Aufklärungs-Kritik und Aufklärungs-Mythen: Horkheimer und Adorno in philosophiehistorischer Perspektive 9783110555004, 9783110553284

This volume re-examines the overall picture of the Enlightenment offered by Horkheimer and Adorno, including their inter

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German Pages 234 [236] Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Einführung
What, if Anything, Does Dialectic of Enlightenment Have to Do with “the Enlightenment”?
Zum werk- und zeitgeschichtlichen Hintergrund der Dialektik der Aufklärung
Nachgedanken zu Nachtgedanken: Die Dialektik der Aufklärung im Rückblick
Shadow History with a Hidden Agenda? Francis Bacon als Positivist in der Dialektik der Aufklärung
Adorno und Horkheimer als Spinoza-Leser
Kant in the Dialectic of Enlightenment
Welches Aufklärungsprojekt? Sade und Kant in der Dialektik der Aufklärung
Moses Mendelssohns Idee eines Missbrauchs und einer Korruption von Kultur und Aufklärung. Eine Aufklärungskritik aus aufklärerischer Sicht
Dialektik oder Parrhesiastik der Aufklärung? Horkheimer/Adorno und Foucault
Sachregister
Namenregister
Zu den Autorinnen und Autoren
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Aufklärungs-Kritik und Aufklärungs-Mythen: Horkheimer und Adorno in philosophiehistorischer Perspektive
 9783110555004, 9783110553284

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Aufklärungs-Kritik und Aufklärungs-Mythen

Aufklärungs-Kritik und Aufklärungs-Mythen

Horkheimer und Adorno in philosophiehistorischer Perspektive Herausgegeben von Sonja Lavaert und Winfried Schröder

ISBN 978-3-11-055328-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055500-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055336-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: © Sonja Lavaert, Risiera di San Sabba (Privatsammlung) Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com.

Inhalt Sonja Lavaert – Winfried Schröder Einführung 1 James Schmidt What, if Anything, Does Dialectic of Enlightenment Have to Do with “the Enlightenment”? 11 Gunzelin Schmid Noerr Zum werk- und zeitgeschichtlichen Hintergrund der Dialektik der Aufklärung 29 Oliver R. Scholz Nachgedanken zu Nachtgedanken: Die Dialektik der Aufklärung im 53 Rückblick Dietrich Schotte Shadow History with a Hidden Agenda? Francis Bacon als Positivist in der Dialektik der Aufklärung 83 Pierre-François Moreau Adorno und Horkheimer als Spinoza-Leser Sam Fleischacker Kant in the Dialectic of Enlightenment

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Marcel Hénaff Welches Aufklärungsprojekt? Sade und Kant in der Dialektik der 143 Aufklärung Else Walravens Moses Mendelssohns Idee eines Missbrauchs und einer Korruption von Kultur und Aufklärung. Eine Aufklärungskritik aus aufklärerischer 179 Sicht

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Inhalt

Petra Gehring Dialektik oder Parrhesiastik der Aufklärung? Horkheimer/Adorno und 201 Foucault Sachregister Namenregister

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Zu den Autorinnen und Autoren

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Sonja Lavaert – Winfried Schröder

Einführung

Vor inzwischen mehr als 70 Jahren im Druck erschienen, ist die Dialektik der Aufklärung nach wie vor nicht dort angelangt, wo ein Großteil philosophischer Texte jener Zeit seine letzte Ruhe gefunden hat: im musealen Fundus der Philosophie des vergangenen Jahrhunderts. Noch immer wird diesem Text aktuelle theoretische Relevanz nicht nur in der Philosophie, sondern auch in den Sozialwissenschaften, in der politischen Theorie und in der Kulturphilosophie und -kritik attestiert, und es ist festzustellen, dass auch der philosophiehistorische Blick auf die Aufklärung bis heute oft durch dieses Buch beeinflusst ist. Die Dialektik der Aufklärung ist nicht primär ein Buch über die historische Epoche, die den Namen ‚Zeitalter der Aufklärung‘ trägt. Aber es handelt sich doch auch um eine Auseinandersetzung mit den programmatischen Ideen, die in jener Epoche ihren Ursprung haben, und mit einigen ihrer Väter und Protagonisten. Schon im Auftakt stellen die beiden Verfasser klar, dass ihr eigentliches Thema „Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens“¹, also diskursives Denken, Rationalität und deren Verschränkung mit Herrschaft ist.² Die bis heute anhaltenden Diskussionen über die Dialektik der Aufklärung gelten weit überwiegend eben dieser systematisch, nicht historisch angelegten Rationalitätskritik. Die Beiträge des vorliegenden Bandes schalten sich nicht in diese Diskussion ein. Sie fragen vielmehr nach der Angemessenheit von Horkheimers und Adornos Interpretationen der Aufklärer und Proto-Aufklärer von Bacon bis Kant. Dies ist aus mehr als einem Grunde angezeigt. Zum einen verlangt der enorme Einfluss der Dialektik der Aufklärung auf das geläufige Bild der Philosophie der Aufklärung nach einer kritischen Überprüfung. Wenn diese als eine ambivalente, fragwürdige oder gar verhängnisvolle Strömung der neuzeitlichen Philosophie angesehen wird, ist sehr häufig von einer Anregung durch die entsprechenden Thesen des Buches von 1947 auszugehen. Der ungeheuerliche Gedanke, dass die Ideale der Aufklärung die fatalen Entwicklungen der Moderne herbeigeführt haben, dass die Aufklärung gar die Mutter des Fa-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25: „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“  Vgl. auch Horkheimers in seinem Brief an Friedrich Pollock vom 7. Mai 1943 verwendete Formel „die Aufklärung, wie sie sich im ersten Gedanken eines Menschen ausprägte“; Gesammelte Schriften, XII, 446. https://doi.org/10.1515/9783110555004-001

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schismus und des Nationalsozialismus war, ist zu einem verbreiteten Topos geworden. Ihm wäre vielleicht eine initiale Plausibilität nicht abzusprechen, wenn denn tatsächlich eine abschüssige Bahn vom Sapere aude Kants zu den Cent vingt journées de Sodome des Marquis de Sade führte, wie Horkheimer und Adorno es in dem „Exkurs II: Juliette oder Aufklärung und Moral“ zu belegen versuchen.³ Kurz: Von den Bacon-, Spinoza- und Kant-Interpretationen hängen philosophie- und ideologiegeschichtliche Filiationen ab, deren Konsequenzen überaus weitreichend sind. Insbesondere müsste die geläufige Sicht grundsätzlich revidiert bzw. verworfen werden, dass antiaufklärerische Strömungen wie die Romantik und nationalistische oder autoritäre Ideologien à la de Maistre⁴ für die menschheitsgeschichtlichen Katastrophen mitverantwortlich sind, die Horkheimer und Adorno bei der Niederschrift der Dialektik der Aufklärung vor Augen standen. Zum anderen sind die philosophiehistorischen Thesen, Analysen und Exkurse in der Dialektik der Aufklärung keine gelehrte Zutat, sondern eine tragende Säule der systematisch angelegten Rationalitätskritik der beiden Frankfurter. Es fällt nicht schwer zu sagen, wie diese ohne den Rekurs auf die historischem Theoriebestände der Aufklärung dastünde: Sie müsste sich auf – vorsichtig gesagt – gewagte und hochspekulative Thesen stützen: so etwa auf die Behauptung, dass die „Abstraktion“ und die „Subsumtion“ von Einzeldingen unter Universalien diesen Gewalt antue⁵ sowie auf die Tilgung von Differenzen⁶ und die „Negation jedes Einzelnen“⁷ hinauslaufe, oder auf die höchst eigenwillige Sicht auf die „formale Logik“, die „die große Schule der Vereinheitlichung“⁸ und der „Triumph der repressiven Egalität“⁹ sei. Angesichts dieser Pauschalität und Großformatigkeit ihrer Thesen waren die beiden Frankfurter gut beraten, es nicht

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 104 ff.  Vgl. Sternhell, Les anti-Lumières. Une tradition du XVIIIe siècle à la guerre froide. Das weit ausgreifende Panorama gegenaufklärerischer Ideologien, das Sternhell entwirft, legt diese geläufige Sicht nahe, auch wenn Sternhell selbst sich nicht explizit in diesem Sinne über die Dialektik der Aufklärung äußert.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 35: „Die Abstraktion, das Werkzeug der Aufklärung, verhält sich zu ihren Objekten wie das Schicksal, dessen Begriff sie ausmerzt: als Liquidation.“; vgl. 50: „die Subsumtion des Tatsächlichen“.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 34: „Was anders wäre, wird gleichgemacht.“; vgl. auch 35: „Aufklärung […] schneidet das Inkommensurable weg. Nicht bloß werden im Gedanken die Qualitäten aufgelöst, sondern die Menschen zur realen Konformität gezwungen.“  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 35.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 29; vgl. auch 36: „Die Allgemeinheit der Gedanken, wie die diskursive Logik sie entwickelt, die Herrschaft in der Sphäre des Begriffs, erhebt sich auf dem Fundament der Herrschaft in der Wirklichkeit.“  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 35.

Einführung

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bei deren systematisch-spekulativer Darlegung zu belassen, sondern die Stichhaltigkeit und die Sachhaltigkeit ihrer Rationalitätskritik anhand historischer Referenztheorien zu belegen. Kritiker der Dialektik der Aufklärung haben nicht selten Anstoß daran genommen, dass die beiden Verfasser Thesen wie die von der „Identität von Herrschaft und Vernunft“¹⁰ im Modus der bloßen Behauptung und der rhetorischen Beschwörung vorgetragen hätten. Tatsächlich jedoch beziehen Horkheimer und Adorno sich nicht allein auf die Rationalität in abstracto (die „Aufklärung“ im Sinne des Auftakt-Satzes des Buches), sondern auch auf konkrete Theorien der historischen Aufklärung (sie sprechen präzisierend von der „Aufklärung der neueren Zeit“¹¹), und sie taten dies aus einem argumentationsstrategisch nachvollziehbaren Grund: Anhand der Texte von Bacon, Spinoza, Kant und de Sade ließ sich günstigenfalls die verhängnisvolle Dynamik der Rationalität ad oculos demonstrieren. Für Horkheimer und Adorno sind die Texte der Aufklärungsphilosophen des 17. und 18. Jahrhunderts auch insofern wertvolle Belege für ihre Rationalitätskritik, als erst in ihnen – und zwar nicht nur bei de Sade – die im begrifflich-diskursiven Denken immer schon angelegte „Radikalität“¹² offen zutagetritt. Das Bild, das Horkheimer und Adorno in ihrem Buch von 1947 von der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts gezeichnet haben, ist, auch wenn es an Einsprüchen nicht gefehlt hat¹³, bis heute höchst einflussreich. Auch manchen Autoren, die der systematischen Rationalitätskritik der beiden Frankfurter indifferent oder skeptisch gegenüberstehen, gelten deren Interpretationen der Anreger und Protagonisten der Aufklärung – von Bacon über Spinoza bis zu Kant und de Sade – häufig als bedenkenswert.¹⁴ Verstärkend dürfte in dieser Hinsicht die postmoderne Rationalitätskritik¹⁵ seit den 1960er Jahren gewirkt haben. Die Berührungspunkte der Dialektik der Aufklärung mit einigen Arbeiten Michel Fou-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 142 f.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 115.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 115.  Vgl. Nielsen, „Enlightenment and Amoralism“; O’Neill, „Enlightenment as Autonomy“; Neiman, Evil in Modern Thought, 170 – 196; Williams, „An Enlightenment Critique of the Dialectic of Enlightenment“; Mensching, „Hat der Marquis de Sade die Vernunft entlarvt? Zu einem Kapitel der Dialektik der Aufklärung“; Domenech, L’éthique des Lumières.  Vgl. Crocker, Nature and Culture. Ethical Thought in the French Enlightenment; Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, 490 ff.; Dorschel, Nachdenken über Vorurteile, 151 ff.  Vgl. Wilson, „Postmodernism and the Enlightenment“; Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne.

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caults¹⁶ (der das Buch erst sehr spät kennengelernt hat¹⁷) sind teilweise bemerkenswert. Wer Foucaults Surveiller et punir von 1975 zur Hand nahm, bekam dort anhand von Benthams Panopticon ¹⁸ vorgeführt, wie, sozusagen in einem dialektischen Umschlag, eine humanitäre Intention (die von Bentham vorgeschlagene Strafvollzugsreform) in ihr Gegenteil (Techniken lückenloser Überwachung und der Totalverlust von Privatheit) degenerierte. Es dürfte übrigens Benthams Polemik gegen die Menschenrechte als „nonsense upon stilts“¹⁹ sein, die Horkheimer und Adorno im Auge haben, wenn sie die moraldestruktive Tendenz der Aufklärung mit den Worten kommentieren: „Ihren eigenen Ideen von Menschenrechten ergeht es nicht anders als den älteren Universalien“.²⁰

 Vgl. „Entretien avec Michel Foucault“, 892: „En ce qui me concerne, je pense que les philosophes de cette école [sc. l’école de Francfort] ont posé des problèmes autour desquels on peine encore: notamment, celui des effets de pouvoir avec une rationalité qui s’est définie historiquement, géographiquement, en Occident, à partir du XVI° siècle. L’Occident n’aurait pas pu atteindre les résultats économiques, culturels qui lui sont propres, sans exercice de cette forme particulière de rationalité. Or comment dissocier cette rationalité des mécanismes, des procédures, des techniques, des effets de pouvoir qui l’accompagnent et que nous supportons si mal en les désignant comme la forme d’oppression typique des sociétés capitalistes et peut-être aussi de sociétés socialistes? Ne pourrait-on pas en conclure que la promesse de l’Aufklärung d’atteindre la liberté par l’exercice de la raison s’est, au contraire, renversée dans une domination de la raison même, laquelle usurpe de plus en plus la place de la liberté? […] ce problème […] a été […] signalé par Horkheimer par anticipation sur tous les autres […] c’est l’école de Francfort qui a interrogé, à partir de cette hypothèse, le rapport à Marx.“ Vgl. Erdmann/Forst/Honneth (Hrsg.), Ethos der Moderne: Foucaults Kritik der Aufklärung.  Vgl. „Entretien avec Michel Foucault“, 893: „Si j’avais lu ces œuvres, il y a un tas de choses que je n’aurais pas eu besoin de dire, et j’aurais évité des erreurs. Peut-être que, si j’avais connu les philosophes de cette école quand j’étais jeune, j’aurais été tellement séduit par eux que je n’aurais rien fait d’autre que de les commenter.“  Bentham, Panoptikum oder das Kontrollhaus; vgl. Brunon-Ernst (Hrsg.), Beyond Foucault: New Perspectives on Bentham’s Panopticon. – Ganz ähnlich hat vor wenigen Jahren ein Historiker (Andreas Schlieper) in einem Buch mit dem sprechenden Titel Das aufgeklärte Töten die Guillotine sozusagen in den Rang eines realen Emblems der Aufklärung erhoben. Auch hier begegnen wir demselben Paradox: Leitend war für den Erfinder der Hinrichtungsmaschine zweifellos die Absicht, den Strafvollzug durch die Abschaffung der bis dahin üblichen Marterqualen zu humanisieren. Aber das Ergebnis waren die quantitativen Exzesse seriellen Tötens im terreur der Französischen Revolution. Schlieper nennt die Guillotine gradezu ein ‚Instrument der Aufklärung‘, wenngleich beim Thema ‚Aufklärung und Todesstrafe‘ zunächst einmal an Cesare Beccaria und sein epochales Buch Delle delitti e delle pene und seine Kampagne gegen die Todesstrafe zu denken ist.  Bentham, Rights, Representation, and Reform: Nonsense upon Stilts and Other Writings on the French Revolution, 364; vgl. Waldron, Nonsense upon Stilts.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 28.

Einführung

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Gewiss, Horkheimer und Adorno streifen mit ihren Charakterisierungen der von ihnen als Kronzeugen aufgerufenen Aufklärungsphilosophen gelegentlich das Karikaturhafte, und dies nicht nur dort, wo sie die „Struktur des kantischen Systems“ mit den „Turnerpyramiden der Sadeschen Orgien“²¹ parallelisieren. Bedenken weckt auch, dass sie mit ihrer, wie Habermas es auf den Punkt brachte, „hemmungslosen Vernunftskepsis“²² in eine Nähe zu antiaufklärerischen Positionen geraten, die ihnen nicht willkommen sein kann. Inhaltlich und sogar bis in die Wortwahl hinein finden sich irritierende Entsprechungen bei konservativen Kritikern von Aufklärung und Moderne.²³ Und doch scheinen, näher besehen, einige Thesen Horkheimers und Adornos zu den Anregern und Protagonisten der Aufklärung trotz ihrer oft outrierten Präsentation nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein. Zumindest auf den ersten Blick ist die Verschränkung von Wissen und Naturbeherrschung bei Bacon geradezu eine auf der Hand liegende Bestätigung der Zentralthese der Dialektik der Aufklärung. ²⁴ Hat nicht der Verfasser des Advancement of Learning mit seiner Parole von der ‚Folterung‘ („vexation“) der Natur²⁵ durch das Experiment eine

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 111. Kühner sind auch Jacques Lacans gewagteste Parallelisierungen zwischen Kant und Sade nicht; „Kant avec Sade“. – Ganz anders bezog Adorno sich später (Erziehung zur Mündigkeit, 133) auf die „kurze Abhandlung von Kant […], die den Titel trägt ‚Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?‘“: „Mir scheint dieses Programm von Kant, dem man auch mit dem bösesten Willen Unklarheit nicht wird vorwerfen können, heute noch außerordentlich aktuell. Demokratie beruht auf der Willensbildung eines jeden Einzelnen, wie sie sich in der Institution der repräsentativen Wahl zusammenfasst. Soll dabei nicht Unvernunft resultieren, so sind die Fähigkeit und der Mut jedes Einzelnen, sich seines Verstandes zu bedienen, vorausgesetzt.“  Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 156  So hat Hermann Rauschning in seinem Buch Masken und Metamorphosen des Nihilismus, einem Bestseller der 1950er Jahre, den von der Aufklärung initiierten Modernisierungsprozess als einen „dialektischen Prozeß“ beschrieben, aus dem die „Vernichtung“ humaner Zivilisation und Kultur erwachsen sei: „Was der Mensch […] für einen Aufbruch zu immer größerer Klärung und Gewißheit über sich selbst und seine Bestimmung ansah, kehrt sich um ins Gegenteil“ und führt „schließlich zur Entwertung der Vernunft“. Resonant ist nicht nur Rauschnings Diagnose der Ursachen der Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Auch sein Aufruf zur Rückbesinnung auf das „christlich-abendländische Erbe“ lässt an einige Äußerungen des späten Horkheimer denken, die nicht nur durch ihre an konservative Ideologien erinnernde Botschaft, sondern auch durch ihren bekenntnishaften Charakter irritieren. Horkheimer ging ja bekanntlich so weit zu behaupten: „Mit der letzten Spur der Theologie verliert der Gedanke, daß der Nächste zu achten […] sei, das logische Fundament“ (Gesammelte Schriften, VII, 273) – und grundsätzlich: „Einen unbedingten Sinn zu retten ohne Gott, ist eitel.“ (Gesammelte Schriften, VII, 184).  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 27 ff.  Vgl. Bacon, Of the Advancement of Learning, II I.6: „For like as a man’s disposition is never well known till he be crossed, nor Proteus ever changed shapes till he was straitened and held fast; so

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zentrale These der Dialektik der Aufklärung vorweggenommen und auf den Punkt gebracht? Ebensowenig überrascht, dass Horkheimer und Adorno eine Tendenz zu Entfremdung und Verdinglichung in der Philosophie Spinozas angelegt sehen, dessen Anthropologie „die Leidenschaften ‚ac si quaestio de lineis, planis aut de corporibus esset‘ [betrachtet] (Eth. III, praefatio)“.²⁶ Zeichnet sich nicht bereits bei Spinoza ab, worauf ein konsequenter Naturalismus hinausläuft? Der Amsterdamer Philosoph, einer der wichtigsten Kronzeugen Horkheimers und Adornos, hielt es ja für geboten, die Leidenschaften zu analysieren, als handele es sich um „Linien, Flächen und Körper“ – mit der Konsequenz, dass „die sittlichen Kräfte […] vor der wissenschaftlichen Vernunft nicht weniger neutrale Triebe und Verhaltensweisen [sind] als die unsittlichen“.²⁷ Sogar Kant scheint ungewollt die destruktive Dynamik der Aufklärung zu bezeugen. Denn, wer die Frage „Warum soll ich moralisch handeln“ mit dem Hinweis auf ein „Faktum der Vernunft“²⁸ beantwortet, leistet, so die beiden Frankfurter, einen Offenbarungseid: Er gibt klar zu erkennen, dass er mit leeren Händen dasteht, was eine rationale Begründung der Moral angeht. Auch die wohl gewagteste These der Dialektik der Aufklärung, dass der Marquis de Sade als der eigentliche Erbe der Aufklärung zu gelten habe, der ihre inhumane und in den moralischen Nihilismus führende Dynamik ans Licht gebracht habe („Exkurs II: Juliette oder Aufklärung und Moral“²⁹) scheint zunächst nicht abwegig zu sein: „Das Werk des Marquis de Sade zeigt den ‚Verstand ohne Leitung eines anderen‘, das heißt, das von Bevormundung befreite bürgerliche Subjekt“.³⁰ Tatsächlich ist die Präsenz aufklärerischer Denkmotive in de Sades Werk manifest³¹; seine intensive Vertrautheit insbesondere mit

the passages and variations of nature cannot appear so fully in the liberty of nature as in the trials and vexations of art.“ (The Advancement of Learning and New Atlantis, 71). Vgl. Pesic, „Wrestling with Proteus, Francis Bacon and the ‚Torture‘ of Nature“.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109. Vgl. Macherey, „L’actualité philosophique de Spinoza (Heidegger, Adorno, Foucault)“; Hippler, „Spinoza and the Origins of Critical Theory“; Mensching, „Spinoza dans l’École de Francfort“; Mack, Spinoza and the Specters of Modernity:The Hidden Enlightenment of Diversity from Spinoza to Freud.  Kant, KpV, A 56. Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 117: „Kant hatte […] das moralische Gesetz in mir schon so lang von jedem heteronomen Glauben gereinigt, bis der Respekt gegen Kants Versicherungen bloß noch eine psychologische Naturtatsache war […]. ‚Ein Faktum der Vernunft‘ nennt er es selbst.“  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 104 ff.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109.  Vgl. Deprun, „Sade et les Lumières“; Airaksinen, The Philosophy of the Marquis de Sade; Warman, „The Jewels of Virtue: Sade’s Claim to the Legacy of Materialism“; Warman, Sade: from Materialism to Pornography; Hénaff, Violence dans la raison?

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der Radikalaufklärung ist seit der Rekonstruktion seiner Bibliothek³² sogar materiell belegt. So scheint es nicht von ungefähr, wenn Horkheimer und Adorno und nach ihnen heutige Modernitätskritiker wie Charles Taylor de Sades Immoralismus als bis zur letzten Konsequenz vorangetriebene Gestalt der aufklärerischen Traditionskritik, als „the most consistent […] liberation from the tradition“ begreifen. Aufgrund der Inspiration de Sades durch die Aufklärung müsse der moralische Nihilismus geradezu als der Schlüssel zum Verständnis der Anthropologie und Ethik der Aufklärung, als der dunkle „background of Enlightenment humanism“ gelten.³³ Zudem lassen sich, wie es scheint, etliche weitere Philosophen der Aufklärung, die in der Dialektik der Aufklärung keine Erwähnung finden, als Beispiele für die von Horkheimer und Adorno beschriebene paradoxe Verschränkung von Humanisierungsprojekten und Entmenschlichung anführen. Neben Benthams Panopticon ist etwa an Condorcets Vision einer planetar expandierenden Aufklärung zu denken, die er in seiner Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain von 1794 entfaltet hat. Sie beruht auf der Annahme, dass „zahlreiche Völker offenbar darauf warten, von uns die Mittel zu erhalten, die sie zu ihrer Zivilisierung benötigen“; zu ihr gehört aber auch die Aussicht, dass die übrigen, die „wilden Stämme“, „von den zivilisierten Nationen zurückgedrängt werden, um unmerklich zu verschwinden oder in ihnen aufzugehen“.³⁴ Schließlich wurde bereits im Zeitalter der Aufklärung selbst, und dies nicht nur im Lager der antiaufklärerischen Publizistik³⁵, der Verdacht laut, der korrosiven Dynamik der aufklärerischen Traditionskritik würden unverzichtbare normative Gehalte zum Opfer fallen. Ausdrücklich sah Moses Mendelssohn bereits in seinem zeitgleich mit Kants einschlägigem Beitrag erschienenen Aufsatz Über die Frage: Was heißt aufklären? die „Grundsätze der Religion und Sittlichkeit“³⁶ durch die Aufklärung bedroht. Ein Ende der Kontroversen über die Rationalitätskritik der Dialektik der Aufklärung dürfte kaum zu erwarten sein. Was deren philosophiehistorisches Fun-

 Vgl. Mothu, „La bibliothèque du marquis de Sade à La Coste. Inventaire“; Bloch, „La technique du collage dans la tradition libertine et clandestine“.  Taylor, Sources of the Self. The Making of Modern Identity, 335 f.; dazu Schröder, Moralischer Nihilismus, 125 ff. (2. Aufl. 137 ff.).  Condorcet, Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, 197.  Vgl. Masseau, Les ennemis des philosophes. L’antiphilosophie au temps des Lumières.  Mendelssohn, „Über die Frage: Was heißt aufklären“, 7.

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dament angeht, sind jedoch Klärungen möglich. Dies jedenfalls haben sich die Beiträge des vorliegenden Bandes³⁷ zur Aufgabe gestellt.

Bibliographie Adorno, Theodor W., Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2013, 133 – 147. Apostel, Leo, „De dialektiek van de Verlichting. Adorno en Horkheimer: Een paradoxale bron van een herbeginnen“, in: Koen Raes (Hrsg.), Denkers van het licht. Opstellen over Verlichting, Revolutie en Moderniteit, Gent, Masereelfonds, 1989, 271 – 297. Airaksinen, Timo, The Philosophy of the Marquis de Sade, London, Routledge, 1995. Bacon, Francis, The Advancement of Learning and New Atlantis, hrsg. Arthur Johnston, Oxford, Clarendon Press, 1974. Bentham, Jeremy, Rights, Representation, and Reform: Nonsense upon Stilts and Other Writings on the French Revolution, hrsg. Philip Schofield/Catherine Pease-Watkin/Cyprian Blamires, Oxford, Oxford University Press, 2002. Bentham, Jeremy, The Panopticon Writings, hrsg. Miran Božovič, London u. a., Verso, 2010. Bentham, Jeremy, Panoptikum oder das Kontrollhaus. Aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer, hrsg. von Christian Welzbacher, Berlin, Matthes & Seitz, 2013. Bloch, Olivier, „La technique du collage dans la tradition libertine et clandestine“, in: La Lettre clandestine 9 (2000), 127 – 142. Brunon-Ernst, Anne (Hrsg.), Beyond Foucault: New Perspectives on Bentham’s Panopticon, London/New York, Routledge, 2016. Castoriadis, Cornelius, „L’époque du conformisme généralisé“, in: Ders., Le monde morcelé, Paris, Seuil, 1990, 11 – 28. Condorcet, Jean Antoine Nicolas de Caritat de, Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, übers. Wilhelm Alff in Zusammenarbeit mit Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1976. Crocker, Lester G., An Age of Crisis. Man and World in Eighteenth-Century French Thought, Baltimore, The Johns Hopkins Press, 1959. Crocker, Lester G., Nature and Culture. Ethical Thought in the French Enlightenment, Baltimore, The Johns Hopkins Press, 1963. Deprun, Jean, „Sade et les Lumières“, in: Raison présente 3 (1967), 75 – 91. Domenech, Jacques, L’éthique des Lumières. Les fondements de la morale dans la philosophie française du XVIIIe siècle, Paris, Vrin, 1989. Dorschel, Andreas, Nachdenken über Vorurteile, Hamburg, Meiner, 2001. Erdmann, Eva/Forst, Rainer/Honneth, Axel (Hrsg.), Ethos der Moderne: Foucaults Kritik der Aufklärung, Frankfurt am Main, Campus, 1990. Esposito, Roberto, „German Philosophy“, in: Ders., Da fuori. Una filosofia per l’Europa, Turin, Einaudi, 2016, 64 – 110. Foucault, Michel, Surveiller et punir, Paris, Gallimard, 1975.

 Bei den Beiträgen handelt es sich großenteils um bearbeitete Versionen von Vorträgen auf einer im Mai 2016 in Marburg veranstalteten Tagung. Zusätzlich aufgenommen wurden die Beiträge von Marcel Hénaff und Oliver R. Scholz.

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What, if Anything, Does Dialectic of Enlightenment Have to Do with “the Enlightenment”? The American historian Peter Gay once observed that “when someone links the term ‘project’ to ‘Enlightenment’ the pronouncement that the philosophes’ enterprise was a failure is sure to follow.”¹ He went on to review a few of the more influential critiques of the “Enlightenment project”, including a “brilliant, aphoristic, and […] perverse” book entitled Dialektik der Aufklärung, a work that – despite its authors’ “dazzling acrobatics” – struck him as “wholly innocent of empirical material to support its conclusions.”² Historians, especially those who work on the eighteenth century, have not been kind to Dialectic of Enlightenment and Gay was hardly alone in viewing it as an assault on the Enlightenment that had, at best, a limited familiarity with the period it attacked. Robert Darnton chastised Horkheimer and Adorno for failing to approach “the Enlightenment concretely, as a phenomenon located in space and time” and, instead, allowing it to “disappear from sight” while they engaged in speculations involving “the entire sweep of Western civilization.”³ Norbert Hinske criticized their “blindness […] towards all problems of conceptual history” and faulted them for projecting “enlightenment” – a concept that “is originally bound to a specific epoch” – back onto earlier periods.⁴ And Vincenzo Ferrone dismissed the book as “entirely philosophical in nature” and devoid of “noteworthy references to the Enlightenment as a historical period.” He concluded that these “two Aufklärer”, “deeply affected by the tragic events of the 1930s and 40s”, had wound up producing a “veritable ‘black book’ of modernity” that would provide “many generations of activists and reactionaries alike, both leftand right-wing, as well as the architects of the Vatican’s cultural project […] with

 Gay, “The Living Enlightenment”, 69 – 90, 75.  Gay, “The Living Enlightenment”, 76 – 78.  Darnton, George Washington’s False Teeth, 15.  Hinske, Was ist Aufklärung?, xiii – xv: “[…] die Blindheit der Autoren gegenüber allen Problemen der Begriffsgeschichte, der Verwendung des Begriffs Aufklärung, die ja ursprünglich an eine bestimmte Epoche gebunden ist, als geschichtsphilosophische Grundkategorie, die unkontrollierte Rückverlagerung des Begriffs auf frühere und früheste Epochen […].” Translations, unless indicated otherwise, are mine. https://doi.org/10.1515/9783110555004-002

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an arsenal of ideas and suggestions that could be deployed without too much concern for historical accuracy.”⁵ Criticisms such as these assume that Horkheimer and Adorno were engaged in a critique of the Enlightenment that failed, in large part, because their critique never came to grips with the Enlightenment.⁶ In what follows, I will argue that Horkheimer and Adorno’s apparent lack of concern with the Enlightenment suggests that Dialectic of Enlightenment was something other than yet another critique of the Enlightenment. I will take, as my point of departure, the difficulties that English translators have had with the word Aufklärung.

1 Enlightenment, the Enlightenment, and the Dialectic of Enlightenment Horkheimer spent the end of October 1946 proofreading the galleys of Eclipse of Reason. In a letter to Leo Löwenthal, who would be responsible for conveying Horkheimer’s corrections to the publisher, he emphasized the importance of remedying certain inconsistencies that he had noted in the capitalization of the word “Enlightenment.” After marking the places in the galleys “where enlightenment must get a capital E”, he explained to Löwenthal that the capital letter should be used “only for the cases in which Enlightenment means the philosophical movement and is not equivalent to information.”⁷ Horkheimer’s decade in the United States had taught him the difference between “enlightenment” – a term that refers to a process by which individuals convey information, share insights, educate each other, etc. (e. g. “Let me enlighten you about the difference between the treatment of nouns in English and German”) – and “the Enlightenment” a term that (when capitalized and preceded by “the”) refers to a philosophical movement or historical period. That English readers, when faced with the words Dialektik der Aufklärung, find themselves inclined to invoke this distinction explains why, prior to – and, indeed, even after – the publication of the first English translation of Horkheimer and

 Ferrone, The Enlightenment: History of an Idea, 30 – 33.  I am guilty of making a similar criticism at the close of the introduction to my What Is Enlightenment?, 29.  Letter to Leo Löwenthal of Nov. 1, 1946, Leo Löwenthal Papers, Houghton Library, Harvard University, bMS Ger 185 (47), Folder 30.

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Adorno’s book, it is possible to find occasional references to a work called Dialectic of the Enlightenment. ⁸ The 1942 Handbook for Columbia University’s course on Contemporary Civilization framed the distinction Horkheimer was making as a contrast between “generic” and “specific” meanings of the word. In its “generic” usage (i. e., the uncapitalized “enlightenment”) the word designates that attitude or process which recognizes no authority but the authority of the free individual. In this sense of the word, there are no dates which, conveniently, mark off the beginning or the end of a period of enlightenment.

In contrast, in its “specific” sense (i. e., the Enlightenment), the word referred to “that period in European history – corresponding roughly to the eighteenth century – in which there emerged a peculiar consciousness of the role and promise of ‘enlightenment’ in matters of morals, religion, and politics.”⁹ Horkheimer and Adorno would make much the same distinction in the lectures they delivered at Frankfurt after they returned from their American exile. For example, Horkheimer began a 1959/60 course on the Enlightenment by observing: The concept of enlightenment has two meanings. First, it means that philosophical movement in England, France, and Germany, which developed a particular theory of knowledge that it turned against the dominant theological viewpoints, which in France prepared for a revolution, and in Germany provided the prelude to German idealism. In the second crucial meaning, one understands by enlightenment the entirety of philosophical thought that since the Greeks which has, in contrast to mythology, led the battle to achieve clarity in its own representations in the sense that concepts and judgments should be understandable to all.¹⁰

 See, for example, Jay, The Dialectical Imagination, 253, and Howard, “A Politics in Search of the Political”, 279. For a more recent example, see Knights, The Enlightenment, 40.  Contemporary Civilization Staff of Columbia College, Manual for the Study of Contemporary Civilization, I, 3.  Horkheimer, Gesammmelte Schriften, XIII, 571 („Der Begriff der Aufklärung hat zwei Bedeutungen. Einmal meint er jene philosophische Richtung in England, Frankreich und Deutschland, die eine bestimmte Erkenntnistheorie ausgebildet hat, die gegen die herrschenden theologischen Ansichten sich wendet, die in Frankreich eine Revolution vorbereitet, in Deutschland den Auftakt zum deutschen Idealismus gegeben hat. In der zweiten, entscheidenderen Bedeutung versteht man unter Aufklärung das gesamte philosophische Denken, das, im Gegensatz zur Mythologie, den Kampf darum führt, Klarheit in die eigenen Vorstellungen zu bekommen in dem Sinne, daß die Begriffe und Urteile für jeden einsichtig sein sollen.“).

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Discussing Kant’s relationship to the Enlightenment in his 1963 Frankfurt lectures on moral philosophy, Adorno explained that he was “taking the liberty of using the term ‘enlightenment’ in the comprehensive meaning given to it” in Dialectic of Enlightenment, where the term had been used “to describe the general trend of Western demythologization that may be said to have begun in Greek philosophy.”¹¹ The distinction between ‘generic’ and ‘specific’ usages can also be found in their pre-exile writings, with Horkheimer tending to use the term to refer to a specific historical period and Adorno favoring a broader usage. As might be expected, Horkheimer’s discussion of the Enlightenment in his 1927 lectures on the history of modern philosophy employed the term in its “specific” sense.¹² In contrast, Adorno’s unsuccessful 1927 Habilitationschrift began: Enlightenment is the intent of this work, enlightenment in a double sense, in the first place, the enlightenment of a problematic concept, but also enlightenment as a goal in the fuller sense conveyed by the history of the concept: the destruction of dogmatic theories and the development, in their place, of theories that are grounded in experience and which are, for experience, indubitably certain.

He went on to observe that, since his concern was “epistemological, not historical”, he saw no need to elaborate “the concept of enlightenment, in whose service we place ourselves.”¹³ There is, however, one text in which the distinction between generic and specific senses of the concept is considerably more difficult to draw. That text, of course, is Dialektik der Aufklärung. German readers are by now accustomed to navigating a work that requires them to decide – depending on the particular context in which the term is deployed – whether Aufklärung refers to a historical period or a transhistorical process. In contrast, readers of the English translations of the book are presented with a text in which this choice has been

 Adorno, Problems on Moral Philosophy, 65.  Horkheimer, Gesammelte Schriften, IX, 346 – 400.  Adorno, Gesammelte Schriften, I, 81: “Aufklärung ist die Absicht dieser Arbeit, Aufklärung in doppeltem Sinne, die Aufklärung eines problematischen Begriffes zunächst, dann aber auch Aufklärung als Ziel in der umfassenderen Bedeutung, die Geschichte dem Begriff verleiht: Destruktion dogmatischer Theorien und Bildung von solchen an ihrer Stelle, die in Erfahrung gründen und für Erfahrung zweifelsfrei gewiß sind.” Adorno’s treatment of enlightenment as an epistemological, rather than an historical category, may have been gesture towards Hans Cornelius’ own understanding of philosophy as a “striving towards ultimate clarity.” See Cornelius, Einleitung in die Philosophie, 6 – 7.

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made for them by the translator. A glance at the third paragraph of the opening chapter helps to clarify the choices that have to be made. In the course of an account of how the “disenchantment of the world” culminates in a “corrosive rationality” that suspects anything that “does not conform to standard of calculability and utility”, the word Aufklärung appears five times: 1. Die Aufklärung aber erkannte im platonischen und aristotelischen Erbteil der Metaphysik die alten Mächte wieder und verfolgte den Wahrheitsanspruch der Universalien als Superstition. 2. Was dem Maß von Berechenbarkeit und Nützlichkeit sich nicht fügen will, gilt der Aufklärung für verdächtig. 3. Das rührt daher, daß Aufklärung auch in den Mythen noch sich selbst wiedererkennt. 4. Auf welche Mythen der Widerstand sich immer berufen mag, schon dadurch, daß sie in solchem Gegensatz zu Argumenten werden, bekennen sie sich zum Prinzip der zersetzenden Rationalität, das sie der Aufklärung vorwerfen. 5. Aufklärung ist totalitär.¹⁴

Presumably guided by the absence of an article at the start of the final example and, perhaps, seeking to reproduce its brutal concision, both John Cumming’s 1972 translation and Edmund Jephcott’s 2001 translation render the final sentence as “Enlightenment is totalitarian” (it no doubt helps that Aufklärung occurs at the start of the sentence). They both employ the definite article in translating the first and second occurrences, presenting English readers with what would appear to be claims about “the Enlightenment.” In the third example, they both agree that it is “enlightenment” – rather than “the Enlightenment” – that recognizes itself in myths. They disagree in their treatment of the fourth example. Cumming’s translation has these unnamed critics reproaching the period known as “the Enlightenment”, while, in Jephcott’s translation, it is “enlightenment” rather than “the Enlightenment” that “stands accused.”¹⁵ The choices translators have to make in deciding whether Aufklärung should be rendered as “enlightenment” or “the Enlightenment” are similar to the difficulties the text presents to German readers. Aside from a solitary appearance of the circumlocution “Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts” later in the opening chapter, neither readers nor translators can be entirely sure whether

 Horkheimer, Gesammelte Schriften, V, 28.  Horkheimer and Adorno, Dialectic of Enlightenment, (Cumming translation), 6; Horkheimer and Adorno, Dialectic of Enlightenment, (Jephcott translation), 3 – 4.

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Horkheimer and Adorno are invoking a discrete historical period or a movement of thought that has no clear historical boundaries. These ambiguities mitigate at least some of the criticisms that have been leveled at the book. In those cases when Horkheimer and Adorno would appear to be making implausible claims about the Enlightenment, it is worth asking whether, perhaps, their critics have confused a claim about “enlightenment” with a claim about “the Enlightenment”. For example, in the examples just discussed, it does not make much sense to think that those thinkers we associate with “the Enlightenment” would have viewed Plato’s doctrine of the forms as having a relationship with the gods of Greek mythology. But it is not at all implausible to think that “the Enlightenment” might be accused of unleashing a corrosive rationality on the world. Indeed, familiarity with that charge may help to explain why some readers come away from the book thinking that Horkheimer and Adorno were among those who leveled it. It is, however, precisely at the moment when Horkheimer and Adorno invoke “the Enlightenment of the eighteenth century” that we can see most clearly how the specific and generic uses of the term can sometimes blend into one another. The sentence in question reads “Unaufhaltsam ist nicht bloß die Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts, der Hegel es bestätigte, sondern, wie kein anderer es besser wußte, die Bewegung des Gedankens selbst.”¹⁶ The parallel that Horkheimer and Adorno, drawing on Hegel, suggest between the particular enlightenment of the eighteenth century and the broader movement of thought itself had been anticipated in the discussion that joins the second and third invocations of Aufklärung discussed above. Once the principles of calculability and utility have become the measure of all things, the progress of enlightenment becomes inexorable: any resistance that it encounters only makes it stronger. At this point in the text, the reader encounters a footnote to a section of Hegel’s Phenonomenology of Spirit, a section that carried the laconic title “Die Aufklärung”. It should come as no surprise that Hegel’s English translators have not been entirely sure about how to translate this.

 Horkheimer, Gesammelte Schriften, V, 42; Cumming translates the passage “It is not merely the Enlightenment of the eighteenth century that, as Hegel confirmed, is relentless but – as no one knew better than he – the advance of thought itself”, p. 20. Jephcott renders it “Not only is the Enlightenment of the eighteenth century inexorable, as Hegel confirmed: so, too, as none knew better than he, is the movement of thought itself.”, 15.

