialistische Macht- und Weltpolitik trieb und durch die einmal geschaffenen Tatsachen seiner Erfolge die sozialen Klassengegensätze im nationalen Sehnsuchtsziel einer alles versöhnenden „Volksgemeinschaft“ schlichtweg „aufheben“ sollte. Der Vierte Stand wäre darin ebenso selbstverständlich einbeschlossen wie seinerseits vollkommen vom nationalen Gedanken imprägniert gewesen.79 Später, in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, und nicht zuletzt unter dem belastenden Eindruck der Daily-Telegraph-Affäre stehend,80 orientierte sich dieses Naumannsche Sehnsuchtsziel dann immer stärker am Muster einer parlamentarisch eingehegten Monarchie81 – bis hin zum kriegsbedingten Ideal eines Kaisers im Volksstaat82. Von der ursprünglichen, auf eine aktiv arbeiterfreundliche Politik gerichteten Vorstellungswelt der vor- und nachmärzlichen Vordenker eines „sozialen Königtums“ hatten sich Naumanns Visionen eines ebenso nationalen wie sozialen monarchischen Machtstaates freilich allesamt denkbar weit entfernt.
IV. Während in Preußen die Idee einer „Arbeitermonarchie“ weitgehend eine Angelegenheit des akademisch-publizistischen Gelehrtendiskurses bleiben und nur sehr bedingt den Weg in den monarchischen Regierungsalltag finden sollte, erfuhr das westliche Nachbarland des Hohenzollernstaates zeitgleich den schon damals vielbeachteten Versuch, durch direkte Interventionen der Krone zu Gunsten des Vierten Standes den gesellschaftlichen Ausgleich zu befördern und – wenn man so will – 78 Vgl. Friedrich Naumann: Demokratie und Kaisertum. Ein Handbuch für innere Politik. Berlin 1900; ders.: Der soziale Kaiser. In: Die Hilfe 3/4 (1897), 3 ff.; ders.: Die Politik Kaiser Wilhelms II. Vortrag. München 1903. 79 Dazu Fehrenbach: Wandlungen des deutschen Kaisergedankens (wie Anm. 73), 200 – 216, sowie Peter Gilg: Die Erneuerung des demokratischen Denkens im Wilhelminischen Deutschland. Eine ideengeschichtliche Studie zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Wiesbaden 1965, 178 – 218. 80 Vgl. Friedrich Naumann: Die Politik des Kaisers (1908). Wiederabgedruckt in: Ders.: Werke, Bd. 5: Schriften zur Tagespolitik. Köln / Opladen 1964, 402 – 409. 81 Vgl. Friedrich Naumann: Der Kaiser und die Sozialreform. In: Die Hilfe 12/47 (1906), 1 ff.; ders.: Das Königtum (1909). Wiederabgedruckt in: Ders.: Werke, Bd. 2: Schriften zur Verfassungspolitik. Köln / Opladen 1964, 407 – 439; ders.: Demokratie und Monarchie (1912). Wiederabgedruckt in: Ebd., 439 – 444. 82 Vgl. Friedrich Naumann: Der Kaiser im Volksstaat. Berlin 1917.
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das Exempel einer sozial verantworteten Fürstenherrschaft in Europa zu statuieren: Napoleon III. (1808 – 1873), seit 1852 Kaiser der Franzosen, war von Anfang an darum bemüht, sein Herrscheramt im Sinne eines überparteilich agierenden „Volkskaisertums“ auszuüben. Dabei leitete ihn ein immer wieder programmatisch bekundeter Wille, die Belange der gesamten Nation zu repräsentieren, soziale Spannungen auszugleichen und insbesondere die meist kümmerlichen Lebensbedingungen der mittellosen Unterschichten nachhaltig zu verbessern. Man weiß, dass sich die intellektuelle Formierungsphase des ebenso bildungsbeflissenen wie ehrgeizigen und abenteuerfreudigen Neffen Napoleons I. unter dem prägenden Einfluss prominenter Autoren des französischen Frühsozialismus vollzog, und dass deren im orléanistischen Frankreich besonders zahlreiche Anhängerschaft den Entwicklungsweg des Prinzen mit Aufmerksamkeit und Interesse beobachtete.83 Mit Louis Blanc (1811 – 1882), der bereits in den 1840er Jahren für die Errichtung staatlicher Arbeiterproduktionsgenossenschaften eintrat84, stand Louis-Napoléon Bonaparte seit den späten 1830er Jahren in brieflichem und persönlichem Austausch. Schon zuvor hatte er Verbindungen zur lautstark von sich Reden machenden Schülerschar des Grafen Henri de Saint-Simon (1760 – 1825) geknüpft und sich deren Bekenntnis zu einer zwar staatssozialistischen, aber gleichwohl leistungsbezogenen „industriellen Gesellschaft“ zu Eigen gemacht.85 Im Rahmen seiner regen publizistischen Tätigkeit war er dann nicht ohne Sachkenntnis und literarischen Esprit mit Abhandlungen zu nationalökonomischen Fragestellungen und wirtschaftswissenschaftlichen Problemen hervorgetreten, hatte die Soziale Frage zum Fixpunkt allen staatlichen Handelns erklärt und den Fortbestand der europäischen Monarchien – ganz wie später Lorenz von Stein – an deren Bereitschaft und Fähigkeit geknüpft, rasche und sachgerechte Lösungen für die damit verbundenen Herausforderungen zu finden.86 Das war eine deutlich fortschrittlichere und ungleich werbewirksamere Position im Vergleich etwa zum Sozialdenken zeitgenössischer französischer Legitimisten aus dem katholisch-konservativen Lager, allen voran Alban de Villeneuve-Bargemon (1784 – 1877) und Armand de Melun (1807 – 1877), deren Vorschläge zur Lösung der Sozia-
83 Dazu detailliert Heinrich Euler: Napoleon III. in seiner Zeit. Der Aufstieg. Würzburg 1961, 255 – 267, 930 – 933; ferner knapp ders.: Napoleon III. Versuch einer Deutung. [München 1972], 20 ff. 84 Vgl. Louis Blanc: Organisation du travail. Paris 1840. 85 Vgl. Georges Weill: Les Saint-Simoniens sous Napoléon III. In: Revue des Études Napoléoniennes 3 (1918), 391 – 406, sowie bereits ders.: L’École Saint-Simonienne. Son histoire, son influence jusqu’à nos jours. Paris 1896. 86 Vgl. hier insbesondere Napoléon-Louis Bonaparte: Des idées napoléoniennes. Brüssel 1839; ders.: Die napoléonischen Ideen vom Prinzen Napoléon-Louis Bonaparte. Wien 1865; zu den Einzelheiten der napoleonischen Sicht Hendrik Nicolaas Boon: Rêve et réalité dans l’œuvre économique et sociale de Napoléon III. Den Haag 1936, bes. 33 – 39; Jean Hartmann: Die Wirtschaftspolitik Napoleons III. Bottrop 1938; Klaus Tacke: Die sozialpolitischen Vorstellungen Napoleons III. Phil. Diss. Köln 1969.
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len Frage sich in der bekannten Präsentation caritativer Maßnahmen zur Linderung der Armut erschöpften.87 Eine vieldiskutierte Programmschrift aus der Feder des späteren Imperators, L‘extinction du paupérisme, 1844 erschienen und in zahlreichen Auflagen verbreitet, hatte sich explizit die Verbesserung der Lage des Vierten Standes zum Ziel gesetzt und dabei einen Kerngedanken frühsozialistischer Theoretiker – den des freien Zusammenschlusses der Arbeiter zu genossenschaftlichen Verbänden – auf charakteristische Weise modifiziert. Zwar befürwortet auch der Prinz-Prätendent die Selbstorganisation der Arbeiterschaft, wollte deren Potential jedoch mittels großzügig bemessener finanzieller Unterstützung des Staates im „nationalen Interesse“ bündeln und damit zugleich auf eine Disziplinierung und Einhegung der dem Vierten Stand inhärenten revolutionären Sprengkräfte hinwirken. Darüber hinaus zielten seine Vorschläge, ganz im Sinne der Anhänger des Grafen Saint-Simon88, darauf ab, die Arbeiter langfristig allesamt in „Eigentümer“ zu verwandeln – wofür er die allerdings schon damals reichlich utopische Idee einer Rückführung der überzähligen städtischen Industriearbeiter auf das Land und deren Zusammenfassung in Siedlungsgemeinschaften und Ackerbaukolonien ins Spiel brachte: „Die Arbeiterklasse besitzt nichts, man muß sie wieder zum Eigentümer machen. […]. Man muß ihr einen Platz innerhalb der Gesellschaft geben und ihre Interessen mit denen des Bodens verbinden. […] Man muß ihr Rechte und Zukunft geben und sie in ihren eigenen Augen heben durch die Organisation, die Erziehung und die Disziplin.“89 Eine derart zu bescheidenem Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen gelangte, in die Produktionsprozesse des modernen „industriellen Systems“ vollgültig integrierte Arbeiterschaft firmiere ihrerseits als kraftvoller Motor zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, zur Belebung des innerfranzösischen Marktes – und liefere mithin den Schlüssel für dauerhaften Wohlstand aller Bürger Frankreichs. Es war, nicht zuletzt, diese auf Klassenversöhnung und gesellschaftliche Integration setzende napoleonische „Sozialideologie“, die ihrem Propagandisten erheblichen Zulauf aus den Kreisen der Arbeiterschaft eintrug – der vielleicht bedeutendste Theoretiker der französischen Frühsozialisten, Pierre-Joseph Proudhon (1809 – 1865), bezeichnete den zweiten Bonaparte 1852 gar als „den Wortführer des Sozialismus“.90 87 Für den Zusammenhang vgl. allgemein Gerhard A. Ritter: Entstehung und Entwicklung des Sozialstaates in vergleichender Perspektive. In: Historische Zeitschrift 243 (1986), 1 – 90, bes. 27 ff. 88 Vgl. in diesem Zusammenhang weiterhin die vorzügliche Darstellung von Pierre Ansart: Saint-Simon. Paris 1969; zu den entsprechenden Ideen der Saint-Simonisten Sébastien Charléty: Histoire du Sanit-Simonisme, 1825 – 1864. Paris 1931, sowie Gottfried SalomonDelatour (Hrsg.): Die Lehre Saint-Simons. Ins Deutsche übertragen von Susanne Stöber. Neuwied 1962. 89 Zit. nach Euler: Napoleon III. in seiner Zeit (wie Anm. 83), 410. 90 Pierre-Joseph Proudhon: La Révolution Sociale, démontrée par le coup d’État du 2 Décembre (1852). Wiederabgedruckt in: Ders.: Œuvres complètes de Pierre-Joseph Proudhon. Hrsg. von C. Bouglé und H. Moysset, Bd. 13, Paris 1936, hier 266 f.; vgl. auch die
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Tatsächlich erwies sich Napoleon III. in den 1850er und 1860er Jahren als der sozialpolitisch zweifellos engagierteste Repräsentant aller gekrönten Häupter Europas. Rang und Bedeutung seiner diesbezüglichen Unternehmungen wurden freilich über lange Zeiten hinweg verkannt und bewusst herabgemindert, wofür besonders die übellaunigen, von Hass und Missgunst verzerrten Kampfschriften von Karl Marx (1818 – 1883)91 und Victor Hugo (1802 – 1885)92 verantwortlich waren. Erst die neuere Forschung hat93 – begleitet und unterstützt von aufsehenerregenden Publikationen prominenter französischer Sozialisten94 – die Elemente und Motive der kaiserlichen Sozialpolitik vorurteilslos rekonstruiert und die einzelnen Schritte ihrer Entfaltung eingehend nachgezeichnet. Die arbeiterfreundliche Gesetzgebung begann noch vor der Kaiserproklamation mit der Etablierung von Arbeiterhilfskassen und Arbeiterhilfsvereinen – bis 1869 stieg die Zahl dieser Gesellschaften zur gegenseitigen Hilfe immerhin auf über 6.000. Ihre Mitglieder (1869: ca. 900.000) waren infolge eigener Einzahlungen in entsprechende Sparfonds und Pensionskassen, bei gleichzeitiger finanzieller Beteiligung des Staates, vor Unfallschäden, Invalidität und Arbeitslosigkeit geschützt – womit die spätere Bismarcksche Sozialgesetzgebung prinzipiell bereits weitgehend antizipiert war. Nach Etablierung des Zweiten Französischen Kaiserreichs wurde dann ein ganzes Füllhorn sozialpolitischer Maßnahmen ausgeschüttet. Diese reichten von der Etablierung unzähliger Bedürftigenheime, Armenanstalten und Volksküchen, den Bau hygienischer Arbeiterwohnungen und die Errichtung von Arbeiterwohnvierteln in allen bedeutenden Städten des Landes, über die Gründung zentraler Kreditinstitute (Crédit mobilier) zwecks gewinnbrin-
Zusammenstellung von Äußerungen zu Napoleon III. aus Proudhons Werken: ders.: Napoléon III. Manuscrits inédits, publiés par Clément Rochel. Paris 1900; über Proudhons Verhältnis zu Napoleon III. vor allem Georges Cogniot: Proudhon et la démagogie bonapartiste. Un „socialiste“ en coquetterie avec le pouvoir personnel. Paris 1958. 91 Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon. New York 1852; dazu direkt Maximilien Rubel: Karl Marx devant le bonapartisme. Den Haag / Paris 1960. 92 Victor Hugo: Napoleon der Kleine. Aus dem Französischen übersetzt von H. J. K. Savoye. Gera 1852; vgl. demgegenüber bereits die entschieden gerechtere pro-napoleonische Programmschrift des Gründers des Internationalen Roten Kreuzes Henry J. Dunant: L’Empire de Charlemange rétabli ou Le Saint-Empire Romain reconstitué par sa Majesté l’Empereur Napoléon III. Genf 1859; die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge und Verbindungslinien des aus alledem resultierenden Diskurses analysiert meisterhaft Heinz Gollwitzer: Der Cäsarismus Napoleons III. im Widerhall der öffentlichen Meinung Deutschlands (1952). Wiederabgedruckt in: Ders.: Weltpolitik und deutsche Geschichte. Gesammelte Studien. Hrsg. von Hans-Christof Kraus. Göttingen 2008, 239 – 286, bes. 278 ff. 93 Vgl. insbesondere Adrien Dansette: Le Second Empire. Bd. III.: Naissance de la France moderne. Paris 1976; Stuart L. Campell: The Second Empire revisited. New Brunswick, NJ 1978; Manfred Wüstemeyer: Demokratische Diktatur. Zum politischem System des Zweiten Empires. Wien / Köln / Graz 1986, mit ausführlicher Bibliographie; Roger Price: The French Second Empire. An Anatomy of Political Power. Cambridge 2001, bes. 214 ff. 94 Vgl. vor allem Philippe Séguin: Louis Napoléon le Grand. Paris 1990, und zuletzt Éric Anceau: Napoléon III. Un Saint-Simon à cheval. Paris 2008.
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gender Kapitalanlagen für unterprivilegierte Bevölkerungsschichten,95 bis hin zu umfänglichen staatlichen Arbeitsbeschaffungs- und Wirtschaftsförderungsprogrammen, die durch Vergabe infrastruktureller Großbauprojekte den öffentlichen Raum, vor allem in der Haupt- und Residenzstadt Paris, nachhaltig verändern sollten.96 Nimmt man zu alledem noch die 1864 vom Kaiser persönlich verfügte Aufhebung des Koalitionsverbots für Arbeiter und die damit verbundene Liberalisierung des Streikrechts,97 so präsentiert sich Napoleon III., zumal in der Rückschau, als überzeugter und überzeugender Verfechter eines großangelegten, primär auf das Wohl und Gedeihen der unterbürgerlichen Bevölkerungsschichten zielenden Sozialprogramms, dessen – gerade auch im gesamteuropäischen Vergleichsmaßstab – durchaus eindrucksvolle Erfolgsbilanz vom glücklosen Ende des Imperators im Krieg gegen Deutschland 1870 nahezu vollständig überschattet worden ist. Sozialpolitik und Kriegsdebakel stehen jedoch in keinem direkten inneren Zusammenhang. Wohl besaßen die sozialpolitischen Bestrebungen des französischen Kaisers einen festen Stellenwert im Rahmen des plebiszitär legitimierten Charakters seiner Herrschaft. Sie dienten deren Absicherung „von unten“, doch sie rechtfertigten auch den immer wieder erhobenen Anspruch, das Herrscheramt, anders als der „Bürgerkönig“ Louis-Philippe, parteiübergreifend und klassenversöhnend im Interesse aller Franzosen auszuüben. Napoleon III. wollte, ganz im Sinne Lorenz von Steins, den Ausgleich gesellschaftlicher Interessengegensätze durch die Krone. Und wie kein anderer zeitgenössischer Herrscher in Europa war er sich darüber im Klaren, dass ein solcher Interessenausgleich nur dann erfolgversprechende Aussichten eröffnen konnte, wenn es dem „Volkskaiser“ gelang, die materielle Lage des Vierten Standes sichtbar zu bessern und die Lebensumstände des Proletariats auf ein einigermaßen humanes Niveau zu heben. Dass ein derart modernes, zweifellos fortschrittsoffenes sozialmonarchisches Projekt98 seinen kaiserlichen Repräsentanten nicht vor Scheitern und Sturz bewahrte, ist noch kein Argument gegen die grundsätzliche Berechtigung dieses Projektes – wohl hingegen ein Indiz für dessen begrenzte Praktikabilität, zumal zahlreiche französische Arbeiter keinen Gebrauch von den sozialpolitischen Offerten ihres kaiserlichen Wohltäters zu machen geneigt waren.
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Dazu als Spezialstudie Rondo E. Cameron: The Crédit Mobilier and the economic development of Europe. In: The Journal of Political Economy 61 (1953), 461 – 488. 96 Dazu bereits Louis Girard: La politique des travaux publics du Second Empire. Paris 1952. 97 Zur Arbeiterpolitik des Kaisers vgl. neben der älteren Studie von Georges Duveau: La vie ouvrière en France sous le Second Empire. Paris 1946, sehr erhellend David J. Kuhlstein: Napoleon III. and the working class. A study of Government Propaganda under the Second Empire. San José, CA 1969; kritisch Bernard Ménager: Forces et limites du bonapartisme populaire en milieu ouvrier sous le Second Empire. In: Révue historique (1981), 371 – 388. 98 Die zeitgenössische Modernität betont zuletzt nachdrücklich Sellin: Gewalt und Legitimität (wie Anm. 1), 242 ff.
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V. So kommt ein bilanzierender Blick auf die Denkfigur des „sozialen Königtums“, und auf mögliche Wege zur Realisierung des damit verbundenen Programms, zu einem ambivalenten Befund. Verglichen mit jenen beiden repräsentativen Monarchie-Modellen, dem konstitutionellen Königtum und dem nationalen Königtum, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts in nahezu allen europäischen Staaten langfristig etablieren konnten und dort, wo die Fürstenherrschaft alle Kriege und Krisen des 20. Jahrhunderts unbeschadet überstand, auch heute noch als politische Leitbilder firmieren, blieb dem sozialen Königtum eine solch gesamteuropäische Erfolgsgeschichte dauerhaft versagt. Das gilt zumindest auf den ersten Blick und jedenfalls für jene Form, die seine preußisch-deutschen Vordenker im Zeitalter Friedrich Wilhelms IV. diesem Herrschaftsmodell zu geben wünschten. Zweifellos besaß die Idee einer aktiv von der Krone ausgehenden gesamtgesellschaftlichen Integrationsleistung zugunsten der Arbeiterschaft ein erhebliches Maß an Anziehungskraft. Doch einer Umsetzung entsprechender Zielvorgaben in die staatliche Wirklichkeit boten in den meisten europäischen Monarchien allein schon die Bestimmungen des jeweils gültigen Verfassungsrechts eng gefasste Grenzen. Fast überall, und nicht zuletzt in Preußen, mussten bürgerliche Parlamentsmehrheiten für das kühne und den eigenen Interessen offenbar so gar nicht entgegenkommende Projekt eines Schulterschlusses zwischen Krone und Viertem Stand gewonnen werden. Den in solchen Fällen zu erwartenden Widerständen ist auch Bismarck begegnet, als er sich zu Beginn der 1880er Jahre heftigen Attacken aus der linksliberalen Reichstagsfraktion gegen die Einführung der staatlichen Sozialversicherung ausgesetzt sah. So war es wohl kein Zufall, dass gerade im bonapartistischen Frankreich des Second Empire, mit seinen cäsaristischen, plebiszitären und diktatorischen Herrschaftselementen, das sozialmonarchische Modell noch am ehesten den Weg in die politische Praxis gefunden hat. Was hingegen geschehen konnte, wenn sich ein konstitutionell regierender Monarch demonstrativ an die Spitze einer umwälzenden Gesellschaftsreform stellte und dabei mit den Interessen einer großbürgerlich-aristokratischen Oligarchie in Konflikt geriet, wurde am Jahrhundertende für viele europäische Beobachter im fernen Brasilien offenbar. Dort scheiterte 1889 das Kaisertum der Braganças – und mit Kaiser Pedro II. (1825 – 1891) der vielleicht humanste, gelehrteste und integerste aller im 19. Jahrhundert amtierenden Monarchen überhaupt99 – an der in einen Militärputsch mündenden Gegnerschaft finanzstarker Grundherren und Plantagenbesitzer, nachdem die Krone als Promotorin des überfälligen Projekts der Sklavenbefreiung hervorgetreten war.100 99 Vgl. – neben der maßgeblichen Biographie des Kaisers von Roderick J. Barman: Citizen Emperor. Pedro II. and the making of Brazil, 1825 – 1891. Stanford, CA 1999 – die instruktive Skizze von Christian Haußler: Kaiser Pedro II. In: Nikolaus Werz (Hrsg.): Populisten, Revolutionäre, Staatsmänner. Politiker in Lateinamerika. Frankfurt am Main 2010, 142 – 170. 100 Zu den Hintergründen dieser Entwicklung Jens Hentschke: Sklavenfrage und Staatsfrage im Brasilien des 19. Jahrhunderts. In: Rüdiger Zoller (Hrsg.): Amerikaner wider Willen. Beiträge zur Sklaverei in Lateinamerika und ihren Folgen. Frankfurt am Main 1994, 231 – 260.
