Informationsfluss und Wissensteilung: Ordnungsökonomische Perspektive auf die institutionelle Gestaltung der Informationsstrukturen in einer freien Gesellschaft 9783110511109, 9783828203730

Moderne Gesellschaften sind durch ein hohes Maß an Wissensteilung geprägt. Informationsflüsse sind die Lebensadern solch

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German Pages 200 [208] Year 2006

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Table of contents :
Geleitwort
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Problemstellung und Vorgehensweise
2. Grundlagen einer Auseinandersetzung mit Informationsflüssen aus (ordnungs-)ökonomischer Sicht
3. Ordnung und Informationsflüsse
4. Modellierungsansätze im Vergleich
5. Ordnungsökonomisches Modell zur Erfassung von Informationsströmen
6. Anwendung in einer wissensteiligen Gesellschaft
7. Zusammenfassung und Ausblick
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Informationsfluss und Wissensteilung: Ordnungsökonomische Perspektive auf die institutionelle Gestaltung der Informationsstrukturen in einer freien Gesellschaft
 9783110511109, 9783828203730

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Jochen Fleischmann Informationsfluß und Wissensteilung

Jochen Fleischmann

Informationsfluß und Wissensteilung Ordnungsökonomische Perspektive auf die institutionelle Gestaltung der Informationsstrukturen in einer freien Gesellschaft

Lucius & Lucius • Stuttgart

Anschrift des Autors: Jochen Fleischmann Pappelweg 8 41470 Neuss eMail: [email protected]

Als Dissertation angenommen von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth Dekan: Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Oberender Erstgutachter: Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Oberender Zweitgutachter: Prof. Dr. Egon Görgens Vorsitzender der mündlichen Prüfung: Prof. Dr. Martin Leschke Tag der mündlichen Prüfung: 28. November 2005

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN10: 3-8282-0373-6 ISBN13: 978-3-8282-0373-0 © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2006 Gerokstr. 51, D-70184 Stuttgart www.luciusverlag.com

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung, Verarbeitung und Übermitdung in elektronischen Systemen.

Druck und Einband: Rosch-Buch, Scheßlitz Printed in Germany

Geleitwort Moderne Gesellschaften sind durch ein hohes Maß an Wissensteilung geprägt. Informationsflüsse sind die Lebensadern solcher Gesellschaften; sie sorgen dafür, daß von Spe2ialisten gewonnene Erkenntnisse an andere Individuen weitergegeben und nutzbar gemacht werden können. Informationsflüsse sind aber nicht ohne weiteres Güterströmen gleichzusetzen; ihr Inhalt wird auf seinem Weg verändert. Es stellt sich daher die Frage, wie Informationsflüsse zu gestalten sind, so daß sie einer Gesellschaft zum Vorteil gereichen, also wertvolle Erkenntnisse weitergegeben und auf ihrem Weg sogar 'veredelt' werden. Je länger Informationsflüsse sind, desto höher die Gefahr, daß Verzerrungen eintreten. Um die Ausgestaltung von Informationsgesellschaften hat sich ein breiter wissenschaftlicher Diskurs in den Sozialwissenschaften entwickelt. Die vorliegende Arbeit von Jochen Fleischmann greift diesen Diskurs auf und leistet einen wichtigen Beitrag aus ordnungsökonomischer Perspektive. Es werden grundlegende Muster von Informationsstrukturen entwickelt und gefragt, welcher institutionellen Gestaltung sie bedürfen, um zu einer funktionierenden Wissensteilung beizutragen. Unter Zuhilfenahme ökonomischer Denkmuster wird analysiert, wie sich wettbewerbliche und regulierende Elemente bei dieser Aufgabe ergänzen können. Ausgehend von einer liberalen Wertorientierung wird dabei nachgewiesen, daß ein freier Informationsfluß zwar grundsätzlich vorziehenswürdig ist, unter bestimmten Bedingungen aber auch weiterführende Einschränkungen notwendig sein können. Die sehr gelungene Arbeit von Jochen Fleischmann leistet einen Grundlagenbeitrag zur aufkommenden (ordnungs-)ökonomischen Diskussion um die Wissensteilung. Sie demonstriert die Leistungsfähigkeit des ökonomischen Instrumentariums in diesem Bereich und zeigt, daß die Ökonomik neben Disziplinen wie der Informationsethik oder den Rechtswissenschaften in der Lage ist, gesellschaftlich relevante Gestaltungsvorschläge für die Informations- und Wissensgesellschaft zu erarbeiten. Zudem verdeutlicht die Arbeit, wie ordnungsökonomische Denkstrukturen auf aktuelle Problemstrukturen angewandt werden können. Die Ausführungen sind weitgehend abstrakt gehalten und bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für spezielle Ausarbeitungen in gesellschaftlichen Teilbereichen.

Bayreuth im Juni 2006

Prof. Dr. Dr. h.c. Peter O. Oberender

V

Vorwort Das Vorhaben der vorliegenden Arbeit, Informationsströme mit volkswirtschaftlichen Methoden zu untersuchen und einer ordnungsökonomischen Analyse zu unterziehen, mag zunächst befremdlich erscheinen. Ist die Ökonomik überhaupt die richtige Wissenschaft, um ein solches Unterfangen anzugehen? In dieser Schrift wird die These vertreten, dass die Ökonomik sehr wohl etwas zu diesem Untersuchungsfeld beizutragen hat: Informationen sind ein wichtiges Bindeglied in menschliche Gesellschaften und das, was Gesellschaften zusammenhält, ist und sollte auch Thema der Ökonomik sein. Es ist daher faszinierend, die im wesentlichen eher auf materiellen Tausch fixierten Denkmuster der Wirtschaftswissenschaften auf immaterielle Informationsströme anzuwenden und zu fragen, ob der freie Markttausch auch ein normatives Leitmuster für Informationsströme ist. Mit der vorliegenden Dissertationsschrift hoffe ich, einen kleinen Beitrag zum Verständnis wie Informationsflüsse Gesellschaften zusammenhalten (können), geleistet zu haben. Mein Dank gilt zuallererst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Oberender für die Möglichkeit, an seinem Lehrstuhl fünf spannende, interessante, in vielerlei Hinsicht lehrreiche, sowohl wissenschaftlich wie auch persönlich höchst anregende und prägende Jahre zu verbringen, die neben zahlreichen großen und kleinen Projekten auch die vorliegende Schrift hervorgebracht haben. Für die schnelle Anfertigung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. Egon Görgens, für die Übernahme des Vorsitzes in der mündlichen Prüfung Herrn Prof. Dr. Martin Leschke. Zum Gelingen der Arbeit hat auch die stets durch kollegiale Verbundenheit und kreativitätsanregenden wissenschaftlichen Austausch geprägte Atmosphäre am Lehrstuhl beigetragen; dafür sei meinen ehemaligen Kollegen Dr. Jürgen Zerth, Christoph Reiß und Thomas Rudolf gedankt; Daniela Passing für ihr stets offenes Ohr. Herrn Dr. Wulf D. von Lucius danke ich für die Drucklegung der Schrift in seinem Verlag. Nicht denkbar gewesen wäre das Dissertationsvorhaben ohne die vielfältige Unterstützung meiner Eltern Elisabeth und Gerd Fleischmann. Schließlich und vor allem danke ich meiner lieben Freundin Maren deren Zuspruch und Verständnis gerade in der Endphase der Arbeit das Gelingen ganz wesentlich befördert haben. Neuss, im Juli 2006

VI

Jochen Fleischmann

Inhaltsverzeichnis 1

2

Problemstellung und Vorgehensweise 1.1

Problemexposition

1

1.2

Ansatzpunkte und Fragen

8

1.3

Vorgehensweise

15

2.1

Zum Verständnis von Ökonomik

16

2.2

Ordnung als Ausgangspunkt

21

2.2.1

Problem der sozialen Ordnung

21

2.2.2

Ordnungsmodell und Wertentscheidung

26

2.3

Ordnungsökonomisches Grundmuster

27

2.3.1

Handlungstheoretische Grundlagen

28

2.3.2

Aggregationslogik

31

2.3.3

Normative Überlegungen

38

2.3.4

Schlußfolgerungen: Ein erster Modellrahmen

40

Ordnung und Informationsflüsse

41

3.1

Hinführung

41

3.2

Grundbegrifflichkeiten: Information, Wissen, Kommunikation

44

3.2.1

Ausgangspunkt: Die Vielfalt der Informationsbegriffe

44

3.2.2

Sinnesordnung und Wissen als Ausgangspunkt

47

3.2.3

Informationsflüsse und Kommunikation

58

3.3

Funktionen von Information in einem Ordnungsgefüge

69

3.3.1

Informationsströme und Ordnung: Eine Annäherung

69

3.3.2

Information und funktionale Differenzierung

83

3.4 4

12

Grundlagen einer Auseinandersetzung mit Informationsflüssen aus (ordnungs-)ökonomischer Sicht

3

1

Schlußfolgerungen: Zur Rolle von Informationsströmen

Modellierungsansätze im Vergleich

88 93

4.1

Ansatzpunkte zum Modellvergleich

93

4.2

Evolutorisch-makroskopische Ansätze

94

4.2.1

Grundlagen

95 VII

4.2.2

Meinungsdynamiken als Beispiel

96

4.2.3

Kritische Würdigung

99

4.3 4.3.1

Neoklassisch geprägte Ansätze

100

Preise als ausreichende Repräsentation von Informationsflüssen?

101

4.3.2

Zur Eignung der Informationsökonomik

104

4.3.3

Kritische Würdigung der neoklassischen Ansätze

110

4.4 5

Zwischenfazit

112

Ordnungsökonomisches Modell zur Erfassung von Informationsströmen

113

5.1

Vorgehensweise

113

5.2

Grundlegende Betrachtungen zu Informationsströmen

115

5.2.1

Akteure

115

5.2.2

Idealtypische Informationsflüsse

123

5.2.3

Informationsfluß und Wettbewerb

138

5.2.4

Übergang zu kollektiven Wissensstrukturen

145

5.3

6

Normative Betrachtungen

5.3.1

Grundprinzipien

148

5.3.2

Zur Gestaltung von Informationsströmen

153

Anwendung in einer wissensteiligen Gesellschaft 6.1

VIII

Informationsbeziehungen in den Teilsystemen

163 163

6.1.1

Grundgedanke

164

6.1.2

Zusammenschau der Teilsysteme

166

6.2

7

147

Anwendung: Politikberatung

167

6.2.1

Problemstellung

167

6.2.2

Notwendigkeit und Realität der Politikberatung

168

6.2.3

Lösungsmöglichkeiten

174

Zusammenfassung und Ausblick

179

1

Problemstellung und Vorgehensweise

1.1 Problemexposition Information und Wissen sind in modernen Gesellschaften allgegenwärtige Phänomene. Sie durchdringen alle Lebensbereiche und erfüllen auf individueller wie kollektiver Ebene zahlreiche Funktionen, die von ihren Diensten als ,Rohstoffe' in Geschäftsprozessen über die politische Steuerung und Kontrolle bis hin zu ihrem Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt reichen. Arbeits- und wissensteilige Gesellschaften stützen sich auf ein Geflecht von Informationsströmen, das neben den materiellen Güterströmen stehend immaterielle Güter weitergibt.1 Der zentrale Stellenwert und die hohe Wertigkeit von Wissen und Information kommen gelegentlich in Begriffen wie „Informationsgesellschaft", „Wissensgesellschaft" oder „globale Informationsgesellschaft" zum Ausdruck.2 Diese Wortneuschöpfungen sind zu einem guten Teil durch die zunehmende Verbreitung und Verbesserung von technologischen Informationsverarbeitungsund -Weitergabemöglichkeiten, durch die auf diesem Wege ausgelöste unmittelbare Verfügbarkeit von Informationen zu geringen Kosten (und ihre gesellschaftlichen Wirkungen) sowie durch die in zahlreichen Studien nachgewiesene quantitative Zunahme der sogenannten Informations- und Kommunikationsbranchen3 motiviert worden. Im Kern besagen diese Überlegungen: In modernen Gesellschaften haben Informationsströme durch technologische Entwicklung an Geschwindigkeit und Breite gewonnen.4 Allerdings ist es nicht angemessen, wie häufig in der öffentlichen Diskussion üblich, Informationsströme auf die Rolle der Technologie, der technologischen Infrastruktur und ihrer kommer-

Ob diese Metapher auch eine sinnvolle Vorstellung ist, die eine problemangemessene Erfassung von Informationsströmen ermöglicht, sei noch dahingestellt und wird weiter unten diskutiert werden. An dieser Stelle soll diese Metapher - allerdings mit diesem Warnhinweis genügen, um eine erste Intuition von der Bedeutung von Informationsströmen zu vermitteln. 2 Derartige Bezeichnungen finden sich in der wissenschaftlichen wie politischen Diskussion spätestens seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Literatur kennt allerdings eine Vielzahl von in Feinheiten unterschiedlichen, aber jeweils ähnliche Entwicklungen beschreibende Begrifflichkeiten. Diese reichen von der „postindustriellen Gesellschaft" über die „Informationsgesellschaft", die „globale Informationsrevolution", die „Netzwerkgesellschaft" bis hin zur „Wissensgesellschaft" oder „Wissenschaftsgesellschaft". Vgl. beispielsweise Bell (1973), Capurro (1978), Webster (1995) oder Ott (2004). 3 Der Begriff der Wissens- und Informationsbranchen geht auf Fritz Machlup zurück. Vgl. dazu insbesondere Machlup (1962). Darin zeigt er, daß sogenannte „knowledge industries" zirka 30 % des Bruttosozialproduktes der USA erwirtschaften und sich der Anteil der Arbeitnehmer in diesen Branchen seit Beginn des 20. Jahrhunderts verdreifacht hat. An diese Arbeiten hat z.B. auch Porat (1977) angeknüpft. Vgl. auch Helmstädter (2001), S. 445f. 4 Damit sind keineswegs nur jüngere Entwicklungen wie das Fernsehen oder das Internet gemeint. Vielmehr haben auch Telefon oder der Buchdruck diesen Effekt gehabt. 1

1

ziellen Verwertung zu beschränken.5 Implizit steht dahinter die Annahme, daß ein Mehr an möglichst frei fließenden Informationen immer auch positive Wirkungen hat — sei es auf das Individuum, eine Organisation oder die Gesellschaft. Ist es aber wirklich so, daß auf Basis gegebener technologischer Möglichkeiten ein freier und möglichst breiter Informationsfluß immer die individuell und gesellschaftlich überlegene Option ist? Darf schon von dem (meist technologisch bedingten und möglichen) Vorhandensein von Informationen und den gegebenen Zugangsmöglichkeiten zu Informationen direkt auf gesellschaftlich positive Effekte geschlossen werden? An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an und leistet einen Beitrag zur Debatte um die ordnungspolitische Ausgestaltung von Informationsströmen. Warum ist das überhaupt ein diskussionswürdiges Problem? Die Schwierigkeiten von Informationsflüssen offenbaren sich, wenn man deren gesellschaftliche Funktionen ins Blickfeld nimmt und dabei zwischen Informationen und Informationsflüssen auf der einen und dem Zustand der Informiertheit auf der anderen Seite unterscheidet.6 Informationsfluß ist dann (vorbehaltlich einer genaueren Definition) eine Menge an Signalen oder Daten, die auf ein Individuum oder eine Organisation einströmen; es handelt sich dabei grob gesagt um in Zeichen gefaßte Abbilder oder Interpretationen von Teilen der Wirklichkeit. Informiertheit ist ein Zustand, in dem man über qualitativ besonders ausgewiesene (z.B. nützliche oder wahre) Abbilder der Wirklichkeit verfügt: Dieser Zustand kann auch als Wissen bezeichnet werden. Informationsströme treten deshalb auf, weil nicht jeder alles Wissen für sich selber produzieren kann. Vielmehr herrscht Wissensteilung, d.h. jeder muß sich auf die Abbilder, die andere von der Wirklichkeit machen und die ihm durch Informationsflüsse vermittelt werden, verlassen. Hier liegt allerdings das Problem: Zwischen Informationsfluß und Informiertheit liegt ein Verarbeitungsprozeß, der gestört sein kann (beispielsweise durch Verarbeitungsprobleme angesichts eines Mengenüberflusses oder durch Qualitätsprobleme, aber auch durch strategisch manipulierte Informationsweitergabe). Nur dann, wenn innerhalb eines Informationsflusses wirksame Mechanismen im Gange sind, die automatisch und selbstregulierend zu einem Mehr an Wissen (Steigerung der Informiertheit) fuhren, ist ein freier Informationsfluß unproblematisch und es kommt eine gesellschaftlich sinnvolle Wissensteilung zustande. Treten aber Probleme in einem Informationsfluß auf, so reicht es nicht aus, den Informationsfluß technisch zu verbessern, ihn also schneller und breiter zu machen. Also: Eine Gesellschaft wird nicht deshalb zur informierten oder wissenden Gesellschaft, weil sie in der Lage ist, Informationen möglichst schnell und Damit soll nicht gesagt werden, daß dieser Aspekt unwichtig wäre. Vielmehr ist es auch der technologische Aspekte wert, aus ökonomischer Sicht beleuchtet zu werten (vgl. z.B. Rose 1999, S. 1). Dabei spielt neben betriebswirtschaftlichen Fragen die entwicklungsstrategische Bedeutung einer Kommunikationsinfrastruktur eine große Rolle (vgl. Becker et al. 2002 und Wilson 2004). Diese Aspekte stehen hier aber gerade nicht im Vordergrund; vielmehr soll die tieferliegende Ordnungs- und Steuerungsleistung von Informationsflüssen betrachtet werden. 6 Die genauere Begriffsklärung muß noch vorgenommen werden und ist nicht unproblematisch. Die folgenden Ausführungen dienen der Stützung der Intuition. 5

2

massenhaft zu übertragen7, überspitzt gesagt: „auch beschleunigte Irrtümer bleiben schließlich Irrtümer" 8 . Vielmehr muß neben die technische Seite eines Informationsflusses auch die institutionelle Seite treten, d.h., es müssen Regelstrukturen gefunden werden, die den Zusammenhang zwischen Informationsfluß und qualitativ hochwertigen Abbildern der Wirklichkeit verbessern. Die Problematik sei an einigen auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen — von der individuellen Mikro- bis hin zur gesellschaftlichen Makroebene — angesiedelten Beispielen verdeutlicht, die Fortschritt in Form verbesserter Steuerung von Gesellschaften durch ein Mehr an Informationen zumindest fragwürdig erscheinen lassen: Zunächst zum Individuum: Gerne wird unterstellt, daß die Verfügbarkeit einer großen Menge an Informationen über einen Sachverhalt für den Bürger — seien sie durch wissenschaftliche Experten oder das Mediensystem generiert - zur Emanzipation 9 beiträgt. Also: J e mehr an Informationen dem Individuum zugänglich sind, desto bessere Entscheidungen trifft es und desto bessere gesellschaftliche Koordination kommt zustande. Ein Beispiel hierfür ist eine aktuelle Entwicklung im Gesundheitswesen.10 In der Gesundheitspolitik wurde der Begriff des „Patient Empowerment" geprägt als Bezeichnung für einen Prozeß, der den einzelnen in die Lage zu mehr Eigeninitiative und verbesserter Entscheidungsfahigkeit in Bezug auf seine Gesundheit versetzen soll.11 Dazu gehört auch ein verbesserter Zugang zu Informationen, also ein Informationsfluß zwischen dem Bürger und den weiteren Akteuren im Gesundheitswesen. Trotz des Grundgedankens des „Patient Empowerment" (verbesserte Entscheidungsfähigkeit) meint man aber, daß der einzelne über diesen Informationsstrom nicht vollständig verfügen könne.12 Daher existieren Regulierungen wie Werbeverbote Einen Eindruck von der Dynamik dieser Entwicklung und der dadurch ausgelösten Informationsexplosion geben - trotz der Probleme, die mit der Messung von Information verbunden sind - die Ergebnisse der von Lyman und Varian durchgeführten Studie „How much Information?". Für das Jahr 2002 kommen sie zu dem Schluß, daß in diesem Jahr 5 Exabyte an neuer Information auf verschiedenen Medien gespeichert wurden, umgerechnet 800 Megabyte pro Person. Die Menge der gespeicherten Information ist laut dieser Studie zwischen 1999 und 2002 um 30 Prozent gestiegen. Um den Umfang von 5 Exabyte zu illustrieren, schreiben Lyman und Varian (2003): „How big is five exabyte? If digitized with full formatting, the seventeen million books in the Library of Congress contain about 136 terabytes of information; five exabytes of information is equivalent in size to the information contained in 37 000 new libraries the size of the Library of Congress book collections." 8 Engel (1999), S. 41. Ähnlich meint Ott (2004) mit Bezug auf Kant, daß „wir noch nicht in einem informierten Zeitalter, wohl aber im Zeitalter der Information " (S. 9) leben. Oder Borgmann (1999): „Yet with all these gains we sometimes feel like the sorcerer's apprentice, unable to contain the powers we have summoned and afraid of drowning in the flood we have loosed" (S. 4). 9 Daneben wird die Furcht vor einer gesellschaftlichen Desintegration durch Informationstechnologien diskutiert, die hier ausgeblendet werden (vgl. Zydorek 2000, S. 215). 10 Vgl. zu möglichen Auswirkungen im Gesundheitswesen Danner (2002) oder Breuer (2001). 11 Vgl. z.B. Bastian et al. (2005), S. 380. 12 Z.B. Auerswald (2000): „Wir leben in einer Informationsgesellschaft, die dabei ist, vor der Menge der Informationen zu kapitulieren, weil nicht mehr klar ist, welche Qualität diese Informationen haben und von wem sie kommen." (S. 79). 7

3

für Ärzte, die pharmazeutische Industrie und andere Beteiligte oder weichere Maßnahmen wie staatliche Einrichtungen, die Informationen für den Bürger vorfiltern.13 Offenkundig ist man also der Meinung, daß aufgrund von Mengenund Qualitätsproblemen in diesem Bereich ein freier Informationsfluß nicht angebracht ist, sondern dieser von vorneherein vollständig eingedämmt werden müßte. Das ist umso bemerkenswerter als in anderen Bereichen (z.B. in der Politik), die ebenfalls potentiell von Mengen- und Qualitätsproblemen hinsichtlich der Information bedroht sind, kein übermäßiger Regulierungsbedarf gesehen wird und dort freie Informationsflüsse vorherrschend sind. Informationsströme spielen auch in Organisationen wie Unternehmen oder Verwaltungen eine Rolle. Um eine bestmögliche Nutzung des in einem Unternehmen vorhandenen Wissens zu gewährleisten, ist sicherzustellen, daß relevantes Wissen an der richtigen Stelle zielgenau zur Verfügung steht und die Organisation als kollektiver Akteur über eine geeignete Wissensbasis verfügt. An das Aufkommen neuerer Informations- und Kommunikationstechnologien wurden diesbezüglich weitreichende Hoffnungen geknüpft. Allerdings hat sich sehr schnell gezeigt, daß die Informatisierung genannte Einrichtung von Informationsinfrastrukturen nicht ausreicht. Phänomene wie die Überlastung mit Informationen, mangelnde Offenheit, der strategische Aufbau von Herrschaftswissen oder Qualitätsprobleme waren dadurch nicht zu bewältigen. Aus diesem Grund wurde der Ansatz des Informationsmanagements in den Hintergrund gedrängt und durch ein Wissensmanagement ersetzt. Dessen Fragestellung lautet unter anderem: Wie können Mitglieder einer Organisation dazu gebracht werden, ihr Wissen und die ihnen zur Verfügungen stehenden Informationen in innerorganisatorischen Informationsflüsse einzubringen, um damit den Gesamtnutzen der Organisation zu steigern, sie also zu einer .informierten' oder ,wissenden' Organisation machen? 14 Und schließlich zur kollektiven, gesellschaftlichen Ebene: Kollektive Entscheidungsfindungen werden durch Ideen, öffentliche Meinungen und Ideologien geprägt. Diese werden durch ein Geflecht an Informationsströmen zwischen Bürgern, Politik, Massenmedien und Wissenschaft transportiert. Typische (zumeist interdependente) Informationsströme sind dabei die Vermittlung und Kontrolle politischer Meinung durch die Medien oder die Beratung der Politik oder der Öffentlichkeit durch die Wissenschaft. Gerade über die Medien werden die Kommunikation und die Verständigung sowohl zwischen den Teilnehmern am Produkt- und Faktormarktgeschehen als auch zwischen den Bürgern im politischen Prozeß demokratischer Willensbildung prinzipiell ermöglicht. Vor allem von den Massenmedien können politische, kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Anstöße, aber auch Denk- und Handlungsblockaden ausgehen: Die 13

So beispielsweise das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, dessen explizite Aufgabe unter anderem auch darin besteht wissenschaftliche Quelle für die deutsche Bevölkerung zu sein (vgl. Bastian et al. 2005, S. 380). 14 Vgl. z.B. Barth et al. (2002). S. zum Wissensmanagement auch Krebs (1997) oder Schmidt (2004). Krehbiel (2004), S. 122ff. verweist auf ähnliche Probleme im politischen Prozeß.

4

Marktteilnehmer, die politischen Entscheidlingsträger und die Bevölkerung beziehen einen Großteil ihrer Informationen und Kenntnisse zu allen denkbaren Themen aus diesen Quellen und bereiten damit ihre Entscheidung vor. Dennoch ist nicht zwangsläufig gesagt, daß die von den Massenmedien gelieferten Informationen zur Bildung sinnvoller Meinungen in der Bevölkerung beitragen.15 Zudem kann der durch die Medien ausgelöste Informationsfluß gezielt unter politische Kontrolle gebracht werden, um die Bevölkerung irrezufuhren oder zumindest die Kontrollfunktion auszuschalten.16 Nicht zuletzt deshalb sieht auch beispielsweise der Ansatz der evolutorischen Wirtschaftspolitik im „Management der öffentlichen Meinung ein vorentscheidendes Aufgabenfeld der Wirtschaftspolitik"1^ Die Beispiele lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Informationsströme sind ein wichtiges Bindeglied in der gesellschaftlichen Wissensteilung, die wiederum Basis einer tiefgehenden Arbeitsteilung (nicht nur im ökonomischen Sinne) ist. Information und ein Mehr an Information ist aber nicht nur etwas Positives sondern zieht auch eine Reihe individueller wie gesellschaftlicher Probleme nach sich. Wie aus den Beispielen ersichtlich ist stehen dabei Mengenverarbeitungsprobleme (Stichwort „information overload" 18) neben Qualitätsproblemen (z.B. negative Effekte durch falsche Ratschläge)19. Daher bedarf es zur Realisie-

15 Vgl. hierzu die Untersuchung von Zoll (2003), die analysiert, wie es dazu kommen kann, daß in der Bevölkerung ein häufig wesentlich negativeres Bild von Wettbewerb vorherrscht als es unter Ökonomen, also den Experten, die sich berufsmäßig mit der Wirkung von Wettbewerb auseinandersetzen, herrscht. Den Massenmedien kommt hier ein wesentlicher Anteil zu. Vgl. zu den Ordnungsproblemen der Massenmedien Wentzel (2002). 16 Als Beispiel vgl. McMillan und Zoido (2004). Sie untersuchen wie der ehemaligen peruanische Präsident Fujimori und sein Geheimdienstchef Torres durch Bestechung systematisch das politische System Perus unterwandert haben. Aus der akribischen Buchführung Torres ermitteln sie Zahlungsbereitschaften für den Kauf von Einfluß auf die unterschiedlichen politischen Kräfte. Diese Zahlungsbereitschaft ist für die Medien besonders hoch. Während einzelne Politiker einige 10 000 US$ erhalten gehen die an die Chefs von Sendenanstalten gezahlten Summen in die Millionen US$. 17 Koch (1996), S. 112. Ähnlich auch Penz (1999), S. 145, der darauf verweist, daß institutionelle Steuerung immer mit politischen Signalen kommunikativer Natur verknüpft ist: „Der Steuerungserfolg ist davon abhängig, welche Bedeutung die Kombination aus Regeln und Signalen bei den Adressaten erzeugt beziehungsweise welche Bedeutung von ihnen konstruiert wird." 18 Vgl. Rose (1999), S. 3. Gemeint ist damit die Diskrepanz zwischen zunehmender Masse an Information und den stark verbesserten Zugangsmöglichkeiten auf der einen Seite, den aber weitgehend unveränderten Verarbeitungsmöglichkeiten auf Seiten des Individuums. 19 Die Problematik der Informationsqualität wird in der Literatur zunehmend erkannt und zieht Forschungsbemühungen nach sich. Die Entwicklung steht aber noch am Anfang. So Gasser (2004), S. 3: „Despite the increasing relevance in practice one cannot find a comprehensive theoretical study addressing the problem of information quality from the regulatory perspective." Vgl. auch den Hinweis bei Karmasin (1999), S. 351: „In einer Gesellschaft, die solcherart durch eine generelle Zunahme an Kommunikationschancen gekennzeichnet ist, in der Lebenswelten immer mehr medial bestimmt sind und Information im Überfluß vorhanden ist, geht es nicht um Information, Kommunikation und Mediatisierung an sich, sondern

5

rung des Potentials dieser Wissensteilung einer Gestaltung der Informationsströme. Wie diese Gestaltung aussieht, hängt von der jeweiligen Problemstruktur und der gesellschaftlichen Ebene ab; Informationsströme bedürfen einer anderen Behandlung je nachdem, ob sie zu den Zielen eines Unternehmens beitragen sollen oder ob sie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene angesiedelt sind. Beispielsweise werden sich die Methoden des Wissensmanagements kaum auf die gesamtgesellschaftliche Ebene übertragen lassen. Hier soll die gesamtgesellschaftliche Ebene ins Blickfeld genommen und Gestaltungsoptionen für Informationsströme aufgezeigt werden. Es soll also diskutiert werden, wie man über geeignete Maßnahmen zu einem „informierten Bürger" und damit zu einer „informierten Gesellschaft" 20 gelangt. Warum ist es denn überhaupt sinnvoll, sich mit dem informierten Bürger oder der informierten Gesellschaft im Sinne einer funktionierenden Wissensteilung auseinanderzusetzen? Ausgangspunkt sind dabei die Funktionen, die Informationsflüsse und Wissen für moderne Gesellschaften einnehmen. Gesellschaften, auch moderne Gesellschaften, bedürfen der Ordnung und ordnender Kräfte, die den Mitgliedern dieser Gesellschaften ein gutes Leben in einer stabilen aber gleichzeitig anpassungsfähigen Umwelt ermöglichen. Ordnung und gesellschaftlicher Zusammenhalt beruhen auch auf gemeinsamen Abbildern und Interpretationen der Wirklichkeit, wie sie sich im Wissen und in den das Wissen verbindenden Informationsflüssen widerspiegeln. Während in früheren Zeiten allgemein akzeptierte hierarchische gesellschaftliche Instanzen, insbesondere die Kirchen oder ein festgefügtes Staatswesen, eindeutige Orientierung vermittelten und die Verwirklichung einer natürlichen Ordnung angenommen werden konnte (oder anders gesagt: es existierte eine eindeutig vorstrukturierte Form der Wissensteilung), so mangelt es modernen Gesellschaften an klaren Leitvorstellungen. Sie sind durch funktionale Differenzierung, Offenheit, Pluralismus und Individualisierung geprägt.21 Ordnung scheint in einer solchen Gesellschaft auf den ersten Blick unmöglich zu sein, ganz zu schweigen von Versuchen der zielgerichteten Steuerung solcher Sozialsysteme.22 Ordnung im Sinne einer funktionsfähigen Gesellschaft ist, so ein weithin akzeptiertes Ergebnis der Sozialwissenschaften, unter solchen Bedingungen nur durch ein glaubhaftes und akzeptiertes System von Regelstrukturen möglich. Die Vorstellung der informierten Gesellschaft setzt an dieser Stelle an: Kann sie die Orientierungsleistungen, die in früheren Zeiten von Instanzen wie der Kirche oder dem Staat erbracht worden sind, aus sich selbst heraus erbringen, also das

um deren Qualität." Wobei damit noch nicht gesagt ist, daß aus informierten Bürgern zwangsläufig eine informierte Gesellschaft folgt. Die Mechanismen, die diesen Übergang fördern oder behindern, werden weiter unten noch zu diskutieren sein. 21 Vgl. für viele z.B. Gerecke (1998). 22 Skeptisch gegenüber Steuerungsversuchen ist insbesondere die Ordnungstheorie im Anschluß an Hayek sowie die soziologische Systemtheorie. Neuere Ansätze versuchen, diesen Steuerungsskeptizismus teilweise zu überwinden (vgl. als Übersicht Wegner 1996, S. 31 ff.). 20

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Potential, das in der Wissensteilung steckt, auch sinnvoll nutzen. Anders ausgedrückt: Wie können Informations- und Wissensströme und die darin enthaltene Zirkulation von Inhalten und neuen Ideen so gestaltet werden, daß ihnen der Charakter einer „ordnenden Potenz"23 zukommt, daß sie also neben anderen Kräften zur Verwirklichung von Ordnung beitragen? Allerdings ist es wenig sinnvoll, diese Funktion auf alle denkbaren Informations- und Wissensströme zu beziehen. Da jede menschliche Aktivität eine Wissens- und meist auch Informationskomponente aufweist und daher Wissens- und Informationsströme ubiquitäre Phänomene sind, würde diese Begrifflichkeit überstrapaziert und zu allgemein gefaßt. Wissens- und Informationsströme mit über den einzelnen hinausgehender gesellschaftlicher Funktion müssen vielmehr eine klare Verankerung in einem gesellschaftlichen Teilsystem und den damit verbundenen institutionellen Bedingungen wie den dieses Teilsystem tragenden Organisationen und Personen finden. Es kommt hier vor allem auf diejenigen Teilsysteme an, die Ideen anregen, produzieren und weitertragen (helfen). Als Quelle von Wissen und Information kann dabei in erster Linie das Mediensystem angesehen werden, zumal die Informationsgesellschaft häufig als „Mediengesellschaft"24 beschrieben wird, in der die Verknüpfung gesellschaftlicher Teilsysteme über ein eigenständiges Mediensystem vorgenommen wird, das maßgeblich gesellschaftliche Informationsund Wissensströme organisiert. Darunter fallen die klassischen Medien wie Zeitung und Fernsehen, aber auch neuere Erscheinungsformen wie das Internet. Medien dürfen dabei aber nicht nur als „Signalverstärker"25 gesehen werden, sondern auch als eigenständige Produzenten von Wissen und Ideen, sogar von Realitätswahrnehmung selber. Allerdings ist es aus ordnungspolitischer Sicht nicht sinnvoll, das Thema gesellschaftliche Informationsströme rein auf die Medienlandschaft zu verkürzen und deren Vermittlungsleistung zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen zu betrachten. Als weitere Quelle von Information und Wissen kommen die Wissenschaften in Frage. Zwar ist es weder akzeptabel noch möglich, daß wissenschaftliches Expertenwissen eine klare Orientierung vermitteln kann, wie dies früher einmal durch Religion geschehen ist.26 Allerdings ist, wie die sprunghafte Zunahme von Beratungsdienstleistungen zeigt, wissenschaftliche Expertise unverzichtbar, sei es auf der einzelwirtschaftlichen Ebene oder in Form der Politikberatung.27 Wissenschaften und Medien können also als Ausgangspunkt und zentraler Teil gesellschaftlicher Informationsströme

Dieser Begriff stammt von Eucken (1990), S. 325ff. Er diskutiert unter dieser Überschrift die gesellschaftlichen Kräfte, die zur Verwirklichung einer guten und menschenwürdigen Ordnung beitragen. Vgl. zum Bezug auf das Mediensystem Wentzel (2002), S. 4. 24 Löffelholz und Altmeppen (1995), S. 577. 25 So die Interpretation vonJenöffy-Lochau (1997). 26 Vgl. die Hinweise bei Stehr (2001), S. 11 f. 27 Vgl. aus soziologischer Sicht Willke (1998). Der Beratungsgedanke wird auch aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht zunehmend aufgegriffen, nicht nur dahingehend, daß Politikberatung einer Analyse unterzogen wird, sondern daß wirtschafts- und ordnungspolitische Konzepte von vornherein als Beratungskonzepte aufgezogen werden (so z.B. Pies 2001) und sich so in einen bedeutenden Modus der Steuerung moderner Gesellschaften einordnen. 23

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angesehen werden. An ihre Verfügbarkeit werden teilweise weitreichende Hoffnungen geknüpft, Abläufe in modernen Gesellschaften zu verbessern. Diese laufen darauf hinaus, daß ein Mehr an Informationen grundsätzlich von Vorteil sei und daher anzustreben sei.

1.2 Ansatzpunkte und Fragen Die Kernfrage der folgenden Ausführungen lautet: Welchen Einfluß haben Informationsströme auf die Wissensteilung in einer Gesellschaft? Wissensteilung heißt: Es ist nicht sinnvoll, daß jeder alle Erkenntnisse selber gewinnt; vielmehr ist es ressourcenschonender, sich auf die Erkenntnisse anderer (verteiltes Wissen) zu verlassen, die durch Informationsströme weitertransportiert werden. Damit ist konkret zu fragen: Unter welchen (institutionellen) Bedingungen führen Informationsströme dazu, daß verteiltes Wissen kollektiv genutzt werden kann (informierte Gesellschaft), unter welchen Bedingungen wird dieses Potential nicht genutzt? Beabsichtigt ist, institutionelle Umgangsformen mit Informationen zu untersuchen, mit dem Ziel, Wissensteilung zu intensivieren, um auf diese Weise auf gesellschaftlicher Ebene Fehlentwicklungen vermeiden zu helfen. Welche wissenschaftlichen Ansatzpunkte existieren bereits, um diesen Untersuchungskomplex zu behandeln? Die Suche nach geeigneten Disziplinen, dieses Feld aufzuarbeiten, zeigt, daß hier bereits in erheblichem Maße wissenschaftliche Diskurse im Gange sind, die auf die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen von Informationsflüssen und Wissensteilung abzielen. Ein kurzer Überblick soll Berührugspunkte mit anderen Disziplinen verdeutlichen, bevor der hier verwendete Ansatzpunkt umrissen und seine Kernfragestellungen aufgeszeigt werden. Traditionell befaßt sich die Erkenntnistheorie28 mit den Phänomenen Wissen und Information. Allerdings sind ihre Überlegungen sehr abstrakt ausgeprägt und befassen sich eher mit Grundsatzfragen, was Wissen und Information überhaupt sind. Erst in jüngerer Zeit wurden im Rahmen der sogenannten „sozialen Epistemologie" Anstrengungen unternommen, den Diskurs dieser Disziplin auf Gestaltungsempfehlungen auszurichten, die dann beispielsweise Eingang in die Wissenschaftstheorie finden können.29 Dieser Ansatz ist, was Gestaltungsempfehlungen angeht, wesentlich konkreter als die traditionelle Epistemologie, und damit an sozialwissenschaftliche Überlegungen anschlußfähig. Gleichzeitig wird es dadurch möglich, Kriterien wie die Wahrheit von Wissen in sozialwissenschaftliche Diskurse einzuführen. An diese Grundlagen soll im weitern Verlauf der Arbeit angeknüpft werden. Ebenfalls Grundlagen für diese Arbeit können die Kommunikationswissenschaften liefern.30 Im Zentrum dieser Wissenschaft stehen Kommunikationsaktivitä-

Vgl. als Überblick z.B. Baumann (2002) oder Schnädelbach (2002). Vgl. für diesen Ansatz insbesondere Goldman (1999), Goldman (2002), Kitcher (2001), Longino (2002) sowie die Diskussion bei Lütge (2001). 30 Vgl. Merten (1999) sowie Burkart (2002) für umfassende Überblicke. 28 29

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ten, die wie später zu sehen sein wird, ein wesentlicher Bestandteil von Informationsflüssen sind. Ein Problem der Kommunikationswissenschaften besteht allerdings darin, daß sie eine Vielzahl von methodischen Grundlagen aus anderen Disziplinen aufgreifen (z.B. aus der Systemtheorie), um damit Kommunikationsaktivitäten betrachten zu können. Dadurch ist diese Fachrichtung sehr heterogen und kann von der Richtung ihrer Aussagen her kaum klare Orientierungen vermitteln. Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Informationsströmen finden sich auch in der Soziologie. Begriffe wie „Informationsgesellschaft" oder „Wissensgesellschaft" sind von dieser Disziplin geprägt worden; in der entsprechenden Literatur finden sich zahlreiche Studien zu den Strukturen der Informationsgesellschaft, wobei meist eine umfassende Skizze der Auswirkungen technologischer Umbrüche in allen Lebensbereichen beabsichtigt ist.31 Diskussionen dieser Art bieten zwar reichhaltiges Anschauungsmaterial über gesellschaftliche Veränderungen in praktisch allen Bereichen, allerdings kaum Ansatzpunkte, um den Diskurs um den Ordnungsrahmen von Informationsaktivitäten anzuleiten. Geeignet sind dazu schon eher Ansätze der Wissenssoziologie. Diese befaßt sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung von Meinungen sowie teilweise auch von wahren oder falschen Ansichten.32 Daß es notwendig ist, über geeignete Umgangsformen mit Informationen im allgemeinen und den stetig anschwellenden Informationsflüssen im besonderen nachzudenken, verdeutlicht das Entstehen des Felds der „Informationsethik".33 Als spezielle Ethik will diese den normativen Diskurs über Regeln und Verhalten in Bezug auf Informationen anleiten. Begriffe wie „Informationsgerechtigkeit"34 oder „Informationseingriffe"35 wurden in diesem Zusammenhang geprägt, um Aussagen über ethisch gerechtfertigte Rechte in Bezug auf Informationen treffen zu können. Neben dem ethischen hat sich auch ein rechtswissenschaftlicher Diskurs zu dieser Thematik entwickelt. Dieser geht mittlerweile weit über die mit Informationen verbundene öffentlich-rechtliche Problematik (also die Frage, ob und inwieweit der Staat Informationen über seine Bürger sammeln sollte36) hinaus; inzwischen stellt sich auch die Frage nach einem privatrechtlichen Rahmen von Informationsbeziehungen, bei dem ganze Rechtsbereiche — insbesondere das Urheberrecht auf den Prüfstand zu stellen sind. Beabsichtigt ist ein umfassendes Informations- und Kommunikationsrecht, das bisher allenfalls fragmentarisch vorliegt. Damit soll ein „fairer Rechtsrahmen" für die Informationsgesellschaft geschaffen werden.37 Ein solcher muß schon an dem Grundrecht der

Beispielhaft hierfür Castells (2001, 2002), der aber hinsichtlich seiner Betrachtungsgegenstände eine sehr große Reichweite aufweist und praktisch alle neueren gesellschaftlichen Entwicklungen dem Terminus ,Informationsgesellschaft' oder .Netzwerkgesellschaft' zuschreibt, w Vgl. z.B. Spinner (1995) oder Stehr (2002). 33 Vgl. beispielhaft Kuhlen (2004a), Spinner et al. (2001), Vedder (2001) oder in Bezug auf die Medienethik Karmasin (1999) und Wiegerling (1998). 3" Z.B. Capurro (1998), S. 42. 3 5 Spinner et al. (2001), S. 14. 3 6 Vgl. dazu unter anderem Goveneder (2001). 37 Dazu z.B. Dreier (2004), S. 97f.; „Von einer rechtlichen Gesamterfassung des Phänomens 31

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Redefreiheit ansetzen38, erfaßt aber auch speziellere Bereiche, insbesondere das Urheberrecht, das gerne als „die ,Magna Charta' der Informationsgesellschaft"39 angesehen wird. Die Ökonomik bleibt in ihren verschiedenen Spielarten in Bezug auf die Informationsversorgung einer Gesellschaft eher schweigsam. Wenngleich bereits Hayek eindringlich auf die Wichtigkeit von Informationsstrukturen und Wissensübertragung in Gesellschaften hingewiesen hat40 und sich die Wirtschaftswissenschaften auch in ihrem Mainstream spätestens ab den 70er Jahren mit Information verstärkt zu beschäftigen begannen41, wird eine umfassende ordnungsökonomische Diskussion der Probleme von Informationsströmen und ihrer Bedeutung im Rahmen einer gesellschaftlichen Wissensteilung erst ansatzweise geleistet. Wichtige Beiträge wurden im Rahmen der immer stärker diskutierten Medienökonomik eingebracht.42 Es existieren vor allem Partialanalysen wie sie die Informationsökonomik entwickelt hat, die also Teilaspekte im Umgang mit Informationen diskutieren. Es wird noch zu diskutieren sein, wie diese Betrachtungen in die hier zu bearbeitende Themenstellung einfließen können.43 Diese Schweigsamkeit ist allerdings unangebracht. Schließlich sind Regelstrukturen nicht nur Gegenstand von Ethik und Rechtswissenschaften, sondern werden auch von den positiven und normativen Ausprägungen der Ordnungsökonomik behandelt.44 Insbesondere die ordoliberale Tradition zielt darauf ab, Gesellschaften einen Ordnungsrahmen zu geben, innerhalb dessen Individuen prosperieren können; sie ist also maßgeblich motiviert von der Suche nach der „guten Ordnung"45. Daher soll der ordnungsökonomische Ansatz hier aufgegriffen und geprüft werden, ob und inwieweit er geeignet ist, einen Beitrag zur Erklärung und Gestaltung von Regelstrukturen in Bezug auf Informationsaktivitäten und Informationsflüsse innerhalb einer Gesellschaft zu diskutieren. Es wird dabei nicht der Anspruch erhoben, einen Ordnungsentwurf für die Informations- und Wissensgesellschaft in ihrer Gesamtheit zu liefern. Aufgrund der Vielfalt der damit verknüpften ordnungspolitischen Fragen würde ein solcher Versuch Information', von der Schaffung eines Rechtsrahmens für die Informationsgesellschaft sind wir dagegen noch weit entfernt. ... Die für die Informationsgesellschaft so grundsätzliche Fragestellung nach dem .fairen Rechtsrahmen' wird uns also auch weiterhin begleiten." 38 Vgl. dazu Smolla (1992), S. 3f. 39 Wandtke (2002), S. 2. 40 Vgl. insbesondere Hayek (1945). 41 Vgl. z.B. die Hinweise bei Arrow (1974). 42 Hingewiesen sei hier insbesondere auf die Arbeit von Wentzel (2002). Allgemeine Ansätze liefert beispielsweise auch Herder-Dorneich (1994), S. 335ff. 43 Vgl. Kapitel 4. Einen Überblick der Informationsökonomik gibt Stiglitz (2000). Vgl. als Überblick zum aktuellen Stand der Wissensökonomik Sturn und Held (2004). 44 Vgl. zur Ordnungsökonomik Vanberg (1997) sowie Streit (2001). 45 Vgl. dazu programmatisch das Vorwort im Band I des ORDO-Jahrbuchs: „Wie muß die Wirtschafts- und Sozialordnung beschaffen sein, in der sich ein menschenwürdiges und wirtschaftlich erfolgreiches Leben entwicklen kann? - Die Beantwortung dieser Frage ist einer der wichtigsten Aufgaben, die der Nationalökonomie, der Soziologie und der Rechtswissenschaft gestellt ist" (Eucken und Böhm 1948, S. VII).

