Zugangsregeln: Die Rechtsverfassung der Wissensteilung 9783161512100, 9783161495809

Trotz der Zunahme von immaterialgüterrechtlichen Nutzungskonflikten wird der Begründung von Grenzen geistigen Eigentums

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German Pages 313 [314] Year 2008

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Vorwort
Inhalt
Einleitung
I. Die epistemische Form der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Immaterialgüterrechts
II. Zugangsregeln als Garantie dezentraler Wissensteilung
§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten
I. Ökonomische Betrachtung: Marktfunktionale Begründung
1. Wissen und Information als öffentliche Güter
2. Informationsökonomisches Dilemma
3. Rechtfertigung der Zugangsbeschränkung
4. Begrenzung der Zugangsbeschränkung aus Sicht der Ökonomie
II. Immaterialgüterrecht und soziale Systeme
1. Immaterialgüter als Kommunikationen
2. Rechtliche Institutionalisierung der Nutzung von Immaterialgütern
a. Subjektive Immaterialgüterrechte in der Systemmatrix
b. Zugangsregeln im Recht
aa. Rechtssysteminterne Reflexion
bb. Thematisierung im philosophisch-naturrechtlichen Begründungsdiskurs
cc. Perspektivenwechsel: Von Rechten zu Systemen
dd. Nutzungsfreiheit durch Zugangsregeln
3. Verfassung als Koordinationsrecht
a. Zugangsregeln als Konkretisierung grundrechtlich geschützter Freiheiten
b. Artikel 14 Abs. 2 GG als Kompatibilisierungsnorm
§ 2 Institutionen der Wissensteilung
I. Kollektive Erzeugung von Wissen
1. Markt
a. Die epistemische Funktion des Wettbewerbs
b. Dezentrale Beobachtung und dezentrale Entscheidung
2. Unternehmen
3. Deliberative Demokratie
II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung
1. Institutionenschutz
2. Zugang zu kollektiv erzeugtem Wissen
3. Zugang zu Infrastrukturen der Wissensteilung
a. Ökonomische Infrastrukturtheorie
b. Gemeinschaftsgüter institutioneller Wissensteilung
§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln
I. Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht
1. Von der Konfl ikt- zur Komplementaritätsthese
2. Europäisches Wettbewerbsrecht als Maßstab
3. Kontrolle nationaler Schutzrechte durch europäisches Wettbewerbsrecht
II. Zugangsregeln aus Art. 82 EG
1. Überblick
2. Marktbeherrschende Stellung und geistiges Eigentum
a. Grundlagen
b. »Sole Source«-Produkte
c. Standardisierung
d. Netzwerkeffekte
e. Rechtliche Absicherung der Unangreifbarkeit
3. Verletzung des Missbrauchsverbots durch Zugangsverweigerung
a. Kontrolle eines verbundenen Marktes
b. Geschäftsverweigerung auf verbundenen Märkten
c. Zugangssachverhalte und essential facilities doctrine
d. Zugang zu Immaterialgütern
aa. Anwendung der Machttransfer-Dogmatik auf intern genutzte Schutzgüter
bb. Unerlässlichkeit des Schutzgutes für den Zugang zum beherrschten Markt
cc. Des-Integration der Produktion von komplexen Produkten
dd. Bestimmung der Grenzen von Schutzrechten durch das Wettbewerbsrecht
ee. Rückbezüglichkeit der Eingriffsprüfung
4. Der Funktionsbezug kartellrechtlicher Zugangsregeln
§ 4 Netzwerk als Institution der Wissensteilung: Open Source Software-Projkte
I. Weder Markt noch Organisation
1. Nicht Markt
2. Nicht Unternehmen
3. OSS-Projekte als »drittes Produktionsmodell«
II. Sozialstruktur des Netzwerks
III. Rechtliche Verfassung des Netzwerks
1. Die Neuausrichtung von Schutzrechten
2. Das normative Modell der GPL
3. Vereinbarkeit des Lizenzmodells mit dem Gesetz
a. Öffentliche Selbstbindung
b. Inhalt der Selbstbindung und Mechanismus der Fremdbindung
c. Die schuldrechtliche Begründung der Fremdbindung
d. Schranken der Fremdbindung
4. Die private Konstruktion von Gemeinschaftsgütern in Netzwerken
§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung durch Zugangsregeln für Computernetzwerke
I. Medienentwicklung und soziale Evolution
II. Computer als technisches Medium
III. Internet als diskriminierungsfreies Computernetzwerk
1. Technologische Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes: Spezifische Netzwerkarchitektur (e2e-Prinzip)
2. Regulatorische Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes: TK-Netze als physikalische Infrastruktur
IV. Nutzungsfreiheit durch medienspezifische Zugangsregeln
1. Hyperlinking als urheberrechtliche Nutzungshandlung nach § 16 UrhG?
2. Suche als datenbankrechtliche Nutzungshandlung nach § 87b UrhG
a. Wettbewerbsrechtskonforme Auslegung
b. Verfassungskonforme Auslegung
§ 6 Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung
I. Die Sicherung institutioneller Vielfalt durch das Recht
1. Öffnung der Rechtswissenschaft für einen systemfunktionalen Immaterialgüterschutz
2. Die konstitutionelle Dimension der Rechtsverfassung der Wissensteilung
II. Normative Bausteine einer Rechtsverfassung der Wissensteilung
1. »Strukturelle Diversifikation«: Offenheit gegenüber unterschiedlichen Ordnungsmodellen und Institutionen
2. Koordinationsfunktion der Grundrechte: Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit
3. Der Schutz »vertikaler Differenzierung«: vertikale Funktionsanalyse von Ausschließlichkeitsrechten
4. Bindung an den »Gleichheitssatz«
III. Schluss: »Politische Ökonomie der Wissensteilung«
Literaturverzeichnis
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Zugangsregeln: Die Rechtsverfassung der Wissensteilung
 9783161512100, 9783161495809

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JUS PRIVAT UM Beiträge zum Privatrecht Band 133

Dan Wielsch

Zugangsregeln Die Rechtsverfassung der Wissensteilung

Mohr Siebeck

Dan Wielsch, geboren 1970; Studium der Rechtswissenschaft in Frankfurt/M. und Berkeley; 1999 Promotion und Otto-Hahn-Medaille; 2003 LL.M. (Berkeley); 2007 Habilitation, derzeit Lehrstuhlvertretung am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Frankfurt/M.

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung. e-ISBN PDF 978-3-16-151210-0 ISBN 978-3-16-149580-9 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2007 von der Juristischen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main als Habilitationsschrift angenommen. Sie ist während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Gunther Teubner entstanden, dem ich herzlich für die gewährten Freiräume und den Rückhalt bei meinen Versuchen zur Verbindung von Dogmatik und Rechtstheorie danke. Die von ihm unternommene Öffnung der Rechtswissenschaft für die Einsichten der Systemtheorie hat mein Denken nachhaltig inspiriert. Dank sagen möchte ich auch Thomas Vesting für sein Interesse am Thema und Fortgang der Arbeit sowie für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Wiederholen und vertiefen möchte ich die Worte des Dankes an Rudolf Wiethölter, der mich früh gefördert und meinen Blick auf die gesellschaftlichen Bezüge des Privatrechts gelenkt hat. Das Forschungsprojekt, das dieser Arbeit zu Grunde liegt, wurde fi nanziell von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert, die auch den Druckkostenzuschuss übernommen hat. Vorbildlich hat sie mit privater Hand freie und unkonditionierte Wissenschaft möglich gemacht. Gefreut und ermuntert haben mich Diskussionen über die Arbeit mit Jürgen Fenn, Moritz Lorenz, Bernhard Ludwig und Markus Pöcker. Von ganzem Herzen danken möchte ich Lena Tro, die der Arbeit in allen Phasen ihre Aufmerksamkeit geschenkt und mich liebevoll unterstützt hat. Berlin, im März 2008

Dan Wielsch

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I.

Die epistemische Form der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Immaterialgüterrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Zugangsregeln als Garantie dezentraler Wissensteilung . . . . . .

6

§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

I.

Ökonomische Betrachtung: Marktfunktionale Begründung . . .

13

1. 2. 3. 4.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 16 20

. . . . . . .

23

II. Immaterialgüterrecht und soziale Systeme . . . . . . . . . . . . .

31

1. Immaterialgüter als Kommunikationen . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Institutionalisierung der Nutzung von Immaterialgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Subjektive Immaterialgüterrechte in der Systemmatrix . b. Zugangsregeln im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Rechtssysteminterne Reflexion . . . . . . . . . . . . bb. Thematisierung im philosophisch-naturrechtlichen Begründungsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Perspektivenwechsel: Von Rechten zu Systemen . . dd. Nutzungsfreiheit durch Zugangsregeln. . . . . . . . 3. Verfassung als Koordinationsrecht . . . . . . . . . . . . . . a. Zugangsregeln als Konkretisierung grundrechtlich geschützter Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Artikel 14 Abs. 2 GG als Kompatibilisierungsnorm . . .

. .

31

. . . .

. . . .

42 42 50 50

. . . .

. . . .

52 56 60 66

. . . .

66 72

Wissen und Information als öffentliche Güter . . Informationsökonomisches Dilemma . . . . . . . Rechtfertigung der Zugangsbeschränkung . . . . Begrenzung der Zugangsbeschränkung aus Sicht der Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VIII

Inhaltsverzeichnis

§ 2 Institutionen der Wissensteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.

Kollektive Erzeugung von Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die epistemische Funktion des Wettbewerbs. . . . . . . b. Dezentrale Beobachtung und dezentrale Entscheidung . 2. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deliberative Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

. . . . .

83 83 93 97 102

II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung. . . . . . .

107

1. Institutionenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zugang zu kollektiv erzeugtem Wissen . . . . . . . . . 3. Zugang zu Infrastrukturen der Wissensteilung . . . . . a. Ökonomische Infrastrukturtheorie . . . . . . . . . . b. Gemeinschaftsgüter institutioneller Wissensteilung.

. . . . .

107 108 110 110 114

§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln . . . . . . . . . . . . . . .

117

I.

. . . . .

. . . . .

. . . . .

82

. . . . .

Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht . . . . . .

117

1. Von der Konflikt- zur Komplementaritätsthese. . . . . . . . . 2. Europäisches Wettbewerbsrecht als Maßstab . . . . . . . . . . 3. Kontrolle nationaler Schutzrechte durch europäisches Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 123

II. Zugangsregeln aus Art. 82 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129

1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktbeherrschende Stellung und geistiges Eigentum . . . . a. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. »Sole Source«-Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Netzwerkeffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Rechtliche Absicherung der Unangreifbarkeit . . . . . . . 3. Verletzung des Missbrauchsverbots durch Zugangsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Kontrolle eines verbundenen Marktes . . . . . . . . . . . b. Geschäftsverweigerung auf verbundenen Märkten . . . . c. Zugangssachverhalte und essential facilities doctrine . . . d. Zugang zu Immaterialgütern . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Anwendung der Machttransfer-Dogmatik auf intern genutzte Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Unerlässlichkeit des Schutzgutes für den Zugang zum beherrschten Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

. . . . . . .

129 131 131 132 134 135 138

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138 140 140 148 156

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156

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160

IX

Inhaltsverzeichnis

cc. Des-Integration der Produktion von komplexen Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Bestimmung der Grenzen von Schutzrechten durch das Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . ee. Rückbezüglichkeit der Eingriffsprüfung . . . . . . . 4. Der Funktionsbezug kartellrechtlicher Zugangsregeln. . .

. .

163

. . . . . .

166 173 186

§ 4 Netzwerk als Institution der Wissensteilung: Open Source Software-Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

I.

Weder Markt noch Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

192

1. Nicht Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nicht Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. OSS-Projekte als »drittes Produktionsmodell« . . . . . . . . .

194 197 202

II. Sozialstruktur des Netzwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

III. Rechtliche Verfassung des Netzwerks. . . . . . . . . . . . . . . .

211

1. Die Neuausrichtung von Schutzrechten . . . . . . . . . . 2. Das normative Modell der GPL. . . . . . . . . . . . . . . 3. Vereinbarkeit des Lizenzmodells mit dem Gesetz . . . . a. Öffentliche Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . b. Inhalt der Selbstbindung und Mechanismus der Fremdbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Die schuldrechtliche Begründung der Fremdbindung. d. Schranken der Fremdbindung . . . . . . . . . . . . . . 4. Die private Konstruktion von Gemeinschaftsgütern in Netzwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

211 213 214 214

. . . . . . . . .

216 220 227

. . .

229

. . . .

. . . .

§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung durch Zugangsregeln für Computernetzwerke . . . . . . . . . . . . 234 I.

Medienentwicklung und soziale Evolution . . . . . . . . . . . . .

234

II. Computer als technisches Medium . . . . . . . . . . . . . . . . .

236

III. Internet als diskriminierungsfreies Computernetzwerk. . . . . .

238

1. Technologische Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes: Spezifische Netzwerkarchitektur (e2e-Prinzip) . . . . . . . . . 2. Regulatorische Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes: TK-Netze als physikalische Infrastruktur. . . . . . . . . . . . IV. Nutzungsfreiheit durch medienspezifische Zugangsregeln . . . .

239 244 255

X

Inhaltsverzeichnis

1. Hyperlinking als urheberrechtliche Nutzungshandlung nach § 16 UrhG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Suche als datenbankrechtliche Nutzungshandlung nach § 87b UrhG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Wettbewerbsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . b. Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . .

. . .

257

. . . . . . . . .

261 262 265

§ 6 Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung . . . . . .

267

I.

Die Sicherung institutioneller Vielfalt durch das Recht . . . . . . 1. Öffnung der Rechtswissenschaft für einen systemfunktionalen Immaterialgüterschutz . . . . . . . . . . . 2. Die konstitutionelle Dimension der Rechtsverfassung der Wissensteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Normative Bausteine einer Rechtsverfassung der Wissensteilung 1. »Strukturelle Diversifikation«: Offenheit gegenüber unterschiedlichen Ordnungsmodellen und Institutionen . . 2. Koordinationsfunktion der Grundrechte: Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit . . . . . . . . . 3. Der Schutz »vertikaler Differenzierung«: vertikale Funktionsanalyse von Ausschließlichkeitsrechten . . . . . . 4. Bindung an den »Gleichheitssatz« . . . . . . . . . . . . . . .

268 268 272 275

.

275

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277

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279 282

III. Schluss: »Politische Ökonomie der Wissensteilung«. . . . . . . .

282

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

285 301

Einleitung I. Die epistemische Form der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Immaterialgüterrechts Die Wirtschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches ist eine Wirtschaft der körperlichen Gegenstände. Die Wirtschaft der Gegenwart ist in wachsendem Maße eine Wirtschaft der immateriellen Güter, deren Gegenstand Vereinbarungen über die Nutzung von Wissen und Informationen bilden. Mit dem Hinweis auf diesen Unterschied ist freilich noch nichts gesagt über die Wissensstruktur und die kognitiven Institutionen einer Gesellschaft und ihrer Wirtschaft. Sie erst entscheiden über den Erfolg und die evolutionären Errungenschaften einer Gesellschaft im Vergleich mit anderen Zeiten und anderen sozialen Formationen. Der wirtschaftliche Erfolg der bürgerlichen Gesellschaft lässt vermuten, dass sie über Institutionen verfügt, die Produktion und Nutzung von Gütern auf vorteilhafte Weise zu bestimmen vermögen. Als maßgeblich für den effizienten Gebrauch knapper Ressourcen erkannt wurden wettbewerbsförmig organisierte Märkte, über die die Güter in Transaktionen zu den Akteuren mit der größten Nutzenfunktion wandern. Deutlich weniger Überlegungen fi nden sich allerdings zu der Frage, wie es eigentlich kommt, dass die Akteure genau über jenes Wissen verfügen, das sie Transaktionen durchführen lässt, die als effizient beschrieben werden können. Erst von Hayek hat die Fragestellung zu formulieren gewusst und Pionierarbeit bei ihrer Beantwortung geleistet. Ihm verdankt sich die Einsicht, dass die allokative Funktion des Wettbewerbs nur erklärt werden kann, wenn man den Wettbewerb zugleich als einen epistemischen Mechanismus beschreibt. Auf Märkten wechseln nicht nur Güter von der einen in die andere Nutzungssphäre. Auf Märkten wird auch Wissen kollektiv erzeugt. Verwendungsmöglichkeiten werden dezentral ermittelt und anderen Akteuren mit Hilfe des Preissymbols als Knappheitsinformation mitgeteilt.1 Der Einzelne kann auf diese Weise von einem Wissen Gebrauch machen, das er selbst nicht besitzt. Existenz und Bedeutung individuellen Wissens – insbesondere in der Form impliziten Wissens2 – werden dadurch nicht geleug1 2

Dazu ausführlich in § 2 I 1. Grundlegend zum Begriff vgl. Polanyi, Implizites Wissen, 13 ff.

2

Einleitung

net. Dieses implizite Wissen (hier: über Verwendungsmöglichkeiten von Gütern) kann aber nur praktisch handlungsbestimmend werden, wenn der Einzelne zugleich auch über Wissen verfügt, das in transsubjektiven Prozessen sozialer Systeme generiert wird.3 Zusammen mit der Existenz funktionierender Märkte setzt die bürgerliche Gesellschaft solches Systemwissen als gegeben voraus. Das im Mittelpunkt aller ihrer Selbstbeschreibungen stehende Individuum zehrt bei der Orientierung seiner Handlungen von transsubjektiven Voraussetzungen, ohne sich selbst dessen bewusst zu sein. Einer solchen Bewusstwerdung bedarf es auch nicht, solange die Voraussetzungen für die dezentrale Wissensnutzung vorliegen. Sie werden vom bürgerlichen Recht bereitgestellt, das mit seiner freiheitlichen Verfassung der Institute von Eigentum und Vertrag die Bedingungen der Möglichkeit marktvermittelter Transaktionen herstellt. Für die epistemische Funktion des Wettbewerbs entscheidend ist, dass das lokale, auf die Akteure verteilte Wissen mobilisiert werden kann. Genau das geschieht durch Eigentumsrechte. Diese können begriffen werden als Zuweisung von Entscheidungskompetenz: sie schreiben einem Akteur die Autorität zu, für ein bestimmtes Gut die konkrete Verwendung aus allen möglichen (nicht verbotenen) Verwendungen auszuwählen.4 Durch das Zusammenfallen von Wissen und Entscheidungsbefugnis kommt es zu einer optimalen Aktivierung individueller Fähigkeiten (»knowledge, experience, and skills«) bei der Selektion von Verwendungsmöglichkeiten knapper Güter. Weil implizites Wissen schwer zu transferieren ist, bleibt es, wo es ist: Eigentumsrechte ziehen die Entscheidungskompetenz zum impliziten Wissen, 5 das durch das zirkulierende explizite Systemwissen in Gestalt von Preisen für die Selektion von Verwendungen gewonnen werden kann. 6 3 Die Bindung dieses Wissens an transsubjektive Strukturen wird deutlich, wenn Hayek davon spricht, dass »die spontane Ordnung des Marktes mehr Wissen nutzt, als irgendeine Person oder Organisation haben kann« (Rechtsordnung und Handelnsordnung, in: Gesammelte Schriften Abt. A Bd. 4, 35 (43)). Anstelle von Hayeks Konzept der »spontanen Ordnungen« wird im Folgenden auf die von Luhmann entwickelte Theorie sozialer Systeme zurückgegriffen. Für eine Verortung des Begriffs der spontanen Ordnung im Kontext der Systemtheorie vgl. nur die Selbsteinschätzung von Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, xvi. 4 Diese für die vorliegenden Zwecke außerordentlich fruchtbare Bestimmung von Eigentumsrechten fi ndet sich bei Alchian, Il Politico 30 (1965), 816 (818): »By a system of property rights I mean a method of assigning to particular individuals the ›authority‹ to select, for specific goods, any use from a non-prohibited class of uses.« 5 Man kann auch sagen: Auf Märkten kaufen regelmäßig diejenigen, die das Wissen haben, Entscheidungsrechte. Nicht etwa umgekehrt wenden diejenigen, die über Entscheidungskompetenz verfügen, Zeit und Ressourcen auf, um sich Wissen zu verschaffen. Entscheidend für die Entstehung und Ausgestaltung von Institutionen sind danach die Kosten des Wissenstransfers, vgl. Jensen/Meckling, Journal of Applied Corporate Finance, 4 (6). 6 Wenn im Folgenden von implizitem Wissen die Rede ist, so ist das Wissen eines einzelnen Bewusstseinssystems im Unterschied zum expliziten Wissen eines sozialen Systems ge-

I. Die epistemische Form der bürgerlichen Gesellschaft

3

Nachdem das Recht im Laufe der Zeit auch noch erkennt (und zwar in der Diskussion um das Wirtschaftsrecht in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts), dass die Wirkungen des Wettbewerbs nur eintreten, wenn Handlungsfreiheit gewährleistet und das Kartellrecht als eigenes Rechtsgebiet zum Schutz von Wettbewerb ins Leben gerufen wird, sind jene rechtlichen Institutionen gefunden, die lautlos für jene Voraussetzungen sorgen, derer es für eine effiziente Nutzung materieller Güter bedarf. Die Stärke dieser marktgestützten Ordnung der Güterbewirtschaftung ist ihre Kapazität zur Mobilisierung verteilten Wissens und kognitiver Fähigkeiten (»Wissensteilung«) für die Bewältigung von Knappheit in der Gesellschaft und damit für die Funktion der Wirtschaft. 7 Damit der gesellschaftlich vorteilhafte koordinierte Gebrauch eintreten kann, ist aus Sicht des Einzelnen nur ein minimaler Beitrag erforderlich, da das im System produzierte Wissen als positive Externalität bei der Ausübung der Eigentumsfreiheit entsteht, nämlich bei der Verfügung über die Sache. Es liegt nahe, die gesellschaftlichen Vorteile dezentraler Suche auch in anderen sozialen Zusammenhängen in Anspruch zu nehmen, insbesondere für die Förderung der Schaffung neuen expliziten Wissens, das je nach Kontext der Kommunikation als Operation eines bestimmten sozialen Systems betrachtet werden kann. Um individuelles Bewusstsein für die Erzeugung kommunikativer Artefakte, in denen Wissen gleichsam kondensiert und expliziert vorliegt (»Immaterialgüter«), zu mobilisieren, gewährt die Rechtsordnung dem Akteur, dem die Schaffung neuen Wissens zugerechnet wird, Ausschließlichkeitsrechte an der Nutzung dieses Wissens (etwa durch die Vervielfältigung materieller Informationsträger oder durch die Anwendung technischen Wissens in Produktionsprozessen). 8 Mit dieser Veränderung des sachlichen Bereichs der meint, das durch Kommunikation reproduziert wird. Der vorgeschlagene Sprachgebrauch dient also vor allem der Abgrenzung gegenüber transindividuellem Systemwissen. Individuelles Wissen in diesem Sinne umfasst das von Polanyi gemeinte implizite Wissen. 7 Der Begiff der »Wissensteilung« wird ausführlicher in § 1 II 1 und § 2 I 1 behandelt. Er geht auf Hayek zurück und kennzeichnet bei ihm das Problem, wie der beste Gebrauch aller Mittel gesichert werden kann, die irgendeinem Mitglied der Gesellschaft bekannt sind. In der vorliegend unternommenen systemtheoretischen Reformulierung geht es allgemeiner um Formen, durch die das auf psychische Systeme verteilte Wissen für die Funktionserfüllung sozialer Systeme genutzt werden kann. Wissensteilung betrifft das Verhältnis von Bewusstsein und Kommunikation. Der Begriff erscheint als tauglich zur partiellen Theorievermittlung zwischen Systemtheorie und Ökonomie, öffnet er doch letztere für die konstitutive Bedeutung transindividueller Prozesse. Jedenfalls führt Hayeks kognitivistischer Ansatz über einen methodologischen Individualismus hinaus. Gegen eine Engführung Hayeks auf diesen argumentieren etwa Cortés/Rizzello, in: Advances in Austrian Economics 9 (2007), 87 (93). 8 Die Rede von Rechten an (unkörperlichen) »Gegenständen« ist unpräzise. Durch Immaterialgüterrechte werden einzelne Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf das Schutzobjekt dem Rechtsinhaber vorbehalten. Bei körperlichen Gegenständen wird der Unterschied wegen der umfassend geschützten Handlungsbefugnisse (vgl. § 903 BGB) selten relevant, bei

4

Einleitung

Selektionsautorität gewinnt die Eigentumsform Relevanz für die Wissensteilung in anderen sozialen Systemen (Kunst, Wissenschaft). Einerseits wird deren Ausdifferenzierung gefördert, weil die für autonome ästhetische Kommunikation notwendigen Umweltbedingungen gewährleistet werden,9 andererseits werden die Möglichkeiten Dritter zur Aktualisierung des Wissens eingeschränkt. Werden Immaterialgüter zum Gegenstand von Eigentumsrechten, kommt es (anders als beim Handel mit materiellen Gütern) zu einer eigentümlichen »Verschleifung« der kognitiven Umweltbedingungen von zwei Funktionssystemen: Um den Markt als Such- und Koordinationsverfahren zu aktivieren, werden gleichsam »auf Geheiß« des Wirtschaftssystems die Möglichkeiten der strukturellen Kopplung zwischen psychischen Systemen zu anderen sozialen Systemen der Kontrolle des Rechtsinhabers unterworfen.10 Die an sich aufgrund der nicht-rivalisierenden Nutzung von Immaterialgütern denkbaren Inklusionsmöglichkeiten werden auf weniger strukturelle Kopplungen als möglich beschränkt. Dadurch sinken die Chancen produktiver Rekombination von Wissen und man vertraut sich vielmehr der zukünftigen Kreativität des Rechtsinhabers selbst an, der bei seinen Aktivitäten freilich seinerseits wieder auf eine »funktionierende« Wissensteilung in den anderen Systemen angewiesen ist. Dazu muss etwa die geschützte Kommunikation hinreichend speziell sein, damit nicht durch den Schutz zu elementarer Sinneinheiten (wie bei bloßen Informationen) zu viele Anschließungsmöglichkeiten besetzt werden. Es bedarf eines Bestandes an eigentumsrechtlich unverfügbaren kognitiven Gemeinschaftsgütern. Durch den Ausschluss freier Nutzung von Immaterialgütern zum Zwecke des wirtschaftlichen Wettbewerbs wächst dem Markt Bedeutung für die Wissensteilung in anderen Systemen zu und umgekehrt ist sein eigenes Funktionieren jetzt abhängig vom Erhalt der epistemischen Funktionsbedingungen der anderen Systeme. Wenn das Recht die Wissensteilung eines Systems dem Markt »zum Lehen« gibt,11 führt es auch die Funktionsvoraussetzungen des Marktes in neue Abhängigkeiten. Durch die Übertragung der Eigentumsform auch auf die Regelung der Nutzung von (Kommunikationsfunktion besitzenden) Immaterialgütern wachsen dem Recht neue Aufgaben zu. Es wird in eine unkörperlichen Gegenständen sollte er jedoch stets bedacht werden. Vgl. auch § 1 I 1 und II 2 a. 9 Es wird möglich, die Kosten für die Hervorbringung von geistigen Schöpfungen (und seien es nur die der eigenen Arbeitskraft) zu kompensieren. Voraussetzung für die Abstützung systemischer Autonomie ist freilich die Anknüpfung des Schutzrechts an einen Tatbestand, der Variation (Originalität, Neuheit) honoriert. Dazu unter § 1 II 1. 10 Anders ausgedrückt: Schutzrechte besitzen Relevanz für die Wissensteilung in der Wirtschaft und in anderen Funktionssystemen (Kunst, Wissenschaft usw.). 11 In Anspielung auf den Titel des Beitrags von Mestmäcker, in: FS Böhm, 3 ff. (»Den Markt zum Lehen«).

I. Die epistemische Form der bürgerlichen Gesellschaft

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anspruchsvolle Matrix systemischer Bezüge eingestellt und muss seine eigenen Institutionen so einstellen, dass die Institutionen der Wissensteilung in der Wirtschaft und in der Kunst/Wissenschaft abgestützt werden. Genau diese Konsequenzen für rechtliche Institutionenbildung sollen Gegenstand der folgenden Untersuchung sein. Die Eigentümlichkeit der sich dem Immaterialgüterrecht stellenden Aufgabe lässt sich dabei erst dann hinreichend erfassen, wenn man die Interdependenzen zwischen der kommunikativen Aktivität des Einzelnen und den entsprechenden kulturellen Betätigungsfeldern berücksichtigt. Systemtheoretisch gesprochen geht es um die Leistungen, die personale und soziale Systeme füreinander erbringen. Nun hält zwar die Systemtheorie in ihrem Apparat den Begriff der »Interpenetration« vor, um den Umstand zu beschreiben, dass unterschiedliche Systeme sich wechselseitig ihre Komplexität für den Aufbau eigener Strukturen zur Verfügung stellen. Tatsächlich finden sich jedoch kaum konkrete Aussagen darüber, wie die hierbei vorausgesetzten »strukturellen Kopplungen« zwischen Bewusstsein und Kommunikation verfasst sein müssen, damit die sozialen Systeme von der Aktivität der Einzelbewusstseine bei der Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Funktion profitieren können; die Faktoren für die Variation von thematischer Kommunikation und damit die Fähigkeit zur Innovation des Systems werden überwiegend in den Sozialsystemen selbst verortet (etwa in spezifischen Methoden oder der Sozialisierung des Wissenschaftlers). Umgekehrt rechnen die Rechtstheorie im Allgemeinen und Untersuchungen zum Immaterialgüterrecht im Besonderen Innovativität wie selbstverständlich auf die Kreativität eines Individuums zu, das jedoch außerhalb des Rechts durch Sprachphilosophie, Diskurstheorie, Dekonstruktivismus und eben auch Systemtheorie als vermittelt beschrieben wird und längst in mehrfacher Hinsicht dezentriert ist. An diese Einsichten und Theorieentwicklungen hat auch das Recht anzuschließen, will es ein der Gesellschaft gerechtes Recht sein.12 Um die geschilderten Defizite asymmetrisch ansetzender Theoriekonzepte zu vermeiden, soll vorliegend Immaterialgüterrecht zweigliedrig auf der Basis der Relation von Kommunikation und Bewusstsein rekonstruiert werden. Ge12 Für die Rechtstheorie ist die Systemtheorie von besonderem Interesse, weil deren Grundkategorien methodisch ganz bewusst nicht mehr von der Subjektphilosophie her gearbeitet sind, sie zugleich aber aufgezeigt, wie auch angesichts von Begründungsaporien produktive Anschlüsse möglich sind. Mit Hilfe der Systemtheorie lässt sich sichtbar zu machen, dass traditionelle Begründungsfiguren aposteriori-Effekte als apriori-Ursachen ausgeben (vgl. etwa Jahraus, in: Jahraus/Ort (Hrsg.), Bewußstein – Kommunikation – Zeichen, 23 (40)). Das bedeutet nicht, jede Erbschaft der Subjektphilosophie ausschlagen zu müssen. Wenn das Recht lernt, dass und wie Identität auf Differenz zurückzuführen ist, wenn es sich also soziologisch aufklären lässt, dann kann es die eigenen bisher identitätsphilosophisch imprägnierten Figuren neu einstellen und sich zu einem gerechteren, weil gesellschaftsadäquaten Recht machen.

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Einleitung

nauer sind Kommunikation und Bewusstsein als füreinander notwendige Umwelten zu begreifen. Die Entwicklung und Innovationsfähigkeit von Systemen lässt sich nur verstehen, wenn diese als Systeme innerhalb der Umwelt betrachtet werden, die ihrerseits aus Zentren fremdsystemisch strukturierter Komplexität besteht – einer Umwelt, deren Komplexität mit den Formen des Rechts für ein System gewonnen werden kann. In einem weiteren Gedankenzug schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass sich jene für das Verhältnis von Bewusstsein und Kommunikation beschreibbare Abhängigkeit des Systems von seiner Umwelt übersetzt in Abhängigkeitsrelationen zwischen sozialen Systemen untereinander. Am Beispiel des Immaterialgüterrechts wird besonders deutlich, dass das Recht nach den Umweltbedingungen für die Funktionsfähigkeit von Systemen fragen muss.13

II. Zugangsregeln als Garantie dezentraler Wissensteilung Vorschriften über die Nutzung immaterieller Güter bilden eine Art Fremdkörper im bürgerlichen Recht, das entsprechend der wirtschaftlich dominierenden Interaktionsform des Tauschs materieller Güter seinem Kern nach »Zirkulationssphärenrecht« ist. Zum einen treffen Urheber- und Patentrecht Bestimmungen mit Wirkung für die »Produktionssphäre«, indem sie die Voraussetzungen angeben, unter denen die Rechtsordnung überhaupt erst Rechte an geistigen Schöpfungen konstituiert.14 Ablesbar ist das aber auch an Vorschriften, die sicherstellen sollen, dass nachfolgenden Generationen kreativer Akteure hinreichende Handlungsfreiheiten bei der eigenen Produktion verbleiben. Zum anderen bereitet die Einpassung des Immaterialgüterrechts in das Zirkulationssphärenrecht von Beginn an Schwierigkeiten. Insbesondere die Ermöglichung der ausschließlichen Verwertung von Immaterialgütern durch ihren Schöpfer wird als Grund für ein latentes Spannungsverhältnis zum Wettbewerbsrecht gesehen (Stichwort: geistiges Eigentum als Monopol). Die vielleicht wichtigste Ergänzung, die ein System subjektiver Rechte erfahren muss, wenn es die Funktion der Anreicherung kollektiver Wissensbestände akkommodieren soll, ist die Gewährleistung von Nutzerfreiheiten in einem Umfang, der die Möglichkeiten der dezentralen Erzeugung von Wissen durch eine Vielzahl von Akteuren erhält. Anderenfalls würde der spezifische Reproduktionszusammenhang vernachlässigt, in dem kreative Werke und 13 Das Recht folgt dabei einer ökologischen Rationalität. Näher dazu meine Antrittsvorlesung »Die epistemische Analyse des Rechts – Von der ökonomischen zur ökologischen Rationalität in der Rechtswissenschaft«. 14 Sehr deutlich wird das im angelsächsischen Rechtskreis mit seiner utilitaristischen Begründung von Immaterialgüterrechten, die primär eine Anreizfunktion für die Schaffung von geistigen Objekten besitzen sollen.

II. Zugangsregeln als Garantie dezentraler Wissensteilung

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neues Wissen entstehen. Prinzipiell in Rechnung zu stellen sind die Kumulativität des Wissens (durch bestimmte Freiheiten zur Verknüpfung von Schutzgütern) und die Notwendigkeit eines für alle beteiligten Akteure frei nutzbaren Bestandes an grundlegenden Wissensressourcen15 (durch die rechtliche Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung). Beide Faktoren können variieren je nach dem sozialen System, in dessen Referenz das Wissen steht, oder den Funktionsbedingungen der konkreten Institution der Wissensteilung, in deren Rahmen sich die kollektive Wissenserzeugung vollzieht. Auf diese Zusammenhänge wird vor allem das Wettbewerbsrecht in seiner Sorge um die Institution des Wettbewerbs aufmerksam. Die Gewährleistung von Dezentralität im Wettbewerb um die Hervorbringung neuen Wissens resultiert nicht allein aus der Gewährleistung von Eigentum und unvermachteten Märkten. Genau so wichtig für einen funktionierenden Wettbewerb in diesem Bereich ist die nachhaltige Bereitstellung eines Bestandes an öffentlich nutzbarem Wissen und Informationen. Denn nicht allein, aber insbesondere auch für den Wettbewerb und seine rechtliche Verfassung gilt: Güterschutz und Entfaltungsfreiheit müssen den gleichen Rang haben.16 Indessen führt die tatsächliche Entwicklung der heute ausgerufenen »Wissens- und Informationsgesellschaft« zu einer immer weiter gehenden Einschränkung dieser Sphäre. Das wird sicherlich durch die Tendenz zur Monopolbildung auf Märkten für Informationsprodukte, die durch das Auftreten von ökonomischen Netzwerkeffekten gekennzeichnet sind, sowie durch Konzentrationsprozesse in der Informations- und Medienindustrie begünstigt, hat seine eigentliche Ursache jedoch in einer zunehmenden Proprietisierung von Informationen, die letztlich auf einer unzulässigen Übertragung von Annahmen aus dem Bereich materieller Güter auf den immaterieller beruht. Fast schon tragische Folge ist ein Rückbau von frei zugänglichen Wissensressour-

15 Der Begriff Ressource wird im Zusammenhang mit dem Vorgang der Produktion verwendet. Etwas ist Ressource, wenn es als Input für die Herstellung von etwas Anderem (Output) gebraucht wird. Für die Produktion speziell von Informations- und Wissensgütern werden nach Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (377) hauptsächlich drei Arten von Ressourcen benötigt: (1) bereits existierende Immaterialgüter, (2) Kreativität menschlichen Bewusstseins und (3) Medien zur Speicherung und Verbreitung von Kommunikationen. Zum Zwecke der Illustration mag eine solche Vorstellung an dieser Stelle ausreichen. Problematisch ist jedoch, dass sie Kommunikation auf Vorgänge der Speicherung und Verbreitung reduziert. Begreift man hingegen Immaterialgüter selbst als Kommunikationsstrukturen (dazu § 1 II 1), wird Kommunikation nicht nur ins Zentrum kreativer Prozesse gesetzt, sondern es wird zugleich hervorgehoben, dass die Herstellung innovativer Informationsgüter maßgeblich von einer Steigerung der Möglichkeiten zur Variation in sozialen Kommunikationssystemen abhängt. 16 Dies heraus gestellt zu haben ist das bleibende Verdienst der Arbeit von Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz.

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cen, der dem Produktionsprozess immaterieller Güter insgesamt die Funktionsbedingungen zu entziehen droht. Es ist deshalb gerade auch aus Sicht der Wirtschaft selbst genau zu prüfen, ob an einem bestimmten immateriellen Gut überhaupt ein exklusives Recht geschaffen werden oder ob es frei nutzbar sein soll. Vor dieser Prüfung steht nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch die Rechtsanwendung. War man früher der Frage, ob es einen numerus clausus der Immaterialgüterrechte gibt, eher ausgewichen, gab es hierzu jüngst ein klares Nein.17 Einverstanden. Bei der Einführung von absoluten Rechten an immateriellen Gütern steht nicht wie im Sachenrecht die Gewährleistung von Rechtssicherheit des Verkehrs im Vordergrund. Die entscheidende Aufgabe besteht darin, die Grenze zwischen exklusiven und freien Handlungsmöglichkeiten in einer Gesellschaft überhaupt erst zu bestimmen und nicht bloß um die Kenntlichmachung gegebener Kompetenzsphären. Es geht nicht um Publizität als Hinweis auf das Bestehen eines privaten Ausschließlichkeitsrechts, sondern um notwendige »Publifizierungen« von Handlungsmöglichkeiten als Realisierung des Lehens privater Rechte an öffentlichen Gütern. Wenn man also – mit durchaus zu vertretenden Gründen – das System exklusiver Nutzungsrechte für unabgeschlossen hält und sich daran macht, neu entstehende Handlungsmöglichkeiten eigentumsrechtlich zuzuweisen, ist gleichzeitig darauf zu achten, dass die Handlungsmöglichkeiten anderer Beobachter nicht unangemessen eingeschränkt und für die Zukunft freigehalten werden.18 So ist etwa offen, ob Handlungsmöglichkeiten, die an den »Gegenstand« einer bestehenden Zuordnung anknüpfen, ebenfalls dem Schutzrechtsinhaber zuzuweisen sind – zur Disposition steht also insbesondere die Reichweite der von einem Schutzrecht vermittelten Kontrolle. Die Entscheidungen über die Zuweisung von Ausschlussrechten und über die Nutzungsfreiheit von Dritten hängen normativ unmittelbar zusammen. Dass dem Gedanken der Nutzungsfreiheit der gleiche Rang zukommt wie dem Ausschlussprinzip des Eigentums, findet seine normative Rechtfertigung in den Grundrechten. Die Verfassung zwingt zur Koordination der Freiheit des Eigentümers mit den grundrechtlich geschützten Freiheiten von Nichteigentümern immer dann, wenn diese zur effektiven Wahrnehmung ihrer Freiheit auf die Nutzung des Eigentums »angewiesen« sind im Sinne der Gemeinwohlverpflichtung des Art. 14 Abs. 2 GG, die als Kompatibilisierungsnorm zu begreifen ist. Dieser Auftrag zur Koordination unterschiedlicher Freiheitsrechte im Privatrechtsverkehr – zugleich Ausdruck für unterschiedliche gesellschaftliche Teilrationalitäten – ist der Schutzfunktion der Grundrechte zu ent17

Von Ohly, in: FS Schricker, 105 (121). Statt von einem Freihaltebedürfnis kann man auch von einer »Offenhaltungsfunktion« sprechen, die mit Hösch, Eigentum und Freiheit, 182 f. der Sozialbindungsklausel des Art. 14 Abs. 2 GG zu entnehmen ist. 18

II. Zugangsregeln als Garantie dezentraler Wissensteilung

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nehmen und bindet nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die Rechtsanwendung. § 1 zieht diese Überlegungen zusammen und identifiziert »Zugangsregeln« als jene geforderte Ergänzung des Immaterialgüterschutzes im Recht, durch die es zur Abstimmung von Ausschließlichkeitsrechten und Nutzungsfreiheit kommt. Der als Gegenbegriff zum normativen (Schutzrechte) und tatsächlichen (technische Schutzmaßnahmen) Ausschluss von der Nutzung eines Immaterialgutes eingeführte Begriff der Zugangsregel abstrahiert von dem der gesetzlichen Schrankenvorschrift und wechselt zugleich von der Unterscheidung Individual-/Allgemeininteresse auf soziale Systeme als Referenz. Grundlage für diesen Referenzwechsel ist die Vorstellung, dass selbstbestimmtes Handeln zu autonomen sozialen Systemen führt, die ihrerseits über die effektiv zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten entscheiden. Zugangsregeln eröffnen Dritten nicht irgendwelche Mitnutzungsmöglichkeiten im Namen eines stets diffus bleibenden Allgemeininteresses, sondern realisieren die systemische Konnexität des Schutzrechts. Sie sind gerichtet auf den Erhalt der Bedingungen der Wissensteilung genau jenes sozialen Systems, als dessen operatives Ereignis sich der immaterialgüterrechtliche Schutzgegenstand darstellt. Zugangsregeln sind daher grundsätzlich systemspezifisch zu formulieren. Zugangsregeln konkretisieren grundrechtlich geschützte Freiheiten im einfachen Recht. Die aus ihnen abzuleitenden Nutzungsfreiheiten sind freilich nicht die durch subjektive Rechte durchsetzungsfähig gemachten »natürlichen Freiheiten« des Liberalismus (»Freiheit 1«). Es handelt sich vielmehr um Freiheiten zur Nutzung von anderen Rechtspersonen eigentumsrechtlich zugewiesenen Ressourcen. Diese Nutzungsfreiheiten sind Positionen abhängiger Unabhängigkeit (»Freiheit 2«). § 2 fügt dem einen wichtigen Aspekt hinzu, indem auf die Rolle von Institutionen als epistemisches Rückgrat für die systemische Wissensteilung hingewiesen wird. In den Institutionen (Markt, Unternehmen, Netzwerk usw.) wird vorentschieden, in welchen sozialen Einheiten Wissen erzeugt wird. Subjektive Rechte können nur anknüpfen an kommunikative Artefakte, in denen Wissen gleichsam kondensiert und expliziert vorliegt. Sie verfügen nicht über das Arrangement, in dem beobachtende Systeme zusammengeschlossen sind und Wissen kollektiv erzeugen. Hierfür ist von grundlegender Bedeutung, wie Beobachtung organisiert ist und in welchem Verhältnis Beobachtungskapazität und Selektionsautorität stehen. Während sich auf den ersten Blick damit die Aufgabe der Rechtsverfassung der Wissensteilung weiter zu verkomplizieren scheint, ist tatsächlich in vielen Fällen eine konkretere Bestimmung von Zugangsregeln möglich, weil nicht nach Angewiesenheitsverhältnissen auf der (recht abstrakten) Ebene der Systeme direkt gesucht zu werden braucht, sondern sich die Aufgabe verschiebt von der Autonomiegarantie für Funktionssysteme auf die dem Recht geläufigere des Institutionenschutzes. Im Ergebnis

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wird der Schutz der Autonomie des Einzelnen also umgelenkt auf den Schutz von den für die Autonomie von Systemen grundlegenden Institutionen der Wissensteilung.19 In ihren anwendungsorientierten Abschnitten konzentriert sich die Arbeit zunächst in § 3 auf die Bedeutung von Nutzungsfreiheiten für den Wettbewerb. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der Voraussetzungen, unter denen Dritten aus wettbewerbsrechtlichen Gründen die Freiheit zur Mitnutzung von Schutzgegenständen gewährt wird (»wettbewerbsrechtliches Zugangsrecht«). Wie zu zeigen sein wird, wirft die exklusive Kontrolle von Immaterialgütern immer dann besondere Probleme auf, wenn sie gleichbedeutend mit der Kontrolle über einen Markt ist, weil Konkurrenten für den Marktzutritt auf die Nutzung angewiesen sind. Das Schutzrecht wird also durch Zugangsregeln so eingestellt, dass die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs als Institution der Wissensteilung gewährleistet bleiben. Besondere Beachtung verdient der in § 4 untersuchte Fall, in dem Eigentümer privatautonom Zugangsregeln schaffen, die unmittelbar den Prozess der Wissensteilung in anderen sozialen Systemen zu fördern suchen. Hier macht der Eigentümer die Systemdifferenzierung zum eigenen Interesse. Als Beispiel für eine solche Konvergenz von Privat- und Fremdnützigkeit wird die Praxis der öffentlichen Lizenzierung von Nutzungsrechten betrachtet, die sich bei Entwicklung und Vertrieb von Open Source Software herausgebildet hat. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die Ausübung von Eigentumsbefugnissen nicht zwangsläufig zu einer Einschränkung der Nutzungsfreiheit von Nichteigentümern führen muss. Immaterialgüterrechte können nicht nur gemäß der Funktionslogik der Wirtschaft in Anspruch genommen werden, sondern auch gemäß den Anforderungen anderer diskursiver Prozesse. Der Schlüssel hierfür liegt jedoch in einer Dezentralisierung der Eigentümerbefugnisse. In § 5 richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass die Prozesse der Wissensteilung durch die vorausgesetzte Bindung an Kommunikation auch von der Entwicklung der (Verbreitungs-)Medien der Kommunikation beeinflusst werden. Die Freiheiten zur Nutzung von Medien sind entsprechend relevant für die Autonomie mehrerer Funktionssysteme zugleich. Am Beispiel des neuen Mediums »Internet« wird näher dargestellt, dass zur Gewährleistung von dessen Funktion als Medium dezentraler Wissensteilung sowohl die Rechte der Netzeigentümer wie die der Inhalteanbieter durch Zugangsregeln in einer bestimmten Weise zu (re-)konfigurieren sind. Erkennbar wird dem Internet der Status eines Gemeinschaftsguts gegeben. Als solches wird es auch ge19 Mit Blick auf die Funktion von Zugangsregeln ist an Luhmanns instruktive Betrachtung von Grundrechten als Institution der Erhaltung sozialer Differenzierung zu erinnern, vgl. Luhmann, Grundrechte als Institution, 23.

II. Zugangsregeln als Garantie dezentraler Wissensteilung

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schützt vor Beeinträchtigung durch Eigentümer von Ressourcen, durch deren Nutzung das Medium erst konstituiert wird. Abschließend zieht § 6 die im Verlaufe der Untersuchung gefundenen Ergebnisse noch einmal zusammen und benennt auf ihrer Grundlage die normativen Bausteine einer Rechtsverfassung der Wissensteilung.

§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten

Mit der Schaffung von Ausschließlichkeitsrechten an Immaterialgütern können mehrere Zwecke zugleich verfolgt werden.1 So begreift etwa die vom deutschen Urheberrecht rezipierte monistische Theorie das subjektive Recht des Urhebers als einheitliches Recht mit der doppelten Funktion, sowohl die materiellen wie ideell-persönlichkeitsbezogenen Interessen des Urhebers zu schützen. 2 Unter den möglichen Zwecken kommt der Ermöglichung einer wirtschaftlichen Verwertung durch den Rechtsinhaber freilich besondere Bedeutung zu. Vielfach wird argumentiert, ohne die Möglichkeit zur Kompensation der eingesetzten Kosten wäre das betreffende Immaterialgut gar nicht hervorgebracht worden.3 Dem entspricht es, dass die meisten Vorschriften des gesetzlichen Immaterialgüterrechts dem Schutz der Verwertungsinteressen des Eigentümers dienen. Damit stellen sich Schaffung und Ausübung von Immaterialgüterrechten immer auch als für das Wirtschaftssystem relevante Vorgänge dar4 – unabhängig davon, welchem gesellschaftlichen Diskurs das Werk oder die Erfindung sonst noch zugehören. Mit Rücksicht auf diese omnipräsente Dimension soll die Begründbarkeit von Immaterialgüterrechten zunächst aus Sicht der Wirtschaft betrachtet werden. Das hat zugleich den Vorteil, dass von 1 Im Folgenden wird mit dem (von Josef Kohler geprägten) Begriff der »Immaterialgüterrechte« auf Urheberrechte und gewerbliche Schutzrechte Bezug genommen. Die Terminologie rechtfertigt sich aus dem gemeinsamen Bezug der Rechte auf immaterielle Güter. Vgl. auch Troller, Immaterialgüterrecht, Band 1, 104. Sofern erforderlich, wird entsprechend differenziert. 2 Zur monistischen Theorie im deutschen Recht und zu der sie stützenden wirkungsmächtigen »Baum«-Metapher von Eugen Ulmer vgl. etwa Rehbinder, Urheberrecht, Rn. 28. 3 Stellvertretend vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 10. 4 Immaterialgüterrechtliche Vorschriften sind deshalb wettbewerbsrelevante Regelungen. Das gilt insbesondere auch für Schrankenregelungen, wird aber gerade hier zu selten thematisiert. Darauf wird zurückzukommen sein. Trotz dieser grundsätzlichen Bedeutung für die Wirtschaft hat die ökonomische Analyse der Immaterialgüterrechte – so sie denn stattfi ndet (vgl. jedoch Landes/Posner, The Economic Structure of Intellectual Property Law und Besen/Raskind, Journal of Economic Perspectives 5 (1991), 3) – nur geringen Einfluss auf Rechtssetzung und Rechtsanwendung. Zu diesem Ergebnis kommt Samuelson, in: Takeyama et al. (eds.), Developments in the Economics of Copyright, 1 (14). Es gilt gleichermaßen für Europa.

I. Ökonomische Betrachtung: Marktfunktionale Begründung

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vornherein der Bezug individueller Rechte zu gesellschaftlichen Funktionssystemen mit in den Blick kommt. 5

I. Ökonomische Betrachtung: Marktfunktionale Begründung 1. Wissen und Information als öffentliche Güter Das Wirtschaftssystem nimmt Wissen und Informationen als »Güter« wahr. 6 Betrachtet man die Modalitäten der Nutzbarkeit von immateriellen Gütern genauer, so fallen im Vergleich mit materiellen Gütern zwei Besonderheiten auf. Zum einen schließt die Nutzung durch eine Person die Nutzung ein und desselben Immaterialgutes durch eine andere Person nicht aus; das Gut kann von beliebig vielen Personen konsumiert werden, ohne dass diese sich gegenseitig im Konsum einschränken (»Nicht-Rivalität«).7 Zum anderen ist es unmöglich oder zumindest erheblich schwieriger, dritte Personen faktisch vom Konsum des Immaterialgutes auszuschließen (»Nicht-Ausschließbarkeit«). Güter mit diesen Merkmalen bezeichnet man als »öffentliche Güter«.

5 Gerade wegen ihrer Konsequenzen für die Wissensteilung in unterschiedlichen sozialen Systemen steht die mit den Verwertungsrechten verknüpfte Ausschließungsbefugnis der Immaterialgüterrechte hier im Vordergrund. Die sich aus dem Persönlichkeitsrecht ergebenden Kompetenzen des Rechtsinhabers (vgl. etwa für das Urheberpersönlichkeitsrecht §§ 12–14 UrhG) sind in dieser Hinsicht weniger relevant. Vgl. aber § 4 III zu Bearbeitungsrechten bei Computerprogrammen. 6 In der Ökonomie bezeichnen »Güter« Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. Damit verweist der Begriff auf eine Relation und keine Substanz. Es kommt auf den Nutzen einer Sache oder von Wissen für die Zwecke eines wirtschaftlichen Akteurs an. Vor einem ontologischen Missverständnis warnt Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Erster Teil II § 2: »Gut im Sinn von Nutzleistung im strengen Sprachgebrauch ist nicht das »Pferd« oder ein »Eisenstab«, sondern deren einzelne als begehrenswert geschätzte und geglaubte Verwendungsmöglichkeiten«. Von hier aus ist es nicht mehr weit zur Einsicht des Property-Rights-Paradigmas, dass der Wert eines Gutes durch die originäre Ausstattung mit Handlungsrechten mitbestimmt wird. Erst die Kombination von technischen Möglichkeiten einer Ressource und ihrer Ausstattung mit Handlungsrechten gibt die effektiven Verwendungsmöglichkeiten eines Gutes an (»effective commodity«), vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 98 f. Gegenstand der Ökonomie sind danach nicht physische Einheiten (oder Informationsprodukte), sondern menschliche Handlungsmöglichkeiten, die das Recht normativ beschreibt (umgekehrt lassen sich dann die Inhalte von Rechten als Definition von Gütern und deren Zuweisung an Personen begreifen), vgl. Behrens, Grundlagen, 32 (im Anschluss an Coase). So interpretiert, kann der Güterbegriff als Oberbegriff für Nutzungszuweisungen an körperlichen wie auch an unkörperlichen Gegenständen dienen. 7 Unübertroffen Thomas Jeffersons Formulierung zur Nutzung einer »Idee«: »Its peculiar character, too, is that no one possesses the less, because every other possesses the whole of it. He who receives an idea from me, receives instruction himself without lessening mine; as he who lights his taper at mine, receives light without darkening me.« (Brief an Isaac McPherson, Monticello, den 13. 8. 1813)

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§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten

Aus Sicht des Wirtschaftssystems werfen öffentliche Güter Probleme auf, weil es bei ihrem Gebrauch zu einer Divergenz zwischen individuellem und sozialem Nutzen kommt. Die Analyse richtet sich dabei ganz auf den Umstand, dass es durch die mangelnde Ausschließbarkeit Dritter zu einem Marktversagen auf der Angebotsseite kommt. Dritte, die nicht an den Kosten der Produktion des Immaterialgutes beteiligt waren, sind gleichwohl in der Lage, es nutzen zu können. Wo sich aber die Vorteile einer Nutzung von Gütern nicht internalisieren lassen, können die für ihre Erstellung aufgewendeten Investitionen nicht kompensiert werden. 8 Die Möglichkeit des Trittbrettfahrens (»free-riding«) würde zu einem fehlenden Anreiz zu Investitionen in die Produktion immaterieller Güter führen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht käme es entsprechend zu einer Unterproduktion der betreffenden Güter. Für dieses Problem stehen verschiedene Lösungswege zur Verfügung.9 Zum einen kann die Entscheidung über die Produktion von Informationsgütern dem Staat überantwortet werden. Die Kosten für die Produktion von öffentlichen Gütern, die allen zu Gute kommen können, werden dann auch von allen gemeinsam getragen. Prominentes Beispiel ist etwa die Finanzierung von Grundlagenforschung durch die öffentliche Hand. Im Gegenzug ist dafür Sorge zu tragen, dass die mit öffentlichen Geldern finanzierten Entwicklungen auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.10 In diesem und ähnlichen

8 Vgl. Ullrich, GRUR Int. 1996, 555 (565). Die Gefahr dieser Argumentation besteht freilich darin, das Immaterialgüterrecht insgesamt zu einem reinen Investitionsschutzrecht zu machen und nicht mehr nach den konkreten Gründen zu fragen, unter denen sich die Schaffung eines Ausschließlichkeitsrechts insbesondere im Hinblick auf die – grundrechtlich fundierten – Nutzungsinteressen Dritter rechtfertigen lässt. Ohne Reflexion auf den Schutzgrund ist vor allem die Frage nach einer angemessenen Schrankenziehung kaum plausibel zu beantworten. Kur, in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienst der Innovation, 23 (33) etwa spricht mit Blick auf die zunehmende Konvergenz der Schutzrechte unter dem Gedanken des Leistungs- bzw. Investitionsschutzes von einer »Erosion der Schutzrechtsgrenzen«. Kritisch zur Entwicklung des Immaterialgüterrechts zu einem Investitionsschutzrecht bereits Dietz, RIDA 1988, 26. Zur unzureichenden Trennung von Kreativitäts- und Investitionsschutz etwa Drexl und Hilty im Diskussionsbericht von Geiger et al., GRUR Int 2006, 475 (477, 495). Geiger, IIC 2006, 371 (402 f.) schlägt deshalb ein graduelles System der Schutzrechte vor, in dem Werke geringerer Kreativität nur durch ein (einheitliches) sui generis-Recht mit einem – im Vergleich zu den klassischen Immaterialgüterrechten – deutlich eingeschränkten Schutzumfang geschützt würde. 9 In seiner grundlegenden Arbeit nennt Pigou, The Economics of Welfare, drei institutionelle Mechanismen zur Bereitstellung öffentlicher Güter: Beihilfen, Staatsproduktion, Markt. Insofern wird auch von den drei P gesprochen: »patronage«, »procurement«, »property«. Vgl. Foray, Economics of Knowledge, 119. 10 Grundsätzlich lassen sich zwei Dimensionen bei der Produktion von Immaterialgütern unterscheiden, die gegeneinander variiert werden können: Finanzierung der Aktivität und der Zugang zu den Ergebnissen. Bei öffentlich finanzierten Aktivitäten erwartet man in der Regel, dass die Ergebnisse frei zugänglich gemacht werden, vgl. Foray, Economics of Knowledge, 123.

I. Ökonomische Betrachtung: Marktfunktionale Begründung

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Fällen leistet sich die Gesellschaft also bewusst die freie (wenn auch nicht notwendig kostenlose) Nutzung der Güter durch die Allgemeinheit. Der andere Lösungsweg setzt bei der als problematisch identifizierten NichtAusschließbarkeit selbst an und beschränkt den Zugang zum Immaterialgut und damit die Möglichkeit zu dessen Nutzung durch jeden. Das wichtigste Mittel hierzu ist die normative Beschränkung des Zugangs, indem die Rechtsordnung dem Produzenten subjektive Eigentumsrechte zuerkennt. Der Inhaber eines solchen Rechts kann allen anderen die Nutzung des Informationsgutes verbieten. Die Nutzungsvorteile werden einem Rechtssubjekt allein zugeordnet und damit exklusiv appropriierbar. Das öffentliche Gut ist in ein privates Gut überführt. Die Entscheidung über die Produktion eines Informationsgutes kann so in die Hände des Einzelnen gelegt und seiner Initiative überlassen werden. Denn durch die Zuerkennung eines Eigentumsrechts erhält er die Chance, die bei der Entwicklung aufgewendeten Kosten zu kompensieren. Es hängt jetzt allein von seinem Willen ab, ob andere das entwickelte Informationsgut (mit-)nutzen dürfen. Die Berechtigung hierzu kann er auf dem Markt anderen anbieten. Neben dieser Gewährung von Verbotsrechten durch die staatliche Rechtsordnung besteht freilich auch die Möglichkeit, dass private Akteure eigene Zugangsschranken schaffen. Dies kann entweder wieder auf normativem Wege geschehen, indem die Beteiligten von ihrer Vertragsfreiheit Gebrauch machen und etwa Vereinbarungen treffen, die zum Geheimnisschutz verpflichten. Die Akteure können aber auch mit Hilfe von technologischen Schutzmaßnahmen faktische Zugangsschranken errichten.11 Bemerkenswert ist in beiden Fällen, dass die Privaten selbst über die Exklusivität der Nutzungsmöglichkeit entscheiden können. Die Mechanismen zur Privatisierung selbst liegen in privater Hand. Deutlich wird, dass die Öffentlichkeit eines Gutes nichts ist, was diesem gleichsam stofflich anhaftet, sondern vielmehr durch soziale Institutionen bestimmt wird, die das Nutzungsverhalten der Einzelnen steuern. Die Geltung oder Nichtgeltung des Ausschlussprinzips unterliegt dem konkreten institutionellen Arrangement, dessen Einrichtung selbst eine soziale Gestaltungsaufgabe ist.12 Öffentlichkeit und Privatheit sind das Ergebnis einer sozialen Konstruktion. Dann aber kommt es entscheidend auf die Instrumente jener sozialen Konstruktion an. Ein hinreichender Formenreichtum der institutionellen Arrangements (governance mechanisms) ermöglicht differenzierte soziale Konstruktionen. Der Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Gütern braucht 11 Diese technologischen Schutzmaßnahmen können von der Rechtsordnung freilich in einem zweiten Schritt wiederum normativ – vor Umgehung – geschützt sein. So etwa in den §§ 95a ff. UrhG. 12 Zutreffend Behrens, Grundlagen, 91.

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§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten

dann nicht mehr kategorial gedacht zu werden, sondern kann fl ießend gestaltet werden. Zur Disposition steht der »Öffentlichkeitsgrad« von Gütern.13 Die gesellschaftliche Präferenz liegt freilich ganz auf der Schaffung von privaten Informationsgütern. Als maßgeblich erscheinen dabei zwei Annahmen. Zum einen wird vorausgesetzt, dass der Markt das am besten geeignete Instrument zur Generierung von Informationen über die tatsächliche Nachfrage nach Immaterialgütern ist.14 Zum anderen wird implizit davon ausgegangen, dass die Korrektur des Problems der Nicht-Ausschließbarkeit nicht auf Kosten von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen erfolgt, die mit der Möglichkeit des nicht-rivalisierenden und damit geteilten Gebrauchs zusammenhängen. Dieser Aspekt ist im Folgenden näher zu betrachten. 2. Informationsökonomisches Dilemma Den genannten Mechanismen zur Privatisierung ist gemeinsam, dass sie die Nutzungsmöglichkeiten aller anderen außer den Berechtigten in Bezug auf die Informationsgüter einschränken. Obwohl diese vom Prinzip her einer gleichzeitigen dezentralen Nutzung durch verschiedene Akteure zugänglich wären (Nicht-Rivalität), werden sie tatsächlich exklusiven Herrschaftssphären zugewiesen. Die Entscheidung über ihre konkrete Nutzung wird in den Willen allein des Rechtsinhabers gelegt, der Dritten die Nutzung nur gegen Entgelt gestatten wird, um seine Produktionskosten zu kompensieren. Berücksichtigt man, dass die marginalen Kosten für Informationsgüter gegen Null laufen, so ergibt sich nach dem Kalkül der Allokationstheorie, dass ein nicht-rivalisierend nutzbares Gut dann am effizientesten genutzt wird, wenn es keine Beschränkung des Zugangs zur Nutzung gibt und der Preis der Nutzung Null ist. Aus Effizienzgründen erscheint es gerade sinnvoll, den Zugang zu existierenden Informationsgütern zu maximieren, damit diese von möglichst vielen verschiedenen Nutzern auf die unterschiedlichsten Arten genutzt werden können. Anders verhält es sich aber mit der Effizienz bei der Produktion. Gerade die Entwicklung von Immaterialgütern kann sehr kostenintensiv sein, was insbesondere an den sehr hohen fi xen Kosten liegt. Sollen bestehende Ressourcen 13 Der Begriff des »Öffentlichkeitsgrades« von Gütern findet sich bei Bonus, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik NF 98 (1977), 51 (57). Freilich wird das Phänomen dort rein negativ als »Defekt« betrachtet: der Öffentlichkeitsgrad gebe an, wie ausgeprägt das Kernproblem öffentlicher Güter (d. h. die Divergenz zwischen individuellem und gesamtwirtschaftlichem Interesse aufgrund verkehrter Anreizwirkungen und der Möglichkeit strategischen Verhaltens) bei dem betreffenden Gut auftritt. Die Empfehlung lautet entsprechend, durch geeignete Wirtschaftspolitik den Öffentlichkeitsgrad auf ein niedriges Niveau zurückzuführen (aaO., 52). Im Fortgang wird sich zeigen, dass für Immaterialgüter eine differenziertere Einschätzung von Nutzungsexternalitäten zu erfolgen hat. 14 Vgl. Frischmann, Minnesota Law Review 89 (2005), 917 (940). Darauf wird zurückzukommen sein.

I. Ökonomische Betrachtung: Marktfunktionale Begründung

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möglichst effizient für die Produktion von neuen Immaterialgütern eingesetzt werden, müssen diese folglich einen positiven Preis besitzen, der jedenfalls die Kosten der benötigten Ressourcen deckt. Damit stellt sich ein grundsätzliches Dilemma der Informationsökonomie: »Only the anticipation of a positive price on use will guarantee the allocation of resources for creation, but only a price that is nil will guarantee efficient use of knowledge, once it has been produced.«15 Die Privatisierung von Informationsgütern durch die Schaffung von Eigentumsrechten löst dieses Dilemma in asymmetrischer Weise auf. Die Möglichkeit der dezentralen Nutzung von Informationsgütern in der Gesellschaft wird eingeschränkt, damit die Produktion gefördert wird.16 Das erscheint unmittelbar plausibel, wenn man annimmt, dass ohne die Möglichkeit zur Kompensation der eingesetzten Kosten das betreffende Immaterialgut überhaupt nicht hervorgebracht worden wäre, so dass sich die Frage der Regulierung seiner Nutzung erst gar nicht stellen würde.17 Der Produzent hätte keinen Anreiz gehabt, Investitionen in die Entwicklung des Immaterialgutes, die vor allem in einem Vorschuss in die Entlohnung menschlicher Arbeitskraft bestehen, zu tätigen. Indessen macht aber das informationsökonomische Dilemma darauf aufmerksam, dass eine optimierte gesellschaftliche Nutzung von Wissen und Information eben nur dann erzielt werden kann, wenn die Beschränkung des Zugangs nicht über das für die Produktionskostendeckung erforderliche Maß hinausgeht. Als Folge der Schaffung exklusiver Nutzungssphären ergibt sich aus ökonomischer Sicht für das Immaterialgüterrecht damit gleichzeitig die Aufgabe, für eine möglichst weitgehende Freiheit der Nutzung zu sorgen. Der in dem informationsökonomischen Dilemma aufscheinende Zusammenhang zwischen Produktionsanreiz und Nutzungseffizienz führt so zu einem vertieften Verständnis der Implikationen einer Korrektur des Marktversagens bei Informationsgütern. Weil die Korrektur der Nicht-Ausschließbarkeit zu Lasten der Möglichkeit des nicht-rivalisierenden Gebrauchs geht, ist die Lösung der Probleme, die eine Verfassung von Immaterialgütern als öffentliche Güter für das Wirtschaftssystem aufwerfen würde, mit einer dauerhaften Hypothek belastet.18 Dem Problem einer Unterproduktion bei fehlender Zu15

Foray, Economics of Knowledge, 116. Zur Rechtfertigung im Rahmen eines Stufen- bzw. Schichtenmodells wirtschaftlicher Aktivität sogleich näher im folgenden Abschnitt. 17 Für Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 10 besteht deshalb »die wichtigste Legitimation von Immaterialgüterrechten« darin, dass ihr Gegenstand ohne Verrechtlichung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geschaffen oder wirtschaftlich nicht genutzt werden könnte. 18 Im umgekehrten Fall – also bei der Ausgestaltung von Informationsgütern als öffentliche Güter – steht zwar grundsätzlich einer weiten Verbreitung nichts im Wege; zur Daueraufgabe wird aber die Förderung der Produktion. 16

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§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten

gangsbeschränkung steht das Problem der Unternutzung bei vorhandener Zugangsbeschränkung gegenüber. Die sozialen Kosten der Schaffung von Zugangsbeschränkungen werden deutlicher, wenn man genauer betrachtet, welcher Art jene Abweichung des individuellen vom sozialen Interesse ist, die durch die Zuerkennung von exklusiven Verfügungsrechten unterbunden werden soll. Dritte wären bei fehlender Zugangsbeschränkung in der Lage, das geschützte Werk zu reproduzieren, um es ebenfalls zu konsumieren und zum Bestandteil der eigenen Auseinandersetzung mit der kulturellen Sphäre zu machen oder sogar als Frucht dieser Auseinandersetzung einen eigenen, auf dem Werk aufbauenden kulturellen Beitrag zu leisten. Ähnlich könnte das patentrechtlich geschützte technische Anwendungswissen in beliebigen anderen Verwendungszusammenhängen rekontextualisiert und für die Erreichung der jeweiligen individuellen Zwecke eingesetzt werden, wiederum bis hin zur Möglichkeit, den Verwender zu einem produktiven eigenen Entwicklungsbeitrag zu veranlassen. Die gleichzeitig mögliche Verwendung des Immaterialgutes würde bei Dritten also Prozesse des Lernens in einem weiten Sinne ermöglichen und damit einen positiven Nutzen verursachen.19 Aus Sicht des Produzenten ist dieser Nutzen, den die Verwendung seines Immaterialgutes bei Dritten erzeugt, die an den Herstellungskosten nicht beteiligt waren, als positive Externalität seiner (Produktions-)Tätigkeit anzusehen. 20 Der soziale Nutzen weicht – positiv – von dem privaten ab. Insofern besteht eine Analogie zwischen öffentlichen Gütern und externen Effekten (»spillovers«). 21 Gäbe es keine exklusiven Verfügungsrechte an Immaterialgütern, so würden diese positiven Nutzungsexternalitäten nicht inhibiert. Das in den Werken und Erfindungen kondensierte Wissen könnte in den verschiedenen sozialen Sinnsystemen ohne Beschränkung der Anschlussfähigkeit und der medialen Verfügbarkeit kommuniziert werden. Eine größere Anzahl von Nutzern würde 19

Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 22. Auf die positive Funktion des Lernens durch Nachahmung hatten sich bereits die Verfechter der Gewerbefreiheit in ihrem Widerstand gegen die Einführung des gewerblichen Rechtsschutzes berufen. Danach sei es gerade die Nachahmung, die der Industrie die entscheidenden Impulse verleihe. Vgl. die Nachweise bei Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 142. 20 Von »Externalitäten« spricht man, wenn die wirtschaftliche Situation einer Person durch Konsum- und Produktionstätigkeit anderer Personen berührt wird. Die entsprechenden Effekte können positiv sein, sofern sie bei Dritten einen Nutzen bringen, oder negativ sein, sofern sie bei Dritten Kosten verursachen. Vgl. etwa Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 101. Die Ökonomie kennt freilich keine kanonische Defi nition von Externalitäten. Die Diskussion ist durchaus unabgeschlossen, vgl. Frischmann, Minnesota Law Review 89 (2005), 917 (926), Fn. 31, m. w. N. Frischmann selbst verwendet folgende Bestimmung: »positive (negative) externalities are benefits (costs) realized by one person as a result of another person’s activity without payment (compensation)«. 21 Behrens, Grundlagen, 90 (»Öffentliche Güter lassen sich dadurch kennzeichnen, dass sie Drittwirkungen erzeugen, die eine prinzipiell unbegrenzte Vielzahl von Wirtschaftssubjekten treffen«).

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vorhandenes Wissen auf mehr Weisen nutzen können. Die Möglichkeiten zur Rekombination von bestehenden Wissensfragmenten würden vervielfacht. Eine infolge der Nicht-Rivalität mögliche Mitnutzung der Immaterialgüter schmälert also nicht etwa deren Gebrauchswert, sondern vergrößert ihn vielmehr. 22 Durch zusätzliche Nutzer findet eine Art »Aufnutzung« des Werkes oder der Erfindung statt. Je mehr Nutzer zugelassen werden, desto größer sind die sich ergebenden sozialen Vorteile. 23 Dieser Zusammenhang unterscheidet Immaterialgüter von physischen Gütern, die von jedermann frei genutzt werden dürfen (»commons«24). Dort kommt es zu einer klassischen »Tragödie der Gemeinschaftsgüter«25 , weil mit steigender Anzahl der Nutzer einer erschöpfbaren Ressource die Erträge abnehmen und die Ressource schließlich ganz verbraucht ist. Bei den immateriellen Gemeinschaftsgütern führt die Zulassung weiterer Nutzer dagegen zu einer kombinatorischen Explosion, in deren Zuge der Wissensbestand weiter angereichert wird. Wenn angesichts dessen private Verfügungsrechte an Immaterialgütern geschaffen werden, so machen sie eine Internalisierung von positiven Externalitäten möglich. Damit handelt es sich um eine grundlegend andere Konstellation als bei dem typischen Fall des durch das Auftreten von externen Effekten hervorgerufenen Marktversagens, nämlich dem Auftreten negativer Externalitäten einer Aktivität (etwa durch Umweltverschmutzung), durch die unbeteiligte (außerhalb eines Transaktionsverhältnisses mit dem Akteur stehende) Dritte geschädigt werden. Trotz dieses Unterschieds wird die strukturell gleiche Reaktion gewählt: auch positive Externalitäten sollen durch die Zuerkennung von Verfügungsrechten internalisiert werden. 26 Die Anwendung des strukturell gleichen Korrekturmechanismus auf unterschiedliche Sachverhalte ist offensichtlich allein damit zu rechtfertigen, dass nur so die Funktion eines Mechanismus von außergewöhnlichem gesellschaftlichem Nutzen gewährleistet werden kann.

22 Gleichzeitig – und das ist nach diesem Ansatz das Entscheidende – verringert sich aber mit jeder Zulassung weiterer Nutzer der Marktwert des Informationsgutes, vgl. Ullrich, Kartellrechtliche Aspekte des Informationszugangs, 177 (200). 23 Das betonen zu recht Ramello, in: Takeyama et al. (eds.), Developments in the Economics of Copyright, 120 (123) und Foray, Economics of Knowledge, 16. 24 Näher zum Begriff der Gemeinschaftsgüter vgl. unten § 2 II 3 a. 25 Grundlegend zur »Tragedy of the Commons« vgl. Hardin, Science 162 (1968), 1243 ff. 26 Für Gordon, Intellectual Property, in: Can/Tushnet (eds.), The Oxford Handbook of Legal Studies, 617 (622), heißt das: »IP can be visualized as tort law turned upside down: . . . IP law encourages persons to become more productive by allowing them to capture some of the benefits their useful behavior gives to others. Thus, just as ordinary accident law internalizes negative externalities to discourage carelesness, IP law internalizes positive externalities to encourage productivity«. (Hervorhebung hinzugefügt)

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3. Rechtfertigung der Zugangsbeschränkung Es würde zu kurz greifen, den Schutzrechten als solchen eine Anreiz- und Belohnfunktion zuzuschreiben. Gleichwohl ist diese Formulierung der ökonomischen Begründung von Immaterialgüterrechten häufig anzutreffen. Sie findet indessen nicht nur keinen Rückhalt in den Ergebnissen empirischer Forschung, die eine Anreiz- oder Investitionssicherungsfunktion etwa des Patentschutzes eher widerlegen als bestätigen. 27 Entscheidend ist, dass eine solche Formulierung das marktwirtschaftliche Quid pro quo der Schaffung von Ausschließlichkeitsrechten verfehlt: Exklusive Verfügungsrechte an Informationsgütern sind Voraussetzung für das Eingreifen des Wettbewerbsmechanismus. Erst und allein der Prozess des Wettbewerbs ist es, in dessen Zuge neue Immaterialgüter hervorgebracht werden. Er bestimmt den Anreiz und die Belohnung nach Maßgabe derjenigen Nachfrage, die der Schutzgegenstand auf sich ziehen kann. 28 Durch die Zuerkennung von Schutzrechten werden Information und Wissen zu handelsund wettbewerbsfähigen Gütern konstituiert. Die Wirkungen, die sich mit dieser Konstituierung verbinden, folgen aber gerade nicht schon aus ihr selbst, sondern beruhen auf dem Wettbewerb, in dem das geschützte Gut eingesetzt wird; dieser entscheidet über die erreichbare Nachfrage, die Gewinnziele und -möglichkeiten und über den Wert des geschützten Wissens am Markt. Das Schutzrecht ist bloßes Mittel. Es konstituiert eine Handlungsbefugnis, die wettbewerbsgerechtes, d. h. den individuellen Nutzen maximierendes Verhalten ermöglicht. Den Kern der ökonomischen Begründung von Ausschließlichkeitsrechten bildet der Gedanke, dass diese die für die Selbststeuerung des Marktes notwendige Entscheidungsfreiheit im Wettbewerb verleihen. 29 Damit ist eine streng funktionale Begründung von Ausschließlichkeitsrechten an Informationsgütern gegeben. Diese beziehen ihre Legitimation aus der Funktion, Mittel für den Wettbewerb zu sein.30 Das hat zahlreiche normative Implikationen für die Ausgestaltung von Schutzrechten durch die Rechtsordnung. Insbesondere verschiebt sich die Frage nach der Rechtfertigung von Schutzrechten auf den durch diese ermöglichten Wettbewerb. Wenn erst der Wettbewerb die mit der Einführung von Ausschließlichkeitsrechten verbundenen Erwartungen in Bezug auf die innovative Schaffung neuer Immaterial-

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Nachweise bei Ullrich, GRUR Int. 1996, 555 (566). Ullrich, in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienste der Innovation, 83 (92). 29 Ullrich, GRUR Int. 1996, 555 (566). 30 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 9, mit der Feststellung, »dass Immaterialgüterrechte geschaffen werden, damit sie zum Gegenstand von Marktprozessen werden können«. (Hervorhebung hinzugefügt). 28

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güter erfüllen kann, dann kommt offenbar alles auf den richtigen Begriff von Wettbewerb an.31 In Wettbewerbstheorie und -praxis durchgesetzt hat sich das Leitbild dynamischen Wettbewerbs – interessanterweise gerade auch unter dem Einfluss der Schaffung eines allgemeinen Schutzrechtssystems.32 Dem entspricht die bereits erwähnte Auszeichnung der Produktions- gegenüber der Allokationseffizienz, die sich auch reformulieren lässt als die unterschiedlichen Perspektiven von dynamischer und statischer Effizienz. Während es aus statischer Sicht gerade sinnvoll erscheint, den Zugang zu existierenden Informationsgütern zu maximieren, damit diese von möglichst vielen verschiedenen Nutzern auf die unterschiedlichsten Arten genutzt werden können, wird eine Verminderung statischer Effizienz durch die Beschränkung von Mitnutzungsmöglichkeiten aus der dynamischen Perspektive der Hervorbringung neuer Immaterialgüter »in Kauf genommen«.33 Dahinter steht die Erwartung, dass sich als langfristige Folge des Innovationswettbewerbs unter den Produzenten von Immaterialgütern die dynamische Effizienz erhöht. Unter dem Strich trägt die funktionale Bindung von Immaterialgüterrechten an den Wettbewerb damit das informationsökonomische Dilemma in den Wettbewerbsbegriff hinein. Dieser muss komplexer gefasst werden als in einer Welt der effizienten Allokation allein von materiellen Gütern. Gut fassbar wird dieser komplexere Wettbewerbsbegriff mit Hilfe eines analytischen Modells, das mit »Konsum«, »Produktion« und »Innovation« verschiedene Ebenen oder Schichten wirtschaftlicher Aktivität unterscheidet und Eigentumsrechten die Aufgabe zuweist, den Wettbewerb auf der unteren Ebene zugunsten der Ermöglichung »funktionsfähigen Wettbewerbs« auf der jeweils höheren Ebene zu begrenzen.34 Während danach die Tätigkeit des Konsums unmittelbaren Nutzen stiftet, soll die Produktion von Gütern dazu dienen, die Grenzen des Konsums zu erweitern, indem vorhandene Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden. Die Nutzenfunktion dieser Ebene ist eine indirekte, weil sie aus dem Wert der Konsumgüter abgeleitet wird, die sie hervorbringt. Analog dient die (doppelt indirekt nützliche) Tätigkeit der Innovation dazu, die Beschränkungen auch noch der zweiten Ebene hinauszuschieben, indem neue Möglichkeiten der Produktion entwickelt werden. Jede der 31 Zur Maßgeblichkeit des verwendeten Wettbewerbsbegriffs vgl. auch Ullrich, in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienste der Innovation, 83 (93): Ändert sich das Wettbewerbsleitbild, ändert sich auch die Beurteilung schutzrechtsbezogener Wettbewerbsbeschränkungen. 32 Ullrich, GRUR Int. 1996, 555 (566 f.) und ders., Kartellrechtliche Aspekte des Informationszugangs, 184. 33 Vgl. die Formulierung bei Heinemann, Immaterialgüterschutz, 15 und Bechtold, Vom Urheber- zum Informationsrecht, 298. 34 Vgl. v. Weizsäcker, Kyklos 34 (1981), 345 (im Anschluss an die »Güterordnung« bei Carl Menger und Eugen v. Böhm-Barwerk) und ders., Barriers to Entry, Kap. 1.

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drei Ebenen erhält auf diese Weise eine bestimmte Funktion bei der Ressourcennutzung (Gerechtigkeit, Effizienz, Fortschritt), die es durch korrespondierende Verhaltensformen (Normkonformismus, Nutzenmaximierung, Originalität/Nonkonformität der Suchstrategie) möglichst weitgehend zu realisieren gilt. Erst wenn der Zugang zu den Früchten der Produktion (und damit den Gütern auf der unteren Ebene) beschränkt wird, haben die Akteure den Anreiz, effizienter als andere zu produzieren und also mit ihnen bei der Produktion in Wettbewerb zu treten. Begreift man den Zustand des Wettbewerbs auf einer Ebene als Funktion des freien Zugangs der Akteure zu den Aktivitäten dieser Ebene, 35 so tritt an die Stelle des freien Zugangs zu Gütern auf der ersten Ebene der freie Zugang zu Märkten auf der zweiten Ebene, der aber eben die Beschränkung des freien Zugangs zu den Konsummöglichkeiten voraussetzt (»equity-efficiency trade-off«). Eine analoge Spannung ergibt sich im Verhältnis zwischen effizienter Produktion und Innovation, weil ein Anreiz zur kostenintensiven Suche nach Neuem (Produkt- oder Prozessinnovationen) erst besteht, wenn der Zugang anderer zu den Ergebnissen der innovatorischen Tätigkeit beschränkt und eine Imitation verhindert wird. Dann aber wird der freie Zugang zu den Produktionsmöglichkeiten auf der zweiten Ebene beschränkt. Die Förderung von Innovationswettbewerb auf der dritten Ebene macht daher »gewisse Abstriche« am Ideal vollständiger Konkurrenz und des Ziels (statischer) Effizienz notwendig – mit dem Resultat einer Art »efficiencyinnovation trade-off«. An die Stelle des Ideals eines freien Zugangs zu den verfügbaren Produktionsverfahren und den entsprechenden Produktmärkten (auf der zweiten Ebene) 36 tritt das Ideal eines freien Zugangs zu Innovationsmärkten (auf der dritten Ebene). Das Ebenen-Modell konkretisiert den Zusammenhang unterschiedlicher wirtschaftlicher Aktivitäten und verdeutlicht, dass die wettbewerbsförmige Erbringung der einen Tätigkeit (der Wettbewerb auf einer höheren Ebene) abhängig ist von der Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten der anderen Tätigkeit (dem Wettbewerb auf einer tiefer liegenden Ebene). Dem entsprechend lassen sich die Funktionen der unterschiedlichen Aktivitäten nicht unabhängig voneinander optimieren (»magisches Dreieck« der Ziele Gerechtigkeit, Effizienz und Fortschritt). Vielmehr steht die Gesellschaft vor der Frage nach der angemessenen »Verteilung des Wettbewerbs auf die drei Ebenen«.37 Im Rahmen der erforderlichen rechtspolitischen Entscheidung kann die be35 So die Prämisse bei v. Weizsäcker, Kyklos 34 (1981), 345 (351) und ders., Barriers to Entry, 5. 36 Bei v. Weizsäcker, Barriers to Entry, 6 heißt es: »free access to the production processes available to society means that there are open markets . . . in addition it means free access to the knowledge needed for the production process.« 37 So ausdrücklich v. Weizsäcker, Kyklos 34 (1981), 345 (355).

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sondere Förderung des Innovationswettbewerbs auf der dritten Stufe damit begründet werden, dass so in dynamischer Sicht (also »längerfristig«) auch eine Steigerung der Produktionseffizienz (als Resultat der erfolgreichen Suche nach besseren Produktionsverfahren) möglich wird. Zukünftige Chancen werden geschaffen, indem gegenwärtige verknappt werden. Im folgenden Abschnitt soll genauer untersucht werden, welche Parameter das Verhältnis zwischen statischer und dynamischer Effizienz bestimmen und welche Begrenzungen daraus für die Schaffung von Schutzrechten zu entnehmen sind. Hier sollte nur gezeigt werden, dass die Informationsökonomie über einen adäquat komplexen Wettbewerbsbegriff verfügen muss. Es reicht nicht aus zu argumentieren, dass Schutzrechte ihren Inhabern Handlungsfreiheit im Wettbewerb um immaterielle Güter verleihen, wenn mit dieser Zuerkennung gleichzeitig die Handlungsmöglichkeiten anderer beschnitten werden. Diese Abhängigkeiten müssen mit in den Blick genommen werden. Genau das leistet die Verwendung des Bildes verschiedener Ebenen, denen die unterschiedlichen wirtschaftlichen Aktivitäten zugeordnet werden. Die Ebenen können als Ausdruck gleichsam einer abhängigen Unabhängigkeit der verschiedenen Tätigkeiten interpretiert werden.38 Schließlich brauchen die normativen Implikationen einer funktionalen Bindung von Schutzrechten an den Wettbewerb für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen den Rechtsmaterien des Immaterialgüter- und Wettbewerbsrechts hier nur angedeutet zu werden.39 Ausdruck dieser funktionalen Bindung ist die Annahme, dass die allgemeinen Kartellrechtswertungen in allen Zusammenhängen der Schutzrechtsverwertung Geltung besitzen. Darin liegt eine klare Kollisionsregel für die Auflösung von möglichen Konflikten zwischen beiden Gebieten. So lässt sich zum einen gegenüber der Anwendung des Wettbewerbsrechts ein wie auch immer gearteter Ausnahmebereich des Immaterialgüterschutzes nicht begründen. Zum anderen richtet sich ein kartellrechtlicher Eingriff in die Ausübung von schutzrechtlichen Befugnissen nach der konkreten Erheblichkeit, die der Zugang zum Schutzobjekt für die Funktionsfähigkeit des Marktprozesses besitzt. 4. Begrenzung der Zugangsbeschränkung aus Sicht der Ökonomie Trotz der prinzipiellen Rechtfertigbarkeit von Zugangsbeschränkungen um der Ermöglichung dynamischen Wettbewerbs willen deutet das informationsökonomische Dilemma darauf hin, dass die Schaffung von exklusiven Verfügungsrechten an Immaterialgütern wegen der Inhibierung positiver Nutzungsexternalitäten nicht ohne Schranken sein kann. Es ist insofern als eine wesentliche Errungenschaft im Theorieapparat der Ökonomie zu werten, dass mit 38 39

Das wird noch in einem anderen Zusammenhang eine Rolle spielen. Ausführlich unter § 3.

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der Lehre von den Transaktionskosten das ökonomische Kalkül um die Berücksichtigung der sozialen Kosten erweitert wurde, die durch die Einrichtung und Ausübung von Rechten entstehen. Der Property-Rights-Ansatz nimmt diese Erkenntnis auf und führt eine allgemeine Bedingung für die Schaffung von Verfügungsrechten ein: Exklusive Verfügungsrechte zur Internalisierung von Externalitäten sollen nur dann geschaffen werden, wenn der Nutzen der Internalisierung deren Kosten übersteigt. 40 Damit wird im ökonomischen System selbst – und das ist von grundlegender Bedeutung – eine interne Begrenzungsregel für die Schaffung von Schutzrechten formuliert. 41 Zu den relevanten sozialen Kosten zählen zunächst die Transaktionskosten für die Einrichtung eines allgemeinen Systems von Schutzrechten, für dessen Überwachung und für die Durchsetzung der Rechte. Aufgrund der Immaterialität des Schutzgegenstandes können im Vergleich zur Einrichtung eines Systems individueller Rechte an körperlichen Gütern signifikant höhere Kosten entstehen, wie das Beispiel des Patentrechts zeigt (Patentamt, Registersystem usw.). Insofern wird darauf verwiesen, dass die vergleichsweise höheren Kosten des Schutzes von Patenten und ähnlichen Rechten daraus resultierten, dass es sich letztlich um die Organisation des Ausschlusses von der Nutzung öffentlicher Güter handele. 42 Soweit damit nur gemeint ist, dass die Ausschließung anderer von der Nutzung solcher Güter aufwendiger zu realisieren ist, greift das jedoch zu kurz. Eine denkbare vierte Ebene der wirtschaftlichen Tätigkeit in Form der Produktion von Wissen, das seinerseits die Möglichkeiten der Produkt- und Prozessinnovation erleichtert, und die entsprechende Schaffung von »Rechten auf Erfindungsverfahren«43 ist aus ökonomischer Sicht nicht nur deswegen problematisch, weil der Schutz solcher »Rechte [des Supererfinders] zu erträglichen Kosten nicht möglich ist«. 44 Entscheidend gegen solche Rechte spricht vielmehr, dass dann der freie Zugang zu den Innovationsmöglichkeiten auf der dritten Ebene in ganz erheblicher Weise beschränkt werden würde. Das liegt an der Generität des Schutzgegenstandes, der exklusiv zugewiesen wird. Es würde keine bestimmte Erfindung, sondern ein »Verfahren zu erfi nden« geschützt. Nicht die Anwendung eines bestimmten Wissens unterläge exklusiver Kontrolle, sondern eine Me40 Grundlegend Demsetz, American Economic Review 57 (1967), 347 (349) (»property rights develop to internalize externalities when the gains of internalization become larger than the cost of internalization«). 41 Damit richtet das Wirtschaftssystem eine (wenn auch spezifischen Begrenzungen unterliegende) Beobachtung seiner Umwelt (genauer: des Rechtssystems) im Hinblick auf die Effekte ein, die auf das Wirtschaftssystem von dieser Umwelt ausgehen (und zwar durch die rechtliche Limitierung oder Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten). 42 Vgl. v. Weizsäcker, Kyklos 34 (1981), 345 (356). 43 Inzwischen in gewisser Weise realisiert durch die Patentierbarkeit von Business-Methoden. 44 So aber v. Weizsäcker, Kyklos 34 (1981), 345 (357).

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thode als eine Art Meta-Wissen, dessen Wert sich gerade daraus ergibt, dass es die Erzeugung vieler verschiedener Formen des konkreten Einzelwissens steuern kann. Ein solcher Schutz würde viele unterschiedliche innovatorische Aktivitäten zugleich der Kontrolle eines Einzelnen unterstellen. Freilich ist dieses Phänomen bereits im Verhältnis zwischen Produktion und Innovation gegenwärtig. Ein Patent vermittelt Herrschaft nicht bezogen auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand, sondern auf jeden körperlichen Gegenstand, der die Verkörperung einer bestimmten Idee ist.45 Das Problem verschärft sich noch, wenn man auf eine höhere Ebene der Aktivität wechselt: Je abstrakter der Schutzgegenstand, desto größer die Abhängigkeiten Dritter, die durch Exklusivrechte geschaffen werden. Allgemein wird daran deutlich, dass zu den sozialen Kosten der Schaffung von exklusiven Verfügungsrechten neben den Kosten für die Administrierung solcher Rechte auch die Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten (Freiheit) von Anderen im »Schutzbereich« des absoluten Rechts zu berücksichtigen ist. Je nach Umfang des Schutzbereichs (abhängig insbesondere von seiner Abstraktheit) kann dabei auch der gleiche Zugang zu Aktivitäten beschränkt sein, die mit der geschützten Handlung nicht identisch sind, aber von ihr »abhängen«.46 Bei der Schaffung speziell von Schutzrechten können solche Kosten aber nicht nur durch die Zuteilung von abstrakten »Erfindungsverfahrensrechten« entstehen, die es so (noch) nicht in der Rechtsordnung gibt. Eine Beschränkung des freien Zugangs zu Innovationsmöglichkeiten tritt schon durch den Umstand ein, dass Informationen zugleich Output und Input des eigenen Produktionsprozesses sind. Während sich die Analyse üblicherweise ganz auf die Korrektur eines Marktversagens auf der Angebotsseite konzentriert und Immaterialgüter nur als Output wahrnimmt, darf nicht in Vergessenheit geraten, dass Immaterialgüter, obwohl regelmäßig durch Individuen hervorgebracht, Bestandteil eines kollektiven (»geteilten«) semantischen Raumes sind, ohne Rekurs auf den sie weder einen von anderen verstehbaren Sinn hätten noch überhaupt vom Einzelnen hervorgebracht werden könnten.47 Ohne Anreiz zur Hervorbringung wird die Möglichkeit zur Erweiterung des semantischen Raumes nicht genutzt, ohne Anschluss an den semantischen Raum fehlt bereits die Bedingung der Möglichkeit seiner Erweiterung. Eine Einsicht, die nicht erst Theorien kultureller Produktion in der Postmoderne gegenwärtig ist – und

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Dazu noch näher unten § 1 II 2 a. Was unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtpunkten freilich solange keine Rolle spielt, wie es genügend alternative Handlungsmöglichkeiten zur Bedarfsbefriedigung gibt. Näher unten in § 3. 47 Vgl. auch Ramello, in: Takeyama et al. (eds.), Developments in the Economics of Copyright, 120 (125). 46

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etwa in Foucaults Dekonstruktion des Autors48 oder Barthes’ Auflösung von Originalen in »tissues of quotations«49 ihre radikale Formulierung findet –, sondern schon früh in der Neuzeit für die angemessene (Selbst-)Beschreibung von Kreativität herangezogen wird (Newtons »standing on the shoulders of giants«50 ) und damit in diesem Bereich das eben »entdeckte« Individuum sogleich wieder dezentriert und stattdessen auf eine trans-subjektive Dimension geistiger Schöpfung verweist. Ökonomisch ausgedrückt lässt sich der Sachverhalt dahin fassen, dass der Preis für den Output zu den Kosten des Inputs zählt.51 Das schafft einen Konflikt zwischen den Herstellern der ersten und denen der zweiten Generation, denn je stärker und umfassender die Rechte der ersten Generation, desto größer die Kosten der zweiten Generation. Man könnte insofern von »intergenerationalen Kosten« sprechen. Weil nun aber jede Generation sowohl erste (verglichen mit zukünftigen Produzenten) als auch zweite (verglichen mit früheren Produzenten) ist, ergeben sich auch und gerade unter der dynamischen Betrachtungsweise Grenzen für die Schaffung von Schutzrechten. 52 Auch die an der Ermöglichung dynamischer Effizienz ausgerichtete Begründungsstrategie wird damit vom informationsökonomischen Dilemma eingeholt, als dessen Unterfall das Input/Output-Problem anzusehen ist.53 Besonders klar hat Arrow die inhärenten Grenzen der Privatisierung von Immaterialgütern aus ökonomischer Sicht formuliert: »In a free-enterprise economy, inventive activity is supported by using the invention to create property rights; precisely to the extent that it is successful, there is an underutilization of the information.«54 Eine Zuspitzung erfährt dieses Problem, wenn die leichte Erhältlichkeit von Schutzrechten deren Anzahl und Verteilung in einem Maße steigert, dass die Transaktionskosten sowohl aufgrund der schieren Anzahl der zu berücksich48

Siehe etwa Foucault, Was ist ein Autor?, Schriften, Band 1, 1003 ff. Barthes, The Death of the Author, in: ders., Image, Music, Text (1977), 146. Auch auf Wittgensteins Gedanken von der Privatsprache könnte verwiesen werden. So bei Stallberg, Moralische Rechtfertigung, 27. 50 »If I have seen farther it is because I stand on the shoulder of giants«, zit. bei Scotchmer, Journal of Economic Perspectives 5 (1991), 29. Vgl. auch schon RGZ 135, 385 (394): »Jeder schöpferisch Tätige steht in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess mit vorausgegangenem Schaffen und knüpft an das Erreichte als Erbe der Vergangenheit an.« 51 Vgl. Arrow, Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention (1962), in: ders., Collected Papers, Vol. 5, Production and Capital (1985), 104 (113) (»Information is not only the product of inventive activity, it is also an input – in some sense, the major input apart from the talent of the inventor.«). 52 Vgl. Benkler, in: Dreyfuss et al. (eds.), Expanding the Boundaries of Intellectual Property, 267 (271). Benkler schließt daraus auf die Notwendigkeit eines robusten Bestandes an informatorischen Gemeinschaftsgütern: »Because of these characteristics . . . a substantial commons in information goods is not only sustainable, but indeed is necessary for efficient and innovative information production systems.« Vgl. Benkler, Upgrade 4 (2003), 6 (7). 53 Vgl. Foray, Economics of Knowledge, 142. 54 Arrow, aaO., 104 (112). 49

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tigenden Drittrechte als auch der erweiterten Gelegenheit zu opportunistischem Verhalten so sehr erhöht werden, dass die für die Weiterentwicklung von Produkten erforderlichen Geschäfte nicht mehr zustande kommen. Die Gleichzeitigkeit einer Vielzahl von Ausschließlichkeitsrechten – etwa an einem modular aufgebauten »Systemprodukt« wie Computern – birgt die Gefahr von wechselseitigen Blockaden der Rechteinhaber. Es kommt dann zu einer Situation der Unternutzung von Ressourcen, die als »tragedy of the anticommons« beschrieben wird.55 Spiegelbildlich zur Tragödie der Gemeinschaftsgüter, in der ein Zuwenig an Eigentumsrechten eine Übernutzung der Ressource verursacht, 56 führt also auch ein Zuviel an Eigentumsrechten zu einer suboptimalen Nutzung von Gütern. Da die Kosten des Inputs nur das Spiegelbild für das Ausmaß der Internalisierung von möglichen positiven Nutzungsexternalitäten sind, lässt sich demnach in allgemeiner Form festhalten, dass die sozialen Kosten der Schaffung von Schutzrechten neben den dafür erforderlichen Transaktionskosten im engeren Sinne auch die Opportunitätskosten der Inhibierung positiver Externalitäten umfassen.57 Diese Kosten sind in die erwähnte ökonomische »Proviso« der Schutzrechtegewährung einzustellen. Gerade weil das informationsökonomische Dilemma asymmetrisch zugunsten der Ermöglichung dynamischen Wettbewerbs aufgelöst wird, wird es aus Sicht der Ökonomie zur Daueraufgabe, die Verluste an statischer Effizienz zu minimieren, indem auch unter einem System von subjektiven Immaterialgüterrechten gleichzeitig Dritten genügend Möglichkeiten der Mitnutzung eröffnet werden. Diese Erkenntnis lässt sich ohne weiteres anschließen an die im angelsächsischen Rechtskreis prominente normative Forderung, das Rechtsgebiet des Intellectual Property Law müsse eine »balance« verkörpern. 58 Während dieser Satz jedoch zumeist mit verfassungsrechtlichen Argumenten begründet wird, ist man erst seit kurzem im Begriff, die sozialen Kosten der Ausschaltung von positiven Nutzungsexternalitäten gerade auch aus ökonomischer Sicht selbst in ihrer vollen Relevanz wahrzunehmen und die Konsequenzen für die Interpretation und institutionelle Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts zu ziehen: »IP is a mixed system of private rights and commons – a semicommons – designed to generate both in-

55 Grundlegend zum Begriff der »tragedy of the anticommons« vgl. Heller, Harvard Law Review 111 (1998), 621 ff. 56 Zur »Tragedy of the Commons« vgl. Hardin, Science 162 (1968), 1243 ff. 57 Vgl. Frischmann/Lemley, Columbia Law Review 107 (2007), 257 (299 ff.). 58 Stellvertretend vgl. Gordon, Intellectual Property, in: Can/Tushnet (eds.), The Oxford Handbook of Legal Studies, 617 (619) (»patent and copyright reflect a balance between two effects on society: (1) providing incentives to authors and inventors, and (2) providing access to the members of the public, both as consumers and as potential new authors and inventors who need to copy in order to implement their own creativity and skill«). (Hervorhebungen hinzugefügt).

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centives and externalities.«59 So betrachtet, erscheint die Zuerkennung von Immaterialgüterrechten durch die staatliche Rechtsordnung als ein bewusst unvollständiger Vertrag zwischen der Gesellschaft und dem einzelnen Schutzrechtsinhaber, der die Möglichkeit opportunistischen Verhaltens gerade nicht vollständig zu unterbinden sucht. 60 Lange Zeit sind diese Argumente, die für eine Beschränkung der von Schutzrechten bewirkten Zugangsbeschränkung sprechen, nicht genügend beachtet worden, obwohl sie eigentlich in der Lehre von den sozialen Kosten und ihrer Weiterführung durch den Property-Rights-Ansatz angelegt sind. Herrschend war (und ist) eine Überschätzung des sozialen Nutzens von Schutzrechten, dessen einseitiger Fokus ganz der beschriebenen Behebung des Marktversagens auf der Angebotsseite geschuldet ist. Maxime dieser Sichtweise ist die möglichst vollständige Internalisierung von Nutzungsexternalitäten. 61 Es wird eine Logik der Perfektion von Verfügungsrechten 62 vertreten: »that if some property rights in information are good, then more rights in information are even better«. 63 Unter einer solchen Logik bleibt allein der Markt selbst, um das Problem des Zugangs abzuspannen. Nach dieser konsequentesten Aktivierung des Marktmechanismus für die gesellschaftliche Organisation von Produktion und Nutzung von Immaterialgütern lässt sich Zugang am Markt leistungsgerecht einkaufen. Selbst im Hinblick auf die Ermöglichung von produktiven Weiterentwicklungen komme es gerade dann zu effizienten Vorgängen des Leistungsaustauschs am Markt, wenn das Schutzrecht möglichst vollkommen oder »geschlossen« ausgestaltet werde. 64 Aus dieser Perspektive erscheinen nicht privat ausgehandelte Zugangsrechte Dritter grundsätzlich als problematisch, weil ihnen die Tendenz innewohne, durch Aufhebung der Dispositionskontrolle die Voraussetzungen des Wettbewerbs überhaupt aufzuheben. 65 Die Notwendigkeit von zwingenden Zugangsregeln – etwa in Gestalt von Vorschriften über Ausnahmen von der Schutzfähigkeit oder deren Beschränkung

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Frischmann/Lemley, Columbia Law Review 107 (2007), 257 (282). Vgl. Ramello, Industrial and Corporate Change 14 (2005), 1195 (1199). 61 Vgl. etwa Picot/Dietl/Franck, Organisation, 48: »Je vollständiger die Property Rights an einem Gut dem Handelnden zugeordnet sind, desto effizienter wird er handeln.« 62 Zum Gedanken der Perfektion vgl. auch Ottolia/Wielsch, Yale Journal of Law and Technology 6 (2004), 174 (247 und 274). 63 Vgl. die scharfe Kritik dieses Satzes von Benkler, in: Zimmermann/Dreyfuss, 267 (271), der damit die Haltung angreift, die hinter Aussagen wie denen von Goldstein, Copyright’s Highway: From Gutenberg to the Celestial Jukebox (1994), 236, steht, der meint: »the best prescription for connecting authors to their audiences is to extend rights into every corner where consumers derive value from literary and artistic works«. 64 Eine der konsequentesten Argumentationen fi ndet sich bei Merges, Berkeley Technology Law Journal (1997), 115 (130 ff.). 65 Ullrich, Kartellrechtliche Aspekte des Informationszugangs, 177 (179). 60

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– ergebe sich allein in Fällen des Marktversagens. 66 Häufig ist die Setzung staatlichen Rechts jedoch gar nicht wünschenswert, weil sich die Probleme ineffizienter Zugangsbeschränkungen besser vermittels privater Arrangements lösen ließen (etwa durch die Bildung von Verwertungsgesellschaften oder von Patent-Pools). Die Grenzen eines solchen Ansatzes ergeben sich aus der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Marktes in Bezug auf die Ermittlung der Nachfrage nach Zugang. Neben den allgemeinen Ursachen für Dysfunktionalitäten des Marktmechanismus und Störungen der »Richtigkeitsgewähr« des Austauschvertrages auf dem Markt 67 etwa infolge ungleicher Verhandlungsstärke oder Informationsasymmetrien zwischen den Parteien – Gründe auf die hier nicht weiter einzugehen ist 68 – ergeben sich zusätzliche, für Immaterialgüter spezifische Probleme. So können sich erhebliche Bewertungsschwierigkeiten stellen, wenn es darum geht, Zugangsrechte zum Zwecke einer Weiterentwicklung zu erwerben. Zum einen ist der Erfolg einer beabsichtigten Weiterentwicklung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses höchst ungewiss. Zum anderen kann es sich um produktive Verwendungen handeln, deren sozialer Nutzen seinerseits vom Weiterentwickler nur schwer angeeignet werden kann, so dass ihm die Refinanzierung der von ihm selbst an den Rechtsinhaber zu leistenden Kosten nicht möglich ist. In diesen Fällen wird der Wert einer Weiterentwicklung vom Markt unterschätzt. Da die Zustimmung des Rechtsinhabers für den Dritten zu teuer ist, kommt eine den sozialen Nutzen erhöhende Transaktion nicht zustande. Nicht weniger problematisch ist, dass bei Immaterialgütern mit dem Marginalitätsprinzip ein wichtiger Faktor für die Steuerungsfähigkeit des Marktes wegbricht. Der Schutzrechtsinhaber kann daher seine Herstellungsinvestitionen unabhängig von der Nutzungsfunktion der Nachfrage einspielen. Das begründet die Gefahr von Monopolrenten und entsprechenden Wohlfahrtsverlusten durch zu hohe Gewinne des Produzenten. Demgegenüber kann es in einer Wettbewerbswirtschaft nur darum gehen, dass der Hersteller so viel erhält, wie er an Kosten aufgewendet hat. Mehr ist als Anreiz nicht erforderlich. Dem Hersteller die Möglichkeit zu verschaffen, möglichst weitgehend den (Geld-)Wert des sozialen Nutzens seines Gutes anzueignen – indem er durch Eigentumsrechte möglichst weitgehend den sozialen Nutzen seines Gutes zu 66 So Merges, aaO. Kritisch dagegen Gordon, The »Market Failure« Trope and the Future of Intellectual Property Scholarship, Boston University Law Review, 82 (2002), 1031 (1031) (»it has become standard for economically-oriented commentators to state that the accepted interpretation of copyright’s ›fair use‹ doctrine is to see fair use as responding to high transaction costs between copyright owner and user«). 67 Materielle Voraussetzung für Vertragsgerechtigkeit ist das Bestehen von Wettbewerb auf der Marktgegenseite. Vgl. etwa jüngst K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (173). 68 Umfassend zum Problemkreis vgl. Fleischer, Informationsasymmetrien im Vertragsrecht.

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kontrollieren und sich entsprechende Nutzungen abkaufen zu lassen vermag – hieße, das Preisverhalten von Monopolisten zum Ideal zu erklären. 69 Selbst wenn man aber aus den vorstehenden Gründen dem Ideal einer Perfektion von Schutzrechten eine Absage erteilt und der Ausgestaltung des Immaterialgüterrechts stattdessen die Maxime vorgibt, gleichzeitig mit der Schaffung von Eigentumsrechten auch für freie Nutzungsmöglichkeiten Dritter (Externalitäten) zu sorgen, bleiben viele Fragen des institutionellen Designs offen. Dass die ökonomische Theorie hier noch kaum mit detaillierten Empfehlungen aufwarten kann, liegt sicherlich zum Teil daran, dass noch unzureichend geklärt ist, wie mit der Herausforderung des individuellen Nutzenkalküls durch positive Externalitäten umzugehen ist. 70 Im Gegensatz zu der intensiven Beschäftigung mit dem Phänomen der negativen Externalitäten liegt eine umfassende Theorie der positiven Externalitäten zumal in der Informationsökonomie noch nicht vor.71 Die Schwierigkeiten liegen in der »richtigen« Bestimmung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen einer Internalisierung von positiven Externalitäten durch Schutzrechte, die sich praktisch als Abwägung darstellen wird72 und die nach ihrer anfänglichen (aber regelmäßigen Revisionen zu unterwerfenden) Einrichtung durch den Gesetzgeber in der Folgezeit von der Rechtsprechung fortlaufend zu adjustieren ist.73 Vorliegend ging es allein darum, herauszuarbeiten, dass die ökonomische Theorie selbst eine solche Abwägung verlangt aufgrund der Geltung einer internen Begrenzungsregel für die Schaffung von exklusiven Verfügungsrechten an Immaterialgütern. Es gilt zu erkennen, dass die Ermöglichung von positiven Externalitäten unverzichtbarer Bestandteil einer effizienten Ordnung des Immaterialgüterrechts ist. Eine Logik der Perfektionierung von Schutzrechten ist aus Sicht der Ökonomie nicht zu rechtfertigen. Das gilt umso mehr für eine Rechtsverfassung der Nutzungsordnung von Immaterialgütern, die (im Unterschied zur Ökonomie) berücksichtigen muss, dass Immaterialgüter 69 Vgl. Lemley, Property, Intellectual Property, and Free Riding, 20. Unter Wettbewerbsbedingungen verbleibt dagegen die Preisdifferenz zur denkbaren Monopolrente als Wert beim Konsumenten. 70 Behrens, Grundlagen, 86, beschreibt diese Herausforderung so: Die vorausgesetzte Nutzenbewertung durch ein Individuum ist nur möglich, wenn es sämtliche positiven und negativen Folgen seiner Handlungen in seine Überlegungen einbeziehe. Externe Effekte sind daher problematisch, weil sie die unfreiwillige Beeinflussung der Nutzenniveaus anderer Individuen durch den Handelnden signalisieren. 71 Vgl. aber allgemein Cornes/Sandler, The Theory of Externalities, Public Goods, and Club Goods und speziell zu Externalitäten (Spillovers) bei der Nutzung von Immaterialgütern Frischmann/Lemley, Columbia Law Review 107 (2007), 257 ff. 72 Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 22 f. Sein Fazit: »Letztlich macht auch die property rights-Lehre allgemeine Abwägungsvorgänge nicht entbehrlich.« In diese Richtung auch Drexl, in: Maskus/Reichman, 709 (713). 73 Zur laufenden Kontrolle der Ausschlusswirkung von Schutzrechten durch die Rechtsprechung vgl. auch § 1 II 3 b.

