In Verantwortung für das Leben: Sozialethische Perspektiven [1 ed.] 9783428528974, 9783428128976

Der Mensch ist nicht der Schöpfer dieser Welt. Aber er gestaltet sie mit. Menschliches Leben vollzieht sich nicht nur im

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In Verantwortung für das Leben: Sozialethische Perspektiven [1 ed.]
 9783428528974, 9783428128976

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 53

ROLF KRAMER

In Verantwortung für das Leben Sozialethische Perspektiven

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ROLF KRAMER

In Verantwortung für das Leben

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 53

In Verantwortung für das Leben Sozialethische Perspektiven

Von

Rolf Kramer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-12897-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 * Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der Begriff Verantwortung ist heute zu einem zentralen Begriff der Ethik geworden. Immer häufiger werden Handlungen auf Grundlage individueller Entscheidungen getroffen. Allerdings ist bei der Zurechnung von Verantwortung Acht zu geben auf klar umrissene Handlungsfelder. Innerhalb der Verantwortlichkeiten müssen die Spielräume deutlich fixiert sein. Im Begriff Verantwortung steckt zum einen die Rückbeziehung auf den, vor dem Verantwortung getragen wird. Zum anderen ist auch auf die nach vorn ausgerichtete Orientierung der Verantwortung, für den sie getragen wird, zu achten. In dieser Ausrichtung ist also der angesprochen, für den man die Verantwortung trägt, während es in der Rückbeziehung für den Christen immer um den geht, vor dem alles Tun und Denken zu verantworten ist, also gegenüber dem Schöpfer. Bereits 1985, also vor mehr als zwanzig Jahren, hatten der Rat der Evangelischen Kirche und die Deutsche Bischofskonferenz in einer gemeinsamen Erklärung über „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“ unter der Überschrift „Ehrfurcht vor dem Leben“ vier Aspekte für eine Naturethik unterschieden. Die beiden Großkirchen führten aus: „Nicht allein menschliches, sondern auch tierisches und pflanzliches Leben sowie die unbelebte Natur verdienen Wertschätzung, Achtung und Schutz. Die Ehrfurcht vor dem Leben setzt voraus, dass Leben ein Wert ist und dass es darum eine sittliche Aufgabe ist, diesen Wert zu erhalten“1. Alle Eingriffe in den Haushalt der Natur sind möglichst sparsam vorzunehmen. Ebenso müssten Nutzen und Schäden solcher Aktionen unter 1 Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gemeinsame Erklärung, Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Gütersloh 1985, n. 34, S. 28.

6

Vorwort

langfristigen und kurzfristigen Aspekten bedacht werden. Dabei gilt es, ganz besonders auf die nachfolgenden Generationen und ihre Ansprüche Rücksicht zu nehmen. Vier Jahre später haben beide Kirchen eine weitere gemeinsame Erklärung zur Schöpfungsverantwortung herausgegeben. Unter dem Titel aus der „Weisheit Salomos“ (Kap. 11,26) „Gott ist ein Freund des Lebens“ behandelten sie die Fragen der Umwelt und der Umweltkrise. Sie stellten sich den „Herausforderungen und Aufgaben“, das Leben zu schützen. Man erkannte, dass es einer „umfassenden Anstrengung“ bedarf, um den gesamten Lebensraum Erde zu schützen2. Christen wie Nichtchristen sind zum Handeln in der Gesellschaft aufgerufen. Diese Überlegungen bezogen sich allerdings hauptsächlich auf das menschliche Leben. Der Schutz des Lebens muss in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft stattfinden. Darum müssen auch die Fragen der vorgeburtlichen Probleme erfasst werden. Aber auch die des Sterbens in Würde sind zu erörtern. Die Menschen müssen sich zuerst um das menschliche Leben kümmern. Sodann haben sie den tierischen und den pflanzlichen Bereich zu erfassen. Denn es gibt auch einen „Eigenwert der Mitgeschöpfe des Menschen“3. Diese dürfen nicht nur und vor allem nicht zuerst als Nutzwert für den Menschen gesehen werden! Der Schutz des Lebens umfasst freilich auch das Klima. In diesen Überlegungen gilt es, nicht nur die dafür notwendige Politik, sondern zugleich deren Kosten zu erörtern. Damit steht zugleich die Vereinbarkeit der Klimaschutzpolitik mit der Wirtschaftlichkeit vorrangig zur Debatte.2 Danken darf ich wieder den Freunden Günther Kastenmeyer und Gerd Pogoda für die kritische Durchsicht des Ma2 Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gemeinsame Erklärung, Gott ist ein Freund des Lebens, Gütersloh 1989, S. 11. 3 Gemeinsame Erklärung, (1989) S. 37.

Vorwort

7

nuskriptes und für manche Anregung. Die übrig gebliebenen Fehler gehen selbstverständlich zu Lasten des Autors. Außerdem darf ich meiner Freude Ausdruck verleihen, dass der Verlag Duncker & Humblot auch dieses Buch wieder in seine bewährte Obhut genommen hat. In Dankbarkeit darf ich mit dieser Veröffentlichung nunmehr auf eine fünfundzwanzigjährige Verbindung verweisen. Pfingsten 2008

Rolf Kramer

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

1. Kapitel Schutz des Lebens

16

I. Die Erschaffung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

II. Entstehungsformen des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

1. Die Würde des Menschen als Fundament seines Handelns . .

30

2. In Würde sterben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

a) Biblische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

b) Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

IV. Der Wert der Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

1. Der Gesundheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

2. Gesundheit als ökonomisches Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

2. Kapitel Revolution der Fortpflanzung

47

I. Reprogrammierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

1. Reproduktives und therapeutisches Klonen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

2. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

3. Schwierigkeiten bei der Reprogrammierung . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

II. Samen- und Eizellenspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

10

Inhaltsverzeichnis

III. Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

IV. Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

V. Leben im familiären Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

VI. Spirituelle Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

VII. Ewiges Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

3. Kapitel Anthropozentrismus in der Umweltethik I. Begrenzter oder geläuterter Anthropozentrismus . . . . . . . . . . . . . . .

89 92

II. Rechte der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Biblische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Tierschutz als Tierethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben“ . . . . . . . . . . . . . 108 III. Pflanzenethik als Beitrag zum Schutz vegetativer Natur . . . . . . . . 111 IV. Eine zukunftsorientierte Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4. Kapitel Energiepolitik und Klimawandel

119

I. Eine kurze Erdgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Energieentwicklung und Energieverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Der Klimawandel und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 IV. Die Beeinflussung des Klimawandels durch Umweltkonferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 V. Abmilderungen der Klimakatastrophe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 VI. Der Handel mit Emissionsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

Inhaltsverzeichnis

11

5. Kapitel Ethik und Kultur

157

I. Kultur des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Kultur und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 III. Der Untergang von Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 6. Kapitel Marktwirtschaft und Umwelt

171

I. Der Neoliberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Entwicklung der Finanzierungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Die Vergütungen von Vorständen und Managern . . . . . . . . . . . . 184 3. Maximallohn und Mindestlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 III. Arbeit, Ruhe und Muße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unternehmenskultur . . . . 197 V. Unternehmenspolitik und Unternehmensverantwortung . . . . . . . 202 VI. Wirtschaftliches Handeln und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 VII. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer . . . . . . 210 7. Kapitel Ethik und Politik

215

I. Gegensatz und Gemeinsamkeit von Ethik und Politik . . . . . . . . . . 215 II. Umgang mit der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 III. Die Aufgaben der Staatsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Der Staat als Diener Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Die Demokratie als Angebot und Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

12

Inhaltsverzeichnis 8. Kapitel Rückblick und Ausblick

234

I. Der Mensch in der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Die Würde des menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Vom Menschen zu verantwortende Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Ökonomisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Lebenssinn – Lebenskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. Leben über den Tod hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Einleitung Leben ist die Daseinsform des Menschen. Leben heißt, geboren werden, wachsen, sich fortpflanzen und sterben. Leben entwickelt sich vorwärts bis hin zum Tode. Es ist ein Geschehen, das man nicht umkehren kann. Leben ist darum immer mit Gestaltung verbunden. Im klassischen griechischen Sprachgebrauch wird zwischen den Begriffen zeˆn, zoé und bioûn, bíos unterschieden. Beide Begriffe können zwar synonym gebraucht werden. Aber im speziellen Sinn bedeutet Bíos oftmals das individuelle Leben oder die Lebenszeit, die Lebensdauer. Auch als Lebensführung wird dieser Begriff benutzt. Bíos kann ebenfalls die Lebensweise oder den Charakter des Menschen bezeichnen. Er ist mit dem ethos eng verwandt. Wenn vom Bíos der Tiere oder der Götter geredet wird, dann ist damit die Gattung gemeint, wird dagegen von den Bíoi (Plural) gesprochen, ist damit die Lebensgestaltung der Menschen aufgerufen1. Der Bíos hat sein Zentrum im Subjekt des Menschseins. „Das faktische menschliche Leben erhält immer seine Gestalt in einem individuellen Bíos, in dem es sich gewinnen oder verfehlen kann, und es erwacht die Frage, in welchem Bios die menschliche Zoé in ihrer Eigentlichkeit erscheint“2. Zoé bezeichnet die physische Lebendigkeit der organischen Wesen, Pflanzen, Tiere Menschen3. Zoé wird als Lebendigkeit verstanden, als das Wie des Lebens, das alle Lebewesen charakterisiert. Das Wort wird nicht im Plural gebraucht. „Leben ist daher ein Gegenstand der Physik, und sofern nach den UrVgl. Bultmann, Rudolf (1935), S. 836, Z. 30 ff. Bultmann, Rudolf (1935), S. 836, Z. 26 ff. 3 Vgl. Rudolf Bultmann, záo,zoé, in: Gerhard Kittel (Hrsg.), Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Bd. II, Stuttgart 1935, S. 833, Z. 7. 1 2

14

Einleitung

sachen gefragt wird, finden sich diese in der Psyche4. Zoé kann man darum auch von der Gottheit aussagen. Im Neuen Testament gehört die Zoé Gott als dem zôn (Rm. 9,26). Er ist der Herr über Leben und Tod5. Bei ihm ist die eigentliche Zoé, während der Mensch nur ein zeˆn en sarkí (Leben im Fleische) besitzt. Aber Zoé bezeichnet einfach das natürliche Leben6. Es kann aber auch wie Bíos die Lebensführung bedeuten. Ein eigentlicher Bíos-Begriff ist im Neuen Testament nicht entwickelt worden. Aber statt Zoé kann einfach auch Bíos gesagt werden7. Das Leben ist in seinem Ablauf immer mit der Sinnfrage verbunden. Wo diese Frage nach dem Sinn und dem Inhalt des Lebens gestellt wird, da erhebt sich zugleich die Frage nach der Ethik. Leben und Sterben sind in ihrer Urgewalt zentrale Fragen der Ethik. Diese bedenkt freilich nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft. Denn Leben ist auf Zukunft ausgerichtet. Nach der christlichen Ethik gründet das Leben in der göttlichen Schöpfungstat. Die Hoffnung für die Zukunft beruht für den Christen auf der Auferstehung Christi von den Toten. In dieser Hoffnung sieht er sein Leben geregelt und geleitet. Insofern sind wir bei einer Behandlung des Lebens und der Lebensgestaltung mitten in der religiösen Frage. In der jüdisch-christlichen Kultur steht der Mensch im Mittelpunkt. Die biblische Überlieferung und ihre Reflexion ist anthropozentrisch ausgerichtet. Denn auch das Natürliche oder Nichtmenschliche soll dem Menschen dienen. Der Mensch selbst ist zwar nicht der Schöpfer dieser Welt, aber er ist im Zuge einer cooperatio hominis cum deo (Mit4 5 6 7

Vgl. Bultmann, Rudolf (1935), S. 834, Z.8. Vgl. Bultmann, Rudolf (1935), S. 863, Z. 20. Vgl. Bultmann, Rudolf (1935), S. 862, Z. 25 ff. Vgl. Bultmann, Rudolf (1935), S. 864, Z. 8.

Einleitung

15

schöpfung des Menschen mit Gott) ihr Mitgestalter. Nach der biblischen Überlieferung ist er das Ebenbild Gottes (imago dei). Freilich darf daraus kein strenger Anthropozentrismus abgeleitet werden, obwohl die biblische Botschaft auf den Menschen hin ausgerichtet ist8. Es darf keine ausschließliche Zentrierung auf den Menschen vorgenommen werden. Manche Ethiker sprechen deshalb lieber von einer „terristischen“ oder „kosmozentrischen“ Ethik, wenn sie die Fragen der modernen Beziehung von Mensch und Umwelt im Auge haben. Aber es bleibt das Problem, inwieweit in der Bibel der Anthropozentrik bei einer Berücksichtigung der Umwelt und des Umweltschutzes Rechnung getragen wird. Insgesamt geht es immer um die Erhaltung des Lebens. Indessen vollzieht sich Leben keineswegs nur im Blick auf die Erhaltung des Menschen, sondern zugleich auch auf die anderen Lebewesen. Das gilt für die Tiere ebenso wie auch für die Pflanzen. Der Umweltschutz muss sich, wenn er effizient sein soll, in drei Stufen vollziehen: 1. Die erste Stufe besteht darin, dass ein Schutzgebiet für das Leben insgesamt geschaffen wird. Auf diese Weise könnte man auf dem Land oder in den Gewässern die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen erhalten. 2. Die zweite Stufe muss in der Vergrößerung des einmal ins Auge gefassten Schutzgebietes bestehen. So findet ein umfassenderer Schutz statt. 3. In dem dritten Schritt muss man versuchen, die Wildnis zu bewahren, eventuell wiederherzustellen oder etwa durch Korridore, Nationalparks und Naturschutzgebiete miteinander zu verbinden und so für alles Leben einen immer größeren Radius des Schutzes schaffen.

8 Vgl. Kramer, Rolf, Umwelt, Wirtschaft und Technik, Berlin 1998, S. 40 ff.

1. Kapitel

Schutz des Lebens Leben ist, wie es in der gemeinsamen Erklärung des Rates der EKD und der Bischofskonferenz mit dem Titel „Gott ist ein Freund des Lebens“ heißt, eine „kostbare Gabe“ für den Menschen und ebenso für die anderen Lebewesen, ja generell für das Leben überhaupt1. Es ist für den christlichen Glauben eine Gabe Gottes. Leben der Menschen findet sich also schon in mitten anderen Lebens vor. Gott selbst ist die Quelle des Lebens, er ist das Leben schlechthin. Gott ist es aber auch, der das Leben schützt. Bereits im Alten Testament ist davon die Rede, dass Gott der Schöpfer des Leben ist. Davon künden die beiden Schöpfungsgeschichten aus dem 1. Buch Moses, der Priesterschrift (Gen 1, 27) – um 500 vor Christus geschrieben – und des Jahwisten (Gen 2,7) – etwa im zehnten bis neunten Jahrhundert a.Chr. verfasst –, wo die Rede davon ist, dass Gott den Menschen geschaffen hat. Beim Propheten Amos heißt es: „Suchet mich, so werdet ihr leben“ (Am. 5,4). Das Leben hängt vom Worte Gottes ab. Das alttestamentliche Wort für Leben ist geradezu ein Wort für Glück2. Als Lob des Schöpfers ist der ganze Psalm 104 zu vernehmen: „Die Erde ist voll Deiner Güte“ (Ps. 104, 24). Denn schließlich ist die ganze Schöpfung ein Lobpreis des Schöpfers. Auch im Neuen Testament identifiziert sich Gott in Gestalt seines Sohnes mit dem Leben: Im Johannesevangelium sagt Christus von sich: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Gemeinsame Erklärung (1989), Z. 1, S. 16. Vgl. Von Rad, Gerhard, Leben und Tod im AT, in: Gerhard Kittel, Theologisches Wörterbuch Bd. II, Stuttgart 1935, S. 844, Z. 35. 1 2

1. Kap: Schutz des Lebens

17

Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“ (Joh. 11,25f. (egó eimi he anástasis kai he zoé. Ho pisteúon eis emè kàn apotháne zésetai). Im Johannesevangelium (Joh.14,6) ist auch zu lesen: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (egó eimi he hodòs kai alétheia kaì he zoé). Gott schützt das Leben; denn das Leben soll erhalten bleiben. Darum ist in der Noahgeschichte zu lesen: „Gott will nicht mehr die Erde verfluchen um des Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzen ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (1. Mos. 8,21f.).

Der Regenbogen wird zum Zeichen des Bundes für die Erhaltung aller Lebewesen auf dieser Erde. Das fünfte Gebot: „Du sollst nicht töten“ ist gleichsam das Pendant des Menschen zur Erhaltung des Lebens. Aber Leben bleibt zugleich doch immer auch bedrohtes Leben. Krankheit gefährdet es. Weiter stellen Behinderung und Alter oftmals auch heute noch eine Belastung und Einschränkung des Lebens dar. Trotzdem kann auch in Krankheit und Behinderung ein Segen für andere stecken. Denn Gott kann selbst in diesen Lebensbeschränkungen eine positive Entwicklung für andere Menschen erwecken3. Kein Lebewesen entgeht dem Tod. Waren es früher die Naturkatastrophen, die das Leben gefährdeten, sind es heute oftmals die Menschen selbst, die das Leben auf der Erde einschränken oder insgesamt bedrohen. Dabei ist keineswegs allein an die Anwendung der atomaren Energie zu denken. Die Produktion von umweltschädlichen Gütern, der Aufbau von kriegerischem Zerstörungspotential durch Waffentechnik, der vielgestaltige Verbrauch von Kon3

Vgl. Gemeinsame Erklärung (1989), Z. 6,a, S. 48.

18

1. Kap: Schutz des Lebens

sumartikeln fördern die Zerstörung der natürlichen Ressourcen, vergiften Land, Luft und Wasser. Sie sind maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass sich das Klima verändert. Außerdem weisen Manipulationen bei der Anwendung von pflanzlichen und tierischen Aktionen in der Gentechnik auf die Missachtung des Lebens hin. Gerade weil das Leben so vielfältig bedroht ist, muss zu seinem Schutz aufgerufen werden. Leben muss bewahrt, und lebenszerstörendes Handeln abgewehrt werden. Das bedeutet, sich der Macht des Bösen, das sich auf allen Gebieten des Lebens zeigt, entgegenzustellen. In der Bibel werden als lebenszerstörende Elemente Sünde und Tod genannt. Nach dem Apostel Paulus ist „der Sünde Sold der Tod“ (Röm. 6,23: tà ‘gár opsónia teˆs harmatías thánatos). Der Mensch soll sich seines Endes erinnern. Und er will es auch (vgl. Ps.39,54; 90).

I. Die Erschaffung des Menschen Der Mensch wird zur Herrschaft über die „Fische im Meer und die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm , das da auf Erden kriecht“ (1. Mos.1,26) geschaffen. Er ist dafür da und erfüllt die Aufgabe zum Schutz der Kreatur auf der Erde. Der Mensch sichert dadurch gleichsam den Bestand der Erde. Ihm ist die Herrschaft über die Erde, das dominium terrae, übertragen. Dieses ist ein Zeichen der Gottes Ebenbildlichkeit des Menschen, zu der er gemacht wurde. Denn „das Entscheidende an seiner Gottesbildlichkeit ist . . . seine Funktion an der außermenschlichen Welt“5. Damit erhält die Erschaffung des Menschen „rückwirkend eine Bedeutung für die ganze außermenschliche Kreatur, indem sie ihr eine neue Gottbezogenheit gibt“. Die Kreatur erfährt außer ihrem „Von-Gott-her 4 Ps.39,5: „Herr lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss“. 5 Von Rad, Gerhard, Das erste Buch Moses, Göttingen 31953, S. 46.

I. Die Erschaffung des Menschen

19

durch den Menschen ein Zu-Gott-hin“6. Dadurch erfährt seine Herrschaft noch einmal die Würde eines besonderen göttlichen Hoheitsgebietes. Es entspricht nach der Quelle des Jahwisten nicht der biblischen Sündenfallgeschichte, dass sich der Mensch die belebte und unbelebte Erde unterwerfen soll, um sie auszubeuten. Er wird vielmehr aufgefordert, den Garten Eden und später die ganze Erde zu bebauen und zu bewahren (Gen 2,15; 3, 23). Das gehört auch zum dominium terrae. Die Aussage in der Priesterschrift, dass Gott selbst als Urund Vorbild des Menschen kaum Rücksicht auf die Tiere genommen hat, widerspricht der Tatsache, dass auch die Kreaturen Geschöpfe sind. Das ist aus allen Aussagen des Alten und Neuen Testaments herauszulesen. Darum stimmt es nicht, wie in mancher Sozialphilosophie behauptet wird, dass die biblische Bestimmung des Verhältnisses von Mensch und Tier in der Schöpfungsgeschichte keine Rücksichtnahme kennt, „die der Mensch – im Sinne einer Form von ,Tierschutz‘ – dem Leben und dem Wohlbefinden der Tiere entgegenbringen soll“7. Im Rahmen dieser Überlegungen heißt es sogar dann weiter, die Menschen sollen über die Tiere nach dem Sündenfall eine Herrschaft des Schreckens ausüben. Als Urbild des Menschen habe schließlich auch Gott selbst keine Rücksicht auf die Tiere genommen. Die Reaktion auf den Sündenfall des Menschen sei für ihn nur die gewesen, die Tiere einfach zu vernichten. Außerdem habe Gott sie so geschaffen, dass sie vielfach einander zu Nahrungszwecken dienen. Freilich werden sie gelegentlich auch aus anderen Gründen – oftmals auf grausame Weise – umgebracht8. Aber es geht in dieser Noahgeschichte eben nicht um den Tod der Tiere, sondern vielmehr um die Freiheit und die Macht Gottes, die von ihm geschaffene Erde nicht wieder im Von Rad, Gerhard (31953), S. 46 f. 7 Hoerster, Norbert, Haben die Tiere eine Würde? München 2004, S. 13. 8 Vgl. Hoerster, Norbert (2004), S. 13. 6

20

1. Kap: Schutz des Lebens

Chaos versinken zu lassen. Außerdem zeigt sich hier Gott als der, der die Sünde richtet; denn er will das Heil der Schöpfung. Er richtet die Sünde. Schließlich wird als wichtigstes Element in der Noahgeschichte mitgeteilt: Gott überlässt die Erde und speziell den Menschen nicht sich selbst, sondern er gibt der „erneuerten Erde“ feste Ordnungen, indem er einen neuen Bund schließt (Gen 9.1 ff.)9. In der Noahgeschichte bricht das neue Weltzeitalter des Menschen an. Ingesamt lässt sich sagen: Die biblische Überlieferung von der Schöpfung will keine naturwissenschaftliche Schöpfungslehre sein. Die Aussagen im ersten Kapitel der Genesis stellen, wie Gerhard von Rad formuliert, eine vor allem theologisch ausgerichtete Aussage dar. Trotzdem will dieses Kapitel der Schöpfungslehre zugleich naturwissenschaftliche Erkenntnisse – gestaltet aufgrund der Erkenntnisse der damaligen Zeit – vermitteln10. Diese Zeilen sind also keineswegs nur theologische Darlegungen, sondern eben zugleich – zeitgebundene – naturwissenschaftliche Bekundungen. Aber „die durch den forschenden Menschengeist gewonnene naturwissenschaftliche Erkenntnis ist einem steten Wandel unterworfen, und von diesem Gesetz ist auch das biblische Weltbild nicht ausgenommen“11. Das Thema der Schöpfung wird im Alten Testament also nicht nur als eine Glaubensaussage entfaltet, sondern umfasst ein noch größeres Spektrum der physikalischen Erkenntnis. Denn es enthält die in Jahrhunderten gewonnenen ,sakralen‘ naturwissenschaftlichen Einsichten. Andererseits wird in der Bibel die Schöpfung viel breiter erörtert, als es die beiden ersten Schöpfungsberichte vermuten lassen. Es findet zwar die Erschaffung der Welt durch den göttlichen Schöpfer im Bekenntnis des alten Bundesvolkes keine Erwähnung12. Aber der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass es keine Alternative für eine Weltentstehung gab als Vgl. Von Rad, Gerhard (31953), S. 106 f. Vgl. Von Rad, Gerhard (31953), 36. 52. 11 Von Rad, Gerhard (31953), S. 53. 12 Vgl. Deuteronomium 26, 5 – 9. 9

10

I. Die Erschaffung des Menschen

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die von Gott her gesetzte Wirklichkeit. Denn die Menschen brauchten nichts anderes zu glauben. Diese Vorstellung war schließlich die Grundvoraussetzung ihres Denkens13. Allerdings ist diese Art der Naturerkenntnis eine andere als die der modernen Form des Erkenntnisweges. Darum lässt sich auch die Erzählung von der Schöpfung nicht mit der modernen naturwissenschaftlichen Vorstellung von der Entstehung der Welt vergleichen. Das Apostolische Glaubensbekenntnis beginnt mit dem Satz „Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erde“. Martin Luther erklärt im Kleinen Katechismus diesen Satz so, dass der Mensch sich selbst als Geschöpf seines Vaters erkennt. Seine Erklärung lautet: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen“. Der Mensch steht in der Wurzel Adams. In ihm sind alle Menschen geschaffen. Der Mensch, der so glaubt, ist die vom Heiligen Geist geführte Person, das Ich. Der Mensch ist ganz und gar Geschöpf. Und dieser eine Mensch „ist zugleich und ganz Seele und ganz Leib“14. Dem Menschen wird sein Odem eingehaucht, und Gott hat ihn so zu einem lebendigen Wesen gemacht. Das wird zwar materiell in gleicher Weise auch vom Tier gesagt. Aber die Heilsgeschichte spielt sich eben nicht zwischen Gott und dem Tier ab, sondern zwischen Gott und dem Menschen. Darin zeigt sich allein Gottes Bundes- und Heilsgeschichte15. Das Tier ist, so jedenfalls nach K. Barth, durch sein eigenes selbständige Leben geformt, das durch sein individuelles besonderes Leben geprägt ist. Dabei besteht die Vermutung, dass auch das Tier die „Seele eines Leibes“ ist . Aber wie und ob überhaupt das Tier Seele und Leib ist, bleibt letztlich dem Menschen verborgen. Einzelheiten darüber weiß auch Barth 13 Vgl. Link, Christian, Kommt der Kreationismus aus der Bibel? In: FAZ vom 18. August 2007, S. 42, Sp. 1 14 Barth, Karl, Die Kirchliche Dogmatik Bd. III, 2, Zollikon-Zürich 1948, S. 455. 15 Vgl. Barth, Karl (1948), S. 475.

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1. Kap: Schutz des Lebens

nicht zu erkennen. Denn die Menschen werden sich weder in das Tier hineinversetzen noch den Sachverhalt von innen her erkennen und begreifen können 16.

II. Entstehungsformen des Menschen Die Evolutionstheorie besagt, dass der Mensch in das allgemeine Naturgeschehen eingeordnet ist. Sie weist darauf hin, dass sich auch der Mensch als ein Teil des Tierreiches wie alles andere Leben im Verlauf der Evolution auf ganz natçrliche Weise schrittweise entwickelt hat. Darin widerspricht sie keineswegs der theologischen Vorstellung eines schæpferischen Handelns Gottes. Auch wenn die Theologen immer schon die Schæpfung als ein Handeln Gottes erkannt haben, wird die in der modernen Biologie vorherrschende und anerkannte naturwissenschaftliche Evolutionstheorie keineswegs von allen Theologen verworfen. Im Laufe der Theologiegeschichte hat man drei verschiedene Formen der Entstehung des Menschen unterschieden: Der Präexistentialismus geht von der Pråexistenz des Menschen aus. Diese Anschauung ist von Platon auf Origines çbergegangen. Sie wurde in Konstanz 543 p.Chr. und 553 verurteilt. Kant hat diese Lehre erneuert, um das radikale Bæse im Menschen als intelligible Tat einer vorzeitlichen Tat zu erklåren. Der Begriff und die Vorstellung des Kreatianismus (creatio: Schæpfung) hat sich an der Schriftstelle Jesaja Kap. 57,16 ausgerichtet: ¹Denn ich will nicht immerdar hadern und nicht ewig zçrnen, sonst wçrde ihr Geist vor mir verschmachten und der Lebensodem, den ich geschaffen habeª. Gott schafft also den Menschen. Der Kreatianismus geht u. a. auf Klemens von Alexandrien (gest. 216), der Lehrer von Origenes war, und vor allem auf Laktanz (gest. n. 317) zurück. Während Augustin zögerte, sich 16

Vgl. Barth, Karl (1948), S. 473.

II. Entstehungsformen des Menschen

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dieser Auffassung anzuschließen, wurde sie von Thomas von Aquin weiterentwickelt. Nach dieser Lehre wird die menschliche Geistseele unmittelbar von Gott geschaffen und dem Leib als Träger bei der Geburt eingesetzt. Der Kreatianismus wird seit dem V. Laterankonzil (1513) von der abendländischen katholischen Theologie als Dogma vertreten. Danach wird die Seele in den Leib „eingegossen“ (infunditur). Mit ihr wird die Willensfreiheit als ein natürliches Vermögen begründet. Zu diesem Begriff des Kreatianismus tauchte zusåtzlich im letzten Jahrhundert ± wohl erst im Jahr 1929 ± der Begriff des Kreationismus auf. Freilich hat bereits Charles Darwin das Wort creationist in seiner privaten Korrespondenz gebraucht, um damit die Gegner seiner Theorie von der Verånderung der Arten zu kennzeichnen. Heute versteht man unter Kreationismus eine Sammelbezeichnung fçr eine im Christentum vertretene Ablehnung der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie. Freilich wird sie nur von einer christlichen Minderheit vertreten. Entsprechend dem Kreatianismus wird auch nach dem Kreationismus fçr jedes Embryo eine neue Seele geschaffen. Insbesondere die biblisch-fundamentalistisch orientierten Religionsanhänger lehnen jede Form von Evolution ab. Die Kreationisten fassen das Buch Genesis wortwörtlich als eine naturwissenschaftliche Quelle auf. Danach ist die Welt vor 6000 Jahren geschaffen worden. Besonders wird der Kreationismus auch heute in den USA vertreten. Anlass für eine Renaissance war zunächst die Erneuerung der Evolutionstheorie nach dem Bildungs-Schock, der durch das Auftreten des ersten künstlichen Satelliten eingetreten war. Der Sputnik, der als sowjetischer Satellit die Erde umkreiste, brachte eine Veränderung der naturwissenschaftlichen Ausbildung in der Schulen der USA mit sich. Im Gefolge einer verstärkten Ausbildung in der Evolutionstheorie erstarkte gleichzeitig auch die Forderung nach einer bibelgetreuen Schöpfungslehre; der Kreationismus erstarkte. In jüngster Zeit versuchen die Kreationisten Argumente aus den sogenannten Intelligent-Design-Theorien aufzugreifen.

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1. Kap: Schutz des Lebens

Dem Begriff des Intelligent Design liegt die Vorstellung eines intelligenten Entwurfes zugrunde, der die Merkmale des Universums oder generell des Lebens durch eine intelligente Ursache erklåren will. Die Intelligent Design-Theorien wollen nachweisen, dass viele Strukturen der Natur nicht ohne den Eingriff des Schæpfers entstanden sein kænnen. Das Intelligent Design knüpft an die Physikotheologie des Deismus an. Dieser ging in seinem Gottesbeweis von der Ordnung der Natur aus und schloss auf einen intelligenten Urheber dieser Natur-Ordnung. Intelligent Design wird heute oftmals gleichgesetzt mit der Intelligent Design-Bewegung. Diese will das Intelligent Design in der Úffentlichkeit verbreiten und die Evolutionstheorie Darwins und damit das materialistische Weltbild bekåmpfen. Das Intelligent Design legt ein personales, mit Verstand ausgestattetes Wesen nahe. Mit der Designhypothese werden Prinzipien und Merkmale angesprochen, die das Universum auf ein bestimmtes Ziel hinsteuern lässt. Beim Begriff des Intelligent Design handelt es sich keineswegs um einen wissenschaftlichen Begriff, sondern um eine moderne Form einer Evolutionsgegnerschaft. Sie versteht sich aus evangelikaler bzw. neokonservativer Sicht als eine Alternative zur naturwissenschaftlichen kausalen Entwicklung des Lebens und als ein Kampfbegriff gegen die Evolutionstheorie, gegen die Mutation und Selektion in der Welt der Lebewesen. Hinter den Intelligent Design-Theorien steht die Position eines Neokreationismus. Führende Vertreter der Bewegung sind zwar US-Amerikaner. Aber bei der überwältigenden Mehrheit der Amerikaner finden diese Theorien keine Anerkennung als zuverlässige Quellen für naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Nicht nur die Naturwissenschaften wie etwa die Biologie, sondern auch die Theologie lehnen die Lehre des Kreationismus ab. Eine andere Vorstellung für die Entstehung des Menschen erklärt der Traduzianismus, der einen Gegensatz zum Kreatianismus und Präexistenzialismus bildet. Nach der Vorstellung

II. Entstehungsformen des Menschen

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des Präexistentialismus wird die Herkunft der Seele aus dem Generationszusammenhang mit der Seele des Vaters gedeutet. Diese bereits von den Stoikern um 100 n. Chr. und später dann von Tertullian (150 / 5 – 222 / 3) vertretene Lehre besagt, dass die Seele des Kindes aus der Seele des Vaters wie ein Sprössling (tradux) hervorgeht. Während Martin Luther den Traduzianismus vertrat, neigte Melanchthon dem Kreatianismus zu. Luther wollte allerdings aus dieser Frage keine Glaubensfrage machen. Der Reformator Luther und auch spåter die lutherische Orthodoxie haben mit dieser Lehre aufgrund des Zeugungsaktes vor allem die Erbsçnde erklårt. In der reformierten Theologie hat im Gegensatz zum Luthertum Johann Calvin in seiner Institutio dem Kreatianismus den Vorzug gegeben. Auch die meisten orthodoxen reformierten Theologen haben später der mittelalterlichen Tradition folgend diese Ansicht vertreten, die in der katholischen Kirche zum Dogma (1513) erhoben wurde. Mit ihr wird von katholischer Seite die Willensfreiheit als natürliches Vermögen begründet. Die reformierten orthodoxen Theologen wollten – auf Grund ihrer ontologischen Anthropologie – mit der Übernahme des Kreatianismus die Seele gegenüber dem Leib als selbständig anerkennen. Sie behaupteten damit nicht „die natürlich Willensfreiheit“ des Menschen, aber sie neigten ihm zu, um die Abhängigkeit der individuellen Seele von Gott herauszustellen17. Der Generatianismus (generatio: Zeugung) ist nur eine andere Bezeichnung fçr den Traduzianismus. Diese Lehre wurde mehrfach von der katholischen Kirche verworfen. Man nimmt in der Gegenwart zwar die vielfältige Entwicklung der Schöpfung auf allen Gebieten des Lebens wahr, aber man steht in manchen kirchlichen Gemeinschaften der naturwissenschaftlichen Evolutionslehre skeptisch gegenüber. 17 Weber, Otto, Grundlagen der Dogmatik Bd. I, Neukirchen 41972, S. 525 f.

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1. Kap: Schutz des Lebens

Die Evolutionslehre ist Teil des Naturgeschehens. Und der Mensch ist nichts anderes als ein geschöpfliches Lebewesen, das sich wie andere Lebewesen entwickelt hat. Die Lehre von dem Schöpfer des Universums wird also keineswegs durch die Annahme einer Evolutionstheorie infrage gestellt. Anders als es in der biblischen Schöpfungsgeschichte möglich ist, lässt sich aus der naturwissenschaftlichen Erkenntnis der Evolutionstheorie heraus keine unmittelbare ethische Konsequenz ableiten18. Aus ihr können nämlich keine Verhaltensweisen für den Umgang des Menschen mit den nichtmenschlichen Lebewesen hergeleitet werden. Aus der Evolutionslehre sind keine moralischen Konsequenzen für den Umgang des Menschen mit den Tieren abzuleiten. Jürgen Moltmann hat im Blick auf den christlichen Schöpfungsglauben für die durch die Evolutionstheorie erschlossene Naturerkenntnis drei Punkte zu bedenken gegeben19: 1. Die Evolution hat es nicht mit der Schöpfung, sondern eher mit dem „,Machen‘ und ,Ordnen‘ der Schöpfung zu tunª. Denn das Schaffen (bara) Gottes am Anfang steht in der priesterschriftlichen Tradition fçr die Schæpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo). Davon ist das Machen Gottes (asah) biblisch zu unterscheiden. Wåhrend bara in Gen 1,1 ¹das Ganze der Schæpfungª umfasst, wird mit dem Machen das ¹zweckvolle Herstellen eines Werkes, bei dem einer Sache ihre bestimmte Eignung mitgegeben wirdª, ausgedrçckt20. Dem zufolge findet das gættliche Machen seine Entsprechung in der Arbeit des Menschen, wåhrend das gættliche Schæpfen analogielos ist. 2. Die „Evolution beschreibt den fortgesetzten Aufbau der Materie und der Lebenssystemeª. Theologisch låsst sich darum in diesem Zusammenhang von der fortgesetzten 18 Vgl. Hoerster, Norbert, Haben Tiere eine Würde, München 2004, S. 17. 19 Moltmann, Jürgen, Gott in der Schöpfung, München 1985, S. 204 f. 20 Moltmann, Jürgen (1985), S. 86.

II. Entstehungsformen des Menschen

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Schæpfung, der creatio continua, sprechen. Sie folgt auf die Schæpfung am Anfang. Darum kann theologisch davon ausgegangen werden, dass die Schæpfung weiterhin zukunftsoffen, also noch nicht fertig und an ihr Ende gekommen ist. Die unmittelbare Evolution des Menschen liegt heute in der Hand des Menschen selbst. Der Mensch kann die Evolution veråndern; denn er kann sie vernichten oder vorantreiben. 3. Für Moltmann ist der Mensch nicht die Krone der Schöpfung. Er verabschiedet sich von dem anthropozentrischen Weltbild. Nach ihm ist der Sabbat Gottes die „Krone der Schöpfung“. Allein für dieses „Fest der Schöpfung“ ist der Mensch geschaffen. Der Kosmos kennt eine eschatologische Ausrichtung und damit auch eine „unvollendete kosmische Geschichte“21. Denn es gilt zu erkennen: „Der Sinn des Menschen liegt, theologisch gesprochen, zusammen mit dem Sinn aller Dinge in Gott selbst“22. Deshalb muss das alte anthropozentrische Weltbild überwunden und ein neues, ein theozentrisches, eingeführt werden. Ohne dieses ist kein auseichendes Verständnis der Evolutionstheorie zu finden. Dieses eschatologische Schaffen antizipiert die Vollendung der Schöpfung; sie ist also die Neuschaffung, die creatio nova. Damit ist sie nicht die Rückkehr in den paradiesischen Zustand, sondern die Schöpfung des Reiches Gottes23. In der Evolutionstheorie kann immer ein Handeln Gottes gesehen werden, allerdings nicht im Sinne eines Eingreifens von außen, sondern von innen. Aus dieser Mitte heraus bestimmt er die Entwicklung, setzt den Urknall oder treibt die Evolution voran. Darwins Konzept hat sich durchaus als resistent gegen jeden bisherigen Fortschritt erwiesen. Dabei ist es gleichgültig, um welches Gebiet der Biologie es sich bei diesem wissenschaftlichen Fortschritt handelt. 21 22 23

Moltmann, Jürgen (1985), S. 204. Moltmann, Jürgen (1985), S. 205. Vgl. Moltmann, Jürgen (1985), S. 215 f.

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1. Kap: Schutz des Lebens

Zwar geht die Bibel von einer Welttranszendenz Gottes aus. Aber nach neueren philosophischen Erkenntnissen ist es durchaus denkbar, dass bei der Erklärung der Weltentstehung nicht von außen, sondern vielmehr von innen heraus, also von einer Immanenz der Welt, auszugehen ist. Im diesem Fall ist etwa an Pierre Teilhard de Chardin (1881 – 1955) mit seiner Lehre vom Punkt Omega als Ziel und Richtung der Evolution zu denken. Dieser erkennt Gott als die Innenseite der Materie, die die Evolution vorantreibt. Man könnte freilich auch auf den Philosophen und Mathematiker Alfred North Whitehaed (1861 – 1947) mit seiner Prozesstheologie zurückgreifen. Die Wirklichkeit ist für ihn ein Prozessgeschehen. Und außerdem gibt es nur Werdendes und keine Substanzen im Werden. Er ersetzt in seiner Prozesstheologie den Substanzbegriff der Natur durch eine Prozessmetaphysik. Denn die Dinge oder auch die Ereignisse stehen alle miteinander in einer Wechselbeziehung. Gott aber unterliegt nicht dem Prozess von Werden und Vergehen. Er ist nicht ein aktuelles Einzelwesen, eine actual entity wie die Menschen. Für Whitehead ist er vielmehr das eternal object, das die Urordnung aller naturgegebenen Ordnung verkörpert, die die Welt in einer hierarchischen Struktur erscheinen lässt. Das aktuelle Einzelwesen, die schon genannte actual entity, ist nichts Selbständiges, sondern immer auf andere actual entities bezogen. Die actual entity ist gleichsam das Produkt dieser Beziehung. Die von Whitehead vorgetragene Schöpfungsvorstellung steht gegen die biblische Vorstellung der creatio ex nihilo, die Gottes freies Schöpfungshandeln kennzeichnet. Die Prozesstheologie rechnet mit zwei Naturen Gottes. Die primordial nature (uranfänglich Natur) gibt die Entwicklung vor. In ihr überredet er jede entity zu dem für sie optimalen Zustand. Die zweite Natur ist die consequent nature. In ihr empfindet er das Werden der Welt mit und begleitet es. Gott macht sich gleichsam von der Welt abhängig. Darum kann er sogar sagen,

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

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dass es genauso wahr sei zu behaupten, dass Gott die Welt geschaffen hat wie auch, dass die Welt Gott erschafft24. Dieser Gottesbegriff ist ein völlig anderer als der in der Bibel. Denn biblisch stammt Gottes Schöpfungshandeln aus seiner Güte und Liebe, bei N. A. Witehead dagegen, so muss man vermuten, letztlich aus seiner Ohnmacht.

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen Jeder Mensch besitzt eine Würde und damit einen ihm eigenen Wert, der geschützt werden muss. Die Würde kann nicht erworben und durch besondere Leistung angestrebt werden. Sie ist weder von einer Leistungsfähigkeit noch von der Leistungsbereitschaft des Menschen abhängig. Er besitzt sie allein aufgrund seiner Existenz. Sie ist unveräußerlich. Der Mensch ist nämlich eine einmalige und unvertretbare Person. Er hat Würde, aber nicht weil er sich als würdig erwiesen oder würdig gehandelt hat. Würde wird ihm von außen zuerkannt. Damit ist er um seiner selbst willen zu achten. Unabhängig von Alter, Rasse Geschlecht, Religion, Fähigkeiten oder besonderen Umständen kommt also jedem Menschen Würde zu. Es gibt keinen Zustand, der einem Menschen erst seine Würde verleiht. Allein der Umfang seiner Würde ist umstritten. Andererseits wird ihm auch die Würde nicht durch Krankheit, Leiden oder Schmerzen genommen. Sie kann also weder verliehen werden noch verloren gehen. Das ist schließlich auch die Voraussetzung für den von Immanuel Kant vertretenen Kategorischen Imperativ, wie er etwa in der „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“ formuliert wurde: „Handele so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“. Dahinter wird 24 Vgl. Link, Christian, Kommt der Kreationismus aus der Bibel? In: FAZ vom 18. August 2007, S. 42, Sp. 6.

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1. Kap: Schutz des Lebens

man nicht zurückfallen dürfen, ohne die Rechte des Menschen zu verleugnen. Die Würde des Menschen findet ihren Ausdruck im vielfältigen Recht auf Leben und im Schutz des Lebens. Freilich bedarf auch der kategorische Imperativ seiner Ergänzung. Denn allein auf ihn bauend könnte es zu einer individualisierten Gesetzgebung kommen, in dem das Ich allein bestimmt. Das aber will Kant gerade nicht 1. Die Würde des Menschen als Fundament seines Handelns Die Menschwürde hat tiefgreifende historische Wurzeln. Frühe Anstöße liegen im Alten Testament. Bereits hier und damit sowohl im Judentum als auch Christentum wird der Mensch als Ebenbild Gottes erkannt. Die Lehre von der Würde der Menschen wird besonders geprägt durch das christliche Denken. Der Mensch wurde nach dem Alten Testament zum Bilde Gottes, also zur imago dei, geschaffen. So steht es in der Priesterschrift im 1.Buch Moses (Gen 1, 26.27). Die inhaltliche Bestimmung dieses Ebenbildes Gottes wird im Alten Testament durch die hebräischen Begriffe zäläm und demuth, im Griechischen durch eikón und homoíosis und im Lateinischen durch imago und similitudo wiedergegeben. Der erste Begriff beschreibt die Bildhaftigkeit, der zweite die Ähnlichkeit. Damit wird jeder Mensch, ob Mann oder Frau, zum Bilde, Beauftragten oder Abglanz Gottes auf Erden. Es sind nicht besondere Eigenschaften, die den Menschen zum Ebenbild Gottes machen, sondern das Sein im Ganzen macht ihn dazu. Im Neuen Testament wird von Christus gesprochen als dem Ebenbild des unsichtbaren Gottes (Kol.1,15: hós estin eikòn toû theoû aorátou) und dem Abglanz (Hebr.1,3: apaúgasma teˆs dóxes). Gott selbst ist der Mensch, der durch Jesus Christus – sein Bild auf Erden – die Menschen erlöst und versöhnt. Die Gestaltwerdung ist also ein messianisch-eschatologischer Prozess.

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

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Der Mensch erhält durch Christus seine Rechtfertigung und so seine Gerechtigkeit. Damit wird der Mensch zu einem neuen Menschen, der nach dem Bildes seines Schöpfers erneuert wird (Kol. 3,9f.: tòn palaiòn ánthropon. . .tòn néon anakainoúmenon eis epígnosin kat’ eikóna toû ktísantos autón). Nach dem Epheserbrief wird vom Menschen erwartet, dass er den neuen Menschen anziehen soll, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit (Eph. 4,24: endy´sasthai tòn kainòn ánthropon tòn katà theòn ktisthénta en dikaiosy´ne kaì hosióteti teˆs aletheías). In diese Gestaltung der Neuschöpfung wird der Mensch in die Gleichgestaltung mit dem Christus Jesus berufen. Für den Menschen ist darum die Ebenbildlichkeit ein Prozess der Menschwerdung. Sie wird für ihn zur Gabe und Aufgabe. Damit wird der Mensch biblisch nach dem Alten Testament als Geschöpf zum Ebenbild Gottes in seiner Schöpfung und nach dem Neuen Testament als Kind Gottes verstanden. „Aus der Gottes Ebenbildlichkeit in der anfänglichen Schöpfung wird die Gotteskindschaft in der messianischen Gemeinschaft mit dem Sohn, und aus beiden wird die Gottgleichheit der Menschen in der Herrlichkeit der neuen Schöpfung“25. Wie immer man die Würde des Menschen definiert, immer drückt sie einen nicht mehr zu relativierenden Wert aus. Die Würde ist nicht verlierbar. Auch die Sünde kann ihr nichts anhaben. Die Würde des Menschen bleibt ihm erhalten. Denn Gott hält an dem Menschen und an seiner Würde fest. Gott ist treu (1. Kor. 1,9: pistòs ho theós). Anders würde die dem Menschen verheißene messianische Hoffnung nicht der Realität entsprechen. Die Sünde würde sonst das ganze göttliche Schöpfungswerk pervertieren. Der 1. Artikel der Grundrechte des Grundgesetzes der Bundesrepublik bestimmt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Weiter heißt es dort: „Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. 25

Moltmann, Jürgen (1985), S. 234.

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1. Kap: Schutz des Lebens

Allerdings gibt heute der Begriff der Menschenwürde immer wieder zu Irritationen Anlass. Denn einerseits meint man, in der Bioethik und in der Embryonenforschung ohne sie auszukommen. Andererseits wird auf sie zurückgegriffen, wenn es darum gilt, ethische Konsequenzen zu ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 anlässlich seiner Entscheidung gegen das liberale Abtreibungsrecht immerhin festgestellt: „Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu“26. Das Leben des menschlichen Embryos ist durch die befruchtete Eizelle definiert. Auch zwischen den einzelnen Abschnitten des Lebens vor und nach der Geburt ist kein Unterschied zu machen. Also ist der menschliche Embryo von Beginn an ein Mensch, dem Würde und Menschenrechte gemäß Art 1 und 2 des Grundgesetzes zukommt. Die Würde des Menschen bleibt immer auch der Bezugspunkt für die auf ihr aufzubauenden und aus ihr abzuleitenden Menschenrechte. Die Menschen in der heutigen Zeit haben vielfach ein besonderes Gespür für die Würde und das Recht zum Menschsein. Das spielt sich in der Sehnsucht nach Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung wider. Aber es darf nicht um eine willkürliche Selbstbestimmung des Menschen gehen. Denn diese ist vielfach allein durch einen Egoismus geprägt. Besser freilich wäre eine von der Vernunft her geprägte Selbstbestimmung. Kants kategorischer Imperativ drückt eine solche auf Autonomie ausgerichtete Denkweise der praktischen Vernunft aus, um die eigenen Verhältnisse zu regeln. Danach geht es allein um das Vermögen, allgemeine ethische Prinzipien aufzustellen, nach denen man sich zu richten hat. Die Menschenwürde gibt dem Menschen das Fundament seines Handelns. Sie weist ihn auf die Maßstäbe hin, nach denen er für den Mitmenschen und für die Gesellschaft handeln soll. Wo immer Gewalt und Willkür, Folter und Vergewaltigung herrscht oder vorhandene Macht missbraucht wird, wird auch gegen die Menschenwürde verstoßen. Man kann in diesem 26

Bundesverfassungsgericht, Entscheidungen Bd. 39, S. 41

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

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Zusammenhang von Abwehrrechten und auch von Anspruchsrechten in der Menschenwürde sprechen. Zu den Anspruchsrechten sind etwa das Recht auf Versammlung und Gemeinschaftsbildung zu zählen oder die Bewegungsfreiheit und die Wahl des Wohnsitzes oder die freie Meinungsäußerung. Dazu gehören ebenfalls das Recht auf Leben oder auf seine Unversehrtheit. Hinzuzuzählen sind eine angemessene Lebensführung, Kleidung, Wohnung und der Erwerb des Lebensunterhalts. Oder der Schutz durch eine allgemeine Gesetzgebung. Auch gehört neben anderen Rechten dazu der Schutz der Privatsphäre. Da alle Menschen mit der gleichen Würde ausgezeichnet sind, ist in diesem Zusammenhang auch die Sozialordnung der Gesellschaft mit zu bedenken. Denn sie ist auf das Wohl des Menschen hin ausgerichtet. Das haben immer wieder päpstliche Stellungnahmen unterstrichen27. Fundamental gilt für die katholische Theologie der Satz, dass die Person der menschliche Wurzelgrund, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen ist28. Das ist Ausdruck des Zweiten Vatikanischen Konzils. Bereits Johannes XXIII. hatte in „Pacem in terris“ davon gesprochen, dass alle „Menschen in der Würde ihrer Natur unter sich gleich sind“29. Da die Menschen alle durch die Natur mit der gleich Würde ausgezeichnet sind, können sie auch nicht über andere herrschen30. Die Würde des Menschen drückt sich in einer unterschiedlichen Anzahl von Menschen- oder Freiheitsrechten aus. Allerdings müssen diese Rechte jedem Menschen zuerkannt werden. Wenn die Würde des Menschen respektiert wird, heißt das letztlich auch, seine Rechte zu respektieren. 27 Vgl. Päpstliche Kommission Justitia et Pax (Hrsg.), Die Kirche und die Menschenrechte, München 1977, S. 15. 28 Pastoralkonstitution des 2. Vatikanischen Konzils, Gaudium et spes, in: Texte zur katholischen Soziallehre, Bundesverband der katholischen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands (Hrsg.), Kevelaer 41977, Z. 25. 29 Johannes XXIII.Pacem in terris (41977), Z. 44. 30 Johannes XXIII.Pacem in terris (41977), Z. 89.

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1. Kap: Schutz des Lebens

2. In Würde sterben Was die Würde des Menschen ausmacht, ergibt sich darum aus der Tatsache, dass der Mensch zum Ebenbild Gottes geschaffen ist. Ohne Würde ist der Mensch kein Mensch. Sie ist unantastbar. Stellen Ehre und Ruhm einen äußeren Wert dar, liegt der innere Wert wohl eher in der Würde. Wir wissen, was die Würde des lebenden Menschen ausmacht. Aber über das, was die Würde des Sterbens ausmacht, wissen wir kaum etwas und können sie auch nicht definieren. Denn schließlich lässt sich erst im Nachhinein erkennen, wann, wo und wie die Würde gegebenenfalls verletzt wurde.

a) Biblische Grundlagen In dem 2. Schöpfungsbericht (Jahwist) wird vom Menschen gesagt, dass er am Ende seines Lebens dem Tod verfallen ist. Alles Lebendige fällt in ihn zurück, so heißt es mindestens auch vom Menschen. Denn über ihn wird gesagt: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ (Gen 3, 19). Es ist Gottes Zorn, der die Macht über das Leben besitzt. Im Psalm 90 wird dazu ausgeführt: „Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen. Und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen“ (Ps. 90, 7). Der Tod setzt unter die Trennung von Gott die Bestätigung. Darum betet der Psalmist: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Ps.90, 12). Aber neben der Vorstellung vom Tode existiert bereits im Alten Testament der Glaube an ein Leben nach dem Tode. Das gilt für den einzelnen Menschen und gleichzeitig auch kollektiv für das Volk Israel (Ez. 37). Es besteht eine Gemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen, die auch im Tode nicht zerbricht (Vgl. Ps. 73, 23 f.). Hinter dem Geschehen am Anfang steht die Hoffnung auf den Gott Israels und des Neuen Testaments.

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

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Allerdings ist erst sehr spät von der Auferstehung die Rede. Im Danielbuch ist zu lesen: „Und siehe, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zu Schmach und Schande“ (Dan.12,2). Aber sowohl nach dem Alten als auch nach dem Neuen Testament ist Gott nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden (Mk 12, 27:ouk éstin theòs nekrôn allà zónton). Wer zu ihm in Beziehung steht, wird nicht dem Tode verfallen. Er wird in seinem Leben Anteil an ihm haben. Aber er wird auferstehen. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs wirkt in Jesu Wort und Tat. Die Zeit des Messias ist die Zeit der Auferweckung von den Toten. Die Auferstehung Christi ist Überwindung des Todes, die Überwindung der Sünde. „Der Tod des Menschen ist darum qualitativ anders als das ,nur‘ biologische Sterben der Tiere“31. Für den Apostel Paulus und für die anderen Apostel ist der Tod kein Naturvorgang, sondern Entfremdung des Menschen von Gott. Denn „der Sünde Sold ist der Tod“ (Rm. 6,23: tà gàr opsónia teˆs hanmartías thánatos). Der Tod und das Sterben ist biblisch nicht nur die natürliche Ordnung, sondern eine Folge des Handelns des Menschen, eine ihm zuerkannte Folge seiner Schuld. Diese hat der Mensch selbst erwirkt. Aber er ist zugleich auch eine Entscheidung Gottes, die in seinem Zorn gründet! Gott hat seinen Sohn hingegeben, Sühne zu leisten in seinem Blut. So – und nur so – hat er die früheren Sünden der Menschen gesühnt (Rm. 3, 25 : hòn proétheto ho theòs hilastérion dià teˆs písteos en tô autoû haímati eis éndexin teˆs dikaiosy´nes autoû dià tèn páresin tôn progegonóton hamartemáton). Der Mensch ist also immer auf Gott bezogen – im Leben und Sterben. Er steht gleichsam in Gottes Hand. Zwar muss der Mensch wie jedes Lebewesen sterben. Aber nur er hat im Gegensatz zu den anderen Lebewesen ein Bewusstsein für seine Sterblichkeit. Das macht ihn empfindlich für sein Sterben und es nötigt ihn dazu, sich mit seinem Sterben auseinander zu setzen. Von der letzten Lebensphase gilt, 31

Thielicke, Helmut, Leben mit dem Tod, Tübingen 1980, S. 55.

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1. Kap: Schutz des Lebens

dass sie für den Menschen eine besondere Herausforderung darstellt. Aber immerhin gilt für das ganze Leben: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“, wie es in der ersten Strophe des alten Kirchenliedes aus dem 15. Jahrhundert heißt32. Das Sterben des Menschen ist ein Prozess des Lebens und speziell des Lebensendes. Das memento mori (oder mortis) ist nicht der Ausdruck einer romantischen Todessehnsucht, sondern eine Bezeichnung des Lebens. Als ars moriendi, als Kunst des Sterbens, ist im späten Mittelalter, nämlich zum Ausgang des 13. Jahrhunderts, sogar eine eigene Literaturgattung entstanden. Der Mensch sollte seiner Endlichkeit eingedenk sein. Er erfährt sein Sterben nicht als ein Sterben-Können, sondern als ein Sterben-Müssen. Vielfach ist das Sterben mit dem Ende des Todesereignisses ein Prozess des Alterns. Aber am Ende des Lebens steht nicht wie beim Abschluss einer Ausbildung die Prüfung. Sondern das Sterben ist zum einen das Ende des Vitalvorganges ,Leben‘ und zum anderen ein antizipiertes Ereignis des Lebens in Ewigkeit, in der und mit der bereits gelebt wird. Auf sie hofft der Christ in seinem Glauben. Er weiß sich dabei von der Sünde Sold erlöst. Gott allein ist Herr über Leben und Tod. Darum sind Leben und Menschenwürde zu schützen. Das in der christlichen Überlieferung begründete Verständnis vom Menschen erkennt dem Menschen seine Würde im Leben und Sterben zu. Er kann sie weder erwerben noch verlieren, noch kann sie ihm von anderen Menschen aberkannt werden. b) Sterbehilfe In vielen humanistischen Verbänden – Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, Humanistischer Verband etc. – ist eher von der Menschlichkeit die Rede als von der Würde 32

Media vita in morte sumus stammt aus dem 11. Jahrhundert.

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

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im Sterben. Es wird aber auch von der Selbstbestimmung des Menschen gesprochen, wenn es um den letzten Lebensabschnitt geht. Da man oftmals in der Humanität, verstanden als Menschlichkeit oder Menschenliebe, die Menschwürde verwirklicht sieht, versteht man die Sterbehilfe als ein humanes Sterben. Die Würde des Menschen weist auf seine Unantastbarkeit als Person und auf sein unbedingtes Lebensrecht hin. Hat der Prozess des Sterbens bereits begonnen, gebietet es daher der Respekt vor der Würde des Menschen, sich der Entwicklung zu unterwerfen. Zur Ernst des Sterbens gehören sicher mehrfache und unterschiedliche Aspekte. Denn zum einen hat die Medizin die Würde des Sterbens dadurch gestärkt, dass der Sterbende sein Lebensende schmerzfrei überstehen kann. Zum anderen wird seine Würde dadurch verwirklicht, dass er in seiner letzten Lebenszeit nicht unnötig an technische Apparate angeschlossen wird. Drittens: Das Sterben ist die letzte Lebensphase des Menschen. Darum bedarf es selbstverständlich alles dessen, was zum Leben gehört: Mitmenschen, die den Sterbenden begleiten und ihn durch Zuspruch trösten, menschliche Würde und Wärme durch die gewohnte Umgebung und die Schaffung eines angstfreien Raumes. Ob dazu jeweils eine strikte Mitteilung der Wahrheit gehört, ist abhängig von der Person des Sterbenden und der jeweiligen Situation. Viertens:. Man könnte sich ebenfalls vorstellen, dass es für den Sterbenden wichtig ist, sich mit dem Vorgang des Sterbens und vor allem mit dem Tod auszusöhnen. Aber ob diese unterschiedlichen Aspekte letztlich die Würde des Sterbens ausmachen, ist im Blick auf den einzelnen Menschen durchaus zu hinterfragen und sicher unterschiedlich zu beantworten. Der Verlust der Selbstbestimmung liefert noch keinen Grund zur Aberkennung der Würde des Menschen. Das Gleiche gilt für den schwerstpflegebedürftigen oder schwerkranken Menschen. Auch diesen Menschen darf die Würde nicht genommen werden. Sie muss ihnen gewährt werden, selbst

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1. Kap: Schutz des Lebens

dann, wenn man das Empfinden hat, nur noch ein Leben zu führen, das einem Dahinvegetieren entspricht. Gibt es eine Kunst, das Leben rechtzeitig loszulassen? Je mehr Möglichkeiten bestehen, mit Hilfe der verbesserten Medizin das Leben zu verlängern, umso mehr ist zu bedenken, ob man alle Möglichkeiten in Anspruch nehmen oder ob man auf bestimmte Maßnahmen verzichten will33. Über diese Frage rechzeitig nachzudenken, kann hilfreich sein. Jeder Mensch hat Anspruch auf ein menschenwürdiges Sterben. Die Gesellschaft muss ihm deshalb dabei helfen und ihm das Sterben erleichtern34. Ein rechtzeitiges Nachdenken über den Tod führt oftmals zum richtigen Leben und Sterben. Aber „die Überzeugung, dass zu einem sinnvollen und geglückten Leben die Annahme der eigenen Sterblichkeit gehört, ist heute vielen Menschen nicht mehr bewusst“35. Hier versucht der christliche Glaube zu helfen. Er stellt den Tod Christi in den Mittelpunkt seiner Botschaft und verheißt dem Menschen, dass der Tod nicht das Ende ist. Die Medizin hat im Laufe der letzten Jahrzehnte erhebliche Fortschritte gemacht, die zu einer deutlichen Lebensverlängerung führen können. Andererseits dienen sie auch dem Gesunden, seine Lebensqualität zu erhöhen. Die Sterbehilfe wird vor allem im Blick auf eine aktive und passive Form unterschieden. Beide Formen zielen darauf ab, dass aufgrund einer Sterbehilfe der Tod eintritt. Im Begriff der Sterbehilfe liegt zusätzlich noch eine andere Alternative: Die Hilfe zum Sterben und die Hilfe beim Sterben. Die aktive Sterbehilfe hat zum Ziel, den leidenden Mensch zu töten. Weil in dem Begriff der aktiven oder direkten Sterbe33 Vgl. Hrg. Kirchenamt der EKD und Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Sterbebegleitung, Gemeinsame Texte H. 17, Hannover / Bonn 2003, S. 30. 34 Vgl. Kramer, Rolf, Gesellschaft im Wandel, Berlin 2007, S. 178 ff. 35 Gemeinsame Texte H. 17 (2003), S. 34.