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2 Beginning with the First Human Thought Horkheimer and Adorno referred their readers to a passage in the Phenomenology that comes at the culmination of a series of allusions, paraphrases, and occasional quotations from Rameau’s Nephew, that most audacious of eighteenthcentury texts. In this section of the Phenomenology Hegel was concerned with the latest, and most fully developed form, of the “modes of the negative conduct of conscious” that he has been tracing in earlier sections of the book: a form that he designated as “reinen Einsicht, und ihrer Verbreitung, der Aufklärung.” In his 1910 translation of the Phenomenology J. B. Baillie translated this as “pure insight and the expansion of pure insight – enlightenment”; in 1977, A. V. Miller opted for “the Enlightenment.” The word Aufklärung had presented a stumbling block for Hegel’s earliest English disciples.¹⁷ Nineteenth-century translators either relied on what they found in the existing German-English dictionaries, translating it as “the clearing-up” or “the Illumination”. John Sibree’s 1861 translation of Hegel’s Lectures on the Philosophy of History used a French word that had briefly become popular in English: éclaircissement. ¹⁸ And James Hutchison Sterling, convinced that there was no English word that captured Hegel’s meaning, opted to leave Aufklärung untranslated in his Spirit of Hegel, the first English study of Hegel’s thought.¹⁹ While the formulation “the Enlightenment” was not unknown in 1910 (its earliest appearances date from the end of the 1880s), Baillie opted to leave the term in lower case and avoided the definite article, presumably because he recognized that Hegel was describing the movement of a form of consciousness – in other words, a process – rather than a historical period. But over the next century, the temptation to render the term as “the Enlightenment” became irresistible. Horkheimer quoted this part of the Phenomenology in a letter to Friedrich Pollock, dated May 7, 1943 and written in response to a memorandum Pollock had sent him that summarized a discussion conducted at the New York branch of the Institute. After praising the summary, Horkheimer reflected on the title that Pollock had chosen: La trahison des clercs. The title is ominous. I don’t know whether you ever read the book with that name by Benda. It is an outstanding document of the most contemptible kind of conformism.

 See my “Inventing the Enlightenment”, 421– 423.  Hegel, Lectures on the Philosophy of History, 456.  Stirling, The Secret of Hegel; for an explanation of his rationale, see Stirling, Jerrold, Tennyson and Macaulay, 120 – 121.

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Around 1927 I predicted the author’s intelligence with Fascism and in the meantime he proved more than once that I was right.²⁰

Julien Benda had used the term “clerks” in his 1927 book to refer to those who eschew “the pursuit of practical aims” and instead are engaged in “the practice of an art or science or metaphysical speculation, in short in the possession of any non-material advantages.”²¹ Their alleged “treason” resides in their having abandoned their detachment from worldly matters and having begun instead to “play the game of political passions.”²² The Enlightenment played only a minor role in Benda’s account and his treatment of it was somewhat inconsistent. He argued that when Voltaire “fought for the Calas family” he was performing the function of the clerk in its “fullest and noblest manner.”²³ Yet he saw Diderot as having betrayed the lofty (if somewhat detached) humanitarianism of the great “patricians of the mind” such as Erasmus, Malebranche, and Spinoza by replacing their “intellectual discipline” with what Benda dismissed as “sentimental exultation.”²⁴ Horkheimer was unimpressed by Benda’s argument. While conceding that “the participation of intellectuals in the apparatus of domination has always been more repugnant and more contradictory than that of other people”, he was not at all persuaded that their “downhill grade” had been “steeper than that of other strata”. In any case, he was convinced that the participants in the New York discussion were oblivious to the possibility that something more was at work here than the “treason” of individual “clerks”. The process to which they should refer instead is the one which I have been dealing with during the last two years […]: the process of enlightenment as it was marked out in the first thought a human being conceived, that same process of which Hegel says that if started it is irresistible.²⁵

At this point he quoted the passage from Hegel’s Phenomenology that he would later cite in the opening chapter of Dialectic of Enlightenment. The passage that Horkheimer quoted comes at the moment when Hegel adopts an analogy that Diderot had used in Rameau’s Nephew and employs it

     

Horkheimer, Gesammelte Schriften, XVII, 445. Benda, The Betrayal of the Intellectuals, 30. Benda, The Betrayal of the Intellectuals, 31. Benda, The Betrayal of the Intellectuals, 36. Benda, The Betrayal of the Intellectuals, 61– 62. Horkheimer, Gesammelte Schriften, XVII, 446.

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to describe the spread of “pure insight”. In Diderot’s dialogue, Rameau had likened the strategy that Catholic missionaries used to undermine belief in local gods to the diffusion of perfume in a room or the spread of a disease through an infected body. Reworking Goethe’s translation of Diderot’s text, Hegel applied the analogy to the spread of pure insight: The struggle is too late, and all the remedies taken only make the disease worse, for the disease has seized the very marrow of spiritual life […]. For that reason, there is no force within it that could prevail over the disease.²⁶

Horkheimer, in turn, employed Hegel’s appropriation of Diderot as a way of capturing the relentless and irresistible advance of enlightenment. But the discussion of enlightenment that Horkheimer and Adorno offered in Dialectic of Enlightenment differed in one crucial respect from the one Hegel provided in the Phenomenology. It is possible, though sometimes difficult, to find historical referents for Hegel’s account of the struggle between “enlightenment” and “superstition”. In contrast, Horkheimer and Adorno’s “enlightenment” does not refer to a process that begins in the late seventeenth or early eighteenth century. As Horkheimer explained to Pollock, it is “marked out in the first thought a human being conceived”. The “irresistible” advance of enlightenment and the development of human thought are one and the same.

3 No Way Back Benda used a quote from Charles Bernard Renouvier (one of his prime examples of a “clerk” who had resisted the temptation to defect to the party of success) as the epigram for La trahison des clercs: “The world is suffering from lack of faith in a transcendent truth.” The fate of truth was also a concern of Dialectic of Enlightenment and it would loom even larger in Horkheimer and Adorno’s plans for its sequel: a book tentatively titled Rettung der Aufklärung. It also figured in the suggestion, in one of Horkheimer’s earliest sketches of the themes that he hoped to develop with Adorno, that “Perhaps the notion that one can ‘make use of the

 Hegel, Phenomenology of Spirit, §545 (Terry Pinkard translation http://terrypinkard.weebly. com/phenomenology-of-spirit-page.html); Werke in zwanzig Bänden, III, 403: “Sowie daher die reine Einsicht für das Bewußtsein ist, hat sie sich schon verbreitet; der Kampf gegen sie verrät die geschehene Ansteckung; er ist zu spät, und jedes Mittel verschlimmert nur die Krankheit, denn sie hat das Mark des geistigen Lebens ergriffen […]; es gibt darum auch keine Kraft in ihm, welche über ihr wäre.”

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truth’ (Hitler) instead of fulfilling it (Jesus) is the secret conflict of modern society.”²⁷ In a 1939 letter explaining the work of the Institute to Robert Maynard Hutchins, the president of the University of Chicago, Horkheimer summarized the problem this way: If one had to give a quick rough characterization of the complicated process of the breakdown of culture in recent decades – its ultimate causes in every field will be found to go back to the Renaissance – one might say that passionate and unconditional interest in truth has been replaced by an interest in “success”.²⁸

When framed in this way, it is all too easy to suppose that Horkheimer and Adorno were advancing an argument that had long enjoyed support among conservative critics of the Enlightenment: the idea that the Enlightenment had given rise to a process of criticism that, by undermining traditional values while, at the same time, casting doubt on its own proposed alternatives, ultimately culminates in nihilism. Variants of this argument can be found in a number of other émigré intellectuals – for example, the political philosophers Leo Strauss and Erich Voegelin – who attributed the triumph of National Socialism to the corrosive effects of the Enlightenment. Max Weber’s account of the “disenchantment of the world” – which Horkheimer and Adorno invoked at the start of Dialectic of Enlightenment – served as a common point of reference and, behind Weber loomed the figure of Friedrich Nietzsche, whose parable of the madman who goes searching for God culminated in a passage suggesting that the progress of enlightenment only serves to plunge the world into an ever-increasing darkness. The temptation to see Dialectic of Enlightenment as yet another example of this line of argument is almost irresistible and some of the ways in which Horkheimer summarized the argument of the book – most notably, his 1947 English précis Eclipse of Reason – only reinforced the temptation.²⁹ If the corrosive march of “the Enlightenment” reduces truth to success, then it would appear that the

 Horkheimer, Gesammelte Schriften, XVII, 24– 25 (“Vielleicht ist die Vorstellung, daß man sich die Wahrheit ‚zu nutze machen‘ kann (Hitler), anstatt sie zu erfüllen (Jesus) der geheime Konflikt der modernen Geschichte.”).  Horkheimer, Gesammelte Schriften, XVI, 536– 537.  This tendency can be seen even in such otherwise helpful studies as Katznelson, Desolation and Enlightenment, 35 – 39 – which groups Strauss and Horkheimer under the general category of “rejectionist” critics of the Enlightenment – and Garrard, Counter-Enlightenments, 93 – 94 – which sees Horkheimer, Adorno, and Voegelin as part of a “generation of intellectuals” who argued that “it was not the absence of reason that best explained the political tragedies of twentieth-century Europe, but its perversion by the Enlightenment.”

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only recourse would be to find a way back to a time when the disease had yet to begin its spread. Peter Gay’s suggestion that there was an affinity between the argument of Dialectic of Enlightenment and works like Jacob Talmon’s Origins of Totalitarian Democracy (1952) may have been influenced by Gay’s having begun his career with a series of spirited defenses of the Enlightenment against various “new conservative” critics of the Enlightenment.³⁰ But Horkheimer and Adorno had cut off the possibility of finding a foothold in earlier traditions that had yet to be contaminated by the “irresistible” progress of enlightenment. If enlightenment began with the “first human thought”, then – for better or worse – it was not only inexorable; it would also appear to be unavoidable. The projection of the dialectic of enlightenment back into human prehistory explains both the limited role that thinkers associated with “the Enlightenment” wound up playing in the book and the increasing importance of the concepts of myth and mimesis within it. The book Horkheimer planned on writing when he set out for California was quite different from the one he wound up writing with Adorno. On November 10, 1941 – about a week before leaving New York to join Horkheimer in Los Angeles – Adorno informed Horkheimer that he had finally been able to read Geoffrey Gorer’s book on the Marquis de Sade, a book that he thought might be useful for their work on “the dialectic of enlightenment or the dialectic of culture and barbarism.”³¹ The next day, Herbert Marcuse – who had been working with Horkheimer in Los Angeles – wrote Horkheimer and, after reporting that he was in the process of reconciling himself to remaining on the East Coast while Adorno completed the work that he had begun with Horkheimer, noted that he had picked up a “little book on utopia in the Enlightenment” that he would send to Horkheimer: Carl Becker’s Heavenly City of the Eighteenth-Century Philosophers. ³² While Sade eventually found a home in Dialectic of Enlightenment, Carl Becker would not. During the winter of 1941– 1942 Horkheimer and Adorno reworked the hundred-page manuscript on the “history of the concept of reason” that Horkheimer had written prior to Adorno’s arrival into an article that appeared in the Institute’s memorial volume for Walter Benjamin under the title “Vernunft und Selbsterhaltung” and in the final volume of the Institute’s journal as “The End of Reason.” The manuscript brought together two concerns that had dominated

 See, for example, Gay’s review of Russell Kirk, “The Conservative Imagination” and, more generally, his article “The Enlightenment in the History of Political Theory”.  Horkheimer, Gesammelte Schriften, XVII, 211 (“die Dialektik der Aufklärung oder die Dialektik von Kultur und Barbarei”).  Horkheimer, Gesammelte Schriften, XVII, 214 (“ein kleines Buch über Utopien der Aufklärung”). He erroneously wrote the title as The Heavenly City in Eighteenth Century Philosophy.

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Horkheimer’s writings in the latter part of the 1930s – the destruction of autonomous individuality and the withering of the critical capacities of reason – and argued that they were two aspects of the same process. As the fate of individuals fell under the control of forces they could no longer comprehend, the struggle for self-preservation turned into an attempt to “abandon the ego and somehow carry on without it.”³³ In those authoritarian forms of rule that were everywhere on the rise, “rational argumentation loses its force.” All that is now required from subjects is “factual knowledge, the automaton ability to react correctly.”³⁴ The eradication of individuality mirrors tendencies that could be seen in the history of philosophy, where – “following out its own principles” – rationalism had fallen prey to a corrosive skepticism that stripped reason of all objective content.³⁵ Ultimately, reason was reduced to a strategy of self-preservation, a strategy that “boils down to an obstinate compliance […] indifferent to any political or religious content.”³⁶ This argument dominated the one part of Dialectic of Enlightenment that Horkheimer completed with little collaboration with Adorno: the book’s second excursus, “Juliette, or Enlightenment and Morality”. The only part of Dialectic of Enlightenment that deals at any length with eighteenth-century thinkers, it also hews most closely to the conservative view that the Enlightenment culminated in a nihilism that eviscerates the normative commitments that defined its project in the first place. Within the overall structure of Dialectic of Enlightenment, Horkheimer’s account of Sade and Kant – which had initially carried the title “Enlightenment and Morality” – serves as an excursus on the second half of the argument that had been elaborated in the book’s opening chapter: the idea that “enlightenment falls back into myth.” It has little to say about the other half of the argument: “myth is already enlightenment.” That theme would be taken up in Adorno’s excursus “Odysseus on Myth and Enlightenment”.³⁷

 Horkheimer, “The End of Reason”, 384; Gesammelte Schriften, XVII, 345.  Horkheimer, “The End of Reason”, 378; Gesammelte Schriften, XVII, 338.  Horkheimer, “The End of Reason”, 366 – 367; Gesammelte Schriften, XVII, 320 – 321.  Horkheimer, “The End of Reason”, 374; Gesammelte Schriften, XVII, 332.  The excursus on Odysseus was a relatively late addition to the book. In his letter to Ruth Nanda Anshen of March 3, 1943, Horkheimer reported that “Three chapters are now completed, one on MYTHOLOGY AND ENLIGHTENMENT, the other on ENLIGHTENMENT AND MORALS, and a third on MASS CULTURE. An interlude on the adventures of Odysseus as the great incarnation of Enlightenment is in the making.” The letter’s characterization of the excursus on Sade and Kant as a “chapter” and the discussion of Odysseus as an “interlude” may be significant. In a letter to Horkheimer dated June 17, 1944 (http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/horkheimer/ content/pageview/6329122), Löwenthal stated that he carried out a “reorganization” of the table of contents that had appeared in the version of the Philosophische Fragmente that had been pre-

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Horkheimer and Adorno had engaged in extensive discussions of the relationship between myth and enlightenment prior to Horkheimer’s departure for Los Angeles.³⁸ In the course of a discussion of the Oedipus myth, Adorno suggested that “The threshold from myth [Mythos] to maturation [Mündigwerden] is the site of tragedy” and proposed that myths might be seen as an attempt “in the stage of mankind prior to individualization, to find words for that for which language has no words.”³⁹ They represent, in other words, one of the earliest attempts at enlightenment. During the summer of 1942, Horkheimer asked Löwenthal to send the Institute’s volumes of L’année sociologique – particularly the one containing Hubert and Mauss’s theory of magic – to California.⁴⁰ The fruits of Horkheimer’s renewed interest in the relationship between myth and enlightenment would be reflected in the work that he and his co-author presented to Friedrich Pollock two years later. The Philosophische Fragmente had much to say about the intertwining of myth and enlightenment and the relationship of magic and mimesis, but its discussion of the Enlightenment was confined to Horkheimer’s excursus on Sade and Kant. It is hardly surprising, then, that Gay, Darton, Hinske, and Ferrone had difficulties understanding what this book had to do with the Enlightenment. What had begun as a book on the troubled legacy of the Enlightenment had turned into a study of the fatal intertwining of myth and enlightenment. Had Horkheimer and Adorno viewed myth and enlightenment as opposites, Dialectic of Enlightenment would have offered the argument that many of its readers have assumed it provided. If the book is seen as tracing the pathologies that result from the triumph of “formal” modes of rationality over “substantive” forms, it would make sense to suppose that a remedy for the maladies it diag-

sented to Friedrich Pollock at the end of May. While it is, however, not clear what the original organization of the book might have been, it is conceivable that Löwenthal may have proposed that the discussions of Sade and the Odysseus be presented as “excurses”.  The discussions, which began on January 3, 1939 and concluded on April 5, 1939, were transcribed by Gretel Adorno and have been published in Horkheimer, Gesammmelte Schriften, XII, 436 – 492.  Horkheimer, Gesammelte Schriften, XII, 453 – 455 (“Die Schwelle vom Mythos zum Mündigwerden ist der Ort der Tragödie. […] Die Mythen sind Versuche, für das vorindividuelle Stadium der Menschheit, für das in der Sprache keine Worte sind, Worte zu finden.”).  Letter to Leo Löwenthal of July 22, 1942, Leo Löwenthal Papers, Harvard University Folder 12. Mauss’ “Esquisse d’une théorie générale de la Magie” was first published in L’Année sociologique 7 (1902– 1903), 1– 146, and is cited in Horkheimer, V, 37– 38. The other volume Horkheimer requested contained Durkheim and Mauss’ “De quelques formes primitives de classification”, L’Année sociologique 6 (1901– 1902), 1– 72, which is cited in Horkheimer, Gesammelte Schriften, V, 44.

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nosed would involve a retreat to a form of reasoning that had yet to be contaminated by the baleful consequences of formal rationality. In such accounts, “the Enlightenment” marks the point where things began to turn incomparably worse: hence the need to resuscitate earlier forms of reasoning. But, by pushing the category of enlightenment well beyond the boundaries of the eighteenth century and locating its origins deep in human prehistory, Horkheimer and Adorno had cut off any hope of finding, in an earlier age, an escape from the “irresistible” force of enlightenment. Conservative critics of the Enlightenment could entertain the illusion that a return to earlier modes of thought might serve as a remedy for the woes that had befallen the modern world. But, for Horkheimer and Adorno, there was no turning back.

4 Fear, Hope, and Domination There was, however, at least one early reader of Dialectic of Enlightenment who was not at all perplexed by the expansive account of enlightenment that the book offered. The Stuttgart philosopher Max Bense, the author of one of the few initial reviews of the book, argued that its account of the Enlightenment had not been expansive enough. Because it ignored the contributions of Diderot and Condorcet, he maintained that it had provided a “one-sided” conception of enlightenment that had been overly influenced by Francis Bacon.⁴¹ The result was an essentially “feudalistic” account of enlightenment that focused on the concepts of “fear”, “domination”, and “totalitarianism” and, hence, failed to appreciate the degree to which enlightenment was a concept that transcended historical periods and had been defined differently in the eighteenth, nineteenth, and twentieth centuries than in the sixteenth and seventeenth centuries.⁴² Nor did Bense find the book’s focus on the relationship of myth and enlightenment particularly puzzling. It reminded him of two previous studies: Wilhelm Nestle’s Vom Mythos zum Logos (1940) and Bruno Snell’s Entdeckung des Geistes (1946). As he saw it, Horkheimer and Adorno were attempting to bring a “sociological” approach to bear on questions that Nestle had approached from the perspective of a “philosophy of history” and Snell had analyzed from the standpoint of the “history of language”. Bense was right to think that there was nothing peculiar about a conception of enlightenment that traced its origins back to Greek antiquity. In his Berlin lec-

 Bense, “Hegel und die kalifornische Emigration”, 118 – 125.  Bense, “Hegel und die kalifornische Emigration”, 122.

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tures on the history of philosophy Hegel had likened the thought of the Sophists to the “so-called enlightenment” of more recent times.⁴³ Later historians of philosophy followed his lead. The analogy was taken up by Schwegler in his histories of philosophy and the drawing of such parallels continued down to Wilhelm Capelle’s 1935 collection of Pre-Socratic texts, which grouped selections from the Sophists, Democritus, and the younger Pythagoreans under the heading “The Age of the Greek Enlightenment”.⁴⁴ The convention was so well-established that the classicist Karl Reinhardt – one of Adorno’s teachers – began a series of lectures on Plato with the observation that the predominance of “understanding” [Verstand] over all others forms of thought in Athens at the close of the fifth century explained why this period in Greek thought had come to be designated as “Sophistic or Enlightenment”.⁴⁵ Such comparisons date back to the Enlightenment itself. The discussions of the history of philosophy that Diderot scattered throughout the Encyclopédie take their point of departure from Greek antiquity, the age that first mounted a concentrated assault on superstition and myth and, in doing so, produced the first philosophes worthy of the name. D’Alembert made much the same point in the “Preliminary Discourse” to the Encyclopédie. Moses Mendelssohn’s response to the question “What is enlightenment?” cited the ancient Greeks as a model of a people who had managed to be both cultured and enlightened, while Hamann, in his Socratic Memorabilia of 1760, equated the Berlin enlightenment with the Sophists, a move that allowed him to assume the mantle of Socrates. Finally, the “feudal” conception of enlightenment that Bense found in Dialectic of Enlightenment – a conception that he saw as responsible for the connections that Horkheimer and Adorno drew between “fear”, “domination”, and “totalitarianism” – also had important precedents within the Enlightenment. The idea that belief in God was the consequence of human fear of the overwhelming power of nature united the various representatives of the so-called “radical enlighten-

 Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke, XVIII, 410.  Schwegler, Geschichte der griechischen Philosophie, 88; Schwegler, Geschichte der Philosophie im Umriss, 27; Capelle, Die Vorsokratiker. Johann Gustav Droysen likewise saw the Sophists as constituting a “Hellenic Enlightenment”; see, Kleine Schriften zur Alten Geschichte, II, 66. Nestle devoted a chapter of Vom Mythos zum Logos to a discussion of the “diffusion and impact of the philosophical sophistic enlightenment” (Nestle, Vom Mythos zum Logos, 486 – 528: “Verbreitung und Wirkung der philosophischen und sophistischen Aufklärung”).  Reinhardt, Platons Mythen, 12– 13: “Der Verstand, der über die Welt und Götter sich erhob, die Kunst, die über den Kult, der einzelne, der über den Staat und die Gesetze sich erhob, haben die mythische Welt zerstört. Alle drei Wandlungen, in Kunst, Religion und Staat, sind wieder Zeichen eines und desselben inneren Wandels, den man nach dem Überwiegen des Verstandes als Sophistik oder Aufklärung bezeichnet, ohne damit alles zu fassen.”

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ment”. The hope that an increasing mastery of nature might free humanity from this fear followed as an obvious corollary. As Horkheimer and Adorno explained in its Preface, the aim of their book was “not the conservation of the past but the fulfillment of past hopes”. Among the “past hopes” they were seeking to fulfill was the prospect that humanity might, at long last, free itself from the incessant fear that had driven the dialectic of enlightenment onward. There is a moment, toward the end of the opening chapter, when this bleakest of books takes a strangely utopian turn. With Bacon’s dreams of mastery fulfilled on a telluric scale the compulsion that had been driving the process forward at last begins to become clearer: “It was domination itself”.⁴⁶ The realization that humanity’s greatest fear issues from the domination that fear itself had bred carries with it the possibility that the “sovereignty of man” Bacon had promised might, at long last, be achieved. Though Dialectic of Enlightenment may have little to do with “the Enlightenment” that historians have studied, it has a great deal to do with its hopes.

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 Horkheimer, Gesammelte Schriften, V, 66 (“Es war Herrschaft selbst.”).

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Gunzelin Schmid Noerr

Zum werk- und zeitgeschichtlichen Hintergrund der Dialektik der Aufklärung 1 Kritik der regressiven Vernunft Die Dialektik der Aufklärung von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno setzt in der „Vorrede“ mit einer sprachlichen Geste der Verzweiflung ein – Verzweiflung über die engen Grenzen der eigenen Kräfte, den mörderischen Zustand der Welt, den schwindenden Sinn von Wissenschaft, den übermächtigen Warencharakter von Sprache und Kultur. Und doch regte sie seit ihrem Erscheinen, vor allem aber seit dem Ende der 1960er Jahre, immer wieder erneut dazu an, am aufklärerischen und selbstaufklärerischen Denken und Handeln gegen alle Tendenzen der Selbstzerstörung von Aufklärung festzuhalten. Eine solche Widersprüchlichkeit gehört zum Inhalt des Buches selbst, das Aufklärung mit den Mitteln ihrer rückhaltlosen Selbstkritik „retten“ will und zugleich um deren Gefährdungen weiß; eines Buches, das dazu einübt, Texte „gegen den Strich zu bürsten“, sie abweichend von den Intentionen ihrer Autoren zu interpretieren und zu benutzen, und mit dem dann selbst oft nicht anders verfahren wurde. Während manche Rezipienten die pointierten Thesen der Dialektik der Aufklärung in gesellschaftsverändernder Absicht auf ihre jeweilige Gegenwart projizierten, warfen ihm andere zeitweise vor, verantwortungslosen Aktivismus, ja Terrorismus zu schüren, dagegen wieder andere, zu fatalistischer Untätigkeit und romantischer Regression zu verleiten. Das aber waren allzu überschwängliche oder polemische Zuspitzungen. Um sie zurechtzurücken, waren und sind gründliche systematische und historische Forschungen erforderlich. Kritische Theorie versteht sich selbst in ihren Ursprüngen und Zielen als Ergebnis von gesellschaftlichen Erfahrungen. Die vorliegenden Ausführungen sollen einen Beitrag zu ihrer Rekonstruktion liefern, indem einige Zusammenhänge des werkgeschichtlichen und allgemeinen historischen Hintergrunds der Dialektik der Aufklärung dargestellt werden. Eine solche Vergegenwärtigung trägt indirekt auch zur Klärung der inhaltlich-systematischen Fragen bei. Hier sind freilich vielfältige Fehldeutungen möglich. So hat man den geschichtsphilosophischen Pessimismus des Buches auf die wahrhaft verzweiflungsvollen Erfahrungen unter dem siegreichen Nationalsozialismus zurückgeführt, um es damit zugleich als historisch überholt abzuschieben. Nur wurde dabei übersehen, dass das Buch „in einem Augenblick verfasst“ wurde, in dem https://doi.org/10.1515/9783110555004-003

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bereits „das Ende des nationalsozialistischen Terrors absehbar war“.¹ Der Pessimismus hatte offenbar eine breitere Grundlage als nur die aktuelle, militärisch fast schon niedergerungene Barbarei. Verfasst haben die Autoren das Werk zwischen 1939 und 1944 im amerikanischen Exil. Unter dem bescheidenen, die Unabgeschlossenheit betonenden Titel Philosophische Fragmente wurde es 1944 hektographisch vervielfältigt und in kleiner Auflage von 500 Exemplaren an Mitarbeiter, Freunde und Interessenten verteilt. 1947 erschien es dann im Druck im Amsterdamer Verlag Querido, dem bedeutendsten deutschen Exilverlag. Erst jetzt erhielt es den Titel Dialektik der Aufklärung, während die Bezeichnung Philosophische Fragmente zum Untertitel wurde. Hinsichtlich der Entwicklung der Frankfurter Schule stellt die Dialektik der Aufklärung das wichtigste Bindeglied dar zwischen dem interdisziplinären Materialismus der 1930er Jahre, wie er insbesondere durch die Aufsätze der Zeitschrift für Sozialforschung repräsentiert wird, und den teils kulturkritischen, teils empirischen Studien der Nachkriegszeit nach der Rückkehr Horkheimers und Adornos nach Deutschland. Damit nimmt diese merkwürdige Schrift eine Schlüsselstellung für das Verständnis der Kritischen Theorie ein. „Was wir uns vorgesetzt hatten“, heißt es in der „Vorrede“, „war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt.“² Dieser Satz konnte 1944 nur auf die Schrecken des vom Nationalsozialismus angezettelten globalen Krieges bezogen werden. Dass die Autoren ihn auch nach dessen Ende, in der Ausgabe von 1947, beigehielten, deutet auf die von ihnen avisierte Dimension der Vernunftkritik hin. War die weltweite Zerstörung des Lebens anthropologisch derart tief anzusetzen, wie in der Dialektik der Aufklärung behauptet, nämlich letztlich der projektiven Grundstruktur des menschlichen Denkens überhaupt zuzurechnen³, dann war auch der Rückfall in die Barbarei mit dem Ende des Krieges nur zeitweise und durch glückliche Umstände aufgehoben, und jederzeit war mit einem solchen, ob plötzlich oder schleichend, erneut zu rechnen. Dabei drohte nicht ein Rückfall in vorzivilisatorische Formen ungesteuerten Verhaltens, sondern in einen nach Machtinteressen kalkulierten, die ethische Vernunft aushebelnden Irrationalismus. Die in der modernen Gesellschaft gegängelte menschliche Natur konnte erneut zu einer destruktiven Rebellion gegen die zivilisatorischen Errungenschaften übergehen.

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 13.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 16.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 217 ff.

Zum werk- und zeitgeschichtlichen Hintergrund der Dialektik der Aufklärung

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Der Text der Dialektik der Aufklärung besteht aus fünf äußerlich nur wenig verbundenen Kapiteln, von denen zwei als historische ‚Exkurse‘ firmieren, sowie einer Reihe kürzerer ‚Aufzeichnungen und Entwürfe‘, gelegentlich mit ‚Zusätzen‘, deren Inhalte sich auf den ersten Blick einigermaßen heterogen ausnehmen. In der „Vorrede“ von 1944 verwiesen die Autoren außerdem noch auf eine Reihe weiterer, thematisch verwandter Arbeiten, nicht zuletzt auf die empirischen Studien zum Antisemitismus, die im und mit dem Institut für Sozialforschung seit 1939 durchgeführt wurden und in den fünf Bänden der Studies in Prejudice (veröffentlicht 1949/50) kulminierten. Diese Hinweise wurden für die Druckausgabe gestrichen, wodurch ebenfalls das Erscheinungsbild der Ausgabe von 1947 gegenüber dem von 1944 in Richtung eines in sich abgeschlossenen Textes verschoben wurde. Intern blieben sich die Autoren allerdings, wie ihre Briefe und Diskussionsprotokolle zeigen, der Vorläufigkeit ihrer Präsentation vollständig bewusst. Das theoretisch grundlegende Eingangskapitel ‚Begriff der Aufklärung‘ zeigt mit einem Gang durch die Geschichte der Denkformen und gesellschaftlichen Praktiken von der Magie bis zur entwickelten Wissenschaft, inwiefern die Zerstörung der bürgerlichen Ordnung durch den Faschismus nicht allein den Kräften der Gegenaufklärung, sondern der Aufklärung selbst – Aufklärung im Sinn „fortschreitenden Denkens“⁴ – zuzurechnen sei. Mit Max Weber interpretieren die Autoren die „Entzauberung“ der magisch, dann mythisch, dann religiös strukturierten Weltbilder durch das zunehmend wissenschaftlich orientierte Denken als Reduzierung der Vernunft auf instrumentelles Verfügungswissen. Jedoch bleiben sie nicht bei Webers heroisch-resignativer Feststellung der Verflüchtigung der normativen Vernunft stehen, sondern interpretieren dies als Widerstreit der Vernunft mit sich selbst, als eine Art Krankheit der Vernunft. Diese aber ist keineswegs ein unabänderliches Schicksal, vielmehr sind das reflexive Denken der Selbstaufklärung wie auch seine praktische Verwirklichung gerade bei fortgeschrittenen Produktivkräften jederzeit möglich. – Der ‚Exkurs I: Odysseus oder Mythos und Aufklärung‘ verfolgt die Entzauberung bis in die Zeit der Homerischen Epen, also in das 8. vorchristliche Jahrhundert zurück und zeigt an der Figur des Odysseus die Entstehung des über sich selbst und andere verfügenden Subjekts, das sich von der Vorherrschaft der mythischen Mächte befreit. Aber diese Befreiung geht einher mit Tendenzen von Selbstunterdrückung und Herrschaft. – Der „Exkurs II: Juliette oder Aufklärung und Moral“ thematisiert das Schicksal der Moral zwischen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts (Kant, de Sade) und ihrem End- und Verfallspunkt am Ende des 19. Jahrhunderts (Nietzsche).

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.

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Diagnostiziert wird eine Entmächtigung der praktischen Vernunft, die nicht mehr über ein tragfähiges Argument gegen den Mord zu verfügen scheint. – Im Kapitel ‚Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug‘ wird die zeitgenössische Kultur für die Massen (Unterhaltungsliteratur, Radio, Film) als imaginäre Flucht aus dem Alltag analysiert, die die Flüchtenden nur umso enger an diesen bindet. Im Vergleich mit der authentischen Kunst neutralisiert die Kulturindustrie das Glücksverlangen als entsagungsvolle Anpassung. – Das Kapitel über ‚Elemente des Antisemitismus. Grenzen der Aufklärung‘ liefert eine anthropologische und zivilisationstheoretische Grundlage des erwähnten empirischen Forschungsprojekts zum Antisemitismus. Dieser steht für den Hass der Zivilisierten auf diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer an das Misslingen der Zivilisation gemahnen. – Die Themen der abschließenden „Aufzeichnungen und Entwürfe“ stellt exemplarisch Aufklärungsdialektik in verschiedenen Bereichen der historischen Anthropologie, Politik, Moral, Wissenschaft und Gesellschaft dar.

2 Werkgeschichte Die Pläne zum Buch reichen bis in die Frankfurter Zeit zurück, sie werden in den erhaltenen Briefen und Materialien der 1930er Jahre immer wieder als Projektidee einer „Dialektischen Logik“ erwähnt. Die in der Zeitschrift für Sozialforschung erscheinenden Aufsätze zu sozialphilosophischen, ethischen und ästhetischen Themen sollten, wie Horkheimer zu Beginn seiner Institutsleitung formulierte, zu einer „Theorie des historischen Verlaufs der gegenwärtigen Epoche“⁵ hinführen und dem Dialektik-Projekt mehr oder weniger zuarbeiten. An dieser Idee hielt er auch noch ein Jahrzehnt später fest, als er in einem Brief an Leo Löwenthal über seine Arbeit am Buch emphatisch formulierte: „Aus dem, was da zustande kommt, soll rückwirkend der Sinn unserer früheren Arbeit, ja unserer Existenz erst deutlich werden.“⁶ Ende der 30er Jahre verfasste Horkheimer zum Dialektik-Projekt zunächst einige kürzere Texte, ein Teil davon sollte dann später als „Aufzeichnungen und Entwürfe“ den Weg in die endgültige Publikation finden. 1941 beteiligten sich mehrere Institutsmitglieder an US-Regierungsprogrammen zur Exploration des Totalitarismus und später des kulturellen Wiederaufbaus in Deutschland. Das verschaffte Horkheimer zugleich die Möglichkeit, den Umfang der eigentlichen Institutsarbeit zu verkleinern und sich selbst daraus teilweise zurückzuziehen,

 Horkheimer, „Vorwort“ zu Heft 1/2 des I. Jahrgangs der Zeitschrift für Sozialforschung (1932), 38.  Horkheimer, „Brief an Leo Löwenthal“, 29.11.1941, Briefwechsel 1941 – 1948, 224.

Zum werk- und zeitgeschichtlichen Hintergrund der Dialektik der Aufklärung

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um sich dem Dialektik-Projekt zu widmen. 1941 übersiedelte er, nicht zuletzt mit dem Ziel der intensivierten Arbeit am Buch, von New York nach Los Angeles, noch im selben Jahr folgte ihm Adorno dorthin. Dabei kreisten die Überlegungen längere Zeit darum, welche inhaltlichen Schwerpunkte bei der Durchführung und Plausibilisierung der „Dialektischen Logik“ gewählt werden sollten. Bei der Konzeption des Dialektik-Projekts lässt sich zwischen einer logischmethodologischen und einer inhaltlich-exemplarischen Ebene unterscheiden. In ersterer Hinsicht ging es zunächst um eine Weiterarbeit an den philosophischen Grundlagen des Historischen Materialismus. In diesem Rahmen waren geistige und kulturelle Erzeugnisse in ihrer Abhängigkeit von den ökonomischen und sozialen Strukturen und Prozessen zu interpretieren. So erforderte auch die Kritik philosophischer Begriffe und Theorien einen Bezug zur Realgeschichte. Dabei galt es jedoch, krude Ableitungen und klassenmäßigen Zuordnungen, wie sie bei manchen materialistischen Philosophie- und Literaturhistorikern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht unüblich waren,⁷ zu vermeiden. Die relative Autonomie der Theorien war zu respektieren, ohne doch von der Vermittlung mit den gesellschaftlichen Strömungen und Unterströmungen und vom Nachwirken vergangener Konstellationen abzusehen. In diesem Sinne sollten Grundbegriffe der praktischen und theoretischen Philosophie wie Freiheit, Gerechtigkeit, Humanität, Idee,Vernunft, Begriff, Urteil hinsichtlich ihres Bedeutungswandels unter den Bedingungen der technischen, ökonomischen und politischen Veränderungen untersucht werden. In einem Institutsmemorandum von 1938 wurde die „Dialektische Logik“ als erstes der demnächst zu realisierenden Projekte vorgestellt. Dazu hieß es u. a.: Es handelt sich nicht um eine formalistische Erkenntnistheorie, sondern um eine materielle Kategorienlehre. […] Mit Begriffen kann man auch mittels der Technik von Definitionen nicht so verfahren wie die Ägypter mit Leichnamen, die sie einbalsamierten, damit sie als Mumien unversehrt Jahrtausende überdauerten. […] Die grundlegenden Kategorien der Geschichtsphilosophie […] können nur dadurch bewahrt werden, dass man sie nicht einbalsamiert, sondern durch fortwährende Beziehung des Sinns auf die Realität lebendig erhält. Was Freiheit, Wert oder Kultur meint, lässt sich nur darstellen, wenn zu den bestehenden Zuständen kritisch Stellung genommen und gezeigt wird, inwieweit heute Freiheit besteht und inwieweit im Gegenteil zur herrschenden Ideologie Zwang, Unsicherheit, Angst und Ohnmacht besteht. Eine Bestimmung der philosophischen Begriffe ist immer zugleich eine Darstellung der menschlichen Gesellschaft in ihrer geschichtlich gegebenen Verfassung. In dieser Hinsicht fasst das geplante Buch die Logik in ähnlicher Weise auf wie Hegel in seinem großen Werke, nämlich nicht als Aufzählung abstrakter Denkformen, sondern als Bestim-

 Ernst Bloch spottete über sie in Das Materialismusproblem, 394 f.

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mung der wichtigsten inhaltlichen Kategorien des fortgeschrittensten Bewußtseins der Gegenwart.⁸

Hinsichtlich der anderen, inhaltlichen Ebene herrschte längere Zeit Unklarheit darüber, auf welche Bereiche man sich im Buch konzentrieren sollte, um an ihnen die „dialektische Logik“ zu exemplifizieren. Eine Reihe unterschiedlicher Themen kamen in Frage – Kritik der Psychoanalyse, der Saboteur, das Verhältnis von Politik und Ökonomie heute, die Kunst, das Individuum – und wurden wieder fallengelassen.⁹ Im Frühjahr 1941 schrieb Horkheimer: „Die Dialektik der Naturbeherrschung zu geben wird eine der Hauptaufgaben sein […].“¹⁰ Dies war – wenn man unter „Natur“ nicht nur die äußere, sondern auch die innere, menschliche und gar die sozialen Naturverhältnisse verstand – eine das Ganze durchaus treffende, aber noch sehr allgemeine Formulierung. Nach vielen Überlegungen, die in verschiedene Richtungen gingen, kamen die Autoren zur Überzeugung, dass sich dafür am besten das Problem des Antisemitismus eigne. Eine erste entsprechende Formulierung, die zugleich auch das später titelgebende Stichwort enthielt, findet sich in einem Brief Adornos an Horkheimer vom 10. November 1941, in dem er von Einfällen bei der Lektüre des Buches von Geoffrey Gorer über den Marquis de Sade berichtete: „Sie betreffen wesentlich die Dialektik der Aufklärung oder die Dialektik von Kultur und Barbarei. […] Sollte übrigens nicht der Komplex Sade und Antisemitismus für uns einen ersten Kristallisationspunkt abgeben?“¹¹ Die Idee, den Antisemitismus ins Zentrum der Untersuchung zu rücken¹², kam nicht von ungefähr, schon seit längerem hatten Horkheimer und Mitarbeiter des Instituts ein umfangreiches empirisches Forschungsprojekt darüber entworfen, das dann, als einziges von mehreren anderen, mit Förderung des American Jewish Committee durchgeführt werden konnte. Über den Antisemitismus schrieb Horkheimer in einem Brief an Paul und Gabriele Oppenheim: „[…] I become more aware that it has to be measured by much more than merely the day-to-day sorrows of Jewry“.¹³ Er begründete die thematische Wahl – charakteristisch für die Perspektive der Kritischen Theorie – als Kristallisation der Theorie um die „ge-

 Horkheimer, „Idee, Aktivität und Programm des Instituts für Sozialforschung“, 156 f.  Dazu im Einzelnen Schmid Noerr, Gesten aus Begriffen. Konstellationen der Kritischen Theorie, 32 f.  Horkheimer, „Brief an Friedrich Pollock“, 27.4.1941, Briefwechsel 1941 – 1948, 25.  Horkheimer, Briefwechsel 1941 – 1948, 211.  Vgl. auch Horkheimer, Briefwechsel 1941 – 1948, 224 und 268.  Horkheimer, „Brief an Paul und Gabriele Oppenheim“, 5.1.1942, Briefwechsel 1941 – 1948, 240 f.

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sellschaftlichen Krankheiten“ (analog zur Medizin im Verhältnis zu den Basiswissenschaften Physiologie, Chemie, Biologie). Darin drückte sich ein methodologischer Negativismus aus, demzufolge die „Rettung“ der Aufklärung nur mittels deren radikaler (Selbst‐)Kritik möglich war. In diesem Sinn schrieb Horkheimer, während er das erste Kapitel über den ‚Begriff der Aufklärung‘ abschloss, an Marcuse: […] it sounds somewhat negativistic and I am now trying to overcome this. We should not appear as those who just deplore the effects of pragmatism. I am reluctant, however, to simply add a more positive paragraph with the melody: ‚But after all, rationalism and pragmatism are not so bad.‘ The intransigent analysis as accomplished in the first chapter seems in itself to be a better assertion of the positive function of rational intelligence than anything one could say in order to pay down the attack on traditional logics and the philosophies which are connected with it.¹⁴

Für eine tiefergehende Interpretation des Antisemitismus, forderte Horkheimer, müssten Psychologie, Geschichte, Politologie und Ökonomie mehr als bisher integriert werden. Dies aber barg, neben theoretischen Schwierigkeiten, auch solche personeller und institutioneller Art. Die Arbeit am Buch war anfangs durchaus als eine interdisziplinäre geplant. Marcuse sollte ebenfalls nach Kalifornien kommen, Friedrich Pollock, Felix Weil und Henryk Grossmann sollten politisch-ökonomische Teile beisteuern. Es ging dabei, wie Horkheimer an Pollock schrieb, vor allem um das Klassenverhältnis: Which changes have taken place in the structure of the well-to-do-classes as well as among the workers and unemployed in the last decades? Is it still possible to speak of the ‚proletariat‘ in the sense it played a role in the old theories? What does ‚bureaucracy‘ in the modern sense really mean, how did it come about, and what is its real function?¹⁵

Indessen herrschte unter den Ökonomen und Politikwissenschaftlern des Instituts durchaus Uneinigkeit darüber, ob und wie weit der Nationalsozialismus und andere Formen des autoritären Staates noch als Kapitalismus im herkömmlichen Sinn zu bezeichnen waren. Außerdem blieb ihnen angesichts der administrativen Aufgaben allzu wenig Zeit und Kraft für theoretische Arbeit. So blieb die Dialektik der Aufklärung am Ende ohne die ökonomische Fundierung, die eigentlich als unabdingbar gegolten hatte. Der erste Titel Philosophische Fragmente charakterisierte nicht nur den antisystemischen Geist ihre Philosophie, sondern auch diese Leerstelle. „Es ist ja Unsinn“, hatte Horkheimer im März 1942 an Weil geschrieben,  Horkheimer, „Brief an Herbert Marcuse“, 19.12.1942, Briefwechsel 1941 – 1948, 391.  Horkheimer, „Brief an Friedrich Pollock“, 21.4.1942, Briefwechsel 1941 – 1948, 283 f.