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Gleichwohl ist die Idee des „sozialen Königtums“ im 19. Jahrhundert doch kein bloßes Nullsummenspiel gewesen. Man wird ihr, abschließend, in zweierlei Hinsicht eine über die Bedingungen ihrer unmittelbaren Entstehungszeit der 1830er und 1840er Jahre hinausweisende Wirkungsmacht zusprechen dürfen – im preußischdeutschen Geschehensraum zumal, doch auch in Großbritannien, mit freilich jeweils sehr charakteristischen Besonderheiten und Unterschieden. Erstens: Augenfällig für den deutschen Geschehensraum bleibt die enge Bindung der sozialmonarchischen Ideenwelt an jenes schon mehrfach erwähnte Gesetzgebungsvorhaben, das Otto von Bismarck seit Anfang der 1880er Jahre mit der Kranken-, Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung in Gang brachte, und das dann in der spätwilhelminischen Ära durch Anhebung des Leistungsniveaus staatlicher Sozialfürsorge und durch Schaffung von innerbetrieblichen Mitwirkungsmöglichkeiten für die Arbeiterschaft faktisch zu einer weitgehenden Integration des Vierten Standes in die bestehende Gesellschaftsordnung führen sollte.101 Das mit alledem zugleich verbundene Anliegen, revolutionäre Umsturzgesinnungen einzuhegen, das bis zum Kriegsausbruch 1914 keineswegs ohne Realisierungschancen gewesen ist, stand ganz in den Traditionen Lorenz von Steins und Hermann Wageners, und es war nur folgerichtig, dass gerade Wagener von Bismarck in allen wesentlichen sozialpolitischen Fragen jahrzehntelang um Rat gefragt wurde.102 Bismarck selbst hatte schon in den ersten Jahren seiner preußischen Ministerpräsidentschaft auf die sozialmonarchische Idee Bezug genommen – so, wie er diese Idee verstand und zu interpretieren beliebte. Bekannt sind jene denkwürdigen Worte, die er 1865 im Preußischen Abgeordnetenhaus an die Adresse seiner liberalen Kontrahenten richtete; diese hatten den Einsatz König Wilhelms I. (1797 – 1888) für die notleidenden Weber in den schlesischen Elendsgebieten gerügt, weil sie darin eine unerlaubte Einmischung der Staatsspitze ins vermeintlich „freie“ Wirtschaftsleben erblickten. „Die Könige von Preußen“, so hatte Bismarck damals im Preußischen Abgeordnetenhaus erwidert, „sind niemals Könige der Reichen vorzugsweise gewesen; schon Friedrich der Große […] nahm sich den Schutz der Armut vor. Dieser Grundsatz ist von unseren Königen auch in der Folgezeit bestätigt worden. An ihrem Throne hat dasjenige Leiden stets Zuflucht und Gehör gefunden, welches entstand in Lagen, wo das ge101 Diese Entwicklung skizziert zusammenfassend Frank-Lothar Kroll: Geburt der Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg. Berlin 2013, 25 – 29, mit weiterführender Literatur. 102 Dazu speziell, aus jeweils anderem Blickwinkel, die älteren Studien von Walter Vogel: Bismarcks Arbeiterversicherung. Ihre Entstehung im Kräftespiel der Zeit. Braunschweig 1951, 118 ff., und Wolfgang Saile: Hermann Wagener und sein Verhältnis zu Bismarck. Ein Beitrag zur Geschichte des konservativen Sozialismus. Tübingen 1958, bes. 84 ff., 94 ff.; als Zwischenbilanz Wolfgang Schieder: Bismarck und der Sozialismus. In: Johannes Kunisch (Hrsg.): Bismarck und seine Zeit. Berlin 1992, 173 – 189, bes. 182 ff.; neuerdings auch Florian Tennstedt: Politikfähige Anstöße zu Sozialreform und Sozialstaat. Der Irvingianer Hermann Wagener und der Lutheraner Theodor Lohmann als Ratgeber und Gegenspieler Bismarcks. In: Jochen-Christoph Kaiser / Wilfried Loth (Hrsg.): Soziale Reform im Kaiserreich. Protestantismus, Katholizismus und Sozialpolitik. Stuttgart / Berlin / Köln 1997, 19 – 31.
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schriebene Gesetz in Widerspruch geriet mit dem natürlichen Menschenrecht. Unsere Könige haben die Emanzipation der Leibeigenen herbeigeführt, sie haben einen blühenden Bauernstand geschaffen; es ist möglich, daß es ihnen auch gelingen werde […], zur Verbesserung der Lage der Arbeiter etwas beizutragen“.103 Vage Erinnerungen an die kurz zuvor gepflegte Liaison Bismarcks mit dem Arbeiterführer Lassalle klangen in solchen Sätzen ebenso nach, wie man in ihnen bereits erste vorläuferische Hindeutungen auf die sozialpolitischen Initiativen des späteren deutschen Reichskanzlers erblicken mochte. Zweitens: Es war allerdings nicht die exponierte preußisch-deutsche Sonderform des „sozialen Königtums“ in ihrer von Stein, Radowitz und Wagener vorgetragenen Variante, sondern ein weitaus allgemeiner gehaltenes „System fürstlicher Wohltätigkeit“,104 das die Erscheinungsform europäischer Monarchien im fortschreitenden 19. und 20. Jahrhundert weithin prägen sollte. In bemerkenswerter Parallelität engagierten sich fast alle damaligen Herrscherhäuser bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 mit erheblichem Einsatz und kontinuierlich gesteigerter Aktivität auf dem weiten Feld sozial verantworteter christlicher Liebestätigkeit. Der Stiftung von Schulen, Krankenhäusern und Seniorenheimen als bevorzugten Einzugsfeldern entsprechender Unternehmungen folgte die Einrichtung von Bedürftigenanstalten, Fraueninternaten und allgemeinen Lehr- und Bildungseinrichtungen zur Beförderung der Volkswohlfahrt. Beträchtliche Summen dynastischen Privatvermögens sind damals in solche Veranstaltungen investiert worden. An erster Stelle stand hier seit dem späteren 19. Jahrhundert das rumänische Königshaus, flankiert von den Monarchien Russlands, Schwedens und Englands, aber auch von deutschen Dynastien, etwa den Wettinern in Sachsen, den Hohenzollern in Preußen oder den Wittelsbachern in Bayern. In allen Fällen war dabei der Anteil weiblicher Repräsentantinnen stets übermäßig stark ausgeprägt. Die rumänischen Königinnen Carmen Sylva (1843 – 1916) und Maria (1875 – 1938), Königin Marie von Bayern (1825 – 1889), Königin Carola von Sachsen (1833 – 1907) oder Großherzogin Luise von Baden (1838 – 1923) entwickelten auf diesem Feld eine ebenso intensive und weitverzweigte Regsamkeit wie Zarin Alexandra Feodorovna (1798 – 1860) oder die letzte deutsche Kaiserin Auguste Viktoria (1858 – 1921).105 103 Rede im Preußischen Abgeordnetenhaus, 15. Februar 1865; Otto von Bismarck: Die gesammelten Werke, Bd. 10: Reden 1847 – 1869. Bearb. von Wilhelm Schüßler, Berlin 1928, 227 – 234, hier 232; vgl. dazu detailliert die beiden Untersuchungen von Adolf Richter: Bismarck und die Arbeiterfrage im preußischen Verfassungskonflikt. Stuttgart 1933, bes. 182 – 193, und Heinrich Volkmann: Die Arbeiterfrage im preußischen Abgeordnetenhaus 1848 – 1869. Berlin 1968, bes. 39 – 46. 104 So Detlef Jena: Eine preußische Prinzessin im russischen Kaiserhaus. In: Ders.: Die Zarinnen Russlands. Regensburg / Graz 1999, 258 – 274, hier: 268. 105 Die historische Forschung hat bisher keinen einzigen dieser „Fälle“ monographisch erschöpfend untersucht. Einer vergleichenden europäischen Monarchie- und Dynastiegeschichtsschreibung bieten sich hier zahlreiche brachliegende Arbeitsfelder; vgl. als ersten richtungweisenden Aufriss Erik Lommatzsch: Kaiserin Auguste Victoria (1858 – 1921). Die allerhöchste Sozialarbeiterin des Deutschen Reiches. In: Michael Häusler / Jürgen Kampmann
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Allerdings wichen die Formen und Verfahrensweisen, mittels derer die europäischen Herrscherhäuser ihrem caritativen Engagement Resonanz zu verschaffen suchten, erheblich voneinander ab. Während etwa die russische zeitgenössische Öffentlichkeit einen vergleichsweise eher geringen Kenntnisstand von den immensen Wohlfahrtsunternehmungen ihres Kaiserhauses besaß – nach 1917 wurde die Erinnerung an solche Leistungen von den Bolschewisten ohnehin systematisch besudelt, zertreten und ausgelöscht –, betrieb die britische Monarchie schon seit den 1850er Jahren eine außerordentlich publikumswirksame Inszenierung ihrer diesbezüglichen Aktivitäten. Es war, allen voran, Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819 – 1861), der Ehemann Königin Victorias, der hier die maßgeblichen Akzentsetzungen vornehmen sollte.106 Beunruhigt durch die revolutionären Wirren in seiner deutschen Heimat, hatte er 1848, ähnlich wie zuvor schon Louis-Napoléon Bonaparte, hellsichtig erkannt,107 dass ein verstärktes Eingehen auf die berechtigten Anliegen der unterprivilegierten Schichten nicht nur als Gebot herrscherlicher Verantwortung für das Allgemeinwohl zu gelten hatte, sondern auch die Loyalitätsbindung der Arbeiterschaft an die Krone stärken konnte. In der Folgezeit kam es daraufhin zu einer wahren Flut philanthropischer Bekundungen seitens der britischen Königsfamilie.108 Die Übernahme von Schirmherrschaften über zahlreiche Organisationen, Institutionen und Projekte, denen wohltätige Zwecke oder „nützliche“ Zielsetzungen im Bereich der Kultur, der Wissenschaften, der Bildung und des Sports zugrunde lagen, war in vielen Fällen verbunden mit finanziellen Zuwendungen oder Dotationen aus der königlichen Privatschatulle. Daneben sorgten royale good-will-tours – Besuche in Krankenhäusern, Fabriken und Bergwerken, in Industrierevieren, Arbeitersiedlungen und Armenvierteln – für eine enge Fühlungnahme zwischen Thron und Viertem Stand. Einladungen zu königlichen Festessen, Wohltätigkeitsbälle und Gartenpartys, doch auch gezielte Ordensverleihungen an Arbeitervertreter, Gewerkschaftsführer und Repräsentanten der politischen Linken ließen manchen Kritiker der Monarchie zu der Erkenntnis gelangen, dass diese Einrichtung weiterhin einen Wert besitze, und dass man ihr eine fortbestehende Relevanz im öffentlichen Leben des Landes nicht absprechen könne.109 Gerade in den für die Existenz des britischen Königtums kei(Hrsg.): Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte. Bd. 3: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Frankfurt am Main 2013, 287 – 303, mit weiterführender Literatur. 106 Einen knappen Überblick dieser Bestrebungen bietet Kurt Kluxen: Prinz Albert – Wegbereiter moderner Kultur- und Sozialpolitik (1983). Wiederabgedruckt in: Ders.: England in Europa. Studien zur britischen Geschichte und zur politischen Ideengeschichte der Neuzeit. Hrsg. von Frank-Lothar Kroll. Berlin 2003, 344 – 351, mit weiterführender Literatur. 107 Dazu speziell Paul A. Pickering: „The Hearts of the Millions“. Chartism and Popular Monarchism in the 1840 s. In: History 88 (2003), 227 – 248. 108 Dazu vorbildhaft und maßstabsetzend Frank Prochaska: Royal Bounty. The Making of a Welfare Monarchy. New Haven, CT / London 1995, bes. 67 – 135; vgl. auch den Beitrag von Frank Prochaska in diesem Band, 141 – 150. 109 Zu den damit verbundenen Legitimationspotentialen Richard Williams: The Contentious Crown. Public Discussion of the British Monarchy in the Reign of Queen Victoria. Alderhot 1997, bes. 166 ff.
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neswegs unbedrohlichen Jahren nach 1918 trug die von König Georg V. (1865 – 1936) und Königin Mary (1867 – 1953) mit wachsender Professionalität gehandhabte Rolle als „soziales“ Herrscherpaar nicht nur zum institutionellen Überleben der Monarchie bei, sondern kompensierte politischen Machtverlust durch gesellschaftlichen Ansehensgewinn und zunehmende moralische Autorität der Krone. Diese besetzte damit gleichsam eine Leerstelle im Staatsgefüge, gewann klassenübergreifendes Prestige und konnte ihre symbolpolitische Unentbehrlichkeit vor den Augen der ganzen Nation demonstrieren.110 Das war eine erhebliche Modernisierungsleistung111 und schied das britische, konsensual und repräsentativ legitimierte Monarchiemodell von dem in Deutschland praktizierten Herrschaftsgestus, vor allem unter Wilhelm II. Dort, bei den Hohenzollern, erfolgte die konsensstiftende Legitimation der Krone weitaus stärker durch eine ebenso aktivistische wie charismatische „Inszenierungspolitik“,112 deren Einzugsbereich sich auf zahlreiche und sehr unterschiedliche Felder des öffentlichen Lebens erstreckte. Eine derart stark persönlich akzentuierte Zurschaustellung des kaiserlichen Amtes wurde zwar von vielen Zeitgenossen – nicht zuletzt in Großbritannien113 – als nicht weniger „modern“ und publikumswirksam empfunden114, exponierte den Monarchen jedoch in außergewöhnlicher Weise, verband ihn unmittelbar mit den Erfolgen, aber eben auch mit Misserfolgen seiner Regierung und verlieh seiner Stellung ein erheblich höheres Maß an Fragilität, Angreifbarkeit und Verwundbarkeit als im britischen Vergleichsfall. Der Erste Weltkrieg führte dann konsequen110
Dazu sehr erhellend der Beitrag von Ulrike Grunewald in diesem Band, 185 – 194. Zum Verhältnis von Monarchie und Moderne vgl. in gesamteuropäischer Perspektive jetzt ausführlich Frank-Lothar Kroll: „Monarchische Modernisierung“. Überlegungen zum Verhältnis von Königsherrschaft und Elitenanpassung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Ders. / Martin Munke (Hrsg.): Hannover – Coburg-Gotha – Windsor. Probleme und Perspektiven einer vergleichenden deutsch-britischen Dynastiegeschichte vom 18. bis in das 20. Jahrhundert / Problems and perspectives of a comparative Anglo German dynastic history from the 18th to the 20th century. Berlin 2015 (im Druck). 112 So treffend Thomas Kroll: Die Monarchie und das Aufkommen der Massendemokratie. Deutschland und Großbritannien im Vergleich (1871 – 1914). In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61 (2013), 311 – 328, hier: 321; zum Problem ähnlich bereits Ulrich Sieg: Wilhelm II. – Ein „leutseliger Charismatiker“. In: Frank Möller (Hrsg.): Charismatische Führer der deutschen Nation. München 2004, 85 – 108; Martin Kohlrausch: Monarchische Repräsentation in der entstehenden Mediengesellschaft. Das deutsche und das englische Beispiel. In: Jan Andres / Alexa Geisthövel / Matthias Schwengelbeck (Hrsg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main / New York, NY 2005, 93 – 122; zuletzt sehr erhellend Dominik Petzold: Monarchischer Kult in der Moderne: Zur Herrschaftsinszenierung Wilhelms II. im Kino. In: Thomas Biskup / Martin Kohlrausch (Hrsg.): Das Erbe der Monarchie. Nachwirkungen einer deutschen Institution seit 1918. Frankfurt am Main / New York, NY 2008, 117 – 137. 113 Dazu speziell Lothar Reinermann: Der Kaiser in England. Wilhelm II. und sein Bild in der britischen Öffentlichkeit. Paderborn / München / Wien / Zürich 2001, 72 ff., 106 ff. 114 So z. B. von den Historikern Hermann Oncken: Der Kaiser und die Nation. Heidelberg 1913, oder Karl Lamprecht: Der Kaiser. Versuch einer Charakteristik. Berlin 1913, bes. 117 ff. 111
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terweise zu einem entsprechend raschen Verblassen der Kaiseridee,115 trotz des anhaltenden sozial-caritativen Engagements vieler Mitglieder der kaiserlichen Familie und fast aller deutschen Landesfürsten.116 Insofern hat die Idee des „sozialen Königtums“ im England des fortgeschrittenen 19. und frühen 20. Jahrhunderts zwar nicht jene idealtypische Ausprägung gefunden, wie sie das preußische Modell eines „Arbeitermonarchen“ vorsah, wohl hingegen ihre vielleicht einzig praktikable Verwirklichung erlebt, in deren Einzugsfeld sich echt empfundene Mildtätigkeit mit dem Streben nach Inszenierung und Neulegitimierung royaler Werte und Traditionen untrennbar verband. Das Haus Windsor jedenfalls verdankt dem so praktizierten Herrschaftsmodell – in der stets wachen Erkenntnis prinzipieller Anfechtbarkeit der monarchischen Staatsform – seine bis heute unbestrittene Stellung im politischen und gesellschaftlichen Leben des Inselreiches.
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Dazu punktuell Bernd Sösemann: Der Verfall des Kaisergedankens im Ersten Weltkrieg. In: Elisabeth Müller-Luckner / John C. G. Röhl (Hrsg.): Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte. München 1991, 145 – 170. 116 Vgl. für Bayern jetzt vorzüglich und umfassend Stefan März: Das Haus Wittelsbach im Ersten Weltkrieg. Chance und Zusammenbruch monarchischer Herrschaft. Regensburg 2013, bes. 226 – 233.
The Crowned Republic and the Rise of the Welfare Monarchy By Frank Prochaska, Oxford I. One of the more notable features of modern democratic politics has been the survival of monarchies, and their transformation into “crowned republics”, in which kings and queens reign but do not rule. In his edition of the Diaries of Queen Victoria, the wily courtier Lord Esher remarked that over the centuries the British monarchy had exchanged “authority” for “influence”.1 In an era when a British sovereign no longer made law or commanded in war, the reputation of the monarchy, as Esher recognized, turned more on its role in society rather than its vanishing political authority. By the end of the 19th century, the British monarch’s executive powers had become a vestigial remnant. There is, howewer, little agreement over when executive authority shifted decisively from the monarch to the Prime Minister in Britain. Some scholars have put it in the reign of George III, others in the reign of Queen Victoria or as late as Edward VII. Not surprisingly, British monarchs had no desire to retrench or expire in the name of progress. For her part, Queen Victoria, who was always reluctant to see her power eroded, sought to inflate the power of the Crown in an era when no one knew its precise limits. She was too partisan to see that her reputation as a constitutional monarch depended on giving way to ministers, or to see that the monarchy’s loss of political power might be a blessing in disguise, for it acquitted the Crown of responsibility for unpopular policies. She seemed unaware that a growing number of her subjects believed that she reigned over a republic. It was one of the great ironies of her reign that she feared something that turned out to be entirely compatible with the monarchy’s survival – the growth of democracy. In my book The Republic of Britain, published over a decade ago, I argued that Britain is a republic and has been since at least the late 19th century.2 Today, the Oxford English Dictionary defines a republic as any state in which the supreme power rests in the people and their elected representatives as opposed to one governed by a king. On this definition, Britain is clearly a republic, for Queen Elizabeth II could 1
Viscount Esher (ed.): The Training of a Sovereign. An Abridged Selection from ‘The Girlhood of Queen Victoria’, Being Her Majesty’s Diaries between the Years 1832 and 1840. London 1914, VII. 2 Frank Prochaska: The Republic of Britain 1760 – 2000. London 2000.
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hardly be said to govern. She is, as the radical Member of Parliament Henry Labouchere said of Queen Victoria, an “hereditary president”.3 To Queen Victoria, of course, the word “republican” was the most hated word in the Palace lexicon, and she would have disliked the appellation “hereditary president”. The monarchy has always had difficulty seeing itself in a republican tradition because it equates republicanism narrowly with anti-monarchism. Many today, who equate republicanism with anti-monarchism, may be baffled to hear Britain described as a republic, but there is nothing exceptional, or original, about it. Republicanism is, of course, a slippery term, with succeeding generations altering its meaning or shifting its emphasis. The Latin res publica, the “public thing”, has been defined variously as the state, the commonwealth, mixed government, limited monarchy or simply the public domain. Constitutional writers had applied the word republic to both the monarchy in France and the Commonwealth under Cromwell, which suggests that it may signify just about anything, or nothing. President John Adams, the author of a classic work on constitutions, concluded that the word was unintelligible.4 Even Thomas Paine, who had a visceral hatred of George III, did not rule out the possibility of a republic with a king, at least in theory. As he put it, “what is called a republic, is not any particular form of government”.5 When Walter Bagehot famously observed in The English Constitution that Britain was a “disguised republic”, he was drawing on a tradition of opinion dating to the 18th century. In the gloom of 1795, the great Whig statesman Charles James Fox declared that the British “Constitution was a republic, in the just sense of the word; it was a Monarchy founded on the good of the people”.6 In the 19th century, the view that Britain was a republic, or a “monarchical-republic”, became increasingly common in political circles and was expressed from time to time in Parliament. It was also familiar in literary circles. The novelist Anthony Trollope wrote in 1862 that the British form of government was “the most purely republican that I know”.7 Some years later, Tennyson famously wrote in the epilogue to “Idylls of the King” that Britain was a “crown’d Republic”. In so far as Britain was seen as a crowned republic, it was auspicious for the Victorian monarchy, for it suggested a becoming political neutrality in a nation moving, albeit gradually, towards democracy. Someone who would have understood the idea was Prince Albert, arguably the most enlightened member of the British royal family in the past two centuries, who had republican credentials himself, of a classical type. As Prince Consort, he was deeply aware that the monarchy needed to be more intimately connected to 3
Parliamentary Debates, vol. 339, 5 August 1889, col. 337. John Adams: A Defence of the Constitutions of Government of the United States of America, 3 vols. Philadelphia 1797, vol. 1, 87, vol. 3, 159. 5 Mark Philp (ed.): Thomas Paine. Rights of Man, Common Sense, and other Political Writings. Oxford 1995, 230. 6 Parliamentary Register, vol. 40, 5 January 1795, 164. 7 Anthony Trollope: North America. 2 vols. Philadelphia 1862, vol. 2, 194. 4
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its subjects in an era of declining royal power. As the most thoughtful royal proponent of what I have called the “welfare monarchy”, he recognized that a philanthropic role that was to become a principal means by which royalty adjusted to a crowned republic.8 Prince Albert was that rarity among princes, a well-educated intellectual with comprehensive interests and wide sympathies. His adaptive mind, free of burdensome originality, penetrated what other princes often ignored – the obvious. Guided by Baron Stockmar, he took the view that in post-1832 British politics the monarchy would become more influential by keeping aloof from factional manoeuvring, which the British public mistrusted in their rulers. An identification with party politics might provide some temporary refuge, but it would undermine the monarchy’s wider intention of providing the unifying symbol of the nation and representing the wider public interest. By shedding party political associations, the Crown would have the independence to see Britain’s problems in the round and act as “a balance wheel on the movement of the social body”.9 As suggested, Prince Albert was something of a republican himself. Although he was not an enthusiast for democracy, which was increasingly the test of republican sympathies in the 19th century, he was republican in the classical sense, which sought social stability through a balance of powers, respect for the rule of law and civic spirit. Civic spirit, it should be remembered, is a foundation of republican thought, which by the 19th century enshrined voluntary institutions outside the state. Royal associations with civic republicanism had decided advantages for the Crown, which the Prince Consort recognized, for royal patronage of charitable and voluntary institutions linked the monarchy with the public good and social progress, while serving as a counterweight to unpopular government policies. Arguably, the Prince Consort, who did so much to give shape to the modern British monarchy, was the most prominent “civic republican” of his day. It did not take great insight for him to recognize that a most fruitful way of ensuring social equilibrium was to consolidate and to expand the royal family’s partnership with respectable society through an association with civic institutions. If in politics he steered the monarchy towards neutrality, in manners and morals he steered it towards social service. As the Prince grandiloquently remarked “upon the education of princes […] the welfare of the world in these days greatly depends”.10 As he recognized, the monarchy’s heroic age was over. Consequently, members of the royal family, however imperious or pleasure seeking, were obliged to be sensitive to social issues. Respectability had them by the throat; the regal bearing belied a middle-class outlook.