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

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hilfe gerade das Töten beabsichtigt ist, ist sie aus ethischer Sicht nicht vertretbar, auch wenn sie vom Patienten ausdrücklich gewünscht wird. In Deutschland wird die aktive Sterbehilfe ethisch und aufgrund der im Nationalsozialismus mit der Euthanasie gemachten Erfahrung strikt abgelehnt. Die damals gewonnen Erkenntnisse haben die Menschen sensibilisiert. Darum richtet man sich gegen diese Form der Euthanasie und damit gegen eine etwaige Ausgrenzung oder Selektierung von Menschen, die man als nicht mehr lebenswert disqualifiziert. Freilich haben andere Länder die aktive Sterbehilfe legalisiert, so etwa die Niederlande oder Belgien. In diesen Fällen setzt sich der Mensch in die Position eines Herrn über sein eigenes Leben und seinen Tod. Die passive Sterbehilfe zielt auf ein menschenwürdiges Sterben-Lassen, indem auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet wird. Ähnlich spricht man auch von einer indirekten Sterbehilfe. Sie gilt insbesondere dort, wo einem tödlich Erkrankten notwendige Medikamente verabreicht werden, die als unbeabsichtigte Nebenfolge den Tod herbeiführen. Das Sterben-Lassen des Patienten in der passiven Sterbehilfe ist freilich nicht mit dem Töten zu verwechseln. Es ist allerdings oftmals schwer, eine aktive von einer passiven Sterbehilfe zu unterscheiden. Die Frage, ob das Abschalten eines Gerätes eine aktive oder eine passive Sterbehilfe bedeutet, ist nur von Fall zu Fall zu entscheiden. Handelt es sich um ein Unterlassen und damit eventuell um die Beendigung der Behandlung, weil sie nicht mehr sinnvoll erscheint, steht ebenfalls ein aktives Handeln im Hintergrund. Damit ist auch hier der Übergang von aktiver zur passiven Sterbehilfe sehr fließend36. Zwar ist ausdrücklich zu unterstreichen, dass es Aufgabe des Arztes ist, Leben zu erhalten. Aber das darf nicht dazu führen, dass das Leben des Patienten aufgrund eines „therapeutischen Übereifers“ zwangsweise verlängert wird, wie es 36 Vgl. Thomas, Hans, „Sterbehilfe“? in: Die neue Ordnung, Hrsg. Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg, 2008, H1, S. 61.

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1. Kap: Schutz des Lebens

Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Evangelium Vitae ausdrückte. Hier muss einfach gelten: „Der Verzicht auf außergewöhnliche oder unverhältnismäßige Heilmittel ist nicht gleichzusetzen mit Selbstmord oder Euthanasie; er ist vielmehr Ausdruck dafür, dass die menschliche Situation angesichts des Todes akzeptiert wird“37. Einer besonderen Bedeutung kommt in der modernen Medizin der palliativen Behandlung zu. Sie soll das Leiden der Menschen im Endstadium der Krankheit erleichtern bzw. das Ende des Lebens erträglicher machen und dem Patienten auf seinem letzten Gang eine angemessene Begleitung gewährleisten. Man muss sich gerade in der modernen Medizin die Frage stellen, in wieweit die Anwendung von schmerzlindernden Mitteln oder Mitteln zur Beruhigung erlaubt ist, wenn dadurch eine Verkürzung des Lebens in Kauf genommen werden muss. Offiziell wird von Johannes Paul II. festgestellt, dass eine solche Einstellung durchaus akzeptabel ist. Denn man könne nicht von jedem Menschen ein heroisches Verhalten erwarten, eine volle Klarheit des Geistes zu bewahren und, sofern er ein gläubiger Christ ist, am Leiden des Herrn teilzunehmen38. Bereits Pius XII. hatte die Erlaubnis erteilt, den Schmerz durch Narkotika zu bekämpfen, auch wenn dadurch eine Verkürzung des Lebens und eine Eintrübung des Bewusstseins eintreten könnte. Denn in solchen Fällen wird nur der Schmerz bekämpft und nicht der Tod gesucht. Allerdings darf man nach Pius XII. „den Sterbenden nicht ohne schwerwiegenden Grund seiner Bewusstseinsklarheit berauben“39. Es muss Sorge getragen werden, dass die Menschen mit vollem Bewusstsein ihren familiären und häuslichen Verpflichtungen nachkommen und sich auf die Begegnung mit ihrem Schöpfer vorbereiten können40. 37 Johannes Paul II, Evangelium Vitae, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, v. 25. März 1995, H. 120, n. 65. 38 Ebenda. 39 Johannes Paul II, Evangelium vitae, n. 65. 40 Ebenda.

III. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

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In diesen Überlegungen besteht zwischen den Konfessionen kein Unterschied. Der christliche Glaube vermittelt dem Menschen im Sterben und Tod eine Hoffnung über den Tod hinaus. Das hat im 17. Jahrhundert nach dem dreißigjährigen Krieg Paul Gerhard 1656 in seinem Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ in Strophe 9 und 10 so formuliert41: „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür. Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein. Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot. Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl“.

Wer eine solche Sicht vom Tode hat, sieht in ihm den Abschluss seines Lebens und weiß sich in diesem Akt im Übergang von diesem in das jenseitige Leben in der Hand Gottes. Eine solche Hoffnung ist im Sterbeprozess hilfreich und nötig. Sie ist kein verfügbares Gut, das man sich verdienen oder erwerben kann. Sie ist ein Geschenk. Und dieses gründet für den Menschen allein in der Zuerkennung der Liebe Gottes in seinem Sohn. Der Mensch kann sich im Unterschied zum Tier selbst töten. Diese Selbsttötung ist nach christlichem Verständnis zu verwerfen, auch wenn sie aus noch so hehren Motiven geschieht. Der Selbstmord ist ein Zeichen des Unglaubens. Die Beihilfe zum Suizid ist gleichfalls ethisch zu verwerfen, auch wenn sie gesetzlich nicht sanktioniert wird. Die Tötung auf Verlangen ist strafbar. Ob man auf Verlangen eines Patienten die Maschinen abschalten darf, ist im allgemeinen ethisch umstritten. Hier kann sicherlich auch die sonst üblich praktizierte Selbstbestimmung des Patienten nicht weiterhelfen. Immerhin muss auch der Arzt seiner Verantwortung und damit seiner Selbstbestimmung gerecht wer41

Evangelisches Gesangbuch Nr. 85, 9 u. 10.

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1. Kap: Schutz des Lebens

den. Das bloße Verlangen des Patienten kann nicht den Ausschlag geben42. Anders sieht es bei der Palliativmedizin aus. Hier muss der Wunsch des Sterbenden nach Zuwendung ernst genommen und ihm müssen die nötigen Hilfen verabreicht werden. Alle Möglichkeiten der Schmerzlinderung, der Wunsch nach besonderen Hilfen und einer Sterbebegleitung sind ernst zu nehmen. In solchen Fällen ist mehr von Sterbebegleitung und nicht von Sterbehilfe zu sprechen.

IV. Der Wert der Gesundheit Anlässlich feierlicher Geburtstage wird der Wunsch geäußerte: Vor allem Gesundheit! Denn Gesundheit ist doch das höchste Gut43. In der Tat ist es der übermächtige Wunsch vieler Menschen, gesund zu leben und gesund zu bleiben. Aber was heißt Gesundheit?

1. Der Gesundheitsbegriff Die vielleicht am meisten zitierte Definition dessen, was Gesundheit ist, wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegeben: Sie beschrieb am 22. Juli 1946 die Gesundheit so: Die „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht bloß die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“. Damit wird die Gesundheit nicht allein auf das körperliche Wohlbefinden bezogen, sondern es werden auch die psychischen und vor allem die sozialen Aspekte miteinbezogen. Aber in dieser Definition wird die Gesundheit nicht als Prozess, sondern als ein Zustand beschrieben. Immerhin können auch rein seelische Vorgänge die Gesundheit insgesamt in Mit42 43

Vgl. Thomas, Hans (2008), S. 57. Vgl. Kramer, Rolf, Gesellschaft im Wandel, Berlin 2007, S. 118 ff.

IV. Der Wert der Gesundheit

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leidenschaft ziehen. Außerdem kann das Wohlbefinden allein noch nicht als Definition für die Gesundheit herangezogen werden. Auch kranke Menschen können sich – mindestens zeitweise – durchaus wohl befinden. Geht man weiter davon aus, dass viele Menschen sich dann wohl fühlen, wenn sie ein gut gefülltes Sparbuch besitzen, andererseits auch reiche Menschen unter seelischen Problemen leiden, ist damit die Fragwürdigkeit der genannten Definition gekennzeichnet. In umgangssprachlicher Form wird der Begriff der Gesundheit so umschrieben: Wer mit seinen Krankheiten einigermaßen glücklich leben kann, darf sich gesund nennen44. Diese Bestimmung wird dem komplexen Begriff der Gesundheit sicher eher gerecht. Wie man die Gesundheit auch definiert, vielfach wird der Wert der Gesundheit gar nicht wahrgenommen, sondern oft erst beim Auftreten einer Krankheit oder im Alter entdeckt, wenn die Gebrechen zunehmen. Aber Gesundheit kann auch als ein persönlicher und gesellschaftlicher Wert erkannt werden, selbst wenn die Gesundheit „überbewertet“ wird. Und das geschieht in der modernen Gesellschaft gern! Denn dem Jugendwahn entspricht heute der Gesundheitswahn. Ebenso wie man auf eine dauerhafte Jugend zielt, sucht man nach der Erhaltung der Gesundheit. Das Streben nach Gesundheit nimmt in der Gesellschaft einen Stellenwert ein, den man schon fast als einen religiösen bezeichnen kann. Im modernen Leben ist die Gesundheit zum Götzen geworden. Aber man muss diesen Gedanken richtig beurteilen. Natürlich ist nichts gegen die Erhaltung der Gesundheit einzuwenden. Die Nutzung der ärztlichen Kunst zur Überwindung einer Krankheit ist sinnvoll. Aber auch eine Überbewertung des Strebens nach Gesundheit kann weder Krankheit noch Tod aus dem Leben löschen. Dennoch könnte vielen Menschen ohne die moderne Medizin nicht geholfen 44 Vgl. Lütz, Manfred, Gesundheit – das höchste Gut? In: Kirche und Gesellschaft, (Hrsg.) Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle, Mönchengladbach 2006 H. 333, S. 4.

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1. Kap: Schutz des Lebens

werden. Sie wären vielleicht bereits dem Tode verfallen. Infolge der medizinischen Errungenschaften aber ist die durchschnittliche Lebenserwartung erheblich verlängert worden. Die Gesundheit ist durchaus ein hohes, aber durchaus nicht das höchste Gut. Wer sich sportlich betätigt oder ein bestimmtes Fitness- bzw. Wellnessprogramm absolviert, tut sicher seiner Gesundheit zuliebe manches Gutes. Aber alles sollte doch mit Maßen und nicht im Übermaß getrieben werden. Heute ist gegenüber der Vergangenheit ein anderer Maßstab in die Gesellschaft eingezogen: Als Letztes erstrebt man im Leben eine kräftige Gesundheit und nicht die ewige Seligkeit oder die Einheit mit dem Vater, dem Erlöser und Versöhner. Der Anspruch des Menschen auf Gesundheit weist auch drauf hin, dass der gesunde Mensch in der Gesellschaft als der ,eigentliche‘ Mensch gilt. Damit wird der chronisch Kranke oder der behinderte Mensch zu einem Menschen zweiter oder dritter Klasse45. Zwar hat der Satz „Wer heilt, hat recht“ in der Medizin durchaus seine Berechtigung. Aber wird dieser Satz darauf angewandt, dass möglicherweise am Anfang für einen Kranken ein Embryo geopfert werden muss, um ihn zu heilen, erkennt man die ganze Perversion des Satzes46. 2. Gesundheit als ökonomisches Gut Das Gesundheitswesen als ökonomische Größe ist ein relativ junger Wirtschaftszweig in Deutschland, während bereits in den Vereinigten Staaten während der sechziger Jahre darüber rege diskutiert wurde47. Auch hier unterliegt der Mensch der ökonomischen Frage, wie ein bestimmtes Ziel mit möglichst wenig Aufwand erreicht werden kann? Vgl. Lütz, Manfred (2006), S. 8 f. S. unten Kap. 2 I. 2., S. 54 ff. 47 Vgl. Reiners, Helmut, Der homo oeconomicus im Gesundheitswesen, in: Herbert Rebscher (Hrsg.), Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik, Heidelberg, 2006, S. 103. 45 46

IV. Der Wert der Gesundheit

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In der gesundheitspolitischen Diskussion spielen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung die Begriffe der Solidarität und der Eigenverantwortung eine besondere Rolle48. In allen intensiven Risikobereichen des menschlichen Lebens, und damit in Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall und Altersvorsorge ist die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft besonders wichtig. Insbesondere gehört das Prinzip der Solidarität zum Wesen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beitragshöhe richtet sich nach der individuellen Leistungsfähigkeit, während der Anspruch auf medizinische Leistungen von der jeweiligen Bedürftigkeit abhängt. Das ist auch der Unterschied zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den privaten Krankenversicherungen49. Mit dem Begriff der Eigenverantwortung bezeichnet man die „Fähigkeit und Bereitschaft, für das eigene Handeln, Reden und Unterlassen Verantwortung zu tragen“50. Diese Begrifflichkeit wird oftmals benutzt, um die Verantwortung des Einzelnen für sich und sein soziales Handeln herauszustellen. In diesem Sinne kann Eigenverantwortung als ein Teil der Solidarität verstanden werden. Im Übrigen übernehmen in Deutschland die Versicherten seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2000 immer mehr Eigenverantwortung. Dazu gehören etwa die Praxisgebühren, die Zuzahlungen zu den Medikamenten etc. und beim Klinikaufenthalt51. Dazu sind seit 2004 weitere besondere Eigenzahlungen oder Sonderzahlungen gekommen. Im Gesundheitswesen wird in der Gegenwart die Absicherung der Risiken durch private und durch gesetzliche Versicherungen vorgenommen. Außerdem muss heute das Phänomen berücksichtigt werden, dass mit der wachsenden Zahl der S. unten Kap. 6, IV. Vgl. Ahrens, Hans Jürgen, Zwischen Solidarität und Eigenverantwortung, in: Herbert Rebscher (Hrsg.), Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik, Heidelberg, 2006, S. 144. 50 Ahrens, Hans Jürgen (2006), S. 145. 51 Vgl. Ahrens, Hans Jürgen (2006), S. 146. 48 49

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1. Kap: Schutz des Lebens

Versicherten die Kosten der Versicherungsleistungen relativ sinken werden. Schließlich kann es auf Grund einer sozialen Komponente auch noch zu einer Verschwendung der Ressourcen kommen. Denn in diesen Fällen werden Menschen oftmals dazu verleitet, mehr medizinische Leistungen nachzufragen als notwendig sind. Sie kosten den einzelnen Versicherten nichts. Für dieses Verhalten im Gesundheitssystem wurde das Moral Hazard Theorem (sittliche Gefährdung) entwickelt. Hierbei handelt es sich um einen aus der amerikanischen Feuerversicherung stammenden Begriff, der das Risiko absichtlicher Brandstiftung beschreibt52. Ganz allgemein will das Moral Hazard Theorem die Verhaltensänderung beim Wegfall des Risikos umreißen. Bezogen auf das Gesundheitswesen bedeutet das: Wenn für die Patienten die Kosten der von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen keine Rolle spielen, besteht die Gefahr, dass zu viele Leistungen in Anspruch genommen werden. Es existiert kein Anreiz, Kosten zu sparen. Anders herum besteht die Gefahr, dass der Arzt zu viele Leistungen vornimmt, da er sie über die Krankenkasse, sofern er nicht durch eine Quartalspauschale „entlohnt“ wird, oder direkt über den Patienten abrechnen kann. Gesundheit ist für den Menschen wichtig, sehr wichtig sogar. Aber sie ist nicht alles auf der Welt. Zwar darf der Mensch auch nach christlichem Glauben Krankheit und Tod bekämpfen. Man muss sie nicht einfach hinnehmen. Beide Phänomene gehören zum Leben dazu. Bei beiden darf man sich der ärztlichen Kunst bedienen und sie durchaus dankbar in Anspruch nehmen. Die rechte Lebenskunst jedoch findet der Christ in der Botschaft von der Gottesherrschaft, die lebendig macht.

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Vgl. Reiner, Helmut (2006), S. 110.

2. Kapitel

Revolution der Fortpflanzung Das Individuum ist bereits in seiner vorgeburtlichen Welt als ein Mensch angelegt. Die ihm zukommende eigene Würde hat er vom Beginn der Verschmelzung der Ei- und Samenzelle an. Er ist nicht nur schutzwürdig, sondern der Embryo darf deshalb auch nicht zu Forschungszwecken oder zu Manipulationen benutzt werden. Aus diesen Überlegungen lässt sich auch der Schutz des ungeborenen Lebens im Mutterleib folgern. Darum spricht gerade von dieser Grundlegung her alles dafür, das noch nicht geborene Leben nicht abzutreiben. In Deutschland wird die Leibesfrucht vom Beginn der Zeugung als Nasciturus bezeichnet. Der Begriff des Embryos wird dann gern für die Zeit zwischen dem Abschluss der Befruchtung und der achten Woche verwendet. Von diesem Zeitpunkt ab spricht man vom Fötus. In einigen Ländern, z. B. in England ist die Bezeichnung Prä-Embryo für die zwei Wochen zwischen der Befruchtung und der Einnistung (Nidation) in die Gebärmutter üblich. Durch diese begriffliche Definitionen wurden unterschiedliche Schutzbewertungen eingeführt. Aber trotz dieser Abgrenzung muss das vorgeburtliche Leben den gleichen Schutz haben wie das geborene menschliche Leben. Ihm gebührt die gleiche Würde wie die, die dem Menschen zugewiesen wird. Mit der Verschmelzung der Ei- und Samenzelle ist die Grundlage für das Lebewesen geschaffen, das nichts anderes werden kann als ein Mensch. Aber ein Eingriff in diese Würde wird von vielen juristischen und medizinischen Forschern erlaubt, weil für sie nach

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

der Verschmelzung der Samen- und Eizelle, allerdings noch vor der Einnistung, kein individuelles Menschsein im Entstehen begriffen ist. Denn erst ab der Nidation entsteht „nicht mehr teilbares Leben“, das sich als Mensch entwickelt. Zuvor können aus einer Eizelle noch mehrere menschliche Individuen – eineiige Zwillinge – ausgebildet werden. Vor dem Zeitpunkt der Nidation ist die genetische Einzigartigkeit des Menschen noch nicht festgelegt. Wann entsteht aus der biologischen Entwicklung der Mensch in seiner ganzen Individualität und Personalität? Auch wenn heute nicht mehr der Begriff der Seele oder der Person zur Erklärung der Entwicklung des Individuums benutzt wird, bleibt die Schwierigkeit der Abgrenzung. Man muss heute nämlich ähnlich wie in früheren Zeiten von einer stufenweise Entwicklung bzw. Beseelung des Menschen auszugehen. Die zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer hat dabei auf Kant verwiesen, der die Würde an die Personalität des Menschen gebunden hat. Ihr hat er den Wert einer Sache, der gegen andere abgewogen werden könnte, gegenübergestellt. Zwar spricht er nicht ausdrücklich vom Lebensrecht einer Person, aber man kann dieses durchaus unter die „unveräußerlichen Bedingungen personaler Freiheitsausübung rechnen“1. Aber es gilt festzuhalten: jedem, auch dem in vitro gezeugten Embryo (s. u.), kommt Lebensrecht, Lebensschutz und Lebenswürde zu.

I. Reprogrammierung Mit den modernen Fortschritten in Medizin und Biologie verbinden sich große Hoffnungen. Bisher als unheilbar geltende Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson etc. verlangen geradezu nach pharmazeutischen Forschungen. Solchen 1 Zentrale Ethik Kommission bei der Bundesärztekammer vom 24. Juni 2008 S. 2.

I. Reprogrammierung

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Beiträgen zur Erhöhung der Lebenserwartungen und Lebensqualität stehen eventuell auftretende medizinische Nebenwirkungen und missbräuchliche Forschungen entgegen. Deshalb müssen mittels der Embryonenforschung alle Möglichkeiten der Lebenserhaltung ergründet werden. Mit Hilfe der vorgeburtlichen Diagnostik (PND) lassen sich frçhzeitig, d. h. bereits im Mutterleib, Schåden an den Neugeborenen erkennen. Aus christlich-ethischer Sicht ist es nicht zu verantworten, ein Kind nur dann auszutragen, wenn keinerlei Schåden zu erwarten sind. Aber die PND kann sowohl eine Hilfe fçr das Kind, die Eltern und speziell die Mutter sein. Sie kann freilich auch zu einem Schwangerschaftsabbruch fçhren, wenn die Mutter aufgrund einer PND den Abbruch herbeifçhren will. Aber dazu dçrfte sie nicht missbraucht werden. Darum wird von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der EKD gefordert, dass die PND nur auf Wunsch der Schwangeren und nicht auf Drången des Arztes durchgefçhrt wird. Sie darf nicht als Routinemaûnahme angewandt werden. Sie ist dann berechtigt, wenn die Schwangere stark beunruhigt ist und auf andere Weise nicht beruhigt werden kann2. In diesem Gesamtzusammenhang ist auch zur Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID) Stellung zu beziehen. Die PID ist Grundlage für eine künstliche Befruchtung. Immerhin werden in Deutschland jährlich 60 000 bis 80 000 In-vitro-Fertilisationen vorgenommen. Mit ihrer Hilfe werden die in vitro befruchteten Eizellen nach den ersten Zellteilungen und vor der Einsetzung in die Gebärmutter auf genetische Krankheiten untersucht. Liegt eine entsprechende Schwäche vor, wird keine Übertragung vorgenommen. Die ethischen Bedenken in diesem Zusammenhang sind keineswegs klein. Zwar können aufgrund der PID Schwangerschaftsabbrüche vermieden werden. Aber man ist mit Recht 2 Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz, Gott ist ein Freund des Lebens, Gçtersloh 1989, S. 100.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

nicht bereit, einen solchen Eingriff, der zur Vernichtung der Eizelle führt, gesetzlich zuzulassen. Aber andererseits lässt es der Gesetzgeber zu, dass ein Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten, unten noch zu nennenden Voraussetzungen vorgenommen werden darf. Auch viele Christen akzeptieren diese unterschiedlichen Entscheidungen. Hier wäre eine eindeutigere Stellungnahme zu Gunsten jedweden Lebens nötig! Auch wenn es gesellschaftsund parteipolitisch nicht durchsetzbar ist, müsste heute der Schwangerschaftsabbruch neu bedacht werden. Weiter stellt sich die Frage, ob man von einer vorhandenen extrakorporalen „Mutterschaft“ oder „Elternschaft“ im Frühstadium sprechen sollte, obwohl doch eine Schwangerschaft im eigentlichen Sinn überhaupt nicht besteht. Damit würde sich kein vergleichbarer Konflikt wie bei anderen Schwangerschaftsabbrüchen ergeben. Dann aber könnte in der Ausweitung der PID so etwas wie eine eugenische Selektion verborgen sein. Während die PID in Deutschland verboten ist, hat man sich im Mai 2008 in Großbritannien anders entschieden. Man hat nämlich für die Möglichkeit votiert, menschliche Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib daraufhin zu testen, ob die Erbinformationen mit einem älteren an einer bestimmten Krankheit leidenden Geschwisterkind übereinstimmen, dem sie eventuell später als Stammzellen-Spender dienen könnten. Dafür muss das rettende Geschwisterkind in einem Reagenzglas, also durch künstliche Befruchtung, gezeugt werden. Das ethische Problem liegt nicht nur in einem Missbrauch der Embryonen, sondern speziell in der Tatsache, dass sie lediglich als „Ersatzteillager“ für ihre älteren Brüder oder Schwestern gelten. Man missachtet die Menschenwürde des Embryos und nimmt ihm die Eigenständigkeit des Menschseins. Die Gewinnung von Stammzellen aus sogenannten überzähligen Embryonen, gewonnen aus der In-vitro-Fertilisation, ist ethisch umstritten3. Denn schließlich geht es zwar hier einer3

Vgl. Kramer, Rolf, Gesellschaft im Wandel, Berlin 2007, S. 183.

I. Reprogrammierung

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seits um hohe therapeutische Ziele. Aber andererseits existieren demgegenüber schwere Bedenken. Darf man menschliche Embryonen überhaupt für solche Zwecke „verbrauchen“? Wer der Meinung ist, dass alle Embryonen als sich entwickelnde Menschen anzusehen sind, die mit der Gottesebenbildlichkeit und der Menschenwürde versehen sind, muss selbstverständlich eine verbrauchende Nutzung von Embryonen strikt ablehnen4. Können sich allerdings Embryonen nicht entwickeln, wie zum Beispiel dann, wenn keine andere Gebärmutter zur Verfügung steht, existiert für sie keine Entwicklungschance. Sie sind vergleichbar mit nicht überlebensfähigen Föten oder menschlichen Leichnamen5. Zu einer anderen Auffassung kommt man freilich, wenn es sich bei einem Embryo erst nach dessen Entwicklung um einen Menschen handelt. In einem solchen Fall entstehen keine Hindernisse für die verbrauchende Nutzung der Embryonen. In dieser Grenzsituation müsste die Gesellschaft noch zu einer grundlegenden Klärung kommen. Für die erste Meinung einer verbrauchenden Embryonennutzung spricht aus christlicher Überzeugung vieles. In der Embryonenforschung ist zu erkennen, dass es zwischen den embryonalen und adulten Stammzellen große funktionale Unterschiede gibt. Embryonale Stammzellen können wenige Tage nach der künstlichen Befruchtung – zu einem Keimbläschen herangewachsen – alle Zellen und Organe aufbauen. Im Innern solcher Blastocysten, die aus hundert bis zweihundert Zellen bestehen, sitzen die entwicklungsbiologisch jüngeren und wandlungsfähigeren pluripotenten Stammzellen6. Embryonale Stammzellen sind gleichsam die ,Bauarbeiter‘. 4 Evangelische Kirche in Deutschland, EKD Texte, Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen, Hannover 2002, n. 3.1.2.1. 5 Vgl. Stark, Christian, Maßstäbe der Gestaltung des rechtlichen Rahmens für Lebenswissenschaft und Lebenstechnik, in: Eilert Herms (Hrsg.), Leben, Gütersloh 2005, S. 134.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Wenn man die embryonalen Stammzellen dem intakten Embryo entreißt, verhalten sie sich wie pluripotente Tumorzellen. Sie bilden unkoordinierte Zelltypen – ein Teratom (Keimzelltumor) – aus. Adulte Stammzellen sind von der Natur vorgesehen als Zellen zur Regeneration eines erwachsenen Organismus. Sie bilden gleichsam den ,Reparaturtrupp‘7. Ihr Einsatz in einer Zelltherapie entspricht ihrem natürlichen Einsatz. Das müssten die embryonalen Stammzellen erst noch von ihnen lernen! Im erwachsenen Körper kommen keine pluripotenten Stammzellen vor. Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) sind kçnstliche, ganz neue Stammzellen, die im Entwicklungspotential und in der Vermehrungsfreudigkeit den embryonalen Stammzelle offenbar sehr åhnlich sind. Allerdings können pluripotente Stammzellen in vitro zu unterschiedlichen Zelltypen entwickelt werden. Aber sie sind keineswegs in der Lage, aus sich ein Embryo und damit totipotente Zellen entstehen zu lassen. Allerdings meinen heute trotzdem einige Forscher, dass die Entwicklung von embryonalen Stammzellen zu Embryonen nicht ausgeschlossen werden muss8. Bei den sogenannten Vorläuferzellen (Epidermzellen oder spermatogene Ur-Samenzellen), die nur in bestimmte Zelltypen differenziert werden kænnen, und den multipotenten Stammzellen, die sich ebenfalls nur begrenzt in verschiedene Zelltypen entwickeln kænnen, ist das freilich anders9. Denn sie kommen auch im erwachsenen Kærper vor.

6 Müller-Jung, Joachim, Begehrt, weil noch wandlungsfähig, in: FAZ 12. April 2008, S. 2. Sp. 5. 7 Vgl. Kenner, Lukas, Der Stichtag kann bleiben, in: FAZ 1. April, S. 35, Sp. 1. 8 Vgl. Virt, Günter (2007), S. 191. 9 Ebenda.

I. Reprogrammierung

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1. Reproduktives und therapeutisches Klonen Bekanntlich unterscheidet man zwischen dem reproduktiven und dem therapeutischen Klonen. Das reproduktive Klonen zielt auf die Entstehung eines Menschen. Als therapeutisches Klonen bezeichnet man die Technik, die Zellen gewinnen will, die dann zum Beispiel als Ersatz fçr Gewebe dienen. Beim therapeutischen Klonen wird der Kern der körpereigenen Zelle in eine entkernte Eizelle eingeführt. Der entstehende Embryo wird dann zur Gewinnung von pluripotenten Stammzellen genutzt. Da aber jeder Embryo ein unverwechselbarer Mensch ist, bedeutet selbst das therapeutische Klonen das Töten eines Menschen. Darin liegt die Begründung, warum das therapeutische Klonen weiterhin umstritten ist. Das Erzeugen von Embryonen für solche Zwecke ist sogar abzulehnen. In Deutschland ist es ausdrücklich verboten. Immerhin ist ja auch die PID nicht erlaubt. Außer dem therapeutischen Klonen versucht man, zielgerichtet einen Menschen zu reproduzieren. Damit will man einen identischen Menschen entstehen lassen. Das reproduktive Klonen wird zur Gewinnung embryonaler Stammzellen praktiziert, um Zell- und Gewebeersatz zu gewinnen. Bei dieser nach dem Klonschaf „Dolly“ genannten Methode wird der Kern der körpereigenen Zelle in eine entkernte Eizelle eingeführt (s. o.) und zum Wachstum stimuliert. „Sofern dies gelingt, entsteht ein menschlicher Embryo, der dann in einer sehr frühen Entwicklungsphase für die Gewinnung von pluripotenten Stammzellen genutzt werden kann“10. Mittlerweile sollen mit Hilfe der vor zwölf Jahren durchgeführten Dolly-Methode menschliche Zellen geklont worden sein. Damit wäre amerikanischen Forschern das gelungen, was vor vier Jahren der südkoreanische Klonspezialist Hwang Woosuk betrügerisch als Erfolg ausgegeben hatte. Eine Gruppe um den Klonforscher Andrew French in Kalifornien 10 Evangelische Kirche in Deutschland, EKD Texte, Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen, Hannover 2002, n. 3.1.2.2

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

will aus 29 unbefruchteten Eizellen junger Frauen, die sie in sogenannten Reproduktionskliniken freiwillig gespendet hatten, das Erbmaterial entfernt und durch den Zellkern aus fremden Hautzellen ersetzt haben. Aus den in der Petrischale kultivierten Embryonen haben diese Forscher fünf Blatozyten mit 41 bis 70 Zellen erzeugt. So weit hat sich bisher noch kein menschlicher Klon entwickelt. Allerdings hat sich in der Genanalyse nur einer als Klon erwiesen. Man hofft freilich weiterhin, aus den klonierten Blastozyten genetisch maßgeschneiderte Stammzellen, also induzierte pluripotente Stammzellen (iPS), zu gewinnen. Die Spenderfrauen, die sich für die Abgabe der benötigten Eizellen zur Verfügung stellten, mussten freilich für die Klonforscher für dieses Experiment jung sein. Das Ergebnis aus dieser Spende hat um den Jahreswechsel 2007 / 2008 viele Menschen überrascht. Aber ein wissenschaftlicher Durchbruch zur Gewinnung von iPS ist das noch nicht. Heute werden fast wöchentlich neue Forschungsergebnisse veröffentlich. 2. Geschichtliche Entwicklung Zwar ist man sich einig, dass eine regenerative Medizin anzustreben ist. Denn man möchte schon medizinisch genaue Ersatzgewebe züchten. Aber damit lässt sich keineswegs das Klonen durch Kerntransfer in Eizellen begründen, wie es in den erwähnten verschiedenen Experimenten vorgenommen wurde. Wer nämlich wie beim Klonen eine Transplantierung von Zellkernen und so eine Reprogrammierung von Körperzellen bis zur Pluripotenz anstrebt, der begibt sich – jedenfalls heute noch – ins Reich des Ungewissen. Heute möchte man die sogenannte Fließrichtung der Embryonalentwicklung umdrehen, also nicht mehr von der Keimzelle zur befruchteten Eizelle, sondern auf zellulärer Ebene von der ausgereiften Hautzelle zurück zur embryonalen Stammzelle gehen. Man gewann so künstliche – rückpro-

I. Reprogrammierung

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grammierte – Stammzellen. Das führte zum ersten Mal ohne den Umweg über eine Nutzung oder Erzeugung von menschlichen Embryonen aus einfachen Hautzellen der Menschen zu den induzierten pluripotenten Stammzellen, die zwar den ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen ähneln, aber biomedizinisch schonend hergestellt werden. Andererseits ist indessen noch nicht klargestellt, ob die gewonnenen iPS-Zellen in wirklich allen Funktionen den natürlichen Stammzellen ebenbürtig sind. In der Gegenwart ist es bei der Erforschung von Zellkulturen zu der Reprogrammierung (Rückverwandlung) gekommen. Japanischen und amerikanischen Forschern ist es gelungen, eine Verjüngung von normalen menschlichen Körperzellen ohne Klonen vorzunehmen. In diesem neuen Verfahren werden einfache Hautzellen mit einem Gencocktail ohne Umwege über Eizellen verjüngt. Am 6. Juni 2007 hatten nämlich drei Forschergruppen aus Großbritannien (Cambridge), aus den Vereinigten Staaten (Havard) und aus Japan (Kyoto) bekannt gegeben, dass es ihnen gelungen sei, Hautzellen in embryonale Stammzellen zurückzuverwandeln. Vor allem der Arbeitsgruppe um den deutschståmmigen Forscher Rudolf Jaenisch am Institute of Technology in Cambridge ist dieser Erfolg zu danken. Dabei hatten bereits ein Jahr vorher Forscher aus der Universitåt Kyoto behauptet, Hautzellen von Måusen reprogrammieren zu kænnen. In diesem Fall wurde eine beliebige Zelle des Kærpers in eine Stammzelle zurçckverwandelt. Grundsåtzlich kænnte auf diese Weise nach einer Vervielfåltigung durch Manipulationen eine Zelle in eine beliebige andere Zelle verwandelt werde, so dass auch ein komplettes Gewebe aus Tausenden von Hirnzelle entstehen kænnte. Es lieûe sich auf diesem Wege sogar jedes Gewebe und kæpereigene Organ zçchten. Der Prozess der Reprogrammierung galt lange Zeit als Wunschvorstellung. Zwar wurden bislang solche Versuche an Mäusen und nicht an Menschen unternommen. Aber bisher

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

war es nur möglich, durch die Zerstörung von Embryonen embryonale Stammzellen zu gewinnen. Am 20. November 2007 hat dann der Amerikaner James Thomson mit seinem japanischen Kollegen Junying Yu in der Welt der Biomedizin ganz neue Forschungserkenntnisse im Blick auf die künstliche Herstellung von Stammzellen veröffentlicht. Zeitgleich publizierten die Japaner Kazutoshi Takahashi und Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto ihre Forschungsergebnisse an Mäusen. Mit diesen Erkenntnissen wurde der Königsweg einer regenerativen Medizin beschritten, der irgendwann einmal für Patienten zu überlebenswichtigen Ersatzteilen führen könnte. Speziell der Ansatz des Japaners Yamanka mit seinem iPS-Ansatz wurde in der Stammzellforschung mit dem Heiligen Gral verglichen, so Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster. Die menschlichen somatischen Zellen können nun so reprogrammiert werden, dass sie die essentiellen Eigenschaften embryonaler Stammzellen ausweisen. Mittlerweile haben jetzt sogar amerikanische Stammzellenforscher um den deutschen Genpionier Rudolf Jaenisch eine Blutkrankheit durch einen Gen-Eingriff mit anschließender Transplantation der reprogrammierten Stammzellen geheilt. R. Jaenisch ist der Forscher, der vor vier Jahren den Nachweis erbrachte, dass therapeutisches Klonen zur Gewinnung von embryonaler Stammzellen prinzipiell machbar ist. Aber heute ist er auf den neuen Weg des Reprogammierens eingeschwenkt, der ethisch weitaus unverfänglicher ist. Der Weg, den die Klonforscher zu gehen bereit sind, erweist sich nämlich nicht als unbedingt erfolgversprechender. Aufgrund der Forscherergebnisse bei der Reprogrammierung stellte sogar der Klonforscher Ian Wilmut, der das Klonschaf Dolly gezüchtet hat, seine Arbeiten mit dem therapeutischen Klonen am Menschen ein und hat sich dem neuen Verfahren zugewandt. Nach seiner Aussage ist die Reprogrammierung viel praktischer und weniger kostspielig als der Zellkerntransfer. Damit könnte der ethische Streit ein wenig entschärft sein!

I. Reprogrammierung

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Zum anderen hat sich ebenfalls an den ethischen Einwänden gegen das Klonen nichts geändert. 3. Schwierigkeiten bei der Reprogrammierung Heute lässt sich sagen, dass der Prozess der Reprogrammierung ökonomisch fruchtbarer, weil gezielter, schneller und preiswerter durchführbar ist als das Klonen durch Kerntransfer in Eizellen. Außerdem ist dieses Verfahren in der Gesellschaft akzeptabel und darum auch mehrheitsfähig. Aber manche Forscher – besonders in Deutschland und den USA – sind der Meinung, dass sie, selbst wenn sie mit den Stammzellen aus dem Nabelschnurblut forschen, der embryonalen Stammzellen bedürfen, um die aus dem Nabelschnurblut gefundenen Ergebnisse mit denen aus den embryonalen Stammzellen vergleichen zu können. Auf diese Neuentwicklung ist zwar besonders aufmerksam zu machen. Aber ihre Bedeutung ist bis heute noch nicht absehbar. Denn die zur Stammzelle verjüngte Hautzelle wird dadurch nicht plötzlich wieder frisch! Zwar wird sie auf die embryonale Ausgangsposition „zurückgestellt“. Aber die Zelle ist durch den Lebensprozess verändert. Und inwieweit die Altersschäden für die Zelle gefährlich werden können, ist noch nicht erwiesen. Aber noch sind die beiden amerikanischen und japanischen Forscherteams von einem echten medizinischen Durchbruch nach eigenen Angaben weit entfernt. Denn zusätzlich zu den generellen Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung stößt der Wirkungsmechanismus der implantierten Gene auf Ungewissheit. Diese stellen die vier sogenannten ,Hauptschalter‘ für die Verjüngung der Zellen dar. Aber am Ende bewährten sich die Gene Oct3 / 4, Sox2, Klf4 und c-Myc, deren Bauanleitungen die Forscher mit Hilfe von Viren einschleusten. Von 98 ausgewählten Faktoren zeigten nach ersten Tests 14 Gene das notwendige Potential. Die Retroviren hatten die Gene in den Hautzellen untergebracht, so dass diese Gene in

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

der Lage waren, die innere Uhr der Jahrzehnte alten Hautzellen gleichsam wieder auf null zu stellen. Anschließend hatten die Forscher aus diesen rückprogrammierten Zellen, den induzierten pluripotenten Stammzellen, andere Zelltypen, zum Beispiel Herzmuskel- oder Nervenzellen gezüchtet, was versuchsweise auch gelang. Es traten noch andere Schwierigkeiten auf. Denn die für das Programm der Reprogrammierung notwendigen Gene bedürfen, wie gesagt, des Einschleusens von Viren in die Zellen. Durch diesen gentechnischen Eingriff kann das Erbgut der Zelle Schaden nehmen. Darum muss jetzt nach natürlichen oder künstlichen Stoffen gefahndet werden, durch die die Viren ersetzt werden können. In der Tat ist man überzeugt, dass die Rückprogrammierung schon bald ganz ohne Retroviren auskommen kann. Die in der Kulturschale (Petrischale) gezüchteten Zellen sollen später einmal zu einer Reparatur von geschädigten Körpergeweben eingesetzt werden. Das alles ist immerhin in derselben Zeiteinheit von zwei Jahren geschehen, in der die kalifornischen Forscher noch vergeblich versuchten, einen Stammzellen liefernden Klon zu erzeugen. Mittlerweile ist durch Yamanaka eine zweite Generation von künstlichen Stammzellen vorgestellt worden. In ihnen wurde eines der vier zur Rückprogrammierung benötigten Gene, die nachweislich Krebs erzeugen können, ersetzt. Neuerdings benötigt man nur noch zwei Faktoren, nämlich: Oct4 und Klf4. Das Einschleusen dieser Schlüsselgene hat das effizienteste Ergebnis erzielt: Adulte Stammzellen wurden im Labor in den Embryonalzustand zurückverwandelt. Schon die Reduzierung des Programmierungscocktails auf zwei Gene verringerte die Krebsgefahr. Allein schon der Verzicht auf den Faktor c-Myc verbessert das Verfahren, weil dieser das Krebsrisiko erhöht11. Die Forscher des Max-Planck11 Vgl. Schöler, Hans, in: FAS vom 29. Juni 2008, S. 62. Interview: Aus vier mach zwei.

I. Reprogrammierung

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Institutes haben statt der schon ausgereiften Hautzellen die „jugendlicheren“ Körperstammzellen aus dem Kopf benutzt. In jüngster Zeit gelang ihnen ein weitergehender Schritt: Sie haben die Alleskönner erstmals ganz ohne Gen-Eingriff aus dem Hodengewebe der Maus im Labor hergestellt. Solche künstlichen Keimbahnzellen, sogenannte Germline derived pluripotent stem cells (gPS) kommen zwar selten vor, erweisen sich aber als extrem ähnlich zu den embryonalen Stammzellen. Sie stehen sogar diesen näher als die induzierten pluripotenten Stammzellen des Japaners Shinya Jamanaka. Aber was dieser Weg wirklich wert ist, wird sich erst in der Zukunft erweisen. Denn immerhin sind bisher nur männliche Alleskönnerzellen hergestellt. Wie steht es mit den weiblichen Zellen? Außerdem muss festgestellt werden, dass die bisherigen Erfolge nur aus solchen Labors stammen, die einen freien Zugang zu embryonalen Stammzellen haben, also Vergleiche zwischen embryonalen und reprogrammierten Stammzellen anführen können. Und solche Vergleiche scheinen immerhin notwendig zu sein. Sie dürfen jedoch keineswegs dazu führen, jede Beschränkung in der Forschung mit embryonalen Stammzellen aufzuheben. Immerhin ist nunmehr eine fieberhafte Suche entbrannt, um das Land der ewigen Zelljugend zu erreichen. Denn auf diesem Wege könnte man eines Tages auf verbrauchende Embryonenforschung ganz verzichten. Es müssten also keine Reagenzglas-Embryonen mehr getötet werden, um Stammzellen zu gewinnen, durch die bestimmte Krankheiten, wie Parkinson, Alzheimer, Diabetes bekämpft werden könnten. Eine besondere Gefahr bei der Reprogrammierung liegt freilich auf einem anderen Gebiet. Mit dieser Technik könnte die menschliche Fortpflanzung auf den Kopf gestellt werden. Denn wenn sich ausgewachsene Zellen eines Menschen in Stammzellen und in jede beliebige Zellenart umwandeln lassen, könnten aus ihnen sowohl Eizellen als auch Spermien gewonnen werden.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Dann könnten sich Frauen mit Spermien aus dem eigenen Körper befruchten lassen und ohne Beteiligung eines Mannes ein Kind zur Welt bringen. Allerdings könnten sie nur Töchter bekommen, da ihre Zellen nur Erbgut von X-Chromosomen enthalten. Das männliche Y-Chromosom würde ihnen fehlen. Umgekehrt könnten Männer aus eigenen Körperzellen auch Eizellen umprogrammieren und mit Hilfe von Leihmüttern zu Kindern kommen. Da in männlichen Zellen sowohl X- als auch Y-Chromosomen enthalten sind, könnten in diesem Fall Söhne und Töchter entstehen. In beiden Fällen wären solche Kinder aber nur das genetische Produkt aus einem Elternteil. Sie wären keine identische Kopien. Sie wären deshalb keine Klone. Denn es wird keine genetische Kopie eines einsamen Elternteils heranwachsen. Die Bausteine hätten sie zwar ausschließlich von der Mutter oder dem Vater geerbt. Aber sie wären völlig neu zusammengesetzt. Neuerdings ist im Zuge des Reproduktionsprogramms und des Klonens von Menschen noch ein anderer Weg beschritten worden. Britische Wissenschaftler versuchen, mit Hilfe eines bioethisch äußerst umstrittenen Prozesses, menschliches Erbgut in die Eizellen von Kühen zu transportieren. Damit sollen freilich nicht, auch wenn es sich so anhören mag, Mischwesen aus Mensch und Tier, also etwa Chimären (vorne Löwe, in der Mitte Ziege, hinten Drache), Harpyien (Frau plus Vogel), Zentauren (Mensch plus Pferd) oder Tritonen (Zentauren plus Delphin) erzeugt werden. Vielmehr sollen nach der britischen Aufsichtsbehörde für Fragen der Entstehung von Leben mittels der Einpflanzung des menschliches Erbguts die beim Klonen gebrauchte Anzahl der weiblichen Eizellen ersetzt werden. Das britische Unterhaus hat am 23. Oktober 2008 der Herstellung von menschlich-tierischen Embryonen in dritter Lesung zugestimmt. Nun muss das Gesetz noch das Oberhaus passieren. Mit dieser Methode sollen Stammzellen entstehen, die menschlichen Zellen nahe kommen. Man möchte so die Knappheit der

II. Samen- und Eizellenspende

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menschlichen Stammzellen ausgleichen. Das Gesetz erlaubt die Kultivierung solcher Embryohybriden für den Zeitraum von vierzehn Tagen, verbietet aber die Einpflanzung in die Gebärmutter. Damit will man verhindern, dass Frauen weiterhin als Ersatzteillager benutzt werden. Um diesem Vorwurf zu entgehen, will man, so jedenfalls Lyle Armstrong von der Universität Newcastle, die Zellhüllen von Kühen anstelle der Eizellen von Frauen benutzen. Ebenso will man die Eizelle von Schweinen oder Kaninchen gebrauchen, um so den Mangel an menschlichen Eizellen zu beheben. Die Absicht der Forscher ist es, die biochemischen Prozesse schwer kranker Menschen im Labor zu untersuchen. Dabei will man embryonale Zellen mit dem Erbgut eines Erwachsenen erzeugen. In möglichst lebensnahen Zellkulturen soll nachvollzogen werden, was bei unheilbaren Krankheiten geschieht. Allerdings stellt sich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, mit Hilfe artfremder Zellen den Kampf gegen bisher unheilbare degenerativen Krankheiten aufnehmen zu können. Bei einer Umfrage mag zwar die Mehrheit der Bevölkerung für solche Versuche stimmen, wenn es um die Bekämpfung von bisher unheilbarer Krankheiten geht. Aber diese Vorgehensweise entspricht weder der Würde des Menschen noch des Tieres. Zu fragen ist weiter, ob man eine solche Verfahrensweise überhaupt verantworten kann? Denn immerhin wird die Artgrenze zwischen Tier und Mensch intensiv verletzt.

II. Samen- und Eizellenspende Die Kinderlosigkeit in der Ehe – durch die Zeugungsunfähigkeit des Mannes oder durch die Sterilität der Frau hervorgerufen – kann oftmals entweder durch die Samenspende eines fremden Mannes oder durch eine Eispende einer fremden Frau behoben werden.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Im Falle der Zeugungsunfähigkeit des Mannes wird gelegentlich die Übertragung eines fremden Samens auf die Frau empfohlen. Man spricht dann von einer heterologen Insemination. In jüngster Zeit hat sich in Europa die Praxis der Eizellenspenden vermehrt. Während in Deutschland die Samenspende seit vielen Jahrzehnten gesetzlich erlaubt und sogar verbreitet ist, ist die Entnahme und die Befruchtung einer Eizellenspende nach dem Embryonenschutzgesetz verboten. In Spanien, Belgien, in der Tschechischen Republik und auch in den Vereinigten Staaten ist dagegen die Eizellenspende erlaubt. Haben die Klinik und die „Eltern“ eine geeignete Eizellenspenderin gefunden, wird der Zyklus der Frau und auch der Spenderin durch Hormone stimuliert. Die Eizellen werden entnommen und künstlich, also extrakorporal, befruchtet und der Empfängerin in die Gebärmutter eingesetzt. Wird daraus eine Schwangerschaft, wird das Kind als ihre Frucht behandelt. Dadurch entsteht eine enge Verbindung zum Kind, auch wenn die Eizelle selbst nicht von der Mutter stammt. Die Verbindung zwischen Mutter und Kind ist sicher enger als bei einer Adoption. Aber die späteren Einwände des Kindes bleiben hier ebenso bestehen wie bei einer heterologen Insemination. Trotz eines bestehenden Einverständnisses zwischen den Eheleuten kann das Verhältnis der Ehepartner langfristig durch den fremden Eingriff gestört sein. Ebenfalls kann das Kind in der Zukunft durch eine solche Übertragung eines fremden Samens belastet werden. Eine familiäre Geborgenheit wäre von Anfang an nicht geben. Vor allem ist damit die familiäre Nestwärme für das Kind in Gefahr. Die für ein Kind maßgeblichen Bestimmungsgründe für das Werden und Wachsen liegen in der liebevollen Beziehung der Eltern. Diese kann sogar durch eine extrakorporalen Insemination stark gestört werden. Um wieviel mehr besteht eine solche Gefahr in der heterologische Insemination.

II. Samen- und Eizellenspende

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In allen Fällen – also in der extrakorporalen, in der heterologischen Insemination und auch in der Eizellenspende – kommt als besonderes Argument gegen diese Form der Schwangerschaft die Vernichtung der überzähligen Embryonen hinzu. Diese steht in einem grundsätzlichen Widerspruch zu dem Schutz des werdenden menschlichen Lebens. In Deutschland ist jedwede verbrauchende Embryonenforschung und damit auch die Herstellung menschlicher embryonaler Stammzellen verboten. Allerdings durfte nach dem Stammzellengesetz des Jahres 2002 mit menschlichen embryonalen Stammzellen geforscht werden, wenn sie aus dem Ausland vor dem 1. Januar importiert wurden. Gleichzeitig musste es sich bei dem Vorhaben um hervorragende Forschungen handeln, deren Ergebnisse nicht durch Tierversuche gewonnen werden können. Man ließ damit also die Forschung an einem Menschen zu. In der jüngsten parlamentarischen Diskussion in Deutschland, die sich mit der Veränderung des Embryonengesetzes und hierbei vor allem mit der Verschiebung des Stichtages beschäftigte, standen folgende Möglichkeiten, hinsichtlich einer verbrauchenden Embryonenforschung zu verfahren, zur Debatte: 1. Die Beibehaltung der alten Stichtagsregelung auf den 1. Januar 2002, 2. eine einmalige Verschiebung des Stichtages auf den 1. Mai 2007, 3. eine völlige Abschaffung von Stichtagen und damit eine Freigabe der Embryonen, 4. ein völliges Verbot jeder Embryonenforschung. Für viele Parlamentarier war die Verschiebung des Stichtages entscheidend, weil sie dadurch neue Zelllinien für Forschungszwecken erhalten würden. Denn die älteren Zelllinien sind genetisch degeneriert und mit Viren verseucht. Außerhalb Deutschlands arbeiten kaum noch Forscher mit diesen in Deutschland legalen Zelllinien.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Der Deutsche Bundestag hat am 11. April 2008 die Stichtagsregelung vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007 verschoben. Allerdings war man sich klar, dass die grundsätzliche ethische Frage über den Verbrauch von Embryonen mit dieser Entscheidung nicht aufgehoben war. Vielfach war bereits in der Vergangenheit gefordert worden, die Stichtagsregelung ersatzlos zu streichen. Selbst auf dem Parteitag der CDU in Hamburg im Dezember 2007 wurde beschlossen, die Stichtagsregelung zu liberalisieren. Als Begründung dafür wurden die erweiterten Forschungsmöglichkeiten mit embryonalen Stammzellen genannt. Zwar wurde vielfach der Kompromiss erörtert, eine einmalige Verschiebung vorzunehmen. Aber die Gefahr blieb, dass damit ein Kurswechsel verbunden sein könnte. Außerdem ließ sich die Gefahr eines „gleitendenden“ Stichtages nicht von der Hand weisen. Endlich ist heute hinzuzufügen, dass in der Zwischenzeit menschliche embryonale Stammzellen für die Forschung nicht unbedingt notwendig wurden. Die Verschiebung der Stichtagsregelung wurde immer wieder von vielen in der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Politik und von beiden Kirchen verworfen. Aber während sich die katholischen Bischöfe gemeinsam aufgrund der päpstlichen Lehrautorität gegen eine solche Veränderung aussprachen, sind die evangelischen Bischöfe geteilter Meinung. In einem Beschluss der Synode der EKD von Anfang November 2007 hielt man eine einmalige Verschiebung des Stichtages für vertretbar. Man meinte, dadurch dem Vorwurf einer ständigen Anpassung zu begegnen, dass man den Gesetzgeber in die Pflicht nahm, eine solche Anpassung vornehmen zu lassen. Obwohl das eine umständliche Prozedur sein wird, wäre auch dadurch kaum ein ständiger Anpassungsprozess zu verhindern. Gegen eine Freigabe der Forschung an embryonalen Stammzellen spricht, dass es bis heute keinen Hinweis darauf gibt, dass eine stichtagslose Forschung an embryonalen Stammzellen die Menschheit der Heilung schwerwiegender

III. Organtransplantation

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Krankheiten näher bringen würde, als es die deutsche Forschung an adulten Stammzellen bisher vermochte.

III. Organtransplantation Über die grundsätzliche Zulässigkeit von Organspenden und Organtransplantationen herrscht in der Gesellschaft weitgehende Einigkeit. Bereits im Jahre 1990 haben die beiden Kirchen die Organspende nach dem Tod als „ein Zeichen der Nächstenliebe und Solidarität mit Kranken und Behinderten“ bezeichnet12. Die meisten zu transplantierenden Organe – mit Ausnahme der Lebendspenden (s. u.) – werden nicht Lebenden, sondern Hirntoten entnommen. Im Unterschied zum Hirntod bedeutet der Herztod den Stillstand des Herzens und damit des Kreislaufs. Infolge des allgemeinen Ausfalls der Blutversorgung hört die Tätigkeit aller Organe gleichzeitig auf. Dagegen stirbt beim Hirntod das Gehirn vor allen übrigen Organen ab. Der Begriff des Hirntodes wurde bereits vor 200 Jahren geprägt, und damit 150 Jahre bevor er durch die „Entwicklung von Beatmungsgeräten für die medizinische Praxis wichtig werden konnte“13. Ebenso wie der Herztod bedeutet der Hirntod den Tod des Menschen. Denn „mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wieder zu erlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt“14. 12 Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD, (Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und Kirchenamt der EKD), Organtransplantationen, Bonn, Hannover 1990, in: Gemeinsame Texte Nr. 1, S. 26. 13 Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD (1990), Organtransplantationen, in: Gemeinsame Texte Nr. 1, S. 17. 14 Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD, Organtransplantationen (1990), in: Gemeinsame Texte Nr. 1, S. 18.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Die heutige Definition des Hirntodes als Tod eines Menschen „geht auf ein 1968 veröffentlichtes Gutachten des Ad-hocKomitees der Havard School zur ,Definition des irreversiblen Komas‘ zurück“15. Man wollte dieses als das neue Todeskriterium bestimmen. Aufgrund des medizinischen Fortschritts gibt es immer mehr Menschen, deren Atmung und Herz- und Kreislaufsystem funktionieren und aufrechterhalten werden können, obwohl deren Hirnfunktion irreversibel zerstört ist. Außerdem sollten die veralteten Kriterien für die Definition des Todes zukünftig nicht mehr zu Kontroversen bei der Beschaffung von Transplantationsorganen führen16. Der Hirntod wird heute in allen Länder als das entscheidende Merkmal für den Tod bestimmt. Die Feststellung des Hirntodes ist – abgesehen von ganz bestimmten Ausnahmen (z. B. Nierenoder Teilen einer Lebertransplantation) – die erforderliche Voraussetzung für die Organentnahme. Erst mit der Feststellung des Hirntodes ist also in den meisten Fällen verfassungsrechtlich die Transplantation von Organen zulässig. Allerdings war die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Organentnahme bzw. die Organtransplantation zulässig ist, lange Zeit umstritten. Man hatte in der Diskussion zwischen verschiedenen Lösungen unterschieden, nämlich zwischen einer – Widerspruchslösung, – Zustimmungslösung, – Erklärungslösung, – Informationslösung.

Bei der Widerspruchslösung sollte eine Organentnahme immer dann zulåssig sein, wenn der Verstorbene zu seinen Lebzeiten der Organentnahme nicht widersprochen hat. Diese 15 Ach, Johann S. und Mackmann, Georg, Todesbegriff und HirntodKriterium, in: Hrsg. Urban Wieding, Ethik in der Medizin, Stuttgart 2004, S. 329. 16 Ach, Johann S. und Mackmann, Georg (2004), S. 330.

III. Organtransplantation

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Form haben Lånder wie Ústerreich, Polen, Spanien, Portugal eingefçhrt. In der erweiterten Widerspruchslæsung ist ein zusåtzliches Widerspruchsrecht der Angehærigen nach dem Tode des Spenders eingefçhrt worden. Lånder, die diese Form eingefçhrt haben sind u. a. Belgien, Finnland, Frankreich, Italien, Russland. Das der Widerspruchslösung entgegengesetzte Modell ist die Zustimmungslösung. Bei ihr muss der Verstorbene zu einer Organentnahme zu Lebzeiten seine Zustimmung eindeutig geåuûert haben. Aufgrund dieser eindeutigen und nachweislichen Zustimmung wçrde die Zahl der Organentnahmen allerdings stark schrumpfen. Man spricht in diesem Fall von dem engeren Zustimmungsmodell Diese Form der Zustimmungsregelung gilt in den Vereinigten Staaten. In Deutschland gilt das sogenannte erweiterte Zustimmungsmodell. In diesem Fall dçrfen die Organe entnommen werden, wenn der potentielle Spender zugestimmt hat oder die nåchsten Angehærigen ihre Zustimmung zur Entnahme abgegeben haben. Sie sind dann allerdings an den mutmaûlichen Willen des Verstorbenen gebunden. Diese Læsung gilt in Deutschland seit dem 1. Dezember 1997. Andere Staaten, die dieser Form zugestimmt haben, sind Groûbritannien, Griechenland, Schweiz u. a. Im Einzelnen ist nach dem deutschen Gesetz eine Organentnahme zulässig, wenn 1. der Organspender in die Entnahme eingewilligt hat, 2. der Hirntod des Spenders festgestellt und 3. die Vornahme durch einen Arzt gewährleistet ist. Dabei ist die Feststellung des Todes nach bestimmten Regeln gemäß dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaften notwendig. Die Organentnahme ist nicht zulässig, 1. wenn der Verstorbene einer Organentnahme widersprochen hat und 2. der Tod vor der Entnahme nicht festgestellt wurde. Im Rahmen der Erklärungslösung wird vom jedem Bçrger verlangt, dass er eine Erklårung zur Frage einer etwaigen Or-

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

ganentnahme abzugeben hat. Dabei hat er die Mæglichkeit zuzustimmen, zu widersprechen oder die Alternative, sich gar nicht festzulegen. Bei der Informationslösung, die sich gegençber den anderen als Kompromisslæsung herausgebildet hat, liegt letztlich die Verantwortung bei den Angehærigen. Sie setzt voraus, dass der Verstorbene keine Erklårung zu seinen Lebzeiten abgegeben hat. Darum werden zunåchst die Angehærigen çber die geplante Organentnahme unterrichtet. Sofern diese nicht in einer angemessenen Frist widersprechen, ist eine Organentnahme mæglich. Von der Organentnahme eines Toten ist die Lebendspende zu unterscheiden. Die häufigste Form einer solchen Lebendspende ist die der Niere, da diese als Paar im Körper vorhanden ist. Der Spender büßt bei Verlust einer Niere seine Nierenfunktion nicht ein. Ebenfalls können Teile der Leber transplantiert werden. In Deutschland ist die Lebendspende bei Organen, die sich nicht wieder bilden können, nur von Verwandten ersten und zweiten Grades erlaubt. Um dem extremen Mangel an Spenderorganen abzuhelfen, hat in Deutschland der Nationale Ethikrat mittlerweile eine andere Lösung vorgeschlagen. Danach sollen immer Organe entnommen werden dürfen, wenn der potentielle Spender nicht ausdrücklich widersprochen hat.

IV. Schwangerschaftsabbruch Das Leben steht von Anfang an unter dem besonderen Schutz Gottes. Selbst im Alten Testament wird bereits der Embryo als Individuum im Mutterleib in besonderer Weise behütet. Im Buch Hiob wird von dem Leben und der Wohltat gesprochen, die Gott dem Menschen von Anfang bescherte (Hiob10,10 – 12, vgl. Ps.139,13; Jer.1,5).

IV. Schwangerschaftsabbruch

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Der Schutz des Lebens gilt für die katholische Kirche auch dem ungeborenen Leben in der ersten Zeit der Kirche, wie er in verschiedenen Synoden formuliert wurde. Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich nach dem Corpus Iuris Canonici die Exkommunikation zu (Canon 1398). Nach der Lehre des Aristoteles verläuft die Beseelung des Embryos in einer Stufenfolge. Zuerst ereignet sich im werdenden Menschen die pflanzliche, dann die tierische und endlich die menschliche Lebensform. Im Mittelalter übernahm die Scholastik diese Stufenfolge. Thomas von Aquin erkannte dem Menschen zunächst eine vegetarische, dann eine animalische und schließlich eine geistige Beseelung zu. Differenziert wurde nach dem Geschlecht. Beim Knaben fand die Beseelung (die animatio foetus) mit dem vierzigsten, die des Mädchens mit dem 80. bzw. 90. Tag statt. Indirekt ist diese 80 bis 90 Tagesfrist letztlich in der deutschen Gesetzgebung weiterhin enthalten, wenn von der Straffreiheit der Abtreibung die Rede ist, wie noch zu erörtern sein wird. Die Abtreibung war bis in die Neuzeit hinein verboten. Das Verbot gilt auch heute noch strikt in der katholischen Kirche. Im Mittelalter wurde die Abtreibung des lebendigen Foetus als Mord verstanden; sie zog die Todesstrafe und die Exkommunion nach sich. Im 19. Jahrhundert (1869) erließ der Papst Pius IX ein generelles Abtreibungsverbot. Er erklärte im Gegensatz zu früheren theologischen Ansichten, dass das Kind bereits mit der Zeugung seine Seele empfängt. In der Pastoralkonstitution des Vaticanum II wird festgehalten: „Das Leben ist . . . von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen“17. Johannes Paul II. stellte fest, „dass die direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein schweres sitt17

Gaudium et Spes in: Texte zur katholischen Soziallehre 41977, n. 51.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

liches Vergehen darstellt, nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen“18. Für ihn ist die Lehre im Naturrecht und im Wort Gottes begründet. Sie entspricht der Tradition und dem Lehramt der Kirche. Nach der Naturrechtslehre der katholischen Kirche ist auch heute noch der Abbruch Mord. Diese Beurteilung gilt gemäß dieser Lehrtradition als eine Norm für alle Menschen. Nach dem fünften Gebot „Du sollst nicht töten“ ist in der jüdisch-christlichen Moralvorstellung eindeutig das Töten untersagt. Wenn ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird, geht es nach der gegeben Definition um das Töten eines Menschen. Wo das aber geschieht, tritt immer auch die Frage der Schuld auf. Die Schwangere steht gegebenenfalls vor der notvollen Situation, das werdende Kind anzunehmen oder es durch Abtreibung zu töten. Dass es überhaupt zu einer solchen Entwicklung kam, hat sicher mehrere Ursachen: 1. Die Medizinisch-technische Entwicklung, die einen Abbruch besonders risikolos werden ließ, 2. die Verproletarisierung der Bevölkerung, 3. die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der Frau, die nach einer Verwirklichung im Berufsleben ohne Mutter-Kind-Begrenzung strebt19. Immerhin ist das Recht auf Selbstbestimmung ein Teil der menschlichen Würde. Hinzufügen ist 4., dass ein Schwangerschaftsabbruch zu Zeiten der Auflösung der Familie leichter akzeptiert wird als in einer Zeit, in der noch von einem Zusammenhalt der Familie gesprochen werden konnte. Bei der Frage, einen Schwangerschaftsabbruch zu erwägen, kommt es heute oft auf das Umfeld an, in dem die werdende Mutter lebt. In der protestantischen Kirche besteht die grundsätzliche Meinung, dass kein fremdes Leben angetastet werden darf. Auch das ungeborene Leben nicht! Zwar soll auch die wer18 Johannes Paul II, Evangelium Vitae, in Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 120 v. 25. März 1995, Z. 62. 19 Vgl. Honecker, Martin, Grundriss der Sozialethik, Berlin 1995, S. 96.

