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German Pages 263 [264] Year 1994
MICHAEL MOESKES
Immissionsschutzrecht als Rechtsinstrument
Schriften zur Rechtstheorie Heft 164
Immissionsschutzrecht als Rechtsinstrument Voraussetzungen und Kritik des US-amerikanischen Instrumentalismus in vergleichender Perspektive
Von Michael Moeskes
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Moeskes, Michael: Immissionsschutzrecht als Rechtsinstrument : Voraussetzungen und Kritik des US-amerikanischen Instrumentalismus in vergleichender Perspektive / von Michael Moeskes. — Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 164) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07938-8 NE: GT
D6 Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-07938-8
Meinen Eltern und meinen Großeltern
Vorwort In den staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen westlichen Welt — sei es in den Vereinigten Staaten von Amerika, sei es in den Staaten Westeuropas — gewinnen die Rechtsprobleme des Umweltschutzes, insbesondere der Reinhaltung von Wasser und Luft, in ständig steigendem Maße an Bedeutung. Nicht von ungefähr sind gerade hier die rechtlichen Instrumente eines Umweltund Immissionsschutzes — den hier deutlicher als anderswo zutage tretenden Zwecken und Zielen des Immissionsschutzrechtes folgend — besonders früh und besonders gründlich erprobt und weiterentwickelt worden. Auch wenn das USamerikanische Rechtssystem, anders als die staatlich organisierten Rechtsordnungen Kontinentaleuropas mit ihren Kodifikationen und ihren gesetzgeberisch ausgestalteten Rechtssystemen, in seiner Struktur und seinen Funktionen naturgemäß ganz charakteristische Unterschiede aufweist, kann doch nicht ignoriert werden, daß sie im Hinblick auf die mit Mitteln des jeweils geltenden Rechts verfolgten Zwecke durchaus vergleichbar sind. Von einer Darstellung der Genese immissionsschutzrechtlicher Zielvorgaben ausgehend, wie sie im Air Pollution Control Act von 1955 vorliegen, sollen im folgenden in paradigmatischer Absicht zunächst die Zielsetzung und die Instrumentierung dieses rechtlichen Programms untersucht werden. Daran schließt sich an eine Erörterung derjenigen Instrumente, die das Common Law seit jeher bietet (Torts-Klagen usf.), sowie eine Analyse derjenigen administrativen Instrumente, die durch den Clean Air Act von 1963 bzw. 1970 / 77 geschaffen wurden. Ein besonderes Erkenntnisinteresse besteht ferner an den experimentellen Befugnissen der gliedstaatlichen Handlungssysteme, die sich im Rahmen eines „Cooperative Federalism" bieten. Ganz spezifische Relevanz kommt — immer mit Blick auf den hier praktizierten Instrumentalismus im Rechtsdenken der Gegenwart — ferner den in den USA angestellten Bemühungen um eine immissionsschutzrechtliche Vorbeugung zu sowie den Bemühungen um eine normative Standardisierung der hier vorgesehenen Maßnahmen und Institutionen. Das Hauptaugenmerk richtet sich hier auf die Ziele und Instrumente des Air Quality Standard Act, die — auch insoweit durchaus vergleichbar mit der Entwicklung des Umweltschutzrechts in Deutschland—die charakteristischen Züge einer Rechtserzeugung durch die Administrative erkennen lassen. Besonders lehrreich erscheint in diesem
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Vorwort
Zusammenhang die Darstellung der nationalen Immissionsstandards, wie sie von der US. Environmental Protection Agency gehandhabt werden, sowie die Möglichkeiten einer Bürger- und Verbandsklage (citizen suit), die manche Parallelen, aber auch Unterschiede zur deutschen Rechtsentwicklung aufweist. Der Ansatz bei den Rechtsproblemen des Immissionsschutzes und der Reinhaltung der Luft wurde — dem hier vorausgesetzten Primat der Praxis vor aller Rechtstheorie folgend — von vornherein ganz bewußt gewählt und durchgehalten, um zugleich in normentheoretisch vergleichender Perspektive eine für das USamerikanische wie für das deutsche Rechtssystem gemeinsame Ausgangsbasis zu gewinnen, wie sie in den modernen Industriegesellschaften der westlichen Welt nun einmal besteht. Auch wird insoweit von der Annahme ausgegangen, daß in diesen Rechtssystemen die Vorschriften des jeweiligen Immissionsschutzrechts mit ihren Rechts normen (i) als im Dienste bestimmter Ziele und Zwecke stehende rechtliche Mittel fungieren und (ii) daß dies — unbeschadet der im übrigen bestehenden strukturellen Unterschiede zwischen dem US-amerikanischen und dem kontinentaleuropäischen, insbesondere dem deutschen Rechtssystem —jedenfalls sub specie functionis anzustellende Vergleiche erlaubt. Femer liegt auf der Hand, daß gerade an diesen Rechtsproblemen (iii) in exemplarischer Weise die möglichen Ursache-Wirkungs-Beziehungen von Rechtsnormen mit Blick auf das durch sie zu regulierende menschliche Verhalten studiert werden können sowie die hieran anknüpfenden Rückkopplungseffekte auf das Rechtssystem. Während sich der erste Teil der Untersuchung — auch in vergleichender Perspektive — mit der Struktur und den Funktionen des nordamerikanischen Immissionsschutzwesens, insbesondere der Reinhaltung der Luft, befaßt, behandelt der zweite, dem Inhalt nach gewichtigere Teil der Untersuchung die dem System des US-amerikanischen Immissionsschutzrechts zugrundeliegende, genuin juristische Methologie und Rechtstheorie eines Instrumentalismus im Recht oder, um eine andere, aber nahzu gleichbedeutende Etikettierung zu wählen, des nordamerikanischen Rechtspragmatismus. Letzterer wird in prominenter, heute weite Beachtung findender Form vor allem von dem Rechtstheoretiker und Rechtsphilosophen Robert S. Summers, Cornell University in Ithaca, Ν. Y., vertreten. Der Bezug seiner Untersuchungen zum deutschen Rechtssystem sowie der zugehörigen juristischen Methodenlehre und Rechttheorie ist darin zu erblicken, daß der nordamerikanische Instrumentalismus oder Rechtspragmatismus in der von Summers vertretenen und bevorzugten Form eine Reihe von Familienähnlichkeiten (family
resemblances ) und sehr charakteristischen Gemeinsamkeiten mit
Vorwort
dem durch Ihering am Ausgang des vorigen Jahrhunderts begründeten deutschen Rechtsrealismus aufweist. Die im folgenden angestellten Untersuchungen machen es sich zur Aufgabe, die Beziehungen zu analysieren, die zwischen dem nordamerikanischen Rechtspragmatismus (Legal Realism, Sociological Jurisprudence) und den im Deutschland des ausgehenden 19. Jhdts. schon wesentlich früher begründeten Ansätzen zu einer auch soziologisch fundierten Jurisprudenz und Rechtstheorie bestehen. Ein pragmatischer Instrumentalismus und ein gegenüber allem geltenden Recht sinnkritischer, auch soziologisch aufgeklärter Rechtsrealismus, um den es heute sowohl im nordamerikanischen als auch im deutschen Rechtsdenken geht, erscheinen gegenwärtig wie kaum eine andere methodologische bzw. rechtstheoretische Position geeignet, gegenüber dem verbreiteten analytischen Rechtspositivismus einerseits und allen restaurativen Versuchen zur moralphilosophischen Begründung des Rechts (Naturrecht, Vernunftnaturrecht) andererseits in der Rechtstheorie eine jenseits von beiden angesiedelte dritte Position zu begründen. Die hier durchgeführten Untersuchungen machen es sich nicht nur zur Aufgabe, mit Hilfe von Analysen des Umweltschutzrechts in Nordamerika, das exemplarisch als manifester Ausdruck instrumentalistischer Rechtsauffassungen angesehen werden kann, in paradigmatischer Form den Nachweis zu führen, daß und inwiefern alles moderne Recht durch seinen Zweck- und Maßnahmecharakter gekennzeichnet wird. Gegenüber einem einseitig staatlich orientierten juristischen Positivismus und Etatismus wird im folgenden belegt, daß Rechtserzeugung in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft, insbesondere in den industriellen Gesellschaften der westlichen Welt, nicht mehr und jedenfalls nicht allein nach dem tradierten Muster und den normativistischen Paradigmata des überkommenden Gesetzes- und Rechtspositivismus verstanden und gedeutet werden kann. Es liegt auf der Hand, daß eine von vornherein auf reale Wirkungen hin konzipierte Normen- und Rechtserzeugung, die naturgemäß nur im Rahmen von UrsacheWirkungs-Beziehungen wirkliche Effektivität zu erlangen vermag, sich nicht mehr durch das von derartigen Beimengungen freie und insofern reine, bloß analytisch-hermeneutische Rechtsdenken eines längst überständigen Normativismus bewältigen läßt. Das US-amerikanische Umweltschutzrecht und seine rechtswissenschaftliche Durchdringung stellen uns somit heute, ähnlich wie in Deutschland, vor weitgehend neue rechtspraktische und rechtsstheoretische Probleme. Nicht von ungefähr wird hier auf der Ebene der Rechtspraxis und der zugehörigen praktischen Rechtswissenschaft in den USA wie in Deutschland die gewöhnlich praktizierte, rechtstechnisch begründete und insofern auch durchaus berechtigte Unterscheidung zwischen Tatfragen und Rechtsfragen zunehmend obsolet, da es
6
Vorwort
sich — wie jedenfalls auf der Ebene methodologischer und rechtstheoretischer Reflexion deutlich wird — sehr weitgehend um „mixed questions" handelt. Auch ist klar, daß derartige Problemstellungen naturgemäß gar nicht frei sein können von rechtspolitischen Erwägungen (policy judgments) und das Rechtsdenken nahezu zwangsläufig in die Nähe eines „hybrid lawmaking" führen. Daß eine derartiges Rechtsverständnis auch eine gewandelte Theorie der Gerechtigkeit nach sich zieht, wird in der hier praktizierten Pragmatic Justice deutlich. Diese Untersuchung wäre in der jetzt vorliegenden rechtpraktisch fundierten, ihrem Erkenntnisinteresse nach jedoch primär rechtstheoretischen Form nicht möglich geworden ohne einige längere Forschungsaufenthalte in den USA. Der Verf. hatte Gelegenheit, sich auf die Durchführung seines Projekts in zwei mehrmonatigen Studienreisen vorzubereiten, die ihm auch dazu dienten, sich mit der US-amerikanischen Rechtspraxis des Umweltschutzes vertraut zu machen. Ein Aufenthalt bei der Rechtsabteilung der United States Environmental Protection Agency in Chicago diente dazu, während einer Referendarstation dort als „Intern" nicht nur die notwendigen rechtspraktischen Informationen zu erheben, sondern auch — zumindest mittelbar — die erforderlichen institutionellen Erfahrungen zu sammeln. Dafür bin ich zu großem Dank verpflichtet. Von unschätzbarem Wert war für mich ein mehrmonatiger Aufenthalt an der Cornell University Law School, der mit dank des Entgegenkommens von Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Robert S. Summers die Gelegenheit gab, mit ihm im 2-Wochen-Rhythmus einen ca. 120 Seiten umfassenden „first draft" meiner Arbeit zu diskutieren. Hierfür schulde ich ihm ganz besonderen Dank! Mein besonderer Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Russell K. Osgood für seine freundliche Unterstützung während meines Aufenhalts an der Cornell Law School. Herzlich danken möchte ich der KonradAdenauer-Stiftung in St. Augustin, die meine Arbeit über einen mehrjährigen Zeitraum durch ein Graduiertenstipendium gefördert hat. Für vielfältige Anregungen, Unterstützung und Förderung danken ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Werner Krawietz, an dessen Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie ich eine Reihe von Jahren als Wissenschaftliche Hilfskraft und als Korrekturassistent für die Übungen im öffentlichen Recht tätig gewesen bin. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle meinen Eltern und Großeltern, die mir diese Studien ermöglicht haben, auch für mancherlei sonstige Hilfe und Ermutigung. Die Westfälische Wilhelms Universität zu Münster hat mir den Preis für ausgezeichnete Dissertationen verliehen und meine Arbeit mit einem Druck-
Vorwort
kostenzuschuß gefördert, für den ich sehr zu Dank verpflichtet bin. Für die freundliche finanzielle Unterstützung der Drucklegung danke ich ferner der Sozietät Dr. Appelhagen & Partner, Braunschweig und Magdeburg, in der ich seit 1992 als Rechtsanwalt tätig bin. Dem Geschäftsführenden Gesellschafter des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Professor Norbert Simon, danke ich für sein freundliches Interesse an meiner Untersuchung, die hilfreiche Förderung und seine Bereitschaft, diese Arbeit in die Schriften zur Rechtstheorie aufzunehmen. Magdeburg, im Frühjahr 1994 Michael Moeskes
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Verkettungen und Aufbau des Immissionsschutzrechtlichen Instrumentariums in den USA (Luftreinhaltung) I. Genese immissionsschutzrechtlicher Ziele
15
1. Police Power und lokale Verordnungen (public nuisance)
15
2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur deutschen Entwicklung
16
3. Erfahrungen und Genese des Air Pollution Control Act (1955)
18
4. Interessenschutz im Immissionsschutzrecht
20
5. Zielsetzung und Instrumentierung des Programms
21
II. Instrumente des Common law
24
1. Torts-Klagen
25
2. Entscheidungsketten des „trespass": Rechtsfortbildung und Strict Liability
26
3. Private Nuisance
31
4. Möglichkeiten und Grenzen des Common Law im Umweltrecht a) Rechtssätzliche Grenzen b) Kontextliche Beschränkungen
32 32 34
III. Entwicklung administrativer Instrumente
35
1. Zentralisierung und Koordinierung von Instrumenten
35
2. Ziele und Instrumente des Clean Air Act 1963 a) Problemstellung und Zielsetzung b) Ziele und Instrumente der Staatsverträge (interstate compacts)
36 36 38
3. Experimentelle Befugnisse gliedstaatlicher Handlungssysteme a) Politische Funktionalität b) „Creative" und „Cooperative Federalism"
41 41 43
4. Entwicklung von Bundeskompetenzen a) Entscheidungsketten nach der Commerce Clause b) Einbau in den Immissionsschutz c) Verdrängung (Preemption) durch Ziele
48 48 51 54
IV. Immissionsschutzrechtliche Vorbeugung in den USA 1. Ziele und Instrumente des Air Quality Standards Act
56 57
10
nsverzeichnis
2. Administrative Rule Making 3. Instrumente des Clean Air Act 1970/77: Gemeinsamkeiten und Unterschiede a) Nationale Immissionsstandards (U.S. Environmental Protection Agency) b) Implementation und Durchsetzung c) Citizen Suit (Bürger- und Verbandsklage) aa) Grundsätze (Rechtssätze) bb) Ausprägungen (Rechtssätze) d) Kontrollinstrumente: Citizen Suits und Vorsorge im Zusammenwirken e) Planungs- und Verteilungsfunktionen aa) Zweck und Kontext bb) Raumweite Auswirkungen cc) Funktion f) Margin of Safety g) Zweckprogrammatik von Vorsorge und „precaution" V. Mittel-Zwecke-Programmierung im Umweltrecht der USA 1. Prämissen
61 63 64 68 70 70 72 75 77 77 78 79 83 85 90 90
2. „Mixed Questions" and „Hybrid Lawmaking"
94
3. Institutional Approach
98
Zweiter Teil Instrumentalistische Rechtsauffassung und Positivität von Mitteln und Zwecken VI. Rechtliches Verhältnis von Mitteln und Zwecken
103
1. Recht als gesellschaftliches Instrument
103
2. Rechtspragmatik
107
3. Problematik des Instrumentalismus
111
4. Beziehungen von Mitteln und Zielen im US-amerikanischen Instrumentalismus
114
5. Dynamische Interaktionen zwischen Mitteln und Zielen im Pragmatischen Rechtsdenken von Robert S. Summers und Kenneth C. Davies 118 VII. Formalcharakter des Rechts 1. Ansatz der Analytical Jurisprudence im amerikanischen Rechtsdenken a) Voraussetzungen und Auswirkungen auf den Charakter des Rechts aa) Common Law bb) Statute Law b) Autorität und Normativität des Rechts durch Akte c) Widersprüche und Kritik des Analytischen Rechtsbegriffs
122 122 123 125 127 128 132
nsverzeichnis
d) Beispiele und Alternativen aus dem Positiven Recht
135
aa) Allgemeine Prämissen
135
bb) Beispiele und Alternativen aus dem Common Law
137
cc) Beispiele und Alternativen aus dem Statute Law und der U.S. Verfassung
141
2. Oliver Wendell Holmes als Wegbereiter des Rechtspragmatismus
144
a) Analytische Elemente der Rechtsauffassung von Holmes
144
b) Kritik der Analytical Jurisprudence
146
c) Instrumentalität und Determination des Rechts
150
d) Instrumentalität der Form
154
e) Kritik der rechtspragmatischen Basisannahmen durch Robert Summers und Aleksander Peczenik
160
VIII. Recht als Mittel zum Zweck im US-amerikanischen Rechtspragmatismus
163
1. Formalismus und Instrumentalismus
163
2. Philosophische Prämissen des Rechtspragmatismus
165
a) Zum Verhältnis von Erfahrung und Handeln bei Charles Sanders Peirce und William James
165
b) Begriff der Rechtsregel bei John Dewey: Operation und Funktion .
171
aa) Maßnahmen und Wirkungen
171
bb) Hypothetik normativer Entscheidungsprogramme
173
cc) Ursprung des Rechts
179
dd) Verhältnis von Operation und Funktion
180
3. Instrumentalität des Rechts und der Rechtsanwendung bei John Dewey und Roscoe Pound
186
a) Recht und Rechtswirkungen
186
b) Notwendige Unsicherheiten von Entscheidungen im Recht
189
c) Experimentalcharakter des Rechts und Verhältnis von Experiment und Erfahrung
192
IX. Einbau von Zwecken in das rechtliche Entscheidungsprogamm
197
1. Interessenschutz
197
2. Behaviorism: Regel- und Faktenskeptizismus im Legal Realism
200
3. Kontexte von Mitteln und Zielen
203
a) „Legislative und Adjudicative Facts"
203
b) Rückkopplungen auf Zwecke
206
c) Verhältnis von Zweckbildungen und Entscheidungsketten
210
d) Regelungscharakter des Rechts und Konditionierung von menschlichem Verhalten 213
12
nsverzeichnis
Dritter Teil Zweck- und Maßnahmecharakter des Rechts X. Struktur rechtlicher Regelkreise und Pragmatischer Rechtsbegriff
217
1. Polyzentrismus der Normverursachung
217
2. Rechtspragmatismus und Rechtsbegriff
224
XI. Grenzen der Machbarkeit des Rechts Ausblick
229 235
Schrifttumsverzeichnis
240
Personen- und Sachregister
255
Abkürzungsverzeichnis
I. US-amerikanische Terminologien aff'd A.L.R. (2nd, 3rd, 4th, Fed.) APA APCA CAA CEQ cert, denied CFR Cir. cl. Cong. CWA D. C. Cir. D. D. C. D. Md. ELR EPA
F.Supp. HEW How. H.R.Res. L.Ed. (2nd) N.E. (2nd) ΝΕΡΑ
affirmed (bestätigt) American Law Reports (2nd, 3rd, 4th, Federal Series) Administrative Procedure Act (1960) Air Pollution Control Act Clean Air Act (Die jeweilig verwandte Fassung des Gesetzes ist durch die der Abkürzung vorangestellte Jahreszahl als Zeitpunkt des Inkrafttretens kenntlich gemacht.) Council on Environmental Quality Certiorary denied (Revisionsantrag abgelehnt) Code of Foderai Regulations (Sammlung der Administrative Rules der Union) Circuit (Bundesgerichtsbezirk für Appellationsgerichte) Clause (jeweilige Klausel der US-Constitution) Congress Clean Water Act United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit (Bezeichnung des Bundes-Appellationsgerichtes für den Bezirk Washington, D. C.) United States District Court for the District of Columbia United States Court for the District of Maryland (Bezeichnung des Bundes-Distriktgerichtes für den Bezirk des Staates Maryland) Environmental Law Reporter Environmental Protection Agency („Umweltschutzbehörde"; die jeweilige gliedstaatliche EPA wird durch die Beifügung der Bezeichnung des Gliedstaates vor der Abkürzung gekennzeichnet) Federal Supplement Secretary of Health, Education and Welfare Howard's Reports Resolution of the House of Representatives United States Supreme Court Reports, Lawyers Edition (2nd Series) North Eastern Reporter (2nd Series) National Environmental Policy Act
14
Abkürzungsverzeichnis
NSPS N.W. (2nd) N.Y.S. (2nd) ORC
= = = =
P. (2nd) Pet. PSD S. Ct.
= = = =
Sect. Stat. U.S.
= = =
U.S.C. U.S.C.A. U.S.Const. U.S.EPA
= = = =
Wheat.
=
New Source Performance Standards North Western Reporter (2nd Series) New York Supplement (2nd Series) Office of Regional Counsel (Justiziariat der jeweilig auf ein bestimmtes Gebiet bezogenen U.S. EPA) Pacific Reporter (2nd Series) Peter's United States Supreme Court Reports Prevention of Significant Deterioation Supreme Court Reporter (Offizielle Sammlung der Entscheidungen des Obersten Bundesgerichts) Section United States Statutes at large United States Reports (Sammlung der Entscheidungen des Obersten Bundesgerichts) United States Code United States Code Annotated United States Constitution United States Environmental Protection Agency („Bundesumweltschutzbehörde") Wheaton's United States Supreme Court Reports
I I . Deutsche Abkürzungen Die mit Bezug zum deutschen Recht verwandten Abkürzungen entsprechen Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin, New York 1993.