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gleichzeitig immer auch in der Referenz anderer sozialer Systeme als der Wirtschaft stehen. Aus ihrer Sicht geht es sowieso nicht um eine Arithmetisierung der erforderlichen Abwägung (deren mangelnde Quantifizierbarkeit nur aus Sicht des Kosten/Nutzen-Kalküls beklagt werden mag), sondern um die normative Frage des Umgangs mit rivalisierenden Rationalitäten. Das Recht wird mit einem Tatbestand konfrontiert, den die Ökonomie nicht zur Kenntnis zu nehmen braucht, der aber für das Recht die Rede von der nicht-rivalisierenden Nutzbarkeit von Immaterialgütern in bestimmter Weise korrekturbedürftig macht: Der Umstand, dass verschiedene gesellschaftliche Rationalitäten in ihrer Funktionslogik und in ihrem Geltungsanspruch rivalisierend sind, überträgt sich auf die Nutzungsordnung für Immaterialgüter, denen als solche operative Relevanz in mehreren sinnbasierten sozialen Systemen gleichzeitig zukommt. Das soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

II. Immaterialgüterrecht und soziale Systeme 1. Immaterialgüter als Kommunikationen Eine fortgeschrittene ökonomische Analyse des Immaterialgüterrechts macht deutlich, dass bei der Einrichtung eines Systems von Schutzrechten eine streng individualistische und ganz auf die Korrektur eines Marktversagens bei der Produktion konzentrierte Institutionenwahl zu kurz greift. Die angestrebte Dynamik kann sich nur einstellen, wenn berücksichtigt wird, dass Immaterialgüter in einem Geflecht von gegenseitigen Bezugnahmen entstehen. Auf diese Logik des Verweisens und Bezugnehmens muss sich das Wirtschaftssystem einstellen, will es der Gesellschaft langfristig eine effiziente Nutzung von immateriellen Ressourcen gewährleisten. Auf dem Bildschirm der ökonomischen Theorie wird dieser spezifische Reproduktionszusammenhang dadurch wahrgenommen, dass der Preis für den Output gleichzeitig zu den Kosten des Inputs zählt. Dieser Zusammenhang läuft einer proliferierenden Schaffung von Schutzrechten entgegen. Mit Hilfe des Konzepts der sozialen Kosten kann das ökonomische System reflektieren, dass die dynamisch effiziente Produktion von Immaterialgütern von komplexen Umweltbedingungen abhängig ist, auf die die Konstituierung der Funktionsbedingungen des Wirtschaftssystems Rückwirkungen hat. Die Reflexionstheorie der Wirtschaft nimmt so eine Art ökologische Betrachtungsweise ein, mit der die Abhängigkeit der Funktionserfüllung von der Umwelt im System selbst beobachtbar wird – wenn auch zwangsläufig nur unter der systemspezifisch verengten Perspektive der ökonomischen Kostenrechnung. Die ökonomische Theorie holt dabei freilich nur einen Sachverhalt ein, der aus gesamtgesellschaftlicher Sicht immer schon zu berücksichtigen ist und der

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historisch gesehen eher spät einsetzenden marktförmigen Steuerung der Produktion immaterieller Güter voraus geht. Immaterialgüter sind nicht Teil der (wie auch immer umgebildeten) Natur, sondern gehören der Sphäre des Sozialen und dessen verschiedenen sinnkonstituierten Systemen an. 74 Sie entstammen einem Netz von kommunikativ gesponnenen Bedeutungen, ohne das sie weder verstehbar sind noch überhaupt hervorgebracht werden könnten. Auch wenn ihre Entstehung einzelnen Personen (Autoren, Erfinder) zugerechnet wird, ist deren Aktivität gebunden an kollektive semantische Räume und deren Sinnreferenzen. Gingen die vorstehenden Überlegungen davon aus, dass die Zuerkennung von Verfügungsrechten an Immaterialgütern diese zum möglichen Gegenstand einer wirtschaftlichen Transaktion und damit einer Operation des Wirtschaftssystems macht, so ist nun umgekehrt zu berücksichtigen, dass geschützte Immaterialgüter neben ihrer Relevanz für die Wirtschaft immer schon Kommunikationen anderer sozialer Systeme sind. Die durch das Recht begründete gleichzeitige Relevanz für verschiedene Funktionssysteme der Gesellschaft kann als »Mehrsystemzugehörigkeit« bzw. »Multifunktionalität« des Immaterialgüterrechts beschrieben werden. 75 Im Unterschied zu anderen Gegenständen des Wirtschaftsverkehrs fallen Produktion und Nutzung von Immaterialgütern nicht nur in den Tatbestand wirtschaftlicher Freiheitsrechte, sondern sind zugleich unmittelbarer Ausdruck der Ausübung der Kommunikationsfreiheiten, insbesondere also der Meinungs-, Presse-, Rundfunk- und Informationsfreiheit sowie der Freiheit von Wissenschaft und Kunst.76 Das wird deutlich durch den Blick auf die »Schutzgegenstände« von Urheber- und Patentrecht, d. h. den Objekten, in Bezug auf die Schutzrechte bestimmte Handlungen verbieten. Nach § 2 Abs. 1 UrhG werden Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst geschützt. Das »Werk« ist ein Sinngehalt, eine sinnförmige Aussage, die – um nicht bloße Vorstellung im Bewusstsein des Schaffenden zu sein – für andere über Medien wahrnehmbar sein muss. Die Beobachtungen des Bewusstseins setzen um vom Medium zeichengebundener Wahrnehmung auf externe Medien wie Lautsprache und Schrift, die 74

Zu Sinnsystemen grundlegend Luhmann, Soziale Systeme, 92 ff. Der Ausdruck »Mehrsystemzugehörigkeit« von kommunikativen Ereignissen fi ndet sich bei Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 32 und bezeichnet dort sowohl die gleichzeitige Relevanz einer kommunikativen Aktivität für das psychische und ein soziales System als auch die gleichzeitige Relevanz ein und derselben Kommunikation innerhalb der Gesellschaft für mehrere Funktionssysteme. Der Ausdruck »Multifunktionalität« beschränkt sich auf letztere Bedeutung. In diesem Sinne vgl. Wielsch, Freiheit und Funktion, 211 f. 76 Siehe auch Hösch, Eigentum und Freiheit, 25 f.: Das Verfassen eines Werkes ist eine Tätigkeit, in der sich künstlerische, wissenschaftliche oder generell meinungsbildende Elemente ausdrücken. Veröffentlicht der Urheber sein Werk, steht der kommunikative, meinungsbildende Vorgang im Vordergrund. Die Tatsache, dass seine Meinungsäußerung wirtschaftlich verwertbar ist, beruht vor allem auf einer entsprechenden Wirtschaftsordnung, die eine solche Verwertung möglich macht. 75

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zwar für Wahrnehmungszwecke präpariert, aber nicht selbst wahrnehmungskonstituiert sind. Aus Sicht des Bewusstseins erfahren seine Gedanken eine »mediale Alienation«. 77 Als Projektion einer externen Oberfläche sind der Text oder das Bild aber von der Kommunikation als Mitteilungshandlung beobachtbar 78 und können der »Person« des Schöpfers als sozialer Adresse zugeschrieben werden.79 Es sind jetzt Selektionen des Verstehens möglich, in denen Information und Mitteilung voneinander unterschieden und spezifisch aufeinander bezogen werden, d. h. sinnverarbeitende Operationen in Kommunikationssystemen. 80 Bewusstsein hinterlässt über den Umweg der medialen Externalisierung also in der Kommunikation »Spuren« der Sinnbildung. 81 Durch die Herstellung medial externalisierter Artefakte kann Sinn unabhängig von der realen Präsenz des Bewusstseins (des Schöpfers) in Kommunikationssystemen prozessiert werden. Sinn wird disponibel gehalten, weil Kristallisationspunkte für die strukturelle Kopplung von Bewusstsein und Kommunikation vorliegen, die keinem von beiden Systemtypen angehören, wohl aber von beiden prozessiert werden können. 82 Am strukturierten Material der Kommunikationsmedien lassen sich die verschiedensten Sinnkonstitutionen gewinnen: der Gedanke löst Formbildungen in sozialen Systemen aus und aktiviert die der Kommunikation eigene Kreativität, was wiederum – so wäre hinzuzufügen – nur dadurch gelingt, dass etwa ein Kunstwerk Bewusstseine bindet und von sich fasziniert. Ohne den Rückgriff auf diese differenztheoretische Rekonstruktion des Werkbegriffs, aber durchaus in Übereinstimmung mit ihren Aussagen sind 77

Treffende Beschreibung bei Fuchs, Eigen-Sinn, 93 f. Mediale Externalisierungen ermöglichen es der Kommunikation, sich selbst als System von Handlungen engzuführen (obgleich sie kein System von Handlungen ist). Bei Luhmann, Soziale Systeme, 226 fi ndet sich für diesen Vorgang die Metapher des »Ausflaggens«: »Um beobachtet werden oder um sich selbst beobachten zu können, muss ein Kommunikationssystem . . . als Handlungssystem ausgeflaggt werden«. 79 »Person« ist scharf von »Bewusstsein« zu unterscheiden: »Personen« (gerade auch »Rechtspersonen«) sind semantische Konstrukte, die in gesellschaftlichen Kommunikationssystemen geschaffen werden, um Bewusstsein sozial adressierbar zu machen. Diese kommunikative Adresse kann dazu benutzt werden, die Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten individuell zu attribuieren und in der Folge konkretes Verhalten zu beobachten (als erwartbar oder abweichend, überraschend). Das schließt nicht aus, dass die kommunikativ wirksame Struktur »Person« auch einen Effekt auf das operativ von Kommunikation getrennte Bewusstsein hat: sie ermöglicht diesem am eigenen Selbst zu erfahren, mit welchen Einschränkungen im sozialen Verkehr gerechnet wird. Vgl. Luhmann, Soziale Welt 42 (1991), 166 (170 und 174). 80 Zum systemtheoretischen Verständnis von Kommunikation grundlegend Luhmann, Soziale Systeme, 191 ff. und zusammenfassend Fuchs, Eigen-Sinn, 18 ff. 81 Bewusstsein und Kommunikation können füreinander nur über die Effekte, die sie produzieren, in Erscheinung treten; der Informationsgehalt ihrer wechselseitigen Irritationen wird differentiell im jeweiligen System errechnet. 82 Vgl. Jahraus, in: Jahraus/Ort (Hrsg.), Bewußstein – Kommunikation – Zeichen, 23 (44). 78

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Werke im Sinne des Urheberrechts treffend als »qualifizierte menschliche Kommunikationen« charakterisiert worden. 83 Diese allgemeine Kennzeichnung weist über den weiteren Spezifizierungen unterliegenden urheberrechtlichen Werkbegriff hinaus, 84 weil zum Ausdruck gebracht wird, dass das Erschaffen von Immaterialgütern wie auch ihre mediale Rezeption Aktivitäten sind, die in den Schutzbereich der kommunikativen Freiheiten des Art. 5 GG fallen. Ganz in diesem Sinne verweist der Begriff der »Erfindung« als »Lehre zum technischen Handeln« 85 , an den das Patentrecht anknüpft (und deren Neuheit es am kollektiven Wissensstand misst), auf Ergebnisse, die im Zuge (anwendungsorientierter) wissenschaftlicher und damit von Art. 5 Abs. 3 GG erfasster Aktivität gefunden wurden. 86 Diese Auflösung des Begriffs der Immaterialgüter in Kommunikationsstrukturen, die im Kontext unterschiedlicher sozialer Systeme stehen können, 87 erlaubt es, die Besonderheiten der gesellschaftlichen Nutzung von Immaterialgütern näher zu qualifizieren (und dadurch in einem zweiten Schritt auch ihre rechtliche Erfassung präzisieren zu können). Dazu wird ein Modell vorgeschlagen, das zunächst in seinen Grundzügen dargestellt und in den folgenden Teilen der Untersuchung immer weiter angereichert werden wird. Aus der Wahrnehmung von – grundrechtlich garantierten – Freiheiten entstehen soziale Prozesse. Diese Prozesse können als Kommunikationen begriffen werden, die rekursiv aufeinander referieren, indem sie jeweils bestimmte Leitunterscheidungen verwenden (binäre Codes), die nur in diesem und in keinem anderen diskursiven Zusammenhang benutzt werden. 88 Dadurch entstehen (operativ geschlossene) Kommunikationssysteme, die das Handeln der Einzelnen in Bereichen orientieren, denen eine bestimmte Funktion für die Gesellschaft zukommt. Weil diese Funktionen – vermittelt durch die spezifischen Codes und Programme – den unverwechselbaren Bezugspunkt der Selbstreferenz in den Systemen bilden, unterscheiden sich die Rationalitäten der Prozesse signifikant voneinander. Die Folge ist ein Nebeneinander von unterschiedlichen Funktionssystemen mit je spezifischen Eigenrationalitäten. 89 Alle diese unterschiedlichen Kommunikationssysteme setzen jedoch in ihrer 83 Vgl. Schricker, in: Schricker, UrhG, Einl. Rn. 7; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 2, Rn. 11 und 19; Strömholm, GRUR Int. 1989, 15 (16 ff.). 84 Was als Werk in der Kunst gilt, erfüllt nicht notwendig die Anforderungen, die der urheberrechtliche Werkbegriff stellt. Diese unterschiedlichen Begriffsinhalte sind Ausdruck der Verschiedenheit von Rechts- und Kunstsystem. 85 So die Definition in BGH, GRUR 1965, 533 (534) (»Typensatz«). 86 Vgl. etwa BGHZ 52, 74 (76) – Rote Taube. 87 Die grundrechtlichen Schutzbereiche beschreiben Handlungsfelder, die – soziologisch – ihrerseits als soziale Kommunikationssysteme rekonstruiert werden können. 88 Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 748. 89 In systemtheoretischer Weiterentwicklung von Max Webers Analyse der Moderne als eines Polytheismus, in dem Prozesse der Rationalisierung von Wertsphären parallel ablaufen (vgl. Weber, Wissenschaft als Beruf, in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre,

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Umwelt das Bewusstsein einzelner Menschen voraus, das ebenfalls als operativ geschlossenes System zu konzipieren ist, das aber als elementare Einheiten nicht Kommunikationen sondern Gedanken prozessiert.90 Ohne die synchron im psychischen System sich vollziehende Wahrnehmung und Bildung von Anschauungen und ohne die Beobachtungsoperationen des Bewusstseins anhand von sprachlichen Bezeichnungen gäbe es keine Kommunikation. Kommunikationssysteme sind nur durch Bewusstsein mit ihrer Umwelt (Körpern, Materie) verbunden und erhalten nur vom Bewusstsein her Anregungen (ohne dass es dabei jedoch zu Überschneidungen in den Strukturen von Bewusstsein und Kommunikation kommt). Umgekehrt ist jedoch die Kommunikation auch notwendig für Bewusstsein, weil sie Wahrnehmungen selektiert und bestimmt, welche Wahrnehmungen in welchen Zusammenhängen etwa Wissensgewinn oder Wissenskritik ermöglichen.91 582 (603)), spricht Teubner, ARSP-Beiheft 65 (1996), 199 (202 f.) insofern von einem »Polykontexturalismus« als einer Vielheit von nicht kompatiblen System/Umwelt-Perspektiven. 90 Mit Fuchs, Eigen-Sinn, 54 und 58 gilt es (schärfer als es Luhmann selbst tut), grundsätzlich zwischen Bewusstsein und psychischem System zu unterscheiden: Bewusstsein entsteht durch dezidierte Operationen der Beobachtung (also als Unterscheiden und Bezeichnen) in einem Kontext nicht-dezidierter Operationen. Bewusstsein zerlegt oder digitalisiert einen analogen Strom von diffusen Wahrnehmungen des psychischen Systems in aufeinander beziehbare Ereignisse. Erst durch Bewusstsein ist die Produktion einer sequentiellen Ordnung möglich. Weil die Bezeichnungsleistung distinkte Zeichen in Anspruch nehmen muss und diese (nahezu konkurrenzlos) durch die Sprache zur Verfügung gestellt werden, wird die Funktion des Bewusstseins sprachförmig bedient (Fuchs, aaO., 65 und 69). Diese Sprachförmigkeit des Bewusstseins hat zur Folge, dass Bewusstsein (und nicht das psychische System) die relevante Umwelt des sozialen Systems ist. Über Sprache werden Kommunikation und Bewusstsein strukturell gekoppelt. – Soweit es nicht auf das sprachliche Prozessieren des Bewusstseins ankommt, wird im Folgenden jedoch nicht streng zwischen Bewusstsein und psychischem System unterschieden, im Vordergrund steht vielmehr die Abgrenzung zu sozialen Systemen, mithin die Unterscheidung zwischen Gedanke und Kommunikation. 91 Die Eigenart der Kommunikation zwischen sinnverarbeitenden Systemen, die operativ füreinander geschlossen sind, bedingt bei Luhmann eine deutliche Unterscheidung der Begriffe Information und Wissen: Danach ist Information keine stabile, transportable Entität, sondern ein Ereignis, das mit seiner Aktualisierung seinen Charakter als Information auch schon wieder verliert. Luhmann begreift Information als Differenz zwischen dem, was der Fall sein könnte, und dem, was sich ereignet oder mitgeteilt wird (vgl. ders., Entscheidungen in der »Informationsgesellschaft«, abgedruckt in: Corsi/Esposito (Hrsg.), Reform und Innovation in einer unstabilen Gesellschaft, 27 ff.). Dadurch hat sie eine doppelte Relevanz für ein sinnverarbeitendes System: Wenn sie plausibel ist, wenn sie sich dazu eignet, Sinn kristallisieren zu lassen (»sensemaking«), transformiert sie Nichtwissen in Wissen. Weil mit ihr eine Auswahl aus anderen Möglichkeiten verbunden ist, enthält sie jedoch gleichzeitig eine Überraschung für das sinnverarbeitende System. Wissen dagegen ist allgemein gesprochen »kondensiertes Beobachten« oder »kognitiv stilisierter Sinn«: das Sediment einer Unzahl von Kommunikationen, die kognitive Erwartungen benutzt hatten und mit ihren Resultaten reaktualisierbar sind (vgl. ders., Wissenschaft der Gesellschaft, 138 f., 145). Wissen entsteht erst dadurch, dass das System auf jene Überraschungen bzw. Irritationen reagiert, indem es die vorhandenen Ressourcen rekursiv aktiviert, um dem Problem die Form »Wissen« zu geben. Überraschungen lösen Zurechnungsprozesse aus und nicht umgekehrt (165). Kognition ist das Erzeugen von Redundanzen, die es dem System ersparen, Informationserarbeitung zu

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Bei der Erklärung, wie es in den einzelnen sozialen Systemen zu Variationen (in der Wissenschaft zu Innovationen, in der Wirtschaft zu neuen Produkten und neuen Preisen) und damit zu ihrer Evolution und weiteren Differenzierung kommt, konzentriert sich die soziologische Systemtheorie (obwohl sie Bewusstsein und Kommunikation für strukturell komplementäre Systeme hält, die gegenseitig strukturelle Veränderungen auszulösen vermögen) ganz überwiegend auf die Rolle der Funktionssysteme. Zwar wird die Bedeutung des je individuellen Bewusstseins für den Anstoß zu Variation anerkannt, dann jedoch zu bloß morphogenetisch benötigten Zufällen zurückgestuft. Um das Tempo soziokultureller Evolution zu erklären, bedürfe es vielmehr der Annahme von »Beschleunigungsfaktoren«. Diese Faktoren werden dann sämtlich in den Funktionssystemen selbst verortet. Für die Wissenschaft etwa wird auf die Relevanz von Methodik hingewiesen und darauf, dass die »methodische Norm«, im Schema von Problem und Problemlösung zu kommunizieren, in beiden Richtungen als institutionalisierte Kontingenz, als verdeckte Aufforderung zur Variation, wirke. Und auch die Gründe dafür, dass sich die »Interpenetration«92 zwischen psychischem und sozialem System »verdichte«, werden der Wissenschaft selbst zugeschrieben, die durch eine entsprechende Sozialisierung des Einzelnen als Wissenschaftler dafür sorge, dass es zu einer habitualisierten Filterung von Wahrnehmungen und Gedanken komme. Kurz gefasst, verdanke sich danach die wissenschaftliche Evolution der Wissenschaft selbst.93 Durch diese Hervorhebung der Rolle der sozialen Kommunikationssysteme für die Erweiterung der semantischen Räume findet eine fruchtbare Akzentverschiebung statt gegenüber der verbreiteten Überschätzung der Rolle des kreativen Individuums als alles entscheidendem Faktor soziokultureller Entwicklung. Die Zurechnung von Kreativität erfolgt auf das »Genie« oder den »romantic author«, dessen Werke sich schon dem Begriff nach den isolierten Anstrengungen des Einzelnen und seiner einzigartigen Fähigkeiten verdanken.94 Dem tritt die soziologische Systemtheorie entgegen und kehrt in konswiederholen. Redundanzen werden als Wissen markiert, sie werden wiedererkennbar registriert und dann »ökonomisch« eingesetzt, um die allfällige Prüfung neuer Informationen zu konzentrieren und zu beschleunigen. So kann Kognition dem System dazu verhelfen, sich vorübergehend auf Lagen (in der Umwelt) einzustellen (ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 124). 92 Gemeint ist der Sachverhalt, dass die Komplexität eines Systems für den Aufbau der Komplexität eines anderen Systems bereitgestellt wird. So stellt etwa das Wahrnehmungsund Denkvermögen des Wissenschaftlers dem Kommunikationssystem Wissenschaft eigene Komplexität zur Verfügung, indem sie Kommunikationen anregt, die hinreichend plausibel sind. 93 Vgl. Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 574. 94 Vgl. etwa Woodmansee, The Author, Art and the Market, 35 ff. und Lemley, Texas Law Review 75 (1997), 873 ff. – Man könnte die These wagen, dass diese Art der Zurechnung auf isolierte Schaffende durch das Wirtschaftssystem veranlasst ist, dessen Transaktionsbegriff

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truktivistischer Manier kurzerhand die Zurechnung von Wissen um von Bewusstsein auf Kommunikation und damit von psychischer auf soziale Systemreferenz.95 Ehe man sich aber allein auf diese Ebene konzentriert und die spiegelbildliche Gefahr eingeht, dass die Rolle des Einzelbewusstseins unterbelichtet bleibt, ist genauer nach den Leistungen zu fragen, die beide Systemtypen füreinander erbringen. Um die Form zu beschreiben, in der sich verschiedene Systeme – als gegenseitige Umwelten – beeinflussen, hält die Systemtheorie den Begriff der strukturellen Kopplung bereit.96 Im Verhältnis zwischen psychischen und sozialen Systemen fungieren als solche strukturellen Kopplungen kognitive Schemata (»cognitive maps«) 97 und Medien, allen voran das Universalmedium Sinn sowie spezielle Kommunikationsmedien (Sprache, Schrift, Computer). Man würde danach erwarten, dass sich innerhalb der Systemtheorie reichlich Aussagen darüber finden lassen, wie die strukturellen Kopplungen zwischen psychischen und sozialen Systemen organisiert sein müssen, damit das jeweilige Funktionssystem von den Anregungen der Einzelbewusstseine bei der Erfüllung seiner gesellschaftlichen Aufgabe profitieren kann oder, anders ausgedrückt, wie es gesellschaftsadäquat operieren kann. Das ist bis auf allgemeine Analysen zur Figur des subjektiven Rechts indessen nicht der Fall.98 Insbesondere fehlen Überlegungen zu der nahe liegenden Frage, wie sich die (rechtliche) Regulierung des Gebrauchs von Medien in sozialen Systemen auswirkt. Hier kann es nicht darum gehen, solche Lücken im Apparat der Systemtheorie zu füllen.99 Es soll jedoch die Problemstellung übernommen werden, auf die die an distinkte Produkte anknüpft, die ihrerseits (qua Eigentum) auf einzelne Verfügungsberechtigte zugerechnet werden müssen. In diese Richtung Plumpe, Archiv für Begriffsgeschichte 23 (1979), 175 (192) (»Die Kategorien individualisiertes (Schöpfer-)Subjekt und individuelles, in seiner Form distinktes Werk – als Paraphrase der Elementarrelation ›Person‹/ ›Sache‹ – wurden aus dem Motiv heraus entwickelt, den Begriff des Eigentums auch in Bezug auf intellektuelle und künstlerische Arbeit denken und rechtfertigen zu können.«) Zur juristischen Präfiguration ästhetischer Begriffe vgl. auch Ortland, DZPhil 52 (2004), 773 (785 f.). 95 So ausdrücklich Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 23 und 133 sowie 619 f. (Mit Kommunikation als Systemreferenz ist das Wissen der Individuen Umwelt. Wissen kann dann nicht als gesammelt und vorhanden in den Köpfen der Individuen begriffen werden.) 96 Grundlegend Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 100 ff. Sie dienen dazu, die gleichzeitig (analog) ablaufenden Prozesse in den beteiligten Systemen zu digitalisieren, damit einem Umweltereignis intern überhaupt ein Informationswert zugemessen werden kann. 97 Schemata sollen Sinnkombinationen bezeichnen, die der Gesellschaft und den psychischen Systemen dazu dienen, ein Gedächtnis zu bilden und es so von einem bloßen Wiederholen von Operationen zu entlasten. Sie fördern so den Aufbau operativer Komplexität und damit die Anpassung des Systems auf sich rasch ändernde Umweltbedingungen. Vgl. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 110 f. und 1106 f. 98 Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, 483 ff. 99 Soweit ersichtlich, fi ndet sich bei Luhmann keine Auseinandersetzung mit dem Thema geistiges Eigentum. Versuche, das systemtheoretische Instrumentarium auf diesem Gebiet

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Systemtheorie mit der eigentümlichen Begriffl ichkeit der strukturellen Kopplung reagiert, die aber auch im vorliegenden Zusammenhang der gesellschaftlichen Organisation der Produktion und Nutzung von Kommunikationswerken (Immaterialgütern) zentrale Bedeutung besitzt. Sie lautet: Auf welche Weise wird das auf psychische Systeme verteilte (dezentrale) Wissen für den Aufbau von Wissen in sozialen Systemen genutzt? Diese Frage soll im Folgenden als das Problem der »Wissensteilung« bezeichnet werden.100 Nach der hier vertretenen These variiert die Wissensteilung je nach dem sozialen System, in dem kommuniziert wird. Sie ist also nicht nur unterschiedlich in den einzelnen Funktionssystemen, sondern ist auch in Organisationssystemen (etwa Unternehmen) oder Interaktionssystemen als Verbindung von autonomen Systemen (Netzwerke) auf je unterschiedliche Weise institutionalisiert. Insofern kann von unterschiedlichen Institutionen der Wissensteilung gesprochen werden. Sie werden geformt von den unterschiedlichen Medien, die in den Systemen zum Einsatz kommen und darüber entscheiden, welcher Art der Informationsgewinn im System sein kann, wenn eine – eben durch das Medium konditionierte – Kommunikation erfolgt; aber auch von systemspezifischen Beobachtungsschemata (wie etwa der »Markt« für das Wirtschaftssystem) oder Routinen (in Organisationssystemen). Die jeweiligen Institutionen der Wissensteilung können dabei in ihrer Funktionsweise durchaus miteinander interferieren. So kann die Form der Wissensteilung, wie sie das Wirtschaftssystem (jedenfalls als Wettbewerbswirtschaft) praktiziert, einen anderen Gebrauch von Medien zur Reproduktion von Kommunikationen (Informationsgütern) verlangen, als dies nach der Wissensteilung in der Wissenschaft erforderlich wäre. Wenn solche Interferenzen auftreten (was freilich nicht zwangsläufig ist), bilden sie sich auch im Recht ab. Denn im Rechtssystem werden Regeln (Normen) erzeugt und angewendet, die gesellschaftsweit verbindlich die Gebrauchsmöglichkeit von Medien bestimmen. Insbesondere wird festgelegt, auf welche Weise die für Wissensteilung notwendigen Artefakte der Kommunikation und ihre materiellen Träger genutzt (reproduziert) werden dürfen.101 Dieser normative Zugriff auf die Materialität fruchtbar zu machen, aber (für das Patentrecht) bei Hutter, Die Produktion von Recht, und (für das Urheberrecht) bei Graber, Zwischen Geist und Geld. 100 Der Begriff der Wissensteilung geht auf Hayek zurück, dessen kognitivistischer Ansatz in der Ökonomie näher unter § 2 I 1 a betrachtet wird. Für die ökonomische Forschung wurde der Begriff jüngst fruchtbar gemacht von Helmstädter, Wissensteilung (Thünen-Vorlesung des Vereins für Socialpolitik). Vorliegend soll mit der Begriffswahl einerseits auf die kollektive Dimension kognitiver Prozesse hingewiesen werden, andererseits aber auch hervorgehoben werden, dass diese Prozesse unabdingbar an die Aktivierung der kognitiven Fähigkeiten einzelner Akteure (für Luhmann »partizipierende [Bewusstseins-]Systeme«) gebunden ist. Gleichzeitig soll der Begriff der besseren Anschlussfähigkeit an andere theoretische Bemühungen jenseits der Systemtheorie dienen. 101 So ist es etwa bei genauer systemtheoretischer Betrachtung eine Fiktion, dass der Text selbst schon das Wissen ist. Der Text selbst ist nicht das operative, aktuell wirkende Ge-

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von Kommunikation entscheidet über die Möglichkeiten der Wissensteilung in den einzelnen sozialen Systemen. Im Vergleich mit den sonst von systemtheoretischer Analyse völlig zutreffend hervorgehobenen unterschiedlichen Eigenlogiken von sozialen Systemen (»de collisione discursuum«102) erweitert sich damit die Betrachtung. Ergänzend muss berücksichtigt werden, dass unterschiedliche Systeme auch nach unterschiedlichen Formen verlangen, in denen sich systemische Kommunikation durch Einzelbewusstseine irritieren lässt, um sich weiter auszudifferenzieren – und genau über diese Formen verfügt das Urheber- und Patentrecht mit. In dieser Betrachtungsweise nimmt das informationsökonomische Dilemma der Beschränkung des Zugangs zu Immaterialgütern durch die Schaffung von Immaterialgüterrechten eine neue Form an. Damit der Wettbewerb zur Wissensteilung im Wirtschaftssystem beitragen kann, muss das zu handelnde Gut dem einzelnen Akteur zur ausschließlichen Verfügung zugewiesen werden.103 Nur wenn die Akteure dezentral und unmittelbar selbst die Kompetenz zur Entscheidung besitzen, werden sie eigenes Wissen über von ihnen wahrgenommene lokale Umstände der Nutzung von Gütern aufbauen, das dann (in einem logisch getrennten Schritt) durch das Wirtschaftssystem gesellschaftlich »optimal« mobilisiert werden kann. Die durch Eigentumsrechte geschaffenen normativen Möglichkeiten exklusiver Nutzung korrespondieren mit den Nutzungsmodalitäten materieller Güter. Die Nutzung eines körperlichen Gegenstandes durch A schließt die Nutzung desselben Gegenstandes durch B aus. Damit B den Gegenstand nutzen kann, muss er aus der Sphäre des A in die Sphäre des B überwechseln. Aufgrund der Unmöglichkeit einer anderen als der exklusiven Nutzung durch eine Person (jedenfalls im gleichen Zeitpunkt) ist die dominierende Interaktionsform in Bezug auf materielle Güter deshalb der Tausch. Die Ökonomie bildet diesen Sachverhalt angemessen ab durch den Begriff der Transaktion als kleinster Handlungseinheit wirtschaftswissenschaftlicher Analyse.104 Eine Transaktion findet statt, wenn ein Gut über eine definierte Schnittstelle hinweg übertragen wird und in eine neue Verfügungssphäre beginnt.105 Das gedächtnis, sondern nur ein Artefakt, das die Möglichkeit der memoriellen Konsistenzprüfung verschafft. Vgl. Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 159. 102 So der Titel des Beitrags von Teubner, Cardozo Law Review 17 (1996), 901, der sich mit den unterschiedlichen Rationalitäten von Recht, Moral und Politik auseinandersetzt. 103 Näher zur wissensteilenden Funktion des Wettbewerbs vgl. unten § 2 I 1 a. 104 Grundlegend zum Begriff der »Transaktion« vgl. Commons, Institutional Economics: Its Place in Political Economy, 52 ff. 105 Im Anschluss an Commons formuliert Williamson, The Mechanisms of Governance, 58: »Adopting Commons’ proposal that the transaction be made the basic unit of analysis, attention is focused on economizing efforts that attend the organization of transactions – where a transaction occurs when a good or service is transferred across a technologically separable interface. One stage of activity terminates and another begins.«

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sellschaftliche Optimum der Nutzung von materiellen Gütern stellt sich dann ein, wenn das jeweilige materielle Gut vermittels von Transaktionen zu demjenigen gelangt, der es am effizientesten zu nutzen in der Lage ist. Unter diesen Umständen kommt es darauf an, Nutzungssphären klar voneinander abzugrenzen.106 Solche klar definierten Schnittstellen liefert der Wirtschaft das Recht: Eigentumsrechte markieren die Nutzungsberechtigung vor und nach dem Tauschvorgang, bestimmt konkurrierende Nutzungshandlungen Dritter als rechtswidrig und ermöglicht deren Abwehr. Die Figur des privaten Eigentums ermöglicht folglich eine binäre Codierung (Haben/Nichthaben, Einschluss/Ausschluss), die den ökonomischen Eigenschaften materieller Güter (Rivalität im Konsum) und der hierauf aufbauenden dominierenden Form sozialer Interaktion (Tausch) angemessen ist. Anders als körperliche Gegenstände sind Immaterialgüter als (qualifizierte) Kommunikationen dagegen Teil der Gesellschaft selbst. Als Mitteilung von Sinn sind sie Ereignisse in spezialisierten Diskursen und an diese gebunden: nur durch Referenz auf abgelegte kollektive Wissensbestände des jeweiligen Systems und ihre Anschließbarkeit an vorangegangene Kommunikationen erhalten sie einen kognitiven Wert (der gleichsam ihren »Gebrauchswert« ausmacht).107 Dieser kann sich nur im Kontext des jeweiligen Sozialsystems erschließen.108 Damit das implizite Wissen des Einzelnen zum expliziten Wissen des Systems werden kann, braucht die Kommunikation Adressaten. Der Wirkungsmodus der Kommunikation ist die Mitteilung einer Information, die vom Adressaten verstanden werden soll, wofür auf beiden Seiten (Alter und Ego) Selektionen erforderlich sind. Diese Selektionen sind Vorgänge des jeweiligen Systems und bereits deswegen nicht in irgendeiner Form rivalisierend. Als Systemwissen ist das Sinnangebot der Kommunikation grundsätzlich für alle partizipierenden Bewusstseinssysteme gleichzeitig verfügbar.109 Inwieweit eine solche Teilung des im Immaterialgut kondensierten Wissens stattfinden 106

Vgl. Coase, Journal of Law and Economics 2 (1959), 1 (25) (»One of the purposes of the legal system is to establish that clear delimitation of rights on the basis of which the transfer and recombination can take place through the market.«). 107 So hat für Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 69 »das Geistesprodukt die Bestimmung, von anderen Individuen aufgefaßt und ihrer Vorstellung, Gedächtnis, Denken u.s.f. zu eigen gemacht zu werden«. 108 Zutreffend meint auch Kirchhof, in: FS Zeidler, 1639 (1653), das schöpferische Werk sei gerade auf Mitteilung und Entgegennahme durch das Publikum angelegt. Die anschließende Folgerung, dass das Urheberrecht deswegen grundsätzlich nicht dazu diene, andere von der Teilhabe am Werk auszuschließen, sondern dem Urheber die wirtschaftliche Nutzung zu sichern (1654), weicht jedoch den Problemen aus, die sich gerade infolge der Mehrsystemrelevanz von Informationsgütern für das Wirtschaftssystem einerseits und das Kunst-,Wissenschaftssystem andererseits stellen. 109 Statt einer Person »wissen« jetzt zwei oder mehr Personen. Durch Kommunikation kommt es (metaphorisch gesprochen) zu einer »Verdoppelung« des im Immaterialgut kondensierten Wissens im Unterschied zur exklusiven Nutzung körperlicher Gegenstände durch entweder die eine oder die andere Person.

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und ihrerseits zum Anlass von weiteren kommunikativen Episoden werden kann, hängt nun aber von der Aktualisierbarkeit ihres Sinns durch die einzelnen partizipierenden Systeme ab. Entscheidend für den Fortgang und die Komplexität der Kommunikation im Sozialsystem ist (auch) die Anzahl der strukturellen Kopplungen mit psychischen Systemen.110 Denn neues Wissen entsteht durch die Konfrontation des vorhandenen Wissens mit (möglichst) vielen unterschiedlichen (neuen) Verwendungskontexten.111 Genau an dieser Stelle werden Immaterialgüterrechte relevant, denn sie legen die Bestimmungsmacht über die Aktualisierbarkeit des Wissens im System in die Hände des einzelnen. Er entscheidet darüber in einzelnen Transaktionen, in denen er etwa das Recht zur Vervielfältigung von medialen Werkträgern anderen einräumt.112 Damit greifen Schutzrechte in die Formen der Wissensteilung in anderen Sozialsystemen ein. Wenn Immaterialgüter zu handelbaren Gegenständen konstituiert und der Logik der Knappheit unterworfen werden, kommt es (anders als beim Handel mit materiellen Gütern) zu einer eigentümlichen »Verschleifung« der kognitiven Umweltbedingungen von zwei Funktionssystemen: Um das Informationsverfahren »Markt« und seine Steuerungskapazität zu aktivieren, werden (gleichsam »auf Geheiß« des Wirtschaftssystems) die Möglichkeiten der strukturellen Kopplung zwischen psychischen Systemen zu anderen sozialen Systemen der Kontrolle des Rechtsinhabers unterworfen. Im Vergleich zu den an sich denkbaren Inklusionsmöglichkeiten werden die betroffenen Funktionssysteme auf relativ gesehen weniger strukturelle Kopplungen beschränkt. Dadurch sinken die Chancen für produktive Suchprozesse in der »Community of Inquirers« und die Gesellschaft vertraut stattdessen auf die zukünftige Kreativität des Rechteinhabers selbst, der bei seinen Aktivitäten freilich seinerseits wieder auf eine »funktionierende« Wissensteilung in den anderen Systemen angewiesen ist. Eine solche Strategie ist nur unter bestimmten Bedingungen Erfolg versprechend. So muss die geschützte Kommunikation etwa hinreichend speziell sein, damit nicht durch den Schutz zu elementarer Sinneinheiten (wie bei bloßen Informationen) zu viele Anschließungsmöglichkeiten besetzt werden. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass Zugangsbeschränkungen, die zur Aktivierung der Wissensteilung über den Markt dienen (und so eine Umweltbedingung für die Erzeugung von Systemwissen realisieren), nicht den Mecha110 In der Ökonomie liest sich das so: Die Ausbreitung von Wissen in der Gesellschaft ist die Grundlage seiner effizienten Anwendung. Vgl. Helmstädter, ORDO 55 (2004), 37 (49). 111 Schon RGZ 135, 385 (394) erkennt: »Jeder schöpferisch Tätige steht in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozeß mit vorausgegangenem Schaffen und knüpft an das Erreichte als Erbe der Vergangenheit an.« 112 Zu beachten ist, dass nur der Erwerb des Nutzungsrechts eine Transaktion darstellt. Die Rezeption selbst kann nur durch einen Lernvorgang auf Seiten des Erwerbers erfolgen. Ähnlich Helmstädter, ORDO 55 (2004), 37 (47, 60). Daran zeigt sich, dass der Begriff der Transaktion für die Analyse wissensteiliger Interaktion ungeeignet ist.

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nismus der Wissensteilung in dem Referenzsystem beeinträchtigt. Eine Informationsordnung, die eine optimierte gesellschaftliche Nutzung von Informationsgütern zum Ziel hat, muss die Integrität mehrerer Prozesse der Wissensteilung gleichzeitig und in ihrer nicht-substituierbaren Konstitutivität im Auge haben (abbildbar in den Dimensionen von Produktion und Diffusion113). Daraus ergibt sich der gesellschaftliche Auftrag an das Recht, Institutionen der Wissensteilung adäquat zu verfassen.114 Das gelingt nur, wenn das Recht neben Instituten der Zugangsbeschränkung (subjektiven Rechten) auch spezifische Institutionen zur Vermittlung und Förderung von freien Nutzungsmöglichkeiten bereitstellt. Wissensteilung erfordert Zugang. 2. Rechtliche Institutionalisierung der Nutzung von Immaterialgütern a. Subjektive Immaterialgüterrechte in der Systemmatrix Zunächst ist ein Blick zu werfen auf die institutionelle Form, in der das Recht die Zugangsbeschränkung realisiert. Diese Form, so wird sich zeigen, trägt der Multifunktionalität des Immaterialgüterrechts durchaus Rechnung. Wie zu zeigen ist, gelingt das freilich nur, weil die Figur des subjektiven Rechts zur autonomen Ausdifferenzierung von Funktionssystemen beiträgt. Die Rechtsordnung gewährt Urhebern (§ 7 UrhG) und Erfindern (§ 6 PatG) an ihren Schöpfungen absolute »Herrschafts«-Rechte mit Wirkung gegenüber jedermann.115 Dem Kern nach sind diese Immaterialgüterrechte Verbotsrechte, die dem Berechtigten die durchsetzbare Befugnis (Rechtsmacht) verleihen, jedem anderen bestimmte Handlungen in Bezug auf das Immaterialgut zu verbieten.116 Zur Vornahme dieser Handlungen ist »ausschließlich« der Rechtsinhaber befugt (so ausdrücklich § 15 UrhG und § 9 PatG).117 Insofern steht die 113 Ähnlich Helmstädter, ORDO 55 (2004), 37 (57) (»Die Bedeutung der Verbreitung von Wissen steht nicht hinter jener der Findung neuen Wissens zurück«). 114 Als Ort für die Verankerung eines solchen gesellschaftlichen Auftrags bietet sich natürlich die Verfassung an. Zu einer Interpretation, die in diesem Sinne Art. I sec. 8 cl. 8 USVerfassung »progress« (»Fortschritt«) als »spread« (»Diffusion«) liest, vgl. Pollack, Neb. L. Rev. 80 (2001), 754. 115 Zur Begriffsbildung bei Immaterialgüterrechten eingehend Schönherr, in: FS Troller, 57 (68 ff.). 116 Diesen Kern hat zutreffend die »Imperativentheorie« freigelegt. Umstritten ist, ob neben dieser sog. »negativen Seite« noch eine »positive Seite« anzunehmen ist. Um dem Rechtsinhaber die Möglichkeit der Nutzung zuzuweisen, bedarf es dieser positiven Seite jedenfalls nicht. Sie folgt als Reflex aus dem Ausschluss der anderen (vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, 136). Als positiv wird man allein die Verfügungsmacht des Berechtigten ansehen können (vgl. Schönherr, in: FS Troller, 57 (71)). Die »dispositio« ist freilich selbst nur Ausdruck davon, dass es sich um ein subjektives privates Recht handelt. Speziell zum Eindringen des Merkmals der dispositio (und zwar als trojanisches Pferd der Geldwirtschaft) in den Begriff des Eigentums im Zuge seiner Entwicklung zum subjektiven Recht vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, 458. 117 Als absolute Rechte sind Urheberrecht und Patent vor rechtswidriger Verletzung spe-

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Struktur des (Sach-)Eigentums des bürgerlichen Rechts (§ 903 BGB) Pate, das freilich als »umfassendste« Rechtsposition der Rechtsordnung begriffen wird,118 weil es nicht nur eine bestimmte, sondern grundsätzlich jede Art der Nutzung der Sache dem Eigentümer vorbehält.119 Immaterialgüterrechte ordnen dem Berechtigten also nicht etwa das geistige Werk selbst zu, sondern vielmehr »gegenstands«-bezogene (d. h. hier werkbezogene) Handlungsmöglichkeiten, indem er allen anderen diese Handlungen (insbesondere verwertungsrelevante Handlungen wie die Vervielfältigung etc.) verbieten darf.120 Wie andere Eigentumsrechte auch sind Immaterialgüterrechte nichts anderes als relationale Propositionen.121 Bei der Zuordnung dieser Befugnisse zu einer Rechtsperson ist ein gegenständliches Denken dann aber fast unausweichlich.122 Das Rechtsdenken geht von einem eigentumsrechtlichen Ableitungszusammenhang aus, der durch den Dualismus von zugeordnetem Eigentumsgegenstand einerseits und aus dieser zialgesetzlich in §§ 97 ff. UrhG und §§ 139 ff. PatG und als sonstiges Recht durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt. 118 Stellvertretend Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 15 Rn. 5, wonach das (Sach-) Eigentum i. S. d. BGB das »Recht auf eine zeitlich unbegrenzte und im Rahmen der Gesetze umfassende ausschließliche Sachherrschaft« ist und dem Eigentümer »ein ihm allein vorbehaltener gegenstandsbezogener Handlungsspielraum zuerkannt [wird], in dem er mit der Sache grundsätzlich nach Belieben verfahren darf« (Hervorhebungen hinzugefügt). Zur Stellung des Sacheigentums innerhalb der Rechtsordnung vgl. auch PalandtBassenge, BGB, Vor § 903 Rn. 1. Zur Vielfalt der Eigentumsformen in der Rechtsordnung Möschel, ORDO 53 (2002), 145 ff. 119 Auch wenn an der dogmatischen Oberfläche das Sacheigentum des BGB sich in ruhigen Gewässern zu bewegen scheint, dürfte das abschließende Wort über die grundlegende Struktur des zivilistischen Eigentumsbegriffs noch keineswegs gesprochen sein. Vgl. etwa die Position von Sontis, in: FS Larenz, 981 ff. mit der von Raiser, in: FS Sontis, 167 ff. 120 Präzise Hösch, Eigentum und Freiheit, 19 und 25 (durch Gesetz begründete exklusive Handlungsrechte). Genau so wenig ist Inhalt des Sacheigentums etwa ein Stück Land (139 f.). Ob die von Hösch vertretene »Verbotsrechtstheorie« auch den Schutzgehalt der Eigentumsfreiheit der Verfassung in Art. 14 GG erschöpfend erfasst, braucht hier nicht entschieden zu werden. 121 Diese Einsicht verdankt sich Jeremy Bentham, Theory of Legislation, 4th ed. (1882), 112 f.: »There is no image, no painting, no visible trait, which can express the relation that constitutes property. It is not material, it is metaphysical; it is a mere conception of the mind. . . . The idea of property consists in an established expectation; in the persuasion of being able to draw such or such an advantage from the thing possessed, according to the nature of the case.« 122 Juristen machen Rechte operationabel, indem sie für bestimmte Rechtsvorgänge gewissermaßen einen Stellvertreter – einen realen Gegenstand oder Vorgang – in der handgreifl ichen, sichtbaren Welt verlangen. So erklärt Christoph Paulus, Herausforderungen für das Wirtschaftsrecht durch Neue Medien (http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/ls/pls/Neuemedien.html), das Phänomen der Vergegenständlichung. Er erkennt dabei ein Grundmuster: Absolute Rechte wie etwa Eigentum, Erbrecht oder Urheberrecht würden mit einer Person verknüpft, die diese virtuellen Gebilde sozusagen im virtuellen Tornister mit sich herumtrage, wo immer sie sich befi nde. Relative Rechte würden regelmäßig an ein Geschehen oder an eine Vereinbarung geknüpft.

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Zuordnung abgeleiteten Handlungsbefugnissen andererseits geprägt ist.123 Insofern ist es eine (dem vielleicht unentrinnbaren Schema von Sein und Tun geschuldete) Vereinfachung, die Immaterialgüter selbst als Schutzgegenstände des jeweiligen Immaterialgüterrechts zu begreifen; wobei von diesen Schutzgegenständen wiederum deren gegenständliche Verkörperungen zu unterscheiden sind.124 Entscheidend an der Figur des Eigentums bzw. eines absoluten Rechts sind indessen nicht diese konstruktiven Verdinglichungen, sondern die eigentümliche Form der Beobachtung von Gegenständen, seien es nun körperliche Gegenstände der Außenwelt oder eben die »abstrakten Gegenstände«125 des Immaterialgüterrechts: es handelt sich stets um eine Beobachtung von »Gegenständen« aufgrund der spezifischen Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Eigentümern.126 Welche rechtlichen Befugnisse mit dieser Rechtsposition dann auch immer verbunden sein mögen, es kommt zu ihrer Wahrnehmung nur auf die Zustimmung des jeweiligen Eigentümers an.127 Die Erstreckung der Form des Eigentums auf geistige Schöpfungen und die so ermöglichte Individualnützigkeit ihrer Verwertung führt keineswegs zwangsläufig zu einer Interferenz mit den betroffenen kulturellen Sozialsystemen. Im Gegenteil zeigt ein kurzer Blick auf die Entwicklung des Urheberrechts, dass mit Hilfe der exklusiven Zuordnung von »Werkherrschaft« die für ästhetische Kommunikation im Kunstsystem notwendigen Umwelt-Bedingungen gewährleistet werden (können).128 Das wird zunächst deutlich an der Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit des Büchernachdrucks im 18. Jahrhundert, in dessen Verlauf mit dem Autorrecht ein Rechtsgrund geschaf123 Vgl. dazu Kube, JZ 2001, 944 (945) und ders., Eigentum an Naturgütern, 103 ff. (111 speziell zu geistigem Eigentum). Im Zuge seiner Untersuchung muss Kube freilich einräumen, dass die zunehmend differenzierte Bestimmung von Eigentumsgegenständen zu einer »zunehmenden inhaltlichen Kohärenz zwischen zugrundeliegendem Eigentumsgegenstand und aus dem zuordnenden Eigentumsrecht abgeleiteten Handlungsbefugnissen« führe (248). 124 Zur Unterscheidung zwischen Werk und Werkstück vgl. etwa BGH NJW 2003, 665 (668) (»Staatsbibliothek«). Die Erstreckung des Schutzes auf die Verkörperungen des Schutzgegenstandes erfolgt nur, um die Schutzgegenstandsverwertung gemäß den Produktionsund Absatzverhältnissen der Warenwirtschaft, also in materieller Form, zu ermöglichen. Sie ist ein Mittel des Schutzes, nicht dessen Gegenstand. Vgl. Ullrich, in: Schricker/Dreier/Kur, Geistiges Eigentum, 83 (91). 125 Dieser Ausdruck wird benutzt von Drahos, A Philosophy of Intellectual Property, 151 ff. und soll die Differenz von geistigem Gehalt und jeweiliger Materialisierung markieren. 126 Siehe auch Hilmer, DZPhil 52 (2004), 708 (715) (Eigentum könne als das Resultat einer unabhängigen Unterscheidung aufgefasst werden: Alles in der Welt kann nur entweder Eigentum haben oder Eigentum sein.). 127 Vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, 454. 128 Aus hiesiger Sicht ist das Standardargument zur Legitimation des Urheberrechts, es sichere Bedingungen, ohne die sich die Freiheit der Kunst nicht realisieren lasse (vgl. etwa Wandtke, ZUM 1991, 484 ff.), interessant, weil es die konstitutive Funktion der Umwelt für das System der Kunst zum Ausdruck bringt.

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fen wurde, der den Nachdrucker unabhängig von regional geltenden Privilegien ins Unrecht setzte.129 Die mit Hilfe des Naturrechts postulierte Existenz dieses Autorrechts hatte die Funktion, den Verlegern einen (nur vom Autor vertraglich ableitbaren) Rechtstitel zur exklusiven Verbreitung der Werke zu verschaffen, der gegen die so »illegalisierten« Nachdrucker durchsetzbar war. Letztlich geschützt werden sollte die originale Verlagsproduktion, die so in die Lage versetzt wurde, längerfristig zu kalkulieren und auch in (noch) nicht dem Massengeschmack entsprechende Produktionen zu investieren.130 Diese frühe Form von Vielfaltssicherung reguliert die Konkurrenz im Verlagswesen, das Teil der für ästhetische Kommunikation wesentlichen medialen Infrastruktur ist. Auch die dann folgende Verknüpfung der exklusiven Verfügungsgewalt des Urheberrechts mit der Persönlichkeit des Schöpfers stützt die Ausdifferenzierung des Kunstsystems. Das geschieht durch eine eigentümliche Wechselwirkung zwischen dem Urheberrecht und der im 18. Jahrhundert herausgebildeten Autonomieästhetik, in deren Zuge das Urheberrecht einerseits an die zeitgenössischen Vorstellungen von der Eigenart des künstlerischen Schaffens anknüpft und andererseits (eben dadurch) auch zur Stabilisierung einer autonom konzipierten Sphäre der Kunst in der Gesellschaft beiträgt.131 Die entscheidende Diskontinuität im ästhetischen Denken jener Zeit gegenüber früheren Perioden liegt in der konstitutiven Rolle, die der eben erst entwickelte Begriff der Subjektivität im künstlerischen Prozess übernimmt. Neu ist die Verortung des bereits früher für die »Eigenthümlichkeit« bzw. Eigentumsfähigkeit eines künstlerischen Artefakts geforderte Transformation von Vorgegebenem: Kunst ist jetzt nicht mehr eine durch Fleiß und Übung erlangte Fertigkeit, deren Ausübung kollektiv verfügbaren Regeln folgt (Stichworte: Mimesispostulat und Regelpoetik). Das »Genie« transformiert nicht mehr gemäß den Praktiken in den Künsten (»artes«) und also lege artis, sondern gibt sich als autonomes Subjekt selbst die Regel.132 Die Regel oder der Maßstab wird erst im Akt der Schöpfung selbst gesetzt. Als »schön« gilt nunmehr die exemplarische Verkörperung von Autonomie oder »Freiheit in der Erscheinung«.133 Diese subjektge129

Vgl. Vogel, in: Schricker, UrhG, Einleitung, Rn. 59 ff. Freilich hielten dem die Nachdrucker insbesondere während der Aufklärung entgegen, dass ihre billigeren Drucke dem wachsenden Lese-und Bildungsdrang der Bevölkerung entgegenkämen und zur Entwicklung des Bildungswesens beitrügen (vgl. die Nachweise bei Kirchhof, in: FS Zeidler, 1639 (1644), Fn. 28). Diese widerstreitenden Argumente sind ein früher Ausdruck des informationsökonomischen Dilemmas. 131 Zu dieser Wechselwirkung vgl. die gut belegte Studie von Ortland, DZPhil 52 (2004), 773. 132 Vgl. Plumpe, Archiv für Begriffsgeschichte 23 (1979), 175 (187). Nur der in seinen besonderen Vermögen individualisierte Mensch vermag daher einem Objekt jenen Stempel aufzudrücken, der den Eigentumsanspruch markiert (191). 133 Vgl. Schiller, Kallias, oder über die Schönheit, Brief an Körner vom 18. 2. 1793. 130

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stiftete Schöpfungskraft und das Fehlen einer dem Werk äußerlichen normativen Vorgabe stiftet jenes innere Band zwischen Schaffendem und Kunstwerk, auf die der Rechtsbegriff der »persönlichen geistigen Schöpfung« verweist.134 Indem das Urheberrecht als Verfügungsrecht an diese »höchstpersönliche Beziehung« anknüpft, sichert es nicht nur die Identität des ursprünglichen Werkes, sondern auch eine auf die Kreativität des Individuums gestützte eigentliche »poietische« Praxis, der es um die Hervorbringung von etwas vorbildlos Neuem geht.135 Die Anerkennung und Honorierung von Originalität mobilisiert das je individuelle Bewusstsein für den Anstoß zu Variation im System der Kunst und unterstützt so dessen Ausdifferenzierung. Keinesfalls ist also die Eigentumsform als solche problematisch für die Kommunikationsfunktion von Immaterialgütern. Eine exklusive individuelle Zuordnung von werkbezogenen Handlungsmöglichkeiten bereitet nicht nur deren wirtschaftliche Verwertung vor, sondern katalysiert auch die Wissensteilung im Kunstsystem. Voraussetzung ist freilich, dass die rechtsinternen Begriffe und Kriterien (»Werk«) so eingestellt sind, dass die Autonomien der betroffenen Systeme (Wirtschaft und Kunst/Wissenschaft136) gleichermaßen vom Recht abgestützt werden.137 Im »alten Urheberrecht« gab es eine solche doppelte Kompatibilität des Eigentumsrechts, weil das Urheberrecht nicht bloßes Investitionsschutzrecht war, das allein wirtschaftlichen Imperativen folgt und eine unmittelbare Abhängigkeit künstlerischen Handelns von ökonomischen Erwägungen zu erzeugen droht.138 134

Vgl. Ortland, DZPhil 52 (2004), 773 (783). Vgl. Kirchhof, in: FS Zeidler, 1639 (1653) und Ortland, DZPhil 52 (2004), aaO. 136 Neben dem im Text erörterten Verhältnis von Urheberrechten und Autonomie der Kunst ist vor allem an die Wirkung von Schutzrechten auf die Wissenschaft zu denken. Zum Verhältnis Urheberrecht/Wissenschaft vgl. etwa Hilty, GRUR Int. (2006), 179 und zu Patentrecht/Wissenschaft etwa Lee, Yale Law Journal (2004), 659 (»Current patent scholarship has not fully engaged the relationship between patents and the evolution of scientific theory . . . Without recognizing that patents can influence paradigm shifts, policy choices defi ning intellectual property regimes are uninformed and incomplete. . . . More empirical study is necessary to delineate and quantify the precise ways that patents encourage and frustrate normal collaborative development. At a minimum, the progress dynamics developed in this Note highlight the unique differences between upstream and downstream monopolies, and recommend a reexamination of the current patent system’s identical treatment of gateway and end-product materials and processes. Contrary to romantic conceptions, science is not an insular enterprise detached from the wider influences of society. Increasingly, the basic science sector must contend with the powerful exogenous forces of patents and commercial pressures. It is therefore incumbent on policymakers, courts, and legal scholars to develop a greater sensitivity to the intricate and unexpected ways that law impacts scientific progress and to structure patent regimes accordingly.«) 137 Zur Relevanz von geistigem Eigentum für die Entwicklung der Persönlichkeit (qua Kontrolle über die Ausübung von durch Bildung erworbenen Fähigkeiten) vgl. Schmidt, DZPhil 52 (2004), 755. 138 Zu dieser Gefahr vgl. die Studie von Graber, Zwischen Geist und Geld, sowie Graber/ Teubner, Oxford Journal of Legal Studies 18 (1998), 61 (71), die vor einer zu engen Kopplung 135

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Nach diesen Überlegungen besitzen subjektive Verfügungsrechte an Immaterialgütern einen hohen Stellenwert für die Operationsweise sozialer Funktionssysteme. Ihre Relevanz für die Autonomie des Einzelnen wird damit nicht in Abrede gestellt. Im Gegenteil wird diese gerade vorausgesetzt, um für den Aufbau von Systemkomplexität ausnutzbar zu sein. Dennoch findet eine funktionale Perspektivierung subjektiver Eigentumsrechte statt: Der Schutz subjektiver Rechte dient dem Schutz transindividueller Strukturen, auf die der Einzelne jedoch für sein eigenes autonomes Handeln angewiesen ist. Individuelles Handeln und kollektive Ordnungen bedingen einander wechselseitig. Die transsubjektive Wirkung der Ausübung von subjektiven Rechten tritt unabhängig davon ein, ob das Rechtsdenken diesen Zusammenhang erkennt und entfaltet oder sich wie – historisch überwiegend – ganz auf die eine Seite dieses Zusammenhangs konzentriert und dabei stehen bleibt, mit Hilfe subjektiver Rechte Handlungsmöglichkeiten konstruktiv auf das Individuum zuzurechnen. Indessen müssen auch und gerade die auf dem Individuum aufbauenden Gesellschaftskonzeptionen danach fragen, welche produktiven Effekte die Ausübung privater Freiheit für den Aufbau kollektiver Ordnungen erzeugt.139 Hinter der auf den ersten Blick einfach anmutenden »Übertragung« der Eigentumsform auch auf die Regelung der Nutzung von (Kommunikationsfunktion besitzenden) Immaterialgütern wird somit eine anspruchsvolle Matrix systemischer Bezüge sichtbar, in die das Eigentum eingestellt ist: Entlang der einen Dimension ist die Mehrsystemrelevanz einer rechtlichen Zugangsbeschränkung zu berücksichtigen, während entlang der anderen Dimension die Rechtsform selbst in ihrer individuellen und institutionellen Schutzrichtung (jedenfalls analytisch) zu differenzieren ist.140 Erst mit Hilfe dieser Matrix kann sichtbar gemacht werden, wie komplex die Aufgabe ist, die sich dem Recht stellt: seine eigenen Institutionen müssen so gestaltet sein, dass die Institutionen der Wissensteilung in der Wirtschaft und in der Kunst abgestützt werden. Recht verfasst die Institutionen von Wirtschaft und Kunst/Wissenschaft (inklusive entsprechender Organisations- und Interaktionssysteme); es ist für die Erhaltung der Umweltbedingungen von beiden Systemen verantwortlich. Dazu besitzt es einen Spielraum oder »Korridor«, innerhalb dessen die Konstituierung der privaten Appropriierbarkeit von

zwischen Kunst und Geld warnen. Dabei erkennen sie, dass es nicht die Interdependenz zwischen Geld und Kunst als solche ist, von der eine Autonomiegefährdung für die Kunst ausgeht, sondern von den konkreten Formen der Institutionalisierung dieser Interdependenz. 139 Vgl. Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 116. 140 Die Matrix ist auf der Seite des Rechts noch zu ergänzen um Regeln für die Vermittlung von Zugang. Dazu näher unten § 1 II 2 b dd.

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Vorteilen der Nutzung von Immaterialgütern nicht die Prozesse der Wissensteilung in den betroffenen Systemen beeinträchtigt.141 Die Umsetzung dieser Gestaltungsaufgabe hängt maßgeblich davon ab, welche Befugnisse die absoluten Immaterialgüterrechte dem Rechtsinhaber gewähren, auf welche Weise also die Eigentumsrechte der Schaffenden inhaltlich bestimmt werden. Hierbei ist zu beachten, dass die generelle Riskiertheit von subjektiven Rechten noch dadurch gesteigert wird, dass die Zuordnung von Handlungsmöglichkeiten sich nicht auf anschauliche Gegenstände der Außenwelt bezieht, sondern auf intelligible Kommunikationsartefakte. Subjektive Rechte grenzen für den Einzelnen Zonen der Freiheit aus. Ihre Riskiertheit wie der durch sie ermöglichte Strukturgewinn liegen im Verzicht auf die Geltung des Reziprozitätsprinzips in konkreten Rechtsverhältnissen (und die Delegation der Herstellung von Reziprozität auf abstraktere Strukturen wie den Markt). Stattdessen verbindet das 19. Jahrhundert die Idee der Freiheit mit dem Rechtsbegriff.142 Stellvertretend ist die Auffassung Savignys, der das Recht begreift als die Bestimmung einer »unsichtbaren Gränze, innerhalb welcher das Daseyn und die Wirksamkeit jedes Einzelnen einen sichern, freyen Raum gewinne«.143 Damit hängt nun aber alles ab von dem Verlauf jener »unsichtbaren Gränze[n]«, denn diese stellen sich aus Sicht der anderen, die nicht Träger des jeweiligen Freiheitsrechts sind, gerade als Beschränkungen der eigenen Handlungsfreiheit dar. Allerdings besteht bei der Bestimmung der Reichweite von Immaterialgüterrechten eine merklich größere Unsicherheit als bei Eigentumsrechten an körperlichen Gegenständen. Das hängt zusammen mit der Abstraktheit des zugeordneten Gegenstandes,144 die auch die rechtliche Grenzziehung schwieriger macht.145 Während in der physikalischen Welt auf die körperlichen Grenzen der Gegenstände als Orientierung für die Festlegung des Inhalts von Eigentumsrechten zurückgegriffen werden kann, verlangt die Beantwortung der Frage, ob etwa die Herstellung oder der Vertrieb eines bestimmten Produkts als Eingriff in ein Schutzrecht zu qualifizieren ist, allenthalben Identitätsurteile, die hinter körperlich verschiedenen Gegenständen (Werkstücken oder 141

Vgl. auch Ramello, in: Takeyama et al. (eds.), Developments in the Economics of Copyright, 120 (132) (»The structure of minimal copyright was designed to grant individual incentives through private appropriability, but without significantly impacting on the public dimension connected with the sharing process«). 142 Ausführlicher zur Verbindung von Freiheit und Recht in der Konzeption des subjektiven Rechts vgl. Wielsch, Freiheit und Funktion, 64 ff. 143 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band 1 (1840), 331 f. 144 So bestimmt etwa die Formulierung eines Patentanspruchs darüber, in welchem Umfang der Patentinhaber später Ausschließlichkeitsrechte gegen Dritte geltend machen kann. 145 Vgl. auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 23 Rn. 15, die die abstrakte Umschreibung des Schutzgegenstandes als Grund für die Ungewissheit über die Reichweite des Schutzrechts angeben.

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patentrechtlich geschützten Produkten) einen identischen oder ähnlichen Form- oder Ideengehalt nachweisen.146 Unsicherheiten bei der Umschreibung dieses Gehalts können dazu führen, dass die Befugnisse des Schutzrechtsinhabers auf Kosten der Handlungsfreiheit anderer unzulässig ausgedehnt werden, etwa weil sich in Verträgen zwischen Rechtsinhaber und Lizenznehmern der vertragliche Interessenausgleich nicht exakt am spezifischen Gegenstand des Schutzrechts orientiert. Gleichzeitig vermitteln Immaterialgüterrechte – neben ihrer Bedeutung für wissensteilige Prozesse – eine hohe Steuerungskapazität in der gegenständlichen Welt. Weil sie darüber bestimmen, ob körperliche Gegenstände einer bestimmten Art überhaupt hergestellt oder benutzt werden dürfen, vermitteln sie Herrschaft nicht bezogen auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand, sondern auf jeden Gegenstand, der die Verkörperung einer bestimmten Form oder Idee ist. Weil sich ein und dasselbe Schutzrecht prinzipiell auf eine unbegrenzte Anzahl physischer Objekte bezieht, fungiert es als Zugangsschlüssel bzw. »Gateway« zu körperlichen Gegenständen. Besonders dem Wettbewerbsrecht fällt auf, was das bedeutet: dass Wirtschaftsgüter einer bestimmten Art nur von einem einzigen Wettbewerbsteilnehmer genutzt werden dürfen und seiner alleinigen Kontrolle unterliegen.147 Durch die erhöhte Unsicherheit bei der Bestimmung der inhaltlichen Grenzen von Schutzrechten bei gleichzeitig hohem Potenzial zur Interferenz in die Handlungsfreiheit Dritter sind Nutzungskonflikte vorprogrammiert. Das ist historisch bereits in der Frühphase der Entwicklung von Immaterialgüterrechten bei der Frage offenbar geworden, ob der Eingriff in Schutzrechte einen Kondiktionsanspruch auslösen kann. Kohler trifft den Punkt, wenn er argumentiert, dass die Immaterialgüterrechte nicht auf gleiche Weise scharf abgegrenzt seien wie körperliche Sachen und es daher begreiflich sei, dass in der einen oder anderen Weise eine Grenzwirkung stattfinde und der gutgläubige Verkehr bald da, bald dort aus der Quelle fremder Gedanken zehre. Wollte man hier eine Ausgleichung eintreten lassen, so würde es »der Natur dieser Güter, die doch der Allgemeinheit zustreben [sic!], widersprechen und die Lebensverhältnisse unnötig verbittern«.148 Wenn Kohler mit dieser Begründung eine Haftung des gutgläubigen Rechtsverletzers für Immaterialgüterrechte generell ablehnt, so geht dies zu weit und vermochte sich zu recht nicht durchzusetzen. Was folgte, ist eine je nach Schutzrecht höchst unterschiedlich verlaufene 146

Eine Problematik, die sich verschärft, wenn infolge der Digitalisierung die Werkstücke ihre Körperlichkeit verlieren und das Identitätsurteil nicht einmal mehr Anhaltspunkte im Körperlichen fi nden kann. 147 Vgl. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 137. Das Problem wird jedoch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht dadurch entschärft, dass in der Regel substituierbare Produkte vorhanden sein werden. 148 Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Band 2, Teil 1 (1906), 459 f.

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§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten

Rechtsprechungsentwicklung zur Bereicherungshaftung des Rechtsverletzers.149 Doch die Konkretisierung des Zuweisungsgehalts von Immaterialgüterrechten bleibt genau in jenes Spannungsverhältnis eingestellt, das Kohler anspricht. Es geht um die genaue Trennlinie zwischen der Ausschlusswirkung des Immaterialgüterrechts und der Nutzungsfreiheit Dritter. Relevant wird diese Trennlinie nicht nur bei der früher zur Abgrenzung herangezogenen Frage, ob ein gegebenes Schutzrecht überhaupt ein Herrschaftsrecht mit eigenem Zuweisungsgehalt oder nur ein »bloßes Ausschlussrecht« sei,150 und der heute vorherrschenden, ob die Rechtsordnung eine marktfähige Verwertungsmöglichkeit der betreffenden Rechtsposition anerkennt.151 Relevant wird sie auch bei der Frage nach der Reichweite eines Schutzrechts, dessen Zuweisungsgehalt prinzipiell anerkannt ist. b. Zugangsregeln im Recht Die ausschließliche Zuweisung von Handlungsmöglichkeiten zu einem Rechtssubjekt bewirkt, dass diese aus dem Kreis der jedermann offen stehenden Handlungsmöglichkeiten ausscheiden. Die Zuweisung von Eigentumsrechten begrenzt normativ die Freiheit der Nichteigentümer.152 aa. Rechtssysteminterne Refl exion. Im Wirtschaftssystem – so das Ergebnis in Abschnitt I – wird diese Einschränkung der Freiheit anderer bei der Nutzung von Immaterialgütern wahrgenommen als statische Ineffizienz infolge Unternutzung. Die Inhibierung positiver Externalitäten erzeugt soziale Kosten, die nach dem Kalkül der Transaktionskosten- und Property-Rights-Analyse der Schaffung und Reichweite von Schutzrechten systemintern Grenzen setzen (»ökonomische Proviso«). Aus Sicht der Reflexionstheorie des Wirtschaftssystems sind daher Regelungen erforderlich, die das Verbotsrecht des Schutz149

So hatten bereits RGZ 90, 137; 121, 258 (261) eine Bereicherungshaftung bejaht, während dies bei den Patent- und Gebrauchsmusterrechten erst 1977 durch die Entscheidung Kunststoffhohlprofi l in BGHZ 68, 90 erfolgte, im Markenrecht gar erst durch BGH GRUR 1987, 520 im Fall Chanel No. 5 (dazu vgl. Kur, in: Schricker/Dreier/Kur, 23 (28 Fn. 21), m. w. N.). 150 Vgl. die Unterscheidung bei Raiser, JZ 1961, 465 (468) und zuvor Mestmäcker, JZ 1958, 521 (525). 151 Vgl. etwa Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 256 f., m. w. N. – Die hierin vollzogene Gleichsetzung des Zuweisungsgehalts mit der marktfähigen Verwertungsmöglichkeit einer Rechtsposition droht die Rechtfertigungsfähigkeit eines Bereicherungsausgleichs in Orientierung an einer faktischen Verwertbarkeit der Schutzposition vorschnell zu bejahen. Das Interesse des Eingreifers an freier gewerblicher Betätigung und damit die Relevanz für den Wettbewerb droht aus den Augen zu geraten. Die Ansicht, das Kommerzialisierungserfordernis scheide sämtliche Positionen als Kondiktionsgrundlagen aus, die gemeinfrei sind (so Reuter/Martinek, aaO., 258), überlässt die Bestimmung des Gemeinfreien in letzter Konsequenz den Marktteilnehmern. 152 Vgl. Hösch, Eigentum und Freiheit, 139.

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rechtsinhabers einschränken153 – auch wenn Art und Anzahl dieser vom Wirtschaftssystem verlangten Schranken der subjektiven Immaterialgüterrechte aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu kurz greifen mögen. Doch wie nimmt das Rechtssystem selbst die Problematik einer Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten Dritter durch Schutzrechte wahr? Die Antwort auf diese Frage entscheidet offenbar darüber, wie die betroffenen anderen Systeme (der Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft etc.) die Leistungsfähigkeit des Rechts beurteilen. Die gesellschaftliche Umwelt des Rechts erwartet vom Recht und seinen Reflexionstheorien begründete Regeln darüber, wo die Grenzen der Bestimmungsmacht von Schutzrechten zu ziehen sind, jenseits derer die Nichteigentümer (Nutzer) das geschützte Immaterialgut ohne Zustimmung des Rechtsinhabers frei verwenden können. Das Recht wird also darauf hin befragt, ob es selbst »innere Stoppregeln« enthält, ob es eine Art »Sinn für Öffentlichkeit« entwickelt hat beim Schutz von semantischen Konstrukten, die nur als Kommunikationen bzw. Artefakte der Kommunikation existieren. Diese Frage ist gleichsam der archimedische Punkt, von dem aus die Gesellschaft dem Recht selbst den Prozess macht.154 Die Suche nach rechtssysteminternen Begrenzungsregeln ist dabei als »ökologische« Fragestellung zu kennzeichnen, denn sie zielt letztlich auf das Verhältnis des Systems zu seiner Umwelt. Am Vorhandensein rechtlich konstituierter Räume der Nutzungsfreiheit (in der public domain oder anderen Formen von Zugang) entscheidet sich, ob das Recht mit seiner Umwelt kompatibel bleibt. Nun hat jedoch der Rechtsdiskurs der Frage nach den Grenzen von Schutzrechten erheblich weniger Aufmerksamkeit geschenkt als ihrer Begründung. Während die Legitimationsargumentation (ebenso wie die Dogmatik) zugunsten der Schutzrechtsinhaber fein gewebt ist und Gesetzgebung wie Rechtsprechung oft einer (freilich meist latent gehaltenen) »Logik des Eigentums« folgen – wonach sich neu eröffnende Handlungsmöglichkeiten wie in einem Automatismus eigentumsrechtlich integriert werden, indem sie entweder bestehenden Eigentumsrechten angegliedert und als deren Ausfluss betrachtet oder indem sie als neues Eigentumsrecht verfasst werden155 –, ist die Befassung mit der Notwendigkeit von Schutzrechtsschranken und der entsprechenden rechtlichen Position von Nutzern vergleichsweise unterthematisiert.156 Das liegt 153 Zur ökonomischen Notwendigkeit urheberrechtlicher Schranken vgl. auch die gute Darstellung bei Bechtold, 328 ff. 154 Grundlegend zu dieser Art der (gesellschafts-)rechtlichen Selbstreflexion des Rechtssystems vgl. Wiethölter, in: FS Habermas, 794 ff. 155 Von »Eigentumslogik« spricht auch Dreier, in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienste der Innovation, 51 (70 f.). Zur rechtlichen Verfassung neuer Handlungsmöglichkeiten qua Eigentumsrecht vgl. Kube, JZ 2001, 944 (947 ff.). 156 Diese Aussage trifft weniger zu auf den angelsächsischen Rechtskreis, in dem der utilitaristische Ansatz zur Begründung von (Urheber-)Rechten das Problem dadurch abspannt, dass eine »balance« gefordert wird zwischen den Interessen der Schaffenden und der Nutzer;

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auch an dem insoweit lückenhaften Argumentationsbestand in anderen Reflexionstheorien, an die sich rechtliche Selbstbeobachtung anschließen könnte (Theorie als Form der strukturellen Kopplung).157 Insbesondere fehlt den philosophischen Ansätzen zur moralischen Rechtfertigung von Urheberrechten, die über das Naturrecht ihren Eingang in den rechtlichen Reflexionsapparat finden, eine gezielte Auseinandersetzung mit der Schrankenproblematik. Freilich sind die Defizite in den philosophischen Begründungsmodellen unterschiedlich stark ausgeprägt. bb. Thematisierung im philosophisch-naturrechtlichen Begründungsdiskurs. Nach der Eigentumstheorie von Locke – entwickelt am Sacheigentum, aber in der Folge auch auf das geistige Eigentum übertragen158 – begründet der Einsatz von menschlicher Arbeit das Recht an ihrem Produkt. Während die Welt im Naturzustand von Gott allen Menschen gegeben ist, also als Gemeingut, entrückt der Einzelne erst dadurch etwas diesem Zustand und macht es zu seinem Eigentum, indem »er [es] mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas hinzugefügt [hat], was sein Eigenes ist«.159 Noch auf der Ebene der Rechtfertigung fügt Locke diesem aufgrund von Transformation/Hinzufügung durch Arbeit ausgelösten Erwerbstatbestand jedoch zwei explizite Schranken der Aneignung hinzu: 160 die Spoilation-Proviso, nach der eine Aneignung nur dann erlaubt ist, wenn sie dem eigenen Nutzen dient und der angeeignete Gegenstand nicht verschwendet oder zerstört wird, sowie die Sufficieny-Proviso, die verlangt, dass nach der Aneignung noch genug und gleich gute Dinge für andere übrig bleiben (»enough and as good left«).161 Die Versuche von Lockes Interpreten, hieraus Begrenzungen von Immaterialgüterrechten abzuleiten, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen und bleiben zumeist auf der Ebene sehr genereller Aussagen stecken.162 Immerhin aber existiert mit der Proviso überhaupt ein sie trifft mehr die Begründung geistigen Eigentums im kontinentaleuropäischen Rechtskreis, die stark naturrechtlich geprägt ist (dazu im sogleich folgenden Abschnitt). 157 Zum Gedanken, dass sich der Reflexionsapparat des Rechts mit den Reflexionstheorien anderer Systeme (qua »Theorie«) in rechtlichen Sozialmodellen koppelt vgl. Wielsch, Freiheit und Funktion, 17 und 29 f. 158 Zu recht kritisch gegenüber einer einfachen Analogiebildung Schmidt, DZPhil 52 (2004), 755 (758 f.). 159 Locke, Two Treatises of Government, § 27: »Whatsoever then he removes out of the state that nature hath provided, and left it in, he hath mixed his labour with, and joined to it something that is his own, and thereby makes it his property. . . . that excludes the common right of other men.« 160 Vgl. Locke, § 31: »The same law of nature, that does by this means give us property, does also bound that property too.« 161 Vgl. noch einmal Locke, § 27: »For this labour being the unquestionable property of the labourer, no man but he can have a right to what that is once joined to, at least where there is enough, and as good, left in common for others.« 162 Man vergleiche etwa Child, The Monist 73 (1990), 578 (588 ff.) (der keinerlei Probleme bei der Kompatibilität bestehender Regelungen mit Lockes Proviso sieht) mit Gordon, Intel-

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Theoriebaustein, der es möglich macht, ja sogar dazu verpfl ichtet, mit der Legitimation von geistigem Eigentum zugleich über die Begrenzung von dessen Reichweite nachzudenken. Anders dagegen die Autortheorie Fichtes, der geistige Schöpfungen derart ontologisch (de-)konstruiert, dass der urheberrechtliche Tatbestand von vornherein keiner Differenzierung zugänglich ist. Fichte trennt nicht nur wie andere vor ihm das Geistige eines Buches von seinem körperlichen Träger (heute »Werkstück«), sondern führt in die geistige Seite eine weitere Differenz ein, indem er das »Materielle, den Inhalt des Buches, die Gedanken, die es vorträgt« und »die Form dieser Gedanken, die Art wie, die Verbindung in welcher, die Wendungen und die Worte, mit denen er es vorträgt« unterscheidet.163 Im Gegensatz zum geistigen Inhalt könne diese Form der Gedanken, die konkrete Ideenverbindung, nicht durch andere als den Urheber angeeignet werden. Aus dieser ontologischen Exklusivität der Beziehung zwischen Urheber und Werk geht für Fichte zugleich ein normatives Vorrecht des Urhebers hervor: Denn an dieser immateriellen Form soll ein »natürliches, angeborenes, unzuveräußerndes Eigenthumsrecht« des Autoren bestehen.164 Weil durch ein Werk geistige Gehalte nur geäußert werden können, indem ihre (immaterielle) Form (im Bewusstsein) durch sprachliche Zeichen (als materielle Form) mitgeäußert wird, lautet der Vorwurf gegen den Plagiator, dass er durch die (unerlaubte) Verwendung der materiellen Form behaupte, auch im Besitz der immateriellen Form zu sein. Damit aber leugnet er die Exklusivität zwischen Urheber und Werk und »kränkt« dessen Recht. Auf dieser Basis ist eine Abstufung schon des urheberrechtlichen Schutzes (etwa durch Anforderungen an die Originalität der Form) nicht möglich: Jede durch sprachliche Zeichen geäußerte gedankliche Form verdient Schutz gegen die Aneignungsbehauptungen anderer. Nach Fichtes exklusivitätstheoretischem Argument ist es moralisch notwendig, jedes geistige Werk urheberrechtlich zu schützen.165 Auch unter Kants Sicht von Schriftwerken als »Rede eines Autors an sein Publikum« wird das Urheberrecht als eine moralische Konsequenz aus einem undurchdringlichen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Autor und Werk gedeutet,166 dem sich keine Notwendigkeit für eine Limitierung seiner selbst entlectual Property, in: Can/Tushnet (eds.), The Oxford Handbook of Legal Studies, 617 (624 f.) (die unter Berufung auf die Proviso die Regelungen zur unabhängigen Doppelerfi ndung im Patentrecht und dem Verbot von Langzitaten im Urheberrecht kritisiert). 163 Fichte, Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks, in: ders., Gesamtausgabe, Band 1, 409 ff. 164 Es selbst kann nicht auf den Verleger übergehen, sondern »nur das Recht eines gewissen Nießbrauchs des Eigenthums des Verfassers«. 165 Vgl. die überzeugende Rekonstruktion des Fichteschen Arguments bei Stallberg, Moralische Rechtfertigung, 190 und 198. 166 Die Ontologisierung der Rede als Handlung, die nur Dasein in der Person des Autors haben könne (vgl. Kant, Werke, Band 8, 77 (86)), wurde von Kohler später als Fehlschluss

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nehmen lässt – was freilich nicht verwundert, handelt es sich der Sache nach nicht um eine eigentumsrechtliche, sondern um eine kommunikationstheoretische Argumentation, der es um die Sicherstellung der Integrität eines Kommunikationsvorgangs (durch Mitkommunikation der wahren Identität des »Redners«) geht und mit der sich nur ein persönlichkeitsbezogenes Recht auf Namensnennung begründen lässt.167 Am Empfänglichsten für die Berücksichtigung von Nutzungsinteressen Dritter neben einem Urheberrecht für den Schaffenden erweisen sich noch die Überlegungen Hegels, die den Übergang individualistischen Denkens in systemisches andeuten. So wird der Kontext zwar gebildet von einer personenbezogenen Eigentumstheorie, nach der das Privateigentum als Teil des abstrakten Rechts das einzelne Bewusstsein zu seiner Vorstellung als »Person« führt, d. h. als entindividualisiertes Subjekt, das die Abstraktion von jeder Besonderheit des eigenen Ichs zu vollziehen imstande ist und sich dadurch seiner Existenz als Allgemeines in seiner »reinen Unbestimmtheit« und damit seiner Freiheit reflexiv vergewissert.168 In seinen Ausführungen zum Urheberrecht übersteigt Hegel jedoch diesen auf das Person-Sein des Einzelnen ausgerichteten entwicklungstheoretischen Kern seiner Eigentumstheorie169 und setzt explizit den Schutz des Eigentums mit der »Beförderung der Wissenschaft und Künste« ins Verhältnis.170 Der Fortschritt in den Disziplinen wird einerseits gerade dadurch gewährleistet, dass die Beiträge der Schaffenden geschützt würden, andererseits erkennt er aber, dass eben diese Beiträge auf Repetition und Modifikationen durch andere angelegt seien. Es würde eine »unendliche Vielfachheit von Veränderungen herbei[geführt], die dem fremden Eigentum den mehr oder weniger oberflächlichen Stempel des seinigen aufdrücken«. Inwieweit in einem solchen Strom des Wissens zur »Fortpflanzung der Wissenschaften« die (notwendig) wiederholende Äußerung aufgrund ihrer eigenen eigentümlichen Form sich »in ein spezielles geistiges Eigentum des reproduzierenden Individuums verwandle« oder als Plagiat anzusehen sei, lasse »sich nicht durch eine genaue Bestimmung angeben«. Mit diesem impliziten Eingeständnis der Grenzen vernunftrechtlicher Begründung von geistigem Eigentum öffnet Hegel dessen Ausgestaltung letztlich kollektiven Entscheidungen. und »abenteuerliche Ausgeburt eines unjuristischen Genius« kritisiert (vgl. Kohler, AcP 82 (1894), 141 (182)). 167 Es verwundert kaum, dass sich bei den Zeitgenossen Kants Lösungsvorschlag zum Schutz vor Büchernachdruck nicht durchgesetzt hat, vgl. die Nachweise bei Klippel, in: Wadle (Hrsg.), Historische Studien zum Urheberrecht in Europa, 121 (130). 168 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 5 und § 35. 169 Dessen Stoßrichtung liegt in der beschriebenen kognitiven Lernfunktion des Privateigentums für den Einzelnen und nicht (wie teilweise behauptet) in einer wie auch immer gearteten Integration der Persönlichkeit in eine Sache. Zutreffende Kritik an dieser Sichtweise bei Stallberg, Moralische Rechtfertigung, 125 f. 170 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 69.

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Wie der Schutzinhalt bestimmt werden muss, damit kollektive Wissensteilung funktioniert und den Reproduktionsbedingungen in den einzelnen sozialen Systemen Rechnung getragen wird, ist aus der Erfahrung mit einem (änderbaren) positiven Recht zu gewinnen.171 Als Fazit dieses kursorischen Überblicks ist festzuhalten, dass die Rechtswissenschaft bei der Philosophie zwar Theorieangebote zur Begründung von Rechten an geistigen Erzeugnissen finden konnte, bei der Frage nach deren Begrenzung aber vom naturrechtlichen Denken weitgehend alleine gelassen wurde.172 Das wäre verständlich, wenn es zutrifft, dass eine umfassende Rechtfertigung geistigen Eigentums mit Hilfe naturrechtlicher Argumentation auch gar nicht möglich ist, sondern utilitaristisch ansetzen muss.173 Immerhin erstaunt es nicht, dass bei einer der ersten Gelegenheiten zu praktischer Gesetzgebung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, der Copyright Clause in der US-Verfassung, eine Regelung getroffen wird, die sich nur utilitaristisch begründen lässt.174 In Deutschland dagegen blieb das Rechtsdenken auf sich gestellt, jene bereits in der Frühphase der Formation von Immaterialgüterrechten entstehende Spannungslage auszutragen, dass nämlich einerseits die Persönlichkeit und das mit ihr verbundene geistige Eigentum geschützt werden sollten, andererseits aber im Interesse der Gesellschaft (inklusive des Schaffenden selbst) zugleich auch die Freiheit der Betätigung in Wirtschaft und Kunst/Wissenschaft zu garantieren war.175 Zwar musste hier der römisch-rechtliche Eigentumsbegriff seinen funktionalen Platz dem Doppelgespann aus Immaterialgüter- und Persönlichkeitsrechten räumen.176 Mit diesem Schritt wurden freilich nur die rechtskonstruktiven Schwierigkeiten vermieden, neu gewonnene Handlungsfreiheiten des Subjekts auf dem Gebiet der Immaterialgüter mit einem über Jahrhunderte hinweg an körperlichen Gegenständen ausgebil171 Zutreffend weist Drahos, A Philosophy of Intellectual Property, 82 darauf hin, dass Hegels Theorie insofern einen Sinn für die Bedeutung intellektueller Gemeinschaftsgüter aufweist. 172 Vgl. aber etwa Ahrens, Die Philosophie des Rechts und des Staates, 1. Teil, 4. Aufl. 1852, 528 f.: »Das Naturrecht beweiset so einerseits das Dasein eines privaten Eigentumsrechts an Geisteswerken und andererseits das Dasein eines auf denselben Gegenstand sich beziehenden Rechts der Gesellschaft.« (zit. bei Klippel, in: Wadle (Hrsg.), Historische Studien zum Urheberrecht in Europa, 121 (137)) (Hervorhebung hinzugefügt). Im Wesentlichen wurde daraus jedoch nur die Forderung abgeleitet, die Dauer der Schutzrechte zeitlich zu begrenzen. 173 Die Unmöglichkeit einer naturrechtlichen Rechtfertigung geistigen Eigentums sucht Steinvorth, DZPhil 52 (2004), 717 (729 ff.) nachzuweisen. 174 Zum Hintergrund der Entstehung dieses Verfassungsartikels vgl. etwa Hesse, Daedalus 2002, 6 ff. 175 Vgl. Klippel, in: Wadle (Hrsg.), Historische Studien zum Urheberrecht in Europa, 121 (135). 176 Zur Entwicklung der Zivilistik auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vgl. Dölemeyer/Klippel, in: FS 100 Jahre Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz, 185 (220 ff.)

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deten Eigentumsbegriff rechtlich zu (v)erfassen. Eine theoretische und konzeptionelle Weiterbildung, die jenem Spannungsverhältnis hätte gerecht werden können, ein Denken also, das sich systematisch für die Grenzen von Schutzrechten interessiert hätte, war damit nicht verbunden. cc. Perspektivenwechsel: Von Rechten zu Systemen. Der Grund für diese Vernachlässigung ist im Wesentlichen darin zu finden, dass in der Rechtswissenschaft das Verhältnis von subjektiven Rechten zu ihren Ausübungsbedingungen unbewältigt ist. Immer dann, wenn neue subjektive Rechte eingerichtet werden, offenbart sich dieses Defizit. Dann wird sichtbar, welche Probleme damit verbunden sind, »beliebige Werte außerhalb der sinnlich erfahrbaren Welt zu Gegenständen subjektiver Rechte zu erklären.«177 Ein für die Erfassung der Schrankenproblematik geeignetes Reflexionsinstrumentarium setzt einen theoretischen Entwicklungsschub im Recht voraus, wie er sich erst mit der Lehre von der »Wirtschaftsverfassung« entwickelt hat. Seit den wegweisenden Arbeiten Franz Böhms wird für den Bereich wirtschaftlicher Freiheitsrechte erkannt, dass die Möglichkeit autonomen Handelns nicht schon mit der Einrichtung eines Systems privater Rechte gegeben und damit vom Recht allein formal garantierbar sondern an Voraussetzungen geknüpft ist, die im Wettbewerb und damit im Wirtschaftssystem erzeugt werden.178 Der Wettbewerb sorgt unter anderem für jene Disziplinierung der in den Gehäusen des subjektiven Rechts sich Durchsetzungsmacht verschaffenden voluntas, für jene relative Machtlosigkeit der Kontraktparteien also, die Voraussetzung dafür ist, dass die Vertragsfreiheit ihre koordinierende und interessenausgleichende Wirkung entfalten kann. Die Ausübungsbedingungen und die Wirkungen wirtschaftlicher Freiheitsrechte liegen nicht im Recht selbst, sondern im Wettbewerb als jenem gesellschaftlichen Ordnungszusammenhang, der aus der Ausübung von Freiheitsrechten entsteht. Es sind also »die aus der Ausübung von Handlungsfreiheiten entstehenden Kooperationsprozesse, die in ihrer Rückwirkung auf die subjektiven Rechte, und zwar als gesellschaftliche Bedingungen ihrer Ausübung berücksichtigt werden müssen«.179 Aus dieser Einsicht in die ordnungsstiftende Kraft des Wirtschaftssys177 Vgl. die Klage von Raiser, JZ 1961, 465 (468). Man muss Raisers Differenzierung zwischen (schutzwürdigen) Herrschaftsrechten und (problematischen) »bloß negativen Ausschlussrechten« nicht teilen, wohl aber anerkennen, dass er die richtige Frage stellt, wenn er nach einem »Leitprinzip für die Bildung subjektiver Rechte« sucht (467). 178 Ausführlich vgl. Wielsch, Freiheit und Funktion, 182 ff. (zum Konzept) und 94 ff. (zum rechtshistorischen Kontext der Debatte um das »Wirtschaftsrecht« zu Beginn des 20. Jahrhunderts). 179 Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235 (247). Vgl. auch ders., Mitbestimmung und Vermögensverwaltung, in: Die Sichtbare Hand des Rechts, 88 zur Erkenntnis, dass die Wirkungen freien Handelns selbst wieder zu den empirischen Bedingungen der Möglichkeit freien Handelns werden.

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tems der Verkehrs- und Konkurrenzwirtschaft ergibt sich für die Vertreter einer diesen Zusammenhang normativierenden ökonomischen Rechtstheorie die Forderung nach einer »funktionalen Bindung der Freiheitsrechte an den Wettbewerb«.180 Auf diesem Boden bewegt sich die eingangs (§ 1 I 3) vorgestellte marktfunktionale Begründung von Immaterialgüterrechten. Sie vollzieht einen konzeptionell entscheidenden Schritt, indem sie sich von einer subjektzentrierten Begründung von Schutzrechten löst und bei der Legitimation abstellt auf die gesellschaftlichen Prozesse, die darüber entscheiden, welche Wirkung von der Ausübung der Rechte des Einzelnen ausgeht. Nur im Wettbewerb um Marktvorsprünge entfaltet sich die Kreativität (»creative destruction«181) und werden die Suchprozesse effizient koordiniert. Anreiz und Belohnung für die Schaffung von neuen Immaterialgütern gehen allein vom Wettbewerbsprozess aus. Die Schutzrechte finden ihren Grund – und ihre Grenze – dann in ihrer gesellschaftlichen Funktion: den sozialen Koordinationsmechanismus Wettbewerb auch für die Organisation der gesellschaftlichen Nutzung von Immaterialgütern fruchtbar zu machen. Dieser Schritt, der zur Legitimation und Inhaltsbestimmung von Rechten auf die Leistungen und Funktionsbedingungen eines anderen Systems (Wirtschaft) Bezug nimmt, war im rechtswissenschaftlichen Denken über geistiges Eigentum lange nicht möglich. In Deutschland war unter dem Einfluss von Kohlers Lehre vom Immaterialgüterrecht die »Brücke zum Wettbewerb« früh abgebrochen worden.182 Kohlers Kritik an der schutzrechtsfeindlichen Position von Verfechtern der Gewerbefreiheit, die in der Nachahmung einen wesentlichen Impulsgeber der Industrie sahen,183 sollte die Weichen für die Diskussion in der Folgezeit in eine ganz bestimmte Richtung stellen: Vor dem Hintergrund seines Bemühens, immaterielle wirtschaftliche Güter als Gegenstand einer eigenen Kategorie von naturrechtlich abgeleiteten und positiv anzuerkennenden privaten Rechten – eben »Immaterialgüterrechten« – nachzuweisen,184 konzentriert sich Kohler ganz darauf, die »Eigenthümlichkeit des Rechtsinhaltes« der neuen Rechte anzugeben. Die Konstruktion hat ihm zufolge danach zu fragen, welches »Object« die neuen Rechte hätten und »welches die Beziehung zwischen Rechtssubject und Rechtsobject« sei. In diesem 180 181 182

Vgl. Mestmäcker, RabelsZ 60 (1996), 58 (65). Zu diesem einflussreichen Wettbewerbsmodell Schumpeters vgl. unten § 2 I. Treffend formuliert von Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz,

143. 183 Zu den Auseinandersetzungen um das Patentrecht vgl. die Nachweise bei Klippel, ZNR 4 (1982), 132 (140 Fn. 79). 184 Kohler beruft sich dabei – ganz modern – auf die Erkenntnisse der Ökonomie seiner Zeit, vgl. Kohler, Das Autorrecht, in: Jherings Jahrbücher 18 (1880), 129 (195) m. w. N. Zur weiteren Legitimation der Immaterialgüterrechte im Arbeitsbegriff vgl. Klippel, ZNR 4 (1982), 132 (150).

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Zusammenhang hält er die von den Verfechtern der Gewerbefreiheit vertretene Betrachtung der Schutzrechte als Monopole für eine leere Form, die über den Inhalt jener Rechte nichts auszusagen vermöge (»eine äußerliche Beschreibung, keine innere Charakteristik«).185 Diese Einschätzung Kohlers – vor seinem eigenen Erkenntnisinteresse durchaus nachvollziehbar – verbaut aber den Blick für die Wirkungen, die von Schutzrechten auf die Handlungsfreiheit anderer im Wettbewerb ausgehen.186 Den normativen Implikationen von Ausschließlichkeitsrechten für die Gewerbefreiheit wird nicht weiter nachgegangen. In der Folgezeit kreist die Diskussion vielmehr auf den Gleisen Kohlers allein um die richtige Deutung des »Wesens« der jeweiligen Schutzrechte. Kohlers eigene Ansicht, dass ein von der Persönlichkeit des Schöpfers gelöstes »Genussgut« Gegenstand des Schutzes sei, wird dabei von denjenigen kritisiert, die den Schutz auf die Persönlichkeit in einer ihrer Äußerungen selbst beziehen.187 Entsprechend verläuft die wesentliche Trennlinie fortan nicht mehr zwischen Immaterialgüterrecht und Gewerbefreiheit, sondern zwischen Immaterialgüterrecht und Persönlichkeitsrecht. Wenngleich diese Antithese die Diskussion in den verschiedenen Schutzrechten in je unterschiedlichem Ausmaß prägt (stark im Urheberrecht, kaum im Patentrecht, wechselnd im Markenrecht),188 kommt es durch die übergreifende Fixierung auf den Schutzgegenstand doch zu einer immer stärkeren Ausdifferenzierung der Herrschaftsrechte, ohne dass zugleich deren Verhältnis zur wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit thematisiert worden wäre.189 Durch diese Abkoppelung vom Wettbewerbsrecht ging dem Immaterialgüterrecht – gleichsam stellvertretend – der Bezug zu den durch es selbst konstituierten kollektiven Ordnungen insgesamt verloren. Zwangsläufig unterbelichtet bleibt das Verhältnis von Immaterialgüterrechten und sozialen Systemen.

185 Vgl. (zum Patentrecht) Kohler, Handbuch des deutschen Patentrechts (1900), 16 ff. (19) und 80 ff. und (zum Urheberrecht) ders., AcP 82 (1894), 141 (204) (Monopol als »formloser Nothbau«, »nur ein Wort, dem keine Spur konstruktiver Macht innewohnt«). 186 Dabei nimmt Kohler, Handbuch des deutschen Patentrechts, 81 durchaus wahr, dass es sich beim Patent um ein »Alleinbetriebsrecht« handelt und dass »während andere Ideen res communes omnium sind, so ist hier eine ausgeschieden und dem Monopolisten zur Ausbeutung allein überlassen«, leugnet dann aber jede rechtliche Relevanz der Gewerbefreiheit: »solange man uns nicht sagt, worin bei dem sog. Gewerberecht das Rechtsobject zu fi nden ist, gibt man etwas juristisch unhaltbares und konstruktiv verkehrtes«. 187 Diesen Kern der Auseinandersetzung identifiziert richtig Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 145. 188 Heftiger als alle anderen Gebiete reagiert das Urheberrecht mit dem Schulstreit zwischen »Dualismus« (Urheberrecht als reines Vermögensrecht, daneben Persönlichkeitsrecht ohne spezifischen urheberrechtlichen Gehalt) und »Monismus« (Urheberrecht als einheitliches Recht mit sowohl vermögensrechtlichen wie persönlichkeisrechtlichen Befugnissen). 189 Zur Unterscheidung von Güterschutz und Entfaltungsfreiheit, von »Habendürfen« und »Erwerbendürfen«, vgl. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 208 passim.

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Der marktfunktionale Ansatz realisiert demgegenüber im Hinblick auf eines dieser Funktionssysteme (das Wirtschaftssystem) die Einsicht, dass Eigentumsrechte nicht unverbunden neben dem Prozess stehen, an dem teilzunehmen sie ermöglichen, sondern vielmehr mit diesem abgestimmt werden müssen. Dadurch ist eine Position gewonnen, die an vielen Stellen die Korrektur von Entwicklungen erlaubt, die einer optimierten Nutzung von Immaterialgütern entgegenlaufen, weil die durch Schutzrechte vermittelte Dispositionsmöglichkeit über Information zur Wettbewerbsbeschränkung umschlägt, wenn mit ihrer Hilfe versucht wird, Hervorbringung, Nutzung und Verbreitung von Information den Marktgesetzen zu entziehen oder diese außer Kraft zu setzen.190 Wie weit man diesen Funktionalismus treibt und welche normativen Referenzen man wählt, ist eine andere Frage. Die Berücksichtigung von Systembeziehungen bedeutet nicht, einer wirtschaftspolitischen Instrumentalisierung von Schutzrechten das Wort zu reden. Das aber geschieht, wenn man das Patentrecht nur noch als »rechtlich geschützte temporäre Profitchance in einem hoheitlich manipulierten und politisch mit-verantworteten dynamischen Wettbewerb« interpretiert.191 Die naturrechtlich-spekulative Begründung der patentrechtlichen Ausschluss- und Beschränkungsmacht abzulösen, heißt nicht, sie zum bloßen Vollzugsorgan einer rechtlich zu konkretisierenden Wettbewerbspolitik machen zu müssen, indem man die patentrechtlichen Befugnisse von vornherein auf bestimmte wettbewerbspolitische Ziele hin kanalisiert und von dort her inhaltlich bestimmt denkt.192 Freilich ist es kein Zufall, dass eine solche Instrumentalisierung ausgerechnet beim Patentrecht, dem wegen des quasi nicht vorhandenen Bezugs zur Persönlichkeit des Erfinders eine

190 Vgl. Ullrich, Kartellrechtliche Aspekte des Informationszugangs, 179 und 188: Zu bestimmen ist genau jener Punkt, an dem die wettbewerbsförderliche Informationszugangsschranke zur wettbewerbshinderlichen Marktzugangsschranke potenziert wird. Wie unten gezeigt wird, treten Probleme insbesondere bei der Weiterentwicklung von Immaterialgütern und damit auf Folgemärkten auf. 191 So die Kennzeichnung bei Walz, Der Schutzinhalt des Patentrechts im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 228. 192 Das ist unvereinbar mit dem Begriff des subjektiven Rechts als »Macht« oder »Willensherrschaft« (als Kennzeichnung der Innenseite des Rechtes), wie ihn Savigny und Windscheid fassen. Angeknüpft werden kann jedoch an Iherings Begriff des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztem Interesse (zielbewusst geschütztes, mit allseitigem Klageschutz bewehrtes Interesse, dessen Wahrnehmung und Verteidigung der Initiative des Begünstigten überlassen bleibt). Dahinter steht diese allgemeinere Vorstellung: Der Zentralbegriff des subjektiven Rechts muss angepasst werden, um nicht nur in Handlungsbereichen persönlicher Selbstentfaltung, sondern auch in solchen mit größerer solidarischer Einbindung des einzelnen funktionsfähig zu bleiben. Für Walz leugnet dies nicht die zusätzliche Relevanz des Herrschaftskriteriums für dingliche Sachenrechte. Der Inhalt der verschiedenen subjektiven Rechte müsse eben von den Handlungs- und Freiheitssphären, innerhalb deren sie sich manifestieren, konkretisiert werden.

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Subjektzentrierung nicht eingemeißelt werden konnte, freie Bahn zu haben glaubt. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur Deutung von Schutzrechten als Privilegien.193 Danach sind Immaterialgüterrechte in formaler Hinsicht zwar wie sonstige subjektive Rechte negative Freiheitsrechte, die Eingriffe anderer in die Freiheitssphäre des Berechtigten verhindern sollen. Materiell handele es sich jedoch um vom Staat verliehene regelhafte Privilegien, die Freiheit anderer in erheblicher Weise einzuschränken.194 Ziel dieser konzeptionellen Verschiebung, die auf das gesteigerte Interferenzpotenzial von Immaterialgüterrechten mit der Freiheit anderer reagieren möchte, ist es letztlich, der Gesellschaft weit reichende instrumentelle Eingriffsmöglichkeiten zu erhalten und die Rechtsausübung an besondere Pflichten zu binden. Die Schutzrechtsinhaber sollen solchen Pflichten unterworfen werden, die die Erreichung des mit der Verleihung des Privilegs angestrebten Zwecks sicherstellen sollen.195 Eine solche Re-Konzeption von Schutzrechten, mit der man sich wieder der ursprünglichen historischen Vorstellung nähert, ist insofern regressiv, weil sie die mit Etablierung des subjektiven Rechts aufgegebene unmittelbare Bindung des ius an Pflichten wieder einführt. Augenscheinlich hält sie den Marktmechanismus als Mittel zur Disziplinierung subjektiver Rechte – durch den die Gesellschaft die Riskiertheit von subjektiven Rechten erst auf sich nehmen kann – auf dem Gebiet des Informationsverkehrs für grundsätzlich unzureichend. dd. Nutzungsfreiheit durch Zugangsregeln. Im geltenden Recht soll den Nutzungsinteressen Dritter dadurch Rechnung getragen werden, dass entweder der Schutzbereich mit Rücksicht darauf entsprechend konstituiert ist oder aber ausdrückliche Schrankenbestimmungen im öffentlichen Interesse getroffen sind (vgl. etwa §§ 44a ff. UrhG). Solche Vorschriften beschränken das Verbotsrecht des Schutzrechtsinhabers. Das wird deutlich an den urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen, bei denen es sich mehrheitlich um gesetzliche Li193

Wie bei Drahos, A Philosophy of Intellectual Property, 210 ff. (213 und 220). Drahos, aaO., 212, hebt besonders die »capability-inhibiting quality« von Immaterialgüterrechten hervor (»Intellectual property rights regulate access to knowledge and other kinds of capital which are foundational to the development of the capabilities of individuals. . . . intellectual property can adversely affect the use and build-up of human capital. It is precisely because of the fact that owners of abstract objects can, by virtue of that ownership, make decisions about whether or not other people will be allowed to conduct themselves in certain ways that intellectual property rights were historically thought of as, and described, as privileges.«) Über den Bezug geistigen Eigentums zur »Bildung« als Entwicklung eigener Fähigkeiten vgl. auch Schmidt, DZPhil 52 (2004), 755 (760 ff.). 195 Vgl. Drahos, 221 (»The duties exist as a means to promote the satisfaction of the goal that is the target of the privilege. Without the existence of such duties the grant of the privilege would be self-defeating and the failure to create them would be irrational.«). 194

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zenzen handelt,196 deren Wirkung darin besteht, dass der Urheber keine Unterlassung der umschriebenen Nutzungshandlungen verlangen kann. Das Gesetz bestimmt, dass sein Verbotsrecht insoweit von vornherein nicht besteht.197 Stattdessen wird ihm als Ausgleich für die hinzunehmende Nutzung durch Dritte (im Wege der Inhaltsbestimmung seiner verfassungsrechtlich als Eigentum geschützten Rechtsposition) ein Vergütungsanspruch gewährt.198 Angesichts der Vernachlässigung der Schrankenproblematik im Begründungsdiskurs erstaunt es nicht, dass auch die Rechtsnatur der positivrechtlichen Beschränkungen der Urheberrechte in der Vergangenheit kaum zum Gegenstand näherer Untersuchung geworden ist.199 Die Schrankenvorschriften ordnen an, dass Nutzungen zu bestimmten Zwecken nicht der Zustimmung des Schutzrechtsinhabers bedürfen, also erlaubnisfrei sind. Dadurch soll »schutzwürdigen Belangen der Allgemeinheit« Rechnung getragen werden. 200 Die Nutzungsbefugnisse, die dritte Nutzer dadurch erlangen, sind damit als bloße Reflexe des objektiven Rechts zu betrachten. Rechtstechnisch werden sie in Form von Einwendungen vorgebracht, die es ausschließen, die konkrete Nutzungshandlung als Eingriff gemäß § 97 UrhG anzusehen. 201 Danach dienen Schrankenvorschriften zwar dem Interesse der Nutzer, gewähren ihnen jedoch keine eigenen Rechte. 202 Eine solche Einschätzung gerät jedoch in letzter Zeit unter Rechtfertigungsdruck. Anlass ist nicht nur die generelle und rechtssystemübergreifende Tendenz zur Ausweitung von Schutzrechten durch Gesetzgeber, die die Frage aufwirft, ob Nutzer selbst über rechtlich fundierte Positionen verfügen, die gegenüber den Rechten der Urheber berücksichtigt werden müssen, sondern insbesondere auch die im Zuge der Entwicklung der Informationsgesellschaft zu beobachtende Schaffung eines »privaten«, vom staatlichen Urheberrecht unabhängigen Schutzes von Werken durch ihre Urheber mit Hilfe von technischen Schutzmaßnahmen und massenhaft verwendeten (Standard-)Nut196

Zur herrschenden Auffassung vgl. Dreier/Schulze, Vor §§ 44a ff. Rn. 11 und 14. Anzutreffen ist auch die Beschreibung, dass die Schranken eine »lex de non petendo« statuierten: kraft Gesetzes könne der Rechtsinhaber sein Verbotsrecht nicht geltend machen, vgl. Hilty, Lizenzvertragsrecht, 12 und 119. Damit verwischt jedoch der Unterschied zum (Sach-)Eigentümer des BGB, dem als Inhaber einer umfassend gedachten Rechtsposition nur Duldungspfl ichten auferlegt werden können. 198 Freilich nicht gegenüber den Nutzern direkt, sondern gegenüber den Herstellern der technischen Vervielfältigungsgeräte. Vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, Vor §§ 44a ff. Rn. 10 ff. 199 Vgl. aber jüngst Geiger, GRUR Int 2004, 815. 200 Vgl. BReg., BT-Drucks. IV/270, Einleitung, Ziff. A.II.5. 201 Vgl. nur Wiechmann, ZUM 1989, 111 (118); Schack, ZUM 2002, 497 (504). 202 Vgl. etwa WIPO Treaty, Präambel (»Gleichgewicht zwischen den Rechten der Urheber und dem allgemeinen öffentlichen Interesse, insbesondere in den Bereichen Bildung, Forschung und Zugang zu Informationen, aufrechtzuerhalten«). (Hervorhebung hinzugefügt). Dies ist die Sichtweise auch in anderen Ländern, vgl. Guibault, Copyright Limitations and Contracts, 90 ff., 107. 197

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zungsverträgen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung einer Stärkung der Position der Urheber, gegenüber der die Interessen der Nutzer ins Hintertreffen zu geraten drohen, wird vorgeschlagen, die Beschränkungen des Urheberrechts als subjektive Rechte der Nutzer zu interpretieren, jedenfalls sofern sie auf Grundrechten basieren. 203 Diese Betrachtungsweise enthält die richtige Einsicht, dass eine Vielzahl von Schranken Interessen schützen, die in den Schutzbereich von Grundrechten fallen. 204 Andererseits heißt das nicht automatisch, dass der Schutz grundrechtlicher Freiheiten gegenüber anderen Privaten ausgerechnet über die Zuerkennung einfachrechtlicher subjektiver Rechte erfolgen müsste. Es geht nicht darum, dem Rechtssystem neue subjektive Rechte als solche abzutrotzen, vielmehr muss das Ziel die effektive Gewährleistung der grundrechtlich geschützten Autonomiebereiche sein. Auch wird man nach geltendem Recht dem Schutzrechtsinhaber nicht die grundsätzliche Verpflichtung unterschieben dürfen, den begünstigten Dritten die Nutzungsmöglichkeit tatsächlich verschaffen zu müssen. 205 Eine solche Verpflichtung ist vielmehr Gegenstand einer ausdrücklichen Regelung wie etwa in § 95b UrhG, der dem von bestimmten gesetzlichen Schrankenreglungen Begünstigten gegen den Rechtsinhaber einen Anspruch darauf gibt, die zur Nutzung eines durch technische Maßnahmen geschützten Werkes notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Wichtiger aber noch ist, dass eine Kanalisierung von Nutzerfreiheiten zu Rechten dazu verleitet, die vom Begründungsdiskurs bekannte individualistische Sichtweise in die Schrankenthematik hinein zu verlängern. Das gesamte Urheberrecht wird dann nur noch wahrgenommen als strukturiert durch die Rechte von Vertretern unterschiedlicher Interessengruppen, wie der Streit um die Privatkopie besonders deutlich zeigt. Die hinter urheberrechtlichen (und patentrechtlichen) Streitigkeiten stehenden Systemrelationen und -konfl ikte bleiben so ausgeblendet. Genau auf diese wäre aber stattdessen zu fokussieren. Was das bedeutet, kann anhand eines klugen Satzes aus der Begründung des Urhebergesetzes von 1965 deutlich gemacht werden, in dem es über die Notwendigkeit von Schrankenbestimmungen heißt, dass »der Urheber insbesondere dort im Interesse der Allgemeinheit freien Zugang zu seinen Werken gewähren muss, wo dies unmittelbar zur Förderung der geistigen und kulturellen Werte dient, die ihrerseits Grundlage für sein Werkschaffen sind«. 206 Damit wird nicht nur auf die Konstitutivität sozialer Systeme und ihrer Sinnhorizonte für den individuellen Bei203

So vor allem Geiger, GRUR Int 2004, 815 (818); ders., IIC 2006, 371 (401). Dazu sogleich näher unter § 1 II 3 a. 205 Vgl. auch Schack, ZUM 2002, 497 (504) (kein Anspruch von Nutzern gegen den Urheber darauf, dass dieser sein Werk in einer Form veröffentlicht, die private Vervielfältigungen erlaubt). 206 BReg., BT-Drucks. IV/270, Vor § 45 (Hervorhebung hinzugefügt). 204

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trag des einzelnen Schaffenden hingewiesen und der Fiktion solipsistischer Urheberschaft eine Absage erteilt. Vor allem aber wird erkannt, dass zu den Funktionsvoraussetzungen dieser Systeme auch gehört, dass ausreichende Möglichkeiten zur erlaubnisfreien Nutzung bestehen. Die Kooptation von Bewusstsein zum Zweck des Aufbaus von Systemwissen – die Wissensteilung – steht auf zwei (rechts-)institutionellen Beinen: sie läuft einerseits über die Einrichtung exklusiver Verwertungsrechte, die dem Einzelnen werkbezogene Handlungsmöglichkeiten im Wirtschaftssystem verschafft (damit er die Kosten seiner qualifizierten »Partizipation« am jeweiligen Diskurssystem decken kann); die damit zugleich verbundene Bestimmungsmacht über die für die systemische Wissensteilung notwendigen Artefakte der Kommunikation (einschließlich ihrer materiellen Träger) darf jedoch die Aktualisierbarkeit des erreichten Systemwissens durch andere potenzielle Diskursteilnehmer (andere partizipationsfähige Bewusstseinssysteme) nicht so sehr beeinträchtigen, dass Weiterentwicklung und Variation im System inhibiert werden. Dazu dienen Schrankenbestimmungen im Recht: sie sollen verhindern, dass der Gebrauch von Rechten an Immaterialgütern die Grundlagen für die Produktion solcher Güter unterläuft. Indem sie das Verbotsrecht des Schutzrechtsinhabers partiell aufheben, befördern sie die nutzungsabhängigen Handlungsmöglichkeiten von anderen (und damit die Wahrscheinlichkeit für sinnvolle Anschlusskommunikationen im System). Anders formuliert: weil es kein exklusives Entscheidungsrecht (mehr) gibt, ist die Vornahme einer von der Nutzung des Werkes abhängigen Handlung von der Zustimmung des Schutzrechtsinhabers unabhängig. Insofern kommt es im Rahmen der Schrankenbestimmungen hinsichtlich der werkbezogenen Mediennutzung zu einer anderen, dezentralisierten Entscheidungsstruktur – durch die eben jene positiven Nutzungsexternalitäten realisiert werden können, deren Verhinderung zu der von der Ökonomie kritisierten Unternutzung führt. 207 Da sich die Form der Wissensteilung von System zu System unterscheidet, bedarf es – so die hier vertretene These – auch einer spezifischen Konfiguration der die Wissensteilung tragenden rechtlichen Institutionen, genauer: der rechtlichen Institutionen, mit denen die Institutionen der Wissensteilung verfasst werden. Es kommt auf eine systemspezifische Abstimmung von Ausschließlichkeitsrecht und Nutzungsfreiheit an. Diese Abstimmung erfolgt durch »Zugangsregeln«. Dieser Begriff ist abstrakter als der der Schranken im rechtstechnischen Sinne und lässt die Vorstellung subjektivrechtlicher Handlungsmöglichkeiten und ihrer gesetzesrechtlichen Einschränkung hinter sich: (1) Die Rechtstechnik der Einräumung umfassender Verwertungsrechte in Kombination mit einem enumerativen Katalog ausdrücklicher Schrankenbestimmungen ist dem Urheberrecht eigen; das sachliche Problem, neben exklu207

Vgl. oben § 1 I 4.

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siv zugewiesenen Nutzungsmöglichkeiten ausreichende Handlungsfreiheit anderer zu gewährleisten, ist jedoch bei anderen Schutzrechten strukturell vergleichbar. (2) Die Begrenzung exklusiver Verfügungsmacht braucht sich nicht bereits aus dem Immaterialgüterrecht selbst zu ergeben, sondern kann auch auf Regelungen aus anderen Rechtsgebieten (wie insbesondere dem Wettbewerbsrecht) beruhen. 208 Damit geht einher, dass die Grenzen von Schutzrechten nicht immer bereits ex ante gezogen werden können (wiewohl das aus Gründen der Rechtssicherheit wünschenswert wäre), sondern sich die Notwendigkeit zu einer Einschränkung auch erst aufgrund von konkreten Bedingungen ihrer Ausübung ergeben kann. (3) Eine weitere Engführung würde es darstellen, als Rechtsquelle für die Begrenzung exklusiver Verfügungsmacht nur das Gesetz zu betrachten, vielmehr kommt neben richterrechtlichen Schutzgrenzen auch die Normativität privatrechtlicher Verträge in Betracht. 209 Es geht nicht allein um Recht im formalen Sinne (des allgemeinen Parlamentsgesetzes), sondern um materiell-inhaltliche Regeln gleich welcher Bindungswirkung (die wie in »Fallnormen« auch spezifisch sein können). (4) Da eine Mitnutzung durch andere nicht nur durch exklusive rechtliche Verfügungsmacht verhindert werden kann, sondern auch durch technische Mittel, geht es nicht nur um die Begrenzung normativer, sondern auch faktischer Verfügungsmacht. (5) Innerhalb der normativen Konstituierung von Freiheiten geht es um einen präzisen Gegenbegriff zum Verbotsrecht des Eigentümers und den daraus folgenden exklusiven Handlungsbefugnissen. Zugang meint insofern das Fehlen einer exklusiven Zuordnung von Handlungsbefugnissen aufgrund Einschränkung des Verbotsrechts. Darauf allein kommt es aus Sicht der Wissensteilung in anderen Systemen an: inwiefern beschränkt das Recht die werk- bzw. erfindungsbezogenen Handlungsmöglichkeiten (insbesondere die Möglichkeit von Anschlussnutzungen, die zur Variation führen) zugunsten der Entscheidungskompetenz eines Einzelnen oder gibt sie frei für Dritte. Ob die rechtstechnische Einrichtung von Nutzerfreiheiten dabei über (auch ungeschriebene) Normen des objektiven Rechts läuft oder über die Gewährung eigener subjektiver Rechte der Nutzer, ist eine andere Frage. Denkbar ist, dass sich Zugangsregeln (in Verbindung mit dem Gewährleistungsgehalt von Grundrechten) unter bestimmten Umständen zu subjektiven Zugangsrechten verdichten können; solche Fälle werden die Ausnahme sein. 208 Insofern lassen sich interne und externe Begrenzungen des Immaterialgüterschutzes unterscheiden. Vgl. nur Heinemann, in: Hilty/Peukert (Hrsg.), Interessenausgleich im Urheberrecht, 207. 209 So etwa in Open Source Software-Lizenzen wie der GPL. Dazu ausführlich in § 4.

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Zugleich wird deutlich, dass sich die rechtlichen Begriffe von Gegenstand und Zugang auf gleicher Abstraktionshöhe begegnen. So wenig wie eigentumsrechtliche Befugnisse auf körperliche Gegenstände beschränkt sind, sondern vielmehr auch isolierte Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf Immaterialgüter durch ihre exklusive Zuordnung selbst zu einem Eigentumsobjekt werden können, so wenig ist der Begriff des Zugangs allein als ungehinderte tatsächliche Benutzungsmöglichkeit eines körperlichen Gegenstandes aufzufassen. Zugang kann sich auch auf einen (eigentums-)rechtlich konstituierten abstrakten Gegenstand – wie eben eine exklusiv zugeordnete Handlungsmöglichkeit in Bezug auf ein Immaterialgut – beziehen. 210 Zugang bedeutet dann (aus Sicht der Nutzer) die rechtliche Möglichkeit (Erlaubnis) zur Vornahme der immaterialgutbezogenen Handlung oder umgekehrt (aus Sicht des Rechtsinhabers) den »Ausschluss des Verbotsrechts«. 211 Da Dritte zur Mitnutzung von Immaterialgütern als solchen faktisch in der Lage sind (vorbehaltlich der soeben in (4) erwähnten privaten technischen Schutzmaßnahmen), geht es primär darum, die Nutzung ohne Verstoß gegen normative Verbote vornehmen zu dürfen. 212 Zugangsregeln können damit jene Freiheit zur Nutzung von Immaterialgütern verschaffen, die zur effektiven Wahrnehmung künstlerischer, wissenschaftlicher oder anderer Freiheiten erforderlich ist. 213 (6) Das führt auf die vielleicht am weitesten reichende Abstraktion gegenüber dem Begriff der Schrankenvorschriften. In der hier vorgeschlagenen Konzeption sollen Zugangsregeln vor allem einen Referenzwechsel herbeiführen: Anstatt wie Schranken auf der Unterscheidung Individuum/Allgemeinheit (Individual-/Allgemeininteresse) aufzubauen, operieren Zugangsregeln mit der Referenz auf soziale Systeme. In ihnen artikulieren sich die Voraussetzungen der von System zu System verschiedenen Formen der Wissensteilung. Insoweit ist der Begriff der Zugangsregel spezifischer als der der Schranken. Das Recht wird insofern systemspezifische Zugangsregeln ausbilden müssen. In diesem Sinne wird beispielsweise immer stärker die eigenständige Bedeutung von schutzrechtsbegrenzenden Regelungen für den Wettbewerb wahrgenommen. 214 Die Befristung von Schutzrechten, ihr Verbrauch nach dem Erschöpfungsgrundsatz, 215 die Schrankenbestimmungen im Urheber210 Für einen strikten Bezug des Terminus allein auf tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten aber offenbar Hoeren, in: Becker et al. (eds.), Digital Rights Management, 574 (577 ff.). 211 In diesem Sinne BVerfGE 31, 229 (244). 212 Mit der zunehmenden Verbreitung von technischen Schutzmaßnahmen (DRM-Systeme) wird freilich auch die faktische Nutzungsmöglichkeit zum Problem. 213 Nutzungsfreiheiten sind damit Teil der Gewährleistungsbedingungen der betreffenden Freiheitsgrundrechte. 214 Vgl. etwa Heide, in: Hilty/Peukert (Hrsg.), Interessenausgleich im Urheberrecht, 87. 215 So führt beispielsweise der Erschöpfungsgrundsatz im Urheberrecht (vgl. § 17 Abs. 2 UrhG) dazu, dass sich neben dem Primärmarkt für den Erstverkauf eines Buches auch Sekundärmärkte für den gewerblichen Weiterverkauf (Antiquariate) oder den privaten (eBay)

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recht, 216 Zwangslizenzen im Patentrecht, Interoperabilitäts- und Dekompilierungsbestimmungen im Softwarerecht, Zulässigkeit eines »reverse engineering«: alle diese Regelungen entscheiden auch darüber, ob und inwieweit der Schutzrechtsinhaber die Verwertung seiner Schöpfung durch gegenwärtige oder potenzielle Konkurrenten dulden muss. Aus Sicht der Ökonomie schränkt das Immaterialgüterrecht damit einerseits die wettbewerbliche Handlungsfreiheit von Marktteilnehmern in bestimmter Weise ein (Schutzrechte sollen Imitationswettbewerb verhindern), andererseits aber enthält es Bestimmungen, die wettbewerbsrelevante Handlungen anderer in Bezug auf ein und dasselbe Schutzobjekt ausdrücklich erlauben und so zum Innovationswettbewerb beitragen wollen. So betrachtet, handelt es sich bei den schutzrechtlichen Beschränkungen um Zugangsregeln, die die Art der wettbewerblichen Wissensteilung maßgeblich mitbestimmen. (7) Mit Blick auf die durch die Einführung von Schutzrechten begründete Multifunktionalität des Immaterialgüterrechts bilden Zugangsregeln jenen noch fehlenden institutionellen Grundbaustein der Rechtsverfassung der Wissensteilung. 217 Zugangsregeln vervollständigen die Systemmatrix des Immaterialgüterrechts. 3. Verfassung als Koordinationsrecht Die vorgeschlagene systembezogene Interpretation des Immaterialgüterschutzes bedarf der normativen Rückbindung an das höherrangige Recht der Verfassung, vor der sich jede einfachrechtliche Abstimmung von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit sehen lassen können muss. Das gelingt über die Verankerung der systemischen Rationalitäten in den Grundrechten. a. Zugangsregeln als Konkretisierung grundrechtlich geschützter Freiheiten Eigentumsrechte leisten die gesellschaftsweit wirkende Zuordnung von Handlungsmöglichkeiten. Damit ist einerseits gesagt, dass diese Institution des Rechts die Möglichkeiten von Wissensteilung in den verschiedenen sozialen Systemen gleichzeitig beeinflusst; sie verfügt gesellschaftsweit mit über die strukturelle Koppelungsfähigkeit von psychischen und sozialen Systemen. So wirkmächtig ein Eigentumsrecht damit ist, so leer ist die Eigentumsform andebilden, die zugangsoffen und nicht vom Rechtsinhaber kontrollierbar sind. Weiterführend zu einer ökonomischen Betrachtung des Erschöpfungsgrundsatzes etwa Ganea, GRUR Int 2005, 102. 216 Die Bedeutung der Schrankenbestimmungen für den Wettbewerb belegt die Umschreibung der Grenze für Schranken von konventionsrechtlich garantierten Ausschließlichkeitsrechten im sog. »Drei-Stufen-Test«, wonach Beschränkungen und Ausnahmen u. a. nur in dem Umfang zulässig sind, in dem sie die »normale Auswertung des Werkes« nicht beeinträchtigen. Vgl. Dreier, in: Schricker et al. (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienst der Innovation, 51 (62). 217 Vgl. oben § 1 II 2 a.

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rerseits. Sie ist immer bezogen auf die in anderen Sozialsystemen produzierten Handlungsmöglichkeiten. Die Möglichkeit zum autonomen Handeln, die durch die Eigentumsform konstituiert wird, wird immer im Rahmen anderer Systeme in Anspruch genommen, sie realisiert sich vor allem als Betätigung wirtschaftlicher Freiheit, liegt aber eben auch künstlerischer und anderer Freiheitsbetätigung zu Grunde, wie sich bei der Betrachtung der Schutzrechte gezeigt hat. 218 Aus freiheitlichem Handeln der Einzelnen entstehen kollektive Ordnungen. Diese Ordnungen, die hier als soziale Systeme beschrieben werden, strukturieren ihrerseits die Spielräume für autonomes Handeln. In den Grundrechten werden diese Möglichkeiten zu freiheitlichem Handeln normativ abgesichert. Aus der Perspektive der soziologischen Beschreibung erscheinen Grundrechte daher als soziale Institution, die ein autonomes Operieren des sozialen Systems abstützt. 219 Über die grundrechtliche Garantie von Freiheiten wird zugleich die operative Integrität sozialer Systeme geschützt. 220 Weil diese aber eben über die Autonomiespielräume des Grundrechtsträgers entscheiden, ist die Wirkung der Ausübung von Rechten auf die Operationsweise von Systemen – insbesondere durch ihren Einfluss auf die Institutionen der Wissensteilung – ein normatives Problem, das vom Recht bei der Konstituierung (Auslegung) jener Freiheiten berücksichtigt werden muss. Es ist der Zusammenhang zwischen der Funktionsfähigkeit systemischer Wissensteilung und der effektiven Gewährleistung der grundrechtlich geschützten Freiheiten, der dem Recht die systemfunktionale Interpretation des Immaterialgüterschutzes zur Aufgabe macht. Unter diesem Aspekt wird deutlich, dass das einfachgesetzliche Schema von Schutzrechten und Schrankenbestimmungen die Wahrnehmungsmöglichkeiten von grundrechtlich geschützten Freiheiten konkretisiert. 221 Die dadurch 218 Im Verfassungsrecht bildet sich diese Verwiesenheit von Eigentumsfreiheiten auf Ausübungskontexte durch das Fehlen eines »natürlichen« Schutzbereichs von Art. 14 GG wider; dieser ist vielmehr »rechtsgeprägt«. 219 Grundlegend Luhmann, Grundrechte als Institution, 23. Die Funktion der Grundrechte besteht für Luhmann nicht in der Herstellung von gesellschaftlicher Differenzierung in autonom operierenden (autopoietischen) Kommunikationssystemen, sondern in deren Erhaltung. Grundrechte schaffen nicht Medien generalisierender Kommunikation in den betreffenden Schutzbereichen, sondern setzen diese voraus und dienen lediglich dazu, die verschiedenen Generalisierungsrichtungen der Kommunikationsstruktur in ihrer Unterschiedlichkeit zu erhalten und ihre Korrumpierung durch das politische System zu verhindern. 220 Im Zusammenhang der systemischen Funktion einfachgesetzlicher subjektiver Schutzrechte siehe oben § 1 II 2 a. 221 Das ist freilich keine Besonderheit des geistigen Eigentums. Grundsätzlich gilt im Rechtsverkehr zwischen Privaten: Sofern Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten einschränken, müssen die betroffenen Grundrechte deswegen bei der Auslegung jener Vorschriften berücksichtigt werden, vgl. BGH GRUR 2006, 249 (251) – Hörfunkrechte.

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immer schon gegebene Grundrechtsrelevanz des Immaterialgüterrechts wird freilich erst seit kurzem verstärkt thematisiert. Meistens wird dann ein Spannungsverhältnis angenommen zwischen dem Schutz des geistigen Eigentums einerseits und den Grundrechten auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit andererseits. 222 Richtig ist, dass die den Schaffenden in immaterialgüterrechtlichen Gesetzen gewährten Schutzrechte in die Freiheiten anderer aus Art. 5 GG eingreifen. Diese sind jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG werden sie durch die allgemeinen Gesetze, zu denen auch das Urheberrechtsgesetz mit dem dort geregelten Schutz des Urhebers gehört, eingeschränkt. Eine solche Einschränkung ist gerechtfertigt, wenn sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet. Um dies zu gewährleisten, enthält das Urhebergesetz Schrankenbestimmungen. Sie sind gemäß der Wechselwirkungstheorie so auszulegen, dass den Grundrechten auf Meinungs- und Informationsfreiheit zur größten Wirksamkeit verholfen wird. Da der Schutz von Urheber- und anderen Immaterialgüterrechten von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst wird, 223 steht hinter dem einfachgesetzlichen Schema somit die Daueraufgabe der Kompatibilisierung verschiedener grundrechtlicher Freiheiten. 224 Jedoch bedarf die gängige Konfrontation von Art. 14 und 5 GG in der hier vertretenen systemischen Interpretation von Schutzrechten der Differenzierung. Immaterialgüterrechte beeinträchtigen nicht schon per se die von Art. 5 GG geschützten Aktivitäten. Wie beschrieben, 225 haben Schutzrechte gerade auch eine ermöglichende Funktion, weil und insofern sie die notwendigen Umwelt-Bedingungen für autonome ästhetische, wissenschaftliche und andere Formen der Kommunikation schaffen. Sofern die Ausübung von Schutzrechten als Beschränkung wahrgenommen wird, handelt es sich um Fälle, in denen dadurch die Wissensteilung innerhalb eines bestimmten Systems gestört ist, während ein richtig eingestelltes Schutzrecht gerade die systemische Wissensteilung unterstützt. Problematisch sind etwa solche Fälle, in denen die vom Schutzrecht vermittelte Handlungsfreiheit einer (oft aber nicht notwendig wirtschaftlichen) Ausübungslogik folgt, die die Autonomie der Kunst beeinträchtigt. 226 Hier realisieren sich dann die in der beschriebenen Multifunktionalität des Immaterialgüterrechts227 angelegten Spannungsverhältnisse zwi222 Für einen umfangreichen Nachweis der bisherigen Stellungnahmen vgl. Geiger, IIC 2006, 371 (390 mit Fn. 94 und 95). Siehe auch Wild, in: Schricker, UrhG, § 97 Rn. 22 (Rechtsprechung und Schrifttum hätten sich im Urheberrecht bislang schwer getan, dieses Spannungsverhältnis auszugleichen). 223 Vgl. nur BVerfGE 31, 229 (239) – Kirchen- und Schulgebrauch. 224 Auf diese Weise vollzieht die Verfassung die parallele Bedeutung von Immaterialgütern zum Wirtschaftsverkehr und anderen Diskursen rechtlich nach. 225 Vgl. oben § 1 II 2 a. 226 So lag der Fall in BVerfG, ZUM 2000, 867 – Germania 3. 227 Siehe oben § 1 II 1.