IV. Schwangerschaftsabbruch

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dende Mutter ihr Leben selbst bestimmen. Aber diese Selbstbestimmung muss ihre Grenze finden im Lebensrecht des anderen. In der gemeinsamen Erklärung der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz „Gott ist ein Freund des Lebens“ aus dem Jahr 1989 ist übersichtsartig formuliert worden: „Was wir brauchen, ist eine umfassende gemeinsame Anstrengung aller zum Schutz des Lebensª20. Weiter wird gesagt, dass das Leben des ungeborenen Kindes nicht angetastet werden darf. Zwischen der katholischen und der protestantischen Auffassung çber den Schutz des Lebens besteht çber den allgemeinen Konsens hinaus, wie er in der genannten Veræffentlichung im Hinblick auf die damit gestellten Aufgaben und Herausforderungen ausgedrçckt wurde, ein Dissens in der Anwendung von Verhçtungsmitteln und çber die strafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruch. Zwar befriedigt die strafrechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs die ev. Kirche auch nicht. Aber ein besserer Schutz des ungeborenen Lebens ist durch Gewissensbildung, Bewusstseinsbildung und sozialpolitische Maûnahmen immerhin mæglich21. Darum akzeptiert die ev. Kirche die Beratungsstellen mit der Ausgabe von Konfliktberatungsscheinen. Seit der Ønderung des Abtreibungsrechtes in Deutschland aus dem Jahr 1995 mçssen sich nåmlich Schwangere vor einer Abtreibung beraten lassen. Nach dieser Gesetzgebung darf der Arzt eine Abtreibung nach § 218 StGB nur vornehmen, wenn die Schwangere sich im Rahmen einer Konfliktberatung einen Beratungsschein hat ausstellen lassen. Das Schwangerschaftskonfliktgesetz sieht vor, dass die Schwangere zur Fortsetzung ihrer Schwangerschaft ermutigt werden soll, und zugleich sind ihr Auswege aus der Notlagesituation aufzuzeigen. Der evangelischen Kirche ist es leichter gefallen als der katholischen, sich im Zuge des neuen Abreibungsrechtes an dieser Ausstellung von Beratungsscheinen zu beteiligen. Die ka20 21

EKD, (1989), S. 11. EKD, (1989), S. 85 f.

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tholischen Bischöfe dürfen nach einer Intervention von Papst Johannes Paul II. diesen Schein nicht mehr ausstellen. Diese Beratung muss zielorientiert vorgenommen werden und im Ergebnis offen sein. In der Zielorientierung muss vor allem der Schutz des ungeborenen Lebens gelten. Die Offenheit des Ergebnisses ist darin zu sehen, dass die Frau nicht gezwungen werden kann, nicht abzutreiben und das Kind zu behalten. Aber darf man überhaupt die Frau in die Zwanglage versetzen, das Kind auszutragen? Immerhin hat sie eine eigene Würde. Allerdings das Ungeborene auch! Zwar könnte der Gesetzgeber generell eine Lösung vorschreiben. In jedem Fall sollte eine Beratung vorausgehen, die auf den Schutz des Kindes ausgerichtet ist. Denn jedes Kind ist ein Geschenk und darf im Glauben angenommen werden22. Aber natürlich kann das Recht des Kindes letztlich immer nur mit der Mutter und nicht gegen sie geschçtzt werden. Die Rechtslage in Deutschland ist seit 1995 dadurch gekennzeichnet, dass der Schwangerschaftsabbruch nach dem § 218 rechtswidrig ist. Aber in einer Reihe von Fällen sind Ausnahmen möglich. Wenn: 1. Die Schwangere nachweisen kann, dass sie an einer Konfliktberatung teilgenommen hat und die Abtreibung in den ersten 12 Wochen nach der Befruchtung erfolgt. 2. Eine Vergewaltigung stattgefunden (kriminologische Indikation) hat. 3. Eine Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren besteht (medizinische Indikation). In den Ausnahmefällen 2 und 3 wird der Abbruch ausdrücklich als nicht rechtswidrig bezeichnet. Das Strafgesetzbuch wurde 1995 nach einem Urteil des Bundesverfassungsgericht so geändert, dass auch für den 1. Fall der Abbruch 22 Vgl. EKD und Deutsche Bischofskonferenz, Gott ist ein Freund des Lebens, 1989, S. 68.

IV. Schwangerschaftsabbruch

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zwar als rechtswidrig, aber als straffrei gilt, wenn eine Beratung stattgefunden hat. Eine Abtreibung aufgrund einer Behinderung eines Kindes ist nicht erlaubt (embryopathische Indikation). Mit Erstaunen musste man zur Kenntnis nehmen, dass in der parlamentarischen Debatte des Deutschen Bundestages vom April 2008, als es um die Verschiebung der Stichtagsregelung ging, wohl über die Frage der Forschung an embryonalen Stammzellen debattiert wurde. Aber auf den Zusammenhang zwischen der Forschung einerseits und einer gleichzeitigen zulässigen Abtreibung andererseits wurde nicht aufmerksam gemacht. In dem Konflikt einer lebensbedrohlichen Situation, in dem das Leben der Frau und das des ungeborenen Kind auf dem Spiel steht, ist es nicht einfach, Stellung zu beziehen. Denn immerhin ist nach dem Gesagten der Embryo bereits mit der Empfängnis als personale Existenz zu behandeln. Sein Leben ist ebenso zu schützen und zu erhalten wie das Leben der Frau. Sollte jedoch das Leben der Frau gegen das Leben des Kindes stehen, belastet in jedem Fall die Entscheidung, die getroffen werden muss, das Gewissen des Handelnden. Diese Entscheidung führt zu einem tragischen Konflikt. Hier gibt es wohl nur eine Gewissensentscheidung des Handelnden. Zwar dürfen nicht die Lebensinteressen des schon Geborenen den Lebensinteressen des noch nicht Geborenen vorgezogen werden. Das würde bedeuten, dass man zwischen Lebenswerten und weniger Lebenswerten unterschiede. Dennoch muss in einem solchen Fall letztlich allein der Arzt aufgrund des Abwägens aller Umstände die Entscheidung aus seinem Gewissen heraus treffen, wenn der oben genannte tragische Konflikt vorliegt, also die Mutter nicht mehr in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen23. 1976 haben die Deutschen Bischöfe anlässlich der Novellierung des § 218 StGB von der Konfliktsituation des Arztes in 23 Vgl. Virt, Günter, Damit Menschsein Zukunft hat, hrsg. Gerhard Marschütz und Gunter M. Prüller-Jagenteufel, Würzburg 2007, S. 179 f.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

einem solchen Fall gesprochen. Sie forderten, dass in dieser konkreten Einzelsituation allein die sehr sorgfältig zu treffende Gewissensentscheidung des Arztes maßgeblich ist24. Die Bischöfe waren der Meinung, dass ein Schwangerschaftsbruch in dieser ausweglos erscheinenden Konfliktsituation keineswegs ein moralisch zu verwerfender Abbruch ist, sondern vielmehr die Rettung wenigstens eines Lebens. Welches von beiden zu erhalten ist, liegt eben in der Hand des Mediziners. Denn er kann am ehesten die Überlebenschancen der beiden Betroffen abwägen. Immerhin gilt es zu beachten, dass zwischen einem bereits existierenden und einem erst zu gebärenden Leben zu entscheiden ist. Außerdem ist bei einer solchen Entscheidung das Vorhandensein von weiteren Kindern zu bedenken. Es könnte schließlich auch diesen Kindern die Mutter genommen werden, sofern man sich für das Ungeborene und nicht für die Mutter entscheiden sollte. Anders lautet die Entscheidung, die Pius XII. gegeben hatte. Sie wurde von ihm in eindeutiger Weise, aber eben nicht mit höchster Autorität festgelegt. Und außerdem ging es nicht um eine Alternativfrage. In einer Rede an die Hebammen hat er 1940 davon gesprochen, dass jeder Mensch sein Lebensrecht nicht durch die Eltern, sondern allein von Gott habe25. Das gelte eben auch vom Leben im Mutterleibe. Das Kind sei ein Mensch, „selbst schon vor seiner Geburt, und zwar im selben Grad und ob des gleichen Rechts wie seine Mutter“. Die Rettung der Mutter sei ein hohes Ziel, „aber die direkte Tötung des Kindes als Mittel zu diesem Ziel ist nicht erlaubt“. Es gebe keine Instanz, die über dieses Leben verfügen dürfe. Über jedes Gesetz und über jede Indikation erhebe sich das unantastbare Gesetz Gottes. Zwar sei die Rettung der Mutter ein durchaus edles Ziel. Aber dieses dürfe nicht auf Kosten des Kindes angestrebt werden. Es gebe für ihn also keine einzige 24 Vgl. Martin Koschorke und Jörg F. Sandberger (Hrsg.), Schwangerschaftskonfliktberatung, Göttingen 1978, S. 384. 25 Vgl. Acta Ap. Sedis, vol.XXXII (1940), S. 553 f.

IV. Schwangerschaftsabbruch

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Indikation, die eine solche Handlung der Tötung des Ungeborenen zu Gunsten des geborenen Lebens erlaube. Beide Großkirchen waren sich aber in ihrer gemeinsamen Erklärung zum Schutz des Leben letztlich einig, dass es bei Schwangerschaftskonflikten, in denen aus medizinischen Gründen es angezeigt ist, eine unausweichliche Entscheidung gegen das Ungeborene zu treffen, alle Beteiligten in die Dimension eines Schuldigwerdens geraten. Konflikte von solcher Schärfe können nun einmal nicht immer allgemeinverbindlich gelöst werden26. Ob freilich solche Gedanken heute zwischen katholischem und evangelischem Denken noch konsensfähig sind, muss offen bleiben. Sollte allerdings zwischen den beiden Leben entschieden werden müssen, so wäre es unverantwortlich, beide, also Mutter und Kind, sterben zu lassen. Die Frage eines Schwangerschaftsabbruchs stellt sich bei einer Vergewaltigung neu. Denn hier stehen sich die Würde der Frau und das Leben eines Kindes gegenüber. Eine Vergewaltigung wird lebenslang nicht vergessen und sie prägt das zukünftige Leben der Frau. Andererseits entsteht oft genug nach einer Vergewaltigung neues Leben. Die UNO hat jede Diskriminierung der Frau strikt abgelehnt und die sexuelle Gewalt in ihrer Resolution 1820 in bewaffneten Konflikten als einen eigenen Straftatbestand gewertet. Als Kriegstaktik kommt es immer wieder zu systematischen Vergewaltigungen, um den Gegner zu demoralisieren; Beispiele dafür stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien, dem Kongo, Birma oder dem Irak. Die Katholische Kirche hat strikt auch nach einer Vergewaltigung die Austragung der Frucht verlangt. In der evangelischen Kirche ist hier alles in das Ermessen der Frau gestellt, sofern es mit den jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen übereinstimmt.

26

Vgl. EKD (1989), S. 68 f.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

V. Leben im familiären Verband Da die Familienplanung keinen der beiden Partner einseitig belasten darf, muss sie partnerschaftlich geschehen. Zu einer gelebten Partnerschaft gehört die Planung selbstverständlich. Sie ist für die evangelische Kirche in die Verantwortung der einzelnen Christen gestellt. In der katholischen Kirche muss gelten, dass die Planung der Familie von den Eheleuten in Verantwortung vor Gott, ausgerichtet am Gesetz Gottes und dem Lehramt der Kirche, getroffen wird27. Martin Luther hat im Großen Katechismus in der Erklärung zum 4. Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohl gehe und du lange lebest auf Erden“, davon gesprochen, dass der Familienstand hoch gehalten wird. Im Dekalog beginnt die Sozialgesetzgebung mit diesem Gebot gegenüber den Eltern. Luther sprach davon, dass Gott selbst den „Stand“ der Elternschaft ganz „obenan gesetzt“ hat28. Die Eltern stehen an Gottes statt. Sie sind also seine Stellvertreter. Eltern dürfen sich bei ihren Kindern als Väter und Mütter verstehen, die sie durch Gottes Wort regieren. Über das 4. Gebot lernt der Mensch ferner zu begreifen, was es heißt, mit seinen Brüdern und Schwestern zusammenzuleben. Die Familie steht in ihrer Wertschätzung auch heute noch in einem hohen Kurs. Aber anders als noch vor fünfzig Jahren wird keineswegs unter ihr dasselbe verstanden. Heute existiert die Familie in verschiedenen Formen. Die Bayerische Landessynode etwa meinte im Jahr 2000, dass die pluralisierten Lebensformen als Ausdruck der Zeit und der ökonomischen Globalisierung angesehen werden müssen. Die Wegwerfmentalität, das Konkurrenzdenken und der Egoismus lässt die Mitmenschlichkeit auf der Strecke bleiben. Die neuen vielfältigen Familienformen 27 Vgl. Gemeinsame Erklärung, Gott ist ein Freund des Lebens, (1989), S. 79. 28 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 31952, S. 592.

V. Leben im familiären Verband

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sind darum eine Reaktion der Menschen auf diese Entwicklung29. Theologisch glaubt man, dass heute insbesondere das Familienverständnis durch eine die Generationen übergreifende „Solidarität“ und durch die Gleichberechtigung der Geschlechter geprägt ist. Denn nach gegenwärtigem Denken ist Familie überall dort anzutreffen, „wo Eltern Verantwortung für ihre Kinder çbernehmenª, und diese ¹in Liebe und Verlåsslichkeit aufwachsen kænnenª. Umgekehrt wird gesagt, dass Familie auch der Ort ist, wo Kinder Verantwortung für ihre Eltern tragen. So jedenfalls hat die Bayerische Landessynode im Sinne des lutherischen Gedankenguts entschieden30. Mit der Annahme der Kinder als Geschenk Gottes, der Ûbernahme der Elternschaft und mit der die Generationen çbergreifenden Verantwortung wird der familiale Zusammenhalt gefærdert. Zwar wird heute gesellschaftspolitisch den Ein-Eltern-Familien gemeinhin ein Sozialisationsdefizit unterstellt. Aber dagegen wird argumentiert, dass bei den Ein-Eltern-Familien wie bei den Zwei-Eltern-Familien die gleichen Faktoren für die Sozialisation der Kinder ausschlaggebend sind31. In beiden Formen sollen die gleichen Einflüsse maßgeblich sein. Dabei spielen besonders die häusliche Atmosphäre, die Finanz- und Wohnungssituation, der Lebensstil und die kulturelle Erwartung eine Rolle. Aber es kann doch wohl keineswegs gleichgültig sein, ob für das Kind nur eine oder zwei Personen als Bezugspartner gelten. Weiter dürfen auch die psychischen, emotionalen Faktoren und die Vorbildfunktion des Vaters oder der Mutter nicht vergessen werden. 29 Vgl. Hans-Günter Krüsselberg / Heinz Reichmannn (Hrsg.), Zukunftsperspektive Familie und Wirtschaft, Grafschaft 2002, S. 332. 30 Abgedruckt in: Hans-Günter Krüsselberg / Heinz Reichmannn (Hrsg.), (2002), S. 329 ff. 31 Vgl. Nave-Herz, Rosemarie, Über die Gegenwart prägender Prozesse familialer Veränderungen: Thesen und Antithesen, in: Hans-Günter Krüsselberg / Heinz Reichmannn (Hrsg.), Zukunftsperspektive Familie und Wirtschaft, Grafschaft 2002, S. 141.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Freilich stellt sich die Frage nach dem, was denn für die Familie überhaupt konstitutiv ist. Bisher machte vor allem die Kernfamilie den Familienbegriff aus, also der Zusammenhang von Vater-Mutter-Kind. Diese Form von Familie genießt seither in Deutschland unter dem Geschlechter- und Generationsbegriff „Ehe und Familie“ gemäß § 6 des Grundgesetzes den Schutz des Staates. Allerdings spielen heute die sogenannten Ein-Eltern-Familien aufgrund sowohl von Ehescheidungen als auch aufgrund bewusst getroffener Wahl-Entscheidung für ein Single-Dasein mit Kind eine fast ebenso gewichtige gesellschaftliche Rolle. Aber lässt sich wirklich immer von einer Familie sprechen, wenn Kinder vorhanden sind, egal wie viele und welche Erwachsene im Haushalt leben? Muss man nicht eher feststellen, dass dieser Begriff gerade dann sinnentleert ist, wenn man bei Singles mit Kindern, und damit unter defizitären sozialen Bedingungen, von einer „Familie“ spricht. Aber selbstverständlich gilt: Wie auch immer man sich entscheidet, die Familie bleibt auch in Zukunft für Kirche und Gesellschaft von großer Bedeutung. Der Familie kommt ein eigener Wert und eine ihr eigene Würde zu. Eine solche Unterscheidung von Wert und Würde ist besonders von Kant herausgestellt worden. Er hat in seiner „Grundlegung der Metaphysik der Sitten“ für diese Unterscheidung eine besondere Hilfestellung gegeben, wenn er davon sprach, dass der relative Wert einer Sache von dem absoluten Wert zu unterscheiden ist. Der absolute Wert kommt nur dem guten Willen und der sittlichen Persönlichkeit zu. Der absolute Wert ist über jeden Preis erhaben. Was aber einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden. Was über jeden Preis erhaben ist, also kein Äquivalent besitzt, das hat Würde. Würde hat das, was mithin kein Äquivalent erlaubt. Der Mensch hat Würde, weil er ein „Zweck an sich“ ist. In der bekannten Unterscheidung von Sache und Person kommt auch die Unterscheidung von Wert und Würde zum

V. Leben im familiären Verband

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Ausdruck. Der Wert kann unter anderen Bestimmungsgrößen besonders eine ökonomische Kategorie darstellen. Denn die ökonomische Gattung kennt Preise und Äquivalente. Was einen Preis hat, hat allerdings auch Äquivalente. Im Reich der Zwecke hat also entweder alles einen Preis oder eine Würde. Der Mensch hat selbstverständlich keinen Preis, sondern eben Würde. Soweit der Mensch ein autonomes Wesen ist, kommt ihm diese Würde zu, der man nur mit Achtung gerecht werden kann. Der Familie kommt dagegen ein Wert und darüber hinaus eine Würde zu. Sie besitzt – entsprechend der Kantschen Definition – sowohl einen Wert, der in Gestalt ihres unterschiedlichen Nutzens besteht. Sie bietet diesen Nutzen in dem, was sie für den Einzelnen und die Gesellschaft bringt. Aber sie ist auch über allen Preis erhaben. Und mit dieser Würde ist gemeint, dass ihre Lebensform gleichsam ihren Wert in sich selbst hat. Der ist unvergleichlich, konkurrenzlos, unersetzbar32. Das Leben im familiären Verband hat sich allerdings heute verändert. Wie bereits angedeutet, stellt er sich nicht mehr nur als das ursprüngliche Verhältnis von Vater, Mutter und Kind dar, sondern zeigt sich in einem völlig neuen Prozess. Der Kinderwunsch von homosexuellen und lesbischen Paaren ist unüberhörbar geworden. Die zunehmende rechtlich Absicherung dieser Paare hat den neuen Trend bei vielen Menschen beflügelt. Heute gelten in vielen Ländern familiale Lebensformen in Gestalt von Vater – Vater – Kind und gleichfalls in der Zuordnung Mutter – Mutter – Kind fast als gleichwertig mit den überkommenen ehelichen Lebensweisen Vater – Mutter – Kind.

32 Vgl. Wannenwetsch, Bernd, Vom Wert und Würde der Familie, in: Hans-Günter Krüsselberg / Heinz Reichmannn (Hrsg.), Zukunftsperspektive Familie und Wirtschaft, Grafschaft 2002, S. 345 f.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Die einen, die homosexuellen Paare, versuchen es durch eine Adoption, die anderen, die lesbische Paare, trachten ebenfalls danach, durch Adoption und durch eine Mutterschaft einer der beiden Partnerinnen, zu einer Familie zu kommen. Heute ist es einfach und kostengünstig, über das Internet zu potentiellen Spendern zu kommen. Oftmals wird sogar der Erzeuger oder der Spender des Spermas als biologischer Vater formal anerkannt. Und es wird eine entsprechende lose Beziehung zum Erzeuger unterhalten. Außerdem wird innerhalb der lesbischen Lebensform sogar auf die Verbindung mit der Spenderperson Wert legt. Schließlich weiß man, dass zur Entwicklung der Persönlichkeit sowohl männliche wie weibliche Personen gehören. Ein Problem entsteht allerdings, wenn es zwischen den lesbischen Partnern zu einer „Scheidung“ kommt. Dann müssen Besuchsregelungen und Umgangsrechte getroffen werden, die denen einer heterogeschlechtlichen Beziehung ähneln. Hierbei können ebenfalls unterschiedliche Interessen aufeinander stoßen.

VI. Spirituelle Erfahrungen Das Wort Spiritualität ist biblisch geprägt. Es weist auf das griechische Wort pneumatikós (geistlich) oder lateinisch spiritualis zurück und beleuchtet damit die Situation der Christen, die unter dem Geist Gottes stehen. Denn sie leben aus dem Geist Gottes. „Ihr habt den Geist empfangen, der Euch zu Söhnen macht“ (Röm. 8,15: elábete pneûma hyiothesías). Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Es geht also nicht um den Geist der Menschen, sondern um den Geist Gottes. Nach christlicher Glaubensüberzeugung sind durch die Ausgießung des Heiligen Geistes alle Glieder der Kirche zu Zeugen der Taten Gottes geworden. Jedem einzelnen Glied der Gemeinde wird eine besondere Geistesgabe zuerkannt. Jeder empfängt sein Charisma. Der Geist Gottes „teilt einem je-

VI. Spirituelle Erfahrungen

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dem das Seine zu, wie er will“ (1. Kor.12, 11: diairoûn idía hekásto, kathòs boúletai). In der theologischen Literatur benutzt man den Begriff der Spiritualität, um die Verankerung der menschlichen Psyche in der Transzendenz zu beschreiben. Oft freilich spricht man von Spiritualität, ohne zwischen Religiosität und Spiritualität zu differenzieren. Sie steht jeweils für eine enge Verbindung des Geistes mit dem Transzendenten. Während in früheren Zeiten das spirituelle Denken stark von der katholisch-religiösen Erfahrung her geprägt war, hat sich der Begriff heute sehr deutlich zu einer Beschreibung der allgemeinen Lebenspraxis entwickelt. Obwohl vielfach das Wort spirituell gern in Verbindung mit der katholischen Glaubensrichtung gebraucht wurde, darf man die Spiritualität nicht mit der katholischen Frömmigkeit allein gleichsetzen. Spiritualität meint im christlichen Sinn also nicht nur den Geist besitzen, sondern zugleich aus diesem Geist Gottes leben. Die Christen sind aus diesem gemacht. Darum gibt es keinen Unterschied mehr zwischen einer evangelischen und einer römisch-katholischen Spiritualität. Zwar ist der Einzelne der Träger des Geistes. Aber er wirkt auf die Gemeinschaft, auf Kirche und Gemeinde. Im allgemeinen kann man die Spiritualität mit der geistlichen Lebenserfahrung eines Menschen wiedergeben. Sie bedeutet weder Weltflucht noch Weltsucht. Im Zusammenhang mit Gottessuche und Welterfahrung versucht die Spiritualität, das Leben zu gestalten. Heute bedeutet spirituelles Denken: Leben aus geistlichem Verstehen, Empfinden und Handeln heraus. Ein zentraler Begriff der Spiritualität ist der des Lebens. Der Begriff wird freilich heute selbst dort benutzt, wo man ihn gar nicht vermutet. In der Palliativmedizin nämlich wird davon gesprochen, dass sie die physischen, psychischen, sozialen und auch die spirituellen Leiden umfasst. Selbst als eine alternative Heilkunde wird Spiritualität angesehen. Darüber hinaus wird populärwissenschaftlich Spiritualität oftmals auch als Esoterik verstanden. Allerdings geht es bei dieser ,Lehre‘

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

mehr um Wesen oder Methodik, während sie sonst eher die Praxis der inneren Erkenntnis oder eine Transzendenzerfahrung bezeichnet. Christliche Spiritualität ist auf viele theologische Disziplinen ausgerichtet, auf die dogmatische Aussage in der Ekklesiologie und vor allem in der Pneumatologie ebenso wie auf die in der Eschatologie oder auch auf die Fragen der Ethik und Moral. Aber um die Bedeutung der Pneumatologie und der Eschatologie zu ergründen, bedürfen sie letztlich der Lebenserfahrung. Denn gerade die Pneumatologie wäre nichts ohne ihre Erfahrung des Geistes. Die Eschatologie wäre ihrerseits nichts ohne ihren Ursprung aus den Erfahrungen, „die zu der Erwartung eines endgültigen Endes Anlass geben“33. Außerdem gehört zur Eschatologie das Verlangen, nicht ohne Hoffnung dem Ende ausgeliefert zu sein. Darum darf in besonderer Weise der Mensch auf die geistliche Erfahrung zurückgreifen. Geist und Erfahrungen gehören zusammen. Dabei stellen freilich unsere Wahrnehmungen die Grundlage für unsere Erfahrungen dar. Aber aus dem theologischen Denken sind vielfach die Erfahrungen, die der Mensch in seinem Leben gemacht hat, gewichen. Man kann durchaus vermuten, dass sich Pneumatologie und Eschatologie von der Lebenserfahrung getrennt haben. Denn es scheint, dass das Leben, auf das beide Disziplinen Bezug nehmen, fast völlig aus ihnen entwichen ist34. Mathias Claudius hat in seinem Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ aus dem Jahr 1779 auf ein gewisses spirituelles Denken, auf entsprechendes Empfinden und Tätig-Werden hingewiesen, als er schrieb35: „Gott, lass uns dein Heil schauen, Auf nichts Vergängliches trauen, 33 Ebeling, Gerhard, Dogmatik des christlichen Glaubens Bd. III, Tübingen 1979, S. 6. 34 Vgl. Ebeling, Gerhard (1979), S. 15. 35 Ev. Gesangbuch Nr. 482, Str. 5 –7.

VII. Ewiges Leben

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Nicht Eitelkeit uns erfreuen! Lass uns einfältig werden, Und vor dir hier auf Erden Wie Kinder fromm und fröhlich sein! Wollst endlich sonder Grämen Aus dieser Welt uns nehmen Durch einen sanften Tod! Und wenn du uns genommen, lass uns in den Himmel kommen, Du unser Herr und Gott! So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder; Kalt ist der Abendhauch, Verschon uns Gott! Mit Strafen, und lass uns ruhig schlafen! Und unsern kranken Nachbarn auch!

Die Entwicklung von heute geht auf eine Neubewertung der Spiritualität zu. Sie versteht sich als Gegensatz zum modernen Materialismus, zur Hektik und zu einer Überbewertung der Ökonomie in der Gesellschaft. In der evangelischen und katholischen Spiritualität der Gegenwart wird die Verbindung von ora et labora, bete und arbeite, von Aktion und Kontemplation eng miteinander verknüpft und als Erfüllung des Lebens dargelegt.

VII. Ewiges Leben Der Mensch ist Geschöpf Gottes. Die ihm geschenkte Bestimmung richtet sich auf Zeit und Ewigkeit. Der Mensch gehört sowohl der Erde und zugleich dem Himmel an. Freilich ist das Leben in der Zukunft als das ewige Leben nicht ohne das diesseitige zu denken. Es ist nicht einfach eine Fortsetzung des diesseitigen Lebens. Dessen Vollendung geschieht nicht hier auf der Erde, sondern erst im Jenseits. Die Bibel anerkennt über das irdische Leben hinaus die Ewigkeit des Lebens. Bereits im Alten Testament lassen sich

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Hinweise auf das ewige Leben finden. So heißt es etwa im Psalter: „Gott wird mich erlösen aus des Todes Gewalt; denn er nimmt mich auf“ (Ps. 49,16). Im Buch Daniel ist zu lesen: „Viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zu ewiger Schmach und Schande“ (Dan.12,2). Im Neuen Testament etwa wird Jesus gefragt, was man Gutes tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen (zoèn aiónion, Mt. 19,16). Jesus selbst sagt nach Johannes, dass er das ewige Leben den Seinen gibt (Joh. 10,28). Der Apostel Paulus formuliert, dass der, der glaubt und das Evangelium verkündet, vom Geist Gottes das ewige Leben ernten wird (Gal. 6,8). Der Tod Christi zerbricht die Macht des Todes. „Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit wie Christus auferweckt ist von den Toten, durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln“ (Röm. 6,3f.).

Der Mensch ist also bestimmt zum Tode und zur Ewigkeit. Darum kann der Tod als das Ende des Lebens, aber nicht als das Ziel des Lebens verstanden werden. Die in der jüdischen Theologie existierende Hoffnung auf die Auferstehung der Toten ist bereits geprägt durch die Auferstehung zum ewigen Leben. Späterhin erwächst im Neuen Testament dann „aus dem Vertrauen auf den Bundesgott Israels . . . die Unzerstörbarkeit der Gottesgemeinschaft und so das ewige Leben des Menschen“36. Es gibt einen Widerspruch in dieser Erwartung. Einerseits wollen wir nicht sterben, aber andererseits möchten wir auch so, wie wir existieren, nicht weiterleben. Zur Auflösung dieser Spannung denkt der Mensch an das ewige Leben. In ihm erhofft er sich die Lösung aller Schwierigkeit.

36 Pannenberg, Wolfhart, Systematische Theologie Bd. 3, Göttingen, 1993, S. 611.

VII. Ewiges Leben

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Nach Meinung von Papst Benedict XVI., der sich in seiner Enzyklika Spe salvi (facti sumus – auf Hoffnung sind wir gerettet) aus dem Jahr 2007 ausführlich mit der Hoffnung auf das ewige Leben auseinandergesetzt hat, möchte der Mensch das Leben, das vom Tod nicht berührt ist, benennen37. „Wir können nicht aufhören, uns danach auszustrecken, und wissen doch, dass alles das, was wir erfahren oder realisieren können, dies nicht ist, wonach wir verlangen“38. Dieses bleibt unbekannt, und ist doch die eigentliche Hoffnung. Das Wort vom ewigen Leben will diesem Unbekannten einen Namen geben. Aber Ewigkeit meint nicht Endlosigkeit. Und endlos möchten viele Menschen nicht weiterleben. Eine solche Endlosigkeit würde sie nur erschrecken. Vielmehr denken sie bei dem Wort Leben an das „von uns erfahrene Leben, das wir leben und nicht verlieren möchten“39. Ewigkeit soll dann nicht eine „immer weitergehende Abfolge von Kalendertagen“ sein, sondern der „erfüllte Augenblick, in dem uns das Ganze umfängt, und wir das Ganze umfangen“40. Das ewige Leben ist das neue Leben, das in der Auferstehung Christi in die Welt gekommen ist und diese überdauert. Ewiges Leben wird durch die Auferstehung Christi den Glaubenden geschenkt. Diese hebt die tempora, also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auf. Denn die Auferstehung ist in der Vergangenheit geschehen. Aber gleichzeitig gilt, dass der Mensch erst auf sie zugeht. Er hofft auf das kommende Leben. Auf das hat der Mensch bereits heute aufgrund der Auferstehung Christi eine Hoffnung (1. Petr. 1,3: eis epída zôsan di anastáseos Iesoû Christoû ek nekrôn). Schließlich heißt es, dass das Reich Gottes bereits mitten unter uns sei (Lk.17,21:he basieleía toû theoû entós hymôn estin). 37 Papst Benedict XVI. Spe salvi, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 179 v. 30 Nov. 2007. Nach Rm. 8,24: te gàr elpídi esóthemen (2007), Z.1. 38 Papst Benedict XVI. Spe salvi (2007) Z.12. 39 Ebenda. 40 Ebenda.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

Was allerdings ewiges Leben heißt, ist vom Verhältnis des Lebens zum Tod zu verstehen. Gleichzeitig muss die Beziehung der Ewigkeit zum kreatürlichen Leben gesehen und berücksichtigt werden41. Wir können über das ewige Leben erst und nur deshalb Aussagen machen, weil wir dieses Leben erkennen und weil wir darüber hinaus auf die Überwindung dieses Lebens hingewiesen werden. Das ewige Leben wird nicht nur verstanden als ein Leben nach dem Tode. Vielmehr ist es zu sehen als ein deutliches Nein zum ewigen Tod. Es ist „ein Leben, das kraft der Auferstehung Christi von der Herrschaft des Todes befreit und im Glauben an Christus schon gegenwärtig wirksam ist“42. Es ist der Glauben an den Sieg über den Tod. Vollendet wird dieses Leben in der ewigen Gemeinschaft Gottes mit den Menschen. An ihr darf der Mensch bereits heute im Glauben an den auferstandenen Herrn teilhaben. Die „tötende Gewalt“ ist „dem Tode bereits genommen“, wie Helmut Thielicke betonte. Damit ist „der Tod zwar nicht aufgehoben, aber entmächtigt (Vgl. Kol 3,3.5)“43. Die Auferstehung Christi ist die Grundlage der Hoffnung zum ewigen Heil. Die Hoffnung auf das ewige Leben wurzelt im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi. In ihr sieht der Mensch als Individuum sein ewiges Heil. Seine Unruhe findet erst Frieden in der Hoffnung auf seine Auferstehung und das ewige Leben. Der Mensch ist zur Gemeinschaft mit Gott geschaffen. Obwohl die Menschen immer von neuem von diesem Ziel abrücken, werden sie dahin zurückgeführt. Die biblische Eschatologie kennt eine Verheißung auf eine zukünftige Vollendung nicht nur des Individuums, sondern auch der Gemeinschaft. Die Eschatologie des Alten Testaments brachte bereits die Teilhabe der Einzelnen „an der Vollendung der gemeinschaftlichen Bestimmung der Menschen zum Aus41 Vgl. Ebeling, Gerhard, Dogmatik des christlichen Glaubens Bd. III, Tübingen 1979, S. 507. 42 Gemeinsame Erklärung (1989), S. 28. 43 Thielicke, Helmut, Leben mit dem Tod, Tübingen 1980, S. 269.

VII. Ewiges Leben

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druck“44. Mit Recht weist W. Pannenberg darauf hin, dass die biblische Eschatologie auch heute noch ihre Dominanz gegenüber den säkularisierten Formen der Hoffnung auf Vollendung der Gesellschaft, wie sie sich etwa in der Gestalt des Marxismus zeigte, offenbart. Denn sie erweist ihre Überlegenheit gerade darin, dass sie die „ewige Bestimmung des individuellen Daseins nicht isoliert hat von der Frage nach der Bestimmung der menschlichen Gemeinschaft“. Freilich bringt sie auch umgekehrt „die Teilhabe der Individuen an der Vollendung der gemeinschaftlichen Bestimmung der Menschen zum Ausdruck“45. „Die Hoffnung auf das endzeitliche Gottesreich enthält schon als solche den Gedanken der Versöhnung von Individuum und Gesellschaft“46. Die Vorstellung von Ungerechtigkeit und Unruhe beim einzelnen Menschen findet in dieser Welt keineswegs ihren Ausgleich in der Gemeinschaft mit anderen. Dieser erfolgt erst in dem durch seine Liebe vollendeten Reich Gottes. Hier wird aber nicht nur das Individuum mit den anderen Menschen ausgesöhnt, sondern auch die Individuen mit der Gesellschaft47. „Diese im Gedanken des Gottesreiches begründete Versöhnung von Individuum und Gesellschaft findet in der christlich eschatologischen Hoffnung ihren Ausdruck besonders durch die Verknüpfung der endzeitlichen Vollendung der Gottesherrschaft mit der Auferstehung der Toten“48. Erst die Liebe Gottes vollendet das Heil der Individuen und der ganzen Menschheit miteinander. Ohne eine solche Verbindung von Auferstehung und der Vollendung des Reiches Gottes gibt es keine Versöhnung von Individuum und Gesellschaft49. Auf dieses Ziel hin muss die individuelle und kollek44 45 46 47 48 49

Pannenberg, Wolfhart (1993), S. 591. Pannenberg, Wolfhart (1993) S. 591 f. Pannenberg, Wolfhart (1993) S. 630. Vgl. Pannenberg, Wolfhart (1993) S. 630. Pannenberg, Wolfhart (1993) S. 630. Vgl. Pannenberg, Wolfhart (1993) S. 631.

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2. Kap.: Revolution der Fortpflanzung

tive Zukunft der Menschheit ausgerichtet sein. Die individuelle Eschatologie ist also immer zugleich mit der kollektiven verknüpft. Individuelle und gesellschaftliche Bestimmung des Menschen gehören schließlich eng zusammen. Den Menschen wird Erlösung geschenkt. Ihnen wird die Hoffnung, eine verlässlich Hoffnung darauf, gewährt. Durch sie bewältigen die Menschen ihre Gegenwart. In Hoffnung können die Menschen ihr Leben annehmen. Der Mensch lebt nicht „als geschlossene Monade“50. Vielmehr gilt: „Unsere Existenzen greifen ineinander, sind durch vielfältige Interaktionen miteinander verbunden“51. Keiner lebt sein Leben allein. Weder sündigt er allein, noch wird er allein gerettet. Immer reicht das Leben des anderen auch in das eigene Leben hinein. Darum stehen wir auch nicht in der Hoffnung allein, sondern im Zusammenhang mit den anderen. „Unsere Hoffnung ist immer wesentlich auch Hoffnung für den anderen, nur so ist sie wirklich auch Hoffnung für mich selbst“52. Dieses Leben ist zwar ein Leben in Richtung auf die Zukunft. Aber die ist nicht vorstellbar als ein Leben in Fortschritt. Im christlichen Denken geht es eben nicht um die durch Fortschritt geprägte Zukunft, sondern um das Jenseits.

50 51 52

Papst Benedict XVI. Spe salvi (2007), Z. 48. Ebenda. Ebenda.

3. Kapitel

Anthropozentrismus in der Umweltethik Der deutsche Begriff einer nachhaltigen Entwicklung ist die Übersetzung des englischen Begriffspaars sustainable development. Sie bezeichnet eine Entwicklung, die der gegenwärtigen Generation entspricht, ohne gleichzeitig die Bedürfnisse der zukünftigen Generationen zu vernachlässigen. Diese Devise einer zukunftsverträglichen Entwicklung besagt, dass nur soviel an Rohstoffen verbraucht werden sollte, wie tatsächlich nachwachsen kann. Selbstverständlich gewinnt im Blick auf den Verbrauch von seltenen und darum teuren Rohstoffen vor allem die Frage eines Recyclings immer mehr an Bedeutung1. Bekanntlich kommt der Begriff der Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft. Die Forstordnung des Klosters Marmoutier (im Elsass) bezeichnete so damit bereits im Jahr 1144 eine Wald-Bewirtschaftung, nach der nicht mehr Holz eingeschlagen wurde, als auf die Dauer nachwuchs2. Publizistisch gebraucht wurde der Begriff freilich erst im Jahr 1713 in einer Veröffentlichung des Berghauptmanns Hans Carl von Carlowitz aus der Silberstadt Freiberg in Sachsen. Er wurde nicht wegen der Erschöpfung der Silberminen gebraucht, sondern wegen der wachsenden Holzknappheit. Dieser wollte er entgegenwirken, um für den Abbau der Silberlagerstätten genügend Holz zur Verfügung zu haben. Mit der nachhaltigen Entwicklung will man heute zwei Forderungen gleichzeitig verwirklichen: 1 Vgl. Kramer, Rolf, Das Unternehmen zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit, Berlin 2002, S. 58 ff. 2 Vgl. Kramer, Rolf (2002), S. 56 ff.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

– die Befriedigung von Grundbedürfnissen der Menschheit, – die Erhaltung der Ressourcen der Natur auch für die nachfolgenden Generationen.

Gleichzeitig sollen gleichrangig wirtschaftliche Sicherheit, ökologisches Gleichgewicht und soziale Gerechtigkeit angestrebt werden. In Deutschland hat der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen 1996 eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit gleichgesetzt. Die Nachhaltigkeit meint, dass man mit dem lebenden System so umgeht, dass die Rohstoffe aus sich selbst heraus nachwachsen können. Die gegenwärtige Generation lebt wie bisher kaum eine andere auf Kosten der Zukunft und damit auf Kosten der späteren Generationen. Rohstoffe, die sich in Millionen Jahren herausgebildet haben, werden von Menschen in kurzer Zeit verbraucht. Das Leitbild einer Nachhaltigkeit im Umweltschutz hat einen ethischen Angelpunkt. Dieser liegt in der Verantwortung für die künftige Generation. Die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt immer noch in einem Zustand, der von Überlebenskampf gekennzeichnet ist. In einer solchen Situation sind die meisten Menschen weder am Umweltschutz interessiert noch in der Lage, etwas dafür zu tun. Aber der Gedanke einer Nachhaltigkeit in der Umweltethik steht auch in einem Zusammenhang mit einem Generationen übergreifenden Vertrag. Im abendländischen Kulturkreis brauchen die Menschen nicht mehr ihre ganze Lebenskraft aufzubringen, um im Existenzkampf zu bestehen. Sie können sogar heute Dinge aus lauter Freude und Spaß an der Sache tun. Auch die drohende Klimakatastrophe findet hier keineswegs überall die dringend benötigte Berücksichtigung. Allerdings ist gleichzeitig wahrzunehmen, je stärker das jeweilige Lebensgefühl allein auf Spaß ausgerichtet ist, umso weniger wird die Gesellschaft dem Prinzip der Nachhaltigkeit gerecht.

3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

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Auch existiert weder in den entwickelten noch in den sich entwickelnden Ländern generell die Einsicht und die Bereitschaft, sich an notwendigen Maßnahmen zu beteiligen. So sind China und die USA im Klimaschutz nicht an einer quotenmäßigen Begrenzung der Emissionen interessiert und haben sich immer wieder gegen eine Festlegung gewehrt. Die meisten Umwelt-Ethiken wurden entwickelt, um Umweltschutz, Naturschutz und auch den Artenschutz durch den einzelnen Menschen zu verwirklichen. Sie sind geprägt vom Individualismus. Die zu ergreifenden Maßnahmen sind vom Individuum zu verantworten. Sie können nur vom einzelnen Menschen praktiziert werden. Aber die Umweltethik hat auch eine kollektive Dimension. Die Natur ist Leben, in das der Mensch immer schon hineingestellt ist. Zum Schutz der Umwelt gehören der Verantwortungsbereich des Einzelnen, aber auch der Gesellschaft. Nicht nur das Individuum hat sich dem ökologischen Denken zu unterwerfen. Auch die Gesellschaft muss sich in allen ihren Lebensvollzügen ökologisch verhalten. Und das bedeutet zum Beispiel, dass die Rahmenordnung der Sozialen Marktwirtschaft außer allen anderen Attributen auch eine ökologische Orientierung aufweisen muss. Zum einen betrifft die Umweltethik den Verbrauch von Ressourcen, die allen Menschen zur Verfügung stehen. Zum anderen beeinflusst sie die Gesellschaft in ihrer Einstellung zum Beispiel zu umweltbelastenden Produktionsverfahren oder zum Verbrauch von Gütern, die für die Natur umweltschädlich oder zerstörerisch sind (Treibhauseffekt, Verbrauch von Land, Ausbeutung der Natur). Eine Umwelterhaltung geschieht ebenso kollektiv wie die Umweltschädigung, also gesellschaftlich durch Industrie, Land, Wasserwegebau und – vielleicht sogar durch steuerliche Anreize gefördertes – Bevölkerungswachstum. Ähnliches gilt für den Treibhauseffekt. Dieser ist zwar individuell erfahrbar, aber keineswegs direkt den einzelnen Menschen zurechenbar.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

Die ganze Schöpfung steht unter dem Zeichen der Vergänglichkeit und der Hoffnung auf Freiheit von der Knechtschaft. Als Geschöpf steht der Mensch in einer Schicksalsgemeinschaft mit allen Lebewesen dieser Welt. Darum steht er in einer Verantwortung für die ganze Schöpfung. Der Inhalt der Nachhaltigkeit des Umweltschutzes ist mit dem Gedanken des Schöpfungsglaubens zu vereinbaren. Der Tod und die Auferstehung Christi wird zur Grundlage für den Weg dahin. Darum ist der Textabschnitt aus dem Brief des Apostel Paulus an die Römer eine gewichtige Darstellung für eine ökologische Ethik. Dort heißt es: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet“ (Röm. 8,19 – 22).

Die Schöpfung ist also der Vergänglichkeit unterworfen. Sie unterliegt wie alles Leben auf dieser Welt dem Vorläufigen und dem Hinfälligen. Aber die ganze Schöpfung ist auf die Zukunft hin ausgerichtet. Am Ziel will sie zusammen mit dem Menschen das eschatologische Heil erreichen. Die ganze Schöpfung darf teilhaben an der Auferstehung Christi.

I. Begrenzter oder geläuterter Anthropozentrismus Es gibt eine große Gruppe von Teil- oder Bereichsethiken. Eine von ihnen ist die Umweltethik. Zur Umwelt des Menschen gehören Tiere, Pflanzen, Biotope, Landschaften, Ökosysteme und geologische Formationen. Man kann eine differenzierende Unterscheidung innerhalb der Umweltethik vornehmen und zwischen einem Anthropozentrismus und einem Physiozentrismus unterscheiden. Aller-

I. Begrenzter oder geläuterter Anthropozentrismus

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dings kann der Anthropozentrismus seinerseits als Teil des Physiozentrismus wahrgenommen werden kann. Denn der Mensch ist schlieûlich selbst ein Teil der Natur (= physis). In der Physiozentrik wird jede Verschiedenheit zwischen dem menschlichen und nichtmenschlichen Leben bestritten. – Im Physiozentrismus muss wiederum zwischen einem Pathozentrismus (Pathos = Leiden), einem Biozentrismus (bios = Leben) und einem Kosmozentrismus (Kosmos = Welt) unterschieden werden. Als inhaltliche Differenzierung sollte festgehalten werden: – Der Physiozentrismus stellt die ganze Natur ins Zentrum der Ethik, – Der Pathozentrismus kehrt als Ansatzpunkt einer Ethik, speziell einer Tierethik, das Leiden der Kreatur heraus, – Der Biozentrismus erkennt das Leben der Natur als Ethikzentrum, – Für den Kosmozentrismus ist die Ordnung des Weltgeschehens, speziell der ganzen Natur, das Zentrum der Ethik3.

Innerhalb des Anthropozentrismus sollte zusåtzlich unterschieden werden zwischen einem: – axiologischen oder klassischen Anthropozentrimus (axios = wert, logos = Lehre). In ihm werden Pflichten nur gegençber dem Menschen wahrgenommen, wåhrend die Pflichten gegençber Nicht-Menschen nur indirekt abgeleitet werden. In ihm hat der Mensch im Sinne des Kant'schen Kategorischen Imperativs nur Menschen bzw. sich selbst gegençber Pflichten. Also steht der Mensch im Mittelpunkt der Welt. Er ist die Krone der Schæpfung, und damit die ¹unçberbietbare Spitze der Evolutionª4. – „geläuterten Anthropozentrismus“. In ihm kommt die Natur allein im Menschen zu sich selbst. Allem Seienden kommt ein 3 Vgl. Vieth, Andreas, Einführung in die Angewandte Ethik, Darmstadt 2006, S. 156. 4 Vgl. Irrgang, Bernhard, Christliche Umweltethik, München 1992, S. 174.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

Wert zu. Aber der Mensch besitzt eine Sonderstellung in der Natur. Dennoch kommt dieser Anthropozentrik keine çbersteigerte Maûlosigkeit zu, wie sie etwa im klassischen Anthropozentrismus herrscht5.

Eine radikale Anthropozentrik lässt keine Vermittlung zwischen menschlichen Interessen und den anderer Lebewesen zu. Sie lässt letztlich nur menschliche Interessen gelten. Im eingeschränkten oder geläuterten Anthropozentrismus dagegen wird ein Ausgleich unter den Lebewesen versucht. Zwar steht auch hier der Mensch im Mittelpunkt, aber andere Lebewesen haben ebenfalls einen Eigenwert. Die radikale Anthropozentrik bedarf also der Revision. Darum hat sich auch Bernhart Irrgang für eine Ethik eingesetzt, die mehr einem „geläuterten Anthropozentrismus“ entspricht6. Für ihn gilt dieser Ansatz besonders im Hinblick auf die christliche Umweltethik. Eine Untergruppierung des Physiozentrismus ist der Biozentrismus. Bei ihm geht es nicht um den Menschen allein, sondern um eine Beurteilung des menschlichen und nichtmenschlichen Lebens. In der dazu gehörenden speziellen Bioethik kann dann „mit dem Begriff des Gedeihens der gute Zustand einzelner lebender Individuen“ beschrieben werden7. Vier Bestandteile des Biozentrismus können zur Kennzeichnung und zur Abgrenzung vom Anthropozentrismus genannt werden: 1. Die Menschen werden nur als Mitglieder der Gemeinschaft alles Lebendigen betrachtet. 2. Die natürlichen Ökosysteme der Erde sind in ihrer Gesamtheit als ein komplexes Netz zu erkennen. 5 Vgl. Irrgang, Bernhard (1992), S. 28 auf den Grundthesen von A. Auer aufbauend. 6 Vgl. Irrgang, Bernhard (1992), S. 30. 7 Kallhoff, Angela, Prinzipien der Pflanzenethik, Frankfurt / M 2002, S. 101.

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3. Jeder individuelle Organismus ist als ein teleologisches Zentrum von Leben zu verstehen. 4. Die Menschen sind aufgrund ihrer Natur anderen Spezies nicht überlegen8. Der Mensch ist ein Spätankömmling auf der Erde. Er bevölkert sie, nachdem sie schon Hunderte von Millionen Jahre anderen Lebewesen als ein Zuhause diente. Die theologische und philosophische Ethik war in ihrem Ausgangspunkt und in ihrer Zielsetzung stark auf den Menschen konzentriert. Über viele Jahrhunderte hindurch – auch durch die jüdisch-christliche Tradition bedingt – stand gerade die Verantwortung für die Schöpfung aus christlicher Sicht unter dem Stichwort eines Vorranges des Menschen. Der Mensch war das Maß aller Dinge, nach dem der Umgang mit der Schöpfung beurteilt wurde. Pflichten gibt es danach nur gegenüber den Menschen. Die Ziele für eine christlich-anthropozentrische Ethik sind mannigfaltig. Aus der jüdisch-christlichen Überlieferung sind gemäß den biblischen Schriften mehrfache Tendenzen abzuleiten. Eine Gefährdung der Gesamtexistenz der Menschen und auch der höheren Lebewesen sind untersagt. Sie müssen den Überlieferungen aus dem 1. und 2. Schöpfungsbericht entsprechen. Der Text des 1. Schöpfungsbericht, also der Priesterschrift, enthält den Auftrag an den Menschen, der zum Ebenbild Gottes geschaffen wird (Gen 1,27 – 28), fruchtbar zu sein. Gleichzeitig wird ihm die Herrschaft über die Erde, also das dominium terrae, übertragen. Der Mensch darf sie sich untertan machen und über Fische, Vögel und alles Getier auf Erden herrschen. Dabei geht es Gott um die Schaffung und Erhaltung von Leben. Der Mensch ist nämlich der Mandatar Gottes über das Leben auf der Erde. Dem Menschen ist dieses als schutzwürdiges Gut anvertraut. Anthropozentrische Züge 8 Vgl. Taylor, Paul W., Die Ethik der Achtung gegenüber der Natur, in: Angelika Krebs (Hrsg.) Naturethik, Frankfurt / M. 1997, S. 125.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

sind also nicht zu verkennen. Die Fortsetzung der heilsgeschichtlichen Ausrichtung der Priesterschrift führt die anthropozentrische Ausrichtung des Anfangs fort. Zusätzlich bekommt der Mensch nach dem 2. Schöpfungsbericht (des Jahwisten) den Auftrag, den Garten Eden zu bebauen und zu bewahren (Gen. 2, 15). Im Zentrum des Schöpfungsgeschehens steht der Mensch. Die Sprache dieses Berichts ist sogar anthropozentrischer geprägt als die in der Priesterschrift. Der Mensch gibt den Tieren ihre Namen und darf über sie herrschen. Die biblische Tendenz ist zukunftsorientiert. In Psalm 8 wird der Mensch gar als die Krone der Schöpfung angesprochen. Dort heißt es streng anthropozentrisch: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan“ (Ps. 8.5 ff.).

An allen diesen Stellen wird die Sonderstellung des Menschen betont. Der Mensch ist Dialogpartner Gottes und Herrscher über das Leben auf der Erde. Aber er soll seine Stellung nicht missbrauchen, sondern verantwortlich damit umgehen. Eine etwas andere Position nimmt der 104. Psalm ein. Er orientiert sich nicht so sehr an der Herrschaft des Menschen über die Umwelt, sondern passt sich den Umweltbedingungen an. Denn es heißt als Lob des Schöpfers: „Du machst Finsternis, dass es Nacht wird; da regen sich alle wilden Tiere, die jungen Löwen, die da brüllen nach Raub und ihre Speise suchen von Gott. Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon und legen sich in ihre Höhlen. So geht denn der Mensch aus an seine Arbeit und an sein Werk bis an den Abend. Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güte (Ps.104, 20 ff.).

Aus den vorgestellten biblischen Stellen lassen sich drei verschiedene Orientierungen ableiten:

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1. Die Herrschaft des Menschen steht unter dem Zeichen der Verantwortung vor Gott (Gen.1, 28). 2. Der Mensch trägt nach dem zweite Schöpfungsbericht Fürsorge für die Schöpfung (Gen 2,15). 3. Der Menschen ist in die Schöpfung harmonisch integriert (Ps.104). Der Mensch reiht sich in die Schöpfung ein, die in Harmonie miteinander lebt. Gott ist der Erhalter der Welt. Hier wird keine klassische strenge Anthropozentrik vertreten, wie sie in den priesterlichen Schöpfungsberichten zu erkennen war. Nach der neueren Forschung herrscht darum im Alten Testament – mit Ausnahme der priesterschriftlichen Überlieferung – kein reiner klassischer Anthropozentrismus mit dem Vorrang des Menschen vor den Tieren. Es gilt vielmehr, wie es im Prediger Salomo von Mensch und Vieh heißt: „Sie haben alle einen Odem, und der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh“ (Prediger 3,19). Von einer solchen Harmonie zwischen Mensch und Tier ist auch in Psalm 104 und im Buch Hiob (Kapitel 38 – 41) zu lesen9. Eine Umweltethik, die sich an der geläuterten Anthropozentrik orientiert, begrenzt die Zentrierung des Menschlichen. Sie darf darum nicht mit einer Übersteigerung des Menschlichen gleichgesetzt werden. Sie bedeutet, dass sie sich zwar am Menschen orientiert10. Aber der Mensch ist und bleibt der „Dialog-Partner“ Gottes. Er steht auch weiterhin unter dem göttlichen Schutz und nimmt eine besondere Stellung in der Welt ein. Eine solche Ethik muss dartun, dass sie die Folgen von Eingriffen und Entscheidungen bewertet. Verfügungen müssen im Blick auf die gegenwärtigen Menschen und zugleich auf die Auswirkungen zukünftiger Generationen beurteilt werden. Dabei sollten sie sozialgerecht und ohne BenachteiVgl. Link, Christian, Schöpfung Bd. 2, Gütersloh 1991, S. 350. Vgl. Kramer, Rolf, Umwelt, Wirtschaft und Technik , Berlin 1998, S. 42. 9

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

ligung von bestimmen Menschen, Rassen, Völkern oder Nationen sein. Während das alttestamentliche Schrifttum also durchaus einige ökologisch-ethische Ansätze kennt, lassen sich im Neuen Testament keine schöpfungstheologischen Ansätze finden. Die Natur und die Umwelt haben in der Jesus-Verkündigung keinen Platz. Ethische Ansätze sind zentriert auf das Verhalten der Menschen untereinander und im Blick auf ihren Gott11. Es geht aufgrund des Hauptgebotes um die Gottesund die Nächstenliebe. Auch in den übrigen Schriften des Neuen Testamentes wendet sich die Ethik an den einzelnen Menschen, an das Zusammenleben in den unterschiedlichen Gemeinschaften der Gläubigen und Heiden, speziell im Staat. Es geht gleichzeitig um Reinheitsgebote und Kultgesetzgebung. Daraus ergibt sich eine unmittelbare Beziehung zu einer christlichen Umweltethik. Sie muss zwar individuell geprägt, aber zugleich auch in einem sozialen Kontext erstellt werden. In diesem Sinne ist sie personalistisch und anthropozentrisch zugleich. Richtig ist sicherlich, wenn gesagt wird, dass das Wohlergehen der Menschen vom ökologischen Gleichgewicht abhängt. Dabei ist klar, dass das Überleben von Tieren und Pflanzen nicht vom Überleben der Menschen abhängt. Im Gegenteil, würde die menschliche Spezies ausgelöscht, und eine solche Möglichkeit ist bei denen gegenwärtigen Möglichkeiten durchaus denkbar, könnte die Natur und das ökologischen Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Das Vorhandensein von Menschen ist bei einer Restitution von Pflanzen- und Tiergemeinschaften nicht erforderlich12. Das allerdings bedeutet, dass nicht mehr der Mensch und seine Lebensorientierung zentrale Ausrichtung der Schöpfung ist. Eine solche Sichtweise würde nur eine Überbetonung der Biozentrik und nicht mehr die Überlegenheit der Menschen gegenüber Tieren und Pflanzen bedeuten, wie sie in der Schöpfungsgeschichte herausgestellt 11 12

Vgl. Irrgang, Bernhard (1992), S. 150. Vgl. Taylor, Paul W. (1997), S. 127 f.

I. Begrenzter oder geläuterter Anthropozentrismus

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wird. Wer diese jüdisch-christliche Grundlegung nicht zum Ausgangspunkt seines Denkens macht, kann selbstverständlich behaupten, dass es keine Gründe für eine Überlegenheit des Menschen über die nichtmenschliche Lebenswelt gibt13. Aber auch die christliche Umweltethik geht heute nicht mehr von einer radikalen Anthropozentrik aus, in der der Mensch im Zentrum der Welt steht. Er stellt nämlich nicht mehr das Maß der Realität dar. „Vielmehr ist der Mensch Person und als Person für sein Handeln verantwortlich“14. Dennoch ist der Mensch Zentrum der christlichen Umweltethik. Darum besteht der Mittelpunkt der christlichen Umweltethik vornehmlich im Umgang des Menschen mit der Schöpfung. Man will eine humane und sozial gerechte Welt schaffen, in der Mensch und Tier in einer intakten Umgebung in einer vollkommenen Umwelt leben können. Deshalb trägt er auch generell die Verantwortung für die Umwelt und für die zukünftige Entwicklung des Klimas. Eine christliche Umweltethik kann nur auf dem Boden einer christlichen Hoffnung errichtet werden. Es spricht zu den Menschen des Neuen Testaments der Gott, der den Menschen nahe ist. Er vermittelt den Menschen Hoffnung auf eine neue Erde. Aus dieser eschatologischen Hoffnung lebt der Mensch heute noch. Er weiß, dass er sich nicht selbst erlösen kann. Eine Umweltethik von heute, die sich besonders dem Klimaschutz und der Verbesserung des Klimawandels verschrieben hat, muss die Folgen des nationalen und internationalen Handelns bedenken und daraufhin ihre Entscheidungen treffen. Der Mensch weiß auch, dass er „zum dominierenden Klimafaktor geworden“ ist15. Aber dennoch bleibt, dass sein Heil nicht durch ihn erworben, sondern allein von Gott geschenkt wird. 13 14 15

Vgl. Taylor, Paul W. (1997), S. 140. Irrgang, Bernhard (1992), S. 309. Irrgang, Bernhard (1992), S. 74.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

II. Rechte der Tiere Die biblischen Berichte von der Schöpfung stammen aus unterschiedlichen Zeiten. Aber zu allen Zeiten wurde eine enger Bezug zwischen Mensch und Natur hergestellt und wahrgenommen. 1. Biblische Grundlegung Bereits in der ersten Schöpfungsgeschichte wird über die Menschen gesprochen, dass Gott sie segnete und ihnen den Auftrag erteilte, fruchtbar zu sein und die Erde auszufüllen und sie sich untertan zu machen. Ihnen wurde die Herrschaft über die Fische im Meer und die Vögel unter dem Himmel und das Vieh und über alles Getier auf Erden übertragen (Gen. 1,28). Ebenfalls werden die Pflanzen den Menschen anvertraut. „Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen auf der ganzen Erde und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise“ (Gen 1.29). Beim Jahwisten wird die Nähe von Mensch und Tier hervorgehoben. Beide sind lebendige Wesen, die aus demselben Odem und der Erde des Ackers genommen sind (Gen. 2, 7 u.19). Denn auch die Tiere haben eine Seele. Alle Lebewesen besitzen Jahwes Odem. Streng genommen ist es nicht ihr eigener Odem, sondern der ihres Schöpfers (Ps.104, 29 f.). Zwar wurde aus dieser biblischen Aussage die Unterwerfung der Natur zu Gunsten des Menschen abgeleitet. Aber gedacht wird dabei an einen verantwortlichen Umgang des Menschen mit dem Leben auf der Erde. Damit ist nicht gemeint, dass die Menschen die Arten ausrotten, die biologische Vielfalt zerstören oder das Klima verändern dürfen. Wer anders denkt, hat den göttlichen Auftrag nicht verstanden. Der Mensch hat zwar Verfügungsgewalt über die Schöpfung. Aber sie ist begrenzt und ihm nicht zu beliebiger Verwertung überlassen. Er darf weder Tier noch Pflanzen noch die ganze Natur ausnut-

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zen oder ausbeuten. Vielmehr trägt der Mensch gemäß der biblischen Grundlage Verantwortung für seine Mitgeschöpfe, für die Tiere, die Pflanzen und für die leblose Natur in seinem Leben, das er im Angesicht Gottes führt16. Der Mensch wird also nicht zum Feind des Tieres geschaffen. Nach dem ersten Schöpfungsbericht waren von Gott allein die Pflanzen und die Früchte der Bäume den Menschen und Tieren zur Speise gegeben (Gen 1,29). Dies ist ein Hinweis auf den ursprünglichen Frieden in der Welt. Von einem Recht zum Töten ist in den Schöpfungsberichten keine Rede. Freilich werden dann in der Noahgeschichte die Tiere auf der Erde, in der Luft und im Wasser zur Speise für den Menschen freigegeben: „Furcht und Schrecken vor euch (scil. Noah und seine Söhne) sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt und über allen Fischen im Meer, in eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut hab ich’s euch alles gegeben“ (Gen 9, 2 – 3).

Die Schöpfung ist auch nach dem Neuen Testament der Vergänglichkeit durch den Schöpfer selbst unterworfen, der das so wollte. Und das geschah ohne den Willen der Schöpfung. Aber die Schöpfung hat Hoffnung, dass sie aus der Knechtschaft und Verlorenheit entlassen wird. Denn sie soll frei werden zu der Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes17. Zwar dürfen nach der biblischen Überlieferung die Menschen Tiere und Pflanzen zu ihrer Ernährung und Kleidung gebrauchen. Diese Arten von Leben gehen nicht in ihrer Beziehung zu den Menschen auf. Beide haben nicht allein einen Nutzwert für den Menschen. Pflanzliches, tierisches und nie16 In ähnlicher Weise steht zu lesen in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Gütersloh 1985, n. 32. 17 Vgl. Röm 8, 19 ff.