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schnell an der Komplexität dieses Unterfangens scheitern. Die vorliegende Arbeit möchte vielmehr gesellschaftliche Informationsflüsse zunächst auf ihren elementaren Kern reduzieren, zeigen wie diese funktionieren und wie sie gestaltet werden können, um die mit dem Phänomen Information verknüpften positiven Erwartungen auch tatsächlich verwirklichen zu können. Diese Grundsatzerkenntnisse können dann genutzt werden, um den übergeordneten ordnungspolitischen Umgang mit Informationsflüssen anzuleiten und z.B. zur Gestaltung einer Informations- und Kommunikationsordnung beitragen. Der Ansatz soll im Unterschied zu den momentan vorherrschenden Diskussionsströmungen weder ethisch noch soziologisch noch rechtswissenschaftlich sein. Wenngleich die hier erarbeiteten Ergebnisse in ethische Überlegungen einfließen können, insbesondere dann, wenn eine Institutionenethik im Sinne Homanns verfolgt wird46, sollen hier weniger moralisch motivierte Leitsätze im Vordergrund stehen, sondern vielmehr Regelüberlegungen, die auch unter ökonomischen Bedingungen anwendbar sind. Im Kern geht es um zwei große Fragestellungen: •

Wie kann der Informationsfluß innerhalb einer Gesellschaft modellhaft abgebildet werden, so daß seine Wirkungen auf das Individuum genauso wie die gesamtgesellschaftliche Wissensteilung deutlich werden?



Wie sollte der Informationsfluß in einer Gesellschaft institutionell ausgestaltet werden, damit dadurch die Wissensteilung verbessert wird und die Gesellschaft zur informierten Gesellschaft? Wie — wenn überhaupt — können also Informationsprozesse und -flüsse gestaltet werden, damit sie für die Gesellschaft von Vorteil sind?

Die erste Frage ist in der positiven Theorie verankert. Ziel ist es, eine geeignete Modellvorstellung zu entwickeln, die in der Lage ist, Informationen, ihre Generierung, Weitergabe und Wirkungen zu erfassen. Dazu ist zunächst zu klären, was Informationen eigentlich sind, welche Eigenschaften ihnen innewohnen und wie ein im Rahmen sozialwissenschaftlicher Analysen handhabbarer Informationsbegriff aussehen muß. Darauf aufbauend ist nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Austauschprozesse mit Informationen abgebildet werden können.47 Dabei ist zu beachten, daß es schon eine breite Auseinandersetzung mit Informationen im ökonomischen Kontext gibt. Es ist daher zu prüfen, ob diese Ansätze für die hier zu betrachtende Fragestellung geeignet sind und, wenn nicht, welche Erweiterungen vorzunehmen sind. Im Kern geht es also darum, die sozialen Prozesse zu erklären und zu verstehen, in die eingegriffen werden soll bzw. die ordnungspolitisch gestaltet werden sollen. Am Ende der Arbeit stehen einige Vorschläge zur Gestaltung einer Ordnung von Informationsflüssen. Es werden Hinweise gegeben, wie liberale Ordnungsmodelle angesichts dieser neuen Herausforderungen weiterentwickelt werden. Ordnungsmodelle sind nichts statisch

« Vgl. z.B. Suchanek (2001). 47 Der Begriff „Austauschprozeß" soll hier nicht zwingend einen Markttausch implizieren.

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gegebenes, eine zu allen Zeiten gültige ordnungspolitische Problematik gibt es nicht. Vielmehr fuhren Fortschritt und gewandelte gesellschaftliche Situationen zu Problemen, die neue Lösungen notwendig machen. Im Falle einer liberalen Ordnung heißt das, daß stets über die Ausgestaltung und Sicherung von Freiheitsspielräumen nachzudenken ist, im hier zu diskutierenden Fall über die Ausgestaltung der Informations- und Kommunikationsfreiheit.48

1.3

Vorgehensweise

Ziel der Arbeit ist es, die Funktionen von gesellschaftlichen Informationsströmen in einer sozialen Ordnung herauszuarbeiten und sie somit gleichzeitig zu einem ordnungspolitischen Problem zu machen. Dabei sollen Gestaltungsvorschläge für den Umgang mit Informationen abgeleitet werden - mit Blick auf den „informierten Bürger" und die „informierte Gesellschaft". Wie nähert sich die Arbeit diesem Untersuchungsziel und was gilt es, im Detail zu klären? Die Herangehensweise soll eine ökonomische sein, in dem Sinne, daß soziale Phänomene - hier Informationsflüsse - grob gesagt auf Kosten-Nutzen-Überlegungen zurückgeführt werden. Das macht es erforderlich abzugrenzen, was unter einem ökonomischen Ansatz zu verstehen ist und wie ein solcher verwendet werden kann, um ordnungspolitische Probleme zu bearbeiten. Das soll in Kapitel 2 geleistet werden. Dabei werden zunächst einige grundsätzliche Anmerkungen zur sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Modellbildung sowie zum Begriff der Ordnung gemacht, um darauf aufbauend — wie in der individualistisch orientierten Theoriebildung üblich — Grundelemente wie Handlungstheorie, Institutionentheorie und normatives Grundkonzept einzuführen.49 Der nächste Schritt (Kapitel 3) besteht darin zu klären, was unter einem Informationsfluß zu verstehen ist. Dabei stehen die Überlegungen vor dem Problem, daß es zahlreiche, zum Teil widersprüchliche Informationsbegriffe gibt und auch die Abgrenzung zu Konstrukten wie Wissen und Kommunikation nur selten eindeutig ist. Um hier zu klaren Konzepten zu gelangen, geht der Definitionsversuch vom Individuum aus und wählt die Bedeutung von Information und Wissen für dessen Handeln als Ausgangspunkt. Ein Informationsfluß ist dann anzusehen als ein Austausch oder die Weitergabe von immateriellen Konstrukten zwischen Individuen. Dabei entstehen auch kollektive geistige Konstrukte, die die Verknüpfung zur ordnungspolitischen Problematik erlauben. Kapitel 3 mündet damit in einige Grundstrukturen, die in den darauf folgenden Ausführungen noch mit konkreten Modellüberlegungen ausgefüllt werden müssen, um das Phänomen „Informationsfluß" zu erfassen, zu erklären und zu gestalten. Am Ende von Kapitel 3 werden einige wesentliche Ordnungsfragen zu einem gesellschaftlich sinnvollen Umgang mit Informationen entwickelt. In Kapitel 3 werden auch normative Grundfragen behandelt, um definieren zu können, was unter einer „informierten Gesellschaft" und einem „informierten Bürger" zu verstehen ist.

48 49

Vgl. zur Weiterentwicklung der ordnungspolitischen Problematik Schneider (2004), S. 3. Vgl. zur Bedeutung dieser Grundelemente Homann und Suchanek (2000).

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Die Annäherung an das in Kapitel 3 umrissene Problemfeld ist aus ökonomischer Sicht nicht einfach. Das hängt zum einen damit zusammen, daß Informationen bei allen gesellschaftlichen Handlungen in irgendeiner Form eine Rolle spielen, so daß man Gefahr läuft, sich in einem wahren Dickicht aus Einzelproblemen zu verlieren.50 Zum anderen hat sich die ökonomische Theorie recht schwer im Umgang mit Informationen getan.51 Das hängt vor allem damit zusammen, daß Informationen besondere Eigenschaften zugeschrieben werden, die sich nur schwer in ökonomische Standardmodelle integrieren lassen. Daher gilt es zu prüfen, wie eine ökonomische Annäherung an das Untersuchungsfeld aussehen kann. Dazu werden in Kapitel 4 zwei Modellierungsansätze herangezogen und auf ihre Eignung zur Erfassung von Informationsströmen hin analysiert. Verwendet werden soziodynamische Modelle, die der evolutorischen Theorierichtung zuzuordnen sind, sowie neoklassisch orientierte Ansätze, die auf die Informationsökonomik aufbauen. Aus Kritikpunkten an diesen Ansätzen (insbesondere hinsichtlich Erklärungsgehalt und Gestaltungsfähigkeit) wird schließlich in Kapitel 5 ein Modellierungsansatz entwickelt, der es in abstrakter Weise erlaubt, Informationsflüsse im Zusammenhang einer Wirtschaftsordnung zu erfassen und Gestaltungshinweise zu geben. Dabei werden unter anderem Methoden der Institutionenökonomik aufgegriffen. Ziel ist es, eine Verknüpfung zwischen dem Individuum und idealtypischen Informationsaktivitäten als Basis und der informierten Gesellschaft als kollektivem Ergebnis herzustellen. Diese Modellüberlegungen sollen normative Überlegungen (Kapitel 6) anleiten. Dazu ist es erforderlich, einen Leitwert einzuführen, der die Basis der normativen Ausführungen bildet, um schließlich eine Aussage treffen zu können, wann freie Informationsflüsse angebracht sind und wann nicht. Ziel ist es, abgestufte Gestaltungsvorschläge zu generieren, die an unterschiedlichen Problembereichen von Informationsflüssen anknüpfen. -Als Leitbilder werden dabei die Vorstellungen einer liberalen und offenen Gesellschaft zugrundegelegt. Die Ausführungen sollen dabei sowohl allgemein sein als auch an einem Anwendungsbeispiel exemplifiziert werden. Da eingangs Wissenschaft als wesentliche Informationsquelle eingeführt worden ist, empfiehlt es sich, auf die Einbindung dieses Bereichs in die Wissensteilung Bezug zu nehmen. Zurückgegriffen wird daher auf die Gestaltung von Politikberatungsaktivitäten.

Grundlegend ist hier zu unterscheiden zwischen Modellen, in denen der Informationsstand neben anderen Faktoren eine (durchaus aber entscheidende) Rolle spielt, und Modellen, die sich mit Information und Wissen an sich auseinandersetzen. Betrachtungen der ersteren Form spielen hier keine Rolle, das heißt es geht nicht darum, sich zu überlegen, wie zum Beispiel bestimmte Marktformen mit oder ohne vollkommener Information funktionieren oder wie Probleme mit Informationsasymmetrien überwunden werden können. 51 Einen hohen Bekanntheitsgrad hat hier die Diagnose von Stigler (1961, S. 213) erreicht: „One should hardly have to academicians that information is a valuable resource: knowledge is power. And yet it occupies a slum dwelling in the town of economics. Mosdy it is ignored: the best technology is assumed to be known; the relationship of commoditiers to consumer preference is a datum. And one of the information producing industries, advertising, is treated with a hostility that economists normally reserve for tariffs and monopolies." 50

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Problemstellung: Gestaltung von gesellschaftlichen Informationsströmen als Basis einer sinnvollen Wissensteilung (Kapitel 1)

Modell eines Informationsstroms (Kapitel 3.2) Handlungstheorie (Kapitel 2.1, 5.1)

Normative Basis (Kapitel 2, 3 und 5.3)

Idealtypische Informationsaktivitäten (Kapitel 5.2) Ordnungs- und Institutionentheorie (Kapitel 2) Gesesellschaftliche Ergebnisse (Informiertheit) (Kapitel 5.3)

Q.

GestaltungsempFehlungen (Kapitel 5.3)

£

Informierte und offene Gesellschaft

Abbildung 1-1: Überblick zum Gang der Arbeit Abschließend ist darauf hinzuweisen, was diese Arbeit nicht leisten will: Die Arbeit bezieht sich zwar auf gesellschaftliche Teilbereiche wie die Medien oder die Wissenschaften, will diese aber nicht detailliert analysieren, sondern nur vergröbert betrachten. Genauere Analysen dieser Teilbereiche finden sich in der Wissenschaftsökonomik oder in der Medienökonomik. Informationsströme haben fast immer eine technologische Komponente, die meist ebenfalls einer Regulierungsdiskussion unterworfen werden muß. Auch diese wird hier ausgeblendet. Das ist zum einen darin begründet, daß bereits eine umfangreiche Literatur zu dieser Regulierungsproblematik existiert. Zum anderen würde dies vom ordnungsökonomischen Kern von Informationsströmen ablenken. Schließlich sei nochmals darauf hingewiesen, daß diese Arbeit keine genauen Anweisungen zur Ausgestaltung einer Informationsordnung geben kann. Beabsichtigt sind grundsätzliche Gestaltungsempfehlungen vor dem Hintergrund der informierten oder wissenden Gesellschaft. Detaillierungen bedürfen einer genaueren Betrachtung der spezifischen Informationsströme.

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2

Grundlagen einer Auseinandersetzung mit Informationsflüssen aus (ordnungs-)ökonomischer Sicht

Zu Beginn dieser Arbeit ist es erforderlich, den hier gewählten wirtschaftswissenschaftlichen Ansatz zu umreißen, also Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt der folgenden Betrachtungen festzulegen. Beide für die Theoriebildung wesentlichen Aspekte sollen in den Kapiteln 2 und 3 geklärt werden. Kapitel 2 ist dabei eher grundlegender Art und stellt neben dem sozialwissenschaftlichen Grundverständnis vor allem zwei Ansatzpunkte für das weitere Vorgehen bereit: •

Es werden die Problemstrukturen, die in und mit einer sozialen Ordnung gelöst werden müssen, dargelegt. In einem noch folgenden Teil wird gezeigt, welche Rolle Informationsströme in Bezug auf diese Probleme spielen.



Zudem werden Analyseinstrumente, vor allem in Form der modernen Institutionentheorie bereitgestellt, die im weiteren Verlauf benutzt werden, um Detailprobleme von Informationsflüssen zu bearbeiten.

Die Analyse soll dabei auf Basis der Ordnungsökonomik durchgeführt werden, d.h. es wird bewußt ein Ansatz gewählt, der weniger Partialaspekte beleuchtet, sondern sich der Thematik auf einer breiten Basis, ausgehend von gesellschaftlichen Grundprinzipien nähert. Um dies leisten zu können, werden sowohl positive als auch normative Theorieelemente benötigt. Allerdings stellt sich das Problem, daß es „die" ökonomische oder auch „die" ordnungsökonomische Theorie nicht gibt, genausowenig wie es beispielsweise eine einheitliche soziologische Theorie gibt. Es ist daher notwendig, aus dem sozialwissenschafdichen Theorieangebot diejenigen Elemente herauszufinden, aufzugreifen und miteinander zu verbinden52, die geeignet sind, einen Ordnungsentwurf mit Bezug auf Informationsflüsse und Kommunikationsprozesse zu konkretisieren. Um dieser Diskussion einen Rahmen zu geben, sind einige Vorbemerkungen notwendig, die das hier verfolgte Konzept von Ökonomik präzisieren (Abschnitt 2.1). Zudem muß gezeigt werden, wie diesem Verständnis zufolge soziale Phänomene grundsätzlich erklärt und gestaltet werden können. Insbesondere werden die Kernelemente herausgearbeitet, die eine aussagekräftige Ordnungstheorie enthalten muß (Abschnitt 2.2). Dieser abstrakte Theorierahmen wird in den Folgekapiteln mit themenspezifischen Inhalten gefüllt. Ein erster Schritt hierzu wird in Abschnitt 2.3 unternommen, der den ordnungsökonomischen Rahmen mit Überlegungen aus der ökonomischen Handlungs- und Institutionentheorie verknüpft. Ziel ist es, die Instrumentarien zu liefern, die detaillierte Antworten auf die beiden Kernfragen der Arbeiten ermöglichen.

Dabei stellt sich dann möglicherweise ein Problem der Integration unterschiedlicher Denkansätze. Vgl. dazu Suchanek (1994). 52

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2.1

Zum Verständnis von Ökonomik

Was die Ökonomik in ihrem Kern ausmacht, ist Gegenstand zahlreicher Debatten; Inhalte und Selbstverständnis dieser Wissenschaft waren und sind umstritten.53 Geht man davon aus, daß Wissenschaft die alltägliche Sichtweise der Dinge transzendieren und diese „durch alternative, theoretische Konzepte und Beziehungen zwischen diesen"54 ersetzen soll, so ist klar, daß das Alltagsverständnis, wonach es sich bei den Wirtschaftswissenschaften um eine Betrachtung „der Wirtschaft" handelt, in keinem Falle ausreichend ist, um die Ökonomik abzugrenzen.55 Gezeigt werden muß also, was der spezielle mit einem spezifischen Erkenntnisinteresse korrespondierende Blickwinkel ist, der Wirtschaftswissenschaften ausmacht und sie von anderen Wissenschaften abgrenzt. Das Problem ist allerdings, daß sich an die Bestimmung des Erfahrungs- und Erkenntnisbereichs einer Disziplin keine Maßstäbe logischer oder faktischer Wahrheit anlegen lassen. Es handelt sich immer um ein normatives Urteil des Wissenschaftlers oder einer Gruppe von Wissenschaftlern. Die Folge: Den ökonomischen Ansatz gibt es nicht. Die Wirtschaftswissenschaften sind wie schon ein Blick in die Theoriegeschichte zeigt kein monolithisches Theoriegebäude.56 Im Laufe der Zeit haben sich Theorietraditionen herausgebildet, die jeweils unterschiedliche Sichtweisen ihrer Erfahrungsgegenstände mit sich brachten und unterschiedliche Herangehensweisen wählten. Das bedeutet aber nicht, daß Ökonomik als Wissenschaft beliebig abgrenzbar ist und es gar keine Möglichkeit gibt, dies kritisch zu hinterfragen. Die damit verbundenen Festlegungen können und müssen dahingehend geprüft werden, ob sie zweckmäßig sind oder nicht, und müssen zumindest in einigen elementaren Grundsätzen an die ökonomische Denktradition ansetzen, will man nicht am Ende bei der Feststellung angelangen, daß Ökonomik alles ist, was Ökonomen tun. Eine gewisse trotz aller Disparitäten beobachtbare Gemeinsamkeit der meisten ökonomischen Ansätze besteht darin, daß der Mensch im Mittelpunkt ökonomischer Überlegungen stehen soll und eine mehr oder weniger exakte Disziplin vom menschlichen Handeln angestrebt wird.57 Grundsätzlich ist es daher möglich, die Ökonomik den Sozialwissenschaften zuzurechnen, die sich dem Verständnis Friedrich August von Hayeks zufolge mit „relations between men and things or the relations between man and man"58

53 Vgl. Schaffer (2001), S. 131 ff. 5" Meyer (2003), S. 204. 55 Ein solches Alltagsverständnis ist für wissenschaftliche Zwecke schon deshalb unbrauchbar, weil sich die Wirtschaftswissenschaften dann auch konsequenterweise mit der architektonischen Gestaltung von Firmengebäuden auseinandersetzen müßte, da dies in irgendeiner Form auch Einfluß auf das Wirtschaftsleben hat (vgl. auch Homann und Suchanek 2000). s« Vgl. z. B. Faber (1999). 57 Vgl. Schaffer (1999), S. 140. 58 Hayek (1979), S. 41. Hayek grenzt sich hier zum einen strikt von den Naturwissenschaften ab, zum anderen auch von der Psychologie. Es geht nicht darum, menschliches Handeln exakt zu erklären, was - wenn überhaupt - ausschließlich die Psychologie kann; worauf es ankommt, ist die Interaktion menschlichen Handelns. Hayek gebraucht hier zum Teil auch den Begriff „moral sciences" (z.B. S. 42), so daß nicht jede Wissenschaft, die sich mit

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auseinandersetzen. Es werden also Phänomene des menschlichen Zusammenlebens betrachtet, indem sowohl menschliche Handlungen analysiert als auch die unintendierten Folgen dieser Handlungen auf kollektiver Ebene aufgezeigt werden. Es soll die Komplexität gesellschaftlicher und ökonomischer Zusammenhänge erfaßt und mit Hilfe von möglichst allgemein gültigen Gesetzesaussagen erklärt werden. Mit dieser Zielsetzung im weitesten Sinne (nicht immer im Detail) dürften sich Wissenschaften wie die Soziologie, die Politikwissenschaften und auch die Ökonomik anfreunden können. Aus diesem Grund muß sich die Ökonomik innerhalb der Sozialwissenschaften mit ihrer spezifischen Methode abgrenzen (die damit auch prinzipiell auf alle sozialen Tatbestände anwendbar ist): „Nicht mehr was, sondern wie die Ökonomik analysiert, stellt das Abgrenzungskriterium zu anderen Wissenschaften dar!"59 Welche ist also innerhalb der Sozialwissenschaften die spezifische Herangehensweise der Ökonomik? Seit ihrer Grundlegung durch Adam Smith war die moderne Ökonomik geprägt durch ihren Fokus auf Knappheit, daraus resultierende Opportunitätskostenstrukturen, individuelle Versuche, mit Knappheit umzugehen, Spezialisierung, Tauschgewinne und die daraus resultierende gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung.60 Diese Tatbestände finden sich in der einen oder anderen Form in praktisch allen ökonomischen Ansätzen wieder. In seinem Kern betrachtet der ökonomische Ansatz also die knappheitsrelevanten Aspekte von Sozialbeziehungen und versucht zu zeigen, wie sich aus dem zielgerichteten Handeln bestimmte gesamtgesellschaftliche Muster herausbilden. Knappheit ist dabei jede subjektiv empfundene Ziel-Mittel-Diskrepanz, die durch zielgerichtetes Handeln überwunden werden soll.61 Entscheidend war und ist es, hier Konstellationen herauszuarbeiten, die gesamtgesellschaftlich vorteilhaft sind, oder anders gesagt, Tauschgewinne ermöglichen. Am stärksten vorangetrieben ist dieser Gedanke in der neoklassischen Mikround Wohlfahrtsökonomik, die unter restriktiven Annahmen den Umgang von Menschen mit Knappheit sowohl aus einer individuellen Perspektive als auch aus einer Marktperspektive heraus beleuchtet. Die Mikro- und Wohlfahrtsökonomik leitet abstrakte Muster von Arbeitsteilung ab, die unter anderem auch als Richtschnur für wirtschaftspolitisches Handeln dienen. Die strikte Neoklassik verfolgt diesen Ansatz mit vorwiegend mathematischen Methoden, generiert eine Nutzen(Wert)- und Haushaltstheorie, die vornehmlich auf die Konstruktion von Nachfragekurven abstellt, eine Produktions- und Kostentheorie, die auf die Konstruktion von Angebotskurven abstellt sowie eine Markt- und Preistheorie, die aus Marktergebnisse aus der Interaktion von Angebot und Nachfrage erklärt. Darauf aufbauend läßt sich bei Betrachtung aller Märkte im Rahmen der allgemeinen Gleichgewichtstheorie der arbeitsteilige Zusammenhang aller Märkte menschlichem Zusammenleben befaßt auch zwingend Sozialwissenschaft ist (z. B. Bevölkerungswissenschaft, Epidemiologie etc.). 59 Karpe (1997), S. 21, so auch z.B. Gerecke (1998), S. 151 oder Kleinewefers (1988), S. 19. 60 Vgl. Franck (1995), S. 20. « Vgl. die Hinweise bei Faber (1999), S. 15ff. Vgl. auch Hermann-Pillath (2002), S. 22ff.

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bestimmen. Das ist im Kern die Theorie wie sie in der MikroÖkonomik gelehrt wird und sich in zahlreichen Lehrbüchern findet.62 Ökonomik ist in diesem Verständnis die „Wissenschaft von der Markteffizienz"63, Wirtschaft wird gesehen als „Ort der Koordination von Optimierungsprozessen"64. Hauptelemente dieses engen Verständnisses von Ökonomik sind das Verhaltensmodell des Homo Oeconomicus, das individuellen Umgang mit Knappheit abbilden soll, sowie das Tauschparadigma und die normative Ausrichtung an Tauschgewinnen.65 Der Homo Oeconomicus stellt ein strikt rational handelndens Individuum dar, das geprägt ist durch konsistente und eigeninteressierte individuelle Nutzenmaximierung endang fest stehender und in der Regel unveränderlicher Präferenzen sowie davon strikt getrennten Verhaltensrestriktionen. Verhalten läßt sich dann durch die rationale Anpassung an sich ändernde Restriktionen erklären. Im Tauschparadigma wird gezeigt, wie die Handlungen von Menschen gewinnbringend koordiniert werden. Seinen normativen Ausdruck findet dieses Denken in der insbesondere am Kriterium der Pareto-Effizienz orientierten WohlfahrtsÖkonomik, die Marktzustände mit bestimmten Bewertungen versieht. Beide Aspekte der engen, auf Markteffizienz ausgerichteten ökonomischen Theorie haben im Laufe der Theoriebildung — gemeinsam wie getrennt — eine Ausweitung ihres Anwendungsbereichs erfahren. Es wurden empirischen Phänomene untersucht, die nichts mit dem Marktgeschehen im engeren Sinne zu tun haben. Das Homo Oeconomicus-Modell wurde insbesondere im Zuge der Arbeiten des Nobelpreisträgers Gary Becker zu einer allgemeinen Theorie menschlichen Verhaltens ausgeweitet. So gibt es mitderweile eine ökonomische Theorie der Politik, eine ökonomische Theorie der Ehe und Familie, eine ökonomische Theorie der Kriminalität, eine Gesundheitsökonomie oder eine ökonomische Theorie des Journalisten.66 Kern dieser Theorie ist es, bestimmte Phänomen in diesen Anwendungsbereichen als rationale Anpassung an sich ändernde Restriktionen zu rekonstruieren; es werden also Kosten-Nutzen-Strukturen identifiziert, die als handlungsbestimmend gesehen werden und deren Änderung als Erklärungsmuster herangezogen werden kann. Während die ökonomische Theorie menschlichen Verhaltens den Homo Oeconomicus in andere als wirtschaftliche Lebensbereiche exportiert, so ist es genauso möglich, das Tauschparadigma auf nichtmarktliche Gegenstände zu übertragen. Dieser Ansatz wird dann verallgemeinert zu einer Theorie der Besserstellung (Generierung von Kooperationsgewinnen) durch freiwillige Vereinbarung. Teilweise die Institutionenökonomik, vor allem aber die Konstitutionenökonomik im Anschluß an Buchanan nehmen diese Übertragung vor67; fortgeführt « Vgl. beispielhaft Fehl und Oberender (2004). « Kiesling (1999). 64 Hermann-Pillath (2002), S. 23. 65 Beide Aspekte — Homo Oeconomicus und Tauschparadigma - können als eigenständige Ausprägungen des ökonomischen Denkens angesehen werden, die nicht zwingend miteinander verbunden sein müssen, aber verbunden sein können (vgl. Märkt 2004, S. 67f.). 66 Vgl. zu letzterem Fengler und Ruß-Mohl (2005). Allgemein vgl. Kirchgässner (2000). 67 Vgl. die Hinweise bei Vanberg (1999), S. 42. Zur Konstitutionenökonomik vgl. Erlei,

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wird das insbesondere auch von den von Homann initiierten Ansätzen, die gesellschaftliche Dilemmastrukturen und ihre Überwindung in den Kernbereich des ökonomischen Ansatzes stellen.68 Ein Verständnis von Ökonomik, das diese gegen andere sozialwissenschaftliche Ansätze abgrenzt, enthält stets beide Elemente: Eine Vorstellung über zielgerichtetes Handeln unter Beachtung von Kostenkategorien auf der Individualebene sowie eine Vorstellung darüber, wie dieses Handeln auf einer überindividuellen Ebene (z.B. Marktebene oder Gesellschaft) zusammenwirkt und bestimmte Ergebnisse nach sich zieht. Eine derartige Vorgehensweise findet sich sowohl in der oben skizzierten neoklassischen Wohlfahrtsökonomik wie auch der teilweise in neoklassische Modelle benutzenden modernen Interaktionsökonomik69 sowie - mit anderen Modellkonstrukten - in der der österreichischen Schule entstammenden Marktprozeßtheorie70. Dieser grundlegenden Methodik soll auch hier gefolgt werden, insbesondere um Modellstrukturen der modernen Ordnungs- und Institutionentheorie aufgreifen und an deren Vorgehensweise anknüpfen zu können. Damit ist allerdings noch keine Vorentscheidung verbunden, eine der konkreten Ausformulierungen dieses Ansatzes zu benutzen. Aufgrund der Besonderheit des hier zu betrachtenden Gegenstandes, Informationsströme und Kommunikationsstrukturen, ist noch genau zu prüfen, welche Elemente der Wirtschaftswissenschaften geeignet sind, hier Aussagen zu treffen. Erst dann kann eine konkrete Ausgestaltung des obigen Musters vorgenommen werden. Dabei ist insbesondere der Begriff des Tausches weit zu interpretieren und darf dabei nicht vorschnell auf die spezielle Form des Markttausches eingeengt werden.71 Insbesondere soll hier also nicht der engen Ausformung in Gestalt der neoklassischen Gleichgewichtsökonomik gefolgt werden, die derzeit die Hauptströmung der Wirtschaftswissenschaften markiert. Diese Interpretation von Ökonomik war nicht immer vorherrschend, sondern hat sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet. Zu Beginn der modernen ökonomischen Theoriebildung war Ökonomik eher als Politische Ökonomie konzipiert, also als umfassendere sozialwissenschaftliche Herangehensweise, die konkrete Ratschläge geben möchte, wie gesellschaftliches Zusammenleben zum Nutzen aller organisieren läßt. Die Vorgehensweise einer politischen Ökonomie läßt sich wie folgt umreißen: „Eine politische Ökonomie bedient sich wirtschaftswissenschaftlicher, soziologischer oder politikwissenschaftlicher Methoden, um ein gesellschaftliches Phänomen zu erklären. Sie unternimmt dann eine Beurteilung, inwieweit dem Phänomen in Be^ug auf einen Leitwert (z.B. Freiheit) eine gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Zuerst wird also ein Phänomen erklärt, und dann wird eine systematische Bewertung vorge-

Leschke und Sauerland (1999). «» Vgl. z.B. Homann und Suchanek (2000) oder Pies (2000). 69 Vgl. dazu insbesondere Homann und Suchanek (2000) sowie Gerecke (1998). 70 Vgl. als spezifische Ausformulierung der Marktprozeßtheorie z.B. Kerber (1997), S. 29ff. oder Wohlgemuth (1999), S. 25ff. 71 Der Tauschbegriff wird zum Teil auch in der Soziologie verwendet: vgl. für Nachweise Schaffer (1999) sowie Kappelhoff (1993).

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nommen. [...] Die Bewertung und Erklärung des Phänomens bieten dann möglicherweise Ansatzpunkte für (ordnungs-)poütische Eingriffe oder Gründe für Nichteingriffe."72 Eine politische Ökonomik ist also sowohl in positiver als auch normativer Hinsicht bewußt offener konzipiert als eine Ökonomik, die sich ausschließlich an Gleichgewicht und Effizienz orientiert. Das muß nicht zwingend einen Gegensatz bedeuten. Vielmehr kann eine politische Ökonomik von neoklassischen Partialmodellen profitieren, die geeignet sind, bestimmte Argumentationsmuster zu unterstützen, insbesondere dann, wenn Anreizprobleme zu betrachten sind. Eine politische Ökonomik kann diese Perspektiven ergänzen, um weitere ökonomische Ansätze, die sich teilweise im Grenzbereich von Soziologie und Ökonomik bewegen, beispielsweise der evolutorische Ansatz73 oder die Marktprozeßtheorie der österreichischen Schule. Der rein effizienzorientierte neoklassische Ansatz liefert zwar bei der Betrachtung von Detailproblemen, insbesondere von Anreizproblemen, gute Ergebnisse, ist allerdings, wenn es um die Erfassung von Ordnungsproblemen in ihrer Gesamtheit geht unterkomplex. Das Verständnis einer politische Ökonomie ist daher dem engen effizienzorientierten Verständnis vorzuziehen, zumal dies eng mit einem ordnungsökonomischen Verständnis korrespondiert.74 Trotz dieses umfassenderen Ansatzes bleibt auch die politische Ökonomik Modelldenken, d.h., es wird nicht die Realität an sich abgebildet, sondern mit hypothetischen Konstrukten gearbeitet, die bestimmte Zusammenhänge zielgerichtet erfassen und von anderen bewußt abstrahieren. Es soll also durch den „geordneten Verlust an Informationen" 75 mittels Treffen von (zum Teil recht weitreichenden) Annahmen, die reale Welt in eine Form gebracht werden, die verstehund gestaltbar ist. Dabei müssen die herausgearbeiteten Zusammenhänge nicht

72

Zeitler (2000), S. 5 (Hervorhebung im Original). Vgl. zur „Politischen Ökonomie" auch Waterman (2002) sowie Faber (1999). 73 Im Gegensatz zur Neoklassik enthalten evolutorische Theorien stets ein Element des Wandels. Penz (1999, S. 105) charakterisiert evolutorische Theorien durch die Begriffe Historizität und Reproduktion, Offenheit und Varation, Selektion und Stabilisation. Es geht also um Theorien, die zeigen, wie das Phänomen der Neuheit in offenen Prozessen zustande kommt, Neues selektiert wird und dies zu stabilen Mustern führt. Vgl. auch Witt (1987). 74 Das arbeitet Schneider (2004, S. 9ff.), heraus. Demnach war und ist zentrales Anliegen der Ökonomik die Suche nach einer „guten Ordnung"; in Form der politischen Ökonomik hat sie dabei das Zusammenwirken der gesellschaftlichen Teilkräfte und -bereiche unter Verwendung unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze in den Vordergrund gestellt. Im Rahmen der neoklassischen Orientierung der Volkswirtschaftslehre ist dieses Anliegen wieder etwas in den Hintergrund getreten, wenngleich die Neoklassik implizit auch von bestimmten Ordnungsvorstellungen ausgeht. Die moderne Institutionentheorie und die Behavioral EconomisAnsätze sind der umfangreichen Ausarbeitungen von Schneider zufolge die Bewegung hin zu einer modernen Ordnungstheorie. Diese Schlußfolgerung fügt sich insofern in die hier gewählte Interpretation von Ökonomik ein als sowohl auf der Verhaltensebene (Behavioral Economics) als auch auf der Ebene des Zusammenwirkens der Individuen (Institutionentheorie) Fortentwicklungen für notwendig erachtet werden. 7 5 Boulding (1970), S. 2

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immer zwingend in empirischer Form exakt meßbar sein76; vielmehr geht es angesichts der Komplexität der Zusammenhänge häufig unvermeidbar — um die Generierung von bestimmten Denkmustern mit Wiedererkennungswert in der Realität, die die Komplexität in angemessener und handhabbarer Form reduzieren.77 Modellbildung ist damit immer eine schwierige Gratwanderung zwischen Einfachheit und Komplexität und muß sich daran messen lassen, wie sie dieses Spannungsfeld bewältigt.78

2.2

Ordnung als Ausgangspunkt

Nachdem das Grundverständnis von Ökonomik erklärt und dessen wesentliche Elemente aufgezeigt wurden, gilt es im folgenden, diese mit Inhalt zu füllen. Da sich die Argumentation ordnungsökonomischer Denkmuster bedient, besteht ein erster Schritt darin, zu klären, was unter dem Zentralbegriff „Ordnung" zu verstehen ist, und darauf aufbauend die wesentlichen Elemente eines Ordnungsmodells zu entwickeln.

2.2.1 Problem der sozialen Ordnung 2.2.1.1 Ordnungsbegriff Da der Ordnungsbegriff - ähnlich dem weiter unten einzuführenden und damit in enger Verwandtschaft stehenden Institutionenbegriff (vgl. Abschnitt 2.3.2) — in der Literatur teilweise sehr unterschiedlich verwendet wird79, ist eine Abgrenzung vorzunehmen. Unter Ordnungen sind allgemein „Muster, die als Folge einer Koordination von Handlungen individueller Akteure entstehen" 80 zu ver-

76 D.h. das diese Zusammenhänge nicht-empirisch, also nur formal sind. Vgl. dazu die Hinweise bei Schaffer (1999), S. 172. 77 Prägend für dieses Verständnis ist das Hayeksche Denken in allgemeinen Muster. Vgl. dazu Hayek (1973). Vgl. zu Hayeks Verständnis von Modellbildung auch Meyer (2003, S. 211): „Die primäre Funktion ökonomischer Theorie und Modelle besteht für ihn nicht darin, unmittelbar empirische Aussagen abzuleiten. Stattdessen hebt er vor allem ihre heuristische Dimension im Rahmen des Erkenntnisprozesses hervor: Die modelltheoretisceh Veranschaulichung der Zusammenhänge bildet die Grundlage für deren Wieder-Erkennen in der Wirklichkeit." Davon zu unterscheiden ist ein Verständnis von Ökonomik, das bewußt auf sogenannten Mechanism Design oder konkrete Marktarchitektur ausgerichtet ist, also umsetzbare Strukturen für Partialmärkte schaffen will. Ein solches Verständnis kann nicht mit allgemeinen Mustern auskommen, sondern muß empirische (experimentell oder durch Simulation bestimmte) Fakten einbeziehen (vgl. zu diesem Verständnis Roth 2002). Vgl. zur Modellbildung auch Machlup (1978), Tietzel (1981), Musgrave (1981) und Albert (1984). 78 Dazu finden sich in der Geschichte des ökonomischen Denkens vielfaltige Beispiele. Im Streit zwischen Historischer Schule und theoretische orientierten Ansätzen ging es unter anderem darum. Die Position, die z.B. Eucken im Anschluß an diesen Streit entwickelt hat, kann als Versuch gewertet werden, dieses Spannungsfeld sinnvoll auszutarieren. 79 Der Ordnungsbegriff ähnelt in dieser Hinsicht dem noch weiter unten einzuführenden Institutionenbegriff (vgl. Abschnitt 2.3.2.2). 80 Streit (2001), S. 11.

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stehen. Ordnung ist ein zentraler Begriff in den Sozialwissenschaften81 und bezieht sich auf Regelmäßigkeiten, die sich in sozialen Gebilden herausbilden. Ordnung ist aber nicht von Natur aus vorgegeben, sondern ist zumindest teilweise durch menschliche Eingriffe gestaltbar. Das Problem der sozialen Ordnung bezieht sich also auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Der Ordnungsbegriff läßt sich — unter Verwendung eines Beispiels aus dem nichtgesellschaftlichen Bereich - folgendermaßen illustrieren:82 Schaut man die Zahlenfolge, 1, 4, 9, 16... an, so ist zu erwarten, daß die Zahlen 25, 36, 49... die Fortsetzung bilden. Es würde sich dann um eine Ordnung handeln, die durch die Zahlenfolge n2 gebildet würde. Allerdings ist dies nicht zwingend; es gibt auch andere Möglichkeiten, diese Zahlenfolge fortzusetzen. Die Regelmäßigkeit in der Zahlenfolge kann aber genutzt werden, um Erwartungen über ihren weiteren Verlauf zu bilden. Je eindeutiger die Zuordnung ist, desto höher ist der Grad der Ordnung. Am höchsten ist der Grad der Ordnung, wenn mit 100%iger Wahrscheinlichkeit ein Element der möglichen Nachfolgerzahlen als Nachfolger erwartet werden kann. Was bedeutet der Ordnungsbegriff übertragen auf eine Gesellschaft, insbesondere auf eine moderne Großgesellschaft? Gesellschaften und der Großteil der sozialwissenschaftlichen Tatbestände, die in solchen analysiert werden müssen, sind von Komplexität geprägt. Komplexität heißt dabei: Der betreffende Tatbestand entsteht aus der Verknüpfung mehrerer interdependenter und unsicherer Ereignisse. Für eine Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ist das unmittelbar einsichtig: In modernen Gesellschaften ist alles von allem abhängig, in einer für den einzelnen meist unüberschaubaren Art und Weise. Ordnung in einer solchen Gesellschaft bedeutet, daß die Zusammenhänge in einer solchen Gesellschaft nicht völlig chaotisch sind, sondern gewissen Mustern folgen, die Erwartungsstabilität ermöglichen; der einzelne weiß durch Ordnung, was er selber tun darf und er weiß auch, was er von anderen erwarten kann. Allerdings sind diese Muster nicht starr und festgefügt, sondern lassen dem Individuum noch weitreichende Verhaltensspielräume; soziale Ordnung kann daher als „der haidose Zusammenhalt der Gesellschaft"83 gesehen werden, in dem es aber immer einen Grundkonflikt zwischen den Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen und ihrer Einschränkung durch Ordnung gibt. Damit Handeln in einer Gesellschaft überhaupt möglich wird und somit von der Existenz einer Gesellschaft gesprochen werden kann, muß das Handeln in dieser sozialen Einheit koordiniert und mehr oder weniger beschränkt werden. Es müssen also Strukturen vorhanden sein, die Komplexität und Unsicherheit reduzieren und damit ErwartungsStabilität ermöglichen. Das gilt für die Gesellschaft als ganzes genauso wie für ihre verschiedenen Teilberei-

Daher enthalten auch alle wirtschaftswissenschaftlichen Theoriezweige - wenngleich häufig nur implizit - auch Ordnungsvorstellungen (vgl. Schneider 2004). Ordnung ist dabei nicht nur in der Ökonomik, sondern insbesondere auch in der Politikwissenschaft und der Soziologie von Bedeutung. 82 Das Beispiel folgt Schmidtchen und Kirstein (2001), S. 2. 83 Ortmann (2003), S. 11 81

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che, beispielsweise für die Wirtschaft, die Überwindung oder Milderung von Knappheit durch die Produktion und Anwendung von neuem Wissen zum Ziel hat.84 Letzteres deutet schon darauf hin, daß nicht alle Regelmäßigkeiten, die sich in einer Gesellschaft herausbilden, auch erwünschte Formen der Ordnung sind. Bei dem Problem der sozialen Ordnung geht es vielmehr darum, die Frage zu beantworten, „wie Menschen in Freiheit, Frieden und Wohlstand zusammenleben können" 85 , wie „eine menschenwürdige und funktionsfähige Ordnung" 86 zustande kommt oder — wie es in der neueren Literatur häufig ausgedrückt wird - wie eine Kooperation zum Wohle aller in einer komplexen und weitgehend anonymen Gesellschaft zustande kommen kann.87 2.2.1.2 Zwei Probleme sozialer Ordnung Das Ordnungsproblem ist dann ein zweifaches: Zum einen besteht ein Anreizproblem, zum anderen besteht ein Problem der Erwartungs- und Vertrauensbildung, um die Handlungen von Menschen aufeinander abstimmen zu können. Das Anreizproblem besteht darin, wie zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Interessenlagen eine Kooperation im Rahmen einer arbeitsteiligen Gesellschaft hergestellt werden kann, obwohl sie miteinander nicht bekannt sind und vielleicht nur ein einziges Mal miteinander interagieren. Diese Problemstruktur hat sehr klar Thomas Hobbes in seinem „Leviathan" herausgearbeitet. Ihm stellte sich die Frage, wie eine friedlich geordnete Gesellschaft eigennütziger Individuen überhaupt möglich ist. Hobbes hat die Antwort auf diese Frage noch in einem übermächtigen, absolutistisch herrschenden Leviathan gesucht, also einem starken Staat, der dafür sorgt, daß wohlsozialisierte Individuen im Sinne der größeren Gesamtheit „funktionieren". Wenngleich manche soziologische Autoren durchaus an die Hobbessche Lösung anknüpfen (z.B. Parsons), so haben neuere Theorien hier andere, moderatere Wege gefunden, wie in einer Gesellschaft unter diesen Bedingungen Kooperation möglicht wird. Sie lehnen die Hobbessche Zwangslösung ab und schlagen im Anschluß an Adam Smiths Gedanken von der „unsichtbaren Hand" einen Weg ein, der als „Austausch- oder Markt-Modell sozialer Ordnung" 88 bezeichnet werden kann. Das bedeutet, es sollen Bedingungen geschaffen werden, die die Individuen dazu anreizen, in Verfolgung ihres Eigeninteresses in wohlfahrtsstiftendem Austausch miteinander zu kooperieren.

84

Zu der Untereilung eines Ordnungsgefüges in unterschiedliche Teilordnungen vgl. Cassel (1988), S. 315. Vgl. auch die in Abschnitt 3.3.2 (S. 83ff.) dieser Arbeit gewählte Unterteilung. 85 Gerecke (1998), S. 1 86 Hoppmann (1995), S. 42, dabei Bezug nehmend auf die ordoliberale Tradition. 87 Vgl. die Hinweise bei Markt (2004), S. 26 mit Bezug auf Kliemt. Vgl. auch Kirsch (1999), S. 186ff., der einen Überblick der Entwicklung des Ordnungsdenkens gibt: „Frühere Zeiten haben von der Suche nach der bona vita gesprochen, von dem Streben des Menschen, mit Gott, mit sich, mit den Mitmenschen und mit den Dingen im Einklang zu leben" (S. 186). 88 Voss (1985), S. 41.

