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German Pages 590 [592] Year 2001
EINZELVERÖFFENTLICHUNGEN DER H I S T O R I S C H E N K O M M I S S I O N ZU B E R L I N
BAND 83
Johannes Bahr
Industrie im geteilten Berlin (1945-1990) Die elektrotechnische Industrie und der Maschinenbau im Ost-West-Vergleich: Branchenentwicklung, Technologien und Handlungsstrukturen
K G - Saur
München 2001
Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn-Bad Godesberg
Lektorat der Schriftenreihe Christian Schädlich
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bahr, Johannes: Industrie im geteilten Berlin (1945 - 1990) ; die elektrotechnische Industrie und der Maschinenbau im Ost-West-Vergleich : Branchenentwicklung, Technologien und Handlungsstrukturen / Johannes Bähr. - München : Saur, 2001 Zugl.: Berlin, Freie Univ., Habil.-Schr., 1997 ISBN 3-598-23227-6
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Alle Rechte vorbehalten / All rights strictly reserved K. G. Saur Verlag GmbH & Co. KG, München 2001 Printed in the Federal Republic of Germany Satz: Historische Kommission zu Berlin Druck: Strauß Offsetdruck, Mörlenbach Binden: Buchbinderei Schaumann, Darmstadt ISBN 3-598-23227-6
VORWORT Dieses Buch ist eine gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die 1997 vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin angenommen wurde. Für Anregungen und Unterstützung bei der Arbeit an der vorliegenden Studie bin ich vielen Personen und Institutionen zu Dank verpflichtet, von denen hier nur wenige hervorgehoben werden können. Besonderer Dank gilt zunächst Herrn Prof. Drs. Dr. h.c. Wolfram Fischer, der das Habilitationsprojekt betreut hat. Viel zu verdanken habe ich auch dem Kreis der Kollegen am damaligen „Fischer-Institut" in der Dahlemer Hittorfstraße sowie der Kooperation mit dem Institut für Wirtschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der RuhrUniversität Bochum. An der Durchführung des Forschungsprojekts haben Alexandra Böckh und Ulrich Fritsche als studentische Hilfskräfte tatkräftig mitgewirkt. Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einer Sachbeihilfe im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Wirtschaftliche Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel in Deutschland nach 1945", dann auch mit einem Habilitandenstipendium und schließlich mit einem Druckkostenzuschuß gefördert. Dafür sei der DFG an dieser Stelle nachdrücklich gedankt. Der Historischen Kommission zu Berlin danke ich für die Aufnahme der Publikation in ihre Schriftenreihe, Herrn Christian Schädlich für sorgfältige Lektorierung. Die Veröffentlichung des vorliegenden Werks hat sich aus verschiedenen Gründen um mehrere Jahre verzögert. Dieser „time-lag" erforderte nachträgliche Ergänzungen, vor allem hinsichtlich des Forschungsstandes zur Wirtschaftsgeschichte der DDR. Neueste Publikationen wurden noch bei der Fertigstellung der Druckfassung im gegebenen Rahmen miteinbezogen. Gewidmet ist das Buch meiner Familie, der das Forschungsvorhaben über Jahre hinweg viel Grausames abverlangt hat. Sehr dankbar bin ich meiner Frau und meinen Kindern aber auch dafür, daß sie mich nicht immer arbeiten ließen. Berlin, im September
2000
Johannes Bähr
INHALT VORWORT
V
VERZEICHNIS DER TABELLEN
XI
VERZEICHNIS DER GRAFIKEN
XVII
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
XIX
EINLEITUNG Der deutsch-deutsche Vergleich: Fragestellungen und Kategorien Die Ebenen des Vergleichs Die regionale Ebene: Das geteilte Berlin Die Branchenebene: Elektrotechnische Industrie und Maschinenbau Die Kategorien des Vergleichs Strukturen und Strukturveränderungen
1 8 8 12 16 16
Technologische Entwicklung und Innovationsprozesse
17
Handlungsmuster und Entscheidungskriterien
19
Ausgewertete Quellen
20
ERSTES
KAPITEL
Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945 Die Berliner Elektroindustrie und der Berliner Maschinenbau am Ende der Zwischenkriegszeit Standortfaktoren und Standortentwicklung
23 30
Absatzgebiete, binnen- und außenwirtschaftliche Verflechtung Die westlichen und die östlichen Bezirke Berlins im Vergleich Die Entwicklung während der Aufrüstung und des Zweiten Weltkrieges (1936-1945)
32 35 39
ZWEITES
KAPITEL
Substanzverluste und Ausgangsbasis in den Jahren 1945-1948/49 Die Demontagen Der Verlauf der Demontagen Der Umfang der Schäden und die Folgen in beiden Teilen Berlins Technologietransfer und Reparationsproduktion Der Technologie- und Spezialistentransfer Die Reparationen aus der laufenden Produktion
48 48 52 63 63 67
Vili
Inhalt
Die Firmenabwanderung und die Standortverlagerungen
71
Motive, Umfang und Folgen
71
Die Elektroindustrie und der Maschinenbau
77
Siemens und die AEG
81
Der Wiederaufbau
86
Faktoren und Barrieren des Wiederaufbaus in der Viermächtestadt
86
Die Betriebe Sowjetischer Aktiengesellschaften (SAG) und die sowjetischen Versuchsbetriebe im Ostteil Berlins
93
Auswirkungen und Folgen der Blockade
104
Zwischenbilanz: Die Ausgangsbasis von 1948/49
110
DRITTES KAPITEL
Die Teilung Berlins und die Errichtung unterschiedlicher Wirtschaftsordnungen (1945-1952) Die Teilung
115
Verlauf und Faktoren
115
Die Teilung eines Unternehmens: der Fall AEG
120
Die Auflösung der interzonalen Handels Verflechtung
125
Die Grenzgänger (1949-1961)
130
Die unmittelbaren Folgen der Teilung
134
Ost-Berlin: Die Eingliederung in die Zentralplanwirtschaft der SBZ/DDR und die Integration in den RGW
137
Die Durchsetzung der Sozialisierung und der Zentralplanwirtschaft
137
Das Umstrukturierungsprogramm des Zweijahrplans und des ersten Fünfjahrplans
144
Die Handelsverflechtung mit der SBZ/DDR und dem RGW-Raum
150
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft und in die Weltwirtschaft
153
Die Umstellung auf die DM, die Übernahme der Sozialen Marktwirtschaft und die Berlin-Hilfe
153
Die Anpassungskrise von 1949/50
156
Marshall-Plan und Long-Term-Plan
160
Die Handelsverflechtung mit dem Bundesgebiet und die Rückkehr auf den Weltmarkt
170
Die unmittelbaren Effekte des Übergangs zur Marktwirtschaft und zur Zentralplanwirtschaft im Vergleich
173
VIERTES K A P I T E L
Die Branchenentwicklung im geteilten Berlin (1950-1990) Wachstum und Krisen der fünfziger lahre
179
West-Berlin: Der Aufschwung der elektrotechnischen Industrie
179
West-Berlin: Der Rückstand des Maschinenbaus
188
Inhalt
IX
Ost-Berlin: Ausbau und Krisen der Elektroindustrie und des Maschinenbaus Die Weichenstellungen der sechziger Jahre West-Berlin: Rückstand im Strukturwandel Ost-Berlin: Gescheiterte Aufholversuche
199 214 214 229
Der Abstieg in den siebziger und achtziger Jahren West-Berlin: Krisen und Schrumpfung Ost-Berlin: Verharrung und Verfall Exkurs: Transformationsschock und Deindustrialisierung im Ostteil Berlins nach 1990
244 244 259 270
FÜNFTES KAPITEL
Strukturen und Strukturveränderungen (1950-1990) Der Standort Berlin in der Raumstruktur der elektrotechnischen Industrie und des Maschinenbaus Elektrotechnische Industrie Maschinenbau Einordnung in die längerfristigen Trends in der Bundesrepublik und in der DDR Kontinuität und Wandel der industriellen Branchenstrukturen Die Angleichung der industriellen Branchenstrukturen beider Teile Berlins und der Strukturwandel im Ostteil zwischen 1936 und 1952 Von der Kongruenz zur Divergenz: Die Entwicklung in den Jahrzehnten der Teilung Die Produktionsstruktur Elektrotechnische Industrie Maschinenbau Die Größenstruktur der Betriebe und Unternehmen Elektrotechnische Industrie Maschinenbau Beschäftigtenstrukturen Stellung am Arbeitsplatz und Qualifikation Geschlecht und Nationalität Absatzstrukturen Die Entstehung komplementärer Absatzstrukturen und der Stnikturbmch im Ostteil Berlins (1945/46-1952) Exportintensität und regionale Struktur des Exports
274 274 283 290 299 299 303 308 308 314 320 320 328 335 335 339 346 346 348
SECHSTES KAPITEL
Technologischer Wandel und Innovationsprozesse Kraftmaschinen- und Transformatorenbau Die Ausgangsbedingungen und die Herausbildung des Leistungsgefälles Die Unterschiede bei der Übernahme neuer Verfahren (Wasserstoffkühlung, Texturbleche)
362 362 370
X
Inhalt Die Zunahme des Leistungsgefälles in den sechziger Jahren
Die Auswirkungen auf die Stromerzeugung und die Stromversorgung Werkzeugmaschinenbau Die Ausgangsbedingungen Wiederaufbau und Kapazitätsausbau auf der Grundlage der alten Technik Die starre Automatisierung Der Übergang zur NC-Technik Elektronische Bauelementeindustrie Die Ausgangsbedingungen Der Wandel von der Röhren-zur Halbleitertechnik Der Einstieg in die Mikroelektronik Rundfunk-, Fernseh- und Phonogeräteindustrie Die Ausgangsbedingungen Der Ausbau auf der Grundlage der Kriegs- und Vorkriegstechnik Der Übergang von der Röhren- zur Transistortechnik Die Ausbreitung von Innovationen der Unterhaltungselektronik seit den sechziger Jahren
SIEBENTES
377 381 383 383 385 390 397 404 404 406 415 420 420 422 426 430
KAPITEL
Handlungsmuster und Entscheidungskriterien Strukturpolitik Der Ausbau der Industrie nach der Teilung Die weiteren Ansätze in den sechziger und siebziger Jahren Standortentscheidungen West-Berlin Ost-Berlin Exportstrategien und außenwirtschaftliche Orientierung Innovationsentscheidungen und Innovationsverhalten
434 434 442 445 445 453 459 471
FAZIT
483
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
497
PERSONENREGISTER
541
ORTS-, REGIONEN- UND LÄNDERREGISTER
544
FIRMEN- UND BETRIEBSREGISTER
548
SACHREGISTER
555
VERZEICHNIS DER TABELLEN TABELLE 1 Die Branchenstruktur der Berliner Industrie im Jahr 1936
24
TABELLE 2 Absatzgebiete der Berliner Elektroindustrie, des Berliner Maschinenbaus und der Berliner Industrie 1936
33
TABELLE 3 Die Branchenstruktur der Berliner Industrie im Jahr 1936 nach Stadtgebieten
36
TABELLE 4 Nettoproduktion und Anlagevermögen der Industrie im Westteil Berlins 1936-1945
46
TABELLE 5 Demontageschäden in der Industrie West-Berlins und Ost-Berlins
55
TABELLE 6 Demontageschäden in der Industrie West-Berlins und Ost-Berlins nach Branchen und Produktionszweigen
57
TABELLE 7 Demontageschäden in Berliner Großbetrieben
60
TABELLE 8 Anteile Ost-Berlins und der DDR-Länder an den Reparationsplänen für die Elektroindustrie und den Maschinenbau 1950
70
TABELLE 9 Bruttoproduktion der Industrie, der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in Berlin nach Stadtgebieten 1946-1948
91
TABELLE 10 Sowjetische Betriebe im Ostteil Berlins 1946/47-1953
95
TABELLE 11 Ausrüstungen und Beschäftigte des KWO und der EAW 1937-1952
99
TABELLE 12 Indizes der Industrieproduktion in beiden Teilen Berlins und in beiden Teilen Deutschlands 1950 in vergleichbarer Basierung
113
XII
Verzeichnis der Tabellen
TABELLE 13
Die Absatzgebiete der West-Berliner Industrie 1947-1949
127
TABELLE 1 4
Die Grenzgänger in Berlin 1949-1961
131
TABELLE 1 5
Verteilung der ERP-Investitionskredite auf einzelne Wirtschaftsbereiche und Industriezweige in West-Berlin und in der Bundesrepublik 1950-1955 163 TABELLE 1 6
Finanzierung der Brutto-Anlageinvestitionen in der Elektroindustrie und im Maschinenbau West-Berlins 1950-1955
166
TABELLE 1 7
Beschäftigte, Umsatz und Produktion der West-Berliner Elektroindustrie 1950-1961
180
TABELLE 1 8
Brutto-Anlageinvestitionen je Beschäftigten in der Elektroindustrie West-Berlins und der Bundesrepublik 1950-1956
181
TABELLE 19
Produktions- und Konsumgütererzeugung in der West-Berliner Elektroindustrie 1951-1959
183
TABELLE 2 0
Bruttowochenverdienste der Arbeiter und Arbeiterinnen in der metallverarbeitenden Industrie und in der Elektroindustrie der Bundesrepublik, West-Berlins und Hamburgs 1951-1960
186
TABELLE 2 1
Beschäftigte, Umsatz und Produktion des West-Berliner Maschinenbaus 1950-1961
190
TABELLE 2 2
Anteile West-Berlins an der Produktion des Maschinenbaus und des Werkzeugmaschinenbaus in der Bundesrepublik 1950-1958
192
TABELLE 2 3
Brutto-Anlageinvestitionen je Beschäftigten im Maschinenbau West-Berlins und der Bundesrepublik 1950-1956
193
TABELLE 2 4
Beschäftigte und Bruttoproduktion der Industrie, der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in Ost-Berlin 1950-1961
200
TABELLE 2 5
Bruttoproduktion und Beschäftigte ausgewählter VEB in Ost-Berlin 1950-1955
202
Verzeichnis der Tabellen
XIII
TABELLE 2 6
Durchschnittlicher Bruttowochenverdienst der Arbeiter in der Elektroindustrie und im Maschinenbau der Bundesrepublik und West-Berlins 1960-1970
216
TABELLE 2 7
Investitionen je Beschäftigten in der Elektroindustrie und im Maschinenbau der Bundesrepublik und West-Berlins 1962-1973
219
TABELLE 2 8
Beschäftigte, Umsatz und Produktion der West-Berliner Elektroindustrie 1960-1970
221
TABELLE 2 9
Beschäftigte, Umsatz und Produktion des West-Berliner Maschinenbaus 1960-1970
224
TABELLE 3 0
Beschäftigte und industrielle Bruttoproduktion der elektrotechnischen Industrie und des Industriebereichs Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau in Ost-Berlin 1960-1970
232
TABELLE 3 1
Beschäftigte und industrielle Bruttoproduktion des Maschinenbaus und des Industriebereichs Maschinen- und Fahrzeugbau in Ost-Berlin 1960-1971
233
TABELLE 3 2
Beschäftigte, Umsatz und Produktion der West-Berliner Elektroindustrie 1970-1989
245
TABELLE 3 3
Beschäftigte und Umsatz des West-Berliner Maschinenbaus 1970-1989
246
TABELLE 3 4
Beschäftigte der Industrie, des Industriebereichs Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau und des Industriebereichs Maschinen- und Fahrzeugbau in Ost-Berlin 1970-1989
261
TABELLE 3 5
Die Stellung Groß-Berlins, West-Berlins und Ost-Berlins in der regionalen Struktur der Elektroindustrie 1936-1952
275
TABELLE 3 6
Die regionale Struktur der elektrotechnischen Industrie in der Bundesrepublik 1952-1989
276
TABELLE 3 7
Die regionale Struktur der elektrotechnischen Industrie in der DDR 1952-1967
277
XIV
Verzeichnis der Tabellen
TABELLE 3 8
Die regionale Struktur des Industriebereichs Elektrotechnik/ Elektronik in der DDR 1955-1989
278
TABELLE 3 9
Die Stellung West-Berlins und Ost-Berlins in der regionalen Struktur des Maschinenbaus
284
TABELLE 4 0
Die regionale Struktur des Maschinenbaus in der Bundesrepublik 1952-1988
286
TABELLE 4 1
Die regionale Struktur des Maschinenbaus in der DDR 1955-1965
287
TABELLE 4 2
Die regionale Struktur des Maschinen- und Fahrzeugbaus in der DDR 1952-1989
288
TABELLE 4 3
Die regionale Struktur der Industrie in der DDR 1952-1989
295
TABELLE 4 4
Die industrielle Branchenstruktur in West-Berlin und in Ost-Berlin 1936-1952
300
TABELLE 4 5
Die Branchenstruktur der Industrie in West-Berlin 1950-1989
304
TABELLE 4 6
Die Branchenstruktur der Industrie in Ost-Berlin 1950-1989
305
TABELLE 4 7
Die Produktionsstruktur der West-Berliner Elektroindustrie 1948-1970
309
TABELLE 4 8
Die Produktionsstruktur der Ost-Berliner Elektroindustrie 1954
310
TABELLE 4 9
Die Produktionsstruktur der Ost-Berliner Elektroindustrie 1961-1968
312
TABELLE 5 0
Die Produktionsstruktur der West-Berliner Elektroindustrie 1952-1988
313
TABELLE 5 1
Anteile des Schwermaschinenbaus und des Allgemeinen Maschinenbaus an den Beschäftigten des Maschinenbaus in Ost-Berlin und in der DDR 1955-1965
315
TABELLE 5 2
Die Produktionsstruktur des Ost-Berliner Maschinenbaus 1962
317
Verzeichnis der Tabellen
XV
TABELLE 5 3
Die Produktionsstruktur des West-Berliner Maschinenbaus 1950-1989
318
TABELLE 5 4
Die Betriebsgrößenstruktur der West-Berliner Elektroindustrie 1951-1980
321
TABELLE 5 5
Die Betriebsgrößenstruktur der Ost-Berliner Elektroindustrie 1953-1962
322
TABELLE 5 6
Betriebe der Elektroindustrie in West-Berlin und in Ost-Berlin nach Größenklassen 1950-1959
323
TABELLE 5 7
Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten in der West-Berliner Elektroindustrie 1958-1980
325
TABELLE 5 8
Beschäftigte der Siemens-Firmen, der AEG(-Telefunken) und der Elektroindustrie in West-Berlin 1949-1990
327
TABELLE 5 9
Die größten Betriebe der Ost-Berliner Elektroindustrie 1955-1989
328
TABELLE 6 0
Die Betriebsgrößenstruktur des West-Berliner Maschinenbaus 1951-1980
329
TABELLE 6 1
Die Betriebsgrößenstruktur des Ost-Berliner Maschinen- und Fahrzeugbaus 1953-1962
330
TABELLE 6 2
Die Betriebsgrößenstruktur des Ost-Berliner Maschinen- und Fahrzeugbaus 1953-1958 (nach Betriebsgrößenklassen)
331
TABELLE 6 3
Die Zahl der Betriebe im West-Berliner Maschinenbau und im Ost-Berliner Maschinen-und Fahrzeugbau 1953-1989
333
TABELLE 6 4
Die größten Unternehmen im West-Berliner Maschinenbau 1958-1987
334
TABELLE 6 5
Anteil der Facharbeiter an allen in Fertigungsberufen Beschäftigten der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in West-Berlin und in der Bundesrepublik 1981
338
TABELLE 6 6
Die Exportquote der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in West-Berlin und in der Bundesrepublik 1950-1988
352
XVI
Verzeichnis der Tabellen
TABELLE 6 7
Die Absatzgebiete des Ost-Berliner Elektro- und Maschinenexports 1960
355
TABELLE 6 8
Die Absatzgebiete des West-Berliner Elektro- und Maschinenexports 1950-1979
360
TABELLE 6 9
Die Produktion von numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen in der Bundesrepublik und in der DDR 1964-1983
402
TABELLE 7 0
Generationen elektronischer Bauelemente bis 1970
408
TABELLE 7 1
Anteil der Leitungsbereiche an der Beschäftigtenzahl der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in West-Berlin und in der Bundesrepublik 1981
446
V E R Z E I C H N I S DER G R A F I K E N GRAFIK 1
Die Betriebsgrößenstruktur der Berliner Elektroindustrie und des Berliner Maschinenbaus 1925
28
GRAFIK 2
Anteile der westlichen und der östlichen Stadtbezirke an der Beschäftigtenzahl führender Industriezweige in Berlin 1936
37
GRAFIK 3
Beschäftigte der Berliner Elektroindustrie nach Stadtgebieten 1936-1944
43
GRAFIK 4
Beschäftigte der Industrie, der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in West-Berlin 1948/49
106
GRAFIK 5
Anteile verstaatlichter Betriebe an der Bruttoproduktion der Industrie und einzelner Industriezweige in Ost-Berlin 1950-1960
143
GRAFIK 6
Die Arbeitslosigkeit in West-Berlin 1948-1950
157
GRAFIK 7
Dispositive und operative Aktivitäten in der Elektroindustrie und im Maschinenbau West-Berlins und der Bundesrepublik 1981
250
GRAFIK 8
Die Beschäftigtenentwicklung in Großbetrieben der Elektro- und Metallindustrie im Ostteil Berlins 1990-1992
271
GRAFIK 9
Zahl der Betriebe in der Elektroindustrie West-Berlins und Ost-Berlins 1953-1989
324
GRAFIK 1 0
Anteil der Frauen an den Beschäftigten der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in West-Berlin und in Ost-Berlin 1956-1975
342
GRAFIK 11
Die Exportquote der ostdeutschen Elektroindustrie 1955-1973
351
XVIII
Verzeichnis der Grafiken
GRAFIK 1 2
Anteile der Elektroindustrie und des Maschinenbaus am Export der West-Berliner Industrie 1955-1987
353
GRAFIK 1 3
Elektrizitätserzeugung in der Bundesrepublik und in der DDR 1950-1970
382
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS A ABB ADV
Ampere Asea Brown Bovert Automatische Datenverarbeitung
AEG AFA AFO AG AL Alkett APUZ AT AT&T BArch BArchP BAW BBC BCKO BDA BDI Bewag BGL BGW BICC BIG BMAG BMSR BMW BMWi BPO
Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft Accumulatorenfabrik AG Accumulatorenfabrik Oberschöneweide Aktiengesellschaft Alternative Liste Altmärkische Kettenwerke Aus Politik und Zeitgeschichte Apparatefabriken Treptow American Telephone and Telegraph Co. Bundesarchiv Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft Brown Boveri & Cie. Berliner Centrale Kohlenorganisation Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Bundesverband der Deutschen Industrie Berliner Kraft und Licht (Bewag)-AG Betriebsgewerkschaftsleitung Berliner Glühlampenwerk British Insulated Callender's Cables Ltd. Berliner Innovations- und Gründerzentrum Berliner Maschinenbau-Actiengesellschaft vorm. L. Schwartzkopff Betriebs-, Meß-, Steuer- und Regeltechnik Bayerische Motoren Werke AG Bundesministerium für Wirtschaft Betriebsparteiorganisation
BRD BS CDU CNC Cocom CSSR CSU DBW DDR Dehomag
Bundesrepublik Deutschland Berliner Statistik Christlich-Demokratische Union Computerized Numerical Control Coordinating Committee for East-West-Trade-Policy Tschechoslowakische Sozialistische Republik Christlich-Soziale Union Die Berliner Wirtschaft Deutsche Demokratische Republik Deutsche Hollerith Maschinen Gesellschaft
XX DeTeWe DIA DIAG DIHT DIW DM DNC DTV DWK EAW EBM-Waren ECA EDV EFEM EFTA EG EKO ELPRO ERP ETZ EWG FAZ FDGB FDJ FDP FFS FS FUB FuE GARIOA GEMA Gesfürel GG GHz GKO GmbH GUS HA HF HfÖ HiFi HUB HV IAP IAW IBM
Abkürzungsverzeichnis Deutsche Telephonwerke und Kabelindustrie AG Deutscher Innen- und Außenhandel Deutsche Industrieanlagen GmbH Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Deutsche Mark Direct Numerical Control Deutsche Treuhandverwaltung Deutsche Wirtschaftskommission VEB Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow Eisen-, Blech- und Metallwaren Economic Cooperation Administration Elektronische Datenverarbeitung Büro für Entwicklung und Fertigung elektrischer Meßinstrumente European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone) Europäische Gemeinschaft Eisenhüttenkombinat Ost VEB Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin European Recovery Program Elektro-Technische Zeitung Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Frankfurter Allgemeine Zeitung Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei Flexibles Fertigungssystem Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen Freie Universität Berlin Forschung und Entwicklung Government and Relief in Occupied Areas Gesellschaft für elektroakustische und mechanische Apparate mbH Gesellschaft für elektrische Unternehmungen Geschichte und Gesellschaft Gigahertz Gozugarstwennij Komitjet Oboroni (Staatliches Verteidigungskomitee) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Hauptabteilung Hochfrequenztechnik Hochschule für Ökonomie, Berlin-Karlshorst High Fidelity Humboldt-Universität zu Berlin Hauptverwaltung Industrieabgabepreis Institut für angewandte Wirtschaftsforschung International Business Machines Corp.
Abkürzungsverzeichnis IC
Integrated Circuit (integrierter Schaltkreis)
IfZ I.G. IHK
Institut für Zeitgeschichte Interessengemeinschaft Industrie- und Handelskammer
i. L.
in Liquidation
ITT JVC JWG KB KG KHD KoKo KPD KTB kV
International Telephone & Telegraph Corp. Victor Company of Japan, Ltd. Jahrbuch fir Wirtschaftsgeschichte Kilo-Byte Kommanditgesellschaft Klöckner-Humboldt-Deutz AG Kommerzielle Koordinierung Kommunistische Partei Deutschlands Konstruktionstechnisches Büro Kilovolt
kVA
Kilovoltampere
kW kWh KWO
Kilowatt Kilowattstunde Kabelwerk Oberspree
KWU KZ LAB LAB(STA)
Kraftwerk Union Konzentrationslager Landesarchiv Berlin Landesarchiv Berlin, Außenstelle Breite Straße
LKVO M MAN MDN MEE MHz Mio. MIT MOS Mrd. Ms. MSA MSP
Labor, Konstruktions- und Versuchswerk Oberspree Mark Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG Mark der Deutschen Notenbank Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik Megahertz Million Massachusetts Institute of Technology Metall Oxide Semiconductor Milliarde Manuskript Mutual Security Agency Wissenschaftlich-Technisches Büro des Ministeriums für Schiffbauindustrie der UdSSR Megavolt Megavoltampere metallverarbeitende Industrie Megawatt Nationale Automobil-Gesellschaft Nationales Aufbauprogramm Berlin Neues Deutschland Nichteisenmetalle Büro für Nachrichtentechnische Entwicklung und Fertigung
MV MVA mvl MW NAG NAP ND NE-Metalle NEF
XXI
XXII NKWD
Abkürzungsverzeichnis Narodnij Kommissariat Wnutrennych Djel (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten)
NÖS
Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft
NS
Nationalsozialismus
NSW
Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet
OEEC
Organization for European Economic Cooperation
ÖSS
Ökonomisches System des Sozialismus
OMGBS
Office of Military Government Berlin Sector
OMGUS
Office of Military Government for Germany (U.S.)
OSW
Oberspreewerk
PB
Politbüro
RCA
Radio Corporation of America
RFT
Rundfunk- und Fernsehtechnik
RGW
Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe
Rheinmetall
Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik
RIAS
Rundfunk im amerikanischen Sektor Berlins
RM
Reichsmark
SAG
Sowjetische Aktiengesellschaft
SAPMO-BArch
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv
SBZ
Sowjetische Besatzungszone
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
SEG
Standard Elektrizitäts-Gesellschaft AG
SEL
Standard Elektrik Lorenz AG
SenWiTech
Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie
S&H
Siemens und Halske AG
SKB
Sonderkonstruktionsbüro
SKET
VEB Schwermaschinenbaukombinat „Ernst Thälmann"
SMAD
Sowjetische Militäradministration in Deutschland
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SPK
Staatliche Plankommission
SSW
Siemens-Schuckertwerke AG
STB-AB
Statistisches Bundesamt, Außenstelle Berlin
Sypro
Systematik für das produzierende Gewerbe
SZS
Staatliche Zentralverwaltung für Statistik
TH
Technische Hochschule
TRO
VEB Transformatorenwerk „Karl Liebknecht"
TU
Transformatoren Union
TUB
Technische Universität Berlin
UdSSR
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
UGO
Unabhängige Gewerkschaftsorganisation/-opposition
UKW
Ultrakurzwelle
USA
United States of America
UTD
Union Twist Drill Co.
VAW
Verwaltungsamt für Wirtschaft
VBEI
Verband der Berliner Elektroindustrie
Abkürzungsverzeichnis VDE
Verein Deutscher Elektrotechniker
VDMA
Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten
VE
Volkseigen
VEB
Volkseigener Betrieb
VM
Valutamark
Vß
Vierteljahrshefte
för
Zeitgeschichte
VSWG
Vierteljahrschrift fir Sozial- und
VVB
Vereinigung Volkseigener Betriebe
VVBB
Vereinigung Volkseigener Betriebe in Berlin
VzW
w
Vierteljahrshefte
zur
Wirtschaftsgeschichte
Wirtschaftsforschung
Watt
WEMA
Wirtschaftsverband für Eisen-, Maschinen- und Apparatebau
WF
Werk für Fernmeldewesen/Werk für Fernsehelektronik (ab 1960)
WFZ
Wirtschafts- und Finanz-Zeitung
WTB
Wissenschaftlich-Technisches Büro
WSSB
VEB Werk für Signal- und Sicherungstechnik
ZfG
Zeitschrift für
ZK
Zentralkomitee
ZUG
Zeitschrift für
ZVEI
Zentralverband der Elektrotechnischen Industrie
zws
Geschichtswissenschaft Untemehmensgeschichte
Zeitschrift für Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften
XXIII
EINLEITUNG Der deutsch-deutsche Vergleich: Fragestellungen und Kategorien Die politische Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu dem in der Wirtschaftsgeschichte einmaligen Fall, daß innerhalb eines hochindustrialisierten Landes zwei Volkswirtschaften mit gegensätzlichen Systemen entstanden, die dann nach mehr als vierzig Jahren getrennter Entwicklung wiedervereinigt wurden. Aus dieser Besonderheit ergeben sich die grundsätzliche Bedeutung und die spezifische Aussagekraft des zwischendeutschen Vergleichs. Die industrielle Entwicklung verlief auf dem Gebiet der späteren DDR vor 1945 grundsätzlich ähnlich wie im Westen Deutschlands. Zwischen der Arbeitsproduktivität der Industrie in beiden Gebieten bestanden bei Kriegsende nur geringfügige Unterschiede. 1 Die Wirtschaft im geteilten Deutschland war dagegen von einem generellen West-Ost-Gefälle gekennzeichnet, das erst nach der Wiedervereinigung in seiner vollen Dimension erfaßt wurde. Das Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft blieb hinter dem westdeutschen Wachstumspfad zurück. Die Produktivität der DDR-Industrie erreichte am Ende der achtziger Jahre nicht mehr als rund 30% des westdeutschen Niveaus. 2 Die Frage nach den Ursachen, dem Entwicklungsverlauf und den Ausprägungen des West-Ost-Gefälles ist für die Wirtschaftsgeschichte eine Leitfrage des deutschdeutschen Vergleichs. Sie ist auch entscheidend für das Urteil über die Fähigkeit beider deutscher Volkswirtschaften zur Modernisierung. 3 Die vorliegende Untersuchung versucht, einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage zu leisten. Dabei kann es nicht nur darum gehen, die als solche hinlänglich bekannten Unterschiede 1
Zur wirtschaftlich-industriellen Ausgangsbasis im zwischendeutschen Vergleich siehe Lothar Baar/
Rainer Karlsch/Werner Matschice, Kriegsfolgen und Kriegslasten Deutschlands. Zerstörungen,
Demon-
tagen und Reparationen (= Studien zur Wirtschaftsgeschichte 1), Berlin 1993; Albrecht Ritsehl, Aufstieg und Niedergang der Wirtschaft der DDR: Ein Zahlenbild 1945-1989, in: JWG, Jg. 1995, T. 2, S. 24. 2
Christoph Buchheim, Die Wirtschaftsordnung als Barriere des gesamtwirtschaftlichen
Wachstums
in der DDR, in: VSWG, 82. Bd. (1995), H. 2, S. 194-210; Bart van Ark, The Manufacturing Sector in East Germany: A Reassessment
of Comparative Productivity Performance,
1950-1988,
Jg. 1995, T. 2, S. 89; Hans-Jürgen Wagener, Anlage oder Umwelt? Überlegungen zur
in: JWG, Innovations-
schwäche der DDR-Wirtschaft, in: Berliner Debatte Initial, Jg. 1995, H. 1, S. 67. 3
Vgl. hierzu Jeffrey Kopstein, The Politics of Economic Decline in East Germany, 1945-1989, Cha-
pel Hill-London 1997, v. a. S. 195 ff.
2
Einleitung
in der Leistungsfähigkeit zu präzisieren. Vielmehr soll diese Fragestellung mit anderen Paradigmen des Ost-West-Vergleichs, besonders mit einer Analyse der Grundmuster wirtschaftlichen Handelns in unterschiedlichen Systemen, verbunden werden. Mit der Teilung Deutschlands nach 1945 wurden auch hochentwickelte Branchenstrukturen und ein arbeitsteilig organisiertes regionales Gefüge gespalten. Auf dieser Mesoebene kann zwischen den einzelnen Einflußfaktoren stärker differenziert werden als auf der Makroebene. Die vorliegende Studie verbindet einen regionalen Vergleich und einen Branchenvergleich. Sie reiht sich in eine Gruppe ähnlicher Untersuchungen ein, die aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramm „Wirtschaftliche Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel in Deutschland nach 1 9 4 5 " hervorgegangen sind. 4 Hinsichtlich des Untersuchungszeitraums stehen die Jahre 1 9 4 5 - 1 9 6 5 stärker im Vordergrund als die folgenden Jahrzehnte, weil sich das Gefälle zwischen beiden Teilen Deutschlands in dieser Phase herausbildete und verfestigte. Um die Ausgangsbasis erfassen zu können, muß bis zur Zwischenkriegszeit zurückgegangen werden. Von besonderer Bedeutung ist die Entwicklung während der ersten Nachkriegsjahre, weil daran deutlich wird, wie groß die Unterschiede vor der Errichtung gegensätzlicher Wirtschaftssysteme waren. Nur so läßt sich beurteilen, ob das WestOst-Gefälle auf die ungünstigeren Ausgangsbedingungen in Ostdeutschland zurückzuführen ist, wie es in der Forschung der DDR und mitunter auch in neueren Veröffentlichungen dargestellt wurde, 5 oder ob dieser Rückstand primär systembedingt war und sich daher überwiegend nach 1948 aufgestaut hat. 6 In der wirtschaftshistorischen Forschung blieb der Vergleich zwischen der Bundesrepublik und der D D R bis zur Überwindung der deutschen Teilung ein Desiderat. Nur einige Überblicksdarstellungen behandelten überhaupt die Entwicklung in beiden deutschen Volkswirtschaften. 7 Die Gründe dafür lagen - ähnlich wie in der 4 Fallstudien aus den Projekten dieses Schwerpunktprogramms finden sich in: Johannes Bähr/Dietmar Petzina (Hrsg.), Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen. Vergleichende Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung im geteilten Deutschland 1945-1990 (= Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 48), Berlin 1996; Lothar Baar/Dietmar Petzina (Hrsg.), Deutsch-deutsche Wirtschaft 1945 bis 1990. Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel. Ein Vergleich, St. Katharinen 1999. 5 Vgl. u. a. Horst Barthel, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der DDR. Zur WirtschaftsentwicHung auf dem Gebiet der DDR 1945-1949/50 (= Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 14), Berlin 1979. Aus der neueren Forschung: Wilma Merkel/Stefanie Wahl, Das geplünderte Deutschland. Die wirtschaftliche Entwicklung im östlichen Teil Deutschlands von 1949 bis 1989 (= Schriften des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn), Bonn 1991, S. 64 ff.
So u. a. Ch. Buchheim, Die Wirtschaftsordnung...; H.-J. Wagener, Anlage oder Umwelt?... Friedrich-Wilhelm Henning, Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1976, 4. Aufl., Paderborn 1978, S. 185-266 (7.Aufl. 1991: Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1990)\ Gerd Leptin, Deut6 7
Der deutsch-deutsche Vergleich: Fragestellungen und Kategorien
3
gesamten zeithistorischen Forschung - zunächst in der Problematik des Quellenzugangs. Der deutsch-deutsche Wirtschaftsvergleich war aber auch lange Zeit ein Politikum. In der DDR konnten - wohl wegen des offensichtlichen Rückstands gegenüber der Bundesrepublik - keine Vergleichsstudien durchgeführt werden. In der Bundesrepublik wurden komparative Untersuchungen zunächst von der SBZForschung um Gleitze, Meimberg und Thalheim durchgeführt, um die Folgen einer möglichen Wiedervereinigung besser abschätzen zu können („Wiedervereinigungswissenschaft"). 8 Mit dem deutschlandpolitischen Wandel der späten sechziger und frühen siebziger Jahre wurde die SßZ-Forschung von einer vergleichenden Deutschlandforschung abgelöst, die in der DDR nun vor allem eine mit der Bundesrepublik konkurrierende Gesellschaftsform sah. 9 Stark beachtet wurden in den siebziger Jahren Veröffentlichungen von Wirtschaftsforschungsinstituten, die auf der Basis amtlicher DDR-Daten das Wachstum und die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft im Vergleich mit westlichen Ländern überzeichneten. 10 Der damaligen Forschung kann nicht pauschal ein „beschönigendes" DDR-Bild vorgeworfen werden. Fast demonstrativ wurden in den siebziger und achtziger Jahren aber Vergleichsfelder vernachlässigt, auf denen die Leistungsschwäche der ostdeutschen Wirtschaft offen zutage trat. 11 Der deutsch-deutsche Vergleich lenkt den Blick auf den institutionellen Rahmen der Nachkriegsentwicklung. Während durch den intrasystemaren Vergleich, vor allem zwischen den westeuropäischen Industrieländern, die systemexternen Faktoren der wirtschaftlichen Nachkriegsentwicklung deutlich werden, 1 2 richtet sich das
sehe Wirtschafi nach 1945. Ein Ost-West-Vergleich, Opladen 1980; Harald Winkel, Die Wirtschaft im geteilten Deutschland, Wiesbaden 1974. ® Wilhelm Bleek, Die Entwicklung des zwischendeutschen Systemvergleichs im Spannungsfeld Politik und Wirtschaft, in: Gernot Gutmann/Siegfried Mampel (Hrsg.), Probleme Betrachtung
von
systemvergleichender
(= Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 15), Berlin 1986,
S. 20 ff. 9
A.a.O.,
10
S. 35 ff.
Vgl z. B. DIW, Handbuch DDR-Wirtschaft. Eine Bestandsaufnahme, Frankfurt/M. 1971, S. 101 f.;
Manfred Melzer, Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der DDR von 1936 bis 1978 sowie Schätzung des künftigen Angebotspotentials
(= DIW, Beiträge zur Strukturfor-
schung, H. 59), Berlin 1980; DDR-Wirtschaft: Besser als die Briten, in: Wirtschaftswoche, 30. Jg. (1976), Nr. 11, S. 14-20 (mit Bezug auf eine Studie des Hudson-Instituts). 11
Zu den Ausnahmen gehörten die Untersuchungen der Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirt-
schaftliche und soziale Fragen, die denn auch rückblickend beklagte, daß „eine kritische Auseinandersetzung mit Fakten der DDR-Wirtschaft oder DDR-Industrieforschung und -Technologie allgemein als wenig ergiebig bzw. uninteressant galt...". K. Krakat, Nachtrag zur Abwicklung des Vereins Forschungsstelle im Jahr 1994, in: ders., Zur Forschung über die Wirtschafi der DDR in den sechziger Jahren in der Bundesrepublik vor 1989 (= FS-Analysen Sonderheft 1-1994), Berlin 1994, S. 3. 12
Vgl. Rüdiger Dornbusch/Wilhelm Nölling/Richard Layard (Hrsg.), Postwar Economic
struetions and Lessonsfür the East Today, Cambridge/Mass. 1993.
Recon-
Einleitung
4
Interesse des intersystemaren Vergleichs auf die institutionellen Einflußfaktoren. Anders als die dualistische Systemforschung kann sich die Wirtschaftsgeschichte beim Ost-West-Vergleich nicht auf den institutionellen Rahmen und die Gegenüberstellung einzelner Größen beschränken. Aus der historischen Perspektive sind die Merkmale des tatsächlichen Entwicklungsverlaufs zu erklären, der nicht nur von fundamentalen Unterschieden, sondern auch von Ähnlichkeiten gekennzeichnet war. 13 Der wirtschaftshistorische Ost-West-Vergleich muß die verschiedensten Einflußfaktoren der Nachkriegsentwicklung berücksichtigen und gewichten. Neben dem institutionellen Rahmen gehören dazu die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen, die längerfristigen, systemübergreifenden Trends und systemindifferente Handlungspfade wie etwa in der Technikentwicklung. Im Unterschied zum Systemvergleich ist hier die Frage nach den Veränderungen und Zäsuren im Entwicklungsverlauf von zentraler Bedeutung. Die Spezifik des deutsch-deutschen Vergleichs erfordert ein Erklärungsraster, das die Institutionenordnung mit der Wirtschaftsentwicklung in Bezug setzen und den Einfluß sowohl systembedingter als auch systemindifferenter Faktoren auf den Entwicklungsverlauf gewichten kann. Die etablierten Erklärungsansätze zur westdeutschen Wirtschaftsgeschichte erfüllen diese Anforderungen kaum. Sie können nur in modifizierter oder kombinierter Form auf den deutsch-deutschen Vergleich und die Entwicklung in der SBZ/DDR angewendet werden. 14 Die Rekonstruktionshypothese führt das Wachstum der Nachkriegszeit auf endogene Faktoren zurück. 15 Der Stellenwert des ordnungspolitischen Rahmens wird entsprechend niedrig angesetzt. Die Aussagekraft dieses Ansatzes für den zwischendeutschen Vergleich erschöpft sich in der Feststellung, daß es „trotz unterschiedlicher Wirtschaftspolitik und -struktur in beiden deutschen Staaten zu .Wirtschaftswundern' gekommen ist". 16 Nach der Strukturbruchhypothese gaben hingegen neue ordnungspolitische Weichenstel-
Vgl. Gerd Leptin, Veränderungen in der Branchen- und Regionalstruktur der deutschen Industrie zwischen 1936 und 1962 (= Berichte des Osteuropa-Instituts an der FXJB, Reihe Wirtschaft und Recht, H. 68), Berlin 1965. 14
Als Beispiel dafür vgl. Ch. Buchheim, Die Wirtschaftsordnung...
15
Werner Abelshauser,
Wirtschaftsgeschichte
der
Bundesrepublik
Deutschland
1945-1980
(=Neue Historische Bibliothek, edition suhrkamp, Neue Folge, Bd. 241), Frankfurt/M. 1983; ders., Wirtschaft in Westdeutschland 1945-1948. Rekonstruktion und Wachstumsbedingungen
in der ameri-
kanischen und britischen Zone (= Schriftenreihe der V/Z, Nr. 30), Stuttgart 1975. Zur Typologie der langfristigen Erklärungsansätze für die westdeutsche Wirtschaftsentwicklung nach 1945 vgl. W. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte...,
S. 85-98; Knut Borchardt, Trend, Zyklus, Strukturbrüche,
fälle: Was bestimmte die deutsche Wirtschaftsgeschichte Krisen, Handlungsspielräume
der Wirtschaftspolitik.
Zu-
des 20. Jahrhunderts?, in: ders., Wachstum,
Studien zur Wirtschaftsgeschichte
des 19. und
20. Jahrhunderts (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 50), Göttingen 1982, S. 100— 124. 16
Wolfgang Zank, Nur aus Ruinen wiederauferstanden? - Das „ Wirtschaftswunder DDR " im Licht
einiger theoretischer Erklärungsansätze, in: Deutsche Studien, 23. Jg. (1985), H. 92, S. 338.
Der deutsch-deutsche
Vergleich: Fragestellungen
und Kategorien
5
lungen und Leitideen den Verlauf der wirtschaftlichen Nachkriegsentwicklung vor. Von diesem Erklärungsansatz geht - zumeist implizit - ein großer Teil der Literatur aus. 17 Die Strukturbruchhypothese kann aber die systemindifferenten Faktoren nicht erfassen. Im folgenden wird von einem Ansatz ausgegangen, der nach institutionell geprägten Unterschieden im Entwicklungsverlauf fragt und sie gegenüber anderen Faktoren zu gewichten versucht. Als institutionelle Faktoren werden sowohl die Ordnungsprinzipien der Wirtschaft verstanden als auch die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen wirtschaftlichen Handelns (Machtstruktur). 18 Entsprechend wird ein Wirtschaftssystem als Ordnungsrahmen der Wirtschaft wie auch als Subsystem innerhalb des gesamten Gesellschaftssystems gesehen. 19 In Anlehnung an die Institutionenökonomie wird dabei den Steuerungsmechanismen des Verhaltens besondere Bedeutung beigemessen. 20 Im Unterschied zur ökonomischen Analyse von Institutionen wird freilich nicht von universell geltenden Prinzipien ausgegangen, sondern von den spezifischen Formen und Spielräumen wirtschaftlichen Handelns unter den jeweils gegebenen Systemen. Der wirtschaftshistorische Vergleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR ist im allgemeinen durch eine doppelte Asymmetrie gekennzeichnet: - Die Wirtschaft hatte in der Institutionenordnung der Bundesrepublik eine grundsätzlich andere Stellung als in der Institutionenordnung der DDR. Im Unterschied zur Bundesrepublik bestand in der DDR keine Trennung zwischen Wirtschaft und Politik. Die Wirtschaft unterlag wie alle Bereiche der Gesellschaft dem Führungsanspruch der SED. 21 Die Wirtschaftsgeschichte der DDR kann daher - anders als
17 Explizit vertreten wird dieser Ansatz von Rainer Klump, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zur Kritik neuerer wirtschaftshistorischer Interpretationen aus ordnungspolitischer Sicht (= Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 29), Wiesbaden 1985, S. 23-35; Ernst Dürr, Währungsreform und Wirtschaftswunder, in: Rainer Klump (Hrsg.), 40 Jahre Deutsche Mark. Die politische und ökonomische Bedeutung der westdeutschen Währungsreform von 1948, Wiesbaden 1989, S. 31-50; Christoph Buchheim, Die Währungsreform 1948 in Westdeutschland, in: Vß, 36. Jg. (1988), H. 2, S. 189-231.
M. Rainer Lepsius, Die Institutionenordnung als Rahmenbedingung der Sozialgeschichte der DDR, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 17-30. 19 Vgl. hierzu Gernot Gutmann, Systemvergleich als Forschungsfeld der Wirtschaftswissenschaft. Definitionen, Kriterien und wissenschaftstheoretische Fundierung: Ein Überblick über offene Probleme, in: ders. (Hrsg.), Methoden und Kriterien des Vergleichs von Wirtschaftssystemen (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung, Bd. 18), Berlin 1987, S. 20 ff. 20 Vgl. Rudolf Richter/Eirik G. Furubotn, Neue Institutionenökonomie. Eine Einßhrung und kritische Würdigung, 2. Aufl., Tübingen 1999. 21 Vgl. Jürgen Kocka, Eine durchherrschte Gesellschaft, in: H. Kaelble/J. Kocka/H. Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte..., S. 547-553; M. R. Lepsius, Die Institutionenordnung...: Rainer Weinert, Wirtschaftsführung unter dem Primat der Parteipolitik, in: Theo Pirker/M. Rainer Lepsius/Rainer Weinert/
Einleitung
6
die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik - nur in enger Verbindung mit der politischen Entwicklung beziehungsweise mit der Herrschaftsstruktur des Gesamtsystems untersucht und erklärt werden. - Die Aussagekraft des deutsch-deutschen Vergleichs ist in bezug auf die Entwicklung in der DDR generell größer als in bezug auf die Entwicklung in der Bundesrepublik. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Bundesrepublik für die DDR gerade auch auf wirtschaftlichem Gebiet - eine Referenzgesellschaft bildete, nicht aber die DDR für die Bundesrepublik. Die Bundesrepublik ist deshalb keineswegs als alleiniger Maßstab zur Beurteilung der Entwicklung in der DDR anzusehen. Anders als die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik kann die Wirtschaftsgeschichte der DDR aber nicht ohne Berücksichtigung des deutsch-deutschen Vergleichs geschrieben werden. Auch für den wirtschaftshistorischen Vergleich zwischen der Bundesrepublik und der DDR gilt, daß das Ergebnis durch die Wahl der Vergleichsobjekte beeinflußt wird. Defizite und Schwächen der westdeutschen Wirtschaftsentwicklung sind aus dieser Perspektive im allgemeinen nicht zu erfassen. In bezug auf die DDR werden durch den Ost-West-Vergleich wiederum kaum die spezifischen Leistungen deutlich, die unter den gegebenen Prämissen erbracht wurden. Der Ost-West-Vergleich kann auch in der Wirtschaftsgeschichte mit den unterschiedlichsten Methoden, Interpretationsmustern und Theorien verbunden werden. Ähnlich wie in der Systemforschung bedingt der weite Rahmen des Vergleichsspektrums hier einen ausgeprägten Methodenpluralismus.22 Die Ansätze des wirtschaftshistorischen Vergleichs können grundsätzlich in drei zentrale Kategorien untergliedert werden:23 1. Der Strukturvergleich. Im weiteren Sinne behandeln Untersuchungen dieser Kategorie die strukturelle Ausstattung und die strukturelle Gliederung der Wirtschaft in der Bundesrepublik und in der DDR. Methodisch bietet dieser Ansatz eine relativ verläßliche Basis, um längerfristige Veränderungen zu erfassen. In neueren Untersuchungen wird der Strukturvergleich vor allem unter dem Aspekt des Strukturwandels durchgeführt.24
Hans-Hermann Hertie, Der Plan als Befehl und Fiktion. Wirtschaftsßhrung
in der DDR. Gespräche
und Analysen, Opladen 1995, S. 285-308. 22
G. Gutmann, Systemvergleich..., S. 12; Hans-Jürgen Wagener, Zur Analyse von Wirtschaftssyste-
men. Eine Einführung, Berlin-Heidelberg 1979, S. 6 f. 23
Vgl. hierzu die entsprechende Kategorisierung der systemvergleichenden Ansätze in: G. Gutmann,
Systemvergleich..., S. 28 f. 24
Die wirtschafte- und sozialhistorische Forschung steht auf diesem Gebiet in einer engen Verbin-
dung mit der historisch orientierten Wirtschafts- und Regionalforschung, aber auch mit neueren soziologischen Vergleichsanalysen zum zwischendeutschen Vergleich. Sie hierzu u. a., Udo Ludwig/Reiner Stäglin, Struktureller Wandel von Produktion, Faktoreinsatz und Nachfrage in Ost- und Westdeutsch-
Der deutsch-deutsche 2. D e r Effizienzvergleich.
Vergleich: Fragestellungen
und Kategorien
7
Hierzu gehören Untersuchungen, die von Leistungskrite-
rien a u s g e h e n w i e e t w a der W a c h s t u m s v e r g l e i c h , 2 5 der P r o d u k t i v i t ä t s v e r g l e i c h , 2 6 der V e r g l e i c h der t e c h n o l o g i s c h e n L e i s t u n g s f ä h i g k e i t 2 7 oder d e s L e b e n s s t a n d a r d s . 2 8 V e r g l e i c h e d i e s e r K a t e g o r i e e r m ö g l i c h e n A u s s a g e n über d i e D i m e n s i o n u n d d i e E n t w i c k l u n g d e s W e s t - O s t - G e f ä l l e s , k ö n n e n d i e U r s a c h e n aber nur in V e r b i n d u n g m i t anderen A n s ä t z e n erklären. 3. D e r V e r g l e i c h v o n Verhaltensweisen
und Handlungsformen.
Versteht m a n e i n
g e s e l l s c h a f t l i c h e s oder ö k o n o m i s c h e s S y s t e m als e i n s p e z i f i s c h e s , interdepend e n t e s E n t s c h e i d u n g s g e f l e c h t , dann wird durch d i e s e n A n s a t z deutlich, w e l c h e n M e c h a n i s m e n das H a n d e l n der A k t e u r e unter d e n j e w e i l i g e n Institutionenordn u n g e n f o l g t e u n d w e l c h e n E i n f l u ß das W i r t s c h a f t s s y s t e m u n d andere Faktoren, e t w a ä u ß e r e S a c h z w ä n g e oder traditionelle Verhaltensmuster, hatten. D i e n e u e r e F o r s c h u n g hat auf d i e s e m G e b i e t u. a. d i e Handlungskriterien der A k t e u r e hera u s g e a r b e i t e t , 2 9 E n t s c h e i d u n g e n in Krisensituationen u n t e r s u c h t 3 0 u n d n a c h d e m E i n f l u ß b e s t i m m t e r Wertorientierungen u n d Leitbilder gefragt w i e b e i m Verg l e i c h z w i s c h e n Amerikanisierung
Sowjetisierung,31
und
land in den achtziger Jahren, in: L. Baar/D. Petzina (Hrsg.), Deutsch-deutsche Wirtschaft..., S. 73-97; Johannes Bröcker/Frank Richter, Entwicklungsmuster ostdeutscher Stadtregionen nach 1945, in: a.a.O., S. 98-136; Klaus Schöler, Die Entwicklung westdeutscher Städte in der Nachkriegszeit, S. 137-152. Aus der soziologischen Literatur vgl. v. a. Rainer GeiBler, Die Sozialstruktur
in: a.a.O.,
Deutschlands.
Ein Studienbuch zur Entwicklung im geteilten und vereinten Deutschland, Opladen 1992. 25
Ch. Buchheim, Die Wirtschaftsordnung...; W. Merkel/S. Wahl, Das geplünderte
Oskar Schwarzer, Sozialistische Zentralplanwirtschaft
Deutschland..;
in der SBZ/DDR. Ergebnisse eines ordnungspo-
litischen Experiments (1945-1989) (= VSWG, Beihefte, Nr. 143), Stuttgart 1999. 26
Albrecht O. Ritsehl, An Exercise in Futility: East German Economic Growth and Decline,
1945-
89 (= Centre for Economic Policy Research, Discussion Paper Nr. 984), London 1994; ders., Aufstieg und Niedergang...; B. van Ark, The Manufacturing Sector...; O. Schwarzer, Sozialistische
Zentralplan-
wirtschaft... 27
J. Bähr/D. Petzina (Hrsg.), Innovationsverhalten
und Entscheidungsstrukturen...;
Technikge-
schichte, Bd. 63 (1996), Nr. 4 (Themenheft Technik im Systemvergleich). 28
Wolfram Fischer, Nord und Süd - Ost und West: Wirtschaftssystem und Lebensstandard in Europa,
in: ders. (Hrsg.), Lebensstandard und Wirtschaftssysteme. Studien im Auftrage des
Wissenschaftsfonds
der DG Bank (= Veröffentlichungen der DG Bank Deutsche Genossenschaftsbank, Bd. 20), Frankfurt/ M. 1995, S. 213-257; Oskar Schwarzer, Der Lebensstandard in der SBZ/DDR 1945-1989, in: JWG, Jg. 1995, T. 2, S. 119-146. 29
Für die DDR vgl. M. Rainer Lepsius, Handlungsräume und Rationalitätskriterien der Wirtschafts-
funktionäre
in der Ära Honecker, in: Th. Pirker/M. R. Lepsius/R. Weinert/H.-H. Hertie, Der Plan...,
S. 347-362. 30
Harm G. Schröter, Ölkrisen und Reaktionen in der chemischen Industrie beider deutscher Staaten.
Ein Beitrag zur Erklärung wirtschaftlicher Leistungsdifferenzen, in: J. Bähr/D. Petzina (Hrsg.), Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen..., 31
S. 109-138.
Hier bestehen auch Berührungspunkte mit der neueren sozialgeschichtlichen Forschung. Vgl.
Harm G. Schröter, Zur Übertragbarkeit sozialhistorischer Konzepte in die Wirtschaftsgeschichte. Arne-
8
Einleitung
Die nachfolgende Untersuchung stützt sich auf Kriterien aus den drei genannten Vergleichskategorien stützt. Eine strikte Trennung ist dabei nicht immer möglich. So ist zum Beispiel der Innovationsvergleich nicht nur ein Maßstab für die technische Effizienz, sondern auch für das Verhalten gegenüber neuen Herausforderungen. Eine weitere Kategorisierung ist die Unterscheidung zwischen quantitativen und qualitativen Kriterien. Der quantitative Vergleich beruht auf aggregierten Größen, vor allem auf Meßgrößen zur Wachstums- und Produktivitätsentwicklung. Das Problem der Umrechnung der DDR-Statistik führt hier zu einer relativ hohen Irrtumswahrscheinlichkeit. 32 Im folgenden wird der Vergleich auf qualitative Kriterien gestützt (Strukturwandel, Technologieschübe, Effizienz von Problemlösungen). Die ausgewerteten Daten beziehen sich auf Verschiebungen innerhalb der jeweiligen Bezugssysteme oder waren - wie bei den technischen Daten - größtenteils systemübergreifend standardisiert. Mit dem Begriff Westdeutschland wird im folgenden das Gebiet der Bundesrepublik in den Grenzen von 1989 beziehungsweise das Gebiet der Westzonen bezeichnet, mit dem Begriff Ostdeutschland das Gebiet der DDR beziehungsweise der SBZ. West-Berlin war kein konstitutiver Bestandteil des Bundesgebiets, OstBerlin kein konstitutiver Bestandteil des DDR-Gebiets. In bezug auf die Zeit vor 1945 wird für das Gebiet der späteren SBZ/DDR der Begriff Mitteldeutschland verwendet.
Die Ebenen des Vergleichs Die regionale Ebene: Das geteilte Berlin Regionen sind begrenzte, gleichwohl vielfältig strukturierte Untersuchungsräume. Die Analyse regionaler Wirtschaftsentwicklungen kann die Makroebene mit der Mikroebene verbinden, sie vermag Prozesse unterhalb der gesamtwirtschaftlichen Ebene erfassen, ohne sich auf einzelne Unternehmen oder Betriebe zu beschrän-
rikanisierung und Sowjetisierung in deutschen Betrieben ¡945-1975, in: Konrad Jarausch/Hannes Siegrist (Hrsg.), Amerikanisierung
und Sowjetisierung
S. 147-165; ders., Amerikanisierung
in Deutschland 1945-1970,
und Sowjetisierung als Interpretationsmuster
Frankfurt/M. 1997, der Integration in
beiden Teilen Deutschlands, in: Eckart Schremmer (Hrsg.), Wirtschaftliche und soziale Integration in historischer Sicht (= VSWG, Beiheft 128), Stuttgart 1996, S. 259-289. Vgl. ferner Michael Lemke (Hrsg.), Sowjetisierung und Eigenständigkeit
in der SBZ/DDR (1945-1953)
(= Herrschaftsstrukturen
und Erfahrungsdimensionen der DDR-Geschichte, Bd. 2), Köln 1999. 32
Wie unsicher die quantitative Forschung auf diesem Gebiet noch ist, zeigen die zum Teil beträcht-
lichen Abweichungen zwischen den empirischen Befunden neuerer Untersuchungen. Vgl. JWG, Jg. 1995, T. 2 (Themenheft Quantitative Wirtschaftsgeschichte der DDR).
Die Ebenen des Vergleichs
9
ken. Für den zwischendeutschen Vergleich ist die regionale Ebene auch deshalb von Bedeutung, weil sich die regionale Struktur der deutschen Wirtschaft und die Strukturen vieler Regionen durch die Teilung des Landes veränderten. Als regionaler Untersuchungsraum wurde das geteilte Berlin gewählt. 33 Beide Stadthälften Berlins waren Teile e i n e s Urbanen Wirtschaftsraums. Die Wirtschaft beider Stadthälften hatte eine gemeinsame, historisch gewachsene Ausgangsbasis. Beide Teilstädte waren, von grundsätzlich vergleichbarer Größe und Struktur. Aus der Perspektive des zwischendeutschen Vergleichs ist dieses Fallbeispiel von spezifischem Interesse, weil die Wirtschaft in b e i d e n Teilen Berlins nach Kriegsende außerordentlich hohe Substanzverluste erlitt. Die systembedingten Unterschiede zwischen den Entwicklungsverläufen treten deshalb hier besonders deutlich hervor. Zudem bestand in Berlin eine unmittelbare, alltägliche Konkurrenzsituation zwischen den Systemen. Der Vergleich zwischen der wirtschaftlich-industriellen Entwicklung in WestBerlin und in Ost-Berlin ist auch ein Vergleich zwischen Krisenszenarien in unterschiedlichen Systemen. Aus der komparativen Perspektive soll gezeigt werden, wie die Akteure unter den Bedingungen des jeweiligen Systems auf Herausforderungen, Rückschläge und Krisen reagierten. Während die Wirtschaft in Ost-Berlin unter den Krisensymptomen der gesamten DDR-Wirtschaft litt, waren die Entwicklungsmöglichkeiten in West-Berlin durch die von außen gesetzten Standortnachteile eingeschränkt, die keine grundsätzlich bessere Alternative zuließen. Der regionale Vergleich konzentriert sich im folgenden auf vier Aspekte: Die unmittelbaren Auswirkungen der Teilung, die langfristigen Veränderungen in den industriellen Strukturen, die Stellung des Standorts innerhalb der jeweiligen Volkswirtschaft und die Wirtschafts- beziehungsweise Strukturpolitik in beiden Stadthälften. Die wirtschaftshistorische Forschung hat die Entwicklung einzelner Regionen in Deutschland nach 1945 lange Zeit vernachlässigt. In beiden Teilen Berlins setzte eine systematische Beschäftigung mit der regionalen Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit erst im Zusammenhang mit dem 750jährigen Stadtjubiläum von
33
Zur Definition West-Berlins als Wirtschaftsregion traf die Wissenschaftliche Beratungskommision
beim Senat folgende Feststellung, die - allerdings in eingeschränkter Form - auch für Ost-Berlin zutraf: „Als Wirtschaftsregion bezeichnet man üblicherweise einen solchen, zu einer Gesamtwirtschaft gehörenden Teilwirtschaftsraum, dessen Wirtschaftseinheiten (Unternehmungen, Haushalte) funktional enger miteinander als mit der .übrigen Welt', d. h. mit den sonstigen Wirtschaftseinheiten innerhalb wie außerhalb der übergreifenden Gesamtwirtschaft, verbunden sind. Ohne Zweifel stellt West-Berlin eine solche Wirtschaftsregion innerhalb der Volkswirtschaft der Bundesrepublik als der übergreifenden Gesamtwirtschaft dar ... Normalerweise ist eine Großstadt (oder auch eine Mehrzahl eng benachbarter Großstädte) nur Zentrum einer Wirtschaftsregion..." Studien zur Lage und Entwicklung Gutachten
erstattet
1968, S. 24.
von der Wissenschaftlichen
Beratungskommision
Westberlins.
beim Senat von Berlin,
Berlin
10
Einleitung
1987 ein. 34 Durch den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung rückte dann der regionale Ost-West-Vergleich in den Blick der Forschung.35 Zur Geschichte der West-Berliner Wirtschaft liegen verschiedene Überblicksdarstellungen vor. 36 Wichtige Hinweise finden sich in Veröffentlichungen zur politischen Geschichte der Stadt und zur Geschichte einzelner Bezirke beziehungsweise Ortsteile,37 in politikwissenschaftlichen38 und wirtschaftsgeographischen39 Studien. Von der zeitgenössischen Wirtschaftsforschung wurde West-Berlin wegen des ausgeprägten staatlichen Förderinstrumentariums systematischer analysiert als jede andere Region beziehungsweise Großstadt der Bundesrepublik. Einschlägige
34
Für West-Berlin vgl. Günter Braun, Der Wiederaufbau Berlins - Eine Stadt auf dem Weg zu neuen
Aufgaben, in: Berlin und seine Wirtschaft. Ein Weg aus der Geschichte in die Zukunft - Lehren und Erkenntnisse, hrsg. von der Industrie- und Handelskammer zu Berlin, Berlin-New York 1987, S. 223-245; Wolfgang Ribbe, Berlin zwischen Ost und West (1945 bis zur Gegenwart), in: ders. (Hrsg.), Geschichte Berlins, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin 1988, S. 1025-1124; Michael W. Wolff, Die Währungsreform in Berlin 1948/49 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 77), Berlin-New York 1991. Für Ost-Berlin: Berthold Fege/Werner Gringmuth/Günter Schulze, Die Hauptstadt Berlin und ihre Wirtschaft, Berlin 1987; Gerhard Keiderling, Berlin ¡945-1986.
Geschichte der Hauptstadt der
DDR, Berlin 1987; Jörg Roesler, Berlins Industrie 1945 bis 1947. Chronik und Analyse, in: Wirtschaftswissenschaft, 35. Jg. (1987), Nr. 7, S. 1041-1064; ders., Zum Wiederaufbau der Berliner Industrie 1945 bis 1947, in: lahrbuch für Geschichte, Bd. 35 (1987), S. 486-538; ders., Die Entwicklung Berlins als industrielles Zentrum in der sozialistischen DDR, in: ZfG, 35. Jg. (1987), H. 6, S. 531-541. 35
Wolfram Fischer/Johannes Bahr (Hrsg.), Wirtschaft im geteilten Berlin 1945-1990.
Forschungs-
ansätze und Zeitzeugen (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 76), München-New Providence 1994; Frank Zschaler, Öffentliche Finanzen und Finanzpolitik in Berlin 1945-1961. Eine vergleichende Untersuchung von Ost- und West-Berlin (mit Datenanhang
1945-1989)
(= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 88), Berlin-New York 1995. 36
G. Braun, Der Wiederauflau...; Herbert Krafft, Marktwirtschaft auf dem Prüfstand. 45 Jahre Ber-
liner Wirtschaft, Berlin-Offenbach 1984; Joachim Nawrocki, Berliner Wirtschaft: Wachstum auf begrenztem Raum, in: Berlin Fibel. Berichte zur Lage der Stadt, Berlin 1975, S. 247-320; Karl C. Thalheim, Berlins wirtschaftliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Otto-Friedrich Gandert u. a., Heimatchronik Berlin (= Heimatchroniken der Städte und Kreise des Bundesgebiets, Bd. 25), Köln 1962, S. 763-902. 37
W. Ribbe, Berlin zwischen Ost und West...; Arthur Schlegelmilch, Hauptstadt im Zonendeutsch-
land. Die Entstehung der Berliner Nachkriegsdemokratie
1945-1949 (= Schriften der Historischen
Kommission zu Berlin, Bd. 4), Berlin 1993, S. 399-470. Für die Ebene der Bezirke und Ortsteile vgl. v. a. Wolfgang Ribbe, Spandau (= Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke, Bd. 6), Berlin 1991; ders./Wolfgang Schäche, Die Siemensstadt. Geschichte und Architektur eines Industriestandortes,
Ber-
lin 1985; Tiergarten, Teil 2: Moabit. Mit Beiträgen von Berthold Grzywatz u.a. (= Geschichtslandschaft Berlin, Orte und Ereignisse, Bd. 2), Berlin 1987. 38
Jürgen Fijalkowski u. a., Berlin - Hauptstadtanspruch
und Westintegration (= Schriften des Insti-
tuts für Politische Wissenschaft, Bd. 20), Köln-Opladen 1967; Kurt L. Shell, Bedrohung und Bewährung. Führung und Bevölkerung in der Berlin-Krise (= Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft, Bd. 19), Köln-Opladen 1965. 39
Burkhard Hofmeister, Berlin. Eine geographische Strukturanalyse der zwölf westlichen Bezirke
(= Bundesrepublik Deutschland und Berlin, Bd. 8/1), Darmstadt 1975.
Die Ebenen des Vergleichs
11
Untersuchungen wurden vor allem am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchgeführt. 4 0 Die Literatur zur Wirtschaftsentwicklung in WestBerlin konzentrierte sich von Anfang an auf die Sonderbedingungen an diesem Standort. Das heroische Bild der Selbstbehauptung gegenüber der äußeren Bedrohung, wie es in der Zeit des Kalten Kriegs überwog, wich seit den siebziger Jahren zunehmend einer kritischen, mitunter auch hyperkritischen Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit West-Berlins und des Instrumentariums der BerlinFörderung. 4 1 Die wirtschaftlich-industrielle Entwicklung Ost-Berlins wurde in Ost und West nicht als Sonderfall gesehen. Das Interesse richtete sich hier vielmehr auf die Zusammenhänge mit der Entwicklung der DDR-Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik der SED. Die in der DDR erschienenen Veröffentlichungen zeigen eine starke Neigung, die Wirtschaftsgeschichte Ost-Berlins als bloßen Reflex auf die Politik der SED darzustellen, wie dies der offiziellen Sichtweise von der Entwicklung der Hauptstadt entsprach. 42 Zur Geschichte der Ost-Berliner Industrie liegen neben Überblicksdarstellungen 43 auch branchenbezogene Beiträge, Fallstudien zu einzelnen Großbetrieben und mehrere betriebsgeschichtliche Publikationen vor. Im folgenden wird mit Berlin stets das Gebiet des heutigen Bundeslandes bezeichnet, das mit geringfügigen Veränderungen dem Stadtgebiet in den Grenzen von 1920 („Groß-Berlin") entspricht. Ausnahmen davon bilden Zitate und amtliche Bezeichnungen. Die Begriffe westliche Bezirke, Westbezirke und Westteil beziehen
40
Vgl. u. a. Ferdinand Grünig/Rolf Krengel, Die Westberliner Wirtschaft 1948-1951 (= DIW, Son-
derhefte N.F. Nr. 15, Reihe A: Forschung), Berlin 1952; Rolf Krengel, Volkswirtschaftliche put-Rechnung.
Input-Out-
Sozialprodukt, Beschäftigung und Produktivität in West-Berlin (= DIW, Sonderhefte
N.F. Nr. 24, Reihe A. Forschung), Berlin 1954; Alfred Kuehn, Investitionen,
Investitionsfinanzierung
und Wirtschaftswachstum in West-Berlin (= DIW, Sonderhefte N.F. Nr. 47, Reihe A: Forschung), Berlin 1960; Doris Cornelsen, Finanzhilfe ßr West-Berlin. Eine Untersuchung über Umfang und Bedeutung der finanziellen Verflechtung im öffentlichen Sektor zwischen West-Berlin und Westdeutschland (= DIW, Beiträge zur Strukturforschung, H. 12), Berlin 1970. 41
Vgl. Arbeitsgruppe Berlinförderung, Wirtschaftspolitik in Berlin. Vom Notopfer zur Milliardensub-
vention, Frankfurt/M.-New York 1979; Klaus Peter Kisker/Michael Heine (Hrsg.), Berlin?, Berlin 1987; Otto Jörg Weis, Das Ende der Industriemetropole,
Wirtschaftswunder
in: Jochen Boberg/Tilman
Fichter/Eckhard Gilten (Hrsg.), Die Metropole: Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert (= Industriekultur deutscher Städte und Regionen, Berlin, 2), Berlin 1986, S. 340-345. 42
Vgl. B. Fege/W. Gringmuth/G. Schulze, Die Hauptstadt Berlin...; G. Keiderling, Berlin... Das
amtliche Geschichtsbild von der Entwicklung Ost-Berlins findet sich komprimiert in: 750 Jahre Berlin, in: ZfG, 34. Jg. (1986), H. 4, S. 315 f. u. S. 340-352. Unter umgekehrten Vorzeichen konzentrierte sich die ältere westliche Literatur ebenfalls auf die politischen Weichenstellungen. Vgl. Karl C. Thalheim, Wirtschaft, in: Berlin Sowjetsektor. Die politische, rechtliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung in acht Berliner Verwaltungsbezirken, hrsg. vom Büro für Gesamtberliner Fragen, Berlin 1965, S. 88-110; Walter Brunn, Die rechtliche, politische und wirtschaftliche Lage des Berliner Sowjetsektors, Berlin 1954. 43
J. Roesler, Die Entwicklung Berlins...; B. Fege/W. Gringmuth/G. Schulze, Die Hauptstadt Berlin...
12
Einleitung
sich auf das Gebiet West-Berlins, die Begriffe östliche Bezirke, Ostbezirke und Ostteil entsprechend auf das Gebiet Ost-Berlins.
Die Branchenebene: elektrotechnische Industrie und Maschinenbau Für den zwischendeutschen Vergleich ist die Branchenebene besonders geeignet. Die Unterschiede und die Übereinstimmungen in der strukturellen Ausstattung sind hier deutlicher zu erkennen als auf der Makroebene. Die modernen, exportstarken Schlüsselbranchen der deutschen Industrie, die chemische Industrie, der Maschinenbau, die feinmechanisch-optische Industrie und die elektrotechnische Industrie, waren vor 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR insgesamt überrepräsentiert. 44 Die Leistungsfähigkeit der genannten Industriezweige blieb nach dem Zweiten Weltkrieg aber in Ostdeutschland weit hinter dem westdeutschen Niveau zurück. Das deutsch-deutsche Produktivitätsgefälle war hier überdurchschnittlich groß. 45 Anders als in der Bundesrepublik gelang es diesen Branchen in der DDR nicht, den Anschluß an den internationalen Stand wiederzugewinnen. Auf der Branchenebene kann auch verglichen werden, wie beide Seiten auf systemindifferente Herausforderungen reagierten und mit welchem Erfolg sie diese bewältigten. So waren die einzelnen Industriezweige in der Bundesrepublik und in der DDR beziehungsweise in beiden Teilen Berlins mit identischen Prozessen des technologischen Wandels konfrontiert. Die vorliegende Untersuchung behandelt die Entwicklung in der elektrotechnischen Industrie und im Maschinenbau. Die Abgrenzung der untersuchten Branchen orientiert sich an den jeweiligen Klassifikationen der Industriestatistik in der Bundesrepublik und in der DDR. Eine Umrechnung auf einheitliche Kategorien läßt die Datenlage nicht zu. 46 Beide Branchen gehörten vor dem Zweiten Weltkrieg zu den industriellen Kernen der deutschen Wirtschaft, in denen sich deren Innovations- und 44
1944 bestritten die chemische Industrie, der Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbau, die elektrotech-
nische Industrie und die feinmechanisch-optische Industrie hier 46% der gesamten Industrieproduktion. In Westdeutschland lag dieser Anteil bei 38%. Berechnet nach Bruno Gleitze, Ostdeutsche
Wirtschaft.
Industrielle Standorte und volkswirtschaftliche Kapazitäten des ungeteilten Deutschland, Berlin 1956, S. 170 f. 45
Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987 (= Verhandlungen
des Deutschen Bundestages, 11. Wahlperiode, Drucksachen Bd. 347, Drucksache 11/11), Bonn 1987, S. 392. 46
Der Maschinenbau umfaßte in der Industriezweigsystematik der DDR bis 1955 auch den Fahr-
zeugbau (einschließlich Schiffbau). Von 1955 bis 1967 bestanden dann die Gruppen Allgemeiner Maschinenbau und Schwermaschinenbau. Seit 1968 wurden in der Industriestatistik der DDR nicht mehr Industriezweige, sondern Industriebereiche erfaßt. Der Maschinenbau bildete zusammen mit dem Fahrzeugbau, dem Schiffbau, den Gießereien und Schmieden sowie der Metallwarenindustrie den Industriebereich Maschinen- und Fahrzeugbau. Die elektrotechnische Industrie wurde bis 1968 als Industriezweig erfaßt und ging dann zusammen mit der feinmechanisch-optischen Industrie einschließlich des
Die Ebenen des Vergleichs
13
Exportpotential konzentrierte. Beide Branchen zählten nach 1945 in Westdeutschland wie in Ostdeutschland zu den führenden Industriezweigen. 47 Ihre Bedeutung als technologische Schlüsselbranchen nahm in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Automatisierung der Fertigung, den Aufstieg der Elektronik und den Übergang zur Mikroelektronik zu. Berlin war vor 1945 in Deutschland das beherrschende Zentrum der elektrotechnischen Industrie und ein wichtiger Standort des Maschinenbaus, besonders des Werkzeug- und des Kraftmaschinenbaus. Innerhalb Berlins waren diese beiden Branchen am Ende der Zwischenkriegszeit die führenden Industriezweige, wobei die elektrotechnische Industrie mit weitem Abstand an erster Stelle lag. Die innerstädtische Standortverteilung hatte damals keinen Einfluß auf die Leistungsfähigkeit der Betriebe. 4 8 Nach der Teilung hatten die elektrotechnische Industrie und der Maschinenbau in beiden Stadthälften eine ähnlich ausgeprägte Schlüsselstellung. Auf beide Branchen entfielen in West-Berlin Ende 1961 50,7% aller Industriebeschäftigten, in Ost-Berlin lag dieser Anteil 1962 bei 49,6%
49
Von der wirtschaftshistorischen Forschung ist die Entwicklung der elektrotechnischen Industrie in der Bundesrepublik bislang nur in ersten Ansätzen untersucht worden. 5 0 Noch ungünstiger ist der Forschungsstand in bezug auf den Maschinenbau. Für beide Branchen stammen einschlägige Publikationen vorwiegend aus der
Büromaschinenbaus und der Datenverarbeitungsgeräteindustrie im Industriebereich Elektrotechnik/ Elektronik/Gerätebau auf. Der Büromaschinenbau zählte in der DDR bis 1968 zur feinmechanisch-optischen Industrie, dann zum Industriebereich Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau. In der Bundesrepublik gehörte der Büromaschinenbau bis 1970 zum Maschinenbau und bildete dann zusammen mit der Datenverarbeitungsgeräteindustrie eine eigene Industriegruppe. In der DDR wurden den Industriezweigen bzw. Industriebereichen auch branchenfremde Zulieferbetriebe zugerechnet. 47
Seit Ende der fünfziger Jahre war der Maschinenbau in der Bundesrepublik und in der DDR der Industriezweig mit der höchsten Beschäftigtenzahl. Die elektrotechnische Industrie lag seit Anfang der sechziger Jahre in der Bundesrepublik an zweiter, in der DDR an dritter Stelle. Dieter Mertens, Die Wandlungen der industriellen Branchenstruktur in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1960. Ein Beitrag zur Analyse der Ursachen und Wirkungen differenzierten Wachstums (= DIW Sonderhefte, Nr. 68), Berlin 1964, S. 190. Die Angaben zum Maschinenbau der DDR beziehen sich nach der Klassiiikation der DDR-Statistik auf den Allgemeinen Maschinenbau und den Schwermaschinenbau ohne Fahrzeug- und Schiffbau. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik, 4. Jg. (1958), S. 303 ff.; a.a.O., 6. Jg. (1960/61), S. 352 ff. 48 In beiden Branchen lag der Absatz pro Kopf der Beschäftigten 1936 auf dem Gebiet des späteren Ost-Berlin ähnlich hoch wie auf dem Gebiet des späteren West-Berlin. Absatzwerte und Beschäftigte der Berliner Industrie im Jahre 1936 - geordnet nach der Nomenklatur der SBZ, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/820 (Statistik der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Kredit vom 25. 5. 1959). 49
Jahresbericht der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 1961, in: DBW, 12. Jg. (1962), Nr. 15, S. 467 f.; K. C. Thalheim, Wirtschaft..., S. 100. 50 Horst A. Wessel (Hrsg.), Demontage - Enteignung - Wiederaufbau, Teil 1: Die elektrotechnische Industrie nach 1945 (= Geschichte der Elektrotechnik 159), Berlin-Offenbach 1997.
14
Einleitung
zeitgenössischen Wirtschaftsforschung.51 Auf der Unternehmensebene liegen neuere Veröffentlichungen über die AEG und Siemens vor, in denen die Geschichte dieser Konzerne nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals auf der Basis ihrer überlieferten Akten dargestellt wird.52 In der DDR bildeten Branchenanalysen während der achtziger Jahre einen Schwerpunkt der zeithistorischen Wirtschaftsgeschichte.53 Zur Entwicklung der untersuchten Branchen in der DDR erschienen auch in der Bundesrepublik einige Veröffentlichungen.54 Die Literatur zur Branchen- und Unternehmensentwicklung in beiden Teilen Berlins bezieht sich weitgehend auf die elektrotechnische Industrie als den führenden und überregional bedeutendsten Industriezweig der Stadt.55 Hinsichtlich der historischen Ausgangsbasis kann hier auf die beispielhafte Untersuchung von Czada
51
Hans Baumann, Maschinenbau (= Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, Struktur und Wachstum,
Reihe Industrie, H. 15), Berlin-München 1965; Michael Breitenacher u. a., Elektrotechnische
Industrie
(= Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, Struktur und Wachstum, Reihe Industrie, H. 21), Berlin 1974; Manfred Berger, Elektrotechnische Industrie, Berlin-München 1984. Zur Literatur über den Maschinenbau in der Bundesrepublik und in der DDR vgl. die Bibliographie von Karl Eckart u. a., Der Maschinenbau in den beiden deutschen Staaten. Eine annotierte Bibliographie, Osnabrück 1990. 52
Peter Strunk, Die AEG. Aufstieg und Niedergang einer Industrielegende, Berlin 1999; Wilfried
Feldenkirchen, Siemens. Von der Werkstatt zum Weltunternehmen, München 1997. 53
Besonderes Gewicht hatten dabei der Maschinenbau und speziell der Werkzeugmaschinenbau,
während die Elektronik- bzw. Mikroelektronikindustrie eher vernachlässigt wurde. Vgl. Jörg Roesler/ Renate Schwärzel/Veronika Siedt, Produktionswachstum
und Effektivität in den Industriezweigen
der
DDR 1950-1970 (= Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 22), Berlin 1983; Jörg Roesler/Veronika Siedt/Michael Elle, Wirtschaftswachstum in der Industrie der DDR 1945-1970, Berlin 1986; Jörg Roesler, Werkzeugmaschinenbau
und sozialistische Industrialisierung
in der DDR, in: JWG, Jg. 1980,
T. 3, S. 7-26; a.a.O., Jg. 1981, T. 1, S. 31-55. Als einzige nennenswerte Veröffentlichung zur Elektronik- und Mikroelektronikindustrie vgl. Renate Schwärzel, Die Entwicklung des Industriezweiges
Bau-
elemente und Vakuumtechnik, dargestellt anhand der Entwicklung der WB Bauelemente und Vakuumtechnik in den Jahren 1958 bis 1978, in: Industriezweige in der DDR 1945 bis 1985 (= JWG, Sonderband), Berlin 1989, S. 157-193. 54
Vgl. u. a. Der Maschinen- und Apparatebau in der sowjetischen Besatzungszone und in Ostber-
lin, hrsg. vom Institut für Raumforschung Bonn (= Mitteilungen aus dem Institut für Raumforschung Bonn 5), Bonn 1950; Bodo Böttcher, Industrielle Strukturwandlungen
im sowjetisch besetzten Gebiet
Deutschlands (= Wirtschaftswissenschaftliche Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts an der FUB, Bd. 4), Berlin 1956, S. 115-134 (elektrotechnische Industrie); Wolfgang Stinglwanger, Die zentralgeleiteten Kombinate in der Industrie der DDR. Uberblick und detailliertes Branchenprofil des Industriezweigs Elektrotechnik/Elektronik.
Als Ms. gedruckt, Bonn 1989. Zum Maschinenbau der DDR siehe
auch die Bibliographie von K. Eckart u. a., Der Maschinenbau... 55
Vgl. Johannes Bahr, Wiederaußau
und Strukturveränderungen
der Elektroindustrie im geteilten
Berlin, in: W. Fischer/J. Bahr (Hrsg.), Wirtschaft..., S. 151-162; Renate Schwärzel, Die Berliner Elektroindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Werner Plumpe/Christian Kleinschmidt (Hrsg.), Unternehmen zwischen Markt und Macht. Aspekte deutscher Unternehmens- und Industriegeschichte im 20. Jahrhundert (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte, Bd. 1), Essen 1992, S. 167-178.
Die Ebenen des Vergleichs
15
für die Zwischenkriegszeit zurückgegriffen werden.56 Zur Entwicklung der WestBerliner Elektroindustrie liegen einige ältere Darstellungen und verschiedene Firmenschriften vor.57 Die spärliche Literatur zur Entwicklung des West-Berliner Maschinenbaus besteht aus älteren Firmenschriften,58 knappen Hinweisen in Überblicksdarstellungen59 und einigen Zustandsanalysen aus den achtziger Jahren.60 Die Veröffentlichungen zur Ost-Berliner Elektroindustrie umfassen zeitgenössische Standortanalysen,61 einige wirtschaftshistorische Beiträge62 und eine Reihe
56
Peter Czada, Die Berliner Elektroindustrie in der Weimarer Zeit. Eine
schaftshistorische
regionalstatistisch-wirt-
Untersuchung (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin,
Bd. 4), Berlin 1969. 57
Wolfgang Matz, Struktur und Entwicklung der West-Berliner Elektroindustrie seit 1945, Rer. pol.
Diss., Berlin 1953; Gottfried Vetter, Stunde Null und Neubeginn, 1945-1986, in: Sigfrid von Weiher, Berlins Weg zur Elektropolis. Technik- und Industriegeschichte an der Spree, Göttingen-Zürich 1987, S. 161-174. Zu Siemens vgl. W. RibbeAV. Schäche, Die Siemehsstadt..., S. 245-257; Joachim Putzmann, Die Entwicklung der Siemens-Firmen in Berlin seit 1945, in: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft, Jahrbuch 1990, Berlin 1991, S. 245-258. Zu AEG-Telefunken siehe u. a. 75 Jahre Turbinenfabrik, Berlin 1979; Telefunken Sendertechnik GmbH, 90 Jahre Fortschritt in der Sendetechnik. 90 Jahre Telefunken, Berlin 1993. Zu anderen Unternehmen der West-Berliner Elektroindustrie: Karl Heinz Loesche/Dieter Leuthold, DeTeWe Chronik. Technisch-historische Betrachtungen des
Firmengeschehens,
Berlin 1970; 75 Jahre Richard Bosse & Co. Berlin 1888-1963, Berlin 1963; 75 Jahre Mix & Genest 1879-1954, Berlin 1954. 58
Berliner Maschinenbau-Actiengesellschaft (BMAG), 100 Jahre Wirken und Werke, Berlin 1952;
Loewe 1869-1969, Berlin 1969; Franz Ludwig Neher, Fünfzig Jahre Knorr-Bremse 1905-1955, BerlinMünchen 1955 (zur Carl Hasse & Wrede GmbH). 59
Ludwig Gelder, Der Maschinenbau, in: Berlin. Gesamtredaktion: Maximilian Müller-Jabusch/Jür-
gen Reiss (= Monographien deutscher Wirtschaftsgebiete, Bd. 16), Oldenburg 1960, S. 125-142; Kurt Pritzkoleit, Berlin. Ein Kampf ums Leben, Düsseldorf 1962, S. 126 f. 60
Günter Spur/Dieter Specht, Das Produktionspotential des Berliner Maschinenbaus, Berlin 1981;
dies./J. Ebert/S. Schröder, Entwicklungspotentiale
der Berliner Maschinenbau- und
Elektroindustrie.