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den er damit zur Mitarbeit motivieren wollte, „dass ich, wenn auch mit Teddie gemeinschaftlich, der Arbeit die notwendige Präzision und Konkretheit verleihen könnte. Sie muss mit historischem und ökonomischem Material zum Platzen gefüllt sein, sonst wirkt sie als Raisonnement.“¹⁶ Dennoch mussten sich die beiden Protagonisten, abgesehen von Löwenthals Mitarbeit am Antisemitismus-Kapitel, im Ernst auf jenen „Unsinn“ einlassen. Horkheimer hatte noch einmal die seit Anfang der 1930er Jahre im Institut für Sozialforschung verfolgte Idee einer philosophisch angeleiteten, interdisziplinären Sozialforschung postuliert. Diese aber ließ sich unter dem Druck der Abhängigkeit von externen Projektfinanzierungen, immer weniger realisieren. (Vor allem darauf bezieht sich der in der „Vorrede“ beklagte Verfall der Wissenschaften.) Stattdessen wurde die Dialektik der Aufklärung das Produkt der engsten Zusammenarbeit zweier Philosophen, die sich die Kritik der Exzesse des rein instrumentellen Verhaltens vorgenommen hatten. „Kein Außenstehender“, heißt es im Vorwort zur Neuausgabe von 1969, „wird leicht sich vorstellen, in welchem Maß wir beide für jeden Satz verantwortlich sind. Große Abschnitte haben wir zusammen diktiert; die Spannung der beiden geistigen Temperamente, die in der Dialektik sich verbanden, ist deren Lebenselement.“¹⁷ Trotz dieser Betonung der Gemeinsamkeit lassen sich, auf Grund der Materiallage der Nachlässe sowie mündlicher Überlieferungen, unterschiedliche Gewichtungen der Autorschaft feststellen, so zum Beispiel bei den beiden „Exkursen“, die im Falle des „Odysseus“-Kapitels vor allem auf Adorno, im Falle des „Juliette“-Kapitels vor allem auf Horkheimer zurückgehen.¹⁸ Die Dialektik der Aufklärung fiel am Ende, was kaum überraschen dürfte, auch methodologisch anders aus als es der ursprüngliche Plan einer „Dialektischen Logik“ vorgesehen hatte. Man kann vermuten, dass die Autoren, ohne es zu wollen, aber indem sie sich ihren Untersuchungen überließen, von der hegelmarxistischen Idee einer Übereinstimmung von Logik und Geschichte mehr und mehr abrückten. Eine Logik der Geschichte, der man, wie es in der Dialektik der Aufklärung hieß, unter bestimmten Bedingungen, „spotten“ kann und soll, „wenn sie gegen die Menschheit ist“¹⁹, ist nur eine metaphorische Logik. Dennoch hielt Horkheimer auch noch 1946 am Plan der materialistischen Logik fest. An Pollock schrieb er:

 Horkheimer, „Brief an Felix Weil“, 10. 3.1942, Briefwechsel 1941 – 1948, 275.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 13.  Genaueres dazu habe ich im editorischen Nachwort zu meiner Ausgabe der Dialektik der Aufklärung, 427 ff. vermerkt.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 248.

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Die Fragmente sind der erste Teil der Theorie, der in Zukunft meine ganze Arbeitskraft gehören soll. Der zweite Teil, der sich mit logischen und daher noch schwierigeren Fragen befassen soll als der erste, wird trotzdem einfacher sein, denn alles ist inzwischen so viel klarer geworden.²⁰

Andererseits geht aus Protokollen zu Gesprächen der beiden Autoren über die geplante Fortsetzung der Arbeit hervor, dass Horkheimer wiederum von aktuellen Problemen der Politik (z. B. dem damals beginnenden Ost-West-Gegensatz) ausgehen wollte, um von dort aus zu den metaphysischen Begriffen zu kommen. Die Verbindung zwischen beiden Ebenen sah er „im Festhalten der radikalen Impulse des Marxismus und eigentlich der gesamten Aufklärung – denn Rettung der Aufklärung ist unser Anliegen […].“²¹ Indessen schoben sich immer neue, dringende Arbeiten in den Vordergrund, vor allem solche, die mit der Wiedererrichtung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt nach dem Krieg zu tun hatten. So blieb die Dialektik der Aufklärung auch in diesem Sinn ein Fragment. Im Frühjahr 1946 ergab sich die Möglichkeit, die Schrift auf Deutsch im Druck zu veröffentlichen. Einerseits konnte das Institut damit auch in Deutschland an Renommee gewinnen, andererseits aber war Horkheimer mehr denn je davon überzeugt, dass „alles Reden heillos geworden“ sei. „Gegenüber der totsicheren Verwechslung jeder Veröffentlichung mit dem Wunsch, auf der scheußlichen Arena der gegenwärtigen Intellektualität mitzureden, erscheinen die möglichen Mißdeutungen des Verstummens fast erstrebenswert.“²² Für den Druck wurde der Text an zahlreichen Stellen terminologisch überarbeitet.²³ Es ging nicht zuletzt darum, ein inzwischen fragwürdig erschienenes marxistisches Vokabular durch allgemeinere Formulierungen der Herrschaftskritik zu ersetzen. Auch wurden Faschismus und Kapitalismus begrifflich deutlicher unterschieden. Dahinter standen einerseits politische Bedenken, andererseits das Bemühen, sich von einer überkommenen Form des Marxismus zu distanzieren, die von einer durchgängigen Dominanz des Ökonomischen über das Politische ausging. Diese kurze Publikationsgeschichte der Dialektik der Aufklärung zwischen 1944 und 1947 ist ein Zeugnis des Übergangs vom Krieg zur Nachkriegszeit. Das „triumphale Unheil“²⁴ wurde mit der militärischen Niederlage der Achsenmächte und dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst einmal abgewendet, in den be-

 Horkheimer, „Brief an Friedrich Pollock“, 27. 3.1946, Briefwechsel 1941 – 1948, 714 f.  Horkheimer/Adorno, „Rettung der Aufklärung“, 597 f.  Horkheimer, „Brief an Katharina von Hirsch“, 15.7.1946, Briefwechsel 1941 – 1948, 749.  Vgl. dazu im Einzelnen van Reijen/Bransen, „Das Verschwinden der Klassengeschichte in der Dialektik der Aufklärung“.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.

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siegten Staaten waren Demokratie, Wirtschaft, Politik und Kultur wieder aufzubauen. Dabei waren die von der Kritischen Theorie diagnostizierten tieferen Ursachen des Rückfalls in die Barbarei, die „Krankheit der Vernunft“, keineswegs beseitigt, war doch die gesamte Vorgeschichte des abendländischen Geistes weiterhin wirksam. Die Protagonisten der Kritischen Theorie blieben in der prosperierenden Bundesrepublik sensibel für die Kontinuitäten des Autoritarismus, auch als sie sich in der akademischen Welt wieder erfolgreich etablieren konnten. Bald war ihre wissenschaftsorganisatorische und politische Praxis von einem weitreichenden reformerischen Engagement geprägt, während sie in der Theorie an der seit der Dialektik der Aufklärung eingenommenen pessimistischen Weltsicht festhielten. Dieses Nebeneinander musste nicht unbedingt als Selbstwidersprüchlichkeit verstanden werden. Im Selbstverständnis der Protagonisten der Kritischen Theorie handelte es sich eher um unterschiedliche Ebenen des Empfindens, Denken und Handelns, nämlich einer esoterisch-geschichtsphilosophischen und einer exoterisch-politischen Ebene. Der späte Horkheimer brachte dies auf die Formel der Gleichzeitigkeit von theoretischem Pessimismus und praktischem Optimismus: „das Schlimme erwarten und doch das Gute versuchen“.²⁵ Die Autoren wussten sehr wohl um ihre starke Verwurzelung im kontinentaleuropäischen philosophischen Denken und um die Schwierigkeiten einer möglichen Rezeption der Dialektik der Aufklärung in den USA. In einer Zeit, in der ihnen noch einiges daran liegen musste, ihre Reputation in den dortigen Universitätskreisen zu vermehren, dachten sie dennoch keineswegs daran, das Buch ins Englische übersetzen zu lassen. Stattdessen erschienen in den ersten Jahren nach 1947 einige Textauszüge in verschiedenen deutschen Zeitschriften und Zeitungen. Auch wurde das Buch in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland mehrfach ausführlich rezensiert, und zwar durchaus kenntnisreich und überwiegend wohlwollend, aber auch nicht unkritisch. Man fand den Text schwierig, aber auch wegweisend hinsichtlich einer kritischen Reflexion der Moderne, anregend, aber auch fragwürdig hinsichtlich mancher Überspitzungen. Insgesamt verlief die Wirkungsgeschichte zunächst schleppend, was sich aus der relativ geringen Zahl der Besprechungen schließen lässt – gering im Vergleich zur Zahl der amerikanischen Berichte über dortige vorangegangene Publikationen oder gar im Vergleich zu dem massenhaften journalistischen Echo der Kritischen Theorie am Ende der 1960er Jahre. Die Dialektik der Aufklärung verkörperte tatsächlich die „Flaschenpost“, als welche Adorno die Kritische Theorie in den dunkelsten Jahren einmal bezeichnet hatte, und die dann, so Leo Löwenthal²⁶ in

 Horkheimer, „Das Schlimme erwarten und doch das Gute versuchen“, 467.  Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie, 86.

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den 1960er Jahren auf einmal mit einem lauten Knall entkorkt wurde. In dieser Zeit tauchten im linken Studentenmilieu die ersten Raubdrucke auf. Dadurch und durch das erneute Interesse an dem inzwischen legendären Text lag eine offizielle Wiederveröffentlichung nahe. Die autorisierte Neuausgabe erschien 1969 und enthielt wiederum einzelne Veränderungen, die ihnen alsbald als revisionistisch angekreidet wurden. Ebenfalls 1969 erschien eine Übersetzung in Argentinien, dann folgten 1972 Ausgaben auf Englisch und Dänisch, 1974 auf Französisch und Italienisch, 1981 auf Schwedisch, 1985 auf Portugiesisch, 1987 auf Niederländisch, 1991 auf Ungarisch, 1994 auf Polnisch und Spanisch. Der Zeitgebundenheit ihrer Schrift waren sich die Autoren bewusst. „Den Text voll auf den gegenwärtigen Stand zu bringen“, schrieben sie im Vorwort der Neuausgabe von 1969, „wäre […] auf nicht weniger hinausgelaufen als auf ein neues Buch.“²⁷ Jedoch hielten beide an der Grundintention der Dialektik der Aufklärung, aufklärerisches Denken durch das Aufspüren seiner eigenen zweckrationalen Regression zu befördern, zeitlebens fest.

3 Zeitgeschichtlicher Hintergrund Die weiteren, hinter den unmittelbaren Kontext der 1940er Jahre zurückreichenden zeitgeschichtlichen Bedingungen der Kritischen Theorie sind, was generell für den „westlichen Marxismus“²⁸ gilt, in den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit zu suchen. Nach Anderson besteht „das verborgene Kennzeichen des westlichen Marxismus […] darin, dass er das Resultat einer Niederlage ist“²⁹, des Scheiterns der Revolution. Bei Horkheimer lässt sich dies an seinen aus dieser Zeit erhaltenen Briefen und insbesondere aus seinen frühen Novellen ablesen. Im väterlichen Kunstbaumwollbetrieb, für dessen spätere Leitung er vorgesehen war, beobachtete er die kapitalistische Ausbeutung und entwickelte einen moralisch getönten Antikapitalismus. Angesichts der durch den Krieg ausgelösten Rohheit und zynischen Menschenverachtung, auch mit antisemitischen Beimengungen, sowie des Scheiterns der Revolution 1918/19 reagierte er mit einem tiefen, nietzscheanisch gefärbten „Gefühl der Nichtzugehörigkeit“.³⁰ Dagegen wurde Adorno vor allem durch die ästhetische Revolution der Wiener Moderne vor dem Ersten Weltkrieg geprägt. Hinsichtlich der Musik erlebte auch er die Folgezeit als verpasste, nicht weitergeführte ästhetische Revolution.    

Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 14. Anderson, Über den westlichen Marxismus. Anderson, Über den westlichen Marxismus, 68. Wiggershaus, Max Horkheimer zur Einführung, 24.

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Der Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland hatte die Arbeiterbewegung kaum Widerstand entgegengesetzt. Für die Forscher des Frankfurter Instituts für Sozialforschung war dies jedoch, aus Gründen der Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit, nicht wirklich überraschend gewesen. Insbesondere hatte Erich Fromm Ende der 1920er Jahre eine empirische Untersuchung über die politischen Einstellungen von Arbeiter- und Angestellten vorgenommen, die mehrheitlich keinen ernsthaften Widerstand gegen die Errichtung einer Diktatur erwarten ließ.³¹ Seither war der Begriff der Autorität bzw. des autoritären Charakters zum Leitfaden der folgenden empirischen Untersuchungen des Instituts bis hin zu den Studies in Prejudice (1949/50) geworden. Vor die Erforschung der politischen Ökonomie hatte sich immer mehr die Untersuchung derjenigen sozialpsychologischen und kulturellen Motive geschoben, die viele Menschen dazu brachten, entgegen ihren eigenen rationalen Interessen sich autoritären Führern zu unterwerfen. Die autoritäre Ideologie fungierte bei diesen als Kitt in einer von Gegensätzen durchzogenen Gesellschaft. Neben Deutschland hatten sich auch in vielen anderen Staaten faschistische³² Regime durchgesetzt oder waren entsprechende politische Bewegungen aktiv. Angesichts der stalinistischen Schauprozesse (1936 – 38) diskreditierte sich der Parteimarxismus, „die Situation des Proletariats“, schrieb Horkheimer deshalb in Traditionelle und kritische Theorie (1937), „bildet in dieser Gesellschaft keine Garantie der richtigen Erkenntnis“³³, diese entwickele sich allenfalls bei einzelnen „Subjekten des kritischen Verhaltens“.³⁴ Der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 demonstrierte den finalen Triumph des autoritären Raubstaates über die Arbeiterbewegung in der Sowjetunion, dem bis dahin anscheinend wichtigsten Bollwerk gegen den Faschismus. Und in den westlichen Demokratien, insbesondere in den USA, waren Gewerkschaften und Arbeiterbewegung in die kapitalistischen Produktionsverhältnisse fest integriert. Hatten auch unorthodoxe Marxisten den Faschismus als letzte Abwehr des Kapitalismus gegen den geschichtlich gebotenen Übergang zum Sozialismus erklärt, so schien es nun, als wären dessen Ursachen wesentlich tiefer zu situieren. War nicht die Vernunft selbst, und mit ihr Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit, von einer Art Krankheit befallen, die im nationalsozialistischen Terror nur kulminierte? Wie weit war hier in der Geschichte der Menschheit zurückzugehen? Der Rahmen der Beantwortung dieser

 Vgl. Fromm, Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches.  im Sinn der Gattungsbezeichnung für extrem nationalistische, autoritäre Ideologien und Herrschaftssysteme.  Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, 187.  Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, 181.

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Fragen wurde in der Dialektik der Aufklärung mit den ersten beiden Worten ihres Textes, „seit je“, abgesteckt: Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils. Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt.³⁵

Die Autoren bezogen sich auf einen strukturellen, nicht historisch (aufs 18. Jahrhundert) eingegrenzten Begriff von Aufklärung. Dabei lehnten sie sich an Max Weber an, der in Wissenschaft als Beruf (1919) den „wissenschaftliche[n] Fortschritt“ als einen „Bruchteil, und zwar de[n] wichtigste[n] Bruchteil, jenes Intellektualisierungsprozesses“ bezeichnete, „dem wir seit Jahrtausenden unterliegen“.³⁶ Weber charakterisierte den Prozess der zunehmenden Naturbeherrschung als „Entzauberung der Welt“.³⁷ Er diagnostizierte einen Rückzug der Wissenschaften aus den Fragen des Lebenssinns, der nur noch privaten Vorlieben und Intuitionen überlassen blieb. Über Webers heroisch-resignative Feststellung der Verflüchtigung der normativ-praktischen Vernunft hinausgehend interpretierten Horkheimer und Adorno die Entzauberung der Welt als dialektischen Prozess von Entmythisierung durch Aufklärung und Remythisierung der Aufklärung. Aufklärung auf diese Weise als universelles Phänomen der Zivilisation und ihrer Geschichte zu erklären, erlaubte es, unter dem Aspekten von Herrschaft und Herrschaftskritik weit übergreifende Verbindungslinien zu ziehen und zahlreiche überraschende Perspektiven zu eröffnen. Im Gegenzug zu diesem historisch weitreichenden Blick auf die Verschlingung von Rationalität und Irrationalität geht es in der Dialektik der Aufklärung zugleich auch um eine gegenwartsbezogene Perspektive auf die „Krankheit der Vernunft“, die im staatlich organisierten Autoritarismus und Rassismus kulminiert. Diese Epoche wird in kapitalismustheoretischer Hinsicht heute retrospektiv als die des Fordismus bezeichnet. Sie fällt mit der Entstehungs- und Blütezeit der Kritischen Theorie vom Ende der 1920er Jahre bis zum Anfang der 1970er Jahre zusammen. Die Bezeichnung „Fordismus“ leitet sich von der Signifikanz der Detroiter Automobilproduktion für das Wirtschaftssystem nach dem Ersten Weltkrieg ab. Der Fordismus entfaltete sich insbesondere nach der Weltwirtschaftskrise und diente der Bekämpfung der Krisenanfälligkeit, die das ökonomisch-politische System des Kapitalismus seit der großen Industrialisierung am

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.  Weber, Wissenschaft als Beruf, 593.  Weber, Wissenschaft als Beruf, 594.

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Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt hatte. Er war hinsichtlich der Produktion von Waren durch standardisierte Massenfertigung, vermehrten Einsatz spezialisierter Fertigungsmaschinen, Fließbandarbeit und relativ hohe Arbeitslöhne gekennzeichnet. Dem entsprach auf der Seite der Konsumtion die Möglichkeit zum massenhaften Kauf und Verbrauch von erschwinglichen Gütern und damit die Sicherung von Zufriedenheit bei den Arbeitern. Um die Produktivität zu erhöhen und die Arbeitsdisziplin zu sichern, wurde die Überwachung der Arbeiter intensiviert. Dem Ziel, ökonomische Krisen, Arbeitslosigkeit und Streiks einzudämmen, kam man durch Sozialpartnerschaft, Ausweitung des staatlichen Interventionismus und den Ausbau des Sozialstaates näher. Dadurch wurden manche Forderungen der Arbeiterbewegung eingelöst, aber diese wurde auch nachhaltig an das politische und kulturelle System der entwickelten Industriegesellschaft angepasst. Der Fordismus entwickelte sich in verschiedenen Varianten, in der Krisenbewältigung des amerikanischen New Deal der 1930er Jahre, aber auch in den autoritären und totalitären, auf Kriegswirtschaft setzenden Staatsmodellen des Nationalsozialismus oder des Stalinismus. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts gerieten dann die fordistischen Produktionsverhältnisse zunehmend in die Krise. Seit den 1970er Jahren kam es zu einer globalen Umstrukturierung und Flexibilisierung der Waren-, Arbeits-, Kapital- und Finanzmärkte, die inzwischen allgemein als „neoliberalistisch“ bezeichnet werden. Es entstanden zunehmend transnationale Unternehmensnetzwerke, durch die die politischen und arbeitsorganisatorischen Machtverhältnisse entscheidend zugunsten der Kapitalinteressen verschoben wurden. Die Kritische Theorie, die an emanzipatorischen Zielen orientiert war und ist, differenzierte sich in dieser Zeit, nach Adornos Tod. Es wurden neue Untersuchungsfelder der Kulturtheorie (zum Beispiel über weitere Rationalisierungsschübe und Postmoderne), der Subjekttheorie (über medizinische und psychologische Fragen der Selbstbestimmung oder über einen neuen Autoritarismus), der Staatstheorie (über das Verhältnis von Politik und Ökonomie im Neoliberalismus) erschlossen. In vielen Fällen zeigte sich, dass sich derartige Fragen als Aktualisierungen der Dialektik der Aufklärung formulieren ließen, nämlich als Transformation von technischem Fortschritt in neue Formen von Unterdrückung und Ausbeutung. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Dialektik der Aufklärung kommt besonders deutlich zum einen in den die Staatsauffassung betreffenden Eingriffen in die Textgestalt von 1947, zum anderen in den beiden gegenwartsbezogenen Kapiteln des Buches über Kulturindustrie und über Antisemitismus zum Ausdruck. Dazu soll im Folgenden auf einige Zusammenhänge beispielhaft hingewiesen werden.

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3.1 Staatskapitalismus und Staatssozialismus Die bereits erwähnten terminologischen Änderungen im Text, die die Autoren für die Druckveröffentlichung vornahmen und die den Übergang von der Kritik der politischen Theorie hin zu einer Kritik der instrumentellen Vernunft signalisierten, waren nicht allein durch politische Opportunitätsüberlegungen, sondern auch durch einen Wandel bei der Einschätzung der zeitgenössischen politischökonomischen Systeme in Europa und den USA bedingt. 1942 hatte Franz Neumann eine gründliche, empirisch gestützte Analyse des nationalsozialistischen Staats- und Parteisystems verfasst, über die es zu einer Kontroverse mit Horkheimer, Pollock, und Herbert Marcuse kam, während Neumann Unterstützung von Otto Kirchheimer und Arkadij Gurland erhielt. Es ging dabei vor allem um die Frage, ob das nationalsozialistische System noch als im klassischen Sinn kapitalistisch zu gelten oder eine grundsätzliche staatliche Transformation darstelle, in der der Primat des Ökonomischen durch den des Politischen abgelöst werde. Diese Kontroverse im Institut für Sozialforschung ist bereits mehrfach dargestellt und analysiert worden.³⁸ Pollock vertrat in seinen Aufsätzen zum „Staatskapitalismus“ die Auffassung, dass Monopolisierungsprozesse und ökonomische Krisen zu einem verstärkten Staatsinterventionismus führten. Dies sei grundsätzlich in totalitären Formen (Nationalsozialismus in Deutschland, Stalinismus in der Sowjet-Union), aber auch in demokratischen Formen (New-Deal-Politik in den USA) möglich. Er vertrat die These, „dass der Nationalsozialismus im Begriff ist, eine neue Wirtschaftsordnung aufzubauen, in der der Markt durch den Befehl ersetzt wird.“³⁹ Demgegenüber behauptete Neumann, dass die kapitalistischen Produktionsverhältnisse im Nationalsozialismus im Prinzip weiterbestanden, auch wenn er, wie Pollock, einschneidende Veränderungen in den Strukturen der Staates, des Rechtssystems, des Militärs und der herrschenden Partei feststellte. Neumann sprach deshalb von einem „totalitären Monopolkapitalismus“. Die Übernahme seiner Sicht hätte es gerechtfertigt, in der Dialektik der Aufklärung an der marxistischen Terminologie festzuhalten. Indessen waren beide Argumentationsrichtungen der Kontroverse von gewissen Schwächen gekennzeichnet, die mit dem damaligen Fehlen einer ausgearbeiteten marxistischen Staatstheorie zusammenhingen.⁴⁰ Dies konnte es damals wiederum für Horkheimer nahelegen, an seiner Prognose des „autoritären Staates“ festzuhalten.  Vgl. Dubiel/Söllner, Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus; zuletzt Hirsch, „Staatskapitalismus?“.  Pollock, „Ist der Nationalsozialismus eine neue Ordnung?“, 118.  Vgl. Hirsch, „Staatskapitalismus?“, 66 f.

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Wie erwähnt, hätten die Überlegungen zur Veränderung der politischen Ökonomie, dem ursprünglich interdisziplinären Konzept der Dialektik der Aufklärung zufolge, in das Buch Eingang finden sollen, was allerdings aus äußeren, aber auch aus theorieimmanenten Gründen scheiterte. Nach der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus kam es im Westen zu einer Restituierung des Fordismus in Gestalt der liberalen Demokratie und des sozialstaatlich abgefederten Kapitalismus. Der autoritäre „Staatskapitalismus“ wurde dort nicht realisiert, wohl aber im Osten „die konsequenteste Art des autoritären Staats, die aus jeder Abhängigkeit vom privaten Kapital sich befreit hat, […] der integrale Etatismus oder Staatssozialismus“.⁴¹ Das aber blieb für Horkheimer und Adorno ein Randgebiet. Statt dessen erlaubte es die in der Dialektik der Aufklärung begründete Kritik der aufs Instrumentelle regredierten Vernunft den Autoren in der Nachkriegszeit, den daran anschließenden, von Adorno geprägten Begriff der „verwalteten Welt“ zum Angelpunkt ihrer Zeitdiagnosen zu machen.⁴² Schon in ihrem gemeinsamen Buch ist von einem entsprechenden „Interesse der Industriegesellschaft“ die Rede: „Das Sein wird unter dem Aspekt der Verarbeitung und Verwaltung angeschaut. Alles wird zum wiederholbaren, ersetzbaren Prozeß, zum bloßen Beispiel für die begrifflichen Modelle des Systems, auch der einzelne Mensch, vom Tier zu schweigen.“⁴³

3.2 Kulturindustrie Den Begriff „Kulturindustrie“ prägten die Autoren erst im Verlauf der Arbeit an der Dialektik der Aufklärung. In den ersten Niederschriften war zunächst von „Massenkultur“ die Rede, was jedoch die Fehldeutung ermöglicht hätte, es handle sich um eine irgendwie authentische Kultur der Massen selbst. „Kulturindustrie“ bezeichnete Kultur für die Massen, produziert nach heteronomen Anforderungen vor allem der Verkäuflichkeit als Waren, aber auch der Kompatibilität mit Verwaltungsvorgaben der oftmals staatlich gesteuerten Kulturbetriebs (zum Beispiel in öffentlichen Rundfunkanstalten oder bei Wissenschaftsprojektförderungen). Kulturindustrie war und ist ein schwer abgrenzbares Geflecht von Massenmedien, medialen Produkten, Techniken und Verwaltungseinheiten, das von den Profitund Machtinteressen großer Konzerne dominiert wird. Der Gegenbegriff dazu ist der des „autonomen Kunstwerks“, das Ausdruck des Fortschritts der künstleri-

 Horkheimer, „Autoritärer Staat“, 300.  Vgl. Schiller, „Erfassen, berechnen, beherrschen: Die verwaltete Welt“.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 106 f.

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schen Produktivkräfte ist und bei dessen Herstellung nicht nach äußerlicher Verwertbarkeit geschielt wird. Der Sache nach hatte Adorno erste kulturindustrielle Produkte (Richard Wagners Musik, Jazz u. a.) schon Anfang der 1930er Jahre analysiert, doch lieferte das gesellschaftliche Umfeld im amerikanischen Exil einen verstärkten Eindruck der Problematik. Die Dialektik der Aufklärung bezog sich vor allem auf Radiomusik, Filme, Zeitschriftenmagazine. Die Entwicklung des Fernsehens war damals noch in den Anfängen, vom Internet konnte man noch nichts ahnen. Aus heutiger Sicht ist deutlich, dass es die in die USA emigrierten deutschen Bildungsbürger mit medialen Apparaten zu tun hatten, deren Präsenz und Durchschlagskraft sich seither vervielfacht hat. Das Aufkommen der Kulturindustrie ist in besonderer Weise mit der fordistischen Wirtschaftsweise verbunden. Da der Fordismus auf massenhaft produzierte Konsumgüter für massenhafte Konsumenten setzte, wurde auch eine Erweiterung der Unterhaltungsproduktion und der angewandten Künste möglich und erforderlich. Die Unterhaltungskultur erfasste die Menschen vor allem mittels neuer reproduktiver Techniken (Schallplatte, Radio, Film) und setzte so selbst auf massenhafte Konsumtion standardisierter Erzeugnisse. Damit wurde geschichtlich erstmals der kulturelle Bereich außerhalb der materiellen Produktion der Warenwirtschaft und damit der Kapitalverwertung unterworfen. Die Konsumenten waren in ihrer arbeitsfreien Zeit nicht mehr sich selbst überlassen, sondern wurden mit kulturellen Massenprodukten versorgt und durch diese geformt. Die kulturindustriellen Einrichtungen wie Radiostationen, Verlage, Filmproduktionsstudios waren ihrerseits mit Industriekonzernen verflochten. Werbeagenturen fungierten als Zulieferbetriebe für den Absatz der materiellen Güter. Unterhaltung wurde durch Werbung für andere Massenkonsumgüter finanziell getragen. Adorno und Horkheimer bewerteten die entwickelte Kulturindustrie aus der Perspektive einer auf Reflexions- und Wahrheitsansprüche setzenden ästhetischen Theorie. Bis zur Jahrhundertwende hatten Künstler als autonome Marktsubjekte noch gewisse eingeschränkte Möglichkeiten, sich dem adaptiven Zugriff der Gesellschaft zu entziehen und Erkenntnis durch die elaborierte Form der Kunst zu ermöglichen. Dagegen drohte unter den neuen ästhetischen Produktionsverhältnissen eine Zersetzung des bis dahin (wenigstens möglichen) widerständigen Gehalts von Kunst. Ein totalitärer Extremfall dieser übergreifenden Tendenz war im Nationalsozialismus sichtbar geworden, der aufs Intensivste die propagandistischen und manipulativen Techniken nutzte. Adorno hatte die im Kulturindustrie-Kapitel entwickelte Grundauffassung von einer Kultur, die um die Erfüllung von Glücksansprüchen betrügt, schon während der 1930er Jahre in Oxford in seinen Interpretationen des Jazz entworfen, indem er an diesem mit Hilfe psychoanalytischer Denkfiguren zeigen wollte, dass

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der manifeste Inhalt des Jazz die Bejahung von Sexualität, ihr latenter Inhalt aber deren Unterdrückung sei. Diese Kritik stand allerdings musiktheoretisch auf schwachen Füßen, insofern sie auf entscheidenden Fehldeutungen hinsichtlich Rhythmik, Melodik und Dynamik des Jazz beruhte. Jedoch war damit die politische Analyse der Kulturindustrie keineswegs völlig obsolet. Heinz Steinert hat zurecht darauf hingewiesen, dass Adornos Jazz-Kritik sich nur dann angemessen verstehen und einordnen lässt, wenn man ihren zeitgeschichtlichen Hintergrund mit berücksichtigt. In seine Einschätzung ging viel von der Erfahrung der Diskriminierung, der Vertreibung und den zugehörigen Gefühlen der Angst ein. In Adornos Über Jazz […] wird von der ausgesetzten Ohnmacht des allein gelassenen Juden gehandelt, hier geht es um die Erniedrigung des Machtlosen, der nicht einmal im Kampf untergeht, sondern hilflos gezwungen sieht, sich auch noch lächerlich zu machen. Ist die Annahme zu weit hergeholt, dass Adorno sich damit gegen das wendet, wozu er auch Grund hätte: über das Unrecht zu klagen, das ihm auch angetan wurde?⁴⁴

Diese Erfahrungen verleiteten Adorno dann aber im ‚Kulturindustrie‘-Kapitel auch dazu, Hollywood allzu unmittelbar mit der Nazipropaganda kurzzuschließen und diejenigen Elemente, die innerhalb der kulturellen Warenwirtschaft nonkonformistische Lebensgefühle symbolisieren können, zu unterschätzen. Während in Deutschland der Antisemitismus die Marktgesetze teilweise aushebelte, konnten diese in den USA ihrerseits Rassismus teilweise auch außer Kraft setzen. Allerdings hatten künstlerische Nischenkulturen, die noch der kleinbürgerlich-handwerklichen Produktionsweise entsprachen, in der entwickelten Kulturindustrie nur noch ausnahmsweise Erfolg. Eine der auffälligen terminologischen Änderungen der Dialektik der Aufklärung, die an der Fassung von 1944 für den Druck 1947 vorgenommen wurden, betraf den Ausdruck „Monopol“, der an nahezu allen signifikanten Stellen durch weniger belastete Bezeichnungen wie „Wirtschaftsapparatur“ u. ä. ersetzt wurde. Dahinter standen, wie bereits erwähnt, nicht nur politische Bedenken, mit staatsparteigebundenen Spielarten des Marxismus verwechselt zu werden, sondern auch Bemühungen, die veränderten Auffassungen zum Verhältnis von Ökonomie und Politik in den Text einfließen zu lassen. Pollocks „Staatskapitalismus“-These, die der politischen und kulturindustriellen Steuerung des Ökonomischen einen hohen Stellenwert beimaß, stellte dafür den (auch in Institutskreisen umstrittenen) theoretischen Rahmen dar. Nun stand allerdings die Zurückdrängung des Monopolbegriffs in einem gewissen Widerspruch zu einer

 Steinert, Das Verhängnis der Gesellschaft und das Glück der Erkenntnis. ‚Dialektik der Aufklärung‘ als Forschungsprogramm, 148.

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Grundannahme des ‚Kulturindustrie‘-Kapitels, nämlich der Depotenzierung der Märkte durch Monopole und der Ersetzung von Konkurrenz durch Kommandostrukturen. Die liberale Phase des Kapitalismus wurde demnach durch eine neue, monopolistisch-autoritäre Phase abgelöst. Das galt, so die Autoren, auch für die Kulturindustrie, die zwar Kultur als Waren produziere und distribuiere, aber nur noch einen Pseudomarkt zulasse. Sie konnten sich hier in der Tat auf starke Tendenzen in der amerikanischen Kulturindustrie stützen, die sie allerdings unzutreffender Weise verabsolutierten. Schon während der 1930er Jahre hatte zum Beispiel die Konzentration in der Filmbranche ein Stadium erreicht, das die Regierung dazu veranlasste, gegen die Bildung von Monopolen vorzugehen und ein Entflechtungsverfahren einzuleiten.⁴⁵ Ein entsprechendes Urteil des Obersten Bundesgerichts, das die großen Filmstudios dazu verurteilte, sich von ihren Kinoketten zu trennen, erging 1948. Gerhard Schweppenhäuser resümiert die fragwürdige Zustandsbeschreibung der Dialektik der Aufklärung so: Eine durchgängige Suspendierung der Marktlogik und deren vollständigen Ersatz durch monopolistische Staats- und Kartellwirtschaft hat es in kapitalistischen Gesellschaften faktisch aber nicht gegeben. […] Im deutschen Nationalsozialismus wurde die Tendenz zur Monopolbildung und Kartellbildung durch staatliche Eingriffe teils gefördert, teils nicht. Die demokratischen Staaten hielten die Tendenz zur Monopolbildung stets in Schach. […] Die kulturelle Landschaft mit dem Namen ‚Hollywood‘ war zwar global und standardisiert, aber sie basierte auf den Prinzipien einer Konkurrenzökonomie.⁴⁶

3.3 Antisemitismus und Autoritarismus Wohl zweifelten die Autoren der Dialektik der Aufklärung, ihrer „Vorrede“ von 1944 zufolge, am „Sinn von Wissenschaft“⁴⁷, aber damit war nicht gemeint, dass wissenschaftliche Erkenntnis an sich mangelhaft sei, sondern dass die Verwendung ihrer Resultate unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen die Erkenntnis entstelle. Wissenschaft werde zunehmend unter die Imperative der Kulturindustrie gezwungen und verkomme dadurch zur warenförmigen Anpreisung ihrer selbst. Das sollte die Institutsvertreter aber nicht davon abhalten, neben der philosophischen Arbeit auch selbst weiterhin wissenschaftlich zu forschen. So fungierten die Ausführungen zur „philosophische[n] Urgeschichte des  Prokop, Medien-Macht und Massen-Wirkung. Ein geschichtlicher Überblick, 185.  Schweppenhäuser, Bildstörung und Reflexion. Studien zur kritischen Theorie der visuellen Kultur, 96.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 16.

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Antisemitismus“⁴⁸ in der Dialektik der Aufklärung denn auch als theoretischer Hintergrund der empirischen Vorurteilsstudien, in denen es um die Erforschung des Autoritarismus ging, also von Einstellungen und Verhaltensweisen der „bejahten Abhängigkeit“.⁴⁹ „Die ‚Elemente des Antisemitismus‘“, so Adorno später rückblickend, „haben theoretisch das [in der Authoritarian Personality sozialpsychologisch untersuchte] Rassevorurteil in den Zusammenhang einer objektiv gerichteten, kritischen Theorie der Gesellschaft gerückt.“⁵⁰ In seinen empirischen Arbeiten situierte das Institut für Sozialforschung den Antisemitismus innerhalb des umfassenderen Syndroms des Autoritarismus und des Vorurteils. Dahinter stand die Erfahrung, dass schon in Deutschland der völkische Antisemitismus der Nazis aus vielerlei Ressourcen des Kaiserreiches geschöpft hatte und entsprechend Kräfte auch aus weltanschaulich scheinbar entgegengesetzten Gruppierungen anziehen konnte. In den USA vermuteten die Institutsmitarbeiter nun eine ähnliche Konstellation. Sie hielten das Vorhandensein eines latenten faschistoiden Potenzials für wahrscheinlich, das unter geeigneten äußeren Bedingungen auch die USA in einen autoritären Staat hätten umwandeln können. Indes nahmen sie wahr, dass in den demokratisch stabilen USA der Antisemitismus offener und häufiger als in Deutschland vor 1933 vorkam.⁵¹ Das verwies auf ein latentes faschistisches Potential relativ unabhängig vom jeweils gängigen Meinungsklima. Auch wurde dadurch deutlich, dass kein einfacher, linearer Zusammenhang von psychischem und politischem Autoritarismus anzunehmen war. Nach dem Konzept der Authoritarian Personality waren mehrere Persönlichkeitsschichten zu unterscheiden und aufeinander zu beziehen.⁵² Unterhalb der manifesten Äußerungen zeigten sich die teilweise davon abweichenden wirklichen Meinungen. Ein Teil von ihnen bestand aus heimlichen, nicht eigentlich kommunikativ zugelassenen Gedanken. Diesen Einstellungen lagen wiederum ungeordnete Empfindungen zugrunde. Sie bildeten die eigentliche Charakterstruktur und enthielten das Potenzial für die jeweils aktualisierbaren Verhaltensweisen. In den empirischen Erhebungen ließ sich mittels der „F-Skala“ (Faschismus-Skala), ohne dass unmittelbar nach sozialer Diskriminierung gefragt wurde, das hinter einem glatten Konventionalismus lauernde latente FaschismusPotential ermitteln. Der Autoritäre konnte offenbar aufgrund seiner Ich-Schwäche in Beziehungen zu anderen Menschen nur unzureichend zwischen eigenen und     

Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 22. Horkheimer, Autorität und Familie, 360. Adorno, „Wissenschaftliche Erfahrung in Amerika“, 722. Vgl. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, 5. Vgl. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, 4 ff.

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fremden Anteilen unterscheiden und ebenso wenig eigene projektive Strukturen selbstreflexiv relativieren. Erforscht werden sollte damit, wie Horkheimer im Vorwort zur Authoritarian Personality schrieb, „das Aufkommen einer ‚anthropologischen‘ Spezies, die wir als den autoritären Menschentyp bezeichnen“ und er „für eine hochindustrialisierte Gesellschaft typisch“ ist. Er „verbindet irrationale und antirationale Überzeugungen“. „Er ist gleichzeitig aufgeklärt und abergläubisch, stolz auf seinen Individualismus und ständig in Sorge, nicht wie alle anderen zu sein, ängstlich auf seine Unabhängigkeit bedacht und sehr geneigt, sich blind der Macht und Autorität zu unterwerfen.“⁵³ Horkheimer grenzte den autoritären Menschentyp bzw. Sozialcharakter von dem „individualistischen und demokratischen Typ“ ab, „der in den letzten anderthalb Jahrhunderten unserer Zivilisation vorgeherrscht hat“⁵⁴, und unterschied damit zwischen liberalistischer und postliberalistischer Epoche. Er konstatierte das tendenzielle Verschwinden des freien Marktes, wodurch auch die Einzelnen an Reflexionsspielräumen verlieren und ihre Verhaltensweisen äußerlich an Konventionen anbinden. Trotz oder gerade wegen des Funktionsverlustes der väterlichen Autorität wird – so eine Grundannahme der Forschungen des Instituts – umso krampfhafter an ihr festgehalten. Autoritätsbeziehungen folgen weniger diskursiv begründbaren Regeln als vielmehr der Angst vor sozialer Deklassierung. Das beeinträchtigt die Ausbildung moralischer Autonomie. Die erziehungsbedingte Unterdrückung der aggressiven Impulse gegenüber den Eltern führt zu deren späterer Idealisierung, während jene Impulse dann vorzugsweise gegen Außenstehende gewendet werden. Der autoritäre Charakter ist, den Forschungen zufolge, durch eine tiefgreifende Ambivalenz von Unterwerfung und projektiver Aggressivität gekennzeichnet, die sich gegebenenfalls auch im politischen Antisemitismus funktionalisieren lässt.

4 Gesellschaftliche Bedingtheit der Kritischen Theorie Vieles deutet darauf hin, dass Menschen ihre grundlegenden kulturellen Werthaltungen und Erwartungen in ihrer Jugend und im frühen Erwachsenenalter erwerben. Diese Einstellungen bleiben dann, auch wenn inhaltlich neue Erfah-

 Horkheimer, „Vorwort“ zu The Authoritarian Personality, 415.  Horkheimer, „Vorwort“ zu The Authoritarian Personality, 417.