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schen unterschiedlichen Rationalitäten. Das einfache Recht wird insofern zum Austragungsort von Inter-Systemkonfl ikten, die gleichsam in das Eigentumsrecht »involuieren«. Der personale Träger des Eigentumsrecht, der so selbst zum Schnittpunkt unterschiedlicher Systeme wird, ist regelmäßig überfordert, die verschiedenen Perspektiven – seine »Rollen« in der modernen funktional differenzierten Gesellschaft – zu integrieren. Der Rechtsinhaber entscheidet eben »als Verwerter« anders als »als Künstler«. 228 Das Schutzrecht wird dann zum Durchsetzungsinstrument einer bestimmten Systemlogik zu Lasten einer anderen. Insofern bringt das Nutzungsinteresse der Nichteigentümer die Funktionsbedingungen der beeinträchtigten Umwelt des Systems zur Geltung (genauer: des Systems in der Umwelt des Systems). Die grundrechtliche Relevanz von immaterialgüterrechtlichen Handlungsbeschränkungen kann sich jedoch auch innerhalb ein und desselben sozialen Systems manifestieren. Für den Bereich des wirtschaftlichen Handelns etwa werden die dann auftretenden Probleme vom Wettbewerbsrecht registriert, das immer einen besonderen Sinn für mögliche Selbstaufhebungen von Freiheit hatte. Es erkennt die Gefahren einer »Übersteigerung des Schutzes bewahrender Rechte«. 229 Dem gegenüber müssen im Wettbewerb Güterschutz und Schutz der wirtschaftlichen Betätigung (Entfaltungsfreiheit) »den gleichen Rang haben«. 230 Im Wettbewerbsrecht bildet sich nach dieser Vorstellung jene »Zweiseitigkeit des Schutzes der Persönlichkeit« ab, die – beginnend in der Struktur des Art. 2 Abs. 1 GG – die gesamte Rechtsordnung durchziehe und die im Recht neben persönlichen Kreisen geschützter Einzelrechte einen »rechtskreisfreien Raum« verlange. 231 Verschiebt man die Referenz von »Persönlichkeit« auf »soziales System«, artikuliert sich hier die Einsicht, dass für die Funktionsfähigkeit von Systemen (die ja ihrerseits die Bedingungen für autonomes Handeln bestimmen) die Bindung von Bewusstsein über Ausschließlichkeitsrechte genauso wichtig ist wie die Kooptierung von Bewusstsein über freie Nutzungsmöglichkeiten. Damit partizipierende Bewusstseinssysteme und ihr Umweltwissen für die wettbewerbliche Wissensteilung gewonnen werden können, ist die Einrichtung exklusiver Handlungsmöglich228

Immerhin mag bei lebenden Künstlern eine solche Perspektivenübernahme noch wahrscheinlicher sein als bei ihren Erben, die in der Regel nur an einer Maximierung der Verwertung interessiert sind und ganz aus der wirtschaftlichen Perspektive heraus entscheiden. 229 So Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 208. 230 Vgl. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 209 (der diesen Gegensatz die ganze Rechtsordnung durchziehend ansieht und ihn insbesondere auch in Art. 2 Abs. 1 GG identifiziert, vgl. 217 und 309). Man müsste bei Fikentscher freilich die Referenz von »Persönlichkeit« auf »soziales System« umstellen. Dazu sogleich. 231 Vgl. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 84 f. (mit Fn. 151, wo Fikentscher explizit eine verfassungsrechtliche Erdung seiner wettbewerbsrechtlichen Überlegungen vornimmt).

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keiten erforderlich; werden jedoch zu viele Handlungsmöglichkeiten auf diese Weise Einzelnen vorbehalten, verringert sich für andere die Möglichkeit zur Generierung von (bei Gelegenheit der Handlung gewonnenem) Umweltwissen, das dann in der Wirtschaft oder in anderen Systemen mobilisiert werden könnte. 232 Im Blick auf das Immaterialgüterrecht wird dem Wettbewerbsrecht die Rückkoppelung des wettbewerblichen Funktionsmechanismus an seine psychische Umwelt besonders deutlich. Jedenfalls einem wettbewerbsrechtlichen Denken, das Wettbewerb nicht für einen naturwüchsigen Prozess, sondern für ein voraussetzungsvolles soziales Geschehen hält, ist bewusst: bei der Gewährleistung von Wettbewerb kommt »dem Prinzip der Gemeinfreiheit in der Nutzung von Wissen der gleiche Rang zu wie dem Ausschlussprinzip«. 233 Vorliegend kommt es jedoch auf die Feststellung an, dass hinter diesem vom Wettbewerbsrecht als Teil des einfachen Rechts erkannten Prinzip der Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit ein gleichrangiges Nebeneinander der Grundrechte von Eigentums- und Wettbewerbsfreiheit steht. Die Entscheidung von Fällen, in denen die durch Eigentumsrechte normativ geschützten Handlungsmöglichkeiten so eingesetzt werden, dass die Freiheit anderer zum Handeln im Wettbewerb eingeschränkt wird, muss daher im einfachen Recht eine Kompatibilisierung von Art. 14 GG einerseits und Art. 12 bzw. Art. 2 Abs. 1 GG andererseits leisten. 234 In diesem Rahmen können Zugangsregeln erforderlich werden, die eine gemeinsame Nutzung von Immaterialgütern vorsehen. 235

232 Der Vorgang der dezentralen Nutzung von Wissen über den Markt ist komplexer als man annimmt: Durch Kommunikation mit Hilfe eines systemspezifischen Mediums (Preis) und Einsatz einer standardisierten Form der Beobachtung (Markt) wird beim einzelnen psychischen System ein Wissen aktualisiert, das auf ein ganz anderes System als die Wirtschaft referiert. Dieses beispielsweise wissenschaftliche Wissen kann aber vom Bewusstsein genutzt werden, um eine »ökonomische Antwort« im Wirtschaftssystem zu geben (»Ich kann das nachgefragte Gut – aufgrund meines (überlegenen) technischen Wissens – zum (niedrigeren) Preis X herstellen«). 233 Vgl. den interessanten Passus bei Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 11 ff.: »So wichtig es ist, dass Informationen durch Ausschließlichkeitsrechte zu Wirtschaftsgütern werden, so wichtig ist der Grundsatz, dass Information als Inbegriff des in einer Gesellschaft verfügbaren Wissens ein freies Gut ist. Deshalb kommt dem Prinzip der Gemeinfreiheit in der Nutzung von Wissen der gleiche Rang zu wie dem Ausschlussprinzip.« Weil Wettbewerb auf Märkten auch freien Zugang zu Informationen voraussetze, werde es zur »Systemfrage, ob Art und Zahl der Schutzrechte mit der Funktionsfähigkeit der Märkte vereinbar sind, die sie ermöglichen sollen.« Bei dieser als »Zugangsfrage« bezeichneten Problemstellung (vgl. Rn. 13) handele es sich nicht nur um eine einfache Kosten/NutzenAbwägung. Vielmehr gehe es »um die Prozesse, die in einer Gesellschaft über die Funktion und die Nutzung von Wissen entscheiden.« (Rn. 12) (Hervorhebungen hinzugefügt). 234 Vgl. noch einmal Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 84, nach dem die Abwägung zwischen Eigentum und Wettbewerbsfreiheit im Wirtschaftsrecht (sic!) »eine Art der Verfassungsauslegung« ist. 235 Insbesondere bei solchen, die Infrastruktureigenschaft zeigen, vgl. § 2 II 3.

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Gleichviel, ob nun die eigentumsrechtlich geschützte Inanspruchnahme von Handlungsmöglichkeiten in einem System 236 die Freiheit anderer zur Handlung in demselben oder in einem anderen System beschränkt, stets gilt es bei der rechtlichen Entscheidung solcher Fälle die Koordinationsfunktion der staatlichen Verfassung zu beachten: Nirgendwo sonst in der Rechtsordnung wird verbindlich festgelegt, dass unterschiedlichen Normativitäten grundsätzlich der gleiche Rang zukommt. 237 Natürlich muss die Verfassung Kollisionsregeln vorhalten, die eine praktische Entscheidung von Fällen erlauben, in denen verschiedene Normativitäten über ein und denselben Sachverhalt miteinander in Konflikt geraten. Auch wenn daher im Ergebnis immer die eine zugunsten der anderen Freiheit (Autonomiebereiche) eingeschränkt werden wird, wird die Entscheidungsfindung von der Prämisse strukturiert, dass keiner der erhobenen Geltungsansprüche von vornherein gegenüber den anderen ausgezeichnet ist. Deswegen steht die Entscheidungsfindung unter dem Gebot der praktischen Konkordanz, wonach auch die zurücktretende Freiheit weitestmöglich zur Geltung zu bringen ist. 238 Wird die effektive Inanspruchnahme der einen Freiheit durch die Ausübung eines Eigentumsrechts (die sich ihrerseits als autonomes Handeln in einem sozialen System darstellt) behindert, so kommt also im Ausgangspunkt dem Interesse des Eigentümers an der exklusiven Wahrnehmung der Handlungsmöglichkeit der gleiche Stellenwert zu wie den Zugangs- bzw. Nutzungsinteressen der Nichteigentümer. 239 Das gleichrangige Nebeneinander der grundrechtlichen Gestaltungs- und Schutzaufträge »übersetzt« sich daher in eine (so normativ begründete) Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit.240 Sie ist Ausdruck des speziell vom Urheberrecht verlangten Ausgleichs von Eigentumsfreiheit einerseits und Informationsfreiheit andererseits. 241 236 Zu beachten ist also, dass die Geltendmachung eines Schutzrechts nicht einfach die Ausübung einer abstrakten »Eigentumsfreiheit« ist, sondern Handeln in einem bestimmten System darstellt. 237 Ähnlich auch Geiger, IIC 2006, 371 (386). 238 Hier liegt die Bedeutung der Arbeiten von Konrad Hesse. Es gilt zu beachten, dass mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht das gänzliche Verschwinden einer Normativität begründet werden kann. 239 Der Hinweis mag trivial erscheinen: Die Begünstigung durch Zugangsregeln ist nicht an eine Eigentümerstellung gekoppelt, wie dies aber etwa bei § 906 BGB der Fall ist, wo der Grund für die Anordnung einer Duldungspfl icht ein konkurrierendes fremdes Eigentumsrecht und damit Herrschaftsrecht ist. Dieser Satz ist Ausdruck der normativen Gleichrangigkeit verschiedener grundrechtlicher Freiheitsrechte. 240 Genau das ist auch gemeint, wenn in der angelsächsischen Rechtswelt davon gesprochen wird, Intellectual Property Law müsse eine »balance« verkörpern. Dazu schon oben § 1 I 4. 241 So fordert etwa Macciacchini, UFITA 2000, 683 (686), die Beachtung der Gleichrangigkeit der Eigentumsgarantie und der Meinungsfreiheit im gesamten Urheberrecht einschließlich seiner spezifischen Auslegungsregeln. Vgl. auch Geiger, GRUR Int. 2004, 815

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§ 1 Rechtfertigung und Grenzen der Schaffung von Immaterialgüterrechten

Hinter dem Immaterialgüterrecht steht die Aufgabe der Kompatibilisierung der Schutzrechte mit grundrechtlichen Freiheiten. Einfachrechtliche Zugangsregeln entscheiden über das Ergebnis dieser Kompatibilisierung. Sie konkretisieren damit grundrechtlich geschützte Freiheiten. b. Artikel 14 Abs. 2 GG als Kompatibilisierungsnorm Welche Maßstäbe lassen sich der Verfassung für die Aufgabe der Kompatibilisierung entnehmen? Die Verfassung kennt keinen naturrechtlichen Eigentumsbegriff. Ein solcher mag hilfreich sein zur Herausarbeitung des Inhaltes von Eigentumsrechten, wie sie Gesetzgebung und Dogmatik vor Erlass des Grundgesetzes zu Grunde gelegt haben. Unter seiner Geltung jedoch, so hat das Bundesverfassungsgericht ausgerechnet in einer urheberrechtsbezogenen Entscheidung klargestellt, »[gibt] es keinen vorgegebenen und absoluten Begriff des Eigentums und Inhalt und Funktion des Eigentums [sind] der Anpassung an die gesellschaftlichen Bedürfnisse fähig und bedürftig«. 242 Die Bestimmung der Reichweite des Eigentums ist nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers. Hierbei hat er die durch das Eigentum geschützten Individualinteressen mit den Belangen der Gemeinschaft in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Er muss einerseits den Zweck des Eigentums berücksichtigen, dem Berechtigten einen (gegenstandsbezogenen) Freiheitsraum für eigenverantwortliche Betätigung abzusichern. Eigentum soll in der Hand des Rechtsträgers die Grundlage privater Initiative und im privaten Interesse von Nutzen sein. Andererseits muss sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Befugnisse und Pflichten, die den Inhalt des Rechts ausmachen, »mit allen anderen Verfassungsnormen in Einklang halten«243 und hat das Eigentum so auszugestalten, dass sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dient (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG). Der Umfang dieser dem Eigentümer von der Verfassung zugemuteten Sozialbindung hängt wesentlich davon ab, »ob und in welchem Ausmaß das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht«. 244 Je stärker dieser Bezug ist, umso weiter ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung. 245 Speziell mit Blick auf das Urheberrecht sieht das Bundesverfassungsgericht diesen sozialen Bezug insbesondere darin, dass das geschützte Werk mit seiner Publika(817), der davon spricht, dass sich bei der Urhebergesetzgebung die Positionen der Urheber und Nutzer »gleichwertig« gegenüberstünden. 242 BVerfGE 31, 229 (240) – Kirchen- und Schulgebrauch. Wie angesichts dieser Formulierung davon gesprochen werden kann, Art. 14 GG erfasse das geistige Eigentum »als naturrechtlich geprägten Begriff« (so Wandtke, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, Einl Rn. 26), ist nicht ersichtlich. 243 BVerfGE 31, 229 (240) – Kirchen- und Schulgebrauch. 244 BVerfGE 37, 132 (140) – Vergleichsmiete I. 245 Grundlegend zu dieser Relation vgl. BVerfGE 42, 263 (294) – Contergan.

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tion »in den sozialen Raum [tritt] und damit zu einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden [kann]«. 246 Diesen Wirkungszusammenhang hatte bereits Kohler erkannt und auf den Punkt gebracht: »Wenn nun aber das im Einzelrecht stehende Autorgut mit dem Momente, wo es seine reguläre Benützung findet, auch Wirkungen außerhalb der Sphäre des Einzellebens ausübt, wenn es über das Genußgebiet des Einzelnen hinaus gewisse Einflüsse in alle Gesellschaftsschichten trägt, so beruht dies auf der eminent sozialen Natur des Autorgutes, welches, wenn auch nur von einem Einzelnen privatrechtlich genossen, sofort gewisse Refl exwirkungen in die ganze Kulturwelt sendet.«247 Insofern schlägt sich nieder, dass das Urhebergut – im Unterschied zu den Gegenständen des Sacheigentums – »Mitteilungsgut« ist, das in »seinem Gedanken- oder Gefühlsinhalt möglichst vielen anderen Menschen zugänglich gemacht werden« soll. 248 Diese Wirkung verstärkt sich mit zunehmender Verbreitung: das geschützte Werk »löst sich mit der Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit und wird geistiges und kulturelles Allgemeingut«. 249 Über diese Kennzeichnung des sozialen Bezuges einer bestimmten Form des Eigentums hinaus – Analysen der sozialen Funktion finden sich auch für andere Eigentumsgegenstände 250 – hat das Bundesverfassungsgericht versucht, eine allgemeine Formel für die Bestimmung des sozialen Bezuges zu finden. Jedenfalls seit der Mitbestimmungs-Entscheidung hält es insofern für maßgebend, »dass Nutzung und Verfügung . . . nicht lediglich innerhalb der Sphäre des Eigentümers bleiben, sondern Belange anderer Rechtsgenossen berühren, die auf die Nutzung des Eigentumsobjekts angewiesen sind«. 251 Unter dieser Voraus246

BVerfGE 31, 229 (242); 49, 382 (394). Kohler, Jherings Jahrbücher 18 (1880), 129 (168 f.) (Hervorhebungen hinzugefügt). Und er setzt fort: »Diese Reflexwirkungen sind aber gerade die soziale Seite des Rechts, sie sind die Verbindungsstränge, mit welchen der Einzelne untrennbar an die Allgemeinheit geknüpft ist.« (170) Kohler bringt diesen Aspekt der Immaterialgüterrechte ausdrücklich mit Jherings Theorie der Reflexwirkungen in Verbindung. Jhering selbst versteht darunter die »Rückwirkung, welche eine rechtliche oder ökonomische Thatsache über ihre eigentliche, durch das Gesetz oder die Absicht des Handelnden oder Berechtigten gesetzte Wirkungssphäre hinaus für dritte Personen äußert«, vgl. Jherings Jahrbücher 10 (1871), 245 (248). 248 Das erkennt zutreffend bereits der Entwurf des Urhebergesetzes von 1965, Vor § 45. 249 BVerfGE 58, 137 (148 f.); GRUR 1989, 193 (196); ZUM 2000, 867 (869). Es wirkt, als habe das Gericht hier von Kohler abgeschrieben, bei dem es von den Autorrechtsgütern heißt: »dass sie mit der Zeit . . . in das Fleisch und Blut der betheiligten Kreise eindringen und zu Elementen des allgemeinen Kulturlebens werden; und dies ist nicht eine Zufälligkeit, dies ist ihr Zweck, ihre Bestimmung; die geistige Errungenschaft des Einzelnen soll Gemeingut Aller werden, die Schöpfungen des Einzelnen sollen sich wie Ströme im Ocean des allgemeinen Kulturlebens vereinigen und verlieren.« Kohler, Jherings Jahrbücher 18 (1880), 129 (175 f.) 250 Übersicht etwa bei Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 112 ff. 251 BVerfGE 50, 290 (340 f.) – Mitbestimmung. Vgl. bereits zuvor BVerfGE 37, 132 (140) – Vergleichsmiete I. 247

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setzung umfasse die Gemeinwohlverpfl ichtung »das Gebot der Rücksichtnahme auf den Nichteigentümer, der seinerseits der Nutzung des Eigentumsobjekts zu seiner Freiheitssicherung . . . bedarf«. Damit verweist das Merkmal der Angewiesenheit und folglich Art. 14 Abs. 2 GG zurück auf die grundrechtlich geschützten Freiheiten der Nichteigentümer. 252 Bei diesen ist gleichsam normative Erkundigung darüber einzuholen, inwieweit – durch staatliche, den Eigentumsgebrauch begrenzende Regelungen – für den effektiven Gebrauch der einschlägigen Freiheiten zu sorgen ist. Die Grundrechte werden in ihrer Schutzgebotsfunktion befragt (Grundrechtsvoraussetzungsschutz). 253 Die Konkretisierung der Angewiesenheit hat also unter Rückbindung an die von dem Eigentumsgebrauch durch den Rechtsinhaber 252 Ähnlich die Argumentation bei Papier, Die Regelung von Durchleitungsrechten, 27 f., wo es heißt, der vom Gebot des Art. 14 Abs. 2 GG verpfl ichtete Gesetzgeber sei auch gehalten, die Belange der Privaten untereinander sachgerecht gegeneinander abzugrenzen, anderenfalls es eine eigentumsbeschränkende Privatrechtsgesetzgebung von Verfassungs wegen gar nicht geben könnte. Bei einer solchen Gesetzgebung – Papier untersucht konkret energierechtliche Durchleitungsregelungen zu Lasten der Inhaber von Versorgungsnetzen (§ 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 GWB a. F.) – werde die Frage bedeutsam, ob es »nicht zugleich auch um eine – angemessene – Geltendmachung grundrechtlich geschützter Positionen des Durchleitungspetenten geht«. Papier bejaht dies jedenfalls für Fälle, in denen die Petenten durch staatlich veranlasste Wettbewerbsausschlüsse (§ 103 Abs. 1 GWB) in ihrer Wettbewerbsfreiheit beeinträchtigt seien und der Gesetzgeber daher aufgrund des Übermaßverbotes und des Erforderlichkeitsprinzips zu einem »Abbau bestehender Grundrechtsbeschränkungen« sogar verpfl ichtet sei. Eine unmittelbare Übertragung dieses Begründungsansatzes auf den Bereich des geistigen Eigentums scheidet aus. Denn die Annahme, durch die gesetzliche Schaffung eines Schutzrechts würde in die Wettbewerbsfreiheit der Nichteigentümer eingegriffen, würde einen Rückfall in die Sicht von Immaterialgüterrechten als (wirtschaftliche) Monopole darstellen. Allerdings dienen die Grundrechte nicht allein der Abwehr von Eingriffen, sondern besitzen auch die Funktion von Schutzgeboten, und genau in dieser Funktion sind die Grundrechte der Nichteigentümer vorliegend einschlägig, wie sogleich näher zu zeigen ist 253 Die Relevanz dieser Grundrechtsfunktion für den Privatrechtsverkehr ist jedenfalls seit der Bürgschaftsentscheidung in BVerfGE 89, 214 fest etabliert. Vgl. aber auch BVerfGE 103, 89 – Ehevertrag; BVerfG NJW 2005, 2363 und 2376 – Lebensversicherungsvertrag. Zum normativen Gehalt der Grundrechte hinsichtlich der Sicherung der Funktionsfähigkeit von gesellschaftlichen Autonomiebereichen vgl. Hoffmann-Riem, in: FS R. Schmidt, 447 (450 und 457). – Ein Rückgriff auf die Figur der »Drittwirkung« von Grundrechten wird vorliegend bewusst vermieden, da bereits der Begriff mit Unklarheiten belastet ist (vgl. etwa die Kritik bei Canaris, in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 29 (32 ff.) und aus privatrechtlicher Sicht noch immer keine dogmatisch überzeugende Operationalisierung vorliegt. Dem gegenüber ist die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte im Verhältnis zwischen Privatrechtssubjekten klar bestimmt: gewährleistet werden muss die tatsächliche Wahrnehmbarkeit der grundrechtlichen Freiheiten (vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 75). Zu den Kriterien, die eine Schutzpfl icht auszulösen vermögen, zählt insbesondere die »Angewiesenheit« des Grundrechtsträgers auf die Nutzung eines eigentumsrechtlich geschützen Gegenstandes (vgl. Canaris, aaO., 78). Eine davon verschiedene Frage ist es, ob die Annahme einer Schutzpfl icht und damit eine Pfl icht zur Statuierung einer Regel zugunsten der Nichteigentümer anders als bei einer »eingreifenden Normsetzung« unter einer erhöhten Legitimations- und Begründungslast steht, wie Canaris annimmt.

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betroffenen Freiheiten der Nichteigentümer zu erfolgen. Auf diese Weise übernimmt Art. 14 Abs. 2 GG die Funktion einer Kompatibilisierungsnorm, die den Vorbehalt von geschützten Handlungsmöglichkeiten zugunsten des Eigentümers mit der grundrechtlichen Verbürgung effektiver Freiheit der Nichteigentümer in den betroffenen Schutzbereichen relationiert. Dieser Anschluss des Angewiesenheitsmerkmals an die grundrechtlich geschützten Freiheiten der Nichteigentümer erlaubt gemäß den Überlegungen des vorangegangen Abschnitts zugleich die Perspektivierung jenes Merkmals auf die sozialen Systeme, die aus der Inanspruchnahme jener Freiheiten entstehen. Da sie über die effektiven Handlungsmöglichkeiten der in einer bestimmten Weise interagierenden Individuen entscheiden, liegt die Bejahung eines Angewiesenheitsverhältnisses insbesondere dort nahe, wo die Funktionsfähigkeit zentraler Institutionen der Wissensteilung im jeweiligen System gefährdet ist. 254 Durch eine solche ent-individualisierte »systembezogene« Interpretation des Angewiesenheitsmerkmals werden gesellschaftlich relevante Gefährdungslagen sichtbar. 255 So entscheidet etwa über die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer nun einmal der Zustand des Wettbewerbs auf dem entsprechenden Markt. Tatsächlich ist im Kartellrecht die systemische Sichtweise vergleichsweise stark entwickelt. Nach verbreiteter Auffassung wird der Wettbewerb als Institution geschützt und die Wettbewerbsfreiheit einzelner Marktbeteiligter nur um dieser Institution willen. 256 Maßgebend ist danach, ob der Wettbewerb 254 Das ist der Grund, warum Institutionen geschützt werden. »Individualschutz« fi ndet durch »Institutionenschutz« statt. Vgl. etwa Busche, Kontrahierungszwang, 393 f. (Mit dem Schutz der Institution verbinde sich regelmäßig auch ein Schutz der im Rahmen der Institution handelnden Rechtssubjekte.) Die entscheidende Frage ist freilich, ob Individualschutz an Institutionenschutz gekoppelt ist und nur durch Institutionenschutz stattfi nden soll. Wie sogleich auszuführen ist, beherrscht eine solche Sichtweise das Kartellrecht. Es beschränkt Individualschutz auf Fälle, in denen die Individualinteressen mit dem institutionellen Wettbewerbsschutz übereinstimmen. Konsequent ist dann nicht mehr nach subjektiven Rechten im Kartellrecht zu suchen, sondern die Frage muss lauten, wen das Kartellrecht um des Wettbewerbs willen in die Pfl icht nimmt und wem es um des Wettbewerbs willen Abwehrund Schadensersatzrecht zuteilt, vgl. K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (188). 255 Es geht also nicht um mehr oder weniger zufällige Einzelfälle von individueller Angewiesenheit. In diese Richtung (wenn auch nicht unter systemischer Referenz) auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 60 f., wenn er fordert, dass die Einschränkung der Ausübung des betreffenden Grundrechts »strukturell in weiten Bereichen aufgrund der typischen Gegebenheiten dieser Problemkonstellation« vorliegen muss. 256 Vgl. K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (188); Busche, Kontrahierungszwang, 314; beide m. w. N. Freilich bleibt die Frage, ob der Institutionenschutz gegenüber der individuellen Wettbewerbsfreiheit verselbständigt werden darf. Dagegen nachdrücklich Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 78 ff. (81 ff.), für den der Schutz des Wettbewerbs als Institution identisch ist mit dem Schutz der auf Wettbewerbsfreiheit gegründeten Wettbewerbsordnung. Verhindert werden soll, dass Wettbewerbsfreiheit als subjektives Recht auf bestimmte Wirkungen ihrer Ausübung inhaltlich festgelegt und Wettbewerb beliebigen (insbesondere strukturpolitisch motivierten) Eingriffen ausgesetzt wird. Vielmehr sollen nur solche Rege-

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(und nicht einzelne Wettbewerber) mit Hilfe der Kompetenzen eines Eigentumsrechts beeinträchtigt wird. Ist das der Fall, kann das Kartellrecht Zugangsregeln statuieren. Dabei richtet sich das Kartellrecht – und das ist entscheidend – nach systemspezifischen Kriterien, indem es prüft, ob die Verweigerung des Zugangs zu einem geschützten Produkt gleichbedeutend mit der Blockierung des Zugangs zu einem Markt ist. Bildet man das verfassungsrechtlich ab, so zeigt sich, dass das Kartellrecht die Schutzpflicht zugunsten der Wettbewerbsfreiheit der Nichteigentümer gerade durch den Schutz des Marktzugangs umsetzt. Daraus erhellt: Zugangsregeln suchen die Voraussetzungen für eine effektive Gewährleistung grundrechtlicher Freiheiten in der (Privatrechts-) Gesellschaft zu schaffen. Sie heben das Verbotsrecht des Eigentümers in Konstellationen auf, in denen Nichteigentümer zur effektiven Inanspruchnahme der ihnen grundrechtlich verbürgten Freiheiten auf Handlungsmöglichkeiten angewiesen sind, die die Rechtsordnung exklusiv dem Eigentümer zugewiesen hat. Als Umsetzung grundrechtlicher Schutzgebote ist die Formulierung von Zugangsregeln zunächst Sache des Gesetzgebers, geht dann aber im Zuge dynamischer Rechtsanwendung auf die Rechtsprechung über. 257 Materiell-inhaltlich sind die spezifischen Funktionsbedingungen der Wissensteilung in den betroffenen sozialen Systemen zu berücksichtigen, welche unterschiedliche Grade der Öffentlichkeit von Gütern bzw. Handlungsmöglichkeiten verlangen und entsprechend die Kriterien für die Annahme von Angewiesenheit je unterschiedlich ausfallen lassen. Im Wirtschaftssystem kommt es auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsmechanismus an. Dieser ist etwa dann gestört, wenn die Ausübung des Eigentumsrechts den Zugang zu Märkten behindert. In der Regel wird das nicht der Fall sein, da andere Marktteilnehmer auf Alternativen zum geschützten (Vor-)Produkt ausweichen können oder ihnen die Entwicklung geeigneter Alternativen möglich und zumutbar ist. Der immaterialgüterrechtliche Gesetzgeber muss deshalb von vornherein ein informationsökonomisch angemessenes Konzept für den jeweiligen Sachbereich bestimmen und die Relungen legitim sein, deren Muster anhand des Wettbewerbsprozesses selbst ermittelt wird und die die Voraussetzungen zu erhalten suchen, unter denen die Ausübung subjektiver Rechte mit den gleichen Rechten anderer vereinbar bleibt. Das kann – wie in aller Deutlichkeit ausgesprochen wird – erforderlich machen, dass »die in der privatrechtlichen Tradition als absolut geltenden subjektiven Rechte, insbesondere das Privateigentum, mit Hilfe der Institutionalisierung relativiert [werden]« – solange dies nur eben unter Respektierung der normierten Funktion des subjektiven Rechts geschieht. 257 Vgl. BVerfGE 88, 203 (254) (»Art und Umfang des Schutzes im einzelnen zu bestimmen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Die Verfassung gibt den Schutz als Ziel vor, nicht aber seine Ausgestaltung im Einzelnen.«). Dort auch zur Gewährleistung eines Mindestschutzes durch das Untermaßverbot, über das der Gesetzgeber freilich in der Regel hinausgehen wird.

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gelungen so treffen, dass marktzugangsrelevante Angewiesenheit gar nicht erst entstehen kann. Neben allgemein wettbewerbserheblichen Vorschriften und Grundsätzen des Immaterialgüterrechts (wie etwa dem Erschöpfungsgrundsatz) können dazu auch Spezialregelungen erforderlich sein (wie etwa die Dekompilierungsvorschrift des § 69e UrhG für Computerprogramme). Dennoch kann sich eine Angewiesenheit auf Mitnutzung ex post im Zuge der Marktentwicklung ergeben, etwa wenn ökonomische Netzwerkeffekte auftreten. In bestimmten Zweigen der Informationsindustrie stellen sich solche Effekte aufgrund ökonomischer Gesetzmäßigkeiten fast zwangsläufig ein (so etwa auf Märkten für Betriebssystem-Software oder für Mobilfunkdienstleistungen). Und wenn sie auftreten, werden sie zudem kaum territorial begrenzt, sondern vielmehr global sein. In Konstellationen wie den geschilderten muss das für den Schutz von Märkten zuständige Kartellrecht prüfen, ob es das Verbotsrecht des Eigentümers solcher Produkte einschränkt, um den Wettbewerb auf den relevanten Märkten und damit die Wissensteilung in der Wirtschaft intakt zu halten. Ob in Form von immaterialgüterrechtlichen Schrankenbestimmungen oder in Form einer kartellrechtlichen Verpflichtung des Schutzrechtsinhabers: in beiden Fällen lässt sich von »wettbewerbsspezifischen Zugangsregeln« sprechen. 258 Im Wissenschaftssystem sind nicht nur die Regeln des wissenschaftlichen Diskurses für die Verbreitung und den Austausch von vorhandenen Informationen und Wissensfragmenten zu beachten, sondern auch die Möglichkeiten zur Erzeugung von Informationen und neuem Wissen durch die Nutzung von Forschungswerkzeugen. Betroffen ist also zum einen der Zugang zu den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung. Wie für jede andere Form der Kommunikation auch spielt hier das Urheberrecht deswegen eine wichtige Rolle, weil es über die materiellen Voraussetzungen für Kommunikation bestimmt. 259 Aufgrund der spezifischen Angewiesenheit des Wissenschaftsdiskurses auf eine schnelle Verbreitung überhaupt 260 oder der Rezeption gerade eines ganz bestimmten (für die Entwicklung der Disziplin zentralen, paradigmabildenden) Ergebnisses besteht jedoch ein Bedarf an besonderen Regelungen, die einen privilegierten Zugang zu fachspezifischen Informationen gewähren (vgl. etwa § 52a Abs. 1 Nr. 2 UrhG). Da in vielen Fächern der Wissenschaft inzwischen Informationen nur noch auf elektronischem Wege verbreitet werden, entstehen schnell Abhängigkeiten, die – wenn die eingeschalteten Informationsbroker prohibitive Nutzungsbedingungen erzwingen – schnell zu einer Be-

258

Ausführlich unter § 3. Vgl. oben § 1 II 1. 260 Die Methode der Vorabpublikation in Form von »papers« ist Ausdruck einer nichtstaatlichen »privaten« Regelung innerhalb der wissenschaftlichen Community. 259

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einträchtigung des Informationsflusses in der Wissenschaft führen können. 261 Aber auch die Erzeugung neuen Wissens aufgrund von Forschung und Experimenten verlangt nach besonderen Regelungen für die Nutzung von geschützten Immaterialgütern (vgl. etwa das »Forschungsprivileg« in § 11 Nr. 2 PatG). 262 Sowohl für die Verbreitung vorhandenen wie für die Erzeugung neuen Wissens bedarf es demnach »wissenschaftsspezifischer Zugangsregeln«. Für das Kunstsystem wiederum ist es bedeutsam, dass die Schaffenden in einen künstlerischen Dialog und Schaffensprozess zu vorhandenen Werken treten können, der autonomen »selbstgesetzten« Regeln zu folgen in der Lage ist. 263 Zur Formulierung der eigenen künstlerischen Aussage kann der Schaffende dabei auf die Inkorporation wesentlicher Teile eines ganz bestimmten geschützten Werkes angewiesen sein. Neben der Erlaubnis zum Zitat kleinerer Passagen aus einem Sprachwerk (vgl. § 51 Nr. 2 UrhG), die der für das Kunstsystem ebenfalls wichtigen Institution der Kritik dient, kann deshalb auch das Bedürfnis nach einer umfangreicheren Verwendung eines bestimmten Textes entstehen. In einem solchen Fall gebietet das Grundrecht der Kunstfreiheit, die das Verbotsrecht des Urhebers einschränkende Vorschrift des § 51 Nr. 2 UrhG entsprechend weit auszulegen: »Die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geforderte kunstspezifi sche Betrachtung verlangt, bei der Auslegung und Anwendung des § 51 Nr. 2 UrhG die innere Verbindung der zitierten Stellen mit den Gedanken und Überlegungen des Zitierenden über die bloße Belegfunktion hinaus auch als Mittel künstlerischen Ausdrucks und künstlerischer Gestaltung anzuerkennen und damit dieser Vorschrift für Kunstwerke zu einem Anwendungsbereich zu verhelfen, der weiter ist als bei anderen, nichtkünstlerischen Sprachwerken.«264 Hier fertigt das Bundesverfassungsgericht nichts anderes als eine »kunstspezifische Zugangsregel«. Und diese folgt ganz anderen Kriterien als denen, die bei einer Marktbetrachtung anzustellen sind. Während es aus wettbewerbsrechtlicher Sicht immer zu ermitteln gilt, ob es vergleichbare alternative Produkte zum geschützten gibt, geht es beim Zitieren im Rahmen des künstlerisch-literarischen Prozesses von vornherein um ein Referieren gerade auf ganz bestimmte Produkte in ihrer Eigentümlichkeit. In diesem Sinne lässt sich das einfache Recht im Allgemeinen und die einfachrechtlichen Zugangsregeln im Besonderen als Verwirklichung der Schutzgebotsfunktion der Grundrechte verstehen. 265 Nach der hier vertretenen Auf261 Eindrücklich zu den Gefahren restriktiver Zugangsbedingungen für die Wissenschaft vgl. Hilty, GRUR Int 2006, 179 ff. 262 Zur Problematik des Zugangs zu patentierten Forschungswerkzeugen in der Biotechnologie vgl. etwa Holzapfel, GRUR 2006, 11 ff. 263 Zur Kunst als eigenem Funktionssystem in der Gesellschaft vgl. Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, und den Überblick bei Graber, Zwischen Geist und Geld, 78 ff. 264 BVerfG, ZUM 2000, 867 (869) – Germania 3. 265 Zum Verhältnis zwischen Grundrechten und einfachem Recht grundsätzlich ebenso Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 82, der freilich überwiegend Konstellationen be-

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fassung hat dies über die »richtige« rechtliche Verfassung der für das Operieren sozialer Systeme zentralen Institutionen zu geschehen, weil diese über die tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen entscheiden. Die Umsetzung dieses Auftrags kann jedoch Defizite aufweisen, weil und insofern aus Sicht der Verfassung »Schutzlücken« – im vorliegenden Kontext besser »Ermöglichungslücken« – bestehen, die eine effektive Ausübung der grundrechtlich geschützten Freiheit nicht zulassen. So kann das Recht konfrontiert sein mit grundrechtsrelevanten Lücken in den Schrankenkatalogen auf der einen und dem Fehlen einer Generalklausel (wie »fair use«) auf der anderen Seite. Hier verlangt die dirigierende Kraft der Verfassung als lex superior, dass das einfache Recht entsprechend grundrechtskonform ausgelegt oder fortgebildet werden muss, 266 wie am eben erwähnten Fall der kunstspezifischen Auslegung der Zitierfreiheit deutlich wurde. 267, 268 Ziel ist es dabei, jene Rechtsverfassung der systemischen Wissensteilung gezielt um eine Regel zu ergänzen, die die Freiheit von Nichteigentümern um eine bestimmte Handlungs- bzw. Nutzungsmöglichkeit erweitert, und zwar um eine solche, auf die eine funktionierende Wissensteilung im System »angewiesen« ist. Das ist keine willkürliche Inpflichtnahme des Schutzrechts zugunsten irgendeines Allgemeinwohlzweckes. Vielmehr verschafft sich hier die Besonderheit der geschützten Werke Geltung, als qualifizierte Kommunikationen sich in ihrer Entstehung selbst der freien Aktualisierbarkeit systemischen Wissens durch ihren Schöpfer zu verdanken und von der Zulassung von Nutzungsexternalitäten profitiert zu haben. Es ist die Kunst der Regelbildung, dem Eigentümer die Verfügung über Externalitäten so gezielt zu entziehen und sie der Nutzeröffentlichkeit zuzuspielen, »wo dies unmittelbar der Förderung der geistigen und kulturellen Werte dient, die ihrerseits Grundlage für sein Werkschaffen sind«. In der Tat trachtet, in denen es um die Abschirmung grundrechtsrelevanter Positionen gegen die Störung durch Dritte geht. Vorliegend hingegen geht es gerade um die Ermöglichung grundrechtlich geschützter Freiheit durch die Inpfl ichtnahme eines anderen Privaten. Dieser Fall kommt bei Canaris aber immerhin vor bei der Diskussion um die Befugnis zur Anbringung von Parabolantennen durch Mieter (ebd., 60 und 78). 266 Zum verfassungsrechtlichen Fortbildungsauftrag für das Zivilrecht vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 81 ff. (anhand der deutschen Grundrechte) und ders., in: Bauer et al. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, 29 (49 ff.) (anhand der europäischen Grundfreiheiten). 267 Zu Entscheidungen aus dem Ausland vgl. die Nachweise bei Geiger, IIC 35 (2004), 277 (»there have been a number of decisions in the field of copyright in which the freedom of expression has been invoked to justify a use that is not covered by an exception provided for in the law«): Paris Court of Appeals, GRUR Int. 2002, 329, und Austrian Supreme Court, GRUR Int. 2002, 341. 268 Der Rechtsfortbildung wird im Falle von zu weit gefassten Eigentumsrechten nicht in der Weise Respekt vor einem selbstregulierenden gesellschaftlichen Prozess abgefordert wie bei Eingriffen in die Vertragsautonomie. Steht dort bei unüberlegten paternalistischen Korrekturen der Vertragsmechanismus als Verfahren der (Austausch-)Gerechtigkeit auf dem Spiel, soll hier gerade die Integrität eines Prozesses garantiert werden.

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kann es nicht darum gehen, mit der Einschränkung des schutzrechtlichen Verbotsrechts »der Allgemeinheit die Erfüllung von Aufgaben zu erleichtern, die keine engere Beziehung zum Werkschaffen des Urhebers haben«. 269 Zugangsregeln eröffnen Dritten nicht irgendwelche Mitnutzungsmöglichkeiten, sondern realisieren die systemische Konnexität des Schutzrechts. Sie lösen gezielt jene so schön von Kohler beschrieben Reflexwirkungen – jene Verbindungsstränge, mit welchen der Einzelne untrennbar an die Allgemeinheit geknüpft ist – aus, um die Weiterentwicklung systemischen Wissens zu fördern. Kurz gesagt: Zugangsregeln sind gerichtet auf den Erhalt der kognitiven Funktionsbedingungen genau jenes sozialen Systems, als dessen kommunikatives Ereignis sich der immaterialgüterrechtliche Schutzgegenstand darstellt. Konsequenz einer Entwicklung systemspezifischer Zugangsregeln wird eine weitergehende Differenzierung des Inhalts von Schutzrechten nach ihren Ausübungsbedingungen sein. Das entspricht jedoch der generell zu beobachtenden Tendenz einer zunehmenden Differenzierung von Eigentumsrechten. 270 In ihr bildet sich die hochgetriebene funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft in funktionale Teilsysteme ab. Nicht von ungefähr hat man etwa Kriterien für ein »marktkonformes Eigentumsrecht« anzugeben versucht. 271 Im geistigen Eigentum macht sich diese gesellschaftliche Großentwicklung besonders bemerkbar, weil die Einführung von Schutzrechten immaterielle Güter über ihr eigentliches semantisches Referenzsystem immer auch zum Gegenstand des Wirtschaftssystems machen. Geistiges Eigentum wird damit relevant für die Wissensteilung in mehreren Systemen und den hierfür wichtigen Institutionen. Um sie zu stützen, hat das Immaterialgüterrecht im Laufe der Zeit einen Reichtum an Regeln entwickelt. Doch auch der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff kann sich davon nicht unbeeindruckt zeigen. Durch das Hineinwachsen des Eigentums in Mehrsystemzugehörigkeiten wird auch der Normgehalt von Art. 14 GG für die Wissensteilung in den Systemen verantwortlich. Der Inhaltsgestaltung des Eigentums stellt sich deswegen die Aufgabe, den durch das Eigentumsrecht bewirkten Vorbehalt von Handlungsmöglichkeiten in einem gegebenen Systemzusammenhang mit den grundrechtlichen Garantien effektiver Freiheiten anderer zu kompatibilisieren. Das kann nur unter Beachtung von Art. 14 Abs. 2 GG geschehen, der das Rechtssystem bei der Normativierung exklusiver Handlungsmöglichkeiten zur Reflexion auf die sozialen Bezüge und das heißt nach der hier vertretenen Ansicht auf die Konsequenzen für Verfahren systemischer Wissensteilung zwingt. Innerhalb der Instrumente des Rechts zur Verfassung gesellschaftlicher Prozesse fun269 Vgl. noch einmal das oben (§ 1 II 2 b dd) herangezogene Zitat aus der Regierungsbegründung zum UrhG 1965 BReg., BT-Drucks. IV/270, Vor § 45. 270 Zu dieser Entwicklung vgl. etwa Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 184 und 186. 271 So Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 123 f. (»abstrakt, universal, allgemein«).

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giert Art. 14 Abs. 2 GG damit als eine Art »Sollbruchstelle« für die Rezeption der verschiedensten systemischen Rationalitäten. Erst mit seiner Hilfe wird die Matrix systemischer Bezüge, in die das Eigentum eingestellt ist, rechtsintern fassbar. 272 Die Aufgabe, die sich dem Recht im Bereich des Immaterialgüterschutzes stellt, ist damit im Ergebnis recht anspruchsvoll. Der Gesetzgeber vermag die Komplexität der Matrix kaum umfassend antizipieren. 273 Ein ex ante getroffener »Ausgleich« kann sich – gerade durch die Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten der Immaterialgüternutzung – in der Folgezeit verschieben, die Zentralisierung bestimmter Handlungsmöglichkeiten beim Eigentümer kann sich als autonomiegefährdend erweisen. Dann wird die Rechtsprechung vorhandene – zumeist multifunktionale – Zugangsregeln systemspezifisch konfigurieren oder neue schaffen müssen. 274, 275 Als Richtschnur ihrer Rechtfertigung dient das Gebot der tatsächlichen Gewährleistung von Freiheit, das sich im Merkmal der »Angewiesenheit« als Konkretisierung der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG niedergeschlagen hat, aber als normatives Prinzip auch im einfachen Recht »immer unterwegs ist« (Josef Esser).

272

Zur System-Matrix von Schutzrechten vgl. schon oben § 1 II 2 a. Die Feststellung, der Gesetzgeber des UrhG von 1965 und seiner späteren Novellen habe bei der Ausgestaltung der Schranken deren grundrechtliche Implikationen berücksichtigt (so etwa Schack, UrhR, Rn. 481b), ist im Grundsatz sicher zutreffend, ändert aber nichts an der Möglichkeit von Schutzlücken: Warum sollte ausgerechnet der Gesetzgeber des Urheberrechts klüger sein als der anderer Materien? 274 Dass auch die Fachgerichte an die normativen Vorgaben der Grundrechte für ihre effektive Gewährleistung gebunden sind (»Gewährleistungsrechtsprechung«) betont Hoffmann-Riem, in: FS R. Schmidt, 447 (457 und 464). 275 Im Ergbnis führt die Annahme einer Zugangsregel zur Einschränkung der Appropriierbarkeit von Nutzungsvorteilen durch den Eigentümer. Das Ausmaß dieser Einschränkung kann Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit der Wissensteilung im Wirtschaftssystem haben, weil und insofern das geschützte Produkt dann unterbewertet wird. In vielen Fällen, in denen funktionierende Wissensteilung in einem anderen System aber auf die Möglichkeit der Mitnutzung durch Dritte angewiesen ist, wird der Eingriff in das Schutzrecht aber nur zu geringfügigen wirtschaftlichen Nachteilen führen. Vgl. die Fälle BVerfGE, ZUM 2000, 867 (869) – Germania 3 (»geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile«) und BVerfG, GRUR 1989, 193 (197) – Vollzugsanstalten (»wirtschaftliche Einbuße fällt nicht wesentlich ins Gewicht«). Bei Eingriffen zugunsten der Wettbewerbsfreiheit, die auf die Ermöglichung des Marktzugangs durch Konkurrenten zielen, mag das anders sein. 273

§ 2 Institutionen der Wissensteilung Mehrfach war von Institutionen der Wissensteilung die Rede.1 Damit ist nicht etwa ein neuartiger Typus von Institutionen gemeint. Vielmehr werden die bekannten Institutionen nur in einer bestimmten Weise betrachtet, und zwar im Hinblick auf ihre wissenserzeugende Funktion. Der sonst im Vordergrund stehenden Frage nach ihrer Funktion für die Orientierung von Handlungen 2 bzw. die Herstellung von Konsens in einer komplexen, sinnhaft konstituierten Welt – aufgrund der Generalisierung von Verhaltenserwartungen – wird die Frage an die Seite gestellt, wie durch sie das gesellschaftlich verfügbare Wissen erweitert werden kann. Im Kern bleibt es freilich bei der Funktion von Institutionen, Möglichkeiten bereitzustellen, die den individuellen Horizont übersteigen: geht es sonst um die Ausweitung von minimalen, natürlich-begrenzten Chancen zu aktuellem Konsens, 3 so geht es hier um die Erweiterung der Chancen zum Aufbau von Wissen als kondensierten Beobachtungen bzw. kognitiv stilisierten Sinn.4 Aus Sicht des Einzelnen wird es möglich, produktiv von einem Wissen Gebrauch zu machen, über das er persönlich nicht verfügt; aus Sicht des Systems wird es möglich, das verteilte Wissen der Einzelnen für die Erzeugung systemeigenen Wissens zu mobilisieren. Wissen wird transsubjektiv erzeugt.5

1

Vgl. § 1 II 1 und II 3 b. Überblick bei Schelsky, in: Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, 9 ff. 3 Zu dieser Charakterisierung der Funktion von Institutionen vgl. Luhmann, in: Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, 27 (30). 4 Zu diesem Wissensbegriff für sinnverarbeitende Systeme vgl. Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 123 und 138 f. Kognitiv stilisiert sind Erwartungen, wenn sie im Enttäuschungsfall korrigiert werden. 5 Siehe insbesondere Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 115 f. (Entstehung von Wissen und neuen Optionen nicht primär an das Individuum gebunden, sondern an die Prozesse innerhalb von Kollektiven), m. w. N. sowie 120 (Wissen ist kollektives Phänomen: es fi ndet seine Einheit weder im Subjekt noch in der Objektivität einer Wirklichkeit. Auch wenn es nicht kollektiv verfügbar ist, wird es doch in transsubjektiven Prozessen aggregiert und nach objektiven Regeln genutzt, während das Subjekt seinerseits stets unvollständig und auf den Prozess der Selbsttranszendierung verwiesen bleibt) und 119 (Wissen von keinem archimedischen Punkt aus ganz zugänglich, bleibt vielmehr an das Netzwerk der Operationen auf dem Markt gebunden). Siehe außerdem Amin/Cohendet, Architectures of Knowledge, 25 ff. und Knoblauch, Wissenssoziologie, 338. 2

I. Kollektive Erzeugung von Wissen

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Aus dem Kreis der Institutionen seien hier der Wettbewerb, 6 aber auch das Unternehmen und die deliberative Demokratie als Institutionen der Wissensteilung näher dargestellt, während das Netzwerk als eigenständige Institution 7 separat in § 4 behandelt wird. Diese Institutionen können ihrerseits als System zu qualifizieren sein (wie Unternehmen) oder auch nicht (wie Märkte und Netzwerke). Im einen Fall steht die Anreicherung des Wissens eines sozialen Systems im Mittelpunkt, im anderen die Anreicherung des Wissens der an der Kooperation beteiligten Einheiten. 8 Letztlich handelt es sich um eine Frage der Zurechnung.9 Der Begriff der Institution erscheint insofern aufnahmefähiger als der des Systems, der dadurch jedoch nicht verdrängt wird. Vielmehr lässt sich der Begriff der Institution zur Bezeichnung spezifischer (Beobachtungsund Entscheidungs-)Prozesse verwenden, die in sozialen Systemen ablaufen und in ihnen angebbare Probleme lösen.10 Soziale Institutionen sind ihrerseits der rechtlichen Verfassung zugänglich und auch bedürftig (II). Hierbei ist insbesondere die Bedeutung von Gemeinschaftsgütern für Prozesse kollektiver Wissenserzeugung zu beachten.

I. Kollektive Erzeugung von Wissen 1. Markt a. Die epistemische Funktion des Wettbewerbs Dass der Wettbewerb eine Vielzahl von individuellen Entscheidungen zu einem gesellschaftlichen Gesamtergebnis koordiniert, ist eine Einsicht, die bereits in der Klassischen Nationalökonomie gegenwärtig war. Erst von Hayek hob jedoch systematisch die Dimension des Wissens in diesem Prozess hervor. Seine Arbeiten führten eine Art »kognitivistische Wende« im ökonomischen Denken herbei. Er argumentiert, dass die Bedingungen wirtschaftlich rationalen Handelns in Prozessen kollektiver Wissensnutzung erzeugt werden. Im Zentrum der ökonomischen (Erkenntnis-)Theorie steht der Begriff der menschlichen Handlung als Entscheidung zwischen Alternativen. Unter der 6

Es geht fehl, wenn Hayek apodiktisch behauptet: »Competition is . . . the only method which we know for utilizing the knowledge and skills that other people may possess« (Law, Legislation and Liberty, Vol. 3, 75). 7 Dessen Qualität als eigenständige Institution wurde in letzter Zeit immer deutlicher herausgearbeitet insbesondere von Teubner, Netzwerk als Vertragsverbund, 66 ff. Speziell zur verteilten Wissensproduktion in Netzwerken vgl. Windeler, Unternehmungsnetzwerke, 186–190, wonach sich ein »transgressives Wissen« oder »Netzwerkwissen« ausbilde. 8 Mögen dies Bewusstseinssysteme oder selbst soziale Systeme sein. 9 Die Frage lautet: Wird der Interaktion bereits eigene Akteursqualität zugeschrieben (Unternehmen) oder handeln die Einheiten autonom (Netzwerk)? 10 Zu dieser Verortung des Begriffs der Institution im Rahmen der Systemtheorie vgl. Luhmann, in: Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, 27 (28).

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

Annahme, dass die verfügbaren Ressourcen im Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen knapp sind, versucht die Ökonomie den Einsatz der verfügbaren Mittel im Hinblick auf alternative Verwendungsmöglichkeiten zu optimieren. Dabei geht es nicht um die Optimierung einer starren Zweck-Mittel-Relation. Unter der Prämisse der Knappheit der Mittel besteht die Aufgabe für zweckrationales Handeln vielmehr darin, ein bestimmtes Maß an Bedürfnisbefriedigung mit dem geringsten Mitteleinsatz zu erzielen. Wenn die verfügbaren Mittel zu einem bestimmten Zweck eingesetzt werden sollen, muss stets gefragt werden, wie es sich mit der Verfolgung anderer Zwecke verhält.11 Der rationale Akteur wird einen Einsatz der Mittel zu dem Zweck wählen, der den größten Nutzen verspricht. Dieses Urteil fällt vor einer individuellen Ordnung von Präferenzen: »Von einem vernunftgeleiteten Menschen wird also wie üblich angenommen, dass er ein widerspruchsfreies System von Präferenzen bezüglich der ihm offen stehenden Möglichkeiten hat. Er bringt sie in eine Rangordnung nach ihrer Dienlichkeit für seine Zwecke; er folgt dem Plan, der möglichst viele von seinen Wünschen erfüllt und der eine möglichst gute Aussicht auf erfolgreiche Verwirklichung bietet.«12 Hayek stellt diesen Ausgangspunkt nicht in Frage, sondern führt ihn im Gegenteil konsequent auf der Ebene der Gesellschaft fort. Er wendet sich dagegen, dass Annahmen, die für die Analyse der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Einzelnen geeignet sein mögen, auf Probleme übertragen werden, bei denen wir es mit sozialen Prozessen zu tun haben, in denen die Entscheidungen von vielen Individuen aufeinander Einfluss haben.13 Genau das ist in den Augen Hayeks aber der Fehler, den die Gleichgewichtsanalyse begeht. Sie unterstellt, dass alle Marktteilnehmer vollkommene Kenntnis von allem besitzen, was den Markt beeinflusst. Die relevanten Faktoren werden als den Akteuren bekannte »Daten« behandelt. Die Unternehmen wissen, welche Güter zu welchen Preisen nachgefragt werden und welches die niedrigsten Kosten sind, zu denen das Gut hergestellt werden kann. Die Konsumenten ihrerseits kennen alle Angebotsalternativen und müssen nur noch die Mengen der nachgefragten Güter so wählen, dass der Grenznutzen aus der Konsumtion aller Güter gerade gleich hoch ist. Tatsächlich bietet das Instrumentarium der »Reinen Logik des Wählens« eine Technik zur Beschreibung der wechselseitigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen eines Einzelplanes, wie sie vom individuellen Präferenzsystem angeordnet sind. Hier kann der wirtschaftliche Kalkül das planende Individuum in die Lage versetzen, anhand »marginaler Substitutionsverhältnisse« logische Schlussfolgerungen aus den gegebenen Prämissen zu ziehen. Doch handelt es sich hierbei 11

Vgl. Behrens, Grundlagen, 33. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 166 f. 13 Hayek, Der Sinn des Wettbewerbs, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 122 (123). 12

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eigentlich um eine hypothetische, vor-soziale Situation des Wirtschaftens.14 Im Zustand einer Vielzahl von wirtschaftlichen Beziehungen kann das von der Gleichgewichtsanalyse unterstellte Wissen der Marktakteure nicht wie selbstverständlich vorausgesetzt werden. »Wenn wir uns aber mit einer Situation befassen, in der eine Anzahl von Personen versuchen, ihre gesonderten Pläne durchzuführen, können wir nicht mehr annehmen, dass die Daten für alle Planenden dieselben sind. Das Problem wird nun das der Frage, wie die ›Daten‹ der verschiedenen Individuen, auf die sie ihre Pläne gründen, den objektiven Tatsachen ihrer Umgebung (wozu auch die Handlungen der anderen Menschen gehören) angepasst werden.«15 Das Problem des Wirtschaftens im Gesellschaftszustand ist somit ein Zweifaches: nicht nur ist von unterschiedlichen Datenkomplexen der verschiedenen Personen auszugehen, sondern die Akteure stehen auch unter der Notwendigkeit, sich ständig Änderungen ihrer Umgebung anzupassen. Wenn nun die Gleichgewichtsanalyse für den Zustand vollkommenen Wettbewerbs davon ausgeht, dass die Daten für die verschiedenen Individuen einander völlig angepasst sind, dann setzt sie im Grunde voraus, was es gerade erst zu erklären gilt. Dem gegenüber muss ökonomisches Denken nach Hayek jedoch von dem Umstand ausgehen, dass die Kenntnis über den besten Gebrauch eines Produktionsmittels dem Einzelnen niemals zusammengefasst oder als Ganzes zur Verfügung steht. Der Einzelne verfügt nur über ein bruchstückhaftes Wissen, das sich auf die besonderen Umstände von Ort und Zeit beschränkt. Das eigentliche wirtschaftliche Problem besteht für Hayek deswegen darin, wie eine optimale Ressourcennutzung durch das Zusammenwirken von Menschen hervorgebracht wird, von denen jeder nur Teilkenntnisse besitzt oder anders gesagt, wie man den Bereich der zweckmäßigen Ausnützung der Produktivkräfte über die Reichweite der Kontrolle des einzelnen menschlichen Geistes ausdehnen kann. Es geht darum, »wie man den besten Gebrauch aller Mittel sichern kann, die irgend einem Mitglied der Gesellschaft bekannt sind und zwar für Zwecke, deren relative Wichtigkeit nur diese Individuen kennen«.16 14 Für Hayek ist dies ausdrücklich nicht das wirtschaftliche Problem, dem die Gesellschaft gegenübersteht. Vgl. Hayek, Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 103. 15 Hayek, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 122 (124). 16 Hayek, Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 103 (104). Damit wird gleichzeitig deutlich, dass die Gleichgewichtsanalyse einen allwissenden Akteur voraussetzt: Nur für einen Geist, dem alle Fakten gleichzeitig bekannt wären, würde die Antwort (auf die Frage nach der optimalen Verwendung der verfügbaren Mittel) notwendig aus den ihm gegebenen Fakten folgen (120). Noch einen Schritt weiter geht Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 154: Selbst wenn jemand auf Erden alles wissen könnte, könnte er nicht alles zugleich wissen. Auch Kommunikation kann niemals alles Wissen gleichzeitig reaktualisieren. Die entscheidende Frage ist deswegen nicht, was wir wissen, sondern wie wir Wissen im Moment aktualisieren (ebd., 162).

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

Dieses Problem bezeichnet Hayek als das der »Wissensteilung« und hält es für das zentrale Problem der Volkswirtschaftslehre als einer Sozialwissenschaft.17 Unverkennbar ist der verwendete Begriff der Wissensteilung angelehnt an den der Arbeitsteilung.18 Vordergründig wird in beiden Fällen der Umstand bezeichnet, dass Kenntnisse unter den Menschen (ungleich) verteilt sind. Beide Sachverhalte sind jedoch streng auseinanderzuhalten, denn es geht jeweils um unterschiedliche Formen des Wissens.19 Der Begriff der Arbeitsteilung knüpft an die Beobachtung an, dass der Einsatz menschlicher Produktivkraft (Arbeit) effizienzsteigernd unterteilt werden kann. Es ist dann gerade ein Vorteil, wenn unterschiedliche »spezialisierte« Fähigkeiten zur Verfügung stehen, um in unterschiedlichen Arbeits- bzw. Produktionsabschnitten zum Einsatz zu kommen. Der Begriff bezieht sich folglich auf existierendes (Spezial-)Wissen der Einzelnen über bestimmte Kausalzusammenhänge in der eigenen Umwelt. Aus Sicht des jeweiligen Bewusstseinssystems geht es um fremdreferentielles Wissen über die Umwelt, um »primäres Umweltwissen«. Damit ist freilich noch nicht geklärt, wie dieses Umweltwissen im Bewusstseinssystem handlungsbestimmend wird, zumal auf eine Weise, die Vorteile für die Gesellschaft verspricht. Hierfür bedarf es des Wissens der Wissensteilung, das »die Kenntnis von verschiedenerlei Möglichkeiten zu handeln ist, von denen der Mensch nur indirekt Gebrauch macht«. 20 Gemeint ist das Wissen über die alternativen Verwendungsmöglichkeiten der menschlichen Arbeitskraft oder, anders gesagt, das Wissen, das der Einzelne für den Einsatz seines primären Umweltwissens benötigt. Aus Sicht des Einzelnen handelt es sich wiederum um Wissen über seine Umwelt, das aber, da es eine Entscheidung zwischen alternativen Anwendungsmöglichkeiten des primären Umweltwissens vorbereitet, ein »sekundäres Umweltwissen« und zwar in Form von »Selektionswissen« darstellt. Aus Sicht des sozialen Systems der Gesellschaft handelt es sich um »Koordinationswissen«, das erforderlich ist, damit die gegebenen Arbeits- bzw. Produktivkräfte optimal eingesetzt werden. Weil dieses Wissen – wie gleich näher beschrieben – kollektiv erzeugt wird, nämlich im Funktionssystem Wirtschaft, kann man auch von »Systemwissen« sprechen. Systemtheoretisch reformuliert, 17

Hayek, Wirtschaftstheorie und Wissen, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 49 (70 f.). Vgl. auch ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 103 (117) (»koordinierte Verwendung der Produktionsmittel, die sich auf ebenso geteiltes Wissen gründet«). 18 Das ist angedeutet in der Bezugnahme Hayeks auf v. Mises, Gemeinwirtschaft, 96 (»Die Verteilung der Verfügungsgewalt über die wirtschaftlichen Güter der arbeitsteilig wirtschaftenden Sozialwirtschaft auf die vielen Individuen bewirkt eine Art geistige Arbeitsteilung«). 19 Zur Notwendigkeit und Art der Unterscheidung vgl. auch Helmstädter, ORDO 55 (2004), 37 (40 ff.) und ders., in: Held/Kubon-Gilke/Sturn (Hrsg.), Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik, Bd. 3, 97 (105). 20 Hayek, aaO., 72 Fn. 17 (Hervorhebung hinzugefügt).

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lautet das Problem der Wissensteilung dann: Wie kann das Wirtschaftssystem das in seiner Umwelt verteilte Wissen für den Aufbau eines eigenen Systemwissens nutzen, das aus Sicht des Einzelbewusstseins als Selektionswissen im eigenen autopoietischen System zur Entscheidungsfi ndung dient? Die Lösung dieses Problems liefert der Wettbewerb. Nach Hayek ist Wettbewerb primär als Verfahren zur Nutzung verstreuten Wissens zu begreifen. 21 Er setzt einerseits gerade bei einer dezentralen Entscheidungsstruktur an. Die Disposition über wirtschaftliche Güter ist den vielen einzelnen Akteuren überlassen, die unmittelbar mit den Umständen von Zeit und Ort vertraut sind und ihre Entscheidungen rasch Veränderungen anpassen können. Solche Veränderungen aber sind allgegenwärtig. Aufgrund des wirtschaftlichen Handelns der Anderen kommt es andauernd zu unvorhergesehenen Veränderungen im Umfeld des Einzelnen, die eine Anpassung seines Einzelplans notwendig machen. Wirtschaftliche Probleme treten immer nur in Folge von Veränderungen auf. 22 Andererseits muss – gerade wegen der Dezentralisation – der Einzelne erst einmal diejenigen Informationen erlangen, die er braucht, um seine Entscheidungen in das System der Änderungen der ganzen Wirtschaft einzuordnen. Er muss also informiert werden über Vorgänge, die sich jenseits seines unmittelbaren Beobachtungshorizonts zutragen. Das Wissen, das der Einzelne von diesen Vorgängen benötigt, ist freilich ein sehr eingeschränktes. Ihm muss lediglich zur Kenntnis gelangen, welche Art von Gütern und Leistungen im Wirtschaftssystem verlangt werden und wie dringlich dies der Fall ist. Warum die betreffenden Güter nachgefragt werden, ist nicht von Bedeutung. Entscheidend ist, dass der Einzelne weiß, was gebraucht wird. Dadurch erlangt er Kenntnis von der relativen Wichtigkeit der verschiedenen Dinge, die er erzeugt oder verwendet und kann sein Produktions- bzw. Konsumtionsverhalten entsprechend anpassen. 21 Eine solche Sichtweise auf den Wettbewerb hat natürlich auch Auswirkungen auf die Frage der richtigen Wettbewerbspolitik und der ihr zu grunde liegenden Analyse der bestehenden Wettbewerbsverhältnisse. Die Vergleichgrundlage, nach der die Errungenschaft des Wettbewerbs beurteilt werden sollte, kann nicht eine Situation sein, »als ob« ein vollkommener Markt existierte, in dem alle Teilnehmer vollkommene Kenntnis von den relevanten Fakten hätten. Wir müssen vielmehr von dem (begrenzten) Wissen ausgehen, über das die Teilnehmer konkret verfügen und fragen, wie es am besten ausgenützt werden kann. Die Vergleichsbasis, mit der die bestehende Situation verglichen wird, kann dann nur eine sein, die bestehen würde, wenn der Wettbewerb ausgeschaltet würde. Die praktische Konsequenz daraus ist, dass Wettbewerbspolitik vor allem dafür zu sorgen hat, dass es überhaupt Wettbewerb gibt. D.h. insbesondere keine Unterdrückung des Wettbewerbs durch den Staat selbst oder mit dessen Duldung und Bekämpfung von Marktzutrittshindernissen, die seitens marktbeherrschender Unternehmen errichtet werden. Vgl. Hayek, Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 122 (132, 137, 138 f.) und auch Hayek, Law, Legislation and Liberty, Vol. 3, 67 (»The real problem is how far we can raise efficiency above the pre-existing level, not how close we can come to what would be desirable if the fact were different.«). 22 Das betont Hayek immer wieder, vgl. Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 103 (109) und 122 (124, 133).

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Diese Information wird dem Einzelnen durch Preise vermittelt. Der Preis drückt in einem numerischen Index die Bedeutung eines bestimmten Gutes im Hinblick auf den ganzen Komplex von Mittel-Zweck-Verhältnissen in der Gesellschaft aus. In ihm sind gesellschaftsweit Äquivalenzverhältnisse (»marginale Substitutionsverhältnisse«) in eine abgekürzte Form gebracht. Der Preis leistet damit in einem dezentralisierten System, in dem die Kenntnis der relevanten Fakten unter viele Menschen verteilt ist, das, was die subjektiven Werte im Rahmen eines Einzelplanes leisten: so wie durch das individuelle Präferenzsystem die verschiedenen Teile des Einzelplanes koordiniert werden, so koordinieren die Preise die gesonderten Tätigkeiten der verschiedenen Menschen. 23 Die Preise lenken die Aufmerksamkeit der einzelnen Akteure auf die Tätigkeiten, durch die die verfügbaren Mittel am besten ausgenützt werden können. Nur durch Kombination mit der vom Preis ausgedrückten Knappheitsinformation können sie von ihrem Wissen um besondere Umstände – oder von ihrer Fähigkeit, besondere Umstände aufzufinden (zu »entdecken«) – vorteilhaften Gebrauch machen. Über die Kommunikation von Preisen kommt es damit zu einer »Fernvermittlung« oder »Telekommunikation« von Wissen, 24 das der Einzelne nicht persönlich besitzt, 25 das aber erforderlich ist, um seine Entscheidungen geänderten Knappheitsverhältnissen anzupassen. Preise stellen damit eine Form von transsubjektivem Wissen dar, das durch negative Rückkopplung (wechselseitige Anpassung) der individuellen Pläne erzeugt wird. Preise – jedenfalls die auf Wettbewerbsmärkten ermittelten – geben dem Einzelnen die Information, die ihn zum effizientesten Einsatz seiner Ressourcen führt. Preise ermöglichen eine Umweltorientierung der am Wirtschaftssystem »partizipierenden Systeme«26 ; der Markt ordnet ihre Beobachtung der systeminternen Umwelt. 27 Die 23 Hayek, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 103 (113). Hayek vergleicht also die Koordinationsinstrumente auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene per Analogie miteinander. Statt Analogie könnte man besser von funktionalen Äquivalenten sprechen: Preise haben auf gesellschaftlicher Ebene (Verkehrswirtschaft) die gleiche Funktion wie subjektive Werte auf der individuellen Ebene. 24 Charakterisierung bei Helmstädter, Wissensteilung, Thünen-Vorlesung 2000, 10. 25 »Wir gebrauchen ständig Formeln, Symbole und Regeln, deren Bedeutung wir nicht verstehen und durch deren Verwendung wir die Hilfe von Wissen in Anspruch nehmen, das wir persönlich nicht besitzen.« Vgl. Hayek, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 103 (117) (Hervorhebungen hinzugefügt). 26 Zu diesem, wie er selbst einräumt, schwerfälligen Ausdruck vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, 94 (mit Fn. 6). Gemeint sind im Wesentlichen Haushalte und Unternehmen. Diese differenzieren sich nach eigenen Systemgesetzlichkeiten aus (Familienbildung oder Produktionsorganisation) und sind am Wirtschaftssystem nur in der Form von »Interpenetration« beteiligt. 27 In systemtheoretischer Rekonstruktion sind Märkte selbst keine sozialen Systeme, die aus eigenen Operationen und Beobachtungen bestehen. Markt ist vielmehr der Begriff für eine Umwelt: die wirtschaftsinterne Umwelt der an wirtschaftlicher Kommunikation partizipierenden Systeme, die für jedes eine andere, zugleich aber für alle dieselbe ist. Gleich, weil

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Koordination, die die Einzelpläne dadurch erfahren, erscheint für einen außenstehenden Beobachter dritter Ordnung als von »unsichtbarer Hand« herbeigeführt. 28 Durch das Verfahren des Wettbewerbs wird also einerseits das verstreute Wissen von unzähligen Akteuren als Input genutzt, gleichzeitig aber bringt der Wettbewerbsprozess neues Wissen als Output hervor.29 Das implizite Wissen der Akteure geht – kodiert – in die Erzeugung kollektiven Wissens in Gestalt der Preise ein. Als explizite Preisinformation kann dieses Wissen dann wiederum in die Handlungen der Akteure einfl ießen: es sagt den einzelnen, wonach zu suchen es sich lohnt.30 Die Einzelnen können dann ihre je einzigartige Kombination von Kenntnissen und Geschicklichkeiten einsetzen, um Tatsachen zu entdecken, die ohne den Wettbewerb entweder unbekannt bleiben auf einem Markt von allen Teilnehmern ein Preis identifiziert werden kann; verschieden, weil unter den Teilnehmern Bedürfnisse und Geld ungleich verteilt sind, so dass ein und derselbe Preis für die einzelnen Akteure Verschiedenes bedeutet. Preise ermöglichen so eine gemeinsame (geteilte) Umweltorientierung der Teilnehmer: anhand von Preisen kann man beobachten, ob man selbst bezahlen/produzieren will oder nicht; außerdem kann man beobachten, ob andere bezahlen/produzieren oder nicht, mithin wie andere den Markt beobachten. Vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, 94, 110 und 118. Sowie 94 (Als Markt wird das Wirtschaftssystem selbst zur Umwelt seiner eigenen Aktivitäten), 95 (Das Wirtschaftssystem macht sich selbst zur Umwelt, um auf diese Weise Reduktionen zu erreichen, mit denen es sich selbst und anderes in einer Umwelt beobachten kann) und 96 (Der Markt wird konstituiert durch Beobachtung einer durch ein Gesamtsystem präparierten Umwelt. Der Markt ist ein poly-kontexturales System, das für jedes Zentrum eine andere und doch dieselbe Umwelt bereithält.). 28 Zur Verwendung der Metapher von Smith (Wealth of Nations, Book IV Ch. II Para. 9) in diesem Kontext vgl. Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: ders., Freiburger Studien, 249 (256). Zur unsichtbaren Hand als Metapher für die Entstehung kollektiver Effekte bei Smith vgl. Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 2 und 41. Nach Ladeur ist bei Smith freilich die Koordinationsleistung verankert in der Reflexion durch den »man within«, durch den Smith den Rechtssubjekten eine Pfl icht zur Beobachtung des Verhaltens der Anderen und den darin enthaltenen verallgemeinerungsfähigen Momenten auferlegt (vgl. auch ebd., 44). So kann die unmittelbare Koppelung von Freiheitsrechten an Pfl ichten – die durch das Naturrecht bestimmte Rückbindung von Freiheitsrechten an eine vorgegebene Ordnung (positive Freiheitsrechte) – zugunsten von negativen »zieloffenen« Freiheitsrechten überwunden werden, aus deren Ausübung nunmehr eine selbsterzeugte Ordnung entsteht (eben als emergenter Effekt der Selbstkoordination durch die nach der Meinung aller bewährten Handlungsmuster, 45 f.). Das forum internum des »man within« sei letztlich die eigentliche Instanz, über die die »unsichtbare Hand« gelenkt wird. Es leistet eine »Verinnerlichung der Ordnung durch Selbstbeobachtung im Spiegel der Anderen«. Nur durch diese Vermittlung, die für die Orientierung an allgemeinen Regeln und die Erzeugung und Beobachtung von Erfahrungen sorge, seien Harmonie und Gleichgewicht denkbar. Die »invisible hand« steht damit für die Ordnungsbildung unter Ungewissheitsbedingungen, für die Entstehung von Ordnung als kollektivem Effekt der Ausübung negativer Freiheitsrechte im Filter eines bestimmten Verfahrens der Selbstkontrolle. 29 Vgl. Voigt, Marktwirtschaftlicher Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, Ms. (2000), 8. 30 Vgl. Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: ders., Freiburger Studien, 249 (253).

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oder doch zumindest nicht genutzt werden würden: »Wettbewerb als Entdeckungsverfahren«.31 Damit ist ein schlüssiges Modell für die Frage gefunden, wie die Anpassungsleistung eines beobachtenden Systems den anderen so mitgeteilt werden kann, dass diese für die eigenen Handlungen davon profitieren können. Die Überlegungen sind jedoch in doppelter Hinsicht beschränkt. Zum einen geht es um das Wissen zur besten Verwendung gegebener körperlicher 32 Güter. Zum anderen wird das explizite – allgemeine, aber auch technische – Wissen als gegeben betrachtet und dessen allgemeine Zugänglichkeit unterstellt. So stellt Hayek selbst seine Überlegungen unter die Voraussetzung, dass »die meisten Produktionskräfte und Techniken in der Gesellschaft allgemein bekannt sind« (so dass Gelegenheiten, »wenn sie entdeckt wurden, dann auch von anderen genützt werden können«), und es mehr darum geht, eine »ständige Anpassung der Tätigkeiten an unvermeidliche kleinere Änderungen« zu erreichen.33 Die Entdeckungsfunktion des Wettbewerbs bezieht Hayek zunächst nur auf die Generierung neuen impliziten Wissens, auf die ständige Suche nach unausgenützten Gelegenheiten, und ausdrücklich nicht auf die Rolle des Wettbewerbs im Forschritt des verfügbaren technischen und überhaupt expliziten Wissens.34 Nun ist aber jene von Hayek vorausgesetzte freie Zugänglichkeit und ungehinderte Nachahmbarkeit beim Wettbewerb um die Produktion immaterieller Güter durch die Wirkung von Ausschließlichkeitsrechten gerade nicht gegeben – und sei es aus dem guten Grund, verteiltes implizites Wissen (Fähigkeiten) auch für diesen Güterbereich zu mobilisieren. Beachtet werden müssen hier vielmehr zusätzlich die speziellen Funktionsbedingungen des jeweiligen sozialen Systems, als dessen Kommunikation sich der Schutzgegenstand darstellt (systemische Konnexität des Schutzrechts) sowie der gleiche Zugang zu solchen Ressourcen, die gleichermaßen grundlegend für die Funktionsfähigkeit verschiedener Systeme sind (wie etwa generische Informationen oder Verbreitungsmedien).35 Die System-Matrix, in die das Schutzrecht eingestellt ist, ver31 Vgl. Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: ders., Freiburger Studien, 249 (249). 32 So jedenfalls alle Beispielsfälle bei Hayek. 33 Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: ders., Freiburger Studien, 249 (260) (Hervorhebung hinzugefügt). – Die Verteilung des spezifischen und generellen Wissens in der Gesellschaft wird also als gegeben unterstellt, ohne dass die Kosten für den Erwerb und den Transfer dieses Wissens thematisiert würden. Die Existenz solcher Kosten (insbesondere ihre prohibitive Höhe für den Transfer von spezifischem impliziten Wissen) fundiert jedoch aus ökonomischer Sicht erst die Aussagen Hayeks, weil sie die Überlegenheit eines Mechanismus (Wettbewerb auf Märkten) begründet, der dafür sorgt, dass Verfügungsrechte dezentral zu den Trägern des spezifischen Wissens fi ndet. Zur Explizierung dieser Prämisse bei Hayek vgl. Jensen/Meckling, Journal of Applied Corporate Finance 8(2) (1995), 4 (6). 34 Hayek, ebd. 35 Letztere sind sogleich näher als Infrastrukturgüter näher zu kennzeichnen.

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langt jedenfalls dessen Kompatibilität auch mit anderen Funktionssystemen als der Wirtschaft. Anders ausgedrückt: Die Entdeckungsfunktion des Wettbewerbs zur Erweiterung des expliziten Wissens beruht neben der im Wettbewerb bewirkten Erzeugung von Selektionswissen hinsichtlich des Einsatzes eigener Ressourcen (Fähigkeiten und Güter) – also der Mobilisierung individuellen Bewusstseins für die Produktion von Wissensgütern – zusätzlich auf einer intakten Wissensteilung in der Umwelt des Wirtschaftssystems. Das setzt, wie erkannt,36 das Bestehen von genügend Möglichkeiten zur erlaubnisfreien Nutzung voraus und damit einen Bestand an eigentumsrechtlich unverfügbaren (allgemeinen und speziellen) kognitiven Gemeinschaftsgütern.37 Durch den Ausschluss freier Nutzung von Immaterialgütern zum Zwecke des wirtschaftlichen Wettbewerbs wächst dem Markt Bedeutung für die Wissensteilung in anderen Systemen zu und umgekehrt ist sein eigenes Funktionieren jetzt abhängig vom Erhalt der epistemischen Funktionsbedingungen der anderen Systeme. Wenn das Recht die Wissensteilung eines Systems dem Markt zum Lehen gibt, führt es auch die Funktionsvoraussetzungen des Marktes in neue Abhängigkeiten. Thematisiert man diese neue Wechselbezüglichkeit nicht direkt in Gestalt entsprechender schutzrechtsbegrenzender Zugangsregeln, bleibt nur ein Manöver übrig: Man muss den Wettbewerbsprozess temporalisieren. Dann wird das Zugangsproblem zeitlich entzerrt und der Ausschluss anderer verliert im erweiterten Zeithorizont an Bedeutung. Beim Übergang zu einer evolutionstheoretischen Perspektive kann das Anwachsen des problemlösenden Wissens über die Zeit hinweg berücksichtigt werden.38 Mit besonderem Nachdruck hat genau das Schumpeter getan und den Wettbewerb als einen evolutionären Prozess beschrieben, in dessen Zentrum die Erzeugung von neuem Wissen steht. Danach sind die Konkurrenten ständig auf der Suche nach neuen Gütern, neuen Techniken, neuen Produktionsmethoden und neuen Organisationsformen.39 Nur durch Wissensvorsprünge können entscheidende Kosten- und Qualitätsvorteile gegenüber den derzeit erfolgreichen Unternehmen erzielt und eine überlegene Leistung angeboten werden, die am Markt – temporär – belohnt wird. Vorstoßende Pionierunternehmer können über einen gewissen Zeitraum monopolistische Vorsprungsrenten einstreichen, die durch einen nachziehenden Imitationswettbewerb schließlich wieder abgebaut werden. 40 36

Vgl. § 1 II 2 b dd. Zum Begriff der eigentumsrechtlichen Unverfügbarkeit vgl. unten § 5 I 3 b. 38 Für diesen Gedanken bei Hayek siehe The Constitution of Liberty, 33: »With this cumulative embodiment of experience in tools and forms of action will emerge a growth of explicit knowledge«. 39 Vgl. Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, 83. 40 Das System nähert sich so dem – von der Theorie des vollkommenen Wettbewerbs einfach vorausgesetzten – Gleichgewichtszustand, bis erneut eine Innovation neue Vorsprungsgewinne erzeugt und alte Produktionsformen ablöst, vgl. Erlei, in: Held/Kubon-Gilke/ 37

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Wettbewerb ist für Schumpeter also in erster Linie Innovationswettbewerb und nicht Preiswettbewerb. Der modus operandi des Wettbewerbs ist die »schöpferische Zerstörung« (»creative destruction«): die stetige Ablösung bestehender Strukturen durch die Schaffung neuer Strukturen, durch »industrial mutation«. Für Schumpeter verfehlt daher eine ökonomische Betrachtungsweise, die sich auf die Untersuchung der momentan gegebenen Wettbewerbssituation beschränkt, das eigentliche Problem, das darin bestehe, wie der Kapitalismus Strukturen schafft und zerstört.41 Die Leistung des Wettbewerbs könne nicht »ex visu« eines bestimmten Zeitpunkts beurteilt werden, sondern erschließe sich nur aus den Wettbewerbsergebnissen »in the long run«. Danach ist jeder Ansatz verfehlt, der von den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen als Datum ausgeht und das Verhalten der Unternehmen lediglich als Profitmaximierung bei gegebenen Daten zu erklären sucht.42 Insofern trifft sich Schumpeters Kritik mit Hayeks Vorwurf an die Adresse der neoklassischen Methode, wirtschaftliches Handeln als Optimierungsanstrengung unter bekannten Umständen zu analysieren.43 Beiden geht es darum, eine zustandsorientierte Betrachtungsweise zu überwinden und die »vorgegebenen« Daten als Ergebnis von Prozessen zu betrachten. 44 Das kann nicht ohne Konsequenz für den Stellenwert einer allokationstheoretischen Sicht des Marktes und deren Effizienzanalysen bleiben. Die Überlegungen Hayeks legen nahe, dass das Funktionieren des Marktes als Mechanismus der Wissensteilung nicht selbst dem Kriterium der Effizienz unterfällt. Das Bedingungsverhältnis ist vielmehr umgekehrt. Erst das transsubjektiv erzeugte Wissen erlaubt einen effizienten Einsatz des betreffenden Gutes. Damit ergibt sich im Verhältnis zur herrschenden Orientierung der Gestaltung von Institutionen eine wichtige Verschiebung: Statt einer unmittelbaren Ausrichtung am Effizienzkriterium ist die Vorteilhaftigkeit einer Institution vielmehr an ihrer Kapazität zur Koordination von verteiltem und der Erzeugung von neuem Wissen

Sturn (Hrsg.), Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik, Band 3, 37 (41). 41 Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, 84. 42 Schumpeter, aaO.: »They accept the data of the momentary situation as if there were no past or future to it and think that they have understood what there is to understand if they interpret the behavior of those firms by means of the principle of maximizing profits with reference to those data.« 43 Damit sollen die Unterschiede in den Ansätzen von Schumpeter und Hayek, die sich insbesondere an den jeweils gezogenen wirtschaftspolitischen Folgerungen (etwa hinsichtlich einer Tolerierung marktmächtiger Unternehmungen) zeigen, nicht verwischt werden. 44 Die neoklassische Analyse wird durch die prozessorientierte Betrachtungsweise freilich jeweils in unterschiedlichen Dimensionen erweitert. Während es Hayek darauf ankommt, das »Datum« als Produkt paralleler Wissenserzeugung und -nutzung in der Gesellschaft darzustellen, konzentriert sich Schumpeter ganz auf die Kontextualisierung der Daten als Zwischenergebnis von Sequenzen der Wissenserzeugung.

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zu beurteilen.45 Nur wenn die Institution über eine solche Kapazität verfügt, wird sie auch geeignet sein, einen effizienten Einsatz der verfügbaren Mittel herbeizuführen. Hingegen unterstellt das Effizienzdenken eine Rationalität des Individualakteurs, die erst erzeugt werden muss, indem ihm das erforderliche Handlungswissen – und zwar durch transsubjektive Prozesse – vermittelt wird. Danach hätte sich die ökonomische Analyse von Institutionen erst einmal bei einer kognitivistischen Analyse zu vergewissern, ob die Wissensunterstellungen realistisch sind und das Effizienzkalkül überhaupt einen entsprechenden Ansatzpunkt für seine Folgerungen finden kann. Vor allem aber wird deutlich, dass die gesellschaftliche Nutzung verteilten Wissens nicht aufgeht in der Funktion, eine effiziente Nutzung knapper und im Prinzip bekannter Ressourcenbestände herbeizuführen. Geht es stattdessen um die Erzeugung komplexen neuen Wissens, können andere Institutionen besser geeignet sein als der Markt, die hierzu erforderliche Rekombination verteilter Wissensfragmente zu vermitteln. Es macht dann keinen Sinn, diese Institutionen einer Effizienzanalyse zu unterziehen. Neuheit und Innovation beruhen nicht auf komparativen Vorteilen sondern auf kombinatorischen. Und Selektionskriterium für die Institutionenwahl sind weniger mögliche Kostenvorteile als vielmehr die Komplexität des Produktionsprojekts. b. Dezentrale Beobachtung und dezentrale Entscheidung Was die Überlegungen speziell von Hayek im vorliegenden Zusammenhang so interessant macht, ist, dass die Erzeugung von Wissen als kollektives bzw. transsubjektives Phänomen betrachtet wird. Zwar gab es bereits früher Gedanken zur koordinierten Nutzung des Wissens in der arbeitsteiligen Gesellschaft. Man versuchte, die offensichtliche Engführung des Gedankens der Arbeitsteilung bei Smith auf die materielle Produktion zu überwinden und ihm die Idee einer Teilung der geistigen Arbeit zur Seite zu stellen. Zu nennen sind Heinrich von Storchs Lehre von den »inneren Gütern«, die die Produktion materieller Güter erst ermöglichen und die eigenen institutionellen Regeln unterliegen sollen (neben Wissen etwa auch Geschicklichkeit, Sittlichkeit und Glaube), sowie die Überlegungen von Charles Babbage, der die Übereinstimmung zwischen den inhärenten Prinzipien geistiger Arbeit und deren maschineller Umsetzung im Produktionsprozess hervorhebt.46 Ganz in Analogie zur Arbeitsteilung geht es bei diesen Autoren jedoch um die effiziente Nutzung gegebener geistiger Arbeitskraft mittels Spezialisierung und damit um den organisierten Einsatz vorhandener individueller Potentiale. Auch bei Schumpeter konzent45 Hayek selbst bleibt bei der Bestimmung des Verhältnisses der Knappheitsfundierung der Ökonomik zu ihrer Wissensfundierung freilich ambivalent, vgl. Sturn/Held, in: Held/ Kubon-Gilke/Sturn, Ökonomik des Wissens, 7 (22). 46 Näher zu v. Storch und Babbage vgl. Helmstädter, ORDO 55 (2004), 37 (41 ff.).

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rieren sich die Überlegungen auf das gegebene Wissen als Produktivkraft des einzelnen Unternehmens.47 Bei Hayek dagegen teilt der Wettbewerbsprozess ein Wissen, das er ständig selbst erst hervorbringt.48 Das im Wettbewerbsprozess erzeugte Wissen ergibt sich als positiver externer Effekt des Handelns von Individuen. Es wird deswegen zwar durch die Einzelnen reproduziert, ist aber nicht mit den individuellen Wissensfragmenten identisch. 49 Vielmehr rekombinieren sich diese produktiv mit dem gemeinsam erzeugten Wissen. Der Effekt der Wissensteilung im Wettbewerb kommt nur durch die wechselseitige Kommunikation von Wissen zustande. Nur durch Kommunikation kann das Problem der Nutzung des über unzählige Individuen verstreuten Wissens gelöst werden.50 »Competition must be seen as a process in which people acquire and communicate knowledge«.51 Für Hayek ist der Wettbewerb »im Wesentlichen ein Prozess der Meinungsbildung: Indem er Informationen verbreitet, schafft er jene Einheit und jenen Zusammenhang des Wirtschafts-

47 Dazu, dass nach Auffassung Schumpeters Wettbewerb praktisch stets identisch ist mit (individuellem) Unternehmertum, vgl. Behrens, Grundlagen, 141 f. 48 Helmstädter, ORDO 55 (2004), 37 (45 f.) spricht deshalb von »wettbewerblicher Wissensteilung« oder kurz von »Hayekwissen«. 49 Methodologischer Individualismus und Transsubjektivität des Wissens schließen sich für Hayek nicht aus. Vgl. Hayek, The Constitution of Liberty, 24 (»Knowledge exists only as the knowledge of individuals. . . . The sum of the knowledge of all the individuals exists nowhere as an integrated whole. The great problem is how we can all profit from this knowledge, which exists only dispersed«) und ders., Missbrauch und Verfall der Vernunft, 126 f. (Der Individualismus »zeigt uns, dass die einzige ›Vernunft‹, die in irgend einem Sinn als größer betrachtet werden kann als die individuelle Vernunft, nicht anders existiert als in der Form eines interpersonellen Prozesses, in dem durch unpersönliche Medien die Kenntnisse von aufeinanderfolgenden Generationen und von Millionen gleichzeitig lebender Menschen zusammentreffen und gegeneinander abgestimmt werden, und dass dieser Prozess die einzige Form ist, in der die Gesamtheit des menschlichen Wissens existiert«.) In diese Richtung auch Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 116 mit der Feststellung, dass auch und gerade eine auf dem Individuum aufbauende Gesellschaftskonzeption danach fragt, welche produktiven Effekte die Ausübung privater Freiheit für den Aufbau kollektiver Ordnung erzeugt. Zum Ganzen auch Arrow, Methodological Individualism and Social Knowledge, The American Economic Review 82 (1994), 1 ff. 50 Für eine soziologische Systemtheorie mit sozialer statt psychischer Systemreferenz ist diese Einsicht selbstverständlich. Sie zieht gleichsam automatisch die Bedeutung der Kommunikationsmedien für den Prozess der Wissensteilung nach sich. Beide Aspekte finden sich bei Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 21 f. in dem Satz formuliert: »Bei gesellschaftlich verteiltem Wissen hängt . . . alle Auswertung von Kommunikation ab und wird daher durch Eigentümlichkeiten der Kommunikationsmedien gefi ltert.« Dazu, dass ein Wissenszuwachs nur durch Kommunikation erreichbar ist, vgl. aaO., 157. 51 Hayek, Law, Legislation and Liberty, Vol. 3, 86. Vgl. auch Hayek, The Pretence of Knowledge, in: New Studies on Philosophy, Politics, Economics, History, and the History of Ideas, 23 (34): »We are only beginning to understand on how subtle a communication system the functioning of an advanced industrial society is based – a communications system which we call the market and which turns out to be a more efficient mechanism for digesting dispersed information than any that man has deliberately designed.«

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systems, den wir voraussetzen, wenn wir es uns als einen Markt denken.«52 Nur am Rande sei angemerkt, dass trotz vielfältiger Beschränkungen, die kommunikative Freiheiten zu verschiedenen Zeiten erdulden mussten, im Zusammenhang mit dem Preismechanismus im Wesentlichen ein freier Informationsfluss bestand.53 Das Medium für die Kommunikation wettbewerbsspezifischen Wissens ist dabei freilich keine Sprache im herkömmlichen Sinne, vielmehr findet die Kommunikation, wie erwähnt, in verkürzter und kodierter Form unter Benutzung des Geldcodes statt. Das Kommunikationsmedium ist »de-luingifiziert«. 54 Die damit einhergehende Reduzierung der Form entspricht dem begrenzten Gegenstand des kommunizierten Wissens: Es geht allein um die Anzeige von Veränderungen in den Knappheitsverhältnissen der Mittel und um die Opportunitätskosten ihrer Verwendung. Die Art des entdeckten und geteilten Wissens ist ein Wissen von den besonderen Umständen, die relevant sind für die Verwirklichung spezifischer, temporärer Zwecke von Individuen, die ganz unterschiedliche selbst gesteckte Ziele verfolgen. 55 Anders gesagt, kann man mit Hilfe der Preise am Markt die Beobachtungen anderer beobachten – also die Konkurrenz – und zwar sehr weit über den Bereich persönlicher Kontakte hinaus. Das gelingt, weil Konkurrenz eine sehr anspruchslose Form der Sozialität, nämlich interaktionslos möglich ist. 56 Der dem Weitsehen anhaftende Nachteil ist jedoch, dass man nicht komplex beobachten kann. Der Grund hierfür liegt darin, dass das Wirtschaftssystem über den Markt als Umwelt fungiert. Als System kann die Wirtschaft eine hohe interne Komplexität entwickeln. Als Umwelt bietet die Wirtschaft aus Sicht der partizipierenden Systeme nur Preissignale, die dann in diesen Systemen mit einem Informati-

52 v. Hayek, Der Sinn des Wettbewerbs, in: ders., Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, 139 f. (Hervorhebung im Original). Die dadurch angedeutete konstruktivistische Funktion von Märkten bei der Organisierung von Beobachtung trifft sich mit entsprechenden Aussagen der Systemtheorie. 53 Es wäre eine eigene Forschungsaufgabe, wollte man näher untersuchen, inwieweit die wirtschaftliche Kommunikation über die Zeiten hinweg im Vergleich zu anderer Rede privilegiert war. 54 Die De-luingifizierung führt den Vorteil mit sich, unabhängig von sprachlichen Differenzen kommunizieren zu können. Vgl. Wohlgemuth, The Independent Review X (2005), 83 (105) (»Exactly because market competition relies on a ›delinguistified‹ medium – prices – it transcends language barriers«). 55 Vgl. Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: ders., Freiburger Studien, 249 (251) sowie – deutlicher – die ursprüngliche englische Fassung Competition as a Discovery Procedure, in: New Studies on Philosophy, Politics, Economics, History, and the History of Ideas, 179 (181) (economic competition »is a method of discovering particular facts relevant to the achievement of specific, temporary purposes«). 56 Konkurrenz eröffnet die Möglichkeit, das Einwirken anderer auf das Erreichen eigener Ziele angesichts knapper Ressourcen einzuschätzen, ohne dass dazu Kontakt aufgenommen werden müsste, vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, 102.

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onswert versehen werden, aber noch intern weiterverarbeitet werden müssen. 57 Märkte führen »nur« zur Ordnung bzw. Orientierung der Umweltbeobachtung von partizipierenden Systemen, aber sie beobachten nicht selbst Umwelt. Jeder Marktteilnehmer muss unabhängig seine wirtschaftssysteminterne Umwelt 58 interpretieren und sie mit der Beobachtung von nicht-wirtschaftlicher Umwelt in Verhältnis setzen, um zu einer Entscheidung (über den Einsatz von knappen Ressourcen) zu kommen. Dieser Zwang zur unabhängigen Interpretation einer gemeinsamen Umwelt durch beobachtende Systeme zeichnet den Markt als Institution der Wissensteilung aus; vor allem gegenüber Institutionen, die ihrerseits als Systeme organisiert sind. Über Preiskommunikation erzeugen die Akteure (Teil-)Märkte als gemeinsame Beobachtungshorizonte. Die Vielzahl der beobachtenden Systeme wird gleichsam festgelegt auf den gleichen, allerdings sehr begrenzten Umweltausschnitt: es wird von allen ein und dasselbe knappe Gut beobachtet und zwar mit Blick auf die Zahlungsbereitschaft anderer. 59 Durch diese Bündelung von Beobachtungen der Sonderumwelt und ihrer Kondensation in Preisen bzw. Preisdifferenzen kann jedes beobachtende System vom Markt als »Gedächtnis der Wirtschaft« 60 profitieren, weil es Informationen über die dezentralen Beobachtungen und Entscheidungen anderer beobachtender Systeme gewinnen kann. Auch wenn die partizipierenden Systeme solchermaßen den Beobachtungshorizont teilen, treffen sie doch die Entscheidung über die Verwendung des knappen Gutes jeweils autonom. Das, was den Markt zu einem für die Gesamtgesellschaft so interessanten (weil effiziente und innovative Güternutzung ermöglichenden) Verfahren der Wissensteilung macht, ist, 57 Anders ausgedrückt: Der Markt absorbiert nicht genügend Kontingenz, so dass sich Unternehmen und Haushalte nicht mit dem Errechnen von einzig-richtigen Entscheidungen begnügen können, sondern selbst entscheiden müssen – in Abhängigkeit von den eigenen Strukturen. Vgl. Luhmann, Organisation und Entscheidung, 27. 58 In der Beobachtung durch partizipierende Systeme ist die Wirtschaft eine besondere Umwelt, vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, 94. Abgrenzbare Märkte stellen dann Ausschnitte aus dieser besonderen Umwelt, also »Sonderumwelten«, dar. Vgl. Baecker, Information und Risiko, 205: Die in Beobachtungen von Beobachtungen realisierten Märkte sind nichts anderes als Repräsentationen der Wirtschaft insgesamt im Horizont der partizipierenden Teilsysteme. Zugleich werden solche Beobachtungen zweiter Ordnung nur möglich, weil die Märkte als Sonderumwelten der Teilsysteme die das Wirtschaftssystem insgesamt konstituierende System/Umwelt-Differenz für die Teilsysteme zugriffssicher reduplizieren. 59 Deswegen ist auch die Marktabgrenzung als soziale Konstruktion aufzufassen. Dazu Engel, in: FS Immenga, 127 ff., nach dem die Marktteilnehmer einem Markt in ihrer Kommunikation untereinander eine wahrnehmbare Grenze geben und zur epistemischen Gemeinschaft werden. Problematisch ist allerdings die Auffassung (aaO., 136), dass das identitätsbildende Merkmal solcher Gemeinschaften sei, dass sie die sie umgebende Wirklichkeit in der gleichen Weise deuteten. Genau das geschieht nicht: Der Deutungshorizont ist derselbe, nicht aber der Inhalt dieser Deutung. 60 So der treffende Titel bei Baecker, in: FS Habermas, 519 (535 ff.).

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dass das dezentral erzeugte und kodiert mitgeteilte Wissen auch dezentral angewendet wird. Die Stelle, die die entscheidungsrelevanten Informationen über die wirtschaftsinterne Umwelt erhält und sie mit eigenen Fähigkeiten (»capabilities«: »knowledge, experience, and skills«61) in Verbindung bringen kann, um die Nutzungsmöglichkeiten des zu erwerbenden oder anzubietenden Gutes zu ermitteln, ist gleichzeitig auch zur Entscheidung befugt, weil das Eigentum an einem Gut die Autorität zur Selektion der Verwendung vermittelt. 62 Das über den Markt dezentral erzeugte Systemwissen steht über den Preis als offene Schnittstelle allgemein zur Verfügung und kann sich in den Entscheidungen wiederum dezentral mit dem nicht-wirtschaftlichen Umweltwissen der Akteure rekombinieren. Durch das Zusammenfallen von Wissen und Entscheidungsbefugnis (»collocation of knowledge and decision rights« 63) kommt es zu einer optimalen Aktivierung individueller Fähigkeiten bei der Selektion von Verwendungsmöglichkeiten. 64 Die Funktionsweise des Marktes als Institution der Wissensteilung wird also erst verständlich, wenn man das Zusammenwirken von spezifischem (implizitem) Wissen, der freien Zugänglichkeit kollektiv erzeugten Selektionswissens und der konkreten Zuteilung von Selektionsautorität unter den Wissensträgern berücksichtigt. In zeitlicher Hinsicht betrachtet, vollzieht sich die so in sachlicher Hinsicht gekennzeichnete Wissensteilung entsprechend der Fluktuation der in den Preisen ermittelten Präferenzen in spontanen und meist eher kurzen Episoden. 2. Unternehmen Auch das Unternehmen lässt sich als Institution der Wissensteilung auffassen. Anders als in den vorherrschenden Theorien des Unternehmens ist dazu das Unternehmen als Institution der Erzeugung von unternehmensspezifischen Externalitäten und nicht der Vermeidung von Transaktions- und Koordinierungskosten zu betrachten. Es greift zu kurz, das Unternehmen als Koordinationsinstrument vorhandener Ressourcen und Wissensfragmente der Inputträger zu sehen. Wie im Falle der Koordination des Verhaltens auf Märkten gilt, dass Koordination die Erzeugung von Wissen voraussetzt. Im Unternehmen wird spezifisches Wissen als unternehmensinternes öffentliches Gut erzeugt. 61 Als Attribute von Individuen und Organisationen gleichermaßen, vgl. Richardson, Economic Journal 82 (1972), 883 (888). 62 Vgl. die Bestimmung von Eigentum bei Alchian, Il Politico 30 (1965), 816 (818): »By a system of property rights I mean a method of assigning to particular individuals the ›authority‹ to select, for specific goods, any use from a non-prohibited class of uses.« 63 Vgl. Jensen/Meckling, Journal of Applied Corporate Finance 8(2) (1995), 4 (5 f.). 64 Man kann das als die »division of-of-knowledge benefits of property rights« bezeichnen, die neben deren »incentive benefits« treten. Vgl. die Unterscheidung bei Langlois, Journal of Economic Behavior & Organization 49 (2002), 19 (27).

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Mit Blick auf die sachliche Komplexität und die zeitliche Stabilität dieser Wissenserzeugung zeigen sich aber signifikante Unterschiede zum Markt. Theorien des Unternehmens müssen ihren Ausgang bei dem Umstand nehmen, dass die Tätigkeit der Produktion von Gütern ein koordiniertes Zusammenwirken von Individualakteuren erforderlich macht. Jedenfalls unter Bedingungen der Verteilung von Fähigkeiten in arbeitsteiligen Gesellschaften (Modularität des Inputs) einerseits und der Nachfrage nach komplexen Produkten (Komplexität des Outputs) andererseits müssen Ressourcen im Rahmen von »Produktionsprojekten« zusammengeführt werden. Bereits die Aufgabe, die das Unternehmen als Institution der Wissensteilung »lösen« muss, ist eine andere als die des Marktes. Innerhalb des Unternehmens geht es nicht um die – bereits »extern« vom Markt beantwortete – Frage, was aufgrund veränderter Knappheiten produziert werden soll und damit um die Konsistenz eines gefassten Plans, sondern um die Entwicklung von Produktionsprojekten und darum wie die Produktion organisiert werden soll. 65 Produktion erfordert die Koordination komplementärer Aktivitäten. 66 Auf unterschiedliche Inputträger verteilte, diversifizierte Fähigkeiten und Wissensfragmente müssen im Rahmen des jeweiligen Produktionsprojektes so zusammengeführt werden, dass sie sich inhaltlich ergänzen. Es ist die Entwicklung von speziellem »Produktionswissen« erforderlich, das erheblich komplexer ist als das auf Märkten kommunizierte Knappheitswissen. 67 Dazu müssen teilweise gezielt Optionenräume entworfen werden, in denen neues Wissen erprobt und gespeichert werden kann. Was kann die Form des Unternehmens hierzu beitragen? Die klassische Antwort der Organisationstheorie verweist auf das Prinzip der Hierarchie: Konzentration von Entscheidungsbefugnis an einer Spitze, Weisungsgebundenheit aller übrigen Teammitglieder; 68 Zweckprogrammierung durch die Spitze, Einsatz der Ressourcen entlang von Weisungsketten gemäß dem gefassten Plan. 69 Im Vergleich zum Markt also Entkoppeln der 65 Insofern unterscheiden sich die Funktionen von Märkten und Unternehmen und können einander nicht beliebig substituieren, vgl. Metcalfe, in: Rizzello (ed.), Cognitive Developments in Economics, 193 (208). 66 Während Unternehmen im Verhältnis zu anderen Unternehmen dagegen eine Tendenz zur Spezialisierung in »similar capabilities« zeigen, um von komparativen Vorteilen zu profitieren. Vgl. Richardson, Economic Journal 82 (1972), 883 (888 f.). 67 Die eigentümliche Synthetizität und Komplexität eines besonderen Produktionswissens wird vor allem von der »capabilities«-Theorie der Firma betont: »The point about ›production‹ is that it requires the synthesis and combination of many different kinds of knowledge and thus the integration of of teams of specialzed . . . individuals.« Vgl. Metcalfe, in: Rizzello (ed.), Cognitive Developments in Economics, 193 (208). 68 Und vertrauen darauf, dass die Spitze selbst »von außen«, durch den Markt, kontrolliert werde! 69 Diese Kennzeichnung findet ihren grundlegenden Ausdruck in Max Webers Bürokratiemodell (dazu Luhmann, Organisation und Entscheidung, 16 ff., 20, 26). Sie hat sich in der Organisationswissenschaft seither – trotz mancher Kritik – festgesetzt und ist auch in der

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Entscheidungsbefugnis vom Wissen. Entzug von Autonomie um der Lenkung der Interaktion zwischen den Einheiten willen. Hierarchie ist der Versuch, die Referenz auf einen gemeinsamen Horizont und die Referenz auf eines der beteiligten Systeme (eben jenes an der Spitze) zusammenfallen zu lassen. 70 Problematisch an den ökonomischen Theorien des Unternehmens ist, dass sie diesen Wechsel des Koordinationsprinzips nur unter Allokationsgesichtspunkten betrachten. Im Grunde wiederholt sich das Defizit, das bereits bei der Erklärung der kognitiven Funktion des Marktes festgestellt wurde. So wenig wie der Markt (allein) als Allokationsmechanismus zu sehen ist, so unzureichend ist es, das Unternehmen als Allokationsmechanismus zu begreifen. 71 Bleibt dort ungeklärt, wie die Akteure überhaupt jenes Wissen erlangen, das sie in die Lage versetzt, effizienteren Gebrauch von Ressourcen zu machen, so bleibt hier ungeklärt, wie eine qualitative Koordination von autonomen Systemen stattfinden kann, d. h. wie vorhandenes, aber verteiltes Wissen für einen (von der Spitze) vorgegebenen Zweck aktiviert und wie zwischen den Einheiten eine Wissensteilung zum Aufbau von spezifischem neuen Produktionswissen bewirkt werden kann. Die Ursache für dieses Defizit hängt in beiden Fällen damit zusammen, die Kooperation zwischen den Einheiten nach dem äußeren Vorgang der Transaktion selbst zu modellieren (etwas Gegebenes wechselt die Sphäre der Selektionsautorität) und nicht zu sehen, dass in diesem Zuge auch Wissen erzeugt wird, das anderen zur Verfügung steht und das von den Parteien selbst in Anspruch genommen wurde. Kooperation ist (anders als der Begriff der Trans-aktion nahe legt) kognitiv kein Nullsummenspiel. Nun ließ sich diese Perspektive bei der Rekonstruktion des Marktes als Mechanismus zur Allokation von gegebenen Ressourcen noch relativ leicht entbehren, weil das zu erzeugende Wissen einfach und Preiskommunikation sozial anspruchslos ist. Sobald aber das Modell der Transaktion auch auf die Kooperation im Rahmen von Teamproduktion und damit auf das Unternehmen übertragen wird, macht sich die Vernachlässigung der kognitiven Dimension jedoch deutlich bemerkbar. Denn durch die Trennung der Entscheidungsbefugnis vom Wissen ist jene »Selbstidentifikation« von Fähigkeiten, wie sie am Markt geschieht, nicht mehr möglich. Die Inputträger verfügen nicht über die Selektionsautorität eines Eigentümers. Diese besitzt vielmehr nur die Spitze, der jedoch umgekehrt auch nur das eigene, begrenzte Wissen zur Verfügung steht. Alles kommt jetzt darauf an, dass die Unternehmensführung als zentrale Schnittstelle des Unternehmens Rechtswissenschaft gängig (siehe etwa Mestmäcker, Organisationen in spontanen Ordnungen, 11). 70 Vgl. die Kennzeichnung bei Baecker, Information und Risiko, 204. 71 Kritik der Sicht des Unternehmens als Allokationsmechanismus allgemein bei Amin/ Cohendet, Architectures of Knowledge, 38 ff. (60) und speziell für multidivisionale Konzerne bei Frost/Morner, Int. J. Learning and Change 1 (2005), 28 (42).

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zu seiner Umwelt diese »richtig« interpretiert und andererseits die Abläufe intern so organisiert, dass die angenommenen Fähigkeiten der (operativ undurchdringlichen) beteiligten Bewusstseinssysteme und ihre Beiträge auch tatsächlich ineinander greifen. Auf die spezifischen Beschränkungen, denen das Prinzip der Hierarchie und damit die Form des Unternehmens aufgrund der Verbindung fester Systemgrenzen mit der Zentralisierung der Umweltbeobachtung unterliegt, wird noch genauer bei der Herausarbeitung des Netzwerks als selbständiger Institution der Wissensteilung einzugehen sein (unten § 4 I 1). Vorliegend ist vielmehr hervorzuheben, dass der Übergang von einer Koordination über den Markt zu einer solchen über Hierarchie nicht einfach nur als Reaktion auf ein Marktversagen bei der Teamproduktion infolge des Auftretens von (an sich zu vermeidenden) Externalitäten anzusehen ist, sondern seine Funktion gerade darin hat, solche Externalitäten zwischen den Einheiten gezielt zu ermöglichen – mit welchem Erfolg ein solches »Externalitätenmanagement« der Hierarchie im konkreten Fall dann auch immer gelingen mag. Die produktive Koordination von Einzelbeiträgen im Unternehmen erfolgt über die Erzeugung von gemeinsamen, transsubjektiven Wissensbeständen in organisationalen Routinen.72 Über solche »Routinen«73 wird das Wissen des einzelnen partizipierenden Systems für die Zwecke des Unternehmens mobilisiert. Um die an sich unzugänglichen impliziten Wissensbestände der Einzelnen zu aktivieren, wird also eine Art »Umweg« gegangen über die Schaffung eines eigenen Wissens der Organisation. In ihm speichert das Unternehmen erfolgreiche Problemlösungen und entwirft neue Strategien für die Zukunft. Diese Vorstellung eines emergenten (von dem Wissen der Individuen verschiedenen) Wissens des Unternehmens selbst ist insbesondere seiner systemtheoretischen Rekonstruktion vertraut. 74 Sie fasst das Unternehmen als einen – mit Hilfe des Rechts75 – gegenüber seiner Umwelt verselbständigten Kommunikationszusammenhang auf, der sich durch die rekursive Verknüpfung von Entscheidungen als Elementareinheiten reproduziert und auf diese Weise laufend (um-)weltbedingte Unsicherheiten in systeminterne (selbsterzeugte) Sicher72 Vgl. Amin/Cohendet, Architectures of Knowledge, 60 (»the firm is primarily a generator of resources, defi ned as distinctive knowledge and organizational routines, locked in core competences or capabilities«). 73 In den Kompetenz-Theorien des Unternehmens verbreitet ist die Defi nition von Routinen bei Cohen et al.,Industrial and Corporate Change 5(3) (1996), 653 (683): »A routine is an executable capability for repeated performance in some context that has been learned by an organization in response to selective pressures.« (Hervorhebung hinzugefügt) 74 Vgl. Luhmann, Organisation und Entscheidung, 186 (Wissen der Organisation als Ergebnis von Lernprozessen in der Organisation selbst gespeichert). 75 Über die Rechtsverfassung als juristische Person können Entscheidungsbefugnisse im Unternehmen festgelegt und individuelle Akte dem Kollektiv – dem »corporate actor« – zugerechnet werden. Als Bezugspunkt für die selbstreferenziellen Entscheidungen dient dabei das »Unternehmensinteresse«. Zu diesem vgl. Teubner, ZHR 149 (1985), 477 f. und ders., Recht als autopoietisches System, 156.

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heiten transformiert.76 Wie alle autopoietischen Systeme, die ihre Elemente selektiv miteinander verknüpfen, muss das Unternehmen ein eigenes Systemgedächtnis anlegen, das alle anlaufenden Operationen testet im Hinblick auf Konsistenz mit dem, was das System als Realität konstruiert und was als Entscheidungsprämisse bei weiteren Entscheidungen in Anspruch genommen wird. Entscheidungsautonomie und Gedächtnis bedingen einander. 77 Hier schlägt sich nieder, dass das Unternehmen gegenüber den psychischen Systemen als eigenständiges System aufzufassen ist und nicht »nur« wie der Markt als deren gemeinsame Umwelt fungiert. Auf der emergenten Ebene der Organisation fallen Wissen und Selektionsautorität wieder zusammen. Aus dieser Perspektive erscheint die Zerlegung und Repartitionierung von Eigentumsrechten der Inputträger im Unternehmen in einem neuen Licht. Die Übertragung auf eine direktionsbefugte zentrale Stelle dient nicht einfach der »Lösung« eines »Kollektivgutproblems« bei der Teamproduktion, 78 wie die Principal/Agent-Theorie annimmt, sondern vielmehr der Konstituierung von Kollektivgütern. Die raison d’être des Unternehmens liegt nicht in der Korrektur eines Marktversagens, wenn der Markt als Mechanismus der Informationsverarbeitung zu kostspielig wird, wie die Transaktionskostentheorie annimmt, sondern vielmehr in der Ermöglichung eines komplexen Systemgedächtnisses und qualitativ anderen Produktionswissens, als es der Markt überhaupt zur Verfügung stellen kann. Unternehmen entstehen, um Externalitäten zwischen den Einheiten zu erzeugen und über mitteilungsreiche Kommunikation einen eigenen neuen Wissensbestand aufzubauen.79 Dieses eigene Wissen des Unternehmens ist gleichermaßen Ergebnis wie Voraussetzung für Synergien zwischen den Einheiten. Anders als auf dem Markt ist das Wissen des Unternehmens firmenintern für die Akteure als Gemeinschaftsgut frei nutzbar. Ob es tatsächlich effektiv genutzt wird, hängt zwar davon ab, wie klug ein Unternehmen sein Wissensmanagement konkret einrichtet. Da aber jeder Beteiligte zum bisher aggregierten und in Dokumenten oder anderen Informationsträgern explizit gemachten Wissensbestand grundsätzlich freien Zugang hat, kann er eigenes Wissen mit diesem fremden rekombinieren. Die aufgezeichneten Ergebnisse dieser Rekombination reichern das transsubjektive Wissen weiter an. An Stelle von Preisen vollzieht sich Wissensteilung im Unternehmen damit durch ein Zusammenspiel von organisationalen Routinen und unternehmensinternen immateriellen Gemeinschaftsgütern oder »corpo76

Vgl. etwa Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 833 und 838. Zum Zusammenhang zwischen Entscheidungsfähigkeit und Systemgedächtnis vgl. Luhmann, Organisation und Entscheidung, 192 ff. und 418 f. (Gedächtnis hat die Funktion, eine Operation als Beobachtung auszugestalten, es pflanzt Beobachtungsmöglichkeiten in den Boden autopoietischen Operierens). 78 Vgl. Behrens, Grundlagen, 314. 79 Vgl. Langlois, Journal of Economic Behavior & Organization 49 (2002), 19 (34). 77

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rate commons« 80 . Im Vergleich zum Markt, der eine klare Trennung zwischen einer allgemein zugänglichen öffentlichen Wissensbasis und dem impliziten Wissen der Individuen voraussetzt, 81 ermöglicht die leichtere Verknüpfung der Anschlussmöglichkeiten impliziten Wissens an öffentliche Wissensgüter innerhalb eines Unternehmens komplexere Kombinationen verteilten Wissens. Die Gelegenheit zur produktiven Verknüpfung und Erzeugung von Wissen im Unternehmen wird zudem dadurch gesteigert, dass das Produktionsprojekt – wiederum mit Hilfe der Rechtsinstitution der juristischen Person – gleichsam auf Dauer gestellt ist. Gestaltet sich der Prozess der Wissensteilung durch den Markt spontan und episodenhaft, stellt das Unternehmen der kollektiven Wissenserzeugung und -nutzung einen erweiterten Zeithorizont zur Verfügung, in dem sich Lernprozesse systematisch vollziehen können. Mit Hilfe des eigenen Gedächtnisses ist es dem Unternehmen möglich, eine »systemspezifische Zeit« zu generieren, innerhalb derer es – in Distanz zu Veränderungen in seiner Umwelt – experimentell neues Wissen entwerfen und erproben kann. 82 Auf diese Weise trägt die zeitliche Stabilität der Kooperation im Unternehmen – seine eigenständige Zeitbindungsform – erheblich zur Komplexifizierung des erzeugbaren sachlichen Wissens bei. 83 Das Unternehmen als Institution der Wissensteilung kennzeichnet damit neben der hierarchisch gesteuerten Bereitstellung kollektiver Wissensgüter auch eine längerfristige Institutionalisierung kollektiver Lernfähigkeit. 3. Deliberative Demokratie Ganz anders wiederum vollzieht sich die Wissensteilung, die vom deliberativen Diskurs im demokratischen Prozess ausgeht. Einen epistemischen Blick auf den politischen Diskurs zu werfen, mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, geht es bei diesem doch um die Ermittlung von Gründen für kollektiv verbindliche Entscheidungen, die von den durch die Entscheidungen Betroffenen teilbar sind oder vernünftiger Weise geteilt werden würden. Es handelt sich um Begründungsdiskurse, die Entscheidungen legitimieren sollen; in der stattfindenden Kommunikation werden erhobene Geltungsansprüche mit »guten Gründen« geteilt oder bestritten. Die Erzeugung von Legitimation – das Finden von Gründen zur moralischen/ethischen Rechtfertigung – liegt auf einer anderen kategorialen Ebene als die Erzeugung von Wissen. Die katego80

Ausdruck bei Frost/Morner, Int. J. Learning and Change 1 (2005), 28 (32). Vgl. Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 176. 82 Vgl. Luhmann, Entscheidung und Organisation, 195: Nur mit Hilfe ihres Gedächtnisses kann die Organisation in ihre Vergangenheit Alternativen hineinlesen und ihre Zukunft durch Differenzbestimmungen strukturieren. 83 Für Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 188 ist das Unternehmen primär durch seine neue Zeitdimension und weniger durch seine (üblicherweise hervorgehobene) Zielorientierung charakterisiert. 81

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riale Verschiedenheit von Gründen und Wissen schließt aber nicht aus, dass in einem auf Legitimation gerichteten Prozess nicht auch Wissen erzeugt wird. Freilich zeigen sich die verschiedenen Strömungen politischer Philosophie in unterschiedlichem Maße zugänglich für die Frage nach der epistemischen Dimension des demokratischen Prozesses. 84 Insbesondere Theorien deliberativer Demokratie 85 weisen aber auf die epistemischen Eigenschaften öffentlicher Deliberation hin. Diese geraten vor allem dann in den Blick, wenn man eine pragmatische Epistemologie zu Grunde legt, in deren Perspektive die Teilnehmer am demokratischen Diskurs als »Community of Inquirers« erscheinen, die ständig auf der gemeinsamen Suche nach klugen Lösungen für politische Probleme sind. 86 Demokratie wird damit zu einem bestimmten Modus kollektiver Problemlösung; 87 zu einem Suchprozess, der experimentell und fallibel ist. 88 Vor allem aber ist der Suchprozess der Demokratie dezentral angelegt. Die Art des Suchverfahrens trägt damit dem Gegenstand der Suche Rechnung. Das soll anhand von Deweys Ansatz kurz vertieft werden. Für Dewey ist jede Form menschlicher »inquiry« oder Untersuchung – sei es in der wissenschaftlichen (Forschung) oder in der alltäglichen Problemlösung – auf die kooperative Erlangung nützlichen Wissens gerichtet und bedient sich dabei der Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen (u. a. Vernunft, empirische Methoden, implizites Anwendungswissen, Imagination, Intuition). Darin liegt eine doppelte Absage gegenüber dem von Platon etablierten Wissensbegriff. Der Sache nach richtet sich Erkenntnis nicht auf (absolute) Wahrheiten, die sich durch ihre Übereinstimmung mit einer vorgängig existierenden Realität auszeichneten. Gegen den korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff89 setzt Dewey einen prag84

Vgl. die Darstellung bei Habermas, Communication Theory 16 (2006), 411 (412 f.). Kurze Übersicht zur Theorie deliberativer Demokratie etwa bei Tohidipur, in: Buckel/ Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 393 ff. 86 Zur Verwendung des Peirceschen Gedankens der »community of inquirers« im Rahmen einer epistemischen Theorie von Demokratie bei Dewey vgl. Putnam, Southern California Law Review 63 (1990), 1671 ff. 87 Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, 386 (Erzeugung legitimen Rechts durch deliberative Politik als problemlösendes Verfahren). 88 Ähnlich dem Suchprozess der Wissenschaft, vgl. Talisse, Res Publica 11 (2005), 185 (188). 89 Dewey kritisiert jede Form der »spectator theory of knowledge«, der zufolge der Gegenstand an sich bestimmt ist und lediglich in unterschiedlicher Weise wahrgenommen wird. Die in Korrespondenztheorien vorausgesetzte Trennung von Erkenntnistätigkeit und unabhängigem Gegenstand garantiert eine Objektivität, von der aus die Vernunft zu sicherer Erkenntnis gelangen und damit als Grundlage sicheren Handelns dienen könne. Für Dewey lassen sich jedoch Erkennen und Handeln bzw. Theorie und Praxis nicht trennen. Ansätze, die dies verkennen, zeugten von dem Verlangen, die Unsicherheit, mit der sich der Mensch konfrontiert sieht, durch absolute Gewissheit zu überwinden. Näheres bei Röd, Der Weg der Philosophie, Bd. 2, 521 ff. 85

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

matischen90 und misst eine Vorstellung oder Theorie an der Angemessenheit ihrer Leistung (performance), einen neuen Zustand hervorzubringen, in dem die Situation, durch die der Denkprozess hervorgerufen worden war, geklärt (reconstituted) und eine bestehende Unsicherheit abgespannt ist.91 Anstatt die Welt, wie sie »ist«, zu enthüllen, befähigt uns Wissen, mit dieser Welt fertig zu werden. Ebenfalls anders als in der platonischen Tradition verdankt sich die Erzeugung dieses nützlichen Wissens nicht einer besonderen Erkenntnismethode des Individuums oder der herausgehobenen Einsichtsfähigkeit einer Elite. Das für die Meisterung sozialer Probleme erforderliche Wissen ist vielmehr ein Produkt verteilter Intelligenz: aufbauend auf den von früheren Generationen erzeugten und als kulturelle Ressourcen gespeicherten intellektuellen Werkzeugen,92 wird es erzeugt von den über die Gesellschaft verteilten, diversifizierten kognitiven Aktivitäten ihrer Mitglieder und es wird in seiner Nützlichkeit auch von dort her beurteilt.93 Durch die »community of inquirers« wird die Gesellschaft in einer a-zentrischen heterarchischen Form »von unten« (bottom up) modelliert.94 Damit wird eine interne Verbindung hergestellt zwischen epistemischem und politischem Prozess: Der Prozess der Wissensproduktion beruht auf einem offenen Austausch von Ideen und Gründen in der Gesellschaft, von dem niemand ausgeschlossen werden darf; er erfordert eine auf Inklusion gerichtete politische Form – die der Demokratie.95 Wie bei Platon kommt es bei Dewey zu einer inneren Verbindung von Wissenskultur und Staatsform, nur wird jetzt das Verhältnis genau umgekehrt bestimmt.96 Entspricht bei Platon ein an 90 Zentral für Deweys pragmatisch-experimentalistisches Wahrheitsverständnis ist der als Geltungsanspruch eingeführte Begriff der »warranted assertability« (gerechtfertigte Behauptbarkeit). Dazu näher Hickman, in: Hickman/Neubert/Reich, John Dewey – Zwischen Pragmatismus und Konstruktivismus, 99 ff. 91 Vgl. Neubert, in: Hickman/Neubert/Reich, John Dewey – Zwischen Pragmatismus und Konstruktivismus, 13 (16). 92 Vgl. Dewey, The Public and its Problems, 209 (»Effective intelligence is not an original innate endowment. No matter what the differences in native intelligence (allowing, for the moment, that intelligence can be native), the actuality of mind is dependent upon knowledge from the past . . . embodied in the utensils, devices and technologies«). 93 Vgl. Posner, Law, Pragmatism, and Democracy, 100 f. (»The knowledge required for these endeavors is collective, being produced by the cooperative efforts of diverse inquirers – intelligence is distributed throughout the community rather than concentrated in an elite – and validated by the community’s judgment of its utility. As a practical matter, truth is consensus.«) 94 Vgl. Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 163 f. 95 Vgl. auch Misak, Journal of Speculative Philosophy 18 (2004), 9 (15) (»deliberative democracy in political philosophy is the right view because deliberative democracy in epistemology is the right view«). 96 »Dewey turned Plato on his head by accepting the linkage between knowledge and politics but arguing that knowledge is democratic«, schreibt Posner, Law, Pragmatism, and Democracy, 104 und zitiert Geuss, History and Illusion in Politics, 124–125 (»Democracy for Dewey is a good form of political organisation because it is the appropriate political mo-

I. Kollektive Erzeugung von Wissen

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Wahrheitserkenntnis gebundener Wissensbegriff die Favorisierung einer autoritären Expertokratie, wie sie in der Politeia beschrieben wird, so entspricht bei Dewey ein nach-metaphysischer Wissensbegriff einer offenen, deliberativen Demokratie. Eine solche kognitivistische Interpretation von Demokratie ist nicht als abschließende Legitimation für demokratische Herrschaft zu verstehen. Hierzu müsste insbesondere das gegenseitige Bedingungsverhältnis von Recht und demokratischer Legitimität rekonstruiert werden.97 Auch folgt aus dem Umstand, dass Demokratie jetzt mit anderen Verfahren der Wissensgenerierung und -nutzung unter einer gemeinsamen Perspektive betrachtet werden kann, nicht etwa die Substituierbarkeit des einen Verfahrens durch das andere. Thesen wie die, der Wettbewerb sei »deliberativer« als Politik in dem Sinne, dass der Marktprozess mehr Information über Lösungsansätze für soziale Probleme und über die komparative Leistungsfähigkeit jener Ansätze generiere,98 berücksichtigen nicht hinreichend, dass die im politischen Prozess zu generierenden Lösungen, wenn sie Eingang in den Prozess der Rechtssetzung finden wollen,99 zusätzlich bestimmte Qualitäten (v. a. moralische Verallgemeinerbarkeit) aufweisen müssen, die im Marktprozess jedoch unbeachtet bleiben (können); und zweitens, dass die unterschiedliche Ausgestaltung des politischen Prozesses (etwa hinsichtlich Teilnahme- und »Erfolgs«-Bedingungen) in ihrem Eigenwert nicht übergangen werden darf. Festzuhalten ist vielmehr der Bedingungszusammenhang zwischen demokratischen Institutionen und dem Prozess der Wissensteilung in der Zivilgesellschaft. Eine demokratische politische Ordnung sichert die Bedingungen für die Entwicklung kollektiver sozialer Intelligenz und wird umgekehrt angereichert durch die Partizipation der Bürger in der Suche nach sozialen Problemlösungen. Danach ist Demokratie angewiesen auf ein robustes epistemisches Rückgrat in der Gesellschaft. Diesen Zusammenhang gilt es bei der Ausgestaltung von Institutionen zu berücksichtigen: 100 Es ergibt sich nicht nur ein Argument für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer breiten Wisdelling of a more general form of human interaction which has both epistemological and valuative advantages«). 97 Das ist das Projekt in Habermas, Faktizität und Geltung. 98 So die These von Wohlgemuth, The Indepenedent Review 10 (2005), 83 (84). 99 So betont etwa Habermas, Faktizität und Geltung, 334, dass das politisch gesetzte Recht einer konkreten Rechtsgemeinschaft, um legitim zu sein, mindestens in Einklang stehen müsse mit moralischen Grundsätzen, die auch über die Rechtsgemeinschaft hinaus allgemeine Geltung beanspruchten. 100 Die Bedeutung von Institutionen ist entscheidend für die dezentrale Nutzung des Wissens in der Gesellschaft. Hier liegt der Transmissionsriemen, der für die Partizipation des Einzelnen am gesellschaftlichen Wissen (und vice versa) sorgt. Vgl. Dewey, Freedom and Culture, 69–70 (»Given a social medium in whose institutions the available knowledge, ideas and art of humanity were incarnate . . . the average individual would rise to undreamed heights of social and political intelligence«).