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Der vom Ordoüberalismus und Walter Eucken vorgeschlagene Ordnungsrahmen ist eine Ausprägung eines solchen Weges. 89 Insbesondere ökonomische Ansätze haben dieses Problem sehr stark in den Vordergrund gestellt. Ordnungsprobleme werden als situative Anreizdilemmata konzipiert, die es durch geeignete Regelsetzung zu überwinden gilt. Wesentliche Beiträge zur Untersuchung dieser Problemstellung leistet unter anderem die Spieltheorie, die aufgrund ihrer Einsichten in Kooperationsprobleme und deren Überwindung als zentralen Baustein einer umfassenden Ordnungstheorie gesehen werden kann. Das zweite mit der Ordnungsfrage verbundene Problem ist das des Aufbaus von wechselseitig stabilen Erwartungen etwa über das Einhalten von Verträgen, Versprechen und Abmachungen. Diese Problemstruktur wurde in soziologischen Ordnungstheorien 90 sowie in der österreichischen Schule der Nationalökonomik 91 herausgearbeitet und läuft auf die Frage hinaus, „wie sich in der großen Gesellschaft angesichts der begrenzten Reichweite unserer Intentionen und unseres Wissens das Handeln der Akteure (institutionell) aufeinander abstimmen läßt."92 Ökonomische Ansätze neigen dazu, dieses Problem eher auszublenden oder durch die Existenz von Institutionen als schon gelöst zu betrachten. 93 Eine dem Anreizdilemma vergleichbare Bearbeitung des Vertrauensproblems erfolgt jedoch in aller Regel nicht, da die hierfür erforderlichen kognitions- und motivationstheoretischen Grundlagen ausgeblendet bleiben. Daß dieses Problem aber keineswegs trivial ist und daß eine Ordnungstheorie, die dieses Problem vernachlässigt, unvollständig bleiben muß, zeigen die Überlegungen Hayeks. Hayek hat in seiner Ordnungstheorie vor allem das Wissens- und Koordinationsproblem in den Vordergrund gestellt. Das Anreizproblem ist für ihn hingegen nachgelagert; Vgl. Eucken (1990) sowie dazu die Hinweise bei Hoppmann (1995). Wie genau dieser Ordnungsrahmen aussehen soll, der die unsichtbare Hand in Gang setzt und inwieweit auf Märkte als gesellschaftliche Ordnungsfaktoren vertraut werden kann, ist innerhalb solcher liberaler Ansätze strittig. Während extreme liberalistische Ansätze hier ein sehr weitgehendes Marktvertrauen hegen und Staatlichkeit zum Teil vollständig ablehnen, sind die meisten liberalen Ansätze vorsichtiger und sehen zwar Markt und Wettbewerb als zentrale Elemente moderner Ordnungen, erkennen aber durchaus Einschränkungen für das Wirken von Märkten an. Einschränkungen kommen auch von soziologischer Seite (vgl. Beckert 1997). 90 Märkt (2004), S. 40 verweist hier insbesondere auf die Überlegungen Talcott Parsons, der das Ordnungsproblem als Problem doppelter Kontingenz herausarbeitet. 91 Vgl. Ebeling (1995), S. 81 ff. Dort findet sich auch folgende Formulierung: „How can a multitude of individuals participating in a complex and world-encompassing division of labor successfully coordinate and adjust their actions and minimize frustration and disappointment, when each participant possesses different and ever-changing knowledge and expectations about the possibilities of the future?" (S. 81) «2 Meyer (2003), S. 219. Dazu Hayek (1963), S. 3: „Wir nennen eine Mehrzahl von Menschen eine Gesellschaft, wenn ihre Handlungen wechselseitig aufeinander abgestimmt sind. Die Menschen können in der Gesellschaft ihren Zielen mit Erfolg nachgehen, weil sie wissen, was sie vom Mitmenschen zu erwarten haben. Mit anderen Worten, ihre Beziehungen zeigen eine gewissen Ordnung." 93 Vgl. aber die Überlegungen von Ripperger (2003), die den sonst eher von soziologischen Theorien beleuchteten Mechanismus „Vertrauen" ökonomisch analysiert und in ökonomisch analysierte Kontexte einbaut. 89

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ihm geht es vorwiegend darum, die Informationsleistung von Institutionen aufzuzeigen und die Rolle von Erwartungsbildung und Wissensverarbeitungsprozessen94 in der Gesellschaft herauszustellen.95 Soziale Ordnung stellt also ein regelmäßiges, von den Akteuren als solches auch erkennbares Muster von Handlungen dar, das Interaktionen erleichtert und damit gesellschaftliche Kooperation ermöglicht. Die zentrale Idee der Ordnungsökonomik besteht darin, daß sich dieses komplexe Handlungsgeflecht endang von Regeln oder Institutionen entfaltet.96 Dafür wurde die Unterscheidung in „Rechtsordnung und Handelnsordnung" geprägt.97 Die Rechtsordnung legt — vorwiegend mittels gesetztem Recht - Verhaltensspielräume für die Individuen fest und grenzt diese gegenüber den Verhaltensspielräumen anderer Individuen ab. Sie ist dabei auch übergeordneten Regeln — Metaregeln genannt — unterworfen, die fesdegen oder Einfluß darauf haben, wie Rechtsregeln zustande kommen. Solche Regeln können beispielsweise im Rahmen eines Wettbewerbs von Rechtsordnungen oder Gesellschaftssystemen zustande kommen. Sie sind für die weiteren Ausfuhrungen nicht von Bedeutung. Das Ergebnis, das sich einstellt, wenn Individuen die durch die Rechtsordnung festgelegten Verhaltensspielräume nutzen, ist die Handelnsordnung, die entweder spontan oder entworfen sein kann.98 Die Art der Rechtsregeln99 hat dabei Auswirkungen auf die Art der Handelnsordnung. Sind die Rechtsregeln sehr eng gefaßt und als Anweisungen konzipiert, so ist der Ordnungsgrad sehr hoch und die Ergebnisse werden fest vorgegeben. Man spricht dann auch von einer Organisation, deren Ordnung von einer zentralen Instanz vorgegeben wird. Dem gegenüber steht die spontane auf dezentraler Koordination beruhende Ordnung (in Hayeks Terminologie auch Katallaxie genannt). Diese enthält eher offene Regeln, die keine konkreten Ergebnisse vorschreiben, aber immer noch die beiden Ordnungsprobleme (Anreize und Koordination) zu lösen in der Lage sind.100 Diese Darstellung offenbart auch gleichzeitig einen Grundkonflikt bei der Ordnungsgestaltung: Wie offen sollen die Verhaltensspielräume der Individuen gestaltet werden, damit die Entfaltung und Weiterentwicklung der Individuen gewährleistet ist, wie eng sollen sie gezogen werden, damit Koordination und verläßliche Erwartungen möglich sind? Dieses Spannungsfeld zwischen Freiheit und Vgl. dazu auch Boettke (1995), S. 65. Darauf verweist Suchanek (2003), S. 96 96 Streit (2001), S. 11: „Zentrale Vermutung der Ordnungsökonomik ist, daß Ordnungen institutionengestützt sind." Der Institutionenbegriff wird in Abschnitt 2.3.2.2 erläutert. 97 So der Titel von Hayek (2003). Vgl. die Hinweise bei Christi (1998), S. 129. 98 Vgl. Schmidtchen (2001), S. 2. Vgl. auch Hayek (1963). 99 Um eine spontane Ordnung entstehen zu lassen, sind Regeln notwendig, die formal den Anforderungen an freiheitssichernde Regeln genügen müssen (vgl. Daumann 2001, S. 85ff.). 100 Die Darstellung ist selbstverständlich sehr stark vereinfacht. Die Literatur hat viele Zwischenformen der Ordnungsentstehung herausgearbeitet. Beispielsweise können auch Regeln spontan entstehen, so daß eine hinreichend komplexe Gesellschaft von zahlreichen Arten der Ordnung geprägt ist, wenngleich sicherlich eine Ordnungsform dominierend und systemprägend ist (vgl. Schmidtchen 2001 und Daumann 2001). 94 95

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sozialer Ordnung haben Gesellschaften teilweise ganz unterschiedlich gelöst — abhängig von funktionalen und wertmäßigen Überlegungen.101 Auch in dieser Arbeit wird es darum gehen, die Problematik der Informationsströme und ihre Zulässigkeit in diesem Spannungsfeld aufzuzeigen. Um dies tun zu können, muß der Ansatz weiter differenziert werden, insbesondere müssen die Details eines Ordnungsmodells dargelegt werden, um schließlich im Abschnitt 2.3 zeigen zu können, wie dieses Modell mit einem ökonomischen Analyseschema (vgl. Abschnitt 2.1) verbunden werden. 2.2.2 Ordnungsmodell und Wertentscheidung Die vorstehenden Überlegungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ordnung entsteht aus einem komplexen Zusammenspiel von Regeln, Normen, Werten und eigennützigem individuellen Verhalten. Daß Individuen diese Regeln akzeptieren und ihre Handlungen danach ausrichten, macht ein stabiles soziales System überhaupt erst möglich.102 Es muß also ein Rahmen von Verhaltensregeln bestehen, der Informations-, Anreiz- und Kontrollstrukturen setzt, der Kompetenzbereiche abgrenzt und Einfluß auf die Entstehung und Verwertung von Wissen (Problemlösungen) und die Arbeitsteilung in einer Gesellschaft hat. Dadurch werden die Handlungsmöglichkeiten der Individuen eingeschränkt, Erwartungen stabilisiert und Komplexität reduziert. Wenn sich die Individuen endang dieses institutionellen Rahmens verhalten, ermöglicht ihnen dies Koordination und Kooperation im Rahmen eines arbeitsteiligen Geschehens; es bildet sich eine komplexe Handelnsordnung heraus. Das bedeutet aber nicht, daß das Verhalten der Individuen durch Rechtsregeln determiniert ist. Es können lediglich Aussagen im Sinne allgemeiner Muster über sich ergebende Arten von Ordnungen in Abhängigkeit von der Gestalt der Regeln getroffen werden. Aus diesen Grundlagen der Ordnungstheorie ergeben sich bestimmte Elemente, die in einem Ordnungsmodell zu berücksichtigen sind.103 Im Zentrum von Ordnungsvorstellungen stehen immer Menschen und ihre Beziehungen. Demnach ist es erforderlich, ein Menschenbild zu integrieren, das bestimmte anthropologische Grundannahmen trifft, die es in der Ordnungsgestaltung zu beachten gilt. Dieses Menschenbild ist zu unterscheiden von den handlungstheoretischen Grundlagen ökonomischer Modelle. Die Handlungstheorie ist eher ein Mechanismus, der die Funktionsfähigkeit von Modellen garantiert. Sie sagen aber außerdem aus, daß Menschen diesem handlungstheoretischen Muster auch entsprechen. Diese Aussage muß vielmehr durch ein explizites Menschenbild in die Überlegungen eingeführt werden, das damit zwingend auch normative Elemente 101

Vgl. zu den Wertegrundlagen von Ordnungen Streit (2001), S. 16ff. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß auch der Regelbruch wichtige gesellschaftliche Funktionen erfüllt. Eigentlich müsste beides beachtet werden: „die funktionale Notwendigkeit von Regeln zur Koordination und Integration des Handelns und die funktionale Notwendigkeit von Regelverletzungen im Dienste situativer Angemesenheit und im Dienste von Wandel und Innovation" (Ortmann 2003, S. 38). 103 Vgl. dazu Schneider (2004), S. 6ff., Streit (2001), S. llff., Kleinewefers (1988). 102

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enthält. Aus Gründen der wissenschaftlichen Ehrlichkeit müssen diese normativen Elemente ausgewiesen und klar von den positiven Elementen eines Ordnungsmodells getrennt werden. Gesellschaftliche Gestaltung, insbesondere ordnungspolitische Gestaltung ist nicht möglich, ohne zugrunde liegende Werturteile. Diese können also nicht vermieden werden: „Wirtschaftswissenschaft sagt auch etwas über Werte aus, ob sie will oder nicht."104 Basis einer jeden Ordnungskonzeption muß daher ein umfassendes Gesellschaftsverständnis sein. Dabei existieren zwei Grundansätze, nach denen Gesellschaftssysteme geordnet werden können, nämlich Individual- und Sozialprinzip. Beide Richtungen sind mit unterschiedlichen Annahmen über die menschliche Natur und das Verhältnis der Menschen zur Gesellschaft verbunden.105 Ordnungsmodelle bleiben so lange Leerformeln wie nicht die Entscheidung für eine dieser Wertansätze getroffen wurde.106

2.3

Ordnungsökonomisches Grundmuster

Wie können Grundlinien eines Erklärungsmusters aussehen, das den bisher entwickelten Anforderungen genügt und gleichzeitig den Ordnungsgedanken operational macht? Zentral für Ökonomik und Ordnungsökonomik ist es, zwischen Akteuren und der gesellschaftlichen Ebene, die ihr Handeln mitbestimmt, die aber gleichzeitig vom Handeln der Akteure beeinflußt wird, zu unterscheiden. Daher ist es erforderlich, das Problem der Mikro-Makro-Integration zu lösen und ein Prinzip zu installieren, das beide Ebenen verbindet; es muß also die Emergenz sozialer Phänomene107 genauso geklärt werden, wie ihre Auswirkung auf die individuelle Ebene. Gelöst werden kann dies durch die Annahme, daß Mikro- und Makroebene in einem wechselseitigen Wirkungsverhältnis stehen. Das bedeutet, es werden sowohl die Individuen als auch die gesellschaftlichen Strukturen einer Analyse unterzogen. Wo genau Ausgangspunkt und Aggregationsniveau einer solchen Analyse liegen, muß im Einzelfall spezifiziert werden.108

IM Hoppmann (1995), S. 53. ios Vgl. Volk (1989), S. 6 106 Vgl. Schneider (2004), S. 7. Den in der Ökonomik immer als problematisch angesehenen Umgang mit Werten thematisiert die normative Institutionenökonomik. Ihr Ziel ist es, einen rationalen Umgang mit Werten zu ermöglichen. Pies (2000) hat dafür das Denkmuster der orthogonalen Positionierung entwickelt. Anzumerken ist, daß auch diese Theorierichtung nicht völlig wertfrei ist. Ihr Verdienst ist es, aufgezeigt zu haben, daß Wertargumente immer auch mit funktionalen Argumenten unterfuttert werden müssen und es Aufgabe der Wissenschaft ist, diese funktionalen Argumente herauszuarbeiten. Diesem Anliegen folgt auch diese Arbeit (vgl. auch Fleischmann 2001, S. 385ff.). »>7 Vgl. dazu Esser (2000a), S. 2ff. 108 Das ist beispielsweise in der Soziologie, die ebenfalls mit dem Problem der Mikro-MakroIntegration fertig werden muß, ein zentraler Streitpunkt. Soziologische Vertreter werfen der Ökonomik bzw. Rational-Choice-Ansätzen regelmäßig vor, untersozialisiert zu sein. Das hat z.B. Granovetter, einen Vertreter der Neuen Ökonomischen Soziologie dazu geführt, das Konzept der „Embeddedness" (Einbettung) zu entwickeln, was nichts anderes heißt, als daß Akteure soziale Kontexte berücksichtigen, ohne daß aber ihr Handeln von ihnen vollständig

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In dem hier gewählten Kontext ergibt sich zudem die Besonderheit, Informationsströme explizit zu berücksichtigen, d.h., das zu entwickelnde Erklärungsmuster muß offen gestaltet werden. Ziel der folgenden Überlegungen ist es also, die Interdependenz zwischen individuellem Handeln und sozialer Struktur zu erfassen, und zwar so zu erfassen, daß Raum bleibt, den eigentlichen Betrachtungsgegenstand, nämlich Informationsströme in dieses Analysemuster zu integrieren. Im wesentlichen gefolgt wird dabei einem methodischen Muster, das in der Literatur als situationslogische Methode eingeführt ist.

2.3.1 Handlungstheoretische Grundlagen Ökonomische Analysen sind akteurszentriert109 und gehen von einem methodologischen Individualismus aus, d.h. Menschen und deren Handeln sind die Träger gesellschaftlicher Phänomene. Diesem Prinzip soll auch hier gefolgt werden soll.110 Damit ist aber noch nicht festgelegt, welcher Art von Individualismus hier gefolgt wird, denn darunter fällt ein perfekter rationaler Homo Oeconomicus genauso wie die subjektivistische Orientierung mancher Ansätze der österreichischen Schule111. Allgemein — und ohne damit die Fesdegung auf einen dieser Ansätze zu verbinden — läßt sich folgendes sagen: Erster Ansatzpunkt ökonomischer Analysen ist immer das Individuum; nur Individuen haben Zielvorstellungen (Präferenzen), treffen Entscheidungen und handeln. Alle kollektiven Phänomene und Gruppenentscheidungen werden auf das Handeln von Individuen zurückgeführt; soziale Phänomene setzen sich aus den Handlungen und Einstellungen individueller Akteure zusammen.112 Dahinter steckt unter anderem die Überzeugung, daß gesellschaftliche Phänomene erst dann verstehbar (und auch zumindest teilweise steuerbar) werden, wenn man das Verhalten der Individuen angemessen erfaßt hat. Ökonomen gehen bei ihrer Analyse des menschlichen Verhaltens davon aus,

determiniert wird. Damit grenzt er sich nicht nur von untersozialisierten Ansätzen wie der Ökonomik ab, sondern auch von übersozialisierten Ansätzen wie der strukturalistischen Handlungstheorie im Stile Parsons ab (vgl. insbesondere Granovetter 1985). 109 Vgl. Kleinewefers (1988), S. 19f.. Dazu Penz (1999), S. 50: „Bei der Frage der rationalen Gestaltung von institutionellen Arrangements erscheint ein mikrotheoretischer Ausgangspunkt unerläßlich." 110 Klassisch dargelegt bei Schumpeter (1970), S. 8ff. (Erstauflage 1908). Die Gegenposition ist der methodologische Holismus, der in seiner strengen Form gesellschaftliche Entwicklungen kausal auf kollektive Ganzheiten zurückfuhrt. In ihrer strikten Form stehen aber beide Ansätze vor dem Problem, wie die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mikro- und Makrophänomenen zu berücksichtigen sind. Um hier Unterkomplexitäten zu vermeiden, sind von beiden Programmen Abstriche zu machen. Eigentlich unterscheiden sie sich dann nur noch dahingehend, ob kollektive Ganzheiten eigene Ziele haben können oder nicht (vgl. z.B. Agassi 1975, S. 144ff. oder Pychitko 1995, S. 9ff.). i» Vgl. zu letzterem etwa Zappia (1998), S. 125ff. 112 Handlungen sind auch Elemente von Theorien, die nicht einem methodologischen Individualismus folgen, allerdings bilden sie nicht den Grundbaustein solcher Theorien. Vgl. z.B. Luhmann (1987), S. 193.

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daß Menschen handeln und dies absichtlich, also zielgerichtet tun. Die Absicht besteht darin, ihr Schicksal zu verbessern, ihre Lage von einer weniger angenehmen in eine bessere zu verwandeln. Oder anders: „Situationale Logik ist Erklärung menschlichen Verhaltens als eines Versuchs, etwas zu erreichen, nämlich Ziele, und zwar mit begrenzten Mitteln."113 Die Verhaltensanalyse ist damit zentraler Bestandteil moderner Ökonomik; dabei ist es notwendig, eine Handlungstheorie zu formulieren, die den ersten Baustein zur Erfassung bestimmter kollektiver Phänomene bietet.114 Die Ökonomik ist zuallererst Verhaltenswissenschaft, d.h., sie muß bestimmte Annahmen treffen, warum sich Individuen in einer bestimmten Weise verhalten. Verhaltensanalyse wird systematisch zur genutzt, um soziale Phänomene zu erklären. Soll beispielsweise gezeigt werden, wie ein beliebiges Makrophänomen 1 in ein weiteres Makrophänomen 2 übergeht, so wird keine direkte Erklärung gewählt, sondern der Umweg über das individuelle Verhalten gemacht. Die Kombination aus Logik der Situation und Logik der Selektion bestimmt, wie das Individuum auf bestimmte Änderungen in der relevanten Makrostruktur reagiert. Soziale Phänomene sind daher zwar durchaus individuell motiviert, aber nicht direkt durch diese individuelle Motivation bestimmt, sondern werden durch interindividuell bestimmte Vermittlung des Handelns (ohne direkten Einfluß des einzelnen) erzeugt. Dieser Ansatz geht auf Karl Popper zurück und wird als situationslogische Methode bezeichnet.115 Dabei soll dieses Handeln und mögliche nicht intendierte Folgen davon gerade nicht aus den Zielen des Individuums abgeleitet werden, sondern aus der Situation heraus erklärt werden.116 Diese Vorgehensweise bestimmt die Elemente, die eine Handlungstheorie enthalten muß: Situationswahrnehmung und einen Selektionsmechanismus oder ein Handlungsprinzip, das die Auswahl möglicher Handlungsoptionen anleitet. Ziel ist es zu erklären, warum Menschen bestimmte Handlungen vornehmen. Um dies zu tun, benötigt man Annahmen über deren Ziele (Motivationsstruktur) und die Handlungssituation, in der sich das Individuum befindet. Die Handlungssituation wiederum setzt sich zusammen aus den Handlungsmöglichkeiten, die einem Individuum zur Verfügung stehen sowie den Restriktionen, die es zu beachten hat. Bei dieser Methode — sie wird häufig angewandt, ohne daß sie explizit so bezeichnet wird - handelt es sich um ein offenes Prinzip, das eigentlich nur darauf bedacht ist, menschliches Handeln als zielorientiertes Handeln zu erfassen. Unter diese Methode läßt sich der Homo Oeconomicus der neoklassischen MikroÖkonomik genauso subsumieren wie Ansätze der Rational-Choice-Soziologie117, 1,3 Jarvie (1974), S. 24. Die Abhandlung von Jarvie enthält zahlreiche Beispiele zur Illustration der situationslogischen Methode. 114 Vgl. Karpe (1997), S. 21 sowie Schaffer (2001), S. 153ff. »5 Vgl. insbesondere Popper (1992), S. 113ff. Vgl. zum folgenden auch Tietzel (1985), S. 21 ff. und Schaffer (2001), S. 154f. 116 Popper wendet sich damit gegen Psychologismus und Verschwörungstheorien und weist damit den Sozialwissenschaften ein eigenständiges Arbeitsfeld insbesondere in Abgrenzung zur Psychologie zu. Vgl. dazu Popper (1992), S. 113. " 7 Vgl. Esser (1999).

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(einige) Ansätze der österreichischen Schule oder evolutorische Erweiterungen der Situationslogik.118 In ihrem Kern beruht die situationslogische Methode darauf, die Wahrnehmung der Situation möglichst objektiv darzustellen, um daraus auf objektive Anpassungen der Akteure an bestimmte Situationen zu schließen. Inwieweit es möglich und sinnvoll ist, eine objektive Formulierung der Situation vorzunehmen, ist ein wesentlicher Streitpunkt sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Modellbildung; zahlreiche Denkschulen unterscheiden sich genau an diesem Punkt.119 Aus modelltheoretischer Sicht besteht dabei immer ein Spannungsverhältnis zwischen einer einfacher zu handhabenden Eindeutigkeit des Handelns und der Berücksichtigung von individuellen Wahrnehmungen der Akteure. Die konkrete Ausformulierung der Handlungstheorie ist also strittig und wird im folgenden Gegenstand weiterführender Überlegungen sein.120 Entscheidend ist, wie in dem Modell die Wahrnehmung der Situation gestaltet wird. Unterstellt werden könnte, daß der jeweilige Akteur immer vollständig informiert über die Umwelt ist, also die objektiv gegebene Welt (oder Situation) mit der Weltsicht des Akteurs übereinstimmt. Damit wäre der neoklassische Homo Oeconomicus umrissen, der stets perfekte Entscheidungen trifft, also aus allen möglichen Handlungsoptionen die für ihn optimale auswählt.121 Bei diesem Ansatz wird das Problem der Erkenntnisgewinnung ausgeblendet. Das muß aber nicht zwangsläufig so sein. Vielmehr können in die Handlungstheorie bereits Unterschiede zwischen der objektiven Wirklichkeit und der Wahrnehmung, die der Akteur von dieser Wirklichkeit hat, bestehen. Er wird dann zunächst danach trachten, seine Sicht der Welt zu verbessern und Erkenntnisse zu gewinnen. Seine Entscheidungen sind nicht mehr perfekt rational, sondern er muß nun aus seinen begrenzten Kenntnissen das Beste machen. Die ökonomische Theorie hat hier verschiedene Konzepte entwickelt, wie dieses Abweichen von perfekter Rationalität in die Überlegungen integriert werden kann. Das bekannteste Konzept ist das der begrenzten Rationalität im Anschluß an Simon.122

»8 Vgl. dazu Daumann (1993), S. 21 U 9 So auch die neoklassische und die österreichische Schule der Nationalökonomie. Während die Neoklassik hier Objektivierbarkeit annimmt, ist es wesentliches Kennzeichen der österreichischen Schule an dieser Stelle eine subjektive Situationswahrnehmung einzuführen. Anders gesagt: Aus Sicht der österreichischen Schule ist nicht die Situation an sich entscheidend, sondern die Art und Weise, wie sie wahrgenommen wird (vgl. Schnellenbach 2004, S. 113ff.). 120 Penz (1999), S. 165 weist auf folgendes Problem hin: „Jede situationslogische Deutung einer Handlung ist also an bestimmte kulturelle Interpretationsmodi gebunden. Die Übertragung des eigenen Deutungsmusters auf andere Akteure erscheint nur möglich, wenn man begründet annehmen kann, daß es eine gewisse Standardisierung der Situationswahrnehmung gibt und somit bestimmte Verhaltensreaktionen auf die Veränderung institutioneller Restriktionen zu erwarten sind." Ein Streitpunkt ist außerdem, was genau unter Rationaliät zu verstehen ist. 121 Vgl. zu dieser Kunstfigur ausführlich Kirchgässner (2000). 122 Vgl. Franck (1995), S. 22 sowie Vriend (1995), S. 278, Schaffer (2001), S. 155f£. Einen umfassenden Überblick der Rationalitätskonzepte gibt Martiensen (2000), S. 129ff.

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Restriktionen/ Möglichkeiten

Handlungen

Kognitive Dimension

Abbildung 2-1: Grundstruktur des Handlungsmodells Quelle: Eigene Darstellung Für den Zweck dieser Arbeit ist es ebenfalls nicht sinnvoll, von vollkommen informierten Akteuren auszugehen. Vielmehr ist es erforderlich von unvollständigen (gegebenenfalls auch falschen) Kenntnissen oder Wissensbeständen über die gesellschaftliche wie sonstige Umwelt auszugehen. -Allgemein — und ohne hier schon die konkrete Definition von Wissen, Information und verwandten Begriffen vorwegzunehmen123 - läßt sich feststellen, daß bei einem Akteur, der nicht als perfekter Akteur gesehen wird, kognitive Prozesse ablaufen, die seine Sicht der Dinge prägen und damit Einfluß darauf haben, wie er Präferenzen und Restriktionen wahrnimmt. Kognitive Prozesse haben auch auf die Kombination beider Elemente in Entscheidungen Einfluß; im Rationalitätsbegriff fließen also Denken, Kenntnisse, Wissen und Handeln eines Akteurs zusammen. Neben den Präferenzen und Restriktionen sind demnach die kognitiven Prozesse ein weiteres Element des Handlungsmodells (vgl. Abbildung 2-1).

2.3.2 Aggregationslogik 2.3.2.1 Grundlagen Individuelles Handeln ist nach obigem Modell bewußtes, durch Ziele und Restriktionen (Situation) gesteuertes Entscheiden. Wie entstehen daraus aber Kol123 Vgl

zur

Bedeutung von Wissen für die Handlungstheorie Wessling (1991), S. 31 ff.

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lektivphänomene, wie wird das Problem der Emergenz gelöst? Um diese abzuleiten, benötigt man neben der Handlungstheorie einen theoretischen Mechanismus, der die individuellen Handlungen in soziale Phänomene übersetzt und damit deren Emergenz erklären kann; notwendig ist also eine „Transformationsregel"124 oder eine „Logik der Aggregation"125. Diese Verknüpfung zwischen Mikro- und Makrophänomenen ist ein zentraler Punkt sozialwissenschaftlicher Analyse und nimmt insbesondere in der modernen Denktradition der Wirtschaftswissenschaften breiten Raum ein; die „unsichtbare Hand", die Adam Smith in die Analyse einführte, ist ein solcher Mechanismus, der die Mikro-MakroVerknüpfung herstellen kann. In den mikroökonomischen Modellen wird diese Transformation von individuellem Handeln in kollektive Phänomene über die Markdogik vermittelt. Individuelle Wirtschaftspläne müssen sich in der Marktumwelt bewähren und werden durch entsprechende Rückkopplungsmechanismen aufeinander abgestimmt; zentrale Rolle spielt dabei der Preismechanismus. Eine Erweiterung erfahrt dies insbesondere dann, wenn die strategische Interaktion der Beteiligten zugelassen wird. Dann kommt Modellen der Spieltheorie die Rolle des Transformationsmechanismus zu. 126 Reine preistheoretische Modelle wurden in der neueren Forschung als nicht zielführend genug erkannt, um die Komplexität von Ordnungsphänomenen tatsächlich auch abbilden und einer gesellschaftlichen Steuerung zugänglich machen zu können.127 Daher wurden diese um Aggregationsmechanismen ergänzt, die sich in einer neuen Institutionentheorie niedergeschlagen haben. 2.3.2.2 Zur Bedeutung von Institutionen128 Die Beschäftigung mit Institutionen hat in den Sozialwissenschaften lange Tradition;129 einer der ersten, der sich damit auseinander gesetzt hat, war der Begründer der österreichischen Schule, Carl Menger. In der Folge waren unterschiedliche Wellen beobachtbar. Eine Neuauflage hat die Beschäftigung mit Institutio-

12" Esser (2000a), S. 13 125 Vgl. Etzrodt (2003), S. 12f. und Lindenberg (1991), S. 63 •26 Schelling (1978), S. 20ff. sieht die ökonomische Analyse als typisches Muster für diese Vorgehensweise. Allerdings ist die Ökonomik seiner Ansicht nur ein Beispiel hierfür und nicht allgemein auf alle sozialen Phänomene anwendbar, da sie sich auf Sozialbeziehungen spezialisiert hat, die in Form eines freiwilligen Tausches ablaufen. Vgl auch Etzrodt (2003). 127 Vgl. Beckert (1997), S. 19f. 128 Vgl. zur Institutionenökonomik Richter und Furubotn (1996), Erlei, Leschke und Sauerland (1999), Martiensen (2000), Homann und Suchanek (2000), Aoki (2001), Schaffer (2001), Göbel (2002), Voigt (2002), Schneider (2004) sowie North (2005). Den Institutionenbegriff aus Sicht der damit eng verwandten Rational-Choice-Soziologie legt Esser (2000a) dar. 129 In anderen Gesellschaftswissenschaften als der Ökonomik ist die Auseinandersetzung mit Institutionen nichts Ungewöhnliches. In der Ökonomik selber wurde dies durch den institutionenlosen Analysestil der neoklassischen Theorie, insbesondere der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie, in den Hintergrund gedrängt, so daß Insitutionen mittels der Neuen Institutionenökonomik erst wieder in die Mainstream-Theorie eingeführt werden mußten.

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nen im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik erfahren.130 Die Theorie der Institutionen hat in den vergangenen Jahrzehnten zwar erhebliche Fortschritte zu verzeichnen. Eine einheitliche Theorie, die aus ökonomischer Sicht relevante Institutionenprobleme aufarbeitet, existiert allerdings noch nicht.131 Kernerkenntnisse sind, daß Institutionen für ökonomische Prozesse eine Rolle spielen und, daß sie unter Verwendung der ökonomischen Theorie erklärt und gestaltet werden können.132 Mit Hilfe der Institutionenökonomik ist es gelungen, in an die Ökonomie angrenzende Bereiche, „die vormals anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie den Rechtswissenschaften oder Philosophie vorbehalten waren"133 aus der Ökonomik heraus vorzudringen und die Ökonomik für neuere — insbesondere im Anschluß an die soziologische Systemtheorie geführte134 - Steuerungsdebatten fruchtbar zu machen.135 Institutionen stehen in unmittelbarer Verknüpfung zu den oben angeführten Ordnungsproblemen. Jede Gesellschaft kann als ein komplexes System aus nebeneinander stehenden, teils aufeinander bezogenen, tief gestaffelten Institutionen gesehen werden. Was genau sind aber Institutionen und wie können sie in einem ökonomischen Erklärungsmuster die Verbindung zwischen der Mikro- und der Makroebene herstellen? Eine verbindliche Abgrenzung des Institutionenbegriffs gibt es in der Neuen Institutionenökonomik noch nicht.136 Vielmehr existieren zahlreiche Definitionen von Institutionen — alltagssprachliche genauso wie wissenschaftliche. Während im Alltag eher konkrete Phänomene als Institutionen gesehen werden, tritt in der Wissenschaft der abstrakt funktionale Aspekt in den Vordergrund. Allgemein sind Institutionen der „Rahmen, innerhalb dessen gesellschaftliche Interaktionen stattfinden"137. Eine solche Definition ist allerdings zu allgemein, um damit operationalisierbare Aussagen treffen zu können. Daher wird in den verschiedenen Definitionen noch auf den spezifischen Zweck einer Institution Bezug genommen.138 Der Sinn von Institutionen besteht darin, daß sie das Verhalten der Individuen in eine bestimmte Richtung steuern; sie stehen also in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ordnungsgedanken. Daraus ergibt sich folgende allgemeine Definitionsmöglichkeit: „Eine Institution ist ein auf ein bestimmtes Zielbündel abgestelltes, für längere Zeit geltendes (insofern .persistentes') System von Normen, 130 Die theoriegeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Hintergründe dieser Entwicklung arbeitet Schneider (2004), S. 261 ff. heraus. 131 Vgl. Williamson (2000), S. 595, mit dem Hinweis, daß im Rahmen der Institutionentheorie vor allem Partialmechanismen untersucht werden. »2 Vgl. z.B. Matthews (1996), S. 903. 133 Terberger (1994), S. 143 IM Als Übersicht: Willke (2001). 135 Vgl. hierzu z.B. Gerecke (1998), der systemtheoretische und institutionentheoretische Argumente verknüpft, oder Penz (1999). 136 Vgl. Schneider (2004), S. 261, sowie die Diskussion bei Schaffer (2001), S. 29ff. 1s7 Knight (1997), S. 2 138 Mit Jon Elster lassen sich funktionale, intentionale und kausale Erklärungen von Institutionen unterscheiden (vgl. Elster 1987).

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einschließlich ihrer Garantieinstrumente, die den Zweck haben, das individuelle Verhalten der Mitglieder einer Gesellschaft in eine bestimmte Richtung zu lenken." 139 Die gesellschaftliche Funktion wird bei fast allen Institutionenbegriffen ähnlich interpretiert: Sie sollen Ordnung schaffen, indem sie die doppelte Kontigenz, die das Ordnungsproblem bestimmt vermindert: Institutionen reduzieren Unsicherheit und machen damit eine komplexe Welt für den einzelnen handhabbar; durch sie werden Erwartungen stabilisiert und die Koordination der Handlungen von Menschen ermöglicht, insbesondere indem Transaktionskosten gesenkt werden.140 Wie dieser Institutionenbegriff schließlich analytisch umgesetzt wird, hängt vom konkreten Untersuchungszweck einer Institutionentheorie ab. Es sind hier unterschiedliche Perspektiven auf Institutionen denkbar. Aus einer positiv theoretischen Sicht könnte man zunächst darüber nachdenken, welche Auswirkungen Institutionen in einem bestehenden Gesellschaftsgefüge haben. Möglich ist außerdem die Frage, warum gerade diese Institutionen entstanden sind und welche Kräfte den institutionellen Wandel antreiben. Diese beiden grundsätzlichen Blickwinkel — Analyse des Wandels vs. Analyse der Wirkung — lassen sich kombinieren, z.B. mit der Frage, welche Folgen der institutionelle Wandel für die Wirkung dieser Institutionen hat oder umgekehrt. Gleichzeitig lassen sich hier aber auch bestimmte normative Blickrichtungen anwenden. So ließe sich fragen, ob die Wirkung von Institutionen angesichts bestimmter Funktionen gerechtfertigt ist oder ob Verbesserungsmöglichkeiten bestehen und notwendig sind. E benso lassen sich aus der Perspektive des Wandels Schlußfolgerungen über die Reformierbarkeit von Institutionen ziehen.141 Hier soll die Institutionentheorie die Perspektive der Wirkung von Institutionen einnehmen und damit die Grundlage der bewußten Gestaltung von Institutionen und Ordnung sein. Ziel ist es also, die Institutionentheorie als Steuerungstheorie zu verwenden und „Gestaltungshinweise für die vorteilhafte Regulierung sozialer Beziehungen zu generieren" 142 . Der Aspekt des institutionellen Wandels soll hingegen in den Hintergrund treten. Es ist beabsichtigt, eine Aussage zu treffen, wie der institutionelle Rahmen von Informationsströmen aussehen soll, um die Wissensteilung in einer Gesellschaft zu unterstützen. Hingegen soll nicht gesagt werden, welche Folgen bestimmte Informationsstrukturen in einer Gesellschaft für den institutionellen Wandel haben. 143 Um die Wirkungen von Institutionen zu erfassen, muß eine

135 Richter (1999), S. 20. 140 Vgl. Penz (1999), S. 30f., Esser (2000b) sowie Markt (2004). Einen umfangreichen Katalog von Funktionen, die Institutionen erfüllen müssen, stellt z.B. Göbel (2002), S. 6f., vor. Sie unterscheidet die Ordnungsfunktion, die Entlastungsfunktion, die Motivationsfunktion, die Koordinationsfunktion, die Kohäsionsfunktion und die Wertmaßstabsfunktion von Institutionen. Darüber hinaus grenzt sie noch spezielle Funktionen ab. Kritische Schaffer (2001). 141 Vgl. zu den möglichen Perspektiven Knight (1997), S. 2. i « Penz (1999), S. 36 143 Auch das wäre mit Sicherheit eine lohnenswerte Aufgabe und eine Möglichkeit, die Theorie des institutionellen Wandels zu ergänzen. Insbesondere in Nordischen Tradition (z.B. North 2005) baut diese sehr stark auf kognitive Elemente. Weit entwickelte Theorien des

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Verknüpfung mit dem Handlungsmodell hergestellt werden. Es müssen also Zusammenhänge zwischen Präferenzen, Restriktionen sowie individuellem Kenntnisstand als Teilelemente des Handlungsmodells und von Institutionen als sanktionsbewehrte Normensysteme hergestellt werden.

Institutionen

Ausprägung auf individueller Ebene

Sonstige Verhaltensdeterminanten

Abbildung 2-2: Wirkung von Institutionen Quelle: in Anlehnung an Gäfgen (1983), S. 31 und Schneider (2004), S. 381 Abbildung 2-2 gibt einen Überblick der Zusammenhänge. 144 Das Individuum handelt dabei auf Basis seiner Präferenzen, die es ihm ermöglichen gegebene Handlungsoptionen zu bewerten. Diese Handlungsoptionen werden von den vorhandenen Restriktionen eingeengt, die sowohl technischer als auch sozialer Natur sein können. Der individuelle Kenntnisstand (oder Informationsstand) gibt Auskunft darüber, welche Sichtweise der .Akteur von Präferenzen und Restriktionen hat. Unter Anwendung des Rationalprinzips wird er seine Handlungsmöglichkeiten so wählen, daß sie aus seiner Sicht bestmögliche Zielerreichung garantieren. Das Schema veranschaulicht, daß Institutionen Wirkungen auf Restriktionen, Präferenzen und kognitive Elemente entfalten und damit auch das Verhalten in eine bestimmte Richtung lenken können. Die unmittelbarste und bei den meisten institutionentheoretischen Überlegungen im Vordergrund stehende Wirkungsweise ist die Konzeptionalisierung von Institutionen als Restriktionen. Diese schließen als sanktionsbewehrte Regeln bestimmte Verhaltensweisen aus. Die damit umschriebene Wirkung von Institutionen ist am unmittelbarsten und dürfte empirisch auch ohne weiteres festzustellen sein. Gleichzeitig darf aber nicht übersehen werden, daß Institutionen eine Wertekomponen-

institutionellen Wandels finden sich auch bei Aoki (2001), Ackermann (2001), Schlicht (1998). 144 Vgl. Gäfgen (1983), S. 30ff., Schneider (2004), S. 380ff. Von den Grundmustern her ähnlich, aber mit evolutorischen Erweiterungen vgl. Koch (1996).

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te enthalten und Teil eines im Ordnungsgefüge enthaltenen Wertesystems sind. Als solche haben sie Einfluß auf die individuellen Präferenzen. Gleichzeitig enthalten Institutionen Wissen, zumindest in der Art, daß sie bestimmtes Verhalten ausschließen können. Das beeinflußt den Kenntnisstand der Individuen. Eine weitere Wirkung auf die Kenntnisse geht von durch Institutionen gesteuerten Kommunikationsprozessen aus. Institutionen bilden in ihrer Gesamtheit einen stabilen Ordnungsrahmen für gesellschaftliche Interaktionen. Das heißt aber nicht, daß alle Institutionen gleich bedeutsam sind. Vielmehr handelt es sich um ein Geflecht aus horizontal und vertikal miteinander verbundenen Regeln, die sich in eine hierarchische Struktur bringen lassen. Viele der in der Literatur vorzufindenden Klassifikationen von Institutionen bilden eine solche hierarchische Struktur ab. Beispielhaft dafür ist die Einteilung in fundamentale und sekundäre Institutionen. Fundamentale Institutionen sind dabei umfassend gültige, allgemeine und abstrakte Regeln, die auf eine Vielzahl von Fällen anwendbar sind. Sie sind den sekundären Institutionen vorgelagert. Diese stellen Konkretisierungen der fundamentalen Institutionen für bestimmte Lebensbereiche dar.145 Um diese ungleichmäßige Bedeutung von Institutionen zu veranschaulichen, läßt sich auch ein von Oliver Williamson entwickeltes Analyseschema heranziehen, das es erlaubt, Institutionen in ein Verhältnis zueinander zu setzen und insbesondere auch die Verknüpfung zur Wirtschaftsordnung herzustellen.146 Dieses Schema ist — ohne daß damit zwingend dem stark fünktionalistischen Institutionenbegriff von Williamson gefolgt werden müßte147 — deshalb von Interesse, weil es die unterschiedliche Gestaltbarkeit von Institutionen thematisiert und damit unmittelbar Ansatzpunkte aufzeigt, wo bei einer Ordnung von Informationsströmen angesetzt werden könnte. Es soll daher hier eingeführt und kurz vorgestellt werden, um es im weiteren Verlauf der Arbeit als Orientierungspunkt zu verwenden. In Abbildung 2-3 finden sich eine Ordnungsebene und eine Funktionsebene.148 Die erste (oberste) Ebene bezeichnet die soziale Einbettung ökonomischer und auch anderer Prozesse. Auf dieser Ebene finden sich informelle Institutionen wie Bräuche, Traditionen, Normen und Moral. Diese Institutionen ändern sich nur langfristig und sehr langsam und sind daher einer bewußten Gestaltung kaum zugänglich. Sie werden üblicherweise von Ökonomien nicht ins Zentrum der Analyse gerückt, sondern bilden vielmehr den Hintergrund, vor dem eine Gestaltung von Institutionen erfolgt. Theoriebereiche, die sich dieser Regelstrukturen annehmen, sind die ökonomische Soziologie und - nicht zuletzt i « Vgl. Schaffer (2001), S. 57ff. i « Vgl. dazu Williamson (2000), S. 596ff, vgl. auch Williamson (1994), S. 80, Breyer und Kolmar (2001), S.4 oder Stum und Held (2004), S. 17ff. Zu einem ähnlichen Schema vgl. Schaffer (2001), S. 60. 147 Der Institutionenbegriff, den Williamson in seiner Transaktionskostenökonomik entwickelt hat, zeigt wie stark Untersuchungszweck und Institutionenbegriff miteinander korrespondieren. Bei Williamson sind Institutionen gestaltbar und nicht kognitiv verankert. Sein Insitutionenbegriff ist damit stark auf die Gestaltbarkeit abgestellt und zwar mit dem Ziel, latent instabile Transaktionsbeziehungen zu stabilisieren. 148 Diese Begrifflichkeiten werden hier in Anlehnung an Schaffer (2001) verwendet.

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angeregt durch von Hayeks Beiträge zur kulturellen Evolution von Regeln — die evolutorische Ökonomik. Auf der darunter liegenden Ebene sind die formalen Regeln angesiedelt. Williamson bezeichnet dies als die institutionelle Umwelt, die einer bewußten Gestaltung zugänglich ist, aber auch durch evolutionäre Entstehung geprägt ist. Beispiele sind die Verfassung, Eigentumsrecht und Vertragsrechte, die in Gesetzgebungsprozessen kreiert werden. Wandel findet auf dieser Ebene sehr langsam und graduell statt. Drastische Veränderungen sind eher selten und finden nur in Ausnahmesituationen (z.B. Zusammenbruch einer Ordnung) statt. Typische Analyseinstrumente sind die Property Rights-Theorie sowie die Verfassungsökonomik. Diese Ebene kann größtenteils der Ordnungsebene zugerechnet werden, da es sich um übergreifende und allgemeine Regeln handelt, die sich auf die Gesamtordnung oder einen größeren Teil davon beziehen. Darunter liegend geht es um die Institutionalisierung sehr konkreter Prozesse.

>.

Ordnungsebene

>V

y

Funktionsebene

Abbildung 2-3: Institutionenschema in Anlehnung an Williamson (Quelle: Modifiziert in Anlehnung an Williamson 2000 sowie Schafler 2001) Die unter der konstitutionenllen (formellen) Ebene liegende Ebene beinhaltet die Kontroll- oder Governancestrukturen. Es sind dies Institutionen, die die Einhaltung, Interpretation und Umsetzung der formalen Regeln betreffen. Der enge Staatsbegriff ist daher auf dieser Ebene angesiedelt. Gefragt werden kann etwa, wie eine Eigentumsordnung umgesetzt werden sollte, ob es dazu einer Polizei und Gerichten bedarf, und falls ja, wie bei diesen die internen Anreizstrukturen ausgestaltet sein sollten. Typisches Analyseinstrument ist die Transaktionskostenökonomik.149 Auf der untersten Ebene findet die Interaktion von Individuen

149

Vgl. dazu auch die Abbildung bei Williamson (1994), S. 80.

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und die daraus folgende Ressourcenallokation statt. Die darüber liegenden Ebenen bilden den Hintergrund, vor dem die tatsächlichen Entscheidungen der Individuen ablaufen. Hierzu zählen die Nachfrage- und Angebotsentscheidungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte, die durch den institutionellen Hintergrund gesteuert werden. So wird die Art der Eigentumsordnung sowie ihre Durchsetzung einen Einfluss auf die Handlungen der Individuen haben, welche auf dieser Ebene analysiert werden. Analyseinstrumente sind hier beispielsweise die Agenturtheorie oder die neoklassische Ökonomik und ihre Weiterentwicklungen.

2.3.3 Normative Überlegungen Warum ist es notwendig, hier normative Überlegungen anzustellen? Das ist darin begründet, daß Gestaltungsvorschläge erarbeitet werden sollen, die eine Verbesserung gesellschaftlicher Zustände zum Ziel haben. Die Nennung dieses Ziels schafft analytische Klarheit und ermöglicht die kritische Auseinandersetzung mit den auf diese Weise abgeleiteten Vorschlägen. Zu beachten ist, daß eine ausschließlich normative, stark an einzelnen Werten orientierte Betrachtung keinen Beitrag für die Umsetzung und Implementierung der deduktiv abgeleiteten Aussagen in Handlungsanweisungen leisten könnte. Wie soll ein angemessenes normatives Ideal aussehen? Festzustellen ist auch hier: Moderne Gesellschaften sind offene Gesellschaften, die durch ständige Weiterentwicklung und Wandel geprägt sind. Feste, für alle Gesellschaftsmitglieder gültige Werte, die als Orientierungsgrößen gelten könnten, gibt es nicht. Erforderlich ist daher eine „konsequente Umstellung der gesellschaftlichen Steuerung von Werten auf konsensfahige Regeln" 150 . Der Sinn solcher Regeln oder Institutionen besteht, wie oben gezeigt wurde, grundsätzlich darin, soziale Handlungen in eine bestimmte Richtung zu steuern. Damit ist aber weder eine deterministische Steuerung impliziert — eine solche ist auch unter den Bedingungen einer von Komplexität geprägten Gesellschaft gar nicht möglich — weder vorgegeben, welche Richtung damit eingeschlagen werden soll. Allgemein läßt sich nur — entsprechend der obigen Uberlegungen zum Ordnungsproblem — sagen: Institutionen sollen sozial produktiv sein. Das bedeutet, ihr Sinn besteht darin, daß sie die Verwirklichung von Vorteilen ermöglichen, die ohne sie nicht zu realisieren gewesen wären; es sind mehr oder weniger konkret „standardisierte Lösungen für wiederkehrende Probleme [...], die Menschen in ihrem Umgang miteinander zu lösen haben" 151 . Wie konkret das zugrunde liegende Problem ist, hängt davon ab, wo genau in Abbildung 2-3 die Institution angesiedelt ist. Die sich entlang dieser Institutionen herausbildenden (spontanen) Ordnungen erfüllen bestimmte volkswirtschaftliche Funktionen, insbesondere die Koordination gesellschaftlichen Handelns — allerdings tun sie das, ohne daß sie auf einen individuellen und konkreten Zweck hin konstruiert worden wären. 152 Die individuelle Zielerreichung ist damit auch kein sinnvolles Kriterium zur Bewertung von Institutionen.