Erster Teil
Verkettungen und Aufbau des immissionsschutzrechtlichen Instrumentariums in den USA (Luftreinhaltung) I. Genese immissionsschutzrechtlicher Ziele 1. Police Power und lokale Verordnungen (public nuisance) Die ersten öffentlichen Maßnahmen gegen Luftverunreinigungen werden in den USA schon vor der Jahrhundertwende von größeren Industriestädten in Form von städtischen Verordnungen (municipal ordinances) erlassen. Bereits im Jahre 1881 nutzen Chicago und Cincinnati, wichtige Industriezentren des Mittleren Westens, diese Möglichkeit zur Kontrolle und Bekämpfung des Industrierauchs, der durch die vermehrte Stahlerzeugung und Kohleverhüttung in den ökonomisch aufstrebenden USA mit seinen expandierenden Industriezentren bewirkt wurde und immer stärker anstieg. Bis zum Jahre 1912 haben die meisten größeren amerikanischen Industriestädte bei gleicher Problemlage entsprechende Verordnungen erlassen.1 Gesetzgeberische Eingriffe zum Immissionsschutz durch die Einzelstaaten, geschweige denn durch den Bund, sind bis in die Mitte der fünfziger Jahre nicht vorhanden. 2 Luftverunreinigungen stellen dennoch kein erst jüngst wahrgenommenes Phänomen dar. Sie sind so alt wie die Industriegesellschaft. In den Blickpunkt des breiten öffentlich-politischen Interesses kommen sie in Amerika jedoch erst um 1950, einige Jahre später auch in der Bundesrepublik, die sich vorher auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau konzentriert. Erste Konturen zeichnen sich indes dort bereits Ende der vierziger Jahre in Kalifornien, aber auch andernorts in Amerika ab. Die auf der ursprünglichen Police Power der Städte basierenden lokalen Verordnungen erfassen die Emission von „dichtem Rauch" (dense smoke) als Public Nuisance und verbieten sie mit dem Mittel des Strafrechts; die herkömmlichen privatrechtlichen Möglichkeiten nach Common Law hatten sich als untauglich erwiesen. 3 Der hoheitliche Zwangs- und Sanktionscharakter tritt zunächst in den Vordergrund. 1 Vgl. zum vorstehenden ζ. B. Council on Environmental Quality (CEQ), First Annual Report, S. 61-70 (transmitted to Congress August 1970). 2 Siehe CEQ, a. a. Ο. 3 Siehe Edelman , The Law of Air Pollution Control, Environmental Research and Applications, Inc. (1970), S. 74; vgl. auch: Juergensmeyer , Control of Air Pollution
16
1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
Die weite Befugnis der Police Power umfaßt das Recht, zum Schutze öffentlicher Interessen, wie ζ. B. der allgemeinen Sicherheit, Gesundheit und Wohlfahrt, tätig zu werden 4 und ist nicht auf Einzelakte und Gefahrenabwehr beschränkt. 5 Mit dem Einsetzen hoheitlich-politischer Funktionen wird das Problem — zunächst auf lokaler Ebene — erst einmal öffentlich- administrativ erfaßt. Seitdem spielt traditionell im Rahmen der Police Power die Bekämpfung der besonderen Verschmutzung durch Rauch bis in die Mitte unseres Jahrhunderts hinein die zentrale Rolle. 6
2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur deutschen Entwicklung Unter ähnlichen Vorzeichen wie in den USA setzt die Entwicklung in Deutschland ein. Mit dem Beginn der Industrialisierung, die in Deutschland etwas früher startet, wird zunächst in Preußen durch die Allgemeine Gewerbeordnung von 1845 in den §§26 ff. eine spezielle Genehmigungspflicht eingeführt, die in Amerika in der Regel bei den frühen Ordinances wegen der allgemeinen Fundierung auf dem strafrechtlichen Handlungsinstrumentarium in Form der Public Nuisance zunächst noch fehlt. Den präventiv-verwaltungsrechtlichen Instrumentarien werden in den USA vielmehr erst zur Mitte dieses Jahrhunderts durch verschiedene Bundesgesetze der Weg geebnet. Die frühzeitige Erkenntnis der mit der einsetzenden industriellen Entwicklung verbundenen Gefahren 7 und Risiken in dem hervorbrechenden bürgerlich-industriellen Zeitalter in Deutschland um 1848 und die Notwendigkeit zu Abhilfemaßnahmen führen bei bestimmten störenden Anlagen zu einer Einschränkung der Gewerbefreiheit. Die Preußische Gewerbeordnung ist ihrerseits Vorläufer der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 und der späteren Reichsgewerbeordnung und enthält mit der Vorschrift des § 26 Abs. 1 eine dem späteren § 16 GewO entsprechende Regelung im Hinblick auf die Genehmigung. Nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind die §§ 16 bis 26 GewO (mit Ausnahme der §§24 bis 24 d) mit dem Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974 außer Kraft getreten. Ihre praktische Bedeutung liegt zunächst primär in den aufstrebenden Industriegebieten in Oberschlesien, Berlin und dem Rheinland. Anders als in den ersten Through the Assertion of Private Rights, 1967 Duke L.J. 1126, 1130; Note , Local Regulation of Air Pollution, in: 1968 Wash.U.L.Qu., S. 232 ff.; State Regulation of Air Pollution, 1968 Wash.U.L.Qu., S. 249 ff. 4 So ζ. B. Day-Brite Lighting, Inc. v. Missouri, 342 U.S. 421, 424 (1952). 5 Gibbons v. Ogden, 22 U.S. (9 Wheat.) 1, 208 (1824); Nowak u. a. Constitutional Law, 2nd ed., St. Paul 1983, S. 121 ff., 480; Tribe, Constitutional Law, 2nd ed., Mineola, N.Y., 1988, S. 405 ff.; Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 41. 6 CEQ, a. a. O.; Grad, Environmental Law, S. 257 ff. 7 Heigl, Von der Gewerbeordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, BayVBl. 1974, 244.
I. Genese immissionsschutzrechlicher Ziele
17
Ordinances in den USA erstreckt sie sich bei schon größerer Industriedichte als in Amerika auf bestimmte, positiv aufgeführte Anlagen. Im einzelnen geht es in Preußen bei der Genehmigung darum, ob die Anlage mit den bestehenden gesundheits- und feuerpolizeilichen Regelungen in Einklang steht; ferner, ob sie mit erheblichen Nachteilen, Gefahren oder Belästigungen für die Nachbarn oder das Publikum verbunden ist, § 29 Abs. 1 Pr.AllGewO. 8 Eine ganz ähnliche Reichweite ergibt sich heute in § 3 Abs. 1 BImSchG für den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen. Da in den USA der Umfang der Police Power räumlich auf das jeweilige Herrschaftsgebiet beschränkt ist, 9 geht diese Regelung einerseits — anders als in den USA — mit größerer räumlicher Geltung und andererseits ähnlich wie dort über eine reine Gefahrenabwehr hinaus. 10 Sie reicht andererseits vom zur Verfügung stehenden Instrumentarium — Genehmigungsvorbehalt für bestimmte Anlagen, nicht primär Strafrecht — weiter. Neben der Feuergefährlichkeit sind es vor allem „Rauch, Geruch, Getöse", welche die Behörden nicht nur durch eine vom Polizeirecht gebotene Gefahrenabwehr im Hinblick auf das Schutzgut Gesundheit veranlassen. 11 Die strenge Anlagenorientierung hat sich, freilich mit beträchtlichen Erweiterungen in neuerer Zeit, in das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) hinein erhalten. In Amerika eröffnen die Municipal Ordinances auf der Basis der Police Power Handlungsdimensionen auf den Gesundheitsschutz (Rauch). Erst zu Beginn unseres Jahrhunderts kommt hier auch der präventive Aspekt hinzu. Die Municipal Ordinances sind allerdings im Hinblick auf das zu erfassende und so zu regulierende Privatverhalten vielerorts ohne Anlagenorientierung. 12
8 Vgl. zur Preußischen Allgemeinen Gewerbeordnung auch Offerman-Clas, Luftreinhaltung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 31; Heigl, a. a. O. 9 The License Cases, 46 U.S. (5 How.) 504, 584 (1847). κ> Im Hinblick auf die Entwicklung hierzulande: Offermann-Clas, a. a. Ο. 11 Heigl , a. a. Ο., m. w. Ν. 12 Auf der Basis der einzelstaatlichen und lokalen Police Power (Polizeigewalt) zur „Smoke Control" heißt es ζ. B. in Boston: „No substance in any way liable to be distributed or blown about by wind or air currents shall be sieved, screened, agitated, or otherwise handled or exposed in any street or public place, nor elsewhere in such a manner that particles or portions of such substances are scattered, blown or otherwise pass into or upon any such street or public place, or into or upon any inhabited buildings. This shall not apply to the delivery of coal, provided suitable precautions for dampening are taken." (Digest of Health Laws, 143, Boston 1904, zitiert nach Grad , Environmental Law, Third Edition, New York/San Francisco 1985, S. 297). Der Aspekt des Gesundheitsschutzes wird auch deutlich in der in New York City angewendeten späteren Regelung: „No person shall cause, suffer or allow dense smoke to be discharged from any building, vessel, stationary or locomotive engine or motor vehicle,...". (Sanitary Code of the City of New York, New York Code of Ordinances, ch. 20, art. 12, sec. 211, zitiert nach Grad , S. 298, 301. Im Unterschied zu Boston fällt hier die Abstraktheit („dense smoke") und geringere Rigorosität dieser späteren Verordnung auf. 2 Moeskes
18
1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
Dies wird sich tiefgreifend erst mit der modernen immissionsschutzrechtlichen Gesetzgebung der sechziger und siebziger Jahre unseres Jahrhunderts ändern. Hat sich in Deutschland das immissionsschutzrechtliche Instrumentarium aus der Gewerbeordnung unter Einschluß gesundheitspolizeilicher Erfordernisse entwikkelt, so in den USA zunächst allein aus den am Gesundheitsschutz ansetzenden Municipal Ordinances. Dort wird in der Entwicklung der gewerberechtliche Aspekt praktisch sublimiert.
3. Erfahrungen und Genese des Air Pollution Control Act (1955) Der vermehrte Einsatz von Diesel anstelle von Kohle und die zunehmende Beheizung privater Haushalte durch Gas führen zwar zu einem Rückgang von Luftverunreinigungen in dieser Phase.13 Dieser Erfolg ist jedoch kaum auf die vorhandenen Instrumente zurückzuführen, sondern unmittelbar auf die Nutzbarmachung des technischen Fortschritts. Der positive Effekt ist indes nur kurzlebig. Auf der tatsächlich-faktischen Seite erreicht nämlich in den USA während der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre gerade die durch Rauch und Dunst herrührende Luftverschmutzung insbesondere in Industriestädten im Osten und Mittleren Westen ihren Höhepunkt. 14 Die Industrialisierung war mit der Zeit weiter vorangeschritten. Von dem Problem sind jetzt nicht mehr allein größere Industriestädte betroffen, sondern in zunehmendem Maße auch kleinere Industriegebiete. Ein jedem Umweltrechtler in den USA gut bekanntes Beispiel ist das „Donora air pollution disaster". In der Stadt Donora im Staat Pennsylvania ereignet sich im Jahre 1948 eine Luftverschmutzungskatastrophe, die aus einem Zusammenwirken von Rauch und Staub mit einer Inversionswetterlage hervorgerufen wurde und zu einer signifikanten Zunahme von Krankheiten und Todesfällen in der näheren Umgebung führt. 15 Die politischen und psychologischen Auswirkungen auf die Öffentlichkeit sind enorm. Infolge der hierdurch ausgelösten öffentlichen Proteste bewirkt es erstmalig ein landesweites Umweltbewußtsein und gibt den Einsatzpunkt zur Entwicklung des modernen öffentlichen Immissionsschutzrechts ab. Auch tragen jetzt die parallel laufenden Erfahrungen mit dem immer wieder auftretenden Problem des Smog im Großraum Los Angeles in Südkalifornien Ende der vierziger Jahre verbunden mit dem Donora Disaster zur Schärfung des öffentlichen Augenmerks auf das Problem der Luftverschmutzung erheblich bei. 16 13 CEQ, First Annual Report, a. a. O., S. 61. 14 CEQ, a. a. O. ι 5 Grad, Environmental Law, S. 1, 257; zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung (air pollution) siehe Orloff/ Brooks, The National Environmental Policy Act, Washington 1980, S. 3, 23; ausführlicher hierzu: CEQ, First Annual Report, a. a. O. 16 Grad, Environmental Law, S. 1.
I. Genese immissionsschutzrechlicher Ziele
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Hat das Donora Disaster das öffentliche Bewußtsein nunmehr in den gesamten USA ganz entscheidend hervorgerufen, so läßt die Erfahrung mit Los Angeles deutlich werden, daß es sich mit der Luftverschmutzung auch kontextlich um ein komplexeres Problem als ursprünglich angenommen handelt. Betroffen sind eben nicht allein die klassischen Industrieregionen im Osten und Mittleren Westen. Das erhöhte Problembewußtsein der öffentlichen Meinung und der Politik trägt in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren zu ersten über die herkömmliche Police Power hinausreichenden Ansätzen wesentlich bei. 17 Neben den Problemen der Luftverschmutzung tritt eine Kette von weiträumigen und gravierenden Umweltvergiftungen durch Pflanzenschutzchemikalien wie DDT in den Blickpunkt der Öffentlichkeit — Stoffe, die man bislang als notwendig angesehen hat. Geradezu alarmierend im Hinblick auf die ökologischen Folgen des Einsatzes von Pestiziden und anderen Chemikalien wie deren Wirkungen auf die öffentliche Gesundheit ist das 1962 erschienene Buch „Silent Spring" von Rachel Carson, das traditionelle Naturschützer, so den bereits zur Jahrhundertwende gegründeten Sierra Club, wie neu entstehende und immer besser organisierte Umweltschutzgruppen gleichermaßen in Aktion setzt; Bürgerinitiativen oft in Form von privaten Stiftungen, die nunmehr die Umweltpolitik als solche zum Gegenstand ihres Handelns machen und auch heute einflußreich sind. 18 Während sich im Raum Los Angeles die Probleme „verdichten", sieht man andernorts zunächst im allgemeinen kaum, daß Luftverschmutzung mehr ist als Rauch und Dunst. 19 Gerade in Südkalifornien wurde und wird Kohle, insbesondere zur industriellen Produktion, kaum genutzt. Dennoch tritt hier das Problem, insbesondere in Form von Smog — bis auf den heutigen Tage — viel stärker als andernorts zutage. Hier müssen mithin andere Ursachen wirken. Erst später findet man am California Institute of Technology heraus, daß die Hauptursachen primär in der Emission von Kohlenwasserstoffen und Stickoxiden aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen liegen. 20 Dieses Phänomen bleibt jedoch nicht auf Los Angeles beschränkt, wenngleich es auch dort besonders sichtbar ist. Zunehmende Luftverunreinigungen insgesamt waren und sind kein punktuelles und nur regionales Problem, sondern hatten und haben angesichts der ausgeprägten Mobilität der amerikanischen Bevölkerung, ihrem Wachstum und der weiteren industriellen Expansion nach dem Zweiten Weltkrieg Wirkungen auf die natürli17
Ders., a. a. O., S. 1 f.; siehe auch Thomas, Gesetzliche Grundlagen des Umweltschutzes in den USA, RiW 1986, 27. 18 Grad, a. a. O., S. 1 f.; die wichtigsten und einflußreichsten Umweltschutzgruppen sind neben dem Sierra Club der Environmental Defense Fund und das Natural Resources Defense Council. 19 CEQ, First Annual Report, S. 61-70 (1970). 20 CEQ, a. a. O. 2*
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che Umwelt und damit auch mögliche Rückwirkungen auf die Gesellschaft, die sich anfänglich kaum abschätzen lassen. Während anfangs exzessiver Rauch lange ein Problem gewesen war und die weitere Entwicklung der Industrie die Probleme noch verstärkte, ist andererseits die Kapazität der Luft zur Aufnahme von Schadstoffen begrenzt. 21 Dabei erweist es sich nunmehr als unzutreffend, Luftverunreinigungen bzw. Immissionen mit Rauch zu identifizieren, sondern es spielen eine Vielzahl von Stoffen, die miteinander in Wechselwirkungen stehen, eine Rolle. 22 Diese treten zu den traditionell bekannten hinzu, stehen mit ihnen in Wirkungszusammenhängen und komplizieren die natürlichen Regelabläufe weiter; bekannte stoffliche Formen können modifiziert werden (synergetische Effekte). 23 Da „Luftverschmutzung" die Identifikation mit sichtbaren Stoffen, insbesondere Rauch, nahelegt, erscheint es sachgerecht, statt dessen von „Luftverunreinigungen" zu sprechen. Der amerikanische Ausdruck „air pollution" für sich genommen, bringt diese Differenzierung anders als § 3 Abs. 4 BImSchG nicht zum Ausdruck.
4. Interessenschutz im Immissionsschutzrecht Jedes Handlungssystem, welches sich mit Luftverunreinigungen befaßt, sieht sich mit der Frage konfrontiert, was „air pollution", also Luftverunreinigungen, überhaupt ausmacht. Die wichtigsten Stoffe und Stoffgruppen sind Schwefeloxide, Stickoxide, Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid und Partikularstoffe. Fast jeder Stoff, der zu Luftverunreinigungen beiträgt, kommt aber ohne weiteres Zutun ohnehin in der Atmosphäre vor. Es geht also nicht darum, was „air pollution is", sondern was „air pollution does". Diese Effekte können durch Verhalten und natürliches Kausalgeschehen verursacht werden. Luftverunreinigungen sind daher in beiden Wirkungsräumen ein quantitatives und zugleich qualitatives Problem. In größeren Mengen können sie Schäden an der menschlichen Gesundheit hervorrufen. 24 Das primäre Interesse, um dessen Schutz es im öffentlichen Immissionsschutzrecht geht, ist die menschliche — hier nun: öffentliche — Gesundheit,25 aber auch der Eigentumsschutz. Insoweit entspricht der US-amerikanische Ansatz wie der deutsche einem anthropozentrischen Umweltschutz. Das Problem wird aber 21
Grad, Environmental Law, S. 4. 22 CEQ, First Annual Report, S. 61 ff. (1970). 23 Grad, Environmental Law, S. 8 f. m. w. N.; USA: Council on Environmental Quality, First Annual Report, a. a. O.; Deutschland: 1. Immissionsschutzbericht, BT-Drucks. 8/2006, S. 10 f.; Jarass, Schädliche Umwelteinwirkungen, in: DVB1. 1983, 725, 726. 24 Zu den heute erkennbaren möglichen gesundheitlichen Auswirkungen insgesamt siehe Orlojfl Brooks, The National Environmental Policy Act, S. 3; ausführlicher CEQ, S. 61 ff. (1970). 25 Grad, Environmental Law, S. 4.
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tatsächlich dadurch verschärft, daß alles, was emittiert wird, nach dem physikalischen Gesetz der Erhaltung von Materie nicht verlorengeht, sondern sich, obgleich nicht immer sichtbar und zunächst ohne erkennbare schädliche Einwirkungen, kumulieren und mit diesen Effekten entsprechend nicht zuletzt erst in der Langzeit- und Großraumprojektion wirken kann. Die Frage ist sonach immer, i) welche naturwissenschaftlichen Effekte und Wechselwirkungen in der Realität und mit welchen Wirkungen auf die auch sozial verfaßte Umwelt auftreten (Kausalgeschehen), und ii) inwieweit diese Wirkungen „schädlich", d. h. für menschliche Interessen sozial unakzeptabel sind. 26 Hier offenbart sich jetzt besonders drastisch das hybride Zusammenspiel normativ-juristischer mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen. Rechtliches Normieren im Immissionsschutzrecht beruht auf dem Schutz von Interessen. Welche Interessen normativ schutzwürdig sind, läßt sich entsprechend der Zielsetzungen in den Immissionsschutzrechtsordnungen beider Länder gewöhnlich nicht beantworten, ohne zunächst die Effekte von Stoffen auf Menschen und wirtschaftliche Werte und deren Risikopotentiale zu beschreiben und inwertzusetzen. Beide Elemente bewirken für die Entscheidungssituation iii) eine Prognose. Insoweit werden mit den letzten beiden Regelelementen charakteristische und traditionelle Formen der Police Power reflektiert. 27 Daher liegt es unter dem Aspekt des Trial and Error auch nahe, dieses Instrument zunächst nur zu modifizieren. Allerdings sind Prognose und die Effekte zu i) und ii) selbst nicht identisch. Das bedeutet, daß Luftverunreinigungen als ein Instrumente ermöglichender Rechtsbegriff der ständigen Auffüllung durch das Erfahrungsmoment bedarf.
5. Zielsetzung und Instrumentierung des Programms Angesichts der sozialen Gefahren, insbesondere für die öffentliche Gesundheit und im Hinblick auf Schäden an privatem Eigentum, tritt im Jahre 1955 erstmals der Bund gesetzgeberisch ins Feld 28 (Air Pollution Control Act). 2 9 Dabei wird mit dem Air Pollution Control Act das Problem „air pollution" im Gesetz lediglich beschrieben und darauf verzichtet, eine Definition von „air pollution" an die Hand zu geben. Auch in späteren Gesetzen zur Luftreinhaltung — dem Clean Air Act von 1963, Veränderungen in den Jahren 1965 und 1967 und späteren Zusätzen 1970 und 1977 — wird, anders als in § 3 Abs. 4 BImSchG, auf eine Legaldefinition verzichtet. Es besteht daher die Prämisse einer durch das Erfahrungsmoment und der Zielrichtung auf Vorbeugung gekennzeichneten approximativen Anreicherung des Begriffs und der Funktion von „air pollution". 26 Ähnlich Brecher I Nestle, Environmental Law Handbook, Berkeley, Calif., 1970, S. 176. 27 Vgl. Grad, Environmental Law, S. 4. 28 69 Stat. 322; Pub.L. No. 84-159 (1955). 29 Krier, Environmental Law and Policy, Berkeley, Calif., 1971, S. 302 f.
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Viele Stoffe sind relativ harmlos, andere wirken bis zur Giftigkeit. Andere sind carcinogen, einige sind wahrscheinlich mutagen. Einige Stoffe sind nonpersistent, d. h. sie verbinden sich relativ rasch mit anderen in harmlose Substanzen. So verbindet sich etwa Kohlenmonoxid, ein Nervengas, im unbeschränkten Raum mit Sauerstoff zu Kohlendioxid, welches keine unmittelbaren Gefährdungen bewirkt, sondern für die pflanzliche Photosynthèse mit Wasser und Energie notwendig ist, wobei hierbei der lebensnotwendige Sauerstoff frei wird. Andere Stoffe, wie etwa Blei, bauen sich erst nach längerer Zeit ab. Diese persistenten Stoffe, die sich akkumulieren können, sind die problematischen. Allerdings kann auch die große Menge abbaubarer Stoffe kurz- und langfristige Probleme hervorrufen. 3 0 Auch wird vermutet, daß Kohlendioxid zur Erwärmung der Erdatmosphäre (Treibhauseffekt) zusammen mit Fluorkohlenwasserstoffen beiträgt, sofern es in der globalen Photosynthèse nicht verarbeitet wird. Damit kann auch Kohlendioxid wegen dieser besonderen, noch bis vor kurzem atypischen Wirkung, ein nonpersistenter Stoff werden. In den USA wird das Umweltrecht wie in Deutschland medial geteilt, ζ. B. Luftverunreinigungen, Wasserverunreinigungen, Abfallbeseitigung, Atomrecht. Solche systematischen Einteilungen kommen jedoch als solche in der Natur nicht vor und sind von Menschen für den rechtlichen Einsatz gemacht. Zwischen den Medien bestehen oft wechselseitige Abhängigkeiten. So ist etwa das seit den frühen achtziger Jahren zu beobachtende Phänomen saurer Regen (acid rain) im Nordosten und Nordwesten der USA, der sich auch grenzüberschreitend in Kanada auswirkt, durch die Kombination von Luftverunreinigung und dem Medium Wasser gekennzeichnet, so daß die systematische Einteilung des Problems in den USA nicht eindeutig ist. 31 Als der Air Pollution Control Act 1955 vom Kongreß verabschiedet wird, bestehen noch kaum gesetzgeberische Eingriffe der Einzelstaaten zum Kampf gegen die sich weiter entwickelnden Luftverunreinigungen; im Bereich der Naturwissenschaften gibt es nur geringes Interesse zur kooperativen Mitwirkung an der Entwicklung gesetzlicher Kontrollinstrumente. 32 Das Gesetz sieht in Reaktion hierauf die technische und finanzielle Förderung der unter Verantwortung der Einzelstaaten, Verwaltungsbezirke innerhalb der Gliedstaaten (counties) und Städte zu ergreifenden Maßnahmen vor, ohne allerdings bestimmte gesetzliche Maßnahmen vorzuschreiben. 33 Was Luftverunreinigungen ausmacht, muß ja jetzt erst noch entwickelt und entschieden werden. Demnach enthält die Zwecksetzung nicht mehr als eine erste Problemmarkierung. Davis: „Here is the problem, we don't know what the problems are. Find it and deal with it." 3 4 Die Funktion 30
Vgl. zum vorstehenden Grad, Environmental Law, S. 5. 31 Siehe hierzu und zum vorstehenden: ders., a. a. O., S. 7. 32 Ders., a. a. O., S. 258 ff. 33 69 Stat. 322; 42 U.S.C. § 1857 (Air Pollution Control Act). 34 Zitiert nach Orloff / Brooks, The National Environmental Policy Act, S. 49.