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

sensbasis in der Gesellschaft auf der Makroebene, etwa durch die Garantie eines ausreichend großen Bestandes an gemeinfreiem Wissen oder der Verhinderung eines »digital divide« in der Bevölkerung. Vor allem würde es im Interesse eines funktionierenden politischen Prozesses in der Demokratie liegen, die Vielzahl von epistemischen Praktiken auf der Mikroebene frei gebildeter Interaktionssysteme in der Gesellschaft zu erhalten. Die Bedeutung der Institutionen verteilter Intelligenz im Rahmen der Politik hängt dabei mit dem gleichen Umstand zusammen, der auch die Bedeutung von Vielfalt in der Wissenschaft ausmacht: kognitiver Diversität101 kommt ein eigener Stellenwert zu, da sie für das Operieren von Kommunikationssystemen einerseits notwendig ist, andererseits aber nicht durch das System selbst bereitgestellt werden kann.102 Seit Peirce erkannt hat, dass wissenschaftliche Theoriebildung weder auf induktives noch auf deduktives Schließen zurückgeführt werden kann, sondern sich der »Abduktion« verdankt, wird immer deutlicher, dass wissenschaftliche Methoden zwar das Testen von Theorien erlauben, nicht aber deren Erzeugung ermöglichen.103 »Because there is no algorithm for creating new theories, a diversity of approaches is necessary if there is to be a good chance of hitting on one that works. Progress is a social rather than an individual undertaking and achievement because people see things differently.«104 Im gleichen Sinne steht auch die Problemlösungskapazität des politischen Systems nicht auf eigenen Beinen. Sie ist vielmehr gebunden an die Integrität der gesellschaftlichen Institutionen der Wissensteilung. Aus dieser Funktion für den politischen Legitimationsdiskurs ergibt sich umgekehrt ein normatives Argument für die Stabilisierung einer Vielfalt wissensteilender Institutionen und die Erhaltung ihres je eigentümlichen Modus der Wissenserzeugung. Anstatt auf die epistemische Kapazität des Staates zu vertrauen,105 geht es um die rechtliche Verfassung gesellschaftlicher Prozesse der Wissensteilung. 101 Die um so wahrscheinlicher ist, je höher die Anzahl von strukturellen Kopplungen unterschiedlicher Bewusstseinssysteme an Funktionssysteme ist. 102 Dagegen tendiert die Systemtheorie bei Luhmann zu einer zu starken Betonung der systemeigenen Variationsmechanismen. So formuliert Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 574 die Hypothese, »dass die wissenschaftliche Evolution sich der Wissenschaft selbst verdankt«. Natürlich wird Bewusstsein durch Teilnahme an systemischer Kommunikation in gewissem Ausmaß konditioniert oder »dirigiert« (aaO, 565). Denn das Bewusstsein wird stetig damit konfrontiert, dass »Bewusstseinsprozesse dann und nur dann zu Variationen des Wissens [der Wissenschaft, DW] führen können, wenn sie in Kommunikation umgesetzt und als Kommunikation verstanden oder missverstanden werden« (aaO., 567). 103 Zur Bedeutung der Heuristik für rationale Praxis überhaupt vgl. Albert, Traktat, 28 u. 32 (»allgemeine Methodologie [ist] nichts anderes als rationale Heuristik«). Dort (29 f.) auch der Hinweis auf die Unabdingbarkeit von schöpferischer Phantasie für die Konstruktion alternativer Problemlösungsvorschläge. 104 Posner, Law, Pragmatism, and Democracy, 101 f. 105 Zur epistemischen Sicht auf den Staat vgl. etwa Scott, Seeing like a State.

II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung

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Bevor entsprechende Rechtsverfassungsgrundsätze vor Augen treten können,106 sind zunächst einige allgemeine Folgerungen aus der Bedeutung sozialer Institutionen für die Wissensteilung zu ziehen.

II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung Welche rechtliche Konsequenz hat es, wenn sozialen Institutionen maßgebliche Bedeutung für die Erzeugung von Wissen zugeschrieben wird? 1. Institutionenschutz In § 1 wurde dargestellt, dass selbstbestimmtes Handeln zu autonomen sozialen Systemen führt, die ihrerseits über die effektiv zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten entscheiden. Weiter wurde herausgearbeitet, dass die für die Differenzierung von Systemen notwendige Kooptation von Bewusstsein (Wissensteilung) vom Recht in zwei Formen vermittelt wird: neben die Mobilisierung durch die Zuerkennung subjektiver Rechte muss in einem bestimmten Umfang die Nutzung der auf Subjekte zugerechneten kommunikativen Artefakte durch Dritte ermöglicht werden, um eine Diversität von Impulsen für Variation im System und damit dessen Weiterentwicklung zu erhalten. Bei Bestehen von subjektiven Rechten wird die Nutzung von Immaterialgütern in bestimmten Hinsichten dezentralisiert oder aber – das ist sogleich näher zu erläutern – das Immaterialgut wird von Anfang an unter ein Regime dezentraler Nutzungsbefugnis gestellt. Argumentiert wurde, dass die Abstimmung von Ausschließlichkeitsrecht und Nutzungsfreiheit in Form von systemspezifisch zugeschnittenen Zugangsregeln erfolgt. Wenn aber, wie zu Beginn dieses Paragraphen erläutert, sich die Wissensteilung in der Gesellschaft maßgeblich über Institutionen vollzieht, wird deren Integrität zu einem wichtigen Baustein bei der Aufgabe, für eine angemessene rechtliche Verfassung systemischer Wissensteilung um der individuellen Autonomie willen zu sorgen. Institutionen sind gleichsam das epistemische Rückgrat der Systeme. In ihnen wird vorentschieden, in welchen Einheiten Wissen erzeugt wird. Subjektive Rechte können nur anknüpfen an kommunikative Artefakte, in denen Wissen gleichsam kondensiert und expliziert vorliegt. Sie verfügen nicht über das Arrangement, in dem beobachtende Systeme zusammengeschlossen sind und Wissen kollektiv erzeugen. Wie gesehen, ist hierfür von grundlegender Bedeutung, wie Beobachtung organisiert ist und in welchem Verhältnis Beobachtungskapazität und Selektionsautorität stehen. In Institutionen werden die Module für systemische Wissensteilung festgelegt. 106

Zu den Maßstäben eines gesellschaftlichen »Rechtsverfassungsrechts« für die Ordnung der Nutzung von Immaterialgütern vgl. zusammenfassend unten § 6.

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

Entsprechend der komplexen Umwelt, der sich beobachtende Systeme ausgesetzt sehen, stehen auch Institutionen nicht in einem Systemzusammenhang allein (Wirtschaft) sondern in mehreren gleichzeitig. Auf den ersten Blick scheint sich damit die Aufgabe der Rechtsverfassung um eine weitere Dimension zu verkomplizieren. Tatsächlich aber ist in vielen Fällen eine konkretere Bestimmung von Zugangsregeln möglich, weil nicht nach Angewiesenheitsverhältnissen auf der (recht abstrakten) Ebene der Systeme direkt gesucht zu werden braucht, sondern sich die Frage verschiebt von der Autonomiegarantie für Funktionssysteme auf den Schutz der Integrität von Institutionen. Beim Institutionenschutz verfügt das Recht aber über einige Erfahrung. Es war bereits darauf hingewiesen worden, dass vor allem das Kartellrecht in weiten Teilen als Schutzrecht des Wettbewerbs aufzufassen ist und entsprechend Individualschutz durch Institutionenschutz verwirklicht. Diese Herangehensweise müsste freilich auch auf andere Institutionen erstreckt werden. Das Recht hätte dann an bestehende Praktiken der Wissensteilung anzuknüpfen und die Bedingungen ihres Funktionierens zu schützen. Es gälte, die Voraussetzungen zu erhalten, unter denen die Ausübung subjektiver Ausschließlichkeitsrechte mit dem öffentlichen Interesse am Erhalt der wissensgenerierenden (innovationsfördernden) Funktion der Institution vereinbar bleibt.107 Schon aus den bisherigen Analysen ist erkennbar, dass unabhängig von der konkreten Institution dabei der Gewährleistung gleichen Zugangs zu kollektiv erzeugtem Wissen (2.) und zu Infrastrukturen der Wissensteilung (3.) allgemeine Bedeutung für die wissensteilende Funktion der Institution zukommt. 2. Zugang zu kollektiv erzeugtem Wissen Bei der Betrachtung des Marktes als Institution der Wissensteilung war herausgestellt worden, dass ständig Preisinformationen als positive Externalitäten der Verwendungsentscheidungen erzeugt werden. Das Wissen um die Verwendungsmöglichkeiten der Güter wird nicht in vollem Umfang als privates Wissen angeeignet, sondern zirkuliert in Form von Preisen marktweit.108 Insofern sind zwei Ebenen auseinanderzuhalten. Einerseits setzt der Markt dezentrale Selektionsautorität in dem Sinne voraus, dass die verfügbaren Ressourcen den Akteuren zur jeweils alleinigen Bestimmung über die Nutzung zugewiesen sind. Nur über dezentrale Entscheidungsrechte kann lokales Wis107

Vgl. die Formulierung von Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 79 hinsichtlich der Folgen, die ein Schutz des Wettbewerbs als Institution im Recht hat oder doch nach richtigem Verständnis haben sollte. 108 Vgl. auch Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 116: Der Gruppenvorteil besteht darin, dass privates Handeln eine Vielzahl von Relationierungsmöglichkeiten und -mustern nutzen kann, die als positive externe Effekte des Handelns anderer erzeugt und nicht in vollem Umfang als privates Wissen angeeignet werden.

II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung

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sen über die Verwendung von Gütern und Fähigkeiten mobilisiert werden. Andererseits wird aber das Wissen um den lokalen Einsatz eines Gutes – jedenfalls in einer stark abgekürzten Form – an die anderen dezentral planenden Akteure kommuniziert und wechselseitig geteilt.109 Aus kognitiver Perspektive erscheinen die einzelnen Marktteilnehmer als »Wissensagenten ohne Prinzipal«. Die Koordination gelingt nur, weil jeder Akteur sein Wissen allen anderen dezentral zur Verfügung stellt (und insofern der Wettbewerbsprozess selbst zum Prinzipal wird). Nur dann lassen sich die Vorteile einer dezentralen Zuweisung von Entscheidungsbefugnissen (als Suchpositionen) realisieren.110 Bildet man den Umstand der Wissensteilung ökonomisch ab, und zwar als das Auftreten von positiven Externalitäten, so ergibt sich daraus eine wichtige Umorientierung im Vergleich zu einer allokationstheoretisch orientierten rechtsökonomischen Analyse von Institutionen. Steht diese unter dem Imperativ, jede Form von Externalität als Vereitelung des Allokationsoptimums zu betrachten und deshalb ihre Internalisierung herbeizuführen, so erteilt eine Institutionenanalyse unter kognitiv-wissensteiligen Aspekten den Auftrag, das Recht so auszugestalten, dass eine Beeinträchtigung des Prozesses der Erzeugung positiver Externalitäten vermieden oder doch möglichst gering gehalten wird. Kommt es durch die Ausübung eines Individualrechts zu einer solchen Beeinträchtigung, so stellt dies eine »negative Internalisierung« dar; denn es verursacht eben auch soziale Kosten, wenn positive wissensteilende Effekte nicht mehr oder nur noch eingeschränkt auftreten können. Die normative Kernüberlegung lässt sich in dem Satz zusammenfassen, Recht(e) so auszugestalten, dass kollektiv erzeugtes Wissen frei zugänglich bleibt. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass transsubjektive Effekte zwar im Zuge der Ausübung individueller Freiheitsrechte entstehen, deswegen aber nicht automatisch der Kontrolle durch den Einzelnen unterliegen dürfen. Im Gegenteil gilt es, die Individualrechte gegebenenfalls inhaltlich so zu rekonfigurieren, dass Nutzungsvorteile für Dritte erhalten bleiben und nicht einseitig appropriierbar sind.

109 Vgl. auch Posner, NYU Journal of Law & Liberty 1(2005), 147 (157) (»Price thus operates as a method (Hayek would say the method) by which private information is diffused throughout the entire market.«) (Hervorhebung hinzugefügt). 110 Dieser Zusammenhang wird deutlich bei Hayek, Sitte, Ordnung und Nahrung – Über die Ethik des Eigentums und die Entwicklung der Kulturen, FAZ v. 30. 7. 1983, 11: »dass die unter Millionen von Menschen verstreuten Kenntnisse der konkreten Umstände von Zeit und Ort nicht durch Zentralisierung dieser Kenntnisse, sondern nur durch Dezentralisierung unter jene genützt werden können . . ., wenn ihnen die Marktpreise sagen, wie wichtig die verschiedenen Informationen sind.« (Hervorhebung hinzugefügt).

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

3. Zugang zu Infrastrukturen der Wissensteilung Die Vorteile der Aktivierung verteilter Fähigkeiten für die Erweiterung des expliziten Wissens in einem bestimmten Bereich lassen sich nur dann realisieren, wenn die Wissensteilung im Referenzsystem intakt bleibt. Für die Gewährung von Ausschließlichkeitsrechten, die die Nutzung der Artefakte expliziten Wissens beim Schutzrechtsinhaber konzentriert, steht ein Korridor zur Verfügung, innerhalb dessen der Ausschluss anderer von der Nutzung des Immaterialgutes nicht die Prozesse der Wissensteilung in den betroffenen Systemen beeinträchtigt. Wird dieser Spielraum überschritten, können die Akteure nicht mehr unabhängig voneinander nach neuen Rekombinationsmöglichkeiten suchen. Das ist Ausdruck jener Verschleifung zwischen den epistemischen Funktionsvoraussetzungen der Wirtschaft mit denjenigen anderer Systeme,111 zu der es kommt, wenn der Markt die Funktion der Innovation expliziten Wissens übernimmt. Die Nutzung bestimmter Immaterialgüter wie auch das Bestehen bestimmter medialer Nutzungsmöglichkeiten ist von grundlegender Bedeutung für die Wissensteilung in den verschiedensten Systemen und Institutionen. Solche Güter und Einrichtungen können als »Infrastrukturen« bezeichnet werden. Eine der zentralen Aufgaben für die Rechtsverfassung institutioneller Wissensteilung ist es, dass das Recht einen freien und gleichen Zugang zu Infrastrukturen eröffnet und damit als Gemeinschaftsgüter der Wissensteilung ausgestaltet. Um das zu zeigen, ist auf die Kriterien der ökonomischen Infrastrukturtheorie zurückzugreifen. a. Ökonomische Infrastrukturtheorie Bereits die allgemeine Diskussion der Rechtfertigung von Zugangsbeschränkungen zu Immaterialgütern hatte unterstrichen, dass die gesellschaftliche Antwort auf die mögliche Existenz positiver Externalitäten bei der Nutzung von Gütern nicht darin besteht, deren vollständige Internalisierung anzustreben (wie im Regelfall bei materiellen Gütern). Im Bereich von immateriellen Gütern ist vielmehr eine differenzierte Regelung für den Umgang mit positiven Externalitäten rechtliche Wirklichkeit geworden, die einerseits zwar durch die Gewährung von Ausschließlichkeitsrechten die Mittel zur Internalisierung schafft, deren Ausmaß andererseits aber bewusst begrenzt, indem bestimmte Nutzungen durch Dritte frei möglich bleiben, so dass positive Externalitäten auftreten können und sollen (hier sog. Postulat der Gleichrangigkeit von Zugang und Ausschluss). Geradezu ein institutionelles Gegenmodell zur Internalisierung positiver Externalitäten durch möglichst umfassende Eigentumsrechte findet sich im Bereich der Bewirtschaftung von »Infrastrukturen«. Klassische Beispiele für 111

Zum Gedanken der kognitiven Verschleifung vgl. § 1 II 1.

II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung

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Infrastrukturen sind Verkehrswege aller Art (Straßen-Netze, Schienen-Netze, Häfen, Luftraum), Datenleitungen (TK-Netze, Postdienste) oder Leitungseinrichtungen zur Daseinsvorsorge (Wasser-Netze, Elektrizitäts-Netze). Diese Ressourcen unterfallen gemeinhin einem rechtlichen Nutzungsregime, nach dem ein freier und gleicher Zugang zu der Infrastruktur besteht. Das heißt, dass die Nutzung der Ressource grundsätzlich jedermann zu gleichen Bedingungen erlaubt ist. Der Zugang zu der Ressource wird gewährt, ohne dass nach der Person des Nutzers oder dem mit der Nutzung verfolgten Zweck diskriminiert wird. Unterfällt eine Ressource einer solchen Zugangsregel, nach der jedermann Zugang zu ihr zu nichtdiskriminierenden Bedingungen hat (»allgemein und diskriminierungsfrei zugänglich«112), kann man auch von einem »Gemeinschaftsgut« sprechen.113 Das impliziert freilich weder das Fehlen von Eigentumsrechten an der Ressource noch die Kostenlosigkeit des Zugangs zu ihr (tatsächlich ist die Nutzung in der Vielzahl der Fälle nur gegen Entgelt zu erwarten) und auch nicht, dass die Nutzung keinerlei rechtlichen Beschränkungen unterworfen werden könnte. Vielmehr ist der entscheidende Aspekt, dass die Kompetenz zur Nutzung nicht im Belieben einer bestimmten Person (also insbesondere des Eigentümers) steht, sondern dezentralisiert ist.114 Die Folge einer solchen rechtlichen Ausgestaltung von Infrastrukturen besteht, ökonomisch betrachtet, in der Freisetzung erheblicher positiver Externalitäten, denen ein großer sozialer Nutzen zugeschrieben wird.115 Um zu erkennen, warum Infrastrukturen sinnvollerweise einem solchen Zugangsregime zu unterwerfen sind, muss man freilich die übliche angebotsorientierte ökonomische Analyse von Infrastrukturen um eine nachfrageorientierte Betrachtung ergänzen. Im Mittelpunkt der Analyse von Infrastrukturen 112 Vgl. Koenig/Kühling/Scholz, in: Recht der Infrastrukturförderung, Kap. 1 Rn. 21 (im Zusammenhang mit der EG-beihilfenrechtlichen Beurteilung mitgliedstaatlicher Infrastrukturförderung). 113 Diese Bestimmung entspricht dem angelsächsischen Konzept von »open access« bzw. »commons«. Vgl. Frischmann, Minnesota Law Review 89 (2005), 917 (933); Benkler, Upgrade (2003), 6 (»Commons are a particular type of institutional arrangement for governing the use and disposition of resources. Their salient characteristic, which defines them in contradistinction to property, is that no single person has exclusive control over the use and disposition of any particular resource. Instead, resources governed by commons may be used or disposed of by anyone among some (more or less well defined) number of persons, under rules that may range from ›anything goes‹ to quite crisply articulated formal rules that are effectively enforced.«) Man beachte aber die Differenzierung bei Hess/Ostrom, Law and Contemporary Problems 66 (2003), 111 (121) (»difference between property regimes that are open-access, where no one has the legal right to exclude anyone from using a resource, and common property, where members of a clearly defi ned group have a bundle of legal rights including the right to exclude nonmembers from using that resource«). 114 Anders soll ein Gemeinschaftsgut nach der Definition von Engel, Die Verwaltung 30 (1997), 429 (431 und 433) gerade dadurch gekennzeichnet sein, dass die jeweilige Gemeinschaft zentral über seine Nutzung entscheidet. 115 Vgl. Steinmueller, in: Teubal (ed.), Technological Infrastructure Policy, 117 (117).

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

steht gemeinhin deren Eigenschaft als öffentliche (d. h. nichtrivalisierend und nichtausschließlich nutzbare) Güter, als Netzwerkgüter oder als natürliche Monopole und die Feststellung, dass es bei allen diesen Gütern zu einem Marktversagen kommt. Unter der Prämisse, dass die marktförmige Bereitstellung von Infrastrukturen am besten die gesellschaftliche Nachfrage nach ihnen ermitteln und bedienen kann, geht es darum, wie ein angebotsseitiges Marktversagen verhindert werden kann. Entsprechend dem Grund des Marktversagens gilt es, mögliche Trittbrettfahrerschaft (»free-riding«) zu verhindern, Preisaufsicht auszuüben oder missbräuchliches Verhalten zu unterbinden. Infrastrukturbezogene Regulationspolitik kreist um die Frage, wie das Fehlen funktionierender Märkte kompensiert werden kann. Danach gibt es eigentlich keinen Grund, die Nutzung von Infrastrukturen nicht möglichst auf die gleiche Weise wie die jedes anderen Gutes auch über den Markt bereitzustellen, d. h. Eigentumsrechte an Infrastrukturen ohne Beschränkungen des Verbotsrechts zu schaffen. Bei einer solchen Fixierung auf angebotsseitiges Marktversagen und dessen möglicher Korrektur bleibt jedoch unberücksichtigt, warum und auf welche Weise Infrastrukturen gesellschaftlichen Nutzen erzeugen. Dadurch läuft eine institutionenökonomische Analyse Gefahr, auf einem Auge blind zu werden, weil die sozialen Kosten einer Beschränkung des Zugangs zur Infrastruktur durch »starke« Eigentumsrechte nicht mehr wahrgenommen werden. Um dieser Gefahr zu entgehen, muss die eigenständige ökonomische Bedeutung der (potenziellen) Nicht-Rivalität der Nutzung von Infrastrukturen beachtet werden. Anstatt die Nicht-Rivalität einer Ressource sofort als eine Ursache für das Fehlen von Ausschließbarkeit zu sehen116 und durch die Einführung von Ausschließungsrechten gleich mit aufzuheben, gilt es, die Möglichkeit zu nichtrivalisierender Nutzung als den Sitz des gesellschaftlichen Werts von Infrastrukturen zu identifizieren. Wird berücksichtigt, dass ein und dieselbe Ressource gleichzeitig von einer Vielzahl von Individuen genutzt werden kann, um die jeweiligen Nutzungspräferenzen zu realisieren, rückt automatisch die Nutzungsperspektive, d. h. die Nachfrageseite ins Zentrum der Betrachtung.117 Sucht man zunächst das Interesse an der Nutzung von klassischen Infrastrukturen näher zu bestimmen, so fällt auf, dass sich dieses selten auf die Konsumtion der Ressource als solche richtet, sondern überwiegend in ihrer Verwendung zur Hervorbringung von etwas anderem besteht. Der Nutzen aus dem Gebrauch der Infrastruktur realisiert sich schwerpunktmäßig darin, dass die Ressource als Input für eine 116 Obwohl Nichtrivalität und Nichtausschließbarkeit eng miteinander zusammenhängen, bedingen sie sich nicht zwingend wechselseitig, vgl. Behrens, Grundlagen, 88. 117 Die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die nachfrageseitigen Phänomene ist der entscheidende Beitrag von Frischmann (Minnesota Law Review 89 (2005), 917 ff.) im Rahmen der ökonomischen Analyse von Infrastrukturen.

II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung

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eigene nutzenstiftende Aktivität dient.118 Zur Kennzeichnung dieses Umstands lässt sich von Infrastrukturen auch als »intermediären Gütern« sprechen.119 Doch Infrastrukturen sind nicht einfach irgendwelche Vorstufen im Rahmen einer spezifischen Wertschöpfungskette. Ihre Intermediarität zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie »generisch« ist, d. h. viele unterschiedliche Outputs ermöglicht. Infrastrukturen sind polyvalent.120 Die Infrastruktur kann zur Produktion von privaten, aber genauso auch von öffentlichen und meritorischen bzw. Nicht-Markt-Gütern benutzt werden.121 Dabei wird der soziale Nutzen des Outputs in Form nicht-kommerzieller Güter zwar erheblich, aber nur schwer messbar sein. Öffentliche Güter werden konsumiert, ohne dass die Individuen ihre Nutzungsfunktion offen legen würden; im Fall von Nicht-Markt- bzw. meritorischen Gütern wird es sogar an einem direkten Konsum fehlen, da sich ihr Wert mehr in einer »osmotischen« Weise in der Gesellschaft realisiert. Solche Güter verändern die sozialen, kommunikativen oder ökologischen Bedingungen, so dass andere – indirekt – profitieren. Insofern kann von dem erzeugten Nutzen treffend als »ancillary value« gesprochen werden.122 Im Unterschied zu privaten Output-Gütern fehlt es in diesen Fällen an funktionierenden Output-Märkten, weil die Produzenten ihrerseits positive Externalitäten generieren, die sie nicht zu internalisieren in der Lage sind. Folglich steht der Markt nicht als Instrument zur Verfügung, mit dem sich die tatsächliche Nachfrage nach der Nutzung der Infrastruktur zutreffend ermitteln ließe.123 Es käme zu einer Art »upstream 118 Transportnetze dienen der Abwicklung wirtschaftlicher Transaktionen oder Dienstleistungen, Datenleitungen dienen der Erbringung von Radio- und Fernsehsendungen, usw. 119 Insbesondere im Bereich von informationstechnologischen Infrastrukturen kann diese Eigenschaft auch dadurch gut bezeichnet werden, dass Infrastrukturen als »Plattformen« dienen, auf denen weitere »Anwendungen« aufbauen. Zur Terminologie vgl. Ottolia/Wielsch, Yale Journal of Law and Technology 6 (2004), 174 (179) m. w. N. 120 Vgl. auch Koenig/Kühling/Scholz, in: Recht der Infrastrukturförderung, Kap. 1 Rn. 23. 121 Mit Nicht-Markt- bzw. meritorischen Gütern gemeint sind Güter wie Bildung, Erziehung, Beiträge zum öffentlichen Diskurs, die Erhaltung historischer oder ökologischer Ressourcen. Diese Güter werden nicht über den Markt bereitgestellt, sondern von anderen Institutionen wie dem Staat, Kommunen, der Familie oder gesellschaftlichen Gruppen. 122 So Benjamin J. Bates, Information as an Economic Good: Sources of Individual and Social Value, in: Vincent Mosco & Janet Vasco, The Political Economy of Information (1988), 76 (81 ff.), konkret bezogen auf Modalitäten der Informationsnutzung (»The use of information changes the system, not only for the individual using the information, but for others as well. Such changes in the system can result in changes in the status, relationships, and opportunities of others within the system, effectively creating . . . value, »ancillary« to that received by the user of the information – shifts in value that can, however, be attributed to that use of information.«). Die Charakterisierung trifft aber auch – und gerade – auf die Nutzensrealisierung bei meritorischen Gütern zu. 123 Anders im Fall der Nutzung der Infrastruktur zur Produktion von privaten Gütern: Mit Hilfe der Verfügungsrechte können sich die Output-Produzenten hier die Vorteile aus

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

translation« des Marktversagens auf den Output-Märkten in die Input-Märkte, hier also den Märkten für die Gestellung der Infrastruktur. Die infrastrukturabhängige Produktion von öffentlichen und meritorischen Gütern bliebe unterhalb des gesellschaftlich Wünschenswerten.124 Zusammenfassend sind folgende nachfrageseitigen Kriterien formuliert worden, nach denen sich ein Gut als Infrastruktur qualifizieren lässt: 125 – Es gibt (jedenfalls potenziell) keine Rivalität bei der Nutzung des Guts, – die Nachfrage nach dem Gut rührt hauptsächlich von nachgelagerten (»downstream«-)Aktivitäten her, welche die Ressource als Input benötigen, – die Ressource fungiert als Input für eine Vielzahl unterschiedlicher Güter, wobei diese ihrer Eigenschaft nach privat, öffentlich oder meritorisch sein können. Welche neuen Einsichten erschließt nun ein solches nachfrageorientiertes Modell von Infrastrukturen? b. Gemeinschaftsgüter institutioneller Wissensteilung Zunächst wird erkennbar, dass neben den traditionellen (physischen) Infrastrukturen weitere Güter existieren, die jene Kriterien erfüllen und damit im ökonomischen Sinne Infrastruktur-Eigenschaft haben. Tatsächlich weisen einige Immaterialgüter, abgesehen von der stets erfüllten Nicht-Rivalität der Nutzung, die vom Infrastrukturbegriff weiter vorausgesetzten Eigenschaften auf. So sind die Computernetzwerk-Protokolle des Internet (TCP/IP-Protokollsuite) konstitutiv für den dezentralen Datenverkehr Internet, dessen Nutzen sich gerade in den nachgelagerten Aktivitäten der End-Nutzer realisiert und diese ein weites Spektrum kommerzieller wie nicht-kommerzieller Güter hervorbringen lässt. Gleiches gilt jedenfalls für solche Datenbanken, in denen Grundlagenwissen gesammelt wird. Die in der Datenbank des Human Genome Projekt gespeicherte Information über das menschliche Erbgut kann als Input für unterschiedlichste Anwendungen in der privaten Pharmaindustrie wie in öffentlichen Forschungsprojekten verwendet werden. Aber auch Comdem Gebrauch ihrer Güter (den ihre Kunden als Käufer ziehen) aneignen und ihrerseits gegenüber den Anbietern der Infrastruktur genau zum Ausdruck bringen, was ihnen die Nutzung der Infrastruktur wert ist. Jedenfalls sofern wirksamer Wettbewerb auf den OutputMärkten herrscht, wird auf diese Weise eine zuverlässige Information über die tatsächliche Nachfrage nach der Infrastruktur erzeugt. 124 Diese Begrenzung des Marktes als Bewertungsverfahren gründet letztlich in den Grenzen des Transaktions-Paradigmas. Transaktionen im Verhältnis zwischen zwei Parteien können in bestimmten Fällen nicht den vollen sozialen Wert einer Nutzung des Transaktionsgegenstandes realisieren. Für das Recht ergibt sich daraus die Frage, wie es diesen über die bipolare Struktur hinausreichenden sozialen Mehrwert in seinen Instituten adäquat erfassen kann. Ein Mittel sind Zugangsregeln. 125 Frischmann, Minnesota Law Review 89 (2005), 917 (956).

II. Rechtliche Verfassung institutioneller Wissensteilung

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puter-Betriebssysteme sind Infrastrukturen, weil sie als Plattformen für die unterschiedlichsten Anwendungsprogramme auf der Endnutzerseite dienen.126 Sofern diese und andere Informationsgüter dem Infrastrukturbegriff unterfallen, heißt nun die Konsequenz nicht, dass sie ex lege als Gemeinschaftsgüter auszugestalten sind. Zu erwägen ist diese Option nur, wenn mit Hilfe der Infrastruktur nicht nur private, sondern in erheblichem Umfang auch öffentliche Güter produziert werden. Bei einer marktförmigen Vermittlung des Zugangs zu diesen »öffentlichen Infrastrukturen« würden diese sozial wertvollen Güter nicht im möglichen Umfang geschaffen. Da der soziale Nutzen umso höher sein wird, je mehr Individuen die Ressource nutzen können, spricht die nachfrageseitige Betrachtung dafür, diese Infrastrukturen einem Regime diskriminierungsfreien Zugangs zu unterstellen (vgl. § 5). Ziel solcher Regulierung ist nicht die Gewährleistung spezieller Handlungsfreiheiten wie etwa der sogleich zu behandelnden Wettbewerbsfreiheit auf nachgelagerten Märkten, sondern die Gewährleistung von infrastruktur-abhängigen Handlungsmöglichkeiten überhaupt. Das zeigt beispielsweise die Begründung der »common carrier«Regulierung.127 Auch für Infrastrukturen, bei deren Nutzung marktfähige private Güter produziert werden, ergeben sich aber rechtliche Konsequenzen. Bei solchen »privaten Infrastrukturen« rücken unter einer nachfrage-orientierten Betrachtung die Wettbewerbsverhältnisse auf den Output-Märkten in den Mittelpunkt, da sich hier das Nutzungs- bzw. Wertschöpfungspotenzial einer Infrastruktur – die »infrastructure performance«128 – entscheidet. Aus der Klarheit über die Umstände des wohlfahrtssteigernden Wettbewerbs ergeben sich gleichzeitig Hinweise für seinen Schutz im Falle von Beeinträchtigungen: Die Beeinträchtigung von Wettbewerb auf Output-Märkten kann sich offensichtlich gerade aus der Abhängigkeit dieser Märkte vom Zugriff auf Input-Ressourcen ergeben (vgl. § 3). Zu den Voraussetzungen wirksamen Wettbewerbs auf Output-Märkten gehört der gleiche Zugang zur Infrastruktur als generischer Input für die nachgelagerte Wertschöpfung. Wird der Zugang zur privaten Infrastruktur als Wettbewerbsvoraussetzung jedoch durch strategisches 126 Als weiterer Kandidat für eine nicht-traditionelle (immaterielle) Infrastruktur kommt etwa p2p-Filesharing-Software in Frage. Dafür Frischmann, Journal Copyright Society of the U. S. A. (2005), 329, zustimmend Bechtold, The Decentralization of Peer-to-Peer, Ms. 2006. 127 Vgl. Cooper, in: ders. (ed.), Open Architecture as Communications Policy, 95 (112 ff.) 128 Den Begriff »infrastructure performance« verwendet eine Studie des US-amerikanischen National Research Council: »Infrastructure is a means to other ends, and the effectiveness, efficiency, and reliability of its contribution to these other ends must ultimately be the measure of infrastructure performance« (NRC, Measuring and Improving Infrastructure Performnace, 5). Darin schlägt sich der Charakter von Infrastrukturen als intermediäre Güter nieder.

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§ 2 Institutionen der Wissensteilung

Handeln (insbesondere vertikal integrierter Unternehmen) kontrolliert, ist eine nachträglich ausgesprochene Anordnung freien und gleichen Zugangs zu prüfen. Für solche Fälle konstruiert das Kartellrecht mit Hilfe von Zugangsregeln, die in der essential facilities-Doktrin oder ihrer dogmatischen Äquivalente fundiert sind, materielle wettbewerbsspezifische Gemeinschaftsgüter: Das Wettbewerbsrecht registriert durch seinen speziellen Filter, dass die epistemischen Voraussetzungen in der Umwelt für die dezentrale Erzeugung neuen Wissens gestört sind. Es geht in den derart gelagerten Fällen also nicht darum, Eigentumsrechte an Infrastrukturen überhaupt auszuschließen, sondern durch eine partielle Trennung von Eigentum und Kontrolle jene positiven Nutzungsexternalitäten für Innovationszwecke gesellschaftlich nutzbar zu machen. Ganz gezielt als Gemeinschaftsgut ausgestaltet ist Open Source Software. Hier geht es für das Recht darum, die privatautonome Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes abzusichern (vgl. § 4).

§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln In § 1 wurde beschrieben, dass die Schaffung von Ausschließlichkeitsrechten an Immaterialgütern damit begründet werden kann, den Wettbewerbsmechanismus auch für diese Kategorie von Gütern eingreifen zu lassen. In § 2 wurde näher erläutert, wie der Wettbewerb als Institution der dezentralen Erzeugung expliziten Wissens in Gestalt von Immaterialgütern fungiert. Mit der Zuerkennung von Schutzrechten ist die Rolle des Rechts bei der Verfassung wettbewerblicher Wissensteilung jedoch nicht erschöpft. Vielmehr hat es auch sicherzustellen, dass die gewährte Ausschließungsbefugnis nicht zur Beschränkung des ermöglichten Wettbewerbs eingesetzt wird. Eine entsprechende Verantwortung des Rechts ist dabei umso höher anzusetzen, als es nun darum geht, den Schutz jener Institution sicherzustellen, um deren Funktion willen Ausschließlichkeitsrechte eingerichtet und Dritte von der Nutzung ausgeschlossen wurden. Die Wahrnehmung dieser Verantwortung obliegt insbesondere dem Kartellrecht, das dabei ebenso auf die Besonderheiten der Informationsindustrie wie auf die eigentümlichen Reproduktionszusammenhänge von Wissensgütern einzustellen ist. Ziel muss die Erhaltung der Innovationsfunktion des Wettbewerbs sein. Im Folgenden soll näher untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen sich dem Missbrauchstatbestand des europäischen Wettbewerbsrechts eigene Zugangsregeln in Fällen entnehmen lassen, in denen Unternehmen mit Hilfe von Schutzrechten den Zugang zu Märkten kontrollieren (vgl. II.). Zunächst ist freilich die grundsätzliche Zulässigkeit einer Überprüfung des Gebrauchs von (nationalen) Schutzrechten durch das (europäische) Kartellrecht zu erörtern (vgl. I.).

I. Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht 1. Von der Konfl ikt- zur Komplementaritätsthese Die Einfügung von geistigem Eigentum in eine Konkurrenzwirtschaft stellt andere Anforderungen als der wettbewerbliche Handel mit körperlichen Gegenständen. Besonders unter dem Leitbild des vollkommenen Preiswettbewerbs erscheint die Befugnis des Inhabers geistigen Eigentums, Dritte von der

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

Herstellung, dem Vertrieb und der Nutzung der schutzrechtsgemäßen Erzeugnisse auszuschließen, als eine Einschränkung des Wettbewerbs.1 Lange Zeit wurden Schutzrechte als gesetzliche Monopole betrachtet, die ihren Inhabern ein Recht zur Beschränkung des Wettbewerbs verleihen. Sie galten als eine ausnahmsweise Durchbrechung des Grundsatzes der Wettbewerbsfreiheit, die aber um der Förderung von Innovation willen hingenommen werden mussten. Diese Auffassung sieht das Immaterialgüterrecht im Konfl ikt mit dem Anliegen des Kartellrechts. Unter einer solchen Sichtweise konzentrieren sich die Bemühungen automatisch auf eine möglichst präzise Abgrenzung beider Rechtsgebiete. In Deutschland hatte sich ein solches Verständnis vor allem im Streit um die Einführung eines allgemeinen und einheitlichen Patentschutzes (sog. »große Patentdebatte« von 1850–1877) etabliert. Zusätzlich vertieft wurde der vermeintliche Gegensatz von Patentschutz einerseits und Wettbewerbsfreiheit andererseits, weil sich ganze Disziplinen mit bestimmten Positionen identifizierten. Während Industrie und Technik ihren Interessen entsprechend für den Patentschutz eintraten, forderte die deutsche Nationalökonomie überwiegend dessen Beseitigung. 2 Auch Kohler konnte dieses Trennungsdenken nicht überwinden. Zwar stufte er Immaterialgüterrechte entgegen der damals herrschenden Terminologie nicht als Monopole ein und hob sich auch in seiner Kritik an der kartellfreundlichen Entscheidung des Reichsgerichts im Fall »Sächsische Holzstoff-Fabrikanten«3 von seiner Zeit ab. Doch so vergleichsweise fortschrittlich die Einsicht in die Notwendigkeit von beidem, von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht, sich auch darstellt,4 fehlt ihr noch der entscheidende nächste Schritt einer Untersuchung des Zusammenhangs beider Gebiete. Ein Nachdenken hierüber setzte freilich erst einmal die Schaffung eines Kartellrechts voraus, das in Deutschland ungeachtet der gedanklichen Vorarbeit der ordoliberalen Rechtstheorie und ungeachtet der KartellVO von 1923 erst mit dem Dekartellierungsrecht und in der Folge mit dem GWB von 1958 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden ist. In diesem Zuge kam es zur Rezeption von US-amerikanischer Doktrin hinsichtlich des Kartellrechts des geistigen Eigentums, weil im Unterschied zu anderen Bereichen des Kartellrechts eine eigenständige Denktradition fehlte. 5 Während sich aber das 1

Vgl. Ullrich, GRUR Int. 1996, 555 (556). Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 125 f., m. w. N. 3 RGZ 38, 155. Dazu umfassend Böhm, ORDO 1 (1948), 197 ff. 4 Heinemann, Immaterialgüterschutz, 127, bescheinigt Kohler insofern eine »differenziertes Doppelengagement – einerseits gegen Kartelle und Monopole, andererseits für den Schutz der Immaterialgüter«. 5 Vielleicht, weil die Vertreter der Freiburger Schule dem Patentschutz kritisch gegenüber standen. Vgl. die Nachweise zu Eucken und Böhm bei Heinemann, Immaterialgüterschutz, 134, Fn. 59. Zur verbreiteten Patentfeindlichkeit unter den Verfechtern der Gewerbefreiheit im 19. Jahrhundert vgl. Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 142. 2

I. Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht

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amerikanische Immaterialgüterkartellrecht von den Grundsätzen her weiterentwickelte, blieb das deutsche Recht in unglücklicher Weise fi xiert auf die gesetzliche Festschreibung der Inhaltstheorie (vgl. §§ 20, 21 GWB 1958 und später §§ 17, 18 GWB a. F.), mit der die inherency doctrine rezipiert worden war. In den USA hatte man unmittelbar nach Erlass des Sherman Act Kollisionen zwischen Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsrecht zunächst durch ein »Ausweichen« gelöst, indem dem Immaterialgüterrecht der Vorrang eingeräumt wurde. 6 Im Verlauf einer selbstbewusster werdenden Anwendung des Kartellrechts durch die Gerichte wurde jedoch ein Ausweichen zunehmend schwerer. Mit der anti-monopolistischen Zielsetzung des Kartellrechts schienen Monopole, als welche Immaterialgüterrechte auch in den USA wahrgenommen wurden, in direktem Gegensatz zu stehen. Reaktion war die formalistische Beschränkung des gesetzlichen Monopols mit dem Ziel einer strikten Trennung beider Gebiete. Verhaltensweisen, die sich innerhalb der sachlichen und zeitlichen Grenzen des Ausschließlichkeitsrechts hielten, wurden von der Anwendung des Antitrust-Rechts ausgenommen; überschritt dagegen die Verhaltensweise den Umfang des Schutzrechts, lag die Annahme eines Kartellrechtsverstoßes nahe (inherency doctrine). Zum zentralen Prüfungspunkt wurde daher die Frage, welche Verhaltensweisen innerhalb und welche außerhalb des Schutzrechtsumfangs gelegen waren. Dieser »Zwei-Felder-Ansatz« überwindet damit zwar die Vorstellung schrankenloser Freiheit des Schutzrechtsinhabers und öffnet sich der Erkenntnis, dass auch die Rechte des geistigen Eigentums zur Beschränkung von Wettbewerb eingesetzt werden können. Die formalistische Abgrenzung, die in der Folgezeit durch Typenbildung weiter konkretisiert wurde (Katalog der »Nine No-No’s«7), übersieht jedoch, dass auch innerhalb des Schutzbereichs schädliche Wettbewerbsbeschränkungen möglich sind, die ihre Rechtfertigung nicht im Ausschließlichkeitsrecht finden. Andererseits erweist sie sich als zu streng, sofern typischerweise außerhalb des Schutzbereichs des Immaterialgüterrechts liegende Vereinbarungen einen Kartellrechtsverstoß darstellen sollen, ohne dass eine konkrete Beurteilung ihrer Schädlichkeit für den Wettbewerb vorgenommen würde. 8

6

Vgl. beispielhaft E. Bement & Sons v. National Harrow Co., 186 U. S. 70 (1902). Damit wurde eine Liste schutzrechtsübersteigender und damit illegaler Verhaltensweisen bezeichnet, die das case law entwickelt hatte. Erfasst waren: Kopplung nicht geschützter Produkte, Rückgewährklauseln, Beschränkungen beim Verkauf geschützter Erzeugnisse nach Ablauf der Schutzfrist, Alleinbezugsvereinbarungen, Alleinvertriebsvereinbarungen, Paketlizenzen, Berechnung der Lizenzgebühren ohne ausreichenden Bezug zur Menge der verkauften Patenterzeugnisse, Mengenbeschränkungen zu Lasten des Lizenznehmers im Fall von Verfahrenspatenten und vertikale Preisbindungen. Vgl. Tom/Newberg, Antitrust Law Journal 66 (1997), 167 (178 ff.) 8 Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 46. 7

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

Eine Wende in diesem Denken wurde durch den Einfluss der Chicago School of Antitrust Analysis eingeleitet9. Diese orientiert sich an den Wirkungen des Wettbewerbs: der entscheidende Maßstab, nach dem unterschiedliche wettbewerbliche Situationen beurteilt werden, ist die Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstands in Gestalt höherer Effizienz. Das hat zur Folge, dass ein Verhalten letztlich nicht in Bezug auf seine Konsequenzen für den Wettbewerb (verstanden als ein Verfahren mit spezifischen Voraussetzungen), sondern an seinen Wirkungen auf die gesellschaftliche Wohlfahrt beurteilt wird. Dadurch erscheinen Monopolstellungen nicht mehr also solche problematisch, sondern die mit ihnen verbundenen Einbußen an allokativer Effizienz müssen mit möglichen Zuwächsen an produktiver Effizienz abgewogen werden. Um auch Entscheidungen im Einzelfall zu ermöglichen, operationalisiert der Ansatz den Effizienzmaßstab auf einzelwirtschaftlicher Ebene und analysiert konkrete wettbewerbsbeschränkende Transaktionen unter dem Kosten/Nutzen-Kalkül aus Perspektive der beteiligten Unternehmen. Solchermaßen durchgemustert, lassen sich einige zuvor für kartellrechtswidrig gehaltene Praktiken nunmehr als unbedenklich ausscheiden. Insbesondere vertikale Wettbewerbsbeschränkungen erscheinen unter dem Test des preistheoretischen Entscheidungsmodells der Chicago School10 als Ausdruck kostengünstigerer und damit effizienterer Produktion. Durch die unmittelbare Ausrichtung des Wettbewerbsrechts an der Wohlfahrtsmaximierung ist eine Referenz gefunden, auf die auch das Immaterialgüterrecht bezogen werden kann. Es fördert den Einsatz vorhandener Ressourcen zur Entwicklung neuer und in den Augen der Konsumenten besserer Produkte. Wettbewerbs- und Kartellrecht haben danach das gleiche Ziel: »to maximize wealth by producing what consumers want at the lowest cost«11. Diese Übereinstimmung im Zweck soll freilich Unterschiede in der spezifischen Wirkungsweise der solchermaßen als Instrumente betrachteten Rechtsmaterien nicht ausschließen: »In serving this common goal, reconciliation between patent and antitrust law involves serious problems of asserting effects, but not conflicting purposes.«12 Von einem grundsätzlichen Konfl ikt beider Gebiete kann indessen keine Rede mehr sein. Jedenfalls in langfristiger, dynamischer Perspektive stehen Immaterialgüter- und Kartellrecht im Verhältnis der Komplementarität. Durch den Bezug auf die Wettbewerbswirkungen führt der Chicago-Ansatz zu einer Materialisierung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung. Entscheidend ist, welche wirtschaftlichen Auswirkungen eine bestimmte Verhaltensweise hat. Auf diese Frage gibt das formale Kriterium, ob das Verhalten 9 Programmatisch Posner, Antitrust Law, 1st ed. (1976), und Bork, The Antitrust Paradox (1978). 10 Vgl. Behrens, Grundlagen, 147. 11 Bowman, Patent and Antitrust Law: A Legal and Economic Appraisal, 1. 12 Bowman, ebd.

I. Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht

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innerhalb oder außerhalb des Schutzbereichs eines Immaterialgüterrechts liegt, keine Antwort. Unter dem Einfluss der Chicago School entzogen die amerikanischen Gerichte entsprechend immer mehr Lizenzpraktiken den per se-Verboten, nach denen von Vereinbarungen aufgrund ihres Inhalts unwiderleglich vermutet wird, dass sie wettbewerbswidrig sind (wie in den »Nine NoNo’s«13). Stattdessen wurden die Praktiken einer rule of reason-Analyse unterzogen, die einzelfallbezogen ist und Raum lässt für eine umfassende Berücksichtigung des wirtschaftlichen Zusammenhangs, so dass insbesondere auch mögliche kompensierende Wettbewerbsvorteile in Anschlag gebracht werden können.14 Die Überwindung einer formalen Grenzziehung entlang des Schutzrechtsinhalts führte aber nicht nur zu der von der Chicago School intendierten Befreiung der Lizenzpraxis von einer zu weitgehenden, »übermäßigen« Anwendung des Kartellrechts, indem zuvor verbotene, weil außerhalb des Schutzbereichs liegende Beschränkungen nunmehr für wettbewerbsfördernd erklärt wurden. War die Ausübung der schutzrechtlichen Befugnisse und damit das Schutzrecht selbst erst einmal grundsätzlich geöffnet für eine ökonomische Analyse, so konnte auch das umgekehrte Defizit der inherency doctrine nicht der Aufmerksamkeit entgehen: die Kartellrechtsimmunität innerhalb des Schutzbereichs. Da auch in Ausübung immaterialgüterrechtlicher Befugnisse wettbewerbswidrig gehandelt werden kann, ist eine grundsätzliche Abschirmung schutzrechtlich fundierter Vereinbarungen von den kartellrechtlichen Verboten nicht zu rechtfertigen. Es gibt keine Freiheit zur beliebigen Ausnutzung des Schutzrechts; auch hier muss die Gefahr von Wettbewerbsbeschränkungen im konkreten Fall untersucht werden. Durch die damit auch von der anderen Richtung sich vollziehende Relativierung des Schutzrechtsinhalts für die kartellrechtliche Prüfung verlieren die Ausschließlichkeitsrechte des geistigen Eigentums insgesamt betrachtet ihre Sonderstellung und werden vom Kartellrecht den gleichen allgemeinen Grundsätzen unterworfen wie andere Eigentumsformen. Das ist eine der wesentlichen Aussagen der »Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property«, die als eine Art Kristallisationspunkt der durch den Chicago-Ansatz angestoßenen und von post-Chicago-Strömungen fortgesetzten Neubestimmung des Verhältnisses von Immaterialgüter- und Kartellrecht gelten können. Die Guidelines wurden 1995 gemeinsamen vom Department of Justice und der Federal Trade Commission aufgestellt und geben in nicht bindender Weise den Betroffenen Auskunft über die Anwendung 13 Obgleich in den USA auch bestrittten wurde, dass die vom Katalog erfassten Verhaltensweisen einem per se-Verbot unterfielen. Zum Streit vgl. Tom/Newberg, U. S. Enforcement Approaches to the Antitrust-Intellectual Property Interface (1998), 343 (380 f. mit Fn. 65). 14 Einen Überblick zu »per se-Verbot« und »rule of reason« geben Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 7 Rn. 31 ff.

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

des Antitrust-Rechts durch die Kartellbehörden.15 Dort heißt es: »As with other forms of private property, certain types of conduct with respect to intellectual property may have anti-competitive effects against which the antitrust laws can and do protect. Intellectual property is thus neither particularly free from scrutiny under the antitrust laws, nor particularly suspect under them«.16 Das soll, wie sich die Guidelines beeilen festzustellen, freilich Besonderheiten von geistigem Eigentum nicht leugnen; nur sind diese eben im Rahmen der allgemeinen Grundsätze zu berücksichtigen und bedürften keiner fundamental anderen Prinzipien.17 Hierin drückt sich eine Konzeption von Schutzrechten als abstrakten Vermögensrechten18 aus, nach der erst die Art und Weise der Nutzung des Schutzrechts darüber entscheidet, ob der Rechtsinhaber die Wettbewerbsregeln verletzt. Unter einer solchen Sichtweise wird auch die Auffassung von Rechten geistigen Eigentums als »legal monopolies« unhaltbar.19 Sie leidet unter der unzulässigen Gleichsetzung von Rechts- und Marktmacht, von Ausschließlichkeit und Wettbewerbsbeschränkung. 20 Die von Schutzrechten ausgehende Herrschaftsmacht begründet als solche noch keine 15

Ihrem Status nach ähneln sie den Guidelines, die von der Europäischen Kommission zu bestimmten Anwendungsfragen von Richtlinien veröffentlicht werden. 16 U. S. Department of Justice/Federal Trade Commission, Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property (1995), § 2.1 (abrufbar unter http://www.usdoj.gov/ os/2000/04/ftcdojguidelines.pdf). 17 Hingewiesen wird insofern etwa auf die unterschiedliche Reichweite der Ausschließungswirkung von verschiedenen Formen geistigen Eigentums, wobei aber auch diese Unterschiede eingefangen werden könnten (»The greater or lesser legal power of an owner to exclude others is also taken into account by standard antitrust analysis.«) Zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Besonderheiten geistigen Eigentums in der Kartellrechtsprüfung vgl. Pitofsky, Antitrust and Intellectual Property: Unresolved Issues at the Heart of the New Economy, 16 Berkeley Tech. L. J. 535 (2001). 18 Gipfelnd gewissermaßen im Patentrecht, das keinerlei Verkörperung in Werkstücken bedarf. Treffend O. W. Holmes: »A patent is a property carried to the highest degree of abstraction.« (zit. in Mercoed Corporation v. Midcontinent Investment Co., 320 U. S. 661 (1944), Justice Jackson, dissenting). – Während etwa das Urheberrecht lediglich den konkreten Ausdruck einer an sich freien Idee schützt, wird durch ein Patent (auch) die erfi nderische Idee selbst geschützt. Weil der Patentschutz auf einem höheren Abstraktionsniveau ansetzt, reicht er potentiell weiter als das Urheberrecht. Vgl. Kur, in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienst der Innovation, 23 (44, Fn. 93). 19 Diese auf den Ursprung des Patent- und Urheberrechtssystems zurückführbare Sichtweise darf inzwischen auch international als überwunden betrachtet werden. Siehe aber immerhin noch die Schlussanträge von GA Gulmann in EuGH (GA), Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 11 – Magill, wo es heißt: »Die Urheberrechtsgesetze verleihen den Inhabern des Urheberrechts ein Monopol, mit anderen Worten ein Recht zur Beschränkung des Wettbewerbs.« 20 Das bedeutet freilich nicht, dass die durch Ausschließlichkeitsrechte verliehene Rechtsmacht in Bezug auf andere gesellschaftliche Prozesse als den Markt unproblematisch wäre. Genannt sei hier nur der Konfl ikt zwischen Urheberrecht und Informationsfreiheit. Andere Gleichsetzungen der Gewährung exklusiver Rechte an Informationen mit Beschränkungen anderer gesellschaftlicher Prozesse (als den Wettbewerb) können daher durchaus zulässig sein.

I. Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht

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marktbeherrschende Stellung, geschweige denn ein wirtschaftliches Monopol. In der Regel wird das immaterialgüterrechtlich geschützte Produkt infolge von Substituierbarkeitsrelationen anderen Produkten auf einem Markt gegenüber stehen. Die Guidelines stellen daher ausdrücklich fest, dass die Innehabung von Schutzrechten nicht mit der Vermutung von Marktmacht verbunden ist. 21 Unbenommen bleibt, dass Schutzrechte marktbeherrschende Stellungen vermitteln können, weil und insofern sich auf einen relevanten Markt in seiner Gesamtheit beziehen und dann rechtliche Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen darstellen. Auch wenn die Guidelines sich ganz überwiegend mit Lizenzierungspraktiken befassen und nur am Rande auf das Monopolisierungsverbot nach Section 2 eingehen, 22 schlägt sich in ihnen eine Entwicklung nieder, die das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht in den USA generell beherrscht: die Ablösung der Konflikt- durch die Komplementaritätsthese stellt die Ausübung von Schutzrechten in ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang und führt zu einer stärkeren Integration des Immaterialgüterrechts in die Wettbewerbsordnung. In Deutschland blieb eine solche großflächige Weiterentwicklung aus, obwohl Teile der Literatur erkannt hatten, dass die Inhaltstheorie »auf eine Art formal-institutionell definierte Bereichsausnahme von den Wettbewerbsregeln hinaus[läuft], wie sie sonst im Spannungsverhältnis von Privatrechtsformen und ihrer – dem GWB unterliegenden – Instrumentalisierung mit wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen oder Zwecken weithin überwunden ist.«23 2. Europäisches Wettbewerbsrecht als Maßstab Im Folgenden sollen die Grundlinien der Rechtsprechung des EuGH zum Immaterialgüterkartellrecht dargestellt werden. Die Heranziehung des europäischen Wettbewerbsrechts rechtfertigt sich zunächst mit dessen praktischer Bedeutung. Diese hat im Verhältnis zum mitgliedstaatlichen Recht im Laufe der Zeit zugenommen. Bis zum Erlass der VO 1/03 wurde die Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts durch das Auftreten von Konfl iktlagen mit dem nationalen Recht bestimmt. Maßgeblich für das Verhältnis von mitgliedstaatlichem und europäischem Wettbewerbsrecht sind insofern die Aussagen des EuGH im 21

Vgl. Antitrust Guidelines for the Licensing of Intellectual Property, § 2.2. Hierzu heißt es aaO.: »As with any other tangible or intangible asset that enables its owner to obtain significant supracompetitive profits, market power (or even a monopoly) that is solely ›a consequence of a superior product, business acumen, or historic accident‹ does not violate the antitrust laws. Nor does such market power impose on the intellectual property owner an obligation to license the use of that property to others.« 23 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 462. Vgl. auch die Kritik von Ullrich, ZHR 137 (1973), 70 (78 ff.) und GRUR Int. 1996, 555 (558). 22

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

Teerfarben-Urteil. 24 Danach gelten die für den Vorrang des Gemeinschaftsrechts im Allgemeinen maßgeblichen Grundsätze auch für das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen. Folglich bleiben Geltung und Anwendung mitgliedstaatlicher Normen unberührt, wenn und soweit dadurch die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigt wird. Das führt zu einer parallelen Anwendbarkeit von nationalem und europäischem Kartellrecht, wobei aber dem europäischen Recht der Rechtsanwendungsvorrang gebührt. Nur wenn das nationale Recht eine dem Gemeinschaftsrecht widersprechende Rechtsfolge vorsieht, wird das Gemeinschaftsrecht vorrangig angewendet. Unter der VO 1/03 kommt es jedoch zu einem erweiterten Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem mitgliedstaatlichen Kartellrecht, der sich als faktische Verdrängungswirkung bezeichnen lässt. Art. 3 Abs. 1 VO 1/03 normiert den Grundsatz, dass in allen Fällen, in denen das mitgliedstaatliche Recht auf einen Sachverhalt anwendbar ist, der zugleich die Voraussetzungen von Art. 81, 82 EG erfüllt, »auch« diese Vorschriften anzuwenden sind. 25 Zusammen mit Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO 1/03 führt das zu einer faktischen Verdrängungswirkung von Art. 81 EG gegenüber nationalem Recht. 26 Denn eine Vereinbarung kann danach aufgrund nationalen Rechts nur noch dann verboten werden, wenn sie auch nach Art. 81 EG verboten ist; umgekehrt können das nationale Recht und die nationale Wettbewerbsbehörde die Vereinbarung nicht unbeanstandet lassen, wenn sie gegen Art. 81 EG verstößt (vgl. auch § 22 Abs. 2 Satz 1 GWB). Damit bleibt für die Anwendung nationalen Wettbewerbsrechts nur Raum, soweit die Aufgreifschwelle des Gemeinschaftsrechts nicht erreicht wird, weil keine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels gegeben ist. Bei den Missbrauchstatbeständen ist allerdings Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/03 zu berücksichtigen, wonach den Mitgliedstaaten Erlass und Anwendung von strengeren innerstaatliche Vorschriften unbenommen ist, die einseitige Handlungen von Unternehmen unterbinden oder ahnden. Ob ein Missbrauch nach § 19 GWB einer strengeren Regelung unterfällt als nach Art. 82 EG muss daher zwar grundsätzlich im Einzelnen ermittelt werden. Auch für die Anwendung der nationalen Missbrauchsvorschriften wird jedoch der Regelungsgehalt von Art. 82 EG entscheidend sein. Ein entsprechender Auftrag zur europafreundlichen Auslegung, nach dem die Grundsätze des europäischen Wettbewerbsrechts bei der Anwendung auch von § 19 GWB maßgeblich zugrunde zu legen sind, war im Regierungsentwurf zur 7. GWB-Novelle sogar ausdrücklich enthalten (vgl. § 23 GWB-E). Er ergibt sich 24

EuGH, 13. 2. 1969, Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 – Walt Wilhelm/Bundeskartellamt. Lediglich im Bereich der Fusionskontrolle, für den seit jeher aufgrund des starken nationalen Regelungsinteresses Besonderheiten galten, wird von diesem Grundsatz abgewichen. Vgl. Art. 21 f. FKVO (VO 139/04, 20. 1. 2004, ABl. L 24). 26 Vgl. Weitbrecht, EuZW 2003, 69 (70 f.). 25

I. Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht

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jedoch auch ohne eine gesetzliche Anordnung aus den allgemeinen Grundsätzen. Darüber hinaus konnte von einem eigenständigen deutschen Kartellrecht des geistigen Eigentums auch vor der 7. GWB-Novelle kaum gesprochen werden. Die Unterschiede zwischen deutschem und europäischem Immaterialgüterkartellrecht, die vor allem in der viel kritisierten Inhaltstheorie ihren Grund fanden, führten wegen des Anwendungsvorrangs in allen Fragen von praktischer Bedeutung zu einer Ausrichtung am Maßstab des (strengeren) europäischen Rechts. In der Kautelarpraxis war das deutsche Kartellrecht des geistigen Eigentums zum »Schattendasein« verdammt. 27 Angesichts des verstärkten Vorrangs des europäischen Wettbewerbsrechts unter Geltung der VO 1/03 hat der Gesetzgeber nunmehr die §§ 17, 18 GWB a. F. ersatzlos aufgehoben. Nationale Regelungen für den Teilbereich von Vertikalvereinbarungen existieren damit nicht mehr. Die weiterhin im Zusammenhang mit Rechten des geistigen Eigentums anwendbaren Verbote des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen (§ 19 GWB), das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot (§ 20 GWB) und die Vorschriften zur Fusionskontrolle (§§ 35 ff. GWB) unterliegen in ihrer Bedeutung den angesprochenen Relativierungen durch europäisches Recht. Abgesehen von seiner erheblichen praktischen Bedeutung ist das europäische Kartellrecht aber auch die konzeptionell fortgeschrittenere Materie. Dem nationalen Recht wurde bescheinigt, dass ein Gesamtkonzept für das Kartellrecht des geistigen Eigentums nicht erkennbar sei. 28 Dagegen hat der EuGH insbesondere zu Art. 82 EG einige grundlegenden Entscheidungen erlassen, aus denen sich Eckpunkte für ein Informationskartellrecht entnehmen lassen. 3. Kontrolle nationaler Schutzrechte durch europäisches Wettbewerbsrecht Dass die §§ 81 ff. EG auf den Gebrauch von immaterialgüterrechtlichen Befugnissen anwendbar sind, ergibt sich nicht ohne weiteres. Denn nach Art. 295 EG lässt der Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt. Die Vorschrift, die sich auch auf das geistige Eigentum bezieht, 29 enthält damit einen ausdrücklichen Kompetenzvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten. Jede Entscheidung für eine Anwendbarkeit der europäischen Wettbewerbsregeln auf nationale Eigentumsrechte bewegt sich folglich von 27 So die einhellige Meinung im Schrifttum, vgl. die Nachweise bei Heinemann, Immaterialgüterschutz, 178 Fn. 261. Auch der Gesetzgeber räumt ein, dass die bisherige Verordnung (EG) Nr. 240/96 vom 31. 01. 1996 (ABl. L 031 vom 09. 12. 1996, 2) für Technologietransfervereinbarungen bereits die deutschen Vorschriften über Lizenzverträge (§ 17) und Verträge über andere geschützte und nicht geschützte Leistungen (§ 18) weitgehend überlagert hatte, vgl. Begr. RegE, 9. 28 Vgl. das Verdikt bei Heinemann, Immaterialgüterschutz, 178. 29 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 27 Rn. 14.

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vornherein in zwei Dimensionen: sie trifft nicht nur eine Aussage über das Verhältnis der Wettbewerbsregeln zum jeweiligen Immaterialgüterrecht, sondern justiert auch und vor allem die Kompetenzen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Vertikalen. Angesichts der integrativen Ziele der Gemeinschaft und dem damit verbundenen Regelungsanspruch, der vom Gemeinschaftsrecht neben den Art. 81 ff. EG vor allem auch durch die Geltung der Grundfreiheiten erhoben wird, darf die Vorschrift einerseits nicht zu einem Leerlaufen der Gemeinschaftskompetenzen führen; andererseits kam es gerade zu Beginn des Integrationsprozesses auf eine überzeugende und die Akzeptanz fördernde Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegenüber den umfassenden Geltungsansprüchen der einzelstaatlichen Rechtsordnungen an. Um diese beiden Anforderungen miteinander in Einklang zu bringen, führte der Gerichtshof früh die Unterscheidung zwischen Bestand und Ausübung geistiger Eigentumsrechte ein. Danach soll zwar nicht der Bestand eines nationalen Eigentumsrechts, wohl aber dessen Ausübung dem Vertrag unterworfen sein.30 In der Sache ist diese Unterscheidung freilich nichtssagend, da der Bestand eines Rechts sich gerade über die Summe seiner Ausübungsbefugnisse konstituiert.31 Diese Formel – die anschließend auch auf das Verhältnis zu den Grundfreiheiten übertragen wurde32 – erfüllt primär die politische Funktion, Gemeinschaftszuständigkeiten in Bereiche auszudehnen, für die auch der nationale Gesetzgeber zuständig ist. 33 In inhaltlicher Sicht lässt sich immerhin sagen, dass sie einen der deutschen Inhaltstheorie entsprechenden Ansatz im europäischen Recht nicht zulässt. Denn würde der – überwiegend im nationalen Recht – umschriebene Schutzbereich zur absoluten Grenze für die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln, wäre der Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts

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Siehe EuGH, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 312 (394) – Consten und Grundig: »Art. 222 bestimmt lediglich, daß der ›Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt [läßt]‹. Die in Art. 3 des Entscheidungstenors enthaltene Anordnung, von den innerstaatlichen gewerblichen Schutzrechten nicht zur Verhinderung von Paralleleinfuhren Gebrauch zu machen, läßt den Bestand dieser Rechte unberührt und beschränkt nur ihre Ausübung, soweit dies zur Durchsetzung des Verbots des Artikels 85 Absatz 1 erforderlich ist.« 31 Dieser Einwand wird vor allem im common law-Rechtskreis erhoben, wo unter der Theorie der Verfügungsrechte »das Eigentum« als komplexes Bündel von unterschiedlichen Verfügungsrechten angesehen wird (»bundle of rigts«). Für Stimmen aus der angelsächsischen Kartellrechtsliteratur vgl. etwa die Nachweise bei Meinhardt, Beschränkung, 46 Fn. 181. 32 Vgl. EuGH, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 – Deutsche Grammophon. Eigentlich handelt es sich genauer um eine Rückübertragung, vgl. Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 2, GRUR A, Rn. 51, Fn. 366. 33 So in der Vorauflage Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, GRUR B, Rn. 15.

I. Das Verhältnis von Immaterialgüter- und Kartellrecht

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verletzt.34, 35 Vielmehr bedarf es einer autonom gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung des Verhältnisses zwischen Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterschutz. Die dazu verwendete Unterscheidung von Bestand und Ausübung hat der Gerichtshof im Folgenden weiter konkretisiert, diesmal durch die Übernahme einer bei Auslegung der Freiverkehrsvorschriften entwickelten Figur. Die mögliche Rechtfertigung von Einschränkungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs durch die Ausübung von Schutzrechten (vgl. Art. 30 Satz 2 EG) ermittelt der Gerichtshof anhand ihres spezifischen Gegenstandes.36 Zum geschützten Bestand der Rechte gehört danach alles, was ihren spezifi schen Gegenstand ausmacht. Dieser ist für die verschiedenen Immaterialgüterrechte gesondert zu ermitteln; 37 zudem zeigt der Gerichtshof die Tendenz, den spezifischen Gegenstand für jede Verwertungsart gesondert festzulegen.38 Das entspricht der Funktion der Formel, den Begriff des Eigentums vom nationalen Recht zu emanzipieren und für die Zwecke des Gemeinschaftsrechts autonom zu definieren. Im Unterschied zu der Unterscheidung Bestand/Ausübung, die in erster Linie eine Abgrenzung der Kompetenzen leistet, ermöglicht die Formel vom spezifischen Gegenstand eine Materialisierung der Verhältnisbestimmungen von Immaterialgüterrechten und Grundfreiheiten bzw. von Immaterialgüterrechten und Wettbewerbsregeln. Allerdings vollzieht sich die Materialisierung in beiden Zusammenhängen auf durchaus unterschiedliche Weise. Während es im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten zu jener präzisen Umschreibung des spezifischen Gegenstands einzelner Schutzrechte gekommen ist, verwendet der Gerichtshof den Begriff im Kartellrecht vorwiegend negativ, um im konkreten Fall zu zeigen, dass der spezifische Gegenstand überschritten wurde und einer allgemeinen Anwendung von Kartellrecht deshalb nichts im Wege steht. Umgekehrt wer34 Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 292; Sucker/Guttuso, in: von der Groeben, Art. 85, Fallgruppen Immaterialgüterrechte, Rn. 15. 35 Zur Ungeeignetheit der Lehre vom Inhalt des Schutzrechts im Gemeinschaftsrecht vgl. zusätzlich Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 22. 36 Siehe EuGH, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (500) – Deutsche Grammophon, also eben jene Entscheidung, in der der Gerichtshof die Unterscheidung zwischen Bestand und Ausübung rezipiert, dann aber hinzufügt: »Artikel 36 läßt zwar Verbote oder Beschränkungen des freien Warenverkehrs zu, die zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind, erlaubt aber solche Beschränkungen der Freiheit und des Handels nur, soweit sie zur Wahrung der Rechte berechtigt sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen.« 37 Kurzer Überblick bei Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 27 Rn. 19 ff. Im Kern umfasst er bei körperlicher Verwertung das Recht, das geschützte Erzeugnis erstmals in der Gemeinschaft in Verkehr zu bringen, vgl. Eilmansberger, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 81, Rn. 198. Damit wird der Erschöpfungsgedanke zum Hauptanwendungsfall der Lehre vom spezifischen Gegenstand, vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 251. 38 Vgl. Müller-Graff, in: von der Groeben, EG, Art. 36, Rn. 85 und 124.

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den Vereinbarungen, die sich innerhalb der Grenzen des spezifischen Gegenstands halten, nicht konsequent von einer Anwendung des Kartellrechts ausgenommen. Im Kartellrecht folgt der Gerichtshof nicht einer begrifflich gesteuerten Anwendung der Formel.39 Unter ihrer Semantik praktiziert der EuGH eine ergebnisoffene Würdigung des rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhanges der betreffenden Verhaltensweise. 40 Entscheidend sind ihre tatsächlichen Wirkungen auf den Wettbewerb. 41 Bei einem Lizenzvertrag etwa ist maßgeblich, welcher Wettbewerb auf den betroffenen Märkten – also für das Schutzrecht selbst wie auch für die geschützten Erzeugnisse – ohne den Lizenzvertrag möglich wäre. Ohne vorher zwingende Schlüsse aus immaterialgüterrechtlichen Befugnissen zu ziehen, ist zu prüfen, welche Bedeutung der Lizenzvergabe im Hinblick auf das Verhalten der Beteiligten in Forschung und Entwicklung, in Produktion oder Vertrieb zukommt, aber auch im Hinblick auf den Zugang Dritter zu neuen Technologien. 42 Auch bei einseitigen Maßnahmen ist nicht die Berufung auf Befugnisse aus dem Schutzrecht entscheidend, sondern die Frage, ob die Tatbestandsmerkmale des Missbrauchsverbots im konkreten Fall erfüllt sind. Das faktisch an den Wettbewerbswirkungen im Einzelfall orientierte Prüfungsprogramm des EuGH schließt indessen nicht aus, dass immaterialgüterrechtliche Wertungen berücksichtigt werden. Die Folge der fehlenden Entscheidungskraft der Begrifflichkeit vom spezifischen Gegenstand kann nicht der Übergang zu einem »rein kartellrechtlichen« Ansatz sein. 43 Eine solche Sichtweise würde verkennen, dass bereits der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der einzelnen Schutzrechte eine Abwägung hat durchführen müssen zwischen Wettbewerbsfreiheit und Kontrollbefugnissen des Rechtsinhabers. Diese Aufgabe setzt sich fort und stellt sich auch bei der Rechtsanwendung. 44 Dem trägt der EuGH auch Rechnung, indem er letztlich die erforderlichen schutzrechtlichen Wertungen methodisch innerhalb der kartellrechtlichen Tatbestände verarbeitet.45 Die kritisierte Begrifflichkeit des spezifischen Gegenstands suggeriert demgegenüber – der Immanenzlehre nicht unähnlich – einen 39

Vgl. das Ergebnis der Rechtsprechungsanalyse bei Heinemann, Immaterialgüterschutz,

332 f. 40

Auf deren Maßgeblichkeit beruft sich der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, vgl. EuGH, Rs. 65/86, Slg. 1988, 5249 (5286) Tz. 16, (5287) Tz. 21 – Bayer/Süllhöfer; EuGH, Rs. 320/87, Slg. 1989, 1177 (1199) Tz. 13, (1200) Tz. 18 – Ottung/Klee & Weilbach. Die Wendung taucht bereits auf in EuGH, Verb. Rs. 56 und 58/64, Slg. 1966, 312 (391) – Consten und Grundig. 41 Vgl. Ullrich/Heinemann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 2, GRUR B, Rn. 9. 42 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 22. 43 Vgl. die Einteilung von Sack, RIW 1997, 449 f. 44 Ein rein kartellrechtlicher Ansatz käme demgegenüber einem »Abbruch« gleich. 45 Das wird bei der Diskussion einzelner Urteile des EuGH deutlich werden, vgl. unten § 3 II 3 d.

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Bereich außerhalb der kartellrechtlichen Überprüfung, den es so nicht gibt. Als Begriff lässt sich die Formel gewinnbringend nur operationalisieren, um eine Abgrenzung von Bereichen vorzunehmen, wie dies im Rahmen der Grundfreiheiten zur Scheidung zweier Gestaltungskompetenzen geschieht. Im Kartellrecht geht es dagegen nicht um die abstrakte Ausgrenzung von Handlungsmöglichkeiten, sondern um die Kontrolle, ob diese Handlungsmöglichkeiten im konkreten Fall wettbewerbskonform eingesetzt worden sind oder nicht. Jede Form der abstrakten Verhältnisbestimmung muss dort von vornherein als defizitär erscheinen, wo es um eine Bewertung der Funktionen geht, die das fragliche Schutzrecht nach Inhalt und Einsatz tatsächlich entfaltet.46 Insofern schlägt sich in der unterschiedlichen Brauchbarkeit des spezifischen Gegenstands als begriffliches Konzept die Eigenständigkeit der Ziele der Freiverkehrsregeln einerseits und der Wettbewerbsregeln andererseits nieder.

II. Zugangsregeln aus Art. 82 EG 1. Überblick Das Kartellrecht kann eigene Zugangsregeln entwickeln, die die normative oder auch nur faktische Kontrolle über ein Immaterialgut durchbrechen. 47 Der gegen den Willen des Kontrollierenden erzwungene Zugang stellt jedoch nur die Art der gewährten Abhilfe dar. Erst der Blick auf die Voraussetzungen des Eingriffstatbestandes erschließt die Eigentümlichkeit der kartellrechtlichen Zugangsstatuierung. Es wird deutlich werden, dass das Problem des Informationszugangs auf dem Bildschirm des Kartellrechts als ein solches der Beschränkung von Wettbewerb erscheint, insbesondere hervorgerufen durch eine Behinderung des Zugangs zu Märkten. In Situationen, in denen die Nutzung von Immaterialgütern zur Voraussetzung des Tätigwerdens auf einem Markt wird, sind Schutzrechte nicht mehr nur Gegenstand des Wettbewerbs, sondern werden vielmehr zur Voraussetzung des Wettbewerbs. Genau gegen einen sol46

Generell skeptisch zur Eignung von abstrakten Verhältnisbestimmungen von Kartellund Immaterialgüterrecht für die Anwendung von Art. 81 EG sind Ullrich/Heinemann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 2, GRUR B, Rn. 9. So bereits in der Vorauflage Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, GRUR B, Rn. 11, der argumentiert, eine solche abstrakte Verhältnisbestimmung sei bereits in den einzelnen Schutzrechtsregelungen mit der Festlegung der Ausschlussbefugnis (nach Gegenstand, Inhalt und Umfang) einerseits und den Grenzen gegeben, die das Gemeinschaftsrecht diesen Schutzrechtsregelungen im Interesse des Freiverkehrs ziehe. 47 Zur faktischen Kontrolle vgl. etwa den Fall IBM, in dem es um den Zugang zu bloßen (Schnittstellen-) Informationen ging, deren Schutz einzig darin bestand, dass sie geheim gehalten wurden. Vgl. Kommission, XIV. Wettbewerbsbericht (1984), Rn. 94 f.; Eilmansberger, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 82 EG, Rn. 52.

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chen Zustand ist jedoch das Kartellrecht gerichtet. Es sorgt dafür, dass der Wettbewerb die Wettbewerber kontrolliert und nicht umgekehrt einzelne Wettbewerber über die Voraussetzungen des Wettbewerbs verfügen können. Während im Immaterialgüterrecht freie Nutzungsmöglichkeiten in der Regel durch gesetzliche Schrankenreglungen ausgewiesen sind, können sich kartellrechtliche Nutzungsbefugnisse rechtstechnisch aus Verpfl ichtungsentscheidungen der Kartellbehörde oder aus einem gerichtlich tenorierten Kontrahierungszwang des beherrschenden Unternehmens zum Abschluss eines Vertrages über die Nutzung des geschützten Informationsguts ergeben. So kann die Kommission die Unternehmen auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 VO 1/03 nicht nur verpflichten, festgestellte Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsvorschriften in Zukunft zu unterlassen, sondern auch durch positive Verpflichtungen die Wettbewerbsfreiheit wieder herstellen. 48 Aufgrund des privatrechtlichen Geltungsanspruchs der europäischen Wettbewerbsvorschriften kann sich ein Kontrahierungszwang vor Gericht als Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 82 EG49 bzw. nunmehr § 33 Abs. 1, 3 GWB ergeben. In einem solchen Fall wird die Art. 82 EG zu entnehmende Zugangsregel privat durchgesetzt, indem dem Kläger ein Zugangsanspruch gewährt wird. Der EuGH wurde mehrfach mit Fällen konfrontiert, in denen Zugangspetenten behaupteten, auf die Nutzung bestimmter immaterialgüterrechtlich geschützter (Vor-)Produkte eines marktbeherrschenden Unternehmens angewiesen zu sein, weil sie nur durch die Mitnutzung in die Lage versetzt würden, eigene konkurrierende Produkte/Leistungen auf dem relevanten Markt anbieten zu können, der Rechtsinhaber jedoch die Lieferung/Lizenzierung verweigere. Bei der Entscheidung dieser Fälle durch den Gerichtshof kam es zu einigen bemerkenswerten Entwicklungen in der Dogmatik des Missbrauchsverbots. Nach der hier vertretenen These handelt es sich insoweit um notwendige Modifikationen, die den Besonderheiten geistigen Eigentums Rechnung tragen. Die Reichweite von Immaterialgüterrechten im Wettbewerb wird begrenzt, um die Hervorbringung neuer – innovativer – Produkte durch Dritte zu ermöglichen, die an die Leistung des Rechteinhabers anknüpfen. Dadurch ergibt sich zwar noch kein allgemeines »Recht zur Verbesserung bzw. Weiterentwicklung«. Unter bestimmten Bedingungen wird jedoch die Verknüpfungs48

Für den Fälle des Missbrauchs durch Geschäftsverweigerung grundlegend EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 90 f. – Magill (zu Art. 3 VO Nr. 17). 49 Zur Rechtslage vor der 7. GWB-Novelle vgl. Baur/Weyer, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Band 5: EG-Kartellrecht, Zivilrechtsfolgen Art. 82 EG-Vertrag, Rn. 37; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 22 Rn. 37. Zur Schutzgesetzeigenschaft von Art. 82 EG vgl. OLG München, 20. 5. 1999, WuW/E DE-R 372 – Flugzeugbetankung; OLG Düsseldorf, 24. 6. 1980, WuW/E OLG 2325 (2326).

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bzw. Anschlussfähigkeit von geistigem Eigentum zwangsweise realisiert. Die Voraussetzungen hierfür variieren je nach den Wertungen des betreffenden Immaterialgüterrechts. Die rechtliche Verfassung von »schutzrechtsabhängigen« Märkten ergibt sich danach nur im Dialog des Wettbewerbs- mit dem Immaterialgüterrecht. Gleichzeitig wird deutlich werden, dass die häufig vertretene These, geistiges Eigentum und Sacheigentum seien für die Zwecke des Kartellrechts gleich zu behandeln, der Differenzierung bedarf. 2. Marktbeherrschende Stellung und geistiges Eigentum a. Grundlagen Ein kartellrechtlicher Zugangsanspruch zu einem geschützten Immaterialgut nach Art. 82 EG setzt voraus, dass der Rechtsinhaber ein Unternehmen ist, das eine beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben innehat. Nur beherrschende Unternehmen trifft eine »besondere Verantwortung« dafür, dass sie durch ihr Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb nicht beeinträchtigen. 50 Ihren Grund hat diese Verantwortung in der unzureichenden Kontrolle, die der Wettbewerb auf ein beherrschendes Unternehmen ausüben kann. Die beherrschende Stellung versetzt das Unternehmen in die Lage, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich dem Verbraucher gegenüber in einem wesentlichen Umfang gegenüber unabhängig zu verhalten.51 Die Fähigkeit zu unabhängigem Verhalten äußert sich in der Fähigkeit des beherrschenden Unternehmens, die Wettbewerbsbedingungen im eigenen Interesse zu bestimmen. 52 Dem Missbrauchsverbot fällt entsprechend die Aufgabe zu, jene unkontrollierten Verhaltensspielräume auf ein Maß zurückzuführen, das mit den Interessen derer vereinbar ist, die sich im Einflussbereich der beherrschenden Stellung befinden.53 Die Stellung als Rechtsinhaber eines Immaterialgüterrechts als solche begründet keine marktbeherrschende Stellung im genannten Sinne. Ein Automatismus zwischen Schutzrecht und Marktbeherrschung besteht nicht. 54 Viel50

Vgl. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3511), Tz. 57 – Michelin/Kommission. Zu dieser Defi nition der beherrschenden Stellung, die der EuGH in ständiger Rechtsprechung verwendet, vgl. EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (520), Tz. 38 – Hoffmann-LaRoche. 52 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 16 Rn. 26. 53 Zum Zweck von Art. 82 EG vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 15 Rn. 3. 54 Das hat der Gerichtshof schon in EuGH, Rs. 24/67, Slg. 1968, 85 (112) – Parke, Davis & Co./Probel festgestellt. Vgl. auch EuGH, Rs. 96/75, Slg. 1976, 913 (952), Tz. 19 – EMI Records/CBS Schallplatten: »Zwar genießt der Inhaber eines Warenzeichenrechts innerhalb des geschützten Gebietes eine Sonderstellung; daraus folgt jedoch keineswegs das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des genannten Artikels, insbesondere dann 51

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mehr ist eine allgemeine Analyse des relevanten Marktes vorzunehmen. In sachlicher Hinsicht folgt die erforderliche Abgrenzung dem Bedarfsmarktkonzept, nach dem auf die funktionelle Austauschbarkeit der Güter aus der Sicht der Marktgegenseite abzustellen ist. 55 Danach werden regelmäßig Substitute für das geschützte Gut existieren. So wird im Urheberrecht eine marktbeherrschende Stellung hinsichtlich der einzelnen Werke der Literatur, der bildenden Kunst oder der Musik kaum möglich sein, da die kulturelle Vielfalt so groß ist, dass genügend alternative Werke zur Verfügung stehen.56 Im gewerblichen Rechtsschutz werden die patentierten Produkte mit anderen Waren auf den entsprechenden Produktmärkten konkurrieren. Ein Zusammenhang zwischen Schutzrecht und Marktbeherrschung besteht allerdings dann, wenn die Kontrollbefugnisse des Schutzrechts zugleich die Kontrolle über einen Markt vermitteln. b. »Sole Source«-Produkte Eine solche Situation kann sich zunächst ergeben, sofern der relevante Markt von Produkten gebildet wird, die nur eine Quelle haben (»sole source«-Produkte). So sind die einzige Quelle für Informationen über Fernsehprogramme (wie Sendekanal, Ausstrahlungstag, Uhrzeit und Titel der Sendungen) die Fernsehsender selbst. Ist die Zusammenstellung der Programminformationen urheberrechtlich geschützt – so die Rechtslage nach irischem Copyright im Fall »Magill« –, nehmen die Fernsehsender auf dem Markt für Fernsehzeitschriften eine beherrschende Stellung ein. 57 Ähnlich liegt es bei formgebundenen Ersatzteilen im Rahmen von komplexen Produkten, bei denen die Form des Ersatzteils aufgrund technischer (»must fit«) oder ästhetischer (»must match«) Gründe exakt vorgegeben ist. 58 Hier kann ein unabhängiger Hersteller von Ersatzteilen nicht auf andere Formgebungen ausweichen, um zum Originalhersteller in Wettbewerb zu treten. Besitzt der Hersteller ein Geschmacksnicht, wenn wie hier mehere Unternehmen von ähnlicher wirtschaftlicher Macht wie der Warenzeicheninhaber den Markt für die betroffenen Erzeugnisse bearbeiten und mit ihm zu konkurrieren vermögen.« 55 Zum Bedarfsmarktkonzept vgl. EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (348), Tz. 32 – Europemballage und Continental Can/Kommission; EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991 I 3359 (3450), Tz. 51 – AKZO/Kommission. 56 Marktbeherrschende Stellungen kommen aber dann im Urheberrecht in Betracht, wenn verschiedene Rechte in einer Hand gebündelt sind wie bei den Verwertungsgesellschaften. Siehe dazu die Regulierungen in § 11 UrhWG (Lizenzierungszwang) und § 6 UrhWG (Wahrnehmungszwang). 57 Vgl. EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 47 – Magill. 58 Zum Problem wurde dies vor allem bei Ersatzteilen von KfZ-Karosserien (Kotflügel, Motorhaube, Türen usw.): Genießt ein Ersatzteil geschmacksmusterrechtlichen Schutz, kann der Hersteller andere Unternehmen durch Verweigerung der Lizenzierung daran hindern, kompatible Ersatzteile herzustellen, und auch den Sekundärmarkt für Reparaturleistungen unter seine Kontrolle bringen.

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musterrecht an dem betreffenden Teil, so führt dies zum Ausschluss des Wettbewerbs um das Ersatzteil und der Hersteller hat ein Produktmonopol. 59 Sofern der Gesetzgeber Schutzrechte auch in Fällen gewährt, in denen sich die Form eines Produkts aus dessen Funktion (als Komponente eines komplexeren Produkts) ergibt, 60 kann das Bestehen eines Schutzrechts zur Verengung des relevanten Marktes auf einen Ein-Produkt-Markt führen. 61 Voraussetzung für eine Ko-Extensivität von Schutzrecht und Markt ist jedoch eine entsprechend enge Abgrenzung des relevanten Produktmarktes. Die sole source-Produkte können unter Umständen ihrerseits als bloße Teile von komplexeren Produkten angesehen werden, für die sich die Frage nach einer marktbeherrschenden Stellung des Herstellers ganz anders beantworten kann. So argumentieren die Produzenten von Originalersatzteilen für Autos, dass der Markt für Ersatzteile nicht vom Markt für Neuwagen zu trennen sei, da es sich beim Autokauf um ein »Paketgeschäft« handele, so dass in die Kaufentscheidung für das Auto auch der Preis für Ersatzteile einfl ieße. 62 Ähnlich kann man im Fall »Magill« die Programmvorschauen als Teil eines umfassenden Marktes für Fernsehdienstleistungen der Sender bzw. einzelner ihrer Programme qualifizieren63 , einem Markt mit in der Regel funktionierendem Wettbewerb. Doch seit der Entscheidung »Hugin« neigen die Gemeinschaftsgerichte dazu, der Kommission darin zu folgen, immer dann gesonderte Produktmärkte anzunehmen, wenn eine gesonderte Nachfrage nach dem Produkt existiert. 64 Die aus betriebswirtschaftlicher Sicht durchaus nachvollziehbare 59 Entsprechend umstritten ist die Zuerkennung von Geschmacksmusterrechten an »must match«-Teilen (im deutschen Recht nach § 1 Nr. 1–3, § 4 GeschmMG). Zur Diskussion vgl. die Übersicht bei Bechtold, Sekundärmärkte, 79 ff. »must fit«-Teile sind vom geschmacksmusterrechtlichen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschMG nicht erfasst. Vgl. auch Art. 8 Abs. 2 VO 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster. 60 Trotz jahrzehnetelanger Diskussion gibt es bis heute keine Harmonisierung des Geschmacksmusterschutzes für Ersatzteile, vgl. Art. 14 98/71/EG (Mitgliedstaaten können vorerst ihre bestehenden Regelungen zur Ersatzteilfrage beibehalten). 61 Vgl. Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 160, der treffend von einem »narrowing down« des Produktmarkts zu einem Ein-Produkt-Markt spricht. – Für solche Fälle der Verschmelzung von (nicht schutzfähiger) Idee und der Ausdrucksform kennt das US-Recht (im Unterschied zu den europäischen Urheberrechtsordnungen) die »merger doctrine«, aufgrund derer ein urheberrechtlicher Schutz versagt werden kann. 62 Vgl. EuGH (GA), Rs. 238/87, Slg. 1988, 6225, Tz. 6 f. – Volvo. 63 So in der Tat Ullrich, in: Bartsch/Lutterbeck (Hrsg.), 177 (196). 64 EuGH, Rs. 22/78, Slg. 1979, 1869 Tz. 7 – Hugin. Hier weigerte sich die Firma Hugin, die Registrierkassen herstellt, Ersatzteile an Unternehmen außerhalb ihres Vertriebsnetzes zu liefern. Obwohl Hugin nur einen relativ geringen Marktanteil auf dem Markt für Registrierkassen hatte, sah die Kommission in der Weigerung den Missbrauch einer beherrschenden Stellung. Der EuGH entschied (vgl. Tz. 5–8), dass es einen eigenen Markt für Hugin-Ersatzteile gebe. Unabhängige Unternehmen hätten sich auf die Wartung und Reparatur von Registrierkassen sowie auf deren Vermietung spezialisiert. Diese Unternehmen treten auf dem Markt als Käufer von Ersatzteilen auf und hätten eine spezifische Nachfrage nach den Ersatzteilen der Firma Hugin, da diese nicht gegen Ersatzteile von Registrierkassen an-

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»integrale Betrachtungsweise« der Anbieter, die von einem Markt für das komplexe Endprodukt ausgehen, 65 muss dem am Nachfrager (Verbraucher) orientierten Ansatz des Wettbewerbsrechts weichen. Wo durch separate Nachfrage ein gesonderter Bedarf nach einem Teilprodukt signalisiert wird, »zerschneidet« das Wettbewerbsrecht ein komplexes Produkt in Teilprodukte, um die Befriedigung dieses Bedarfs dem Wettbewerb zu überantworten. 66 Die Erbringung der von Dienstleistungen, die auf dem Teilprodukt aufbauen, wird dadurch effizienter, so dass der Verbraucher jedenfalls mittelbar profitiert. In Kauf genommen werden muss dafür freilich die Gefahr, dass sich der »Systemwettbewerb« auf den Märkten für die Komplexprodukte selbst abschwächt, weil die (Monopol-)Profite aus der exklusiven Erbringung der Dienstleistungen um das Teilprodukt nicht mehr für Investitionen in eine Verbesserung des Komplexprodukts zur Verfügung stehen. Entscheidende Bedeutung besitzt deswegen das Verhältnis zwischen dem Wert von Teilleistung/Teilprodukt zu Gesamtleistung/Gesamtprodukt. 67 c. Standardisierung Auch die Standardisierung eines Informationsgutes führt aus Sicht von Nachfragern zu dessen fehlender Substituierbarkeit. So lag der Sachverhalt etwa im Fall »IMS Health«. 68 Das Unternehmen erstellt für die pharmazeutische Industrie Berichte über den regionalen Absatz von Arzneimitteln in Deutschland. Die Berichte sind nach einer Bausteinstruktur aufgebaut, welche das Gebiet der Bundesrepublik in 1860 Segmente unterteilt (»1860er-Struktur«) 69 und unter anderem auf dem Postleitzahlensystem, Einwohnerzahlen und Daten über die Verteilung von Apotheken beruht. Die Struktur wurde von IMS Health in enger Zusammenarbeit mit der Marktgegenseite – den Pharmaherstellern – entwickelt. 70 Diese passten insbesondere ihre EDV- und Vertriebsstrukturen entsprechend an. Nach den Feststellungen der Kommission wurde derer Marken ausgetauscht werden könnten. Auf dem Markt für Hugin-Ersatzteile hat Hugin eine Monopolstellung, denn auch wenn die Ersatzteile in casu nicht sonderrechtlich geschützt waren, so kam doch aus wirtschaftlichen Gründen ein Nachbau von Hugin-Ersatzteilen nicht in Betracht (vgl. Tz. 9). 65 Um die Preise für das Komplexprodukt (Auto) kompetetiv gering zu halten, sollen die Profite aus den nachgelagerten Reparatur- und Wartungsarbeiten gezogen werden. 66 Vgl. auch unten bei II 3 d cc. 67 In der Diskussion um die Ersatzteile für KfZ-Karosserien spricht dieser Vergleich klar gegen einen Geschmacksmusterschutz: die tatsächlichen Kosten für die gesamte Karosseriegestaltung belaufen sich durchschnittlich auf 0,7% des Fahrzeugpreises. Vgl. Kommission, SEC(2004) 1097, 30. 68 Zu einer ausführlichen Sachverhaltsschilderung vgl. die Entscheidung der Kommission, ABl. 2002/165/EG, Tz. 12 ff. – NDC Health/IMS Health. 69 Zur Identifikation der 1860 Segmente führte IMS gleichzeitig ein Kennziffernsystem ein, in dem jede Ziffer für ein bestimmtes Gebiet steht. 70 Und zwar in so enger Zusammenarbeit, dass nach Ansicht des OLG Frankfurt (im Hauptsacheverfahren von IMS Health gegen NDC Health) sogar ein Miturheberrecht sei-

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die Bausteinstruktur auf diese Weise zu einer De-facto-Industrienorm, die als »gemeinsame Sprache« für den Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten in der pharmazeutischen Industrie fungierte. 71 Der Versuch des Wettbewerbers NDC Health, Absatzberichte mit anderen Bausteinstrukturen zu vertreiben, stieß bei den Kunden auf keine Resonanz. Da die Pharmahersteller bei der Auswertung der Berichte auf die 1860er-Struktur von IMS Health eingestellt waren, erwiesen sich die auf alternativen Strukturen basierende Berichte als unverkäuflich, so dass sich NDC Health nach erfolglosem Ersuchen um eine Lizenz gezwungen sah, eine Gebietsstruktur mit 1860er Bausteinen zu verwenden, die nur geringfügig von der IMS-Struktur abwich.72 Gegen diese Nutzungen konnte IMS Health jedoch erfolgreich Unterlassungsverfügungen erwirken, weil die Gerichte die Bausteinstruktur als geschützte Datenbank im Sinne von § 4 Abs. 2 UrhG ansahen. 73 Die faktische Standardisierung führte folglich dazu, dass außerhalb der urheberrechtlich geschützten Struktur keine Substitute bestanden, auf die Wettbewerber hätten ausweichen können. 74 In einem anderen Fall wurde das Patent an einem Spundfass zur Industrienorm, weil sich der Verband der Chemischen Industrie in Deutschland (VCI) für die Aufnahme eines bestimmten Vorschlags aus dem Kreis der Fasshersteller in die Rahmenbedingungen des VCI entschieden hatte. Da die Unternehmen der chemischen Industrie fast ausnahmslos nur den VCI-Rahmenbedingungen entsprechende Fässer abnehmen, sind nicht diesem Standard und damit dem betreffenden Patent entsprechende Industrie-Spundfässer praktisch unverkäuflich.75 d. Netzwerkeffekte Eine von Schutzrechten getragene beherrschende Stellung kann sich freilich auch erst im Verlauf von Marktprozessen ergeben. Eine nachträgliche Unsubstituierbarkeit tritt dann ein, wenn der – anfänglich offene – Markt zugunsten tens der beteiligten Pharmareferenten bestehen soll, vgl. OLG Frankfurt, MMR 2003, 45 (46). 71 Kommission, 3.7. 2001, COMP D3/38.044, ABl. 2002/165/EG, Tz. 89 – NDC Health/ IMS Health. 72 Die von der Beklagten verwendete Gebietsstruktur mit 1860 Gebieten wich in 30 Gebietsbezeichnungen von denjenigen der Klägerin ab, während die verwendeten Zahlencodes zur Kennzeichnung des jeweiligen Gebiets vollständig übereinstimmten. 73 Vgl. LG Frankfurt, AfP 2001, 155 (einstweilige Verfügung); OLG Frankfurt, MMR 2002, 687 (Bestätigung der einstweiligen Verfügung). (Beide Entscheidungen ergingen noch gegen die Firma PI Pharmaintranet Information, dem Rechtsvorgänger von NDC.). 74 Um zu klären, ob die Verweigerung von Lizenzen durch IMS Health deswegen missbräuchlich nach Art. 82 EG sei, legte das LG Frankfurt im Hauptsacheverfahren dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor, vgl. LG Frankfurt ABlEG 2002, Nr. C 3/16. Der Gerichtshof entschied hierüber im Urteil EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039 – IMS Health. Dazu näher unten II 3 d bb. 75 Zum Sachverhalt vgl. BGH, GRUR 2004, 966 (966, 968) – Standard-Spundfaß.

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eines Produkts »gekippt« ist (»tipping«) 76 und jeder weitere Käufer sich für die Nutzung dieses Produkts entscheidet, weil er nur dadurch – d. h. durch die Teilhabe an dem enormen Verbreitungsgrad des Informationsprodukts – die eigene Nutzenfunktion maximieren kann. Der Wettbewerb ist – jedenfalls vorerst – »entschieden«; konkurrierende Systeme sind vom Markt gedrängt. Das führt auf Seiten der Konsumenten zu einem Eingeschlossensein in den betreffenden Markt (»lock-in«), das um so nachhaltiger ist, je höher die Investitionskosten zur Anschaffung des Produkts waren. Das fragliche Produkt ist zu einem faktischen Standard geworden. Für die Anbieter von Folgeprodukten, die in irgend einer Weise die Nutzung von Produkten gleichartigen Typs voraussetzen, bedeutet das ein Angewiesensein auf den Hersteller gerade dieses einen, erfolgreichen Produkts. Im Fall der Firma Microsoft, die eine beherrschende Stellung auf dem Markt für Client-PC-Betriebssysteme hat, führt die Notwendigkeit eines reibungslosen Datenaustauschs zwischen Client und Server dazu, dass die Hersteller von Server-Programmen auf die volle Interoperabilität mit dem geschützten PC-Betriebssystem von Microsoft angewiesen sind. Die Marktposition hinsichtlich der PC-Betriebssysteme versetzt Microsoft nach Auffassung der Kommission in die Lage: »to determine to a large extent and independently of its competitors the set of coherent communication rules that will govern the de facto standard for interoperability in work group networks«.77 Das Auftreten solcher Phänomene wird unter modernen Produktions- und Nutzungsbedingungen für Informationsgüter erleichtert. Hier ragt der Einfluss von Netzen heraus. Diese begegnen zum einen in Gestalt »virtueller Netze«, die vor allem in der Computer- und Software-Industrie anzutreffen sind und die Wettbewerbsbedingungen auf den entsprechenden Märkten bestimmen. In virtuellen Netzen beeinflussen sich die Teilnehmer des Netzes gegenseitig in ihren wirtschaftlichen Nutzenfunktionen, ohne unmittelbar miteinander in Verbindung zu stehen (wie im Fall von physischen Netzen). Dieser Umstand hat seinen Grund im Auftreten von Netzwerkeffekten, die entstehen, wenn sich der Nutzen des betreffenden Gutes für jeden einzelnen Nutzer mit der Anzahl weiterer Nutzer des gleichen Gutes erhöht. 78 Während sich bei direkten Netzwerkeffekten die Nutzensteigerung für den einzelnen Teilnehmer unmittelbar durch den Anschluss weiterer Teilnehmer an das Netz ergibt, 79 wird die Nutzensteigerung bei den – für virtuelle Netze kennzeichnenden – indirekten Netzwerkeffekten durch dritte Umstände vermittelt. Die76

Zum Begriff des »tipping« vgl. etwa Cotter, Antitrust Bulletin 44 (1999), 211 (241). So die Feststellung der Kommission im Verfahren gegen Microsoft Kommission, COMP/C-3/37.792, Tz. 779 – Microsoft. Einen Überblick über den Sachverhalt verschafft der Beschluss des EuG, Rs. T-201/04 R, WuW EU-R 863 – Microsoft. 78 Vgl. Economides, Competition Policy in Network Industries, 5; Lemley/McGowan, California Law Review 86 (1998), 479 (488 ff.). 79 Man unterscheidet insofern zwischen Zutrittsexternalitäten und Rufexternalitäten, vgl. Monopolkommission, IX. Hauptgutachten (1990/91), Tz. 818. 77

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se liegen in erster Linie in der gesteigerten Verfügbarkeit von Komplementärgütern, die sich bei einer steigenden Verbreitung des Primärgutes einstellt. 80 So werden die Entwickler von Software mehr Anwendungsprogramme für ein Betriebssystem mit höherem Marktanteil schreiben, weil dann auch die Absatzchancen für die betreffenden Anwendungsprogramme höher sind. Ein größeres Spektrum von Anwendungen wird umgekehrt die Popularität des Betriebssystems steigern; was anschließend wieder auf die Zahl der Anwendungen zurückwirkt. 81 Indirekte Netzwerkeffekte können dabei nicht nur aus einer vertikalen Interoperabilität (wie im Fall von Betriebssystemen und Anwendungsprogrammen), sondern auch aus einer horizontalen Kompatibilität (wie zwischen unterschiedlichen Programmen für Textverarbeitung) resultieren; entscheidend ist das Vorhandensein einer Komplementaritätsrelation zwischen den betreffenden Produkten. 82 Die beschriebene positive Rückkopplung führt auf den Märkten zu einer eigentümlichen Dynamik. Ist erst einmal eine kritische Masse an Nutzern erreicht, steigert die Nutzen-Nachfrage-Interdependenz die Nachfrage immer weiter bis zur Marktsättigung, weil jeder neu hinzukommende Nutzer aufgrund des steigenden sozialen Zusatznutzens das Produkt noch attraktiver für die jeweiligen nächsten Nutzer macht (»bandwagon effect«). Entgegen dem sonst herrschenden Nachfragegesetz, dem zufolge die Bereitschaft für die marginale Einheit eines Gutes mit der Anzahl der verkauften Einheit abnimmt, steigt in der Gegenwart von Netzwerkeffekten die Nachfragekurve mit steigender Verkaufszahl. Zudem weisen positive Skalenerträge auf der Nachfrageseite (»economies of scale in consumption«) nicht jene Grenzen auf, an die Skalenerträge auf der Produktionsseite stoßen, weil eine Kostendegression durch Größenvorteile (»economies of scale in production«) und Diversifikationsstrategien (»economies of scope«) praktischen Begrenzungen unterliegt. Während es infolgedessen dort bei oligarchischen Marktstrukturen bleibt, droht aufgrund von Netzwerkeffekten die vollständige Vereinnahmung des Marktes und die Entstehung eines Monopols. Die Herbeiführung eines solchen Zustands ist in Netzwerkindustrien nicht etwa die Ausnahme. Vielmehr ist das strategische Handeln der Wettbewerber darauf angelegt, da die Grössenvorteile von Netzen nur bei einem entsprechend großen Verbraucherstamm (»installed base«) verwirklicht werden können. Ist dieser erst einmal erreicht, geben die Netzwerkeffekte dem Markt eine eigene Dynamik in Richtung auf eine 80 Vgl. Economides, Competition Policy in Network Industries, 6 (the essential difference between direct and indirect effects is whether »customers are identified with components«). 81 Vgl. Lemley/McGowan, California Law Review 86 (1998), 479 (491 ff.) mit weiteren Beispielen für virtuelle Netzwerke. 82 Vgl. Economides, Competition Policy in Network Industries, 6 (»key reason for the appearance of network externalities is the complementarity between network components«).

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Alleinstellung des betreffenden Produkts; es kommt zu dem erwähnten »tipping«. 83 Als Beispiel für die Bedeutung von Netzwerkeffekten gerade in der Softwareindustrie sei auf die Feststellungen der Kommission im europäischen Wettbewerbsverfahren gegen Microsoft verwiesen. Danach sind die Märkte für PCBetriebssysteme, für Server-Betriebssysteme wie auch für Internet Media Player von starken Netzwerkeffekten geprägt. 84 e. Rechtliche Absicherung der Unangreifbarkeit Der Hinweis auf Netzwerkeffekte wie auch die vorgenannten Beispiele bestätigen, dass nicht das Schutzrecht als solches eine beherrschende Stellung begründet. Vielmehr sind es Phänomene wie Standardisierungen oder Netzwerkeffekte, die zu einer fehlenden Substituierbarkeit der Güter aus Sicht der Nachfrager führen. Allerdings sichert das Schutzrecht an dem betreffenden Immaterialgut die marktbeherrschende Stellung ab. Es verhindert, dass andere Anbieter gleiche Produkte anbieten und so die Marktstellung des Rechteinhabers angreifbar wird. Die Macht, die sich daraus für den Rechteinhaber im Wettbewerb ergibt, kann sich in Widerspruch zum Wettbewerbsrecht setzen. Für die Zwecke von Art. 82 EG ist es grundsätzlich unerheblich, ob die beherrschende Stellung faktischer Natur ist oder ob sie auf rechtlicher Verleihung beruht. 85 Das Missbrauchsverbot ist auch anwendbar auf Marktbeherrschungen, die durch Schutzrechte vermittelt werden. 86 Entscheidend ist nach Auffassung des Gerichtshofs insofern, ob das Schutzrecht seinem Inhaber die Macht verleiht, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf einem erheblichen Teil des zu berücksichtigenden Marktes zu verhindern. 87 3. Verletzung des Missbrauchsverbots durch Zugangsverweigerung Auch für marktbeherrschende Unternehmen gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit und auch sie sind grundsätzlich berechtigt, die Befugnisse aus ihren Eigen83 Vgl. Kommission, COMP/C-3/37.792, Tz. 946 – Microsoft (»›tipping‹ of the market, that is to say, a technology would gain enough momentum so that the attendant network effects themselves would propel the technology to dominance«). 84 Zusammenfassend Kommission, COMP/C-3/37.792, Tz. 1062 – Microsoft. Im Einzelnen vgl. Tz. 448 ff. (für PC-Betriebssysteme), 516 ff. (für Server-Betriebssysteme) und 420 ff. (für Media Player). In Tz. 533 wird auf das Bestehen von Netzwerkeffekten auch zwischen zwei Märkten hingewiesen (»there are substantial direct and indirect network effects, not only within each of the two different marktes for client PC and work group server operating systems, but also between the two markets«). 85 Vgl. etwa EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261 (3276), Tz. 18 – Telemarketing. 86 Vgl. Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 169 und 180 ff.; Heinemann, Immaterialgüterschutz, 441. 87 So EuGH, Rs. 40/70, Slg. 1971, 69, Tz. 16 – Sirena/Eda; EuGH, Rs. 78/70, Slg. 1971, 487, Tz. 17 – Deutsche Grammophon/Metro.

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tumsrechten autonom wahrzunehmen. Grundsätzlich wird die bloße Rechtsausübung im Allgemeinen und die Verweigerung einer Lizenz im Besonderen keinen Missbrauch im Sinne von Art. 82 EG darstellen, auch wenn diese von einem Unternehmen in beherrschender Stellung ausgeht. 88 Das Recht, einen Geschäftsabschluss über die Mitnutzung eines geschützten Immaterialgutes zu verweigern, liegt im Zentrum des Eigentumsrechts an diesem. Es ist Ausdruck davon, dass sich die Rechtsordnung hinsichtlich der fraglichen Ressource grundsätzlich für einen Schutz des zugeteilten Verfügungsrechts durch eine »property rule« entschieden hat, nach der der Berechtigte mit einem Unterlassungsanspruch gegen nicht-autorisierte Nutzungen vorgehen kann. 89 Dem Inhaber eines Schutzrechts ist die Wahl zwischen Eigennutzung und vertraglicher Verwertung kraft Gesetzes vorbehalten.90 Diese individuelle Steuerungskompetenz der Nutzung wird durch die (kartellrechtlich begründete) Gewährung von Zugangsrechten an Dritte partiell außer Kraft gesetzt.91 Konstellationen, in denen die Ausschließungsbefugnis über den gesetzlichen Schutzumfang hinaus zugunsten der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit von Dritten durchbrochen wird, bilden in einem Immaterialgüterrechtssystem der enumerierten Schranken die Ausnahme. Dieser Ausnahmecharakter schlägt sich bis in die Urteilssemantik der Gerichte nieder, die »außergewöhnliche Umstände« verlangen, um kartellrechtliche Zugangsrechte zu begründen.92 Der Gerichtshof hat diese außergewöhnlichen Umstände in einer Reihe von Urteilen konkretisiert. Danach sind folgende Voraussetzungen zu verlangen, um die Verweigerung der Lizenzierung eines immaterialgüterrechtlich geschützten Produkts durch ein marktbeherrschendes Unternehmen als Missbrauch im Sinne von Art. 82 EG zu qualifizieren: 93

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So EuGH, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211, Tz. 8 – Volvo. Zum Schutz von Handlungsrechten entweder durch »property rules« oder nur »liablity rules« grundlegend Calabresi/Melamed, Harvard Law Review 85 (1972), 1089. Im deutschen Recht entspricht dem grob die Unterscheidung zwischen Abwehransprüchen für absolute Rechte (actio negatoria) und Schadensersatzansprüchen, vgl. Ott/Schäfer, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 551. 90 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 28 Rn. 122. 91 In den Augen des EuGH greift die Verpfl ichtung des Rechtsinhabers, Dritten eine Lizenz zu erteilen, in die Substanz seines ausschließlichen Rechts ein, und zwar selbst dann, wenn dies gegen eine angemessene Vergütung erfolgen würde, vgl. EuGH, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211, Tz. 8 – Volvo. 92 So die Formulierung in EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 50 – Magill. 93 Vgl. EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 38 – IMS Health; EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998 I-7791, Tz. 40 – Bronner; EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 52–57 – Magill; EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261, Tz. 26 – Telemarketing und EuGH, Verb. Rs. 6 und 7/73, Slg. 1974, 223, Tz. 25 – Commercial Solvents (für die Merkmale der »Unerlässlichkeit des Erzeugnisses« und »Ausschluss jeglichen Wettbewerbs auf einem abgeleiteten Markt«). Vgl. auch EuG, Rs. T-201/04, WuW/E EU-R 1307, Tz. 332 f. – Microsoft. 89

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– die Weigerung muss ein Produkt betreffen, das unentbehrlich für die Tätigkeit auf einem verbundenen Markt ist, – die Weigerung muss geeignet sein, jeglichen Wettbewerb auf diesem verbundenen Markt auszuschließen, – die Weigerung muss das Auftreten eines neuen Produkts verhindern, nach dem eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht, und – die Weigerung darf nicht sachlich gerechtfertigt sein. Die Berechtigung dieser Kriterien lässt sich nur beurteilen, wenn man die Lizenzverweigerung und ihre Folgen für den Wettbewerb in Verhältnis setzt zum Schutzzweck von Art. 82 EG. a. Kontrolle eines verbundenen Marktes Sofern ein marktbeherrschendes Unternehmen die Mitnutzung seines der Marktbeherrschung zu Grunde liegenden Immaterialgutes verweigern kann, weil es rechtlich geschützt ist, hat dies nicht nur die Folge, dass der beherrschte Markt selbst nicht angegriffen werden kann, es sei denn durch ein derart überlegenes Produkt, das den konsumentenseitigen »lock-in« durch vereinbarte oder netzeffektbedingte Standards aufzubrechen in der Lage wäre.94 Vielmehr ergeben sich Konsequenzen insbesondere auch für den Wettbewerb auf verbundenen Märkten. So ist den angeführten Beispielen gemeinsam, dass die Zugangspetenten die Mitnutzung des Schutzgutes erstrebten, um dadurch auf einer anderen Wertschöpfungsstufe tätig zu sein als auf der des Schutzgutes selbst. Die Gerichte identifizierten jeweils verbundene Märkte als wettbewerbliches Betätigungsfeld der Zugangspetenten: für das geschützte Immaterialgut einerseits und für einen damit sachlich verbundenen Markt andererseits. Sofern die Tätigkeit auf dem verbundenen Markt – das Anbieten eines eigenen Produkts oder einer Dienstleistung – tatsächlich nur möglich ist, wenn der Schutzgegenstand des Marktbeherrschers genutzt werden kann, würde der Schutzgegenstand in einer solchen Situation der Verbundenheit zweier Märkte als »bottleneck« für den zweiten, verbundenen Markt wirken. Der Eigentümer der Bottleneck-Ressource ist damit in der Lage, die Wettbewerbsverhältnisse auf dem zweiten Markt zu kontrollieren. Verweigert er eine rechtsgeschäftliche Einigung über die Mitnutzung (hier kurz: Lizenzierung), wirkt sich das negativ auf den Wettbewerb auf dem verbundenen Markt aus. b. Geschäftsverweigerung auf verbundenen Märkten Dass geschäftliche Tätigkeiten auf einem Markt dadurch beeinflusst werden können, dass die Belieferung mit einem notwendigen Vorprodukt erfolgt oder 94 Die Möglichkeiten für solche, im Hardware/Software-Bereich auch als »killer applications« bezeichnete radikale Neuerungen sind freilich begrenzt. Nicht in Frage kommen sie beispielsweise zur Ersetzung von sog. »Schlüsselpatenten«.