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deres Leben haben ebenso einen Nutzwert für andere Geschöpfe wie auch für den Menschen18. Aber den Pflanzen und Tieren kommt jeweils auch ein Eigenwert und eben nicht nur ein Nutzwert für andere Lebewesen zu. Vor allem haben die Mitgeschöpfe des Menschen einen Eigenwert darin, „dass sie auf Gott als den Schöpfer bezogen sind, an seinem Leben Anteil haben und zu seinem Lob bestimmt sind“19. Darüber hinaus stellen die Tiere anders als Pflanzen und Steine nicht nur ein Objekt unserer Beobachtung dar. Denn die Menschen treten mit ihnen in Interaktion. Und auch umgekehrt können die Tiere mit ihnen kommunizieren. Dabei ist nicht nur an die Haustiere, wie Katzen, Hunde oder Pferde, sondern auch an die vielen Tiere im Zoo zu denken. Schon darum muss der Mensch Schutz und Rücksicht üben gegenüber dem nichtmenschlichen Leben. Er muss deshalb die Auswirkung seines Handelns auf die Lebenschancen des außermenschlichen Lebens mitbedenken. Gerade heute muss der Schutz der Natur und des nichtmenschlichen Lebens intensiviert werden. Schließlich tragen die Menschen Verantwortung in ihrem Handeln nicht nur für Teile, sondern für die ganze Schöpfung. Die Natur ist ihnen insgesamt zum Schutz übergeben. 2. Tierschutz als Tierethik Es bringt nichts, allgemein von den Rechten der Tiere zu sprechen. Hilfreicher ist es, von den Pflichten der Menschen und von ihrer Verantwortung für die Tiere zu reden. Das Tier ist der Begleiter des Menschen. Schöpfungstheologisch wird der Tierschutz dadurch begründet, dass das Tier gleich wie der Mensch Geschöpf ist, und er für das Tier als sein Mitgeschöpf Verantwortung trägt. Diese schöpfungstheologische Basis kommt gegenüber dem 18 19

Vgl. Gemeinsame Erklärung (1989), S. 37. Gemeinsame Erklärung (1989), S. 37 f.

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Tier zu einem anderen gleichsam objektiven Schluss, der dem glaubenden Menschen als Norm vorgegeben ist. Anders sieht es aus, wenn der Mensch sich etwa an das Grundprinzip des Utilitarismus gebunden weiß. Dann sieht der Mensch das Tier nur unter Nützlichkeitserwägungen Säkular sieht man sich heute dem Tierschutz aufgrund eines Altruismus gegenüber dem Tier verpflichtet20. Das Grundprinzip dieses Altruismus lautet: „Die oberste moralische Pflicht des Menschen besteht darin, durch sein Handeln in größtmöglichem Maß die Interessen aller fühlenden Wesen zu befriedigen“21. Ein altruistisches Interesse gegenüber den Tieren zeigt sich freilich erst dann, wenn man sich ein realitätsgerechtes Bild von den Tieren und ihrer Situation macht. Da jeder sich selbst ein subjektives Bild von den Interessen des Tieres macht, kann er den Schutz des Tieres und damit die Tierethik auch nur relativ definieren22. Zwar ist das Tier ein Lebewesen, aber eben nicht Person wie der Mensch. Wir sprechen bzw. kommunizieren schließlich nur begrenzt mit den Tieren. Freilich geschieht die Kommunikation anders als die, in der wir mit den Menschen umgehen. Nach Karl Barth geht das Tier dem Menschen voran im selbstverständlichen Lobpreis seines Schöpfers. Das Tier wird als Partner und Gefährte des Menschen im Gnadenbund Gottes gesehen23. Im Sinne einer Bestimmung des Mensch – TierVerhältnisses ist zu erkennen, dass es freilich gegenüber dem Menschen das geringere Wesen ist. Dennoch bleibt es ebenfalls Geschöpf. Aber allein der Mensch ist das Ebenbild Gottes. Indes ändert diese Gottesebenbildlichkeit des Menschen nichts an seiner Geschöpflichkeit24. Es gibt ein Miteinander von 20 Vgl. Hoerster, Norbert, Haben Tiere eine Würde? München 2004, S. 59 ff. 21 Hoerster, Norbert (2004), S. 49. 22 Vgl. Hoerster, Norbert (2004), S. 68. 23 Vgl. Barth, Karl, Dogmatik Bd. III, 1, Zürich 21947. S. 199. 24 Vgl. Barth, Karl (21947), S. 212.

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Mensch und Tier sowohl in der Vergänglichkeit als auch in der Hoffnung (Röm. 8,19f). Als Faden, der sich durch die ganze Bibel hindurchzieht, gilt das Wort aus Psalm 36 (Vers 7): „Herr, du hilfst Menschen und Tieren“25. Gott schützt die Tiere vor dem „Zugriff des Menschen wie vor ihrem gegenseitigen Zugriff“, indem er beide auf die Pflanzenwelt verweist26. Die Tiertötung zur Nahrungsfindung wird trotzdem bei Barth nicht als „Zerstörung der einen Kreatur durch die andere“, sondern als Ernährung gesehen27. Der Tierversuch steht heute im Kreuzfeuer der Kritik. Und es ist richtig, dass aus ethischer Sicht die Tierversuche einschränkt werden müssen. Aber es ist sicher auch richtig, dass man insgesamt nicht auf Tierversuche verzichten kann. Freilich darf der Mensch dem leidensfähigen und schmerzempfindlichen Tier nicht unnötige und überflüssige Schmerzen und Leiden zufügen. Aber eine gewisse ethische (begrenzte) Vorrangstellung des Menschen ist in diesen Fällen kaum zu leugnen. Dennoch stimmt es, wenn man davon spricht, dass in solchen Fällen die emotionale Bindung an ein Tier und das rationale Handeln an ihm als dem Mitgeschöpf miteinander in Konflikt geraten28. Einen Tierschutz, wie er in der neueren Zeit im christlichabendländischen Kulturkreis verankert ist, gab es und gibt es auch heute nicht durchweg in anderen Kulturkreisen und lässt sich ebenfalls so nicht in anderen Kulturen nachweisen. Dafür existiert hier und dort ein anderes Verantwortungsverhältnis. Denn in früheren Kulturen und in manchen Religionen herrscht eine besondere Tierverehrung (Hinduismus, Buddhismus). In vielen Religionen nehmen im Blick auf die Reinkarnation die Tiere eine besondere Stellung ein.

Vgl. Barth, Karl (21947), S. 202. 26 Barth, Karl (21947), S. 236. 27 Barth, Karl (21947), S. 235. S. unten S. 111 f. 28 Vgl. Honecker, Martin, Grundriss der Sozialethik, Berlin, New York 1995, S. 276. 25

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In der christlichen Theologie wurde schon früh das Tier biblisch als gleichwertiges Mitgeschöpf gegenüber dem Menschen angesehen. Franz von Assisi (1181 / 2 – 1226) hat das Gebot der Nächstenliebe auf die ganze Schöpfung angewandt. Er schloss die Tiere ausdrücklich in die Nächstenliebe ein. Den Wolf wie alle Tiere, also auch die Vögel, denen er predigte, nannte er Bruder und Schwester. Allerdings sprach er ebenso von Bruder Sonne und Schwester Mond. Alle Geschöpfe, so sagte er, lieben, leiden und sterben gleich wie wir. Sie sind „uns gleichgestellte Werke des allmächtigen Schöpfers – unsere Brüder“. Die Entwicklung verlief ganz unterschiedlich. So hat René Descartes (1596 – 1650) den Tieren keine Seele zuerkannt. Sie waren für ihn eine bewegliche Sache Das Mitleid mit Tieren wurde als Sentimentalität belächelt. In der Neuzeit wurden zuerst 1822 in England die ersten Maßnahmen zum Schutz von Pferden, Schafen und anderen Tieren erlassen. Der gesetzliche Tierschutz freilich mit entsprechenden gesetzgeberischen Maûnahmen ist insgesamt eine Maûnahme der Neuzeit. Im Rahmen der Erweckungsbewegung haben sich die Pfarrer Christian Adam Dann (1758 – 1837) und Albert Knapp (1798 – 1864), die aus der württembergischen pietistisch orientierten Erweckungsbewegung stammten, gegen die Tierquälerei gewandt. Christian Adam Dann war der Freund und das Vorbild für Pfarrer Albert Knapp. Er gab den Anstoß zur Gründung von Tierschutzvereinen. Albert Knapp gründeten 1837 im Todesjahr von C. A. Dann den ersten deutschen Tierschutzverein. Diesem folgten dann überall in Deutschland weitere entsprechende Vereine. Erst im Jahr 1990 wurde in Deutschland im § 90a BGB festgestellt, dass Tiere nicht mehr als Sachen anzusehen sind. Zu einer inhaltlichen Veränderung des Gesetzes ist es allerdings nicht gekommen. Am 17. Mai 2002 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, im Grundgesetz den Artikel 20a zu Gunsten der Tiere zu ergänzen. Er lautet nunmehr: „Der Staat schützt

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmåûigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maûgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechungª. Am 18. Mai 2006 wurde vom Bundestag ein neues Tierschutzgesetz beschlossen. Dessen Ziel und Aufgabe ist es, „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf sein Leben und Wohlbefinden zu schützen“. Der § 1 des deutschen Tierschutzgesetzes in der Fassung vom Jahr 2006 weist dann darauf hin, dass es Zweck des Gesetzes ist, „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf das Leben und Wohlbefinden zu schützen“. Dann heißt es weiter: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“. Die Gefahr liegt, wie man mit Recht hervorhebt, in der Formulierung „ohne vernünftigen Grund“. Diese Einschränkung reicht weit. Schließlich bieten sich Ausnahmen vor allem bei Tierversuchen an, wie sie etwa in § 7 (2 u. 3) des Tierschutzgesetzes genannt werden. Danach dürfen Tierversuche durchgeführt werden, „soweit sie zu einem der folgenden Zwecke unerlässlich sind: 1. Vorbeugen, Erkennen oder Behandeln von Krankheiten, Leiden Körperschäden oder körperlichen Beschwerden oder Erkennen oder Beeinflussen physiologischer Zustände oder Funktionen bei Mensch oder Tier, 2. Erkennen von Umweltgefährdungen, 3. Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Unbedenklichkeit für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder auf ihre Wirksamkeit gegen tierische Schädlinge, 4. Grundlagenforschung“.

Viele Menschen machen sich gegen Tierversuche stark. Allerdings treten sie dann nicht für eine Beschränkung von Tierversuchen ein, wenn solche Versuche bei den Menschen zu einer Begrenzung von Leiden oder zur Heilung von Krankheiten führen. Sie meinen, dass in solchen Fällen Tier-

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versuche legitim, also moralisch zu rechtfertigen sind. Tiere leiden dann quasi stellvertretend für den Menschen. Die in vielen Staaten erlassenen Tierschutzgesetze sollen dafür Sorge tragen, dass den Tieren Schutz gewährt wird, dass Tiere nicht gequält oder ihnen unnötiges Leid und Schmerzen zugefügt werden. Das setzt voraus, dass man auch den Nutztieren und ebenfalls den vielen Wildtieren, sofern sie zur Ernährung unter fairen Bedingungen freigegeben sind, nicht Leid und Schmerzen antut. Die Menschen nutzen die Tiere zur Lebenserhaltung. Ja, sie züchten sie unter diesen Gesichtspunkten. Nur aus einem solchen Grund ist die moderne Massentierhaltung zu erklären und gutzuheißen. Allerdings muss hier gelten, dass solches Handeln nur unter der Bedingung erlaubt werden kann, dass den Tieren nicht zusätzliche Schmerzen und Leid zugefügt werden. Nur dann können ohne ein besonderes moralisches Schuldgefühl Tierprodukte dem Konsum zugeführt werden29. Ende des vergangenen Jahrhunderts haben sich weitere Bewegungen zum Schutze des Tieres und zur Institutionalisierung des Tierrechts herausgebildet. Man kämpfte etwa gegen den Vogelfang und Vogelmord, gegen bestimmte Formen industrieller Tierhaltung, gegen Wilderei, setzt sich für den Schutz von Wildtieren ein und wandte sich gegen Tierversuche etc. Dazu gehört auch der ökologische Schutz von Walen oder Seehunden und der Schutz vor einer Überfischung der Meere. Andererseits existiert ein Zwang zur Notwendigkeit, Tiere zu töten. Sie dienen dem Fleischverzehr und damit als Nahrung für den Menschen und für andere Tiere. Freilich werden Tiere auch etwa zur Pelzgewinnung und für die medizinische Forschung getötet. Heute indes versucht man vielfach, von den beiden zuletzt genannten Zwecken ganz abzukommen und für Ersatz zu sorgen. 29 Vgl. Wolf, Ursula, Haben wir moralische Verpflichtungen gegen Tiere? In: Hrsg. Angelika Krebs, Naturethik, Frankfurt / M. 1997, S. 51.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

Vor allem die Züchtung von Tieren für den Fleischverzehr bleibt. Die meisten Tiere, Schweine, Rinder und Geflügel, werden nur deshalb erzeugt, weil sie später der Nahrungskette zugeführt werden sollen. Hier besteht der Zwang zur Notwendigkeit des Tötens. Ohne einen solchen Hintergrund wären sie wahrscheinlich gar nicht geboren worden. Menschen können und wollen sich nicht auf rein pflanzliche Kost „umstellen“ lassen. Das alles könnte freilich ganz anders aussehen, wenn diese Tiere ein Ichbewusstsein hätten und damit ein sogenanntes eigenes „Überlebensinteresse“ besäßen, das durch das Töten verletzt werden könnte30. Dieses ist bei den angesprochenen Haustieren nicht gegeben. Aber diese Tiere, die aus der Notwendigkeit heraus existieren, der menschlichen Nahrung zu dienen, dürfen trotzdem nicht während der Zeit ihrer Existenz unter schlechten oder gar quälerischen Bedingungen gehalten werden. Zwar werden also unsere Haustiere und Geflügel zum Verzehr erzeugt. Dennoch darf die normale Tierhaltung in der Landwirtschaft oder auf dem Hof bzw. in der Stallung nicht missbraucht werden. Eine Nutztierhaltung berechtigt nicht, gegen den allgemeinen Tierschutz zu verstoßen.

3. Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben“ Albert Schweitzers (1875 – 1965) ethisches Konzept der „Ehrfurcht vor dem Leben“ sieht sich in der Verantwortung gegenüber der ganzen Schöpfung. Denn der Inhalt seiner Ethik bedeutet „allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen“31. In ihm erkennen viele Menschen die Ethik des Franz von Assisi wieder. So jedenfalls Hoerster, Norbert (2004), S. 72 ff. Schweitzer, Albert, Kulturphilosophie, Kultur und Ethik, München 2007, S. 308. 30 31

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Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben begreift alles in sich, was an Liebe, Hingabe, Mitleiden oder Mitfreude wahrgenommen werden kann. Ethisch ist der Mensch nur, wenn er sich dem Leben – der Pflanze, des Tieres und des Menschen – helfend hingibt. Mit den Worten Albert Schweitzer lässt sich sagen: „Ich bin Leben, das leben will, in mitten von Leben, das leben will“. Damit ist für ihn „das denknotwendige Grundprinzip gegeben: Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und hemmen“32. Die Folgen daraus zieht Schweitzer, wenn er schreibt: dass der Mensch nur dann, aber gerade dann ethisch handelt, „wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgend etwas Lebendigem Schaden zu tun“33. Es gibt für ihn keinen Unterschied im Verständnis von Leben. Denn allem Leben muss die gleiche Ehrfurcht entgegengebracht werden! Der Mensch sollte darum nach Schweitzer darauf achten, dass er kein Insekt zertritt und auch kein Blatt von den Bäumen reißt oder eine Blume bricht34. Daraus ergibt sich der Zwang, „aller Kreatur alles irgend mögliche Gute anzutun“35. Das geht für ihn so weit, dass er auch der niederen Kreatur zum Leben verhelfen will: „Indem ich einem Insekt aus seiner Not helfe, tue ich nichts anderes, als dass ich versuche, etwas von der immer neuen Schuld der Menschen an die Kreatur abzutragen“36. Albert Schweitzer kennt also keinen Unterschied zwischen einem höheren und einem niedrigeren, einem wertvolleren und einem nicht so wertvollen Leben. Darum stellt sich allemal einem Arzt das Problem, inwieweit er einen Patienten heilt, indem er die Viren oder Bakterien abtöten muss. Oder muss er nicht gerade diese lebensbedrohlichen Viren am Leben erhalten. Diese Not hat auch der einzelne Mensch, der im 32 33 34 35 36

Schweitzer, Albert (2007), S. 308. Schweitzer, Albert (2007), S. 309. Vgl. Schweitzer, Albert, ebenda. Schweitzer, Albert (2007), S. 317. Ebenda.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

Grunde vor derselben Entscheidung wie der Arzt steht. Auch er muss aus Ehrfurcht vor dem Leben überlegen, ob er geheilt werden will oder den Bakterien freien Lauf lässt. Schweitzer selbst erkennt diesen Zwiespalt. Denn er weiß um den Konflikt, in dem er steht: „Die Notwendigkeit, Leben zu vernichten und Leben zu schädigen, ist mir auferlegt“37. Er spricht davon: „Um mein Dasein zu erhalten, muss ich mich des Daseins, das es schädigt, erwehren. Ich werde zum Verfolger des Mäuschens, das in meinem Hause wohnt, zum Mörder des Insekts, das darin nisten will, zum Massenmörder der Bakterien, die meine Leben gefährden. Meine Nahrung gewinne ich durch Vernichtung von Pflanzen und Tieren. Mein Glück erbaut sich aus der Schädigung der Nebenmenschen“38. Aber ist diese Gleichbewertung des Lebens letztlich möglich? Während nämlich die gewöhnliche Ethik von Kompromissen lebt, kennt seine absolute Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben keine Kompromisse. Denn sie akzeptiert keine Relativität. Aber auch für sie existiert schließlich die Notwendigkeit, Leben zu schädigen oder zu vernichten. Das ist in jedem Fall eine böse Tat. Schweitzers absolute Ethik, wie er sie versteht, muss sich ständig mit der Wirklichkeit auseinandersetzen. Auch sie tut die Konflikte für den Menschen nicht ab, „sondern zwingt ihn, sich in jedem Fall selber zu entscheiden, inwieweit er ethisch bleiben kann und inwieweit er sich der Notwendigkeit von Vernichtung und Schädigung von Leben unterwerfen und damit Schuld auf sich nehmen muss“39. Gegenüber dem Ansatz von Albert Schweitzer ist zu fragen: Lässt sich wirklich eine Gleichwertigkeit zwischen dem Gras auf der Weide herstellen, das der Kuh zur Nahrung dient, und dem Virus, das einen Entzündungsherd im menschlichen Körper verursacht und dem Leben des Menschen ein Ende bereiten kann? Weder der Arzt noch der einzelne Mensch wird bei der Notwendigkeit zu handeln Zweifel hegen, welche Ent37 38 39

Schweitzer, Albert (2007), S. 315. Ebenda. Schweitzer, Albert (2007), S. 316.

III. Pflanzenethik als Beitrag zum Schutz vegetativer Natur

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scheidung er treffen wird, wenn es um die Heilung eines Menschen oder eines Tieres geht. Soll das Leben der Bakterien etwa eher geschützt sein als das eines Menschen oder einer anderen Kreatur?

III. Pflanzenethik als Beitrag zum Schutz vegetativer Natur Die Pflanzen sind zwar keine leblosen Objekte wie Land und Erde oder Steine, aber sie sind auch keine Subjekte. Dennoch sind sie lebendig. Nach der biblischen Überlieferung gilt: „Siehe da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf der Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben“ (Gen. 1,29.).

Den Menschen und den Tieren sind die Pflanzen zur Nahrung zugeordnet. Das ist nach K. Barth nicht etwas Selbstverständliches und auch nicht etwas, das auf einem freien Wählen des Menschen und der Tiere beruht, sondern es ist vielmehr eine „gewissermaßen juristische Erklärung Gottes“ an die Menschen und Tiere. Beide sollen sich von der Pflanzenwelt ernähren – im Sinne eines „Siehe, ich gebe euch“40. An der zitierten Stelle aus der Genesis (1,29) heißt es speziell gegenüber den Menschen: „Siehe, ich habe euch gegeben . . .“, und auch gegenüber den Tieren gilt Gleiches: „Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zu Nahrung gegeben“ (Gen. 1,30). Auf alles, was sie zum Leben brauchen, haben weder Mensch noch Tier ein Anrecht. Sondern es ist Gottes freie Entscheidung, so zu handeln. 40 Barth, Karl, Kirchliche Dogmatik Bd. III, 1, Zollikon – Zürich 21947, S. 233.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

Das bedeutet nach Karl Barth, dass die den Menschen und den Tieren zugewiesene Kost nicht die fleischliche, sondern vor allem die „vegetarische Kost“ ist41. „Hier wird sichtbar: die dem Menschen übertragene Hoheit über das Tier ist keine Herrschaft über Leben und Tod“42. Den Menschen wird nicht das Tier und den Tieren werden nicht die anderen Kreaturen als Nahrung verordnet. Die biblischen Berichte kennen die Tiernahrung. Sie vermeiden also die Verheißung eines goldenen Zeitalters mit einer Friedenszeit. Dennoch gilt: Man kennt zwar die Ernähung durch Fleischgenuss, aber will nicht die „Zerstörung der einen Kreatur durch die andere“43. Schließlich hat „Gott die Tiere vor dem Zugriff des Menschen wie vor ihrem gegenseitigen Zugriff dadurch geschützt“, dass er „beide an die Hervorbringung der Pflanzenwelt verwies“44. Die vegetative Natur ist also der Lebensraum für Mensch und Tier. Beide dürfen sich von der Pflanzenwelt ernähren. Nach Karl Barth wird sich erst mit dem Sündenfalls diese Situation ändern. Mit dem Friedensbruch zwischen Mensch und Gott wird die neue Regelung zwischen Mensch und Kreatur Platz greifen. Erst danach wird die Tötung des Tieres und damit die tierische Ernähung erlaubt und geboten sein45. Heute gilt als eine der größten Bedrohung der Pflanzen und ihrer Arten die Beschneidung ihres Lebensraumes. Da die Pflanzen standortgebunden leben, können sie den Gefahren nicht ausweichen, sofern sie diese denn überhaupt erkennen. Die Art und der Umfang der Kultivierung der Pflanzen haben in der Landwirtschaft, besonders aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums, stark zugenommen. Aber da sie selbst nichts unternehmen können, muss eines der Naturschutzziele der Menschen sein, die Pflanzen selbst und ihre Vielfalt zu erhalten. 41 42 43 44 45

Vgl. Barth, Karl (21947), S. 235. S. oben S. 104. Ebenda. Ebenda. Barth, Karl (21947), S. 236. Ebenda.

III. Pflanzenethik als Beitrag zum Schutz vegetativer Natur

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Pflanzen weisen mindestens auf den ersten Blick keine Eigenschaften auf, die einen Ansatzpunkt für eine ethische Stellungnahme rechtfertigen. Bisher wurde in der auf die Tierwelt und den Tierschutz ausgerichteten Ethik keine Erweiterungsmöglichkeit für Pflanzen und ihren Artenschutz gefunden46. Ein pathozentrischer Ansatz führt nicht zu einer Pflanzenethik. Pflanzen können unter einem schädigenden Verhalten nicht leiden. Nur leidensfähige Lebewesen können für eine ethische Ansprache infrage kommen. Bei Pflanzen aber ist eine Leidensfähigkeit nicht feststellbar. Sie haben kein Empfindungsvermögen. Pflanzen zeigen keine Empfindungsfähigkeit. „Wenn Pflanzen nicht leiden können, liegt die Folgerung nahe, dass sie auch nicht in einem moralisch relevanten Sinne geschädigt werden können“47. Dann aber kann auch kein grausames Verhalten ihnen gegenüber als unmoralisch angeprangert werden48. Indessen war in der „Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben“ Albert Schweitzers bereits zu lesen, dass dem Menschen das Leben insgesamt heilig ist. Denn „er reißt kein Blatt vom Baum ab, bricht keine Blume und hat acht, dass er kein Insekt zertritt“49. Pflanzen unterscheiden sich von anderen Lebewesen dadurch, dass ihr Tod in der Regel erst nach der ersten Fortpflanzungsphase eintritt. Sie wachsen und gedeihen aus sich heraus. Sie entfalten sich, blühen und tragen Früchte. Pflanzen dienen mit ihrer Verwertbarkeit und Nutzbarkeit in vielfältiger Weise zur Bedürfnisbefriedigung von Mensch und Tier. Aber der Wert der Natur darf sich nicht in der Nutzbarkeit oder Verwertbarkeit allein manifestieren. Auch andere Werte müssen berücksichtigt werden. Dazu gehören ebenso ästhetische wie religiöse Maßstäbe50. 46 Vgl. Kallhoff, Angela, Prinzipien der Pflanzenethik, Frankfurt / New York 2002, S. 11. 47 Kallhoff, Angela (2002), S. 12. 48 Vgl. Ebenda. 49 Albert Schweitzer (2007), S. 309. S. oben 3.2.3. 50 Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S 113.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

Pflanzen dienen als Grundlage zum Wohlfühlen in der heimatlichen Umgebung. Ihre mannigfaltigen Formen und Farben verschaffen dem Menschen Erholung und Erhöhung der Lebensqualität. Schließlich verwirklicht die Naturästhetik einen Bestandteil einer Ethik des guten Lebens51. Man hat unter Berücksichtigung eines Biozentrismus versucht, das sogenannte gute Leben von Pflanzen als Grundlage für den Pflanzenschutz zu entwickeln52. Aber können denn Pflanzen ihr Wohlergehen reflektieren? Sie besitzen keine solche Fähigkeit, die zum Prozess des guten Lebens unbedingt gehört. Eher könnte noch der Physiozentrismus weiterhelfen. Dieser umfasst das Ganze des Seins und überwindet den strengen Anthropozentrimus in seinen unterschiedlichen Schattierungen. Schließlich darf der Menschen nicht als jemand bestimmt werden, der seiner Umwelt als gänzlich andersartig gegenübersteht. Der Anthropozentrismus dagegen konstruiert einen Gegensatz zwischen der Natur und dem Menschen zu dessen Gunsten. Durch das entsprechende Weltbild muss ein angemessener Umgang mit der Natur umschrieben werden. Nach dem Naturphilosophen K. M. Meyer-Abich geschieht das allein im Physiozentrismus, der von ihm darum vertreten wird. Der Mensch steht zwar der Natur gegenüber, aber sie darf nicht als eine von ihm gänzlich verschiedene Umwelt angesehen werden53. Allein die Natur ist das Ganze! Und nur der begrenzte Anthropozentrismus liefert eine dem Physiozentrismus vergleichbare Einstellung. Darum ist nicht im Physiozentrismus, wie es Meyer-Abich will, sondern im geläuterten Anthropozentrismus für den Menschen die Natur als Umwelt zu bezeichnen. Meyer-Abich spricht von der „Mitweltlichkeit von Tieren und Pflanzen“54. Es ist darum ein Verstoß gegen die Sittengesetze, wenn die Menschen die natürlichen Lebens51 52 53 54

Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S. 79. Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S. 85 f. Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S. 97. Vgl. Irrgang, Bernhard (1992), S. 31.

III. Pflanzenethik als Beitrag zum Schutz vegetativer Natur

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grundlagen zerstören. Die Natur als Ganze kann dagegen nicht die Folgen ihres Tun und Handelns abschätzen. Die Menschen sind in der Lage, die Entwicklung von Pflanzen zu beeinflussen, sie insgesamt zu fördern und zu schädigen oder gar zu vernichten. Vor allem sind es die Menschen, die das Gedeihen, Wachsen und Zugrundegehen der Pflanzen beeinflussen. Es sind die ökologischen Bedingungen, die das Wachsen der Pflanzen begünstigen oder es behindern. Menschen und Tiere leben von der Verwertung pflanzlicher Rohstoffe. Das Reich der Pflanzen lebt aus eigenen Gesetzen, die sich grundlegend von denen anderer Lebewesen unterscheiden. Denn Pflanzen können bekanntlich nicht an dem Leben anderer Lebewesen teilhaben. Das Gedeihen allein kann aber nicht als ein außermoralischer Wert zur Grundlage des ethischen Handelns gemacht werden. Der Hinweis auf berechtigte Interessen der Pflanzen gegenüber anderen Geschöpfen gibt nicht die Grundlegung für eine Pflanzenethik ab. Immerhin geht es auch bei Pflanzen in vielen Fällen um knappe Ressourcen. Aber Mensch und Tier sind bei ihrer Nahrungsbeschaffung auf Pflanzen angewiesen. Zur Gestaltung einer pflanzlichen Ordnung des Wohlseins in der Gesamtnatur wird in der Literatur zwar der Begriff des Kosmos bzw. einer holistischen Bioethik verwandt55. Denn es geht um eine Bewertung der Natur insgesamt. Aber als Grund einer ethischen Orientierung im pflanzlichen Bereich ist zunächst einmal festzuhalten, dass Menschen Pflanzen als Ressourcen zu schützen oder wegen ihrer schönen Natur zu bewahren haben. Als einen weiteren Grund zum Schutz der Pflanzen könnte man den anerkennen, dass sie als solche umhegt werden müssen, da sie die zum „guten Leben befähigten Lebewesen“ sind. Gleichzeitig gilt es, sie sowohl vor einer direkten, also 55

Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S. 101 ff.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

gezielten Schädigung, als auch vor indirekten Schädigungen zu schützen, die durch die technische oder zivilisierte Lebensweise der Menschen hervorgerufen werden und die auf das Gedeihen der Pflanzen Einfluss ausüben. Schließlich ist in der Pflanzenethik noch die anthropogene Dimension zu nennen, vor deren Einfluss die Pflanzen bewahrt werden müssen. Diese besteht besonders in der Kultivierung von Pflanzen. „Dabei werden Pflanzen oder die Bedingungen, unter denen sie leben, zugunsten menschlicher Nutzungsinteressen verändert“56. Aber trotz allem Einfluss des Menschen sollte den Pflanzen ein ihnen notwendiger Raum zuerkannt werden. Schließlich sollten Pflanzen auch deshalb erhalten und geschützt werden, weil sie ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Heimat sind, ästhetische Erlebnisse ermöglichen und einen Erholungsraum bieten57. Es gilt, in einer Ethik, die sich unter anderem dem Erhalt der Artenvielfalt verschrieben hat, das Gedeihen der Pflanzen zu fördern. Dazu muss gehören, den pflanzlichen Lebensraum so schonend wie nur möglich zu bewahren. Zum Schutz der „wilden Natur“ ist zu fordern, im Fall einer Notwendigkeit, in das wildlebende Ökosystem einzugreifen, sich nicht an Wertvorstellungen der Menschen zu orientieren, sondern daran, welche Folgen solche Eingriffe für die Lebensgemeinschaft innerhalb der Natur haben58. Immerhin lässt sich letztlich ohne größere Begründung behaupten, dass das Gedeihen von Pflanzen moralisch zu respektieren ist. Anthropogene Veränderungen der vegetativen Natur sollten darum danach bewertet werden, „ob sie das Gedeihen von Pflanzen ermöglichen oder schädigen“59. Aber reicht das für eine Pflanzenethik aus? Oder ist nicht vielmehr die Pflanzenethik in einen viel größeren Rahmen des Lebens 56 57 58 59

Kallhoff, Angela (2002), S. 136. Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S. 140. Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S. 145. Kallhoff, Angela (2002), S. 147.

IV. Eine zukunftsorientierte Ethik

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zu stellen, der letztlich alle Formen des Lebens umfasst und die Harmonie zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Leben herstellt? Im Mittelpunkt einer Pflanzenethik muss zwar das Gedeihen der Pflanzen und die Erhaltung ihrer Artenvielfalt stehen. Es geht um die Erhaltung der unberührten bzw. wilden Natur und um die Kultivierung von Pflanzen und ihren artgerechten Eigenschaften60. Die Pflanzenethik hat also zwar das pflanzliche Gedeihen und den Schutz vor Schädigungen und Zerstörung zu berücksichtigen. Aber zugleich darf sie die Auswirkungen auf den Menschen nicht vernachlässigen. Insofern herrscht auch in ihr der eingeschränkte Anthropozentrismus vor. Dabei geht es freilich immer um eine Koexistenz der Dreiheit von Mensch, Tier und Pflanzen, auch wenn eine Pflanzenethik im Vergleich zur Tier- und Menschenethik immer den Kürzeren ziehen wird.

IV. Eine zukunftsorientierte Ethik Die gängige zukunftsorientierte Ethik steht unter dem Stichwort der Verantwortung des modernen Menschen. Sie ist stark anthropozentrisch ausgerichtet. Hans Jonas beschreibt den Imperativ für das menschliche Handeln unter dem negativen Gesichtspunkt: „Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden“. Das klingt in positiver Weise so: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“61. Und in dieser Gestalt klingt es streng anthropozentrisch. Die Natur hat die Grundbedürfnisse des Menschen zu erfüllen. Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung. Aber durch den Bezug auf ihn erfüllt gerade die zukunftsorientierte Ethik einen geläuterten Anthropozentrismus. 60 61

Vgl. Kallhoff, Angela (2002), S. 153. Jonas, Hans, Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt / M. 31982, S. 36.

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3. Kap.: Anthropozentrismus in der Umweltethik

Im Laufe der Auseinandersetzung über den richtigen Umgang mit der Natur sind unterschiedliche Antworten gegeben worden62. Dazu gehört auch die Norm, die darin besteht, den absoluten Werten der Natur zu folgen (naturam sequi). Von ihr setzt sich das theologische Argument ab. In diesem Fall tritt Gott an die Stelle der Natur. Aber diesem Argument will man aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht folgen, weil es angeblich kein „wertendes Wesen“ mit dem Namen Gottes gibt, das die Welt geschaffen hat63. Vielmehr könnte es auch ein ungerechter Dämon sein, dem man allerdings nicht blindlings folgen sollte. In der Naturethik wird nach dem richtigen Umgang des Menschen mit der Natur gefragt. In ihr stellt sich dann die Frage nach dem Wert der Natur und dem richtigen Umgang des Menschen mit ihr. In der Naturethik ist eine Abgrenzung gegenüber dem Anthropozentrismus weder im klassischen noch im geläuterten Sinn strikt möglich. In der theologischen Argumentation wird in diesem naturhaften Zusammenhang der Gottesbegriff relativiert; er nimmt ,nur‘ die Stelle der Natur ein.

62 S. oben 3. Kap. I. Vgl. Krebs, Angelika, Naturethik im Überblick, in: Angelika Krebs (Hrsg.) Naturethik, Frankfurt 1997, S. 345. 63 Vgl. Krebs, Angelika (1997), S. 361.

4. Kapitel

Energiepolitik und Klimawandel Die Debatte um die Energiereserven ist durch die Erkenntnis geprägt, dass die Ressourcen begrenzt sind. Speziell die Öl- und Gasreserven sind endlich. Außerdem wird der Wettbewerb um die fossile Energien weltweit in den kommenden Jahren drastisch zunehmen, vor allem bedingt durch die Industrialisierung und den damit verbundenen höheren Energieverbrauch der Schwellenländer China und Indien. Dabei spielt auch das Wachstum der Weltbevölkerung um achtzig Millionen pro Jahr eine gewichtige Rolle. Der Konsum von Energie in Form von Erdöl und Gas ist bereits in den letzten Jahrzehnten rasant angestiegen.

I. Eine kurze Erdgeschichte Erst die Atmosphäre der Erde ermöglicht das Leben auf ihr. Ohne diesen Schutz durch die Gashülle würde die durchschnittliche Temperatur bei minus 18 Grad und nicht bei plus 15 Grad Celsius liegen. Die Atmosphäre besteht aus Gasen wie Wasserdampf, Kohlendioxid (CO2), Ozon und Methan. Vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstand das Sonnensystem mit dem Planeten Erde. Es ist bekannt, dass unser Planet im Laufe der Zeit viele Klimawandlungen durchgemacht hat. Bereits in der Kreidezeit, also vor 140 bis 65 Millionen Jahre, herrschte auf der Erde eine Warmzeit. Es lebten riesige Saurier selbst in polaren Breitengraden. Vor zwei bis drei Millionen Jahren, als der CO2-Gehalt der Atmosphäre stetig sank, geriet die Erde in eine Eiszeit. Riesige Gletscher drangen bis in unsere Breiten vor. In der Warmzeit war der Kohlendioxidgehalt

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

höher, als er heute ist. Dann kühlte die Erde wieder ab. Seit dieser Zeit pendelt sie „regelmäßig zwischen Eiszeiten und Warmzeiten hin und her“1. Ja, sogar seit den letzen 500 Millionen Jahren wechselten Kaltzeiten mit eisfreien Warmphasen ab2. Darum ist der Paläoklimatologe Augusto Mangini von der Universität Heidelberg skeptisch gegenüber der im Bericht des Weltklimarates, also der vom Intergovernmental Panel on Climate Chance (abgekürzt: IPCC) vorgenommenen Rekonstruktion des Paläoklimas und der Aussage, dass vor allem der Mensch für die Klimaveränderung verantwortlich ist3. Aber mittlerweile hat man sich trotzdem weltweit die Erkenntnis des IPCC angeeignet. Mangini allerdings weist darauf hin, dass der Vergleich zwischen der Erwärmung des heutigen Klimas und der Erwärmung vor 120 000 Jahren einfach nicht stimme. Während der letzten zehntausend Jahre hat es Perioden gegeben, die ähnlich warm waren oder noch wärmer als heute. Ebenfalls sei es falsch zu behaupten, dass die jetzige Erwärmung sehr viel schneller abläuft als die früheren Erwärmungen. In den letzten zehntausend Jahren hat es erhebliche globale und genauso schnelle Klimawechsel gegeben wie heute. Auch sie hatten die Menschen ebenso stark beeinflusst. Anhand von Stalagmiten lassen sich anders als bei den Baumjahresringen, die vom IPCC hauptsächlich als Maßstab herangezogen werden, die Temperaturverhältnisse und die Niederschläge ablesen. Die Temperaturunterschiede sind an den Stalagmiten um einige Grade höher als diejenigen, die mit Hilfe der Baumringe zu erkennen sind. Auf Grund der Stalagmiten und der Isotopenforschung lassen sich zum Beispiel für die Stadt Troja die dramatischen Klimaveränderungen nachweisen. Blütephasen – in Troja von Homer etwa vor 3750 bis 3300 beschrieben – wechRahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim, (42006), S. 9. 2 Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim, (42006), S. 17. 3 Vgl. Mangini, Augusto, Ihr kennt die wahren Gründen nicht, in: FAZ vom 5. April 2007, S. 35, Sp. 1. 1

I. Eine kurze Erdgeschichte

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seln mit Phasen ab, in denen nur noch eine geringe menschliche Tätigkeit nachzuweisen ist. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass dem vom Menschen erzeugten Kohlendioxid allein die Schuld nicht zugewiesen werden kann. Freilich blieb die Behauptung, dass der Ausstoß von CO2 den Treibhauseffekt verstärkt. Darum ist eine Reduktion der Treibhausgase ebenso dringend erforderlich wie ein sparsamer Umgang mit der fossilen Energie4. Immerhin besteht heute kein ernsthafter Zweifel mehr an der globalen Erwärmung und ihren Auswirkungen auf Umwelt und die wirtschaftliche Entwicklung. „Schätzungen anhand von Baumrinden und in Gletschereis eingeschlossenen fossilen Luftproben legen die Vermutung nahe, dass die mittlere Oberflächentemperatur der Erde in den letzten 10 000 Jahren seit Beendigung der letzten Eiszeit Schwankungen von weniger als einem Grad Celsius unterworfen war. Zwischen 1500 und 1900 erhöhte sie sich um 0,5 Grad Celsius, und von 1900 bis heute stieg sie noch einmal um 0,5 Grad Celsius an“5. Das immerhin hat der IPCC festgestellt. Die Vereinten Nationen hatten als unabhängiges zwischenstaatliches Gremium den Weltklimarat, das IPCC, eingesetzt. Das IPCC ist eine Gründung der World Metrological Organisation des United Nations Environment Programme (Unep) aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ihm gehören heute rund 2500 Wissenschaftler (Klimatologen, Ökonomen, Geografen, Soziologen und andere Wissenschaftler) aus über 130 Ländern an. Sie tragen ihre Forschungen zusammen und diskutieren die gefundenen Erkenntnisse. Die Ergebnisse gelten nicht als die Meinung weniger Wissenschaftler, sondern vielmehr als ein wissenschaftlicher Konsens. Die erste Arbeitsgruppe des IPCC beschäftigt sich mit den Ursachen des Klimawandels, die zweite mit den bereits heute messbaren und künftigen Auswirkungen auf Mensch, Tier4 Mangini, Augusto, Ihr kennt die wahren Gründen nicht, in: FAZ vom 5. April 2007, S. 35, Sp. 4. 5 Edward O. Wilson, die Zukunft des Lebens, München 2004. S. 92.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

und Pflanzenwelt. Der dritte Teil errechnet die Vermeidungskosten, nämlich die Kosten, die beim Wechsel von klimaschädlichen zu klimafreundlichen Technologien entstehen. Im übrigen beziffert man die Vermeidungskosten auf 0,5 bis 4 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes. Zu Zeiten eines hohen Kohlendioxidgehalts wird die Erde eisfrei. In der gegenwärtigen Nacheiszeit, also in dem Holozän6, ist das Eis noch nicht verschwunden. Diese Neowarmzeit begann vor ca. 11.700 Jahren. Bis heute ist das Klima des in früher Zeit Alluvium genannten Zeitalters warm und stabil geblieben. In ihm konnte der Mensch sesshaft werden und Landwirtschaft betreiben7. Aber selbst in diesem sonst so ruhigen Klima gab es einen großen Klimawechsel. „Die Sahara wandelte sich von einer besiedelten Savanne mit offenen Wasserflächen in eine Wüste“8. Untersuchungen grönländischer Eisbohrkerne haben gezeigt, dass es immer wieder Klimawechsel mit einer Erwärmung um 5o bis 10o C gegeben hat. In der letzten Eiszeit lassen sich sogar bis zu 24 Klimawechsel nachweisen. Zu ihnen kam es offenbar in regelmäßigen Abständen von 1500 Jahren. Dieser Klimawechsel zog stets auch Veränderungen der Vegetation nach sich9. Die wärmste Klimaperiode, deren Durchschnittstemperaturen sogar 2o bis 2,5o C über den heutigen lagen, war zu Beginn des Holozäns. Damals begann die bisher wärmste Klimaperiode seit der letzten Eiszeit. Sie dauerte etwa 5000 Jahre. „Dieses sogenannte ,holozäne Optimum‘ brachte folgenreiche Verschiebungen der Klima- und Vegetationszonen mit sich“10. Als dann die erste und zugleich wärmste Phase des Holozäns zu Ende ging, setze eine Abkühlung (Pessimum) ein, die weitreichende Konsequenzen für Mensch und 6 Der Begriff stammt au dem Griechischen und setzt sich zusammen aus hólos, ganz, völlig und kainós, neu, und bedeutet das völlig Neue. 7 Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 25. 8 Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 26. 9 Vgl. Ludwig, Karl-Heinz, Eine kurze Geschichte des Klimas, München 2006, S. 109. 10 Vgl. Ludwig, Karl-Heinz (2006), S. 111.

I. Eine kurze Erdgeschichte

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Natur hatte11. Ötzi, der ,Gletschermann‘ aus den Ötztaler Alpen, ist ein Zeuge aus dieser Zeit. Im Laufe der letzten 5000 Jahren haben sich dann mehrere Optima und Pessima, also wärmere und kältere Klimaperioden ereignet: – 3500 v. Chr. bis 2000 v. Chr. Pessimum der Bronzezeit – 400 v. Chr. bis 200 n. Chr. Römisches Optimum – 300 n. Chr. bis 600 n. Chr. Pessimum der Völkerwanderungszeit – 800 bis 1400 Mittelalterliches Optimum – 1500 bis 1850 Kleine Eiszeit – seit ca. 1840 Modernes Optimum12.

Das Klima hat sich global im 20. Jahrhundert um ca. 0,6o C, in Deutschland um ca. 1,0o C erhöht. Es haben sich also im Erdklima immer schon Veränderungen ergeben, zum Teil sogar recht drastische. Weltweiter Gletscherschwund ist der sichtbare Beweis für den Klimawandel. Die Alpen sind ein exemplarisches Beispiel für Klimaschwankungen und Umwälzungen durch die Klimaerwärmung in der Vergangenheit und Gegenwart. Auch in historischen Perioden waren sie frei von Gletschern. Aber diese Veränderungen sind keineswegs auf den menschlichen Einfluss zurückzuführen. Allerdings haben die Gletscher in den Alpen seit Beginn der industriellen Revolution mehr als die Hälfte ihrer Masse verloren. Trotzdem lassen sich weder die Ursachen noch die Ausmaße solcher klimatischen Veränderungen in allen Einzelheiten erklären. Jedes Klimageschehen wird durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt. Diese können extraterristischer oder auch terristischer Natur sein. Dazu gehören sowohl die Sonneneinstrahlungen, kosmische Strahlen, als auch Veränderungen der Erdbahn um die Sonne etc. 11 12

Vgl. Ludwig, Karl-Heinz (2006), S. 114. Ludwig, Karl-Heinz (2006), S. 116.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Als eine entscheidende Größe für den Wärmetransport und den Temperaturanstieg ist der Wasserhaushalt der Atmosphäre anzusehen. Durch ihn und durch den Energietransport von Meeresströmen, wie etwa durch den Golfstrom, wird das Klimageschehen maßgeblich gesteuert. Auch die sogenannte thermohaline Zirkulation beeinflusst das Klimageschehen deutlich13. Insofern kann der Klimawandel durchaus ein natürliches Phänomen sein. Aber man kennt die bestimmenden Faktoren im Einzelnen noch nicht genau. Denn immer noch nicht kann man exakt die Rolle des Kohlendioxids im Kohlenstoffkreislauf der Atmosphäre beschreiben. Einerseits ist das Kohlendioxid ein wichtiges Treibhausgas, das die Abfuhr der Wärme in den Weltraum verhindert und damit die Temperatur auf der Erde erhöht. Andererseits aber geben die Weltmeere mit steigender Temperatur Kohlendioxid an die Luft ab. Warum allerdings die Temperatur der Meere steigt, ist nicht bekannt. Außerdem kommt es auf der Erde zur Oxidation von organischem Kohlenstoff mit Sauerstoff. Auch so entsteht Kohlendioxid. Der Klimawandel auf der Erde lässt sich also durchaus als ein natürliches Phänomen beschreiben. Denn Klimaveränderungen sind aus der Geschichte durchaus seit langem bekannt. Dem aber steht die erwähnte Meinung des Weltklimarates entgegen, der im November des Jahres 2007 festgestellt hat, dass der Klimawandel der Gegenwart eindeutig von Menschen herrührt. Wir wissen heute, wie viele fossile Brennstoffe verbrannt werden, und wieviel CO2 in die Atmosphäre abgegeben wird. Und von daher lässt sich die Ursache des Klimawandels heute durchaus dem Menschen zuschreiben. Aber gewisse Unsicherheiten und Ungewissheiten bleiben, die auch die Klimaforscher entzweien. 13 Neben dem Wind sind als zweite Ursache die Dichteunterschiede im Meerwasser zu nennen. Sie sind bedingt durch die Temperaturunterschiede und die Salinität. Darum spricht man von der thermosalinen Zirkulation.

I. Eine kurze Erdgeschichte

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Der Weltklimarat hatte am 2. Februar 2007 seinen Klimabericht vorgestellt, der einen Temperaturanstieg für die Gegenwart als „sehr wahrscheinlich“ prognostizierte. Aber er galt als noch nicht ganz sicher. In seinem vierten Klimabericht am Ende des Jahres 2007 hat er dann den Klimawandel als eindeutig durch die Menschen verursacht erkannt. Sollte die Klimaerwärmung unter zwei Grad Celsius bleiben, kann sich der Mensch dem Klimawandel anpassen. Er kann Deiche bauen, seine Ernährung umstellen, andere Urlaubsziele wählen. Neue Energieträger und erneuerbare Energie sind ebenso vorhanden wie der Wunsch nach einer besseren Ausbeutung der Energie. Die Atomenergie wird ihrerseits weiterhin eine gewisse Rolle spielen. Vor allem aber muss Kohlendioxid in die weltweite Energierechnung eingebaut werden. CO2 braucht einen weltweiten Preis. Kohlendioxid muss weltweit gehandelt werden. Viele dieser Forderungen wurden allerdings von Ländern wie den USA, China für ihre eigenen Länder abgeschwächt. Nach Aussagen der Klimaforscher beschleunigt sich die Schmelze des Grönlandeises und der Gletscher. Die geplante Beschränkung der globalen Erwärmung von durchschnittlich zwei Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts ist nur mit großer Anstrengung zu erzielen, so warnten deutsche Klimaexperten aus Potsdam und Hamburg am Ende des Jahres 2008. Sollte der Klimawandel nicht abgemildert werden, könnte sich langfristig die Eroberfläche um bis zu 4,5 Grad erwärmen, im günstigsten Fall allerdings nur um 1,5 Grad. Es könnten aber auch bis zum Jahre 2100 sogar bis 6,4 Grad werden. Der Bericht des IPCC prophezeit, dass Nord- und Südamerika und auch Nordeuropa feuchter, die Mittelmeerländer, Südafrika und Teile Asiens trockener werden, denn sie werden an Wassermangel leiden. Würde im Extremfall das Grönlandeis schmelzen, könnte der Meeresspiegel um sieben Meter steigen.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Das IPCC ist vor allem besorgt über die Zuwachsraten und die Konzentration des von Menschen verursachten Kohlendioxids in der Atmosphäre, die noch nie so hoch gewesen sind. Sie verstärken den Klimawandel. Diese von dem IPCC aufgestellte Analyse – vor allem im Hinblick auf den erhöhten Kohlendioxidausstoß – hat eine weltweite Diskussion entfacht und vor allem auf die vom Menschen heraufbeschworene Gefahr aufmerksam gemacht. Das muss bei der Beurteilung des Klimaberichtes gewürdigt werden, auch wenn manches noch ungesichert und ungeklärt ist. Der vierte UN-Bericht stellt zwar, wie wir gesehen haben, die Verantwortung des Menschen für die Erderwärmung deutlicher heraus als je zuvor. Unstrittig ist, dass vor allem die Nutzung fossiler Brennstoffe den Treibhauseffekt herbeigeführt hat. Allerdings werden die Meinungen von Minderheiten, die gewichtige Mängel an der Katastrophentheorie äußern, nicht berücksichtigt. Diese bestreiten zwar nicht die Zusammenhang zwischen der Erderwärmung und der CO2-Produktion. Aber sie betonen, wie aus dem Gesagten ebenfalls herauszulesen ist, dass der Anstieg von Kohlendioxid dem Temperaturanstieg nicht vorausgehe, sondern erst nachfolgt. Ein Potenzial von ca. fünfzig Prozent der CO2-Reduktion sieht das IPCC in der Erhaltung der Wälder. Umgekehrt ist die Abholzung des Regenwaldes mit einem Anteil von bis zu fünfundzwanzig Prozent verantwortlich für den Anstieg von Treibhausgasen. Das ist eine Größe, die direkt hinter der Verbrennung fossiler Energieträger steht. Die beiden größten Energieverbraucher sind die USA und China, gleich hinter ihnen auf der Liste der klimaschädlichen Nationen stehen die Länder mit den größten Regenwäldern, Brasilien und Indonesien, die beide sehr kräftig abholzen. Jährlich verschwinden etwa in Indonesien 1,8 Millionen Hektar Wald, eine Fläche, die der Größe von Sachsen entspricht. Staat und Privatfirmen roden legal und illegal, ohne auf den Umweltschutz Rücksicht zu nehmen. In Zukunft werden insgesamt bei den CO2-Emissionen sowohl die USA als auch China und Indien führend sein.

I. Eine kurze Erdgeschichte

127

Die Erhöhung des Meeresspiegels könnte am Ende dieses Jahrhunderts bis zu 59 Zentimeter betragen. Grönland würde eisfrei, Küstenstädte wie Hamburg, London oder Sydney stünden unter Wasser. „Die letzte vergleichbare große globale Erwärmung gab es, als vor 15 000 Jahren die letzte Eiszeit zu Ende ging: Damals erwärmte sich das Klima global um ca. 5o C. Doch diese Erwärmung erfolgte über einen Zeitraum von 5000 Jahren – der Mensch droht nun einen ähnlich einschneidenden Klimawandel innerhalb eines Jahrhunderts herbeizuführen“14. Das war die Zeit der Völkerwanderung15. Der Klimaforscher, Gründer und heutiger Direktor des Potsdamer Instituts für Klimaforschung Hans Joachim Schellnhuber steht ganz auf der Seite des IPCC-Berichtes. Für ihn stellt die globale Mitteltemperatur in Höhe von vier bis fünf Grad letztlich den Unterschied zwischen einer Eiszeit und einer Warmzeit dar. Würde man fünf Grad abziehen, reichten die Gletscher bis nach Berlin, würde man fünf Grad addieren, wisse man bis heute nicht, was passiere, „aber möglicherweise wären wir dann außerhalb des Bereiches, in dem das Klimasystem der Erde sich immer wieder selbst stabilisiert“16. Die Geschichte des Klimas bestätigt zwar insgesamt die besondere Bedeutung, die dem CO2-Gas als Rolle des Treibhauseffektes zukommt. Aber erst seit Mitte der fünfziger Jahren geht man dieser anthropogenen Erwärmung nach. Heute weiß man, dass der Mensch der wesentliche Verursacher nicht nur für den erhöhten Kohlendioxidwert ist, sondern auch für die Konzentration der anderen Gase, wie Methan, FCKW, Distickstoffoxyd (N2O), die ebenfalls zum Treibhauseffekt beitragen.

Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 53. 15 S. oben S. 123. 16 Schellnhuber, Hans Joachim, In Europa wird es das große Zittern geben, in: FAZ vom 2. März 2007, S. 37, Sp. 3. 14

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

II. Energieentwicklung und Energieverbrauch Die durch den vermehrten CO2-Ausstoß hervorgerufene Erderwärmung und der damit verbundene Klimawandel ist nicht auf einzelne Länder beschränkt. Der Klimawandel muss weltweit bekämpft werden. Wissenschaft, Politik und Wirtschaft stehen in der Verpflichtung, in diesem Zusammenhang über eine langfristige Strategie weltweit nachzudenken. Die Energiearten weisen unterschiedliche Vorund Nachteile auf: Die Kohlekraftwerke, in diesem Zusammenhang ist besonders die Braunkohle zu nennen, verursachen durch den Ausstoß von CO2 und anderen schädlichen Gasen eine erhebliche Umweltverschmutzung. Auch ist das Ende der fossilen Energie abzusehen, selbst wenn sie noch viele Jahrzehnte reichen wird. Die natürliche Wind- und Sonnenenergie sowie die erneuerbare Energien sind ihrerseits noch nicht in der Lage, den Energiebedarf aller Volkswirtschaften zu decken. Dasselbe gilt auch für die noch im Anfangsstadium stehenden Erdwärmekraftwerke, die in Deutschland in Unterhaching und in Landau zum ersten Mal ans Netz gegangen sind bzw. gehen werden. Die Erwartungen an diese Tiefenwärme sind hoch. Immerhin herrschen im Erdinneren Temperaturen um 6000 Grad und im Erdmantel noch 1200 Grad. Durch den Zerfall von radioaktiven Isotopen von Uran, Thorium und Kalium wird ständig Wärme produziert. Für die nächsten 100 000 Jahren könnte der Bedarf der Menschheit damit gedeckt werden. Aber noch hat die Geothermie keinen nennenswerten Anteil an der Energieproduktion in Deutschland. Die Lösung des weltweiten Energiebedarfs kann sich allein nicht darauf erstrecken, das Energieangebot durch fossile Energie zu steigern. Stattdessen müssen im Mittelpunkt einmal die Steigerung der erneuerbaren Energie und die Einsparung von Energie stehen. Zentrale Bedeutung kommt dabei vor allem der Energieeinsparung zu. Darauf hat schon der Text-Beitrag, den die EKD 1991 herausgegeben hat, aufmerksam gemacht17.

II. Energieentwicklung und Energieverbrauch

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Der Treibhauseffekt hat in letzter Zeit den Streit um die friedliche Nutzung der Kernenergie erneut belebt. Allerdings wird von den Gegnern der Kernenergie das Risiko, wie sich durch den Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1986 gezeigt hat, deutlich unterstrichen. Die damals freigesetzte radioaktive Strahlung erstreckte sich auf Pflanzen, Tiere und Menschen. Trotz heutiger Vorsichtsmaßnahme und technischer Neuerungen ist indessen generell ein Restrisiko nicht auszuschließen. Das haben immer wieder Störfälle in den verschiedensten Kraftwerken in Deutschland und in den USA gezeigt. Die meisten Unfälle sind aufgrund des Zusammenspiels von Mensch und Technik zu erklären. Ein weiteres Problem stellen Schäden dar, die Menschen durch radioaktive Strahlungen erlitten haben. Langfristige biologischen Folgen infolge der erhöhten Radioaktivität sind schwer erfassbar, obschon das Krebsrisiko signifikant ist. Das gilt bereits für die Arbeitnehmer bei der Urangewinnung und erstreckt sich bis in das Strahlungsfeld der Atommeiler. Inwieweit auch Erbschäden für die nächstfolgenden Generationen eintreten können, ist noch nicht genau abschätzbar. Dennoch ist weiterhin die Kernenergie eine zwar umstrittene, aber immerhin noch vorhandene Möglichkeit, die Energieversorgung zu verbessern und gleichzeitig etwas für den Klimaschutz zu tun. Der benötigte Brennstoff Uran muss aus Australien oder Kanada eingeführt werden. Aber die Rohstoffversorgung gilt als gesichert. Die Stromerzeugung aus Kernenergie ist zwar frei von Kohlendioxidemissionen. Aber auch die Kernenergie ist nicht der Königsweg für die Energieversorgung. Denn zusätzlich zur Abhängigkeit von dem chemischen Element Uran, das nur begrenzt auf der Erde vorkommt, sind heute noch weitere Folgen zu bedenken. Immer mehr Kernkraftwerke stehen aus verschiedenen Gründen vor der Abschaltung: 17 Vgl. Rat der EKD, Energieeinsparung – Umrisse einer umweltgerechten Politik im Angesicht der Klimagefährdung, Hannover 1990, in: EKD Texte, Nr. 31, S. 5.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

– aus Altersgründen, weil sie den technischen Anforderungen der Zeit nicht mehr entsprechen, – ihre Reparaturkosten zu hoch sind oder – eine Nachrüstung des modernen Sicherheitsstandards sich nicht mehr lohnt.

Auch die Fragen der Reaktorsicherheit werden immer wieder nach Katastrophenfällen gestellt. Vor allem sind die Entsorgungsprobleme des radioaktiven Mülls und damit die Endlagerung der verbrauchten Brennelemente keineswegs geklärt. Weder darf man leichtfertig bei der Suche nach einem Endlager vorgehen, noch sich wegen der über Generationen hinweg erstreckenden Gefahren eine mangelnde Sicherheit erlauben. Schließlich müssen die Endlager auch die Möglichkeiten zulassen, in ihnen in Zukunft Reparaturarbeiten ohne Gesundheitsgefährdung für die Arbeitenden vornehmen zu können. Außerdem muss das menschliche Versagen in Betracht gezogen werden. Menschen begehen nun einmal Fehler, auch schwerwiegende. Heute wird man bei der Suche nach der richtigen Energiepolitik von einem Energiemix aus überkommenen Energieträgern, erneuerbarer natürlicher Energie aus Wasser, Luft und Sonne und schließlich aus der Kernkraft auszugehen haben. Ein wenig kann selbstverständlich auch ein sparsamer Umgang mit den Energien – vor allem in den Industrielländern – zu einer Verringerung des Energiebedarfs beitragen. Aber allein durch Energieeinsparung lässt sich dieser nicht regulieren. Immerhin ist das Energiesparen vielleicht der wirtschaftlich und ethisch am besten begründete Umgang mit der Energie. Damit können heute nach Berechnung von Experten zwischen 20 bis 44 Prozent Energie gespart werden18. Darum setzen die meisten Maßnahmen des Klimaschutzes bei der Nachfrageseite an. Man fordert die Bevölkerung auf, den Verbrauch zu senken. Aber ist dieser Weg erfolgreich? 18

Vgl. Virt, Günter (2007), S. 299 f.