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rungen möglich sind, in ihren Grundstrukturen ein Leben lang bestimmend.⁵⁵ Auch und gerade tiefgreifende Veränderungen werden in der Perspektive der statisch gewordenen früheren Einstellungen erlebt. Da diese Einstellungen generationentypisch gebildet werden, unterscheiden sie sich von denen der früher und später geprägten, aber noch gleichzeitig lebenden Generationen. Bezüglich der Kritischen Theorie heißt dies, dass deren Protagonisten, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ihre grundlegende kulturelle Sozialisation erfuhren, die seither erfolgten Umwälzungen des Fordismus wesentlich als Bedrohungen des individuellen Nonkonformismus, als Depotenzierung des bürgerlichen Individuums erfuhren. Sie blickten auf ihre Umwelt gleichsam noch mit der Brille des Fin de Siècle und kamen deshalb zu entsprechend kritischen und desillusionierenden Einschätzungen.⁵⁶ Dies wurde durch die besondere Situation der Emigration und den damit einhergehenden Kontrast zu den mitgebrachten kulturellen Mustern weiter verstärkt.⁵⁷ Für die Entwicklung von Theorien sind derartige persönliche Erfahrungen mitbestimmend, hängen aber ihrerseits wieder von den gesellschaftlich-geschichtlichen Konstellation und den Möglichkeiten und Perspektiven ihrer Verarbeitung ab. Auf diese Weise bilden sich lebenspraktische Vorannahmen, Evidenzen und Lösungshoffnungen, die von mehreren Zeitgenossen intuitiv geteilt werden und von zeitdiagnostischen Theoretikern expliziert und zur Debatte gestellt werden. Der von der Kritischen Theorie vertretene philosophische Materialismus bezog sich auf die Reflexion der eigenen Bedingtheit und praktischen Zielsetzung. In diesem Sinn sprachen die Autoren der Dialektik der Aufklärung von einem den philosophischen Grundbegriffen (zum Beispiel Freiheit, Gerechtigkeit, Fortschritt, Kultur, Individuum) eingelagerten „Zeitkern der Wahrheit“⁵⁸. Aussagen, die derartige Begriffe verwenden, erweisen sich demnach allenfalls dann als wahr, wenn sie in Verbindung zu ihrem zeitlichen Kontext gestellt werden, und zwar sowohl dem der Vergangenheit als auch der Gegenwart. Die gesellschaftliche Bedingtheit der Kritischen Theorie bestimmt auch die Form ihrer Aktualität. Diese besteht nicht in einer zeitenthobenen Geltung ihrer Aussagen, sondern in ihrer Fähigkeit, durch die Explikation ihrer gesellschaftlichen Erfahrungen den Späteren eine Kontrastfolie für die Reflexion ihrer eigenen Erfahrungen zur Verfügung zu stellen.

 Göschel, Die Ungleichzeitigkeit in der Kultur, 8 ff.  Vgl. Steinert, Das Verhängnis der Gesellschaft und das Glück der Erkenntnis. ‚Dialektik der Aufklärung‘ als Forschungsprogramm, 179 f.  Vgl. Schmid Noerr, Gesten aus Begriffen. Konstellationen der Kritischen Theorie, 116 ff.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 13.

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Nachgedanken zu Nachtgedanken: Die Dialektik der Aufklärung im Rückblick Für Nadja

1 Einleitung: Zwei Fragen Ist es erlaubt, die vielgefeierte Dialektik der Aufklärung einmal kritisch zu lesen und ihre Geltungsansprüche im Sinne einer zeitgemäßen Aufklärung zu prüfen? Um meine Karten gleich auf den Tisch zu legen: Ich lasse mich dabei von zwei einfachen und bescheidenen Fragen und Forderungen leiten, die schon immer zum philosophischen Handwerk gehörten, im 20. Jahrhundert jedoch mit verbesserten Mitteln erneuert wurden. Die von Horkheimer und Adorno so geschmähten logischen Empiristen („Positivisten“) haben die erkenntniskritischen Untersuchungen John Lockes, David Humes und Immanuel Kants vertieft und sie um eine logisch-semantische Sprachkritik ergänzt. Moritz Schlick hat das kritisch-analytische Fragen in den 1930er Jahren folgendermaßen gekennzeichnet: Früher habe die Philosophie die großen Fragen der Metaphysik gestellt, heute aber „fragen [wir] weiter gar nichts als: ‚Was meinst du eigentlich?‘ Jedem, wer es auch sein mag, und wovon er auch sprechen mag, stellen wir die Frage: ‚Was ist der Sinn deiner Rede?‘“¹ Herbert Feigl verband dann ausdrücklich die sprachkritische mit der erkenntniskritischen Frage; dabei sprach er ausdrücklich von einem neuen Zeitalter der Aufklärung: „As I see it, we are living in a new age of enlightenment in which we ask persistently, and we hope with good results, two major questions: ‚What do you mean?‘ and ‚How do you know?‘“² Die Reihenfolge der beiden Fragen ist gemäß den folgenden Regeln festgelegt: (M 1) Wenn Dir eine These vorgelegt wird, frage Dich als erstes: Was bedeutet diese These? Was ist mit der These gemeint? Wie lässt sich das Gemeinte so deutlich wie möglich ausdrücken? (M 2) Wenn Dir eine These vorgelegt wird, frage Dich als zweites: Wie ist die These gerechtfertigt? Welche Gründe und Belege sprechen für und welche gegen diese These?

 Schlick, Gesammelte Aufsätze 1926 – 1936, XXIII.  Feigl, Inquiries and Provocations, 409, vgl. 400 f.; von Mises, Kleines Lehrbuch des Positivismus, 9. https://doi.org/10.1515/9783110555004-004

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Diese beiden Rationalitätsregeln wurden bereits von Sokrates, dem Ahnherrn der Aufklärung, konsequent befolgt. An manchen Stellen stieß Platon die Leser seiner Dialoge geradezu mit der Nase darauf; so folgte im Staat auf die an Thrasymachos gerichtete Aufforderung des Sokrates „[…] sage nur deutlicher, was du meinst“ die explizite Formulierung der zweiten Aufgabe: „Jetzt habe ich verstanden, was du meinst; ob es aber wahr ist oder nicht, will ich erst zu erkunden versuchen.“³ Ist es erlaubt, die Dialektik der Aufklärung einmal am Leitfaden dieser sokratischen Zweifachmedizin zu prüfen?

2 Hauptwerk, Jahrhundertbuch, Klassiker der Weltliteratur Längst gilt die Dialektik der Aufklärung als Hauptwerk der Frankfurter Schule der kritischen Theorie der Gesellschaft, als Klassiker der Sozialphilosophie, Soziologie und Politik, darüber hinaus als „Jahrhundertbuch“⁴, ja als Klassiker der Weltliteratur. In keinem der inzwischen zahlreichen Werklexika darf das Buch fehlen. Was als radikale Kritik antrat, endete im behaglichen Kanon. Im Fachjargon der Verlage und des Buchhandels ist die Dialektik der Aufklärung seit der zweiten Auflage (1969) ein „steadyseller“, wenn nicht gar ein „bestseller“; jeder leidlich gutsortierte Buchladen hält jederzeit ein paar Exemplare bereit. In philosophischen und soziologischen Seminaren dient das Werk regelmäßig als Textgrundlage. In den Schulen wird es in mundgerechten Häppchen dargereicht. Einige der funkelnden Formulierungen haben es bis in den Zitatenschatz von Gymnasiallehrern und Kabarettisten gebracht. Trotz seiner mehr als siebzig Jahre Geschichte wird dem Werk fortdauernde Aktualität attestiert; die Kernthesen, Diagnosen und Prognosen behalten, so meinen viele, ihre Gültigkeit. In der Zeitschrift The New Yorker verkündete der Musikkritiker Alex Ross unlängst seiner verblüfften Leserschaft, die Frankfurter Schule hätte den – also wohl doch nicht aufhaltsamen (?) – Aufstieg von Donald W. Trump vorhergesagt.⁵ Wodurch hat sich das Gemeinschaftswerk von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno diese zahlreichen Ehrentitel und Erfolge verdient? Was hat es innerhalb und außerhalb der Köpfe verändert, was hat es womöglich in der Welt an

 Platon, Politeia 338d, 339a (Übers. Apelt, 20).  Vgl. den Beitrag in Erhart/Jaumann (Hrsg.), Jahrhundertbücher. Theorien zwischen Freud und Luhmann.  Vgl. Ross, „The Frankfurt School Knew Trump Was Coming“.

Nachgedanken zu Nachtgedanken: Die Dialektik der Aufklärung im Rückblick

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Gutem gestiftet? Hat es Licht in Begriff und Phänomene der Aufklärung gebracht? Welche Intention verfolgten die Autoren? Haben sie die Dialektik zu einer verständlichen, prüfbaren und verlässlichen Methode entwickelt? Wie haben sie die zahlreichen Thesen und Diagnosen begründet? Hat das Werk, wie intendiert, die Aufklärung „gerettet“? Hat es zumindest die Erforschung und das Verständnis der Aufklärung gefördert? Hat es die folgenden Generationen dazu motiviert, sich mit der Aufklärung zu beschäftigen? Dies sind Fragen, die erstaunlich selten gestellt wurden.⁶ Fangen wir an, diese und verwandte Fragen ernsthaft zu stellen und nach Antworten auf sie zu suchen! Der Untertitel meines Beitrags meint einen doppelten Rückblick: Im ersten Teil blicke ich als Repräsentant und Anwalt der geneigten Leserschaft auf die Dialektik der Aufklärung zurück; im kürzeren zweiten Teil betrachte ich, wie Horkheimer und Adorno sich in späteren Stellungnahmen zur Aufklärung, und zwar insbesondere zu Kants Aufklärungsprogramm, geäußert haben.

3 Ein Buch mit sieben Siegeln Bevor wir uns dem voraussetzungsreichen „Jahrhundertbuch“ zuwenden können, sind vorbereitende Klärungen nötig. Die Dialektik der Aufklärung begann zwar mit einem Abschnitt zum „Begriff der Aufklärung“; aber leider hielten die Ausführungen nicht, was die Überschrift wenn nicht versprach, dann doch zumindest erhoffen ließ. An dieser Stelle sind kritische Anmerkungen im Lichte der Frage „What do you mean?“ angebracht. Das Buch ist ersichtlich für Insider geschrieben.⁷ Für interessierte Leser, die nicht schon in das komplexe Programm⁸ und die verschlungene Geschichte der Frankfurter Schule⁹ eingeweiht sind, ist es eine Herausforderung, um nicht zu sagen, eine Zumutung. Schon die Köpfe der ersten Generation der Frankfurter Schule, darunter Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer, reagierten „ratlos“¹⁰. Für Jürgen Habermas, den wichtigsten Kopf der

 Zu den aufs Ganze gesehen eher raren kritischen Stellungnahmen gehören Schröder, Moralischer Nihilismus, Kapitel V (vgl. besonders 126 – 129, 131, 134, 138, 155) und Enskat, „Dialektik der Aufklärung? Revisionen diesseits und jenseits des Bannkreises eines Buchs“.  Ursprünglich sollte es ja wohl auch nur innerhalb des Instituts für Sozialforschung zirkulieren. Diese Bestimmung merkt man ihm bis heute an.  Vgl. Geuss, The Idea of a Critical Theory.  Vgl. Wiggershaus, Die Frankfurter Schule.  Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 383.

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zweiten Generation, ist es „ein merkwürdiges Buch“¹¹, bei dessen Lektüre sich „die Frage nach den Motiven [aufdränge], die Horkheimer und Adorno dazu bewegt haben können, ihre Kritik der Aufklärung so tief anzusetzen, daß das Projekt der Aufklärung selbst in Gefahr gerät […]“.¹² Das Buch ist voll von vielsagenden Andeutungen und gelehrten Anspielungen. Wer nicht mit den Gedanken von Karl Marx, Sigmund Freud, Max Weber, Walter Benjamin, Siegfried Kracauer, Georg Lukács, Erich Fromm, Herbert Marcuse, Friedrich Pollock, Leo Löwenthal u.v.a. gut vertraut ist (ganz zu schweigen von den einschlägigen Vor- und Parallelarbeiten Horkheimers und Adornos), hat kaum eine Chance dem Gang der Überlegungen zu folgen. These folgt auf These, Aperçu auf Aperçu; die Begründung dieser Behauptungen und Einfälle muss sich der Leser weitgehend selbst verschaffen. Die meisten Thesen entziehen sich einem direkten Verständnis. Die Autoren arbeiten mit Zuspitzungen, starken Übertreibungen und jede Menge Sarkasmus. Welche Behauptungsgehalte man ihnen als aufrichtige Überzeugungsinhalte zurechnen kann, das zu beurteilen, bleibt dem Leser überlassen. Nach der Lektüre einer einzigen Seite haben sich so viele Interpretations- und Beurteilungsfragen angehäuft, dass der verantwortungsvolle Leser immer unsicherer wird, ob er das Folgende noch verstehen kann, bevor diese Fragen geklärt und wenigstens vorläufig beantwortet sind. Mit anderen Worten: Horkheimer und Adorno haben ein unlesbares Buch geschrieben. Wie viele mögen es wohl statarisch von Deckel zu Deckel gelesen haben? Ersatzweise klammern sich die Leser, wenn sie nicht sofort kapitulieren, an eine Handvoll suggestiver Formulierungen, die ihnen notgedrungen als pars pro toto dienen.

4 Zum Begriff der Aufklärung: Programm, Bewegung, Epoche Unter vielem anderem fehlt in dem Abschnitt zum „Begriff der Aufklärung“ eine Klärung zu einer systematischen Mehrdeutigkeit des Terminus „Aufklärung“.¹³

 Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 130.  Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 138.  Dass Begriffswörter, auch philosophische, systematisch mehrdeutig sind, ist nichts Ungewöhnliches und auch nicht weiter schlimm. Man tut jedoch gut daran, die im Folgenden erläuterten Unterscheidungen bei der Rekonstruktion und der Bewertung „der“ Aufklärung zu berücksichtigen.

Nachgedanken zu Nachtgedanken: Die Dialektik der Aufklärung im Rückblick

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Noch unbestimmter bleibt freilich der andere Titelbegriff: „Dialektik“. (Darauf kommen wir unten zurück.) Seit langem ist es üblich, den Begriff „Aufklärung“ als historischen Epochenbegriff zu verwenden. Man bezieht sich damit in aller Regel recht grob¹⁴ auf das 18. Jahrhundert, das sich selbst bereits als „Zeitalter der Aufklärung“ taufte. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts ist diese Epoche historisch immer breiter und tiefer erforscht worden. Die Untersuchungen haben sich von den Ausgangsund Kernländern England, Schottland, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland auf viele andere Länder ausgedehnt. Neben den gemäßigten Formen hat man sich in den letzten Jahrzehnten auch der Radikalaufklärung zugewandt. Gewiss bleibt noch viel zu tun; manches ist noch unterbelichtet, anderes gänzlich terra incognita. Aber man darf schon heute fragen: Soll man es bei einer antiquarisch-historischen Aufarbeitung belassen und die Akte nach Ergänzung der bestehenden Lücken schließen? Mit anderen Worten: Ist die Aufklärung nichts anderes als eine inzwischen längst vergangene Epoche, die uns genauso fern und fremd ist wie etwa die Jungsteinzeit oder das Rokoko? Renommierte Historiker plädieren inzwischen dafür, die Aufklärung konsequent zu historisieren und damit gleichsam zu den Akten zu legen. Davon „sich auf die Suche nach dem Programm der Aufklärung zu begeben“, wie Philosophen es gerne unternehmen, halten die Hallenser Historiker Andreas Pečar und Damien Tricoire nichts.¹⁵ Sie wollen in ihrer Streitschrift Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne? überhaupt nur noch den Epochenbegriff gelten lassen; und diese Epoche der Aufklärung, in der sie nur noch eine eitle Selbstinszenierung einiger geltungssüchtiger Intellektueller zu sehen vermögen, solle man endlich behandeln „wie jede andere“.¹⁶ Der unter Philosophen verbreitete Eindruck einer fortdauernden Aktualität der Aufklärung beruht diesen Historikern zufolge auf Missverständnissen und daraus resultierenden Illusionen, vor allem auf Fehlern eines interessegesteuerten Anachronismus. Andere, die sich mit der Aufklärung befassen, räumen zwar ein, dass „Aufklärung“ auch, ja sogar primär, ein Programm bezeichnet: etwas, an dessen Verwirklichung, Revision und Weiterentwicklung zu verschiedenen Zeiten gearbeitet werden kann. Die Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts kann dann als

 Wenn man es genauer nimmt, sollte man – zumindest für manche Länder – Teile des 17. Jahrhunderts einbeziehen.  Pečar/Tricoire, Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?, 180.  Pečar/Tricoire, Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?, 181.

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paradigmatischer Fall einer Bewegung dienen, zu der man in anderen Epochen Parallelen und Analogien suchen kann. So spricht man etwa von Anfängen der Aufklärung bei Xenophanes von Kolophon und manchen Sophisten, von einer sokratischen Aufklärung, von Aufklärungsabsichten bei Epikur und seinem römischen Anhänger Lukrez, von vereinzelten Ansätzen der Aufklärung im Mittelalter oder in der Renaissance. Es gibt mithin (neben dem historischen Epochenbegriff und dem soziologischen Bewegungsbegriff) jedenfalls auch einen systematisch-programmatischen, einen philosophischen Begriff von Aufklärung. Aber nicht wenige halten die Aufklärung in diesem programmatischen Sinne für überholt oder zumindest für gescheitert – wenn nicht gar für ein rein philosophisches Phantasiekonstrukt.

5 Der Begriff der Aufklärung in der Dialektik der Aufklärung Was meinen Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung mit „Aufklärung“? Nun, zunächst einmal verwenden sie den Begriff der Aufklärung zumeist im Sinne eines Programms: Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils. Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt.¹⁷

Sie zeigen sich durchweg überzeugt, dass es ein klar identifizierbares Programm der Aufklärung gibt. Von einer sorgfältigen Rekonstruktion dieses Programms aus den historischen Quellen kann jedoch weder in dem Abschnitt „Begriff der Aufklärung“ noch in den folgenden Abschnitten die Rede sein. Stattdessen neigen Horkheimer und Adorno dazu, das Programm der Aufklärung auf zwei sehr allgemeine Großtendenzen zu reduzieren: (1) das Streben nach immer weiter fortschreitender Beherrschung der (äußeren und inneren) Natur und damit zusammenhängend (2) das Streben nach Entmythologisierung „durch Wissen“, Vernunft und positivistisch betriebene Wissenschaft, in An-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.

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spielung auf ein berühmtes Wort Max Webers: das Streben nach „Entzauberung der Welt“.¹⁸ Das ergibt einen denkbar weiten Begriff von Aufklärung, „Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens“¹⁹, durch den Horkheimer und Adorno sich die Lizenz erteilen, nahezu beliebige Texte von Homer bis Hitler als Symptom und Ausdruck von Aufklärung und Selbstzerstörung der Aufklärung zu deuten. Dienen zu Beginn der Abhandlung „Begriff der Aufklärung“ noch Francis Bacon und Baruch Spinoza als Kronzeugen und Hauptstichwortgeber²⁰, so wird die Quellengrundlage dann rasch auf die gesamte Geschichte der Überlieferung von den ältesten Mythen und Epen bis zum 20. Jahrhundert ausgeweitet. Denn, so die Hauptthesen des Abschnitts „Begriff der Aufklärung“: „schon der Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in Mythologie zurück.“²¹ Die gesamte Geschichte der Menschheit unterliege einer eigentümlichen „Dialektik“²²: einer Dialektik von Aufklärung auf der einen Seite und Mythos und Barbarei auf der anderen Seite: Als Theorie schlage Aufklärung in Mythos um, als Praxis in Barbarei. So wohne der Aufklärung eine Tendenz zur „Selbstzerstörung“ inne.²³

6 Der Kern des Aufklärungsprogramms Versucht man stattdessen einen Begriff von Aufklärung zu bestimmen, der in den maßgebenden Dokumenten der Bewusstwerdung des Programms wiederzuerkennen und zu belegen ist, gelangt man zu einem deutlich enger und klarer konturierten Begriff. Primär bedeutet „Aufklärung“ – darin stimmen wir mit Horkheimer und Adorno überein – (1.) ein Programm, ein Bündel von Ideen und Idealen, Zielsetzungen, Forderungen und Maximen.²⁴ Worin das Programm im Einzelnen besteht,

 Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25; vgl. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 594; Ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 94. – Ob Weber dabei dasselbe im Auge hatte wie später Horkheimer und Adorno, erscheint fraglich. Hier fehlt der Raum, diese Frage zu erörtern.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.  Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25 – 30. Kritisch zu Horkheimers und Adornos einseitiger Bacon-Interpretation Enskat, „Dialektik der Aufklärung?“, 392– 394, vgl. Ders., Bedingungen der Aufklärung, 17– 19.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 21.  Auch an diesem Punkt ist die Frage „What do you mean?“ angezeigt.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 16.  Wenn sie den Terminus „Ideologie“ nicht von vornherein abwertend verwenden, mögen die Vertreter der Frankfurter Schule die Aufklärung gerne auch eine „Ideologie“ nennen. Ich ziehe

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darin stimmen wir mit den Autoren der Dialektik der Aufklärung freilich nicht überein. (Dazu unten mehr und Genaueres.) Abgeleitet können dann auch (2.) soziale und politische Bewegungen, die sich bemühen, dieses Programm zu verwirklichen, und (3.) eine Epoche, die durch es maßgeblich geprägt ist, „Aufklärung“ heißen. Bezüglich des Aufklärungsprogramms stellen sich Fragen, die am besten mit philosophischen Mitteln zu untersuchen sind: Welche Ideen, Ziele und Maximen gehören zum Programm der Aufklärung? Welche sind besonders zentral? Wie lässt sich das Programm rechtfertigen? Lässt es sich überhaupt verwirklichen? Welche positiven oder negativen Folgen sind von der Realisierung des Programms zu erwarten? Obwohl Programme aller Art in unserem Leben eine eminente Rolle spielen, ist der Begriff des „Programms“ noch kaum untersucht worden. Ich beschränke mich in diesem Zusammenhang auf Hinweise, die für das Folgende von Belang sind: Programme brauchen nicht explizit formuliert und kodifiziert zu werden; die sie konstituierenden Ideen und Regeln können lange Zeit implizite Geltung besitzen. Typischerweise wird das jeweilige Programm jedoch früher oder später in Manifesten, Programmschriften und Rückblicken explizit gemacht. Auch die Bezeichnung des Programms wird oft erst relativ spät geprägt. Im Falle der Aufklärung geschah dies erst im 17. und 18. Jahrhundert.²⁵ Programme können zu verschiedenen Zeiten und sie können mehr oder weniger gut und vollständig realisiert werden. Typischerweise bleibt die Verwirklichung bei den ersten Anläufen hinter dem Programm zurück. Auch das Programm der Aufklärung ist sicher bei weitem noch nicht in allen Bereichen mit dem höchsten Vollkommenheitsgrad verwirklicht worden.²⁶ Bei Programmen ist es oft sinnvoll und klärend, zwischen Kern und Beiwerk zu unterscheiden; zumindest gibt es typischerweise graduelle Abstufungen zwischen zentraleren und periphereren Elementen. Auch bei der Rekonstruktion, Beurteilung und Bewertung des Programms der Aufklärung kommt es wesentlich darauf an, zwischen Kern und Beiwerk zu unterscheiden. Programme wandeln sich historisch. Insbesondere können sich die Vorstellungen davon ändern, wie der Kern eines Programms am besten zu realisieren ist. Auf der einen Seite kann

den Terminus „Programm“ vor. (Zu verschiedenen Bedeutungen von „Ideologie“, die man tunlichst auseinanderhalten sollte, vergleiche die Analyse von Raymond Geuss in dessen Maßstäbe setzender Rekonstruktion der Idee einer kritischen Theorie; The Idea of a Critical Theory, Kapitel I.)  Vgl. Stuke, „Aufklärung“; Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung.  Vgl. die Zwischenbilanz in Louden, The World We Want. How and Why the Ideals of the Enlightenment Still Elude Us.

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sich beispielsweise zeigen, dass bestimmte Programmpunkte zu ambitioniert waren, so dass man sie vernünftigerweise abschwächen oder ganz aufgeben muss. Auf der anderen Seite können Mittel und Strategien entwickelt oder verbessert werden, um ein Programm überhaupt erst einmal zu realisieren. Auch wenn wir es, wie heute gerne betont wird, nicht mit einem einheitlichen Programm, sondern eher mit einer Familie verschiedener, wenngleich verwandter Aufklärungsprogramme zu tun haben, ist die kategoriale Differenz zwischen Programm, Bewegung und Epoche zu beachten. Der Hinweis auf die systematische Mehrdeutigkeit des Aufklärungsbegriffs und die sachliche Priorität des Programms ist also keineswegs eine müßige Haarspalterei; er zielt auf Unterschiede von allergrößter Bedeutung – nicht zuletzt, wenn es um die Beurteilung der Aufklärung geht. Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob das Programm, die Bewegung oder die Epoche kritisch beurteilt und positiv oder negativ bewertet werden soll. Trotz vielfältiger Unterschiede im Einzelnen lässt sich ein nicht-trivialer Kern der Aufklärungsprogramme identifizieren. Nach Ernst Cassirers immer noch lesenswerter Darstellung Die Philosophie der Aufklärung wird die Aufklärung „von wenigen großen Haupt- und Grundgedanken beherrscht“.²⁷ Ohne die mannigfachen zeitlichen und regionalen Differenzen herunterzuspielen, kann man den Kern des Programms idealtypisch folgendermaßen fassen: Der Mensch soll sich mittels des richtigen Gebrauchs seiner eigenen Seelenvermögen, insbesondere seines Verstandes, seiner Vernunft und seiner Urteilskraft, selbst befreien und kognitiv, vor allem aber moralisch („sittlich“) und rechtlich vervollkommnen. Von dieser Reform der Denkungsart versprach man sich eine Besserung der Verhältnisse in allen Lebensbereichen – von den Wissenschaften und Künsten über Erziehung, Religion und Moral bis hin zu Recht und Politik. Als Voraussetzungen für die Verwirklichung dieses Programms wurden zwei besonders hervorgehoben: (i) die allgemeine Menschenvernunft als Naturanlage und (ii) die Gewährung von Grundfreiheiten (wie Denk-, Rede- und Publikationsfreiheit) als äußere Bedingung. Norbert Hinske hat eine für die Orientierung nützliche und inzwischen in der Forschung bewährte Typologie entwickelt, der zufolge man in dem Programm der Aufklärung näherhin unterscheiden kann: (1) Basisideen, (2) „positive“ Programmideen, (3) „negative“ Kampfideen sowie (4) – aus jedem dieser drei Typen

 Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, XII. Horkheimer und Adorno ignorieren Cassirers Darstellung wie überhaupt die meiste damals bereits vorhandene Literatur zur Epoche der Aufklärung.

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von Hauptideen – abgeleitete Ideen.²⁸ Diese Ideen sind durchgängig philosophischen Ursprungs.²⁹ Viele verbinden mit der Aufklärung an erster Stelle die Kampfideen, also das, wogegen sie gekämpft hat: Den Kampf angesagt hat sie den dunklen und verworrenen Vorstellungen, den Vorurteilen, dem Aberglauben, der Schwärmerei und dem Fanatismus. Seit der Idolenlehre von Francis Bacon und dem methodischen Zweifel von René Descartes stand die Befreiung von Vorurteilen und Voreingenommenheiten aller Art auf der philosophischen Agenda. Bereits die Frühaufklärer Pierre Bayle und Bernard le Bovier de Fontenelle hatten in ihren Werken eine umfangreiche „Enzyklopädie der Irrtümer und Schwächen“ des menschlichen Geistes zusammengetragen.³⁰ In den Logiklehrbüchern, zunehmend auch in selbständigen Abhandlungen wurden differenzierte Vorurteilstheorien entwickelt, die den Begriff des Vorurteils, die Hauptarten und die Ursachen von Vorurteilen behandelten.³¹ Vor allem John Locke und Immanuel Kant arbeiteten genauer heraus, dass Vorurteile nicht in erster Linie irrige Einzelurteile, sondern schwer abzulegende irrationale Urteilsmaximen sind. In der kritiklosen Übernahme von voreingenommenen und abergläubischen Meinungen zeigt sich ein schädlicher Hang zur Heteronomie der Vernunft, den jede einzelne Person gegen äußere und innere Widerstände überwinden muss.³² Um Aberglauben und Schwärmerei zu vermeiden, galt es zunächst, die Reichweite und die Grenzen der menschlichen Erkenntnisvermögen zu bestimmen, was Locke in seinem Essay concerning Human Understanding begonnen und Kant in seiner kritischen Philosophie mit verbesserten Mitteln fortgeführt und vertieft hat. Positiv tritt die Aufklärung für eine kritische Eklektik, für Selbstdenken und Mündigkeit, allgemein: für Selbstbestimmung im Denken und Handeln, ein. Die Idee der Eklektik war seinerzeit mit einem eindeutig positiven Wertakzent versehen: Gemäß dem Motto „Prüft aber alles; und das Gute behaltet!“ (1. Thess. 5, 21) sollte die Vielfalt der Meinungen kritisch geprüft und mit Hilfe eines selbständigen, nur der Wahrheitssuche verpflichteten Urteils die besten davon ausgewählt werden.³³ Ein Synkretismus, der wahllos Heterogenes zusammenstellt, wurde

 Hinske, „Aufklärung“, 392; Ders., „Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung. Versuch einer Typologie“, 412.  Vgl. Hinske, „Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung.Versuch einer Typologie“, 410; Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung, 12– 15.  Schalk, Studien zur französischen Aufklärung, 85.  Vgl. Schneiders, Aufklärung und Vorurteilskritik; Reisinger/Scholz, „Vorurteil I.“  Vgl. Reisinger/Scholz, „Vorurteil I.“  Vgl. Hinske, „Die tragenden Grundideen der deutschen Aufklärung.Versuch einer Typologie“, 417 ff.; Albrecht, Eklektik.

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ebenso abgelehnt wie ein philosophisches Sektierertum, bei dem die Aussprüche des Schulhauptes unkritisch nachgebetet werden. John Locke formulierte in seinem Essay die Forderung, „that […] we […] made use rather of our own Thoughts“, mit anderen Worten: „employ our own Reason“.³⁴ Nach Denis Diderot ist der Eklektiker ein Philosoph, der – indem er sich von Vorurteilen, Traditionen und Autoritäten frei macht – es „wagt, selbst zu denken [ose penser de lui-même]“.³⁵ Und Voltaire ruft die Leser in seinem Dictionnaire philosophique auf: „[…] osez penser par vous-même.“³⁶ Nach Immanuel Kant ist Aufklärung geradezu „die Maxime, jederzeit selbst zu denken“, wobei Selbstdenken bedeutet: „den Probierstein der Wahrheit in sich selbst (d.i. in seiner eigenen Vernunft) suchen.“³⁷ Da Unmündigkeit „das Unvermögen“ ist, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“, kann Aufklärung folgerichtig auch als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ charakterisiert werden.³⁸ Zur Selbstaufklärung braucht es nicht nur den Verstand als Vermögen, sondern auch die Kraft des Willens zum richtigen, konsequenten und standhaften Gebrauch dieses Vermögens. „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“³⁹ wird damit zum Wahlspruch der Aufklärung. Zu den Basisideen der Aufklärung gehören die Idee einer Bestimmung des Menschen⁴⁰ und die Annahme einer allgemeinen Menschenvernunft, worin – in Kants schönen Worten – „ein jeder seine Stimme hat“.⁴¹ Das anthropologische Selbstverständnis der Aufklärung geht von der wesentlichen Gleichheit der menschlichen Natur und ihrer Bestimmung aus: Jeder Mensch ist mit den gleichen Seelenvermögen ausgestattet, insbesondere mit einer Vernunft, die er dazu gebrauchen soll, zu verstehen, was man sein muss, um ein Mensch zu sein, und sich dadurch des Menschseins würdig zu machen.⁴² Unter den abgeleiteten Ideen sind die Ideen der Unparteilichkeit, der Liberalität bzw. Toleranz, des Kosmopolitismus (Weltbürgertums), der Öffentlichkeit

 Locke, An Essay concerning Human Understanding, I, iv, 23, hrsg. Nidditch 101.  Diderot, Oeuvres complètes, VII, 111.  Voltaire, Dictionnaire philosophique, 280.  Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren?, AA VIII, 146.  Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, AA VIII, 35.  Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, AA VIII, 35.  Vgl. Spalding, Die Bestimmung des Menschen [1748]; dazu Brandt, Die Bestimmung des Menschen bei Kant; Macor, Die Bestimmung des Menschen (1748 – 1800): Eine Begriffsgeschichte.  Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 752/B 780.  Kant, Bemerkungen zu den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, AA XX, 41.

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und der Druck- und Pressefreiheit hervorzuheben.⁴³ Hauptmedium der Aufklärung ist der öffentliche Diskurs. Alles, selbst Religion und Gesetzgebung, muss sich im „Zeitalter der Kritik“ der freien und öffentlichen Prüfung unterwerfen.⁴⁴ So ergibt sich ein deutlich anderes Bild der Aufklärung, als es von Horkheimer und Adorno gezeichnet worden ist. Das Streben nach „totaler“ Beherrschung der Natur mag zwar einem verbreiteten Bacon-Klischee entsprechen, gehört aber ebenso wenig zum Kern des Aufklärungsprogramms wie eine auf instrumentelle Vernunft reduzierte Rationalität.

7 Zur Geschichte der Aufklärungskritik Die Aufklärung hat als Programm, Bewegung und Epoche unterschiedliche Bewertungen und Reaktionen erfahren. Besonders schwer hatte sie es seit jeher in Deutschland.⁴⁵ Schon im 18., vermehrt im 19. und 20. Jahrhundert ist sie von vielen Seiten angegriffen und diffamiert worden. So waren schon Kant und seine Zeitgenossen damit konfrontiert, dass der Name der Aufklärung oft und gerne „bespöttelt“ wurde.⁴⁶ Legitim war die Forderung, die Aufklärung solle über sich selbst nachdenken und dabei sich selbst aufklären. Freilich stellt dies keinen Einwand dar: Es ist vielmehr ganz im Sinne des Aufklärungsprogramms, auch auf sich selbst angewendet zu werden: Konsequente Aufklärung schloss immer schon Aufklärung der Aufklärung ein.⁴⁷ So kam es bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts – besonders im deutschen Sprachraum – zu einer breiten und lebhaften Diskussion über die Ziele und Grenzen der Aufklärung.⁴⁸ Die Forderung von Horkheimer und Adorno, „die Aufklärung muss sich auf sich selbst besinnen“⁴⁹, rannte somit offene Türen ein. Die Antworten von Moses Mendelssohn und Immanuel Kant auf die Frage, was Aufklärung sei, sind nur zwei Beiträge zu einer umfangreichen und weitverzweigten Debatte über die wahre Aufklärung und ihr Gegenteil.⁵⁰  Vgl. Hinske, „Pluralismus und Publikationsfreiheit im Denken Kants“; Scholz, „Aufklärung: Von der Erkenntnistheorie zur Politik – Das Beispiel Immanuel Kant“.  Kant, Kritik der reinen Vernunft, A XI.  Vgl. Knott, Aufklärung: Eine ideologiekritische Untersuchung zur Rezeption der Aufklärung in Deutschland.  Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 57.  Vgl. Schneiders, Die wahre Aufklärung. Zum Selbstverständnis der deutschen Aufklärung, 27.  Vgl. Hinske (Hrsg.), Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift; Schmidt (Hrsg.), What Is Enlightenment? Eighteenth-Century Answers and Twentieth-Century Questions.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 20.  Vgl. Schneiders, Die wahre Aufklärung. Zum Selbstverständnis der deutschen Aufklärung.

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Die Aufklärung stieß auch immer wieder auf Resignation und offene Ablehnung. Angesichts der tatsächlich immer und überall anzutreffenden Aufklärungsresistenz der Menschen zu resignieren, ist bedauerlich und letztlich wohl auch nicht besonders vernünftig, da ja mit Händen zu greifen ist, dass viele Missstände in Vergangenheit und Gegenwart gerade auf Aufklärungsdefiziten beruhen; aber es ist immerhin psychologisch nachvollziehbar. Daneben gab und gibt es jedoch auch prominente Stimmen, die der Aufklärung nachgerade eine Haupt- oder Mitschuld geben an späteren Krisen, Rückschritten, Übeln und Verbrechen. Lang ist die Liste dessen, was ihr vorgeworfen wird.⁵¹ So brandmarkten sie schon Sturm und Drang und Romantik als einseitige Vergötzung von Verstand und Nützlichkeit und setzten ihr Gefühl, Glauben und Genie entgegen. Die Protagonisten des Deutschen Idealismus stempelten sie als platt und matt ab: Als platt im Vergleich zu den eigenen geistigen Höhenflügen, als matt im Vergleich zur französischen Aufklärung. Konservative wie Edmund Burke verabscheuten die Französische Revolution und verteidigten die Orientierung an Tradition und Autoritäten, ja selbst an Vorurteilen. Dass Konservative die Aufklärung für die Französische Revolution und andere Umstürze verantwortlich machen wollten, war nicht sonderlich überraschend, auch wenn sie damit die realen Kausalzusammenhänge zumindest stark vereinfachten. Im Laufe der Zeit wurde das Register der Vorwürfe aber immer länger und monströser: Heute muss die Aufklärung herhalten für alle möglichen Formen der „Entzauberung der Welt“, der Säkularisierung, des Nominalismus und Atheismus, des Utilitarismus, Positivismus und Behaviorismus, des Imperialismus und Totalitarismus, des Rassismus und Sexismus, des entfesselten Kapitalismus, insgesamt eines selbstzerstörerischen Immoralismus und Wertenihilismus, der von einer seelenlosen Kulturindustrie überzuckert und verdeckt werde. Mit James Schmidt mag man sich verwundert fragen, „how one period could have been responsible for so much and so many different kinds of harm.“⁵²

 Vgl. etwa Schmidt, „Introduction: What Is Enlightenment? A Question, Its Context, and Some Consequences“, 1. Zu einigen dieser Kritikpunkte vgl. die Entgegnungen bei Darnton, George Washington’s False Teeth: An Unconventional Guide to the Eighteenth Century; Scholz, „Aufklärung: Von der Erkenntnistheorie zur Politik – Das Beispiel Immanuel Kant“, sowie manchen Beiträgen in diesem Buch.  Schmidt, „Introduction: What Is Enlightenment? A Question, Its Context, and Some Consequences“, 1.

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8 Die Karriere der Dialektik der Aufklärung Zu dem bekanntesten und wirkmächtigsten Manifest solcher Mutmaßungen und Zurechnungen avancierten die von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno gemeinsam verantworteten Philosophischen Fragmente, die im Jahre 1944 zuerst als mimeographiertes Manuskript am Institute of Social Research in New York zirkulierten. In einer Auflage von 500 Exemplaren fand der Text zunächst vornehmlich unter den Mitarbeitern und Freunden des Instituts Verbreitung. Er war Friedrich Pollock, dem Ökonomen des Instituts, zum 50. Geburtstag gewidmet.⁵³ Im Jahre 1947 erschien das Gemeinschaftswerk dann in dem Amsterdamer Verlag Querido, dem bedeutendsten deutschsprachigen Exil- und Widerstandsverlag, international sichtbar im Druck. Bei dieser Gelegenheit erhielt es den inzwischen emblematischen Titel Dialektik der Aufklärung. ⁵⁴ Dieser Titel, der bis heute Leser wie Nichtleser bezaubert, dürfte einen maßgeblichen Anteil an dem staunenswerten Erfolg des Buches gehabt haben. Liefert er doch zugleich eine Formel, die es zu erlauben scheint, bei jeder Diskussion über Fragen der Aufklärung mitzureden, ja das letzte Wort zu behalten, dem niemand mehr zu widersprechen wagt. Nach einer anfänglich eher ruhigen Aufnahme avancierte die Schrift in der Zeit der Studentenbewegung zu einem Kultbuch der Intellektuellen, insbesondere der politischen Linken. Nachdem die erste Auflage vergriffen war, zirkulierte der Text zunächst in zahlreichen Raubdrucken, bis Horkheimer und Adorno einer Neuausgabe zustimmten, die schließlich 1969 erschien. Besonders Horkheimer soll sich anfangs gegen einen Neudruck „gesperrt“ haben.⁵⁵ Inzwischen gilt die Dialektik der Aufklärung als „die folgenreichste Veröffentlichung der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule“, so das Nachwort der Ausgabe in den Gesammelten Schriften Horkheimers.⁵⁶ Für unseren Zusammenhang bedeutsam ist die Tatsache, dass es sich allem Vermuten nach mit Abstand um das meistgelesene Buch handelt, das einen inhaltlichen Bezug zur Aufklärung beansprucht. Und auch wer es nicht (oder jedenfalls nicht von Deckel zu Deckel)

 Zu Friedrich Pollock, dem Nationalökonomen im Institut für Sozialforschung, siehe Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 76 – 80 u. ö.  Ursprünglich trug nur das erste der Philosophischen Fragmente, das seit der Ausgabe 1947 „Begriff der Aufklärung“ überschrieben ist, den Titel „Dialektik der Aufklärung“.  Vgl. Schmid Noerr in: Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 425. Vielleicht hing diese Zurückhaltung ein klein wenig auch damit zusammen, dass er sich in der Zwischenzeit, in einer 1962 gesendeten Rundfunkrede über „Kants Philosophie und die Aufklärung“, ganz anders geäußert hatte. Wir kommen darauf zurück.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 423.

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gelesen hat, führt wenigstens den berühmten Titel als probaten Topos im Munde. Die Dialektik der Aufklärung ist ungleich bekannter als die Aufklärung.

9 Thesen, Diagnosen und Erklärungen: Zur Klärung der Geltungsansprüche Welche Geltungsansprüche verbinden die Autoren mit ihren Ausführungen? Und wie sollen diese eingelöst werden? Der ursprüngliche Titel Philosophische Fragmente gab sich noch bescheiden. Auch sollten die Fragmente anfangs wohl zunächst der Selbstverständigung der beiden Autoren und der Kommunikation innerhalb des Instituts für Sozialforschung dienen. In der Tat handelt es sich denn auch nicht um eine streng durchkomponierte Monographie, sondern um eine lose Sammlung von Aufsätzen und historischen Exkursen, an die am Ende noch etliche „Aufzeichnungen und Entwürfe“ angehängt sind. Der Hinweis auf den Fragment-Charakter darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Autoren mit diesem Werk letztlich sehr starke Geltungsansprüche verbanden. Das zeigte sich bereits in der Umbenennung anlässlich der Veröffentlichung im Jahre 1947: Die Autoren legen nunmehr die ganz allgemeine Diagnose einer „Dialektik der Aufklärung“ vor, die ein überaus ambitioniertes Erkenntnisziel verfolgt: Was wir uns vorgesetzt hatten, war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt.⁵⁷

Die einzelnen „Fragmente“, die sich fortsetzen ließen, sollen die behauptete Dialektik der Aufklärung anhand von „Modellanalysen“ exemplifizieren. So ist der „Exkurs I: Odysseus oder Mythos und Aufklärung“ Homers Odyssee gewidmet, der die überraschende These belegen soll, dass schon der Mythos Aufklärung war.⁵⁸ Der „Exkurs II: Juliette oder Aufklärung und Moral“, der zeigen soll, dass und wie die Aufklärung in Mythologie „zurückschlägt“, führt uns ins Zeitalter der Aufklärung, genauer: in die Spätaufklärung und im Falle Nietzsches darüber hinaus. In diesem Exkurs begegnen wir einer unerwarteten Trias: „Kant, Sade und Nietzsche, den unerbittlichen Vollendern der Aufklärung“.⁵⁹ Es folgt ein  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 16.  Kritisch zu Horkheimers und Adornos Homer-Interpretation Enskat, „Dialektik der Aufklärung?“, 396 – 400.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 21 f.