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See Frank Prochaska: Royal Bounty. The Making of a Welfare Monarchy. New Haven, CT / London 1995. 9 Pierre Crabites: Victoria’s Guardian Angel. A Study of Baron Stockmar. London 1937, 148. 10 Quoted in Paul Emden: Behind the Throne. London 1934, 68.
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In institutions outside politics, there were few barriers to royal attainment or renown. The scramble for royal patronage was phenomenal by the reign of Queen Victoria, and no one complained about the monarchy when things went wrong in a royal charity or voluntary association. An active and visible royal presence in civil society cemented those links that bound the nation together. In time, the Prince Consort came to the view that the purpose of royalty was “the headship of philanthropy”.11 It was a variant on civic republicanism, which served the monarchy’s wider object of representing the nation at large. II. In a brief lecture I can do little more than touch on the monarchy’s response to what it saw as threats to its existence in the last two centuries. But I would like to say a few words about three periods which the Crown saw in terms of crisis: the 1840 s, the years following the end of the First World War, and the 1990 s. The 1840 s was a dangerous decade, and in the context of revolution abroad and Chartist unrest at home, the royal family took action in its own defence. Though philanthropy was a duty handed down from reign to reign, the Crown’s civic and charitable enthusiasms can often be directly related to a nervousness about political affairs. Prince Albert, who was acutely sensitive to the uneasy historic role of European monarchies, took the lead. Factories, building sites, ports and dockyards drew him like a magnet, and his visits to them brought the monarchy into greater contact with the common people. Housing charities, schools, libraries and mechanic’s institutions also found in the Prince a willing ally and patron. His patronage books at the Royal Archives at Windsor show him to be the supporter of over 160 institutions, many of them associated with artisan and working-class causes. Between them the Queen and the Prince Consort supported several hundred institutions in the mid of the 19th century and gave away several hundred thousand pounds.12 The uses of royal philanthropy are more apparent to the Palace in times of social unrest, and the desire of the royal family to be seen and loved mounted in the late 1840 s. There is no better illustration of Prince Albert’s worries and how they turned his mind to charitable solutions than a look at extracts from his diary for the revolutionary spring of 1848.13 Throughout March and April he followed events in England and on the continent with growing unease; on April 18th he had a conversation with Lord Shaftesbury as to “what can be done for the working classes”. Shaftesbury, the Tory paternalist, advised the Prince to put himself “at the head of all social movements in art and science, and especially of those movements as they bear upon the
11 F. H. Myers: Personal Recollections of Leopold, Duke of Albany, 8, Myers Papers 28/64, Trinity College, Cambridge. 12 Prochaska: Royal Bounty (note 8), chapter 3. 13 Royal Archives (RA), VIC/Y 204; see Prochaska: The Republic of Britain (note 2), 82.
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poor, and thus show the interest felt by Royalty in the happiness of the Kingdom”.14 The Prince did so by promoting various schemes for the amelioration of the working classes. Their underlying purpose was to take the anti-monarchical edge off radicalism and socialism, a point that friends and foes alike recognized at the time. A disgruntled socialist lamented: “if the Prince goes on like this he’ll upset our applecart”.15 Against the background of unrest at home and revolutions abroad, a policy of popularizing the monarchy was in full swing in the late 1840 s and 1850 s. As part of the royal strategy, Prince Albert reorganized Palace administration, gearing it up for the expansion of civic and charitable business. New guidelines for the Office of the Privy Purse and the Prince’s Private Secretary provided a more coherent policy on royal patronage to deal with increased demand.16 With the years, royal tours, audiences, annual charity dinners, balls and banquets, and garden parties also played their part in transforming the monarchy into an institution more visibly engaged and seen to be in touch with the issues of the day. Could British subjects, who were eager to address a myriad causes, resist the royal embrace? The monarchy’s capacity to transform public duty into pleasure was enough to make many an aspiring subject feverish – and civic-minded. Philanthropy and manufacturing, the gospel of Christ and the gospel of work were interwoven in the Prince’s thinking. When he founded the Windsor Royal Association, for example, he sought to enliven the labouring classes and local industry. When he encouraged charitable education for the poor, he sought to arouse the honest industry of the children but also to make their parents identify with the schools through contributing fees. When he promoted model cottages for the Society for Improving the Condition of the Working Class, it was to create a home environment that would produce industrious, independent men and women. And when he paid to have a pair of model cottages put on display at the Great Exhibition of 1851, his object was to persuade developers and manufacturers to translate his ideas into bricks and mortar. The Great Exhibition itself should be seen in the light of the emergence of Prince Albert’s charitable doctrine, which aimed to promote social reconciliation, based on those prime values of a commercial society – prudence and self-reliance.17 In familial partnership, the Queen and the Prince Consort encouraged greater charity in all classes, and they fully expected it to produce civil improvement, respectable behaviour and deference to the crown. In an age when the demand for rights and benefits from government was at a relatively low level, they radiated a religious ethic, at once ameliorative and conservative, that invigorated civic life and promised greater social harmony. In an age of free trade, the Prince Consort promoted a social 14 Quoted in Edwin Hodder: The Life and Work of the Seventh Earl of Shaftesbury. London 1892, 395. 15 Quoted in Roger Fulford: The Prince Consort. London 1949, 144. 16 Prochaska: Royal Bounty (note 8), 94 – 6. 17 Prochaska: The Republic of Britain (note 2), 94.
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economy in which charitable enterprise, working with commercial interests, complemented government provision for the poor. State intervention in the social sphere excited little monarchical enthusiasm for it raised the spectre of regulation, which troubled philanthropic free traders like Prince Albert. As the crown’s political power waned, it became increasingly chary of government remedies. The royal family assumed that local charitable remedies were more likely to be effective than national bureaucratic ones. Voluntary measures, unlike government ones, engendered loyalty to the crown. Prince Albert believed that subjects should be conservative and princes liberal. His influence on royal social policy was enduring, not only on Queen Victoria, whose philanthropies increased after his death, but on his children, who received an education that left them with the conviction that philanthropy was essential to the welfare of the nation and an antidote to hazardous social experiments. Victoria and Albert prepared them for a life of public service by taking them on charitable visits, introducing them to leading philanthropists, and locking them into patronages from an early age. If the children of Queen Victoria were born with silver spoons in their mouths, they also arrived with silver trowels in their hands, the better to lay all those foundation stones. While the reign of Queen Victoria saw a surge in royal charitable activity, it was far from unique in this regard. The evolution of the Crown’s philanthropic role is one of the more notable features of British royal history. A look at the simple measure of the Crown’s charitable patronages may be helpful. These figures do not count the very large number of institutions supported by consorts and the extended royal family: George III had 9 patronages, George IV about 50, William IV about 125, Queen Victoria about 150, Edward VII about 250, George V about 500, George VI about 700. Queen Elizabeth has at present about 700.18 III. Prince Albert had taken the lead in expanding royal charity to address issues of the labouring classes, particularly artisans and skilled workers. A half century after his death, George V took the initiative in expanding Crown patronage to ameliorate the condition of the unskilled working class. This was part of a strategy for the monarchy’s survival. The reasons for the emergence of a calculated strategy were compelling. At the end of the First World War, the portents for the Crown looked unfavourable to the British royal family. Given the Russian Revolution, the murder of the Tsar, and the collapse of the European dynastic system a degree of paranoia was understandable. At home, George V had to adjust to postwar scarcity and high unemployment, to a new mass electorate unsettled by war and the possibility of a Labour government, which had adopted a socialist constitution in 1918. To cap it all off there was domestic unrest and strikes in the industrial regions, and the demobilization of dis18
See patronage lists in Prochaska: Royal Bounty (note 8), passim.
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illusioned servicemen from the front without jobs to look forward to. George V was a man of old world certainties, and he saw hordes of civilians out of work, European monarchies in ruin, oligarchic values in retreat, Bolsheviks on the march and the busybody President Wilson making republicanism fashionable across Europe. The spectre of class war and social revolution on the Russian model tormented the King George and Queen Mary for years and propelled them into action. Lord Esher wrote to the King’s Private Secretary Lord Stamfordham at the end of 1918 that imagination and boldness were needed, along with new unprecedented roles for the King and Queen and the abandonment of old theories of constitutional kingship. Risks must be taken, he wrote, “for we stand at the parting of the ways […]. The Monarchy and its cost will have to be justified in the future in the eyes of a war-worn and hungry proletariat endowed with a huge preponderance of voting power”.19 Esher’s letter is one of scores in a file titled “Unrest in the Country” at the Royal Archives in Windsor, which Harold Nicolson, the official biographer of George V, studiously disregarded.20 He did so because the file illustrated just how political and calculating royal policy had become. It is a treasure trove of information on the new and expanded roles taken on board by members of the royal family in response to what they perceived to be a national crisis about to engulf the monarchy. In a brief lecture, I cannot do justice to what is in this rich file of letters, press articles, unemployment statistics, internal Palace memos, and reports from informers, who had infiltrated Labour and anti-monarchical circles.21 What comes across in this file, and other material in the Royal Archives, is that the King and Queen had little confidence in the British government to take action on their behalf or even provide them with information. Consequently, Buckingham Palace solicited views from reliable friends and from people who were outside normal royal channels. There are numerous letters from churchmen, courtiers, journalists and former politicians informing and advising the King and Queen on a range of issues. Their advice was to step up royal charitable activities in working-class districts and to disarm Labour leaders with honours and invitations to dinners and garden parties. Several telling documents include information from a friend of the King, who had recruited a former railway worker to spy on meetings of the British Communist Party.22 The upshot of all this intelligence was a strategy for the monarchy’s survival, which Lord Stamfordham laid out in various letters and memos. Central to this strategy was one of bringing the throne and the people closer together through an expanded charitable role for members of the royal family: visiting hospitals, laying foundation stones, and touring mining villages and industrial regions spreading the message of royal good will. Stamfordham wrote to the Bishop of Chelmsford in 1918: “We must endeavour to induce the thinking working classes to regard the Crown not as 19
Esher to Stamfordham, 4 November 1918, RA GV/Q 724/110. RA GV/O 1106. 21 See Prochaska: The Republic of Britain (note 2), Chapter 6. 22 Ibid., 175 – 6. 20
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a mere figurehead but as a living power for good, with receptive faculties welcoming information affecting the interests and social well-being of all classes, and ready not only to sympathize with those questions but anxious to further their solutions”.23 The King and Queen, who were kept well informed by their aides, pressed all the members of royal family to step up their charitable activities. The number of their patronages and visits to hospitals, slums and housing estates escalated, as did royal donations to hospitals and youth clubs, workshops and playing fields. The King, for his part, visited over 300 hospitals during the War.24 The Queen, according to one of her ladies in waiting, often visited three or four in an afternoon.25 The King kept a chart in Buckingham Palace that chronicled his family’s public engagements.26 Labour strongholds, not least the centres of militancy in the industrial districts of Scotland and Wales, were well flagged. George V must have found that decorating his subjects was less onerous than visiting hospitals, for during the war he bestowed 50.000 awards. The enlargement of the honours system was part of the Palace strategy. In keeping with a suggestion of Lord Esher, the King created the Order of the British Empire in 1917.27 It was deliberately designed to be the order of chivalry of British democracy. It was not an accident that it appeared at the very moment that the extension of the suffrage was under political discussion, nor that charitable campaigners, Labour leaders and trade unionists were prominent among the first recipients of the honour. As a tool to instill deference and to dish enemies of the Crown it was a masterstroke. As the historian A. J. P. Taylor put it, holders of the honours went over the top for the governing class just as the officers had done for the generals.28 Just as in the days of Prince Albert, an underlying purpose of the royal charity was to reduce the anti-monarchical element in politics. It worked. The extension of honours, the slum visits, the royal contributions to hospitals and youth clubs, the consoling words at the pit-heads and in the canteens, were reminders that the monarchy was a living institution that mattered. By the time of the King’s Silver Jubilee of 1935, the Labour leader Ramsay McDonald, who had applauded the Russian Revolution in 1917, called the event a “Holy Communion”.29 At the King’s death in January 1936, there were few in the Labour Party who were overtly hostile to the monarchy. As J. R. Clynes, the influential Labour leader and former Home Secretary, remarked at the time: few socialists wanted the responsibility of electing a president. There is,
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Stamfordham to the Bishop of Chelmsford, 25 November 1918, RA GV/O 1106/65. Harold Nicolson: King George the Fifth: His Life and Reign. London 1952, 252. 25 Jennifer Ellis (ed.): Thatched with Gold. The Memoirs of Mabell, Countess of Airlie. London 1962, 131. 26 RA PS/GVI/PS 1627. 27 Kenneth Rose: King George V. London 1983, 200 – 01. 28 A. J. P. Taylor: English History 1914 – 1945. Oxford 1965, 175. 29 Quoted in David Marquand: Ramsay MacDonald. London 1977, 774 – 5. 24
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he added, “a little employment for the speculative mind in this singular fact, that as the Labour Party has grown in this country, Republicanism has declined”.30 George V had dreaded the prospect of aristocratic decline, the shift of power to popularly elected governments, and a Labour administration. But the evolution of politics worked to his advantage, for as a constitutional sovereign he shared the credit for democratic advance, which he complemented with the expansion of royal social service. In Britain, the Representation of the People Act of 1918, which established universal suffrage, was the jewel in the crowned republic. One of its effects was to cement the monarch into the Constitution as an hereditary head of state. And once Britain had adopted universal suffrage, successive governments lost interest in further constitutional reform. The republican cause of representation had triumphed, but as it transpired the monarchy had little to fear from it. IV. The 1990 s, like the 1840 s and the interwar years was another difficult time for the royal family, in which a strategy was thought necessary in Palace circles to counter the upsurge in anti-monarchism. The collapse of the marriage of the Prince and Princess of Wales and the subsequent death of Princess Diana triggered a good deal of fresh thinking. A royal crisis always provides Palace officials with an opportunity to steer members of the royal family towards greater usefulness. In keeping with past practice, there was a familiar reaction, the escalation of royal patronage. By the late 1990 s, members of the royal family were carrying out about 3.000 engagements a year, most of them with a charitable dimension.31 Just as at the end of the First World War, there was a reaching out for advice from people beyond the normal channels through lunches with the private secretaries and discreet dinner parties. As a consequence of such discussions, senior members of the royal family and their private secretaries founded the Way Ahead Group in 1995, which was a direct response to perceived threats to the monarchy. Its purpose was to coordinate the royal family’s various charitable activities and to capitalize on the favourable publicity that flowed from royalty being seen on charitable parade. In a time of troubles, the members of the royal family and their officials have cause to remember the motto “Ich Dien”. As a senior advisor to the Prince of Wales declared in 1997: “The monarchy is moving from being an institution principally famous for ceremonial occasions to being an institution principally of value for what it can add to the country through public service.”32
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Parliamentary Debates, vol. 319, 26 January, 1937, col. 1458. For details of the workload of the royal family in 1997, for example, see The Times, 2 January 1998, 17. 32 Sunday Times, 12 January 1997, 15. 31
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Today, philanthropy has become an unavoidable, daily routine for members of the royal family. (As early as the 1960 s, a Mass Observation poll found that charitable engagements provided them with their biggest personal audience.)33 But while charity occupies much of the royal schedule, historians and royal commentators have largely ignored the tradition. Monarchists and anti-monarchists alike have an atavistic preoccupation with the constitutional role of the monarchy. Indeed, royal advisors continue to see the monarchy first and foremost as a constitutional fixture. Yet charitable patronage is what gives members of the royal family the lion’s share of their favourable publicity – witness the recent charitable work of the Duke and Duchess of Cambridge. In short, social work has become the Crown’s substitute for political authority, and in a democracy it is this charitable purpose as much as anything else that is likely to sustain royal popularity. At present, there is no serious challenge to the monarchy’s continued survival. Arguably, the threats to the British Crown in recent centuries have never been more than a phantom. Still, in times of apparent crisis, the monarchy has proved adept in its own defence. Galvanized by the drift of politics and social malaise, it could do something positive to protect itself. What was required was what Lord Esher called the “democratization of the monarchy”.34 In this process, royal philanthropy was an essential ingredient. Over the centuries it has complemented the monarchy’s constitutional role, while easing its adjustment to the crowned republic in a social democracy. It conformed to the constraints of politics, dovetailed neatly with the Crown’s ceremonial role, and drew on the natural human sympathies of the royal family. The recent Kings and Queens of England may be model constitutional monarchs, but arguably it is in their capacity as welfare monarchs that they have made their greatest contribution to national well-being.
33 Leonard Harris: Long to Reign over us? The Status of the Royal Family in the Sixties. London 1966, 37 – 8, 43, 78. 34 Esher to Stamfordham, 26 November 1918, RA GV/Q 724/113.
IV. Inszenierung und Kult / Representation and Cult
Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869 – 1955) Thronprätendent in einer Republik Von Dieter J. Weiß, München Der Beitrag untersucht die Stellung des 1869 geborenen Kronprinzen Rupprecht von Bayern, der als Thronprätendent und Feldherr zu den herausragenden Persönlichkeiten Bayerns in der Epoche der Monarchie gehört hatte, im Freistaat Bayern der Weimarer Zeit.1 In diesem Aufsatz wird ein Sonderfall betrachtet, nämlich der Versuch monarchischer Repräsentation innerhalb einer republikanischen Staatsform. Kronprinz Rupprecht von Bayern bemühte sich, als Repräsentant und Identifikationsfigur für den bayerischen Staat zu dienen, ohne ein offizielles Amt zu bekleiden. Sobald er wieder über die finanziellen Möglichkeiten verfügte, griff er dazu auf Formen monarchischer Inszenierung zurück. I. Der bayerische Hausritterorden vom hl. Georg Der bayerische Hausritterorden vom hl. Georg war 1728 durch Papst Benedikt XIII. bestätigt und auf Bitten Kurfürst Karl Albrechts von Bayern mit allen Privilegien des Deutschen Ordens ausgestattet worden.2 Die Stiftung erfolgte am 28. März 1729, die Ritter verpflichteten sich in ihrem Gelöbnis zur Verteidigung der Unbefleckten Empfängnis Mariens. Im 19. Jahrhundert erneuerte König Ludwig II. von Bayern die Statuten und betonte die caritative Aufgabenstellung.3 Prinzregent Luitpold von Bayern wollte im Jahr 1889 seinen damals zwanzigjährigen Enkel Prinz Rupprecht beim 210. Ordensfest zum Jahrestag seines eigenen 50jährigen 1 Mein ergebenster Dank gilt erneut Seiner Königlichen Hoheit Herzog Franz von Bayern, der mir uneingeschränkten Zugang zum Nachlaß und zu den Tagebüchern Kronprinz Rupprechts gewährte. Der Beitrag führt Überlegungen fort, die erstmals 2004 erschienen sind: Dieter J. Weiß: Kronprinz Rupprecht von Bayern – Thronprätendent in einer Republik. In: Günther Schulz / Markus A. Denzel (Hrsg.): Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert. St. Katharinen 2004, 445 – 460. 2 Ernst von Destouches: Geschichte des Königlich Bayerischen Haus-Ritter-Ordens vom heiligen Georg. Bamberg 1890, zu Kronprinz Rupprecht 68; Ausstellungskatalog: „Der Bayerische Hausritterorden vom Heiligen Georg 1729 – 1979“. München 1979. 3 4. Juli 1871: Statuten des königlich bayerischen Haus-Ritter-Ordens vom Heiligen Georg (ein Exemplar: Geheimes Hausarchiv München [künftig: GHA], Hausritterorden [künftig: HRO] vom Hl. Georg, Sekretariat 131).