'so Engel (1999), S. 57 151 Vanberg (1999), S. 38 152 Vgl. Suchanek (1999), S. 99

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Die abstrakten Funktionen, die von Ordnungen erfüllt werden, ermöglicht es aber, die Leistungen von Institutionen entlang dieser Funktionen zu bewerten. Im Kern läuft diese Aufgabe auf die Abgrenzung von Entscheidungsrechten hinaus. Es soll gesagt werden, wer berechtigt ist, welche Fragen mit welchen Mitteln zu lösen. Das bedeutet für Gestaltungsvorschläge: Sie müssen ausgehend von bestehenden gesellschaftlichen Strukturen durch Neufestlegung von Handlungsrechten die Möglichkeit aufzeigen, weitere, bisher nicht genutzte Kooperationsgewinne zu ermöglichen. Das Problem dabei ist, daß Institutionen Verhaltensspielräume durch Abgrenzung einschränken. Dem einzelnen ist also nicht mehr alles erlaubt. Insofern besteht immer ein Spannungsverhältnis zwischen einer durch Institutionen geschaffenen sozialen Ordnung und persönlicher (grenzenloser) Freiheit. Institutionen bedürfen daher der Legitimation; ihre Existenz muß durch bestimmte normative Kriterien gerechtfertigt sein. Die (Institutionen-) Ökonomik kennt unterschiedliche Ansätze, um Institutionen und Ordnungssysteme einer derartigen Bewertung zuzuführen, die zum Teil auch in einem Spannungsverhältnis stehen. Beispielsweise werden in der traditionellen Ökonomik bestimmte Zustände gerne anhand der Kriterien Effizienz und Gerechtigkeit verglichen. Auch für Institutionen wurden solche Bewertungskriterien entwickelt. Zu unterscheiden ist ein effizienzorientierter Ansatz von einem evolutionsorientierten Ansatz oder anders gewendet zwischen Legitimität und Viabilität.153 In der Literatur haben sich zahlreiche Ansätze entwickelt, die vor allem Legitimation (Rechtsmäßigkeit) von Institutionen und Ordnungsmustern zu überprüfen. Legitimation wird dabei in der Regel durch Zustimmung der Betroffenen erreicht, wodurch der Gegensatz zwischen den individuellen Interessen und den kollektiven Interessen aufgelöst wird. Dabei geht es nicht um faktische Zustimmung, sondern immer nur um „Zustimmungsfahigkeit"154. Ein Beispiel für eine effizienzorientierte Sichtweise ist die Property-Rights-Theorie; sie diskutiert die Wirkung der Verteilung unterschiedlicher Entscheidungsrechte unter Effizienzgesichtspunkten.155 Da hier keine Evolutionsperspektive gewählt wird, sondern die grundsätzliche Strukturierung von Verhaltensspielräumen in Bezug auf Informationsströme und die damit verknüpfte Wissensteilung im Vordergrund steht, geht es hier vornehmlich um Legitimationsaspekte. Als Zielkriterium dient die „informierte Gesellschaft", eine Gesellschaft, in der sich auf Basis von Informationsströmen eine sinnvolle Wissensteilung entwickelt. Was dabei „sinnvoll" ist, wird noch zu klären sein.

153 Vgl. dazu insbesondere Penz (1999), S. 183, der dieses Begriffspaar für so wichtig hält, daß es das Paar „Effizienz und Gerechtigkeit" ablösen kann: „Legitimität und Viabilität sinnvoll auszutarieren, ist das Kennzeichen einer guten politischen Praxis; das Spannungsfeld beider Begriffe analytisch zu reflektieren, ist das Kennzeichen einer guten Theorie der Politik bzw.: Theorie der institutionellen Steuerung" (S. 145). IM Penz (1999), S. 59, vgl. auch Suchanek (1999), S. 98 155 Vgl. Dietl (1991), S. 137ff.

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2.3.4

Schlußfolgerungen: Ein erster Modellrahmen

Es läßt sich festhalten, daß hier Hinweise für die Institutionalisierung der „informierten Gesellschaft" gemacht werden sollen. Das hinter ökonomischen Überlegung stehende Ziel, nämlich gesellschaftliche Kooperationsgewinne durch Ordnung von Gesellschaften oder bestimmter Bereiche zu erzielen, wird also auf die Wissensstrukturen übertragen. Die Institutionentheorie fungiert dabei als Aggregationsmechanismus, wobei von einer im Kern ökonomischen Handlungstheorie auszugehen ist (in Anlehnung an die Situationslogik), die allerdings gegebenenfalls um kognitive Aspekte zu ergänzen ist. Die vorstehenden Überlegungen lassen sich in folgender Übersicht zusammenfassen:

Ordnungsrahmen

Abbildung 2-4: Modellrahmen Quelle: Eigene Darstellung

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3

Ordnung und Informationsflüsse

3.1 Hinführung Die Ausführungen des vorstehenden Kapitels haben einen Rahmen präsentiert, in dem realweltliche Sachverhalte analysiert werden können. Wesentlich dafür ist das Ausgehen vom Individuum und die Verknüpfung von individuellem Handeln und kollektiven Ergebnissen über institutionengestützte Interaktionsprozesse. Eine solche Herangehensweise bietet den Vorteil, hinreichend offen zu sein, um unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche betrachten und deren Charakteristika hinsichtlich Informations- und Kommunikationsströmen156 erfassen zu können. Gleichzeitig wird das Verhältnis zwischen sozialen Strukturen und Individuen direkt thematisiert, um somit konkrete Hinweise für die institutionelle Gestaltung bestimmter Lebensbereiche geben zu können. Allerdings handelt es sich bisher noch um eine leere Hülle, die mit Inhalten gefüllt werden muß, um das hier gewählte Untersuchungs- und Gestaltungsobjekt, nämlich gesellschaftliche Informationsflüsse angemessen analysieren zu können. Das folgende Kapitel stellt den ersten Schritt auf dem Weg dorthin dar und verfolgt zwei Ziele: Zum einen ist ein Grundmodell eines Informationsstroms zu entwickeln und von anderen möglichen Grundverständnissen abzugrenzen; das zu entwickelnde Grundmodell dient den weiteren Ausführungen als elementarer Baustein für die positive Analyse. Zum anderen muß an dieser Stelle schon die normative Analyse vorbereitet werden. Wenn später etwas über die institutionelle Gestaltung von Informationsströmen gesagt werden soll, dann benötigen solche Gestaltungsempfehlungen einen Verankerungspunkt, der Auskunft über die Wertigkeit von Informationsströmen gibt. Will man nicht Information und Informationsströme zum Wert an sich erklären, so geschieht das am besten, indem man zeigt, in welche funktionalen gesellschaftlichen Zusammenhänge Informationsströme eingebunden und welche Werte hinter diesen Zusammenhängen stehen. Die Erfüllung dieser Funktionszusammenhänge muß schließlich Ziel einer institutionellen Ausgestaltung von Informationsströmen sein — unter Beachtung des weiteren Ordnungskontextes und des darin enthaltenen Freiheitsgedankens, wie er insbesondere in Abschnitt 5.3 betont werden wird. Die so skizzierte positive wie normative Annäherung an das Phänomen Informationsströme geschieht dabei - entsprechend der Ausrichtung der Arbeit - auf zwei Wegen. Zum einen wird sich diesem Phänomen von der Perspektive der Gesamtordnung bzw. Gesamtgesellschaft her genähert, wobei zu zeigen ist, welche Rolle Informations ströme innerhalb einer Gesellschaftsordnung spielen und welche Funktionen sie im Rahmen des Bestehens einer solchen Ordnung einnehmen. Dem vorausgehend wird zum anderen die individuelle Ebene betrachtet 156

Zwischen beiden Begrifflichkeiten wird zunächst einmal nicht differenziert.

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und gezeigt, wie Information und Wissen auf dieser Ebene ineinander greifen und welche Funktionen sie für das Individuum haben. Die modellhaften Überlegungen, die sich in den nächsten Kapiteln anschließen, sind darauf ausgelegt zu zeigen, wie beide Ebenen miteinander in Beziehung stehen und unter welchen Bedingungen sich daraus sinnvolle gesamtgesellschaftliche Wirkungen von Informationsströmen ergeben. Die beiden Untersuchungsebenen lassen sich auch mit den Begrifflichkeiten mittelbare und unmittelbare Wirkung von Informations- und Kommunikationsflüssen unterscheiden.157 Die unmittelbare Wirkung bezieht sich darauf, wie ein Individuum mit einer spezifischen Kommunikations- und Informationsaktivität umgeht. Die mittelbare Wirkung ergibt sich aus dem Bestehen einer Vielzahl von Informationsströmungen und ist von deren spezifischer Existenz losgelöst. Die Wirkung von Informationsströmen wird zunächst an noch zu definierenden Funktionen festgemacht. Wie am Ende diese Funktionen zu gewichten und an einem übergeordnetem normativen Kriterium auszurichten sind, ist hier noch nicht Gegenstand und wird erst in den folgenden Kapiteln diskutiert. Zentral wird dabei der Begriff der informierten Gesellschaft sein. Um sich dem anzunähern, ist es außerdem erforderlich, das Phänomen Wissen und seine Bedeutung zu umreißen. An der Generierung und Verbreitung von Wissen muß sich schließlich die Sinnhaftigkeit von Informationsströmen messen lassen. Dazu ist es notwendig, eine genaue Abgrenzung dieser Begrifflichkeiten auf der individuellen Ebene zu finden. Das Phänomen Information ist genauer zu definieren, weil es die Basiseinheit eines Informationsflusses ist und daher ihre Eigenschaften maßgeblich diejenigen von Informationsflüssen bestimmen. Diese Eigenschaften haben wiederum Konsequenzen für die Art der wissenschaftlichen Betrachtung solcher Phänomene. Genauso ist die verwendete Bedeutung von Wissen genauer darzulegen. Die Definition von Information und angrenzender Begriffe wie Wissen, Meinung oder Kommunikation ist allerdings in einem ökonomischen Kontext mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Zwar hat sich die Ökonomik als Wissenschaft mit Information und Wissen sowie ihrer Bedeutung im Rahmen von Wirtschaftsprozessen durchaus auseinandergesetzt und hat beispielsweise die Bedeutung von Informations strukturen herausgearbeitet.158 Der Bereich der Informationsweitergabe selber ist allerdings - zumindest im Mainstream - eher vernachlässigt geblieben, was sich darin zeigt, daß die Ökonomik in dem Bereich, der maßgeblich die Weitergabe von Informationen in modernen Gesellschaften bestimmt und der ein Beispiel für die hier betrachteten Informationsströme darstellt, nämlich im Medienbereich, lange Zeit vergleichsweise ruhig geblieben ist. Es haben vornehmlich Regulierungsfragen im Vordergrund gestanden, nicht aber der Versuch, eine ökonomische Erklärung der Massenmedien und ihrer Wirkungen zu liefern.159 Das liegt darin begründet, daß der

15' Vgl. dazu Burkart (2002), S. 531 ff. iss Vgl. z.B. Eichenberger (2002), S. 76ff. 15" Vgl. Jenöffy-Lochau (1997), S. 3ff.

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ökonomische Standardansatz Information und Informationsflüsse in einer ganz bestimmten Art und Weise auffaßt, die den Zugang zu manchen Problembereichen eher verstellt. Es wird hier daher darauf ankommen, die Stärken und Schwächen unterschiedlicher Herangehensweisen an die Analyse des Phänomens Informationsfluß herauszuarbeiten. In diesem Kapitel wird — entsprechend dieser Vorbemerkungen — wie folgt vorgegangen: Den Ausgangspunkt der Darlegungen sollen einige Überlegungen zur Rolle von Informationen auf individueller Ebene bilden. Angeknüpft werden kann dabei an die allgemeine Darlegung des Verhaltensmodells in Kapitel 2.3. Zentral ist die Annahme, daß Informationen in Zusammenhang mit der Sinnesordnung oder den kognitiven Vorgänge in einem Individuum stehen und dabei wesentliche Funktionen für das Individuum ausüben. Dazu wird es notwendig sein, den Terminus „Sinnesordnung" genauer zu fassen und insbesondere die Begriffe Wissen, Information und Kommunikation voneinander abzugrenzen. Neben einer individuellen haben diese Phänomene auch eine kollektive Dimension, so daß neben ihre Bedeutung für die Sinnesordnung die Relevanz für die gesellschaftliche Ordnung (bzw. deren Teilordnungen) gestellt werden muß. Um die kollektive Bedeutung aufzuzeigen und diese zu veranschaulichen, werden einige Konzepte der Ordnungstheorie aufgegriffen und auf ihre Eignung hin diskutiert. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Informationsflüssen und den in Kapitel 2 angeführten Ordnungsproblemen herzustellen, um dadurch das Verhältnis von Informationsflüssen und Institutionen klären zu können. Allerdings soll die Betrachtving nicht bei derart abstrakten Überlegungen abgebrochen werden. Vielmehr soll auf Gestaltungsvorschläge für konkrete Informationsflüsse abgezielt werden. Dazu ist es notwendig, die allgemeinen Überlegungen für die Bedingungen, die eine moderne Gesellschaft ausmachen, zu konkretisieren. Zentral sind dabei die Prinzipien der Arbeitsteilung und der funktionalen Differenzierung. Wie oben ausgeführt besteht eine Kernaufgabe bei der Analyse von Informationsflüssen darin, diese individuellen mit den kollektiven Funktionen von Informationsflüssen zu kombinieren und Wechselwirkungen zwischen diesen aufzuzeigen. Sind diese Begrifflichkeiten, Funktionen und Denkmuster voneinander unterscheidbar, so geht es darum, diese mit Hilfe geeigneter Modellansätze einer Analyse zu unterziehen. Dies wird in einem ersten Schritt in Kapitel 4 geschehen. Dort werden neoklassische und soziodynamische Modellierungsversuche einer kritischen Diskussion unterzogen. Aus der Diskussion beider Herangehensweisen sollen am Ende Anforderungen an die Behandlung von Informationsflüssen abgeleitet werden. Gleichzeitig soll ein Ordnungsmodell entwickelt werden, das die verschiedenen Aspekte von Informationsflüssen zu systematisieren in der Lage ist und insbesondere die Diskussion um die Gestaltung von Informationsflüssen anleiten kann.

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3.2

Grundbegrifflichkeiten: Information, Wissen, Kommunikation

3.2.1 Ausgangspunkt: Die Vielfalt der Informationsbegriffe Was ist eigentlich Information? Eine Definition dieses Begriffs dürfte, so sollte man annehmen, eigentlich nicht schwer sein. Informationen sind allgegenwärtig und mit Informationen muß jeder im täglichen Leben umgehen und zurechtkommen. Die Erwartung, aus der ubiquitären Verbreitung dieses Phänomens eine einfache und gut handhabbare Charakterisierung ableiten zu können, wird bei näherem Hinsehen schnell enttäuscht. Es ist gerade die Allgegenwärtigkeit und Selbstverständlichkeit von Informationen, die es schwierig macht, das zu untersuchende Phänomene trennscharf abzugrenzen und eine Begriffsabgrenzung zu finden,160 ohne dabei in Belanglosigkeiten abzugeleiten. Auch die Wissenschaft hilft nicht weiter, will man einen allgemeingültigen Informationsbegriff festlegen. Die moderne Auseinandersetzung mit Informationen beginnt mit den Arbeiten von Claude Elwood Shannon und Waren Weaver zur mathematischen Kommunikationstheorie.161 Dabei wurden semantische und pragmatische Aspekte des Informationsbegriffs beiseite gelegt und Information als ein statistisches Maß der Ungewißheit bei der Übertragung einer Nachricht aufgefaßt. Die Theorie von Shannon und Weaver162 hat zu einer weiten Verbreitung des Informationsbegriffs geführt und auch die Hoffnung erzeugt, „daß im Informationsbegriff den gemeinsamen Grundbegriff aller modernen Wissenschaften aufgespürt"163 wurde.164. Allerdings ist Vorsicht geboten: Jede Wissenschaft verwendet den Begriff Information in eigener Prägung, so daß eine Übertragung zu unangebrachten Schlußfolgerungen fuhren kann. Insbesondere die Natur- und Geistes-

Ott (2004), S. 36ff. macht dies an folgendem Beispiel deutlich: Am Morgen liest jemand in der Zeitung, daß es im Laufe des Tages möglicherweise regnen wird. Als Folge nimmt er einen Schirm mit auf den Weg zur Arbeit. Wohl kaum jemand wird leugnen, daß hier Informationen im Spiel sind. Die Frage ist allerdings, was genau hier die Informationen sind. Sind es die materiellen Objekte, ist es das Wissen des Senders, sind es die übermittelten Signale oder Zeichen, sind die Bedeutungen relevant oder muß der gesamte Transmissionsprozeß als Information aufgefaßt werden? Je nachdem, wo hier Schwerpunkte gesetzt werden, entstehen unterschiedliche Informationsbegriffe, die jeweils mehr oder weniger geeignet sind, für bestimmte analytische Zwecke. 160

161 Eine Fülle von Materialien zu früheren Auseinandersetzungen mit dem Informationsbegriff findet sich bei Capurro (1978). Vgl. auch Borgmann (1999) und Ott (2004). Ott (2004) listet im Anhang zu seiner Arbeit 100 Definitionsversuche für den Begriff Information auf. 162 Vgl insbesondere Shannon (1948). Für einen knappen Überblick der mathematischen Theorie der Kommunikation vgl. Ott (2004), S. 61ff. Ausführlich Dretske (1999), S. 4ff. i « Böhme (1986), S. 17. 164 Ebenso wurde Information als völlig neuer Seinsbereich konzipiert; wegweisend war hier die Aussage Norbert Wieners: „Information ist Information, weder Materie noch Energie" (zitiert nach Capurro 1978, S. 2). Vgl. zur Nutzung dieser Unterscheidung in einem ökonomischen Kontext Boisot (1995), S. 9. Diese Unterscheidung trifft z.B. auch HerderDorneich (1973), S. 15.

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Wissenschaften weisen hier drastische Divergenzen auf. Als Ergebnis einer umfassenden Gegenüberstellung von Informationsbegriffen in unterschiedlichen Wissenschaftszweigen kommen Machlup und Mansfield zu dem resignierenden Schluß: „Evidently, there should be something that all the things called information have in common but it surely is not easy to find out whether it is much more than the name."165 Ein einheitliches Verständnis von Information oder gar den Begriff von Information gibt es also nicht. Es existiert zwar eine Informationstheorie; diese ist aber bei weitem davon entfernt, einen allgemeinen Informationsbegriff zu liefern, der dann in andere Wissenschaften übernommen werden könnte — zumal erhebliche begriffliche Unklarheiten herrschen und umstritten ist, was eigentlich Gegenstand dieser Theorierichtung ist.166 Hier ist nicht der Ort, um die unterschiedlichen Begriffe im Detail zu diskutieren. Notwendig für die weiteren Überlegungen ist ein Informationsbegriff, der als Grundlage der Betrachtung von Informationsströmen und deren Gestaltung Bestand haben kann. Da hier ordnungsökonomische Methoden angewandt werden sollen, muß der Informationsbegriff mit diesen Methoden kompatibel und damit analysierbar sein. Hilft hier vielleicht ein Blick in die Wirtschaftwissenschaften? Bauen diese auf einen einheitlichen Informationsbegriff auf? Ein Blick in die Literatur enttäuscht auch hier; es findet sich keine einheitliche Vorstellung davon, was Information eigentlich ist. Ökonomen haben sich erst relativ spät mit diesem Phänomen auseinandergesetzt haben. Ihnen war zwar stets bewußt, daß Informationsflüsse im Sozialgefiige eine zentrale Rolle spielen; allerdings haben sie ihre genauere Analyse - insbesondere durch die Annahme vollständiger Information — bis auf wenige Ausnahmen ausgeblendet. Das hat vor allem auch konzeptionelle Ursachen. Ökonomen tun sich seit jeher schwer, Informationen in den Griff zu bekommen und adäquat in ihre Modellüberlegungen zu integrieren: „It has been challenging for economists to get a handle on the nature of information: What is it, how is it used, what is its value, how can — or should — it be allocated?"167 Diese Aussage gilt nicht für Informationen, sondern auch für die damit zusammenhängenden Begriffe wie Meinung und Wissen. Unter Ökonomen besteht zwar weitgehender Konsens darüber, daß diese Phänomene für das Wirtschaften wichtig sind und damit theoretisch behandelt werden sollten; es besteht allerdings keine Einigkeit über die Konsequenzen dieser Aussage für die

"5 Machlup und Mansfield (1983) 166 Vgl. dazu Machlup und Mansfield (1983): „Those who have read ten or more different expositions of this field of research (and have not been influenced by a charismatic teacher) cannot help being uncertain about the field's real subject, its scope, and its name. Information theory is only one of several alternative names of this discipline; among other designations are mathematical theory of communication, communication theory, coding theory, signaltransmission theory, and mathematical theory of information measurement." (S. 47) Und weiter: "Many who respect the meaning of the word information in common parlance, in business, public , social, and private affairs, affirm that any scholarly study of those social, linguistic, and psychological processes and phenomena can reasonably be called information theory." (S. 48) w Compaine (2000), S. 204.

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Theoriebildung.168 Die Einsicht in die Wichtigkeit der genannten Phänomene hat daher zu einer wahren Flut ihrer Verwendung geführt zu haben. So ist für die Wirtschaftswissenschaften „eine unkontrollierte Vermehrung der mit Information zusammenhängenden Begriffe" 169 festzustellen. Der Informationsbegriff wird dabei weitläufig verwendet; selten ist aber klar, was genau damit beschrieben wird und welche tiefergehenden theoretischen Implikationen mit diesem Phänomen verbunden ist.170 Jede der Definitionen von Information ist für sich genommen zweckmäßig und zielgerichtet und kann daher nicht vorbehaltlos für beliebige andere Analysen übernommen werden. Wie soll nun angesichts dieser Ausgangs Situation vorgegangen werden? Ziel ist es, die gesellschaftspolitische Relevanz von Informationsströmen zu erfassen und diese einer ordnungspolitischen Gestaltung zuzuführen. Das bedeutet, Informationen müssen in ihrer Relevanz für das Individuum untersucht und anschließend in das ordnungspolitische Grundmodell eingepaßt werden. Erste Hinweise auf die Relevanz von Informationen geben die in das Handlungsmodell von Abbildung 2-1 eingeführten kognitiven Prozesse sowie deren in Abbildung 2-2 vorgenommene Verknüpfung mit durch Institutionen vermitteltem Wissen und mit individuell erworbenem Wissen. Der Begriff der Information und des Informationsflusses muß systematisch auf diese, bisher nur vage beschriebenen Vorgänge abgestellt werden. Dadurch besteht die Möglichkeit, einen Anschluß zu handelnden Subjekten zu finden. Informationsflüsse sind dann Ausflüsse oder Anknüpfungspunkte geistiger Aktivitäten dieser handelnden Subjekte. Sie verfügen über eine innere geistige Ordnung oder Sinnesordnung.171 Informationsflüsse sind eine Möglichkeit der Verknüpfung zwischen äußerer und innerer Ordnung. Es gilt im folgenden also, diesen Verknüpfungsprozeß in idealisierter Form darzulegen und damit verbundene Einflußgrößen zu umreißen. Diese Prozesse sind mit geistigen Konstrukten verbunden, die mit den Begriffen Wissen, Meinung, Glaube usw. gekennzeichnet werden können. Diese geistigen Konstrukte sind maßgeblich für die kognitiven Prozesse und die daraus abgeleiteten Handlungen. Es stellt sich also die Frage, in welcher Beziehung Information zu den damit angesprochenen geistigen Konstrukten stehen und ob sich der Informationsbegriff nicht sinnvollerweise darauf beziehen läßt. Eine zentrale Stellung nimmt der Begriff des Wissens ein, was sich häufig darin zeigt, daß nur zwischen Wissen und Information unterschieden wird, andere

168 Vgl. i n Bezug aufs Wissen den Überblicksaufsatz von Sturn und Held (2004) sowie in Bezug auf Meinungen Priddat (2004), S. 73. 169 Welter (2004), S. 563, der dabei eine von Lehner und Maier aus dem Jahre 1994 stammende Studie zitiert. In der Zwischenzeit dürfte sich diese Situation kaum verändert haben. "o Vgl. z.B. Wittmann (1959), Hirshleifer und Riley (1995), S. 167ff., Wessling (1991) oder Tietzel (1985) 171 Ein Aspekt, den in der Ökonomik insbesondere Hayek mit seinem Werk zur „sensory order" herausgearbeitet hat (Hayek 1952). Vgl. zur Würdigung dieser theoretischen Innovation und ihrer Bedeutung für eine moderne ordnungstheoretische Diskussion z.B. Ladeur (2000), S. 115.

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Konstrukte wie Glaube oder Meinung gar nicht einbezogen werden. Aufgrund seiner zentralen Stellung soll das Wissen den Ausgangspunkt der folgenden Betrachtungen bilden. Mit Hilfe dieses Begriffs soll eine erste Annäherung an die innere Struktur des Individuums geliefert werden, die dann in Folgekapiteln (insbesondere in Kapitel 5) noch näher zu entwickeln ist. Es wird sich zeigen, daß Wissen nicht als monolithischer Block gesehen werden kann, sondern genau differenziert werden muß, welche Aspekte des Wissens in unterschiedlichen Kontexten angesprochen sind. In der Abgrenzung zum Wissen lassen sich auch weitere Grundbegriffe wie Signal, Zeichen und Daten definieren, die als elementar für Informationsflüsse gelten können. Darauf aufbauend werden verschiedene Komponenten des Informationsbegriffs identifiziert, die aus der semiotischen Analyse bekannt geworden sind und bei der Abgrenzung verschiedener für das Thema relevanter Aspekte nützlich sind.172 3.2.2 Sinnesordnung und Wissen als Ausgangspunkt 3.2.2.1 Realität und geistige Konstrukte Ausgangspunkt soll also die Tatsache sein, daß Menschen, um handeln zu können, eine bestimmte innere geistige Orientierung und Ordnung brauchen. Wenn sich Menschen mit einer Problemstruktur in der Realität auseinandersetzen und versuchen diese zu lösen oder damit zurechtzukommen, dann müssen sie über diese Problemstruktur und die damit verbundenen realen Objekte Kenntnisse gewinnen, sich also ein Bild davon machen, das sich in verschiedenen Konstrukten wie Wissen oder Glauben niederschlägt. Im folgenden wird ein idealtypisches Modell dieser inneren geistigen Konstrukte entworfen, das die Sinnesordnung eines Individuums repräsentieren soll; Ziel ist es, eine Vorstellung von der Art dieser „Bilder" und ihrer Verknüpfung im Geiste des betreffenden Individuums zu entwerfen. Dabei ist es weder notwendig noch beabsichtigt, die exakte Arbeitsweise des menschlichen Gehirns abzubilden.173 Vielmehr ist es ein Ziel der nachstehenden Ausführungen, im Sinne des methodologischen Individualismus zentrale Größen der Arbeit im Individuum zu verankern. Diese Größen entsprechend dabei nicht unbedingt der Realität und geben auch nicht alle Facetten des menschlichen Geistes wider; vielmehr sind es stilisierte hypothetische Konstrukte, die den Gedankengang zur Bearbeitung der hier gestellten Forschungsfrage unterstützen sollen.174 Das komplexe Phänomen „menschlicher Geist" soll damit 172 In der Literatur finden sich auch andere Vorgehensweisen. Beispielsweise verwendet Dretske (1999) Information als objektiv gegebenen Grundtatbestand, von dem aus sich der Wissensbegriff erschließt. Allerdings greift er dafür auf die nachrichtentechnische Informationstheorie von Shannon und Weaver zurück, die für sozialtheoretische Überlegungen nur bedingt geeignet ist. 173 Dieses Bestreben hat sich auch in der Forschung zur künstliche Intelligenz als nicht zielfiihrend erwiesen und dürfte daher für sozialwissenschaftliche Fragestellung kaum umsetzbar sein (vgl. Franck 1991). 174 Dementsprechend gibt es auch in der Literatur - wenngleich dabei häufig ähnliche Kategorien verwendet werden - keine einheitliche Vorgehensweise, wie ein solches Abbild des

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einer strukturierten Betrachtung zugänglich gemacht werden, die für die Fragestellung fruchtbar ist. Ziel ist insbesondere, eine einfache Repräsentation davon zu liefern, wie diese Bilder entstehen; zudem soll ein Zugang zum Kriterium der Wahrheit aus individueller Sicht gegeben werden. Wie soll dieses Bild des menschlichen Geistes aussehen? Jeder Mensch macht sich durch seine kognitiven Fähigkeiten175 ein ,Bild' von der ihn umgebenden sozialen wie natürlichen Umwelt, das er benötigt, um das Verhalten dieser Umwelt voraussagen zu können und um darin zu überleben. Kernelement dieses Bildes ist das Wissen. Wie kann dieses genauer charakterisiert werden? Als Untersuchungsgegenstand ist Wissen Bestandteil zahlreicher Wissenschaften.176 Eine Abgrenzung dieses Begriffs fallt aber gerade deshalb ähnlich schwer wie eine Abgrenzung des Begriffs der Information. In den Wirtschaftswissenschaften ist der Begriff zwar allgegenwärtig und kaum ein Ökonom wird die Bedeutung von Wissen für wirtschaftliche Prozesse ernsthaft bestreiten. Dennoch gibt es in der Ökonomik — weder in der Betriebs- noch in der Volkswirtschaftslehre — keine einheitliche Theorie des Wissens bzw. theoretische Fundierung des Wissensbegriffs.177 Häufig wird der Begriff eingesetzt, ohne daß er genauer definiert wird und ohne daß er von anderen Phänomenen systematisch getrennt wird.178 Aufgrund der Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit des Phänomens Wissen ist es nicht möglich, hier alle Aspekte zu diskutieren. Gleichzeitig ist es weder möglich noch sinnvoll, eine unumstößlich richtige Definition von Wissen zu finden. Daher muß eine Arbeitsdefinition gefunden werden, die dem hier zu behandelnden Thema gerecht wird, also eine Verknüpfung zwischen Informationsströmen als beobachtbarem Phänomen und dem Wissen als Ausprägung eines inneren, für das Individuum handlungsleitenden Konstrukts. 179 Wissen wird dabei von seinen

menschlichen Geistes aussehen sollte. Vgl. für unterschiedliche Versuche, dies zu leisten, z.B. Wessling (1991), S. 10ff., Boisot (1995), S. 39ff. oder Zoü (2003), S. 186ff. 175 Teilweise geht die Literatur soweit, hier nicht nur Kognition, sondern auch Emotionen bei der Entstehung von Wissen in die Analyse auch ökonomischer Zusammenhänge mit einzubeziehen (so z.B. Kubon-Gilke 2004, S. 281 ff.). Diesem Ansatz wird hier nicht gefolgt. 17« Vgl. die Übersicht bei Rode (2001), S. 4, vgl. auch Krebs (1997), S. 33ff., Williamson, T. (2000), S. lff. und Lübbe (2002), S. 146ff. 177Vgl. dazu die Hinweise bei Sturn und Held (2004), S. 8f. sowie auch Schreyögg und Geiger (2003), S. 8ff., Rode (2001), S. 7 und Wessling (1991). 178 Vgl. Foray (2004), S. 2ff., der einen häufig zu breit angelegten Wissensbegriff in der ökonomischen Literatur kritisiert, der insbesondere nicht zwischen Information und Wissen trennt. Foray schlägt daher im Anschluß an Maunoury und dessen Werk „Economie du Savoir" (1972) eine Ökonomik des Wissens im engeren Sinne vor, die sich vor allem auf „Expertise" konzentriert und damit Aspekte des Lernens und der Kompetenzentwicklung, der Forschung und der Bildung betrachtet. 179 Der Begriff Handlung ist dabei weit zu fassen; es ist jede gestalterische Tätigkeit. Diese Handlungsorientierung ist ein Kernelement moderner Erkenntnistheorie: Vgl. Williamson, T. (2000) sowie Lenk (1998). Daß Information und Wissen Basis von Handlungen sind, zeigt auch Wessling (1991) auf. E r sieht aus Sicht der Ökonomik diese Konstrukte nur insoweit relevant als sie zielorientierte Handlungen stützen. Dieser Unterscheidung ist hier nicht zwingend notwendig.

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Funktionen für das Individuum her gesehen. Diese Funktionen haben aber nicht nur individuelle Bedeutung, sondern sind auch ordnungspolitisch von Interesse. Die gewählte Annäherung an das Wissen ist zwar themenspezifisch, muß sich aber nichtsdestotrotz an der vorhandenen Auseinandersetzung mit Wissen orientieren und sich in bestimmte Fragestellungen einordnen, die dort maßgeblich sind. Das gilt vor allem für die Epistemologie als „Theorie des Wissens". 180 Damit sind die beiden eng zusammenhängenden epistemologischen Grundfragen angesprochen, nämlich „wie wir Kenntnis von der Wirklichkeit erlangen und ob diese Kenntnis auch verläßlich und ,wahr' ist" 181 . Zu diesen beiden Fragen ist also Position zu beziehen, da sie dazu dienen, den Wissensbegriff zu verorten. Die erste dieser Kernfragen bezieht sich darauf, wie das Verhältnis zwischen realweltlichen Sachverhalten (Objekten) und dem Individuum als erkennendem Subjekt aussieht.182 Allgemein läßt sich sagen: Wissen ist ein Ausdruck der Notwendigkeit, daß sich der Mensch in seiner Umgebung kognitiv orientieren und sich ein Abbild seiner näheren und weiteren Umgebung schaffen muß, um zu überleben.183 Wissen ist damit ein subjektives, psychisches Konstrukt, das sich Individuen über bestimmte Sachverhalte der Realität bilden: „Inhalt des Wissens ist die Vorstellung eines Menschen von der realen oder abstrakten Welt" 184 oder: Wissen ist „Kenntnis oder Bewußtsein von etwas" 185 . An dieser Stelle deutet sich schon ein Ansatzpunkt für Informationsströme an; sie können bei dieser Kenntniserlangung eine Rolle spielen. Bevor dies aber analysiert wird, sei zunächst allgemein auf die damit verbundenen Kernfragen hingewiesen. Wie kommt Wissen zustande? Es speist sich aus Eindrücken von der realen Welt, ist aber gleichzeitig für jedes Individuum die Basis, um zu handeln und damit Aspekte der realen Welt in seinem Sinne zu gestalten. Es ist also Ausdruck einer Weltsicht, als solches aber auch Grundlage für das Handeln von Menschen.186 Wissen ist immer in der Dreierbeziehung zwischen der realen Objektwelt (Sender), einem erkennenden Individuum (Empfänger) und einem Übertragungskanal angesiedelt (vgl. Abbildung 3-1). Welche Möglichkeiten bestehen, um Wissen entstehen zu lassen?

im Vgl. fu r Übersichten z.B. Schnädelbach (2002) und Baumann (2002). Glasersfeld (1981), S. 18. Vgl zur Erkenntnistheorie und ihren Grundfragen auch Albert (1991), S. 8ff, Gabriel (1993), S. 20ff, Lenk (1998), S. 18ff. sowie Schnädelbach (2002). 182 Vgl. zu dieser Grundfrage Gabriel (1993), S. 20. Dabei ist vorausgesetzt, daß ein SubjektObjekt-Unterscheidung gemacht werden kann, was — betrachtet man beispielsweise fernöstliche Ansätze — gar nicht selbstverständlich ist. IM Vgl. Rescher (1989), S. 6f., Kirsch (2004), S. 4. IM Wessling (1991), S. 21. Vgl. auch Spinner (1998), S. 16f. iss Schnabl (2004), S. 129. 186 Vgl. dazu die Abbildung 2-1. Vgl. beispielsweise auch Stehr (2002), S. 20: "Man kann Wissen als Fähigkeit zum Handeln oder als Modell für die Realität definieren, d.h. als Möglichkeit, etwas in ,Gang zu setzen'." 181

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Abbild

Kenntnisgewinnung

Individuum

Objektwelt

Einwirkung

Empfänger

Kanal

Sender

Abbildung 3-1: Wissen und Erkenntnis Quelle: Nach Schnabl (2004), S. 126ff. und Herder-Dorneich (1994), S. 343. Das Individuum kann dabei zunächst allein auf sich vertrauen: Dann existieren die Möglichkeiten Offenbarung, Innenschau, Logik oder Erfahrung. Diese Vorgehensweisen sind alle dadurch gekennzeichnet, daß der einzelne durch eigene Anstrengungen Kenntnisse erwerben will. Für ihn ist es aber zu aufwendig, auf diese Weise alles notwendige Wissen zu generieren. Er kann daher auch auf das Wissen anderer im Rahmen wissensteiliger Prozesse zurückgreifen; dieses Wissen wie noch zu zeigen sein wird, durch Kanäle kommuniziert werden.187 Das in Abbildung 3-1 eingeführte Schema ist allenfalls ein grober Rahmen, um den Bezug zwischen Wissen und Umwelt darzustellen. Zum einen ist damit noch nicht geklärt, wie genau die Umsetzung von Kenntnisgewinnung (als allgemeiner Ausdruck für kognitive Prozesse) in Wissen stattfindet. Zum anderen — und das ist die zweite erkenntnistheoretische Grundfrage — muß nicht jeder Sinneseindruck als Wissen bezeichnet werden. Da beide Aspekte für das Verständnis von Informationsströmen von Bedeutung sind, sei hier kurz darauf eingegangen. Darüber wie Sinneseindrücke oder Beobachtungen zu Wissen werden, was es also heißt, daß eine Objektwelt im Verstand des beobachtenden Subjekts abgebildet wird, gibt es im Kern zwei unterschiedliche Positionen, die sich mit den Begriffen Positivismus einerseits und (radikaler) Konstruktivismus andererseits umreißen lassen. In der positivistischen Sichtweise ist Wissen explizit vorliegend und mit Objekten vergleichbar. Dahinter steht die Denkfigur eines Paketmodells

IST Vgl. Kuhlen (1995), S. 38. sowie Herder-Dorneich (1994), S. 335f£

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von Wissen bzw. einer „Leibniz-Welt"188. Eine solche Welt ist vollständig in Kalkülen darstellbar. Wissen ist demnach teilbar und in Pakete einteilbar, die unabhängig von Kontext und Beobachter sind und als solche auch gut transportierbar sind, vorausgesetzt, die richtige Infrastruktur ist vorhanden. Ein Wissenspaket liefert für alle Individuen identische Kenntnisse und identische Reaktionen. Der Prozeß der Kenntnisgewinnung — unabhängig davon wie genau dieser zustande kommt — ist in diesem Verständnis eine „Belehrung über die Realität"189. Wissen ist vor allem Fakten- und Verfugungswissen, das auch beliebig kumuliert werden kann. Im Idealfall handelt es sich dann um ein exaktes Abbild der von der Erfahrung unabhängigen Wirklichkeit der Objektwelt. Dem entgegengesetzt ist eine konstruktivistische Sichtweise von Wissen. Diese sieht Wissen gerade nicht als ein ohne weiteres weitergebbares Bild der Realität in Form von Paketen, die beliebig gestapelt werden können. Wissen ist personen- und kontextabhängig; bei der Entstehung von Wissen handelt es sich nicht um einen einfachen Abbildungsvorgang; vielmehr muß durch kognitive Vorgänge (Interpretation, Lernen, Verlernen etc.) erst eine Wirklichkeit konstruiert werden. Realität entsteht erst durch geistige Konstrukte im Kopf des Beobachters; in extremer Form könnte man hier sogar die Existenz einer eigenständigen Realität leugnen.190 Vorherrschend ist die Vorstellung, daß „Wissen nicht als Bild interpretiert werden kann, sondern nur als Schlüssel, der uns mögliche Wege erschließt"191. Eigentlich kann es damit keine Übertragung von Wissen im Sinne einer Weitergabe unveränderlicher Waren geben. Vielmehr handelt es sich um einen Induktionsvorgang. Ein Transfer ist nur dann gegeben, wenn bei potentiellen Empfangern ähnliches ausgelöst wird, wie es sich der Sender gedacht hat. Dies wird aber regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn Sender und Empfänger sich im gleichen Kontext bewegen und über ähnliches Basiswissen verfugen.192 Was läßt sich aus diesen Extrempositionen für die hier gestellte Thematik lernen? In ihren extremen Ausprägungen sind beide Sichtweisen nicht geeignet, zum hier zu diskutierenden Problembereich beizutragen. Nimmt man die reine LeibnizWelt an und sieht Wissen als in gut handhabbare Pakete einteilbar an, so ist eigentlich die spezifische Problematik von Informationsflüssen wegdefiniert.193 Nimmt man hingegen die radikal konstruktivistische Sichtweise an, so entsteht das Problem, daß gar nichts mehr ausgesagt werden kann, da alles subjektabhän-

«8 Vgl. Schmidt (2004), S. 81. Kritisch zu dieser Sichtweise Fiedler (2003). Vgl. zu Erkenntnis bei Leibniz Gabriel (1993), S. 42ff. •s« Schnabl (2004), S. 127. •'s Vgl. Schmidt (2004), S. 99ff., Schnabl (2004), S. 128f. 191 Glasersfeld (1981), S. 17 192 Dies wird insbesondere im Wissensmanagement thematisiert, z.B. Schneider (2001), S. 54. 193 Diese Problematik kommt unter anderem in der Betriebswirtschaftslehre zum Vorschein. Dort unterscheidet man inzwischen explizit zwischen Informationsmanagement und Wissensmanagement, gerade deshalb weil beim reinen Informationsmanagement und einem sehr stark auf das Leibnizsche Verständnis abgestellten Verhältnisses zwischen Information und Wissen nicht zu einer besseren Wissensbasis der Unternehmung beiträgt.