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Fragment, das heute im allgemeinen Bewusstsein wohl am präsentesten ist: „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“. Der Titel deutet die These bereits an, die durch Beispiele aus der US-amerikanischen Unterhaltungskultur (Radio, Film, Fernsehen) exemplifiziert werden soll. Der griffige Neologismus „Kulturindustrie“ gehört seitdem zum Wortschatz jedes Intellektuellen, der auf sich hält. Der Abschnitt „Elemente des Antisemitismus. Grenzen der Aufklärung“ versucht sich an einer „philosophische[n] Urgeschichte des Antisemitismus“.⁶⁰ Vermischte „Aufzeichnungen und Entwürfe“, die einmal zu einer „dialektische[n] Anthropologie“ beitragen sollen, beschließen den Band.⁶¹ Besonders deutlich ist der Erklärungsanspruch. Das Gesamtexplanandum formulieren die Autoren mit einer Warum-Frage: Warum versinkt die Menschheit in eine neue Art von Barbarei, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten?⁶² Es handelt sich deutlich um eine nach einer Erklärung verlangende kontrastive Warum-Frage nach dem Muster „Warum p (anstatt q)?“ bzw. „Warum p (und nicht q)?“ Man kann nicht genug darauf hinweisen, dass damit ein eminent hoher Anspruch erhoben wird, was den Autoren auch bewusst gewesen zu sein scheint, wie die Formulierung „tatsächlich nicht weniger als“ belegt. Ich bezweifle, dass irgendjemand 1944 oder zu irgendeinem späteren Zeitpunkt über Theorien und Methoden verfügte, die geeignet und zureichend wären, den damit erhobenen Erklärungsanspruch einzulösen. Vor allem ist das zu erklärende Makro-Phänomen ungeheuer komplex und nur schwer präzise einzugrenzen. Da die Autoren den Begriff der Aufklärung denkbar weit fassen, geht es letztlich um eine Gesamtgeschichte der Zivilisation. Das wirft zahlreiche Fragen auf wie: Welche Veränderungen und Entwicklungen daraus sollen erklärt werden? Welche einzelnen Phänomene zählen zu der neuen Art von Barbarei? Wie sähe ein wahrhaft menschlicher Zustand aus? Usw.

10 Methoden Wie gingen die Autoren nun vor und was leisteten sie für das selbstgesteckte Ziel? Seit Horkheimer die Leitung des Instituts für Sozialforschung übernommen hatte, gehörte zum offiziellen Programm die Verbindung von Sozialphilosophie mit den  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 22.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 23.  In der Frühzeit der Frankfurter Schule war das zentrale Explanandum noch ein anderes: Warum kam es im Westen, zumal in Deutschland, nicht zu der segensreichen Revolution, die der Marxismus prophezeit hatte?

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empirischen Sozialwissenschaften; sie sollten sich, wie es heißt, wechselseitig durchdringen. Dadurch sollten Mängel der idealistischen, namentlich der Hegelschen Geschichts- und Sozialphilosophie, aber auch die Krise des Marxismus überwunden werden, dessen Prophezeiung einer proletarischen Revolution sich jedenfalls in Deutschland nicht erfüllt hatte. Als besonders zentral wurde die Frage nach dem Zusammenhang und den Wechselwirkungen zwischen drei Sphären angesehen: (a) dem ökonomischen Leben, (b) der psychischen Entwicklung der individuellen Akteure und (c) den allgemeinen Veränderungen in der Kultur.⁶³ Dem Vernehmen nach sollte auch in die Dialektik der Aufklärung reichlich Empirie einfließen. In einem Brief an Felix Weil betonte Horkheimer im März 1942 mit Bezug auf „unsere Deutung der gegenwärtigen Phase“: „Sie muß mit historischem und ökonomischen Material bis zum Platzen gefüllt sein, sonst wirkt sie als Raisonnement.“⁶⁴ Zwar wird für die „Elemente des Antisemitismus“ ein enger Zusammenhang mit den empirischen Forschungen des Instituts für Sozialforschung konstatiert; aber für den Leser ist nicht erkennbar, welche Forschungsergebnisse zur Begründung welcher Thesen eingeflossen sind. Wem wirklich an der Verbindung mit den empirischen Sozialwissenschaften gelegen ist, der tut gut daran, die Dialektik der Aufklärung beiseite zu legen und sich in die umfangreichen Bände der Reihe Studies in Prejudice zu vertiefen. In der Dialektik der Aufklärung findet er statt einer empirisch gestützten und korrigierten Sozialphilosophie eine apokalyptisch getönte spekulative Geschichtsphilosophie, die in ihren gewagten Mutmaßungen hinter die Marxsche Geschichtsauffassung und die Weberschen Erklärungsansätze auf die Stufe überwunden geglaubter idealistischer und romantischer Geschichtsmetaphysik zurückfällt. Horkheimer und Adorno greifen in ihren Ausführungen häufig und gerne auf Begriffe, Metaphern und Denkmuster zurück, die der Methodologie der Medizin entlehnt sind.⁶⁵ Das dürfte u. a. mit dem Einfluss der Psychoanalyse Sigmund Freuds auf das Programm der kritischen Theorie der Gesellschaft zusammenhängen. Wie dieser individuelle Neurosen, aber auch kollektive Illusionen zu diagnostizieren und zu behandeln versuchte, so bemühen sich Horkheimer und Adorno im Rahmen ihrer Ideologiekritik um die Diagnose und Therapie ideologisch falschen Bewusstseins.⁶⁶ Zu diesem Zweck übertrugen sie den Krankheitsbegriff von biologischen Organismen auf Gesellschaften und Kulturen, ja auf die  Vgl. Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 49 – 55.  Horkheimer, Briefwechsel 1941 – 1948, 275.  Vgl. die einschlägigen Hinweise bei Enskat, „Dialektik der Aufklärung?“, 386.  Zu den Analogien zwischen Ideologiekritik und Psychoanalyse vgl. Geuss, The Idea of a Critical Theory, Kapitel I.

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gesamte Zivilisation. Es ging darum, gesellschaftliche Krankheiten zu beschreiben, zu diagnostizieren, ihre Genese zu erklären, um daraus am Ende womöglich Therapien abzuleiten. In der zweiten und dritten Generation der Frankfurter Schule hat die Rede von „Kommunikationspathologien“ und allgemeiner von „Pathologien des Sozialen“ im Sinne von gesellschaftlichen Störungen und Verzerrungen sowie daraus resultierenden Fehlentwicklungen einen festen Platz gefunden.⁶⁷ Die Analogie zur Medizin war bei Horkheimer und Adorno zwar in den verwendeten Metaphern allgegenwärtig; sie wurde aber weder streng durchgeführt noch kritisch reflektiert und problematisiert. Lässt sich der Krankheitsbegriff überhaupt sinnvoll von einzelnen lebenden Organismen auf ganze Gesellschaften übertragen? Lassen sich die Methoden der medizinischen Diagnostik für die Erklärung gesellschaftlicher Veränderungen und die Reform gesellschaftlicher Verhältnisse fruchtbar machen? Wie lassen sich Großdiagnosen der angestrebten Art epistemisch rechtfertigen? In diesem Rahmen seien nur zwei zentrale Schwierigkeiten herausgegriffen: Dem modernen Arzt steht erstens eine Nosologie, d. h. eine differenzierte Krankheitslehre und -systematik, zur Verfügung, an der er sich bei der Diagnose und den Therapievorschlägen orientieren kann. Wer sich zutraut und anschickt, „Pathologien des Sozialen“ zu diagnostizieren und womöglich zu therapieren, verfügt über nichts dergleichen. Er steht mit leeren Händen da. Zweitens erweist sich die Aufgabe, normale oder ideale Systemzustände als Vergleichsmaßstab zu bestimmen, eine Aufgabe, die wohlgemerkt bereits im physiologischen und erst recht im individualpsychologischen Bereich auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, im Falle sozialer Störungen und Fehlentwicklungen als gewaltige theoretische Herausforderung, für die ein allgemeiner Konsens unwahrscheinlich sein dürfte. Sehen wir einmal von diesen Schwierigkeiten ab und fragen uns: Was genau sollte eigentlich diagnostiziert werden? Und: Wie lautet die Diagnose? Diagnostiziert werden sollte laut der Selbstanzeige des Buches nicht weniger als „the manifest crisis of modern culture“.⁶⁸ Da „die Aufklärung“ sich nicht auf sich selbst besinne, sei sie verantwortlich für unterschiedlichste Formen einer Verabsolutierung der „instrumentellen Vernunft“ im Dienste fortschreitender Naturund Menschenbeherrschung. Potenzierte Ideologiekritik verbindet sich bei

 Vgl. Honneth, „Pathologien des Sozialen. Tradition und Aktualität der Sozialphilosophie“, 56 f.  Zitiert nach Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 373.

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Horkheimer und Adorno mit einer rabenschwarzen Geschichtsphilosophie⁶⁹ der „rastlose[n] Selbstzerstörung der Aufklärung“⁷⁰, des sich auf jeder Entwicklungsstufe wiederholenden „Umschlagens“ der Aufklärung in Mythos und Barbarei. Liefert vielleicht die Rede von einer „Dialektik“ mit ihren endlos wiederholten Bildern des „Umschlagens“, der „Verstrickung“ und „Verschlingung“, den Schlüssel zu unseren Schwierigkeiten? Die Autoren glaubten sich im Besitz einer überlegenen Methode, der dialektischen, welche die den Aufklärern verborgene reale Dialektik von Aufklärung und Barbarei freilegen sollte. Trotz verschiedener Anläufe, eine sogenannte „dialektische Logik“ zu entwickeln⁷¹, ist uns die Frankfurter Schule eine intersubjektiv nachvollziehbare, d. h. lehr- und lernbare, dialektische Methode schuldig geblieben, welche die anstehenden Erklärungsund Begründungsaufgaben verlässlich lösen könnte.⁷² Selbst die beiden großen Vorbilder für die in der Frankfurter Schule radikalisierte Ideologiekritik, Marx’ Kritik der politischen Ökonomie und Freuds Psychoanalyse, waren schon in den dreißiger Jahren mehr und mehr fraglich geworden.⁷³ Hinzukommen in der Dialektik der Aufklärung eine fortschreitende Wissenschafts- und Sprachskepsis.⁷⁴ Was bleibt, ist eine empirisch nicht kontrollierte Hermeneutik des Verdachts, deren Resultate stilistisch und „methodisch“ eher an Nietzsches genealogische Spekulationen zur christlichen Moral oder zum europäischen Nihilismus erinnern als an die offiziell versprochene Durchdringung von kritischer Sozialphilosophie und interdisziplinärer sozialwissenschaftlicher Forschung. Offenbar hielten Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung an einem starken Primat der Sozialphilosophie fest; eine dialektische Geschichtsphilosophie sollte dafür den konzeptionellen Rahmen schaffen. Fazit: Die Dialektik der Aufklärung hängt methodisch und epistemisch in der Luft. Verbindungen zu empirischen Korrektiven sind, sofern überhaupt vorhanden, für den Leser nicht erkennbar. Er muss sich auf sein eigenes Vermögen, die

 Pessimistische Geschichtsphilosophien sind keinen Deut besser als optimistische, da beide an demselben Grundproblem kranken: historische Notwendigkeiten dort zu postulieren, wo es darum ginge, empirisch belegte geschichtliche Veränderungen kausal zu erklären und dadurch in größeren Zusammenhängen zu begreifen.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 16.  Vgl. Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 202– 217, 338 – 364; Schmid Noerr in: Horkheimer/ Adorno, Dialektik der Aufklärung, 431 f.  Bis heute habe ich sie nicht gesehen. Da ich weder an Wunder noch an Zauberei glaube, rechne ich auch in der Zukunft nicht mit ihrem Erscheinen.  Von Erich Fromm hatte sich das Institut bereits getrennt.  Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 16 f.

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Plausibilität von Behauptungen einzuschätzen, verlassen. Dabei müssen viele Fragen offenbleiben.

11 Das Programm der Aufklärung und das Programm einer Kritischen Theorie Merkwürdig bleibt insbesondere, woher Horkheimer und Adorno die Sicherheit nehmen, mit der sie den Ursprung aller zivilisatorischen Fehlentwicklungen gerade in der Aufklärung verorten. Dabei hätten sich eine Reihe alternativer Erklärungshypothesen nahegelegt: Möglicherweise hatten die Fehlentwicklungen gerade damit zu tun, dass sich das Programm der Aufklärung in den meisten Ländern gar nicht entfalten konnte? Vielleicht hatten sie gar mit der gegenaufklärerischen Reaktion zu tun, die sich im deutschen Idealismus und in der Romantik manifestierte? Besonders überraschend und bedauerlich ist dabei, dass Horkheimer und Adorno die historischen Zusammenhänge und inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen dem Programm der Aufklärung und dem Programm einer kritischen Theorie im Sinne der Frankfurter Schule nicht gesehen haben oder nicht sehen wollten. Denn natürlich gehört die aufklärerische Kritik an Vorurteilen, Aberglauben und Schwärmerei zur Vorgeschichte und den Inspirationsquellen der modernen Ideologiekritik. Wie nicht nur die Schriften von Rousseau zeigen, bemühten sich einige Aufklärer bereits um die Diagnose und Erklärung kultureller und sozialer Fehlentwicklungen. Statt anzuerkennen, dass das Programm der Aufklärung ihrem Programm kritischer Theorien der Gesellschaft methodisch und inhaltlich präludiert, und im Anschluss daran an einer empirisch besser unterlegten und interdisziplinär bereicherten Gesellschaftskritik zu arbeiten, zogen Horkheimer und Adorno es vor, das Programm der Aufklärung und den mit ihr assoziierten Begriff von Vernunft nachhaltig zu diffamieren.

12 Ein Beispiel: Das Bild von Kants Aufklärungsprogramm Als Beispiel einer besonders drastischen Diffamierung können wir das Bild wählen, das Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung von Kant gezeichnet haben. Für unseren Zusammenhang ist der berühmte „Exkurs II: Juliette oder Aufklärung und Moral“ von besonderem Interesse, der „Kant, Sade und

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Nietzsche, den unerbittlichen Vollendern der Aufklärung“⁷⁵ gewidmet ist. Was wird – Horkheimer und Adorno zufolge – hinter der menschenfreundlichen Maske der Aufklärung sichtbar, wenn man sie herunterreißt? Man höre und staune: der Marquis de Sade! „Das Werk des Marquis de Sade zeigt den ‚Verstand ohne Leitung eines andern‘, das heißt, das von Bevormundung befreite bürgerliche Subjekt“⁷⁶, heißt es in spöttischer Anspielung auf Kants berühmte Aufklärungsdefinition.⁷⁷ Weiter muss man etwa lesen: Die eigene architektonische Struktur des kantischen Systems kündigt wie die Turnerpyramiden der Sadeschen Orgien und das Prinzipienwesen der frühen bürgerlichen Logen […] die vom inhaltlichen Ziel verlassene Organisation des gesamten Lebens an.⁷⁸

In der Dialektik der Aufklärung verarbeiten Horkheimer und Adorno nicht nur die Schrecken der nationalsozialistischen und stalinistischen Regimes, sondern auch ihre Eindrücke von der US-amerikanischen Kultur der 30er und 40er Jahre. Dass Hollywood-Filme und Seifenopern schlimm sind, hatte die Kulturkritik schon dunkel geahnt. Durchschauen wir als naive Betrachter aber, wer diesem Übel zugearbeitet hat? Es war natürlich wieder Kant mit seiner Erkenntnistheorie, besonders der Lehre vom Schematismus: Die Sinne sind vom Begriffsapparat je schon bestimmt, bevor die Wahrnehmung erfolgt, der Bürger sieht a priori die Welt als den Stoff, aus dem er sie sich herstellt. Kant hat intuitiv vorweggenommen, was erst Hollywood bewußt verwirklichte: die Bilder werden schon bei ihrer eigenen Produktion nach den Standards des Verstandes vorzensiert, dem gemäß sie nachher angesehen werden sollen.⁷⁹

Zu dem gesamten Exkurs II und seiner Nachwirkung in Intellektuellenkreisen wäre viel Betrübliches zu sagen, wozu hier jedoch der Raum fehlt.⁸⁰ Völlig unerfindlich bleibt, soviel sei wenigstens angemerkt, wie irgendjemand sich dazu versteigen kann, ausgerechnet Kant zum Apparatschik der in-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 21 f. Dieser Exkurs hat unterdessen ein eigenes Genre ins Leben gerufen, das sich dem Nachweis verschrieben hat, der Marquis de Sade sei Gipfelpunkt und Quintessenz der Aufklärung. Auch die vermeintliche Parallele Kant – de Sade wird dabei immer wieder bemüht. Vgl. dazu mit Hinweisen auf Jacques Lacan, Michel Foucault und Georges Bataille die erhellenden Analysen bei Schröder, Moralischer Nihilismus, 126 ff.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109.  Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren?, AA VIII, 35.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 111.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 107.  Siehe dazu Schröder, Moralischer Nihilismus; Kapitel V. Zu Nietzsches Amoralismus ebenda, Kapitel II.

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strumentellen Vernunft zu erklären, den Philosophen, der das oberste Prinzip der Moralität in der denkwürdigen Formel ausgedrückt hat: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“⁸¹ Ohne allzu sehr zu vereinfachen, kann man diese Formel mit Ernst Tugendhat auf die Kurzformel bringen: „Instrumentalisiere niemanden!“⁸² Zum Kern der Kantischen Moralphilosophie gehört also geradezu ein Verbot der Instrumentalisierung von Personen. Am Ende seines Buches Eclipse of Reason (1947) kommt Horkheimer auf die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie zu sprechen. Er kennzeichnet seine „Methode der Negation“ selbst als „die Denunziation dessen, was gegenwärtig Vernunft heißt“; dies sei „der größte Dienst, den die Vernunft leisten kann.“⁸³ Entsprechend haben wir in der Dialektik der Aufklärung wohl die Denunziation der Vernunftkonzeption der Aufklärung vor uns. Wem hat das Buch damit einen Dienst erwiesen? Ich weiß es nicht; jedenfalls nicht dem Verständnis, der Verbesserung und der Verwirklichung des Aufklärungsprogramms.

13 Afterthoughts: Horkheimers und Adornos Äußerungen zur Aufklärung nach der Dialektik Werfen wir vor diesem Hintergrund einen Blick auf die Zeit zwischen der ersten und der zweiten Auflage der Dialektik der Aufklärung. Horkheimer und Adorno haben sich auch nach 1947 wiederholt öffentlich zur Aufklärung, gerade auch zu Kants Beitrag, geäußert. Vergleicht man die Einlassungen in den 1950er und 60er Jahren mit dem oben skizzierten Bild der Aufklärung in der Dialektik, ist man immer wieder versucht, sich ungläubig die Augen zu reiben. Sehen wir uns zwei Beispiele etwas näher an.

 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 429.  Tugendhat, Vorlesungen über Ethik, 80.  Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, 185 f.

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14 Ein erstes Beispiel: Der späte Horkheimer über Kant In einem Hörfunkvortrag kam Horkheimer im Jahre 1962 unter dem Titel „Die Philosophie Immanuel Kants und die Aufklärung“ auf unser Thema zurück.⁸⁴ Nach einem Blick auf die „verschiedenen Formen der Philosophie der Gegenwart“, vor allem Positivismus und Fundamentalontologie, setzt Horkheimer seine Hoffnungen ausgerechnet auf Kant: „Das Werk Immanuel Kants vermöchte dem Zerfall Widerstand zu leisten.“⁸⁵ In kritischer Bezugnahme auf die Rede von einer „Bewältigung der Vergangenheit“⁸⁶ weist Horkheimer zunächst darauf hin, dass damit „etwas Unmögliches“ verlangt werde: „Wie sollte, was kein Geist auch nur zu fassen vermag, von ihm ‚bewältigt‘ werden“⁸⁷, um dann elegant zu Kant überzuleiten: „Zu den Dingen, die gedanklich verarbeitet werden können, gehört vielmehr das andere, wofür Kant steht, die große Aufklärung.“⁸⁸ Bevor Horkheimer sein kurzes Resümee der theoretischen und praktischen Philosophie Kants vorträgt, betont er: Mir scheint es nicht darauf anzukommen, zur Kantischen Philosophie zurückzukehren – der Neukantianismus ist wahrlich überholt –, es gilt vielmehr, ihre Wahrheit durchsichtig zu machen, in bescheidenem Maß dabei zu helfen, daß die Aufklärung, die in Deutschland ihr höchstes theoretisches Bewußtsein durch Kant empfing, erst einmal wirklich aufgenommen wird.⁸⁹

Noch aufschlussreicher als Horkheimers Ausführungen zur theoretischen Philosophie Kants (163 – 168), sind seine Bemerkungen zur praktischen Philosophie (168 – 171) und das Fazit (171– 172). War es in der Dialektik der Aufklärung noch das Absehen von allen inhaltlichen Zwecken, der sog. Formalismus, was Kant zum Komplizen von de Sade und Nietzsche gemacht hatte⁹⁰, so heißt es jetzt: „Kants Formalismus ist so inhaltlich, daß aus ihm die Achtung jedes einzelnen, das

 Vgl. Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 160 – 172; vgl. 490. Vgl. auch Horkheimers einleitende Worte zu Vorträgen anlässlich des 150. Todestages von Immanuel Kant am 12. Februar 1954 in der Universität Frankfurt; Horkheimer, „Kants Philosophie und die Aufklärung“, in: Ders., Gesammelte Schriften, VII, 36 – 42, vgl. 489.  Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 161.  Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 161.  Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 161.  Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 162.  Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 163.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 104– 112.

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gleiche Recht für alle, die Republik und der richtige Zustand der Menschheit folgt.“⁹¹ Am Schluss steht das Plädoyer für eine zeitgemäße Aufnahme der „Aufklärung in ihrem ganzen Sinne“, einschließlich „der Kantischen Aufklärung“: Es kann hier nicht darum gehen, ob Kants Lehre als Ganzes der geschlossenen Form des Hegelschen Denkens, die den Inhalt in die Form mit einbezieht und nichts draußen läßt, überlegen ist. Ich wollte nur ausdrücken, daß die Rezeption der Kantischen Aufklärung in der geschichtlichen Situation, in der vor allem Deutschland sich befindet, an der Zeit ist. […] Die Einheit von Freiheit und Gerechtigkeit gehört zum Kern der Kantischen Philosophie. Das allgemeine Bemühen, daß Aufklärung in ihrem ganzen Sinn aufgenommen und nicht zuletzt ernsthaft in der Erziehung wirksam wird, könnte mit Recht Bewältigung der Vergangenheit heißen. Es wäre ein Bürge dafür, daß sie sich nicht wiederholt.⁹²

15 Ein zweites Beispiel: Der späte Adorno über Kant Auch Adorno ist nach der Dialektik der Aufklärung immer wieder auf Programmideen der Aufklärung zurückgekommen.⁹³ Hören wir exemplarisch in seine Vorlesung über Kants Kritik der reinen Vernunft aus dem Jahre 1959 hinein, in der die gesamte 6.Vorlesungsstunde „dem Verhältnis der Kritik der reinen Vernunft zur Aufklärung“⁹⁴ bzw. noch allgemeiner: der „Stellung der Kantischen Philosophie zur Aufklärung“ gewidmet ist.⁹⁵ In Adornos Vorlesung ist der Gedanke leitend, dass die „Kritik der Erkenntnisvermögen“, die Kants „Kritik der Metaphysik“ zugrunde liege, „in der Tat ein Programm von Aufklärung ist“.⁹⁶ Mit Anleihen bei der Freudschen Psychoanalyse charakterisiert Adorno dieses Programm in der 5. Vorlesung als eine zur äußersten Konsequenz getriebene Form der aufgeklärten Betrachtungsweise des Anthropomorphismus. Das heißt: die Metaphysik selber wird – das ist die Idee der Kritik der reinen Vernunft, soweit sie negativ ist – gewissermaßen als eine gigantische Art von Pro-

 Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 170.  Horkheimer, Kants Philosophie und die Aufklärung, 171 f.  Vgl. u. a. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit; Ders., Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘.  Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 91.  Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 90. In einer ausführlichen Analyse wären die zweite Hälfte der 5. Vorlesung (Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, bes. 86 – 90) und die 7. Vorlesung (ebenda, 108 – 125) heranzuziehen.  Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 89.

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jektion aufgefaßt, als ein sich selbst Hypostasieren des Geistes, und da, wo der Geist glaubt, daß er objektive Wesenheiten erkennen würde, ist es in Wirklichkeit nur der Geist; also nur, wenn Sie so wollen, der Mensch, auf den er stößt. Und insofern fällt zunächst einmal die kritische Absicht der Kritik der reinen Vernunft in den Gesamtzusammenhang der Problematik der Aufklärung und der Thematik der Aufklärung.⁹⁷

Damit leitet Adorno zur 6. Vorlesung über. Als besonders „bezeichnend“ hebt Adorno dort eingangs eine Formulierung aus Kants Vorrede zur ersten Auflage hervor, in der dieser den Leser darauf vorbereitet, dass die Beantwortung der Fragen der traditionellen, auf den reinen (erfahrungsfreien) Vernunftgebrauch vertrauenden Metaphysik gar nicht so ausgefallen [ist], als dogmatisch schwärmende Wißbegierde erwarten mochte; denn die könnte nicht anders als durch Zauberkräfte, darauf ich mich nicht verstehe, befriedigt werden. Allein, das war auch wohl nicht die Absicht der Naturbestimmung unserer Vernunft; und die Pflicht der Philosophie war: das Blendwerk, das aus Mißachtung entsprang, aufzuheben, sollte auch noch so viel gepriesener und beliebter Wahn dabei zu nichte gehen. ⁹⁸

Ausgehend von der Beobachtung, dass Kant sich selbst – gerade auch in der Kritik der reinen Vernunft – der „Bewegung der Aufklärung“ zugerechnet habe⁹⁹, problematisiert Adorno im Folgenden das Verhältnis Kants zur Aufklärung. Obgleich er auch darauf hinaus will, dass „das Kantische Denken in seinem Verhältnis zur Aufklärung ambivalent sei“¹⁰⁰, so geht es Adorno erklärtermaßen darum, den beliebten Topos von Kant als dem „Überwinder der Aufklärung“ zu bekämpfen. Bei der Erörterung des komplexen Verhältnisses von Kant zur Aufklärung habe die herkömmliche Philosophiegeschichte […] dabei im allgemeinen einer Sonntagsphrase sich bedient, deren Demolierung ich mir neben anderem heute auch zur Aufgabe setze; das ist nämlich die Phrase, daß Kant zwar der Vollender der Aufklärung sei, aber daß in ihm zugleich auch die Aufklärung sich selbst überwunden habe.¹⁰¹

Zur Berichtigung dieser „Sonntagsphrase“ sei neben vielem anderen zunächst einmal daran zu erinnern, daß überhaupt in der Tradition des deutschen Geistes und der deutschen Philosophie, der Kant zugehört, es zu einer vollen und eigentlichen

 Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 89 f.; vgl. 103.  Kant, KrV A XIII; vgl. Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 91.  Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 92.  Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 106, vgl. 99.  Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 92.

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Aufklärung nicht gekommen ist. Man hat einmal – sehr treffend, würde ich denken – bemerkt, es hätte eigentlich in Deutschland nie eine Aufklärung gegeben, sondern eigentlich immer nur aufgeklärte Theologie.¹⁰²

Auch wenn sich die historische These, es habe in Deutschland „immer nur aufgeklärte Theologie“ gegeben, nicht halten lässt, ist doch bemerkenswert, dass Adorno dem Topos von Kant als dem „Überwinder der Aufklärung“ entgegenhält, dass das Programm der Aufklärung in Deutschland sich bisher kaum durchsetzen konnte. An einer Stelle distanziert sich Adorno sogar deutlich von der Aufklärungskritik der deutschen Idealisten und der Romantiker. Er glaube nämlich, „daß für die Geschichte des deutschen Geistes wenige Begriffe so verhängnisvoll geworden sind wie der Begriff der sogenannten ‚flachen‘ oder ‚platten‘ Aufklärung“.¹⁰³

16 Offene Fragen: Geänderte Diagnose oder geänderte Taktik? Horkheimers und Adornos Retraktationen der Aufklärung werfen Fragen auf, die ich nur noch formulieren möchte, aber nicht beantworten kann: Legen der Hinweis darauf, dass das Programm der Aufklärung in vielen Ländern, darunter Deutschland, noch gar nicht ernsthaft aufgenommen wurde, und der Appell, dies endlich nachzuholen, nicht eine Revision der 1944/1947 gegebenen Diagnose einer schicksalhaften Dialektik von Aufklärung und Barbarei nahe? Hätte die intellektuelle Redlichkeit nicht einen öffentlichen Widerruf dieser die Aufklärung nachhaltig diffamierenden Verfallsdiagnose gefordert? Warum haben die Autoren einer im Wesentlichen unveränderten Neuauflage zugestimmt? Der unbestimmte – und, wie die folgenden Sätze zeigen, halbherzige – Hinweis in der Vorbemerkung „Zur Neuausgabe“ (1969): „Nicht an allem, was in dem Buch gesagt ist, halten wir unverändert fest“¹⁰⁴ hat jedenfalls nichts an der Wirkung des Buches geändert. Statt, wie noch 1946 intendiert, dem Anliegen einer „Rettung der Aufklärung“ zu dienen¹⁰⁵, wurde es nach der Neuauflage zum Stichwortgeber immer radikalerer Spielarten postmoderner Aufklärungs-, Wissenschafts- und Vernunftkritik. Die oben zitierten Revisionen mit ihren leisen Plädoyers für eine nachgeholte Aufklärung fanden kein Gehör.    

Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 92 f. Adorno, Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, 102. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 13. Vgl. Horkheimer, Gesammelte Schriften, XII, 593 – 605.

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Dietrich Schotte

Shadow History with a Hidden Agenda? Francis Bacon als Positivist in der Dialektik der Aufklärung 1 Die Dialektik der Aufklärung als Theorie der Moderne Die Dialektik der Aufklärung soll nach Auskunft ihrer Autoren nichts Geringeres als die „Erkenntnis“ liefern, „warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt“¹, warum das Versprechen auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, das vor allem die Protagonisten der Aufklärung sich auf ihre Fahnen geschrieben hatten, nicht nur nicht eingelöst, sondern vielmehr im ersten Weltkrieg und den Totalitarismen des Zwanzigsten Jahrhunderts aufs Schlimmste verraten wurde. Ihre Diagnose des strukturellen Mangels moderner Gesellschaften, deren Symptome die Weltkriege, die totalitären Strukturen und Genozide sind, fassen die Autoren im Vorwort „Zur Neuausgabe“ von 1969 als den „Übergang zur verwalteten Welt“ zusammen, den sie auch hier – wie in der Dialektik der Aufklärung insgesamt – vor allem als eines kennzeichnen: als „Umschlag von Aufklärung in Positivismus“.² In der Tat ist das, was Adorno und Horkheimer als „Positivismus“ bezeichnen und angreifen, ihnen zufolge eine wesentliche Triebkraft und damit eine notwendige Ursache für den Weg in die Barbarei, d. h. dafür, dass die Aufklärung ihre erklärten Ideale verraten, dass sie „in Mythologie“ zurückschlagen musste, wie es in der zweiten These heißt.³ Die in der Dialektik der Aufklärung enthaltene Theorie der Moderne, die eine Analyse und Erklärung der spezifischen Eigenheiten moderner Gesellschaften, insbesondere der Fähigkeit zum industrialisierten Massenmord, liefern soll, besteht folglich nicht allein aus einer Theorie des Antisemitismus und einer Sozialtheorie, die die spezifische Verteilung und Dynamik ökonomischer und politischer Macht in modernen Gesellschaften analysiert. Beide sind eingebunden in eine geschichtsphilosophische Beschreibung der historischen Herkunft der analysierten Strukturen.

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 16.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 13 und 14.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 21. https://doi.org/10.1515/9783110555004-005

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Um die soziologische Analyse mit der historischen Herleitung der analysierten Phänomene zu verbinden, arbeiten Adorno und Horkheimer im Falle von „Aufklärung“ und „Mythos“, aber auch im Falle von „Positivismus“ mit Begriffen, die zwar einerseits eine Gruppe historischer Theorien und Akteure bezeichnen (oder von diesen als Selbstbezeichnung gewählt wurden), die aber andererseits zugleich eine bestimmte Denkart, eine bestimmte Haltung zur Welt benennen – so dass dann auch Theorien unter „Aufklärung“ oder „Positivismus“ rubriziert werden können, deren Autoren diese labels entweder nicht kannten oder nicht kennen konnten (wie Bacon), oder sie sogar explizit zurückgewiesen hätten – oder haben, wie Popper und Albert im Zuge des so genannten „Positivismusstreits“⁴. Dieses Verständnis der spezifischen Art und Weise, wie Adorno und Horkheimer den Begriff „Positivismus“ in der Dialektik der Aufklärung verwenden (3), ist notwendig, um ihre Klassifikation Bacons als eine Art Stammvater des Positivismus verstehen zu können (2). Gegen diese Klassifikation lassen sich mehrere Aspekte von Bacons Philosophie anführen, die Adorno und Horkheimer teils verzerrt darstellen, teils gänzlich ausblenden (4). Dieser doch recht eigenwillige Umgang mit Bacons Philosophie lässt sich unter Rückgriff auf die Beschreibung und Kritik des Positivismus erklären, die vor allem Horkheimer in Texten, die vor der Dialektik der Aufklärung verfasst und veröffentlicht wurden, entwickelt hat (5). Das Problem ist dabei weniger, dass sich Adorno und Horkheimer zu Unrecht auf Bacon als Kronzeugen für ihre These berufen, dass die Aufklärung ihrem Wesen nach positivistisch und gerade darin in letzter Konsequenz der Denkweise des Mythos verhaftet ist (6). Diese historische Fehleinschätzung, dieser ,Irrtum‘ ist vielmehr symptomatisch für die Art und Weise, wie die Geschichtsphilosophie der Dialektik der Aufklärung funktioniert – nämlich als shadow history, d. h. als interessegeleitete Geschichtsschreibung, die reale historische Gegebenheiten und Abläufe ignoriert und stilisiert (7). Gerade der Blick in die Vorgeschichte der Positivismuskritik der Dialektik der Aufklärung wirft die Frage auf, ob es sich hier nicht in letzter Konsequenz um eine nicht philosophiehistorisch fundierte, sondern um eine letztlich politisch motivierte Kritik handelt (8). Man mag dann die Hoffnung äußern, dass einzelne Elemente der in der Dialektik der Aufklärung ja ohnehin nur in „Fragmenten“ ausformulierten Theorie der Moderne, etwa die Theorie des Antisemitismus oder die Überlegungen zur „Kulturindustrie“, sich  Vgl. dazu die Beiträge in Adorno u. a. (Hrsg.), Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie und insbesondere Adornos „Einleitung“, 7: Hier hält Adorno gleich zu Beginn fest, dass ihm bewusst sei, dass Popper und Albert die Titulierung als „Positivisten“ bzw. ihrer Theorien als „positivistisch“ zwar zurückwiesen, dass sich aber dennoch zeigen ließe, dass sie (‚wesenhaft‘) positivistisch sind.

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trotzdem als tragfähig erweisen. Als Ganze wird man die Theorie der Moderne der Dialektik der Aufklärung sicherlich nicht akzeptieren können.

2 Auftritt Francis Bacon, Positivist Es ist kein Zufall, dass in dem „Begriff der Aufklärung“ betitelten ersten Fragment Francis Bacon am Anfang und am Ende genannt wird. In den ersten Sätzen wird die Aufklärung als Bewegung bestimmt, deren Programm ,immer schon‘ die Webersche „Entzauberung der Welt“ gewesen sei; anschließend wird sogleich Bacon genannt als der Philosoph, der „die Motive schon versammelt“ hat, aus denen dieses Programm sich speist.⁵ Und das erste Fragment schließt mit der Feststellung, dass „Bacons Utopie […] in tellurischem Maßstab sich erfüllt hat“⁶, wobei die Realität des Nova Atlantis, auf das Adorno und Horkheimer hier zweifellos anspielen, dessen utopischen Anspruch gründlich diskreditiert hat: Wir leben nicht im irdischen Jerusalem des „Hauses Salomons“, schließlich wissen wir bereits, dass „die vollends aufgeklärte Erde […] im Zeichen triumphalen Unheils [strahlt].“⁷ Bereits die Architektonik des Textes verweist also auf Bacon als denjenigen, bei dem der Grund für die Selbstzerstörung der Aufklärung, für ihre Degeneration in den Positivismus zu suchen ist.⁸ Dass Bacons Philosophie als Ursprung des modernen Positivismus und damit als im Kern positivistisch zu verstehen ist, wird von Adorno und Horkheimer zudem explizit gemacht. Es bleibt nicht bei der allgemeinen Aussage, dass bei Bacon schon „die Motive versammelt“ seien. Ein langes Zitat aus Bacons In Praise of Knowledge soll belegen, dass Bacon „[t]rotz seiner Fremdheit zur Mathematik […] die Gesinnung der Wissenschaft, die auf ihn folgte, gut getroffen“ hat, denn bereits bei ihm sind nach Adorno und Horkheimer „Macht und Erkenntnis […] synonym“, ist „Wissen“ im Grunde auf „Technik“ und die Vernunft auf ein reines Mittel zur Verfolgung der eigenen Zwecke, sprich: auf instrumentelle Vernunft, reduziert.⁹ Der Verzicht auf, mehr noch: der Kampf gegen die Vernunft als Ver-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 66.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.  Das Zitat Voltaires, der Bacon als „Vater der experimentellen Philosophie“ bezeichnet und – wie Adorno und Horkheimer nahelegen – gelobt hat (Dialektik der Aufklärung, 25), dürfte weniger der Übernahme einer treffenden Charakterisierung Bacons als dem Nachweis der positiven Rezeption der Philosophie Bacons in der Aufklärung dienen.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 26.

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mögen der Kritik der (letztlich kontingenten) Zwecke, den Adorno und Horkheimer dem Positivismus vorwerfen, findet sich, so ihre These, bereits bei Bacon. Und auch wenn beide eingangs des ersten Fragments noch von Bacons „Fremdheit zur Mathematik“ sprechen – wenige Seiten später wird Bacons Wissenschaftsverständnis, wie übrigens auch das von Leibniz, umstandslos als an der „Struktur der Einheitswissenschaft“ ausgerichtet klassifiziert.¹⁰ Denn bei Bacon und Leibniz findet sich nach Adorno und Horkheimer bereits das Postulat, dass „zwischen den höchsten Prinzipien und Beobachtungssätzen eindeutige logische Verbindung durch Stufen der Allgemeinheit bestehen“ soll.¹¹ Der Zwang, die Einzeltatsachen nicht nur unter allgemeine Begriffe zu bringen, sondern darüber hinaus als Erkenntnis allein anzuerkennen, was zudem seinen festen Platz in einer nach oben hin immer abstrakter werdenden systematischen Begriffspyramide hat, findet sich also nicht erst bei Neurath, sondern bereits bei Bacon.¹² Der einzige Unterschied ist der Name, der dem Kinde gegeben wird: „Einheitswissenschaft“ und „una scientia universalis“ sind dem Wesen nach identisch. Adorno und Horkheimer nennen allerdings auch Unterschiede zwischen der Position Bacons und jener seiner positivistischen Urenkel: So hält Bacon u. a. noch am Begriff der Ursache fest, der den modernen Positivisten als eines jener „Idola theatri“ gilt, die Bacon selbst einst bekämpft hatte¹³; und in Anspielung auf die These mehrerer Mitglieder des Wiener Kreises, etwa Carnaps¹⁴, dass die Diskussion über die Realität der Außenwelt um ein „Scheinproblem“ kreise, konstatieren Adorno und Horkheimer zu Recht, dass vor „dem Triumph des Tatsachensinns heute […] auch Bacons nominalistisches Credo noch als Metaphysik verdächtig“ wäre und „dem Verdikt der Eitelkeit, das er über die Scholastik aussprach“, verfiele.¹⁵

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 29.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 29.  Die These, dass alles, was überhaupt nur den Anspruch auf Wahrheit erheben können soll, sich dieser Einordnung in ein System allgemeiner Begriffe fügen (und damit die Individualität negieren) muss, formulieren Adorno und Horkheimer auf eine sehr spezielle Weise: „Aufklärung ist totalitär.“ (Dialektik der Aufklärung, 28) Das soll anscheinend suggerieren, dass die rückhaltlose Durchsetzung des Wahrheitskriteriums die Geisteshaltung ist, die sich dann spiegelbildlich in „totalitären“ politischen Strukturen wiederfindet. Mehr als ein rhetorischer Trick ist es, an dieser Stelle, freilich nicht.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 27 f.  Vgl. Carnap, Scheinprobleme in der Philosophie, 36 f., vgl. auch Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 246 f., 250.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 26 f. Das „nominalistische Credo“, von dem Adorno und Horkheimer hier sprechen, dürfte Bacons Überzeugung meinen, dass lediglich Einzeldinge (aber keine Universalien) selbständig existieren.

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Diese, so könnte man meinen, grundlegenden Unterschiede werden zwar erwähnt, sie sind aber nach der Darstellung der Dialektik der Aufklärung anscheinend nebensächlich. Bacons Philosophie ist positivistisch, weil ihr Kern, das Wissenschaftsverständnis und der Begriff instrumenteller Vernunft, positivistisch sind – so wie der Mythos bei allen Unterschieden bereits „Aufklärung“ ist, insofern er bereits die Dinge klassifiziert und so Individuen unter allgemeine Begriffe bringt.¹⁶ Diese Klassifikation von Bacons Philosophie als ,Positivismus sans phrase‘ hängt in ihrer Plausibilität allerdings nicht nur von der Überzeugungskraft der im ersten Fragment skizzierten Lesart seiner Philosophie, sondern vor allem davon ab, was genau das systematische Zentrum dessen ausmacht, was Adorno und Horkheimer als „Positivismus“ bezeichnen und kritisieren.