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dieses Gesetzes besteht pragmatisch also darin, neue Entscheidungsketten im Immissionsschutz zu ermöglichen. Dies bedeutet: Die einzelnen Ziele und Mittel sind unter technischer und finanzieller Hilfestellung des Bundes (administrative grants-in-aid) erst noch zu entwickeln bzw. unter Berücksichtigung der aufgrund der Police Power bereits früher ergangenen Municipal Ordinances zu verbessern. Einerseits soll also durch den Air Pollution Control Act durch finanzielle Förderung gegen Forschung und Entwicklung erfolgversprechender Strategien auf regionaler und lokaler Ebene neue Instrumente ohne nähere Zielvorgaben in die Wege geleitet werden; andererseits und korrespondierend hiermit tritt aufgrund der starken Respektierung der Police Power der Staaten und Städte kein Bruch in den überkommenen Zuständigkeiten ein. So hat etwa das entsprechende Senatskomitee im Gesetzgebungsverfahren die „primäre" Verantwortlichkeit der einzelstaatlichen und lokalen Verwaltungen zur Vorbeugung von Luftverunreinigungen („to prevent air pollution") herausgestellt und ausdrücklich deren Police Power ins Feld geführt. 35 Dort heißt es: „The bill does not propose any exercise of police power by the federal government . . . There is no attempt to impose standards of purity." Hierin ist zunächst eine politische Absichtserklärung zu erblicken. Allerdings entspricht dem im Gesetz selbst die Hervorhebung der Verantwortlichkeit ortsnaher Handlungssysteme bei der Entwicklung der einzuschlagenden Methoden. Der U.S. Supreme Court sieht hierin eine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage zur Abscheidung immissionsschutzrechtlicher von anderen Verhaltensanforderungen im Gefüge der Kompetenzverteilungen zwischen staatlich organisierten Handlungssystemen.36 Die Entscheidung über anlagen- und verhaltensbezogene Emissionsstandards wird einzelstaatlichen Handlungssystemen zugeordnet mit der weiteren Folge, daß ein über ihre Grenzen hinausreichender Immissionsschutz nicht unmittelbar bewirkt, sondern ihrer Funktion nach erst vorbereitet wird. Immission als Wirkungsphänomen macht noch an Kompetenzgrenzen halt. Immissionsschutz als daher zunächst noch raumbeschränktes Ziel soll in paralleler Abfolge mit gliedstaatlichen Instrumenten (Mitteln) entwickelt werden. Die Funktion des Bundes im Gesamtprozeß beschränkt sich neben technischen und finanziellen Hilfen darauf, die eingehenden Informationen und Probleme zu sammeln, auszuwerten und zu publizieren. 37 Es geht hierbei um die kontinuierliche Gewinnung und Verarbeitung von Erfahrungen. Durch die Verbindung von Instrumenten mit 35 s. Rep. No. 389, 84th Cong. 1st Sess., S. 3. 36 69 Stat. 322; 42 U.S.C. § 1857; vgl. auch Huron Portland Cement Co. v. City of Detroit, 362 U.S. 440 (1960). 37 E. Rehbinder / R. Stewart, Environmental Protection Policy, in: Integration Through Law, Band 2, Berlin/New York 1985, S. 111; Grad, Environmental Law, S. 311; siehe auch Krier, Environmental Law and Policy, 1971, The Bobbs-Merrill Company, Inc. (ohne Ortsangabe), S. 302 f.
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neuen Informationen und Erfahrungseinsichten können flexiblere Mittel entstehen und durch den Einsatz fortschreitend schärferer Instrumente auf der Basis der Public Nuisance neu erprobt werden. 38 Die Erfahrungen mit früheren lokalen Verordnungen und ersten einzelstaatlichen Gesetzen hatte gezeigt, daß öffentlichrechtliche Kontrollinstrumente mit dem Ziel eines möglichst wirksamen und frühzeitigen Schutzes im Vorfeld vor der eigentlichen Verursachung eingesetzt werden mußten. Dabei sieht man sich nun vermehrt dem Zielkonflikt gegenüber, einerseits nicht das industrielle Wachstum zu gefährden, andererseits den nicht unbegrenzten Zukunftsvorrat an Luft und letztlich der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten. Der Air Pollution Control Act stellt noch keinen Einsatz von Bundesfunktionen unmittelbar dem Bürger gegenüber dar; es handelt sich um eine vorbereitende Maßnahme.
II. Instrumente des Common law Erst seit den siebziger Jahren hat der Bund regulatorisch die Federführung. Zu nennen sind hier insbesondere der Clean Air Act von 1970 und der ebenfalls 1970 in Kraft getretene National Environmental Policy Act. Das Wachstum des Bundesumweltrechts spiegelt den Zuwachs der Umweltprobleme wider. Umweltschutz und Umweltverschmutzung sind in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts noch kein öffentliches Thema. Neben den noch recht minimalen Kontrollen durch einzelstaatliches Recht, noch öfter durch lokale Verordnungen, baut man auch noch während der legislativen Entwicklungsphase nach 1955 bis zu Beginn der siebziger Jahre auf private Torts-Rechtsstreite. 1 Damit wird den Gerichten im deliktischen Haftungsrecht nach Common Law 2 eine maßgebliche Rolle zugewiesen. Es ist daher i) zunächst nach den überlieferten Rechtssätzen zu fragen und ii), inwieweit die judikative Entwicklung neuer Instrumente (Normen) durch Entscheidungen und ihre Verkettung durch das Instrumentarium der Rechtsfortbildung zur Bewältigung der Probleme praktisch aufzuschließen vermag. Das Common Law befaßt sich nicht mit dem öffentlich-präventiven Zweck des Immissionsschutzes, sondern mit der Befriedigung privatrechtlicher delikti38 Vgl. Note, Local Regulation of Air Pollution, in: 1968 Wash.U.L.Qu., S. 232, 238 f. (1968). 1 Vgl. zum vorstehenden Grad, Environmental Law, S. 8 f. 2 Neben der traditionellen Gegenüberstellung des Common Law (Richterrecht auf dem Gebiete Privatrechts) zu Statute Law (Gesetzesrecht) in der Rechtsquellenlehre wird der Begriff „Common Law" als Synonym für das gesamte anglo-amerikanische Rechtssystem verwendet. Common Law ist in diesem weiteren Sinne, der herkömmlicherweise von der Rechtsvergleichung in beiden Ländern bei der Einteilung der Rechtsordnungen in Rechtskreise bis auf den heutigen Tage verwendet wird, der Gegenbegriff zum „Civil Law" (kontinentaleuropäisches Recht). Soweit in dieser Arbeit von „Common Law" die Rede ist, ist dagegen grundsätzlich nur die Bedeutung „durch richterliche Entscheidungen entwickeltes Privatrecht in den USA ohne Statute Law" erfaßt.
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scher Ansprüche (torts), die mit unterschiedlichen Ausprägungen auf Schadensersatz und auf Unterlassung weiterer Eingriffe gerichtet sind.
1. Torts-Klagen Die in der Praxis häufigsten Common Law-Rechtsmittel, die im Umweltrecht eine Rolle spielen, sind Trespass und (Private) Nuisance. Diese Rechtsmittel als Teil der „torts" 3 waren und sind nicht speziell auf die durch Umweltverschmutzung verursachten Schäden gerichtet, sondern besitzen eine weiter zurückreichende rechtliche Tradition, die sich auch im englischen Recht findet. 4 Allerdings haben die Gerichte in den USA unter dem Eindruck der mit der Industrialisierung verbundenen Probleme und Schäden an privatem Eigentum ihren Anwendungsbereich nicht zuletzt unter dem Eindruck nunmehr bestehender Gesetze in Amerika immer weiter ausgedehnt. Dabei ist freilich zu beachten, daß sich diese Rechtsmittel primär auf Haftungsfragen beziehen, also nicht einen vorbeugenden öffentlichen Umweltschutz ermöglichen. Das rechtliche Instrumentarium zum Schutze der natürlichen Umwelt gehört wie in der Bundesrepublik einem mehrdimensionalen Handlungssystem an, das das Zivilrecht und mit deutlichem Übergewicht das öffentliche Überwachungs-, Eingriffs- und Planungsrecht umfaßt. 5 Das Common Law verliert allerdings bis auf den heutigen Tage im Umweltrecht seine Funktion als Rechtsgrundlage für die Haftung und damit als ergänzendes, subsidiäres Recht 6 nicht. 7 Diese Modifizierung und Gesamtsteuerung im mehrdimensionalen Handlungssystem staatlicher Funktionen nutzt teilweise tradierte Formen und Instrumente zu neuen Zielen, deren Zusammenwirken durch problemaufschließende Zielsetzungen und die daran anschließende Verkettung in Entscheidungs- und Handlungszusammenhängen charakterisiert ist.
3 Das US-amerikanische law of torts kennt — anders als das deutsche Zivilrecht — keinen allgemeinen Begriff der unerlaubten Handlung (§ 823 BGB). Im Deliktsrecht ist die Entwicklung im englischen wie auch im US-amerikanischen Common Law ähnlich wie im römischen Recht von Spezialtatbeständen ausgegangen. Anders als dort wurden in den kontinentaleuropäischen Ländern (Civil Law Countries) die unterschiedlichen Tatbestände (kasuistische Rechtsregeln) zu deliktischen Generalklauseln verallgemeinert (vgl. Zweigert-Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Bd. II, 2., neubearb. Aufl., Tübingen 1984, S. 342 ff.). Der kasuistische Denkstil mit der „distinction from case to case" beherrscht die richterliche Methode in den Common Law Ländern auch heute noch, wenngleich im allgemeinen Konvergenzen zwischen den beiden großen Rechtskreisen bestehen. 4 Vgl. Zweigert-Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Bd. II, 2. Aufl., S. 345. 5 Dasselbe gilt in Deutschland, siehe hierzu auch Heigl, Von der Gewerbeordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, BayVBl. 1974, 244 m. w. N. 6 Illinois v. City of Milwaukee, 406 U.S. 91 (1972); City of Milwaukee ν. Illinois and Michigan, 451 U.S. 304 (1981). 7 Vgl. auch Thomas, Gesetzliche Grundlagen des Umweltschutzes in den USA, RiW 1986, 27, 30 f.
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Das Recht auf Freiheit von Eingriffen in privates Grundeigentum wird als Trespass bezeichnet, das private Recht gegen Eingriffe in den Gebrauch oder Genuß von Grundeigentum als Private Nuisance. Beiden Klagetypen gemeinsam ist entsprechend der Negligence nach heutigem Verständnis in den USA der Schutz des Interesses an Eigentum bzw. Besitz.8 Zur terminologischen Klarstellung: Private Nuisance als Tort ist nicht identisch mit der bereits thematisierten Public Nuisance, die öffentlich-rechtliche Normen und Einzelmaßnahmen unter Einschluß von solchen zur Gefahrenabwehr ermöglicht. Public Nuisance und Police Power sind ähnlich wie die Gefahrenabwehr in Deutschland tradierte öffentlich-rechtliche Handlungsformen, die auch im Umweltrecht in den USA bis auf den heutigen Tage bestehen, jedoch im Laufe der Entwicklung wie die Common Law-Ansprüche zunehmend von einer auf staatliche Planung setzenden Umweltvorsorge überlagert werden.
2. Entscheidungsketten des „trespass": Rechtsfortbildung und Strict Liability Die Trespass-Klage gehört zu den ältesten im Common Law und gewährt Schadensersatz.9 Als Rechtsinstitut des Common Law ist es Ergebnis gerichtlicher Entscheidungsketten: a) Wo ein gewaltsamer Angriff in den ungestörten Besitz an einem Grundstück oder an beweglichen Sachen oder in die körperliche Unversehrtheit direkt und gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen wird, haftet der Eindringling bzw. Angreifer nach Trespass. 10 Blackstone bringt folgendes Beispiel: „ I f I throw a log of timber into the highway (which is an unlawful act), and another man tumbles over it, and is hurt, an action on the case only lies, it being a consequential damage; but if in throwing it I hit another man, he may bring trespass because it is an immediate wrong." 11 Trespass erfordert so — zunächst! — eine unmittelbare körperliche und direkte Handlung. Ein unerlaubtes Eindringen etwa auf ein fremdes Grundstück (trespass to land) setzt also einen direkten, d. h. intentionalen, und körperlichen Eingriff in den ungestörten Besitz voraus. Diese auf Blackstone basierende Grundregel wird nun im Laufe der Zeit kasuistisch immer weiter angereichert mit der Folge, daß sie inhaltlich modifiziert wird und schrittweise ihren ursprünglichen Normcharakter verliert: b) So ordnet auf der nächsten Entscheidungsstufe die Rechtsprechung zunächst auch den Niederschlag von Partikeln geschmolzenen Bleis auf einem Grundstück 8
Vgl. Summers / Atiyah, Form and Substance, S. 87. Zweigert-Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Bd. II, 2. Aufl., Tübingen 1984, S. 344. 10 Zitiert nach dies., a. a. O., Band II, S. 344 f. h Blackstone in Scott v. Shepherd (1773), 2 Black. W. 892, 96 Eng. Rep. 525. 9
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als Trespass ein, 12 d.h., das Merkmal „Unmittelbarkeit" wird verändert. Der erste neue Rechtssatz lautet: „Wer die Ursache dafür setzt, daß Gesteinstrümmer, Abfälle oder Wasser in ein fremdes Grundstück eindringen, haftet nach Trespass." Ein unmittelbares Eindringen des Störers selbst in den Besitz an einem Grundstück ist somit nicht mehr erforderlich. Die Ursachenkette und damit auch das verursachende Verhalten kann früher als noch bei der durch Blackstone formulierten Regel in Gang gesetzt werden. Dies bedeutet, daß sich über die Ursächlichkeit auch die inhaltlichen Maßstäbe an das Ursachen und Wirkungen setzende menschliche Verhalten verändern. c) Bei den im Zuge der Industrialisierung verstärkt auftretenden Luftverunreinigungen ist nun problematisch, ob auch gasförmige — d. h. nicht sichtbare — Stoffe ein „körperliches Betreten" im Sinne der Trespass-Klage darstellen, also solche, die erst — und nur! — in ihren Wirkungen einen Eingriff abgeben. Bei körperlich sichtbaren Stoffen, wie Kohlenstaub oder Bleipartikeln wird dies im allgemeinen als unproblematisch angesehen,13 da sich das Merkmal der Körperlichkeit noch begrifflich konstruieren läßt. Bei Gasen ist dies begrifflich zunächst noch problematisch, da das mit der Körperlichkeit identifizierte Merkmal der Sichtbarkeit fehlt. Zum zweiten ist aber in diesen Fällen und auch anderen im Immissionsschutz außerdem fraglich, ob ein intentionaler Eingriff noch vorliegt, wenn die Immissionen nur temporär und erst bei besonderen Wetterlagen — ζ. B. einer Inversionslage — auftreten. Seit Ende der fünfziger Jahre ist jedoch ganz unstreitig Praxis, daß die Interessen am Besitz von Grundeigentum durch Schwebteilchen und unsichtbare Gase — seien sie giftig oder nur geruchsstörend — und schließlich sogar durch Lichtstrahlen beeinträchtigt sein können, wobei indirekte, nichtintentionale, Einwirkungen ausreichen. 14 d) Aus rechtspraktischer und rechtstheoretischer Sicht ist die Begründung des Oregon Supreme Court, der diese Rechtsfortbildung einführt, bedeutsam.15 Die 12 Van Alstyne v. Rochester Telephone Corp., 163 Mise. 258, 296 N.Y. S. 726. 13 Van Alstyne v. Rochester Telephone Corp., 163 Mise. 258, 296 N.Y. S. 726; Young v. Fort v. Fort Frances Pulp and Paper Corp., Canada 1919, 17 Ont. Wkly. Notes 6. 14 Martin v. Reynolds Metals Co, Supreme Court of Oregon, 221 Or. 86, 342 P.2d 790 (1959). Obgleich es sich hier nicht um die Entscheidung eines Bundesgerichts handelt und Common Law Sache der Gliedstaaten ist, stellt sie einen „leading case" im US-amerikanischen Umweltrecht dar. Der Revisionsantrag des beklagten und unterlegenen Unternehmens wird 1960 vom U.S. Supreme Court abgelehnt, cert, denied, 362 U.S. 918 (1960). Siehe hierzu auch Grad, Environmental Law, S. 296 f. 15 Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In einer Fabrik, die Aluminium umsetzt, werden über mehrere Jahre während des Betriebs Fluoridverbindungen frei, die für das bloße Auge nicht sichtbar sind und schließlich auf dem Farmland der Kläger in Oregon niedergehen. Ein Teil hiervon wird durch ein technisch seinerzeit modernstes Filtersystem eingefangen, das bereits vorher installiert worden war. Der Niederschlag auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen führt nun dazu, daß das Gras, das als Viehfutter für die Rinder dient, wegen der Schadstoffkontamination nicht mehr
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Basis dieser Entscheidung, die einen Eingriff nach Trespass auch dann annimmt, wenn kein „thing" vorliegt, das man mit bloßem Auge ausmachen kann, widerspricht der hergebrachten Definition; 16 diese durch den U.S. Supreme Court bestätigte Entscheidung liegt aber andererseits voll auf der instrumentalistischen Linie von Holmes — „We must think things, not words" — 1 7 und rekurriert also auf Wirkungen statt auf die Identifikation begrifflich überlieferter Gattungsmerkmale und inbegreift die Norm Trespass primär als Wirkungsproblem. Im vorliegenden Fall ist der Schaden in Form von Nutzfortfall gegeben, der keine direkte Folge körperlichen Eindringens ist, sondern erst über eine Kontamination von Schadstoffen entsteht. Stellt man, wie das beklagte Unternehmen, nur auf „direkte" und nicht nur mittelbare Folgen des Eindringens ab, bliebe nur Nuisance als Rechtsbehelf. 18 Das Gericht begründet nun rechtsrealistisch seinen unterschiedlichen Zugang mit der sich verändernden Funktion des Instituts „trespass" im Hinblick auf neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse, Erfahrungen und Wirkungen. Die hier vorliegende ratio decidendi ist wegen ihres rechtsrealistischen und zugleich pragmatisch-instrumentalistischen Zugangs zum Recht und ihrer praktischen Bedeutung für die Umwelthaftung von großem Stellenwert. Sie enthält einige wesentliche Züge des instrumentalistischen Rechtspragmatismus. 19 aa) „It is quite possible that in an earlier day when science had not yet peered into the molecular atomic world of small particles, the courts could not fit an invasion through unseen physical instrumentalities into the requirement that a trespass can result only from a direct invasion. But in this atomic age even the uneducated know the great and awful force contained in the atom and what it can do to a man's property if it is released. In fact, the now famous equation E = me2 has taught us that mass and energy are equivalents and that our concept of „things" must be reframed. If by these observations science in relation to the law of trespass should appear theoretical and unreal in the abstract, they become very practical and real to the possessor of land when the unseen force cracks the foundation of his house. The force is just as real if it is chemical in nature and must be awakened by the intervention of another agency before it does harm". 20 Hierdurch wird zum einen die auf Blackstone basierende Trespass-Grundnorm nicht nur für zurückliegende Epochen erklärt, sondern wegen der für den Mengenutzt werden kann. Die Kläger verlangen Schadensersatz für den Verlust des Landes für diese Zwecke (Nutzfortfall). Ausdrücklich: Martin v. Reynolds Metals Co., Supreme Court of Oregon, 221 Or. 86, 342 P.2d 790 (1959); cert, denied, 342 U.S. 918 (1960). 17 Holmes, Law in Science and Science in Law, in: 12 Harvard Law Review, S. 443, 460 (1899); s. u., Kapitel VII. 18 Vorliegend kommt jedoch keine Haftung nach Nuisance in Betracht, da der Staat Oregon für diesen Bereich ein Verjährungsgesetz (statute of limitations) erlassen hatte. 19 Hierzu noch im einzelnen unten, insb. Kapitel VII. 20 Martin v. Reynols Metals Co., Supreme Court of Oregon, 221 Or. 86, 87 ff.; 342 P.2d 790 (1959).
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sehen nunmehr erfahrbarer neuer Realitäten außer Anwendung gebracht. Gerichte schöpfen angesichts neuer Realitäten neues Recht. Recht muß naturwissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen. Die Direktheit eines. Eingriffs wird den in der natürlichen Umwelt vorhandenen Realitäten nicht mehr gerecht. Durch Beobachtung der in der natürlichen Umwelt stattfindenden Ursache- und Wirkungsbeziehungen müssen Rechtsbegriffe und Rechtsbeziehungen verändert werden. Entscheidend ist der praktische Wert des Resultats. Und weiter: bb) „Viewed in this way we may define trespass as any intrusion which invades the possessor's protected interest in exclusive possession, whether that intrusion is by visible or invisible pieces of matter or by energy which can be measured only by the mathematical language of the physicist."21 In dem vom Gericht zugrunde gelegten Fall operiert das seinerzeit technisch effizienteste Rauchsammeisystem. Dennoch ist es hier technisch nicht möglich, sämtliche Fluoride zu erfassen, die beim Betrieb der Fabrik frei werden, und die zwar nicht unmittelbar, aber im Effekt, letztlich auf den Flächen der Kläger niedergehen. Der Oregon Supreme Court hält dieses Moment indes für unbeachtlich, eine Haftung nach Trespass besteht nunmehr unabhängig von Verschulden. Grundlage der Haftung ist also hier nicht mehr Verschulden, sei es direkt und vorsätzlich oder fahrlässig, sondern der Interessenschutz, das gesteigerte spezifische Betriebsrisiko und auch keine an Verschulden — welches nicht vorliegt — ansetzende Beweislastumkehr, sondern eine Gefährdungshaftung (Strict Liability)· Damit geht es hier von der Zielrichtung nicht um die wirtschaftliche Vertretbarkeit von Maßnahmen gegen Luftverunreinigungen. Dieser Kern der Entscheidung wirkt im modernen öffentlichen Immissionsschutzrecht in den USA fort: Bei der Entscheidung über Grenzwerte werden — anders als im deutschen öffentlichen Immissionsschutzrecht aufgrund des § 3 Abs. 6 BImSchG (Stand der Technik) — wirtschaftliche Faktoren bei potentiellen Luftverunreinigern nicht berücksichtigt. 2 2 Insofern hat die vorbezeichnete Entscheidung des Oregon Supreme Court durch die hierin zum Ausdruck kommende Wertung über ihre unmittelbar normsetzende Geltung für das Common Law des Staates Oregon (Trespass) hinaus Fernwirkung in das heutige öffentliche Bundes-Immissionsschutzrecht der USA hinein. Für den Bereich des Common Law wird die „Strict Liability" im Umweltrecht begründet, 23 d. h. eine „liability without a fault". 24
21 Martin v. Reynolds Metals Co., 221 Or. 86,90,96 (1959); cert, denied, 362 U.S. 918 (1960). 22 Zuletzt: Die sich mit der immissionsschutzrechtlichen Vorsorge (precaution) befassende Entscheidung Lead Industries Association ν. EPA, 647 F.2d 1130 (D.C.Cir.1980); cert, denied, 101 S.Ct. 621 (1980). 23 Vgl. auch Krier, Environmental Law and Policy, Bobb-Merrill Company, Inc., 1971, S. 152 ff. (ohne Ortsangabe). 24 Steven H. Givis, Law Dictionary, Barron's, New York 1984, S. 458.