Abschlußbericht, Berlin 1989; Helmut Geißler/Rolf Stein, Analyse der Entwicklung der Maschinenbauexporte von Berlin (West). Ein interregionaler Vergleich, Berlin 1989. 61
Wolfgang Menge, Untersuchungen zum Arbeitskräfte-Einzugsgebiet
der elektrotechnischen
und
elektronischen Industrie der Hauptstadt der DDR, Berlin, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Ökonomie und Planung, Berlin, 11. Jg. (1966), S. 206-211; ders., Standortprobleme
der
Elektroindustrie in der Hauptstadt Berlin, in: Berlin. Die Hauptstadt der DDR und ihr Umland, GothaLeipzig 1969, S. 21-36. 62
Jörg Roesler, Wiederaußau
des Kabelwerkes Oberspree (KWO). Die Wirtschaftsentwicklung
nes Berliner Großbetriebes in der Nachkriegszeit (1945/50), in: Zur Wirtschafts- und
ei-
Sozialgeschichte
Berlins vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart (= JWG, Sonderband), Berlin 1986, S. 209-262; Renate Schwärzel, Die Berliner Elektroindustrie in den 60er Jahren, in: JWG, Jg. 1989, T. 1, S. 21-41; dies., Der Einfluß der Fluktuationsrate auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität
und der Effektivität
der Produktion im VEB Berliner Glühlampenwerk 1958 bis 1968, in: a.a.O., Jg. 1980, T. 2, S. 181213; dies., Die Entwicklung der Effektivität der Produktion im VEB Berliner Glühlampenwerk in den Jahren 1958-1968, S. 115-155.
in: J. Roesler/R. Schwärzel/V. Siedt, Produktionswachstum
und
Effektivität...,
16
Einleitung
v o n Publikationen aus der Betriebsgeschichte der D D R . 6 3 D i e E n t w i c k l u n g des Ost-Berliner M a s c h i n e n b a u s ist in der Forschung bislang nur am R a n d e behandelt worden.64
Die Kategorien
des
Vergleichs
Strukturen und Strukturveränderungen D u r c h den Strukturvergleich können die längerfristigen Veränderungen innerhalb einer Volkswirtschaft, einzelner Branchen oder bestimmter R e g i o n e n erfaßt werden. In den f ü n f z i g e r und frühen sechziger Jahren wurde dieser Ansatz v o n der Wirtschaftsforschung der Bundesrepublik genutzt, u m den Wandel des wirtschaftlichindustriellen Potentials in der S B Z / D D R zu untersuchen und zu fragen, w e l c h e A u s w i r k u n g e n sich daraus i m Falle einer Wiedervereinigung ergeben w ü r d e n . 6 5 In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g wurden i m Auftrag des Forschungsbeirats für Fragen der W i e d e r v e r e i n i g u n g Deutschlands auch Vergleichsanalysen zu den strukturellen Veränderungen einzelner Industriezweige in der Bundesrepublik und in der D D R erstellt. 6 6
63 Vgl. u. a. Kurt Laser, Das Werk der befreiten Arbeiterklasse. Geschichte des Kombinats VEB Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow, Berlin 1978; Heinz Berger/Rudolf Dix, Geschichte des VEB Kabelwerk Oberspree „ Wilhelm Pieck" 1945-1961, Berlin o. J.; Hans Keil/Hermann Roth, Arbeiter machen Geschichte. Geschichte des VEB NARVA „Rosa Luxemburg" Berliner Glühlampenwerk, Berlin 1980; Signal auf grün. Geschichte des VEB Werk für Signal- und Sicherungstechnik Berlin, Berlin 1981; Wir sind mit unserer Republik gewachsen. Geschichte des VEB Transformatorenwerk „Karl Liebknecht", Berlin 1979. 64
Hier liegen lediglich betriebsgeschichtliche Darstellungen zu zwei Großbetrieben vor. Vgl. Ohne Kapitalisten geht es besser. Zum 10jährigen Bestehen unseres volkseigenen Betriebs Bergmann-Borsig, Berlin 1959; Gerhard Zeising, Geschichte des VEB Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh, Teil 2: Die Bergmann-Elektricitäts-Werke in der Zeit der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung. Die Gründung des VEB Bergmann-Borsig 1945-1949, Berlin 1989; Lothar Wenzel/Günther Lucas, Orientiert an der Zukunft, Berlin 1971 (zum Werkzeugmaschinenkombinat „7. Oktober"). Eine unveröffentlichte Betriebsgeschichte des VEB Großdrehmaschinenbau/Werkzeugmaschinenkombinat „7. Oktober" findet sich im Archiv der Niles Werkzeugmaschinen GmbH Berlin. 65 Vgl. u. a. Bruno Gleitze, Die Wirtschaftsstruktur der Sowjetzone und ihre gegenwärtigen wirtschafts- und sozialrechtlichen Tendenzen, Bonn 1951; B. Böttcher, Industrielle Strukturwandlungen...; G. Leptin, Veränderungen... Aus der westlichen Forschung vgl. ferner Wolfgang F. Stolper, The Structure ofthe East German Economy, Cambridge, Mass. 1960. 66 Der Forschungsbeirat sollte geeignete Maßnahmen für „eine reibungslose wirtschaftliche Reintegration der beiden systemverschiedenen Wirtschaftsräume Deutschlands im Falle einer Wiedervereinigung" erarbeiten. So Bruno Gleitze, in: Kurzprotokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe „Elektrotechnik" am 26. 10. 1961 in Bonn, BArch, B 1371/578. Die branchenbezogenen Vergleichsstudien wurden von Wirtschaftsforschungsinstituten für den Bilanzierungsausschuß des Forschungsbeirats erstellt und ver-
Die Kategorien
des Vergleichs
17
Für die eingangs skizzierte Leitfrage nach den Ursachen, dem Entwicklungsverlauf und den Auswirkungen des West-Ost-Gefälles ist der Strukturvergleich von doppelter Aussagekraft. Erstens kann durch diesen Ansatz gezeigt werden, inwieweit der Rückstand der DDR durch die Ausgangslage bzw. die Ressourcenbegrenzung vorgegeben war. Zweitens wird deutlich, wie sich die Ausgangsstruktur unter dem Einfluß der unterschiedlichen Systeme in beiden Volkswirtschaften sowie in einzelnen Branchen und Regionen veränderte. Der Blick richtet sich dabei vor allem auf den längerfristigen Strukturwandel, der einen Indikator für die Effizienz einer Wirtschaft bzw. eines Wirtschaftssystems bildet. 67 Die Zäsur von 1945 und die nationalstaatliche Teilung führten in der Berliner Wirtschaft zu besonders tiefgreifenden Strukturveränderungen. Im folgenden wird zunächst nach den Auswirkungen dieses „Strukturumbruchs" 68 auf die Nachkriegsentwicklung in beiden Stadthälften gefragt. Ferner werden die längerfristigen strukturellen Veränderungen in West-Berlin und in Ost-Berlin herausgearbeitet, in die Trends der Entwicklung innerhalb der jeweiligen Volkswirtschaften eingeordnet und hinsichtlich ihrer Folgen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bewertet.
Technologische Entwicklung und Innovationsprozesse Für die Kategorie des Effizienzvergleichs ist die technologische Entwicklung ein prägnantes Beispiel. Nach der Wirtschaftssystemtheorie bestand eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen der Zentralplanwirtschaft und technischen Innovationen. Berliner erklärt dies in seinem „klassischen" Standardwerk mit dem Anreizsystem. Das zentralplanwirtschaftliche System prämiert die Planerfüllung. Die längerfristig angelegte, mit Risiken verbundene Entwicklung neuer Erzeugnisse erschwerte die Erfüllung der jährlichen Produktionspläne und wurde vermieden. 69 Grundsätzlicher argumentiert der neuere Ansatz von Kornai, der von der Machtstruktur des Gesamt-
traulich behandelt. Darunter befanden sich auch ausführliche Analysen zum Maschinenbau und zur elektrotechnischen Industrie: Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, Abt. Industrie, Entwicklung und Stand des west- und mitteldeutschen Maschinenbaus. Gutachten im Auftrag des Forschungsbeirats für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands (Ms. März 1962), a.a.O.I5V\ Struktur- und Standortveränderungen der elektrotechnischen Industrie 1936-1959, a.a.0,/578. 67 Materialien zum Bericht zur Lage der Nation 1987..., S. 87; Hans-Rudolf Peters, Sektorale Strukturpolitik, München-Wien 1988, S. 32-36. 68
Bernhard Skrodzki, Berlins Wirtschaft strukturell und konjunkturell, in: Der Volkswirt, Jg. 1950, Nr. 41, S. 32. 69 Joseph S. Berliner, The Innovation Décision in Soviel Industry, Cambridge/Mass. 1976. Zum Forschungsstand: H.-J. Wagener, Anlage oder Umwelt?...
18
Einleitung
systems ausgeht. In der Planwirtschaft sowjetischen Typs nimmt die Zentrale den Betrieben alle Risiken ab, ohne selbst Risikomanagement ausüben zu können. Die Betriebe streben nicht Innovation an, sondern Umverteilung zu ihren Gunsten (rent TO
seeking). In der Marktwirtschaft spornt dagegen die Aussicht auf zusätzliche Marktanteile und Gewinne zu Innovationen an. Unternehmen, die technologisch zurückbleiben, können sich auf Dauer am Markt nicht behaupten. Aus der Perspektive des wirtschaftshistorischen Vergleichs steht im Vordergrund, wie stark die tatsächliche Entwicklung von diesen institutionellen Einflußfaktoren bestimmt wurde und in welchen Schüben sich die technologischen Unterschiede herausbildeten. Im folgenden wird diesen Fragen in mehreren Fallstudien nachgegangen. Der regionale Bezugsrahmen der Untersuchung wird dabei auch durchbrochen, um Vergleiche mit dem internationalen Stand zu ermöglichen und auch die Abweichungen zwischen dem Stand in West-Berlin und im Bundesgebiet beziehungsweise in Ost-Berlin und in der DDR zu erfassen. Eine technische Innovation wird im allgemeinen als Einführung neuer Produkte oder Verfahren am Markt definiert. 71 Auf Zentralplanwirtschaften sind diese Definition und die geläufigen innovationstheoretischen Ansätze nicht anwendbar, da diese Länder weit hinter der technologischen Barriere zurücklagen. Deshalb ist es zweckmäßig, Innovationen hier nicht im Sinne von „Weltneuheiten" zu definieren - die man nicht vorfinden würde - , sondern als „Veränderungen in der Produktion, die zu Produktivitätssteigerungen führen". 72 Der erweiterte Begriff umfaßt auch die Durchsetzung und Verbesserung bereits eingeführter Produkte und Verfahren beziehungsweise deren Anpassung an veränderte Bedingungen (improvement engineering). Sofern nicht anders gekennzeichnet, wird der Begriff Innovation nachfolgend in diesem Sinne verwendet. Die Technik- und Innovationsgeschichte war in bezug auf die Bundesrepublik wie in bezug auf die DDR lange Zeit eine Forschungslücke. Für die Bundesrepublik nannte Radkau dieses Feld noch vor wenigen Jahren einen „strukturlosen weißen Fleck" der Forschung. 73 Die Innovationsproblematik in der DDR war zunächst ausschließlich ein Gegenstand der sozial- und wirtschaftswissenschaftli™ Jänos Komai, Das sozialistische
System. Die politische
Ökonomie des Kommunismus
(= Schriften
des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln, Bd. 29), Baden-Baden 1995; ders., Economics 71
of Shortage, 2 Bde., Amsterdam 1980.
Horst Albach, Culture and Technical Innovation.
mendations
S. 50 ff.; Jürgen Brockhoff, Forschung
und Entwicklung.
S. 18-23; Jürgen Hauschildt, Innovationsmanagement, 72
A Cross-Cultural
Analysis
and Policy
H.-J. Wagener, Anlage oder Umwelt?...,
Planung
und Kontrolle,
München 1988,
München 1993, S. 7 ff.
S. 69. Zur Problematik der Anwendung innovationstheo-
retischer Ansätze auf die Entwicklung in der DDR vgl. Jörg Roesler, Auf der Suche nach den realsozialistischer 73
Recom-
(= Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Research Report 9), Berlin-New York 1994,
Innovationsschwäche,
Ursachen
in: Utopie kreativ, H. 25/26 (1992), S. 151-159.
Joachim Radkau, „Wirtschaftswunder"
ohne technologische
Innovation?
in den 50er Jahren, in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hrsg.), Modernisierung
Technische
Modernität
im Wiederauflau.
Die
Die Kategorien
des
Vergleichs
chen S y s t e m a n a l y s e . 7 4 Erste wirtschaftshistorische Untersuchungen zu
19 diesem
T h e m a sind in der D D R g e g e n E n d e der achtziger Jahre durchgeführt w o r d e n . 7 5 N a c h 1 9 9 0 wurde die Innovationsgeschichte dann zu e i n e m Schwerpunkt des z w i s c h e n d e u t s c h e n Vergleichs w i e auch der wirtschafts- und technikhistorischen D D R Forschung.76
Handlungsmuster und Entscheidungskriterien Ein weiteres Feld des Vergleichs bilden in dieser Untersuchung Fallstudien, die nach d e n Grundmustern und Spielregeln wirtschaftlichen s o w i e wirtschaftspolitis c h e n H a n d e l n s in den j e w e i l i g e n S y s t e m e n fragen. Wirtschaftssysteme sind auch als s p e z i f i s c h e G e f l e c h t e v o n Entscheidungs-, Informations- und Koordinationsstrukturen zu verstehen, 7 7 w o b e i die Entscheidungsstruktur definiert wird als die
westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre (= Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Reihe: Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 33), Bonn 1993, S. 130. 74
Vgl. z. B. Raymond Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, Boulder-London 1984; Guenter Lauterbach, Technischer Fortschritt und Innovation - Zum Innovationsverhalten von Betrieben und Kombinaten in der DDR (Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg), Erlangen 1982; Rainer Schwarz, Über Innovationspotentiale und Innovationshemmnisse in der DDR-Wirtschaft (Discussion Papers, Wissenschaftszentrum Berlin, Forschungsschwerpunkt Marktprozeß und Unternehmensentwicklung), Berlin 1991. 75
André Steiner, Die historische Entwicklung der Einzweckautomatisierung im Maschinen- und Fahrzeugbau der DDR vom Beginn der 50er bis zur Mitte der 70er Jahre. Versuch einer Innovationsgeschichte, Diss. A HUB, Ms. Berlin 1987; Matthias Judt, Der Innovationsprozeß Automatisierte Informationsverarbeitung in der DDR von Anfang derßnfziger bis Anfang der siebziger Jahre, Diss. A HUB, Ms. Berlin 1989. 76 Vgl. hierzu u. a. die Fallstudien in: J. Bähr/D. Petzina (Hrsg.), Innovationsverhalten...; L. Baar/ D. Petzina (Hrsg.), Deutsch-deutsche Wirtschaft..., sowie die Beiträge in: Technikgeschichte, Bd. 63 (1996), Nr. 4 (Themenheft Technik im Systemvergleich). Aus der DDR-Forschung: Arnd Bauerkämper/ Burghard Ciesla/Jörg Roesler, Wirklich wollen und nicht richtig können: Das Verhältnis von Innovation und Beharrung in der DDR-Wirtschaft, in: Jürgen Kocka/Martin Sabrow (Hrsg.), Die DDR als Geschichte. Fragen - Hypothesen - Perspektiven (= Zeithistorische Studien, Bd. 2), Berlin 1994, S. 116— 121; Jörg Roesler, Einholen wollen und Aufholen müssen. Zum Innovationsverlauf bei numerischen Steuerungen im Werkzeugmaschinenbau der DDR vor dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Entwicklung, in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Historische DDR-Forschung. Aufsätze und Studien (= Zeithistorische Studien, Bd. 1), Berlin 1993, S. 263-285; André Steiner, Technikgenese in der DDR am Beispiel der Entwicklung der numerischen Steuerung von Werkzeugmaschinen, in: Technikgeschichte, Bd. 60 (1993), H. 3, S. 307-320; Dieter Hoffmann/Kristie Macrakis (Hrsg.), Naturwissenschaft und Technik in der DDR, Berlin 1997. 77 Egon Neuberger/William Duffy, Comparative Economic Systems. A Decision-Making Approach, Boston-London 1976; David Conn, The Evaluation of Centrally Planned Economic Systems: Methodological Precepts, in: Andrew Zimbalist (Hrsg.), Comparative Economic Systems: An Assessment of Knowledge, Theory and Method (= Recent Economic Thought), Boston-Den Haag 1984, S. 15-46; G. Gutmann, Systemvergleich..., S. 19 ff.
20
Einleitung
„Art und Weise, in welcher in einer bestimmten Gesellschaft die Macht verteilt ist, Entscheidungen über wirtschaftliches Handeln zu treffen". 7 8 Ähnlich argumentiert Kornai: „Der Schlüssel zum Verständnis des sozialistischen Systems ist die Untersuchung der Machtstruktur." 79 Im folgenden werden Handlungszusammenhänge aus drei Bereichen untersucht: Wirtschaft, Politik und Technik. Das Interesse richtet sich besonders auf das spezifische Bezugsgeflecht zwischen diesen Bereichen. In einem dezentralen System wie der Bundesrepublik bestanden klare Trennlinien. Wirtschaft und Politik waren institutionell getrennt. In den genannten Bereichen galten eigenständige Handlungskriterien. Im zentralistischen, diktatorischen System der DDR gab es hingegen keine strikte Trennung zwischen einzelnen Teilbereichen. 80 Nach Kornai war die Funktionsweise des kommunistischen Systems von den Mechanismen einer unkontrollierten, alle Bereiche umfassenden Bürokratie bestimmt. Auch das wirtschaftliche Handeln war bürokratisch koordiniert. Selbstbeschränkung und Risikomanagement konnten nicht geleistet werden. Weil diese Struktur gesetzmäßig Mangel hervorrief, war die sozialistische Zentralplanwirtschaft eine Mangelwirtschaft,81 Der soziologische Ansatz von Lepsius geht ebenfalls davon aus, daß aus der Institutionenordnung spezifische Handlungskriterien resultierten, akzentuiert aber noch stärker die politische „Durchherrschung", die im Unterschied zu westlichen Ländern keine eigenständigen Rationalitätskriterien einzelner Teilbereiche zuließ. Anders als in der Bundesrepublik konnte das wirtschaftliche Handeln in der DDR auf keine Rationalitätskriterien rekurrieren, „mit deren Hilfe es sich außerhalb der politischen Wertbeziehungen hätte legitimieren und gegen diese behaupten können". 82 In der nachfolgenden Untersuchung soll geprüft werden, welche Verhaltensmuster Entscheidungen auf verschiedenen, ausgewählten Feldern bestimmten, welche Effekte sich daraus ergaben und wie tragfähig die skizzierten, von der Systemlehre ausgehenden Erklärungsansätze aus wirtschaftshistorischer Perspektive sind.
Ausgewertete
Quellen
Während die archivierten Akten aus der ehemaligen DDR generell zugänglich sind, unterliegt die Nutzung des Archivguts aus Behörden der Bundesrepublik einer Sperrfrist von dreißig Jahren. Bei den veröffentlichten Quellen kann der zwischendeutsche Vergleich in bezug auf die Bundesrepublik durchgehend eine große Fülle 78
G. Gutmann, Systemvergleich..., S. 23.
79
J. Kornai, Das sozialistische System..., S. 35.
80
Vgl. M. R. Lepsius, Handlungsräume...
81
J. Kornai, Das sozialistische System...; ders., Economics of Shortage...
82
M. R. Lepsius, Handlungsräume..., S. 359.
Ausgewertete Quellen
21
einschlägiger Materialien nutzen, während die veröffentlichten Quellen aus der DDR nur selektiv aussagekräftig sind. Die vorliegende Untersuchung stützt sich daher für Ost-Berlin weitgehend auf unveröffentlichte Quellen, für West-Berlin stärker auf veröffentlichte Quellen. Der Machtstruktur der DDR entsprechend, finden sich die wichtigsten Quellen zur Entwicklung der Ost-Berliner Industrie in den Akten des ZK der SED, der Staatlichen Plankommission (SPK), der zuständigen Industrieministerien sowie im noch kaum ausgewerteten Bestand der SED-Bezirksleitung Berlin. Die SED-Bestände sind bei der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv (SAPMO-BArch) archiviert, die Bestände der Industrieministerien im Bundesarchiv, Berlin (BArchB). Zur Entwicklung der untersuchten Industriezweige in Ost-Berlin und in der DDR wurden auch bislang unbekannte Materialien des Forschungsbeirats für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands ausgewertet. Eine wichtige Quellengrundlage dieser Untersuchung bilden die im Landesarchiv Berlin, Außenstelle Breite Straße (LAB(STA)), vorhandenen Akten aus Ost-Berliner Großbetrieben. 8 3 Als wenig ergiebig erwies sich dagegen der Versuch, auch Unternehmensarchive im Ostteil Berlins zu nutzen. 84 Akten aus Beständen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR konnten im Bearbeitungszeitraum nicht herangezogen werden. Besonders problematisch ist die Erfassung statistischer Quellen für den Ostteil Berlins. Die Untersuchung mußte hier vielfach von den veröffentlichten Daten der amtlichen Statistik ausgehen, wobei vor allem mengenbezogene Daten, wie etwa Beschäftigtenzahlen, herangezogen wurden. Ausgewertet wurden ferner unveröffentlichte Statistiken aus den Aktenbeständen der SPK, der Industrieministerien und einzelner Großbetriebe sowie interne Berichte an den Ost-Berliner Magistrat, die sich in der Berliner Außenstelle des Statistischen Bundesamts (STA-AB) befinden. Das von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik (SZS) erhobene Datenmaterial für Ost-Berlin einschließlich der Kreis- und Betriebsstatistik ist - soweit überliefert - heute im Besitz des Statistischen Landesamts Berlin, war jedoch im Bearbeitungszeitraum nicht für eine Nutzung aufbereitet. Für West-Berlin stützt sich die Untersuchung auf staatliches Archivgut unterschiedlicher Provenienz. Die Bestände des Landesarchivs Berlin (LAB) enthalten zahlreiche Materialien zur Entwicklung der untersuchten Industriezweige und einVgl. Hans Czihak, Unternehmensgeschichtliche
Bestände im ehemaligen Stadtarchiv Berlin (Ost),
in: Archiv und Wirtschaft, 24. Jg. (1991), H. 3, S. 118—121. Das Landesarchiv Berlin und seine Bestände, bearb. von Klaus Deitmer u. a. (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, Bd. 1), Berlin 1992, S. 358-398. 84
Vgl. hierzu: Christine Berghausen/Renate Schwärzel, Die Berliner Wirtschaft und ihre Archive, in:
Der Archivar, 45. Jg. (1992), H. 3, S. 371-374. Die geringe Zahl von Unternehmensarchiven im Ostteil Berlins ist seit Anfang der neunziger Jahre laufend zurückgegangen.
22
Einleitung
zelner Unternehmen. Bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie konnten einige ältere Unterlagen eingesehen werden. Wichtige Quellen zur WestBerliner Wirtschaftsentwicklung finden sich auch in den Beständen der für die Berlin-Förderung zuständigen Bundesministerien im Bundesarchiv, Koblenz. Die Verbände der untersuchten Branchen in West-Berlin, der Verband der Berliner Elektroindustrie (VBEI) und der Wirtschaftsverband für Eisen-, Maschinen- und Apparatebau (WEMA), verfügen über keine Archive. Eine Auswertung der einschlägigen Bestände von Unternehmensarchiven war nur in wenigen Fällen möglich (DeTeWeFirmenarchiv, Bosch-Archiv). Mitunter befanden sich die Bestände noch in der Erschließung (Rheinmetall-Borsig). Ein Zugang zum Siemens-Archiv und zum Archiv der AEG war trotz wiederholter Anfragen nicht möglich. Zu den ausgewerteten veröffentlichten Quellen gehören für die West-Berliner Seite amtliche Statistiken, Verbandsstatistiken, Geschäftsberichte, Zeitschriften, Tageszeitungen, Mitteilungen von Verbänden und Unternehmen sowie Publikationen des Senats, der IHK und des DIW. Statistisch ist die Entwicklung der West-Berliner Industrie durch eine umfangreiche Industrieberichterstattung gut erschlossen, die unter anderem über die Zeitschrift Berliner Statistik {BS) und das Statistische Jahrbuch Berlin erfaßt werden kann. Das Fehlen eines regionalen Wirtschaftsarchivs, das Bestände von Unternehmen, Kammern und Verbänden betreuen könnte, wirkt sich auf die Quellenlage zur Berliner Wirtschaftsgeschichte nach 1945 sehr nachteilig aus. Die Errichtung eines derartigen Archivs - entsprechende Institutionen bestehen inzwischen in fünf Bundesländern - wäre für Berlin-Brandenburg wegen der ausgeprägten, politisch bedingten Brüche in der regionalen Wirtschaftsentwicklung der letzten sechzig Jahre besonders sinnvoll.
ERSTES KAPITEL
Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945
Die Berliner Elektroindustrie und der Berliner Maschinenbau am Ende der Zwischenkriegszeit Vor dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich Berlin durch eine Wirtschaftsstruktur mit fast gleichgewichtigen Anteilen des sekundären und des tertiären Sektors aus. Nach der Arbeitsstättenzählung vom Mai 1939 arbeiteten hier 45,6% der Beschäftigten in der Verwaltung und im Dienstleistungsbereich (mit Handel und Verkehr), 54,2% in der Industrie und im Handwerk.1 Die deutsche Hauptstadt hatte damit nicht nur als Verwaltungs- und Dienstleistungszentrum, sondern auch als Industriestandort eine herausragende Bedeutung. Der Anteil der Beschäftigten in Industrie und Handwerk an der Einwohnerzahl lag hier höher als in Hamburg, München oder Frankfurt/M. 2 Mit rund 574.000 Beschäftigten des produzierenden Gewerbes übertraf die Stadtregion Berlin Länder wie Württemberg, Baden und Thüringen.3 Kennzeichnend für die industrielle Struktur Berlins war das starke Gewicht von Veredelungsindustrien mit einem hohen Verarbeitungsgrad. An erster Stelle lag mit weitem Abstand die elektrotechnische Industrie, auf die 1936 25,6% aller Beschäftigten der Berliner Industrie entfielen,4 vor dem Maschinenbau (10,5%) und der Bekleidungsindustrie (9,3%) (siehe TABELLE l). 5 1
Berechnet nach: Ergebnisse der Arbeitsstättenzählung
in West-Berlin am 13. September 1950, T. 6,
in: BS, 7. Jg. (1953), Sonderheft 33, S. 11. Eine ausführliche Darstellung der Wirtschaftsstruktur Berlins in der Zwischenkriegszeit enthält: Berlins wirtschaftliche Verflechtung (= Mitteilungen des Statistischen Amts der Stadt Berlin, Nr. 8), Berlin 1928. 2
Unter den westdeutschen Großstädten hatten damals lediglich Stuttgart und Nürnberg einen höhe-
ren Industriebesatz als Berlin. Ergebnisse der Arbeitsstättenzählung
in West-Berlin am 13. September
1950, T. 5, in: BS, 7. Jg. (1953), Sonderheft 32, S. 47. 3
Die deutsche Industrie. Gesamtergebnisse der amtlichen Produktionsstatistik (= Schriftenreihe des
Reichsamts für wehrwirtschaftliche Planung, H. 1), Berlin 1939, S. 132 u. 144. 4
Die deutsche Industrie..., S. 128 u. 144. Der Anteil der Elektroindustrie an der Beschäftigtenzahl
von Industrie und Handwerk lag in Berlin 1939 bei 19,7%. Von den westdeutschen Großstädten wiesen nur Stuttgart (17,4%) und Nürnberg (15,7%) einen ähnlich hohen Anteil auf. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 73. 5
Die deutsche Industrie..., S. 128-144. Das Berliner Baugewerbe wurde in der Produktionsstatistik
I. Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945
24
TABELLE 1
Die Branchenstruktur der Berliner Industrie im Jahr 1936 Beschäftigte Industriezweig
in 1.000
Kraftstoffindustrie
0.3
in v. H. der Berliner Industrie 0,1
Eisenschaffende Industrie
Nettoproduktion in Mio. RM
in v. H. der Berliner Industrie
2.0
0,1
3.4
0,1
Nichteisenmetallindustrie
6.5
1,1
48.8
1,6
Gießerei-Industrie
6.5
1,1
25.2
0,8
Eisen- und Stahlwarenindustrie
19.0
3,3
79.1
2,7
Maschinenbau
60.4
10,5
306.6
10,3
6.5
1,1
30.1
1,0
13.6
2,4
64.3
2,2
Stahl- und Eisenbau Fahrzeugindustrie
146.6
25,6
726.7
24,4
Feinmechanisch-optische Industrie
13.8
2,4
69.2
2,3
Metallwarenindustrie
17.3
3,0
18.7
0,6
Industrie Steine und Erden
3.3
3,6
18.7
0,6
Keramische und Glasindustrie
2.7
0,5
12.8
0,4
Elektroindustrie
Sägeindustrie
0.7
0,1
3,7
0,1
15.5
2,7
52,6
1,8
Chemische Industrie
9.8
1,7
81.1
2,7
Chemisch-technische Industrie
7.9
1,4
62.5
2,1
Kautschuk- und Asbestindustrie
5.1
0,9
28.3
0,9
49.9
8,7
200.0
6,7
7.7
1,3
25.6
0,9
Holzverarbeitende Industrie
Druck- und Papierverarbeitung Lederindustrie
9.8
1,7
43.6
1,5
53.3
9,3
264.4
8,9
Industrie der Öle, Fette, Futtermittel
1.1
0,2
8.8
0,3
Spiritusindustrie
1.9
0,3
19.2
0,6
Nahrungs- und Genußmittelindustrie
31.9
5,6
233.1
7,8
Elektrizitäts- und Gasversorgung
21.2
3,7
260.8
8,7
Sonstige Industrie und Baugewerbe
64.0
11,2
240.6
8,1
573.7
100,0
2983.7
100,0
Textilindustrie Bekleidungsindustrie
Industrie insgesamt
Quelle: Die deutsche Industrie..., S. 128-146.
Berliner Elektroindustrie
und Berliner
Maschinenbau
25
A m E x p o r t der B e r l i n e r Industrie hatte die e l e k t r o t e c h n i s c h e Industrie zu d i e s e m Z e i t p u n k t sogar e i n e n A n t e i l v o n 4 1 , 1 % . D e r A n t e i l d e s M a s c h i n e n b a u s lag hier bei 18,1%.6 Innerhalb der d e u t s c h e n Elektroindustrie hatte B e r l i n m i t e i n e m B e s c h ä f t i g t e n a n teil v o n 4 9 , 8 % i m Jahr 1 9 3 6 e i n e d o m i n i e r e n d e S t e l l u n g . 7 D i e „Elektropolis" B e r l i n dürfte d a m a l s s o g a r w e l t w e i t die größte r e g i o n a l e A g g l o m e r a t i o n dieser B r a n c h e g e w e s e n sein. R u n d 7 % der Welt-Elektroproduktion u n d rund 13% der W e l t - E l e k troausfuhr s t a m m t e n 1 9 3 6 aus B e r l i n . 8 D i e h e r a u s r a g e n d e B e d e u t u n g der Berliner Elektroindustrie v o r 1 9 4 5 beruhte i m w e s e n t l i c h e n darauf, daß d i e Stadt der zentrale Standort der S i e m e n s - F i r m e n u n d der A E G war, der b e i d e n f ü h r e n d e n d e u t s c h e n U n t e r n e h m e n d i e s e r Branche, d i e zu d e n größten E l e k t r o k o n z e r n e n der W e l t zählten. 9 B e i d e K o n z e r n e hatten ihren Sitz in B e r l i n , der größte Teil ihrer Produktion w a r hier konzentriert. B e i d e n S i e m e n s S t a m m f i r m e n e n t f i e l e n 1 9 3 6 6 7 % der B e s c h ä f t i g t e n auf B e r l i n . 1 0 V o n d e n B e s c h ä f -
von 1936 nicht getrennt aufgeführt. Im Beschäftigtenanteil der Bekleidungsindustrie sind die Heimarbeiter nicht enthalten, deren Zahl für 1936 auf rund 26.000 geschätzt wurde. Einschließlich der Heimarbeiter hatte die Bekleidungsindustrie zu diesem Zeitpunkt die zweithöchste Beschäftigtenzahl unter den Berliner Industriezweigen. Vgl. Karl C. Thalheim, Berlin - Herausforderung und Antwort einer Hauptstadt, in: Die unzerstörbare Stadt. Die raumpolitische Lage und Bedeutung Berlins, hrsg. vom Institut für Raumforschung Bonn, Köln-Berlin 1953, S. 15. 6
Die deutsche Industrie..., S. 150 u. 158; Berliner Zentralbank - Volkswirtschaftliche Abteilung, Die
Absatzgebiete der Berliner Industrie, bearbeitet von Karl C. Thalheim unter Mitarbeit von Harry Freygang, Berlin 1951, Anhang, Tab. 1. 1
Die deutsche Industrie..., S. 132. An Umsatz und Exportleistung der deutschen Elektroindustrie wa-
ren die Berliner Betriebe zu diesem Zeitpunkt mit 48,3% bzw. 47,1% beteiligt. Die Schätzung von Czada, wonach Berlin 1936 rund 55% der deutschen Elektroausfuhr bestritt, dürfte zu hoch liegen. Sie stützt sich auf eine Umrechnung der unterbewerteten Exportpreise, die nur für Berlin, nicht aber für die gesamte deutsche Elektroindustrie durchgeführt wurde. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 84 u. 147; Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete..., S. 31-34 u. Tab. 1; Ergebnisse der Arbeitsstättenzählung in West-Berlin am 13. 9.1950, T. 5, in: BS, 7. Jg. (1953), Sonderheft 32, S. 46. 8
Berechnet nach den auf die ZVEI-Statistik gestützten Angaben in: W. Matz, Struktur..., S. 15 u. 139.
9
Der Beschäftigtenzahl nach war Siemens 1938 (187.000 Beschäftigte) weltweit der größte Elektro-
konzern, vor der AEG (85.000 Beschäftigte), General Electric (69.000 Beschäftigte), Philips (44.000 Beschäftigte) und Westinghouse (42.000 Beschäftigte). Nach der Höhe des Umsatzes lagen General Electric und Westinghouse dagegen weit vor Siemens und AEG. Wilfried Feldenkirchen, Zur Untemehmenspolitik des Hauses Siemens in der Zwischenkriegszeit, in: ZUG, 33. Jg. (1988), H. 1, S. 29 f.; Alfred D. Chandler, Scale and Scope. The Dynamics of Industrial Capitalism, Cambridge/Mass.-London 1990, S. 548. 10
Siemens & Halske (S&H) hatte in Berlin 1936 rund 44.600 Beschäftigte, Siemens-Schuckert
(SSW) rund 30.800. Der Anteil Berlins an der inländischen Belegschaft des gesamten Siemens-Konzerns lag zwischen 1924 und 1936 bei 70-73%. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 318; Carola Sachse, Betriebliche Sozialpolitik als Familienpolitik in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Mit einer Fallstudie über die Firma Siemens, Berlin (= Forschungsberichte des Hamburger Instituts für Sozialgeschichte), Hamburg 1987, S. 237; Heidrun Homburg, Rationalisierung und Industriearbeit. Arbeitsmarkt - Management -Arbeiterschaft im Siemens-Konzem Berlin 1900-1939 (= Schriften der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 1), Berlin 1991, S. 366 u. 710.
26
I. Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945
tigten der AEG-Fabriken arbeiteten im Herbst 1939 7 5 % in Berlin und weitere 14% im Umland der Stadt. 11 Hinzu kamen die beiden bedeutendsten Tochtergesellschaften von AEG und Siemens, die Firmen Telefunken und Osram, die ihren Sitz ebenfalls in Berlin hatten. 12 Anfang der dreißiger Jahre zeichnete sich in der Berliner Elektroindustrie das Vordringen eines weiteren Konzerns ab, der 1929 gegründeten Standard Elektrizitäts-Gesellschaft (SEG), einer Holding unter führender Beteiligung von ITT. 1 3 Neben diesen Großfirmen von Weltrang bestand in der Berliner Elektroindustrie eine bemerkenswerte Häufung von Großunternehmen, die ihrer Struktur nach im Übergangsbereich zwischen Universal- und Spezialfirmen angesiedelt waren. Hierzu zählten die Bergmann-Elektricitäts-Werke, die Deutsche Telephonwerke und Kabelindustrie AG (DeTeWe), Mix & Genest und die C. Lorenz AG. Die meisten dieser Unternehmen verloren während der Zwischenkriegszeit ihre Selbständigkeit und wurden in die Konzerne Siemens, AEG und SEG/ITT eingegliedert. 14 Nach der Betriebszählung von 1925 bestanden in der Berliner Elektroindustrie 13 Großunternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. In diesen Unternehmen arbeiteten 73%, also fast drei Viertel aller Beschäftigten. Nur 7,7% der Arbeiter und Angestellten entfielen auf Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten (siehe GRAFIK l). 1 5 Der Anteil der Siemens-Firmen an der Beschäftigtenzahl der Berliner Elektroindustrie lag 1925 bei 3 8 % und nahm bis 1936 auf 5 1 % zu. Bei Siemens und AEG arbeiteten 1939 rund zwei Drittel aller Beschäftigten der Berliner Elektroindustrie.16 11
Die Beschäftigtenzahl der Berliner AEG-Fabriken lag am Ende des Geschäftsjahrs 1938/39 bei
40.900. Berechnet nach: OMGUS, Report on Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft,
A.G., Bd. 1, An-
hang Nr. 1, IfZ. Homburg schätzte den Anteil Berlins an der AEG-Inlandsbelegschaft (einschließlich Unternehmensverwaltung und Verkaufsorganisation) in den zwanziger und dreißiger Jahren auf rund 80%. H. Homburg, Rationalisierung...,
S. 368. Insgesamt lagen 12 von 16 Produktionsbetrieben der
AEG im Raum Berlin. 19 von 34 Tochtergesellschaften hatten hier ihren Sitz. Gerd Hautsch, Das Imperium AEG-Telefunken. Ein multinationaler Konzern (= Marxistische Paperbacks 88), Frankfurt/M. 1979, S. 37; vgl. auch P. Strunk, Die AEG..., S. 57. 12
50 Jahre Telefunken. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Telefunken Gesellschaft fir draht-
lose Telegraphie m.b.H. (= Telefunken-Zeitung, Jg. 26, H. 100), Berlin 1953; Wilfried Feldenkirchen, Siemens 1918-1945, München-Zürich 1995, S. 341-348 (zu Telefunken) u. S. 353-366 (zu Osram). 13
Während der Weltwirtschaftskrise übernahmen ITT und SEG die C. Lorenz AG und drei weitere
Unternehmen der Berliner Telefongeräteindustrie. Die AEG brachte ihre Beteiligung bei Mix & Genest in die SEG ein. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 209 ff. u. 278; W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945..., S. 117-120; Anthony Sampson, The Sovereign State oflTT, New York 1973, S. 25 f. 14
Zum Konzentrationsprozeß in der Berliner Elektroindustrie während der Zwischenkriegszeit vgl.
P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 272-280. 15
Bis 1931 stieg die Zahl der Großunternehmen in der Berliner Elektroindustrie auf 17. A. Zimm,
Die Entwicklung..., S. 146. 16
P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 318; H. Homburg, Rationalisierung..., S. 368 u. 710;
C. Sachse, Betriebliche Anm. 11.
Sozialpolitik...,
S. 237. Zur Zahl der AEG-Beschäftigten in Berlin siehe
Berliner Elektroindustrie und Berliner Maschinenbau
27
Wegen der starken Präsenz von elektrotechnischen Großunternehmen in Berlin lagen die Betriebsgrößen hier deutlich über dem Branchendurchschnitt im Reich. 1 7 Der wichtigste Produktionszweig der Berliner Elektroindustrie war nach der Betriebszählung von 1939 die Femmeldegeräteindustrie (Telegrafen- und Fernsprechwesen), vor der Rundfunkgeräteindustrie und der Erzeugung elektrischer Maschinen. Eine vergleichsweise geringe Bedeutung hatte die Fertigung von elektrischen Haushaltsgeräten und Kraftfahrzeugausrüstungen. 18 Innerhalb der deutschen Elektroindustrie zeichnete sich der Standort Berlin durch einen überproportional hohen Anteil von Erzeugnissen der Nachrichtentechnik, der Lampen- und der Kabelindustrie aus. 1925 produzierte die Berliner Elektroindustrie 60% aller Kabel, die in Deutschland hergestellt wurden. 19 1939 entfielen in der Telegrafen- und Telefonindustrie 79% aller Beschäftigten auf Berlin, in der Glühlampenindustrie 56%. Zwölf der zwanzig umsatzstärksten Radiohersteller Deutschlands hatten hier ihren Sitz. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Meß- und Regeltechnik. 20 Der Maschinenbau hatte in Berlin 1936 rund 60.000 Beschäftigte, das entsprach einem Reichsanteil von 10,9%. 21 Zu den Kennzeichen des Berliner Maschinenbaus gehörte ein hoher Anteil von Spezialerzeugnissen. Die wichtigsten Firmen waren Unternehmen des Großmaschinenbaus (Lokomotivbau, Waggonbau, Kraftmaschinenbau) wie Borsig, 22 die Berliner Maschinenbau-Actiengesellschaft vorm. L. Schwartzkopff (BMAG) und Orenstein & Koppel sowie Unternehmen des Werkzeugmaschinenbaus wie Fritz Werner, Ludw. Loewe & Co., R. Stock & Co. und Carl Hasse & Wrede. In Berlin befand sich auch einer der führenden Büromaschinenhersteller Deutschlands, die IBM-Tochter Dehomag. Das größte Unternehmen des Berliner Maschinenbaus, die Firma Borsig, ging während der Weltwirtschaftskrise in Liquidation. Das Borsig-Maschinenwerk wurde 1933 von Rheinmetall übernommen und später in die Reichswerke Hermann Göring eingegliedert. 23 17
In der gesamten deutschen Elektroindustrie entfielen vor dem Zweiten Weltkrieg rund zwei Drittel
der Arbeiter und Angestellten auf Großbetriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 88 f.; W. Matz, Struktur..., S. 54. 18
P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 85; BS, 7. Jg. (1953), Sonderheft 33, S. 12.
19
P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 84.
20
A.a.O., S. 85 u. 248.
21
Die deutsche Industrie..., S. 132. Der Anteil der Berliner Werke am Umsatz des deutschen Maschi-
nenbaus lag damals bei 11,6%. Der Berliner Produktionsanteil im Jahr 1936 wurde vom Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten (VDMA) später mit 11,2% angegeben. Statistisches Handbuch von Deutschland 1928-1944, hrsg. vom Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, München 1949, S. 270 u. 273; Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete der Berliner Industrie. Maschinen- und Apparatebau, bearb. von Karl C. Thalheim unter Mitarbeit von Harry Freygang, Berlin 1951, S. 17 u. 25. 22
Zum Borsig-Werk gehörten neben den Fertigungen des Maschinen-, Kessel- und Lokomotivbaus
auch ein Stahl- und Walzwerk, eine Gießerei und eine Schmiede. 23
Rheinmetall gründete 1933 die A. Borsig Maschinenbau AG. 1936 fusionierten beide Firmen zur
Rheinmetall-Borsig AG. Rheinmetall Berlin AG, Geschäftsbericht 1959, Berlin 1960, Anlage. Vgl. fer-
/. Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945
28
In der Berliner Maschinen- und Metallindustrie (ohne Elektroindustrie) bestanden 1930 28 Großbetriebe mit mehr als 500 Beschäftigten. 2 4 Die Beschäftigtenzahl des Borsig-Werks lag 1936 bei 5.000-6.000, die B M A G , ein weiteres führendes Unternehmen des Großmaschinenbaus, hatte 1936 4.800 Beschäftigte. 2 5 Hinzu kamen mehrere Großunternehmen des Werkzeugmaschinenbaus: die Firmen Fritz Werner (3.200 Beschäftigte im Jahr 1936), Carl Hasse & Wrede (2.400 Beschäftigte), Ludwig Loewe (2.400 Beschäftigte) und Deutsche Niles Werke (1.060 Beschäf-
Grafik 1 Die Betriebsgrößenstruktur der Berliner Elektroindustrie und des Berliner Maschinenbaus 1925 Anteile von Betriebsgrößenklassen an der Beschäftigtenzahl in v. H. Prozent
\ 1-50 Beschäftigte I 51-1000 Beschäftigte l Über 1000 Beschäftigte
Elektroindustrie
Maschinenbau*
* einschließlich Apparate- und Fahrzeugbau Quelle: P. Czada, Berliner Elektroindustrie, S.88.
ner Kurt Pierson, Borsig. Ein Name geht um die Well. Die Geschichte des Hauses Borsig und seiner Lokomotiven, Berlin 1973, S. 101 f.; Michael Drechsler/Christa Lindner, Rüstungsbetrieb RheinmetallBorsig, in: Jochen Boberg/Tilman Fichter/Eckhart Gillen (Hrsg.), Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert (= Industriekultur deutscher Städte und Regionen, Berlin 2), München 1986, S. 252-255. 24
A. Zimm, Die Entwicklung..., S. 151; Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften
1939...,
S. 231. 25
Gustav W. Harmssen, Am Abend der Demontage. Sechs Jahre Reparationspolitik, Bremen 1951,
S. 61; Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften 1939..., S. 231 (BMAG einschließlich des Werks in Wildau, Kreis Teltow).
Berliner
Elektroindustrie
und Berliner
Maschinenbau
29
tigte). 26 Die Großunternehmen des Berliner Maschinenbaus hatten eine ungleich geringere Beschäftigtenzahl als die Elektrokonzerne. Allein bei den Berliner Siemens-Betrieben arbeiteten 1936 mehr Beschäftigte als im gesamten Berliner Maschinenbau. Im Durchschnitt waren die Betriebe des Maschinenbaus in Berlin deutlich kleiner als die Betriebe der elektrotechnischen Industrie. 1925 arbeiteten 35,8% der Beschäftigten des Berliner Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbaus in Großbetrieben mit mehr als 1.000 Beschäftigten, 46,2% in Betrieben mit 51 bis 1.000 Beschäftigten (siehe GRAFIK 1). Die Struktur des Berliner Maschinenbaus wurde demnach sowohl von großen als auch von mittleren Unternehmen geprägt. Im Vergleich mit der Elektroindustrie wies der Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbau in Berlin einen höheren Anteil von kleinen und mittleren Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten auf. Kleinstbetriebe mit bis zu 5 Beschäftigten waren in beiden Industriezweigen von vergleichsweise geringer Bedeutung. 28 Über die Produktionsstruktur des Berliner Maschinenbaus vor dem Zweiten Weltkrieg geben die Daten des Industriezensus von 1936 und der Betriebszählung von 1939 Aufschluß. Wichtigster Produktionszweig war 1936 der Werkzeugmaschinenbau mit einem Umsatzanteil von 28% und einem Beschäftigtenanteil von 27,3%. 29 Nach der Betriebszählung von 1939 lag der Werkzeugmaschinenbau ebenfalls an erster Stelle, vor der Büromaschinenindustrie und dem Pumpen- und Ventilatorenbau. 30 Überproportional stark waren hier neben dem Werkzeugmaschinenbau, 31 der Büromaschinenindustrie 32 und dem Pumpen- und Ventilatorenbau auch der Kesselbau, der Dampfturbinenbau und der Bau von Druckluftindustriemaschi26
Günter Otto, Der Werkzeugmaschinenbau,
in: Vierteljahreshefte
zur Statistik der DDR, 1. Jg.
(1957), H. 3, S. 93. Abweichende Angaben enthält die Schätzung für die West-Berliner Betriebe in: G. W. Haimssen, Am Abend der Demontage...,
S. 61.
27
P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie...,
28
Der Beschäftigtenanteil der Kleinstbetriebe lag 1925 in der Berliner Elektroindustrie bei 2,4%, im
S. 318.
Berliner Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbau bei 3,1%, im Berliner Bekleidungsgewerbe dagegen bei 51,9%. A.a.O., S. 88. 29
Statistisches
Handbuch von Deutschland
1928-1944...,
S. 270 u. 273; Die deutsche
Industrie...,
S. 132. Die Angaben für den Werkzeugmaschinenbau stützen sich auf die bereinigten Daten des Statistischen 30
Handbuchs. Statistisches
Handbuch
von Deutschland
¡928-1944...,
Bd. 568, H. 3, S. 23; Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete, 31
S.270; Statistik des Deutschen Maschinen- und Apparatebau...,
Reichs, S. 2.
An der deutschen Werkzeugmaschinenproduktion hatte Berlin 1928 einen Anteil von 14,7%. Nach
Sachsen und dem Rheinland war Berlin damals das drittwichtigste Zentrum des deutschen Werkzeugmaschinenbaus. Bis Mitte der dreißiger Jahre nahm die Bedeutung Berlins innerhalb des deutschen Werkzeugmaschinenbaus noch zu. Der Industriezensus von 1936 weist für Berlin in diesem Produktionszweig einen Beschäftigtenanteil von 18,3% und einen Umsatzanteil von 20,4% aus. Clara Krause, Der Anteil Berlins an der Produktion der Maschinen-, Apparate- und Kesselbauindustrie, Wirtschaftsberichte, 32
10. Jg. (1933), Nr. 18, S. 141; Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete...,
in: Berliner Tab. 1.
In der deutschen Büromaschinenindustrie war Berlin 1928 nach Sachsen die wichtigste Region.
30
I. Strukturen und Entwicklungsstand
vor 1945
nen vertreten. 33 Die Baumaschinenindustrie und die Herstellung von Maschinen für die Nahrungs- und Genußmittelindustrie blieben in Berlin vor dem Zweiten Weltkrieg unterrepräsentiert. Die Textilmaschinenindustrie und die Landmaschinenindustrie erlangten hier - im Unterschied zu anderen Zentren des mittel- und ostdeutschen Maschinenbaus - keine größere Bedeutung.
Standortfaktoren und
Standortentwicklung
Charakteristisch für die Entwicklung der gesamten Berliner Industrie war, daß sie ohne eine regionale Rohstoffbasis erfolgte. Die Transportkostenorientierung hatte für die industrielle Standortentwicklung ebenfalls keine maßgebende Bedeutung, da sich die Berliner Industrie durch hochwertige Fertigungen mit einem relativ niedrigen Frachtkostenanteil auszeichnete. Für einige Produktionszweige der Elektroindustrie und des Maschinenbaus war die Absatzorientierung ein wichtiger Standortfaktor. Die nachrichtentechnische Industrie expandierte von Anfang an durch öffentliche Aufträge zentraler Institutionen, die ihren Sitz in Berlin hatten. Die Energiewirtschaft, die Rundfunkgeräteindustrie, der Aufzug- und Heizungsbau profitierten von der Nachfrage in der Millionenstadt. Andererseits waren typische Zweige der Verbrauchsgüterproduktion wie die Herstellung elektrotechnischer Haushaltsgeräte trotz der Nähe eines großstädtischen Absatzmarktes in Berlin unterrepräsentiert. 34 Geht man von den Kategorien der älteren Standortlehre aus, dann bildete zweifellos das Arbeitskräftepotential den für die industrielle Entwicklung Berlins wichtigsten generellen Faktor. 35 Die technischen Lehranstalten Berlins zogen seit der Frühindustrialisierung talentierte Ingenieure und Techniker an. Das für großstädtische Standorte typische Reservoir an Facharbeitern förderte die Entwicklung von Industriezweigen, die sich durch einen hohen Verarbeitungsgrad auszeichnen. Mit dem Übergang zur Massenfertigung gewann das Arbeitskräftepotential der Metropole dann auch als quantitativer Faktor an Bedeutung. 36
1938 entfielen hier 22,8% der Produktion auf Berlin. Ebda.; Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete, Maschinen- und Apparatebau..., S. 2. 33
Ebda.; B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..., S. 196-199. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 100-104; W. Matz, Struktur..., S. 17-20; Karl P. Berthold, Untersuchungen über den Standort der Maschinen-Industrie in Deutschland (= Mitteilungen der Gesellschaft für wirtschaftliche Ausbildung, Neue Folge, H. 7), Jena 1915. 34
35 Zur Systematik industrieller Standortfaktoren: Karl Christian Behrens, Allgemeine Standortbestimmungslehre, 2. Aufl., Opladen 1971, S. 47-88; Helmut Brede, Bestimmungsfaktoren industrieller Standorte. Eine empirische Untersuchung (= Schriftenreihe des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Nr. 75), Berlin-München 1971. 36
Vgl. K. Doogs, Die Berliner Maschinen-Industrie und ihre Produktionsbedingungen seit ihrer Entstehung, Berlin 1928, S. 65-70; H. Homburg, Rationalisierung..., S. 369 f.; W. Matz, Struktur..., S. 18 f.
Standorfaktoren
und
Standortentwicklung
31
Das spezifische Profil der Berliner Industrie in der Zwischenkriegszeit kann freilich nicht hinreichend durch generelle Standortfaktoren erklärt werden. Entscheidenden Einfluß hatten auch spezifische Faktoren. Dazu gehörten die zentralen Funktionen Berlins als preußisch-deutsche Metropole. Die erste Phase der industriellen Standortentwicklung wurde von der Stellung Berlins als Residenzstadt, Verwaltungs-, Ausbildungs- und Verkehrszentrum geprägt. 37 Nachdem sich die Stadt zur Industriemetropole und zum Finanzzentrum des Reichs gewandelt hatte, kamen dann in der Phase der Hochindustrialisierung Agglomerationsvorteile hinzu. Der Aufstieg Berlins zur „Elektropolis" ist ein anschauliches Beispiel für den Einfluß positiver Extemalitäten auf die Standortwahl. 38 Der Maschinenbau und die elektrotechnische Industrie profitierten insbesondere von den universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Während der zwanziger Jahre begann sich eine dritte Phase der Standortentwicklung abzuzeichnen. Dieser Wandel wurde durch die große Weltwirtschaftskrise vorübergehend überlagert und kam daher erst Mitte der dreißiger Jahre zum Durchbruch. Raummangel und hohe Grundstückspreise standen nun einem weiteren Ausbau der elektrotechnischen Industrie in Berlin entgegen. Das Lohnniveau von Facharbeitern der metallverarbeitenden Industrie lag hier deutlich höher als in anderen deutschen Großstädten. 39 Die Kapazitäten des Berliner Arbeitsmarkts waren ausgeschöpft. Bei der Nachfrage nach ausgebildeten Facharbeitern machten sich die Branchen und Unternehmen der Metallindustrie gegenseitig Konkurrenz. Auch im Niedriglohnbereich zeichnete sich ab Mitte der dreißiger Jahre ein Arbeitskräftemangel ab. Da die Frauenerwerbsquote wegen der starken Präsenz der Bekleidungsindustrie in Berlin relativ hoch lag, stand der elektrotechnischen Industrie nur ein begrenztes Reservoir an weiblichen Arbeitskräften zur Verfügung. 40 Die Agglomerationsnachteile zwangen die Unternehmen, sich in Berlin auf Produktionsbereiche mit einem hohen Verfeinerungsgrad zu konzentrieren. 41 Lohnintensive Fertigungen verlegten die Berliner Elektrokonzerne in strukturschwache Regionen Mitteldeutschlands. Dort konnte ein großes Potential von industriell angelernten zumeist weiblichen - Arbeitskräften rekrutiert und zu vergleichsweise niedrigen 37 Vgl. Lothar Baar, Die Berliner Industrie in der industriellen Revolution (= Veröffentlichungen des Instituts für Wirtschaftsgeschichte an der HfÖ, Bd. 4), Berlin 1966; Wolfram Fischer, Berlin: Die preußische Residenz auf dem Wege zur Industriestadt, in: Berlin und seine Wirtschaft..., S. 59-78. 38 Vgl. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 104 ff.; W. Ribbe/W. Schäche, Die Siemensstadt..., S. 33—49; S. v. Weiher, Berlins Weg..., S. 105-115. 39 Statistisches Jahrbuch för das Deutsche Reich, 44. Jg. (1924/25), Berlin 1925, S.279; a.a.O., 54. Jg. (1935), Berlin 1935, S. 289. 40 H. Homburg, Rationalisierung..., S. 91-95; Carola Sachse, Siemens, der Nationalsozialismus und die moderne Familie. Eine Untersuchung zur sozialen Rationalisierung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Hamburg 1990, S. 122-127. 41 H. Runschke, Die Entwicklung der Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe Berlins im Lichte der Statistik, in: VDI-Zeitschrift, Bd. 98 (1956), Nr. 27, S. 1589.
/. Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945
32
Löhnen beschäftigt werden. 42 Der Berliner Maschinenbau blieb hingegen stärker an regionale Zulieferer und an den regionalen Arbeitsmarkt gebunden. In den Kernbereichen der Produktion waren auch Siemens und die AEG weiterhin auf das Facharbeiterpotential Berlins angewiesen. 43 Im FuE-Bereich und bei entwicklungsnahen Fertigungen nahm das Gewicht Berlins innerhalb der deutschen Elektroindustrie weiter zu. 44 Als Standort von Unternehmensverwaltungen behielt die Metropole Berlin in der Zwischenkriegszeit ihre zentrale Bedeutung. 45
Absatzgebiete, binnen- und außenwirtschaftliche
Verflechtung
Der Absatz der Berliner Elektro- und Metallindustrie war vor dem Zweiten Weltkrieg stärker nach Westen orientiert als der Absatz der gesamten Berliner Industrie. Für diese Branchen war Westdeutschland das wichtigste Absatzgebiet (siehe TABELLE 2). Ein von Thalheim und Freygang verfaßter Bericht der Berliner Zentralbank gelangte 1951 zu dem Ergebnis, daß „unter den führenden Berliner Industriezweigen nicht ein einziger ist, der vor dem Kriege das Schwergewicht seines Absatzes in der sowjetischen Besatzungszone fand". 46 Der Bericht relativierte damit die in OstBerlin propagierte These, die West-Berliner Industrie hätte durch die Integration in die Wirtschaft der Bundesrepublik ihr „natürliches Hinterland" und ihr wichtigstes Absatzgebiet verloren. 47 Die regionalen Absatzstrukturen im Stichjahr 1936 spiegelten freilich auch die spezifische Situation während des Aufschwungs nach der Weltwirtschaftskrise wider. Die Bedeutung Westdeutschlands als Absatzgebiet der Berliner Metallindustrie nahm nach der Weltwirtschaftskrise deutlich zu, während der Anteil Mitteldeutschlands abnahm. 48 Der Vergleich zwischen den regionalen Absatzstrukturen der Berliner Elektroindustrie und des Berliner Maschinenbaus zeigt beträchtliche Unterschiede. Der Absatzanteil Westdeutschlands lag in der Berliner Elektroindustrie vor dem Zweiten 42
50 Jahre AEG. Als Manuskript gedruckt, Berlin 1956, S. 231,357 u. 451 f.; W. Feldenkirchen, Sie-
mens 1918-1945...,
S. 194-198; H. Homburg, Rationalisierung...,
S. 367.
43
H. Homburg, Rationalisierung...,
44
Hubert Laitko u. a., Wissenschaft in Berlin. Von den Anfängen bis zum Neubeginn nach 1945, Ber-
S. 366-370.
lin 1987, S. 437-449. 45
Die Oberbürgermeister westdeutscher Großstädte klagten damals über die „Konzentrationssucht"
von Kapital und Industrie in Berlin. Entsprechende Stellungnahmen des Frankfurter Oberbürgermeisters Landmann und des Kölner Oberbürgermeisters Adenauer finden sich zitiert in: Christian Engeli, Gustav Böß. Oberbürgermeister 46
von Berlin 1921 bis 1930, Stuttgart-Berlin 1971, S. 177.
Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete...,
S. 42. Zu den Absatzgebieten der gesamten Berliner In-
dustrie vgl. a.a.O., S. 21 ff. u. Tab. 3. 47
A.a.O., S. 4 ff. u. 36.
48
In der Gütergnippe „Maschinen, Apparate" stieg der Anteil Westdeutschlands am Absatz Berliner
Industrieerzeugnisse zwischen 1935 und 1938 von 31,4% auf 38,3%. Der Anteil Mitteldeutschlands sank im gleichen Zeitraum von 34,8% auf 24,4%. A.a.O., S. 22.
Absatzgebiete,
binnen- und außenwirtschaftliche
Verflechtung
33
Weltkrieg deutlich höher, da deren Unternehmen auf dem westdeutschen Markt eine stärkere Position hatten als die des Berliner Maschinenbaus, bedingt vor allem durch die quasi oligopolistische Stellung der Konzerne Siemens und AEG. Für den Berliner Maschinenbau hatte der mittel- und ostdeutsche Markt eine größere Bedeutung. Wenn man den Berliner Platzabsatz zum Absatzgebiet Mittel- und Ostdeutschland hinzuzählt, dann entfiel hier 1936 der größere Teil des Inlandsabsatzes auf Mittel- und Ostdeutschland, in der Berliner Elektroindustrie dagegen auf Westdeutschland (siehe T A B E L L E 2 ) . Bei den Bezügen war die gesamte metallverarbeitende Industrie Berlins in hohem Maße auf Lieferungen aus der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie angewiesen. Weiteres Eisen wurde aus Oberschlesien und Schweden bezogen. Aus Mitteldeutschland kamen Gießereiprodukte und ein Teil des benötigten Kupfers. 49 Als Lieferant von Halbfertigwaren hatte Mitteldeutschland für die Elektroindustrie eine größere Bedeutung als für den Maschinenbau. Chemikalien, Glas- und Porzellanwaren bezog die Berliner Elektroindustrie überwiegend aus Mitteldeutschland. 50 TABELLE 2
Absatzgebiete
der Berliner Elektroindustrie,
des Berliner
Maschinenbaus
und der Berliner Industrie 1936. Anteile am Absatz in v. H.
Westdeutschland
Mittel/Ostdeutschland
Berlin
Ausland
Elektroindustrie
45
20
22
13
Maschinen- und
31
23
20
26
32
35
22
11
Branche
Apparatebau Industrie insgesamt
Quellen: IHK zu Berlin, Bericht 1987/88, Berlin 1988, S. 178; eigene Berechnungen auf der Basis der Daten in: Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete..., S. 34; K. C. Thalheim, Berlins wirtschaftliche Entwicklung..., S. 785.
Die Exporte der Berliner Industrie sind in der Zwischenkriegszeit nur annäherungsweise statistisch erfaßt worden. 51 Die zuverlässigsten Schätzungen enthält die bereits erwähnte Untersuchung der Berliner Zentralbank über die Absatzgebiete der Berliner Industrie vor dem Zweiten Weltkrieg. Nach dieser Quelle lag die Exportquote 1936 in der Berliner Elektroindustrie bei 15%, im Berliner Maschinen- und Berlins wirtschaftliche Verflechtung..., S. 39. A.a.O., S. 43. 51 Einen Überblick über die Entwicklung des Berliner Industrieexports in der Zwischenkriegszeit gibt Wolfram Fischer, Berlin und die Weltwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert (= Historische Kommission zu Berlin, Beiheft Nr. 13), Berlin 1989, S. 29-36. Speziell zur statistischen Problematik: a.a.O., S. 7 f. u. 35 f.; Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete..., S. 30 ff. 50
34
/. Strukturen und Entwicklungsstand
vor 1945
Apparatebau bei rund 17% (siehe TABELLE 2). Das entsprach in beiden Branchen etwa dem Reichsdurchschnitt. Die höchste Exportquote unter den Berliner Industriezweigen hatte die chemische Industrie mit rund 24%.52 Allerdings lag die Exportquote der deutschen Industrie im Stichjahr 1936 generell auf einem niedrigen Niveau. Die Konjunktur wurde zu diesem Zeitpunkt einseitig durch die Inlandsnachfrage belebt, nachdem gerade die Unternehmen der Elektroindustrie und des Maschinenbaus während der Weltwirtschaftskrise gezielt auf Auslandsaufträge gesetzt hatten.53 Die regionale Struktur des Exports veränderte sich im Laufe der dreißiger Jahre grundlegend. Der während der Weltwirtschaftskrise stark angestiegene Anteil der Sowjetunion ging in den folgenden Jahren rapide zurück. Von den Exporten der Berliner Metallindustrie in europäische Länder (einschließlich UdSSR) entfiel 1928 der größere Teil auf Osteuropa, 1938 dagegen auf Westeuropa.54 Zum Volumen des Berliner Übersee-Exports in der Zwischenkriegszeit liegen keine Daten vor. Auch hier hatte aber die elektrotechnische Industrie mit den global operierenden Konzernen Siemens und AEG eine herausragende Bedeutung. Schwerpunkte des Berliner Elektroexports nach Übersee bildeten Südamerika, Indien, China und Japan.55 52
Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete..., S. 32-34. Nach der Produktionsstatistik von 1936 lag die Exportquote des Berliner Maschinen- und Apparatebaus bei 12,2%. Thalheim und Freygang korrigierten diesen Wert auf der Basis der Güterverkehrsstatistik von 1936 nach oben. Ebda. Eine von ihnen durchgeführte Enquete ergab eine noch deutlich höhere Exportquote (26%). Diese Zahl wurde in einer Reihe einschlägiger Veröffentlichungen übernommen. Die Enquete beruhte aber nur auf Angaben von 26 Betrieben aus dem Westteil der Stadt, unter denen Firmen des besonders exportintensiven Werkzeugmaschinenbaus überrepräsentiert waren. Tatsächlich lag die Exportquote des Berliner Maschinenbaus selbst im Jahr 1928, in dem die deutsche Industrie eine höhere Exportintensität aufwies als 1936, lediglich bei 23%. Vgl. hierzu Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete, Maschinen- und Apparatebau..., S. 4-6; C. Krause, Der Anteil Berlins..., S. 141. Zieht man die bereinigten Exportwerte aus der Produktionsstatistik von 1936 heran, wie sie dem Bericht der Berliner Zentralbank von 1951 zu entnehmen sind, ergibt sich unter Berücksichtigung der von Thalheim angegebenen Relation zwischen den einzelnen inländischen Absatzgebieten die in TABELLE 2 dargestellte Verteilung. 53 Bei Siemens und AEG lagen die Exportquoten im Geschäftsjahr 1931/32 zwischen 45% und 54%, im Geschäftsjahr 1934/35 nur noch zwischen 21% und 23%. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 137. Zur Entwicklung des Exports in der Weltwirtschaftskrise und speziell zum RußlandGeschäft der Berliner Industrie vgl. a.a.O., S. 146 f.; W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945..., S. 130135. 54
Das Verhältnis zwischen den Anteilen westeuropäischer und osteuropäischer Länder am Berliner Industrieexport kehrte sich in der Gütergruppe „Maschinen und Apparate" von 29 : 71 im Jahr 1928 in 71 : 29 im Jahr 1938 um. Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete..., S. 37 (mengenmäßige Angaben). 55
Vgl. Berlins wirtschaftliche Verflechtung..., S. 43; W. Fischer, Berlin und die Weltwirtschaft..., S. 29 ff.; Georg Schröder, Die Exportwirtschaft der deutschen Elektroindustrie, Rer. pol. Diss. TUB, Berlin 1952.
Die westlichen und die östlichen Bezirke Berlins im Vergleich
35
Die westlichen und die östlichen Bezirke Berlins im Vergleich Nach der Arbeitsstättenzählung vom Mai 1939 wies das Gebiet des späteren West-Berlin einen höheren Industrie- und Handwerksbesatz auf als das Gebiet des späteren Ost-Berlin, wo sich das Regierungs- und das Finanzzentrum des Reichs befanden. Der Anteil von Industrie und Handwerk an der Zahl der Beschäftigten lag in den westlichen Bezirken bei 57,2%, in den östlichen Bezirken bei 49,3%. Von den Beschäftigten der Industrie und des Handwerks in Groß-Berlin entfielen 65% auf die Westbezirke, während der Anteil dieser Bezirke an der Gesamtzahl der Beschäftigten Groß-Berlins bei 62% lag. 56 Zwischen den Branchenstrukturen der Industrie in den westlichen und in den östlichen Bezirken Berlins bestanden damals signifikante Unterschiede. In den Westbezirken dominierte die Investitionsgüterindustrie. Die elektrotechnische Industrie war der führende Industriezweig. Mit weitem Abstand folgten der Maschinenbau, das Druckgewerbe (einschließlich papierverarbeitender Industrie), die Bekleidungsindustrie sowie die Nahrungs- und Genußmittelindustrie (siehe TABELLE 3). In den Ostbezirken waren die Bekleidungsindustrie und die Nahrungs- und Genußmittelindustrie überproportional stark vertreten (siehe GRAFIK 2). Auch hier war die elektrotechnische Industrie der führende Industriezweig, allerdings nur mit einem knappen Vorsprung vor der Bekleidungsindustrie. Der Maschinenbau lag an dritter Stelle, gefolgt von der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (siehe TABELLE 2). Entsprechend unterschiedlich waren die Anteile der westlichen und der östlichen Bezirke an der Beschäftigtenzahl der einzelnen Industriezweige. In der Elektroindustrie entfielen 1936 mehr als drei Viertel der Beschäftigten auf die Westbezirke, im Maschinenbau rund 70%, in der Bekleidungsindustrie dagegen nur rund 40% (siehe GRAFIK 2 ) .
Auf der Ebene der Bezirke war 1936 Spandau (mit Siemensstadt) der wichtigste Standort der Berliner Elektroindustrie. Rund ein Drittel der Beschäftigten arbeitete in diesem Bezirk. An zweiter Stelle lag der Bezirk Wedding, vor dem Bezirk Kreuzberg. Im Berliner Maschinenbau war 1936 Reinickendorf der führende Bezirk, vor Wedding und Tempelhof. Die wichtigsten Standorte der Berliner Konsumgüterindustrie befanden sich durchweg im Gebiet des späteren Ost-Berlin. Zum Bezirk Mitte gehörte das Zentrum der deutschen Bekleidungsindustrie am Hausvogteiplatz. In der Nahrungs- und Genußmittelindustrie lag der Bezirk Weißensee an erster Stelle, vor Mitte und Friedrichshain. 57 56 Eigene Berechnungen auf der Basis der Daten in: Ergebnisse der Arbeitsstättenzählung in WestBerlin am 13. September 1950, T. 5 u. 6, in: BS, 7. Jg. (1953), Sonderheft 32, S. 41, u. Sonderheft 33, S. 12. 57
BS, 1. Jg. (1947), H. 4, S. 81 u. 84 f. Zur Geschichte der Berliner Bekleidungsindustrie vgl. 125 Jahre Berliner Konfektion, Berlin 1962; Uwe Westphal, Berliner Konfektion und Mode 1836-1939. Die Zerstörung einer Tradition (= Stätten der Geschichte Berlins, Bd. 14), Berlin 1986.
36
I. Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945 TABELLE 3
Die Branchenstruktur der Berliner Industrie im Jahr 1936 nach Stadtgebieten Groß-Berlin
West-Berlin
Ost-Berlin
BeschäfBeschäfBeschäfin in in tigte tigte tigte v.H. v.H. v.H. in Tsd. in Tsd. in Tsd.
Branche
Elektroindustrie
146.6
25,6
112.7
30,4
33.9
16,7
60.4
10,5
42.7
11,5
17.7
8,7
Bekleidungsindustrie*
53.3
9,3
21.7
5,9
31.6
15,6
Druck und Papier-Verarbeitung
49.9
8,7
34.7
9,3
15.2
7,7
Nahrungs- und Genußmittelindustrie
31.9
5,6
15.2
4,1
16.7
8,3
Chemische Industrie**
9.8
1,7
6.1
1,6
3.7
1,8
Industrie insgesamt***
573.7
100,0
371.2
100,0
202.5
100,0
Maschinenbau
* ohne Heimarbeiter ** ohne chemisch-technische Industrie *** einschließlich Baugewerbe und Versorgungsbetriebe Quellen: Die deutsche Industrie..., S. 128-146; BS, 1. Jg. (1947), H. 4, S. 84 f.
Die Koordinaten dieser innerstädtischen Standortstruktur waren durch die Randwanderungen der Berliner Elektro- und Metallindustrie vor 1914 entstanden. Im Rahmen der ersten Randwanderungen verlagerten die Firmen Siemens und AEG den größten Teil ihrer Produktionsstätten aus der Stadtmitte nach Charlottenburg bzw. Wedding. Zwischen 1890 und 1914 führten die steigenden Bodenpreise und der wachsende Raumbedarf der Fabriken zu einer weiteren Welle von Standortverlagerungen, der dritten Randwanderung. Die Wahl der neuen Standorte innerhalb der Berliner Region orientierte sich an den vorhandenen Wasserstraßen und Eisenbahnlinien. 58 Die damals entstandenen Agglomerationen der Berliner Elektro- und Metallindustrie lagen überwiegend im Gebiet des späteren West-Berlin. Die Betriebe der Bekleidungsindustrie und der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, die einen geringeren Raumbedarf und einen niedrigeren Transportkostenanteil hatten, konzentrierten sich dagegen in den östlichen Innenstadtbezirken, die später zu Ost-Berlin gehörten. Die innerstädtische Standortverteilung der Berliner Industrie während der 58
Zur innerstädtischen Standortentwicklung der Berliner Industrie nach 1890 vgl. v. a.: P. Czada, Die
Berliner Elektroindustrie...,
S. 111-128; B. Hofmeister, Berlin..., S. 380-388; Alfred Zimm, Die Ent-
wicklung des Industriestandortes Industriezweigen
Berlin. Tendenzen der geographischen Lokalisation bei den Berliner
von Uberörtlicher Bedeutung sowie die territoriale Entwicklung bis 1945, Berlin
1959, S. 87-103. Nach der wirtschaftsgeographischen Studie von Hofmeister bildete die Lösung vom Ringbahnbereich das konstitutive Merkmal der dritten Randwanderung.
Die westlichen und die östlichen Bezirke Berlins im Vergleich
37
Grafik 2 Anteile der westlichen und der östlichen Stadtbezirke an der Beschäftigtenzahl führender Industriezweige in Berlin 1936 in v.H. ü West-Berlin ü Ost-Berlin
Prozent 100 80 60 40 20
Elektroindustrie
Maschinenbau
Bekleidungsind. Nahrungsmlttelind. Industrie insg.
Quelle: Berliner Statistik 1.Jg. (1947), H.4, S.81-85.
Zwischenkriegszeit war, wie Pfannschmidt 1937 schrieb, „charakteristisch für die Frachtgebundenheit der schweren Metallindustrien und die Frachtunempfindlichkeit der leichten Spinnstoffverarbeitung". 59 Durch die Randwanderung zwischen 1890 und 1914 entstanden im Raum Berlin mehrere neue Zentren der Metallindustrie: - an der unteren Spree (Siemensstadt), - an der Nordbahn und an der Havel (Reinickendorf, Tegel, Hennigsdorf), - an der oberen Spree (Oberschöneweide, Spindlersfeld). Die bedeutendste Agglomeration der Berliner Elektroindustrie, Siemensstadt, wurde nach 1899 im Westen der Stadt errichtet, auf den „Nonnenwiesen" zwischen Charlottenburg und Spandau, entlang der Spree und der Hamburg-Lehrter Eisenbahn. 1930 arbeiteten rund 75% aller Berliner Beschäftigten der Siemens-Firmen in Siemensstadt. 6 0 Die Standorte der Berliner AEG-Fabriken waren dagegen über das
Martin Pfannschmidt, Die Industrieansiedlung
in Berlin und in der Mark Brandenburg. Die Ent-
wicklung vom Absolutismus bis zur Gegenwart und ihre zukünfiigen Entwicklungsmöglichkeiten,
Stutt-
gart-Berlin 1937, S. 82. 60
C. Sachse, Betriebliche Sozialpolitik...,
S. 268. Zur Geschichte von Siemensstadt vgl. v. a. das
38
I. Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945
Stadtgebiet verteilt. Die AEG gründete während der dritten Randwanderung neue Großbetriebe in Oberschöneweide und Hennigsdorf, hielt aber auch an ihren älteren Standorten im Wedding und in Moabit fest. Weitere Großunternehmen der elektrotechnischen Industrie verlagerten ihre Werke während der dritten Randwanderung in einen Gürtel, der entlang der Ringbahn und des Teltowkanals durch Steglitz, Tempelhof (Lorenz) und Neukölln (Norddeutsche Kabelwerke), den Süden und Südosten des späteren West-Berlin, verlief. 61 Auf dem Gebiet des späteren West-Berlin lag auch das „Exportviertel" in Kreuzberg (Ritterstraße/Oranienstraße), wo überwiegend mittlere und kleine Unternehmen der elektrotechnischen Verbrauchsgüterindustrie vertreten waren. 62 Die bedeutendste regionale Agglomeration von Maschinenbauunternehmen entstand um die Jahrhundertwende entlang den Bahnlinien im Nordwesten und im Norden Berlins. Die Firma Borsig verlegte nach 1898 ihre gesamte Produktion nach Tegel. Um das neue Borsig-Werk entstand das Industrieviertel Borsigwalde mit den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, den Otis Aufzugswerken und anderen wichtigen Unternehmen des Berliner Maschinenbaus. 63 Ein weiteres Zentrum des Maschinenbaus bildete sich mit dem Bau des Teltowkanals in Marienfelde, im Süden Berlins, heraus. 64 Ebenso wie Borsigwalde und Wittenau gehörte Marienfelde nach der Teilung der Stadt zu West-Berlin.
Standardwerk von W. Ribbe/W. Schäche, Die Siemensstadt..., 1945...,
S. 63-67; Siemens und die Siemensstadt,
(Hrsg.), Exerzierfeld der Moderne. Industriekultur
sowie W. Feldenkirchen, Siemens
1918-
in: Jochen Boberg/Tilman Fichter/Eckhart Gillen in Berlin im 19. Jahrhundert (= Industriekultur deut-
scher Städte und Regionen; Berlin, 1), München 1984, S. 148-155. Zur Geschichte einzelner Werke in Siemensstadt vgl. Hans Borchardt/Sigfrid von Weiher, 75 Jahre Kabelwerk Hengsbach, 75 Jahre Wernerwerk in Berlin-Siemensstadt,
in: Jahrbuchßr
Berlin, o. O. 1951; Arne
brandenburgische
Landesge-
schichte, Bd. 32 (1981), S. 125-139. 61
P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie...,
62
Vgl. Rudolf Krause, Die Berliner City. Frühere Entwicklung/Gegenwärtige
Perspektiven,
sengießerei
Ritterstraße,
in:
Stadt..., S. 201-210.
Dorothea Zöbl, Die Randwanderung
Exerzierfeld
Situation/Mögliche
Rer. pol. Diss. FUB, Berlin 1958, S. 34 ff.; Lucie Lobes, Exportviertel
Die unzerstörbare 63
S. 126.
der Moderne...,
der Firma Borsig, in: J. Boberg/T. Fichter/E. Gillen (Hrsg.),
S. 140-147; K. Pierson, Borsig..., S. 136 ff.; Dieter Vorsteher, Borsig. Ei-
und Maschinenbauanstalt
zu Berlin (= Industriekultur. Schriften zur Sozial- und Kulturge-
schichte des Industriezeitalters), Berlin 1983, S. 84 ff.; Zur Entstehung von Borsigwalde, Borsig und Borsigwalde.
Berichte und Bilder von Börsianern und Borsigwaldern
T. 1 u. 2, in:
zum Lesen,
Betrach-
ten und Ergänzen durch eigene Erinnerung, hrsg. vom Museumspädagogischen Dienst Berlin, Berlin 1982, S. 1-7. 64
Schon um die Jahrhundertwende wurde die Fertigung der Motorfahrzeug- und Motorenfabrik Ber-
lin dorthin verlegt, die dann an Daimler-Benz überging. 1907 zog der Werkzeugmaschinenhersteller R. Stock & Co. nach Marienfelde. Während des Ersten Weltkriegs errichtete die Fritz Werner AG dort ihr neues Stammwerk. B. Hofmeister, Berlin..., S. 192; Tempelhof. Lebendige Werkstatt Berlins. Anläßlich des 10jährigen Bestehens der wiederhergestellten demokratischen Selbstverwaltung vom Bezirksamt Tempelhof herausgegeben, Berlin 19561
Die Entwicklung während der Aufrüstung und des Zweiten Weltkrieges
39
Auf dem Gebiet des späteren Ost-Berlin konzentrierten sich die Großbetriebe der metallverarbeitenden Industrie in einem Gürtel entlang der oberen Spree und im Gebiet um das Ostkreuz. In Oberschöneweide (seit 1938 beim Bezirk Köpenick) entstand im Zuge der dritten Randwanderung eine Agglomeration von Großbetrieben. Die AEG nahm hier 1898 das Kabelwerk Oberspree (KWO) in Betrieb. 65 Entlang der Spree wurden Mitte der zwanziger Jahre dann auch die neugegründeten Apparatefabriken Treptow der AEG (später VEB Elektro-Apparate-Werke) angesiedelt.66 Im Gebiet um das Ostkreuz befanden sich die Zentrale und das Werk D der Osram GmbH KG (später VEB Berliner Glühlampenwerk bzw. Kombinat NARVA „Rosa Luxemburg") sowie die Stammwerke der Firmen Siemens-Plania (später VEB Elektrokohle Lichtenberg) und Knorr-Bremse (später VEB Berliner Bremsenwerk).
Die Entwicklung während der Aufrüstung und des Zweiten Weltkrieges (1936-1945) Die Geschichte der Berliner Wirtschaft in der NS-Zeit ist bislang noch nicht systematisch untersucht worden. In den vorliegenden Überblicksdarstellungen finden sich sehr unterschiedliche Bewertungen der regionalwirtschaftlichen Entwicklung. Der These, Berlin hätte in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg „den größten wirtschaftlichen Aufstieg seiner Geschichte" erlebt, 67 steht die Behauptung entgegen, „daß Berlin bei der Industrieplanung sogar schon vor dem Zweiten Welt£0
krieg möglichst gemieden wurde". Nachdem das Produktions- und das Beschäftigungsniveau der Berliner Elektround Metallindustrie in der Weltwirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre auf ein außerordentlich niedriges Niveau abgesunken waren, folgte zwischen 1933 und 1939 ein signifikanter Aufschwung. 69 Während dieser Phase kam es zugleich zu 65
Neben dem KWO wurden eine Akkumulatorenfabrik (AFA) und eine Maschinenfabrik der Niles
Werke, die spätere AEG-Transformatorenfabrik, errichtet. Vgl. 50 Jahre AEG..., S. 124 f. u. 148 f.; Manfred Pohl, Emil Rathenau und die AEG, Berlin-Frankfurt/M. 1988, S. 129; A. Zimm, Die Entwicklung..., S. 96. AEG, Führer durch die Apparatefabriken Treptow, Berlin 1930; Hans Radandt, Die Vorgeschichte der EAW „J.W. Stalin" Berlin-Treptow 1926 bis ¡946, in: JWG, Jg. 1961, T. 1,S. 167 f. 67
Wolfgang Schieder, Staat und Wirtschaft im „Dritten Reich": Der Weg in die Katastrophe, in: Ber-
lin und seine Wirtschaft..., S. 198. Zusammenfassend zur Geschichte Berlins im „Dritten Reich": Christian Engeli/Wolfgang Ribbe, Berlin in der NS-Zeit (1933-1945),
in: W. Ribbe (Hrsg.), Geschichte
Berlins..., Bd. 2, S. 926-1024. Zur Entwicklung in einzelnen Unternehmen und Betrieben der Berliner Elektroindustrie zwischen 1933 und 1945 vgl. W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945...; W. Ribbe/ W. Schäche, Die Siemensstadl..., S. 238-248; H. Radandt, Die Vorgeschichte..., S. 199-219; P. Strunk, Die AEG..., S. 52 ff. 68
H. Runschke, Die Entwicklung..., S. 1590.
69
Die Beschäftigtenzahl nahm während dieses Zeitraums in der Berliner Elektroindustrie um 198%
zu, im Berliner Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbau um 225%. Die Bruttoproduktion erhöhte sich in
40
I. Strukturen und Entwicklungsstand vor 1945
Veränderungen in der industriellen Struktur Berlins. Die Elektroindustrie und der Maschinenbau konnten von der Aufrüstung unter dem NS-Regime profitieren, während der Anteil der Konsumgüterbranchen zurückging. 7 0 Durch die nationalsozialistische Diktatur wurde der Ausbau strategisch wichtiger Unternehmensbereiche in Berlin begünstigt. Mit dem Wirtschaftsdirigismus und dem Rüstungsgeschäft wuchs die Bedeutung der Hauptstadt als Standort von Firmenleitungen. Wichtige Produzenten von Rüstungsgütern wie Rheinmetall-Borsig und die zum QuandtKonzern (Industrie-Werke Karlsruhe) gehörenden Dürener Metallwerke verlegten ihren Sitz nach Berlin. 71 Auch im FuE-Bereich nahm das Gewicht des Standorts Berlin während der Rüstungskonjunktur zu. 7 2 Dagegen blieb die Bedeutung Berlins als Fertigungsstandort seit Mitte der dreißiger Jahre zurück. 73 Aus militärischen und arbeitsmarktpolitischen Überlegungen wurden während des Rüstungsbooms neue Kapazitäten vorrangig an weniger exponierten, dezentral gelegenen Standorten errichtet. Rüstungstechnisch relevante Fertigungen wurden überproportional stark auf dem Gebiet der späteren S B Z / D D R angesiedelt. Der Produktionszuwachs der Investitionsgüterindustrie lag hier zwischen 1936 und 1944 erheblich höher als in Berlin und auch höher als im westlichen Teil Deutschlands. Nach den Angaben von Gleitze und Wagenführ nahm die industrielle Bruttoproduktion auf dem Gebiet der späteren SBZ/DDR zwischen 1936
der Berliner Elektroindustrie zwischen 1933 und 1939 um 267%, im Berliner Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbau sogar um 399% (jeweils in laufenden Preisen). BS, 7. Jg. (1953), Sonderheft 32, S. 45; B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..., S. 171. Zur Entwicklung der Berliner Elektroindustrie in der Weltwirtschaftskrise vgl. P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 191-198. 70 Der Anteil der Investitionsgüterindustrien an der Nettoproduktion in den westlichen Verwaltungsbezirken stieg zwischen 1936 und 1939 von 64,5% auf 70,0%. Vgl. Alfred Kuehn, Produktion und Anlagevermögen der Westberliner Industrie von 1936 bis 1945, in: VzW, Jg. 1958, H. 4, S. 395. In dieser Berechnung sind die Bauindustrie und die Energieerzeugung nicht enthalten. 71
Die Rheinmetall-Borsig AG, die 1936 aus einer Fusion zwischen Rheinmetall und der A. Borsig Maschinenbau AG hervorgegangen war, verlegte den Firmensitz 1938 von Düsseldorf nach Berlin. Rheinmetall Berlin AG, Geschäftsbericht 1959..., Anlage. Zur Dürener Metallwerke AG: Kurt Pritzkoleit, Männer, Mächte, Monopole. Hinter den Türen der westdeutschen Wirtschaft, Düsseldorf 1953, S. 71. 72 In Siemensstadt wurde 1935 unter der Leitung von Gustav Hertz ein weiteres Forschungslaboratorium mit dem Schwerpunkt in der Elektronen- und Atomphysik gegründet. Die Telefunken-Gesellschaft errichtete in Berlin das größte europäische FuE-Zentrum für drahtlose Nachrichtentechnik, F. Trendelenburg, Aus der Geschichte der Forschung..., v. a. S. 68-85; H. Rukop/K. Steimel/H. Rothe, Röhren, Rundfunk und kurze Wellen, in: 50 Jahre Telefünken..., S. 171 ff. Zum Ausbau und zur politisch-militärischen Instrumentalisierung der Industrieforschung bei Siemens nach 1933 vgl. Paul Erker, IndustrieEliten in der NS-Zeit. Anpassungsbereitschaft und Eigeninteresse von Unternehmern in der Rüstungsund Kriegswirtschaft 1936-1945, Passau 1993, S. 52 ff. 73
Nach den von Gleitze veröffentlichten Daten nahm die industrielle Bruttoproduktion in Berlin zwischen 1936 und 1944 lediglich um 31% zu, gegenüber einem Zuwachs von 55% im Reichsdurchschnitt. B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..:, S. 170.