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Empfangs des Ritterschlags in den Orden aufnehmen.4 Dieser wollte davon aber nichts wissen, da ihm das „schwülstige Zeremoniell“ mißfiel und ihm die „pomphafte Ordenstracht“ als „unzeitgemäße Maskerade“ erschien.5 Natürlich mußte er sich doch dem Wunsch des Regenten fügen und sich am 8. Dezember 1889 in der Antichambre des Königsbaus der Münchner Residenz im silbern gestickten Streitkleid mit Degen, Stiefeln mit Sporen und dem dreistulpigen Federhut einfinden.6 Nach der Aufschwörung beim Ordenskapitel legte er in der Hofkapelle, nunmehr mit Helm, Harnisch und lichtblauem Großprioren-Mantel ausgerüstet, die Gelübde auf das mit einem Evangelienbuch belegte große Ordensschild ab, im Anschluß erhielt er den Ritterschlag und die Würde eines Großpriors der Oberpfalz. Betrachten wir den Verlauf eines der jährlichen Ordensfeste.7 Am Vorabend des Georgitages gab der Großmeister einen Empfang in seiner Residenz. Am Festtag versammelten sich die Ordensritter aus dem bayerischen Adel dort in der kleinen roten Ordensuniform. Im Anschluß an das Ordenskapitel mit den Aufnahmezeremonien formierten sich die Ritter paarweise zum Kirchenzug, ein Kapitular-Komtur trug dem Großmeister das Ordensschwert voran. In der Kapelle stand für den Großmeister auf der Evangelienseite ein eigener, erhöhter Betstuhl, wo dieser den Kandidaten den Eid abnahm und ihnen während des Amtes nach der Epistel den Ritterschlag erteilte. An den folgenden beiden Tagen wurden die Requien für den letzten verstorbenen Großmeister und die Ritter gelesen. Das gerade geschilderte Ordensfest fand am 23. April 1925 statt, sein Ort war nicht mehr die königliche Residenz, sondern das Münchner Leuchtenberg-Palais, als Kapelle diente der umgestaltete Speisesaal, der Großmeister war nicht mehr der König, sondern Kronprinz Rupprecht von Bayern.8 Dieser Akt markiert einen Höhepunkt der Entfaltung monarchischen Zeremoniells in der Zeit der Republik, für das Ersatzformen geschaffen werden mußten. Diese beruhten auf persönlichen Entscheidungen des Kronprinzen, der die traditionellen zeremoniellen Formen in seiner Jugend heftig abgelehnt hatte. Bis ein solches Fest – freilich in vereinfachter Form – wieder begangen werden konnte, war es nach der Revolution ein weiter Weg, dem wir uns nun zuwenden wollen. Im Mittelpunkt steht Kronprinz Rup4
GHA HRO vom Hl. Georg, Matrikel 423. Herzogliche Verwaltung Nymphenburg, München (künftig: HVN), Autobiographische Aufzeichnungen Kronprinz Rupprechts von Bayern (künftig: AA KPR), Mappe 1 (Benutzung über das Geheime Hausarchiv München). 6 Ceremoniell bei der Installation Seiner königlichen Hoheit des durchlauchtigsten Prinzen Rupprecht von Bayern als Großprior des königlich Bayerischen Haus-Ritter-Ordens vom heiligen Georg beim Ordensfest am 8. Dezember. 7 GHA HRO vom Hl. Georg, Akten 248; zur Uniform vgl. „Der Bayerische Hausritterorden vom Heiligen Georg“ (wie Anm. 2), 49 und Nr. 52, 101. 8 Kronprinz Rupprecht hat mehrere biographische Darstellungen erhalten: Kurt Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach Kronprinz von Bayern. Auf Anregung und unter Förderung und Mitarbeit von Dr. Otto Kolshorn. Mit Auszügen aus persönlichen Aufzeichnungen und einem Schlußkapitel von Kronprinz Rupprecht von Bayern. München 1954; zuletzt Dieter J. Weiß: Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869 – 1955). Eine politische Biografie. Regensburg 2007. 5
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precht von Bayern, der als Thronprätendent und Feldherr9 – zuletzt als Oberbefehlshaber einer nach ihm benannten Heeresgruppe – zu den herausragenden Persönlichkeiten Bayerns in der Zeit der Monarchie gehört hatte. II. Die Revolution in Bayern Kronprinz Rupprecht erlebte den Ausbruch der Münchner Revolution in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 in seinem Hauptquartier in Brüssel.10 Bereits im Sommer 1917 hatte er in einem Memorandum für den Vorsitzenden im Ministerrat Georg Graf von Hertling eine zutreffende Analyse der Ursachen der dann ein Jahr später ausgebrochenen Revolution geliefert.11 Von ihrem tatsächlichen Ausbruch ausgerechnet in München war er dann aber doch überrascht.12 Seine grundsätzliche Position gegenüber Revolution und Republik ist in seinem Protest vom 10. November gegenüber der neuen Regierung enthalten. Er betonte den revolutionären Charakter der Umwälzung, „die ohne Mitwirkung der gesetzgebenden Gewalten und der Gesamtheit der bayerischen Staatsbürger in Heer und Heimat von einer Minderheit ins Werk gesetzt wurde“.13 Er forderte die Entscheidung über die Staatsform durch „eine verfassunggebende Nationalversammlung […], die aus freien und allgemeinen Wahlen hervorgeht“. Damit akzeptierte er eine demokratische Mehrheitsentscheidung als Legitimitätsgrundlage.14 Rupprecht wiederholte dieses Bekenntnis 1919 gegenüber dem Landtagspräsidenten, als er den Landtag „als den derzeitigen einzigen Träger der bayerischen Staatshoheit“ anerkannte15. Seine persönlichen Lebensumstände hatten sich dramatisch verändert. Über die neutralen Niederlande glückte Kronprinz Rupprecht im November 1918 auf abenteuerlichen Wegen die Rückkehr in die bayerische Heimat, wo er nicht nur seine
9 Vgl. Rupprecht Kronprinz von Bayern: Mein Kriegstagebuch. Hrsg. v. Eugen von Frauenholz. 3 Bde. München 1928/29; Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 96 – 126. 10 Dieter J. Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 157 – 169; zur Verlaufsgeschichte der Revolution noch immer grundlegend Alan Mitchell: Revolution in Bayern 1918/19. Die Eisner-Regierung und die Räterepublik. München 1967. 11 Maschinenschriftliche Abschrift und eigenhändiger Entwurf: GHA Nachlaß Kronprinz Rupprecht von Bayern (künftig: NL KPR) 648; Abdruck in: Münchner Zeitung vom 20. Juli 1921; Briefwechsel Hertling-Lerchenfeld 1912 – 1917. Hrsg. u. eingeleitet v. Ernst Deuerlein †, 2 Teile. Boppard am Rhein 1973, Nr. 396aa, 912 – 916; Teildrucke in: Rupprecht: Kriegstagebuch 3 (wie Anm. 9), 14 – 20. 12 8. November 1918, in: Rupprecht: Kriegstagebuch 2 (wie Anm. 9), 474. 13 10. November 1918, GHA, NL KPR 652; Druck in: Rupprecht: Kriegstagebuch 3 (wie Anm. 9), 370. 14 Vgl. Hans-Christof Kraus: Legitimität. In: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.): Lexikon des Konservatismus. Graz 1996, 349 – 351. 15 26. Juli 1919, eigenhändiger Entwurf: GHA, NL KPR 689. Druck in: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender. Hrsg. v. Wilhelm Stahl, N.F. 35, 1919/I. München 1923, 374 f.; Kurt Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 442 – 448.
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Stellung, sondern auch sein Einkommen und seine Wohnung verloren hatte.16 Sogar die Verlobung mit Prinzessin Antonie von Luxemburg war aus Rücksicht auf das großherzogliche Haus aufgelöst worden. Dieser Totalverlust unterscheidet die vormals regierenden Dynastien von den Adelshäusern. Rupprecht hielt sich zunächst bei der Mutter seiner verstorbenen ersten Frau, Herzogin Marie Gabriele in Bayern,17 in Wildbad Kreuth in der Nähe des Tegernsees auf, mußte aber bald vor der Räterepublik ins Exil nach Österreich fliehen. Zusätzlich wurde er von der Forderung der Siegermächte nach Auslieferung der deutschen Heerführer bedroht.18 Erst zum Jahresende 1919 konnte er sich mit seinem Sohn Erbprinz Albrecht in Berchtesgaden niederlassen, wo ihm das vormals königliche Schloß und die Villa aber verschlossen blieben.19 Aus der rastlosen Tätigkeit des Oberbefehlshabers einer Heeresgruppe war er ohne Aufgabenstellung zunächst in ein schwarzes Loch gestürzt. III. Neuanfang im Freistaat Bayern Die Etablierung Kronprinz Rupprechts innerhalb des neuen Freistaates Bayern soll im folgenden in dreifacher Hinsicht untersucht werden. Wir fragen nach seiner politischen Haltung, nach den wirtschaftlichen Verhältnissen und nach dem Fortleben oder der Restauration monarchischer Institutionen und Formen. Der letztere Punkt wird im Hinblick auf die Familie, die Hofhaltung und die Repräsentation nach außen wie innerhalb Bayerns beleuchtet. Dazu gehörten der Aufbau einer Hofhaltung mit mehreren Wohnsitzen, die Übernahme repräsentativer Verpflichtungen und die Entfaltung monarchischen Zeremoniells besonders im Zusammenhang mit dem Königlich-Bayerischen Hausritterorden vom Heiligen Georg. 1. Die politische Haltung Kronprinz Rupprecht wurde nach dem Tode seines Vaters, König Ludwigs III. von Bayern, am 18. Oktober 1921 zum Thronprätendenten. Erst jetzt konnte er selbständig politisch handeln, denn Ludwig III. hatte auch nach der Revolution eifersüchtig auf seiner Position als König und Chef des Hauses beharrt. Seine Beisetzung und die der bereits 1919 verstorbenen Königin Marie Therese, einer geborenen Erzherzogin von Österreich-Este, am 5. November 1921 in München wurde zur bedeutendsten Kundgebung der Anhänglichkeit an das Königshaus nach
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Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 169 – 178. Zur Biographie: Engelbert Huber O. F. M.: Marie Gabrielle Prinzessin von Bayern. 2. vermehrte Aufl. Dießen 1913. 18 Walter Schwengler: Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/20. Stuttgart 1982. 19 Kronprinz Rupprecht an Ludwig III., 3. Dezember 1919, GHA NL Ludwig III. 59. 17
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1918.20 Einem zu diesem Anlaß erhofften oder befürchteten Staatsstreich zur Restituierung der Monarchie hielt Rupprecht sich fern, er wollte seine Rechte nur auf legalem Weg antreten.21 Nach der Beisetzung ließ er eine Erklärung mit einer Formel veröffentlichen, mit der er an seiner Thronanwartschaft festhielt, aber keine konkreten politischen Forderungen stellte: „Eingetreten in die Rechte meines Herrn Vaters“.22 Er betonte dabei „die innigen Beziehungen, die seit dreiviertel Jahrtausenden das bayerische Volk mit dem aus ihm hervorgegangenen Geschlecht der Wittelsbacher verbinden“. Die Formulierung des entscheidenden Satzes der in seinem Kabinett vorbereiteten Erklärung stammte von Rupprecht selbst.23 Er erklärte damit, nur auf verfassungsmäßigem Weg und gerufen von Regierung und Bevölkerung die Krone übernehmen zu wollen. Die spätere monarchische Bewegung entzündete sich an der Person des Kronprinzen oder, in legitimistischen Kreisen, Königs Rupprecht von Bayern. Dieser unterhielt Kontakte zu vielen monarchisch-nationalen Kräften wie den Einwohnerwehren, lehnte aber einen Putsch ab. So war er zwar im Vorfeld des Kapp-Putsches vom März 1920 informiert worden, ließ aber Dr. Georg Escherich und Gustav von Kahr vor einer bayerischen Beteiligung warnen.24 Nach der erzwungenen Auflösung der Einwohnerwehren im Juni 1921 entstand als rein bayerische Gruppierung der Bund „Bayern und Reich“, den der von Escherich vorgeschobene Sanitätsrat Dr. Otto Pittinger leitete.25 Inwieweit Rupprecht hinter dieser Nachfolgeorganisation der Einwohnerwehren stand, wird aus den Quellen nicht deutlich, der Zusammenschluß dürfte aber seinen Wünschen entsprochen haben.26 20 Dieter J. Weiß: Zwischen Revolution und Restauration. Zum Tod und zu den Beisetzungsfeierlichkeiten für König Ludwig III. von Bayern. In: Petronilla Gietl (Hrsg.): Vom Wiener Kongreß bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Betrachtungen zu Deutschland und Österreich im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Hubert Rumpel zum 75. Geburtstag. München 1997, 183 – 206. 21 Aussage Josef Maria Graf von Soden-Fraunhofen: Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 464; vgl. Andreas Kraus: „Monarchistische Umtriebe“ in Bayern 1925. Ein Beitrag zum Selbstverständnis der Bayerischen Volkspartei. In: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hrsg.): Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag. Berlin 1992, 635 – 655; Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 203 – 211. 22 Münchner Neueste Nachrichten, 74. Jg., Nr. 465, 5./6. November 1921; Bayerische Staatszeitung, Nr. 258, 5. November 1921, 1; Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 461 f. 23 Kurt Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 462. 24 HVN AA KPR Mappe 10. 25 Satzung: Bayerisches Hauptstaatsarchiv (künftig BayHStA) Kriegsarchiv (künftig KA) Bund Bayern und Reich, Bd. 1/I; Hans Fenske: Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918. Bad Homburg u. a. 1969, 143 – 147, 172 – 187, 255 – 260; Horst G. W. Nusser: Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich 1918 – 1933 mit einer Biographie von Forstrat Georg Escherich 1870 – 1941. München 1973, 215 – 276. 26 Graf Soden-Fraunhofen bezeichnete Pittinger am 30. Oktober 1966 gegenüber Ludger Rape als engen Vertrauten des Kronprinzen: Ludger Rape: Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920 bis 1923. Wien 1977, 234, 423, Anm. 17a.
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Die Ausrichtung des Bundes war konservativ und monarchisch, er erstrebte die Restituierung des föderalistischen Bismarck-Reiches. General Otto von Stetten informierte den Kronprinzen später, daß der Bund gemäß dessen Richtlinien geleitet würde.27 Die Ereignisse um den Ludendorff-Hitler-Putsch vom 8./9. November 1923 bildeten den Schlüssel für die weiteren Beziehungen des nationalkonservativen und bayerischen Lagers zur Bewegung des entstehenden Nationalsozialismus. Adolf Hitler versuchte gemeinsam mit General Erich Ludendorff am Abend des 8. November, die Macht in München an sich zu reißen, um über Bayern Berlin zu erobern. Kronprinz Rupprecht hatte sich während des Putschversuchs in Berchtesgaden aufgehalten. Er wollte sich angesichts der in München befürchteten Ereignisse bedeckt halten, um in keinen Staatsstreich verwickelt zu werden.28 Sobald er über die Vorgänge unterrichtet war, unterzeichnete er eine Erklärung mit dem Kernsatz: „Darum die Waffen nieder!“, im übrigen rief er zu Einigkeit der vaterländischen Kräfte auf.29 Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus war seitdem durch grundsätzliche Ablehnung gekennzeichnet, verschärft durch einen Ehrenstreit mit Ludendorff. Ein weiterer Konflikt brach 1929 auf, als Kronprinz Rupprecht und der Bayerische Heimat- und Königsbund die Unterstützung für das von NSDAP und DNVP initiierte Volksbegehren gegen den Young-Plan verweigerten, weshalb Hitler die Umgebung des Kronprinzen scharf angriff.30 Kronprinz Rupprecht hielt sich von der Tagespolitik fern, empfing aber in der Art eines Monarchen häufig Politiker verschiedener Lager und war so stets bestens informiert. Ein Hauptanliegen war ihm die Sammlung bayerisch-monarchischer und national-konservativer Gruppierungen. Das weitgehende Fehlen politischer Stellungnahmen macht die Charakterisierung seiner Position schwierig. Eine Ausnahme bildet seine Denkschrift vom Jahresende 1923, in der er seine politischen Anschauungen zusammenfaßte. Erhalten ist die Durchschrift des für Kronprinz 27
Otto von Stetten an Kronprinz Rupprecht, 30. November 1926, GHA NL KPR 809. HVN AA KPR Mappe 10; Harold J. Gordon jr.: Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923 – 1924. Frankfurt am Main 1971, 397 f.; Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 211 – 222. 29 Druck in: Hans Weberstedt (Hrsg.): Kronprinz Rupprecht von Bayern gegen Ludendorff. Mit erstmaliger Veröffentlichung der Verhandlungsschriften (Der Völkische Sprechabend 17, 1. Februarheft 1925). Berlin 1925, 45 f.; Richard Sexau: Rupprecht von Bayern. Zum König geboren. In: Kronprinz Rupprecht von Bayern. Festschrift zum 85. Geburtstag 18. Mai 1954. Hrsg. v. d. Bayrischen Einigung. München 1954, 4 – 18, hier 11 f.; Teildruck in: Ludwig Franz Gengler: Die deutschen Monarchisten 1919 bis 1925. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Rechten von der Novemberrevolution 1918 bis zur ersten Uebernahme der Reichspräsidentenschaft durch Generalfeldmarschall von Hindenburg 1925. Kulmbach 1932, 135 f.; danach: Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 533. 30 Vgl. den Bericht Graf Soden-Fraunhofens in Alfons Beckenbauer: Wie Adolf Hitler durch einen niederbayerischen Grafen zu einem Wutausbruch gebracht wurde. Aus den unveröffentlichten Memoiren des Joseph Maria Graf von Soden-Fraunhofen – zugleich ein Beitrag zur Geschichte des monarchischen Gedankens in Bayern während der Weimarer Zeit. In: Verhandlungen des historischen Vereins für Niederbayern 103 (1977), 5 – 29, hier: 19 – 26. 28
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Wilhelm von Preußen bestimmten maschinenschriftlichen Originals.31 In einer Tour d’horizon behandelt er die Gegner Deutschlands im vergangenen Krieg und analysiert ihr gegenwärtiges Verhältnis zum Reich. Im Hauptteil zeichnet er die innenpolitischen Verhältnisse sehr negativ, das parlamentarische System hält er wegen der ökonomischen Not für „abgewirtschaftet“. Angesichts der herrschenden „verkappten Anarchie“ plädiert er für die zeitweilige Errichtung einer Diktatur. Sobald die wirtschaftliche Ordnung wieder hergestellt sei, will er die Mitwirkung des Volkes auf einer neuen Grundlage garantieren, das Wahlrecht abhängig vom Alter und der Anzahl der Familienmitglieder umgestalten. Getreu seiner politischen Grundüberzeugung vertritt er den Gedanken der Dezentralisierung der Macht sowohl auf der Ebene des Reiches wie der Länder. Als Vorbild schweben ihm die Kantone der Schweiz oder die Vereinigten Staaten von Amerika vor. Rupprecht formuliert die Grundsätze des Subsidiaritätsprinzips: „Das Prinzip der Selbstverwaltung muss schon aus erzieherischen Gründen zur Hebung des Verantwortlichkeitsgefühles möglichst weitgehend durchgeführt werden. Je mehr Freiheit den einzelnen Gliedstaaten im Rahmen des Reiches gelassen wird, desto zufriedener werden sie sein desto treuer am Reiche hängen.“ Als Staatsform favorisierte er die erbliche Monarchie, weil diese die Dauerinteressen des Staates besser als oft nur kurzlebige Regierungen garantiere. Unmittelbarer Einfluß des Kronprinzen auf das politische Geschehen ist kaum nachweisbar, doch äußerte er seine Vorstellungen in zahlreichen Gesprächen mit Politikern. Als sein direktes Sprachrohr kann der 1921 gegründete Bayerische Heimat- und Königsbund: „In Treue fest“ (BHKB) gelten,32 zumal seit 1925 Erwein Frhr. von Aretin in verschiedenen Funktionen dessen Geschicke bestimmte.33 Der Leiter des innenpolitischen Ressorts der „Münchner Neuesten Nachrichten“ entwickelte Verfassungskonzeptionen für die Zukunft eines Königreiches Bayerns und des Deutschen Reiches. Am Ende der Weimarer Republik expandierte die Mitgliederzahl des Königsbundes, die sich wegen des Fehlens von Unterlagen nicht sicher rekonstruieren läßt, jedenfalls war sie wenigstens fünfstellig.34
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GHA, NL KPR 774 (handschriftlicher Vermerk: Dezember 1923); Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 239 – 242. 32 Die Hauptquelle bilden die Akten des Registergerichts München, die zeitweilig an das NSDAP-Hauptarchiv abgegeben waren: Staatsarchiv München, AG 33 143: Eintragung beim Registergericht am 14. September 1921; Dieter J. Weiß: „In Treue fest“. Die Geschichte des Bayerischen Heimat- und Königsbundes und des Bayernbundes 1921 bis 2011. In: Gott mit dir du Land der Bayern. Hrsg. zum 90jährigen Bestehen des Bayernbundes e.V. von Adolf Dinglreiter und Dieter J. Weiß. Passau 2011, 11 – 66 (mit weiterer Literatur). 33 Erwein von Aretin: Krone und Ketten. Erinnerungen eines bayerischen Edelmannes. Hrsg. v. Karl Buchheim und Karl Otmar von Aretin. München 1955, mit einem Lebensbild durch Karl Otmar von Aretin, 7 – 18. 34 Karl Otmar von Aretin: Die bayerische Regierung und die Politik der bayerischen Monarchisten in der Krise der Weimarer Republik 1930 – 1933. In: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag 1. Göttingen 1971, 205 – 237, hier 207.
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2. Die wirtschaftlichen Verhältnisse Wenden wir uns im nächsten Punkt den wirtschaftlichen Verhältnissen zu. Die vermögensrechtlichen Leistungen des Staates an das Haus Bayern waren seit dem 1. Dezember 1918 ohne gesetzliche Grundlage eingestellt worden.35 Die bis dahin dem Gebrauch des Hofes vorbehaltenen Gebäude und Grundstücke samt Inventar gingen in staatlichen Besitz über. Verhandlungen über die Versorgungsansprüche des Königshauses wurden sofort aufgenommen.36 Die juristischen Grundlagen lieferte der Staatsrechtler und BVP-Politiker Professor Konrad Beyerle.37 Der Kronprinz war zu einem Vergleich und zum Verzicht auf die Masse des seit 1818 als Staatsgut betrachteten Hausgutes bereit. Im Juli 1922 setzten staatliche Abschlagszahlungen in Millionenhöhe ein, die freilich durch die Inflation ihren Wert verloren.38 Die Beauftragten des Königshauses schlossen am 24. Januar 1923 mit den Vertretern des Staates ein Übereinkommen.39 Es sah die Bildung des Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) vor, dem der Staat Immobilien und Geld überwies.40 Die Erträge sollten die früheren staatlichen Leistungen an die Mitglieder des Königshauses ersetzen. Die Rechtsform dieser Stiftung garantierte die Erhaltung des Gesamtbesitzes, beschränkte aber die Dispositionsfreiheit der aktuellen Anspruchsberechtigten. Die Nutznießung wurde unter dem Chef des Hauses und den weiteren Linien nach einer internen Vereinbarung verteilt. Im Gegenzug erkannte das Haus Bayern das Staatseigentum an den übrigen Gütern des vormaligen Hausfideikommisses an, den Schlössern und Residenzen sowie dem umfangreichen Forstbesitz. Der Vertrag floß in den Gesetzesentwurf ein.41 Die Regierungsvorlage
35 Zur Problematik der Trennung von Haus- und Krongut und den Auseinandersetzungen zwischen Dynastie und Staat nunmehr grundlegend Cajetan von Aretin: Die Erbschaft des Königs Otto von Bayern. Höfische Politik und Wittelsbacher Vermögensrechte 1916 bis 1923. München 2006, zu den Vermögensrechten in der Revolution ebd. 225 – 234. 36 Vgl. die Rede des Staatssekretär Dr. Wilhelm Krausneck vom 7. Mai 1920 im Landtag: Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender. Hrsg. v. Wilhelm Stahl, N.F. 36, 1920/I. München 1924, 131. 37 Konrad Beyerle: Das Haus Wittelsbach und der Freistaat Bayern. Rechtsgrundlagen für die Auseinandersetzung zwischen Staat und Dynastie, Teil 1. München u. a. 1921; Konrad Beyerle: Die Rechtsansprüche des Hauses Wittelsbach. München 1922. 38 Zur Fürstenabfindung bis 1923 vgl. von Aretin: Erbschaft des Königs Otto (wie Anm. 35), 234 – 244. 39 HVN AA KPR Mappe 10; 24. Januar 1923: Übereinkommen zwischen dem Bayerischen Staate und dem vormaligen Bayerischen Königshause. In: Berichte über die Verhandlungen des Bayerischen Landtages, 3. Tagung 1922/23, Beilagen-Band XI, Beilage 3298. München 1923, 498 – 503; vgl. dazu Walter Leisner: Monarchisches Hausrecht in demokratischer Gleichheitsordnung. Der Wittelsbacher Ausgleichsfonds in Bayern. Erlangen 1968. 40 Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 225 – 230. 41 7. Februar 1923, Berichte über die Verhandlungen des Bayerischen Landtages 1922/23, Beilagen-Band XI, Beilage 3298, 497 f.; Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender. Hrsg. v. Ulrich Thürauf, N.F. 39, 1923. München 1928, 28.