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Bereits Holmes führt im Law of Torts im „The Common Law" den Risikogedanken als Grundlage der Haftung neben dem Verschulden ein. 25 Anstelle eines zielgerichteten inneren Willensmoments zur Schädigung, wie er noch bei Blackstone zum Ausdruck kommt, sind für Holmes die relevanten Momente Nähe der Gefahr (nearness of danger) und die Größe des Schadens (the greatness of harm). 26 Obgleich sich diese Äußerungen zunächst nur auf das engere Gebiet des Strafrechts im Common Law beziehen, geht es Holmes viel allgemeiner bei dem Law of Torts um die Bestimmung eines Risikostandards des Handelns, der mit Hilfe des Erfahrungsmoments auszufüllen ist. Dabei ist eine wesentliche Leitlinie das Interesse der Gemeinschaft und damit eine Reklamierung öffentlicher Zwecke (Public Policy). 27 Verhalten ist immer nach außen tretendes Handeln, das anhand seiner Sozialschädlichkeit und nicht primär nach willensgetragenen inneren Motiven und Intentionen zu beurteilen ist. 28 Das ursprüngliche Recht des Trespass läßt sich nur auf dem geschichtlichen Hintergrund erklären. Ursprünglich sind sämtliche Fälle des Trespass — einschließlich des Trespass to Land — dem Strafrecht unterworfen, weil das Verhalten des Eindringlings als Bruch des Friedens angesehen wurde. Als der strafrechtliche und der zivilrechtliche Aspekt getrennt werden, ist eine Zivilklage nach Trespass immer noch durch diese Vergangenheit eingefärbt. Der Grundgedanke, daß der Frieden der Rechtsgemeinschaft durch das Verhalten des Eindringlings gefährdet wird, hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit stark beeinflußt. Aus diesem Grunde wird eine Entschädigung auch dann gewährt, wenn der Kläger tatsächlich keinen Schaden erlitten hatte, zumindest um Rechtsbrecher für die Zukunft abzuhalten.29 Die Vorschrift des § 823 BGB bei Schadensersatz bzw. § 1004 BGB bei Beseitigung oder Unterlassung sind nicht mit „Trespass" identisch. Als vindikatorischer Anspruch ist das Vorliegen eines tatsächlichen Schadens anders als bei § 823 BGB nämlich keine Tatbestandsvoraussetzung des Trespass, 30 bei § 1004 BGB wiederum ist dies genauso — aber hier ist nun anders als in der TrespassKlage nur Beseitigung bzw. Unterlassung möglich. 25 Holmes, The Common Law, Boston 1881, S. 50. 26 Ders., a. a. O., S. 68 f. 27 Ders., a. a. O., S. 108: „ . . . a sacrifice of individual peculiarites . . . is necessary to the general welfare . . . " 28 Ders., a. a. O., S. 161: „The theory of torts may be summed up very simply. At the two extremes of the law are rules determined by policy without any reference to any kind of morality. Certain harms a man may inflict even wickedly; for certain others he must answer, although his conduct has been prudent and beneficial to the community ." Entsprechend befindet Prosser in dem heutigen Standardwerk zu den Torts: „The rationable of the tort law of strict liabilty is that it tends to discourage dangerous activities while not entirely prohibiting any social benefit they may have." (Torts, 4th ed., 1971, S. 495) (Hervorhebungen hinzugesetzt). 29 Ähnlich wie hier Winfield on Torts, 4. Aufl., S. 305; 1 Harper & James, Torts, § 1.8, S. 25; jeweils zitiert nach Grad, Environmental Law, S. 273. 30 1 Harper ά James, Torts, § 1.8, S. 26, zit. nach Grad, a. a. O, S. 273.
II. Instrumente des Common law
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Jüngst wird nun in einer Entscheidung des OLG Hamm analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Schadensersatz infolge von das genehmigte Maß überschreitenden und daher rechtswidrigen Emissionen — vorliegend Thallium — zugesprochen; 31 dieser Anspruch setzt kein Verschulden voraus. Begründen läßt sich die analoge Anwendung zutreffend mit den hinter den §§ 904 Satz 2; 906 Abs. 2 Satz 2 BGB; § 14 Satz 2 BImSchG stehenden Zwecken. 32 Zunehmend in der Literatur soll nun auch im Bereich des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB wie bei § 823 BGB voller Schadensersatz zuerkannt werden. 33 Im Ergebnis bedeutet diese Ausdehnung des § 823 BGB in den Bereich verschuldensunabhängiger Haftung eine Rechtsfortbildung, bzw. geht diese Ausdehnung über den Wortlaut des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hinaus und ähnelt daher i. E. der US-amerikanischen Rechtsprechung. Auch im Falle der Rechtsfortbildung über § 823 BGB soll die Verjährungseinrede nach § 852 BGB nicht anwendbar sein, sondern die allgemeinen Regeln des § 195 BGB. 3 4 Rein konstruktiv gangbar wäre indessen auch § 852 BGB analog mit dem — im Prozeß auch vertretenen — Argument, ein verschuldensunabhängiger Anspruch könne nicht später verjähren als ein verschuldensabhängiger. Die Entscheidung ist aus umweltrechtlichen Zwecken zu begrüßen.
3. Private Nuisance Die Private Nuisance — wörtlich: Störung, Beeinträchtigung, Belästung —, die einen Schaden voraussetzt, läßt sich ebenso wie die Public Nuisance nicht allgemein definieren. 35 Es kann allerdings nicht schon jede Art und jeder Grad von Beeinträchtigung bzw. Belästigung und Störung (nuisance) genügen, was angesichts der Realitäten menschlichen Zusammenlebens nicht machbar und daher auch nicht sozialadäquat wäre. Private Nuisance kann daher immer nur eine erhebliche Beeinträchtigung der privaten Interessen am Gebrauch und Genuß von Grundeigentum bedeuten, sofern sie einen Schaden nach sich zieht oder nach sich ziehen kann. Im Hinblick auf die daher notwendige Interessenabwägung sind Intensität, Häufigkeit und Dauer der Störung, sowie der Wert des Gebrauchs 31 OLG Hamm, NJW 1988,1031 = JuS 1988,569 (mit Anm. von K. Schmidt). Ähnlich der erwähnten Entscheidung des Oregon Supreme Court, s. o., betreibt der Kläger einen Bauernhof, die Beklagte ein Zementwerk. Der Kläger erleidet Schäden an Feldern und Vieh durch Thalliumausstoß. Anders aber als bei dem Sachverhalt der Entscheidung in Oregon gehen die Emissionen über das jeweils öffentlich-rechtlich genehmigte Maß hinaus. 32 Vgl. BGHZ 58,149,158 ff.; 62,361,366 ff.; 72,289,291 ff.; 90,255,262; Schmidt, a. a. O., FN 7 m. w. Ν. 33 Vgl. etwa Palandt-Bassenge, BGB, 47. Aufl., 1988, § 906 Anm 6 b. 34 Vgl. OLG Hamm, a. a. Ο. 35 So auch die ältere Arbeit von Kausch, Grundzüge des Umweltrechts der USA am Beispiel der Luftreinhaltung, Berlin 1972, S. 106 ff., 123 m. w. N.
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1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
für die betroffene Partei und die Gemeinschaft zu berücksichtigen, wobei für die Interessenabwägung zur Entscheidung über die „Erheblichkeit" die jeweils in der Gesellschaft vorherrschenden Anschauungen maßgeblich zu berücksichtigen sind. 36 Eine Interessenabwägung ist auch im Hinblick auf die zu wählenden Sanktionen notwendig: es besteht die Möglichkeit des Schadensersatzes oder des Verbots weiterer Tätigkeit, sofern ein nicht wieder gutzumachender Schaden droht.
4. Möglichkeiten und Grenzen des Common Law im Umweltrecht a) Rechtssätzliche Grenzen Anerkannt seit der richtungweisenden Entscheidung in Erie Railroad aus dem Jahre 1938, die maßgeblich auf Justice Brandeis zurückgeht und die SwiftEntscheidung, die ihrerseits auf Story beruht, 37 außer Kraft setzt,38 besitzen Bundesgerichte jedoch keine Befugnis zur Schöpfung eines in der gesamten Union einheitlich geltenden Common Law. Begründen läßt sich dies mit der experimentellen Funktion der Gliedstaaten, deren Jurisdiktionen Common Law schöpfen und entwickeln. 39 Nach der Erie-Entscheidung können Bundesgerichte nur das Common Law des betreffenden Gliedstaates anwenden.40 Es besteht also zum Beispiel kein für die gesamten USA einheitlich geltendes Recht von unerlaubten Handlungen (torts). Damit kommt dem Common Law selbst eine experimentelle Funktion bei der Herausbildung des Rechts zu. Das Common Law ist in den USA gerade angesichts ihrer experimentellen Funktion Sache der Gliedstaaten. Darin liegt seine Stärke und seine Schwäche. 36 Vgl. Reitze, Private Remedies for Environmental Wrongs, in: 5 Suffolk U.L. Rev., S. 779 (1971); ausführlich zur zivilrechtlichen Problematik auch Prosser, Private Action for Public Nuisance, in: 52 Va.L.Rev., S. 997 (1966); Juergensmeyer, Control of Air Pollution Through the Assertion of Private Rights, in: 1967 Duke L. J., S. 1126 ff.; Kausch, a. a. O. 37 Swift v. Tyson , 41 U.S. (16 Pet.) 1 (1842). Diese Entscheidung betrifft die Fälle der diversity of citizenship (= Kläger und Beklagter sind Angehörige unterschiedlicher Gliedstaaten, so daß die Zuständigkeit eines Bundesgerichts gegeben ist). Fraglich ist deshalb, wessen Rechtssätze durch das mit der Entscheidung befaßte Bundesgericht anwendbar sind. 38 Zu den rechtstheoretischen Voraussetzungen und Implikationen vor dem Hintergrund der rechtspragmatisch-instrumentalistischen Theorie in Abscheidung von dem „mechanical-abstract-system-building", wie es zur Jahrhundertwende die seinerzeit auch in den USA dominierende Analytical Jurisprudence und vorher insbesondere das Werk von Story auszeichnet, siehe unten, Kapitel VII. 39 Erie Railroad v. Tompkins , 304 U.S. 64 (1938); Justice Brandeis: „There is no federal general common law", 304 U.S. 64, 78 (1938); anders noch Swift v. Tyson , 41 U.S. (16 Pet.) 1 (1842); siehe hierzu auch Tribe, American Constitutional Law, S. 158 f.; Summers / Atiyah, Form and Substance, S. 58 - 61. 40 Summers / Atiyah, Form and Substance, S. 59.
II. Instrumente des Common law
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Es ermöglicht zum einen ortsnahe Lösungen, die dem jeweiligen „gesellschaftlichen Standard" entsprechen. Andererseits können Abweichungen zwischen den Gliedstaaten enorm sein mit dem Effekt von Wettbewerbsverzerrungen mit strukturpolitischen Konsequenzen. Das zeigt sich etwa bei der Handhabung der Probleme durch Gerichte in so unterschiedlichen Staaten wie Oregon (agrarisch) und New York (industriell), hier der Zumutbarkeit und „Situationsgebundenheit": Anders als die in Oregon getroffene Entscheidung kann die New Yorker BoomerEntscheidung — ein Anwendungsfall der Private Nuisance — auf die Ortsüblichkeit von Luftbelastungen abstellen.41 Wie bei der Situationsbelastung im deutschen Recht 42 ist diese praktisch Korrelat des Bestandsschutzes des anderen. Auch im deutschen öffentlichen Immissionsschutzrecht ist nach der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG (Gefahrenabwehr), die insoweit der Nuisance entspricht, die Zumutbarkeit (Erheblichkeit) problematisch. Genießt eine Anlage Bestandsschutz,43 sind ihre Immissionen zumutbar, weil sie Bestandteil der Situation ist, in die die Nachbargrundstücke gestellt sind. Zwar wird in Boomer Schadensersatz gewährt, jedoch der bei der Private Nuisance mögliche weitere Antrag auf Betriebseinstellung abgelehnt. Die Probleme sind zum einen die Arbeitsplätze und Eigentum, zum anderen (ebenfalls) Eigentum und Umwelt. Aus Umweltschutzgesichtspunkten läßt sich kritisch gegen das gewählte Ergebnis einwenden, daß mit der einmaligen Zahlung von Schadensersatz an die betroffenen Eigentümer gegen deren Willen eine Grunddienstbarkeit begründet wird (servitude on land). Dies hat die rechtspraktische Konsequenz, daß nunmehr nicht nur jeder weitere Rechtsstreit auf weiteren Schadensersatz oder Betriebseinstellung erfolglos sein wird. Das Unternehmen kann sich vielmehr vom Vorwurf der Luftverunreinigung freikaufen, ohne weitere Maßnahmen zur Emissionsreduktion ergreifen zu müssen. Auch verfassungsrechtlich ist diese oft kritisierte Entscheidung bedenklich. Stellt doch die U.S. Bundesverfassung wie auch die Verfassung von New York bei Eingriffen in das Eigentum — und die Bestellung einer Servitude on Land gegen den Willen des Eigentümers ist ein solcher — darauf ab, daß diese öffentlichen Zwecken genügen müssen. Eine solche Abwägung nimmt das Gericht jedoch nicht vor. Im Ergebnis liegt daher der EntscheiBoomer v. Atlantic Cement Co., 26 N.Y. 2d 219; 309 N.Y. S. 2d 312; 257 N.E. 2d 870 (N.Y. Appeals, 1970). Im Jahre 1962 geht eine für 40 Mio. Dollar in der Nähe von Albany, N.Y., erbaute Zementfabrik in Betrieb, die mit den seinerzeit umfaßendsten Kontrollvorrichtungen — in der Folge des Air Pollution Prevention Act — versehen ist. Die Kläger — Grundeigentümer in der näheren Umgebung — klagen u. a. auf Einstellung des Betriebes, da — wie im übrigen unstreitig — Schmutz und Staub niedergegangen ist, wodurch die Grundstücke 50 % ihres Wertes einbüßen, und machen insoweit eine Eigentumsverletzung geltend. Allerdings liegt die Fabrik in einem Gebiet, das vorher als Industriegelände ausgewiesen worden war. 42 BVerwGE 49, 365, 368; BVerwG GewArch. 1977, 168, 171; BGH NJW 1984, 1172 ff. 43 Siehe auch BVerwGE 50, 58. 3 Moeskes
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1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
dung die unausgesprochene grundsätzliche Wertung zugrunde, daß die Einwirkungen — obgleich erheblich — zu dulden sind, da ortsüblich; inhaltlich entspricht dies § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB mit allein der Möglichkeit von Ausgleich nach Satz 2. b) Kontextliche Beschränkungen Es ist die Zweckrichtung aller Entscheidungen, die — vom Holding kaum scharf zu trennen — die weitere Norm des Trespass unter Verselbständigung von der Ursprungsnorm schöpft, an die auch von anderen Gerichten angeknüpft werden kann. So kann nun auch im Falle der Zuständigkeit eines Bundesgerichts im Falle der oft vorkommenden Konstellationen der diversity of citizenship die erweiterte und realistische Ausdeutung der Trespass-Klage Platz greifen: „The problem of air pollution is one of the great problems now facing the American public." 44 Mit der anfänglichen Dominanz des Common Law im Bereich des Immissionsschutzes — der in den USA nach der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court im Anschluß an Justice Brandeis einzelstaatliches Recht ist — fehlt zunächst eine zentralstaatliche Rechtsprogrammierung und daher schon im Ansatz jeglicher zentrale Dirigismus in der juristischen Bewältigung der anwachsenden Probleme. 45 Die normativen Rahmenprogramme fußen heute in beiden Industriegesellschaften auf formellen Gesetzen (statutes).46 Zwar zur Vorbeugung, wohl aber als Haftungsgrundlage, hat es wie das private deutsche Immissionsschutzrecht seine Bedeutung nicht verloren. Obgleich das Framework des Umweltrechts in den USA „essentially statutory" ist, 47 muß an dieser Stelle angemerkt werden, daß mit beiden Rechtsquellen unterschiedliche Instrumententypen und Entscheidungsketten und mithin instrumentell differenzierte Eingriffsmöglichkeiten in das Geschehen zur Verfügung stehen. Allerdings können dort öffentlich-rechtliche Standards den anzulegenden Verhaltensmaßstab Privater unter dem Framework der Torts beeinflussen, so daß Statute Law und Common Law nur hinsichtlich der Anspruchssysteme im Sinne der auf Hohfeld im Gefolge der Analytical Jurisprudence basierenden Gegenüberstellung von „rights and duties", nicht aber beim real anzulegenden Verhaltensmaßstab („behavior") getrennt werden können. Dies entspricht daher den heutigen rechtlichen Realitäten und den zugrundeliegenden generalisierten Verhaltenserwartungen in den USA. Die Unterscheidung von Common Law und Statute Law ist grundlegend für den Bereich der immissionsschutzrechtlichen Vorsorge und der Standardisierung von Umweltqualität — genauer: dem Versuch — durch das „administrative rule making". 48 44
So in Renken v. Harvey Aluminium, 226 F. Supp. 169 (D.C. Ore. 1963). 45 Im Ergebnis wie hier: Thomas, RiW 1986, 27. 46 Für die USA vgl. Grad, Environmental Law, S. 3 ff. 47 Ders., a. a. O., S. 3.
III. Entwicklung administrativer Instrumente
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Die Notwendigkeit für gesetzliche und auf der Basis von Gesetzen erlassene Instrumente wird durch die Tatsache verschärft, daß eine Vielzahl von Einzelinteressen geschützt werden müssen (Pflanzen, Tiere, Gebäude, Maschinen, Gesundheit etc.). Wie auch bei der Anwendung des Common Law kommt es im Statute Law bei der Frage, wann eine Immission rechtserheblich wird, auf eine Interessenabwägung („protected interest") an. 49 Zum zweiten wird hierdurch auch eine gesellschaftliche Dimension eröffnet, der Regeln des Common Law, die nur allzuoft von Rechtsverhältnissen „inter partes" ausgehen, oft nicht mehr genügen. 5 0 Eine nur auf naturwissenschaftliche Wirkungen abstellende Betrachtungsweise genügt dabei allein nicht, um die Problematik rechtlich zu bewältigen.
I I I . Entwicklung administrativer Instrumente 1. Zentralisierung und Koordinierung von Instrumenten Umweltrecht in den USA ist heute primär öffentliches Recht,1 das unter der gemeinsamen Zielsetzung der Vorsorge in seinen Mitteln und Methoden von einem administrativ-institutionellen „Policy Mix" gekennzeichnet ist. Aber auch bei dieser nun augenscheinlich ganz gegen die angloamerikanische Rechtstradition mit dem Case Law (Richterrecht) als primäre Rechtsquelle sprechenden Linie finden sich im Öffentlichen Immissionsschutzrecht auf der Basis von formellen Gesetzen ganz unterschiedliche „Policies" (Strategien) mit differenzierten Instrumenten. Diese formen sich juristisch in einer politisch-funktionalen Perspektive aus. Es ist daher angebracht, diese legislativen Entscheidungsketten und Instrumente nachzuzeichnen, um einen Überblick über Voraussetzungen des momentanen positiven Rechts mit seiner Vielzahl von Rechtssätzen und Normierungen zu erlangen. Man kann nicht nur die fremde positive Rechtsentwicklung kaum anders nachvollziehen. Entscheidender ist noch, daß überkommene Instrumente in den USA nicht sprunghaft über Bord geworfen werden. Der Maßnahmecharakter des 48 Hierzu genauer in Kapitel IV bis VI. 49 So ist der Überflug durch ein Flugzeug, obgleich „körperlich", kein „Eindringen", sofern der Gebrauch des Eigentums nicht beeinträchtigt wird, Hinman v. Pacific Air Transport, 9 Cir., 1936, 84 F.2d 755. Umgekehrt kann das Einwirken von Licht auf ein Grundstück Trespass konstituieren, obgleich nicht „körperlich", vgl. hierzu Martin v. Reynolds Metals Co., 221 Or. 86, 342 P.2d 790 (1959). 50 Grad, Environmental Law, S. 5; vgl. zum vorstehenden, jeweils mit umfänglichen weiteren Nachweisen, etwa Juergensmeyer, Control of Air Pollution Through the Assertion of Private Rights, in: 1967 Duke Law Journal, S. 1126 ff.; Prosser, Handbook of the Law of Torts, 4th ed., St. Paul 1971, S. 572 f., 586 f.; ders., Private Actions for Public Nuisance, in: 52 Virginia Law Review, S. 997 (1966); Schmitz, Pollution, Law, Science, and Damage Awards, in: 18 Cleveland State Law Review, S. 456, 462 (1969). 1 Ähnlich Grad, a. a. O., S. 1 ff.; Thomas, Gesetzliche Grundlagen des Umweltschutzes in den USA, RiW 1986, 27.
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1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
Rechts als einem Instrument wird vorausgesetzt in der „amending technique" in allen Umweltschutzgesetzen mit der praktischen Konsequenz, daß oft neben neuen Instrumenten auch ältere, deren Entscheidungsmuster sich bereits in der Anfangsphase nach 1955 herausgebildet haben, anwendbar bleiben. Stellt der Air Pollution Control Act nur einen allerersten Schritt des Bundes in das Problemfeld dar, 2 ist seit Anfang der siebziger Jahre das öffentliche Immissionsschutzrecht von einer deutlichen regulatorischen Federführung des Bundes bis in die Gegenwart gekennzeichnet.3 Eine vorsorgende und zentralisierte Umweltplanung setzt erst mit dem Clean Air Act 1970 und in seinem Gefolge mit der EPA (administrative rule making) ein. Die Zentralisierung institutioneller Funktionen findet 1970 mit der Schaffung der Environmental Protection Agency (EPA) und ihren quasi-legislativen (administrative rule making für standards)4 und exekutiven Funktionen (enforcement, compliance) ihren vorläufigen Abschluß. Diese Entwicklung vollzieht sich nun schrittweise in Wechselwirkung mit vermehrten Problemen der Implementation durch die Gliedstaaten in mehreren Etappen.5
2. Ziele und Instrumente des Clean Air Act 1963 a) Problemstellung
und Zielsetzung
Während der fünfziger und frühen sechziger Jahre beschränkt sich die Bundesebene auf die naturwissenschaftliche Erforschung der Effekte von Luftverunreinigungen einerseits und Verwaltungszuwendungen an die Gliedstaaten andererseits. Das gemeinsame strategische Ziel dieser Wege besteht darin, daß die Gliedstaaten selbständig Kontrollinstrumente entwickeln. 6 Während noch der Air Pollution Control Act den Surgeon General nur ermächtigt, naturwissenschaftliche Forschungen bei spezifischen lokalen Problemen auf Ersuchen der jeweiligen Einzelstaaten bzw. örtlichen Verwaltungen vorzunehmen, tritt der Bund ab dem Clean Air Act von 1963 zunehmend selbst durch normative Programmierung in Aktion. 7
2 Krier, Environmental Law and Policy, Berkeley, Calif., 1971, S. 302 f. 3 Grad, Environmental Law, S. 8; E. Rehbinder / R. Stewart, Environmental Protection Policy, S. I l l ff. 4 Hierzu noch genauer unten, Kapitel IV. 5 Vgl. Krier, a. a. O., S. 303 ff.; Stevens, Air Pollution and the Federal System: Responses to Felt Necessities, 22 Hastings L.J. 661, 668-669 (1971), der ganz ähnlich wie Holmes bei den „necessities of the time" bei der Produktion neuen Rechts ansetzt; vgl. dazu bereits Holmes, The Common Law, S. 1 f. (1881); siehe zu den einzelnen Etappen ausführlich CEQ (Council on Environmental Quality), First Annual Report, S. 73-75 (1970). 6 Siehe hierzu auch E. Rehbinder /R. Stewart, a. a. O., S. 111.