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verweigert wird, ist in einer arbeitsteiligen Wirtschaft der Möglichkeit nach angelegt. Es verwundert daher nicht, dass Fälle auftreten, in denen sich die Beeinflussbarkeit zur Kontrolle eines Marktes steigert und ein Marktteilnehmer diese Kontrolle zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausnutzt. Die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs hat sich jedoch zunächst an Fällen ohne immaterialgüterrechtlichen Bezug entwickelt. In der Sache »Commercial Solvents« beherrschte das Unternehmen den Markt für die Chemikalie Aminobutanol, die als Rohstoff für die Produktion des Derivats Etambutanol dient. Das Unternehmen war dadurch in der Lage, die Belieferung der Hersteller von Derivaten zu kontrollieren. Nach Ansicht des EuGH hat es diese Marktmacht dadurch missbraucht, dass es sich in der Absicht, die Derivate nunmehr selbst herzustellen, weigerte, den bisherigen Abnehmer weiter zu beliefern, »auch auf die Gefahr hin, jeglichen Wettbewerb durch diesen Kunden auszuschalten«.95 Schädlich war, dass der Monopolist im Zuge der veränderten Strategie versuchte, einen Vorteil auf dem Markt für Derivate unter Ausnutzung seiner Kontrolle des beherrschten Rohstoffmarktes zu erlangen. Mit seinem »Télémarketing«-Urteil bestätigte der Gerichtshof den gewählten Ansatz und generalisierte ihn gleichzeitig. Nicht nur wird festgestellt, dass sich die Lieferverweigerung durch den Marktbeherrscher auch auf Dienstleistungen beziehen kann. Wichtiger noch ist, dass der Gerichtshof das Verhältnis von Rohstoff und Derivat verallgemeinert und die Commercial Solvents-Doktrin auf alle Fälle einer Leistung für anwendbar erklärt, »die für die Tätigkeit eines anderen Unternehmens auf einem anderen Markt unerlässlich ist«.96 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs in Fällen der Lieferverweigerung im Verhältnis zwischen vor- und nachgelagerten Wirtschaftsstufen macht zunächst deutlich, dass keine Identität zwischen dem beherrschten und dem vom Missbrauch betroffenen Markt bestehen muss.97 Der Wortlaut von Art. 82 EG trifft insofern keine Aussage; er bezieht das Merkmal der missbräuchlichen Handlung nicht auf den im konkreten Fall beherrschten Markt.98 Fallen beherrschter und vom Missbrauch betroffener Markt auseinander, ist jedoch, wie die Entscheidung Tetrapak II bestätigt,99 eine enge Verbindung zwischen den 95

EuGH, Rs. 6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223, Tz. 25 – Commercial Solvents. EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261, Tz. 26 – CBEM/CLT und IPB. 97 Zur Entbehrlichkeit einer Kongruenz von beherrschtem und vom Missbrauch betroffenen Markt vgl. Schröter, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EU/EG, Art. 82, Rn. 129, m. w. N. 98 Vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82 Rn. 101 unter Hinweis auf EuG, Rs. T-83/91, Slg. 1994 II, 755 (812), Tz. 113 – Tetra Pak II. 99 EuGH, 14. 11. 1996, Rs. C- 333/94, Slg. 1996, I-5951, Tz. 27 und 28 – Tetrapak II. Dort wendet der EuGH Art. 82 EG sogar auf ein Verhalten an, das auf einem Drittmarkt stattfi ndet und sich dort auswirkt, verlangt aber eben jene enge Verbindung zwischen dem beherrschten und dem Drittmarkt. 96

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betroffenen Märkten erforderlich, welche marktübergreifende Strategien ermöglicht und die Zurechnung des Verhaltens zur beherrschenden Stellung rechtfertigt.100 Der von Art. 82 EG vorausgesetzte Zusammenhang zwischen der beherrschenden Stellung und dem angeblichen missbräuchlichen Verhalten wird durch eine strukturelle Verbindung der betroffenen Märkte bestimmt. Diese kann sich, wie die Fälle »Commercial Solvents« und »Télémarketing« zeigen, insbesondere aus sachlichen Angewiesenheitsrelationen in der Wertschöpfungskette ergeben.101 Die Ausdehnung der Verantwortung des beherrschenden Unternehmens folgt der erweiterten Möglichkeit der Behinderung des Wettbewerbs. Damit ist indessen der Missbräuchlichkeitsvorwurf noch nicht begründet. Dieser besitzt vorliegend mindestens zwei Aspekte.102 Commercial Solvents steht stellvertretend für die Fälle, in denen die Geschäftsverweigerung den Abbruch einer bestehenden geschäftlichen Beziehung bedeutet.103 Das beherrschende Unternehmen hatte in der Vergangenheit bereits einen Geschäftsverkehr eröffnet. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, die entstandenen Lieferbeziehungen nicht willkürlich zu beenden.104 Eine Liefersperre gegenüber bisherigen Handelspartnern ist insofern einer Einschränkung des Absatzes gemäß Art. 82 Abs. 2 lit. b EG vergleichbar.105 Entscheidend für die Begründung der Missbräuchlichkeit der Geschäftsverweigerung ist jedoch ein zweiter Aspekt, in dem ein über die konkrete Fallgruppe hinausreichender Gedanke zum Ausdruck kommt: Mit Hilfe der Geschäftsverweigerung nutzt das beherrschende Unternehmen die Abhängigkeit eines anderen Marktes aus, um seine Machtstellung auf diesen auszudehnen (»Machttransfer«). Dieser Vorwurf liegt im Schnittpunkt zwischen Verhaltens- und Strukturkontrolle. Um ihn genauer zu bestimmen, kann an die grundlegende Definition des Missbrauchs durch den Gerichtshof angeknüpft werden. Danach erfasst der Missbrauch »die Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung, die die Struktur eines Marktes beeinflussen 100 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rn. 20, sprechen von einer »strukturellen Verbindungen« zwischen den betroffenen Märkten. 101 Hier: Rohstoff/Derivat und Fernsehwerbesendung/Telemarketingdienstleistungen. 102 Zu einer detaillierten Analyse der Entscheidung Commercial Solvents vgl. Stapper, Das essential facility Prinzip, 62 ff. 103 Im Fall Commercial Solvents wurde eine bestehende Lieferbeziehung abgebrochen. Im Fall Telemarketing hatte der Fernsehsender die Einräumung von Sendezeiten an ein Telemarketingunternehmen entgegen der bisherigen Praxis davon abhängig gemacht, dass die Kunden ihre Werbeaufträge über einen von dem Sender bestellte Werbevermittlungsgesellschaft einreichen. 104 Vgl. EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991, II-1439; EuGH, Rs. C-53/92 P, Slg. 1994, I-667 – Hilti (Lieferverweigerung gegenüber alten Kunden, um deren Weiterverkauf an Erzeuger kompatibler Produkte zu verhindern). Weitere Nachweise bei Eilmansberger, in: Streinz, EUV/ EGV, Art. 82 Rn. 40. 105 Siehe Schröter, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EU/EG, Art. 82, Rn. 251.

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können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist und die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindert, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen.«106 Die Formel zeigt zunächst, dass es bei der Beurteilung der Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen darauf ankommt, ob diese dem Leistungswettbewerb zugeordnet werden können. Der Gerichtshof greift insofern erkennbar auf eine aus dem deutschen Wettbewerbsrecht stammende Konzeption des Nichtleistungswettbewerbs zurück, um behinderndes von legitimem Geschäftsverhalten zu unterscheiden.107 So kann es auch dem dominanten Unternehmen nicht verboten werden, seine Marktstellung durch überlegene Leistung zu verteidigen oder auch auszubauen. Umgekehrt erscheinen jedoch Maßnahmen als missbräuchlich, die nicht auf der Qualität eigener Leistungen beruhen oder nicht primär darauf abzielen, die eigene Leistungskraft zu erhalten, sondern die der Konkurrenz zu schwächen.108 Es spricht deshalb zwar nichts dagegen, dass ein beherrschendes Unternehmen – wie im Fall von Commercial Solvents – auch auf einem anderen Markt tätig wird als auf dem beherrschten, weil es sich von einer vertikalen Integration erhebliche Effizienzsteigerungen verspricht. Dies darf jedoch insbesondere nicht unter Ausnutzung gerade jener Verhaltensfreiräume geschehen, die das Unternehmen infolge der Einschränkung des Wettbewerbs auf dem beherrschten Markt genießt. Es handelt sich um den Einsatz eines leistungsfremden Mittels, wenn Commercial Solvents versucht, den früheren Abnehmer, der aufgrund der geänderten Unternehmenspolitik einer vertikalen Erweiterung zum Wettbewerber geworden ist, vom Markt zu verdrängen, indem dessen Abhängigkeit von Lieferungen des notwendigen Rohstoffs ausgenutzt wird. Der Wettbewerber läuft nur infolge des Lieferstopps Gefahr, seinen Betrieb einstellen zu müssen, nicht etwa aufgrund eines überlegenen Angebots seitens des integrierten Unternehmens. Andererseits betont der Gerichtshof in der Sache »Commercial Solvents« ausdrücklich die Auswirkungen, die die Geschäftsverweigerung auf die Wettbewerbsstruktur auf dem verbundenen Markt hat. Hervorgehoben wird, dass 106 EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (541), Tz. 91 – Hoffmann-La Roche; übereinstimmend EuGH, Rs. C-62/86, Slg. 1991 I-3359, Tz. 69 – AKZO. 107 Vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82 Rn. 163 f., m. w. N., der jedoch gleichzeitig – und zu Recht – vor einer Generalisierung des Kriteriums der Leistungsfremdheit in der Rechtsanwendung warnt, weil es die Gefahr birgt, den Begriff zu eng zu verstehen und vorschnell bestimmte Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen als missbräuchlich einzustufen. 108 Nachdrücklich für die Berücksichtigung des Leistungswettbewerbs im Rahmen von Art. 82 EG ist Eilmansberger, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 82, Rn. 20.

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die Präsenz des früher belieferten Unternehmens entscheidend für die Existenz von Wettbewerb auf dem verbundenen Markt sei.109 Daraus wird teilweise gefolgert, dass der Gerichtshof, sein Urteil vermutlich anders begründet hätte, wenn der betroffene Abnehmer nur einer von vielen Wettbewerbern auf diesem Markt gewesen wäre.110 Jedenfalls unterstreicht der EuGH damit, dass Art. 82 EG nicht nur unmittelbar zum Nachteil des Verbrauchers schädigende Praktiken als missbräuchlich betrachtet, sondern auch solche Verhaltensweisen verbietet, die den Verbraucher mittelbar dadurch benachteiligen, dass sie einen Zustand wirksamen Wettbewerbs im Sinne von Art. 3 lit. g EG beeinträchtigen. Insofern seien »alle Auswirkungen in Betracht zu ziehen, die das beanstandete Verhalten auf die Konkurrenzstruktur im Gemeinsamen Markt hat«.111 Nach dieser umfassenden Formulierung hängt der Missbrauchsvorwurf vor allem auch davon ab, welche Folgen sich aus der Geschäftsverweigerung auf dem beherrschten Markt für den Wettbewerb auf einem benachbarten Markt ergeben.112 Das Marktverhalten lässt sich nicht isoliert von der Marktstruktur betrachten; beide hängen miteinander zusammen. Die Verhaltensweisen eines beherrschenden Unternehmens beeinflussen wegen des bereits erreichten hohen Grades der Wettbewerbsbeschränkung auch die Marktstruktur.113 Folglich kommt es darauf an, ob die Geschäftsverweigerung durch ein beherrschendes Unternehmen – unabhängig von ihrer möglichen Leistungsfremdheit – zu einem dem Ziel des Art. 3 lit. g EG widersprechenden Zustand des Wettbewerbs führt. Festgehalten werden kann, dass die Geschäftsverweigerung durch ein beherrschendes Unternehmen dann das Missbrauchsverbot verletzt, wenn sie zum Ausschluss des Wettbewerbs auf einem verbundenen Markt führt. Schwerpunkt der Prüfung, ob ein Verstoß gegen Art. 82 EG vorliegt, bildet die Frage nach einem Strukturmissbrauch, d. h. nach dem missbräuchlichen Einsatz einer beherrschenden Stellung zu einer weiteren Verschlechterung der Marktverhältnisse.114 109 Vgl. EuGH, Rs. 6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223, Tz. 25 – Commercial Solvents (»was im vorliegenden Fall die Ausschaltung eines der wichtigsten Hersteller von Etambutol im Gemeinsamen Markt bedeutet hätte«, »auch auf die Gefahr hin, jeglichen Wettbewerb durch diesen Kunden auszuschalten«). 110 Etwa unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung, vgl. Stapper, Das essential facility Prinzip, 63. 111 Vgl. EuGH, Rs. 6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223, Tz. 32 und 33 – Commercial Solvents. 112 Deutlich auch EuG, Rs. T-201/04, WuW/E EU-R 1307, Tz. 332 f. – Microsoft (»Art. 82 EC covers not only practices which may prejudice consumers directly but also those which indirectly prejudice them by impairing an effective competitive structure«). 113 Dies wird besonders klar in der oben herangezogenen Formulierung des Missbrauchbegriffs durch den EuGH im Fall Hoffmann-La Roche, vgl. Mestmäcker, in: FS Raisch, 441 (457). 114 Zum Begriff des Strukturmissbrauchs vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 447; Herrlinger, Das »Netz«, 63 f.

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Diesen Ansatz für Machttransfer-Fälle hat der Gerichtshof in der bereits erwähnten Entscheidung »Télémarketing« fortgeführt und einen – für die Behandlung immaterialgüterrechtlicher Fälle wichtigen – Aspekt ergänzt. Denn in dem Fall, in dem es darum ging, dass ein Fernsehsender nur dem zur eigenen Gruppe gehörenden Unternehmen Sendezeiten für Werbung einräumte, nicht jedoch einem unabhängigen Telemarketing-Unternehmen, befand der EuGH, dass es einen Missbrauch darstelle, wenn ein beherrschendes Unternehmen »sich oder einem zur selben Gruppe gehörenden Unternehmen ohne objektives Bedürfnis eine Hilfstätigkeit vorbehält, die von einem dritten Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeit auf einem benachbarten, aber getrennten Markt ausgeübt werden könnte, so dass jeglicher Wettbewerb seitens dieses Unternehmens ausgeschaltet zu werden droht«.115 Das verschärft die Begründungslast für das beherrschende Unternehmen, seine – infolge der Unsubstituierbarkeit des Vorprodukts – grundsätzlich bestehende Kontrollmöglichkeit bezüglich des verbundenen Marktes so einzusetzen, dass es sich diesen zweiten Markt allein vorbehält, obwohl er von anderen Unternehmen ebenfalls bedient werden könnte. Die Beherrschung soll eingegrenzt bleiben auf den Markt, auf dem sie besteht.116 Die faktische Möglichkeit zur Beherrschung eines abhängigen Marktes soll sich nicht realisieren dürfen. Unter Art. 82 EG ist schon die Ausdehnung von Marktmacht als solche verboten, ohne dass es zu einer weiteren, konkreten Missbrauchshandlung auf dem verbundenen Markt kommen muss.117 Die bewusste Eingrenzung einer Machtstellung zugunsten der Wettbewerbsverhältnisse auf anderen Wirtschaftsstufen kann als allgemeines Prinzip des Wettbewerbsrechts betrachtet werden. Besondere Bedeutung hat es für die Beurteilung des Verhaltens öffentlicher Unternehmen oder vom Staat mit ausschließlichen Rechten ausgestatteten Unternehmen im Rahmen von Art. 86 Abs. 1 EG erlangt.118 Deutlich wird das Problem bei Unternehmen mit ausschließlichen Rechten. Hierbei handelt es sich um »Rechte, die von einem Mitgliedstaat oder einer Behörde einer oder mehreren öffentlichen oder privaten Einrichtungen auf dem Gesetzes- oder Verwaltungswege gewährt werden und diesen die Erbringung einer Dienstleistung oder die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit vorbehalten«.119 Unternehmen mit diesen Rechten werden in der Regel zugleich über eine beherrschende Stellung auf dem Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaates – und damit 115

EuGH, Rs. 311/84, Slg. 1985, 3261, Tz. 27 – CBEM/CLT und IPB. Ohne dass mit dieser Aussage freilich irgendeine Bestandsgarantie für die Marktbeherrschung zum Ausdruck gebracht werden sollte. 117 Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 448. 118 Zur Bedeutung der Tatbestandsgruppe des Machttransfers auf verbundenen Märkten vgl. Mestmäcker, in: FS Raisch, 464 f. sowie ders./Schweitzer, § 18 Rn. 19 ff. (insbes. Rn. 21). 119 Vgl. die Defi nition in der Telekommunikationsendgeräte-RL, ABl. 1990 L 131/73, und Art. 1 Nr. 5 der RL 2002/77/EG, ABl. 2002 L 249/21. 116

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auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes120 – verfügen.121 Daraus erklärt sich die praktische Bedeutung von Art. 86 Abs. 1 i. V. m. Art. 82 EG. Hierzu hat der EuGH mehrfach entschieden, dass es einen Missbrauch der beherrschenden Stellung auf dem gesetzlich monopolisierten Markt darstellt, wenn das Unternehmen seine Vorzugsstellung benutzt, um sich auch angrenzende Märkte vorzubehalten. So hatte im Fall GB-Inno-BM ein staatliches Telekommunikationsunternehmen nicht nur das Monopol für die Einrichtung und den Betrieb des öffentlichen Fernmeldenetzes inne, sondern konnte gemäß einer Ministerialverordnung auch bestimmen, welche Endgeräte zugelassen und an das Netz angeschlossen werden durften.122 Die auf diese Weise gegebene Möglichkeit, jeden Wettbewerb durch andere Unternehmen auf dem im Vergleich zum Netzbetrieb benachbarten, aber getrennten Markt für Endgeräte auszuschließen, betrachtet der Gerichtshof als missbräuchliche Ausdehnung des staatlich begründeten Monopols im Netzbereich. Ähnlich dem Fall Telemarketing, wo die Telemarketing-Dienstleistung als Hilfstätigkeit im Verhältnis zur vorbehaltenen qualifiziert wird, unterstreicht der EuGH, dass es sich bei der Herstellung und dem Verkauf von Endgeräten im Vergleich zum Netzbetrieb um eine eigenständige wirtschaftliche Tätigkeit handele. Diese stelle aber gerade keine Dienstleistungsaufgabe von öffentlichem Interesse dar. Für eine Beschränkung des Wettbewerbs auch auf diesem Markt besteht daher keine Rechtfertigungsmöglichkeit nach Art. 86 Abs. 2 EG.123 Dadurch wird die Reichweite des staatlich gewährten ausschließlichen Rechts auf das unbedingt notwendige Ausmaß begrenzt. Jenseits dessen handelt es sich um eine »Tätigkeit, die jedes Unternehmen ausüben können muss«.124 Aus demselben Grund wurde die Erstreckung des Netzmonopols auf TK-Dienste für unzulässig erklärt.125 Die Gefährdung des Wettbewerbs durch Maßnahmen der Monopolausdehnung auf verbundene, aber getrennte Märkte ist auch im Rahmen des Diskriminierungsverbots für staatliche Handelsmonopole nach Art. 31 Abs. 1 EG erkannt worden. Dessen Zweck ist es, die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die in ihren wirtschaftlichen Beziehungen auf das betreffende Handelsmo120

Das Gebiet eines Mitgliedstaates (auf das sich die gesetzliche Vorzugsstellung erstreckt) stellt einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes dar, vgl. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3511), Tz. 28 – Michelin/Kommission, stRspr. 121 Ob das tatsächlich der Fall ist, muss freilich im Einzelfall festgestellt werden, vgl. EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991 I-1979, Tz. 29 ff. – Höfner, stRspr. 122 Vgl. EuGH, Rs. C-18/88, Slg. 1991 I-5941 – GB-Inno-BM. 123 Vgl. die Argumentation des EuGH, Rs. C-18/88, Slg. 1991 I-5941, Tz. 21 f. – GB-InnoBM. 124 Vgl. EuGH, aaO., Tz. 22. 125 Durch EuGH, Rs. C-271/90, Slg. 1992 I-5833, Tz. 36 – Telekommunikationsdienste. Weitere Fälle fi nden sich bei Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/ Teil 1, Art. 82 Rn. 272.

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nopol im jeweiligen Staat angewiesen sind, umfassend gegen diskriminierende Verhaltensweisen seitens dieses Monopols zu schützen. Die Vorschrift reagiert damit auf das strukturelle Problem, dass die Handelsmonopole in der Lage sind, in die Märkte anderer Mitgliedstaaten einzudringen, während es für ihre Wettbewerber in diesen Staaten nur den Zugang zum Markt über das Monopol gibt.126 Nach Auffassung des EuGH soll nun Art. 31 Abs. 1 EG nicht nur für die Ein- und Ausfuhren, die unmittelbar Gegenstand des Monopols sind, gelten, sondern auch anwendbar sein auf Maßnahmen des Monopols, die sich auf andere als die monopolisierten Waren auswirken.127 Voraussetzung ist jedoch, dass die Wirkungen einen spezifischen Zusammenhang mit dem Monopol aufweisen, was der Verbundenheit der Märkte in den Fällen des Missbrauchs nach Art. 82 EG entspricht.128 Diese weitgefasste Auslegung des Schutzbereichs stellt sicher, dass der zwischenstaatliche Wettbewerb nicht durch Maßnahmen außerhalb des eigentlichen Gegenstandsbereichs des Handelsmonopols beeinträchtigt wird. Schließlich enthält auch das Wirtschaftsvölkerrecht in Art. VIII Nr. 2 GATS eine Bestimmung, die eine Ausdehnung von Monopolmacht auf verbundene Märkte verbietet.129 Standen bisher die Folgen eines Machttransfers für die verbundenen Märkte im Vordergrund, so gilt es auch zu berücksichtigen, dass die auf dem benachbarten Markt neu gewonnenen Freiräume auf die Marktlage im Ausgangsmarkt zurückwirken und die dortige Marktmacht weiter verstärken können.130 Betroffen ist insoweit der Restwettbewerb auf dem beherrschten Markt selbst. Es wird oftmals gerade Teil der Strategie des beherrschenden Unternehmens sein, den Restwettbewerb auf dem Ursprungsmarkt mit Hilfe der vor- und nachgeordneten Wirtschaftsstufen zu kontrollieren; ähnlich wie Kartelle die vereinbarte Marktregelung gegen Wettbewerb abzuschirmen trachten.131 Diese Gefahr sah die Kommission etwa im Fall Microsoft, als sie das von dem Unternehmen vorgebrachte – und auf die Theorie vom »one monopoly profit« gestützte – Argument zurückwies, es sei kein zusätzlicher Profit von einer Dominanz auch im verbundenen Markt zu erwarten. Dem ist zutreffend entge126

Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 32 Rn. 2. Vgl. EuGH, Rs. 13/70, Slg. 1970, 1089 (1095 f.), Tz. 5 ff. – Cinzano 128 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 32 Rn. 20. 129 Art. VIII Nr. 2 GATS lautet: »Where a member’s monopoly supplier competes, either directly or through an affi liated company, in the supply of a service outside the scope of its monopoly rights and which is subject to that member’s specific commitments, the member shall insure that such a supplier does not abuse its monopoly position to act in its territory in a manner inconsistent with such commitments.« (Hervorhebung hinzugefügt) 130 Das war einer der Vorwürfe im Verfahren gegen Microsoft. Zum europäischen Verfahren vgl. Körber, RIW 2004, 568 ff., 881 ff.; zum US-Fall vgl. Wielsch, European Comp. L. Rev. (2004), 95 (100 f.). 131 Diesen Vergleich zieht Mestmäcker, in: FS Raisch, 441 (458). 127

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genzuhalten, dass Microsoft sich durch die Beherrschung des komplementären Markts ein strategisches »Input« sichert und so für mögliche zukünftige Angreifer des Ursprungsmarktes die Zugangshindernisse erhöht.132 Art. 82 EG zielt gerade nicht auf die Wahrung marktbeherrschender Stellungen, sondern umgekehrt auf deren Relativierung und Abbau.133 Die Vorschrift will jede Form der Absicherung der – durch die Anwesenheit des beherrschenden Unternehmens verursachten – Beschränkung des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt verhindern. Dazu zählt auch die Absicherung durch die Kontrolle verbundener Märkte. c. Zugangssachverhalte und essential facilities doctrine Der Vorwurf der Missbräuchlichkeit einer Geschäftsverweigerung mit der Begründung, durch sie werde die Abhängigkeit eines verbundenen Markts zum Ausschluss des dort möglichen Wettbewerbs eingesetzt, scheint einen Geschäftsverkehr mit den verweigerten Gütern vorauszusetzen. Missbilligt wird die Ausdehnung der Kontrolle eines bestehenden Marktes über diesen hinaus. Ein Markt aber existiert, wo sich Angebot und Nachfrage begegnen. Es ist daher fraglich, ob die Ratio des Machttransfer-Vorwurfs auch auf solche Arten von Geschäftsverweigerungen angewendet werden kann, in denen das dominante Unternehmen Produkte oder Leistungen, die für eine Tätigkeit auf dem beherrschten Markt notwendig sind, überhaupt nicht im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs anbietet, sondern diese vielmehr von Anfang an als rein internes Betriebsmittel nutzt. Inmitten stehen Sachverhalte, in denen nicht mehr wie in einem klassischen Handelsverhältnis die tatsächliche Belieferung mit Gütern zwecks Weiterveräußerung oder -verarbeitung verlangt wird, sondern der Zugang zu betriebsinternen Einrichtungen anderer Unternehmen zwecks Angebots eigener Produkte oder Dienste.134 Solche Sachverhalte sind Gegenstand der »essential facilities doctrine«, die im USamerikanischen Antitrust-Recht entwickelt wurde und auch im europäischen Recht ihren Niederschlag gefunden hat. Sieht man unter solchen Umständen die Geschäftsverweigerung als missbräuchlich an, so verpfl ichtet ein aus Art. 82 EG folgender Kontrahierungszwang das beherrschende Unternehmen, die betreffenden Einrichtungen zur Mitnutzung zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich lagen so einige der angeführten immaterialgüterrechtlichen Fälle, in denen (potenzielle) Wettbewerber des beherrschenden Unternehmens behaupteten, für die eigene Geschäftstätigkeit auf die Mitnutzung von dessen

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Vgl. Kommission, COMP/C-3/37.792, Tz. 769 – Microsoft. Vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82 Rn. 122. 134 Vgl. Herrlinger, Das »Netz«, 12 und 20; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rn. 43. 133

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Schutzgut angewiesen zu sein. Die Anordnung des Zugangs zur wesentlichen Einrichtung besteht dann im Zugang zu Immaterialgütern. In Berührung mit wesentlichen Einrichtungen (»essential facilities« oder auch »bottlenecks«) ist das Kartellrecht jedoch zunächst im Bereich körperlicher Ressourcen gekommen. Interessanterweise ist der erste Fall, auf den die Doktrin verweist,135 der einer netzgebundenen Infrastruktur, nämlich ein Transportnetz. In der Sache »United States v. Terminal Railroad Association«136 kontrollierte das beklagte Unternehmen die einzige Eisenbahnbrücke über den Mississippi im Umkreis von St. Louis einschließlich des Schienensystems und Bahnhofs. Nachdem das Unternehmen von einigen, aber nicht allen betroffenen Bahngesellschaften übernommen worden war, wurden die nichtbeteiligten Gesellschafter von der Benutzung der Einrichtungen ausgeschlossen. Der Supreme Court entschied, dass der Zusammenschluss gegen Sec. 1 und Sec. 2 Sherman Act verstoße und ordnete als Abhilfe an, dass die Benutzung der Einrichtungen auch Eisenbahngesellschaften ohne Beteiligung am gegründeten Gemeinschaftsunternehmen gegen eine faire Beteiligung an den Kosten zu gestatten sei.137 Im Fall »Otter Tail«138 ging es um den Zugang zu einem Leitungsnetz. Ein regionales Stromversorgungsunternehmen verweigerte Kommunen den Zugang zu seinem Mittelspannungsnetz, nachdem diese sich nach Auslaufen der Konzessionsverträge für eine kommunale Versorgung in ihren Gebieten entschieden hatten. Die Ablehnung von Otter Tail, Strom anderer Herkunft durch das eigene Netz zu leiten, wurde als Verstoß gegen Sec. 2 Sherman Act gewertet. Entschieden wurde aber auch über den Zugang zum einzigen regionalen System von Skiliften139 oder die Berücksichtigung eines Anästhesisten bei der Erbringung von Dienstleistungen im lokalen Krankenhaus.140 Die Rechtsprechung der Instanzgerichte umgreift ein noch weiteres Spektrum an Sachverhalten. Einrichtungen sind danach für wesentlich gehalten worden in Fällen von natürlichen Monopolen und joint ventures mit erheblichen Skalenerträgen, Einrichtungen im Rahmen regulierter Wirtschaftsbereiche sowie staatlichen oder staatlich subventionierten Einrich135 Der Begriff der essential facilities wird in erster Linie von der Literatur, nicht jedoch von den Gerichten benutzt. Daher besteht Unsicherheit darüber, auf welchen Präzendenzfällen die Lehre beruht. Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 94. 136 United States v. Terminal R. R. Ass’n of St. Louis, 224 U. S. 383 (1912). 137 Fast einhundert Jahre zuvor wurde die Problematik natürlicher Monopole im Transportsektor bereits vom preußischen Eisenbahngesetz von 1838 behandelt, das Eisenbahngesellschaften nach Ablauf von drei Jahren ab Inbetriebnahme der eigenen Gleisstrecke dazu verpfl ichtete, anderen Transportunternehmen gegen Entrichtung eines sog. Bahngeldes die Benutzung der Gleise zu gestatten, vgl. Basedow, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 16 (1997), 121 (122), m. w. N. 138 Otter Tail Power Co. v. United States, 410 U. S. 366 (1973). 139 Aspen Skiing Co. v. Aspen Highlands Skiing Corp., 472 U. S. 585 (1985). 140 Jefferson Parish Hosp. Dist. No. 2 v. Hyde, 466 U. S. 2 (1984).

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tungen.141 Gemeinsam ist diesen Einrichtungen, dass die Zugangspetenten ohne deren Nutzung nicht auf dem monopolisierten Markt tätig werden können, da die Einrichtung gar nicht oder jedenfalls nicht wirtschaftlich zumutbar dupliziert werden kann.142 Unmittelbar einleuchtend ist diese fehlende Duplizierbarkeit bei natürlichen Monopolen, von denen dann gesprochen wird, wenn ein einziges Unternehmen den relevanten Markt zu niedrigeren kostendeckenden Preisen beliefern kann, als dies mehrere Unternehmen tun könnten.143 Die Angreifbarkeit von natürlichen Monopolen hängt ab von dem Ausmaß irreversibler Kosten (»sunk costs«). Diese Kosten sind in den angesprochenen Bereichen in der Regel prohibitiv hoch; eine Duplizierung oder gar Multiplizierung gerade von Netz-Infrastrukturen erscheint volkswirtschaftlich unvertretbar.144 Wesentliche Einrichtungen im beschriebenen Sinne stellen daher gravierende Marktzutrittshindernisse dar. Welche rechtlichen Konsequenzen an die Kontrolle einer solchen Einrichtung durch ein marktbeherrschendes Unternehmen zu knüpfen sind, ist Gegenstand der im US-amerikanischen Antitrust-Recht kontrovers geführten Diskussion um die essential facilities doctrine. Ihr zufolge soll bereits die Zugangsverweigerung als solche einen Kartellrechtsverstoß begründen.145 Demgegenüber wird vor einer zu weiten, den Ausnahmecharakter des Konzepts vergessenden Anwendung gewarnt und unterstrichen, dass der erfolgreiche Wettbewerber nicht seiner Wettbewerbsvorsprünge verlustig gehen dürfe.146 Gefordert wird – freilich entgegen der ursprünglichen Anlage von Sec. 2 Sherman Act als allgemeinem Monopolisierungsverbot – die verstärkte Einbeziehung von Verhaltenskriterien in die nötigen Abwägungsvorgänge. Die Kontroverse um die Anwendung des essential facilities-Konzepts dürfte in den USA überwiegend in der allgemeinen Strittigkeit des Monopolisierungsverbots gründen.147 Dem ist hier nicht weiter nachzugehen. 141

Einteilung bei Hovenkamp, Federal Antitrust Policy, 2nd ed. (1999), 307. In Hecht v. Pro-Football Inc., 570 F.2d 982, 992 (D. C. Cir. 1977) heißt es: »To be ›essential‹ a facility needs to be indispensable; it is sufficient if duplication of the facility would be economically infeasible and if denial of its use infl icts a severe handicap on potential market entrants.« 143 Diese Subadditivität der Kostenfunktion kann dabei unterschiedliche Gründe haben, vgl. Theobald, WuW 2000, 231 (234 f.). 144 Vgl. Säcker, ZNER 2004, 98 (98). 145 Im Fall MCI Communications Corp. v. AT&T Co., 708 F.2d 1081 (7th Cir. 1983) verweigerte AT&T den Zugang zu den lokalen Telefonnetzen, den MCI jedoch benötigte um eigene Ferngesprächsverbindungen in Konkurrenz zu AT&T anzubieten. Als Elemente einer Verpfl ichtung nach der Doktrin gibt das Gericht an: (i) control of the essential facility by a monopolist; (ii) a competitor’s inability practically or reasonably to duplicate the essential facility; (iii) the denial to grant access to the facility; (iv) the feasibility of providing the facility. 146 Vgl. die einflussreiche Kritik von Areeda, 58 Antitrust L. J. 841 (1990). 147 Vgl. Herrlinger, Das »Netz«, 10. 142

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Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass bei der Behandlung der Bottleneck-Fälle unterschieden werden muss zwischen der gewährten Abhilfe in Form des Zugangs zur Einrichtung und dem eigentlich zu Grunde liegenden materiellrechtlichen Verstoß. Der durch den Zugang eröffnete Markt (Zugangsmarkt) ist mit dem relevanten Markt nicht identisch. Mit guten Gründen lässt sich vertreten, dass auch in den essential facilities-Fällen letztlich der Vorwurf dem Kern nach im unzulässigen Einsatz einer monopolgestützten Hebelwirkung zu finden ist,148 d. h. in der Ausnutzung von Monopolmacht auf dem einen Markt, um eine Monopolstellung auf einem benachbarten, aber getrennten Markt zu erlangen oder zu verteidigen (»monopoly leveraging«).149 So ist Grundlage für ein Eingreifen der Haftung des Unternehmens nach dem Sherman Act, dass ein Wettbewerbsverhältnis auf dem Markt besteht, auf dem sich das Unternehmen monopolistisch verhalten haben soll.150 Entsprechend haben die Gerichte auch in essential facilities-Konstellationen gefordert, dass sich der Inhaber der Einrichtung und der Zugangspetent auf dem Markt, auf dem sich die Zugangsverweigerung wettbewerbshindernd auswirkt, als Wettbewerber gegenüber stehen. Es geht der essential facilities doctrine also nicht um eine generelle Öffnung wesentlicher Einrichtungen für alle darauf angewiesenen Dritten nach dem Muster von »common carriers«. Vielmehr richtet sie sich gegen den Ausschluss Dritter als Mittel, um auf Märkten, für die die Nutzbarkeit solcher Einrichtungen eine entscheidende Wettbewerbsvoraussetzung darstellt, die eigene Machtstellung gegen Wettbewerb abzusichern.151 Der Ansatz der essential facilities-Doktrin gilt den Auswirkungen der Zugangsverweigerung auf den Wettbewerb auf angrenzenden Märkten. In eben dieser Gestalt lässt sich der Ansatz der essential facilities doctrine auch in den dogmatischen Kategorien von Art. 82 EG ausdrücken. Zwar enthält die Vorschrift im Unterschied zu Sec. 2 Sherman Act kein allgemeines Monopolisierungsverbot.152 Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt worden ist, lässt sich die Rechtsprechung des EuGH zu Lieferverweigerungen im Kontext verbundener Märkte auf den Vorwurf des Strukturmissbrauchs durch das beherrschende Unternehmen zurückführen. Für den Missbrauch nach Art. 82 EG ist nach dieser Rechtsprechung nicht mehr erforderlich als das Ausnutzen einer Hebelwirkung, die sich aus der sachlichen Abhängigkeitsrelation der beiden 148 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rn. 42; anders wohl Heinemann, Immaterialgüterschutz, 103. 149 Vgl. Kaplow, Columbia Law Review 85 (1985), 515 ff. 150 Mit dieser Begründung verwarf beispielsweise der Federal Circuit Court of Appeals in Intergraph v. Intel Corporation, 195 F.3d 1346 (Fed. Cir. 1999), die Anwendung der essential facilities doctrine. 151 Vgl. Markert, in: FS Mestmäcker, 661 (670). 152 Art. 82 EG verbietet nach h.M. nicht die Herstellung oder Beibehaltung einer marktbeherrschenden Stellung, sondern ihre mißbräuchliche Ausnutzung, vgl. etwa Basedow, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie 16 (1997), 121 (126).

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miteinander verbundenen Märkte einerseits und der Alleinstellung des Marktbeherrschers auf Markt für das Ausgangsprodukt andererseits ergibt. Die Ausdehnung der beherrschenden Stellung auf den benachbarten Markt stellt schon als solche einen Missbrauch im Sinne von Art. 82 EG dar, ohne dass es zu weiteren, konkreten Missbrauchshandlungen kommen muss.153 Daher sind auf die Verpflichtung zur Zugangsgewährung zu wesentlichen Einrichtungen nach europäischem Recht jedenfalls im Ausgangspunkt dieselben methodischen Grundsätze anwendbar wie in den Geschäftsverweigerungsfällen.154 Auf diese verwies die Kommission denn auch, als sie zum ersten Mal ausdrücklich das essential facilities-Konzept heranzog. In den drei Hafen-Entscheidungen verweigerten die Anbieter von Fährdienstleistungen, die zugleich Eigentümer und Betreiber eines Hafens waren, ihren Wettbewerbern auf dem Markt für Fährdienste den Zugang zum Hafen vollständig oder gewährten ihn nur zu deutlich schlechteren Bedingungen im Vergleich zu den eigenen Schiffen.155 Die Kommission sah in den Häfen »wesentliche Einrichtungen«, die sie allgemein definierte als »Einrichtung oder Infrastruktur, ohne deren Nutzung ein Wettbewerber seinen Kunden keine Dienste erbringen kann«.156 Schließe ein Unternehmen, das für die Gestellung einer solchen Einrichtung marktbeherrschend ist und diese zugleich selbst nutzt, andere Unternehmen vom Zugang ohne sachlichen Grund aus, so verstoße es gegen Art. 82 EG. Zur Begründung führte die Kommission aus: »Ein Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung darf auf einem verbundenen Markt nicht zugunsten der eigenen Tätigkeit diskriminierende Handlungen vornehmen. Der Eigentümer einer wesentlichen Einrichtung, der seine Macht auf dem Markt dazu nutzt, seine Stellung auf einem anderen, zu diesem in Bezug stehenden Markt zu stärken, indem er insbesondere einem Wettbewerber den Zugang verweigert oder den Zugang unter weniger günstigen Bedingungen als für die eigenen Dienste gewährt und damit seinem Wettbewerber einen Wettbewerbsnachteil aufzwingt, verstößt gegen Art. 86 [Art. 82].«157 Damit nimmt die Kommission deutlich Bezug auf die Ratio des Machttransfer-Vorwurfs, wie sie den Lieferverweigerungsfällen des EuGH zugrunde liegt. In marktstruktureller Hinsicht wird formal an eine Zwei-Markt-Situation angeknüpft, deren Besonderheit freilich darin besteht, dass der Markt für die Gestellung der Einrichtung dem beherrschenden Unternehmen vorbehal153

Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 448 und 505 (Fn. 1228). Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rn. 43; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82 Rn. 239. 155 Für die Sachverhalte vgl. Kommission, Az. IV/34174 (nicht im ABl. veröffentlicht), 5 Common Market L. Rev. 255 (1992) – Sealink I (Kurzdarstellung im XXII. Wettbewerbsbericht, Rn. 219); Kommission, 94/19/EG, ABl. 1994 Nr. L 15/8 – Sealink II; Kommission, 94/119/EG, ABl. 1994 Nr. L 55/52 – Hafen von Rodby. 156 Kommission, 94/19/EG, ABl. 1994 Nr. L 15/8, Tz. 66 – Sealink II. 157 Kommission, ebd. (Hervorhebungen hinzugefügt). 154

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ten ist. Dadurch kann es den Wettbewerber auf dem nachgelagerten Dienstleistungsmarkt kontrollieren. Diese Position der Kontrolle darf nicht mit Hilfe des Instruments der Zugangsverweigerung zu Lasten des Wettbewerbs auf dem Dienstleistungsmarkt eingesetzt werden; diesen – verbotenen – instrumentellen Zusammenhang bringt die Formulierung der Kommission klar zum Ausdruck (»indem«). In den Mittelpunkt rückt damit – wie in den Lieferverweigerungsfällen und in Übereinstimmung mit dem leveraging-Vorwurfs als Kern der essential facilities doctrine nach amerikanischem Recht – der Schutz des Wettbewerbs auf einer abgeleiteten Wirtschaftsstufe. Die Politik der Deregulierung netzgebundener Industrien in den Sektoren Energie, Verkehr und Telekommunikation verleiht diesem Schutzgedanken ein breites Anwendungsfeld. Diese Bereiche hatte der (nationale) Gesetzgeber in der Vergangenheit umfassend vom Wettbewerb ausgenommen und staatlicher Regulierung unterworfen. Von den Gründen, die für die Existenz solcher Ausnahmebereiche angeführt wurden, war in den Augen des Wettbewerbsrechts selbst am schlüssigsten stets der Hinweis auf ein Versagen der betreffenden Märkten, das dadurch hervorgerufen sein sollte, dass Errichtung und Betrieb von physischen Netz-Infrastrukturen wirtschaftlich zu natürlichen Monopolen führe. Davon wird gesprochen, wenn ein einziges Unternehmen den relevanten Markt zu niedrigeren kostendeckenden Preisen beliefern kann, als dies mehrere Unternehmen tun könnten. Diese Subadditivität der Kostenfunktion gründet auf den Vorteilen des Verbundes (»Economies of Scope«) und auf Vorteilen der Massenproduktion (»Economies of Scale«).158 Die Angreifbarkeit von natürlichen Monopolen hängt ab von dem Ausmaß irreversibler Kosten (»sunk costs«). Diese Kosten sind in den angesprochenen Bereichen in der Regel prohibitiv hoch; eine Duplizierung oder gar Multiplizierung der Netz-Infrastruktur erscheint volkswirtschaftlich unvertretbar.159 Eine Einschränkung des Verhaltensspielraums des natürlichen Monopolisten hängt allein von der Existenz wirksamen Substitutionswettbewerb ab, an dem es indessen oftmals fehlt. In rechtlicher Hinsicht wird angenommen, dass der Inhaber eines solchen natürlichen Monopols im Hinblick auf sein Eigentum an den Netzen einer intensiveren Sozialpflichtigkeit unterliegt als der Eigentümer eines ohne weiteres duplizierbaren, ausschließlich privatem Nutzen dienenden Sache.160 Fehlende Duplizierbarkeit und öffentliche Angewiesenheit auf das (Netz-)Eigentum 158 Hinzu treten weitere besondere Charakteristika von Systemnetzen: die Möglichkeit der Zusammenfassung vernetzter Teilstrecken zu einer Strecke (Kostenersparnis bei der Leitungsbündelung), das Sinken der relativen Transportkosten mit zunehmender Entfernung (Distanzkostendegression), die Abnahme der erforderlichen Reservekapazitäten bei zunehmender Netzgröße (Glättung der Nachfragespitzen). Vgl. Theobald, WuW 2000, 231 (234 f.). 159 Vgl. Säcker, ZNER 2004, 98 (98). 160 Vgl. Papier, BB 1997, 1213 ff.; ders., in: FS Baur, 209 (213 f.).

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

veranlassen den Staat zu einer weiter als sonst gehenden Inhaltsbestimmung des Eigentums im Wege der Regulierung. Angestoßen vom Bedeutungszuwachs der Netzindustrien und von den Harmonisierungsbestrebungen in der Gemeinschaft,161 kam es jedoch zu einer Überprüfung der Aussagen zum Marktversagen in Netzmärkten und letztlich zu einer differenzierteren Betrachtungsweise.162 Entscheidend ist die Erkenntnis, dass die ökonomischen Besonderheiten von Netzen sich nicht auf allen Handels- und Produktionsstufen in den betroffenen Wirtschaftszweigen finden (vertikale Betrachtung) und auch nicht in allen Teilen des jeweiligen Netzes selbst (horizontale Betrachtung).163 Vor allem eine desintegrierte Betrachtung von Netzen in vertikaler Dimension, die zwischen den Stufen »ProduktionTransport-Verteilung« unterscheidet, zeigt, dass nur die Stufe des Transports, also der Leitung durch die Netze, unmittelbar von den Netzen abhängt. Dementsprechend finden sich auf den Stufen von Herstellung und Verteilung nicht zwangsläufig die für Netze charakteristischen Eigenschaften wie natürliche Monopole und externe Effekte. Die Möglichkeit der Entfaltung der Wettbewerbskräfte ist demnach für die verschiedenen Ebenen unterschiedlich zu beurteilen. Während auf der Netzebene selbst die Aussagen über ein Versagen des Marktes Gültigkeit behalten und allenfalls ein Wettbewerb »um« den Netzmarkt als solchen möglich ist, sind die angrenzenden, vor- und nachgelagerten Stufen dem Wettbewerb zugänglich; Wettbewerb kann wie üblich »auf« den entsprechenden Märkten stattfinden. Es muss unterschieden werden zwischen dem eigentlichen netzförmigen Infrastrukturbereich und dem Bereich der Dienstleistungen, die über Netze angeboten werden. Wettbewerb auf den angrenzenden Wirtschaftsstufen stellt sich indessen nicht einfach durch die Liberalisierung der früheren Ausnahmebereiche ein. Die Abschaffung gesetzlicher Markzutrittsschranken und die Privatisierung ändern nichts an der beherrschenden Stellung der ehemaligen staatlichen und halbstaatlichen Monopolunternehmen.164 Der Unterschied besteht darin, dass die Netze nun in den Händen privater Monopolisten liegen. Diese sind – entsprechend der früheren umfassenden Abdeckung der Leistungen auf den verschiedenen Netzebenen – typischerweise vertikal integriert, d. h. sie betreiben nicht nur die Netze selbst, sondern bieten auch die mit Hilfe der Netze erbrachten Dienste an.165 Das beeinflusst ihre unternehmerischen Interessen. 161

Kurzer Überblick bei Herrlinger, Das »Netz«, 32 ff. (m. w. N.). Vgl. Monopolkommission, XI. Hauptgutachten (1994/95), Tz. 50: »Die Betrachtungsweise von Netzen in den Wirtschaftswissenschaften unterliegt einem ordnungspolitischen Wandel.« 163 Vgl. Herrlinger, Das »Netz«, 35. 164 Vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82 Rn. 273. 165 Beispielsweise Telefondienstleistungen über TK-Netze, Energieversorgung über Strom-Netze, Personen- und Güterbeförderung über Schienen-Netze. 162

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Während es für sie grundsätzlich ökonomisch vorteilhaft ist, wenn möglichst viele Nutzer das Netz gegen Entgelt nutzen, ändert sich diese Interessenlage, wenn der Nutzer das Netz selbst unternehmerisch nutzen und mit dessen Hilfe eigene Leistungen erbringen will. In diesem Fall besteht der Anreiz, die dominante Position als Betreiber des Netzes zugunsten der eigenen Aktivitäten auf dem angrenzenden Markt auszunutzen.166 Von zentraler Bedeutung für die Öffnung der verbundenen Dienstleistungsebenen für den Wettbewerb ist damit der Zugang zu den Netzen in Form der Verpflichtung zur Durchleitung. Denn neue Anbieter der »aufsetzenden« Dienste sind auf den Zugang zu bestehenden Leitungsnetzen für Durchleitungszwecke angewiesen, weil die Errichtung eines eigenen Netzes in der Regel unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde und damit wirtschaftlich unzumutbar ist. Die Interpretation von Art. 82 EG unter dem Gesichtspunkt der Netze als wesentlicher Einrichtungen vermag über die Rechtsfolge des Kontrahierungszwangs für die marktbeherrschenden Netzbetreiber einen solchen Zugang prinzipiell zu begründen. Das allgemeine Wettbewerbsrecht eignet sich freilich nur für die punktuelle Missbrauchsaufsicht. In intensiver Befassung mit den entsprechenden Netzindustrien hat die Kommission sektorspezifische Sonderregelungen im sekundären Gemeinschaftsrecht angestoßen.167 Auch der nationale Gesetzgeber hat gesetzliche Zugangsansprüche geschaffen.168 Insofern kann man von einer »Re-Regulierung« der Bereiche sprechen.169 Kernstück ist jeweils die Verpflichtung der Netzbetreiber, anderen Unternehmen diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen zu gewähren. Trotzdem oder besser gerade wegen dieser Festschreibung von Zugangsansprüchen in Richtlinien und Gesetzen kommt der Verankerung des essential facilities-Gedankens in Art. 82 EG eine wichtige Bedeutung zu. Sie garantiert die Vereinbarkeit von sekundärem und mitgliedstaatlichem Recht mit dem primären Gemeinschaftsrecht. Dessen Interpretation durch den Gerichtshof hat bindende Wirkung. Gleichzeitig besitzt die Auslegung der Art. 81 ff. EG orientierende und modellbildende Kraft. Das zeigen die Beispiele des Übergangs von der Anwendung des Art. 82 EG im Einzelfall zu einer gesetzlichen Regelung.170

166

Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rn. 30. Vgl. etwa Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 65 ff. 168 Rechtstechnisch auf durchaus unterschiedliche Weise, vgl. die Übersicht bei Herrlinger, Das »Netz«, 40 f. 169 Vgl. Herrlinger, Das »Netz«, 39. 170 Gutes Beispiel bei Mestmäcker, in: FS Raisch, 441 (466 Fn. 75), wo auf die VO 3089/93 (ABl. 1993 Nr. L 78/1) hingewiesen wird. Sie verpfl ichtet Luftfahrtunternehmen, die ein computergestütztes Buchungssystem betreiben, allen Unternehmen einschließlich der Konkurrenten diskriminierungsfreien Zugang zu den gespeicherten Informationen zu gewähren. 167

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

Tatsächlich hat auch die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte den Kerngedanken der essential facilities doctrine bei der Auslegung von Art. 82 EG der Sache nach anerkannt. d. Zugang zu Immaterialgütern Der Gerichtshof und das Gericht Erster Instanz haben in einer Reihe von Entscheidungen Zugangssachverhalte behandelt und dabei bestätigt, dass die von einem beherrschenden Unternehmen ausgehende Verweigerung der Mit-Nutzung einer betriebsinternen Ressource gegen Art. 82 EG verstoßen kann. In diesem Zusammenhang haben die Gerichte allerdings stets die ausdrückliche Erwähnung von »wesentlichen Einrichtungen« oder gar den direkten Bezug auf die essential facilities-Lehre vermieden. Das schließt jedoch die Akzeptanz des Grundgedankens, der hinter der Lehre ausgemacht werden kann, nicht aus. Vermieden wird vielmehr die Gefahr, durch Verselbständigung von Begriffen eine Starrheit der Auslegung von Art. 82 EG zu erzeugen, die den Besonderheiten der jeweiligen Wettbewerbssituation nicht gerecht wird.171 Das wäre gerade im allgemeinen Wettbewerbsrecht von Nachteil. Stattdessen haben die Gemeinschaftsgerichte an die Dogmatik der Lieferverweigerungsfälle angeknüpft und diese auch auf Situationen übertragen, in denen ein Geschäftsverkehr im herkömmlichen Sinn nicht eröffnet war. Das geschah auch in den vorliegend interessierenden Fällen, in denen Dritte Zugang zu einem geschützten Immaterialgut des Marktbeherrschers suchten. aa. Anwendung der Machttransfer-Dogmatik auf intern genutzte Schutzgüter. Ein kartellrechtlich begründeter Zugang durch den Zwang zur Erteilung einer Lizenz greift dabei besonders weitgehend in die Rechte der Unternehmen ein. Denn anders als in den Fällen eines Kontrahierungszwangs über die Lieferung von Gütern ist nicht nur die Vertragsfreiheit betroffen. Hervorgehoben wurde bereits, dass dem Inhaber eines Schutzrechts die Wahl zwischen Eigennutzung und vertraglicher Verwertung durch sein geistiges Eigentum gesetzlich vorbehalten ist. Durch die Anordnung eines Lizenzierungszwangs erhält auch ein Dritter ein Nutzungsrecht, so dass das geschützte Gut nun auch von anderen als dem Eigentümer produziert und vertrieben werden kann. Da das Recht, über die Vergabe von Lizenzen frei zu entscheiden, nach jeder möglichen Definition im spezifischen Gegenstand eines Immaterialgüterrechts enthalten ist, müsste sich zudem ein Eingriff des europäischen Wettbewerbsrechts in diesen Bereich eigentlich verbieten.

171 Richtigerweise ist die essential facilities-Lehre eher als ein Mittel zur Fallgruppenbildung bei Sachverhalten der Bezugs- und Lieferungsverweigerung zu begreifen, vgl. etwa Heinemann, Immaterialgüterschutz, 506.

II. Zugangsregeln aus Art. 82 EG

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Trotz dieser Gesichtspunkte lässt sich der Gerichtshof jedoch dann nicht von einem korrigierenden Eingriff abhalten, wenn die Verweigerung der Lizenz zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt. In der »Magill«-Entscheidung stellt der EuGH klar, dass die Anwendung des Kartellrechts nicht etwa vor den Toren des Immaterialgüterrechts Halt macht. Mit deutlichen Worten weist er jede Ansicht von einer pauschalen Nichtanwendbarkeit von Art. 82 EG auf immaterialgüterrechtlich vermittelte Marktbeherrschungen zurück.172 In dem zugrunde liegenden Sachverhalt verweigerten verschiedene irische Fernsehsender (RTE und ITV) die Lizenzierung von Programmvorschauen an die Firma Magill, die einen – zuvor nicht existierenden – senderübergreifenden wöchentlichen Programmführer in Irland publizieren wollte. Die Zusammenstellung von Grundinformationen zu Fernsehsendungen (wie Sendekanal, Ausstrahlungszeit, Titel) in Programmvorschauen war nach dem damals geltenden irischen Copyright Act schutzfähig.173 Die Vorschauen wurden von den Sendern entweder in eigenen wöchentlichen Programmführern in Zeitschriftenform veröffentlicht, wobei jeweils nur das eigene Programm abgedruckt wurde (senderspezifische Programmzeitschriften), oder die Sender lizenzierten die Vorschauen (unentgeltlich) an Zeitungen zum nur tageweisen Abdruck. Auf Beschwerde von Magill wurden die Sender von der Kommission verpflichtet, »Dritten auf Anfrage ihre jeweiligen wöchentlichen Programmvorschauen auf nicht-diskriminierender Basis zur Verfügung zu stellen und die Wiedergabe durch Dritte zu gestatten«.174 Sowohl das EuG wie auch der EuGH bestätigten diese Entscheidung und kamen zu dem Schluss, dass die Lizenzverweigerung durch die Fernsehsender als Missbrauch einer beherrschenden Stellung zu qualifizieren sei. In ihren Magill-Urteilen formulierten die europäischen Gerichte erstmals Bedingungen, unter denen ein Schutzrechtsinhaber aus wettbewerbsrechtlichen Gründen zur Erteilung einer Zwangslizenz verpflichtet werden kann. Wie so oft in der kartellrechtlichen Prüfung, findet die entscheidende Weichenstellung bereits bei der Bestimmung der relevanten Märkte und der Begründung einer beherrschenden Stellung statt. Die Gerichte unterscheiden zwischen dem Markt für wöchentliche Programmvorschauen und dem Markt für Fernsehwochenzeitschriften.175 Bei strengerer Betrachtung hätte man den Markt für wöchentliche Programmvorschauen auch für einen nur hypothe172 EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 48 – Magill (»unrichtige Annahme . . ., dass das Verhalten eines Unternehmens mit beherrschender Stellung jeder Beurteilung anhand des Artikels 86 des Vertrages entzogen ist, sobald es Teil der Ausübung eines Rechts ist, das vom nationalen Recht als ›Urheberrecht‹ qualifiziert wird«). 173 Zur irischen Rechtslage vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 489, Fn. 1168, m. w. N. 174 Kommission, 21. 12. 1988, 89/205/EWG, ABl. 1989 L 78/43, Art. 2 – Magill. 175 Vgl. EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 47 – Magill und EuG, Rs. T-69/89, Slg.

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

tischen halten können, da die Fernsehsender die Wochenvorschauen nicht an Dritte vermarktet hatten, sondern sie entweder selbst (wie RTE) oder durch eine eigene Gesellschaft (wie ITV durch ITP) veröffentlichten.176 , 177 Wie für essential facilities-Fälle typisch, handelt es sich danach um nur unternehmensintern genutzte Ressourcen. Auf den Markt gebracht werden allein die für den Verbraucher bestimmten Fernsehwochenzeitschriften. Für den entscheidenden Gesichtspunkt kommt es indessen auf diese Differenzierung nicht an. Denn der EuGH erkennt zutreffend, dass die Fernsehsender ein »faktisches Monopol« an den Programmvorschauen haben.178 Die Sender selbst seien für dritte Parteien die einzige Informationsquelle über die grundlegenden Programminformationen, da diese »notwendige Folge der Programmplanung der Fernsehanstalten« seien.179 Bereits die Kommission hatte hervorgehoben, dass die Programmvorschauen ein Nebenprodukt der Programmzusammenstellung darstellten.180 Damit handelt es sich bei den in den Programmvorschauen zusammengefassten grundlegenden Programminformationen um ein typisches »sole source«-Produkt. Die Programminformationen können nur aus einer einzigen Quelle – bei den Fernsehsendern – beschafft werden, weil diese die Informationen selbst erst erzeugt haben.181 Der (gedachte) Markt für Programmvorschauen ist auf ein einziges Produkt zusammengezogen.182 Jeder Dritte, der – wie die Firma Magill – eine Fernsehwochenzeitschrift publizieren möchte, ist daher von den wöchentlichen Programmvorschauen der Sender als Input abhängig. Dieser Umstand versetzt die Fernsehsender in die Lage, einen wirksamen Wettbewerb auf dem relevanten Markt für Fernsehwochenzeitschriften zu verhindern. Ohne die sonst übliche Bestimmung von Marktanteilen konnten die Gerichte daher annehmen, dass die Fernsehsender auf diesem 1991 II-485, Tz. 62 f. – Magill. Ausführlich zur Marktabgrenzung im Fall »Magill« vgl. Kaestner, Missbrauch von Immaterialgüterrechten, 82 ff. 176 Die kostenlosen Lizenzen an Tageszeitungen waren mit der Bedingung des nur tageweisen Abdrucks versehen, so dass man insofern nur von einem Markt für »Tagesvorschauen« reden könnte. 177 Dass im Fall »Magill« nur ein hypothetischer Markt für Programmvorschauen bestand, nimmt auch GA Tizzano in seinen Schlussanträgen zum Fall »IMS Health« an, vgl. EuGH (GA), Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 56. 178 Kritik an der Annahme eines faktischen Monopols jedoch bei Ullrich, in: Immenga/ Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, GRUR B, Rn. 39, m. w. N. 179 Vgl. EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 47 – Magill. 180 Vgl. Kommission, 89/205/EG, ABl. 1989 Nr. L 78/43, Tz. 22. 181 Ähnlich liegt die Situation bei Informationen über Sportereignisse, die von den Veranstaltern dieser Ereignisse erzeugt werden und daher allein von diesen beziehbar sind. Vgl. etwa den Sachverhalt in EuGH, Rs. 203/02, Slg. I-10415 – British Horseracing Board. 182 Dabei bilden die jeweiligen Programmvorschauen der unterschiedlichen Sender Teilmärkte: sie sind nicht gegeneinander austauschbar, denn sowohl Verlegern wie Käufern von Programmzeitschriften kommt es auf die speziellen darin befindlichen Programme und nicht die Darstellung eines beliebigen Senders an. Richtig Kaestner, Missbrauch von Immaterialgüterrechten, 87.

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Markt eine beherrschende Stellung innehatten.183 Ihr faktisches Monopol auf dem Input-Markt verlängert sich in den Markt für Fernsehzeitschriften. Die Missbrauchsprüfung des EuGH setzt genau an bei dieser Verbindung zwischen den einzelnen Marktstufen, nach der die Entfaltung von wirtschaftlichen Aktivitäten auf einem abgeleiteten Markt den Zugang zu Immaterialgütern auf einer vorgelagerten Marktstufe erfordert. Denn nach Auffassung des Gerichtshofs war die Verweigerung der Nutzung der Programmvorschauen durch das marktbeherrschende Unternehmen missbräuchlich, weil folgende »außergewöhnlichen Umstände« vorlagen: 184 – Die Lizenzverweigerung betraf mit den Programmvorschauen das »unentbehrliche Ausgangsmaterial« für die Herstellung einer wöchentlichen Programmzeitschrift. – Die Lizenzverweigerung verhinderte das Auftreten eines neuen Erzeugnisses, nach dem eine potentielle Nachfrage der Verbraucher bestand. Magill beabsichtigte, eine bisher nicht existierende senderübergreifende wöchentliche Programmzeitschrift herauszugeben, die dem Bedürfnis der Verbraucher entsprochen hätte, nicht mehr zum Kauf einer Vielzahl senderspezifischer Programmzeitschriften und zu einer eigenhändigen Gegenüberstellung der Sendungen gezwungen zu sein. – Die Lizenzverweigerung war nicht durch sachliche Erwägungen im Bereich des Tätigkeitsfeldes der Fernsehsender gerechtfertigt. Eine Notwendigkeit zur Verweigerung der Programmvorschauen ergab sich weder aus der Ausstrahlung von Fernsehsendungen noch aus der Herausgabe von Fernsehzeitschriften. – Die Lizenzverweigerung war überdies geeignet, jeglichen Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt für Fernsehprogrammzeitschriften auszuschließen, weil ausgerechnet der Zugang zu einem unentbehrlichen Ausgangsmaterial für die Herstellung von Programmzeitschriften verwehrt wurde. Die Annahme, bei »Magill« handele es sich um eine singuläre Entscheidung, die auf die Umstände des Einzelfalles zugeschnitten war, erwies sich als unzutreffend. Die Rechtsprechung bestätigte vielmehr den hier eingeschlagenen Ansatz, indem sie in späteren Urteilen die Magill-Kriterien in die eingangs185 beschriebene Form abstrahierte.186 Außerdem wurde das zunächst noch offen 183 Die Abhängigkeit Dritter von den Fernsehsendern bedeutet umgekehrt, dass diese sich auf dem Fernsehwochenzeitschriftenmarkt von Konkurrenten unabhängig verhalten können. Damit ist die ständig verwendete Defi nition von Marktmacht erfüllt, vgl. EuGH, Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (3511), Tz. 30 – Michelin/Kommission; EuGH, Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (520), Tz. 38 – Hoffmann-LaRoche. 184 EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 52–57 – Magill. 185 Siehe oben Vor § 3 II 3 a. 186 Vgl. etwa die Zusammenfassung der missbrauchsbegründenden Umstände aus »Ma-

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gebliebene Verhältnis der Kriterien zueinender dahingehend geklärt, dass diese kumulativ vorliegen müssen.187 Unschwer lassen die Magill-Kriterien erkennen, dass der Gerichtshof auch im Falle, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen den Zugang zu einer schutzrechtlich gesicherten Einrichtung verweigert, den Missbrauchsvorwurf am – ungerechtfertigten – Einsatz einer monopolgestützten Hebelwirkung festmacht. Eine solche Hebelwirkung kann sich, wie bereits festgestellt, aus der sachlichen Abhängigkeitsrelation zweier miteinander verbundener Märkte einerseits und einer Alleinstellung auf dem Markt für das Ausgangsprodukt andererseits ergeben.188 Sorgfältig durch die Marktabgrenzung und die Analyse des Grundes für die beherrschende Stellung vorbereitet,189 wird den Fernsehsendern von den europäischen Gerichten im Wesentlichen ein Strukturmissbrauch vorgeworfen: dass sie ihre Monopolmacht auf dem Markt für Programmvorschauen ausnutzen, um ihre beherrschende Stellung auf dem verbundenen (»abgeleiteten«) Markt für Fernsehwochenzeitschriften zu verteidigen.190 bb. Unerlässlichkeit des Schutzgutes für den Zugang zum beherrschten Markt. Die Ratio des Machttransfervorwurfs auf Verbundmärkten ist auch geeignet, essential facilities-Situationen kartellrechtlich in den Griff zu bekommen. Auch hier geht es um den Schutz des Wettbewerbs auf einer abgeleiteten Wirtschaftsstufe.191 Freilich existiert kein Markt für die Gestellung der wesentlichen Einrichtung, weil diese vom marktbeherrschenden Unternehmen nur betriebsintern genutzt wird. Es fehlt folglich an einer Zwei-Markt-Situation, gill« durch die nachfolgenden Entscheidungen EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998 I-7791, Tz. 40 – Bronner und EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 37 – IMS Health. 187 So eindeutig EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 38 – IMS Health. 188 Vgl. oben § 3 II 3 b. 189 Tatsächlich hängen in essential facilities-Fällen die Marktabgrenzung und die Voraussetzungen des Missbrauchsvorwurfs zusammen. Denn die Substituierbarkeit wird hier aus Sicht der Konkurrenten als Nachfrager bestimmt. Ergibt die Prüfung, dass der Markt nur aus einem Produkt besteht, erweist sich die Nutzung des Produkts gleichzeitig als unerlässlich, um auf dem abhängigen Markt tätig zu werden. Das wird deutlich in BGH GRUR 2004, 966 (967 f.) – Spundfass: »Ist durch eine Industrienorm oder durch ein anderes, von den Nachfragern wie eine Norm beachtetes Regelwerk eine standardisierte, durch Schutzrechte geschützte Gestaltung eines Produkts vorgegeben, so bildet die Vergabe von Rechten, die potenzielle Anbieter dieses Produkts erst in die Lage versetzt, das Produkt auf den Markt zu bringen, regelmäßig einen eigenen, dem Produktmarkt vorgelagerten, Markt. Denn die Erlangung solcher Rechte ist für ein Unternehmen, welches das »Normprodukt« herstellen oder vertreiben will, unersetzlich.« (Hervorhebungen hinzugefügt). 190 Besonders deutlich wird das in der Formulierung des EuG, Rs. T-69/89, Slg. 1991 II485, Tz. 73 – Magill, wo den Sendern vorgeworfen wird, sie übten ihr Urheberrecht an den Programmvorschauen aus, »um sich ein Monopol auf dem abgeleiteten Markt der wöchentlichen Fernsehprogrammführer zu sichern«. 191 Das hat sich oben § 3 II 3 c gezeigt.

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wie sie die Anwendung der unter Art. 82 EG entwickelten MachttransferDogmatik voraussetzt. Indessen bestehen das Bedürfnis und die Rechtfertigung für einen kartellrechtlichen Schutz des Wettbewerbs auf einer eigenständigen »downstream«-Wirtschaftsstufe in gleicher Weise. Es verwundert daher nicht, dass der EuGH in der späteren Entscheidung »IMS Health« – nunmehr ausdrücklich – keine getrennte Vermarktung der Schlüssel-Ressource verlangt.192 Vielmehr soll genügen, dass sich ein potentieller oder auch nur hypothetischer vorgelagerter Markt bestimmen lasse. Das wiederum sei der Fall, sobald die Erzeugnisse oder Dienstleistungen für eine konkrete Tätigkeit unerlässlich seien und nach ihnen eine tatsächliche Nachfrage seitens der Zugangspetenten bestehe.193 Auf diese Weise wird dem Zwei-Märkte-Kriterium der Machttransfer-Dogmatik freilich nur noch formal Genüge getan. In der Sache reduziert sich der Nachweis zweier miteinander verbundener Märkte auf das Verhältnis zweier Produktionsstufen. Das erkennt der EuGH selbst, wenn er es bei der Bestimmung des hypothetischen Marktes für ausreichend hält, dass »zwei Produktionsstufen unterschieden werden können, die dadurch miteinander verbunden sind, dass das vorgelagerte Erzeugnis ein für die Lieferung des nachgelagerten Erzeugnisses unerlässliches Element ist«194 . Folglich wird die Unerlässlichkeit des Inputs für die Tätigkeit auf dem relevanten Markt zum zentralen Prüfungspunkt.195 Denn die Frage, ob durch die Verweigerung einer Leistung »jeglicher Wettbewerb auf einem separaten Markt ausgeschaltet wird«, ist gegenstandslos, wenn bereits hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den auf beiden Märkten erbrachten Leistungen verlangt wird, dass die eine nicht ohne die andere möglich ist. Das soll der Fall sein, wenn 192 Bereits die Kommission hatte argumentiert, dass in Fällen, in denen die Vorleistung überhaupt nicht vermarktet werde, ihre unberechtigte Verweigerung sogar eine noch schwerwiegendere Wettbewerbsbeschränkung sei, weil die an der Herstellung des nachgelagerten Produkts interessierten Unternehmen sich die betreffende Vorleistung noch nicht einmal mittelbar über Dritte besorgen könnten, die sie ihrerseits vom beherrschenden Unternehmen erworben hätten. Vgl. EuGH (GA Tizzano), Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 44 – IMS Health. 193 EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 44 – IMS Health, der hier den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, vgl. EuGH (GA), Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 59. Zustimend aus der Literatur etwa Drexl, IIC 2004, 788 (798 f.): Erstens ist der Schutz des Wettbewerbs nicht auf bestehende Märkte beschränkt. Zweitens würde man anderenfalls dem beherrschenden Unternehmen die Entscheidung darüber lassen, wann zwei getrennte Märkte vorliegen und Art. 82 EG zur Anwendung kommt. 194 EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 45 – IMS Health. 195 Konnte man bereits unter Magill und Bronner eine weitgehende Überschneidung zwischen den Kriterien der Unentbehrlichkeit der Vorleistung und der Ausschaltung des Wettbewerbs auf dem abgeleiteten Markt feststellen (vgl. etwa Fleischer/Weyer, WuW 1999, 350 (358)), so verliert letzteres seine eigenständige Bedeutung, wenn es mit dem Vorliegen des ersten bejaht wird. Vgl. Höppner, EuZW 2004, 748 (750). Siehe auch Leistner, ZWeR 2005, 138 (151) (»two-markets-requirement actually no more than a restatement of the indispensability criterion«).

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weder ein tatsächlicher noch ein potentiell entwickelbarer Ersatz für das Vorprodukt existiert: die Entwicklung von Alternativprodukten muss aufgrund technischer, rechtlicher oder wirtschaftlicher Hindernisse unzumutbar erschwert sein.196 Dabei wird die Unzumutbarkeit nicht etwa mit Blick auf die konkreten Produktionsverhältnisse beim Zugangspetenten bestimmt. Der Maßstab ist vielmehr ein objektiver, weil die Rechtsprechung fordert, dass die Entwicklung auch für ein solches Unternehmen unrentabel sein muss, das das Alternativprodukt in vergleichbarem Umfang herstellen würde wie der Marktbeherrscher das existierende.197 Dieses Kriterium der vergleichbaren Produktionskapazitäten trifft durchaus das Telos des Missbrauchstatbestandes, den Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt, nicht aber bestimmte Wettbewerber zu schützen.198 Es ist jedoch offensichtlich auf eine Wirtschaft der materiellen Güterproduktion zugeschnitten, in der Skalenvorteile bei der Produktion eine Rolle spielen. In der Informationsindustrie wird die Entwicklung von Marktalternativen dagegen bestimmt durch Effekte auf der Nutzerseite. Diese sind es, die zu einem »Kippen« der betreffenden Märkte und infolgedessen zu Zutrittsschranken für Konkurrenten führen können. Allerdings hat sich der EuGH flexibel genug gezeigt, um auch nutzerseitige Effekte als Gründe für eine mögliche Unzumutbarkeit der Alternativentwicklung und eine daraus folgende Unerlässlichkeit des Inputs zu berücksichtigen. In Betracht kommen insbesondere jene näher beschriebenen Umstände, unter denen Informationsprodukte zur Grundlage einer marktbeherrschenden Stellung werden können.199 So will der EuGH im Falle der faktischen Standardisierung der Bausteinstruktur für die Ermittlung 196

Vgl. EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 28 – IMS Health; zuvor schon EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998, I-7791, Tz. 44 – Bronner. 197 Vgl. EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998 I-7791, Tz. 45 f. – Bronner. Hier begehrte der Verleger einer österreichischen Tageszeitung Zugang zum einzigen landesweiten Hauszustellungssystem für Zeitungen, das von konkurrierenden Tageszeitungen betrieben wurde. Ausdrücklich werden als Hindernisse für die Schaffung eines potenziellen Ersatzes (also die Errichtung eines eigenen landesweiten Hauszustellungssystems) nicht nur technische und rechtliche, sondern auch wirtschaftliche Hindernisse anerkannt, die sich »jedem anderen« Unternehmen in den Weg stellen und ein Tätigwerden auf dem nachgelagerten Markt unmöglich oder zumindest »unzumutbar erschweren« müssten. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Schaffung einer Alternative abstrahiert der EuGH von den Verhältnissen gerade des zugangsbegehrenden Wettbewerbers. In casu müsse zumindest dargetan sein, dass ein zweites Hauszustellungssystem auch für den Vertrieb von Zeitungen mit einer Auflagenhöhe vergleichbar mit der bei den beklagten Unternehmen unrentabel wäre. Der EuGH will einen kartellrechtlich begründeten Zugang also nur dann zulassen, wenn der Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt generell auf unzumutbare Hindernisse stößt. 198 Vgl. Fleischer/Weyer, WuW 1999, 350 (361). Siehe auch Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82, Rn. 240, für den es an wirtschaftlicher Unzumutbarkeit fehlt, sofern auch nur besonders leistungsfähige Wettbewerber zu der erforderlichen Investition in der Lage sind. Denn auch dann könne wirksamer Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt entstehen, so dass dem Schutzzweck von Art. 82 EG genüge getan wäre. 199 Vgl. oben § 3 II 2.

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von Pharma-Absatzdaten bei der Frage, ob die Entwicklung einer Alternativstruktur zu der des Marktführers IMS Health wirtschaftlich zumutbar ist, durchaus berücksichtigen, dass die intensive Einbeziehung der Kunden in die Entwicklung der Struktur 200 eine Abhängigkeit insbesondere technischer Art der Nutzer von dieser Struktur schaffen konnte. Das Umstellen auf anders strukturierte Absatzberichte wäre für die Kunden daher mit einem solchen technischen und wirtschaftlichen Aufwand verbunden, dass ein Absatzdienst auf neuer Grundlage zwangsläufig zu unrentablen Konditionen anbieten müsste. 201 Kurz gesagt: je höher der Grad der Einbeziehung der Nutzer in die Entwicklung, desto höher die »switching«-Kosten und der »Lock in«-Effekt – alles Zeichen der Standardisierung – und desto nahe liegender die Annahme der Unentbehrlichkeit. Auf ähnliche Weise wären auch Netzwerkeffekte auf Märkten zu berücksichtigen, die ebenfalls zur Unerlässlichkeit eines Inputs für Aktivitäten auf Folgemärkten führen können. Handelt es sich wie im Fall »Magill« bei dem Input um ein »sole source«-Produkt, so ergibt sich die Unerlässlichkeit bereits aus der Marktabgrenzung selbst. cc. Des-Integration der Produktion von komplexen Produkten. Im Rahmen von essential facilities-Situationen verweist der »monopoly leveraging«-Vorwurf, indem er bei der strukturellen Verbundenheit zweier Märkte (Produktionsstufen) ansetzt, im Grunde auf den Vorgang der Marktabgrenzung zurück. Anders als sonst wird jedoch mit dem Befund der Unerlässlichkeit des Produkts der vorgelagerten Produktionsstufe (für den Zugang zum relevanten Markt) keine Nachfrage einem Markt zugeordnet, sondern wird durch die Nachfrage ein Markt erst erzeugt. Das Besondere besteht darin, dass ein bisher unternehmensintern organisierter Herstellungsprozess in Sequenzen unterteilt und ein Teilprodukt für eine Nachfrage geöffnet wird. Insbesondere die Herstellung komplexer Produkte ist auf verschiedene Stufen wirtschaftlicher Aktivität verteilt. Zwei Produktionsstufen lassen sich jedenfalls dann unterscheiden, wenn sich die (Teil-)Produkte oder Dienstleistungen auf den jeweiligen Stufen klar voneinander trennen lassen und zwischen beiden ein Mehrwert geschaffen wird. 202 Sind innerhalb ein und derselben Firma solche unterschiedlichen Stufen wirtschaftlicher Aktivität integriert, so ist dies als bewusste Entscheidung der unternehmerischen Organisation und Planung zu verstehen. Sofern aufgrund wettbewerbsrechtlicher Überlegungen 200 Nach den Feststellungen der Kommission war die Bausteinstruktur eine De-factoIndustrienorm, die als »gemeinsame Sprache« für den Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten in der pharmazeutischen Industrie fungierte. Vgl. Kommission, 3.7. 2001, COMP D3/38.044, ABl. 2002/165/EG, Tz. 89 – IMS Health. 201 Vgl. EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 29 – IMS Health. 202 Siehe den Vortrag der Kommission bei EuGH (GA), Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 43. GA Tizzano und der Gerichtshof bestätigen dies implizit durch die Übernahme der Ansicht vom hypothetischen Markt.

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

die Nachfrage nach einem bisher unvermarkteten Teilprodukt zur Annahme eines hypothetischen Marktes führt, wird folglich in diese Entscheidung eingegriffen. Durch diese Sichtweise vollzieht das Wettbewerbsrecht eine DesIntegration der integrierten Produktion von komplexen Produkten in ihre marktförmige Erbringung oder, zugespitzt gesagt, eine Des-Integration von Organisation in Markt. Wie ist eine solche Des-Integration zu begründen, wenn an den Teilprodukten oder dem Komplexprodukt Schutzrechte bestehen? Die Tendenz des Wettbewerbsrechts zur autonomen Bestimmung von Märkten unter Hinwegsetzung über die unternehmerische Entscheidung, bestimmte komplexe Produkte oder Leistungen als »Paket« anzubieten, ist bereits angesprochen worden. 203 Dieser Ansatz scheint sich vor allem dort zu rechtfertigen, wo ein Teilprodukt von jedermann hergestellt und vertrieben werden darf, weil es frei von Schutzrechten ist. Dass sich das komplexe Produkt auch aus geschützten Teilen zusammensetzt, ändert daran nichts. Denn wie die Entscheidung im Fall »Hilti« bestätigt, sind die Teile eines komplexen Produkts je gesondert auf ihre Herstellbarkeit durch Dritte und damit ihre Marktfähigkeit zu betrachten. 204 Das EuG betont, dass im Wettbewerb grundsätzlich ein jeder frei sei, (Teil-)Produkte herzustellen, die für den Einsatz in dem von einem anderen hergestellten (komplexeren) Produkt bestimmt sind, sofern damit kein Schutzrecht verletzt werde. 205 Bei der Bestimmung eines relevanten Produkts, das einer Marktabgrenzung zugrunde gelegt werden kann, ist die Kommission also nicht an die unternehmerische Entscheidung über die dessen (un)selbständige Vermarktung, sondern allenfalls an die von den Schutzrechten gezogenen Grenzen gebunden. 206 Die in »Hilti« angegriffene Praxis des Unternehmens, den Verkauf unpatentierter Teilprodukte an den patentierter Teilprodukte zu koppeln und dies mit der angeblichen Unteilbarkeit des Komplexproduktes zu begründen, 207 kommt angesichts dessen einer unzulässigen Aus203

Vgl. oben § 3 II 2 b. Vgl. EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991 II-1439 – Hilti. Die Firma Hilti produziert neben Bolzenschussgeräten auch die dazugehörigen Treibladungen (Kartuschenstreifen und Bolzen). Während die Kommission separate Märkte für Hilti-kompatible Kartuschenstreifen und Bolzen unterschied, argumentierte Hilti, dass Bolzenschussgeräte, Kartuschenstreifen und Bolzen zusammen ein integriertes Produkt – ein »Direktbefestigungssystem« – bildeten, das mit anderen solcher Systeme konkurriere. Das EuG bestätigte die Marktabgrenzung der Kommission (Tz. 66) und sah es als missbräuchlich an, dass Hilti sich weigerte, die (patentgeschützten) Kartuschenstreifen auch ohne Bolzen zu liefern (Tz. 100 und 16). 205 Vgl. EuG, Rs. T-30/89, Slg. 1991 II-1439, Tz. 68 – Hilti und EuG, Rs. T-83/91, Slg. 1994 II-755, Tz. 83 – Tetra Pak II, bestätigt von EuGH, Rs. 333/94 P, Slg. I-5961, Tz. 36 – Tetra Pak II. 206 Vgl. Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 157 und ihm folgend Kaestner, Missbrauch von Immaterialgüterrechten, 84. Für eine Berücksichtigung des Schutzrechts bei der Marktabgrenzung auch Heinemann, 443 f. und Bechtold, Sekundärmärkte, 68. 207 Geschäftspraxis von Hilti war es unter anderem, bestimmte Endverbraucher und Ver204

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dehnung des Schutzumfangs des Patents gleich. Unter der »trennenden« Sichtweise des Wettbewerbsrechts stellt sich der Sachverhalt als Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem Markt für das patentierte Teilprodukt dar. Zur Gegenprobe kommt es, wenn Dritte ein geschütztes Teilprodukt selbst herstellen und vertreiben wollen. Als Beispiel mag der Fall »Volvo« dienen, in dem sich der Autohersteller gegen den Nachbau und Verkauf von geschmacksmusterrechtlich geschützten Karosserieteilen durch ein unabhängiges Unternehmen zur Wehr setzte. Auch hier unterschied der Generalanwalt von dem Markt für Neuwagen einen eigenen Markt für herstellerspezifische Karosserieersatzteile und bejahte wegen des Schutzrechtes an den must match-Teilen eine beherrschende Stellung auf diesem Markt. 208 Ein Missbrauch der beherrschenden Stellung liegt jedoch nicht schon darin, dass Volvo durch die Ausübung des Schutzrechts einem Dritten den Zugang zu diesem Markt selbst versperrt. Als missbräuchlich will der EuGH die Ausübung des Schutzrechts nur dann qualifizieren, wenn sie von weiteren Umständen begleitet würde, etwa der willkürlichen Weigerung, unabhängige Reparaturwerkstätten mit Ersatzteilen zu beliefern, der Festsetzung unangemessener Ersatzteilpreise oder der Entscheidung, für ein bestimmtes Modell keine Ersatzteile mehr herzustellen, obwohl noch viele Fahrzeuge dieses Modells verkehren. 209 Während die letzten beiden Verhaltensweisen klare Verstöße gegen Art. 82 lit. a und b EG darstellen, würde die Lieferverweigerung gegenüber unabhängigen Werkstätten zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem verbundenen Markt für Reparaturleistungen führen. 210 Damit läge ein Fall des Machttransfers von dem Markt für das geschützte Produkt selbst, dem Primärmarkt, auf einen anderen – verbundenen – Markt vor, auf dem ungeschützte Produkte oder Leistungen (hier Reparaturleistungen) erbracht werden. 211 Ohne einen solchen Drittmarktbezug verstößt die Abschirmung einer beherrschenden Stellung durch Ausübung des Schutzrechts nicht gegen das Missbrauchsverbot. Konkurtriebsunternehmen nur dann mit Kartuschenstreifen zu beliefern, wenn diese mit dem nötigen Sortiment von Bolzen zusammen gekauft wurden; zudem weigerte sich Hilti, Kartuschen an unabhängige Bolzenhersteller zu liefern. 208 Vgl. EuGH (GA), Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211, Tz. 8 und 14 – Volvo. Aufgrund der Reihenfolge, in der der EuGH die Vorlagefragen beantwortete, brauchte zur Voraussetzung der Marktbherrschung im Urteil selbst nicht mehr Stellung genommen werden (vgl. EuGH, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211, Tz. 10 – Volvo). 209 Vgl. EuGH, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211, Tz. 8 f. – Volvo. 210 Ob dieser Verstoß gegen Art. 82 EG dann durch eine Zwangslizenzierung abgestellt werden müsste, entscheidet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ausreichend im Fall der Lieferverweigerung geschützter Produkte dürfte in der Regel die Anordnung eines Lieferzwanges sein, vgl. Anderman, EC Competition Law and Intellectual Property Rights, 210. 211 Mit dem erstmaligen Verkauf der geschützten Karosserieteile ist das Geschmacksmusterrecht an diesen erschöpft.

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§ 3 Wettbewerbsrechtliche Zugangsregeln

renten sind nicht frei zur Herstellung des Teilprodukts, wenn dieses geschützt ist. 212 Deutlich wird jetzt die wettbewerbsrechtliche Rechtfertigung für das »layering« im Rahmen der Marktabgrenzung: Bei der Herstellung von komplexen Produkten oder der Erbringung von Leistungen in Wertschöpfungsketten (wie sie gerade auch in Informationsindustrien anzutreffen sind) hilft das layering, Produktionssequenzen zu identifizieren, die dem Wettbewerb grundsätzlich zugänglich sind, und sie von solchen zu unterscheiden, die aufgrund bestimmter Umstände von einzelnen Marktteilnehmern kontrolliert werden. Dadurch wird den Wettbewerbsbehörden eine effektive Missbrauchsaufsicht auch über neue (aber oft mit bestehenden verbundene) Märkte ermöglicht. Der gemeinschaftsrechtlich gebotene Schutz von Restwettbewerb213 verlangt insbesondere, dass unabhängig vom Vermachtungsgrad anderer (zumeist vorgelagerter) Wertschöpfungsstufen verbundene Märkte, auf denen Wettbewerb möglich ist, vor einer Übertragung von Marktmacht geschützt werden. Das »layering« (bei der Marktabgrenzung) und das »leveraging« (als Kern des Missbrauchsvorwurfs) können somit bei der Prüfung von Art. 82 EG kombiniert werden, um der Gefahr zu begegnen, dass durch die Ausübung der schutzrechtlichen Ausschließungskompetenz bezüglich eines Ausgangs- oder Teilprodukts zugleich eine verbundene (zumeist »downstream« angesiedelte) Wirtschaftsstufe für den Wettbewerb abgeschlossen wird. dd. Bestimmung der Grenzen von Schutzrechten durch das Wettbewerbsrecht. Betrachtet man diese Rechtsanwendung aus der Perspektive des Immaterialgüterrechts, so transformiert sich das wettbewerbsrechtliche Anliegen, ein »leveraging« von Macht auf einen verbundenen Markt zu verhindern, in eine normative Aussage über die Reichweite des Ausschließlichkeitsanspruchs des Schutzrechts. In Frage steht die Kompetenz des Rechtsinhabers zur Kontrolle der Erzeugung von Produkten, die nicht lediglich eine Verkörperung des geschützten »abstrakten Gegenstandes« sind, diesen jedoch voraussetzen (Mehrwertprodukte, kompatible Produkte). 214 Eine Erstreckung der Reichweite des 212 Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht bleibt die Situation allerdings gefährlich, weil das auf dem (herstellerspezifischen) Markt für formgebundene Ersatzteile herrschende Unternehmen jederzeit eben die vom EuGH angesprochenen Missbräuche begehen kann. Ohne Beschränkung des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von formgebundenen Ersatzteilen (so aber jetzt der Vorschlag der Kommission – KOM (2004) 582(01) – zur Änderung von Art. 14 der Geschmacksmusterrichtlinie 98/71/EC, vgl. dazu Drexl/Hilty/Kur, GRUR Int 2005, 449) ist jedoch die enge Marktabgrenzung ein wirksames Instrument, um das Marktverhalten der Marktbeherrscher zu beobachten und bei Missbräuchen einzuschreiten. 213 Vgl. grundlegend EuGH, Rs. 6/72, Slg. 1973, 215, Tz. 24 f. – Continental Can. 214 In der Informationswirtschaft geht es immer mehr nicht nur um Wettbewerb zwischen den die ursprünglich geschützten Werke und Leistungen Schaffenden, sondern zunehmend auch um den Wettbewerb zwischen den Werkschaffenden und den Erbringern von Mehrwertdiensten. Vgl. Dreier, in: Schulze/Dreier, Vor §§ 44a Rn. 4, m. w. N.

II. Zugangsregeln aus Art. 82 EG

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Schutzrechts auf solche »abhängigen« Produkte findet in den Schutzgesetzen durchaus einen normativen Rückhalt. Im Patentrecht etwa sorgt das Konzept des »absoluten Stoffschutzes« dafür, dass alle anderen Verwendungen und Eigenschaften einer Stofferfindung vom ursprünglichen Patent erfasst werden, selbst wenn sie im Zeitpunkt der Patentanmeldung noch völlig unbekannt waren und erst später aufgrund weiterer Forschungen durch Dritte entdeckt wurden. 215 So ist ein Verwendungspatent, das auf der Basis des Stoffpatents entwickelt wird (etwa ein Arzneimittel), von dem Stoffpatent abhängig und darf folglich nur mit Zustimmung des Stoffpatentinhabers benutzt werden. 216 Im Urheberrecht bezweckt die offene Formulierung der Verwertungsrechte in § 15 UrhG einen umfassenden Schutz. 217 Für jegliche Nutzung seines Werkes – ob in bekannter oder bisher unbekannter Form – soll dem Urheber eine Vergütung gesichert werden. Das gebietet der im Urheberrecht auch jenseits positiver Regelungen (vgl. § 11 Satz 2 UrhG) allgemein anerkannte »Beteiligungsgrundsatz«, nach dem der Urheber tunlichst angemessen am wirtschaftlichen Nutzen zu beteiligen ist, der aus jeder Verwertung seines geschützten Werkes gezogen wird. 218 Diese extensive Verwertungskontrolle soll auch Leistungen erfassen, die auf einer erkennbar anderen Wertschöpfungsstufe im Vergleich zum geschützten Ausgangsmaterial liegen. So argumentierten die Fernsehsender im Fall »Magill«: »that it is part of a normal exercise of copyright to make use of it in order to exclude competition on a derivative market. A copyright owner will often obtain remuneration for his creative effort by producing and selling products which incorporate the product created on the basis of the copyright, that is to say on a derivative market.«219 Generalanwalt Gulman bestätigte diese Ansicht in seinen Schlussanträgen. 220 Und auch in der Literatur wird vertreten, es gehöre gerade zur Substanz eines gewerblichen Schutzrechts, sich verschiedene Vermarktungsstufen vorzubehalten. 221 Getragen werden solche normativen Aussagen von einer Sichtweise, die als »Eigentumslogik« be215

Vgl. stellvertretend BGHZ 58, 280 – Imidazoline; ausführlich Keukenschrijver, in: Busse, PatentG, § 1 Rn. 120 ff., § 9 Rn. 51 ff. 216 Zu den Konsequenzen, den ein absoluter Stoffschutz für Genpatente hat, vgl. Fuchs, in: Schreiber et al. (Hrsg.), Recht und Ethik im Zeitalter der Gentechnik, 259 (270 f.). 217 Die Formen körperlicher oder unkörperlicher Verwertung sind – abweichend von der früheren Regelungen in § 11 LUG und § 15 KUG – nicht abschließend, sondern nur beispielhaft (»insbesondere«) aufgezählt, vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 15 Rn. 9 f. 218 Vgl. etwa BGH GRUR 1974, 786 (787); BGHZ 17, 266 (282); 129, 66 (72); st. Rspr. 219 Vgl. die Wiedergabe des Parteivortrags bei EuGH (GA), Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 107 (Hier wird die englische Sprachfassung wiedergegeben, weil die deutsche zu Missverständnissen Anlass geben könnte.) 220 Vgl. EuGH (GA), aaO., Tz. 112 (»kein Grund, die Ausübung des Urheberrechts durch seinen Inhaber zu dem Zweck, die Benutzung des geschützten Werkes durch Konkurrenten zu verhindern, je nachdem, auf welchem Markt diese Benutzung erfolgt«). 221 So etwa Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (403); Montag, EuZW 1997, 71 (75); Skinner, European Business Law Review (1995), 90 (91); Vinje, European Intellectual Property Review 17 (1995), 297 (301).

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zeichnet werden kann. Danach erhält derjenige, der als erster einen immateriellen Schutzgegenstand erschafft, grundsätzlich – oder doch zumindest im Zweifel – alle Verwertungsmöglichkeiten dieses Schutzgegenstandes zugeordnet. 222 Eine solche »Eigentumslogik« findet jedoch ihre Grenzen dort, wo die Inanspruchnahme eigentumsrechtlicher Befugnisse die Funktionsweise des Wettbewerbs beeinträchtigt. Es ist daran zu erinnern, dass die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG das Urheberrecht – wie auch jedes andere Eigentumsrecht – nur in seinem Kern verfassungsrechtlich schützt. Art. 14 GG garantiert lediglich die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses an den Urheber (Privatnützigkeit) und seine Freiheit, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können (freie Verfügungsfähigkeit), und damit gerade nicht jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit. 223 Jenseits des eng gezogenen verfassungsrechtlichen Kernbereichs hat der Gesetzgeber bei seiner Ausgestaltung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG im Gegenteil sachgerechte Maßstäbe zu Grunde zu legen, die die soziale Bedeutung des Eigentumsrechts berücksichtigen. 224 Die Wirkung der Ausübung des Eigentumsrechts auf den Wettbewerb (gleichviel ob auf primären oder sekundären Märkten) ist ein solcher zu berücksichtigender Gesichtspunkt. 225 Das gilt auch, sofern man – wie bei wettbewerbsschützenden Maßnahmen aufgrund von Art. 81 f. EG erforderlich – als Maßstab die Gewährleistung des (autonom zu bestimmenden) Eigentumsgrundrechts im Gemeinschaftsrecht heranzieht. Auch die gemeinschaftsrechtliche Eigentumsfreiheit kann im Allgemeininteresse eingeschränkt werden, vorausgesetzt der Eingriff ist nicht unverhältnismäßig und lässt den Wesensgehalt unangetastet. 226 Und auch hier ist der Schutz des Wettbewerbs als ein solches Allgemeininteresse anerkannt. 227 Die Rechtfertigung einer Einschränkung der Ausübung von Eigentumsrechten durch wettbewerbliche Belange ist freilich noch zwangloser zu begründen angesichts des Ranges, den das System des frei222

Treffender Ausdruck bei Dreier, in: Schricker/Dreier/Kur (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienste der Innovation, 51 (70 f.). 223 So ausdrücklich BVerfGE 31, 229 (241). 224 Vgl. oben § 1 II 3 b. 225 Zur Ermöglichung oder Sicherung von Wettbwerb als Gemeinwohlbelang nach Art. 14 Abs. 2 GG vgl. Papier, BB 1997, 1213 (1216). Vgl. auch Wendt, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 14 Rn. 98 (»Insgesamt ist die Gemeinwohlträchtigkeit des Ziels, die Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Wettbewerbs zu fördern, hoch zu veranschlagen«). 226 Grundlegend EuGH, Rs. 44/79, Slg. 1979, 3727, Tz. 20 und 23 – Hauer. Allgemein zum Eigentumsgrundrecht in der Gemeinschaft vgl. etwa Calliess, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16. 227 Deutlich etwa Kommission, 98/190/EG, ABl. 1998 L 72/47, Tz. 90 – Flughafen Frankfurt am Main AG (»Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags als Einschränkungen des Eigentumsrechts, die dem Allgemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen«); Kommission, 98/531/EG, ABl. 1998 L 246/37, Tz. 213 – Van den Bergh Foods (»Einschränkung der Ausübung der Eigentumsrechte in dem Maße, das notwendig ist, um zu gewährleisten, daß der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht verfälscht wird«).

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en und unverfälschten Wettbewerbs im Primärrecht einnimmt (vgl. Art. 3 lit. g, Art. 81 f. EG). Die Rechtsprechung hat für den Bereich des geistigen Eigentums die Wahrung wettbewerblicher Belange sogar in den Begriff des Eigentums selbst aufgenommen, wenn sie es als wesentliche Funktion des Urheberrechts betrachtet, den Schutz der Persönlichkeitsrechte am Werk und die Vergütung der schöpferischen Tätigkeit »unter Beachtung der Zwecke insbesondere des Artikels 86 [82 EG] sicherzustellen«. 228 Deutlicher lässt sich die funktionale Bindung eines Rechts nicht ausdrücken. Nun existieren im Immaterialgüterrecht durchaus Regelungen, die wettbewerblichen Gesichtspunkten Rechnung tragen und gleichsam der erwähnten Eigentumslogik entgegenlaufen. Zwar konzentriert sich wegen der Begründung des Urheberrechts als subjektives Recht üblicherweise die Aufmerksamkeit auf die dem wirtschaftlichen Interesse des einzelnen dienenden Individualrechte (z. B. auf die Verwertungsrechte der §§ 15 ff. UrhG), so dass die Begrenzungen und Schrankenbestimmungen festgelegt zu sein scheinen auf die Durchsetzung des freien Zugangs zu Schutzgütern im öffentlichen Interesse, sei es am allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs (Zitatrecht), speziell des wissenschaftlichen Diskurses oder an der Förderung von Erziehung. Durch eine solche Betrachtungsweise wird jedoch leicht übersehen, dass die Beschränkungen des Urheberrechts und anderer Immaterialgüterrechte eine eigenständige Funktion für den Wettbewerb haben. 229 Die Befristung von Rechten, ihr Verbrauch nach dem Erschöpfungsgrundsatz 230 , die Freistellung von Nutzungen im Urheberrecht, Zwangslizenzen im Patentrecht, Interoperabilitätsbestimmungen im Softwarerecht, seit kurzem etwa auch Zugangsrechte gegenüber technischen Schutzmaßnahmen (vgl. §§ 95a ff. UrhG) – alle diese Regelungen entscheiden auch darüber, ob und inwieweit der Schutzrechtsinhaber die Verwertung seines Werkes durch bestehende oder potentielle Konkurrenten dulden muss. 231 Wettbewerbsrechtlich betrachtet, enthält das Immaterialgüterrecht zwei Arten von Regelungen: Bestimmungen, die gewisse wettbewerbliche Handlungen anderer verbieten (kein Imitationswettbewerb!), und andererseits Bestimmungen, die wettbewerbliche Handlungen anderer in Be228

EuG, Rs. T-69/89, Slg. 1991 II-485, Tz. 71 – Magill. Vgl. die instruktive Kritik bei Heide, in: Hilty/Peukert (Hrsg.), Interessenausgleich im Urheberrecht, 87 ff. 230 So führt etwa der Erschöpfungsgrundsatz im Urheberrecht (vgl. § 17 Abs. 2 UrhG) dazu, dass sich neben dem Primärmarkt für den Erstverkauf eines Buches auch Sekundärmärkte für den gewerblichen Weiterverkauf (Antiquariate) oder den privaten (eBay) bilden, die zugangsoffen und nicht vom Rechtsinhaber kontrollierbar sind. 231 Die Bedeutung der Schrankenbestimmungen für den Wettbewerb belegt die Umschreibung der Grenze für Schranken von konventionsrechtlich garantierten Ausschließlichkeitsrechten im sog. »Dreistufentest«, wonach Beschränkungen und Ausnahmen u. a. nur in dem Umfang zulässig sind, in dem sie die »normale Auswertung des Werkes« nicht beeinträchtigen. Vgl. Dreier, in: Schricker et al. (Hrsg.), Geistiges Eigentum im Dienst der Innovation, 51 (62). 229

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zug auf ein und dasselbe Werk ausdrücklich erlauben und so zum Innovationswettbewerb beitragen können. Beide Arten von Bestimmungen hat der immaterialgüterrechtliche Gesetzgeber für den jeweiligen Sachbereich so auszutarieren, dass ein informationsökonomisch angemessenes Konzept entsteht. Aber auch ein Gesetzgeber mit einer entsprechenden Sensibilisierung – die keineswegs als selbstverständlich unterstellt werden darf – wird die wettbewerbsrechtlichen Grenzen der Schutzrechte immer nur abstrakt bestimmen können. Eigentumsrechte dienen der Zuweisung güterbezogener Handlungsbefugnisse. Die gesetzlich gewährten Ausschließlichkeitsrechte sind gegenstands- und nicht marktbezogen. 232 Daher sind die immaterialgüterrechtsinternen Möglichkeiten zur Steuerung der Handlungsfreiheiten im Wettbewerb begrenzt. 233 Das gilt zunächst für die kontinentalen Schutzrechtssysteme, die im Vergleich zum angelsächsischen bei der Begrenzung von Schutzrechten mit enumerativen Einschränkungen arbeiten, die gesetzlich programmiert sind. Als Beispiel mag Art. 6 der Richtlinie 91/250/EWG234 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen dienen, nach der die Dekompilierung eines Computerprogramms »zur Herstellung der Interoperabilität eines unabhängig geschaffenen Computerprogramms« zulässig ist. Ziel dieser Ausnahme, die ersichtlich den informationsökonomischen Besonderheiten von Software Rechnung tragen will, ist es, »die Verbindung aller Elemente eines Computersystems, auch solcher verschiedener Hersteller, zu ermöglichen, so dass sie zusammenwirken können«. 235 Das Urheberrecht (an Computerschnittstellen) wird damit von vornherein so gefasst, dass sein Einsatz zur Beherrschung vor- oder nachgelagerter Märkte möglichst vermieden wird. 236 Im Fall »Microsoft« erwies sich diese Herausnahme des Rechts zur Dekompilierung von Schnittstelleninformationen aus dem Urheberrecht für sich alleine jedoch als ungeeignet, um Konkurrenten des herrschenden Schutzrechtsinhabers den Marktzutritt zu ermöglichen. 237 In ihrer sog. »Interoperabilitätsverfügung« sah es die Kommission zu diesem Zweck vielmehr als erforderlich an, dem herrschenden Unter232 Ähnlich Stapper, Das essential facility Prinzip, 104, der jedoch von einer Produktbezogenheit ausgeht. Das ist insofern missverständlich, weil der Schutzgegenstand des Immaterialgüterrechts stets unkörperlich ist. 233 Vgl. auch Ullrich, GRUR Int 1995, 555 (564): »Wenn der Immaterialgüter- und Leistungsschutz den Wettbewerb auch zunehmend verändert, aus sich selbst heraus zu ordnen vermag er ihn nicht.« 234 ABl. 1991 L 122/42. 235 Erwägungsgrund 22. 236 Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 529. Zum wettbewerbsrechtlichen Charakter von § 69e UrhG vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 69e, Rn. 1; Hoeren, in: Möhring/ Nicolini/Hoeren, § 69e, Rn. 10. 237 Nach den Feststellungen der Kommission sei eine Kopie aller Schnittstellen des Betriebssystems »Windows« technisch kaum realisierbar, zu langsam auf den schnellebigen Softwaremärkten und insofern keine stabile Basis für das Business-Modell eines Wettbewer-

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nehmen die positive Handlungsverpflichtung aufzuerlegen, Dritten diskriminierungsfreien und rechtzeitigen Zugang zu den Schnittstelleninformationen zu gewähren. 238 Selbst das angelsächsische Immaterialgüterrecht, das über die dogmatischen Mittel zu einer flexiblen Ziehung von Schranken verfügt, stößt an seine internen Lösungskapazitäten, wenn es um die Wahrung wettbewerbsrechtlicher Belange geht. Um etwa de facto-Standards in den Griff zu bekommen, in denen sich der immaterialgüterrechtliche Schutz eines einzelnen Produkts faktisch auf einen ganzen Markt erstreckt, müssten die bekannten dogmatischen Figuren schon auf unorthodoxe Weise modifiziert werden. Tatsächlich wird etwa eine nachträgliche Anwendung der »merger doctrine« vorgeschlagen. 239 Nach deren klassischer Formulierung verliert die spezifische Ausführung eines Werks (»expression«) ihren urheberrechtlichen Schutz, wenn sie die einzige Möglichkeit darstellt, dem tragenden Konzept des Werkes Ausdruck zu verleihen. 240 Nimmt man an, dass eine solche Verbindung von »expression« und »idea« auch nachträglich durch Markterfolg entstehen kann, so würde aufgrund der »merger doctrine« den Schnittstellen derjenigen Produkte, die sich aufgrund ihres Markterfolgs als de facto-Standard etablieren, der copyrightSchutz versagt werden, da Kompatibilität zu diesen Produkten notwendig wäre, um weiterhin auf einem verbundenen Markt tätig sein zu können. 241 Solche und andere Öffnungen immaterialgüterrechtlicher Institute für kartellrechtliche Überlegungen sind sicherlich bedenkenswert. Doch müssten sie sich in dem Maße, wie sie funktionsäquivalent zu kartellrechtlichen Figuren (etwa der essential facilities doctrine) werden, die Frage gefallen lassen, ob auf die spezifischen Anwendungsvoraussetzungen des Kartellrechts – die marktbezogen formuliert sind – verzichtet werden kann. Die eingeschränkte Möglichkeit des immaterialgüterrechtlichen Gesetzgebers zur Steuerung der Handlungsfreiheiten im Wettbewerb macht deutlich: Die wettbewerbsrechtlichen Grenzen der Schutzrechte lassen sich nicht autonom aus den immaterialgüterrechtlichen Normtexten ableiten. 242 Vielmehr muss die Eigenart der Wettbewerbsprozesse berücksichtigt werden, die aus der bers, vgl. Kommission, 24. 3. 2004, COMP/C-3/37.792, Tz. 683 ff. – Zweifel an der Effektivität der Dekompilierungsvorschrift bei Pilny, GRUR Int. 1995, 954 (960), m. w. N. 238 Vgl. Kommission, 24. 3. 2004, COMP/C-3/37.792, Art. 5 (Interoperabilitätsverfügung). 239 Dafür etwa Farrell, in: Kahin/Abbate (eds.), Standards Policy for Information Infrastructure, 368 (373); Cotter, The Antitrust Bulletin (1999), 211 (249). 240 Vgl. etwa Computer Associates International, Inc. v. Altai, Inc., 982 F.2d 693, 707–708 (»The doctrine’s underlying principle is that when there is essentially only one way to express an idea, the idea and its expression are inseparable and copyright is no bar to copying that expression.«) 241 Stapper, Das essential facility Prinzip, 197 bemerkt zu Recht, dass auf diese Weise erhebliche Parallelen zum essential facility-Prinzip bestünden. 242 Vgl. auch Heinemann, Immaterialgüterschutz, 493, der dies als zentrale Erkenntnis

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Inanspruchnahme der mit dem Schutzrecht gewährten Handlungsfreiheit entstehen. 243 In bestimmten Wettbewerbssituationen realisiert sich die Integration des Immaterialgüterrechts in das Wettbewerbsrecht durch letzteres. Das gilt insbesondere im Hinblick auf das Ordnungsanliegen einer rechtlichen Verfassung des Wettbewerbs auf verbundenen Märkten. Eine aus der »Eigentumslogik« entspringende extensive Verwertungskontrolle hinsichtlich einzelner geschützter Produkte muss am Schutz des (Rest-)Wettbewerbs auf solchen abgeleiteten Märkten ihre Grenze finden: Zwar bemerken die Vertreter einer der Eigentumslogik gehorchenden Sichtweise zutreffend, dass Immaterialgüterrechte nicht mit Geltung für einzelne Märkte vergeben werden, sondern auf jedem Markt einsetzbar sind. 244 Geschützt wird ein immaterieller Schutzgegenstand, der sich in unterschiedlichen Produkten verkörpern kann, und für diese Produkte können unterschiedliche Märkte bestehen. Mangels besonderer Bestimmungen kann der Schutzrechtsinhaber daher nicht nur verhindern, dass Produkte, die den immaterialgüterrechtlichen Schutzgegenstand unmittelbar verkörpern, von Dritten auf dem »Primärmarkt« hergestellt werden, sondern er kann auch die Herstellung von Produkten kontrollieren, die den immaterialgüterrechtlichen Schutzgegenstand nur in irgendeiner Weise als Teil enthalten. Von der Kontrolle über die Verwertung eines Schutzrechts (auf unterschiedlichen Produktionsstufen) ist jedoch die Kontrolle über Märkte zu unterscheiden. Das ist es, was die eigentumslogische Sichtweise verkennt, wenn sie annimmt, es gehöre zur Substanz des jeweiligen Schutzrechts, sich verschiedene Vermarktungsstufen vorzubehalten. 245 Diese Ansicht liefe darauf hinaus, die Schutzrechtsausübung gegenüber einer kartellrechtlichen Kontrolle möglichen Strukturmissbrauchs auf verbundenen Märkten zu immunisieren. 246 Eine derartige pauschale Vorrangregel zugunsten des Eigentums ist nicht zu rechtfertigen, zumal nicht angesichts der beschriebenen Bindung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs geistigen Eigentums an das Ziels unverfälschten Wettbewerbs. 247 Aber nicht nur rechtlich, sondern auch ökonomietheoretisch lässt aus der »Magill«-Entscheidung begreift und sich deswegen – zu Recht – gegen die Ansicht wendet, bei »Magill« habe es sich um einen »extremen« Sachverhalt gehandelt. 243 Grundlegend zum Zusammenhang zwischen Handlungsfreiheiten und den aus ihrer Ausübung hervorgehenden Prozessen vgl. Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235 (247). 244 Vgl. Ebenroth/Bohne, EWS 1995, 397 (403); Montag, EuZW 1997, 71 (75). 245 Am Beispiel der Märkte für formgebundene KfZ-Ersatzteile: Zweck des Geschmacksmusterschutzes ist die Gewährung eines ausschließlichen Rechts am Erscheinungsbild eines Produkts (»Formenmonopol«), nicht aber die Schaffung eines Monopols auf das Produkt an sich (»Produktmonopol«). Das spricht für eine entsprechende »monopolvorbeugende« Gestaltung des Geschmacksmusterrechts selbst durch Aufnahme einer Reparaturklausel. Vgl. Riehle, EWS 1996 Beil. 1, 1 (4). Siehe jetzt die (befristete) Regelung des Art. 110 Abs. 1 VO 6/2002. 246 Vgl. Heinemann, Immaterialgüterschutz, 527 f. 247 Vgl. auch Drexl, IIC 2004, 788 (808): »Intellectual property is a form of economic re-

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sich eine »Reservierung« abgeleiteter Märkte nicht begründen. 248 Sofern sich aufgrund kartellrechtlicher Analyse verbundene Märkte (unterschiedliche Produktionsstufen) abgrenzen lassen und sofern sich ergibt, dass ein herrschendes Unternehmen den Wettbewerb auf dem verbundenen Markt mit Hilfe eines Eigentumsrechts beschränkt, kann grundsätzlich in das Eigentumsrecht eingegriffen werden. ee. Rückbezüglichkeit der Eingriffsprüfung. Auch unter diesem Aspekt – d. h. bei der Kontrolle von Marktmacht auf abgeleiteten Märkten – zeigt sich, dass es keine Bereichsausnahmen für geistiges Eigentum bei der kartellrechtlichen Kontrolle gibt. Die Ausübung der aus ihm fließenden Befugnisse ist der kartellrechtlichen Überprüfung genau so zugänglich, wie dies beim Sacheigentum der Fall ist. Von einer solchen Gleichbehandlung hinsichtlich der generellen Überprüfbarkeit ist jedoch die Frage zu trennen, ob auch die Voraussetzungen für kartellrechtliche Eingriffe bei beiden Eigentumsformen identisch sind. Während die Literatur geteilt ist über eine strenge Gleichbehandlung von Sachund geistigem Eigentum auch hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen, 249 zeichnet sich in der Rechtsprechung eine Verschärfung der Eingriffsvoraussetzungen ab. So hatte der Gerichtshof in der Sache »Magill« als weitere außergewöhnliche Bedingung hervorgehoben, dass die Lizenzverweigerung seitens der Fernsehsender das Auftreten eines neuen Erzeugnisses verhindert habe, 250 was einen Missbrauch nach Art. 82 lit. b EG darstelle. 251 Blieb in den Entscheidungsgründen das Verhältnis dieses Neuheitserfordernisses zu den anderen Eingriffsgulation, which questions concept of absolute constitutional protection of the right. . . . intellectual property is in need of constant economic reassurance in order to avoid expansionist legislation and application of the law.« 248 Vgl. die Erörterung bei Stapper, Das essential facilitiy Prinzip, 104. 249 Für eine Gleichbehandlung etwa Eilmansberger, Common Market Law Review 42 (2005), 129 (159); ders., EWS 2003, 12 (15); und grundlegend Jänich, Geistiges Eigentum – eine Komplementärerscheinung zum Sacheigentum?, passim. Im Ansatz ebenso Heinemann, Immaterialgüterschutz, 494 und 511, aber Fn. 1252 mit dem relativierenden Zusatz, dass eine prinzipielle Gleichbehandlung nicht ausschließe, dass in die für die Feststellung eines Missbrauchs nötige Abwägung die verschiedenen Zielsetzungen von Sach- und geistigem Eigentum eingebracht werden könnten. Vgl. auch ders., in: Behrens (Hrsg.), Stand und Perspektiven des Schutzes geistigen Eigentums in Europa, 105 (119) (Missbrauchstatbestand setze eine umfassende Interessenabwägung voraus, in die auch die immaterialgüterrechtlichen Wertungen einzubringen seien). Für eine differenzierte Sichtweise auch Casper, ZHR 166 (2002), 685 (695 f.); Blaise, Revue trimestrielle de droit européen 32 (1996), 747 (750); Fuchs, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, TT-VO Rn. 2; Dolmans/Piilola, World Competition 2003, 541 (544). 250 Nämlich in casu eine umfassende (senderübergreifende) Fernsehwochenzeitschrift, die die Sender selbst nicht anböten und nach der eine potentielle Nachfrage der Verbraucher bestünde. 251 Vgl. EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 54 – Magill.

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kriterien zunächst noch offen und konnte man den Eindruck gewinnen, es handele sich um eine alternative, auf Art. 82 lit. b EG gestützte Begründung des Missbrauchs, die neben den Vorwurf des Machttransfers trete, 252 so stellte der Gerichtshof in »IMS« ausdrücklich fest, dass das Neuheitserfordernis kumulativ vorliegen müsse. 253 Die europäische Rechtsprechung und auch die Kommission – in ihrem Diskussionspapier zur Anwendung des Art. 82 EG254 – messen dem Kriterium in Fällen, in denen eine unerlässliche Einrichtung durch geistiges Eigentum geschützt ist, allgemeine Bedeutung zu. Kumulativ angewendet, ist das Merkmal Teil der »beweglichen Schranken« der Generalklausel, 255 die aus einer umfassenden Abwägung zwischen den Zielen des EG-Vertrages und den Interessen des marktbeherrschenden Unternehmens hervorgehen, wie sie zur Bestimmung eines Missbrauchs im Sinne der Generalklausel des Art. 82 EG stets zu erfolgen hat. 256 In dieser dogmatischen

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So etwa Pilny, GRUR Int 1995, 954 (957). EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 38 – IMS Health. Zweifelnd allerdings der Präsident des EuG bei seiner (ablehnenden) Entscheidung über einstweiligen Rechtsschutz im Fall »Microsoft«, vgl. EuG, Rs. T-201/04 R 2, WuW 2005, 197, Tz. 206, der die Frage aufwirft, ob die Kriterien aus IMS Health notwendig oder nur ausreichend für die Annahme eines Missbrauchs seien. Anlass ist die unterschiedliche Lesart, die Kommission und Microsoft der Formulierung in Tz. 38 der IMS-Entscheidung (dt. »bereits dann missbräuchlich, wenn«, engl. »it is sufficient«, frz. »il suffit que trois conditions cumulatives soient remplies«) beilegen. Im Endurteil EuG, Rs. T-201/04, WuW/E EU-R 1307, Tz. 647 – Microsoft wird in der Tat das Neuheitskriterium nicht mehr für zwingend notwendig gehalten, um einen Missbrauch zu begründen (»cannot be the only parameter«). Stattdessen fragt das EuG unter Berufung auf Art. 82 lit. b EG allgemeiner, ob durch die Lizenzverweigerung die technische Entwicklung zum Schaden der Verbraucher eingeschränkt werde. Das wird in casu bejaht, weil die mangelnde Interoperabilität von konkurrierender Server-Software mit dem Windows-Betriebssystem zu einem »lock in« der Verbraucher in eine einheitliche Windows-Architektur auch auf der Client-Seite führe und verhindere, dass Konkurrenten innovative und den Programmen von Microsoft überlegene Produkte absetzen könnten. Das EuG stellt damit das Neuheitskriterium in Frage, ohne letztlich ein klares Alternativkonzept, wie das Verhältnis von Immaterialgüterrechten und Wettbewerb auf (verbundenen) Innovationsmärkten zu behandeln ist, vorlegen zu können. Kritisch insoweit auch Körber, WuW 2007, 1209 (1217). 254 Vgl. Kommission, Discussion paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses (2005), Tz. 239. 255 Von einer »Theorie der beweglichen Schranken« beim Missbrauchstatbestand spricht Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht GWB, § 19 Rn. 16. 256 Das entspricht dem vom Generalanwalt vertretenen und vom EuGH übernommenen Ansatz in »IMS Health«, wonach das Neuheitserfordernis als Umstand zu begreifen ist, der in die »Abwägung zwischen dem Interesse am Schutz des Rechts des geistigen Eigentums und der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit seines Inhabers auf der einen und dem Interesse am Schutz des freien Wettbewerbs auf der anderen Seite« einfl ießt. Vgl. EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 48 – IMS Health im Anschluss an EuGH (GA), Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 62. Allgemein zur Prüfung des Tatbestandsmerkmals der »missbräuchlichen Ausnutzung« vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82 Rn. 115 ff. 253

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Funktion braucht es nicht den Anforderungen an den selbständigen Tatbestand des Regelbeispiels in Art. 82 lit. b EG zu genügen. 257 Diese Erweiterung der Missbrauchskriterien gibt Anlass zu der Überlegung, ob Sonderregeln für immaterialgüterrechtlich geschützte essential facilities gebildet werden müssen. 258 Denn nach der Ratio des Vorwurfs eines Machttransfers auf Verbundmärkten mit Hilfe unerlässlicher Einrichtungen wären zusätzliche Kriterien nicht erforderlich. 259 Entscheidend ist danach allein, dass das herrschende Unternehmen durch die Vorenthaltung der unerlässlichen Einrichtung einen Drittmarkt vom Wettbewerb überhaupt abschirmt. Üblicherweise wird es dies tun, um sich selbst die Erbringung von Leistungen auf diesem Markt vorzubehalten. 260 Die Anwendung des Kartellrechts ist in einer solchen Situation auf die Ermöglichung von Wettbewerb durch die Anordnung der Öffnung der Einrichtung auch für Dritte gerichtet, ohne dass es Anlass gäbe, danach zu differenzieren, ob ein Zugangspetent ein gegenüber der Leistung des Marktbeherrschers neuartiges Produkt anzubieten beabsichtigt. Wird genau dies aber aufgrund des kumulativ anzuwendenden Neuheitskriteriums verlangt, befürchtet man, dass es zu einer solchen Verschärfung der Voraussetzungen von Art. 82 EG in immaterialgüterrechtlichen essential facilities-Fällen kommt, dass ein Missbrauch nur in wenigen Fällen begründet 257 Das Neuheitserfordernis verändert seine dogmatische Funktion in dem Moment, in dem es kumulativ zu den übrigen Missbrauchskriterien verlangt wird. In der Entscheidung »Magill« mag die Verhinderung eines neuen Erzeugnisses noch auf das Regelbeispiel in Art. 82 lit. b EG beziehbar gewesen sein. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass der Gerichtshof das Kriterium auch in »IMS Health« auf den Tatbestand des Regelbeispiels bezogen wissen will. Das würde bedeuten, dass neben den die Generalklausel des Art. 82 EG konkretisierenden Kriterien des Machttransfers auf Verbundmärkten zusätzlich der Tatbestand des Regelbeispiels der Leistungseinschränkung voll erfüllt sein müsste (so aber Heinemann, IIC 2005, 63 (72 f.)). Eine solche Systemwidrigkeit kann der Rechtsprechung jedoch nicht unterstellt werden (zum Verhältnis von Generalklausel und Regelbeispielen in Art. 82 EG vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art. 82 Rn. 130). Sie hätte zur Folge, dass ein herrschendes Unternehmen, das den vorbehaltenen Markt bedient und dabei keine qualitativ minderwertigen Leistungen anbietet (etwa weil es den Stand der Technik nicht ausschöpft), sondern seine Produkte regelmäßig weiterentwickelt, niemals ein neues Produkt eines Zugangspetenten verhindern und folglich auch keinen Missbrauch begehen würde (so aber offenbar Eilmansberger, KCLJ (2005), 329 (336 f.)). 258 Beachtenswert die zurückhaltende Formulierung des EuGH in »Oskar Bronner« zur Übertragbarkeit der Kriterien des Magill-Urteils auf einen essential facilities-Fall ohne immaterialgüterrechtlichen Hintergrund, EuGH, Rs. C-7/97, Slg. 1998 I-7791, Tz. 41 (»Selbst wenn diese Rechtsprechung zur Ausübung eines gewerblichen Schutzrechts auf die Ausübung eines beliebigen Eigentumsrechts anwendbar wäre«). Für die Unterscheidung von essential facilities-Fällen in Teilklassen und eine mögliche Sonderung von Fällen mit Immaterialgütern sprechen sich aus Fleischer/Weyer, WuW 1999, 350 (354). 259 In diesem Sinne Deselaers, EuZW 1995, 563 (565); Mennicke, ZHR 160 (1996), 626 (653 f.); Heinemann, Immaterialgüterschutz, 513. 260 Keine Rolle spielt es für den essential facilities-Gedanken, ob der abgeleitete Markt nur vom Marktbeherrscher bedient wird oder wegen Nichtproduktion ein bloß potentieller ist, vgl. zutreffend Heinemann, Immaterialgüterschutz, 513 f.