II. Energieentwicklung und Energieverbrauch

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Denn die hier oder dort eingesparte Energiemenge fließt meistens nur an einen anderen Ort des Verbrauchs. Für das globale Klimageschehen ist der Ort gleichgültig, an dem Kohlendioxid in Luft ausgestoßen wird. Sollten die Sparerfolge in dem einen Land – z. B. Deutschland – die globalen Energiepreise senken, werden die Angebotsländer für Erdöl nur die Fördermengen in Arabien, Russland oder Südamerika verknappen, um den Preisverfall auszugleichen. Ähnlich reagieren die Kohleförderländer Australien und Kanada. Also müsste heute in der Klimapolitik die Angebotsseite stärker Berücksichtigung finden. Die erneuerbaren und andere Formen der Energie (s. o. Erdwärme) ohne Klimaauswirkung könnten hier Hilfe leisten. Mit einer Begrenzung der Nachfrage allein würden alle Anstrengungen nicht viel ausrichten. Weltweit werden die Ressourcen Öl, Gas und Kohle nämlich immer knapper. Dabei ist immerhin zu bedenken, dass heute die Weltbevölkerung in einem Jahr an primären Rohstoffen zur Energieerzeugung verbraucht, was eine Million Jahre zur Entstehung benötigte. Die Folge ist, dass die Energiepreise exorbitant steigen. Deutschland muss heute 97 Prozent seines Erdölbedarfs und 83 Prozent seines Erdgasbedarfes importieren. Russland liefert ein Drittel des Erdölsbedarfs und einen noch höheren Prozentsatz an Erdgas. Der Weltenergierat (WEC) – ein Zusammenschluss von Energieunternehmen aus der ganzen Welt – hat festgestellt, dass die weltweite Energienachfrage in den kommenden 15 Jahren wahrscheinlich alle Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels aufheben wird. Laut dem WEC wird die Nachfrage nach Strom um das Vierfache des Wertes von 2007 steigen. Ursache dafür ist der Energie-Verbrauch in den sogenannten Schwellenländern. Dazu sind vor allem heute China und Indien zu zählen. Sie setzen zu einem wirtschaftlichen Aufholprozess an. Als Schattenseite dieser Entwicklung sind sowohl die Preiserhöhungen des Rohstoffs Energie als auch der wachsende

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Ausstoß von Kohlendioxid zu zählen. Man rechnet, dass die Emissionen des CO2-Gases bis zum Jahr 2035 ansteigen werden, um dann auf einem hohen Niveau bis 2050 stabil zu bleiben. Erst nach dieser Zeit wird mit einer merklichen Verringerung zu rechnen sein. Die gegenwärtigen Analysen und Prognosen auf umweltund energiepolitischem Gebiet sind sich weitgehend einig, dass die zentralen Herausforderungen des begonnenen Jahrhunderts vier besonders dringliche Aspekte umfassen werden: 1. der wachsende Hunger nach Energie muss gedeckt, 2. die gleichzeitig knapper werdenden Ressourcen müssen ersetzt, 3. die weltweite Erwärmung durch CO2 muss gestoppt und 4. der in Afrika und Asien sich abzeichnende Mangel an Wasser, der zu besonderen Verteilungskämpfen führt, muss umgehend behoben werden. Kohlendioxid ist ein Produkt des Verbrennungsprozesses. Darum kommt der Energiewirtschaft ein erhebliche Bedeutung zu. Will man den Ausstoß des schädlichen CO2 und der anderer Gase verringern, bedeutet das, die Effizienz der Energieausnutzung zu steigern, also die Energietechniken auszubauen und Alternativenergien wie Wind-, Wasser-, Sonnen-, Biomassen-, oder Kernenergie einzusetzen. Außer der Reduzierung von CO2-Gasen bietet sich ihre Speicherung in anderen chemische Verbindungen an. Den Ersatz für Erdöl könnte zukünftig wohl nur der Wasserstoff übernehmen. Aber Wasserstoff gibt es auf der Erde nur in chemischen Verbindungen, im Wasser und Erdgas. Darin liegt das Problem. Denn nur ein Viertel der Energie, die zur Erzeugung von Wasserstoff nötig ist, kann durch die Nutzung zurückgewonnen werden. Damit entstehen weitere klimaschädliche Gase. Wasserstoff kann erst dann sinnvoll als Treibstoff nutzbar gemacht werden, wenn er mit Hilfe von effizienten Techniken

II. Energieentwicklung und Energieverbrauch

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hergestellt wird, die zugleich keine schädlichen Gase entwickeln, wie sie etwa bei der Verbrennung von Erdgas entstehen. Zunächst geht es um die stärkere Anwendung von Wasserkraft, Solarzellen, Biomasse, Wind oder Kernenergie. Allerdings hofft man, um den Ausstoß von CO2 bei der Verbrennung von Öl und Benzin als Antriebstoff für den Kraftverkehr langfristig durch den Einsatz von Wasserstoff erheblich zu vermindern, vermehrt entsprechende Autos herzustellen. Aber es stellt sich die Frage: Ist für die Herstellung solcher Aggregate nicht ein sehr hoher Energieverbrauch notwendig? Ein anderer Weg, der bereits vor allem in einigen asiatischen Autofabriken beschritten wird, könnte über den Hybridmotor als eine Kombination von Elektro- und Verbrennungsmotor zu einer verbesserten Energienutzung und zu einer Verminderung des Schadstoffausstoßes führen. Die nächstliegende Möglichkeit, etwa das Erdöl als mobile Fortbewegungskraft zu ersetzen, könnte in der Nutzung von Biomasse bestehen. Brasilien, die USA und China setzen bereits auf den Sprit, der durch den Anbau von Getreide oder andere Pflanzen gewonnen wird. Zusätzlich soll gleichsam klimaneutral als Autokraftstoff in Europa, USA und in Asien immer mehr Ethanol – sollte es ausschließlich aus Biomasse hergestellt werden, bezeichnet man es als Bioethanol – in den Tank fließen. Bioethanol zählt wie Biodiesel und Pflanzenöl zu den heute verbreiteten Kraftstoffen der ersten Generation alternativen Autokraftstoffes. Allerdings lohnt sich das in Deutschland erst, seitdem der Preis für Rohöl erheblich gestiegen ist, um synthetischen Kraftstoff aus der Biomasse (u. a. auch aus Holz und Stroh) zu gewinnen. Man rechnet etwa, dass bei einem langfristigen Preisanstieg des Rohöls auf über mehr als 100 $ pro Barrel der Sprit aus Biomasse mit dem Erdöl richtig konkurrenzfähig ist. In der Europäischen Union ist diese Beimischung streng geregelt. Bis 2005 mussten zwei, danach dann 5, 75 Prozent beigemengt werden. 2007 beschloss der Europäische Rat, den

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Anteil schrittweise bis auf 10 Prozent zum Jahr 2012 zu erhöhen. Die EU will mit den höheren Anteilen von Biokraftstoffen das Klima schützen. Diese Zwangsbeimischung bei dem sogenannten E 10 sollte in Deutschland bereits 2008 eingeführt werden. Aber dagegen sprechen freilich starke soziale Nebenwirkungen. Die Zahl von älteren Kraftfahrzeugen, die diese Beimischung nicht vertragen, ist relativ hoch. Aus diesem Grunde wurde die Einführung auf den EU-Termin verschoben. Die Beimischung von E 5 (Kraftstoff mit 5% Ethanol) gilt freilich bereits heute als unbedenklich. Theoretisch ist der aus der Biomasse gewonnene Sprit klimaneutral. Denn bei der Verbrennung von Bioethanol wird nur soviel CO2 freigesetzt, wie die Pflanzen vorher bei ihrem Wachstum gebunden haben. Das Bioethanol wird meistens aus Agrarpflanzen wie Mais, Reis, Getreide oder Raps hergestellt. Aber für den Anbau dieser Pflanzen werden große Mengen von Düngemittel, Wasser und Energie gebraucht. Geht die dafür benötigte Energiemenge mit in die Rechnung ein, ist der Biosprit keineswegs so umweltfreundlich wie oft behauptet. Außerdem müssen für den Anbau dieser Pflanzen weite Flächen von Regenwald gerodet werden – mit der Folge, dass dies zu einer Reduzierung der CO2-Bindung führt. Sie ermöglichen dann einen großzügigen Anbau von Pflanzen für die Ölgewinnung. Die bereits eingetretene Verknappung der Agrarerzeugnisse verteuert zusätzlich weltweit gerade die wichtigsten Lebensmittel. Im ökologischen Bereich schädigt der großflächige Anbau von Energiepflanzen die Artenvielfalt durch den Einsatz von Pestiziden und Düngemittel. Setzt man freilich auf die Gewinnung von Ethanol auf Stroh oder Holz, braucht man dafür anders als bei Getreide oder anderen Energiepflanzen keine Pestizide oder Düngemittel. Es wird darum weltweit an einer effektiveren Umsetzung von Biomasse in Treibstoff gearbeitet. Immerhin ist also eine Reduzierung von Kohlendioxid durchaus möglich.

II. Energieentwicklung und Energieverbrauch

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Über die einzelnen Energieträger ließe sich in Abwägung der positiven und negativen Argumente folgende Tabelle erstellen: Energieträger

positiv

negativ

Erdgas

– umweltfreundlich – steigende Nachfrage – schnell verfügbar – importabhängig – geringe Investitionskos- – Preisschwankungen ten

Kohle

– langfristig nutzbar – CO2-Ausstoß sinkt langsam – Exportchancen für Bergbau-Technik

– CO2-Ausstoß höher als beim Ergas – Klimaschutz bei steigender Kohle-Nutzung nicht erreichbar

Kernkraft

– Umweltfreundliche Stromerzeugung ohne CO2-Emissionen – Wettbewerbsfähige Stromerzeugung – Hoher Sicherheitsstandard

– Ungelöste Endlagerfrage – Geringe gesellschaftliche Akzeptanz – Unabsehbare Auswirkungen bei ernsten Störfällen

Regenerative Energien

– Heimischer Energieträger – CO2 neutrale Stromerzeugung – Ausbaupotential gut – gute Exportchancen

– Hohe Stromerzeugungskosten – Nicht grundlastfähig (nicht rund um die Uhr verfügbar)

Die Lösung der Energiefragen ist nicht nur für die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern zugleich für den Erhalt des Wohlstandes und damit natürlich auch für die politische Stabilität des Staates von besonderer Bedeutung. Am 23. Januar 2008 hat die Europäische Union für Europa als Ganzes eine europäische Klima- und Energiepolitik vorgestellt. Danach gilt die sogenannte Drei-Mal-Zwanzig-Formel als Zielwert bis 2020. Das bedeutet eine Verringerung der CO2-Emmissionen um zwanzig Prozent und die Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien von heute 8,5 auf zwanzig Prozent.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

III. Der Klimawandel und seine Folgen Der natürlichen Treibhauseffekt ist ein ganz natürlicher Vorgang! Er verhindert, dass die auf die Erde einstrahlende Wärmeenergie vollständig in den Weltraum zurückgestrahlt wird. Jetzt beträgt die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche +15o. Der natürliche Treibhauseffekt verhindert, dass die von der Sonnenenergie auf die Erde treffende Wärmeenergiemenge abgestrahlt wird. Bei der errechneten Abstrahlungsmenge von Sonnenenergie müsste eine Temperatur auf der Erde von –18o herrschen. Die Temperaturdifferenz von insgesamt 33 Grad (zwischen –18o und +15o) wird eben durch den natürlichen Treibhauseffekt bewirkt. Er ermöglich ein lebensfreundliche Klima. Aber der Mensch verstärkt ständig den Wärmehaushalt. Der Grund zur Sorge über die globale Erwärmung liegt eben darin, dass der Mensch diesen Treibhauseffekt noch verstärkt19. Durch die Erhöhung des Kohlendioxid-Anteils in der Atmosphäre schaukelt sich der Wärmezustand der Erdoberfläche ständig weiter auf. Die von der Sonne ausgehende Strahlung ist wie bei allen heißen Körpern von kurzwelliger Natur. Von dieser Sonnenenergie erreichen circa 50 % die Erde. Davon werden dreißig Prozent in den Weltraum reflektiert, während rund 20 Prozent von der Atmosphäre aufgenommen werden. Böden und Pflanzen reflektieren diese Strahlung zurück in den Weltraum in Form einer langwelligen Strahlung. Diese kann die Erdatmosphäre nicht durchdringen Darum kommt nur ein geringer Teil im Weltraum an. Denn 95 Prozent der Wärme werden von den Treibhausgasen in Richtung Erde reflektiert. Diese festgehaltene Energie führt zu einem weltweiten Temperaturanstieg. Die von der Erde abgestrahlte langwellige Wärmestrahlung wird also von den Erdgasen am Passieren der Atmosphäre gehindert. Sie kann die Erdatmosphäre nicht durchdringen. 19 Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 31 f. Vgl. Ludwig, Karl-Heinz, Eine kurze Geschichte des Klimas, München 2006, S. 138.

III. Der Klimawandel und seine Folgen

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Dabei sind die sogenannten klimawirksamen Gase wie Kohlendioxid, Methan, Ozon und Wasserdampf besonders aktiv. Diese Gase strahlen die absorbierte Wärme eben in alle Richtungen – auch in den Weltraum – ab. Der größte Teil wird auf die Erdoberfläche zurückgeworfen. Die Folge ist: Es kommt zu einem Wärmestau. Die Erde erwärmt sich immer stärker. Zugleich entsteht eine große Mengen an Wasserdampf, der als Niederschläge wieder zu Boden fällt. Sehr große Mengen an Wasserdampf verdunsten auf den Ozeanen, kondensieren und fallen als Niederschläge auf die Erde zurück. Man schätzt die Menge auf das Zwanzigfache der Wassermassen der Ostsee in einem Jahr20. Überflutungen verschiedener Gebiete auf der Welt sind die Folgen. Da warme Luft mehr Wasserdampf halten kann, wird seine Konzentration durch das Aufheizen des Klimas erhöht. Nunmehr verschieben sich Klimazonen. Ausdehnung der Wüsten und das Austrocknen anderer Regionen treten auf. Das ewige Eis schmilzt, der Rückschlag des Pendels bringt klirrendes Eis und gleichzeitige brennende Hitze. In der Atmosphäre wirken die schon genannten Gase wie das Glas in einem Treibhaus. Aufgrund der Sonneneinwirkung steigt im Innenraum der Glasscheiben die Temperatur stärker als draußen. Dieser von den Menschen hervorgerufene Treibhauseffekt stellt vor allem eine Bedrohung für das zukünftige Leben auf der Erde dar. Die Strahlungswirkung des CO2-Gases ist seit gut einhundert Jahren bekannt. Im Jahr 2005 hat die CO2Konzentration den höchsten Wert seit 700 000 Jahren erreicht. Entscheidend für die Folgen und die Gegenmaßnahmen des Menschen ist heute letztlich die Frage: Wie stark reagiert das Klimasystem auf diese durch die hohe Konzentration hervorgerufene Störung des Strahlungshaushaltes21? 20 Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim, Der Klimawandel, München 42006, S. 35. 21 Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 8.

138

4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Die speziellen Folgen des Klimawandels sind unterschiedlicher Art: 1. Am sichtbarsten ist die Veränderung und damit der Rückgang der Gebirgsgletscher. „In den Alpen haben die Gletscher seit Beginn der industriellen Revolution mehr als die Hälfte ihrer Masse verloren“22. Gletscher aber dienen als Wasserspeicher, die das ganze Jahr hindurch Schmelzwasser abgeben, Flüsse und Bäche speisen und so einen Einfluss auf die Landwirtschaft haben. 2. Das arktische Meer-Eis schwindet. Die Lebensbedingungen für Eisbären, Walrosse, einige Seehundarten und Seevögel verändern sich. Viele Tierarten sind teilweise bereits heute vom Aussterben bedroht. Damit wird zugleich die Lebensund Jagdgrundlage der Eingeborenen gefährdet. Es zeichnet sich ein dramatischer Verlust der sogenannten „Biodiversität“ ab23. 3. Das Eis in der Arktis und Antarktis könnte sich wesentlich wandeln. Das Grönlandeis könnte völlig abschmelzen. Beim antarktischen Eisschild sieht die Situation etwas anders aus. Dieses Eis liegt im Wesentlichen unter der Null-GradGrenze und könnte erst dann abschmelzen, wenn es mit wärmerem Wasser in Berührung kommt. Insgesamt beobachtet man aber eine massive Veränderung in dem Eisschelf. 4. Gebirgsregionen stehen noch unter Dauerfrost, dem Permafrost. Künftig wird durch das Auf- bzw. Abtauen des Erdreiches der Boden weich und schlammig. Es kommt zu Abbrüchen und Bergstürzen. 5. Infolge der globalen Erwärmung ist ein Anstieg des Meeresspiegels zu erwarten, der niedrig gelegene Wohngebiete überfluten lässt. Die bereits heute auftretenden extremen Wettersituationen werden sich noch verstärken: Stürme, Überschwemmungen und Dürren werden sich vermehrt abzeichnen. Niederschlagsmengen, wie bei der Oderflut 1997, haben sich 22 23

Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 56. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 75.

IV. Die Beeinflussung des Klimawandels

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mit Wärme- oder Hitzeperioden abgewechselt. Das war deutlich an den Wetterumschwüngen auch in Europa zu spüren. Der Hurrikan Katrina im Jahr 2005, der zu verheerenden Verwüstungen in der Stadt New Orleans in den USA geführt hat, ist nur ein Beispiel dafür. Tropische Wirbelstürme, Hurrikane im Atlantik und Taifune im Pazifik treten vermehrt auf. Sie entstehen über dem Meerwasser bei einem Wärmegrad von mindestens 27o C. Sie werden zahlenmäßig aufgrund einer Meerwassererwärmung noch stärker zunehmen. 6. Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelproduktion können auftreten. 7. Wenn sich Mikroorganismen und Krankheitserreger schneller und verstärkt vermehren, weil sie sich den Umweltbedingungen besser anpassen als höhere Pflanzen und Tiere, könnten auch Seuchen verstärkt vorkommen.

IV. Die Beeinflussung des Klimawandels durch Umweltkonferenzen Es ist gut möglich, dass der vom Menschen verursachte Anstieg der Kohlendioxidemissionen über mehrere hunderttausend Jahre nachwirkt und die natürlichen Eiszeiten ebenso lange verhindert werden. Nach den Forschern Rahmstorf / Schellnhuber könnte dann, sollte diese Entwicklung tatsächlich eintreten, „eine neue erdklimatische Epoche beginnen. Dieses Zeitalter könnte dann das ,Anthropozän‘ sein, wie es der Nobelpreisträger Paul Crutzen vorgeschlagen hat“24. Auf der ersten Umweltkonferenz von 1972 in Stockholm sollten mittels eines Erfassens von klimaschädlichen Daten die Veränderungen der Umwelt möglichst frühzeitig erfasst und die Grundlagen für notwendigste Entscheidungen getroffen werden. Dazu gehört vor allem die Beobachtung und die Ret24

Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 22.

140

4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

tung der Ozonschicht. Man könnte allerdings auch die Frage der Waldkrankheiten hinzuzählen. Ende der siebziger Jahre hatten Umweltschützer ein großes Waldsterben an die Wand gemalt. In der Zwischenzeit aber hat sich herausgestellt, dass dieses vorausgesagte Waldsterben in seinen umfangreichen Ausmaßen ausgeblieben ist. Der Saure Regen in Form von Schwefeldioxid aus der Verbrennung von schwefelhaltiger Kohle und Mineralölprodukten war keine Einbildung der Menschen, sondern ein tatsächliches Problem. Dieses hat man in den achtziger Jahren durch konsequentes politisches Handeln mit Hilfe einer Rauchgasentschwefelung weitestgehend in den Griff bekommen. Heute ist nur mit weltweiten Maßstäben dem Treibhauseffekt infolge des CO2-Ausstoßes zu begegnen. Dafür wurde im Dezember 1997 das sogenannte Kyotoprotokoll abgeschlossen. Dieses ist zwar aus der 1. Klimakonferenz von Toronto im Jahr 1988 hervorgegangen, trat dann aber erst 2005 in Kraft. Es sieht vor, dass sich die Industriestaaten – es waren lediglich 36 – verpflichteten, den weltweiten Ausstoß der Treibhausgase in der Zeit von 2008 bis 2012 um 5,2 Prozent unter das Niveau des Jahres 1990 zu senken. Zu den wichtigsten Treibhausgasen gehören nach dem dritten Bericht des von den Vereinten Nationen eingesetzten unabhängigen zwischenstaatliches Gremium des IPCC im Einzelnen: – Der Wasserdampf (H2O) als eines der wichtigsten natçrlichen Treibhausgase. Sein Beitrag liegt bei mehr als der Hålfte des gesamten Effektes. Er spielt besonders bei Heizkraftwerken und im Flugverkehr eine Rolle. Er ist allerdings als Faktor fçr die Klimaerwårmung zu vernachlåssigen. – Dem Kohlendioxid (CO2) kommt eine herausragende Bedeutung zu. Denn seit 1750 ist seine Konzentration in der Atmosphåre um 31 Prozent gestiegen. ¹Sie ist damit so hoch wie seit 650 000 Jahren, wahrscheinlich sogar seit 20 Millionen Jahren

IV. Die Beeinflussung des Klimawandels

141

nicht mehrª25. Und auûerdem gilt: ¹Etwa drei Viertel der anthropogenen CO2-Emissionen seit 1980 sind auf die Verbrennung fossiler Energietråger, der Rest auf Ønderungen der Landnutzung (z. B. Brandrodungen) zurçckzufçhrenª26. – Ebenfalls spielt das Methangas (CH4) als Treibhausgas eine groûe Rolle. ¹Seit 1750 ist die Methankonzentration in der Atmosphåre um 151 Prozent gestiegen und damit so hoch wie seit mindestens 650 000 Jahren nicht mehrª. Auch hier gilt, dass çber die Hålfte der CH4-Emissionen vom Menschen erzeugt wird, durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, die Landwirtschaft, Viehzucht, Deponien27.

Beide Gase, Kohlendioxid und Methan, waren bereits in der frühen Zeit der Erdatmosphäre vorhanden. – Zu den wichtigsten Treibhausgasen zählen weiter noch das Lachgas (N2O). Seit 1750 ist die Lachgaskonzentration um 17 Prozent gestiegen. Und damit ist sie so hoch wie seit 1000 Jahren nicht mehr28. Ein Drittel der Emissionen etwa ist durch chemische Industrie, Landwirtschaft und Anbau von Tierfutter erzeugt. – Auch die Konzentration des Ozons (O3) hat sich in dem untersten Teil der Atmosphåre ± in der Troposphåre ± um 36 Prozent infolge anthropogener Emissionen erhæht. – Schwefelhexaflurid (SF6) wirkt als Treibhausgas sogar 23.900 mal stärker als Kohlendioxid29. – Außerdem wirkt sich der Ausstoß von FCKW aus. Fluorkohlenwasserstoff diente lange Zeit unter anderem als Kålte-, Treib-, Læse- und Reinigungsmittel. Hinzu kommen noch die chlorfreien Fluorkohlenwasserstoffe (FKW), die als Ersatz fçr die ozonschådlichen FCKW eingesetzt wurden, und die halogenisierten Fluorkohlenwasserstoffe (H-FKW). Die Halogenkohlenwasserstoffe kænnen vor allem als Treibhausgase wirken und 25 26 27 28 29

Ludwig, Karl-Heinz (2006), S. 139. Ebenda. Ebenda. Vgl. Ludwig, Karl-Heinz (2006), S. 140. Vgl. Ludwig, Karl-Heinz (2006), S. 140.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

die Ozonschicht zerstæren. Allerdings wurden seit 1995 die Emissionen dieser Substanzen wesentlich reduziert.

Zwar richtete sich das Quorum der Prozentsätze an den CO2-Emissionen aus. Aber das Kyotoprotokoll erfasst doch fast alle diese relevanten Treibhausgase. Die EU will aufgrund des Vorschlages der EU-Kommission ihre CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 8 Prozent – Deutschland sogar um 30 Prozent – gegenüber einem des Jahres 1990 senken. Das größte Problem des Kyotoprotokolls indes bestand in der Tatsche, dass die USA es nicht ratifiziert, sondern nur unterzeichnet hatten. Außerdem sind die meisten Vertrags- bzw. Unterzeichnerstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen30. Deutschland etwa war zwar seiner Zielsetzung bei der Emissionsminderung mit 21% schon recht nahe. Es war dazu leichter in der Lage, weil es die alten Kohlekraftwerke der DDR, die sogenannten ,Dreckschleudern‘, umgebaut hatte. Heute dagegen droht es eher, seine Zielsetzung zu verfehlen. Denn es erreicht gerade einmal eine 15 prozentige Minderung bei den CO2-Emissionen31. Im Jahr 2007 hat man sich auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm darauf geeinigt, dass man weltweit eine Halbierung der Treibhausgase bis zum Jahr 2050 anstrebt. Möglichst bis zum Jahr 2009 möchte man einen neuen internationalen Vertrag unter dem Dach der Vereinten Nationen aushandeln. Dem werden zusammen mit den G-8-Ländern auch die kleineren Industriestaaten und die Entwicklungsländer kaum widersprechen. Aber nach den gemachten Erfahrungen – etwa in der Welthandelsorganisation (,Doha-Runde‘) – weiß man, wie lange solche Beschlüsse brauchen, bis sie zu einem globalen Abkommen führen. Die Vereinigten Staaten sind zwar nach dem G-8-Gipfel bereit, an diesem Ziel zu Gunsten der Klimaziele mitzuwirken. 30 31

Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 106. Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 104.

IV. Die Beeinflussung des Klimawandels

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Das würde selbstverständlich die Verhandlungen erleichtern. Denn ohne Amerika mit 5 Prozent der Weltbevölkerung und mit einem Viertel an Emissionen von Treibhausgasen hätte es auf dem G-8-Gipfel keine globale Vereinbarung gegeben. Man wollte dort sogar versuchen, die Erwärmung der Erde auf maximal zwei Grad zu beschränken und zu erhalten. Als Ziel sollten, um den Klimaschutz weltweit zu verbessern, Deutschland und EU-Staaten bis zum Jahr 2020 den Emissionsausstoß gegenüber dem Basisjahr 1990 um 25 bis 40 % und bis 2050 zwischen 60 bis 80 % reduzieren (s. o.). So hatte es mindestens die deutsche Politik vorgeschlagen. Bestenfalls sollte bis zum Jahr 2050 der Ausstoß von Treibhausgasen halbiert werden. Von den Schwellenländern China, Indien oder Indonesien könne man kaum einen Beitrag erwarten, wenn die Industrieländer nicht mit gutem Beispiel vorangingen. So meinte man damals! Das Kyotoprotokoll verliert bereits 2012 seine Gültigkeit. Es fand vom 3. bis 14. Dezember 2007 seine Fortsetzung in der Weltklimakonferenz in Nusa Dua auf Bali. Dort haben Vertreter aus 190 Ländern mit Gesprächen darüber begonnen, wie es im Jahr 2013 nach dem Auslaufen des Kyotoprotokolls mit dem Klimaschutz weitergehen soll. Letztlich stand diese Frage im Mittelpunkt: Wer kürzt die Emissionen und mit welchen Betrag, damit im Jahr 2050 eine durchschnittliche Senkung um 50 Prozent gegenüber 1990 erreicht wird. Dies gilt nämlich als notwendig, um die gefährliche Erderwärmung um mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu verhindern. Ein globaler Durchschnitt von 50 Prozent bedeutet zwangsläufig, dass die Reduktion bei den reichen Ländern weitaus höher – vielleicht bei 80%? – liegen muss. Das Ergebnis von Bali ist dann freilich insgesamt hinter den Hoffnungen der EU-Erwartung zurückgeblieben. Immerhin hat man mindestens einen Erfolg erzielt. Die Konferenz hat das Mandat erteilt, bis zum Jahr 2009 einen neuen Vertrag auszuhandeln, der an die Stelle des ersten Kyoto-Protokolls im Jahr 2012 treten soll. Mehrere Staaten, die USA, Russland, Japan und Australien, hatten sich gegen die von der EU ange-

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

peilten Richtwerte für die Reduktion von Treibhausgasen durch die Industriestaaten gewehrt. Eine solche Begrenzung wurde dann allerdings in einer zweizeiligen Fußnote in der Präambel erwähnt. Diese verweist auf den Klimabericht des Weltklimarates und hier speziell auf den Bericht der dritten Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2007. Speziell gab es in der Fußnote einen Hinweis auf die drei Richtungen für die kommenden Verhandlungen. In der Fußnote stellen die Wissenschaftler heraus, wie die Emissionskürzungen auf die Industrie- und Entwicklungsländer aufgeteilt werden könnten. Dabei wurde dann die Vorreiterrolle der Industrieländer und die genannte Kürzung um 25 bis 40 Prozent bis zum Jahr 2020 erwogen. Die Notwendigkeit, tiefe Einschnitte bei den Emissionen vorzunehmen, wurde anerkannt. Einen solchen Beitrag sollen nicht nur Industrieländer, sondern ebenfalls die Entwicklungsund auch die Schwellenländer leisten. Außerdem wird es einen sogenannten ,Anpassungsfonds‘ geben, der den Entwicklungsländern bei der Bewältigung der Klima-Folgen helfen soll. Über seine Ausgestaltung muss freilich noch verhandelt werden. Es wird herausgestellt, dass bei einer Verringerung der Emissionen bis zum Jahr 2050 um die bereits genannten 50 bis 85 Prozent die Temperatur um zwei Grad bis zum Jahr 2100 steigen würde. Anschießend müsste sie sinken. Dem Ziel folgt die Klimapolitik der EU. Sollten keine Maßnahmen gegen den von den Menschen verursachten Treibhauseffekt ergriffen werden, sagt der Klimarat eine Erwärmung von vier bis sechs Grad bis zum Jahr 2100 voraus. Zum Schutze des Klimas wurde ein Programm zum Schutz des Regenwaldes beschlossen. Die Abholzung solle gebremst und die Brandrodung eingeschränkt werden. Immerhin entsteht etwa ein Fünftel der Kohlendioxidemissionen durch Brandrodung. Aber dem Problem des Kohlendioxids in der Atmosphäre ist anders beizukommen als dem Sauren Regen aus der Ver-

IV. Die Beeinflussung des Klimawandels

145

gangenheit. Denn das Schwefeldioxid (SO3) schädigt die Landschaft anders als das Treibhausgas. Es reagiert in Verbindung mit dem Geschädigten und verschwindet dann aus der Atmosphäre. Das Kohlendioxid dagegen ist stabil. Es entwickelt seine Wärme als eine treibende Wirkung, ohne sich selbst zu verbrauchen. Die Erderwärmung würde sogar weiterhin fortbestehen, wenn die Menschheit in der Lage wäre, die CO2-Emissionen sofort einzufrieren. Damit würde die Erderwärmung in Form von einem halben bis zu einem Grad, um das sich die Erdtemperatur im zwanzigsten Jahrhundert erwärmt hat, nicht verloren gehen. Die Erderwärmung und alle bereits dadurch eingetretenen Veränderungen würde so erhalten bleiben. Damit steht eins fest: Der blaue Planet Erde wird sich in der kommenden Zeit verändern, ohne dass jetzt noch Einhalt geboten werden kann. Diese Veränderung wird so stark wie nie jemals zuvor seit Ende der Eiszeit werden. Für viele Tierarten wird die Veränderung tödlich werden. Sie werden aussterben (z. B. die Eisbären). Eine bloße Veränderung der Einstellung der Menschen gegenüber dem Umgang mit den Ressourcen in einzelnen Bereichen würde keine allzu große Veränderung bringen. So würde allein ein Wandel im Verkehrsverhalten viel zu gering ausfallen. Der Verkehr ist etwa für etwa 13 Prozent der anthropogenen Emissionen verantwortlich. Es bedarf darum der technischen Entwicklungen, vielleicht sogar eines revolutionären technischen Fortschritts, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Das gilt etwa für den Deichbau bei den durch den Anstieg des Meeresspiegels gefährdeten Küsten, bei der Meereswasserentsalzung und auch bei der Vegetationsplanung zur Abwendung von Bodenerosionen. Es bedarf einer Grundlagenforschung, die zu erneuerbaren Energien und zu einem geringeren Freisetzen von Kohlendioxid führt. Dabei mag auch die Kernenergie eine hilfreiche Rolle spielen können.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Die Forderung der Politiker, sowohl den Klimaschutz zu verwirklichen als auch niedrige Energiepreise zu erzielen, könnte ein Widerspruch sein. Aber dieser scheinbare Gegensatz löst sich in dem Moment auf, sobald die Sonnenenergie und die erneuerbare Energie den wesentlichen Anteil an der Energieversorgung übernehmen. In jedem Fall wird sich das Energiesystem langfristig von dem Erdöl trennen müssen. Es müssen billigere Energieträger gesucht werden. Auch wird man vor allem langfristig auf Erdöl verzichten müssen, da die Preise sonst zukünftig stark steigen werden. Die Änderung in der Nutzung von Energieträgern und die Übernahme von Energiekosten werden den jeweiligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensstil ändern. Die Entwicklung der Lebensart – mindestens in den Industrieländern – muss sich keineswegs zum Nachteil ändern. Denn die gesellschaftliche Situation verändert sich bei allen tiefgreifenden Innovationen. Das war selbst in jüngerer Zeit so bei der Einführung der Mikroelektronik wie bei der umfänglichen Nutzung des Internets.

V. Abmilderungen der Klimakatastrophe Die Klimaentwicklung ist keineswegs eine rein akademische Fragestellung, sondern ein die ganze Welt betreffendes Phänomen. Denn sie bedroht das ganze Leben auf der Erde. Beim Kampf um die Erderwärmung geht es um die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen in den entwickelten und in den Entwicklungsländern. Gerade die noch nicht industriell fortgeschrittenen Ländern können sich aus eigenen Kräften nur schwer gegen die Erderwärmung zur Wehr setzen. Sie haben einen großen Nachholbedarf, der von ihnen einen hohen Energiebedarf verlangt. Das ist besonders an den Schwellenländern China und Indien zu erkennen. Die Beteiligung der Länder am globalen Ausstoß von Klimagasen ist unterschiedlich groß. Der deutsche Anteil an den

V. Abmilderungen der Klimakatastrophe

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Emissionen von CO2 und anderen Klimagasen liegt etwa bei drei Prozent. Die USA und China setzen hier ganz andere Größen, nämlich zum einen 22 und zum anderen 18 Prozent. Um eine Wende zu schaffen, müsste die Weltbevölkerung jährlich etwa 12 Prozent der Weltwirtschaftsleistung für den Klimaschutz einsetzen. Weniger als ein Prozent Wirtschaftswachstum würde es kosten, die Erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. Der Weltklimarat erwartet, dass schon ein Preis von 100 Dollar für eine Tonne Kohlendioxid (CO2) ausreichen könnte, um bis zum Jahre 2030 zwischen 30 bis 60 Prozent der klimaschädlichen Emissionen zu vermeiden. Im Vergleich zu den Kosten, die auf die Weltbevölkerung zukommen, wenn der Klimawandel nicht aufgehalten wird, sind jene relativ gering. Über die Katastrophenmeldung hinaus gibt es freilich auch einen positiven Aspekt im Klimawandel, gegen den man sich vielfach verschlossen hat. Es werden Katastrophenmeldungen leichter aufgenommen als gute Nachrichten. Als solche bad news haben zu gelten: Die globale Erwärmung, das Auftreten von großen Regenmassen und Flutwellen, Wirbelstürmen und Trockenheit sind die bereits reichlich genannten bedrohlichen Szenarien. Diese Situation bereitet den Menschen Angst und Pein. Sie befürchten eine Apokalypse. Sie verbreiten gemeinhin eine depressive Stimmung. Dem sind die positiven Entwicklungschancen entgegenzuhalten: Durch Wärme entsteht Wachstum. Der Mensch hat sich im Laufe seiner Geschichte immer wieder der Wärmeentwicklung angepasst. Aber er hat sie durch Kühltechniken erträglicher gemacht, indem er Kühlschränke, Klimaanlagen oder Kühlwagen entwickelt hat. Damit werden Lebensmittel von der Verderbnis durch Hitze geschützt. Mittels Kühlaggregaten wird das Leben angenehmer. Ganze Landstriche, die durch eine unerträgliche Hitze schier öde und leer geblieben wären, werden auf diesem Wege bewohnbar gemacht. Los Angeles, Las Vegas sind nur zwei Beispiele dafür.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Ferner kann der Mensch dem Meer durch Eindeichungen, durch Wasserbewirtschaftung oder durch Amphibienhäuser Land abringen. Weiter hat der Mensch die Möglichkeit, sich seiner Umgebung und der veränderten Natur anzupassen. Und er tut das auch. Die Menschheitsgeschichte kennt dafür genügend Beispiele. Frühere Zeiten weisen bereits wärmere Perioden auf. In ihnen lebte man zufrieden und zum Teil sogar gesünder. Der dadurch begünstigte Optimismus lieferte die Grundlage für große menschliche Leistungen. In solch einer Warmphase – etwa von 900 bis 1300 p.Chr.n. – wurden die Westminster Abbey, die Kirche Notre-Dame oder der Kölner Dom gebaut. Diese Bauwerke sind nicht nur Ausdruck damaliger Frömmigkeit, sondern vor allem auch des Reichtums dieser Zeit. Andererseits erfuhren durch die Erwärmung die bereits trockenen Gebiete eine verstärkte Dürre. In den Kälteperioden dagegen herrschten Krankheiten, Kriege und Hungersnöte. Aber andere Gebiete wiederum erhalten während der Wärmezeit die Chance, aus dem gefrorenen Zustand zu erwachen. Sie können touristisch erschlossen werden (z. B. Sibirien). Oder sie erhalten ihren Aufschwung von den nunmehr abbaubaren Bodenschätzen. Aber das alles ist aus der Sicht einer strengen Anthropozentrik gesehen und missachtet die ganze Natur, speziell die Tierund Pflanzenwelt. Klimaerwärmung bedeutet auch Umverteilung. Vielfach stellt man sich bereits heute darauf ein. Man sucht nach trockenresistenten Pflanzen, die längere Dürren überstehen (z. B. Baumwollpflanzen). Sowohl amerikanische als auch deutsche Unternehmen haben sich dem Ziel verschrieben, solche Erzeugnisse zu produzieren. Sie sorgen damit zunächst zwar für ihre eigenen Unternehmen, aber letztlich dann ebenfalls auch für die Landwirtschaft insgesamt, indem sie die Folgen des Klimawandels mildern helfen. Dadurch ergeben sich nicht nur auf dem Energiemarkt enorme Veränderungen, sondern auch

V. Abmilderungen der Klimakatastrophe

149

auf dem Gebiete der Risikoversicherungen und bei den Landund Bodenpreisen. Die Emittenten von Kohlendioxid sind nach dem UNOBericht aus dem Jahr 2004: Die G-8 Staaten: Die USA Russland Japan Deutschland Kanada Großbritannien Italien Frankreich

23,8 Prozent 6,8 Prozent 4,6 Prozent 3,4 Prozent 2,6 Prozent 2,2 Prozent 2,0 Prozent 1,9 Prozent

Summe:

47,3 Prozent

Schwellenländer: China Indien Brasilien Mexiko Südafrika

13,7 Prozent 4,1 Prozent 2,2 Prozent 1,3 Prozent 1,3 Prozent

Summe:

22,6 Prozent

Andere Staaten:

30,1 Prozent

Um CO2-Emissionen zu vermeiden, sind viele Mittel im Gespräch. Man wird zum einen versuchen, für die Stromerzeugung CO2-freie Kohle-Kraftwerke zu errichten. Zum anderen gerät die Kernenergie mit einer neuen Technologie wieder in den Blickpunkt. Außerdem versucht man, über die geologische Kohlenstoffspeicherung (Sequestrierung) das bei der industriellen Nutzung aufkommende CO2-Gas abzuscheiden und zu verflüssigen, um es anschließend in entsprechenden geologischen Speichern zu lagern. Diese Lager sind salzwasserhaltige geologische Schichten, sogenannte Aquifere.

150

4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

In mehr als achthundert Meter Tiefe wird das Kohlendioxid verpresst. Aber die Speicherung ist bis heute noch keineswegs hinreichend auf ihre Sicherheit und Wirtschaftlichkeit erforscht. Dennoch zählt sie zu einer wichtigen Option. Die Hoffnung auf die Technologie der Kohlendioxidspeicherung – namens Carbon Capture and Storage (CCS) – wird immer dringender. Zwei Aufgaben sind dabei zu erfüllen: Zum einen muss der Schadstoff bei der Kohleverarbeitung abgespalten werden, zum anderen müssen sichere Endlagerstätte gesucht und aufbereitet werden. Aber das flüssige CO2 braucht etwa 5,4 mal so viel Platz wie die Steinkohle, oder 1,35 mal so viel Raum wie die Braunkohle. Außerdem braucht man für die Sequestrierung von CO2 ein Drittel mehr Energie. Nach Berechnungen des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung könnten im 21. Jahrhundert 750 bis 1600 Milliarden Tonnen CO2 in den Untergrund verpresst werden. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht von einem Ausstoß von 28 Milliarden Tonnen in der Gegenwart aus und rechnet für das Jahr 2030 mit jährlich 44 Milliarden Tonnen32. Aber der Kampf gegen den Klimawandel kann nur mit Hilfe von technischen Innovationen, wie Solarzelle, Biogas, Wind- und Wasserkraft, gewonnen werden. Hierfür ist in der Zukunft selbstverständlich auch die geothermische Stromproduktion einzusetzen. Ohne die Nutzung von erneuerbaren Energien werden die CO2-Emissionen im Laufe der Jahrzehnte deutlich höher ausfallen. Ingesamt gilt: Die klimafreundlichen Energien wie Wasserund Solarkraft, Windstrom, Photovoltaik, geothermische Kraftwerke und Bioenergien können wohl nur dazu beitragen, den CO2-Ausstoß und den anderer Gase zu verkleinern. Der „Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) – 1992 im Vorfeld der Rio-Konferenz gegründet – hat in seinem Hauptgutachten aus 32 Vgl. Flachsland, Christian / Held, Hermann, Wohin mit den Treibhausgasen? In: FAZ vom 7. März 2007, S. 40, SP. 4 ff.

V. Abmilderungen der Klimakatastrophe

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dem Jahr 2003 „Welt im Wandel – Energiewende zur Nachhaltigkeit“ über sogenannte „Leitplanken für eine globale Energiewende“ nachgedacht. Mit diesen Leitplanken sollen keine Werte oder Zustände angestrebt werden. Es handelt sich vielmehr um „Minimalanforderungen“, die im Sinne der Nachhaltigkeit erstrebt werden müssen33. Es sind nach Aussagen des WBGU viele Entwicklungen möglich, nach denen die gegenwärtigen Energiesysteme nachhaltig umgebaut werden können34. Dazu muss die Förderung einer globalen Energiewende durch ein koordiniertes Vorgehen auf globaler Ebene kommen35. Außerdem sollte die nachhaltige Energieversorgung auch in die Strategien der Armutsbekämpfung integriert werden36. Denn die Energieversorgung ist ein wichtiges Element für die Bekämpfung der Armut. Dem wissenschaftlichen Beirat geht es also um die ökonomische und um die ökologische Dimension der Energieversorgung. Aber zusätzlich zu diesen beiden Aspekten muss auch die soziale Dimensionen Berücksichtigung finden. Hier geht es um die Verwirklichung der soziale Gerechtigkeit. Diese wird von beiden Klimaforschern Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber in zwei ethischen Konsequenzen aus der anthropogenen Erderwärmung näher erörtert37: 1. Die Frage der Zurechenbarkeit der Verschmutzung hin auf den einzelnen Bürger bzw. auf die einzelnen Staaten muss davon ausgehen: Jeder Bürger hat den gleichen „Anspruch auf die Belastung der Atmosphäre, die zu wenigen ,globalen Allmenden‘ zählt“38. Die Form der Zurechenbarkeit entspricht also dem Gleichheitsprinzip. Denn der Mensch 33 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregeierung Globale Umweltveränderungen, Energiewende zur Nachhaltigkeit 2003, Kapitel 2. 34 Vgl. WBGU, Kap. 3. 35 Vgl. WBGU, Kap. 4.6. 36 Vgl. WBGU, Kap. 4.2. 37 Vgl. Rahmstorf, Stefan, Schellnhuber, Hans Joachim, (42006), S. 118. 38 Rahmstorf, Stefan, Schellnhuber, Hans Joachim, (42006), S. 118.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

ist nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch vor der Natur gleich. 2. „Wer den Klimaschaden anrichtet, muss auch dafür gerade stehen (,Polluter Pays Priniciple‘)“39. Aufgrund des Verursachungsprinzips müssen dann die Länder, die große Mengen von Treibhausgasen ausstoßen, besonders die Länder entschädigen, die unter diesen Auswirkungen zu leiden haben. Die ungerechte Verteilung von Kosten und Nutzen zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern stellt die Umweltethik vor immer neue Fragen. Sie muss vor allem die Frage der Verteilung unter Zukunftsaspekten vorantreiben. Auch darum muss nach Alternativen in der Energieversorgung gesucht werden. Im Prinzip müssen soziale Ungerechtigkeiten zwischen den Menschen und auch zwischen Völkern berücksichtigt und ausgeglichen werden. Aber die Frage stellt sich, wie das geregelt werden soll? Ein Gerichtshof, der entsprechende Entscheidungen durchsetzen wollte, würde mit Sicherheit auf den Widerstand der Industriestaaten stoßen. Die beiden Potsdamer Forscher Rahmstorf und Schellnhuber fordern, dass es zukünftig eine Anpassungs- und Vermeidungsstrategie geben mçsse, um dem Klimawandel gerecht zu werden. Dabei bezeichnen sie eine weitgehende Verringerung der Klimaanfålligkeit als Anpassung. Es muss nåmlich eine Anpassung an die Erwårmung um 2o C geben. Weiter sollte gleichzeitig dafçr Sorge getragen werden, dass es nicht zu einer noch hæheren Erwårmung kommt40. Die möglichst weitgehende Begrenzung der Klimaänderung bezeichnen die beiden Forscher als Vermeidung41. Dazu gehært etwa der Umbau des Energiesystems. Eine der beiden Strategien allein reicht nicht aus! 39 40 41

Rahmstorf, Stefan, Schellnhuber, Hans Joachim, (42006), S. 118. Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 124. Vgl. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 91.

VI. Der Handel mit Emissionsrechten

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Für beide Strategien könnte man den Ausdruck „Geoengineering“ benutzen. Eine deutsche Übersetzung für diesen Ausdruck ist schwierig ist. Klimaforscher sprechen von einer „Erdsystemmanipulation“. Damit ist gemeint: Der „Einsatz von Technologie in planetarischer Größenordnung, um die unerwünschten Umweltfolgen unserer industriellen Zivilisation zu unterdrücken oder gar zu beseitigen“42. Darunter fallen die sogenannten Makro-Anpassungs- und Makro-Vermeindungsstrategien. Als Vermeidungsstrategie ist der natürliche Mechanismus zur Entfernung von überschüssigem CO2-Gas zu verstehen. Unter dem Stichwort der Makro-Anpassungsstrategie könnte man etwa die Umleitung von Strömen, die Schaffung neuer Meeresverbindungen (z. B. RedDead-Channel) oder das Auffüllen der kontinentalen Becken (z. B: im Kongogebiet) zur Stabilisierung des Meeresspiegels nennen43.

VI. Der Handel mit Emissionsrechten Zur Bekämpfung der durch den Menschen hervorgerufenen Klimaveränderung wird ökonomisch gleichsam eine dritte industrielle Revolution gefordert. Entsprechend der im 18. Jahrhundert veränderten Technik durch Kohle- und Eisenverhüttung will man durch veränderte Energiegewinnung ein neues Produzieren und Konsumieren von Gütern durchsetzen. Dabei soll es auf den Verbrauch von Energieleistung durch die Industrie und weniger auf ihre Nutzung durch den einzelnen Bürger ankommen. Um die Schadstoffemissionen einzudämmen, hat man ein Zertifikat-System eingeführt. Dieser Emissionsrechte-Handel ist eine Weiterentwicklung des sogenannten Coase-Theorems durch den kanadischen Ökonom J. H. Dales. 42 43

Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 133. Rahmstorf, Stefan / Schellnhuber, Hans Joachim (42006), S. 134 f.

154

4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

Nach Coase hängt die Lenkung der Umweltgüter von der Zuweisung von Nutzungsrechten ab. Dales schlug nun vor, einen Markt für Verschmutzungsgüter einzurichten. Er wollte die Gewässerverschmutzung durch Industrieabwässer begrenzen. Seine Vorstellung war, dass die Politik die Höchstmengen an Emissionen festlegt. Dann macht der Staat die Emissionen zu einem marktfähigen Gut, indem er Lizenzen ausgibt. Dafür muss freilich zuerst eine Obergrenze für bestimmte Emissionen (wie Kohlendioxid, Stickoxide, Schwefeldioxid etc.) in einzelnen Regionen oder Nationen und für einen bestimmten Zeitraum festgelegt werden. Entsprechend dieser fixierten Obergrenzen, die nicht überschritten werden dürfen, werden dann Umweltzertifikate oder Umweltlizenzen verkauft. Der Staat verkauft damit ein handelbares Recht von Emissionen an die Unternehmen, so dass diese mit ihren Erlaubnisscheinen Kohlendioxid in die Atmosphäre freisetzen können. Diese Zertifikate werden am Markt gehandelt44. „Der Preis für dieses Recht, das Zertifikat, wird durch die marginalen Schadstoffbeseitigungskosten bestimmt: Unternehmen, deren Beseitigungskosten unter dem Preis liegen, werden die Emission einstellen und dabei die Differenz zwischen den marginalen Kosten und dem Preis sparen. Unternehmen, deren Kosten höher als der Preis sind, müssen diese Rechte erwerben und gewinnen ebenfalls diese Differenz, weil die Zertifikate billiger sind als die Schadstoffbeseitigung. Das Ergebnis ist, dass die Einhaltung der Emissionsnormen zu minimalen Kosten geschieht und ein Interesse entsteht, die Kosten der Umweltbeanspruchung weiter zu senken“45. Damit gehören Zertifikate für Emissionen durchaus und mit Recht zu den Instrumenten einer Marktwirtschaft. Und nicht nur das; sie sind hilfreiche Instrumente für die Bekämpfung der Emissionen. 44 45

Vgl. Woll, Artur, Wirtschaftspolitik, München 1984, S. 326. Ebenda.

VI. Der Handel mit Emissionsrechten

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Der Emissionshandel kann freilich nur dann innovativ werden, wenn die Emissionsrechte versteigert und nicht verschenkt werden wie in der Vergangenheit in Deutschland. Erst durch die Versteigerung der Emissionsscheine werden auch die Betreiber von Kraftwerken gezwungen, ihre Investitionsentscheidungen neu zu überdenken. Eine gewisse Entwicklung ist bereits vorgezeichnet: In der jüngsten Vergangenheit haben Preise von wenigen Cent pro Emissionsrecht die Kohle wirtschaftlich gemacht. Aber es darf die Verringerung des CO2-Ausstoßes beim Einsatz von Kohle nicht durch niedrige Emissionsrechte propagiert werden! Stattdessen erwartet der Präsident des Umweltbundesamtes in Deutschland, dass sich in den Jahren 2008 bis 2012 die Preise für die Emissionszertifikate auf 20 bis 25 Euro pro Tonne CO2-Emission verteuern werden. Wenn im Jahre 2020 weniger Kohle und mehr Erdgas verbraucht werde, würden immerhin noch 225 Millionen Zertifikate für die Energiewirtschaft benötigt werden. In den letzten Jahren waren stattdessen noch rund 250 Millionen Emissionszertifikate erforderlich. Einen Königsweg gegen die zivilisatorische Zerstörung der Erdatmosphäre gibt es nicht. Da die Treibhausgase in der Atmosphäre global wirken, ist es letztlich unerheblich, wo Emissionen herabgesetzt werden. Drei flexible Mechanismen werden vorgeschlagen, um die Reduzierung zu erreichen: – Ein Handel mit Emissionsrechten. Die Gesamtmenge der Emissionen eines Landes wird in Zertifikate aufgeteilt. Die Emissionszertifikate werden den Unternehmen entsprechend ihren Emissionen zugeteilt. Sollten sie damit nicht auskommen, mçssen sie Zertifikate von den Unternehmen zukaufen, die ihr Soll bereits erfçllt haben. – Gemeinsame Umsetzung. Finanziert ein Industriestaat in einem anderen Staat Maûnahmen, die dessen Emissionen reduzieren, hat der industrielle Staat das Recht, sich diese Minderung als Einsparung anrechnen zu lassen.

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4. Kap.: Energiepolitik und Klimawandel

– Mechanismus zur umweltverträglichen Entwicklung. Industriestaaten kænnen das Recht zu mehr Emissionen erwerben, wenn sie Maûnahmen zur Emissionsminderung in den Entwicklungslåndern finanzieren46.

Der Emissionshandel ist immerhin ein sehr wichtiges Instrument zur Begrenzung der Nachfrage nach kohlendioxidintensiven Energieträgern. Ingesamt müssten jedoch mehr Wirtschaftsbereiche als bisher erfasst werden. Man wird zusammenfassend sagen können, dass die Industriestaaten drei Optionen besitzen, die Kosten des Klimaschutzes so gering wie möglich zu halten. Sie müssten erreichen, dass 1. auch nichteuropäische Unternehmen in den basierenden Emissionshandel der EU eingebunden werden, 2. der Emissionshandel global organisiert wird, 3. Direktinvestitionen in Klimaschutzprojekte in den Entwicklungsländern gefördert werden. Freilich ist in der Regel bei einer verschärften Emissionsregulierung mit höheren Klimaschutzkosten zu rechnen. Das Kyoto-Protokoll ermöglicht auch bisher schon einen internationalen Emissionshandel. Dieser Handel ist immerhin eines der wesentlichsten Ergebnisse der Kyoto-Konferenz gewesen. Allerdings fand er zunächst zwischen den Staaten und nicht zwischen den Unternehmen statt. Im Jahr 2008 wird mit dem Inkrafttreten des Protokolls der Handel auch zwischen Unternehmen eingeführt werden.

46

Vgl. Ludwig, Karl-Heinz (2006), S. 157.

5. Kapitel

Ethik und Kultur Kulturbegriffe und Kulturkonzepte sind von vielfältiger Gestalt. Der Gebrauch des Kulturbegriffs ist heute kaum noch überschaubar. Man kann in diesem Zusammenhang auf ungefähr 164 unterschiedliche Kulturausprägungen verweisen1. Der Begriff der Kultur stammt aus dem lateinischen Verbum colere (bebauen, bewohnen, pflegen, ehren). Gemeinhin geht es dabei um die Hege und Pflege des Ackerbaus oder einfach um die Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen. Im abendländischen Verständnis wird der Kulturbegriff als Gegenüber zur Natur gebraucht. Während der Begriff der Natur die Gesamtheit des materiell Vorzufindenden umfasst, bezeichnet die Kultur das vom Menschen Geschaffene2. Die Kultur und die Natur werden mit Recht in einen sehr engen Zusammenhang gerückt. Denn Kultur baut auf der Natur auf. Darum wird unter Kultur quasi die fortlaufende Entwicklung – basierend auf allem Natürlichen – verstanden. Man will darunter alles das begreifen, „wodurch der Mensch seine vielfältigen geistigen und körperlichen Anlagen ausbildet und entfaltet; wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis und Arbeit zu unterwerfen sucht; wodurch er das gesellschaftliche Leben in der Familie und in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft im moralischen und institutionellen Fortschritt menschlicher gestaltet; wodurch er endlich seine großen geistigen Erfahrungen und Strebungen im Laufe der Zeit in seinen 1 Vgl. Hansen, Klaus P., Kultur und Kulturwissenschaft, Tübingen, Basel 32003 S. 235. 2 Vgl. Hansen, Klaus P. (32003), S. 19.

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5. Kap.: Ethik und Kultur

Werken vergegenständlicht, mitteilt und ihnen Dauer verleiht – zum Segen vieler, ja der ganzen Menschheit“3. Kultur gestaltet die menschliche Natur. Dabei steht der Mensch freilich in der Forderung nach kultureller Autonomie und zugleich in der Verantwortlichkeit für sie. Schließlich hat er nach dem Vaticanum II selbst die Aufgabe, „Gestalter und Schöpfer der Kultur ihrer Gemeinschaft“ zu sein4. Aber Kultur kann heute im Grunde alles von Menschen Geschaffene bedeuten und bezeichnet damit die Veränderungen der Natur durch die Hand des Menschen. „Der Mensch ist Subjekt der Kultur, weil sie durch ihn geschaffen wurde und geschaffen wird. Doch er ist auch kulturelles Objekt, insofern der jeweilige Kulturzustand das Einzelindividuum weitgehend formt. Daher muss man von zwei prägenden Faktorgruppen ausgehen, die ein Individuum zu dem machen, was es ist: von seiner biologischen Natur und von der Kultur seines Sozialisationsmilieus“5. Im 18. bzw. 19. Jahrhundert hat Johann Gottfried Herder (1744 – 1803), der Vorläufer des deutschen Idealismus, speziell den Begriff des Volkes und des Völkischen nicht nur als eine allgemein menschliche, sondern als eine „ontologische Realität“ in das kulturelle Denken eingebracht. Für ihn war das Volk ein Kulturträger schlechthin. Seine Verbindung zwischen Volk und Kultur wirkt bis heute nach6. Allerdings besteht ein Volk keineswegs zunächst als Kultur, sondern eher vor allem aus Gesellschaft und Politik. Man kann aus dem Kulturbegriff vier unterschiedliche Bedeutungen herauslesen: 1. Kultur wird durch kreatives Arbeiten bestimmt, 2. Kultur bezeichnet eine bestimmte Lebensart, eine Kultiviertheit; diese Wortverwendung kennzeichnet auch einen Gegensatz von Kultur und Zivilisation, 3. Kultur bedeutet Brauchtum, religiöses Handeln etc., 4. Kultur ist das Resul3 4 5 6

Ebenda. Gaudium et Spes n. 55. Hansen, Klaus P. (32003), S. 20. Vgl. Hansen, Klaus P. (32003), S. 219.

5. Kap.: Ethik und Kultur

159

tat einer anbauenden oder pflegerischen Tätigkeit (Kulturlandschaft, Monokultur, Bakterienkultur)7. Kultur umfasst nicht nur äußere Veränderungen, sondern auch die innere Natur des Menschen und damit etwa die Zähmung der Triebe oder die Disziplinierung der Leidenschaften8. Der Mensch selbst ist einerseits Naturwesen und damit eben Kreatur, andererseits ist er „Träger und Stifter der Kultur“9. Ähnlich sieht es das Vaticanum II aus dem Jahr 1965. In der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes sucht man einerseits nach den Grundlagen der Kultur und beschreibt ihre natürlichen Wurzeln. Dort heißt es nämlich: „In der Person des Menschen selbst liegt es begründet, dass sie nur durch Kultur, das heißt durch die entfaltende Pflege der Güter und Werte der Natur, zur wahren und vollen Wirklichkeit des menschlichen Wesens gelangt“10. Aus den auch in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes abzulesenden Merkmalen folgt, dass dem Kulturbegriff eine geschichtliche und zugleich eine gesellschaftliche Seite zukommt. Schon deshalb muss man von dem Vorhandensein von Kulturen im Plural sprechen. Im Laufe der Geschichte hat der christliche Glaube und die Institution der Kirche viel zur Ausgestaltung und Entwicklung der Kultur beigetragen. Allerdings hat sich ein friedliches Verhältnis zwischen Christentum und Kultur nicht immer und überall eingestellt11. Entwicklungen auf dem Gebiet der verschiedenen Wissenschaften im Bereich der Natur und des Geistes und aufgrund Hansen, Klaus P. (32003), S. 11 ff. Vgl. Hansen, Klaus P. (32003), S. 15. 9 Hansen, Klaus P. (32003), S. 19. 10 Gaudium et Spes n. 53, in: Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, Kevelaer 41977 Texte zur katholischen Soziallehre S. 373. 11 Vgl. Gaudium et Spes, n. 62. 7 8

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5. Kap.: Ethik und Kultur

der Ausweitung der Technik und Kommunikationsmittel haben zu Veränderungen und zur Ausbreitung der kulturellen Entfaltung geführt. Auch der Wandel im Lebensstil, eine zunehmende Verstädterung und eine gewaltige Veränderung im Kommunikationsverhalten der Menschen haben neue kulturelle Formen entwickeln lassen. Die Folgen sind eine zunehmende Massenkultur in der Gestaltung des Alltags, in der Freizeitgestaltung und im Tourismus. Immerhin können heute – im Gegensatz zu früheren Zeiten – aufgrund der veränderten Freizeit und ihrer Gestaltung viele neue kulturelle Bedürfnisse befriedigt werden. Gleichzeitig werden das Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen und Bevölkerungsteile und der kulturelle Austausch der Völker gefördert. Dadurch kann es zu einem besseren Verständnis der Menschen untereinander und ihrer kulturellen Eigenschaften kommen. Andererseits finden ebenfalls eine Abgrenzung und gewisse Tendenzen einer Isolierung statt. Darum ist im politischen Alltag die Forderung nach einer Integration von Ausländern und anderer Bevölkerungsteile von großer Bedeutung für das soziale und kulturelle Zusammenleben und für das Verständnis der Menschen untereinander. Alle diese Ansätze müssen zu einer Einheit zusammengefügt werden. Dabei sollte die Kultur dem Menschen helfen, sich selbst zu einer eigenständigen und vollen Persönlichkeit zu entfalten12. Selbstverständlich darf keinem Volk versagt werden, seine kulturelle Eigenart zu entwickeln.

I. Kultur des Lebens Zur Kultur zählt heute nach dem UNESCO-Kulturbegriff auf Grund einer Definition aus dem Jahr 1982 nicht mehr eine „prestigeträchtige Hochleistung“, sondern „die Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen 12

Vgl. Gaudium et Spes, n. 56.

I. Kultur des Lebens

161

und emotionalen Eigenschaften, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Diese schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen13“. Danach bedeutet Kultur für eine Gesellschaft das, was sie als die Grundlage ihres Wertesystems in Gegenwart und Zukunft auf allen Ebenen versteht. Die Menschen leben nach bestimmten Regeln, Mustern und Verhaltensweisen. Sie tradieren ihre Ordnungen an ihre Nachfahren. Mit dem Ausdruck Kultur werden darum zum einen die Gesamtheit der Verhaltensweisen einer Gesellschaft und zum anderen ihre Symbolgehalte bezeichnet. Das Ziel der Kultur ist es, solche Verhältnisse im Leben der kollektiven Größe zu schaffen, die dem einzelnen und auch der Gemeinschaft eine seelische und geistige Vollendung bringen. Kultur verwirklicht sich in der Herrschaft der Vernunft zum einen über die Naturkräfte und zum anderen über die menschlichen Gesinnungen, wie es Albert Schweitzer formulierte14. In der Kultur will sich der Mensch behaupten. Er kämpft sich mit ihr durchs Leben und führt in ihr einen Kampf ums Dasein. Kultur ist für eine Gemeinschaft ein System von Zeichen, an denen sie sich orientiert. Sie wird aber erst durch den gleichsinnigen Gebrauch zu einer solchen Gemeinschaft. Kultur ist darum, wie Udo Di Fabio meint, „vor allem anderen eine gemeinsame Lebenspraxis“15. Über Kultur zu reden, bedeutet soviel wie über den Sinn und die Ordnung einer Gemeinschaft von Menschen zu sprechen16. Ihr liegt die Art, wie die Menschen „sehen, fühlen, urteilen und handeln“ zugrunde17. Im engeren Sinn kommen in ihr die Erkenntnis 13 Unesco heute online, Online–Magazin der Deutschen UNESCO Ausgabe vom 4. April 2002. 14 Schweitzer, Albert, Kulturphilosophie, München 2007, S. 33. 15 Di Fabio, Udo, Die Kultur der Freiheit, München 2005, S. 2. 16 Vgl. Di Fabio, Udo (2005), S. 20. 17 Ebenda.

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5. Kap.: Ethik und Kultur

von Kunst, Religion und Wissenschaft zusammen. Auch Ethik, Sprache und Wirtschaft können zu ihrem Inhalt gehören. Der Kulturbegriff hat eine mehr oder weniger starke Demokratisierung erfahren. Er will nicht mehr das Elitäre aus Kunst und Wissenschaft herausgreifen. Dementsprechend huldigt er nicht einer reinen Ästhetik, sondern umfasst das Handeln aller Mitglieder der Gesellschaft, also keineswegs nur das einer besonderen Bildungsschicht. Sie will also als eine Leitidee der ganzen Gesellschaft auf allen kulturellen Gebieten verstanden werden. Kultur will sich in diesem Sinn mehr mit den existentiellen Fragen des Lebens beschäftigen. Insgesamt geht es in der Kultur heute um die Fragen des Lebenssinns. Dabei spielt eine große Rolle, was der Einzelne für richtig, gerecht und wichtig, für gut oder böse hält. Der Mensch will leben, und leben heißt für ihn, überleben wollen. Aber auch die Gesellschaft will überleben. Es geht eben nicht nur um das Überleben des einzelnen Menschen, sondern um das Ganze der Gesellschaft. Sie muss auch in ihren Strukturen lebensbejahend sein. Ihr geht es um ihren Fortbestand im Ganzen und nicht nur um das des einzelnen Individuums. In der westlichen Kultur gilt die Freiheit des Individuum als ein Höchstwert. Freiheit ist schließlich das besondere Merkmal der weltlichen Kultur. Die Freiheit ist ihrerseits an die Kultur gebunden. Freiheit und Kultur gehören zusammen, sie bedingen einander. „Wer Freiheit will, muss auch die tragende Kultur wollen“18. Sicher ist die Freiheit auch die Freiheit des Konsums. Wer aber glaubt, die Kultur der Freiheit bestünde allein in einem Gang durch die Supermärkte, der irrt. Denn Freiheit ist mehr als die freie Wahl von Konsumartikeln. Auf lange Sicht müssen die Menschen lernen, dass die Welt nicht durch Waf18

Di Fabio, Udo, (2005), S. 75.