III. Entwicklung administrativer Instrumente
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Der Clean Air Act von 1963 geht in seinen Instrumenten weiter als das Gesetz von 1955, indem nunmehr der Secretary of Health, Education and Welfare in Washington ermächtigt wird, nicht mehr erst auf Ersuchen der jeweiligen gliedstaatlichen Administrationen, sondern aus eigener Initiative aktiv zu werden, wenn Luftverunreinigungen in einem anderen Staat auftreten und einwirken als im Ursprungsstaat. 8 Luftverunreinigungen treten nun einmal unabhängig von den von Menschen in politisch-rechtlichen Verfahren etablierten förmlichen Zuständigkeits- und Verwaltungsgrenzen auf. Diese überkommenen Funktionsgrenzen staatlicher Macht stammen aus einer Zeit, in der das Problem der Luftverunreinigungen noch gar nicht in dieser Dringlichkeit und Deutlichkeit zutage getreten war und daher das praktische Bedürfnis nach den entsprechenden neuen Zielen noch nicht aufwarf. Auf die zunehmend deutlich werdende naturwissenschaftliche Tatsache, daß Emissionen aus Punkt X herrühren — der zufällig im Staat A liegt —, sich in wieder anderen Staaten B, C und D weiträumig verteilen und auf die dort zufällig liegenden Punkte Y und Ζ einwirken und während dieses Prozesses oft andauernden chemischen Modifikationen unterworfen sind, muß rechtlich reagiert werden. Die herkömmlichen Instrumente und Formen können nun dieses Problem, das die sozialen Interessen in mehreren Gliedstaaten berührt, nicht in den Griff bekommen.9 Der Clean Air Act 1963 wie auch der Clean Air Act 1970 und 1977 setzen dieses faktische und funktionale Problem in der Zwecksetzung (declaration of purpose) explizit voraus, 10 kommen zur Zuordnung und Inwertsetzung des Problems (policy) zu den Zwecken durch Beurteilung (judgment) als riskant für öffentliche Gesundheit, Wohlfahrt und Eigentum, 11 was im Framework des Clean Air Act 1 2 wiederum als Rechtfertigung (justification) fungiert. Weiter führen sie zu dem Ziel (Maxime), daß bei der Vorsorge gegen „air pollution" an der Quelle („at its source") — genauso im BImSchG von 1974 in §§ 1 (Zweck); 5 Abs. 1 Nr. 2 (Genehmigungsinstrumentarium, Mittel: insbesondere Emissionsbegrenzung, § 3 Abs. 3) — den Gliedstaaten die „primäre" Verantwortlichkeit zur Entwicklung der jeweiligen Instrumente verbleiben soll. 13 Neben der Vorsorge bekommt ähnlich wie im übrigen im deutschen Recht die Politik der Kooperation
7 Clean Air Act, Pub.L. No. 88-206, 77 Stat. 392 (1963); Krier, Environmental Law and Policy, S. 303; Grad, Environmental Law, S. 311 ff. s Vgl. Krier, a. a. O., S. 303. 9 Vgl. Green, State Control of Interstate Air Pollution, in: 33 Law and Contemporary Problems, S. 315 ff. (1968). 10 CAA Sect. 101 (a) (1); 42 U.S.C. Sect. 7401 (a) (1). π CAA Sect. 101 (a) (2); 42 U.S.C. Sect. 7401 (a) (2). 12 Künftig abgekürzt: CAA. 13 So in Sect. 101 (a) (3) CAA (1963); siehe hierzu Krier, a. a. O.; Grad, Environmental Law, S. 311.
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1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
eine große Bedeutung, die im Hinblick auf die umfassendere Zwecksetzung der Vorsorge besteht.14 b) Ziele und Instrumente der Staatsverträge
( interstate compacts)
Schon im Clean Air Act von 1963 gibt es erste instrumenteile Ansätze zur Bekämpfung von weiträumigen Verteilungen von Luftverunreinigungen (transboundary spillovers). Aus der Sicht der Gliedstaaten bietet sich hier zunächst das Mittel der „interstate compacts" an, d. h. die Schließung von Staatsverträgen. Solche Staatsverträge wurden schon in anderen Zusammenhängen und recht früh zur Koordination der gliedstaatlichen Aktivitäten angewendet15 und stellen insoweit traditionelle Instrumente zur Konfliktbereinigung zwischen Gliedstaaten dar. Die nähere Ausarbeitung gemeinsamer bzw. aufeinander abgestimmter instrumenteller Strategien und Pfade insbesondere in Form der Interstate Compacts wird ausdrücklich durch Sect. 102 (a) — (c) des Clean Air Act von 1963 und auch im Clean Air Act 1970/77 ermöglicht. 16 Die neueren Gesetze ab 1970 erweitern allerdings programmatisch das Instrumentarium der „cooperative activities" — zunächst nur „interstate cooperation" — um die Institution der „federal Cooperation".17 Nach der insoweit auch einschlägigen U.S. Bundesverfassung bedürfen Interstate Compacts der Zustimmung (Consent) des Kongresses, 18 die auch noch heute im CAA Sect. 102 (c) insbesondere für Kooperationszwecke zur Vorsorge und damit gegen „transboundary spillovers" gegeben wird, solange kein Verstoß gegen Gesetze besteht.19 Zusätzlich zu den technischen und finanziellen Hilfen durch den Bund ist der Secretary of Health, Education and Welfare ermächtigt, Kriterien zur Luftqualität (air quality criteria) zu entwickeln, die jedoch, ganz unter Wahrung der Police Power der Gliedstaaten, nur Leitlinien (guidelines) darstellen. Dies hat die Konsequenz, daß die Gliedstaaten zur Implementation nicht verpflichtet sind (nonmandatory air quality criteria). 20 Mit den gegenüber dem Gesetz von 1955 durch den Bund verstärkten eigenen Forschungsvorhaben und größeren Hilfen an die Gliedstaaten21 ist der naturwis14 Vgl. CAA Sect. 101 (a) (4); 42 U.S.C. Sect. 7401 (a) (4). Die einzelnen Mittel im Instrumentarium der „cooperative activities" sind nunmehr in CAA Sect. 102 (a)-(c); 42 U.S.C. Sect. 7401 (a)-(c) differenziert. ι 5 Siehe als traditionale Entscheidungen etwa Virginia v. Tennessee, 148 U.S. 503 (1893); Virginia v. West Virginia, 246 U.S. 565 (1918). 16 CAA Sect. 102; 42 U.S.C. Sect. 7402 (a)-(c). 17 CAA Sect. 102 (a); 42 U.S.C. Sect. 7402 (a) und jeweils dort unter (b). is U.S. Constitution Artide I, Sect. 10: „No State shall, without the Consent of Congress,·... enter into any Agreement or Compact with another State . . . " 19 Siehe auch 1977 CAA 42 U.S.C. Sect. 7402 (c). 20 Siehe hierzu Krier, Environmental Law and Policy, S. 303; Grad, Environmental Law S. 312.
III. Entwicklung administrativer Instrumente
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senschaftlich-technische Funktionsbereich, in dem es um die Erforschung der gesundheitlichen Auswirkungen geht — und zunächst nicht mehr —, auf den Bund einerseits und die Gliedstaaten andererseits verteilt. So legt der Public Health Service des Bundes in seinen Bemühungen um eine vermehrte Aufarbeitung der Ursache- und Wirkungszusammenhänge (naturwissenschaftliche Kausalanalysen) und der gesundheitlichen Effekte in den späten fünfziger und sechziger Jahren die Grundlage für spätere Bundesgesetze.22 Der Secretary of Health, Education and Welfare bzw. ab 1970 die U.S. Environmental Protection Agency (EPA) kann zunächst nur in Ausnahmefällen selber intervenieren. Voraussetzung hierfür ist unter dem CAA 1963, daß unmittelbare Gefahren für Gesundheit und Wohlbefinden der Bevölkerung bestehen und der betreffende Gliedstaat nicht in der Lage ist, das Problem selbst zu bewältigen (emergency powers). 23 Das Ziel des Clean Air Act von 1963 besteht also darin, insbesondere staatliche und interstaatliche Maßnahmen zum Kampf gegen Luftverunreinigungen zu unterstützen. 24 Statt der Kommunen wie noch im Air Pollution Control Act (APCA) kommen daher nunmehr die Einzelstaaten in den Brennpunkt der Entwicklung. 25 Durch Beibehaltung der Strategie „administrative grants-in-aid" wird dadurch, daß jetzt allein die Staaten die Empfänger von technischen und finanziellen Hilfen sind, in der Wirkung ein enormer Einfluß auf die Entwicklung einer gliedstaatlichen Gesetzgebung im Umweltrecht ausgeübt.26 Aus der Binnenperspektive des Bundes haben die eingesetzten Strategien zwei Funktionen. Durch die administrative grants-in-aid an die Gliedstaaten soll die Entwicklung eigener rechtlicher Instrumente gefördert, angeregt und beschleunigt werden. Auf der anderen Seite besteht die Kompetenz der Bundesregierung, bei Luftverunreinigungen über gliedstaatliche Grenzen hinweg (interstate air pollution) selbst in Form von Einzelmaßnahmen aufgrund der emergency powers aktiv zu werden. Sofern der Bund überhaupt bei einzelnen Maßnahmen ins Feld tritt, sind dem Gesetzeswortlaut nach diese Instrumente darüber hinaus nur subsidiär. Dennoch wird bereits in dieser Phase die Police Power der Gliedstaaten ansatzweise zu einer begrifflichen Restfunktion herabgestuft. Zu Recht spricht Grad in diesem Zusammenhang mit der textlichen Hervorhebung der „primary responsibility" 27 von einem „Ritual" ohne funktionelle Bedeutung;28 es stimmt 21 Grad, a. a. O.; Krier, a. a. Ο. 22 Siehe E. Rehbinder IR. Stewart, Environmental Protection Policy, S. 292. 23 Siehe hierzu Grad, a. a. O., S. 312; Krier, a. a. O. 24 United States v. Bishop Processing Co., 287 F. Supp. 624 (D.Md.) (1968); 423 F.2d 469 (4th Cir. 1970); cert, denied, 398 U.S. 904 (1970). 25 Grad, a. a. O. 26 Ders., a. a. O. 27 So in Sect. 101 (a) (3) CAA (1963); siehe hierzu Krier, a. a. O., S. 303. 28 Grad, a.a.O., S. 311.
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mit den Kontexten des Handelns der beteiligten Handlungssysteme — wie sich jetzt im „Versuch" herausstellt — einfach nicht überein. Durch den Programmverlauf wird vielmehr deutlich, daß im Gefüge der staatlichen Funktionen Veränderungen in Richtung auf stärker überregionale Kontrolltechniken bereits jetzt einsetzen.29 Politisch-funktional hat diese Strategie der Arbeitsteilung in der Experimentierung den Vorteil, daß der raumübergreifende Immissionsschutz vom Bund vorbereitet und angesichts der schon sichtbaren Erfahrungen evaluiert werden kann, während die Gliedstaaten — ebenfalls unter der Programmierung auf Vorbeugung hin — ihren jeweiligen klimatischen und strukturpolitischen Besonderheiten an der Quelle Rechnung tragen können. Im Laufe der Zeit führen diese Strategien jedoch zu politischen Problemen, die einer weiteren Programmierung gerade im Hinblick auf die gesteckten Ziele entgegenlaufen. Das mit dem Clean Air Act von 1963 pronunzierte Modell funktioniert nicht, d. h. ist in der „operation" nicht praktikabel 30 , da die Probleme der Luftverunreinigungen über gliedstaatliche Grenzen hinweg nicht bewältigt werden können, was, wie schon gezeigt, ein zentrales Problem deshalb ist, weil der Emissionsort von den Immissionen, d. h. dem Einwirkungsort, abweicht. Für das über Verwaltungsgrenzen hinweg auftretende Problem der weiträumigen Verteilungen sind im Rahmen des Clean Air Act von 1963 zwar interstaatliche Verfahren vorgesehen. Diese Verwaltungsverfahren dauern in der Praxis jedoch zu lange, in Einzelfällen bis zu zwölf Jahren. 31 Das von ersten Anfängen im Jahre 1955 über den Clean Air Act von 1963 reichende Modell der administrative grants-in-aid erweist sich bei den interstaatlichen Problemen der Luftverunreinigungen als wirkungslos. 32 Eine wesentliche Ursache für das Fehlen eines positiven Feedback für das Aufschließen an die von der Zielsetzung Vorbeugung ermöglichten Zwecke liegt bei der institutionellen Organisation der Interstate Compacts, da es zum ersten bei den zwischen den Gliedstaaten kooperativ eingerichteten Verwaltungsbehörden an institutionell hinreichend markierten Entscheidungskompetenzen gegenüber den zusätzlich bestehenden einzelstaatlichen Behörden fehlt. Politisch-administrativ ergibt sich hieraus zum zweiten die Notwendigkeit mehrfacher Abstimmungen und politischer Rückversicherungen und Einzelkoordinationen von Maßnahmen, die zeitlich verzögert und wenig politisch-rechtlichen Spielraum zur Folge hat, 33 mithin zu mangelnden Entscheidungsinitiativen und keinen kurzfristig „vorzeigbaren" Entscheidungsalternativen und -ergebnissen führt. 29 So auch Grad, a. a. O., S. 311. 30 So Grad, a. a. O., S. 9. 31 United States v. Bishop Processing Co. 287 F.Supp. 624 (D.Md.1968), 423 F.2d 469 (4th Cir. 1970), cert, denied, 398 U.S. 904; vgl. auch Anderson / Mandelker / Tarlock, Environmental Protection: Law and Policy, ed. 1984, S. 129. 32 Vgl. zum vorstehenden: Grad, a. a. O.
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Einige Gliedstaaten haben darüber hinaus — wie sich ζ. T. auch noch heute zeigt — gar kein Interesse daran, weiträumige Verteilungsprobleme kooperativ anzugehen, sofern sich Luftverunreinigungen maßgeblich erst in einem anderen Staat auswirken. Damit sind letztlich Konflikte vorprogrammiert, für die kein gesetzliches Programm zur Konfliktreduzierung und Konfliktbewältigung bereitsteht; zur Konfliktreduzierung und Konfliktbegrenzung fehlt den gemeinschaftlich betriebenen Behörden, sofern überhaupt vorhanden, des weiteren faktisch die politisch-administrative Durchsetzungskraft. Der politisch-administrative Druck allein — hier durch finanzielle und technische Hilfen — kriegt daher die „Weiterverweisung" des Verteilungsproblems nicht in den Griff. Wirtschaftliche und strukturpolitische Unterschiede — d. h. die jeweiligen Kontexte — sind hier stärker im Spiel, so daß letztlich auch gemeinsame Behörden trotz des vorhandenen eigenen Gestaltungsspielraums nicht funktionieren. 34 Die Gliedstaaten sind — das wirkt bis auf den heutigen Tage fort — aus strukturpolitischen und wirtschaftlichen Gründen oft nicht bereit, die notwendigen Maßnahmen selbst zu ergreifen. Hier berufen sie sich insbesondere in den sechziger Jahren auf die Police Power; die auf deren Basis ergangenen Gesetze bleiben zunächst neben dem Clean Air Act bestehen.35 Sie werden erst ab 1970 verdrängt, sofern der Bund — was bis auf Kalifornien der praktische Regelfall ist - 3 6 strengere normative Emissionsstandards als die Gliedstaaten ermöglicht bzw. voraussetzt. 37
3. Experimentelle Befugnisse gliedstaatlicher Handlungssysteme a) Politische Funktionalität Die Police Power der Gliedstaaten bildet bis zum Ende der sechziger Jahre die Basis für hoheitliche Maßnahmen gegen Immissionen. Ihr Umfang ist räumlich auf das jeweilige Herrschaftsgebiet beschränkt. 38 Auf der anderen Seite ist der gegenständliche Umfang nicht fix vorgegeben, sondern verändert sich insbesondere mit dem jeweiligen politischen und sozialen Kontext. 39 33 Vgl. Green, State Control of Interstate Pollution, 33 Law and Contemporary Problems, S. 315, 321 ff. (1968). 3 * Vgl. Note, Interstate Agreements for Air Pollution Control, 1968 Wash.U.L.Qu., S. 260, 264 ff. m. w. N. (1968). 35 Zum vorstehenden: Juergensmeyer, A Comparative View of the Legal Aspects of Pollution Control, in: 5 Suffolk U.L. Rev., S. 741,743 f. (1971); vgl. auch Grad, Environmental Law S. 31 Iff. 3 6 Grad, a. a. O., S. 313. 37 Zu den entsprechenden, zunächst vom jeweiligen Ergebnis geprägten Entscheidungen, die unter Etablierung gemeinsamer Zwecke Entscheidungsketten bilden und so für den neu normativ geregelten Bereich kleine Regelkreise aufbauen und neue Normen setzen, siehe unter Kapitel III., Abschnitt 3. 3 8 Vgl. The License Cases, 46 U.S. (5 How.) 504 (1847).
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Damit scheint zunächst mit der Police Power der Gliedstaaten ein flexibles Framework zur primären Problembehandlung und sozialen Problemkontrolle durch die Einzelstaaten gegeben. Auf der anderen Seite — ganz im Sinne der Experimentierung, der Beobachtung und Auswertung einzelstaatlicher Maßnahmen durch den Bund — beschränkt dieser die eigenen Bemühungen nicht nur auf den engeren Bereich technisch-naturwissenschaftlicher Untersuchungen. Vielmehr wird hierdurch die Möglichkeit geschaffen, schrittweise aus den Erfahrungen anderer Verwaltungsebenen durch Versuch und Irrtum zu lernen, 40 sie in den eigenen Problemstand zu integrieren und so im Wechselspiel mit den Einzelstaaten eigene Erfahrungen im legislativen und administrativen instrumenteilen Umgang mit den in Fluß befindlichen Problemen aufzubauen und gegebenenfalls selbst unmittelbar gegenüber dem Bürger in Funktion zu treten und neue Normen und Formen zu erzeugen. Sofern in diesem funktionellen Wechselspiel zwischen verschiedenen politisch-rechtlichen Institutionen unterschiedliche Handlungsalternativen möglich sind, ist es nun für den Bund praktikabler, später die einzuschlagenden Pfade zu evaluieren und eigene Maßnahmen auf der Basis von politisch-funktionaler Erfahrung abzuwägen und zu planen. Es läßt sich dann für die Police Power rückkoppeln, daß sie sich nicht allein mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung innerhalb eines bestimmten Einzelstaates verändert, sondern angesichts politisch-funktionaler Probleme auch im Verhältnis der Staatsfunktionen zueinander Flexibilität ermöglicht. Sie ist „ . . . not confined to a narrow category; it extends . . . to all great public needs". 41 Es handelt sich um einen flexiblen Rechtsbegriff, der, auf Chief Justice Marshall zurückgehend, 42 die zurückbleibenden Vorrechte und Gesetzgebungszuständigkeiten (residual prerogatives) der Einzelstaaten umschreibt, die nicht vom Bund wahrgenommen werden. 43 Schließlich läßt sich dann politisch-funktional in dem in den USA besonders sensiblen Bereich des Verhältnisses Bund-Gliedstaaten im Rahmen des Föderalismus die ab 1970 gegebene regulatorische Federführung des Bundes rückwirkend nicht nur besser begründen, sondern auch rationeller, da instrumenteile Erfahrungen vorhanden sind, in die Wege leiten. Umgekehrt kann, da die Police Power der Einzelstaaten sich mit der politischen und sozialen Entwicklung verändert und daher aus der Binnenperspektive der Einzelstaaten heraus ein flexibles Instrumentarium ermöglicht, voranwirkend eine schrittweise Programmierung im Hinblick auf die zu verfeinernden Ziele und Mittel einsetzen, die die politischen und administrativen Widerstände einbaut. 39 Sligh v. Kirkwood, 237 U.S. 52, 58 ff. (1915). Vgl. Greve , The Non-Reformation of Administrative Law: Standing to Sue and Public Interest Litigation in West German Environmental Law, in: 22 Cornell International Law Journal, S. 197, 223, 234 (1989). 41 Day-Brite Lighting , Inc. v. Missouri, 342 U.S. 421, 424 (1952). 42 Vgl. Tribe , American Constitutional Law, 2nd ed., Mineola, N.Y., 1988, S. 405 ff. 43 Vgl. Tribe , a. a. O., S. 405. 40
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Durch die Veränderungen des Clean Air Act im Jahre 1965 44 wird die gesetzesprogrammierende Funktion des Bundes, d. h. die Entscheidung über die jeweilig einzuschlagende Ziel- und Zwecksetzung, aktiver und direkter. 45 Der Secretary of Health, Education and Welfare wird ermächtigt, bei der Zulassung von Kraftfahrzeugen Bundes-Emissionsstandards festzusetzen. 46 Eine Partizipation der Einzelstaaten an dem zur Festsetzung mündenden Entscheidungsprozeß ist nun überhaupt nicht mehr vorgeschrieben. Zugleich stellt dies den ersten Fall des Einsatzes des Instruments der Commerce Clause der U.S. Verfassung, 47 die eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet, für Zwecke der Luftreinhaltung dar. Die Funktion dieses Verfassungsrechtssatzes für das Umweltrecht bedarf genauerer Betrachtung. b) „Creative" und „Cooperative Federalism" Nach dem Zehnten Zusatzartikel der U.S. Verfassung sind Befugnisse, die dem Bund weder durch die Bundesverfassung ausdrücklich zugewiesen noch den Gliedstaaten verwehrt sind, diesen vorbehalten. Die Gesetzgebung des Bundes ist daher von Verfassungs wegen unerlaubt, wenn sie sich nicht auf eine durch die Bundesverfassung enumerativ eingeräumte Befugnis stützen läßt (Doctrine of Enumerated Powers). 48 Eine enumerative Aufführung legislativer Kompetenzen des Bundes findet sich in Article I, § 8. Nach Article I Sect. 8 Clause 3 hat explizit der U.S. Kongreß die Kompetenz, den Handel („commerce") zwischen den Gliedstaaten zu regeln. Diese „Commerce Clause" wird seit 1937 im Zuge des New Deal vom U.S. Supreme Court großzügig gehandhabt. Unabhängig von ökonomischen Zwecken geht es entgegen dem schlichten Wortlaut um mehr als nur den „Handel" zwischen den Gliedstaaten. Vielmehr kann nach heutiger und ständiger Rechtsprechung des U.S. Supreme Court der Kongreß auf der Basis der Commerce Clause Gesetze erlassen, deren Zwecke in der Förderung und dem Schutz von öffentlicher Gesundheit und Wohlfahrt bestehen.49 Auf der Commerce Clause, die nunmehr auch Bundes-Gesetzgebungskompetenzen für Belange des Umweltschutzes eröffnet, basieren die meisten Umweltschutzgesetze seit Anfang der siebziger Jahre. Dabei macht der U.S. Supreme Court die Commerce Clause noch weitergehend fruchtbar. Es ist jede Bundesgesetzgebung möglich, die wirtschaftliche bzw. 44 Clean Air Act, Pub.L. No. 88-206, 77 Stat. 392 (1963), as amended Pub.L. No. 89-272, 79 Stat. 992 {Motor Vehicle Air Pollution Control Act) (1965). 45 Grad, a.a.O., S. 311. 46 Motor Vehicle Air Pollution Control Act Pub.L. No. 89-272, Sect. 102 et seq. (1965). 47 Article I, Sect. 8, CI. 3. 48 Tribe, a. a. O., S. 298. 49 Vgl. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 334.