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wurde am 9. März 1923 mit 92 Stimmen von der Landtagsmehrheit angenommen.42 Das Kapital von 40 Millionen Mark, die der Staat in den Wittelsbacher Ausgleichsfonds einbrachte, wurde sofort durch die Inflation aufgezehrt. Statt der geplanten Jahreseinnahmen von zwei Millionen Mark wurden in den Jahren bis 1930/ 31 jeweils nur circa eine halbe Million Einkünfte erzielt, im Rechnungsjahr 1931/32 fielen sie infolge des Rückgangs der Holzpreise sogar noch weiter. Der Jahresertrag kam nicht vollständig zur Auszahlung an die Nutznießer, sondern mit einem Teil wurden Rücklagen und verschiedene Fonds gebildet. Im unbestrittenen Eigentum des Oberhaupts der Dynastie blieb der Hausfideikommiß König Ludwigs I., zu dem Teile der Gemäldesammlungen der Münchner Pinakotheken, Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek und des Bayerischen Nationalmuseums gehören. Kronprinz Rupprecht übertrug diese in einem großzügigen Akt an den Wittelsbacher Ausgleichsfond zu dauerndem öffentlichen Gebrauch.43 Für den Kunstbesitz wurde die „Wittelsbacher Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft“ eingerichtet. Dazu gehört mit 63 Stücken eine der bedeutendsten Rubens-Sammlungen. IV. Formen monarchischer Inszenierung 1. Familiärer Neuanfang und Hofhaltung Nachdem sich seit dem Sommer 1920 die Möglichkeit einer angemessenen Versorgung des Königshauses durch den Staat abgezeichnet hatte, erneuerte Kronprinz Rupprecht seine Verlobung mit Prinzessin Antonie von Luxemburg.44 Die Vermählung am 7. April 1921 zelebrierte in der Pfarrkirche von Lenggries der Apostolische Nuntius in München, Erzbischof Eugenio Pacelli.45 Die anschließende Frühstückstafel fand auf Schloß Hohenburg,46 einer Nebenresidenz des großherzoglichen Hauses Nassau-Luxemburg, statt.47 Die Hochzeitsgäste wurden angeführt 42
Verhandlungen des Bayerischen Landtags III. Tagung 1922/23, 179. Sitzung vom 9. März 1923, 1091 – 1099. – Druck: Gesetz über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung des Bayerischen Staates mit dem vormaligen Bayerischen Königshause. In Leisner: Hausrecht (wie Anm. 39), Anhang II, 107 f. 43 Karl Busch: Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Das Haus Wittelsbach und der Gemäldeschatz Bayerns. In: Bayerische Kulturpflege. Beiträge zur Geschichte der schönen Künste in Bayern. Hrsg. durch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Seiner Königlichen Hoheit Kronprinz Rupprecht von Bayern zum 80. Geburtstag gewidmet 18. Mai 1949. München 1949, 54 – 74, hier: 73 f. 44 Zur Biographie Jean Louis Schlim: Antonia von Luxemburg. Bayerns letzte Kronprinzessin. München 2006. 45 Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 179 – 182. 46 Vgl. Jean Louis Schlim: Schloß Hohenburg. Die nassauisch-luxemburger Residenz in Bayern. Oberhaching 1998. 47 Max Oppel (Hrsg.): Ludwig III. König von Bayern. Ausstellungskatalog zum 150. Geburtstag in Wildenwart. Prien am Chiemsee 1995, Nr. 90, 120 f.
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von der Brautmutter, Herzogin Maria Anne von Luxemburg, und von König Ludwig III. von Bayern. Außerdem waren die näheren Verwandten aus den Häusern Bayern, Luxemburg, Baden, Sachsen, Bragança und Löwenstein geladen. Die gesellschaftlichen Beziehungen auf oberster Ebene bildeten auch nach 1918 ein wesentliches Kapital der europäischen Dynastien. Nach der Sicherung der finanziellen Verhältnisse durch den Wittelsbacher Ausgleichsfonds verbesserten sich die Wohnbedingungen des Kronprinzenpaares. Aus dem Privaterbe seines Vaters erhielt Rupprecht die Hälfte von Schloß Leutstetten im Würmtal, wo sein Bruder Prinz Franz mit Familie lebte. Außerdem fiel das 1918 zeitweilig enteignete Schloßgut Eiwanowitz in Mähren an ihn. 1923 wurde das vorübergehend fremd genutzte Leuchtenberg-Palais48 in München frei, in dem der Kronprinz seine Stadtwohnung und den Sitz der Hofverwaltung einrichtete. Er hatte es aus der Erbschaft seines Vaters übernommen, mußte aber seine Geschwister entschädigen und umfangreiche Renovierungsarbeiten vornehmen.49 Die Empireräume waren als Erbe von Eugène de Beauharnais, Herzog von Leuchtenberg, mit Möbeln aus dem Besitz der Kaiserin Josephine ausgestattet. Rupprecht konzentrierte sie und die Kunstgegenstände aus der Zeit Kaiser Napoleons I. in seinen Zimmern. Als Hauptwohnsitz richtete sich der Kronprinz Schloß Berchtesgaden ein.50 Er übernahm den ursprünglichen Stiftsbau, dem die Fürstpröpste im Laufe der Jahrhunderte einen schloßartigen Charakter verliehen hatten, 1923 fast leerstehend. Im Zuge der umfassenden Renovierung wurden die Renaissancesäle freigelegt. Rupprecht stattete sie mit Kunstwerken aus seiner Sammlung aus, die meist in ihrer Entstehungszeit entsprechenden Räumen zur Geltung gebracht werden konnten. Da das Schloß in seiner Abwesenheit ebenso wie Hohenschwangau öffentlich zugänglich war, konnten aus den Eintrittsgeldern nicht unerhebliche Einnahmen erzielt werden. Bis 1933 führte Kronprinz Rupprecht von Bayern einen Lebensstil, der an den eines Monarchen erinnert, freilich mit finanziell stark eingeschränkten Mitteln.51 Die Winter verbrachte er mit seiner Familie im Münchner Leuchtenberg-Palais, Frühjahr und Herbst in Berchtesgaden und Teile des Sommers in Hohenschwangau.52 Hier standen der Prinzen- und Kavaliersbau für Wohnzwecke zur Verfügung. Rupprecht sorgte auch hier für eine neue Möblierung, indem er die Möbel aus der Zeit König Maximilians II. zusammenzog. In München gab er zahlreiche Emp48 Elfi M. Haller / Hans Lehmbruch: Palais Leuchtenberg. Die Geschichte eines Münchner Adelspalais und seines Bauherren. München 1986. 49 HVN AA KPR Mappe 10; HVN AA KPR Mappe 25, Manuskript: „Wie ich zum Kunstsammler wurde“ (danach auch die folgenden Angaben). 50 Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 473 – 475. 51 Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 230 – 233. 52 Irmingard Prinzessin von Bayern: Jugend-Erinnerungen 1923 – 1950. Mit einem Vorwort von Andreas Kraus. St. Ottilien 2000, 137 – 156.
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fänge, auch an den übrigen Wohnsitzen waren häufig Gäste eingeladen. So betrug das Jahresquantum allein an rotem Tischwein in Berchtesgaden zwei bis drei Hektoliter.53 Bei Tisch servierten Lakaien in blauen Livreen mit Silberborten und Schnallenschuhen.54 Den Haushalt des Kronprinzen leitete bis 1923 Friedrich Graf von Pappenheim als Hofmarschall, der schon vor dem Krieg in dieser Funktion tätig gewesen war. Zeitweilig übernahm Berthold Graf von Stauffenberg die Aufgaben eines Obersthofmarschalls.55 Franz Freiherr von Redwitz fungierte seit dem 1. Juni 1922 als persönlicher Adjutant. In Abwesenheit der Hofbeamten hielt sich meist ein diensttuender Herr aus dem bayerischen Adel beim Kronprinzen auf, der die laufenden Geschäfte führte. Bei der Neueinrichtung des Hofstaates im März 1923 wurden drei Ämter gebildet: das Hofmarschallamt, die Vermögensverwaltung und das Kabinett. Der Sitz dieser „Hofämter“ war das Leuchtenberg-Palais. Die führende Position hatte der Leiter der Hof- und Vermögensverwaltung in der Funktion eines Obersthofmeisters, Eugen Prinz zu Oettingen-Wallerstein. Gleichzeitig übernahm er den Vorsitz im Verwaltungsrat des Wittelsbacher Ausgleichsfonds. 1930 legte er sein Amt nieder, weil er nach dem Tode seines Bruders als Fürst die vormalige Standesherrschaft übernahm. Als politischer Berater blieb er dem Kronprinzen weiter eng verbunden. Die Formen der Monarchie wurden beibehalten. Im Frühjahr 1923 konnte Prinz Oettingen etwa an den Kronprinzen schreiben: „Der Herr Ministerpräsident ersuchte mich Euer Majestät alleruntertänigst zu melden, dass er Euer Majestät jederzeit zur Verfügung steht u[nd] um die gelegentliche Gewährung einer Audienz alleruntertänigst bitten möchte.“56 Die Leitung der Vermögensverwaltung übernahm Ludwig Freiherr Zu Rhein, der bereits Ludwig III. in dieser Funktion gedient hatte.57 Das Amt des Hofmarschalls erhielt Franz Freiherr von Redwitz. Er hatte den Kronprinzen zu begleiten und die internen Angelegenheiten des Hauses zu führen. Auch war er für die Verwaltung des umfangreichen Kunstbesitzes zuständig. Rupprecht übertrug ihm außerdem die Verantwortung für die Ausbildung von Erbprinz Albrecht. 1934 übernahm er zusätzlich das Amt des Kabinettschefs und später auch die Hof- und Vermögensverwaltung. Zunächst fungierte aber seit März 1923 Josef Maria Graf von SodenFraunhofen, der in der Monarchie im Innenministerium und in der bayerischen Gesandtschaft in Berlin gearbeitet hatte, als Kabinettschef und damit maßgeblicher
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Redwitz an KPR, 29. Oktober 1928, GHA NL KPR 169. Irmingard: Jugend-Erinnerungen (wie Anm. 52), 37, 46. 55 HVN AA KPR Mappe 10. 56 Prinz Eugen von Oettingen an Kronprinz Rupprecht, 26. März 1923, GHA NL KPR 763. 57 Vollmacht für die Regelung der persönlichen und Vermögensangelegenheiten von Kronprinz Rupprecht, 23. Februar 1926, GHA NL KPR 170; Berichte Zu Rheins: ebd. 54
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politischer Berater neben Prinz Oettingen.58 Er bearbeitete die Korrespondenz des Hohen Herrn und verfaßte den Großteil der Antwortschreiben „im Allerhöchsten Auftrag“.59 Auch die Gewährung von Audienzen fiel in sein Ressort. Mit der Entpflichtung des Prinzen Oettingen 1930 endete seine Unterstellung unter den Chef der Hof- und Vermögensverwaltung. Die Hofhaltung verschlang sehr hohe Kosten, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise nicht mehr durch die Einnahmen gedeckt wurden. Vierzehn Personen standen in ihrem engeren Dienst, dazu ein Hauslehrer, eine englische Erzieherin und zwei Kindermädchen. Der Kronprinz nahm diesbezügliche Einsparungsvorschläge des Freiherrn Zu Rhein allerdings sehr ungnädig auf.60 Wegen der hohen Steuerbelastung überlegte er, ob er das Leuchtenberg-Palais überhaupt weiter bewohnen könne.61 Auch seine regelmäßigen Aufenthalte in Schloß Berchtesgaden mußte er wegen der Wohnsteuer aufgeben und kam nur noch zu gelegentlichen Jagdbesuchen. Ab 1932 verbrachte er die Sommer in Hohenschwangau, das besser von München zu erreichen war und über eine ruhigere Lage verfügte.62 Da das Schloß selbst unwohnlich war, bewohnte die Familie den Kavaliersbau. 2. Dynastische Repräsentation Die Hofhaltung bildete den Rückhalt für das öffentlich-repräsentative Auftreten des Kronprinzen ab 1922.63 Erstmals wurden ihm bei einer Kriegergedenkfeier in Passau in diesem Jahr von der Reichswehr wieder die ihm als Generalfeldmarschall zustehenden militärischen Ehren erwiesen.64 Bis 1933 und mit Einschränkungen darüber hinaus war er nun Ehrengast bei zahlreichen militärischen Feiern, die meist dem Totengedenken oder der Kameradschaft der lebenden Kriegsteilnehmer galten. Die Verwandtenkontakte liefen in den Formen wie zu Zeiten der Monarchie ab, zumal sich unter ihnen regierende Häuser befanden. Der Verkehr mit der Dynastie Hohenzollern entsprach den traditionellen Formen, wenn Rupprecht auch einen Besuch von Haus Doorn lange vermied. Er gratulierte Kaiser Wilhelm II. erst zur Feier seines 80. Geburtstages am 27. Januar 1939 persönlich.65 Engere Kontakte
58 Dankschreiben Josef Maria Graf von Soden-Fraunhofens an Kronprinz Rupprecht, 23. März 1923, GHA NL KPR 764. – Zur Biographie vgl. Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 483; Beckenbauer: Wie Adolf Hitler (wie Anm. 30), 5 – 10. 59 Beckenbauer: Wie Adolf Hitler (wie Anm. 30), 9. 60 6. Juni 1932, GHA NL KPR 170. 61 HVN AA KPR Mappe 14. 62 HVN AA KPR Mappe 13. 63 Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 236 – 239. 64 Sendtner: Rupprecht von Wittelsbach (wie Anm. 8), 490. 65 HVN AA KPR Mappe 21; Hans Rall: Wilhelm II. Eine Biographie. Graz u. a. 1995, 390.
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unterhielt er mit dem preußischen Kronprinzen Wilhelm und dessen Frau Cecilie, die er im Herbst 1924 in München traf.66 Das Kabinett des Kronprinzen bediente sich der bayerischen Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl67 zur Vorbereitung von Reisen und zur Vermittlung von päpstlichen Audienzen weiterhin, als ob die Ereignisse von 1918 nicht stattgefunden hätten.68 Auf der Rückreise von Sizilien besuchte das Kronprinzenpaar im Frühjahr 1924 Rom, wo es von Papst Pius XI. in Privataudienz empfangen wurde. Im Anschluß statteten Rupprecht und Antonie protokollgerecht Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri einen Besuch ab.69 Der bayerische Vatikangesandte Otto von Ritter hatte sich um die Einzelheiten gekümmert.70 1923 wurde Kronprinz Rupprecht als Bailli in den Souveränen Malteser Ritterorden aufgenommen. Er erhielt dabei das Großkreuz nebst dem Brustkreuz in der Form, wie es nur gekrönten Souveränen zustand.71 Innerhalb des Freistaates Bayern bestanden nach 1918 eine Reihe von Einrichtungen und Institutionen der Monarchie fort.72 Dazu gehörten die Königlich-Bayerischen Hausritterorden vom Heiligen Georg und vom Heiligen Hubertus sowie der Militär-Max-Joseph-Orden. Der 1444 gestiftete Hubertus-Orden,73 der als höchster des Königreiches galt, wurde weiter durch den Chef des Königlichen Hauses an Angehörige des Hochadels verliehen, doch sind keine Ordensfeste nachweisbar. Der Georgi-Ritterorden symbolisierte neben seiner sozialen Funktion die Bindung des bayerischen Adels an das Königshaus. Prinz Eugen Oettingen stellte 1926 den Antrag, nur noch Kandidaten, die in einem besonderen Treueverhältnis zur Dynastie stünden, aufzuschwören.74 Während des Ersten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegsjahre hatten keine Ordensfeste stattgefunden, damit waren auch Neuaufnahmen unterblieben. Die dadurch aufgestaute hohe Anzahl von Kandidaten der Jahre 1920 bis 1922 erhielt nur eine schriftliche Bestätigung ihrer Aufnahme.75 66 Briefwechsel: GHA NL KPR 774; ebd. der Dankbrief Kronprinz Wilhelms von Preußen vom 3. November 1924. 67 Georg Franz-Willing: Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803 – 1934. München 1965. 68 BayHStA, Ministerium des Äußeren (künftig MA), Gesandtschaft beim Päpstlichen Stuhl 162, 166, 167, 168. 69 HVN AA KPR Mappe 10. 70 BayHStA MA Gesandtschaft beim Päpstlichen Stuhl 162. 71 Josef Maria Graf von Soden-Fraunhofen an Otto von Ritter, 21. März 1924, BayHStA MA Gesandtschaft beim Päpstlichen Stuhl 162. 72 Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 233 – 236. 73 Friedrich Leist: Der Königlich Bayerische Hausritterorden vom Heiligen Hubertus. Bamberg 1892. 74 1. Dezember 1926, GHA HRO vom Hl. Georg, Akten 243. 75 Chronologisches Verzeichnis sämtlicher Mitglieder des kurfürstlich, später königlich bayerischen Hausritter-Ordens vom heiligen Georg seit seiner Reorganisation durch Kurfürst Carl Albrecht im Jahre 1729. Aus Anlaß des 200-jährigen Jubiläums im April 1929 im Auftrag des Ordens zusammengestellt von dem Ordensritter Franz Erbgraf zu Waldburg-Wolfegg, zum
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Aus seinem Engagement während des Krieges, als er drei Lazarette und eine Pflegestätte unterhalten sowie die Seelsorge und das Pflegepersonal von sieben Lazarett-Trupps finanziert hatte, bezog dieser Ritterorden sein ungebrochenes Selbstbewußtsein. Nach dem Tode König Ludwigs III. übernahm Kronprinz Rupprecht das Amt des Großmeisters.76 Am Georgitag 1922 wurden die seit 1920 zu Rittern ernannten elf Herren und zwei weitere Kandidaten vor der Kapitelskonferenz aufgeschworen.77 In den folgenden Jahren fanden mit immer stärker ausgebautem Zeremoniell meist jeweils acht Neuaufnahmen statt, nach 1933 nur noch eine. Der Militär-Max-Joseph-Orden wurde nach Kriegsende weiter verliehen, so daß noch in Zeiten der Republik Ritter ernannt wurden.78 Wegen der engen Bindung dieses Ordens an den Staat wünschte Ludwig III., daß kein Mitglied des Hauses das Großmeisteramt übernähme.79 Rupprecht hielt sich nach dem Tode seines Vaters daran. Als Stellvertreter nahm General Felix Graf von Bothmer bis zum Oktober 1932 die Aufgaben eines Großmeisters wahr. Bereits 1920 hatten Rupprecht und sein Onkel Prinz Leopold an einem Ordensfest teilgenommen, bei dem eine Huldigungsadresse an den König gesandt wurde.80 Auch in den folgenden Jahren war der Kronprinz bei allen Ordensfesten anwesend. Erst am 19. März 1933 übernahm er die Position als Großmeister.81 V. Zusammenfassung und Ausblick Kronprinz Rupprecht von Bayern wuchs in der Zwischenkriegszeit in die Rolle eines Repräsentanten Bayerns hinein, ohne eine offizielle Aufgabe wahrzunehmen. Er hielt sich den politischen Alltagsgeschäften fern, repräsentierte aber bei zahlreichen Versammlungen nicht nur von Patrioten- und Kriegervereinen in ganz Bayern wie ein Souverän. Für weite Kreise der Bevölkerung wirkte er als Identifikationsfigur, die in der schweren Not von Nachkriegszeit und Inflation Halt und
Ordenshauptfest 1986 erweitert, mit Photographien ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht durch den Kapitular-Komtur Christoph Freiherr von Gumppenberg und den Ordensritter Ferdinand Graf zu Waldburg-Wolfegg. o.O. 1986. 76 Kronprinz Rupprecht an den Großkanzler, Hans Freiherrn von Laßberg, 11. November 1921, GHA HRO vom Hl. Georg, Akten 203. 77 23. April 1922, GHA HRO vom Hl. Georg, Akten 248. 78 [Friedrich Karl] Freiherr von Sturmfeder-Horneck: Der Kgl. Bayer. Hausritterorden vom heiligen Georg und der Weltkrieg 1914 – 1918. o.O. [1929] (ein Exemplar: GHA HRO vom Hl. Georg, Akten 193). 79 BayHStA KA Militär-Max-Joseph-Orden I K 1. 80 BayHStA KA Militär-Max-Joseph-Orden I K 45. 81 Rudolf von Kramer und Otto Freiherr von Waldenfels: Virtuti pro patria. Der königlich bayerische Militär-Max-Joseph-Orden. Kriegstaten und Ehrenbuch 1914 – 1917. München 1966.
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Orientierung bot.82 Dabei schuf er sich bewußt, wenn auch mit unzulänglichen finanziellen Möglichkeiten, eine Hofhaltung und griff Formen monarchischen Zeremoniells auf. Hier wäre er auch zur Übernahme weitreichenderer politischer Verantwortung willens gewesen. Doch sind seine Bereitschaft, angesichts der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Reich die Krone anzunehmen und somit die staatliche Unabhängigkeit Bayerns zu retten, nicht mehr Thema dieses Beitrages.83 Während des Zweiten Weltkrieges mußte er ins Exil nach Florenz gehen, seine engere Familie wurde in Konzentrationslagern inhaftiert.84 Im Mittelpunkt seiner politischen Überlegungen stand stets Bayern, auch wenn er noch in seinem Florentiner Exil für das Deutsche Reich insgesamt nach dem erhofften Zusammenbruch des Nationalsozialismus föderalistisch geprägte Verfassungspläne entwarf.85 Die Chance zur Umsetzung seiner Vorstellungen blieb ihm aber zeitlebens verwehrt.
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Vgl. etwa die Würdigungen von Max Spindler: Ungekrönt – und doch ein König. Kronprinz Rupprecht von Bayern. In: Ders.: Erbe und Verpflichtung. Aufsätze und Vorträge zur bayerischen Geschichte. Hrsg. v. Andreas Kraus, München 1966, 352 – 361; Walter Goetz: Rupprecht Kronprinz von Bayern 1869 – 1955. Ein Nachruf. München 1956; Golo Mann: Gedanken zum Ende der Monarchie in Bayern. In: Hubert Glaser (Hrsg.): Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat. München 1980, 473 – 478, hier 473 f. 83 von Aretin: Regierung (wie Anm. 34); Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 263 – 272. 84 Erwein von Aretin: Wittelsbacher im Kz. München [1949]; Weiß: Kronprinz Rupprecht (wie Anm. 8), 311 – 316. 85 Dieter J. Weiß: Die Staatsauffassung Kronprinz Rupprechts von Bayern. Ein Verfassungsentwurf aus dem deutschen Widerstand. In: Konrad Ackermann / Alois Schmid / Wilhelm Volkert (Hrsg.): Bayern vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas Kraus zum 80. Geburtstag. München 2002, Bd. II, 547 – 560, hier: 553 – 558.