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werden könnte und ein Machttransfer zwischen verbundenen Märkten letztlich akzeptiert würde. 261 Insbesondere würden die Hürden für die Rechtfertigung der Interoperabilitätsverfügung der Kommission im Falle »Microsoft« höher gelegt, da der Nachweis, dass durch die Behinderung des Angebots anderer Programme ein Bedürfnis der Verbraucher unbefriedigt bleibe, geführt werden müsste. 262 Auf der anderen Seite scheint eine Beschränkung auf die Machttransfer-Kriterien wie bei körperlichen Einrichtungen dem geistigen Eigentum zu wenig Schutz beizumessen in Fällen, in denen das Immaterialgut gerade entwickelt wurde, um auf einem abgeleiteten Markt einen Vorsprung zu erzielen, so dass ein Zwang zur direkten Verwertung des Immaterialgutes (eben über seine Lizenzierung an Dritte) sich negativ auf den Leistungswettbewerb auswirken und die Bereitschaft zu Investitionen in solche essential facilities sinken würde. Langfristig stünde danach die Abnahme dynamischer Effizienz zu befürchten. 263 Entscheidend sei letztlich, ob dem Innovationswettbewerb »per saldo« durch Gewährung Zwangslizenz oder ohne eine solche besser gedient sei. 264 Im Folgenden wird argumentiert, dass die Prüfung des Neuheitserfordernisses als eine weitergehende Qualifizierung des Missbrauchstatbestandes in immaterialgüterrechtlichen Fällen nur dann erforderlich ist, wenn sich der Immaterialgüterrechtsordnung nicht schon selbst Aussagen über die Kontrollierbarkeit abhängiger Handlungsmöglichkeiten durch das konkrete Schutzrecht entnehmen lassen. Ist dies der Fall, stellt sich die Zugangsverweigerung als Behinderung einer freien Handlungsmöglichkeit anderer dar, die, weil sie zum Ausschluss von Wettbewerb auf einem Markt führt, vom Kartellrecht nach den Machttransfer-Kriterien zu behandeln ist. Sind solche Aussagen nicht zu finden, ist also eine Dezentralisierung der Innovationskompetenz auf dem abhängigen Markt nicht schon im Recht angelegt, muss die Neuheit des anzubietenden Produkts das Innovationspotenzial einer Marktöffnung indizieren, d. h. die Innovationsfunktion einer marktlich-dezentralen Beobachtung des Handlungsfeldes. Damit wird das in der EuGH-Rechtsprechung entwickelte Neuheitskriterium in der Tat nicht als förmliche conditio sine qua non verstanden, sondern vielmehr als Teil einer zur Konkretisierung der beweglichen 261 Diese Verschärfung wird kritisiert von Drexl, IIC 2004, 788 (800 f.); Eilmansberger, KCLJ 16 (2005), 329 ; Heinemann, IIC 2005, 63 (72 ff.); Leistner, ZWeR 2005, 138 (152 und 160) (»systematically wrong and certainly too rigid«). 262 Vgl. Geradin, Common Market Law Review 41 (2004), 1519 (1538). Die Problematik wurde im Microsoft-Urteil des EuG umgangen, da das Gericht das Neuheitskriterium zu einem möglichen Parameter im Rahmen der allgemeineren Prüfung, ob die Lizenzverweigerung die technische Entwicklung nach Art. 82 lit. b EG einschränke, relativiert und anhand dieses Maßstabs die Kommissionsentscheidung bestätigt hat (vgl. EuG, Rs. T-201/04, WuW/ E EU-R 1307, Tz. 647 – Microsoft). 263 Vgl. Eilmansberger, KCLJ 16 (2005), 329 (335, 341 f.). 264 So Körber, WuW 2007, 1209 (1213).

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Schranken von Art. 82 EG vorzunehmenden »immaterialgüterrechtlichen Rückbezüglichkeitsprüfung«. Das Problem der rechtlichen Verfassung von Innovationswettbewerb lässt sich weder über eine Effizienzanalyse noch über eine »Saldierung« der Vor- und Nachteile einer Zwangslizenz lösen. 265 Das Kartellrecht muss vielmehr konstitutionell denken und die Voraussetzungen für wettbewerbliches Handeln zu gewährleisten suchen. Für ein prozessorientiertes Wettbewerbsverständnis kann das Ziel nicht unmittelbar die Herstellung effizienter Zustände sein, sondern allein die Gewährleistung von Varianz bei der Produktentwicklung. Richtig verstanden, muss es dem Kartellrecht um die Sicherung des Wettbewerbs als Institution der Erzeugung transindividuellen Wissens anhand alternativer Beobachtungen gehen, mithin um Beobachtungsreichtum. 266 Nach dem hier vertretenen Ansatz muss das Kartellrecht zunächst anhand der Machttransfer-Dogmatik prüfen, ob die Nutzung des Schutzgutes wirklich unerlässlich ist, um auf einem bestimmten Markt tätig zu werden. Umfasst dieser Markt auch Produkte, die keine Nutzung des Schutzgutes voraussetzen, besitzt das Schutzgut nicht die Eigenschaft einer essential facility.267 Auf dieser Stufe der Prüfung wird also nach den Handlungsmöglichkeiten auf einem ganz bestimmten Markt gefragt und in Relation zu den vom Schutzrecht erfassten Handlungsmöglichkeiten gesetzt, d. h. es wird ermittelt, ob die Wahrnehmung wettbewerblicher Handlungsfreiheit auf diesem Markt abhängig ist von der Nutzung einer bestimmten Ressource. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht interessiert nur, ob in dem vom betreffenden Markt abgegrenzten Handlungsbzw. Beobachtungsfeld alternative Rekombinationsmöglichkeiten von implizitem Wissen mit explizitem Wissen bestehen. Fokussiert wird auf den Ausschnitt expliziten Wissens, der für die Entwicklung von Produkten dieses einen Marktes erforderlich ist. Wird die Unerlässlichkeit bejaht, ist genau die Situation eingetreten, vor der die Zugangsregeln des Immaterialgüterrechts eigentlich bewahren wollen: verteiltes implizites Wissen kann nicht mehr dezentral zur Erzeugung neuen expliziten Wissens in einem bestimmten Sachbereich aktualisiert werden. 268 Das Recht stößt hier auf den Umstand, dass mit der Einrichtung von Schutzrechten nicht einfach nur wirtschaftliche Handlungsfreiheit konstituiert, sondern auch Einfluss auf die Wissensteilung in der Umwelt des Wirtschaftssystems ausgeübt wird. Es registriert diesen Umstand 265 Für letzteres aber Körber, aaO. Zufriedenstellen kann freilich auch nicht die Infragestellung des Neuheitskriteriums durch das EuG in der Microsoft-Entscheidung, die selbst ohne schlüssiges Alternativkonzept bleibt. 266 Siehe dazu auch meine Antrittsvorlesung »Die epistemische Analyse des Rechts – Von der ökonomischen zur ökologischen Rationalität in der Rechtswissenschaft«. 267 Vgl. Eilmansberger, KCLJ 16 (2005), 329 (340). 268 Die Beschränkung wird also nicht nach Maßgabe eines besonderen Funktionssystems für relevant gehalten, sondern richtet sich allein nach den Ausweichmöglichkeiten auf Märkten.

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durch die Brille des Wettbewerbsrechts freilich nur, wenn der Zugang zu einem Markt gestört ist. Das heißt nicht, dass in diesem Bereich gar keine Neuerungen mehr zu erwarten wären, insofern nämlich das marktbeherrschende Unternehmen seine Produkte weiter entwickeln könnte. Auf eine solche Hoffnung braucht sich das Recht (und mit ihm die Gesellschaft) jedoch grundsätzlich nicht einzulassen, da ein Zustand geschaffen wurde, der normativ nicht der Gewährleistung effektiver Wettbewerbsfreiheit von anderen Akteuren entspricht, wie ihn die kartellrechtliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrages verlangt. Wie gezeigt, ist der Schutzgehalt von Art. 12, 2 Abs. 1 GG auf verfassungsrechtlicher Ebene mit der Eigentumsfreiheit des Marktbeherrschers über das Merkmal der Angewiesenheit im Sinne des Art. 14 Abs. 2 GG zu kompatibilisieren. Die Dogmatik des Art. 82 EG zu essential facilities konkretisiert das Angewiesenheitsmerkmal einfachrechtlich und kommt prinzipiell für die Rechtfertigung einer Zugangsregel – und zwar speziell zum Zwecke der Sicherung der Funktion des Wettbewerbs auf einem bestimmten Markt – in Betracht. Wenn gleichwohl Anlass besteht, über eine Verschärfung der Eingriffskriterien in Gestalt des Neuheitserfordernisses nachzudenken, so deswegen, weil der Wettbewerb seinerseits unter die Funktion der Innovation expliziten Wissens gestellt ist. 269 Von Seiten einer ökonomischen Analyse des Kartell-/Immaterialgüterrechts wird auf mögliche Wohlfahrtsgewinne hingewiesen, die sich gerade durch die Kontrolle von Sekundärmärkten einstellen können. 270 Im Kern kreist die Argumentation aus ökonomischer Perspektive darum, ob durch einen Kontrahierungszwang statische Allokationseffizienz herbeigeführt werden soll oder ob in einer dynamischen Betrachtung – unter der Annahme, Fälle von Marktmacht seien vorübergehend und würden im Laufe der Zeit durch den Wettbewerb selbst überholt – eher für das langfristige Setzen von Innovationsanreizen zu sorgen sei. 271 Danach besteht bei einer Kontrolle von verbundenen Märkten durch Immaterialgüterrechte die Gefahr einer vorschnellen Verhängung von Zwangslizenzen. 272 Diese Bedenken können aus Sicht der hier vertretenen epistemischen Rekonstruktion von Institutionen teilweise nachvollzogen werden. Entscheidend 269

Vgl. oben § 2 I 1 a. Insbesondere wird es durch eine Sekundärmarkt-Kontrolle möglich, Fixkosten und sunk costs, wie sie vor allem durch aufwändige Forschung und Entwicklung anfallen, in möglichst effizienter Weise auf das Primär- und Sekundärprodukt zu verteilen. Zu diesen sog. Ramsey-Preisen vgl. Bechtold, Sekundärmärkte, 28 ff. 271 Grundsätzlich vgl. Landes/Posner, The Economic Structure of Intellectual Property Law, 389. Einflussreich rezipiert von Justice Scalia in Verizon v. Trinko, 540 U. S. 398, 407 f. (2004). 272 Vgl. Bechtold, Sekundärmärkte, 114. 270

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für die Wahl einer Institution der Wissensteilung ist aus dieser Sicht ihre Kapazität zur Erzeugung neuen Wissens, wobei der Selektionsdruck insbesondere von der Komplexität eines herzustellenden Produkts ausgehen kann. Hier zeigen sich zwischen Markt und Unternehmen signifikante Unterschiede. So werden im Unternehmen Beobachtungskapazität und Selektionsautorität in ein spezifisches Verhältnis gesetzt, das es erstens erlaubt, unternehmensintern gezielt Wissensbestände (d. h. auch Immaterialgüter) aufzubauen und ihre Nutzung im Hinblick auf das jeweilige Produktionsprojekt autonom zu strukturieren, und das zweitens einen erweiterten Zeithorizont für kollektive Lernprozesse zu Verfügung stellt. Diese Kapazität des Unternehmens zur eigenen Form der Gedächtnisbildung und Zeitbindung im Hinblick auf die Wissenserzeugung in dem vom jeweiligen Produktionsprojekt berührten Sachbereich wird in der Tat destabilisiert, wenn die Produktion zwangsweise des-integriert wird und das (häufig vertikal integrierte273) Unternehmen intern genutzte Immaterialgüter zur Nutzung auf einem (Lizenz-)Markt zugänglich machen muss. Ein Nichteingriff in sein Schutzrecht würde dagegen die Integrität der Wissensteilung im Unternehmen garantieren. 274 Durch die kartellrechtliche Intervention wird also zugleich eine Entscheidung über das Verhältnis verschiedener Institutionen der Wissensteilung in dem jeweiligen Sachbereich getroffen. Inwieweit einem solchen längeren Zeithorizont Rechnung zu tragen ist, hängt davon ab, inwieweit der Ausschluss von der Nutzung relevanten Produktionswissens die Blockierung einer Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten – ausgelöst durch den Zwang zur unabhängigen Interpretation einer gemeinsamen Umwelt am beherrschten Markt – zur Folge hat. Es muss gefragt werden, ob die Blockierung der epistemischen Funktion des Marktes abgestimmt werden kann mit grundlegenden Prinzipien der Wissensteilung in dem betroffenen Sachbereich. Insbesondere sind, sofern vorhanden, die epistemisch wirksamen Entscheidungen heranzuziehen, die im Immaterialgüterrecht hinsichtlich der Nutzung des für den Sachbereich relevanten expliziten Wissens gespeichert sind. Man kann insofern von einer »immaterialgüterrechtlichen Rückbezüglichkeitsprüfung«275 sprechen: Der mit der Eröffnung eines Marktzugangs kartellrechtlich grundsätzlich rechtfertigungsfähige Eingriff in das Schutzrecht stellt sich aus Perspektive des Immaterialgüterrechts als zu duldende Mitnutzung des Immaterialgutes durch Dritte und damit als zusätzliche 273 Nicht verwunderlich ist, dass die Fälle, in denen der EuGH eine Lieferverweigerung als Missbrauch einer beherrschenden Stellung ansah, vertikal integrierte Unternehmen betrafen, vgl. die Feststellung von GA Tizzano, EuGH (GA), Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 55 – IMS Health. 274 Insbesondere kann die (Monopol-)Rente aus dem tatsächlich angebotenen Produkt entsprechend der unternehmensinternen Weiterentwicklung des Wissens eingesetzt werden. 275 Zum Begriff vgl. Wielsch, EuZW 2005, 391 (396).

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Schranke des betroffenen Schutzrechts dar, die in den Zusammenhang der bestehenden Prinzipien und Regelungen einzupassen ist. Um die genauen Anforderungen an eine Begrenzung der Schutzrechtsausübung zu bestimmen, ist also auf die Grundsätze für eine Schutzerlangung zurückzugreifen. 276 Bezugspunkt dieser im Kartellrecht »simulierten« Prüfung der Legitimierbarkeit von Schutzrechten ist jetzt freilich nicht mehr das vorgegebenermaßen geschützte Ausgangsprodukt, sondern das »Gesamtprodukt«, das vom Marktbeherrscher (und nur von ihm!) auf dem verbundenen Markt angeboten wird. Denn die uneingeschränkte Ausschließungsbefugnis hinsichtlich des Inputs hat entsprechend der ermittelten Unerlässlichkeit automatisch auch eine Ausschließlichkeitsposition hinsichtlich des Gesamtprodukts zur Folge. Zu prüfen ist der Effekt einer vertikalen Fortsetzung des Ausschlussprinzips – die Alleinstellung einer Handlungsrelation – für die Wissensteilung im betroffenen Sachbereich. Der erste Blick fällt auf die Rechtsordnung, die dem Schutzrechtsinhaber die Kontrolle speziell über abhängige Handlungsmöglichkeiten gezielt ausschließen oder umgekehrt – wie beim Musterschutz an formgebundenen Ersatzteilen 277 – gezielt einräumen wollen kann. Fehlen solche Hinweise, gilt es insbesondere den »Umfang« der essential facility zu berücksichtigen: Ermöglicht die Kontrolle über den Input die Kontrolle gleich über mehrere Komponenten eines komplexen (d. h. modularen) technologischen Systems oder nur über einzelne (mit der Folge einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Umgehungsinnovationen)? Und wo sind diese Komponenten in der technologischen Architektur des Systems lokalisiert, auf tieferen oder höheren Schichten? Gerade bei technologischen Erzeugnissen wäre danach die Funktion des geschützten Produkts innerhalb eines Gesamtsystems zu ermitteln. Im Rahmen einer vertika276 Dem kommt es nahe, wenn Riehle, GRUR Int 1993, 49 (69) im Immaterialgüterrecht zwischen horizontalem und vertikalem Schutzumfang eines Schutzrechts unterscheidet und für letzteren eine Art »vertikale Erschöpfung« konstruiert. So hält er es für eine funktionsgerechte Inhaltsbestimmung des subjektiven Geschmacksmusterrechts, den für die Schutzerlangung im Geschmacksmusterrecht unstreitigen Grundsatz »keine Designalternative, keine Geschmacksmusterrechte« auf die vertikale Achse der Schutzrechtsausübung zu übertragen und einen Musterschutz an KfZ-Ersatzteilen mangels Designalternative wegen Formgebundenheit zu versagen. Der Schutz des Immaterialgüterrechtes wird danach abhängig von der Vermarktungsbedingung bzw. der Vermarktungssituation: ein am Ursprungsprodukt (z. B. Kotflügel) erlangter Musterschutz kann im Neuwagenvertrieb gegen Mitbewerber durchgesetzt werden, während er das dazugehörige Ersatzteil nicht erfasst. Abgesehen von dem vorliegend leicht abweichenden Verständnis von Vertikalität wird damit zutreffend hervorgehoben, dass die Ausschließungsbefugnis eines Schutzrechts nicht unter allen Bedingungen (seien es solche der Vermarktung als Neu-/Ersatzteil oder solche der technologischen Funktionalität) die gleiche Legitimität hat. So wie eine »Formgebundenheit« im Geschmacksmusterrecht zu berücksichtigen ist, müsste auch eine Art »System-/Technologiegebundenheit« von urheber- oder patentrechtlich geschützten Erzeugnissen Eingang in die rechtliche Betrachtung fi nden. 277 Dazu bereits oben § 3 II 2 b.

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len Betrachtungsweise müsste das Kartellrecht nach dem Verhältnis Teil/Ganzes fragen. Sofern sich herausstellt, dass der wesentliche Input die Eigenschaften einer Infrastruktur aufweist, d. h. polyvalent nutzbar ist, 278 wäre eine Verschärfung der Eingriffsvoraussetzungen abzulehnen; vielmehr spräche die »Generität« der Ressource dafür, die positiven Nutzungsexternalitäten durch eine Trennung von Eigentum und Kontrolle im Rahmen der essential facilities-Dogmatik allgemein zugänglich zu machen. Gleiches gilt, wenn die Kontrolle des abhängigen Marktes gerade das Entstehen solcher positiven externen Effekte inhibiert, die durch die Einräumung von Nutzerfreiheiten ermöglicht werden sollten. In diesen Fällen scheidet eine Rechtfertigung der Kontrolle des abhängigen Marktes mit dem Argument einer Steigerung dynamischer Effizienz aus, weil mit der Beeinträchtigung von Wettbewerbsfreiheit zugleich grundlegende materielle Regeln der Wissensteilung unbeachtet geblieben sind. Gerade eine dynamische Betrachtungsweise muss darauf bedacht sein, dass die Bedingungen der Möglichkeit von Wissens-Evolution in einem bestimmten Feld gewährleistet sind. In Fällen der Kontrolle von (verbundenen) Märkten durch Immaterialgüterrechte ist folglich weder eine Verschärfung der essential facilities-Dogmatik noch gar eine sachliche Rechtfertigung der Lizenzverweigerung zulässig, wenn sich aus den immaterialgüterrechtlichen Vorschriften selbst ergibt, dass der Umfang des jeweiligen Schutzrechts gezielt begrenzt wird, um die Wettbewerbsfreiheit auf (verbundenen) Märkten nicht zu beschränken. So räumt etwa Art. 6 der Computerprogramm-Richtlinie den Nutzern eines geschützten Programms das Recht zur Dekompilierung von Schnittstellen ein, um sicherzustellen, dass der Rechtsinhaber nicht die Herstellung von kompatiblen Programmen – und entsprechende Märkte – kontrollieren kann. Dann reichen die in den Machttransfer-Fällen entwickelten Kriterien aus, um den kartellrechtlichen Eingriff zu rechtfertigen. Denn die Verweigerung des Zugangs zu den Schnittstellen macht die Wahrnehmung einer Handlungsmöglichkeit unmöglich, die allen Wettbewerbern offenstehen soll. Art. 6 der ComputerprogrammRichtlinie will gerade erreichen, dass alle Nutzer die Schnittstelleninformationen eines beliebigen Bezugsprogramms verwenden können, damit komplementäre Programme dezentral erzeugt werden können. Ist den Nutzern ein solcher Zugriff auf die Informationen eines bestimmten Programms aus welchen Gründen auch immer nicht möglich, interessiert sich das Wettbewerbsrecht dafür zunächst noch nicht. Wenn aber (wie im Fall von »Microsoft«) dieses Programm derart dominant ist (auf dem Markt für Client-Betriebssysteme), dass auf dem verbundenen Markt für Server-Betriebssysteme eine dezentrale Erzeugung von Wissen nicht mehr möglich ist ohne Zugang zu der 278

Vgl. § 2 II 3 a.

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Schnittstelleninformation des dominanten Programms, die jedoch vom Rechtsinhaber unter Berufung auf immaterialgüterrechtlichen Schutz verweigert wird, dann stellt die Einräumung eines Zugangsrechts auf der Grundlage von Art. 82 EG die Funktionsbedingungen für eine dezentrale Entwicklung von Produkten auf dem Markt für Server-Betriebssysteme (wieder) her. Das Wettbewerbsrecht »vollstreckt« dann gleichsam die immaterialgüterrechtlich angelegte Öffentlichkeit des für die Herstellung kompatibler Programme notwendigen Wissens. Ähnlich verhält es sich in Fällen der Erzeugung von Standards für Produkte oder (wie im Fall »IMS«) für Leistungen. Standards ermöglichen eine Erwartungssicherheit (etwa beim Informationsaustausch über Absatzdaten zwischen Marktforschungsunternehmen und pharmazeutischer Industrie), 279 die bestimmte Aktivitäten überhaupt erst praktisch möglich macht. 280 Ein Standard fungiert unter den Beteiligten als kognitives Dispositiv, um das herum Wissen aufgebaut werden kann. Es ist gerade die Idee des Standards, bestimmte Handlungsmöglichkeiten bewusst von ihm abhängig zu machen, um neuartige ermöglichen zu können. 281 Damit die Wettbewerbsfreiheit Dritter in standardisierten Handlungsfeldern nicht Gefahr läuft, ausgeschaltet zu werden, spricht deshalb viel dafür, den Standard allgemein zugänglich zu machen. Dass eine solche hypothetische Zugangsregel im Immaterialgüterrecht nicht existiert und das standardisierte Immaterialgut stattdessen schutzrechtlich gesichert ist, erscheint aus Sicht des Wettbewerbsrechts freilich solange unbeachtlich, wie für Dritte die Möglichkeit besteht, alternative Produkte zu entwickeln, die mit dem Standard nicht übereinstimmen. Ist das jedoch nicht der Fall (weil wie in »IMS« die gesamte Marktgegenseite dem Standard folgt), realisiert die essential facilities-Dogmatik jenen hypothetischen Norminhalt. Die essential facilities-Dogmatik fungiert auf diese Weise als ein spezifisches »Eigentumsrecht für Standards«, das es im Immaterialgüterrecht so nicht gibt und aufgrund der Ungewissheit über die Qualifizierung eines Immaterialgutes als Standard auch nicht geben kann, das aber gleichwohl erforderlich ist, um die Innovationsfunktion von Märkten zu erhalten. Sind der Rechtsordnung hingegen keine ausdrücklichen Festlegungen und auch keine sonstigen Wertungsgesichtspunkte über eine Begrenzung des (vertikalen) Schutzumfangs mit Blick auf abhängige Handlungsmöglichkeiten zu 279 Erinnert sei noch einmal an die Qualifizierung der Bausteinstruktur im Fall »IMS« durch die Kommission als De-facto-Industrienorm, die als »gemeinsame Sprache« für den Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten in der pharmazeutischen Industrie fungierte, vgl. oben § 3 II 2 c. 280 Zur Funktion von Standards vgl. auch Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (482). 281 Vgl. auch Ullrich, in: FS Immenga, 403 (415), der zutreffend bemerkt, dass Standards – auch wenn sie mit anderen Standards konkurrieren mögen – ihrem Vereinheitlichungsund Rationalisierungszweck entsprechend immer Anspruch auf Alleinmaßgeblichkeit in einem sachlichen (oder geographischen) Anwendungsbereich erheben.

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entnehmen, kann der Schutzrechtsinhaber frei entscheiden, in welcher Form er das Schutzgut verwerten will: ob isoliert oder zusammen mit anderen geschützten oder ungeschützten Produkten in Form von komplexen Produkten. Dann muss die Neuheit des vom Zugangspetenten anzubietenden Produkts die innovationsfördernde Wirkung einer Marktöffnung indizieren, d. h. die Innovationsfunktion einer marktlich-dezentralen Beobachtung des Handlungsfeldes. Hier liegt die Berechtigung des vom EuGH verwendeten Neuheitskriteriums. Konkret verlangt der EuGH, dass sich der Zugangspetent – auch bei Unerlässlichkeit des Inputs – »nicht im Wesentlichen darauf beschränken will, Erzeugnisse oder Dienstleistungen anzubieten, die vom Schutzrechtsinhaber bereits auf dem abgeleiteten Markt angeboten werden, sondern beabsichtigt, neue Erzeugnisse oder Dienstleistungen anzubieten, die der Inhaber nicht anbietet und für die eine potenzielle Nachfrage der Verbraucher besteht«. 282 Verhindert werden soll folglich, dass es durch die Zugangsgewährung lediglich zu einer Duplizierung des Leistungsangebots und damit zu bloßem Imitationswettbewerb auf dem abhängigen Markt kommt. 283 Nachdem sich herausstellt, dass ein Substitutionswettbewerb um die geschützte Leistung auf der upstreamStufe nicht möglich ist, soll der Wettbewerb downstream für Innovation innerhalb der durch die (Pfad-)Abhängigkeit von der essential facility eingeschränkten Marktevolution sorgen. Das Angebot des Zugangspetenten soll mit dem des Schutzrechtsinhabers in Konkurrenz treten. 284 Verkannt hatte dies noch der Generalanwalt in »Magill«, der vom neuen Erzeugnis ausdrücklich forderte, dass es nicht in Wettbewerb mit dem Erzeugnis des Schutzrechtsinhabers stehe; selbst wenn ein Produkt neu und besser sei, es aber im Wesentlichen dasselbe Bedürfnis der Verbraucher befriedige, dürfe nicht in den »spezifischen Gegenstand« eingegriffen werden, anderenfalls die Vergütung des Schutzrechtsinhabers nicht sicherzustellen sei. 285 Dieser Auffassung, nach der die Eigentumsrechte über die Zuordnung von Märkten (und nicht nur von Marktchancen) entscheiden würden, war der Gerichtshof bereits in »Magill« jedoch gerade nicht gefolgt. Nimmt man die späteren Entscheidungen hinzu, 286 wird vielmehr deutlich, dass – zur Förderung des Innovati282

EuGH, Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 49 – IMS Health. Vgl. auch den Vortrag der Kommission in EuG, Rs. T-201/04, WuW/E EU-R 1307, Tz. 631 – Microsoft (»a ›new product‹ is a product which does not limit itself essentially to duplicating the products already offered on the market by the owner of the copyright«). 284 Ausdrücklich angesprochen vom Generalanwalt in EuGH (GA), Rs. C-418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 62 – IMS Health. 285 Vgl. EuGH (GA), Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 96 f. – Magill. 286 Vgl. die Argumentation der Kommission, wiedergegeben in EuGH (GA), Rs. C418/01, Slg. 2004 I-5039, Tz. 45 – IMS Health, die durch die Entscheidung des EuGH bestätigt wird. Der Auffassung des Generalanwalts in »Magill«, zur Sicherung einer angemessenen Remuneration des Rechteinhabers sei auch der Vorbehalt von Vermarktungsmöglich283

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onsprozesses auf dem abgeleiteten Markt – ein Mittelweg eingeschlagen wird: weder soll das herrschende Unternehmen auf dem verbundenen Markt völlig von Wettbewerb verschont, noch soll es einem reinen Imitations-/Preiswettbewerb ausgesetzt werden. Einerseits wird das Bestimmungsrecht über die Vermarktungsbedingungen des Schutzgegenstandes grundsätzlich anerkannt, andererseits soll aber ein statischer Ein-Produkt-Markt – mit seiner auf das herrschende Unternehmen limitierten Beobachtungskapazität – nicht gegen »produktive« Angriffe von außen isoliert bleiben, indem der Inhaber der essential facility verhindert, dass auf andere Weise von der bottleneck-Ressource produktiv Gebrauch gemacht wird und eine Vielfalt von Produkten entstehen kann. 287 Immaterialgüterrechtlich gesehen, wird eine Art Verbesserungs- oder Produktivitätsschranke geschaffen. 288 Mit dem Neuheitskriterium kann daher auch den Besonderheiten der Innovationsdynamik in der jeweiligen Industrie Rechnung getragen werden. Bei der Art des zu schützenden Wettbewerbs ist gleichzeitig der (historische) Einfluss zu berücksichtigen, den das Konzept des Leistungswettbewerbs auf die Auslegung von Art. 82 EG hat. 289 Danach muss die weitergehende Wertschöpfung auf der downstream-Produktionsstufe jedenfalls einen leistungsrechtlichen Eigenwert erkennen lassen. 290 An die Neuheit des Produkts sind demnach keine zu hohen Anforderungen zu stellen. 291 Andererseits darf aber auch nicht bloß eine identische Leistung angeboten werden. 292 Erforderlich ist keiten auf abgeleiteten Marktstufen notwendig (vgl. EuGH (GA), Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 97 – Magill), wird gerade nicht gefolgt. 287 Vgl. auch Kommission, Discussion paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses (2005), Tz. 240. 288 In diesem Zusammenhang interessant die Vorschläge von Hilty (GRUR Int 2006, 179, 190) und Geiger (IIC 2006, 371, 403 f.) zur Erlaubnis der produktiven Nutzung eines geschützten Werkes. 289 Zum Leistungswettbewerb als Schutzobjekt der EG-Wettbewerbsvorschriften vgl. Eilmansberger, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 82 Rn. 20 und 38; skeptisch gegenüber dem Leistungswettbewerb als Maßstab dagegen Fleischer, Behinderungsmissbrauch, 114 ff. 290 Insofern sind die Hinweise auf den Stellenwert von Leistungsschutz und Leistungswettbewerb im Rahmen des Schutzzwecks von Art. 82 EG zutreffend, vgl. Eilmansberger, EWS 2003, 12 (17 ff.), und im Anschluss daran Thyri, WuW 2005, 388 (397 ff.). 291 Das verdeutlicht ein Blick auf den Fall »IMS Health«. Hier ließe sich ein grundlegend neues Produkt auf dem abgeleiteten Markt nur anbieten, wenn auch die zugrunde liegende Bausteinstruktur und damit das Produkt auf dem vorgelagerten Markt verändert würde. Eine solche Veränderung, die Schaffung einer alternativen Bausteinstruktur, soll aber voraussetzungsgemäß gerade wegen wirtschaftlicher bzw. technischer Hindernisse ausscheiden; die Kunden aus der Pharmaindustrie würden ein Abweichen der Absatzberichte von der 1860er Struktur nur akzeptieren, wenn es sich um eine gleichsam revolutionäre Strukturverbesserung (eine Art »killer application«) handeln würde, bei der die Kosten des Wechsels von den Vorteilen, die mit der neuen Struktur verbunden wären, weit überwogen würden. In diesem Fall aber wären die neu in den abgeleiteten Markt eintretenden Unternehmen gar nicht auf den Zugangsanspruch angewiesen. 292 So erklärte der Gerichtshof im »Volvo«-Urteil die Lizenzverweigerung deshalb nicht für missbräuchlich, weil der Zugangspetent nichts anderes wollte, als die Erzeugnisse des

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ein hinreichendes Maß der Abweichung, das das Konkurrenz-Produkt zwar lauterkeitsrechtlich eigentümlich macht, aber keinesfalls so unterschiedlich erscheinen lassen muss, dass es mangels Austauschbarkeit einem anderen Markt zugerechnet werden müsste. 293 In diesem Sinne hatte es die Kommission im »Microsoft«-Fall für ausreichend gehalten, dass neue Produkte der Zugangspetenten »substantielle Elemente« enthielten, die auf den eigenen Anstrengungen der Wettbewerber beruhten. 294 Die Kommission konnte in ihrer Verfügung gegen das Unternehmen insoweit darauf verweisen, dass Konkurrenten in der Zeit, in der Microsoft noch nicht zu einer stark restriktiven Politik des Zugangs zu Interoperabilitätsinformationen übergegangen war, kompatible Produkte entwickelt und vermarktet hatten, die gegenüber entsprechenden Microsoft-Erzeugnissen mit »innovative features«, »additional value« und »followon innovation« aufwarten konnten. 295 Zusammenfassend ließe sich von der »kleinen Münze« der Innovation im Wettbewerbsrecht sprechen, gerade wenn dieses funktionsäquivalent zum Urheberrecht auftritt. In den Fällen fehlender normativer Aussagen über eine De-/Zentralisierung der Innovationskompetenz auf dem abhängigen Markt, werden damit in der Tat die Voraussetzungen für einen kartellrechtlichen Kontrahierungszwang verschärft, wenn die wesentliche Einrichtung keine Sache, sondern ein geschütztes Immaterialgut ist. Das ist der Funktion von Schutzrechten zur Verhinderung von Imitations- und zur Förderung von Innovationswettbewerb geschuldet. Sofern dynamischer Wettbewerb nicht hinsichtlich der Input-Ressource möglich ist, muss er auf dem verbundenen Markt hergestellt werden. Das Entdeckungsverfahren auf diesem Markt soll offen gehalten werden gegenüber der immaterialgüterrechtlich vermittelten Kontrolle einer vorgängigen Marktstufe. Erst mit der Einführung eines neuen Produkts realisiert sich das Innovationspotential des abgeleiteten Marktes. Anders gewendet: Auch wenn nur ein Intra-Systemwettbewerb (anstatt eines Inter-Systemwettbewerbs) möglich ist, ist der Substitutionswettbewerb das normative Leitbild bei Geschmacksmusterinhabers nachzuahmen und original Volvo-Ersatzteile herzustellen. Vgl. EuGH, Rs. 238/87, Slg. 1988, 6211, Tz. 8 – Volvo. Dem entspricht es, wenn der Generalanwalt im Fall »Magill« behauptet, die Fernsehsender wären jedenfalls berechtigt gewesen, ihr Urheberrecht auszuüben, um die Veröffentlichung von Fernsehzeitschriften zu verhindern, die ihren eigenen Zeitschriften entsprochen hätten, vgl. EuGH (GA), Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743, Tz. 90 – Magill. 293 Ob freilich das Neuheitskriterium so weit auszulegen ist, dass auch Qualitätsverbesserungen oder Preissenkungen zu einem »neuen Produkt« führen (so aber Leistner, ZWeR 2005, 138 (160 f.) und Heinemann, GRUR 2006, 705 (710), Fn. 58 als Vertreter der Position, die eine Gleichbehandlung von Sach-und geistigem Eigentum befürwotet), erscheint zweifelhaft. Kritisch auch Bechtold, Sekundärmärkte, 110, Fn. 482. 294 Vgl. die Wiedergabe des Vorbringens der Kommission in EuG, Rs. T-201/04, WuW/E EU-R 1307, Tz. 631 – Microsoft (»sufficient that the product concerned . . . contains substantial elements that result from the licensee’s own efforts«). 295 Vgl. Kommission, COMP/C-3/37.792, Tz. 695 ff. – Microsoft.

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kartellrechtlichen Eingriffen in die Freiheit des Schutzrechtsinhabers. Jedenfalls mit der hier vertretenen Auffassung des Neuheitskriteriums, die vom Zugangspetenten gleichsam eine »sub-exklusivrechtliche Innovationsleistung«296 fordert, sollten sich Ergebnisse erzielen lassen, die eine praktikable Auflösung der konkreten Spannung zwischen dem Imitationsschutz vermittelnden Ausschließlichkeitsrecht und seinem innovationsinhibierenden Einsatz ermöglichen. 4. Der Funktionsbezug kartellrechtlicher Zugangsregeln Damit sind die Voraussetzungen einer kartellrechtlichen Marktzugangsregel benannt, wenn ein verbundener (Sekundär-)Markt durch ein Immaterialgüterrecht kontrolliert wird. Durchgesetzt werden kann diese Regel durch die Statuierung eines Kontrahierungszwangs (Zwangslizenz), als dessen Folge das Verbotsrecht des Schutzrechtsinhabers eingeschränkt und den Konkurrenten eine Mitnutzung des geschützten Inputs erlaubt wird. Gegebenenfalls ist aber auch die Statuierung von positiven (Informations-)Pflichten erforderlich, um einen Marktzugang effektiv zu gewährleisten. 297 Die Gefahr einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs entsteht unter anderem in Fällen, in denen Wettbewerber auf die Mitnutzung von Immaterialgütern angewiesen sind, hiervon jedoch durch die Ausübung von Schutzrechten ausgeschlossen werden können. Solche Wettbewerbssituationen werden in dem Maße an Bedeutung gewinnen, wie die Ausdehnung des Urheberrechtsschutzes von Werken auf Informationen zu Nutzungskonflikten führt, die das herkömmliche Urheberrecht mit der Unterscheidung von Form und Inhalt gerade zu vermeiden sucht. 298 Für die Zukunft ist eher mit einer Verstärkung dieser Tendenz im Urheberrecht und entsprechenden Entwicklungen in anderen Gebieten geistigen Eigentums zu rechnen, da sich mit wachsender volkswirtschaftlicher Bedeutung der New Economy die interessierten Kreise aus der Wirtschaft in der Politik leichter Gehör verschaffen können. Je mehr der Wert einer Investition zum maßgeblichen Kriterium für die Erlangung eines Schutzrechts und je geringer die erforderliche Schutzhöhe festgesetzt wird, desto eher wird aber auch die Entfaltungsfreiheit Anderer im Wettbewerb betroffen sein 296 In Anlehnung an den Ausdruck »subpatentable innovations« von Reichman, in: Dreyfuss et al. (eds.), Expanding the Boundaries of Intellectual Property, 2001, 23 ff., der damit auf die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung von kumulativer und sequentieller Innovation hinweist, die sich entlang gemeinsamer technologischer Entwicklungspfade abspielt. Im Unterschied dazu folgt etwa das Patentrecht immer noch dem Leitbild der »umstürzenden« Pionier-Erfi ndung. 297 Vgl. die umfangreichen Informationspfl ichten in Art. 5 der Kommissionsentscheidung im Fall »Microsoft« (Interoperabilitätsverfügung). 298 Vgl. Ullrich, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, GRUR B, Rn. 39, Fn. 318.

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und damit nach einer Korrektur zur Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen rufen. Für diese Fälle hält das Kartellrecht eigene Zugangsregeln über die Mitnutzung von Immaterialgütern bereit. Vor aller Kritik der Eingriffskriterien im Detail ist bemerkenswert, dass die Rechtsprechung grundsätzlich zur Relativierung der schutzrechtlichen Ausschließungsbefugnis bereit ist, um die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als sozialen Prozess zu schützen, der aus der Wahrnehmung der konstituierten Schutzrechte entsteht. Das Recht reagiert damit auf den Umstand, dass unter bestimmten Umständen ein geschütztes Immaterialgut nicht mehr nur Gegenstand von, sondern Voraussetzung für Wettbewerb werden kann, insofern nämlich der Rechtsinhaber den Wettbewerb auf einem Markt mit Hilfe des Schutzrechts zu kontrollieren in der Lage ist. In einer solchen Situation manifestiert sich die beschriebene Mehrsystemzugehörigkeit von Schutzrechten: Damit der Wettbewerb als Verfahren zur dezentralen Innovation expliziten Wissens eines bestimmten Sachbereichs/ Systems dienen kann, müssen ausreichende Möglichkeiten zur freien Nutzung von Immaterialgütern in diesem Wissensbereich bestehen. Wettbewerb um Immaterialgüter ist nicht autark, sondern trocknet gleichsam aus, wenn explizites Wissen nicht mehr dezentral mit verteiltem impliziten Wissen rekombiniert werden kann. 299 Mit der kartellrechtlichen Zugangsregel wird einem spezifisch wettbewerbsrechtlich motivierten Freihaltebedürfnis entsprochen. Der Eingriff in das Schutzrecht führt zu einer partiellen Trennung von Eigentum und Kontrolle an der für den Wettbewerb wesentlichen Wissensressource, weil dem Inhaber des Schutzrechts zwar weiterhin der Vermögenswert seines Rechtes zugeordnet ist, jedoch seine »Eigentümermacht«, in eigener Verantwortung verfügen und andere von der Nutzung ausschließen zu können, eingeschränkt wird. 300 Die Zugangsregel formuliert einen Ausschluss des Verbotsrechts zum Zweck der Herstellung von Produkten auf einem abgeleiteten Markt und konstituiert damit in gegenständlicher Hinsicht ein funktionales Gemeinschaftsgut.301 Ebenso wie die essential facilities doctrine des angelsächsischen Rechts fungiert die äquifinale Auslegung des Art. 82 EG in den Fällen von Bottleneck-Ressourcen als »commons-like management principle«.302 Freilich ist der freie und gleiche Zugang funktional eng gebunden an die Zwecke des Wettbewerbsrechts (Abbau von Marktzutrittshindernissen, Öffnung von Märkten für Wettbewerb). 299

Vgl. § 2 I 1 a. So unterscheidet etwa Jahr, in: GS Kunkel, 69 (73 f.) zwischen der Zuweisung von »Eigentumswert« und »Eigentümermacht« bzw. »Handlungsberechtigung« und ähnlich Schmidt zwischen »Aktionsberechtigung« und »Vermögensberechtigung« in seiner gleichnamigen Abhandlung. 301 Zur Terminologie vgl. § 2 II 3 a und b. 302 So die treffende Kennzeichnung bei Frischmann, Minnesota Law Review 89 (2005), 917 (963 und 1023 f.). 300

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Im eröffneten Geschäftsverkehr ist es Aufgabe des in § 20 GWB angelegten »wettbewerblichen Gleichbehandlungsprinzips«, 303 für eine Offenhaltung von Märkten zu sorgen und wettbewerbliche Entfaltungsfreiheit für alle Marktbeteiligten zu gewährleisten.304 Die Zugangsregel der essential facilities-Doktrin dehnt den Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots auf unternehmens-/konzerninterne (Vor-)Leistungen aus, soweit diese für den Marktzugang unerlässlich sind. Das regelmäßig vertikal integrierte Unternehmen wird gezwungen, seine als »corporate commons« genutzte Ressource externen Dritten zu gleichen Bedingungen zugänglich zu machen. Im Ergebnis gilt für das den Sekundärmarkt beherrschende Unternehmen der »Grundsatz interne gleich externe Behandlung«, der eine im Wirtschaftsverwaltungsrecht vormals unbekannte Variante des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellt und den Anreizen vertikal integrierter Monopolisten in deregulierten Netzindustrien begegnen soll, externe Wettbewerber bei der Nutzung der Netzinfrastruktur zu benachteiligen.305 Die intern als Gemeinschaftsgut genutzte Ressource wird auch extern zu einem funktionalen Gemeinschaftsgut, wenn sich herausstellt, dass ein bestimmter Sachbereich nicht mehr poly-kontextural beobachtet werden kann, weil kein alternatives, in anderen Immaterialgütern kondensiertes Wissen zur Verfügung steht, das zur Grundlage der Produktion von Gütern mit Eigenschaften gemacht werden kann, die auf dem relevanten Markt nachgefragt werden.306 Dann wird in die unternehmensinterne Wissenserzeugung eingegriffen, damit ein »cognitive level playing field« für die dezentrale Wissenserzeugung im Wettbewerb gewährleistet ist. Wie gezeigt, kann die Nutzung bestimmter Immaterialgüter aus durchaus unterschiedlichen Gründen unerlässlich für die gleiche Chance aller Teilnehmer zur wettbewerblichen Entfaltung werden. Antizipierbare Probleme für die Gewährleistung gleicher kognitiver Möglichkeiten zur Teilnahme am Wettbewerb werfen jedoch private Standardisierungsinitiativen auf. In Fällen wie »IMS Health« und »Spundfass« besteht das Problem darin, dass ein Standard geschaffen wurde, dem alle auf einem bestimmten Markt tätigen Akteure ihre Leistungen anpassen müssen, ohne dass jedoch die Nutzung dieses Stan303

Vgl. BGHZ 49, 90 (99). Vgl. Busche, Kontrahierungszwang, 320 f. mit Hinweis darauf, dass fehlende Vertragsgelegenheiten regelmäßig Folge bestehender Marktzutrittssperren sind. 305 Zu diesem Grundsatz vgl. Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 275 ff. (276 f.). Neben den dort genannten Beispielen siehe jetzt etwa auch § 42 Abs. 2 TKG. 306 Der Marktbeherrscher wird dann nicht gehört mit dem Argument, das Angebot eines einheitlichen komplexen Produktes sei notwendig. Das wäre ein Einfallstor, Leistungen miteinander zu verbinden und dadurch die Konkurrenz von notwendigen Elementen auszuschließen. Nach Auffassung von Frenz, Handbuch Europarecht, Band 2: Europäisches Kartellrecht, Rn. 1290 muss der Monopolist stattdessen die Pfl icht, den Restwettbewerb zu erhalten, auch beim Produktzuschnitt beachten. Ihn kann daher die Pfl icht zur Aufspaltung von Leistungen treffen. 304

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dards dritten, nicht an der Standardisierungsinitiative beteiligten (einbezogenen) Unternehmen zu gleichen Bedingungen offen steht. Problematisch ist dabei nicht schon, dass ein Standard von privaten Akteuren geschaffen wurde, sondern vielmehr dass dieser Standard mit Hilfe eines Ausschließlichkeitsrechts auch dem privaten Willen über seine Nutzung unterworfen ist, der in diesen Fällen zugleich darüber entscheidet, ob jemand zum Markt zugelassen wird oder nicht. Eine solche Verfügung der wettbewerblich handelnden Akteure über die Spielregeln des Wettbewerbs selbst widerspricht jedenfalls einem Verständnis eines rechtlich konstitutionalisierten Wettbewerbs, nach dem die Akteure an die Voraussetzungen gebunden sind, unter denen die von ihnen im Wettbewerb in Anspruch genommene Freiheit erhalten werden kann. Es ist deshalb sinnvoll, potenzielle Gefahren für den Wettbewerb durch privat geschaffene Standards bereits im Vorfeld abzuspannen und für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. So erkennt die Kommission in ihren »Leitlinien zur horizontalen Zusammenarbeit«307 zutreffend, dass die Festlegung einer privaten Norm durch gemeinsam marktbeherrschende Unternehmen zur Entstehung einer De-facto-Norm für diesen Wirtschaftszweig führen kann. Nach den Leitlinien soll daher eine positive Bewertung der Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 3 EG nur dann erfolgen können, wenn eine Ausschaltung des Wettbewerbs in den relevanten Märkten verhindert wird, indem der Zugang zur Norm Dritten zu »gerechten, vernünftigen und nicht diskriminierenden Bedingungen offen steht«.308 Dem Fall der Setzung einer Norm wird dabei ausdrücklich der Fall gleichgestellt, in dem eine urheberrechtlich geschützte Technologie zur De-facto-Norm wird, d. h. sich zu einer solchen entwickelt.309 Die Ratio für einen diskriminierungsfreien Zugang Dritter ist daher auch auf jene Konstellationen übertragbar, in denen sich – wie im Fall »Microsoft« – eine Technologie vermittels von ökonomischen Netzwerkeffekten erst im Laufe der Zeit als faktischer Standard etabliert. Ähnlich formulieren die »Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 auf Technologietransfer-Vereinbarungen«310 vorab eine Zugangsregel für marktstarke Technologiepools. Bei der Freistellungsfähigkeit (Art. 81 Abs. 3 EG) solcher mehrseitigen Patentgemeinschaften zwischen Unternehmen 311 kommt 307 Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001 Nr. C 3, 2. 308 Kommission, aaO., Tz. 174. 309 Kommission, aaO., Tz. 175. 310 Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. 2004 Nr. C 101, 2. 311 Sie werden von den Leitlinien, aaO., Tz. 202 definiert als Vereinbarungen, bei denen zwei oder mehr Parteien ein Technologiepaket zusammenstellen, das nicht nur an die Mitglieder des Pools, sondern auch an Dritte in Lizenz vergeben wird. Von der GF-TT selbst werden Patentgemeinschaften nicht erfasst, weil sie oft multilateralen Charakter haben, die GF-TT jedoch nur für Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen gilt; jedenfalls aber

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es einerseits auf Art und Umfang der zusammengefassten Technologien an (ob »Komplementärtechnologien« oder »Substitutionstechnologien« bzw. »wesentliche« oder »nicht wesentliche« Technologien) 312 , andererseits aber auch auf die Bedingungen, unter denen die gemeinsame Drittlizenzvergabe erfolgen soll. Letztere wird von den Leitlinien unter ein Gebot der Gleichbehandlung von Poolmitgliedern und Dritten – also von internen und externen Lizenznehmern – gestellt. Ein Pool mit starker Marktstellung soll offen sein und Gleichbehandlung gewährleisten, d. h. es dürfen weder Exklusivlizenzen vergeben werden noch darf die Lizenzerteilung mit unterschiedlichen Bedingungen versehen werden.313 Beide Voraussetzungen hält die Kommission für notwendig, um eine Abschottung und andere Wirkungen auf nachgelagerten Märkten zu verhindern.314 Die Kriterien der Leitlinien dürften insoweit die Erfahrungen widerspiegeln, die die Kommission in jüngerer Zeit bei der Prüfung von Patentgemeinschaften gemacht hat, die den Zugang zu überbetrieblichen technologischen Industriestandards betrafen.315 Im speziellen Fall von Computerprogrammen sollte der gleiche Zugang von Wettbewerbern zu den Schnittstelleninformationen eines Programms eigentlich durch Art. 6 Computerprogramm-Richtlinie gesichert sein.316 Dazu werden zwar nicht die Schnittstellen als solche vom urheberrechtlichen Schutz ausgenommen, aber es wird durch das Recht zur Dekompilierung ein diskriminierungsfreies Zugangsregime zu den Schnittstelleninformationen geschaffen. Interoperabilitätsinformationen werden auf diese Weise gezielt als funktionales Gemeinschaftsgut ausgestaltet und einer Kontrolle des Schutzrechtsinhabers mit Hilfe seines Ausschließlichkeitsrechts entzogen. Dem Ansatz nach sollte also auch für den Fall, dass sich ein bestimmtes Programm als StandardTechnologie etwa für Betriebssysteme etabliert, ein freier und gleicher Zugang von Wettbewerbern, die funktionsäquivalente oder kompatible Programme herstellen wollen, zu den Schnittstelleninformationen des Schlüssel-Programms möglich sein.317 deswegen nicht, weil es sich um die Verwertung einer F&E-Kooperation durch gemeinsame Lizenzvergabe des Forschungsergebnisses handelt. Die GF-TT betrifft dagegen die Zusammenarbeit unmittelbar zur Herstellung eines konkreten Vertragsprodukts i. S. d. Art. 1 Abs. 1 lit. f GF-TT. 312 Zu diesen Unterscheidungen vgl. Leitlinien, aaO., Tz. 208 ff. 313 Vgl. Leitlinien, aaO., Tz. 217 und 219. 314 Vgl. Leitlinien, aaO., Tz. 219. 315 Vgl. die Einschätzung von Ullrich, in: FS Immenga, 403 (412) m. w. N. 316 Ausgehend von dem modularen Aufbau von Computersystemen und der notwendigen Interoperabilität zwischen den einzelnen Komponenten für das Funktionieren des komplexen Systems, hat die Vorschrift zum Ziel, die Verbindung aller Elemente eines Computersystems, auch solcher verschiedener Hersteller, zu ermöglichen. Vgl. Erwägungsgrund 22 der Computerprogramm-RL. 317 Läuft die Vorschrift faktisch oder durch gezieltes Handeln des Schutzrechtsinhabers leer, so können dem (marktbeherrschenden) Hersteller vom Kartellrecht positive Informati-

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Fehlt es an einer vorausschauenden Ökologie des Wissens und ist nicht hinreichend für bereichsspezifische Gemeinschaftsgüter der Wissensteilung gesorgt, so bekommt das Wettbewerbsrecht dies durch die Abschottung von Märkten zu spüren. Es muss dann selbst funktionale Gemeinschaftsgüter konstruieren und den Akteuren jene Selektionsautorität verschaffen, die es ihnen erlaubt, dezentral Wissen auf dem Beobachtungsfeld des abhängigen Marktes zu erzeugen. Damit die Akteure im wirtschaftlichen Wettbewerb handlungsfähig werden, müssen sie alternative Möglichkeiten haben, explizites Wissen mit implizitem zu rekombinieren und zwar bezogen auf die Entwicklung von Produkten für einen bestimmten Markt. Zugespitzt könnte man formulieren: Um Hüter des Wettbewerbs auf Innovationsmärkten zu sein, muss das Wettbewerbsrecht lernen, immaterialgüterrechtlich zu fragen. Hingegen läuft eine unmittelbare Orientierung der Auslegung des Immaterialgüterkartellrechts an Effizienzerwägungen Gefahr, die spezifischen Voraussetzungen zu übersehen, denen die Erzeugung von Immaterialgütern im Wettbewerb unterliegt.318 Diese Voraussetzungen liegen in der gleichen Möglichkeit zum alternativen Handeln. Nur durch die hierüber erzeugte Vielfalt der Beobachtung auf Handlungsfeldern besteht die Chance zur Innovation.

onspfl ichten auferlegt werden und für die Effektivität der verlangten Zugangsfreiheit hinsichtlich der Schnittstelleninformationen sorgen. 318 Die Bindung des Art. 82 EG an eine ökonomische Analyse, die Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht gleichermaßen auf das Effizienz-Ziel verpfl ichtet, ist wie jede andere unmittelbare Festlegung von Freiheitsrechten auf das Effizienz-Ziel zu kritisieren mit Behrens, Ökonomische Grundlagen des Rechts, 139 und 154.

§ 4 Netzwerk als Institution der Wissensteilung: Open Source Software-Projekte

Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, das Netzwerk als eigenständige Institution der Wissensteilung und damit als eigenständige Beobachtungsform neben Markt und Unternehmen zu betrachten. Als Beispiel dienen Projekte zur Entwicklung von Open Source Software, die als Netzwerke zwischen Entwicklern rekonstruiert werden können.1 Anstatt solche Projekte mit Hilfe der Transaktionskostenanalyse als Ausdruck einer effizienteren Allokation vorhandener Ressourcen zu beschreiben, sollen sie vorliegend als wissensgenerierende Institution eigenen Typs in den Blick rücken.

I. Weder Markt noch Organisation »Free Software« oder »Open Source Software« (OSS) bezeichnet Software, deren Source Code offen gelegt ist und die von jedermann frei genutzt werden kann. Darin unterscheidet sie sich von herkömmlicher proprietärer Software, deren Nutzungsberechtigung vom Urheber am Markt erworben werden muss und die auch dann nur im (für Menschen unlesbaren) Objektcode zugänglich gemacht wird. OSS invertiert die hinter dem proprietären Modell stehenden Annahmen und versucht stattdessen Kreativität und Produktivität durch den freien Zugang zu bestehenden Werken und Wissen zu befördern. 2 Nach der

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Als Entwickler bzw. Produzenten können nicht nur die eigentlichen Programmierer angesehen werden, sondern auch die beteiligten aktiven Nutzer der Programme, die durch Feedback bei der Entwicklung des Programms selbst und durch Fehlersuche (»de-bugging«) an der Produktion teilnehmen. Zum Zusammenwirken von Entwicklern/Produzenten und Nutzern in OSS-Projekten vgl. Jullien/Zimmermann, New Approaches, 14. Hier spiegelt sich die generelle Tendenz einer Auflösung der Grenzen zwischen Experten und Laien, wie sie in der Wissensökonomie zu beobachten ist, vgl. dazu Amin/Cohendet, Architectures of Knowledge, xiv. Ausführlich zur Bedeutung von Nutzern für innovatorische Produktionsprozesse siehe v. Hippel, Democratizing Innovation, passim, bei dem sich eine Auflösung der Dichotomie Produzent/Nutzer abzeichnet. 2 Auf die Entstehungsgeschichte von F/OSS kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu etwa den Überblick bei Schulz, Dezentrale Softwareentwicklung, Rn. 230 ff.

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ursprünglichen Konzeption von Freier Software sollen dem Nutzer von Software vier Freiheiten garantiert sein: 3 – The freedom to run the program, for any purpose. – The freedom to study how the program works, and to adapt it to your own needs. – The freedom to redistribute copies. – The freedom to improve the program, and release your improvements to the public, so that the whole community benefits. Im Sinne dieser inhaltlichen Nutzungsfreiheiten ist die Konnotation des »frei« in Freier Software zu verstehen.4 Die spätere Etablierung des Begriffs »open source« neben bzw. anstelle von »free software« markiert zwar mehr als eine nur geänderte Terminologie, 5 aber auch in der quasi-offiziellen »open source«Definition6 bilden die genannten Freiheiten der Nutzer den Kern. Als fertiges Produkt betrachtet, unterscheiden sich OS-Programme nicht von üblichen »proprietären« (»closed«) Computerprogrammen. In beiden Fällen wird dem Nutzer eine bestimmte Funktionalität der Datenverarbeitung zur Verfügung gestellt. Das Proprium von OSS liegt auf einer anderen Ebene: Die genannten Nutzerfreiheiten ermöglichen ein Modell dezentraler Softwareentwicklung und -verbreitung. 7 Der Vertrieb ist »autodistributiv«, weil jeder Erwerber der Software wiederum zum Anbieter der Software werden kann. 8 Zugleich ist jedermann die Weiterentwicklung der Software gestattet und durch den uneingeschränkten Zugang zum Quellcode auch effektiv möglich.9 Oftmals entsteht OSS nicht als Werk eines einzelnen Programmierers, sondern im Rahmen der projektbezogenen Kollaboration einer Vielzahl von Entwicklern/Produzenten unter Einschluss sogar der späteren Nutzer. Und selbst wenn zunächst nur eine Einzelleistung vorliegt, können Dritte die betreffende 3

Vgl. Stallman, Free Software Defi nition, in: ders., Free Software, Free Society (Selected Essays), 41 (»A program is free software if users have all of these freedoms«). 4 Vgl. Stallman, aaO. (»›Free software‹ is a matter of liberty, not price. To understand the concept, you should think of ›free‹ as in ›free speech‹, not as in ›free beer‹«). 5 Übersichtliche Darstellung bei Weber, Success, 113–116. 6 Open Source Initiative (OSI), The Open Source Defi nition (vgl. http://www.opensource.org/docs/defi nition.php). 7 Hervorhebung der Dezentralität von Vertrieb und Entwickung vor allem bei Schulz, Dezentrale Softwareentwicklung, Rn. 517 ff. 8 OSS ist nicht nur eine alternative Form der Entwicklung von Software, sondern auch eine alternative Form ihres Vertriebs, wie sich etwa in Ziff. 7 GPL ausdrückt (»this section has the sole purpose of protecting the integrity of the free software distribution system, which is implemented by public license practices«). 9 Zum Verhältnis zwischen Entwicklungs- und Vermarktungsmodell vgl. etwa Schulz, Dezentrale Softwareentwicklung, Rn. 303; Heussen, MMR 2004, 445 (450); Koch, CR 2000, 271 (280), 333 (335); Weber, in: FS Honsell, 41 (44). – Im Folgenden steht der Aspekt der dezentralen Entwicklung im Vordergrund.

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§ 4 Netzwerk als Institution der Wissensteilung: OSS-Projekte

OSS in der Folgezeit modifizieren und weiterentwickeln. Die Anzahl der in einem Projekt zusammenwirkenden Akteure kann dabei teils erhebliche Ausmaße erreichen (so etwa im Flaggschiff-Projekt des Betriebssystems »Linux«). Insgesamt vereinigen die auf Grundlage allein der GNU General Public License (GPL) durchgeführten OSS-Projekte die Arbeitskraft von mehr als fünf Millionen Programmiererstunden pro Woche, so dass die GPL-Entwicklergemeinschaft – wäre sie ein Unternehmen – der größte Softwareproduzent der Welt wäre den und selbst Microsoft um einiges übertreffen würde.10 Tatsächlich jedoch existiert ein solches Unternehmen nicht. Die an einem bestimmten OSS-Projekt Beteiligten sind über die ganze Welt verstreut und kooperieren auf einer ad hoc-Basis. Es gibt keine formalen Mitgliedschaften und keine formalen Hierarchien. Stattdessen herrscht eine hohe Volatilität der Beteiligung.11 Das führt unmittelbar zu der Frage, in welcher institutionellen Form sich die Interaktion in OSS-Projekten vollzieht. Diese Frage soll im Folgenden auf eine Weise untersucht werden, die zugleich deutlich macht, wo die prinzipiellen Grenzen herkömmlicher Institutionen bei der Produktion von komplexen Wissensgütern liegen. Daraus ergeben sich Kriterien für eine Institutionenwahl unter dem Aspekt der Wissensteilung (und nicht aufgrund von Transaktionskosten). 1. Nicht Markt Damit der Markt die Koordination des Verhaltens der Beteiligten übernehmen könnte, müsste zunächst gewährleistet sein, dass dem jeweiligen Beitrag ein in einem Preis ausgedrückter Wert zugewiesen werden kann. Das wiederum setzt die Möglichkeit voraus, dass die Nutzungsvorteile aus dem Beitrag von seinem Entwickler internalisiert werden können. Genau diese Möglichkeit besteht in OSS-Projekten jedoch nicht, weil die eigentumsrechtliche Ausschließungsbefugnis nicht greift. Zwar erlangt der Entwickler für seinen Programm-Beitrag ein Urheberrecht. Dieses wird jedoch in den Lizenzbedingungen, unter denen eine Nutzung gestellt wird, entscheidend modifiziert. Nach Ziff. 1 Abs. 1 GPL12 gestattet der Urheber den Nutzern kostenlos13 die Vervielfältigung und Verbreitung von unverändertem Quellcode, nach Ziff. 2 10 Vgl. Moglen, Synergy 5 (2006), 10. Dabei macht der Anteil der Projekte unter der GPL etwa 70% der insgesamt existierenden OSS-Projekte aus, vgl. Lerner/Tirole, The Scope of Open Source Licensing, Harvard Business School Working Paper (2002). 11 Vgl. McGowan, University of Illinois Law Review (2001), 241 (253). 12 Die Ausführungen im Text beziehen sich auf Version 2 der GPL von 1991. Am 29. 6. 2007 wurde eine Version 3 veröffentlicht. Beide Versionen sind abrufbar unter http://www. gnu.org. 13 Die Rechte zum Vertrieb sind lizenzgebührenfrei, argumentum e Ziff. 2b GPL. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob für die Dienstleistung der Weiterverbreitung Entgelt verlangt werden kann. Dies ist durchaus möglich, vgl. Präambel GPL Abs. 2 (»you have the freedom to distribute copies of free software (and charge for this service if you wish)«) und

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gestattet er die Bearbeitung des Programms sowie die Vervielfältigung und Verbreitung der veränderten Version. Durch diese »öffentliche« Einräumung eines einfachen Nutzungsrechts14 kann der Urheber die Vorteile der Nutzung seines Programms nicht appropriieren. Ihm fehlt schlicht die Ausschließungsbefugnis15 – jedenfalls dann, wenn sich die Nutzer entsprechend den Lizenzbestimmungen der GPL verhalten. Ist dies nicht der Fall, verlieren sie gemäß Ziff. 4 GPL »automatisch« das Nutzungsrecht aus der GPL, dessen Einräumung als nach § 158 Abs. 2 BGB auflösend bedingt angesehen wird.16 Diese »Wehrhaftigkeit« der GPL17 dient jedoch nur der Durchsetzung ihres Regelungsgehalts, in dessen Zentrum gerade die Gewährleistung der freien Nutzung des ihr unterstellten Programms durch Dritte steht. Durch diese unorthodoxe Instrumentalisierung des Schutzrechts wird der einzelne ProgrammBeitrag als Gemeinschaftsgut konstituiert.18 Abgesehen von der prinzipiell fehlenden Steuerungsfähigkeit des Marktes in Bezug auf die Nutzung von Gütern, die gezielt als öffentliche Güter konstruiert werden, erscheint der Markt überdies als wenig geeignet, die sich konkret bei OSS-Projekten stellende Aufgabe der Handlungskoordination zu übernehmen. Das hängt einerseits mit der Art des zu entwickelnden Produktes und andererseits mit der Art der erforderlichen Hauptressource zusammen. Anspruchsvolle Computerprogramme sind integrierte, in sich jedoch komplexe »Systemprodukte«, die aus unterschiedlichen Teilmodulen aufgebaut sind.19 Diese Teile stehen in funktionaler Abhängigkeit zueinander. Dementsprechend müssen die verschiedenen Einzelbeiträge miteinander abgestimmt und zusammengeführt werden. Hingegen koordiniert der Markt isolierte, nicht miteinZiff. 1 Abs. 2 GPL (»You may charge a fee for the physical act of transferring a copy«). Vorliegend entscheidend ist jedoch, dass das Recht zur Verbreitung entgeltfrei eingeräumt wird. 14 Nach deutschem Recht handelt es sich bei der »Lizenz« GPL um die vertragliche Einräumung eines einfachen Nutzungsrechts vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, § 69c Rn. 38; Spindler, Rechtsfragen OSS, VSI-Gutachten, 27 m. w. N. Genauer zum Abschluss des Vertrages bei der zunächst nur als Angebot an jedermann vorliegenden GPL vgl. unten § 4 III 3 a. 15 Es liegt kein »Verzicht« des Urhebers auf seine Rechte vor (vgl. dazu Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 69c Rn. 74 m. w. N.), sondern nach der hier vertretenen Auffassung vielmehr eine durch die Verwendung der GPL bewirkte »Dezentralisierung« seiner Rechte. Vgl. unten § 4 III 2. 16 Der automatische Rechterückfall nach Ziff. 4 benachteiligt den Vertragspartner des GPL-Verwenders nicht unangemessen, insbesondere liegt keine Umgehung des § 31 Abs. 1 Satz 2 UrhG vor, vgl. LG München, MMR 2004, 693 (695). Die dogmatische Rekonstruktion von Ziff. 4 GPL ist jedoch kontrovers, vgl. die ausführliche Diskussion bei Spindler, Rechtsfragen, Kap. C Rn. 28 ff. 17 Vgl. ifrOSS-GPL, Ziff. 4 Rn. 2. 18 Näher unten III 4. 19 Der Umstand, dass das komplexe Gesamtprogramm aus unterschiedlichen Modulen aufgebaut ist, ergibt sich zunächst aus technischen Gründen (Funktionseinheiten) und ist nicht schon Folge des modularen Organisationsstruktur des OSS-Projektes.

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ander zusammenhängende Wirtschaftspläne, die die Individualakteure je für sich verfolgen. Diese Unabhängigkeit der Wirtschaftspläne voneinander ist die Voraussetzung dafür, dass der Markt eine Ressource ihrer effizientesten Verwendung zuführen kann. Deswegen verlangt etwa das Kartellrecht im »Selbständigkeitspostulat«, dass jeder Unternehmer sein Verhalten auf dem Markt in voller Selbständigkeit, d. h. autonom zu bestimmen hat. 20 Es soll gerade verhindert werden, dass sich die Ungewissheit über das zukünftige Verhalten anderer Marktteilnehmer verringert. 21 Andererseits kann diejenige Form der Ungewissheit, zu deren Reduzierung Märkte beitragen sollen, nämlich die Ungewissheit über die nützlichste Verwendung einer Ressource, vorliegend nicht angemessen abgespannt werden. Zur Produktion von Software sind – ähnlich wie bei der Hervorbringung anderer Wissensgüter – im Wesentlichen drei Arten von Ressourcen als Input erforderlich: existierendes Wissen, physische Medien für Wahrnehmung und Kommunikation sowie menschliche Kognition/Kreativität. 22 Da die Kosten für Zugang zu existierendem expliziten Wissen – jedenfalls innerhalb von OSS-Projekten und des dahinter stehenden eigentumsrechtlichen Paradigmas – in den Hintergrund treten und auch die Kosten für die Mediennutzung in den heute zur Verfügung stehenden Datennetzen vergleichsweise gering sind, avanciert menschliche Kognition/Kreativität zur Schlüsselressource. Nun ist jedoch die Ressource »kreative menschliche Aktivität« schwierig zu standardisieren und zu spezifizieren, was jedoch notwendig wäre, damit vermittels der Preise hinreichend mitteilungsreiche und genaue Informationen über die alternativen Verwendungsmöglichkeiten der Ressource übertragen werden könnten. Das führt auf den tieferen Grund, warum der Markt als Koordinationsinstrument in OSS-Projekten ungeeignet ist: Sowohl die einzusetzende Ressource als auch das herzustellende Produkt sind von einer Komplexität, die mit dem begrenzten Informationsgehalt von Preisen nicht angemessen abgearbeitet werden kann. Preise erteilen demjenigen, der vor der Entscheidung über die Verwendung einer Ressource steht, lediglich darüber Auskunft, was für Güter wie dringend gebraucht werden. In der abgekürzt kodierten Form lassen sich nur relative Knappheitsverhältnisse kommunizieren. 23 Dadurch kommt es zu einem sehr hohen Informationsverlust. Es werden kommunikativ mögliche 20

Vgl. etwa EuGH, Slg. 1993 I-1307, Tz. 59 ff. – Zellstoff. Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rn. 20. 22 Als Input für die kulturelle Produktion nennt Benkler, The Wealth of Networks, 52: »existing information and culture«, »the mechanical means of sensing our environment, processing it, and communicating new information goods«, »human communicative capacity – the creativity, experience, and cultural awareness necessary to take from the universe of existing information and cultural resources and turn them into new insights, symbols, or representations meaningful to others with whom we converse«. 23 Zur Informationsfunktion von Preisen vgl. ausführlicher oben § 2 I 1 a. 21

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Bindungen gekappt. Genau das ist zwar Bedingung für die Ausdifferenzierung eines besonderen Funktionssystems für Wirtschaft. Denn durch die hochselektive Kommunikation wird andererseits eben auch ein Informationsgewinn möglich. 24 Indem die Marktteilnehmer jetzt beobachten können, wie andere den Markt beobachten, ist das System in der Lage, die (für die Erfüllung seiner Funktion) erforderliche Eigenkomplexität auszubilden. Jedoch bleibt die aus Sicht des Wirtschaftssystems essentielle Informationsreduktion hinter den Anforderungen zurück, die an die Koordination komplexer Wissensfragmente im Rahmen technologischer Entwicklung gestellt werden. 25 Für die Identifizierung des zum Projekt »passenden« und vom Projekt benötigten primären Umweltwissens verschiedener Individuen und für die Integration einzelner auf seiner Grundlage geschaffener Programmsequenzen zu einer komplexen Einheit mit eigener Funktion reicht das in isolierten Transaktionen – interaktionslos – generierte Koordinationswissen (sekundäres Umweltwissen der Akteure) nicht aus. 26 Um ein komplexeres Koordinationswissen zu erzeugen, bedarf es stabilerer Formen der Kooperation. 2. Nicht Unternehmen Eine solche stabilere Institution der Kooperation ist das Unternehmen. Weil es eine längerfristige Verbindung kognitiver Ressourcen und eine Koordination komplexerer Handlungssequenzen ermöglicht, scheint es geeigneter, das Problem der Koordination interdependenter Wissensbeiträge abzuspannen. Zur Diskussion wird an die Ausführungen oben § 2 II 2 angeknüpft und gezielt vertieft. Anders als auf Märkten, in denen sich Parteien mit gegensätzlichen Interessen in zügig abgewickelten Leistungsbeziehungen (»sharp-in/sharp-out«Transaktionen) gegenüberstehen, ist in Unternehmen die Arbeitskraft/Kreativität einer Mehrzahl von Individualakteuren über langfristige »relationale« Verträge an die Dispositionsbefugnis eines zentralen Akteurs gebunden. Dieser korporative Akteur ist durch organisatorische Regelungen verfasst, die Handlungs- und Verfügungsrechte über menschliche Arbeitskraft und über vorhandene Ressourcen innerhalb des Unternehmens zuordnen. Um die spezifischen Vorteile der Existenz einer zentralen Stelle bei der Koordination verteilten Wissens zu Produktionszwecken hervortreten zu lassen, ist zunächst auf das Vertragsmodell des Unternehmens zurückzugreifen. Danach schließen die Träger verschiedener Inputs eines Team-Produktionspro24

Vgl. Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, 18. Vgl. Weber, Success, 232. 26 Bei Luhmann, Wirtschaft der Gesellschaft, 95 heißt es über die Beobachtung am Markt mit Hilfe der Preise: »Damit kann man unter Umständen weit sehen, aber im Einzelfalle nicht sehr komplex.« 25

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jekts anstatt multilateraler Verträge untereinander jeweils nur einen bilateralen Vertrag mit einer gemeinsamen zentralen Partei. Auf diese Weise erlangt die Zentralpartei Kenntnis von den unterschiedlichsten Eigenschaften der Inputträger und ihrer Ressourcen, über ihre Talente und Spezialisierungen. Auf dieser Grundlage können überlegenere, »informiertere« Entscheidungen über die effiziente und produktive Kombination der heterogenen Ressourcen getroffen werden. Nach den analytischen, streng vertragsrechtlich basierten Annahmen des Modells wird dieses besondere Wissen der Zentralpartei durch deren Recht wirksam, die Verträge über jeden Input unabhängig von den Verträgen mit den anderen Inputeigentümern neu zu verhandeln. Als Folge des Informationsflusses zur zentralen Vertragspartei nimmt das Unternehmen so den Charakter eines Marktes mit hoher »directive efficiency« an, der den Beteiligten reichhaltigeres Wissen über die produktiven Eigenschaften einer Menge an spezifischen Inputs vermitteln kann. »Better recombinations or new uses of resources can be more efficiently ascertained than by the conventional search through the general market.«27 Der interessante Aspekt, der von dieser Betrachtung des Unternehmens als Organisation gemeinschaftlicher Produktion beigesteuert wird, ist die Beschreibung der Zentralpartei als einer Art »clearing«-Stelle für komplexeres Wissen über die Inputfaktoren und ihren kombinierten Gebrauch. Im und durch das Unternehmen kommt es zu einer Repartitionierung von Eigentumsrechten. Dabei werden die zunächst umfassenden Eigentumsrechte der Ressourceneigentümer in spezifischer Weise »zerlegt« und neu kombiniert. 28 Im Idealfall würde diese Re-Spezifizierung gemäß den Imperativen des jeweiligen Produktionsprojekts erfolgen, d. h. vorliegend entsprechend den technologischen Anforderungen von komplexen Softwareprogrammen mit funktionalen Untereinheiten. Indessen vermag die Verwendung der Unternehmensform dieses Ideal einer Allokation von Ressourcen in der Teamproduktion gemäß der inneren Logik der Wissensteilung bei der technologischen Entwicklung kaum einzulösen. 29 Das hat mehrere Gründe. Gerade wenn man das Unternehmen als eine Vielzahl von aufeinander bezogenen Verträgen (»network of contracts«) modelliert, müssen natürlich jene Limitationen in Rechnung gestellt werden, die einer Ressourcenallokation durch Property Rights grundsätzlich anhaften. Durch die Rekonstruktion des Unternehmens als eine Art privater Markt bleibt es bei der Geltung des Transaktionsparadigmas und den gleichen Grundinstrumenten wie bei konventio27

Alchian/Demsetz, American Economic Review 62 (1972), 777 (795). Vgl. Behrens, Grundlagen, 311. 29 Mit dieser Aussage soll natürlich nicht bestritten werden, dass eine erfolgreiche Produktion von Software durch Unternehmen möglich ist. Vielmehr geht es darum, die inneren Grenzen der einzelnen Institutionen der Wissensteilung zu beschreiben, die hier zudem idealtypisch vorgestellt werden. 28

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nellen öffentlichen Märkten, nämlich Eigentum und Vertrag. Beide verlangen eine Vergegenständlichung (Objektifizierung) der erfassten Ressourcen. Geht es um menschliche Fähigkeiten und Talente, fällt eine Identifizierung und entsprechende Standardisierung jedoch schwer und ist mit einem erheblichen »Informationsverlust« verbunden. Die relative Überlegenheit des Unternehmens gegenüber dem Markt bei der Zusammenführung der eingebrachten Ressourcen bleibt dann begrenzt, weil bereits die eingebrachten Informationen in ihrem Mitteilungsgehalt begrenzt sind. Doch auch wenn man dieses Defizit beiseite lässt und eine hinreichende Spezifizierung der Wissensressourcen für den Moment als gegeben unterstellt, zeigen sich Schwierigkeiten bei der Koordination der Wissensfragmente in und durch die Organisation. Denn unabhängig vom vertretenen Unternehmensmodell entpuppt sich der entscheidende Vorteil gegenüber dem Markt – das Vorhandensein einer Zentralpartei – seinerseits als eine spezifische Begrenzung bei der Wissenskoordination. Alles kommt jetzt darauf an, dass die Zentrale das ihr zugänglich gemachte Wissen in die »richtigen« Entscheidungen über die interne Zuteilung der zur Verfügung stehenden Ressourcen und die Strukturierung der Arbeitsabläufe zu übersetzen vermag.30 Begreift man die Funktion der Organisation als die Reduzierung der Unsicherheit der Inputträger über den Einsatz ihrer Ressourcen, so ist die Funktion der Unsicherheitsabsorption also bei der Zentrale oder – in der Formulierung des klassischen Bürokratie-Modells der Organisation – bei der hierarchischen Spitze der Organisation konzentriert. Das Operieren der Organisation mit einer zentralen Schnittstelle zu ihrer Umwelt geht jedoch an den Bedingungen für moderne Produktionsplanungen komplexerer Art vorbei. Diese stehen in so vielen verschiedenen und komplexen Umwelten, die beobachtet werden müssen, dass eine Zentralisierung des notwendigen Wissens ausgeschlossen erscheint. Zugespitzt lässt sich die Frage aufwerfen, »ob eine Hierarchie, die für den Transport bindender Weisungen von oben nach unten taugt, sich zugleich dazu eignet, im selben Kanal das dazu notwendige Umweltwissen . . . von unten nach oben zu transportieren«.31 Daher spricht viel für eine »Heterarchisierung« der Rezeptionsfunktion im Unternehmen, etwa durch die schrittweise Konkretisierung der Planung in verschiedenen Unterabteilungen der Organisation. Realistischere Beschreibungen des Unternehmens (und in der Praxis voraussichtlich erfolgreichere Formen der Unternehmensführung) hätten jedenfalls davon auszugehen, dass das Wissen in einer Organisation nicht in den Köpfen von Managern zu lokalisieren 30 Gefolgt wird hier der Sichtweise, die das Unternehmen als Reproduktionszusammenhang rekursiver Entscheidungen sieht. Auch beim Vertragsmodell kommt es zu einer einseitigen Abhängigkeit vom Wissen der Zentralpartei, auf dessen klugen Gebrauch die Gesamtheit der Inputträger dann nur noch hoffen kann. 31 Luhmann, Organisation und Entscheidung, 211 f.

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ist, sondern in einem ihr eigentümlichen Set von Routinen, die bestimmen, welche Information der Umwelt die Organisation für bedeutsam hält und wie sie darauf reagiert.32 Durch diese Routinen können sich (durchaus abteilungsübergreifend) »epistemic communities« im Unternehmen bilden, die fremdreferentiell beobachten und somit andere Funktionssysteme und deren Systemwissen (wie etwa das der Wissenschaft) im Unternehmen repräsentieren. Dieser wissenschaftliche Diskurs im Unternehmen wird jedoch über-determiniert vom wirtschaftlichen, repräsentiert durch die Unternehmensleitung, der (angeleitet durch die spezielle Beobachtung der Umwelt am Markt) das Unternehmen intern oft anders (»effizient«) organisiert, als es den Erfordernissen des Wissenschaftsdiskurses entsprechen würde. Das Unternehmen kann also in der Tat als eine »komplexe Institution« aufgefasst werden, 33 und zwar nach der hier vertretenen Ansicht als komplexe Institution der Wissensteilung, in der sich verschiedene Diskurse mitsamt ihren unterschiedlichen Praktiken der Wissensteilung kreuzen. Die Herausforderung für die Unternehmensführung besteht dann darin, unter Berücksichtigung der verschiedenen Perspektiven der Umweltbeobachtung so zu entscheiden, dass der Gewinn bei der Teilnahme am Wirtschaftssystem maximiert wird. Dazu müsste freilich anerkannt werden, dass die Koordination von verteilten Wissensfragmenten und Kompetenzen in der Firma anderen Regeln folgt als die Durchführung von Transaktionen.34 An dieser Stelle reicht die Feststellung aus, dass die Form der Organisation für die Strukturierung der Teamproduktion von Software ebenso viele Probleme löst, wie sie neue aufwirft. Der Grund für die Ambivalenz liegt in der Schaffung fester Systemgrenzen. Es entsteht ein abgegrenzter Interaktionsraum, innerhalb dessen die eingebrachten Ressourcen freier kombiniert (und damit produktiver genutzt) werden können als außerhalb.35 Damit dies geschehen kann, unterstellen die Inputträger ihre Dispositionsbefugnis über die eigene Ressource einem Zentrum.36 Dieses kann organisationsspezifisches Wissen bilden, mit dem ein produktiverer Einsatz der Ressourcen möglich ist (bessere Entscheidungskoordination). Gleichzeitig wird der Einsatz des jeweiligen In32

Dazu, dass diese Routinen gleichsam auf einer intermediären Ebene zwischen der individuellen Ebene der Mitglieder und der kollektiven Ebene der Organisation in sog. »epistemic communities« entstehen, in denen Wissen erzeugt, getestet und verändert wird, siehe Amin/Cohendet, Architectures of Knowledge, 74. 33 So die Beschreibung bei Behrens, Grundlagen, 308 ff. 34 In diesem Sinne wäre mit Amin/Cohendet, Architectures of Knowledge, 37 von einer »dual structure of governance« in Unternehmen zu sprechen. 35 Noch einmal Alchian/Demsetz, American Economic Review 62 (1972), 777 (793): »In other words, opportunities for profitable team production by inputs already within the firm may be ascertained more economically and accurately than for resources outside the firm«. (Hervorhebung hinzugefügt). 36 Die Ressourcenträger »verlieren« ihre Dispositionsbefugnis beim Eintritt.

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puts aber eben auch abhängig von und gebunden an das Wissen und Entscheiden des Zentrums. Organisationen können unter Aktualisierung ihres Systemgedächtnisses nur durch wenige autorisierte Stellen in die Umwelt »ausgreifen«, d. h. mit anderen sozialen Systemen in ihrer Umwelt kommunizieren. Die spezifische Begrenzung der Organisationsform besteht darin, dass die Umwelt ein Mehr an komplexeren anderen Kommunikationen und Informationen bietet, als durch die kanalisierte Umweltrezeption der zur Entscheidung befugten Stellen aufgenommen werden kann. Es ergibt sich daher folgendes Dilemma: Die Inputträger bleiben wichtige Stellen der Generierung von für die Produktion notwendigem Umweltwissen, verlieren aber ihre Dispositionsbefugnis über den Gebrauch dieses Wissens in der Produktion; das Zentrum gewinnt die Dispositionsbefugnis, ist in seiner Rezeptionsfähigkeit für Umweltwissen jedoch eingeschränkt. Die Konzentration auf den Aufbau eines Wissens für die Nutzung der Ressourcen innerhalb der Organisation wird erkauft mit dem Verlust der Vorteile einer dezentralen (autonomen) Nutzung des Wissens der Inputträger. Anders gesagt, schafft die Grenzziehung einen gemeinsamen Wissensraum/Ressourcenpool, innerhalb dessen ein komplexeres Koordinationswissen entstehen kann; es wird eine Rekombination und Integration komplexer Wissensfragmente der Individuen möglich. Gleichzeitig ist jedoch die Strukturierung dieses Wissensraumes – die Verfügung über seine Nutzung – einem Zentrum überlassen, während den Einzelnen als den Trägern von Umweltwissen – den »Enden« – jene Nutzungsfreiheit fehlt. Aus dieser Perspektive wird die Grenzziehung selbst zum Probelm: »[the firm] creates a boundary around the set of available agents and the set of available resources that limits the information available about what other agents could have done with these same resources or what else these agents could have done with other resources.«37 Wenn folglich die zur Produktion von komplexen Wissensgütern erforderliche Wissensteilung gleichsam über die Grenzen eines Organisationssystems und seines Entscheidungszusammenhanges »hinausstrebt«, verwundert es kaum, dass OSS-Projekte nicht die Form von Organisationen annehmen. Sie kennen keine formale Mitgliedschaft. Weisungsmöglichkeiten fehlen, die Beiträge sind freiwillig. Hierarchien können auch nicht auf der Drohung aufgebaut werden, dass ein Projektbeteiligter von der Nutzung des im Rahmen des Projekts entwickelten Codes ausgeschlossen werden könnte, da die Lizenzbedingungen der GPL jedem den Zugang diskriminierungsfrei eröffnen.38 Das schließt es freilich nicht aus, dass Hierarchie nicht doch eine Rolle bei der Strukturierung von OSS-Projekten spielt. Das hängt damit zusammen, dass in einem OSS-Projekt die Aufgabe der Integration der Beiträge in irgend einer 37 38

Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (411). Vgl. Ziff. 1 Abs. 1, Ziff. 2 lit. b, Ziff. 3 GPL.

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Form gelöst werden muss. Dazu kann – gerade in größeren Projekten mit vielen hundert Beteiligten wie bei Linux oder Apache – innerhalb der Entwicklergemeinschaft eine Art Stufenverhältnis installiert werden (»leader«, »trusted lieutenants«, »pool of developers«, »open-source community«). Aber Hierarchien sind in diesen Fällen – und das ist entscheidend – nicht Ausdruck der Verfügungsbefugnis über Eigentum, sondern Ausdruck einer notwendigen »Moderation« multilateraler Kommunikationsbeiträge. Die Träger von integrativen Aufgaben in OSS-Projekten sind keine Manager, die Weisungsrechte ausüben, die ihnen von einer Organisationsverfassung zugewiesen und im Interesse eines Residualeigentümers ausgeübt werden. In OSS-Projekten sind Hierarchien eher als Variablen zu begreifen, die mit abnehmender Größe des Projekts oder seiner Teile in den Hintergrund treten. Auch existieren durchaus funktionale Äquivalente für das Zusammenlaufen der Bewertungskompetenz bei einzelnen herausgehobenen Moderatoren.39 In jedem Fall handelt es sich bei den »Hierarchien« in OSS-Projekten eher um eine Form von »prozeduraler Autorität«, 40 die sich aus dem Projekt heraus bildet und entwickelt, und nicht etwa um die Wahrnehmung abgeleiteter Kontrollbefugnisse. Es soll also nicht die Existenz von hierarchischen Elementen in der Strukturierung von OSS-Projekten bestritten werden. Anders als für die Form der Unternehmensorganisation kommt ihnen jedoch kein zentraler Erklärungswert zu. Anders als dort entscheiden Hierarchien nicht über die Grenzen eines Systems, in ihnen wird weder über Inputs disponiert noch über die Verwendung des gemeinschaftlich produzierten Outputs. Die entscheidenden Neuerungen, um die OSS-Projekte das Tableau der Institutionen bereichern, lassen sich mit einer Analyse hierarchischer Elemente nicht erfassen. 3. OSS-Projekte als »drittes Produktionsmodell« Angesichts der Schwierigkeiten, OSS-Projekte eindeutig als markt- oder organisationsvermittelte produktive Koordination von Wissensfragmenten zu rekonstruieren, liegt es nahe, eine angemessenere Beschreibung auf einem eigenständigen »dritten Weg« zu versuchen. Am konsequentesten ist das in Benklers Charakterisierung von OSS-Projekten als »commons based peer production« geschehen.41 Danach sind diese 39 So kann die Integrationsfunktion von »Moderatoren« der Diskussion ihrerseits für den peer review geöffnet werden, indem eine Rückkoppelung der Beurteilung der Beiträge an die Beitragenden stattfi ndet (»peer review of the peer reviewers«). Vgl. Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (442). 40 Vgl. auch Amin/Cohendet, Architectures of Knowledge, 84 (»the procedural authority guides the process of knowledge creation and accumulation at the community level, rewarding the ›good‹ contributions and discarding the ›bad‹ ones«). 41 Grundlegend die Arbeiten von Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369; Science 2004, 1110; The Wealth of Networks.

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Projekte Ausdruck eines »dritten Produktionsmodells«, das eigenständig neben Markt und Hierarchie trete.42 Der Grund für sein Entstehen wird im Raster des von Coase entwickelten Theorierahmens an komparativen Transaktionskostenvorteilen festgemacht. So soll das neue Produktionsmodell vergleichsweise niedrigere »information opportunity costs« aufweisen. Gemeint sind Kosten, die durch die Unsicherheit über alternative Verwendungsmöglichkeiten menschlicher Fähigkeiten im Rahmen von gemeinschaftlicher Produktion entstehen.43 Angesichts einer Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen – die in gegenseitiger Abhängigkeit von den Handlungsmöglichkeiten anderer Personen und den gegebenen sachlichen Ressourcen stehen – sind die Akteure der Frage ausgesetzt, wer welche Aufgabe übernehmen soll; es gilt, für eine Aufgabe die »richtige«, d. h. mit den zur Aufgabenerfüllung am besten geeigneten Fähigkeiten ausgestattete Person zu fi nden. Dazu benötigen die Akteure Informationen (Signale) aus ihrer Umwelt. Diese werden herkömmlicher Weise durch den Markt oder durch Unternehmenshierarchien bereitgestellt, die insofern als »information-processing systems« im Sinne von Unsicherheit reduzierenden Mechanismen begriffen werden können.44 Die angesprochene Einschränkung von Markt und Unternehmen bei der Informationsverarbeitung bezüglich der Ressource »kreative menschliche Aktivität« gilt jedoch nicht für die Peer-Produktion. Deren komparative Vorteile zeigen sich genau hier – bei der Ermittlung und Weiterleitung von Informationen über Fähigkeiten von Personen, den Eigenschaften der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und den entsprechenden Nutzungsmöglichkeiten. Denn sie leistet ein dezentrales Prozessieren der erforderlichen Informationen und ermöglicht so die Selbst-Identifizierung der für eine (frei gewählte) Aufgabe am besten geeigneten Personen.45 Neben diese Informationsgewinne bei der Identifizierung von Humanressourcen treten zusätzlich Allokationsgewinne in Form von Skalenvorteilen: im Vergleich zu Unternehmen und Markt erlaubt Peer-Produktion einer größeren Gruppe von Akteuren eine größere Gruppe von Ressourcen im Hinblick auf eine größere Anzahl von einbringungsfähigen (Teil-)Projekten abzusuchen: »The variability in talent and other idiosyncratic characteristics of individuals suggests that any given resource will be more or less productively used 42

Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (375). Vgl. Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (408). 44 Vgl. Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (408), der den Begriff der Information hier ausdrücklich im Sinne der Reduktion von Unsicherheit verstanden wissen will. »Perfekte Information« wäre danach der Zustand, in dem Unsicherheit in Bezug auf eine Handlung prinzipiell nicht weiter reduziert werden könnte. Dieser Zustand lässt sich nicht erreichen. Es kann deshalb nur darum gehen, die fortdauernde Unsicherheit abzuspannen. In den unterschiedlichen Formen der Organisation von Produktion geschieht dies auf unterschiedliche Weise. 45 Vgl. Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (376, 414). 43

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by any given individual and that the overall productivity of a set of agents and a set of resources will increase when the size of the sets increases toward completely unbounded availability of all agents to all resources for all projects.«46 Dass nach diesem Vorschlag OSS-Projekte als eine sich von Markt und Unternehmen in spezifischer Weise unterscheidende und in bestimmter Hinsicht überlegene Weise der Informationsverarbeitung erscheinen, kommt der hier verfolgten Absicht entgegen, solche Projekte als Ausdruck einer eigenständigen Form der Wissensteilung zu interpretieren. Dafür kann das Raster der Transaktionskostenanalyse jedoch nur eine Starthilfe geben. Im Fortgang erscheint es fruchtbarer, die in ihr angelegte Überwindung der Fokussierung des methodologischen Individualismus auf die Rationalität des einzelnen Akteurs47 mit Hilfe des systemtheoretischen Instrumentariums zu explizieren und die kollektiv produzierten Voraussetzungen des Zusammenwirkens in OSS-Projekten direkt zu adressieren. Das wird deutlich am Begriff der »information opportunity costs« und seiner Verwendung. Mit seiner Hilfe taxiert Benkler die unterschiedlichen Kapazitäten von Markt und Unternehmen als »Informationsprozesse«, die Unsicherheit über den Einsatz von Humanressourcen bei Produktionsprojekten zu absorbieren. Aus systemtheoretischer Sicht ist damit nichts anderes als die Funktion des Wirtschaftssystems und ihrer organisierten Teilsysteme beschrieben. In Reformulierung von Hayeks Einsichten über die Nutzung fremden Wissens lautet die eigentlich interessante Frage, wie in diesen Systemen ein Wissen erzeugt wird, das dann den einzelnen »partizipierenden« Umweltsystemen bei der Entscheidungsorientierung zur Verfügung steht. Welcher Art ist das transindividuell erzeugte Wissen und wie wird es kommuniziert? Die gleiche Frage ist jetzt für OSS-Projekte zu stellen. Diese können dann nicht einfach als Mechanismen zur Allokation vorhandener Wissensfragmente begriffen werden, 48 sondern stellen sich als wissensgenerierende Institutionen eigenen Typs – nämlich als Netzwerke – dar.

46

Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (415 f.) (Hervorhebung hinzugefügt). Prinzipiell wird mit dem Konzept der Transaktionskosten die richtige Ebene gewählt: Mit der Erkenntnis, dass die Herbeiführung von Entscheidungen nicht kostenlos ist, sondern Informationen bedarf, die irgendwo in der Gesellschaft unter Kosten erzeugt werden müssen, verschiebt sich die Analyse von der einzelnen Entscheidung hin zu ihren kollektiv produzierten Voraussetzungen. Im Rahmen einer Transaktionskostenanalyse wären daher »kollektive Entscheidungsmechanismen als Informationsverarbeitungssysteme« zu betrachten (so bei Behrens, Grundlagen, 108). 48 Vgl. noch einmal Benkler, Yale Law Journal 112 (2002), 369 (375): »It has particular advantages as an information process for identifying and allocating human creativity available to work on information and cultural resources.« 47

II. Sozialstruktur des Netzwerks

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II. Sozialstruktur des Netzwerks Vorstehend wurde die soziale Struktur von OSS-Projekten negativ abgegrenzt. Weder Markt noch Unternehmen vermögen eine Form der Wissensteilung bereitzustellen, mit der sich die technologische Entwicklungsdynamik in OSSProjekten befriedigend erklären lässt. Blickt man hingegen umgekehrt von den OSS-Projekten aus gesehen auf die bekannten Institutionen, bilden also die Projekte die Referenzperspektive und schreibt man ihnen die Qualität einer eigenen institutionellen Form zu, so erscheint dieses Weder-Noch vielmehr als ein Sowohl-als-Auch: Im Folgenden ist zu zeigen, dass OSS-Projekte die Entscheidungslogik des Marktes (unabhängig/dezentral) kombinieren mit der Erzeugung von Kooperationsvorteilen und Synergieeffekten aus der Poolung von Wissen (ökonomisch gesprochen »Kooperationsrenten«), wie sie sonst nur innerhalb des Unternehmens entstehen und genutzt werden können. So wie auf Märkten suchen die Entwickler in OSS-Projekten unabhängig voneinander nach Lösungen. Der epistemischen Funktion von Märkten im Wirtschaftssystem vergleichbar, findet durch die einzelnen Entwickler (als »partizipierenden« Bewusstseinssystemen) eine dezentrale Umweltbeobachtung statt. In parallelen Bemühungen werden die einzelnen Programm-Komponenten dezentral weiterentwickelt. So wie in Unternehmen können die Beteiligten dabei jedoch auf Pool-Ressourcen zurückgreifen. Das gelingt durch die gezielte Konstruktion von Gemeinschaftsgütern. Die Anschlussfähigkeit des expliziten Wissens wird erhöht, indem die – nach den Funktionserfordernissen des Wirtschaftssystems gestaltete – Konfiguration des Schutzrechts verändert und den Erfordernissen technikwissenschaftlicher Kommunikation angepasst wird. Gleichzeitig kommt es zwischen den Beteiligten zu einer im Vergleich zum Markt erheblich anspruchsvolleren sozialen Interaktion. Anders als mittels des de-luingifizierten Geldcodes kommunizieren die Beteiligten jetzt in einer normalen Sprache, so dass die Mitteilungen sehr viel komplexer werden können. Der Gewinn an Komplexität geht jedoch nicht auf Kosten der Möglichkeit, über den Bereich persönlicher Kontakte hinaus zu beobachten (»Weitsehen«, wie es mit Preisen möglich ist). Das liegt an den Eigenschaften des konkret eingesetzten Verbreitungsmediums, dem Internet. Durch die Verwendung von »mailing lists«, »newsgroups« und softwarebasierten Kollaborationsplattformen können die Beteiligten dezentral kommunizieren und a-synchron auf gemeinsame Wissensbestände zugreifen. Insofern geht die Kommunikation im Rahmen von OSS-Projekten über das hinaus, was in anwesenheitsbasierten Interaktionssystemen möglich ist. 49 Es kommt zu einer Verschriftlichung der 49

Zum modus operandi von Interaktionssystemen vgl. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 812 ff.

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§ 4 Netzwerk als Institution der Wissensteilung: OSS-Projekte

projektbezogenen Diskussionen in Texten, die öffentlich jedem zugänglich sind, und zwar zu jeder Zeit und von jedem Ort. Auf diese Weise macht sich das Projekt unabhängig von der Erinnerungsfähigkeit des Einzelnen.50 Die Dokumentation und Archivierung der projektbezogenen Kommunikation führt vielmehr zum Aufbau eines System- oder besser: Projekt-Gedächtnisses.51 Die Existenz eines eigenständigen transindividuellen Projektgedächtnisses bedeutet aber nicht, dass man das Projekt automatisch als eine formale Organisation ansehen müsste. Ebenso wenig passen aber die kooperativen Elemente der Interaktion in OSS-Projekten in das Bild von Handlungseinheiten, die sich auf Märkten unabhängig gegenüberstehen. In dieser Situation bietet es sich an, zur Beschreibung der sozialen Struktur von OSS-Projekten auf den Begriff des »Netzwerks« zurückzugreifen. Denn der Begriff des Netzwerks, wie er sich der soziologischen Netzwerktheorie entnehmen lässt, erlaubt es, die Gleichzeitigkeit von autonomer/individueller und heteronomer/kollektiver Handlungsorientierung bei der sozialen Strukturbildung zu denken. Er nimmt seinen Ausgangspunkt bei Individualakteuren als »Knoten« (oder »Enden«) des Netzes und fragt erst in einem zweiten Schritt nach den Modifikationen, die sich für die Individualorientierung durch die angenommene Vernetzung ergeben. Gerade die systemtheoretisch inspirierte Variante der Netzwerktheorie besteht darauf, dass soziale Netzwerke primär Strukturen der Verknüpfung von Handlungseinheiten (Personen, Organisationen) darstellen und sich trotz aller Vergemeinschaftungstendenzen in letzter Instanz auf das eigenständige Handlungs-, Entscheidungs- und Reflexionspotenzial der vernetzten Individualakteure stützen.52 Danach bilden Netze gerade keine kollektiven Entscheidungseinheiten – jedenfalls nicht von vornherein und nicht ohne das Hinzutreten besonderer Voraussetzungen –, sondern sind bloße Verknüpfungen von dezentralen Entscheidungszentren. 53 Wenn man also das autonome Entscheidungszentrum zum Ausgangspunkt wählt, konzentriert sich alles auf die Frage nach dem Proprium der Vernetzung. Weil Vernetzungsphänomene in unterschiedlichen sozialen Bereichen auftreten, nämlich zwischen autonomen Funktionssystemen, zwischen formalen Organisationen, zwischen autonomen internationalen Rechtsregimes54 – und sich innerhalb dieser Grosseinteilungen noch einmal verschiedene Netzwerkformen differenzieren lassen –, 55 wird man bei dieser Bestimmung der 50 Das Verhältnis von systemeigenem Gedächtnis von Organisationen (sic!) und dem individuellen Gedächtnis der Teilnehmer beschreibt Luhmann, Organisation und Entscheidung, 154 und 418. 51 Vgl. auch Morner, in: Bakken/Hernes, Autopoietic Organization Theory, 259 (267 f.) 52 Vgl. Teubner, Netzwerk, 36 (mit Fn. 44). 53 Vgl. Teubner, Netzwerk, 88. 54 Typologie bei Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 59. 55 So lassen sich Unternehmensnetzwerke nach Teubner, Netzwerk, 49 ff. wie folgt diffe-

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Vernetzungscharakteristika fallweise vorgehen und die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigen müssen. Dennoch lässt sich eine Kennzeichnung dessen herausschälen, was die Vernetzung von an sich unabhängigen Einheiten ausmacht. Als Kennzeichen der Kooperation in Netzwerken ist eine eigentümliche »Simultanpräsenz von Individual- und Gemeinschaftszwecken«56 erkennbar, in der das eigene Interesse gerade durch die Förderung des Interesses der anderen gefördert wird: »[the] basic assumption of network relationships is that one party is dependent on the resources controlled by another, and that there are gains to be had by the pooling of resources. In essence, the parties to a network agree to forego the right to pursue their own interests at the expense of others.«57 Das Proprium der Vernetzung liegt dann darin, dass sich zwischen den Individualakteuren eine spontane Ordnung herausbildet, deren Grundprinzip die generalisierte Reziprozität ist.58 Statt von einer »spontanen Ordnung« im Sinne Hayeks kann man beim Netzwerk auch von einem »frei gebildeten Sozialsystem«59 sprechen, sofern die Netzwerkkommunikation eine klare Grenze und eine eigene rekursiv verwendete Geschichte erzeugt. 60 Tatsächlich sind OSS-Projekte von einer bestimmten Form der Reziprozität getragen. Das wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass OSS als eine Antwort auf den Konflikt zwischen Erster und Zweiter Entwicklergeneration bzw. auf das zu Grunde liegende Dilemma der Proprietisierung von Information/ Wissen interpretiert werden kann. Nicht nur sind im modularen Binnenzusammenhang die einzelnen Komponenten-Entwickler darauf angewiesen, freien Zugang zu den jeweils anderen Modulen zu haben. Darüber hinaus können die Rollen von Produzent und Nutzer von Software im nächsten Moment wechseln. Die Produzenten sind gleichzeitig Nutzer anderer Programm(teile), oder anders ausgedrückt: die Produzenten von heute sind die Nutzer von morgen, und die Nutzer von heute sind die Produzenten von morgen. Die Gefahr des Hold-up bei eigenen Projekten, wie sie durch die unvorhersehbare Ausübung exklusiver Nutzungsrechte entsteht, wird so umgangen. Ein erheblicher Teil der – wegen der fehlenden direkten finanziellen Anreizwirkung vermeintlich rätselhaften – Motivation der Entwickler, der »Profit« ihrer Beteiligung, besteht darin, später freien Zugang zum Endprodukt zu haben, das vermittels der vier erwähnten Freiheiten als Gemeinschaftsgut konstruiert ist. 61 Die Berenzieren: Innovationsnetzwerke, Zulieferernetze, Produzentennetzwerke, Vertriebsnetzwerke, Kundennetzwerke und Wertschöpfungsnetzwerke. 56 Diese Kennzeichnung verwendet Teubner, Netzwerk, 86 f. 57 Powell, Research in Organizational Behavior 12 (1990), 295 (303). 58 Vgl. im Anschluss an Powell u. a. Teubner, Netzwerk, 18 f. m. w. N. und 133; FischerLescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 62. 59 Ausdruck bei Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 813. 60 Vgl. Luhmann, Organisation und Entscheidung, 408. Das ist in langfristig angelegten OSS-Projekten wie Linux oder Apache durchaus der Fall. 61 Vgl. auch Jullien/Zimmermann, New Approaches, 13 f.

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§ 4 Netzwerk als Institution der Wissensteilung: OSS-Projekte

teiligten handeln in dem Bewusstsein, auf beiden Seiten einer Lizenz stehen zu können: »most developers who participate in OS expect to be on both sides of a license – that is, acting at different times as a licensor and licensee.« 62 In Anbetracht der speziellen Nutzungsumgebung hat man allen Anlass zu der Vermutung, sich hinter dem Rawlsschen Schleier des Nichtwissens in einer Doppelrolle wiederzufinden. Dadurch kommt es zu einer eigentümlichen Verschiebung der Interessen im Vergleich zur Konkurrenz auf Märkten, auf denen der Einzelne in einer bestimmten Rolle seinen Nutzen in einem bestimmten Moment zu maximieren sucht. Die Einräumung nutzerseitiger Freiheiten durch den Entwickler unter einer OSS-Lizenz ist damit Ausdruck einer besonderen Form der Reziprozität. 63 Es besteht keine direkte Reziprozität gegenüber einer konkreten anderen Partei wie in dyadischen Tauschverhältnissen, vielmehr soll eine »Erwiderung« der Einräumung freier Nutzungsmöglichkeit zugunsten und gegenüber den unbestimmten Teilnehmern eines offenen Entwicklungs-Netzwerks stattfinden. Eine angemessenere Beschreibung muss sich daher an Mustern von Reziprozität in Mehrpersonenbeziehungen orientieren, die sich gegenüber der dyadischen Reziprozität dadurch auszeichnen, dass der Gegenseitigkeitsnexus gelockert ist. 64 Am schwächsten ist die Erwartung einer Kausalität von Gabe und Gegengabe bei der generalisierten Reziprozität, weil nicht nur Zeit und Ort der Erwiderung unspezifiziert bleiben, sondern auch die Person des Erwidernden ungewiss ist. Die Motivation des Gebenden wird hier durch die Erwartung einer möglichen »Reversibilität der Lagen« gebildet. Eine solche tatsächliche Umkehrung der Rollen ist in genau definierten und begrenzten Gruppen in der Tat nicht unwahrscheinlich. Auch hieran fehlt es jedoch bei der Verbreitung von Software unter OS-Lizenzen, weil Netzwerke keine festen Grenzen besitzen. Vielmehr beginnt die Konstituierung und Erhaltung des Öffentlichen, in die Präferenzen des Einzelnen einzugehen. 65 Bei der Freigabe des Codes handelt der Einzelne nicht (allein) »für sich« und nicht »für einen anderen«, sondern »für alle« – zumindest dann, wenn sichergestellt ist, dass andere dies auch tun. Wenn es also eine Erwartungshaltung auf Seiten des Urhebers des Ursprungsprogramms gibt, nach der seine Gabe eine Gegengabe zu seinen Gunsten veranlassen soll, so ist sie eine indirekte dergestalt, dass durch die gemein62

Weber, Success, 179. In der von der Sozialanthropologie um Mauss und Malinowski erschlossenen Ursprungsbedeutung besagt Reziprozität zunächst nichts weiter, als dass empfangene Leistungen zu erwidern sind. Vgl. Köndgen, Selbstbindung, 242, m. w. N. 64 Zur Reziprozität in Mehrpersonenverhältnissen vgl. Köndgen, Selbstbindung, 248 ff. 65 Empirische Nachweise für den freiwilligen Beitrag von Individualakteuren zur Erzeugung von öffentlichen Gütern liefern Frey/Meier, Pro-Social Behavior, Reciprocity or Both?, Arbeitspapier, Universität Zürich (2002). 63

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same Erweiterung der Sphäre der Gemeinschaftsgüter auch die private Nutzenfunktion erhöht wird. Das Eigeninteresse nimmt also gleichsam einen Umweg über die Öffentlichkeit. Es handelt sich mithin um eine Art »abstrakte Reziprozität«. 66 Diese ist primär nicht auf die Verwirklichung eines gemeinsamen konkreten Projekts gerichtet, sondern vielmehr auf die dauernde Offenhaltung des Zugangs zum Quellcode und des darin kristallisierten Programmierwissens. Inhalt der Reziprozität ist die Schaffung freier An- und Verknüpfungsmöglichkeiten von programmiertechnischen Wissensbeständen. Die Einhaltung der Reziprozität soll die Integrität eines Prozesses sicherstellen und nicht die Legitimität eines bestimmten Ergebnisses verbürgen (wie in bilateralen Tauschverträgen). Die Geltung der abstrakten Reziprozität des »Freigebens«, die im Moment ihrer Vornahme als einseitige »Vorleistung« erscheint, dient der Erzeugung und jederzeitigen Erweiterbarkeit eines Wissensraumes. Dadurch wird der dezentralen Wissenserzeugung eine Form der Zeitbindung bereitgestellt, wie sie sonst nur durch die Organisation zu haben ist. Anders als bei der Organisation wird der Gebrauch des gemeinsam erzeugten Wissens aber nicht gleichzeitig begrenzt durch die hochselektive Umweltbeobachtung einer Spitze, sondern steht uneingeschränkt dem betreffenden systemischen Diskurs zur Verfügung (hier also der angewandten Informatik). Zu einer ausdrücklichen Einforderung dieser Reziprozität vom späteren Nutzer/Entwickler kommt es freilich durch die »copyleft«-Klausel der GPL. Nach Ziff. 2 lit. b dieser Lizenz muss derjenige, der die betreffende Software oder einen Teil davon verändert und das so veränderte Programm weitergibt oder veröffentlicht, die entstandene Software selbst unter der GPL lizenzieren. 67 In der Funktion vergleichbar mit einem »nondistribution constraint«, wie er von Nonprofit-Organisationen bekannt ist, 68 wird auf diese Weise die private Appropriierung der kollektiv produzierten Software verhindert und eine Art »Konservierung« der Zugangsfreiheit bewirkt. Würde die ursprüngliche Software einfach in den Bereich der Gemeinfreiheit entlassen, könnte 66 Man könnte auch von »diffuse reciprocity« sprechen, ein Ausdruck, der sich bei Weber, Success, 150 fi ndet. Aus dem eigentümlich diffusen Charakter der Gegenleistung resultiert im übrigen auch die Schwierigkeit, die GNU-GPL im US-Recht als Lizenzvertrag zu konstruieren, da es an einer »consideration« im üblichen Sinne fehlt. 67 Die Free Software Foundation gibt folgende Defi nition des Copyleft: »Copyleft is a general method for making a program free software and requiring all modified and extended versions of the program to be free software as well.« (vgl. http://www.fsf.org/copyleft/copyleft.html). Unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten näher zur Copyleft-Klausel unten III. 68 Dort fehlen die Residualeigentümer, so dass die Verfügungsberechtigten keinen Anreiz haben, die Aktivitäten der Organisation zur Steigerung eigenen Profits und auf Kosten des gemeinnützigen Zwecks zu lenken. Vgl. Franck/Jungwirth, Journal of Management and Governance, 7 (2003), 401 (411 ff.) im Anschluss an Hansmann, Yale Law Journal 89 (1980), 835. Siehe auch Osterloh/Rota/Kuster, in: Open-Source-Jahrbuch 2004 (Gewährleistung, dass niemand die freiwilligen Beiträge in seinen Privatbesitz überführt).

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man sich dieses Codes bedienen, um auf ihm aufbauend ein neues Programm zu schreiben und es proprietär zu vertreiben – mit der Folge, dass andere kreative Nutzer des Ursprungsprogramms nicht mehr die gleichen Nutzungsfreiheiten genießen würden, wie sie der Entwickler des Ursprungsprogramms zulassen wollte und wie sie der Entwickler der geschützten Version ja auch tatsächlich in Anspruch genommen hatte. Bedeutung gewinnt die Klausel deshalb vor allem dann, wenn die Software außerhalb der OSS-Entwicklergemeinschaft genutzt werden soll und man nicht mehr darauf vertrauen kann, dass unter den Beteiligten ein stillschweigender Konsens – ein impliziter Sozialkontrakt – über jene abstrakte bzw. »inter-generationale« Reziprozität bei der Einräumung von Nutzungsfreiheit besteht. Die Logik der wechselseitigen freien Zugänglichmachung der ProgrammModule im Netzwerk wird nicht getrieben von einem diffusen Altruismus der Beteiligten. Es ist eher die technikwissenschaftliche Entwicklungslogik der Software-Projekte selbst, die beginnt, Regie zu führen, wenn sie von den Fesseln diskreter Nutzungszuweisungen an Wissensfragmenten befreit ist. Entscheidet sich ein Entwickler seinen Beitrag unter eine OSS-Lizenz zu stellen, beginnt diese Logik zu greifen: es sind jetzt nicht mehr die Prärogativen des Entwicklers als Eigentümer geschützt, sondern die Prärogativen/Freiheiten der Nutzer69 – und durch deren verteiltes Wissen hindurch kann sich die Eigenlogik des technologischen Diskurses entfalten. Die Autorschaft geht jetzt gleichsam auf das Projekt selbst über, das freilich nur durch die Knoten des Netzwerks kreativ tätig werden kann und dabei durch das kollektive Projektgedächtnis abgestützt wird.70 Das Netzwerk stellt sich damit als eine eigenständige Form der Strukturation von Kooperation dar. Ohne darauf beschränkt zu sein, eignet sich die Institution des Netzwerks offenbar besonders zur Durchführung komplexer technologischer Projekte. Das bestätigt Annahmen über das Verhältnis der Formen rationaler Praxis und ihrer organisierten Verfolgung. Nach einer bekannten Hypothese von Conway wird die Entwicklung komplexer technischer Systeme durch Organisationen begrenzt durch die kommunikativen Strukturen in der jeweiligen Organisation. 71 Anders gesagt, spiegelt sich nach »Conway’s Law« in der Struktur eines technischen Systems – in seinem Design 69 Also den Entwicklern der Folgegeneration. Treffend Weber, Success, 84: »The principal goal of the OS intellectual property regime is to maximize the ongoing use and development of free software. To achieve that goal, this regime shifts the fundamental optic of IP rights away from protecting the prerogatives of an author toward protecting the prerogatives of generations of users.« (Hervorhebung hinzugefügt). 70 In Bezug auf die Organisation großer kollaborativer Experiment-Projekte in der Wissenschaft (insbesondere der Hochenergiephysik) fi ndet sich der Gedanke, dass der einzelne Wissenschaftler Teil eines verteilten Netzwerks wird und die Autorschaft auf das Experiment übergeht, bei Knorr Cetina, Wissenskulturen, 237. 71 Conway, How Do Committees Invent?, Datamation 14 (1968), 28 (»organizations

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– die Struktur der produzierenden Organisation. Damit wird keinem blinden Determinismus des technologischen durch das organisationelle Design das Wort geredet. Vielmehr ist behauptet, dass die Möglichkeiten fachspezifischer Diskurse der Mitglieder innerhalb der Organisation wesentlich von den Anschlussfreiheiten und -zwängen der Organisation als Kommunikationssystem eigener Art gesetzt werden. 72 Weil aber letztlich die technologische Entwicklung nicht von der Organisation bestimmt werden, sondern diese jene erleichtern soll, wurde daraus die Folgerung gezogen, dass man von der technologischen Architektur her über eine dazu »passende« Organisationsstruktur nachzudenken habe. 73 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann die Netzwerkstruktur von OSS-Projekten als das Ergebnis der Ko-Evolution von technologischen und organisationellen Strukturen aufgefasst werden. Netzwerke überwinden die spezifischen Limitierungen der Kommunikation und Wissensnutzung in der formalen Organisation. Ihre institutionelle Besonderheit besteht darin, eine dezentrale Nutzung gemeinsam erzeugter Wissensbestände durch Individualakteure zu ermöglichen. 74 Tatsächlich hat man es aber sogar mit einem Terzett von ko-evoluierenden Sozialsystemen bzw. spontanen Ordnungen zu tun. Denn es ist das Rechtssystem, das – gegebenenfalls über innovative Veränderung eigener Strukturen – darüber entscheidet, ob und wie jene Ko-Evolution von Technologie und Projekt-Netzwerk stabilisiert wird.75

III. Rechtliche Verfassung des Netzwerks 1. Die Neuausrichtung von Schutzrechten Im Mittelpunkt der rechtlichen Verfassung von OSS-Projekten steht die Schaffung und Gewährleistung von Freiheiten für die Nutzer von Software. Dazu wird das Eigentumsrecht auf Seiten des Entwicklers der betreffenden Software which design systems (in the broad sense used here) are constrained to produce designs which are copies of the communication structures of these organizations«). 72 Eine der grundlegenden Arbeiten ist Parnas, On the Criteria to Be Used in Decomposing Systems into Modules, ACM Communications 15(12) (1972), 1053, der ein technisches Software-Modul als »responsibility assignment« re-interpretiert. 73 Vgl. Weber, Success, 86. 74 Vgl. auch Amin/Cohendet, Architectures of Knowledge, 84, die den neuen Modus der Wissensproduktion in den von ihnen als »epistemic community« betrachteten OSS-Projekten so beschreiben: »Indeed, the knowledge created is no longer individual oriented. Instead the knowledge is now voluntarily put outside the individual and made both explicit and available to all members of the community.« 75 Grundlegend zum komplexen Prozess der Ko-Evolution von Sozialbereichen und entsprechenden Teilrechtsordnungen vgl. Amstutz, Evolutorisches Wirtschaftsrecht, 290 ff.

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mit Hilfe von Lizenzen inhaltlich auf eine Weise ausgestaltet, die zugunsten der Nutzer erheblich von den gesetzlich vorgesehenen Schranken der Schutzrechte für Software abweicht. Im Ergebnis entstehen privatautonom formulierte Zugangsregeln, die die für technologische Innovation besonders produktive Form der Wissensteilung im Netzwerk ermöglichen und so die Problematik der Angewiesenheit auf fremdes Eigentum in einem abgesteckten Kontext einer gesellschaftlichen »horizontalen« Lösung zuführen. Es handelt sich um eine weitere Erscheinung der auch auf anderen Gebieten zu beobachtenden Ausdifferenzierung von Rechtsregimes im Umgang mit Ausschnitten ihrer gesellschaftlichen und natürlichen Umwelten. 76 Das bestehende gesetzliche Regime des Immaterialgüterrechts will sicherstellen, dass der Schaffende die Vorteile aus der Nutzung des Schutzgegenstandes appropriieren kann. Die Funktion des Eigentums besteht in der Internalisierung von positiven Nutzungsexternalitäten. Der Eigentümer kann die Nutzung des Schutzgegenstandes durch Dritte exklusiv kontrollieren. Demgegenüber kommt es durch die Einräumung weit reichender Nutzerfreiheiten in den verschiedenen OS-Lizenzen zu einer Trennung von Eigentum und Kontrolle. Während im klassischen Modell der Lizenzierung der Eigentümer einem bestimmten Lizenznehmer das Recht zur Nutzung der Software (usus) nur mit vielfältigen Einschränkungen gestattet und die Erlaubnis zur Veränderung (abusus) regelmäßig fehlt, bilden genau diese Befugnisse den Gegenstand der im Falle von OS-Lizenzen dem Nutzer eingeräumten einfachen Lizenz; lediglich das Recht zur Weiterlizenzierung bleibt allein dem Rechtsinhaber vorbehalten (vgl. Ziff. 6 GPL). Die Schwierigkeiten, auf die ein solcher Einsatz des Schutzrechts bei seiner Einpassung in das Eigentums- und Vertragsrecht stößt, resultieren aus der funktionalen Neuausrichtung der Ausübung rechtlich geschützter Autonomie: die Inanspruchnahme vertraglicher und urheberrechtlicher Kompetenzen erfolgt nicht wie sonst mit Referenz auf das Wirtschaftssystem, sondern orientiert sich an der Idee der »freien Rede«. Der Gebrauch von OS-Lizenzen versucht, die Voraussetzungen für eine nicht der (wirtschaftlich veranlassten) Limitierung des Mediengebrauchs unterliegende Mobilisierung von Einzelwissen und eine freie Anschlussfähigkeit von Kommunikationen – eine freie Informationsverarbeitung 77 – in anderen Sozialsystemen wirksam herzustellen. Entsprechend der speziellen thematischen Ausrichtung von Kommunikationen im 76

Spezielle Rechtsregime lassen sich verstehen als die systeminterne Wiederholung der Differenz von Rechtssystem und seinen gesellschaftlichen Umwelten. Das unterstreichen Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 40 für die im Völkerrecht zu beobachtende Fragmentierung in sektorielle regulatorische Rechtsregimes und 41 ff. für globale Privatregimes. 77 Zum Zusammenhang zwischen Anschlussfähigkeit und Information vgl. Luhmann, Organisation und Entscheidung, 56 f.