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industrielle Verhaltensweisen erfaßt. Damit sind nunmehr auch dann Bundesgesetze (Federal Statutes) zulässig, wenn sich das mit der Regelung zu erfassende Verhalten effektiv nur innerhalb eines einzigen Bundesstaates auswirkt. 50 Mit anderen Worten: Es besteht im Umweltrecht nunmehr im Verhältnis zur Gesetzgebung der Gliedstaaten konkurrierende Gesetzgebung. Diesem Konkurrenzverhältnis entspricht auf der anderen Seite die experimentelle Funktion gliedstaatlicher Gesetzgebung. Vor der Entwicklung von Bundesfunktionen, wie sie nunmehr bestehen, steht allerdings die Zunahme von Kompetenzen der Gliedstaaten, die ihrerseits schrittweise im Wege gerichtlicher Entscheidungsketten erfolgt. Noch Ende der dreißiger Jahre wird in weiten Bereichen eine Kompetenz einzelstaatlicher Handlungssysteme zu Maßnahmen gegen Verunreinigungen über gliedstaatliche Grenzen hinweg durch die Rechtsprechung abgelehnt. Zu Anfang des Jahrhunderts gilt noch die verfassungsrechtliche Regel, wonach bei der Wahrnehmung der Police Power der Einzelstaat keine „direkten Barrieren" gegenüber interstaatlichem Handel aufstellen darf. 51 Im Immissionsschutzrecht wird an diese Entscheidung des U.S. Supreme Court auch noch in den späten dreißige? Jahren durch Gerichte der Gliedstaaten angeknüpft. 52 Problematisch ist dies deshalb, weil bei der Frage der „Direktheit" dieser Eingriffe keine Abwägung von Belangen der öffentlichen Gesundheit und wirtschaftlichen Interessen erfolgt. Daß sich der Bund bis in die Mitte der sechziger Jahre von der Strategie der „grants-in-aid" weitgehend zurückhält und im Rahmen der Police Power den Gliedstaaten die Regelungskompetenz überläßt, ist maßgeblich auf die den Bundesstaaten zuerkannte experimentelle Funktion als Laboratorien der USA 5 3 zurückzuführen. Im Bereich des Immissionsschutzrechts, speziell in der Materie Luftreinhaltung, dessen Bedeutung erst nach Bewältigung der Großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre und nach Ende des Zweiten Weltkrieges sichtbar wird, hätte bereits in der frühen legislativen Experimentierungsphase bis Ende der sechziger Jahre eine verfassungsrechtliche Erweiterung von legislativen wie
50 Siehe zum vorstehenden auch E. Rehbinder / R. Stewart, Environmental Protection Policy, S. 43. 51 DiSanto v. Pennsylvania, 273 U.S. 34 (1927) (Stone, Brandeis, Holmes J., diss.). 52 So ζ. B. in People v. Cunard White Star, LTD., 280 N.Y. 413, 21 N.E.2d 489 (1939). In diesem Rechtsstreit geht es um die Verfassungswirksamkeit einer lokalen Verordnung von New York gegen „dichten Rauch." Aus Schornsteinen von Schiffen im New Yorker Hafen, die im Handelsverkehr zu angrenzenden Gliedstaaten eingesetzt waren, wurde wiederholt zur Vorbereitung und maschinellen Kontrolle des eigentlichen Betriebs Rauch abgelassen. Das New Yorker Gericht befindet die New Yorker Ordinance und die darauf basierende Ordnungsverfügung unter Zugrundelegung des DiSanto v. Pennsylvania als verfassungswidrig. 53 Vgl. beispielsweise Tribe, der — im Anschluß an Justice Brandeis — von dem „experimentalist spirit of federalism" spricht, in: ders., American Constitutional Law, S. 391.
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exekutiven Bundesfunktionen unter Nutzung der Commerce Clause bestanden. Dies ist jedoch erst seit 1970 der Fall. Noch in New State Ice erklärt der U.S. Supreme Court ein gliedstaatliches Gesetz, das aus Gründen des öffentlichen Interesses gewerberechtliche Beschränkungen auferlegt, wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlich verankerte Vertragsfreiheit (liberty of contract) für unwirksam. 54 In seiner Dissenting Opinion betont Justice Brandeis demgegenüber die besondere Funktion der Gliedstaaten als Handlungsbereiche gesetzlicher Experimente. 55 Ihre Rolle im Föderalismus besteht für Brandeis als „Laboratorien für die gesamte Nation" in gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen. In Wechselwirkung hiermit liegt gerade der Hauptvorzug des föderalistischen Systems, indem nach vorwärts weisende neuartige Maßnahmen in den Gliedstaaten durch deren Handlungssysteme ermöglicht werden. Es können so dem Ganzen dienende gesellschaftliche und wirtschaftliche Experimente gestartet werden, deren Tauglichkeit erst in der Praxis getestet werden kann und die für andere Teile des Landes keine Risiken nach sich ziehen.56 Diese von Brandeis entwickelte Ausdeutung im Verhältnis vom Bund zu den Einzelstaaten ist keine bloße rechtshistorische Metapher, sondern von politischfunktionalem Stellenwert für den Bereich des öffentlichen Immissionsschutzrechts als Instrument staatlicher Umweltpolitik. Wie auch im Air Pollution Control Act von 1955 und dem Clean Air Act 1963 hervorgehoben, ist es — wie erwähnt — primäre Verantwortlichkeit lokaler und einzelstaatlicher Handlungssysteme, gegen Luftverunreinigungen aktiv zu werden. Die Überlassung eigener aktiver Regelungskompetenzen im Rahmen der Police Power an ortsnahe Handlungssysteme bleibt dabei nicht beim herkömmlichen und oft unzureichenden öffentlichen Gesundheitsschutz stehen. Unter Parallelschaltung auf öffentliche Zuwendungen und die damit einsetzende Rolle des Bundes — zunächst allein im naturwissenschaftlich-tatsächlichen Bereich — wird auch der Bund in die legislative Experimentierphase eingeschaltet. Mit dem System der „grants-in-aid", beruhend auf der Spending Power der U.S. Verfassung, 57 wird so politisch-funktional ein Kompromiß ermöglicht. Die 54 New State Ice Co. v. Liebmann, 285 U.S. 262 (1932). 55 „To stay experimentation in things social and economic is a grave responsibility. Denial of the right to experiment may be fraught with serious consequences to the Nation. It is one of the happy incidents of the federal system that a single courageous State may, if its citizens choose serve as a laboratory ; and try novel social and economic experiments without risk to the rest of the country." (New State Ice Co. v. Liebmann, a. a. O., S. 311, Brandeis, J., dissenting) (Hervorhebung hinzugesetzt). 56 Auch in zahlreichen anderen Fällen von Eingriffen in den Wirtschaftskreislauf durch Einzelstaaten hat der U.S. Supreme Court in den letzten Jahren die besondere experimentelle Funktion der Einzelstaaten unter Berufung auf Brandeis hervorgehoben. Siehe etwa Reeves, Inc. v. Stake, 447 U.S. 429, 441 (1980) unter Berufung auf dessen dissenting opinion in New State Ice Co. v. Liebmann, 285 U.S. 262, 311 (1932). 57 Art. 1 Sect. 8 Cl. 1 U.S. Constitution.
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Einzelstaaten sollen erstens durch den Bund veranlaßt werden, aufgrund eigener Ortskenntnis und der Sachkenntnis des Bundes erfolgversprechendere Maßnahmen als bisher zu ergreifen. Zweitens ist es geradezu der Sinn des experimentellen Charakters gliedstaatlicher Maßnahmen, die vorhandenen rechtlichen Instrumente und Formen — denn es bleibt ja bei der Police Power — zu erproben und weiterzuentwickeln. Der in den USA traditionell rechtlich wie politisch besonders sensible Bereich des Verhältnisses Bund-Bundesstaaten ist daher — bis auf weitere Erfahrung — keinen substantiellen Veränderungen in den jeweiligen Funktionsverteilungen in den Maßnahmen gegen Luftverunreinigungen unterworfen^ 8 Die Union läßt in den späten fünfziger und sechziger Jahren der Police Power der Einzelstaaten zunächst breiten Raum; bevor der Clean Air Act 1963 in Kraft gesetzt wird, hat erst ein gutes Dutzend der Gliedstaaten eigene Gesetze zur Kontrolle von Luftverunreinigungen erlassen. Bis zum Ende der sechziger Jahre ziehen fast sämtliche anderen Gliedstaaten nach. 59 Sie erhalten über die ersten Bundesgesetze somit den entscheidenden Impuls zu eigenen Gesetzen und ihren versuchsweisen Einsatz. Regelungen auf der Grundlage der Police Power und der vom Bund verfolgten Strategie der administrative grants-in-aid wirken hier zusammen, so daß in der Entwicklung eines vorsorgeorientierten Umweltrechts in den USA diese Strategie ebenfalls als Experiment aufzufassen ist. Experimentelle Funktion, Erfahrung und Ziele stehen umweltrechtlich in Abhängigkeiten zueinander. i) Experimentelle Funktion: Luftverunreinigungen sind ein nationales Problem, das eine bundesweite Umweltplanung und Umweltpolitik erforderlich macht. Die Gliedstaaten haben eine wegbereitende Funktion in diesem Prozeß, denn sie ermöglichen „experimentation with various regulatory and enforcement programs which will ultimately lead to the best administrative solution to air pollution problems." 60 Aus der Sicht der Umweltplanung durch den Bund besteht die Funktion der Einzelstaaten im experimentellen Einsatz von rechtlichen Mitteln und Instrumenten.
58 Diese politisch-rechtliche Funktionszuweisung wird auch in anderen Bereichen außerhalb des Umweltrechts wirksam. Beispiele hierfür finden sich etwa in den mit der modernen Gentechnologie, wo die USA eine Vorreiterrolle und Spitzenstellung einnehmen, verbundenen naturwissenschaftlichen und rechtspolitischen Probleme. Unter Bezugnahme auf die von Brandeis postulierte Funktion der Gliedstaaten und ihrer Handlungssysteme als Laboratorien für legislative Experimente instruktiv: Attanasio, The Constitutionality of Regulating Human Genetic Engineering: Where Procreative Liberty and Equal Opportunity Collide, in: 53 University of Chicago Law Review, S. 1274 ff. (1986); vgl. auch Tribe, a. a. O., S. 1418 f. 59 Vgl. Secretary of Health, Education and Welfare, Progress in the Prevention and Control of Air Pollution, First Report (1968), S. 33. 60 Comment, California Legislation on Air Containment Emissions from Stationary Sources, in: 58 California Law Review, S. 1474, 1477 (1970).
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ii) Erfahrung: Hierdurch kann der Bund aus den Erfahrungen lernen und diese in seine Strategien einbauen. Das gleiche gilt für die Gliedstaaten. Dadurch lassen sich dann verbesserte Strategien zur Bekämpfung von Emissionen an der Quelle gegebenenfalls entwickeln. Denn die Probleme variieren in ihrer Intensität und Dichte von Raum zu Raum. iii) Auswirkungen auf Mittel und Ziele: Gerade erst unter verstärkter Beteiligung des Bundes lassen sich die nationalen Ziele in Form der „prevention of air pollution" — also Vorbeugung gegen Luftverunreinigungen — am besten mit ortsnahen einzelstaatlichen und lokalen Verwaltungen in die Wege leiten. Als eine Funktion des Bundes kommt dabei die Vorbeugung gegen Wettbewerbsverzerrungen, die durch unterschiedliche Handhabungen immissionsschutzrechtlicher Vorsorge ermöglicht werden können, in Betracht. Schließlich können diese Handlungssysteme ortsnah die jeweilige besondere Situation „vor Ort" auswerten und im gemeinsamen Zweckprogramm „Vorbeugung" bzw. „Vorsorge" zu weiterer Effektuierung führen, indem mit den bundesrechtlich vorprogrammierten Zielen in der Wirkung Übereinstimmung angepeilt wird. iv) Auswirkungen auf die Funktion von Instrumenten: Andererseits können in diesem Rahmen die gliedstaatlichen administrativen Handlungssysteme ihre eigenen Mittel unter Berücksichtigung bundesweiter Ziele und regionaler Sachumstände implementieren. Dieses Wechselspiel zwischen Bund und Einzelstaaten und damit zwischen Zielen und Mitteln programmiert Mittel-Ziele-Relationen. Die entsprechende administrative Funktionsverteilung modifiziert das föderale Gefüge im Gesamtstaat, wirkt auf den Bund und die Einzelstaaten zurück und läßt sie praktisch grenzüberschreitend wirksam werden. Durch die Funktionsverteilung nach dem Air Quality Act wird ein „cooperative federalism" in die Wege zu leiten versucht. Die gemeinsamen Handlungsstrukturen durch Mittel-Ziele-Relationen sollen im Interesse der Effizienz aufgebaut werden, denn jedes administrative Handlungssystem soll das tun, was es am besten kann. Es ist des weiteren anerkannt, daß der Kongreß durch „federal grants-of-aid" die Gliedstaaten zur Implementation von Bundesgesetzen ermuntern kann, indem Leistungen von der Kooperation zwischen den Gliedstaaten bei der Implementation abhängig gemacht werden. 61 Dieses kooperative Zusammenwirken etabliert institutionell einen „creative federalism", 62 der auf der Perspektive der Verfassung als Institution basiert und bereits von Llewellyn („The Constitution As An Institution") vorweggenommen wird. 63
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E. Rehbinder l R. Stewart, Environmental Protection Policy, S. 45. 62 Maga, Air Quality Criteria and Standards, in: Proceedings: Third National Conference on Air Pollution, S. 469, 470 f. (Public Health Service Pub. No. 1669, 1967); vgl. Krier, Environmental Law and Policy, S. 311. 63 Llewellyn, The Constitution As An Institution, in: 34 Columbia Law Review, S. 1 ff. (1934).
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4. Entwicklung von Bundeskompetenzen Durch die Supremacy Clause64 hat der Kongreß die Befugnis zur vollständigen oder teilweisen Verdrängung einzelstaatlicher Gesetze, die auf denselben Regelungsgegenstand gerichtet sind (preemption). 65 Eine Verdrängung einzelstaatlichen Handelns liegt nach heutiger Rechtsprechung nunmehr vornehmlich dann vor, wenn dieses ein tatsächliches Hindernis gegenüber legislatorischen Zwecken und Zielen eines Bundesgesetzes darstellt. 66 Allerdings setzt die Supremacy Clause eine Übereinstimmung von Bundesgesetzen mit der U.S. Verfassung implizit voraus. Die U.S. Verfassung ermöglicht, wenngleich nicht explizit, gesetzgeberische Kompetenzen des Bundes im Bereich des Umweltschutzes. Den hierfür bedeutsamsten Rechtssatz der U.S. Verfassung stellt die Commerce Clause dar, 67 auf deren Fortbildung durch den U.S. Supreme Court der Clean Air Act und die anderen Umweltschutzgesetze basieren. 68 Die Entwicklung der Kompetenzen der Commerce Clause beruht auf gerichtlichen Entscheidungsketten im Zuge des und nach dem „New Deal" der dreißiger Jahre. a) Entscheidungsketten
nach der Commerce Clause
Der U.S. Supreme Court hat noch bis 1936 Bundesgesetzgebung in den betroffenen Materien des Arbeits- und Wirtschaftsrechts mehrfach wegen Verstoßes gegen die Commerce Clause nach der U.S. Verfassung für unwirksam erklärt. 69 Der damalige U.S. Präsident Franklin D. Roosevelt hat diese Rechtsprechung unter Berufung auf Brandeis kritisiert („reactionary interpretation of the Constitution"). 70 Demgegenüber ist die Periode ab 1937 bis auf den heutigen Tage — 64 Article VI, § 2 U.S. Constitution: „This Constitution and the Laws of the United States which shall be made in Pursuance thereof; and all Treaties made, or which shall be made, under the Authority of the United States, shall be the supreme Law of the Land; and the Judges in every State shall be bound thereby, any Thing in the Constitution or Laws of any State to the Contrary notwithstanding." 65 E. Rehbinder / R. Stewart, Environmental Protection Policy, S. 44. 66 Hines v. Davidovitz, 312 U.S. 52, 67 (1941). Ein gliedstaatliches Gesetz im Bereich des Ausländerrechts regelte hier das gleiche Verhalten wie ein Bundesgesetz im Bereich des Ausländerrechts. Das Gericht überprüfte, ob das gliedstaatliche Gesetz „stands as an obstacle to the accomplishment and execution of the full purposes and objectives of Congress." 67 Article I, Sect. 8 CI. 3 U.S. Constitution. 68 Vgl. E. Rehbinder IR. Stewart, a. a. O., S. 43. 69 Vgl. etwa die „leading decisions": United States v. Butler, 297 U.S. 1, 56 S.Ct. 312, 80 L.Ed. 477 (1936) (Regulation through Spending); Schechter Poultry Corp. v. United States, 295 U.S. 495, 55 S.Ct. 837, 79 L.Ed. 1570 (1935) (Regulation under Commerce Clause); Carter v. Carter Coal Co., 298 U.S. 238, 56 S.Ct. 855, 80 L.Ed. 1160 (1936) (Regulation under Commerce Clause); siehe hierzu kritisch Stern, The Commerce Clause And The National Economy, 1933 -1946, in: 59 Harvard Law Review, S. 645, 660-662 (1946).
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unter dem Einfluß nicht zuletzt von Brandeis — nunmehr von der höchstrichterlich vorgenommenen Ausdehnung des Bereichs der Commerce Clause und der Zunahme von Bundesfunktionen — zunächst in diesen Materien — gekennzeichnet. Der Jones-Laughlin Case aus dem Jahre 1937 stellt die „watershed decision" 71 des U.S. Supreme Court dar. 72 Mit einem „factual test", in dem es um die Frage eines „most serious effect" auf den interstaatlichen Handel geht, 73 wird die legislative Kompetenz nach der Commerce Clause begründet. Dementsprechend und ganz im Gegensatz zu Schechter 74 entscheidet der U.S. Supreme Court später in Darby. 75 Der Kongreß hat bei der von ihm zugrunde gelegten Public Policy im Bereich der Commerce Clause auch dann legislative Kompetenzen und Freiheiten, wenn der Handel zwischen den Einzelstaaten nicht „direkt" betroffen ist. 76 Kompetenzen zur Bundesgesetzgebung im Bereich der Commerce Clause bestehen auch dann, wenn es von den Zwecken her primär um den Schutz von öffentlicher Gesundheit und Wohlbefinden geht. Auf eine experimentelle Funktion der Gliedstaaten und ihrer Gesetze kommt es letztlich angesichts dieser nationalen, weil bundesweiten, Zwecke gar nicht mehr an. Denn nach der Darby-Entscheidung liegen in diesem Bereich Kompetenzen nach der Commerce Clause auch dann vor, wenn ein Gliedstaat zuvor keine eigenständigen Versuche zur rechtlichen Bewältigung durch eigene Instrumente unternommen hat. 77 Hierdurch wird die in Hammer v. Dagenhart 78 aufgestellte Regel aufgeho-
™ Vgl. die Nachweise bei Lockhart u. a., Constitutional Law, S. 110, 115. Tribe , American Constitutional Law, S. 309. 72 Siehe NLRB v. Jones & Laughlin Steel Corp., 301 U.S. 1, 81 L.Ed. 893 (1937); vgl. hierzu auch Stern, a. a. O., S. 681 f. (1946). 73 NLRB v. Jones & Laughlin Steel Corp., 301 U.S. 1, 41 (1937). 74 Schechter Poultry Corp. v. United States, 295 U.S. 495, 55 S.Ct. 837, 79 L.Ed. 1570 (1935) (Regulation under Commerce Clause); kritisch Stern, The Commerce Clause And The National Economy, 1933-1946, in: 59 Harvard Law Review, S. 645, 660-662 (1946). 75 United States v. Darby, 312 U.S. 100 (1941). Auch in diesem Rechtsstreit hat der U.S. Supreme Court wie zuvor in Schechter über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu entscheiden, in dem Mindestlöhne und eine maximale Wochenarbeitszeit festgelegt sind. 76 United States v. Darby, 312 U.S. 100, 114 (1941). 77 United States v. Darby, 312 U.S. 100, 114 (1941): „Congress, following its own conception of public policy concerning the restrictions which may appropriately be imposed on interstate commerce, is free to exclude from (such) commerce articles whose use in the states for which they are destined it may conceive to be injurious to the public health, morals, or welfare, even though the state has not sought to regulate their use." 78 In Hammer v. Dagenhart, 247 U.S. 251 (1918), hat der U.S. Supreme Court über die Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes zu entscheiden, in dem die Arbeit von Kindern unter 14 Jahren verboten und bis zu einem Alter von 16 Jahren starken Beschränkungen unterworfen ist. Das Gericht sieht hierin eine Überschreitung der Bundeskompetenzen, da in dem betreffenden Gliedstaat ein Schutzgesetz für Kinder unter 12 Jahren besteht. (Holmes, Brandeis, diss.). 71
4 Moeskes
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ben, wonach die Commerce Clause keine Eingriffe in die Police Power der Gliedstaaten deckt. Seit 1937 bis auf den heutigen Tag operiert der U.S. Supreme Court durchgängig mit dem Factual Test. Dabei geht es maßgeblich um den „substantial economic effect". Welche Wirkungen diesen Charakter haben, hängt nunmehr allein von der Frage ab, ob der Kongreß eine „rational basis" für die Annahme eines „substantial economic effect" hat (rational basis test). 79 Dieser Test macht die Entscheidung darüber, was „innerhalb" oder „außerhalb" des Handelsverkehrs liegt, irrelevant. 80 Der „mechanistic view" (Tribe) „direktindirekt" bzw. „innerhalb-außerhalb", wie er noch zu Beginn geherrscht hat, 81 wird jetzt durch eine durchgängige und in Entscheidungsketten erfahrbare Ausdehnung der Commerce Clause durch den U.S. Supreme Court ersetzt. Nach dem New Deal und dem Zweiten Weltkrieg setzt sich dies in anderen gesellschaftspolitischen Bereichen, über das ursprünglich betroffene Arbeits- und Wirtschaftsrecht immer mehr hinausgehend, fort. 82 Die weitergehende Ausdeutung der Commerce Clause findet sich so in neuerer Zeit u. a. in Entscheidungen zur Bürgerrechtsgesetzgebung 83 und — unter anderem hieran anknüpfend — im Umweltrecht. 84 Im Immissionsschutzrecht geht es dabei zentral um die Frage der verfassungsrechtlich zulässigen Instrumente bei Immissionen über gliedstaatliche Grenzen hinweg. Bemerkenswert ist, daß in der Materie Umweltrecht nicht unmittelbar mehr an die Commerce Clause, sondern verselbständigt an die vorangehenden Entscheidungen zur Bürgerrechtsgesetzgebung angeknüpft wird, obgleich die Regelungsmaterien — das heißt die zu bewältigende gesellschaftliche Problemstellung — und damit auch ihre jeweiligen Ziele verschieden sind. 85 In diesen Fällen ist nach dem U.S. Supreme Court nur zu überprüfen, ob i) der Kongreß eine rationale Basis für die Annahme hat, daß ein bestimmter Sachverhalt Effekte auf den Handelsverkehr hat; bei der Bürgerrechtsgesetzgebung z. B. ob rassische Diskriminierung — im zugrundeliegenden Sachverhalt geht es um die Verweigerung der Übernachtung für Schwarze — durch Motelbetreiber den Handelsverkehr berührt. Desweiteren ist zu fragen, ob ii) prognotisch 79 Tribe, American Constitutional Law, S. 309. so So auch ders., a. a. O. si Siehe etwa Swift & Co v. United States, 196 U.S. 375, 399 (1905). 82 Brugger, S. 334; Heart of Atlanta Motel, Inc. v. United States, 379 U.S. 241 (1964); im Anschluß hieran Katzenbach v. McClung, 379 U.S. 294 (1964); Lockhart, S. 132139; United States v. Darby, 312 U.S. 100 (1941). 83 Heart of Atlanta Motel, Inc. v. United States, 379 U.S. 241 (1964). 84 United States v. Bishop Processing Co., 287 F.Supp. 624 (D.Md. 1968); 423 F.2d 469 (4 Cir. 1970); cert, denied, 398 U.S. 904 (1970). 85 Vgl. United States v. Bishop Processing Co., 287 F.Supp. 624 (D.Md. 1968); 423 F.2d 469 (4 Cir. 1970); cert, denied, 398 U.S. 904 (1970).