“Young, brave and true, he wears the blue” The concept of the “Sailor Prince” in 19th-Century European Monarchies By Miriam Schneider, St. Andrews I. Introduction The years 1867 to 1869 witnessed a veritable flood of national songs swamping the British Empire.1 Prince Alfred, Queen Victoria’s second son, was touring the colonies in his capacity as captain of HMS Galatea. From Britain to Australia his royal progress gave rise to lyrical outpourings of dubious quality. “Young, brave, and true, he wears the blue, His courage to evince, The pride, ‘the darling of his crew’. God bless our Sailor Prince!” wrote one overwhelmed poet. His lyrics were only the tip of an iceberg, which induced several magazines to ridicule both the abundance of compositions dedicated to Queen Victoria’s copious offspring and the shortage of adequate rhymes displayed by them.2 The lack of variety amongst the growing number of songs, however, should not distract from the fact to which their sheer quantity points: British subjects had found in Prince Alfred a powerful figurehead on which they could project their feelings of national, naval, and imperial enthusiasm. In the naval education of their second son, Queen Victoria and Prince Albert, a modern royal couple constantly in search of a cure for the crisis of legitimacy caused by a revolutionary present and a disgraceful past, had found a potent popularity potion.3 A centuries-old love relationship linked the inhabitants of the British Isles to the sea and to the Royal Navy, which, by protecting commerce, connecting colonial possessions, and maintaining the Pax Britannica symbolized national greatness, imperial integration, and liberal virtues.4 “The strong heart of England warms to the seaman’s blue jacket”, the
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This essay is the revised version of a paper given at the international conference “European Constitutional Monarchies”, Copenhagen, 23 – 24 August 2012. 2 ‘God bless our sailor prince. A national song’, 1868; ‘Wanted, another royal hymn’, The Orchestra (18 July 1868); ‘A poet’s indignation’, Punch (12 September 1868); ‘God speed the Galatea’, The Musical Times (1 August 1869). 3 For the relevant ‘manifesto’ cf. Baron Stockmar’s memorandum on royal education: Ernst von Stockmar (ed.): Denkwürdigkeiten aus den Papieren des Freiherrn Christian Friedrich von Stockmar. Braunschweig 1872, 390 ff. 4 Cf. e. g. Cynthia Behrmann: Victorian myths of the sea. Athens, OH 1977.
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Times declared in 1858.5 And the Dublin University Magazine observed: “A royal Prince, who is also a Sailor is sure to command the sympathies of his countrymen”.6 Prince Alfred (1844 – 1900) was not the only, although perhaps the first proper “Sailor Prince” of the 19th century. All over Europe, unprecedented socio-political developments, such as democratization and secularization, the rise of middle-class liberalism and nationalism as well as the spread of the mass media, questioned monarchical legitimacy and forced dynasties to adapt so that they could prove their continued relevance. While dynastic traditions, political and popular cultures varied greatly between countries, recent research suggests that many European monarchies nevertheless used the same responsive strategies. Studies of subjects such as royal ritual, publicity-management or the creation of “bourgeois”, “national” and “imperial monarchies” highlight the remarkable resourcefulness of leading European dynasties in their quest for stabilization.7 Downright revivals of monarchy were achieved by individual efforts to re-fashion public images in accordance with the dominant trends of the age. One such trend was public naval enthusiasm, and one royal adaption strategy was the creation of the concept of “Sailor Prince”. In 2007, Jan Rueger published an impressive comparison of the gloriously staged “naval monarchies” of Great Britain and the German Reich.8 By establishing personal and institutional links between monarchy and navy, “Flottenkaiser” William II and “Sailor King” George V allied themselves to important metaphors of national identity, imperial greatness, and technological modernity in the age of empire, sea power, and mass culture. But these sovereigns were neither the first nor the only monarchs who grasped the symbolical potential of the naval forces. Rolf Hobson’s transnational approach to 19th-century naval policies and the new importance he attached to secondary naval powers in overall concepts of a maritime balance of power make an assessment of “naval monarchies” other than the two most obvious ones an urgent research deside-
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‘An existence compounded of the two ideas’, The Times (30 December 1858). ‘The cruise of the Galatea’, Dublin University Magazine 73 (January 1869). 7 E. g. Frank Lothar Kroll: Zwischen europäischem Bewußtsein und nationaler Identität. Legimitationsstrategien monarchischer Elite im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In: Hans-Christof Kraus / Thomas Nicklas (eds.): Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege. München 2007, 353 – 374; David Cannadine: The Context, Performance and Meaning of Ritual. The British Monarchy and the “Invention of Tradition”, c. 1820–1977. In: Eric Hobsbawm / Terence Ranger (eds.): The Invention of Tradition. New York, NY 2010, 101 – 164; John Plunkett: Queen Victoria. First media monarch. Oxford 2003; Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn u. a. 2000; Miles Taylor: Prince Albert and the British Empire. In: Franz Bosbach / John Davis (eds.): Prinz Albert – ein Wettiner in Großbritannien / Prince Albert – a Wettin in Britain. München 2004, 75 – 82; Martin Kohlrausch: Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie. Berlin 2005. 8 Jan Rueger: The Great Naval Game. Britain and Germany in the Age of Empire. Cambridge 2007. 6
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ratum.9 Both a broadened geographical scope (including northern or southern European monarchies) and an extended time frame (going further back than the 1880s) are needed. And so is a wider focus on the personnel involved in monarchical adaption projects such as “navalization”. Sovereigns were not alone in their effort to popularize the monarchy. They were supported by a whole project staff. But the political dimension and uses made of the concept of dynasty have been severely neglected in scholarly studies, although their broad base and networking capacities were some of the most vital assets of 19th-century European monarchies. A research project launched at the University of St. Andrews in 2012 aims to narrow this research gap by studying the systemic function and public role of heirs to the throne within the monarchical systems and wider political cultures of Europe.10 But one could go even one step further and also look at the role played by, and uses made of, allegedly useless younger royal sons within the 19th-century revival of monarchy. Their education – another under-researched topic – was used as a vital tool both for transmitting parental messages and adapting to change. This essay explores how, between 1857 and 1914, against the backdrop of growing nationalisms and associated naval or imperial ambitions, the reigning families of several European nation states chose to educate their younger sons in the navy and thus sought to create powerful links with a mythically invested symbol of bourgeois virtue, national strength, and imperial integration. It examines their diverse attempts to latch onto or to stir public naval enthusiasm; their adoption of professional values and educational courses; the structural functions performed and the popular reception received by “Sailor Princes”. The case studies involved comprise four nation states, which, owing to their geostrategic positions or state ideologies, defined themselves as minor or major maritime powers with formal or informal sea-borne colonial empires and imperial ambitions: Great Britain, the German Reich, Denmark, and Greece. The reigning families of these states, the Saxe-Coburgs, Hohenzollerns, and Glücksburgs, were closely intertwined dynasties, suggesting a transnational approach to the uses and transfers made of the concept of “Sailor Prince”. At the same time, the socio-political conditions in all four countries were diverse enough to promise a fruitful comparative analysis addressing the question of how 19th-century constitutional monarchies adapted to change and participated in processes of modernization within different national contexts.
9 Rolf Hobson: Imperialism at sea. Naval strategic thought, the ideology of sea power, and the Tirpitz plan, 1875 – 1914. Boston 2002; idem / Tom Kristiansen (eds.): Navies in northern waters, 1721 – 2000. London 2004. 10 For an outline cf. Frank Lorenz Müller: Our Fritz. Emperor Frederick III and the Political Culture of Imperial Germany. Cambridge, MA / London 2011; Heidi Mehrkens / Frank Lorenz Müller (eds.): Sons and Heirs. Dynasty and political culture in 19th-century Europe. Houndmills / New York, NY 2015.
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II. Motives and narratives All four case studies are linked by various attempts to adapt existing – or construct non-existing – national and dynastic traditions of naval glory, which helped young or challenged dynasties to consolidate their political and social power by stressing their national tradition, continued relevance, and proposed modernity. By clothing their “young, brave, and true” offspring in blue jackets, these dynasties contributed to various processes of nation-building and national integration as well as empire-building and imperial integration. As we have seen before, Prince Alfred’s naval uniform fitted well into British national narratives. Powerful myths dating back to the Elizabethan Age and Napoleonic Wars surrounded the Royal Navy, which stood as an emblem of Britain’s glorious past and present status as a super power. The naval force was the most prestigious military service and, in the militarized fashion of the day, the monarchy ‘nationalized’ itself by aligning with it.11 But although there was a whole line of royal commanders at sea to fall back on, Queen Victoria anxiously avoided any associations with her Hanoverian forbears. Openly-voiced radical and liberal criticism of royal amateurism made sure that Prince Alfred’s naval education was carefully set apart from that of his ridiculed great-uncle, “Sailor King” William IV. Narratives of qualitatively new middle-class professionalism and royal dedication to national defence were embedded into tales of glorious British naval tradition.12 While Prince Alfred was integrated into a genealogy of British naval might omitting embarrassing ancestors, naval historians of the recently unified German Reich felt obliged to create legitimizing traditions where there were none: The lack of any substantial naval force prior to 1871 was made up for by canonizing a line of Hohenzollern naval ‘visionaries’ reaching as far back as the Great Elector. The ancient motto “From Rock to Sea” was re-interpreted as a prophecy of the dynasty’s national destiny with a clearly maritime dimension. And Prince Adalbert, the only naval office-holder the Hohenzollerns had ever produced, was cast as a role model for Prince Henry of Prussia (1862 – 1929), the second son of Crown Prince Frederick William, who entered the Imperial Navy in 1877.13 By allowing a Prussian prince to start his military career in the navy and thus supporting a young institution lacking social status, the newly created Imperial Family took an unprecedented step. They aimed to demonstrate their liberal and national outlook and to stress their importance as a fac11 Cf. Behrmann: Victorian myths (note 4); Rueger: Naval game (note 8); Christopher Lloyd: The nation and the navy. A history of naval life and policy. London 1954. 12 For examples of middle-class discourse, cf. ‘Our royal soldiers and sailors – what are they worth?’, Reynold’s Newspaper (7 November 1858); ‘An existence compounded of the two ideas’, The Times (30 December 1858). 13 Cord Eberspächer: Wilhelm II., Wilhelmshaven und die Kaiserliche Marine. In: Ders. u. a. (eds.): Wilhelm II. und Wilhelmshaven. Zur Topographie einer wilhelminischen Stadt. Wilhelmshaven 2003; cf. Adolf Langguth: Prinz Heinrich von Preussen. Ein seema¨ nnisches Lebensbild. Halle 1892, 29 ff.
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tor of national integration. For while the army was federally split and regarded as a haven of the aristocracy, the navy, a genuine middle-class profession closely associated with the liberal-national movement of 1848 and beyond, drew men from every part of Germany, was a genuine national institution, and provided a potent symbol of national unity.14 Prince Henry would become a prominent exponent of his young nation’s naval and colonial ambitions in the race to catch up with other great (maritime) powers. Stationed at Germany’s recently acquired “window out to the sea” (the province of Schleswig-Holstein and the Reichskriegshafen Kiel), he was “The Emperor’s Admiral” in the popular imagination.15 The bright future and grand aspirations of a recently unified nation state were also in view when Prince Georgios, second son of King George I, entered the Greek Royal Navy in 1889. The decisive role of the Greek merchant fleet in the War of Independence, the peninsula’s geographic position, and the strategic importance of naval dominance in the Mediterranean and Aegean Sea, led Greek politicians and the general public to believe in the pre-eminence of a strong naval force. Once the young nation state was consolidated, the concept of a sea-going battle fleet emerged as the necessary prerequisite for the fulfilment of the “grand idea” of the Greek irredentist movement. Great naval power visions were combined with dreams of the creation of a “Greater Greece” including all members of the Greek community still living under Ottoman rule. High-flung hopes of victories reminiscent of ancient Salamis were disappointed in the Greco-Turkish War of 1897. But due to foreign naval missions and loans, the Royal Navy would reach the peak of its efficiency just in time to achieve its territorial ambitions during the Balkan Wars.16 Both survival instinct and honest identification with national aims induced the young dynasty of SchleswigHolstein-Sonderburg-Glücksburg to adopt the Greek cause as their own. King George’s efforts to demonstrate his national outlook included training all of his sons for office in the Greek military forces. The second-born, Georgios (1869 – 1957), was destined to head the young naval branch. His time in office was conditioned by the fickle loyalties of the latently republican Greek public, and the eventual failure of his High Commissionership of Crete (a focal point of irredentist ambitions) brought about an early quasi-retirement. But during a critical time of re-organization and Balkan strife Georgios gave the Greek Navy a glamorous royal face.17 Like Greece, the kingdom of Denmark was also a minor maritime power of the 19th century depending on its navy for geostrategic reasons, the island state’s main14
‘Prinz Heinrich’. Provinzial-Correspondenz 42 (13 October 1880); Jonathan Steinberg: The Kaiser’s Navy and German society. In: Past and Present 28 (1964), 102 – 110; Eberspächer: Wilhelmshaven (note 13), 31 ff.; Rueger: Naval game (note 8), 93 f., 144 ff.; Laurence Sondhaus: ‘The spirit of the army’ at sea. The Prussian-German naval officer corps, 1847 – 1897. In: The International History Review 17 (1995), no. 3, 459 – 484. 15 Cf. the popular song “Des Kaisers Admiral” by Ottomar Neubner. 16 Zisis Fotakis: Greek Naval Strategy and Policy, 1910 – 1919. London et al. 2005, 1 – 66. 17 Walter Christmas: King George of Greece. London 1914; George, Prince of Greece: The Cretan drama. New York 1959.
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tenance of naval dominance in its home waters being both a matter of prestige and of simple survival. Moreover, only a sea-going fleet was able to maintain the lines of connection between the disparate remaining parts of the former conglomerate Oldenburg monarchy: the island provinces of Iceland, Greenland, and the Faroe Islands, as well as the Danish West Indies.18 Like Britain, Denmark was a country with an old and glorious, albeit recently troubled seafaring past when Prince Valdemar (1858 – 1939) chose to wear the blue in 1875. The nation’s great challenge was to reconcile its reminiscences of past greatness as a major naval power dominating Baltic trade with its descent to a secondary power following a chain of defeats (first by the British in 1807, then by Prussia and Austria in 1864).19 Increasingly, the Royal Navy was subjected to debates questioning its relevance to Danish military defence.20 King Christian IX’s decision to educate two of his three sons in the navy demonstrated the continued importance his dynasty attached to Denmark’s naval identity. The elder, Prince Vilhelm, was to become King of Greece in 1863. But the younger, Valdemar, turned into a real ship-commanding, world-traversing “Sailor Prince”. He distinguished himself on diplomatic and commercial cruises, connecting Denmark’s cut-off colonial possessions, showing its flag, and supporting its trade relations especially with up-and-coming Asian nations.21 III. Educational courses and professional careers One of the messages transmitted by royal naval education was public endorsement of the current code of middle-class values epitomized by the meritocratic examination procedures, frugal living conditions and ordered career paths of the naval service. With graduations, all dynasties were eager to demonstrate their participation in processes of professionalization. But a closer analysis of prevailing educational ideals and promotion criteria is needed. Did royal families actually take part in the professionalization of the military forces – or were they overtaken by it? Most “Sailor Princes” were younger sons because only second-and-third-in-lines were flexible enough to practice a profession which required them to complete extensive training and to be away from home for lengthy periods. Early modern navies had been characterized by divisions between amateur aristocratic officers and prop-
18 Cf. Eva Heinzelmann / Stefanie Robel / Thomas Riis (eds.): Der dänische Gesamtstaat. Ein unterschätztes Weltreich? Kiel 2006. 19 Cf. Carsten Jahnke / Jes Fabricius Møller (eds.): 1864 og historiens lange skygger. Den dansk-østrigsk-preussiske krig i 1864 og dens betydning i dag / 1864 und der lange Schatten der Geschichte. Der österreichisch-preußisch-dänische Krieg von 1864 und seine Gegenwartsbedeutung. Husum 2011. 20 Hans Christian Bjerg: A history of the Royal Danish Navy, 1510 – 2010. Copenhagen 2010. 21 Hans Roger Madol: Kongernes Onkel. Prins Valdemars Erindringer. Kopenhagen 1938; Inger-Lise Klausen / Ted Rosvall: Marie. A French princess in Denmark. Falkoping 2012.
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erly trained seamen (“tarpaulins” or “skippers”).22 But the “Sailor Princes” of this article were professional career officers. Both Prince Alfred and Prince Henry, for example, were subjected to standardized educational courses resulting from general overhauls of British and German naval officer education. These reforms had taken place in the first half of the 19th century in order to professionalize national officer corps and to enhance the navy’s social status and recruitment numbers. Prince Alfred belonged to the first generation of British naval entrants joining proper training ships and sitting through centralized exams before experiencing fleet time. And Prince Henry followed a brand new curriculum including two yearlong sessions at the Naval Academy and a two-year world cruise.23 Royal parents and middle-class audiences took great pride in the impressive results achieved by princes in their exacting, standardized theoretical and practical examinations. Princes Alfred, Valdemar, and Georgios graduated with flying colours from their respective naval academies, Prince Henry always held a good position in the middle ranks of his age-cohort. Their performances were the result of honest diligence – but being a matter of prestige, they were also conditioned by extensive preparation in line with aristocratic ideals of comprehensive education and by the guidance of military governors supervising princely careers from early child- and long into adulthood.24 Parental decrees about equal treatment and popular anecdotes of princely disguise undetected by unperceptive harbour officials did not distract from the fact that royal midshipmen were different from their peer groups. The living conditions on board a sea-going ship were harsh compared to palace life – but they were always ameliorated for royals: by special selection of ships and crews, by additional staff and accommodation, or by conversion of professional cruises into a mixture of aristocratic “grand tours” and diplomatic voyages.25 Professional advancement was another tender subject: Although “Sailor Princes” had to go through all – or most – of the required examination procedures, promotions generally came quickly and independent of achievement, leading straight to the top of the military hierarchy. Prince Alfred, starting out at the age of fifteen, became Admiral of the Fleet aged fifty; and Prince Henry, who was promoted Vice-Admiral when his first peers became lieutenant commanders, rose to the top post of Großadmiral at the age of 47. The actual implementation of celebrated middle-class principles like 22
Evan Wilson: The careers of James, Lord de Saumarez and Cuthbert, Lord Collingwood, 1748 – 1836. Unpublished MPhil thesis, Cambridge 2008, 3 ff.; Bjerg: Danish Navy (note 20), 41 ff. 23 Harry W. Dickinson: Educating the Royal Navy. Eighteenth and nineteenth century education for officers. London et al. 2007, 1 ff., 57 ff.; Sondhaus: Spirit of the army (note 14), 469 ff. 24 For Prince Alfred’s education cf. Lt. Cowell, 4 June 1857, Royal Archiv (RA) VIC/ ADDA20/3; for Prince Henry’s education, Landesarchiv Schleswig Holstein (LASH) Schleswig, Abt. 395, Nr. 1 and 2. 25 For a description of Prince Henry’s first sea-going ship cf. Langguth: Prinz Heinrich (note 13), 45 – 53.
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equality of treatment and opportunities was mainly a matter of parental commitment. In countries with more complex command structures, where sovereigns were merely titular Heads of the Armed Forces (like Britain), princely biographies tended to be less smooth than those of their counterparts in countries where royal supreme commanders held direct control over military advancements (like the German Reich).26 But even there promotions followed the monarch’s personal directions and thus depended on the individual’s willingness to apply professional criteria. If monarchs did not show restraint, it was the general public that checked swift royal rises. Especially in Britain, constitutional discourses necessitated subtle approaches to Prince Alfred’s career. Early draft outlines of possible advancements were never translated into action due to unforeseen dynastic circumstances and criticisms of “hop-step-and-jump” biographies.27 In Greece, a group of young military officers even staged a coup in 1909 aimed at mending practices of royal favouritism.28 But while the monarchy was sometimes overtaken by professionalization, a more characteristic trait of princes trained in the naval service would be self-restraint. Exposed not only to public criticism but also to personal envy and toadyism among fellow-officers, most “Sailor Princes” were (painfully) aware and sensitive of their special role in the military apparatus, adopting for themselves the professional ethos of the naval officer which their dynasties subordinated to practices of privilege. Celebrated as a future “Prinz-Admiral” from early youth and constantly promoted by his brother, Prince Henry, for instance, applied the brakes on his career by refusing an early advancement to the rank of Admiral in 1891. His correspondence with professional colleagues (often signed as “your true friend and comrade”) discloses the heartfelt desire to be treated as a real, ordinary naval officer.29 Professionalization, it seems, took place on an individual level, being not so much the normative goal but the inevitable consequence of princely socialization in the naval forces. Authentic professionalism and the embodiment of the sailor type were central to the long-term success of the monarchical brand named “Sailor Prince”. IV. Public roles and dynastic functions One reason for the brokenness of their professional careers were the multiplying other functions performed by “Sailor Princes” on behalf of their dynasties. 26 A. Cecil Hampshire: Royal sailors. London 1971, 13 – 15; Eberspächer: Wilhelmshaven (note 13), 32 – 35. 27 Cf. e. g. Memorandum by Lt. John Cowell, 11 October 1857, RA VIC/MAIN/S/27/1; ‘Our royal soldiers and sailors – what are they worth?’, Reynold’s Newspaper (7. November 1858). 28 Thanos Veremis: The military in Greek politics. From independence to democracy. London 1997, 42 – 81. 29 John C. G. Roehl: Wilhelm II. Der Aufbau der persönlichen Monarchie, 1888 – 1900. München 2001, 703; letters from the Nachlass Senden-Bibran, Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) Freiburg, N160/4, 12.