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Netzwerk von Programmentwicklern kann sich die Logik des informationstechnologischen Diskurses entfalten. 78 2. Das normative Modell der GPL Nach dem Modell der GPL erlangt der Nutzer die Vertriebs- und Entwicklungsrechte an der Software durch Abschluss eines Lizenzvertrages. Mit der Unterstellung und Erstverbreitung seines Programms unter der GPL will der Entwickler jedermann die Nutzung seines Programms zu den in der Lizenz genannten vorformulierten Bedingungen gestatten. Der Lizenzvertrag wird konkludent geschlossen, wenn ein Nutzer zustimmungsbedürftige Handlungen (Verbreitung, Bearbeitung) mit der Software vornimmt (vgl. Ziff. 5 GPL).79 Vertragspartner des Nutzers ist dabei immer der Urheber des betreffenden Programms (vgl. noch einmal Ziff. 6 GPL). Dieses Modell der Direktlizenzierung soll sicherstellen, dass jedermann die Rechte aus der Lizenz ohne Einschränkungen unmittelbar vom Rechtsinhaber erwirbt und dieser sich bei der Durchsetzung der Pflichten aus der GPL nicht auf Dritte verlassen muss, die möglicherweise andere, eigene Interessen verfolgen. 80 Demgegenüber hätte das alternativ denkbare Modell einer Kette von Sublizenzierungen (»Nutzungskette«) 81 zwar den Charme gehabt, dass sich die Einräumung der Rechte zum Vertrieb ebenso dezentral vollzogen hätte wie der Vertrieb der Software selbst, aber es bestünde dann der Nachteil, dass ein Fehler irgendwo in der Lizenzkette auf die folgenden Glieder der Kette durchschlagen würde. Die Direktlizenzierung führt im Ergebnis dazu, dass der Nutzer eines bearbeiteten oder erweiterten Programms gleichzeitig Lizenzverträge mit mehreren Urhebern hat, die zudem – im Falle von Bearbeitungen – ihrerseits untereinander verbunden sind. Dass der Nutzer dabei auch im Verhältnis zu den Urhebern der Bearbeitung die gleichen Rechte genießt wie in Bezug auf das Ursprungsprogramm, verdankt sich der beschriebenen Copyleft-Klausel der Ziff. 2 GPL, die den Bear78 Der Bewegung der Freien Software kommt durchaus die Rolle einer gesellschaftlichen Avantgarde zu: denn auch andere systemische Diskurse profitieren von der freien Nutzbarkeit von Software oder beginnen sogar, das Modell zu übernehmen und für den eigenen Kontext zu übertragen (»open content« in der Wissenschaft, Literatur und bildenden Kunst). 79 Wenn man die Software nur ablaufen lassen will (schlichte Programmnutzung), bedarf es keines GPL-Lizenzvertrages. Hier schliesst der Nutzer lediglich ein Geschäft über die Weitergabe der Software, wobei Vertragspartner jeder sein kann, der die Software vertreibt, insbesondere also die bisherigen Lizenznehmer. Die zum Ablaufen erforderlichen Rechte besitzt der Nutzer bereits wegen § 69d Abs. 1 UrhG. Vgl. ifrOSS-GPL, Ziff. 0 Rn. 20; differenzierend jedoch Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 69d Rn. 2 und Rn. 12 (zum sog. abredefesten Kern von § 69 d Abs. 1 UrhG, der sich aus Erwägungsgrund 17 der Computerprogramm-RL ergibt). 80 Vgl. ifrOSS-GPL, Ziff. 6 Rn. 4. 81 Vgl. Omsels, in: FS Hertin, 141 ff.; Plaß, GRUR 2002, 670 (676).

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beiter verpflichtet, seinen eigenen Beiträge 82 ebenfalls diskriminierungsfrei jedem (»to all third parties«) zu den Bedingungen der GPL zu lizenzieren. Durch diesen »viralen Effekt« werden sowohl der Charakter als »öffentliche«, von jedem Nutzer erlangbare Lizenz als auch die in ihr gewährten Freiheiten auf Dauer gestellt. Die urheber- bzw. eigentumsrechtlichen Nutzungsbefugnisse werden zugunsten einer unbestimmten Nutzeröffentlichkeit dezentralisiert. Dieses Modell einer Dezentralisierung von Nutzungsrechten erweist sich im Ergebnis als mit dem Gesetz kompatibel. Wie schon bei der kartellrechtlichen Schaffung von Zugangsrechten zu Immaterialgütern nach europäischem Recht zu beobachten, werden dabei freilich die Grenzen bekannter dogmatischer Figuren erreicht. Grund hierfür ist in erster Linie der eigentümliche »twist«, den die traditionelle Eigentumsfunktion erfährt, wenn ein Werk einer öffentlichen Lizenz unterstellt wird. Während die Grundidee von Ausschließlichkeitsrechten darin besteht, einen Schutz der Appropriierbarkeit von Nutzungsvorteilen zu gewähren, soll mit Hilfe öffentlicher Lizenzen wie der GNU-GPL gerade ein Schutz vor Appropriierbarkeit der Nutzungsvorteile eines Werkes erreicht werden. So gesehen, bedient sich das OSS-Modell zwar des traditionellen Immaterialgüterrechts als Mittel, richtet es aber funktional neu aus. Dass eine solche funktionale Umpolung sich nicht ohne dogmatische Schwierigkeiten durchführen lässt, ist klar. Ebenso klar ist aber, dass das Ziel dieser Umpolung sich durchaus mit dem innovationsfördernden Zweck des gesetzlichen Urheberrechts trifft, diesen jedoch durch die Stabilisierung einer speziellen Form der Wissensteilung zu erreichen sucht: ermöglicht und gefördert werden soll die innovative (Weiter-)Entwicklung von komplexen Wissensgütern im Netzwerk und gerade nicht über den Markt. 3. Vereinbarkeit des Lizenzmodells mit dem Gesetz a. Öffentliche Selbstbindung Bereits das Zustandekommen der Nutzungsrechtseinräumung ist untypisch. Indem der Urheber sein Programm unter der GPL veröffentlicht, gibt er ein Angebot an jedermann über die Einräumung eines einfachen Nutzungsrechts (vgl. § 31 Abs. 2 UrhG) ab. 83 Unter der herrschenden individualistischen Vorstellung der Kommunikation von Willenserklärungen, wie sie nachhaltig von 82 Ziff. 2b GPL umfasst: »any work . . ., that in whole or in part contains or is derived from the Program«. 83 Auch wenn man davon ausgeht, dass die Bedingungen der GPL keine schuldrechtliche Verbindung zwischen den Beteiligten herstellen, sondern lediglich die Grenzen des Rechts beschreiben, über das rein dinglich verfügt wird (wie Heussen, MMR 2004, 445, 447 f. annimmt), muss zwischen den Beteiligten ein Vertrag zustande kommen.

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Savigny dem deutschen Recht eingeprägt wurde, wird man davon ausgehen müssen, dass es sich insoweit um eine Offerte ad incertam personam handelt. 84 Während im 19. Jahrhundert die Zulässigkeit von Angeboten an unbestimmte Adressaten umstritten war, 85 behilft sich die spätere Dogmatik unter dem Druck einer immer mehr entgrenzten Marktöffentlichkeit und in Auseinandersetzung mit dem Bestimmtheitserfordernis mit eben jener Konstruktion, hinter der freilich stets die Vorstellung lebendig bleibt, letztlich werde nur eine einzige Person adressiert und nur deren Identität sei noch offen. 86 Ein solches Konzept der Spezialität des Adressaten als Begriffsmerkmal von Willenserklärungen taugt nicht mehr für anonyme Öffentlichkeiten, wie sie mit modernen Kommunikationsformen (allen voran durch das Internet) geschaffen werden. Im Grundsatz kann es keinen Unterschied machen, ob eine Willenserklärung an einen individuellen Empfänger oder an das Publikum als Kollektiv adressiert wird. 87 Die häufig vertretene Einschränkung der Zulässigkeit auf Alltagsgeschäfte 88 greift daher systematisch zu kurz. In diese Kategorie der Geschäfte würde die Einräumung urheberrechtlicher Befugnisse auch kaum fallen, ebenso wenig wie dies öffentliche Patronatserklärungen89 oder Prospekte mit verbindlichem Angebot zum Abschluss eines Gesellschaftsvertrages über eine Publikums-KG 90 tun, die zu Recht für zulässig gehalten werden. Für das Lizenzmodell der GPL ist die Möglichkeit eines solchen Angebots an das Publikum freilich konstitutiv. Erst durch die diskriminierungsfreie Zugangseröffnung gegenüber der Allgemeinheit wird die erstrebte Programmnutzungsmöglichkeit durch einen unbeschränkten (»grenzen-losen«) Nutzerkreis bewirkt. Und erst durch die Bindung des Urhebers an sein öffentliches Angebot wird sein Programm zum Gemeinschaftsgut.91 Nachdem eine Pro84 So übereinstimmend die Literatur zu OS-Lizenzen, vgl. etwa Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 177; Sester, CR 2000, 797 (804) (mit Abgrenzung zur invitatio ad offerendum); Schulz, Dezentrale Entwicklung, Rn. 563 (zugleich Angebot auf Abschluss des dinglichen Einräumungsvertrags wie auch des schuldrechtlichen Kausalvertrages). 85 Savigny selbst hielt sie für unzulässig, vgl ders., Obligationenrecht, Band 2, 89 f. (»weil die Obligationen, als Beschränkungen der natürlichen Freiheit, nicht zu solchen Zwecken eingeführt sind, so dass wir, durch diese Anwendung derselben, ihre natürliche Bestimmung willkürlich überschreiten würden«). Zum Diskussionsstand im 19. Jahrhundert vgl. Sohm, ZHR 17 (1873), 16. 86 Allgemein zur Offerte ad incertam personam siehe Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2, § 35 I 1. 87 Zutreffend Köndgen, Selbstbindung, 286 ff. Das bedeutet freilich nicht (wie Köndgen, aaO., 290 hervorhebt), dass die Regeln des BGB zu Willenserklärungen unbesehen für die Offerte an das Publikum übernommen werden können. 88 Gerne wird hier auf so bahnbrechende Errungenschaften wie den Warenautomaten verwiesen. Vgl. etwa Bork, in: Staudinger, BGB, § 145 Rn. 19. 89 Vgl. Habersack, ZIP 1996, 257 (262). 90 Vgl. BGH NJW-RR 1994, 1185 f. 91 Die bindende Wirkung (vgl. § 145 BGB) wird bereits mit der Veröffentlichung des Programms im Internet bzw. seinem Inverkehrbringen eintreten. Für die Bindungswirkung von

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grammkopie auf irgendeinem, vom Urheber nicht steuerbaren Wege zu einem Nutzer gelangt ist, kann dieser jederzeit konkludent seine Annahme des öffentlichen Angebots erklären, wobei der Zugang der Annahmeerklärung als nach § 151 Satz 1 BGB entbehrlich zu begreifen ist. Die öffentliche Lizenzierung kann damit praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden.92 Wer einmal ein Programm unter eine freie Lizenz gestellt hat, kann nicht mehr verhindern, dass der davon betroffene Source-Code weiterverbreitet wird.93 b. Inhalt der Selbstbindung und Mechanismus der Fremdbindung Das führt freilich weder zu einer Selbstbindung dahingehend, ein Programm ausschließlich als OSS zu lizenzieren,94 noch ist der Erklärung des Urhebers, der sein Programm unter die GPL stellt, zu entnehmen, er wolle auf sein Urheberrecht verzichten. Abgesehen davon, dass die Möglichkeit einer Dereliktion am geistigen Werk unter dem UrhG höchst fraglich ist,95 würde bei gänzlicher Aufgabe der mit dem Ausschließlichkeitsrecht verbundenen Steuerungskompetenz der Urheber auch die von ihm erstrebte freie Werknutzung durch Dritte nicht mehr sicherstellen können. Die Besonderheit der mit der GPL verfolgten privaten Konstruktion eines öffentlichen Gutes96 liegt gerade darin, die Ausschlussfunktion des Immaterialgüterrechts zu instrumentalisieren, um eine freie Weiterverbreitung zu ermöglichen. Das Exklusivrecht wird nicht aufgegeben, sondern »umgepolt« von der Sicherung der Prärogativen des Urhebers auf die Sicherung von Nutzerfreiheiten. Zur effektiven Gewährleistung der Nutzerfreiheiten räumt der Urheber ein einfaches dingliches Nutzungsrecht ein.97 Die Einräumung als solche ist ein Offerten an die Öffentlichkeit kann es nicht darauf ankommen, ob die Erklärung in die tatsächliche Verfügungsgewalt von individuellen Personen gelangt ist, vgl. Köndgen, Selbstbindung, 290. 92 In der Tat stellt sich dem Recht bei langfristigen Offerten die neue Ordnungsaufgabe, angemessene Regelungen über die Widerrufl ichkeit der Offerten zu fi nden. Vgl. Köndgen, Selbstbindung, 290 f. Hier muss je nach öffentlichem Angebot differenziert werden. Im Fall der GPL spricht nichts gegen eine dauerhafte Bindung. Denn der Urheber verzichtet nicht auf seine Urheberrechte, so dass ihm die Möglichkeit verbleibt, mit anderen Personen eine »proprietäre« Lizenz für das gleiche Programm zu vereinbaren. Ein solches Dual Licensing kann unter bestimmten Umständen sinnvoll sein (dazu etwa ifrOSS-GPL, Ziff. 10 Rn. 11 ff.). Für ein und dasselbe Programm entsteht dann ein freier und ein proprietärer Verwertungszweig mit der Gefahr freilich einer auch inhaltlichen Auseinanderentwicklung (sog. »forking«). 93 Vgl. Jaeger, Linux-Magazin 2001, Heft 1. 94 Zu den Gründen für ein sog. Dual Licensing vgl. Jaeger/Metzger, Open Source Sofware, Rn. 114 ff. 95 Zur Diskussion vgl. die Nachweise bei Jaeger/Metzger, GRUR Int 1999, 839 (842). 96 Dass OSS ein öffentliches Gut ist, zeigen von Hippel/von Krogh, Organization Science 14 (2003), 209 (213). 97 Von einer bloß schuldrechtlichen Einwilligung zur Nutzung ist nicht auszugehen, zumindest nicht, soweit diese für die Zukunft frei widerrufl ich ist und der Nutzer stets den

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dingliches Verfügungsgeschäft, für das ergänzend zu den urheberrechtlichen Vorschriften die §§ 398 ff. BGB analog gelten (§ 413 BGB).98 Daraus kann indessen nicht gefolgert werden, dass zwischen Urheber und Nutzer eine abstrakte Verfügung ohne schuldrechtliches Kausalgeschäft zustande käme.99 Dagegen spricht nicht nur, dass sich dann die Nutzer in dauernder Unsicherheit über den Bestand der Verfügung befänden,100 sondern auch die Existenz eingehender Regelungen in der GPL zu Haftung und Gewährleistung.101 Schwierig zu begründen wäre dann auch die Rechtsnatur der Nutzungsbedingungen in der GPL. Man müsste diese als urheberrechtliche dingliche Beschränkungen des Nutzungsrechts begreifen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 UrhG), die das Nutzungsrecht von vornherein entsprechend ausgestalten.102 Dazu müsste sich die GPL nach der Verkehrsauffassung insgesamt als eine hinreichend klar abgrenzbare wirtschaftlich-technisch eigenständige Nutzungsart der Software abspalten lassen.103 Das ist angesichts der Herausbildung von Dual LicensingModellen bei Copyleft-Lizenzen wie der GPL zwar denkbar.104 Zweifelhaft erscheint jedoch, ob es möglich ist, angesichts der detaillierten Einzelbestimmungen der GPL eine eigenständige Nutzungsart hinreichend klar abzugrenzen. Auch spricht der von der GPL vorgesehene Sanktionsmechanismus bei Verletzung der Pflichten gegen ihre Qualifikation als dingliche Beschränkung des eingeräumten Nutzungsrechts. Zum einen sieht § 4 Satz 2 GPL bei einer Lizenzverletzung den kompletten Wegfall aller Nutzungsrechte auf Seiten des verstoßenden Nutzers vor, während eine Verletzung von inhaltlich beschränkten Nutzungsrechten »nur« zu Ansprüchen etwa auf Schadensersatz oder Unterlassen des pflichtwidrigen Handelns selbst führen würde.105 Zum anderen würde die Einordnung als inhaltliche Beschränkung über das Ziel hinausschießen, weil eine Beeinträchtigung des Verkehrsschutzes gar nicht zu besorgen ist; die GPL würde mit Anforderungen belastet, die sie gar nicht zu erfüllen braucht. Denn inhaltliche Beschränkungen entfalten Wirkung gegenkünftigen Wegfall seiner Rechte befürchten müsste. Vgl. Plaß, GRUR 2002, 670 (673); Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 69c Rn 75. 98 Statt aller vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 31 Rn. 15. 99 Diese Ansicht vertritt aber Heussen, MMR 2004, 445 ff. 100 Vgl. Schulz, Dezentrale Entwicklung, Fn. 946. 101 Zutreffend Jaeger/Metzger, Open Source Software, Rn. 201. 102 So in der Tat Heussen, MMR 2004, 445 (448 und 450) und Schiffner, Open Source Software, 154 ff. 103 Vgl. BGHZ 145, 7 (11) – OEM-Version. 104 Kritisch allerdings Schulz, Dezentrale Entwicklung, Rn. 642 f., der bereits bezweifelt, dass unterschiedliche Märkte für freie und proprietäre Software bestehen, weil beide die gleichen Aufgaben lösten und funktional austauschbar seien. 105 Vgl. Spindler, Rechtsfragen, Kap. C Rn. 34; Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 69c Rn 79.

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über jedem Dritten, unabhängig davon, ob der Dritte die Beschränkungen kennt oder nicht; deswegen wird ja verlangt, dass sich im Verkehr eine eigenständige Nutzungsart erkennbar herausgebildet hat. Die GPL geht dagegen davon aus, dass ihre Bestimmungen immer nur den jeweiligen Lizenznehmer binden.106 Nach Ziff. 4 Satz 3 GPL beeinträchtigt die Beendigung der Rechte des GPL-widrig vertreibenden Lizenznehmers nicht die Nutzungsbefugnisse derjenigen, die ihre Programmversion vom Verletzer erhalten haben.107 Das ist Ausdruck der Direktlizenzierung, durch die Rechtspositionen jeweils relativ zum Lizenzgeber entstehen. Wirklich entscheidend aber dürfte sein, dass der Inhalt der GPL-Pflichten nicht geeignet ist, den Zuschnitt des Nutzungsrechts gegenständlich zu bestimmen.108 Zweck der Beschränkbarkeit von Nutzungsrechten ist es, durch eine Abspaltung eigenständiger Nutzungsarten eine optimale wirtschaftliche Verwertung des Urheberrechts sicherzustellen. Der Rechtsinhaber kann daher die zu übertragenden Befugnisse aus seinem Urheberrecht dem Umfang nach einschränken, nicht aber erweitern. Als dinglich wirkende Beschränkungen kommen von vornherein nur Beschränkungen in Betracht, die den Inhalt des eingeräumten Rechts, nicht jedoch die Art seiner Ausübung betreffen.109 Solche Beschränkungen können nur schuldrechtlich vereinbart werden, will man dem Urheber keine Erweiterung seiner gesetzlichen Befugnisse zugestehen. Diese Überlegung führt zwar prinzipiell in ähnliche Abgrenzungsschwierigkeiten, wie sie aus der Unterscheidung von Bestand und Ausübung von Schutzrechten durch den EuGH bekannt sind. Jedenfalls aber können danach solche Regelungen nicht als dingliche Beschränkungen qualifiziert werden, in denen Pflichten des Nutzers statuiert werden, die auf einen anderen Gegenstand als das urheberrechtliche geschützte Werk bezogen sind.110 Genau das ist aber der Fall bei den Bestimmungen der GPL, die vom Bearbeiter des geschützten Programms verlangen, den Quellcode des eigenen Programmbeitrags offenzulegen und auch jedermann unentgeltlich die Verbreitungs- und Bearbeitungsrechte daran anzubieten. Anderes ergäbe sich nur dann, wenn man argumentiert, die auferlegten Bedingungen seien zur Wahrung der Funktion des Schutzrechts, so wie es sich nach seiner Umpolung darstellt, erforderlich: Es läge dann im neu zu fassenden 106

Nach Ziff. 1 GPL ist das Programm deshalb stets mit dem Lizenztext zu verbreiten. Vgl. auch Jaeger/Metzger, OpenSource Software, Rn. 154. 108 Zutreffend Schulz, Dezentrale Entwicklung, Rn. 645 ff. 109 Vgl. BGH GRUR 1959, 200 (202) – Heiligenhof; Schulze, in: Schulze/Dreier, UrhG, § 31 Rn. 28, m. w. N. 110 Richtig der Hinweis von Schulz, Dezentrale Entwicklung, Fn. 735 a. E., dass das Urheberrecht durch die Versagung der Anerkennung von Vertriebsmodalitäten als eigenständigen Teilausschnitt des Schutzrechts selbst ein Koppelungsverbot enthält. Es handelt sich insofern um ein weiteres Beispiel für den wettbewerbsrechtlichen Gehalt immaterialgüterrechtlicher Rechtssätze. 107

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Schutzinhalt des Urheberrechts selbst, die durch die Dezentralisierung des Nutzungsrechts ermöglichten Kooperationsvorteile vor ihrer privaten Aneignung zu schützen.111 Wie bereits angedeutet, käme eine dingliche Verankerung des copyleft als Nutzungsbeschränkung und damit die einseitige Konstituierung der Bindung von jedermann an die »Öffentlichkeit« der Software nur in Betracht, wenn die GPL insgesamt als eine nach der Verkehrsauffassung eigenständige Nutzungsart begriffen werden könnte. Tatsächlich wäre denkbar, die Dezentralisierung der Nutzungsbefugnis an einem Immaterialgut als eigenständige Nutzungsart im Rechtsverkehr anzusehen. Statt etwa der Beschränkung der Rechtseinräumung auf einen bestimmten Absatzweg wäre das Nutzungsrecht dann nur eingeräumt für eine Nutzung der Software als Gemeinschaftsgut, dessen Nutzung jedermann erlaubt ist, dessen privat gezogene Früchte aber wiederum jedermann zur freien Nutzung anzubieten sind. Die Beschränkung des Nutzungsrechts hätte nicht den Schutz der Verwertungsinteressen des Urhebers zum Ziel, sondern die Verbreitung des im Programm kondensierten Problemlösungswissens.112 Das klassische Urheberrecht wäre dann freilich verlassen, weil es nicht mehr um die Sicherung der wirtschaftlichen Verwertungsfreiheit des Berechtigten gehen würde, sondern um die Sicherung seiner kommunikativen Freiheit, zu der auch die Verfügung über die Verbreitung und Rezipierbarkeit der Kommunikation zu zählen ist. Geschützt würde die freie Aktualisierbarkeit von nicht-wirtschaftlichem Systemwissen. Eine solche Begründung der dinglichen Wirkung von den auf einen neuartigen Zweck ausgerichteten Nutzungsklauseln der GPL setzt freilich eine Akzeptanz des Modells öffentlicher Lizenzen im Rechtssystem voraus, die derzeit nicht unterstellt werden kann. Der Gedanke selbst wird dadurch freilich nicht diskreditiert. Sofern man die Bedingungen der GPL nicht als inhaltliche Beschränkungen des eingeräumten Nutzungsrechts konstruiert, liegt es nahe, sie als schuldrechtliche Pflichten zu qualifizieren.113 Auch dann braucht ihnen freilich eine dingliche Wirkung nicht abgesprochen zu werden.114 Eine solche ergibt sich nämlich aus der Annahme, dass die dingliche Einigung zur Einräumung der Nut111

Unter dem herrschenden Eigentumsparadigma wird ein dinglicher Schutz von Nutzungsklauseln etwa vom Kartellrecht anerkannt und unter der Perspektive von Art. 81 Abs. 1 EGV für unverdächtig gehalten, wenn die Klauseln nicht über das zur Wahrung der Funktion des Schutzrechtes notwendige Maß hinausgehen und Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache sind. Vgl. OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 1573–1576 und dazu Jestaedt, in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, 9. Aufl., Art. 81 Rn. 225. 112 Ähnlich Heussen, MMR 445 (450): »möglichst schnelle Durchsetzung bestimmter Ideen im Markt«. 113 Ausführlich zur schuldrechtlichen Qualifikation sogleich unter c. 114 Zu den Argumenten, die gegen eine rein schuldrechtliche Verknüpfung von Nutzerrechten und -pfl ichten sprechen vgl. nur Schiffner, Open Source Software, 152 f.

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zerrechte unter die auflösende Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) der Einhaltung der Nutzerpflichten gestellt ist mit der Folge, dass bei einem Verstoß die Nutzungsrechte automatisch ex nunc wegfallen (vgl. Ziff. 4 GPL) und der Verletzer komplett ohne Berechtigung handelt.115 Die GPL kann sich damit den Umstand zu Nutze machen, dass fast jegliche schuldrechtliche Pfl icht durch eine Bedingung dinglich besichert werden kann und auch die lediglich bedingte Einräumung von Nutzungsrechten möglich ist.116 Die auflösend bedingte Einräumung von Nutzungsrechten umgeht auch nicht die Anforderungen des § 31 Abs. 1 Satz 2 UrhG, da die Folgen des Rechterückfalls ähnlich wie bei einer rein schuldrechtlichen Beschränkung allein den Vertragspartner des Urhebers treffen; die Befugnisse von Erwerbern der lizenzwidrig vertriebenen Programmversionen werden nicht berührt (vgl. Ziff 4 Satz 3 GPL), so dass die Verkehrsfähigkeit der Rechte nicht gefährdet ist.117 Diese Konstruktion vermeidet, sich dem Einwand auszusetzen, der Urheber erweitere seine Handlungsfreiheit auf Kosten anderer unter dem dinglich wirkenden Schutzmantel seines Urheberrechts. Die Quasi-Verdinglichung der GPL-Pflichten, die die Bedingungskonstruktion herbeiführt, knüpft nicht an Befugnisse an, die allein dem Inhaber eines Schutzrechts oder eines sonstigen absoluten Rechts zur Verfügung stehen. Durch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung kann jede Partei privatautonom die Möglichkeiten erweitern, sich vom Vertrag zu lösen. Zweck einer Bedingung ist es, weder eine weitere Prüfung der Beendigung noch eine gesonderte Rückabwicklung vornehmen zu müssen, vielmehr soll das bedingte Rechtsgeschäft (hier: die Verfügung über die Nutzungsrechte) automatisch rückgängig gemacht werden. Die Besonderheit im Fall der GPL besteht freilich auch hier darin, dass der Verwender der GPL den Nutzer nicht zur Erbringung eines (monetären) Leistungsäquivalents für die Einräumung der Nutzungsrechte veranlassen will, sondern zu einer Disposition über eigene Rechte zugunsten unbestimmter Dritter und damit der Allgemeinheit. Der Nutzer soll eine Art »öffentliche Rücklizenzierung« seiner Bearbeitungen vornehmen. Im Ergebnis stellt sich eine Verbreitung von Software unter der GPL nach derzeitiger Rechtslage folglich nur als eine besondere Form der Lizenzierung, aber nicht als eigene Nutzungsart dar.118 c. Die schuldrechtliche Begründung der Fremdbindung Bei der sich daran unmittelbar anschließenden Frage nach der genaueren Einordnung des vertraglichen Verhältnisses zwischen Urheber und Nutzer wird 115

So der Vorschlag von Jaeger/Metzger, GRUR Int. 1999, 839 (843). Vgl. allgemein BGH GRUR 1958, 504 (505); OLG München UFITA 90 (1981), 166 (169 f.); Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 69c Rn 79. 117 So das LG München, MMR 2004, 693 (695). 118 Im Ergebnis so auch Jaeger/Metzger, OpenSource Software, Rn. 153 a. E. 116

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deutlich, dass die spezifische Verknüpfung von Rechten und Pflichten in der GPL sich nicht einfach auf bekannte Vertragstypen abbilden lässt. Das liegt daran, dass hinter den Rechtsinstituten von Schenkungs-, Austausch- oder Gesellschaftsvertrag (also zwischen einseitig, zweiseitig oder mehrseitig verpflichtendem Vertrag) andere soziale Strukturen stehen als die abstrakt-generelle Reziprozität des Netzwerks, so dass deren dogmatische »Übersetzung« nicht zwanglos gelingt. Praktische Bedeutung besitzt die vertragstypologische Einordnung der schuldrechtlichen Beziehung zwischen Urheber und Nutzer insbesondere wegen der Folgen für Haftung und Gewährleistung. Denn der gänzliche formularmäßige Ausschluss von Gewährleistung (in Ziff. 11 GPL) und Haftung (in Ziff. 12 GPL) ist wegen Verstoßes gegen die absoluten Klauselverbote von § 309 Nr. 8b aa BGB und § 309 Nr. 7 BGB unwirksam,119 so dass auf die gesetzlichen Regelungen abzustellen ist.120 Um pragmatisch tragfähige Lösungen zu erzielen, ist es zweifellos hilfreich, zwischen unterschiedlichen Nutzungsmodalitäten in den beim Vertrieb von OSS beteiligten Kreisen (Entwickler, Vertriebsmittler, Endkunden) und entsprechend verschiedenen Verantwortungsebenen zu unterscheiden, mithin nicht alle Rechtsbeziehungen im Zusammenhang mit der Nutzung von OSS unter einen einheitlichen Vertragstypus zu stellen.121 Auch lässt sich eine weitgehende Übereinstimmung der verschiedenen Ansätze dahingehend feststellen, dass es im Ergebnis zu einer Eingrenzung des Haftungs- und Gewährleistungsrisikos auf Seiten des Lizenzgebers gegenüber den Maßstäben beim kommerziellen Vertrieb von Software kommt.122 Beides enthebt jedoch nicht von einer Antwort auf die Frage, wie das volle Regelungsprogramm der GPL einschließlich der Bestimmungen zur Fremdbindung – auf das jedenfalls beim Vertrieb weiterentwickelter Software zurückgegriffen werden muss – schuldrechtlich zu beurteilen ist. Die Antwort wird maßgeblich dadurch bestimmt, ob man die Verpfl ichtung zur öffentlichen Rücklizenzierung von Bearbeitungen als Gegenleistung für die Rechtseinräumung durch den Urheber begreift. Nachdem auf den ersten Blick sämtliche Vertragstypen ausscheiden, die eine Verpflichtung zur Gegenleistung in Geld voraussetzen (wie Kauf oder Miete), scheint eine Qualifikation als Schenkung (§ 516 BGB) am ehesten der Intention 119 Das gilt natürlich nur, wenn man die schuldrechtliche Beziehung nicht als Gesellschaftsvertrag qualifiziert, vgl. § 310 Abs. 4 BGB. 120 Zu recht warnt deswegen Sester, CR 2000, 797 (799) davor, die Begründung rein ergebnisorientiert von dem für richtig gehaltenen Haftungsmaßstab her vorzunehmen. 121 Trotz im übrigen unterschiedlicher Ansätze insoweit ähnlich Heussen, MMR 2004, 446 ff. und Schiffner, Open Source Software, 213 ff. Dahinter steht die Vorstellung, dass zwischen den Beteiligten neben dem Nutzungsrechtsverhältnis oft weitere Rechtsbeziehungen bestehen, aus deren Rechte- und Pfl ichtengefüge sich angemessene Lösungen entwickeln lassen. 122 Vgl. Jaeger/Metzger, OpenSource Software, Rn. 219 ff.; Schulz, Rn. 979 ff. (1000 f.)

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des Urhebers zu entsprechen, einem anderen einseitig einen Vermögenswert in Gestalt der Nutzungsrechte zuzuwenden. Gut begründen lässt sich in diesem Zusammenhang, dass der Urheber durch die Einräumung der Nutzungsrechte entreichert und der Nutzer entsprechend bereichert wird.123 Denn nach dem zur Bindung an sein öffentliches Angebot Gesagten begibt sich der Urheber dauerhaft der Möglichkeit, sein Verbotsrecht hinsichtlich der Vervielfältigung, Verbreitung und Bearbeitung gegenüber den Nutzern geltend zu machen.124 Diese gewinnen Handlungsmöglichkeiten dazu, die zuvor allein dem Urheber vorbehalten waren und die gerade aufgrund ihrer Exklusivität einen wertbildenden Faktor im Vermögen des Urhebers ausmachten. Problematisch erscheint jedoch, ob die Zuwendung unentgeltlich erfolgt, d. h. ohne irgendeine Abhängigkeit der Leistung von einer Gegenleistung,125 weil der Nutzer für den Fall der Verbreitung einer Bearbeitung durch Ziff. 2 lit. b GPL verpflichtet wird, über sein eigenes Urheberrecht an einer möglichen Bearbeitung zu verfügen und seinerseits jedermann unentgeltlich die gleichen Nutzungsrechte hieran anzudienen.126 Tatsächlich wird insofern vertreten, dass ein Finalnexus127 zwischen ursprünglicher Rechtseinräumung und öffentlicher Rücklizenzierungspflicht besteht: der Lizenzgeber übernehme die Verpflichtung zur Verfügung über eigene, wirtschaftlich relevante Rechtspositionen, »damit« bzw. »weil« auch der Lizenznehmer weit reichende Dispositionen über eigene Vermögenswerte vornehme – mit der Folge, dass es sich nicht um einen einseitig verpflichtenden Schenkungsvertrag, sondern um einen gegenseitigen (Lizenz-)Vertrag sui generis (§§ 311 Abs. 1, 241 BGB) handelt, der sich keinem gesetzlichen Vertragstypus vollständig zuordnen lässt.128 Für eine 123 Darauf, dass die Software beliebig vervielfältigt werden kann, kommt es entgegen Hoeren, in: FS Kollhosser, 229 (235) nicht an. 124 Sollte der Urheber später den Entschluss fassen, ein ausschließliches Nutzungsrecht einzuräumen, so wäre es wegen des Sukzessionsschutzes nach § 33 UrhG mit dem einfachen Nutzungsrecht an jedermann »belastet«, vgl. Jaeger/Metzger, OpenSource Software, Rn. 213. 125 Als Abhängigkeitsrelation kommen grundsätzlich sowohl synallagmatische wie auch konditionale oder kausale Verknüpfung in Betracht, vgl. Saenger, in: Hk-BGB, § 516 Rn. 4; Kollhosser, in: MüKo-BGB, § 516 Rn. 17 ff. 126 Dass es sich dabei um eine echte Rechtspfl icht handelt, macht der Wortlaut von Ziff. 2 lit. b GPL deutlich (»You must cause any work . . . to be licensed«).Es soll dem Lizenznehmer nicht freistehen, ob er eine Weiterentwicklung unter die GPL stellt oder nicht: er soll es tun. 127 Ein solcher ist entscheidend, da er per defi nitionem nicht nur von einer synallagmatischen, sondern auch bei der konditionalen Verknüpfung vorausgesetzt wird; der Unterschied liegt nur darin, dass bei der konditionalen Verknüpfung kein Anspruch auf die Leistung des anderen besteht, so dass sie wenigstens zur Wirksamkeitsbedingung für die eigene Leistungspfl icht gemacht wird, vgl. MüKo-Kollhosser, § 516 Rn. 18. 128 Vgl. Schulz, Rn. 902 f. (mit dem Hinweis, dass der wirtschaftliche Wert der Bearbeitung den der Originalsoftware nicht nur erreichen, sondern auch deutlich übersteigen kann). Für eine Finalitätsbeziehung auch Sester, CR 2000, 797 (799 f.).

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solche Sichtweise spricht zunächst, dass nach der Intention des GPL-Verwenders ein Verstoß gegen die Rücklizenzierungsbestimmung zu einem automatischen Rechterückfall führen soll und damit eine zweckgerichtete Inpfl ichtnahme des Erwerbers realisiert wird, die als Wirksamkeitsbedingung für die eigene Leistungspfl icht des Zuwendenden ausgestaltet ist.129 Jedenfalls scheitert die Annahme eines Gegenseitigkeitsverhältnisses nicht schon daran, dass die eine Leistung unbedingt, die andere aber nur bedingt zu erbringen ist, da die Parteien in der Entscheidung frei sind, welche Leistungen sie nach dem Prinzip des »do ut des« miteinander in Beziehung setzen wollen.130 Der GPLLizenzvertrag wäre insofern zu interpretieren wie andere Verträge über die Entwicklung von Innovationen, bei denen Verpflichtungen dadurch bedingt sind, dass die zunächst unsichere Innovation auch tatsächlich gelingt.131 Unter dem gleichen Aspekt der Abhängigkeit einer Leistungspflicht von einem ungewissen Ereignis sind etwa auch Versicherungsverträge als gegenseitige Verträge zu begreifen.132 Noch einen Schritt weiter geht es, wenn man den Parteien der GPL die gleichgerichtete Verfolgung von Interessen mit dem Ziel unterstellt, eine kollektive Wertschöpfung durch die Ergänzung einzelner Bemühungen herbeizuführen.133 Man verlässt dann die Rechtsfigur des bilateralen Vertrages und orientiert sich am Paradigma der Gesellschaft.134 Danach zielt das GPL-Rechtsgeschäft nicht auf eine zügig abgewickelte Leistungsbeziehung zwischen Parteien mit gegensätzlichen Interessen, sondern auf die Verwirklichung eines gemeinsamen Projekts auf Basis einer langfristigen Rechtsbeziehung. Innerhalb einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 BGB) wäre es in der Tat keine Frage, die Copyleft-Klausel als Ausdruck gesellschaftsrechtlicher Beitrags- und Förderungspfl ichten zu qualifizieren, die sicherstellt, dass das Programmier-Kollektiv an einer unter Nutzung eines gemeinsamen Know-HowPools gemachten Weiterentwicklung beteiligt wird. Sicherlich lässt sich auf diese Weise das gezielte Zusammenwirken mehrerer Entwickler zur Durchführung eines konkreten Softwareentwicklungs-Projekts rechtlich erfassen. Eine solche Verdichtung der Kooperation kann aber bei der bloß sukzessiven 129

Ähnlich Sester, CR 2000, 797 (800). Zu den Konsequenzen für die Anwendung der §§ 320 ff. BGB vgl. Schulz, Dezentrale Softwareentwicklung, bei Rn. 905 und 961. 130 Vgl. allgemein Emmerich, in: MüKo, Vor § 320, Rn. 6 und 21; speziell mit Blick auf die GPL vgl. Schulz, Rn. 905 (mit Fn. 982–984). 131 Vgl. Sester, CR 2000, 797 (800), der die GPL allerdings als gesellschaftsähnlichen Vertrag sieht. Dazu sogleich im Text. 132 Vgl. Emmerich, in: MüKo, Vor § 320 Rn. 28, m. w. N. 133 So insbesondere Sester, CR 2000, 797 (801) und Schiffner, Open Source Software, 232 ff. (freilich eingeschränkt auf die von ihm so genannte »Große Open-Source-Berechtigung«). 134 Freilich unter Inkaufnahme erheblicher Divergenzen zum gesetzlichen Leitbild der BGB-Gesellschaft, wie Sester, CR 2000, 797 (801) selbst einräumt.

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Entwicklung eines Programms durch voneinander unabhängig agierende Nutzer nicht unterstellt werden.135 Insbesondere lässt sich für den sukzessiven Entwickler – anders als für das Mitglied einer Entwicklergesellschaft – keine bindende Verpflichtung zur Weiterentwicklung begründen. Der Nutzer der GPL ist nicht verpflichtet, auf den Eintritt der Bedingung selbst hinzuwirken; es steht in seinem Belieben, ob er eine Bearbeitung vornimmt. Ebenso wenig angemessen erscheint es aber, in den Fällen der Sukzessiventwicklung wegen eines fehlenden gemeinsamen Entwicklungsziels den Fremdbindungscharakter der GPL zu verdrängen und sie zu einem einseitigen Vertrag zurückzustufen. Genau das geschieht jedoch, wenn man dem Vorschlag folgt, die Copyleft-Klausel im Rahmen eines Schenkungsvertrages als »nachhängende« Verpflichtung ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der Zuwendung zu begreifen.136 Die hierzu angeführte Begründung, es handele sich um keine Gegenleistung, sondern lediglich um eine einseitige »Impfung« gegen eine spätere Überführung in proprietäre Programme, verschleiert, dass sich dieses Ziel nur durch die Inpflichtnahme des produktiven Nutzers erreichen lässt: durch Fremdbindung an das »Ziel« eines frei zugänglichen Wissens durch die Externalisierung von Kooperationsvorteilen. Die Bedingungen der GPL sind eben nicht »Begrenzungen dieser Rechte [aus der Lizenz], die aber nicht über das hinausgehen, was der Nutzer überhaupt erst durch die Einräumung der Nutzungsrechte erwirbt«.137 Unter der Vorstellung, der Lizenznehmer erhalte nur einen von vornherein beschränkten Gegenstand zum Geschenk, lässt sich nicht rechtfertigen, dass der »Beschenkte« zu einer Disposition über einen Wertzuwachs angehalten wird, der zwar auf der Schöpfung des Lizenzgebers aufsetzt, der dann aber unter Einsatz seines persönlichen Know-Hows, seiner Zeit und seiner eigenen Ressourcen zustande gekommen ist.138 Anders ausgedrückt: Die »Schenkung« eines Nutzungsrechts, die mit Pfl ichten verknüpft ist, die außerhalb des Verbotsrechts des Urhebers liegen, ist keine Schenkung.139 Ein produktiver Nutzer erhält an der schöpferischen Bearbeitung des Ur135

Vgl. auch Spindler, Rechtsfragen, Kap. D Rn. 9 und C Rn. 16. Vgl. Jaeger/Metzger, GRUR Int. 1999, 839 (847) und dies., Rn. 215; vgl. auch Spindler, Rechtsfragen, Kap. D Rn. 8 (keine Gegenseitigkeit, da die Pfl ichten den Beschenkten nicht bereits mit der Leistung des Schenkers beschweren). 137 Jaeger/Metzger, aaO. sowie Spindler, Rechtsfragen, aaO. (»Der Beschenkte erhält vielmehr einen Vermögensgegenstand, der von vornherein auf bestimmte Verwertungsrechte beschränkt ist«). 138 Aus diesem Grund scheidet auch eine Schenkung mit Auflagen (§ 525 BGB) aus. Zwar wird die Bearbeitung auf der Grundlage der Zuwendung erbracht, aber nicht aus ihrem Wert. Soll die Leistung des Zuwendungsempfängers aus dessen eigenem Vermögen erfolgen, liegt keine Schenkung unter Auflage vor, vgl. Saenger, in: Hk-BGB, §§ 525–527 Rn. 2. 139 Wenn überhaupt müsste man von einer »neuen einseitigen Form der Rechtseinräumung« sprechen, vgl. insofern methodisch ehrlicher Grützmacher, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, § 69c Rn 75. Letztlich erscheint aber jede Annahme einer einseitigen Verpfl ichtung als unzulässige Aufspaltung des Rechte- und Pfl ichtengefüges der GPL. 136

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sprungsprogramms ein eigenes Urheberrecht (§ 69c Nr. 2 Satz 2 UrhG) und erst recht an einer selbständigen Ergänzung, die aber unter den Begriff des »derivative work« im Sinne der Copyleft-Klausel fällt. Insoweit erwirbt der Bearbeiter eigene Verbotsrechte.140 Die Verpflichtung, diese in einer bestimmten Art und Weise auszuüben, kann nicht mehr Teil des Ausschließlichkeitsrechts am Ursprungsprogramm sein. Auf schuldrechtlicher Ebene wiederholt sich damit jene Problematik, die bereits bei der Untersuchung, ob die GPL-Pfl ichten das eingeräumte Nutzungsrecht dinglich beschränken, aufgetaucht ist.141 Der Rechtsinhaber kann den Zuschnitt des Leistungsgegenstandes nicht beliebig bestimmen und so die rechtliche Qualifikation des Geschäfts beherrschen. Eine außerhalb des Inhalts seines Verbotsrechts liegende Handlung142 kann nicht allein aufgrund der Vereinbarung ihrer dinglichen Sicherung (als Bedingung nach § 158 Abs. 2 BGB) zugleich wiederum als bloße Beschränkung einer einseitigen dinglichen Rechtseinräumung gelten und damit aus der Betrachtung der schuldrechtlichen Leistungspflichten ausscheiden.143 Auch wenn im Falle eines Bearbeiterurheberrechts sicherlich ein Grenzbereich betreten wird, weil der Bearbeiter zur Verbreitung des veränderten Programms ja seinerseits die Zustimmung des Urhebers des Originalprogramms benötigt, so verweist die Problematik doch auf die grundlegende Frage, in welchem Umfang dem Eigentümer im Rahmen seiner Befugnisse einseitig eine dingliche Konstituierung von (Teil-)Gegenständen möglich sein soll, und wann Nutzungsrechtsbindungen kontraktuell erfolgen müssen, weil sie nicht mehr nur als Ausdruck des Verbotsrechts des Eigentümers gelten können. Festzuhalten ist jedenfalls das Folgende: Die Entwicklung und Fortentwicklung von OSS findet häufig in offenen Netzwerken statt. Grundlage der Kooperation von Entwicklern/Urhebern und Nutzern im Netzwerk ist eine Form der generalisierten Reziprozität. Sie führt zur Ermöglichung und Erhaltung von Kooperationsvorteilen, die mit einer dezentralen freien Nutzbarkeit von dem in Programmen kondensierten Wissen verbunden sind. Die Übersetzung dieser sozialen Struktur in die Form des Rechts ist schwierig, weil den 140 Im Falle eines Bearbeiterurheberrechts erstreckt sich dieses freilich allein auf die Bearbeitung. Der Bearbeiter darf deshalb gem. § 69c Nr. 2 Satz 1 UrhG auch nicht umgekehrt in die Verbotsrechte des Urhebers des Ausgangsprogramms eingreifen und das umgestaltete Programm ohne seine Zustimmung verbreiten, vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, § 69c Rn. 18. Eine typische Konstellation gegenseitiger »Angewiesenheit«. 141 Von einer Parallele zur inhaltlichen Beschränkung nach § 32 UrhG gehen offenbar auch Jaeger/Metzger, OpenSource Software, in Fn. 596 aus. 142 Die Disposition über sein (Bearbeiter-)Urheberrecht. 143 Vgl. auch Schulz, Dezentrale Entwicklung, Rn. 877 (mit Fn. 950), der vor den Konsequenzen für die Verkehrsfähigkeit warnt, wenn man aufgrund einer dinglich wirkenden Bedingung den einzelnen Vertragsgegenstand durch Einbeziehung leistungsexterner Ereignisse verändern könnte. Dann würde etwa ein Kauf unter Eigentumsvorbehalt zur Schenkung eines durch die Zahlung des Kaufpreises »beschränkten« Gegenstandes mutieren.

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gesetzlich vertypten Verpflichtungsgründen andere Formen der Reziprozität zu Grunde liegen. Eine Rekonstruktion der GPL als einseitig verpfl ichtender Vertrag bringt zwar gut die Selbstbindung des Lizenzgebers zum Ausdruck, vermag aber nicht die durch die Copyleft-Klausel intendierte Fremdbindung des Nutzers überzeugend einzuordnen. Eine Rekonstruktion als gesellschaftsrechtliches Verhältnis zwischen Urhebern und Nutzern wiederum muss eine Konkretisierung und Vergemeinschaftung der Interessen aller Beteiligten unterstellen, die der generalisierten Reziprozität eines Netzwerks nicht zu entnehmen ist. Die Vorstellung einer »BGB-Gesellschaft ad incertas personas«, die sowohl auf die Aufnahme beliebiger späterer Entwickler als auch auf die Entwicklung beliebiger Software gerichtet wäre, dehnt den Begriff der gemeinsamen Zweckverfolgung unzulässig auf Austauschverträge aus.144 Das spricht dafür, vom bilateralen Vertrag als Grundelement des Netzwerks auszugehen. Was dessen vertragstypologische Einordnung betrifft, überzeugt am ehesten die Qualifizierung als gegenseitiger Lizenzvertrag. Voraussetzung ist freilich, dass man einen weiten Begriff von rechtlicher Gegenseitigkeit unterschreibt, mit dem eine starre Dualität von Entgeltlichkeit und Unentgeltlichkeit aufgebrochen wird. Dann kann das Recht auch abstraktere Formen der Reziprozität rezipieren.145 Dass der Lizenznehmer dabei für die den Lizenzgeber motivierenden Zwecke in Dienst genommen wird, ist irrelevant, solange dem Lizenznehmer ein Gegenopfer abverlangt wird. Die Gegenleistung in Gestalt der öffentlichen Lizenzierung des eigenen Urheberrechts braucht auch weder gleichwertig mit der Leistung des Lizenzgebers zu sein noch ist es problematisch, dass die Verfügung zugunsten der Allgemeinheit vorzunehmen ist; unschädlich wäre sogar, wenn die Gegenleistung ausschließlich an Dritte erfolgte.146 Im Ergebnis erweist sich das Vertragsrecht als flexibel genug, um den Selbstund Fremdbindungen der GPL eine causa unterschieben zu können. Dass die GPL auch eine Form der Fremdbindung mit sich führt, sollte freilich nicht die grundlegende Idee des »initial grant« verwischen, der in der GPL liegt: Ihre zentrale Idee ist die Stiftung von Nutzerfreiheiten. Die Handlungsmöglichkeiten der Nutzer werden in einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Weise erweitert, so dass dezentrale Innovationsprozesse möglich werden. Doch die Stabilisierung dieser Prozesse erfordert – und darum ging es im vorliegenden Abschnitt – auch ein Moment der Fremdbindung auf Seiten der Nutzer. Die GPL gewährt »Nutzungsfreiheit unter Auflagen«. 144

Richtiger Einwand bei Spindler, Rechtsfragen, Kap. C Rn. 16. Aufschlussreiche Beobachtungen diesbezüglich bei Köndgen, Selbstbindung, 238 f. und 264. 146 Vgl. Emmerich, in: MüKo, Vor § 320 Rn. 6. 145

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d. Schranken der Fremdbindung Die Rechtsordnung setzt der von der GPL erstrebten Fremdbindung der Lizenznehmer in verschiedenen Hinsichten Schranken. Die nächstliegende Referenz bilden die Bestimmungen des gesetzlichen Urheberrechts. Unter den denkbaren Aspekten, nach denen die Vereinbarkeit der GPL problematisiert werden kann, interessiert vorliegend besonders die Zulässigkeit der Weitergabeverpflichtungen.147 Tatsächlich scheint der urheberrechtliche Erschöpfungsgrundsatz (§ 17 Abs. 2, § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG) auf den ersten Blick dem Regelungsanspruch der GPL mit ihren Weitergabepflichten entgegenzustehen.148 Denn nach diesem (zwingenden) Rechtssatz erschöpft sich an einem vom Urheber selbst oder mit seiner Zustimmung von einem Dritten in den Verkehr gebrachten Werkstück das Verbreitungsrecht, so dass der Urheber die Weiterverbreitung nicht mehr an sich untersagen oder von (vertraglichen) Bedingungen abhängig machen kann. Ein Zweitveräußerer der GPL-lizenzierten Software hätte insoweit freie Verfügungsbefugnis. Die Verpflichtung etwa zur Mitlieferung des Source-Codes würde ihn nicht wirksam binden,149 und der Zugang zum Quellcode wäre nicht sichergestellt. Im Zuge einer progressiven Rechtsanwendung wäre insofern zu erwägen, ob nicht in Fällen der Verbreitung von OSS der Anwendungsbereich des Erschöpfungsgrundsatzes teleologisch zu reduzieren ist. Dessen Zweck ist es, das im Individualinteresse bestehende Verbreitungsrecht des Urhebers auf das erstmalige Inverkehrbringen zu beschränken und dem Rechtsinhaber im Interesse der Allgemeinheit die Kontrollbefugnis über die Weiterverbreitung zu nehmen. Es ließe sich jedoch argumentieren, dass bei der Nutzung von OSS ein solcher Gegensatz von Individual- und Allgemeininteresse von vornherein nicht besteht: Dadurch, dass der Urheber sein Werk unter der GPL in Verkehr bringt, werden die sonst erst auf der Stufe der Weiterverbreitung eröffneten Freiheiten der Nutzer gleichsam eine Stufe »vorgezogen«. Zugespitzt könnte man sagen, dass mangels exklusiver Inanspruchnahme des Verbreitungsrechts auch dem auf die Korrektur der Exklusivität zielenden Erschöpfungsgrundsatz der Anwendungsbereich entzogen ist. Das läuft darauf hinaus, den zweiten und jeden folgenden Erwerber von OSS als einen Ersterwerber zu behandeln. Mit ihrem Modell der Direktlizenzierung verfolgt die GPL tatsächlich eine solche Fiktion der Erstverbreitung. Um in den Genuss der Nutzerfrei147

Zur Vereinbarkeit mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht vgl. etwa Jaeger/Metzger, OpenSource Software, Rn. 129. 148 Kritisch etwa Spindler, Rechtsfragen, Kap. C Rn. 93 ff.; Plaß, GRUR 2002, 670 (679 f.); Hoeren, CR 2004, 776 (777). 149 Damit nicht zu verwechseln ist der Fall, in dem der Ersterwerber selbst gegen die GPL verstößt. Hier fehlt es an einer Inverkehrgabe mit Zustimmung des Urhebers, so dass eine Erschöpfung nicht eintreten kann.

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heiten zu kommen, soll sich auch der Zweiterwerber den Lizenzpflichten unterwerfen müssen. Wäre diese Fiktion wirksam, würde sich die GPL den Umstand zu Nutze machen, dass die Erstverbreitung als solche nicht vom Erschöpfungsgrundsatz erfasst wird und deswegen vom Urheber beschränkt werden kann.150 Auf eine solche Einschränkung des Erschöpfunsgrundsatzes, die kritisiert wird, weil sie diesen zur Disposition einer Interessenabwägung zwischen Verkehrsfähigkeit und Direktlizenzierung stelle,151 ist die GPL zu ihrer Effektuierung indessen gar nicht angewiesen. Das liegt an dem sowieso schon eng begrenzten Anwendungsbereich des Grundsatzes. Erstens kann die Erschöpfung des Verbreitungsrechts nur in Bezug auf körperliche Werkexemplare eintreten, so dass der häufige Fall von rein online, im Internet zum Herunterladen angebotener Software nicht erfasst wird.152 Zudem erschöpft sich allein das Verbreitungsrecht, nicht aber die anderen Verwertungsrechte. Der Erwerber/ Zweitveräußerer darf deshalb keine Kopien des Erwerbsstücks anfertigen und verbreiten, noch darf er eine angefertigte Bearbeitung verbreiten.153 Ohne Vereinbarung mit dem Urheber stehen ihm nur die gesetzlichen Rechte der §§ 69a ff. UrhG zu. Es verbleibt damit nur der Fall, dass ein lizenzkonform in Verkehr gebrachtes Werkstück vom Erwerber/Zweitveräußerer unverändert weitergegeben wird. Nur bezüglich dieses einen Werkstücks hat sich das Verbreitungsrecht des Urhebers erschöpft mit der Folge, dass das Werkstück ohne Beachtung der Lizenzpfl ichten weiterveräußert werden kann. Die praktische Relevanz dieser Konstellation ist jedoch gering und stellt das Lizenzmodell nicht in Frage. Denn da jedermann die Möglichkeit hat, durch Abschluss der GPL zum Vertriebsberechtigten zu werden, dürften Dritte kaum vor der Situation stehen, auf dem Markt ausschließlich solche Kopien vorzufinden, an de150 Um das sinnvoll zu kritisieren, muss man schon sehr grundsätzlich ansetzen und die Annahme eines Lizenzvertrages überhaupt hinterfragen. So aber in der Tat Hoeren, CR 2004, 776 (777), der die dauerhafte Softwareüberlassung als Rechtekauf einordnet. Dagegen jedoch ebenso grundlegend Hilty, Lizenzvertragsrecht, passim sowie ders., MMR 2003, 3 ff. Differenzierend Metzger, CR 2004, 778 (779), der im Ergebnis zu recht die Annahme eines Lizenzvertrages bei der Überlassung von OSS für die überzeugendere Lösung hält. 151 Vgl. Spindler, K&R 2004, 528 (534), ihm folgend Schulz, Dezentrale Entwicklung, Fn. 570. 152 Zur Erschöpfungsproblematik bei online zugespielten Programmen allgemein vgl. Dreier/Schulze, UrhG, § 69c Rn. 24; speziell für OSS vgl. nur Spindler, Rechtsfragen, Kap. C Rn. 100. Die dadurch begründete unterschiedliche Behandlung von Online-Produkten und körperlichen Produkten findet ihre Rechtfertigung darin, dass bei letzteren die Eigenschaft als handelbare Ware und damit das Bedürfnis nach Verkehrsfähigkeit stärker im Vordergrund steht, während es beim Online-Vertrieb oft eher um die Nutzungsmöglichkeit als solche geht, vgl. Plaß, GRUR 2002, 670 (678). 153 Vgl. ifrOSS-GPL, Ziff. 4 Rn. 19 ff. gilt die Erschöpfung grundsätzlich auch für OSSWerkexemplare. Erfasst werde aber nur das Verbreitungsrecht, nicht auch andere Nutzungsrechte (Bearbeitungsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung). Der Erwerber eines Werkstücks dürfe also nicht eine Bearbeitung verbreiten.

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nen sich das Verbreitungsrecht bereits erschöpft hat und deren Veräußerer sämtlich die Quellcodelieferung verweigern.154 Weitere Schranken der Fremdbindung ergeben sich aus den Regelungen der §§ 305 ff. BGB über Allgemeine Geschäftsbedingungen, weil die Bedingungen formularvertraglich gestellt werden. Als danach nicht rechtfertigbar erweist sich indessen nur der formularmäßige vollständige Ausschluss von Gewährleistung und Haftung.155 Keine unangemessene Benachteiligung des Lizenznehmers enthalten dagegen die Weitergabepflichten der GPL. Insbesondere kann kein Widerspruch zum zwingenden Erschöpfungsgrundsatz mit der Begründung konstruiert werden, die GPL sei zu weit gefasst, wenn sie jegliche Weiterverbreitung für den Fall untersagt, dass ihre Bedingungen nicht eingehalten würden.156 Speziell mit Blick auf das Copyleft ist im Rahmen von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu berücksichtigen, dass durch die Regelung des § 32 Abs. 3 Satz 3 UrhG das gesetzliche Leitbild eines Anspruchs auf angemessene Vergütung nach § 32 Abs. 1 UrhG in sich differenziert worden ist und die Möglichkeit der unentgeltlichen Einräumung eines einfachen Nutzungsrechts »an jedermann« (und eben nicht nur gegenüber einem bestimmten Vertragspartner) ausdrücklich vorsieht. Auch ist kein Verstoß gegen Treu und Glauben zu besorgen (vgl. § 307 Abs. 1 BGB), weil es gerade dem Fairness-Gedanken entspricht, wenn der Lizenznehmer zu einer Einschränkung von Rechten an einer Bearbeitung verpflichtet wird, die er nur hat durchführen können, weil zuvor der Lizenzgeber seinerseits sein Ausschlussrecht eingeschränkt hatte.157 4. Die private Konstruktion von Gemeinschaftsgütern in Netzwerken Auch wenn sich danach im Ergebnis die Konstruktion von OSS-Lizenzen mit der staatlichen Rechtsordnung vereinbaren lässt, sind Spannungen im Verhältnis zum gesetzlichen Leitbild der Eigentumsfunktion nicht zu übersehen. Der Grund dafür liegt in den Funktionsvoraussetzungen der neuen Form der Wissenserzeugung im Netzwerk. Diese neue Institution der Wissensteilung verlangt nach einer privaten Konstruktion von Gemeinschaftsgütern. 154

Vgl. Schulz, Dezentrale Entwicklung, Fn. 557, a. E. Stellvertretend Jaeger/Metzger, OpenSource Software, 220 ff. Nicht gefolgt werden kann der Auffassung von Hoeren, in: FS Kollhosser, 229 (239), die Anwendung des AGBRechts führe zur »gänzlichen Vernichtungsmöglichkeit der GPL« und noch weniger dem Schluss (240), OSS sperre sich selbst gegen eine juristische Betrachtung. Dass es sich bei OSS um eine »Neuerung im Softwarebereich« handelt (239), ist zwar richtig, lässt aber unberücksichtigt, dass dieses innovative Softwareprodukt auf einer neuen Form der sozialen Kooperation von Individualakteuren in Netzwerken beruht und dass die Beteiligten durch die Verwendung der GPL rechtliche Verbindlichkeit der Nutzungsmodalitäten erreichen wollen. 156 Vgl. LG München, MMR 2004, 693 (695). 157 Vgl. die Anm. von Kreutzer, MMR 2004, 695 (697). In diesem Zusammenhang ist auch kein Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 3 Satz 2 BGB) zu erkennen. 155

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Völlig zu Recht sind insofern OSS-Projekte als Ausdruck eines neuen »private-collective innovation model« bezeichnet worden, dessen Kennzeichen es ist, dass private Ressourcen für die Produktion öffentlicher Güter eingesetzt werden.158 Dieses Innovationsmodell ist auch im biotechnologischen Sektor immer häufiger anzutreffen, wo Firmen gezielt in die Erzeugung gemeinfreien Wissens investieren (sog. »Property-Preempting Investments«), um grundlegende genetische Informationen – die als Input für zukünftige eigene angewandte Forschung dienen sollen – dem schutzrechtlichen Verschluss durch Konkurrenten zu entziehen und strategischen Blockierungen mit Hilfe des geistigen Eigentums zuvorzukommen. Auf diese Weise ermöglichen sie gleichzeitig positive Externalitäten, da die entsprechenden genetischen Informationen auch von Dritten für deren eigene Tätigkeit zugänglich sind.159 Um solche privat geschaffenen Arrangements zur Schaffung von Gemeinschaftsgütern abzusichern, muss das Privatrecht Funktionen realisieren, auf die seine Formen zwar nicht von Hause aus eingerichtet sind, auf die sie aber sehr wohl eingestellt werden können. Was die Konstruktion von Software als Gemeinschaftsgut im Netzwerk betrifft, sei noch einmal auf die zu Grunde liegende soziale Struktur hingewiesen. Sie wird deutlich, wenn man OS-Lizenzen zu Argumentationszwecken nicht als rechtlich bindende Verträge, sondern als Ausdruck einer faktischen Sozialverfassung betrachtet. »In the absence of hierarchical authority, the license becomes the core statement of the social structure that defines the community of open source developers who participate in a project.«160 Statt Nutzungsbedingungen für Software würde die Lizenz dann Normen und Standards für die Kooperation innerhalb der Entwicklergemeinschaft formulieren. Kernstück und Grundlage dieses Sozialkontrakts ist der Gedanke: »that no one should be able to take nonreciprocal advantage of the community’s joint effort.«161 Nur wenn die Anschlussfähigkeit kollektiv erzeugten expliziten Wissens gewährleistet ist, lassen sich die Vorteile dezentraler Umweltbeobachtung für die Innovation/Weiterentwicklung eines (komplexen) Produkts realisieren. Die Betrachtung der Lizenz als Sozialkontrakt macht deutlich, dass die Wissensteilung im Netzwerk eigenen Funktionsvoraussetzungen folgt, die spezifische Anforderungen an den Freiheitsgebrauch der Individualakteure stellt. Folgt man diesem Gedanken, lässt sich die Umpolung der Eigentumsfunktion in Netzwerken inhaltlich schärfer fassen: Die Eigentumsfreiheit des Individualakteurs wird überlagert von den Anforderungen, die eine freie Nutzung des Wissens durch andere Entwickler stellt. Aus Sicht des einzelnen Entwick158 159 160 161

So von Hippel/von Krogh, Organization Science 14 (2003), 209 (213). Vgl. Merges, University of Chicago Law Review 71 (2004), 183. Weber, Success, 179. Weber, Success, 183 (Hervorhebung hinzugefügt).

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lers kommt es zu einer »heteronomen Inhaltsbestimmung«162 seiner schutzrechtlichen Kompetenzen in dem Moment, in dem er durch private Zugangsregeln als Gemeinschaftsgut ausgestaltete Software auf urheberrechtlich relevante Weise nutzt. »The community’s products are open for taking; but if you take, you must give back essentially anything that you do with the product.«163 Im Mittelpunkt des Netzwerks steht die dezentrale Nutzung kollektiv erzeugten Wissens durch die Schaffung von Gemeinschaftsgütern. Durch die Unterstellung der Software unter die GPL kommt es zur Dezentralisierung des Nutzungsrechts164 und folglich zur Dezentralisierung der Selektionsautorität hinsichtlich ein und derselben Ressource,165 was die Chance für deren innovativen Einsatz multipliziert. Rechtlich verbindlich wird diese Nutzungsordnung sui generis vor allem durch die copyleft-Klausel, die die einseitige Appropriierung von Kooperationsvorteilen zu verhindern sucht. Die sonst mit dem Eigentum verbundene exklusive Zuordnung einer Ressource wird zugunsten der Nutzbarkeit durch Dritte unterlaufen, von denen aber reziprozitär die gleiche Form der Dezentralisierung eigener Eigentumsrechte zugunsten der Nutzeröffentlichkeit erwartet wird. Rechtskonstruktiv ist die Bindung an das »Ziel« einer freien Nutzbarkeit des Wissens im Netzwerk auf verschiedenen Wegen verwirklichbar: ob als »nachhängende« Verpflichtung im Rahmen eines Schenkungsvertrages oder als bedingte Pflicht eines gegenseitigen Lizenzvertrages sui generis, jeweils quasidinglich gesichert durch Stellung einer auflösenden Bedingung, oder ob als dingliche inhaltliche Nutzungsbeschränkung im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 2 UrhG. Stets geht es darum, das urheberrechtliche Verbotsrecht an einer mit Hilfe von Netzwerkressourcen geschaffenen neuen Ressource einer Verwendungsbindung im Netzwerk zu unterwerfen. An diesem »constraint« manifestiert sich das die Einzelinteressen übergreifende Fortsetzungsinteresse des Netzwerks und seiner Synergien.166 Die Bestimmungsmacht des Schutzrechts wird also von der kooperativen Nutzung im Netzwerk als einer bestimmten Form der Wissensteilung her rekonfiguriert. In § 3 war gezeigt worden, dass auch das Kartellrecht eine solche 162 Formulierung im Anschluss an Teubner, Netzwerk, 134, dort freilich mit Bezug auf die Veränderung, die das privatautonome Rechte- und Pfl ichten-Programm eines Vertrages durch seine Einbeziehung in einen Vertragsverbund erfährt. 163 Weber, Success, 182. 164 Genauer: eine Dezentralisierung des Vertriebs- und Entwicklungsrechts oder, in den Worten des UrhG, des Verbreitungs- und Bearbeitungsrechts. 165 Im Vergleich zu den gesetzlich gewährten Ausschließungsbefugnissen kommt es zu einer »Verdünnung« (attenuation) des Eigentumsrechts. 166 Die Herausbildung von »constraints« ist kennzeichnend für vernetzte Verträge, bei denen der eigentliche Sinn der Parteivereinbarung nicht mehr auf der Ebene der Willenserklärungen der jeweiligen bilateralen Verträge, sondern auf derjenigen ihrer Kopplung zu suchen ist, vgl. Amstutz, KritV 89 (2006), 105 (121 ff.) mit grundlegenden Überlegungen zur Verfassung von Vertragsverbindungen.

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§ 4 Netzwerk als Institution der Wissensteilung: OSS-Projekte

Rekonfiguration eigentumsrechtlicher Befugnisse vornimmt, wenn es darum geht, den Wettbewerb als Mechanismus der unabhängigen Nutzung verteilten Wissens zu erhalten. Es entscheidet anhand autonomer, an der Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausgerichteter Kriterien, wann es das »Verbesserungsrecht« an einer geschützten Ressource dezentralisieren will. Vorliegend besteht freilich die Besonderheit, dass die Rekonfiguration nicht durch die Anwendung von Gesetzesrecht erfolgen soll, sondern durch private Zugangsregeln, die sich legitimatorisch »nur« auf privatautonome Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der jeweiligen staatlichen Rechtsordnung stützen können. Allerdings liegt hierin zugleich eine Chance mit Blick auf die Internationalisierung von Zugangsregeln. Während sich durch staatliches Recht formulierte Schranken offenbar nur schwer bis kaum harmonisieren lassen, sofern sie überhaupt eine Rolle im Konventionsrecht spielen, dessen Schwerpunkt ganz dem Schutz der Rechtsinhaber gilt, ist die Privatautonomie überall fester Bestandteil der Rechtsordnungen. Die Anerkennung von OSS-Lizenzen in den nationalen Rechtssystemen vorausgesetzt, ruht die Schaffung der »Global Information Commons« also zu guten Teilen in den Händen des Privatrechts. Es ermöglicht und moderiert die autonome Erweiterung der gesetzlichen Nutzungsschranken durch offene Lizenzen,167 die sich so als »private Lösung« der Angewiesenheitsproblematik im Sinne von Art. 14 Abs. 2 GG darstellt.168 Längerfristig wird die Anerkennung eines innovativen Instruments wie der GPL durch die Rechtsanwendung davon abhängen, ob Bereitschaft besteht, das Netzwerk als eigene Form sozialer Koordination alternativ neben dem Markt anzuerkennen. Es müsste zu einer analogen Entwicklung wie bei der Rechtsverfassung des Marktes mit Hilfe des Kartellrechts kommen, die historisch gesehen jedoch erst in Gang gesetzt wurde, als man erkannte, dass Wettbewerb kein naturwüchsiger Prozess ist, sondern sich die Vorteile marktlicher Koordination vielmehr nur dann erhalten lassen, wenn die Voraussetzungen beachtet werden, unter denen Verträge zu wirksamem Wettbewerb führen. Entsprechend wäre es Programm und Auftrag eines dem Marktordnungsrecht an die Seite zu stellenden »Netzwerkordnungsrechtes«, die Voraussetzungen 167 Das Instrument der offenen Lizenzierung ist damit gleichsam das Gegenstück zu den (mit vertraglichen und technologischen Mitteln geführten) Versuchen vieler Urheber, den Schutzinhalt ihres Rechts über den gesetzlichen Umfang hinaus auszudehnen und entsprechend Nutzungsschranken einzuschränken. 168 Ähnlich lässt sich auf dem Gebiet des Verbrauchervertragsrechts das Entstehen von transnationalen Zivilregimes beobachten, vgl. wegweisend Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, insbes. 286 ff. Die Entwicklung eines transnationalen Verbrauchervertragsrechts wird angetrieben von der durch den elektronischen Geschäftsverkehr ermöglichten Globalisierung der Vebrauchermärkte einerseits und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Gerechtigkeit auf Weltverbrauchermärkten andererseits, dem von den staatlichen Rechtssystemen auf nationaler wie internationaler Ebene nicht zufrieden stellend nachgekommen wird. Das zwischenstaatliche Recht zeigt sich auch hier ungeeignet zur Schaffung umfassender Lösungen.

III. Rechtliche Verfassung des Netzwerks

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für die Wissensteilung in Netzwerken zu normativieren – und sei es anfänglich durch richterliche Validierung privater Arrangements. Während freilich das Kartellrecht die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer schützt, steht beim Netzwerkordnungsrecht im Mittelpunkt, die Freiheiten der Nutzer abzusichern. Die eigentlichen Probleme bei der rechtlichen Verfassung von Netzwerken sind dann weniger bei der Einpassung in bestehende dogmatische Strukturen zu erwarten als vielmehr bei Sachverhalten, in denen Netzwerk- und Marktlogik unversöhnlich aufeinander treffen. Denkbare Kollisionen mit dem auf dem Ausschließlichkeitsprinzip beruhenden Knappheitsdiskurs der Wirtschaft dürften aber solange kein Problem darstellen, wie die Einheiten des Netzwerks natürliche Personen ohne Marktmacht sind.

§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung durch Zugangsregeln für Computernetzwerke Die Institutionen der Wissensteilung bewirken die kollektive Erzeugung von Wissen durch eine je spezifische Strukturierung von Kommunikation. Bisher konnte nur angedeutet werden, dass die Prozesse der Wissensteilung durch die vorausgesetzte Bindung an Kommunikation auch von der Entwicklung der (Verbreitungs-)Medien der Kommunikation beeinflusst werden. Im Folgenden sei dieser Einfluss am Beispiel des neuen Mediums »Internet« näher dargestellt. Um dessen Funktion als Medium dezentraler Wissensteilung zu gewährleisten, werden sowohl die Rechte der Netzeigentümer wie die von Inhalteanbietern durch Zugangsregeln in einer bestimmten Weise (re-)konfiguriert. Erkennbar wird dem Internet der Status eines Gemeinschaftsguts gegeben. Als solches wird es auch geschützt vor Beeinträchtigung durch Eigentümer von Ressourcen, durch deren Nutzung das Medium erst konstituiert wird.

I. Medienentwicklung und soziale Evolution Die vorstehenden Betrachtungen galten der sozialen Dimension der Wissensteilung. Untersucht wurde die kognitive Funktion ausgewählter Formen der sozialen Kooperation. Sie lassen sich interpretieren als Verfahren, durch die soziale Systeme ihren Wissensbestand anreichern können, weil die partizipierenden Bewusstseinssysteme zur (mehr oder weniger gehaltvollen) Mitteilung dezentraler Umweltbeobachtung veranlasst werden. Grundlegendes Element sozialer Systeme ist die Kommunikation, die insofern als unteilbar vorausgesetzt wird. Allerdings wurde bereits darauf hingewiesen, dass (urheberrechtliche) Schutzrechte die Materialität von Kommunikation berühren, insofern sie den Gebrauch von (Verbreitungs-)Medien der Kommunikation regulieren. Dadurch beeinflussen sie die Möglichkeiten der Wissensteilung in sozialen Systemen. Damit ist bereits die Tür zu einem komplexeren Begriff von Kommunikation aufgestoßen, der den semantischen Möglichkeitsraum in Abhängigkeit von den Medien der Kommunikation bringt. Die Nutzung verteil-

I. Medienentwicklung und soziale Evolution

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ten Wissens in der Gegenwart mit Hilfe bestimmter (ihrerseits technologisch vermittelter) Kommunikationsformen und die Anreicherung von Wissensbeständen über die Zeit lassen sich nicht scharf voneinander trennen: »because the tools of communication between contemporaries are part of the cultural heritage which man constantly uses in the pursuit of his ends«.1 Wenn es richtig ist, dass die Formen der Wissensteilung wesentlich von den jeweils eingesetzten Medien – also unterschiedlichen Arten der strukturellen Kopplung zwischen Bewusstseins- und sozialen Systemen – bestimmt werden, so haben Veränderungen in der Medientechnologie unmittelbare Bedeutung für die Funktionsweise von sozialen Systemen, 2 und die Entwicklung von Wissensteilung liegt im Schnittfeld von sozialer und technologischer Evolution. Die Annahme einer solchen Abhängigkeit findet ihre Resonanz in jüngeren Ansätzen der Medientheorie, nach denen Medien nicht einfach nur (Hilfs-) Mittel der Kommunikation sind, sondern eine transzendentale, mithin sinnund welterzeugende Funktion besitzen.3 Auch die Philosophie wird in ihrer Entwicklung offenbar zu einer schrittweisen Anerkennung der grundsätzlichen Medienabhängigkeit des menschlichen Erkennens geführt. 4 Nach dem Paradigmawechsel des linguistic turn, der in seiner Kritik jeder Repräsentationstheorie der Bedeutung die unaufhebbare Sprachvermitteltheit des Denkens als auch der Gegenstandserkenntnis herausgestellt hat, wird jüngst immer mehr auf die Konstitutivität der Medien und ihrer je eigenen Materialität für die Ausdifferenzierung von Sinn hingewiesen. So wird etwa in Bezug auf die Sprache überzeugend nachgewiesen, dass der Übergang von Oralität zu Literalität, und zwar insbesondere in Form der Alphabetschrift, einen maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung rationalen Denkens besessen hat. 5 Später stellt der Buchdruck eine wesentliche Bedingung für die Ausdifferenzierung von Spezialsemantiken in sozialen Funktionssystemen dar, die den Übergang zur modernen Gesellschaft markiert. Entsprechend nachhaltig werden die Auswirkungen des letzten großen Schrittes in der Medienevolution – die Entwicklung digitaler Medien – für die gesellschaftliche Evolution sein. Eine Konsequenz ist jedoch bereits heute deutlich und in dem vorliegenden Zusammenhang besonders wichtig: Es kommt jetzt endgültig zu einer Destabilisierung der Differenz von Materialität und Sinn in der Kommunikation. Im Falle des Computers kann die Materialität oder besser Technizität des Medi1

Wie Hayek, The Constitution of Liberty, 27 hellsichtig bemerkt. Vgl. auch Vesting, in: FS R. Schmidt, 427 (429): Generierung und Verteilung von Wissen sind medienabhängig. 3 Siehe etwa den Überblick bei Lagaay/Lauer, in: dies. (Hrsg.), Medientheorien, 7 ff. (insbes. 12). 4 Vgl. Villers, Das Paradigma des Alphabets, 20 ff. 5 So in der Arbeit von Villers, Das Paradigma des Alphabets. 2

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§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung

ums nicht mehr übergangen werden. Die Systemtheorie stößt auf diesen Umstand, wenn sie von der durch Computer vermittelten Kommunikation sagt, in ihr sei die Einheit von Mitteilung und Verstehen aufgegeben, weil Kommunikation jetzt von der innermaschinellen Informationsverarbeitung abhängig werde. 6 Den Implikationen dieser Beobachtung für den Medienbegriff selbst geht die Systemtheorie freilich (bisher) kaum näher nach.7 Sie interessiert sich vielmehr für die durch diese Abhängigkeit neu gewonnene Unabhängigkeiten der Komponenten des verwendeten Kommunikationsbegriffs: während durch Schrift eine räumliche und auch zeitliche Entkoppelung von Mitteilung und Verstehen erreicht wurde, ist nun nicht mehr sicher, dass es um dieselbe Information geht. Der Computer bezieht auch die Sachdimension des Sinns der Kommunikation in die Entkoppelung ein. 8 Das bedeutet positiv, dass Computer eine neue Form der strukturellen Kopplung darstellen könnten zwischen einer durch eigene Operationen konstruierten (und weder für Bewusstsein noch Kommunikation zugänglichen) Realität einerseits und Bewusstseinsbzw. Kommunikationssystemen andererseits.9 Dann wäre erstmals eine Evolution des Gesellschaftssystems denkbar, die sich von menschlichem Bewusstsein in Teilen ablöst.

II. Computer als technisches Medium Diesseits solcher Ausblicke auf neuartige stabile Kopplungen der sozialen Systeme an künstlich erzeugte »Aktanten«, deren Interaktion mit menschlichen bewusstseinsbasierten Akteuren (wie die Interaktion von menschlichen Akteuren untereinander) von doppelter Kontingenz geprägt ist,10 ist aber bereits heute der Einfluss der Verwendung von Computern/Computernetzwerken als Medium zur Kopplung zwischen Bewusstseins- und Sozialsystemen greifbar. Es muss berücksichtigt werden, dass der Computer ein technisches Medium ist, dessen Formen von einer eigenen digitalen Codeschrift abhängig sind. Software ist nicht einfach nur Umwelt sinnhaften Kommunizierens, sondern wandert als technisch vergegenständlichte Schrift selbst in den Kern des Kommunikationsmediums ein.11 Entsprechendes gilt für die beim Transport von Daten 6

Vgl. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 309. Zur »Technikvergessenheit der Systemtheorie« eindringlich Karavas, Digitale Grundrechte, 146 ff. 8 Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 310. 9 So die interessante Spekulation von Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, 117 f. 10 Näher zur Akteursqualität von nicht-menschlichen Entitäten im Recht vgl. Teubner, Zeitschrift für Rechtssoziologie 27 (2006), 5 ff. Von besonderem Interesse im vorliegenden Zusammenhang sind die Ausführungen zur Anerkennung einer Rechtspersönlichkeit von computerbasierten »elektronische Agenten« im Geschäftsverkehr (15 ff.). 11 Vgl. Vesting, in: Ladeur (Hrsg.), Innovationsoffene Regulierung des Internet, 155 (180), 7

II. Computer als technisches Medium

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in Computernetzwerken verwendeten technologischen Architekturen.12 Kommunikation in sozialen Systemen wird damit in dem Maße, wie sie über Computer läuft, in ihren Möglichkeiten abhängig von der technologischen Struktur dieses Mediums. Im Unterschied zum mechanischen Speicher des Buches wird der elektronische Speicher des Computers als Artefakt für das operative Gedächtnis eines Sozialsystems erst lesbar durch »Zwischenschaltung« der digitalen Codeschrift, deren binärer Sinn durch das Prozessieren des Computers verarbeitet und laufend transformiert wird.13 Dadurch gewinnen die technologischen Voraussetzungen für Kommunikation maßgeblichen Einfluss auf systemische Wissensteilung. Diese läuft zwar nach wie vor über soziale Institutionen wie Wettbewerb oder KooperationsNetzwerke, die die Umweltbeobachtung der partizipierenden Bewusstseinssysteme dirigieren. Wenn aber Systemwissen (jedenfalls in Teilbereichen der Gesellschaft) nur noch kraft elektronischer Artefakte aktualisierbar ist, entscheidet die Nutzbarkeit der technischen Medien über die Möglichkeitsbedingungen für systemische Kommunikation: So wie die Verfügbarkeit materialer Wissensartefakte die Wissensteilung beeinflusst (und über Urheberrecht gesteuert werden kann),14 so beeinflusst auch die Nutzbarkeit elektronischer Wissensartefakte die Wissensteilung, d. h. die Möglichkeiten des Systems, beim Aufbau von Systemwissen vom dezentralen Umweltwissen der unterschiedlichsten Akteure zu profitieren. Mit Blick auf die konkrete Einrichtung solcher Technologien – insbesondere den technischen Prinzipien, denen der Informationsverkehr im Internet folgt – kann man insofern von technischen Institutionen der Wissensteilung sprechen. Sie treten neben die sozialen Institutionen der Wissensteilung. Das lässt sich gut vereinbaren mit dem Begriff der Institution, der dem Kern nach generalisierende Parameter von Interaktion bezeichnet und deswegen auch die Regulierung von Kommunikation nicht nur durch Wettbewerb, Hierarchie und Rechtsnormen, sondern eben auch durch Technologie beherbergen kann.15 Freilich ist damit noch nichts gesagt über das Verhältnis, in dem technische zu sozialen Institutionen stehen und auf soziale für den diese Technizität signalisiert, dass der Medienbegriff nicht länger von der natürlichen Sprache als dem grundelegenden Kommunikationsmedium entwickelt werden könne (179). 12 Während Luhmann etwas grobkörnig von »Computern« spricht, ergeben sich die interessanten Veränderungen aus Sicht der Systemtheorie gerade aus der Verwendung von »Computernetzen« zur Kommunikation, wie Werber, in: de Berg/Schmidt (Hrsg.), Rezeption und Reflexion, 322 (328) bemerkt. Das sieht Luhmann freilich selbst, wie sich aus Fn. 210 in Gesellschaft der Gesellschaft, 309 ergibt. 13 Vgl. Vesting, in: Ladeur (Hrsg.), Innovationsoffene Regulierung des Internet, 155 (181). 14 Vgl. oben § 1 II 1. 15 Zur faktischen Bestimmung von Handlungsmöglichkeiten durch technologische Architekturen vgl. Lessig, Code, 85 ff.

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§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung

Systeme einwirken.16 Keineswegs determiniert die technologische Struktur des Mediums den Zeichengebrauch im sozialen System. Andererseits wird sie aber von einer (digital codierten) Symbolik abhängig, deren Verarbeitung sich einer den Regeln der sprachlichen Grammatik gleichen Verfügbarkeit entzieht. Aus Sicht der sozialen Kommunikation besteht die neue Situation darin, dass sich ihr Medium laufend verändert, und zwar selbst verändert. Um die dadurch eintretende Abhängigkeit der sozialen Kommunikation von technischer Informationsverarbeitung bei gleichzeitiger operativer Eigenständigkeit der emergenten sozialen Kommunikationssysteme zu bezeichnen, wird man von einer »abhängigen Unabhängigkeit« zwischen Sozialsystem und technischem Medium ausgehen müssen. Die herausgestellte Abhängigkeit sinnhaften Kommunizierens von technischer Medialität bedeutet freilich nicht, dass die technologische Ebene der gesellschaftlichen Verfügbarkeit entzogen wäre. Das würde sofort die Frage nach dem Träger von Medienevolution provozieren. Es sind die sozialen Systeme, die nicht nur über die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Kommunikationstechnologien entscheiden, sondern auch Regeln für die Nutzung vorhandener Medien treffen. Im Folgenden soll zunächst die Bedeutung von Zugangsregeln (bezogen auf materielle wie immaterielle Ressourcen) für die Ordnung des Informationsverkehrs in Computernetzen am Beispiel des Internet erörtert werden.

III. Internet als diskriminierungsfreies Computernetzwerk Das Internet bietet in bisher unbekannter Weise Möglichkeiten zur dezentralen Massenkommunikation. Anders als Fernsehen oder Rundfunk, in denen der Nutzer ausschließlich Rezipient einer Informationsdienstleistung ist, ist das Internet ein Medium zur interaktiven Kommunikation, und anders als bei Telefondiensten kann die Kommunikation an eine (globale) Öffentlichkeit gerichtet werden. Der Nutzer ist nicht auf die Rolle eines passiven Konsumenten 16 Vesting, in: Ladeur (Hrsg.), Innovationsoffene Regulierung des Internet, 155 (180 f.) stellt beide Sphären zunächst einmal nebeneinander, wenn er deren Auseinandertreten konstatiert: »Mit der Software löst sich die Einheit des Zeichengebrauchs auf in einen Zeichengebrauch innerhalb der wechselnden Verwendungsbedingungen sozialer Kommunikation einerseits und eine digital codierte Symbolik andererseits, die die Symbole, die für den Zeichengebrauch in der sozialen Kommunikation notwendig sind, laufend maschinell produziert und reproduziert.« Zugleich zeigt er sich aber – aus der hier vertretenen Sicht zu recht – kritisch gegenüber einer laufend (z. B. in der Rundfunk-Rechtsprechung des BVerfG) fortgeschriebenen Hierarchie des Inhalts gegenüber der Technik (180). Vertiefend zur Kritik an der Auffassung einer »dienenden Funktion« der Telekommunikation gegenüber dem Rundfunk vgl. auch ders., in: FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 219 (234 ff.) mit dem Vorschlag, Rundfunk- und Telekommunikationsrecht in einem »nachbarschaftlichen Kooperationsverhältnis« zu denken.

III. Internet als diskriminierungsfreies Computernetzwerk

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von Informationen beschränkt, sondern kann eigene Inhalte und eigene netzbasierte (Software-)Anwendungen aufgrund eigener Entscheidung verbreiten. Diese Möglichkeit zur dezentralen Nutzung eines (Massen-)Mediums hat sich als äußerst fruchtbar für die Förderung von Innovation erwiesen: entstanden sind innovative Mediendienste, neue Formen der Inhalteproduktion, neue Anwendungsprogramme, neue Medienformate, neue e-Business-Modelle, neue Foren der (öffentlichen/nicht-öffentlichen) Kommunikation, neue Formen der Kooperation.17 Ein maßgeblicher Faktor für diese breite Suche nach neuen, mit dem Medium entstandenen Handlungsmöglichkeiten spielt dabei sicherlich die drastische Senkung der Kosten für den Zugang zu diesem Medium der Massenkommunikation im Vergleich zu früheren (»cheap speech«).18 Dass aber überhaupt neue Handlungsmöglichkeiten erprobt und in Anspruch genommen werden können, geht zurück auf weitreichende Freiheiten zur Nutzung des Mediums. Sie werden an zwei Fronten geschaffen: Zum einen sind die Neuen Medien (bisher) von der im Rundfunkrecht praktizierten staatlichen Regelungsdichte verschont geblieben; eine direkte staatliche Zugangskontrolle (etwa in Form von Sende-Lizenzen) findet nicht statt.19 Zum anderen fehlen – und das ist vorliegend von Bedeutung – (bisher) auch weitgehend private Zugangshindernisse: es besteht ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Komponenten des komplexen Mediums. Anders gewendet, verdanken sich jene Nutzungsfreiheiten der gezielten Konstruktion von Gemeinschaftsgütern – und zwar nicht nur durch rechtliche Regulierung, sondern auch durch technologisches Design. 1. Technologische Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes: Spezifi sche Netzwerkarchitektur (e2e-Prinzip) Das Computernetzwerk »Internet« ermöglicht die Übertragung von Daten zwischen unterschiedlichen Computersystemen (»host-to-host«) über unterschiedliche physikalische Datennetze hinweg. Durch seine spezifische (historisch kontingente) Netzwerk-Architektur ist ein neutrales technisches Medium entstanden, das weder gegen einzelne Anwendungsprotokolle/Dienste noch gegen einzelne übertragene Inhalte diskriminiert. Um das nachzuvollziehen, soll das technische Medium Internet genauer als komplexes modularisiertes Medium beschrieben werden. Das bedeutet, dass der (einheitlich erscheinende) Vorgang der Datenübertragung in einzelne Funktionen aufgespalten wird. Dazu kann auf das in der Informatik zur Be-

17 18 19

Vgl. Lessig, Regulation 27(3) (2004), 38 (40). Diesen Umstand betont besonders Benkler, The Wealth of Networks, 3 f. Vgl. etwa Peifer, in: FS Schricker, 137 (137 und 148) m. w. N.

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§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung

schreibung der Netzwerkarchitektur von Computernetzen gebräuchliche »Schichtenmodell« zurückgegriffen werden. 20 Die »physikalische Schicht« (Physical Layer) organisiert die Übertragung der kleinsten Informationseinheiten (Bits) als elektrische Spannungszustände, insbesondere wird festgelegt, welche physikalischen Datenträger mit welchen Spezifikationen zum Einsatz kommen (drahtgebunden über Koaxial- oder Glasfaser-Kabel, aber auch drahtlos über das elektromagnetische Spektrum); und es wird auf der »Verbindungsschicht« (Data Link Layer) eine Strukturierung der Daten in Frames zu größeren Datenpaketen vorgenommen. Die »Netzwerkschicht« bzw. »Internetschicht« bestimmt die Route der Datenpakete durch das Netzwerk vom Quell- zum Zielhost (Routing). Auf dieser Schicht wird dafür gesorgt, dass trotz der Unterschiede von physikalischer und Verbindungsschicht in verschiedenen Netzen ein Datenaustausch möglich wird. Um eine solche Verbindung von Netzen (internetwork oder »network of networks«) herzustellen, wird im speziellen Fall des globalen »Internet« ein (und nur ein) standardisiertes Protokoll verwendet, das IP-Protokoll (Internet Protocol), das die von der nächst höheren »Transportschicht« (Transport Layer) übernommenen Datenpakete zur Übermittlung »verpackt« und unabhängig von allen anderen Paketen separat weiterleitet (»connectionless delivery«). Die Transportschicht selbst ist für die Zustellung der Datenpakete beim Host zuständig und leistet während der Verbindung (»conncetion-oriented«) eine ständige Fehler- und Flusskontrolle, was im Falle des Internet vor allem nach dem TCP-Protokoll (Transmission Control Protocol) geschieht. Es setzt die von der Netzwerkschicht übernommenen Datenpakete wieder in einer für die »Anwendungsschicht« verständlichen Weise zusammen und zerlegt in umgekehrter Richtung die von dort übernommenen Daten in einzelne Segmente, die dann von der Netzwerkschicht in der geschilderten Weise übernommen werden. Die Anwendungsschicht (Application Layer) bezeichnet die oberste Schicht. Hier werden die übermittelten Daten in eine »Form« gebracht, die letztlich beliebig definiert werden kann. Um sicherzustellen, dass die Daten auf jedem Computersystem des Hosts in der gleichen Form erscheinen (also unabhängig vom verwendeten Betriebssystem), verwenden die einzelnen Internet-Dienste wiederum Protokolle (das WWW etwa das Hypertext Transfer Protocol), die bestimmte Konventionen bei der Datenverarbeitung beachten. 20 Die folgende Darstellung ist am sog. OSI-Modell (Open Systems Interconnection) orientiert, wie es von der ISO (International Standards Organization) vorgeschlagen wurde. Wo erforderlich, werden Entsprechungen im TCP/IP-Modell benannt. Zu betonen ist, dass es sich lediglich um ein Denkmodell handelt, das einzelne Funktionen bei der Datenübertragung systematisch darstellbar macht. Es ist keine konkrete Netzwerkarchitektur, weil es nichts darüber sagt, wie die einzelnden Funktionen konkret (d. h. durch welche konkreten Protokolle und Dienste) zu realisieren sind. Vgl. Tanenbaum, Computer Networks, 37 ff. Für eine Übersicht vgl. auch Sieber, in: Hoeren/Sieber, Multimedia-Recht, Kap. 1 Rn. 29 ff.

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Der evolutionäre Gewinn dieser – speziellen 21 – Form der Modularisierung des Netzwerks besteht darin, dass die Funktionalität des Mediums von seiner Physikalität/Materialität weitgehend unabhängig wird, was insbesondere mit Blick auf seine Weiterentwicklungsfähigkeit von Vorteil ist. Über die Möglichkeiten des Mediums entscheidet jetzt nicht mehr seine physikalische, sondern seine logische Konfiguration, die auf der höheren Netzwerk- und Transportschicht erfolgt. Während in früheren Netzwerken die Routing-Funktionen, die den Informationsfluss ermöglichen, in die das Netzwerk formierende Technik eingeschrieben waren und die logische Architektur gleichsam der Spiegel der physikalischen war, kann jetzt das Medium durch die Programmierung des logischen Codes konfiguriert werden. Die Kontrolle über das Medium und seine Nutzbarkeit (insbesondere durch die Implementation von Diensten auf der Anwendungsschicht) wird durch die Festlegung der Protokolle und Standards der Datenübertragung entschieden. Eine Konsequenz daraus ist, dass die Kontrolle damit nicht mehr automatisch bei dem Eigentümer/Verfügungsberechtigten der physikalischen Netz-Infrastruktur liegt. 22 Eine ähnliche Wirkung hat die Anwendung des Prinzips der Modularisierung auf die Datenverarbeitung durch den Computer, deren Entwicklung ab dem Moment, in dem der Computer als komplexes modularisiertes System betrachtet wurde, enorme Fortschritte machte, weil nun die Entwicklung von Hard- und Software in relativer Unabhängigkeit voneinander möglich wurde. 23 Der gesellschaftliche Wert des Internets als Medium zur dezentralen Massenkommunikation und seine Bedeutung als Innovationsplattform lassen sich aber nur erklären, wenn man berücksichtigt, wie die durch die Modularisierung eröffneten Spielräume beim Design von Netzwerkarchitekturen konkret ausgenutzt worden sind. Unter der Bedingung einer Entkoppelung von Physikalität und Logizität des Mediums ist die Lokalisierung von Funktionen in21 Analytisch betrachtet, bedeutet Modularisierung nur, dass ein gegebenes (technisches, nicht soziales!) System in Komponenten oder »Module« aufgespalten oder »dekomponiert« wird, die untereinander in hohem Maße voneinander unabhängig (»loose coupling«) sind, während ihre eigenen Untereinheiten oder »Elemente« untereinander in hohem Maße interdependent (»tight coupling«) sind. Grundlegend Simon, Proceedings of the American Philosophical Society 106 (1962), 467 (474 f.). Noch nichts gesagt ist damit über die Interaktion dieser Module in künstlichen komplexen Systemen; in diesen müssen Funktionen festgelegt, den Modulen zugewiesen und das Zusammenwirken der Module organisiert werden. »Schichtung« (»Layering«) ist eine spezielle Form der Modularisierung, weil durch die Organisierung der Module in Schichten ihre Interaktion beschränkt und zwar partiell hierarchisiert wird: das einer Schicht zugewiesene Modul kann auf die Funktionalität aller anderen Module in derselben oder einer tieferen Schicht zugreifen, aber nicht auf die Funktionalität des Moduls in einer höheren Schicht. Zu dieser im Softwaredesign gebräuchlichen Definition von Schichtung vgl. van Schewick, Architecture and Innovation, 77 f. 22 Früher musste man der Eigentümer des physikalischen Netzes sein, um das Arrangement zu verändern. 23 Für einen kurzen Überblick über die Entwicklung in der Computerindustrie vgl. Wielsch, European Competition Law Review 25 (2004), 95.

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§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung

nerhalb des Netzwerks nicht mehr determiniert. Die Zuweisung einer bestimmten Funktion zu einer bestimmten Schicht steht zur technologischen Disposition. Im Falle des Internet folgt sie einem Prinzip, das in der Informatik als »End-to-End Principle« (e2e-Prinzip) bezeichnet wird. Es besagt, dass auf den tieferen Schichten eines Netzwerks (in seinem »Kern«) nur generelle Dienste von einer breiten Funktionalität implementiert werden sollen (die so ihre Dienste einer größtmöglichen Diversität von Anwendungen zur Verfügung stellen können), während anwendungsspezifische Funktionen auf höheren Schichten des Netzwerks bei den einzelnen End Hosts und damit »endto-end« zu implementieren sind. 24 Anders ausgedrückt, sollten die den Datentransport bewerkstelligenden Komponenten des Netzwerks so einfach und allgemein wie möglich gehalten werden, während komplexe (»intelligente«) Funktionalität bei den End Hosts anzusiedeln sei, also dort, wo die Nutzer Anwendungen und Informationen in das Netzwerk einspeisen (»stupid network«, »intelligence at the ends«). 25 Genau das geschieht durch die Implementierung des IP-Protokolls auf der Netzwerk-/Internetschicht. Das IP-Protokoll stellt einen Basis-Dienst mit breiter, anwendungsübergreifender Nützlichkeit zur Verfügung: »unreliable, connectionless datagram delivery«. 26 Auf diesen Baustein können komplexere, auf die Erfordernisse bestimmter Anwendungen zugeschnittene Dienste zugreifen und aufbauen. Zugleich stellt die Einfachheit des IP-Protokolls besonders niedrige Anforderungen an den Dienst des physikalischen Netzes. Es muss nur in der Lage sein, Datenpakete einer recht begrenzten Größe an angeschlossene Computer zu übermitteln. Aufgrund dieser niedrigen Spezifikationsanforderungen des IP-Protokolls dient die Internetschicht als Portability Layer, so dass unterschiedliche physikalische Netze ohne aufwendige Umprogrammierungen in der Internetschicht in das Internet inkorporiert werden können. Durch diese vom e2e-Prinzip angeleiteten technischen Designentscheidungen erhält man sich eine weitgehende Flexibilität und Autonomie bei der Konstruktion neuer netzwerkbasierter Anwendungen, die im Zeitpunkt der Konfiguration des Netzwerks noch gar nicht absehbar waren. Neben dieser konstruktiven Plastizität führt eine konsequente Umsetzung des e2e-Prinzips – wie sie jedenfalls die Frühphase der Internetentwicklung kennzeichnete 27 – vor allem aber auch zur Neutralität des Netzwerks: Ein solchermaßen konstruiertes Netzwerk kann nicht zwischen unterschiedlichen Anwendungen oder übertragenen Inhalten diskriminieren, weil es (genauer: das IP-Protokoll 24 Ausführlich zu dieser (weiten) Version des Prinzips und seiner anderen (engeren) Formulierung vgl. van Schewick, Architecture and Innovation, 116 ff. 25 Zum Hintergrund dieser bekannten Phrasierung vgl. van Schewick, Architecture and Innovation, 123 f. 26 Vgl. van Schewick, Architecture and Innovation, 120 f. 27 Sie ist heute jedoch durch bestimmte Entwicklungen bedroht, dazu sogleich unter b.

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auf der Internetschicht) dazu unfähig ist. Stattdessen kann das Netzwerk für eine Vielzahl unterschiedlicher Anwendungen genutzt werden, die in den Händen einer Vielzahl von Akteuren und ihrer innovatorischen Aktivitäten entstehen. 28 Anders als in der Vergangenheit, in der eine kleine Anzahl von Akteuren oder gar ein einzelnes Unternehmen für die Weiterentwicklung von TK-Netzen und deren Nutzungsmöglichkeiten verantwortlich war, multipliziert sich die Anzahl der Suchenden und mit ihnen die Varietät von Entwicklungsansätzen. Damit lässt sich das e2e-Prinzip als technologisch implementierte Zugangsregel an der neuen Ressource Internet interpretieren: Das Internet ist kein eigenes physikalisches Datennetz, sondern ein Satz von Netzwerk-Protokollen, die die Verbindung unterschiedlicher Rechner und Datennetze ermöglicht. 29 Infolge der Zusammenschaltung entsteht eine Art Kooperationsressource, die als (Verbreitungs-)Medium der Kommunikation fungiert. In verdinglichender Beschreibung kann man auch von einer neuen Kommunikations-Plattform sprechen. Das so geschaffene neue Medium eröffnet seinerseits neue Handlungsmöglichkeiten. Die durch die Verbindung unterschiedlicher Netze erzeugten neuen Handlungsmöglichkeiten werden aber nicht etwa den Eigentümern der Netze exklusiv zugeordnet. Vielmehr ist die Kompetenz zur Entscheidung über die Nutzungsmöglichkeit des Internet aufgrund der vom e2e-Prinzip herbeigeführten Neutralität des Mediums gegenüber seinen Nutzungen/Anwendungen dezentralisiert. Die neue Ressource wird damit technologisch als Gemeinschaftsgut konstruiert: Durch die Konzeption der Internetschicht als Portability Layer kommt es zu einer Invisibilisierung der Verbindungsschicht für höhere Schichten mit der Folge, dass das Netzwerk in zwei quasi-unabhängige Bereiche zerfällt.30 Die anwendungssensitiven Schichten und mit diesen die Anwendungen selbst können unabhängig von der physikalischen Netzwerk-Infrastruktur evoluieren (und vice versa!). Das IP-Protokoll dient als – offene und nichtdiskriminierende – Schnittstelle zwischen der im Eigentum der Netzbetreiber stehenden physikalischen »Hardware« der Übertragungsnetze einerseits und der von unterschiedlichen Nutzern konzipierten »Software« der Anwendungen andererseits. Um die Funktionalität des Mediums nutzen zu können, müssen sich die Nutzer letztlich nur nach den Spezifikationen des IP-Protokolls richten und nicht nach dem Willen und den (technischen) Vorgaben eines Netzbetreibers. Bei der Implementation der Anwendungen sind sie unabhängig von der Kontrolle und Verfügungsbefugnis des Netzbetreibers. Die maß28

Vgl. Lessig, Future of Ideas, 85 ff. Vgl. Tanenbaum, Computer Networks, 50; Sieber, in: Hoeren/Sieber, MultimediaRecht, Kap. 1 Rn. 42. 30 Vgl. van Schewick, Architecture and Innovation, 116. 29

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geblichen Vorgaben für die Nutzungsmöglichkeiten des neuen Mediums werden nicht im physikalischen Datennetz, sondern in den Protokollen getroffen. Deswegen besitzt die technologische Strukturentscheidung, in das Netzwerk eine neutrale Portabilitätsschicht einzuziehen, eine normative Dimension. Durch die Mediatisierung des Datentransports über eine neutrale Schnittstelle wird die Reichweite der Bestimmungsmacht der Netzeigentümer über die Nutzung ihrer Netze gleichsam vertikal begrenzt. Aus ihrer Sicht bewirkt ein nach dem e2e-Prinzip konstruiertes Internet eine Trennung von Eigentum und Kontrolle (die noch weiter als die gleich zu besprechende Netzzugangsregulierung geht). Die Handlungsmacht wird aber in einem zweiten Schritt nicht etwa bestimmten Einzelnen zugewiesen, wie das bei der Trennung von Eigentum und Kontrolle in dem als juristische Person verfassten Unternehmen der Fall ist, in dem die Steuerungskompetenz beim Management konzentriert wird. Vielmehr wird das Internet als Gemeinschaftsgut konstituiert. Die vom Internet erzeugten Handlungsmöglichkeiten werden, eigentumsrechtlich gesehen, unverfügbar gestellt. Deshalb können neue Dienste »auf« dem Internet von jedermann geschaffen werden, ohne dass es dazu auf die Zustimmung irgendeines anderen ankäme.31 Im Anschluss an diese technologische Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes ist zu überlegen, ob die mit ihm isolierten Handlungsmöglichkeiten nicht ihrerseits gegen Beeinträchtigungen seitens der Netzeigentümer geschützt werden sollen. 2. Regulatorische Konstruktion eines Gemeinschaftsgutes: TK-Netze als physikalische Infrastruktur Tatsächlich ist die technologische Konstituierung des Internets als eines Gemeinschaftsgutes an die normative Erzeugung von Freiheiten zur Nutzung der physikalischen TK-Netze gebunden und setzt in mehrfacher Hinsicht eine Einschränkung der Ausschließlichkeitsrechte der Netzbetreiber voraus. So verdankt sich die Freiheit Dritter zur Nutzung fremder physikalischer Netze zum Transport von Daten (durch Internet Service Provider, die nicht Netzbetreiber sind) und zum Anschluss von datenverarbeitungsfähigen Endgeräten wie Modems und Computer (durch die Endkunden) umfangreicher staatlicher Regulierung der Telekommunikation, in deren Zuge zuerst die staatlich verliehenen Monopolrechte öffentlicher Netzbetreiber dereguliert und anschließend die Eigentumsrechte der an ihre Stelle getretenen privaten marktbeherrschenden Unternehmen re-reguliert wurden. Von der Erfindung der Übertragungstechnologien im 19. Jahrhundert bis zur Liberalisierung des Telekommunikationssektors in den 90er Jahren unter dem Einfluss europarechtlicher Vorgaben wurden in Deutschland Telekommunikationsdienste in Form eines staatlichen Verwaltungsmonopols er31

Vgl. Lessig, Future of Ideas, 20 und 40.

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bracht.32 Danach war der Staat mit dem ausschließlichen Recht zu Errichtung und Betrieb von Fernmeldeanlagen ausgestattet. Unter diesem gesetzlich nicht näher definierten, für den Umfang des Monopolrechts aber entscheidenden Begriff wurden alle Vermittlungseinrichtungen, Übertragungswege und Endeinrichtungen verstanden, die zur »körperlosen Übermittlung von Nachrichten« dienen. Darunter ließen sich problemlos auch neue Technologien subsumieren, so dass der Umfang des Fernmeldemonopols mit den technischen Möglichkeiten wachsen konnte und es im Ermessen der Bundespost stand, inwieweit sie neue Nutzungsmöglichkeiten exklusiv für sich in Anspruch nehmen wollte. Sofern die Bundespost überhaupt auf die Wahrnehmung ihrer Monopolrechte verzichtete wie in Teilsegmenten des Endgerätemarktes, behielt sie sich dennoch das Recht vor, auf der Basis von Benutzungsverordnungen über die Zulassung von Endgeräten zu entscheiden. 33 Beispielhaft sind insoweit die Restriktionen, die für die Nutzung des sog. »Direktrufnetzes« zur Datenfernübertragung in der Direktruf-Verordnung festgelegt wurden.34 Sie verbot nicht nur den Nutzern, andere als posteigene Modems an das Netz anzuschließen (§ 3 Abs. 4 DirRufV), sondern untersagte auch eine Nutzung des Netzes zur Übermittlung digitaler Nachrichten für Dritte (§ 6 Abs. 6 DirRufV), so dass der Dienst einer »Datenfernverarbeitung für Dritte« von anderen Unternehmen nicht angeboten werden konnte. Das Bundesverfassungsgericht, vor dem die betroffenen Hersteller von Modems und die Diensteanbieter geklagt hatten, bestätigte diese Regelungen. 35 Ergebnis des staatlichen Fernmeldemonopols war die Bereitstellung von Netzen, Diensten und Endgeräten aus einer Hand zu den von derselben Hand festgelegten Nutzungsbedingungen. Die Kräfte zur Auflösung dieser Struktur resultierten aus einer sich gegenseitig verstärkenden technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Durch den Fortschritt in Wissenschaft und Technik entstanden neue Märkte, die wiederum Produkt- und auch Dienstinnovationen hervorgebracht und vorangetrieben haben.36 In dem Maße, in dem sich die Märkte, die zuvor unter den großen Amtsbaufirmen im Inland aufgeteilt waren, internationalisierten, verschwand die frühere Einheitstechnik zugunsten einer Vielzahl vor allem digitaler Technologien. Zusammen mit der Ineffizienz des staatlichen TK-Mo32 Zum Konzept des staatlichen Verwaltungsmonopols und seiner Rechtfertigung speziell für die Erbringung von Telekommunikationsdiensten vgl. Masing, in: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, § 90 Rn. 9 ff. 33 Vgl. Schweitzer, Daseinsvorsorge, 41. 34 Das Direktrufnetz wurde von der Bundespost Mitte der 70er Jahre zur Datenfernübertragung bereitgestellt und war ein festgeschaltetes Netz ohne Wähleinrichtungen und Rufnummern, das aus dem allgemeinen Fernmeldeliniennetz gebildet wurde. 35 Vgl. BVerfGE 46, 120 – Direktruf. 36 Dieses Wechselverhältnis unterstreicht zutreffend Vesting, in: Hoffmann-Riem/ Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 246 (252).

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nopols ließ diese Produktvielfalt offensichtlich werden, dass die Erbringung von Leistungen im TK-Sektor auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen in jeweils eigenständigen Teilmärkten möglich ist (Übertragungsnetze, Dienste, Endgeräte), und nur die netzgebundenen Leistungen die Eigenschaften natürlicher Monopole zeigen.37 Vor diesem Hintergrund begann die Kommission auf der Grundlage ihrer Kompetenz aus Art. 86 Abs. 3 EGV, die Ausschließlichkeitsrechte im Telekommunikationssektor nach und nach vollständig abzubauen, wobei sie aber parallel hierzu – gewissermaßen als Begleitkonzept zur Liberalisierung – das Modell des Universaldienstes entwickelt hat, in dem die Gewährleistungsaufgabe des Staates für eine flächendeckende Bereitstellung bestimmter wesentlicher Grundversorgungsleistungen zu erschwinglichen Preisen gemeinschaftsrechtlich anerkannt wird.38 Im Zuge dieser Liberalisierung, deren Schritte hier nicht detailliert nachzuzeichnen sind,39 wurden nicht nur die Ausschließlichkeitsrechte für Vertrieb, Bereitstellung, Einrichtung und Wartung von TK-Endgeräten wegen Verletzung von Art. 86 Abs. 1 i. V. m. Art. 28, 31 und 82 Abs. 2 EGV aufgehoben (Endgeräte-Richtlinie 88/301/EWG), sondern auch in Bezug auf die Erbringung von Datendiensten mitsamt den Nutzungseinschränkungen für Mietleitungen (Dienste-Richtlinie 90/388/EWG) wegen Verletzung von Art. 86 Abs. 1 i. V. m. Art. 82 EGV und von Art. 49 EGV.40 Damit diese Marktöffnung auf höheren Wertschöpfungsstufen nachhaltig gelingt, müssen freilich – das ist eine weitere regulatorische Kernidee – institutionelle Arrangements entwickelt werden, die den Betrieb der Netze so regeln, dass sie gemeinsam und zu gleichen Bedingungen von den Wettbewerbern genutzt werden können, die auf anderen Wertschöpfungsstufen konkurrieren. Denn die Öffnung der TK-Märkte für private Anbieter ändert nichts daran, dass der bisherige staatliche und nunmehr private vertikal integrierte TK-Dienstleistungsanbieter Eigentümer der netzgebundenen Infrastruktur ist, deren Nutzung er sich strategisch vorzubehalten trachtet. Den Rechtsrahmen für die erforderliche (Re-)Regulierung der TK-Netze durch die Statuierung von Zugangsregeln, in denen (marktmächtigen) Betreibern öffentlicher TK-Netze Kontrahierungspfl ichten zur Ermöglichung einer Mitnutzung des Netzes durch Dritte auferlegt werden, 41 bildete zunächst die 37

Vgl. bereits oben § 3 II 3 c. Nur angedeutet werden kann hier, dass die Gemeinschaft damit selbst in die Funktion des Gewährleistungsträgers eintritt. 39 Überblicke bei Schweitzer, Daseinsvorsorge, 229 ff. und Busche, Kontrahierungszwang, 617 ff. 40 Der zunächst ausgesparte Bereich der TK-Infrastruktur wurde zuerst durch die Richtlinie 96/19/EG zur Einführung vollständigen Wettbewerbs auf den Telekommunikationsmärkten in die Liberalisierung einbezogen. 41 Zutreffend betrachtet Busche, Kontrahierungszwang, 604 die Einführung oder Beibehaltung spezialgesetzlicher Abschlussverpfl ichtungen als notwendige Begleitmaßnahme der Deregulierung. 38

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Zusammenschaltungsrichtlinie 97/33/EG und nunmehr die Zugangsrichtlinie 2002/19/EG. Die zur Umsetzung dieser Richtlinien ergangenen Vorschriften des deutschen Rechts enthalten in den §§ 16 ff. TKG ein differenziertes Regime der Zugangsregulierung. Herzstück ist § 21 Abs. 1 TKG, dem zufolge die Regulierungsbehörde Netzbetreiber mit beträchtlicher Marktmacht verpflichten kann42 , anderen Unternehmen Zugang i. S. d. § 3 Nr. 32 TKG zu gewähren (vgl. Art. 12 und 5 Abs. 1 Zugangsrichtlinie). Nach dem dabei zu Grunde gelegten weiten richtlinienrechtlichen Zugangsbegriff kann nicht nur der in §§ 35 ff. a. F. TKG geregelte reine Netzzugang (d. h. die Zusammenschaltung von Netzen als physische und logische Verbindung von TK-Netzen) und der auf Zugang zu wesentlichen Leistungen des Marktbeherrschers beschränkte Zugang nach § 33 a. F. TKG beansprucht werden, sondern allgemein die Bereitstellung von Einrichtungen und Diensten zum Zwecke der Erbringung von TK-Dienstleistungen.43 Neben diesem Instrument zur Zugangseröffnung, mit dem den betroffenen Unternehmen ein Kontrahierungszwang auferlegt werden kann, formuliert die Vorschrift des § 19 TKG materiellrechtliche Voraussetzungen für die (angeordneten oder freiwillig abgeschlossenen) Zugangsvereinbarungen (vgl. Art. 10 Zugangsrichtlinie). Danach müssen die vertraglichen Konditionen der Zugangsgewährung gegenüber jedem Vertragspartner diskriminierungsfrei in dem Sinn ausgestaltet werden, dass weder zwischen den Drittunternehmen untereinander diskriminiert werden darf noch auch zwischen diesen und den eigenen Tochter- oder Partnerunternehmen (Gleichwertigkeit der internen und externen Behandlung). Entgegen ihrer Überschrift enthält diese Vorschrift aber nicht nur ein Diskriminierungsverbot. Angesichts der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen, die von einem vertikal integrierten marktmächtigen Unternehmen ausgeht, das anderen Anbietern Dienste erbringt, mit denen es auf nachgelagerten Märkten in Wettbewerb steht, war ein Diskriminierungsverbot dem allgemeinen Kartellrecht immer schon bekannt (vgl. § 20 Abs. 1 GWB), und nach den sektorspezifischen Vorschriften des Telekommunikationsrechts mussten Vereinbarungen des Marktbeherrschers auch früher auf objektiven Maßstäben beruhen, nachvollziehbar sein und gleichwertigen Zugang gewähren (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 1 a. F. und § 33 Abs. 1 Satz 1 a. F. TKG). 44 Darüber hinaus enthält § 19 TKG vielmehr ein Gleichbehandlungsgebot.45 Das 42 Anders als im bisherigen TKG 1996 ist nunmehr keine bindende gesetzliche Verpfl ichtung mehr vorgesehen, nach der ein dominanter Anbieter Zugang gewähren muss. Der Bundesnetzagentur wird vielmehr ein Ermessen bei der Auferlegung von Zugangsverpfl ichtungen eingeräumt. 43 Zum erweiterten Zugangsbegriff vgl. Piepenbrock/Attendorn, in: Beck’scher TKGKomm, § 21 Rn. 47. Zum neuen Zugangsregime vgl. auch Bartosch, EuZW 2002, 389 (394) und Neitzel/Müller, CR 2004, 655 ff. und 736 ff. 44 Beispiele für Diskrimierungen bei Attendorn, MMR 2005, 353 (354 ff.). 45 Zu dessen Details vgl. Attendorn, MMR 2005, 353 ff.

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passivlegitimierte Unternehmen muss nicht nur Ungleichbehandlungen vermeiden, sondern es steht auch in der Pfl icht, eine Gleichbehandlung zu gewährleisten. Entsprechend kann die Bundesnetzagentur gegenüber dem Unternehmen positive Verhaltenspflichten durchsetzen, die eine Gleichbehandlung herstellen.46 Ohne Zweifel sind dies grundsätzlich geeignete Instrumente, um die gemeinsame Nutzung von schwer zu duplizierenden TK-Netzen zu ermöglichen. Das Verbotsrecht des (marktmächtigen) Netzeigentümers wird dazu vor allem durch die beschriebenen Vorschriften des TKG, die unter der hier vertretenen Sichtweise als Zugangsregeln beschrieben werden können, gezielt eingeschränkt. Dass der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde durch das neue Zugangsregime des TKG ein Ermessen bei der Auferlegung von Zugangsverpflichtungen eingeräumt wird, ist prinzipiell nicht problematisch, sondern erlaubt es, Zugangsregeln flexibler und differenzierter zu formulieren, als dies gesetzesunmittelbar möglich ist. Eine Überregulierung aufgrund zu starrer Regeln kann so vermieden werden. Dabei darf freilich die Richtschnur der Zugangsregeln in diesem Bereich nicht aus den Augen geraten: Ziel muss es sein, dass auch Dritte durch Zugang zum Netz die Möglichkeit zur Erbringung von netzgebundenen TK-Diensten haben. Für eine solche regulatorische Konstruktion des physischen Leitungsnetzes als Gemeinschaftsgut spricht, dass TK-Netze die (nachfrageseitig) formulierten Kriterien für das Vorliegen eines Infrastrukturgutes erfüllen.47 Das wesentliche Argument aus ökonomischer Sicht, solche Güter rechtlich als Gemeinschaftsgüter auszugestalten, knüpft daran an, dass sie als generischer Input für eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungsaktivitäten dienen, durch die allererst eine gesellschaftliche Wertschöpfung stattfindet. Diese »Verschiebung« des Schwerpunkts der Wertschöpfung hat Konsequenzen für die Bedingungen von Wettbewerb. Damit der Wettbewerb nicht verzerrt wird und die gesellschaftlich nützlichsten Aktivitäten zuverlässig ermitteln kann, müssen die Wettbewerber die Infrastruktur zu gleichen Bedingungen nutzen können. Das sollen die Zugangsregeln für physikalische TK-Netze sicherstellen. Sie ermöglichen die Mitnutzung des Netzes durch Dritte unabhängig vom Willen des Eigentümers. Um für Wettbewerber wie auch für nicht-kommerzielle Entwickler die gleiche Freiheit zur Innovation auf der für die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt entscheidenden Ebene der Internet-Anwendungen zu gewährleisten, hat es in der Vergangenheit ausgereicht, die Netzeigentümer dazu zu verpfl ichten, eine Nutzung ihrer Leitungen zur Erbringung von TK-Diensten durch andere Anbieter zu dulden. Weil das Internet kraft seiner skizzierten technologischen 46 Vgl. Piepenbrock/Attendorn, in: Beck’scher TKG-Komm, § 19 Rn. 4; Attendorn, MMR 2005, 353 (355). 47 Vgl. oben § 2 II 3 a.