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gig und auf dessen spezifische Einschätzung zurückgegriffen werden muß, d.h. es lassen sich nur Aussagen über die innere Welt des Individuums machen.194 Einen Ausweg bietet eine Sichtweise, die Wissen als eine spezifische Form des Geistesinhalts ansieht, der handlungsrelevant ist. Dieses Wissen ist dann in der obigen Objektwelt-Individuum-Beziehung zu sehen, ist aber nicht rein subjektabhängig, sondern weist einen Bezug zur Objektwelt auf. Eine hilfreiche Illustration dieser Zusammenhänge ist - ohne daß damit alle implizierten theoretischen Überlegungen geteilt werden müßten — Poppers Lehre von den drei Welten. Popper unterscheidet die Welt 1 der gegenständlichen Objekte von der Welt 3 der abstrakten Objekte. Dazwischen liegt die Welt 2, das menschliche Bewußtsein, das zwischen Welt 1 und Welt 3 vermittelt. Damit haben geistige Konstrukte, wie sie sich in den Welten 2 und 3 manifestieren etwas mit der Realität zu tun, ohne daß sie zwingend eine exaktes und eindeutiges Abbild sind.195 Damit ist die Objekt-Subjekt-Beziehung als erster Teil der erkenntnistheoretischen Grundprobleme charakterisiert. Hier wird weder der positivistischen, noch der konstruktivistischen Position vollständig gefolgt. Vielmehr wird eine Zwischenposition eingenommen, bei der Wissen durchaus etwas mit der sozialen wie natürlichen Objektwelt zu tun hat, es aber nicht möglich ist, ein vollständig objektives Wissen zu erlangen, das in Form von „Paketen" weitertransportiert werden kann. 3.2.2.2 Wissen und „Wahrheit"

Es schließt sich daran die Frage an, welche im menschlichen Geist entstandenen Abbilder als Wissen bezeichnet werden können. Diese zweite erkenntnistheoretische Frage bezieht ihre Legitimation daraus, daß nicht alle auf diese Weise zustande gekommenen Geistesinhalte für das Individuum auch wünschenswert und von gleicher Qualität sind. Eine Antwort auf diese Frage ist nicht nur aus epistemologischer Sicht von Interesse, sondern gerade auch in einem sozialwissenschaftlichen Kontext von Bedeutung. Im Hintergrund steht die Annahme, daß ein Individuum nicht an beliebigen Sinneseindrücken interessiert ist, sondern an möglichst genauen Abbildern der Realität und möglichst nur darauf seine Handlungen gründen möchte; es möchte also „informiert" sein. Aus diesem Grund ist daher im folgenden ein Abgrenzungskriterium einzuführen, das die Abgrenzung von Wissen und anderen Sinneseindrücken aus dieser Perspektive erlaubt. Es zieht sich durch die Auseinandersetzung zahlreicher Wissenschaften mit dem Phänomen Wissen, darunter nur bestimmte, durch ein Kriterium qualifizierte Sinneseindrücke oder psychische Konstrukte zu verstehen. Sprachlich wird dies

Das wird z.B. aus folgender Aussage deutlich: „Der radikale Konstruktivismus ist also vor allem deswegen radikal, weil er mit der Konvention bricht und eine Erkenntnistheorie entwickelt, in der die Erkenntnis nicht mehr eine ,objektive', ontologische Wirklichkeit betrifft, sondern ausschließlich die Ordnung und Organisation von Erfahrungen in der Welt unseres Erlebens." (Glasersfeld 1981, S. 23). i'5 Vgl. insbesondere Popper (1984) sowie Boisot (1995), S. 69f., Schaffer (2001). 194

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beispielsweise deutlich, indem zwischen den Begriffen Kenntnis und Erkenntnis unterschieden wird. Während die Kenntnis bedeutet, daß ein Subjekt einen äußeren Eindruck wahrnimmt, geht es bei der Erkenntnis um mehr. Es muß noch eine Verknüpfungsleistung im Denken hinzukommen, ein kreativer Aspekt. 196 Häufig wird auch die Unterscheidung zwischen Meinung und Wissen getroffen, wobei Meinung eine Vorstufe von Wissen ist. Eine Meinung ist eine auf ein Objekt bezogene Aussage. Ist diese besonders verläßlich oder erfüllt andere Qualitätskriterien, dann kann sie zu Wissen heraufgestuft werden.197 Daraus läßt sich für den Wissensbegriff festhalten, daß Wissen überprüfbar sein muß und sich insofern von reinen Normen und Werten unterscheidet. Damit ist aber noch kein trennscharfes Kriterium zur Abgrenzung von Wissen gegeben. Insbesondere in der philosophischen Literatur wird hier intensiv diskutiert, wann ein geistiges Konstrukt tatsächlich Wissen ist.198 Eine lange Zeit dort akzeptierte Aussage war, daß ein Sachverhalt genau dann Wissen ist, wenn ein Individuum glaubt, daß dieser Sachverhalt besteht, wenn diese Annahme fundiert ist und wenn dieser Sachverhalt wahr ist. Was dann Wissen ist, hängt vom Wahrheitswert eines Sachverhalts und von der zugrundegelegten Fundiertheitsbedingung ab.199 Wissen ist demnach gerechtfertigter und wahrer Glaube. Die Abgrenzungsfrage verlagert sich dann darauf, was Rechtfertigung ist. Empiristische und rationalistische Strömungen haben beispielsweise die Ansicht vertreten, daß es eine letzte Quelle der Wahrheit, sei es Vernunft oder sei es sorgfaltige Beobachtung, gibt.200 Moderne Strömungen sind - obwohl ein vollständiger Skeptizismus, der die

196 Vgl. p o r a y (2004), S., vgl. Krebs (1997), S. 36f.. Spinner (1998), S. 18, sieht Erkenntnis als „qualifiziertes Wissen, welches über den Informationsgehalt hinaus zusätzlich Bedingungen erfüllt"; es handelt sich um „High-Quality-Information". Wenngleich der Begriffssystematik Spinners aufgrund einer anderen Abgrenzung des Informationsbegriffs nicht gefolgt werden kann, so illustrieren seine Hinweise zur Erkenntnis diesen Begriff recht plastisch. Die Zusammenhänge lassen sich an folgendem Beispiel verdeutlichen (vgl. Krebs 1997): Eine zu einem Bahnsteig eilende Person, die einen Zug erreichen möchte, findet den Bahnsteig leer vor. Er nimmt damit Kenntnis vom Bahnsteig und von weiteren Umständen (z.B. von Uhrsteig und Fahrplan). Erkenntnis wird daraus erst, wenn das Individuum seine Beobachtungen miteinander verknüpft und zum Beispiel zu der Schlußfolgerung gelangt, daß der Zug abgefahren ist (die er gegen andere mögliche Schlußfolgerungen abwägen und überprüfen muß). Zu der reinen Aufnahme von Fakten, die in irgendeiner Form vorhanden sind, muß also noch eine gedankliche Verarbeitung und Bewertung hinzukommen. Vgl. auch McCloskey und Klamer (1995), S. 191. 197 Vgl. Merten (1999), S. 239. Eine Anmerkung zur Begriffsverwendung in den folgenden Ausführungen: Es wird sowohl von Wissen als auch von Abbildern der Wirklichkeit gesprochen. Beide Begrifflichkeiten sollen hier synonym verwendet werden. Wenn von Abbildern der Wirklichkeit die Rede ist, dann ist immer die Verknüpfungsleistung mitgedacht. Vgl. dazu z.B. Schnädelbach (2002). 199 Vgl. Lübbe (2002), S. 148, Dretske (1999), S. 85ff., Goldman (1988), S. 2f. Vgl. für eine ausfuhrliche Diskussion der formal-logischen Analyse von Wissen Fagin et al. (1995) sowie mit Bezug auf die Sozialwissenschaften Goldman (1999). 200 Vgl. Albert (1991), S. 23

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Möglichkeit von wahrer Erkenntnis überhaupt ablehnt, in der Regel nicht vertreten wird - solchen Vorgehensweisen gegenüber zurückhaltend.201 So wird beispielsweise vom kritischen Rationalismus im Anschluß an Popper der Wahrheitsanspruch nicht aufgegeben; Wahrheit korrespondiert demnach mit der wirklichen Welt. Das bedeutet, daß man zwar nach der Wahrheit suchen kann, diese auch regulatives Ideal sein kann; allerdings ist es nicht möglich, Gewißheit, also absolute Erkenntnis der Wahrheit zu erlangen.202 Dieser Ansatz ersetzt damit den Versuch, Aussagen als wahr zu klassifizieren, dadurch daß er Aussagen ständiger Kritik aussetzt und ihre Beständigkeit gegenüber Kritik zum Abgrenzungspunkt von Wissen und sonstigen Konstrukten macht. Auf dieser Basis könnte man geistige Konstrukte entlang ihrer Begründbarkeit klassifizieren. J e besser diese Begründbarkeit gegeben ist, desto eher kann von Wissen gesprochen werden (vgl. Abbildung 3-2). i k

Wahre Aussagen gesicherte Aussagen

«

7 Vgl. z.B. Leipold (2002) 298 Vgl. Gerecke (1998), S. 13. 2» Vgl. Karpe (1997), S. 17, Niebaum (2000).

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gangspunkt nehmen derartige Untersuchungen bei der sogenannten informationstechnologischen Revolution, die analog zur industriellen Revolution zu sehen ist und nach Vorläufern wie Telefon und Radio durch die Verbreitung von programmierbaren Computern und Mikroelektronik initiiert wurde.300 Sichtbare und durchschlagende Wirkung haben diese Neuerungen mit der durch sie möglich gewordenen Entwicklung des Internet als neuartiger Kommunikations- und Informationsweitergabestruktur erhalten, von dem nachhaltige Wirkungen auf zahlreiche gesellschaftliche Prozesse (immer noch) erwartet werden.301 Im Anschluß daran läßt sich schließlich spekulieren, ob und inwieweit es durch diese Technologien zu einer „neuen Wirtschaftsform", die als „informationell" zu kennzeichnen ist, „weil die Produktivität und Konkurrenzfähigkeit von Einheiten oder Akteuren in dieser Wirtschaft — ob es sich nun um Unternehmen, Regionen oder Nationen handelt — grundlegend von ihrer Fähigkeit abhängig ist, auf effiziente Weise wissensbasierte Informationen hervorzubringen, zu verarbeiten und anzuwenden."302 Allerdings sind derartige Modelle für den hier gewählten Untersuchungszweck kaum geeignet. Es handelt sich nicht um die Darstellung einer Arbeitsteilung, die die gesamte Gesellschaft betrifft, sondern rein um eine innerwirtschaftliche Aufgabenteilung. Damit lassen sich zwar Erkenntnisse gewinnen, über die relative Bedeutung von Branchen und Produkten sowie über den damit verbundenen Strukturwandel. Allerdings ist damit keine Aussage über die Ordnungsfunktion von Informationsströmen sowie darauf, ob es sich bei einer Gesellschaft tatsächlich um eine informierte Gesellschaft handelt, ob sie also das Wissen sinnvoll nutzt. Das Problem der Implementierung von sozialen Praktiken der Wahrheitssuche und Übertragung von wahren Informationen gerät auf diese Weise nicht ins Blickfeld (wenngleich Teile dieses Sektors damit beschäftigt sind). Der Informationssektor solcher Modelle ist also nicht gleichzusetzen mit gesamtgesellschaftlichen Informationsströmen. 3.3.2.2 Modell von Wissensteilung und Informationsbeziehungen Hier soll ein Modell verfolgt werden, das über eine eng auf die Wirtschaft bezogene Perspektive hinausgeht. Vielmehr soll die Wirtschaft nur als ein Teilsystem gesehen werden, das neben anderen steht, das als solches auf gesellschaftliche Informationsströme zurückgreift. Daneben werden die Teilsysteme Politik, Wissenschaft und Medien gesehen (vgl. Abbildung 3-12). Jedes dieser Teilsysteme übernimmt für sich eine spezielle gesellschaftliche Aufgabe und verfügt dazu über interne Steuerungs- und Koordinationsmechanismen, die es funktionsfähig halten. Die Differenzierung dieser Sektoren wird als Ausdruck dafür gesehen, daß auch die Suche nach Wahrheit und Gewißheit und ihr Austausch in Informationsströmen in modernen Gesellschaften bestimmten spezialisierten Funktionsträgern zugeordnet ist.

Vgl. Castells (2001), S. 43 Mi Vgl. Feldmann und Zerdick (2004), S. 19ff. M2 Castells (2001), S. 83. Vgl. auch Stehr (1994), S. 179ff. 300

85

Abbildung 3-12: Teilsysteme einer Gesellschaft Quelle: eigene Darstellung in Erweiterung von Jenöffy-Lochau (1997), S. 27, und Wentzel (2002), S. 29. Die Einteilung der Gesellschaft in diese Teilsystem, die als Basis für die Diskussion der ordnenden Funktion von Informationsströmen dienen soll, sei kurz umrissen. Die beiden Systeme Wirtschaft und Politik dienen dabei der Versorgung der Gesellschaftsmitglieder mit nutzbringenden Gütern. Die beiden anderen Systeme, Wissenschaft und Medien, dienen der Produktion, Reflexion und Verbreitung von Ideen und Wissen.303 Sie sind Ausgangspunkt und Vermittler von Informationsströmen in diesem Gesellschaftssystem. Die Wirtschaft ist hier das System bei dem es um die private Güterversorgung geht, also die Uberwindung von Knappheit in arbeitsteiliger und marktgesteuerter Selbstorganisation. 303

Das heißt nicht, daß z.B. Medienunternehmen nicht auch selber nutzbringende Güter produzieren, beispielsweise in Form von Unterhaltung. Diese Überschneidungsproblematik läßt sich aber dadurch umgehen, indem die obige Einteilung als rein funktionale verstanden und diese nicht an organisationalen oder personalen Grenzen festgemacht wird, d.h. ein Medienunternehmen ist dann sowohl Teil der Wirtschaft als auch des Mediensystems, indem es in verschiedene Funktionsbereiche eingebunden ist. Daß sich aber aus der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Funktionsbereichen, Schwierigkeiten ergeben können, zeigt die Problematik der Interdependenz zwischen publizistischem und wirtschaftlichem Wettbewerb im Mediensystem. Ähnlich ist auch z.B. eine Hochschule nicht ausschließlich mit dem System Wissenschaft verknüpft, sondern auch im System Wirtschaft tätig, wenn das Gut „Hochschulbildung" angeboten wird. Auch hier kann das Tätigsein von gleichen Organisationseinheiten in unterschiedlichen Feldern zu inneren Konflikten führen.

86

Die Politik ist das System, in dem explizite Kollektiventscheidungen getroffen werden.304 Diese betreffen sowohl gesellschaftliche Regelstrukturen als auch die Versorgung mit öffentlich bereitgestellten Gütern. Die Wissenschaft ist der Bereich, in dem langfristig bedeutsames Wissen über das Funktionieren der natürlichen wie sozialen Umwelt generiert wird. Ihr besonderes Kennzeichen ist die Erzeugung von Expertenwissen. Die (Massen-)Medien schließlich erzeugen auch Wissen, das aber kurzfristiger orientiert ist und eher auf tägliche Entscheidungen abgestimmt ist als das Wissen der Wissenschaft. Gleichzeitig sind die Massenmedien wichtiger Informations- und Wissensmittler zwischen den einzelnen Sektoren. Sie sind Bindeglied zwischen den anderen Teilsystemen und ermöglichen deren Verständigung und Selbstreflexion; sie machen eine mit der Arbeitsteilung korrespondierende Wissensteilung erst möglich.305 Was interessiert von diesem Schema für die hier zu bearbeitende Thematik? Zunächst ist dies die Tatsache, daß man derartige Teilsysteme überhaupt abgrenzen kann.306 Dies liefert eine wichtige Bedingung für die Analyse solcher System insbesondere dahingehend, daß innerhalb eines solchen Systems eigenständige Informations- und Wissensbeziehungen stattfinden. Weiterhin interessieren auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Teilsystemen und zwar insofern sie unter den Oberbegriff Informationsfluß gefaßt werden können. In die Abbildung 3-12 sind einige Beziehungen eingezeichnet. So markieren Ströme (I) den Einfluß der Politik auf Teilsysteme. Die Politik kann Rahmenbedingungen setzen und direkt in diese Systeme eingreifen. Gleichzeitig bestehen aber auch Rückwirkungen von den anderen Funktionssystemen zur Politik (II), indem diese Rahmenbedingungen für politisches Handeln liefern oder versuchen, dort Einfluß zu nehmen. Ähnliches gilt für die weiteren Beziehungen der Systeme untereinander. Festzustellen ist, daß jedes einen spezifischen Output (auch Informations- und Wissensoutput) liefert, der im gesamtgesellschaftlichen Kontext koordiniert werden muß, um wechselseitigen Nutzen entfalten zu können. Allerdings ist nicht nur der Informations- und Wissensoutput eines jeden Teilsystems unterschiedlich. Auch innerhalb der Systeme existieren spezifische Informationsund Kommunikationsbeziehungen, die wesentlich für die Funktionsfähigkeit

304 Vgl. Zintl (2002), S. 94f. MS Vgl. Wentzel (2002), S. 3f. 306 Die Abgrenzung ist zu einem guten Teil willkürlich. Zum einen ist zu fragen, warum genau diese Systeme abgegrenzt werden. Warum beispielsweise nicht noch einen Sektor Kultur mit hinzunehmen? Zum anderen ist zu fragen, warum die Sektoren nicht noch genauer aufgesplittet werden. Warum trennt man nicht das System Wirtschaft in ein System mit materiellen Gütern und eines mit Informationsgütern auf, die möglicherweise nach anderen Prinzipien funktionieren? Was ist beispielsweise mit einem Sektor wie dem Gesundheitssystem? Wie ließe es sich hier einordnen? Der Grund dafür, daß hier diese Abgrenzung gewählt wird, besteht darin, daß eine weitere Aufspaltung für eine erste Herangehensweise zu komplex wäre. Würde man noch weitere Aufspaltungen vornehmen oder weitere Systeme dazunehmen müssten die Funktionsprinzipien sehr speziell gefaßt werden, so daß es nur schwer möglich ist, allgemeine Muster hier zu erfassen. Mit den hier eingeführten Prinzipien ist zumindest gewährleistet, daß fundamentale Prinzipien moderner Gesellschaften beleuchtet werden.

87

dieser Systeme sind (sie erlauben die Weitergabe entscheidungsrelevanter Fakten und dienen der Verständigung). Ein Beispiel: Das Teilsystem Wissenschaft verfügt über eine eigene Wissenschaftssprache. Die Wissenschaftssprache als Kommunikationssystem ist der institutionalisierte Versuch, Missverständnisse zu minimieren. Das bedeutet, innerhalb jeder Wissenschaft existieren Begrifflichkeiten, die für diese Wissenschaft eine spezifische Bedeutung haben, die meist nicht mit der in der Alltagssprache üblichen Bedeutung zusammenfallt.307 Ein solches spezialisiertes Kommunikationssystem — geschaffen insbesondere durch den Vorgang des Definierens — ermöglicht es, den Systemteilnehmern effektiver und ohne Verständigungsprobleme zu kommunizieren. Allerdings ist diese Systemsprache für andere abgeschlossen. Dieses Phänomen ist dabei symptomatisch für moderne arbeitsteilige Prozesse. Sie sind dadurch geprägt, daß der einzelne über immer weniger immer mehr weiß, also Spezialwissen generiert, gleichzeitig aber wachsen die Bereiche, über die man nichts weiß.

3.4

Schlußfolgerungen: Zur Rolle von Informationsströmen

Die Überlegungen zur Bedeutung von Wissen, Information und Kommunikation sowie zum Verhältnis von Informationsströmen und Ordnung sollen nun nochmals in Form eines Gesamtbildes zusammengefügt und daraus die Funktionen abgeleitet werden, die Informationsströme in sozialen Systemen auszufällen in der Lage sind und die wesentliche Bedeutung in einem Ordnungsgefüge haben. Gleichzeitig soll gezeigt werden, welche Fragen die Ordnungsökonomik in Bezug auf Informationsflüsse zu beantworten hat. Die Ordnungsökonomik bezieht sich üblicherweise auf die Ausgestaltung gesamtwirtschaftlicher Güterströme. Innerhalb dieses Ordnungsrahmens müssen Antworten auf die ökonomischen Grundfragen, wer was wie wann und für wen produziert, gegeben werden. Der Ordnungsrahmen regelt, wer diese Antworten geben darf (Kompetenz und Mandat), wie die Antworten koordiniert werden (Koordination und Information) und wer die Konsequenzen dieser Antworten zu tragen hat (Kontrolle und Sanktion).308 Es ergibt sich entlang des jeweiligen Ordnungsrahmens ein Muster arbeitsteiliger Interaktionen, das je nach Qualität dieses Ordnungsrahmens mehr oder minder zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt beiträgt. Es gilt nun, derartige Fragen auch für Informationsströme und die damit einhergehende Wissensteilung zu stellen. Wissens- und Arbeitsteilung sind zwar eng miteinander zusammenhängend, so wie auch Informations- und Güterströme häufig parallel verlaufen. Nichtsdestotrotz kann eine eigenständige Analyse durchgeführt werden, in der Information als „Kontroll- wie Steuerungsmittel"309 sowie als verbindendes Element in wissensteiligen Prozessen gesehen wird. Als Hilfsmittel zur Ableitung dieser Fragen soll Abbildung 3-13 dienen.310

307 Vgl für weiterfuhrende Hinweise zur Wissenschaftssprache Burkart (2002), S. 128ff. 308 Vgl. z u diesen Grundfragen und -begriffen Streit (1991), S. 6f. sowie S. 27ff. 309 Löffelholz und Altmeppen (1994), S. 571. 310 Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, daß diese Abbildung nicht den Anspruch erhebt,

88

Kommunikations- und

Abbildung 3-13: Institutionelles Grundmuster Quelle: Eigene Darstellung

Im Kern steht dabei der einzelne Informationsfluß, der wie oben in Abschnitt 3.2.3 herausgearbeitet sowohl informative als auch kommunikative Aspekte besitzt. Ausgangs- und Endpunkt dieses Informationsflusses sind der Sender und der Empfanger sowie deren Sinnesordnung und die damit verknüpften geistigen Konstrukte (in der Abbildung als individuelle Wissenskonstrukte bezeichnet). Diese geistigen Konstrukte sind für das Individuum handlungsleitend und dienen seinem Zurechtkommen in der Gesellschaft. Sie sind also die unmittelbare Zielstruktur; in ihnen strebt das Individuum nach Gewißheit und Erwartungssicherheit oder anders gesagt nach Wahrheit (im Sinne von verläßlichen Abbildungen der Realität). Dies wird das Individuum aber nicht für sich alleine erreichen; vielmehr haben Gewißheit und Erwartungssicherheit auch eine kollektive Dimension und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits verläßt sich das Individuum auf die Abbilder der Wirklichkeit, die andere gemacht haben und partizipiert über Informationsströme an deren Erkenntnisleistung (Wissensteilung). Andererseits entstehen in diesen Prozessen auch kollektive, von allen Individuen geteilte Wissensstrukturen. Die kollektiven Wissensstrukturen haben einerseits eine objektive Komponente; es handelt sich um in bestimmten Artefakten gespeichertes Wissen im Sinne der

die Realität an sich abzubilden. Vielmehr soll es sich um eine problemangemessene Denkanweisung handeln, die den Zugang zu bestimmten Detailproblemen eröffnet.

89

Welt 3 Poppers (vgl. Abschnitt 3.2.2). Gleichzeitig haben diese Wissensstrukturen auch eine ideologische oder Sinnkomponente. Sie konstitutieren gemeinsame Wahrnehmungen der Individuen, die durch die Suche nach Gewißheiten bedingt ist. Wahrheit manifestiert sich also nicht nur im individuellen Wissen, sondern auch in diesen kollektiven Konstrukten und ist somit nicht zuletzt auch soziale Wahrheit. Diese kollektiven Wissensstrukturen übernehmen für soziale Systeme zentrale Funktionen, die als Ordnungsfunktion, Entlastungsfunktion, Koordinationsfunktion und Kohäsionsfunktion gekennzeichnet werden können. Wie oben ausgeführt, ist der Übergang zum Institutionenbegriff fließend. Institutionen unterscheiden sich hiervon vor allem im Zeithorizont. Sie sind tendenziell langfristiger orientiert und stabiler, während kollektive Wissensstrukturen durchaus auch sehr kurzfristigem Wandel unterliegen wie sich beispielsweise im Konstrukt der öffentlichen Meinung zeigt. Die hier zu untersuchende These ist, daß die Funktionserfüllung der individuellen wie kollektiven geistigen Konstrukte sowie die wissensteilige Partizipation an diesen Konstrukten unter anderem maßgeblich von der Ausgestaltung der Informationsflüsse in einer Gesellschaft abhängen. Um dies zu untersuchen, müssen Informationsflüsse unterteilt werden. Neben der Identifizierung der zentralen Personen Sender und Empfanger steht dabei die Aufteilung in Entstehungsbedingungen, Übertragungsbedingungen und Aufnahmebedingungen. Diese Bedingungen und das daraus folgende Verhalten der Individuen lässt sich mit Hilfe von Institutionen steuern und regulieren. Diese Institutionen bewirken, daß unterschiedliche soziale Praktiken zur Anwendung gelangen, die mit unterschiedlichen Wirkungen auf die Findung und die Weitergabe individueller wie sozialer Wahrheit ausgestattet sind. Es wird im folgenden zu klären sein, wann welche Praktiken am sinnvollsten anzuwenden sind. In der Abbildung 3-13 sind nur skizzenhaft zwei Aspekte dieser regulatorischen Ansätze aufgeführt. Einerseits die fundamentalen Verfassungsnormen, die unter die Oberbegriffe Kommunikations- und Informationsfreiheit gestellt werden können. Andererseits sind dies spezieller und für spezifischer Themenkreis anzuwendende Detailregulierungen und -einschränkungen. Im folgenden wird insbesondere zu diskutieren sein, wann solche einschränkenden Detailregulierungen der Norm Kommunikations- und Informationsfreiheit vorzuziehen sind. Im einzelnen tangiert Abbildung 3-13 eine Vielzahl ordnungspolitischer Probleme, die allerdings nicht alle diskutiert werden können, da es hier vor allem um die Grundsatzprobleme der Gestaltung von Informationsströmen und ihrem Zusammenhang zur Wissensteilung geht, während weiterführende gesellschaftspolitische Aspekte eher im Hintergrund bleiben müssen. Es sei auf einige zentrale Punkte hingewiesen: Die Übertragungsbedingungen lassen sich zumindest in zweifacher Hinsicht regulieren: Inhaltlich und technologisch. Die technologische Dimension bezieht sich auf die konkreten Übertragungswege, beispielsweise Frequenzzugänge oder Telekommunikationsinfrastruktur. Auch das angesichts neuer Medien und veränderter Infrastruktur hier bedeutsame Problem der technologischen Standardisierung

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fällt in diesen Bereich.311 Das technologische Problem wird, insbesondere in Verbindung mit der Netzwerkökonomik, in der Literatur ausfuhrlich diskutiert und soll hier ausgeblendet werden. Relevant ist hingegen der inhaltliche Aspekt. Soll in die Übertragung derart eingegriffen werden, daß nur unter ganz bestimmten Bedingungen Informationen weitergegeben werden darf, ist eine sich in diesem Zusammenhang stellende Frage. Dabei ist zu bedenken, daß Informationsströme auch die Funktion des Wissenstransfers und des Diskussionsforums haben. Jede Gesellschaft braucht solche „Ideenbörsen", die maßgeblich zu ihrer Weiterentwicklung beitragen. Die Frage ist aber, ob hier wirklich alles weitergegeben werden soll und darf. Hier stellt sich die fundamentale Frage, welchem Ordnungsmodell solche Ideenbörsen folgen sollen. Neben den angedeuteten Problemstrukturen existiert im Zusammenhang mit Informationsströmen eine Vielzahl von ordnungspolitischen Problemen, die im Zuge der Verbreitung von informations- und kommunikationstechnologischen Neuerungen an Bedeutung gewonnen haben 312 und zum Teil intensiv diskutiert werden. In der soziologischen, informationswissenschaftlichen, informationsethischen sowie informationsrechtlichen Literatur finden sich dazu bereits vielfaltige Ausarbeitungen. Die Probleme können an dieser Stelle nur angedeutet und nicht näher ausgeführt werden. Hier sollen Informationsströme ausschließlich als soziale Praktiken zur Wahrheitsfindung betrachtet und ihr Beitrag hierzu analysiert werden. Andere Aspekte — beispielsweise wie Informationsflüsse aus Machtgründen institutionalisiert werden — sind hingegen ausgeblendet. Von ordnungspolitischem Interesse sind insbesondere die Entstehungsbedingungen. Es stellt sich insbesondere die Frage, ob Eigentumsrechte an Wissen und Informationen geschaffen werden sollen und wie diese Informationsströme und Wissensteilung beeinflussen. Mittlerweile existiert bereits eine breite Literatur zu der Frage, ob derartige Eigentumsrechte eher unter Anreizaspekten (Erzeugung von Innovation) oder unter ethischen Gesichtspunkten (freier und gleicher Zugang zu Wissen und Information) gesehen werden soll. Als Folge befindet sich insbesondere das Recht geistigen Eigentums in erheblichem Wandel.313 Gerade im Zusammenhang mit Informationsströmen und den sich daraus ergebenden wissensteiligen Strukturen wurde die Frage geistigen Eigentums zumindest aus ökonomischer Sicht kaum thematisiert, so daß auch in dieser Richtung erheblicher Diskussionsbedarf besteht. Eng mit dieser Fragestellung hängt das Problem des sogenannten „digital divides" zusammen, das sich auf die Ungleichverteilung von Informationen und Wissen (sowie der Möglichkeiten des Zugangs dazu) bezieht.314 Gelegentlich wird gefordert, Begriffe wie Chancengleichheit auf

Vgl. Wentzel (2002), S. 6f. sowie für das Standardisierungsproblem Thum (1994). Aber auch ohne diese schon Relevanz hatten. 313 Vgl. zu dieser Fragestellung Bechtold (2002) oder Spinello (2003) sowie Überblickshaft zur ethischen Debatte Kuhlen (2004b), S. 312ff. Vgl. als Überblick zu Herausforderungen im Verhältnis von Eigentum und Information in der Theorie des liberalen Rechtsstaates Boyle (1996), S. 47ff. 314 So Borgmann (1999), S. 4: „Will information technology create a new division between 3,1

312

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die Ressource Information zu übertragen und, um damit ein mögliches Gefalle zwischen den „information haves" — also Personen, die ohne weiteres auf informationelle Ressourcen zurückgreifen können — auf der einen Seite und den „information have nots" — also Personen, denen der Zugang zu informationellen Ressourcen weitgehend verwehrt ist - auf der anderen Seite zu verhindern.315 Schließlich spielen auch Fragen der informationellen Privatheit hier eine Rolle. Wer darf Informationen über wen erheben und verwenden? Welche Informationseingriffe sind aus gesellschaftlicher Sicht rechtfertigbar und dem einzelnen zumutbar?316 Diskutiert werden solche Fragen im Zusammenhang mit der Privatheit in elektronischen Räumen317 oder in Bezug auf genetische Informationen.318 Das in Abbildung 3-13 eingeführte Schema ist durchaus geeignet, derartige Fragestellungen zu bearbeiten oder zumindest deren Implikationen aufzudecken. Dennoch wird hier keine allumfassende Annäherung angestrebt. Vielmehr werden Informationsströme auf ihre Eignung zur Beförderung der gesamtgesellschaftlichen Wissensteilung hin untersucht werden, also inwieweit sind sie geeignet, verläßliche Abbilder der Realität weiterzutransportieren.

haves and have-nots or deepen the old division? This is surely a fair question. But it tends to divert us from the deeper question of whether the recent and imminent flood of infomation is good for anybody, rich or poor." J" Vgl. dazu Marr (2005), S. 6 316 Vgl. zu diesem Begriff insbesondere Spinner et al. (2001). Vgl. Kuhlen (2004b), S. 175ff. 318 Vgl. z.B. Boyle (1996), S. 17ff. sowie zum Fluß genetischer Informationen und notwendigen Regulierungen Oberender und Fleischmann (2003).

92

4

Modellierungsansätze im Vergleich

4.1 Ansatzpunkte zum Modellvergleich Wie können Informationsströme, deren Charakteristika im vorausgegangenen Kapitel erarbeitet worden sind, modellhaft erfaßt werden? Will man sich einem abgegrenzten Phänomen mit Hilfe von Modellüberlegungen nähern, so ist es sinnvoll, sich zunächst einen Überblick zu verschaffen, welches Theorieangebot in der Literatur bereits vorhanden ist. Dieses muß dahingehend kritisch geprüft werden, ob und inwieweit es eine Erfassung des Untersuchungsgegenstandes leisten und der Fragestellung gerecht werden kann. Ziel dieses Kapitels ist es also zu prüfen, ob das wirtschaftswissenschaftliche Modellangebot angemessen ist, wenn es darum geht, Informationsströme zu erfassen und zu gestalten. Angesichts der Vielfalt der Modelle, die in irgendeiner Form Information thematisieren, stellt sich allerdings die Frage, welche Auswahl hier getroffen werden soll. Sinnvoll ist es, sich dem neoklassischen-wohlfahrtsökonomischen Mainstream und seinen informationsökonomischen Erweiterungen zuzuwenden, da dieses Denken den Umgang mit Information in zahlreichen Modellen dominiert. Dieser Ansatz arbeitet vorwiegend auf der Mikroebene. Um dazu einen Gegenpol zu schaffen, empfiehlt es sich, auch einen Ansatz zu thematisieren, der makroskopisch arbeitet, sich also vorwiegend mit Kollektivphänomenen und deren Verhältnis untereinander ohne weitgehenden Bezug zur Mikroebene befaßt. Dazu bieten sich Ansätze an, die in der evoluorischen Ökonomik verwendet werden und den Naturwissenschaften entlehnt sind, insbesondere der Physik.319 Übliche Bezeichnungen hierfür sind — wenngleich zum Teil sehr unterschiedlich bei der Modellbildung vorgegangen wird — Soziodynamik, Soziophysik oder Synergetik. Diese Ansätze befassen sich mit der Verbreitung von Informationen und ihrer Wirkung auf Kollektivphänomene. Unter anderem thematisieren sie auch die Verbreitung von Meinungen, was sich an die Überlegungen in Abschnitt 3.3.1.3 unmittelbar anschließt. Woran werden diese Betrachtungsweisen gemessen? Die Anforderungen, die die Ansätze erfüllen müssen, ergeben sich aus dem Untersuchungszweck, der methodischen Grundposition, aus damit zu verknüpfenden allgemeinen Überlegungen zur Modellbildung sowie aus den Spezifika des Untersuchungsgegenstandes: •

Welche Modellheuristik wird verfolgt? Ist das Modell fruchtbar, um neue Zusammenhänge zu erkennen? Oder verstellt es den Blick auf bestimmte Aspekte des Problems?320



Aus den in Kapitel 2 ausgeführten methodischen Vorüberlegungen sowie

3" Vgl. z.B. Hermann-Pi]lath (2002), S. 464ff. 32° Vgl. zum Begriff der Heuristik Meyer (2004).

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aus den in Kapitel 3 vorgenommenen Spezifizierungen ergibt sich, daß der Ansatz eine Integration der Mikro- und Makroebene leisten muß. Er muß erklären können, wie individuelles (kommunikatives) Handeln und kollektive Phänomene ineinander übergehen, also wechselseitig voneinander abhängen. Eine Überbetonung einer dieser Ebenen ist hingegen unangemessen. •

Die Ansätze müssen in der Lage sein, die Grundbegrifflichkeiten Information, Wissen und Kommunikation zu verarbeiten. Insbesondere darf kein übermäßig vereinfachter Informationsbegriff Grundlage der Betrachtungen bilden. Dazu müssen sie gegebenenfalls offen sein für Modifikationen ihrer Mikrogrundlagen.



Gleichzeitig und darauf aufbauend muß sich eine angemessen Vorstellung von Wissensteilung abbilden lassen.



In normativer Hinsicht muß die individuelle wie kollektive Orientierung an dem Kriterium Wahrheit (im Sinne von möglichst verläßlichen Abbildern der Objektwelt) erfaßt werden können. Es muß das weiter oben eingeführte institutionelle Grundmuster erfaßt und einer Gestaltung derart zugänglich gemacht werden können, daß Informationsströme als produktive Bindeglieder in einer wissensteiligen Gesellschaft institutionalisiert werden können.



Und schließlich als Nebenbedingung: Stimmt die Modellökonomik? Ist das Modell hinreichend einfach, erklärt aber wesentliche Zusammenhänge?321

Die Orientierung an diesen Kriterien bedeutet auch: Kritische Anmerkungen zu diesen Konzepten sind dementsprechend nicht als völlige Zurückweisung zu sehen, sondern nur dahingehend zu verstehen, daß sie dem hier verfolgten Untersuchungszweck nicht vollständig genügen. Es ist daher auch zu prüfen, ob nicht Teile dieser Ansätze für die weiteren Betrachtungen verwendet werden können. Selbstverständlich liefern die folgenden Überlegungen keinen umfassenden Überblick der betreffenden Denkmuster; es werden vielmehr Modellstrukturen, die in ihrer positiven und normativen Herangehensweise als idealtypsich anzusehen sind, aus dem vielfaltigen Angebot herausgegriffen. 4.2

Evolutorisch-makroskopische Ansätze

Zunächst soll hier die sogenannte Soziodynamik analysiert werden, also ein Ansatz, der sich sehr stark Modellierungsmethoden bedient, die physikalischtechnischen Zusammenhängen entlehnt sind und der insbesondere im Zuge der evolutorischen Ökonomik an Verbreitung zugenommen hat. Dieser Ansatz ist, wenn es um die grundsätzliche modellhafte Herangehensweise geht, deshalb von Bestimmte Anforderungen, die auch an Modelle gestellt werden könnten, sind hier nicht enthalten, beispielsweise die Meßfunktion eines Modells, also seine Eignung, eine quantitative Beschreibung von Vorgängen zu ermöglichen (vgl. z.B. Merten 1999, S. 58). Sie ist aufgrund der hier eingenommenen sozialwissenschaftlichen Grundposition weniger relevant und daher zur Beurteilung von theoretischen Herangehensweisen nicht geeignet. 321

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Interesse, weil es sich um einen makroskopischen Ansatz handelt, und er damit einen Gegenpol zu eher mikrotheoretischen Vorgehensweisen bildet. Ein weiterer Grund für die Betrachtung dieser Herangehensweise, ist, daß es in diesem Feld eine ganze Reihe von Modellen gibt, die sich explizit mit Informations- und Meinungsphänomenen auseinandersetzen.

4.2.1 Grundlagen Evolutorisch-makroskopische Ansätze (unter anderem die Soziodynamik, die Soziophysik oder die Synergetik322) streben an, mit Hilfe mathematischer Verfahren die Entwicklung von Systemen zu modellieren. Solche Ansätze verstehen sich dabei als Ausprägung oder Teil einer allgemeinen Systemtheorie, wobei Aspekte dieser Theorie quantitativ, insbesondere mit Hilfe von Simulationsmodellen, dargestellt werden sollen. Wie in der Systemtheorie üblich323 werden weitgehende Anleihen bei den Naturwissenschaften genommen und mehr oder weniger unterstellt, daß kollektives soziales Handeln naturanalogen physikalischen Gesetzen folgt. Auf eine Formulierung der Vorgänge auf der Mikroebene wird dabei verzichtet. Diesen Verzicht auf eine weiterführende Mikrofundierung sehen Vertreter dieser Vorgehensweise als Vorteil, da auf diese Weise die in Mikroansätzen festzustellende Unterbelichtung der evolvierenden systemischen Koordination besser beachtet werden könne.324 Derartige Simulationsansätze finden, wenngleich sicherlich nicht zum Mainstream gehörend, in den Sozialwissenschaften zunehmend Verbreitung. Die Anwendungsbereiche sind vielfaltig und beziehen sich auf die Soziologie und die Politikwissenschaft genauso wie die Ökonomie. Dabei finden sich beispielsweise Versuche, die Gedanken systemtheoretischer Soziologen zu quantifizieren325, um damit die Evolution der Gesellschaft abzubilden, oder auch Versuche, den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zu simulieren.326 Wie gehen soziodynamische Ansätze bei der Modellierung der abzubildenden Gegebenheiten vor? Auch wenn die Vorgehensweise im einzelnen sehr verschiedenen sein kann, sei auf einige wesentliche Elemente hingewiesen. Dabei soll nur ein überblickshafter Eindruck vermittelt werden, ohne hier näher auf die teilweise sehr umfangreichen mathematischen Details einzuge-

322 Die Ansätze unterscheiden sich in den konkreten Modellstrukturen beträchtlich. Dennoch weisen sie in der Herangehensweise, insbesondere in der - häufig explizit interdisziplinär ausgerichteten - Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden auf soziale Zusammenhänge und in der Makroorientierung, zentrale Gemeinsamkeiten auf, die eine gemeinsame Betrachtung an dieser Stelle rechtfertigt. Vgl. zu solchen Ansätzen insbesondere Haken (1983), Haken (1996), Weidlich (2000), Weidlich (2001), Hermann-Pillath (2002), S. 494ff., sowie Stauffer (2003). 323 Verwiesen sei hier nur auf Luhmanns Prinzip der Autopoesis. 324 Diese Unterbelichtung ist darin begründet, daß Mikroansätze nur Vorgänge berücksichtigen können, die Individuen reflexiv verarbeiten können (vgl. Beckenbach 1994, S. 248). 325 Z.B. Laptev (2000). 326 Vgl. zu letzterem Kerber und Saarn (2001), die simulieren, wie sich im Wettbewerb Wissen akkumuliert und daraus auch Argumente für die Wettbewerbspolitik ableiten.

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hen.327 Ziel der Soziodynamik ist es, Modelle für soziale Prozesse aufzustellen, um die mathematisch-quantiative Beschreibung von Makrophänomenen vorzunehmen. Betrachtungsgegenstand ist eine Grundgesamtheit von Menschen, die üblicherweise als Population bezeichnet wird. Soziodynamische Modelle enthalten Größen, die bestimmte Phänomene, die innerhalb dieser Grundgesamtheit ablaufen (z.B. Meinungsveränderungen, Migrationsbewegungen etc.), beschreiben; dazu werden Variablen benötigt, die in dieser Population direkt objektiv meßbar sind, aber auch Größen, die nur subjektiv bestimmbar sind. Die Modellierung umfaßt in der Regel vier Schritte. Im ersten Schritt müssen Makrovariablen und Trendparameter festgelegt werden. Makrovariablen sind zum einen kollektive Variablen, wie beispielsweise Preise oder Mengen, die Systemzustände beschreiben. Makrovariablen sind aber auch personell und beschreiben die Zustände von Teilmengen der betrachteten Population (auch Soziokonfiguration) genannt. Die Trendparameter beschreiben, welchen Nutzen die Teilpopulationen aus den Makrovariablen und der Soziokonfiguration ziehen; sie zeigen also die Attraktivität bestimmter sozialer Zustände auf.328 Diese beschreiben das Verhalten der Bevölkerungsteile und werden als konstant angenommen. Sind alle genannten Variablen konstant, so ist das System im Gleichgewicht. Damit ist die Ausgangssituation beschrieben, so daß in einem zweiten Schritt dynamikerzeugende Größen eingeführt werden können. Diese zeigen auf, wie die Variablen ineinander übergehen. Die zu wählenden Übergangsraten werden vom zu beschreibenden sozialen Zusammenhang bestimmt; ihre Auswahl stellt eine wesentliche Schwierigkeit in der Modellbildung dar. Zentral für die Modelle ist eine im dritten Schritt einzuführende sogenannte Master-Gleichung, die die Entwicklung einer für den zu analysierenden Sachverhalt bestimmenden Verteilung von Häufigkeiten beschreibt und aus der sich die Ergebnisse ableiten. Man spricht daher auch von global häufigkeitsabhängigen Prozessen329. In einem vierten Schritt können noch Lernvorgänge eingeführt werden, die Veränderungen der Trendparameter zulassen. 4.2.2 Meinungsdynamiken als Beispiel Eine breite Klasse von evolutorisch-makroskopischen Modellen beschäftigt sich mit der Verbreitung und Durchsetzung von Meinungen in Populationen.330 Dabei wird mit Hilfe von mathematischen Simulationstechniken geprüft, ob sich ausgehend von einer zufälligen Verteilung von Meinungen ein Konsens heraus-

Vgl. insbesondere Weidlich (2001), S. 290ff. sowie Weidlich (2000), S. 45ff. Dort finden sich auch ausführliche mathematische Darstellungen der Zusammenhänge. 328 Diese Nutzenfunktionen unterscheiden sich allerdings deutlich von denjenigen, die in der neoklassischen Ökonomik verwendet werden (vgl. Weidlich 2000, S. 204f.). 32? Vgl. Hermann-Pillath (2002), S. 581 f. 330 Zu den zum Teil sehr unterschiedlichen Ansätzen in diesem Feld können gezählt werden: Haken (1983), S. 333ff., Banerjee (1992), Bikchandani, Hirshleifer und Welch (1992), Kuran (1997), Deffauant, Neau, Amblard und Weisbuch (2000), Sznajd-Weron und Sznajd (2000), Heinemann (2001), Hegselmann und Krause (2002), Stauffer (2003) und Martins (2005).

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bildet. Ausgangspunkt ist dabei immer eine bestimmte Verteilung von Meinungen in einer Bevölkerungsgruppe. Es wird dann geprüft, ob sich daraus eine (einheitliche) öffentliche Meinung entwickeln kann. Dazu sind insbesondere Mechanismen notwendig, die beschreiben, wann jemand von einer Meinung zu einer anderen übergeht. Zentrales Problem dabei ist es, die Einflußfaktoren in diesen Meinungsübergangsprozessen zu bestimmen und sinnvoll zu modellieren. Ein einfaches Modell331 sieht beispielsweise folgendermaßen aus: Betrachtet wird die öffentliche Meinungsbildung als das Ergebnis der Aktionen interagierender sozialer Gruppen. Es wird dabei ausschließlich das statistische Verhalten einer Population unter Verwendung makroskopischer Variabler betrachtet. Im einfachsten Fall existieren in einer Bevölkerung nur zwei (entgegengesetzte) Meinungen, die als Meinung -1 und Meinung 1 bezeichnet werden können. Die Bevölkerung wird dann einfach beschrieben mit der Anzahl der Personen, die Meinung -1 vertreten (ru) und der Zahl an Personen, die Meinung 1 vertreten (ni). Das Verhältnis der Meinungen zueinander kann mit der Größe x=(ni-n_i)/2n angegeben werden, wobei n die Gesamtmenge der in der Bevölkerung vertretenen Personen bezeichnet. Soziodynmaische Modelle versuchen, die Entwicklung dieser Meinungen in der Zeit abzubilden. Dazu werden Übergangswahrscheinlichkeiten definiert, die die Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit angeben, daß von der einen zur anderen Meinung gewechselt wird oder umgekehrt (formal wird dies bezeichnet als p+i-i(ni, n_i) und p-i+i(ni, n_i)), um daraus über eine Mastergleichung das Verhalten der Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion f[ni;n_i;t] in der Zeit abzuleiten. Die zentralen Größen in dem Modell, die auch über dessen Aussagekraft bestimmen, sind die genannten Übergangswahrscheinlichkeiten. Sie lassen sich nicht direkt messen; vielmehr ist es notwendig über plausible Annahmen Einflußgrößen zu bestimmen, die auf diese Übergangswahrscheinlichkeiten einwirken. Man behilft sich hier damit, daß beispielsweise eine Annahme darüber getroffen wird, wie stark die Orientierung an den Meinungen anderer innerhalb der Population ist. Auch können Kenngrößen wie ein soziales Klima, das Auswirkungen auf die Konsensorientierung hat, eingeführt werden. Diese Parameter werden mit den Übergangswahrscheinlichkeiten in Verbindung gebracht, so daß sich Gleichungssysteme ergeben, aus denen sich ablesen läßt, welche Meinungsverteilung bei welchen Parameterwerten zu erwarten ist. Je nachdem welche Parameter gesetzt werden und welche Werte für diese angenommen werden, ergeben sich typische Lösungsmuster (in Form von Funktionen) für die Mastergleichung. Abbildung 4-1 zeigt zwei typische Ergebnisse, die aus dieser einfachen Modellstruktur bei unterschiedlichen Parameterwerten entstehen können. Technisch handelt es sich dabei um die Lösungsfunktionen von Differentialgleichungen. Die erste Funktion ergibt sich beispielsweise dann, wenn unabhängige Entscheidungen über die Meinungsbildung unterstellt wird. Wird dies zugelassen und andere Parameter modifiziert, so erhält man den unteren Fall, der der Polarisie33i Vgl. dazu Haken (1983), S. 333ff.

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rung einer Gesellschaft entspricht. Durch Weiterfuhren des Modells, Parametermodifikationen und Erweiterungen der Annahmen lassen sich Übergangsphänomene zwischen den Meinungen abbilden, um schließlich auch eine Aussage treffen zu können, welche Meinung sich unter welchen Umständen durchsetzt. Anwendungen ergeben sich dann sowohl auf eine Gesellschaft in ihrer Gesamtheit (Konsenssuche) als auch auf Subgruppen. Beispielsweise wurden solche Modelle auch angewandt, um die Verbreitung von Meinungen im Rahmen von Demonstrationen oder Aufruhrbewegungen zu erklären.332

Abbildung 4-1: Lösungsmöglichkeiten für ein Meinungsdynamik-Modell Quelle: in Anlehnung an Haken (1983), S. 335 Eine, wenngleich nicht in Reinform dem soziodynamisch-synergetischen Ansatz folgende Modellklasse, sind die sogenannten Informationskaskaden, die gerne auf wirtschaftliche Phänomene angewandt werden. 333 Hier wird ein Aspekt, der auch in den Modellen zur Meinungsdynamik eine Rolle spielt, genauer modelliert, nämlich die Tatsache, daß Meinungen (und daraus folgende Entscheidungen) nicht unabhängig von den Meinungen anderer bzw. deren Wahrnehmung durch die betreffenden Meinungsträger sind. In den Modellen wird in der Regel unterstellt, daß durch Kommunikation über Signale oder durch Beobachtung, die Modellindividuen ihr Verhalten oder ihre Meinungen gegenseitig wahrnehmen. Wird nun unterstellt, daß nur einige Individuen einer Modellpopulation Meinun-

332

So z.B. Lohmann (1994) für die Leipziger Montagsdemonstrationen oder Weidlich (2000) für die Machtergreifung der Nationalsozialisten. 333 Eine klassische Anwendung ist das Herdenverhalten auf Finanzmärkten (Banerjee 1992).