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die ausgewählten Mittel angemessen sind (rational basis test). 86 Erforderlich ist daher ein Nexus zwischen Mitteln und Zielen (necessary and proper clause). Es kommt hierbei auf Verhalten an, das erst in seiner Mehrzahl, als Klasse, aggegrierte Auswirkungen hat („aggregate economic effect"). 87 Die Befugnis des Kongresses, interstaatlichen Handel zu fördern, beinhaltet auch die Möglichkeit, lokale Verhaltensweisen zu erfassen, einschließlich lokaler Aktivitäten in den Staaten des Ursprungs und des Ziels, die einen wesentlichen beeinträchtigenden Effekt auf den Handel haben.88 Auch wenn nur der innerstaatliche Handelsverkehr betroffen ist, kann die Bundesgewalt legislativ in den Prozeß eingreifen, soweit eine erhebliche Auswirkung auf die nationale Wirtschaft zu erwarten ist. 89 b) Einbau in den Immissionsschutz Diese Entscheidungsketten werden in das immissionsschutzrechtliche Zweckprogramm des CAA („prevention") judikativ und legislativ eingearbeitet. Im Immissionsschutz heißt dies, daß der Kongreß eine „rational basis" für die Beurteilung hat, daß Luftverunreinigungen Handel und Wirtschaft negativ beeinträchtigen können. Beispiel: In der Umgegend der Stadt Bishop in Maryland wird eine Fabrik betrieben, die Tierabfälle verarbeitet. Dadurch werden übelriechende Stoffe frei, die sich über die nahe Staatsgrenze nach Delaware verteilen. Zu anderen gerichtlichen Verfahren kommt es in den sechziger Jahren bei interstaatlichen Verunreinigungen bis auf Bishop nicht. Der Bishop Case hat insoweit Pilotfunktion. Wo, wie hier, die besondere Problematik der weiträumigen Verteilungen überhaupt als solche juristisch eine Rolle spielt, zeigt sich die funktionale Beschränkung. Da alles, was emittiert wird, nach dem physikalischen Gesetz der Beharrung von Materie 90 — egal in welcher Form und in welchem Aggregatzustand — ungeachtet von Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit durch Menschen, nicht verlorengeht,
86 Siehe zu obigem Beispiel: Heart of Atlanta Motel, Inc. v. United States, 379 U.S. 241, 258 f. (1964). 87 Tribe, a. a. O., S. 310. 88 Heart of Atlanta Motel, Inc. v. United States, 379 U.S. 241, 258 (1964) unter Berufung auf McCulloch v. Maryland, 4 Wheat 316, 421: „The power of Congress over interstate commerce is not confined to the regulation of commerce among the states. It extends to those activities intrastate which so affect interstate commerce or the exercise of the power of Congress over it as to make regulation of them appropriate means to the attainment of a legitimate end, the exercise of the granted power of Congress to regulate interstate commerce..." (Hervorhebungen hinzugesetzt). Siehe auch Lockhart, Constitutional Law, S. 134. 89 Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 334. 90 Vgl. Grad, Environmental Law, S. 1 ff. 4*
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1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
besteht hier das Problem der Immissionen als weiträumige Verteilungen, dem durch Emissionsschutz an der Quelle begegnet werden muß. Im Bishop Case macht das von den Vereinigten Staaten nach dem Air Quality Act von 1967 91 beklagte Unternehmen u. a. geltend, daß der Clean Air Act gegen die U.S. Bundesverfassung verstieße, da weder die Bewegungen von Luftverunreinigungsstoffen über einzelstaatliche Grenzen „commerce" (Handel) darstellten noch auf den Handel zwischen Einzelstaaten beträchtliche Auswirkungen hätten („isolated and insubstantial interferences"). Nach der weiteren Auffasung des beklagten Unternehmens nun könnten Gerüche als nicht sichtbare Verschmutzung gar keinen Effekt auf Handel und Verkehr haben. Die Konsequenz dieser Position besteht darin, daß für die Bundesgesetzgebung keine Kompetenz über „übelriechende Stoffe" besteht. Funktional unterfiele daher dieses Fallproblem nicht dem Programm „air pollution", und der CAA scheidet für die Implementation aus. Anders die Entscheidung: Mit der Verteilung über die Staatsgrenze nach Delaware im Einwirkungsgebiet bestehen physiologische Gefährdungen und nachteilige psychische Einwirkungen auf die Bewohner. Das Vorbringen, daß offensive Gerüche keine „air pollution" ausmachten, muß — so auch die Ansicht des Gerichts — fehlgehen, da sich auch hier physikalisch Materie — wenn auch in molekular kleiner Form und daher nicht sichtbar — verteilt. 92 Das Gericht stellt daher wie schon vorher der Oregon Supreme Court im Bereich der Torts im Hinblick auf Begriff und Funktion der Air Pollution auf die Auswirkungen ab. 93 Der U.S. Kongreß hat mit dem Clean Air Act und dem Air Quality Act auch Bewegungen von Stoffen über einzelstaatliche Grenzen erfaßt. Obgleich der Betrieb einer Anlage zunächst nur eine lokale Aktivität ist, ist er wegen seiner Auswirkungen auf andere Gebiete Gegenstand der Befugnis des U.S. Kongresses, interstaatlichen Handelsverkehr zu regeln. 94 Schon in Heart of Atlanta entscheidet ja der U.S. Supreme Court, daß die Kompetenz des Bundes im Hinblick auf Gesetze im Bereich der Commerce Clause nicht auf Regelungen von Handel unter den Einzelstaaten beschränkt ist. 95 In Anknüpfung hieran ergibt sich nun, daß — so auch in Bishop — die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sich auf sämtliche privaten Aktivitäten innerhalb eines Gliedstaates erstreckt, die den Handel über geographische Räume hinweg spürbar beeinflussen können. Die Commerce Clause umfaßt daher alle angemessenen legislativen Mittel zur Errei42 U.S.C. Sect. 1857 et seq., insbesondere Sect. 108 g) (1), as amended in Nov. 1967, 81 Stat. 496, 507. 92 United States v. Bishop Processing Co., 287 F.Supp. 624 (D.Md. 1968); 423 F.2d 469 (4th Cir. 1970); cert, denied, 398 U.S. 904 (1970). 93 S. o. Kapiel Π. 94 United States v. Bishop Processing Co., 287 F.Supp. 624, 631 f. (D.Md. 1968). 95 Heart of Atlanta Motel, Inc. v. United States, 379 U,S. 241 (1964); United States v. Bishop Processing Co., 287 F.Supp. 624, 631 (D.Md. 1968).
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chung legitimer Zwecke. 96 Der U.S. Supreme Court setzt den vorläufigen Schlußpunkt, der auch für das Immissionsschutzrecht wirksam ist: „The commerce power may be exercised to achieve socially desirable objectives, even in the absence of economic considerations." 97 Für die auf Effekte abstellende Entscheidung ist nicht maßgeblich, daß weder im Clean Air Act von 1963 noch in den Zusätzen (Air Quality Act) 1967 eine Definition von „air pollution" enthalten ist. Vielmehr sind im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens genannte Anwendungsfälle nur exemplarisch und nicht abschließend.98 Gleichzeitig sind die wirtschaftlichen Bedingungen im Einwirkungsgebiet verschlechtert, denn die hervorgerufenen Effekte wirken potentiell negativ auf die zukünftige industrielle Entwicklung zurück. Damit besteht die weitere Auswirkung, daß hierdurch der Handelsverkehr zwischen Gliedstaaten nachteilig berührt wird. 9 9 Dadurch wird bereits in Bishop die weitere Funktion immissionsschutzrechtlicher Vorsorge im Hinblick auf eine gleichmäßige Verteilung von Belastungspotentialen — nicht zuletzt unter Wettbewerbsgesichtspunkten — deutlich. Bei wirtschaftlich mächtigeren und für die jeweilige Region in einem Gliedstaat strukturpolitisch bedeutsameren Unternehmen muß man erfolgreiche strukturpolitische, weil beschäftigungspolitische, Argumente und deshalb auch die Kooperation der regionalen Behörden mit den Gewerkschaften einkalkulieren. 1 0 0 Zu einer wirklichen Austragung von Zielkonflikten kann es dabei jedoch kaum kommen. Vielmehr ist das Verfahren praktisch an jeder Stelle auf informelle Wege der Balancierung von Interessen angelegt, was nicht transparent genug ist. Korrespondierend hiermit muß auch die Industrie langfristig ein eigenes Interesse an mehr Sicherheit und tendenzieller Prädiktabilität der Entscheidungen haben. Oft zeigt sich nämlich gerade an umstrittenen Entscheidungen reziprok der Einfluß von Bürgergruppen, die gelegentlich — nunmehr für die Industrie überraschend — Projekte verhindern, ohne daß es jetzt mit umgekehrtem Vorzeichen des Interesses zu einer Abschätzung von Handlungsalternativen kommt. 101
96 United States v. Bishop Processing Co., 287 F.Supp. 624 (D.Md. 1968) unter Berufung auf Heart of Atlanta Motel, Inc., 379 U.S. 241, 258 (1964). 97 Brooks v. United States, 267 U.S. 432, 436; 45 S.Ct. 345; 69 L.Ed. 699 (1959); United States v. Bishop Processing Co., 287 F.Supp. 624, 630, 631 (D.Md. 1968); 423 F.2d 469, 473 (4th Cir. 1970); cert, denied, 90 S.Ct. 1695 (1970). Mit der Ausdehnung der Commerce Clause auf alle „socially desirable objectives " durch den U.S. Supreme Court wird damit praktisch jedes Gesetz in den USA als „social instrument" aufgefaßt. Zu den rechtstheoretischen Voraussetzungen der auch hier zum Ausdruck kommenden vorherrschenden rechtspragmatisch-instrumentalistischen Rechtsauffassung in den USA siehe Zweiter Teil, insbesondere Kapitel VI und VII. 98 United States v. Bishop Processing Co, a. a. O. 99 United States v. Bishop Processing Co., a. a. O., S. 630-632. 100 Vgl. hierzu und zum vorstehenden Esposito, Vanishing Air, S. 126 f. ιοί Vgl. hierzu und zum vorstehenden ders., a. a. O., S. 126 ff.
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1. Teil: Immissionsschutzrechtliches Instrumentarium in den USA
Die politischen und administrativen Schwierigkeiten und Verzögerungen in der „interstate air pollution situation" zwischen den Behörden der Gliedstaaten, die im Gefolge des Air Pollution Control Act und des Clean Air Act von 1963 entstehen, und der Bundesbehörde HEW andererseits haben nun Einfluß auf das Gesetzgebungsverfahren zur Veränderung des Clean Air Act. Mit dem Clean Air Act von 1970 werden Straffungen eingeführt, die dem Bund eine größere rechtssetzende Rolle ermöglichen. 102 An dieser Stelle ist festzuhalten: i) Es kommt nicht auf den Rechtscharakter der Commerce Clause an — die bereits seit 1787 Bestandteil der Verfassung ist; sie erwähnt weder „Umweltschutz" noch ein bestimmtes schützenwertes Umweltmedium. Vielmehr sind die Kompetenzen von der Rechtsprechung unter dem Rahmen der Commerce Clause entwickelt worden. Anders als in den USA fußt die Kompetenzzuweisung in Deutschland nicht auf Richterrecht, sondern einer Grundgesetzergänzung. ii) Auch die Commerce Clause wird — wie schon die Police Power nicht föderal organisierter Handlungssysteme — als „flexible notion" kontextabhängig von den jeweiligen sozialen Zielen und Interessen her aufgefaßt. Auch für die Entwicklung immissionsschutzrechtlicher Vorsorge kommt es daher auf den jeweiligen politischen und sozialen Kontext an. Das Verhältnis zwischen Union und Gliedstaaten ist von Entscheidungsketten vorgeprägt und in ihrem Rahmen von einer fließenden Dynamik gekennzeichnet. iii) Die Verknüpfung mit dem jeweiligen Kontext in den USA läßt sich traditionell mit der auf von dem Instrumentalisten Brandeis postulierten experimentellen Funktion administrativer Handlungssysteme und allen Rechts herstellen. Ein experimenteller Einsatz des Rechts setzt Zweckprogramme voraus. Das von der Rechtsprechung entwickelte Entscheidungsprogramm nach der „Commerce Clause" ermöglicht Zweckprogramme und damit den experimentellen Einsatz. c) Verdrängung
(Preemption) durch Ziele
Wenn nun aber beide, gliedstaatliche Police Power und Bundes-Commerce Clause, „flexible notions" darstellen und gesetzliche Experimente ermöglichen, stellt sich das Verhältnis beider Handlungsräume unter dem gleichen Zweckprogramm — Clean Air Act: prevention of air pollution — als Problem. Möglicherweise beinhaltet das immissionschutzrechtliche Entscheidungsprogramm weitere Programmschritte zur Entscheidung über eine Verdrängung (Preemption). Bei einem Bundesgesetz in einem Sachbereich, der traditionell von den Einzelstaaten okkupiert ist, geht man zunächst von der Vermutung aus, daß die überlie102 Zu den Diskussionen im Gesetzgebungsverfahren zu der Veränderung des ursprünglichen Gesetzes vgl. Bills to Amend the Clean Air Act, Part I, Air Pollution Control and Solid Waste Recycling, 91st Cong. 1st and 2d Sess. 2-3 (1969-1970).
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ferte jeweilige Police Power der Gliedstaaten durch ein Bundesgesetz mit gleichem Regelungsgegenstand nicht verdrängt wird, wenn nicht insoweit eine klare und offenkundige Zielsetzung durch den U.S. Kongreß besteht.103 Diese kann explizit im Gesetzestext selbst enthalten sein oder sich implizit aus den Gesetzgebungsberatungen ergeben (extrinsic aids). 104 Aber auch diese Regel ergibt sich nicht buchstäblich aus der Supremacy Clause, und auch in dieser Hinsicht wird sie mit geringer interpretativer Förmlichkeit angewendet.105 Beispiele: Ausgehend von den kraft richterlicher Entscheidungen etablierten Rechtssätzen hat sich der U.S. Supreme Court in dem Huron Portland Case mit dem Zusammenspiel zwischen dem Air Pollution Control Act mit lokalen Regelungen zu befassen. Einerseits werden die nach einer Detroiter Verordnung zulässigen Maximalstandards überschritten, andererseits besteht für die Anlagen eine Lizenz nach Bundesschiffahrtsrecht, 106 die die technische Sicherheit allein zu Zwecken des Verkehrs gewährleistet. Demgegenüber ist einziges Ziel der lokalen Ordinance die Verringerung von Luftverunreinigungen zum Schutze der öffentlichen Gesundheit. Der U.S. Kongreß hat dies in der Zielsetzung des Air Pollution Control Act anerkannt; die Problematik von Luftverunreinigungen soll insbesondere durch lokale und einzelstaatliche Handlungssysteme bewältigt werden. 107 Demzufolge — so der U.S. Supreme Court weiter — besteht hier gar keine Überlappung zwischen Bundesgesetzen zur Inspektion und Lizensierung und der ganz andere Zwecke verfolgenden Ordinance. Wegen fehlenden Konflikts scheidet daher eine Verdrängung aus. 108 Eine Bundeslizenz immunisiert nicht von den Anforderungen nach lokaler Police Power. Ob durch eine Lizensierung nach Bundesrecht (bzw. Anlageerlaubnis im Immissionsschutzrecht) gliedstaatliche Regelungen verdrängt werden, hängt vielmehr von einem Ziele- und Zweckevergleich ab. 109 Dabei ist die Preemption immer auf das zu regulierende menschliche Verhalten hin ausgerichtet. 110 103 Rice v. Santa Fe Elevator Corp., 331 U.S. 218, 230 (1947); neuerdings zur Frage der Verdrängung kalifornischen Umweltschutzrechts durch US-Umweltschutzrecht: California Coastal Commission ν. Granite Rock Company, 107 S.Ct. 1419 (1987). 104 Siehe Summers I Atiyah, Form and Substance in Anglo-American Law, S. 58. los Siehe auch dies., a. a. O. 106 Huron Portland Cement Co. v. City of Detroit, 362 U.S. 440, 80 S.Ct. 813, 4 L.Ed. 2d 825 (1960). Ähnlich wie in People v. Cunard White Star, LTD., 280 N.Y. 413, 21 N.E. 2d 489 (1939) wurde bei dem Ausblasen von Schiffsschornsteinen Rauch emittiert. In Dichte und Dauer wurden die nach dem Detroit Smoke Abatement Code zulässigen maximalen Standards dabei überschritten. Die Schiffe, die im Hafen von Detroit lagen, waren im interstaatlichen Handelsverkehr eingesetzt; hierfür bestand seitens des Bundes auch eine Lizenz. io? Huron Portland Cement Co. v. City of Detroit, 362 U.S. 440, 445 f. (1960). los Huron Portland Cement Co. v. City of Detroit, 362 U.S. 440, 446 (1960). 109 Tribe, American Constitutional Law, S. 506 f. no Ders., a. a. O, S. 507.
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So ist ζ. B. vorliegend die Zielsetzung durch Bundesschiffahrtsrecht auf technische Sicherheit unabhängig von den immissionschutzpolitischen der Detroiter Ordinance (Gesundheit), obgleich das in Rede stehende Verhalten äußerlich das gleiche bleibt. Eine Frustrierung von Bundeszielen wird nicht hervorgerufen mit der Folge, daß es sich hierbei um koexistierende Regelungen handelt. 111 Aus bundesrechtlichen Minimalanforderungen an privates Verhalten läßt sich sonach nicht zwangsläufig der Schluß ziehen, daß diese national uniforme Standards darstellen. 112 Daraus folgt als Rechtssatz: Bundesrecht, das äußerlich das gleiche Verhalten betrifft, hindert Einzelstaaten und Kommunen nicht daran, Regelungen zu erlassen, die andere Zwecke verfolgen. 113 Entscheidend ist also die Zielhaftigkeit von Verhalten. In Deutschland ist abgesehen vom Spezialfall des § 24 Abs. 3 GewO heute die Überwachung immissionsreicher Anlagen im BImSchG geregelt. Die eigentliche immissionsschutzrechtliche Kompetenz des Bundes ist auf Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung beschränkt, Art. 74 Nr. 24, 72 GG. 1 1 4 Für Umwelteinwirkungen, die nicht Luftverunreinigungen oder Geräusche sind, gilt Art. 74 Nr. 11, 72 GG (Recht der Wirtschaft, hier: Wirtschaftsverwaltungsrecht) (konkurrierende Gesetzgebung). Daraus folgt für deutsches Landesrecht: Wenn keine Anlagen bestehen, liegt verhaltenslenkender Immissionsschutz vor, der sich in seinen näheren Ausprägungen nach Landesrecht bemißt. 115 Anlagebezogenes Verhalten unterfällt dem BImSchG. Es besteht also ähnlich wie in den USA mit der in den letzten Jahrzehnten dort durch Richterrecht vorgenommenen instrumentellen Erweiterung des Normbereichs der „Commerce Clause" für Zwecke des Umweltschutzes eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Die US-amerikanischen Entscheidungen haben Konsequenzen für den Aufbau eines Entscheidungsprogramms für die heutige immissionsschutzrechtliche Prävention und Vorsorge in den USA, die im folgenden dargestellt werden.
IV. Immissionsschutzrechtliche Vorbeugung in den USA Obgleich die Bekämpfung von Emissionen „an der Quelle" mit der entsprechenden primären Verantwortlichkeit unterer Verwaltungs- und Wirkungseinheiten im Gesamtgefüge zugleich einer sachnahen Problembehandlung zunächst zu m Ders., a. a. O., S. 486, FN 24. 112 Hillsborough County, Fla v. Automated Med. Labs Inc., 471 U.S. 707 (1985). Diese Entscheidung betrifft Sicherheitsnormen des Bundes zu Zwecken des Gesundheitsschutzes. 113 Ray v. Atlantic Richfield Co., 435 U.S. 151, 164 (1978). 114 Siehe etwa Bothe, Immissionsschutz, in: Niedersächsisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1985, S. 211 (Hrsg. Fahse / Hansen). 115 Kutscheidt, Immissionsschutz bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen, NVwZ 1983, S. 65, 66.
IV. Immissionsschutzrechtliche Vorbeugung in den USA
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entsprechen scheint, sind allein so die zunehmenden Probleme an Luftverunreinigungen nicht zu bewältigen. Entscheidend wird in den siebziger Jahren bis auf den heutigen Tage vielmehr die Wendung vom Emissions- zum Immissionsgedanken. Vorbeugung gegen „air pollution" ist zweckmäßig Vorbeugung von Emissionen. Insoweit rekurrieren sämtliche Gesetze von den fünfziger Jahren bis heute bei paralleler Funktionsverschiebung an den Bund bei den Zielsetzungen — „to prevent air pollution" — immer auf die primäre Kompetenz ortsnaher Handlungssysteme. Jedoch verlagert sich mit den siebziger Jahren diese primäre Verantwortlichkeit entgegen dem gesetzlichen Zweck auf den Bund, die insoweit realen rechtlichen und gesellschaftlichen Bedürfnissen entspricht. Unmittelbare Regelungen des Bundes (USA) im Umweltschutz ergeben sich während der legislativen Entwicklungsphase in den sechziger Jahren mit den Regelungen im Hinblick auf Kraftfahrzeuge im Jahre 1965, die als „interstate commerce" unter die Commerce Clause der U.S. Verfassung fallen, 1 die eine Gesetzgebungskompetenz begründet. Die Nonmandatory Air Quality Criteria im Clean Air Act von 19632 sind ihrerseits eine Folge der durch dieses Bundesgesetz weiter ausgedehnten Forschungsvorhaben; nähere Regelungen in Übereinstimmung mit diesen Orientierungszielen sollen auf gliedstaatlicher Ebene erfolgen. Man geht hierbei von dem Ziel aus, daß die Gliedstaaten dann, wenn naturwissenschaftliche Forschungen und Erfahrungen verfügbar sind, die jeweiligen rechtlichen Mittel und Instrumente selbst entwickeln. Trotz der Aktivitäten des Bundes sind die gliedstaatlichen Maßnahmen nicht erfolgreich, trotz der Versuche ab 1955 bis Ende der sechziger Jahre ist die Belastung sogar größer geworden. Maßnahmen gegen Luftverunreinigungen, obgleich primär ein urbanes Problem, erreichen in den sechziger Jahren nur etwa 58 Prozent der städtischen Bevölkerung. 3 Damit einher geht die Notwendigkeit größerer gesetzgeberischer Kompetenzen des Bundes.