Die Entwicklung
während der Aufrüstung
und des Zweiten Weltkrieges
41
und 1944 um 65-68% zu, in Berlin dagegen lediglich um 31%. Der preisbereinigte Nettoproduktionsindex der Industrie (1936 = 100) lag nach Gleitze in Mitteldeutschland 1944 bei 144,7, in Westdeutschland bei 129,2, in Berlin bei 111,5. Die Nettoproduktion der Investitionsgüterindustrie (einschließlich Baugewerbe) stieg in Mitteldeutschland zwischen 1936 und 1944 sogar um 86%, in Westdeutschland um 62%, in Berlin um44%. 7 4 Das Wachstum des Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbaus lag in Berlin nach der Weltwirtschaftskrise zunächst über dem Reichsdurchschnitt und fiel dann zurück. 75 Der massive Ausbau der Flugzeug- und Flugmotorenindustrie führte allerdings zu hohen Kapazitätszuwächsen im Umland der Stadt (Henschel-Werke/Schönefeld, Arado-Werke/Potsdam, Daimler-Benz Motorenwerk Genshagen). Neue Rüstungsbetriebe des Maschinen- und Fahrzeugbaus wurden auch innerhalb des Stadtgebiets von Berlin errichtet, wie etwa die Altmärkischen Kettenwerke (Alkett) in Ruhleben, ein Tochterunternehmen von Rheinmetall-Borsig, das auf die Produktion von Panzern spezialisiert war. In der elektrotechnischen Industrie beschleunigte die Aufrüstung den Trend zur Deglomeration der Fertigungsstandorte, der sich bereits seit den frühen zwanziger Jahren abgezeichnet hatte. Nach 1936 lag das Wachstum dieser Branche in Berlin unter dem Reichsdurchschnitt. 76 Der Beschäftigtenanteil Berlins innerhalb der deutschen Elektroindustrie, der nach dem Industriezensus von 1936 noch bei 49,8% gelegen hatte, ging bis 1939 auf 43,6% zurück. 77 Die Berliner Elektrokonzerae bauten während der Rüstungskonjunktur vor allem in Thüringen und in Nordbayern neue Betriebe auf, wobei sich betriebswirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und rüstungsstrategische Gesichtspunkte verbanden. 78 Am stärksten waren die SiemensFirmen und die Telefunken-Gesellschaft am Ausbau der mitteldeutschen Elektroin74 Ebda.; L. Baar/R. Karlsch/W. Matschke, Kriegsfolgen und Kriegslasten..., S. 21 f. (nach Berechnungen von Wagenführ für Mitteldeutschland). Zur Entwicklung der mitteldeutschen Industrie während der Aufrüstung und des Zweiten Weltkriegs vgl. Friedrich-Wilhelm Kirchhoff, Impulse aus Mitteldeutschland 1800-1945, Hanau 1992, S. 157-178; Werner Matschke, Die industrielle Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) 1945 bis 1948 (= Wirtschaft und Gesellschaft im geteilten Deutschland, Bd. 2), Berlin 1988, S. 58-68; Wolfgang Mühlfriedel/Klaus Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965 (= Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 25), Berlin 1989, S. 13-32. 75
B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..., S. 171; Der Maschinen- und Fahrzeugbau in Berlin, in: BS, 6. Jg. (1952), H. 6, S. 262; DBW, 16. Jg. (1966), Nr. 23, S. 787. 76 B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..., S. 171; VBEI, Geschäftsbericht 1952, Berlin 1953, S. 32; B. Böttcher, Industrielle Strukturwandlungen..., S. 181 f. 77 Struktur und Strukturveränderungen der elektrotechnischen Industrie 1936-1959, Anlage zum Protokoll der Arbeitsgruppe Elektroindustrie vom 26.10. 1961, BArch, B 1371/578, Tab. 1 u. 4. Militärische und zivile Behörden drängten aus Gründen der militärischen Sicherheit bzw. der Arbeitsbeschaffung auf die Errichtung neuer Produktionsstätten in den dezentral gelegenen Notstandsgebieten Thüringens und Nordbayerns. Den Elektrokonzernen boten diese Regionen aber auch wichtige generelle Standortvorteile. Die Unternehmen konnten hier auf ein großes Reservoir industriell angelern-
42
I. Strukturen und Entwicklungsstand
vor 1945
dustrie beteiligt.79 Der Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens-Stammfirmen, Carl Friedrich von Siemens, trat schon 1934 nachdrücklich für eine stärkere Dezentralisierung der Fertigungsbereiche ein. Einen weiteren Kapazitätsausbau in Siemensstadt lehnte er nicht nur wegen der Gefahr eines möglichen Luftkriegs, sondern auch wegen der zunehmenden Überlastung der Nahverkehrsanbindungen ab. 80 Trotz des Deglomerationstrends blieb Berlin bis Ende 1941 der dominierende Fertigungsstandort der deutschen Elektroindustrie. In militärisch wichtigen Bereichen der Schwachstromtechnik, der Funk- und Elektronenröhrentechnik, wurden die Kapazitäten hier beträchtlich ausgebaut. Telefunken übernahm 1939 für die Röhrenfabrikation das Osram-Werk A in Berlin-Moabit mit rund 7.000 Beschäftigten.81 Die AEG errichtete unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg in Oberschöneweide eine Röhrenfabrik sowie eine Fernmelde- und Apparatefabrik. In den Apparatefabriken Treptow der AEG wurde 1937 die Fertigung von Funkausrüstungen für Flugzeuge und U-Boote aufgenommen.82 Bei der ITT-Tochter C. Lorenz stieg die Zahl der Beschäftigten in Berlin bis 1943 sprunghaft an. 83 Im Bezirk Köpenick errichtete die GEMA 1936 ein Funkgerätewerk, das sich bis Ende 1941 zu einem Großbetrieb mit rund 2.900 Beschäftigten entwickelte.84 Seit Ende 1938 wurden Juden in Berlin wie im gesamten Reichsgebiet zum „Arbeitseinsatz" in verschiedensten Bereichen der Wirtschaft gezwungen. Während des Krieges stieg die Zahl der Zwangsarbeiter in der Berliner Industrie durch „Ost-
ter Arbeitskräfte aus der Textil-, Glas- und Spielwarenindustrie zurückgreifen. Das Lohnniveau war vergleichsweise niedrig. Hinzu kam ein Überangebot an erschlossenen Gewerbeflächen. Durch den Bau der Autobahn Berlin-München entstand zwischen Berlin und Thüringen/Nordbayern eine günstige Verkehrsanbindung. Zu den Standortentscheidungen bei Siemens und Telefunken vgl. W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945..., S. 196 ff.; W. Ribbe/W. Schäche, Die Siemensstadt..., S. 238 ff.; Richard Dobler/ Martin Fürstenberg, Standortentwicklung und aktuelle Standorttendenzen bei Siemens, in: Geographische Rundschau, 41. Jg. (1989), H. 5, S. 276; H. Rukop, Persönlichkeiten und Ereignisse - ein Querschnitt durch 50 Jahre Telefunken-Geschichte, in: 50 Jahre Telefunken..., S. 211. 79 In Arnstadt und Gera entstanden neue Großbetriebe von S&H. Telefunken baute ein Elektronenröhren- und Funkgerätewerk in Erfurt sowie zwei weitere Zweigwerke in Thüringen auf. SSW errichtete ein neues Kabelwerk in Neustadt bei Coburg und ein Werk für Gerätefertigungen in Neustadt/Saale. Die Siemens-Betriebe in Sonneberg, Neuhaus-Schierschnitz und Rudolstadt wurden erweitert. Die C. Lorenz AG gründete 1934 ein Zweigwerk in Mühlhausen/Thüringen. 80 W. Ribbe/W. Schäche, Die Siemensstadt..., S. 238. 81 H. Rukop, Persönlichkeiten und Ereignisse, in: 50 Jahre Telefunken..., S. 211; Berthold Grzywatz, Die AEG-Gliihlampenfabrik/Telefunken-Röhrenfabrik Sickingenstraße 70-71, in: Tiergarten, T. 2:
Moabit..., S. 70 f. 82
H. Radandt, Die Vorgeschichte..., S. 215. Georg Rechel, Fertigungsstätten der C. Lorenz Aktiengesellschaft, in: 75 Jahre Lorenz-, S. 23 f.; 90 Jahre Fortschritt..., S. 26. Zur Rolle der deutschen ITT-Tochterunternehmen Lorenz und SEG in der 83
NS-Rüstungs- und Kriegswirtschaft siehe A. Sampson, Sovereign State..., S. 27-40. 84 Erich Schlemminger, Betriebsgeschichte des Funkwerks Köpenick, T. 2 u. 3, in: Friedenssender, Jg. 1989/90.
Die Entwicklung
während der Aufrüstung
und des Zweiten Weltkrieges
43
arbeiter", Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge rapide an. Bei der AEG waren 1944 etwa 25% der Belegschaft Zwangsarbeiter. In den Berliner S&H- und SSW-Betrieben waren im Dezember 1944 rund 3.800 „Ostarbeiter" und Kriegsgefangene sowie etwa 3.000 KZ-Häftlinge eingesetzt. Parallel zur zunehmenden Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen in Siemensstadt verlagerte Siemens seit Sommer 1942 Fertigungen aus den Berliner Hauptwerken in verschiedene Konzentrationslager, speziell ins KZ Ravensbrück.85
Grafik 3
Beschäftigte der Berliner Elektroindustrie nach Stadtgebieten 1936-1944 (1936 = 100)
•
1936
ü
1939
Bf Mal GroB-Berlln
West-Bertln
1936
100
100
100
1939
155
149
174
Mai 1944
118
113
136
1944
Ost-Berlin
Quelle: VBEI, Geschäftsbericht 1953, S.36; B. Böttcher, Industrielle Strukturwandlungen, S . I I .
Während der ersten Kriegsjahre bauten Siemens und AEG ihre Kapazitäten im gesamten Reich und in den besetzten Gebieten aus. Das Gewicht des Standorts Berlin ging innerhalb der deutschen Elektroindustrie aber erst nach Beginn der massiven Luftangriffe deutlich zurück. Nachdem das Reichsministerium für Rüstung und
85
P. Strunk, Die AEG..., S. 57; W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945..., S. 204 ff. u. S. 681; KarlHeinz Roth, Zwangsarbeit im Siemens-Konzern (1938-1945): Fakten - Kontroversen - Probleme, in: Hermann Kaienburg (Hrsg.), Konzentrationslager und deutsche Wirtschaft 1939-1945, Opladen 1996, S. 149-168. Die Angaben über die Zahl der Ende 1944 in den Berliner Siemens-Betrieben eingesetzten KZ-Häftlinge schwanken zwischen 2.700 und 3.200. Zur Zwangsarbeit bei Osram vgl. Sigrid Jacobeit, Frauen-Zwangsarbeit im faschistischen Deutschland, in: Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter im 20. Jahrhundert (= Industrielle Welt, Bd. 51), Stuttgart 1991, S. 91-104.
44
/. Strukturen und Entwicklungsstand
vor 1945
Kriegsproduktion am 5. Juli 1943 Verlagerungen aus der Berliner Elektroindustrie angeordnet hatte, sank der Beschäftigtenanteil der Stadt in dieser Branche bis zum Frühjahr 1944 auf 33% (1939: 44%). 86 Fast alle großen Unternehmen der Berliner Elektro- und Metallindustrie errichteten kurzfristig Ausweichwerke und Kriegsverlagerungswerkstätten. Bei SSW entfiel im Herbst 1943 erstmals eine Mehrheit der Beschäftigten auf die Betriebe außerhalb Berlins. Ende 1944 verfügten die Siemens-Firmen über fast 400 Kriegsverlagerungswerkstätten. Die Entwicklungsstellen von S&H waren nun auf mehr als 25 Standorte verteilt. 87 Der größte Teil der Ausweichwerke mußte wegen des Frontverlaufs schon vor Kriegsende aufgegeben werden. Die meisten der ehemaligen Verlagerungsstandorte befanden sich ab 1944/45 im sowjetischen Machtbereich. In Thüringen und Sachsen bestanden einige dieser Werke weiter, wie zum Beispiel die AEG-Betriebe in Thalheim und Bautzen. Auf dem Gebiet der Westzonen nahm die Zahl der Ausweichwerke gegen Kriegsende durch Verlagerungen aus dem Osten zu. Nur wenige von ihnen erlangten nach 1945 eine größere Bedeutung. 88 Die Firmenabwanderung aus Berlin, die 1945 einsetzte, knüpfte nur in seltenen Fällen an die Fertigungsverlagerungen während des Zweiten Weltkriegs an. 89 Innerhalb der Berliner Elektroindustrie nahm das Gewicht der östlichen Stadtbezirke, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, seit 1936 zu (vgl. GRAFIK 3). Im Gebiet des späteren West-Berlin stieg die Beschäftigtenzahl der Branche zwischen 1936 und 1939 von rund 112.600 auf 167.800, im Gebiet des späteren Ost-Berlin von 33.900 auf 58.800. Der Beschäftigtenanteil der östlichen Bezirke nahm von 23,1% (1936) auf 25,6% (1939) zu. Im Mai 1944 lag dieser Anteil dann bei 26,6%. 90 Auch die innerstädtische Standortverteilung des Berliner Maschinenbaus
86 Das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion setzte eigens einen „Beauftragten für die Verlagerung der Elektroindustrie" ein. Vgl. auch W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945..., S. 154 f. Zur Beschäftigtenentwicklung: Struktur und Strukturveränderungen der elektrotechnischen Industrie 1936-1959, Anlage zum Protokoll der Arbeitsgruppe Elektroindustrie vom 26. 10. 1961, BArch, B 137 1/578, Tab. 1 u. 4; VBEI, Geschäftsbericht 1953..., S. 36. 87
W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945..., S. 200 f.; W. Ribbe/W. Schäche, Die Siemensstadt..., S. 241-248; Ernst von Siemens, Forschung und Entwicklung in der Siemens & Halske Aktiengesellschaft, Ms. München 1955, S. 2. 88
Zu diesen Ausnahmen gehörten z. B. das Werk der C. Lorenz AG in Landshut, die Siemens-Betriebe in Bruchsal und Speyer und das Telefunken-Röhrenwerk in Ulm, das im Sommer 1944 aus Lodz verlegt worden war. 75 Jahre Lorenz..., S. 26 f.; W. Feldenkirchen, Siemens 1918-1945..., S. 201; OMGUS, Report on AEG..., S. 240, IfZ. 89
Die Firmenverlagerungen nach 1945 erfolgten zumeist in großstädtische Zentren Westdeutschlands oder an Standorte älterer Zweigwerke. Nach wirtschaftlichen Kriterien hatten diese Standorte generell größere Vorteile als die Standorte der Ausweichwerke, die während der letzten Kriegsjahre unter dem Kriterium der militärischen Sicherheit ausgewählt worden waren. Siehe S. 71-80. 90 Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten 127.000 Beschäftigte der Elektroindustrie auf dem Gebiet des späteren West-Berlin, 46.000 auf dem Gebiet des späteren Ost-Berlin. B. Böttcher, Industrielle Struk-
Die Entwicklung während der Aufrüstung und des Zweiten Weltkrieges
45
veränderte sich während der Aufrüstung und des Zweiten Weltkrieges. Hier gewannen sowohl die südwestlichen Bezirke (Tempelhof mit Marienfelde, Neukölln), als auch der Osten Berlins an Gewicht. 91 Die Kriegsschäden lagen in der Metropole Berlin höher als in anderen deutschen Industrieregionen. Auch hier wurden die Verkehrsanlagen und die Wohngebiete durch die Luftangriffe stärker zerstört als die Fabriken. Bei Kriegsende befanden sich in Berlin fast zwei Drittel der industriellen Anlagen in einem betriebsfähigen Zustand, während mehr als die Hälfte des vorhandenen Wohnraums zerstört war. 92 Nach einem Bericht, den die Magistrats Verwaltung 1949 für die amerikanische Militärregierung erstellte, hatte die Produktionskapazität der Berliner Industrie bei Kriegsende noch deutlich über dem Stand von 1936 gelegen. Während der Aufrüstung und des Krieges hatten die Kapazitäten demnach um 30-40% des Stands von 1936 zugenommen. Durch Kriegsschäden waren 10% der Vorkriegskapazität verlorengegangen. 9 3 Diese Schätzung deckt sich mit den von Gleitze veröffentlichten Daten, wonach die Bruttoproduktion der Berliner Industrie zwischen 1936 und 1944 um 31% anstieg (in laufenden Preisen). Die Nettoproduktion (preisbereinigt) lag nach Gleitze 1944 um 11,5% über dem Stand von 1936. 94 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte eine 1958 veröffentlichte Untersuchung des DIW für den Westteil Berlins. Die Nettoproduktion der Industrie (1936 = 100) ging hier zwischen 1943 und dem ersten Halbjahr 1945 von 124 auf 99 zurück, lag damit aber vor Kriegsende immer noch ungefähr auf dem Stand von 1936. Trotz der schweren Luftangriffe übertraf das industrielle Anlagevermögen im Westteil Berlins in den letzten Monaten vor Kriegsende noch den Stand von 1936 (siehe TABELLE 4). 9 5
turwandlungen..., S. 116 u. 132; VBEI, Geschäftsbericht 1952..., S. 32; ders., Geschäftsbericht 1953, Berlin 1954, S. 36. Die in den Geschäftsberichten des VBEI enthaltenen Daten zum Beschäftigtenstand vom Mai 1944 stützen sich auf einen unveröffentlichten Industriezensus. 91
Der Maschinen- und Fahrzeugbau in Berlin, in: BS, 6. Jg. (1952), H. 6, S. 263. In Marienfelde (Bezirk Tempelhof) entstand eine neue Fabrik von Rheinmetall-Borsig. In Marzahn (Bezirk Lichtenberg) wurde 1941 ein neues Werk der Werkzeugmaschinenfabrik Carl Hasse & Wrede GmbH für rund 4.000 Beschäftigte fertiggestellt, das zu den größten und leistungsfähigsten seiner Art in Europa zählte. Nach 1945 gehörte diese Fabrik zur Berliner Werkzeugmaschinenfabrik. F. L. Neher, Fünfzig Jahre Knorr-Bremse..., S. 141 u. 182; Pressenotiz anläßlich des 75jährigen Bestehens der Carl Hasse & Wrede GmbH vom 13. 6. 1962, SenWiTech, Firmenakten (Hasse & Wrede). 92 Hans Dieter Schäfer, Berlin im Zweiten Weltkrieg. Der Untergang der Reichshauptstadt in Augenzeugenberichten, München-Zürich 1985, S. 76; Ch. Engeli, Berlin in der NS-Zeit..., S. 1014; Laurenz Demps, Die Luftangriffe auf Berlin. Ein dokumentarischer Bericht, T. 2, in: Jahrbuch des Märkischen Museums, 8. Jg. (1982), S. 35 ff. 93 Office of Military Government Berlin Sector (OMGBS), Special Report: Berlin Industrial and Unemployment Survey (13. 4. 1949), LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801, S. 11/12. 94 B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..., S. 170 u. 173. 95 Diese Daten widerlegen die Angaben des häufig zitierten Harmssen-Berichts von 1951, wonach das Produktionsniveau der Berliner Industrie bei Kriegsende unter dem Stand von 1936 gelegen hätte.
46
I. Strukturen und Entwicklungsstand
vor 1945
Die Investitionsgüterindustrie hatte während der Aufrüstung auch in Berlin überdurchschnittlich stark expandiert. Die Nettoproduktion der Berliner Investitionsgüterindustrie lag nach Gleitze 1944 um rund 44% über dem Stand von 1936, nach der DIW-Studie im ersten Halbjahr 1945 noch 27% über dem Stand von 1936. 96 Das Anlagevermögen übertraf bei Kriegsende ebenfalls deutlich den Vorkriegsstand ( s i e h e TABELLE 4).
Überdurchschnittlich hohe Kriegsschäden erlitten Industriezweige wie das Druckgewerbe und die Papierverarbeitung, die im Zentrum Berlins konzentriert waren. In der elektrotechnischen Industrie und im Maschinenbau beliefen sich die Kriegsschäden auf höchstens 15-20% der Kapazität von 1936. 97 Durch die Luftangriffe ging hier also nur ein Teil des Kapazitätszuwachses der Jahre 1936-1943 verloren. TABELLE 4
Nettoproduktion
und Anlagevermögen
der Industrie im Westteil Berlins
1936-1945*
(1936 = 100)
1939
1943
1. Hj. 1945
Gesamte Industrie
134
124
99
Produktionsmittelindustrien
145
150
127
Verbrauchsgüterindustrien
113
77
50
Gesamte Industrie
110
116
109
Produktionsmittelindustrien
110
117
112
Verbrauchsgüterindustrien
111
113
102
Nettoproduktion
Anlagevermögen
* Produktionswerte in Preisen von 1938; Anlagevermögen in Neuwerten zu Preisen von 1938. Quelle: A. Kuehn, Produktion und Anlagevermögen..., S. 395 f.
Siehe G. W. Harmssen, Am Abend der Demontage..., S. 25. Im Harmssen-Bericht wurden auch für Westdeutschland die Kapazitätssteigerungen nach 1936 unterschätzt und die Kriegsschäden überbewertet. 96 97
B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..., S. 173. Zur DIW-Studie siehe TABELLE 4.
G. W. Harmssen, Am Abend der Demontage... S. 25, 61 u. 65. Die kapazitätsbezogenen Verluste können nicht mit den Verlusten an Anlage- und Ausrüstungsvermögen gleichgesetzt werden. Dem Bericht Harmssens ist nicht zu entnehmen, auf welches Basisjahr sich diese Schätzungen beziehen. Die Schätzung der Kriegsschäden in der Berliner Elektroindustrie stammt aus einer 1945 vom Magistrat erstellten Schadensliste. Zitiert nach: Hauptamt für Gesamtplanungen - Ref. Wirtschaft C, Die industrielle Produktion, LAB, Rep. 10A, Acc. 410/72. Auch hier wurde kein Basisjahr angegeben.
Die Entwicklung während der Aufrüstung und des Zweiten Weltkrieges
47
Die Substanz der Berliner Industrie wurde durch die Kriegsschäden nicht entscheidend getroffen. Dieser Befund deckt sich mit dem heutigen Kenntnisstand über die Ausgangsbedingungen der Industrie in den Westzonen und in der SBZ. 9 8 Daß die Produktion gegen Kriegsende eingeschränkt werden mußte, war vor allem durch den Zusammenbruch der Transportsysteme und der Rohstofflieferungen b e d i n g t . " Die Ausgangslage der Berliner Industrie war bei Kriegsende sehr viel günstiger als es die Zerstörungen in der Stadt vermuten ließen, die der amerikanische Kommandant Frank Howley den „größten Trümmerhaufen der Welt" nannte. 1 0 0 Auch für die Stellung Berlins als Industriestandort war die Entwicklung während des Zweiten Weltkriegs keine entscheidende Zäsur. Die zentralen Unternehmensverwaltungen waren bis wenige Monate vor Kriegsende in Berlin konzentriert. Ein großer Teil der ausgelagerten Abteilungen und Produktionsbereiche wäre wohl bei einem anderen Verlauf der Nachkriegsgrenzen zurückverlegt worden. Entscheidende Substanzverluste erlitt die Berliner Industrie erst in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
98
W. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte..., S. 20-24; L. Baar/R. Karlsch/W. Matschke, Kriegsfolgen
und Kriegslasten..., S. 29-32. Der Zerstörungsgrad der Industrie lag bei Kriegsende auf dem Gebiet der Westzonen insgesamt etwas höher als auf dem Gebiet der SBZ. Ebda. 99
Am Beispiel der Entwicklung in einzelnen Berliner Großbetrieben belegen dies J. Roesler, Wieder-
aufiau des KWO..., S. 218; H. D. Schäfer, Berlin im Zweiten Weltkrieg..., S. 64. 100
Frank Howley, Berlin Command, New York 1950, S. 8 („the world's biggest heap of rubble").
Berlin hatte unter den deutschen Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern nicht den höchsten Zerstörungsgrad. Nach dem absoluten Umfang der Zerstörungen lag Berlin jedoch als größte Stadt Deutschlands an erster Stelle. Klaus von Beyme, Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten, München-Zürich 1987, S. 38.
ZWEITES KAPITEL
Substanzverluste und Ausgangsbasis in den Jahren 1945-1948/49
Die Demontagen Der Verlauf der Demontagen Nachdem Berlin bei Kriegsende von sowjetischen Truppen erobert worden war, befand sich zunächst das gesamte Stadtgebiet unter sowjetischer Militärverwaltung. Erst im Juli 1945 wurde das Gebiet des späteren West-Berlin gemäß den Bestimmungen des Londoner Protokolls vom 12. September 1944 an die Westmächte übergeben. In den zwei Monaten zwischen Kriegsende und Errichtung der Viermächteverwaltung erlitt die Berliner Industrie erheblich höhere Verluste als während des gesamten Zweiten Weltkrieges. Schon seit den letzten Kriegstagen wurden die Konten der Firmen bei den Berliner Banken auf Befehl des sowjetischen Stadtkommandanten gesperrt. 1 Wenig später begannen dann Demontagen von gewaltigem Umfang, die sich zunächst auf den Westteil der Stadt konzentrierten. Neuerdings ausgewertete Quellen aus russischen Archiven belegen, daß die Demontage der Berliner Elektrokonzerne in Moskau von langer Hand geplant worden war. Die Sowjetunion lag in wichtigen neuen Kriegstechnologien, der Radar-, Raketen- und Atomtechnik, zurück. Stalin glaubte, diesen Rückstand mit der technologischen Beute aus Berlin und hier vor allem aus Siemensstadt rasch aufholen zu können. 2 Die Werke von Siemens und Telefunken, die Forschungslabo1
Der Befehl Nr. 1 des sowjetischen Stadtkommandanten Bersarin vom 2 8 . 4 . 1945 ordnete die
Schließung der Banken und eine Kontensperre an. Am 5. 6 . 1 9 4 5 folgte eine Anordnung des Magistrats, die ausschließlich der Berliner Stadtbank (später Berliner Stadtkontor) die Befugnis zur Ausführung von Kassengeschäften erteilte. Erst nach 1949 konnte in West-Berlin wieder das frühere Bankensystem errichtet werden. Fritz Federau, Das Berliner Bankwesen 1945/1950 (= DIW, Sonderhefte, Neue Folge Nr. 11), Berlin 1951, S. 23 ff.; F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 20 ff.; Carl-Ludwig Holtfrerich, Die Deutsche Bank vom Zweiten Weltkrieg über die Besatzungsherrschaft 1957, in: Lothar Gall u. a„ Die Deutsche Bank 1870-1995, 2
zur Rekonstruktion
1945-
München 1995, S. 438 ff.
Pawel Nikolaewitsch Knyschewskij, Moskaus Beute. Wie Vermögen, Kulturgüter und Intelligenz
Die
49
Demontagen
ratorien der Elektrokonzerne und die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft befanden sich hauptsächlich auf dem Gebiet des späteren West-Berlin. Schon deshalb hatten die Demontagen im Westteil der Stadt für die sowjetische Führung höchste Priorität. Der Befehl zur sofortigen Durchführung umfassender Demontagen im Westteil Berlins, der am 13. Mai 1945 von Volkskommissar Molotow erteilt wurde, diente aber noch einem weiteren Ziel. Molotow, ein enger Vertrauter Stalins, hatte aus Mißtrauen gegenüber den Absichten der Amerikaner und der Briten auf einen „Griff in die Westsektoren Berlins" gedrängt. 3 Vor der Übergabe dieses Gebiets an die Westmächte sollten dort vollendete Tatsachen geschaffen werden. Mit der Durchführung der Demontagen wurde das Sonderkomitee beim Staatskomitee für Verteidigung (GKO) beauftragt. Die Demontagen erfolgten auf der Grundlage des Beuterechts und wurden nicht auf das Reparationskonto angerechnet. Die Demontagen im Westteil Berlins bildeten quasi den Auftakt zur ersten Demontagewelle in der SBZ. 4 Die Entnahmen trafen nicht nur Rüstungsbetriebe, sondern nahezu alle Bereiche der Industrie. In den meisten Großbetrieben der elektrotechnischen Industrie und des Maschinenbaus kam der Abbau einer Totaldemontage sehr nahe. Einen durchaus typischen Fall beschreibt ein Zeitzeugenbericht aus der AEG-Turbinenfabrik im Bezirk Tiergarten: „Wenige Tage später kam eine russische Elitetruppe mit amerikanischen Transportfahrzeugen und besetzte das Werk. Und nun ging die Demontage los: Von der 6-m-Karusselldrehmaschine und anderen Werkzeugmaschinen bis hin zu Lampen und Steckdosen, vom Reißbrett bis zum Bürohocker wurde alles herausgeholt, aufgeladen und abtransportiert. Auf dem Hof wurden sämtliche Akten und Arbeitsunterlagen verbrannt. Der russische Major Lazarenko, der die Demontage leitete, wollte möglichst alles aus
nach 1945 aus Deutschland geraubt wurden, München-Landsberg/Lech 1995, S. 63 ff. („Das russische Comeback von Siemens"). Die Veröffentlichung stützt sich auf Akten aus mehreren Archiven der Russischen Föderation. ^ Konstantin I. Kowal, Rabota v Germanij po sadaniu GKO, in: Nowaja i Nowenschaja 1995/2, S. 102; ders. Sapiski Upolnomoschennogo
Istorija
GKO na Territorij Germanij, in: a.a.O., S. 144.
Kowal war damals der für Wirtschaftsfragen zuständige Stellvertreter des Obersten Chefs der SMAD. Vgl. hierzu auch Rainer Karisch, Die Reparationsleistungen unter besonderer Berücksichtigung
der Elektroindustrie,
der Industrie der SBZ/DDR
in: H. A. Wessel (Hrsg.),
Demontage...,
S. 31 f. 4
Zur sowjetischen Trophäenaktion von 1945 und zur ersten Demontagewelle in der SBZ vgl.
L. Baar/R. Karlsch/W. Matschke, Kriegsfolgen und Kriegslasten..., S. 36 ff.; Rainer Karisch, Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen
der SBZ/DDR 1945-1953, Berlin 1993, S. 55-58; ders., Die Repara-
tionsleistungen der Industrie..., S. 33 ff. Kritische Bewertungen der Demontagen aus der Sicht sowjetischer Zeitzeugen finden sich in: Robert Slusser (Hrsg.), Soviet Economic Policy in Postwar Germany. A Collection of Papers by Former Soviet Officials, New York 1953, S. 20; Gregory Klimow, Berliner Kreml, Köln-Berlin 1952, S. 233 ff.
50
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
der Fabrik herausholen. Komplette Maschinen wurden regelrecht aus den Fundamenten gerissen." 5 Von den Westalliierten wurde der Umfang der sowjetischen Demontagen im Westteil Berlins erst erkannt, nachdem sie im Juli 1945 die Verwaltung dieses Gebiets übernommen hatten. Ein Mitglied der amerikanischen Reparations-Mission, Edwin W. Pauley, schrieb daraufhin in einem Bericht an die Delegation seiner Regierung bei der Potsdamer Konferenz: „Die Auswirkung der Demontagen wird eine völlige Zerstörung der Arbeitsplätze in diesem Gebiet sein. Was wir sahen, muß als organisierter Vandalismus betrachtet werden, der sich nicht gegen Deutschland allein, sondern auch gegen die amerikanische Besatzungsmacht richtet."6 In den folgenden Monaten wurden die sowjetischen Demontagen zunächst in unvermindertem Umfang im Ostteil Berlins fortgesetzt. 7 Im Herbst 1945 begann sich dann ein gemäßigterer Kurs abzuzeichnen. So wurde im AEG-Kabelwerk (KWO) die ursprünglich vorgesehene 80%ige Demontage nicht mehr durchgeführt. 8 Die Kurskorrektur erfolgte vor dem Hintergrund wachsender Kritik leitender Moskauer Behörden und der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) an der Demontagepolitik. 9 Im Laufe des Jahres 1946 ging die Sowjetunion dazu über, die Demontagen weitgehend durch Reparationslieferungen aus der laufenden Produktion abzulösen. 10 Bis 1948 fanden aber weiterhin gezielte Teildemontagen statt. So wurde in der Transformatorenfabrik Oberschöneweide noch 1948 eine wichtige Krananlage abgebaut. 11
5
75 Jahre Turbinenfabrik Berlin, Berlin 1979, S. 35. Zum Ablauf der Demontagen in einzelnen
Berliner Unternehmen vgl. auch Georg Siemens, Der Weg der Elektrotechnik, Bd. 2: Das Zeitalter der Weltkriege 1910-1945,
Freiburg i.Br.-München 1961, S. 354 ff.; K.-H. Loesche/D. Leuthold,
DeTeWe Chronik. Technisch-historische Betrachtungen des Firmengeschehens, Berlin 1970, S. 152; Joachim Nawrocki, Übrig blieben nur acht Bagger, in: Die Zeit, 40. Jg., Nr. 24 vom 7. 6. 1985, S. 31. 6
Berlin. Quellen und Dokumente 1945-1951, hrsg. im Auftrag des Senats von Berlin, bearb. von
Hans J. Reichhardt, Hanns U. Treutier und Albrecht Lampe, 1. Halbbd., Berlin 1964, S. 366 f. (Dok. Nr. 240). 7
In den Apparatefabriken Treptow der AEG begannen die Demontagen am 22.6.1945 und dauer-
ten bis September 1945. LAB(STA), Rep. 401/43, Bl. 1 f. Die Fernmelde- und Apparatefabrik der AEG in Oberschöneweide wurde von Anfang Juli 1945 an demontiert. Schreiben vom 6.7. 1945, a.a.O., Rep. 404/3. 8
J. Roesler, Wiederaufbau des KWO..., S. 218 f. Ein ähnliches Beispiel ist aus der Chemischen In-
dustrie dokumentiert (Schering-Werk Adlershof). 9
R. Karisch, Allein bezahlt?..., S. 64-79.
10
Zu diesem Kurswechsel in der sowjetischen Reparationspolitik siehe a.a.O., S. 46 ff.; Jörg Fisch,
Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1992, S. 104 ff. 11
Die elektrotechnische Industrie in der SBZ..., S. 12. Zur Periodisierung der Demontagen im sowje-
tischen Sektor Berlins und in der SBZ vgl. G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 77 f.; W. Matschke, Die industrielle Entwicklung..., S. 188.
Die
Demontagen
51
Die westlichen Siegermächte führten in Berlin nur vereinzelt Demontageaktionen durch.12 Auf den Demontagelisten, die von den Militärregierungen bekanntgegeben wurden, befanden sich 24 Betriebe der Berliner Westsektoren. Betroffen waren fast ausschließlich Unternehmen des Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbaus. Die meisten dieser Betriebe lagen im französischen Sektor.13 Die vorgesehenen Entnahmen konnten schon deshalb nicht realisiert werden, weil die Betriebe nach den sowjetischen Demontagen vom Frühjahr 1945 nur noch über einen geringen Teil ihrer ursprünglichen Ausrüstungen verfügten.14 Zu größeren Demontageaktionen kam es in einigen ehemaligen Rüstungsbetrieben des britischen Sektors, den Deutschen Industrie-Werken, der Spandauer Stahlindustrie GmbH und dem Alkett-Werk in Ruhleben.15 Unter den westlichen Siegermächten betrieb Frankreich auch in Berlin die entschiedenste Reparationspolitik. Die französische Militärregierung legte 1947 das Borsig-Werk in Tegel still und kündigte eine Zweitdemontage dieses Werks an, wo nach der sowjetischen Demontage vom Frühjahr 1945 der Wiederaufbau begonnen hatte. Trotz massiver Proteste lief die Borsig-Demontage 1948 - noch nach Beginn der Blockade - an. Der Konflikt eskalierte zur Borsig-Affäre. Die Protestwelle, die Auswirkungen der Blockade und die veränderte deutschlandpolitische Konstellation veranlaßten die französische Regierung schließlich, die Borsig-Demontage abzubrechen.16 Nach Gründung der Bundesrepublik verpflichteten sich die USA,
12
Eine Bilanz der Demontagen im Westteil Berlins nach dem 1.7. 1945 enthält der Bericht des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft über die Demontageschäden in Berlin vom 18.6.1958 in: BArch, B 102/171469. 13 Im britischen Sektor war die Spandauer Stahlindustrie GmbH zur Demontage vorgesehen, im amerikanischen Sektor die Fritz Werner AG. Die Demontageliste für den französischen Sektor umfaßte folgende Unternehmen bzw. Betriebe: Rheinmetall Borsig, Dürener Leichtmetallwerke, Laue, Alkett, Gebr. Schaffler, Mauserwerke, Maget, Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG, Argus-Motorenwerke, Gebr. Küster GmbH, F. Piechatzeck, Prometheus GmbH, Becker & Co., Bode-Panzer, Carl Flohr GmbH, Hannemann KG, Rotaprint, Adam Schneider AG, Berliner Maschinenbau AG vorm. Schwartzkopff, Tegeler Maschinenfabrik, Joh. Weiss & Sohn, Zahnradfabrik Friedrichshafen AG. Die Demontagen in Berlin (Bericht des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft vom 18.6.1958), ebda. (Anlage 1 u. S. 15). 14 So z. B. bei der Werkzeugmaschinenfabrik Fritz Werner, die als einziges Unternehmen des amerikanischen Sektors auf der Demontageliste stand. Ebda. (S. 15). 15 Zu den Demontagen in der Spandauer Rüstungsindustrie, wo auch ganze Fabrikhallen abgerissen wurden, vgl. W. Ribbe, Spandau..., S. 136 f. 16
Cyril Büffet, Die Borsig-Affäre 1945-1950. Ein Beispiel der französischen Reparationspolitik, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Jg. 1991, Berlin 1991, S. 243-262; Doro Führe-Beringmeier, Die armen Verwandten der Großen Drei. Französische Besatzungsmacht in Berlin, in: Der Wedding - hart an der Grenze. Weiterleben in Berlin nach dem Kriege, hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt, Berlin 1987, S. 105 f. Die Borsig-Demontage wurde in Berlin vor allem dem französischen Stadtkommandanten Jean Ganeval angelastet. Auch amerikanische, britische und französische Gewerkschaften kritisierten diese Demontageaktion. Vermerk vom 24. 10. 1949, BArch, B 137/3208.
52
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
Großbritannien und Frankreich im Petersberger Abkommen vom 22. November 1949, auf Demontagen in West-Berlin zu verzichten.17
Der Umfang der Schäden und die Folgen in beiden Teilen Berlins Weder die bei Kriegsende vorhandenen Kapazitäten der Berliner Industrie noch der Umfang der Demontagen von 1945 konnten damals statistisch erfaßt werden. Bis zur Teilung der Stadt war die Behandlung der Demontageschäden auch in den Westsektoren politisch nicht opportun.18 Später erstellte Schadensbilanzen und qualifizierte Schätzungen finden sich in folgenden Berichten: - OMGBS-Bericht (April 1949). 19 -Thalheim-Bericht/Magistrats-Denkschrift (Oktober 1949). 20 - Harmssen-Bericht (1951). 21 - Bericht des Bundesamts für gewerbliche Wirtschaft (BAW) (1958). 22 - DIW-Siudie (1958). 23
17
Das Petersberger Abkommen, in: Horst Lademacher/Walter Mühlhausen (Hrsg.), Sicherheit, Kon-
trolle, Souveränität. Das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949. Eine Dokumentation, Melsungen 1985, S. 90. Im Bundesgebiet wurden die Demontagen erst Ende 1950, mit dem Abschluß der Demontage in den Reichswerken Salzgitter, endgültig eingestellt. Wilhelm Treue, Die Demontagepolitik der Westmächte nach dem Zweiten Weltkrieg. Unter besonderer Berücksichtigung ihrer Wirkung auf die Wirtschaft in Niedersachsen, Hannover 1967, S. 88. 18
Schreiben von Wirtschaftssenator Hertz an den Bundesminister der Finanzen vom 29. 6.1957,
BArch, B 102/171469. 19
Der Bericht enthält statistische Materialien, die aufgrund von Angaben der Magistratsverwaltung
zusammengestellt wurden. Office of Military Government Berlin Sector (OMGBS), Special Report: Berlin Industrial and Unemployment Survey (= Weekly Intelligence Report, Nr. 31), 13.4.1949, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801 (im folgenden nur: OMGBS, Special Report). 20
Im Auftrag des Magistrats erstellte Karl C. Thalheim im Herbst 1949 eine erste umfassende Scha-
densbilanz für die Westsektoren. Sein Bericht stützte sich auf Angaben der Betriebe. Die Ergebnisse wurden in einer Denkschrift des Magistrats vom Oktober 1949 zusammengefaßt. Karl C. Thalheim, Die Kriegszerstörungen und Demontagen in West-Berlin, BArch, B 102/171469; „Umfang des erlittenen Schadens, hervorgerufen durch Demontage und Zerstörung" (Memorandum des Magistrats), LAB, Rep. 10, Acc. 4253/200; Vermerk des BAW vom 30.6. 1958, Anlage zum Bericht „Die Demontagen in Berlin" vom 18.6. 1958, BArch, B 102/171469. 21
Der Bericht des Bremer Wirtschaftssenators Gustav W. Harmssen war lange Zeit die am häufig-
sten zitierte Untersuchung zu den Demontageschäden im Nachkriegsdeutschland. Für West-Berlin stützt sich dieser Bericht nach Angaben von Thalheim auf die von ihm im Herbst 1949 durchgeführte Erhebung (siehe Anm. 20). G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 59-76; Vermerk des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi), Abt. IV A 6, über ein Gespräch mit Thalheim vom 22. 1. 1953, BArch, B 102/ 171469. 22
Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Kriegsfolgenschlußgesetzes entstand ein vertrau-
licher Bericht des BAW, der branchenbezogene Angaben über die Höhe der Demontageschäden in bei-
Die
Demontagen
53
D i e ersten A n g a b e n über die H ö h e der D e m o n t a g e s c h ä d e n im Westteil Berlins beruhten auf sehr groben Schätzungen, die sich später als überhöht e r w i e s e n . 2 4 D i e frühen Berichte standen unter d e m Eindruck des äußeren B i l d e s w e i t e s t g e h e n d e r Zerstörung, das e i n e große amerikanische Zeitung i m Juli 1945 wiedergab: „ D a s P r o b l e m der deutschen Nachkriegsindustrie hat sich für Berlin gelöst: E s gibt dort k e i n e Industrie mehr." 2 5 D a g e g e n basiert der Thalheim-Bericht v o n 1949 auf einer in West-Berlin durchgeführten Erhebung. Thalheims D a t e n wurden i m Harmssen-Bericht übernommen. B e i d e Berichte w e i s e n s c h w e r w i e g e n d e m e t h o d i s c h e M ä n g e l a u f . 2 6 D i e darin enthaltenen A n g a b e n über die D e m o n t a g e s c h ä d e n i m Westteil Berlins werden d e n n o c h durch den B A W - B e r i c h t und die D I W - S t u d i e v o n 1 9 5 8 w e i t g e h e n d bestätigt. Ü b e r e i n s t i m m e n d k a m e n d i e genannten Untersuchungen zu d e m B e f u n d , daß i m G e b i e t des späteren W e s t - B e r 1 i n über 6 0 % der bei K r i e g s e n d e vorhandenen Industriekapazität demontiert worden waren. B e i m A n l a g e v e r m ö g e n war die Verlustquote geringer, da die G e b ä u d e mit w e n i g e n A u s n a h m e n v o n den D e m o n t a g e n verschont
den Teilen Berlins enthält. Bericht „Die Demontagen in Berlin" vom 18. 6. 1958, BArch, B 102/ 171469. Der BAW-Bericht stützte sich auf Materialien aus der Deutschen Verwaltung für Statistik (später SZS) in Ost-Berlin, die nach West-Berlin gelangt waren. Die Verfasser gehörten zum Mitarbeiterkreis von Bruno Gleitze. Bis Ende 1948 hatte Gleitze die Deutsche Verwaltung für Statistik geleitet. Dann siedelte er nach West-Berlin um und war am DIW tätig. Vermerk vom 30. 6. 1958, BArch, B 102/ 171469. 23 Unmittelbar nach Vorlage des BAW-Berichts wurde das DIW vom Senator für Wirtschaft und Kredit beauftragt, sämtliche Veröffentlichungen und Ausarbeitungen über die Demontagen in West-Berlin zu überprüfen. Das DIW legte schließlich eigene Berechnungen vor, in denen die Entwicklung des Anlagevermögens durch Ermittlung des Kapitalkoeffizienten aus der Produktionsentwicklung abgeleitet wurde. Die Demontagen in West-Berlin Mitte 1945 (S. 5-7), ebda.; A. Kuehn, Produktion..., S. 393398. 24 In einem Bericht vor der Stadtverordnetenversammlung gab Bürgermeister Friedensburg am 20. 6. 1947 die Demontageschäden im Maschinenbau mit 94% und im Werkzeugmaschinenbau mit 99% an, bezogen wohl auf die Kapazität von 1936. Berlin. Quellen und Dokumente 1945-1951...,
1. Halbbd., S. 372 (Dok. Nr. 243). Das DIW schätzte im September 1949 die Demontageschäden in West-Berlin (ohne Dienstleistungsgewerbe) auf einen Gesamtwert von 2,4 - 2,9 Mrd. RM. Ende der fünfziger Jahre wurde diese Schätzung auf 1,05 Mrd. RM nach unten korrigiert. Vermerk vom 22. 1.1959, BArch, B 102/171469. Eine Überhöhung der Demontageschäden läßt sich auch für den OMGBS-Bericht vom April 1949 nachweisen (siehe TABELLE 5). 25 26
Zitiert nach K. C. Thalheim, Berlins wirtschaftliche Entwicklung..., S. 767.
1. In beiden Berichten wurde der Kapazitätszuwachs zwischen 1936 und April 1945 unterbewertet. 2. Die Daten beziehen sich auf Produktionswerte und erlauben daher keine unmittelbaren Aussagen über den Wert der entnommenen Ausrüstungen. Die Produktion konnte z. B. durch die Entnahme weniger entscheidender Werkzeugmaschinen stark absinken. 3. Die Erhebung Thalheims, von der auch der Harmssen-Bericht ausgeht, stützte sich auf Mitteilungen betroffener Betriebe. Im Hinblick auf zu erwartende Schadensersatzregelungen dürften die Unternehmen eher zu einer Überbewertung der Demontageschäden tendiert haben.
54
IL Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
blieben (siehe T A B E L L E 5). Die Gesamtzahl der innerhalb des gesamten Stadtgebiets von Berlin demontierten Betriebe lag nach einer Schätzung des Magistrats nicht unter 600. 27 Seit den Untersuchungen von Thalheim und Harmssen ging die Forschung davon aus, daß die Demontageschäden auf dem Gebiet des späteren 0 s t - B e r 1 i n nur etwa halb so hoch gelegen hätten wie im Westteil der Stadt. Anders als für WestBerlin stützten sich diese Berechnungen in bezug auf Ost-Berlin jedoch nicht auf eine Erhebung. Die Schätzungen von Harmssen und Thalheim für den Ostteil Berlins gingen lediglich von der Vermutung aus, daß die Demontagen dort wegen der schwächeren Präsenz der Investitionsgüterindustrie und des sowjetischen Interesses an Reparationslieferungen aus der laufenden Produktion weniger rigoros durchgeführt worden wären als in den westlichen Bezirken, die von der UdSSR an die Westalliierten übergeben werden mußten. 28 Ein ganz anderes Bild ergibt sich aus bislang unveröffentlichten statistischen Materialien, die im Rahmen dieser Untersuchung erstmals ausgewertet werden konnten. Nach den im BAW-Bericht enthaltenen Daten lagen die Demontageschäden im Ostteil Berlins sogar noch höher als im Westteil. Der Bericht stützt sich auf Berechnungen für 27 Branchen und Produktionszweige, die aus der Deutschen Verwaltung für Statistik in Ost-Berlin stammten. 29 Zu einem in der Tendenz ähnlichen Befund gelangte bereits der OMGBS-Bericht von 1949. Auch Schadensbilanzen für einzelne Großbetriebe des Ostsektors belegen, daß die Kapazitätsverluste hier keineswegs geringer waren als in entsprechenden Großbetrieben der Westsektoren (siehe T A B E L L E 7 ) . Die Demontageschäden der Investitionsgüterindustrie lagen in Ost-Berlin somit keineswegs niedriger als in West-Berlin. Die Gesamtbilanz fällt aber aus strukturellen Gründen für Ost-Berlin günstiger aus als für West-Berlin, da im Ostteil der Stadt die Verbrauchsgüterindustrie stärkeres Gewicht hatte. Dieser Bereich, der in den ausgewerteten Berichten unterrepräsentiert ist, hatte generell eine geringere Demontagequote als die Investitionsgüterindustrie.
27
Die Demontagen und Reparationslieferungen des Berliner Sowjetsektors, LAB, Rep. 10A, Acc. 512/175H. Der 1951 veröffentlichte Harmssen-Bericht gab die Zahl der in Berlin demontierten Betriebe mit 460 an. G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 59. 28
G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 25; K. C. Thalheim, Berlins wirtschaftliche Entwicklung..., S. 766. Ähnlich argumentiert J. Roesler, Wiederaußau der Berliner Industrie..., S. 503. 29 Siehe TABELLE 6 u. Anm. 22 dieses Kapitels.
Die Demontagen
55
TABELLE 5
Demontageschäden in der Industrie West-Berlins und Ost-Berlins BAW (1958)
DIW (1958)
in v. H. des Anlagevermögens vom April 1945
47*
54
in v. H. des Ausrüstungs vermögens vom April 1945
63*
61
OMGBS (1949) WestBerlin
67
in v. H. der Produktionskapazität vom April 1945 in v. H. der Produktionskapazität von 1936 OstBerlin
80
in v. H. des Anlagevermögens vom April 1945
62**
in v. H. des Ausrüstungsvermögens vom April 1945
86** 33
in v. H. der Produktionskapazität vom April 1945 in v. H. der Produktionskapazität von 1936
* 35 Branchen/Produktionszweige +
Harmssen (1951)
90 +
** 27 Branchen/Produktionszweige
Kernindustrien („main industries")
Quellen: OMGBS, Special Report: Berlin Industrial and Unemployment Survey, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/ 801; G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 25; Die Demontagen in Berlin, Anl. 3, BArch, B 102/171469; Die Demontagen in West-Berlin Mitte 1945, S. 2 f. u. S. 6-8, a.a.O.; A. Kuehn, Produktion..., S. 396 ff.
Unter den einzelnen Industriezweigen erlitten der Maschinenbau und die elektrotechnische Industrie in allen vier Sektoren Berlins die höchsten Demontageschäden. Für den Maschinenbau stellte der Thalheim-Bericht zusammenfassend fest, daß auf dem Gebiet des späteren West-Berlin „kaum ein irgendwie nennenswerter Betrieb" von Demontagen verschont geblieben sei. Nach der von Thalheim durchgeführten Erhebung ging die maschinelle Kapazität durch Kriegsschäden und Demontagen auf 9 - 1 0 % des Stands von 1936 zurück. Für die wichtigsten Unternehmen wurden die Demontageschäden auf 95-100% der Vorkriegskapazität von 1936 geschätzt. 30 30
K. C. Thalheim, Kriegszerstörungen und Demontagen in West-Berlin, S. 3, BArch, B 102/171469.
Vgl. auch G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 61.
II. Substanzverluste
56
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
Nach dem BAW-Bericht, der sich auf die Basis vom April 1945 bezieht, wurden in den wichtigsten Produktionszweigen des West-Berliner Maschinenbaus durchschnittlich rund 70% der vorhandenen Ausrüstungen demontiert (berechnet nach TABELLE 6). Nach Thalheim und Harmssen blieben in den 12 führenden Betrieben des gesamten Berliner Werkzeugmaschinenbaus von ehemals 25.000 Werkzeugmaschinen nur 88 in funktionsfähigem Zustand zurück. 31 In der elektrotechnischen Industrie lagen die Verluste ähnlich hoch wie im Maschinenbau. Thalheim und Harmssen bezifferten die Produktionskapazität dieser Branche nach Abschluß der Demontagen im Westteil Berlins auf 15% des Stands von 1936. 32 Im BAW-Bericht wurden die Demontageschäden für die Elektro- und Kabelindustrie mit 77,8%, für den Elektro-Maschinenbau mit 85,7% der bei Kriegsende vorhandenen Ausrüstungen angegeben (siehe TABELLE 6). Beide Branchen verloren somit im Westteil Berlins durch die Demontagen 70-80% der bei Kriegsende vorhandenen Ausrüstungen. In Ost-Berlin lagen die Demontageschäden des Maschinenbaus kaum niedriger als in West-Berlin. 33 Nach dem BAW-Bericht ergeben sich für die wichtigsten Fachzweige des Ost-Berliner Maschinenbaus durchschnittlich Demontageverluste in Höhe von rund 85% der Ausrüstungen und rund 60% des Anlagevermögens. Noch höhere Verluste erlitt nach dieser Bilanz die Elektroindustrie des Ostsektors. Die „Elektro- und Kabelindustrie" gehörte zu den am härtesten getroffenen Zweigen der Ost-Berliner Industrie (siehe TABELLE 6). Angaben für einzelne Großbetriebe der Elektroindustrie und des Maschinenbaus im sowjetischen Sektor bestätigen, daß die Demontageschäden hier außerordentlich hoch lagen (siehe TABELLE 7). In den Apparatefabriken Treptow (AT) der AEG (später EAW) wurde der bei Kriegsende vorhandene Maschinenbestand zu rund 95% demontiert. 34 In der AEG-Transformatorenfabrik wurden rund 90% der Kapazitäten vom April 1945 abgebaut, in den Bergmann-Elektricitäts-Werken lag dieser Anteil noch höher. 35
31
G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 61; K. C. Thalheim, Kriegszerstörungen und Demontagen in
West-Berlin, BArch, B 102/171469. 32
G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 62.
33
Darauf wies bereits eine 1950 veröffentlichte Untersuchung des Bonner Instituts für Raumfor-
schung hin. Maschinen- und Apparatebau 34
in der SBZ..., S. 6.
Die Werksleitung teilte später der sowjetischen Kommandantur mit, daß von den „vor dem Rus-
seneinmarsch im AT noch vorhandenen 1675 betriebsfähigen Fertigungsmaschinen und Fertigungseinrichtungen ... alle bis auf 50 betriebsfähige Einheiten" demontiert worden waren. Angaben für die Zentral-Kommandantur vom 2 4 . 1 . 1 9 4 7 , LAB(STA), Rep. 401/58, Bl. 5. Der Harmssen-Bericht ging dagegen von einer Teildemontage in den Apparatefabriken Treptow aus. G. W. Harmssen, Am
Abend...,
S. 75. 35
Vermerk betr. Produktionserhöhung des TRO, LAB(STA), Rep. 411/289; R. Karisch, Die
tionsleistungen...,
S. 7.
Repara-
Die Demontagen
57
TABELLE 6
Demontageschäden in der Industrie West-Berlins und Ost-Berlins nach Branchen und Produktionszweigen+
Branche/Produktionszweig
in v. H. des Ausrüstungsvermögens*
in v. H. des Anlagevermögens**
WestBerlin
OstBerlin
WestBerlin
OstBerlin
Leichtmetall-Halbzeugindustrie
98,6
97,3
77,8
80,5
Nichteisenmetall-Industrie
54,8
85,7
34,9
58,6
Flugmotoren, Flugzeugbau
98,7
91,7
80,4
68,2
Büromaschinenindustrie
58,5
50,9
Optische Industrie
51,4
42,5
Feinmechanische und Uhrenindustrie
70,2
Musikinstrumentenindustrie
38,9
Papier- und Druckmaschinenindustrie
33,8
95,8
24,6
66,1
Textilmaschinenindustrie
61,0
61,8
47,1
49,3
Holzbearbeitungsmaschinenindustrie
35,5
Baumaschinenindustrie
37,0
Stahlbau
40,8
Pharmazeutische Industrie
54,6
56,8
40,4
50,0
Photochemische Industrie
60,3
59,2
49,4
49,0
Farben- und Lackindustrie
34,9
50,0
26,7
38,9
Kautschuk- und Asbest-Industrie
17,2
Schokoladen- und Zuckerwarenindustrie
34,4
95,5
27,0
73,3
Druckereigewerbe
22,5
56,8
20,7
40,0
Kunstfaserindustrie
89,5
88,1
75,0
76,8
Schuhindustrie
51,2
55,2
31,6
27,2 93,3
32,3
62,5
28,0
11,7
85,2
Spinnerei- und Weberei-Industrie Strickerei- und Wirkerei-Industrie
91,4
61,2
50,0
40,0
6,7
6,2
58
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis
1945-1948/49
in v. H. des Ausrüstungsvermögens*
Branche/Produktionszweig
in v. H. des Anlagevermögens**
WestBerlin
OstBerlin
WestBerlin
OstBerlin
Nahrungsmittelmaschinenindustrie
62,4
74,4
44.0
51,7
Druckluft- und Pumpenindustrie
62,8
88,6
48,8
68,8
Armaturenindustrie
70,0
76,2
53,9
56,3
Kraftmaschinen- und Lokomotivbau
79,0
89,0
48,4
47,6
Draht- und Schraubenindustrie
58,3
88,3
40,2
59,7
Hebezeuge- und Fördermittelindustrie
80,9
Werkzeugmaschinenindustrie
82,2
89,6
65,5
63,6
Metallwarenindustrie
54,1
96,2
38,7
63,3
Elektro- und Kabelindustrie
77,8
95,1
46,9
65,4
Elektromaschinenbau
85,7
89,1
59,0
61,5
Kunststoffindustrie
46,9
70,0
30,8
45,8
Sonstige chemische Industrie
57,6
48,4
37,5
30,0
Sonstige chemotechnische Industrie
53,0
48,1
34,1
30,0
Kraftfahrzeugindustrie
95,0
95,4
90,2
78,7
Durchschnittswert
62,9
86,2
47,4
62,3
43,3
+ bezogen auf den Stand vom April 1945, berechnet nach technischem Neuwert in Preisen von 1938 * Maschinen, Fahrzeuge, Einrichtungen ** Ausrüstungen, Lagerbestände, Gebäude, Grundstücke Quelle: Die Demontagen in Berlin (BAW-Bericht), Anl. 3 u. 4, BArch, B 102/171469.
Im Maschinen- und Fahrzeugbau wurden die Ausrüstungen der Deutschen Niles Werke und des Knorr-Bremsenwerks in Rummelsburg komplett demontiert. 3 6 Im Siemens-Plania-Werk in Lichtenberg lag die Demontagequote bei 7 0 - 8 0 % . 3 7 Einen 36
Die Demontagen und Reparationslieferungen des Berliner Sowjetsektors, LAB, Rep. 10A,
Acc. 512/175H, Anlage I; G. W. Harmssen, Am Abend..., S. 75. 37
Nach einer Totaldemontage wurden dem Siemens-Plania-Werk im Frühjahr 1946 20-30% der ab-
gebauten Maschinen überlassen. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV 2/6.02/52, Bl. 448; Dörte Wiezorrek, Die Entwicklung schichtliche
der Siemens-Plania
AG für Kohlefabrikate
(1928-1953).
Untersuchung, Diplomarbeit HUB, Ms. Berlin 1995, S. 61.
Eine
unternehmensge-
Die Demontagen
59
Sonderfall bildete das KWO. Das AEG-Kabelwerk behielt als einziger Großbetrieb der Berliner Elektro- und Metallindustrie über die Kriegsschäden und die Demontagen hinaus mehr als 50% seiner Ausrüstungen. 38 Im Durchschnitt lag die Demontagequote von Großbetrieben der Elektro- und Metallindustrie im sowjetischen Sektor Berlins kaum niedriger als in den Westsektoren (siehe TABELLE 7). Sowohl in der elektrotechnischen Industrie als auch im Maschinenbau erreichten die Demontageschäden im Ostteil Berlins ein ähnlich hohes Niveau wie im Westteil. In beiden Stadthälften wurden rund drei Viertel der bei Kriegsende vorhandenen Ausrüstungen dieser Branchen demontiert. Aus den Schadensbilanzen kann nicht direkt auf die Restkapazitäten geschlossen werden, die für den Wiederaufbau zur Verfügung standen. Ebenso wie in der SBZ war die Ausgangsbasis für den Wiederaufbau in Berlin günstiger als es die Schadensbilanzen zeigen. Viele Berliner Betriebe konnten während des Krieges ausgelagerte Maschinen zurückholen. In den Westsektoren wie im sowjetischen Sektor wurde zumindest ein Teil des demontierten Maschinenparks rasch durch behelfsmäßige Lösungen ersetzt. Dabei konnte zum Beispiel auf ausrangierte Maschinen zurückgegriffen werden, die in den Schadensbilanzen nicht enthalten waren. Beschädigte „Trümmermaschinen" wurden geborgen und instandgesetzt. 39 In einigen Fällen gelangten bereits ausgelagerte Demontagegüter zurück. 4 0 Nicht selten tauchten demontierte Maschinen in anderen Betrieben wieder auf. Im Ostteil Berlins konnten Demontagegüter aus dem Westteil der Stadt verwendet werden, die hier liegengeblieben waren. Modellrechnungen, die von Produktionszahlen ausgehen, weisen daher in der Regel geringere Verluste aus als Schätzungen, die auf Schadenslisten beruhen. 4 1 38
Das KWO diente zunächst als Zwischenlager für Demontagegut aus dem Westteil der Stadt. Der
Abbau begann hier erst im September 1945. Zu diesem Zeitpunkt deutete sich bereits eine Modifizierung der sowjetischen Demontagestrategie an. Auf die ursprünglich vorgesehene 80%ige Demontage des KWO wurde verzichtet. J. Roesler, Wiederauflau des KWO..., S. 218 f. Nach Angaben des späteren Treuhänders verlor das Werk durch Kriegsschäden und Demontagen 1.800 von ursprünglich 3.800 Maschinen (= 47%). Bericht über das Kabelwerk Oberspree vom 12.3.1946, LAB(STA), Rep. 800/300/III. Geht man bei den Kriegsschäden vom Durchschnittswert der Berliner Elektroindustrie aus (15% der vorhandenen Kapazitäten), dann ergibt sich eine Demontagequote von 32%. Nach Roesler wurden im KWO 22% der bei Kriegsende vorhandenen technischen Ausrüstungen (= 18% des Stands von 1942/ 43) demontiert. Weitere 18% des Stands von 1942/43 waren demnach durch Kriegsschäden zerstört worden. J. Roesler, Wiederauflau des KWO..., S. 249 (Tab. 4). 39
Siehe hierzu S. 87 f.
40
Vermerk vom 23.12. 1945, LAB(STA), Rep. 411/2 (zur AEG-Transformatorenfabrik). Das Sie-
mens-Plania-Werk erhielt nach einer Totaldemontage 20-30% der entnommenen Ausrüstungen zurück. Siehe Anm. 37. 41
In der ostdeutschen Industrie wurden nach internen Schadensbilanzen der SBZ-Zentralverwaltun-
gen 43-52% der bei Kriegsende vorhandenen Ausrüstungen demontiert. Die neuere Untersuchung von Baar, Karisch und Matschke stutzt sich dagegen auf eine aggregierte Rückrechnung, die vom Produktionsniveau des Jahres 1948 ausgeht. Demnach wurden in der Industrie der SBZ rund 30% der bei
/ / . Substanzverluste
60
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
TABELLE 7
Demontageschäden
in Berliner
Anteil der demontierten
Branche West-Berlin
Ost-Berlin
Großbetrieben
Maschinen in v. H.
Betrieb
Demontagequote
E
S&H/SSW
98/85
E
AEG/Telefunken
92/100
E
Osram
90
E
C. Lorenz AG
73
M
Borsig
100
M
BMAG
80-100
M
Fritz Werner/Ludwig Loewe
E
AEG-Apparatefabriken (AT/EAW)
95
E
AEG-Transformatorenfabrik
90
E
AEG-Kabelwerk (KWO)
E
Bergmann-Elektrizitäts-Werke
97
E
Siemens-Plania
70
M
Deutsche Niles Werke
M
Knorr-Bremse
95-100/100
22-32
100 90
E = Elektroindustrie M = Maschinenbau (mit Stahlbau und Fahrzeugbau) Quellen: WieAnm. 41-45 (Ost-Berlin); W. Feldenkirchen, Siemens..., S. 563 (Elektroindustrie WestBerlin); K. C. Thalheim, Kriegsschäden und Demontagen in West-Berlin, Anl. 1, BArch, B 102/171469 (Maschinenbau West-Berlin). D i e D e m o n t a g e q u o t e der Elektroindustrie und des Maschinenbaus war in b e i d e n Teilen Berlins insgesamt e b e n s o hoch oder sogar noch höher als in der S B Z . 4 2 Im
Kriegsende vorhandenen Kapazität demontiert. L. Baar/R. Karlsch/W. Matschke, Kriegsfolgen und Kriegslasten..., S. 49. Zu den obengenannten Schadensbilanzen: a.a.O., S. 48 f.; W. Matschke, Die industrielle Entwicklung..., S. 195; Franz Rupp, Die Reparationsleistungen der SBZ, Bonn 1951, S. 34 f. 42
Neuere Schätzungen gehen davon aus, daß die elektrotechnische Industrie der SBZ durch die Demontagen etwa 75% ihrer Kapazitäten des Jahres 1944 verlor. R. Karisch, Die Reparationsleistungen..., S. 50. Nach einer internen Statistik der Deutschen Zentralverwaltung für Industrie vom 2. 9.1946 lag die Demontagequote im Maschinenbau bei 53%, in der Elektroindustrie bei 60%. Ders., Allein bezahlt?..., S. 282.
61
Die Demontagen
Vergleich mit den Westzonen verschlechterten sich die Ausgangsbedingungen in Berlin wie in der SBZ durch die sowjetischen Demontagen drastisch. In den Westzonen verlor die Elektroindustrie nur ca. 3% der Kapazitäten von 1936 durch Demontagen, der Maschinenbau ca. 10%.43 In der gesamten westdeutschen Industrie lag die Demontagequote bei 3-5%.44 Nach Thalheim und Harmssen wurden allein in 20 Großbetrieben auf dem Gebiet des späteren West-Berlin mehr Maschinen demontiert als in der gesamten französischen Besatzungszone.45 Die hohen Demontageschäden hatten gravierende Folgen für den Wiederaufbau der Berliner Industrie. Die Produktivität lag hier während der ersten Nachkriegsjahre auch im Vergleich zu den vier Besatzungszonen auf einem außerordentlich niedrigen Niveau. Gegenüber der westdeutschen Industrie, die über einen weitgehend intakten Kapitalstock verfügte, fielen die Berliner Betriebe durch die Demontageschäden signifikant zurück. Die Berliner Industrie hatte nun im Vergleich mit den Westzonen einen höheren Lohnkostenanteil, häufigere Produktionsausfälle und entsprechend höhere Produktionskosten. Nach Angaben des DIW lag die durchschnittliche Arbeitsproduktivität der Industrie in Berlin im Frühjahr 1948 um rund 25% niedriger als in den Westzonen.46 Der Produktivitätsrückstand am Ende der vierziger Jahre resultierte allerdings nicht nur aus der absoluten Höhe der Kapazitätsverluste in Berlin. Entscheidender war noch, daß die Industrie hier während der ersten Nachkriegsjahre weder in den Westsektoren noch im Ostsektor in der Lage war, die Demontageschäden zu einer Modernisierung des Produktionsapparats zu nutzen, wie dies in Westdeutschland geschah.47 Den Unternehmen in den Westsektoren fehlte das für eine wirksame Erneuerung des Produktionsapparats notwendige Kapital. Hier bestanden noch keine Finanzierungsmärkte. Die Firmenkonten waren bei Kriegsende von der SMAD beschlagnahmt worden („finanzielle Demontage") und fielen dann unter die Enteignungen. 48 In einer günstigeren Lage befanden sich lediglich Firmen, die über Werke
43
G. W. Harmssen, Am Abend...,
S. 26. Speziell zu den Demontagen im westdeutschen Maschi-
nenbau: a.a.O., S. 3 7 - 4 4 . Verluste erlitt hier vor allem der schwere Werkzeugmaschinenbau. Siehe S. 385. 44
W. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte...,
S. 26; G. W. Harmssen, Am Abend...,
S. 26. Zur Repara-
tionsproblematik in Westdeutschland nach 1945 vgl. die neuere Zusammenfassung in: J. Fisch, Reparationen..., S. 2 0 3 - 2 1 9 sowie die dort angegebene Literatur. 45
K. C. Thalheim, Berlins wirtschaftliche
Entwicklung...,
S. 766; G. W. Harmssen, Am
Abend...,
S. 59 f. 46
Franz Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade, Berlin-München 1949, S. 38.
47
Vgl. J. Fisch, Reparationen...,
ling, Demontagepolitik
S. 264; W. Treue, Die Demontagepolitik...,
und Wiederaußau
in Nordrhein-Westfalen
S. 89 f.; Martina Röch-
(= Düsseldorfer Schriften zur Neue-
ren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 40), Essen 1995. 48
Allein die AEG erlitt dadurch einen Kapitalverlust in Höhe von 132 Mio. RM. AEG,
richt über die Geschäftsjahre
vom 1. Oktober 1944 bis SO. September
Geschäftsbe-
1950, Berlin 1951, S. 9 ff.
62
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
in den Westzonen verfügten und von dort aus Kapital und Maschinen nach Berlin transferieren konnten. Die demontierten Ausrüstungen konnten zunächst in allen vier Sektoren Berlins nur durch einen langwierigen, arbeitsintensiven Wiederaufbau ersetzt werden. Ein entscheidender Faktor war dabei, daß das technische Wissen in den Betrieben über die Demontagen hinweg erhalten blieb. Die demontierten Güter und Unterlagen waren reproduzierbar, solange das Know-how zur Verfügung stand. Trotz der starken Abwanderung bei Kriegsende verfügten die Betriebe sowohl in den Westsektoren als auch im Ostsektor über einen Mitarbeiterstamm, der die benötigten Kenntnisse hatte. Die zunehmende Abwanderung dieses Potentials in den Westen traf die Betriebe im sowjetischen Sektor längerfristig härter als die Demontagen, da das technische Wissen der Fachkräfte nicht zu ersetzen war. In West-Berlin fand ab Anfang der fünfziger Jahre schrittweise eine Modernisisierung des Produktionsapparats statt, nachdem sich die finanzielle Ausstattung der Unternehmen grundlegend verbessert hatte. Die Betriebe im Ostteil der Stadt wurden durch die Errichtung der Zonengrenzen von ihren traditionellen Bezugsquellen in Westdeutschland abgeschnitten. Aus der S B Z konnten sie nur in sehr geringem Umfang neue, hochwertige Maschinen beziehen. Die demontierten Ausrüstungen wurden durch Anlagen mit geringerer Leistungsfähigkeit ersetzt. 49 Innerhalb des zentralplanwirtschaftlichen Systems waren die Betriebe aber auch nach 1949 keinem Modernisierungsdruck ausgesetzt. Anders als in West-Berlin konnten die Demontageschäden in Ost-Berlin daher auch auf Dauer nicht durch eine effiziente Modernisierung des Produktionsapparats überwunden werden. Das Beispiel der Berliner Nachkriegsentwicklung zeigt, daß die Auswirkungen auch sehr hoher Demontageschäden auf die längerfristige Entwicklung, für sich genommen, nicht überschätzt werden sollten. Entscheidend war nicht die Höhe der Schäden, sondern die Fähigkeit zur Überwindung der erlittenen Verluste. Die Höhe der Demontageschäden war in der elektrotechnischen Industrie und im Maschinenbau beider Teile Berlins ähnlich. Wegen der systembedingten Unterschiede in der Fähigkeit ihrer Überwindung hatten die Demontagen aber längerfristig für den Ostteil der Stadt andere Auswirkungen als für den Westteil. Unterschiede lassen sich auch zwischen einzelnen Branchen und Betrieben in beiden Teilen Berlins feststellen. Die elektrotechnische Industrie wurde in beiden Stadthälften die wichtigste Wachstumsbranche der Nachkriegszeit, obwohl sie besonders hohe Demontageschäden erlitten hatte. In West-Berlin konnte der Maschinenbau die Demontagefolgen schwerer überwinden als die elektrotechnische
49
So z. B. das demontierte Kupferwalzwerk im KWO. Bericht über das Kabelwerk Oberspree vom
12. 3. 1946, LAB(STA), Rep. 800/300/III.
Technologietransfer und Reparationsproduktion
63
Industrie, weil er von der Beschlagnahmung der Firmenkonten und den Folgen der Teilung härter getroffen wurde. Unter den Großbetrieben der Ost-Berliner Elektroindustrie überholten die EAW schon Ende der vierziger Jahre das K W O in der Produktions- und Beschäftigtenentwicklung. Dabei hatten die EAW 95% des Maschinenbestands durch Kriegs- und Demontageschäden verloren, das K W O hingegen 40%. 5 0 Branchen wie die Textil- und Bekleidungsindustrie oder die Nahrungs- und Genußmittelindustrie waren in Ostdeutschland einem dauerhaften Niedergang ausgesetzt, obwohl sie vergleichsweise geringe Demontageschäden erlitten hatten. 51 Dagegen wurde einer der am stärksten demontierten Zweige, der Werkzeugmaschinenbau, später zur Vorzeigebranche der DDR-Industrie.
Technologietransfer
und
Reparationsproduktion
Der Technologie- und Spezialistentransfer Einen Schwerpunkt der sowjetischen Beuteaktion vom Frühjahr 1945 bildeten die Forschungslaboratorien der Berliner Industrie. Für die sowjetische Führung war speziell der Transfer neuen technischen Wissens aus den Elektrokonzernen von größter Bedeutung. Die Laboratorien von Siemens, AEG, Telefunken und Osram wurden komplett demontiert. Verschiedene Gruppen von Wissenschaftlern aus Forschungseinrichtungen
der Berliner Elektroindustrie wurden unmittelbar
nach
Kriegsende in die Sowjetunion gebracht. 52 Ein beträchtlicher Teil der FuE-Kapazitäten war freilich während der letzten Kriegsjahre ausgelagert worden. Unmittelbar vor Kriegsende wurden dann strategisch wichtige Bereiche gezielt nach Westen verlegt. Auch die westlichen Siegermächte transferierten in den Jahren 1945/46 Wissenschaftler und technisches Wissen aus Deutschland. Die Strukturen der Industrieforschung blieben hier jedoch erhalten. Empfindlicher als der direkte Technologietransfer traf die Unternehmen im Westen der Verlust ihrer Patente und Warenzeichen. 53 50
S i e h e S . 5 6 , 5 9 u . TABELLE 7 .
51
Zur Textil- und Bekleidungsindustrie vgl. Christian Heimann, Systembedingte Ursachen des Nie-
dergangs der DDR-Wirtschaft. Das Beispiel der Textil- und Bekleidungsindustrie
1945-1989 (= Euro-
päische Hochschulschriften, Reihe 5: Volks- und Betriebswirtschaft, Bd. 2056), Frankfurt/M.-Berlin 1997. 52
Zu diesen Wissenschaftlern gehörten u. a. Manfred von Ardenne und Gustav Hertz, der Leiter des
Siemens-Forschungslaboratoriums II. Besonders stark vertreten waren Radar-Experten und Physiker, die mit der Uranforschung in Verbindung standen. Vgl. Ulrich Albrecht/Andreas Heinemann-Grüder/ Arend Vollmann, Die Spezialisten. Deutsche Naturwissenschaftler
und Techniker in der Sowjetunion
nach 1945, Berlin 1992, S. 51 ff. u. 160 f. 53
Die technischen Schutzrechte wurden durch das Londoner Abkommen vom 27. 7.1946 entzogen.
Thomas Stamm, Zwischen Staat und Selbstverwaltung.
Die deutsche Forschung im Wiederaufbau
64
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis 1945-1948/49 Schon während der Demontagen vom Mai und Juni 1945 hatten sowjetische
Dienststellen führende Experten der Berliner Elektrokonzerne damit beauftragt, Berichte über den Stand der deutschen Technik zu verfassen. 5 4 Die meisten in Berlin verbliebenen Wissenschaftler waren zu diesem Zeitpunkt im Westteil der Stadt, wo sich die Laboratorien von Siemens, AEG und Telefunken befanden. Um den Zugriff auf dieses Potential nicht mit der Übergabe der Westbezirke an die Amerikaner, Briten und Franzosen zu verlieren, begannen sowjetische Dienststellen schon im Juli 1945 mit der Errichtung eigener Versuchs- und Konstruktionsbüros im Ostteil Berlins, die Spezialisten
(Naturwissenschaftler, Ingenieure und Techniker) aus
dem Westteil anwarben. 5 5 Insgesamt wurden im Ostteil Berlins mindestens elf sowjetische Versuchsbüros errichtet. 56 Zwei dieser Büros wurden zu Experimentalgroßbetrieben mit mehr als 2.000 Beschäftigten ausgebaut: das Labor-, Konstruktions- und Versuchs werk Oberspree (LKVO) in Oberschöneweide (ab 1946: Oberspreewerk, später Werk für Fernmeldewesen) und das MSP im ehemaligen GEMAWerk in Köpenick (später VEB Funkwerk Köpenick). Die sowjetischen Versuchsund Konstruktionsbüros hatten die Aufgabe, Entwicklungs- und Konstruktionsaufträge Moskauer Dienststellen durchzuführen sowie Unterlagen aus deutschen Unternehmen für den Transfer in die UdSSR zusammenzustellen und zu übersetzen. Priorität hatten die neuen Technologien im Bereich der Elektronik. Häufig wurden hier Entwicklungen weitergeführt, die vor 1945 im Rahmen von Rüstungsaufträgen aufgenommen worden waren. 57
1945-1965, Köln 1981, S. 48 f. Zum Technologietransfer der westlichen Siegermächte aus Deutschland vgl. v. a. das Standardwerk von John Gimbel, Science, Technology, and Reparations. Exploitation and Plunder in Postwar Germany, Stanford 1990. Zum heutigen Forschungsstand: Matthias Judt/Burghard Ciesla (Hrsg.), Technology Transfer out of Germany after 1945 (= Studies in the History of Science, Technology and Medicine), Amsterdam 1996. Johannes Bähr, Das Oberspreewerk - ein sowjetisches Zentrum für Röhren- und Hochfrequenztechnik in Berlin (1945-1952), in: ZUG, 39. Jg. (1994), H. 3, S. 150. 55
A.a.O., S. 148 ff.; Besprechungsprotokoll vom 28. 8. 1945, LAB(STA), Rep. 404/5. Unter dem
Begriff Spezialisten wurden in Anlehnung an die sowjetische Terminologie Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker - nicht aber Facharbeiter - zusammengefaßt. Zum Technologie- und Spezialistentransfer aus der SBZ vgl. U. Albrecht/A. Heinemann-Grüder/A. Vollmann, Die Spezialisten...-, Burghard Ciesla, Der Spezialistentransfer
in die UdSSR und seine Auswirkungen in der SBZ und DDR, in: APUZ B 4 9 -
50/93 vom 3. 12. 1993, S. 24-31; M. Judt/B. Ciesla (Hrsg.), Technology Transfer.... 56
Siehe S. 95 f.
57
Die Wissenschaftler des LKVO/Oberspreewerks beschäftigten sich mit nahezu allen Gebieten der
Elektronenröhren- und Hochfrequenztechnik. Im ehemaligen GEMA-Werk wurden Entwicklungen im Bereich der Radar- und Fernwaffenlenkungstechnik durchgeführt. J. Bähr, Das
Oberspreewerk...,
S. 154-157; E. Schlemminger, Betriebsgeschichte..., T. 4; U. Albrecht/A. Heinemann-Grüder/A. Wellmann, Die Spezialisten..., S. 161 f.; Intelligence Memorandum Nr. 211 vom 28.5. 1947, LAB, OMGBS Dir.off. 4/137-2/7. Aus sowjetischer Sicht waren die Versuchsbetriebe als Eigentum einer Siegermacht von den Forschungs- und Produktionsbeschränkungen des Alliierten Kontrollrats ausgenommen. Zur „verbotenen" Forschungstätigkeit sowjetischer Versuchsbetriebe im Bereich der Elektrotechnik/Elek-
Technologietransfer und Reparationsproduktion
65
Die Anwerbung der in Berlin verbliebenen Wissenschaftler und Ingenieure von Siemens, AEG, Telefunken, Osram und Lorenz durch die sowjetischen Versuchsbüros war ausgesprochen erfolgreich. Gerade die Elektronik-Fachleute hatten damals keine berufliche Perspektive. 58 Die Gründung der sowjetischen Versuchsbetriebe führte so innerhalb Berlins zu einem „brain-drain" von West nach Ost. Aus den Telefunken-Werken im Westteil Berlins gingen Spitzenkräfte wie der Leiter des Telefunken-Laboratoriums, Karl Steimel, der langjährige Leiter der Senderentwicklung, Werner Buschbeck, und der Fernseh-Pionier Walter Bruch ins LKVO/ Oberspreewerk. 59 Die SMAD stellte den Mitarbeitern der sowjetischen Büros Wohnungen in guter Lage zur Verfügung und gewährte ihnen eine privilegierte Lebensmittelversorgung. Auch politisch belastete Fachkräfte wurden relativ unbesehen eingestellt. 60 Der Begriff „intellektuelle Reparationen", mit dem der alliierte Technologietransfer damals wie auch in der neueren Forschung etikettiert wurde, ist vor diesem Hintergrund ergänzungsbedürftig. Die Wissenschaftler in den sowjetischen Experimentalbetrieben verstanden ihre Arbeit keineswegs als einseitige Zwangsleistung. Im Oktober 1946 wurde dieses Kapitel der Reparationspolitik abrupt beendet. Vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen zwischen den Supermächten erschien es auf sowjetischer Seite vor allem dem Sicherheitsdienst (NKWD) zu riskant, rüstungstechnische Entwicklungen weiterhin in unmittelbarer Nähe der Grenze zum Westen durchführen zu lassen. Wegen des anlaufenden Wiederaufbaus in Westdeutschland mußte auch mit einer Abwanderungswelle unter den Spezialisten gerechnet werden. 61 Über Nacht wurden am 21./22. Oktober 1946, unmittelbar nach den Wahlen in der SBZ und in Berlin, rund 2.100 Naturwissenschaftler, Ingenieure, Techniker und Facharbeiter aus dem gesamten sowjetischen Besatzungsgebiet zwangsverpflichtet und mit ihren Familien in die UdSSR deportiert (Aktion Ossawakim).62 Im sowjetischen Sektor Berlins traf die Aktion Ossawakim das Oberspreewerk und das Büssing-NAG-Werk in Oberschöneweide, das ehemalige
tronik vgl. auch Matthias Judt, Die sowjetische der ostdeutschen
elektrotechnischen
Buchheim (Hrsg.), Wirtschaftliche 58
J. Bahr, Das Oberspreewerk...,
59
A.a.O., S. 150 ff.
60
Nutzung des Produktions-
und feinmechanisch-optischen
und
Wissenschaftspotentials
Industrie 1945-1955,
Folgelasten des Krieges in derSBZ/DDR,
in: Christoph
Baden-Baden 1995, S. 126.
S. 151 f.
Ebda.
61
A.a.O., S. 157 f.
62
U. Albrecht/A. Heinemann-Griider/A. Wellmann, Die Spezialisten...,
bezahlt?..., Occupation,
S. 38 ff.; R. Karisch, Allein
S. 153-157; Norman Naimark, The Russians in Germany. A History of the Soviel Zone of 1945-1949,
Cambridge, Mass. 1995, S. 220-228. Die Angabe über die Zahl der betroffe-
nen Personen stützt sich auf B. Ciesla, Der Spezialistentransfer...,
S. 25 f. In Berlin blieben die in den
Westsektoren wohnenden Mitarbeiter der betroffenen Betriebe von der Deportation verschont. Zu diesen gehörte u. a. Walter Bruch.