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They were supposed to strengthen dynastic control of the military branches by taking over leading positions. In the final stages of his career, Prince Alfred therefore represented the British Navy in European waters, successively commanding the Mediterranean and the Channel Fleet and ending his active service as Commander-in-Chief, Plymouth. Prince Georgios became Chairman of the Board of Examiners during a time of educational consolidation, and he commanded the torpedo boat fleet during the 1897-war against Turkey. Prince Henry’s command of the East Asia Squadron in 1898 reflected his dynasty’s dedication to Germany’s colonial cause just as his position as Commander-in-Chief of the Baltic Fleet during the First World War epitomized the Hohenzollerns’ contribution to national defence.30 But neither prince’s main purpose was to pursue a single profession. “Sailor Princes” were also supposed to become representatives of their dynasties, nations, and navies to different sub-national, national, colonial, and foreign publics. On an internal level, they served as important intermediaries between Crown and people both through their social mobility (from prince to sailor) and through their mobility of movement (as peripatetic princes). They made the monarchy visible by participating in regional maritime cultures and popular navalisms.31 The itineraries of their first sea voyages are also indicative of the high importance attached to processes of empire-building and imperial integration. Thus, Prince Alfred’s first grand mission in 1860 led him to the British settler colonies of South Africa. It would be followed by a whole series of first-ever royal visits to the remote corners of the Empire aimed at connecting far-flung colonial possessions and at turning the monarchy into a symbol of imperial unity.32 In a similar attempt to strengthen cohesion, Prince Valdemar visited Iceland, Greenland, the Faroe Islands, and the Danish West Indies in the first twelve years of his naval service. Prince Henry’s celebrated first world tours focused on South American and Asian destinations; there he represented his young nation’s commercial ambitions, symbolized the naval protection of German trade, and connected with emigrants in order to integrate the so-called “Auslandsdeutsche” into a virtual Empire called the “wider Fatherland”.33 On the international stage, “Sailor Princes” represented their dynasties and nations to other European courts and wider publics. They were frequent guests at royal funerals and coronations, representing their sovereign relations in dynastic emergencies or far-off places (like Russia or Japan). But the maintenance of dynastic 30
Cf. Roehl: Persönliche Monarchie (cf. note 29), 1061 ff. Cf. Miriam Schneider: Auf der Kommandobrücke steht der Zollern-Admiral. Prinz Heinrich als Populärgestalt im Deutschen Kaiserreich. In: Rainer Hering / Christina Schmidt (eds.): Prinz Heinrich von Preußen. Großadmiral, Kaiserbruder, Technikpionier. Neumünster 2013, 120 – 135. 32 Cf. Taylor: Prince Albert (note 7); Theo Aronson: Royal Ambassadors. British royalties in Southern Africa. Cape Town 1975; Brian McKinlay: The First Royal Tour, 1867 – 1868. Adelaide 1971. 33 Cf. Sebastian Conrad: Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich. München 2006, 229 ff. 31
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relations also went hand in hand with international diplomacy. The anglophile Prince Henry, for example, completed several semi-diplomatic missions to the British royal court. His tour of the United States in 1902 was a big diplomatic success in so far as it strengthened friendly relations.34 Little direct gains were to be made in royal journeys to the American or Asian Continent. But the application of soft power skills on goodwill tours could shape the atmospheric conditions of international relations and commerce.35 The visits paid by “Sailor Princes” to Asian royal courts were significant because they symbolized both the increasing importance European governments attached to Asian markets and the historic willingness of Asian governments to open up to Western influence.36 Prince Alfred was the first member of European royalty to enter Japan in 1869; Prince Henry, a frequent guest and admirer of Japanese culture, was the first European royal to be presented at the Chinese Imperial court in 1898; Prince Valdemar, finally, supported Danish trade interests by advancing the cause of the recently launched East Asiatic Company in the Kingdom of Siam in 1899. There was a truly transnational dimension to “Sailor Princely” lives. Their radius of action as border-crossing dynastic envoys and naval professionals comprised the whole globe. Their individual biographies were also entangled – in the shape of educational transfers, professional co-operation, and dynastic networking – even in spite of emerging national rivalries. Thus, Prince Henry’s naval education was shaped along the lines of his British uncle’s naval example.37 And Prince Georgios even entered the Danish naval academy at Copenhagen, where his uncle Valdemar had been trained before.38 In their prominent capacities as naval leaders, British and German “Sailor Princes” served as representatives of Anglo-German naval rapprochement during a short interval from 1888 to 1890.39 In their roles as dynastic and professional “kin”, they were frequent private and popular official guests in their respective countries even when the contact zones of the sea turned into conflict zones. But like most “globe-trotters” in Europe’s Age of Empire, “Sailor Princes” were also Janus-faced figures: On the one hand, they displayed broad, liberal, “cosmopolitan” minds because of their continued professional contacts with other nations and mentalities (Prince Henry’s factual-professional attitude towards Asian cultures, for example, was remarkable for the time).40 On the other hand, they displayed Eurocentric 34
Cf. Oskar, Prinz von Preußen: Wilhelm II. und die Vereinigten Staaten von Amerika. Neuried 1997, 152 ff. 35 Ebd. 36 Cf. Hugh Cortazzi: Royal visits to Japan in the Meiji-Period, 1868 – 1912. In: Ian Nish (ed.): Britain and Japan. Biographical portraits. Vol. 2. London 1997, 79 – 93. 37 For evidence of educational transfers cf. LASH, Abt. 395/1; RA GV/PRIV/AA6/149. 38 Prince George: Cretan Drama (note 17), xxif. 39 Cf. Jörg Duppler: Die Anlehnung der kaiserlichen Marine an Großbritannien, 1870 – 1890. In: Werner Rahn (ed.): Deutsche Marinen im Wandel. Vom Symbol nationaler Einheit zum Instrument nationaler Sicherheit. München 2005, 91–111. 40 Mechtild Freudenberg: Prinz Heinrich von Preußen und seine Sammlung japanischer Rüstungen. In: Herbert Bräutigam / Cornelia Morper (eds.): Über den ziehenden Wolken der
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views and put their lives into the service of their respective nation states (as figureheads of navalist and imperialist movements, as military leaders in international conflicts, or, in Prince Henry’s case, even as downright spies).41 Even while reaching out to imperial peripheries and international publics, “Sailor Princes” always remained firmly anchored to the centre of Empire. Their final function was to make visible to stationary audiences the prospects contained in navalist and imperialist programmes. By lending their well-known, trademarked names and images to welfare organizations, societies, and consumer goods they participated in various forms of propaganda. Prince Henry, for example, became Protector of the German Navy League in 1898, an organization founded in order to popularize the idea of a grand German battle fleet. As the English journalist Frederic Wile observed in 1913, he was “identified with the propaganda by which the innermost recesses of the Fatherland have been converted to naval enthusiasm”.42 V. Concluding remarks: representations and perceptions An overall evaluation of the perception and popularity of European “Sailor Princes” requires further, detailed research in the complex field of mass media and popular culture. The blue-jacketed visibility and adventurous lives of “Sailor Princes” created considerable media interest. Countless newspapers and travel magazines followed all of the princes’ routes in illustrated and photographic reports, satisfying public curiosity in grand and exotic themes or encouraging early “fantasy colonialisms”.43 Sometimes, naval painters or journalists would accompany individual princes on their expeditions, or personal staff would be entrusted with the task of supplying news updates for the press.44 Royal celebrities would be used by colonial agents for purposes of self-promotion or they would become the subject of children’s books advocating navalist and imperialist ambitions.45 Their trademarked names left their imprints in late 19th-century material cultures.46 In view of this complex picture, a few concluding observations will have to suffice. Fuji. Sonderausstellung auf Schloss Friedenstein, Gotha, 12. August bis 29. Oktober 2000. Gotha 2000, 40 – 46. 41 For Henry’s activities as a “spy” on French naval construction cf. BA-MA, N 160/10. 42 Frederic W. Wile: Men around the Kaiser. London 1908, 47 f. 43 For „Fantasy colonialism“ cf. Birte Kundrus (ed.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt am Main 2003. 44 On his first world tour (1878 – 80), Prince Henry e. g. was accompanied by the acclaimed naval painter Carl Saltzmann, whose drawings and accounts of selected scenes from the voyage were published in serial instalments in the popular family magazine “Über Land und Meer”. 45 For a striking example of colonial self-advertisement cf. Anon.: The Visit of His Royal Highness Prince Alfred to the Colony of Natal. London 1861. Five children’s books were published about Prince Henry between 1882 and 1900; they all went through several editions. 46 Cf. Schneider: Auf der Kommandobrücke (note 31).
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First, public opinion fluctuated; it went with the tide of naval and constitutional discourse. Prince Alfred’s popularity, for example, was closely tied to the general standing of the monarchy in British society and to accusations of costliness and uselessness repeatedly flung at the institution by the middle-class press.47 Prince Henry’s popularity, on the other hand, augmented as the Imperial Navy grew to become a major force, and his establishment as the “Zollern-Admiral on the conning bridge” was hardly questioned by a bourgeois public dominated by national-liberal expansive ideology and by a press characterized by journalistic semi-cooperation with the monarchy.48 Second, there were regional variations in overall popularities, with colonial and maritime publics being most enthusiastic about “Sailor Princes”. At his death in 1901, Prince Alfred for example was remembered most by the colonial press of the British Empire, which had already celebrated him on his first royal tours in the years 1858 to 1870.49 Prince Henry remained a remarkably popular figure in the coastal regions of North Germany, particularly in his adopted home province Schleswig-Holstein, long after the monarchy’s downfall in 1918. Like the “Flottenkaiser”, he had epitomized the burgeoning, national-liberal Zeitgeist of Wilhelmine Germany; but unlike his brother, he never really lost his good image, retaining the jovial, sportsman-like aspects of his naval personality while shedding their militaristic attire.50 Third, the success of the “Sailor Prince” phenomenon depended to a large extent on implicit links between the concepts of princely youth and dynastic rejuvenation: The idea of naval education encompassed notions of technological modernity and national progress which helped the monarchy to demonstrate its sustainability.51 But over time, the “young, brave, and true” aspects of royal naval education had 47
For the general discourse cf. Martin Kohlrausch: Monarchische Repräsentation in der entstehenden Mediengesellschaft. Das deutsche und das englische Beispiel. In: Jan Andres / Alexa Geisthövel / Matthias Schwengelbeck (eds.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main / New York, NY 2005, 93 – 122. 48 For the „Zollern-Admiral“, cf. the popular song “Prinz Heinrich auf der See” by K. Hennig. For national-liberal ideology cf. Hermann Hiery: Der Kaiser, das Reich und der Kolonialismus. Anmerkungen zur Entstehung des deutschen Imperialismus im 19. Jahrhundert. In: idem / Franz Bosbach in Zusammenarbeit mit Christoph Kampmann (Hrsg.): Imperium – Empire – Reich. Ein Konzept politischer Herrschaft im deutsch-britischen Vergleich. München 1999, 155 – 166; for press conditions in the German Reich, cf. Eva Giloi: Monarchy, Myth, and Material Culture in Germany, 1750 – 1950. Cambridge 2011, 4 f. 49 A typical colonial obituary would be: ‘The Duke of Saxe-Coburg’, Brisbane Courier (2 August 1900). 50 E.g. an exhibition was launched by the Landesarchiv Schleswig on the occasion of Prince Henry’s 150th birthday in August 2012: For the catalogue cf. note 31. 51 For the discovery of childhood and corresponding concepts of modernity see e. g. Eric Hobsbawm: The Age of Empire, 1875 – 1914. 3rd ed. London 1994, 169. Cf. Rueger: Naval game (note 8); Bernhard Rieger: Technology and the culture of modernity in Britain and Germany, 1890 – 1945. Cambridge 2005.
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to be substituted by more mature concepts (such as the German Prinz-Admiral) in order to stay creditable. Prince Alfred thus reached the peak of his popularity in 1869. Britain’s infatuation with her „Sailor Prince“ gradually faded as he grew older and disappointed his middle-class audience by the “vapid, half-and-half, Royal Highness, kind of way” in which he practiced his profession.52 However, and this stands as a final observation, even though individual popularities fluctuated or waned, the myth of the “Sailor Prince” itself continued for a considerable period of time. Numerous nephews and great-nephews of the first royal naval officers would take up the invented tradition.53 George Vof Great Britain, Frederik IX of Denmark, and Paul I of Greece would all become popular “Sailor Kings”. Even the tradition of compositions dedicated to “Sailor Princes” persisted: as late as 1930 a popular song about “Three dashing princes” celebrated the official visit paid by Crown Prince Frederick of Denmark and his two sailor cousins to Imperial Japan.54 In today’s civilian societies, the military roles of royal princes have been comparatively marginalized, and the popularization of modern monarchies is achieved by different means – for example by participation in national sports cultures. But for a while during the second half of the 19th century, the monarchy’s ship, supported by its dynastic crew, ran before the strong wind of naval enthusiasm.
52 This warning had been expressed by the Times as early as 1858: ‘An existence compounded of the two ideas’, The London Times (30 December 1858). 53 Cf. Cannadine: British monarchy (note 7). 54 Karen Elisabeth Bjerne: ‘Three dashing princes from the far North…’. Three Danish Princes’ Visit to Japan in 1930. In: Mette Laderriérre (ed.): Danes in Japan 1868 to 1940. Aspects of early Danish-Japanese contacts. Copenhagen 1984.
V. Mediale Praxis / Media and Public Relations
Manipulation oder Kooperation? Die Pressepolitik der Royal Family zu Beginn des 21. Jahrhunderts Ein Erfahrungsbericht Von Ulrike Grunewald, Mainz Die Windsors und die Medien – das ist eine besondere Beziehung. Würde es sich um Personen und nicht um Institutionen handeln, könnte man von einer Hass-Liebe sprechen. Sie mögen sich nicht, aber sie brauchen einander, wenn es um das Image der königlichen Familie geht und um den publizistischen Erfolg. Monarchien, so beschreibt es der britische Politikberater Simon Anholt, sind „premium brands“, sie gehören also zu den erfolgreichsten Marken ihres Landes. Das mag eine etwas ordinäre Bezeichnung sein, betrachtet man die Ware, die sie unter das Volk bringen: die Royals, zumal die britischen, handeln mit Pomp und Glamour, mit der Idee einer romantischen Gegenwelt zu unserer säkularisierten Moderne. Das Konzept, das sich hinter der glänzenden Fassade einer Monarchie verbirgt, ist eine Mischung aus Märchen und einer niemals endenden Reality-Show mit einer Familie als Hauptdarstellern. So ist es heute, und so war es schon im 19. Jahrhundert. Seit fast zweihundert Jahren, seit Queen Victorias Zeiten, ist die Royal Family Gegenstand journalistischer Berichterstattung. Die Medien verfolgen die Geschichten von Liebe und Leidenschaft, von Hochzeiten, Scheidungen und Todesfällen seither mit nie erlahmender Aufmerksamkeit, denn sie treffen bei Lesern und Fernsehzuschauern auf reges Interesse. Die großen Events im Königshaus sind nicht nur wichtig für die Auflagenzahlen und Einschaltquoten, sie sind auch ein unerlässliches Mittel der Kommunikation der Krone mit der Bevölkerung. Es sind diese Zeremonien, die die Monarchie menschlich erscheinen lassen, sie mit Leben füllen. Die Royals müssen in der Öffentlichkeit sichtbar sein, wollen sie sich nicht überflüssig machen. Dazu brauchen sie im Zeitalter der Massenmedien das Fernsehen, die Presse und das Internet. BuckinghamPalace kommt gar nicht umhin, eine eigene Internetseite zu betreiben, will er nicht als gänzlich unmodern gelten. Nach welchen Spielregeln läuft diese besondere Beziehung zwischen Königshaus und Presse ab, die für beide Seiten so enorm wichtig ist? Wo überschneiden sich die Interessen, wo reiben sie sich? Überwiegt die Manipulation, oder ist Kooperation die Basis der Pressepolitik der Windsors?
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Schon Queen Victoria und Prinz Albert wussten um die Macht der Bilder. Immer wieder ließen sie sich von dem damals bei den Mächtigen beliebten Maler Franz Xaver Winterhalter porträtieren, als Musterfamilie auf dem Thron. Doch wichtiger als alle repräsentativen Gemälde, die ja nur einem exklusiven Kreis von Betrachtern zugänglich waren, wurde bald die Presse. Das 19. Jahrhundert erlebte die Geburtsstunde der billigen Massenblätter und der illustrierten Zeitschriften, und damit einhergehend auch die Entstehung einer neuen journalistischen Spezies: die des Hofberichterstatters, der seine Informationen direkt aus dem Palast erhielt. Er sollte die neue Botschaft aus dem Königshaus in die weite Welt des Empires tragen: an der Spitze der Monarchie steht nun eine intakte Familie – nach der Katastrophe mit den unbeliebten Hannoveraner Königen und ihren vielen Exzessen konnten Victoria und Albert das Vertrauen in die Krone wiederherstellen. Wie wir heute wissen, war ihre Ehe nicht nur harmonisch – doch in ihrer öffentlichen Darstellung vermittelten sie dieses Bild so überzeugend, dass es sich noch bis weit ins 20. Jahrhundert hielt. Mit Victoria und Albert begann das bewusste Medienmanagement des britischen Königshauses, auch wenn das damals nicht so genannt wurde. Sie polierten das Image der Krone jedenfalls gründlich, mit Hilfe der Presse. War das aber schon eine fragwürdige Manipulation der öffentlichen Meinung – oder doch eher ein legitimes Mittel zum Machterhalt? Sicher ist eines, und das gilt bis heute: nur mit Hilfe der Medien können die Mitglieder des Königshauses ihre Daseinsberechtigung belegen – indem sie die Berichterstattung über die zahllosen Events im royalen Kalender, über Charity-Veranstaltungen, Einweihungen von Krankenhäusern und Schulen und von Reisen in die ehemaligen Länder des britischen Empire zulassen, ja ausdrücklich fördern. Doch diese immer wiederkehrende Routine wirkt seltsam pflichtbesessen und nicht selten langweilig, große Schlagzeilen lassen sich damit nicht produzieren. Hier beginnt das Dilemma. Die Presse muss Geld verdienen, dabei kann sie sich nicht damit zufrieden geben, als Sprachrohr des Hofs und seiner Interessen zu fungieren. Spekulationen über das Privatleben im Palast sind aufregender und mit Sicherheit einträglicher, davon ernährt sich inzwischen ein ganzes Heer von Paparazzi-Reportern. Der Hofberichterstatter alten Stils, der ergeben auf zeremonielle Verlautbarungen wartete, ist längst ausgestorben. Eines hat sich im Lauf der Geschichte aber nicht geändert: die Krone und die Medien sind aufeinander angewiesen. Keiner kann ohne den anderen. Wie haben sich die Könige und Königinnen der Windsors mit der ungeliebten, aber unverzichtbaren Presse arrangiert? Und wie geht die Presse damit um, den Spagat zwischen Manipulation und Kooperation täglich aufs Neue zu schaffen? Die Spielregeln haben sich immer wieder geändert, wie sich auch die Royal Family den Herausforderungen der Zeit unaufhörlich angepasst hat. Die „Firma“, wie Prinz Philip das Königshaus einmal scherzhaft genannt hat, ist inzwischen zu einer internationalen Marke geworden, ihre Darstellung in den Medien folgt in unserer Zeit den Gesetzen der Werbeindustrie. Sind die Royals unserer Tage also nichts weiter als Pop-Stars eines unersättlichen Medienbetriebs? Warum interessieren wir uns in Deutschland überhaupt für die britische Monarchie? Denn dass das so ist, er-
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fahren wir jedes Jahr durch die Einschaltquoten, die wir mit unseren Dokumentationen zur besten Sendezeit erreichen. 4 bis 5 Millionen Zuschauer können gar nicht genug bekommen von den europäischen Königshäusern. Dabei geht es den meisten gar nicht nur um Klatsch und Tratsch. Aus Umfragen wissen wir, dass vor allem auch Ausflüge in die Geschichte interessant erscheinen. Warum aber sind die Royals in Deutschland solche Publikumslieblinge, in einem Land, das nach dem Ersten Weltkrieg nicht lange seiner verlorenen Monarchie und dem nach Holland entflohenen Kaiser nachgetrauert hat? Warum gehören Franzosen und Amerikaner zu den eifrigsten Berichterstattern, wenn es um ein Großereignis wie die Hochzeit von William und Kate im Frühjahr 2011 ging – ein Land, das seinen letzten Bourbonen-König köpfen ließ und ein anderes, das sich gewaltsam von der britischen Krone losriss? Vielleicht brauchen wir diese Art moderner Märchen, und die Royals sind wie geschaffen dazu, dieses Bedürfnis zu bedienen. Die Bürgerliche, die zur Prinzessin aufsteigt, ist ein romantisches Szenario, etwas, das im gewöhnlichen Leben eben nur sehr selten vorkommt und mit dem man große Gefühle verbindet. Studien belegen, dass die Royals vor allem in Republiken sehr gut ankommen, besser, als in ihrer eigenen Bevölkerung. Dort, so spekuliert Simon Anholt, gibt es das Gefühl verlorenen Glamours, der die gekrönten Häupter in Nicht-Monarchien so attraktiv macht. Man kann sie betrachten, bewundern und sich dabei ein bisschen besser fühlen – mit dem schönen Nebeneffekt, dass die königliche Familie in Amerika und Deutschland den Staatshaushalt nicht belastet. In Großbritannien stellt sich dagegen beständig die Frage: was tun die Royals eigentlich für das Geld, das sie jährlich aus der „Civil List“ beziehen? 7,9 Millionen Pfund bekommt die Queen jährlich vom britischen Staat, um ihre Pflichten als Staatsoberhaupt ausfüllen zu können. Dafür möchten die britischen Bürger verständlicherweise einen Gegenwert sehen. Für die Royals heißt das: sie müssen gesehen werden bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Und hier kommen die Medien ins Spiel. Das hat weniger mit einer romantischen Idee zu tun, als mit einer Geschäftsbeziehung. Verkauft wird das Image von der funktionierenden Familie auf dem Thron als ein Modell für die übrige Gesellschaft, als Garantie für eine ungebrochene Kontinuität über Jahrhunderte hinweg. Diese Schablone für die Regentschaft im Vereinigten Königreich, auch wenn sie sich mit Queen Victoria und Prinz Albert im 19. Jahrhundert entwickelte, gilt noch heute als Kerngedanke einer funktionierenden Monarchie. Der Einfluss der Krone, so befand Victorias Premierminister Benjamin Disreali, sei nicht nur an politische Belange gebunden. Es sei von besonderem Wert, dass die Nation von einer Familie repräsentiert werde. Insofern kam der Queen und ihren Angehörigen eine Vorbildfunktion zu. Mit William und Kate erleben wir derzeit eine Neu-Inszenierung von Reichtum und Glück, von Liebe und Leidenschaft im Königshaus – es geht bei diesem Traumpaar ja offenbar tatsächlich auch zu wie im Kino. Am Tag nach ihrer Hochzeit titelte eine Moskauer Zeitung verwundert: „Das nebelumwaberte Albion versinkt in einer dunstigen Wolke aus Liebe.“ Die Pressesekretäre des jungen Prinzenpaares können sich angesichts solcher Schlagzeilen auf die Schulter klopfen, sie haben ganze Arbeit geleistet – sie haben das Märchen von Prinz und Prinzessin, die