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gen selber setzen (z.B. ein ideologischer Führer), sich vielmehr die Mehrheit an den Einstellungen von Minderheiten ausrichtet, so kann das Phänomen einer Informationskaskade, also das wasserfallartige Ausbreiten von Informationen modelliert werden. Meinungen können sich dann in einer Bevölkerung schnell über sogenanntes indirektes Lernen' ausbreiten. Intensive kommunikative Vorgänge sind nicht mehr notwendig.334

4.2.3 Kritische Würdigung Wie ist dieser Ansatz einzuschätzen? Es handelt sich bei evolutorisch-makroskopischen Theorien wie sie durch die Soziodynamik repräsentiert werden, um geeignete Möglichkeiten, um eine quantiative Vorstellung bestimmter sozialer Prozesse zu erhalten. Der soziodynamische Ansatz bietet eine eigenständige Perspektive auf soziale Vorgänge, die durchaus geeignet ist, herkömmliche sozialwissenschaftliche Herangehensweisen zu ergänzen. Interessant dürfte vor allem die formale Modellierung von Nichtgleichgewichtssituationen sein, derer sich die neoklassische Ökonomik eher enthält.335 Insbesondere die Möglichkeit, Übergänge zwischen Gleichgewichten zu erfassen, bietet der evolutorischen Ökonomik eine Möglichkeit, einen allgemeinen formalen Rahmen zu finden, der mit der Neoklassik konkurrieren, diese aber auch ergänzen kann. Es wird dadurch möglich, komplexe Phänomene abseits des herkömmlichen Gleichgewichtsansatzes der Neoklassik zu erfassen und für diese ein Verständnis zu entwickeln, das auf rein intuitivem Wege nicht möglich ist. Insbesondere die Verbindung von Mikround Makrophänomenen ist mit diesem Ansatz gut möglich. Ebenso können auf diese Weise Phänomene erfaßt werden, bei der das Verhalten des einzelnen von zu vielen Einflußgrößen abhängig ist, so daß ein herkömmlicher Mikro-MakroÜbergang nicht sinnvoll oder nur unter nicht sachgemäßen Vereinfachungen möglich wäre. Ein Beispiel für Phänomene, die mit diesem Ansatz gut erfaßt werden können und die auf diese Weise traditionelle Modelle ergänzen können, ist das Herdenverhalten auf Finanzmärkten.336 Gleichzeitig muß aber gefragt werden, ob dieser Ansatz den Anforderungen an eine Sozialwissenschaft wie er hier definiert wurde gerecht wird. Dazu ist zu beachten, daß nicht jede wissenschaftliche Betrachtung, die menschliche Gesellschaften und in diesen beobachtbare Aggregatsgrößen zum Gegenstand hat, als Sozialwissenschaft bezeichnet werden kann, die auf die Erklärung und Gestaltung des Zusammenwirkens in einer solchen Gesellschaft abzielt. Beispielsweise betrachtet eine Wissenschaft wie die Epidemiologie derartige Aggregatsgrößen, ist aber keine Sozialwissenschaft. Ähnliches gilt für die Soziodynamik. Aufgrund ihres Populationsdenkens sind ihre Phänomene der Interaktion zwischen den Individuen fremd. Damit fehlt dieser Methode auch die Möglichkeit, die indivi334 Vgl. insbesondere Bikchandani et al. (1992), S. 1003f. Für ein vereinfachtes Modell vgl. Heinemann (2001) sowie Niebaum (2000), S. 132ff. Gemeinsame Anknüpfungspunkte bieten aber Phänomene wie das Cobweb-Theorem (vgl. Fehl und Oberender 2004). 33 " Vgl. Kirman (2001), S. 67 ff. 335

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duelle Handlungssituation und deren Verknüpfung zu Makrophänomenen herauszuarbeiten. Dies ist aber wesentlich, um eine Gestaltung zur Vergrößerung gesellschaftlicher Kooperationsgewinne vorzunehmen. Der in der Soziodynamik enthaltene systemtheoretische Ansatz erfüllt damit nicht die Anforderung, daß das Individuum der Ausgangspunkt sein soll. Es fehlt dem Modell also insgesamt ein normativer Anker, wie er in Kapitel 1 mit den Kriterien der Wahrheit und des Nutzens von Informationsströmen aufgezeigt worden war. Auch auf der kollektiven Ebene hat ein solcher Ansatz Schwächen. Wesentlich für die in Kapitel 3 ausgearbeitete Systematik sind kollektive Wissensstrukturen, die in den Köpfen aller Individuen verankert sind. Die oben angeführten Modelle zur Beschreibung von Meinungsdynamiken liefern aber keine solchen kollektiven Wissensstrukturen; vielmehr handelt es sich um die Erklärung der Entwicklung der Häufigkeitsverteilungen von bestimmten Meinungsstrukturen.337 Es geht also eher um die veröffentlichte als um die kollektive Meinung. Ebensowenig wird die Verteilung von bestimmten Wissensklassen auf einzelne Akteure thematisiert. Für die hier zu bearbeitende Fragestellung ist der soziodynamische Ansatz also aus verschiedenen Gründen nicht geeignet, liefert aber eventuell interessante Zusatzinformationen. Grundsätzlich sind aber mikroökonomisch orientierte Ansätze zur Erfassung von Meinungswettbewerb, wie sie im folgenden Kapitel vorgestellt werden, besser geeignet, um solche Phänomene abzubilden. Insgesamt eignet sich der Ansatz damit eher zur partiellen Unterstützung der Argumentation.338 Die am Anfang dieses Kapitels festgelegten Kriterien erfüllt diese Modellklasse also nicht.

4.3 Neoklassisch geprägte Ansätze Während die in Abschnitt 4.2 diskutierten Ansätze eher Randbereiche der ökonomischen Theorie abdecken, behandelt der folgende Abschnitt das vorherrschende Paradigma der neoklassischen Ökonomik. Dieses beruht auf rational handelnden Individuen, die entlang ihres Eigeninteresses optimieren: Den Ergebnissen dieses meist über Märkte koordinierten Verhaltens werden bestimmte Wohlfahrtswirkungen zugesprochen, die durch geeignete Maßnahmen zu maximieren sind. Die Neoklassik wird in vielfältiger Weise genutzt, um Vorgänge der realen Gütersphäre zu untersuchen. Existiert aber auch eine Theorie, die zeigt, wie die Versorgung mit Information und Wissen gestaltet werden kann? Hier ist die ökonomische Theorie vergleichsweise zurückhaltend. Es ist zwar im Kern jedem Ökonomen klar, daß Informationen eine gesellschaftliche wichtige Rolle spielen und Basis für Entscheidungen aller Art sind339; auch werden im Rahmen Der Ansatz bezieht sich daher auf ein Konzept von Meinungen, das in der Kommunikationswissenschaft als „deskriptives Konzept" bezeichnet wird. Dieses liefert (statistische) Momentaufnahmen bestehender Meinungen (vgl. zu diesem Konzept Merten 1999, S. 238). 338 Ein Beispiel findet sich bei Niebaum (2000), der den Einstellungswandel in Bezug auf die Gentechnik mit diesem Konzept in Verbindung bringt. 339 Vgl. Mackaay (2004), S. 57. Das gilt auch für Organisationen, insbesondere Unternehmen, (vgl. Grant 1996 oder Bennet und Bennet 2003, S. 5ff.).

337

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der Informationsökonomik Anstrengungen unternommen, Informationsaktivitäten modellhaft abzubilden; dennoch werden diese Vorgänge eher als „black box"340 behandelt und lieber im Datenkranz gesehen als aktiv analysiert. Eine Theorie der Wissensteilung und der Gestaltung gesamtgesellschaftlicher Informationsströme existiert daher aus (neoklassischer) ökonomischer Sicht erst in Ansätzen.341 Im folgenden soll dennoch die Eignung dieses Ansatzes zur Betrachtung von Informationsströmen diskutiert werden. Da Informationen im neoklassischen Ansatz sehr unterschiedlich aufgefasst werden können, wird zunächst die Rolle von Preisen aufgezeigt und diskutiert, ob diese — in ihrer neoklassichen Repräsentation - eine geeignete Möglichkeit sind, Informationsflüsse abzubilden. Eine andere Möglichkeit, dies zu tun, bestünde darin, Informationen als Güter anzusehen (Informations- oder Kommunikationsgüter), die dann mit dem neoklassischen Instrumentatrium handhabbar sind — gegebenenfalls mit Modifikationen. Und schließlich wurde in Erweiterung des neoklassischen Ansatzes die sogenannte Informationsökonomik entwickelt, um den aktiven Umgang mit Informationen modellhaft analysieren zu können. 4.3.1 Preise als ausreichende Repräsentation von Informationsflüssen? 4.3.1.1 Preise bei vollkommener Information Die ökonomische Theorie hat sich vorwiegend darauf kon2entriert, Muster abzuleiten, wie Güter und Diensdeistungen arbeitsteilig unter den Bedingungen der Knappheit produziert werden können. Die neoklassische Wohlfahrtsökonomik und die damit zusammenhängende allgemeine Gleichgewichtstheorie zeigen, wie eine ideale (also wohlfahrtsmaximierende) auf Austauschbeziehungen basierende Arbeitsteilung aussehen könnte. Die Frage nach Informationsflüssen, Wissensproduktion und Wissensverteilung wurde dabei ursprünglich als weniger wichtig angesehen. Im Vordergrund stand vor allem die Bedeutung produktionstechnologischer Restriktionen.342 Die neoklassische MikroÖkonomik war nicht zuletzt deshalb ursprünglich unter der Annahme vollkommener Information formuliert worden. Das heißt aber nicht, daß in den entsprechenden Modellen keine Informationen vorkommen. Vielmehr existiert auch dort ein den realen Gütern parallel laufender Informationsfluß (ähnlich Abbildung 3-8)343, wobei Informationen nur in 340 Stehr (2001), S. 31. Dort: „Wissen (und technischer Wandel) sind die Achillesferse der gegenwärtigen ökonomischen Theorie." 341 Vgl. Helmstädter (2001) sowie die Darstellung bei Stutn und Held (2004). 342 Samuelson (2004) verweist darauf, daß sich dies im aktuellen Sprachgebrauch fortsetzt, wonach die Bezeichnung „effizient" im Sinne eines Firstbest-Zustandes für Situationen vorbehalten ist, die optimal in Bezug auf technologische Restriktionen sind, während bei informationellen und anderen Restriktionen die Bezeichnung Secondbest verwendet wird (S. 368). 343 Um dies zu verdeutlichen wird häufig ein Marktsystem unterteilt in ein Allokationssystem und ein Informationssystem. Darauf aufbauend läßt sich zwischen Informations- und Alloka-

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Form von Preisen übertragen werden. Das beste Beispiel hierfür ist das Modell der allgemeinen Gleichgewichtstheorie von Arrow und Debreu, in dem alle Informationen, die die Wirtschaftssubjekte benötigen in Preisvektoren zum Ausdruck kommt.344 Die in diesen Modellen befindlichen Akteure nehmen die Preise wahr und richten daran ihre Handlungen aus, sie treffen Konsum-, Produktionsund Investitionsentscheidungen oder handeln auf Märkten. Ihren Niederschlag findet die Vorstellung von Preisen als Informationsmechanismen in der auf Eugene Fama345 zurückgehenden Hypothese der Informationseffizienz von Märkten. Diese besagt, daß auf Finanzmärkten die Preise immer alle zur Verfügung stehenden Informationen repräsentieren. Kein einzelner Marktteilnehmer kann darauf hoffen, den Markt auszuspielen und auf Basis überlegener Informationen Sonderprofite zu erzielen; der Markt weiß es also immer besser.346 Dem Informationsfluß Preis kommt in einer solchen Modellwelt eine steuernde, sogar eine perfekt steuernde Funktion zu; weitergehende Informationsaktivitäten sind nicht notwendig. Normativ gewendet, kann daraus abgeleitet werden, daß ein möglichst freier Fluß an Informationen wünschenswert ist. Reicht die Kondensierung von Informationen in Preisen — so wie sie neoklassische Modelle vornehmen — aus, um gesellschaftliche Informationsströme abzubilden? Das Modell der allgemeinen Gleichgewichtstheorie leistet zwar wichtige Dienste, um die Rolle von Preisen herauszuarbeiten und ideale Allokationszustände aufzuzeigen.347 Allerdings ist unschwer zu erkennen, daß die Struktur von Preisen als Informationsströme, wie sie in dem Modell der allgemeinen Gleichgewichtstheorie verwendet wird, für die hier angestrebten Ziele zu einfach ist. In Form von Preisen werden Informationsströme auf eine einfache Signalübertragung im Stile des in Abbildung 3-4 dargelegten Modells reduziert. Das gesamt zugrunde liegende ökonomische wie gesellschaftliche System wird auf das in Abbildung 3-8 dargestellte Kornai-Modell einer Volkswirtschaft reduziert. Das mag zwar für die abstrakte Darstellung von Allokationsmustern ausreichend sein, kann aber auch in Bezug auf den Marktaustausch als nicht ausreichend und als unterkomplexe Modellierung gesehen werden.348 Will man aber Informationstionseffizienz trennen (vgl. Geiger 1989, S. 7ff.). 3« Vgl. Kirman (2001), S. 61. 345 Basis war insbesondere Fama (1970). 3 4 i Vgl. zur Darstellung und Kritik dieser Hypothese Shleifer (2000). 347 Wenngleich anzumerken ist, daß diese Rolle nur sehr einseitig gewürdigt wird. Siehe als Vergleich eine evolutorische Interpretation von Preisen bei Fehl und Oberender (2004). 348 Ein deutlich anderes Verständnis von Preisen hat insbesondere die österreichische Schule und die davon inspirierte Marktprozeßtheorie. Preise sind zwar in dieser Theorie auch Informationsflüsse, allerdings weit davon entfernt perfekte Informationsüberträger zu sein. Vgl. beispielsweise die Interpretation bei Zeider (2000), der Preise als kollektive Wissensstrukturen ähnlich öffentlichen Meinungen sieht. Preise spielen also in der Makrtprozeßtheorie eine andere, aber immer noch eine zentrale Rolle im Marktgeschehen. Noch wesentlich weiter als die Marktprozeßtheorie geht Priddat (2004). Er relativiert die Rolle von Preisen sehr stark und sieht weiterfuhrende Kommunikationsprozesse (z.B. das Erfinden und Erzählen einer verkaufsfördernden „Story" zu einem Produkt) als den eigentlichen Informations- und Koordinationsmechanismus an; ein Unterschied zwischen einer Preissetzung und einer durch Wer-

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ströme an sich und deren Beitrag zu einer gesamtgesellschaftlichen Wissensteilung ins Blickfeld nehmen, so reicht diese Reduzierung auf ein Preissystem nicht aus. Dieser Ansatz beruht also für die hier zu diskutierende Fragestellung auf einer ungeeigneten Heuristik. Das damit verknüpfte Problem der Wissensteilung wird vollständig ausgeblendet, indem ein objektiv gegebener Wissensstand angenommen wird, der über Preise perfekt an die Akteure weitervermittelt wird.349 In der neoklassischen Ökonomik hat es allerdings Weiterentwicklungen gegeben, die Informationen nicht nur auf Preise reduzieren. Insbesondere die Aufhebung der Annahme der vollständigen Information hat zur Weiterentwicklung der neoklassischen MikroÖkonomik geführt, wovon die Neue Neoklassische MikroÖkonomik ein Teil ist.350 Im Zuge dieser Entwicklung wurden Informationen in zahlreiche Modellkontexte eingeführt. Es wurde gezeigt, wie bestimmte Märkte unter den Bedingungen unvollständiger Informationen funktionieren können und welche Auswirkungen ungleich verteilte Informationen auf bestimmte Gegebenheiten haben. In solchen Zusammenhängen zeigt sich, daß die Herstellung von arbeitsteiligen Mustern kostspielig ist und nicht reibungslos erfolgen kann. Die ökonomische Theorie hat hier zahlreiche Lösungsmechanismen entwickelt. Geht es also um die Güterversorgung, so findet sich ein reichhaltiges theoretische Angebot, das zeigt, wie diese erklärt und so gestaltet werden kann, daß sich die Wohlfahrt erhöht. Diese sollen allerdings hier nicht Thema sein. 4.3.1.2 Information als Gut Eine erste Modifikation des reinen neoklassischen Modells wird erreicht, wenn man Informationen als Güter zuläßt. Gegebenenfalls könnte auch das eine geeignete Repräsentation eines Informationsstroms sein. Was ist damit gemeint? Empfinden Wirtschaftssubjekte Dinge als nützlich und offenbaren dafür eine positive Zahlungsbereitschaft, so werden diese als Gut bezeichnet und einer ökonomischen Analyse unterzogen. Bedingung hierfür ist, daß nicht mehr alle Informationen für alle Wirtschaftssubjekte gegeben sein dürfen, denn nur in einer solchen Situation kann Information für einzelne nützlich sein.351 Ein Informationsgut ist dann eine „nach Inhalten — in Qualität und konkreter Darstellung — wohldefinierte Menge an Informationen"352. Wird Information als Gut gesehen, dann ist sie mit den Mitteln der mikroökonomischen Allokationstheorie analysierbar, was damit auch für Informationsflüsse gelten würde. Das Problem dabei ist allerdings, daß es sich bei Information nicht um ein Standardgut handelt. Vielmehr zeigt sie Eigenschaften öffentlicher Güter (insbesondere NichtRivalität im Konsum) und ist dadurch geprägt, daß ihr Wert erst nach ihrem Erwerb offenbar wird.353 Geht man weiter und faßt auch die Gesprächssituation bung vermittelten Information ist in dieser Deutung also kaum mehr gegeben. 349 Für weiterführende allgemeine Kritik an diesem Ansatz vgl. z.B. Kunz (1985). 350 Vgl. zu dieser Bezeichnung Rao (2003), S. 60 ff. «I Vgl. Hopf (1983), S. 68 ff. 352 Pethig (1997), S. 2. 353 Vgl. Gawel (1997), S. 272, Stiglitz (2000), S. 1448.

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als Gut auf (Kommunikationsgut), dann ergibt sich die Problematik der Netzstrukturen und der darin erzeugten Netzwerkexternalitäten.354 Wird die neoklassische Theorie in dieser Form auf Information angewandt, dann gelangt sie allerdings zu teilweise gegensätzlichen Aussagen zu denen der Markttheorie, in der die Steuerungseigenschaft eines Systems durch vollständige Information verbessert wird. Während aus Sicht der neoklassischen Markttheorie Restriktionen des Informationsflusses, beispielsweise durch das Schaffen von Eigentumsrechten an Informationen als schlecht eingestuft werden, weisen anreiztheoretische Betrachtungen eher darauf hin, daß man gerade solche Eigentumsrechte schaffen muß, auch wenn damit Monopolrechte geschaffen werden. Aus Sicht der Informationseffizienz müßte also Information jederzeit kostenlos zur Verfügung stehen. Allerdings werden dadurch die Anreize zur Produktion von Information völlig außer acht gelassen und es kann eigentlich gar nicht zu informationseffizienten Märkten kommen.355 Die Betrachtung von Information als Gut zeigt also, daß Informationen gespiegelt am Referenzbild einer perfekten Allokation bestimmte Eigenschaften aufweisen, die diesem Referenzbild widersprechen; eine perfekte Marktallokation von Informationen ist nicht möglich. Ein Kernproblem der neoklassischen Ökonomik und ihres Umgangs mit Informationen die Tatsache, daß sich der Nutzen von Information erst durch ihre Offenbarung ergibt.356 Das verringert aber ihre Knappheit, was eigentlich wiederum Einfluß auf ihren Wert haben müßte. Unter solchen Annahmen können z.B. Regelungsstrukturen, wie sie im Recht des geistigen Eigentums verwirklicht sind, untersucht werden. Für die hier durchzuführende Analyse ist die Betrachtung von Informationen als Gut in ihrer Gesamtheit allerdings nicht geeignet. Hauptgrund ist, daß auf diese Weise das oben angeführte Leibniz-Modell der Information impliziert wird. Sieht man also die syntaktischen Aspekte von Information als objektivierbares Gut, so ist es genau das, was die neoklassische Theorie untersucht; die Kreation von Bedeutung auf dieser Basis wird vernachlässigt. Nichtsdestotrotz gibt dieser Ansatz bestimmte Hinweise auf Problemsituationen, die in Informationsflüssen auftreten können. Insbesondere die Problematik des öffentlichen Gutes (z.B.: Wird der Informationsfluß ohne weiteres eröffnet?) spielt dabei eine große Rolle und kann in modifizierter Form aufgegriffen werden. 4.3.2 Zur Eignung der Informationsökonomik Die Informationsökonomik geht unter anderem auf Marschak und Stigler zurück und hat sich zum Ziel gesetzt, den Umgang mit Informationen, insbesondere die Informationsbeschaffung einer ökonomischen Analyse zu unterziehen.357 Im folgenden wird diskutiert, inwieweit dieser Ansatz nutzbringend eingesetzt werden kann, um Informationsströme abzubilden. Dabei ist es nicht möglich, die 35t Vgl. Blankart und Knieps (1994). 355 Ein Resultat, das Grossman und Stiglitz (1980), S. 405, erarbeiten. **Vgl. Boisot (1995), S. 11. 357 Wegweisend war hier Stigler (1961).

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Informationsökonomik in ihrer Gesamtheit zu diskutieren. Vielmehr soll beispielhaft eine Modellstruktur herangezogen werden und auf ihre Grundeigenschaften hin überprüft werden. 4.3.2.1 Grundgedanke Wie bereits dargelegt geht die neoklassische Ökonomik von einem objektiv gegebenen Informations- und Wissensstand aus, der im Idealfall für alle Wirtschaftssubjekte verfügbar ist; Wissen wird dabei rein zweckorientiert in Bezug auf eine Entscheidung gesehen. Abweichungen von diesem objektiven Informationsstand davon führen regelmäßig zu Problemen in sozialen Interaktionen; Entscheidungen werden, gemessen am objektiv möglichen, verzerrt getroffen, so daß teilweise staatliche Eingriffe notwendig sind. Ursachen für Abweichungen können die Unvollständigkeit des Wissens (Wissen ist aufgrund objektiver wie subjektiver Faktoren nicht verfügbar), die ungleichmäßige Verteilung von Wissen (Informationsasymmetrien) sowie die mangelnde Informationsverarbeitungskapazität der Individuen sein (beschränkte Rationalität).358 Modelltechnisch wurden diese Abweichungen im Rahmen der Ungewißheitsökonomik sowie der Informationsökonomik im eigentlichen Sinne verarbeitet. Die Ungewißheitsökonomik erweitert die entscheidungstheoretischen Grundlagen der Modelle um unsichere Entscheidungsparameter (insbesondere Umweltzustände). Wenn also Individuen entscheiden, dann können sie nicht mehr von sicheren Ergebnissen ausgehen, sondern nur noch von Zuständen, die mit subjektiven oder objektiven Wahrscheinlichkeiten versehen sind. Die Ungewissheitsökonomik zeigt, wie sich die Individuen unter diesen Annahmen verhalten (passive Reaktion auf Informationsmängel). Die Informationsökonomik im eigentlichen Sinne geht hingegen von einem aktiven Umgang mit Informationsmängeln aus. Es wird also unterstellt, daß die Individuen versuchen, ihren Informationsstand durch Suchanstrengungen zu verbessern.359 Der Wert einer Information leitet sich in einem solchen Modellkontext daraus ab, ob und inwieweit sie in der Lage sind, Entscheidungen zu verbessern. Man geht also von einer Situation aus, in der ein Individuum Umweltzuständen nur bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeiten zurechnen kann (a priori). Ohne zusätzliche Information würde das Individuum eine Entscheidung z.B. auf Basis des Erwartungswertes treffen. Erhält das Individuum zusätzliche Informationen, so betrifft diese die Eintrittswahrscheinlichkeiten dieser Umweltzustände. Unterstellt man rationales Verhalten, so wird das Individuum seine Wahrscheinlichkeitsvorstellung über die Umweltzustände mit Hilfe der Bayes-Regel anpassen.360 sss Vgl. Gawel (1997), S. 267. 's« Vgl. Tietzel (1985) sowie Hirshleifer und Riley (1995). 360

Technisch: Die für die unsicheren Umweltzustände ui, U2, ..., u„ existierenden Wahr-

scheinlichkeiten p(ui), p(u2,) ..., p(u„) werden auf Basis einer Menge an Informationen yi, y2, ... y„ in die bedingten a posteriori-Wahrscheinlichkeiten p(st | y j ) = p(y^, s , ) / p{yt)

trans-

formiert (vgl. Eisenfuhr und Weber 2003, S. 169ff.).

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Die ursprünglichen Wahrscheinlichkeiten werden in verbesserte a posterioriWahrscheinlichkeiten transformiert. 361 Aus der Differenz des Erwartungswertes der Entscheidungen mit und ohne Zusatzinformation abzüglich der Kosten der Zusatzinformation ergibt sich der Wert der Zusatzinformation (oder eines Informationssystems). Diese Kernidee, daß die Qualität von Entscheidungen durch Zusatzinformationen verbessert werden könnte, diese Zusatzinformationen aber Ressourcenverbrauch, also Kosten induzieren, findet sich durchweg in den informationsökonomischen Modellstrukturen. 362 Im einzelnen sind die Modellstrukturen und die dahinter stehenden Problemstellungen aber recht unterschiedlich. Zur Informationsökonomik werden Modelle zur Suche von Preisinformationen genauso gerechnet wie Strukturen, die sich mit ungleich verteilten Informationen auseinandersetzen. Eine typische Unterscheidung ist beispielsweise die zwischen privater Information, im Sinne von Information, die nur einem Akteur zugänglich ist, im Vergleich zu öffentlich zugänglicher Information, die allen zugänglich sind. Auf dieser Basis entstehen Informationsasymmetrien, die das Potential zur strategischen Nutzung von Informationsvorsprüngen geben. Ein wesentlicher Teil der ökonomischen Literatur zu Informationsproblemen setzt hier an und entwickelt Lösungsvorschläge.363 Das folgende Modell ist eine einfache Illustration der Vorgehensweise. Es setzt sich damit auseinander, wie Informationen in politischen Entscheidungen verwendet werden und nimmt normative Schlüsse bezüglich der Verwendung von Informationen in solchen Prozessen vor.364 Neben einer grundsätzlichen Betrachtung der Denkweise sind es vor allem diese Schlußfolgerungen, die hier interessieren. 4.3.2.2 Einfaches Beispiel Folgende Situation wird angenommen: Regierende Politiker müssen eine Entscheidungen über die Zurverfügungstellung eines öffentlichen Gutes im weitesten Sinne treffen; ihr Erfolg wird dabei vornehmlich an der Qualität dieser Entscheidung gemessen. Diesen Politikern stehen zwei Handlungsoptionen, wie sie dieses Problem bewältigen können, zur Verfügung: Entweder treffen sie die Entscheidung selbst (self-decision-making) oder delegieren diese (delegation). Im zweiten Fall tritt ein typisches Agentur-Problem aufgrund einer Informationsasymmetrie zwischen dem Politiker (Prinzipal) und der bürokratischen Struktur, auf die die Entscheidung delegiert wurde. Dieses Problem ist zwar unter dem Gesichtspunkt, wie Informationsflüsse gestaltet werden können, auch interessant, soll aber ausgeblendet werden. 365 Vielmehr geht es um die Frage, welchen

Vgl. hierzu das Beispiel bei Hirshleifer und Riley (1992), S. 173ff. Ohne daß dabei zwingend immer eine Bayes-Analyse eingeführt ist. 3« Vgl. z.B. Molho (1997), S. lff. 364 Das Modell orientiert sich teilweise an Lafay (2000), S. 67ff. 365 Vgl. Kiener (1990), S. 25ff. Kiener zeigt die Rolle von Informationsflüssen in Sozialbeziehungen, die mit Hilfe der Prinzipal-Agenten-Struktur beschrieben werden können und unterscheidet dabei eine Entscheidungsverbesserungsfunktion, eine Anreizfunktion, eine Versicherungsfunktion und eine Rechenschaftsfunktion. Kritisch dazu aber Meyer (2004). 362

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Ratschlag die Informationsökonomik zur Ausgestaltung des Informationsflusses zwischen entscheidendem Politiker und seinen Beratern (seien sie Experten aus Wissenschaft oder Bürokratie) geben kann; Gegenstand ist also der Bereich der staatlichen Informationsbeschaffung.366 Der Politiker trifft seine Entscheidung auf Basis von bereits vorhandener und neu gewonnener Information. Das Hauptproblem des Politikers bleibt dann, wie er die für ihn relevanten Informationen von den ihm unterstellten Bürokratien oder aus anderen Quellen erhält.367 Der Rolle des Regierungsapparates ist hier also deutlich anders als im Delegationsfall. Im Delegationsfall produziert der bürokratische Apparat politische Endprodukte, im zweiten Fall produziert er Zwischenprodukte für Entscheidungen in Form von Informationen.368 Wie strukturiert das Modell diese Situation? Angenommen wird ein Politiker (oder eine Gruppe von Politikern), die Regierungsentscheidungen über ein öffentliches Projekt im weitesten Sinne treffen. Um diese Entscheidung zu treffen erhalten die Politiker Informationen, die von einer Bürokratie gesammelt und verarbeitet werden. Diese Information ist in keinster Weise beeinflußt oder manipuliert, der Grad der Information wird mit i gemessen. Es handelt sich also typisch für diese Modellklasse — um effizient produzierte und übertragene Information. Ebensowenig treten Verarbeitungsprobleme beim Informationen empfangenden Politiker auf; es handelt sich um „ready to use"-Information.369 Das Projekt bringt dem Politiker Nutzen (benefits) in Höhe von B und verursacht Kosten in Höhe von C. Der Grad der Informiertheit i fließt sowohl in die Nutzen- als auch Kostenposition ein. Dabei wird unterstellt, daß der Grad der Informiertheit die Qualität der Entscheidung d beeinflußt, also d=d(i). d nimmt dabei Werte zwischen 0 und 1 an, wobei d(l)=l vollständiger Information entspricht und d(0)=0 dem Fall, in dem nur bereits vorhandenes oder allgemein zugängliches Wissen (common knowledge) verwendet wird. Angenommen wird, daß die Qualität der Entscheidung mit dem Grad der Informiertheit kontinuier-

Sd di

öd öi

lieh wächst, allerdings mit abnehmender Rate (also — > 0;—— < 0 ) . Die Qualität der Entscheidung beeinflußt außerdem den Nutzen aus dem Projekt positiv. Dieser ist zudem nur noch vom Ausmaß des Projekts abhängig (abgebildet durch eine Variable H). Also gilt:

B=

B(d(i),H)-B(d(0),H)370

366 Vgl d a z u ausführlich zu diesem Problemkreis Spiecker gen. Döhmann (2005). Das Problem, die getroffene Entscheidung dann umzusetzen, wirft dann wiederum ein Agentur-Problem auf, das hier allerdings zweitrangig ist. 368 Vgl. Lafay (2000), S. 68 w Vgl. Lafay (2000), S. 69f. 370 B hängt im Detail von der Gestalt der Nutzenfunktion der Politiker ab. 367

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mit

öd

> 0 und

Öd 2

< 0.

Die Kosten der Entscheidung lassen sich formulieren als C = C(i,H), wobei C{0,H) = 0

.sc mit

. SC > 0 und —v > 0 . Si öi 2

Damit sind alle Annahmen getroffen, um entscheiden zu können, ob der objektiv mögliche Informationsstand tatsächlich realisiert werden kann, oder ob ein geringes Maß an Informiertheit sinnvoll ist. Ohne weiteres läßt sich ein optimaler Informationsgrad und damit eine optimale Entscheidungsqualität ableiten. Dazu ist die Differenz aus B und C bezüglich i zu maximieren. Es gilt dann:

SB&[_SC öd öi

öi

Der dieser Bedingung genügender Informationsgrad i* und die zugehörige Entscheidungsqualität d* sind die optimalen Niveaus dieser Größen. Das zeigt auch Abbildung 4-2. Mit diesem Modell läßt sich das Informationsaufnahmeverhalten von politischen Entscheidungsträgern bei Entscheidungen über öffentliche Projekte analysieren. Daraus lassen sich auch Empfehlungen bezüglich der Informationsaufnahme ableiten. Je nachdem, wie die Verläufe der Kurven von B und C aussehen, kommt es zu unterschiedlichen gewünschten Informationsgraden. Ist beispielsweise der Nutzen aus der Entscheidung sehr gering (flacher Verlauf der B-Funktion), dann wird auch der Informationsgrad gering. Auf dieser Basis lassen sich schließlich Entscheidungen fällen, ob eher in Informationsgewinnung zur Verbesserung von Entscheidungen oder in politisches Marketing zum „Verkaufen" von Entscheidung investiert werden soll. Ebenso läßt sich mit Hilfe dieses Modells vergleichen, ob Delegation von Entscheidungen besser ist als die Entscheidung durch den Politiker.371

371

Vgl. dazu auch Spiecker gen. Döhmann (2005).

108

Quelle: in Anlehnung an Lafay (2000) 4.3.2.3 Erweiterungen

Das genannte Modell zeigt zwar ein wesentliches Grundmuster der Informationsökonomik auf (optimale Annäherung an einen objektiven Wissensstand), ist aber insgesamt sehr einfach strukturiert. Um aus dieser Einfachheit nicht falsche Kritikpunkte an der Informationsökonomik abzuleiten, sei auf einige weiterführende Modelle hingewiesen, die Fragen, die dieses Modell offen läßt, diskutieren. Mit der Gestaltung von Informationsstrukturen in politischen Prozessen beschäftigt sich eine ganze Reihe von Modellen.372 Diese behandeln nicht nur eng umgrenzte Problemstrukturen wie in dem obigen Modell, sondern auch umfassendere Bereiche, beispielsweise die Frage, ob Lobbying in solchen Prozessen sinnvoll ist oder nicht. Auf Basis von Wohlfahrtsüberlegung wird versucht abzuschätzen, welche Menge an Informationen für die beteiligten Akteure optimal ist und welche wiederum ihre Entscheidungen verschlechtern würde. Zudem wird die Verteilung der Profite solcher Informationsprozesse über verschiedene Personengruppen hinweg aufgezeigt.373 Auch die Art der Information muß nicht

Vgl. z. B. Reed (1989), Gersbach (1991), Aidt (1999) oder Lagerlöf (2004). Vgl. insbesondere Lagerlöf (2004), der solche Überlegungen nicht nur auf ein Land bezieht, sondern auch internationale Dimensionen berücksichtigt. 372

373

109

zwangsläufig als perfekt angenommen werden, wie dies in dem oben skizzierten Modell angenommen war. Die Informationsökonomik hat hier die Klassifikation von Gütern in Suchgüter, Erfahrungsgüter und Glaubensgüter entwickelt, je nachdem, ob die Konsumenten dieser Güter ihre Eigenschaften einschätzen können.374 Werden die Informationen, die Experten und Bürokraten dem Politiker übermitteln mit den Eigenschaften von Glaubensgütern versehen, dann ist die Verarbeitung durch den Politiker nicht mehr derart einfach wie oben unterstellt. Die Experten verfügen dabei über mehr Fachwissen als die Politiker; die Entscheidung, ob dieses Fachwissen tatsächlich genutzt werden soll, liegt aber bei den Politikern. In diesen Zusammenhängen sind dann Täuschungsversuche bis hin zum Betrug möglich. Eine ganze Klasse von Modellen setzt sich damit auseinander, wie durch geeignete Mechanismen diese Betrugswahrscheinlichkeit eingedämmt werden kann.375 4.3.3 Kritische Würdigung der neoklassischen Ansätze Ohne Zweifel hat insbesondere die Informationsökonomik wichtige Hinweise auf die Problematik der Informationsannahmen in ökonomischen Modellen gegeben und auch eine intuitiv eingängige Heuristik zum Umgang mit Informationen in ökonomischen Modellen entwickelt. Die Informationsökonomik ist mittlerweile zu einem Standardansatz der ökonomischen Theorie geworden und wird gewinnbringend auf zahlreiche Modellzusammenhänge angewendet. Ist die Informationsökonomik deshalb aber ohne weiteres auf den hier zu diskutierenden Kontext anwendbar? Oder anders gefragt: Ergibt sich — sieht man einmal von logischen Schwächen und internen Konsistenzproblemen ab376 — aus neoklassischen oder neuen neoklassischen Modellen ein geeignetes Bild der Wissensteilung und der sie speisenden Informationsströme? Im Kern will die Informationsökonomik einen optimal unvollständigen Informationsgrad ableiten, indem Grenzkosten und Grenznutzen der zusätzlichen Information gegeneinander abgewogen werden. Das Problem dabei ist, daß der Grenznutzen einer zusätzlichen Information unbekannt ist und allenfalls bei objektiv gegebenem Wissen dem Beobachter zugänglich wäre. Ist das Wissen hingegen unbekannt, so ist es logisch unmöglich den Informationsnutzen vorherzusagen. Diese Annahme eines objektiv möglichen Wissenstandes ist also das zentrale Problem dieses Ansatzes. Daraus ergibt sich eine weitere Schwierigkeit neoklassischen Nachdenkens über Informationsströme, nämlich die nur unzureichende Differenzierung zwischen Information und Wissen bzw. weiteren geistigen Konstrukten.377 Dabei wird in der ökonomischen Analyse von einer sehr einfachen Version des Sender-Empfanger-Modells ausgegangen. Wissen wird dabei vom Sender codiert, übertragen und vom Empfanger wieder decodiert. Vgl. Nelson (1974) und Darby und Karni (1973). Überblickshaft Dulleck und Kerschbamer (2001). ™ Vgl. Boisot (1995), S . l l . 377 Vg[ für die Problematik der fehlenden Differenzierung zwischen Wissen und Information insbesondere Steinmueller (2002), S. 144ff. 374

375 Vgl.

110

Aus dieser Perspektive ist mit dem Zugang an Informationen auch automatisch ein Wissenszuwachs verbunden; allenfalls Betrugsprobleme können ins Blickfeld genommen werden. Dadurch werden aber wesentliche Probleme von Informationsflüssen ausgeblendet. Beispielsweise ist nicht gesagt, daß die Prozesse der Kodifizierung von Wissen und der Dekodifizierung genau parallel ablaufen. Vielmehr liegen auf dem Weg vom Sender zum Empfanger viele Fallen versteckt; nicht zuletzt benötigt der Empfanger schon ein gewisses Basiswissen, um die Information wieder zu Wissen werden zu lassen, das er auch verarbeiten kann. Ebenso funktioniert die Kodifizierung von Wissen bei weitem nicht perfekt. Es sind zudem erhebliche Aufwendung für Such- und Filteranstrengungen zu tätigen, die bei der vereinfachten Sicht allerdings wegfallen. Nicht nur Information und Wissen werden gleichgesetzt, auch Information und Kommunikation sind im neoklassischen Grundmodell identisch. Wenn also zwei Individuen miteinander kommunizieren, so dient dies nur der Weitergabe von Informationen. Die Kommunikation an sich hat keine weitere Bedeutung; durch Kommunikation können keine Bindungen erzeugt werden. 378 Kommunikation kann aber auch Verhaltenssteuerung übernehmen und in bestimmten Situationen sogar neben den Preismechanismus treten.379 Die Informationsökonomik setzt zwar Wissen und Information gleich. Implizit wird dabei stets von wahrem Wissen ausgegangen.380 Die Problematik des nicht berücksichtigten Kommunikationsaspekts wird auch deutlich, wenn man sich die Theorie der Firma und ihre neoklassische Ausprägungen (bzw. Modifikationen davon) anschaut. Diese beruhen wesentlich darauf, den Planungsprozeß in einer Firma als Informationsverarbeitung darzustellen. Daß aber Planung mehr ist, wird dabei vernachlässigt.381 Wann sind diese Modelle sinnvoll? Genau dann, wenn es sich bei Informationsflüssen um die Weitergabe von objektivierbaren Informationen handelt. Sobald allerdings ein unterschiedliches Hintergrundwissen ins Spiel kommt, ist dies nicht mehr gegeben. Diese kritischen Bemerkungen sollen den Nutzen informationsökonomischer Betrachtungen nicht grundsätzlich in Frage stellen. Insbesondere dann, wenn Informationen Gutscharakter zukommt und sie tatsächlich wie Pakete übertragbar sind, dann läßt sich dieser Zweig gewinnbringend auf die Problematik von Informationsströmen anwenden. Beispielsweise können damit industrieökonomische Studien von Informationsmärkten und -intermediären durchgeführt und deren Dienstleistung hinsichtlich Informationssuche und Informationsqualität modelliert werden. Daraus lassen sich beispielsweise Schlußfolgerungen für deren Preisgestaltung ziehen.382 Allerdings werden nicht alle Aspekte von Märkten

378 Eingebürgert hierfür hat sich die Bezeichnung „cheap talk". 379 Ygi ßohnet (1997), S. 20 mit Bezug auf Siegenthaler, der dies insbesondere für Situationen fundamentaler Unsicherheit konstatiert. 380 Vgl Runde (2002), S. 187 in Abgrenzung von der österreichischen Theorie. 381 Vgl. Fransman (1998), S. 177ff. 382 Vgl. beispielhaft die Studie von Rose (1999), der Informationsintermediäre analog zu Intermediären in Finanzmärkten modelliert.

111

eingefangen. Gerade in Zeiten eines immer größer werdenden Angebots spielt die Aufmerksamkeit, die Angebote auf sich ziehen können eine zentrale Rolle.383 Kritisch muß auch das insbesondere in der Neuen Neoklassik implizierte Modell der Wissensteilung gesehen werden. Wissensteilung wird dort stets als Gefahr gesehen. Insbesondere das Prinzipal-Agent-Modell hat dazu beigetragen, in der asymmetrisch verteilten Information vor allem eine Gefahr für die gelingende Arbeitsteilung zu sehen. Daß asymmetrisch verteiltes Wissen, also eine Wissensteilung überhaupt, aber auch produktiv sein kann, wird dabei übersehen.384 4.4

Zwischenfazit

Die Diskussion evolutorisch-makroskopischer Ansätze wie neoklassischer Ansätze der Informationsökonomik haben ergeben, daß diese Betrachtungsweisen in ihrer Reinform zwar durchaus geeignet sind, Teilaspekte von Informationsströmen zu erfassen. Allerdings sind sie nicht geeignet, eine Abbildung in der hier beabsichtigten Form vorzunehmen. Bei evolutorisch-makroskopischen Ansätzen besteht das Problem, daß sie aufgrund ihrer Makroperspektive nur schwer geeignet sind, normative Aspekte zu integrieren, die immer am Individuum ansetzen müssen. Zudem muß bei einigen dieser Ansätze die Charakterisierung als Sozialwissenschaft in Frage gestellt werden. Evolutorisch-makroskopische Ansätze sind aber gut geeignet, Teilphänonomene von Informationsströmen, die auf eine Entwicklungsdynamik abzubilden, modelltechnisch zu bewältigen. Die Informationsökonomik als eine mögliche Herangehensweise aus neoklassischer Perspektive wendet Kosten-Nutzen-Kategorien auf Informationsvorgänge an und stellt dabei Optimierungen unter Beachtung von Wohlfahrtsüberlegungen an. Das Kernproblem der neoklassisch inspirierten Ansätze besteht darin, daß sie die Unterscheidung zwischen Wissen (oder anderen geistigen Konstrukten) und Informationen nicht nachvollziehen. Dadurch können sie nicht aufzeigen, wie aus Informationen Wissen wird. Sie nehmen vielmehr an, daß alle geistigen Inputs schon wahr sind. Der Prozeß wie diese Annäherung an die „Wahrheit" geschieht, wird also ausgeblendet. Dabei wird vergessen: „What matters for us is not ideal and certain knowledge in the light of complete and perfected information but rather simply getting the best estimate of the truth that we can manage to secure here and now."385 In diesem Kapitel wurden zwei Theorierichtungen aufgezeigt, die das hier zu analysierende Problem erfassen und in einer bestimmten Weise beschreiben. Beide liefern einen bestimmten Fokus auf die Thematik, der allerdings nicht dem entspricht, der hier beabsichtigt ist. Eine Eignung ist diesen Modellen also nur bedingt zuzusprechen. Insbesondere die Heuristik, die mit diesen Ansätzen verbunden ist, würde sich für die hier zu wählende Problemstellung als kontraproduktiv erweisen. 383 Vgl. Franck (1998), S. 69. 384 Vgl. Meyer (2004). 385 Rescher (1989), S. 10.

112

5

Ordnungsökonomisches Modell zur Erfassung von Informationsströmen

5.1 Vorgehensweise Kapitel 4 hat gezeigt, daß sowohl neoklassisch orientierte Modelle als auch soziodynamische Modelle nur bedingt geeignet sind, die hier in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellten Aspekte von Informationsflüssen einer ordnungsökonomischen Analyse zum Zwecke der Gestaltung zugänglich zu machen. Das liegt insbesondere daran, daß sie dem in Abbildung 3-13 entwickelten Grundmuster von Informationsströmen nur teilweise Rechnung tragen können und zudem eine Ausrichtung auf das Kriterium der Wahrheit oder Wahrheitsorientierung fehlt. Es muß daher in diesem Kapitel ein ordnungsökonomisch orientiertes Modell präsentiert werden, das auf der einen Seite in der Lage ist, den individuellen Umgang mit Wissen, Information und weiteren geistigen Konstrukten zu erfassen, auf der anderen Seite aber auch die komplexen Koordinationsmuster, die sich über Informationsprozesse herausbilden, abzubilden vermag, um sie schließlich einer (politischen) Steuerung zugänglich zu machen (oder zumindest Hinweise geben kann, welche Steuerungsmodi idealerweise angewandt werden können). Es soll also gezeigt werden, welche Rolle Informationsströme im Geflecht der Wissensteilung spielen, und zwar in Form einer Herangehensweise, die den in Abschnitt 4.1 abgeleiteten Ansprüchen genügt. Wie ist dabei vorzugehen? Leitfaden für die Analyse ist zuallererst Abbildung 313, deren Einzelelemente spezifiziert werden müssen. Entsprechend der individualistischen Grundausrichtung der Arbeit muß zunächst die Rolle der Individuen, wie sie in diesem Grundmuster enthalten sind, verdeutlicht werden. Dazu ist es notwendig auf kognitive Phänomene zurückzugreifen, die einen Zugang zur Informationsverarbeitung des einzelnen ermöglichen (5.2.1). An diese Konkretisierung des Handlungsmodells schließt sich eine Betrachtung von möglichen Ausprägungen von Informationsströmen an. Es werden drei idealtypische Muster von Informationsströmen untersucht, aus denen sich komplexere Informationsströme immer zusammensetzen. Die einfachste Form ist dabei die Zeugnisablegung (einseitige Kommunikation). Zweiseitig angelegt, aber immer noch direkt zwischen Sender und Empfänger ist die Diskussion und Argumentation. Schließlich ist auch der Fall einer indirekt durch Intermediäre vermittelten Information zu betrachten. Diese idealtypischen Informationsströme sollen dahingehend analysiert werden, ob sie geeignet sind, einer Wissensteilung, also einer informierten Gesellschaft zu dienen. Dabei sind zwei Dinge zu unterscheiden: Diese Informationsströme haben einerseits Eigenschaften, die ihre Eignung, Wahrheitswerte weiterzutransportieren, betreffen. Andererseits können sie immer auch strategisch verzerrt werden (Interessenskomponente). Beide Aspekte sind bei einer Bewertung dieser Formen zu beachten (5.2.2).

113

Gesellschaftlich relevante Informationsströme setzen sich aus diesen Basiseinheiten zusammen. Um dies analytisch abzubilden und um insbesondere eine Aussage über die Funktionsfähigkeit von Informationsflüssen treffen zu können, muß ein Aggregationsmechanismus aufgezeigt werden, der schließlich auch die Ergebnisse dieser Prozesse angeben kann. Aus dieser Aggregation resultieren schließlich auch die kollektiven Wissensströme. Dazu wird auf Wettbewerbsmodelle wie sie in der ökonomischen Literatur üblich sind zurückgegriffen und diese auf die hier zu diskutierende Thematik angewandt (5.2.3). Abbildung 5-1 visualisiert diese Vorgehensweise:

Kognitive Strukturen / Wahrnehmung

Abbildung 5-1: Argumentationsstruktur des Kernmodells Quelle: eigene Darstellung

Die Verknüpfung mit den in Abbildung 3-11 eingeführten Funktionen von Informationsflüssen wird in Abschnitt 5.3 vorgenommen. Genauso werden dort normative Bezüge hergestellt.

114

5.2 Grundlegende Betrachtungen zu Informationsströmen Die folgenden Ausführungen konkretisieren Abbildung 5-1 und stellen den Kern dieser Arbeit dar. Ziel ist es eine Verknüpfung zwischen der Interaktion von Akteuren in Informationsflüssen zu gesellschaftlichen Ergebnissen herzustellen.