66
IL Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
GEMA-Werk in Köpenick und das Askania-Werk in Friedrichshagen. Aus dem Oberspreewerk wurden rund 230 Mitarbeiter in die Sowjetunion abtransportiert, aus dem ehemaligen GEMA-Werk rund 60 Mitarbeiter. Aus beiden Betrieben stammten fast drei Viertel aller Fachkräfte, die damals aus der Elektroindustrie des sowjetischen Besatzungsgebiets in die UdSSR zwangsverpflichtet wurden. 63 Die sowjetischen Experimentalbetriebe in Berlin verloren durch die Aktion Ossawakim ihre ursprüngliche Bedeutung für die Reparationspolitik. In den Jahren 1948/49 wurden sie aufgelöst oder in die produzierenden Betriebe der Sowjetischen Aktiengesellschaften überführt. Die Gewinne der UdSSR aus dem alliierten Technologietransfer waren größer als die der westlichen Siegermächte, weil die sowjetischen FuE-Leistungen in den meisten Bereichen niedriger gelegen hatten und die Westalliierten nicht bereit waren, neues militärtechnologisches Wissen uneingeschränkt an die Sowjetunion weiterzugeben. Vom Transfer aus der Berliner Elektroindustrie profitierte die UdSSR vor allem auf den Gebieten der Elektronenröhren-, der Radar- und der Fernwaffenlenkungstechnik. Der sowjetische Rückstand auf diesen Gebieten konnte innerhalb weniger Jahre abgebaut werden. 64 Die Auswirkungen des Technologietransfers auf die wirtschaftlich-technologische Entwicklung im Ostteil Berlins zeigt die Ambivalenz, die von der gesamten sowjetischen Reparationspolitik ausging. Durch die „intellektuellen Reparationen" verschlechterte sich zwar die technologische Wettbewerbsposition. Das bei Kriegsende vorhandene Wissen ging aber durch den Transfer nicht verloren. Die in die Sowjetunion zwangsverpflichteten Spezialisten kehrten Anfang der fünfziger Jahre zurück. Die meisten von ihnen blieben in der DDR. 6 5 In der Ost-Berliner Elektroindustrie führte der Technologietransfer darüber hinaus zu Entwicklungen, die den Wiederaufbau begünstigten. Die Ausgangsbasis im FuE-Bereich verbesserte sich durch den Aufbau der sowjetischen Versuchs- und Konstruktionsbüros. Während die großen Laboratorien der Berliner Elektroindustrie vor 1945 überwiegend im
63
B. Ciesla, Der Spezialistentransfer..., S. 28; FDGB - UGO - DGB. Berliner Gewerkschafts geschichte von 1945 bis 1950, hrsg. vom DGB, Berlin 1971, S. 42. In der Sowjetunion wurden die Spezialisten aus dem Oberspreewerk auf mehrere Forschungs- und Versuchszentren verteilt, wo sie im wesentlichen auf ihren bisherigen Arbeitsgebieten weiterarbeiteten. Die größte Gruppe aus dem Oberspreewerk wurde nach Frjasino bei Moskau gebracht. Nach dem Modell des Telefunken-Laboratoriums und des Oberspreewerks entstand dort ein neues Zentrum für Elektronenröhrentechnik, das 1952 mit rund 10.000 Beschäftigten zu den weltweit größten Einrichtungen dieser Art gehörte. J. Bähr, Das Oberspreewerk..., S. 160 f.; U. Albrecht/A. Heinemann-Grüder/A. Wellmann, Die Spezialisten..., S. 162 f. 64
U. Albrecht/A. Heinemann-Grüder/A. Wellmann, Die Spezialisten..., S. 163 f. Nach der Spezialistenkartei des DDR-Innenministeriums wanderten bis zum Mauerbau rund 2025% der aus der UdSSR zurückgekehrten Spezialisten in die Bundesrepublik ab. B. Ciesla, Der Spezialistentransfer..., S. 29. 65
Technologietransfer und Reparationsproduktion
67
Westteil der Stadt gelegen hatten, war das FuE-Potential der Elektroindustrie 1946 im sowjetischen Sektor Berlins größer als in den Westsektoren.
Die Reparationen aus der laufenden Produktion Während die westlichen Siegermächte in Berlin keine direkten Reparationsleistungen aus der laufenden Produktion entnahmen, begann im sowjetischen Sektor und in der SBZ nach den ersten Demontagewellen eine umfangreiche Reparationsproduktion, die nach Gründung der DDR zurückging, aber erst mit der offiziellen Beendigung der Reparationen zum 1. Januar 1954 eingestellt wurde. 6 6 Nach der fundiertesten Bilanz, der 1993 veröffentlichten Untersuchung von Baar, Karisch und Matschke, erbrachte die SBZ/DDR direkte Reparationsleistungen aus der laufenden Produktion in Höhe von rund 11,5 Mrd. RM. 6 7 Über den Umfang der Reparationsproduktion im sowjetischen Sektor Berlins liegen bis 1949 nur unvollständige und zum Teil in sich widersprüchliche Angaben vor. Recht realistisch war wohl eine von der SED-Landesleitung intern genannte Schätzung, wonach hier Ende 1947 rund 30% der Industrieproduktion auf Reparationsleistungen entfielen. 68 Verschiedene Angaben deuten darauf hin, daß der Anteil der Reparationsproduktion im Ostteil Berlins während der Jahre 1946-1948 geringer war als in der SBZ. 6 9 Der Betrag, den der Magistrat im Rechnungsjahr 1946/47 für die Lieferungen reparationsverpflichteter Betriebe zahlte, lag mit 50,5 Mio. RM vergleichsweise niedrig. In der SBZ beliefen sich die Aufwendungen für die Reparationsproduktion allein im Jahr 1946 auf 887 Mio. RM. 7 0 Dabei ist jedoch zu be-
66 61
R. Karisch, Allein bezahlt?..., S. 167-199. L . Baar/R. Karlsch/W. Matschke, Kriegsfolgen..., S. 66 f. Ebenso: R. Karisch, Allein
bezahlt?...,
S. 193-199. Die Summe aller Reparationsleistungen der SBZ/DDR belief sich demnach auf mindestens 10,4 Mrd. US-$ (in Preisen von 1938, ohne Besatzungskosten). Dieser Betrag übertraf die sowjetische Reparationsforderung an Gesamtdeutschland (10 Mrd. US-$) und bildete die höchste Reparationsleistung dieses Jahrhunderts. In älteren westlichen Schätzungen war z. T. eine noch erheblich höhere Gesamtsumme angenommen worden. L. Baar/R. Karlsch/W. Matschke, Kriegsfolgen..., S. 98; R. Karisch,
Allein bezahlt?..., S. 228 ff. 68
Bruno Baum, Ordnung in die Berliner Wirtschaft (Ms.), 28. 12. 1947, SAPMO-BArch, BPAIV L
2/9.01/326 (S. 20). Von der DTV wurde der Anteil der Reparationsleistungen am Umsatz der unter Treuhandverwaltung stehenden Betriebe Ost-Berlins im zweiten Quartal 1947 ebenfalls auf 30% geschätzt. Produktionslage und Bedeutung beschlagnahmter Betriebe des Sowjet-Sektors, 18.9.1947, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/1029, Bl. 219. Explizit betonte dies Bruno Baum von der Wirtschaftsabteilung der SED-Landesleitung Berlin unter Berufung auf Angaben, die bei einer Konferenz der Länder-Wirtschaftsminister vorgetragen worden waren. Bruno Baum, Ordnung in die Berliner Wirtschaft (Ms.), 28.12. 1947, SAPMO-BArch, BPA IV L 2/9.01/326 (S. 20). 70
F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 66; R. Karisch, Umfang..., S. 62. Auf der Basis dieser Daten
II. Substanzverluste
68
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
rücksichtigen, daß seit Herbst 1 9 4 6 ein z u n e h m e n d e r Teil der Reparationslieferung e n aus d e m s o w j e t i s c h e n Sektor Berlins nicht mehr über d e n Magistrat abgerechnet w u r d e . 7 1 D i e Zahlungen des Magistrats g e b e n also s c h o n für das Rechnungsjahr 1 9 4 6 / 4 7 nicht d e n tatsächlichen U m f a n g der i m Ostteil Berlins erbrachten Reparationen w i e d e r . 7 2 N a c h d e n Berichten d e s seit 1 9 4 9 b e s t e h e n d e n A m t s für Reparationen b e l i e f sich der Anteil d e s Ostsektors a m Reparationsplan der S B Z / D D R - I n d u s t r i e dann i m Jahr 1 9 4 9 auf 6%. D i e s entsprach z i e m l i c h g e n a u d e m Anteil d e s s o w j e t i s c h e n Sektors an der B e s c h ä f t i g t e n z a h l der Industrie i m g e s a m t e n s o w j e t i s c h e n B e s a t z u n g s g e b i e t . 7 3 In den f o l g e n d e n Jahren g i n g die B e d e u t u n g der Ost-Berliner Industrie für d i e Reparationsproduktion der D D R zurück. D i e Reparationsaufträge konzentrierten sich nun auf den S c h w e r m a s c h i n e n b a u ( e i n s c h l i e ß l i c h S c h i f f b a u ) , der in O s t - B e r l i n unterrepräsentiert war. Rund z w e i Drittel der Reparationsproduktion w u r d e n s c h o n 1 9 4 9 in S a c h s e n ( 3 6 % ) und S a c h s e n - A n h a l t ( 3 0 % ) a u f g e bracht. 7 4 D e r Anteil der Reparationen an der Industrieproduktion dürfte demnach i m Ostteil Berlins i n s g e s a m t zwar niedriger, aber kaum w e s e n t l i c h niedriger g e l e g e n haben als
schätzt Karisch den Anteil des Berliner Ostsektors an der Reparationsproduktion des sowjetischen Besatzungsgebiet für die Jahre 1945-1948 auf 2-4%. Ebda. Der Anteil des sowjetischen Sektors an der Zahl der Industriebeschäftigten im gesamten sowjetischen Besatzungsgebiets lag 1947 bei rund 5%. Errechnet nach den Daten in: M. Melzer, Anlagevermögen..., S. 58; OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 1, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720. 71 Die Lieferungen aus den Betrieben der 1946 gebildeten Sowjetischen Aktiengesellschaften und den Betrieben, die der im April 1947 gegründeten Treuhandstelle unterstanden, wurden nicht mehr aus dem Berliner Haushalt bezahlt. F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 67. 72 Nach einem 1948 verfaßten Bericht der Magistratsverwaltung hatten die Reparationslieferungen aus dem sowjetischen Sektor Berlins 1947 einen Wert von rund 200 Mio. RM. Gegenüber anderen vergleichbaren Daten ergibt sich daraus ein signifikant höherer Anteil an der Gesamtsumme der von den SBZ-Ländern bezahlten Reparationsrechnungen (1947: 1,517 Mrd. RM). Die genannte Summe war deshalb vermutlich überhöht oder auf einer anderen statistischen Basis errechnet als die SBZ-Daten. Die Demontagen und Reparationslieferungen des Berliner Sowjetsektors, LAB, Rep. 10A, Acc. 512/ 175H; R. Karisch, Umfang..., S. 62. 73 Amt für Reparationen, Bericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1949, BArchB, DC 2/ 17092, Bl. 52; Der Anteil Ost-Berlins an der Beschäftigtenzahl der SBZ/DDR-Industrie lag 1950 bei 6,0%. Berechnet nach: Statistischer Jahresbericht an den Magistrat (1955), Bl. 25, STB-AB; Wolfgang Zank, Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland 1945-1949. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (= Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 31), München 1987, S. 176. 74 Amt für Reparationen, Bericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1949, BArchB, DC 21 17092, Bl. 52; R. Karisch, Allein bezahlt?..., S. 181 ff.; André Steiner/Burghard Ciesla, Die Reparationsleistungen der Industrie der SBZ/DDR 1949/50, in: Elke Scherstjanoi (Hrsg.), „Provisorium für längstens ein Jahr". Protokoll des Kolloquiums Die Gründung der DDR, Berlin 1993, S. 223229.
Technologietransfer und
Reparationsproduktion
69
in der SBZ. Die Differenz war vor allem strukturell bedingt. In den Jahren 1946/47 entfiel im sowjetischen Sektor Berlins noch ein relativ großer Teil der Industrieproduktion auf die für die Reparationsproduktion unbedeutende Verbrauchsgüterindustrie (Bekleidungsindustrie, Nahrungs- und Genußmittelindustrie). Geht man davon aus, daß der Ostteil Berlins in den Jahren 1945-1949 mit 4-5% an der Reparationsproduktion der SBZ-Industrie beteiligt war, dann ergibt sich für die Ost-Berliner Reparationsproduktion in diesem Zeitraum ein Gesamtwert von rund 250 Mio. RM (in laufenden Preisen). Große Unterschiede zeigen sich auf der Branchenebene. In der elektrotechnischen Industrie war der Berliner Ostsektor ein Zentrum der Reparationsproduktion. Der Anteil Ost-Berliner Betriebe am Reparationsplan für die Elektroindustrie der DDR lag 1950 bei rund 28%. Im Maschinenbau hatte Ost-Berlin dagegen nur eine geringe Bedeutung für die Reparationsproduktion. Nach dem Reparationsplan 1950 lag der Anteil Ost-Berlins im Allgemeinen Maschinenbau bei 4%, im Schwermaschinenbau sogar nur bei 0,6% (siehe TABELLE 8). Im Berliner Ostsektor wurde die Reparationsproduktion vor allem von Großbetrieben der Elektroindustrie bestritten. Frühere AEG-Fabriken wie das KWO, die EAW und das TRO sowie das im Gebäude der ehemaligen AEG-Röhrenfabrik angesiedelte Oberspreewerk (OSW) waren hier die wichtigsten Produzenten von Reparationsgütern. An der Spitze stand während der Jahre 1945/46 das KWO, das geringere Demontageschäden erlitten hatte als die anderen Großbetriebe der Elektro- und Metallindustrie.75 Archivierte Berichte aus dem KWO und dem TRO belegen, daß 1946 fast die gesamte Produktion dieser Betriebe auf das Reparationskonto ging. 1947 lag der Anteil der Reparationsleistungen am Umsatz des KWO dann bei 68%. Im Oberspreewerk entfielen 1946 90% des Umsatzes auf Reparationsaufträge. 76 Von den Maschinenbaubetrieben im Ostteil Berlins hatte dagegen nur das Knorr-Bremsenwerk (später Berliner Bremsenwerk), das eigentlich zum Fahrzeugbau zählte, eine größere Bedeutung für die Reparationsproduktion. Ende der vierziger Jahre wurden die Reparationen zunehmend von vertraglich geregelten Exporten in die UdSSR abgelöst. Im KWO entfielen 1950 noch 20% des Umsatzes auf Reparationsleistungen und auf Lieferungen an sowjetische Betriebe in der DDR. Bei Siemens-Plania lag der Anteil der Reparationslieferungen an der
75 Zwischen November 1945 und Dezember 1946 entfielen von insgesamt 188 Reparationsaufträgen für die Berliner Industrie 35 auf das KWO, 19 auf das TRO und 10 auf die Apparatefabriken Treptow (später EAW). Allein im Januar 1946 erhielt das KWO Reparationsaufträge in Höhe von 3,9 Mio. RM. Lothar Baar, Die Berliner Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg, in: W. Fischer/J. Bahr (Hrsg.), Wirtschaft im geteilten Berlin..., S. 144; Bericht über das KWO vom 12. 3. 1946, LAB(STA), Rep. 800/300/ III. 76 Bericht über das Kabelwerk Oberspree vom 12. 3. 1946, LAB(STA), Rep. 800/300/III; Notizen über den Bericht am 25.6. 1946 (TRO), a.a.O., Rep. 411/2; J. Roesler, Wiederaußau des KWO..., S. 252; Jahresbericht 1946 des OSW vom 22. 2. 1947, a.a.O., Rep. 404/30.
70
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
Produktion 1949 bei 38%. In den EAW gingen 1950 immer noch rund 55% der Produktion auf das Reparationskonto. Auch das TRO hatte 1950 noch rund 50% seines Produktionsplans für Reparationsleistungen zu erbringen.77 Die Großbetriebe KWO, EAW, Oberspreewerk, Siemens-Plania und Knorr-Bremse wurden wegen ihrer Bedeutung für die Reparationsproduktion in den Besitz Sowjetischer Aktiengesellschaften (SAG) überführt. Der Umsatzanteil der Reparationslieferungen lag in den SAG-Betrieben erheblich höher als in den Betrieben, die der Deutschen Treuhandverwaltung (DTV) unterstanden.78 Nach Berechnungen des Amts für Reparationen wurden in Ost-Berlin 1949 39% der Reparationsleistungen von SAG-Betrieben aufgebracht, 37% von zentralgeleiteten VEB, 1% von landesgeleiteten VEB und 23% von sonstigen, das heißt vor allem von privaten Betrieben.79 TABELLE 8
Anteile Ost-Berlins und der DDR-Länder Reparationsplänenßr
die Elektroindustrie
und den Maschinenbau
in v. H. der Reparationsaufträge
Elektroindustrie Ost-Berlin
an den 1950
(inM)
Allgemeiner Maschinenbau
Schwermaschinenbau
27,8
4,1
0,6
Brandenburg
2,1
0,8
4,6
Mecklenburg
0,0
0,0
0,0
Sachsen
41,3
42,4
7,6
Sachsen-Anhalt
14,5
37,7
81,4
Thüringen
14,3
15,2
5,8
100,0
100,0
100,0
DDR insg.*
* einschl. Ost-Berlin Quelle: Amt für Reparationen, Jahresbericht 1950, BArchB, DC 2/17091, Bl. 14. 77 J. Roesler, Wiederaufbau des KWO..., S. 252; LAB(STA), Rep. 421/55 (Siemens-Plania); Tätigkeitsbericht EAW 1950, a.a.O., Rep. 401/47; Amt für Reparationen, Jahresbericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1950, BArchB, DC 2/17091, Bl. 147 f. (TRO). 78 In den Treuhandbetrieben entfielen nach Angaben der DTV im zweiten Quartal 1947 durchschnittlich 30% des Umsatzes auf Lieferungen in die UdSSR oder an sowjetische Dienststellen und Betriebe in Deutschland. Produktionslage und Bedeutung beschlagnahmter Betriebe des Sowjet-Sektors, 18.9. 1947, SAPMO-BArch, NY 4182/1029, Bl. 219. In den SAG-Betrieben lag dieser Anteil zum gleichen Zeitpunkt mindestens doppelt so hoch (siehe S. 69,150,347). 79
Bericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1949, BArchB, DC 2/17092, Bl. 58. In der SBZ bestritten 1949 die SAG 44% der Reparationsleistungen. 37% entfielen auf die zentralgeleiteten VEB, 2% auf die landeseigenen VEB und 17% auf private und sonstige Betriebe. A.a.O., Bl. 12.
Firmenabwanderung und Standortverlagerungen
71
Für den Wiederaufbau und die weitere Entwicklung der Ost-Berliner Industrie hatten die Reparationsleistungen aus der laufenden Produktion sehr unterschiedliche Effekte. Kurzfristig konnten Schwerpunktbereiche der Reparationsproduktion wie die Ost-Berliner Elektrogroßindustrie hohe Produktionssteigerungen erzielen, da die Betriebe für die Durchführung von Reparationsaufträgen vorrangig Arbeitskräfte, Rohstoffe, Halbfertigwaren, Maschinen und Energie zugeteilt bekamen. Die Reparationsproduktion war für diese Betriebe ein Faktor des Wiederaufbaus. Indem der Volkswirtschaft der SBZ/DDR durch die Reparationsproduktion
Kapital,
Arbeitskräfte, Rohstoffe und hochwertige Industriegüter entzogen wurden, blokkierten die Transferleistungen aber zugleich die Modernisierung des Produktionsapparats. Noch wichtiger als die Transfereffekte waren längerfristig die Struktureffekte der Reparationsproduktion. Mit der Reparationsproduktion wurden Weichen für die zukünftige industrielle Struktur Ost-Berlins und der DDR gestellt. Der Wiederaufbau konzentrierte sich auf die Schwerpunkte der Reparationsproduktion, die zum Teil der bisherigen Struktur der mittel- bzw. ostdeutschen Industrie zuwiderliefen. Branchen wie der Uranbergbau und der Schiffbau, die ausschließlich auf den Bedarf der UdSSR ausgerichtet waren, wurden neu aufgebaut. Dagegen paßten einige ehemals auf dem Weltmarkt besonders wettbewerbsfähigen Produktionszweige wie der sächsische Textilmaschinenbau nicht in die Struktur des Reparationsprogramms. Im Ostteil Berlins wurden die Großbetriebe der Elektroindustrie wegen ihrer Bedeutung für die Reparationsproduktion zum Schwerpunkt des industriellen Wiederaufbaus, wobei in diesem Fall an die Entwicklung vor 1945 angeknüpft wurde, ähnlich wie bei den ehemaligen Werken der I.G. Farben im Raum Merseburg-Bitterfeld oder den Großbetrieben des Schwermaschinenbaus in Magdeburg und Leipzig. Andere ehemals hochentwickelte Industriezweige des Berliner Ostsektors wie die Bekleidungsindustrie und der Maschinenbau - und hier vor allem der Werkzeugmaschinenbau - wurden dagegen vernachlässigt.
Die Firmenabwanderung
und die
Standortverlagerungen
Motive, Umfang und Folgen Die Kriegsfolgen und die politische Entwicklung während der unmittelbaren Nachkriegszeit führten zu einer massiven Abwanderung von Firmen aus Berlin in die Westzonen. Nach einer zeitgenössischen Schätzung waren an dieser Abwanderung mindestens 2.000 Unternehmen beteiligt. 8 0 Hinzu kamen Verlagerungen 80
Klett's Spezialliste der verlagerten und sitzverlegten Betriebe der Ostzone und von Berlin, Berlin
1950 (Vorwort).
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis
72
1945-1948/49
einzelner Unternehmensbereiche Berliner Firmen und der Rückzug vieler westdeutscher und ausländischer Unternehmen aus Berlin. Die Wirtschaft in beiden Teilen der Stadt erlitt durch den „Zug in den Westen" hohe Substanzverluste. Diese Verluste wogen längerfristig schwerer als die Demontageschäden, weil sie eine dauerhafte Schwächung des wirtschaftlich-industriellen Potentials der Region bedeuteten. Die Motive der Firmenabwanderung waren keineswegs einheitlich. Entscheidenden Einfluß hatten zunächst die bei Kriegsende eingetretenen Veränderungen der Standortbedingungen: der Verlust der zentralen Funktionen Berlins, die durch die Zonengrenzen entstandene Distanz zu Westdeutschland, verbunden mit einer drastischen Verschlechterung der Verkehrsanbindungen, die Schließung der Geschäftsbanken und die Unsicherheit über das zukünftige Schicksal der Stadt. Die erste Phase der Firmenabwanderung aus Berlin, die ganz von diesen Faktoren geprägt war, wurde bereits in den letzten Monaten vor Kriegsende eingeleitet. In der Regel beschränkten sich die Verlagerungen zu diesem Zeitpunkt noch auf einzelne Leitungsstellen und Abteilungen. 81 In einer zweiten Phase war die Firmenabwanderung dann während der Jahre 1946-1948 zunehmend auch eine Reaktion auf die politische Entwicklung innerhalb Berlins. Im Ostsektor führte die 1946 begonnene Beschlagnahmung von Unternehmen und Betrieben zu einer breiten Abwanderungswelle. Eine weitere Welle folgte dann nach den Enteignungen von 1949. Für die Firmen in den Westsektoren war die betont unternehmerfeindliche Politik des Magistrats und der Mehrheitsparteien im Abgeordnetenhaus ein Motiv, die Stadt zu verlassen. Das Berliner Sozialisierungsgesetz vom Februar 1947, die Gemeinwirtschaftspläne und die beabsichtigte Errichtung einer korporativen Wirtschaftskammer mit Planungsbefugnissen förderten die Abwanderung. 82 Vor allem Großunternehmen wanderten bis 1950 ab, „weil ihnen die Berliner Politik keine Chance gab". 83 Ein weiteres Motiv für die Verlagerungen aus den Westsektoren war der Sonderstatus der Viermächtestadt. 84 In den Jahren 1948/49 folgte eine drit-
81
Siemens und die Deutsche Bank verlegten im Februar 1945 Leitungsstellen aus Berlin. C.-L. Holt-
frerich, Die Deutsche Bank..., S. 420 f. Zu Siemens siehe S. 81 ff. 82
Bei einer Anfang der fünfziger Jahre durchgeführten Befragung von Firmen, die aus den Westsek-
toren abgewandert waren, wurde als Motiv fast durchweg die Politik des Magistrats und der Berliner Parteien genannt. Klett's Spezialliste... 83
(Vorwort).
Wolfram Fischer, Berlin als Wirlschaftszentrum
(Hrsg.), Geschichte
als Aufgabe. Festschrift ßr
aus der Sicht der Unternehmer, in: Wilhelm Treue
Otto Büsch zu seinem 60. Geburtstag,
Berlin 1988,
S. 501. Ähnlich: Dietrich Storbeck, Die Entwicklung West-Berlins nach dem Kriege, in: Raumforschung und Raumordnung, 84
16. Jg. (1958), S. 203; A. Schlegelmilch, Hauptstadt...,
S. 441.
Aufgrund der Kontrollratsgesetze Nr. 52 und Nr. 53 konnte das Vermögen von Firmen gesperrt
werden, deren Sitz sich außerhalb der jeweiligen Besatzungszone befand. Die Westsektoren Berlins wurden von den westlichen Militärregierungen nicht als Teil ihrer Besatzungszonen angesehen. Vgl. hierzu die Ausführungen über die 1950 durchgeführte Firmenbefragung in: Klett's Spezialliste... wort).
(Vor-
Firmenabwanderung und Standortverlagerungen
73
te Phase der Abwanderung und der Standortverlagerungen, die durch die Blockade, die Währungsreform in den Westzonen und die sich abzeichnende Weststaatsbildung ausgelöst wurde. Das erhöhte „Berlin-Risiko" während der Blockade verband sich für die Berliner Firmen mit der Gefahr, vom westdeutschen Markt verdrängt zu werden und den Anschluß an die Entwicklung im Westen zu verlieren. 85 Eine wachsende Zahl Berliner Unternehmen baute deshalb neue Produktionsanlagen in den Westzonen auf. Häufig wurden in dieser Phase faktisch bereits vollzogene Verlagerungen im Handelsregister eingetragen, wie zum Beispiel bei den SiemensStammfirmen. Die einzelnen Branchen und Unternehmen reagierten sehr unterschiedlich auf die Veränderung der Standortbedingungen und die politische Entwicklung in Berlin. Der Vergleich zwischen der elektrotechnischen Industrie und dem Maschinenbau (S. 77-80) zeigt ebenso wie der Vergleich zwischen Siemens und AEG (S. 81-86), daß die Standortentscheidungen maßgebend von der Kapitalstärke der Unternehmen, von ihrer Bindung an den regionalen Arbeitsmarkt und von ihrer Position in den Westzonen beeinflußt wurden. Ähnliches ließe sich am Beispiel der Chemischen Industrie (Schering AG) nachweisen. Darüber hinaus wirkten sich die jeweiligen Sichtweisen und Interessen der Unternehmensleitungen auf die Standortentscheidung aus. Häufig war die Entscheidung für oder gegen den Standort Berlin mit Rivalitätskämpfen innerhalb der Unternehmensführung verknüpft. Dies galt besonders für kleinere Eigentümerunternehmen. 86 Aber auch in großen Firmen und speziell bei Siemens war die Verteilung der Unternehmensbereiche bzw. der Kompetenzen zwischen Berlin und den Westzonen Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen. 87 Den Befürwortern eines raschen Neuaufbaus in den Westzonen wurde eine „Losvon-Berlin"-Mentalität vorgeworfen, während den Berlinern aus Westdeutschland entgegengehalten wurde, „daß Rußland an der Demarkationslinie beginnt". 88 Die umfassendste Zusammenstellung der aus Berlin abgewanderten Unternehmen enthält eine 1950 erschienene Liste der Firma Adressen-Klett (Klett-Liste), die sich auf das Handelsregister stützt. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So wurden kleine und kleinste Firmen nicht aufgenommen. Nach der KlettListe haben 915 Firmen in den Jahren 1945-1950 ihren Hauptsitz aus Berlin ver85
Vgl. z. B. 75 Jahre Mix & Genest 1879-1954,
86
A m Beispiel der Firma Henning, eines Berliner Unternehmens der chemisch-pharmazeutischen
Berlin 1954, S. 30.
Industrie, das sich gegen eine Abwanderung entschied, zeigt dies Wolfram Fischer, Henning Berlin. Die Geschichte
eines pharmazeutischen
Unternehmens
1913-1991
(= Schriften zur Wirtschafts- und Sozial-
geschichte, Bd. 40), Berlin 1992, S. 228-256. 87
Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische
Besetzung
Deutschlands
(= Quellen und Darstellungen
zur Zeitgeschichte, Bd. 27), München 1995, S. 458 ff. 88
Zitiert nach a.a.O., S. 458 (erstes Zitat); W. Fischer, Der Kampf ums Überleben:
Die Firma
ning nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in: ders./J. Bahr (Hrsg.), Wirtschaft im geteilten S. 263 (zweites Zitat).
Hen-
Berlin...,
74
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
legt. 900 dieser Firmen wanderten in den Westen ab, 15 in die SBZ/DDR. Enthalten sind in den Angaben auch die Firmen, die aus dem Ostsektor Berlins in die Westsektoren abwanderten. 89 Eine im Rahmen der vorliegenden Studie durchgeführte Auswertung der Klett-Liste ergibt, daß 320 der 915 abgewanderten Firmen auf die Industrie entfielen. 38 aufgeführte Firmen konnten der Elektroindustrie zugeordnet werden, 53 Firmen dem Maschinen- und Apparatebau. 90 Nach einer Statistik der Magistratsverwaltung, die ebenfalls auf dem Handelsregister basiert, sich aber nur auf den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1947 und dem 21. Oktober 1949 bezieht, verlegten insgesamt 364 Firmen ihren Hauptsitz aus Berlin. Darunter befanden sich 23 Unternehmen der Elektroindustrie und 24 Unternehmen des Maschinen- und Apparatebaus. Am stärksten war hier die chemische Industrie mit 34 Firmenverlagerungen vertreten. 91 Von den in Berlin ansässigen Aktiengesellschaften - eine für Großunternehmen typische Rechtsform - wanderten nach Angaben von Pritzkoleit 154 in den Jahren 1945-1949 ab. Unter ihnen befanden sich 15 Unternehmen der Elektroindustrie und 4 Unternehmen des Maschinenbaus. 92 Wie die meisten aus Berlin verlagerten Firmen wanderten auch die Großunternehmen der Elektroindustrie bevorzugt in andere Urbane Ballungszentren ab. 93 SEG und Mix & Genest gingen nach Stuttgart, die deutschen Philips-Firmen nach Hamburg. Die Zentrale von S&H wurde in München neuaufgebaut. Osram konzentrierte seine Hauptverwaltung später ebenfalls in München. Häufig wurden auch ältere Fertigungsstandorte zum neuen Firmensitz, etwa bei Siemens-Reiniger (Erlangen) und SiemensPlania (Meitingen). Im Maschinenbau galt dies zum Beispiel für die Deutsche Babcock & Wilcox AG (Oberhausen) und die Dehomag bzw. IBM Deutschland (Sindelfingen). Insgesamt gingen die Unternehmen der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in stärkerem Maße nach Süddeutschland als andere aus Berlin abgewanderte Firmen. 94 89
Klett's Spezialliste..., (Gruppe 1), S. Ebda. Die Angaben der Klett-Liste wurden dabei um Mehrfachnennungen bereinigt. 91 Aufstellung des Hauptamts für Gesamtplanung vom 3. 1. 1950, LAB, Rep. 10A, Acc. 410/65, Anl. 1. Vgl. hierzu auch A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 462. 90
92
Kurt Pritzkoleit, Gott erhält die Mächtigen. Rück- und Rundblick auf den deutschen Wohlstand, Düsseldorf 1963, S. 175-189. 93 Nach der Klett-Liste war Hamburg der mit Abstand wichtigste Zielort der Firmenabwanderung aus Berlin. 156 von insgesamt 900 angeführten Firmen verlagerten ihren Sitz nach Hamburg. Weitere wichtige Zielorte waren Frankfurt/M. (64 Firmen), München (43), Düsseldorf (42), Hannover (34) und Köln (32). Klett's Spezialliste..., (Vorwort) S. 5. 94
Die wichtigsten Zielregionen der gesamten Firmenabwanderung aus Berlin waren nach der KlettListe Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen. Eine Auswertung der Angaben zu den einzelnen Unternehmen ergibt, daß von den aufgeführten Finnen der Elektroindustrie zehn ihren Sitz nach Niedersachsen, acht nach Bayern, sieben nach Hamburg, fünf nach Baden-Württemberg, vier nach Nordrhein-Westfalen und drei nach Hessen verlegten. Im Maschinenbau verlegten neun Firmen ihren Sitz nach Nordrhein-Westfalen, acht nach Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, sieben nach Niedersachsen. A.a.O., (Gruppe 1) S. l-45a.
Firmenabwanderung und Standortverlagerungen
75
Das Potential, das der Berliner Wirtschaft durch die Firmenabwanderung und die Standortverlagerungen der ersten Nachkriegsjahre verlorenging, ist schwer zu erfassen. Die vorliegenden Angaben über die Firmenabwanderung stützen sich auf das Handelsregister und ermöglichen damit lediglich Aussagen über die Zahl der Unternehmen, die ihren Sitz aus Berlin verlegt haben. Aus diesen Angaben können keine direkten Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Bedeutung der abgewanderten Firmen gezogen werden. Die Wanderungsbewegung wurde zudem nicht nur von Firmen getragen, die ihren Sitz aus Berlin verlegten. Der Vorgang umfaßte auch den Rückzug von westdeutschen und ausländischen Unternehmen aus Berlin, die Errichtung von Ersatzfertigungen Berliner Unternehmen im Westen, die selbständige Weiterentwicklung von westdeutschen Zweigbetrieben und Neugründungen, die im Westen durch ehemalige Mitarbeiter Berliner Finnen erfolgten. 95 Der Begriff Firmenabwanderung
ist aus dieser Perspektive ergänzungsbedürftig, da er sich im
engeren Sinne nur auf Firmen bezieht, die ihren Sitz nach Westdeutschland verlagerten. Im folgenden wird deshalb von einem erweiterten Begriff der Firmenabwanderung ausgegangen bzw. die Formulierung Firmenabwanderung
und Standortver-
lagerungen verwendet. Femer ist zu berücksichtigen, daß viele der Firmen, die ihren Sitz nach Westdeutschland verlegt hatten, weiterhin in West-Berlin fertigten. Siemens blieb in West-Berlin der größte private Arbeitgeber, obwohl die Zentralen der Stammfirmen abgewandert waren. Selbst einige der Unternehmen, die ihren Sitz aus dem Ostteil Berlins in die Westzonen verlegten, hatten weiterhin Fertigungen im Westteil der Stadt. Wie groß das wirtschaftlich-industrielle Potential war, das mit der Firmenabwanderung und den Standortverlagerungen aus Berlin verlorenging, kann daher nicht auf der Basis des Handelsregisters, sondern nur durch Untersuchungen für einzelne Branchen und Unternehmen gezeigt werden. Die nachfolgend durchgeführten Fallstudien belegen, daß sich gerade die leistungs- und wettbewerbsfähigsten Unternehmen bzw. Produktionszweige überproportional stark am „Zug in den Westen" beteiligten. Neben der Abwanderung nach Westdeutschland vollzog sich eine Ost-West-Firmenwanderung innerhalb Berlins, die nach den Enteignungen im Ostsektor in den Jahren 1949/50 ihren Höhepunkt erreichte. Die Klett-Liste nennt 89 Finnen, die
95
Zu Formen und Umfang der Ost-West-Firmenwanderung nach 1945 vgl. Johannes Bahr, Die Fir-
menabwanderung aus der SBZ/DDR und aus Berlin-Ost (1945-1950), in: Wolfram Fischer/Uwe Müller/Frank Zschaler (Hrsg.), Wirtschaft im Umbruch. Strukturveränderungen
und Wirtschaftspolitik im
19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Lothar Baar zum 65. Geburtstag, St. Katharinen 1997, S. 229249; Peter Hefele, Die Verlagerung von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen
aus der SBZ/DDR
nach Westdeutschland, unter besonderer Berücksichtigung Bayerns (1945-1961), Stuttgart 1998.
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II. Substanzverluste
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ihren Sitz aus dem sowjetischen Sektor in die Westsektoren verlegt hatten. 96 Am bedeutendsten war die innerstädtische Firmenwanderung in der Bekleidungsindustrie. 97 Im Maschinenbau zogen namhafte Unternehmen wie Hasse & Wrede und Jung-Schleifmaschinen aus dem Ostsektor in die Westsektoren. In der Elektroindustrie wanderte zum Beispiel die Firma Krone aus Ost-Berlin nach West-Berlin ab. Auch die Verlegung der AEG-Zentrale vom Friedrich-Karl-Ufer im Bezirk Mitte an den Hohenzollerndamm im Bezirk Wilmersdorf und die Verlegung der Osram-Zentrale von Friedrichshain nach Siemensstadt waren innerstädtische Ost-West-Verlagerungen.
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Weitere, zumeist kleine Unternehmen wanderten aus der SBZ und aus den ehemaligen Ostgebieten nach West-Berlin zu. Bestrebungen, durch die gezielte Ansiedlung von Unternehmen aus der SBZ/DDR in West-Berlin neue Produktionszweige aufzubauen, wie dies insbesondere für den Textilmaschinenbau versucht wurde, hatten wenig Erfolg. 99 Nach der amtlichen Statistik umfaßte die West-Berliner Industrie im November 1951 insgesamt 531 Betriebe, die aus dem Ostsektor und der SBZ/DDR zugewandert waren, darunter 34 Betriebe der Elektroindustrie und 37 Betriebe des Maschinenbaus. Hinzu kamen noch 176 Vertriebenenbetriebe. Zwei Drittel der Zugewandertenbetriebe und der Vertriebenenbetriebe hatten weniger als zehn Beschäftigte. 100 Im Vergleich mit der Firmenabwanderung hatte die Zuwanderung nach West-Berlin - mit Ausnahme der Bekleidungsindustrie - eine weitaus geringere Bedeutung. Der Westteil Berlins erlitt als einziges Gebiet des Westens bei der innerdeutschen Firmenwanderung nach 1945 hohe Verluste. Die Firmenabwanderung und die Standortverlagerungen führten in beiden Teilen Berlins zu einer Schrumpfung des industriellen Potentials, die eine entscheidende Weichenstellung für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Region bedeutete. Berlin fiel gegenüber den westdeutschen Regionen zurück, die von der Fir-
96
Klett's Spezialliste..., (Gruppe 1), S. l-45a. Die führenden Firmen dieser Branche wanderten aus dem traditionsreichen Konfektionsviertel am Hausvogteiplatz im Bezirk Mitte in die Westsektoren ab. In Charlottenburg entstand ein neues Zentrum der Bekleidungsindustrie (Zoo-Zentrum). Vgl. 125 Jahre Berliner Konfektion..., S. 90 ff. u. 103 f. 97
98 Hasse & Wrede nahm die Fertigung in einem Nebenwerk in Berlin-Britz wieder auf (amerikanischer Sektor). Entwicklungs- und Konstruktionsarbeiten wurden in der Fertigungswerkstatt der Knorr-Bremse GmbH in Mannheim durchgeführt, SenWiTech, Firmenakten/29 (Hasse & Wrede); Tempelhof..., S. 160 (Jung Schleifmaschinen); Gustav Krone, Entwicklung der Firma zu ihrer heutigen Bedeutung, in; 40 Jahre (= Krone Information, Ausgabe 6), Berlin 1968, S. 2; Max Domschke, Vom Friedrich-Karl-Vfer zum Hohenzollerndamm, in: AEG-Mitteilungen, 41. Jg. (1951), H. 1/2, S. 36-38. 99
Siehe S. 196. Die Industrie in West-Berlin, in: BS, Jg. 1952, H. 6, S. 315. Bei diesen sogenannten Zugewandertenbetrieben handelte es sich nach der Definition der bundesdeutschen Statistik um Betriebe, deren Inhaber zugewandert oder an deren Kapital zu mehr als 50% Zugewanderte beteiligt waren. 100
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menwanderung der ersten Nachkriegsjahre profitierten. In der Elektro- und Metallindustrie waren dies vor allem die süddeutschen Länder. Mit der Firmenabwanderung ging ein bis dahin entscheidender Standortvorteil Berlins verloren: die vorhandene Agglomeration von weltbekannten Spitzenunternehmen, die zur Ansiedlung weiterer leistungsfähiger Wettbewerber und Zulieferer geführt hatte. Eine derartige regionale Ausstattung bildet einen wichtigen Bestimmungsfaktor der Wettbewerbsfähigkeit. 101 Die Abwanderung aus dem Ostteil Berlins führte dort zu einem dauerhaften Verlust an Management-Kenntnissen und an technischem Wissen. Die bestehenden Kapital- und Zulieferverflechtungen brachen ab. Im Westteil der Stadt blieben dagegen enge Verbindungen mit dem abgewanderten Potential erhalten. Für manche der Unternehmen, die ihren Sitz nach Westdeutschland verlegt hatten, blieb West-Berlin der wichtigste Produktionsstandort wie zum Beispiel bei Siemens und Osram. Es gehört zu den Paradoxien der West-Berliner Wirtschaftsentwicklung, daß Firmen, die ihren Sitz aus Berlin verlegt hatten, hier einen Stützpfeiler des Wiederaufbaus bildeten.
Die Elektroindustrie und der Maschinenbau Die Standortverlagerungen der unmittelbaren Nachkriegszeit zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden untersuchten Branchen. Die Großunternehmen der Berliner Elektroindustrie verlegten mit wenigen Ausnahmen ihre Zentralen in die Westzonen und waren maßgebend am Neuaufbau dieser Branche im Westen beteiligt. Die führenden Unternehmen des Berliner Maschinenbaus hielten dagegen überwiegend an ihrem bisherigen Firmensitz fest. Der Wiederaufbau konzentrierte sich hier auf Berlin. Dieser Unterschied war vor allem durch drei Faktoren bedingt: - Der Maschinenbau war wegen des höheren Facharbeiteranteils und des hohen Anteils von Spezialfertigungen stärker als die Elektroindustrie an den Berliner Arbeitsmarkt und an regionale Zulieferer gebunden. Aus ähnlichen Gründen blieben innerhalb der Elektroindustrie schwere, starkstromtechnische Fertigungen eher in Berlin als leichte Fertigungen. - Der Kapitalmangel war im Berliner Maschinenbau noch ausgeprägter als in der Berliner Elektroindustrie. Die Beschlagnahmung der Konten und die Schließung der privaten Banken trafen den Maschinenbau härter, weil die Kapitalverflechtung mit Westdeutschland in dieser Branche schwächer war als in der elek101
Vgl. Michael E. Porter, Nationale Wettbewerbsvorteile. Erfolgreich konkurrieren auf dem Welt-
markt, München 1991, S. 197 ff.
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trotechnischen Industrie. Auch von den führenden Unternehmen des Berliner Maschinenbaus konnten nur wenige auf Kapital im Westen zurückgreifen, während die Berliner Elektrokonzerne über intakt gebliebene Betriebe und Verkaufsorganisationen in den Westzonen verfügten. Die Unternehmen des Berliner Großmaschinenbaus waren zudem bis Ende der vierziger Jahre auf öffentliche Reparaturaufträge angewiesen. Auch dadurch blieben sie an diesen Standort gebunden. 102 - Die Berliner Elektroindustrie hatte auf vielen Gebieten in Westdeutschland eine marktbeherrschende Position. Im Maschinenbau stand den Berliner Unternehmen dagegen in den Westzonen bzw. im Bundesgebiet eine überlegene Konkurrenz gegenüber. Vor dem Zweiten Weltkrieg war der Berliner Maschinenbau stärker als die Berliner Elektroindustrie auf den mittel- und ostdeutschen Markt orientiert. Nach 1945 bestand daher in Westdeutschland kein Nachfragedruck nach Erzeugnissen des Berliner Maschinenbaus. Die Wettbewerbsposition der Berliner Unternehmen auf dem westdeutschen Maschinenmarkt schien zunächst hoffnungslos. Vereinzelt kam es daher im Maschinenbau auch zur Rückverlagerung von Firmen, die ihren Sitz nach Kriegsende zunächst aus Berlin verlegt hatten. 103 Am „Zug in den Westen" beteiligten sich generell vor allem solche Unternehmen, für die in den Westzonen relativ günstige Ausgangsbedingungen bestanden, weil sie schon länger über ein Standbein im Westen verfügten, mit westdeutschen bzw. ausländischen Firmen verflochten waren oder zu Produktionszweigen gehörten, die in Westdeutschland unterrepräsentiert waren. 104 Gerade die Unternehmen mit einer starken überregionalen Stellung gehörten aber zu den besonders leistungs- und wettbewerbsfähigen Bereichen der Berliner Industrie.
102
Die BMAG, deren Hauptaktionär die Berliner Handels-Gesellschaft war, konnte durch Aufträge des Magistrats und öffentlicher Versorgungsunternehmen während der Blockade rund 1.100 Mitarbeiter beschäftigten. Neue und alte Produktion bei Schwartzkopff, in: Der Volkswirt, 5. Jg. (1951), Nr. 51/52, S. 94; Probleme der Westsektoren-Industrie, in: Die Welt vom 5. 12. 1948. Das BorsigWerk hatte eine Schlüsselstellung für den Wiederaufbau der öffentlichen Versorgungsunternehmen. Deshalb strebte der Magistrat eine 49%ige Beteiligung an, die wegen eines Einspruchs der Alliierten Kommandantur nicht zustande kam. K. Pierson, Borsig..., S. 190; Schreiben an das Bundeskanzleramt vom 19. 11. 1949, BArch, B 102/3865; „Zusammenstellung der Tatsachen" vom 14. 10. 1949, ebda. 103
Ein derartiges Beispiel war die Maschinenfabrik A. Roller, ein Spezialbetrieb für den Zünd- und Sperrholzmaschinenbau, der zu den ältesten Berliner Maschinenfabriken zählte. Das Unternehmen konzentrierte sich nach 1945 zunächst auf den Wiederaufbau am neuen Standort Osnabrück. 1954 wurden dann Verwaltung und Geschäftsleitung zusammen mit dem gesamten Maschinenpark nach Berlin zurückverlegt. 100 Jahre Maschinenfabrik A. Roller, in: DBW, 5. Jg. (1955), Nr. 39, S. 1203 f. 104 Diese Faktoren spielten auch bei der Firmenabwanderung aus der SBZ/DDR eine wichtige Rolle. Vgl. J. Bähr, Die Firmenabwanderung...
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So verlegten im Maschinenbau marktführende Firmen wie die Knorr-Bremse AG und die Singer-Nähmaschinen AG ihren Sitz aus Berlin. Die Deutsche Babcock & Wilcox AG, eine Tochter der Babcock & Wilcox Ltd., London, und einer der führenden Dampfkesselhersteller Deutschlands, wanderte von Berlin nach Oberhausen ab. Die Firma Orenstein & Koppel, die zum Hoesch-Konzern gehörte, behielt den Sitz in Berlin, verlegte ihren Schwerpunkt aber zunehmend nach Westdeutschland. 105 Unter den einzelnen Fachzweigen des Maschinenbaus beteiligte sich besonders die Büromaschinenindustrie an den Standortverlagerungen aus Berlin. Die Büromaschinenindustrie war vor 1945 in Berlin stärker vertreten gewesen als in Westdeutschland und konnte daher nach 1945 im Westen von einem Nachfragedruck profitieren. Bei einigen der abgewanderten Firmen handelte es sich um Tochterunternehmen ausländischer Hersteller, die über eine entsprechend günstige Kapitalausstattung verfügten. Dies galt vor allem für die Dehomag/EBM Deutschland. In der elektrotechnischen Industrie verlegten nahezu alle führenden Berliner Unternehmen nach 1945 ihre Zentralen in den Westen: Siemens, Osram, Mix & Genest, die C. Lorenz AG, die SEG, die Deutschen Philips-Firmen, Blaupunkt - in den sechziger Jahren dann auch AEG und Telefunken. Diese Branche war vor 1945 in Westdeutschland unterrepräsentiert. Die Errichtung der Zonengrenzen und die Demontagen in Berlin führten nach 1945 zu einer Unterversorgung der westdeutschen Wirtschaft mit elektrotechnischen Gütern. Besonders empfindliche Versorgungslücken entstanden bei Rundfunkgeräten, Lampen und Kraftwerksanlagen. Diese Situation wiederholte sich dann in kleinerem Maßstab während der BerlinBlockade von 1948/49. Der Nachfragedruck, der von der Unterversorgung ausging, führte zu einem raschen Ausbau der elektrotechnischen Industrie in den Westzonen und begünstigte die Firmenabwanderung bzw. die Standortverlagerungen aus Berlin. 106 Die Militärregierungen und die Wirtschaftsverwaltungen der Westzonen erklärten wichtige Bereiche der Elektroindustrie, vor allem die Rundfunkgeräte- und Fernmeldeindustrie, zu Schwerpunkten des Wiederaufbaus. Dieser Ausbau erfolgte ohne Rücksicht auf die Interessen Berlins. 107 Nach einer Besprechung im bizona-
105 K. Pritzkoleit, Gott..., S. 180-187; Orenstein & Koppel Aktiengesellschaft, in: Das Spezial-Archiv der deutschen Wirtschaft 1951, S. 1267-1270; Orenstein & Koppel im Wiederaußau, in: Der Tagesspiegel vom 25. 3.1950.
Johannes Bahr, Substanzverluste, Wiederaußau und Strukturveränderungen in der deutschen Elektroindustrie 1945-1955, in: H. A. Wessel (Hrsg.), Demontage..., S. 67 ff. 107
Mit Verbitterung wurde in Berlin registriert, daß die britische Militärregierung einseitig den Kapazitätsausbau in der nordwestdeutschen Elektroindustrie förderte, obwohl sich gerade im britischen Sektor der Stadt, in Spandau-Siemensstadt, die größte Agglomeration elektrotechnischer Betriebe in Deutschland befand. Aktenvermerk vom 10. 7. 1947. LAB(STA), Rep. 106/451, Bl. 12.
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len Verwaltungsamt für Wirtschaft (VAW) in Minden, das über die Rohstoffzuteilung für das amerikanische und britische Besatzungsgebiet zu entscheiden hatte, gab der Vertreter des Berliner Magistrats den Eindruck zu Protokoll, Minden wäre bemüht, „die Elektroindustrie der britischen und der amerikanischen Zone in beschleunigtem Maße aufzubauen, Fertigungen von Berlin nach dort hinüberzuziehen und sich vor allem auch dann die Kapazität bereitzustellen, wenn z. Zt. aus besonderen Umständen noch nicht oder nur in geringem Umfange produziert werden kann". 1 0 8 Auch in der elektrotechnischen Industrie waren an den Verlagerungen besonders solche Produktionszweige beteiligt, die in Berlin überrepräsentiert und in Westdeutschland vergleichsweise schwach vertreten waren. Hierzu gehörten vor allem die Glühlampenindustrie und die Rundfunkgeräteindustrie. 109 Der enorme Substanzverlust, den die Berliner Elektroindustrie als Folge der Wanderungsbewegung nach Kriegsende erlitt, zeigt sich auch in der strategischen Bedeutung verlagerter Unternehmensbereiche. Viele Firmen bauten ihre Zentralen, ihre Vertriebsorganisationen und ihre Forschungslaboratorien im Westen neu auf, während ein überproportionaler Teil der Produktion in (West-)Berlin blieb. Nur bei einem einzigen Großunternehmen der elektrotechnischen Industrie, den DeTeWe, blieben alle leitenden Bereiche in West-Berlin konzentriert. Der Vergleich zwischen den beiden untersuchten Branchen zeigt, daß die elektrotechnische Industrie, in der die Abwanderung bedeutender war, sich nach 1949 im Westteil Berlins erfolgreicher entwickelte als der Maschinenbau. Die meisten der Firmen, die ihren Sitz in den Westen verlegten, konnten sich dort unter günstigeren Bedingungen entwickeln, als dies in Berlin möglich gewesen wäre. Vor allem konnten sie durch die Verlagerung ihre Marktanteile im Westen eher behaupten und vergrößern. Für die weitere Entwicklung in West-Berlin war aber die Position der einzelnen Branchen und Unternehmen auf dem westdeutschen Markt von entscheidender Bedeutung.
108
Aktenvermerk vom 11. 8. 1947, a.a.O., Bl. 21.
109
Osram errichtete neue Fabriken in Heidenheim und in Augsburg. Während der Blockade wurde
München als zweiter Firmensitz eingetragen. Der größte Teil der Fertigung blieb allerdings zunächst noch in West-Berlin. Zu den Verlagerungen in der Rundfunkgeräteindustrie siehe S. 420 f. Einen Sonderfall bildete die Verlagerung der Bosch-Tochter Blaupunkt. Ohne Beteiligung des Konzerns gründeten Mitarbeiter des Unternehmens im September 1945 in Hildesheim die Blaupunkt Apparatebau GmbH. Nach Beendigung des Entflechtungsverfahrens gegen Bosch fusionierte dieses Unternehmen im Mai 1952 mit der Blaupunkt-Werke GmbH, deren Firmensitz nun nach Hildesheim verlegt wurde. Firmenchronik der Blaupunkt-Werke GmbH Hildesheim 1923-1984, Bd. 1, Unternehmensarchiv der Robert Bosch GmbH, G 1/11.
Firmenabwanderung
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Siemens und die AEG Sowohl für Siemens als auch für die AEG verlor der Standort Berlin durch die Zäsur von 1945 seine bis dahin dominierende Bedeutung. 110 Bei den SiemensStammfirmen S&H und SSW hatten 1936 67% der Inlandsbeschäftigten in Berlin gearbeitet. Im August 1949 lag dieser Anteil noch bei 37,5%. Bei der AEG entfielen in der Zwischenkriegszeit rund 80% der Inlandsbeschäftigten auf Berlin, 1950 noch rund ein Drittel. 111 S&H und SSW errichteten bereits im Februar 1945 Gruppenleitungen in Hof, Mülheim/Ruhr und München. Seit Herbst 1944 war man hier über die Planungen der Alliierten bezüglich der späteren Zonengrenzen informiert.
Während der Ber-
lin-Blockade beschlossen die Aufsichtsräte von S&H und SSW, zum 1. April 1949 München bzw. Erlangen als zweiten Firmensitz ins Handelsregister eintragen zu lassen. 113 Auch bei der AEG wurden noch vor Kriegsende Teile der Unternehmensleitung in das Gebiet der späteren Westzonen verlegt. Der Vorstandsvorsitzende Hermann Bücher bildete in Hamburg eine Direktion, die nach Kriegsende das oberste Leitungsgremium für die Westzonen wurde. 1950 faßte die AEG die Verwaltungen für die westdeutschen Unternehmensbereiche zur Zentralverwaltung West in Frankfurt/M. zusammen. 114 Im Unterschied zu den Siemens-Firmen verstand sich die AEG in der Nachkriegszeit weiterhin als ein Berliner Unternehmen. 115 In West-Berlin wurde eine Hauptverwaltung errichtet. Faktisch war die Leitungsebene des Konzerns zunächst
110
Zur Entwicklung der Siemens-Firmen und der AEG in den ersten Nachkriegsjahren vgl. W. Feldenkirchen, Siemens..., S. 253-269; ders., Der Wiederaufbau des Hauses Siemens nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 bis zum Beginn der 50er Jahre), in: H. A. Wessel (Hrsg.), Demontage..., S. 177-209; Peter Strunk, Demontage und Wiederaufbau bei der Allgemeinen Elektricitätsgesellschaft (AEG) nach dem Zweiten Weltkrieg, in: a.a.O., S. 53-59; ders., Die AEG..., S. 62 ff. ' " A u / h a u der Siemens-Werke schreitet fort, in: Neue Zeitung vom 18.8.1949; AEG-Stammsitz bleibt Berlin, in: Telegraf vom 10. 10. 1950; Der Bericht der AEG, in: DBW, 4. Jg. (1954), Nr. 12, S. 392. Zum Stand der Zwischenkriegszeit siehe oben S. 25 f. 112 K.-D. Henke, Die amerikanische Besetzung..., S. 455-460; W. Feldenkirchen, Siemens..., S. 256 ff.; J. Putzmann, Die Entwicklung..., S. 246 f. Interne Überlegungen zu einer Teilverlagemng der Konzernleitung nach Westdeutschland hatte es schon seit dem Sommer 1943 gegeben. 113 Zum Wiederaufbau der Firmenleitungen in den Westzonen und zur Neuordnung von 1949 vgl. W. Feldenkirchen, Siemens..., S. 258-265; ders., Der Wiederaufbau..., S. 185-190; K.-D. Henke, Die amerikanische Besetzung..., S. 457 ff.; J. Putzmann, Die Entwicklung..., S. 247-251. 114 Bericht der AEG Braunschweig vom 24. 8. 1946, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/949; Unsere AEG, Berlin-Frankfurt/M. 1953, S. 23; AEG, in: Handbuch der Deutschen Aktiengesellschaften. Das Spezialarchiv der deutschen Wirtschaft 1955/56, Daimstadt 1956, S. 7189. 115 AEG-Stammsitz bleibt Berlin, in: Telegraf vom 10. 10. 1950; Max Domschke, Vom FriedrichKarl-Ufer zum Hohenzollerndamm, in: AEG-Mitteilungen, 41. Jg. (1951), H. 1/2, S. 36-38.
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II. Substanzverluste
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zwischen Berlin und Hamburg, ab 1950 dann zwischen (West-)Berlin und Frankfurt/M. aufgeteilt. Unter dem Einfluß des Vorstandsvorsitzenden Friedrich Spennrath und des Aufsichtsratsvorsitzenden Friedrich Ernst blieb die Hauptverwaltung im Westteil Berlins die eigentliche Machtzentrale. Erst in den späten fünfziger Jahren verschoben sich die Gewichte dann eindeutig zugunsten der Frankfurter Zentralverwaltung. Mit der Bildung von AEG-Telefunken im Jahr 1966 wurde dieser Prozeß abgeschlossen. Die Konzernzentrale war nun in Frankfurt/M. konzentriert, das formal als zweiter Firmensitz eingetragen wurde.116 Die Standortentscheidungen der Siemens-Firmen und der AEG zeigen die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Wiederaufbaustrategien der beiden Konzerne. Siemens betrieb in den Westzonen einen zügigeren und erfolgreicheren Neuaufbau als die AEG, die stärker an Berlin gebunden blieb. Die Gründe dafür lagen sowohl in einer günstigeren Ausgangsbasis als auch in einem entschiedeneren Management des Wiederaufbaus bei den Siemens-Firmen. Die AEG wurde von den Kriegsfolgeschäden und von der Teilung Deutschlands härter getroffen als Siemens. Bei Kriegsende lagen rund 90% der AEG-Fabriken in Berlin, Brandenburg und Sachsen. Von den Berliner Fabriken befand sich wiederum rund die Hälfte im Ostteil der Stadt.117 Die Fabriken in den westlichen Bezirken Berlins erlitten sehr hohe Demontageschäden. Weitere Verluste entstanden durch die Sperre bzw. Enteignung der Konten in Berlin.118 Der Geschäftsbericht für die Jahre 1944-1950 stellte fest, die AEG sei „durch den Zusammenbruch in ganz außergewöhnlichem Maße und schwerer als irgend ein anderes größeres Unternehmen der deutschen Elektroindustrie betroffen worden".119 Auch die Siemens-Firmen erlitten durch Kriegs- und Kriegsfolgeschäden hohe Verluste.120 Im Vergleich mit der AEG verfügten sie jedoch über eine breitere Aus-
116
AEG-Telefunken in Berlin, in: DBW, 16. Jg. (1966), Nr. 15, S. 552. AEG, Geschäftsbericht 1944-1950..., S. 9-12 u. 23 ff.; G. Hautsch, Das Imperium..., S. 43. 1944 arbeiteten 60% aller Beschäftigten der Berliner AEG-Fabriken auf dem Gebiet des späteren Ost-Berlin. Berechnet nach: OMGUS, Report on AEG..., Bd. 2, Anhang Nr. 1, IfZ. 117
118
Ihren durch Kriegsschäden, Demontagen und Enteignungen erlittenen Gesamtverlust an effektiven Vermögenswerten bezifferte die AEG auf weit Uber 1 Mrd. RM. Nach einer internen Schätzung verfügte die AEG Mitte 1946 nur noch über 30% ihrer bei Kriegsende vorhandenen Produktionskapazitäten. AEG, Geschäftsbericht 1944-1950..., S. 11; Bericht über die Besprechung mit der Zentrale Hamburg vom 10711.7. 1946, SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV/6.02/80, Bl. 60. Vgl. P. Strunck, Demontage..., S. 54 f.; ders., Die AEG..., S. 62 f. 119 120
AEG, Geschäftsbericht ¡944-1950..., S. 9.
In den Bilanzen von S&H und SSW wurden diese Verluste mit einer Gesamtsumme von 2,1 Mrd. RM ausgewiesen, das waren rund 75% des Konzernvermögens. Bezogen auf die Größe des Konzerns lagen die Verluste ähnlich hoch wie bei der AEG. Für den gesamten Konzern beliefen sich die Verluste auf 2,58 Mrd. RM, was rund 80% der Unternehmenssubstanz entsprach. Allein die Demontageschäden lagen einschließlich der Kriegssachschäden bei über 1 Mrd. RM. Siemens & Halske AG, 50. Geschäftsbericht.
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gangsbasis im Westen, wo besonders SSW traditionell stark vertreten war. 121 Zum amerikanisch besetzten Gebiet gehörten zunächst auch die S&H-Betriebe in Thüringen. Bis zur Übergabe Thüringens an die Sowjetunion im Juli 1945 konnte Siemens mehr als 500 Tonnen Firmengut nach Bayern transferieren. 122 Die Berliner Siemens-Betriebe waren vor 1945 auf dem Gebiet des späteren West-Berlin in den Bezirken Spandau (Siemensstadt) und Charlottenburg konzentriert. Von den Enteignungen in Ost-Berlin wurden nur die Konzerngesellschaften Siemens-PIaniawerke und Vereinigte Eisenbahn-Signalwerke hart getroffen. Siemens konnte den Neuaufbau im Westen mit einer günstigeren Kapitalbasis angehen als die AEG. Die Bilanzen von S&H und SSW wiesen Ende September 1945 trotz der Kontensperre in Berlin flüssige Mittel in Höhe von insgesamt 123 Mio. RM aus. Neben dem Kapitalvermögen der westdeutschen Betriebe und den Erlösen aus deren Produktion verfügte Siemens aufgrund seiner vorsichtigen Bilanzierungsstrategie über stille Reserven in Höhe von schätzungsweise rund 300 Mio. RM. 1 2 3 Vor diesem Hintergrund konnte sich der Konzern auch gewisse Risiken bei der Finanzierung des Wiederaufbaus leisten. Nach der Währungsreform wurde bei S&H das Grundkapital im Verhältnis von 5 : 3 umgestellt, bei SSW sogar im Verhältnis von 6 : 5. 1 2 4 Anders als Siemens mußte die AEG den Wiederaufbau bis 1948 ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzieren. Neben den verbliebenen Bankguthaben in den Westzonen waren die Erlöse aus der laufenden Produktion eine wichtige
J. 10.1944 bis 30. 9.1947, Berlin-München 1950, S. 24 (Bilanz zum 30.9. 1945); Siemens-Schuckertwerke AG, 44. Geschäftsbericht. 1.10.1944
bis 30. 9.1947, Berlin-Erlangen 1950, S. 66 (Bilanz zum
30.9.1945). Bericht der Siemens & Halske AG an die Decartelization Branch des Bipartite Control Office, o. O. Ms. 1948, S. 20 ff.; W. Feldenkirchen, Siemens..., S. 253. 121
Einige der größten SSW-Fabriken befanden sich in Nürnberg, dem Stammsitz der früheren
Schuckert-Werke. S&H hatte während der Aufrüstung neue Zweigbetriebe in Thüringen und in Nordbayern errichtet. Unmittelbar nach Kriegsende lagen insgesamt vierzehn Siemens-Betriebe auf dem Gebiet der Westzonen. Nur wenige dieser Werke hatten größere Schäden erlitten. S&H, 50. Geschäftsbericht 1944-1947..., S. 10. 122
Diese Aktion widersprach den Vereinbarungen zwischen den Siegermächten, wurde jedoch von
den amerikanischen Behörden geduldet, die ihrerseits Naturwissenschaftler und Ingenieure aus den Thüringer S&H-Betrieben in die US-Zone, nach Heidenheim an der Brenz, transferierten. K.-D. Henke, Die amerikanische Besetzung..., S. 734 ff. u. 756 f. 123
S&H, 50. Geschäftsbericht
1944-1947...,
S. 64 ff.; Der Weg der Siemens-Gesellschaften,
S. 24; SSW, 44. Geschäftsbericht
1944-1947...,
in: Der Volkswirt, 5. Jg. (1951), Nr. 28, S. 23; Das
Stammhaus der Elektro-Industrie, in: WFZ vom 23.10. 1947, S. 4. 124
In der westdeutschen Elektroindustrie wurde das Grundkapital durchschnittlich im Verhältnis
100: 92 umgestellt, in der West-Berliner Elektroindustrie im Verhältnis 100: 59. Was sagen die Elektro-Bilanzen?, in: Der Volkswirt, 6. Jg. (1952), Nr. 1, S. 28; Der Weg der Siemens-Gesellschaften,
in:
a.a.O., 5. Jg. (1951), Nr. 28, S. 23 Zur Finanzierung des Wiederaufbaus bei Siemens vgl. W. Feldenkirchen, Siemens..., S. 345 ff.; ders., Die Finanzierung des Wiederaußaus in: H. A. Wessel (Hrsg.), Demontage..., S. 105-134.
im Hause Siemens nach 1945,
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II. Substanzverluste
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Finanzierungsquelle. Da die AEG nur noch über einen geringen Teil ihres Grundkapitals verfügen konnte, war die Kreditbeschaffung äußerst schwierig. Die Währungsreform führte dann erneut zu einer akuten Liquiditätskrise. Das Grundkapital wurde im Verhältnis 3 : 1 umgestellt. Die AEG sah sich nun zum Verkauf wichtiger Beteiligungen gezwungen. 125 Der unterschiedliche Verlauf des Wiederaufbaus bei Siemens und AEG war auch durch unternehmenspolitische Entscheidungen bedingt. Der Neuaufbau von Siemens in den Westzonen ging von einem strategischen Konzept aus. In einem Bericht an die alliierten Kontrollbehörden beklagte die Siemens-Leitung im Herbst 1948, daß sich ihre ursprüngliche Absicht, „nach dem Zusammenbruch den Wiederaufbau unserer westlichen Firmenteile an ein oder zwei Stellen zu konzentrieren", nicht realisieren ließ. 126 Tatsächlich konnten die strategisch wichtigen Unternehmensbereiche aber an wenigen Standorten, in München, Erlangen und Karlsruhe, konzentriert werden. Hier boten sich Siemens günstige Standortbedingungen. 127 Zusätzlich wurden mehrere Zweigbetriebe in strukturschwachen Regionen Bayerns mit einem hohen Flüchtlingsanteil errichtet (Amberg, Regensburg, Traunreut). An diesen Standorten konnten industriell angelernte Arbeitskräfte zu niedrigen Löhnen für Massenfertigungen rekrutiert werden. 128 Bei der AEG verlief der Neuaufbau in den Westzonen improvisiert. Durch die Aufteilung zwischen Berlin und den Westzonen war die Unternehmensverwaltung gespalten, der notwendige Wechsel in der Konzernleitung vollzog sich nur schleppend. Der Aufbau neuer Fabriken in den Westzonen lief erst im Herbst 1945, vor allem auf Drängen der Verkaufsorganisation, an. Die neuen Fabriken entstanden zu einem großen Teil in schwach industrialisierten Gebieten Nord- und Nordwestdeutschlands, die sich durch einen hohen Flüchtlingsanteil auszeichneten (Oldenburg, Neumünster, Hameln u. a.). 129 Häufig handelte es sich bei den neuen AEG-Betrieben um „Rucksackbetriebe". Zugewan-
125 AEG, Geschäftsbericht 1944-1950..., S. 13 f. u. 29 ff.; P. Strunck, Demontage..., S. 57; ders., Die AEG..., S. 65. Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), Berlin, in: Neue Zürcher Zeitung vom 29. 3 1950; Neuaufbau der AEG in Berlin und im Westen, in: Der Tagesspiegel vom 1. 3. 1950. 126
Bericht der S&HAG an die Decartelization Branch..., S. 18.
127
Die drei Standorte verfügten durchweg über ein großes Facharbeiterreservoir (bei Erlangen im weiteren Einzugsbereich), über Universitäten bzw. Technische Hochschulen und über günstige Verkehrsanbindungen. In Erlangen und München bestanden schon seit den zwanziger Jahren SiemensBetriebe. Nahe bei Erlangen lagen die großen SSW-Fabriken in Nürnberg. Zum Neuaufbau der Standortstruktur bei Siemens in den ersten Nachkriegsjahren vgl. W. Feldenkirchen, Siemens..., S. 267 ff. 128 Der Anteil von Flüchtlingen an der Belegschaft lag in Amberg bei 45%, in Heidenheim bei 53%, in Traunreut bei 65%. S&H, 57. Geschäftsbericht 1947-1950, Berlin-München 1950, S. 15. 129 Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), Berlin, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 87 vom 29. 3. 1950. Im neuen AEG-Hausgerätewerk in Oldenburg waren mehr als 50% der Beschäftigten Flüchtlinge
Firmenabwanderung
und
Standortverlagerungen
85
derte Ingenieure und Monteure nahmen in ehemaligen Kasernen, in Baracken oder in stillgelegten Fabriken die Arbeit auf. 1 3 0 Durch den rascheren und erfolgreicheren Wiederaufbau nach 1945 konnte Siemens den Vorsprung gegenüber der AEG weiter vergrößern, nachdem sich die Gewichte zwischen beiden Konzemen schon in der Zwischenkriegszeit zugunsten von Siemens verschoben hatten. 131 Im Laufe der fünfziger Jahre holte die AEG auf. Zwischen der Ertragskraft und der Eigenkapitalausstattung beider Konzerne bestand aber weiterhin ein signifikantes Gefälle. 132 Wegen der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Wiederaufbaustrategien behielt Berlin auch als Produktionsstandort für die AEG eine größere Bedeutung als für die Siemens-Firmen. 133 Für die liquiditätsschwache AEG waren ihr Facharbeiterstamm und ihre Betriebsflächen in Berlin, die Förderung öffentlicher Aufträge für die West-Berliner Wirtschaft und die gezielte Vergabe von Investitionskrediten aus dem Marshall-Plan nach West-Berlin wichtiger als für Siemens. Der Vergleich zwischen beiden Konzernen zeigt, daß das stärkere Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg schon frühzeitig aus Berlin abwanderte, während das schwächere Unternehmen hier bis Mitte der sechziger Jahre seinen Stammsitz behielt. Die Verlagerung der Siemens-Zentralen war für die (West-)Berliner Industrie der schwerste Verlust, den sie im Rahmen der Firmenabwanderung erlitt. Aus Berliner Sicht stellt sich diese Verlagerung als eine Abwanderung „in die Diaspora" (W. Ribbe) dar. 134 Wirtschaftlich gesehen handelte es sich um eine rationale Entscheidung, die dazu beitrug, daß der Konzern effizienter wiederaufgebaut werden konnte. Siemens reagierte flexibler und erfolgreicher als die AEG auf den 1945 eingetretenen Bedeutungsverlust des bisherigen Zentrums der deutschen Elektroindustrie. Vom zügigen Neuaufbau des Konzerns im Westen profitierten auch die Werke
und Vertriebene. Unsere AEG..., S. 66. Ähnlich hoch lag dieser Anteil wohl in der Schaltgerätefabrik Neumünster und in der Zählerfabrik Hameln. 130
Die Hamburger Zeitung Die Welt sah darin einen „Sieg der Improvisation", der durch das eigenständige Handeln einer zweiten Garnitur von leitenden Mitarbeitern zustande kam, während die Konzernspitze „oft wechselte, festgesetzt war oder kaltgestellt wurde". E. Schulz, Der elektrifizierte Mensch, in: Die Welt vom 24. 3. 1952. 131
W. Feldenkirchen, Zur Unternehmenspolitik..., S. 56; ders., Siemens..., S. 102 u. 117 ff. Anfang der sechziger Jahre verfügte Siemens über Eigenmittel in Höhe von rund 125% des Anlagevermögens. Bei der AEG lagen die Eigenmittel um 25% niedriger als das Anlagevermögen. Die Rücklagen übertrafen bei Siemens nun das Grundkapital. Bei der AEG blieben sie unter 50% des Aktienkapitals. Sebastian Hornung, Abstand zwischen AEG und Siemens wird kleiner, in: Der Tagesspiegel vom 26. 2. 1961; Das Rennen zwischen AEG und Siemens, in: a.a.O. vom 8. 9. 1965; Siemens-Finanzierung eilt der Zukunft voraus, in: Die Welt vom 7. 2. 1964. 132
133 1949 stammten rund 50% der AEG-Produktion aus West-Berlin. In den Siemens-Stammfirmen lag dieser Anteil 1950 bei knapp 38%. 134 W. RibbeAV. Schäche, Die Siemensstadt..., S. 249 („Der Weg in die Diaspora").
86
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis
1945-1948/49
in Siemensstadt. Siemens blieb in West-Berlin der größte private Arbeitgeber und Investor.135
Der
Wiederaußau
Faktoren und Barrieren des Wiederaufbaus in der Viermächtestadt Trotz der Demontagen wurde der bei Kriegsende eingetretene Produktionsstillstand in den meisten Betrieben der Berliner Industrie schon nach wenigen Wochen überwunden.136 Im sowjetischen Sektor ordnete die SMAD auf dem Höhepunkt der Demontagewelle mit dem Befehl Nr. 9 vom 21. Juli 1945 die Wiederaufnahme der Produktion an.137 Die elektrotechnische Industrie stützte sich zunächst auf öffentliche Aufträge zur Ingangsetzung der stark zerstörten Infrastruktur. Stromversorgungsanlagen, Verkehrsnetze, Post- und Fernmeldeeinrichtungen wurden wiederhergestellt. Neben den Aufräumungs- und Reparaturarbeiten nahmen die Betriebe in allen vier Sektoren Berlins Notfertigungen von Gütern des täglichen Bedarfs auf. So wurden in Siemensstadt u. a. Kochtöpfe und Fahrradschläuche hergestellt, in den Apparatefabriken Treptow Bratpfannen und Gießkannen.138 Im Herbst 1945 begann eine zweite Phase des Wiederaufbaus, die durch die Ingangsetzung der regulären Produktion gekennzeichnet war. In einer dritten Phase konnte dann ab 1946 die Arbeitsproduktivität deutlich erhöht werden. Das Produktionsniveau der Berliner Elektroindustrie lag 1946 bei 15-20% des Stands von 1936.139 Im Maschinenbau lief der Wiederaufbau langsamer an. Die Wiederherstellung der Ausrüstungen nach den Demontagen war hier wegen des hohen Anteils aufwendiger Spezialmaschinen besonders schwierig. Der Werkzeugmaschinenbau unterlag den alliierten Produktionsbeschränkungen. Das massivste Hindernis war aber der Mangel an Eigenkapi-
135
Bis Juni 1948 wurden in Siemensstadt 59,8 Mio. RM investiert. Der weitaus größte Teil dieser
Mittel war von den westdeutschen Werken aufgebracht worden. Wiederaufbau in
Berlin-Siemens-
stadt..., S. 14. 136
Bei der Arbeitsstättenzählung vom 12. 8.1945 waren nur noch 6% der erfaßten Betriebe arbeits-
unfähig. 64% der Betriebe gaben an, daß ihre Arbeitsfähigkeit stark herabgesetzt war. Berlin in Zahlen 1947, Berlin 1949, S. 209. 137
Berlin, Quellen und Dokumente 1945-51..., 1. Halbbd., Dok. Nr. 244, S. 373 ff.
138
Wiederaußau
in Berlin-Siemensstadt...,
S. 9; W. Ribbe/W. Schäche, Die Siemensstadt..., S. 254;
LAB(STA), Rep. 106/57; Geschichte der Zentralen Vorbetriebe 1945-1949 (Apparatefabriken Treptow), a.a.O., Rep. 401/43, Bl. 8. Für die gesamte Berliner Elektroindustrie: R. Schwärzel, Die Berliner Elektroindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg..., S. 171. 139
Wiederaußau in Berlin-Siemensstadt...,
S. 9 ff.; Käthe Koch, Nachkriegsprobleme der deutschen
Elektro-Industrie, Berlin 1950, S. 9. Zur Periodisierung des Wiederaufbaus in der gesamten Berliner Industrie vgl. Das erste Jahr. Ein Rechenschaftsbericht des Magistrats der Stadt Berlin, hrsg. im Auftrage des Magistrats der Stadt Berlin, Berlin 1946, S. 70 f.
Der Wiederaufbau
87
tal. Viele Maschinenbaufirmen versuchten zunächst, durch die Fertigung von Eisenund Blechwaren an flüssige Mittel zu gelangen. Andere stützten sich auf öffentliche Reparaturaufträge. Das Produktionsniveau des Berliner Maschinenbaus lag nach Angaben der Magistratsverwaltung im August 1946 bei 12,5% des Stands von 1938. 140 Gegenüber dem Tiefststand nach Kriegsende bedeutete das im Laufe des Jahres 1946 erreichte Niveau eine beachtliche Steigerung. In der Berliner Elektroindustrie lag die Bruttoproduktion im Juni 1946 um 116% über dem Stand vom November 1945, im Berliner Maschinenbau um 83%. In der gesamten Berliner Industrie stieg der Umsatz bis zum Herbst 1946 stark an. 141 Vor dem Hintergrund der hohen Demontageschäden, der Zerstörungen in der Infrastruktur und der kritischen, oft hoffnungslos erscheinenden Versorgungslage wurde diese Entwicklung auch in der neueren Forschung als „Berliner Aufbauwunder" bezeichnet. 142 Das „Wunder" beruhte auf mehreren Faktoren. Entscheidende Bedeutung hatten die Qualifikation und das Know-how der Belegschaften. Hinzu kamen die nach Kriegsende noch vorhandenen Vorräte an Rohstoffen und Halbfertigwaren sowie die rasche, behelfsmäßige Wiederherstellung der Ausrüstungen. Im sowjetischen Sektor waren die Reparationsaufträge der Siegermacht ein weiterer Faktor. Der vorhandene Stamm an qualifizierten und langjährig erfahrenen Mitarbeitern war in der Mangelwirtschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit das wichtigste Kapital der Betriebe. 143 In Zeitzeugenberichten, Unternehmenschroniken und betriebsgeschichtlichen Darstellungen wird die Bedeutung dieses Faktors für den Wiederaufbau zu Recht betont. 144 Die Betriebe der Berliner Elektro- und Metallindustrie versuchten deshalb, einen möglichst großen Teil ihrer Stammbelegschaft zu halten bzw. wiedereinzustellen. Das erste Jahr des Wiederaufbaus war durch einen kräftigen Anstieg der Beschäftigtenzahlen gekennzeichnet. 145 In fast allen größeren Betrieben der Elektroindustrie und des Maschinenbaus gelang es den Belegschaften, durch die Wiederherstellung von geborgenen Trümmermaschinen, durch die Instandsetzung älterer Maschinen und durch Nachkon140
Hauptamt für Gesamtplanungen, Ref. Wirtschaft C, Die industrielle Produktion (Okt. 1948),
LAB, Rep. 10A,Acc. 410/72. 141
Emil Dusiska, Die Industrie der Hauptstadt Deutschlands,
in: Die Wirtschaft, 1. Jg. (1946),
S. 195; Berlin in Zahlen 1947..., S. 215. 142
J. Roesler, Berlins Industrie..., S. 1047. Zum Wiederaufbau der Berliner Industrie nach 1945 vgl.
a.a.O., S. 1041-1964; ders., Zum Wiederaußau.... Beide Beiträge sind von einer Neigung gekennzeichnet, das vor der politischen Teilung Berlins erreichte Niveau zu überhöhen. 143
Zum Gewicht dieses Faktors für den Wiederaufbau in den Westzonen und in der SBZ vgl.
W. Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland..., S. 105 ff.; W. Zank, Wirtschaft und Arbeit..., S. 182 ff. 144
Als Beispiel aus den Westsektoren: H. Borchardt/S. v. Weiher, 75 Jahre Kabelwerk
Berlin...,
S. 28 (SSW). Für den sowjetischen Sektor: K. Taube, Mit der Reparatur von Transformatoren begann es (1956), LAB(STA), Rep. 411/289 (TRO). Das erste Jahr..., S. 74 f.
88
/ / . Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
struktionen behelfsmäßige Ersatzlösungen für einen Teil der demontierten Ausrüstungen zu finden.146 Verschiedentlich konnte auch auf Maschinen zurückgegriffen werden, die während des Krieges ausgelagert worden waren. 147 Manche Unternehmen in den Westsektoren erhielten gebrauchte Maschinen aus Zweigbetrieben in den Westzonen. Im sowjetischen Sektor führte die Reparationsproduktion zu einer relativ zügigen Wiederaufnahme der regulären Fertigung. Die Betriebe erhielten dafür von der SM AD bevorzugt Arbeitskräfte, Rohstoffe, Halbfertigwaren und Energie zugeteilt. Durch den arbeitsintensiven, häufig improvisierten Wiederaufbau des Produktionsapparats blieb die Produktivität auf einem niedrigen Niveau. Nur in sehr begrenztem Umfang konnten neue Maschinen aus den Westzonen angeschafft werden. Nach den Demontagen, der Beschlagnahmung der Firmenkonten und der Errichtung der Zonengrenzen trug das langsamere Wiederaufbautempo zum Produktivitätsrückstand der Berliner Industrie gegenüber Westdeutschland bei, der sich in den ersten Nachkriegsjahren herausbildete. 148 Ein weiterer Faktor, der den Wiederaufbau in Berlin hemmte, war der Mangel an Rohstoffen und Energie. Noch stärker als in den vier Besatzungszonen wurde dieser Mangel in Berlin zu einem Schlüsselproblem des Wiederaufbaus, weil der Zerfall der regionalen Wirtschaftseinheit, die exponierte Lage der Westsektoren und die zunehmende Ost-West-Konfrontation die Versorgung hier zusätzlich erschwerten. Die Alliierten hatten sich im Juli 1945 nicht auf eine einheitliche Rohstoffbewirtschaftung für die Viermächtestadt einigen können. Die einzelnen Sektoren mußten aus den jeweiligen Besatzungszonen versorgt werden. 149 Das „Aufbauwunder" des ersten Nachkriegsjahrs war nur möglich gewesen, weil die Betriebe nach Kriegsende zunächst noch über beträchtliche Rohstoffvorräte verfügten. 150 Im Laufe des Jahres 1946 verlor der Wiederaufbau an Dynamik, da die Vorräte zur Neige gingen. Schon im Februar 1946 stellte die Abteilung Wirtschaft des Magistrats fest, daß in Berlin „mit den letzten vorhandenen Reserven" produziert wurde, „die nicht mehr
146
Im Osram-Werk D (Ostsektor) wurden z. B. ausrangierte Schweißapparate aus dem Keller geholt.
Bei DeTeWe (Westsektoren) wurden aus Trümmern Einzelteile und Maschinen geborgen, die noch brauchbar erschienen. H. Keil/H. Roth, Arbeiter..., S. 90; Schreiben an den Magistrat vom 6 . 6 . 1945, DeTeWe-Archiv, Unterlagen zur Entwicklung des Unternehmens nach Kriegsende; Günther Wagner, Chronik 100 Jahre DeTeWe 1887-1987 (Ms.), S. 67, DeTeWe-Archiv. 147
Dies belegen u. a. H. Keil/H. Roth, Arbeiter..., S. 89 (für das Osram-Werk im sowjetischen Sek-
tor) und K. C. Thalheim, Die Kriegszerstörungen und Demontagen in West-Berlin (S. 7), BArch, B 102/ 171469 (für die Telefunken-Betriebe in den Westsektoren). 148
Mitte 1948 lag die Arbeitsproduktivität in Berlin nach Berechnungen des DIW um rund 25%
niedriger als in den Westzonen. F. Seume, Die Industrie..., in: Berlins Wirtschaft in der
Blockade...,
S. 38. 149
Siehe S. 115 f.
150
Bericht über die Berliner Industrie vom 20.9. 1945 (Abschrift), LAB(STA), Rep. 106/303.
Der
Wiederaufbau
89
ergänzt werden können". Die Berliner Elektroindustrie erhielt 1946 nur rund 25% ihres Bedarfs an Material und Rohstoffen zugeteilt. 151 Im Laufe des Jahres 1947 zeigte sich dann auch die Funktionsschwäche der interalliierten Regelungen auf dem Gebiet der Kohlen- und Stromversorgung, die in allen vier Sektoren einheitlich über die Berliner Centrale Kohlenorganisation (BCKO), eine Außenstelle der Magistratsabteilung für Wirtschaft, erfolgte, bzw. über das Energieunternehmen Bewag, an dem die Stadt Berlin beteiligt war. 152 Ausgelöst durch einen außergewöhnlich harten Winter, brach die Kohlenversorgung Anfang 1947 zusammen („Berliner Kohlenkrise"). In den Westsektoren sank die Produktion der Elektroindustrie nun unter den Stand des ersten Quartals 1946. 153 Der Krisenwinter von 1946/47 führte auch in den Westzonen und in der SBZ zu einem vorübergehenden Rückgang der Industrieproduktion. 154 In der Viermächtestadt Berlin wurde die Kohlenkrise aber zum Politikum. Durch gegenseitige Schuldzuweisungen eskalierte nun der Konflikt zwischen dem Magistrat und der SED, der sich seit den Wahlen vom Oktober 1946 abgezeichnet hatte. 155 Der Zerfall der regionalen Wirtschaftseinheit behinderte die Rohstoff- und Energieversorgung der Berliner Industrie auch nach Überwindung der Winterkrise von 1946/47. In einem Jahresbericht für 1947 stellte die Wirtschaftsabteilung des Magistrats fest: „Die künftige Entwicklung der Berliner Elektro-Industrie wird im wesentlichen durch die Rohstoffzufuhr bestimmt sein. Die bisher zugeführten Rohstoffmengen reichen für die vorhandene Kapazität nicht entfernt aus." 156 Der Stromverbrauch ging in Berlin während des Frühjahrs 1947 weiter zurück. 157 Der Rohstoff- und Energiemangel trug entscheidend dazu bei, daß die Viermächtestadt hinter der Wachstumsentwicklung in den Westzonen zurückblieb. 158 In allen vier Sektoren Berlins lag die Industrieproduktion pro Kopf der Beschäftigten 1947 unter dem Vörjahrsstand. 159 Erst im Herbst 1947 nahmen der Stromverbrauch und 151
J . Roesler, Zum Wiederauflau..., S. 515 (Zitat); R. Schwärzel, Die Berliner Elektroindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg..., S. 175. 152 Siehe S. 116. 153 W. Matz, Struktur..., S. 142 (Anlage 4). Zur Berliner Kohlenkrise vgl. A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 447 ff.; J. Roesler, Zum Wiederauflau..., S. 523 f.; ders., Berlins Industrie 1945 bis 1947..., S. 1058 f. 154
W. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte..., S. 34 ff.; W. Matschke, Die industrielle Entwicklung..., S. 250 ff. u. 269 f. 155 A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 448 f.; G. Keiderling, Berlin..., S. 204 f. 156
Jahresbericht 1947 für den amerikanischen Sektor, LAB, OMGBS, Econ. Br. 4/64-3/1. Der Stromverbrauch in Berlin 1946/47, a.a.O., Rep. 200, Acc. 1704/36, Mappe 6. Die ursprünglich nur für den Winter vorgesehenen Stromabschaltungen wurden durch einen Befehl der Alliierten Kommandantur vom 5.6. 1947 verlängert. LAB(STA), Rep. 106/236, Bl. 115. 157
158 In den Westzonen stieg die Industrieproduktion im Februar und März 1947 um 17% an. W. Abelshauser, Wirtschaft..., S. 42 ff. 159 OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 1, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720.