3 Der „Mythos dessen, was der Fall ist“: Der Positivismus in der Dialektik der Aufklärung Wie bereits angemerkt, wird der Begriff ‚Positivismus‘, ähnlich wie die Begriffe ‚Aufklärung‘ und ‚Mythos‘, von Adorno und Horkheimer in zweifacher Weise gebraucht. In der „Vorrede“ von 1947 sprechen sie davon, dass die beiden letztgenannten Begriffe „nicht bloß als geistesgeschichtliche sondern real zu verstehen sind“.¹⁷ Das scheint erst einmal nicht mehr zu sagen, als dass es sich bei ‚Aufklärung‘ und ‚Mythos‘ nicht um so etwas wie abstrakte Kategorien handelt, mit denen man mehr oder minder scharf abgegrenzte Epochen oder Praktiken bezeichnet; das ist zwar auch der Fall, aber sie bezeichnen zugleich „die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es [dieses Denken] verflochten ist“.¹⁸ Es handelt sich also um einen „Begriff des Denkens“, d. h. um den Begriff einer bestimmten Denkart, und zugleich um konkrete, historisch verortbare gesellschaftliche Praktiken, die Ausdruck dieser spezifischen Denkart sind. Dieses ‚sowohl-als auch‘ ist einerseits notwendig, um die beiden zentralen „Thesen […]: schon der Mythos ist Aufklärung, und: Aufklärung schlägt in Mythologie zurück“¹⁹ nicht von vornherein historisch unsinnig werden zu lassen. Die Epoche, die nach Horkheimer und Adorno nur als ‚Zeitalter des Mythos‘ historisch korrekt zu bezeichnen ist, ist genauso von der Denkart des Mythos wie von der

   

Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 32. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 19. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 18. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 21.

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Denkart der Aufklärung gekennzeichnet, und dasselbe gilt für die Epoche der Aufklärung. Der Grund liegt nach Adorno und Horkheimer in dem Umstand, dass die Denkart der Aufklärung mit derjenigen des Mythos das zentrale Motiv teilt: Beherrschung der Natur durch Nachbilden der in ihr vorgefundenen Abläufe oder Gesetze. Der wesentliche Unterschied zwischen der Denkart des Mythos und jener der Aufklärung ist folglich nicht die Annahme, dass das Subjekt sich nur durch Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Natur gegen diese behaupten könne. Der Unterschied zwischen beiden Denkarten liegt vielmehr in der Art und Weise, wie dieses Wissen genutzt bzw. die Überwindung der Angst durch Selbstbehauptung gelingen soll. Während der Mythos die natürlichen Abläufe nachahmt und damit die Natur noch als eine fremde Macht anerkennt und sich ihr durch „Mimesis“ unterwirft²⁰, setzt die Aufklärung das tätige Subjekt als einzige Autorität, so dass die Natur zwar erkannt, aber eben nicht anerkannt, sondern beherrscht werden soll: „Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge, insofern er sie machen kann.“²¹ In diesem Sinne ist „Aufklärung“ dann „radikal gewordene mythische Angst“.²² Die Bezeichnungen sind also nicht willkürlich oder zufällig gewählt: Die Denkart „Aufklärung“ gab es schon lange vor der Epoche der Aufklärung, schließlich ist schon der Mythos Aufklärung und Odysseus im Grunde ein im Sinne der Denkart aufgeklärter Mensch.²³ Aber erst in der Epoche der Aufklärung wird diese Denkart bestimmend, wird sie zum ‚Geist des Zeitalters‘. Die Bezeichnung der infrage stehenden Denkart als „Aufklärung“ ist daher angemessen, weil es diejenige Denkart ist, die in der Epoche gleichen Namens ungehindert zur Entfaltung kommt und „die historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft“ bestimmt. Und dasselbe gilt sowohl für den Begriff des Mythos als auch für den Begriff des Positivismus. Im Falle des letzteren ist es eine bestimmte Denkart, die in der Philosophie des Positivismus, bei Comte, Russell und Mach

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 32.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 31. Diese strukturelle Gleichsetzung von Beherrschung der Natur und Beherrschung von Menschen, sprich: von Macht über natürliche Dinge und sozialer Macht, ist für die in der Dialektik der Aufklärung vertretene These der Entfremdung des Menschen von der und damit von seiner Natur ebenso zentral wie für die Sozialtheorie. Zur Kritik dieser Gleichsetzung vgl. Honneth, Kritik der Macht, 64– 69, Söllner, Geschichte und Herrschaft, 195, und Arnason, „Die Dialektik der Aufklärung und die postfunktionalistische Gesellschaftstheorie“, 203 – 209.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 38.  Zur Odysseus-Interpretation im ersten Exkurs vgl. Guzzoni, „Grauen und Verlockung“.

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nicht nur explizit gemacht, sondern auch in Theorie und Praxis konsequent umgesetzt wird, die aber bereits vorher, namentlich bei Bacon, zu finden ist. Für die Rolle, die der Positivismus in der Theorie der Moderne der Dialektik der Aufklärung spielt, ist zudem seine historische Einordnung entscheidend: Nach Adorno und Horkheimer ist der „moderne Positivismus“ der „letzte Abhub der Aufklärung“²⁴, denn es ist der Positivismus, „der das Richteramt der aufgeklärten Vernunft antrat“.²⁵ Das macht verständlich, dass die Übereinstimmung Voltaires mit Bacon ohne weiteren Kommentar suggeriert²⁶ und diejenige von Hume und Mach (bezüglich der „geleugnete[n] Ichsubstanz“²⁷) behauptet wird; dass die Wissenschaftstheorien Bacons und Leibniz’ mit Neuraths Ideal der „Einheitswissenschaft“ gleichgesetzt werden²⁸; und dass Adorno und Horkheimer eine gerade historische Linie vom logischen Positivismus bis in die Aufklärung und sogar darüber hinaus bis in die Antike (schließlich ist bereits der „Mythos“ „Aufklärung“) ziehen: Xenophanes’ Kritik des Polytheismus wird als Projekt der „Ausrottung des Animismus“ der positivistischen „jüngsten Logik“ an die Seite gestellt²⁹, so wie behauptet wird, dass Parmenides und Russell in gleicher Weise auf der „Zerstörung von Göttern und Qualitäten“ beharren.³⁰ Diese Einordnung lässt sich also sowohl auf die Denkart als auch auf die Epoche der Aufklärung beziehen: Die Denkart der Aufklärung lässt ja nach Horkheimer und Adorno immerhin noch die Möglichkeit zu, „die Reflexion“ auf das in ihr angelegte „rückläufige Moment“, das für die Schrecken der Moderne verantwortlich ist, „in sich“ aufzunehmen³¹; den Positivismus hingegen zeichnet aus, diese Reflexion nicht nur nicht „in sich aufgenommen“ zu haben, sondern sie und die zur ihr nötigen Mittel des Denkens zu neutralisieren – denn er trennt „das Gefühl, wie Religion und Kunst, von allem was Erkenntnis heißt.“³² Damit ist der Sieg der historischen Theorietradition Positivismus der entscheidende Faktor für den Umschlag von Aufklärung in Mythos am Ende der Epoche der Aufklärung. So, wie die Denkart der Aufklärung bereits im Mythos angelegt war und in der Epoche der Aufklärung zur bestimmenden Denkart wurde, so ist der Positivismus als Denkart bereits in der Denkart der Aufklärung

        

Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 114. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 48. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 46. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 29. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 27, vgl. auch 29. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 30. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 19. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 114.

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enthalten. Am Ende dieser Epoche, die sich dann als ‚Zeitalter des Positivismus‘ bezeichnen ließe, wird der Positivismus zur bestimmenden Denkart und so zum intellektuellen Steigbügelhalter von Faschismus, Stalinismus und entfesseltem Kapitalismus; oder, subtiler, zum „Angestellte[n] der jüngsten Administration“.³³ Die Herrschaft des Positivismus als Denkart der Moderne zeigt sich dann nach Adorno und Horkheimer nicht zuletzt darin, dass die ideologisch neutrale Kulturindustrie seinen Maximen folgt: „Kulturindustrie hat die Tendenz, sich zum Inbegriff von Protokollsätzen zu machen und eben dadurch zum unwiderlegbaren Propheten des Bestehenden.“³⁴ Das, was übrig bleibt, wenn man die Denkart des Positivismus rückhaltlos umsetzt, ist nach Adorno und Horkheimer folglich eine reaktionäre Philosophie: Der Positivismus, der schließlich auch vor dem Hirngespinst im wörtlichsten Sinn, Denken selbst, nicht Halt machte, hat noch die letzte unterbrechende Instanz zwischen individueller Handlung und gesellschaftlicher Norm beseitigt. […] Wenn der Theorie als einzige Norm das Ideal der Einheitswissenschaft verbleibt, muß die Praxis dem rückhaltlosen Betrieb der Weltgeschichte verfallen.³⁵

Es sind im Grunde vier aufeinander aufbauende Thesen, die die Dialektik der Aufklärung über den Positivismus aufstellt und die zusammen den Vorwurf der grundsätzlich reaktionären Haltung begründen sollen. Die erste These lautet: „Wahrheit“ ist nach positivistischer Doktrin entweder begriffliche oder logische Wahrheit, wie wir sie vor allem in der Mathematik finden, oder empirische Wahrheit, d. h. konkret: das statistisch als „Regel“ Erwiesene. Ausgangspunkt dieser positivistischen Wahrheitstheorie ist nach Adorno und Horkheimer die Annahme, dass sich die Welt in Form „brutaler Tatsachen“ unverstellt darbiete.³⁶ Der Ausgangspunkt der Suche nach objektiver Wahrheit muss also die Sammlung dieser Tatsachen sein, die dann als einzelne Daten miteinander verglichen und auf Gemeinsamkeiten hin untersucht werden. Als „Daten“ sind sie wiederum allein dann verwendbar, wenn sie eben nicht gänzlich „brutal“ sind, sondern bereits unter allgemeine Begriffe gebracht wurden, wenn

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 120.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 174. Ganz besonders deutlich wird dies in Adornos und Horkheimers Beschreibung der Art und Weise, wie nach ihrer Ansicht die Rollen und Charaktere – als ebenso getreue wie unkritische Abbildungen der gesellschaftlichen Realität – angelegt („geskriptet“) werden: „Was und wie sie es sagen, soll an der Alltagssprache kontrollierbar sein, wie im logischen Positivismus.“ (Dialektik der Aufklärung, 153).  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 53.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 50.

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bereits klar ist, um welche Art von „datum“ es sich handelt.³⁷ Auf dieser Grundlage lässt sich dann mit Hilfe von Statistiken berechnen, welche Eigenschaften bestimmte Dinge ‚normalerweise‘ (d. h. mit hinreichender statistischer Häufigkeit) aufweisen und welche Wirkungen von bestimmen Handlungen oder welche Ergebnisse von bestimmten Abläufen ‚gewöhnlich‘ zu erwarten sind. Es braucht dann nicht einmal Kategorien wie die der Kausalität; die Rede davon, dass ein Ereignis die Ursache eines anderen sei, wird ersetzt durch die theoretisch weniger voraussetzungsreiche, weniger ‚metaphysische‘ Rede davon, dass, wenn X passiere, dann mit einer Wahrscheinlichkeit von a im Anschluss daran Y zu erwarten sei.³⁸ Jenseits statistischer Wahrscheinlichkeit bleiben nur noch die rein formalen Gesetze von Logik und Mathematik, die der Statistik und der Logik abstrakter Begriffe zugrunde liegen, als Gegenstände, die überhaupt beanspruchen dürfen, „wahr“ zu sein. Alles andere ist „sinnloses Geplapper“.³⁹ Damit ist bereits die zweite These angesprochen: Dem Positivismus zufolge können Aussagen, die sich weder auf mathematische Sätze noch auf empirische Gegenstände oder Ereignisse beziehen, nicht wahr oder falsch sein. Sie sind dann lediglich „sinnloses Geplapper“, d. h. bloße Lautfolgen, die allenfalls scheinbar einen verständlichen Sinn haben.⁴⁰ Und Fragen, die sich auf derartige Gegenstände beziehen, kreisen dann, in der Terminologie Carnaps, um bloße „Scheinprobleme“. Wo die radikale Aufklärung noch versucht hatte, die Frage nach der Existenz Gottes (wenn auch negativ) zu beantworten, da ergibt der Gebrauch des positivistischen Rasiermessers, dass die Frage ‚Gibt es Gott?‘ ganz und gar unsinnig ist. Auf diese Weise werden dann allerdings auch Fragen der Ästhetik ebenso wie Fragen der Ethik zu sinnlosen und nur scheinbar gehaltvollen „Scheinfragen“: „Dem Positivismus […] gilt in intelligible Welten abzuschweifen nicht mehr bloß als verboten, sondern als sinnloses Geplapper. Er braucht – zu seinem Glück – nicht atheistisch zu sein, weil das versachlichte Denken nicht einmal die Frage stellen kann.“⁴¹

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 47 f.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 27.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 48.  Das ist allerdings schon bezogen auf Vertreter des logischen Positivismus kompletter Unfug. Selbst Carnap gesteht ästhetischen Urteilen – Freges Terminologie aufnehmend – ja durchaus einen „Sinn“ zu, d. h. wir können sie verstehen, sie drücken auf verständliche, kommunizierbare und erläuterbare Weise, etwas aus, sie haben allerdings keine „Bedeutung“ (eine „Intension“, aber keine „Extension“, in Carnaps Terminologie), sind also nicht wahrheitsfähig, vgl. Carnap, „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, 105 – 107. Eine emotivistische Position wie diejenige Ayers (Language, Truth and Logic, 22, 107– 113) wird von diesem Vorwurf ebenfalls nicht getroffen.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 48.

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Damit verbunden, so die dritte These, ist die Reduktion von Vernunft auf „instrumentelle Vernunft“.⁴² Aus dem radikalen Empirismus folgt also nicht nur die Unmöglichkeit der kritischen Diskussion von allem, was sich nicht auf Tatsachenfragen oder Logik reduzieren lässt, es folgt eben auch, dass Zweckfragen sich einer kritischen Diskussion entziehen. Alles, was Wissenschaft und Philosophie zu liefern vermögen, sind systematisch geordnete Listen empirisch gegebener Regelmäßigkeiten. In diesem Sinne ist „Technik […] das Wesen dieses Wissens“.⁴³ Eine positivistische Wissenschaft kann nur noch zeigen, wie man gegebene Zwecke erreichen kann, welche Mittel man wählen sollte; diese Zwecke selbst kann sie nicht mehr sinnvoll in Frage stellen. Umgekehrt ist es vielmehr so, dass sie selbst Zweckfragen gemäß ihres eigenen Wahrheitskriteriums nur mehr empirisch stellen kann, weshalb sie allein die (empirisch konstatierbare?) „Selbsterhaltung“ als legitimen Zweck anerkennen wird.⁴⁴ Die dritte Folge des radikalen Empirismus ist gemäß der vierten These dann ein radikaler Kollektivismus. Wenn der Maßstab der Wahrheit die relative statistische Häufigkeit ist, dann bleibt als Methode der Soziologie nur noch ein vulgärer Sozialbehaviorismus, so dass der Einzelne zum bloßen „Knotenpunkt konventioneller Reaktionen und Funktionsweisen […], die sachlich von [ihm] erwartet werden“ zusammen „schrumpft“.⁴⁵ In dem Maße, wie die Wahrheitsfähigkeit an das Kriterium der Allgemeinheit gebunden ist, wird die Individualität des Einzelnen, die ja schon im Opfer des mythischen Zeitalters prekär war⁴⁶, nicht nur ignoriert, sondern – theoretisch wie politisch – endgültig vernichtet: „Was anders wäre, wird gleichgemacht.“⁴⁷ Dieser Umschlag von (theoretischem) Behaviorismus in (politischen) Totalitarismus ist, folgt man der Darstellung der Dialektik der Aufklärung, unausweichlich: Wenn allein die Selbsterhaltung als legitimer Zweck und die tatsächlich gegebenen Verhaltens- und Funktionsweisen der Individuen und sozialen Strukturen (unkritisch) als einziger Maßstab der Wahrheit gelten, dann wird die Theorie lediglich die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse als funktional und in diesem Sinne als wahr erweisen; und da der hier zugrunde gelegte radikale Empirismus zugleich jede Möglichkeit moralischer Maßstäbe

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 26 f.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 26.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 52.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 51. Das hiermit in der Tat der Behaviorismus angesprochen wird, zeigt auch die zweite These zum Antisemitismus, vgl. Dialektik der Aufklärung, 200. Zur Antisemitismustheorie der Dialektik der Aufklärung und ihrem Entstehungskontext vgl. von Wussow, „Horkheimer und Adorno über ‚Jüdische Psychologie‘“.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 32.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 34.

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jenseits funktionaler Zusammenhänge ausgeschlossen hatte, gibt es auch keine Möglichkeit mehr, die vorgefundenen gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. Nimmt man diese vier Thesen zusammen, dann ergibt sich das Bild des Positivismus als einer trotz allen kritischen Selbstverständnisses durch und durch reaktionären Philosophie: Sie reproduziert die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur, sie zementiert sie vielmehr, indem sie sie als funktional rechtfertigt und zugleich jegliche Kritik unter Berufung auf andere Maßstäbe unmöglich macht. Damit ist dann der Rückfall in den Mythos komplett, denn genau diese („mimetische“) Nachbildung des Vorgefundenen in der gesellschaftlichen Praxis ist ja dessen Kennzeichen. Das erklärt dann auch Behauptungen wie die Folgende: „So werden Bezeichnungen selbst undurchdringlich, sie erhalten eine Schlagkraft, eine Gewalt der Adhäsion und Abstoßung, die sie ihrem extremen Gegensatz, den Zaubersprüchen, ähnlich macht.“⁴⁸ Und insofern die Wurzel allen Übels der radikale Empirismus, d. h. die These, Grundlage aller Wahrheit sei eine sich unverstellt in der Erfahrung ‚zeigende‘ Welt, ist, lässt sich der Positivismus dann in der Tat als „Mythos dessen, was der Fall ist“ bezeichnen.⁴⁹

4 Bacons Philosophie – Positivismus sans phrase? Nun stellt sich natürlich die Frage, wie plausibel die Kategorisierung Bacons als Ahnherr der positivistischen Denkweise auf den zweiten Blick ist, auch wenn sie auf den ersten Blick mit der Betonung der Wissenschaft als Mittel der Unterwerfung der Natur der Lehrbuchlesart Bacons entspricht, die dessen Philosophie gemeinhin auf den Spruch „Wissen ist Macht“ reduziert. Nur: Diese Aussage findet sich in dieser Form nicht bei Bacon, zumindest nicht in De dignitate und auch nicht im Novum Organon. ⁵⁰ Im Novum Organon findet sich lediglich die These, dass „Wissen und menschliches menschliches Können“ zusammenfal-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 193.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 14.  Das Novum Organon wird im Folgenden zitiert mit Buch- und Paragraphennummer für die Aphorismen und mit Angabe der Seitenzahlen der Werkausgabe und der deutschen Übersetzung für andere Textteile. Die Übersetzungen der Texte Bacons entstammen, so nicht anders vermerkt, den im Literaturverzeichnis aufgeführten deutschen Ausgaben.

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len⁵¹. Die Aussage „Wissen ist Macht“, findet sich allerdings bei Bacons zeitweiligem Sekretär Hobbes,⁵² und Bacon spricht zumindest davon, dass es das „Ziel“ der Wissenschaft ist, dass „die Natur durch die Tat unterworfen“ wird.⁵³ In beiden Fällen wird allerdings das Problem der auch von Adorno und Horkheimer übernommenen Lehrbuchlesart mit Blick auf das lateinische Original recht schnell deutlich: Sowohl Bacon als auch Hobbes sprechen von „potentia“, also von der Möglichkeit eines Gegenstandes, auf andere einzuwirken und sie zu verändern, nicht aber von politischer Macht, „potestas“.⁵⁴ Das ist zwar für Argumentation der Dialektik der Aufklärung insofern irrelevant, als der Umschlag von Herrschaft über die Natur in (totalitäre) Herrschaft über die Menschen ja gerade eine ihrer Kernthesen ist. Es legt aber nahe, dass Adorno und Horkheimer für diese These zwei durchaus verschiedene und von manchen der von ihnen als Beleg angeführten Autoren vor allem auch entsprechend unterschiedene Arten von Macht gleichsetzen müssen. Das Problem ist, dass auf diese Weise Bacons Wissenschaftsverständnis nicht nur vorschnell sozialphilosophisch und ideologiekritisch durch die Mangel gedreht wird, es geraten auch zwei für Bacon entscheidende Aspekte dieses Wissenschaftsverständnisses aus dem Blick. Erstens hält Bacon die Frage nach der Existenz Gottes nicht nur nicht für eine Scheinfrage. Er ist zudem wie die meisten seiner Zeitgenossen (und im übrigen auch zahlreiche Vertreter der Aufklärung) der Meinung, dass die Erforschung der Natur zwar vom Wissen über Gott und die Mysterien klar getrennt werden muss,⁵⁵ dass die Erforschung der „causae secundae“ aber starke Gründe die Existenz Gottes liefert.⁵⁶ Was sie freilich nicht zu leisten vermag, ist die über die Frage der Existenz Gottes hinausgehende Frage zu

 Vgl. Bacon, Novum Organon, I.3: „Scientia et potentia humana […] coincidunt“ (Krohn übersetzt „coincidunt“ mit „ergänzen sich“).  Hobbes, Der Körper, I.6 (lat.: „Scientia propter potentiam“).  Bacon, Novum Organon, Distributio Operis, 136/40: „Itaque ex intentione diversa diversus sequitur effectus. Illic enim adversarius disputatione vincitur et constringitur, hic [in der Wissenschaft] natura opere.“  Schuhmann übersetzt die Hobbes-Stelle entsprechend: „Wissenschaft ist fürs Wirkenkönnen da“ (Hobbes, Der Körper, 20). Zur der entsprechenden Stelle bei Bacon vgl. auch die kurze Darstellung bei Krohn, „Wissen ist Macht“.  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 267 f., 350, Bacon, De dignitate, 433 f. und Bacon, Novum Organon, Praefatio, 131 f./31– 33.  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 268, 350 und seinen Essay „Of Atheism“ (Bacon, Essays, 413 – 415).

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klären, welche Religion, d. h. welche Weise der innerlichen und äußerlichen Verehrung Gottes, die richtige bzw. angemessene ist.⁵⁷ Vergleichbares gilt für die Moral, die ja nach Adorno und Horkheimer auf positivistischer Grundlage entweder nicht thematisiert werden kann oder auf eine Sammlung von Regeln zur gelingenden Selbsterhaltung unter den je gegebenen gesellschaftlichen Umständen reduziert wird. Es bedarf gar nicht des Blicks in die Essays, die ja nicht nur explizit moralische und politische Probleme wie „Goodness“ oder „Seditions“ thematisieren,⁵⁸ sondern, wie schon der Untertitel (Counsels Civil and Moral) zeigt, grundsätzlich dem Ziel einer moralisch-politischen Sensibilisierung des Lesers dienen sollen.⁵⁹ Schon im Advancement of Learning und dann in dessen erweiterter lateinischer Fassung, De dignitate et augmentis scientiarum, thematisiert Bacon Moral und Politik.⁶⁰ Er bezieht sich affirmativ auf die antike Moralphilosophie⁶¹, was womöglich auch ein Grund ist, warum Bacon nicht nur das totale Gute des eigenen Lebens vom relativen Guten der „Pflicht gegenüber der Gesellschaft“ unterscheidet, sondern wiederholt betont, dass die eigenen Interessen den Pflichten gegenüber der Gesellschaft untergeordnet werden müssen.⁶² Damit ist zwar eine normative Ausrichtung des Einzelnen am Wohl der Gesellschaft gegeben, aber diese ist nicht zu verwechseln mit einem radikal konformistischen Kollektivismus, wie ihn Adorno und Horkheimer dem Positivismus unterstellen. Denn aus Bacons Argumentation folgt weder, dass eine Weiterentwicklung der Gesellschaft verboten ist (es ist ja zumindest theoretisch denkbar, dass sich das Gemeinwohl allein durch eine Revolution realisieren lässt); noch folgt aus ihr, dass alle sich radikal konformistisch zu verhalten haben. Die eindeutige moralische Forderung der Orientierung am Gemeinwohl ist insofern entscheidend, als Bacon sie auch mit der Wissenschaft verbindet: Diese soll in der Tat „fruchtbringend“ sein, d. h. die theoriegeleitete Entwicklung neuer Techniken ermöglichen.⁶³ Aber die Wissenschaft wird ihr Ziel, mit dem Wissen auch das Wohl der Menschheit zu mehren, allein dann erreichen, wenn ihre

 Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 349: „that it [science] sufficeth to convince, but not to inform religion“.  Vgl. Bacon, Essays, 403 – 405 und 406 – 413.  Vgl. Ahrens, Die Essays von Francis Bacon.  Vgl. zum Folgenden Zagorin, Francis Bacon, 129 – 175.  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 419 f.  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 420 f. und Bacon, De dignitate, 717 f., 721– 724.  Vgl. Bacon, Novum Organon, I.70, 73.

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Praxis an der moralischen Norm der „charity“, der Nächstenliebe, orientiert ist.⁶⁴ Diese strikte Gemeinwohlorientierung kennzeichnet ja auch die Haltung der Beamten wie überhaupt die Politik auf Bacons Nova Atlantis. Richtig ist allerdings, dass Bacon im Novum Organon behauptet, dass seine Methode der „Induktion“ auf alle möglichen Gegenstände angewendet werden könne, auch auf „die Logik, Ethik, Politik“⁶⁵, und diesem Anspruch auf systematische Geschlossenheit sollen nach Bacon dementsprechend auch die Bücher VII und VIII von De dignitate gerecht werden, die die gerade skizzierten Überlegungen zu Ethik und Politik enthalten. Die Unterstellung Adornos und Horkheimers muss also lauten, dass diese Überlegungen und Thesen Bacons irrelevant sind für die Frage, ob seine Philosophie im Kern positivistisch ist, immerhin verlieren sie kein Wort zu ihnen. Aber auch Bacons Wissenschaftsverständnis im engeren Sinne, d. h. seine Überlegungen zur Metaphysik und zur Erkenntnistheorie passen nicht recht in das Bild, dass Adorno und Horkheimer mit der Kategorisierung als Positivismus zeichnen. Bacons Schema der Wissenschaften scheint zwar auf den ersten Blick durchaus proto-positivistisch zu sein: Es ist strikt hierarchisch aufgebaut, und die „Philosophia prima“ besteht Bacon zufolge aus den allgemeinsten Axiomen, die sich bei näherem Hinsehen als die Grundregeln der Logik entpuppen.⁶⁶ Aber nicht nur enthält sein Schema neben Moral und Politik auch die „natürliche Theologie“⁶⁷, auch die Kerndisziplin der „Metaphysik“, die Bacon als Untersuchung der „formae“ definiert⁶⁸, scheint dem Einordnung des Ganzen als positivistisch in gewissem Maße im Wege zu stehen, was wesentlich mit Bacons Begriff der ‚Form‘ zu tun hat. Denn anders als die modernen Positivisten hält Bacon nicht nur an seinem „nominalistischen Credo“ fest⁶⁹; er ist zudem der festen Überzeugung, dass alle Körper sich in ihrer Beschaffenheit auf eine je spezifische Kombination einer kleinen Zahl von Grundeigenschaften, den „formae“, zurückführen lassen.⁷⁰ Die „formae“ oder „Gesetze“ sind, dies ist zumindest die plausibelste Rekonstruktion dieses unklaren, aber zentralen Theoriestücks, jene möglichen Strukturen, die durch die Verbindung  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 266: „but because if it be severed from charity, and not referred to the good of men and mankind it hath rather a sounding and unworthy glory than a meriting and substantial virtue.“ Vgl. auch Novum Organon, Praefatio, 132/32 sowie den Essay „Of Goodness and Goodness of Nature“, in dem diese von Bacon mit der „charity“ gleichgesetzt wird (Bacon, Essays, 403).  Vgl. Bacon, Novum Organon, I.127.  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 346 – 349.  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 349 – 351.  Vgl. Bacon, Advancement of Learning, 353 f. und Novum Organon, II.9.  Bacon, Novum Organon, II.2.  Vgl. Bacon, Novum Organon, II.2– 4, 17, sowie Advancement of Learning, 355 – 357.

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von Atomen zustande kommen können, genauer: die einzig möglichen Typen von Atomverbindungen.⁷¹ Anders formuliert: Die allgemeine Logik ist in der Ontologie begründet und wird durch sie gerechtfertigt, nicht umgekehrt. Wie bereits erwähnt, sehen Adorno und Horkheimer auch hierin kein signifikantes Problem, es handelt sich ihrer Ansicht nach anscheinend um so etwas wie Restbestände vorpositivistischer Metaphysik, die im Grunde so etwas wie Fremdkörper in Bacons letztlich positivistischer Philosophie darstellen. Diese Deutung ist insofern fahrlässig, als gerade diese ontologische Voraussetzung einer auf atomarer Ebene strukturell geordneten Welt erklärt, warum Bacons ‚induktive Wissenschaft‘ von dem, was wir heute so nennen, grundverschieden ist. Schaut man sich Bacons Darstellung der ‚Induktion‘ im zweiten Buch des Novum Organon an, dann wird deutlich, dass das, was Bacon hier im Auge hat, in der Tat treffender als ‚Abstraktion‘ denn als ‚Induktion‘ bezeichnet werden sollte⁷²: Nach Bacon muss der Naturforscher alle Fälle sammeln (auf „Tafeln“), in denen eine Eigenschaft („natura“) (a) vorhanden ist, (b) nicht vorhanden ist (wobei diese Fälle den unter (a) aufgeführten „ähnlich“ sein sollen) oder (c) in verschiedenen Graden vorhanden ist. Vor allem die (b)-Fälle sind notwendig, um falsche Rückschlüsse auf das Wesen der infrage stehenden Eigenschaften, d. h. auf die notwendigen Bedingungen ihres Vorhandenseins, zu verhindern. Denn die Aufgabe des Naturforschers besteht nun darin, auf der Grundlage mehrmaligen Lesens, d. h. mehrerer Interpretationen der verschiedenen Tafeln jene Bedingungen auszusondern, die immer gegeben sind, wenn die infrage stehende Eigenschaft vorliegt. Mit anderen Worten: Er abstrahiert von einer Anzahl vorliegender Einzelfälle, aber er ist weit davon entfernt, der Natur mit Hilfe von Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung zu Leibe zu rücken. Die Rede von einer „Fremdheit zur Mathematik“ ist daher im Grunde ungenau: Schaut man sich Bacons Theorie der Induktion an, dann muss man wohl zu dem Schluss kommen, dass er in der Tat keine „Ahnung von der nothwendigen Herrschaft der Mathematik über die

 Vgl. Quinton, Francis Bacon, 62 f., Zagorin, Francis Bacon, 95 f., 116 f. sowie Natge, Francis Bacons Formenlehre, 52, 55, 61 f. Die These, der Begriff der ‚Form‘ bei Bacon lasse sich nicht klar bestimmen, vertreten Engfer, Empirismus vs. Rationalismus?, 52 f. und Siegl, Das Novum Organon von Francis Bacon, 122.  Vgl. zum Folgenden Bacon, Novum Organon, II.9 – 27 sowie Natge, Francis Bacons Formenlehre, 6 – 10 und Engfer, Empirismus versus Rationalismus?, 49. Siegl, Das Novum Organon von Francis Bacon, 37, 56 sieht in Bacons Hervorhebung der Bedeutung negativer Fälle hingegen einen „wesentlichen Gedanken des kritischen Rationalismus“ vorweggenommen (er vertritt also gewissermaßen Adornos Bacon-Lesart, bloß mit umgekehrten Vorzeichen).

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Natur“ hatte.⁷³ Auch aus diesem Grund haben die Experimente, die Bacon fordert⁷⁴, nicht die Bedeutung, die sie in der modernen Wissenschaft besitzen.⁷⁵ Die Einordnung von Bacons Philosophie als Positivismus wird, zuletzt, wesentlich erschwert durch ihr wohl bekanntestes Theoriestück: die Idolenlehre.⁷⁶ Zwar geht Bacon grundsätzlich davon aus, dass wir in der Lage sind, zu einem „Bild der Welt, wie sie vorgefunden wird und nicht wie sie die eigene Überlegung diktiert“⁷⁷, zu gelangen. Aber dieses „Bild der Welt“ präsentieren uns unsere Sinne nach Bacon gerade nicht ‚von sich aus‘. Anders als der Positivismus (nach der Dialektik der Aufklärung) meint, ist unsere Wahrnehmung der Welt nach Bacon auf vierfache Weise beeinträchtigt: durch die naturgegebene Perspektivität der Sinneswahrnehmung („idola tribus“⁷⁸); durch die individuelle, vor allem durch Charaktereigenschaften und Sozialisation geprägte Persönlichkeit („idola specus“⁷⁹); durch die in der Sprache, mit der wir die Welt beschreiben und die einzelnen Erfahrungen ordnen, geronnenen Annahmen über ihre Beschaffenheit („idola fori“⁸⁰); sowie zuletzt durch Weltbilder und konkrete Theorien über die Beschaffenheit der Welt, die ihre Verbreitung und ihre Autorität vor allem dem Umstand verdanken, dass sie den (unreflektierten und partikularen) Interessen der Mehrheit entsprechen („idola theatri“⁸¹). Das, was wir unreflektiert als ‚die  Natge, Francis Bacons Formenlehre, 6.  Vgl. Bacon, Novum Organon, I.70 – 73, 99, 117.  Vgl. dazu Kuhn, „Mathematische versus experimentelle Traditionen“, 100 – 104 und passim. So dienen nach Bacon die „Experimente“ weniger der kritischen Prüfung wissenschaftlicher Theorien als der Korrektur der notwendig perspektivischen Sinneswahrnehmung, vgl. Bacon, Novum Organon, I.47, 49.  Dieses Theoriestück ist vor allem deshalb von besonderem Interesse, weil es nachweislich in der Philosophie der Aufklärung, v. a. in der französischen Radikalaufklärung, wiederholt affirmativ aufgegriffen wurde, während für das Wissenschaftsverständnis der (französischen) Aufklärung weniger Bacon, als vielmehr Lockes Essay Concerning Human Understanding prägend war (eine kurzen Überblick hierzu gibt Barth, Wahrheit und Ideologie, 33 f.).  Bacon, Novum Organon, I.124.  Bacon, Novum Organon, I.45 – 52. Es ist fraglich, ob es sich hier, wie u. a. Engfer, Empirismus versus Rationalismus?, 36, und Sessions, Francis Bacon Revisited, 26 – 29, meinen, um eine Umdeutung der Lehre von der sündigen („gefallenen“) Natur des Menschen handelt (auch wenn an der Authentizität und Traditionalität von Bacons christlichem Glauben kaum Zweifel bestehen, vgl. Zagorin, Francis Bacon, 49 – 51). Gegen diese Lesart auch Quinton, Francis Bacon, 37.  Bacon, Novum Organon, I.53 – 58.  Bacon, Novum Organon, I.59 – 60.  Bacon, Novum Organon, I.62– 67. Während die Interpretation der ersten drei „idola“ im Grunde unstrittig ist, wird Bacons Kritik der „idola theatri“ im Regelfall auf die Kritik an den Theoriegebäuden der damals herrschenden Philosophieschulen beschränkt (vgl. Barth, Wahrheit und Ideologie, 40, Zagorin, Francis Bacon, 82, 85). Dies ist zwar richtig, unterschlägt aber Bacons Hinweis darauf, dass die Popularität dieser Theorien sich wesentlich dem Umstand verdankt,

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Welt‘ wahrnehmen, ist im Grunde vor allem ein Bild der Meinungen, Theorien und Weltbilder, die in unserer Gesellschaft gerade dominieren. Anders formuliert: Die Welt unserer Wahrnehmung ist nach Bacon im Grunde ein soziales Konstrukt und mit dieser These steht er eher auf der Seite Adornos und Horkheimers als auf der Seite Neuraths und Carnaps. Hans Barth hat daher betont, dass Bacons Idolenlehre vor allem eine Ideologiekritik des Aberglaubens ist⁸², wenngleich Bacon den im Grunde logischen Folgeschritt zur „Staatskritik“ nicht gehe.⁸³ Interessant ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt, dass Horkheimer selbst diese im Grunde anti-positivistische Tendenz von Bacons Idolenlehre in einer frühen Vorlesung herausgestellt hatte.⁸⁴ Adornos und Horkheimers Einordnung Bacons in die Geschichte des Positivismus könnte man angesichts dieser zahlreichen Abweichungen Bacons von dem, was positivistische Philosophien eigentlich auszeichnet, wohl nur verteidigen, indem man seine Bestimmung des Zwecks der Wissenschaft (Herrschaft über die Natur) und ihrer systematisch-hierarchischen Organisation (mit der Logik als „Philosophia prima“) zum eigentlichen Zentrum seiner Philosophie, und die angeführten abweichenden Theoriestücke als womöglich zu diesem Kern im Widerspruch stehende, aber historisch erklärbare Residuen vorpositivistischer Philosophien erklärt. Nur: Was spräche dafür, wenn doch die Gemeinsamkeiten so spärlich, die Unterschiede hingegen aber umfangreich ausfallen? Zumal man ja bedenken muss, dass man selbst das vermeintliche Zentrum der Philosophie Bacons nur mühsam dem positivistischen Ideal angleichen kann. Ein Blick in die Vorgeschichte der Positivismuskritik in der Dialektik der Aufklärung hilft nicht nur, diese Kritik besser zu verstehen. Er zeigt auch, dass zumindest Horkheimer bereits sehr früh den Begriff des Positivismus so fasste, dass er zwischen systematisch zentralem Zentrum und einer kontigent-irrele-

dass sie den Interessen und Vorurteilen des Publikums entgegen kommen und auch mit Blick auf diese entwickelt und verbreitet werden (vgl. Bacon, Novum Organon, I.62, 91; vgl. auch Advancement of Learning, 287– 289).  Barth, Wahrheit und Ideologie, 41– 43. Vgl. dazu Bacon, Novum Organon, I.65, und den Essay „Of Superstition“ (Bacon, Essays, 415 – 417).  Vgl. Barth, Wahrheit und Ideologie, 44: „Bacon bezieht also die Kritik der Idole nur auf die Naturwissenschaft. Eine Anwendung auf die öffentliche Ordnung findet nicht statt; denn die sozialen Gebilde lassen sich [nach Bacon] nicht auf rationale Konstruktionen zurückführen.“  Vgl. Horkheimer, „Vorlesung über die Geschichte der neueren Philosophie“, 81– 89. Allerdings findet sich bereits hier eine philosophiehistorische Einordnung Bacons, die mit derjenigen der Dialektik der Aufklärung übereinstimmt: „Bacon hat den wirklichen Sinn der modernen Naturwissenschaft ausgesprochen: Es ist die Herrschaft des Menschen über die Natur.“ (80) Eine ähnlich abwägende Einschätzung Bacons äußert übrigens Adorno in einem Brief an Horkheimer vom 27. November 1936 (Horkheimer, Gesammelte Schriften, XV, 759).

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vanten Peripherien (vermeintlich) positivistischer Philosophien unterscheiden konnte.

5 „Prästabilierte Harmonie von Fachwissenschaft und Barbarei“: Kritik des Positivismus vor der Dialektik der Aufklärung Das Problem der Darstellung der Dialektik der Aufklärung ist, wie bereits angesprochen, vor allem der thesenhafte Charakter, der zudem verbunden ist mit einer oft nur in Andeutungen vorgenommenen Zuordnung dieser Thesen zu Autoren, die sie vertreten haben (sollen). Einiges davon wird deutlicher, wenn man sich vor allem die Schriften Horkheimers aus den Dreißiger Jahren anschaut, in denen er sich wiederholt und deutlich ausführlicher und offener mit dem Positivismus auseinandergesetzt hat.Während der logische Positivismus des Wiener Kreises als Hauptziel der Kritik und Polemik – und damit als Hauptbeleg für die Thesen über das ‚Wesen‘ des Positivismus – in der Dialektik der Aufklärung eher durch Andeutungen gekennzeichnet wird,⁸⁵ wird er in mehreren Aufsätzen in der Zeitschrift für Sozialforschung von Horkheimer explizit genannt und kritisiert.⁸⁶ Bereits in diesen Aufsätzen finden sich im Wesentlichen die Kernpunkte der Positivismuskritik der Dialektik der Aufklärung. So macht Horkheimer an verschiedenen Stellen den Positivisten den Vorwurf einer naiven Voraussetzung eines unkritischen Sensualismus⁸⁷, dem er einen Sensualismus entgegensetzen will, der die Gebundenheit der „Sinnlichkeit“ an historisch-soziale Rahmenbedingungen kritisch

 Etwa dadurch, dass Termini wie „Einheitswissenschaft“ und „Protokollsatz“ zur Charakterisierung verschiedener, als positivistisch gedeuteter Phänomene gebraucht werden, die eindeutig Autoren wie Neurath und Carnap zugeordnet werden können.  Die Konzentration auf frühe Schriften Horkheimers im Folgenden scheint mir, jenseits der offenkundigen Übereinstimmungen zwischen der Positivismuskritik in ihnen und im ersten Fragment der Dialektik der Aufklärung, auch durch den Hinweis von Habermas („Max Horkheimer“, 101) gerechtfertigt, dass nach Auskunft Gretel Adornos Horkheimer für den „Begriff der Aufklärung“ und den zweiten Exkurs, Adorno hingegen für den ersten Exkurs und das Fragment „Kulturindustrie“ hauptsächlich verantwortlich gewesen sei (vgl. auch Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, 365). Siehe aber Hetzel, „Dialektik der Aufklärung“, 390 – 392, der Adorno als wenigstens gleichwertigen Autor der entsprechenden Passagen behandelt.  Vgl. Horkheimer, „Materialismus und Metaphysik“, 96 – 99; Horkheimer, „Materialismus und Moral“, 149; Horkheimer, „Zum Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie“, 164, 174; Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 118, 122 f.