5.2.1 Akteure Die Beschreibung der maßgeblichen Akteure in Informationsströmen bildet den ersten Schritt für die Ausformulierung des Modells. Ziel ist es, die Basis für situationslogische Muster in Form einer Betrachtung idealtypischer Informationsflüsse zu liefern. Dazu ist es erforderlich, das Handlungsmodell, das bereits in Abschnitt 2.3.1 vorgestellt wurde, genauer zu fassen. Insbesondere muß die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit kognitive Beschränkungen berücksichtigt werden müssen. Schließlich sind typische für die Problemstellung relevante Charakteristika der Akteure darzustellen. 5.2.1.1 Konkretisierung des Handlungsmodells Basis der Arbeit ist die situationslogische Erklärungsmethode im Anschluß an Popper. In Kapitel 2 wurde bereits darauf hingewiesen, daß der in diesem Muster enthaltene Rationalitätsbegriff unterschiedlich interpretiert werden kann, insbesondere in Abhängigkeit von der Situationswahrnehmung. Wird der menschliche Geist in einem solchen Kontext als offenes, psychisches System gesehen, das sich durch die innere Verarbeitung äußerer Umwelteinflüsse und -reize sein eigenes subjektives Bild schafft, so ist Verhalten nicht nur außengesteuert und damit auch nicht a priori determiniert.386 Dem rationalen Handeln liegt bei einem solchen Grundverständnis nicht nur ein Subjektivismus der Ziele bzw. Bedürfnisse, sondern auch ein Subjektivismus der Erwartungen sowie ein Subjektivismus der Interpretation zugrunde. Ein und dieselben Umwelteinflüsse und -reize können zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Verhaltensweisen eines Individuums nach sich ziehen, weil neues Wissen über die Umwelt gewonnen wurde, ohne daß sich dazu die Präferenzen hätten verändern müssen. Desgleichen können auch Individuen mit gleichen Interessen auf eine bestimmte Situation oder auf gleiche Informationen zur gleichen Zeit völlig unterschiedlich reagieren. Sie stellen für die unterschiedlichen Individuen eine ganz unterschiedliche handlungsrelevante Umwelt dar, da sie die Umwelthandlungen subjektiv unterschiedlich wahrnehmen und ihre eine unterschiedliche Bedeutung beimessen. Daraus ergibt sich das Problem, wie unter solchen Bedingungen überhaupt noch Aussagen über das Verhalten getroffen werden können. Der Ausweg, durch die Annahme vollständiger Rationalität ein geschlossenes und handhabbares Modell zu schaffen387, ist, wie schon in Abschnitt 2.3.1 dargestellt, der Themenstellung s86 Vgl. Baumann (1993), S. 179ff., S. 187ff. Auch bei grundsätzlich beschränkter Rationalität kann es sinnvoll sein, Handlungen annähernd mit Hilfe eines Modells mehr oder weniger vollständiger Rationalität darzulegen. Das 387

115

nicht angemessen. Um die unterschiedlichen Facetten von Informationsströmen in den Blick nehmen zu können, ist es sinnvoll, ein Handlungsmodell auf Basis begrenzter Rationalität zu verwenden, d.h. also Menschen wird grundsätzliche beschränkte Informationsverarbeitungsfähigkeit zugesprochen. Es stellt sich aber die Frage, wie genau die beschränkte Informationsverarbeitungsfähigkeit im Handlungsmodell abgebildet werden soll, damit einerseits der Subjektivität dieser Vorgänge Rechnung getragen wird, andererseits aber auch noch hinreichende Modellaussagen getroffen werden können. Wie also sollen die Verhaltensgrundlagen genau abgebildet werden? Soll man den ökonomischen Ansatz vollständig verlassen und zu dem als Homo sociologicus bezeichneten Gegenmodell überwechseln? Dessen Verhalten wird von Erwartungen, Normen, Institutionen und Rollenverhalten gesteuert. Verhalten wird dabei durch gesellschaftliche Prägung erlernt (internalisiert) und unterliegt gerade nicht einem strengen Kosten-Nutzen-Kalkül wie dies beim Homo Oeconomicus der Fall ist. Auf diese Weise lassen sich auch die Veränderung von Präferenzen bzw. sozialpsychologische und kognitive Aspekte integrieren.388 Wenngleich beide Modelle durchaus zusammengeführt werden können389, soll hier ein im Grundzug ökonomischer Modellansatz beibehalten werden. Es wird dabei unterstellt, daß Menschen zwar nicht vollständig rational handeln, aber immer die Intention verfolgen, rational zu handeln. Das bedeutet: Teilelemente ihres Handelns werden von Kosten-Nutzen-Uberlegungen bestimmt und können mit solchen erklärt werden. Zu fragen ist dabei allerdings, wie der ökonomische Ansatz modifiziert werden muß, damit er für die hier zugrunde liegenden Untersuchungsziele angemessen genutzt werden kann.390 Wie dies genau geschehen soll, ist in der relevanten Literatur umstritten.391 Die Forderungen nach Erweiterung des Modells sind unterschiedlich weitreichend, heben sich zum Teil aber deutlich vom traditionellen ökonomischen Ansatz ab, beispielsweise, wenn Motivationsstrukturen, Unternehmergeist, intrinsische Motivation oder Innovationsfreude berücksichtigt werden sollen.392 Eine vielversprechende und in der Literatur in verschiedenen Kontexten immer stärker diskutierte Komponente, um das ökonomische Verhaltensmodell in seiner Reichweite auszuweiten und es auf be-

gilt beispielsweise in gut strukturierten Entscheidungssituation, in denen sich Menschen klar definierten Handlungsoptionen gegenüberstehen und spürbare Rückwirkungen ihrer Handlungen erwarten (über Informationen oder Sanktionen). In schlecht strukturierten Situationen, also Situationen, in denen mit hohen Entscheidungs- und Informationskosten zu rechnen ist, ist ein Modell substantieller Rationalität, insbesondere der Homo Oeconomicus als vollkommen informierter Eigennutzmaximierer, nicht angebracht. Vgl. Karpe (1997), S. 37. sss Vgl. Opp (1986). 385 Vgl. Coleman (1994), S. 166ff. 390 Vgl. zu dieser Problematik allgemein Engel (2002), S. 190. 391 Wegweisend aber die Aussage von Simon (1978): „A theory of rational behavior must be quite as much concerned with the characteristics of the rational actor — the means they use to cope with uncertainty and cognitive complexity - as with the characteristics of the objective environment in which they make their decisions" (S. 8f.). 3'2 Vgl. z.B. Sictovsky (1976), Frank (1988), Frey (1997) oder Beckert (2003).

116

stimmte Aspekte anwendbar zu machen — ohne aber dabei seinen Kern aufzugeben - ist die Einbeziehung von kognitionswissenschaftlichen Elementen.393 Die hier gewählte Themenstellung und die in Kapitel 3, insbesondere Abschnitt 1.1, dargelegten Problemstruktur legen eine schematische Einbeziehung kognitionswissenschaftliche Erkenntnisse zur Informationsverarbeitung und der Übertragung von Information in Wissen nahe. Die Notwendigkeit, solche Erkenntnisse in die Überlegungen einzubeziehen, haben insbesondere die oben stehenden Darlegungen zum Kommunikationsprozeß gezeigt. Das Prinzip des selektiven Zugriffs zum Kommunikationsprozeß sagt nämlich aus, daß insbesondere die Aufmerksamkeit der Kommunikationsteilnehmer ihren Zugriff auf das, was über die Kommunikation vermittelt wird, steuert. Sie lenkt, was aus dem Informationsangebot wahrgenommen wird, insbesondere nach Überraschung und Relevanz. Einstellungen und Interessen spielen dabei genauso eine Rolle wie der Kontext.394

Feedback

Abbildung 5-2: Schematische Darstellung der Informationsverarbeitung Quelle: Nitzsch (2002)

Die Kognitionswissenschaft ist interdisziplinär ausgerichtet und versucht die Entstehung und Verarbeitung menschlichen Wissens zu erklären. Dabei wird eine sogenannte „Repräsentationsebene" in die Modelle eingeführt, die den Um-

393 Vgl. die Hinweise bei Thaler (2000), S. 137, oder bei Mantzavinos (2001) und Zoll (2003). w« Vgl. Merten (1999), S. 67ff.

117

gang der Individuen mit Zeichen und Symbolen thematisiert.395 Der Kerngedanke bei der Einführung kognitiver Elemente ist, daß im Gegensatz zu Computern die Informationsverarbeitungskapazität von Menschen beschränkt ist. Dies kann anhand eines dreistufigen Phasenmodells bestehend aus Wahrnehmung, Verarbeitung und Reaktion, wobei die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis die begrenzenden Ressourcen sind, dargestellt werden (vgl. Abbildung 5-2).396 Die Begrenztheit von Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses ist also für kognitive Unzulänglichkeiten verantwortlich. Beispielsweise filtern Menschen aufgrund beschränkter Aufmerksamkeit Informationen oder greifen auf bestimmte Heuristiken in der Informationsverarbeitung zurück. Wie schon in Abschnitt 3.2.2 ausgeführt, ist es dabei nicht möglich und auch nicht notwendig, die exakten Mechanismen menschlicher Informationsverarbeitung abzubilden. Beabsichtigt ist vielmehr eine Repräsentation der ökonomisch relevanten Problemstellung. Die Frage ist allerdings, wie solche Aspekte in Modellüberlegungen eingearbeitet werden können. Die in der Literatur zu findenden Vorschläge sind hierzu recht unterschiedlich, so daß sich gelegentlich der Eindruck der Beliebigkeit aufdrängt.397 In allgemeinster Form läßt sich nur sagen, daß Aufmerksamkeitsfilter existieren, die aus ankommender Information Teile herausnehmen und nur diese weiterverarbeiten. Dabei spielen Faktoren wie das bereits vorhandene Wissen und der jeweilige Kontext eine Rolle.398 Die konkrete Ausgestaltung dieser Filter kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Die kognitiven Regeln der Informationsverarbeitung reichen von kontext- und situationsabhängigen Frames (Situationsdefinitions- bzw. —deutungsverfahren, die den Individuen kontextspezifische Bedeutungsstiftungen bereitstellen399) über die Bevorzugung situationsspezifischer Informationen bis hin zur Verlustaversion und dadurch ausgelösten Bevorzugungen des Status Quo.400 Für die Zwecke dieser Analyse ist es zunächst ausreichend festzuhalten, daß eine Reihe von kognitiven Gegebenheiten existiert, die die Wahrnehmung des einzelnen regelt und dafür sorgt, daß nur ein begrenzter Teil der ihn erreichenden Informationen verarbeitet wird. Bedenkt man dabei die in Kapitel 3.2.3.1 ausgeführten Aspekte von Informationsflüssen, so wird deutlich, daß es sich dabei nicht nur um eine mengenmäßige Zugangsbeschränkung handelt. Vielmehr sind hier auch qualitative Aspekte zu beachten, also insbesondere die im pragmatischen Teil von Informationsflüssen enthaltenen Bedeutungskomponenten, die ebenfalls Wahrnehmungsbeschränkungen unterliegen können.

Vgl. dazu Gardner (1989), Holland et al. (1986) sowie zu einzelnen Begrifflichkeiten auf der Repräsentationsebene Margolis (1987) sowie Tversky und Kahnemann (1987). 396 Mit dem Prozeß der Informationsverarbeitung befaßt sich unter anderem die deskriptive Entscheidungstheorie. Vgl. dazu z.B. Nitzsch (2002), S. 2ff. Zur Ökonomie der Aufmerksamkeit, die Aufmerksamkeit als knappe Ressource auffaßt vgl. Franck (1998). M7 Vgl. ausführlich Fleischmann (2004). Vgl. Witt (1996), S. 2f. 3*> Karpe (1997), S. 32. «o Eine Diskussion solcher Effekte findet sich bei Zoll (2003), S. 152ff. 395

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Die kognitiven Beschränkungen, die die Informationsverarbeitungsfahigkeit des Individuums prägen und sie auch so prägen, daß die Wahrnehmung systematisch verzerrt werden kann, sind die Basis für ein Konstrukt, das weiter oben (Abschnitt 3.3.1.3) bereits eingeführt worden ist, nämlich die mentalen Modelle. Warum geht es bei solchen Modellkonstruktionen bei aller Verschiedenartigkeit im einzelnen? Das sei am Beispiel der geteilten mentalen Modelle dargestellt. Mentale Modelle sind Filter, mit denen der einzelne die Umwelt wahrnimmt.401 Objektive Gegebenheiten werden also nie an sich wahrgenommen, sondern immer mit diesen mentalen Modellen in Verbindung gesetzt. Mentale Modelle sind aber nichts statisches, sondern im Kontakt mit Umweltbedingungen der Veränderung ausgesetzt. Im Kontakt mit Umweltbedingungen bezieht der Akteur sein Wahrnehmungsschema auf diese Bedingungen, gleichzeitig paßt er das Wahrnehmungsschema an — es kommt zu Assimilation und Akkomodation. Störungen des Wahrnehmungsschemas werden also entweder verdrängt oder das Wahrnehmungsschema wird durch Lernen verändert. Mentale Modelle sind also vorgefertigte Wahrnehmungsmuster, die als Filter die Aufnahmetätigkeit des Gehirns ordnen und vorprägen. Damit werden nicht mehr zwangsläufig die objektiven Gegebenheiten wahrgenommen, sondern eine zumindest teilweise eigenfabrizierte Umwelt. Mentale Modelle sind also eine mögliche Ausgestaltung der Repräsentationsebene. 5.2.1.2 Idealtypische Akteure und ihre Eigenschaften Nachdem die Basisannahmen zu den Akteuren herausgearbeitet und das Handlungsmodell konkretisiert wurde, können die Akteure genauer charakterisiert werden. Orientierungspunkt ist zunächst Abbildung 3-3. Die dort angeführten geistigen Konstrukte bestimmen die Wertungs- und Wahrnehmungswelt des Individuums. Das geht über eine einfache Repräsentation der Modellindividuen durch Präferenzen und Restriktionen hinaus. Vielmehr wird hier eine Interessens- und eine Theorie- oder Wissenskomponente des Handelns unterstellt.402 Die Theoriekomponente konzentriert sich auf die Beurteilung der Eignung der gewählten Handlung oder Maßnahme zur Lösung des ins Auge gefaßten Problems, während die Wertungskomponente die Zielsetzungen des Individuums ins Spiel bringt. Welche Arten von Akteuren sind zu unterscheiden und welche relevanten Eigenschaften weisen sie auf? Im einfachsten Fall handelt es sich wie in Abbildung 3-13 dargestellt um einen Sender oder Kommunikator und einen Empfanger. Beide sollen in einen wissensteiligen Zusammenhang eingebunden sein. Das bedeutet, einer der beiden verfügt über mehr an Wissen als der andere, meist in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt. Dieses Wissen, das von der einfachen Beschreibung eines Objekts bis hin zu einer komplexen Problemlösung reichen kann, hat der Kommunikator in der Regel durch eigene Erfahrung gewonnen, 401 402

Vgl. die Ausführungen in Kapitel 5. Vgl. Vanberg und Buchanan (1991).

119

d.h., er hat sich ein Bild von der Wirklichkeit gemacht. Dieses Bild fließt in seine eigenen geistigen Konstrukte ein, wie sie in Abbildung 3-3 dargelegt worden sind. Es sei davon ausgegangen, daß der zugrunde liegende Erfahrungsprozeß hinreichend effektiv ist, so daß ein wahres Abbild der Realität zustande kommt, und zwar wahr im oben eingeführte Sinne, also nicht absolut wahr, sondern verläßlich. Man kann den Kommunikator — um diesen im Zuge der schon angesprochenen Diskussion um die Wissensgesellschaft modisch gewordenen Begriff zu gebrauchen — als Wissensarbeiter im weitesten Sinne charakterisieren, also als jemand der spezifische Vorteile in der Erkenntnisgewinnung aufweist. Das kann ein Wissenschaftler sein, der besonders gut in der Lage ist, Expertenwissen zu erzeugen, das kann aber auch ein Individuum sein, das besonders geschickt in der Lage ist, Alltagswissen zu erzeugen. Gegeben ist also ein bestimmter Objektbereich, über den Wissen gewonnen werden soll. Der Kommunikator oder Sender S verfügt über eine Erkenntnismethode m, mit dem er Wissen mit dem Wahrheitsgrad w erzeugt und der durch einen hohen Verläßlichkeitsgrad gekennzeichnet ist, also p(w/m)s=a, wobei a ausreichend hoch ist, so daß der Prozeß nach allgemeiner Einschätzung verläßlich ist und Wahrheit erzeugen kann. p(w/m)s=a ist also eine Qualitätseigenschaft des Erkenntnisprozesses, wobei objektive und absolute Wahrheit nicht erreichbar ist.403 Dieser Erkenntnisprozeß wird beispielsweise durch Wiederholungen sowie darin ablaufende Versuchsund Irrtumsprozesse effektiv.404 Das zeigt aber, daß die Erkenntnis Kosten, also Ressourcenverbrauch verursacht, und zwar in Höhe von K^ . S soll dabei für den Sender stehen, e für Erkenntnis. Geht man davon aus, daß der Empfanger zwar grundsätzlich auch diesen Erkenntnisprozeß nutzen könnte, dann besteht der eine Wissensteilung rechtfertigende Unterschied zwischen beiden darin, daß der Empfänger höhere Kosten der Erkenntnis K f aufweist. Es gilt also: KSe < KEe . p(w/m) E •

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oder Kommunikator bezeichnete Akteur hat Wissen gewonnen; dieses Wissen hat der als Empfänger bezeichnete Akteur nicht. Die Frage ist nun, unter welchen Bedingungen erwartet werden kann, daß das Bild, das sich der Sender von der Wirklichkeit gemacht hat, an den Empfänger übertragen wird und von diesem möglichst so genutzt werden kann, als ob er es sich selber gemacht hätte, ohne aber die Ressourcen aufzuwenden, die der Kommunikator in den Erfahrungsprozeß gesteckt hat. Bei diesem Akteur ist also ein Bedürfnis vorhanden, das Wissen zu erlangen, das auch der Kommunikator bereits erlangt hat. Ihm ist also an einem qualitativ hochwertigen Informationsfluß zwischen beiden gelegen. Warum möchte der Empfanger dieses Wissen haben? Hier sind unterschiedliche Motivationen denkbar, die — ohne .Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben — beispielsweise folgendermaßen klassifiziert werden können:406 •

Hintergrundnachfragen: Der Empfanger möchte sein Hintergrundwissen über den zugrunde liegenden Objektbereich erweitern. Das kann sehr langfristig auf weitere konkrete Verwendungszwecke hin orientiert sein, kann aber auch aus reiner Neugierde geschehen.



Initiativnachfragen: Ein konkreter Verwendungszweck steht schon im Hintergrund, ist aber noch relativ weit entfernt; Ziel sind Anregungen.



Anreicherungsnachfragen: Für ein konkretes Entscheidungsproblem wird Wissen benötigt, das die Kenntnis über das zugrunde liegende Entscheidungsfeld erweitern soll. Hier liegt also strenge Zweckbezogenheit vor. Das Wissen kann zum Teil sehr direkt in Entscheidungsprozesse einfließen.407



Kontrollnachfragen: Bereits vorhandenes Wissen soll überprüft und seine Sicherheit erhöht werden. Dies kann in Bezug auf vorhandenen Wissensstand erfolgen, um gegebenenfalls nicht mehr angemessenes Wissen zu korrigieren oder zu entfernen. Im Hintergrund stehen auch Entscheidungsprozesse, die beschleunigt werden sollen.

Der Empfanger zieht also aus seiner Teilnahme am Informationsfluß einen konkreten Nutzen, der mit UE bezeichnet wird. Dieser ist einerseits von Art der Nachfrage abhängig408, andererseits vom Wahrheitsgehalt des aus dem Informationsfluß resultierenden Wissens, also UE(W).409 Die Teilnahme am InformatiDie Klassifikation folgt mit Erweiterungen und Modifikationen Rothweiler (1978), S. 64ff. Rothweiler (1978), S. 82, unterscheidet noch die Entschlußnachfrage, die auf Wissen gerichtet ist, das sehr zielgerichtet in Entscheidungsprozesse einfließt. 408 D.h., jede Art der Nachfrage würde — falls eine solche konstruierbar ist - durch eine andere Nutzenkurve repräsentiert werden. 409 Es würde hier naheliegen aus Gründen der einfachen Handhabbarkeit eine typisch neoklassische Nutzenfunktion mit zunehmendem Gesamtnutzen und abnehmendem Grenznutzen zu postulieren, um diese in Optimierungshandlungen wie in Abschnitt 4.3 dargestellt münden zu lassen. Dazu müßten allerdings weitere Annahmen eingeführt werden, insbesondere müßte, um operational zu sein, ein objektiver Wissensstand postuliert werden, an dem der Wahrheitsgehalt gemessen werden kann. Dies würde dann den hier vertretenen Basisannahmen zu Wissen und Information widersprechen, so daß auf derartige Konkretisierung zu 406 407

121

onsfluß ist allerdings für den Empfänger ebenfalls mit Kosten verbunden. Diese Kosten rühren aus seinen beschränkten intellektuellen Kapazitäten her. Er muß dem Informationsfluß Aufmerksamkeit zuwenden, die an anderer Stelle fehlt. Diese Kosten der Wahrnehmung werden mit K£ bezeichnet. Von der Wahrnehmung und Verarbeitung ist die Akzeptanz des empfangenen Wissens zu unterscheiden. Das aufgenommene Wissen ist mit vorhandenem Wissen abzugleichen und entwertet dieses möglicherweise. Bezeichnet man die Kosten der Akzeptanz mit KQ , dann bedeutet dies, daß je größer die Diskrepanz zwischen vorhandenem Wissen und neuen Informationen sind, desto höher auch diese Kosten. Mit ansteigender Diskrepanz ergeben sich also ansteigende Kosten der Akzeptanz, wobei diese auch prohibitiv hoch werden können, wenn der Unterschied zwischen empfangenen Informationen und vorhandenem Wissensbestand zu groß wird. Eine Aufnahme des Wissens, so wie es vom Sender gemeint war, wird damit sehr schwierig. Das bedeutet aber nicht, daß der Empfänger mit dem Wissen gar nichts anfangt. Vielmehr kann es zu einer Uminterpretation kommen, d.h., der Empfänger nutzt das empfangene Wissen in seinem Sinne.

Abbildung 5-3: Kosten der Akzeptanz Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 5-3 stellt den Zusammenhang zwischen Diskrepanz und Kosten der Akzeptanz dar. Zu sehen ist auch, daß dieser Zusammenhang zwischen unterverzichten ist, zumal es hier um eine schematische und sehr abstrakte Erfassung der Situation der Beteiligten an einem Informationsfluß geht.

122

schiedlichen Akteuren divergieren kann. Je nachdem wie aufnahmefreudig der Akteur ist, wird ihm die Akzeptanz mehr oder weniger Schwierigkeiten bereiten. Wenn diese Aufnahmefreudigkeit als Offenheit bezeichnet wird410, dann sind diese Kosten umso geringer, je offener der Akteur ist. Diese Kosten K% werden also vom Offenheitsgrad o abhängen. Auch wird ein offener Akteur bereit sein, höhere Diskrepanz zu seinem Wissen in Kauf zu nehmen und zu verarbeiten. Schließlich ist auch ein Nutzen Us einzuführen, den der Sender aus der Teilnahme am Informationsfluß zieht. Dies kann eine Verhaltensänderung des Empfangers sein, das kann aber auch eine monetäre wie nichtmonetäre Belohnung sein (höhere Achtung etc.). Schließlich kann als weitere Eigenschaft der Akteure ihre Wahrheitsorientierung eingeführt werden. Damit ist die Neigung gemeint, von sich aus eine als solche erkannte Wahrheit zu sagen. Ist die Wahrheitsneigung hoch, dann wird der Akteur praktisch immer die Wahrheit übertragen, ist sie niedrig, dann bereitet es ihm keine großen Schwierigkeiten, Wahrheiten zu verfälschen. Die folgende Tabelle (Abbildung 5-4) faßt die eben eingeführten Kosten- und Nutzenkategorien nochmals zusammen. Sender Erkenntnisprozeß

K^ : Kosten der Erkenntniserzeugung, zur Erzeugung von p(w/m)

Ubertragungspro^eß

Kf : Kosten der Informationsgenerierung

Verarbeitung

Nutzen

Empfänger

K^: Wahrnehmungskosten KQ :Akzeptanzkosten, beeinflußt vom Offenheitsgrad o

Us Nutzen des Senders UE(w) (Verhaltensänderung Nutzen des Empfangers und Kompensation)

Abbildung 5-4: Zusammenfassende Übersicht Kosten- und Nutzenkategorien

5.2.2 Idealtypische Informationsflüsse Nachdem das grundlegende Handlungsmuster und die Eigenschaften der Akteure dargelegt worden sind, muß die Wechselwirkung solcher Modellindividuen in Informationsströmen diskutiert werden. Eingeführt werden hier drei elementare Grundformen, aus denen sich komplexere Informationsströme zusammensetzen. Es sind dies die einseitige Zeugnisablegung, die Argumentation oder Dis-

410

Vgl. da2u ausführlich Fiedler (2003), die zahlreiche Offenheitsbegriffe diskutiert.

123

kussion und die über Intermediäre vermittelte Information. Die Basisformen erfüllen in komplexeren Informationsströmen bestimmte Funktionen, die hier herauszuarbeiten sind. Zielgröße ist der gesellschaftliche Zuwachs an Wahrheit, d.h. also, der Informationsstrom sollte dazu fuhren, daß neben den bereits wissenden Individuen weitere Individuen einen wahren Glauben in Bezug auf ein Objekt annehmen.411 Die Ansätze sind Basiselemente, d.h., soll eine Analyse komplexer Situationen vorgenommen werden, dann müßten diese Basiselemente erst zusammengefügt werden. Als Beispiel kann ein Gerichtsverfahren dienen. In einem solchen Verfahren finden sich sowohl Elemente der Zeugnisablegung als auch Elemente der Argumentation und Diskussion, gegebenenfalls auch der intermediären Informationsflüsse. Die Rolle idealtypischer Informationsströme in einer wissensteiligen Grundstruktur läßt sich auch mit dem Begriff der Informationsumwege erfassen412. Wissen fließt nicht direkt von dem Objekt, das es abbilden soll, zu seinem Nutzer. Vielmehr schlägt Wissen Informationsumwege ein, wodurch das Ausmaß der Wissensteilung insgesamt erweitert werden kann. Der Begriff Informationswege legt automatisch die Frage nach der Stabilität dieser Umwege, aber auch die Frage danach, wie weit diese getrieben werden sollen. Im folgenden wird vorwiegend die Stabilitätsproblematik behandelt. 5.2.2.1 Grundform: Einseitige Zeugnisablegung Die Grundform der Wissensteilung besteht darin, daß ein Akteur einem oder mehreren anderen Empfängern über sein Wissen berichtet. Obwohl auch durch direkte Beobachtung ein hoher Stand von Wissen erreichbar wäre, so hat sich doch Kommunikation als einfache Möglichkeit erwiesen, den Wissensstand von Gesellschaften zu erhöhen; sie ist einfacher als die direkte Beobachtung.413 Dabei kann sowohl explizites als auch implizites Wissen zwischen den Beteiligten übertragen werden.414 Es stellt sich nun die Frage, unter welchen Bedingungen zwischen den beiden Akteuren Sender und Empfanger hier tatsächlich eine sinnvolle Wissensteilung zustande kommt, also die Übermittlung eines wahren Abbilds der Wirklichkeit, das vom Empfänger auch genutzt werden kann.

Im strengen Sinne müßten dem die verbrauchten Ressourcen gegenübergestellt werden, so daß also zwischen Informationsströmen mit günstigem Kosten-Wahrheitsgewinn-Verhältnis und weniger günstigem Kosten-Wahrheitsgewinn-Verhältnis unterschieden werden könnte und danach gesamtgesellschaftliche Umverteilungen vorgenommen werden könnten. D a sich die Betrachtung aber auf für sich stehende Informationsströme beschränkt, wird allein auf den sozialen Wahrheitsgewinn abgestellt und aus den Modellannahmen heraus diskutiert, ob dieser zustande kommt oder nicht. 412 In Anlehnung an die Produktionsumwege der Kapitaltheorie; vgl. dazu Böhm-Bawerk (1902), S. 98ff. "13 Vgl. Goldman (1999), S. 103. 414 Vgl. Helmstädter (2004), S. 58, der derartige direkte Interaktionen als einen Basismodus der Wissensteilung sieht (neben der Übertragung von gespeichertem, also explizitem Wissen). 411

124

Sender

Kommunikation

Empfänger

Informationsfluß

Wissen des Senders

Verläßliches Verfahren?

Information

Bewußte Verfälschung? Qualitätsprobleme?

Wissen des Empfängers

Interpretationsund Wahrnehmungsproblem

Abbildung 5-5: Grundstruktur bei einseitiger Zeugnisablegung Quelle: eigene Darstellung Die Grundstruktur des Vorgangs der einseitigen Zeugnisablegung ist in Abbildung 5-5 dargestellt. Sie setzt sich zusammen aus den Schritten der Erkenntnisgewinnung, der Produktion und Übertragung der Botschaft, deren Aufnahme sowie Akzeptanz. Unterstellt ist dabei das persönliche Gespräch, d.h., die Akteure sind einander bekannt und stehen sich auch meist direkt gegenüber. Ein solcher Informationsfluß funktioniert nicht zwangsläufig reibungslos, sondern ist durch strategische Probleme wie auch durch technische und Wahrnehmungsprobleme tendenziell bedroht. Zuallererst stellt sich die Frage, ob das gewählte Erkenntnisverfahren auch tatsächlich verläßlich ist. Die Bandbreite ist hier sehr vielfaltig und reicht im Prinzip von der Frage, ob jemand in der Lage ist, seine direkte Umwelt hinreichend wahrzunehmen bis hin zur Verläßlichkeit komplexer wissenschaftlicher Erkenntnismethoden. Eine umfassende Diskussion ist hier daher weder möglich noch notwendig, zumal es hier ohnehin primär um den ,Weitertransport' verläßlicher (wahrer) Erkenntnis geht. Wäre dies das einzige Problem innerhalb dieses Informationsflusses, so könnte der Empfanger die Abschätzung auf Basis einer Vergangenheitsbeobachtung treffen, indem er beispielsweise die bisherige Prognosequalität von Expertenurteilen betrachtet und danach deren Verläßlichkeit bemißt.415 Von Relevanz ist hingegen die Transformation der Erkenntnis in eine Botschaft bzw. Information. Hier können unter

415

Vgl. auch die Hinweise bei Goldman (1999).

125

anderem Qualitätsprobleme auftreten, beispielsweise werden die Erkenntnisse unvollständig repräsentiert oder es gibt Mängel in der Korrektheit oder die Bedürfnisse des Empfängers werden nicht berücksichtigt.416 Geht man davon aus, daß die Qualität des Informationsflusses mit den Anstrengungen des Senders, die Botschaft zu produzieren, zunimmt, dann sind die Kosten der Produktion der Information abhängig von der Qualität q des Informationsstromes, also Kf ( g ) . Die Qualität ist maximal, wenn der Informationsfluß so gestaltet ist, daß der Wahrheitsgehalt w vollständig übertragen werden kann417; in diesem Fall sind auch die entsprechenden Kosten maximal. Will der Sender also aus bestimmten Gründen nicht die maximalen Kosten tragen, dann leidet die Qualität der Übertragung und es kann nicht mehr der vollständige Wahrheitsgehalt w beim Empfänger ankommen. Daß nicht der vollständige Wahrheitsgehalt ankommt, muß aber nicht zwingend an einem Ressourcenproblem liegen. Vielmehr kann an dieser Stelle ein strategisches Problem auftreten, in dem Sinne, daß der Sender nicht unbedingt ein Interesse daran haben muß, sein Wissen, also das tendenziell verläßliche Abbild der Realität, ganz oder teilweise zu offenbaren. Ein extremer Fall hiervon ist die bewußte, vorsätzliche Desinformation (z. B. durch Geheimdienste418). Dabei gibt der Sender entgegen seinem Wissen ein falsches Abbild der Realität weiter, um den Empfänger vorsätzlich in die Irre zu fuhren. Weniger extreme Formen sind die teilweise Verfälschung von Wissen oder die nur teilweise Weitergabe vorhandenen Wissens. Die Problematik ist allgemein dadurch bedingt, daß Kommunikation oder Informationsweitergabe wie ausgeführt eine Interaktion ist, in der spezifische Ziele verfolgt werden, in der der Sender also bestimmte Interessen verfolgt.419 Daher kann es zu Zielkonflikten zwischen den Senderinteressen und der Wahrheitsorientierung kommen. Abbildung 5-6 zeigt schematisch mögliche Beziehungen zwischen Senderinteressen, insbesondere dessen Wunsch nach Einflußnahme, und der Treue zur Wahrheit. Einen extremen Zielkonflikt gibt es im Falle geheimdienstlicher Desinformation. Abgeschwächte Formen von Zielkonflikten bestehen immer dann, wenn es nicht um vollständige Unwahrheit geht, sondern um eine verzerrte Form der Darstellung wie sie beispielsweise in politischen Prozessen üblich ist. Zielkongruenz besteht hingegen in der Regel bei einem neutralen wissenschaftlichen Vgl. zum Begriff der Informationsqualität Gasser (2004) sowie Rittberger (2004). Die Erforschung dieses Aspekts steht noch am Anfang, so daß es keine allgemein akzeptierte Definition gibt. Dazu Karmasin (1999): „Wie es in einer (post-)modernen pluralistischen Gesellschaft zu erwarten ist, gibt es keinen verbindlichen Konsens darüber, was Information ist und worin die Qualität von Informationen materiell besteht. In den unterschiedlichen politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontexten werden auch die Kriterien für die Qualität von Information je spezifisch definiert." 417 Das bedeutet: Der Empfanger könnte, wenn er das möchte, aus dem Informationsfluß den vollständigen Wahrheitsgehalt w ableiten. 418 Vgl. dazu die zahlreichen Beispiele bei Watzlawick (2003), S. 123. 419 Das gilt auch für den Empfänger, wird aber hier ausgeblendet. 416

126

Experten. Primäres Ziel der Wissenschaft ist die Erkenntnis von Wahrheit; die Reputation eines Wissenschafders nimmt mit dieser Fähigkeit zu. Ist er also in der Lage, Wahrheit zu produzieren, so ist auch seinen Interessen gedient — zumindest dann, wenn diese als Ansehensgewinn in der Wissenschaft umschrieben werden können. Schließlich kann es auch den Fall geben, daß Individuen eine intrinsische Wahrheitsliebe aufweisen und daher Wahrheit weitergeben, ohne Rücksicht auf ihre Interessen.420 Einflußnahme/ Senderinteressen

Wahrheit

Abbildung 5-6: Verhältnis von Wahrheit und Senderinteressen Quelle: eigene Darstellung Ebenfalls zu Problemen kann es beim Empfang und der Akzeptanz von Botschaften kommen. Zum einen spielen hier Wahrnehmungsaspekte eine Rolle. Aufgrund unzureichender Zumessung von Aufmerksamkeit kann es zu Verzerrungen und Mißverständnisse kommen, d.h. selbst ein qualitativ hochwertiger Informationsstrom wird nicht mehr verstanden. Hat das Individuum die Botschaft wahrgenommen, so heißt das noch nicht, daß es sie auch in seine internen geistigen Konstrukte integriert. Aufgrund von inneren Widersprüchen könnte es die Botschaft umdeuten, um sie in sein Weltbild einzuordnen, oder sie zurückweisen. Das hängt zum einen vom Offenheitsgrad des Individuums ab, zum anderen davon wie stark die Inhalte des neue erworbenen und des bereits vorhandenen Wissens auseinandergehen.

42 °

Vgl. zum Begriff der Wahrheitsliebe Ripperger (2003).

127

Bereits diese einfache Darstellung zeigt, daß eine Vielzahl von Fallunterscheidungen möglich ist, je nachdem wie die Kosten- und Nutzenpositionen bestimmt sind. Es ist hier nicht sinnvoll, alle möglichen Fälle zu betrachten, da eher ein prinzipielles Verständnis von Informationsflüssen gewonnen werden soll, das für deren Gestaltung genutzt werden kann. Es bietet sich daher an, die strategischen Probleme, die in solchen Informationsflüssen auftreten können, genauer zu betrachten. Die strategische Dimension einer solchen Kommunikations Situation läßt sich mit einem einfachen Spiel veranschaulichen.421 Es herrsche die Situation wie oben dargelegt: Der Sender hat sich ein Bild gemacht und damit einen Wissensstand in Höhe von w (Wahrheitsgehalt) erworben. Auf Seiten des Informationsempfängers besteht ein Bedürfnis, Wissen über den Sachverhalt zu erlangen. Der Empfanger könnte sich durchaus selbst ein Bild von dem Sachverhalt machen; allerdings seien seine Kosten hierfür sehr hoch, höher als der Nutzen, den er aus dem Wissenszuwachs erzielen könnte. Der Sender kann nun sein Wissen w kommunizieren. Mögliche wäre es auch, daß er Teile davon oder die Unwahrheit (-w) kommuniziert. Der Einfachheit halber sei unterstellt, daß er nur über die Möglichkeiten w und —w entscheidet, also volle Wahrheit oder vollständige Täuschung. Die Kommunikation verursacht bei ihm Kosten wie oben beschrieben; diese seien für den Wahrheits wie Unwahrheitsfall immer gleich hoch und können damit, da der Sender immer kommuniziert ignoriert werden. Sagt er die Wahrheit, so verliert er sein exklusives Wissen und erleidet daraus einen Nachteil, der bis zu - w betragen kann. Nimmt der Empfänger die Information an und nutzt diese (glaubt er sie also), so soll dies auch dem Sender zugute kommen, in Form eines Nutzens Us, der sich danach unterscheidet, ob w oder —w kommuniziert wurde. Der Nutzen im Falle der Unwahrheit sei höher als im Falle der Wahrheit. Der Empfänger hat die Möglichkeiten, dem Sender zu glauben oder ihm nicht zu glauben. Er weiß zwar, daß der Sender in der Lage ist, wahre Erkenntnis zu gewinnen; er weiß aber nicht, ob er sie ihm wirklich weitergibt. Entscheidet er sich für Nicht-Glauben, so entstehen auch keine Kosten für ihn, seine Auszahlung ist jeweils Null. Schenkt er dem Sender Glauben und nimmt die übermittelte Information in seine geistigen Konstrukte auf und verwendet sie als Basis für weitere Handlungen, so hängt die Auszahlungsposition des Empfangers davon ab, ob der Sender die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Hat er die Unwahrheit übermittelt, so erleidet der Empfänger einen Schaden, der in Höhe von U E ( - W ) auftritt. Im Wahrheitsfall ergibt sich ein Gewinn in Höhe von U E ( W ) . Schenkt der Empfanger dem Sender Glauben, so wird er den Sender mit einer Kompensation in Höhe von 1 zu entschädigen.422 Folgende Übersicht stellt

421

Vgl. für die spieltheoretische Darstellung von Kommunikationssituationen z.B. Keck (1991), dem es vor allem um die Kompensation für Informationsübertragung geht, sowie Fielder (2004), die mit dem Offenheitsgrad und der Zugangsgewährung argumentiert. Die ökonomische Literatur kennt außerdem Modelle der strategischen Informationsweitergabe z.B. durch Experten, vgl. beispielhaft Pitchik und Schotter (1987). 422 Diese Annahme ist insbesondere in einer zweiseitigen Kommunikation, die auf Basis einer Geschäftsbeziehung stattfindet, gerechtfertigt. Handelt es sich um anonyme Kommunikation eines Senders an mehrere Empfänger (z.b. Streuen von Falschinformationen), dann wäre die

128

die Auszahlungspositionen der Teilnehmer bei den einzelnen Strategiekombinationen dar: Empfänger Nicht Glauben

Glauben Us(-w)+l /

Unwahrheit

0/0 UE(-W)- — K ^

Sender -w / 0

Wahrheit

-1

-w+l+U s (w)

/

UE(w)-a;

c>b.

Das heißt, in diesem Fall sind beide Parteien in der Lage, Erkenntnisse mit einem gewissen Wahrheitsgehalt zu liefern. Sowohl vom Wahrheitsgehalt als auch von den Kosten der Erkenntnis unterscheiden sie sich nur geringfügig. Beispielsweise könnte jeder nur einen bestimmten Aspekt des Sachverhalts zu erkennen in der Lage sein oder sie sind teilweise irrtumsanfallig. Durch den Austausch im Diskurs sind sie im Idealfall in der Lage, zu einem gemeinsamen für beide Parteien höheren Wahrheitsgehalt vorzustoßen. Die Diskussion würde also hier genutzt, 132

um falsche Ideen aus dem Wissensbestand zu verbannen oder um den Wahrheitsgehalt vorhandener Erkenntnisse zu verbessern.431 Es handelt sich um einen konstruktiven und rationalen Prozeß. Die Frage ist, wann ein solcher Informationsfluß in diesem Sinne funktioniert, wann also tatsächlich die konstruktiven Elemente überwiegen und es nicht zu gegenseitiger Blockade oder im schlimmsten Falle zu einem destruktiven Diskussionsprozeß kommt, bei dem der kollektive Wissensbestand sogar vermindert wird. Die Schwierigkeit liegt darin, eine Aussage zu treffen, wie im Diskussionsprozeß aus den vorhandenen Wahrheitswerten a und b ein neuer Wahrheitswert zustande kommt. Aussagen, welcher exakte Wert c aus dem Diskussionsprozeß folgt, dürften kaum möglich sein. Hierzu müßte ein präzises Abbild dieses Prozesses konstruiert und die kreativen und korrektiven Vorgänge, die in diesem Prozeß ablaufen erfaßt werden. Ein solches Abbild scheitert aber an der Komplexität der zugrunde liegenden Prozesse: Allerdings ist es hier auch ausreichend, stilisierte Abläufe als Basis der Betrachtung heranzuziehen, um daraus Aussagen zu treffen, wie sich c in Abhängigkeit bestimmter Faktoren tendenziell entwickeln wird. Im Kern geht es hier um ähnliche Faktoren wie im vorausgehenden Abschnitt. Zunächst ist festzustellen, daß an dem Diskurs nur Individuen teilnehmen werden, die ähnliche Fähigkeiten aufweisen (sowohl hinsichtlich ihrer Erkenntnisfahigkeit als auch hinsichtlich der damit verbundenen Kosten); anders gesagt, die Beteiligten müssen voneinander lernen können, ansonsten handelt es sich um eine Belehrung. a

A

C B

b

Abbildung 5-10: Produktion von kollektivem Wissen Quelle: eigene Darstellung

«i Vgl. dazu Engel (1999), S. 41, vgl. auch Röpke (1970), S. 173.

133

Abbildung 5-10 veranschaulicht dies mit einem der Produktionstheorie entlehnten Zusammenhang. Aus den von beiden Teilnehmern in die Diskussion eingebrachten Wahrheitswerten a und b kann der kollektive Wahrheitswert c produziert werden, der hier durch eine Isoquante veranschaulicht wird. Allerdings können nicht beliebige a- und b-Werte sinnvoll kombiniert werden. Ist b beispielsweise niedrig (am Punkt A), dann führt eine einseitige Erhöhung von a nicht zu einem höheren c-Wert (umgekehrt am Punkt B). Das heißt sinnvoll ist der Bereich zwischen A und B, in dem die Werte a und b zwar nicht zwingend gleich, aber nah beeinander liegen. Eine andere Frage ist es, wo diese Isoquante liegt, welchen Wert also c annimmt. Das hängt von Faktoren ab, die in dem Schema nicht erfaßt sind. Eine Rolle spielen hier die Freiheit zur Diskussion sowie die Motivation, diese Freiheit zu nutzen.432 Ist beides gegeben, so kann damit gerechnet werden, daß die Teilnehmer ihre gewonnenen Erkenntnisse (Wahrheitswerte) auch einbringen. Damit ist aber noch nicht das Problem strategischen Verhaltens ausgeschlossen. Die Teilnehmer müssen also auch hier darauf vertrauen können, nicht mit auf unverläßlicher Weise erworbenen Erkenntnissen versorgt zu werden, die gegebenenfalls auch noch verzerrt sind. Das bedeutet, auch in diesem Fall muß eine Vertrauensbeziehung auf Basis wechselseitiger Erwartungsstabilisierung zwischen den Diskutanten herrschen. Sie müssen zudem hinreichend offen sein, also die Bereitschaft zeigen, die Argumente der anderen aufzunehmen. Ist dies nicht der Fall, wird der Argumentationsprozeß gegebenenfalls mit unfairen Mitteln oder auf aggressive Weise geführt, dann ist der Erfolg hinsichtlich Wahrheitsoffenbarung bzw. -findung bedroht. Die Teilnehmer des Diskurses müssen in der Lage sein, ihre Argumente voneinander aufzunehmen und auf dieser Basis ihre eigene Einschätzung korrigieren können; es kommt also auf den Offenheitsgrad an, mit dem die Teilnehmer in die Diskussion gehen. 5.2.2.3 Über Medien vermittelte Informationsströme

Die bisher dargelegten Formen von Informationsflüssen funktionieren auch im zweiseitigen Austausch. Es wurde gezeigt, daß diese Sozialbeziehungen — gegeben einen angemessenen und nicht zu stark unterschiedlichen Offenheitsgrad sowie gegeben eine auf die Informationsbeziehung gerichtete Aufmerksamkeit — vor allem durch den Aufbau von Vertrauensbeziehungen stabilisiert werden können. Das Vertrauen in die Verläßlichkeit der Erkenntnisgewinnung eines Akteurs ermöglicht die Weitergabe von Wissen und stellt damit eine elementare Grundbedingung für wissensteilige Prozesse dar. Auch das Vordringen zu neuen Wahrheitswerten und die Wissenserweiterung in Diskussionsprozessen funktionieren nur dann, wenn Vertrauen gegeben ist. Allerdings sind nur die wenigsten Informationsströme vollständig mit diesen elementaren Prozessen beschreibbar. Wäre das der Fall, dann wären sozusagen «2 Vgl. Teepe (1994), S. 227.