90
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
der Umsatz der Industrie auch in Berlin kräftig zu. 160 Im Mai 1948, einen Monat vor Verhängung der Blockade, ging die Industrieproduktion in den Westsektoren wegen massiver Behinderungen des Transitverkehrs zurück.161 Im sowjetischen Sektor führte die vorrangige Versorgung der Reparationsbetriebe zu Engpässen in anderen Bereichen. Nach den Berichten der Magistratsverwaltung war hier die Versorgung mit Rohstoffen und Halbfertigwaren „für deutsche Aufträge völlig unzureichend".162 Das Produktionsniveau der Berliner Industrie erreichte nach Berechnungen des DIW im Jahresdurchschnitt 1947 rund 25% des Stands von 1936, während die Zahl der Beschäftigten in Industrie und Handwerk bei 45% des Vorkriegsstands lag. 163 Für das erste Halbjahr 1948 errechnete die Magistratsverwaltung dann ein Produktionsniveau von rund 35% des Stands von 1936. 164 Das DIW schätzte das Produktionsniveau in den Westsektoren für April 1948 auf rund 33% des Vorkriegsstands.165 Im Vergleich mit den vier Besatzungszonen lag der industrielle Produktionsindex in Berlin damit auf einem deutlich niedrigeren Niveau. 166 Die Industrie-
160 Berlin in Zahlen 1947..., S. 215. Die Versorgungslage in den Westsektoren blieb dennoch kritisch, da der sowjetische Sektor wiederholt einseitig von Stromsperren ausgenommen wurde. Der Stromverbrauch in Berlin 1946/47, LAB, Rep. 200, Acc. 1704/36, Mappe 6; Jahresbericht 1947 für den amerikanischen Sektor, a.a.O., OMGBS, Econ. Br. 4/64-3/1. 161
OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 1, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720. Magistrat, Abt. Wirtschaft, Jahressituationsbericht der Industrie im sowjetischen Sektor 1947 vom 11. 2.1948, LAB(STA), Rep. 106/236, Bl. 104. 162
163 Das durchschnittliche Produktionsniveau der Berliner Industrie im Jahr 1947 wurde von Grünig auf 25% des Stands von 1936 geschätzt. Nieschlag ging von 25-30% des Vorkriegsstands aus. Überhöht war ein von Roesler angeführter Index, wonach die Berliner Industrieproduktion im vierten Quartal 1947 39% des Stands von 1936 und im Durchschnitt des Jahres 1947 etwa ein Drittel des Vorkriegsstands erreicht hätte. Dies zeigen sowohl die Untersuchungen von Grünig und Nieschlag als auch der OMGBS-Bericht vom April 1949, der sich auf die Produktionsstatistik des Magistrats stützt. Ferdinand Grünig, Volkswirtschaftliche Bilanzen 1936 und 1947. Ein Beitrag zur Analyse der Wirtschaftslage, in: VzW, Jg. 1948, H. 1, S. 21; Robert Nieschlag, Probleme der Berliner Wirtschaft. Nachtrag zu der Schrift Berlins Wirtschaft im Übergang (Oktober 1947), Ms., Berlin 1948, S. 3 u. 6; J. Roesler, Zum Wiederaufbau..., S. 535; OMGBS, Special Report. LAB, Rep. 10, Acc. 4235/720. 164 165
OMGBS, Special Report, S. II/3, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801.
F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 52. Die amtliche Statistik konnte das tatsächliche Produktionsniveau vor der Währungsreform nur annäherungsweise erfassen. In der Produktionsstatistik der ersten Nachkriegsjahre fehlten z. B. Güter, die bei nicht registrierten Kompensationsgeschäften abgesetzt wurden. Wie die Kontroverse um den Stellenwert der westdeutschen Währungsreform gezeigt hat, ist die amtliche Produktionsstatistik für diesen Zeitraum aber dennoch eine zuverlässigere Quelle als etwa Schätzungen auf der Basis der Stromproduktivität. Vgl. hierzu Albrecht Ritsehl, Die Währungsreform von 1948 und der Wiederaufstieg der westdeutschen Industrie. Zu den Thesen von Werner Abelshauser und Manfred Manz über die Produktionswirlcung der Währungsreform, in: Vß, 33. Jg. (1985), S. 140 ff.; Christoph Buchheim, Die Währungsreform 1948 in Westdeutschland, in: a.a.O., 36. Jg. (1988), H. 2, S. 225. 166
Der Wiederaufbau
91
TABELLE 9
Bruttoproduktion der Industrie, der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in Berlin nach Stadtgebieten 1946-1948 Bruttoproduktion in Mio. RM, monatliche Durchschnittswerte GroßBer in Industrie
Sowjet. Sektor*
Westsektoren
Amerik. Sektor
Brit. Sektor
Franz. Sektor
1946/1 116,8 100) 45,1 (39 71,7(61) 28,4 (24) 26,7 (23) 16,6 (14) n
142,4 100) 59,3 (42 83,1 (58) 34,0 (23) 28,3 (20) 20,7(15)
m
165,0 100) 66,2 (40 98,8 (60) 38,7 (23) 37,2 (22) 22,8 (15)
IV
203,1 100) 106,3 (52 96,8 (48) 43,7 (21) 34,6 (17) 18,5 (10)
1947/1 111,7 100) 48,6 (44 63,1 (56) 29,3 (26) 21,2(19)
12,6(11)
n
156,3 100) 60,5 (39 95,8 (61) 42,5 (27) 36,1 (23) 17,5 (11)
m
162,5 100) 62,1 (38 100,4 (62) 45,1 (28) 37,2 (23) 18,0(11)
IV
188,4 100) 73,8 (39 114,6(61) 52,1 (28) 40,8 (22) 21,8 (11)
1948/1 198,9 100) 72,4 (36 126,5 (64) 59,3 (30) 45,4 (23) 21,9(11) Elektroindustrie
Maschinenbau**
1946/1 n
17,5 100) 21,5 100)
4,8 (27 12,7 (73) 6,1 (28 15,4(72)
6,7 (38) 7,8 (36)
1,9 (12) 2,3(11)
ni
25,8 100)
2,7 (10) 2,9 (14)
4,1 (23) 5,4(25)
IV
26,1 100)
6,7 (26 19,1 (72) 6,1 (24) 10,3 (40) 4,8(18 21,3 (82) 6,9(26) 11,5 (44)
1947/1
15,3 100)
2,8(18
12,5 (82)
5,2(40)
2,7(18)
n
25,6 100)
3,5(14
3,2(12)
m IV
29,5 100) 32,0 100)
3,8(13 4,7(15
22,1 (86) 6,8 (27) 12,1 (47) 25,7 (87) 7,7 (26) 14,7 (50)
1948/1
36,1 100)
1946/1 n
6,1 100) 7,0 100)
1,4 (23 1,3(19
4,7 (77) 5,7(81)
1,8(30) 2,5 (35)
1,0(17) 1,2(17)
1,9(31) 1,9 (29)
m
8,0 100)
1,6 (20
6,4 (80)
2,7 (34)
1,6(20)
2,3 (26)
27,3 (85)
4,6 (29)
8,4(26)
15,1 (47) 4,5 (12 31,6 (88) 10,1 (28) 17,0 (47)
3,3(11) 3,8 (12) 4,4(13)
IV
8,9 100)
2,2 (25
6,7 (75)
2,7 (30)
1,5(17)
2,5 (28)
1947/1
11,2 100)
3,7 (33
7,5 (67)
3,9 (35)
1,5(13)
2,0(19)
n
18,0 100)
6,0 (33 12,0 (67)
5,5 (31)
3,0(17)
3,4(19)
6,6 (34) 6,7 (29 16,5 (71) 7,5 (32)
3,4 (18)
IV
19,3 100) 23,2 100)
5,6 (29 13,7 (71)
4,9 (21)
3,6(19) 4,0(18)
1948/1
24,0 100)
5,8 (24 18,2 (76)
5,5 (20)
4,2(21)
m
8,5 (35)
* ohne SAG- Betriebe ** einschließlich Eisen-, Stahl-, Fahrzeug- und Schiffbau Quelle: OMGBS, Special Report: Berlin Industrial and Unemployment Survey (1949), Stat, annex, No. 1-4, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720.
92
11. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
Produktion der Bizone erreichte nach dem amtlichen Index im April 1948 53% des Stands von 1936. In der SBZ dürfte die industrielle Nettoproduktion im Durchschnitt des Jahres 1948 bei rund 60% des Stands von 1936 gelegen haben. 167 Diese Daten widerlegen die in verschiedenen älteren Veröffentlichungen zu findende Annahme, der Index der Industrieproduktion hätte in Berlin bis zur Blockade ein ähnliches Niveau erreicht wie in den Westzonen. 168 In der elektrotechnischen Industrie und im Maschinenbau war der Rückstand Berlins gegenüber den Westzonen besonders ausgeprägt. Die Produktion der Elektroindustrie lag in den Berliner Westsektoren im ersten Halbjahr 1948 bei 28% des Stands von 1936. In der Bizone wurden im April 1948 bereits 93% des Vorkriegsstands erreicht. Der Produktionsindex des Maschinenbaus (1936 = 100) lag im ersten Halbjahr 1948 in Berlin bei 22, in der Bizone dagegen im April 1948 schon bei 46 (einschließlich feinmechanisch-optische Industrie). 169 Bei den absoluten Produktionszuwächsen konnte die Berliner Elektroindustrie freilich bis zum Frühjahr 1948 mit der Branchenentwicklung in den Westzonen Schritt halten. 1 7 0 Die Produktionsstatistik der Magistratsverwaltung weist für die ersten Nachkriegsjahre markante Unterschiede zwischen den drei Westsektoren aus. Der französische Sektor blieb gegenüber dem amerikanischen und dem britischen Sektor wie auch gegenüber dem sowjetischen Sektor zurück (siehe TABELLE 9). In diesem Gebiet war der Rohstoffmangel am stärksten, da der französische Sektor aus der weit entfernt liegenden, rohstoffarmen französischen Zone versorgt wurde. 171 Im Vergleich zwischen den Westsektoren und dem sowjetischen Sektor zeigt die Magistratsstatistik bis zum ersten Quartal 1948 nur geringe Unterschiede in der Wachstums- und Produktivitätsentwicklung (zur Produktion siehe TABELLE 9). 167
W. Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland..., S. 43 u. 61; W. Zank, Wirtschaft und Arbeit..., S. 193. Tatsächlich dürfte der Abstand zwischen den Westzonen und Berlin noch größer gewesen sein, da für Berlin bis 1949 kein Nettoproduktionsindex erstellt wurde. Karl Georg Mahnke, Beitrag zur Berechnung eines Produktionsindex für Westberlin, in: VzW, Jg. 1951, H. 2, S. 138-147. 168
Vgl. z.B. Industrie und Handelskammer zu Berlin, Die Wirtschaft Westberlins 1945 bis 1955, Berlin 1955, S. 10; K. Pritzkoleit, Berlin..., S. 93; J. Nawrocki, „Amis ham wa noch". Die wirtschaftlichen Belastungen der Nachkriegszeit, in: ders., Brennpunkt Berlin. Politische und wirtschaftliche Realitäten, 2.Aufl„ Köln 1971, S. 57. 169 W. Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland..., S.43; OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 24, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720. 170
Der Anteil der Westsektoren an der Elektroproduktion des gesamten westlichen Besatzungsgebiets lag im ersten Quartal 1946 bei 22,7%, im ersten Quartal 1948 bei 24,5%. W. Matz, Struktur und Entwicklungslinien..., S. 142 (Anlage 4). 171
Jahressituationsbericht der Industrie 1947 im französischen Sektor, LAB(STA), Rep. 106/236, Bl. 67 ff.; Wirtschaftsbericht der Abt. Wirtschaft des Magistrats vom 31.12. 1948, a.a.Om\, Bl. 3 ff. 172 Zur Beschäftigtenstatistik: OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 1, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/ 720. Bestätigt wird dies auch durch die Daten in: J. Roesler, Berlins Industrie..., S. 1053.
Der
Wiederaufbau
93
Die Produktionsstatistik für den Ostsektor muß dabei um überhöhte Werte bereinigt werden, die sich ab dem vierten Quartal 1946 aus Preisverzerrungen in der pharmazeutischen Industrie und in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie ergaben. 173 Allerdings ist die Produktion der SAG-Betriebe in der Magistratsstatistik nicht enthalten. Dadurch wurde ein großer Teil der elektrotechnischen Produktion des Ostsektors vom vierten Quartal 1946 an nicht mehr erfaßt (siehe TABELLE 9). Unter Einbeziehung der SAG-Betriebe erreichte die Industrie im sowjetischen Sektor bis 1948 ein höheres Wachstum als die Industrie in den Westsektoren. 174
Die Betriebe Sowjetischer Aktiengesellschaften (SAG) und die sowjetischen Versuchsbetriebe im Ostteil Berlins
Anders als in den Westsektoren Berlins ist der Wiederaufbau der Industrie im Ostsektor unmittelbar von der Siegermacht mitgestaltet worden. Bereits im Juli 1945 wurde hier mit dem Aufbau sowjetischer Versuchs- und Konstruktionsbüros (Opytnoye Konstruktorskoye Byuro) begonnen, die als „eine Art Institut mit Laborfertigung" charakterisiert werden können. 175 Von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren die sowjetischen Experimentalbüros im Berliner Ostsektor auf dem Gebiet der Elektrotechnik tätig und unterstanden Technischen Kommissionen des sowjetischen Volkskommissariats/Ministeriums für Elektrotechnik. Die Reparationspolitik führte dadurch in der Elektroindustrie des Ostsektors zu einem raschen Neuaufbau von FuE-Kapazitäten, der in einer Kontinuität zur Entwicklung vor 1945 stand. Die sowjetischen Versuchsbetriebe deckten ein breites Spektrum der Elektrotechnik ab.
173
OMGBS, Special Report, S. II-3, S. 11-12 u. Stat. annex No. 1. LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801 u.
720. 174
Umrechnung der Daten des OMGBS-Reports unter Berücksichtigung des Produktionsanteils der SAG-Betriebe. 175 Siegfried Eichhorn, Zur Chronik unseres Werkes, in: WF Sender, Jg. 1965, Nr. 38, S. 4. Zur Entstehung der sowjetischen Versuchs- und Konstruktionsbüros im Ostteil Berlins siehe S. 64 f. Die sowjetischen Experimentalbetriebe in der SBZ und im Berliner Ostsektor unterteilten sich in WissenschaftlichTechnische Büros (WTB), Konstniktionstechnische Büros (KTB) und Sonderkonstruktionsbüros (SKB). Zusätzlich bestanden in der SBZ sogenannte wissenschaftlich-technische Zentren. B. Ciesla, Der Spezialistentransfer..., S. 25. Zu den sowjetischen Versuchsbüros vgl. a.a.O., S. 25 ff.; M. Judt, Die sowjetische Nutzung..., S. 124 ff.; Wolfgang Mühlfriedel, Einige Bemerkungen zu den technischen Kommissionen und Technischen Büros sowjetischer Volkskommissariate in der Ostzone, in: Ch. Buchheim (Hrsg.), Wirtschaftliche Folgelasten..., S. 131-140; ders., SAG-Betriebe - Schulen des Sozialismus. Eine Skizze der historischen Entwicklung des staatlichen sowjetischen Eigentums an industriellen Produktionsmitteln in der sowjetischen Besatzungszone und in der Deutschen Demokratischen Republik, in: JWG, Jg. 1980, T. 4, S. 171 f.
94
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis 1945-1948/49
Schwerpunkte bildeten besonders die elektronischen Rüstungstechnologien. Die größten sowjetischen Versuchsbetriebe im Ostteil Berlins, das Oberspreewerk und das ehemalige GEMA-Werk, beschäftigten sich mit der Elektronenröhren- und Hochfrequenztechnik bzw. mit der Radartechnik. Neben den Experimentalbetrieben bestanden noch kleinere Versuchsbüros, die räumlich und personell in deutsche Betriebe integriert waren. Hierzu zählten u. a. das Lichttechnische Büro im Komplex des ehemaligen Osram-Werks D und das KTB-1 in den Deutschen Niles Werken (siehe TABELLE 10).
Auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 167 vom 5. Juni 1946 wurden dann im gesamten sowjetischen Besatzungsgebiet rund 200 industrielle Schlüsselbetriebe als Reparationsleistung in das Eigentum neugegründeter Sowjetischer Aktiengesellschaften (SAG) überführt. 176 Die Gründung der SAG war Teil eines Kurswechsels in der sowjetischen Reparationspolitik. Die Demontagen wurden nun zunehmend durch Lieferungen aus der laufenden Produktion abgelöst. Damit war zugleich die Entscheidung für den Fortbestand und den Wiederaufbau einer industriellen Kernsubstanz im sowjetischen Besatzungsgebiet gefallen. Mit der Errichtung der SAG sicherte sich die Sowjetunion die Kontrolle über die Reparationsproduktion wie auch über den industriellen Wiederaufbau in der SBZ/DDR. 177 Die SAG waren rechtlich eine neue Konstruktion, ähnlich wie die gemischten Gesellschaften mit sowjetischer Beteiligung, die in Niederösterreich, Ungarn und Rumänien entstanden. Die Betriebe galten als exterritorialer Besitz der UdSSR. Sie produzierten nach sowjetischen Plänen, waren aber in deutsche Handelsregister eingetragen und formal als Aktiengesellschaften mit Vorstand und Aufsichtsrat organisiert. Die SAG faßten zumeist mehrere Schlüsselbetriebe einer Branche oder verwandter Produktionszweige zusammen. In der Elektroindustrie entstanden die SAG Isolator und Kabel, im Maschinenbau die SAG Arno, Awtowelo, Podjomnik, Totschmasch und Transmasch. Die einzelnen SAG waren in der zentralen SAG-Verwaltung - einer Art Holdinggesellschaft - zusammengefaßt, die der Verwaltungßr das sowjetische Vermögen im Ausland in Berlin-Weißensee unterstand. Diese Behörde
176
Der Wortlaut des SMAD-Befehls Nr. 167 ist abgedruckt in: Berlin, Quellen und Dokumente
1945-1951...,
1. Halbbd., Dok. Nr. 246, S. 380 f. Zur neueren Forschung über die SAG-Betriebe vgl.
R. Karisch, Allein bezahlt?..., S. 110-135; ders./Johannes Bähr, Die Sowjetischen
Aktiengesellschaften
(SAG) in der SBZ/DDR. Bildung, Struktur und Probleme ihrer inneren Entwicklung, in: Karl Lauschke/ Thomas Welskopp (Hrsg.), Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen
und Machtstrukturen in
industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhunderts (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte, Bd. 3), Essen 1994, S. 214-255. Aus der älteren Literatur: W. Mühlfriedel, SAG-Betriebe...-, W. Matschke, Die industrielle Entwicklung..., S. 204-219; Die sowjetische Hand in der deutschen Wirtschaft (= Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland), Bonn 1952 (mit einer Zusammenstellung der SAG-Betriebe, Stand August 1952). 177
Vgl. hierzu v. a. R. Karisch, Allein bezahlt?..., S. 110-113.
Der Wiederaufbau
95
TABELLE 10
Sowjetische Betriebe im Ostteil Berlins 1946/47-1953
Betrieb SAG-Betriebe
Febr. Aug. 1947 1951
Accumulatorenfabrik
X
X
Berliner Bremsen werk
X
X
X
Knorr-Bremse
Elektro-Apparate-Werke (EAW)
X
X
X
AEG
Elektrotechnische AG Adlershof
X
C. J. Vogel
Fernmelde- und Apparatefabrik
X
AEG
Kabelwerk Köpenick
X
X
C. J. Vogel
Kabelwerk Oberspree
X
X
AEG
Siemens-Plania
X
X
Steatit-Magnesia
X
Werk für Fernmeldewesen (WF)*
Betriebe anderer Firmen
Dez. ehemalige 1953 Eigentümer
X
Norddeutsche Nudelfabrik
XX
Siemens-Plania Steatit-Magnesia AEG
P. Tesch
Armeebetriebe
Progress
X
X
Versuchsbetriebe
BEM Büro für Starkstromtechnik
X
X(l)
EFEM
X
Institut für Elektronenmikroskopie
X
Lichttechnisches Büro
X
X
Sowexportfi lm/Filmkopierwerk
KTB (Werkzeugmaschinenbau)
AFA
X
Büssing/NAG
96
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis
1945-1948/49
Febr. Aug. 1947 1951
Betrieb LKVO/Oberspreewerk (Röhrentechnik)
X
MSP (Funk-und Radartechnik)
X
(3)
NEF (Drahtnachrichtentechnik)
X
(2)
Technisches Büro für Meßund Regelungstechnik
X
X(4)
Technisches Büro für Nachrichtenmittel
X
(2)
Versuchswerk Linse (Fahrzeugbau)
X
Dez. ehemalige 1953 Eigentümer
X in sowjetischem Besitz XX in sowjetischem Besitz vermutet * 1945/46 Versuchsbetrieb LKVO, ab 1946 Oberspreewerk, ab 1948 SAG-Betrieb Werk für Femmeldewesen (1) später VEB Elektrodyn Berlin (2) ins Oberspreewerk/Werk für Fernmeldewesen überführt (3) seit Dezember 1949 VEB Funkwerk Köpenick (4) später Institut für Regelungstechnik Quellen: LAB, OMGBS, 4/137-2/7; LAB(STA), Rep. 404/814; a.a.O., Rep. 440/814; SAPMOBArch, ZPA, NY 4090/358, Bl. 3-9; BArchB, DN 4/1177; a.a.O., DG 10/232 (rot).
war direkt dem Ministerrat der UdSSR unterstellt. 1 7 8 Geleitet wurden die SAGBetriebe von sowjetischen Generaldirektoren, bei denen es sich zumeist um hochqualifizierte Fachkräfte mit formalem Offiziersrang handelte. Der Generaldirektion war eine deutsche Leitung untergeordnet, so daß faktisch eine „Doppelherrschaft" .
.
existierte.
170
Im Ostteil Berlins wurden nach einer Liste der Magistratsverwaltung bis Februar 1947 elf Betriebe in SAG-Besitz überführt. 1 8 0 Diese Zahl entspricht den Angaben, Vgl. Franz Seume, Organisationsformen der Industrie in der sowjetischen Besatzungszone, Wirtschaftsprobleme der Besatzungszonen,
in:
hrsg. vom DIW, Berlin 1948, S. 222 ff.; R. Karisch, Allein
bezahlt?..., S. 110-135; W. Matschke, Die industrielle Entwicklung..., S. 204-219; W. Mühlfriedel, SAG-Betriebe..., S. 159-186. 179
R. Karlsch/J. Bähr, Die Sowjetischen Aktiengesellschaften...,
180
Mitteilung des Magistrats, Abt. Wirtschaft, vom 12. 2.1947, LAB, OMGBS, Dir.off. 4/137-2/7.
Die Zusammenstellung beruhte auf Angaben der Bezirksämter.
S. 234 f.
Der Wiederaufbau
97
die in der DDR veröffentlicht wurden. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die sowjetischen Versuchsbetriebe darin nicht enthalten sind. Insgesamt bestanden in der Industrie des Ostsektors 1947 mindestens zwanzig sowjetische Industriebetriebe (siehe TABELLE 10). 181 Zu den Berliner SAG-Betrieben gehörten vier ehemalige AEG-Fabriken, darunter die Apparatefabriken Treptow und das KWO. Hinzu kamen Betriebe wie das Siemens-Plania-Werk (Elektrokohle), die ehem. AFAAccumulatorenfabrik („Varta"-Batterien) und das Berliner Bremsenwerk (ehem. Knorr-Bremse), die vor 1945 eine Schlüsselstellung innerhalb ihrer jeweiligen Fachzweige hatten. 1 8 2 Die Zahl der SAG-Betriebe veränderte sich durch Umstrukturierungen und Übergaben. Die Versuchsbüros wurden 1948 aufgelöst oder in SAG-Betriebe integriert. Im August 1951 bestanden in Ost-Berlin noch sieben SAG-Betriebe (siehe TABELLE 10). Vier dieser Betriebe wurden im Frühjahr 1952 an die DDR übergeben. Die restlichen drei Betriebe, die EAW Treptow, das Siemens-Plania-Werk und das Berliner Bremsenwerk, blieben bis zur Auflösung der SAG Anfang 1954 in sowjetischem Eigentum. Nach Angaben der Magistratsabteilung für Wirtschaft bestritten die SAG im zweiten Quartal 1947 21% der gesamten Industrieproduktion des Ostsektors. 1950 hatten die SAG-Betriebe nach der amtlichen Statistik für Ost-Berlin noch einen Anteil von knapp 17% an der industriellen Bruttoproduktion. 183 Da es sich bei den SAG-Betrieben um Finalproduzenten handelte, von denen zahlreiche Zulieferer abhingen, war ihr Gewicht innerhalb der Ost-Berliner Industrie noch bedeutender als ihr Produktionsanteil. Bis Ende der vierziger Jahre ging ein sehr großer Anteil des Umsatzes der SAG-Betriebe auf das Reparationskonto. 184 Mit Ausnahme des ehemaligen Knorr-Bremse-Werks zählten die Ost-Berliner SAG-Betriebe durchweg
181
Vgl. hierzu auch Johannes Bahr, Die Betriebe Sowjetischer Aktiengesellschaften (SAG) in Berlin (1945-1953), in: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Jg. 1996, S. 183-208. Zu den in der DDR veröffentlichten Angaben siehe G. Keiderling/P. Stulz, Berlin..., S. 251; J. Roesler, Die Entwicklung..., S. 531. 182 Zur Entwicklung dieser Werke als SAG-Betriebe vgl. J. Roesler, Wiederaußau des KWO...-, H. Berger/R. Dix, Geschichte des VEB Kabelwerk Oberspree...; K. Laser, Werk... (zu den EAW); Hartmut Mehls, Der Beitrag der sowjetischen Leitungskader im SAG-Betrieb Siemens-Plania-Werke (heute VEB Elektrokohle Lichtenberg) bei der Ingangsetzung der Produktion, in: Die Entwicklung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR, Berlin 1977, S. 141-151; D. Wiezorrek, Die Entwicklung..., S. 63-74 (ebenfalls zu Siemens-Plania). 183 Die Demontagen und die Reparationslieferungen des Berliner Sowjetsektors, 11.4. 1948, LAB, Rep. 10A, Acc. 512/175H; Statistisches Jahrbuch der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik Berlin, 1. Jg. (1961), Berlin 1961, S. 191. Zu niedrig lag die Schätzung der Magistratsverwaltung für das zweite Halbjahr 1948 in: OMGBS, Special Report, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801, S. 11-13 (510% der gesamten Industrieproduktion bzw. rund 30% der Elektroproduktion). 184
Siehe oben S. 69.
98
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis
1945-1948/49
zur elektrotechnischen Industrie, die für die Reparationsproduktion hier von zentraler Bedeutung war. Der Produktionsanteil der SAG-Betriebe in der elektrotechnischen Industrie des Ostsektors wurde von der Magistratsverwaltung für das zweite Quartal 1947 auf 82% geschätzt.185 In den SAG-Betrieben lag das Wiederaufbautempo deutlich höher als in anderen Industriebetrieben des Berliner Ostsektors und der SBZ. Roesler hat dies am Beispiel des KWO gezeigt.186 Auch die EAW erzielten weit überdurchschnittliche Produktionssteigerungen. Nach Angaben der Werksleitung lag das Produktionsniveau dieses Betriebs 1950 bei rund 150% des Vorkriegsstands von 1936, während die gesamte Ost-Berliner Industrieproduktion nach der amtlichen Statistik zu diesem Zeitpunkt erst 76,5% des Vorkriegsstands erreichte. Beide Angaben waren überhöht. Die Differenz vermittelt aber dennoch ein recht realistisches Bild vom Vorsprung der SAG-Betriebe.187 Die EAW konnten 1950 als erster Großbetrieb der DDR die Erfüllung des Wirtschaftsplans melden, 1950 und 1951 gewannen sie den Produktionswettbewerb der Ost-Berliner Metallbetriebe.188 Das Siemens-PlaniaWerk in Lichtenberg wies für 1950 eine Produktionssteigerung von 26% aus, 1952 dann sogar von 39%.189 Aufschlußreich ist ein Vergleich zwischen den SAG-Betrieben KWO und EAW, die beide bis 1946 zur AEG gehört hatten (siehe TABELLE 11). In den EAW waren 95% des Maschinenbestands demontiert worden, im KWO nur 25%. Das KWO war damit unter den Großbetrieben des Ostsektors ein Sonderfall. Wie schon von Roesler betont wurde, zeigt der Wiederaufbau des KWO aufgrund der relativ günstigen Ausgangsbasis denn auch eine ausgesprochen untypische Entwicklung.190 Das KWO war in den ersten Nachkriegsjahren der größte und für die Reparationsproduktion wichtigste Industriebetrieb des Ostsektors. Am Ende der vierziger Jahre wurde das Kabelwerk dann jedoch von den EAW überholt, die nun - vermutlich wegen ihres breiteren Produktionsprogramms - einen höheren Anteil von Repara185 Die Demontagen und die Reparationslieferungen des Berliner Sowjetsektors, 11.4.1948, LAB, Rep. 10A, Acc. 512/175H. 186
J. Roesler, Wiederauflau des KWO... Die Produktion des KWO erreichte demnach 1949 wieder 60% des Stands von 1940/41. A.a.O., S. 252. Die Angaben Roeslers, nach denen die Arbeitsproduktivität im KWO schon 1948 wieder annähernd den Stand von 1940/41 erreicht hätte (a.a.O., S. 259), sind eindeutig überhöht. Der Ausrüstungsbestand des Werks lag zu diesem Zeitpunkt unter dem Niveau vom April 1945 (siehe unten TABELLE 11) und die Leistungsfähigkeit der Ausrüstungen, etwa des wiederaufgebauten Kupferwalzwerks, reichte nicht an den früheren Stand heran. 187
K. Laser, Das Werk..., S. 66; Statistisches Jahrbuch der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik Berlin 1963, Berlin 1963, S. 44. Zur höheren Produktivität der SAG-Betriebe vgl. auch M. Judt, Die sowjetische Nutzung..., S. 119 f. 188
K. Laser, Das Werk.., S. 61; 80 Prozent Produktionssteigerung 6. Jg. (1951), Nr. 47, S. 2. 189
D. Wiezorrek, Die Entwicklung..., S. 72 f.
190
J. Roesler, Wiederauflau des KWO..., S. 234 f.
in Berlin, in: Die Wirtschaft,
Der
Wiederaufbau
99
TABELLE 11
Ausrüstungen
und Beschäftigte des KWO und der EAW* 1937-1952
KWO Ausrüstungen
1. 5. 1945 Nach Abschluß der
Beschäftigte
3.489** Demontagen
EAW 1.675***
2.708
50
1946
2.711
543
1948
3.269
986
1937/38
9.400
9.500
1946
2.999
2.281 +
1948
4.580
3.717 +
1950
4.765
5.998
1952
ca. 6.000
ca. 8.000
* bis 1946 AT (Apparatefabriken Treptow) ** „Technische Anlagen" *** betriebsfähige Maschinen +
Stand 31. 12.
Quellen: OMGUS, Report on AEG, Bd. 1, Anhang Nr. 1, IfZ; J. Roesler, Wiederaußau des KWO..., S. 249-258; Geschichte der AT/EAW 1945-1949, LAB, Rep. 401/43, Anlage; Entwicklung der EAW als SAG-Betrieb, Ms., a.a.O.; Tätigkeitsbericht der EAW 1950, a.a.0./47; Die elektrotechnische Industrie in der sowjetischen Zone..., Anlage 12.
tionsaufträgen hatten. 191 Dieses Beispiel zeigt, daß die Stellung eines Betriebs innerhalb der Reparationsproduktion bzw. das damit verbundene Versorgungsniveau für die spätere Entwicklung offensichtlich von entscheidenderer Bedeutung war als der Umfang der Demontageschäden. Daß die SAG den Volkseigenen Betrieben (VEB) in nahezu allen Bereichen überlegen waren, erklärte die wirtschaftshistorische Forschung der DDR durch eine angebliche Modellfunktion der SAG. Die SAG-Betriebe wurden hier als „Schulen des Sozialismus" dargestellt, in denen deutsche Direktoren, Ingenieure und Arbeiter das sowjetische Modell erlernt hätten. Noch in der 1987 erschienenen BerlinGeschichte von Gerhard Keiderling wurde betont, die SAG-Betriebe seien für die
191
Der Anteil der Reparationsproduktion lag 1950 im KWO bei 20%, in den EAW bei 55%. A.a.O.,
S. 252; Tätigkeitsbericht EAW 1950, LAB(STA), Rep. 401/47.
100
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis 1945-1948/49
Ost-Berliner Arbeiter „Schulen des ökonomischen Denkens und Leitens gewesen". 192 Unter umgekehrten Vorzeichen wurden die SAG in der älteren westlichen Literatur ebenfalls als ein wichtiges Element der Sowjetisierung in der SBZ/DDR angesehen. 193 Die neuere Forschung hat dieses Bild gründlich revidiert. Das archivierte Quellenmaterial aus SAG-Betrieben widerlegt die These von den planwirtschaftlichen Musterbetrieben. Der relativ zügige Wiederaufbau der SAG-Betriebe ist auf einen privilegierten Sonderstatus innerhalb der SBZ/DDR-Wirtschaft zurückzuführen, der sich aus den Zielen der sowjetischen Reparations- und Deutschlandpolitik ableitete. 194 Die sowjetischen Behörden waren primär an der Leistung der SAGBetriebe interessiert. Dieses Interesse hatte auch Vorrang vor der Durchsetzung des sowjetischen Leitungs- und Planungsmodells. Die Ursache für die Überlegenheit der SAG gegenüber den VEB ist also eher darin zu sehen, daß in den sowjetischen Betrieben des Berliner Ostsektors und der SBZ/DDR die Kontinuitätslinien ausgeprägter waren. Intern führte denn auch das Amt für Reparationen den offensichtlichen Vorsprung der SAG gegenüber der volkseigenen Industrie auf die günstigere Materialversorgung, auf die effizientere Organisation und das selbständigere Handeln in den SAG-Betrieben zurück. 195 Die Bezeichnung Sowjetische Aktiengesellschaft, die formale Anlehnung an das deutsche Aktienrecht und die Auflösung nach der 1953 erfolgten Kurskorrektur in der sowjetischen Deutschlandpolitik deuten darauf hin, daß das SAG-Konzept ursprünglich an eine gesamtdeutsche Perspektive gebunden war. Vermutlich wurde diese Strategie gewählt, um bei einer Vereinigung der vier Besatzungszonen den Einfluß der UdSSR auch innerhalb einer gesamtdeutschen Wirtschaft zu sichern, die nicht nach dem sowjetischen Modell organisiert war. Explizit soll dies Außenhandelsminister Anastasij I. Mikojan in einer Instruktion an SAG-Direktoren betont haben: „Bildhaft gesprochen seid ihr sowjetische Kolonisten. Wenn es passieren sollte, daß unsere Regierung beschließt, unsere Truppen aus Deutschland abzuziehen, werdet ihr allein dort bleiben und einen harten Kampf mit den kapitalistischen
192
G. Keiderling, Berlin..., S. 411. Zur These von der Vorbildfunktion der SAG für den Sowjetisie-
rungsprozeß in der SBZ/DDR-Industrie vgl. Heinz Domeinski, Die SAG-Betriebe zialismus, dargestellt W. Mühlfriedel, 193
am Beispiel des VEB Chemiekombinat
als Schulen des So-
Bitterfeld, Diss. Halle-Wittenberg 1975;
SAG-Betriebe...
Horst Duhnke, Stalinismus
in Deutschland.
Die Geschichte
der sowjetischen
Köln 1955, S. 108 ff.; Karl C. Thalheim, Die Sowjetische Besatzungszone ke/Rudolf Neumann (Hrsg.), Die Sowjetisierung
Ost-Mitteleuropas,
Deutschlands,
Besatzungszone, in: Ernst Bir-
Bd. 1, Frankfurt/M.-Berlin 1959,
S. 338 ff. 194
R. Karlsch/J. Bahr, Die Sowjetischen
S. 110-135; N. Naimark, The Russians..., 195
Aktiengesellschaften...]
R. Karisch, Allein
bezahlt?...,
S. 189 ff.
Amt für Reparationen, Jahresbericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1953, BArchB,
DC 2/17413, Bl. 57.
Der
Wiederaufbau
101
Konkurrenten führen. Denkt daran, das Wichtigste ist die Zahlungsfähigkeit der Betriebe und ihr Profit!" 196 Über die SMAD wurden die SAG bevorzugt mit Arbeitskräften, Energie, Rohstoffen, Halbfertigwaren und Ausrüstungen versorgt. Auch bei der Auftragsbeschaffung und beim Vertrieb wurden die sowjetischen Betriebe von der SMAD unterstützt. 197 Die SAG konnten selbständig Geschäftsabschlüsse mit westlichen Unternehmen tätigen. Nach der währungspolitischen Teilung standen ihnen relativ hohe DM-Beträge zur Verfügung, um Engpaßmaterialien aus Westdeutschland zu beziehen. 198 Die Versorgung der Beschäftigten war in den SAG-Betrieben besser als in anderen Betrieben Ost-Berlins und der SBZ/DDR. Um qualifizierte Arbeitskräfte anzuwerben bzw. zu halten, wurden in den SAG-Betrieben Prämien eingeführt, Gratifikationen ausgezahlt, Privilegien bei der Lebensmittelzuteilung gewährt, Einkaufsund Freizeiteinrichtungen errichtet. 199 Unter den Bedingungen der ersten Nachkriegsjahre war die Beschäftigung in einem SAG-Betrieb daher auch für Ingenieure, Techniker und Facharbeiter aus den Westsektoren Berlins attraktiv. 200 Anders als in den unter Treuhandverwaltung stehenden Betrieben und in den VEB fand in den SAG-Betrieben kein vollständiger Bruch mit den früheren Organisations- und Leitungsstrukturen statt. In einem der größten Berliner SAG-Betriebe, dem KWO, existierte weder eine Planungsabteilung noch eine zentrale Produktionsleitung. Wie in einem Bericht der betriebstechnischen Verwaltung betont wurde, war das Kabelwerk bis zur Übergabe an die DDR im Jahr 1952 „nach kapitalistischen, betriebswirtschaftlichen Methoden" organisiert. Ein ähnliches Urteil findet sich in einem Bericht über den SAG-Betrieb Siemens-PIania. 201 In den deutschen Direktionen der SAG-Betriebe waren leitende Mitarbeiter aus der Zeit vor 1945 und Fachkräfte ohne Parteibindung stärker vertreten als in den Führungsebenen der VEB. In den Apparatefabriken Treptow, den späteren EAW, wurde zunächst ein Direktor aus der AEG-Zeit zum Werkleiter ernannt, im KWO blieb sogar die gesamte frühere Leitung. 202 Parteilose Fachkräfte konnten aus mittleren Führungspositionen in die Direktionsebene aufsteigen. Im KWO wurde der 196
Zitiert nach: R. Karisch, Allein bezahlt?..., S. 111. Bericht über den Stand der Produktion und des Absatzes der ehemaligen SAG-Betriebe nach der Überführung in Volkseigentum vom 30. 3. 1954, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4090/358. 197
198 Amt für Reparationen, Jahresbericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1950, BArchB, DC 2/17091, Bl. 93. 199
J. Bahr, Die Betriebe...', Bericht über die politische und kulturelle Entwicklung der Fabrik seit 1945 vom 21. 6. 1949, LAB(STA), Rep. 401-05/44, Bl. 4 (EAW); K. Laser, Das Werk..., S. 53 (EAW); H. Mehls, Der Beitrag..., S. 148 (Siemens-PIania). 200
J. Bahr, Die Betriebe... SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/1V 2/6.04/84 (Zitat); a.a.O., BPA, IV/2/6/792, Bl. 7. 202 Karl Helms, Erinnerungen an die Zeit der Loslösung der Apparatefabriken Treptow aus dem AEG-Konzem, in: Helmut Tichter, Die Enteignung der Konzerne in Berlin, dargestellt am Beispiel der 201
102
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
parteilose Ingenieur Georg Pohler, der hier seit 1937 tätig war, von der sowjetischen Leitung zum Direktor ernannt. 2 0 3 In den SAG-Betrieben zeichnete sich das leitende Personal daher durch eine größere Erfahrung und Sachkompetenz aus als in den Treuhandbetrieben bzw. in den VEB. Ein SED-interner Bericht vom Frühjahr 1954 betonte die größere Eigenständigkeit, Offenheit und Flexibilität der Werksleitungen in den SAG, die noch bei der Übergabe dieser Betriebe an die DDR vorhanden waren: „Die Wirtschaftsfunktionäre der ehemaligen SAG-Betriebe unterscheiden sich von den Führungskadern der volkseigenen Betriebe dadurch, daß sie offen die Schwächen und Vorzüge der ihnen unterstellten Betriebe herausstellen und Hilfe für die Beseitigung der bestehenden Schwierigkeiten zuerst bei sich selbst suchen." 2 0 4 Besondere Bedeutung hatte für die SAG die Nutzung des in Ostdeutschland verbliebenen FuE-Potentials. Für die benötigten Spezialisten bestanden Anreize in Form materieller Vergünstigungen und einer lockeren Handhabung der Entnazifizierungsbe205
Stimmungen. Betriebsräte, Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) und Betriebsparteiorganisationen (BPO) der SED beschwerten sich bei den sowjetischen Dienststellen vergebens über die Privilegierung „antisowjetischer" und „reaktionärer" Spezialisten in den Versuchs- und SAG-Betrieben. 2 0 6 Bei einer Besprechung in der sowjetischen Kommandantur berichtete ein SED-Funktionär im Juli 1948 aus dem Oberspreewerk, daß sich der größte Teil der leitenden Angestellten „aus reaktionären Kreisen" zusammensetzte. 2 0 7 Ein Betriebsrat eines SAG-Betriebs in der SBZ erklärte: „Wenn das der Sozialismus ist, den uns die Russen bringen sollen, dann bedanken wir uns dafür." 2 0 8 Auf einer Konferenz der SED-Landesleitung Groß-Berlin mußte Wilhelm Pieck 1947 dem „Parteiklatsch" entgegentreten, bei den SAG handele es sich um den „Wiederaufbau der kapitalistischen Gesellschaft". 2 0 9 Durch die Teilung Deutschlands wurde das S AG-Konzept in den Jahren 1948/49 obsolet. Die SAG-Betriebe der Ost-Berliner Elektroindustrie gerieten mit dem Apparatefabriken Treptow. Abschlußarbeit HUB, Ms. Berlin 1968, Anlage III; Protokoll zur Sitzung am 15. 7. 1948; J. Roesler, Wiederaußau des KWO..., S. 215; SAPMO-BArch, BPA, IV L/2/6/281, Bl. 24. 203
Zur Biographie von Georg Pohler vgl. Wer war wer - DDR. Ein biographisches Lexikon, Berlin 1992, S. 353. 204 Bericht über den Stand der Produktion und des Absatzes der ehemaligen SAG-Betriebe nach der Überführung in Volkseigentum vom 30. 3. 1954, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4090/358, Bl. 30. 205
Vgl. R. Karlsch/J. Bahr, Die Sowjetischen Aktiengesellschaften..., S. 229-244. Protokoll über die Sitzung mit dem russischen Kommandanten von Berlin am 29.11. 1946, LAB(STA), Rep. 404/150; Schreiben des NEF-Betriebsrats vom 13. 8. 1947, a.a.O. 206
207 Protokoll zur Sitzung der Zentralkommandantur mit den Sekretären der SAG- und SMA-Betriebe am 15. 7. 1948, SAPMO-BArch, BPA, IV L/2/6/281, Bl. 24. 208
Zitiert nach einem Direktionsbericht aus dem Synthesewerk Schwarzheide vom 12.6.1947, a.a.O., ZPA, IV/6.02/53. 209
Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 26.7.1947, a.a.O., BPA, IV L/2/1/20, Bl. 42.
Der Wiederaufbau
103
Rückgang der Reparationsaufträge nach Gründung der DDR in eine Absatzkrise, da ihre Produktion nicht auf die zentrale Wirtschaftsplanung der DDR abgestimmt war. Schrittweise mußten sich die SAG-Betriebe nun auf die DDR-Wirtschaft umorientieren. Nachdem die Betriebe mit der Übergabe an die DDR ihren Sonderstatus vollständig verloren hatten, kam es hier zu einer schweren Umstellungskrise. Der Investitionsbedarf der übernommenen SAG-Betriebe war in der längerfristigen Planung der DDR nicht berücksichtigt worden. 2 1 0 Die Betriebskosten stiegen drastisch an, die Arbeitsproduktivität ging zurück. Aus einem internen Bericht der SED-Bezirksleitung geht hervor, daß der Produktionszuwachs in den ehemaligen SAG-Betrieben Ost-Berlins nach der Übergabe an die DDR auf ein Sechstel des früheren Niveaus absank. Als Ursache dafür wurden „emsthafte Mängel" in der Arbeit der Werksleitungen und der zuständigen Behörden genannt. 211 Mit der Übergabe an die DDR gerieten auch die parteilosen Fachkräfte in den Leitungen und FuE-Abteilungen der Betriebe unter politischen Druck. BGL- und BPO-Funktionäre griffen diesen Personenkreis nun mit Kampagnen gegen „Konzerntreue" und gegen „Managertum" an. 2 1 2 In den EAW (seit 1. Mai 1953: EAW ,J. W. Stalin") wurde die Werksleitung 1955 unter dem fingierten Vorwurf subversiver Tätigkeit für die AEG verhaftet und zu schwersten Strafen - in einem Fall sogar zum Tode - verurteilt. 213 Trotz ihrer Sonderstellung innerhalb der Industrie Ost-Berlins und der SBZ/ DDR waren auch die SAG-Betriebe nicht in der Lage, rentabel zu produzieren. Da sich die Reparations- und Exportaufträge aus der UdSSR zumindest bis Anfang der fünfziger Jahre wie eine Absatzgarantie auswirkten, standen die SAG nicht unter Wettbewerbsdruck. Für die Aufnahme neuer Fertigungen oder die aufwendige Einführung neuer Technologien bestanden keine Anreize. Die Produktionspalette der SAG-Betriebe entsprach bis 1950 weitgehend dem Stand der Vorkriegszeit. 2 1 4 Neuentwicklungen konzentrierten sich auf sowjetische Spezialaufträge und auf Fertigungen, die benötigt wurden, um den Ausfall von Lieferungen aus den Westzonen bzw. aus der Bundesrepublik zu ersetzen. 2 1 5 Die Ausrüstungen der SAG-Betriebe waren überaltert. Der bei Kriegsende vorhandene Maschinenpark war in den meisten Betrieben bereits vor der Übergabe an die UdSSR 210
W. Mühlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte..., S. 251.
2,1
Die Entwicklung der Industrieproduktion im ersten Fünfjahrplan, SAPMO-BArch, BPA, IV/2/6/
832. 212
Vgl. J. Bähr, Die Betriebe....
213
Siehe S. 204.
2 4
' W. Mühlfriedel, Zur technischen Entwicklung in der Industrie der DDR in den 50er Jahren, in:
A. Schild/A. Sywottek (Hrsg.), Modernisierung..., S. 157; R. Karlsch/J. Bähr, Die Sowjetischen Aktiengesellschaften..., S. 225 ff.; J. Roesler, Wiederaufbau des KWO..., S. 223. 215
BArchB, DC 2/17107, Bl. 135.
104
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
weitgehend demontiert worden. Der intakt gebliebene Teil des Produktionsapparats wurde durch die rasche Steigerung der Reparationsproduktion auf Verschleiß gefahren. Eine grundlegende Modernisierung der maschinellen Ausrüstung fand nicht statt. So konnte der SAG-Sonderstatus zum Beispiel nicht verhindern, daß das Siemens-Plania-Werk seine ehemals starke Position auf dem westdeutschen Markt und in einigen westeuropäischen Ländern verlor. In Westdeutschland und auf dem Weltmarkt war der SAG-Betrieb aus Kosten- und Qualitätsgründen sowie wegen ständiger Überschreitung der Lieferfristen nicht wettbewerbsfähig. 216 Der Wiederaufbau in den SAG-Betrieben des Ostsektors stützte sich primär auf den Arbeitskräfteeinsatz und auf die Kenntnisse eines gut ausgebildeten Stamms von Ingenieuren und Facharbeitern. Die sowjetischen Behörden waren von Anfang an bestrebt, die Produktivität der SAG-Betriebe durch eine Intensivierung des Arbeitskräfteeinsatzes zu steigern. Die Arbeitszeiten wurden verlängert. Arbeitsnormen aus der Vorkriegszeit wurden zügig wiedereingeführt. 217 Charakteristisch für die mikropolitische Strategie der SAG war die Verknüpfung von Maßnahmen zur Intensivierung des Arbeitskräfteeinsatzes mit materiellen Anreizen für die Belegschaften und einem Ausbau des betrieblichen Versorgungsnetzes. In dieser Hinsicht waren die SAG ein Modell, das die SMAD dann mit dem Befehl Nr. 234 vom 9. September 1947 auf die gesamte ostdeutsche Wirtschaft zu übertragen versuchte. 218
Auswirkungen und Folgen der Blockade Der Güterverkehr zwischen den Westsektoren Berlins und den Westzonen wurde seit April 1948 systematisch behindert. Ausgelöst durch den Konflikt um die Währungsreform, begann dann am 24. Juni 1948 eine Blockade aller Verbindungen zu Land und zu Wasser, die bis zum 12. Mai 1949 anhielt. Die Strom- und Gaslieferungen aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet in die Westsektoren wurden auf 216
Protokoll über die Programmbesprechung am 19.5. 1950, LAB(STA), Rep. 421/1, Bl. 107 f. D. Wiezorrek, Die Entwicklung..., S. 67. 217
R. Karlsch/J. Bähr, Die Sowjetischen Aktiengesellschaften..., S. 241 f. Zu diesem SMAD-Befehl über „Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten in der Industrie und im Verkehrswesen" und dem darauf basierenden Kotikow-Programm vgl. G. Keiderling, Berlin..., S. 231 ff.; Peter Leisering, Versorgungssysteme in Ost-Berliner Betrieben nach 1945-politische, soziale und ökonomische Stimulation, in: W. Fischer/J. Bähr (Hrsg.), Wirtschaft..., S. 191 ff.; Sigurd-H. Schmidt, Das Kotikow-Programm zur Verbesserung der rechtlichen und materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten Berlins 1947-1948, in: Beiträge, Dokumente, Informationen des Archivs der Hauptstadt der DDR (= Schriftenreihe des Stadtarchivs Berlin), 14. Jg. (1977), Nr. 1, S. 1-12, und die Dokumentation in a.a.O., S. 13-71. 218
Auswirkungen und Folgen der Blockade Anordnung der SMAD eingestellt. 219 Über die Luftbrücke,
105
mit der die Westalliier-
ten auf die Blockade reagierten, konnte der Bedarf der Industrie in den Westsektoren nur zum Teil gedeckt werden. Viele Betriebe hatten allerdings vorsorglich Rohstoffe und Halbfertigwaren, gerade auch aus ostdeutschen Bezugsquellen, gehortet. 220 Die Auswirkungen der Blockade auf die Industrie in den Westsektoren konnten statistisch nur unzureichend erfaßt werden, da im Westteil Berlins zwischen Juni 1948 und März 1949 eine Doppelwährung bestand. Neben der D M galt auch die Ostmark als gesetzliches Zahlungsmittel. 221 Die Industrie rechnete einen Teil ihres Absatzes in ostdeutscher Währung ab, der statistisch zum amtlichen Wechselkurs von 1 : 1 erfaßt wurde. Erst ab Juli 1949 berücksichtigte die Industrieberichterstattung den realen Wechselkurs. Mit der Ausgangsbasis vom Frühjahr 1948 sind die Produktionsdaten aus der Zeit der Blockade schon wegen der Währungsumstellung nicht vergleichbar. Hinzu kam noch, daß die Produktionsstatistik in den Westsektoren während der Blockade auf eine neue Grundlage, die Berichterstattung des Industrieausschusses, gestellt wurde. Nach der Magistratsstatistik ging die Industrieproduktion in den Westsektoren durch die Blockade zunächst um rund ein Drittel zurück. 2 2 2 Im Gesamtzeitraum zwischen Mai 1948 und Mai 1949 sank die Produktion der West-Berliner Industrie nach der Industrieberichterstattung um 45,4%. 2 2 3 Dagegen nahm die Beschäftigtenzahl in diesem Zeitraum lediglich um 15% ab, zwischen Juni 1948 und März 1949 sogar nur um 7% (siehe auch GRAFIK 4). Die Blockade führte also in den Westsektoren zu einem drastischen Rückgang der Arbeitsproduktivität. 224 219 Den informativsten Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung in West-Berlin während der Blockade gibt die vom DIW veröffentlichte Schrift Berlins Wirtschaft in der Blockade... Zur BerlinKrise von 1948/49 vgl. u. a. W. Ribbe, Berlin..., S. 1052-1066; Uwe Prell/Lothar Wilker (Hrsg.), Berlin-Blockade und Luftbrücke 1948/49. Analysen und Dokumente, Berlin 1987, S. 13-58; Uwe Wetzlaugk, Berlin und die deutsche Frage (= Bibliothek Wissenschaft und Politik, Bd. 36), Köln 1985, S. 47-69; Burghard Ciesla/Michael Lemke/Thomas Lindenberger (Hrsg.), Sterben für Berlin? Berliner Krisen 1948-1958, Berlin 1999. 220
F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 38-43. Bericht über die Verflechtung der Industrie der drei Berliner Westsektoren mit den Zonen, LAB, Rep. 200, Acc. 2435/57. Vgl. auch: Wiederaußau in Berlin-Siemensstadt..., S. 11. 221 Siehe S. 153 f. Die offizielle Bezeichnung der ostdeutschen Währung änderte sich mehrmals. Zunächst wurde sie als „Reichs- und Rentenmark mit aufgeklebtem Spezialkupon" eingeführt. Im Juli 1948 erhielt sie die Bezeichnung „Deutsche Mark der Deutschen Notenbank", die dann 1964 in „Mark der Deutschen Notenbank" geändert wurde. Von 1968 an galt schließlich die Bezeichnung „Mark der DDR". Zur Vereinfachung werden im folgenden die Abkürzungen M oder MDN für den Zeitraum der Jahre 1948-1968 und M oder DDR-Mark für die Jahre 1969-1990 verwendet. 222
OMGBS, Special Report, S. 11/4, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801.
223
Einschließlich Reparatur- und Lohnarbeiten. Bei den Neuanfertigungen belief sich der Rückgang auf 42,6%. Die Industrie West-Berlins Januar 1948 bis Oktober 1949, in: BS, 3. Jg. (1949), H. 10/11, S. 226. 224
Ebda.
106
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis 1945-1948/49
Grafik 4
Beschäftigte der Industrie, der Elektroindustrie und des Maschinenbaus in West-Berlin 1948/49 (Betriebe mit 6 und mehr Beschäftigten)
Tausend
Quellen: Die Industrie West-Berlins Januar 1948 bis Oktober 1949, In: BS 3.Jg. (1949), H.10/11, S.226; Berlins Wirtschaft In der Blockade, S.55; H. Orlovlus, Materlallen, S.13; Berliner Zentralbank, Absatzgebiete Maschinen- und Apparatebau, S.3.
Die West-Berliner Unternehmen wollten ihre Belegschaften auch um den Preis unproduktiver Arbeit halten. Ein von den Wirtschaftsverbänden mitgestaltetes Notprogramm, das die wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden verkürzte, sah sogar die Schaffung neuer Arbeitsplätze vor, um „den Kampf um Berlin durch eine hohe Beschäftigtenzahl besonders wirksam zu unterstützen". 225 Dieser Strategie lag wohl auch das nüchterne Kalkül zugrunde, daß das Humankapital ein entscheidender Faktor für den weiteren Wiederaufbau war. Die aus der Überbeschäftigung resultierenden Verluste konnten bis zum März 1949 durch den Währungsdualismus aufgefangen werden. Ein großer Anteil der Lohn- und Gehaltsauszahlungen erfolgte in Ostmark, die gegenüber der DM rasch an Wert verlor. Aus der Krisenstrategie während der Blockade entwickelte sich eine neue, WestBerliner Wirtschaftspolitik, die vom Magistrat (ab 1950: Senat) mit Vertretern der Wirtschaftsverbände, der Banken, der Gewerkschaften und der Wirtschaftsforschung abgestimmt wurde. Der Einfluß der Industrie, die sich bis dahin gegenüber der Berliner Politik in einer reinen Defensivposition befunden hatte, nahm unter dem äußeren Druck der Blockade schlagartig zu. Erstmals konnte nun eine Interes-
^
F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 47.
Auswirkungen
und Folgen der
Blockade
107
senorganisation der Industrie für das gesamte Gebiet der Westsektoren, der Industrieausschuß, gebildet werden. Aus dieser Organisation ging 1950 die Industrieund Handelskammer (IHK) hervor. Zusammen mit den Verbänden des Handels und des Handwerks, der Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation (UGO) und dem Magistrat war der Industrieausschuß in der „Notgemeinschaft der Berliner Wirtschaft" vertreten.226 Der Vergleich zwischen der Elektroindustrie und dem Maschinenbau zeigt, daß die Entwicklung der einzelnen Industriezweige in den Westsektoren während der Blockade sehr unterschiedlich verlief. Die elektrotechnische Industrie konnte Entlassungen weitgehend vermeiden. Die Beschäftigtenzahl blieb hier zwischen April 1948 und Juli 1949 fast konstant. Im Maschinenbau ging dagegen die Zahl der Beschäftigten zwischen April 1948 und Juli 1949 um rund ein Drittel zurück (siehe GRAFIK 4) 2 2 8 Während der Produktionsindex der Elektroindustrie nach der Blockade kaum niedriger lag als im ersten Halbjahr 1948, war der Produktionsindex des Maschinenbaus in diesem Zeitraum auf die Hälfte zurückgegangen.
229
Schon die älteren Untersuchungen von Orlovius und Matz haben nachgewiesen, daß die elektrotechnische Industrie der Westsektoren die Blockade vergleichsweise glimpflich überstand, weil hier Großunternehmen dominierten, die sich wegen ihrer Kapitalausstattung, vor allem aber wegen eines starken Standbeins in den Westzonen besser behaupten konnten als mittlere und kleine Finnen 230 Ein Bericht der amerikanischen Militärregierung vom April 1949 stellte fest: „The blockade has proved that the large plants and industries are favored more and thus affected less in
226 A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 459 ff.; Blockade-Notprogramm für die Industrie der drei Berliner Westseictoren vom 6. 8.1949, LAB, Rep. 200, Acc. 2455/57. 227 Die in GRAFIK 4 ausgewiesene Steigerung der Beschäftigtenzahl zwischen Juli 1948 und Januar 1949 ging darauf zurück, daß die blockadebedingte Arbeitslosigkeit in der Statistik der Magistratsverwaltung für Wirtschaft zunächst als Beschäftigung ausgewiesen wurde. Heinz Orlovius, Materialien zur West-Berliner Elektroindustrie, Berlin 1950, S. 13. 228
Erholung der Westberliner Industrie nach der Blockade, in: DIW Wochenbericht, 17. Jg. (1950), Nr. 5, S. 20. 229
Im ersten Halbjahr 1948 hatte in den Westsektoren der Produktionsindex (1936 = 100) der Elektroindustrie bei 28, der Produktionsindex des Maschinenbaus bei 23 gelegen. Nach Beendigung der Blockade belief sich der Produktionsindex der West-Berliner Elektroindustrie auf 24, der Produktionsindex der gesamten West-Berliner Industrie auf 17 (1936 = 100). Im Maschinenbau erreichte die Produktion zu diesem Zeitpunkt nur 11 % des Vorkriegsstands von 1936. OMGBS, Special Report, Stat. annex, No. 24, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720. 230 H. Orlovius, Materialien..., S. 12 f.; W. Matz, Struktur und Entwicklungslinien..., S. 56 f. Die westdeutschen Unternehmensbereiche von Siemens, AEG, Osram und Telefunken konnten das Auftragsvolumen der Berliner Werke sichern, indem sie praktisch eine Ausfallgarantie übernahmen. Durch die Vertriebsorganisationen der Konzerne waren ihre West-Berliner Werke auch während der Blockade auf dem westdeutschen Markt präsent.
108
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis
1945-1948/49
time of crisis." 2 3 1 In den acht Großunternehmen der West-Berliner Elektroindustrie mit mehr als 1.000 Beschäftigten lagen die Beschäftigtenzahlen schon im Herbst 1949 durchschnittlich um 10% über dem Stand vom Juli 1948. In den West-Berliner Siemens-Betrieben nahm die Beschäftigtenzahl während der Blockade sogar um rund 1% zu. Dabei wurden die blockadebedingten Verluste von Siemens und AEG auf insgesamt rund 35 Mio. DM geschätzt. 232 Die Verflechtung der West-Berliner Elektroindustrie mit den Westzonen war während der Blockade die wichtigste wirtschaftliche Verbindung zwischen Berlin und dem Westen. Am Warenabflug über die Luftbrücke hatte die Elektroindustrie im Dezember 1948 wertmäßig einen Anteil von 68% und mengenmäßig einen Anteil von 54%. Insgesamt waren rund 60% der über die Luftbrücke ausgeflogenen Güter elektrotechnische Erzeugnisse. 233 Die Elektroindustrie überstand die Blockade aber auch deshalb besser als andere Industriezweige West-Berlins, weil sie bis zur Verhängung der westlichen Gegenblockade im Januar 1949 einen beträchtlichen Teil der benötigten Rohstoffe und Halbfertigwaren aus der S B Z beziehen konnte 2 3 4 Auf östlicher Seite war man auf den Handel mit der West-Berliner Elektroindustrie angewiesen, da deren Lieferungen für die Aufrechterhaltung der Energieversorgung, des Rundfunksendebetriebs und des Fernmeldewesens in der S B Z unverzichtbar waren. Der AEG-Turbinenfabrik wurden denn auch während der Blockade Stromlieferungen aus dem Osten angeboten. 235 Der Maschinenbau der Westsektoren wurde schon wegen des höheren Anteils kleiner und mittlerer Firmen von der Blockade härter getroffen als die Elektroindustrie. Selbst von den großen Maschinenbauuntemehmen der Westsektoren hatten nur wenige ein starkes Standbein in den Westzonen. Die Erzeugnisse des schweren Maschinenbaus waren für den Lufttransport nicht geeignet. 236 Schließlich traf die Blockade den Maschinenbau auch deshalb besonders hart, weil diese Branche stär-
231
OMGBS, Special Report, S. II/4, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801. Innerhalb der West-Berliner
Elektroindustrie war die großbetrieblich strukturierte Elektroindustrie des britischen Sektors mit ihrem hohen Anteil von starkstromtechnischen Investitionsgüterfertigungen widerstandsfähiger als die überwiegend mittel- bzw. kleinbetrieblich strukturierte und stärker auf die Konsumgüterproduktion ausgerichtete Elektroindustrie des amerikanischen Sektors. H. Orlovius, Materialien..., S. 13; W. Matz, Struktur..., S. 23. 232
H. Orlovius, Materialien..., S. 12, Anm. 3; J. Putzmann, Die Entwicklung..., S. 250; W. Matz,
Struktur..., S. 24; Wiederbeginn und erste Erfolge, in: Siemens-Mitteilungen, 27. Jg. (1951), H. 1, S. 8. 233
F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 62 ff.; W. Matz, Struktur...,
S. 24; H. Orlovius, Materialien..., S. 21. 234
Siehe S. 128 f.
235
F. Selbmann, Die Währungsreform..., S. 262; Sie lehnten Kotikows Blockadestrom ab, in: Der So-
zialdemokrat vom 2 1 . 3 . 1 9 5 0 . 236
Blockade-Notprogramm für die Industrie der drei Berliner Westsektoren vom 6. 8.1949, LAB,
Rep. 200, Acc. 2455/57.
Auswirkungen
und Folgen der
Blockade
109
ker als andere Industriezweige von Lieferungen aus der Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets abhängig war. Durch die unterschiedlichen Auswirkungen der Blockade auf die einzelnen Industriezweige veränderte sich die Branchenstruktur der West-Berliner Industrie in den Jahren 1948/49. Die Elektroindustrie erlangte eine Spitzenposition, die noch ausgeprägter war als in der Zwischenkriegszeit.237 Der Maschinenbau verlor dagegen innerhalb der West-Berliner Industrie an Gewicht. 238 Die überregionale Handelsverflechtung der West-Berliner Industrie nahm in der Krise von 1948/49 stark ab. Der Anteil des Ortsabsatzes lag im ersten Halbjahr 1948 bei 61,6% gegenüber rund 30% im Jahr 1947. 239 Durch die Blockade sank zunächst der Anteil der Lieferungen in die Westzonen am Absatz der West-Berliner Industrie.240 Als Folge der Gegenblockade und der sogenannten zweiten Währungsreform vom März 1949, mit der die DM in West-Berlin zur alleinigen Währung erklärt wurde, brach dann der Handel mit der SBZ und dem Ostsektor Berlins weitgehend zusammen. Noch nachteiliger als der Verlust des Ostabsatzes wirkte sich die Abschottung von den Westzonen aus. Der Verlust des Ostabsatzes hätte bei einer stärkeren Präsenz auf dem westdeutschen Markt rasch kompensiert werden können. Als Folge der Blockade und der Doppelwährung verlor die West-Berliner Industrie aber Marktanteile in den Westzonen und fiel weit hinter die Entwicklung in Westdeutschland zurück, wo nach der Wirtschafts- und Währungsreform vom Juli 1948 ein Wachstums- und Modernisierungsschub einsetzte.
237 Der Beschäftigtenanteil der Elektroindustrie innerhalb der West-Berliner Industrie (ohne Baugewerbe und Energieversorgungsbetriebe) stieg von 31,1% im April 1948 auf 39,9% im August 1949. 1936 hatte dieser Anteil noch bei 34,1% gelegen. Der Anteil der Elektroindustrie an der industriellen Bruttoproduktion der Westsektoren (einschließlich Reparatur-, Montage- und Lohnarbeiten) belief sich im August 1948 sogar auf 40,6%, gegenüber 26,6% im April 1948 und 28,8% im Jahr 1936. F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 54 f.; Die Industrie West-Berlins Januar 1948 bis Oktober 1949, in: BS, 3. Jg. (1949), H. 10/11, S. 229. Der Industriezensus weist für 1936 einen niedrigeren Anteil aus, weil die Berliner Industrie hier einschließlich des Baugewerbes und der Elektrizitätsversorgungsbetriebe erfaßt worden war. 238 Der Beschäftigtenanteil dieser Branche ging von 10,9% im April 1948 auf 9,9% im August 1949 zurück und lag damit weit unter dem Vorkriegsstand (1936: 14,1%). Der Bruttoproduktionsanteil (einschließlich Reparatur-, Montage- und Lohnarbeiten), der 1936 bei 13,2% gelegen hatte, sank von 8,1% im April 1948 auf 6,8% im August 1949. Ebda. 239 F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 46 (Erhebung des Industrieausschusses); Die Industrie West-Berlins Januar 1948 bis Oktober 1949, in: BS, 3. Jg. (1949), H. 10/11, S. 228. Für 1947: Memorandum der Magistrats-Abteilung für Wirtschaft über die wirtschaftliche Lage der Berliner Westsektoren vom 9.2. 1948, BArch, B 102/270, H. 1. 240
Nach einer Erhebung des Industrieausschusses lag dieser Anteil im Oktober 1948 bei 17% gegenüber rund 20% im Jahr 1947. F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 46; Memorandum der Magistrats-Abteilung für Wirtschaft über die wirtschaftliche Lage der Berliner Westsektoren vom 9. 2.1948, BArch, B 102/270, H. 1.
110
II. Substanzverluste
und Ausgangsbasis
1945-1948/49
Die Wirtschaft des sowjetischen Sektors wurde durch die Berlin-Krise von 1948/ 49 weniger unmittelbar getroffen als die Wirtschaft der Westsektoren. Die Auswirkungen dieser Krise auf die Industrie des Ostsektors sind schwer zu erfassen, weil sie sich mit den Folgen der währungspolitischen Teilung Deutschlands vom Juni 1948 überschnitten. Nach dem OMGBS-Bericht über die Entwicklung der Industrie und des Arbeitsmarkts in Berlin vom April 1949 ging die Industrieproduktion des sowjetischen Sektors in den ersten Monaten der Blockade zurück. Im Dezember 1948 konnte aber bereits wieder das Niveau vom April erreicht werden. Die Industrieproduktion lag nun im Ostteil der Stadt erstmals höher als im Westteil. Durch die westliche Gegenblockade verschärfte sich der Rohstoff- und Materialmangel in Ost-Berlin ab Januar 1949. Rund 5% der Ost-Berliner Industriebetriebe mußten stillgelegt werden. Von der Kürzung der Rohstoffkontingente waren besonders private Betriebe betroffen. Insgesamt litt die Ost-Berliner Industrie unter der Gegenblockade weniger als die Industrie der SBZ. 241 Die Arbeitslosenquote (in v. H. der Arbeitnehmer) lag im Mai 1948 im Ostteil Berlins (6,4%) höher als im Westteil (5,4%). Im Dezember 1948 hatte dagegen West-Berlin (8,6%) eine höhere Quote als Ost-Berlin (7,2%). Bis Juli 1949 ging die Zahl der Arbeitslosen in Ost-Berlin dann auf 13.000 zurück. 242
Zwischenbilanz: Die Ausgangsbasis von 1948/49 Wie eingangs dargelegt wurde, ist für den Vergleich zwischen West-Berlin und Ost-Berlin - wie auch zwischen der Bundesrepublik und der DDR - die Ausgangsbasis vor der politischen Teilung von maßgebender Bedeutung. Nur so läßt sich beurteilen, inwieweit das spätere Gefälle bereits vor der Errichtung gegensätzlicher Wirtschaftssysteme vorgegeben war. Die ordnungspolitischen Weichenstellungen, die in West- und Ostdeutschland im Laufe des Jahres 1948 vorgenommen wurden, sind in Berlin erst im Frühjahr 1949 - nach der politisch-administrativen Teilung der Viermächtestadt - vollzogen worden. Für die Phase zwischen Mitte 1948 und Mitte 1949 sind die Daten zur Entwicklung der Berliner Wirtschaft durch die Sondersituation der Blockade und durch die Doppelwährung in den Westsektoren verzerrt. Die tatsächliche Ausgangsbasis vor der Errichtung unterschiedlicher Wirtschaftssysteme kann daher am ehesten noch aus den Daten für das erste Halbjahr 1948 erschlossen werden. Von den Beschäftigten der Berliner Industrie entfielen im April 1948 71% auf die Westsektoren und 29% auf den Ostsektor (ohne SAG-Betriebe). Berücksichtigt man auch die SAG-Betriebe im Ostteil Berlins, dann hatte sich die Relation zwischen beiden Stadthälften gegenüber der Zwischenkriegszeit nicht entscheidend verän241
OMGBS, Special Report, S. II/l 1-14, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/801.
242
Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 98; J. Roesler, Die Entwicklung..., S. 531.
Zwischenbilanz:
Die Ausgangsbasis
von
1948/49
111
dert. 243 Bis 1950 verschoben sich die Anteile beider Stadthälften dann deutlich zugunsten Ost-Berlins, da die Arbeitslosigkeit in West-Berlin durch die Blockade zunahm und dann durch den Anpassungsschock nach der vollständigen Umstellung auf die DM im März 1949 sprunghaft anstieg. Von den Industriebeschäftigten in Berlin arbeiteten 1950 52% in West-Berlin und 48% in Ost-Berlin (einschließlich der SAG-Betriebe). 244 Das Produktionsniveau der Industrie zeigt bis zum Beginn der Blockade nur geringfügige Unterschiede zwischen beiden Teilen Berlins. Nach Schätzungen der Magistratsverwaltung und des DIW erreichte die Industrieproduktion während des ersten Halbjahrs 1948 in Groß-Berlin rund 35% des Stands von 1936 und in den Westsektoren rund 33% des Stands von 1936. 245 Durch die Blockade und die Krise nach der Währungsumstellung in West-Berlin erlangte Ost-Berlin dann einen deutlichen Vorsprung. 1950 lag der Produktionsindex (1936 = 100) in Ost-Berlin bei 54, in West-Berlin dagegen nur bei 32 (siehe TABELLE 12). Die Bruttoproduktion pro Kopf der Industriebeschäftigten lag nach der Magistratsstatistik im Westteil Berlins zwischen 1946 und 1948 durchgehend niedriger als im Ostteil (ohne SAG-Betriebe). Der Vorsprung des sowjetischen Sektors war freilich weitgehend statistisch bedingt, durch signifikante Preisverzerrungen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie und in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie. 246 Die elektrotechnische Industrie und der Maschinenbau hatten nach der Magistratsstatistik im ersten Halbjahr 1948 in den Westsektoren eine etwas höhere Bruttoproduktion pro Kopf der Beschäftigten als im sowjetischen Sektor. Allerdings ist auch hier zu berücksichtigen, daß die SAG-Betriebe in der Magistratsstatistik nicht enthalten waren. 247 Im Maschinenbau und in der Elektroindustrie lag der Produktionsindex 1948 niedriger als im Durchschnitt der Berliner Industrie. Nach der Magistratsstatistik erreichte die Bruttoproduktion während des ersten Halbjahrs 1948 in der Berliner Industrie 35% des Stands von 1936, im Berliner Maschinenbau aber nur 22% und in 243 ] 939 entfielen 35% aller Beschäftigten der Industrie und des Handwerks in Berlin auf das Gebiet des späteren Ost-Berlin. Siehe S. 35. 244 Berlin in Zahlen 1951, Berlin 1951, S. 134; Statistischer Jahresbericht an den Magistrat, Bl. 25, STB-AB. 245
Siehe S. 90. Das Produktionsniveau der chemisch-pharmazeutischen Industrie im Ostteil Berlins gab eine durch die hohe Alkoholsteuer verzerrte Preisentwicklung wieder. Hohe Preissteigerungen enthielten auch die Bruttoproduktionswerte der Nahrungs- und Genußmittelindustrie, die im sowjetischen Sektor vergleichsweise stärker vertreten war als in den Westsektoren. Ohne diese beiden Branchen lag die Bruttoproduktion pro Kopf der Industriebeschäftigten im April 1948 in den Westsektoren um rund 4% höher als im sowjetischen Sektor (ohne SAG-Betriebe). Einschließlich der SAG-Betriebe dürfte dieser Wert im Ostteil der Stadt - wenn auch nur geringfügig - höher gelegen haben als im Westteil. Berechnet nach: OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 1, No. 7, No. 11. LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720 246
™ A.a.O., Stat. annex No. 3 u. 4.
112
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis 1945-1948/49
der Berliner Elektroindustrie (ohne SAG-Betriebe) 28% des Stands von 1936. In diesen Branchen hatten beide Teile Berlins einen beachtlichen Rückstand gegenüber den Westzonen. In der Bizone erreichte die Produktion des Maschinenbaus im April 1948 46% des Stands von 1936, die Produktion der Elektroindustrie 93%. 248 Der Produktionsindex des Maschinenbaus lag in beiden Stadthälften auch am Ende der vierziger Jahre noch außerordentlich niedrig. Weder im Ostteil noch im Westteil der Stadt hatte der traditionsreiche Berliner Maschinenbau bis dahin eine reguläre Produktion wieder aufnehmen können. Im Vergleich zwischen beiden Teilen Berlins hatte der Maschinenbau der Westsektoren 1948 einen - wenn auch nicht sehr bedeutenden - Vorsprung vor dem Maschinenbau des sowjetischen Sektors. Der Produktionsindex (1936 = 100) lag im ersten Halbjahr 1948 in den Westsektoren bei 23, im Ostsektor bei 19. 249 Durch die Blockade, die Krise in West-Berlin nach der vollständigen Umstellung auf die DM im März 1949 und den forcierten Neuaufbau des Schwermaschinenbaus im Ostteil der Stadt verschoben sich die Gewichte dann bis 1950 zugunsten Ost-Berlins. Im April 1948 entfielen noch - ähnlich wie in der Zwischenkriegszeit - 27% der Beschäftigten des Berliner Maschinen-, Fahrzeug- und Stahlbaus auf die östlichen Bezirke. Bis 1950 stieg der Anteil Ost-Berlins auf fast 40%. 2 5 0 In der Berliner Elektroindustrie nahm der Beschäftigten- und Produktionsanteil des sowjetischen Sektors zwischen 1946 und 1950 deutlich zu. Im dritten Quartal 1946 hatte der Beschäftigtenanteil der Ostbezirke in dieser Branche noch bei 24% und damit etwa auf dem Niveau von 1936 - gelegen. 1950 entfielen von den Beschäftigten der Berliner Elektroindustrie dann 58% auf West-Berlin und 42% auf Ost-Berlin. 251 Durch die Reparationsproduktion und die Sonderstellung der SAGBetriebe wurde der Wiederaufbau der Elektroindustrie im sowjetischen Sektor forciert. Während der Blockade nahm der Beschäftigtenanteil Ost-Berlins innerhalb der Berliner Elektroindustrie dann noch weiter zu. Im Juli 1950 ging der SEDFunktionär Bruno Baum im ND davon aus, daß sich nun der „entscheidende Teil der Elektroindustrie Berlins" in Ost-Berlin befinde. 252 248
OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 24, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720. Zum Produktions-
niveau in der Bizone siehe S. 92. 249
OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 3, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720.
250
Berechnet nach: ebda.; Statistischer Jahresbericht an den Magistrat (1955), Bl. 25, STB-AB; Er-
gebnisse der Arbeitsstättenzählung in West-Berlin am 13. September 1950, V. Teil (= BS, Sonderheft 32), Berlin 1953, S. 45. 251
Berechnet nach: OMGBS, Special Report, Stat. annex No. 4, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720.; Sta-
tistischer Jahresbericht an den Magistrat (1955), Bl. 25, STB-AB; Ergebnisse der
Arbeitsstättenzählung
in West-Berlin am 13. September 1950, V. Teil, S. 45. Ein Vergleich für die Jahre 1947/48 ist auf der Basis der Magistrats- bzw. OMGBS-Statistik nicht möglich, da die SAG-Betriebe - auf die ein großer Teil der Elektroproduktion des sowjetischen Sektors entfiel - in dieser Statistik nicht enthalten waren. 252
Bruno Baum, Berliner Elektroindustrie gründlich verändert, in: ND vom 15. 7. 1950, SAPMO-
BArch, BPAIV L 2/9.01/325.
Zwischenbilanz: Die Ausgangsbasis von 1948/49
113
TABELLE 12
Indizes der Industrieproduktion in beiden Teilen Berlins und in beiden Teilen Deutschlands 1950 in vergleichbarer Basierung 1936
1950
West-Berlin
100
32
Ost-Berlin
100
54
Bundesrepublik*
100
109
DDR**
100
80
* ohne West-Berlin
** ohne Ost-Berlin
Quelle: Entwicklungsniveau der Westberliner Wirtschaft (1958), LAB, Rep. 10, Acc. 4253/820.
Im Vergleich mit Westdeutschland wie auch mit der SBZ/DDR lag der Produktionsindex der Industrie in beiden Teilen Berlins deutlich niedriger. In der Bizone erreichte die Industrieproduktion im Frühjahr 1948 bereits mehr als 50% des Stands von 1936. 1950 wurde im Bundesgebiet der Vorkriegsstand deutlich übertroffen. 2 5 3 In der SBZ lag die industrielle Nettoproduktion nach westlichen Schätzungen 1948 bei 60%, 1950 dann bei 80% des Stands von 1936 (siehe TABELLE 12). 254 Die Produktivität der Berliner Industrie lag Mitte 1948 rund 25% unter dem westdeutschen Niveau. 2 5 5 Ende 1950 hatte West-Berlin gegenüber dem Bundesgebiet immer noch einen Rückstand von rund 25% 2 5 6 Im Vergleich mit der SBZ lag die Produktivität der Berliner Industrie 1948 nach allen Indizien auf einem in etwa ähnlichen, keineswegs aber wesentlich höheren Niveau. Ein Gefälle zwischen WestBerlin und der DDR begann sich erst im Laufe des Jahres 1950 abzuzeichnen. Ende 1950 dürften die Unterschiede noch nicht allzu signifikant gewesen sein. Aus der Entwicklung in Berlin lassen sich damit auch Aussagen zur Herausbildung des Produktivitätsgefälles zwischen beiden Teilen Deutschlands ableiten. Bestätigt werden Schätzungen, nach denen die Produktivität der DDR-Industrie 1950 etwa um ein 253
W. Abelshauser, Wirtschaft in Westdeutschland.., S. 43 u. 61. Zum Produktionsniveau von 1950 siehe TABELLE 12. 254 Für 1948: W. Zank, Wirtschaft und Arbeit..., S. 193. Für 1950: Siehe TABELLE 12. Ritsehl hält es für plausibel, daß die Industrieproduktion der SBZ/DDR 1948 63% und 1950 87% des Stands von 1936 erreichte. A. Ritsehl, Aufstieg und Niedergang..., S. 23. Nach einer zeitgenössischen Schätzung von Gleitze lag die Industrieproduktion der DDR im Jahr 1950 bei 84% des Stands von 1936. Bruno Gleitze, Die Veränderungen in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur Mitteldeutschlands, in: VzW, Jg. 1950, H. 1, S. 41. 255
F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 38. Bedingungen und Möglichkeiten für den Ausbau der Wirtschaft Westberlins in den kommenden Jahren (Ergebnisse einer Enquete), Berlin 1951, S. 8.
114
II. Substanzverluste und Ausgangsbasis 1945-1948/49
Viertel unter dem westdeutschen Niveau lag. Mit Sicherheit hatte der Produktivitätsrückstand Ostdeutschlands gegenüber Westdeutschland zu diesem Zeitpunkt jedenfalls bei weitem noch nicht die spätere Dimension erreicht. 257 Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Ausgangsbasis von 1948/ 49 in beiden Teilen Berlins wesentlich ungünstiger war als in Westdeutschland. Die industrielle Entwicklung wies - mit Ausnahme der elektrotechnischen Industrie auch gegenüber Ostdeutschland einen Rückstand auf. Im Vergleich zwischen beiden Stadthälften bestanden bis Mitte 1948 keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Produktionsniveaus und der Produktivität. Bei der Beschäftigtenentwicklung und dem Produktionsniveau erlangte Ost-Berlin im Laufe des Jahres 1949 einen Vorsprung gegenüber West-Berlin. Ein innerstädtisches West-Ost-Gefälle bildete sich erst in den folgenden Jahren heraus.
257
Die Produktivität der DDR-Industrie im Jahr 1950 wird von der neueren Forschung überwiegend
auf 70-80% des westdeutschen Niveaus geschätzt. A. Ritsehl, Aufstieg und Niedergang..., S. 24; 0 . Schwarzer, Sozialistische Zentralplanwirtschaft...,
S. 131. Nach van Ark hätte die Produktivität des
verarbeitenden Sektors in der DDR 1950 nur 40% des westdeutschen Stands erreicht. B. v. Ark, The Manufacturing Sector..., S. 87.
DRITTES KAPITEL
Die Teilung Berlins und die Errichtung unterschiedlicher Wirtschaftsordnungen (1945-1952)
Die Teilung Verlauf und Faktoren Die wirtschaftliche Teilung Berlins war ein langgezogener Prozeß, der mit der Errichtung von Sektorengrenzen im Juli 1945 begann und mit der politisch-administrativen Teilung der Stadt im Spätherbst 1948 endete. Die drei konstitutiven Elemente der Wirtschaftseinheit, die Einheit des Wirtschaftsgebiets, die Einheit der Wirtschaftsordnung und die Einheit der Wirtschaftsverwaltung, gingen schon vor der politischen Teilung verloren.1 Robert Nieschlag vom DIW wies bereits 1947 darauf hin, „daß Berlin nicht mehr als ein Ganzes, als ein unteilbarer Sozial- und Wirtschaftskörper behandelt wird".2 Der Stadtrat für Wirtschaft, Gustav Klingelhöfer (SPD), stellte im Oktober 1947 fest: „Berlin sei tatsächlich nicht eine Stadt, sondern vier Städte, und es sei eine Illusion, hier von einer politischen, einer wirtschaftlichen oder einer Verwaltungseinheit zu sprechen."3 Der Sonderstatus der Viermächtestadt konnte die wirtschaftliche Desintegration Berlins nicht verhindern. Das Experiment der Viermächteverwaltung verzögerte lediglich die Integration in die jeweiligen Besatzungszonen. Für die Wirtschaftseinheit der Stadt wurden bereits die interalliierten Versorgungsregelungen vom Juli 1945 zu einer schweren Belastung. Die Siegermächte vereinbarten, die Bewirtschaftung von Rohstoffen und Konsumgütern nach Sektoren zu trennen, da sich die SMAD nicht in der Lage sah, die Versorgung von Groß1
Zur Definition dieser Kriterien als Elemente der Wirtschaftseinheit vgl. Jürgen Eick, Die wirtschaft-
lichen Folgen der Zonengrenzen. Versuch einer Theorie der volkswirtschaftlichen burg 1948. 2
Robert Nieschlag, Berlins Wirtschaft im Übergang, Berlin 1947, S. 4.
3
Zitiert nach: A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 449.
Verflechtung, Ham-
116
III. Die Teilung Berlins
Berlin zu übernehmen. Die Belieferung der vier Sektoren mit Rohstoffen und Konsumgütern erfolgte aus den jeweiligen Besatzungszonen. Für die Durchführung waren die Militärregierungen zuständig. Berlin wurde mit dieser Regelung erstmals nicht mehr als einheitlicher Wirtschaftsraum behandelt. Die Sektorengrenzen wurden zu Wirtschaftsgrenzen. Eine Sektorenwirtschaft bildete sich heraus.