1. Ziele und Instrumente des Air Quality Standards Act Für ortsfeste Quellen von Luftverunreinigungen (stationary sources) bringt der Air Quality Standards Act 4 den Bund stärker als der Clean Air Act von 1963 in die Luftreinhaltung. Während die Vorschriften des Clean Air Act von 1963 über technische und finanzielle Unterstützungen in Kraft bleiben und noch weiter ι Article I, § 8, Cl. 3 U.S. Constitution. 2 Siehe oben, Kapitel III. 3 Comment , A History of Federal Air Pollution Control, in: 30 Ohio State Law Journal, S. 516, 529 (1969). 4 Air Quality Standards Act, Pub.L. No. 90-148, 81 Stat. 490 (1967).
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ausgedehnt werden, wird der Bund auch im Hinblick auf Maßnahmen und Mittel selbst aktiv. Nach dem Air Quality Act von 1967 besteht durch die nachfolgenden Programmschritte eine Verteilung von Funktionen des Bundes und der Gliedstaaten. i) Der Secretary of Health, Education and Welfare entwickelt insbesondere sog. Atmospheric Areas (atmosphärische Gebiete). Die Landmasse der USA (außer Alaska und Hawaii) wird in acht Gebiete aufgeteilt, das somit mehrere Einzelstaaten umfaßt. Die Einteilungskriterien sind Klima, Witterungsverhältnisse, Vorbelastung und Industrialisierungsgrad sowie Topographie und basieren insoweit primär auf natürlich gegebenen und von Menschen in Zuordnung zu geographischen Verhältnissen (iwS) gebrachten naturwissenschaftlichen Beziehungen. 5 ii) Ausgehend von den atmosphärischen Gebieten stellt der HEW „specific air quality control regions", also spezifische Kontrollgebiete zur Luftreinhaltung, als Einheit für Zwecke der Kontrolle von Luftverunreinigungen auf. 6 Ihre Funktion ist darauf angelegt, die einheitliche Auswahl und Anwendung von Mitteln und Instrumenten durch die verschiedenen beteiligten gliedstaatlichen Verwaltungsbehörden innerhalb eines atmosphärischen Gebiets zu ermöglichen. Bei der Einteilung der Kontrollregionen zur Luftreinhaltung spielen zweckmäßig neben geographischen und meteorologischen Faktoren soziale und politische eine wesentliche Rolle. Dabei faßt man die jeweiligen überkommenen Verwaltungsgebiete zum Zwecke der Festsetzung und Implementation von Standards zur Luftqualität (air quality standards) zusammen und erfaßt sie als funktionale Wirkungseinheiten zu diesem spezifischen Zweck. 7 Eine Standardentscheidung durch den Bund ist nicht gegeben, sondern Sache der beteiligten unteren (gliedstaatlichen) Handlungssysteme.8 Die Kontrollregionen zur Luftreinhaltung umfassen also mehr als die Atmospheric Areas rechtlich-administrative Wirkungseinheiten in der Hand der betroffenen Gliedstaaten. iii) In einem dritten Schritt entwickelt der HEW Air Quality Criteria für bestimmte Verunreinigungsstoffe. Das ist jeder Stoff, der Verunreinigungen mitverursacht. Die Bestimmung erfolgt zwar auch auf naturwissenschaftlicher Grundlage, 9 hat jedoch darüber hinaus Entscheidungscharakter. Zwar mag die Zuordnung von Ursache und Wirkung mit den empirischen Methoden der Naturwissenschaften darstellbar — und in einem gewissen Umfang auch nachweisbar 5 Vgl. Middleton, Summary of the Air Quality Act of 1967, in: 10 Arizona Law Review, S. 25 ff. (1968). 6 Krier, Environmental Law and Policy, S. 310. 7 Vgl. Middleton, a. a. O.; Esposito, Vanishing Air, Ralph Nader's Study Group Report on Air Pollution, New York 1970, S. 155 f. » Hierzu und zum vorstehenden Middleton, Summary of the Air Quality Act of 1967, in: 10 Arizona Law Review, S. 25 ff. (1968); Esposito, a. a. O., S. 155 f. 9 Grad, Environmental Law, S. 312.
IV. Immissionsschutzrechtliche Vorbeugung in den USA
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— sein. Welche Ursachen und welche Wirkungen man jedoch naturwissenschaftlich untersucht und welche Schlußfolgerungen man daran knüpft, hat soziale und rechtliche Prämissen und Weichenstellungen auf Wirkungen hin. Des weiteren geschehen Auswahl und Analyse nicht isoliert, sondern parallel mit den zur Verfügung stehenden (anwendbaren) Kontrolltechniken, 10 also dem Kriterium der Machbarkeit. Erst durch das Kriterium der Machbarkeit wird die Verbindung von Prämissen und Wirkungen auf das programmatische Ziel voranwirkend hergestellt. Die Kriterien zur Luftqualität haben den Zweck, die zur Verfügung stehenden besten naturwissenschaftlich-technischen Kenntnisse und Erfahrungen über die Auswirkungen von Stoffen und Stoffgruppen auf Gesundheit und Wohlbefinden fruchtbar zu machen und in den Entscheidungsprozeß der Gliedstaaten einzubauen. 11 Eine solche rechtliche Optimierungsstrategie ist aber nach diesem Modell nur möglich mit im Sozialen wurzelnden Zielen als Zustandsantizipationen. iv) In einem vierten und letzten Schritt stellt das Gesetz einen Zeitplan auf, in dem die Gliedstaaten Standards zur Luftqualität und Implementationspläne (implementation plans) entwickeln. Die Gliedstaaten haben die Befugnis und Verantwortlichkeit zur Entwicklung von Ambient Air Quality Standards. Hauptsächlich geht es hier, nunmehr unter Federführung der Gliedstaaten, um die Entwicklung und darauf basierende Festlegung von Konzentrationsgrenzen eines bestimmten Stoffes, die im Durchschnitt pro Zeiteinheit in der Umgebung unüberschreitbar sind. 12 Gemäß Sect. 108 (c) (1) stehen die Standards und Implementationspläne unter Genehmigungsvorbehalt durch den HEW. Entsprechen diese Instrumente aus der Sicht des Bundes den festgelegten Unterzwecken in Form der vom Bund aufgestellten Verunreinigungsstoffe, dann treten diese in Kraft. Ist dies nicht der Fall, stellt der HEW diese Instrumente nach Sect. 108 (c) (2) nach Konsultation selbst auf. Nur bei unmittelbaren Gesundheitsgefahren kann der Bund — wie schon vorher — in Form von Einzelanordnungen selbst einschreiten, ohne überhaupt vorher mit den betreffenden Einzelstaaten zu beraten (emergency powers). 13 Damit wird bei unmittelbaren Gesundheitsgefahren der klassische Bereich der Gefahrenabwehr erstmalig auf den Bund übertragen. Im Recht des CAA 1970/ 77 entsprechen dem auf der Durchsetzungsebene (enforcement) die „emergency powers" 14 der (U.S.) EPA für die jeweilige Region. 15 io So auch ders., a. a. O. H Vgl. Krier, a. a. O., S. 310 ff. 12 Ders., a. a. O., S. 310. ι 3 Siehe hierzu und zum vorstehenden Middleton, Summary of the Air Quality Act of 1967, in: 10 Arizona Law Review, S. 25, 29 (1968); Esposito, Vanishing Air, S. 155158. 14 1970/77 Clean Air Act (CAA) Sect. 303; 42 U.S.C. Sect. 7603. is Es bestehen seit Schaffung einer institutionalisierten United States Environmental Protection Agency (U.S. EPA) ab 1970 mit Hauptsitz in Washington, D.C., — neben
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Unter dem Air Quality Standards Act kommt den Gliedstaaten die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit bei der Entwicklung von Implementationsprogrammen zur immissionsschutzrechtlichen Vorbeugung zu. Sie sind in der Hand von administrativen Handlungssystemen auf lokaler, gliedstaatlicher oder interstaatlicher Ebene. Der Bund hat die Kompetenz zur Überprüfung der gliedstaatlichen Air Quality Standards. Sofern ein Gliedstaat diese nicht selbst aufstellt, wird dies innerhalb der Bundesexekutive für diesen unternommen. 16 Folgende (negative) Erfahrungen macht man mit dem Gesetz: i) Wird die Entwicklung von Ambient Air Quality Standards (Immissionsstandards) den Gliedstaaten überlassen, hat dies zur Folge, daß sie nicht einheitlich sind. Aber gerade die überregionale Wirkung von Luftverunreinigungen, die sich eben nicht an gliedstaatliche Grenzen hält, führt notwendig zu der Frage, ob ein solch gliedstaatlich orientierter Approach schon vom Ansatz her überhaupt effizient sein kann. Dies muß schon bei der Verabschiedung des Gesetzes als mehr als zweifelhaft gelten. Schließlich zeigen schon die Erfahrungen mit dem Clean Air Act von 1963, daß solche Mittel angesichts der wachsenden und weiträumigen Probleme inadäquat sein müssen.17 Der Grund für diesen nicht überzeugenden Approach ist politisch: Gliedstaaten und industrielle Interessengruppen üben den Hauptdruck gegen eine dominierende Rolle des Bundes im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens aus 18 mit der weiteren Wirkung, daß keine räum weite regionale Planung forciert werden kann. 19 ii) Bei dem vom Bund in die Wege geleiteten Gesamtprogramm, den Wechselwirkungen mit den Einzelstaaten und den schrittweisen „trials and errors" in beiden Funktionsbereichen und damit im Gesamtprogramm, dem programmierenden Entscheiden von Funktionsträgern auf allen Ebenen läßt sich mit Esposito Kritik üben. Der Prozeß dauert lange. Für jeden einzelnen VerunreinigungsStoff sind die beschriebenen vier Schritte durchzuführen; 20 mit den Wechselwirkungen zu den Gliedstaaten, dortigen politischen Widerständen, Druck der Industrie und gliedstaatlichen EPA's — 10 Regional U.S. EPA's. So deckt z. B. die U.S. EPA, Region V, mit Sitz in Chicago die Gliedstaaten Minnesota, Wisconsin, Illinois, Indiana, Michigan und Ohio ab. 16 Vgl. zum vorstehenden Martin & Symington, A Guide to the Air Quality Act of 1967, 33 Law & Contemp. Prob., 239, 260 f. (1968); siehe auch Krier, Environmental Law and Policy, S. 310 ff. 17 Ähnlich Zimmerman, Political Boundaries and Air Pollution Control, 46 J. Urban L., S. 173, 190 f. (1968). is Detailliert hierzu Esposito, Vanishing Air, S. 259-280 (1970). 19 Krier, Environmental Law and Policy, S. 315. 20 Zur Kritik: J.Esposito, Vanishing Air, S. 158; Anderson / Mandelker / Tarlock, Environmental Protection: Law and Policy, 1984, S. 130-132; vgl. auch Currie, State Pollution Statutes, in: 48 University of Chicago Law Review, S. 27 ff. (1981); Pollack, Legal Boundaries of Air Pollution Control — State and Local Legislative Purpose and Techniques, in: 33 Law and Contemporary Problems, S. 331 ff. (1968).
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erneuten Abstimmungen untereinander kommt es in der Wirkung zu fehlender Standardsetzung und Implementation. So hat bis 1970, als der Bund mit Veränderungen des Clean Air Act die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Luftreinhaltung an sich zieht, kein einziger Gliedstaat Standards und Implementationspläne in Kraft. 21 Damit bestehen in den USA bis zu Anfang der siebziger Jahre keine Immissionsstandards bei ortsfesten Quellen, geschweige Mittel (Implementationspläne) durch die Gliedstaaten.
2. Administrative Rule Making Da die Mittel (Instrumente) in der rechtlichen Realität fehlen, erweitert jetzt der Bund sein legislatives Instrumentarium, und es entstehen Bundesfunktionen mit der Herausbildung von Mittel-Ziel-Relationen. Die rechtlichen Erfahrungen auf gliedstaatlicher Ebene wirken nun auf den Bund zurück. Sie lassen sich mit Hilfe eines weiteren verfassungsrechtlichen Entscheidungsprogramms für das Umweltrecht fruchtbar machen. Gliedstaatliche Gesetze können, wie vom U.S. Supreme Court wiederholt entschieden, durch Bundesgesetze wie durch sogenannte Federal Regulations verdrängt werden, 22 also durch von Verwaltungsbehörden — hier der EPA — aufgrund gesetzlicher Ermächtigung und in Erfüllung gesetzlicher Zweckprogramme erlassenes Bundesrecht (administrative rule making). Regelungen, die von einer Bundes-Agency gemäß Delegation durch den Kongreß rechtmäßig entwickelt werden, haben also den gleichen Effekt wie ein Bundesgesetz, das tatsächlich in Konflikt mit einem gliedstaatlichen Gesetz steht.23 Wie bei einer Bundes-Agency bedeutet eine Bundeslizenz nicht notwendigerweise Verdrängung. 24 Hier wird die Institution der Administrative Agency als Rechtssetzer auch im US-Umweltrecht relevant. Seit dem Clean Air Act 1970 sind die wichtigsten Befugnisse durch den Kongreß zur Rechtsfortbildung 25 auf die U.S. Environmental Protection Agency (U.S. EPA) delegiert. Die Tatsache allein, daß der Kongreß eine mit regulatorischen Vollmachten versehene Agency schafft bzw. Rechtsetzungsbefugnisse an diese mit dem Zwecke delegiert, das gesetzgeberische Handlungsprogramm in die Tat umzusetzen, läßt demzufolge noch nicht notwendig auf Verdrängung gliedstaatlichen Rechts schließen.26 Der Konflikt mit gliedstaatlichem Recht über die bundesrechtliche Okkupation eines bestimmten Ausschnitts 21 Vgl. Esposito, Vanishing Air, S. 158. 22 Vgl. zuletzt Hillsborough County, Fla v. Automated Med. Labs, 471 U.S. 707, 713 (1985). 23 Tribe, American Constitutional Law, S. 481. 24 Ders., a. a. O., S. 506. 25 Thomas, RiW 1986, S. 27 ff. 26 Tribe, a. a. O., S. 501.
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menschlichen Verhaltens ist daher hierdurch nicht entschieden.27 Auf eine ausdrückliche Verdrängung im Gesetzestext kommt es sohin nicht an. Folglich ist auch hier auf den Vergleich mit den jeweiligen Zielen und dem zu regelnden Verhalten abzustellen.28 Zwar birgt jede Möglichkeit, daß Gliedstaaten privates Verhalten erfassen, das selbst Gegenstand bundesrechtlicher Gesetzgebung ist, die Gefahr, daß die Wirkungen weiterer Programme von der Union in Geltung zu setzenden Zielen entgegenlaufen („frustrating of intents and purposes"). 29 Jedoch kann gliedstaatliches Handeln so lokal sein, daß trotz umfassenderer Bundesregelungen keine Verdrängung hervorgerufen wird. 3 0 Wegen der weiträumigen Verteilung bei Luftverunreinigungen fehlt dieser rein lokale Charakter, was sich bereits im Bishop Case zeigt. Auf lokaler und gliedstaatlicher Ebene können daher zusätzliche und strengere Anforderungen an privates Verhalten aufgestellt werden. 31 Es besteht angesichts der Zielsetzung auf „prevention" im normativen Entscheidungsprogramm des CAA schlicht keine Zweckgefährdung bei strengeren Standards. Daraus folgt als Rechtssatz für die ab 1970 von der Bundes-EPA (Environmental Protection Agency) entwickelten Bundes-Immissonsstandards: Diese gelten nicht in den Gliedstaaten, wo Standards niedriger sind. Dies ist von der Zielsetzung der Vorbeugung bzw. Vorsorge im CAA her zweckmäßig.32 Denn in besonders belasteten Gebieten wie Kalifornien mit seinem chronischen Smogproblem in Los Angeles kann dann entsprechend den kontextuellen Anforderungen das im CAA angelegte Zweckprogramm instrumentalisiert werden. Diese Ausnahme erlangt jedoch nur für Kalifornien praktische Bedeutung. 3 3 Da allerdings auch bundesweit der notwendige Maßstab für Vorsorgemaßnahmen auszumachen, jedoch die Schadens- und Gefahrenschwelle (Wahrscheinlichkeit) oft nicht eindeutig ist, kann hierdurch eine höhere „margin of safety"
27 Ders., a. a. O., S. 504. 28 Hierzu siehe bereits oben, Kapitel III. 29 San Diego Building Trades Council v. Garmon, 359 U.S. 236, 245 (1959) (Arbeitskampfrecht). 30 Tribe, a. a. O., S. 504. 3ΐ Buck v. California, 343 U.S. 99, 102 (1952); ähnlich California v. Zook, 336 U.S. 725 (1949). Nach diesen Entscheidungen des U.S. Supreme Court können bundesrechtliche Minimalanforderungen an privates Verhalten — hier von der Interstate Commerce Commission nach dem Motor Carrier Act (1935) aufgestellt — auf lokaler Ebene mit strengeren Zusatzkomponenten versehen werden. Aus dem Umweltrecht siehe auch die jüngere Entscheidung Ray v.,Atlantic Richfield Co., 435 U.S. 151, 163 f. (1978), die auf Huron Portland explizit Bezug nimmt. 32 Zur Preemption im US-amerikanischen Umweltrecht siehe auch Note, State Environmental Protection and the Commerce Clause, in: 87 Harvard Law Review, S. 1762, 1769-1772 (1974). 33 Grad, Environmental Law, S. 313.
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hergestellt werden. 34 Diese Sicherheitsmarge zu Vorsorgezwecken dient der Verminderung eines Restrisikos, 35 besitzt dabei ebenso Planungs- und Verteilungselemente des Belastungspotentials.
3. Instrumente des Clean Air Act 1970/77: Gemeinsamkeiten und Unterschiede Im Jahre 1970 wird nach dem Reorganization Plan No. 3 des Präsidenten die U.S. Environmental Protection Agency (U.S. EPA) aufgebaut. Sämtliche Funktionen des Bundes in der Implementation des Clean Air Act gehen auf diese neue Bundesbehörde mit Sitz in Washington, D.C., über. Die Funktionen, die vorher beim Secretary of Health, Education and Welfare (HEW) lokalisiert sind, werden dort herausgenommen und an die speziell mit Umweltproblemen befaßte EPA — unter der Zielstellung der „efficiency" — als zentrale und eigenständige Bundesumweltbehörde verlagert. 36 Mit den parallel erfolgenden Veränderungen und Ergänzungen des Clean Air Act 1970 versucht man, dem seit 1955 unverändert fortbestehenden Ziel der Vorbeugung (prevention) gegen Luftverunreinigungen (air pollution) zentral Rechnung zu tragen. Auf der rechtssatzsetzenden Seite hat nunmehr die Union ganz deutlich die Federführung im Bereich der Luftreinhaltung, wie auch bei anderen Umweltschutzgesetzen. Diese Gesetze bilden, hier exemplarisch der Clean Air Act, als an Zielen und Instrumenten ausgerichtete normative Entscheidungsprogramme den Rahmen für Entscheidungsprogramme administrativer Handlungssysteme in der institutionalisierten Form der U.S. Environmental Protection Agency (U.S. EPA). Zwei Funktionen sind für sie ausschlaggebend: i) Das Problem der weiträumigen Verteilungen von Luftverunreinigungen über gliedstaatliche Grenzen hinweg (transboundary spillovers) stellt eine wesentliche Ursache für den Aufbau dieses zentralisierten Systems Anfang der siebziger Jahre dar. 37 Der Clean Air Act von 1970 38 entwickelt dabei die in den sechziger Jahren verfolgten instrumenteilen Strategien fort und stellt insoweit keinen klaren Bruch in den tradierten legislativen Instrumenten dar. Vielmehr läßt sich mit Grad von einer schrittweisen Entwicklung und Einweisung von Bundesfunktionen sprechen, die ab 1970 einen Höhepunkt erreicht hat. 39 ii) Das Argument für die in den sechziger Jahren verfolgten Strategien — unter Unterstützung der Gliedstaaten und der Industrie — ist, daß dezentralisierte 34 Vgl. Lead Industries Association v. EPA, 647 F.2d 1130, 1161 f. (1980). 35 Siehe hierzu umfassend: Lead Industries Association v. EPA, a. a. O. 3 6 Vgl. hierzu Grad, a. a. O., S. 315. 37 E. Rehbinder / R. Stewart, Environmental Protection Policy, S. 52. 38 Clean Air Act Amendments, Pub.L. No. 91-664, 84 Stat. 1676 (1970). 39 Grad, a. a. Ο.
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Verfahren über Mittel zur Vorbeugung von Luftverunreinigungen eine größere Flexibilität ermöglichen. 40 Nach den negativen Erfahrungen gelangt man im U.S. Kongreß schließlich zu der Überzeugung, daß diese Strategie zu allzu schwachen Standards und einer unzureichenden Durchführung führt. Im Gesetz wird daher — initiiert maßgeblich von Senator Muskie und unter dem Einfluß von Umweltschutzgruppen — der Zweck auf Beschleunigung der Maßnahmen und eine Verringerung der zeitraubenden Verfahren nach früherem Bundesrecht hervorgehoben, um rascher zu wirksamen Emissionsstandards zu gelangen.41 a) Nationale Immissionsstandards (U.S. Environmental Protection Agency) Die primäre Verantwortlichkeit zur Standardsetzung liegt auf der Bundesebene (U.S. EPA), während die praktische Durchführung der gliedstaatlichen Ebene zugeordnet ist, wobei hier nun entweder eine gliedstaatliche Kontrolle oder eine gliedstaatliche Delegation an kommunale Verwaltungen erfolgt. 42 Auf der rechtssatzsetzenden Seite (regulation) ermächtigt das neue Gesetz anders als noch der Air Quality Act den Administrator of EPA 4 3 nunmehr, bundesweite Standards zur Luftqualität aufzustellen (National Ambient Air Quality Standards, Immissionsstandards). Diese sind ihrerseits Produkt eines innerhalb der EPA institutionalisierten Verfahrensablaufs: i) Hinsichtlich der Air Quality Control Regions des Air Quality Act ergeben sich keine Besonderheiten; sie und ihre Funktion gelten auch im Recht nach dem 1970/77 CAA fort. 44 Besonderheiten ergeben sich aber bereits für die Air Quality Criteria. 45 Nach Section 108 des Clean Air Act 1970/77 wird über jeden Verunreinigungsstoff einzeln entschieden (air pollutant list). Dabei berücksichtigt allerdings das Gesetz deutlicher als noch der Air Quality Act nicht nur naturwissenschaftliche Variablen (z. B. Wetterbedingungen, Kombinationen von Stoffen, 40 E. Rehbinder / R. Stewart, Environmental Protection Policy, S. 49. 41 „The purpose of the legislation reported unanimously by your committee is to speed up, expand, and intensify the war against air pollution . . . While a start has been made in controlling air pollution since the enactment of the Air Quality Act of 1967, progress has been regrettably slow . . . Therefore, it is urgent that Congress adopt new clean air legislation which will make possible the more expeditious imposition of specific emission standards . . . and the effective enforcement of such standards by both State and Federal agencies." (H. Rept. No. 91-1146, 91st Cong., 2d sess., S. 1, 5 (1970). 42 Grad, Environmental Law, S. 329. 43 Der Administrator ist die administrative und politische Spitze der agency; er entspricht in Deutschland dem Bundesminister für Umwelt-, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU, seit Juni 1986) und wird nach erfolgter Confirmation durch den U.S. Senat vom Präsidenten ernannt, besitzt jedoch noch im März 1991 anders als der BMU keinen Kabinettsrang. 44 1970/77 CAA Sect. 107; 42 U.S.C. Sect. 7407. 45 Vgl. 1970/77 CAA Sect. 108; 42 U.S.C. Sect. 7408.
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Interaktionen von Stoffen), sondern auch Sozialfaktoren. 46 Hierbei muß bei allen naturwissenschaftlichen Variablen un