I. Kultur des Lebens

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fen oder Waren der verschiedensten Art regiert wird, sondern allein durch Ideen und Überzeugungen. Über den Globus verteilt existiert eine Fülle von Einzelkulturen. Eine solche Einzelkultur oder einen einzelnen Kulturkreis meint man, wenn man von dem ,Westen‘ spricht. „Die westliche Kultur begreift sich heute als allgemeine menschliche Zivilisation. Sie hat sich aus ihren Traditionen und unhinterfragten sozialen Selbstverständlichkeiten gelöst, sie hat die Macht der Kollektive, der Religion und der Geburtsvorrechte gebrochen“19. In der kulturellen Überlieferung machen sich zwar viele Menschen für die überlieferte Wertekultur stark. Aber die Werte werden von den Menschen ganz unterschiedlich gewichtet. Schließlich setzen sich die einen für die Freiheit, die anderen für ganz unterschiedliche Bürgerrechte und hier oft für die Gleichheit ein, weil ihnen diese Zielrichtung in der Gesellschaft bedeutsamer ist als andere. Die heutige Gesellschaft zeichnet sich durch Gleichgültigkeit gegenüber den überlieferten Religionen, den tradierten Werten und der Moral aus. Will sie eine moralische Erneuerung, muss sie sich über eine gemeinsame Kultur und auf das überlieferte oder auf ein neues Wertesystem verständigen. Allerdings fragt man, wie letzteres aussehen soll? Es gilt, ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Dabei wird es nicht weiterhelfen, nur überlieferte Werte wie Freundschaft, Liebe, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit als allgemein gültige Werte zurückzuholen oder die alten Tugenden wie Fleiß, Anstand oder Pflichtgefühl erneut einzufordern, wenn dahinter nicht die Überzeugung steht, dass das auf ihnen beruhende Lebenskonzept auch zukunftsträchtig ist. Die traditionellen Werte können zwar dann die kulturelle Entwicklung steuern und tragen. Ob daraus aber erkennbar ist, dass sich das Zeitalter des Individualismus überlebt hat und die Menschen der westlichen Welt wieder am Anfang einer Zeit eines „gemein19

Di Fabio, Udo (2005), S. 264.

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5. Kap.: Ethik und Kultur

samen Lebens“ stünden, wie mancher Zukunftsforscher meint, muss doch wohl mit einem Fragezeichen versehen werden? In der Gegenwart ist der Umgang mit dem Tod ein besonderes Kennzeichen der Kultur. Das Leitthema fast aller Kulturen heißt: das richtige Leben ist die gültige Antwort auf den Tod20. Im Zweifel wird immer die Sicherheit und die Erhaltung des Lebens im Mittelpunkt des Denkens und Handelns stehen. Was tut darum der moderne Mensch im Blick auf den Tod? Er verdrängt ihn nach Möglichkeit und schiebt ihn soweit wie möglich weg. Das Individuum wie die Gesellschaft fühlen sich heute mehr denn je von dem Tod bestimmt, obwohl man doch alles tut, um gesund und gut zu leben. Der Tod ist gleichsam der Störenfried in der Gestaltung des Lebens. Denn die Kultur bleibt ausgerichtet, ein gutes Leben in Freiheit zu führen. Papst Johannes Paul II. hat sich in seinem Pontifikat besonders für die „Kultur des Lebens“ eingesetzt. Sie soll, wie er sagte, einer Kultur des Todes entgegenwirken. In seiner Enzyklika Evangelium Vitae aus dem Jahr 1995 hat er die Grundlagen für diesen Kampf beider Kulturen, der des Lebens und der des Todes, wie sie sich in der „Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen“ manifestiere, gesehen21. Er wollte damit den Schutz des ungeborenen Kindes vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an bis zu seinem natürlichen Tode einfordern. Dabei ging es ihm um die Abtreibung, insbesondere um die Fristenlösung und um die Fragen, die sich mit der Euthanasie ergeben. Denn schließlich hat ein jeder Mensch ein Recht, in Würde zu sterben. Wer aber dem Menschen dieses Recht nimmt, grenzt damit sein Leben ein. Wir befinden uns inmitten dieses Konfliktes zwischen der Kultur des Leben und der Kultur des Todes und damit in der Auseinandersetzung zwischen Gutem und Bösem. Allerdings beVgl. Di Fabio, Udo (2005) S. 23 ff. Johannes Paul II, Evangelium Vitae, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 120, 1995, n. 21. 20 21

II. Kultur und Wirtschaft

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grüßte der Papst auch die Aufmerksamkeit in den hoch entwickelten Industrieländern, die diese für die „Qualität des Lebens und die Umwelt“ aufbringen22.

II. Kultur und Wirtschaft Kultur ist ein Grundpfeiler des Lebens. Sie durchdringt die ganze Gesellschaft und damit auch die Technik und selbstverständlich die Ökonomie. Kulturelle Exzellenz übt ebenso wie die ökonomische Effizienz oder die technische Perfektion auf die ganze Gesellschaft ihren Einfluss aus. Kultur besteht nicht als Selbstzweck. Sie will einen Teil der Grundbedürfnisse des menschlichen Daseins erfüllen. Diese bestehen in der Teilhabe an individuellen und sozialen Erlebnissen. Der Mensch will Anteile am Wissen, an der Bildung, an der Kreativität menschlicher Existenz erringen. Die Kultur möchte ihn aus der Gedankenwelt seines Alltag herausholen, ihn erfreuen. Sie will aber auch Bleibendes erschaffen und es für die Zukunft erhalten. Kunst und Kultur können wirtschaftliche Unternehmen von Individuen oder von Gesellschaften und Organisationen sein. Selbstverständlich entziehen sie sich den üblichen ökonomischen Erwartungen. Eine Kosten-Nutzen-Analyse wäre kaum überall und immer sinnvoll. Die Förderung von Kunst und Kultur ist kein Selbstzweck, sondern eine soziale Aufgabe, die des privaten und staatlichen Engagements bedarf. Aber die Film- und Musikbranche sind durchaus beachtliche wirtschaftliche Faktoren, die aus sich leben können. Dennoch werden die meisten Orchester, Theater oder Museen vom Staat, von der Kommune, von dem Land oder dem Bund subventioniert. Aber auch Festivals, Filme und andere kulturelle Einrichtungen bedürfen, sofern sie sich nicht selbst tragen, der Subvention. Andererseits werden kulturelle Aktivitäten von der Wirtschaft nicht nur durch Sub22

Johannes Paul II, (1995), n. 27.

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5. Kap.: Ethik und Kultur

ventionen unerstützt. Es können auch ökonomische Gründe dafür ins Feld geführt werden. Denn vor allem die Kultur kann selbst die Grundlage für wirtschaftliche Tätigkeiten sein. Man spricht nicht ungefähr von der Unternehmenskultur. Jedes Unternehmen hat Kultur, ja Unternehmen können Kultur sein. Das Konzept einer speziellen Organisationskultur ist ein kollektives Phänomen. Man meint damit die Zusammenfassung aller in einem Unternehmen vorhandenen Ideen, Werte, Verhaltensweisen und Denkmuster, die der Zielsetzung des Unternehmens dienen. Zur Begründung von Unternehmenskulturen gehören ebenso Überzeugungen und sogar Meinungen. Denn das Unternehmen stellt ein soziales mininaturhaftes Gebilde dar.

III. Der Untergang von Kulturen Der Evolutionsbiologe Jared Diamond untersuchte in seinem Buch „Kollaps“ den Untergang blühender Kulturen und arbeitete den Zusammenhang von Umweltveränderung durch den Menschen und den Untergang blühender Gesellschaften heraus. Als besonderes Beispiel griff er auf die rätselhaften steinernen Statuen der Osterinseln zurück und stellte fest – und diese Beurteilung gilt für viele Gesellschaften –, die Gesellschaft hat sich durch die übermäßige Ausbeutung ihrer Ressourcen selbst zerstört. Als Grund kommt nicht die Annahme infrage, dass die Osterinsel Feinde oder Freunde hatte, die für die Gesellschaft gefährlich werden konnten. Ebenfalls eine Klimaveränderung lässt sich ausschließen. Ursachen für den Untergang waren stattdessen in dem Abholzen der Wälder und in der Vernichtung der Vogelbestände zu sehen. Außerdem müssen politische, soziale und religiöse Motive angenommen werden, die es unmöglich machten, sich der Entwicklung zu entziehen. Ferner hinderten die abgeschiedene Lage der Inseln, der Bau von immer mehr und größeren Statuen – der immer stärker wachsende Bedarf an Holz und Lebensmitteln – und die familiäre Konkurrenz die Einwohner

III. Der Untergang von Kulturen

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daran, sich den einsetzenden Entwicklungen zu widersetzen23. Jared Diamond ist bei seiner Analyse auf die zu ziehenden praktischen Folgen für die Gegenwart zu sprechen gekommen. Er stieß auf vier unterschiedliche Kategorien, die letztlich zu Veränderungen oder zu Zerstörungen von Gesellschaft und Umwelt beigetragen haben24: 1. Menschen sehen ein Problem nicht voraus. 2. Sie nehmen das Problem gar nicht wahr. 3. Obwohl sie das Problem wahrgenommen haben, versuchen sie nicht, es zu lösen. 4. Eine Lösung gelingt nicht, obwohl man es versucht hat. Zum Teil kann das Scheitern nicht an den Gesellschaften selbst, sondern an den Umweltbedingungen liegen. Als ein Beispiel für den 1. Problemkreis wird vom Autor die Einfuhr von Füchsen und Kaninchen nach Australien im 19. Jahrhundert angeführt. Beide Säugetierarten haben in Australien einen unermesslichen Schaden angerichtet. Die Bekämpfungsmaßnahmen erreichen Kosten in Milliardenhöhe. Ein weiteres Beispiel liegt im falschen Analogieschluss. Ein tragisches Beispiel dafür bildet die Vorbereitung Frankreichs auf den Zweiten Weltkrieg. Man glaubte, sich mit den Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg auf einen erneuten Angriff einstellen und absichern zu können. Man baute deshalb die Magienotlinie aus, statt auf bewegliche Panzer-Einheiten zu setzen. Der 2. Problemkreis: Eine Gesellschaft nimmt ein Problem, das sie nicht vorausgesehen hat, auch dann nicht wahr, wenn es bereits eingetreten ist. Dazu einige Beispiele: Die Ursachen sind nicht erkennbar, weil sie nicht sichtbar sind. Das gilt etwa für die Nährstoffe, die dem Boden seine Fruchtbarkeit verleihen. Sie sind mit bloßen Auge nicht erkennbar. Oder: 23 24

Jared Diamond, Kollaps, Frankfurt / Main 2005, S. 152. Vgl. Jared Diamond (2005), S. 519 ff.

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5. Kap.: Ethik und Kultur

Weil die Verantwortlichen nicht in der unmittelbar betroffenen Gegend leben, sind sie vom „Befall“ durch Unkraut zu weit entfernt, als dass sie wissen könnten, welches Problem dahinter steckt. Als ein drittes Beispiel könnte folgende Tatsache genannt werden: Von der Gesellschaft wird das Problem nicht erkannt, weil es allmählich die Form eines allgemeinen Trends angenommen hat, „der sich hinter starken Schwankungen verbirgt25“. Hierfür lässt sich etwa die globale Erwärmung der Erde nennen. Sie ist ganz unregelmäßig angestiegen, so dass man von einer „schleichenden Normalität“ sprechen kann26. Im 3. Problemkreis geht es um ein Verhalten, das zwar rational sinnvoll erscheinen mag, das aber ethisch angreifbar ist. Dieser Fall ist eng mit dem sogenannten Gefangenendilemma in Verbindung zu bringen. Die Ursachen dafür sind Interessenkonflikte. Es entspricht oftmals rationalem Verhalten und kann etwa so umschrieben werden: Wenn es den Interessen des einen Menschen nützt, aber dem anderer schadet, erscheint der Gedanke oftmals als vernünftig. „Häufig hat rationales negatives Verhalten die Form, gut für mich, schlecht für dich und alle anderen“27. Das ist ein rein egoistisches Verhalten. Als Beispiel kann die „Tragödie der Allmende“ dienen: Wo die Fischerei, die allen dient, zu stark den Fischbestand dezimiert und die Ressource ausbeutet, geht es allen Menschen schlecht. Man müsste auf eine übermäßige Ausbeutung und damit auf eine Überfischung verzichten28. Im 4. Problemkreis hat eine Gesellschaft möglicherweise zwar ein Problem vorhergesehen, wahrgenommen und sich außerdem um eine Lösung bemüht. Aber sie ist trotzdem an der Lösung gescheitert. Das mag an den nicht vorhandenen Fähigkeiten liegen oder an der Unbezahlbarkeit der Lösungen. Vielleicht sind die Bemühungen nur zu schwach ausgefallen, 25 26 27 28

Jared Diamond (2005), S. 524. Jared Diamond (2005), S. 525. Jared Diamond (2005), S. 527. Vgl. Jared Diamond (2005), S. 528.

III. Der Untergang von Kulturen

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oder die Fähigkeiten reichen nicht aus oder sie sind zu spät gekommen29. Alle vier genannten Problemkreise sind miteinander verbunden. Infolge der Globalisierung werden die vielen großen und kleinen Probleme der unterschiedlichen Länder bedeutsam für die ganze Welt. Außerdem wirkt sich das Bevölkerungswachstum auf alle genannten gesellschaftlichen und auf die verschiedenen Umweltprobleme aus30. Zu lösen sind sie nicht durch das Handeln einzelner Menschen oder Länder, sondern letztlich nur durch ein gemeinsames Verhalten von allen Menschen und Kontinenten. Erst wenn ein Umdenken in der ganzen Welt eingesetzt hat, kann es dazu kommen, dass eine Katastrophe in letzter Minute verhindert wird. Dann wird nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die kulturelle Entwicklung eine Chance zum Überleben erhalten. Die besonders schweren ökologischen Probleme, mit denen sich die Gesellschaften in Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen müssen, werden von Jared Diamond in zwölf Kategorien eingeteilt. Hier ist eine Auswahl31: 1. Die Zerstörung der natürlichen Lebensräume dadurch, dass sie zu zivilisatorischen Nutzflächen gemacht werden. 2. Die abnehmenden Wildfisch- oder Muschelbestände werden durch Aquakulturen ersetzt. Aber gerade dadurch fällt der Preis für Wildfischbestände weiter, und die Ausbeutung nimmt zu. 3. Tiere, Pflanzen, Populationen und die Vielfalt von ihnen sind bereits verloren gegangen. Das ganze Ökosystem wurde dezimiert oder ist gar zerstört. 4. Wasser und Wind erodieren die Ackerböden. 29 30 31

Vgl. Jared Diamond (2005), S. 538. Vgl. Jared Diamond (2005), S. 612. Vgl. Jared Diamond (2005), S. 600 ff.

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5. Kap.: Ethik und Kultur

5. Außer den fossilen Energieträgern wie Öl, Erdgas, Kohle wird Wasserkraft in Gestalt von Süßwasser aus Seen und Flüssen zunehmend für die Energiegewinnung eingesetzt. Aber es dient gleichfalls dem Schiffsverkehr und der Fischzucht. Und darüber hinaus dient das saubere Süßwasser als Trinkwasser. Trotz dieser Notwendigkeit hat heute über eine Milliarde Menschen keinen direkten Zugang zu sauberem Trinkwasser. 6. Chemische Giftstoffe gelangen durch Industrieerzeugnisse in den Boden, ins Wasser und in die Luft. 7. Absichtlich eingeführte Lebewesen zerstören die gegebene Flora und Fauna. 8. Die Zahl der Menschen auf der Erde wächst zunehmend. Und damit wächst auch ihre Auswirkung auf die Umwelt. Aufgrund des Wissens über die Bedrohung menschlicher Existenz hat sich allmählich das ökologische Bewusstsein weltweit durchgesetzt. Immerhin ist es in einigen Teilen der Welt zu einem gewissen, wenn auch kleinen Erfolg, in der Veränderung des Bewusstseins gekommen. Sicher sind auf allen Gebieten schmerzliche Einschnitte notwendig. Politische, wirtschaftliche und souveräne Potenziale müssen viel stärker eingeschränkt werden, sollte die Zukunft des Planeten nicht in Gefahr geraten.

6. Kapitel

Marktwirtschaft und Umwelt Der Kapitalismus gilt als eine Bezeichnung für das Wirtschaften, das nach dem Begriff der Gewinnmaximierung verläuft. In ihm spielen unterschiedliche Grundprinzipien eine Rolle. Man kann etwa mit Hilfe des Minimumprinzips ein effektives Ergebnis erzielen. In einem solchen Fall wird man unter Einsatz der geringsten Mitteln das erstrebte Resultat erlangen. Man kann natürlich auch bei einem gegebenen Mitteleinsatz, der gleichzeitig minimierbar ist, ein maximales Ergebnis erzielen. In der Entwicklung des Kapitalismus unterscheidet man drei Epochen: Zunächst gab es den Frühkapitalismus vom ausgehenden Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Sodann entstand der Hochkapitalismus, auch Manchesterkapitalismus genannt, der im 19. Jahrhundert mit der Erschlieûung neuer Kraftquellen (Dampf, Elektrizitåt und Úl) einherging. Unter ihm existierte freier Wettbewerb. Mit dem Manchesterkapitalismus werden besonders die sozialen Schieflagen auf Grund der industriellen Revolution bezeichnet. Der Begriff geht auf die von Richard Cobden und John Bright geleitete Manchester-Partei zurçck, die fçr die Abschaffung der Importzælle auf Getreide (1838 ± 1846) eintrat. Sie sprach damit die englischen Arbeiter und deren Familien an, die billigeres Brot wçnschten. Nach 1914 geriet diese Form des liberalen Wirtschaftsdenkens in eine tiefe Krise. Es entstand als dritte Epoche der Spätkapitalismus, der nach dem 1.Weltkrieg vorherrschte. Er war gekennzeichnet durch eine Abkehr von einer vælligen Freiheit der Wirtschaft und durch die Zuwendung zu einer mehr oder weniger starken Wirtschaftslenkung.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

1930 gründete Walter Eucken zusammen mit anderen Wissenschaftlern, unter anderem mit Franz Böhm, die Freiburger Schule. In ihr wurde der Begriff des Ordoliberalismus 1937 zum ersten Mal gebraucht. Seine Vertreter setzten sich für einen dritten Weg gegenüber Planwirtschaft und Laisser-faireLiberalismus ein, indem sie dem Staat gewisse Aufgaben, nämlich für die Ordnungsprinzipien zu sorgen, zuwiesen. Er solle sich um den Ordnungsrahmen für das Privateigentum, die Vertragsfreiheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, für den Wettbewerb, für eine Konjunktur- und Geldwertstabilität und für die soziale Gerechtigkeit einsetzen. Walter Eucken hielt den Begriff Kapitalismus für entbehrlich und setzte sich darum für den der Marktwirtschaft ein. Mit diesem Begriff wird eine Wirtschaftsordnung bezeichnet, die durch alle diese Elemente gekennzeichnet ist. Weiteres Kennzeichen ist, dass in ihr Leistungen und Investitionen angeboten werden, die von anderen Menschen nachgefragt werden Die Marktwirtschaft ist vor allem durch die marktorientierte Bedürfnisbefriedigung geprägt. Über den Markt findet der eigentliche Ausgleich statt. Der Markt kennt dort, wo er sich selbst überlassen ist, nur „das Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- und Pietätspflichten, keine der urwüchsigen, von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen“, wie es Max Weber in seiner „Marktvergesellschaftung“ formulierte1. Weiter ist sie dadurch gekennzeichnet, dass die Eigeninteressen institutionell reguliert werden. Das Zusammenspiel von Handelnden kann am besten über den Wettbewerb erfolgen. Der Wettbewerb stellt am gerechtesten das Ergebnis des Wirtschaftens dar. Auf dem Markt findet dann ein Ausgleich der knappheitsbedingten Interessenkonflikte statt. Das geschieht über den Preis. Die notwendige und zu fordernde Leistung wird sachlich am besten nach der 1

Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 51972, S. 383.

I. Der Neoliberalismus

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Leistung entlohnt. Das Wettbewerbsprinzip und das Leistungsprinzip sind die Grundpfeiler für das marktwirtschaftliche Geschehen. Fundamental wichtig für das Funktionieren der Marktwirtschaft ist ein gut ausgebildetes Tauschmittelsystem, also ein Geld- oder Kapitalhandel. Der Gedanke der Sozialen Marktwirtschaft ist dann als eine Konzeption von Wissenschaftlern des ordoliberalen Kreises unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Die Wirtschaft wurde von staatlicher Intervention freigesetzt. Der Handel sollte nicht durch Zollbeschränkungen behindert werden.

I. Der Neoliberalismus Die Geburtsstunde des Neoliberalismus ist die Selbstzeichnung einer Gruppe von Wirtschaftstheoretikern in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Aus ihrer Vorstellung hat sich später die Soziale Marktwirtschaft mitentwickelt. Der Begriff wurde gebildet aus dem griechischen Präfix néos für neu und dem Begriff Liberalismus. Zu Ehren des amerikanischen Publizisten Walter Lippmann fand im August des Jahres 1938 auf dem internationalen Symposium „Colloque Walter Lippmann“ ein Kolloquium statt. Dieser hatte damals in seinem Buch „The Good Society“ eine vernichtende Kritik an den kollektivistischen Ideologien des Sozialismus, Nationalsozialismus und Faschismus geübt. Zu den Teilnehmern des Treffens gehörten die deutschen Emigranten: Alexander Rüstow, August von Hayek, Ludwig von Mises, Wilhelm Röpke. Man war der Meinung, dass der alte Liberalismus mit dem Prinzip des „Laissez faire“ Schuld am Niedergang des Liberalismus trug. Deshalb suchte die Gruppe von 26 Wirtschaftswissenschaftlern und Industriellen, die in Paris die Krise ihrer Zeit und die Krise des Liberalismus diskutierten, einen neuen

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

Begriff, der als neue Konzeption gegenüber dem alten Laissezfaire-Liberalismus dienen konnte. Man revidierte den überkommenen Liberalismus. Es war Alexander Rüstow, der den Begriff Neoliberalismus geprägt hat. Mit ihm sollte ausgedrückt werden, dass die im alten Liberalismus vertretene Meinung der Selbstregulierung des Marktes und der völligen Nichteinmischung des Staates zu Gunsten einer Eingriffspolitik des Staates aufgegeben wurde. Denn ohne eine gewisse Interventionspolitik des Staates schien den Neoliberalen der Markt nicht in der Lage zu sein, den Wettbewerb zu erhalten. Darum sollte auf Grund eines institutionellen Rahmens der Wettbewerb durch Kartell- und Antimonopolgesetzgebung geschützt werden. Ein schwacher Staat wurde abgelehnt. Alexander Rüstow wie auch Walter Eucken forderten stattdessen einen starken Staat, der vor allem quasi als Schiedsrichter über dem Wettbewerb wachen sollte. Das war das zentrale Anliegen der Neo- oder Ordoliberalen! Es war vor allem Walter Eucken (1891 – 1950), der in eine harte Konkurrenz mit den Anhängern eines Laissez-faireLiberalismus geriet, wie ihn Ludwig Mises vertrat. Sie sahen im Ordoliberalismus nichts anderes als eine Variante des Sozialismus. Aber der Ordoliberalismus hat gleichsam als die deutsche Form des Neoliberalismus zu gelten. Darüber hinaus suchte man nach einer Wettbewerbsordnung, die ohne Privilegien auskommen, aber allen gleiche Chancen ermöglichen sollte. Damit war man auf der Arbeitgeberseite gegen Kartelle und auf der Arbeitnehmerseite gegen Gewerkschaften eingestellt2. Friedrich A. Hayek sammelte über die Ostertage des Jahres 1947 in Mont Pèlerin die versprengten Neoliberalen. Die Gesellschaft nannte sich nach dem Ort ihrer Versammlung: Mont Pèlerin Society (MPS). Sie wurde zum Zentrum der neoliberalen Bewegung. Aber sie war keine einheitliche Denkrichtung. 2 Vgl. Plickert, Philip, Der missverstandene Neoliberalismus, in: FAZ 16. Juni 2007, Nr. 137, S. 16, Sp. 2.

I. Der Neoliberalismus

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Stattdessen kann man von mehreren Strömungen sprechen3. In diesem Zusammenhang sind zu nennen: 1. Die Freiburger Schule um die deutschen Wirtschaftswissenschaftler Walter Eucken, Franz Böhm, Leonhard Miksch, Ludwig Ehrhard und Alfred Müller-Armack. Sie betonten die aktive staatliche Wirtschaftspolitik und wollten einen vollständigen Wettbewerb. Röpke und Rüstow bekräftigten zugleich die außerökonomischen Voraussetzungen der Marktwirtschaft. Sie hoben die Verbindung von Freiheit und Verantwortung hervor. „Ihr Ideal war eine mittelständische Gesellschaft selbstbewusster bürgerlicher Existenzen, die Freiheit mit Verantwortung verbindet. Der Staat solle darauf hinwirken, dass menschenwürdige Lebens- und Siedlungsformen entstehen“4 . Dem Staat wurden also bestimmte Aufgaben, z. B. im Bereich der Wohnungs- und Sozialpolitik zugedacht. „,Vitalpolitik‘ nannte Rüstow das“5. Wilhelm Röpke hat die Marktwirtschaft streng an dem „Individualprinzip“ ausgerichtet. Darum setzte er sich für eine „anthropologische Marktwirtschaft“ ein. Deshalb war auch für ihn aufgrund seiner christlich-moralischen Überzeugung der Kollektivismus ein Irrweg. Denn er wollte den Menschen aus der Umklammerung des Staates lösen. 2. Eine strenge marktwirtschaftliche Ordnung vertrat die Österreichische Schule um Ludwig von Mises, der sich besonders, wie bereits oben angedeutet, gegen den Ordoliberalismus Euckens stemmte. Dazu gehörten ferner Fritz Machlup, Gottfried von Haberler und Friedrich August von Hayek. Man war sich darin einig, gegen jeglichen staatlichen Einfluss in der Wirtschaft zu kämpfen. Denn jeder staatliche Eingriff zieht einen weiteren nach sich. Das bedeutet letztlich eine Interventionsspirale. 3. Die dritte Gruppe bildet die Chicagoer Schule. Sie erschienen am Anfang weit weniger radikal als heute. Frank Knight, der Gründer, hatte zunächst starke ethische Bedenken 3 4 5

Plickert, Philip, in: FAZ 16. Juni 2007, Nr. 137, S. 16, Sp. 3. Plickert, Philip, in: FAZ 16. Juni 2007, Nr. 137, S. 16, Sp. 3. Ebenda.

176

6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

gegen diese Art ,Kapitalismus‘. Sein Schüler Henry Simons trat für eine überwachte Wettbewerbsordnung ein, obwohl er eine Laissez-faire-Wirtschaft befürwortete. Die ältere Generation stand in ihrem antimonopolistischen Eifer der Freiburger Schule recht nahe. Erst die jüngere Chicagoer Schule unterschied sich von den Freiburgern. An der Spitze stand Milton Friedman. Er war der Meinung, dass es Aufgabe des Staates sei, die Funktionen zu übernehmen, die der Markt selbst nicht regeln könne, „nämlich die Spielregeln festzulegen, durchzusetzen, und die Rolle des Schiedsrichters zu übernehmen“6. Die Großunternehmen wurden von ihm weniger kritisch eingeschätzt. Seine Beurteilung von Großunternehmen bezieht sich vor allem bei Monopolen auf diese drei Möglichkeiten: „Privatmonopol, Staatsmonopol oder die Form einer öffentlichen Kontrolle“. Alle drei Lösungen hielt er für schlecht. Müsste man jedoch zwischen ihnen wählen, gelte es, das geringste Übel auszuwählen. M. Friedman konnte in seinem Buch „Kapitalismus und Freiheit“ feststellen: Henry Simons, der Schüler von Frank Knight, hatte die öffentliche Kontrolle von Monopolen in den Vereinigten Staaten untersucht und war in allen Fällen zu katastrophalen Ergebnissen gekommen. Simons hatte sich deshalb für das Staatsmonopol als das kleinere Übel entscheiden. Für Friedman ist auch Walter Eucken aufgrund seiner Untersuchungen zum Staatsmonopol der Eisenbahn in Deutschland seinerseits zu „erschreckenden Ergebnissen“ gekommen. Er setzte sich für die öffentliche Kontrolle als das kleineres Übel ein7. Milton Friedman kam nach Prüfung der Lösungen seinerseits, wie er sagte, wider Willen zu dem Schluss, dass „ein maßvolles Privatmonopol“ das kleinste Übel sei8. Freilich kann die Wahl zwischen den drei genannten MonopolMöglichkeiten nicht ein für alle Male gelten. Es muss die tat6 7 8

Friedman, Milton, Kapitalismus und Freiheit, München 1976, S. 51. Friedman, Milton, (1976), S. 52. Ebenda.

II. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft

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sächliche Situation berücksichtigt werden9. Ist die Monopolstellung sehr stark, werden selbst die „kurzfristigen Folgen eines privaten unkontrollierten Monopols nicht zufriedenstellend sein“10. Dann wäre die öffentliche Kontrolle oder das öffentliche Eigentum das kleinere Übel. In politischen Kreisen wird der Neoliberalismus und die damit verbundene neoliberale Wirtschaftspolitik stark angefeindet. Er wird vielfach synonym mit dem Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts gesehen und darum mit der Ausbeutung der Arbeiter gleichgesetzt. Mit zunehmender Industrialisierung war die Zahl der Produktionsstätten angewachsen. Damit verband sich dann eine Wandlung des Marktes. Während früher auf Auftrag produziert wurde, stellte man nunmehr Ware auf Vorrat her. Angebot und Nachfrage wurden zu Bestimmungsgrößen des Preises. Heute wird der Begriff des Neoliberalismus – mindestens in Deutschland – als Schlagwort im Zusammenhang mit der Globalisierungskritik benutzt, indem man gleichzeitig eine fundamentale Marktkritik anstellt. Der Neoliberalismus steht im Auge seiner Kritiker für eine Konzeption, gegen die sich die Neoliberalen selbst ursprünglich gewandt hatten.

II. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft Der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft liegt das Modell der freien Marktwirtschaft zugrunde. Deren Grundstruktur hat bereits Adam Smith beschrieben. Nach diesem Modell werden, wie oben bereits beschrieben, die Produktion und der Konsum vom Markt gesteuert. Der Staat wirkt nur indirekt mit, indem er die Rechtsordnung und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen setzt und die notwendigen öffentlichen Güter bereitstellt. 9 10

Vgl. Friedman, Milton, (1976), S. 53. Ebenda.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

Die Selbstorganisation des Marktes sorgt wie durch eine „unsichtbare Hand“ dafür, dass jeder Teilnehmer zum Wohlstand der Gesellschaft beiträgt, selbst wenn er nur eigene Interessen verfolgt11. Denn die Marktteilnehmer erwarten nicht das, was sie zum Essen brauchen, vom „Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers“, „sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen“12. A. Smith ließ verlauten: „Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil“13. Allerdings wird dieses Interesse gesteuert nicht nur durch das eigene Gewissen in der Brust, sondern durch „den wirklichen Beobachter außerhalb von uns“14. Darum gilt:„Von einer absoluten Freiheit im Verhalten des Menschen, einem grenzenlosen Egoismus ist also keine Spur in dieser nüchternen Analyse zu finden“15. Die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft basiert auf dem christlichen Menschenbild in der Gesellschaftspolitik und vor allem im sozialen Bereich. Sie ist gekennzeichnet durch die Begriffe von Freiheit, Verantwortung und Solidarität. In dieser sozialen Komponente fühlt sie sich zu sozialem Handeln aufgerufen. Darum sieht sie in ihr die Verpflichtung, das Leitbild einer solidarischen und gerechten Gesellschaft zu verwirklichen16. Man kann also durchaus von zwei Gedankenketten sprechen – so jedenfalls der Vorsitzende der Ludwig-Ehrhard-Stiftung Hans D. Barbier17 –, die den engeren Begriff der Sozialen Smith, Adam, Der Wohlstand der Nationen, München 1978, S. 371. Smith, Adam (1978), S. 17. 13 Ebenda. 14 Vgl. Horst Claus Reckentenwald, Die Würdigung des Gesamtwerkes von Adam Smith in: Smith, Adam, (1978), S. XXXVIII. 15 Ebenda. 16 Vgl. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD, Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit (Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und Kirchenamt der EKD), Bonn, Hannover 1997, in: Gemeinsame Texte Nr. 9, Z. 91, S. 39. 17 In: FAZ Nr. 63. vom 14. März 2008 S. 17. 11 12

II. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft

179

Marktwirtschaft kennzeichnen. Die eine Kette wird gebildet aus den Begriffen: Freiheit, Verantwortung, Solidarität. Danach bildet die Freiheit der Willensbildung die Grundlage für die Verantwortung zu Gunsten der Schwachen und zu Unterstützenden. Die andere Kette setzt sich zusammen aus: Freiheit, Wettbewerb, Markt. Hier erschließt die Freiheit der Gesellschaft Ressourcen für den Solidaritätsauftrag, der sich auf der Verantwortung gründet. Beide Gedankenketten sind in dem Begriff der Sozialen Marktwirtschaft vereint, um der Marktwirtschaft die „Möglichkeit und die Pflicht“ zum Sozialen zu vermitteln18. Ludwig Ehrhard und Alfred Müller-Armack setzten sich mit der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft für eine freie Wirtschaft ein, die allen Menschen die gleichen Chancen eröffnete. Man wollte eine neue Wettbewerbsordnung und zugleich eine neue soziale Ordnung mit hoher sozialer Sicherung schaffen. Dabei ging es, wie Müller-Armack immer wieder betonte, um eine „irenische Formel“19, die ökonomische und soziale Notwendigkeiten zusammenband. Müller-Armack wollte im Bereich des Sozialen nicht nur das staatliche Handeln in der Wirtschaft, sondern zugleich den sozialen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft erfassen. Zwar war er der Meinung, dass die Marktwirtschaft per se bereits einen sozialen Ausgleich schaffe, aber letztlich war es doch notwendig, den sozialen Aspekt im Sinne einer gesellschaftlichen Tätigkeit (societas) zu gestalten. Es ging MüllerArmack nämlich um eine spezielle, durch den Staat geförderte wirtschaftliche Ordnungspolitik und deshalb um eine Gestaltung des Humanum in der Gesellschaft. Aber man darf die soziale Gestaltung der Marktwirtschaft nicht im Sinne eines mehr oder weniger ausgeprägten Wohlfahrtsstaats verstehen. Das Soziale ist nämlich nicht als eine Wiedergutmachung für eine Fehlentwicklung von Markt und Wettbewerb zu verstehen. Weder sind der Markt noch der Wett18 19

Ebenda. Müller-Armack, Alfred (21981), S. 131.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

bewerb als Organisationsformen anzusehen, die die Wirtschaft automatisch zu unsozialen Fehlentwicklungen zwingen, so dass es zu einer Art Kompensation kommen muss. Die Marktwirtschaft braucht nicht erst durch die Hinzufügung des Sozialen zur Akzeptanz freigegeben zu werden. Das Soziale ist eben kein Teil des gesellschaftlichen und des konsumtiven Handelns des Staates. Durchgesetzt wurde die Marktwirtschaft von Politikern, die der Überzeugung waren, dass der wirtschaftliche Wiederaufbau nur möglich sein werde „durch eine Regeneration des damals von der Wirtschaftslenkung überwucherten Wettbewerbsgedanken“, so formulierte es 1969 Alfred Müller-Armack wörtlich20. Für den Fall, dass der Markt versagt, setzte man sich für marktkonforme Eingriffe des Staates ein. Außerdem ergriff man andere Maßnahmen, die von unterschiedlichem Gewicht waren: – Monopol- und Kartellkontrolle – Sozialer Ausgleich – Ausbau der sozialen Sicherung und der sozialen Selbsthilfe – Chancengleichheit – Bildungsinvestitionen – Ausgleich von Konjunkturschwankungen, – Internalisierung externer Effekte u. a.

Bereits im Jahre 1960 konnte Müller-Armack von einer Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft sprechen. Heute lassen sich im Ablauf der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft etwa fünf Phasen unterscheiden21: 20 Müller-Armack, Alfred, Der Moralist und der Ökonom, erstmals abgedruckt in: Ordo, Jahrbuch für Wirtschaft und Gesellschaft, München 1970, erneut abgedruckt in: Alfred Müller-Armack, Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, Hrsg. Egon Tuchtfeldt, Bern, Stuttgart 21981, S. 128. 21 Vgl. Kramer, Rolf, Gesellschaft im Wandel, Berlin 2007, S. 52.

II. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft

181

Die erste Phase umfasst die Zeit von 1948 bis etwa 1968. In dieser Zeit suchte man nach einer Synthese, die eine funktionierende Marktwirtschaft in Verbindung mit einem wirksamen und ståndig weiter ausgebauten System des sozialen Schutzes umfassen sollte22. Der Sozialen Marktwirtschaft von vornherein eine unsozialen Gestaltung vorzuwerfen, ist also durchaus fehl am Platze. Mçller-Armack formulierte gar, dass es sich unstreitig gezeigt habe, ¹dass die Soziale Marktwirtschaft besser als die Wirtschaftslenkung die soziale Sicherheit realisierenª kænne23. In der zweiten Phase der Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft (etwa 1968 ± 1978) wurde von Mçller-Armack gefordert, den Umweltschutz in der Gesellschaft zu berçcksichtigen. Auûerdem nannte er: Die Gliederung des Wohn-, Siedlungs-, Verkehrs- und Industrieraumes, die Sicherung der Selbståndigkeit, Streuung der Vermægensbildung, Sicherung der Wåhrungsstabilitåt, Sparerschutz, Ausbau der sozialen Sicherung, Bildungsinvestitionen, Forschungspolitik usw.24. Die dritte Phase (etwa 1979 ± 1990) ist durch Stagnation in der Ordnungspolitik und durch mangelnde Reformen gekennzeichnet. Die vierte Phase beginnt etwa mit dem Jahr 1989 / 1990 und dauerte bis ca. 2003. Sie bricht also nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten an. Sie war zunåchst durch die Probleme einer steigenden Zahl von Arbeitslosen und damit verbunden durch die Forderungen nach einem Umbau des Sozialstaates und der Sozialpolitik gekennzeichnet. Aber seit dem Jahr 2003 oder spätestens ab 2005 – vor allem seit der Einführung der Agenda 2010 – müsste man aufgrund der Abnahme der Arbeitslosenzahl von einer fünften Phase der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland sprechen. 22 Vgl. Müller-Armack, Alfred, in: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, Hrsg. Egon Tuchtfeldt, Bern, Stuttgart 21981, S. 186. 23 Ebenda. 24 Müller-Armack, Alfred (21981), S. 310.

182

6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

In der Gegenwart versucht man, eine doppelte Strategie anzuwenden, indem man zum einen eine Rückbesinnung auf die Wurzeln und zum anderen eine Neubesinnung der Sozialen Marktwirtschaft vornimmt. Andere Begriffe, wie Neue Soziale Marktwirtschaft, haben sich allerdings nicht durchgesetzt, weil letztlich der Inhalt nicht ,neu‘ war.

1. Entwicklung der Finanzierungsinstrumente Die Globalisierung der Wirtschaft hat auch die Finanzierungsinstrumente der Unternehmen entscheidend verändert. Kleinere und mittlere Unternehmen haben sich im traditionellen Finanzierungssystem über Kredite der jeweiligen Hausbank finanziert. Die Banken ihrerseits selbst beteiligten sich am Eigenkapital der börsenorientierten Unternehmen. Außerdem übernahmen sie Verantwortung durch die Stimmrechtsausübung und durch Aufsichtsratmandate. Heute bilden nicht mehr Bankeinlagen die Grundlagen für die Basis einer Kreditvergabe25. Stattdessen werden die Banken infolge der Weiterentwicklung der Finanzinstrumente immer stärker durch institutionelle Investoren ersetzt. „Diese legen die eingesammelten Mittel nicht nur am Kapitalmarkt an, sondern geben sie an Beteiligungsunternehmen (Private Equity-Firmen) weiter, um eine höhere Rendite zu erzielen. Letztere nehmen zusätzlich Fremdkapital auf, um ganze Unternehmen außerhalb der Börse aufzukaufen (,Leveraged Buyout‘), umzustrukturieren und nach wenigen Jahren gewinnbringend an den Markt zu bringen“26. Allerdings ist diese Entwicklung nicht immer und überall maßgeblich. Denn auch die neuen Unternehmen verhalten sich keineswegs so, dass sie einem nachhaltigen unternehmerischen Handeln widersprechen und Unternehmens25 Vgl. Rat der EKD, Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive, Gütersloh 2008, n. 75, S. 77. 26 EKD (2008), n. 76, S. 78.

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werte vernichten wollen, wie man an der Finanzkrise der Jahre 2007 / 2008 gesehen hat. Aufgrund einer geringen Eigenkapitaldeckung sind viele kleinere und mittlere Unternehmen existentiell bedroht. In diesen Fällen können bei der Lösung der Finanzprobleme die Beteiligungsgesellschaften helfen. Denn „durch die Beteiligungsfinanzierung wird den Unternehmen Eigenkapital zugeführt, was wiederum die Erschließung weiterer Finanzierungsquellen erleichtert. Eine höhere Eigenkapitalquote führt zu einer besseren Bonitätseinschätzung seitens der Banken und damit zu einer höheren Verfügbarkeit von Bankkrediten zu niedrigeren Zinsen (verstärkt durch Basel II)“27. Andererseits kann die Abhängigkeit von Beteiligungsfirmen durch die Nutzung verschiedener Alternativfinanzierungen oder durch die Verbesserung von Kreditwürdigkeiten eingeschränkt werden. Allerdings treten auch neue Gefahren auf. Die durch Fremdkapital aufgebaute Schuldenlast macht die Unternehmen verwundbar. Verantwortung tragen dafür nicht allein die Banken, sondern auch die institutionellen Anleger und damit häufig auch die Investmentfonds mit ihren stark spekulativen Anlagestrategien (Hedgefonds). Immerhin gilt, dass im Gegensatz zu den Private EquityFirmen manche Hedgefonds nicht unbedingt darauf angelegt sind, den Unternehmenswert zu steigern. „Sie wollen vielmehr mit Kursentwicklungen und Einschätzungen anderer Marktteilnehmer Handel treiben, um kurzfristige hohe Gewinne zu erzielen“28. Um diesen Missstand zu beheben, müssten bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Der Rat der EKD erklärt mit Recht, dass eine gesetzliche Regulierung der Hedgefonds nicht viel weiterhelfen wird. In diesen Fällen würde eine „indirekte Regulierung durch eine verbesserte Aufsicht der traditionellen Marktteilnehmer (Banken, Wertpapierfirmen und Versicherungen)“ mehr Aussicht 27 28

EKD (2008), n. 78, S. 79. EKD (2008), n. 80, S. 81.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

auf Erfolg haben29. Diese Maßnahme muss durch eine Verbesserung der Transparenz und mit Hilfe von selbst auferlegten Verhaltenskodizes insbesondere bei den Hedgefonds unterstützt werden30. Langfristig ist es nötig, die Finanzmärkte durch internationale Aufsichtsregeln und durch entsprechende Transparenz in Ordnung zu bringen. Die Basel-Richtlinien könnten bei der Eigenkapitalverwaltung weiterhelfen. Diese bezeichnen nämlich die Gesamtheit der Eigenkapitalvorschriften, wie sie vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht vorgeschlagen worden sind. Die Richtlinien gelten zwar in Europa, sollten aber weltweit umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang können auch die Grundsätze der Corporate Governance, bei denen es um das Setzen und Einhalten von Verhaltensregeln geht, Hilfestellung für die Finanzierungsinstrumente leisten. Denn die Kennzeichen, wie Funktionsfähigkeit des Unternehmen, Wahrung der Interessen unterschiedlicher Gruppen im Unternehmen, zielgerichtetes Zusammenarbeiten, Transparenz in der Unernehmenskommunikation, angemessener Umgang mit Risiken und Entscheidungen zu Gunsten einer langfristigen Wertschöpfung, werden bei der richtigen Anwendung von Finanzierungsinstrumenten helfen können.

2. Die Vergütungen von Vorständen und Managern In der jüngsten Vergangenheit ist die spezielle Verantwortung der Unternehmer aufgrund verschiedener Vorfälle immer stärker in den Blickpunkt gerückt. Die Öffentlichkeit hat sich moralische empört, weil sich die sogenannte ,Geldelite‘ unmoralisch, etwa durch Steuerhinterziehung, verhalten hat. An dieser individuellen Verfehlung entzündete sich eine 29 30

EKD (2008), n. 81, S. 82. EKD (2008), n. 82. S. 82 u.n.124, S. 121.

II. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft

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Kritik an dem ganzen System der Sozialen Marktwirtschaft. Obwohl es zunächst nur einzelne Topmanager waren, die sich selbst auf Kosten der Allgemeinheit bereicherten, ist mit einem Mal das ganze System der Sozialen Marktwirtschaft in Misskredit geraten. Aber im Grunde waren es doch nur Auswüchse eines unmoralischen Verhaltens: Gier vor Gesetzestreue, Egoismus vor Gemeinwohl, Selbstbereicherung vor Ehrlichkeit. Zusätzlich gerieten in Deutschland die Vorstände von Konzernen und Großunternehmen – speziell von Bankinstituten – durch eine teilweise zweistellige Erhöhung ihrer Einkommen, die erfolgsabhängig und auch erfolgsunabhängig gezahlt wurden, ins Zwielicht. Erfolgsabhängige Zuschläge können grundsätzlich richtig und vernünftig sein. Denn eine Bezahlung an den realen Unternehmenserfolg zu binden, ist sinnvoll. Dafür sind höhere Gehälter für die Manager angemessen. Vorstandsbezüge setzen sich so aus dem Grundgehalt, Boni, Aktienrechten und Optionen zusammen. Viele deutsche Unternehmen haben in den vergangenen Jahren schließlich an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Dies hat sich dann auch in entsprechend erhöhter Ertragskraft niedergeschlagen. Aber einzelne überhöhte Einkommenszuwächse bei deutschen Spitzenmanager, wie in der jüngeren Geschichte vorgekommen, werden in der Öffentlichkeit nicht verstanden und dementsprechend abgelehnt. Sie schaden dem gesamten System der Sozialen Marktwirtschaft. Das umso mehr, wenn solche Einkommenszuwächse zugleich mit der Ankündigung von Massenentlassungen verbunden sind. Hier bedarf es nicht nur eines kommunikativen Fingerspitzengefühls, sondern vor allem einer moralischen Einstellung. Daraus erwächst bei vielen Arbeitnehmern Unverständnis, zumal dann, wenn sie sich gerade einmal mit einem Ausgleich der Inflationsrate begnügen müssen. Die Gehälter, Boni und Abfindungen bei Topmanagern und speziell bei Spitzenkräften im Bankensektor stehen heute in den USA und in Deutschland auf Grund der Finanzkrise in

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

der öffentlichen Kritik. Das Geschäft mit den komplizierten Finanzstrukturen bei den Investmentbanken ist so gut wie zum Erliegen gekommen. Und damit ist auch die Gehaltsstruktur der Bankmanager ins Wanken geraten. Die Zahlungen von Abfindungen sollten nicht nur in eine Richtung führen. Vorstände, die ihre Unternehmen schlecht geführt haben, dürften keinen Anspruch auf hohe Abfindungen, Pensionen oder zusätzliche Aktienpakete erhalten. Auch den Kleinanlegern erschienen oftmals die ausgeworfenen Bezüge für einige Konzernchefs als überhöht. Eine solche Verständnislosigkeit entspringt durchaus nicht nur aus einem gewissen Sozialneid, auch wenn der bei der Ablehnung des erhöhten Einkommens oftmals ausschlaggebend sein könnte. Freilich ist diese Art des Denkens und Handelns keineswegs nur bestimmten Kreisen vorbehalten. Viele Menschen handeln irrational, wenn es um ihr Geld geht. Offenbar gilt in diesem Zusammenhang das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen nicht mehr. Danach müsste nämlich der Reiche mit der Zeit die Freude am Steigen seines Geldbesitzes verlieren. Aber von Geld können die Menschen anscheinend nicht genug bekommen. Raffgier gehört merkwürdigerweise zur menschlichen Natur. Sie ist auch die Grundlage der gegenwärtigen Finanzkrise. Den Menschen fällt es ungemein schwer, Geld abzugeben. Darum gehört Steuersparen zur ordnungsgemäßen Finanzverwaltung eines jeden Haushaltes. Dabei überschreiten viele Menschen die Grenzen der Legalität. Sie sind bereit, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern, auch wenn sie es gar nicht nötig hätten. Viele Menschen sehen es aus ihrem Gerechtigkeitsdenken heraus als richtig und fair an, wenn die Reichen weitaus mehr von ihrem Einkommen zur Finanzierung der allgemeinen Bedürfnisse und des Gemeinwohls abgeben als sie selbst. Wer mehr hat, soll eben mehr von seinem Einkommen oder Vermögen für die Allgemeinheit beitragen. Viele demokrati-

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sche Länder haben in ihrer Steuergesetzgebung diese Form der Verteilung berücksichtigt. Darum werden die Reichen nicht nur proportional, sondern sogar auch prozentual stärker zur Kasse gebeten. In der Volkswirtschaftslehre spricht man nach Richard Thaler (1980) von dem Endowment-Effekt (Besitztums-Effekt). Nach ihm ist der wahrgenommene Wert eines Gutes dann hæher, wenn man es selbst besitzt. Im Bereich der Steuerzahlung besagt der Besitztums-Effekt, dass die Bereitschaft zur Steuerhinterziehung hæher ist, wenn man Steuern nachzahlen muss. Denn die Furcht vor einem finanziellen Verlust ist græûer als die Freude çber einen gleich hohen Gewinn. Darum årgert man sich an der Bærse çber die Baisse entsprechend mehr, als man sich çber eine Hausse freut. Der Mensch strebt nach Glück. Das Einkommen ist sicher ein Phänomen, das dem Glück des Menschen dienlich ist. Aber es ist heute nicht mehr die entscheidende Größe für das Glücklichsein des Menschen. Da spielen andere Faktoren eine bedeutendere Rolle, wie Familie, Arbeit, soziale Akzeptanz, Gesundheit etc. Dennoch verlieren die Menschen, wenn es ums Geld geht, eine vernünftige Steuerungsfunktion. Zwar erhalten sie kein höheres Glücksgefühl, aber sie glauben, zufriedener zu sein. Jedes einmal ereichte Einkommensniveau verliert an Bedeutung und verlangt nach mehr Geld.

3. Maximallohn und Mindestlohn Die Einkommensentwicklung in der westlichen Welt hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte stark differenziert. Die Schere zwischen den Einkommen aus Vorstandsbezügen und den tarifvertraglichen Lohnerhöhungen der Arbeitnehmer hat sich stark auseinander entwickelt. Im Zuge der Monetarisierung der Gesellschaft hat sich besonders die Gehaltssituation der Spitzenkräfte der Wirtschaft geändert. Freilich sind auch andere Berufsgruppen, wie Sport-

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

ler und Künstler, in ähnlicher Weise von dieser Entwicklung betroffen31. Immer wieder wird die Frage nach dem Verhältnis der Entlohnung zwischen Vorständen und Mitarbeitern gestellt. Die nach der Meinung vieler Menschen überhöhten Managergehältern sind immer wieder ein Stein des Anstoßes in der Öffentlichkeit und auch in den Medien. Um in einem gewissen Maße den Realitätsbezug wieder herzustellen, wird diskutiert, inwieweit man die steuerliche Abzugsfähigkeit der Spitzengehälter beeinflussen kann und soll. Für viele Menschen stellt sich die Frage, ob sich nicht die hohe Managerbezahlung zu einem sozialen und politischen Problem entwickelt hat. Man fragt, ob nicht durch die Höhe der Gehälter das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen verletzt wird? Deshalb möchte man gar eine Obergrenze der Managergehälter festlegen. Aber man wird lernen müssen, dass man keinen Maximallohn bestimmen kann, ohne die ganze Ordnung der Wirtschaft und die Verfassung zu ändern. Denn nicht nur nach Auffassung der Juristen, sondern auch vieler gesellschaftspolitisch denkender Menschen würden solche Maßnahmen gegen die Verfassungsartikel über die Vertrags-, Berufs- und Eigentumsfreiheit verstoßen. Ebenfalls dürfte eine steuerrechtliche Änderung in der Praxis betrieblicher Kosten bei den ManagerGehältern nicht einfach sein, zumal man nicht zwischen ,guten‘ betrieblichen Kosten, die steuerlich anrechenbar sind, und ,schlechten‘, bei denen dieses nicht geht, unterscheiden kann. Außerdem ist zu fragen, inwieweit sich überhaupt Betriebsausgaben begrenzen lassen? Freilich werden die Abfindungen oftmals keineswegs für wirtschaftliche Leistungen gezahlt, sondern allein für die Erhöhung der Aktienkurse. Finanzinstitute können vom 10. Oktober 2008 an in Deutschland auf das Finanzmarktrettungspaket des Staates in Höhe von fast 500 Milliarden Euro zugreifen. Sie müssen 31

Vgl. Kramer, Rolf (2007), S. 87.

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dann mit harten Auflagen für Gehälter und ihre Ausschüttungspraxis rechnen. Nach den Verordnungen der Bundesregierung darf die Grundvergütung der Bankmanager eine halbe Million Euro nicht überschreiten. Außerdem sind keine rechtlich nicht gebotenen Abfindungen zu bezahlen. Weiter dürfen keine Boni oder andere in das freie Ermessen des Unternehmens gestellte Vergütungsbestandteile entrichtet werden, solange das Unternehmen Maßnahmen des sogenannten Finanzmarkstabilisierungsfonds in Anspruch nimmt. Für die Ausschüttungspraxis sind ähnliche Auflagen vorgesehen. Das Regelwerk sieht nämlich weiter vor, dass während der Dauer der Stabilisierungsmaßnahmen keine Dividenden oder sonstige, vertraglich oder gesetzlich nicht geschuldete Gewinnausschüttungen an Gesellschafter außer an den Rettungsfonds zu leisten sind. Vor allem muss darauf verwiesen werden, dass der Aufsichtsrat für die Festsetzung der Managergehälter zuständig ist. Politisch ist es keineswegs verkehrt, sondern im Gegenteil notwendig, mehr Transparenz bei der Offenlegung der Gehaltssumme zu fordern. Die Höhe der Managergehälter lässt sich schließlich nicht durch eine gesetzliche Bestimmung festlegen. Diese müsste sich an einem Maßstab orientieren, der erst noch zu finden wäre. Dabei müssten Moral und das Gesetz eine fixierende Rolle spielen. Aber woher können sich beide Instanzen ihren Maßstab beschaffen? Gleichsam auf deren anderen Seite der Entlohnungsskala steht der gesetzliche Mindestlohn. Mit dem Mindestlohn bezeichnet man ein durch ein Gesetz oder einen allgemeinen Tarifvertrag festgeschriebenes kleinstes Arbeitsentgelt. An ihn ist eine doppelte ökonomische Aussage zu binden. Denn zum einen vermittelt er eine makroökonomische Stabilität. Er gewährt ein Minimum an Kaufkraft. Zum anderen aber verhindert ein zu hoher Mindestlohn oftmals, dass billigere Arbeitskräfte eingestellt werden.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

Die Forderung nach Mindestlöhnen wird – nicht erst heute – als ein notwendiger Bestandteil der Menschenwürde bezeichnet. Man verweist darauf, dass der Mensch von seiner Arbeit leben können muss. Nach Adam Smith muss schließlich sein Lohn so hoch sein, dass er die Existenz des Menschen sichert. Vielfach wird in der deutschen Diskussion um einen Mindestlohn auf andere EU-Staaten verwiesen. Heute existieren in etwa 20 der 27 Ländern der EU Mindestlöhne. Aber es herrschen völlig unterschiedliche Bedingungen. Dänemark, Schweden oder Österreich haben keinen Mindestlohn. In anderen Ländern wie etwa in Großbritannien oder in den USA gibt es ein Mindesteinkommen. Hier wie dort erhalten nur 1,2 bzw. 1,4 Prozent der Beschäftigten den Mindestlohn. In den Niederlanden erhalten 2,1 Prozent der Arbeitnehmerschaft das Mindesteinkommen, mit Ausnahme von Jugendlichen im Alter von 22 bis 23 Jahren. Großbritannien und die Niederlande können wegen ihrer geringen Betroffenheit nicht als vergleichbare Beispiele herangezogen werden. In Deutschland würde heute ein Mindestlohn von 7,50 Euro etwa 8,2 Prozent der Beschäftigten erfassen. Frankreich nimmt eine besondere Spitzenstellung ein. Dort erhalten 15,6 Prozent der Beschäftigten ein Mindesteinkommen. Auch sind hier die Jugendlichen nicht ausgenommen. Zwar könnte man am ehesten also Frankreich als Vergleichsobjekt für Deutschland heranziehen. Aber gerade in diesem Land ist eine ausgesprochen starke Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen. Lange Zeit gab es in Deutschland keine Debatte um die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen. Das lag an dem hier vorherrschenden System der Tarifautonomie. Man meint, unter sozialen Gesichtspunkten müsste es einen allgemeingültigen und flächendeckenden Mindestlohn geben. Nur so könnte man unter sozialen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunktes für die Arbeitnehmer Gerechtigkeit erreichen.

II. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft

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Dabei gilt als das entscheidende Argument die Stärkung der Arbeitnehmer im sogenannten Niedriglohnsektor. Eine besondere Hoffnung gilt in der Frage der Einführung eines Mindestlohnes dem sogenannten Kombilohnmodell. Denn nach diesem Entlohnungsschemas sollen vor allem die Arbeitnehmer wieder einen Arbeitsplatz finden, die ohne staatliche Zusatzleistung nicht eingestellt würden. Denn kaum ein Arbeitnehmer wird eine Arbeit annehmen, deren Entlohnung unterhalb der staatlichen Transferleistung liegt. In dem gegenwärtig stark diskutierten Kombilohn-Modell subventioniert der Staat den vereinbarten Lohn. Diese Hilfe soll insbesondere den Langzeitarbeitslosen, den über fünfzig Jahre Alten, und den Arbeitnehmern unter fünfundzwanzig und ohne Ausbildung, zugute kommen. Der Einsatz für einen hohen Mindestlohn liegt in der Annahme, dass durch ihn wenigstens kein Arbeitnehmer ausgebeutet wird. Außerdem braucht der Staat keine Lohnsubventionen zu zahlen. Den Arbeitgebern ist es deshalb nicht möglich, staatliche Lohnsubventionen abzuschöpfen. Ein möglicher Verlust des Arbeitsplatzes könnte drohen, wenn der Lohn, also auch der Mindestlohn, zu stark steigt. Außerdem entstünde dann die Gefahr, dass aufgrund der Einführung von solchen Mindestlöhnen viele Menschen in die Schattenwirtschaft ausweichen. Die Schwarzarbeit hat in einer solchen Situation immer in einem erheblichen Ausmaß zugenommen. Gegen den Mindestlohn spricht ökonomisch, dass hohe Mindestlöhne gerade diejenigen Arbeitsuchenden vom Arbeitsmarkt ausschließen, deren Produktivität so gering ist, dass es sich nicht rechnet, sie einzustellen. Denn irgendwo auf der Welt lässt sich sicher maschinell oder durch ausländisches Humankapital billiger produzieren. Der Mindestlohn schützt diejenigen, die Arbeit besitzen, also die Insider. Aber sie machen es gerade den Outsidern, also den Arbeitslosen, schwerer, wieder Arbeit zu finden. Der Monopolist kann bei einem gesetzlichen Mindestlohn mehr Men-

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schen einstellen. Aber sicher nicht so viele, wie etwa in einer Konkurrenzsituation. Die Insider mögen dann mehr verdienen. Die Outsider aber werden arbeitslos. Führt man branchenspezifische Mindestlöhne ein, werden dadurch die ohnehin starken Unternehmen gestärkt. Für die Beschäftigten in den schwächeren Unternehmen könnte das dagegen den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten. Aus der Erfahrung ist ferner abzuleiten, dass nur ein kleiner Teil der Arbeitgeber bei einem Mindestlohn auf die Dauer seine Beschäftigten zu höheren Löhnen im Unternehmen hält. Die meisten Unternehmen werden ihre teueren Beschäftigten bei nächster Gelegenheit entlassen. Die Einführung des Mindestlohnes taugt dementsprechend für eine Armutsbekämpfung nicht. Die Armut wird bisher in Deutschland mit Recht durch die Sozialhilfe aufgefangen. Ob man darüber hinaus auch soziale Gerechtigkeit schaffen kann, hängt von der Definition dieses Begriffes ab.

III. Arbeit, Ruhe und Muße Gott ruhte nach seinem Schaffen von der Arbeit, so wird es in der Priesterschrift, dem ersten Schöpfungsbericht, erzählt (Gen.2,2). Vom Mensch wird gesagt, er habe die Herrschaft über die Erde angetreten (Gen.1,28). Der zweite Schöpfungsbericht (Jahwist) spricht zu Beginn in einer indirekten Weise von der Arbeit. Denn es heißt: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ (Gen.2, 15). Später wird dann – wieder durch den Jahwisten – gesagt, dass der Mensch im Zuge des Sündenfalls mit der Vertreibung aus dem Paradies die Arbeit als eine Strafe anzusehen habe. Denn er solle im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen (Gen. 3,19). Der Sabbat ist ein neues Schöpfungsgeschehen. Hier wird der Sabbat nicht als eine kultische Institution eingesetzt. Viel-

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mehr gilt: Die Ruhe ist vor dem Menschen da und sie ist unabhängig von ihm. „Diese Ruhe ist neben dem Schöpfungsvorgang in jeder Hinsicht etwas Neues und nicht einfach das negative Zeichen seines Endes32“. Ruhen heißt Absehen und Abstand nehmen von weiterer Arbeit. Ruhe ist gleichsam das Korrektiv zur Arbeit. Die Ruhe des Sabbats darf aber nicht verwechselt werden mit einem süßen Nichtstun, mit Trägheit oder Faulsein. Die Ruhe des Sabbats ist nämlich Gottesdienst. Die Arbeitsruhe ist ein Kulturgut der christlichen Gesellschaft geworden. Letztlich wurzelt sie in dem Lobpreis Gottes. In der Übernahme des Sabbats ist im Christentum der Tag der Auferstehung, also der Sonntag, das Gegenüber zum Arbeitstag geworden33. Freilich zeigt sich gerade heute die Suche nach Glück nicht in der Arbeit, sondern in dem Nichtstun34. Dennoch sollte daraus kein Verbot zu vieler verkaufsoffener Sonntage abgeleitet werden. Es geht vielmehr um die Suche nach Ruhe und Erholung, um Regeneration, wie sie vor allem in Verbindung mit der Institution des Sabbats gegeben ist. Qualitativ wird zwischen dem Feiertag und der Freizeit unterschieden. Mit aller Deutlichkeit wird von der Kirche davon gesprochen, dass der Feiertag ein Symbol dafür ist, dass auch die Wirtschaft von „Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht schaffen kann“35. Das gilt vor allem für die primären Lebensgemeinschaften, wie Familie, Freundschaften etc. Martin Luther hat in der täglichen Arbeit einen Gottesdienst gesehen. Für ihn ist auch die niedrigste körperliche Arbeit eine Pflicht. In seiner Erklärung zum Vierten Gebot im Großen Katechismus wird davon gesprochen, dass die tägliche Hausarbeit der Dienstmagd besser sei als alle Heiligkeit der Von Rad, Gerhard (1981), S. 48. Vgl. Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Gemeinwohl und Eigennutz, Gütersloh 1991, S. 88 ff. 34 Vgl. Kramer, Rolf, Gesellschaft im Wandel, Berlin 2007, S. 117. 35 EKD (1991), S. 91, n. 121. 32 33

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

Mönche und alles klösterliches Leben36. Schließlich heißt es dort, dass die Knechte und Mägde ihre Arbeit mit „Lust und Freude“ verrichten37. Auch die niedrigste Arbeit ist immerhin eine Pflicht. Denn der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen. Luther verwarf allerdings den Verdienstcharakter der Arbeit. Rechtfertigung geschieht allein aus Gnade. Aber Arbeit steht wie die Berufsausübung ebenfalls im Dienst Gottes und des Nächsten. Arbeit ist heute oftmals in einer doppelten Weise gekennzeichnet: Sie ist Last und Lust zugleich. Sie steht unter dem Anspruch der Bedürfnisbefriedigung der Lebensansprüche und will andererseits zugleich dem Menschen einen Lustgewinn vermitteln, der in der Selbstverwirklichung und in der sozialen Bindung mit anderen erlebt wird. Aber es stellt sich die Frage: Muss denn überhaupt jeder Mensch arbeiten? Immerhin wird Trägheit gemeinhin für das gemeinsame Leben als schädlich angesehen. Faulheit bedeutet Verschwendung von Lebenszeit. Gesellschaftlich darf dieses Nichtstun nicht verwechselt werden mit einem genussvollen und erholsamen Leben nach vollendeter Arbeit. Aber das Ruhen nach der Arbeit ist der Ausklang eines arbeitsreichen Tages, der Kraft für die nächste Arbeitszeit bringen soll. Denn das Recht auf Freizeit gehört heute zu einem menschenwürdigen Arbeiten hinzu. Außer hektischen Arbeitsphasen bedarf fast jeder Mensch ausgedehnter Ruhezeiten. Allerdings ist mit Untätigkeit nicht Faulheit gemeint. Der Faule hofft meistens darauf, die Existenzgrundlage auf Kosten der Allgemeinheit zu erhalten. Ein „Recht auf Faulheit“, wie es der Schwiegersohn von Karl Marx für sich gefordert hat, setzt letztlich auf staatliche, sprich gesellschaftliche Hilfe. Vgl. Die Bekenntnisschriften der ev.-luth. Kirche Göttingen 21952, S. 598. 37 Die Bekenntnisschriften (21952), S. 597. 36

III. Arbeit, Ruhe und Muße

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Der physische Lebensunterhalt ist keineswegs immer der Zweck der Arbeit, wie man an dem Vorhandensein unterschiedlicher Berufe der Künstler und Wissenschaftler ablesen kann, die sich keineswegs in erster Linie diesem Zweck der Arbeit zugewandt haben38. Ein Nichtstun kann aus mehreren Gründen erfolgen: – Aus der Muße heraus. Sie gilt als eine kreative Zeit, die der Entspannung oder Erholung dient. Sie wird durchaus heute akzeptiert, weil sie der Selbstbesinnung und der Selbstfindung dient. Dennoch bleibt als oberstes Prinzip die Arbeit und das Arbeitsethos. Immerhin hat der Apostel Paulus eindeutig Stellung bezogen, indem er formulierte: ¹Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essenª (2. Thess. 3,10: eÌ tis ou thlei, erg—dzesthai med  esthito). Danach ist fçr ihn der Hunger eine Folge des Mçûigganges. Paulus schårft auf diese Weise den Christen die Arbeitspflicht ein. – Aus einer Erbschaft oder einem Mäzenatentum heraus.