4
Die Versorgung mit Kohle und Strom konnte auf der Grundlage interalliierter Abkommen sektorenübergreifend geregelt werden. Zuständig waren in allen vier Sektoren die Bewag bzw. die BCKO, eine Außenstelle der Magistratsabteilung für Wirtschaft. 5 Wegen der zunehmenden Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion erwiesen sich die sektorenübergreifenden Versorgungsregelungen als überaus störanfällig. Nachdem die SED ihren beherrschenden Einfluß auf den Magistrat durch die Wahl vom 20. Oktober 1946 verloren hatte, wurden die Versorgungssysteme zum Gegenstand politischer Rivalitäten und Machtproben. Im Ostsektor wurde die Magistratsverwaltung aus dem Rohstoffversorgungssystem ausgeschaltet. Die sowjetische Kommandantur regelte die Verteilung nun direkt. Dagegen wurde die Rohstoffbewirtschaftung für den amerikanischen und den britischen Sektor im Herbst 1946 bzw. im Frühjahr 1947 der Magistratsverwaltung übertragen. 6 Die einheitliche Kohlenversorgung blieb nach Ablauf des ersten Kohlenabkommens im März 1947 für über ein halbes Jahr unterbrochen. Ab Herbst 1947 wurden im sowjetischen Sektor einseitig Stromsperren aufgehoben. 7 Ein weiteres Element des wirtschaftlichen Desintegrationsprozesses war die Erosion der einheitlichen Wirtschaftsordnung. Sie wurde durch unterschiedliche Regelungen für die Beschlagnahmung von Vermögenswerten und von Betrieben eingeleitet, die im Rahmen von Bestrafungs- und Entnazifizierungsmaßnahmen erfolgten. Nach einem Beschluß der Stadtkommandanten vom August 1945 übernahmen die Berliner Sektoren die Bestimmungen der jeweiligen Besatzungszonen. In den Westsektoren trat das Gesetz Nr. 52 der westlichen Militärregierungen in Kraft, im sowjetischen Sektor der SMAD-Befehl Nr. 124 vom 30. Oktober 1945. Dem Wortlaut nach stellten beide Regelungen das Vermögen des Reichs, der Länder, verbote4
Die Versorgungsverpflichtung der Westalliierten beruhte nicht auf einem politischen Kalkül, sondern war eine Reaktion auf die bestehende Notlage. Nur vor diesem Hintergrund ist die Zustimmung der SMAD verständlich, die grundsätzlich eine möglichst enge Einbindung Berlins in die SBZ anstrebte. A.a.O., S. 35. Zu den interalliierten Versorgungsregelungen von 1945 vgl. a.a.O., S. 443 ff.; J. Roesler, Berlins Industrie 1945 bis 1947..., S. 1045 ff.; U. Wetzlaugk, Berlin..., S. 28 f. 5 Zur BCKO, die im August 1948 vom sowjetischen Stadtkommandanten aufgelöst wurde, vgl. Senat von Berlin (Hrsg.), Berlin - Kampf um Freiheit und Selbstverwaltung ¡945-1946,2., erw. Aufl., Berlin 1961, Dok. Nr. 68b, S. 152; A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 447 ff. 6 Jahresbericht 1947 für den amerikanischen Sektor von Berlin, LAB, OMGBS, Econ.Br., 4/64-3/1; A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 449 f. 7 Jahresbericht 1947 für den amerikanischen Sektor von Berlin, LAB, OMGBS, Econ.Br., 4/64-3/1; J. Roesler, Zum Wiederauflau,.., S. 510 ff. u. 531; A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 447 ff.
Die Teilung
117
ner Organisationen, inhaftierter Personen und anderer Personen, „die von der Militärregierung durch Veröffentlichung in Listen oder auf andere Weise bezeichnet werden", unter befristete Zwangsverwaltung (Sequester). 8 Insgesamt wurden in Berlin rund 600 Betriebe sequestriert, von denen etwa die Hälfte auf den sowjetischen Sektor entfiel. 9 Die westlichen Militärregierungen sahen in der Sequesterverwaltung ein Instrument zur Entflechtung und Dekartellierung. Ihr Interesse konzentrierte sich auf 14 Großunternehmen, darunter Siemens und AEG. 1 0 Das Vermögen dieser Unternehmen verwalteten Treuhänder. Die Geschäftstätigkeit wurde von den Firmen weiterhin eigenständig ausgeübt. Die von den Militärregierungen eingesetzten Treuhänder stammten zumeist aus dem Management der Unternehmen." Im sowjetischen Besatzungsgebiet wurde die Sequestrierung dagegen zur Durchsetzung einer neuen Wirtschaftsordnung instrumentalisiert. Dabei ging die Initiative nicht von der Besatzungsmacht aus, sondern von der KPD/SED-Führung, die Anfang 1946 eine breit angelegte Kampagne gegen „Monopole, Syndikate und Konzerne" eröffnete und die SMAD drängte, die Sequestrierung als Hebel zur Sozialisierung der Industrie zu nutzen. 12 Im Ostteil Berlins wurden die Sequestrierung und die Sequesterverwaltung dem Magistrat übertragen, der die Bezirksämter mit der Durchführung beauftragte. Durch diese Regelung erhielt der von der KPD/SED dominierte Werner-Magistrat im sowjetischen Sektor einen unmittelbaren Einfluß auf die Betriebsebene. 13 Formal betrafen die Beschlagnahmeverfügungen auch im Ostsektor nur das Vermögen der Firmen und Betriebe. 14 Tatsächlich erhielten die von den Bezirksämtern eingesetzten Treuhänder jedoch den Auftrag, „die gesamte kaufmännische und technische Leitung des Unternehmens im Sinne des Neuaufbaus der
8 Das Gesetz Nr. 52 und der SMAD-Befehl Nr. 124 sind abgedruckt in: Berlin. Quellen und Dokumente 1945-1951..., 1. Halbbd., Dok. Nr. 245, S. 375-380. Zum Übernahmebeschluß der Berliner Stadtkommandanten vom 7. 8. 1945 a.a.O., S. 375; F. Seume, Organisationsformen..., in: DIW, Wirtschaftsprobleme..., S. 254 f. 9
J. Roesler, Berlins Industrie..., S. 1049.
10
L. Baar, Die Berliner Industrie..., S. 143. " Für die Siemens-Betriebe wurde der frühere Finanzdirektor von Siemens, Fritz Jessen, zum Treuhänder ernannt, für die AEG-Betriebe der ehemalige Finanzchef der AEG, Emst Lemcke, für die Telefunken-Werke das Vorstandsmitglied Heymann. Die Generaltreuhänder im britischen und im amerikanischen Sektor, Schmidt und Kemper, wurden von den Militärregierungen ohne Mitwirkung des Magistrats eingesetzt. SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/1029, Bl. 197; a.a.O./1181, Bl. 6 3 89. 12 In einem Memorandum an den Berater der SMAD-Wirtschaftsverwaltung, Konstantin I. Kowal, wurde im Februar 1946 gefordert, die Sequestrierung dürfe sich nicht darauf beschränken, „lediglich die Parteibuch-Nazis aus den Konzernleitungen zu entfernen", sondern müsse die „wirtschaftliche Basis des preussisch-deutschen Militarismus und Imperialismus" zerschlagen. Denkschrift „Monopole, Konzerne, Syndikate und andere Untemehmervereinigungen sammeln ihre Kräfte" vom 25. 2.1946, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/1181, Bl. 89.
118
III. Die Teilung Berlins
Berliner Wirtschaft" wahrzunehmen. 15 Die Betriebe wurden damit aus sektorenund zonenübergreifenden Unternehmensstrukturen herausgelöst. Durch die Transformation der Eigentumsordnung in der SBZ ging zugleich die organisatorische, kapitalmäßige und personelle Verflechtung zwischen der Industrie im Westteil Berlins und im Umland der Stadt zurück. Die in Brandenburg gelegenen Werke von Unternehmen aus dem Westteil Berlins wurden beschlagnahmt und enteignet, wie zum Beispiel die Fabriken Hennigsdorf der AEG, das Lokomotivwerk der BMAG in Wildau und das Werk von Orenstein & Koppel in Potsdam-Babelsberg. 16 Erste Enteignungen erfolgten in Berlin im Herbst 1946. Eine Reihe wichtiger Großbetriebe des Ostsektors wurde damals in sowjetisches Eigentum überführt. Für eine Sozialisierung nach dem Modell der SBZ war nach der Wahlniederlage der SED vom Oktober 1946 keine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung vorhanden. Die SPD und die CDU befürworteten zwar grundsätzlich ein Enteignungsgesetz, lehnten aber eine Sozialisierung in Form einer Bestrafungsaktion ab. 17 Am 13. Februar 1947 wurde mit den Stimmen von SPD, CDU und SED ein von der SPD eingebrachtes Gesetz zur „Überführung von Konzernen und sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen in Gemeineigentum" verabschiedet, das Entschädigungen vorsah. Ein Gesetz, das Kriegsverbrecher und aktive Nationalsozialisten von
13
Der Magistrat und die Bezirksämter fungierten in den Sequesterverfahren auch als Widerspruchs-
behörde, obwohl eine derartige Stellung deutscher Behörden in den interalliierten Vereinbarungen nicht vorgesehen war. Zu Zusammensetzung und Tätigkeit des ersten Berliner Nachkriegsmagistrats vgl. Die Sitzungsprotokolle des Magistrats der Stadt Berlin 1945/46, T. I: 1945, bearbeitet und eingeleitet von Dieter Hanauske (= Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, Bd. 2, T. I), Berlin 1995, S. 23-78. 14
Beschlagnahmeverfügung des Bezirksamts Lichtenberg für das Siemens-Plania-Werk vom
30. 1. 1946. LAB(STA), Rep. 421/31/2, Bl. 174. Bestallungsurkunde des Bezirksamts Köpenick für den Treuhänder Wilhelm Paulussen vom 24. 1. 1946 (KWO), a.a.O., Rep. 800/300/III. 16
Aus den AEG Fabriken Hennigsdorf ging der spätere VEB Lokomotivbau-Elektrotechnische
Werke „Hans Beimler" (LEW) hervor. Vgl. Die AEG Fabriken Hennigsdorf (= Informationen aus der AEG Geschichte 3/91), Frankfurt/M. 1991. Das Lokomotiv-Werk Wildau (LOWA) wurde in einen Betrieb für Bergbau- und Metallurgie-Ausrüstungen, den späteren VEB Schwermaschinenbau „Heinrich Rau", umprofiliert. 17
Zum SED-Antrag vgl. Karlheinz Kuba, Dokumente zur Schaffung des Volkseigentums in der Berli-
ner Industrie 1945-1949, in: Beiträge, Dokumente, Informationen des Archivs der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Jg. (1965), Dok. Nr. 9, S. 108 f. Gustav Klingelhöfer (SPD) sah durch die „politische Bestrafung als Hebel und Inhalt der Sozialisierung" die „Würde des Sozialismus" verletzt. Zitiert nach: Heinz Berger, Ursachen der Erhaltung und Restaurierung der Macht des AEGund Siemenskonzems
in den Westsektoren Berlins. Studien zur Politik der Elektrokonzerne, der impe-
rialistischen Besatzungsmächte und der rechten Kräfte der Sozialdemokratie in Berlin 1945-1948, Phil. Diss. HUB, Berlin 1967, S. 222. Einen ähnlichen Standpunkt vertrat der CDU-Politiker Jakob Kaiser. Vgl. Johann Baptist Gradl, Anfang unter dem Sowjetstern. Die CDU 1945-1948 in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (= Veröffentlichungen der Konrad-Adenauer-Stiftung. Archiv für Christlich-Demokratische Politik), Köln 1981, S. 72.
119
Die Teilung
diesen Entschädigungen ausnahm, folgte am 27. März 1947. Aufgrund eines amerikanischen Vetos wurden beide Gesetze von der Alliierten Kommandantur nicht genehmigt.18 Im Juni 1947 wählte die Stadtverordnetenversammlung dann Ernst Reuter (SPD) zum neuen Oberbürgermeister. Reuters Ernennung scheiterte an einem sowjetischen Veto, da von ihm ein unnachgiebiger Kurs gegenüber der SED zu erwarten war.19 Vor diesem Hintergrund entzog die SMAD die Sequesterverwaltung im sowjetischen Sektor dem Einfluß des Magistrats und übertrug sie einer zum 1. April 1947 neugebildeten Treuhandstelle. Bei einer Umstrukturierung im September 1947 wurde die Treuhandstelle in „Deutsche Treuhandverwaltung zur Verwaltung des sequestrierten und beschlagnahmten Vermögens im Sowjetischen Besatzungssektor der Stadt Berlin" (DTV) umbenannt. Die DTV war an Weisungen der Zentralen Sequesterkommission in der SBZ gebunden. Zu ihrem Leiter wurde der Altkommunist Willy Rumpf ernannt.20 Damit begann die Auflösung der einheitlichen Wirtschaftsverwaltung Berlins. Die DTV wurde von SMAD und SED als Gegenmacht zur Magistratsabteilung für Wirtschaft aufgebaut. Im sowjetischen Sektor bestand nun eine „förmliche Doppelverwaltung".21 Nach der Reorganisation vom Herbst 1947 weitete die DTV ihre Kompetenzen aus. Sie errichtete einen Verwaltungsrat für die sequestrierten Betriebe des sowjetischen Sektors. Die Produktionsplanung für diese Betriebe wurde bei der DTV zentralisiert. Zunehmend beanspruchte die DTV auch die Kompetenz einer Planungsbehörde.22
18
Der Wortlaut des Berliner Sozialisierungsgesetzes findet sich in K. Kuba, Dokumente...,
Dok.
Nr. 1, S. 99-101. Zur Sozialisierungsdiskussion in Berlin und zum Konflikt um das Sozialisierungsgesetz liegt bislang keine Einzeluntersuchung vor. Einen Überblick gibt die Studie von A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 3 9 9 ^ 1 7 . 19
A. Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 212-228; W. Ribbe, Berlin..., S. 1043-1046. Zur Oberbürger-
meisterkrise von 1947 vgl. auch Ferdinand Friedensburg, Es ging um Deutschlands Einheit. Rückschau eines Berliners auf die Jahre nach 1945, Berlin 1971, S. 139 ff.; Willy Brandt/Richard Löwenthal, Ernst Reuter. Ein Leben für die Freiheit, MUnchen 1957, S. 375 ff. 20
Zur Tätigkeit der DTV: Bericht des Magistrats über die Tätigkeit der Sequesterstelle im sowjeti-
schen Sektor vom 12. 1.1948, in: Berlin, Quellen und Dokumente 1945-1951,1.
Halbbd., Dok. Nr. 249,
S. 383 ff.; F. Seume, Organisationsformen der Industrie in der sowjetischen Besatzungszone, in: Wirtschaftsprobleme
der Besatzungszonen,
S. 254-261; Karlheinz Kuba, Skizze zur Rolle der Deutschen
Treuhandverwaltung bei der Leitung der sequestrierten Betriebe in Berlin 1947-1949, in: Beiträge, Dokumente, Informationen des Archivs der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, 2. Jg. (1965), S. 59-93. 21
Hans Herzfeld, Die Entscheidungsjahre der Berliner Nachkriegsgeschichte
1946-1948, in: Berlin.
Behauptung von Freiheit und Selbstverwaltung 1946-1948, hrsg. im Auftrag des Senats von Berlin, bearb. im Landesarchiv Berlin (= Schriftenreihe zur Berliner Zeitgeschichte, Bd. 2), Berlin 1959, S. 35. 22
Bericht des Magistrats über die Tätigkeit der Sequesterstelle im sowjetischen Sektor vom
12. 1. 1948, in: Berlin, Quellen und Dokumente 1945-1951..., K. Kuba, Skizze..., S. 73-84.
1. Halbbd., Dok. Nr. 249, S. 383 ff.;
120
III. Die Teilung Berlins
Der im Frühsommer 1948 eskalierende Konflikt um die Währungsfrage leitete die letzte Phase im Prozeß der wirtschaftlichen Teilung Berlins ein. Da sich die Besatzungsmächte nicht auf eine gesamtdeutsche Währungsreform einigen konnten, führten die westlichen Militärregierungen eine separate Währungsreform durch. Am 20. Juni 1948 wurde die Währung der Westzonen auf Deutsche Mark (DM) umgestellt. Die Sowjetunion reagierte umgehend mit der Einführung einer neuen Währung in der SBZ („Kupon-Mark" - dann Deutsche Mark der Deutschen Notenbank) und versuchte, alle vier Sektoren Berlins in das Währungsgebiet der SBZ mit einzubeziehen. Die Westalliierten, die einen Kompromiß in Form einer eigenen Berliner Währung („Bärenmark"), zumindest aber eine Mitwirkung bei der Währungsreform in Berlin angestrebt hatten, sahen ihre Rechte durch den sowjetischen Vorstoß bedroht und führten die DM in den Westsektoren ein. Bereits am 16. Juni hatte die Sowjetunion die Alliierte Kommandantur verlassen.23 Mit der politisch-administrativen Teilung Berlins im Spätherbst 1948 wurde der Prozeß der wirtschaftlichen Teilung abgeschlossen. Die beiden Stadthälften waren nun getrennte Wirtschafts- und Währungsgebiete. Im März 1949 wurde in WestBerlin die DM zum alleinigen Zahlungsmittel erklärt. Dadurch lösten sich auch die Handelsverflechtungen zwischen beiden Teilen der Stadt sowie zwischen West-Berlin und dem Umland weitgehend auf. Eine grenzüberschreitende Verflechtung bestand für die Industrie der Region nur noch durch die Pendelwanderung von Arbeitskräften (Grenzgänger). Dieses letzte Bindeglied wurde mit dem Mauerbau vom 13. August 1961 beseitigt. Die Berliner Elektro- und Metallindustrie war faktisch schon seit 1946 gespalten. Mit der politischen Teilung Berlins und dem Abschluß der währungspolitischen Teilung wurde diese Spaltung besiegelt. Es hatten sich zwei kleinere regionale Einheiten herausgebildet. Die früheren Kapitalverflechtungen und Lieferbeziehungen zwischen beiden Stadthälften waren zerrissen, die Unternehmen in den Westsektoren waren vom Umland abgetrennt. Die Teilung führte damit zu einer weiteren Verstümmelung des regionalen Potentials, die für beide Seiten zu einer schweren Hypothek wurde.
Die Teilung eines Unternehmens: Der Fall AEG Auf der Mikroebene führte die wirtschaftliche Teilung Berlins zur Spaltung von Unternehmen, die sowohl in den Westsektoren als auch im Ostsektor vertreten waren. 24 Der bedeutendste Fall dieser Art war die AEG, zu der die größten Indu23
M. W. Wolff, Die Währungsreform..., S. 58-86. Zur währungspolitischen Teilung vgl. ferner A.
Schlegelmilch, Hauptstadt..., S. 511-535; F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 74 ff. 24
Die Geschichte „geteilter Unternehmen" ist bislang erst an wenigen Beispielen untersucht worden.
Die
121
Teilung
striebetriebe des sowjetischen Sektors, das KWO und die Apparatefabriken Treptow, gehörten. Während die Berliner Siemens-Betriebe im Westteil der Stadt konzentriert waren, arbeiteten von den Beschäftigten der Berliner AEG-Fabriken vor Kriegsende rund 60% auf dem Gebiet des späteren Ost-Berlin.25 In den Westsektoren wurde die AEG im Februar 1946 auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 52 unter Sequester gestellt. Die Sequestrierung betraf das Konzernvermögen, die Geschäftstätigkeit konnte vom Vorstand weitergeführt werden. Als Treuhänder setzten die westlichen Militärregierungen zunächst den früheren Leiter der AEG-Finanzverwaltung, Ernst Lemcke, und später dann den Vorstandsvorsitzenden Friedrich Spennrath ein. Die AEG-Betriebe des sowjetischen Sektors wurden im Januar 1946 gemäß dem SMAD-Befehl Nr. 124 unter Sequester gestellt.27 Faktisch wurde mit diesen Beschlagnahmungen die Teilung des Unternehmens vollzogen. Die im Ostsektor sequestrierten Betriebe wurden aus dem Konzern ausgegliedert. Die Treuhänder erhielten von den Bezirksämtern schon bei ihrer Einstellung die Anweisung, „im Sinne des Befehls Nr. 124 alle Verpflichtungen des Werkes mit der bisherigen Hauptverwaltung der AEG zu lösen", Mitarbeitern der Zentralverwaltung den Zutritt zu verbieten und Auskünfte abzulehnen.28 Im KWO ordnete der Treuhänder Ende Januar 1946 an, den Zahlungsverkehr mit der AEG-Zentralverwaltung einzustellen. Den Mitarbeitern des Betriebs wurde verboten, die Konzernzentrale am Hohenzollerndamm aufzusuchen.29
Vgl. Armin Hermann, Carl Zeiss - Die abenteuerliche Geschichte einer deutschen Firma, MünchenZürich 1992, S. 168-345; Rainer Karisch, Ein geteiltes Unternehmen - zur Entwicklung der Beziehungen zwischen den Agfa-Fabrikationsstätten
in Leverkusen und Wolfen nach 1945, in: W. Plumpe/
Ch. Kleinschmidt (Hrsg.), Unternehmen..., S. 105-122; ders., Von der Schering AG zum VEB Berlin Chemie - die Folgen der Teilung Berlins fir die chemische Industrie im Ostteil der Stadt, in: W. Fischer/ J. Bähr (Hrsg.), Wirtschaft..., S. 223-258; Thomas W. Rieger, „Das weiß-blaue Wunder". Die Bayerischen Motoren-Werke in München und Eisenach, in: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Markt oder Plan. Wirtschaftsordnungen in Deutschland 1945-1961, Frankfurt/M.-New York 1997, S. 76 f. 25
Stand 1943/44, berechnet nach: OMGUS, Report on AEG..., Bd. 1, Anhang Nr. 1, IfZ.
26
Tätigkeit der Berliner Konzerne (Vermerk der Abt. Wirtschaft vom 14. 5.1947), SAPMO-BArch,
ZPA, NY 4182/1029; Denkschrift „Monopole, Konzerne, Syndikate und andere Unternehmervereinigungen sammeln ihre Kräfte" vom 25.2. 1946, a.a.O.I\\i\, 27
Bl. 67 ff.
Entsprechende Anordnungen erließen die Bezirksämter für das KWO, die Apparatefabriken Treptow,
die Transformatorenfabrik Oberschöneweide, die Fernmelde- und Apparatefabrik Oberspree, ein Verkaufsbüro sowie eine Druckerei- und Verlagsanstalt. Schreiben der AEG-Zentralverwaltung an den Magistrat von Berlin, vertreten durch den Oberbürgermeister, vom 4.2.1946, LAB(STA), Rep. 800/300/III. 28
Bestallungsurkunde des Bezirksamts Köpenick für den Treuhänder Wilhelm Paulussen vom
24. 1.1946 (KWO). Ebda. 29
Bericht des Treuhänders aus dem KWO über seine Tätigkeit seit dem 26.1.1946, SAPMO-
BArch, ZPA, IV 2/6.02/80, Bl. 84.
122
111. Die Teilung Berlins
Die AEG erhob beim Magistrat Einspruch gegen die Ausgliederung. In der von Lemcke und Spennrath unterzeichneten Begründung wurde darauf hingewiesen, daß für die ausgegliederten Fabriken keine Liste oder spezielle Anordnung der SMAD vorliegen würde, wie es der Befehl Nr. 124 vorsah. Ferner wurde geltend gemacht, daß die AEG „kaufmännisch, technisch, fabrikatorisch eine untrennbare Einheit" sei. Eine Ausgliederung der im Ostsektor gelegenen Fabriken würde das gesamte Unternehmen lähmen, die betroffenen Fabriken würden verkümmern. Eine Teilung der AEG würde den Wiederaufbau in Berlin erschweren und die Abwanderung der Berliner Elektroindustrie in die Westzonen verstärken.30 Der Vorstand versuchte freilich auch, den Konzerncharakter der AEG zu bestreiten, und verstieg sich zu der Behauptung, die AEG sei am Rüstungsgeschäft nur in einem „ganz geringen Umfang" und „unter schärfstem Druck" beteiligt gewesen.31 Für den von der KPD beherrschten Magistrat des parteilosen Oberbürgermeisters Arthur Werner ging es bei der Sequestrierung der AEG-Betriebe im Ostsektor von Anfang an nicht um die Bestimmungen des SMAD-Befehls Nr. 124, sondern um die Enteignung des Konzerns. Die KPD/SED-Führung sah in der Enteignung der Elektrokonzerne einen Testfall für die „Demokratisierung der deutschen Wirtschaft". 32 Die Ausgliederung wurde mit dem SMAD-Befehl begründet, weil keine gesetzliche Sozialisierungsregelung bestand und eine Abstimmung in den Betrieben nicht zu gewinnen war. Bestätigt wird dies durch den im März 1946 verfaßten Bericht eines kommunistischen Betriebsrats: „Es mußte daher ein neuer Weg über den Befehl Nr. 124 von Marshall Shukow eingeschlagen werden. Der Magistrat der Stadt Berlin, Abtl. Wirtschaft, wurde dadurch ausführendes Organ. Er konnte den Betrieb beschlagnahmen und einen oder mehrere Treuhänder einsetzen. Dieser Weg des geringsten Widerstandes, des kleinsten Risikos, ohne Einhaltung des demokratischen Mitbestimmungsrechtes der Belegschaft mußte beschritten werden, um die Konzernfrage in unserem Sinn zu lösen."33 Dabei bestand für die Forderung nach Enteignung der AEG durchaus eine breite Unterstützung in den Betrieben und auch in der Berliner SPD. 34 Eine Teilung des
30 Schreiben der AEG-Zentralverwaltung an den Magistrat von Berlin vom 4.2.1946, LAB(STA), Rep. 800/300/111. 31
Ebda.; H. Radandt, Die Vorgeschichte..., S. 225 f.; P. Strunk, Die AEG..., S. 56. Denkschrift „Monopole, Konzerne, Syndikate und andere Unternehmervereinigungen sammeln ihre Kräfte" vom 25. 2.1946, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/1181, Bl. 63-89 (Zitat Bl. 89). 32
33
W. Bendigkeit, Bericht über die Apparatefabriken Treptow vom 19. 3.1946, in: Helmut Tichter, Die Enteignung der Konzerne in Berlin dargestellt am Beispiel der Apparatefabriken Treptow, Abschlußarbeit HUB, Sektion Rechtswissenschaft, (Ms.) Berlin 1968, Anlage XIII. 34
G. Hautsch, Das Imperium..., S. 42 f.; H. Berger, Ursachen..., S. 262 f. Der Betriebsrat der AEGZentralverwaltung lehnte dagegen eine Sozialisierung bzw. Kommunalisierung ab und schlug die Bildung einer Stiftung nach dem Modell von Zeiss vor. AEG-Betriebsrat zur Sozialisierung, in: Der Tagesspiegel vom 20.12. 1946.
Die Teilung
123
Konzerns durch Ausgliederung der im Ostsektor und in der SBZ gelegenen Betriebe lehnten aber die meisten Befürworter einer Sozialisierung ab, weil sie - ebenso wie der Vorstand - davon ausgingen, daß die AEG nur als Einheit wiederaufgebaut werden konnte. Hinzu kam, daß die Belegschaften der betroffenen Fabriken befürchteten, bei einer Abtrennung von der AEG Rentenansprüche zu verlieren. 35 Die SMAD nahm in dieser Frage eine auffällig reservierte Haltung ein. Nach einem internen Rundschreiben der AEG-Fabrikenleitung vom Mai 1945 hatte der sowjetische Stadtkommandant Bersarin damals zugesichert, an der Einheit des Konzerns festzuhalten. 36 In einer Grundsatzbesprechung über die Umstrukturierung der Berliner AEG, die am 7. Februar 1946 stattfand, lehnte selbst der Vertreter der Magistratsverwaltung für Wirtschaft, Eugen Rössel, eine „Atomisierung der AEG" ab und forderte, die technische Zusammenarbeit zwischen den Konzernbetrieben zu erhalten. Der Vertreter der Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie deutete an, daß diese Lösung auch von den sowjetischen Dienststellen favorisiert würde. Lediglich die KPD trat entschieden für eine Teilung der AEG ein. 37 Nach der Sequestrierung versuchten der Magistrat, der FDGB und die sowjetische Kommandantur, den entfallenen Zusammenhalt zwischen den ausgegliederten AEG-Fabriken im Ostteil Berlins zunächst durch eine überbetriebliche Planung und eine enge produktionstechnische Zusammenarbeit zu ersetzen, die von einem Arbeitsausschuß koordiniert werden sollte. 38 Im August 1946 erhielt die AEG von sowjetischer Seite ein spektakuläres Angebot. Der Vorsitzende der neugegründeten SAG für die elektrotechnische Industrie, Prigarin, schlug der AEG-Zentrale im Westteil Berlins vor, gemeinsam eine Zentralverwaltung für die sequestrierten Betriebe im sowjetischen Besatzungsgebiet aufzubauen. Die AEG lehnte ab. 39 Wenige Monate später wurden die Apparatefabriken Treptow und das KWO als SAG-Betriebe in sowjetisches Eigentum überführt. Die Transformatorenfabrik Oberschöneweide blieb bis zur Enteignung im Jahr 1949 unter Treuhandverwaltung. Damit war die Teilung der Berliner AEG bereits zwei Jahre vor der politischen Teilung der Stadt besiegelt.
35 SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/99, Bl. 31; Eberhard Koebel-Tusk, AEG. Energie, Profit, Verbrechen, bearb. von Peter Heß, Berlin 1958, S. 146. 36 Rundschreiben der AEG-Fabrikenleitung vom 17.5.1945, LAB(STA), Rep. 404/3. In dem Rundschreiben wird auf Verhandlungen Bezug genommen, die der damalige Chef der Fabrikenleitung, Hans Wendel, mit Bersarin geführt hatte. 37 Notiz über die Besprechung vom 7.2.1946 betr. Entflechtung und Umformung des AEG-Konzerns, SAPMO-BArch, ZPA, IV 2/6.02/80, Bl. 4-18. 38
Konzementwicklung in Ostdeutschland, in: Wirtschaftszeitung vom 7. 2.1947. Materialien hierzu finden sich in LAB(STA), Rep. 411/4 u. /309. 3 " Peter Strunk, Die „Akte Prigarin ". Ein Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte unter sowjetischer Besatzungsherrschaft, Ms. Frankfurt/M. 1995; ders., Die AEG..., S. 63.
124
III. Die Teilung Berlins
Zwischen der AEG und ihren ehemaligen Betrieben im sowjetischen Sektor Berlins bzw. in der SBZ blieben zunächst zum Teil enge Geschäftsverbindungen bestehen. Noch 1947/48 entfielen rund 42% der gesamten Geschäftstätigkeit der AEG auf das sowjetische Besatzungsgebiet. Die Transformatorenfabrik Oberschöneweide führte - auch während der Blockade - Aufträge für Abnehmer in der SBZ aus, bei denen die AEG-Zentralverwaltung als Generalunternehmer fungierte. 4 0 Noch Ende 1950 teilte die AEG den West-Berliner Behörden mit, daß sie mit ihren ehemaligen Fabriken TRO und Lokomotivwerk Hennigsdorf „nach wie vor in reger Geschäftsverbindung" stünde, da der Aufbau der westdeutschen Ersatzfabriken noch nicht abgeschlossen sei. Auf der Ebene der Betriebsräte bestanden bis 1948 regelmäßige Kontakte. 41 Lange hielten sich die ursprüngliche Unternehmensidentität und die „AEG-Mentalität" in den enteigneten Konzernbetrieben. Wie ausgeprägt das Zugehörigkeitsgefühl am Ende der vierziger Jahre war, zeigen zum Beispiel die fortbestehenden Animositäten zwischen ehemaligen AEG- und SSW-Büros in der SBZ. 4 2 Im TRO beklagte die Werksleitung 1958 die nach wie vor bestehende „AEG-Mentalität" in der Belegschaft. Rund 30% der Beschäftigten arbeiteten damals seit dreißig Jahren oder länger in diesem Betrieb. 4 3 Noch Anfang der siebziger Jahre konnte in den EAW (ehem. Apparatefabriken Treptow) die „alte AEG-Ideologie" kritisiert werden. 4 4 Im K W O waren bis in die sechziger Jahren hinein die Strukturen des alten AEG-Betriebs zu erkennen. Nach dem Ende der DDR betonte die Geschäftsleitung der K W O GmbH - wohl mit Blick auf die AEG als möglichen Investor - , daß die Stammkräfte des Betriebs „im Herzen bis in die Gegenwart AEGler" geblieben sind. 45
40
Aktennotiz Nr. 6/49, LAB(STA), Rep. 411/866. P. Strunk, Die AEG..., S. 63; H. Tichter, Die Ent-
eignung..., Anlage II. 41
Schreiben der AEG an den Magistrat, Abt. Wirtschaft, Fachamt Interzonenwirtschaft, vom
20. 12. 1950, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/201 (Zitat); Entwicklung des TRO nach 1945, LAB(STA), Rep. 411/1. Der Betriebsrat der AEG-Zentralverwaltung organisierte noch 1948 anläßlich der Frühjahrsmesse in Leipzig ein Treffen der „AEG-Ostbetriebe". LAB(STA), Rep. 401-05/77, Bl. 270. Vgl. auch H. Tichter, Die Enteignung..., S. 55. Nach 1990 wurden das TRO und das LEW Hennigsdorf als einzige der ehemaligen Konzernbetriebe in Ostdeutschland von der AEG übernommen. 42
Vgl. Jörg Roesler, Spielraum für betriebliche Entscheidungen volkseigener Betriebe während des
Zweijahrplans 1949/50 und Schlußfolgerungen für die betriebsgeschichtliche Forschung, in: W. Plumpe/ Ch. Kleinschmidt (Hrsg.), Unternehmen..., S. 95 f. 43
Stellungnahme zum Stand und zur Entwicklung des Transformatorenwerkes „Karl Liebknecht"
vom 17.9. 1958, SAPMO-BArch, BPA, IV 2/6/794. 44
„Die alte AEG-Ideologie lacht aus jeder Ecke". Bericht über die politisch-ideologische und ökono-
mische Lage der EAW (Okt. 1970). LAB(STA), Rep. 401/265. 45
Michael Baufeld, Kombinat Kabelwerk Oberspree. Einst unter einem Dach -jetzt
harte Konkur-
renz, in: Die Wirtschaft (Hrsg.), Kombinate. Was aus ihnen geworden ist. Reportagen aus den neuen Ländern, Berlin-München 1993, S. 40.
Die Teilung
125
Die AEG ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie das Potential eines Berliner Weltunternehmens und die Leistungsfähigkeit seiner Betriebe durch die Teilung reduziert wurden, nachdem bereits durch die Demontagen und die Beschlagnahmung der Konten hohe Verluste enstanden waren. Die willkürliche Aufspaltung einer organisatorischen und fabrikationstechnischen Einheit belastete den Wiederaufbau der Betriebe im Westen wie im Osten. Trotz ihrer Liquiditätsschwäche mußte die AEG eine Reihe von Ersatzwerken für die im Osten enteigneten Fabriken errichten. Die meisten dieser Werke entstanden in Westdeutschland. Das KWO konnte nicht ersetzt werden. 4 6 Die Fachkräfte und das Know-how gingen der AEG aber durch die Teilung ebensowenig verloren wie durch die vorangegangenen Demontagen. Neben der intakten Verkaufsorganisation in den Westzonen war dies der wichtigste Faktor für den Wiederaufbau des Unternehmens. Die enteigneten Betriebe im sowjetischen Sektor Berlins hatten eine noch ungünstigere Ausgangsposition, da sie mit der Ausgliederung aus der AEG nicht nur ihren technischen Zusammenhalt, sondern auch ihre Einbindung in die Verwaltungs- und FuE-Struktur des Konzerns verloren. Die verbliebenen Fachkräfte und das Knowhow waren auch hier wichtige Faktoren des Wiederaufbaus. 4 7 Im Unterschied zu den AEG-Betrieben im Westen ging dieses Potential in den früheren Konzernbetrieben im Osten jedoch durch die Abwanderung kontinuierlich zurück.
Die Auflösung der interzonalen Handelsverflechtung Der Handel innerhalb Deutschlands war bei Kriegsende zum Erliegen gekommen. Die Zerstörung des Transportsystems und die Errichtung der Zonengrenzen ließen nur eine bescheidene Wiederbelebung des innerdeutschen Handels zu. Die Wirtschaft der SBZ wurde davon besonders hart getroffen, da dieses Gebiet vor dem Zweiten Weltkrieg stärker mit anderen Teilen Deutschlands verflochten war als das Gebiet der späteren Westzonen. 48 Noch 1947 entfielen 68% des Handels der SBZ auf die Westzonen. Als Folge der politisch erzwungenen Umorientierung nach 46
Bis Mitte der sechziger Jahre war die AEG in der Kabelindustrie nur über ihre Beteiligung an
den Norddeutschen Kabelwerken im Westteil Berlins vertreten. Vgl. Unsere AEG..., S. 38-68 u. 83; G. Hautsch, Das Imperium..., S. 70 ff:,AEG übernimmt Kabelwerk Duisburg, in: Handelsblatt vom 18. 5. 1965. 47
J. Roesler, Wiederauflau des KWO..., S. 220 f. u. 243 f.
48
1 936 waren 43% der industriellen Nettoproduktion Mitteldeutschlands, aber nur 18% der indu-
striellen Nettoproduktion Westdeutschlands in andere Gebiete Deutschlands geliefert worden. Ähnlich hoch lagen die jeweiligen Anteile der Bezüge aus anderen Gebieten Deutschlands (45% bzw. 18%). B. Gleitze, Ostdeutsche Wirtschaft..., S. 98. Zur Entwicklung des Interzonenhandels in der unmittelbaren Nachkriegszeit vgl. Fritz Federau, Der Interzonenhandäl Deutschlands von 1946 bis Mitte 1953, in: VzW, Jg. 1953, H. 4, S. 385-410.
126
III. Die Teilung Berlins
Osten und der währungspolitischen Teilung Deutschlands ging dieser Anteil bis 1949 auf rund ein Drittel zurück.49 In den Kernindustrien des sowjetischen Besatzungsgebiets vollzog sich die Umorientierung der Absatzstruktur nach Osten bereits mit der 1946 anlaufenden Reparationsproduktion. In der elektrotechnischen Industrie des Berliner Ostsektors entfiel schon 1946/47 nur noch ein unbedeutender Teil des Absatzes auf Westdeutschland, das vor dem Zweiten Weltkrieg das wichtigste Absatzgebiet gewesen war. Bezüge aus dem Westen waren seit Kriegsende nur noch eingeschränkt möglich. 50 Nach der Sequestrierung wurde in den beschlagnahmten Betrieben der Handel mit dem Westen weiter erschwert. So mußten zum Beispiel dringend benötigte Werkzeugmaschinen aus den Westzonen über die SMAD bestellt werden.51 1948/49 wurde die Industrie des Ostsektors dann durch die währungspolitische Teilung fast vollständig von ihren früheren Bezugsquellen in Westdeutschland abgeschnitten. Gleichzeitig verkümmerte der Absatz im Westen zu einer marginalen Größe. Im WF kam der Westabsatz 1948 „praktisch zum Erliegen". Zuteilungen für Lieferungen aus den Westzonen blieben aus.52 Im KWO gingen 1948 noch 0,8 des Umsatzes in „nichtsozialistische" Länder. Von der Produktion der EAW entfielen 1949 1,9% auf Lieferungen in den Westen.53 Einen Sonderfall innerhalb des interzonalen Handels bildete bis Anfang 1949 der lebhafte Güteraustausch zwischen dem Westteil Berlins und der SBZ. Im Juni 1948 berichtete die Berliner Vertretung der bizonalen Wirtschaftsverwaltung, daß die Firmen der Westsektoren in einem „bedeutend umfangreicheren Austausch mit der Sowjetischen Besatzungszone stehen, als es hier im Westen im allgemeinen bekannt ist". 54 Dieser Handel erfolgte überwiegend auf Kompensationsbasis. Zumeist wurden Fertigwaren aus dem Westteil Berlins gegen Rohstoffe und Halbfertigprodukte aus der SBZ geliefert. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen befanden sich viele traditionelle Zulieferer der Berliner Elektroindustrie wie etwa die Glasindustrie der Lausitz. Die Arbeitsteilung im Handel zwischen dem Westteil Berlins und der SBZ wurde durch die Mangelwirtschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit noch verstärkt. Die Firmen der Westsektoren mußten einen großen Teil ihres Absatzes in das sowje-
49
Heinz Köhler, Economic Integration in the Soviel Bloc. With an East German Case Study (= Prae-
ger Special Studies in International Economics and Development), New York-Washington D.C. 1965, S. 61-65; Maria Haendcke-Hoppe, Die Außenwirtschaftsbeziehungen
der DDR. Grundzüge - Schwer-
punkte - Perspektiven (= FS-Analysen 4-1980), Berlin 1980, S. 4 u. 20. 50
Geschichte der Schaltgerätefabrik 1945-1949, LAB(STA), Rep. 401/43, Bl. 28.
51
Aktenvermerk vom 12.8. 1946, a.a.O., Rep. 411/4 (TRO).
52
Geschäftsbericht 1948 des WF, a.a.O., Rep. 404/154.
53
Tätigkeitsbericht der EAW 1950, a.a.O., Rep. 401/47; J. Roesler, Wiederaußau
des KWO...,
S. 252. 54
Bericht des Leiters der Berliner Vertretung der bizonalen Wirtschaftsverwaltung, H. v. Schumann,
über den Handelsverkehr Berlins vom 11.6. 1948, BArch, B 102/270, Bl. 172.
Die Teilung
127
tische Besatzungsgebiet liefern, um Rohstoffe und Halbfertigwaren zu erhalten, die sie aus den Westzonen nicht im benötigten Umfang beziehen konnten. Die Wirtschaft der SBZ war wiederum auf den Bezug von Fertigwaren aus den Westsektoren Berlins angewiesen, weil sie von traditionellen Bezugsquellen in Westdeutschland abgeschnitten war und ein erheblicher Teil der ostdeutschen Fertigwarenproduktion als Reparationsleistung in die Sowjetunion ging. Unter diesen Bedingungen war die Industrie der westlichen Bezirke Berlins während der ersten Nachkriegsjahre mit dem Gebiet der SBZ stärker verflochten als in der Zwischenkriegszeit. Dagegen lag der Absatzanteil Westdeutschlands niedriger als in den dreißiger Jahren. Vor dem Zweiten Weltkrieg war jeweils rund ein Drittel der aus Berlin versandten Industriegüter nach Westdeutschland und nach Mitteldeutschland gegangen.55 1 947 entfielen rund 50% des Industrieabsatzes der Westsektoren auf das sowjetische Besatzungsgebiet und rund 20% auf die Westzonen (siehe TABELLE 13). TABELLE 13
Die Absatzgebiete
der West-Berliner Industrie
1947-1949.
Anteil am Umsatz in v. H.
1947
Oktober 1948*
Juli 1949
Berlin-West
30
59
60
SBZ und Berlin-Ost
50
23
6
Westdeutschland
20
17
32
Ausland
-
-
2
* Werte in DM und M Quellen: BArch, B 102/270, Bl. 167; Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 146; Die Industrie West-Berlins Januar 1948 bis Oktober 1949, in: BS, 3. Jg. (1949), H. 10/11, S. 228.
Für die einzelnen Industriezweige der Westsektoren war der interzonale Handel von unterschiedlicher Bedeutung. Am stärksten war die chemisch-pharmazeutische Industrie auf den Handel mit der SBZ ausgerichtet.56 Für den Maschinenbau und die schweren Fertigungen der Elektroindustrie hatte der Handel mit der SBZ eine geringere Bedeutung, da die Betriebe vor allem auf Lieferungen aus der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie angewiesen waren. Im Werkzeugmaschinenbau der Westsektoren stammten vor der Blockade 85% aller Bezüge aus den Westzo-
55
Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete..., S. 40.
56
Jahresbericht 1947 für den amerikanischen Sektor von Berlin, LAB, OMGBS, Econ.Br., 4/64-3/1.
128
III. Die Teilung Berlins
nen. Im Werkzeugmaschinenbau des sowjetischen Sektors lag dieser Anteil bei 40%. 57 Dagegen hatte der Handel mit der SBZ für die leichte elektrotechnische Industrie der Westsektoren einen wichtigen Stellenwert, deren Unternehmen einen großen Teil der benötigten Rohstoffe und Halbfertigwaren aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg beziehen konnten. Durch Anordnungen der Militärregierungen wurde der interzonale Handel der Elektroindustrie in den Westsektoren 1947 erleichtert.58 Nach Einschätzung der Magistratsverwaltung für Wirtschaft profitierten von diesem Handel besonders die Rundfunkgeräteindustrie und die Glühlampenindustrie der Westsektoren.59 Bei den Telefunken-Werken im Westteil-Berlins entfielen vor der Blockade 40% des Gesamtumsatzes auf das sowjetische Besatzungsgebiet, bei Mix & Genest 45%. 60 In der Glühlampenindustrie nahm die Firma Osram ihre Fertigung im britischen Sektor „mit Hilfe der russischen Zone" auf, wie die Magistratsverwaltung vermerkte.61 Am höchsten lag der Anteil des Ostabsatzes bei Herstellern von Investitionsgütern, die für den Wiederaufbau der Infrastruktur in der SBZ benötigt wurden. Die AEG-Turbinenfabrik und die Vereinigten EisenbahnSignalwerke bestritten vor der Blockade 75% bzw. 100% ihres Umsatzes mit Lieferungen in die SBZ und in den sowjetischen Sektor Berlins.62 Von den Bezügen der Berliner S&H-Betriebe stammten Mitte 1947 28% aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet und 15% aus den Westzonen. Dagegen kamen 45% der Aufträge aus den Westzonen, aber nur 19% aus der SBZ und dem Ostteil Berlins.63 Die in Westdeutschland abgesetzten Produkte wurden also zu einem nicht geringen Teil mit Rohstoffen und Halbfertigwaren aus der SBZ hergestellt. In der gesamten Elektroindustrie der Westsektoren entfielen im März 1948 rund 30% des Absatzes auf das Gebiet der SBZ (einschließlich Berlin-Ost). Dies entsprach ziemlich genau dem Anteil von 1936.64
57
Bericht über die Verflechtung der Industrie der drei Berliner Westsektoren, a.a.O., Rep. 200,
Acc. 2435/57. 58
In allen vier Zonen durften die Firmen Fertigwaren nun auch gegen Rohstoffe tauschen, die nicht
für ihre Produktion notwendig waren. Wolfgang Ribbe, Von der Rüstungsschmiede Probleme der Spandauer buch des Landesarchivs 59
Wirtschaft im 20. Jahrhundert,
in: Berlin in Geschichte
zur
Zivilindustrie.
und Gegenwart.
Jahr-
Berlin 1982, Berlin 1982, S. 111.
Magistrat, Abt. Wirtschaft, Memorandum über die wirtschaftliche Lage der Berliner Westsektoren
vom 9 . 2 . 1948. BArch, B 102/270, H. 1. 60
Bericht über die Verflechtung der Industrie der drei Berliner Westsektoren, LAB, Rep. 200,
Acc. 2435/57. 61
Magistrat, Abt. Wirtschaft, Memorandum vom 9 . 2 . 1948. BArch, B 102/270, H. 1.
62
Bericht über die Verflechtung der Industrie der drei Berliner Westsektoren, LAB, Rep. 200,
Acc. 2435/57. 63
Magistrat, Abt. Wirtschaft, Memorandum vom 9 . 2 . 1 9 4 8 . BArch, B 102/270, H. 1.
64
LAB, Rep. 10A, Acc. 410/55. 1936 entfielen 20% des Absatzes der Berliner Elektroindustrie auf
Mittel- und Ostdeutschland (einschließlich der Gebiete östlich von Oder und Neiße) und 22% auf Ber-
Die Teilung
129
Der Handel zwischen den Westsektoren und dem sowjetischen Besatzungsgebiet behielt auch noch im zweiten Halbjahr 1948, trotz der Blockade, eine beträchtliche Bedeutung. Erst nachdem die Westmächte im Januar 1949 eine Gegenblockade verhängt hatten 65 und nachdem die DM im März 1949 in West-Berlin zur alleinigen Währung erklärt worden war, ging hier der Güteraustausch mit der SBZ auf ein sehr niedriges Niveau zurück. Nach einer Erhebung des Industrieausschusses entfielen im Oktober 1948 noch 23% des West-Berliner Industrieabsatzes auf die SBZ und den Ostteil der Stadt. Bei den Bezügen der West-Berliner Industrie betrug der Anteil des sowjetischen Besatzungsgebiets sogar 41%. 66 Die Elektroindustrie der Westsektoren bezog im Oktober 1948 rund 40% ihrer Fertigungsmaterialien aus dem Osten.67 Diese Daten sind mit großer Vorsicht zu bewerten, da der Kursverfall der Ostmark gegenüber der DM in der Umsatzstatistik für das zweite Halbjahr 1948 nicht berücksichtigt wurde. Auch der OMGBS-Bericht über die Berliner Industrie vom April 1949 bestätigt jedoch, daß viele West-Berliner Firmen während der Blockade versuchten, ihre Lage durch Kompensationsgeschäfte im Osten zu verbessern. Ein besonders umfangreicher interzonaler Kompensationshandel wurde in diesem Bericht der Industrie des britischen Sektors bescheinigt, zu der die Betriebe in Siemensstadt gehörten.68 Im Juli 1949 lag dann der Anteil der SBZ und Ost-Berlins am Absatz der WestBerliner Industrie nur noch bei 5,7% (siehe TABELLE 13). In der West-Berliner Elektroindustrie, die vor der Blockade rund 30% ihres Absatzes mit Lieferungen in den Osten bestritten hatte, lag dieser Anteil im April 1949 bei 8,1% (5,9% SBZ und 2,2% Ost-Berlin), im Dezember 1949 noch bei 4,2%. Die Berliner S&H-Betriebe setzten Ende 1949 nur noch 2,5% (Mitte 1947: 19%) ihrer Produktion im Osten ab. Im West-Berliner Maschinenbau entfielen Anfang 1950 6% des Absatzes auf die DDR und Ost-Berlin.69
lin; K. C. Thalheim, Berlins wirtschaftliche Entwicklung..., S. 785. Auf das Gebiet des späteren OstBerlin entfiel 1936 schätzungsweise ein Drittel des Berliner Ortsabsatzes. 65 Die westlichen Stadtkommandanten veröffentlichten in diesem Zusammenhang Listen mit Erzeugnissen, die nicht in die SBZ und nach Ost-Berlin geliefert werden durften (A-Liste) bzw. nur mit Genehmigung deutscher und alliierter Stellen in das sowjetische Besatzungsgebiet geliefert werden konnten (B-Liste). Unter diese Beschränkungen fielen u. a. Werkzeugmaschinen, Sendeanlagen und Generatoren. Kommandanten für Gegenblockade, in: Der Tagesspiegel vom 19.1.1949. 66 67 68
F. Seume, Die Industrie, in: Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 46. H. Orlovius, Materialien..., S. 28.
OMGBS, Special Report, S. II-5. LAB, Rep. 10, Acc. 4235/801. Die Industrie West-Berlins Januar 1948 bis Oktober 1949, in: BS, 3. Jg. (1949), H. 10/11, S. 228; H. Orlovius, Materialien..., S. 18; Die Absatzgebiete des Berliner Maschinenbaus, in: DBW, 1. Jg. (1950), Nr. 18, S. 510. 69
III. Die Teilung Berlins
130
Die Grenzgänger (1949-1961) Während der ersten Nachkriegsjahre bestand in Berlin noch ein einheitlicher regionaler Arbeitsmarkt. Im März 1949 waren hier fast 200.000 Personen als Grenzgänger registriert, das heißt als Erwerbstätige, die bei ihrem Weg zur Arbeit die Grenze zwischen West-Berlin und Ost-Berlin oder dem Umland überschritten. Rund 60% der Grenzgänger waren damals Ostgänger, die in West-Berlin wohnten und in Ost-Berlin arbeiteten, rund 40% Westgänger, die in Ost-Berlin oder im Umland wohnten und in West-Berlin arbeiteten (siehe TABELLE 14). Zu den Ostgängern zählten auch die Beschäftigten der Reichsbahn in West-Berlin.70 An der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in Groß-Berlin hatten die Grenzgänger im März 1949 einen Anteil von rund 12%. Dieser Anteil erscheint eher gering, wenn man berücksichtigt, daß mit der Teilung Berlins ein urbaner Ballungsraum willkürlich zerrissen wurde. Die innerstädtische Pendelwanderung war aber auch vor dem Zweiten Weltkrieg, wohl vor allem wegen der Größe des Stadtgebiets, nicht allzu ausgeprägt.71 Mit der politischen und währungspolitischen Teilung Berlins zerfiel dann in den Jahren 1948/49 auch die Einheit des regionalen Arbeitsmarkts. Im Zusammenhang mit der politischen Teilung wurden in Ost-Berlin rund 50.000 Grenzgänger entlassen. 72 Wegen der offenen Grenze zwischen den beiden Stadthälften war in Berlin aber bis zum Mauerbau weiterhin eine grenzübergreifende Arbeitsplatzwahl möglich. Zehntausende von Berlinern arbeiteten bis 1961 als Grenzgänger. Über eine Lohnausgleichskasse in West-Berlin konnten die Ostgänger einen Teil ihres Lohns bzw. Gehalts zum Kurs von 1 : 1 in DM wechseln. Dafür mußten die Westgänger einen Teil ihres Arbeitseinkommens zum gleichen Kurs in Ostmark umtauschen. 73
70
Statistisch zählten selbst West-Berliner, die bei der Reichsbahn im Westteil der Stadt arbeiteten, zu
den Grenzgängern, da sie in Ostmark entlohnt wurden und außerhalb des West-Berliner Hoheitsgebiets tätig waren. 71
P. Czada, Die Berliner Elektroindustrie..., S. 128 ff.
72
J. Fijalkowski u. a., Berlin..., S. 248. Unmittelbar nach der politischen Teilung Berlins wurden von
den kommunalen Behörden Ost-Berlins und von der Reichsbahn rund 8.000 West-Berliner entlassen. Ebda. In der Ost-Berliner Industrie kam es bereits im August 1948 zu einer Welle von politisch begründeten Entlassungen, die sich aber noch nicht generell gegen alle Beschäftigten mit Wohnsitz im Westen richtete, zumal gleichzeitig versucht wurde, arbeitslose Fachkräfte aus dem Westteil der Stadt anzuwerben. Politischer Belegschaftswechsel, 73
in: Der Kurier vom 25. 8.1948.
M. W. Wolff, Die Währungsreform..., S. 269 ff. Zur Grenzgängerproblematik in Berlin vgl. Jörn
Schütrumpf, Zu einigen Aspekten des Grenzgängerproblems im Berliner Raum von 1948/49 bis 1961, in: Jahrbuch ßr Geschichte, Bd. 31 (1984), S. 333-358; Erika M. Hoeming, Zwischen den Fronten. Berliner Grenzgänger und Grenzhändler 1949-1961, Köln-Weimar 1992.
Die Teilung
131
Die Ostgänger zeichneten sich durch eine überdurchschnittliche Qualifikation aus und waren in den Leitungsebenen der Ost-Berliner Betriebe überrepräsentiert. 74 Bei den Entlassungen von Grenzgängern in Ost-Berlin wurden hochqualifizierte Arbeitskräfte und leitende Mitarbeiter zunächst häufig ausgenommen, da deren Kenntnisse nur schwer zu ersetzen waren. Der hohe Anteil von leitenden Mitarbeitern und von Spezialisten unter den Ostgängem ergab sich aber auch schon aus der sozialen Topographie Berlins. Die bürgerlichen Wohnviertel lagen überwiegend in den westlichen Bezirken. Hinzu kam, daß im Ostteil Berlins während der ersten Nachkriegsjahre gezielt Fachkräfte aus dem Westteil der Stadt angeworben worden waren, von denen viele weiterhin dort wohnten. TABELLE 14
Die Grenzgänger In Tsd.
in Berlin
1949-1961.
Beschäftigte.
März 1949
1951
1953
1955
1959
122.0
60.2
28.4
16.6
13.6
76.0
45.0
30.9
33.7
40.1
53.0
56.3#
14.5
11.2
10.9
10.9
13.6
21.7
- Elektroindustrie
7.1
5.4
4.8
3.6
4.5
8.4
- Maschinenbau
1.5
1.2
1.1
1.1
1.6
2.5
Ostgänger* Westgänger** - Industrie
1960
Juli 1961 12.3
# Stand August 1961 * 1951: Stand 31.1.; 1955-1959: Stand 31.9.; 1961: Stand 30.6., alle Angaben einschließlich Reichsbahn-Beschäftigte in West-Berlin. ** 1951: Stand 31. 1.; 1955 u. 1959: Stand 30.9.; 1960: Stand 30.6. Quellen: Statistisches Jahrbuch Berlin..., Jg. 1954-1962; R. Meimberg, Die wirtschaftliche Entwicklung..., S. 27; K. Pritzkoleit, Berlin..., S. 97; P. G. Rogge, Die amerikanische Hilfe..., S. 95; K. L. Shell, Bedrohung..., S. 18; K. C. Thalheim, Arbeit und Sozialwesen, in: Berlin Sowjetsektor..., S. 116.
Die Zahl der Ostgänger ging in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre drastisch zurück und lag 1955 nur noch bei 14% des Stands vom März 1949 (siehe TABELLE 14). Dieser Rückgang war sowohl durch die Auswirkungen der währungspolitischen Teilung und den niedrigen Kurs der Ostmark als auch durch die Säuberungs74 So hatten z. B. bei Siemens-Plania im Oktober 1948 60% der Direktoren, 38% der Ingenieure und Techniker, aber nur 3% der gelernten Arbeiter und 4% der ungelernten Arbeiter ihren Wohnsitz in den Westsektoren. In den EAW, die nahe an der Grenze zum amerikanischen Sektor lagen, arbeiteten noch Ende Juli 1953 929 Beschäftigte als Grenzgänger (=11% aller Beschäftigten), darunter 22 Abteilungsleiter und 51 Ingenieure. Wohnsitz der Belegschaft nach Sektoren, 22. 10. 1948, LAB(STA), Rep. 421/ 39, Bl. 120; Belegschaftsstärke 31.7.1953, a.a.O., Rep. 401/130, Bl. 57.
132
III. Die Teilung Berlins
wellen in Ost-Berlin bedingt, die 1952 an Schärfe zunahmen. Nach der Juni-Krise von 1953 gingen die Ost-Berliner Betriebe dazu über, allen Grenzgängern mit Ausnahme einiger weniger Spezialisten zu kündigen.75 Als weiterer Faktor kam in den frühen fünfziger Jahren die günstigere Arbeitsmarktentwicklung in West-Berlin hinzu. Zunächst hatten die in Ost-Berlin beschäftigten Grenzgänger wegen der Massenarbeitslosigkeit in West-Berlin praktisch keine Alternative. Mit dem Aufschwung der West-Berliner Industrie in den frühen fünfziger Jahren begann sich dies zu ändern. Auch deshalb lag die Zahl der Westgänger ab 1953 dann höher als die Zahl der Ostgänger (siehe TABELLE 14). In der verstaatlichten Industrie Ost-Berlins war der Abbau der Grenzgänger 1955 weitgehend abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren hier nur noch 1.900 WestBerliner beschäftigt.76 Die Gesamtzahl der Ostgänger ging in den folgenden Jahren weiter zurück. Am 30. Juni 1961 waren bei der Lohnausgleichskasse noch 12.270 Ostgänger gemeldet, darunter 6.500 Beschäftigte der Reichsbahn in West-Berlin. Neben den Verkehrsangestellten waren Ärzte und Künstler überrepräsentiert. Nur ein geringer Teil der Ostgänger arbeitete Anfang der sechziger Jahre noch in der Industrie.77 Auch die Zahl der Einpendler nach West-Berlin ging in den frühen fünfziger Jahren stark zurück. Die hohe Arbeitslosigkeit in West-Berlin trug dazu ebenso bei wie die Übersiedlung von Westgängern nach West-Berlin, die von den Arbeitgebern mit Nachdruck gefördert wurde, vor allem wenn es sich dabei um bewährte Fachkräfte oder leitende Mitarbeiter handelte.78 Für die Westgänger selbst bestand ein starker materieller Anreiz zur Übersiedlung. Da die Zahl der Ostgänger zurückging, konnte der DM-Anteil an den Löhnen und Gehältern der Westgänger entsprechend erhöht werden. Dadurch nahm wiederum die Anziehungskraft zu, die der Grenzgängerstatus für die Ost-Berliner hatte. Die Zahl der Westgänger stieg zwischen 1953 und 1957 um rund ein Drittel, stagnierte dann jedoch bis 1960. Auch am Ende der fünfziger Jahre lag sie noch deutlich unter dem Stand von 1949 (siehe TABELLE 14). Erst während der zweiten Berlin-Krise nahm die Zahl der Westgänger signifikant zu. Die Pendelwanderung nach West-Berlin schwoll mit der Fluchtbewegung aus der 75 Vertraulicher Bericht der Personalabteilung des WF an die Werksleitung vom 6.11.1953. A.a.O., Rep. 404/539. Zu den Kündigungen von 1952/53 vgl. auch E. M. Hoerning, Zwischen den Fronten..., S. 221 f. 76 J. Schütrumpf, Zu einigen Aspekten..., S. 339. In einem der größten Betriebe der Ost-Berliner Elektroindustrie, dem WF, hatten jetzt nur noch 21 von rund 5.000 Beschäftigten ihren Wohnsitz in WestBerlin, darunter 14 leitende Mitarbeiter, Wissenschaftler und Ingenieure. Schreiben vom 12. 2.1955 und vom 11.3. 1955, LAB (STA), Rep. 404/539; Entwicklung des Werkes (Ms.), a.a.O./434. 77 K. L. Shell, Bedrohung..., S. 17 f.; Karl C. Thalheim, Arbeit und Sozialwesen, in: Berlin Sowjetsektor..., S. 116; E. M. Hoerning, Zwischen den Fronten..., S. 231. 78 Dies zeigen die beim Senat beantragten Zuzugsgenehmigungen in: LAB(STA), Rep. 10, Acc. 4235 (Firmenakten). Vgl. hierzu auch J. Schütrumpf, Zu einigen Aspekten..., S. 343.
Die Teilung
133
DDR und Ost-Berlin an. Der Grenzgängerstatus hatte nun noch stärker als zuvor die Funktion einer Durchgangsstation für die Übersiedlung nach West-Berlin. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Arbeitsmarktsituation in West-Berlin, wo Anfang der sechziger Jahre der Zustand der Vollbeschäftigung erreicht wurde. Auch unmittelbar vor dem Mauerbau lag die Zahl der Westgänger aber immer noch um rund ein Viertel unter dem Stand vom März 1949 (siehe TABELLE 14). Rund 80% der Westgänger wohnten zu diesem Zeitpunkt in Ost-Berlin, 20% im Umland. 7 9 Die Berufsstruktur der Westgänger änderte sich im Laufe der fünfziger Jahre grundlegend. 1952 arbeiteten rund 42% der Westgänger in der Industrie, 1959 nur noch rund 25%. 80 Entsprechend ging die Zahl der in der West-Berliner Industrie beschäftigten Grenzgänger zurück. Der Anteil der Grenzgänger an den Industriebeschäftigten in West-Berlin lag 1951 bei knapp 9%, 1959 nur noch bei 4%. 81 In der West-Berliner Elektroindustrie sank der Anteil der Grenzgänger an den Beschäftigten von 12% (1951) auf 4% (1959). Der Rückgang war hier also noch stärker als in der gesamten West-Berliner Industrie. Bis zum Mauerbau stieg dieser Anteil dann wieder auf rund 7%. 8 2 Die Zahl der Westgänger sank in der West-Berliner Elektroindustrie bis 1959 auf etwa 50% des Stands von 1951. Erst unmittelbar vor dem Mauerbau wurde der Stand von 1951 wieder erreicht (siehe TABELLE 14). Relativ hoch lag der Anteil der Grenzgänger bei den Siemens-Betrieben in WestBerlin. Vor dem Mauerbau wohnten hier fast 10% der Beschäftigten in Ost-Berlin und in der DDR. 8 3 Auch bei Siemens war der Beschäftigtenanteil der Grenzgänger aber während der fünfziger Jahre stark zurückgegangen, von 20% im Jahr 1949 auf 4% im Jahr 1958. 84 Im Maschinenbau blieb die Zahl der Westgänger zwischen 1953 und 1959 konstant. In der Phase vor dem Mauerbau nahm diese Zahl dann um mehr als 50% zu (siehe TABELLE 14). Der Anteil der Westgänger an der Beschäftigtenzahl lag hier im Schnitt etwas niedriger als in der Elektroindustrie und ging in den Jahren 1951— 1959 von 7% auf 4,5% zurück. Im Sommer 1961 lag der Beschäftigtenanteil der Westgänger im West-Berliner Maschinenbau wieder bei rund 6%. 8 5 79
J. Schütrumpf, Zu einigen Aspekten..., S. 356.
80
A.a.O., S. 341.
81
Berechnet nach: Statistisches Jahrbuch Berlin 1952, Berlin 1952, S. 170 u. 174; Statistisches
Jahrbuch Berlin 1960, Berlin 1960, S. 162 u. 166 f. 82
Berechnet nach TABELLE 14 u. 17.
83
Im August 1961 lag die Zahl der Siemens-Beschäftigten in West-Berlin bei rund 47.000. Die An-
gaben über die damalige Zahl der Westgänger bei Siemens schwanken zwischen 4.300 und 4.500. D. Bremeier, Das Haus Siemens..., S. 12; J. Putzmann, Die Entwicklung..., S. 252. In der Zwischenkriegszeit hatten noch rund 20% aller Beschäftigten der Siemens-Werke in Siemensstadt ihren Wohnsitz in den östlichen Bezirken der Stadt und im Umland Berlins. P. Czada, Die Berliner S. 131 ff. 84
Das Haus Siemens 1957/58, in: DBW, 9. Jg. (1959), Nr. 8, S. 234.
85
Berechnet nach TABELLE 14 u. den Beschäftigtendaten auf S. 190.
Elektroindustrie...,
134
III. Die Teilung Berlins
Einen Sonderfall bildete die Bekleidungsindustrie. Die Zahl der in West-Berlin registrierten Grenzgänger nahm hier zwischen 1953 und 1960 um fast 250% zu. 86 Rund ein Drittel aller Beschäftigten der West-Berliner Bekleidungsindustrie (einschließlich der nebenberuflich tätigen Beschäftigten) wohnte in Ost-Berlin und im Umland. Hinzu kam noch eine große Zahl von Heimarbeiterinnen, die in Ost-Berlin für West-Berliner Damenoberbekleidungsbetriebe fertigten. Die Bekleidungsindustrie West-Berlins wurde daher vom Mauerbau besonders hart getroffen.87 Die wirtschaftliche Bedeutung der Grenzgänger für die gesamte West-Berliner Industrie und speziell für die Elektro- und Metallindustrie sollte dagegen nicht überschätzt werden. Die Zahl der Westgänger war hier in den fünfziger Jahren rückläufig und nahm nur vor dem Mauerbau deutlich zu. Für die Wirtschaft beider Stadthälften war die Abwanderung von Ost nach West wichtiger als die grenzüberschreitende Pendlerwanderung, die zunehmend zu einer Durchgangsstation für die Übersiedlung nach West-Berlin wurde. 1960 lag der Anteil der registrierten Grenzgänger an der Gesamtbeschäftigtenzahl in West-Berlin bei 4,6%, in Ost-Berlin bei rund 2%.88 Die rückläufige und insgesamt eher geringe Bedeutung des Grenzgängerwesens nach 1949 zeigt, daß die politische Teilung Berlins zu einer weitgehenden Spaltung des regionalen Arbeitsmarkts geführt hatte.
Die unmittelbaren Folgen der Teilung Im Mittelpunkt der zeitgenössischen Diskussion um die Auswirkungen der Teilung auf die Berliner Wirtschaft stand die Handelsverflechtung. Die in Ost-Berlin erscheinende Zeitschrift Die Wirtschaft ging im Frühjahr 1949 davon aus, daß die Betriebe der West-Berliner Elektroindustrie „ohne den Absatz in der sowjetischen Besatzungszone kaum lebensfähig sind".89 Für die SED sah Bruno Baum in der währungspolitischen Teilung den Ruin der West-Berliner Elektroindustrie.90 Dem hielten auf West-Berliner Seite Thalheim und Frey gang in einer 1951 veröffentlich-
86
Statistisches Jahrbuch Berlin 1954..., S. 181; a.a.O., Jg. 1960, S. 167; Jg. 1961, S. 156. E. M. Hoerning, Zwischen den Fronten..., S. 230; B. Hofmeister, Berlin..., S. 77; 125 Jahre Berliner Konfektion..., S. 103. 88 Für West-Berlin: K. Pritzkoleit, Berlin..., S. 97 (Anteil an den unselbständigen Erwerbspersonen im September 1960). Für Ost-Berlin berechnet nach TABELLE 14 u. Statistisches Jahrbuch der DDR 1990..., S. 67. Hinzu kamen die nicht registrierten Grenzgänger. Vor dem Mauerbau waren schätzungsweise 20.000 nicht registrierte Grenzgänger in West-Berliner Haushalten oder mit einer Nebentätigkeit in der West-Berliner Bekleidungsindustrie beschäftigt. B. Hofmeister, Berlin..., S. 77. 87
89
W. Sack, Berlins Volksbetriebe in Leipzig, in: Die Wirtschaft, 4. Jg. (1949), S. 157. Bruno Baum, B-Mark ruiniert Berliner Elektroindustrie, in: Vorwärts vom 19.1.1949, SAPMOBArch, BPA, IV L 2/9.01/325. 90
Die Teilung
135
ten Untersuchung entgegen, daß die wichtigsten Industriezweige Berlins traditionell auf den westdeutschen Markt ausgerichtet waren. 91 Tatsächlich konnte die West-Berliner Elektroindustrie den Verlust des Ostabsatzes innerhalb weniger Jahre durch Umsatzsteigerungen im Westen und im Exportgeschäft mehr als ausgleichen. Dem West-Berliner Maschinenbau fiel die Umstellung schwerer, obwohl der Ostabsatz in dieser Branche vor 1948 eine geringere Bedeutung hatte. Der Vergleich zwischen beiden Branchen macht deutlich, daß die erfolgreiche Überwindung der teilungsbedingten Absatzverluste weniger von deren Höhe abhing als vielmehr von der Fähigkeit der Unternehmen, die Umstellung zu bewältigen. In der West-Berliner Elektroindustrie wurde die Kompensation der interzonalen Handelsverflechtung nicht nur durch die traditionelle Westorientierung, sondern auch durch die Dominanz „zweibeiniger" Unternehmen erleichtert, die über eine starke Basis in Westdeutschland verfügten. Für den West-Berliner Maschinenbau bestanden dagegen im Bundesgebiet schwer überwindbare Marktzugangsbarrieren. Den Ausfall der Bezüge aus der SBZ/DDR konnten die Betriebe der West-Berliner Elektro- und Metallindustrie durch qualitativ höherwertigere Lieferungen aus Westdeutschland und anderen westlichen Ländern ersetzen. Der Kompensationshandel mit der SBZ war in den ersten Nachkriegsjahren auch ein Notbehelf gewesen. Mit der Aufhebung der Bewirtschaftung in den Westzonen wäre dieser Handel zwangsläufig zurückgegangen. Nachteiligere Folgen hatte der Zusammenbruch des interzonalen Berlin-Handels für die ostdeutsche Wirtschaft. Auf westlicher Seite war man davon ausgegangen, daß der Ausfall der Lieferungen aus der West-Berliner Elektroindustrie in die SBZ dort zu „Störungen im gesamten Wirtschaftsleben" und zu einer schweren Krise der Energiewirtschaft führen würde. 92 Die meisten Kraftwerke in Mittel- bzw. Ostdeutschland waren von der AEG oder von SSW errichtet worden. Ihre Leistungsfähigkeit hing von den West-Berliner AEG- und Siemens-Betrieben ab, die diese Kraftwerke warteten, reparierten und mit Ersatzteilen belieferten. Auch Senderöhren, Telefonanlagen, Glühlampen und Meßgeräte hatte die ostdeutsche Wirtschaft bislang zu einem beträchtlichen Teil aus West-Berlin bezogen. 93 Die Hamburger Tageszeitung Die Welt schrieb am 5. Dezember 1948: „Bei dem derzeitigen Machtkampf um das künftige Schicksal Berlins geht es nicht allein um Währungsfragen, sondern in erster Linie um die Nutzbarmachung der Berliner Elektroindustrie der Westsektoren für die Belange der Ostzonenwirtschaft... Die östliche Energiewirt-
91
Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete...
92
Probleme der Westsektoren-Industrie, in: Die Welt vom 5. 12.1948; Bericht über die Verflechtung
der Industrie der drei Berliner Westsektoren, LAB, Rep. 200, Acc. 2435/57. 93
Bericht über die Verflechtung der Industrie der drei Berliner Westsektoren, LAB, Rep. 200,
Acc. 2435/57.
136
III. Die Teilung Berlins
schaft kann ohne die Belieferung mit Erzeugnissen von Siemens, AEG und Osram nicht weiter." 94 Diese Voraussage traf zwar ebensowenig ein wie die in Ost-Berlin verkündeten Untergangsprognosen für die West-Berliner Elektroindustrie. In der SBZ/DDR konnten die entstandenen Engpässe durch Improvisation, durch Nachkonstruktionen und durch den Aufbau von Ersatzfertigungen notdürftig überbrückt werden. Die aus West-Berlin bezogenen Güter ließen sich aber nicht durch gleichwertige Erzeugnisse ersetzen. Deutlich zeigt dies gerade das „Paradebeispiel" des Kraftmaschinenbaus. 95 Die gesamte metallverarbeitende Industrie des sowjetischen Besatzungsgebiets wurde durch den Ausfall von Rohstoff-, Roheisen- und Stahllieferungen aus den Westzonen hart getroffen, der als Folge der währungspolitischen Teilung vom Juni 1948 eintrat. Die Lieferungen aus Westdeutschland konnten ebensowenig wie die Lieferungen aus West-Berlin durch gleichwertige Bezüge ersetzt werden. Die ostdeutsche Wirtschaft war deshalb zumindest kurzfristig auf suboptimale Lösungen angewiesen. Dies ergab sich zumindest kurzfristig aus der historisch gewachsenen Struktur der Industrie auf dem Gebiet der SBZ/DDR, wo „Veredelungsindustrien" dominierten und die Schwerindustrie unterrepräsentiert war. Dadurch kann aber keineswegs erklärt werden, warum die DDR-Wirtschaft auf Dauer nicht in der Lage war, die Auswirkungen der Teilung effizient zu überwinden. In Berlin führte die Teilung nicht nur zu grundlegenden Veränderungen in der Handelsverflechtung, sondern auch zu tiefen Brüchen im industriellen Potential der Region, deren Auswirkungen sich erst später in ihrer vollen Dimension zeigten. Intraregionale Kapital- und Zulieferverflechtungen wurden willkürlich zerrissen. Häufig galt dies auch für produktionstechnische Zusammenhänge, wie etwa bei der AEG. Die Ost-Berliner Betriebe konnten die Folgen der unternehmensorganisatorischen und produktionstechnischen Trennung ungleich schwerer überwinden als die Firmen in West-Berlin. Im Westen wie im Osten Berlins verloren die Betriebe durch die Teilung gut ausgebildete Mitarbeiter und ein bedeutendes Arbeitskräftereservoir. Für die Industrie in beiden Stadthälften hatte die Teilung ferner eine Schrumpfung des Umfelds aus Zulieferern, Abnehmern und unterstützenden Branchen zur Folge. Die Ausstattung eines solchen Umfelds branchenspezifischer Faktoren bildet einen entscheidenden Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. 96 Die in West-Berlin vertretenen Unternehmen konnten den Rückgang ihres Ostabsatzes wie auch den Verlust
94
Probleme der Westsektoren-Industrie,
95
Siehe S. 147 ff. u. 364 ff.
96
Aus der Sicht der neueren Wettbewerbstheorie vgl, hierzu v. a. M. E. Porter, Nationale
werbsvorteile...
in: Die Welt vom 5 . 1 2 . 1948. Wettbe-
Ost-Berlin: Die Eingliederung in die Zentralplanwirtschaft der SBZ/DDR
137
von Betriebsstätten im Ostteil der Stadt relativ rasch ausgleichen, nicht aber die Verschlechterung der Umfeldfaktoren, die sich aus der Reduzierung des regionalen Wirtschaftsraums ergab. Der Maschinenbau wurde von diesen Folgen der Teilung noch härter getroffen als die elektrotechnische Industrie, da er in stärkerem Maße auf spezialisierte regionale Zulieferer (Gießereien, Schmieden u. a.) und auf das regionale Facharbeiterpotential angewiesen war. Die Reduzierung des regionalen Wirtschaftsraums wurde für die Entwicklung in West-Berlin zu einem entscheidenden Faktor. Die West-Berliner Wirtschaft mußte in „zu engem Anzug" (J. Nawrocki) wachsen. 97 Im überregionalen Wettbewerb innerhalb der Bundesrepublik bedeutete dies einen unüberwindbaren Nachteil, der langfristig sehr viel schwerer wog als der Verlust der östlichen Absatzgebiete.
Ost-Berlin: Die Eingliederung in die Zentralplanwirtschaft
der SBZ/DDR
und die Integration in den RGW Die Durchsetzung der Sozialisierung und der Zentralplanwirtschaft Bis zum Herbst 1947 wurden im sowjetischen Sektor Berlins 287 Betriebe der Treuhandverwaltung (DTV) unterstellt (=11% aller Betriebe des sowjetischen SekQQ
tors), darunter überproportional viele größere Betriebe. Nur noch ein Drittel der Industrieproduktion des Ostsektors wurde 1947 von Privatbetrieben bestritten. In der elektrotechnischen Industrie lag dieser Anteil sogar unter 25%. Die Treuhandbetriebe hatten in der Industrie des sowjetischen Sektors im zweiten Quartal 1947 einen Umsatzanteil von 51%. Rund 20% der industriellen Bruttoproduktion entfielen auf SAG-Betriebe." Formal blieben die Treuhandbetriebe bis 1949 in privatem Besitz, da das Berliner Sozialisierungsgesetz von 1947 nicht in Kraft getreten war. Eine einheitliche, sektorenübergreifende Produktions-, Bedarfs- und Verteilungsplanung, wie es die SED für Berlin forderte, lehnte der im Frühjahr 1947 gebildete Magistrat ab. 1 0 0 Unmittelbar nach Verhängung der Blockade begann die SED dann, die Einbeziehung Berlins in die SBZ-Wirtschaft vorzubereiten. Walter Ulbricht erklärte Ende Juni 1948 vor dem Parteivorstand, es sei damit zu rechnen, „daß künftig Berlin
97
Joachim Nawrocki, Wachstum in zu engem Anzug, in: ders., Brennpunkt Berlin..., S. 104.
98
77 Treuhandbetriebe hatten mehr als 100 Beschäftigte, 64 weniger als 20 Beschäftigte. Sequestrie-
rung Berlin (Angaben der DTV, Stand 15.9. 1947), SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/957, Bl. 171. 99
Produktionslage und Bedeutung beschlagnahmter Betriebe des Sowjet-Sektors im Rahmen der
Berliner Wirtschaft (Stand 15.9. 1947), a.a.0.11029, Bl. 219. Zum Produktionsanteil der SAG-Betriebe siehe S. 97. 100
J. Roesler, Berlins Industrie 1945 bis 1947..., S. 1051 f. u. 1061 ff.
138
III. Die Teilung Berlins
durch die Deutsche Wirtschaftskommission versorgt werden muß". Aufgabe der SED und der ihr nahestehenden Kräfte sei es, „einen Plan für den wirtschaftlichen Aufbau Berlins auszuarbeiten".101 Von der SED-Landesleitung und der DWK wurde bis Oktober 1948 ein Zweijahrplan für Berlin erstellt, ein Rahmenplan konnte bereits im Juli vorgelegt werden. 102 Wegen der Mehrheitsverhältnisse in der Stadtverordnetenversammlung hatte der Wirtschaftsplan der SED zu diesem Zeitpunkt keine Chance auf Umsetzung. Die amtierende Bürgermeisterin Louise Schroeder und der zuständige Stadtrat Gustav Klingelhöfer (beide SPD) lehnten es ab, auf den Zweijahrplan einzugehen. Vor dem Hintergrund der Blockade spekulierte die SEDFührung damals jedoch offen auf eine baldige Eingliederung aller vier Sektoren Berlins in die SBZ. Wie Bruno Baum am 2. Juli 1948 in der SED-Landesparteischule Bestensee erklärte, war der Zweijahrplan mit der Absicht verbunden, „ganz Berlin in unsere Planungen mit einzubeziehen". Im britischen Sektor begannen Vertrauensleute der SED und des FDGB mit der Errichtung von Betriebsplanungskommissionen. 103 Der Zweijahrplan wurde für das Gebiet von Groß-Berlin erstellt, enthielt aber getrennte Vorgaben für den Ostsektor und für die Westsektoren.104 Die SED betrieb eine Doppelstrategie, indem sie Vorbereitungen für die Eingliederung ganz Berlins in die SBZ traf und zugleich eine Teilung Berlins einkalkulierte. So sah der Berliner Zweijahrplan die Errichtung eines im sowjetischen Sektor gelegenen Ersatzbetriebs für das von der französischen Militärregierung stillgelegte Borsig-Werk vor, obwohl der Plan auch als Aufbauprogramm für das Gebiet der Westsektoren ausgegeben wurde. Dies deutet darauf hin, daß sich die SED-Führung über den Ausgang der Berlin-Krise schon im Sommer 1948 nicht sicher war. Nach der politischen Teilung der Stadt wurde dann in Ost-Berlin innerhalb eines Jahres das zentralplanwirtschaftliche System der SBZ/DDR durchgesetzt. Der erste Ost-Berliner Magistrat unter Leitung von Oberbürgermeister Friedrich Ebert (SED) beschloß bereits auf seiner konstituierenden Sitzung, einen Wirtschaftsplan auf der Grundlage des von der SED vorgeschlagenen Zweijahrplans aufzustellen. Dabei wurde auf die kleinere, auf Ost-Berlin zugeschnittene Version des Berliner Zweijahrplans zurückgegriffen. Zusammen mit dem Volkswirtschaftsplan 1949 trat
101
Walter Ulbricht, Planmäßige Wirtschaft sichert die Zukunfi des deutschen Volkes (29.6. 1948), in: Der Deutsche Zweijahrplan fir 1949-1950, Berlin 1948, S. 33. Vgl. auch Hermann Matern, Berlin in den Wirtschaftsplan miteinbeziehen, in: a.a.O., S. 53-57. 102
Protokoll der Landesvorstandssitzung vom 19.10. 1948, SAPMO-BArch, BPA, IV L 2/1/40, Bl. 36-40; Gerhard Keiderling/Percy Stulz, Berlin ¡945-1968. Zur Geschichte der Hauptstadt der DDR und der selbständigen politischen Einheit Westberlin, Berlin 1970, S. 166. 103 Bruno Baum, Zwei-Jahres-Plan (Zitat), Ms. vom 2.7. 1948, SAPMO-BArch, BPA, IV L 2/9.01/ 327; ders., Berlins Wirtschaft an der Jahreswende, in: ND vom 30. 12. 1949; Karlheinz Kuba, Der Berliner Zweijahrplan, Staatsexamensarbeit HUB, Ms. Berlin 1966, S. 9. 104
Zweijahresplan für Groß-Berlin, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/1029, Bl. 256-291.
Ost-Berlin: Die Eingliederung in die Zentralplanwirtschaft der SBZ/DDR
139
der Zweijahrplan für Ost-Berlin am 28. April 1949 in Kraft. 105 Schon im Februar 1949 hatte in Ost-Berlin eine breitangelegte Sozialisierungswelle begonnen, die bis 1950 anhielt. Der sowjetische Stadtkommandant Kotikow hob am 7. Februar 1949 die Sequesterverwaltung auf. Die Treuhandbetriebe wurden dem Ost-Berliner Magistrat unterstellt, der schon am 8. Februar einen Beschluß Nr. 91 über die „Durchführung des Gesetzes zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten" erließ. Am 28. April folgte ein Magistratsbeschluß zur Enteignung von Banken, Versicherungen und Immobiliengesellschaften.106 Bis Dezember 1949 wurden dann drei Enteignungslisten erstellt und veröffentlicht. 107 Der größte Teil der Enteignungen erging auf der Grundlage des Beschlusses vom 8. Februar 1949. Der Ost-Berliner Magistrat berief sich bei seinem Sozialisierungsbeschluß auf das von der Groß-Berliner Stadtverordnetenversammlung am 27. März 1947 verabschiedete Gesetz zur Enteignung von Kriegsverbrechern und aktiven Nationalsozialisten. Die Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung hatte damals jedoch eine Sozialisierung nach den Bestimmungen dieses Bestrafungsgesetzes abgelehnt und dafür votiert, die Enteignungen auf der Grundlage des am 13. Februar 1947 verabschiedeten Gesetzes zur Sozialisierung von Unternehmen durchzuführen, das Entschädigungsregelungen und Widerspruchsmöglichkeiten vorsah. Der Antrag der SED, die Sozialisierung nach dem Vorbild der SBZ auf ein Bestrafungsgesetz zu stützen, war abgelehnt worden.108 Der Sozialisierungsbeschluß des Ebert-Magistrats von 1949 setzte also nicht den früheren Beschluß der Stadtverordnetenversammlung, sondern den 1947 gescheiterten SED-Antrag um. Für die SED ging es in dieser Frage nicht primär um die Entnazifizierung. Vielmehr sollte durch die Bestrafungsbestimmungen ein Instrumentarium zur raschen und rigiden Durchführung
105
Ebda., G. Keiderling/P. Stulz, Berlin..., S. 187 ff.; W. Brunn, Die rechtliche, politische und wirt-
schaftliche Lage..., S. 44. 106
Der Sozialisierungsbeschluß des Magistrats vom 8. 2. 1949 findet sich in:
Verordnungsblattför
Groß-Berlin, 5. Jg. (1949), T. I, Nr. 5, S. 33; K. Kuba, Dokumente..., Dok. Nr. 23, S. 22 f. Vgl. auch G. Keiderling/P. Stulz, Berlin..., S. 186 f.; K. Kuba, Skizze..., S. 85 f. Zu Programm und Tätigkeit des Ebert-Magistrats in den Jahren 1949/50 vgl. die offizielle Bilanzschrift: Zwei Jahre
demokratischer
Magistrat von Groß-Berlin, Berlin o. J. (1950), sowie Gerhard Keiderling, Das erste Jahr der Tätigkeit des demokratischen
Magistrats
unter Oberbürgermeister
Friedrich Ebert, in: Berliner
Ge-
schichte. Dokumente, Beitrüge, Informationen des Stadtarchivs der Hauptstadt der DDR, H. 2 (1981), S. 3-25. 107
Die Rechtswirksamkeit der Enteignungen, die nach Mafigabe dieser Listen erfolgten, wurde vom
Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage des Einigungsvertrages von 1990 bestätigt. Umstritten war besonders die Enteignung von fast 1.600 Grundstücken nach der Liste 3, die erst am 2.12.1949 und damit nach Gründung der DDR veröffentlicht worden war. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts fielen aber auch diese Enteignungen in den Verantwortungsbereich der Sowjetunion. Enteignungen von Grundstücken nach Liste 3 rechtmäßig, in: Der Tagesspiegel vom 14. 2. 1995. 108
Siehe S. 118.