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glücklich sein werden bis ans Ende ihrer Tage, wieder aufleben lassen. Dabei rücken die gewaltigen Probleme Großbritanniens in den Hintergrund. Gekrönte Häupter sind eben dazu da, gute Laune zu verbreiten – so hat es ein Berater der Queen einmal formuliert. Die Wirtschaftskrise lähmt die Londoner City? Jugendliche Gewalttäter plündern Geschäfte auf dem Piccadilly? Schottland, Australien und Kanada könnten sich gegen die Krone entscheiden? All diese unangenehmen Schlagzeilen wurden im Frühjahr von der Nachricht verdrängt, dass Kate Middleton ein 250.000 Pfund teures Hochzeitskleid des britischen Modelabels Alexander McQueen trug. „Brand Briton is back“ hieß es daraufhin in vielen Kommentaren, als sei die Traditionsmarke Großbritannien ein Modelabel, das für einige Zeit „out“ war, und als könnte ein junges Prinzenpaar über Nacht alle Probleme seines Landes vergessen machen und aus eigener Kraft der verstaubten Marke Monarchie neuen Glanz verleihen. Modernisieren, heißt das im Fachjargon der Werbeleute. Doch wie modernisiert man ein Königshaus, das sich vor allem durch seine Tradition, seine Langlebigkeit, seine Beharrlichkeit auszeichnet? David Kershaw, erfolgreicher Manager der Werbeagentur M&C Saatchi, hält das für die Quadratur des Kreises. Man stelle sich eine alt-eingesessene Firma vor, die sich ein Re-branding vorgenommen hat und nun mit folgender Bitte an eine Agentur herantritt: „Wir wollen traditionell bleiben, aber auf eine moderne Art“ – jedem Werbemanager würde angesichts eines solchen Auftrags das Herz in die Hose rutschen, meint Kershaw. Doch genau das verlangen die Windsors von ihren Pressestrategen. Wenn das Königshaus mit einer Firma vergleichbar ist, was ist die Ware, die produziert wird? Die Windsors verkaufen Wohlbefinden, so sieht es Prinz Philip. Die Monarchie existiere nicht um ihrer selbst Willen, erklärt er, sie existiere zum Wohle des Volkes. Er sieht die Krone als Dienstleister, und zögert auch nicht, Neuankömmlinge auf dieses Ethos einzuschwören. Als Sarah Ferguson nach ihrer Hochzeit mit Prinz Andrew etwas bang zu Mute war bei dem Gedanken, ein Appartement im unübersichtlichen Buckingham Palace beziehen zu müssen, tröstete Prinz Philip sie mit einem seiner Bonmots: schließlich sei das doch bequem, sie wohne ja dann direkt über dem Laden. Die Marke Windsor jedenfalls scheint so unverwüstlich wie der Ehemann der Queen, was wirklich erstaunlich ist, betrachtet man die Management-Fehler der letzten Jahrhunderte. Oft genug haperte es dabei an der Kommunikation, wie so oft in großen Unternehmen. Nur die besten Marken überstehen zum Beispiel einen Namenswechsel. Die Royal Family stellte 1917, mitten im Krieg mit den Deutschen fest, dass ihr „branding“ schrecklich deutsch war und ihr Familienname Sachsen-Coburg und Gotha nach Subversion klang. Lord Louis Mountbatten klagte, dass nicht einmal mehr deutsche Dackel gefahrlos durch den Hyde-Park spazieren könnten. Da beschloss George V. kurzerhand, es sei nach 77 Jahren Zeit für ein neues Marketing-Konzept. Per Dekret wurden aus den Sachsen-Coburg und Gothas die Windsors – quasi über Nacht hatte man einen neuen Markennamen erfunden. Nur die wenigsten Firmen überleben einen so risikoreichen Eingriff. Doch im Falle der britischen Königsfamilie spielten Presse und Öffentlichkeit mit – die deutschen Wurzeln
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der Royal Family wurden ausgeblendet und die frischgebackenen Windsors bemühten sich, nun durch und durch britisch zu erscheinen. Das war, wenn man so will, eine dreiste Manipulation. Freundlicher ausgedrückt beweist es die enorme Anpassungsfähigkeit der Monarchie an die Herausforderungen der Zeit. Kaum war dieser werbetechnische Husarenritt glimpflich überstanden, machte sich der nächste Modernisierer ans Werk. Edward VIII. haderte schon als Prince of Wales mit dem verstaubten Image der „Firma“ und sehnte sich nach frischem Wind. Als sein Vater, der gestrenge Briefmarkensammler George V. starb, hoffte das britische Volk, mit dem beliebten und charmanten Edward zöge neuer Glanz in den Buckingham Palace ein. Ein moderner König wollte er sein – doch sein Vater hatte schon auf dem Totenbett eine schlimme Vorahnung: „Der Junge wird sich innerhalb von sechs Monaten ruinieren“, beklagte er sich beim Erzbischof von Canterbury. Er sollte nur in einem unwesentlichen Punkt Unrecht habe: es dauerte nicht 6, sondern 10 Monate, dann hatte Edward die Monarchie an den Rand des Abgrunds geführt. Seine Liebe zu der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson und seine Faszination für Oswald Mosleys faschistische Schwarzhemden – das war sein Flirt mit modernen Zeiten. Dabei übersah Edward leider, dass solche Labels beim Establishment nicht willkommen waren. Die britische Öffentlichkeit hatte keine Ahnung, was sich da über dem Thron zusammenbraute. Obwohl die Affäre mit Wallis bereits seit zwei Jahren andauerte, die amerikanische Presse mit Berichten über die Romanze voll war, und die üblicherweise gut unterrichteten Kreise in London Bescheid wussten, hielten sich die britischen Blätter und die ehrwürdige BBC an eine Art selbstauferlegtes Schweigegelübde – freiwillig. Die wichtigsten Zeitungen waren im Besitz einflussreicher Lords, Monarchisten bis auf die Knochen und durch eigenen Reichtum nicht aufs schnelle Geldverdienen angewiesen. Lord Beaverbrook, Lord Rothermere, Lord Camrose und Lord Kemsley – von der Times bis zum Observer, vom Daily Telegraph bis zur Sunday Times waren die renommiertesten Blätter fest in Händen der Oberschicht. Es gehörte zum guten journalistischen Ton, dass das Privatleben des Königs tabu war. Erst fünf Tage vor der Abdankung veröffentlichte die Times einen kleinen Artikel, in dem überraschend von einer Krise die Rede war. Niemand – außerhalb der gut unterrichteten Kreise – hatte in Großbritannien je von einer Mrs Simpson gehört, geschweige denn, etwas von einer Affäre mit dem König vernommen. Man stelle sich den Schock vor, als nur 5 Tage später Edwards jüngerer Bruder George VI. auf dem Thron saß. Wer trug die Schuld an diesem Desaster? Wer hatte hier wen manipuliert? Der König die Presse? Die Regierung den König? Oder die Presse die Öffentlichkeit? Für Edward keine Frage. Er klagte später: Die Presse erschafft und die Presse zerstört. Er sah sich als Opfer. Dass sein eigenes Krisenmanagement eine Katastrophe war, gestand er sich wohl niemals ein. Nach nur 325 Tagen auf dem Thron hatte Edward abgedankt. Für eine Firma, die in ihrem Portfolio größten Wert auf Langlebigkeit legt, war das ein Minusrekord. Doch auch diese Klippe umschifften die Windsors mit Bravour, nicht zuletzt, weil Queen Mum, nun Königin an der Seite des Ersatzmannes George VI., nach deut-
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schem Bombardement im Zweiten Weltkrieg öffentlichkeitswirksam durch die Trümmer vor dem Buckingham Palace schritt. Nun könne man dem zerstörten East End in die Augen sehen, verkündete sie. Die Zeitungen beeilten sich, entsprechende Schlagzeilen zu drucken. Von da an stand die Royal Family über Jahrzehnte hinweg unangefochten an der Spitze aller britischen Traditionsmarken. Man könnte auch behaupten, dass Queen Mum die erste war, die tatsächlich etwas von modernem Medienmanagement verstand. Die Windsors hatten gelernt, dass es dem Image der Firma gut tat, wenn sie sich gelegentlich volksnah und zugänglich zeigten – aber alles in Maßen und nur, wenn die äußeren Umstände es erforderten. Das sollte sich in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ändern. Das Fernsehen, eine Erfindung, die immer weiter um sich griff, setzte neue Maßstäbe. Inzwischen saß die junge Elizabeth II. auf dem Thron, aber von frischem Wind im Palast war zunächst nichts zu spüren. Außerhalb der Palastmauern war eine Generation herangewachsen, die mit Pomp and Circumstance, mit Kutschen und Palästen nicht viel anzufangen wusste. Der Palast hatte ein Image-Problem und glaubte, darauf reagieren zu müssen. 1969 wurde das Fernsehen in den Palast gebeten, und Prinz Philip bewies vor laufenden Kameras, dass er in der Lage war, Würstchen auf einem Grill zu wenden. Die Queen besorgte den Abwasch. Eine heile Familie an der Spitze der Monarchie – das hatte schon zu Zeiten von Albert und Victoria gut funktioniert. Warum also den Erfolg nicht wiederholen? Der Dokumentarfilm mit dem Titel „The Royal Family“ schien zum ersten Mal so etwas wie einen Blick hinter die Kulissen zuzulassen und eine berechtigte Neugierde zu befriedigen. Die Idee stammte vom damaligen Pressesekretär William Hesseltine. Er wollte mit diesem einstündigen Werbetrailer das öffentliche Bild der königlichen Familie korrigieren – viele Untertanen hielten sie nämlich für abgehoben, wenig fleißig und fern der Realität. Ein ganzes Jahr lang hatten sich die Royals immer wieder von Kameras begleiten lassen, und am Schneidetisch entstand dann das Kunstgebilde einer erstaunlich normalen Familie. Es versteht sich von selbst, dass jeder Schritt des Entstehungsprozesses vom Hof genauestens überwacht wurde. War das nun Manipulation der öffentlichen Meinung – oder wiederum nur eine notwendige Anpassung an die Erfordernisse der Zeit? Noch war in den 1960er und 1970er Jahren nicht damit zu rechnen, dass sich skrupellose Paparazzi auf Balmoral oder Sandringham ins Gebüsch schlugen, um nachzusehen, ob das Heile-Welt-Theater einer Prüfung standhielt und mehr war als nur eine geschickte Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Die große Stunde der Enthüller schlug erst in den 1980er Jahren, als die Zeit dafür reif war. Da mussten ein überhitzter Presse-Boulevard und eine Prinzessin der Herzen aufeinandertreffen, um uns alle am Niedergang des Mythos Monarchie teilhaben zu lassen. Diana, die selbsternannte Medien-Fachfrau, glaubte, die Pressearbeit der Royal Family auf eigene Faust revolutionieren zu können. Nicht selten gab sie Fotografen, die ihr sympathisch erschienen, einen Tipp, bei welcher Gelegenheit sie demnächst gut abzulichten sei. Penny Junor, Journalistin und Biografin von Prinz Charles, erinnert sich an eine Zeit des großen medialen Durcheinanders im britischen Königshaus. Es gab keine einheitliche Linie in der Pressepolitik der Windsors, Pa-
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last-Sprecher und Berater unterrichteten die Medien nach eigenem Gutdünken, die Linke wusste oftmals nicht, was die Rechte tat, schließlich zerfiel die gesamte Pressearbeit in verschiedene Lager. In dieses Vakuum hinein war Prinzessin Diana gestoßen. Vom ersten Moment an war sie beliebt, beim Volk und bei den Journalisten. Sie verkörperte das Menschliche, das Herzliche, das Moderne der Monarchie, die damals auch von wohlwollenden Beobachtern als hoffnungslos steif und altmodisch wahrgenommen wurde. Die junge Diana war – was die Medien anging – die sprichwörtliche Einäugige im Heer der Blinden. Instinktiv hatte sie verstanden, wie die Monarchie im 20. Jahrhundert funktionieren konnte: es kam nicht darauf an, klug daherzureden. Von sich selbst sagte Diana gerne, sie habe ein dickes Brett vor dem Kopf. Was zählte, waren Taten. Kinder küssen, sich zu Rollstuhlfahrern herabbeugen, AIDS-Waisen in den Arm nehmen – die Prinzessin der Herzen war sich für nichts zu schade, darin war Diana unschlagbar. Prinzessin Anne, obwohl eine der fleißigsten Repräsentanten der Krone, wäre so etwas nie in den Sinn gekommen. Wie gingen die Strategen im Palast nun mit Dianas Naturtalent in Sachen Kommunikation um? Gar nicht – sie standen, wie der Rest der Royal Family, diesem Phänomen hilflos gegenüber. Dianas Bilder beherrschten bald die Medienlandschaft. Prinz Charles, so berichten Insider, habe das eifersüchtig zur Kenntnis genommen. Niemand unternahm etwas, um diese tickende Zeitbombe zu entschärfen. Und die britische Presse verschloss lange die Augen vor dem eigentlichen Problem, vor der drohenden Katastrophe, die sich ja für alle sichtbar in Dianas öffentlichen Tränen andeutete. Man war zu dankbar für die steigenden Auflagen, die die Prinzessin von Wales nicht nur der Boulevard-Presse bescherte, sondern auch den seriösen Blättern. Sie war der Goldesel der Branche, sagt die Journalistin Penny Junor heute. Als die Ehekrise von Charles und Diana Mitte der 1980er Jahre auf dem Höhepunkt war, schwärmten die englischen Massenblätter noch immer vom erfolgreichen „Team Wales“. Selten hatte sich die Presse eines demokratischen Landes selbst so gründlich manipuliert. Obwohl in Journalistenkreisen bereits Gerüchte über eine heimliche Geliebte kursierten, war für die breite Öffentlichkeit bis zu diesem Zeitpunkt der Name Camilla Parker Bowles eine Unbekannte im Koordinatensystem der Royal Family. Ein bisschen erinnert das, in der Rückschau betrachtet, an den Umgang mit dem Problem Wallis Simpson. Es war schließlich Diana, die das Schweigen nicht mehr ertrug und ihre PR in die eigenen Hände nahm. Sie diktierte ihre Sichtweise über ihr Leben im Schatten der Krone in das Mikrophon eines Journalisten – das daraus entstandene Buch wurde weltweit zum Bestseller. Es war die historisch bisher einmalige und engste Kooperation eines Mitglieds des britischen Königshauses mit der Presse und der Höhepunkt einer skrupellosen Manipulation der Öffentlichen Meinung. Dass Diana selbst die Quelle aller Enthüllungen war, wurde dem Publikum verschwiegen – eine journalistische Todsünde. Doch zunächst starb die Ehe des Thronfolgers, was unweigerlich den Tod der unabhängigen Berichterstattung über dieses Thema nach sich zog. Die Presse spaltete sich in zwei Lager: man war Pro-Diana oder Pro-Charles. Dazwischen gab es nichts. Bis zum Exzess steigerte sich das Medienspektakel, und den
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Boden dafür bereitete ein Medienmogul aus Australien, Rupert Murdoch, der keine Rücksicht auf das britische Establishment nehmen musste. Bald schon dominierte sein Imperium die Berichterstattung in Großbritannien, und die kannte keine Abwägung mehr zwischen Kooperation und journalistisch gebotener Distanz. Es galt nur noch der Profit. Die honorigen Zeitungs-Lords der Zwischenkriegsära, die das Königshaus hätten schützen können, waren längst Geschichte. Als Prinzessin Diana auf dem Höhepunkt der Medienhatz im Pariser Alma-Tunnel starb, waren es Paparazzi, die ihre letzten Atemzüge begleiteten. Der Tod der wohl größten Medienikone der Moderne war ein gewaltiger Schock, für viele. In erster Linie natürlich für ihre Angehörigen, vor allem für die Prinzen William und Harry. Ebenso für die Millionen Fans Dianas auf der ganzen Welt, aber es war auch ein Erdbeben für die Medienmaschinerie. „Die Presse hat Blut an den Händen“, konstatierte Earl Spencer, Dianas Bruder. Es war die Zeit der Anklagen, nicht die Zeit für Rechtfertigungen. Die freie Presse stand mit dem Rücken zur Wand. Nach dem 31. August 1997 begann im Zusammenspiel von Königshaus und Presse eine neue Zeitrechnung. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten zog Vernunft ein. Dem Königshaus war daran gelegen, William und Harry vor Verfolgung durch Paparazzi zu schützen, solange sie noch nicht volljährig waren. Die Presse, von Schuldgefühlen geplagt, willigte ohne weitere Umstände in ein Arrangement ein: keine Berichte über das Privatleben der Prinzen während ihrer Schul- und Studienzeit. Die Medien nahmen sich selbst an die Kandare, was rückwirkend betrachtet tatsächlich funktioniert hat. Die beiden Söhne von Diana und Charles konnten ein annähernd normales Teenager-Leben führen. Der Preis dafür waren gelegentlich organisierte Interviews mit handverlesenen Journalisten. Auch wenn Prinz William seine Abscheu gegen Kameras bis heute nicht überwunden hat, scheint er inzwischen akzeptieren zu können, dass die Medien zu seinem Leben gehören. Dabei achtet er darauf, möglichst alles unter Kontrolle zu haben. Unterstützt wird er dabei von einem der professionellsten Medienmanager, die das Königshaus in seiner zweihundertjährigen Geschichte in den eigenen Reihen hatte: Paddy Harverson, Pressesprecher von Clarence House, ist das Nadelöhr, das alle royalen Berichterstatter passieren müssen. Der gelernte Journalist kennt alle Tricks der Branche, und er weiß, was die Arbeit für eine internationale Marke mit eigenwilligen Protagonisten bedeutet, war er doch einige Jahre Kommunikationsmanager des Fußballclubs Manchester United. Harverson steht eher für Kooperation, weniger für Manipulation. Er hat die Pressearbeit des Königshauses versachlicht, behandelt alle Journalisten gleich, sofern sie sich als seriös und sachkundig erwiesen haben. Wo es möglich ist, gewährt er Zugang, wo es erforderlich ist, schirmt er ab. Noch nie waren Mitglieder des britischen Königshauses so gut im Umgang mit der Öffentlichkeit geschult, wie Prinz William und seine Frau Catherine. Jeder ihrer Auftritte ist sorgfältig geplant und wird später genauestens analysiert. Verantwortlich für das Image des jungen Paares ist Helen Asprey, Spross eines britischen Traditionsunternehmens. Auch sie weiß, was es heißt, eine Marke zu vertreten.
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Wer heutzutage über das britische Königshaus berichtet, weiß, woran er ist. Mehr denn je haben wir es mit einer Firma zu tun, die vor allem ein Ziel verfolgt: Werbung zu machen für die Ware Monarchie, die nach ihrem Willen noch möglichst lange ein global player im Wohlfühl-Business sein soll. Für uns Journalisten bedeutet das, in unserer Berichterstattung dieselben Maßstäbe anzulegen, wie im Umgang mit jedem anderen Unternehmen. Uns darf es weder um Kooperation, noch um Manipulation gehen – das Ziel ist eine Berichterstattung, die dem Bedürfnis der Leser und Zuschauer verpflichtet ist. Das Märchen von Prinz und Prinzessin darf ruhig erzählt werden, wenn wir gleichzeitig erklären, dass es sich dabei um eine moderne Inszenierung des jahrhundertealten Theaterstücks mit dem Titel „Monarchie“ handelt.
Verzeichnis der Autoren und Herausgeber / List of contributors Prof. Dr. David E. Barclay ist Executive Director der German Studies Association und Margaret and Roger Scholten Professor of International Studies am History Department des Kalamazoo College, Kalamazoo, Michigan/USA. Er promovierte bei Prof. Dr. Gordon A. Craig an der Stanford University und ist der Autor mehrerer Veröffentlichungen zur Geschichte Preußens und Berlins vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, u. a. Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie (1995) und Schaut auf diese Stadt. Der unbekannte Ernst Reuter (2000). Seine neueste Arbeit, Cold War City. West Berlin 1945 – 1994“, soll 2018 bei Princeton University Press erscheinen. Er arbeitet auch an einer Doppelbiographie über Kaiser Wilhelm I. und Kaiserin Augusta. Dr. Ulrike Grunewald studierte Publizistik, Germanistik und Psychologie in Mainz. Seit 1977 ist sie in verschiedenen Positionen für das ZDF tätig, zur Zeit als stellvertretende Leiterin der ZDF-Redaktion Zeitgeschehen. 2013 erschien ihre Dissertation Luise von Sachsen-CoburgSaalfeld (1800 – 1831). Lebensräume einer unangepassten Herzogin. Dr Simon Heffer is a sometime Fellow Commoner of Corpus Christi College, Cambridge. As a journalist and political commentator, he has worked for long stretches at the Daily Telegraph and the Daily Mail. His publications include biographies of Thomas Carlyle (1995), Enoch Powell (1998) and Ralph Vaughan Williams (2000) as well as Power and Place. The Political Consequences of King Edward VII (1998). Priv.-Doz. Dr. Marc von Knorring ist Akademischer Oberrat auf Zeit am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Passau. Er hat unter anderem über Fragen von Herrschaft, Verfassung und Friedenssicherung im 16./17. Jahrhundert sowie über geistes-, gesellschafts- und kulturgeschichtliche Aspekte des 19./20. Jahrhunderts geforscht. Wichtige neuere Veröffentlichungen: „Der ,friedenssichernde‘ Reichsdeputationstag zwischen Augsburger Religionsfrieden und Dreißigjährigem Krieg. Eine Bilanz“, in: Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner zum 65. Geburtstag, hrsg. von Guido Braun und Arno Strohmeyer (2013); „Erich Marcks und sein Bild der preußischen Geschichte“, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945, hrsg. von Hans-Christof Kraus (2013). Mag. phil. Marion Koschier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte, Abteilung für Neuere und Österreichische Geschichte, der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Promotion zum Thema Österreichische Staatsschuld und internationales Finanzystem, 1790 – 1830, die sich mit der Rolle britischer Banken bei der finanziellen Absicherung der auf dem Wiener Kongress und seinen Nachfolgekonferenzen festgelegten europäischen Friedensarchitektur beschäftigt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der europäischen Mächtepolitik des 19. Jahrhunderts, der Nationalitätenproblematik der Habsburgermonarchie sowie der österreichischen Wirtschaftsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts.
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Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll ist Inhaber der Professur für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Technischen Universität Chemnitz. Er ist Vorsitzender der PrinzAlbert-Gesellschaft und der Preußischen Historischen Kommission. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich (1998); Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates (2001); Kultur, Bildung und Wissenschaft im 20. Jahrhundert (2003); Geburt der Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg (2013). Dr Frank Prochaska is a member of the History Faculty and Somerville and Wolfson Colleges at the University of Oxford. As an historian of modern Britain, he has a special interest in philanthropy, the monarchy and nineteenth-century political thought. His books include Royal Bounty: The Making of a Welfare Monarchy (1995); The Republic of Britain (2000); Eminent Victorians on America Democracy (2006); and The Memoirs of Walter Bagehot (2013). Miriam Schneider M. A., M. Phil. ist Doktorandin im Fach Neuere Geschichte an der University of St Andrews. Zu ihren Forschungsinteressen zählen die europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts mit Schwerpunkt auf Großbritannien, Deutschland und Dänemark sowie die Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen. Ihre Dissertation zum Thema „The ,Sailor Prince‘ in the Age of Empire“ ist Teil des Forschungsprojekts Heirs to the throne in the constitutional monarchies of nineteenth-century Europe, 1815 – 1914 unter Leitung von Prof. Dr. Frank Lorenz Müller. Prof. Dr. Matthias Stickler ist apl. Professor am Lehrstuhl für Neueste Geschichte II der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Geschichte der Habsburgermonarchie, die Geschichte des Deutschen Bundes und des Deutschen Kaiserreichs und die deutsche Verfassungsgeschichte im europäischen Vergleich. Wichtige Publikationen in diesem Kontext sind: Erzherzog Albrecht von Österreich. Selbstverständnis und Politik eines konservativen Habsburgers im Zeitalter Kaiser Franz Josephs (1997); „Italien am Main“. Großherzog Ferdinand III. der Toskana als Kurfürst und Großherzog von Würzburg (als Mithrsg.) (2007); „Was vom Alten Reiche blieb“. Deutungen, Institutionen und Bilder des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 19. und frühen 20. Jahrhundert (als Mithrsg.) (2011). Priv.-Doz. Dr. Karina Urbach ist Long-term Visitor an der School of Historical Studies des Institute for Advanced Study Princeton, MA. Sie wurde in Cambridge promoviert und habilitierte sich 2009 an der Universität Bayreuth. Unter ihren neueren Veröffentlichungen finden sich eine Biographie Queen Victorias (2011) und der Sammelband Secret Intelligence and the International Relations of Europe in the 20th century (2013). Zuletzt erschien ihr Buch Go-Betweens for Hitler bei Oxford University Press (2015). Prof. Dr. Dieter J. Weiß ist Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische und Vergleichende Landesgeschichte mit besonderer Berücksichtigung des Mittelalters an der Ludwig-MaximiliansUniversität München, 2. Vorsitzender der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender des Stiftungsrates der Forschungsstiftung Bayerische Geschichte. Seine Arbeiten erfassen die bayerische und fränkische Landesgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, außerdem ist er Verfasser einer Biographie Kronprinz Rupprechts von Bayern (2007).