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reflektiert.⁸⁸ Ebenso findet sich hier bereits die These, dass eine auf jener Grundlage operierende Soziologie nichts als ein die gegebenen gesellschaftlichen Strukturen unkritisch abbildender – und damit rechtfertigender – „Sozialbehaviorismus“ ist, hier explizit gegen Neuraths Empirische Soziologie. ⁸⁹ Dasselbe gilt für die These, dass das positivistische Rasiermesser nicht nur die alte Metaphysik ‚wegschneidet‘, sondern der Vernunft auch jegliche Fähigkeit der kritischen Diskussion von ästhetischen und Werturteilen abspricht.⁹⁰ Bereits in „Egoismus und Freiheitsbewegung“ von 1936 kritisiert Horkheimer wiederum den „einfachen Materialismus“, der die „Selbsterhaltung“ als obersten Zweck menschlichen Verhaltens aus neutraler Analyse natürlicher Prozesse gewonnen zu haben meint und sie als letzten Zweck absolut setzt;⁹¹ für dieses Vorgehen ist, so Horkheimer, die „Sprache der Logistik“ der „angemessene Ausdruck“.⁹² Und auch die Entwicklungsgeschichte des Positivismus als letztes Stadium der Aufklärung wird in verschiedenen Varianten und mit verschiedenen Ahnherren erzählt. So wird der Beginn des Positivismus von Horkheimer 1932 einmal in der frühen Neuzeit⁹³, ein anderes Mal „in der Aufklärung bei Turgot und d’Alembert“⁹⁴, 1937 dann bei Spinoza und Descartes⁹⁵ lokalisiert. Die Vollender dieses Prozesses sind neben den logischen Positivisten des Wiener Kreises der auch in der Dialektik der Aufklärung erwähnte Comte⁹⁶ sowie Mill.⁹⁷ Hume wiederum wird hier, anders als in der Dialektik der Aufklärung, nicht ohne weiteres in diese Traditionslinie eingeordnet aufgrund seines Skeptizismus.⁹⁸ Umgekehrt zielt die Kritik in diesen Aufsätzen nicht nur auf die erklärten Positivisten wie Comte und nach ihm Neurath

 Vgl. Horkheimer, „Materialismus und Metaphysik“, 102, sowie Horkheimer, „Materialismus und Moral“, 147– 149.  Vgl. Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 128.  So etwa Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 114 f., 146; vgl. auch Horkheimer, „Zum Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie“, 200 f., 204.  Horkheimer, „Egoismus und Freiheitsbewegung“, 10 f.  Horkheimer, „Egoismus und Freiheitsbewegung“, 71.  Vgl. Horkheimer, „Bemerkungen über Wissenschaft und Krise“, 42: Der Positivismus war „ursprünglich als Teil des bürgerlichen Emanzipationsprozesses in kritischer Auseinandersetzung mit scholastischen Hindernissen der Forschung formuliert worden.“ Das kann sich auf Bacon beziehen, in dieser Allgemeinheit wären allerdings auch Hobbes, Descartes und zahlreiche andere frühneuzeitliche Philosophen als ‚Belege‘ denkbar.  Horkheimer, „Materialismus und Metaphysik“, 95.  Vgl. Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 114.  Vgl. Horkheimer, „Materialismus und Metaphysik“, 95, und Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 114.  Dazu Horkheimer, Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie, 182.  Vgl. Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 122; vgl. aber Horkheimer, „Zum Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie“, 165.

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und Carnap, sondern auch auf „Rationalisten“ wie Heinrich Rickert,⁹⁹ so wie Adorno in seiner in den dreißiger Jahren verfassten Metakritik der Erkenntnistheorie ja auch in Husserls Phänomenologie „positivistische“ Aspekte aufzeigen zu können meinte¹⁰⁰, obwohl er und Horkheimer Husserls späte Krisis-Schrift in der Dialektik der Aufklärung dann zustimmend zitieren.¹⁰¹ Bereits hier wird „Positivismus“ also nicht nur als Bezeichnung einer konkreten Theorietradition, sondern auch als label für eine bestimmte Denkart gebraucht. Zuletzt findet sich bereits hier der Vorwurf, dass der Positivismus eine reaktionäre Philosophie sei: Die genannten Eigenschaften der positivistischen Methodologie führten notwendig dazu, dass eine positivistische Philosophie im Grunde jede beliebige gesellschaftliche Struktur, die sie untersucht, unkritisch als funktional abbilden und rechtfertigen wird.¹⁰² In seiner Korespondenz wird Horkheimer hier wesentlich deutlicher, wenn er den Positivismus als „prästabilierte Harmonie zwischen Fachwissenschaft und Barbarei“ bezeichnet.¹⁰³ Im „Neuesten Angriff auf die Metaphysik“ erläutert Horkheimer diesen Vorwurf auf interessante Weise: Wenn der einzige Maßstab einer positivistischen Soziologie das Gelingen oder Misslingen der Selbsterhaltung der Mitglieder der jeweils untersuchten Gesellschaft ist, dann besteht aus der Sicht dieser Gesellschaftstheorie kein signifikanter Unterschied zwischen einer modernen, aufgeklärten, funktional differenzierten Gesellschaft und einer Gesellschaft, in der der Hexenwahn grassiert – sofern letztere jenes Gelingen funktional gewährleistet.¹⁰⁴ In diesem Sinne hatte Horkheimer zuvor die These vertreten, dass der Positivismus aufgrund seines naiven Sensualismus „grundsätzlich seinen Frieden mit jeder Art von Aberglauben“ mache¹⁰⁵, was an die Bemerkung in der „Vorrede“ der Dialektik der Aufklärung erinnert, dass es gerade die „strikte Beschränkung auf Tatsachenfeststellung und Wahrscheinlichkeit“ sei, die jene „Scharlatanerie und

 Vgl. Horkheimer, „Zum Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie“, 174.  Vgl. Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, 76 f.  Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 47. Zu Adornos Husserl-Kritik und ihrer Entwicklung vgl. Gehring, „Metakritik der Erkenntnistheorie“, zum Verweis auf die Krisis-Schrift in der Dialektik der Aufklärung vgl. ebd., 363 (für den Hinweis auf diese positive Erwähnung Husserls möchte ich Petra Gehring danken).  Vgl. Horkheimer, „Egoismus und Freiheitsbewegung“, 10 f. und Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 113 f., 116.  Horkheimer an Katharina von Hirsch, 13. Oktober 1936 (Gesammelte Schriften, XV, 673 f.). Eine nahezu identische Formulierung gebraucht er im Brief an Adorno vom 22. Oktober 1936 (Gesammelte Schriften, XV, 689).  Vgl. Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 135 – 142.  Horkheimer, „Materialismus und Metyphysik“, 97.

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Aberglauben“ ermögliche, die sie ja eigentlich bekämpfen solle.¹⁰⁶ Dieser Vorwurf ist erhellend mit Blick auf das Problem des Umgangs mit genuin moralischen Maßstäben und das Verhältnis des Positivismus zu entsprechenden, gesellschaftspolitischen Fragen. Im „Neuesten Angriff auf die Metaphysik“ gesteht Horkheimer gegen Ende den logischen Positivisten zu, dass „sich viele Mitglieder des Kreises für freiheitliche Ziele eingesetzt“ hätten.¹⁰⁷ Entscheidend ist der Nachsatz: „Nach ihrer Doktrin ist das zufällig, sie bietet so wenig ein Gegenmittel gegen politischen wie gegen spiritistischen Aberglauben.“¹⁰⁸ Wenn eine Philosophie ihre Zuständigkeit auf empirische und logische Fragen beschränkt, dann führt dies nach Horkheimer dazu, dass sie Fragen nach der ‚richtigen‘ Weltanschauung nicht mehr sinnvoll diskutieren kann. Folglich ist sie in dieser Hinsicht gewissermaßen offen, ihre instrumentelle Logik kann beliebigen, einfach vorgefundenen Interessen, Zwecken und Weltanschauungen untergeordnet werden; der vermeintlich kritische und aufgeklärte Positivismus liefert somit sogar eine Rechtfertigung des „Irrationalismus“, wie ihn Horkheimer vor allem in der Lebensphilosophie Henri Bergsons sieht.¹⁰⁹ Das, was Horkheimer im „Neuesten Angriff auf die Metaphysik“ und andernorts als „neoromantische Metaphysik“ bezeichnet¹¹⁰, ist im Grunde nur die Kehrseite des Positivismus: Wo die Positivisten Wertfragen ignorieren oder als ‚unwissenschaftlich‘ oder als ‚Unsinn‘ brandmarken, da setzen Vertreter dieser „neoromantischen Metaphysik“ einfach diejenigen Instanzen, die die Positivisten aus der Philosophie ausklammern, absolut als das, was das ‚eigentlich Wahre‘ ist. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich nun wie bei Bergson um das „Prinzip des Lebens“ oder wie bei Max Scheler und Nicolai Hartmann um die „ewigen Werte“

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 18.  Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 159 (vgl. auch Horkheimer, „Vorwort zum VI. Jahrgang“, 107: „Die Kritik an der positivistischen Schule hindert uns nicht, ihre fachlichen Leistungen anzuerkennen und zu fördern.“) In seinem Brief vom 6. April 1937 hatte er die Aufnahme dieses Passus gegenüber Adorno gerechtfertigt, „weil wir einige politisch anständige Akte und manche fachliche Bestrebungen dieser Leute ja wirklich anerkennen.“ (Horkheimer, Gesammelte Schriften, XVI, 108) Dem entsprechend trifft auch der Vorwurf der überzogenen Kritik nicht, den Emil Walter Horkheimer in Reaktion auf den Aufsatz mit Hinweis auf den Umstand machte, viele der Kritisierten seien „Sozialisten oder Kommunisten, d. h. weltanschaulich Linksleute.“ (Emil Walter an Horkheimer, 20. Juni 1937 [Gesammelte Schriften, XIX, 175]).  Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 159.  Horkheimer, „Der Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie“, 171 f.  Vgl. Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 116. Hier dürfte mit „Metaphysik“ u. a. auch die Wertphilosophie Max Schelers gemeint sein, siehe dazu auch Adorno, „Die Idee einer Naturgeschichte“, 347– 349, der im Grunde mit derselben Opposition arbeitet und explizit auf Schelers materiale Wertethik verweist.

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handelt. Es sind Gegenstände oder Prinzipien, über die auf der Grundlage einer positivistischen Philosophie nicht mehr mit Gründen kritisch gestritten werden kann. Alles, was die Metaphysik macht, ist folglich, das negative Vorzeichen, das der Positivismus vor Werte, Zwecke usw. gesetzt hatte, durch ein positives zu ersetzen (was natürlich bedeutet, dass die Vertreter der Metaphysik bei aller Kritik im Grunde das Philosophieverständnis des Positivismus akzeptieren). Dieser wiederholte Vorwurf eines moralphilosophischen Quietismus und der damit verbundenen Zufälligkeit der moralphilosophischen oder politischen Positionen der Positivisten hilft Horkheimer aus zwei Gründen: Er ist erstens notwendig, um den Vorwurf des reaktionären Charakters des Positivismus gegen die offenkundig fortschrittliche Orientierung zahlreicher seiner Anhänger aufrecht erhalten zu können. Zudem erlaubt er es, zweitens, sogar explizit moralphilosophische Überlegungen nicht nur zeitgenössischer Positivisten wie Moritz Schlick, sondern auch historischer Positivisten wie Comte oder Mill als „weltanschauliches Beiwerk“¹¹¹ zur sachlich irrelevanten Theorieperipherie zu zählen. Das überdeckt freilich eine Gemeinsamkeit zwischen Horkheimers Ansätzen und denen des Positivismus: Sowohl Horkheimer als auch die Vertreter des Wiener Kreises, vom Utilitarismus ganz zu schweigen, berufen sich auf die antike Glücksethik, konkret: auf Epikur.¹¹² Es mag zwar sein, dass Horkheimers eigene Überlegungen, die ja auch hier der historischen Relativität und Bezogenheit auf konkrete gesellschaftliche Umstände in Form eines reformulierten Glücksbegriffs Rechnung tragen sollen, den Ansätzen der Positivisten überlegen sind – aber genau diesen Nachweis wie auch die Herausarbeitung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede muss Horkheimer nicht mehr thematisieren, nachdem er die moralischen und politischen Überzeugungen der Positivisten als systematisch ‚eigentlich‘ nicht zur Theorie gehörig abqualifiziert hatte. Diese Vorgeschichte der Positivismuskritik zeigt meines Erachtens, dass der Begriff des Positivismus ebenso wie die Kritik an ihm in erster Linie mit Bezug auf zeitgenössische Positionen der Philosophie, vor allem in Auseinandersetzung mit

 So die Formulierung in Horkheimer, „Der neueste Angriff auf die Metaphysik“, 114.  Zu Horkheimer siehe: Horkheimer, „Der Rationalismusstreit in der gegenwärtigen Philosophie“, 216, und Horkheimer, „Egoismus und Freiheitsbewegung“, 86 f., sowie zum positiven Bezug auf hedonistische Ansätze Horkheimer, „Materialismus und Moral“, 131– 135. Ob die Klassifikation von Horkheimers Überlegungen als „dezisionistischer Eudaimonismus“ (Dahms, Positivismusstreit, 117) diesen wirklich gerecht wird, darf bezweifelt werden. Zum Wiener Kreis vgl. Verein Ernst Mach, „Wissenschaftliche Weltauffassung“, 9, und Neuraths Idee einer „empirische[n] ‚Felicitologie‘ auf behavioristischer Grundlage“ (Neurath, „Soziologie im Physikalismus“, 300); zur Moralphilosophie bei Mitgliedern des Wiener Kreises vgl. Siegetsleitner, Ethik und Moral im Wiener Kreis.

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dem logischen Positivismus des Wiener Kreises gewonnen wurde. Das betrifft unter Umständen auch die Theoriegeschichte des Positivismus, mit der Horkheimer und Adorno arbeiten, denn die meisten der Autoren, die sie aufführen, werden zum Beispiel auch im Gründungsmanifest des Wiener Kreises von den Herausgebern als Bezugsgrößen benannt,¹¹³ wenngleich man bedenken sollte, dass beide Seiten hier mit wenig mehr als mit gängigen philosophiehistorischen Klassifizierungen arbeiten (auch wenn die Vorzeichen der Bezugnahme dann jeweils andere sind). Man mag nun darüber streiten, ob diese Kritik an den verschiedenen philosophischen Überlegungen der Mitglieder des Wiener Kreises angemessen ist oder nicht. Für die Einordnung Bacons in die Vorgeschichte des Positivismus sind vor allem zwei Fragen von Interesse. Warum wird Bacon, anders als in den älteren Arbeiten, in der Dialektik der Aufklärung eine derart prominente Rolle zugewiesen? Und wie überzeugend ist die Einordnung einer historischen Position unter Rückgriff auf einen Doppelbegriff wie den des ‚Positivismus‘, der vor allem in Auseinandersetzung mit einer sehr spezifischen Theorie gewonnen wurde?

6 Why Bacon? Die erste Frage lässt sich meines Erachtens recht schnell beantworten. In den älteren Texten läuft die Kritik am Positivismus vor allem auf den Vorwurf einer reaktionären oder wenigstens apologetischen Philosophie hinaus. Dieser Vorwurf findet sich auch in der Dialektik der Aufklärung ¹¹⁴, aber er wird nun eingefügt in eine Theorie der Moderne, die einen unmittelbaren Konnex herstellt zwischen dem Streben nach Herrschaft über die Natur und der totalitären Herrschaft über die Menschen in modernen Gesellschaften. Für das Streben nach Herrschaft über die Natur steht der Name Bacons wie kaum ein anderer, so dass es auch unabhängig von den vermeintlichen Übereinstimmungen zwischen seiner Philosophie und der des modernen Positivismus nahe liegt, den nucleus des Selbstzerstörungsprozesses der Aufklärung hier zu vermuten – zumal Horkheimer ja schon früher auf diese Gemeinsamkeit zwischen Bacons Ideal der Naturwissenschaft und dem Selbstverständnis der Naturwissenschaften seiner Zeit aufmerksam gemacht hatte.

 Vgl. Verein Ernst Mach, „Wissenschaftliche Weltauffassung“, 8 f.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 17.

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7 Philosophiegeschichte oder spekulative Geschichtsphilosophie? Es ist klar, dass die historische Einordnung Bacons in die Theoriegeschichte des Positivismus allein durch die besondere Art gelingt, in der Adorno und Horkheimer den Begriff des Positivismus verwenden. Insofern es sich letztlich um eine Rückprojektion einer zeitgenössischen Position handelt, liegt der Verdacht nahe, dass es sich um das handelt, was Richard A. Watson als „shadow history“ bezeichnet hat: eine interessegeleitete, die historischen Tatsachen bewusst vereinfachende oder sogar verfälschende Geschichtsschreibung.¹¹⁵ Ein solches Vorgehen kann durchaus legitim sein, und es hat auch gewisse Vorteile, wie Watson zurecht anmerkt. Es ist zum Beispiel ein gutes Mittel, um – eher an Argumenten als an historisch korrekten Interpretationen interessiert – die eigene Position in Abgrenzung von einer holzschnittartig zurechtgestutzten Gegenposition herauszuarbeiten.¹¹⁶ Im Falle einer „großen Erzählung“, einer jener „big sweeping geistesgeschichtlich stories“¹¹⁷, wie sie die Dialektik der Aufklärung anbietet, kann eine „shadow history“ zudem bei aller Überzeichnung oder Verzerrung einzelner Aspekte der in ihr eingebetteten Theorien Besonderheiten und Merkmale an ihnen hervorheben, die eine allein auf die Interpretation dieser spezifischen Theorie fokussierte Darstellung zu übersehen droht. Sie kann zudem die Bedeutung von Theorien hervorheben, die von den ‚echten‘ Historikern übersehen werden.¹¹⁸ So lenkt ja die Dialektik der Aufklärung das Augenmerk weg von den üblichen Verdächtigen Descartes und Hobbes auf die Bedeutung Bacons für die Entwicklung der modernen Philosophie und insbesondere für die Philosophie der Aufklärung. Problematisch ist dann allerdings die Art und Weise, wie Adorno und Horkheimer die Kernbegriffe, mit denen ihre „shadow history“ arbeitet, gebrauchen: Sowohl ‚Aufklärung‘ als auch ‚Positivismus‘ müssen einerseits eng genug defi-

 Watson, „Shadow History in Philosophy“, 97 f.  Vgl. Watson, „Shadow History in Philosophy“, 97 f. Ein Problem ist hierbei, dass Watson nicht zwischen einer holzschnittartigen und einer karikierenden Darstellung unterscheidet, sondern etwa Ryles „ghost in the machine“ (Descartes-Holzschnitt) mit Russells Problems of Philosophy (Sammlung philosophiehistorischer Karikaturen) gleichsetzt. Dass ein Holzschnitt die genannte Funktion zu erfüllen vermag, ist einsichtig; dass eine Karikatur zu mehr als einem Strohmann dienen sollte, ist hingegen fraglich. Siehe zur Kritik an Watson auch Livingston, „Good and Bad Shadow History of Philosophy“.  Rorty, „The Historiography of Philosophy“, 56.  Vgl. Rorty, „The Historiography of Philosophy“, 60 f.

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niert sein, um eine konkrete Gruppe von Theorien so zu kennzeichnen, dass die entscheidenden Gemeinsamkeiten dieser Theorien und zugleich die entscheidenden Unterschiede zu anderen Theorien und Theoriefamilien deutlich werden; aber sie müssen andererseits weit genug definiert sein, um zahlreiche andere Theorien ebenfalls charakterisieren zu können. Und sie müssen beides zugleich leisten, da sonst die mit ihnen zu beweisende stetige historische Entwicklung von einer noch nicht konsequent umgesetzten, hin zu einer vollständigen ‚Aufklärung‘ eben nicht zu beweisen wäre. Allerdings führt das dazu, dass die historische Aufklärung a-historisch auf eine vermeintlich allen gemeinsame Überzeugung zusammengekürzt wird; als ob alle Aufklärer – oder auch nur alle Positivisten – der Vernunft wirklich nicht mehr als einen instrumentellen Charakter zugewiesen hätten. Es ist gerade die essentielle Unterscheidung von Zentrum und Peripherie einer Philosophie, die leer und willkürlich sein muss, um eine Einordnung einer entsprechenden Theorie in die Entwicklungs- bzw. Verfallsgeschichte zu ermöglichen¹¹⁹ – denn warum wollte ausgerechnet die Wissenschaftstheorie den Kern von Bacons Philosophie bilden und nicht etwa ein chiliastischer Glaube des überzeugten Lordkanzlers?¹²⁰ Warum sind seine Überlegungen zu Moral und Politik Teil der Peripherie, aber nicht des Zentrums? Weil, so die Antwort, wir rückblickend wissen, dass der Positivismus ‚gesiegt‘ hat und Bacons Überlegungen zu Moral und Politik dafür nicht bedeutsam sind. Unabhängig davon, dass es sich hier um eine für sich selbst schon problematische Rückprojektion handelt: Dann müsste der Positivismusbegriff klarer und weniger polemisch definiert sein (und es müsste sich zeigen lassen, dass diese Geisteshaltung in der Tat allen Formen modernen Gesellschaften zugrunde liegt¹²¹, was u. a. wieder auf das Problem der Gleichsetzung von Herrschaft über die Natur und sozialer Herrschaft verweist). Anders formuliert: Insofern der Begriff des Positivismus in gleichem Maße auf die Philosophie des logischen Positivismus wie auf eine Vielzahl neuzeitlicher Philosophien zutreffen soll, kann seine Verwendung letztlich nur Karikaturen der so klassifizierten Philosophien anbieten – selbst wenn man Horkheimer und Adorno die Unterscheidung von relevantem Zentrum und irrelevanter Peripherie der behandelten Philosophie zugesteht. Aber misst man die Dialektik der Aufklärung so nicht womöglich an einem Anspruch, den sie selbst gar nicht erhebt? Schnädelbach hat etwa die These vertreten, dass sich in der Dialektik der Aufklärung im Grunde keine Geschichte,  So auch Schmid Noerr, „Unterirdische Geschichte und Gegenwart in der Dialektik der Aufklärung“, 80 – 82.  Vgl. dazu Whitney, Francis Bacon und die Begründung der Moderne.  Dagegen etwa Schnädelbach, „Die Aktualität der Dialektik der Aufklärung“, 25, und Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 137.

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sondern ein „Sozialmythos“ finde¹²², also eine dem Hobbes’schen Gesellschaftsvertrag und Rousseaus Naturzustand analoge Erzählung, die gar keine realhistorische Situation, sondern eine sich immer und immer wiederholende typische soziale Situation idealtypische abbilden soll.¹²³ Umgekehrt könnte man einwenden, dass zumindest der Begriff des ‚Positivismus‘ eher wie eine Art Idealtypus verwendet wird: zur Bezeichnung einer Geisteshaltung, die nie gänzlich, sondern immer nur in verschiedenen Graden ausgebildet ist.¹²⁴ Nur wäre damit, wenn ich richtig sehe, die Theorie der Moderne, deren essentieller Bestandteil ja die historische Herleitung der sozialen Verfasstheit der modernen Gesellschaften ist, perdu. Und zumindest dem expliziten Anspruch des Textes nach ist eine solche Lesart falsch, denn Adorno und Horkheimer behaupten ja: „So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen“.¹²⁵

8 Shadow history with a hidden agenda? Warum also eine Geschichtsphilosophie mit derartig überladenden Begriffen schreiben? Gemeinhin wird unterstellt, dass es ein besonderes Erkenntnisinteresse oder eine spezifische Vorstellung von der Dialektik historischer Prozesse sind, die hierfür ausschlaggebend waren. Gerade im Falle der Kritik des Positivismus sind allerdings auch andere Gründe – oder besser: Motive – denkbar. So weckt bereits der Briefwechsel Horkheimers gewisse Zweifel an der von Adorno und ihm skizzierten historischen Linie. Aus Briefen Horkheimers, die im Zeitraum der Abfassung des „Neuesten Angriffs auf die Metaphysik“ geschrieben wurden und auf diesen Bezug nehmen, wird deutlich, dass der logische Positivismus nicht allein aus philosophiehistorischen und sozialtheoretischen Überlegungen zum Hauptangriffsziel der Kritik Horkheimers und Adornos wurde. Neben der These, diese Strömung sei so etwas wie der Höhepunkt „eine[r] geistige[n] Tendenz, welche das gesamte Weltbild des 19. und 20. Jahrhunderts dominiert“¹²⁶, befürchtet Horkheimer vor allem ihren steigenden Einfluss angesichts der – auch im Vergleich zum emigrierten Institut für Sozialforschung – zunehmend

 Schnädelbach, „Die Aktualität der Dialektik der Aufklärung“, 19.  Schnädelbach, „Die Aktualität der Dialektik der Aufklärung“, 18 – 20.  Diesen Vorschlag hat Wilhelm Hoffmann (München) auf der Tagung in Marburg gemacht.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 35 (meine Hervorhebung).  So die Formulierung von Hetzel, „Dialektik der Aufklärung“, 392.Vgl. dazu neben den bereits erwähnten Briefen an Katharina von Hirsch und Adorno von 1936 auch Horkheimers Brief an Henryk Grossmann vom 1. Oktober 1935 (Gesammelte Schriften, XV, 404).

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guten Vernetzung ihrer Repräsentanten an amerikanischen Universitäten.¹²⁷ Der unangenehme Eindruck, dass die Kritik an theoretischen Positionen hier in die Gemengelage wissenschaftspolitischer Überlegungen gerät, wird auch dadurch nicht behoben, dass sich Horkheimer in dem kurzen Briefwechsel mit Otto Neurath im Anschluss an zwei Vorträge, die dieser 1936 vor Mitgliedern des Instituts für Sozialforschung gehalten hatte, freundlich und offen verhält; auch wenn er Neurath explizit schreibt, dass er Schwierigkeiten habe, „sobald Sie zum Weltanschaulichen (Philosophie kann ich es nun einmal nicht nennen) übergehen.“¹²⁸ Verschärft wird dieses Problem durch den Umstand, dass – wie Horkheimer ja selbst betont hatte – sich nicht wenige Vertreter des Wiener Kreises als Marxisten und ihre Philosophie daher als marxistisch verstanden. Neben dem wissenschaftspolitischen Problem, das der Einfluss des logischen Positivismus darstellte, war er auch eine zusehends populärer werdende konkurrierende Strömung im Kampf um eine Neuformulierung der marxistischen Theorie. Es ist daher sicher kein Zufall, dass Horkheimer im „Neuesten Angriff auf die Metaphysik“ die Kritik an den Positionen des Wiener Kreises mit Verweisen auf Texte von Marx und Engels, aber auch auf Lenins Kritik an Mach, Materialismus und Empiriokritizismus, garniert. Selbst wenn man den wissenschaftspolitischen Überlegungen, in deren Zusammenhang die Kritik des Positivismus entstand, keine zentrale Bedeutung für die Gestalt der Kritik und das in der Dialektik der Aufklärung propagierte Narrativ der Geschichte der Moderne beimisst, bliebe dennoch festzuhalten: Aufgrund der Art und Weise, wie Adorno und Horkheimer zentrale Begriffe dieses Narrativs anlegen und gebrauchen, ist es als Geschichtsschreibung disqualifiziert. Was bleibt, ist eine spekulative Geschichtsphilosophie, die mit viel Elan und nicht geringer Suggestionskraft eine vermeintliche ‚Geschichte hinter der Geschichte‘ mit wenig Bezug zur tatsächlichen Geschichte beschreibt, also eine shadow history, die mit (schlechten) Karikaturen arbeitet, so dass zumindest der philosophiehistorische Erkenntnisgewinn äußerst mager ist.

 Vgl. Horkheimers Briefe an Henry Grossmann vom 27. November 1936 (Gesammelte Schriften, XV, 750), an Adorno vom 8. Dezember 1936 (XV, 770 f.) und an Karl August Wittfogel vom 19. Oktober 1936 (XV, 779).  Horkheimer an Neurath, 29. Dezember 1937 (Gesammelte Schriften, XV, 348). Vgl. zum Briefwechsel Horkheimer – Neurath Gesammelte Schriften, XV, 178, 185, 319 f., 347 f., 364 f., 373, 395 sowie Dahms, Positivismusstreit, 37, 58 – 60.

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Adorno und Horkheimer als Spinoza-Leser Die Dialektik der Aufklärung aus der Perspektive der Spinozaforschung zu lesen, ist ein Abenteuer ganz eigener Art. Denn in diesem Buch ist fast gar nicht von Spinoza die Rede; und das wenige, das sich dort findet, ist sehr allgemein gehalten und nicht sehr genau. Tatsächlich enthält es insgesamt nur vier SpinozaZitate, alle aus dem dritten und vierten Teil der Ethik. Wenn wir die Dialektik der Aufklärung im Folgenden dennoch sozusagen mit einer spinozistischen Brille untersuchen wollen, birgt dieser Versuch eine methodologische Gefahr in sich. Denn das Vorhaben, ein epochemachendes Buch der kurzsichtigen Lektüre des philosophiehistorischen Fachmannes – Horkheimer würde sagen: des Fachidioten¹ – zu unterziehen, um pedantisch interpretatorische Fehler und historische Irrtümer zu registrieren, hat etwas Lächerliches. Unzulänglichkeiten dieser Art mag es in Horkheimers und Adornos Buch hier und da geben – aber was bedeutet das? Das Interesse eines philosophischen Buches dürfte doch wohl in anderem als in seiner historischen Genauigkeit bestehen. Zwei Voraussetzungen seien vorab benannt: Erstens finden sich in der Dialektik der Aufklärung zwar nur vier Zitate aus der Ethik, doch stehen sie an strategisch bedeutsamen Stellen des Textes. So findet sich beispielsweise das erste Zitat im Zentrum der Erörterungen über den Grundbegriff der Selbsterhaltung – für Horkheimer und Adorno ist dieser Begriff der Schlüssel der bürgerlichen Ideologie. Die Frage ist also nicht quantitativ, sondern qualitativ: Es geht nicht darum, wie oft Spinoza zitiert wird, sondern darum, in welchem systematischen Zusammenhang er in diesem Text auftaucht und welche Denklogik hierbei maßgeblich ist. Zweitens ist zu bedenken, dass die von Horkheimer und Adorno herangezogenen Spinoza-Zitate aus zweierlei Perspektive gelesen werden können: einmal aus einem philosophiehistorischen Gesichtspunkt, d. h. in der eigenen Logik des spinozanischen Systems, und zum anderen aus einer auf die Dialektik der Aufklärung fokussierten hermeneutischen Perspektive, d. h. in der Logik der Rekonstruktion der Aufklärung, die Horkheimer und Adorno in ihrem Werk bieten. In dieser zweiten Logik fungiert der Name ‚Spinoza‘ weniger als Abbreviatur der logisch-metaphysischen Architektonik des in den Opera posthuma dargelegten Systems denn als ein Zeichen oder ein Verweis, der der Reflexion über  Vgl. Horkheimers Bemerkung über „die prästabilierte Harmonie zwischen Fachwissenschaft und Barbarei“ in seinem Brief an Katharina von Hirsch, 13. Oktober 1936, Briefwechsel 1913 – 1936, 674 (dieselbe Wendung auch in Horkheimers Brief an Adorno, 22. Oktober 1936, Briefwechsel 1913 – 1936, 689. https://doi.org/10.1515/9783110555004-006

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Herrschaft und Rationalität eine Richtung gibt. Im Folgenden sollen diese zwei Lesarten entfaltet werden, um die Bedeutung der Spinoza-Referenzen in der Dialektik der Aufklärung angemessen zu verstehen. Die erste Erwähnung der Ethik findet sich in dem Auftakt-Kapitel „Begriff der Aufklärung“. Bekanntlich beginnt dieses mit einer langen und detaillierten Analyse einiger Texte von Francis Bacon. Auf diesem Wege entziffern Horkheimer und Adorno die komplexen Verbindungen von Natur und Mensch, die das Projekt der modernen Naturwissenschaft und die neuzeitlich-aufgeklärte Philosophie der Naturwissenschaften auszeichnen, deren Protagonist und frühester Theoretiker Bacon ist. Sie legen dar, dass deren Ziel (die Herrschaft des Menschen über die Natur) die Herrschaft des Menschen über den Menschen – eigentlich die Macht einer Minderheit über die Masse der Arbeiter – mit sich führt. So verbirgt sich die Barbarei, oder mindestens der Kern der Barbarei, in der Aufklärung selbst. Im Aufklärungsdiskurs des 17. und 18. Jahrhunderts wurde dies selbstverständlich nicht klar ausgesprochen: Im Gegenteil stellten die Protagonisten und die Vorläufer der Aufklärung ihr Projekt als Beitrag zu einem Emanzipationsprozess hin, der die Menschen vom Mythos befreit. Und dieser sogenannte Emanzipationsprozess sieht den Mythos – den Feind der Aufklärung schlechthin – nicht nur in der weit zurückliegenden Vergangenheit, sondern auch noch in der Gegenwart wirksam. Die Aufklärung erteilt sich selbst den Auftrag, die letzten Spuren dieses Mythos auszumerzen. Der Mythos, der den Menschen von der Verwirklichung seiner wahren Interessen abhält, soll dem Prinzip weichen, das dem Menschen tatsächlich dient: dem Prinzip der Selbsterhaltung. Dieses Prinzip ist der Schlüssel der Moderne – und nicht nur der Moderne, sondern der menschlichen Gattungsgeschichte insgesamt, die von Anbeginn ‚Aufklärung‘ im weiten Sinne Horkheimers und Adornos war. Dies nun ist der Zusammenhang, in dem Spinoza ins Spiel kommt: Das mythische Grauen der Aufklärung gilt dem Mythos. Sie gewahrt ihn nicht bloß in unaufgehellten Begriffen und Worten, wie die semantische Sprachkritik wähnt, sondern in jeglicher menschlichen Äußerung, wofern sie keine Stelle im Zweckzusammenhang jener Selbsterhaltung hat. Der Satz des Spinoza ‚Conatus sese conservandi primum et unicum virtutis est fundamentum‘ [Ethica, Pars IV, prop. 22, coroll.] enthält die wahre Maxime aller westlichen Zivilisation, in der die religiösen und philosophischen Differenzen des Bürgertums zur Ruhe kommen. Das Selbst, das nach der methodischen Ausmerzung aller natürlichen Spuren als mythologischer weder Körper noch Blut noch Seele und sogar natürliches Ich mehr sein sollte, bildete zum transzendentalen oder logischen Subjekt sublimiert den Bezugspunkt der Vernunft, der gesetzgebenden Instanz des Handelns.²

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 52.

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Als erstes stellt sich die Frage, ob Spinozas Aussagen hiermit korrekt wiedergegeben sind. Einerseits steht dieser Satz tatsächlich in einer Gruppe von Lehrsätzen des vierten Teils der Ethik, die den Begriff der Tugend (virtus) analysieren. Zu Beginn dieser Sektion erklärt Lehrsatz 20: „Je mehr ein jeder danach strebt und dazu imstande ist, seinen eigenen Vorteil zu suchen, d. h. sein Sein zu erhalten, desto mehr ist er mit Tugend ausgestattet, und umgekehrt sofern ein jeder seinen eigenen Vorteil zu suchen, d. h. sein Sein zu erhalten vernachlässigt, ist er ohnmächtig“.³ Eine Konsequenz ist das von Horkheimer und Adorno zitierte Corollarium: „Das Streben, sich selbst zu erhalten, ist die erste und einzige Grundlage der Tugend“⁴, auf das die Deduktion der Verhaltensregeln für den freien Menschen, der „Gebote der Vernunft [rationis dictamina]“⁵ folgt. Festzuhalten ist, dass es sich hierbei nicht um Sollenssätze, um Imperative, handelt, wie wir sie aus deontologischen Moralkonzeptionen kennen, sondern um eine reine Beschreibung der Bedingungen der Handlungsmacht und des Unvermögens des Individuums, seiner potentia bzw. impotentia. Eine auf der Hand liegende, natürliche Bedingung ist, dass der Mensch, der frei sein will, seine potentia steigern muss. In diesem Sinne kann man von einem hypothetischen Imperativ sprechen. Und es ist auch klar, dass Spinoza dieses Prinzip gegen eine andere Doktrin verteidigt, die er als das Prinzip der „Theologen“, der „Satiriker“ und der „Melancholiker“ charakterisiert⁶, die den Menschen nicht nach seinem tatsächlichen Sein oder nach seiner wirklichen Natur, sondern nach Werten beurteilen, die ihm äußerlich sind: Sie verurteilen den realen Menschen im Namen einer fiktiven Essenz, die nirgends existiert. Diese Position nennt Spinoza nicht „Mythos“, sondern bezeichnet sie mit dem semantisch nicht allzu weit entfernten Ausdruck superstitio (Aberglau-

 Spinoza, Ethica, IV, prop. 20 : „Quo magis unusquisque suum utile quærere hoc est suum esse conservare conatur et potest eo magis virtute præditus est et contra quatenus unusquisque suum utile hoc est suum esse conservare negligit eatenus est impotens“ (übers. Bartuschat, 413).  „Conatus sese conservandi primum et unicum virtutis est fundamentum“; Spinoza, Ethica, IV, prop. 22, coroll. (übers. Bartuschat, 417).  Spinoza, Ethica, IV, prop. 18 schol. (übers. Bartuschat, 413).  Vgl. Spinoza, Ethica, IV, prop. 35, schol.: „Rideant igitur, quantum velint, res humanas satyrici, easque detestentur theologi, et laudent, quantum possunt, melancholici vitam incultam et agrestem, hominesque contemnant, et admirentur bruta […]“; (übers. Bartuschat, 435: „Mögen also Satiriker die menschlichen Angelegenheiten noch so verlachen, mögen Theologen sie verdammen und mögen Melancholiker ein unkultiviertes und ländliches Leben noch so rühmen, mögemn sie die Menschen verachten und die niederen Lebewesen bewundern […]“). Vgl. auch Tractatus politicus, I, 1: „Homines namque non ut sunt, sed ut eosdem esse vellent, concipiunt; unde factum est, ut plerumque pro e t h i c a satyram scripserint“ (übers. Bartuschat, 7: „Sie stellen sich freilich die Menschen nicht vor, wie sie sind, sondern wie sie sie haben möchten; und so ist es gekommen, dass sie statt einer Ethik meistens eine Satire geschrieben haben“).

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be). Sein Vorhaben, uns von diesem Aberglauben zu emanzipieren, weist ihn – inhaltlich, wenn auch nicht chronologisch – als einen echten Vertreter der Aufklärung aus. Aus diesen Gründen sollte man Adorno und Horkheimer zumindest teilweise Recht geben: Ja, Spinoza hat diesen Satz geschrieben, und sein theoretischer Inhalt ist für ihn in der Tat eine Waffe im Kampf gegen die Feinde der Aufklärung. Aber nach dem Ja kommt ein Nein. Spinoza versucht nicht, die Qualitäten des „natürlichen Ich“ auszumerzen, wie Horkheimer und Adorno es ihm unterstellen: Vielmehr bemüht er sich wirklich, die Seele und den Körper zu denken. Dem Körper gibt er wesentlich mehr Bedeutung als seine Zeitgenossen, indem er ihm sogar in der am Ende der Ethik vorgetragenen Lehre von der Ewigkeit eine bedeutsame Rolle zuweist.⁷ Er bemüht sich darum, die in der Strukturkohärenz von Leib und Seele wirksamen Mechanismen zu begreifen. Die individuellen Besonderheiten von Menschen – und von menschlichen Kollektiven – werden von ihm nicht negiert, sondern als „ingenium“ in seine Theorie integriert: Die „leges naturae“ sind für ihn keine Negation des „ingenium“ und seiner Besonderheit⁸. Zu ihrem Urteil konnten Horkheimer und Adorno nur gelangen, indem sie die Grenzen zwischen den verschiedenen philosophischen Systemen verwischten, was im Grunde auf die Beseitigung der jeweiligen theoretischen Strukturen und Gehalte hinauslief. Was in einem philosophischen System bedeutend ist, ist nicht dieses oder jenes Wort, sondern die Begrifflichkeit und ihre Einbettung in das jeweilige Theorie-Ganze – anders gesagt: jedes Wort, jedes Konzept bezieht seine Bedeutung aus den architektonischen Strukturen des Systems, die ihrerseits nur im Rückgriff auf alle Texten des jeweiligen Autors greifbar werden. Zum Beispiel sind der spinozanische conatus und die spinozanische Selbsterhaltung sehr verschieden von den gleichlautenden Begriffen bei Thomas Hobbes. Bei diesem betrifft die Selbsterhaltung die Kontinuität des Lebens. Bei Spinoza dagegen ist die Kontinuität des Seins kompatibel mit dem Verlust des Lebens. Im Tractatus theologico-politicus, den Horkheimer und Adorno hier nicht zitieren, weist Spinoza darauf hin, dass es unbeschadet des conatus in suo esse perseverandi Situationen geben kann, in denen ein Bürger seinen eigenen Tod als Opfer für die Freiheit oder für die Wahrheit auffassen kann.⁹

 Vgl. Spinoza, Ethica, V, prop. 39: „Qui corpus ad plurima aptum habet, is mentem habet, cujus maxima pars est aeterna.“ (übers. Bartuschat 585: „Wer einen Körper hat, der zu sehr vielem befähigt ist, hat einen Geist, dessen größter Teil ewig ist.“).  Das ingenium eines Menschen oder einer Nation charakterisiert ihre Eigenartigkeit, ihre Art und Weise, die leges naturae zu spezifizieren.  Spinoza, Tractatus theologico-politicus, XX: „honestum, non supplicium putant, pro bona causa mori, et pro libertate gloriosum“ (übers. Gawlick/Niewöhner, 615).

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Warum aber – und das ist die zweite Frage – verwischen Horkheimer und Adorno diese Grenzen, so etwa die zwischen Hobbes’ und Spinozas Selbsterhaltungs-Begriffen? Wahrscheinlich tun sie es, weil sie nicht an der historischen Genauigkeit interessiert sind. Ihr Projekt ist ja keine doxographische Geschichte der Philosophie, keine Geschichte der Philosophie im Zeitalter der Aufklärung. Denn ‚Aufklärung‘ steht in ihrem Buch nicht für eine historische Epoche. Die Anfänge der Aufklärung reichen vielmehr weit in die Geschichte zurück, bis in die Frühzeit des Mythos selbst, als dieser die archaischen Formen des magischen Glaubens rationalisierte. In einem Buch, das sich durch eine derart weite Perspektive auszeichnet, dienen Bezugnahmen auf Gestalten der Philosophiegeschichte nur der Illustration: Auch wenn es ihnen an Genauigkeit fehlt, kann ihnen, davon sind Horkheimer und Adorno offenbar überzeugt, Exemplarität attestiert werden. Daher wäre es nicht angemessen, die Methode der Dialektik der Aufklärung mit den Kriterien der philosophischen Historiographie zu beurteilen. Aber umgekehrt bedeutet dies, dass man ihre Thesen als nicht wissenschaftliche Darstellungen betrachten kann: Sie haben wirkliche Konsistenz gerade insofern, als sie keine Geschichtsschreibung sind. Vielleicht sollte man diese Thesen als eine neue Art Mythologie betrachten. Die übrigen Zitate finden sich im „Exkurs II: Juliette oder Aufklärung und Moral“. Es geht hier nicht mehr um die Definition der Aufklärung, sondern um die Besonderheiten der ethischen Theorie Spinozas. Einerseits geht es um die Frage der wissenschaftlichen Methode für die Erkenntnis der Affekte; andererseits um die Frage der „Affekte der Trauer“ (tristitiae affectus), vor allem paenitentia und commiseratio, Reue und Mitleid. Man kennt die starken Äußerungen in Ethik IV: „Die Reue ist keine Tugend, anders formuliert, sie entspringt nicht der Vernunft; wer bereut, was er getan hat, ist vielmehr doppelt unglücklich oder ohnmächtig.“¹⁰ „Mitleid ist in einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt, an sich schlecht und nutzlos.“¹¹ Spinozas Stellungnahmen symbolisieren die Tendenz, die aus der Perspektive der Dialektik für die Ethik der Aufklärung wesentlich ist, in ihrer extremsten Form: die „wissenschaftliche“ Ablehnung des Unterschiedes zwischen dem Sittlichen und dem Unsittlichen. Der „Exkurs II“ beginnt mit einer Darstellung der Kantischen Auffassung der Erkenntnis und der Wissenschaft (und die unterschwellige Idee ist, dass in dieser Auffassung das verborgene Wesen der Aufklärungsepistemologie überhaupt

 Spinoza, Ethica, IV, prop. 54: „Poenitentia virtus non est, sive ex ratione non oritur; sed is, quem facti poenitet, bis miser seu impotens est“ (übers. Bartuschat, 471).  Spinoza, Ethica, IV, prop. 50: „Commiseratio in homine, qui ex ductu rationis vivit, per se mala et inutilis est“ (übers. Bartuschat, 465).