Muss auch derjenige arbeiten, dessen finanzielle Mittel ausreichen, um ihm eine Arbeits-Mühsal zu ersparen? Wer ein materiell besonders gut ausgestattetes Erbe antritt, muss kein Arbeitseinkommen verdienen. So konnte zum Beispiel schon Arthur Schopenhauer eine Anstellung zum Verdienst ablehnen, weil er aufgrund eines entsprechend ausgestatteten Erbes keinem Broterwerb nachgehen musste. Er bedurfte weder einer staatlichen Unterstützung noch der Hilfe Dritter. Das väterliche Erbe reichte ihm. Der Erbe und auch vom Mäzen unterstützte Künstler oder Wissenschaftler beziehen zwar kein arbeitloses Einkommen. Aber sie verdienen nicht direkt ihren Lebensunterhalt durch ihre Arbeit. Das eingesetzte Kapital mag sich freilich in der Zukunft verzinsen und damit gewisse materielle Erträge abwerfen. Es kann aber auch in einen entsprechenden Fonds zurückfließen. 38 Vgl. Thielicke, Helmut, Theologische Ethik II, 1, Tübingen 1952, S. 424.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

Darum ist kaum ein ernsthafter Einwand zu erheben, wenn etwa ein Künstler oder ein Forscher mit Hilfe eines Sponsors oder Mäzens seinen Lebensunterhalt nicht selbst erwirtschaftet. Beide arbeiten und erstellen nämlich mindestens ein „Arbeits-Äquivalent“ für die Arbeit, durch die sonst der Lebensunterhalt erwirtschaftet wird39. Weder im Falle des Mäzenatentums noch in dem des ererbten Vermögens ist von einer unsittlichen Haltung zu sprechen. Der Reiche muss sich keineswegs um Arbeit bemühen. Er muss auch nicht direkt in einer Arbeit stehen. Er braucht durchaus nicht als Person engagiert und auch nicht mit seinem Herzen bei der ,Arbeit‘ zu sein40. Wer ein arbeitsloses Einkommen bezieht, braucht auch nicht bereit zu sein, pflichtgemäß irgendwelche Ehrenämter oder gesellschaftlichen Dienste zu übernehmen. Letztere werden heute gerade von den Nichtreichen, sondern vielmehr von Engagierten eingenommen. Aus dem Neuen Testament her lässt sich dagegen über den Reichtum sagen, entsprechend der Mahnung des Apostel Paulus an Timotheus: „Den Reichen in dieser Welt gebiete, dass sie nicht stolz seien, auch nicht hoffen auf den unsicheren Reichtum, sondern auf Gott, der uns alles reichlich darbietet, es zu genießen; dass sie Gutes tun, reich werden an guten Werken, gerne geben, behilflich seien, sich selbst einen Schatz sammeln als guten Grund für die Zukunft, damit sie das wahre Leben ergreifen“. (1.Tim.6,17f.).

Der Reichtum besitzt keinen eigenen Wert. Man darf sich nicht auf ihn verlassen. Der Umgang mit ihm gestaltet sich nach dem Neues Testament so, dass man ihn als eine anvertraute Gabe anzusehen hat, die zum Nutzen der Menschen ihre Anwendung finden muss. Wie man mit dem Reichtum umgeht, hängt von der Situation und den Umständen ab. Es 39 Vgl. Thielicke, Helmut, Theologische Ethik II, 1, Tübingen 1952, S. 431. 40 Anders Thielicke, Helmut (1952), S. 431.

IV. Vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unternehmenskultur 197

gibt keine andere Regel als die, dass er seinen Wert allein aus seiner Anwendung für den Nächsten erhält.

IV. Vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unternehmenskultur In der Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts entstand das Interesse an der Unternehmenskultur41. Diese ist eingebunden in das gesellschaftliche System. Die Kultur eines Unternehmens kann die ganze Organisationsstruktur eines Unternehmens umfassen. Die Unternehmenskultur wird als ein Sozialsystem verstanden, dessen einzelne Glieder Teile der ganzen Ordnung, die sich besonders an Normen und Werten orientieren, sind. Darum gibt es auch unterschiedliche Kulturen. Ihre Formen sind vor allem mit der jeweiligen Führungsstruktur und mit der Mitarbeitermotivation verbunden. Eine positiv ausgeprägte Kultur in einem Unternehmen mit entsprechenden Strukturen führt zu einer erhöhten Arbeitsmotivation und zu einer erhöhten Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen. Als Unternehmenskultur sind vor allem solche grundlegenden Überzeugungen zu verstehen, „die das Denken, Handeln und Empfinden der Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen maßgeblich beeinflussen und die insgesamt typisch für das Unternehmen oder eine Gruppe im Unternehmen sind. Insbesondere im Unternehmen mit internationalen Produktions- und Dienstleistungsstandorten gewinnt eine in allen Firmenteilen gleichermaßen angewandte Unternehmenskultur zunehmend an Bedeutung“42. Diese Unternehmenskultur äußert sich in unterschiedlichen Einstellungen und Gewohnheiten des Unternehmens. Eine 41 Vgl. Kramer, Rolf, Das Unternehmen zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit, Berlin 2002, S. 72 ff. 42 Evangelischen Kirche in Deutschland, Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive, Gçtersloh 2008, n. 22, S. 31.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

durchgängige und intakte Unternehmenskultur führt zur Erhöhung der Arbeitsmotivation. Denn sie verhilft den Mitarbeitern dazu, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren43. Zur Zielsetzung einer Unternehmenskultur gehören heute mindestens diese drei Orientierungsrichtlinien, die unmittelbar miteinander zu verbinden sind: Zweck des Unternehmens, Kundenorientierung und Zufriedenheit der Mitarbeiter. Darum muss eine Unternehmenskultur vor allem darauf aus sein, den Prozess der Information und Kommunikation zu optimieren. Sollte es sich als notwendig erweisen, dass sich die Unternehmenskultur aus bestimmten Gründen verändern muss, haben sich vor allem lieb gewordene Einstellungen und Gewohnheiten von Mitarbeitern zu verbessern. Änderungen der Unternehmenskultur brauchen meistens viel Zeit. Die Gründe für eine Veränderung der Unternehmenskultur könnten darin bestehen, dass sich die Kundenstruktur ändert, Umsatzeinbußen zu verzeichnen sind, die Unternehmensstruktur in eine Schieflage geraten ist oder auch die Zielsetzungen des Unternehmens sich gewandelt haben. Aber es können sich selbstverständlich in der Kultur des Unternehmens selbst oder bei den Mitarbeitern Fehlentwicklungen eingestellt haben. Die Kultur-Grundlage basiert auf den theoretischen Ansätzen der Kulturwissenschaft. Das ist auch der Grund, warum es unterschiedliche Unternehmenskulturen gibt, die mehr oder weniger miteinander in Verbindung stehen44. Sie können aber auch miteinander konkurrieren oder sich überlappen. Eine ausgeprägte und gut ausgebaute Unternehmenskultur ist meistens mit einem wirtschaftlichen Erfolg in einem Unternehmen verknüpft. Wer im Betrieb führen will, will mit Hilfe anderer Menschen bestimmte Ziele für das Unternehmen erwirken und eiVgl. Kramer, Rolf (2002), S. 77. Vgl. Kramer, Rolf, Das Unternehmen zwischen Globalisierung und Nachhaltigkeit, Berlin 2002, S. 72 ff. 43 44

IV. Vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unternehmenskultur 199

nen Gewinn erlangen. Das Unternehmen ist schließlich keine karitative Einrichtung. Sein Ziel ist, Gewinne zu erwirtschaften45. Dabei ist es selbstverständlich nötig, gut und haushälterisch mit den eigenen Kräften umzugehen. Die Anforderungen an Führungskräfte sind hoch. Wer als Führungskraft aus sich heraus Zufriedenheit ausstrahlt, wird es leichter haben, seine Mitarbeiter zu motivieren. Wo gegenüber dem Vorgesetzten Unzufriedenheit herrscht, ist auch die Fähigkeit, das gesetzte Ziel zu erreichen, eingeschränkt. Viele gut geführte Unternehmen leben aus einer angstfreien Partnerschaft. Aber nicht nur um den Schutz vor Raubbau eigener Kräfte der Eigentümer oder Verantwortlichen geht es, sondern auch um das Ernst-Nehmen der anderen Menschen in ihrer Eigenart und ihrem Verhalten. Dabei darf nicht eine Mentalität: ,Wie Du mir, so ich Dir‘ bestimmend sein. Es gilt nämlich, nicht nur auf das Was, sondern auch auf das Wie der zwischenmenschlichen Beziehung zu achten. Bei der Analyse von Führungsqualitäten muss auf die unterschiedlichen Komponenten des Denkens (Kopf), des Gefühls (Bauch) und der erlernten Fertigkeiten (Hand) geschaut werden. Dabei steht das Denken dafçr, dass der Mitarbeiter die richtige Aufgabe gemåû seiner Ausbildung und seines Kænnens erhålt. Er muss klar in seinem Aufgabenbereich erkennen kænnen, fçr welches Ganze er seine Tåtigkeit ausçbt. Darum gilt es, zwischen der Sach- und der Gefühlsebene zu unterscheiden. Bei einer Fehleranalyse ist zu bedenken, dass zwar die gemachten Fehler moniert werden, der Mitarbeiter selbst aber nicht in Misskredit gebracht wird. Wenn allerdings die Gefühlsebene nicht mehr stimmt, sind viele Arten von Reaktionen denkbar. Bei den notwendigen Rçckwirkungen sollte vom Vorgesetzten nicht die Gefçhlsebene angesprochen und damit die ganze Person infrage ge45

Vgl. EKD (2008), n. 29, S. 40.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

stellt werden. Denn Kritik ist allein auf der Sachebene auszusprechen. In jedem Fall muss die Freiheit der Meinung des anderen gewahrt bleiben. Wichtig ist, dass die Wirklichkeit in ihrer ganzen Pluralitåt gesehen wird. Denn schlieûlich gibt es nicht nur die eine Realitåt, sondern es existieren immer mehrere Sichten von der Wirklichkeit. Auch sollte das handwerkliche Können Berücksichtigung finden. Müssen handwerkliche Fertigkeiten und Fåhigkeiten eingesetzt werden, sollten diese Mæglichkeiten mit dem Mitarbeiter erærtert und ihm nahegebracht werden. Den Mitarbeitern werden Ziele gesetzt und Anweisungen bzw. Beschränkungen auferlegt. Nach diesen haben sie sich zu richten. Führungsverantwortung, Führungsstile, Führungsinhalte werden besonders durch die Unternehmenskultur geprägt. Darum wird an ihr sichtbar, wie man in ihr mit den Mitarbeitern umgeht. Organisationen entwickeln ihre eigenen Abläufe. Ferner entwickeln sie ihre eigene Kultur. Unternehmensbezogene ethischen Entscheidungen werden immer dann am stärksten verwirklicht, wenn es auch die Struktur erlaubt. Beim Führen von Mitarbeitern im Unternehmen kommt es nicht auf das Beschäftigt-Sein oder das Spaß-Haben an, sondern allein auf das Erzielen von Resultaten. Man erbringt eine Leistung, und will dann auch an dieser Leistung gemessen werden. Die Tätigkeit geschieht meistens in Verbindung mit anderen Menschen, die einem anvertraut sind oder als Kollegen zur Seite stehen. Entscheidende Elemente einer zukünftigen Unternehmenskultur sind Veränderungsbereitschaft und Lernfähigkeit sowohl der Organisation als auch der Mitarbeiter. Eine Unternehmenskultur muss sich letztlich auch in dem Verhältnis von Arbeitnehmervertretung und Unternehmensführung beweisen. Schließlich basieren nahezu alle Beziehungen im Unternehmen auf Vertrauen. Ohne einen Vertrauensvorschuss, den man sich wechselseitig gewährt, würde eine Zusammenarbeit schwieriger, zeitaufwendiger und damit kostenträchtiger sein. Nur mit ihm kann wirtschaftlich nachhaltig

IV. Vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unternehmenskultur 201

gestaltet werden. Vertrauen ist immer mit einem bestimmten Maß an Freiheit, die man selbst für sich beansprucht und dem anderen gewährt, verbunden. Das Vertrauen zum Mitarbeiter und zu seinen Fähigkeiten ist die Grundlage der Motivation. Um Vertrauen zu erlangen, muss der Führende berechenbar sein und sich als wahrhaftig erzeigen. Ohne Vertrauen führt letztlich keine Mitarbeitermotivation zum gemeinsamen Ziel. Wer mit seinen Mitarbeitern einen hohen betrieblichen Erfolg erzielen will, muss die ihm Anvertrauten genau beobachten und ihre Stärken und Schwächen berücksichtigen. Gerade um ihnen über ihre Schwächen hinweg zu helfen, ist es nötig, die Mitarbeiter recht genau zu beobachten, um auf sie eingehen zu können. Sich selbst im positiven Sinne zu beeinflussen, hilft auch, dem anderen Kraft zu spenden. Positiv denken, heißt nicht nur, die Probleme des Unternehmens anzugehen, sondern vor allem sich selbst zu Leistungen zu stimulieren. Dabei ist es notwendig, auf die eigenen Fähigkeiten, Willenskraft und Ausdauer zu vertrauen46. Beim Führen sollen Energien und Kräfte freigesetzt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Das freilich geht nur bei einer Anerkennung einer allgemeinen Meinungsfreiheit. Allein durch das eigene Können Erfolge zu erreichen, gelingt recht selten. Man ist nicht allein im Betrieb tätig, sondern fast immer sind andere Menschen mit am Erfolg beteiligt. Aufgabe des Führenden ist es, sich bei der Unterscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen einer richtigen, und damit einer vernünftigen Zeiteinteilung zu befleißigen, die allen im Unternehmen dient. Die Erfüllung seiner Aufgabe muss zugleich den Mitarbeiter gefühlsmäßig stark ausfüllen, ihn motivieren und ihn in Begeisterung versetzen, auch wenn er möglicherweise eine Zeit lang eine unterbewertete Tätigkeit ausüben muss. 46 Vgl. dazu Malik, Fredmund, Führen, Leisten, Leben, Stuttgart, München 32000, S. 65 ff.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

Letztendlich wird der Mitarbeiter selbst die Frage stellen, in welcher Zusammensetzung die einzelnen Komponenten Berücksichtigung finden sollen, wenn es um seine Arbeitszufriedenheit oder um einen Wechsel des Arbeitsplatzes geht.

V. Unternehmenspolitik und Unternehmensverantwortung Unternehmensverfassung ist die Gesamtheit der langfristig im Unternehmen geltenden Regeln. Selbstverständnis und Zwecksetzung des Unternehmens werden durch sie bestimmt. Um die unternehmerischen Aktivitäten auf die Unternehmensziele auszurichten, benötigt das Unternehmen eine innere Ordnung. Dazu dient die Unternehmensverfassung. Mit ihr werden die Verantwortlichkeiten und damit die Entscheidungs- und Kontrollrechte festgelegt. Gleichzeitig gibt sie die Unternehmenspolitik an. Die Unternehmensverfassung legt fest, wie und wodurch die Unternehmenspolitik bestimmt wird. Sie weist auch die Befugnisse und Kompetenzen zu und legt Rechte und Pflichten fest. Die Unternehmenspolitik bestimmt die Leistungsbereiche, die Unternehmensziele und auch die Verhaltensgrundsätze gegenüber den maßgeblichen Anspruchspartnern. Die Interessenkonflikte nach innen und außen werden geregelt. Das Unternehmen steht dabei unter der besonderen Verantwortung gegenüber den shareholdern, also den Eigentümern, und den stakeholdern und damit gegenüber den anderen Gruppen des Unternehmens. Das sind vor allem die Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten oder Banken. Die Unternehmenspolitik regelt die Rahmenbedingungen und die Leitlinien des Unternehmens unter Berücksichtigung der Ansprüche gegenüber den beiden unternehmensbezogenen und den anderen Interessengruppen, wie Staat und den Gewerkschaften. Was unter der Unternehmensverantwortung zu verstehen ist, lässt sich an dem englischen Begriff Corporate Social Re-

V. Unternehmenspolitik und Unternehmensverantwortung

203

sponsibility ablesen. Dabei geht es um die gesellschaftliche und ökologische Verantwortung von Unternehmen47. Man spricht auch von der Corporate Citizenship und meint damit das bürgerliche Engagement der Unternehmen, die sich zum einen ihrer eigentlichen unternehmerischen Tätigkeit hingeben, zum anderen sich aber auch der Zivilgesellschaft verpflichtet fühlen und damit außer ihrer eigentlichen Geschäftigkeit ökologische, wissenschaftliche oder kulturelle und andere zivile Verantwortungen übernehmen. Aus ethischer Sicht steht die Unternehmensverantwortung unter zwei besonderen Aspekten: Die für das Unternehmen wichtigste ökonomische Zielsetzung ist das Streben nach einer Gewinnsteigerung oder einer Gewinnmaximierung. Selbstverständlich sind die Unternehmen grundsätzlich am Gewinn orientiert. Sie müssen Gewinn erzielen, um überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie streben auch nach einer ständigen Steigerung des Gewinns. Die Eigentümer wollen mit höheren Gewinnen zufriedengestellt werden. Aber es gibt Grenzen einer solchen Gewinnsteigerung. Die sind mindestens immer dort, wo sie unrechtmäßig erzielt werden. Milton Friedman hat allerdings hier einen besonderen Akzent gesetzt. Er hat ausdrücklich die Gewinnsteigerung als eine Gestaltung der Unternehmensverantwortung klassifiziert. Friedman setzt sich für eine Unternehmensverantwortung ein, in denen die institutionellen Rahmenbedingungen, wie Eigentumsordnung, Marktwirtschaft und Wettbewerb etc. berücksichtigt werden. Die Manager, die die Unternehmensentscheidungen treffen, haben diese zu Gunsten der Eigentümer zu treffen48. Denn diese haben einen berechtigten Anspruch auf hohe Gewinne. Es entspricht nämlich nicht der marktwirtschaftlichen Ordnung, mit den anvertrauten Geldern soziale Probleme zu lösen. Unternehmerisches Handeln besteht nicht 47 Vgl. Hierzu speziell: Suchanek, Andreas, Ökonomische Ethik, Tübingen 22007 S. 124 ff. 48 Vgl. Suchanek, Andreas (22007), S. 126.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

in der Ausführung von Wohltätigkeit. Es muss in jedem Fall um Gewinnerzielung gehen. Auftretende Widersprüche zwischen Moral und Gewinnerzielung sind keineswegs ein Einwand gegen das marktwirtschaftliche System, sondern vielmehr eine Aufgabe, der sich die Marktwirtschaft zu stellen hat und die sie besser als andere Systeme lösen kann. Allerdings ist diese soziale Verantwortung der Unternehmen keine einmalige Verpflichtung, sondern ein gängiger und immer wiederkehrender Prozess. Man spricht gar davon, dass das moralische Engagement der Coporate Citizens „keine vorübergehende Modeerscheinung, sondern ein integrativer Bestandteil einer Unternehmensstrategie für nachhaltigen Erfolg“ sei49. Unter diesem Gesichtspunkt erhofft man sich mit Hilfe der Corporate Citizenship eine bessere Lösung von sozialen Dilemmatastrukturen in der Marktwirtschaft. Blickt man auf den anderen Inhalt der ethischen Verantwortung in einem Unternehmen, geht es nicht einfach um die unternehmerische Wohltätigkeit. Vielmehr steht dann im Mittelpunkt der Unternehmensverantwortung das soziale und / oder ökologische Engagement. Dabei ist im eigentlichen Sinn nicht so sehr von einer wirtschaftlichen, sondern eher von einer außerökonomischen Zielsetzung zu sprechen. Im sozialen Bereich geht es also um die Verwendung von Ûberschçssen. Sofern es um die spezielle Unternehmensverantwortung geht, liegt der Schwerpunkt nicht nur auf der Erzielung des Gewinns, sondern auch auf seiner Verwendung. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit das Unternehmen auf eine solche Verantwortung fixiert werden kann50. Denn es gibt Grenzen fçr die soziale Tåtigkeit der Unternehmen. Eine solches soziales Konzept von Verantwortung kann letztlich nur in der Art und Weise eines zusåtzlichen Ziels hinzugefçgt, aber nicht aus sich heraus gefordert werden. 49 Pies, Ingo, Moral als Produktionsfaktor, in: die bank, Nr. 4 2008, S. 20. 50 Vgl. Suchanek, Andreas (22007), S. 125 f.

VI. Wirtschaftliches Handeln und Umweltschutz

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Als geschichtliche Beispiele können im Zusammenhang einer Entfaltung der mit der Moral verbundenen Produktivität genannt werden: – die Einführung der betrieblichen Krankenkasse bei Krupp im Jahr 1853. Lange vor Bismarcks Sozialgesetzgebung ließ Krupp gleichsam als ,politischer‘ Unternehmer durch die private Bereitstellung von öffentlichen Gütern die Motivation und damit die Produktivität anwachsen. – die Verdoppelung des Stundenlohnes bei den Ford-Werken im Jahr 1914. Dadurch konnte die Fluktuation der Arbeiterschaft begrenzt und die neue Technologie des Fließbandes recht genutzt werden. – die Gründung der Grameen Bank (ländliche Bank) 1983 durch Mohamed Yunus, der im Jahr 2006 für die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen den Friedensnobelpreis erhielt. Der Genossenschaftsgedanke des 19. Jahrhundert wurde auf die Vergabe von Mikrokrediten in den Entwicklungsländern übertragen. Nach seiner Idee werden ohne klassische Sicherheiten Kredite an Kleinstunternehmer vergeben. Auch Menschen ohne Sicherheiten erhalten Mikrokredite. Man hofft so, die Armut der Bevölkerung insgesamt zu lindern51.

Anhand der aufgezählten Beispiele ist deutlich zu erkennen, dass sich auch moralische Entscheidungen durchaus in Unternehmen als Produktionsfaktoren einsetzen lassen.

VI. Wirtschaftliches Handeln und Umweltschutz Mit dem Begriff der Umwelt werden alle Bereiche, die unterschiedliche Komplexe wie Luft, Wasser und Land betreffen, erfasst. Aber es geht in unserem Zusammenhang besonders um den Boden, die Pflanzen- und Tierwelt und auch um das Zusammenleben von Mensch, Tier- und Pflanzenwelt und die 51 Vgl. Pies, Ingo, Moral als Produktionsfaktor, in: die bank, Nr. 4 2008, S. 18 ff.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

dafür maßgeblichen Faktoren. Für den Bereich der menschlichen Existenz können ebenfalls die physischen, psychischen, technischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen genannt werden52. Die christliche Sicht erkennt die Umwelt nur als eine vom Schöpfer geschaffene an. Die Verantwortung des Menschen für die Umwelt bedeutet, dass er das Eigenständige der ihm als Gottes Schöpfungswerk übertragenen Natur wahrnimmt. Dabei geht es um die Reihenfolge: Mensch – Tier – Pflanze – Erde. Für den Christen sind die Verantwortungsbereiche für die Schöpfung eindeutig geregelt. In letzter Konsequenz ist der Mensch allein seinem Schöpfer gegenüber verantwortlich. Aber ob das jeder Mensch so sieht? Es sollte heute für jeden Menschen allerdings einsichtig sein, dass die Erde als bedrohte Lebensgrundlage des Menschseins gilt. Kaum ein anderer Bereich wirkt sich so einschneidend auf die Umwelt aus wie die Wirtschaft. Darum war es richtig, dass die Soziale Marktwirtschaft schon sehr früh um ökologische Komponenten erweitert wurde. Wie erwähnt, hatte MüllerArmack bereits für die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft den Umweltschutz als eine der zu verwirklichenden Maßnahmen genannt53. Die Erhaltung der natürlichen Umwelt muss heute mehr denn je in der Sozialen Marktwirtschaft als eines der Ziele neben den anderen wie Geldwertstabilität, Wirtschaftswachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und nach Maßgabe die Vollbeschäftigung genannt werden. Weltweit leben zwar immer mehr Menschen auf diesem Planeten; aber die vorhandenen Rohstoffe werden gleichzeitig immer knapper. Dagegen steigen die Produktion und der Konsum insgesamt. Die Gefahr eines Kollaps durch den Um52 Vgl. Wicke, Lutz, Umweltökonomie und Umweltpolitik, München 1991, S. 6 f. 53 Vgl. Müller-Armack, Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, in: Ausgewählte Werke (Hrsg. Ernst Dürr u. a.) Bern und Stuttgart 21981, S. 310. Vgl. Kramer, Rolf (1998), S. 16 und S. 89 f. Vgl. oben S. 171 ff.

VI. Wirtschaftliches Handeln und Umweltschutz

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gang der Menschen mit der Ressource Erde und ihren Rohstoffen ist relativ hoch. Zumal mit vollem Recht auch die Länder, deren technische und industrielle Entwicklungen noch nicht so weit fortgeschritten sind wie in den Industrieländern, an diesem Wachstum teilhaben wollen. Man kennt zwar in diesen Ländern durchaus die Gefahr einer Rohstoffverknappung, aber will wie die anderen industriell entwickelten Völker an der Fülle der Güter teilhaben. Die Forderung nach einem Wohlstand für alle Menschen wird gemeinhin mit gutem Recht erhoben. Die Menschheit steckt in einem Zwiespalt zwischen dem Wunsch nach Fortschritt und einer Bedrohung durch den erhöhten Verbrauch der Ressourcen auf dieser Welt. Der Mensch muss einsehen lernen, dass er trotz allen technischen Fortschritts darauf angewiesen ist, in einer intakten Landschaft mit gesundem Trinkwasser und reiner Luft zu leben. Darum gewinnt immer stärker der Natur- und Landschaftsschutz an Bedeutung. Von vielen Völkern und Staaten wird gefordert, die verantwortlichen wirtschaftlichen Unternehmen und Manager sollen die Belastungen der Welt möglichst klein halten und vor allem den Umweltschutz weitestgehend beachten. Land, Wasser und Luft sind in Gefahr, nachhaltig verunreinigt zu werden. Darum ist, wie bereits ausgeführt, eine Nachhaltigkeit aller Maßnahmen gefragt. Denn auch die nachfolgenden Generationen sollen noch in gleicher Weise von den vorhandenen Ressourcen leben können. Die Ökonomie bleibt dabei der Ökologie verpflichtet und darf nicht mehr wie bisher gleichsam aus dem Vollen schöpfen. Beide, Ökonomie und Ökologie, stehen unter dem Anspruch eines sustainable development, also unter der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung54. Die hier angesprochenen ökonomischen und sozialen Aspekte werden durch das Retinitätsprinzip (vom lat. rete = Netz) miteinander 54

s. oben Kap. 2.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

verknüpft. Der Mensch kann seiner Verantwortung nur gerecht werden, wenn er in Form einer Gesamtvernetzung alle seine Tätigkeiten und Produkte mit der Natur zum Handlungsprinzip macht. Der wirtschaftliche Wettbewerb ist die Antriebskraft für das Unternehmen bzw. den Unternehmer, neue Produkte zu schaffen bzw. die bereits auf den Markt befindlichen Güter zu verbessern. Ob das immer zu Gunsten des Umweltschutzes geschieht, ist fraglich, auch wenn – mindestens in Westeuropa – die Bevölkerung heute hinsichtlich des Umweltschutzes stark sensibilisiert ist und nicht mehr unbedingt alle Güter – ob umweltschädlich oder umweltfreundlich – kauft. Letztlich dürfte nicht der Unternehmer benachteiligt werden, der sich dem Umweltschutz zuwendet und dadurch eventuell im Preis höher liegt als der Umweltsünder. Hier könnten die sogenannten Rahmenbedingungen nach dem Nash-Gleichgewicht Abhilfe schaffen55. Damit wird die Situation beschrieben, in der keiner der Wettbewerber einen Anreiz verspürt, von der Gleichgewichtssituation abzuweichen. Bei dem Nash-Gleichgewicht handelt es sich um einen zentralen mathematischen Begriff aus der Null-Summen-Spieltheorie. Es beschreibt eine Spielsituation, in der keiner der Spieler einen Vorteil erzielt. Also keiner der am Prozess Beteiligten kann sich verbessern. Würde das einzelne Unternehmen in der Marktwirtschaft seinen Preis senken, käme es in die Zone der Unwirtschaftlichkeit. Würde es seinen Preis erhöhen, würden die Kunden auf die Konkurrenzprodukte ausweichen. Würde man in der Situation stehen, in der etwa alle Konkurrenten bereits ihre Preise bis an den Rand der Wirtschaftlichkeit gesenkt haben, kann ein Ausweg nur darin bestehen, dass ein Unternehmen beinahe gleichzeitig mit seinem Konkurrenten eine Produktinnovation einführt, um so einen höheren Preis zu erwirtschaften56. 55 John Forbes Nash jr. erhielt zusammen mit John Harsanyi und Reinhard Selten 1994 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

VI. Wirtschaftliches Handeln und Umweltschutz

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Trotzdem bleibt es fraglich, ob das Konkurrenz-System eine Sicherheit gibt, dass der Unternehmer davon profitiert, wenn er auf den Umweltschutz eingeht. Hier muss der Staat daran mitwirken, dass das Umweltbewusstsein der Konsumenten wächst. Ebenso sind von seiner Seite aus entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Umweltschutz Rechnung tragen. Es gibt letztlich kein Wirtschaftswachstum, das nicht zugleich auch eine Beanspruchung der Umwelt impliziert. Sicher wird man allgemein versuchen, diese Beanspruchung so niedrig wie nur möglich zu halten. Aber andererseits lassen sich nur mit einem entsprechenden Wachstums die Kosten des Umweltschutzes tragen. Die Frage, ob man auf ein reales und stetiges Wirtschaftswachstum als eine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes zu Gunsten eines Umweltschutzes verzichten muss, ist letztlich müßig. Denn würde man auf kein oder nur auf ein geringes Wachstum setzen, würde das letztlich nur eine Minderung des allgemeinen materiellen Lebensstandards bedeuten. Es könnte zu einer Einschränkung des Arbeitsplatzangebots und einer Begrenzung des allgemeinen Wohlstands führen. Solange die natürlichen Rohstoffe kostenlos sind oder einen niedrigen Preis haben, werden die Unternehmen unter Schonung von Ressourcen weder Kosten sparen noch wirtschaftliche Erfolge erzielen. Umweltschutz hat erst dann eine Chance, wenn durch ihn Marktchancen verwirklicht werden können. Hierbei könnten die Unternehmen selbst ihren Bei56 Ein Beispiel für ein Nash-Gleichgewicht ist das Gefangenendilemma. Danach werden zwei Gefangene verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Die Höchststrafe dafür beträgt fünf Jahre. Beiden Gefangenen wird nunmehr ein Handel angeboten. Darüber werden beide informiert. Gesteht der eine und belastet den anderen, kommt er zwar frei, aber der andere erhält fünf Jahre. Schweigen beide, kommt es zu einem Indizienprozess, und beide erhalten je zwei Jahre. Gestehen beide, erhalten sie jeweils vier Jahre Gefängnis. Die Gefangenen werden unabhängig von einander gefragt, ohne dass sie sich verständigen können. Die beste Lösung ist, wenn jeder Gefangene gesteht.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

trag leisten, wenn sie sich durch Selbstverpflichtung zu gewissen ökologischen Standards und entsprechender Nachhaltigkeit ihrer Maßnahmen verpflichteten57 Alle Umweltzielsetzungen stehen in Konkurrenz zu der Forderung, dass Arbeitsplätze zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geschaffen werden, während der Schutz der Umwelt vernachlässigt wird. Es stellt sich darum die Frage, ob die wirtschaftlichen Entscheidungen immer zu Gunsten der Ökonomie und zu Lasten des Umweltschutzes getroffen werden müssen, nur um Arbeitsplätze zu erhalten oder zu gewinnen58? Bereits 1985 haben die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz davon gesprochen, dass in der Wirtschaft und in der Politik eine Aufgabenorientierung notwendig ist, die zu neuen Rahmendaten führt, so dass der Eigenwert der Natur zu ihrem Recht kommt. Dazu muss eine Begrenzung der Nutzungsansprüche an die Natur durch den Menschen kommen. Durch sie sollte eine „gerechte Teilhabe“ aller Menschen an Gütern der Natur erreicht werden59.

VII. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer Seit 1990 ist der Welthandel stark gewachsen. Das gilt sowohl hinsichtlich seines Volumens als auch der geographischen Ausdehnung. Es ist außerdem ein Strukturwandel in der wirtschaftlichen Entwicklung eingetreten. Die Ausdehnung der Telekommunikation und die technische Fortentwicklung des Transportwesens sind maßgeblich daran beteiligt. Der alte Nord-Süd-Handel ist nicht mehr einseitig auf die Lieferung 57 Pies, Ingo, Moral als Produktionsfaktor, in: die bank, Nr. 4 2008, S. 19 f. 58 Vgl. Kramer, Rolf (2002), S. 57. 59 EKD und Deutsche Bischofskonferenz, Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Gütersloh 1985, n. 88, S. 49.

VII. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer 211

von Industrieprodukten durch die entwickelten Länder und auf den Export von Rohstoffen durch die Entwicklungsländer ausgerichtet. Denn auch diese sind heute in der Lage, industrielle Produkte oder Dienstleistungen zu erbringen. Dadurch und durch die Lohnkostensituation in den Industrieländern hat sich eine Verlagerung von Arbeitsplätzen weg von den Industrieländer hin zu Entwicklungsländern im Süden und Osten ergeben. In einer Studie der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“, die von der Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz herausgegeben wurde, ging man der ethischen Bewertung einer Verlagerung von Arbeitsplätzen in die Niedriglohnländer nach. Die Verlagerung von Dienstleistungen (z. B. Finanz- oder Logistikdienstleistungen) und Produktionen ins Ausland bringt zwar in vielen Fällen einen Verlust von Arbeitsplätzen in den Industrieländern mit sich, erzielt aber gleichzeitig eine höhere Beschäftigtenzahl in den Entwicklungsländern. Es geht in dieser Studie vor allem um Entwicklungs- und Transnationale Unternehmen (TNU) und dabei im Besonderen um ihre sogenannten Offshoring-Aktivitäten. Dieser Begriffsbildung liegt dem englischen Wort offshore der Begriff „vor der Küste liegend“ oder „grenzüberschreitend“ zugrunde60. Unter einer derartigen Aktivität wird die Strategie der TNU verstanden, „ihre Wertschöpfungsketten in einzelne Produktionsschritte oder Teildienstleistungen zu zerlegen und diese grenzüberschreitend zu verlagern“61. Diese Vorgehensweise ist einerseits möglich durch „eigenständige Zuliefer- oder Dienstleistungsunternehmen in anderen Ländern“ und zum anderen durch Direktinvestitionen im Ausland62. Aber die neu entstan60 Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltliche Aufgaben der Deutschenbischofskonferenz, Verlagerung von Arbeitsplätzen – Entwicklungschancen und Menschenwürde, Bonn, März 2008, S. 16. 61 Deutsche Bischofskonferenz, Pressemitteilung zur „Verlagerung von Arbeitsplätzen vom 17.04. 2008, S. 1. 62 Ebenda.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

denen Arbeitplätzen müssen selbstverständlich gewisse Bedingungen erfüllen. Sie müssen Mindestanforderungen genügen, sich nach den landeseigenen Vorschriften richten, vor allem sollte die Entlohnung so hoch sein, dass sie die physische Existenz der Menschen sichert. Durch diese Verlagerungen haben besonders solche Entwicklungs- und Transformationsländer Entwicklungsvorteile, deren wirtschaftliche Entwicklung relativ weit fortgeschritten ist63. Aber die Wirkungen der Offshoring-Aktivitäten in den Industrieländern werden häufig übertrieben. Denn in den Niedriglohnländern geht es vielfach nur um neue Markterschließungen. Außerdem muss eine niedrigere Arbeitsproduktivität in diesen Ländern berücksichtigt werden. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die ethische Bewertung der Offshoring-Aktivitäten. Sie ist abzuleiten aus dem Recht auf eine menschenwürdige Arbeit für jeden Erwerbstätigen. Darum setzt man sich für einen Mindeststandard in der Qualität der Arbeit, die Koalitionsfreiheit der Erwerbstätigen, die Freiwilligkeit der Erwerbsarbeit, eine Antidiskriminierung der Arbeitenden und eben für einen Lohn ein, der zum Kauf der zum Leben notwendigen Güter reicht. Außerdem müssen die Offshore-Aktivitäten „entwicklungsförderlich“ sein64. Dazu ist es nötig, dass die Verlagerungen von Arbeitsplätzen zu einem umfassenden Wachstumsprozess beitragen. Die Unternehmen der Industrieländern müssen ihrerseits letztlich in den Entwicklungsländern ein langfristiges Engagement anstreben und dauerhafte Kooperationsbeziehungen schaffen. Während man sich in den Entwicklungsländern für die Ausgestaltung der Arbeitsrechte einsetzen muss, sollte in den Industrieländern dafür gesorgt werden, dass in den auswärtigen Tochter- und Partnerunternehmen menschenwürdige Arbeitplätze eingerichtet werden65. Um menschenwürdige 63 64 65

Ebenda. Pressemitteilung, S. 2. Vgl. die Studie S. 41. Pressemitteilung, S. 3. Vgl. die Studie S. 53.

VII. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer 213

Arbeitsbedingungen auch in den Entwicklungsländern zu schaffen, wäre es sehr hilfreich, wenn die Regierungen der Industrie- und der Entwicklungsländer zusammen multilaterale Abkommen zur „Regulierung von Offshore-Aktivitäten“ aushandelten66. Außerdem sollte ein internationaler Gerichtshof eingerichtet werden, an dem bei entsprechenden Verstößen geklagt werden kann. Aus der Bundesrepublik Deutschland ist es nur in einem geringen Maße zu Arbeitplatzverlagerungen in Niedriglohnländer gekommen. Man verweist darauf, dass nicht einmal 0,5 Prozent der sozialversicherten Beschäftigten von der Verlagerung betroffen sind. Darum wird im Blick auf die deutsche Situation vorgeschlagen, vor allem die wirtschaftlichen Entwicklungschancen einzubeziehen, „die sich den Menschen in den Entwicklungs- und ärmeren Transformationsländern aufgrund dieser Verlagerung“ erschließen können67. Um die Verhandlungsposition der Arbeitnehmervertretungen nicht durch die Arbeitsplatzverlagerungen allzu sehr zu schwächen, sollte man sie nicht zu weitgehenden Zugeständnissen veranlassen. Darum muss erreicht werden, dass sie mit eigenen Experten an den „geschäftspolitischen Beratungen über eine geplante Verlagerung und mögliche Alternativen teilnehmen“ können68. Selbstverständlich ist es richtig, dass für die meisten Entwicklungsländer eine Einbindung in die Weltwirtschaft sehr wichtig und dadurch eine Überwindung der Armut leichter möglich ist. So hilfreich manches aus dieser Studie ist, eine gesunde Skepsis bleibt geboten. Vor allem im Blick auf die Ausführungen über die Arbeitnehmervertretungen. Bereits bei der Frage der deutschen Gesetzgebung zur Mitbestimmung im Zeitalter der Globalisierung wird heute mit Recht darüber diskutiert, 66 67 68

Pressemitteilung S. 3. Ebenda. Ebenda.

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6. Kap.: Marktwirtschaft und Umwelt

ob ihre Ausgestaltung noch zeitgemäß ist. Denn vielfach weist die betriebliche Mitbestimmung einen erheblichen Nachteil für deutsche Unternehmen bei der Verlagerung von Investitionen auf, wenn etwa die Zustimmung des Betriebsrates oder das Einverständnis des Arbeitsdirektors eingeholt werden müssen.

7. Kapitel

Ethik und Politik Ethik ist die Theorie des menschlichen Handelns aufgrund der Kriterien von Gut und Böse. Nach Aristoteles will sie speziell das glückliche oder gute Leben beschreiben. Sie hat es immer mit dem zu tun, was ist und was sein soll. Aber sie selbst gibt keine Handlungsanweisung, sondern erstellt dafür eine Theorie vom Handeln. Ethik muss darauf aus sein, zu Gunsten eines stetigen Zusammenlebens der Menschen, Dissonanzen, Konflikte oder Unterschiede zu überwinden. Mit einer Spannung zwischen Sein und Sollen hat es auch die Politik zu tun. Die Politik muss danach streben, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen und für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Jede Zeit wird beherrscht von eigenen Sehnsüchten, Vorstellungen und Zukunftsperspektiven. Aber sie muss sich auch mit dem Prozess des Sterbens und des Todes auseinandersetzen. Die Gesellschaft wird in ihrem Alltag allerdings vor allem geprägt von Hoffnungen.

I. Gegensatz und Gemeinsamkeit von Ethik und Politik Der Begriff der Politik ist abgeleitet von dem griechischen Begriff für pólis, Stadt. Der Staat ist eine Gemeinschaft der Bürger1. Zwischen dem Staat und der Politik herrscht darum eine enge Verbindung. Die Politik hat es mit dem Staat und in 1 Vgl. Aristoteles, Politik, übers. von Eugen Rolfes, Hamburg 41981, 1261a, Z. 2, S. 31.

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7. Kap.: Ethik und Politik

ihm mit der Ausübung von Macht zu tun. Aristoteles hat in seinem Buch „Politik“ den Zweck des Staates in mannigfacher Weise bestimmt: Er definierte ihn direkt, indem er formulierte: „der Staat . . . ist eine Gemeinschaft Gleichberechtigter, die . . . ein möglichst vollkommenes Leben zum Zweck hat2. Sie beruht in dieser menschlichen Form auf der Vernunft und dient dem Zweck des guten Lebens (eû zeˆn). Der Staat gründet zwar auf der naturhaften Veranlagung des Menschen. Denn der Mensch ist ein Zôon politikón. Aber der Staat ist eben zugleich eine auf der menschlichen Entscheidung und der Vernunft beruhende Institution“. Bei Aristoteles ist die Politik eine Ordnung der Herrschaftsverhältnisse, „denn da regieren die einen, gehorchen die anderen abwechselnd, als wären sie andere geworden. Auf diese Weise verwalten ja auch die Amtsinhaber bald dieses Amt, bald jenes“3. Das Verhältnis zwischen beiden Bereichen, also dem der Ethik und dem der Politik, hat es im Grundansatz mit dem Leben selbst, mit seinem Schutz und seiner Förderung zu tun. Aber die Ethik darf nicht zur Politik werden. Dann würde sie früher oder später sich selbst überflüssig machen und damit letztlich sich selbst aufgeben. Sie ist vielmehr die Instanz für kritische Rückfragen an Politik und Gesellschaft. Andererseits darf Politik nicht zur Ethik werden. Denn sie will gestalten, verändern und der Realität entsprechend handeln, aber nicht das Verhalten der Menschen bewerten. Vor allem durch die sogenannten Lebenswissenschaften wird die Ethik heute zur normativen Instanz der Politik. Diese wird ohne eine ethische Orientierung nicht den Anforderungen der Sozialpolitik insbesondere auf den Gebieten des Gesundheitswesen, der Fortpflanzungsmedizin, der Gentechnik oder des gesamten Pflegedienstes gerecht. Denn nicht alles 2 3

Aristoteles, Politik (41981), 1328a, Z.35. S. 253. Aristoteles, Politik (41981), 1261b, 3 ff. S. 33.

II. Umgang mit der Macht

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Machbare darf in der Politik erlaubt und in die Realität umgesetzt werden. Allerdings gibt es auch zwischen Ethik und Politik gemeinsames Denken und Handeln. Denn beide sind gemeinsam herausgefordert, nach dem für den Menschen Lebensgerechten und Besten zu suchen. Selbst die Verteilung der Güter kann von beiden Instanzen gemeinsam gesucht und konkretisiert werden. Dann können sie zu einer Festsetzung von Prioritäten kommen4. Zwar wäre es sinnvoll, wenn langfristig das ethisch Richtige in einer Gesellschaft auch das für den Menschen Nützliche wäre. Aber eine Form, in der beide Bereiche ihre Eigenständigkeiten verlören, darf es nicht geben.

II. Umgang mit der Macht Die Macht wird nicht nur im Deutschen durch unterschiedliche Wörter ausgedrückt, wie Vermögen, Herrschaft, Gewalt, Autorität. In besonders enger Verbindung zu diesem Wort stehen Zwang, Herrschaft oder Gewalt5. Im Griechischen wird Macht ebenfalls durch unterschiedliche Wörter wie exousía oder dy´namis, kyriótes, arché, krátos u. a., im Lateinischen durch die Wörter potentia, potestas, auctoritas oder dominium wiedergegeben. In diesen Begriffen spiegelt sich unterschiedliches Verstehen: Aus arché oder krátos oder kyriótes kann Herrschaft wie Macht herausgelesen werden. Der lateinische Begriff potentia weist auf das Vermögen oder die Kraft hin. Steht dagegen die potestas im Zentrum, so geht es um die Amtsgewalt6. Die Rede von Gottes Macht ist immer eine Rede von Gottes Allmacht. Er ist der Schöpfer und Herr der Welt. Aber Gott ist nicht die Macht an sich. Dennoch heißt Gott allmächtig, 4 Vgl. dazu Virt, Günter, Damit Menschsein Zukunft hat, hrsg. Gerhard Marschütz und Gunter M. Prüller-Jagenteufel, Würzburg 2007, S. 106 ff. 5 Vgl. Kramer, Rolf, Die Ethik der Macht, Berlin 1994, S. 16 ff. 6 Vgl. Kramer, Rolf (1994), S. 18 f.

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7. Kap.: Ethik und Politik

weil seine Macht keine Grenzen kennt. Indessen ist die Aussage über die Allmacht Gottes nicht vergleichbar mit der angemaßten Herrschaft eines Tyrannen. Die Aussage über Gottes Macht ist eine Aussage des Glaubens. Es ist das ein Bekenntnis aus christlicher Gotteserkenntnis. Wie ja auch die Aussage, dass die Geschichte in jedem Fall unter der Herrschaft Gotte steht, eine Glaubensaussage ist7. Das zeigt sich in der Darstellung des Apostels Paulus, der Gottes Allmacht, verstanden als die Schöpfung aus dem Nichts, in unmittelbarer Verbindung mit der Auferweckung der Toten sieht (Röm 4, 17: theoû toû zoopoioûntos tou`s nekrou`s kaì kaloûntos tà mè ónta hos ónta). Seine Macht ist ebenso grenzenlos wie seine Allgegenwart und seine ewige Dauer8. Karl Barth hat darauf verwiesen, dass „Gottes Macht niemals bloß als physische, sondern immer zugleich als moralisch-juristische Möglichkeit, nie bloß als potentia, sondern immer zugleich als potestas zu verstehen ist“9. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist die höchste Form der Allmacht Gottes. Darum kann die Allmacht Gottes bei Karl Barth durchaus als die „Allmacht seiner freien Liebe“10 oder auch als die „Macht der ewigen Liebe“ verstanden werden11. Aber problematisch bleibt die Ableitung der menschlichen Macht, die Barth innerhalb des Kapitels von der Allmacht Gottes vornimmt. Gott ist die Macht schlechthin. Und insofern ist er auch der Inbegriff „alles geschöpflich Möglichen“. Und das bedeutet weiter, „was wir als geschöpfliche Macht kennen“, hat allein sein Sein wirklich nur „kraft seiner Be7 Vgl. Ebeling, Gerhard, Dogmatik des christlichen Glaubens Bd. III, Tübingen 1979, S. 479. 8 Vgl. Pannenberg, Wolfram, Systematische Theologie Bd. 1, Göttingen 1988, S. 449. 9 Barth, Karl, Die Kirchliche Dogmatik Bd. II,1, Zollikon-Zürich 3 1948, S. 591. 10 Barth, Karl (31948), S. 597. Vgl. Pannenberg (1988), S. 455 f. 11 Barth, Karl (31948), S. 606.

II. Umgang mit der Macht

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gründung in der Macht Gottes“12. Die menschliche Macht hat danach ihre Würde und Geltung „in der Freiheit, dem Willen und der Entscheidung Gottes als des Schöpfers aller geschöpflichen Macht, der als solcher auch der Grund und Ursprung und so die Grenze alles geschöpflich Möglichen ist“13. Anders urteilt Gerhard Ebeling. Die Macht gehört zum Menschen. Er kann die Macht, die ihm von Natur nicht gegeben ist, in Besitz nehmen. „Macht über Macht zu gewinnen, das ist die Grundformel menschlicher Macht“14. Die säkulare Macht wird immer mit Können und Vermögen in Verbindung gebracht, darum sind viele Bereiche des Lebens durch Macht und ihre Verfügung geprägt. Vor allem ist im weltlichen Raum der politische Bereich durch Macht gekennzeichnet. Ja, Macht ist unverzichtbar für den Staat und die Erledigung seiner Aufgaben. Aber ohne Kontrolle dieser Macht ist auch die Demokratie nicht denkbar. Macht darf nicht mit Gewalt gleichgesetzt werden. Denn eine Totalisierung der Macht führt zu ihrer Dämonisierung. Wenn Macht mit Gewalt oder Zwang gleichgesetzt wird, folgen Unterdrückung und Gewaltherrschaft. Freilich gibt es Macht nicht an sich. Sie wird ausgeübt von Menschen, die sich ihrer bedienen. Macht wird vielfach im Zusammenhang mit Machtmissbrauch benutzt und erfährt dadurch oftmals eine negative Sinndeutung. Für Max Weber bedeutet Macht „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“15. Diese Definition sieht allerdings von den Quellen der Macht und damit von ihrer Legitimiertheit ab. Nach Weber bedeutet Politik das „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staa12 13 14 15

Barth, Karl (31948), S. 602. Ebenda. Ebeling, Gerhard (1979), S. 481. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972 S. 28.

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7. Kap.: Ethik und Politik

ten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt“16. Die Ausübung von Macht heißt, Einfluss nehmen auf das Handeln anderer. Macht gibt es in unterschiedlichen Bereichen, in der Familie, in der Schule, in der Ausbildung, in der Wirtschaft als Produzent, Lieferant oder Konsument oder im Betrieb etc. Macht kann ausgeübt werden durch: – Legitimation, der die Macht ausçbt, hat das Recht dazu, – Zwang, der Machtbesitzende çbt seine Macht dadurch aus, dass er etwa dem Abhångigen Anerkennung und Belohnung entzieht. Die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Abhångigen wird direkt beeinflusst. Zwang in Form von Anwendung physischer Gewalt muss allein dem Staat und seinen Organen vorbehalten bleiben, – Belohnung, diese Macht hångt von den Mæglichkeiten des Machtausçbenden ab, Belohnungen zu gewåhren, – Identifikation, der Machtausçbende kann eine Verbundenheit mit den Abhångigen herstellen.

Herrschaft kann nur durch Macht ausgeübt werden. Darum hat Max Weber auch vom Begriff der Macht den Begriff der Herrschaft abgesetzt. Aber er hat sie als einen Sonderfall der Macht definiert: „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“17. Er anerkennt zwei polare Typen von Herrschaft im wirtschaftlichen Bereich: „Einerseits die Herrschaft kraft Interessenkonstellation (insbesondere kraft monopolistischer Lage), und andererseits die Herrschaft kraft Autorität (Befehlsgewalt und Gehorsamspflicht)“18. Darum ist mit Max Weber zu formulieren, dass Herrschaft als ein Tatbestand zu verstehen ist, in dem „ein bekundeter Wille Weber, Max (1972), S. 822. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, (Kapitel I, § 16), S. 28; vgl. S. 541. 18 Weber, Max (1972), S. 542. 16 17

III. Die Aufgaben der Staatsmacht

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(,Befehl‘)“ das Handeln anderer Menschen beeinflussen kann19.

III. Die Aufgaben der Staatsmacht Zwar sind die Aufgaben des Staates jeweils in Abhängigkeit von der Gesellschaft zu sehen. Seine Hauptaufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Menschen in seinem Territorium in Würde, Sicherheit, Recht, Freiheit und Frieden leben können. Er muss dem Bösen wehren und das Gute fördern. Damit aber wird keine Staatsform in irgendeiner Weise privilegiert. Auch die Demokratie nicht. Sie ist wie die anderen zu beurteilen. Die Aufgaben eines modernen Staaten sind ganz unterschiedlich. Sie sind abhängig von den politischen Entscheidungen und Entwicklungen. Heute müssen vor allem die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung und die Wirtschaftspolitik mit Marktregeln, der wirtschaftlichen Rahmengesetzgebung, die Sorge für Gewerbefreiheit, Arbeitsschutz und Verbraucherschutz hinzukommen. Hinzuzuzählen sind ferner Bildungs-, Familien- und Kulturpolitik. Vor allem erstreckt sich die Tätigkeit des Staates auf die soziale Absicherung der unterprivilegierten Bürger. Die Gesundheitspolitik muss die ganze Bevölkerung umfassen und in Form einer allgemeinen sozialen Gerechtigkeit ausgebaut werden. Ebenfalls darf auch die Alterssicherung keine Ausnahmen kennen. Die Sozialversicherung und die sozialen Dienste sind ohne staatliche Gestaltung nicht zu denken. Außerdem gehören heute die Raumordnung, der Städtebau und die Ausgestaltung der Infrastruktur des Landes zu seinen wesentlichen Aufgaben. Gleiches gilt für Fragen der Wissenschaftspolitik. Viele andere Aufgaben kommen jeweils von Fall zu Fall hinzu. Auch die Aufgaben, die sich mit dem Klima- und Umweltschutz stellen, gehören hierher. 19

Vgl. Weber, Max (1972), S. 544.

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7. Kap.: Ethik und Politik

Die Globalisierungsprozesse und die Informations- und Kommunikationsprozesse sind gerade im 20. und 21. Jahrhundert zu ständigen Staatsaufgaben geworden.

1. Der Staat als Diener Gottes Im Zeitalter einer Industriegesellschaft und einer säkularen Entwicklung bedarf es keiner religiösen Ausrichtung des Staates mehr. Der moderne Staat ist wie viele andere Institutionen säkularisiert. Weder eine sakrale Monarchie noch die Vorstellung einer Obrigkeit durch Gott hat in einer modernen Staatsvorstellung Raum. Aber nach dem Apostel Paulus hat der Staat eine bestimmte Aufgabe in dieser Weltzeit. Das ist seine Würde und zugleich seine Begrenzung. Der Staat gehört zu den Gestaltungen dieser Welt. Er ist anzuerkennen, aber zugleich ist ihm gegenüber Abstand geboten! Aber Paulus bezeichnet die staatliche Gewalt (exousía) als die Dienerin Gottes, dem Menschen zum Besten (Röm. 13,4: theoû gár diakonós estin soì eis tò agathón). Damit wird das Böse von den Machthabern (Röm 13,3: hoi árchontes) eingegrenzt. Die Staatsgewalt ist nicht göttlich, auch ihre Machthaber sind es nicht. Aber die staatliche Gewalt gilt in der Abwehr des Bösen sogar als die Dienerin Gottes. Das muss dann selbstverständlich auch für die Machthaber gelten. Gott wehrt das Böse von dieser Welt und will sie vor ihm schützen. Aber das Leben steht unter der Spannung dieses göttlichen Schutzes einerseits und der Sünde andererseits. Gottes Schutz wird als die gute Gabe Gottes der Schöpfung geschenkt. Andererseits aber herrscht die Macht der Sünde, wie sie etwa im Brief des Apostel Paulus an die Römer dargestellt wird (Röm 7, 19 – 23): „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich . . .“. Inwieweit Gehorsam einem pervertierten Staat geschuldet werden muss, wird vom Apostel nicht beantwortet. Für ihn

III. Die Aufgaben der Staatsmacht

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steht höchstens die Frage im Raum, inwieweit ein Widerstand aus einer christlichen Freiheit heraus geschuldet ist. Auch im 1. Petrusbrief werden solche Formen der Unterordnung der Christen verlangt. Von den Christen wird ein bestimmtes Verhalten gegenüber den Institutionen der Gesellschaft gefordert. In den Haustafeln ist von einer Unterwerfung der Christen um des Herrn willen unter jede menschliche Ordnung die Rede. „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Obersten oder den Statthaltern als denen, die von ihm entsandt sind“ (1. Petr: 2,13: Hypotágete pasé anthropíne ktísei dià tòn ky´rion. eíte basileî, hos hyperéchonti, eíte hegemósin hos di’autoû pempómenois). Diese Aufforderung der Unterordnung geht im 1. Petrusbrief wie auch im paulinischen Römerbrief nicht von einer kosmisch begründeten Ordnung oder einer geschichtlichen Lebensform, sondern von der Vorstellung aus, dass der Christ der jeweiligen Lebensform verpflichtet ist. Ihr gegenüber trägt er Verantwortung. Die Christen sollen sich nach den gegebenen Spielregeln verhalten. Im Petrusbrief werden sodann bestimmte Spielregeln aufgestellt: Fürchtet Gott, ehrt den König (1. Petr.2,17: tòn theòn phobeîsthe, tòn basiléa timâte). Aber es werden den Christen auch die Grenzen aufgezeigt. Dazu heißt es in der 5. These der Theologischen Erklärung von Barmen vom 31. Mai 1934: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen“. Gleichzeitig wird die falsche Lehre verworfen, dass „der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens“ werden solle20. 20 Theologischer Ausschuss der Ev. Kirche der Union, Hrsg. Alfred Burgsmüller, Zum politischen Auftrag der christlichen Gemeinde (Barmen II), Gütersloh 1972. S. 15.

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7. Kap.: Ethik und Politik

Die Christen werden zu einem verantwortlichen Verhalten angehalten. Ihre Aufgabe ist es immer, das Politische nicht zum Letzten zu erklären, sondern die politischen Erscheinungen im rechten Licht zu erkennen. Politik und Staat gehören zum Vorletzten. Beide Bereiche sind ambivalent und bedürfen noch der jeweiligen Klärung. In der ganzen biblischen Überlieferung gibt es keine eindeutige Staatslehre. Nirgends wird das Wesen des Staates beschrieben. Der Christ darf sich den Anforderungen des Staates dann versagen, wenn er ins Falsche oder Ideologische abgedrängt bzw. verbrämt wird. Allgemein wird er aufgefordert, sich im Staat und ihm gegenüber richtig zu verhalten. 2. Die Demokratie als Angebot und Aufgabe Nach der Meinung der Evangelischen Kirche ist die Demokratie die Staatsform, die die unantastbare Würde des Menschen anerkennt. „Den demokratischen Staat begreifen wir als Angebot und Aufgabe für die politische Verantwortung aller Bürger“21. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ist der Meinung, dass der „Staat des Grundgesetzes“ für die Christen die Möglichkeit eröffnet, die gegebenen Aufgaben mit Leben zu erfüllen. „Grundelemente des freiheitlichen demokratischen Staates sind Achtung der Würde des Menschen, Anerkennung der Freiheit und der Gleichheit“22. Daraus soll dann das Gebot einer politischen und einer sozialen Gerechtigkeit abgeleitet werden. Zu den Grundelementen der freiheitlichen Demokratie gehören die Gedanken der Freiheit und Gleichheit der Menschen. Ohne die Würde des Menschen ist ein demokratisches Staatswesen nicht zu denken Diese ist letztlich als eine Kon21 Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche (Hrsg.), Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie, Gütersloh 1985, S. 12. 22 EKD (1985), S. 13.

III. Die Aufgaben der Staatsmacht

225

sequenz der Ebenbildhaftigkeit des Menschen mit Gottes abzuleiten. Zur Tradition der christlichen Staatsform gehören vor allem seine Ordnungsaufgaben. Sie gehen dabei auch und vor allem von der politischen Verantwortung des einzelnen Bürgers aus. Immer müssen die Bürger sie tragen und sie bejahen Denn die demokratische Staatsform regiert nicht von oben, sondern durch die Ordnung, die der Bürger selbst setzt. Darum gehört dazu das Recht auf die Selbstbestimmung des Menschen. Aber trotzdem ist festzustellen: „die Demokratie ist keine ,christliche‘ Staatsform“23. Die politische Macht ist eine Macht auf Zeit. Der Herrschaftsauftrag bezieht sich jeweils nur auf eine Wahlperiode. Dies engt demokratisch die Ausübung der Macht auf eine bestimmte Zeit ein und unterbindet damit einen absoluten Machtanspruch. Der demokratische Staat bedarf zur Existenz einer demokratischen Gesellschaft, die sich die „Grundentscheidungen der Demokratie zu eigen macht und aus ihnen lebt“24. Zwar ist auch die Demokratie keine Gewähr dafür, die Probleme des Zusammenlebens der Menschen ein für alle Male regeln zu können. Es wird auch weiterhin Schwächen und Mängel in Staat und Gesellschaft geben. Aber immerhin ist sie die beste aller bestehenden Staatsformen. Die Evangelische Kirche hat in ihrer Denkschrift einen Vorschlag zur Entwicklung der Demokratie entwickelt. Dieser „zielt auf die Erweiterung des Grundrechtskatalogs um sogenannte Schöpfungs- oder Fundamentalrechte. Hierbei wird insbesondere an den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, den Schutz für die Kultur, die Ächtung der Massenvernichtungswaffen und das Recht auf Arbeit für jeden gedacht“25. Aber natürlich sind die einzelnen Positionen keineswegs bereits allgemeinverbindlich anerkannt. 23 24 25

EKD (1985), S. 14 ff. EKD (1985), S. 35. EKD (1985), S. 43.