140
III. Die Teilung Berlins
von Enteignungen geschaffen werden. Intern war der SED-Landesvorstand schon 1947 davon ausgegangen, daß sich die angestrebte Sozialisierung in der Praxis nicht an den Kriterien des Bestrafungsgesetzes orientieren würde. 109 Von den 512 sequestrierten Betrieben, die Anfang 1949 unter Treuhandverwaltung standen, wurden 465 auf der Grundlage des Magistratsbeschlusses vom 8. Februar 1949 in VEB umgewandelt. Die meisten verstaatlichten Betriebe faßte der Magistrat in sieben Vereinigungen Volkseigener Betriebe Berlins (VVBB) zusammen, die den landesgeleiteten Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) in der SBZ entsprachen. Betriebe von überregionaler Bedeutung wurden durch Einzelverträge in die Verwaltung der zentral geleiteten VVB der SBZ übergeben. Diese Regelung betraf 50 Betriebe und 41 Zweigbetriebe der Ost-Berliner Industrie. 110 Die VVB waren zunächst den Hauptverwaltungen der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), ab 1949 dann dem Ministerium für Industrie und den daraus hervorgehenden Industrieministerien unterstellt. Die zentral geleiteten VEB der elektrotechnischen Industrie wurden von den W B IKA (Installationen, Kabel, Armaturen), RFT (Rundfunk- und Fernmeldetechnik) und VEM (Volkseigene Elektromotorenwerke) verwaltet. Von den sieben VVB des Maschinenbaus waren die VVB WMW (Werkzeugmaschinenbau und Werkzeuge) und die VVB EKM (Energie- und Kraftmaschinenbau) in Ost-Berlin besonders stark vertreten. 111 Das Ministerium für Industrie wurde vor Inkrafttreten des ersten Fünfjahrplans im November 1950 nach sowjetischem Vorbild in drei Industrieministerien aufgeteilt. Die gesamte metallverarbeitende Industrie fiel in den Bereich des Ministeriums für Maschinenbau. Für die elektrotechnische Industrie bestand in diesem Ministerium eine Hauptabteilung. 112 109
Der Sekretär der SED-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, der ehemalige stellvertre-
tende Oberbürgermeister Karl Maron, hatte dem Landesausschuß auf einer Sitzung vom 2 8 . 6 . 1 9 4 7 mitgeteilt, daß die Partei über keine Unterlagen verfügte, aus denen hervorging, welche Unternehmer Kriegsverbrecher und ehemals aktive Nationalsozialisten waren. Maron hatte deshalb vorgeschlagen, die Begründung „Kriegs- und Naziverbrecher" fallenzulassen und statt dessen die für Berlin „lebenswichtigen" Betriebe unter der Parole „Berlin muß leben" zu enteignen. Damit hätte ebenfalls eine sehr dehnbare Formel zur Verfügung gestanden. Bericht von der Sitzung des SED-Landesvorstands am 2 8 . 6 . 1 9 4 7 , SAPMO-BArch, BPA, IV L 2/1/18, Bl. 33. 110
Neben der VVBB Elektroindustrie und der VVBB Metallurgie und Maschinenbau bestanden
noch die VVBB Chemie, VVBB Bauwesen und Baustoffe, VVBB Leichtindustrie, VVBB Nahrung und Genuß, VVBB Druck- und Papierverarbeitung. Die Vereinigungen
Volkseigener Betriebe in Berlin, in:
ND vom 2 9 . 4 . 1 9 4 9 ; Heinz-Peter Gosse, Volksbetriebe sichern Berliner Aujbauplan
1949, in: Die Wirt-
schaft, 4. Jg. (1949), S. 330; K. Kuba, Skizze..., S. 84-87. " ' W e i t e r e VVB des Maschinenbaus waren die VVB ABUS (Ausrüstungen von Bergbau und Schwerindustrie), VVB LBH (Land-, Bau- und Holzbearbeitungsmaschinen), VVB TEXTIMA (Maschinen der Textil- und Bekleidungsindustrie), VVB POLYGRAPH (Druckerei- und Papierverarbeitungsmaschinen) und VVB NAGEMA (Nahrungs- und Genußmittelmaschinenbau). Keine dieser VVB hatte ihren Sitz in Ost-Berlin. 112
W. Mühlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte...,
S. 185 ff.
Ost-Berlin: Die Eingliederung in die Zentralplanwirtschaft der SBZ/DDR
141
Die Sozialisierungswelle von 1949/50 führte zu einem weiteren Schub von Firmenabwanderungen aus Ost-Berlin. Die verbliebenen Privatbetriebe mußten mit einer Sozialisierung rechnen und waren Diskriminierungen durch die Investitionsund Bewirtschaftungsplanung, aber auch durch die Steuerbehörden ausgesetzt („kalte Sozialisierung"). Die Plankommission drängte darauf, daß die Privatbetriebe in Ost-Berlin von der Vergabe örtlich gelenkter Investitionsmittel durch den Magistrat ausgeschlossen und auf Kredite verwiesen wurden. 1 1 3 Auch bei massiven Auftragsrückgängen durften die privaten Firmen keine Entlassungen vornehmen. Bei der Materialbeschaffung wurden sie behindert, Geschäftsreisen in die Bundesrepublik wurden unterbunden, Patentrechte verletzt. 114 Die in Ost-Berlin verbliebenen Unternehmer waren zunehmend persönlichen Repressionen ausgesetzt. So wurde zum Beispiel 1951 der Inhaber des Apparatebauunternehmens Hugo Rossmann wegen eines „Wirtschaftsvergehens" verhaftet, bei dem es sich aus der Sicht der Firma lediglich um eine betriebsgerechte Lagerhaltung handelte. Rossmann wanderte daraufhin nach West-Berlin ab. 115 Zur Abwanderung sahen sich auch Unternehmer gezwungen, die bei den Behörden als unverzichtbar galten, wie Johann Alfred Richter, der Eigentümer der Firma KälteRichter, des letzten privaten Großbetriebs im Ost-Berliner Maschinenbau. KälteRichter war der einzige ostdeutsche Hersteller von Kühlanlagen für Hochseeschiffe und produzierte bis Anfang der fünfziger Jahre ausschließlich für den Bedarf der UdSSR. Eine Enteignung wurde zunächst von den sowjetischen Behörden verhindert, die an einer ungestörten Produktion und am Know-how des Unternehmens interessiert waren. Im Dezember 1951 fiel dann die Entscheidung, Kälte-Richter zu sozialisieren. Der Betrieb sollte als Versuchsanstalt unter der Leitung des bisherigen Eigentümers weitergeführt, die Produktion vom VEB Kühlautomat übernommen werden. Der FDGB eröffnete daraufhin eine gezielte Kampagne gegen den Eigentümer. 1 1 6 Als sich die Anzeichen häuften, daß auch das Ministerium für Staatssicherheit gegen ihn operierte, ging Richter mit seiner Familie nach West-Berlin. Vergebens versuchten frühere Mitarbeiter des Unternehmens und Beauftragte des OstBerliner Magistrats, ihn zur Rückkehr zu bewegen. 1 1 7
113
Schreiben an Oberbürgermeister Ebert vom 12. 8. 1950, BArchB, DE 1/11300, Bl. 3.
114
Bericht vom 2. 2. 1952 (Firma Kälte-Richter), SAPMO-BArch, BPA, IV L 2/6/293.
115
Hugo Rossmann 75, Jubiläums-Zeitung, SenWiTech, Firmenakten/24 (Rossmann).
116
In einer Betriebsversammlung forderte der FDGB-Funktionär Rettmann, daß die Belegschaft
„Herrn Richter so lange hetzen müsse, bis er zur Strecke gebracht sei, und dass es dazu kommen müsse, dass Herr Richter in seinem eigenen Eisschrank eingesperrt werde". Zur Information betr. Privatbetrieb Kälte-Richter. SAPMO-BArch, BPA, IV L 2/6/293 (Zitat); Instrukteurbericht vom 10. 1.1952 (Abschrift an Gen. Ulbricht). Ebda. 117
Schreiben von Johann Alfred Richter an Direktor Walter Krink vom 3.1.1952. Ebda.; Bericht
vom 2. 2. 1952, Ebda.
111. Die Teilung Berlins
142
Zwischen 1950 und 1955 sank der Anteil der privaten Betriebe an der Ost-Berliner Industrieproduktion von fast 25% auf weniger als 10%, während der Anteil der staatlichen Betriebe auf 86% stieg. Innerhalb der staatlichen Industrie OstBerlins bestritten die örtlich geleiteten VEB 1955 knapp 40% der Bruttoproduktion. 118 In der elektrotechnischen Industrie war die Sozialisierung früher abgeschlossen als in den anderen Industriezweigen Ost-Berlins, da hier Großbetriebe von überregionaler Bedeutung dominierten. 1950 lag der Bruttoproduktionsanteil enteigneter Betriebe (einschließlich SAG-Betriebe) in der Ost-Berliner Elektroindustrie bei 9 1 % , gegenüber 7 4 % in der gesamten Industrie Ost-Berlins (siehe GRAFIK 5 ) . 1 9 5 5 entfielen in der Ost-Berliner Elektroindustrie dann 98% der Bruttoproduktion und 97% der Beschäftigten auf sozialisierte Betriebe. Damit lag der Anteil der staatlichen Betriebe hier noch höher als in der gesamten elektrotechnischen Industrie der DDR. 119 Von insgesamt 73 Betrieben der Ost-Berliner Elektroindustrie waren 1955 28 sozialisiert (= 38%). 45 Betriebe (= 62%) befanden sich noch in privatem Eigentum. 120 Im Maschinenbau, wo mittlere und kleine Betriebe stärker vertreten waren als in der elektrotechnischen Industrie, lag der Anteil der staatlichen Betriebe an der Bruttoproduktion 1950 mit 66% unter dem Durchschnitt der Ost-Berliner Industrie. Bis 1955 stieg der Bruttoproduktionsanteil der VEB im Ost-Berliner Maschinenbau auf 8 8 % , der Beschäftigtenanteil auf 8 3 % (siehe auch GRAFIK 5 ) . Damit entfielen zu diesem Zeitpunkt noch fast ein Siebtel der Produktion und fast ein Viertel der Beschäftigtenzahl auf private Betriebe. 151 von insgesamt 202 Betrieben (= 75%) befanden sich hier 1955 in privatem Eigentum. Von den 51 VEB standen 21 unter zentraler Leitung und 30 unter örtlicher Leitung.121 Im Schwermaschinenbau lag der Sozialisierungsgrad deutlich höher als im Allgemeinen Maschinenbau.122 In der zweiten
118
Der größte Teil dieser Betriebe entfiel auf die Verbrauchsgüterindustrie, speziell auf die Beklei-
dungs- bzw. Leichtindustrie. Marginal blieb der Anteil der halbstaatlichen Betriebe, die nach 1955 entstanden. Statistischer Jahresbericht an den Magistrat (1955), Bl. 5 u. 8, STB-AB; Statistische Angaben über Berlin, BArchB, DE 1/6120, Bl. 2; Statistisches Jahrbuch der Hauptstadt der DDR, Berlin 1961, S. 165; B. Fege u. a„ Die Hauptstadt Berlin..., S. 74. 119
Statistischer Jahresbericht an den Magistrat (1955), Bl. 8, STB-AB; Statistisches Jahrbuch der
Deutschen Demokratischen Republik, 1. Jg. (1955), Berlin 1955, S. 145. 120
Statistischer Jahresbericht an den Magistrat (1955), Bl. 8, STB-AB. Andere Angaben finden sich
in der amtlichen DDR-Statistik. Demnach bestanden Ende 1955 in der Ost-Berliner Elektroindustrie 82 Betriebe. Von diesen Betrieben waren 34 VEB und 48 in privatem Besitz. Statistisches Jahrbuch der DDR 1955..., S. 144. 121
Statistischer Jahresbericht an den Magistrat (1955), Bl. 8 u. 14, STB-AB.
122
1955 wurden im Ost-Berliner Schwermaschinenbau 83% der Bruttoproduktion von zentral gelei-
teten VEB bestritten. Im Allgemeinen Maschinenbau entfielen 1955 23,3% der Bruttoproduktion auf zentral geleitete VEB, 58% auf örtlich geleitete VEB und 17,5% auf Privatbetriebe. Statistisches buch der Hauptstadt der DDR Berlin, 3. Jg. (1963), Berlin 1963, S. 80 f.
Jahr-
Ost-Berlin:
Die Eingliederung
in die Zentralplanwirtschaft
der SBZ/DDR
143
Grafik 5 Anteile verstaatlichter Betriebe an der Bruttoproduktion der Industrie und einzelner Industriezweige in Ost-Berlin 1950-1960 in v.H.
Bekleidungsindustrie" I
Maschinenbau* Elektroindustrie Industrie insgesamt
+ einschl. halbstaatliche Betriebe * bis 1955 einschl. Fahrzeugbau " einschl. Lederindustrie Quellen: Stat. Jahresberichte an den Magistrat (1955), BI.14; Stat. Jahrbuch der Hauptstadt der DDR Berlin 1961, S.164-170.
Hälfte der fünfziger Jahre schrumpfte dann der private Sektor auch im Ost-Berliner Maschinenbau bis zur Bedeutungslosigkeit. 1960 waren zwar noch 39 der insgesamt 94 Betriebe in privatem Besitz. Auf diese Betriebe entfielen im Allgemeinen Maschinenbau aber nur 5% der Bruttoproduktion, im Schwermaschinenbau knapp
123
Ebda.; Statistische Angaben über Berlin (1958), BArchB, DE 1/6120, Bl. 3.
144
111. Die Teilung
Berlins
Bezeichnet man den Sozialisierungsprozeß als abgeschlossen, wenn der Produktionsanteil der Privatbetriebe unter 5% fällt, dann war dies in der Ost-Berliner Elektroindustrie 1952 der Fall, im Ost-Berliner Maschinen- und Fahrzeugbau 1960 (sieh e GRAFIK 5 ) .
Eine gewisse Bedeutung behielten die privaten Betriebe und die seit 1955 bestehenden halbstaatlichen Betriebe noch bis Anfang der siebziger Jahre in Zweigen, die für die Konsumgüterversorgung wichtig waren. Neben der Leichtindustrie gehörte dazu auch die elektrotechnische Konsumgüterproduktion. Zu erwähnen ist hier besonders die halbstaatliche Firma Ullrich & Co. KG, ein auf den Export orientierter Hersteller von elektrischen Heizkissen, Bügeleisen und Wärmedecken. 124 Nach der Versorgungskrise von 1970 und dem anschließenden Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker wurden dann auch die verbliebenen privaten Betriebe in diesen Bereichen enteignet. Die Verstaatlichungsaktion von 1972, die letzte Enteignungswelle in der DDR, traf in Ost-Berlin 293 Betriebe mit staatlicher Beteiligung und über 200 Privatbetriebe. Die rudimentären Reste der Privatwirtschaft wurden nun fast vollständig beseitigt.125
Das Umstrukturierungsprogramm des Zweijahrplans und des ersten Fünfjahrplans
Der Berliner Zweijahrplan, der im April 1949 in Ost-Berlin in Kraft trat, war mit dem 1948 erlassenen Zweijahrplan für die SBZ abgestimmt. Die Eingliederung Ost-Berlins in das Wirtschaftssystem der SBZ/DDR wurde dadurch mit einem Umstrukturierungsprogramm verbunden, das auf eine dauerhafte Substitution der Verflechtungen mit dem westlichen Teil Deutschlands abzielte.126 Die politisch vor-
124 Weitere private Firmen bzw. Beteiligungsbetriebe der elektrotechnischen Haushaltsgeräteindustrie waren in Ost-Berlin u. a. die Kaffeemaschinenhersteller Helmut Behrendt KG („Kaffeefloh") und Bengtson („Moccakrone") sowie der Kochplattenhersteller E. Baer KG. Schreiben des Wirtschaftsrats, Abt. Industrie beim Magistrat von Groß-Berlin vom 19. 8.1960 an die Räte der Stadtbezirke Pankow und Lichtenberg, LAB(STA), Rep. 106-02/282. 125
Kerstin Ohms, Die Verstaatlichung. Das Ende halbstaatlicher und privater Betriebe 1972 in Berlin, in: Jochen Cerny (Hrsg.), Brüche, Krisen, Wendepunkte. Neubefragung von DDR-Geschichte, Leipzig-Jena 1990, S. 273-279; Monika Kaiser, 1972 - Knockoutßr den Mittelstand. Zum Wirken von SED, CDU, LDPD und NDPD ßr die Verstaatlichung der Klein- und Mittelbetriebe, Berlin 1990. 126 Zum Zweijahrplan der SBZ/DDR vgl. Der deutsche Zweijahrplan...-, W. Matschke, Die industrielle Entwicklung..., S. 172; W. Mühlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte..., S. 63 ff.
Ost-Berlin: Die Eingliederung in die Zentralplanwirtschaft der SBZ/DDR gegebene Autarkisierung
145
gegenüber dem Westen, die nach der währungspoliti-
schen und nationalstaatlichen Teilung - auch wegen westlicher Embargomaßnahmen (Gegenblockade, Stahlembargo) - zunächst mit einer Zwangslage korrespondierte, erforderte tiefgreifende Veränderungen in der Struktur der ostdeutschen Wirtschaft. Schwerpunkte des Zweijahrplans für die SBZ waren der Neuaufbau der Schwerindustrie und der Energiewirtschaft. In beiden Bereichen bestand bis dahin eine strategisch besonders bedeutsame Abhängigkeit von Lieferungen aus dem Westen. Der erste Fünfjahrplan (1951-1955), der vom 3. Parteitag der SED im Juli 1950 bestätigt wurde, führte dieses Umstrukturierungsprogramm fort und sah eine rasche Handelsintegration im Rahmen des RGW vor, dem die DDR 1950 beitrat. Im Planzeitraum flössen 68% aller industriellen Investitionsmittel für die zentral geleitete Industrie der DDR in die Grundstoffindustrie. 127 Die industrielle Struktur der DDR sollte nach Ablauf des ersten Fünfjahrplans nicht mehr von der verarbeitenden Industrie, sondern von der Schwerindustrie gekennzeichnet sein. Ein derartig rigides Umbauprogramm war in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel. 1 2 8 Politische Kurskorrekturen führten während der Jahre 1951-1955 mehrfach zu abrupten Veränderungen in den Jahreswirtschaftsplänen. Die Investitionsmittel wurden nach dem Stop-and-go-Prinzip
zugeteilt. Mit dem von der SED-Führung 1952
propagierten Kurs der „planmäßigen Errichtung der Grundlagen des Sozialismus" wurde zunächst der einseitige Ausbau der Schwerindustrie weiter forciert. In Verbindung mit der anhaltenden Reparationsbelastung führte diese Strategie zu einer Wirtschafts- und Versorgungskrise, die dann im Juni 1953 in einer Existenzkrise des politischen Systems mündete. 1 2 9 Unter sowjetischem Druck vollzog die SED-Führung einen Strategiewechsel. Der Neue Kurs verlangsamte den Ausbau der Schwerindustrie und der Energiewirtschaft zugunsten einer vorübergehenden Belebung der Konsumgüterproduktion und einer Steigerung des Exports, die wiederum einen erhöhten Import von Konsumgütern, Nahrungs- und Genußmitteln ermöglichte. Mitte der fünfziger Jahre folgte eine weitere Kurskorrektur. Die Prioritäten der Investitionsplanung verschoben sich nun von der Schwerindustrie und dem Schwer-
127
Jörg Roesler, Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR. Aufgaben, Me-
thoden und Ergebnisse der Wirtschaftsplanung in der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie während der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus (= Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 11), Berlin 1978, S. 106. 128
Zum ersten Fünfjahrplan vgl. die Überblicksdarstellungen in: Christoph Kleßmann, Die doppelte
Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955,5.
Aufl., Göttingen 1991, S. 269 ff.; W. Mühlfriedel/
K. Wießner, Die Geschichte..., S. 147 ff. 129
Christoph Buchheim, Wirtschaftliche Hintergründe des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 in
der DDR, in: Vß, 38. Jg. (1990), H. 3, S. 4 1 5 ^ 3 3 .
146
III. Die Teilung
Berlins
maschinenbau zur chemischen Industrie und zu den traditionell hochentwickelten Zweigen der metallverarbeitenden Industrie.130 Die Entwicklung der ostdeutschen Industrie in den frühen fünfziger Jahren läßt sich aber nicht auf die Umsetzung des ersten Fünfjahrplans reduzieren. Sie wurde in vielen Bereichen von den bereits bestehenden, historisch gewachsenen Strukturen stärker geprägt als von den Vorgaben der Planer. Auch von einem Teil der wirtschaftshistorischen Forschung in der DDR wurde betont, daß die ostdeutsche Entwicklung eben nicht dem Modell einer „sozialistischen Industrialisierung" nach sowjetischem Vorbild entsprach, da eine bereits hochindustrialisierte Volkswirtschaft wie die DDR grundsätzlich andere Strukturen aufwies als die Sowjetunion der Zwischenkriegszeit.131 Das Programm des ersten Fünfjahrplans führte in der DDR-Industrie aber zu einer strukturellen Annäherung an das sowjetische Modell. Daraus ergaben sich fatale Auswirkungen für die weitere Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft. Anders als in der Sowjetunion bedeutete der einseitige Ausbau der Schwerindustrie hier - ebenso wie in der Tschechoslowakei - einen Rückgriff auf eine niedrigere Industrialisierungsstufe, der zu Lasten der modernen, exportorientierten und potentiell leistungsfähigeren Branchen ging. 132 Der einseitige Ausbau bzw. Neuaufbau der Schwerindustrie gehörte zu den Kennzeichen des Sowjetisierungsprozesses, der sich damals in nahezu allen Volkswirtschaften vollzog, die das System der Zentralplanwirtschaft übernommen hatten. 133 Im Unterschied zu anderen RGW-Ländern befand sich die DDR dabei zunächst in einer Zwangslage, da die nationalstaatliche Teilung keine kurzfristig realisierbare Alternative zuließ. Die Eisen- und Stahllieferungen aus dem Westen waren durch Bezüge aus dem RGW-Raum anfangs nur begrenzt zu ersetzen.134 An den substitutiven Strukturen, die nach der nationalstaatlichen Teilung errichtet worden waren,
130
W. Miihlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte..., S. 151-155.
131
Wolfgang Mühlfriedel, Zur Begriffsbestimmung der sozialistischen Industrialisierung,
in: Jahr-
buch fir die Geschichte der sozialistischen Länder Osteuropas, Bd. 22/1 (1978), S. 165-174. Anders dagegen Jörg Roesler, Zum Strukturwandel in der Industrie der DDR während derfünfziger
Jahre, in:
ZfG, 35. Jg. (1987), H. 6, S. 140; ders., Die DDR und die sozialistische Industrialisierung in den RGWLändern Mittel- und Südosteuropas (fünfziger Jahre), in: Jahrbuch fir die Geschichte der sozialistischen Länder Osteuropas, Bd. 23/1 (1979), S. 27-47. 132
Für die Tschechoslowakei zeigt dies u. a. Natalia Korovitsyna, The Socialist Type of Moderniza-
tion: The Case of the Czech Nation, in: Viclav Prucha (Hrsg.), The System of Centrally Planned Economics in Central-Eastern and South-Eastern Europe after World War II and the Causes of its Decay (= Eleventh International Economic History Congress Milan 1994, International Pre-Congress Conference), Prag 1994, S. 334-343. 133
Vgl. J. Roesler, Die DDR und die sozialistische Industrialisierung../, K. C. Thalheim, Die Sowje-
tische Besatzungszone..., S. 351 ff. 134
H.-J. Wagener, Anlage oder..., S. 77 f.
Ost-Berlin: Die Eingliederung in die Zentralplanwirtschaft der SBZ/DDR
147
hielt die DDR dann aber dauerhaft fest, weil das System des RGW keine effiziente Arbeitsteilung zuließ. Den westlichen Embargostrategien kam dabei wohl kaum eine entscheidende Bedeutung zu. Die SED-Führung hätte bei einer konzilianteren Haltung des Westens nicht anders gehandelt. Auch für die Entwicklung der Ost-Berliner Industrie war das Umstrukturierungsprogramm des Zweijahrplans und des ersten Fünfjahrplans denkbar ungeeignet. Die Prioritäten dieses Programms waren „der Berliner Industrie keineswegs auf den Leib geschrieben" (J. Roesler). 135 Als großstädtischer Ballungsraum kam Ost-Berlin nicht für eine Ansiedlung schwerindustrieller Betriebe in Betracht. Schwerpunkte des Zweijahrplans und des ersten Fünfjahrplans bildeten hier Fertigungen des Schwermaschinenbaus und der elektrotechnischen Industrie, die für den Ausbau der Schwerindustrie in der DDR benötigt wurden, der Autarkisierung der Energiewirtschaft dienten oder für den RGW-Export von besonderer Bedeutung waren. 1 3 6 Der größte Teil der Investitionen entfiel auf wenige Schwerpunktbetriebe, die mit Beginn des ersten Fünfjahrplans aus den VVB ausgegliedert und direkt dem Ministerium für Maschinenbau unterstellt wurden. Schwerpunktbetriebe des ersten Fünfjahrplans waren in Ost-Berlin der VEB Bergmann-Borsig der wichtigste von-vier Schwerpunktbetrieben des Energiemaschinenbaus in der DDR - , der VEB Großdrehmaschinenbau „7. Oktober" (bis 1952: Deutsche Niles Werke), der VEB Wälzlagerwerk und die ehemalige AEG-Transformatorenfabrik TRO. 1 3 7 Durch den Ausbau der Schwerpunktbetriebe und durch Produktionsumstellungen in anderen Betrieben entstanden nach 1948 im sowjetischen Sektor Berlins neue Kapazitäten des Schwermaschinenbaus, der bis dahin im Ostteil der Stadt ebenso wie in der gesamten SBZ/DDR unterrepräsentiert gewesen war. Das Schwermaschinenprogramm hatte für die Durchführung des Zweijahrplans bzw. ersten Fünfjahrplans eine zentrale Bedeutung. Wichtigster Investitionsschwerpunkt dieses Programms war in Ost-Berlin der Kraftmaschinenbau (Energiemaschinenbau), dem eine Schlüsselfunktion für die Durchsetzung der energiepolitischen Autarkie gegenüber dem Westen zukam. 138 Als eines der aufwendigsten Investitionsvorhaben des gesamten Schwermaschinenprogramms der SBZ/DDR wurde im Bezirk Pankow
135
J. Roesler, Die Entwicklung..., S. 532. Zur Wirtschaftsplanung für Ost-Berlin in der Phase des er-
sten Fünfjahrplans vgl. a.a.O., S. 532 f.; B. Fege u. a., Die Hauptstadl Berlin..., S. 74 f.; G. Keiderling, Berlin..., S. 373 ff., sowie die zeitgenössische Bilanzschrift des Magistrats: Wie geht es weiter? Unser Berlin im ersten Fünfiahrplan, Berlin 1956, S. 11-21. 136
Zweijahresplan für Groß-Berlin, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/1029, Bl. 291.
137
W. Miihlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte..., S. 247. Weitere Schwerpunktbetriebe des DDR-
Energiemaschinenbaus waren der VEB Görlitzer Maschinenbau, der VEB Dampfkessselbau Hohenthurm und der VEB Dampfkesselbau Meerane. 138
Die Kategorien Kraftmaschinenbau (bundesdeutsche Statistik) und Energiemaschinenbau (DDR-
Statistik) werden im folgenden synonym verwendet. Zur Entwicklung des ostdeutschen Kraft- bzw.
///. Die Teilung Berlins
148
ein neuer Großbetrieb des Kraftmaschinenbaus, der VEB Bergmann-Borsig, errichtet. Bergmann-Borsig wurde ein Schlüsselbetrieb für die Herstellung von Ausrüstungen der Schwerindustrie und der Energiewirtschaft. Hier wurden zum Beispiel Hochofenpanzer für das neue Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) in Stalinstadt (später Eisenhüttenstadt) und Turbinen für das von der AEG errichtete Kraftwerk Klingenberg in Ost-Berlin gefertigt. 139 Als weitere neue Betriebe des Energiemaschinenbaus entstanden in Ost-Berlin der VEB Kühlautomat und Kraftmaschinenbau Johannisthal und der VEB Zentrales Konstruktionsbüro Dampferzeuger, der 1951 aus einem Konstruktionsbüro von Bergmann-Borsig hervorging. 1 4 0 Im Zusammenhang mit dem Neuen Kurs wurde dann der Ausbau des Schwer- und Energiemaschinenbaus auch in Ost-Berlin während der Jahre 1954/55 verlangsamt. Die für Bergmann-Borsig bereitgestellten Investitionsmittel lagen 1955 um mehr als 80% unter dem Vorjahrsstand. 141 Neben dem Kraftmaschinenbau bildete die elektrotechnische Industrie den wichtigsten Schwerpunkt des Zweijahrplans und des ersten Fünfjahrplans in Ost-Berlin. Innerhalb dieser Branche wurden die Investitionen wiederum auf den Transformatorenbau, die Elektromotorenproduktion, den Zählerbau und die Kabelindustrie konzentriert. 142 Ebenso wie der Kraftmaschinenbau wurden diese Fertigungszweige in besonderem Maße für die Substitution von Lieferungen aus dem Westen benötigt. Ab 1950 bildete die Ost-Berliner Elektroindustrie ähnlich wie der Schwermaschinenbau dann auch aus außenwirtschaftlichen Gründen einen Schwerpunkt der Wirtschaftsplanung. Beide Branchen sollten den Hauptbeitrag zur Steigerung des OstBerliner RGW-Exports erbringen. Die HA Wirtschaftsplanung der D W K begründete im März 1950 die Vorrangstellung der elektrotechnischen Industrie bei der Produktions- und Investitionsplanung für Ost-Berlin mit den Erfordernissen der Groß-
Energiemaschinenbaus nach 1948 vgl. Johannes Bähr, Innovationsverhalten
und
Energieversorgung.
Die technologische Entwicklung im Turbinen-, Generatoren- und Transformatorenbau der Bundesrepublik und der DDR ¡949-1965,
in: ders./D. Petzina (Hrsg.), Innovationsverhalten
und
Entscheidungs-
strukturen..., S. 139-161; Veronika Siedt, Investitionen und Wachstum während der fünfziger Jahre, in: J. Roesler u. a., Wirtschaftswachstum..., S. 95-103. 139
G. Zeising, Geschichte des VEB Bergmann-Borsig...,
T. 2; Waltraud Falk, Die
Bergmann-
Electricitäts-Werke AG Berlin und der VEB Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh - ein Beitrag zur Unternehmensgeschichte
in Berlin nach 1945, in: W. Fischer/J. Bähr (Hrsg.), Wirtschaft..., S. 163-181;
Heinz Piratzky/Karl Speicher/Dieter Jentzen/Gerhard Zeising, 40 Jahre Volkseigener Betrieb Bergmann-Borsig in Berlin-Wilhelmsruh, in: Mitteilungen aus dem Kraftwerksanlagenbau
der DDR, 29. Jg.
(1989), H. 1, S. 3 ff. 140
Zum VEB Dampferzeugerbau Berlin: Horst Bentzin, 40 Jahre Dampferzeugerbau Berlin, in: 40
Jahre Dampferzeugerbau
Berlin. Technische Mitteilungen aus dem Dampferzeugerbau,
S. 4 ff. 141
V. Siedt, Investitionen und Wachstum..., S. 97.
142
Zweijahresplan für Groß-Berlin, SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/1029, Bl. 266.
Berlin 1991,
Ost-Berlin: Die Eingliederung
in die Zentralplanwirtschaft
der SBZ/DDR
149
Projekte in der DDR, dem Exportbedarf und den Verlagerungen von West-Berlin nach Westdeutschland. 143 Tatsächlich blieb dann jedoch das Investitionsniveau in der elektrotechnischen Industrie während des ersten Fünfjahrplans auf einem niedrigen Stand. 1955 entfielen in der DDR nur 1,9% aller Industrieinvestitionen auf die elektrotechnische und die feinmechanisch-optische Industrie. Dabei bestritt zu diesem Zeitpunkt allein die Elektroindustrie 5,9% der industriellen Bruttoproduktion. 144 Die Diskrepanz zwischen der mittelfristigen Planung und der Investitionsentwicklung in der Ost-Berliner Elektroindustrie nach 1950 ist durch vier Faktoren zu erklären: 1. Der kostenintensive Umbau der Energiewirtschaft und der Neuaufbau der Schwerindustrie entzogen der gesamten Investitionsgüterindustrie dringend benötigte Investitionsmittel. 60% aller Industrieinvestitionen in der DDR entfielen 1955 auf die Bereiche Energie- und Brennstoffindustrie, chemische Industrie und Metallurgie. 145 2. Die Elektroindustrie der DDR erlangte im RGW-Handel nicht die Bedeutung, die ihr von der Wirtschaftsplanung zugedacht war. 146 3. Innerhalb der elektrotechnischen Industrie der DDR wurden während des ersten Fünfjahrplans 70% aller Investitionen auf vier Betriebe konzentriert: das TRO in Berlin-Oberschöneweide, das Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden, das Elmo-Werk in Dessau und das LEW Hennigsdorf. 147 4. Die wichtigsten Großbetriebe der Ost-Berliner Elektroindustrie befanden sich bis 1952/53 in SAG-Besitz. Die sowjetischen Betriebe waren nicht in die Investitionsplanung, wohl aber in die Produktionsplanung der SBZ/DDR einbezogen. Die elektrotechnische Industrie konnte daher mit einem relativ geringen Einsatz von Mitteln als Schwerpunktbereich des Zweijahrplans und des ersten Fünfjahrplans in Ost-Berlin ausgegeben werden. Von den sowjetischen Betrieben waren überdurchschnittlich hohe Produktionssteigerungen zu erwarten, ohne daß die DDR dafür Investitionsmittel bereitstellen mußte. 143
Zusammenfassende Bemerkungen zum Planvorschlag 1951-55 vom 21. 3.1950, BArchB, DE 1/ 11771, Bl. 94. 144 Berechnet nach Lothar Baar/Uwe Müller/Frank Zschaler, Strukturveränderungen und Wachstumsschwankungen. Investitionen und Budget in der DDR 1949 bis 1989, in: JWG, Jg. 1995, T. 2, S. 68 (Anteil des Industriebereichs Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau an den Bruttoinvestitionen der DDR-Industrie auf der Preisbasis von 1985); Statistisches Jahrbuch der DDR 1956, S. 276 f. Auf der Preisbasis von 1967 berechnet, lag der Anteil des Industriebereichs Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau an den Industrieinvestitionen 1955 bei 2,1%. Lothar Baar, Zur ökonomischen Strategie und Investitionsentwicklung in der Industrie der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren, in: JWG, Jg. 1983, T. 2, S. 20. 145
Berechnet nach L. Baar u. a., Strukturveränderungen..., S. 68. Siehe S. 152. 147 SPK, Abt. Maschinenbau, Bericht über die Entwicklung des Maschinenbaus von 1945—1965, BArchB, DE 1/11923, Bl. 6 (S. 8). 146
150
III. Die Teilung
Berlins
Die Handelsverflechtung mit der SBZ/DDR und dem RGW-Raum Die Industrie im Ostteil Berlins war seit Errichtung der Zonengrenzen stärker mit dem Gebiet der späteren DDR verflochten als vor 1945. Entsprechend hatte der Handel mit Westdeutschland an Bedeutung verloren. Nach der währungspolitischen Teilung lag der Handel zwischen dem gesamten sowjetischen Besatzungsgebiet und dem Gebiet der Westzonen dann bei weniger als 10% des Stands von 1936.148 Der Außenhandel (ohne innerdeutschen Handel) erlangte erst nach 1950 wieder eine größere Bedeutung. Durch die Reparationsleistungen entfiel aber in den elektrotechnischen Großbetrieben des sowjetischen Sektors schon während der ersten Nachkriegsjahre ein großer Teil des Absatzes auf die UdSSR. Nach Gründung der DDR gingen die Reparationsaufträge für die Ost-Berliner Elektroindustrie drastisch zurück. Die Betriebe mußten sich nun auf die DDR-Wirtschaft umorientieren. Diese Veränderung stellte vor allem die SAG-Betriebe vor erhebliche Probleme. Für das relativ kleine Wirtschaftsgebiet der DDR mußte mit niedrigeren Stückzahlen produziert werden, als dies unter den Bedingungen der Kriegs- und Reparationswirtschaft der Fall gewesen war. Die Reparations- und Exportaufträge aus der UdSSR hatten ein breites Produktionsprogramm abgedeckt, während nun vorrangig Investitionsgüter für die Schwerindustrie und die Energiewirtschaft gefertigt wurden. In den EAW konnte der Ausfall der Reparationsaufträge durch eine Umprofilierung auf den Bedarf der Investitionsschwerpunkte des ersten Fünfjahrplans überwunden werden. 1950 entfielen hier noch fast 59% des Umsatzes auf Lieferungen in die Sowjetunion, bei der Schaltapparaturenfertigung lag dieser Anteil sogar bei 78%. 149 Als die sowjetischen Aufträge für das Schaltgerätewerk 1951 gekürzt wurden, mußte die Werkleitung auf der Suche nach neuen Abnehmern feststellen, „daß wir innerhalb der DDR nur einen vollständig unwesentlichen Teil der Erzeugnisse der Schaltapparaturen realisieren können, die im Jahre 1950 a Cto Reparationen in die Sowjetunion geliefert wurden. Infolgedessen steht uns die Aufgabe bevor, das Produktionsprogramm des Werkes in Übereinstimmung mit den Forderungen des Marktes (sie!) und den Vertriebsmöglichkeiten im Jahre 1951 zu prüfen." 150 Die EAW wurden daraufhin um ein Zentrales Projektierungsbüro, den späteren Betriebsteil Elektroprojekt, erweitert. Das Büro projektierte und lieferte elektrische Ausrüstungen für Bergwerksanlagen, Hebezeuge, Förderanlagen, Bahnen und Schiffe. Der Anteil des Anlagenbaus an der Produktion der EAW stieg von 24% (1951) auf 50,6% (1953). Die Umstrukturierung war nicht mit Produktionsstillegungen ver148
R. Karisch, Allein bezahlt?..., S. 43.
149
Tätigkeitsbericht der EAW 1950, LAB(STA), Rep. 401/47.
150
Ebda.
Ost-Berlin: Die Eingliederung
in die Zentralplanwirtschaft
der SBZ/DDR
151
bunden. Vielmehr wurde das frühere Fertigungsprogramm mit niedrigeren Stückzahlen weitergeführt. 151 Der Export der Ost-Berliner Industrie (ohne Reparationsleistungen) war Anfang der fünfziger Jahre noch sehr gering. In der elektrotechnischen Industrie erfolgte ein Teil der Lieferungen in die UdSSR schon während der Jahre 1947-1949 nicht mehr als Reparationen, sondern auf der Basis von Exportverträgen. Für eine wirksame Belebung des Exportgeschäfts ließen die Reparationsleistungen aber zunächst keinen Spielraum. Bei Siemens-Plania entfielen 1949 1,8% des Umsatzes auf den Export. In den EAW wurden 1950 rund 6% des Umsatzes mit Exporten in den RGW-Raum (ohne Reparationsleistungen) und 0,1% mit Lieferungen in den Westen bestritten. 152 Eine Wiederbelebung des Außenhandels war für die Betriebe der Ost-Berliner Elektro- und Metallindustrie nicht nur wegen ihres traditionell großen Exportpotentials von zentraler Bedeutung. Als Folge der nationalstaatlichen Teilung hatte die Abhängigkeit vom Außenhandel, zu dem nun auch der innerdeutsche Handel zählte, auf der Lieferseite stark zugenommen. Ein großer Teil der binnenwirtschaftlichen Rohstoff- und Energiebasis war durch die Abtrennung von Westdeutschland verlorengegangen. Eisen, Stahl, Zink, Mangan und Nickel u. a. mußten die Betriebe nun über den Außenhandel beziehen. Da sowohl der Intra-RGW-Handel als auch der innerdeutsche Handel auf dem Prinzip des Güteraustausch» basierten, konnte der Importbedarf nur durch einen entsprechend hohen Fertigwarenexport gedeckt werden. Nach dem ersten Fünfjahrplan sollte der RGW-Export hauptsächlich mit Erzeugnissen des Schwermaschinenbaus und der elektrotechnischen Industrie bestritten werden. Ein Fünftel des gesamten Exports und ein Viertel des RGWExports der DDR entfielen 1953 auf den Schwermaschinenbau. 153 In Ost-Berlin nahmen denn auch die Exporte des Schwermaschinenbaus und der elektrotechnischen Industrie nach dem Beitritt der DDR zum RGW im Herbst 1950 stark zu. Im wichtigsten Exportbetrieb des Ost-Berliner Schwermaschinenbaus, dem VEB Großdrehmaschinenbau „7. Oktober", erhöhte sich die Ausfuhr in den RGW zwischen 1952 und 1953 um rund 450%. 1 5 4 In den meisten Großbetrieben der Elektroindustrie stieg der RGW-Export nach 1950 rasch an. Das TRO erreichte 1953 eine Exportquote von 46%. 1 5 5 In den EAW nahm der Umfang der Exportlieferungen 151
Berichterstattung über die Entwicklung und Arbeitsweise des VEB EAW (1926-1954), a.a.O./44, Bl. 5; K. Laser, Das Werk.., S. 60. 152 Dörte Wiezorrek, Die Entwicklung der Siemens-Planiawerke AG ßr Kohlefabrikate (19281953). Eine unternehmensgeschichtliche Untersuchung, Diplomarbeit HUB, Ms. Berlin 1995, S. 68; Tätigkeitsbericht der EAW 1950, LAB(STA), Rep. 401/47. 153 154 155
Wirtschaftsgeschichte. Ein Leitfaden, Frankfurt/M. 1979, S. 257. Exporte Stand 31. 12. 1953, LAB(STA), Rep. 440/106. Bericht der Werkleitung über die Lage des Betriebs (1955), a.a.O., Rep. 411/289.
152
III. Die Teilung
Berlins
zwischen 1950 und 1951 um das 2,5fache zu. Den Ausfall der Reparationsaufträge konnten die EAW dadurch aber nach eigenen Angaben „bei weitem nicht" kompensieren. 156 Eine weitere Steigerung erfuhr der RGW-Handel der DDR durch den Neuen Kurs von 1953/54 und die offizielle Beendigung der Reparationen zum 1. Januar 1954. Die DDR erhöhte den Import von Konsumgütern und Nahrungsmitteln, um die Versorgungslage nach der Juni-Krise von 1953 zu verbessern. Die Beendigung der Reparationsleistungen ermöglichte es, daß im Gegenzug der Export von Erzeugnissen der metallverarbeitenden Industrie gesteigert werden konnte. 157 Schon 1952 wurde deutlich, daß die Elektroindustrie der DDR nicht die Funktion einer Exportlokomotive übernehmen konnte, die ihr zugedacht war. Der Anteil der Branche an der Ausfuhr der DDR ging zurück und lag dann 1955 noch bei 7,4% gegenüber 13,1% im Jahr 1951.158 Im TRO halbierte sich die Exportquote zwischen 1953 und 1955 nahezu.159 Dagegen nahmen die Exporte des Energie- bzw. Kraftmaschinenbaus und des schweren Werkzeugmaschinenbaus in den RGW-Raum während der Jahre 1953/54 zu. 160 Weil die DDR aus den anderen Mitgliedsländern aber kaum schwere Werkzeugmaschinen und Kraftmaschinen beziehen konnte, ging die hohe Exportquote dieser Fertigungszweige zu Lasten der Inlandsversorgung und der Leistungsfähigkeit anderer Zweige der ostdeutschen Industrie. Der Rückgang der Exportquote in der Elektroindustrie der DDR nach 1952 war durch ein Absinken des technischen Niveaus der Erzeugnisse161 wie auch durch den Ausbau dieser Branche in anderen RGW-Ländern bedingt. Bei elektrotechnischen Erzeugnissen war die DDR ursprünglich neben der UdSSR als Hauptproduzent innerhalb des RGW vorgesehen. Die Tschechoslowakei, Polen und Ungarn bauten aber ihre Kapazitäten im Bereich der Elektrotechnik rasch aus und holten im Laufe der fünfziger Jahre gegenüber der DDR auf. 162 Das Fallbeispiel verweist auf eine prinzipielle Funktionsschwäche des RGW-Systems. Eine wirksame Koordination der Planung zwischen den Mitgliedsländern kam nicht zustande, da weder die Vormacht UdSSR noch die kleineren RGW-Länder bereit waren, Entscheidungsbefugnisse an supranationale Organe abzugeben. Der RGW blieb deshalb auf der niedrig-
156
Tätigkeitsbericht der EAW (Zitat S. 16), a.a.O., Rep. 401/47.
157
Veronika Siedt, Die Entwicklung des Außenhandels der DDR und sein Einfluß auf das Wachs-
tumstempo der Industrie, in: JWG, Jg. 1988, T. 4, S. 31 ff. 158
H. Köhler, Economic Integration..., S. 214 f.; VBEI, Geschäftsbericht 1954, Berlin 1955, S. 46.
159
Die Exportquote des TRO sank zwischen 1953 und 1955 von 46% auf 26%. Bericht der Werklei-
tung über die Lage des Betriebs (1955), LAB(STA), Rep. 411/289. 160
V. Siedt, Die Entwicklung des Außenhandels..., S. 42 ff.
161
Siehe hierzu S. 463 f. u. 469 f.
162
Konstantin Pritzel, Die wirtschaftliche Integration der sowjetischen Besatzungszone
Deutsch-
lands in den Ostblock und ihre politischen Aspekte (= Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland), Bonn-Berlin 1965, S. 210.
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft
153
sten Integrationsstufe, der Handelsverflechtung, stehen. Primär hatte der RGW die Funktion eines Instruments der sowjetischen Hegemonialpolitik. 163
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche
Wirtschaft
und in die Weltwirtschaft Die Umstellung auf die DM, die Übernahme der Sozialen Marktwirtschaft und die Berlin-Hilfe Die Westsektoren Berlins waren seit Juni 1948 ein eigenes Währungsgebiet. Neben der DM galt hier bis März 1949 die Ostmark als gesetzliches Zahlungsmittel. Die Wirtschaftsreform, die in den Westzonen gleichzeitig mit der Währungsreform durchgeführt wurde, erstreckte sich nicht auf West-Berlin. Während die Währungsreform in Westdeutschland einen Produktivitätsschub zur Folge hatte, bestand für die West-Berliner Industrie bis zum Frühjahr 1949 kein Rationalisierungsdruck. Der Produktivitätsrückstand wurde durch die Mischwährung verschleiert, die den in West-Berlin tätigen Firmen einen künstlichen Kostenvorteil verschaffte. Die Unternehmen waren lediglich verpflichtet, 25% des Lohn- und Gehaltstarifs in DM zu zahlen. Steuern, Abgaben, Mieten und Strom, aber auch Rohstoff- und Halbfertigwarenlieferungen konnten in ostdeutscher Währung beglichen werden. In den Wechselstuben wurde die Ostmark aber bereits im September 1948 zu einem Kurs von rund 0,25 DM gehandelt. 164 Seit August 1948 drängten die Spitzen verbände der West-Berliner Wirtschaft zusammen mit den unabhängigen Gewerkschaften und den im Magistrat vertretenen Parteien auf die Beseitigung der Mischwährung. 165 Nach dem Scheitern der 163
Christian Meier, Der RGW: Wirtschaftsgemeinschaft
oder Instrument sowjetischer
Hegemonial-
politik? (= Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien 24-1986), Köln 1986. Vgl. ferner: Adam Zwass, Der Rat fir gegenseitige Wirtschaftshilfe 1949 bis 1987. Der dornige Weg von einer politischen zu einer wirtschaftlichen Integration, Wien-New York 1988. Zur Integration der DDR-Wirtschaft in den RGW nach 1950 vgl. u. a. M. Haendcke-Hoppe, Die Außenwirtschaftsbeziehungen...,
S. 22 ff.; H. Köhler, Economic Integration..., sowie die neue wirtschaftshistori-
sche Studie von Ralf Ahrens, Gegenseitige Wirtschaftshilfe? Die DDR im RGW - Strukturen und handelspolitische Strategien 1963-1976 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 14), Köln 2000. 164
Zu Grundlagen und Funktionsweise des Währungsdualismus in West-Berlin vgl. M. W. Wolff,
Die Währungsreform..., S. 87-95. Der Begriff Mischwährung wurde später von der Landeszentralbank Berlin vorgeschlagen. Ebda. In der Literatur findet sich überwiegend die Bezeichnung „Doppelwährung", die eigentlich als eine Währung mit dualistischer Ordnung, wie etwa beim Bimetallismus, definiert ist. Zum Berliner Sortenkurs vgl. Berlins Wirtschaft in der Blockade..., S. 135-138; Oskar Schwarzer, „Die Währung der DDR beruht... auf der gesunden Grundlage der sozialistischen ordnung".
Gesellschafts-
Wechselkurse zwischen Mark der DDR und D-Mark, in: Jürgen Schneider/Wolfgang
Harbrecht (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik in Deutschland (1933-1993) (= Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 63), Stuttgart 19%, S. 182 f. 165
M. W. Wolff, Die Währungsreform..., S. 226-233.
154
III. Die Teilung
Berlins
interalliierten Verhandlungen über eine einheitliche Währung für Berlin trat dann im Herbst 1948 auch die amerikanische Militärregierung unter Lucius D. Clay für eine rasche währungspolitische Integration West-Berlins in die Westzonen ein. Die britische und vor allem die französische Militärregierung lehnten dies zunächst ab. Erst die von Robert Schuman eingeleitete Wende in der französischen Außen- und Deutschlandpolitik ermöglichte im März 1949 die Integration West-Berlins in das Währungsgebiet der Westzonen. Die DM wurde durch die Währungsergänzungsverordnung vom 20. März 1949, die sogenannte zweite Währungsreform, zum alleinigen gesetzlichen Zahlungsmittel in West-Berlin. 166 Die Wirtschaftsverbände, die unabhängigen Gewerkschaften und die Magistratsparteien hatten die vollständige Umstellung auf die DM aus ökonomischen wie auch sozialen Gründen gefordert. In ihrer Denkschrift „Die Westmark für Westberlin" vom November 1948 stellte die Notgemeinschaft der Berliner Wirtschaft fest, der Währungsdualismus habe zu einem Zustand geführt, „der weder währungspolitisch noch wirtschafts-, preis-, lohn- und sozialpolitisch, noch moralisch zu verantworten ist". Große Teile der West-Berliner Bevölkerung seien durch die Doppelwährung zu Spekulanten geworden. 167 Tatsächlich hatte fast die Hälfte der WestBerliner Bevölkerung keine festen Einkünfte in DM. Die schwindende Kaufkraft der Ostmark führte daher zu einem Rückgang der Reallöhne und zu wachsender Ungleichheit unter den Arbeitnehmern. Während die öffentlichen Unternehmen und die meisten Industriebetriebe nicht in der Lage waren, mehr als den vorgeschriebenen Mindestanteil von 25% der Löhne und Gehälter in DM auszuzahlen, erhielten die Beschäftigten im „Währungs-Paradies" der Siemens-Betriebe 70-80% ihrer Löhne und Gehälter in DM. Dieses Gefälle förderte Schwarzmarkt- und Schiebergeschäfte. 168 Die vollständige Umstellung auf die DM hatte aber auch eine politische Signalwirkung. Sie war, wie Oberbürgermeister Ernst Reuter am 21. März 1949 vor der Stadtverordnetenversammlung feststellte, „die endgültige Anerkennung durch die westlichen Mächte, daß Berlin zum Westen gehört und ökonomisch mit dem Westen verbunden sein muß". 169 Ein weiterer entscheidender Schritt bei der Integration West-Berlins in das Wirtschafts- und Finanzsystem der Westzonen bzw. der Bundesrepublik war die rechtli-
166 A.a.O., S. 233-285. Großbritannien und Frankreich waren zunächst dafür eingetreten, die Westsektoren Berlins vollständig in das ostdeutsche Währungsgebiet zu integrieren. Eine derartige Lösung war auch vom „Technical Committee on Berlin Currency and Trade" der Vereinten Nationen vorgeschlagen worden. 167 Die Westmark für Westberlin. Denkschrift der Notgemeinschaft der Berliner Wirtschaft, Ms. Berlin 1948, S. 2-5 (Zitat S. 2), LAB, Rep. 200, Acc. 2435/56. 168
M. W. Wolff, Die Währungsreform..., S. 126-131. Zu den Auswirkungen des Währungsdualismus vgl. auch die Berichte in: Nachkriegsleben in Berlin 1945-1961. In Berichten und Bildern erzählt von Sylvia Conradt und Kirsten Heckmann-Janz, Darmstadt-Neuwied 1987, S. 36-43. 169
Zitiert nach M. W. Wolff, Die Währungsreform..., S. 281.
West-Berlin: Die Eingliederung
in die westdeutsche
Wirtschaft
155
che Angleichung, mit der auch der ordnungspolitische Rahmen der westdeutschen Wirtschaft übernommen wurde. 170 Reuter stellte Anfang Februar 1949 das Berliner Sozialisierungsgesetz von 1947 zur Disposition. 171 Klingelhöfer sicherte im Juli 1949 Vertretern der West-Berliner Wirtschaft zu, daß sich der Magistrat auch ordnungspolitisch strikt an das Bundesrecht halten werde. 172 Mit dem 3. Überleitungsgesetz vom 4. Januar 1953, das die Übernahme der Bundesgesetze festschrieb, war die Integration West-Berlins in das Rechts-, Wirtschafts- und Finanzsystem der Bundesrepublik abgeschlossen. 173 Dagegen gelang es Reuter nicht, die Zustimmung der Westmächte zu einer vollständigen politischen Integration West-Berlins in die Bundesrepublik zu erhalten, wodurch die Berlin-Hilfe dauerhaft gesichert worden wäre. 174 Die während der Blockade angelaufene Finanzhilfe für den Westteil Berlins stützte sich zunächst weitgehend auf das GARIOA-Programm, ein Versorgungsprogramm der US-Armee für besetzte Gebiete. Demgegenüber war der westdeutsche Beitrag zur Berlin-Hilfe, der seit November 1948 über die Sondersteuer „Notopfer Berlin" aufgebracht wurde, recht bescheiden. Beide Hilfsprogramme wurden hauptsächlich zum Bezug von Lebensmitteln, Medikamenten, Brenn- und Treibstoffen sowie zur Finanzierung des West-Berliner Haushalts verwendet. 1 7 5 Nach Beendigung der Blockade fielen die amerikanischen Zuschüsse zum West-Berliner Haushalt weg. Die Berlin-Hilfe mußte nun weitgehend von der gerade gegründeten Bundesrepublik aufgebracht werden. Die Übernahme zusätzlicher Kosten für West-Berlin stieß in Bonn angesichts des Defizits im Bundeshaushalt auf wenig Begeisterung, wobei auch traditionelle Anti-Berlin-Ressentiments mitwirkten. 176 Erst unter amerikanischem Druck verpflichtete sich die 170 Zur Integration West-Berlins in die Bundesrepublik vgl. v. a. J. Fijalkowski u. a., Berlin... Speziell zur Einbeziehung in das Finanzsystem der Bundesrepublik: F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 198-237. 171 Felix Escher, Die Strukturprobleme Berlins nach der Blockadezeit und die Entstehung der WestBerliner Demokratie 1949/50, in: Otto Büsch (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der Berliner Demokratie 1919-1933/1945-1985 (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 65), Berlin 1988, S. 212. 172
J. Fijalkowski u. a., Berlin..., S. 254.
m
A.a.O., S. 278 ff.; D. Cornelsen, Finanzhilfe..., S. 15 f.; H. Herzfeld, Die Entscheidungsjahre..., S. 321 f.; F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 221 ff. 174 Die Militärregierungen suspendierten Art. 23 und Art. 144 II des Grundgesetzes sowie Art. 11 der Berliner Verfassung vom 1.9.1950, wonach (West-)Berlin zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehörte und ein Land der Bundesrepublik bildete. J. Fijalkowski u. a., Berlin..., S. 104 ff. u. 116 f. 175 F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 206 ff.; Joachim Nawrocki, Care-Pakete, Zitterprämien, Wirtschaftsförderung, in: ders., Brennpunkt Berlin..., S. 132 ff. 176 F. Escher, Die Strukturprobleme..., S. 213-223; Peter G. Rogge, Die amerikanische Hilfe für Westberlin. Von der deutschen Kapitulation bis zur westdeutschen Souveränität, Tübingen 1959, S. 7376.
156
111. Die Teilung Berlins
Bundesregierung im Abkommen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA vom 15. Dezember 1949, die Berlin-Hilfe auszubauen und dauerhaft zu verankern. 177 Am 7. März 1950 trat das vom Bundestag mit breiter Mehrheit verabschiedete Berlin-Hilfe-Gesetz in Kraft. 178 Das Gesetz sollte die Standortnachteile WestBerlins durch steuerliche Anreize ausgleichen. Abnehmer West-Berliner Erzeugnisse erhielten eine Umsatzsteuerpräferenz, die sich dann seit 1951 auf 4% belief. 1952 wurde eine Herstellerpräferenz eingeführt. Eine weitere Fördermaßnahme war die Bundesgarantie für den Warenverkehr von und nach West-Berlin. 179 Wenige Monate nach Verabschiedung des Berlin-Hilfe-Gesetzes wurde West-Berlin zum notleidenden Gebiet erklärt. Die Bundesbehörden und die bundeseigenen Unternehmen waren dadurch angewiesen, West-Berliner Firmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt zu berücksichtigen. Überleitungsgesetze sicherten die Übernahme der Kriegsfolge- und Soziallasten durch den Bund und eine feste Haushaltsfinanzierung für West-Berlin. 180
Die Anpassungskrise von 1949/50 Für die West-Berliner Wirtschaft gab es keine Alternative zur Integration in das Währungsgebiet der Westzonen bzw. der Bundesrepublik. Ihre Vertreter sahen darin zu recht eine unabdingbare Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufschwung und für politische Stabilität in den drei Westsektoren. Eine Einbeziehung WestBerlins in den Marshall-Plan war erst nach der vollständigen Umstellung auf die DM möglich. Die Notgemeinschaft der Berliner Wirtschaft lehnte vor diesem Hintergrund eine stufenweise Umstellung ab, wie sie im Herbst 1948 diskutiert wurde. Dabei war man sich durchaus bewußt, daß die vollständige Umstellung auf die DM zu einem Anpassungsschock führen würde, weil der Produktivitätsrückstand gegenüber Westdeutschland dann offen zutage treten und der Handel mit dem Gebiet der SBZ zusammenbrechen mußte. 181 177
Bundesgesetzblatt, Jg. 1950, S. 15; P. G. Rogge, Die amerikanische Hilfe..., S. 113.
178
Gesetz über Hilfsmaßnahmen zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin (West) vom 7. März 1950, in: Bundesgesetzblatt, Jg. 1950, S. 41 f. 179
Vgl. J. Fijalkowski u. a„ Berlin..., S. 258 ff. Zur damaligen Berlin-Hilfe vgl. u. a. Günter Brunner, Die steuerlichen Präferenzen ßr Berlin und ihre Bedeutung für die Berliner Wirtschaft, Rer. pol. Diss. FUB, Berlin 1959; F. Cornelsen, Finanzhilfe..., S. 15 ff.; J. Fijalkowski u. a., Berlin..., S. 256-281; Horst Günther Schakat, Die wirtschaftspolitischen Instrumente zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Westberliner Wirtschaft 1948 bis 1961 (= WWI-Studie zur Wirtschaftsforschung, Nr. 6), Köln 1963, S. 19 ff.; F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 198-236. 180
181
IHK zu Berlin, Die Wirtschaft Westberlins..., S. 14.
West-Berlin: Die Eingliederung
in die westdeutsche
Wirtschaft
157
Das Ausmaß der Anpassungskrise, die durch die zweite Währungsreform vom 20. März 1949 ausgelöst wurde, zeichnete sich indessen erst im Frühsommer 1949 ab. Das Produktionsniveau der West-Berliner Industrie ging auch nach Beendigung der Blockade weiter zurück und sank bis Juli 1949 auf 17% des Stands von 1936. Damit wurde das Niveau von 1947 unterschritten. Die Arbeitslosenquote lag im März 1949 als Folge des Blockade-Winters bereits bei 15,8% und stieg bis Juni 1948 auf 18,2% an. Im Februar 1950 erreichte die Krise ihren Höhepunkt. Zu diesem ¡Zeitpunkt waren in West-Berlin 302.800 Personen bzw. 30,5% aller erwerbsfähigen Personen als Arbeitslose registriert (siehe GRAFIK 6). Der Anteil der registrierten Arbeitslosen an der Bevölkerung lag nun bei rund 14% und erreichte damit den Berliner Durchschnittswert des Krisenjahres 1932.182 In einem Lagebericht des
Grafik 6
Die Arbeitslosigkeit in West-Berlin 1948-1950 Registrierte Arbeitslose in Tsd.
Tausend
Quelle: Die Arbeitslosigkeit In West-Berlin, In: DIW Wochenbericht 17Jg. (1950), Nr.9, S.36.
182
Die Arbeitslosigkeit in Westberlin, in: DIW Wochenbericht, 17. Jg. (1950), Nr. 9, S. 36; Statisti-
sches Jahrbuch Berlin 1952, Berlin 1952, S. 14; Statistisches Handbuch von Deutschland 1928-1944..., S. 485.
158
111. Die Teilung Berlins
Magistrats hieß es, Berlin sei „nach Beseitigung des Geldschleiers" zum „größten Armenhaus der Welt" geworden. 183 In der DDR wurde die West-Berliner Krise von 1949/50 als zwangsläufige Folge der „Abspaltung der westlichen Sektoren" und der „amerikanischen .Brückenkopf'-Politik von Reuter" dargestellt. 184 Tatsächlich war die Hauptursache dieser Krise aber nicht der Zusammenbruch der interzonalen Handelsverflechtung, sondern der Produktivitätsrückstand gegenüber Westdeutschland. Den stärksten Beschäftigtenrückgang hatten nicht die Branchen, die besonders vom Verlust der östlichen Absatzgebiete betroffen waren, wie zum Beispiel die elektrotechnische Industrie, sondern Industriezweige, in denen der Ortsabsatz überdurchschnittlich hoch lag: das Textilgewerbe, die Musikinstrumente- und Spielwarenindustrie, die Eisen-, Stahl- und Metallwarenindustrie und die feinmechanische Industrie. Der Absatzrückgang war hier in erster Linie durch die überlegene Leistungsfähigkeit der westdeutschen Konkurrenz bedingt, deren Erzeugnisse nun den West-Berliner Markt überfluteten. 185 Auf dem westdeutschen Markt hatte die West-Berliner Industrie bereits durch die Auswirkungen der Blockade empfindliche Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Die Beseitigung der künstlichen Kostenvorteile, die in der Phase der Doppelwährung bestanden hatten, führte zu einem weiteren Rückgang. Der nach Aufhebung der Blockade erwartete Aufschwung blieb aus. Die Produktion der West-Berliner Elektroindustrie erreichte erst im November 1949 wieder das Niveau vom Frühjahr 1948 und war dann bis zum April 1950 wieder rückläufig. 186 In einer Veröffentlichung der IHK wurde der Start nach der zweiten Währungsreform rückblickend als „Sprung ins kalte Wasser" bezeichnet. 187 Die Kalkulation auf der Basis von DM zwang die Betriebe zur Stillegung unrentabler Produktionen. Viele Nachkriegsgründungen gingen in Konkurs. Während die Firmen in der Zeit der Blockade versucht hatten, ihre Belegschaften notfalls auch mit unproduktiven Arbeiten zu halten, wurde nun die personelle Übersetzung abgebaut. Die Umstellung auf die DM hatte auch bei den Behörden und im gesamten Dienstleistungssektor
183
Hauptamt für Gesamtplanungen, Die wirtschaftliche und soziale Lage Groß-Berlins (1949), LAB, Rep. 10A, Acc. 410/64. Zur West-Berliner Krise von 1949/50 vgl. J. Fijalkowski u. a., Berlin..., S. 239 ff.; F. Escher, Die Strukturprobleme.... 184
Ein Plan für die Hauptstadt, in: Die Wirtschaft, 5. Jg. (1950), Nr. 5, S. 1; Vier Jahre erfolgreiche Arbeit des demokratischen Magistrats von Groß-Berlin, in: a.a.O., 7. Jg. (1952), Nr. 49, S. 2. Ähnlich: G. Keiderling, Die Berliner Krise..., S. 403. 185
Wirtschaftliche und soziale Lage West-Berlins im Herbst 1949, Ms. Okt. 1949, LAB, Rep. 10A, Acc. 410/5 (S. 20); IHK, Die Wirtschaft Westberlins..., S. 15. 186 H. Orlovius, Materialien..., S. 7 f. 187
IHK zu Berlin, Die Wirtschaft Westberlins..., S. 15.
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft
159
Massenentlassungen zur Folge. 1 8 8 Durch die Zuwanderung aus Ost-Berlin und aus der SBZ/DDR stieg die Arbeitslosigkeit noch zusätzlich an. Während der Jahre 1949/50 wurden in West-Berlin insgesamt rund 132.000 Flüchtlinge und Übersiedler registriert. 189 Hinzu kamen Zehntausende von ehemaligen Grenzgängern, die ihren Arbeitsplatz in Ost-Berlin verloren hatten. Die Beschäftigtenzahl der West-Berliner Industrie lag im Dezember 1948 noch bei 172.000 und ging dann bis zum ersten Halbjahr 1950 auf 131.000 zurück. Das entsprach einem Rückgang von 24%. In der elektrotechnischen Industrie lag der entsprechende Wert bei 17% (Höchststand 1. Quartal 1949: 58.200; Tiefststand 2. Quartal 1950: 50.500). Im Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbau sank die Beschäftigtenzahl von 32.300 im Dezember 1948 auf 22.800 im ersten Quartal 1950 (=-29%).190 Im Vergleich mit dem Bundesgebiet bestand auch zu Beginn der fünfziger Jahre noch ein beträchtlicher Rückstand. Im dritten Quartal 1949 lag das Produktionsniveau der Elektroindustrie in West-Berlin bei 29% des Vorkriegsstands von 1936, im Bundesgebiet dagegen bei 138%. Die Produktion des Maschinenbaus erreichte zu diesem Zeitpunkt in West-Berlin 11% des Stands von 1936, im Bundesgebiet 94%. Die Arbeitsproduktivität lag in der West-Berliner Elektroindustrie bei 62% des westdeutschen Niveaus. Die gesamte West-Berliner Industrie hatte noch Ende 1950 einen Produktivitätsrückstand von 25%. 1 9 1 Wegen der unrationelleren Fertigung waren die Produktionskosten der elektrotechnischen Industrie in West-Berlin um rund 20% höher als in den Westzonen. Im Maschinenbau lagen die Verkaufspreise West-Berliner Unternehmen um rund 30% über denen der westdeutschen Konkurrenz. 1 9 2 Die weitere Entwicklung der West-Berliner Industrie hing entscheidend davon ab, inwieweit es den Unternehmen gelang, den Produktivitätsrückstand gegenüber dem Bundesgebiet abzubauen und in Westdeutschland wie auf dem Weltmarkt wieder wettbewerbsfähig zu werden. 188 1950 w a r e n nind 41% der Arbeitslosen in West-Berlin ehemalige Angestellte, von denen wiederum rund zwei Drittel älter als 45 Jahre waren. ERP und die Stadt Berlin, hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes, o. 0 . 1 9 6 1 , S. 40. 189
VBEI, Geschäftsbericht 1952..., S. 2.
190
OMGBS, Special Report, Stat. annex Nr. 1-4, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/720; Beschäftigte in der
West-Berliner Industrie (1949-1953), a.a.O./727; Hauptamt für Gesamtplanung, Skizzierung der Grundlagen eines Programms vom 16. 7.1950, a.a.O., Rep. 10A, Acc. 410/66; Arbeitsplan für das Jahr 1950, Anlage 2, a.a.O.I(A. 191
K. G. Mahnke, Beitrag..., S. 145; W. Matz, Struktur..., S. 143 ff.; VDMA, Statistisches
Handbuch
ßr den Maschinenbau, Ausgabe 1953, S. 60 (Quartalsdurchschnittswerte und arbeitstäglicher Index); Bedingungen und Möglichkeiten..., S. 8. 192
K. C. Thalheim, Die Kriegszerstöningen und Demontagen in West-Berlin (S. 17 f.), BArch, B
102/171469; Umfang des erlittenen Schadens, hervorgerufen durch Demontage und Zerstörung (S. 5 9), LAB, Rep. 10, Acc. 4253/200.
III. Die Teilung Berlins
160
Marshall-Plan und Long-Term-Plan Das Schlüsselproblem des Produktivitätsrückstands gegenüber dem Bundesgebiet, konnte mit dem Instrumentarium der Berlin-Hilfe nicht angegangen werden. Ein Abbau des Leistungsgefälles war nur durch einen massiven Kapitaltransfer zu erreichen, da die West-Berliner Firmen nicht in der Lage waren, die für eine Modernisierung des Produktionsapparats benötigten Mittel aufzubringen. Ein beträchtlicher Teil des Kapitalvermögens war durch die Sperre bzw. Enteignung der Konten und Bankdepots in Berlin verlorengegangen. Das Umlaufvermögen hatte sich durch die Währungsumstellung verringert. Der örtliche Kapitalmarkt befand sich noch im Neuaufbau. 1 9 3 Aus dem defizitären Landeshaushalt konnten die erforderlichen Kredithilfen nicht zur Verfügung gestellt werden. Eine Anfang 1951 veröffentlichte Enquete ergab, daß die West-Berliner Wirtschaft Fremdkapital in Höhe von rund 0,9-1,0 Mrd. DM benötigte. 194 Grundsätzlich hätten dieses Mittel auf dem westdeutschen Kapitalmarkt aufgebracht oder in Form von Kredithilfen aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden können. 1 9 5 Wegen der Schwäche der West-Berliner Wirtschaft und der äußeren Bedrohung wurde ein derartiger Kapitaltransfer aber in Westdeutschland als zu riskant und vielfach auch als aussichtslos angesehen. Der langjährige Wirtschaftssenator Paul Hertz (SPD) stellte dazu rückblickend fest: „Die Situation erschien hoffnungslos. Selbst in inländischen und ausländischen Regierungskreisen wurden Zweifel laut, ob es überhaupt noch einen Sinn habe, mit einer Wiederbelebung der Berliner Wirtschaft und der Möglichkeit eines wieder aus eigener Kraft lebenden Berlin zu rechnen. Selbstverständlich wollte niemand die Stadt ihrem Schicksal überlassen. Doch manchmal schien man eher bereit, den Berlinern Dauerunterstützung zu bezahlen, als mit Krediten die Finanzierung eines für aussichtslos gehaltenen Wiederaufbaus des Wirtschaftsapparates zu wagen." 1 9 6 Vor diesem Hintergrund kam dem Marshall-Plan (European Recovery Program ERP) eine Schlüsselfunktion für die Finanzierung des wirtschaftlich-industriellen Wiederaufbaus in West-Berlin zu. Da die Sowjetunion eine Einbeziehung ihres Besatzungsgebiets in den Marshall-Plan ablehnte, war die Viermächtestadt Berlin
193
Vgl. F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 234 f.
194
Bedingungen und Möglichkeiten..., S. 13 f.; Klaus-Dieter Schmidt/Ursula Schwarz/Gerhard Thie-
bach, Sozialhaushalt und Wirtschaftskreislauf in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1960 (= Institut für angewandte Wirtschaftsforschung Tübingen, Schriftenreihe, Bd. 3), Tübingen 1965, S. 21. 195
Die aus dem Bundeshaushalt bestrittene Finanzhilfe für West-Berlin belief sich allein im Rech-
nungsjahr 1951/52 auf 550 Mio. DM. Deutschland heute. Acht Jahre danach, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn 1953, S. 203. 196
Paul Hertz, Der wirtschaftliche Wiederaufbau Berlins (1957). Zitiert nach: Dieter Pohmer, Wirt-
schaftliche Probleme Berlins, in: Hans Rothfels (Hrsg.), Berlin in Vergangenheit und
Gegenwart.
Tübinger Vorträge (= Tübinger Studien zur Geschichte und Politik, Nr. 14), Tübingen 1961, S. 94.
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft
161
bei den ERP-Planungen zunächst nicht berücksichtigt worden. Nach der politischen Teilung der Stadt wurde West-Berlin dann mit dem ECA-Abkommen
vom
15. Dezember 1949 in die ERP-finanzierten Programme für die Bundesrepublik einbezogen. 1 9 7 Im Rahmen des Marshall-Plans konnte rasch ein wirksamer Kapitaltransfer nach West-Berlin durchgeführt werden, ohne den es nicht möglich gewesen wäre, den Produktivitätsrückstand gegenüber Westdeutschland abzubauen. Gleichzeitig förderte der Marshall-Plan die Wiederherstellung der Handelsverflechtung mit Westeuropa. Die ERP-finanzierten Kredithilfen für West-Berlin hatten zudem einen wichtigen psychologischen Effekt. Sie demonstrierten glaubwürdig, daß der Westen auf die Stabilisierung dieses exponierten Gebiets setzte. Die Marshall-PlanHilfe diente hier letztlich dem Ziel, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für politische Stabilität zu schaffen. Anders als in Westdeutschland flössen die ERP-Mittel für West-Berlin in ein strukturell und substantiell geschwächtes Wirtschaftsgebiet mit einer Industrie, die auch auf dem Binnenmarkt nicht wettbewerbsfähig war. Wegen der unterschiedlichen Ausgangslage hatte die amerikanische Auslandshilfe in West-Berlin ein anderes Profil und andere Effekte als in Westdeutschland. 198 Den Schwerpunkt der Marshall-Plan-Hilfe bildeten hier die Kredite aus dem ERP-Sondervermögen („innerer Marshall-Plan"). Dieser Fonds wurde aus DM-Gegenwert-Zahlungen deutscher Importeure gebildet, die im Rahmen des ERP Waren aus dem Dollarraum bezogen. In Abstimmung mit der Marshall-Plan-Verwaltung (ECA/MSA) konnten das Bundesministerium für den Marshall-Plan und die Kreditanstalt für Wiederaufbau aus dem Gegenwertfonds Kredite mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren vergeben. Das Sondervermögen war ein revolvierender Fonds. Das verliehene Kapital floß einschließlich der Zinsen in den Fonds zurück und wurde dann erneut in Form von Krediten eingesetzt. Durch ein Gesetz vom 31. August 1953 wurde der Gegenwertfonds zu einem selbständigen Sondervermögen des Bundes. Die West-Berliner Wirtschaft erhielt bis 1956 originäre Gegenwertmittel, deren Funktion dann vollständig von den Rückflüssen übernommen wurde. 1 9 9 Als Haupt197
Die Einbeziehung West-Berlins in die Hilfsprogramme für die Bundesrepublik erfolgte gegen das
Votum der Bundesregierung, die ein eigenes Programm für West-Berlin gefordert hatte. Die Bundesregierung wollte verhindern, daß sich die Kreditsumme für das Bundesgebiet als Folge der Leistungen für West-Berlin verringerte. Der Bundesminister für den Marshall-Plan, Franz Blücher (FDP), nannte die Ginbeziehung West-Berlins in die ERP-Kredithilfe für die Bundesrepublik eine „einseitige, zu Lasten der Bundesrepublik gehende Hypothek". Zitiert nach F. Escher, Die Strukturprobleme..., S. 222. 198
Zum spezifischen Profil der ERP-Hilfe für West-Berlin vgl. v. a. das Standardwerk von P. G.
Rogge, Die amerikanische Hilfe..., sowie die vom Bundesschatzministerium mitherausgegebene Bilanzschrift ERP und die Stadt Berlin... 199
W. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte...,
S. 57 f.; Egon R. Baumgart, Investitionen und ERP-Fi-
nanzierung (= DIW Sonderhefte N.F., Nr. 56, Reihe A: Forschung), Berlin 1961, S. 23 ff.; ERP und die Stadt Berlin..., S. 16-22; 25 Jahre Berliner Industriebank AG - ein Kapitel Berliner schichte, Berlin 1974, S. 25 f.
Wirtschaftsge-
III. Die Teilung Berlins
162
leihinstitut fungierte hier die 1949 gegründete Berliner Industriebank AG, deren Aktienkapital sich seit 1952 mehrheitlich im Besitz des Bundes und des Landes befand. 2 0 0 Die ERP-Hilfe für West-Berlin umfaßte sehr unterschiedliche Förderinstrumente und -programme. Für den Ausbau und die Modernisierung des Produktionsapparats wurden - Investitionskredite aus dem Investitionsprogramm -Betriebsmittelkredite
vergeben,
eingesetzt (seit 1952) und
- Unternehmensbeteiligungen übernommen seit 1953). - Ein Auftragsfinanzierungsprogramm schaft fördern (seit 1952).
(Eigenkapitalfinanzierungsprogramm,
sollte den Absatz der West-Berliner Wirt-
- Mit einem Notstandsprogramm (Wiederaufbauprogramm) wurden Arbeitsbeschaffungs- und Bevorratungsmaßnahmen, später auch umfangreiche Bauvorhaben, finanziert.201 Bis Ende 1955 erreichte die amerikanische Auslandshilfe für West-Berlin eine Größenordnung von 3,4 Mrd. DM (verfügbarer Kreditbetrag). Davon entfielen 1,59 Mrd. DM auf das Notstands- bzw. Wiederaufbauprogramm und die Haushaltsfinanzierung während der Blockade, 0,32 Mrd. DM auf das Auftragsfinanzierungsprogramm, 1,01 Mrd. DM auf Investitionskredite, 60 Mio. DM auf Betriebsmittelkredite und 190 Mio. DM auf Beteiligungen und Risikokredite. 202 Bis Ende 1960 stieg die Gesamtsumme des ERP-Finanzierungsprogramms für West-Berlin auf 4,5 Mrd. DM, das waren rund 40% aller bis dahin in der Bundesrepublik eingesetzten ERPMittel. 203 Während die ERP-Investitionskredite in Westdeutschland primär in den Ausbau der Infrastruktur (Verkehr, Energiewirtschaft) und in einige Engpaßbereiche der Industrie (Ruhrkohlenbergbau) flössen, diente dieses Instrumentarium in West-Berlin dem Wiederaufbau und der Modernisierung der Kernindustrien. Auf die elektrotechnische Industrie und den Maschinenbau entfielen zwischen 1950 und 1955
200
Zunächst befand sich das Aktienkapital der Berliner Industriebank (1 Mio. DM) zu 80% im Be-
sitz der Industriekreditbank AG, Düsseldorf. Mit 20% waren West-Berliner Industrieunternehmen beteiligt. 1952 wurde das Aktienkapital auf 10 Mio. DM erhöht. Der Bund (ERP-Sondervermögen) übernahm davon 50%, das Land Berlin 20%. Je 15% blieben im Besitz der Industriekreditbank AG und privater Unternehmen. Christoph Scholz, Kreditinstitute des Bundes und ihre Aufgaben im Rahmen der Wirtschaftsverwaltung,
Frankfurt/M. 1960, S. 40 ff. Zur Berliner Industriebank vgl. ferner: 25 Jahre
Berliner Industriebank-, ERP und die Stadt Berlin, S. 96-99. 201
ERP und die Stadt Berlin..., S. 27 f.; P. G. Rogge, Die amerikanische
202
H. Runschke, Entwicklung..., S. 1591.
203
ERP und die Stadt Berlin..., S. 26 u. 30.
Hilfe...
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft
163
TABELLE 15
Verteilung der ERP-Investitionskredite
auf einzelne
Wirtschaftsbereiche
und Industriezweige in West-Berlin und in der Bundesrepublik
1950-1955
Anteile am gesamten Kreditvolumen in v. H. Wirtschaftsbereich/Branche Energiewirtschaft
West-Berlin
Bundesrepublik
12,8
23,1
Handwerk
1,5
0,4
Bauwirtschaft/Wohnungsbau
5,9
0,2
Verkehr/Post
2,2
22,5
71,0
33,9
Industrie* - Kohlenbergbau - Eisen- und Stahlindustrie
11,2 0,6
7,1
35,6
1,6
- Maschinenbau
7,6
2,1
- Chemische Industrie
4,6
2,9
- Textil- und Bekleidungsindustrie
3,8
0,2
- Nahrungs- und Genußmittelindustrie
1,9
1,8
100,0
100,0
- Elektroindustrie
Ingesamt
* ohne Mittel- und Kleinindustrie Berechnet nach: A. Kuehn, Investitionen..., S. 55; E. R. Baumgart, Investitionen..., S. 125.
zusammen mehr als 40% aller ERP-finanzierten Investitionskredite für die WestBerliner Wirtschaft (siehe T A B E L L E 1 5 ) . 2 0 4 Die Verteilungsstruktur der ERP-Investitionsmittel für West-Berlin entsprach einem Langfristigen Plan (Long-Term-Plan), wie ihn die Kreditbestimmungen der
ECA vorsahen. Während die Langzeitplanungen auf der westeuropäischen Ebene und für die Westzonen bereits im Sommer 1949 aufgegeben wurden,205 hatten sie in West-Berlin während der frühen fünfziger Jahre eine beträchtliche Bedeutung. Im 204
Innerhalb der westdeutschen Industrie waren die Elektroindustrie und der Maschinenbau nur anfangs überproportional stark an den ERP-finanzierten Investitionskrediten beteiligt. E. R. Baumgart, Investitionen..., S. 120 f. u. 128. Zur ERP-finanzierten Investitionshilfe im Bundesgebiet vgl. Manfred Pohl, Wiederaufbau. Kunst und Technik der Finanzierung 1947-1953. Die ersten Jahre der Kreditanstalt für Wiederauflau, Frankfurt/M. 1973, S. 102-118. 205 Gerd Hardach, Der Marshall-Plan. Auslandshilfe und Wiederaufbau in Westdeutschland 19481952 (= dtv Wissenschaft), München 1994, S. 135-145.
164
III. Die Teilung
Berlins
Herbst 1949 erstellten Vertreter der Magistratsverwaltung, der Wirtschaft und der Wirtschaftsforschung einen ersten Investitionsplan für West-Berlin. 206 Anfang 1951 wurde dann der Long-Term-Plan vorgelegt, der wiederum in einer engen Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Zentralbank, Wirtschaft und Wissenschaft erarbeitet worden war. 207 Vorrangiges Ziel des Long-Term-Plans für West-Berlin war ein möglichst rascher Abbau der Massenarbeitslosigkeit. In dieser Prioritätensetzung zeigte sich die politische Stabilisierungsfunktion der ERP-Hilfe für West-Berlin. In der West-Berliner Wirtschaft sollten 200.000 neue Arbeitsplätze entstehen, davon 150.000 in der Industrie. Um den geplanten Beschäftigtenzuwachs zu erreichen, wurde eine Verdreifachung der Industrieproduktion für notwendig gehalten. Nach Meinung der Verfasser konnte dieses Programm günstigstenfalls innerhalb eines Zeitraums von drei bis vier Jahren realisiert werden. Die Enquete, auf die sich der Long-Term-Plan stützte, ergab für die Durchführung des Programms einen Kapitalbedarf in Höhe von 1,0— 1,1 Mrd. DM. Davon entfielen allein 900 Mio. DM auf die Industrie. 208 Das Gesamtvolumen der zwischen 1950 und 1955 nach West-Berlin vergebenen ERPInvestitionskredite entsprach dann mit 0,94 Mrd. DM ziemlich genau der Bedarfsplanung. 209 Die Verfasser des Long-Term-Plans gingen davon aus, daß die Arbeitslosigkeit in West-Berlin nur durch einen forcierten Ausbau der Industrie überwunden werden konnte. Für die West-Berliner Industrie sah der Long-Term-Plan deshalb eine Verdoppelung der Beschäftigtenzahl auf rund 300.000 vor. Dies entsprach rund 92% des Beschäftigtenstands von 1936. 210 Innerhalb der West-Berliner Industrie sollten die Elektroindustrie und der Maschinenbau Schwerpunkte der ERP-Hilfe bilden, weil von einem Ausbau dieser Branchen besonders positive Effekte für den Arbeitsmarkt und die Leistungsbilanz West-Berlins erwartet wurden, aber auch, weil die Demontageschäden in diesen Branchen besonders hoch gewesen waren und der Aufbau neuer Kapazitäten hier einen vergleichsweise hohen Kapitaleinsatz erforderte, den die Unternehmen nicht
206
Magistrat von Groß-Berlin, Abt. Wirtschaft, Entwicklung und Aufbauplan der West-Berliner Industrie, Ms. Berlin 1949, Mappe 7, Bl. 1. 207 Bedingungen und Möglichkeiten.... 208 A.a.O. (Einleitung, S. 7 f. u. 13 f.); Karl C. Thalheim, Die Wirtschaft Berlins zwischen Ost und West, in: ders., Beiträge zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, Berlin 1965, S. 411; Felix Escher, Paul Hertz und die Übernahme der Initiative in der Berliner Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit durch die SPD, in: Jahrbuch ßr die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 40 (1991), S. 131 f. 209
A. Kuehn, Investitionen..., S. 36-45. Bedingungen und Möglichkeiten..., S. 19 f.; Senator für Kreditwesen, Entwicklung der West-Berliner Industrie im Vergleich mit der des Bundesgebietes seit Juli ¡949 (= Untersuchungen und Berichte zum Aufbau-Programm [Longterm-Plan]), H. 1, Berlin o. J., S. 92. 210
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft
165
aufbringen konnten. 211 Die Beschäftigtenzahl der West-Berliner Elektroindustrie sollte nach dem Long-Term-Plan von 53.100 im Jahr 1950 auf 90.000 ansteigen ( + 7 0 % ) , die Beschäftigtenzahl des West-Berliner Maschinenbaus von 16.400 auf 32.000, günstigstenfalls auf 34.000 (+ 107%). Die Planziele lagen für beide Branchen bei rund 80% des Beschäftigtenstands von 1936. 212 Nach dem einhelligen Urteil der älteren Literatur waren die Marshall-Plan-Kredite eine entscheidende Voraussetzung für die Stabilisierung der West-Berliner Wirtschaft in den frühen fünfziger Jahren. So wurde der ERP-Hilfe u. a. bescheinigt, als „Initialzündung für den Wirtschaftsaufschwung" 2 1 3 und als „entscheidender Beitrag zur Wiederherstellung der Lebensfähigkeit Berlins" 2 1 4 gewirkt zu haben. Dieses Urteil wird auch durch die generelle Kritik Abelshausers an einer Verklärung des Marshall-Plans und seiner Auswirkungen auf die westdeutsche Wirtschaft nicht entkräftet. 2 1 5 Die ERP-Hilfe hatte in West-Berlin wegen der Unterschiede in der Ausgangslage, in der Zielsetzung und in der Kreditstruktur andere Effekte als im Bundesgebiet. Am ehesten kann der Fall West-Berlin wohl noch mit den ERP-Investitionsschwerpunkten in Westdeutschland, dem Ruhrkohlenbergbau und der Stromwirtschaft, verglichen werden. In bezug auf diese Bereiche werden dem ERP aber auch von Abelshauser Wachstumseffekte bescheinigt. 216 Gegenstand der wirtschaftshistorischen Kontroverse um die Effekte des Marshall-Plans ist vielmehr die gesamte ERP-Hilfe an die Bundesrepublik. 217 Berichte aus Firmen der West-Berliner Elektro- und Metallindustrie zeigen ausnahmslos, daß die ERP-finanzierten Investitionen Anfang der fünfziger Jahre eine grundlegende Modernisierung des Produktionsapparats einleiteten und dadurch entscheidend zur Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit beigetragen
haben.