134

die Informationsumwege, die in einer wissensteiligen Gesellschaft eingeschlagen werden, zu kurz. Man würde immer nur Wissen von direkt bekannten Akteuren übernehmen, wäre damit aber in den eigenen Möglichkeiten, auf die Erkenntnisse anderer zurückzugreifen sehr stark eingeschränkt, hätte also einen wenig weit reichenden Wissenshorizont. Moderne Gesellschaften beruhen daher auf Informationsströmen, in denen Wissen längere Informationsumwege einschlägt, als dies in den elementaren Formen der Fall ist. Die vorherrschende Art des Informationsstromes ist die Übertragung von Wissen unter die Zwischenschaltung von Medien. Im Kern sind auch hier Elemente des Verfahrens der einfachen Zeugnisablegung oder der Diskussion enthalten. Uber Massenmedien wird also sowohl die einfache Wissensweitergabe als auch die diskursive Weiterentwicklung von Wissen vorgenommen. Die in den obigen Ausführungen dargelegten Einflußgrößen zur Stabilität dieser Informationsflüsse gelten also im Prinzip auch dann, wenn es sich um massenmedial verlängerte Informationsumwege handelt. Allerdings sind auch gravierende Unterschiede zu beachten. So ist die Kommunikationssituation nun anonym. Das verschärft einige der oben angeführten Probleme. Zunächst sei die grundlegende Situation beschrieben (vgl. Abbildung 5-11).433

Informationsfluß



Abbildung 5-11: Medienvermittelter Informationsfluß Quelle: eigene Darstellung Bei diesen Prozessen macht sich auch eine Person auf Basis eines Erkenntnisverfahrens ein Bild der Realität. Ein Beispiel wäre ein Journalist, der eine Recherche durchfuhrt, um bestimmte Sachverhalte zu ergründen. Diese Sachverhalte gibt er unter Nutzung eines Mediums an ihm nicht bekannte Empfanger weiter. Das Medium ist dabei nicht etwas nur ein Signalverstärker, sondern verfolgt auch eigene Interessen und kann daher Einfluß auf die Ausgestaltung der Botschaft nehmen. Allerdings fallt nicht nur der Journalismus in diese Kategorie. Nicht im direkten Austausch werden in der Regel auch wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt. Auch dabei sind Medien zwischengeschalten (seien es die Medien des Wissenschaftsbetriebs wie beispielsweise wissenschaftliche Zeitschriften oder sei es die Vermittlung über populäre Medien an ein breiteres Publikum). Es ist un-

Vgl. auch Helmstädter (2004).

135

schwer zu sehen, daß im Kern hier wiederum ein Vertrauensproblem vorliegt. Durch die Zwischenschaltung eines Mediums und die dadurch gesteigerte Anonymität hat sich dies nun noch verschärft. Der Empfänger muß nicht nur dem unmittelbaren Wissensproduzenten vertrauen können, sondern auch dem Medium selber. Die Überprüfung der Fähigkeit zur Produktion verläßlicher Wahrheitswerte wird schwieriger als sie im direkten Austausch, in dem sich die Interaktionspartner bekannt sind, ist. Mit diesen Schwierigkeiten nehmen auch die möglichen Störpotentiale zu, die eine Wissensteilung im Sinne einer adäquaten Weitergabe von Wahrheitswerten verhindern können. Auf Seiten des Wissensproduzenten existieren hier Mechanismen, die dafür sorgen, daß er an wahrer Erkenntnis interessiert ist. Die Medienökonomik hat hier gezeigt, daß in journalistischen Wissens- und Informationsprozessen ist "die Steuerung von Belohnungs-/ Gratifikationsansprüchen eher über reputative als über monetäre Anerkennungsverfahren" 434 verläuft. Ein funktionierender Reputationswettbewerb ist also in der Lage, als Vertrauensgarant zu dienen.435 Gerade im Journalismus haben sich hier funktionierende Regelstrukturen herausgebildet, die das Mediensystem zu einer Selbststeuerung in die Lage zu versetzen. Hinzuweisen ist hier beispielsweise auf journalistische Standesregeln oder die informelle Regelung des Verhältnisses zwischen Journalisten und Informanten. 436 Auch die Wissenschaft kennt Mechanismen, die die Orientierung ihrer primären Wissensproduzenten an der Wahrheit fördern; Reputation spielt hier ebenfalls eine zentrale Rolle.437 Ein weiteres Problem, das bei den einfachen Informationsströmen vernachlässigt werden kann, entsteht bei mediatisierten Informationsströmen aus der Wechselwirkung mit der Aufmerksamkeitskomponente bzw. der kognitiven Dimension der Empfänger. Während bei den einfachen Informationsströmen aufgrund des klar abgegrenzten Personenkreises von vorneherein ein Interesse und daraus folgend Aufmerksamkeit unterstellt werden kann, ist dies bei anonymen und massenhaft auftretenden mediatisierten Informationsströmen nicht mehr ohne weiteres der Fall. Oben wurde darauf hingewiesen, daß es hier zahlreiche Mechanismen gibt, die dafür sorgen, daß Wissen nicht in der Weise transformiert wird, wie es eigentlich gemeint ist, oder daß bestimmte Aspekte des Informationsflusses ausgeblendet werden (bzw. dieser von vorneherein unberücksichtigt gelassen wird). Es ist davon auszugehen, daß die Medien (z.B. aus wirtschaftlichen Interessen) an Aufmerksamkeit interessiert sind. Folgen sie diesen Aufmerksamkeitsmustern, so besteht die Gefahr einer systematischen Verzerrung des übertragenen Wissens. Die Mechanismen, die hier eine Rolle spielen, sind vielfältig und ergeben sich aus den oben aufgezeigten kognitiven Beschränkungen. Beispielsweise betreiben Medien Agenda-Setting, selektieren also die vermit«4 Kuhlen (2004b), S. 23 435 Vgl. z.B. Lobiges (2004). Der Reputationsmechanismus ist in der ökonomischen Theorie eingehend untersucht, vgl. z. B. den Band von Klein (1997). «6 Vgl. Munsberg (2004), S. 270ff. oder Fengler und Ruß-Mohl (2004). 437 Aus wissenschaftsökonomischer Sicht vgl. Lütge (2001).

136

telten Nachrichten vor. Damit üben sie Einfluß darauf aus, was überhaupt in den Wissensbereich von Menschen gerät und worüber sie nachdenken. Da die Medien wissen, daß ihr Publikum mit seinen Aufmerksamkeitsressourcen ökonomisch umgeht, nehmen sie dies vorneweg und richten ihr Angebot so aus, daß Aufmerksamkeit maximal wird. Das kann zu einer systematischen Verzerrung von Wissen fuhren, beispielsweise indem das Unterhaltungsbedürfnis zu stark gewichtet wird und dem Informationsbedürfnis zu wenig Raum gegeben wird.438 Seinen Niederschlag findet dies in der unter anderem in der Kommunikationswissenschaft oder in der Politikwissenschaft geäußerten These, daß sich die Medien ihre Realität zu einem guten Teil selber schaffen. 439 Übersetzt in die hier verfolgte Zielsetzung: Selbst dann, wenn die Person, die am Anfang eines über Medien vermittelten Informationsflusses steht, Erkenntnisse mit hoher Verläßlichkeit und damit hohem Wahrheitsgrad produziert, existiert in diesem Prozeß die Gefahr, daß diese Erkenntnisse verändert und in ihrem Wahrheitsgehalt beeinträchtigt werden. In dem durch Medien vermittelten Wissensvermittlungs- und Diskussionsprozeß besteht sogar die Möglichkeit, daß sich kollektive Wissensstrukturen bilden, die als wahr anerkannt werden, aber dennoch nicht realen Zusammenhängen entsprechen. Es bildet sich also eine soziale Wahrheit heraus, die fortbesteht, aber damit das tatsächlich vorhandene Bild der Welt verfälscht.440 Die Frage, die sich hier unmittelbar stellt, ist die, ob es Mechanismen gibt, die dafür sorgen, daß soziale Wahrheit und tatsächliche Welt miteinander in Einklang gebracht werden können.

5.2.2.4 Schlußfolgerungen Die Ausführungen haben einige Spezifika idealtypischer Informationsflüsse aufgezeigt. Die drei Grundstrukturen tragen jeweils in spezifischer Weise zur Wissensteilung bei und bilden Informationsumwege unterschiedlicher Länge: •

Die Zeugnisablegung ist das Grundmuster, in dem Wissensstrukturen weitergetragen werden.



In der Diskussion geht es nicht nur um Weitergabe von Wissen, sondern darüber hinaus auch um Irrtumskorrektur, was insbesondere von Bedeutung ist, da absolute Wahrheit nie erreicht werden kann, also Erkenntnisprozesse nie vollkommen verläßlich sind (folglich niemals p(w/m)=l gilt).

Hier sei auf die umfangreiche Studie von Zoll (2003) verwiesen, die diese Mechanismen am Beispiel der Rezeption des Wettbewerbsgedankens in der Öffentlichkeit ausfuhrlich herausarbeitet, so daß sich eine detaillierte Behandlung hier erübrigt. Vgl. allerdings zur Schwierigkeit solcher Studien Fleischmann (2004). Etwas zu kurz kommen bei Zoll allerdings Möglichkeiten, wie der Wettbewerb in mediatisierten Informationsströmen selbst als KontroÜund Steuerungsmechanismus wirken kann. Vgl. zur Rolle der Medien auch Schwarz (2005), S. 159ff. oder Witt (1996). « » Vgl. Strohmeier (2004), S. 107. 440 Vgl. zu diesem Phänomen Zeider (2000). 438

137



Medien wirken in diesen Kontexten als Instrumente, um Wissen über den zweiseitigen Austausch hinaus weiter zu verbreiten. In modernen Großgesellschaften sind mediatisierte Informationsströme, bei denen vom Erkenntnisproduzenten (z. B. Journalist oder Wissenschaftler) lange Informationsumwege eingeschlagen werden, die wichtigsten Informationsvorgänge. Dabei kommt allerdings die Aufmerksamkeitskomponente verstärkt ins Spiel.

Ein Blick auf die Kostenstrukturen und mögliche strategische Probleme hat gezeigt, daß es zahlreiche Hindernisse gibt, die diese Strukturen davon abhalten, Wahrheit im Sinne von verläßlich gewonnenen Erkenntnissen zu übertragen, um auf diese Weise zu einer sinnvollen Wissensteilung bzw. zu einer informierten Gesellschaft beizutragen. Geht man davon aus, daß es grundsätzlich verläßliche Mechanismen der Erkenntnis gibt, die Wahrheit in Bezug auf bestimmte realweltliche Sachverhalte produzieren können, dann liegt es vor allem an der Funktionsfähigkeit der Informationsflüsse, ob dieses Wissen auch tatsächlich gesellschaftlich genutzt werden kann. Die elementaren Informationsflüsse basieren vor allem auf dem Prinzip Vertrauen. Kann dieses hergestellt werden, dann kann auch verläßlich ermitteltes Wissen übertragen und genutzt werden, ohne daß der Empfanger befürchten muß, bewußter Fehlinformation zu unterliegen. Im Falle von medienvermittelten Informationsströmen, insbesondere über Massenmedien vermittelte, kommt noch ein Wahrnehmungsproblem hinzu. Durch vorgefertigte Wahrnehmungsmuster werden bestimmte Aspekte von Informationsflüssen von vorneherein ausgeblendet und nicht berücksichtigt, so daß die Fähigkeit zur Wahrheitsübermittlung erheblich eingeschränkt ist. 5.2.3 Informationsfluß und Wettbewerb Eine Analyse dieser auf zwei Akteure beschränkten Strukturen von elementaren Informationsströmen macht noch keinen sozialen Kontext aus441, sondern zeigt nur, wie die betreffenden Beziehungen nutzbringend ausgestaltet werden können. Mit dem Grundgedanken des Vertrauens bzw. der wechselseitigen Erwartungsstabilisierung wurde ein Ansatzpunkt aufgezeigt, wie diese Beziehungen für sich genommen nutzbringend gestaltet werden können. Soll aber auf die gesamtgesellschaftliche Wirkung von Informationsströmen abgestellt werden, so ist diese Perspektive noch nicht ausreichend. Vielmehr ist zu diskutieren, welche Folgen das Zusammenspiel mehrerer Akteure in solchen Beziehungen hat. Beispielsweise könnte ein an einer Aussage über einen bestimmten Sachverhalt interessierter Akteur mehrere Personen zur Auswahl haben, die ihm ein Abbild dieses Sachverhalts liefern. Dadurch entsteht zwangsläufig eine Wettbewerbssituation. Die Frage ist dann, ob dieser Wettbewerb zur Stabilisierung der Informationsströme und damit der Wissensteilung beiträgt, ob sich also in einem solchen Prozeß tendenziell Wissen mit hohem Wahrheitsgehalt durchsetzt. Die Antwort

441

Darauf weist z.B. Sent (1997), S. S142 f. in Bezug auf Goldmans Epistemologie hin.

138

auf diese Frage hat erhebliche normative Konsequenzen; sie ist die Grundlage fur eine Antwort auf die Frage, ob sich die hier betrachteten Sozialbeziehungen selbst steuern können oder ob weitergehende Regulierung von außen notwendig ist. Diese Frage ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die Informationsumwege, die Wissen nimmt länger und anonymer werden, so daß eine direkte Steuerung über erwartungsstabilisierende Strukturen schwieriger wird. Daher muß im folgenden noch ein weiterer Analyseschritt getan werden, nämlich die Aggregation dieser Basisstrukturen zu Informationsströmen mit mehreren Akteuren. Die obige Grundstruktur wird also dahingehend modifiziert, daß nicht mehr nur ein Sender und ein Empfanger vorhanden sind. Vielmehr gibt es mehrere Sender, die einen bestimmten Objektbereich abbilden und dazu Wissen vermitteln. Gleichzeitig soll auch angenommen werden, daß mehrere Empfänger mit hohen Erkenntniskosten vorhanden sind, die aber grundsätzlich an Wissen über den Objektbereich interessiert sind. Die Empfänger müssen sich nun entscheiden, wessen Wissen sie nachfragen. Wie kann ein solcher Prozeß nun dargestellt werden? Um das zu klären, sei zunächst dargelegt, unter welchen Wettbewerbsverständnissen man diese Situation abbilden kann. 5.2.3.1 Zum Wettbewerbsverständnis Wenngleich wohl jeder eine ungefähre Vorstellung von Wettbewerb haben dürfte, die grob mit dem Terminus „Konkurrenzbeziehung" umrissen werden kann, so gibt es doch im Detail erhebliche Auffassungsunterschiede vom Wettbewerbsphänomen in positiver wie in normativer Hinsicht. Idealtypisch unterscheiden lassen sich das preistheoretische Verständnis der Neoklassik und der daran angeschlossenen Wohlfahrtsökonomik auf der einen und der prozeßorientierten Ansatz der österreichischen Schule und mancher darauf aufbauender evolutorischer Konzepte auf der anderen Seite. Auf das neoklassische Verständnis wurde bereits in Kapitel 4 verwiesen. Ausgangspunkt ist ein Allokationsproblem: Wie können vorhandenen, in der Regel auf unterschiedliche Akteure verteilte Ressourcen so genutzt werden, daß dadurch die Wohlfahrt aller Gesellschaftsmitglieder maximal wird? Die formale Lösung besteht in der Konstruktion eines allgemeinen, pareto-optimalen Gleichgewichts, das sich durch bestimmte Optimalbedingungen auszeichnet und auf diese Weise die Eigenschaften des gesellschaftlichen Optimums erfüllt. Orientierungspunkte in einer solchen Welt sind die Preise; sie zeigen im Gleichgewicht die Knappheiten an und lenken damit das Verhalten der Individuen. Ideal entwickelt sind diese Bedingungen im Modell der vollkommenen Konkurrenz, das durch atomistische und isolierte Akteure, vollkommene Markttransparenz, unendliche Reaktionsgeschwindigkeit und kosten- wie friktionslose Transaktionsmöglichkeiten gekennzeichnet ist.442

Die Formulierung dieses Annahmensystems geht auf Knight (1921), S. 76ff. zurück. Vgl. aber für eine moderne Interpretation, die insbesondere den Anbieter unter vollkommener Konkurrenz nicht mehr als passiven Preis- und Marktnehmer sieht Makowski und Ostroy (2001).

442

139

Die Kritik an diesem Modell ist umfangreich, aber nicht, weil es unrealistisch ist, sondern weil es den Zugang zu bestimmten Phänomenen verwehrt oder bestimmte Probleme überbetont. Das liegt vor allem daran, daß Lern- und Entdeckungsprozesse ausgeblendet und damit manche Potentiale der Selbstregulierung von vorneherein nicht berücksichtigt werden. Informationsprobleme sind das beste Beispiel hierfür. In vielen Fällen können sich aus dem Markt heraus Mechanismen bilden, die diese überwinden helfen.443 Die neoklassische Wettbewerbstheorie sieht Preise also als Informationsinstrumente an, die von einem Auktionator vor Durchführung tatsächlicher Tauschvorgänge festgelegt werden und die Möglichkeiten knappheitsmindernden Tausches perfekt anzeigen. Wie in der Figur des Preisnehmers deutlich wird, sagen in dieser Vorstellung Preise jedem Marktteilnehmer unmißverständlich, was zu tun ist. Dieser Vorstellung entgegengesetzt ist die marktprozeßtheoretische Sichtweise des Preissystems. Dabei wird die Preisbildung als Kommunikationsprozeß gedacht. In dessen Verlauf werden Informationen über Tauschwünsche und mögliche Tauschangebote transferiert. Dieser Ansicht nach sagen Preise gerade nicht, was genau zu tun ist. Sie müssen vielmehr erst aufgespürt werden und vor dem Hintergrund subjektiver Erwartungen interpretiert werden. Sie sind damit mögliche Anlässe eines transaktionskostenträchtigen Prozesses des Probierens und Korrigierens individueller Pläne. Doch informieren Preissignale diesen Prozeß ebenso wie sie seine Ergebnisse laufend abstrakt abbilden. Preise können hier gesehen werden als „Gegenwartssymbole der von den Marktteilnehmer erwarteten Entwicklung von Umständen"444. Sie ermöglichen einen koordinierenden Prozeß der laufenden, tastenden Anpassung an diese Umstände, die die Preisbildung vorantreibt, die aber niemand genau kennen kann.445 Die Marktprozeßtheorie lehnt den Gleichgewichtsgedanken der Neoklassik zugunsten einer endogenen Erklärung des Verlaufs von Wettbewerbs- und Marktprozessen ab. Dabei wird sehr stark das Wissensproblem in den Vordergrund gestellt. Ausgangspunkt solcher Prozesse sind Bedingungen, die aus neoklassisch-wohlfahrtsökonomischer Sicht als unvollkommen zu kennzeichnen sind, nämlich Intransparenz, Heterogenität und beschränkte Reaktionsfähigkeiten wie -möglichkeiten. Die Marktprozeßtheorie zeigt, wie das Handeln individuell zum Teil stark unterschiedlicher Akteure aufeinander abgestimmt werden kann, so daß es zu einer spontanen Koordination unter Nutzung dezentral vorhandenen Wissens kommen kann. Dabei spielt das Wirken von Unternehmern, die sich der Sammlung und Neukombination von Wissen annehmen, eine zentrale Rolle. Die unternehmerische Tätigkeit ist wiederum davon abhängig, ob und inwieweit die Rahmenordnung das Generieren und Verbreiten neuen Wissens möglich macht, inwieweit sie also Transaktionskosten aufbaut oder senkt.446

Vgl. dazu ausführlich Kunz (1985). Röpke (1977), S. 359. «s Vgl. dazu Kerber (1997), S. 33ff. oder Wohlgemuth (1999), S. 35 446 So herausgearbeitet z.B. bei Streit und Wegner (1989). 444

140

Welches Wettbewerbsverständais das „richtige" ist, läßt sich objektiv nicht sagen. Es gelten hier die Überlegungen zur Angemessenheit von Modellbildungen wie sie in Kapitel 2 (und Kapitel 4) dargelegt worden sind. Das bedeutet, beide Denkansätze können füir bestimmte Zwecke angemessen sein, sind aber keineswegs allumfassend gültig. So ist beispielsweise der neoklassisch orientierte Ansatz, insbesondere dann, wenn er um neuere Überlegungen aus der Industrieoder Institutionenökonomik erweitert wird, geeignet, bestimmte Problemfelder besonders pointiert herauszuarbeiten. Das gilt unter anderem für Funktionsprobleme auf Märkten, z.B. aufgrund asymmetrisch verteilter Information. Diese Vorgehensweise bringt aber das Problem mit sich, das manche Aspekte überbetont werden. Es wird also gesehen, daß auf einem Markt aufgrund eines bestimmten Tatbestandes ein Funktionsproblem vorliegen könnte; es wird aber nicht gesehen, daß das Marktumfeld potentielle Lösungen gleich mitliefert und das Problem damit wieder entschärft. Solche Aspekte werden von prozeßtheoretischen Ansätzen eher gesehen, die allerdings häufig in Gefahr laufen, zu stark auf solche Selbstheilungskräfte zu vertrauen. Um die Vorteile beider Ansätze nutzen zu können, bietet es sich an, zunächst neoklassisch orientierte Überlegungen anzustellen, um diese schließlich mit prozeßtheoretischen Gedanken abzugleichen. Dabei wird allerdings nicht auf einen reinen neoklassischen Ansatz zurückgegriffen, sondern auf eine Modellstruktur wie sie in der Neuen Institutionenökonomik gerne verwendet wird. Da dieser Ansatz und die Marktprozeßtheorie jeweils die Wichtigkeit von Institutionen herausstellen, fällt die Zusammenführung der Ergebnisse leichter. 5.2.3.2 Setzt sich Wahrheit im Wettbewerb durch?

Wie läßt sich Wettbewerb in die oben dargelegten Grundstrukturen integrieren und welche Ergebnisse sind aus einem solchen Wettbewerb zu erwarten? Die Ausgangssituation sieht folgendermaßen aus: Es existiert eine Gruppe von Sendern, die Erkenntnisse über einen bestimmten Sachverhalt gewonnen haben. Diese Erkenntnisse weisen einen unterschiedlich hohen Wahrheitsgehalt auf. Eine Gruppe von Empfanger möchte auf die Erkenntnisse der Sender zurückgreifen, möchte also auf eigene Erkenntnisanstrengungen verzichten. Es stellt sich die Frage, welche der Erkenntnisse sich durchsetzen, ob diejenigen mit niedrigem Wahrheitsgehalt oder eher die mit hohem Wahrheitsgehalt. Eine Modellierung dieser Fragestellung könnte an sehr unterschiedlichen Stellen der in Abschnitt 5.2.2 dargelegten Informationsflüsse ansetzen. Beispielsweise stellt das Problem der Anreize für Journalisten oder andere Wissensproduzenten zur wahrheitsgemäßen Erkenntniserzeugung einen Ansatzpunkt dar. Dieser müßte wiederum mit den Anreizstrukturen, die für eine qualitativ hochwertige, also sowohl unverzerrte als auch empfängergerechte Informationsgenerierung und -Übertragung kombiniert werden. Es ist leicht ersichtlich, daß die Betrachtung bei Beachtung all dieser und weiterer Punkte sehr schnell komplex wird und an Allgemeingültigkeit verliert. Daher wird im folgenden die Wettbewerbssituation auf ihre Kernelemente reduziert. Das bedeutet, es wird einfach unterstellt,

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daß unterschiedliche Informationsangebote im Raum stehen. Deren Qualität wird ausschließlich auf den Wahrheitsgehalt des dahinter stehenden Wissens reduziert. Ergeben sich aus Sicht der beiden grundlegenden Wettbewerbsverständnisse nun Aussagen dahingehend, ob sich qualitativ hochwertige Information auch durchsetzt.447 5.2.3.2.1

Einfaches Modell

Aus Sicht eines neoklassisch orientierten Wettbewerbsverständnisses im weitesten Sinne wird deutlich, daß die Situation in diesem Fall derjenigen ähnelt, die bei Akerlofs Lemon-Modell von Bedeutung ist. Bei Akerlof geht es darum, wie asymmetrische Informationen über die Qualität von Produkten zu Marktversagen führen. Das Kernproblem ist dabei, daß es Güter gibt, deren Qualität dem Konsumenten vor dem Kauf nicht bekannt ist und selbst nach dem Kauf nicht zweifelsfrei dem Produzenten zugerechnet werden kann (wäre sie das, so ließe sich über ein Garantiesystem Abhilfe schaffen). Es besteht dann immer die Gefahr, daß sich am Ende die schlechte Qualität durchsetzt oder der Markt ganz zusammenbricht, da die Produzenten guter Qualität nicht anbieten, da sich ein Angebot für sie unter den Modellbedingungen nicht lohnt.448 Die im Anschluß an Akerlof entwickelten Modellstrukturen können in einfacher Art und Weise genutzt werden, um einige grundsätzliche Probleme bei der Durchsetzung von Wahrheit in Informationsströmen aufzuzeigen.449 Stehen konkurrierende Hypothesen (Aussagen über einen Sachverhalt im obigen Sinne) im Raum, dann ist die Situation unproblematisch, wenn ein direkter Test von Hypothesen möglich ist. In diesem Falle ließen sich die Wahrheitseigenschaften ohne weiteres überprüfen und ein Irrtum oder eine Aussage mit geringerem Wahrheitsgehalt hätte keine Chance, sich durchzusetzen. Was passiert aber, wenn dies nicht ohne weiteres möglich ist, wenn also der direkte Test aus Kostengründen nicht durchführbar ist? Die Nichtdurchführbarkeit eines Tests bedeutet, daß die Nachfrager oder Empfänger nicht ohne weiteres einschätzen können, wie die Verläßlichkeit oder der Wahrheitsgehalt der angebotenen Aussagen aussehen. Die Produzenten der Erkenntnis können dies sehr wohl tun. Gleichzeitig ist davon auszugehen, daß die Erzeugung von falscher Erkenntnis

Diese Vorgehensweise stellt auch sicher, daß kein Widerspruch zu den Ergebnissen von Kapitel 4 entsteht, wenn an dieser Stelle zunächst auf neoklassisch orientierte Grundstrukturen zurückgegriffen wird. In Kapitel 4 war herausgearbeitet worden, daß die neoklassisch geprägte Informationsökonomik nicht geeignet ist, Informationsströme im hier verfolgten Sinne zu erfassen. Ein wichtiger Grund war dabei, daß implizit ein objektiver Wissensstand unterstellt wird. Das wird in der hier darzulegenden Struktur nicht getan; vielmehr wird hier der Informationsstrom auf einen bestimmten qualitativen Aspekt verengt. 448 Vgl. zu dieser Modellstruktur, ihren Auswirkungen und möglichen Lösungen Akerlof (1970), S. 488ff., Leland (1979), S. 1328ff. sowie Tirole (1988), S. 106ff. 449 Die Überlegungen folgen teilweise Breton und Wintrobe (1992), S. 217ff. Starke Zweifel an der Funktionsfahigkeit von Wettbewerbsstrukturen in diesem Zusammenhang äußert Goldman (1999), S. 194ff. 447

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oder Erkenntnis mit geringem Wahrheitsgehalt weniger Kosten verursacht als die Produktion von Erkenntnis mit hohem Wahrheitsgehalt. Unter diesen Bedingungen ergibt sich ein typisches Problem adverser Selektion. Die qualitativ schlechteren Aussagen, also diejenigen mit weniger Wahrheitsgehalt, verdrängen dann die qualitativ besseren. Das ist dadurch verursacht, daß die Hersteller von guten Produkten (Wahrheiten) nicht mehr an einer Produktion interessiert sind, weil sie fürchten müssen, dafür nicht ausreichend honoriert zu werden. Die Honorierung muß dabei nicht zwingend monetär ausgerichtet sein, sondern kann sich auch auf Anerkennung oder ähnliches beziehen.450 In einem solchen Fall können Regulierungen den Markt für Wahrheit verbessern. Dabei kann es sich um Einschränkungen der Redefreiheit handeln, es kann sich auch um Selbstregulierung handeln. Allgemein müssen Mechanismen eingeführt werden, die dafür sorgen, daß schlechte Güter (Unwahrheiten, Irrtümer) von vorneherein ausgefiltert werden bzw. die Produzenten von Wahrheiten als solche kenntlich gemacht werden. Die Literatur kennt hier sogenannte Screening- und Signalling-Mechanismen, die dafür sorgen, daß Marktversagen nicht oder zumindest nicht in der extremen Form auftritt, wie es das Modell vorhersagt. Möglich sind hier Informationsaktivitäten des Nachfragers oder die Einschaltung Dritter. Auch können die Sender von Informationen von sich aus versuchen, sich als besonders verläßlich darzustellen. Dazu dienen beispielsweise Reputationsaktivitäten, die um so besser wirken, je häufiger der Kontakt zwischen den Beteiligten ist und je länger der Sender als Informationsanbieter wirken möchte. Daneben besteht auch die Möglichkeit einer staatlichen Regulierung, beispielsweise durch Einführung von Mindeststandards.451 Übertragen auf die Situation der einfachen Zeugnisablegung hieße das: Es würde beispielsweise eine Regulierung eingeführt, die das Angebot von Wissen zu dem betreffenden Objektbereich an bestimmte Qualifikationen knüpft, nur bestimmte Äußerungen zuläßt oder dies ganz verbietet. Das Problem dabei ist allerdings, ob mit Hilfe einer solchen Regulierung zweifelsfrei zwischen eher wahren und eher falschen Wissensbestandteilen unterschieden werden kann. 5.2.3.2.2

Erweiterung

Die angeführte Modellstruktur zeigt auf, daß es in der Weitergabe von Wissen über Informationsströme zu grundsätzlichen Problemen kommen kann. Es ist nicht ohne weiteres gesichert, daß sich auch immer diejenigen Informationsströme durchsetzen, die den höchsten Wahrheitsgehalt transportieren und damit einer Wissensteilung sowie den Funktionen von Informationsströmen dienlich sind. Zwar ist festzustellen, daß es sich bei dem genannten Modell um eine sehr 450 Vgl fü r formale Strukturen, mit denen diese Situation abgebildet werden kann Martiensen (2000), S. 397ff. Diese auf Marktaustausch bezogenen Strukturen können durch Ersetzung von Qualität mit Wahrheitsgehalt und Preisen mit den entsprechenden Anerkennungen so modifiziert werden, daß sie der hier betrachteten Situation entsprechen. Vgl. dazu Leland (1979).

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einfache Struktur handelt, die starke Nähe zum wohlfahrtsökonomischen Wettbewerbsverständnis zeigt. Dennoch wird ein zentrales Problem pointiert herausgearbeitet. Unter Kombination mit den in Abschnitt 5.2.2 analysiereten Problemen, die in einfachen Informationsströmen auftreten können, wird deutlich, daß es sich dabei um fragile Strukturen handelt, die stets davon bedroht sind, sich in eine falsche Richtung zu entwickeln. Allerdings muß gefragt, ob das Marktversagensproblem dabei nicht überbetont wird. So ist das angeführte Modell im Stile Akerlofs sehr einfach strukturiert und kann weder das Kriterium der Wahrheit angemessen erfassen noch die Spezifika von Informationsströmen wie sie insbesondere in Kapitel 3 dargelegt worden sind. Daher ist zu klären, ob sich aus einer prozeßtheoretischen Perspektive nicht Relativierungen der im Vorabschnitt erarbeiteten Ergebnisse ableiten lassen. Die Frage, ob sich aus prozeßtheoretischer Sicht hier Relativierungen ergeben, läßt sich auch folgendermaßen stellen: Kommt es durch unternehmerische Initiative dazu, daß in den untersuchten Informationsbeziehungen Strukturen entstehen, die dazu führen, daß das oben angeführte Akerlof-Problem zumindest entschärft wird und damit stabile und die Wissensteilung fördernde Informationsströme entstehen.452 Besteht also das Potential, daß sich hier Mechanismen herausbilden, die für eine Regulierung des Problems aus dem Markt heraus selber sorgen? Eine zentrale Schwierigkeit liegt hier darin, daß der Wahrheitsgehalt von Informationsströmen aufgrund der in Kapitel 3 ausgeführten Charakteristika von Wahrheit niemals objektiv ermittelt werden kann. Es geht immer nur um mehr oder weniger starke Annäherung an die Wahrheit. Akzeptiert man diese Tatsache, dann wird man zu dem Schluß gelangen, daß es zwar einen Anreiz der Wissensproduzenten und —Überträger gibt, den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen zu signalisieren, um auf diese Weise als verläßliche Sender zu gelten. Allerdings kann damit nie ausgeschlossen werden, daß es nicht doch Fehlentwicklungen und eine Tendenz hin zu einem Überhandnehmen eher unwahrer Strukturen gibt. Die Tendenz, Strukturen zu etablieren, die dafür sorgen, daß Wahrheitsorientierung offenbar wird, ist vom Umfeld abhängig und davon, wie stark die persönliche Nutzenerreichung mit der Wahrheitsorientierung verknüpft ist. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Wissenschaft, deren interne Selektion auf Reputationsmechanismen beruht, die wiederum auf strenge Prüfung der offenbarten wissenschaftlichen Ergebnisse gründen. Allerdings kann es auch hier zu Fehlentwicklungen kommen, beispielsweise indem sich bestimmte Ansichten verfestigen.453

452 Vgl. zu dieser Problematik für herkömmliche Gütermärkte Kunz (1985), S. 93ff. Diskutiert wird dort insbesondere die Entstehung von Märkten für kurzfristig entscheidungsverbessernde Informationen. 453 Vgl. zum Wettbewerb in der Wissenschaft Bünstorf (2002) und zur Funktionsweise des Reputationsmechanismus McQuade und Butos (2003).

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5.2.3.3 Schlußfolgerungen Informationsströme wurden sowohl in der isolierten Betrachtung einzelner Grundstrukturen als auch bei der Hinzunahme von weiteren sozialen Kontexten und damit verbundenen Wettbewerbselementen als von Funktionsproblemen bedrohte soziale Strukturen erkannt. Allerdings wurden in beiden Betrachtungsweisen Möglichkeiten identifiziert, die zur Stabilisierung dieser Strukturen beitragen können. In den einfachen Informationsströmen Zeugnisablegung und Diskussion war dies die wechselseitige Erwartungsstabilität. Je länger allerdings die Informationsumwege werden und je anonymer die Situation desto schwieriger wird es, auf diese Mechanismen zurückzugreifen. Aus Sicht eines neoklassisch orientierten Wettbewerbsverständnisses läßt sich sogar die tendenziell vorherrschende Bedrohung solcher Sozialstrukturen durch eine Verdrängung wahrer Inhalte durch unwahre Inhalte feststellen. Aus marktprozeßtheoretischer Perspektive relativieren sich diese Problem zwar; allerdings läßt sich auch dieser Perspektive keine Garantie ableiten, daß stets einen Annäherung an die Wahrheit erfolgt. Es bestehen zwar Anreize zur Etablierung von Mechanismen, die tendenziell in diese Richtung wirken. Allerdings sind sie aufgrund der Charakteristika von Informationsströmen nur unvollkommen in der Lage, diese Leistung zu erbringen. 5.2.4 Übergang zu kollektiven Wissensstrukturen Die bisherigen Ausfuhrungen zeigen, wie die Stabilität von Informationsströmen zur Weitergabe von Wissen ist. Als weiterer Aspekt von Wissensteilung war weiter oben die Herausbildung von kollektiven Wissensstrukturen (z. B. geteilten Vorstellungen über die Funktionsweise sozialer Zusammenhänge) eingeführt worden. Es stellt sich nun in Ergänzung zu den bisherigen Ausführungen die Frage, welche Auswirkungen Informationsströme auf die kollektiven Wissensstrukturen hat. Kommt es zur Herausbildung einer sozialen Wahrheit, die einem tatsächlichen Abbild der Gegebenheiten entspricht oder sind hier Entwicklungen möglich, die auf ein Auseinanderfallen von sozialer und faktischer Wahrheit hinauslaufen? An dieser Stelle kann auf Theorien zurückgegriffen werden, die die Herausbildung öffentlicher Meinungsstrukturen untersuchen.454 Die Beschäfü-

Zu den Konzepten Meinung und öffentliche Meinung sei in Ergänzung zu den Ausfuhrungen in Kapitel 3 noch angemerkt: Es existieren zahlreiche, sich zum Teil widersprechende Konzepte. Läßt man deskriptive Ansätze, die auf eine reine Bestandsaufnahme hinauslaufen, beiseite, so scheiden sich die Geister insbesondere daran, ob Meinung und öffentliche Meinung mit dem Wahrheitsbegriff in Verbindung gebracht werden sollte, oder nicht. Während beispielsweise diskurstheoretische Konzepte in der Tradition von Habermas einen Bezug zur Wahrheit sehen (öffentliche Meinung hat sich im Diskurs herausgebildet und hat sich dabei sukzessive an der Wahrheit orientiert), lehnen beispielsweise auf Luhmann zurückgehende Ansätze den Wahrheitsbezug ab. Öffentliche Meinung strukturiert demnach den öffentlichen Kommunikationsprozeß und strukturiert vor allem die diesbezügliche Diskussion (vgl. die Hinweise bei Merten (1999), S. 238f.). Hier wird aufgrund der thematischen Ausrichtung ein Bezug der öffentlichen Meinung zur Wahrheit gesehen. 454

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gung mit der öffentlichen Meinung hat eine lange Tradition in der Beschäftigung mit politischen Systemen und ihrer Komponenten.455 Auch aus ökonomischer Sicht existieren hier einige Ansätze. Beispielsweise konstruiert von Aaken eine Theorie, die darauf basiert, daß Individuen Nachfrager öffentlicher Meinung sind und sich für die Äußerung einer solchen auf Grundlagen von rationalen KostenNutzen-Kalkülen entscheiden. Die Kosten werden bestimmt durch die Isolation; der einzelne nimmt öffentliche Meinungen an, die nicht seiner eigenen entsprechen, weil er furchtet sozial isoliert zu werden.456 Der Prozeß der Bildung der öffentlichen Meinung wird dabei als Marktprozeß interpretiert, dessen Qualitäten von der Verfassung dieses Marktes abhängen. Der Meinungsmarkt stellt dabei eine spontane Ordnung dar, die sowohl durch die langfristig gültigen Regeln (wobei die festen Meinungen als solche interpretiert werden) als auch durch die augenblicksbestimmten Ergebnisse dieser Ordnung bestimmt werden. Zentral für das Funktionieren eines solchen Wettbewerbs sind die Isolationskosten eines Individuums. Unterstellt wird, daß durch Abweichen bestimmten öffentlichen Meinungen ein Individuum sich isoliert und daher möglicherweise davor zurückschreckt, seine wahre Meinung auch öffentlich kund zu tun. Phänomene wie die Schweigespirale457 lassen sich dadurch erklären. Besonders deutlich wird dieser Vorgang bei festen Meinungen. Diese nehmen den Charakter von Regeln an, so daß niemand dagegen verstoßen würde. Ein echter Meinungsmarkt kann hingegen nur dann stattfinden, wenn es um flüssige und gasförmige Meinungen geht. Innerhalb von festen Meinungen ist der Meinungswettbewerb also gesichert.458 Problematischer ist allerdings der Wettbewerb zwischen festen Meinungen zu sehen. Es existieren hohe Kosten der Abweichung von einer festen Meinung, was dazu führt, daß die Akteure sowohl nachfrage- als auch angebotsseitig in ein Gefangenendilemma laufen. Für die Nachfrager ist es mit zu hohen Kosten der Isolation verbunden, sich von der bestehenden festen Meinung abzusetzen. Die Anbieter wollen ihre Meinungsposition stärken. Nur durch geeignete Rahmenbedingungen läßt sich diese dilemmatische Situation aufheben. Plädiert wird

Vgl. den Überblick zur Bedeutung der öffentlichen Meinung bei verschiedenen Denkern bei Aaken (1992), S. 7ff. oder bei Merten (1999), S. 236ff. 456 Aaken (1992), S. lOlff. führt dabei eine ganze Reihe von Determinanten dieser Kosten ein. 457 Dieser Begriff stammt aus der Medienwirkungsforschung und wurde von Elisabeth Noelle-Neumann eingeführt. Im Kern läuft diese Theorie darauf hinaus, daß Menschen dazu neigen, ihre Meinung zu verschweigen, wenn sie sich gegen die Mehrheitsmeinung wähnen. Ursächlich hierfür ist eine anthropologisch verwurzelte Furcht vor Isolation. Weil Menschen sich nicht isolieren wollen, nehmen sie aufs feinste wahr, welche Meinungen in ihrer Umgebung zu- oder abnehmen. Wessen Meinung zunimmt, der redet öffentlich und steckt damit andere, die ebenfalls seiner Meinung sind, auch zum Reden an. Diejenigen, die sich nicht in der Mehrheit sehen, schweigen und werden durch die Zunahme der (möglicherweise vermeintlichen) Mehrheitsmeinung noch mehr zum Schweigen angeregt, bis am Ende die betreffende Meinung sogar untergehen kann. Diese Theorie ist nicht ohne Kritik geblieben. Es wird insbesondere darauf hingewiesen, daß sie nur unter ganz bestimmten Bedingungen gültig sein kann. Insbesondere muß es sich um stark werthaltige Meinungen handeln, die zudem im Fluß sein müssen (vgl. als Übersicht Burkart 2002, S. 262ff.). 458 Aaken (1992), S. 130. 455

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dabei für eine Wettbewerbspolitik auf dem Meinungsmarkt, die hilft, dieses Dilemma zu durchbrechen.459 Ähnliche Ergebnisse liefern marktprozeßtheoretische Betrachtungen zur Bildung kollektiver Wissensstrukturen. So zeigt Wohlgemuth in seinen Überlegungen auf, daß das Ignorieren von Realitäten in solchen Prozessen — insbesondere dann, wenn sie im Bereich der Politik angesiedelt sind — nicht zu signifikanten Kosten fuhrt. Die Öffentlichkeit ist damit eher ein geschlossenes als ein offenes Forum, auf dem neue Ideen eingebracht und die Annäherung an die Wahrheit verbessert wird.460 Kollektive Wissensstrukturen sind also tendenziell anfällig für die Verfestigung von Ansichten, die mit faktischen Wahrheit nicht übereinstimmen. Die oben genannten Probleme bestehen auch hier.461 5.3

Normative Betrachtungen

Nachdem in Abschnitt 5.2 Überlegungen angestellt worden sind, die zeigen, wie Informationsflüsse modellhaft abgebildet werden können und wie sich ihre Funktionseigenschaften darstellen, sollen diese Ergebnisse im folgenden Abschnitt herangezogen werden, um ordnungspolitische Gestaltungsvorschläge abzuleiten. Es soll gezeigt werden, wie Informationsströme institutionell gesteuert werden können, so daß diese ihre gesellschaftlichen Funktionen erfüllen können und das Ziel einer informierten Gesellschaft erreicht wird. Sollen Gestaltungsvorschläge entworfen werden, so beziehen sich diese einerseits auf den engeren Sachzusammenhang und damit die Funktionen von Informationsströmen, die maßgeblich den Wert von Informationen bestimmen; andererseits müssen solche Gestaltungsvorschläge aber auch mit dem größeren Ordnungsrahmen kompatibel sein. Unterstellt wird hier eine liberale Gesellschaftsordnung, die auf dem Grundprinzip der Freiheit beruht. Der Ordnungsentwurf des Liberalismus versucht die Freiheit des Individuums zu begründen und zugleich eine Antwort auf die Frage zu finden, wie freie Menschen miteinander umgehen können und sollten.462 Diesem Gesellschaftsentwurf geht es also letztendlich darum, die Freiheitsspielräume der Individuen derart abzugrenzen, daß es zu einer gesamtgesellschaftlich sinnvollen Kooperation kommt, also die in Kapitel 2 (S. 21 ff.) dargelegten Ordnungsprobleme produktiv überwunden werden. Aus dieser normativen Vorgabe ergeben sich in Bezug auf bestimmte Probleme Vorschläge zur konkreten Rechtssetzung. Allerdings wird sich ein liberaler Entwurf nicht ausschließlich auf Steuerung durch Rechtssetzung verlassen, sondern beachten, daß Rechtsregeln in einen bestimmten kollektiven wie individuellen Wertekontext implementiert werden und innerhalb des-

Vgl. Aaken (1992), S. 141. «o Vgl. Wohlgemuth (1999), S. 230ff., ähnlich auch Zeitler (2000), S. 129ff. Vgl. auch den Überbück bei Holl (2004), S. 175ff. 461 Vgl. als Beispiel für solche Entwicklungen die Studien von Zoll (2003) und Niebaum (2000). Vgl. z.B. Kirsch (1990). 459

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sen umgesetzt werden müssen. Es gilt also: „Institutionelle Steuerung bedeutet, daß politische Akteure institutionelle Arrangements regulativer oder prozeduraler Natur schaffen, welche die Selbststeuerungspotentiale korporativer gesellschaftlicher Akteure aktivieren."463 In diesem Kontext sind auch die folgenden normativen Überlegungen angesiedelt. In Abschnitt 3.4 wurde aufgezeigt, daß mit Informations- und Kommunikationsströmen eine Vielzahl von ordnungspolitischen Problemen verbunden sind, die durch das Gewähren von mehr oder minder weitreichenden Freiheitsspielräumen zu gestalten sind. Deren Nutzung muß in einer Gesellschaft unter Beachtung liberaler Grundsätze geregelt werden.464 Dabei kann es nicht darum gehen, Freiheit beliebig herzustellen; vielmehr müssen Freiheitsspielräume ihre Grenze in der Freiheit anderer finden.465 5.3.1

Grundprinzipien

Zunächst gilt es die Grundprinzipien aufzuzeigen, denen der weitere Ordnungsrahmen genügen soll. Kennzeichnend für eine liberale Gesellschaft sind die Prinzipien der Freiheit und der Selbstorganisation. Selbstorganisation ist aber keineswegs selbstverständlich, sondern muß erst durch Institutionalisierung gewährleistet werden.466 Die folgenden Ausführungen zeigen einige grundlegende Anforderungen an einen entsprechenden Ordnungsrahmen auf. 5.3.1.1 Zur Bedeutung von Freiheit

Individuelle Freiheit ist ein zentraler Wert, auf dem insbesondere westliche Industriegesellschaften aufbauen. Was heißt aber Freiheit? Eng damit verbunden ist die Idee einer emanzipierten Persönlichkeit, die selbst über ihre Angelegenheit bestimmen kann und insbesondere ihre Bedürfnisse selber am besten einschätzen kann. Auf einer kollektiven Ebene ergibt sich daraus eine Gesellschaft, die „Selbstregierung" oder „Selbstorganisation" betreiben kann.467 Freiheit wird häufig als negative Freiheit definiert468; sie ist dann Freiheit vor etwas, insbesondere vor äußeren Beschränkungen. Insbesondere ist dies ein gegen den Staat gerichtetes Recht, der die Freiheitssphäre des einzelnen nicht verletzen soll; weiter geführt ist es die Freiheit vor jeglicher Art von Fremdkontrolle.469 Die Frage ist nur, wie weit dies gehen soll, denn ins Extrem gedacht ist negativ definierte Freiheit die Freiheit, „zu tun, was ich will - was immer es ist, das ich tun will"470. Penz (1999), S. 144. Vgl. zum Gedanken der Selbststeuerung auch Ladeur (2000). Vgl. Kersting (2000), S. 10. 445 Ähnliche Ziele, aber auf anderer Basis verfolgt z.B. die Informationsethik: vgl. Kuhlen (2004), S. 23. ** Vgl. Ladeur (2000), S. 112ff. Vgl. Bienfait (1999), S. 9, Ladeur (2000), S. 6ff. 468 Vgl. für eine solche negative Definition z.B. Hayek (2005), S. 14: Es ist ein „Zustand, in dem der Mensch nicht dem willkürlichen Zwang durch den Willen eines anderen oder anderer unterworfen ist". «» Vgl. Ladeur (2000), S. 6.