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Architektur als Gemeinschaftsgut ausgestaltet war, konnten alle Entwickler von Anwendungen auf die gleiche Plattform zugreifen; unter den kommerziellen Entwicklern herrschten gleiche Wettbewerbsbedingungen. Es bestanden keine Hindernisse für den Zutritt zu Märkten für Internet-Anwendungen; um auf diesen tätig zu werden, musste man nicht Inhaber des Netzes sein. Doch inzwischen wird diese Neutralität des Internet gegenüber Anwendungen durch neuartige technische Instrumente in Frage gestellt, mit denen unterschiedliche Anwendungen im Internet identifiziert und in Klassen zusammengefasst werden können, denen dann die Netzwerkressourcen unterschiedlich zu Diensten gestellt werden (etwa in Form unterschiedlicher Bandbreiten).48 Dadurch wird es zumal integrierten Internet Service Providern möglich, die Ausführung von Anwendungen im Internet zu steuern. Bestimmte Anwendungen oder Inhalte können im Verhältnis zu anderen selektiv langsamer oder auch gar nicht transportiert werden.49 Da die Akteure auch durchaus einen wirtschaftlichen Anreiz zur Ausnutzung der technologischen Mittel haben, 50 ist das Internet nunmehr auf dem Wege, »anwendungssensitiv« zu werden. Dies stellt einen Bruch mit dem e2e-Prinzip dar, dessen Verbindlichkeit als technologisches Prinzip des Netzwerk-Designs freilich nirgends statuiert ist. Seine normative Festschreibung wäre auch kaum empfehlenswert – gerade um des technischen Fortschritts bei der Entwicklung von Netzwerken willen, die es durchaus sinnvoll erscheinen lässt, einen differenzierten Quality of Service (QoS) zu ermöglichen. 51 Nicht disponibel erscheint jedoch das Prinzip, das insbesondere (aber nicht ausschließlich) über ein e2e-konstruiertes Netzwerk verwirklicht werden kann: das Prinzip der Neutralität des Internets gegenüber Anwendungen. Es stellt sich als »evolutionäre Errungenschaft« dar, die sich einerseits der gezielten rechtlichen Regulierung der Netzinfrastruktur und andererseits kontingenter technologischer Entscheidungen beim Netzwerkdesign verdankt und für sich in Anspruch nehmen darf, zu wirtschaftlich und gesellschaftlich äußerst bedeutsamen dezentralen Innovationsprozessen auf den Ebenen der Dienste, Anwendungen und Inhalte geführt zu haben. Sofern die Errungenschaft der Netzwerkneutralität nicht bereits heute normativ gegen ein zuwiderlaufendes Verhalten der (zumal vertikal integrierten) Internet Service Provider abgesichert ist, stellt sich die Frage, ob verbindliche Regeln der »Network 48

Vgl. Cisco Systems, Networked-Based Application Recognition, 3 f. Zu anderen Varianten der Diskriminierung von digitalen Datenpaketen im Internet durch Online-Intermediäre vgl. Karavas, Digitale Grundrechte, 164 ff. 50 Ein solcher wirtschaftlicher Anreiz besteht sowohl für monopolistische Netzbetreiber wie auch für solche, die Wettbewerber haben, vgl. van Schewick, Towards an Economic Framework for Network Neutrality Regulation, 31 f. 51 So könnte man argumentieren, dass sog. latency-sensitive applications wie video streaming (etwa für Video-Konferenzen) durch die Implementation des e2e-Prinzips bisher gerade benachteiligt worden sind und erst mit einem latency-sensitive QoS gleiche Bedingungen im Verhältnis zu anderen Anwendungen geschaffen werden. 49

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Neutrality« geschaffen werden sollten. 52 Verstärkter Anlass zur Diskussion des Problems besteht in den USA, wo der Markt für Breitbandzugang infolge deregulierender Maßnahmen inzwischen von einem Duopol integrierter Internet Service Provider (DSL einerseits und Kabel andererseits) gekennzeichnet ist und entsprechend ein wettbewerblicher Druck zum Unterlassen diskriminierender Praktiken vom Endkundenmarkt nur eingeschränkt auszugehen vermag; anders als in Europa, wo infolge Entbündelung der Local Loops und Bitstromzugang für Großkunden immer mehr Markteinsteiger mit etablierten Netzbetreibern auf dem Markt für Internetzugang konkurrieren. Das Bedürfnis zur expliziten Normierung der Netzwerkneutralität hängt daher unmittelbar mit der Regulierungspolitik bei der Breitband-Infrastruktur zusammen. 53 Verletzt würde das Prinzip der Netzwerkneutralität jedenfalls dann, wenn Netzbetreiber abweichend von der bisherigen »best effort«-Praxis beim Quality of Service der Datenweiterleitung ohne sachlichen Grund zwischen unterschiedlichen Anwendungen differenzieren und dem höchstzahlenden Anwendungsanbieter die höchste Priorität einräumen würden (»access-tiering«), 54 so dass den Wettbewerbern dieses Anbieters nur ungenügende Bandbreiten zur Verfügung stünden. 55 Im Unterschied zu einer solchen Form der Zugangsdiskriminierung wäre dagegen ein »consumer-tiering«, bei dem Netzbetreiber für die Garantie von unterschiedlichen Bandbreiten oder Diensten vom Endnutzer unterschiedliche Preise verlangen, unter der Perspektive der Netzwerkneutralität unproblematisch und als zulässige Form der Preisdiskriminierung anzusehen.56 Ob die geschilderte Form der Zugangsdiskriminierung über ihre Aufkündigung der quasi-sozialvertraglichen »best effort«-Weiterleitung hinaus auch bestehendes Recht verletzt und folglich die Schaffung spezieller Regeln zur Netzwerkneutralität überflüssig wäre, erscheint allerdings zweifelhaft. Der vom access-tiering betroffene Endkundenmarkt für Internetzugang – auf dem 52 Letzteres ist Gegenstand der vor allem in den USA geführten gleichnamigen Debatte. Vgl. etwa die Nachweise bei Kocsis/de Bijl, IEEP 4 (2007), 159 (160 ff). 53 Das zeigen Chirico/van der Haar/Larouche, Network Neutrality in the EU, 25 und 66 f. 54 Zusätzlich zur Gebühr für den Internetzugang als solchen würden also weitere Kosten für die Garantie eines bestimmten QoS je nach Anwendung entstehen. Zum Begriff des access-tiering vgl. Lessig, Testimony, 7. 2. 2006, Hearing on »Network Neutrality«, Senate Committee on Commerce, Science and Transportation, 2 und 9 f.; Chirico/van der Haar/ Larouche, Network Neutrality in the EU, 42 ff. 55 Dass mit der Einräumung eines erhöhten QoS für die einen zugleich eine Degradierung des Datentransports für die anderen einhergeht, unterstreichen Chirico/van der Haar/Larouche, Network Neutrality in the EU, 44 (»Because of the current configuration of the Internet, . . . one can only give priority by slowing down or dropping packets corresponding to competing content, application or services.«). 56 Für eine Qualifizierung als Preisdiskriminierung etwa Kocsis/de Bijl, IEEP 4 (2007), 159 (164).

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neben Verbrauchern auch Anwendungsanbieter wie Google als Nachfrager auftreten – ist von der Kommission bisher nicht als relevanter Markt identifiziert worden, der für eine Vorabregulierung nach den Richtlinien für elektronische Kommunikationsnetze in Betracht käme. 57 Selbst wenn dies der Fall wäre, würden jedoch grundsätzlich nur Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht zu Adressaten einer entsprechenden Unterlassungsverpfl ichtung gemacht werden können, während anderen Internet Service Providern ein access-tiering weiter erlaubt wäre. Einzig einschlägiges rechtliches Instrument dürfte daher Art. 5 Abs. 1 lit. a der Zugangsrichtlinie sein, nach dem jedem Unternehmen, das den Zugang zu Endnutzern kontrolliert, unabhängig von seiner Marktstellung Verpflichtungen zur Gewährleistung des End-zu-End-Verbunds von Diensten seitens der nationalen Regulierungsbehörden auferlegt werden können. Interpretiert man den Begriff der Zugangskontrolle im entsprechenden § 18 Abs. 1 Satz 2 TKG funktional im Sinne der Richtlinie und sähe neben der Kontrolle über den physischen auch die Kontrolle über den logischen Zugang als erfasst an, könnten alle ISP gleichermaßen zu einem Unterlassen von access-tiering verpflichtet werden, auch wenn sie nicht Netzbetreiber wären. 58 In diesem Sinne hält die Kommission bei ihrer Überprüfung des europäischen Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze das bestehende Recht für ausreichend, um ein Blockieren von Anwendungsdiensten oder eine Verschlechterung der Qualität im Datenverkehr zu verhindern. 59 Sie erwägt allein, den nationalen Regulierungsbehörden die Kompetenz zur Anordnung einer Mindestqualität bei der Bereitstellung von Diensten zu geben. 60 Rechnet man jedoch die Schwierigkeiten bei der Interpretation der Umsetzungsvorschriften zu Art. 5 Abs. 1 lit. a Zugangsrichtlinie auf die anderen Mitgliedstaaten hoch und bedenkt zugleich das Ermessen der jeweiligen nationalen Regulierungsbehörden zum Tätigwerden, erscheint demgegenüber die Aufnahme einer einfach formulierten, verbindlichen Neutralitätsregel in den europäischen Rechtsrahmen vorzugswürdig. Sie würde klarstellen, dass bei allen neuen technischen Möglichkeiten der Netzwerkarchitektur und bei allen legitimen Spielräumen für neue Business-Modelle den Internet Service Provi57 Vgl. Empfehlung der Kommission über relevante Produkt- und Dienstmärkte des elektronischen Kommunikationssektors 2003/311/EG und insbesondere den entscheidenden Drei-Kriterien-Test für die Identifikation zu regulierender Märkte in Erwägungsgrund 9, den der Endkundenmarkt für Internetzugang nicht erfüllt. 58 Für eine solche richtlinienkonforme teleologische Reduktion des Wortlauts von § 18 Abs. 1 TKG, nach dem nur Betreiber öffentlicher TK-Netze adressiert werden, vgl. Schütz, in: Beck’scher TKG-Komm, § 18 Rn. 20. 59 Die Kommission verweist in der Tat insbesondere auf die Möglichkeiten, die Art. 5 Abs. 1 Zugangsrichtlinie vorsieht. Vgl. Kommission, Staff Working Document, COM(2006), 334 fi nal, 27 und 32 f. 60 Vgl., Kommission, aaO., 27. – Diese müsste so beschaffen sein, dass ein funktionierender Wettbewerb sowohl unter den Anwendungsanbietern wie unter den Service Providern möglich ist, vgl. Lessig, aaO., 10.

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dern eine Diskriminierung vergleichbarer Anwendungen verboten ist. 61 Nachdem der Schwerpunkt der Netzregulierung in der Vergangenheit vor allem auf die Herstellung von Zusammenschaltung und Interoperabilität und damit auf die Gewährleistung einer Mitnutzung auch gegen den Willen des Eigentümers zielte, also auf freien Zugang, ginge es zukünftig verstärkt um die Gewährleistung gleicher Nutzungsmöglichkeiten für Dritte, also um gleichen Zugang. Im vorliegenden Zusammenhang galt es herauszustellen, dass die Konstituierung des Internet als Gemeinschaftsgut, auf das die Entwickler von Anwendungen und Inhalten als Ressource für ihre Leistungen zurückgreifen können, auf einer voraussetzungsreichen Regulierung der physikalischen Netzebene beruht. Das steht nicht im Widerspruch zu der vorgeschlagenen Betrachtungsweise des Internet als komplexes technisches Medium. Modularisierung bedeutet nicht, dass die Schichten gänzlich unabhängig voneinander sind, sondern bewirkt ein »loose coupling«, also eine Kopplung in dem Sinne, dass die Schichten als solche bzw. die auf ihnen implementierten Dienste Leistungen füreinander erbringen. 62 Projiziert man diese technologische Architektur in den sozialen Raum – was möglich ist, weil den Schichten Stufen wirtschaftlicher Wertschöpfung bei der Informationsverarbeitung entsprechen –, so führt die Modularisierung des Netzwerks zu der durch eine Implementation des e2e-Prinzips enorm geförderten Möglichkeit der eigenständigen Evolution von neuen Handlungsfeldern. Tatsächlich entfaltet werden kann dieses Potenzial aber nur, wenn die Kontrolle der Leistungserbringung auf einer Wertschöpfungsstufe nicht »durchschlägt« auf angrenzende Stufen. Dazu müssen die vertikalen Wirkungen des Gebrauchs von eigentumsrechtlichen Befugnissen durch den Netzbetreiber berücksichtigt werden. Maßstab für die Ermittlung dieser vertikalen Wirkungen sind dabei nicht ergebnisorientierte Effizienzüberlegungen. Eher geht es wie im prozessorientierten Wettbewerbsverständnis um den Schutz von Handlungsfreiheiten. Und zwar um den Schutz jener neuen Handlungsmöglichkeiten, die durch die spezifische Funktionalität des Internet als Medium des Datentransports von Punkt zu Punkt entstehen, das »nach unten« technologie- bzw. materialitätsneutral ist und »nach oben« anwendungsneutral. Netzbezogene Zugangsregeln suchen diese Funktionalität von der Bestimmungsmacht des Netzeigentümers zu isolieren und sichern so die technologische Konstruktion des Internet als Gemeinschaftsgut (Nicht61 Sogar für ein an jegliche Online-Intermediäre gerichtetes allgemeines Verbot, digitale Datenpakete bei deren Übertragung (willkürlich) zu diskrimieren, plädiert Karavas, Digitale Grundrechte, 179 f. und 196 f. Dadurch soll eine Internet-spezifische »Netzwerkfreiheit« gewährleistet werden, die die Funktion der Kommunikationsfreiheit im Internet übernimmt. Nach diesem Ansatz werden die Grundrechte unter digitalen Bedingungen zu Sicherungsgarantien der technischen Integrität des Internet. 62 Insofern gleichen sich technische und soziale Systeme. Zu Leistung als Funktionserbringung im Verhältnis von Teilsystemen untereinander vgl. Wielsch, Freiheit und Funktion, 15.

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Ausschließbarkeit durch Design einer neutralen Schicht des Datentransports). 63 Legt man eine gegenständliche Betrachtungsweise zu Grunde, so kann man sagen, dass das Internet »unverfügbar« gestellt wird. Dieser Begriff dient als Komplementärbegriff zu dem der eigentumsrechtlichen Zuweisbarkeit eines (außenweltlichen) Gegenstandes. 64 Er bezeichnet den Kerngehalt der Public Trust Doctrine des amerikanischen Umweltrechts, nach der Naturgüter von besonderem Wert für die Allgemeinheit in einem Public Trust stehen, der die tatsächliche Dispositionsmacht über diese Naturgüter einschränkt und darüber bestimmt, zu welchen Nutzungen der Staat wie Private nicht befugt sein sollen. 65 Aus dieser Perspektive erscheinen eigentumsausgestaltende Regelungen des Umweltrechts, die sonst als Abspaltungen einzelner Handlungsbefugnisse vom Eigentum eines individuell zugeordneten Gegenstandes (etwa des Grundstücks) betrachtet werden, nunmehr als Bestimmungen der gegenständlichen Unverfügbarkeit des Naturguts (etwa des Grundwassers) und damit als bloße Reflexe der Veränderung eigentumsgegenständlicher Zuordnung. 66 Die Grenzen des durch Eigentum individuell Zugewiesenen werden danach also »von außen« durch die Unverfügbarstellung von (Natur-)Gütern definiert. 67 Auf diese Weise kann freilich nicht nur Naturgütern, sondern öffentlichen Gütern überhaupt eine bestimmbare eigene Gestalt im Recht – eine genuin juristische Konzeption – gegeben werden. 68 63 Zum Schutz der technologischen Integrität des Internet vgl. auch Karavas, Digitale Grundrechte, 156, der hierin die internetbezogene Funktion der Grundrechte sieht. Unter dieser Perspektive erscheinen technologisch implementierte oder einfachrechtlich statuierte Zugangsregeln als konkrete Gewährleistung grundrechtlich garantierter Freiheiten. 64 So wie »gegenständliche Unverfügbarkeit« den Komplementärbegriff zur »Eigentumsgegenständlichkeit« bezeichnet, so bezeichnet (in dem hier vertretenen nicht-gegenständlichen, befugnisorientierten Ansatz) der Begriff der Nutzungs-/Zugangsfreiheit den Gegenbegriff zu dem der (normativen oder faktischen) Ausschließung. 65 Die »Public Trust Doctrine« entstand im englischen Recht aus der Verbindung des allgemeinen Trust-Prinzips mit dem durch Bracton rezipierten Gedanken der römisch-rechtlichen (eigentümerlos gedachten) res communes. Danach kam dem König als alleinigem Obereigentümer des Landes die Rolle eines Treuhänders zu, der die ihm unveräußerlich anvertrauten Naturgüter gemeinwohlorientiert zu verwalten hatte. Im amerikanischen Recht wird auf sie zuerst in Arnold v. Mundy, 6 N. J. C. 1 (1821) zurückgegriffen, aber jetzt das Volk selbst zum Eigentümer der res communes und der Staat (im Unterschied zur englischen Krone) zum Treuhänder ohne Eigentümerschaft gemacht. Ihre Anwendung war zunächst auf die Sicherstellung des öffentlichen Schiffsverkehrs auf schiffbaren Gewässern – und damit auf die Verkehrsfunktion des Wassers (letztlich in deren Bedeutung für den freien Warenverkehr) – beschränkt. Später wurde sie auf andere Wasserressourcen erweitert und dient heute dem Schutz der Integrität von Naturgütern überhaupt. Vgl. Kube, Eigentum an Naturgütern, 149 und 161 ff. 66 Vgl. Kube, Eigentum an Naturgütern, 244 ff. und 296. 67 Zu den mit diesem Perspektivenwechsel verbundenen Implikationen vgl. Kube, Eigentum an Naturgütern, 17 und 297. 68 Als Desiderat formuliert bei Kloepfer, Umweltrecht, § 1 B I 2; Kube, ARSP 1997, 416 (424 ff.).

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§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung

Grundsätzlich erscheint es möglich, diesen Gedanken von gegebenen Naturgütern auf geschaffene »artifizielle« Gemeinschaftsgüter wie das Internet zu übertragen. Dies gilt nicht nur, sofern man auf der Prämisse des eigentumsgegenständlichen Denken den verwendeten Gegenstandbegriff abstraktionsoffen fasst und insofern nicht auf die physikalische Sachgüterwelt festlegt. Vielmehr wurden von der Public Trust Doctrine anfänglich gerade nicht Naturgüter als solche vor Beeinträchtigung der Integrität geschützt, sondern bestimmte Funktionen dieser Naturgüter, etwa die Funktion von Wasserwegen für den freien Warenverkehr. Geschützt wird letztlich die Integrität von Prozessen, die eine Nutzung des Gutes voraussetzen. Danach ist es nur ein kleiner Schritt vom Schutz des Warenverkehrs auf Wasserwegen zum Schutz des Informationsverkehrs im Internet. Damit eröffnen sich zwei Perspektiven, unter denen netzbezogene Zugangsregeln interpretiert werden können. In einer befugnisorientierten Sichtweise überlagern durch Zugangsregeln statuierte Duldungs- bzw. Kontrahierungspflichten das Netzeigentum. Die Befugnisse des Netzeigentümers werden in dem Umfang verkürzt, wie es die Funktion des Netzes als physikalischer Träger für internet-basierten Wettbewerb erforderlich macht. In einer gegenstandsorientierten Sichtweise konturieren netzbezogene Zugangsregeln das Medium Internet (mit seiner speziellen Funktionalität des neutralen Datentransports von Punkt zu Punkt) als eigentumsrechtlich unverfügbares Gemeinschaftsgut. Beides anders gewendet: Zugangsregeln sollen sicherstellen, dass alle Nutzer des Mediums grundsätzlich die gleichen Freiheiten (Handlungsmöglichkeiten) besitzen. Nach der einen Vorstellung werden dazu bestimmte Handlungsbefugnisse aus dem Bündel der Verfügungsrechte des Eigentümers herausgelöst. Nach einer anderen Sichtweise werden jene Freiheiten zur Nutzung des Mediums von vornherein eigentumsrechtlich unverfügbar gestellt. Das Medium wird als unverfügbares Gemeinschaftsgut konstituiert, über das auch das Eigentum am physikalischen Netz keine Bestimmungsmacht verleiht. Als infrastruktur- und anwendungsneutrales Medium dezentraler Kommunikation unterstützt das Internet die Funktion unterschiedlicher Institutionen der Wissensteilung und entsprechend auch die Operationen unterschiedlicher sozialer Systeme. Von den neuen Möglichkeiten zum globalen Informationsaustausch profitieren sowohl der Prozess der antagonistischen Interaktion im Wettbewerb als auch auf Kooperation basierende Prozesse wie innerhalb von Entwicklernetzwerken zur Produktion von OSS. Selbstverständlich gegeben ist dieser »egalitäre Kern des Internet« 69 indessen nicht. In dem Maße, in dem die Bedeutung der Nutzung des Mediums für das Handeln in sozialen Systemen zugenommen und ein entsprechendes Interesse an der Kommerziali69

So der treffende Titel des Beitrags von Engel, in: Ladeur (Hrsg.), Innovationsoffene Regulierung des Internet, 25 ff.

IV. Nutzungsfreiheit durch medienspezifi sche Zugangsregeln

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sierung von neuen Nutzungsmöglichkeiten hervorgerufen hat, laufen diese Gefahr, eingeschränkt zu werden. Die vorgeschlagene vertikale Betrachtung des Gebrauchs von Eigentumsrechten an der TK-Infrastruktur hat die Möglichkeiten einer Mobilisierung von Eigentumsrechten zur Kontrolle der Internetnutzung durch die Netzeigentümer gleichsam »von unten« deutlich gemacht. Das Potenzial einer vertikalen Funktionsanalyse von Ausschließlichkeitsrechten ist damit jedoch noch nicht erschöpft. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass – wie bei anderen Medien auch – Schutzrechte an semantischen Inhalten in Anschlag gebracht werden (können), um Einfluss auf die Nutzung des verbreitenden Mediums zu gewinnen. Weil die Daten an den Endpunkten des modularisierten Netzwerks zu von Menschen verständlichen semantischen Inhalten (rück-)verwandelt werden, wird das Bestehen von Ausschließlichkeitsrechten an diesen Inhalten für die Möglichkeit dezentralen Informationsaustauschs bedeutsam. Eine Kontrolle netzbasierter Anwendungen im Internet ist auch »von oben« durch Urheberrechte zu gewärtigen. Von den verschiedenen Handlungsmöglichkeiten im Internet, die durch Urheberrechte betroffen sein können, soll im Folgenden das Verknüpfen von Dateien (Linking) und damit die »Verknüpfungsfreiheit« näher untersucht werden.70

IV. Nutzungsfreiheit durch medienspezifische Zugangsregeln Einer der wichtigsten Dienste im Internet ist das World Wide Web (WWW), das den Zugriff auf dezentral abgelegte Hypermedia-Dokumente erlaubt. 71 Sein besonderer gesellschaftlicher Wert besteht darin, ein riesiges Lager von semantischen Inhalten, 72 die dezentral erzeugt und gespeichert werden, untereinander verknüpfbar und für das menschliche Bewusstsein erschließbar zu machen. Dazu ist zunächst eine physikalische Verbindung der einzelnen Rechner (»end-client«) – als »human interface« zum Nutzer – mit lokalen TK-Netzen notwendig, die dann ihrerseits überörtlich zusammengeschaltet werden. Zur »Kommunikation« der Rechner untereinander sind darüber hinaus Daten70 Urheberrecht ist aber auch für die »Suchfreiheit« relevant: So bewegt sich das Indexieren und Katalogisieren von Webseiten in den USA in einer urheberrechtlichen Grauzone. Vgl. Olson, A Right to Google, Paper at the ICA Conference, Dresden. 71 Und zwar mit Hilfe des auf dem Internetprotokoll aufsetzenden http-Protokolls. Zur technischen Funktionsweise des WWW vgl. Meinel/Sack, WWW, 12 ff. 72 Treffend die Charakterisierung des WWW durch den Supreme Court in Reno v. ACLU, 521 U. S. 844 (1997) (»The Web is thus comparable, from the readers’ viewpoint, to both a vast library including millions of readily available and indexed publications«). In ihr fehlt freilich der Hinweis auf den dynamischen Charakter dieser speziellen Bibliothek, deren Bestand gleichsam von ihren Nutzern abhängt.

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Protokolle (»Code«) erforderlich, durch die Computer trotz baulicher und operationeller (sic!) Verschiedenheit Daten austauschen können. 73 Auf dieser Grundlage der physikalischen Vernetzung von Clients und Servern können gespeicherte Inhalte miteinander vernetzt werden. Dies geschieht durch »Hyperlinks«. Durch sie kann von der Website des Linksetzenden auf eine andere Seite im WWW verwiesen werden. Dadurch ist es möglich, Texte zu erstellen, die in der Weise auf den Sinn anderer Texte referieren, dass sie deren Text in den eigenen inkorporieren (»Hypertexte«). Weil die in Bezug genommenen Texte ihrerseits den referierenden oder andere Texte in Bezug nehmen und nicht-linear verknüpft werden können, entsteht ein komplexes Geflecht von semantischen Verweisungen (semantisches Netzwerk), das als ein dynamisches Medium der Wissensteilung wirkt, das beispielsweise neue »netzwerkspezifische« Formen des Lernens möglich macht. 74 Trotz der angedeuteten Bedeutung der Erschließung und Verknüpfung der dezentralen Inhalte für die Dynamik der Wissensteilung in den unterschiedlichsten Kommunikationssystemen war die Zulässigkeit des Verlinkens/Linksetzens durch andere als den Inhaber von Schutzrechten an den verlinkten Inhalten in Rechtsprechung und Literatur umstritten.75 Da keine speziellen Regelungen bestehen – TDG und MDStV klammern die Frage der Haftung für Hyperlinks bewusst aus76 –, sind die allgemeinen Vorschriften heranzuziehen. Die Versuche der Rechteinhaber, die Befugnis des Linksetzens exklusiv zu beanspruchen, mobilisieren sowohl Schutzrechte als auch den ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz – und damit die typischen Rechtsinstrumente für die Zuordnung von Handlungsbefugnissen. Genau darum aber geht es unter der vorliegend eingenommenen Perspektive: Soll der Inhaber von Rechten an den Inhalten auch das alleinige Recht zum Hinweisen auf diese Inhalte (in einem bestimmten Medium) haben? Nach dem Urteil des BGH in der Sache »Paperboy« ist diese Frage zu verneinen, da ein Eingriff in die Rechte der Inhalteanbieter durch die Aktivität des Linksetzens unter jedem Aspekt verneint wird.77 Es ist Teil einer relativ liberalen Linie höchstrichterlicher 73 Hier kann nur angedeutet werden, dass solche Protokolle damit die gleiche Funktion in der Kommunikation zwischen Computern als nicht-trivialen Maschinen einnehmen wie die Grammatik der natürlichen Sprache bei der bewusstseinsabhängigen Kommunikation. 74 Zu nennen ist insbesondere das Projekt »Wikipedia«, ein online-geführtes modulares Lexikon, das von weltweit verteilten Nutzern dezentral angereichert und stetig erweitert wird. 75 Bejahend: OLG Celle, NJW-RR 2001, 334; LG Köln, 28. 2. 2001, JurPC Web-Dok. 138/2001; LG München I, 18. 9. 2001, MMR 2002, 58; LG Berlin, 30. 1. 2001, JurPC WebDok. 185/2001; ablehnend: LG München I (andere Kammer), 1. 3. 2002, MMR 2002, 760. Vgl. auch ÖstOGH, K&R 2003, 420. 76 Das gilt auch für die Novelle des TDG, vgl. BT-Drucks. 14/6098, 37 (»Ohne spezielle Beschränkungen der zivil-oder strafrechtlichen Verantwortlichkeit bleibt es für Hyperlinks bei der Haftung nach den allgemeinen Vorschriften«). 77 BGH JZ 2004, 146 = BGHZ 156,1 – Paperboy.

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Rechtsprechung (des I. Zivilsenats) zum Informationsverkehr in neuen Medien, 78 die der freien (Weiter-)Entwicklung von Medientechnologien zu gute kommt. Im zu Grunde liegenden Fall wertete ein Suchdienst für tagesaktuelle Nachrichten die Webseiten von hunderten von Nachrichtenanbietern aus, insbesondere von Tageszeitungen. Anhand der vom Nutzer eingegebenen Suchkriterien listet der Dienst dann die einschlägigen Veröffentlichungen auf, indem er Überschrift und Quelle des Artikels sowie einzelne Sätze oder Satzteile zur näheren Beschreibung des Inhalts ausweist. Die Auflistung ist dabei in Form von Hyperlinks gestaltet, so dass der Nutzer durch Anklicken eines Ergebnisses direkt auf diejenige Webseite des Nachrichtenanbieters geleitet wird, die den ausgewählten Artikel enthält, ohne vorher die Startseite des Anbieters mitsamt der dort platzierten Werbung zur Kenntnis nehmen zu müssen (sog. »Deep-Links«). Als Ausschließlichkeitsrechte auf Seiten der Nachrichtenanbieter, die das Verlinken der Artikel zu einer urheberrechtlich vorbehaltenen und damit zustimmungspflichtigen Nutzungshandlung machen, kommen das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) (an den einzelnen Artikeln) sowie die Verwertungsrechte an der (durch die systematische Zusammenstellung der Artikel auf der eigenen Webseite erzeugten) Datenbank (§ 87b UrhG) in Betracht. 1. Hyperlinking als urheberrechtliche Nutzungshandlung nach § 16 UrhG? Dass eine Einordnung des Linksetzens in den Kanon urheberrechtlicher Verwertungsbefugnisse überhaupt in Erwägung zu ziehen ist, dürfte damit zusammenhängen, dass es bei einem Link auf den ersten Blick zu einer Konvergenz zwischen einem urheberrechtsfreien Hinweis auf eine Fundstelle und – da der Link darüber hinaus einen unmittelbaren Zugriff auf die verlinkte Information ermöglicht – einer urheberrechtlich relevanten Wiedergabe des verlinkten Dokuments kommt.79 Der BGH trennt in seiner Entscheidung jedoch streng zwischen den Aktivitäten des Setzens des Links (seitens des Suchdienstes) einerseits und dem Aufruf des Links (seitens des Nutzers) andererseits. Während es sich bei ersterem lediglich um eine elektronische Verknüpfung zweier in das WWW gestellter Dateien handele, komme es zu einer urheberrechtsrelevanten Vervielfältigung der referierten Datei erst, wenn der Nutzer

78 Siehe etwa BGH MMR 2004, 529 (dazu Stadler, Haftung, Rn. 203a: Entscheidungen laufen auf eine erhebliche Begrenzung des Instituts der Störerhaftung hinaus) und auch BGH JZ 2003, 473. 79 Vgl. Nolte, ZUM 2003, 540 (549). Siehe auch Dreier, in: FS Erdmann, 73 (87) (Linking als Problem der Konvergenz).

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den Link anklicke, weil erst dann eine Kopie der Datei – und sei es nur vorübergehend – auf dem Computer des Nutzers erzeugt wird. 80 Damit wird bereits die entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Denn infolge dieser trennenden Betrachtungsweise wird die Handlung des Linksetzens selbst nicht als urheberrechtliche Nutzungshandlung qualifiziert. Das Hinweisen auf geschützte Inhalte im WWW durch Linksetzen ist nicht Teil der dem Urheber dieser Inhalte exklusiv zugewiesenen Handlungsbefugnisse. Auf ein Einverständnis des Inhalteanbieters kommt es entgegen anderer Auffassung81 damit überhaupt nicht an. Darin liegt zugleich eine Verteilung von Verantwortlichkeiten: urheberrechtlicher Verletzer kann nur der Nutzer des Suchdienstes sein, nicht jedoch der Informationsmittler selbst. Für diesen bleibt nur die Rolle als mittelbarer Störer, weil er die Nutzung durch Dritte technisch fördert. Aber auch von dieser Verantwortlichkeit stellt der BGH den Informationsmittler mit dem – auch in den Entscheidungsgründen zum Datenbank- und Wettbewerbsrecht verwendeten – Argument frei, dass der Rechtsinhaber selbst das Schutzgut der Öffentlichkeit durch sein Angebot im WWW grundsätzlich zugänglich gemacht hat. Der Rechtsinhaber ermögliche so bereits selbst die Nutzungshandlungen Dritter, da ein Nutzer auch ohne Hyperlink unmittelbar auf eine im Internet öffentlich zugängliche Datei zugreifen könne, wenn ihm die URL (Uniform Resource Locator) genannt werde. 82 Das technische Verlinken der Datei durch den Suchdienst erleichtert also nur den bereits eröffneten Zugang. Dadurch unterbricht der BGH jeden Zurechnungszusammenhang einer möglichen Urheberrechtsverletzung durch die Nutzer auf den Linksetzer. 83 Abgesehen davon fehlt es aber auch an einer objektiven Urheberrechtsverletzung durch die Nutzer bei der im Zuge des Linkaufrufs erfolgenden Vervielfältigung, weil diese wenn schon nicht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG, 84 80 81

Vgl. BGH JZ 2004, 146 (147 f.) in Übereinstimmung mit der h.M. in der Literatur. Vertreten etwa von Schack, MMR 2001, 9 (14); Ernst/Wiebe, MMR-Beilage 8/2001, 20

(21). 82

Vgl. BGH JZ 2004, 146 (148). Der BGH zieht ausdrücklich in Betracht, dass das Handeln der Nutzer (Linkaufruf) rechtswidrig sein könnte, vgl. BGH JZ 2004, 146 (148). Unklar ist, warum Spindler, JZ 2004, 150 (151 f.) zwar eine mittelbare Täterschaft ausschließen will, eine Anstiftung oder Beihilfe des Linksetzers aber prinzipiell für möglich hält. 84 Ob sich der Nutzer auch auf die Privilegierung des § 53 Abs. 2 Nr. 4a, 2. Alt. UrhG berufen kann, erscheint nach den Änderungen durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. 9. 2003 fraglich. Nach §§ 53 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 UrhG muss die Vervielfältigung auf Papier oder einem ähnlichen Träger vorgenommen werden oder eine Nutzung lediglich auf analoge Weise stattfi nden. Nach Ansicht von Nolte, ZUM 2003, 540 (546) soll der Abruf eines Artikels zum sonstigen eigenen Gebrauch und die damit einhergehende digitale Kopie im Arbeitsspeicher des Nutzers nicht mehr privilegiert sein. Demgegenüber ist nach Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 53, Rn. 35, auch die Übernahme von digitalen Medien zulässig, sofern es nur zu Papierausdrucken oder nur zu einer analogen Nutzung kommt. 83

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so nach § 44a UrhG privilegiert ist. 85 Insofern wird die Reichweite des Schutzrechts (hier durch eine gesetzliche Regelung) zugunsten der Funktionsfähigkeit des Mediums begrenzt: netztechnisch bedingte vorübergehende Vervielfältigungen – wie eben die Zwischenspeicherung beim Browsing – sind zulässig, ohne dass es auf ein (stillschweigendes) Einverständnis des Rechteinhabers hiermit ankäme. 86 Genau dieses Argumentieren mit der Funktionsfähigkeit des WWW bildet aber auch den tieferen Grund für die Privilegierung des Linksetzens. Die Erschließung von und die Navigation zu Inhalten, die der Rechteinhaber in einem Medium öffentlich zugänglich gemacht hat, sollen nicht zentral vom Inhaber des Ausschließlichkeitsrechts kontrolliert werden können, er besitzt kein Recht zur Navigationslenkung – jedenfalls dann nicht, wenn der gesellschaftliche Wert des Mediums erst durch die Gewährleistung dezentraler Verknüpfbarkeit von Inhalten erzeugt wird. Die Grenzen der Steuerungsmacht von Schutzrechten sind dort erreicht, wo die Funktionsfähigkeit des (vom Rechtsinhaber selbst zur Verbreitung benutzen) Mediums auf dem Spiel steht – zumal die behauptete Beeinträchtigung finanzieller Interessen durch Deep-Links nicht nachvollziehbar ist. 87 Tatsächlich ist sich der BGH wohl bewusst, dass mit der Reichweite des urheberrechtlichen Schutzes über die Ausgestaltung des Mediums WWW entschieden wird. Das wird besonders deutlich in einer Passage aus dem wettbewerbsrechtlichen Teil der Entscheidung, in der das Gericht den Vorwurf zurückweist, der unmittelbare Zugriff auf die Artikel unter Vorbeiführung an den Startseiten der Anbieter sei unlauter, deren Ratio aber gleichermaßen bei der urheberrechtlichen Beurteilung verfängt88 : »Das Berufungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin, wenn sie das Internet für ihre Angebote nutzt, auch die Beschränkungen in Kauf nehmen muss, die sich aus dem Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Internet für die Durchsetzung ihrer Interessen ergeben. . . . Ein Berechtigter, der die Vorteile des 85

Vgl. Stadler, Haftung, Rn. 203a; Härting, Internetrecht, Rn. 687. Der BGH hatte diesen Punkt ausdrücklich offen gelassen. Die Konstruktion eines konkludenten Einverständnisses wurde in der Literatur aber vielfach vertreten. Gegen sie spricht indessen, dass es dann vom Willen des Rechtsinhabers abhängen würde, ob mit dem Abruf des Werkes notwendig verbundene Vervielfältigungen rechtmäßig oder rechtswidrig sind. Angesichts der Unsumme von Webseiten und einer entsprechenden Vielzahl möglicher unterschiedlicher Festlegungen der Urheber (das stillschweigende Einverständnis könnte durch ausdrückliche Erklärung jederzeit zunichte gemacht werden) wäre die Erschließ- und Navigierbarkeit des WWW ernsthaft gefährdet. Kritisch zur Lösung über ein konkludentes Einverständnis auch Spindler, JZ 2004, 150 (151). 87 Eine nähere Betrachtung zeigt, dass Deep-Links die Zugriffszahlen auf die Homepage erhöhen und damit auch die Werbeträchtigkeit des Gesamtangebots fördern, vgl. Stadler, Haftung, Rn. 207. 88 Für eine Übertragbarkeit in die urheberrechtliche Beurteilung auch Spindler, JZ 2004, 150 (153) (dort allerdings im Zusammenhang mit §§ 87a ff. UrhG). 86

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World Wide Web, die gerade auch auf der Hyperlinktechnik beruhen, für seine Angebote in Anspruch nimmt, kann es deshalb nicht als unlautere Behinderung beanstanden, wenn andere die Hyperlinktechnik zur Erschließung seines eigenen Webangebots für die Öffentlichkeit nutzen.«89 Der BGH formuliert in seiner Entscheidung nichts weniger als materielle Zugangsregeln für die Nutzung eines speziellen, dezentrale öffentliche Kommunikation ermöglichenden Mediums. Dies geschieht unter Rekurs auf das Allgemeininteresse an der Effektivität des technologischen Netzwerks,90 über das der BGH die Zuweisung von medialen Handlungsbefugnissen lenkt. Hinter dem immer etwas diffusen Verweis auf Allgemeininteressen stehen konkrete verfassungsrechtlich geschützte Freiheiten mitsamt den aus ihrer Ausübung entstehenden sozialen Systemen. Das Besondere ist freilich, dass jetzt mit der Funktionsfähigkeit eines Mediums die Gesamtheit der über das Medium laufenden wissensteiligen systemischen Kommunikation betroffen ist, also die Pluralität der in abhängiger Unabhängigkeit vom technischen Medium stehenden sozialen Systeme. In dieser Konstellation geht es nicht um die Suche nach systemspezifischen, sondern nach medienspezifi schen Zugangsregeln. Für das WWW als digitales und dezentrales Massenmedium bedeutet das, den Einfluss von Rechten an Inhalten auf die Nutzung des Mediums berücksichtigen zu müssen: Während bei analogen Medien Schutzrechte »nur« die Verfügbarkeit des Inhalts im (gegebenen) Medium steuern konnten, geht es beim digitalen Medium um (den möglichen Einfluss auf) die Konstituierung des Mediums selbst. Wenn Inhalte (als digitalisierte) und Medium die gleiche Materialität teilen (Konvergenz!), gewinnen die Rechte an Inhalten Einfluss auf die Entwicklung des Mediums selbst.91 Das ist nicht problematisch an sich. Der Inhalt des Schutzrechts muss aber jetzt so gefasst werden, dass er die Funktionsfähigkeit des Mediums nicht beeinträchtigt. Positiv und gleichsam aus der Sicht des Mediums gesprochen: Das Medium wird als Gemeinschafts89 BGH JZ 2004, 146 (150) (Hervorhebungen hinzugefügt). Man vergleiche diesen Satz mit dem von Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 2 Rn. 74 zur Handlungsfreiheit im Wettbewerbsprozess: »Mit der Teilnahme am Wettbewerb unterstellen sich die Unternehmen jedoch den Rechtssätzen, die die das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit der aus der Wettbewerbsfreiheit hervorgehenden Wettbewerbsprozesse schützen. In einer Wettbewerbsordnung steht die Wettbewerbsfreiheit im Gegensatz zur allgemeinen Handlungsfreiheit nicht zur Disposition der Unternehmen.« Auch wenn das Argument des BGH auf den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens zielt, ist doch die parallele Hervorhebung der »systemischen« Bindung von Freiheiten an die Funktionsfähigkeit transsubjektiver Prozesse bemerkenswert. 90 Nolte, ZUM 2003, 540 (541) etwa mahnt die Einbeziehung der Interessen aller Beteiligten an: Diejenigen der Erbringer der ursprünglichen Informationsprodukte, diejenigen der Anbieter von Suchdiensten, diejenigen der Nutzer und letztlich diejenigen der Allgemeinheit an dem Bestehen von informationellen Mehrwertdiensten wie Paperboy. 91 Eben dies war früher nicht der Fall: die Technik des Buchdrucks unterlag nie der Rechtsmacht von Schutzrechtsinhabern.

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gut konstruiert. Es wird mit seiner spezifischen (und gesellschaftlich wertvollen) Eigenschaft als dezentrales Massenmedium überhaupt erst konstituiert, indem die Rechte der Inhalteanbieter durch Zugangsregeln so bestimmt werden, dass transsubjektive Effekte der Verknüpfung von Inhalten entstehen können. 2. Suche als datenbankrechtliche Nutzungshandlung nach § 87b UrhG? Die Frage ist natürlich, wie weit solche medienspezifischen Zugangsregeln die Verwertungsbefugnisse der Schutzrechteinhaber einschränken dürfen, wenn es darum geht, die sich in einem neuen Medium eröffnenden Handlungsmöglichkeiten zum größten gesellschaftlichen Nutzen (insbesondere zur effektiven Gewährleistung der Bedingungen der Informationsfreiheit) zu erschließen. Am einen Ende der Skala stehen Handlungen wie das Linksetzen, die für die Funktionsfähigkeit des Mediums WWW konstitutiv sind und Ausdruck der Gewährleistung des Untermaßes medialer Wirksamkeit der Informationsfreiheit sind. Andererseits darf die Freigabe von Nutzungshandlungen aber nicht Gefahr laufen, dass die Schutzrechtsinhaber nicht mehr zur Verbreitung ihrer Inhalte über das Medium bereit sind. Im konkreten Fall: Ist es auch zulässig, dass die suchende Erschließung von Inhalten, inklusive Übermittlung von aussagekräftigen Kurzauszügen, in öffentlich zugänglich gemachten Datenbanken (im Folgenden kurz: Suche) von jedermann vorgenommen werden darf oder soll dies eine allein dem Rechteinhaber an dieser Datenbank vorbehaltene Handlung sein? Wieder zeigt sich der BGH liberal. Auch bei der Bestimmung des Zuweisungsgehalts des Datenbankherstellerrechts wird einer Inhalteerschließung durch Dritte der Vorzug vor dem wirtschaftlichen Interesse der Nachrichtenbankanbieter an einer von ihnen selbst gelenkten Erschließung der veröffentlichten Inhalte gegeben. Die Speicherung und Wiedergabe von Ausschnitten aus den Presseartikeln durch die Suchdienste 92 stellen zwar die Vervielfältigung eines unwesentlichen Teils einer Datenbank dar, die wiederholt und systematisch erfolgt, laufen aber nach Auffassung des Senats einer »normalen Auswertung« der Datenbank nicht zuwider (vgl. § 87b Abs. 1 Satz 2 UrhG), weil die Benutzung der Datenbank durch die Mitteilung »einzelner splitterhafter Kleinbestandteile . . . nicht ersetzt, sondern allenfalls angeregt« werde.93 Obgleich im Ergebnis richtig, lässt diese viel zu knappe Begründung nicht erkennen, worum es eigentlich geht: um das Ausschöpfen der (technischen) Möglichkeiten eines Mediums zur Gewährleistung effektiver Informationsfreiheit (gerade auch in deren Funktion als Grundlage für die Wahrnehmung anderer 92 Das bloße Setzen der Links fällt bei trennender Betrachtungsweise ebenso wenig wie unter § 16 UrhG auch nicht unter § 87b UrhG. 93 BGH JZ 2004, 146 (149).

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Freiheitsrechte). Für die Begrenzung schutzrechtlicher Befugnisse durch eine medienspezifische Zugangsregel sind vorliegend – aber in der Medienregulation durchaus typisch – zwei normative Rechtfertigungsmuster denkbar. Das eine knüpft an die Erheblichkeit des Zuschnitts des Datenbankrechts für den Wettbewerb auf (abgeleiteten) Informationsmärkten an und sucht letztlich mediale Freiheit mit Hilfe von Wettbewerb zu verwirklichen.94 Das andere stützt sich unmittelbar auf die verfassungsrechtliche Normativität von Art. 5 GG und sucht § 87b UrhG von dessen Gewährleistungsgehalt her auszulegen. Dem entsprechen unterschiedliche Orientierungen bei der Auslegung der immaterialgüterrechtlichen Norm. a. Wettbewerbsrechtskonforme Auslegung Dass die Vervielfältigung unwesentlicher Teile einer Datenbank deren normaler Auswertung nicht zuwiderlaufen oder die berechtigten Interessen des Datenbankherstellers nicht unzumutbar beeinträchtigen darf, ist Ausdruck des in internationalen immaterialgüterrechtlichen Abkommen aufgenommenen »Dreistufentests«, der auf Art. 9 Abs. 2 RBÜ zurückgeht, 95 an dem aber auch Art. 7 Abs. 5 der Datenbank-Richtlinie 96/9/EG und die Umsetzung in § 87b Abs. 1 Satz 2 in das deutsche Recht orientiert sind.96 Dieser Test begrenzt inhaltlich die Kompetenz des nationalen Gesetzgebers zur Beschränkung der ausschließlichen Befugnisse von Rechteinhabern. Ausschließlichkeitsrechte dürfen danach nur unter den drei folgenden kumulativen Voraussetzungen eingeschränkt werden: (1) Es muss sich um bestimmte Sonderfälle handeln, (2) die normale Auswertung des Schutzgegenstands darf nicht beeinträchtigt und (3) die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers dürfen nicht unzumutbar verletzt werden.97 Der Dreistufentest fungiert auf diese Weise als Schranken-Schranke zur Begrenzung der Schranken des Schutzrechts,98 hier also der grundsätzlich urheberrechtsfreien Nutzung unwesentlicher Teile der Datenbank.99 Aufgrund der Verwendung weit gefasster unbestimmter Rechtsbegriffe ist der Dreistufentest jedoch eine Bestimmung, 94 Er kann in gewisser Weise als Ausdruck des »außenpluralistischen Marktmodells« zur Medienordnung aufgefasst werden. Vgl. dazu näher § 6. 95 Der Dreistufentest ist in Art. 13 TRIPS, Art. 10 WCT und Art. 16 Abs. 2 WPPT übernommen worden. 96 Zur Vorgeschichte vgl. Gaster, Der Rechtsschutz von Datenbanken, Rn. 556. 97 Dies ist die abstrakte Formulierung. Je nach betroffenem Schutzrecht wird sie entsprechend konkrtisiert, vgl. z. B. Art. 9 Abs. 2 RBÜ. Im Rahmen von § 87b Abs. 1 Satz 2 UrhG bzw. Art. 7 Abs. 5 Datenbank-Richtlinie stehen die Voraussetzungen ausnahmsweise im Alternativitätsverhältnis. 98 Zum Charakter als Schranken-Schranke vgl. Schack, UrhR, Rn. 481. 99 Dass die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe unwesentlicher Teile einer fremden Datenbank frei ist, folgt im Umkehrschluss aus § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG, vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 87b Rn. 9.

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oder besser: ein Abwägungsprinzip, das die Beschränkungen des Urheberrechts gleichermaßen begrenzt und ermöglicht.100 Bei sachgerechter Eingrenzung des zweiten Prüfungskriteriums kann nicht schon jede erdenkliche Verwertungsmöglichkeit eines Ausschließlichkeitsrechts dem Bereich der »normalen« Auswertung zugeordnet werden. Das liefe darauf hinaus, die von der ersten Stufe vorausgesetzte Einschränkbarkeit des Verbotsrechts sofort wieder zu vindizieren und dem Rechtsinhaber ein Recht zur »vollständigen« Verwertung zu verschaffen.101 Die zweite Stufe soll nicht Schranken des Ausschließlichkeitsrechts überhaupt verhindern, sondern Übergriffe auf seinen ökonomischen Kern unterbinden.102 Deswegen ist die normale Auswertung nur dann beeinträchtigt, wenn die fragliche Nutzungshandlung mit der herkömmlichen Art der Nutzung in unmittelbare Konkurrenz tritt.103 Entscheidend ist also, ob die geschützte Datenbank und die im Wege der wiederholten und systematischen Übernahme unwesentlicher Teile hergestellten Produkte auf dem gleichen Markt im Wettbewerb zueinander stehen.104 Im Falle von Paperboy wurden nur kurze Teaser der Presseartikel, nicht aber der Volltext als deren wesentlicher Teil übermittelt.105 Das Angebot des streitgegenständlichen Suchdienstes besteht im Vergleich mit dem »Primärprodukt« vielmehr darin, dass es unabhängig von den einzelnen Nachrichtendiensten der Verlage auf die Angebote unterschiedlicher Informationsanbieter verweist. Auf der einen Seite bleibt das Angebot von Paperboy damit durch die bloße Andeutung von Inhalten hinter den Primärdiensten zurück, auf der anderen Seite geht es durch seine übergreifende Suchfunktion über sie hinaus. Netzweite Suchdienste bedienen daher Folgemärkte im Vergleich zu den primären Informationsdienstleistern. Würde sich das Verbotsrecht des § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG auf die Suche in und die Wiedergabe von Kurzauszügen aus der Datenbank erstrecken, so würde die Gefahr bestehen, dass der Zugang zu diesen Folgemärkten von den An100

Vgl. die Einschätzung von Senftleben, GRUR Int 2004, 200 (201 und 211). Vgl. auch WTO Panel, WT/DS160/R, 6.182 zu Art. 13 TRIPS: »not every use of a work, which in principle is covered by the scope of exclusive rights and involves commercial gain, necessarily confl icts with a normal exploitation of that work. If this were the case, hardly any exception or limitation could pass the test of the second condition and Article 13 might be left devoid of meaning, because normal exploitation would be equated with full use of exclusive rights.« 102 Vgl. auch Senftleben, GRUR Int 2004, 200 (209). 103 Diese Ansicht wird verteten von Bornkamm, in: FS Erdmann, 29 (46); Nolte, ZUM 2003, 540 (543); Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 87b Rn. 14. Vgl. auch OLG Dresden, ZUM 2001, 595 (597). Das wird gestützt durch Erwägungsgrund 42 der Datenbank-Richtlinie, wo von einem Verbot »parasitärer Konkurrenzprodukte« die Rede ist. 104 Vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 87b, Rn. 14. 105 Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich auch durch wiederholte Zugriffe auf einzelne Datenbanken die mitgeteilten Artikelbestandteile zu wesentlichen Teilen der Datenbanken summieren würden, vgl. BGH JZ 2004, 146 (149). 101

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bietern der Primärprodukte kontrolliert werden könnte. Das hat eine wettbewerbsfreundliche Interpretation des Immaterialgüterrechts zu berücksichtigen. Eine solche Auslegung wird von der Datenbank-Richtlinie nahe gelegt, in der es über das sui generis-Recht ausdrücklich heißt, dass es nicht in einer Weise gewährt werden dürfe, »durch die der Missbrauch einer beherrschenden Stellung erleichtert würde, insbesondere in Bezug auf die Schaffung und Verbreitung neuer Produkte und Dienste, die einen Mehrwert geistiger, dokumentarischer, technischer, wirtschaftlicher oder kommerzieller Art aufweisen«.106 Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Suchdienste sich die Leistungen der Online-Nachrichtenprovider zu Nutze machen. Nun will aber das Kriterium der normalen Auswertung eben nicht schon jede nur denkbare, künftige Auswertung der Datenbank erfassen, die der Inhaber vornehmen kann oder auch nur hätte vornehmen können.107 Der Zuweisungsgehalt des sui generis-Schutzrechts muss aus wettbewerbsrechtlicher Sicht dort enden, wo durch Leistungen Dritter ein Informationsmehrwert generiert wird (werden kann) und abgrenzbare Folgemärkte entstehen (können). Deren gesellschaftlicher Nutzen bliebe aus, weil die Inhaber von einzelnen Nachrichtendatenbanken einen übergreifenden Suchdienst nicht anbieten – und auch kaum Interesse an Hinweisen auf die Online-Produkte von Print-Konkurrenten haben dürften. Würde dieser potenzielle Markt durch eine weite Auslegung der durch das Ausschließlichkeitsrecht geschützten Verwertungshandlungen für Dritte verschlossen, käme es zu der Blockade eines neuen Marktes. Genau in einer solchen Situation hält der EuGH aber gemäß seiner Rechtsprechung im Fall »Magill« die Ausübung eines Ausschließlichkeitsrechts für rechtsmissbräuchlich.108 Die Normativität des wettbewerblichen Arguments verhindert auch, dass »berechtigte Interessen des Datenbankherstellers unzumutbar beeinträchtigt« werden. Denn vor die eigentliche Abwägung auf der dritten Stufe ist die Prüfung geschaltet, ob die fragliche Handlung überhaupt ein »berechtigtes Interesse« des Rechtsinhabers zu verletzen geeignet ist. Es handelt sich hierbei um ein normatives Kriterium, das das Interesse des Rechtsinhabers an einer Untersagung der Handlung im konkreten Fall an die Gründe für die Gewährung des Verbotsrechts zurückbindet.109 Im Arsenal der urheberrechtlichen Prüfung stellt das eine interessante Neuerung dar, die näher an der utilitaristischen Begründung von Schutzrechten im angelsächsischen Rechtskreis orientiert ist, die aber über die Verankerung des Dreistufentests im Konventionsrecht und 106

Erwägungsgrund 47 der Richtlinie 96/9/EG. Zutreffend Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 87b, Rn. 14. 108 Zu EuGH, Rs. C-241/91, Slg. 1995 I-743 – Magill vgl. ausführlich oben § 3. 109 Ähnlich Senftleben, GRUR Int 2004, 200 (210) im Anschluss an WTO Panel, WT/ DS/114/R, 7.69: »To make sense of the term »legitimate interests« in this context [Art. 30 TRIPS], that term must be defined in the way that it is often used in legal discourse – as a normative claim calling for protection of interests that are »justifiable« in the sense that they are supported by relevant public policies or other social norms.« 107

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im europäischen Urheberrecht auch Eingang ins nationale Recht findet. Jedenfalls führt die enge Einbindung des investitionsschützenden Datenbankrechts in das Wettbewerbsrecht (vgl. neben Erwägungsgrund 47 auch Art. 16 Abs. 3 der Datenbank-Richtlinie) vorliegend dazu, dass ein Verwertungsinteresse, das sich auf eine Zugangsbehinderung zu abgeleiteten Märkten stützt, kein berechtigtes Interesse im Sinne der dritten Stufe sein kann. b. Verfassungskonforme Auslegung Anstatt darauf zu vertrauen, dass die Förderung des Wettbewerbs zwischen Anbietern von Informationsdiensten Zustände herbeiführt, die einen effektiven Gebrauch der Informationsfreiheit ermöglichen, ist auch zu erwägen, solche Zustände normativ unter Berufung auf den Gewährleistungsgehalt des Grundrechts einzufordern. Methodisch müsste dazu das Merkmal der normalen Auswertung in § 87b Abs. 1 Satz 2 UrhG im Licht von Art. 5 GG ausgelegt werden. Tatsächlich liegt eine solche Vorgehensweise der Argumentation des LG München in einem vergleichbaren Fall zu Grunde.110 Als Ausgangspunkt dient die Feststellung, dass die Zeitungsverlage mit ihren Internetauftritten selbst zur Information der Allgemeinheit beitragen wollten. Wenn ein solches für die Information der Öffentlichkeit bestimmtes Angebot dann gerade auf Informationen und Meinungsbeiträge hin ausgewertet werde, so stelle dies eine normale Auswertungsform dar, selbst wenn sie durch kommerzielle Dienste nach den Interessen von deren Kunden erfolge, denn: »Diese Auswertung des Informationsangebots durch Dienste wie die Beklagte ist in einer Informationsgesellschaft notwendig, um [Personenkreise] . . ., die einerseits auf Informationen angewiesen sind, andererseits aber angesichts der Fülle der Informationsquellen nicht in der Lage sind, die für sie relevanten Informationen zu sichten, den Zugang zu möglichst vielen sie interessierenden Nachrichten zu ermöglichen.«111 Im Interesse der Informationsfreiheit sollen also die technischen Möglichkeiten eines Mediums zur Erschließung eines öffentlich gemachten Informationsangebots auch rechtlich genutzt werden dürfen. Letztlich gilt dann für das Medium WWW/Internet der Grundsatz, dass die »normale Nutzung« die technisch mögliche Nutzung ist, jedenfalls sofern nicht vorhandene Schutzmaßnahmen gezielt umgangen werden.112 Freilich wird mit diesem Ansatz das vom Schutzgebot des Grundrechts auf Informationsfreiheit mindestens geforderte Maß an Möglichkeiten medialer Informationserschließung verlassen und stattdessen für ein bestimmtes Medium optimiert. Eine solche Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der normalen Auswertung ist nicht von vorn110 111 112

LG München I, K&R 2002, 258 (260). LG München I, aaO. So in der Tat die Auffassung von Heydn, NJW 2004, 1361 (1362).

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§ 5 Die Konstruktion von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung

herein unzulässig, muss aber darauf achten, dass dadurch nicht die berechtigten Interessen des Datenbankherstellers unzumutbar beeinträchtigt werden (vgl. § 87b Abs. 1 Satz 2, 2. Alt.). Die Berechtigung zur Kontrolle einer Durchsuchung der Datenbank und ihrer Auswertung einmal arguendo unterstellt, müsste hierfür die fragliche Nutzung der Datenbank durch Dritte die Investition »schwerwiegend beeinträchtigen«,113 was erst dann der Fall sein soll, wenn die Amortisation der Investition beeinträchtigt ist, während eine bloße Schmälerung des möglichen Verwertungsgewinns dafür allein noch nicht ausreichen soll.114 Als Ergebnis der hiernach erforderlichen Interessenabwägung erscheint es den Zeitungsverlagen zumutbar, ihr wirtschaftliches Interesse an einer vollständigen Kontrolle der Auswertung zugunsten der Möglichkeit einer übergreifenden aussagekräftigen Informationskompilation durch unabhängige Suchdienste zurückzustellen. Eine offene Heranziehung der Förderung der Informationsfreiheit durch Suchdienste, die »der Allgemeinheit einen erheblichen zusätzlichen Nutzen durch die gemeinsame Erschließung dieser Informationsquellen« bieten, findet sich im Paperboy-Urteil des BGH zwar erst im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung. Der objektiv-rechtliche Gehalt von Art. 5 Abs. 1 GG trägt jedoch weiter und kann auch Eingang in die Prüfung der Vereinbarkeit von Nutzungshandlungen mit dem Schutz von Datenbanken finden. Der dogmatisch richtige Ort hierfür sind die in § 87b Abs. 1 Satz 2 UrhG nationales Recht gewordenen Elemente des Dreistufentests.115 Der Sache nach geht es darum, dem tatbestandsmäßig weit reichenden Schutz von Datenbanken gemäß den §§ 87a ff. UrhG als Korrektiv eine Engfassung des Bereichs zustimmungspflichtiger Nutzungshandlungen gegenüber zu stellen,116 um Informationsfreiheit – ausgedrückt in den technischen Möglichkeiten zur Suche in und Verknüpfung von öffentlichen Inhalten – effektiv zu gewährleisten. Solange sich freilich Anhaltspunkte finden lassen, die gegen eine exklusive Zuordnung der umstrittenen medienrelevanten Nutzungshandlung an den Inhaber von Schutzrechten sprechen, braucht nicht auf den Gewährleistungsgehalt von Grundrechten zurückgegriffen zu werden. Das hat den Vorteil, dass man mit konkreten, im Privatrechtsverkehr gebildeten Regeln arbeiten kann und weitere Abwägungen verzichtbar sind.

113

So nunmehr EuGH, Rs. C-203/02, Slg. I-10415, Tz. 86 – British Horseracing. Vgl. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 87b, Rn. 16. 115 Die Frage, auf welcher Stufe normative Gesichtspunkte wie die Informationsfreiheit heranzuziehen sind, ob auf der zweiten (wie durch das LG München I) oder auf der dritten Stufe (dafür Bornkamm, in: FS Erdmann, 29 (47) und Senftleben, GRUR Int 2004, 200 (210 f.), wohl auch Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 87b, Rn. 13 und 16) spielt vorliegend wegen des Alternativitätsverhältnisses in § 87b Abs. 1 Satz 2 UrhG keine Rolle. 116 Völlig zutreffend Spindler, JZ 2004, 150 (153). 114

§ 6 Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung

Nachdem in § 1 Zugangsregeln als notwendiges normatives Komplement der Einrichtung von subjektiven Rechten an Immaterialgütern hergeleitet und argumentiert wurde, dass die Kooptation von Bewusstsein zum Aufbau von explizitem Wissen sozialer Systeme (Wissensteilung) das Bestehen von Nutzungsfreiheiten zur dezentralen Rekombination mit implizitem Wissen voraussetzt, und nachdem in § 2 die Aufmerksamkeit auf die Funktion von Institutionen für die Wissensteilung gelenkt wurde, weil diese über die konkrete Form der Kooperation von beobachtenden Systemen bei der kollektiven Erzeugung von Wissen entscheiden, indem sie Beobachtungskapazität und Selektionsautorität bei der Ressourcennutzung ins Verhältnis setzen, wurden in den beiden folgenden Teilen der Markt und das Netzwerk als Institutionen der Wissensteilung näher untersucht. In § 3 wurde gezeigt, wann das Wettbewerbsrecht eigene Zugangsregeln formuliert, um die wissenserzeugende Funktion des Wettbewerbs zu erhalten. Nach Herausarbeitung der institutionellen Eigenständigkeit des Netzwerks ging es in § 4 darum, wie mit Hilfe öffentlicher Lizenzen privatautonom Zugangsregeln geschaffen werden, die eine dezentrale Nutzung und Weiterentwicklung expliziten Wissens in Netzwerken zur OSS-Entwicklung gewährleisten. In § 5 war die Untersuchung von der sozialen Koordinierung in Systemen und Institutionen übergeschwenkt auf die transversale Funktion von (Verbreitungs-)Medien für die an Kommunikation gebundene Wissensteilung und hatte die Bedeutung von Zugangsregeln für die Nutzungsfreiheit von Medien hervorgehoben. Abschließend sollen die im Verlauf der Untersuchung gefundenen Ergebnisse noch einmal zusammengeführt und der Versuch unternommen werden, hieraus einige grundlegende Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung zu entwickeln.

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§ 6 Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung

I. Die Sicherung institutioneller Vielfalt durch das Recht 1. Öffnung der Rechtswissenschaft für einen systemfunktionalen Immaterialgüterschutz Die Dogmatik subjektiver Freiheitsrechte im allgemeinen und die von Eigentumsrechten im Besonderen ist fein gewebt und ebenso undurchdringlich scheint die Legitimation des Ausschlussprinzips zur Ordnung der Güternutzung. Nachdem das bürgerliche Subjekt grundsätzlich das Recht als Reich der Selbstzuweisung von Herrschaftsmacht für seinen freien Willen entdeckt hatte, ließ eine Übertragung der Eigentumsform auch auf die Regelung der Nutzung von Immaterialgütern als kommunikativen Artefakten nicht lange auf sich warten. Aber noch weitere Bezirke hat sich das subjektive Recht nach und nach erobert und es wurden »beliebige Werte außerhalb der sinnlich erfahrbaren Welt zu Gegenständen subjektiver Rechte« erklärt,1 ohne dass immer ein leitendes Prinzip für ihre Bildung durch Gesetzgeber und Rechtsprechung erkennbar gewesen wäre. Auf einer mehr latent gehaltenen Ebene ist eine »Logik des Eigentums« weit verbreitet, nach der sich neu eröffnende Handlungsmöglichkeiten wie in einem Automatismus eigentumsrechtlich »integriert« werden, indem sie entweder bestehenden Eigentumsrechten angegliedert und als deren Ausfluss betrachtet oder gänzlich neue Eigentumsrechte an ihnen begründet werden. Das gilt gerade für den Bereich des geistigen Eigentums, in dem sich neben öffentlich diskutierten Fällen der Schaffung von Schutzrechten (etwa für Computerprogramme oder Geschäftsmethoden) auch vermeintlich unscheinbare Beispiele der Erstreckung der Reichweite von Schutzrechten auf Sekundärmärkte finden lassen. Die Rechtswissenschaft hat sich bisher ebenfalls auf diesen Pfad institutioneller Evolution konzentriert. 2 Zu kurz gekommen ist dabei die Reflexion auf die Notwendigkeit einer gezielten Begrenzung exklusiver immaterialgutbezogener Handlungsmöglichkeiten, damit Nichteigentümern ausreichende Möglichkeiten zur effektiven Inanspruchnahme eigener Freiheit verbleiben. Vernachlässigt wurde, dass das Recht in dem Moment, in dem es die Bestimmungsmacht über die Aktualisierbarkeit von explizitem Systemwissen in die Hände des Einzelnen legt, in eine anspruchsvolle Matrix systemischer Bezüge gerät, weil es Einfluss auf die Voraussetzungen von Wissensteilung – d. h. der Mobilisierung von Wissen des Bewusstseins für den Aufbau von Systemwissen – in denjenigen Systemen gewinnt, denen das Immaterialgut als kondensiertes Wissen semantisch zugehörig ist. Es konstituiert nicht nur Handlungsmöglichkeiten im Wirtschaftssystem, insofern nämlich die Nutzung des Immaterial1

Vgl. noch einmal Raiser, JZ 1961, 465 (467 f.). Allgemein zu einer evolutionstheoretischen Sicht auf privatrechtliche Institutionen vgl. Amstutz, Evolutorisches Wirtschaftsrecht, 303 ff. 2

I. Die Sicherung institutioneller Vielfalt durch das Recht

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gutes der Logik der Knappheit unterworfen wird, sondern vermag – gerade dadurch 3 – das einzelne Bewusstsein zu mobilisieren für gehaltvolle Kommunikation in anderen Funktionssystemen (Kunst, Wissenschaft) und so deren weitere Differenzierung zu fördern. Zugleich wird damit aber auch die aufgrund der nicht-rivalisierenden Nutzung von Immaterialgütern denkbare Kooptierung anderer psychischer Systeme auf weniger strukturelle Kopplungen als möglich beschränkt. Dadurch sind die Chancen produktiver Rekombination von Wissen geringer als gesamtgesellschaftlich wünschenswert, was auch dem Wirtschaftssystem selbst nicht entgeht, wie die Thematisierung des Problems im anfangs beschriebenen »Dilemma der Informationsökonomie« gezeigt hat. Die gesellschaftlichen Wirkungen von Schutzrechten – die hier als Systemmatrix der Schutzrechte reflektiert werden – kommen nicht in den Blick, solange die Aufmerksamkeit der Rechtswissenschaft fi xiert ist auf das subjektive Recht und die Person als dessen Träger. Dann geht es – mit reichlich Unterstützung vom philosophisch-naturrechtlichen Diskurs – vornehmlich darum, eine angenommene ontologisch unteilbare Verbindung des Subjekts zu »seinem« geistigen Werk auch rechtlich exklusiv zu stellen; was dann auch ohne zu Zögern mit der Übertragung der Eigentumsform auf immaterielle Güter geschieht. Es kommt zu einer immer weitergehenden Ausdifferenzierung der Schutzgegenstände von Herrschaftsrechten entsprechend den unterschiedlichen Hinsichten, in denen eine Person in ihren Äußerungen bzw. in ihrer Beziehung zum Werk durch das Handeln anderer betroffen sein kann. Anstatt nach den Konsequenzen der Einrichtung exklusiver Rechtspositionen an kommunikativen Artefakten für die Freiheit anderer und nach der genauen Trennlinie zwischen Immaterialgüterrecht und Gewerbefreiheit zu fragen, kreist die Diskussion eher darum, ob man den Schutz überhaupt von der Persönlichkeit abstrahieren und auf ein von ihr isoliertes Genussgut beziehen dürfe. Auch die neu geschaffene Rechtskategorie des Immaterialgüterrechts vermag das in ihr eigentlich angelegte Potenzial zur Emanzipation von der Persönlichkeit nicht voll zu entfalten, weil sie noch im Akt der Abgrenzung an diese als Referenz gebunden ist. Bei aller Ausdifferenzierung des Immaterialgüterschutzes in der Folgezeit bleibt die Eigentumsform dessen bestimmende Denkkategorie. Nicht, dass man den römisch-rechtlichen Sacheigentumsbegriff unbesehen in das neue Territorium importiert hätte und nicht von Beginn an auf der Suche nach dem Gebiet angemessenen Regelungen gewesen wäre. Aber die Struktur des Sacheigentums verliert nicht ihre Kraft als Paradigma auch für die theoretische Durchdringung des neuen Rechtsbereichs – und dies bis heute. So führt eine 3

Weil über die Möglichkeit der Finanzierung kreativer Tätigkeit die psychischen Umweltbedingungen für ästhetische Kommunikation bereitgestellt werden.

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§ 6 Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung

breit angelegte Untersuchung aus jüngerer Zeit, die sich eine »Gesamtschau der Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen dem Sacheigentum und den Rechten für geistiges Schaffen« zum Ziel gesetzt hat, zu dem Ergebnis, »dass die Übereinstimmung in Bezug auf die tragenden Strukturmerkmale der Rechte an geistigen Leistungen so groß sind, dass die von der Rechtsordnung als subjektive Rechte ausgestalteten Rechte an geistigen Leistungen als geistiges Eigentum bezeichnet werden können.«4 Bemerkenswert an dieser Untersuchung ist ihr Maßstab: Ausgangspunkt für den Vergleich ist das Sacheigentum des BGB.5 Bestimmend bleibt damit die am Sacheigentum entwickelte Vorstellung von der herrschaftlichen Befugnis einer Person zu einem außerhalb ihrer gegebenen werthaften Objekt, »un pouvoir de maîtrise« des Rechtssubjekts in Bezug auf ein Gut. Die vorliegende Studie hat dagegen gezeigt, dass ein an körperlichen Gegenständen geformter »undurchdringlicher« Begriff des Eigentums nicht geeignet ist, die Rechtsverfassung der Wissensteilung zu orientieren. Auf seiner Grundlage ist jene Form des Managements von positiven Externalitäten, wie es das Immaterialgüterrecht verlangt, nicht möglich. Dabei ist freilich nicht zu verkennen, dass der Begriff des Eigentumsrechts nicht zwangsläufig statisch zu sehen ist, wie es die anfängliche liberale Selbstbeschreibung als Verfügungsraum des Individuums nahe legt. Überzeugend wurde vielmehr herausgearbeitet, dass das Prozessieren des Eigentums einen überschießenden Effekt des Wissenszuwachses erzeugt, der nicht nur privat angeeignet werden kann, sondern auch den Nichteigentümern zur Verfügung steht. 6 Nicht übersehen werden dürfen also die produktiven Effekte, die die Ausübung negativer Freiheitsrechte für den Aufbau kollektiver Ordnung erzeugt. Eine solche prinzipiell zutreffende Betonung des Zusammenhangs zwischen Eigentumsrecht und Wissensgenerierung darf aber nicht dazu führen, dass das Modell des liberalen Eigentumsschutzes, in dessen Mittelpunkt das Ausschlussprinzip und die Methode der negativen Grenzziehung stehen und das als solches für die dezentrale Bewirtschaftung knapper Güter durchaus angemessen erscheint, auch zum normativen Leitbild des Rechts der Immaterialgüter gemacht wird. 7 Als Startpunkt für ein Recht der Immaterialgüter ist vielmehr von einem funktional gebundenen Eigentumsbegriff und der prinzipiellen Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit auszugehen. Auf dem Gebiet des Immaterialgüterschutzes kann das Recht der Erkenntnis nicht mehr ausweichen, dass die rechtliche Gewährleistung autonomen Handelns durch 4 Vgl. Jänich, Geistiges Eigentum, 380 (und den ausführlichen Katalog der Übereinstimmungen bzw. Abweichungen auf 349 ff.). 5 So ausdrücklich Jänich, aaO., 2. 6 Von Ladeur, Negative Freiheitsrechte, 2 und 73 ff. Vgl. auch ders., Der Staat gegen die Gesellschaft, 31. 7 Kritisch in diese Richtung auch Vesting, in: FS R. Schmidt, 427 (441 f.).

I. Die Sicherung institutioneller Vielfalt durch das Recht

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subjektive Rechte dem Schutz transindividueller Strukturen dient, auf die der Einzelne für sein autonomes Handeln angewiesen ist. Neues Wissen wird durch den Einzelnen in transsubjektiven Prozessen erzeugt. Das Immaterialgut (das Werk, die Erfindung) ist eine qualifizierte Kommunikation im Rahmen eines sozialen Systems (Wissenschaft, Kunst). Die Variationsfähigkeit von Kommunikation in diesen Systemen hängt von der freien Aktualisier- und Anschließbarkeit des Systemwissens ab, was sich in eine dezentrale Nutzbarkeit von kommunikativen Artefakten oder von technischem Wissen durch psychische Systeme übersetzen lässt. Dem Recht steht deshalb nur ein bestimmter Korridor zur Verfügung, innerhalb dessen die zur Mobilisierung des Einzelbewusstseins geschaffene Kontrolle der Nutzung von Immaterialgütern nicht jene Möglichkeit zur dezentralen Aktualisierung von Systemwissen beeinträchtigt, auf die der Schaffende für seine produktive Rekombination mit implizitem Wissen selbst angewiesen ist. Zugangsregeln sorgen dafür, dass sich die schutzrechtlichen Befugnisse innerhalb dieses Korridors halten, und vollstrecken insofern die hier so genannte systemische Konnexität des Schutzrechts, nach der der Schutzbereich von Immaterialgüterrechten so zu (re)konfigurieren ist, dass die Bedingungen der Wissensteilung genau jenes sozialen Systems erhalten werden, als dessen Kommunikation sich das geschützte Immaterialgut darstellt. In der Rechtspraxis wird sich diese (Re)Konfiguration von Schutzrechten seltener aus einer Störung der Funktionsvoraussetzungen des Systems selbst ergeben, sondern (indirekt) registriert werden als Störung der wissenserzeugenden Funktion sozialer Institutionen; bilden diese doch gleichsam die Module für systemische Wissensteilung, weil in ihnen die Beobachtungskapazität des Einzelbewusstseins auf unterschiedliche Weise mit Selektionsautorität hinsichtlich des Einsatzes kognitiver Ressourcen ausgestattet ist. So wurde im wettbewerbsrechtlichen Teil der Arbeit ausführlich erörtert, dass das Kartellrecht autonom Zugangsregeln in Fällen bildet, in denen der Wettbewerb (und mit diesem wettbewerbliche Wissensteilung) dadurch beeinträchtigt ist, dass ein herrschendes Unternehmen mit Hilfe seines Schutzrechts einen Markt kontrolliert und den Zutritt von Konkurrenten behindert. Indirekt (nämlich durch die Brille des Wettbewerbsrechts) wird so dem Umstand Rechnung getragen, dass in einem bestimmten Sachbereich (nämlich dem vom betroffenen Markt abgegrenzten thematischen Beobachtungsfeld) explizites Wissen nicht mehr mit verteiltem impliziten Wissen auf alternative Weise rekombiniert werden kann. Obwohl es dem Kartellrecht selbst nur darauf ankommt, die Marktzugangsbehinderung abzustellen, erhält es in dem entsprechenden thematischen Ausschnitt von Systemwissen die Möglichkeiten zu dessen dezentraler Aktualisierung und Fortentwicklung. Das gesellschaftliche Interesse muss freilich dahin gehen, bereits bei der Schaffung von Schutzrechten durch die informationsökonomisch angeleitete Statuierung von Zugangsregeln und

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§ 6 Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung

durch die gezielte Ausweisung von Gemeinschaftsgütern der Wissensteilung dafür Sorge zu tragen, dass eine hinreichende Nutzungsfreiheit aller Akteure besteht. Im Ergebnis wird das Ausschlussprinzip im Immaterialgüterrecht auf eine dem dinglichen Eigentum unbekannte Weise flexibilisiert. Damit einher geht eine Differenzierung des Eigentumsbegriffs, der offen sein muss für eine unterschiedliche Grenzziehung je nachdem, in welchem systemischen oder institutionellen Kontext das Schutzrecht in Anspruch genommen wird. Zu beachten ist nicht nur, dass die Praktiken der Wissensteilung in den einzelnen Funktionssystemen freie Nutzungsmöglichkeiten von Immaterialgütern in unterschiedlichem Umfang voraussetzen und insofern etwa wissenschaftsoder kunstspezifische Zugangsregeln erforderlich sind. Das Recht hat sich vielmehr auch gegenüber den verschiedenen Institutionen der Wissensteilung und ihren Funktionsbedingungen gleich responsiv zu verhalten. Eine funktionale Rekonfiguration des Inhalts von Schutzrechten kann nicht nur anhand von staatlichen Normen zum Schutz des Wettbewerbs erfolgen, sondern etwa auch durch privatautonom gesetzte Zugangsregeln, die der Gestaltung von Kooperation im Netzwerk und der ihr eigenen Form der Wissensteilung dienen. Neben ein »marktgerechtes Eigentum« tritt dann ein »netzwerkgerechtes Eigentum«. 8 Wenn das Verbotsrecht demnach dort eingeschränkt wird, »wo dies unmittelbar zur Förderung der geistigen und kulturellen Werte dient, die ihrerseits Grundlage für sein Werkschaffen sind«, so ist das streng zu unterscheiden von der regressiv wirkenden Umkonzipierung von Schutzrechten in Privilegien, wie sie diejenigen befürworten, die dem Schutzrechtsinhaber Pflichten auferlegen, die die Erreichung irgend eines mit der Verleihung des Privilegs angestrebten Zwecks sicherstellen sollen.9 Stattdessen verlangt der hier vertretene radikale Funktionalismus des Immaterialgüterrechts als Ausdruck rechtlicher Reflexivität, die Ausübung von rechtlicher Autonomie an ihre systemischen Wahrnehmungsbedingungen zurückzubinden. 2. Die konstitutionelle Dimension der Rechtsverfassung der Wissensteilung (1) Die Durchführung der systemfunktionalen Interpretation des Immaterialgüterschutzes ist wie die Formulierung von Zugangsregeln Sache des einfachen Rechts und vollzieht sich dort anhand bereichsspezifischer Rechtssätze und Prinzipien. Bei den Erörterungen in § 1 II wurde aber bereits deutlich, dass das einfache Recht hierin nicht gänzlich frei ist, weil es den Zusammenhang zwi8 Zum Begriff des netzwerkgerechten Eigentums auch Vesting, in: FS R. Schmidt, 427 (438 ff.). 9 Wie Drahos, 221 (»The duties exist as a means to promote the satisfaction of the goal that is the target of the privilege«).

I. Die Sicherung institutioneller Vielfalt durch das Recht

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schen der Funktionsfähigkeit systemischer Wissensteilung und der effektiven Gewährleistung grundrechtlich geschützter Freiheiten zu beachten hat. Weil in den Grundrechten die Möglichkeiten zu freiheitlichem Handeln normativ abgesichert werden, unterliegt die Kunst der Regelbildung ihrerseits bestimmten Regeln. Anders ausgedrückt: Die im bereichsspezifischen Recht gefundene Abstimmung zwischen Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit muss »sich sehen lassen können« vor den Maßstäben eines gesellschaftlichen »Rechtsverfassungsrechts« für die Ordnung der Nutzung von Immaterialgütern.10 Diese Maßstäbe lassen sich (nur) teilweise der staatlichen Verfassung entnehmen, nämlich insofern die Grundrechte normative Eckpunkte formulieren für das Handeln in autonomen, von einer bestimmten Eigenrationalität gekennzeichneten Sozialbereichen. So war am Beispiel des verfassungsrechtlichen Merkmals der »Angewiesenheit« im Sinne von Art. 14 Abs. 2 GG gezeigt worden, das das einfache Recht zur Identifizierung entsprechender Situationen und zur Statuierung von Zugangsregeln verpflichtet, ohne diese freilich inhaltlich zu determinieren. Im übrigen aber handelt es sich um Elemente einer »Zivilverfassung«,11 die aus den Voraussetzungen für die Erhaltung von Autonomiespielräumen in der Gesellschaft selbst zu entwickeln sind. (2) Die geforderte Konstitutionalisierung wissensteiliger sozialer Prozesse erinnert vom Programm her an die Lehre von der Wirtschaftsverfassung, deren Kernstück ebenfalls die reflexive Berücksichtigung der Wirkungen autonomen Handelns im Recht bildet. Seit den grundlegenden Arbeiten Franz Böhms ist erkannt, dass die Möglichkeit autonomen Handelns nicht schon mit der Einrichtung eines Systems privater Rechte gegeben und damit vom Recht allein formal garantierbar, sondern an Voraussetzungen geknüpft ist, die im Wettbewerb und damit im Wirtschaftssystem erzeugt werden. Erst der Wettbewerb sorgt für jene relative Machtlosigkeit der Vertragsparteien, die Voraussetzung dafür ist, dass die Vertragsfreiheit ihre koordinierende und interessenausgleichende Wirkung entfalten kann. Die Funktionsvoraussetzungen eines Systems subjektiver wirtschaftlicher Freiheitsrechte liegen nicht im Recht selbst, sondern im Wettbewerb als jenem gesellschaftlichen Ordnungszusammenhang, der aus der Ausübung von Freiheitsrechten entsteht. Aus der Einsicht in die ordnungsstiftende Kraft des Wirtschaftssystems der Verkehrs- und Konkurrenzwirtschaft

10 Zur Idee eines Rechtsverfassungsrechts vgl. grundlegend Wiethölter, in: Joerges/Teubner (Hrsg.), Rechtsverfassungsrecht, 13 ff. 11 Grundlegend zu Zivilverfassungen als Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie vgl. Teubner, ZaöRV 63 (2003), 1 ff. Zum Gedanken der Zivilverfassung auf dem Gebiet des transnationalen Verbrauchervertragsrechts eingehend Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 335 ff.

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§ 6 Elemente einer Rechtsverfassung der Wissensteilung

ergibt sich für das Recht die Forderung nach einer »funktionalen Bindung der Freiheitsrechte an den Wettbewerb«.12 Das wirkt zurück auf die Wirtschaft selbst. Diese war insofern von Anfang an verrechtlicht, als die freie Verkehrs- und Konkurrenzwirtschaft ein von subjektiven Rechten geformtes Privatrecht vor allem der Eigentums- und Vertragsfreiheit voraussetzt. Die Verrechtlichung der Wirtschaft wird nun in dem Maße ausgebaut, in dem sich jene funktionale, normativ an der freien Verkehrswirtschaft ausgerichtete Bindung der Rechtsinstitute ausdifferenziert und zudem das bürgerliche Recht um Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen ergänzt wird. Die Regeln für das Verhalten im Wettbewerb werden dadurch dem Wirtschaftssystem selbst entzogen. Die Wirtschaftsordnung wird rechtlich verfasst. Genau das wird mit dem Begriff der Wirtschaftsverfassung in Bezug genommen. Die Wirtschaftsverfassung ist eine Rechtsverfassung. Die Regeln des Wettbewerbsrechts erscheinen danach als konstitutionelle Grundsätze des Privatrechts, die aus dessen eigener Normativität gewonnen werden. Ziel ist nichts weniger als eine Art »Autokonstitutionalisierung« der Gesellschaft. Das wird deutlich, wenn die ordoliberale Rechtstheorie fordert, die Bildung wirtschaftlicher Macht sei schon im Ansatz durch eine »Gewaltenteilung in der Gesellschaft«13 zu verhindern. Nach dieser Idee liegt eine im materiellen Sinne verstandene, gleichsam primäre Gewaltenteilung der organisatorischen Trennung der Staatsgewalten in Legislative, Exekutive und Justiz voraus und führt eine Machtbalance bereits in der Gesellschaft herbei, die Voraussetzung für die unverzerrte Wahrnehmung politischer Autonomie ist. Als aufhebenswerte Einsicht der Lehre von der Wirtschaftsverfassung ist festzuhalten, dass sie das Recht darauf verpflichtet, gesellschaftliche Ordnungsmechanismen zu schützen und zu stabilisieren, soweit diese einen Zustand herbeiführen und gewährleisten, der zur Realisierung der Grundwerte der Rechtsordnung selbst führt. Indessen erscheint die strenge Normativierung des verkehrswirtschaftlichen Modells und die exklusive Ausrichtung auf den Markt als gesellschaftlichen Steuerungsmechanismus als unzulässige Engführung, die einerseits den Zustand gesellschaftlicher Differenzierung mit seiner sozialen Vielsprachigkeit von untereinander inkompatiblen System-/Umwelt-Perspektiven (»Polykontexturalismus«) nicht zu erfassen vermag14 und andererseits von Annahmen über die kognitive Funktion von wirtschaftlichen Freiheitsrechten ausgeht, bei denen – entsprechend dem Schwerpunkt der Wertschöpfung in der »Eigentumsmarktgesellschaft«15 – Transaktionen über 12

Mestmäcker, RabelsZ 60 (1996), 58 (65). Vgl. Mestmäcker, ZHR 137 (1973), 97 (104) (geänderte Hervorhebung). 14 Ausführlich vgl. Wielsch, Freiheit und Funktion, 194 ff. Eine entsprechende Engführung durch die ordoliberale Rechtstheorie diagnostiziert auch Karavas, Digitale Grundrechte, 47 ff. 15 Grundlegend zum Begriff der »Eigentumsmarktgesellschaft«, mit dem ein bestimmtes 13

II. Normative Bausteine einer Rechtsverfassung der Wissensteilung

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körperliche Gegenstände im Mittelpunkt stehen. Allein aus diesem Grund ist der Ansatz für eine Gesellschaft weiter zu denken, in der die Nutzung und Produktion immaterieller Güter in den Vordergrund treten.

II. Normative Bausteine einer Rechtsverfassung der Wissensteilung 1. »Strukturelle Diversifikation«: Offenheit gegenüber unterschiedlichen Ordnungsmodellen und Institutionen Unabhängig davon, ob an Immaterialgütern absolute Rechte bestehen und sie damit zum Gegenstand wirtschaftlichen Wettbewerbs werden können, sind sie qualifizierte Kommunikationen, in denen thematisches Wissen eines bestimmten Sinnsystems expliziert ist. Das Urheberrecht und andere Formen des Immaterialgüterschutzes regulieren die Aktualisierbarkeit von Wissen in der Gesellschaft und verfügen so über die Formen der Wissensteilung in sozialen Systemen. In dieser Hinsicht sind sie funktional vergleichbar mit Regelungen auf dem Gebiet des Medienrechts, die Prozesse der Wissensteilung beeinflussen, indem sie über die Wahrnehmbarkeit kommunikativer Freiheiten entscheiden. Ob man deswegen so weit gehen kann, die Grundsätze der verfassungsrechtlichen Analyse von Medienregulierung als Maßstab für die Bestimmung der Grenzen zu benutzen, die Gesetzgeber und Rechtsprechung bei der Schaffung und Anwendung von Schutzrechten zu beachten haben,16 ist hier nicht zu beurteilen. Die in beiden Fällen vorhandene Einwirkungsmöglichkeit auf Wissensteilung, die auf der Kommunikationsgebundenheit von Wissensteilung beruht, lässt es allerdings als zulässig erscheinen, Immaterialgüter- und Medienrecht in Bezug auf die Anerkennung von Ordnungsalternativen zu vergleichen. Das Grundgesetz schreibt kein bestimmtes Modell für die Ausgestaltung der Medienordnung vor,17 sondern folgt (ähnlich wie im Bereich der Wirtschaftsordnung) dem Grundsatz der Modellneutralität. Vor diesem Hintergrund sind zwei alternative Formen der Medienordnung praktisch relevant geworden.18 Im »außenpluralistischen Marktmodell« soll publizistische Vielfalt durch ökonomischen Wettbewerb gesichert werden. Die Vielzahl von Megesellschaftliches Modell in Bezug genommen wird, vgl. McPherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, 68 ff. 16 So Benkler, NYU Law Review 74 (1999), 354 ff. vor dem Hintergund des speziellen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs für Medienregulierung im US-amerikanischen Recht. 17 Vgl. BVerfGE 57, 295 (320 f.); 97, 228 (267). 18 Überblick bei Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 189.

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dien in privatem Eigentum, die auf medienspezifischen Märkten miteinander konkurrieren (Verlage, Rundfunkveranstalter, Filmhersteller, Anbieter von Tele- und Mediendiensten), soll Garant einer Vielfalt an Inhalten in den entsprechenden Medien sein. Demgegenüber soll im »binnenpluralistischen Integrationsmodell«, das bisher nur im Bereich des Rundfunks durch gemeinwirtschaftlich strukturierte öffentlich-rechtliche Anstalten eingerichtet wurde, publizistische Vielfalt durch inhaltliche Programmbindungen und pluralismussichernde Strukturvorgaben im Bereich von Organisation und Verfahren erreicht werden.19 Indessen zeigen beide Modelle jeweils spezifische Defizite bei der Verwirklichung einer freiheitlichen Kommunikationsverfassung und der Gewährleistung publizistischer Vielfalt. So ist der für das außenpluralistische Modell konstitutive Wettbewerb aufgrund von konzentrationsfördernden Besonderheiten der Märkte im Medienbereich stets in Gefahr, und selbst wenn Wettbewerb besteht, wird bezweifelt, ob dieser allein eine Vielfalt im publizistischen Sinne herbeizuführen geeignet sei. Weil auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk an eigenen Funktionsdefiziten laboriert, liegt es nahe, die Medienordnung keinem der beiden Modelle allein anzuvertrauen. Genau diese Aussage trifft der Grundsatz der strukturellen Diversifikation, dem zufolge ein Nebeneinander von unterschiedlichen Formen der Medienordnung rechtlich zu stabilisieren ist. Für ein solches Nebeneinander sind unterschiedliche Möglichkeiten denkbar. So können die unterschiedlichen Ordnungsformen auf unterschiedliche Medienbereiche verteilt werden, wie dies früher im Verhältnis von privatwirtschaftlich organisierter Presse und gemeinwirtschaftlichem öffentlich-rechtlichem Rundfunk der Fall war (sog. »publizistische Gewaltenteilung«). Unterschiedliche Ordnungsformen können aber auch in ein und demselben Medienbereich nebeneinander treten, wie die heute bestehende »duale Rundfunkordnung« zeigt, in der öffentlich-rechtlicher Rundfunk und privatwirtschaftlicher Marktrundfunk koexistieren. In dieser Koexistenz alternativer Formen der Medienordnung drückt sich ein experimenteller Umgang mit sozialen Ordnungsverfahren und den ihnen zugrunde liegenden Institutionen aus. Es geht nicht nur darum, spezifische Funktionsschwächen des jeweiligen Modells mit Blick auf die Zielwerte der Kommunikationsfreiheiten wechselseitig zu kompensieren, sondern auch darum, die Möglichkeit der eigenständigen Evolution von institutionellen Alternativen überhaupt zu fördern.

19 Die erwünschte publizistische Vielfalt soll in der Gesamtheit des Angebots des jeweiligen Rundfunkveranstalters gesichert werden. Vgl. BVerfGE 87, 181 (203). Für das Medium der Presse hat das Bundesverfassungsgericht dagegen stets angenommen, dass die mit der privatwirtschaftlichen Ordnung verbundene Funktionserwartung realistisch sei, vgl. nur BVerfGE 52, 283 (296).

II. Normative Bausteine einer Rechtsverfassung der Wissensteilung

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Dieser Grundgedanke der strukturellen Diversifikation ist auch auf den Bereich der Immaterialgüterordnung zu übertragen. Auch als Institution zur Erzeugung neuen Wissens (Innovationsfunktion) weist der Markt Defizite auf (Netzwerkeffekte, Bottlenecks, Blockadesituationen, bestimmte Fälle der de facto-Standardisierung), und auch hier existieren neben dem Markt andere Institutionen der Wissenserzeugung. Hervorzuheben sind insbesondere Netzwerke, die anstatt auf dem Ausschlussprinzip auf einer Dezentralisierung der Nutzungsmöglichkeit an Immaterialgütern beruhen und die Anschlussfähigkeit gerade von kumulativen Entwicklungsbeiträgen erleichtern. Anders als im Falle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind diese alternativen Ordnungsformen jedoch nicht staatlich inszeniert, 20 sondern stellen evolutionäre Errungenschaften aus der Mitte der Zivilgesellschaft dar. Sie beruhen auf einer sozialen Praxis, die ihrerseits auf innovative privatautonome Arrangements in Form offener Lizenzmodelle gestützt ist. Nach dem Grundsatz der strukturellen Diversifikation wären solche alternativen Institutionen der Wissensteilung gezielt zu stabilisieren und wäre für ein geordnetes Nebeneinander der unterschiedlichen sozialen Interaktionsmuster zu sorgen. 2. Koordinationsfunktion der Grundrechte: Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit Bei der Rechtsverfassung der Wissensteilung gilt der Grundsatz der Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit. Denn unter dem Grundgesetz ist nicht nur die Handlungsfreiheit des Eigentümers geschützt. Zu beachten ist, dass die exklusive Zuweisung einer Handlungsmöglichkeit durch das Immaterialgüterrecht die wirtschaftlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten anderer einschränkt, die durch die Freiheitsrechte in Art. 2 Abs. 1 GG bzw. 5 Abs. 3 GG geschützt sind. Diese Einschränkung führt jedoch nicht automatisch zu einer entscheidungsbedürftigen Kollision der betroffenen Freiheitsrechte einerseits und der Eigentumsfreiheit des Schutzrechtsinhabers andererseits. Nach der hier vorgeschlagenen grundrechtstheoretischen Rekonstruktion des Immaterialgüterrechts sind – aufgrund der staatlichen Autorisierung des Ausschlusses – die Freiheitsgrundrechte der Nichteigentümer in ihrer Schutzgebotsfunktion betroffen. Damit gewinnt das Recht genau jenen Spielraum bei der Verfassung der Wissensteilung, der nötig ist, um einerseits implizites Wissen des Einzelnen für die produktive Rekombination mit explizitem Systemwissen zu mobilisieren, gleichzeitig aber auch jener systemischen Konnexität des Schutzrechts Rechnung zu 20 Zu Recht wird mit Blick auf Ordnungsversuche des Gesetzgebers angemahnt, dass die Dominanz der objektiv-rechtlichen Komponente der Rundfunkfreiheit gegenüber der subjektiv-rechtlichen nicht in eine Dominanz des Staates umschlagen dürfe. Vgl. Ladeur, in: FS Stein, 67 (74).

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tragen und solche positiven Nutzungsexternalitäten zuzulassen, die für eine dezentrale Weiterentwicklung des Systemwissens und zur Erhaltung wesentlicher Praktiken der Wissensteilung im System konstitutiv sind. Denn den betroffenen Grundrechten ist eine Schutzpflicht erst dann zu entnehmen, wenn die um der Ausdifferenzierung des Referenzsystems willen ermöglichte Handlungsautonomie des Schutzrechtsinhabers dazu führt, dass die Nichteigentümer von ihrer systembezogenen Freiheit nicht mehr effektiv Gebrauch machen können und deswegen die weitere Ausdifferenzierung behindert wird. Die Ausdifferenzierung des Systems, die über die effektiven Handlungsmöglichkeiten aller Beteiligten entscheidet, ist demnach der gemeinsame Bezugspunkt für die Freiheitsrechte von Eigentümern und Nichteigentümern. Sofern die Ausübung des Schutzrechts der Handlungslogik des Wirtschaftssystems folgt (der Schutzrechtsinhaber sucht die Kosten seiner qualifizierten Partizipation am Referenzsystem zu decken), bringen sich insofern im Nutzungsinteresse der Nichteigentümer die kognitiven Funktionsbedingungen des Referenzsystems in der Umwelt des Wirtschaftssystems zur Geltung. Weil die Wissensteilung eines Systems über Schutzrechte dem Markt zum Lehen gegeben wird (»Hineinwachsen des Eigentums in Mehrsystemzugehörigkeiten«), können sich Inter-Systemkonflikte ergeben, die in das Eigentumsrecht involuieren. Auch insofern gilt, dass nirgendwo sonst in der Rechtsordnung normativ verbindlich festgelegt ist, dass unterschiedlichen Normativitäten grundsätzlich der gleiche Rang zukommt. Die im Rahmen von Art. 14 Abs. 2 GG vorzunehmende Kompatibilisierung von Ausschlussrechten und Nutzungsfreiheiten, hinter denen sich solchermaßen auch die Geltungsansprüche unterschiedlicher Funktionssysteme verbergen können, erfolgt durch die Ermittlung von Angewiesenheitsverhältnissen, die jedoch nicht individuell, sondern systembezogen zu bestimmen sind. Einen besonders wichtigen Unterfall bilden Konstellationen, in denen die Funktionsfähigkeit einer Institution der Wissensteilung gestört ist. Zugangsregeln heben dann das Verbotsrecht des Schutzrechtsinhabers in Bezug auf die entsprechende Handlungsmöglichkeit auf. Mit diesem Ansatz unvereinbar ist die im deutschen (und ausländischen) Recht verbreitete Interpretationsregel, Schutzrechte seien grundsätzlich weit und Schrankenbestimmungen dagegen eng auszulegen. 21 Sie stützt sich auf den Beteiligungsgrundsatz, nach dem der Urheber an der wirtschaftlichen Nutzung seiner Werke »tunlichst angemessen«22 bzw. »möglichst weitgehend«23 zu beteiligen ist. Danach stehen offen formulierten Schutzrechten abschlie21

Stellvertretend Melichar, in: Schricker, UrhG, Vor §§ 44a ff. Rn. 15 m. w. N. Vgl. etwa BGHZ 141, 13 (35), st. Rspr. 23 Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, § 31, Rn. 64, unter Hinweis auf BGH GRUR 1974, 786 (787) – Kassettenfi lm und BGHZ 129, 66 (72) – Mauer-Bilder. 22

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ßend eng formulierte Ausnahmen gegenüber. 24 Abgesehen davon, dass ein Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmeregeln methodisch nicht begründbar ist, 25 und abgesehen davon, dass Schrankenregelungen bzw. Zugangsregeln schon rechtstechnisch nicht als »Ausnahmen« zum Recht des Urhebers zu begreifen sind, sondern als den Inhalt und die Grenzen des Rechtes bestimmende Instrumente, 26 verkörpert eine solche Auslegungsregel nach der hier vertretenen Ansicht jene »Logik der Perfektion« von Schutzrechten und jenen Automatismus der Zuweisung von exklusiven Handlungsmöglichkeiten, wie sie sich unter dem Grundsatz von der Gleichrangigkeit von Ausschlussprinzip und Nutzungsfreiheit nicht rechtfertigen lassen. Problematisch ist aber auch die umgekehrte Auslegungsregel, nach der Schrankenregelungen, weil sie die verfassungsrechtlich geschützten Freiheiten anderer repräsentieren, entsprechend weit zu interpretieren seien. 27 Hinter ihr steht die Vorstellung, die Schutzfreiheit für immaterielle Güter sei die Regel und Schutzrechte gerade die begründungsbedürftige Ausnahme. 28 Zwar wird damit zutreffend auf die Bedeutung von Nutzungsfreiheiten für die Wissensteilung hingewiesen und eine Prüfung der Erforderlichkeit der Schaffung von Schutzrechten angemahnt, die gerade in Zeiten proliferierenden Immaterialgüterschutzes ihre Berechtigung hat. Aber auch das ist nur die eine Seite des Immaterialgüterrechts. Schrankenbestimmungen sind weder eng noch weit, sondern »richtig« auszulegen. Die klug formulierte Zugangsregel orientiert sich an der systemischen Konnexität von Schutzrechten. 3. Der Schutz »vertikaler Differenzierung«: vertikale Funktionsanalyse von Ausschließlichkeitsrechten In § 3 wurde an Beispielen deutlich gemacht, welche wettbewerbsrechtlichen Probleme sich aus der Kontrolle von Märkten durch Schutzrechte ergeben können. Eine solche Kontrolle liegt vor allem in solchen Zweigen der Informationsindustrie nahe, in denen zur Entwicklung der entsprechenden Produkte kumulatives, oft auf verschiedene Wertschöpfungsstufen verteiltes Wissen integriert werden muss (Mehrwertprodukte, modulare Systemprodukte) und sich ein (geschütztes) Teil- bzw. Vorprodukt auf einer dieser Stufen als wesent24 Vgl. Hugenholtz, in: Elkin-Koren/Weinstock Netanel (eds.), The Commodification of Information, 239 (250 f.) (»open rights, closed exemptions«). 25 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 243. 26 Vgl. Geiger, GRUR Int. 2004, 815 (819); Hugenholtz, aaO. Vgl. auch die Ausführungen zur Gesetzestechnik im Urheberrecht in BVerfGE 49, 382 (393). 27 So Hugenholtz, in: Elkin-Koren/Weinstock Netanel (eds.), The Commodification of Information, 239 (250 f.). 28 Vgl. Hoeren, Beil. zu MMR 9/1998, 6 (7) (Informationen seien als »res extra commercium«, als »common heritage of mankind« anzusehen, während sich ihr Schutz durch das Urheberrecht historisch als Ausnahmeerscheinung darstelle).

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liches Input für ein Zwischen- oder Endprodukt darstellt (aus welchen Gründen auch immer: Netzwerkeffekte, Standardisierung, Kompatibilität, Generität des geschützten »Moduls«). In diesen Fällen kann der Inhaber des Schutzrechts die Verbindung der Märkte (oder bei fehlender Vermarktung: der Wertschöpfungsstufen) ausnutzen und seine Kontrolle auf einen verbunden Markt ausdehnen (»leveraging«). Das Kartellrecht hat daher in einer Art Gesamtbetrachtung den Zusammenhang verschiedener Märkte zu ermitteln und nach den vertikalen Wirkungen der Ausübung eines Schutzrechts zu fragen. So ist etwa bei der Prüfung, ob die Weigerung zur Lizenzierung eines geschützten Teilprodukts missbräuchlich ist, zu berücksichtigen, welche Funktion das Teilprodukt bzw. der Standard für ein komplexes Systemprodukt hat. Nur so lässt sich ermessen, welchen Effekt eine vertikale Fortsetzung des Ausschlussprinzips für die Wissensteilung in dem betroffenen thematischen Wissensbereich hat und ob die Bedingungen der Möglichkeit für eine dezentrale Weiterentwicklung des Wissensbestandes weiterhin gewährleistet sind. Angesichts der schutzrechtlich vermittelten Kontrolle einer vorgängigen Marktstufe muss es dem Wettbewerbsrecht darum gehen, den Restwettbewerb auf einem verbundenen Markt zu schützen und die Entdeckung alternativer Anwendungsmöglichkeiten des wesentlichen Inputs durch Dritte zu ermöglichen. Als Regel für die wettbewerbsrechtliche Verfassung von verbundenen Märkten könnte man formulieren: Trotz der strukturellen Verbindung von zwei Märkten sollen diese unabhängig voneinander evoluieren. Aber auch darüber hinaus gewinnt das Problem einer Kontrolle von vertikal abhängigen Handlungsmöglichkeiten und damit eine vertikale Funktionsanalyse von Ausschließlichkeitsrechten an Bedeutung. Das hat seinen Grund vor allem in der Kommunikationsgebundenheit von Wissensteilung und der Materialität von Kommunikationsmedien. So war in § 5 III im Rahmen der Rekonstruktion des Internet als komplexes modularisiertes Medium gezeigt worden, dass eine »vertikale Einhegung« von Eigentumsrechten an der TK-Infrastruktur die eigenständige Evolution von neuen Handlungsfeldern ermöglicht. Insbesondere wird verhindert, dass die eigentumsrechtliche Kontrolle über einen wesentlichen Teil der Medientechnologie »durchschlägt« auf höhere Ebenen abhängiger Handlungsmöglichkeiten und dort entsprechende Kontrollmöglichkeiten begründet. Die Freiheit zur mediengebundenen Innovation – sowohl bei der Entwicklung von netzbasierten Anwendungen wie von verbreiteten Inhalten – ist dezentralisiert. Folge ist eine aus wirtschaftlicher Sicht zu begrüßende Gleichheit der Chancen beim Wettbewerb mit Diensten auf höheren Netzwerkebenen (wettbewerbliche Chancengleichheit) und eine aus verfassungsrechtlicher Sicht zu begrüßende Gleichheit der Chancen beim Prozess der medialen Meinungsbildung (kommunikative Chancengleichheit). So wenig die Herrschaft über die Verbreitungsmedien zugleich eine Kontrolle »von unten nach oben« über nutzungsabhängige Anwendungen und Inhalte

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geben soll, so wenig soll aber auch umgekehrt die Kontrolle über Inhalte durch Schutzrechte die Entwicklung von (Medien-)Technologien behindern dürfen. In § 5 IV wurde die vertikale Funktionsanalyse erweitert um die Sicht »von oben nach unten« und an den Beispielen des Hyperlinking und der semantischen Suche im WWW dargestellt, dass sich Inhalteanbieter auf ihre Urheberrechte stützen, um technologische Handlungsmöglichkeiten zur Erschließung öffentlich zugänglich gemachter Inhalte zu kontrollieren. Es wurde argumentiert, dass die Kapazität von Schutzrechten zur Steuerung medialer Handlungsmöglichkeiten jedenfalls dort durch medienspezifische Zugangsregeln zu begrenzen ist, wo die Funktionsfähigkeit des Mediums selbst betroffen ist. Eine ähnliche Gefahr der Beschränkung technologischer Entwicklung kann sich ergeben, wenn die Reichweite der mittelbaren urheberrechtlichen Störerhaftung zu weit erstreckt wird. Hingewiesen sei insofern auf die Diskussion um die urheberrechtliche Verantwortlichkeit für den Gebrauch von peer-to-peer Distributions- bzw. Medientechnologien zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen. Hier besteht die Kernfrage darin, wie im Rahmen der Zurechnung nach dem Schutzzweck der urheberrechtlichen Normen der Umstand zu berücksichtigen ist, dass die betreffende Technologie neben dem Einsatz für Verletzungshandlungen sich auch für legale Nutzungen in signifikantem Umfang eignet. 29 Nachdem die Rechtsprechung inzwischen dazu übergegangen ist, die Verantwortung auf die Hersteller solcher Technologien zu erstrecken, besteht (bei einer zu restriktiven und undifferenzierten Haftung) die Gefahr, dass die Entwicklung solcher Medientechnologien nicht mehr unabhängig von der Zustimmung der Urheber (Inhalteproduzenten) stattfinden könnte und eine bisher dezentral wahrnehmbare Innovationskompetenz re-zentralisiert werden würde. Als ein Schwerpunkt der Rechtsverfassung der Wissensteilung erweist sich damit die Betrachtung der vertikalen Wirkung von Ausschließlichkeitsrechten auf Handlungsfelder, die in abhängiger Unabhängigkeit von der Nutzung des geschützten Gegenstandes stehen. Zugangsregeln dienen hierbei der Erhaltung der »vertikalen Differenzierung« von Handlungsmöglichkeiten. In dieser Funktion sind sie insbesondere für die Garantie medialer Freiheiten von Bedeutung. Auch insofern wird freilich der Schutz der Autonomie des Einzelnen umgelenkt auf den Schutz der Autonomie von Differenzierungsprozessen: Sofern Eigentumsrechte mediale Differenzierung zu beeinträchtigen drohen, stabilisieren Zugangsregeln die erforderliche Distanz zu Prozessen der dezentralen Wahrnehmung medialer Nutzungsmöglichkeiten, indem sie das Eigentumsrecht vertikal »einhegen«. Auf diese Weise wird insbesondere die Freiheit zur innovativen Nutzung des Mediums von der Eigentümerstellung entkoppelt. Die partielle Trennung von Eigentum und Kontrolle wird ausgerichtet auf die Erhaltung der Voraussetzungen vertikaler Differenzierung. 29

Vgl. etwa Leistner, GRUR 2006, 801 (811).

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4. Bindung an den »Gleichheitssatz« Auch für die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes ergeben sich neue Perspektiven, wenn es im Rahmen der Rechtsverfassung der Wissensteilung darum geht, nutzungsabhängige Freiheiten zu gewährleisten. Insofern ist die Einsicht zu aktualisieren, dass der Gleichheitssatz immer dann eine »ordnende und gestaltende Funktion« im Verhältnis zwischen Privaten gewinnt, wenn die Einen »irgendwie abhängen« von den Anderen und es zu Situationen der Angewiesenheit kommt.30 So wurde in § 3 II 4 festgehalten, dass dem wettbewerblichen Gleichbehandlungsprinzip für den eröffneten Geschäftsverkehr (im deutschen Recht vgl. § 20 Abs. 1 und 2 GWB) durch die Zugangsregel der essential facilities-Doktrin im Ergebnis ein Gleichbehandlungsgebot für unvermarktete unternehmens-/konzerninterne Vorleistungen an die Seite gestellt wird, soweit diese für den Zugang zu einem Markt unerlässlich sind. Der aus dem Regulierungsrecht stammende Grundsatz »intern gleich extern« wird so auf die wettbewerbsrechtliche Verfassung abhängiger Informationsmärkte übertragen und zwingt das beherrschende Unternehmen dazu, sein als »corporate commons« genutztes wesentliches Immaterialgut Außenstehenden zu gleichen Bedingungen zugänglich zu machen. In § 5 III 1 wurde dargestellt, dass sich die Innovationsoffenheit des Internet der technologischen Implementation von Diskriminierungsfreiheit durch die Konfiguration des Computernetzwerks nach dem e2e-Prinzip verdankt. Das Medium kann nicht zwischen einzelnen Anwendungen und Inhalten unterscheiden und kann deswegen in seiner Funktionalität von jedermann unabhängig von der Kontrolle des Netzbetreibers als Eigentümer der TK-Infrastruktur genutzt werden. In dem Maße, in dem Netzbetreiber diese technologisch implementierte Zugangsregel heute ihrerseits technologisch derogieren können, besteht Anlass, über eine normative Verankerung eines Verbots der Diskriminierung zwischen verschiedenen Anwendungen/Diensten in öffentlich zugänglichen Daten-Netzwerken nachzudenken.

III. Schluss: »Politische Ökonomie der Wissensteilung« Damit sind einige grundlegende Prinzipien benannt, an denen die rechtliche Verfassung von Institutionen und Medien mit Rücksicht auf deren wissensteilende Funktion orientiert werden kann. Diese Funktion kann solange latent 30 Zur Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes unter Privaten grundlegend Raiser, ZHR 111 (1948), 75 (im vorliegenden Zusammenhang insbes. 92 ff.) und speziell zur Anwendung auf den Datenverkehr im Internet Karavas, Digitale Grundrechte, 180 ff.

III. Schluss: »Politische Ökonomie der Wissensteilung«

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und unbeleuchtet bleiben, wie ihre Voraussetzungen gegeben sind. Solange sich die Gesellschaft zur Mobilisierung der Aktivität von Einzelbewusstsein auf die Form von subjektiven Ausschließlichkeitsrechten stützt, gehört zu diesen Voraussetzungen die Geltung von Zugangsregeln, durch die eine dezentrale Aktualisierbarkeit des betreffenden Systemwissens gewährleistet wird. Zugangsregeln sorgen dafür, dass die Funktionsvoraussetzungen der Wissensteilung in der systemischen Umwelt des Wirtschaftssystems erhalten bleiben, wenn die Möglichkeiten der strukturellen Kopplung zwischen psychischen Systemen zu anderen sozialen Systemen der Verwertungslogik unterworfen werden. Sie reagieren auf den Umstand, dass im einen System die kognitiven Umweltbedingungen für den Aufbau von Systemwissen im jeweils anderen bereitgestellt werden und damit eine Verschleifung der epistemischen Funktionsbedingungen zweier Systeme eintritt. Eine Ökonomie des Wissens ist auf eine Ökologie des Wissens gebaut. Diese Ökologie ist in Gefahr, wenn die Schaffung von Schutzrechten in einem bestimmten Wissensbereich hypertrophiert oder der Immaterialgüterschutz zum reinen Investitionsschutz wird. Dann werden zum Schutze des Vermögens als solchem Handlungsmöglichkeiten fest zugewiesen und für andere blockiert, ohne dass dem erkennbare Differenzierungsgewinne in einem anderem System als dem der Wirtschaft gegenüber stünden. Je unspezifischer der Schutzgegenstand und je anspruchsloser die Schutzvoraussetzungen desto größer wird die Gefahr, dass bloße Informationen und generisches Wissen geschützt werden, die für die Wissensteilung in einem System unerlässlich sind. Dann dient der Schutz subjektiver Rechte nicht mehr zugleich dem Schutz transindividueller Strukturen, auf die doch der Einzelne für sein autonomes Handeln angewiesen ist, sondern kehrt sich gegen sie. Solche dysfunktionalen Verschiebungen im Verhältnis zwischen Güterschutz und Entfaltungsfreiheit durch eine enge Bindung der Rechtsträger an einen vorgegebenen gesetzlichen Zweck der Schutzrechte abzuspannen, stellt freilich keine Alternative dar. Damit geriete das Schutzrecht wieder in die Nähe des staatlich administrierten Privilegs, und es würde das eng begrenzte Wissen des Staates schnell überfordert. Diese Form der Publifizierung des Immaterialgüterrechts schüttete jene Autonomie der Suchinitiativen zu, die in bisher unerreichtem Maß als Anstoß zu Variation im System und dessen Ausdifferenzierung gewirkt hat. Vielmehr geht es darum, den Schutz von Immaterialgütern an jenen systemischen Zusammenhängen auszurichten, auf die das einzelne Bewusstsein für die autonome Rekombination von Wissen angewiesen ist. Zu berücksichtigen sind die Folgen einer exklusiven Zuweisung von Handlungsmöglichkeiten für die Wissensteilung in dem durch die Freiheitsrechte selbst konstituierten sozialen System. Richtig verstandene Publifizierung ist daher gerichtet auf die Gewährleistung von Nutzungsfreiheiten in einem Umfang, der die Möglichkeiten

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der dezentralen Erzeugung von Wissen durch eine Vielzahl von Akteuren erhält. Not tut eine politische Ökonomie der Wissensteilung, die die Ausdifferenzierung des Systems in den Mittelpunkt rückt und von dort her – unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Rechtsverfassungsgrundsätze – die Freiheiten von Eigentümern und Nichteigentümern einstellt. Die durch Zugangsregeln gewährleistete Nutzungsfreiheit ist eine Freiheit durch die Freiheit der Anderen. Die Begrifflichkeit aus der Einleitung wieder aufgreifend, handelt es sich um Positionen »abhängiger Unabhängigkeit«. Um Freiheiten, deren Inanspruchnahme die Systemkonnexität von Schutzrechten durchsetzt. Einer der Schwerpunkte für die Gewährleistung solcher »Freiheit 2« werden Konflikte bei der Nutzung von Medien sein. Durch deren Bedeutung für die Entwicklung sozialer Differenzierung werden die gesellschaftlichen Problemfelder zu einem guten Stück in die Vertikale verlagert. Die Gesellschaft kippt um neunzig Grad. Und ihr Recht wird zu neuen Aufgaben geführt.

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Register Appropriierbarkeit von Nutzungsvorteilen 15, 47 f., 81, 109, 209, 231 Auslegung – verfassungskonforme 265 ff. – wettbewerbsrechtskonforme 262 ff. Ausschließlichkeitsrecht 20 ff., 42 ff., 63 ff., 90, 121, 170, 214, 244, 262, 279 ff. Ausschlussprinzip 7, 70, 268 ff. bandwagon effect 137 Beobachtung 9, 35, 88 f., 100 f., 200 – dezentrale 93 ff., 205, 230, 234 Beobachtungsreichtum 177, 191 Bewusstsein 3 ff., 33 ff., 86, 106, 234 ff., 271 Bottleneck-Ressourcen 140, 149, 151, 184, 187 commons, s. auch Gemeinschaftsgüter 19, 27, 111 – corporate 102, 188, 282 community of inquirers 41, 103 Computer 236, 241 copyleft-Klausel 209, 219, 223 ff. Demokratie – deliberative 102 ff. Des-Integration 163 ff., 179 Dezentralität – von Entscheidungen 87, 93 ff., 108 f., 206 – der Softwareentwicklung 193 Differenzierung – soziale 34, 45 f. – vertikale 279 ff. Diversität – s. auch institutionelle Vielfalt 268 ff. – kognitive 106 f. end-to-end-Prinzip 242 Entfaltungsfreiheit 7, 58, 69, 168, 188

epistemic community 96, 211 epistemisch 2, 83 ff., 102 ff., 177, 179 essential facilities-Doktrin 148 ff., 178, 181 f., 188 Evolution – soziale 36, 91, 211 – technologische 234 ff. Externalitäten – positive 18, 19, 24, 27, 30, 100, 110 ff., 230 Fremdbindung – durch Lizenzvertrag 216 ff. – Schranken 225 ff. Funktionsanalyse – vertikale 255, 279 ff. Gemeinschaftsgüter 19, 91, 114 ff., 254 – Konstruktion von 191, 205, 229 ff., 248 – wettbewerbsspezifische 187 ff. Gemeinwohlverpfl ichtung 74, 81, 168 Geschäftsverweigerung 140 ff., 148, 152 Gesellschaft – bürgerliche 1 ff. – Wissens-/Informations- 7, 61, 265 Gleichheitssatz 282 Gleichrangigkeitspostulat 70 f., 110, 270, 277 ff. GPL – General Public License 194 f., 213 ff., 231 f. Grundfreiheiten 126 f. Grundrechte, s. auch Schutzfunktion 8, 10, 66 ff., 252 f., 265 f., 273, 277 Güter – öffentliche 13 ff., 113, 195 – private 15, 47 f., 113 ff., 230 Handlungsmöglichkeiten 3, 8, 22 ff., 50 ff., 63 ff., 75 f., 115, 176 f., 222, 243 f., 254, 279 ff.

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Register

Hyperlink 256 ff. Immaterialgüterrecht – Legitimationsdiskurs 20, 51, 57, 268 – numerus clausus 8 – und Sachenrecht 8, 59 – Verhältnis zum Wettbewerbsrecht 117 ff. Immaterialgüterschutz – systemfunktionaler 67, 268, 272 Industrie – Informations- 7, 77, 166 Informationsökonomisches Dilemma 16 ff., 23, 26 f., 39, 207, 269 infrastructure performance 115 Infrastruktur 70, 90, 111 ff., 149 ff., 188, 255 – ökonomische Infrastrukturtheorie 110 ff. – physikalische 243 ff., 252, 254 f. – private 115, 181 Inhaltstheorie 119, 125 inherency doctrine 119, 121 Institution 75, 82 f., 92, 96 ff., 108, 117, 177, 192 ff., 278 institutionelle Vielfalt 15, 268 ff., 276 Institutionenschutz 9, 75, 107 ff. Internalisierung von Nutzungsvorteilen 14, 19, 24, 30, 109 f., 194 Internet 114, 205, 215, 238 ff., 259, 265, 280 Kartellrecht – europäisches 123 ff. – immaterialgüterrechtliche Rückbezüglichkeitsprüfung 173 ff. – Missbrauchsverbot 117, 124, 131 ff., 138 ff., 144, 151 f., 159, 175 f. Kommunikationsfreiheit 34, 68, 78, 252, 256, 265 ff. Kommunikationssystem, s. auch soziales System 33, 34, 36, 106, 211, 236, 238 kommunikative Artefakte 9, 33 ff., 39, 48, 51, 63, 107, 237, 268, 271 Kompatibilisierung von grundrechtlichen Freiheiten 8, 68, 70, 72 ff., 80, 278

komplexe Produkte 132 ff., 163 ff., 183, 188, 195, 279 Konnexität von Schutzrechten – systemische 9, 80, 90, 271, 277, 279 leveraging 151, 153, 163, 166, 280 Lizenzierung – offene 10, 214 ff., 220, 226, 232, 277 lock-in 163, 174 Märkte – Beobachtungsfunktion 83, 88 ff., 96, 177, 188, 197 – Unangreifbarkeit 138 – verbundene 140 ff., 151 f., 166, 172, 180 ff., 280 Medien – -evolution 234 ff., 238, 239 – Technizität 235, 237, 257, 280 Modularisierung 27, 180, 239, 241, 252 Monopol 112, 118, 133, 146 f., 150, 158, 172, 245 Netzwerk 9, 83, 192 ff., 207, 210, 212, 225, 230 f., 232, 272 – Computer-, s. auch Internet 114, 236 ff., 239 ff., 282 – ökonomische Netwerkeffekte 7, 77, 135 ff., 163, 189, 277, 279 – technologische Netzwerkarchitektur 239 ff., 251 Nutzungsfreiheit 8 ff., 50, 60 ff., 107, 193, 210, 226, 255 ff., 270, 273, 277 ff., 284 Nutzungshandlung 40, 61, 257 f., 261, 263, 266 Nutzungsrechte 156, 195, 207, 216 f., 218, 220, 222, 224, 229 – Dezentralisierung 10, 63, 107, 111, 176, 214, 219, 231 f. Ökonomie 3, 13, 17 f., 23, 30, 38, 63, 66, 83 f., 118 – politische 282 ff. Organisation 38, 97 ff., 164, 192, 197 ff. Rechtsverfassung 30, 66, 79, 100, 108, 232, 267 ff.

Register

Reproduktionszusammenhang von Immaterialgütern 6, 31, 54, 55, 117 Schutzfunktion der Grundrechte 8, 74, 76, 265, 277 f. Selbstbindung – öffentliche 214 ff., 226 Sole-Source-Produkte 132, 133, 158, 163 Source-Code 192, 193, 194, 209, 216, 218, 227 Standardisierung 134 ff., 162 f., 182, 188 f., 277 strukturelle Diversifikation, s. institutionelle Vielfalt 275 ff. subjektives Recht 9, 12, 42, 48, 56 ff., 60, 62, 268, 270 System – psychisches 4, 35 ff., 41, 66, 70, 101, 269, 283 – soziales 9, 31 ff., 37, 65, 67, 69, 234, 252 Systemprodukt, s. auch komplexe Produkte 27, 195, 279, 280 System/Umwelt-Verhältnis 6, 31, 34 f., 37, 44, 69, 88, 96, 177, 204, 278, 283 Unternehmen 97 ff., 197 ff.

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Wertschöpfungskette 113, 115, 140, 166, 246, 252, 279 f. Wettbewerb – als Entdeckungsverfahren 90, 91, 185, 280 Wettbewerbsfreiheit 70, 74, 75 f., 81, 115, 118, 130, 178, 181, 182, 260 Wettbewerbsrecht, s. Kartellrecht Wissen – kollektiv erzeugtes 9, 82, 86, 97, 107, 108 ff., 230, 231 Wissensteilung 3, 38, 41 f., 63, 85 f., 87, 94, 180, 191, 204, 230 f., 256, 267 ff. – Institutionen der 38, 82 ff., 179, 234, 237 Zeithorizont 91, 102, 179 Zugang – diskriminierungsfreier 111, 155, 189, 201, 214, 215, 239, 247 Zugangsrecht 28, 29, 64, 139, 169, 182, 214 Zugangsregeln – kunstspezifische 79 f., 272 – medienspezifische 255 ff., 281 – wettbewerbsspezifische 77, 116, 186 ff. Zwangslizenz 66, 157, 165, 169, 176, 186