Typisch dafür ist ein Bericht aus der Spiralbohrer-, Werkzeug- und Maschinenfabrik 211
ERP und die Stadt Berlin..., S. 31.
212
Bedingungen und Möglichkeiten...,
S. 19 f. u. 17 f.; Senator für Kreditwesen,
Entwicklung...,
S.92. 213
S. v. Weiher, Berlins Weg..., S. 166.
214
Karl C. Thalheim, Die wirtschaftliche und soziale Struktur Berlins seit 1945, in: dm.,
Beiträge...,
S. 424. 215
Werner Abelshauser, Hilfe und Selbsthilfe. Zur Funktion des Marshallplans beim westdeutschen
Wiederaußau,
in: H.-J. Schröder (Hrsg.), Marshallplan..., S. 150-178; ders., Die Bedeutung des Mar-
shall-Plans für Wiederaußau und Wirtschaftswachstum: Ein makroökonomischer Ansatz, in: Charles S. Maier/Günter Bischof (Hrsg.), Deutschland und der Marshallplan, Baden-Baden 1992, S. 407-440. 216
W. Abelshauser, Die Bedeutung..., S. 412 ff.
217
Zur Kontroverse um die Auswirkungen des Marshall-Plans auf die westdeutsche Wirtschaftsent-
wicklung vgl. ebda.; ders., Hilfe und Selbsthilfe...-, Knut Borchardt/Christoph Buchheim, Die Wirkung der Marshallplan-Hilfe Marshallplan...,
in Schlüsselbranchen
der deutschen Wirtschaft, in: H.-J. Schröder (Hrsg.),
S. 119-149; dies., Marshall-Plan-Hilfe
in industriellen Schlüsselsektoren: Eine mi-
kroökonomische Perspektive, in: Ch. S. Maier/G. Bischof (Hrsg.), Deutschland..., S. 441-474. Zur Marshall-Plan-Hilfe für Westdeutschland vgl. ferner die neuere Überblicksdarstellung von G. Hardach, Der Marshall-Plan...
166
III. Die Teilung Berlins
R. Stock & Co. in Marienfelde: „Wirklich entscheidende Schritte konnten erst getan werden, als amerikanische ERP-Kredite großzügigere Investitionen gestatteten und damit Möglichkeiten schufen, Rationalisierungs-Planungen in die Tat umzusetzen, die Produktion auszuweiten und als wieder leistungsfähiger Lieferant nennenswert am Verkäufermarkt teilnehmen zu können". 218
TABELLE 16
Finanzierung der Brutto-Anlageinvestitionen und im Maschinenbau
in der
Elektroindustrie
West-Berlins 1950-1955
in v. H.
1950
1951
1952
1953
1954
1955
-ERP-Kredite
89,7
87,7
85,7
45,1
41,3
27,5
- Eigenmittel
10,3
12,3
14,3
54,9
58,7
72,5
40,2
48,9
53,8
82,3
36,4
74,4
2,0
0,2
0,4
0,3
58,0
50,9
63,2
25,3
Elektroindustrie
Maschinenbau -ERP-Kredite - Kredite von Geschäftsbanken - Eigenmittel
46,2
17,7
Quelle: A. Kuehn, Investitionen..., S. 36-47.
Anfang der fünfziger Jahre wurde der überwiegende Teil der industriellen Investitionen in West-Berlin aus ERP-Mitteln bestritten. Der Anteil der ERP-Finanzierung an den Brutto-Anlageinvestitionen der Industrie lag im Durchschnitt der Jahre 1950-1952 in West-Berlin bei 53%, im Bundesgebiet dagegen nur bei 6%. In der West-Berliner Elektroindustrie wurden in diesem Zeitraum sogar mehr als 85% der Bruttoinvestitionen aus ERP-Mitteln finanziert, im West-Berliner Maschinenbau fast 50%. Die westdeutsche Elektroindustrie bestritt im Durchschnitt der Jahre 1949-1956 dagegen nur 2,8% der Brutto-Anlageinvestitionen aus ERP-Mitteln, der westdeutsche Maschinenbau 2,2%. 219 Im Zeitraum der Jahre 1950-1958 wurde insgesamt rund ein Drittel aller Brutto-Anlageinvestitionen der West-Berliner Industrie aus dem ERP-Sondervermögen aufgebracht (siehe auch TABELLE 16). 220 218
ERP und die Stadt Berlin..., S. 201. Weitere, in der Tendenz ähnliche Firmenberichte finden sich
in: a.a.O., S. 114-235. 219 E. R. Baumgart, Investitionen..., S. 122 f. 220 Berechnet nach: a.a.O., S. 118-121 (Industrie des Bundesgebiets ohne Baugewerbe und Energiewirtschaft); A. Kuehn, Investitionen..., S. 36-55.
West-Berlin: Die Eingliederung
in die westdeutsche
Wirtschaft
167
Anders als in den Westzonen bzw. im Bundesgebiet übernahm die ERP-Hilfe bei der Investitionsfinanzierung in West-Berlin vorübergehend die Funktion des Kapitalmarkts. Die Effekte der ERP-finanzierten Investitionskredite wurden in einer am DIW durchgeführten Studie von Kuehn untersucht. Demnach erzielten die mit ERP-Krediten geförderten Betriebe sowohl in der gesamten West-Berliner Industrie als auch in der elektrotechnischen Industrie und im Maschinenbau durchschnittlich höhere Produktionssteigerungen als die nicht geförderten Betriebe. 221 Kuehn gelangte zu dem Ergebnis, die West-Berliner Wirtschaft hätte wegen der günstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den fünfziger Jahren zwar auch ohne das ERP-Investitionsprogramm ein beträchtliches Wachstum erreichen können. Das Wachstumstempo hätte sich dann jedoch erst 1955 kräftig beschleunigt. Bis dahin hätte ein jährlicher Wachstumsverlust von 1,5 - 2,0 Mrd. DM hingenommen werden müssen. Das regionale Potential wäre in diesem Fall durch Betriebsabwanderungen noch weiter geschwächt worden. 222 Die ERP-Kredite gingen in West-Berlin vorrangig an Großunternehmen, da von deren Investitionen umfangreiche Aufträge für die örtliche Zulieferindustrie und ein entsprechend hoher Beschäftigungseffekt erwartet wurden. 223 Ende 1955 entfielen in der West-Berliner Industrie 56% aller Finanzierungen aus dem ERP-Sondervermögen auf Großbetriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten. In der Elektroindustrie lag dieser Anteil bei 83%, im Maschinenbau bei 42%. 2 2 4 Die ERP-Kredite trugen so dazu bei, daß der Aufschwung der West-Berliner Industrie während der fünfziger Jahre überproportional stark von Großunternehmen getragen wurde. Mit Priorität gefördert wurden dabei auch Investitionen von Großunternehmen, die im Bundesgebiet ansässig waren und über eine vergleichsweise günstige Kapitalstruktur verfügten. 225 Obwohl die ERP-Investitionskredite in West-Berlin nach arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten vergeben wurden, blieb der Beschäftigungseffekt hinter den Vorgaben des Long-Term-Plans zurück. 226 Andererseits konnten die über das ERP221
A . Kuehn, Investitionen..., S. 86 f. A.a.O., S. 112 f. 223 H. Runschke, Entwicklung...-, Paul Hertz, Die Berliner Wirtschaft 1948-1958, in: Die Wirtschaft Berlins. Eine Sammlung von Aufsätzen über die Entwicklung der West-Berliner Wirtschaft, Berlin 1961. LAB, Rep. 10, Acc. 4253/722. 222
224
H. Runschke, Entwicklung..., S. 1592. Die West-Berliner Siemens-Betriebe erhielten allein bis zum Juli 1952 ERP-Investitionskredite in Höhe von 65 Mio. DM. Aus diesen Mitteln wurden rund 60% aller Investitionen finanziert, die Siemens zwischen Juni 1948 und Juli 1952 in West-Berlin tätigte. Wiederaufbau in Berlin-Siemensstadt, S. 14. 225
226 Obwohl die elektrotechnische Industrie den wichtigsten Schwerpunkt der ERP-Investitionshilfen für West-Berlin bildete, nahm die Beschäftigtenzahl in dieser Branche während der Jahre 1951/52 nur um rund 5% zu. Berechnet nach: W. Matz, Struktur..., S. 142 (Anlage 4).
168
111. Die Teilung Berlins
Investitionsprogramm geförderten Betriebe ihr Rationalisierungspotential vielfach nicht ausschöpfen, weil sich die Entscheidung über die Vergabe dieser Mittel letztlich an arbeitsmarktpolitischen Zielen orientierte. 227 Die Unternehmen konnten leichter ERP-Kredite erhalten, wenn sie nachwiesen, daß von ihren Investitionen ein hoher Beschäftigungseffekt zu erwarten war. Prämiert wurde damit die Beschaffung einer möglichst großen Zahl von Maschinen und damit auch gebrauchter, preisgünstiger Maschinen, nicht aber der Einsatz neuer, teurer Maschinen. 2 2 8 Entgegen dem Bild, das firmengeschichtliche Darstellungen und Zeitzeugenberichte verschiedentlich vermitteln, führten die ERP-Kredite denn auch nicht dazu, daß die Ausrüstungen quasi über Nacht auf den neuesten Stand gebracht wurden. Der Anteil neuer Maschinen lag in der metallverarbeitenden Industrie West-Berlins noch während der frühen fünfziger Jahre auf einem bemerkenswert niedrigen Niveau. 2 2 9 Betriebe, die keine ERP-Kredite erhielten, konnten ihre Ausrüstungen zwar nicht so rasch modernisieren. Sie erzielten mittelfristig aber höhere Produktivitätssteigerungen, weil sie nicht an die beschäftigungspolitischen Vorgaben der ERP-Hilfe gebunden waren. Die von Kuehn veröffentlichten Daten zeigen diesen Zusammenhang sehr deutlich. 2 3 0 Zu Fehlentwicklungen, die durch die Investitionslenkung im Rahmen des E R P entscheidend begünstigt wurden, kam es in den frühen fünfziger Jahren im WestBerliner Maschinenbau. Die Entwicklungsmöglichkeiten wurden hier vor dem Hintergrund der weltweiten Investitionsgüterkonjunktur von 1950/51 überschätzt, das Problem des Eigenkapitalmangels unterschätzt. Die ERP-finanzierten Investitionskredite trugen zu einer Überexpansion bei, durch die dann führende Unternehmen wie Fritz Werner in Liquiditätskrisen gerieten. 231 Der ERP-Gegenwertfonds erwies sich hier nicht als „planerische Einsatzreserve zur Korrektur von Kapitalfehllenkungen des Marktes" (W. Abelshauser), 2 3 2 sondern ermöglichte einen Kapazitätsausbau, der am Markt vorbeiging. Die ERP-Investitionskredite erzielten offensichtlich eher in Unternehmen mit einer relativ günstigen finanziellen Ausstat227
Die amtliche Bilanzschrift über die ERP-Hilfe für West-Berlin stellte dazu fest: „Investitionsan-
trägen wurde daher in erster Linie unter dem Gesichtspunkt stattgegeben, wievielen Arbeitskräften ein Dauerarbeitsplatz verschafft werden konnte. Dabei spielte die Frage der Rationalisierung in den ersten Jahren keine für die Kreditgewährung ausschlaggebende Rolle..." ERP und die Stadt Berlin..., S. 31. 228
A. Kuehn, Investitionen..., S. 91.
229
Die alten Maschinen, in: DBW, 2. Jg. (1952), Nr. 50, S. 1552.
230
In den ERP-geförderten Betrieben stieg demnach die Produktivität bis Mitte der fünfziger Jahre
überdurchschnittlich an. Ab 1956 lag dann aber der Produktivitätszuwachs in den ERP-geförderten Betrieben des Maschinenbaus und der Elektroindustrie niedriger als in den nichtgeförderten Betrieben. In der gesamten West-Berliner Industrie war dies schon ab 1955 der Fall. A. Kuehn, S. 86 f. 231
Siehe S. 194 f.
232
W. Abelshauser, Bedeutung..., S. 434.
Investitionen...,
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft
169
tung den gewünschten Effekt (wie zum Beispiel bei Siemens), nicht aber in Unternehmen, wo sie als Ersatz für Eigenkapital fungierten (wie zum Beispiel bei Fritz Werner). Nach dem Abflauen der Hochkonjunktur von 1950/51 wurde deutlich, daß das ERP-Investitionsprogramm das Problem des Eigenkapitalmangels in der West-Berliner Industrie nicht gelöst hatte. Bei vielen Firmen waren die Kreditmöglichkeiten nun aber ausgeschöpft. 2 3 3 Nach einer Enquete der Senatsverwaltung für Kreditwesen vom Herbst 1952, die sich auf Bilanzanalysen aus unterschiedlichen Industriezweigen stützte, überstiegen die kurzfristigen Verbindlichkeiten bei 39 der 45 untersuchten Unternehmen die flüssigen Mittel. Bei 18 Unternehmen übertraf die Fremdfinanzierung das Eigenkapital um 200% und mehr. 234 Vor diesem Hintergrund wurde die ERP-Hilfe für West-Berlin in den Jahren 1952/53 durch Betriebsmittelkredite und ein Eigenkapitalfinanzierungsprogramm erweitert. 2 3 5 Im Gegensatz zu der ursprünglich subsidiären Strategie der ERPHilfe für West-Berlin sah das Eigenkapitalersatzfinanzierungsprogramm von 1953 reine Subventionierungsmaßnahmen vor. Im Rahmen dieses Programms wurden gezielt Unternehmen unterstützt, die „die bankmäßigen Voraussetzungen für einen größeren Kredit nicht oder nicht in vollem Umfang erfüllen konnten, die aber im Hinblick auf die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen oder wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als förderungswürdig angesehen werden mußten". 2 3 6 Der Vergleich zwischen der Investitionsfinanzierung in der Elektroindustrie und im Maschinenbau zeigt den Funktionswandel der ERP-Hilfe für West-Berlin während der frühen fünfziger Jahre. In der West-Berliner Elektroindustrie wurden zwischen 1950 und 1952 über 85% der Brutto-Anlageinvestitionen durch ERPKredite finanziert. 1953 konnten mehr als 50% der Investitionen aus Eigenmitteln aufgebracht werden, ab 1955 über 70%. Die Eigenkapitallücke hatte sich also 233
Dies bestätigte ein Gutachten, das die New Yorker Wirtschaftsberatungsfirma Richardson Wood
& Co im Auftrag des Bundesministeriums für den Marshallplan erstellte (Richardson Wood-Gutachten). Vorschläge zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung West-Berlins. Gutachten von Richardson Wood & Co., Dezember 1952, Berlin 1953. Das Wood-Gutachten empfahl u. a. eine Eigenkapitalersatzfinanzierung, wie sie dann 1953 eingeführt wurde. Ein weitergehender Vorschlag, die Berliner Industriebank in eine Investmentbank umzuwandeln, wurde nicht aufgegriffen. Vgl. hierzu ERP und die Stadt Berlin..., S. 32; P. G. Rogge, Die amerikanische Hilfe..., S. 276. 234
P. G. Rogge, Die amerikanische Hilfe..., S. 276.
235
Aus dem Sondervermögen konnten nun auch mittelfristige Betriebsmittelkredite und Kapitalbe-
teiligungen aufgebracht werden. Mit dem Eigenkapitalfinanzierungsprogramm stieß die Berliner Industriebank als erstes deutsches Kreditinstitut in das Gebiet der Beteiligungsfinanzierung vor. Gleichzeitig wurden der Bund und das Land Berlin Mehrheitsaktionäre bei der Berliner Industriebank. A.a.O., S. 270-280; H. G. Schakat, Die wirtschaftspolitischen Instrumente..., S. 35 ff.; 25 Jahre Berliner Industriebank..., S. 45 f.; Ch. Scholz, Kreditinstitute..., S. 40 ff. 236
ERP und die Stadt Berlin..., S. 32.
170
III. Die Teilung Berlins
innerhalb weniger Jahre deutlich verringert. Im West-Berliner Maschinenbau nahm dagegen der Anteil ERP-finanzierter Investitionen ab 1952 zu, da die Kapazitätsauslastung nach dem Boom von 1950/51 sank und die Liquidität zurückging. 1953 lag der Anteil der ERP-finanzierten Brutto-Anlageinvestitionen mit 82% mehr als doppelt so hoch wie 1950 (siehe TABELLE 16). Mit Kapitalbeteiligungen aus dem ERP-Sondervermögen wurden überwiegend kleine und mittlere Unternehmen gestützt, aber auch Großfirmen, die am Markt Rückschläge erlitten hatten. 237
Die Handelsverflechtung mit dem Bundesgebiet und die Rückkehr auf den Weltmarkt Durch die vollständige Umstellung auf die DM und die Aufhebung der Blockade wurden die bis dahin bestehenden Engpässe bei der Versorgung der West-Berliner Industrie schlagartig beseitigt. Der Bedarf konnte nun uneingeschränkt durch Bezüge aus Westdeutschland gedeckt werden. Die im Rahmen des Marshall-Plans geförderte westeuropäische Handelsintegration ermöglichte dann auch zunehmend Importe aus den OEEC-Mitgliedsländem. Die West-Berliner Industrie hatte aber nur dann eine Zukunft, wenn es auch gelang, den Absatz im Bundesgebiet und den Export wirksam zu steigern. Die Aufträge aus dem Bundesgebiet blieben nach dem Ende der Blockade hinter den Erwartungen zurück. In der elektrotechnischen Industrie waren die Kapazitäten nur zu 65-70% ausgelastet. Die meisten West-Berliner Finnen waren auf dem westdeutschen Markt nicht wettbewerbsfähig. Durch die Blockadeerfahrung bestanden im Bundesgebiet zudem Vorbehalte gegenüber einer Auftragsvergabe nach WestBerlin. 238 Ab Mitte 1950 nahmen dann die Aufträge aus dem Bundesgebiet deutlich zu. In der West-Berliner Elektroindustrie sank der Anteil des Ortsabsatzes von 30% (Ende 1949) auf 20% (Ende 1950), während der Absatzanteil des Bundesgebiets von 60% (Ende 1949) auf 65% (Ende 1950) stieg. Im Maschinen- und Fahrzeugbau lagen die Lieferungen ins Bundesgebiet 1951 um 56% über dem Voijahresstand.239 Die Verbesserung der Auftragslage wurde durch den weltweiten Nachfrageboom im Investitionsgüterbereich ausgelöst, der mit Beginn des Korea-Kriegs einsetzte.240 Die West-Berliner Investitionsgüterindustrie konnte auf die Korea-Hausse generell fle237
P. G. Rogge, Die amerikanische Hilfe..., S. 277. Siehe hierzu auch S. 197 ff.
238
Vgl. W. Matz, Struktur..., S. 27 u. 102 ff.
239
A.a.O., S. 101 u. 106; Der Maschinen- und Fahrzeugbau in Berlin, in: BS, 6. Jg. (1952), H. 6,
S. 267. 240 Der Korea-Boom kann als eine Stimulanz keynesianischen Typs angesehen werden (H. Giersch u. a.). Temin relativiert dagegen die Bedeutung dieser Hausse für die Wachstumsentwicklung in der frü-
West-Berlin: Die Eingliederung in die westdeutsche Wirtschaft
171
xibler reagieren als die westdeutsche Konkurrenz, weil die Kapazitätsauslastung hier niedriger war als im Bundesgebiet. Schon im Sommer 1951 kam es in Westdeutschland zu Produktionsengpässen. Auch im westdeutschen Maschinenbau entstand ein wachsender Auftragsüberhang. Für die West-Berliner Betriebe bedeutete dies einen Wettbewerbsvorteil. Im Maschinenbau waren die Lieferfristen hier halb so lang wie im Bundesgebiet.241 Durch den Liefervorsprung konnten wiederum die Vorbehalte gegenüber einer Auftragsvergabe nach West-Berlin abgebaut werden. Die Ausweitung des überregionalen Absatzes ist freilich nicht nur durch die Nachfrageentwicklung, sondern auch durch Angebotsfaktoren zu erklären. Die mit Hilfe von ERP-Krediten anlaufende Modernisierung des Produktionsapparats bildete eine wichtige Voraussetzung dafür, daß die West-Berliner Investitionsgüterindustrie auf dem westdeutschen Markt Tritt faßte. Ein weiterer Faktor war das relativ niedrige Lohnniveau in West-Berlin. Dagegen hatte die Förderung nach dem Berlin-HilfeGesetz nicht den erwarteten Effekt. 242 In der West-Berliner Elektroindustrie wurde 1953 eine weitgehende Handelsintegration mit dem Bundesgebiet erreicht. Der Absatzanteil des Bundesgebiets stieg zwischen 1952 und 1953, von 65% auf rund 75%. Der Anteil des Ortsabsatzes lag 1953 nur noch bei 8%. 243 Im Maschinen- und Fahrzeugbau West-Berlins entfielen dagegen im ersten Quartal 1952 nur 48% des Absatzes auf das Bundesgebiet. Der Anteil des Ortsabsatzes lag noch bei 29%. Bis 1955 stieg dann der Absatzanteil des Bundesgebiets hier auf 61%, während der Anteil des Ortsabsatzes auf 16% zurück244
ging- 4 4 In der Investitionsgüterindustrie der Bundesrepublik, vor allem im Maschinenbau, kam es nach Beginn des Korea-Booms zu einer raschen Belebung des Exportgeschäfts, das bis dahin auf einem niedrigen Niveau gelegen hatte. Von diesem
hen Bundesrepublik. Die ausgewerteten Quellen stützen Temin's Argumentation nicht. Auch in WestBerlin setzte im Juni 1950, nach Ausbruch des Korea-Kriegs, schlagartig ein kräftiger Konjunkturaufschwung ein. Herbert Giersch/Karl-Heinz Paqu6/Holger Schmieding, Openness, Wage Restraint and Macroeconomic Stability: West-Germany's Road to Prosperity 1948-1959, in: Rudiger Dornbusch/Wilhelm Nölling/Richard Layerd (Hrsg.), Postwar Economic Reconstruction and Lessons for the East Today, Cambridge/Mass.-London 1993, S. 9; Peter Temin, The ,Koreaboom' in West Germany: Fact or Fiction?, in: Economic History Review, Bd. 48 (1995), S. 737-753. 241
Erich Sauer, Berlin sucht neue Wege..., in: Der Volkswirt, 3. Jg. (1951), Nr. 29 (Deutsche Wirt-
schaft im Querschnitt, 11. Folge: Maschinenbau), S. 41. Im Maschinenbau der Bundesrepublik übertraf der Auftragseingang im Oktober 1951 den Umsatz um 32%. Karl C. Thalheim,
Konjunkturaufschwung
auf breiter Front, in: DBW, 1. Jg. (1951), Nr. 50/51, S. 1452 f. Zu den damaligen Kapazitätsengpässen in der westdeutschen Industrie vgl. W. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte..., S. 69 f. 242
W. Matz, Struktur..., S. 105. Siehe hierzu S. 449 ff.
243
W. Matz, Struktur..., S. 101 ff.; VBEI, Geschäftsbericht 1953..., S. 27.
244
Der Maschinen- und Fahrzeugbau in Berlin, in: BS, 6. Jg. (1952), H. 6, S. 267; E. Sauer, Berlin
sucht neue Wege..., in: Der Volkswirt, 3. Jg. (1951), Nr. 29, S. 41; WEMA, Statistische Daten fiirdie Eisen- und Metallindustrie in West-Berlin (ohne Elektroindustrie) 1959, Berlin 1959, S. 65.
172
III. Die Teilung Berlins
Exportboom profitierten die elektrotechnische Industrie und der Maschinenbau in West-Berlin besonders, da die standortbedingten Kostennachteile und das „BerlinRisiko" für ausländische Abnehmer offensichtlich eine geringere Bedeutung hatten als für inländische. 2 4 5 In der Elektroindustrie konzentrierte sich die Exportnachfrage während des Korea-Booms auf die starkstromtechnische Investitionsgüterindustrie, die in West-Berlin u. a. mit führenden Großbetrieben von SSW und AEG vertreten war. 2 4 6 Die Exportquote der West-Berliner Elektroindustrie erhöhte sich zwischen 1950 und 1952 von 7,9% auf 15,2% und erreichte damit wieder das Vorkriegsniveau. 2 4 7 Der West-Berliner Maschinenbau hatte trotz ungünstigerer Ausgangsbedingungen schon 1950 eine Exportquote von 13,7% (1936: 17%). Besonders hoch lag die Exportintensität im Kraftmaschinenbau. Hier entfielen zu diesem Zeitpunkt 30% des Absatzes auf den Export. 2 4 8 Bis 1952 stieg die Exportquote des gesamten WestBerliner Maschinenbaus dann auf 32,3%. 2 4 9 Die Ausfuhr nahm damit im Maschinenbau stärker zu als in allen anderen Industriezweigen West-Berlins. Allerdings gingen die Exportaufträge an den kleinen Firmen des Maschinenbaus vorbei, während die großen, international renommierten Unternehmen an Kapazitätsgrenzen stießen. 2 5 0 Den Absatzschwierigkeiten des West-Berliner Maschinenbaus auf dem westdeutschen Markt stand also eine starke Zunahme des Exportgeschäfts gegenüber. Die Firmen versuchten, ihre schwache Position im Bundesgebiet durch eine hohe Exportquote zu kompensieren. Der Verlust des Ostabsatzes dürfte indirekt zu dieser exportorientierten Strategie beigetragen haben, da er zunächst nicht durch entsprechende Absatzsteigerungen im Bundesgebiet aufgefangen werden konnte. Besonders die führenden Firmen des West-Berliner Werkzeugmaschinenbaus setzten während des Korea-Booms auf eine Expansion über das Auslandsgeschäft. Die Exportquote des Werkzeugmaschinenbaus lag in West-Berlin 1950 noch bei 14,4%.
245
In bezug auf die elektrotechnische Industrie stellte Matz 1953 fest, daß bei Firmen im Ausland
„die Hemmungen, Aufträge nach West-Berlin zu legen, weniger ausschlaggebend sind als oftmals in Westdeutschland". W. Matz, Struktur..., S. 109. 246
Der Anteil schwerer Maschinen am West-Berliner Elektromaschinenexport stieg von 51,7%
(1950) auf 64,4% (1951). A.a.O., S. 115. 241
A.a.O., S. 113.
248
E. Sauer, Berlin sucht neue Wege..., in: Der Volkswirt, 3. Jg. (1951), Nr. 29, S. 40. Bei der AEG-
Turbinenfabrik gingen im Frühjahr 1951 über 30% des Absatzes in den Export. Elektro-Ausfuhr
der
AEG steigt weiter, in: Die Neue Zeitung vom 27. 5. 1951. 249
WEMA, Statistische Daten ßr die Eisen- und Metallindustrie in West-Berlin (ohne Elektroindu-
strie) 1957, Berlin 1957, S. 63. 250
Vgl. E. Sauer, Berlin sucht neue Wege..JH. Walther, ...und braucht Aufträge, in: Der Volkswirt,
3. Jg. (1951), Nr. 29, S. 40-42.
Die unmittelbaren Effekte des Übergangs zur Marktwirtschaft
173
Bis 1952 stieg sie auf 56% und übertraf nun den Vorkriegsstand (1936: 16%) bei weitem. Der größte Teil der Exports der West-Berliner Elektro- und Metallindustrie entfiel auf Westeuropa. 1950 gingen 81% des West-Berliner Elektroexports in OEEC-Mitgliedsländer. Der Anteil des Übersee-Exports, insbesondere der Lieferungen nach Asien und Südamerika, nahm aber schon bald kräftig zu. 1950 entfielen 9,3% des Exports der West-Berliner Elektroindustrie auf Amerika und Asien, 1955 bereits 34,1%. Im West-Berliner Maschinenbau gingen 1954 32% des Exports nach Übersee. 252 Der Prozeß der Wiedereingliederung der West-Berliner Elektro- und Metallindustrie in den Welthandel war damit bereits weitgehend abgeschlossen, als Ende 1958 dann die uneingeschränkte Konvertibilität der DM erreicht wurde. Die rasche Rückkehr auf den westeuropäischen Markt und den Weltmarkt wurde durch mehrere Faktoren ermöglicht. Entscheidende Bedeutung hatten sowohl die Liberalisierung des Außenhandels 253 und der Prozeß der westeuropäischen Handelsintegration als auch die dynamische Entwicklung der Exportnachfrage. Auch traditionelle Handelsbeziehungen spielten eine wichtige Rolle. Überdurchschnittlich hohe Zuwachsraten wurden bei der Ausfuhr in Gebiete erzielt, die bereits in der Zwischenkriegszeit besonders wichtige Exportmärkte der Berliner Elektro- und Metallindustrie gewesen waren wie Skandinavien, Lateinamerika und Ostasien. 254
Die unmittelbaren Effekte des Übergangs zur Marktwirtschaft und zur Zentralplanwirtschaft
im Vergleich
Der Übergang zur Sozialen Marktwirtschaft in West-Berlin und der Übergang zur Zentralplanwirtschaft in Ost-Berlin erfolgten jeweils im Rahmen der Eingliederung in eine Völkswirtschaft, deren Ordnungssystem übernommen wurde. Aus der vergleichenden Perspektive wird bei diesem Vorgang zunächst das unterschiedliche Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft in den jeweiligen institutionellen Ordnungen deutlich. In West-Berlin gab die Politik lediglich die Rahmenbedingungen vor: die Umstellung auf die DM und die Übernahme des westdeutschen Wirtschafts- und Finanzsystems. Über den Erfolg der Eingliederung in die Wirtschaft der Bundesrepublik entschied der Markt, genauer gesagt der westdeutsche Markt.
251
A.a.O., S. 40; WEMA, Statistische Daten 1957..., S. 63 (spanabhebende und spanlose Werkzeug-
maschinen); Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete..., Tab. 1. 252
VBEI, Geschäftsbericht 1959..., Berlin 1960, Anlage; WEMA, Statistische Daten flrdie Eisen-
und Metallindustrie in West-Berlin (ohne Elektroindustrie) 1958, Berlin 1958, S. 96. 253
Vgl. Christoph Buchheim, Die Wiedereingliederung
Westdeutschlands in die
1945-1958 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 31), München 1990. 254
Siehe S. 34.
Weltwirtschaft
III. Die Teilung Berlins
174
Damit bestand von Anfang an auch die Gefahr einer Stagnation oder eines Rückschlags. In Ost-Berlin wurde dagegen der Integrationsprozeß auf allen Ebenen politisch gesteuert. Nicht nur die Transformation des Wirtschaftssystems, sondern auch die Auswirkungen der Eingliederung in die SBZ/DDR auf Produktion, Absatz und Beschäftigungsstand wurden nach politischen Vorgaben geplant. Für die Betriebe bestand dadurch kein Risiko, aber auch kein Anpassungsdruck, obwohl Ost-Berlin gegenüber der SBZ/DDR einen Wachstumsrückstand hatte. Durch die Umstellung auf die DM und die Eingliederung in das marktwirtschaftliche System der Westzonen bzw. der Bundesrepublik wurde die West-Berliner Industrie abrupt dem Wettbewerb mit der überlegenen westdeutschen Konkurrenz ausgesetzt. Der Wettbewerbsdruck zwang die Firmen zu einem Rationalisierungsund Modernisierungsschub. Sie konnten sich nur behaupten, wenn es ihnen gelang, ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem westdeutschen Markt zu verbessern. Dabei wurde der Anpassungsschock in Kauf genommen, den die West-Berliner Industrie wegen des Produktivitätsrückstands gegenüber Westdeutschland erlitt. Die Zahl der Industriebeschäftigten in West-Berlin ging um rund 25% zurück. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen stieg hier bis Anfang 1950 auf mehr als 300.000 an. Die ungünstigen Ausgangsbedingungen und das massive Interesse des Westens an der Stabilisierung West-Berlins führten dazu, daß die Eingliederung dieses Gebiets in die Wirtschaft der Bundesrepublik durch staatliche Hilfsprogramme und Fördermaßnahmen abgestützt wurde. Um die Überlebensfähigkeit West-Berlins zu sichern, waren die Marshallplanverwaltung und die Bundesregierung bereit, die West-Berliner Industrie auch durch Subventionsformen und investitionslenkende Maßnahmen zu stützen, die mit marktwirtschaftlichen Grundsätzen schwer vereinbar waren. Wichtigstes Erfolgskriterium der ERP-Hilfe für West-Berlin war der Abbau der Massenarbeitslosigkeit. Zu einer derartigen regionalen Strukturförderung gab es in Ost-Berlin kein Pendant. Hier bestand zwar keine Massenarbeitslosigkeit, die Wirtschaft im Ostteil Berlins war jedoch mit großen strukturellen Problemen konfrontiert. Die Arbeitslosenquote lag hier noch 1953 über dem Durchschnitt der DDR. 2 5 5 Die SED-Führung beschloß in dieser Phase mehrere Programme zur Förderung des Wiederaufbaus in Ost-Berlin, zu denen auch das Nationale Aufbauprogramm Berlin (NAP) von 1952 gehörte. 2 5 6 Die Strukturprobleme der regionalen Wirtschaft wurden aber nicht aufgegriffen. Der Berliner Zweijahrplan war nichts anderes als eine regionale Ausgabe des Zweijahrplans der SBZ. Entsprechend waren die Erfolgskriterien hier der Sozialisierungsgrad, die Planerfüllung und die Autarkisierung gegenüber dem Westen. 255
Vertrauliches Schreiben des Staatssekretärs im Ministerium für Arbeit, Malter, an den Vorsitzen-
den der SPK, Leuschner, vom 24.6.1953. BArchB, DE 1/9015, Bl. 54. 256
Vgl. hierzu F. Zschaler, Öffentliche Finanzen..., S. 137-141.
Die unmittelbaren
Effekte des Übergangs zur Marktwirtschaft
175
Auf der Ebene der internationalen Wirtschaftsintegration setzten sich die skizzierten Unterschiede dann nach 1950 fort. Durch die Liberalisierung des Güterund Zahlungsverkehrs, die westeuropäische Wirtschaftsintegration und die Rückkehr auf den Weltmarkt wurde der Rationalisierungs- und Modernisierungsdruck auf die West-Berliner Firmen weiter erhöht, während die Ost-Berliner Industrie durch die Eingliederung der DDR in den RGW keinem Anpassungsdruck ausgesetzt war. Die Handelsintegration im Rahmen der OEEC trug wesentlich dazu bei, daß sich das Exportpotential der West-Berliner Industrie rasch entfalten konnte. Dagegen beschränkten sich die Ost-Berliner Industrieexporte in den RGW-Raum weitgehend auf die Lieferung von Erzeugnissen des Schwermaschinenbaus und der elektrotechnischen Industrie in andere RGW-Länder. Der Export der Ost-Berliner Industrie war damit ungleich stärker als vor 1945 auf Länder ausgerichtet, die sich auf einem niedrigeren industriellen und technologischen Entwicklungsstand befanden. Als Modernisierungsbarriere wirkte sich aber auch die Form der Austauschbeziehungen innerhalb des RGW aus. Da die Mitgliedsländer über keine konvertiblen Währungen verfügten, erfolgte der Intra-RGW-Handel auf der Basis von unechten Preisen. Die Industrie Ost-Berlins und der DDR konnte in den anderen RGW-Ländern „weiche" Exportgüter absetzen, die auf dem Weltmarkt nicht absatzfähig 257 waren."'
In beiden Teilen Berlins wurden 1949/50 strukturpolitische Strategien verfolgt, die auf eine Expansion des industriellen Sektors sowie einen vorrangigen Ausbau der elektrotechnischen Industrie und des Maschinenbaus zielten. In West-Berlin wurde dabei bewußt an die Branchenstruktur der Zwischenkriegszeit angeknüpft. Aus beschäftigungspolitischen Gründen erhielt der Ausbau traditionell besonders leistungsfähiger Industriezweige Vorrang, wobei sich die Erwartungen im Fall des Maschinenbaus schon bald als unrealistisch erwiesen. In Ost-Berlin wurde mit dem Ausbau einzelner Bereiche der Investitionsgüterindustrie im Rahmen des Zweijahrplans und des ersten Fünfjahrplans der Niedergang der Konsumgüterindustrie, besonders der ehemals bedeutenden Bekleidungsindustrie, besiegelt. 258 Die 257
Zur Preisbildung im Intra-RGW-Handel: Ch. Buchheim, Wirtschaftliche Folgen..., S. 354 ff. Zum Gesamtkomplex der RGW-Verflechtung: R. Ahrens, Gegenwärtige Wirtschaftshilfe?... 258 Bei einer Planbesprechung vom 10.11.1950 wurden Investitionen für einen der führenden Betriebe der Ost-Berliner Bekleidungsindustrie, die Fortschritt-Werke GmbH, mit der Begründung abgelehnt, daß der Schwerpunkt dieser Branche von Berlin in den Süden der DDR verlagert werden sollte. Für die gesamte Leichtindustrie, die überwiegend zur örtlich geleiteten Industrie gehörte, wurden vom Magistrat keine Investitionsmittel bereitgestellt. Planbesprechung vom 11.10.1950, BArchB, DE 1/ 11300, Bl. 6. In der Phase des „Neuen Kurses" wurde die Haltung der Plankommission und der Magistratsverwaltung gegenüber der Ost-Berliner Bekleidungsindustrie dann auch von der Berliner SED scharf kritisiert. In einer internen Bilanz des SED-Landesvorstands über die Entwicklung während des ersten Fünfjahrplans wurden den Wirtschaftsverwaltungsbehörden „ernsthafte Versäumnisse" gegenüber der Bekleidungsindustrie vorgeworfen. Entwicklung der Industrieproduktion im ersten Fünfjahrplan, SAPMO-BArch, BPA, IV 2/6/832.
176
III. Die Teilung Berlins
Struktureffekte der zentralen Wirtschaftsplanung in diesem Zeitraum sollten insgesamt nicht überschätzt werden. Doch trugen sie entscheidend dazu bei, daß auch im Bereich der Investitionsgüterproduktion einige potentiell besonders leistungsfähige Zweige der Ost-Berliner Industrie wie der leichte Werkzeugmaschinenbau zurückblieben. In der gesamten DDR zielten die Veränderungen der Jahre 19491952 auf eine Industriestruktur, „die eine konsequente Hinwendung zu zukunftsträchtigen Erzeugnissen hemmte". 259 Durch die institutionell bedingten Unterschiede im Entwicklungsverlauf entstand in den Jahren nach 1949 ein ausgeprägtes Leistungsgefälle zwischen West-Berlin und Ost-Berlin. In der metallverarbeitenden Industrie West-Berlins wurden die Ausrüstungen modernisiert. Dieser Vorgang vollzog sich entgegen dem äußeren Eindruck nicht schlagartig, sondern als längerer Prozeß, wozu auch die spezifische beschäftigungspolitische Ausrichtung der ERP-Hilfe für West-Berlin beitrug. 1952 waren in der metallverarbeitenden Industrie West-Berlins noch 62% der Maschinen älter als zehn Jahre, 29% sogar älter als zwanzig Jahre. 260 In den Großbetrieben der Elektroindustrie und des Maschinenbaus, die bei der Vergabe der ERP-Investitionskredite vorrangig berücksichtigt wurden, dürfte der Anteil neuer Maschinen deutlich höher gelegen haben. 261 Ein anderes Beispiel ist die Firma Jung-Schleifmaschinen, H. Gaub, die nach der Enteignung in Ost-Berlin ab Anfang 1950 in West-Berlin neu aufgebaut wurde und sich schon vier Jahre später zu den modernsten Werkzeugmaschinenfabriken Deutschlands zählen konnte. 262 In der Ost-Berliner Elektro- und Metallindustrie wurde der technische Stand der Ausrüstungen wie auch der Erzeugnisse dagegen bis Mitte der fünfziger Jahre nicht wesentlich verbessert. Nach Angaben von Mühlfriedel und Wießner wurden während der Jahre 1950-1955 in der gesamten metallverarbeitenden Industrie der DDR nur rund 3% aller Investitionen für die Modernisierung der Ausrüstungen verwandt. 263 Mit wenigen Ausnahmen mußten sich die Betriebe weiterhin auf den stark überalterten Maschinenpark stützen, der nach den Demontagen behelfsmä259 Wolfgang Mühlfriedel, Zur technischen Entwicklung..., in: A. Schild/A. Sywottek (Hrsg.), Modernisierung..., S. 169 (Zitat) u. S. 159 ff. 260 Die alten Maschinen, in: DBW, 2. Jg. (1952), Nr. 50, S. 1552. Nach Ansicht der Zeitschrift Die Berliner Wirtschaft war der Anteil alter Maschinen damit „wesentlich größer, als im allgemeinen angenommen wird". Ebda. 261 So war z. B. in der AEG-Turbinenfabrik durch die „neuen Werkzeugmaschinen, die nunmehr aus dem Westen herangeschafft werden konnten... die Voraussetzung für genaues und rationelles Arbeiten wieder gegeben". 75 Jahre Turbinenfabrik..., S. 38. Mitte 1951 wurden hier bereits „Maschinen modernster Bauart bis zu den größten Leistungen hergestellt". Elektro-Ausfuhr der AEG steigt weiter, in: Die Neue Zeitung vom 27.5.1951. In Siemensstadt war das S&H-Wernerwerk für Fernmeldetechnik 1952 wieder in der Lage, „modernste Sendeanlagen zu schaffen". Wiederauflau in Berlin-Siemenstadt..., S. 25. 262
Tempelhof..., S. 160. Die Angabe bezieht sich auf den Bereich des Ministeriums für Maschinenbau. W. Mühlfriedel/ K. Wießner, Die Geschichte..., S. 251. 263
Die unmittelbaren Effekte des Übergangs zur Marktwirtschaft
177
ßig wieder aufgebaut worden war. Im VEB Elektrokohle Lichtenberg (ehemals Siemens-Plania), einem traditionell exportorientierten Großbetrieb der Ost-Berliner Elektroindustrie, waren noch 1956 Maschinen aus dem Jahr 1895 (!) in Betrieb. 2 6 4 In anderen Ost-Berliner Großbetrieben war die Lage nicht grundsätzlich besser. 2 6 5 Auf der Erzeugnisebene konnte die Rekonstruktion des Vorkriegsniveaus in der gesamten DDR-Industrie erst Mitte der fünfziger Jahre abgeschlossen werden. 2 6 6 Eine grundlegende Modernisierung der Ausrüstungen, wie sie in der West-Berliner Industrie nach 1949 begann, wäre in Ost-Berlin wie in der DDR nur durch einen massiven Transfer von Technik und Kapital aus dem Westen möglich gewesen. Die Auflösung der gesamtdeutschen Verflechtung, das niedrige Investitionsniveau und die mit dem Ausbau der Eigenversorgung einhergehende Konzentration der Investitionsmittel auf die Schwerindustrie und die Energiewirtschaft führten dazu, daß die Ost-Berliner Betriebe kaum neue, hochwertige Maschinen beschaffen konnten. Anders als in West-Berlin waren die Betriebe hier aber auch nicht in der Lage, die vorhandenen Ausrüstungen effizient zu nutzen, bedingt durch die einseitige Ausrichtung auf ein quantitatives Produktionswachstum, durch wechselnde und realitätsferne Planvorgaben, durch Mängel in der Produktionsorganisation, durch technische und kaufmännische Inkompetenz oder auch nur durch das Ausbleiben von Ersatzteilen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Entwicklung im TRO, das damals zu den Schwerpunktbetrieben Ost-Berlins gehörte. „Trotzdem scheinbar die Arbeitsproduktivität des Einzelnen steigt", schrieb die Direktion des TRO in einem Lagebericht aus dem Jahr 1955, „sinkt die Arbeitsproduktivität der Allgemeinheit, die Inanspruchnahme der Maschine bei falscher Anwendung der Technik führt zu Ausfallzeiten und zu erhöhten Kosten und die Nacharbeit verlangt eine nochmalige Inanspruchnahme von Lohngeldern". 2 6 7 Nach einer Schätzung des VBEI lag die Produktion je Beschäftigten der Elektroindustrie 1952 in Ost-Berlin und in der DDR etwa bei 78% des West-Berliner bzw. bei 65% des westdeutschen Niveaus. 2 6 8 Tatsächlich dürfte das Gefälle noch größer gewesen sein, weil die damalige Berichterstattung des VBEI dazu neigte, 264
Moderne Technikßr
265
Dem VEB Bergmann-Borsig, der den wichtigsten Investitionsschwerpunkt des Berliner Zwei-
Elektrokohle, in: Berliner Zeitung vom 26. 4. 1956.
jahrplans bildete, bescheinigte eine Inspektions-Abteilung der SPK 1951 „die stärksten Mängel in der maschinellen Ausrüstung". Bericht vom 7. 8.1951 über Untersuchungen der Elektro- und Kraftmaschinenproduktion, BArchB, DE 1/8010, Bl. 11. 266
W. Mühlfriedel, Zur technischen Entwicklung..., S. 158 ff.
267
Der Betrieb schloß 1954 mit einem Verlust von 1,1 Mio. M ab. Allein durch nicht eingeplante
Ausschußarbeiten und Nacharbeiten waren zusätzliche Kosten in Höhe von 360.000 M entstanden. Weitere 278.000 M nicht eingeplanter Kosten kamen für „gesellschaftliche Verpflichtungen" hinzu. 1951 hatte der Verlust freilich noch um 6 Mio. M höher gelegen als 1954. Die allgemeine Lage des Betriebes und die sich daraus ergebenden Aufgaben (1955), LAB(STA), Rep. 411/397. 268
VBEI, Geschäftsbericht 1952..., S. 23 u. 37.
178
III. Die Teilung Berlins
die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Elektroindustrie zu überschätzen.269 Mitte 1948 hatte das Produktivitätsniveau in beiden Teilen Berlins noch ähnlich hoch gelegen und daran hatte sich bis zur Aufhebung der Blockade nur wenig geändert. Somit war während der Jahre 1949-1952 ein mehr als 20%iges Leistungsgefälle zwischen West-Berlin und Ost-Berlin entstanden, das unmittelbar durch die Einführung unterschiedlicher Wirtschaftsordnungen bedingt war. Die West-Berliner Betriebe hatten zu diesem Zeitpunkt zwar das westdeutsche Niveau noch nicht erreicht, aber sie befanden sich im Unterschied zu den Ost-Berliner Werken in einem beschleunigten Aufholprozeß.
269
Vgl. ders., Geschäftsbericht 1954..., S. 38.
VIERTES KAPITEL
Die Branchenentwicklung im geteilten Berlin (1950-1990)
Wachstum und Krisen der fünfziger Jahre West-Berlin: Der Aufschwung der elektrotechnischen Industrie Die Entwicklung der West-Berliner Elektroindustrie in den fünfziger Jahren war durch ein außergewöhnlich hohes Wachstum gekennzeichnet. Der Umsatz zu laufenden Preisen stieg auf das Fünffache an, das Exportvolumen sogar auf das Zwölffache. Der Produktionsindex lag 1950 noch bei 37% des Vorkriegsstands. Schon Ende 1954 wurde das Produktionsniveau von 1936 wieder erreicht, 1959 lag die Produktion dann bereits um 50% über dem Vorkriegsstand (siehe TABELLE 17). 1
Der Aufschwung in der elektrotechnischen Industrie führte ab 1953 zu einer spürbaren Entlastung des West-Berliner Arbeitsmarkts. Bis Ende der fünfziger Jahre entstanden in der West-Berliner Elektroindustrie mehr als 50.000 neue Arbeitsplätze. Das Ziel des Long-Term-Plans, eine Steigerung der Beschäftigtenzahl auf 90.000, wurde im September 1956 erreicht.2 1960 übertraf die Beschäftigtenzahl dann erstmals den Stand von 1936. 1961 wurde mit rund 115.000 Beschäftigten im Jahresdurchschnitt der höchste Stand der Nachkriegszeit erreicht (siehe TABELLE 17). Der Zahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze nach war die elektrotechnische Industrie während der fünfziger Jahre die wichtigste Wachstumsbranche in West-Berlin. Der Produktionsindex lag hier seit 1952 höher als in der gesamten West-Berliner Industrie.3 Den Produktivitätsrückstand gegenüber dem Bundesgebiet holte die West-Berliner Elektroindustrie rascher auf als dies in der gesamten West-Berliner Industrie der 1 Nach Berechnungen der Senatsverwaltung für Wirtschaft lag der Nettoproduktionsindex der WestBerliner Elektroindustrie im Dezember 1954 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg über dem Stand von 1936 (arbeitstäglich). LAB, Rep. 10, Acc. 4253/725. Das Exportvolumen erhöhte sich zwischen 1950 und 1959 von 36 Mio. DM auf 428 Mio. DM (in laufenden Preisen). VBEI, Geschäftsbericht 1959..., Anlage. 2
Am 30. 9.1956 waren in der West-Berliner Elektroindustrie 90.449 Personen beschäftigt. Statistisches Jahrbuch Berlin 1957..., Berlin 1958, S. 119. 3
K. Pritzkoleit, Berlin..., S. 199 f.
180
IV. Die Branchenentwicklung
im geteilten
Berlin
Fall war. 1956 wurde das westdeutsche Produktivitätsniveau erreicht.4 1950 hatte die Arbeitsproduktivität der elektrotechnischen Industrie in West-Berlin noch um rund 25% niedriger gelegen als in Westdeutschland.5 TABELLE 17
Beschäftigte,
Umsatz und Produktion der West-Berliner Elektroindustrie
Jahr
Beschäftigte*
1936
112.800
1950
53.111
1951
Umsatz in Mio. DM*
1950-1961
Produktion in Mio. Produktionsindex+ DM**
(1936 = 100)
736#
100
478
461
37
61.969
744
736
55
1952
61.781
855
823
59
1953
62.409
934
915
65
1954
70.422
1.160
1.156
86
1955
83.619
1.509
1.528
114
1956
89.050
1.733
1.755
126
1957
92.213
1.807
1.780
129
1958
97.758
1.916
1.927
139
1959
102.485
2.111
2.127
150
1960
109.785
2.403
2.420
173
1961
115.039
2.659
2.690
193
Ziel Long-
90.000
1.140
Term-Plan
* Jahresdurchschnitt der Beschäftigten nach der VBEI-Statistik # RM, in Preisen von 1936 ** nach der VBEI-Statistik (technische Einheiten; laufende Preise) + arbeitstäglich Quellen: VBEI, Geschäftsbericht 1952..., S. 20 u. Anlage la; 1954, S. 20 f.; a.a.O. 1956/11, S. 3. u. 7; a.a.O. 1958, S. 32; a.a.O. 1959, S. 31 u. Anlage; a.a.O. 1961, S. 5-11; a.a.O. 1970, S. 60; Bedingungen und Möglichkeiten..., S. 31; W. Matz, Struktur..., S. 140-151; K. G. Mahnke, Beitrag...', K. Pritzkoleit, Berlin..., S. 100 f. (mit abweichenden Indexzahlen für die Jahre 1952/53). 4
Nach dem Geschäftsbericht des VBEI hatte „die Westberliner Elektroindustrie in 1956 bezüglich der Arbeitsproduktivität je Beschäftigten mit der westdeutschen praktisch gleichgezogen". VBEI, Geschäftsbericht 1956, Berlin 1957, S. n/4. Die Arbeitsproduktivität der gesamten West-Berliner Industrie lag zu diesem Zeitpunkt noch um fast 15% unter dem Niveau der westdeutschen Industrie. Berechnet nach a.a.O., S. 1/16. 5 A.a.O., S.II/4.
181
Wachstum und Krisen der fiinfziger Jahre
Der Abbau des Produktivitätsrückstands erforderte hohe Investitionen. Die Investitionsintensität der Branche, gemessen an den Brutto-Anlageinvestitionen je Beschäftigten, lag daher in West-Berlin bis 1956 deutlich über dem Bundesdurchschnitt (siehe TABELLE 18). Das Beschäftigungsniveau wurde zwischen 1951 und 1953 fast konstant gehalten und nahm erst in den folgenden Jahren - dann allerdings kräftig - zu (siehe TABELLE 17). TABELLE 18
Brutto-Anlageinvestitionen in der Elektroindustrie
1950-1956
West-Berlin Bundesrepublik
je
Beschäftigten
West-Berlins und der
Bundesrepublik
in DM
1950
1952
1953
1955
1956
1.145
1.330
1.350
1.724
1.978
890
980
1.070
1.310
1.450
Quellen: A. Kuehn, Investitionen..., S. 58; E. R. Baumgart, Investitionen..., S. 129.
Trotz der äußeren Bedrohung nach dem Chruschtschow-Ultimatum vom November 1958 überwog am Ende der fünfziger Jahre eine optimistische Einschätzung der zukünftigen Standortentwicklung, wie sie auch durch das im Februar 1960 eingeweihte Telefunken-Gebäude am Ernst-Reuter-Platz („Haus der Elektrizität") symbolisiert wurde.6 Vor dem Hintergrund der ungünstigen Ausgangsbedingungen mußte der Aufschwung der West-Berliner Elektroindustrie in den fünfziger Jahren als „einzigartiger Wiederaufbau" erscheinen.7 Im Vergleich mit dem Bundesgebiet blieb die Branchenentwicklung in West-Berlin freilich hinter manchen Erwartungen zurück. Der Nettoproduktionsindex (1936 = 100) der elektrotechnischen Industrie lag Anfang 1957 im Bundesgebiet bei 563, in West-Berlin bei 136.8 Der Produktionszuwachs war in West-Berlin nur während der Jahre 1950-1952 höher als in Westdeutschland. Seit 1952 war der Anteil West-Berlins an der bundesdeutschen Elektroproduktion rückläufig.9 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zeigten sich dann deutliche Anzeichen dafür, daß die Dynamik des Aufschwungs in der West-Berliner Elektroindustrie nachließ. Die Investitionen gingen massiv zurück, 6
Symbol des Vertrauens, in: DBW, 10. Jg. (1960), Nr. 6, S. 184. Das Telefunken-Hochhaus war damals das höchste Haus Berlins. Bis 1966 war hier die Hauptverwaltung von Telefunken untergebracht. 1975 wurde das Gebäude an das Land Berlin verkauft. 7
Friedrich Sarow, Elektrostandard aus Berlin, in: Berlin. Gesamtredaktion: M. Müller-Jabusch/ J. Reiss, S. 121. 8 LAB, Rep. 10, Acc. 4253/725. 9
W. Matz, Struktur..., S. 15 u. 111; M. Breitenacher u. a., Elektrotechnische Industrie..., S. 18 u. 86.
182
IV. Die Branchenentwicklung im geteilten Berlin
nachdem das westdeutsche Produktivitätsniveau erreicht worden war.10 Die Wachstumsdynamik in den Jahren 1950-1955 wurde also wesentlich vom Aufholen des Rückstands gegenüber dem Bundesgebiet getragen (catching-up). Die konjunkturelle Entwicklung während der fünfziger Jahre zeichnete sich durch drei Boomphasen aus. Auf die Investitionsgüterkonjunktur der Jahre 1950/51 folgte eine Abkühlung, die wiederum von einer fast dreijährigen Hochkonjunktur abgelöst wurde. Der Umsatz der West-Berliner Elektroindustrie nahm während dieser Phase in laufenden Preisen um fast 100% zu. 1955 wurde mit einer Umsatzsteigerung von 29% und einem Beschäftigtenzuwachs von 18% zum erfolgreichsten Jahr der gesamten Nachkriegszeit. 1957/58 verlangsamte sich das Wachstum durch einen Rückgang der Investitionsgüternachfrage im gesamten Bundesgebiet. In der anschließenden Hochkonjunktur der Jahre 1959/60 konnten wiederum außergewöhnlich hohe Zuwachsraten erzielt werden, obwohl sich zugleich der politische Konflikt um den Status West-Berlins nach dem Chruschtschow-Ultimatum zur zweiten Berlin-Krise zuspitzte (siehe TABELLE 17). Das Wachstum der West-Berliner Elektroindustrie während der fünfziger Jahre lag im Trend der Branchenentwicklung in der Bundesrepublik. Die elektrotechnische Industrie gehörte auch hier zu den wichtigsten Wachstumsbranchen mit einem weit überdurchschnittlichen Produktionszuwachs.11 Die Jahre 1950-1955 waren in dieser Branche eine „Phase der rapiden Kapazitätsausweitung".12 Das Wachstum der westdeutschen Elektroindustrie während der fünfziger Jahre war entscheidend durch die Nachfrageentwicklung in der Bundesrepublik und auf dem Weltmarkt bedingt. Der Kapazitätsausbau der Jahre 1950-1955 wurde speziell von der Nachfrage nach starkstromtechnischen Investitionsgütern getragen. Der Nachholbedarf der westdeutschen Energiewirtschaft, die weltweite Investitionsgüterkonjunktur und der steigende Energiebedarf führten in diesem Bereich zu besonders hohen Zuwachsraten.13 Nach dem Abkühlen des Investitionsgüterbooms stieg in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die Nachfrage nach elektrotechnischen Verbrauchsgütern im Zusammenhang mit der Elektrifizierung der privaten Haushalte steil an. 14 Sowohl im Investitionsgüter- als auch im Verbrauchsgüterbereich 10
A. Kuehn, Investitionen..., S. 58; Wolfgang Watter, Anlageinvestitionen
und Anlagevermögen
in
Berlin (West) 1950 bis 1965 (= DIW-Beiträge zur Strukturforschung, H. 2), Berlin 1967, S. 66 f. 11
Die Produktion stieg zwischen 1950 und 1960 in der elektrotechnischen Industrie der Bundesrepu-
blik um durchschnittlich 15,7% pro Jahr, in der gesamten Industrie der Bundesrepublik um 9,7% pro Jahr (gemessen am Index der industriellen Nettoproduktion). M. Breitenacher u. a., Elektrotechnische Industrie..., S. 21. 12
Otto Karl Volk, Die Bestimmungsfaktoren ßr das Wachstum der deutschen Elektroindustrie
nach
dem Kriege, Rer. pol. Diss. Köln 1963, S. 44. 13
A.a.O., S. 68-212. Zur Entwicklung des Stromaufkommens nach 1950 vgl. Thomas Herzig, Wirt-
schaftsgeschichtliche
Aspekte der deutschen Elektrizitätsversorgung
¡880 bis 1990, in: Wolfram Fi-
scher (Hrsg.), Die Geschichte der Stromversorgung, Frankfurt/M. 1992, S. 145 ff. 14
O. K. Volk, Die Bestimmungsfaktoren...,
S. 213-303.
Wachstum und Krisen der fünfziger
Jahre
183
war das Wachstum zunehmend exportinduziert. Die Exportquote der bundesdeutschen Elektroindustrie stieg von 9,3% (1950) auf 21,7% (1960). Der Anteil der Bundesrepublik an der Weltelektroausfuhr erhöhte sich von 5,5% (1950) auf 21,6% (i960). 15 Die Expansion der bundesdeutschen Elektroindustrie in den fünfziger Jahre setzte auch Veränderungen auf der Angebotsseite voraus. Die Unternehmen mußten produktionstechnische und technologische Rückstände aufholen. Mit dem Exportgeschäft nahmen daher die Investitionsintensität und die FuE-Aufwendungen deutlich zu. 16 Ein weiterer Faktor war das Arbeitskräfteangebot. Die elektrotechnische Industrie der Bundesrepublik konnte sich auf ein großes Potential qualifizierter Arbeitskräfte stützen, das durch die Fluchtbewegung und die Abwanderung aus dem Osten kontinuierlich zugenommen hatte. TABELLE 1 9
Produktions- und
Konsumgütererzeugung
in der West-Berliner Elektroindustrie
1951-1959.
Anteile an der Produktion in v. H.
1951
1952
1955
1957
1959
Produktionsgüter
82
87
89
86
81
Konsumgüter
18
13
11
14
19
Quellen: VBEI, Geschäftsbericht 1956/11..., S. 9; a.a.O. 1959, Anlage.
Die West-Berliner Elektroindustrie konnte vom Investitionsgüterboom der frühen fünfziger Jahre besonders profitieren. Die starkstromtechnische Investitionsgüterindustrie bildete hier neben der Nachrichtengeräteindustrie traditionell den wichtigsten Produktionszweig. Die Kapazitätsauslastung lag niedriger als im übrigen Bundesgebiet.17 Die West-Berliner Betriebe konnten daher auf die steigende Nach15 Bundesrepublik einschließlich West-Berlin. W. Matz, Struktur..., S. 15 u. 111; M. Breitenacher u. a., Elektrotechnische Industrie..., S. 18 u. 86. 16
Zur Entwicklung der Brutto-Anlageinvestitionen in der elektrotechnischen Industrie Westdeutschlands und West-Berlins zwischen 1950 und 1956 siehe TABELLE 18. Zur Intensivierung der FuE-Tätigkeit in den frühen fünfziger Jahren vgl. F. Trendelenburg, Aus der Geschichte..., S. 260 ff.; Michael Ekkert/Maria Osietzki, Wissenschaft ßr Macht und Markt. Kernforschung und Mikroelektronik in Deutschland, München 1989, S. 138-160; Paul Erker, Forschung und Entwicklung in der Transistortechnologie. Entscheidungszwänge und Handlungsspielräume am Beispiel Siemens und Philips, 19471960, in: Technikgeschichte, Bd. 60 (1993), H. 3, S. 267-284. 17 Nach einer Untersuchung der Berliner Zentralbank waren die Kapazitäten der West-Berliner Elektroindustrie auch im Boomjahr 1951 lediglich zu 75-80% ausgenutzt. Unausgenutzle Kapazitäten der Westberliner Industrie, in: DBW, 1. Jg. (1951), Nr. 29, S. 852.
184
IV. Die Branchenentwicklung
im geteilten Berlin
frage in diesen Produktionszweigen flexibler reagieren als die westdeutschen Hersteller. Entsprechend nahm der Anteil der Investitionsgüterfertigung an der WestBerliner Elektroproduktion bis Mitte der fünfziger Jahre zu. Zwischen der Investitions- und der Konsumgütererzeugung wurde damit die Relation der Zwischenkriegszeit wiederhergestellt, nachdem die Verbrauchsgüterfertigung unter den Bedingungen der ersten Nachkriegsjahre vorübergehend an Gewicht gewonnen hatte (siehe TABELLE 19).
Wegen des hohen Anteils der Investitionsgüterproduktion blieb die West-Berliner Elektroindustrie dann während der Verbrauchsgüterkonjunktur in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hinter der Branchenentwicklung im Bundesgebiet zurück. Der Anteil West-Berlins an der elektrotechnischen Produktion in der Bundesrepublik (einschließlich West-Berlin) hatte zwischen 1950 und 1952 von 12,9% auf 13,5% zugenommen. Bis 1960 ging dieser Anteil auf 12,4% zurück.18 Vom Investitionsgüterboom der Jahre 1959/60 konnte die elektrotechnische Industrie in West-Berlin dann aufgrund ihrer Produktionsstruktur wieder überproportional stark profitieren. Verglichen mit dem Bundesgebiet war die Produktion elektrotechnischer Verbrauchsgüter in West-Berlin durchweg unterrepräsentiert. Obwohl SSW Mitte der fünfziger Jahre in Siemensstadt ein neues Hausgerätewerk für die Kühlschrank- und Waschmaschinenproduktion errichtete und der Anteil der Verbrauchsgüterfertigung an der West-Berliner Elektroproduktion ab 1955 wieder deutlich zunahm, blieb die elektrotechnische Konsumgüterindustrie in West-Berlin vergleichsweise schwach vertreten.19 In seinem Geschäftsbericht 1956 betonte der VBEI: „Die Herstellung von Produktionsgütern ist offenbar in dem Berliner Boden verwurzelt; sie muss hier als bodenständig gelten."20 Der Export der elektrotechnischen Industrie nahm in West-Berlin ebenso wie in der gesamten Bundesrepublik während der fünfziger Jahre überproportional stark zu. Nach der Industrieberichterstattung stieg die Exportquote der West-Berliner Elektroindustrie zwischen 1950 und 1959 von 9,6% auf 19,4%. Der Anteil der Branche am West-Berliner Industrieexport erhöhte sich von 42,9% (1950) auf 50,8% (1959).21 Der Anteil des Übersee-Exports lag dabei Ende der fünfziger Jahre höher als in der westdeutschen Elektroindustrie. Wichtigster europäischer Export-
18
W. Matz, Struktur..., S. 151 ff.; M. Breitenacher u. a., Elektrotechnische
19
Während in West-Berlin 1956 nur 12% der elektrotechnischen Produktion auf Verbrauchsgüter
Industrie...,
entfielen, lag dieser Anteil in der Elektroindustrie der Bundesrepublik bei 34%. Mehr
S. 35. Elektro-Konsum-
giiter aus Berlin, in: Der Tag vom 5 . 4 . 1 9 5 7 . 20
VBEI, Geschäftsbericht
21
W. Matz, Struktur...,
1956..., S. II/6.
S. 113; VBEI, Geschäftsbericht
1959..., S. 32 u. Anlagen. Zur Entwicklung
des Auslandsgeschäfts bei Siemens in diesem Zeitraum vgl. W. Feldenkirchen, Siemens...,
S. 287 ff.
Wachstum und Krisen der fünfziger Jahre
185
markt war zu diesem Zeitpunkt Skandinavien vor den Niederlanden, Österreich, Italien und der Schweiz. 2 2 Einen weiteren wichtigen Nachfragefaktor bildete die gezielte Vergabe öffentlicher Aufträge nach West-Berlin. Bundesbehörden und bundeseigene Unternehmen hatten bei der Auftragsvergabe Angebote aus West-Berlin bevorzugt zu berücksichtigen, nachdem West-Berlin Anfang der fünfziger Jahre zum Notstandsgebiet erklärt worden war. Zusätzlich wurde die Vergabe von Aufträgen öffentlicher Unternehmen nach West-Berlin noch über das ERP-Auftragsfinanzierungsprogramm gefördert. Nach Einschätzung des VBEI bildeten die Auftragsfinanzierungskredite neben den Investitionskrediten das „Rückgrat unseres Industriezweiges". 23 Von den öffentlichen Aufträgen und den ERP-Auftragsfinanzierungskrediten profitierte die elektrotechnische Industrie stärker als alle anderen Industriezweige West-Berlins. Das Behördengeschäft war in dieser Branche traditionell von großer Bedeutung. Die in West-Berlin vertretenen Unternehmen der Elektroindustrie gehörten zu den wichtigsten Lieferanten von Bundespost und Bundesbahn. So belief sich das Auftragsgrundprogramm der Bundespost zur Förderung der Westberliner Wirtschaft beispielsweise im Jahr 1955 auf 92,5 Mio. DM. Davon entfielen rund 98% auf den Bereich Fernmeldewesen. Von der Bundesbahn wurden im gleichen Jahr Aufträge im Gesamtwert von 188,7 Mio. DM nach West-Berlin vergeben, an denen die elektrotechnische Industrie mit rund 50% beteiligt war. 24 Der Ausbau des Fernmeldewesens und die Modernisierung der Verkehrssysteme im Bundesgebiet sicherten der Femmeldegeräteindustrie und Teilen der starkstromtechnischen Investitionsgüterindustrie (Elektromotorenbau) West-Berlins hohe Umsatzsteigerungen. Neben der Nachfrageentwicklung trugen angebotsseitige Faktoren entscheidend zum Wachstum der Branche in den fünfziger Jahren bei. Für West-Berlin galt dies noch stärker als für das Bundesgebiet, da der Beschäftigungsstand und das Lohnniveau hier deutlich niedriger lagen. Wegen des niedrigen Beschäftigungsniveaus bestand in West-Berlin während der fünfziger Jahre ein größeres Reservoir an qualifizierten Arbeitskräften als in vielen westdeutschen Ballungszentren. An den wichtigsten Standorten der elektrotechnischen Industrie im Bundesgebiet führte das sprunghafte Wachstum der Branche schon bald zu einer Ausschöpfung des Arbeitsmarkts für qualifizierte Arbeitskräfte. In West-Berlin stieß die Elektroindustrie dagegen erst gegen Ende der fünfziger Jahre an die Kapazitätsgrenze des Arbeitsmarkts.
22
VBEI, Geschäftsbericht
1959..., S.32 u. Anlagen; a.a.O. 1958, Berlin 1959, S. 24; M. Breite-
nacher u. a., Elektrotechnische Industrie..., S. 88 ff. 23
VBEI, Geschäftsbericht 1958..., S. 38.
24
A.a.O. 1956, S. 11/17 f.
186
IV. Die Branchenentwicklung
im geteilten Berlin
Der Bruttowochenverdienst eines Arbeiters in der metallverarbeitenden Industrie West-Berlins erreichte im Jahr 1951 nur knapp 90% des westdeutschen Niveaus. In der elektrotechnischen Industrie lag der Bruttowochenverdienst eines Arbeiters in West-Berlin dann 1958 zwar nur noch um 3% niedriger als im Durchschnitt des Bundesgebiets, aber um mehr als 10% niedriger als in Hamburg, einer Stadt von vergleichbarer Größe (siehe TABELLE 20). Das niedrigere Lohnniveau glich die standortbedingten Kostennachteile der West-Berliner Betriebe zumindest teilweise aus. Mit Rücksicht auf den Arbeitsmarkt verzichteten die Gewerkschaften darauf, die Anpassung an die westdeutschen Tarife zu fordern, solange das Produktivitätsniveau des Bundesgebiets noch nicht erreicht war. Bis dahin stiegen die Löhne denn auch in West-Berlin weniger stark an als in Westdeutschland.25 Das im Vergleich mit dem Bundesgebiet niedrigere Lohnniveau und das vorhandene Reservoir an Arbeitskräften waren Anreize, die den Aufbau neuer Kapazitäten an diesem Standort während der fünfziger Jahre stärker begünstigten als das Instrumentarium der Berlin-Förderung.26 TABELLE 2 0
Bruttowochenverdienste in der metallverarbeitenden
der Arbeiter und Arbeiterinnen Industrie und in der Elektroindustrie
der Bundesrepublik, West-Berlins und Hamburgs 1951-1960 in DM* Metallverarbeitende
Elektroindustrie
Industrie
Bundesrepublik
West-Berlin
Hamburg
1951
1955
1958
1960
Arbeiter
79,63
100,38
108,60
109,34**
Arbeiterinnen
49,08
61,85
71,89
Arbeiter
71,44+
86,29
104,95#
Arbeiterinnen
48,18+
56,15
71,28#
100,28#
118,25#
65,56#
80,47#
Arbeiter Arbeiterinnen
100,94**
* Monatsdurchschnittswerte sofern nicht anders gekennzeichnet ** Durchschnitt aller Arbeiterinnen und Arbeiter + Stand September
# Stand August
Quelle: Stat. Jahrbuch ßr die Bundesrepublik
25
A. Kuehn, Investitionen...,
lin und in der sowjetischen 26
Siehe S. 449 ff.
Deutschland
1956-1961...
S. 112; Rudolf Meimberg, Die wirtschaftliche
Zone, Berlin-München 1952, S. 21 u. 95 ff.
Entwicklung in Westber-
Wachstum und Krisen derßnfziger
Jahre
187
Eine unabdingbare Voraussetzung für den Aufschwung der West-Berliner Elektroindustrie in den fünfziger Jahren war schließlich die Konsolidierung der Kapitalbasis. Zwischen 1950 und 1952 wurden mehr als 80% der Investitionen über ERPKredite finanziert. Ab 1953 konnten dann über 50% der Brutto-Anlageinvestitionen aus Eigenmitteln der Unternehmen aufgebracht werden. 27 Die Liquidität hatte sich also entscheidend verbessert, besonders in den „zweibeinigen" Unternehmen der Siemens- und der AEG-Gruppe. Welche Bedeutung dieser Faktor hatte, zeigt der Vergleich mit dem finanziell schlechter ausgestatteten Maschinenbau West-Berlins. Während der zweiten Berlin-Krise von 1959/61 wurde das staatliche Förderinstrumentarium durch Abschreibungspräferenzen und zusätzliche ERP-Kredite weiter ausgebaut. Der BDI, die BDA und der DIHT riefen die westdeutsche Wirtschaft dazu auf, West-Berlin mit zusätzlichen Aufträgen und Investitionen zu unterstützen („Wirtschaftsbrücke"). 28 Die Fördermaßnahmen des Bundes und die Initiative der industriellen Dachverbände konnten nicht verhindern, daß die Investitionstätigkeit in West-Berlin hinter der Bundesrepublik zurückblieb. 29 Trotz der äußeren Bedrohung fand aber keine Kapitalflucht statt. Absolut gesehen nahmen die Bruttoanlageinvestitionen in West-Berlin 1959 sogar um 5,0% zu, 1960 um 7,5%. Wirtschaftssenator Hertz führte diesen Zuwachs hauptsächlich auf die Abschreibungsvergünstigungen zurück. 30 Großunternehmen wie die Brown Boveri & Cie (BBC) und die Robert Bosch GmbH dehnten nach Einführung der neuen Präferenzen ihre Aktivitäten in West-Berlin aus. 31 Der West-Berliner Elektroindustrie kam während der zweiten Berlin-Krise auch die günstige konjunkturelle Entwicklung zugute. Durch den damaligen Investitionsgüterboom waren die Kapazitäten der Elektro- und Metallindustrie in der gesamten Bundesrepublik bis an die Grenze ausgelastet. Eine 1960 erschienene Überblicksdarstellung stellte für die West-Berliner Elektroindustrie fest: „Seit der Kreml im Herbst 1958 den erneuten Nervenkrieg um Berlin begonnen hat, ergießt sich eine verstärkte Auftragswelle aus dem Westen über die alte und künftige Hauptstadt." 32 27
Siehe TABELLE 16, S. 166. Eine vom BDI unter Fritz Berg einberufene Konferenz zur Koordinierung der Unterstützungsmaßnahmen fand im Dezember 1959 in Altena/Westfalen statt. H. Krafft, Marktwirtschaft..., S. 221. 28
29
Karl Schiller, Die Berliner Wirtschaftspolitik als Probefall der marktwirtschaftlichen Ordnung unter besonderen politischen Belastungen, in: ders., Berliner Wirtschaft und deutsche Politik, Reden und Aufsätze 1961-1964,2. Aufl., Stuttgart 1965, S. 145-148. 30 Schreiben an den Senator für Finanzen, Wolff, vom 23. 8.1960, LAB, Rep. 10, Acc. 4253/736. 31 BBC in Berlin, in: ERP und die Stadt Berlin..., S. 124; Bosch baut in Berlin aus, in: Die Welt vom 26. 5.1959. 32 F. Sarow, Elektrostandard..., S. 121. Vgl. hierzu auch VBEI, Geschäftsbericht 1959..., S. 1 f. u. 21 ff. Zur zweiten Berlin-Krise siehe Michael Lemke, Die Berlin-Krise. 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielräume der SED im Ost-West-Konflikt (= Zeithistorische Studien, Bd. 5), Berlin 1995; B. Ciesla/M. Lemke/Th. Lindenberger (Hrsg.), Sterben für Berlin?...
IV. Die Branchenentwicklung im geteilten Berlin
188
Die bemerkenswert stabile Entwicklung während der zweiten Berlin-Krise überlagerte indessen nur die strukturellen Probleme, die sich seit Mitte der fünfziger Jahre abzeichneten: - Die Abwanderung von Fachkräften nach Westdeutschland nahm zu, nachdem dort die Vollbeschäftigung erreicht worden war. Die Sogwirkung, die vom westdeutschen Arbeitsmarkt ausging, konnte auch durch die Einkommensteuervergünstigungen nicht ausgeglichen werden. 3 3 - Die elektrotechnische Industrie stieß auf dem West-Berliner Arbeitsmarkt zunehmend an Kapazitätsgrenzen. Der VBEI konstatierte in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1959, daß Facharbeiter „zur absoluten .Mangelware'" geworden waren. 3 4 - Die Investitionsintensität ging in den Jahren 1957 und 1958 - also schon v o r der zweiten Berlin-Krise - auf rund 70% des Niveaus von 1956 zurück. 3 5 Dieser Rückgang zeigt, daß das hohe Investitionsniveau der vorangegangenen Jahre aus einer Sondersituation resultierte, die sowohl durch das catching-up
gegenüber
dem Bundesgebiet als auch durch den massiven Kapazitätsausbau der gesamten bundesdeutschen Elektroindustrie in der Phase zwischen 1950 und 1955 gekennzeichnet war. - Aufgrund ihrer Produktionsstruktur war die West-Berliner Elektroindustrie einseitig von der Investitionsgüterkonjunktur und speziell von der Auftragslage bei der Bundespost und der Bundesbahn abhängig. 36 Der Anteil der Verbrauchsgüterfertigung lag weiterhin erheblich niedriger als im Bundesgebiet. - Der Aufschwung der West-Berliner Elektroindustrie in den fünfziger Jahren wurde von den Großunternehmen getragen. Die mittleren und kleinen Betriebe litten auch noch am Ende der fünfziger Jahre unter mangelnder Kapazitätsauslastung. 37 Die Großunternehmen beschränkten ihre Aktivitäten in West-Berlin aber zunehmend auf den operationalen Bereich (Produktion), während die dispositiven Bereiche (Leitung, Vertrieb, FuE) an Standorten im Bundesgebiet konzentriert bzw. ausgebaut wurden.
West-Berlin: Der Rückstand des Maschinenbaus Der Maschinenbau befand sich in West-Berlin am Ende der vierziger Jahre in einer noch weitaus kritischeren Lage als die elektrotechnische Industrie. Der Produktionsindex erreichte im dritten Quartal 1949 lediglich 11% des Stands von 33
B. Hofmeister, Berlin..., S. 92 u. 144 f.
34
VBEI, Geschäftsbericht 1959..., S. 34.
35
A. Kuehn, Investitionen..., S. 58.
36
Walther M. Leser, Elektroindustrie nicht ohne Sorgen, in: Der Tagesspiegel vom 30.12.1956.
Zum Anteil der öffentlichen Aufträge siehe S. 223. F. Sarow, Elektrostandard..., S. 121.
Wachstum und Krisen derflinfziger Jahre
189
1936.38 Der Wiederaufbau war in den ersten Nachkriegsjahren nur schleppend angelaufen. Die Ausrüstungen basierten auf notdürftig wiederhergestellten Maschinen. Die regionale Teilung und die Blockade hatten den West-Berliner Maschinenbau besonders hart getroffen. Im Wettbewerb mit der überlegenen westdeutschen Konkurrenz befanden sich die Unternehmen in einer fast aussichtslosen Situation. Das entscheidende Hindernis zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des WestBerliner Maschinenbaus war der Kapitalmangel. Die Firmen hatten ihre frühere Kapitalbasis durch die Kontensperre vom Mai 1945 verloren. Auch von den führenden Firmen verfügten nur wenige über ein leistungsfähiges „zweites Standbein" in Westdeutschland. Im Maschinenbau wurde daher in geringerem Umfang als in der elektrotechnischen Industrie Betriebskapital aus Westdeutschland nach West-Berlin transferiert. Trotz der ungünstigen Ausgangsbedingungen konnte der West-Berliner Maschinenbau dann in den Jahren 1950-1952, während des „Korea-Booms", stark expandieren. Daß das Produktionsniveau schon Anfang 1951 wieder bei 35% des Vorkriegsstands von 1936 lag, erschien auch Experten wie Thalheim „fast als ein Wunder". 39 Die Entwicklungsmöglichkeiten des West-Berliner Maschinenbaus wurden vor diesem Hintergrund sehr günstig beurteilt. Die Branche erhielt im Long-TermPlan Priorität bei der Vergabe der ERP-Investitionskredite. Ein im April 1951 vorgelegter Bericht der Berliner Zentralbank über die Lage des Industriezweigs in West-Berlin betonte, daß der Maschinen- und Apparatebau „trotz der ungeheuren Verluste durch Kriegsschäden und Demontagen noch genügend Lebenskraft besitzt und die in Westberlin gegebenen Standortvoraussetzungen trotz aller Schwierigkeiten zur Sicherung seiner Existenz ausreichen, vor allem durch die unverändert hohe Qualität der Berliner Arbeitskräfte. Nach der Absatzseite hin erscheint... die Erreichung des früheren Produktions- und Beschäftigtenstandes im Laufe der nächsten Jahre nicht ausgeschlossen."40 An dieser Erwartung gemessen, fiel die Bilanz am Ende der fünfziger Jahre ernüchternd aus. Die Produktion und das Beschäftigungsniveau lagen 1959 immer noch unter dem Stand von 1936. Als einziger führender Industriezweig West-Berlins wies der Maschinenbau zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die im Long-Term-Plan vorgesehene Beschäftigtenzahl auf. Das Planziel wurde erst 1961 und damit etwa viereinhalb Jahre später als in der West-Berliner Elektroindustrie erreicht (siehe TABELLE 21). Obwohl der West-Berliner Maschinenbau in den fünfziger Jahren absolut gesehen beachtliche Produktionszuwächse erzielte und die Exportquote hier rasch auf ein hohes Niveau anstieg, konnte die Branche
38
K. G. Mahnke, Beitrag..., S. 145.
39
Berliner Zentralbank, Die Absatzgebiete, Maschinen• und Apparatebau...,
wurde von Thalheim verfaßt. 40
A.a.O., S. 29.
S. 11. Dieser Bericht
190
IV. Die Branchenentwicklung im geteilten Berlin
mit dem Wachstum anderer führender Industriezweige West-Berlins, insbesondere der elektrotechnischen Industrie, nicht Schritt halten. Der Anteil des Maschinenbaus am Umsatz der West-Berliner Industrie sank von 11,8% (1952) auf 8,8%
TABELLE 2 1
Beschäftigte, Umsatz und Produktion des West-Berliner Maschinenbaus 1950-1961 Jahr
Beschäftigte*
1936
42.090
1950
16.412
1951
Umsatz in Mio. DM*
Produktion in Mio. DM**
Produktionsindex 1936 = 100
348#
100
127
130
20
21.877
231
225
35
1952
26.088
340
322
46
1953
26.589
346
355
49
1954
28.028
414
413
57
1955
32.306
519
515
70
1956
35.306
592
577
81
1957
36.473
644
627
85
1958
35.324
687
661
87
1959
35.097
704
677
90
1960
38.605
858
819
108
1961
40.879
992
949
120
Ziel LongTerm-Plan
40.000
455
* WEMA-Statistik (jeweils Jahresdurchschnitt) ** VDMA-Statistik (jeweils Stand 31.12.) # RM, in Preisen von 1936 Quellen: WEMA, Statistische Daten 1957..., S. 63; a.a.O. 1965, S. 69; VDMA, Statistisches Handbuch för den Maschinenbau, Ausgabe 1957-1963..:, Jahresbericht der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 1960, in: DBW, 11. Jg. (1961), Nr. 12, S. 381; Bedingungen und Möglichkeiten..., S. 31; K. G. Mahnke, Beitrag..., S. 140; K. Pritzkoleit, Berlin..., S. 100 f.
Wachstum und Krisen derßnfziger Jahre
191
(1959). 4 1 Der Produktivitätsrückstand gegenüber Westdeutschland konnte in diesem Zeitraum nicht wettgemacht werden. 1960 lag der Umsatz pro Beschäftigten des Maschinenbaus in West-Berlin noch um rund 18% niedriger als im Bundesgebiet. 4 2 Der Rückstand des West-Berliner Maschinenbaus stand in einem signifikanten Gegensatz zur Branchenentwicklung in der Bundesrepublik. Der Maschinenbau zeichnete sich hier während der fünfziger Jahre durch ein überdurchschnittliches Wachstum aus. Gemessen an der Beschäftigtenzahl stieg die Branche zum führenden Industriezweig der Bundesrepublik auf. Die Produktion des bundesdeutschen Maschinenbaus hatte schon 1950 über dem Stand von 1936 gelegen. 4 3 Die konjunkturelle Entwicklung war im westdeutschen wie im West-Berliner Maschinenbau auch während der fünfziger Jahre durch starke Ausschläge gekennzeichnet, wie sie für diese Branche wegen der unmittelbaren Abhängigkeit von der gesamtwirtschaftlichen Investitionsneigung und der ausgeprägten Exportorientierung generell charakteristisch sind. Auf den Korea-Boom der Jahre 1950/52 folgte eine Beruhigung, die 1955/56 von einer Hochkonjunktur abgelöst wurde. 1957 verschlechterte sich die Auftragslage durch einen Investitionsrückgang in der Bundesrepublik und durch eine Rezession in den USA. 1960 setzte dann erneut ein Nachfrageboom ein. 4 4 Der Anteil West-Berlins an der Produktion des bundesdeutschen Maschinenbaus nahm während der Investitionsgüterkonjunktur von 1950-1952 zu und blieb dann bis Ende der fünfziger Jahre nahezu konstant (siehe TABELLE 22). Trotz des Produktivitätsrückstands konnte der West-Berliner Maschinenbau also seinen Produktionsanteil behaupten. Entscheidend war jedoch, daß die in den Jahren 1950-1952 zu beobachtende Aufholbewegung abbrach und der enorme Rückstand gegenüber dem westdeutschen Produktionsniveau, gemessen am Basisjahr 1936, seitdem nicht mehr abnahm. Im Werkzeugmaschinenbau, dem traditionellen Kernbereich des Berliner Maschinenbaus, ging der Anteil dieses Standorts an der bundesdeutschen Produktion zwischen 1952 und 1960 um mehr als die Hälfte zurück (siehe TABELLE 22).
Der Werkzeugmaschinenbau hatte nach 1945 seine frühere Bedeutung als ehemals führender Fachzweig des Berliner Maschinenbaus verloren. Während des Korea-Booms von 1950-1952 erzielte dieser Produktionszweig in West-Berlin vor-
41 Statistisches Jahrbuch Berlin 1953..., S. 176; a.a.O., 1960, S. 170 (jeweils Lieferwerte im Monatsdurchschnitt nach technischen Einheiten). 42
K. Pritzkoleit, Berlin..., S. 125.
43
H. Baumann, Maschinenbau..., S. 14; VDMA, Statistisches Handbuch ßr den Ausgabe 1953, Frankfurt/M. 1953, S. 59. 44
Vgl. H. Baumann, Maschinenbau..., S. 18.
Maschinenbau,
IV. Die Branchenentwicklung im geteilten Berlin
192
TABELLE 2 2
Anteile West-Berlins an der Produktion des Maschinenbaus und des Werkzeugmaschinenbaus in der Bundesrepublik* 1950-1958 in v. H. 1950
1952
1954
1956
1958
1960
Maschinenbau
2,5
3,3
3,5
3,4
3,4
3,4
Werkzeugmaschinenbau
4,0
8,6
6,3
6,1
4,5
4,1
Ausgabe
1953...,
* einschließlich West-Berlin, Stand jeweils 31.12. Quellen: Berechnungen nach VDMA, Stat. Handbuch ßr
den Maschinenbau,
S. 34-39; Ausgabe 1955..., S. 4