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7. Kap.: Ethik und Politik

Die Grundelemente der Demokratie sind im Laufe von Jahrhunderten entwickelt worden. Heute kann keine andere Staatsform als die demokratische die Gewähr bieten, die entstandenen und entstehenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Sie ist immer darauf angewiesen, dass ihre Rechtsetzungen weiter entwickelt werden. Dabei muss die Demokratie konfliktfähig sein und bleiben. „Konflikte dürfen nicht verdrängt und unterdrückt werden“26. Als Ziel hat zu gelten, unter den Kontrahenten einen Konsens zu finden. Die Bürger haben den Inhalt staatlichen Handelns zu ihren eigenen Angelegenheiten zu machen. Zum hundertsten Jahrestag der Verkündigung der Enzyklika Rerum Novarum des Papstes Leo XIII. hat sich Johannes Paul II. 1991 seinerseits zu sozialen Fragen der Gegenwart und vor allem auch zu dem politischen Umbruch am Ende des Sozialismus geäußert. In seiner Enzyklika „Centesimus Annus“ setzt er sich besonders mit der Staatsform der Demokratie auseinander. Er schreibt: „Die Kirche weiß das System der Demokratie zu schätzen, insoweit es die Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen sicherstellt und den Regierten die Möglichkeit garantiert, sowohl ihre Regierungen zu wählen und zu kontrollieren als auch dort, wo es sich als notwendig erweist, sie auf friedliche Weise zu ersetzen“27. Wichtig für den Papst, der aus eigener Erfahrung hinreichend über die andere damals herrschende Staatsform des kommunistischen Totalitarismus in der marxistisch-leninistischen Ausprägung Bescheid wusste, war eine klare Aussage, die zugleich nicht auf die politische Willensbildung abhob, sondern definierte: „eine wahre Demokratie ist nur in einem Rechtsstaat und auf der Grundlage einer richtigen Auffassung vom Menschen möglich“28. Für ihn ist die Annahme von Werten von großer Bedeutung. Dazu gehören die „Würde jeder menschlichen Person, die EKD (1985), S. 44. Johannes Paul II, Centesimus Annus, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 1991, Nr. 101, n. 46. 28 Ebenda. 26 27

III. Die Aufgaben der Staatsmacht

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Achtung der Menschenrechte, die Anerkennung des ,Gemeinwohls‘ als Ziel und maßgebendes Kriterium des politischen Lebens“29. Für Johannes Paul II. war – wie bereits für Leo XIII. – die Gewaltenteilung eine richtige Widerspiegelung der „sozialen Natur des Menschen“, die außerdem eine gerechte Gesetzgebung zum Schutz der Freiheit erforderlich macht. Darum ist es „besser, wenn jede Macht von anderen Mächten und anderen Kompetenzbereichen ausgeglichen wird, die sie in ihren rechten Grenzen halten. Das ist das Prinzip des ,Rechtsstaates‘, in dem das Gesetz und nicht die Willkür der Menschen herrscht“30. Als Gefahr der Demokratie sieht Johannes Paul II. den ethischen Relativismus an, der für einen weiten Bereich der westlichen modernen Kultur kennzeichnend ist. Darum formulierte er: „Heute neigt man zu der Behauptung, der Agnostizismus und der skeptische Relativismus seien die Philosophie und die Grundhaltung, die den demokratischen politischen Formen entsprechen“31. Wenn es aber zu einer politischen Gestalt kommt, die ohne eine letzte Wertorientierung das Handeln bestimmt, können Ideen und Überzeugungen missbraucht werden. Darum lässt sich auch für die Demokratie sagen: Auch sie verwandelt sich, „wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus“32. Die Demokratie ist „ihrem Wesen nach eine ,Ordnung‘ und als solche ein Werkzeug und nicht ein Ziel“33. Ihr sittlicher Charakter ist abhängig von „der Sittlichkeit der Ziele“, die sie verfolgt, „und der Mittel, deren sie sich bedient“34. 29 Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden (Hrsg.), Kompendium der Soziallehre der Kirche, Freiburg im Breisgau 2006, S. 294, n. 407. 30 Johannes Paul II, C.A. n. 44. 31 Johannes Paul II, Centesimus Annus, n. 46. 32 Ebenda. 33 Johannes Paul II., Evangelium Vitae, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 1995, Nr. 120, n. 70. 34 Johannes Paul II., Evangelium Vitae, n. 70.

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7. Kap.: Ethik und Politik

Aber die Kirche selbst darf sich nicht zu der einen oder anderen „institutionellen oder verfassungsmäßigen Lösung“ äußern. „Der Beitrag, den sie zu dieser Ordnung anbietet, ist die Sicht von der Würde der Person, die sich im Geheimnis des Mensch gewordenen Wortes in ihrer ganzen Fülle offenbart“35.

IV. Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit In der theologischen Tradition ist die Idee der Gerechtigkeit nach verschiedenen Seiten entfaltet worden. Seit Aristoteles unterscheidet man die iustia legalis36, iustitia distributiva, die austeilende Gerechtigkeit37 und iustitia communitiva, die ausgleichende oder Verkehrsgerechtigkeit38. Die gesetzliche Gerechtigkeit (iustitia legalis) nennt man die Gerechtigkeit. Sie bezeichnet die Bereitschaft des Einzelnen, der Gemeinschaft das zu geben, das um des Gemeinwohl willen gefordert wird. Gemäß der iustita distributiva, also der austeilenden Gerechtigkeit, ist der Staat oder die Gemeinschaft dem Einzelnen gegençber verpflichtet, ihm das Seine an den Gemeinschaftsgçtern zukommen zu lassen. Diese Gerechtigkeit will dem Wohl des Einzelnen und der Teilgemeinschaft und gleichzeitig mittelbar dem Gemeinwohl dienen. Die ausgleichende Gerechtigkeit oder Verkehrsgerechtigkeit, die iustitia communitiva, will dem Einzelnen oder einer Gemeinschaft das ihm bzw. ihr Zustehende zukommen lassen. Diese Art von Gerechtigkeit besteht vor allem im Tausch oder in Gestalt von Kauf und Verkauf oder in der Einhaltung von Vertrågen. Johannes Paul II, Centesimus Annus, n. 47. Aristoteles, Nikomachische Ethik, hrsg. Günther Bien, Hamburg 4 1985, 1129a, 34. 37 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1130b, 30. 38 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1130b, 30. 35 36

IV. Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit

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Dem Gedanken der Gerechtigkeit liegt das Streben nach Gleichheit zugrunde. Da die Menschenwürde allen Menschen in gleicher Weise zukommt, sind alle Menschen gleich zu behandeln. Die soziale Gerechtigkeit gilt als der Maßstab für das gesellschaftliche Zusammenleben. Dabei ist von der grundsätzlichen Gleichheit der Menschen auszugehen. Es gibt weder in der Marktwirtschaft noch in der Zentralverwaltungswirtschaft eine soziale Gerechtigkeit. Der Glaube, eine soziale Gerechtigkeit zu schaffen, ist eine große Illusion. Der Versuch, im Modell einer zentralen Wirtschaftsorganisation den sozialen Aspekt durchzusetzen, führt also in die Irre. In der Marktwirtschaft können sich zwar einige Glieder gerecht verhalten, aber es gibt keine Methode, aus der heraus sich eine soziale Gerechtigkeit herbeiführen ließe39. Der Glaube, eine absolute soziale Gerechtigkeit zu schaffen, ist eine Illusion. Der uneingeschränkte Markt hat große Probleme, von sich aus die Gesellschaft zur sozialen Gerechtigkeit zu führen. Immer klafft eine Schere zwischen Arm und Reich. Schließlich gibt es Verlierer am Markt. Denn der Markt ist von sich aus nicht in der Lage, alle weniger Leistungsfähigen abzusichern. Darum sollte es in der Marktwirtschaft immerhin einen sozialen Schutz geben. Bekanntlich wurde deshalb auf die Sozialpolitik in der Sozialen Marktwirtschaft großer Wert gelegt. Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit ist nicht eindeutig. Wie Friedrich August von Hayek zeigte, ist in der modernen Gesellschaft keine Instanz vorhanden, die eine Gerechtigkeit erzeugen und solche gesellschaftlichen Zustände herstellen kann, die im Endergebnis als gerecht gelten können. Es gibt also keine Ergebnisgerechtigkeit40. Die Ergebnisgerechtigkeit oder auch Verteilungsgerechtigkeit wird insbesondere durch die Regelgerechtigkeit (auch Verfahrens- oder Chancengerechtigkeit genannt) abgelöst, Kramer, Rolf (1992), S. 74. Suchanek, Andreas (22007), S. 153. Vgl. Kramer, Rolf, Soziale Gerechtigkeit – Inhalt und Grenzen, Berlin 1992, S. 69 ff. 39 40

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7. Kap.: Ethik und Politik

wonach alle Mitglieder den gleichen Spielregeln unterliegen. Beide Modelle von sozialer Gerechtigkeit (Ergebnisgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit) stehen nicht in einem direkten Gegensatz zueinander. Beide wollen vielmehr die soziale Ungerechtigkeit bekämpfen. Im Prinzip kann durch die Ergebnisgerechtigkeit nur eine Einschränkung der Verfahrensgerechtigkeit erzielt werden. Die Verfahrensgerechtigkeit allein führt wiederum nicht unbedingt zur Ergebnisgerechtigkeit. Heute herrscht vielfach in der Politik und in der populären Diskussion die Forderung nach einer sozialen Gerechtigkeit, die die auseinanderklaffende Schere von Arm und Reich bekämpfen und sogar überwinden will. Man glaubt, einen Zustand schaffen zu können, in dem die Verteilung der Güter gleichmäßig vorgenommen wird. Eine solche Vorstellung wird mit Recht naiv genannt, „weil grundlegende Zusammenhänge, insbesondere die Zeitdimension nicht berücksichtig“ werden41. John Rawls hat diese naive Auffassung einer sozialen Gerechtigkeit verworfen. Rawls ging es vielmehr um eine von den sozialen Institutionen angestrebte gerechte Sozialordnung. Er hat sich damit von dieser Form der Gerechtigkeitsvorstellung abgesetzt, die eine Gleichheit an der Verteilung bzw. an den Ergebnissen bezweckte. Die Verteilung der Güter sollte unter den Gliedern der Gesellschaft vollzogen werden. Zwar kennt niemand seine Stellung in der Gesellschaft. Aber für ihn war vor allem wichtig, dass die am schlechtesten gestellten Gemeinschaftsmitglieder immer noch einem (hypothetischen) Gesellschaftsvertrag zustimmen können, obwohl sie nicht wissen, innerhalb welcher sozialen Bedingungen sie stehen. Dazu benutzte er das Bild des „Schleiers des Nichtwissens“42, hinter dem die Grundsätze der Gerechtigkeit festgelegt sind. Alle Glieder der Gesellschaft befinden sich in derSuchanek, Andreas (22007), S. 155. 42 Rawls, John, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt / Main 1979, S. 29. 41

IV. Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit

231

selben Lage. Keiner wird hinsichtlich Herkunft, Einkommen oder Stand etc. bevorzugt. Zwar mögen diese Differenzierungen für die Gestaltung der Gesellschaft wichtig und hilfreich sein. Aber sie genügen nicht, um die moderne Form der Gesellschaft zu schaffen. Die beiden Kirchen haben in einem gemeinsamen Wort erklärt, dass der Begriff der sozialen Gerechtigkeit darauf verweist: die soziale Ordnung sei wandelbar43. Gefordert wird im Rahmen der sozialen Gerechtigkeit: „Es müssen also Strukturen geschaffen werden, welche dem einzelnen die verantwortliche Teilnahme am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben erlauben“44. Damit versucht man, dem Irrtum einer naiven Deutung der sozialen Gerechtigkeit zu entgehen, die in dem Ausgleich von Arm und Reich besteht, obwohl als erstes Ziel der ethisch-theologischen Perspektive die Option für die Armen, Schwachen und Benachteiligten angestrebt wird45. Um eine gerechte Gesellschaft zu schaffen, wird gefordert, die Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität in ihr Wirklichkeit werden zu lassen. Von ihnen nämlich gilt: „Sie bringen zum Ausdruck, dass der Mensch je einmalige Person und als solche zugleich ein soziales Wesen ist“46. Dabei beschreibt die Solidarität die menschliche Verbundenheit und die mitmenschliche Schicksalsgemeinschaft. Allerdings wurde im Zuge der Zivilisation die Solidarität, die zunächst allein auf den eigenen Stamm bezogen wurde, auf alle Menschen, auch auf die unbekannten, übertragen. Die Mitglieder der Gesellschaft leben in der Vorstellung: ,Alle sitzen in einem Boot‘. Freilich gilt dabei, dass sich die Solidarität keineswegs nur auf die gegenwärtige Generation bezieht, sondern 43 Vgl. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD, Fçr eine Zukunft in Solidaritåt und Gerechtigkeit (Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und Kirchenamt der EKD), Bonn, Hannover 1997, in: Gemeinsame Texte Nr. 9, Z.112, S. 46. 44 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z.113, S. 46. 45 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z.107, S. 44. 46 Gemeinsame Texte Nr. 9, Z.115, S. 47.

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7. Kap.: Ethik und Politik

sie umschließt auch die Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Das bedeutet, die Nachhaltigkeit der einzelnen Maßnahmen sind zu berücksichtigen. Denn die gegenwärtige Generation darf nicht auf Kosten der nachfolgenden wirtschaften. Darum ist eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung anzustreben. Nur sie nämlich ist zukunftsfähig. An die Seite der Solidarität tritt zusätzlich das Prinzip der Subsidiarität. Durch sie wird es zur Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft, die Verantwortung des Einzelnen und der kleineren Gemeinschaft, „zu ermöglichen und zu fördern“47. Das führt dazu, dass gerade die Schwächeren der Hilfe bedürfen, um sich selbst helfen zu können. „Solidarität und Subsidiarität gehören also zusammen und bilden gemeinsam ein Kriterienpaar zur Gestaltung der Gesellschaft im Sinne der sozialen Gerechtigkeit“48. Die Bindung an Gesetze und Normen der freien Gesellschaft heißt Teilhabe an den allgemeinen gesellschaftlichen Chancen. Wer soziale Gerechtigkeit sucht, strebt meistens nach dieser Verteilungsgerechtigkeit. Das zu errichtende Verteilungssystem muss so aufgebaut sein, dass jedes Individuum gleichen Wert und gleiche Chancen erhält. Es geht also insgesamt um eine Umverteilung und damit eine Beteiligung an den Grundgütern der Gesellschaft49. Die vorhandene ungleiche Teilhabe an diesen Gütern ist nach Meinung der EKD durch das Ziel der Gerechtigkeit zu überwinden. Deshalb darf die soziale Gerechtigkeit nicht nur als eine Verteilungsgerechtigkeit definiert werden. Die EKD hat in ihrer Denkschrift aus dem Jahr 2006 „Gerechte Teilhabe“ gerade auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht, dass die Armut eine fehlende Teilhabe ist. Aber man darf diese nicht allein auf die materiellen Aspekte reduzieren. Denn es geht zwar in der Beteilungsgerechtigkeit um die Teil47 48 49

Gemeinsame Texte Nr. 9, Z.120, S. 48. Gemeinsame Texte Nr. 9, Z.121, S. 49. Kirchenamt der EKD, Gerechte Teilhabe, Gütersloh 22006, Z.59 ff.

IV. Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit

233

habe an den Gütern der Gesellschaft. Aber hinzukommen müssen noch andere Gerechtigkeiten. Eine Befähigungsgerechtigkeit gewährt den Menschen eine gerechte Teilhabe an der gesellschaftlichen Qualifikation und damit auch an den Bildungsgütern der Gesellschaft. Damit will sie vor allem eine Chancengerechtigkeit schaffen und die Bildungsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft verstärken. Sie fordert darum die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben. Die Verknüpfung von Verteilungs- und Befähigungsgerechtigkeit wirkt sich ganz besonders auf die Solidarität und die Subsidiarität in der Gesellschaft aus50. Da sich die Solidarität nicht nur auf die gegenwärtige, sondern auch auf die nachfolgenden Generationen bezieht, versucht man dem Gedankengut der Nachhaltigkeit als Verantwortung für die Schöpfung gerecht zu werden51. Dadurch ist eine Verbindung des Gedankens einer Bewahrung der Schöpfung bei gleichzeitiger Gestaltung der Welt zu erreichen. Auf diesem Wege ist dann eine nachhaltige Verknüpfung der Verantwortungsbereiche möglich. Die Besinnung auf die Soziale Marktwirtschaft wird allein die Voraussetzung für die nachhaltige Verbesserung der sozialen Lage und damit letztlich auch für die Gestaltung der sozialen Gerechtigkeit schaffen. Soziale Gerechtigkeit hat etwas mit Gleichheit und Brüderlichkeit zu tun. Hinter der Brüderlichkeit steht die Form gleichberechtigter Menschen. Jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist eine freie Rechtsperson. Rechtsgleichheit ist die Gleichheit vor dem Gesetz und bedeutet die Teilhabe an den gleichen Chancen. Die Freiheit bleibt in dieser Gesellschaft nur dann lebendig, wenn sie die Gleichheit des Rechts und einen brüderlichen Zusammenhalt in der Gemeinschaft gewährleistet.

50 51

Vgl. Kramer, Rolf, Gesellschaft im Wandel, Berlin 2007, S. 27 ff. S. oben Kap. 1. IV. 2.

8. Kapitel

Rückblick und Ausblick Gutes Leben, Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche prägen den Begriffsinhalt der Ethik seit Aristoteles. Die Ethik steht im Spannungsfeld zwischen dem, was ist und dem, was sein soll. Sie trägt in der modernen Zeit ganz konkret die Verantwortung für die Welt. Ethik ist die Theorie der Moral. Sie hat es mit der Theorie des Handelns zu tun. Darum will sie auch sagen, was man tun oder unterlassen soll. In der Gegenwart steht vielfach der Begriff der Verantwortung für den der Ethik. In ihr nimmt man eigene und fremde Handlungen wahr und bewertet sie. Im Begriff Verantwortung sind zwei Orientierungen enthalten. Man richtet sich zum einen auf den aus, vor dem man die Verantwortung trågt, vor dem etwas zu ¹verantwortenª ist. Gleichzeitig blickt man nach vorn, indem man sich auf den einstellt, für den man die Verantwortung trågt. Der Mensch empfängt dort seine Würde, wo er ganz Mensch ist. Das ist er dort, wo er sein Menschsein verwirklichen kann, unabhängig von Rasse, Religion, sozialer Abhängigkeit oder anderen zusätzlichen Aspekten. Also darf letztlich weder die Bestimmung des Menschseins durch den Marxismus gemäß einer Abhängigkeit des Menschen von seinem sozialen Bewusstseins noch etwa die Orientierung durch die Rasse, wie es der Nationalsozialismus propagierte, bestimmen, wer Mensch ist. Als Leitbegriff in der moderner Sozialgesetzgebung hat sich in der Gesellschaft von heute der Begriff des Lebens etabliert. Sozialreformen richten sich nach der Ausgestaltung des Lebens und nicht so sehr nach der Ausgestaltung eines kirchli-

I. Der Mensch in der Schöpfung

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chen Liebesdienstes. Selbst in kirchlichen Kreisen spricht man heute eher von der Lebenshilfe bei einer Lebenskrise oder von der Lebensberatung, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, und nicht von der Ausgestaltung der Nächstenliebe. Die Anpassung an die säkulare Vorstellung vom Leben ist heute stärker ausgeprägt als die Propagierung einer diakonischen Liebe.

I. Der Mensch in der Schöpfung Das Christentum betrachtet ebenso wie das Judentum und der Islam die Schöpfung des Menschen und seine Entwicklung als Schöpfungstat Gottes. Zwar steht nach der biblischen Überlieferung das menschliche Leben über der Erscheinungswelt des pflanzlichen und tierischen Lebens. Aber das darf nicht bedeuten, dass sich das ganze geschöpfliche Leben ausschließlich nach der Existenzweise des Menschen zu richten hätte. Darum darf man höchstens in der Entwicklung der Erde von einem eingeschränkten oder gemäßigten Anthropozentrismus sprechen. Freilich besteht für die biblische Überlieferung eine Abfolge in der Hierarchie: Mensch – Tier – Pflanzen. Denn Tiere und Pflanzen dienen dem Menschen zur Nahrung und zur Kleidung. Freilich besitzen sie auch einen Eigenwert. Für die zentralen Glaubensgemeinschaften des Christentums besteht zwischen den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und der theologischen Beurteilung keine Differenz. Allerdings behandeln beide unterschiedliche Fragestellungen. Die Kreationisten erklären die Entstehung der Menschen aus einem direkten Schöpfungshandeln Gottes und setzen sich gegen die Evolutionstheorie zur Wehr. Aber die Evolutionstheorie Darwins muss keineswegs im Widerspruch zum Eingreifen Gottes stehen. Zwischen Evolution und Gottes Schöpfung braucht bei richtiger Interpretation durchaus kein Gegensatz zu bestehen. Auch in der Evolution kann Gott mit seinem Handeln gesehen werden.

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8. Kap.: Rückblick und Ausblick

Der Mensch ist das von Gott geschaffene Bild seiner selbst. Alle Menschen kommen nach seinem Bilde. So wird es bereits im Alten Testament bezeugt. Diese Ebenbildlichkeit ist nicht als etwas Substanzartiges zu verstehen, sondern wird durch Gottes Partnerschaft gebildet (Emil Brunner). Im Sinne von Karl Barth heißt das: Kraft der von Gott gesetzten Beziehung einer analogia relationis (also keiner analogia entis) hat der Mensch seine Ähnlichkeit von seinem Urbild her. Und das meint, dass der Mensch nicht aus sich selbst lebt, sondern vom Schöpfer ins Leben gerufen ist. Er ist zu seinem Statthalter auf der Erde eingesetzt. Er darf das dominium terrae ausüben; aber er soll es in Liebe ausüben; denn er hat schließlich zuerst Liebe empfangen1. Das Prinzip seines Menschseins ist überall dort vorhanden, wo der Mensch sich als Individuum in Verbindung mit anderen Menschen verwirklichen kann. Nur dort, wo es ihm bewusst ist, dass er auf dieser Welt nicht allein lebt, sondern in Verbindung mit anderen in solidarischer Gemeinschaft existiert, wird auch seine Würde verwirklicht. Menschsein und Gemeinschaft gehören zusammen und bilden die Grundlage für die Gestalt einer menschenwürdigen und menschengerechten Welt. Die Würde des Menschen findet ihren Ausdruck in der Sorge um das Recht auf Leben und in dem Schutz für das Leben. Im Unterschied zu den anderen Geschöpfen auf der Erde ist der Mensch in der Lage, sein im Leben erlerntes und erworbenes Wissen an die nachfolgenden Generation weiterzugeben. Da er in zeitlichen Abschnitten denkt, ist er im Gegensatz zum Tier fähig, auf die Zukunft hin zu planen. Er ist damit in der Lage, aus dieser zeitlichen Dimension heraus sein historisches Wissen zu entfalten und in die Zukunft zu extrapolieren. Darum gehören für ihn Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zusammen. Unter den Geschöpfen ist der Mensch schließlich das einzige Wesen, das um sich selbst und seine Sterblichkeit weiß. 1

Vgl. Peters, Albrecht, Der Mensch, Gütersloh 1979, S. 138.

II. Die Würde des menschlichen Lebens

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Damit stellt sich für ihn sowohl die Frage nach seinem Selbstbewusstseins als auch nach dem Sinn seines Lebens und schließlich auch nach einem Leben über den Tod hinaus.

II. Die Würde des menschlichen Lebens Leben ist eine kostbare Gabe, die dem Menschen, dem Tier und auch den Pflanzen gegeben ist. Gott ist der, der das Leben schützt. Von ihm erfahren die Geschöpfe das Leben. Aber kein Lebewesen entgeht dem Tod. Jeder Mensch besitzt eine Würde. Sie ist nicht verlierbar. Wo menschliches Leben existiert, da herrscht seine Würde. Immer kommt dem Menschen, gleich welcher Herkunft, Rasse oder Religion er ist, die gleiche Würde und das gleiche Recht zu. 1. Vom Menschen zu verantwortende Probleme Die Würde setzt bereits bei dem befruchteten Embryo ein. Mit der Embryonenforschung sind alle Möglichkeiten der Lebenserhaltung zu erkunden. Die Entwicklung heute ist dadurch stark geprägt, dass nicht allein die Forschung mit embryonalen Stammzellen im Vordergrund steht, sondern ein neuer Weg beschritten wird. Das ist die Methode einer Reprogrammierung. Dieser Prozess galt lange Zeit hindurch nur als eine Wunschvorstellung der Forschung. Mit ihr will man nicht mehr die Entwicklung von einer Keimzelle zur befruchteten Eizelle aufbauen, sondern umgekehrt den Weg von einer ausgereiften Hautzelle zu einer induzierten pluripotenten Stammzelle suchen. Auf diese Weise könnte es zukünftig immerhin möglich werden, auf den Rückgriff verbrauchender Embryonenforschung ganz zu verzichten. In der Stammzellendebatte des Deutschen Bundestages des Jahres 2008 ging es nicht nur um die Frage, mit welchen Zelllinien in Zukunft gearbeitet werden darf, sondern auch um die

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8. Kap.: Rückblick und Ausblick

Definition dessen, was der Mensch ist. Ist eine befruchtete Eizelle bereits Mensch? Oder ist sie nur ein Zellhaufen, dem die Würde und die Eigenschaft eines Menschen nicht zukommt? So wollen es vor allem die mit Embryonen arbeitenden Forscher sehen. Selbstverständlich ist der Mensch für die Wissenschaft nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt. Denn die Wissenschaft will an ihm forschen. Darum muss von einer anderer Seite her definiert werden, was der Mensch ist und wann er entsteht! Die Entscheidung, was der Mensch ist, wird letztlich die Naturwissenschaft nicht treffen können. Hier könnte die Ethik, die Religion oder die Philosophie weiterhelfen. Zwar kann der Ethiker letztlich keine gültige Antwort über die Nützlichkeit der Forschung geben. Aber er weiß um die Würde des entstehenden Lebens und hat sich für die einmal erkannte Wahrheit einzusetzen, selbst wenn die naturwissenschaftliche Forschung glaubt, keinen Verzicht auf embryonale Stammzellen leisten zu können. Darum ist eine Ehrfurcht vor dem Leben heute mehr denn je zu fordern. Freilich nicht im Sinne der von Albert Schweitzer angedachten totalen Ehrfurcht vor jeder lebenden Existenz. Da sind hinreichende Vorbehalte angebracht. Und die beziehen sich sowohl auf alle Tiere als auch auf die Pflanzen. Darum ist auch nur eine eingeschränkte Tierethik und Pflanzenethik möglich. Dem Menschen ist die Erde zum Lebensraum übergeben. Ihm allein kommt Würde zu. Er ist der Herr über sie. Aber sie ist ihm zur Bewahrung und zur Bebauung anvertraut. Darum sollte er sie schützen und nicht verwüsten. Dem widerspricht aber das Handeln des Menschen vielfach in der Gegenwart. Die Zahl der Menschen wächst. Damit hat auch ihre Auswirkung auf die Umwelt zugenommen. Für die nahe Zukunft wird ein allgemeiner Klimaanstieg prognostiziert, der von den Menschen hervorgerufen ist. Sollte die Klimaerwärmung unter zwei Grad liegen, wird sich der Menschen an die Klimaveränderung anpassen können. Die Kohlendioxidmenge wird dann noch beherrschbar sein. Sollte dagegen der Klimawandel nicht

II. Die Würde des menschlichen Lebens

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gemildert werden können, ist mit einem Anstieg der Erdoberflächentemperatur um 4,5 Grad zu rechnen. Das würde zu einer Veränderung des Lebens auf der Erde für Menschen und Tiere und für die Pflanzenwelt führen. Die Folgen könnten vielfältiger Art sein. Sie könnten darin bestehen, dass die Gebirgsgletscher schmelzen, das arktische Eis zurückgeht, der Meeresspiegel sich ändert, extreme Wetter-Veränderungen auftreten, viele Tierarten aussterben, Nahrungsmittel knapp werden, Schädlinge in Form von Mikroorganismen wachsen etc. Auf internationaler Ebene versucht man, mehr oder weniger energisch gegenzusteuern. Die meisten der anstehenden Probleme sind nicht individuell oder von einzelnen Gesellschaften zu lösen. Hier ist das Zusammenwirken aller Menschen, Völker und Nationen gefordert. Erst wenn ein allgemeines Umdenken erfolgt ist, lässt sich auch die große Katastrophe verhindern. 2. Ökonomisches Handeln Die Kultur des Menschen umfasst alles Handeln des Menschen. Sie hilft, dem Sinn und der Ordnung des Menschen zu entsprechen. Zur Kultur des Menschen gehört auch die Organisation der Wirtschaft. Die Marktwirtschaft ist durch marktorientierte Bedürfnisbefriedigung gekennzeichnet. Der Markt kennt nur ein Ansehen der Sache, aber nicht eines der Person. Die in der Gegenwart herrschende Ausprägung der Marktwirtschaft, oftmals als Neoliberalismus abgewertet, bildet die Grundlage für die Soziale Marktwirtschaft. Mit ihr sollte vor allem die im Liberalismus vorherrschende völlige Nichteinmischung des Staates in den wirtschaftlichen Ablauf vermieden werden. Im Laufe der Zeit hat sich die Soziale Marktwirtschaft je nach der vorherrschenden Entwicklungssituation der Gesellschaft verändert. Zwei Stränge herrschen vor und geben den Ton für die Entwicklung an. Der eine ist die wirtschaftliche Ausrichtung,

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8. Kap.: Rückblick und Ausblick

gekennzeichnet durch die Begriffe Freiheit, Wettbewerb und Markt. Der andere ist stärker gesellschaftsorientiert und durch die Begriffe Freiheit, Verantwortung und Solidarität zu umschreiben. In der westlichen Welt ist heute die Versorgung der Bevölkerung mit den Grundgütern und Dienstleistungen des Alltags weitgehend gewährleistet. Dazu gehören freilich auch die vielen unterschiedlichen Gütern aus der Unterhaltungsindustrie und Kommunikationstechnik, die preisgünstig erworben werden können. Produkte des täglichen Bedarfs und Markenalternativen sind zahlreich vorhanden. Darum müssen zur Steigerung des Absatzes neue Märkte erschlossen werden. Dabei geht es vielfach nicht mehr um die Bedürfnisbefriedigung, sondern vielmehr um die Schaffung neuer Bedürfnisse. Die angebotenen Produkte überraschen die Kunden, „die gar nicht wussten, dass sie sich diese Dinge oder Dienstleistungen insgeheim schon immer wünschten“2. Darum ist das Handeln bzw. Kaufen der Konsumenten nicht mehr die Sehnsucht nach einer Bedürfnisbefriedigung, sondern die Sehnsucht nach der Erfüllung von Träumen oder Wünschen. Heute geht man nicht mehr in ein Kaufhaus, „um ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen, sondern um sich anzuschauen, welche Bedürfnisse man überhaupt haben könnte“3. Zur Marktwirtschaft gehört weiter ein ökonomisch nachhaltiges und ökologisch geprägtes Wirtschaften. Es gilt als selbstverständlich, außer der ökonomischen Zielsetzung von Gewinnerzielung oder Gewinnvermehrung auch den gesellschaftlichen Aspekt einer Gewinnverwendung zu berücksichtigen. Freilich hat das Unternehmen immer vorrangig nicht eine soziale Zielrichtung zu erfüllen, sondern einen ökonomischen Beitrag zu erzielen. Im Rahmen der sozialen Verantwortung der Wirtschaft wird eine soziale Ordnung gefordert, die eine soziale Struktur hervorbringt und die dem einzelnen Menschen eine verantwort2 3

EKD (2008), n. 69, S. 73. EKD (2008), n. 70, S. 73 f.

III. Lebenssinn – Lebenskrise

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liche Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben erlaubt. Die darin steckende Solidargemeinschaft vermittelt die Verbundenheit und die Schicksalsgemeinschaft. Sie bezieht sich freilich nicht nur auf die gegenwärtige, sondern auch auf die künftige Gemeinschaft. Dabei geht es nicht nur um eine Verteilungsgerechtigkeit, sondern um eine gerechte Teilhabe an den Möglichkeiten der Gesellschaft. Zu ihr gehört freies Unternehmertum mit seinen Verfassungen, Organisationen und seiner Kultur. Dazu wiederum ist Vertrauen und angstfreies Wirtschaften im Unternehmen zu zählen.

III. Lebenssinn – Lebenskrise Bereits in der Antike kam der Begriff der ars vivendi (Kunst zu leben) auf. Sie gab praktische Anweisung zur Führung des Lebens. Heute will die Lebenskunst gleichsam als Generalthema das Dasein des Menschen kennzeichnen. Oft war es die Philosophie, die die Fragen der Lebensbewältigung in Angriff nahm und nach Antworten suchte. Vielfach ging es in der Antike dabei vor allem um die ars bene vivendi und damit um die richtige Lebensfçhrung. In der Lebenskunst geht es um eine große Spannweite, um die unbeschwerte Lebensführung und um den gelassenen Umgang in allen Lagen des Lebens. In der Kunst des Lebens kommt es dabei vor allem darauf an, über den Sinn des Lebens nachzudenken. Man kann den Sinn nicht einfach in der Hoffnung suchen, ihn irgendwo und irgendwann zu finden. Man muss nach den Zusammenhängen der Dingen forschen. Und die Ergebnisse müssen im Endeffekt dann auch Bestand haben. In früheren Epochen waren die Menschen in ihrer Gemeinschaft und in ihre jeweilige Kultur integriert. Dazu gehörte auch das Sterben. Der Tod führte den Menschen freilich damals nicht in eine Krise des Lebens. Heute dagegen wird der

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8. Kap.: Rückblick und Ausblick

Tod als ein ungerechtfertigter Eingriff in das Leben verstanden. Der Einzelne ist im Sterben oftmals isoliert, aus seiner Gemeinschaft ausgestoßen oder allein gelassen. Er lebt selbständig und weitgehend unabhängig. Nur wer den Zusammenhang der Dinge wahrhaft sucht und dann auch findet, wird zu einer individuellen Antwort auf die Sinnfrage kommen. In vielen Fällen wird der Sinn des Lebens nicht in einem objektiven Sinngehalt gefunden. Er wird heute vielmehr individualistisch und subjektiv herausgestellt und gefunden werden müssen. Da man heute einen allgemeinen Sinn des Lebens verloren hat, sucht man ihn wie die klassischen Hedonisten in der Befriedigung von sinnlicher Lust. Der Lebenssinn liegt darum nicht mehr in der Erfüllung von übergeordneten und tradierten Werten und auch nicht in einer Vorbereitung auf das Leben jenseits der irdischen Existenz, sondern in dem Erleben von Spaß und Lust. Allein vom Menschen wird die Frage nach dem Sinn des Leben gestellt. Er ist nämlich das einzige Lebewesen, das mit Vernunft begabt diese Frage stellen und auch beantworten kann und will. Sie hat eine fundamentale Bedeutung für das ganze Leben des Menschen. Im Grunde ist die Sinnfrage recht alt, denn sie ist als Frage nach der guten und richtigen Gestaltung des Lebens seit der Antike bekannt. Sie wird als Frage nach dem höchsten Gut, nach dem ewigen oder seligen Leben oder nach dem höchsten Glück überliefert. Die Antworten der Religionen, der Philosophie oder Psychologie sind sicher verschieden. In der Tendenz streben sie nach einer jeweils eigenen Antwort für die Lösung des Problems. In der Fragestellung nach dem Sinn des Lebens sucht der Mensch nach der Bedeutung seiner Lebenszeit. Heute ist dem Menschen die Frage nach dem Sinn seines Daseins wichtiger als die nach seiner Stellung vor seinem Schöpfer, wie sie in früheren Jahrzehnten gestellt wurde. Oft fragt er nicht deshalb nach dem Sinn des Lebens, weil er ihn einmal hatte und ihn jetzt näher ergründen will. Denn er ist ihm fast zur Gänze verloren gegangen.

III. Lebenssinn – Lebenskrise

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Der Verlust des Lebenssinns drückt sich in der immer schwieriger werdenden Bewältigung des Alltags aus. Das hat gerade die junge Generation erfahren. Darum ist der Konsum von Drogen bei dieser Gruppe erheblich angestiegen. Gleichzeitig ist die Sehnsucht nach einer Zukunftsbewältigung durch esoterische Beratung gewachsen. Die Menschen flüchten in allerlei Aktivitäten, sie suchen nach einer schnellen Befriedigung und einem längeren Lustgewinn. Um aus einer dieser LebensSinn-Krisen herauszufinden, ist auch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt erheblich gewachsen. Wo der Sinn verloren gegangen ist, kommt es zunehmend zu körperlichen und seelischen Leiden der Menschen. Zu krankhaften Erscheinungen kann es ebenfalls führen, wenn diese Frage nicht erkannt oder eine Antwort nicht gefunden wird. Die Sinnkrise führt meistens weiter zu einer Identitätskrise und damit letztlich auch zu der schwierigen Frage nach dem eigenen Ich: Wer bin ich? Damit ist der seelische Zustand zu beschreiben, in dem das Individuum seinen Selbstwert infrage gestellt sieht und gleichzeitig seine soziale Beziehung gegenüber den Gliedern der Gesellschaft als bedeutungslos empfindet. Er glaubt, sich als überflüssig sehen zu müssen und meint deshalb, an sich und an der Umwelt zu scheitern. Der Sinn des Lebens kann etwa darin bestehen, die Zusammenhänge von einzelnen Erkenntnissen, Handlungsweisen oder Lebenserfahrungen zusammenzuführen und in einem größeren Rahmen wahrzunehmen. Der Sinn der Arbeit könnte etwa darin gesehen werden, die einzelnen Vorgänge im Ablauf der Produktion zu erkennen und zu erleben, wie der eigene Beitrag für das ganze Produkt wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Wer dagegen unter dem Burn-out-Syndrom leidet, findet keinen Sinn mehr in der Arbeit oder in seinem ganzen Leben. Er erkennt die Sinn-Zusammenhänge nicht mehr und will sie auch nicht mehr sehen. Dieser Mangel führt ihn zur Sinnlosigkeit seines Lebens oder zu einer Haltlosigkeit. Aus den auftretenden sinnlosen Einzelphänomenen kann es dann zu einer

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8. Kap.: Rückblick und Ausblick

Sinnlosigkeit des gesamten Lebens kommen, die sich bis zur metaphysischen Sinnlosigkeit steigern könnte4. Der so betroffene Mensch kann nicht mehr abschalten. Er ist ständig gehetzt und gejagt und angespannt. Wer in dieser Lage ist, bedarf der Seelsorge, also der epiméleia teˆs psycheˆs im wahrsten Sinn des sokratischen Wortes. Dazu stellen sich die Ängste vor einer drohenden Umweltkrise in Verbindung mit einem verheerenden Klimawandel und hier und da immer wieder aufbrechenden Kriegen ein. Globale Katastrophen und atomare Gefahren ängstigen die Menschen über die Maßen. Aber ein Leben, in dem die Sinnlosigkeit Oberhand gewinnt, ist auf die Dauer nicht erträglich oder lebbar. Darum hat gerade die Sinnfrage für den Menschen von heute eine überragende Dimension erhalten. In einer vierfachen Überlegung und Differenzierung könnte man sich um die Frage nach dem Sinn des Lebens kümmern und mindestens eine vorläufige Antwort finden5: 1. Indem man den Sinn mit Nutzen und Zweck gleichsetzt. Der Sinn liegt dann in dem Nutzen, den jemand für die Gemeinschaft erbringt. Je bedeutender ein Mensch ist, umso größer wird der Nutzen für die Gemeinschaft sein. 2. Indem man in einem gleichsam gegenläufigen Fall Sinn mit Glück identifiziert. Im Gegensatz zum objektiven Geschehen einer Gleichsetzung von Sinn und Nutzen steht hier das subjektive Abmühen oder das Empfinden von Glück und Befriedigung im Mittelpunkt. 3. Indem man glaubt, den allgemeinen Sinn des Lebens in der Meditation über das Heute finden zu können. Er steht in dem carpe diem! Darum kann man ihn nicht ein für allemal festlegen. Vielmehr bestimmt jeder Tag und jede Situation den Sinn von sich aus neu. Vgl. Schmid Wilhelm, (2005), S. 425. Vgl. Fritzsche, Hans-Georg, Lehrbuch der Dogmatik Bd. IV, Göttingen 1988, S. 384 ff. 4 5

III. Lebenssinn – Lebenskrise

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4. Indem man die Sinnfrage rein personal klärt. Man sieht den Sinn entweder in der eigenen Person oder in der des anderen Menschen. Und das bedeutet, man nimmt an, über eine Selbstreflexion auch zum Verstehen des anderen Menschen zu kommen. Wer sich als Christ auf die Sinnfrage einlässt, erfährt den Sinn durchaus nicht allein in einer dieser vier Antworten. Vielleicht holt er das eine oder andere aus diesen Vorschlägen heraus. Über die biblische Botschaft erhält er weitere und vor allem endgültige Hinweise. Selbstverständlich hat die Sinnfrage auch etwas mit der guten Sache zu tun, der man verpflichtet ist. Man wird dabei auch sich selbst einsetzen, um Leistung und Erfolg zu erbringen. Darçber hinaus wird man sich verantwortlich fçhlen. Denn man mæchte bestimmten Menschen etwas bedeuten. Und deshalb wird man sich menschlich verhalten6. Weil die Menschen ihre Werte verloren haben, leben sie also bereits vor ihrem Sterben in der aufgezeigten Sinnkrise. Der Tod ist dann nur noch die letzte große Krise. Die meisten Menschen müssen darüber hinaus abgestellt in Kliniken das Ende ihres Lebens erfahren. Damit ist der Tod für sie zur Sinnkrise des Lebens schlechthin geworden. Für den Christen ist die Sinnfrage dann gelöst, wenn er auf die Aussagen Christi schaut. Dieser hatte dem reichen Jüngling geantwortet, als dieser die Sinnfrage stellt, die für ihn in der Frage nach dem Erlangen des ewigen Lebens gipfelte (Mt. 19, 16 ff.). Die Antwort, die Jesus gibt, zielt auf ein totales Engagement. Aber das wird vom Frager als eine äußerste Zumutung empfunden. Er will das Ewige nicht als totale Hingabe, sondern als Beståtigung der bereits erbrachten Leistung. Den Sinn erfährt der Christ dort und dann, wenn er sich auf die Vorbereitung in die Gemeinschaft mit seinem Schöpfer einstellt. Seine Teilhabe an der Gottesherrschaft und die daraus erwachsende Liebe zu seinem Schöpfer und Erlöser und 6

Vgl. Fritzsche, Hans-Georg (1988), S. 390.

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8. Kap.: Rückblick und Ausblick

die liebevolle Gemeinschaft mit seinen Nächsten erfüllen nach christlicher Überlieferung das Leben des Menschen. Aber nur, wer im Leben auch den Tod mit bedenkt, erfährt etwas über den Sinn seines Lebens. Wer sein Ende nicht mit im Auge hat, erfasst letztlich auch nicht sein Leben. Der Mensch muss Rechenschaft ablegen über sein Leben. Er wird nach der Sinnerfüllung seines Lebens gefragt werden.

IV. Leben über den Tod hinaus Der Mensch lebt nicht allein. Weder sündigt er allein, noch wird er allein gerettet. Kraft der Auferstehung Christi wird ihm Erlösung und Versöhnung geschenkt. Er darf ewig leben. Dieses Leben ist ein Leben mit einem Nein zum Tod. Den Menschen wird Versöhnung und Erlösung geschenkt. Sie warten auf die Ewigkeit. Diese ist aber nicht als eine zeitliche Endlosigkeit zu verstehen. Darum kommt gerade eine christliche Ethik auch nicht an der Eschatologie vorbei. Die Auferstehung Christi von den Toten hat den Tod überwunden. Der neue Himmel und die neue Erde sind gekommen. Für den Christen ist Gott die Quelle des Lebens. Er ist der Schöpfer allen Lebens, speziell des Lebens der Menschen. Schon für den Apostel Paulus bedeutete die Auferstehung Teilhabe am ewigen Heil. Sie ist Teil der Hoffnung auf das ewige Leben7. Denn der in Christus Gestorbene wird teilhaben an der Kreuzigung Christi und an seiner Auferstehung. Wer in Christus lebt, wird im Glauben mit Christus auferstehen und eben deshalb auch den Tod überdauern. Christi Verkündigung geht von der kommenden Gottesherrschaft aus bzw. führt auf sie hin. Die Gottesherrschaft wird zum kritischen Punkt des Lebens und des Sterbens. Wer im Reich Gottes lebt, ist nicht tot (Lk 9,60). Vielmehr wird durch die Gottesherrschaft die Grenze des Todes relativiert. 7

Vgl. 1.Thesss. 413 ff.

IV. Leben über den Tod hinaus

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Denn wer in der Gottesbeziehung stirbt, wird nicht aus der göttlichen Vollendung herausfallen. Aber diese neue Welt ist nicht eine jenseitige Welt, sondern eine, die mitten unter uns ist. Denn so heißt es im Neuen Testament: Das Reich Gottes ist mitten unter euch (Lk 17, 21: idou` gàr he basileía toû theoû entòs hymôn estin). Die Christen und ihre Gemeinschaften aber erfüllen ihren Auftrag nicht, wenn sie den Begrenzungen und Einschränkungen in dieser Welt einfach eine Hoffnung auf die jenseitige Welt entgegenstellen. Als einen individuellen und kollektiven Auftrag für den Einzelnen wie auch die Gemeinschaft leben die Christen in der Hoffnung auf das Reich Gottes. Zwar vergeht diese Welt. Aber noch existiert sie. Und das menschliche und auch das nichtmenschliche Leben muss mit aller Kraft geschützt und erhalten werden8. Die Menschen leben zwar in der Gegenwart aus der Vergangenheit und auf die Zukunft hin. Ihr Leben ist endlich; sie sind wie alles Leben auf der Erde sterblich. Ihr Leben ist nicht umkehrbar, sondern immer auf die Zukunft ausgerichtet. Aber für sie wird einmal das Vergangene vergangen und das Zukünftige gegenwärtig sein. Letztlich wird das Handeln aus der Zukunft und durch sie bestimmt. Wo die Hoffnung auf das Leben nach dem Tod nicht mehr existiert, sondern sich in eine innerweltliche Zukunftshoffnung verflüchtigt, bleibt auch die Zukunftsperspektive und Hoffnung im Diesseitigen stehen. Schließlich sagt der Begriff des ewigen Lebens gerade aus, dass es ein Nein zum ewigen Tod gibt. Das Leben jenseits des Todes ist nicht im Sinne eines ewigen Lebens zu verstehen, das in einer Fortsetzung dieses Lebens verstanden wird. Es verheißt, dass der Tod des Menschen ihn nicht von Gott trennen kann. 8 Vgl. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Gott ist ein Freund des Lebens (1989), S. 111.

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8. Kap.: Rückblick und Ausblick

Allerdings wird dieses Leben, das mit dem irdischen Tod endet, erst durch das Leben nach dem Tod erträglich werden. Jedenfalls erwarten die Christen ihre Bestimmung und den Inhalt ihrer zeitlichen Existenz aus dem Leben nach dem Tod.

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Personen- und Sachregister Abfindung 185 Abtreibung 32, 69, 71, 73, 164 Adoption 80 Agenda 181 Ähnlichkeit 30 Allmende 168 Alpen 123, 137 Alter 43 Alternativenergie 132 ff. Altes Testament 16, 20, 30, 34, 68, 83, 86, 97 f., 235 Angebot 177, 223 ff. Anpassungsstrategie 152 f. Apostel Paulus 18, 35, 84, 194, 217, 221, 245 Apostolisches Glaubensbekenntnis 21 Antropozentrik 27, 94, 99, 148 Anthropozentrismus 15, 89 ff., 92 ff., 96 ff., 114, 117 f., 234 Arbeit 191 ff., 195 Arbeitsplatz 210 ff. Aristoteles 69, 227, 233 Armut 191, 213, 228, 230 Arzt 39, 41, 46, 74, 109 Ästhetik 114 Auferstehung 14, 35, 85 ff., 92, 245 f. Aufgabe 223 Aufsichtsrat 188 Augustin 22 Bakterien 109 Bali 143 Barbier, Hans D. 178

Barmen 222 Barth, Karl 21, 103, 111, 217, 235 Basel II 183 f. Baumjahresring 120 Befruchtung 47 Behinderung 17 Belohnung 219 Benedict XVI. 85 Bibel 18, 28 f., 83, 100 ff., 111 ff., 234 Bioenergie 133 ff. Bioethik 115 Biologie 27, 48 Bios 13, 34 f. Biozentrismus 93 f., 114 Bischöfe, katholische 64 ff., 71 ff., 74 f., 209, 230 ff. Böhm, Franz 172, 175 Boni 185 Bright, John 171 Brüderlichkeit 232 Brunner, Emil 235 Bund 17, 20, 84 Bundestag 64, 105, 236 Bundesrepublik 31, 212 Burn-out-Syndrom 242 Calvin, Johannes, 25 Centesimus Annus 225 Chardin, Piere Teilhard de 28 Chicagoer Schule 175 f. Christentum 30, 159, 234 Christus 14, 30 f., 35, 38, 84 ff., 98, 244 f. Chromosomen 60

Personen- und Sachregister Claudius, Matthias 82 Coase-Theorem 153 Cobden, Richard 171 Crutzen, Paul 139 Dales, J. H. 153 Dann, Christian, Adam 105 Darwin, Charles 23, 27 Demokratie 218, 223 ff. Descartes, René 105 Deutsche Bischofskonferenz 5, 73 Deutschland 44, 47, 57, 71 f., 133, 146, 181, 185, 189, 213 Diagnostik, vorgeburtliche (PND) 49 Diamond, Jared 166 Diener 221 ff. Dolly 53 Ebenbildlichkeit 18, 30 f., 34, 95, 103, 224, 234 Ehe 78 ff. Ehrfurcht 108 ff. Ehrhardt, Ludwig 175 Eigenverantwortung 45 Eiszeit 120 ff., 125 ff., 127 ff., 139 ff., 145 Eizelle 48, 54 ff., 59 f., 61 ff., 236 ff. EKD 5, 16 ff, 49 ff. 64 ff., 71 ff., 128 ff., 183, 209, 223 ff., 230 ff. Ekklesiologie 82 Embryo 23, 47 ff., 51 ff. 58 ff., 63 ff., 69, 73, 236 ff. Embryonenforschung 32, 49, 59, 63 Emission 142 ff., 153 ff. Emissionshandel 153 ff., 155 f. Emissionsrechte 153 ff., 155 f. Endowment Effekt 186. Energieentwicklung 127 ff., 145 ff. Energiemix 130 Energiepolitik 119 ff., 135, 145 ff. Energieträger 134 ff., 145 f., 169, 225

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Energieverbrauch 127 ff., 145 ff. England 47 Entwicklungsland 212 Enzyklika 33, 40, 85 Erbschaft 194 Erde 17 f. Erderwärmung 126, 142, 238 Eschatologie 82, 86, 92 Esoterik 82 Ethik 15, 95, 117 ff., 157 ff., 214 ff., 233, 237 Ethikkommission 48, 68 Eucken, Walter 172, 174 f. Europa 133 ff., 141 ff., 144, 184, 189 Euthanasie 40 Evangelium Vitae 40 Evolution 21, 23 f., 26, 166, 234 Ewiges Leben 83 ff., 84 ff., 245 ff. Ewigkeit 83, 84 ff. Fabio, Udo Di, 161 ff. Familie 76 ff., 79 ff. Feiertag 192 Finanzierungsinstrumente 182 ff. Finanzinstitut 188 Finanzkrise 182, 185 f. Finanzmarkt 184 Finanzmarktrettungspaket 188 Fleischverzehr 107 Folter 32 Fortpflanzung 47 ff. Frankreich 189 Franz von Assisi 105, 108 Freiburger Schule 172, 175 Freiheit 19, 161 ff., 178 f., 199, 223, 239 Freizeit 193 Friedman, Milton 176, 202 Führung 199 ff., 201 Gase 119 ff., 136ff., 140 ff., 144 ff. 146 ff., 169 Gaudium et Spes 159

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Personen- und Sachregister

Gebot 15, 70, 76, 193 Gefangenendilemma 168, 208 Gehalt 185, 188 Gen 56, 58 Generation 6, 25, 242 Generatianismus 25 Gerechtigkeit, soziale 227 ff., 229 ff., 232 ff. Gerhard, Paul 41 Geschöpf 19, 21, 83, 235 Gesellschaft 43 f., 51, 87, 90, 161, 167 f., 169, 224, 228, 231 ff. Gesetz 20, 76, 98, 106, 115, 231 Gesundheit 42 ff., 44 ff. Gewalt 32, 221 Gewerkschaft 202 Gewinnmaximierung 171, 202 Gleichheit 223, 232 Gletscher 123 f., 137 Globalisierung 76, 182, 221 Glück 187, 192, 241 Gott 15 f., 19 f., 21, 27 ff., 35, 41, 68, 83, 86 ff., 95, 104, 216, 224, 234, 245 Grameen Bank 204 Grenznutzen 186 Grönlandeis 120 ff., 125 f., 137 ff. Großbritannien 55 Großer Katechismus 21, 76 Grundgesetz 31, 78 Güter 17 Haberler, Fritz von 175 Hautzellen 54 f., 57 Hayek, August von 173 ff., 175, 228 Herder, Johann, Gottfried 158 Herrschaft 18, 96 ff., 191, 215 f., 219 Hoffnung 85 ff., 240, 245 Holozän 122 Hurrikan 138

Identifikation 219 Imperativ, kategorischer 29 f., 32 Indikation 72 ff. Industrieländer 143 Insemination 62 Intelligent-Design-Theorie 23 f. In-vitro-Fertilisation 49 ff. Jahwist 19, 34, 96, 100, 191 Japan 55 f., 57, 59 Johannes XXIII, 33 Johannes Paul II. 40, 69, 72, 225 f. Jonas, Hans 117 Judentum 30, 234 Kalifornien 53 Kant, Immanuel, 29, 32, 48, 78 f. Kapital 182 ff. Kapitalismus 171 ff. Kernenergie 129 Kirche 69 ff. 71 ff. 75 ff., 225, 227 Klemens von Alexandrien 22 Klima 6, 99, 119 ff. 124 ff., 130 ff., 148, 220, 237 Klimakatastrophe 90 ff., 146 ff. Klimawandel 99, 119 ff., 122 ff., 124 ff., 135 ff., 139 ff., 147 ff. Klonen 53 ff. 56 ff., 60 Knapp, Albert 105 Knight, Frank 175 Kohlendioxid 119 ff., 122 ff., 124 ff., 126 f., 131 ff., 136 ff., 140, 144, 148 f., 237 Kollaps 206 Kombilohn 190 Konflikt 110 Konkurrenz 76 Kommunikationstechnik 239 Konsum 162, 239 Kosmos 27 Kosmozentrismus 93 Krankenversicherung 45 f., 204

Personen- und Sachregister Krankheit 17, 40, 42 f., 44, 48 ff., 59, 61, 106, 139, 148 Kreatianismus 22 ff. Kreationismus 23, 234 Krebs 58 Kult 98 Kultur 157 ff., 161 ff., 165 ff., 192, 240 Kunst 162, 165 Kyoto 142 ff. Laterankonzil 23 Leben 6, 13 ff., 16 ff., 25, 35 f., 43, 48 ff., 71 ff., 76 ff., 86 ff., 88, 108 ff., 215 ff., 233 ff., 245 f., 247 Lebensphase 37 Lebenskrise 240 ff. Lebenssinn 240 ff. 243 ff. Lebenswissenschaft 215 Legitimation 219 Leiden 81 ff., 104 Leihmutter 60 Leo XIII. 225 Liberalismus 173 ff. Lippmann, Walter 173 Luther, Martin 21, 25, 77, 193 Machlup, Fritz 175 Macht 216 ff., 218 ff., 220 ff., 224 ff. Mäzen 194 f. Manager 184 ff., 187 f., 206 Markt 179 f., 183 ff., 239 Marktwirtschaft 171 ff., 175 ff., 179 ff., 228, 238 ff. Marx, Karl 194 Maximallohn 187 ff. Medizin 40, 42, 48, 56 Mensch 13 ff., 17, 18 f., 22 ff., 26, 29 ff., 33 ff., 41, 47, 48 ff., 70 ff., 84, 94 ff., 98 ff., 101, 110 f., 114, 158 ff., 170, 206, 233 ff., 237 ff., 244 ff.

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Menschenliebe 37 Meyer-Abich, K.M. 114 Miksch, Leonhard 175 Mindestlohn 187 ff., 189 ff. Mises, Ludwig von 173, 175 Mitarbeiter 196 ff., 199 ff., 201 ff. Mitbestimmung 213 Mitmensch 37, 76 Moltmann, Jürgen, 27 Monopol 176 Mont Pélerin Society 174 Moral 203 Moral Hazard Theorem 46 Müller-Armack, Alfred 175, 179 ff., 205 Muße 191 ff., 194 Nachfrage 177 Nachhaltigkeit 89 ff., 92, 135, 203, 208, 232 Nahrung 107 Nash, John Forbes jr. 207 Nash-Gleichgewicht 207 Nationalsozialismus 39 Natur 26, 28, 90, 94, 100 f., 114, 118, 157 Naturethik 5, 118 Naturschutz 15 Naturwissenschaft 20 Neoliberalismus 173 ff., 177 Neues Testament 16, 30, 34, 84, 98 ff., 101, 195, 246 Nidation 48 f. Niedriglohnländer 210 ff. Oderflut 138 Offshoring 210 ff. Ökologie 169 f., 202, 205, 207, 239 Ordoliberalismus 171, 174 f. Ordnung 20, 28, 161, 177, 215 Organtransplantation 65 ff. Origenes 22

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Personen- und Sachregister

Paar 80 Pacem in terris 33 Palliativmedizin 81 Pannenberg, Wolfhart 87 Pastoralkonstitution 69, 159 Patient 39 ff., 46 1. Petrusbrief 222 Pflanzen 18, 98, 100 ff., 111 ff., 114 ff., 129 ff., 134 ff., 169, 234 Pflanzenethik 111 ff., 117 Physikotheologie 24 Physiozentrismus 92 ff., 114 Pius IX. 69 Pius XII. 40, 74 Pneumatologie 82 Politik 214 ff. Präexistentialismus 22, 24 f. Präimplantationsdiagnostik (PID) 49 ff., 53 Prozesstheologie 28 Priesterschrift 19, 30, 95 f. Psyche 81 Rad, Gerhard von 20 Rahmenbedingung 177, 203, 207 Rahmstorf, Stefan 151 f. Rawls, John 229 Recht 33, 100 ff. Reform 181 Reichtum 195 f., 228, 230 Reprogrammierung 48 ff., 55 ff., 57 ff., 60, 236 Rerum Novarum 225 Ressourcen 206 Rio-Konferenz 150 Rohstoff 209 Röpke, Wilhelm 173, 175 Ruhe 191 ff. Rüstow, Alexander 173 f., 175 Sabbat 27, 192 Samen 47 ff. 61 ff. Schattenwirtschaft 190

Schellnhuber, Hans Joachim 127, 151 f. Schöpfer 5, 14, 31, 101, 216, 241 Schöpfung 14, 20, 25 ff., 28, 31, 92 f., 101, 221, 232, 234 ff. Schöpfungsbericht 20 Schutz 6, 15, 16 ff., 33, 68 ff., 79 Schwangerschaftsabbruch 49 f., 68 ff., 71 ff., 74 ff. Schweitzer, Albert 108 ff., 161 Seele, 48 Seelsorge 243 Selbstbestimmung 41, 70 Selbstmord 40 Sequestrierung 149 f. Simons, Henry 176 Smith, Adam 177 f. Sinn 240 ff., 243 ff. Solidarität 45, 77, 178 f., 230 Soziale Marktwirtschaft 173 ff., 177 ff., 179 ff., 182 ff., 184 ff., 205 ff., 228 ff., 232, 238 Sozialpolitik 180 ff., 221 f., 233 Spe salvi 85 Spiritualität 80 ff. Staat 175 f., 189, 202, 214 ff., 220 Stammzellen 50 ff., 54 ff., 56 ff., 59 ff., 64 ff. Sterbehilfe 36 ff., 39 Sterben 6, 36 ff., 241, 244 Stichtag 63 f. Südkorea 53 Sünde 18 f., 20, 31, 35, 112, 221 Taifun 138 Teilhabe 209, 231, 244 Telekommunikation 210 Thaler, Richard 186 Thielicke, Helmut 86 Thomas von Aquin 22, 69 Tier 13, 15, 19, 21, 41, 98 ff., 100 ff., 102 ff., 114 ff., 129 ff., 169, 234 Tierethik 102 ff., 117

Personen- und Sachregister Tierschutz 102 ff., 104 ff., 106 ff., 108 ff. Tod 14, 18, 34, 36 ff., 65 ff., 84 ff., 86 ff., 92, 164, 240, 244 ff., 247 Toronto 140 Tötung 41, 108 Traduzianismus 25 Tranznationale Unternehmen (TNU) 210 ff. Treibhauseffekt 91 ff., 126 ff., 128 ff., 137 ff., 140 ff., 142 Troja 120 Tumorzellen 52 Umwelt 15, 139 ff. 150 ff., 167 ff., 171 ff., 209, 237 Umweltethik 89 ff., 97 ff., 99 Umweltschutz 205 ff., 207 ff., 220 Umweltzertifikat 154 UNESCO 160 UNO 75, 148 Unternehmen 156, 182 ff., 185, 196 ff., 198 ff., 202 ff. Unternehmenskultur 196 ff., 198 ff. Unternehmenspolitik 201 ff. Unternehmensverantwortung 201 ff., 203 Unternehmensverfassung 201 ff. Uran 129 Urknall 27 USA 23 f., 44, 56 f., 62, 91, 126, 129, 133, 138, 142, 146, 148, 185 Vaticanum II 33, 69 Verantwortung 5 ff. 45, 77, 101 ff., 108 ff., 175, 178, 198, 202 f., 205 ff., 223, 224, 231 ff., 236 ff., 239

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Vergewaltigung 32, 72 Verlagerung 210 ff. Vermeidungsstrategie 152 f. Versicherung 46 Verteilungsgerechtigkeit 228 Vertrauen 163, 196 ff., 200 ff. Virus 109 Volk 98, 158, 206 Vollbechäftigung 206 Vorläuferzellen 52 Vorstand 184 Warmzeit 119 ff. Weber, Max 172, 218 f. Weltenergierat 131 ff. Weltklimarat (IPCC) 120 ff., 125 ff., 127 ff., 146 ff. Wert 78 ff., 113, 118, 161, 163, 166, 211ff., 225 Wettbewerb 171 ff., 174, 179 ff., 207 f., 209, 239 Whitehaed, Alfred, North 28 Wirtschaft 165 ff., 171 ff., 205 ff., 238 ff. Wissenschaftlicher Beirat 150 ff. Würde 29 ff., 33 ff., 36 f., 48 ff., 51 ff., 78 ff., 208, 223, 225, 228, 233, 235 f. Yunus, Mohamed 204 Zeit 83, 163, 224 Zentralverwaltungswirtschaft 228 Zeugung 62 Zukunft 88, 117 ff., 235f., 246 Zurechenbarkeit 151 Zwang 219