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sichtbar wird): „Aufklärung aber ist die Philosophie, die Wahrheit mit wissenschaftlichem System gleichsetzt“.¹² Daher ist es unmöglich, die Spezifizität der Moral zu erkennen oder zu begründen. So verliert die Wahrheit jegliche ethische Bedeutung, und so kommt es nicht von Ungefähr, dass die Philosophen der Aufklärung dies durch sentimentale Zusätze kompensierten, während die radikalsten Vertreter der Aufklärung – Spinoza, zum Beispiel – wussten, dass die sittlichen Kräfte neutral sind und es für die Wissenschaft keinen realen Unterschied zwischen dem Sittlichen und dem Unsittlichen gibt¹³: Aber die sittlichen Kräfte sind ja Kant zufolge vor der wissenschaftlichen Vernunft nicht weniger neutrale Triebe und Verhaltensweisen als die unsittlichen, in die sie auch sogleich umschlagen, wenn sie anstatt auf jene verborgene Möglichkeit auf die Versöhnung mit der Macht gerichtet sind. Aufklärung verweist den Unterschied aus der Theorie. Sie betrachtet die Leidenschaften ,ac si quaestio de lineis, planis, aut de corporibus esset‘ (Ethica III, praefatio).¹⁴

In der Tat stellt sich die Frage, warum wir Spinoza zufolge die Affekte wie geometrische Objekte betrachten müssen. Noch einmal: Es ist erforderlich, um mit dem theologischen und dem teleologischen Ansatz zu brechen. Ohne diese Perspektive auf die Affekte wäre es nicht möglich, die „leges naturae humanae“ wie die „leges naturae“ überhaupt zu studieren – d. h. ohne Vorurteil, ohne die Illusion des „liberum arbitrium“, ohne die Voraussetzung, dass der Mensch eine eigenständige Sphäre innerhalb der Natur, ein „imperium in imperio“ ist. Wir müssen „das Wesen und die Eigenschaften“ der menschlichen Natur in der Verknüpfung ihrer Ursachen und nicht in teleologischer Manier nach ihren Endzwecken betrachten. Wie aber lesen Horkheimer und Adorno diesen Grundsatz? Sie erblicken in ihm einen Verzicht auf die Menschlichkeit, einen Schritt hin zur Barbarei. Und folgerichtig sprechen sie im folgenden Satz von dem Faschismus: „Die totalitäre Ordnung hat damit ganz Ernst gemacht“¹⁵ – und auf den folgenden Seiten vergleichen sie Kant (und Spinoza) mit der Logik der Juliette von Marquis de Sade¹⁶. Hier handelt es sich eindeutig um eine sinnentstellende Verzerrung.

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 107 f.  Oft gewinnt man in der Dialektik der Aufklärung den Eindruck, dass nach Auffassung ihrer Verfasser Spinoza die verborgene Essenz der Philosophie Kants verkörpert, wie Kant seinerseits diejenige der Aufklärung überhaupt.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109.  Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 111: „Die eigene architektonische Struktur des kantischen Systems kündigt wie die Turnerpyramiden der Sadeschen Orgien und das Prinzipienwesen der frühen bürgerlichen Logen – ihr zynisches Spiegelbild ist das strenge Reglement

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Wieder einmal hat die Lektüre von Spinozas Aussagen nicht das Ziel, sein Denken zu verstehen, sondern ihn zum Symbol einer Epoche zu machen. Was das Thema der Affekte angeht, liegen die entscheidenden Differenzen offen zutage: Gegen die gesamte jüdisch-christliche Tradition verurteilt Spinoza die Affekte, die er „Affekte der Trauer“ (tristitiae affectus ¹⁷) nennt: Demut, Mitleid, Reue, Gewissensbisse. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er die Grausamkeit rehabilitiert. Die Vernunft, das ist der Kern seines Gedankens, ist ein besserer Grund für die Tugend als das Pathos. Das leidenschaftliche Gefühl ist keine gute Regel für menschliches Handeln. Und wieder lesen Horkheimer und Adorno Spinozas These als Beleg für die, wie sie es sehen, negativen Seiten der Aufklärungsphilosophie, die keinen Platz für die Vergangenheit dulde: „Die Freiheit von Gewissensbissen ist vor der formalistischen Vernunft so essentiell wie die von Liebe oder Haß. Reue setzt das Vergangene, das dem Bürgertum entgegen der populären Ideologie seit je für Nichts galt, als ein Sein; sie ist der Rückfall vor dem zu bewahren ihre Rechtfertigung vor der bürgerlichen Praxis wäre. Spricht es doch Spinoza den Stoikern nach: ,Poenitentia virtus non est, sive ex ratione non oritur, sed is, quem facti poenitet, bis miser seu impotens est‘ (Ethica, Pars IV, prop. 54). Ganz im Sinne jenes Füsten von Francavilla fügt er freilich sogleich: ,terret vulgus nisi metuat‘ (Ethica, Pars IV, prop. 54, schol.) hinzu und meint daher als guter Machiavellist, daß Demut und Reue wie Furcht und Hoffnung trotz aller Vernunftwidrigkeit recht nützlich seien“.¹⁸

Francavilla ist eine Gestalt aus de Sades Roman Juliette. Die Idee ist hier: Demut und Reue sind vernunftwidrig, aber gut für den Pöbel; die Vernunft ist für die Elite der Weisen reserviert. Nun sagt Spinoza genau das Gegenteil: „Und in der Tat, wer diesen Affekten [Niedergeschlagenheit, Reue und Ehrfurcht] unterworfen ist, kann viel leichter als andere dazu gebracht werden, schließlich doch noch nach der Leitung der Vernunft zu leben, d. h. frei zu sein und das Leben der Glückseligen zu genießen.“ ¹⁹ Für Spinoza gibt es keine Mauer zwischen ,Elite‘ und ,Pöbel‘. Es gibt vielmehr einen Weg vom Unvermögen (impotentia) zur Handlungsmacht (potentia), vom affektgesteuerten Leben zum vernunftgeleiteten Leben. Philosophiehistorisch und im Hinblick auf die Architektonik von Spinozas System ist dieser Unterschied überaus bedeutend; vom Standpunkt der Dialektik der Aufklärung ist er bedeutungslos. der Libertingesellschaft aus den 120 Journées – die vom inhaltlichen Ziel verlassene Organisation des gesamten Lebens an.“  Spinoza, Ethica, III, prop. 56, dem. u. ö.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 118 f.  Spinoza, Ethica, IV, prop. 54, schol.: „Et revera, qui hisce affectibus [humilitas, poenitentia et reverentia] sunt obnoxii, multo facilius quam alii duci possunt, ut tandem ex ductu rationis vivant, hoc est, ut liberi sint et beatorum vita fruantur.“ (übers. Bartuschat, 471).

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Ähnliches lässt sich an dem letzten Spinoza-Zitat in der Dialektik der Aufklärung beobachten: Es bildet das zwingendste Vorurteil, ,quamvis pietatis speciem [sic] prae se ferre videatur‘, wie Spinoza sagt (Ethica, Pars IV, Appendix, cap. 16), ,denn wer anderen Hilfe zu bringen weder durch Vernunft noch durch Mitleid bewogen wird, der wird mit Recht Unmensch genannt‘ (pr. 50, Schol.). Commiseratio ist Menschlichkeit in unmittelbarer Gestalt, aber zugleich ,mala et inutilis‘ (pr. 50), nämlich als das Gegenteil der männlichen Tüchtigkeit, die von der römischen virtus über die Medicis bis zur efficiency unter den Fords stets die einzig wahre bürgerliche Tugend war²⁰.

Hier scheinen Horkheimer und Adorno den Unterschied zwischen dem Theorem und dem Scholium nicht zu sehen: Das Mitleid ist an und für sich – d. h. bei einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt – schlecht und unnütz, weil es ein „Affekt der Trauer“ ist. In der Gesellschaft jedoch, dort, wo reale die Menschen wirklich leben, und zwar nach der Leitung der Affekte, ist sie relativ gut und daher „menschlich“. Erneut sehen wir, dass ein für Spinoza entscheidender Unterschied für die Dialektik der Aufklärung ganz bedeutungslos ist. Abschließend ist festzuhalten: Was Spinoza betrifft, bietet die Dialektik der Aufklärung mehrerlei: exakte Zitate und falsche Interpretationen; den Versuch, im Rekurs auf den Verfasser der Ethik eine ganze Epoche auf den Begriff zu bringen, aber keine Exegese seines Systems. Das ist eine theoretische Entscheidung. Aber erneut stellt sich die Frage, warum Spinoza als extremes Symbol dieser Epoche gewählt wird. Dass Horkheimer und Adorno ihm diese Rolle zuweisen, ist klar: die wenigen Spinoza-Zitate werden jeweils dort plaziert, wo es Horkheimer und Adorno darum geht, das Welt- und Menschenbild der Aufklärung in seinen stärksten Äußerungen zu präsentieren. Warum also scheint Spinoza die beste Personifikation dessen, was die Frankfurter Kritiker bekämpfen? Vielleicht haben Horkheimer und Adorno in Spinozas Werk eine geheime – und zugleich gefährliche – Affinität gesehen. Vielleicht liegt die Antwort in den verschiedenen und jeweils zweideutigen Auffassungen der Natur bei den beiden Frankfurtern auf der einen und bei dem Amsterdamer Philosophen auf der anderen Seite. Für Horkheimer und Adorno besitzt die Natur ein Doppelgesicht: Sie ist mit Gewalt und Grauen verbunden, aber auch mit Nostalgie; sie hat mit Herrschaft, aber auch mit Versöhnung zu tun. Für Spinoza hat die Semantik von ,Natur‘ ebenfalls zwei Aspekte. Einerseits ist alles natürlich: Welt und Mensch, Affekt und Vernunft,

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 124 f. – Horkheimer und Adorno zitieren Spinoza nicht korrekt. Statt „pietatis specimen“ schreibt Spinoza in Ethica, Pars IV, Appendix, „pietatis speciem“ („Anschein der Tugend“).

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Leben und Tod, Weisheit und irrationale Enthemmtheit. Und doch ist, auch wenn alles natürlich (naturale) ist, doch nicht alles „von Natur“ (natura). So sind die Affekte natürlich und von Natur; die Vernunft ist natürlich und nicht von Natur; sie ist nicht gegen die Natur, aber man soll sie konstruieren – sozusagen mit natürlichen Materialien. Und da liegt Spinozas Radikalität: nichts kommt ,von außen‘. Sicherlich haben Horkheimer und Adorno diese Radikalität gesehen, die vielleicht eine geheime, eine dialektische Affinität zwischen ihnen stiftet.

Bibliographie Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, in: Horkheimer, Gesammelte Schriften, hrsg. Alfred Schmidt/Gunzelin Schmid Noerr, V, Frankfurt am Main, S. Fischer, 1985, 11 – 290. Horkheimer, Max, Briefwechsel 1913 – 1936, in: Gesammelte Schriften, hrsg. Alfred Schmidt/Gunzelin Schmid Noerr, XV, Frankfurt a. M., S. Fischer, 1995. Spinoza, Benedictus de, Opera, hrsg. Carl Gebhardt, Heidelberg, Winter, 1925 – 1938. Spinoza, Benedictus de, Die Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt. Lateinisch – deutsch. Neu übers., hrsg., mit einer Einl. vers. von Wolfgang Bartuschat, Hamburg, Meiner, 1999. Spinoza, Benedictus de, Tractatus theologico-politicus. Theologisch-politischer Traktat, hrsg. Günter Gawlick/Friedrich Niewöhner, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1979. Spinoza, Benedictus de, Politischer Traktat. Tractatus politicus. Neu übers., hrsg., mit Einl. u. Anm. vers. von Wolfgang Bartuschat, Hamburg, Meiner, 1994.

Sam Fleischacker

Kant in the Dialectic of Enlightenment This paper offers a thorough review of the uses of Kant in Dialektik der Aufklärung ¹, and argues that the authors are more Kantian than is generally recognized. A few caveats are in order: First, given the difficulty of the Dialektik, and the complexity of the context in which it was written, I am reluctant to offer any interpretation of it with full confidence. I intend the suggestions given here², rather, in tentative vein, as a spark to discussion rather than a set of firm conclusions. Horkheimer and Adorno took their book to be a set of “fragments” or “samples” of philosophy³, rather than a fully worked-out system. This paper, we might say, is a fragment on those fragments. Second, although I realize that Horkheimer and Adorno declare that their voices are thoroughly intertwined throughout Dialektik der Aufklärung, that they “both [felt] responsible for every sentence” of the book⁴, what I will say probably pertains mostly to Horkheimer, not Adorno. Kant is extensively discussed only in the chapters that are thought to have been written primarily by Horkheimer – the opening chapter, the excursus on Juliette, and the chapter on anti-Semitism – and it was Horkheimer who had written both a dissertation and a Habilitationsschrift on Kant; what the Dialektik says about Kant’s conception of reasoning also has strong resonances with what Horkheimer said on that subject in other writings.⁵ I suspect that the two agreed that Horkheimer was the resident expert on Kant. Finally, I take seriously the repeated indication of both writers that they were trying to save enlightenment from some of its own pathologies, not to reject it. They declare in the 1944 preface that their “critique of enlightenment […] is intended to prepare a positive concept of enlightenment which liberates it from its entanglement in blind domination”⁶, acknowledge that “freedom in society is inseparable from enlightenment thinking”⁷, and end the book – at least if we take the “Notes and Sketches”  All references will be given, first to the English translation by E. Jephcott, Dialectic of Enlightenment, ed. G. Schmid Noerr (here: “DE”), then to the German edition in vol. 5 of Max Horkheimer, Gesammelte Schriften (here: “DA”).  See also Fleischacker, What is Enlightenment?, 102– 107.  DE xiv/DA 16: “Fragmente” / “Proben”.  DE xi/DA 13; see also “Editor’s Afterword” to the Noerr/Jephcott edition, 219 – 220.  See especially his Eclipse of Reason, and Critique of Instrumental Reason.  DE xviii/DA 21: “Die dabei an Aufklärung geübte Kritik soll einen positiven Begriff von ihr vorbereiten, der sie aus ihrer Verstrickung in blinder Herrschaft löst.”  DE xvi/DA 18: “Wir hegen keinen Zweifel […], daß die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist.” https://doi.org/10.1515/9783110555004-007

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to be a sort of appendix, rather than part of the main text – by expressing the hope that “Enlightenment […] [can] break through the limits of enlightenment.”⁸ I think this modestly hopeful strain, and real if qualified praise for enlightenment – often missed or underplayed in the reception of the book – is tied to an attachment that Horkheimer, at least, retained to Kant. In my view, Horkheimer saw himself as criticizing Kant from within, not attempting to overturn Kant’s philosophical project.⁹ In an attempt to make this point clear, I may perhaps over-emphasize the positive picture of enlightenment in the Dialektik ¹⁰; my excuse for that is that a bit of exaggeration may be necessary to counteract the long tradition that has taken the book to be an unreserved attack on both Kant and the enlightenment.

1 To begin in earnest, now, here is a catalogue of the main ways in which Kant gets used or discussed in the Dialektik der Aufklärung. In the first place, the authors rely almost exclusively on Kant’s first Critique for their epistemology.¹¹ A “concept,” they say right at the beginning, is “usually defined as the unity of the features of what it subsumes [Merkmalseinheit des darunter Befaßten].”¹² That is of course Kant’s definition of a concept.¹³ To be sure, the authors’ Kantianism here

 DE 172/DA 238: “Die ihrer selbst mächtige, zur Gewalt werdende Aufklärung selbst vermöchte die Grenzen der Aufklärung zu durchbrechen.”  Heidegger, following a remark of Kant’s own on Plato (Critique of Practical Reason, B 370/A 314), says that “to understand Kant properly means to understand him better than he understood himself.” – Phenomenological Interpretation of Kant’s ‘Critique of Pure Reason’, 2. I think Horkheimer and Adorno agreed with this, and that they saw Dialektik der Aufklärung as having understood Kantian reason better than Kant did himself.  That may also be an effect of my own continued attachment to both the idea of enlightenment and the period associated with that idea.  Sometimes this comes out as they use Kant to explicate a conception of knowledge – modern, positivistic science – that they oppose: but even here, it is notable that Kant is for them the great framer of the terms of modern science.  DE 11/DA 38.  See for instance Kant, Critique of Pure Reason, A 68/B 93 (“concepts [rest] on functions[, by which] I understand the unity of the act of ordering different representations under a common one [die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen]”), and B 137 (“an object is that in the concept of which the manifold of a given intuition is united [Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist]”). Future references to the first Critique will be incorporated into the text with A and/or B paginations.

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is qualified by its insertion into a Hegelian context. As a whole, the sentence I have just quoted reads: “The concept, usually defined as the unity of the features of what it subsumes, was rather, from the first, a product of dialectical thinking, in which each thing is what it is only by becoming what it is not.”¹⁴ This dialectical setting allows the authors to define the concept of “enlightenment,” a few sentences further down, as always already “mythical fear,” while “myth” always already contains enlightenment – a central move, arguably the central move, of the book as a whole. Similarly dialectical analyses of Kantian morality, the “claim of art [Anspruch der Kunst]”¹⁵, and anti-Semitism, will follow. Yet I submit that the authors rely on Kant’s definition of a concept throughout these dialectical analyses. They use the phrase “recognition in a concept [Rekognition im Begriff]”, exactly as Kant does in the A version of the Transcendental Deduction (A 103), to describe the process of picking out what is the same in a group of disparate particulars.¹⁶ They also endorse Kant’s claim that concepts precede and shape what we sense¹⁷, as well as Kant’s account of reason as laying down rules for the unification of concepts: “Reason’s rules are instructions for a hierarchical order of concepts.”¹⁸ The transcendental ego is the apex of reason, they say, and reason is a legislator that unifies, and thus controls, the lower level unifying structures – the concepts – of the understanding.¹⁹ This is all straight Kant, bringing together Transcendental Deduction B (133n) with the beginning and end of the Transcendental Dialectic, and the appendix on the regulative use of reason.²⁰ Horkheimer and Adorno also follow Kant epistemologically in stressing the need to figure out how concepts apply to empirical intuitions, and the difficulties  DE 11/DA 38: “Der Begriff, den man gern als Merkmalseinheit des darunter Befaßten definiert, war vielmehr seit Beginn das Produkt dialektischen Denkens, worin jedes stets nur ist, was es ist, indem es zu dem wird, was es nicht ist.”  DE 103/DA 155.  Kant, Critique of Pure Reason, A 103; DE 148 – 149/DA 211; see also DE 205/DA 278 – 279. There are other references to the Transcendental Deductions, in both its A and its B versions (DE 20/DA 48, which quotes B 131 (“that […] ‘I think’, which must accompany all my conceptions”); DE 155/ DA 219, which cites A 106 – 107, probably, although perhaps B 135). At DE 65/DA 106, the authors also mention the difficulties, raised by the Deduction as well as the Paralogisms, of reconciling the transcendental and the empirical self.  DE 65/DA 107; see also DE 31/DA 62.  DE 63/DA 104: “Ihre Vorschriften sind die Anweisungen zum hierarchischen Aufbau der Begriffe.”; see also DE 23/DA 48.  “The self […] was sublimated into a transcendental or logical subject, [which] formed the reference point of reason, the legislating authority of action” (DE 22/DA 52).  Kant, Critique of Pure Reason, A 299/B 355-A 309/B 366 (Dialectic) and A 642– 668/B 670 – 696 (the appendix), which they quote copiously on DE 63 – 64/DA 104– 105.

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in doing that. For Kant, concepts are rules for organizing particulars, but Kant anticipated Wittgenstein in noting that no rule can tell us how to apply a rule: “If [logic] sought to give general instructions [as to] how we are to subsume [particulars] under […] rules, that is, to distinguish whether something does or does not come under them, that could only be by means of another rule.”²¹ Consequently, says Kant, only judgment – “a peculiar talent,” as he calls it, or “the quality of so-called mother-wit [des sogenannten Mutterwitzes]”²² – can apply rules, although there are models which he calls “schemata” that can guide us in this process. The Schematism of the first Critique sketches how the process works on the transcendental level, but Kant also confesses in the middle of it – notoriously — that schematism is “an art concealed in the depths of the human soul, whose real modes of activity nature is hardly likely ever to allow us to discover.”²³ Horkheimer and Adorno quote all of this, repeatedly emphasizing the obscurity of Kant’s schematism.²⁴ They go on to use the term “schema” throughout their accounts of mass culture and anti-Semitism, although they develop their own, sociological view of how schemata operate. The “schema” of a film or a popular song is determined by “the culture industry”²⁵; the schemata of the good German man, and of the evil Jew, that enabled fascism to take power were produced by a particular socio-economic system.²⁶ I will return to the Dialektik’s attention to the schematism later – it is one of the most interesting ways in which Kant gets used in the book – but it is worth noting at the moment that in their emphasis on the schematism, Horkheimer and Adorno show an affinity with Heidegger’s way of reading Kant²⁷, and defy the accepted wisdom of other Kantians in their day. The appeal to “an art concealed in the human soul” in the Schematism was an embarrassment to most Kantians – a moment of psychologism, a hint of mysticism, or a sign that Kant didn’t know how to solve the problem he had set for himself – and the neo-Kantians had dismissed that section of

 Kant, Critique of Pure Reason, A 133/B 172.  Kant, Critique of Pure Reason, A 133/B 172.  Kant, Critique of Pure Reason, A 141/B 181: “Dieser Schematismus unseres Verstandes […] ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden”.  DE 64/DA 105, DE 98/DA 149, DE 154/DA 217– 218. All three of these passages mention the “secret” nature of the schematism, and the third of them quotes the passage describing it as “concealed in the depths of the human soul”.  DE 98 – 99, 100 – 101/DA 149, 152– 153.  DE 157– 161/DA 221– 4.  Heidegger stressed this aspect of Kant in his so-called “Kant book”, Kant and the Problem of Metaphysics (Kant und das Problem der Metaphysik).

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the book.²⁸ Heidegger’s fondness for the schematism was due precisely to his sense that it showed a gap in the system into which he could insert a different, pre-rational account of how human beings connect to the empirical world; Horkheimer and Adorno’s interest in it has, I believe, similar roots. To get back, however, to our catalogue: In addition to drawing epistemological elements from Kant, the authors, famously, attack Kant’s moral philosophy. Kant claims that reason has a moral as well as an instrumental use, they acknowledge, which enables us to express our respect for one another, but he fails to defend this claim, they believe, and his insistence that practical deliberation must be grounded in reason paves the way for a pure amoralism, which can justify the projects of a de Sade just as much as it can a “kingdom of ends [Reich der Zwecke]”. To make these claims, the authors cite elements of the Groundwork, the second Critique, the Metaphysics of Morals and the Observations on the Beautiful and the Sublime. The third Kantian source of interest to Horkheimer and Adorno is “What is Enlightenment?”. They quote it twice²⁹ and allude to its emphasis on coming out of Unmündigkeit on at least two other occasions.³⁰ One might actually have expected a greater discussion of this text in a book on the problems of enlightenment, but its themes do not bring up what really worries the authors about enlightenment. They seem to agree with Kant both that enlightenment is a maturity of some sort, and that that is a good thing: they are themselves calling, after all, for people to wake up from the illusions that keep them from recognizing the great harms of industrialization, propaganda, consumer culture, and the like. So I think they don’t conceive Kant’s essay on enlightenment as a target of their critique; on the contrary, it helps to set the terms in which they launch that critique. Finally, there are occasional allusions to or quotes from the Critique of Judgment. Horkheimer had written both his dissertation and Habilitationsschrift on this text, and he cites it in connection with the problem of how concepts can be brought together with particulars, at the opening of Excursus II. He also uses the phrase “purposiveness without purpose [Zweckmäßigkeit ohne Zweck]” later in the chapter³¹ and it appears as well in the chapter on the culture

 They preferred either to ground science on a pure logic that did without intuitions (this was the approach of the Marburg school) or to posit an unbridgeable gap between conceptual content and what is given to us in perception (this was the approach of the Southwest school). For discussion, see Friedman, A Parting of the Ways, 31– 37.  DE 63, 68/DA 104, 109.  DE 65, 90/DA 106, 138.  DE 69/DA 112.

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industry.³² In both of these latter cases, the phrase suggests an absence of real purpose, a directedness towards purpose without a sense of what purposes actually look like, which the authors associate with bourgeois culture and modern science. Needless to say, this is not what Kant himself had meant by the phrase: for Kant, it marked the state in which we discern beauty, which is precisely a state in which we see objects as if they had an internal purpose.

2 I hope this catalogue of the uses of Kant in Dialektik der Aufklärung gives a sense of how thorough and deep the authors’ knowledge of Kant was, and how much they rely on him to set up their views, even if they also sharply criticize him. I turn now to their central and most famous critique of him, which I will set within this broader context. Horkheimer and Adorno allege that there is and can be no content to Kant’s moral system. They say that reason for Kant is and must be wholly instrumental, helping us fulfill purposes without telling us anything about the purposes we ought to have. Kantian reason can thus justify the capricious brutality of a de Sade; in a famous stretch of the book, the authors juxtapose a discussion of Kant with quotations from de Sade and Nietzsche (whom they treat as interchangeable), and conclude that these “dark writers of the bourgeoisie” merely showed more honestly than Kant where enlightenment reason leads: “They did not hush up the impossibility of deriving from reason a fundamental argument against murder,” as Kant does, “but proclaimed it from the rooftops.”³³ Now one reaction to this critique, from anyone who knows Kant well, is that it signifies a complete misunderstanding of Kant’s writings. “Only the hastiest reading of Kant’s work could miss his attack on instrumental conceptions of reason”, writes Susan Neiman³⁴; that was also my own first reaction to this stretch of Dialektik der Aufklärung. Kant’s argument for the second version of the categorical imperative, in the Groundwork, is devoted precisely to showing us that reason sets us an end – our only absolute end – and the introduction to the second Critique tells us that that book is entirely devoted to showing us that there is a pure practical reason, which has its own internal ends, and not just the “empirically  DE 127– 128/DA 185.  DE 93/DA 142: “Die Unmöglichkeit, aus der Vernunft ein grundsätzliches Argument gegen den Mord vorzubringen, nicht vertuscht, sondern in alle Welt geschrieen zu haben, hat den Haß entzündet, mit dem gerade die Progressiven Sade und Nietzsche heute noch verfolgen.”  Neiman, Evil in Modern Thought, 193.

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conditioned” reason that helps us satisfy our desires.³⁵ As Neiman says, an attack on instrumental reason is central to Kant’s moral philosophy. But it is not true that Horkheimer and Adorno simply miss this aspect of Kant.³⁶ Instead they use Kant’s own terms to reject Kant’s argument for the existence of a pure practical reason. Kant’s “attempt to derive the duty of mutual respect from a law of reason,” they say, “although more cautious than any other such undertaking in Western philosophy, has no support within the Critique.”³⁷ A bit later³⁸, they note that Kant declares the existence of pure practical reason to be “a fact of reason [Faktum der Vernunft]”, but say that “despite [Kant’s] assurances”, the phenomenon he describes can only be “a psychological fact of nature”, not something produced by reason. They add, rightly of course, that “facts count for nothing where they do not exist”³⁹, and treat Kant’s attempt to defend an intrinsically moral reason, from this point onwards, as a wholly inadequate bulwark against the immoralism of a de Sade. Now it has to be said that Horkheimer and Adorno are a bit careless in their identification of what Kant calls “the fact of reason”. Kant is not altogether clear about what that phrase denotes, and there is debate among commentators over whether it should be identified with our consciousness of the moral law, the moral law itself, our autonomy, or our consciousness of freedom⁴⁰, but he

 Kant, Critique of Practical Reason, AA, vol. 5, 15. Translations from the Critique of Practical Reason will be marked as CPrR and will come from the translation by L. W. Beck for Macmillan (third edition, 1993).  The catalogue of their uses of Kant that I ran through should indicate that they are unlikely to have made such a clumsy mistake, as does Horkheimer’s long scholarly immersion in Kant.  DE 67/DA 108: “Kants […] Unterfangen, die Pflicht der gegenseitigen Achtung, wenn auch noch vorsichtiger als die ganze westliche Philosophie, aus einem Gesetz der Vernunft abzuleiten, findet keine Stütze in der Kritik.” It’s not entirely clear which “Critique” they have in mind, but context, and their general interests, suggests the first Critique: see the end of this same paragraph on DE 68/DA 109, and, a bit earlier, DE 65/DA 106.  DE 74/DA 117.  DE 74/DA 117: “Kant hatte freilich das moralische Gesetz in mir schon so lang von jedem heteronomen Glauben gereinigt, bis der Respekt entgegen Kants Versicherungen bloß noch eine psychologische Naturtatsache war, wie der gestirnte Himmel über mir eine physikalische.” They allude here to the conclusion of the second Critique, in which Kant speaks of “the starry skies above [him] and the moral law within [him]” as the two things that most inspire admiration and reverence (CrPrR, AA, vol. 5, 161).  On this issue, see Allison, Kant’s Theory of Freedom, chapter 13. Allison thinks – and I agree – that on balance the texts indicate that the “fact of reason” is our consciousness of the moral law. See, especially CPrR, AA, vol. 5, 29 – 30, and 31– 32. But at AA, vol. 5, 42, Kant identifies the fact with “autonomy,” and says it is “identical with” our consciousness of freedom – having denied, at vol. 5, 31, that consciousness of freedom is given to us, and implied

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never identifies it with “respect.”⁴¹ That said, Kant does see our consciousness of the moral law – the best candidate for what he means by “the fact of reason” – as entailing “respect [Achtung]”.⁴² And Kant’s arguments both that reason can entail respect and that there is a fact of reason are riddled with problems. The idea that reason can give rise to a feeling seems to violate Kant’s own strictures against noumenal/phenomenal causality, and the idea of something that is “not an empirical fact, but […] [a] fact of pure reason”⁴³ and “of which we are a priori conscious”⁴⁴, seems to defy everything that Kant elsewhere says about facts. Facts, in the Critique of Pure Reason, are empirical states of affairs. We need intuition as well as concepts to cognize them – we are never “a priori conscious” of them – and we must place them within a unified experience bound together by the categories: such that, for one thing, each fact must have another fact as its cause. So it would seem impossible for there to be any fact that expressed or entailed free will, as the fact of reason does in the second Critique. And any feeling I have, including respect, as well as any state of consciousness I have, including the state in which I am aware of the moral law, can only be a psychological fact about me, with an empirical cause. Kant’s defenders may have responses to these points⁴⁵, but it should be clear that Horkheimer and Adorno are on strong ground when they say that Kant’s ac-

that the fact of reason is something different from the consciousness of freedom – and at vol. 5, 47 and 55, he identifies it with the moral law (in both of the latter cases, however, context suggests that he is really talking about our consciousness of the moral law).  Dieter Henrich apparently regards the fact of reason as “inseparable” from respect, but even if he is right about that, respect will be entailed by the fact of reason rather than constituting it. See his “Das Problem der Grundlegung der Ethik bei Kant und im spekulativen Idealismus”, 282, n2.  Kant, Groundwork of the Metaphysics of Morals, AA, vol. 4, 401n, 435 – 436, 460 and CPrR, AA, vol. 5, 74– 76, 79, 92.  CPrR, AA, vol. 5, 31: “Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben anzusehen, wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das einzige Factum der reinen Vernunft sei”.  CPrR, AA, vol. 5, 47: “das moralische [ist] Gesetz gleichsam als ein Factum der reinen Vernunft, dessen wir uns a priori bewußt sind und welches apodiktisch gewiß ist, gegeben”.  Kant’s own arguments to the effect that “respect” – and moral feeling more generally – must be understood as an effect of reason upon me, work a lot better if one already accepts the idea of a moral reason, that can act independently of empirical incentives. Then one can say he is simply providing a hermeneutic key to the understanding of certain empirical phenomena, given a view of reason as active that he has established elsewhere. This procedure seems quite plausible – throughout Kant’s moral writings, and especially in the Religion, he offers astute and helpful ways of interpreting empirical facts in a rational (moral) light – but it cannot, of course,

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counts of respect, and of the fact of reason, “[have] no support within the Critique.”⁴⁶ So their rejection of Kant’s attempt to establish a moral, non-instrumental reason is not arbitrary or thoughtless – not a reflection of a reliance on “atmosphere” rather than argument, as Neiman would have it. They also seem to wish that Kant had been more successful in this endeavor. They say, after all, that his attempt to do this was “more cautious than any other such undertaking in Western philosophy”, and indicate that they share his moral ideals. At several points in the Kant and de Sade chapter, they speak of the “secret utopia harbored within the concept of reason”,⁴⁷ at one point describing it as “the community of free individuals”⁴⁸ – which for all its Marxist lineage also sounds very close to Kant’s kingdom of ends – and at another identifying it with Kant’s concept of reason.⁴⁹ Moreover, the commitment to freedom that they themselves show throughout suggests that they share the ideal of a “community of free individuals.” The fact that they describe that community as a “utopia” also suggests that it is an ideal for them: although an ideal that may not be realizable (a severe criticism for Marxists, of course). Kant, at any rate, by speaking of a “fact of reason” that he had no grounds to call a fact, had done nothing to show that this utopia was realizable. That leaves his vindication of reason open to becoming a vindication of instrumental reason, as in fact it has become, they think, in our mechanized, capitalist society. The other aspects of Horkheimer and Adorno’s use of Kant buttress this reading. In the first place, the demonstration that the function of reason in the first Critique is centrally to organize the rest of how we think fits in perfectly with their general story about reason in modern life. “Reason is the agency of calculating thought,” they say, right after an explicit allusion to the first Critique, adding that “the true nature of the schematism […] turns out, in current science, to be the interest of industrial society.” Concepts, obliterating differences in favor of “recognition of the same,” help us turn everything, including ourselves, into “a

ground the claim that reason is practical, or that that reason has manifestations in the empirical world.  As mentioned in note 16 above, it’s not entirely clear which “Critique” they have in mind here. Context would suggest the first Critique, not the second – that’s what they’ve been talking about for the past several pages and that’s the book in which Kant discusses “facts.” Moreover, the second Critique doesn’t even purport to offer support for a “fact of reason”: it instead takes that fact for granted. Perhaps by “the Critique” they mean the entire Critical project, not a particular one of its volumes.  DE 66/DA 107: “geheime Utopie im Begriff der Vernunft”; see also DE 69/DA 112, DE 71/DA 114, DE 73/DA 116, DE 93/DA 142.  DE 71/DA 114: “Idee des Vereins freier Menschen”.  DE 93/DA 142.

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repeatable, replaceable process”.⁵⁰ And they are brought together by reason into an ego that masters nature for the sake of nothing more than mastery itself.⁵¹ Given the failure of Kant’s argument for a moral reason, the calculating, organizing, and regulating role that reason plays in Kant’s epistemology are now brought to bear to suggest that this, and not the representation of human beings as ends in themselves, is the real function of reason for Kant. In the second place, given the failure of Kant’s moral arguments, the phrase “purposiveness without purpose” comes to take on a meaning other than the one Kant intended for it. Horkheimer and Adorno use it to stress the resolutely unteleological, even anti-teleological, nature of Kantian reasoning, the inability of reason as Kant construes it to find purposes for what it does. Since reason has become empty process, the phrase that Kant had used for what seems like an end in nature – for things we see as worth experiencing in themselves – becomes for them a marker of how hopeless Kant’s attempts were to locate anything truly end-like, anything intrinsically worthwhile, in nature. Again, it’s worth stressing that Horkheimer and Adorno are not ignoring what Kant says, but using Kant’s language and ideas to make anti-Kantian points. Their critique remains an internal one, locating the problems in Kant with Kant’s own tools.

3 Where, now, is the optimistic strand in the book that I promised to bring out, the hints that there is or may be some way of salvaging Kantian reason, and the enlightenment it represents, “from its entanglement in blind domination”? It must be confessed that these hints, even if they exist, are muted; the Dialektik is a book primarily of dark pessimism, written at the peak of the murderous and totalitarian horrors of the twentieth century, and intended far more to shake up any blithe confidence that advocates of an enlightened politics may have had in the possibility that a freer or more decent world would soon emerge than to offer comfort in this regard. But I think Horkheimer and Adorno do give us at least three small indications that the fate of reason is not quite as bleak as it may seem.

 DE 65/DA 107: “Die wahre Natur des Schematismus, der Allgemeines und Besonderes, Begriff und Einzelfall von außen aufeinander abstimmt, erweist sich schließlich in der aktuellen Wissenschaft als das Interesse der Industriegesellschaft. Das Sein wird unter dem Aspekt der Verarbeitung und Verwaltung angeschaut. Alles wird zum wiederholbaren, ersetzbaren Prozeß, zum bloßen Beispiel für die begrifflichen Modelle des Systems”.  DE 65, 68 – 69/DA 107, 109 – 111; see also DE 28 – 31/DA 59 – 63.

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First, in placing a great deal of the harm of the consumerist and domineering tendencies that make for a dehumanized capitalism, a mindless culture industry, and a paranoiac fascism, in the “schemata” by which concepts are applied, Horkheimer and Adorno suggest that we should be worried above all about certain sub-rational forces, not reason itself. Schemata, for both Kant and Horkheimer/Adorno, are the means by which rationality gets applied to the empirical world. Our authors differ from Kant on this subject just in that, for Kant, schematism is “a secret mechanism within the psyche”, while for them “that secret has now been unraveled” and it turns out to be a social mechanism, not a psychical one.⁵² The social forces that construct schemata under capitalism breed a shallow and egoistic culture, and the social forces that construct schemata under fascism make for a rigidity, and a puritanical hypocrisy, that manifests itself in brutal anti-Semitism, among other things. But if society can construct oppressive and dehumanizing schemata, presumably society can also construct liberating and humanitarian schemata. The first step in that process, however, is revolution, radical social change, not a change in theory alone. The point then is that we need radical social change even in order to think differently: we cannot rely, even for the adequacy of our thinking, on reason alone. That is of course an unsurprising conclusion for two Marxists – even Marxists who had been disillusioned by the Communist revolutions of their day. Second, the authors indicate strongly that reason needs to be supplemented by a respectful – humble – attitude towards nature. One of the great evils they see in modern scientific reason is its aspiration toward mastery over nature: “What human beings seek to learn from nature is how to use it to dominate both it and human beings,” they say.⁵³ Nature is “stripped of its qualities”⁵⁴ and becomes merely quantifiable: something to be known purely mathematical-

 DE 98/DA 149: “In der Seele sollte ein geheimer Mechanismus wirken, der die unmittelbaren Daten bereits so präpariert, daß sie ins System der Reinen Vernunft hineinpassen. Das Geheimnis ist heute enträtselt.” An audience member at the conference where I first presented this argument noted that the passage on 98/149 in which the authors say that “[t]hat secret has now been unraveled”, is pervasively ironic, and that the authors are out to deny that the “active contribution” that Kantian schematism calls on us to make to our knowledge is possible under capitalism. All this is true, but the irony is directed at the workings of capitalism, not Kant’s epistemology (which they endorse without irony, in their other mentions of it), and their polemic makes sense only on the presupposition that we should all be able to contribute actively to our cognitive commitments. And that last presupposition makes sense only if we can do this – if perhaps only when the culture industry, and the capitalist structure out of which it arises, is overthrown.  DE 2/DA 26. Similarly DE 6/DA 31: “The man of science knows things to the extent that [he can manipulate them]”.  DE 6/DA 32.

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ly – purely as a matter of “numbers”.⁵⁵ And the “self” that engages in this sort of science is interested only in “subjugat[ing] the world”; it “equate[s] truth” with classifying things under concepts, so that it can manipulate them, rather than trying “really [to] apprehend the object.”⁵⁶ This pursuit is driven by a fear of the unknown, and it cannot tolerate the new or the distinctive: among other things, it obliterates everything distinctive in human nature: everything that makes us individuals.⁵⁷ All of these problems are characteristic of Kant’s conception of knowledge, for Horkheimer and Adorno. In this aspect of their critique, there are strong affinities between their reading of Kant and Heidegger’s. Heidegger too argues, in one of his lecture courses on Kant, that for the Critique of Pure Reason the real must be the mathematical, that only number (“intensive magnitude”) allows things to stand as objects in contradistinction to the self.⁵⁸ Mathematization enables us to distance ourselves from things, to keep them apart from ourselves. As a result, we take a mathematized science to give us things as they really are, to present the world “objectively,” without presuppositions – even though this very mathematized science is replete with such presuppositions: Today the given for experimental atomic physics is only a manifold of light spots and streaks on a photographic plate. No fewer presuppositions are necessary for the interpretation of this given than for the interpretation of a poem. It is only the solidity and tangibility of the measuring apparatus [Meßapparatur] which gives rise to the appearance that this interpretation stands on firmer ground than the allegedly subjective basis of the interpretations of [poets].⁵⁹

 DE 4/DA 29; see also DE 13/DA 40.  DE 10/DA 36: “Das Selbst, das die Ordnung und Unterordnung an der Unterwerfung der Welt lernte, hat bald Wahrheit überhaupt mit dem disponierenden Denken ineinsgesetzt, ohne dessen feste Unterscheidungen sie nicht bestehen kann. Es hat mit dem mimetischen Zauber die Erkenntnis tabuiert, die den Gegenstand wirklich trifft.”  See DE 2/DA 26, DE 23/DA 52: “[T]he transcendental subject of knowledge, the last reminder of subjectivity, is itself seemingly abolished and replaced by the operations of the automatic mechanisms of order” / “Schließlich wird dem Schein nach das transzendentale Subjekt der Erkenntnis als die letzte Erinnerung an Subjektivität selbst noch abgeschafft und durch die desto reibungslosere Arbeit der selbsttätigen Ordnungsmechanismen ersetzt.”  Heidegger, What is a Thing?, 184, 201– 224, esp. 218 – 219.  Heidegger, What is a Thing?, 184 (“Heute ist das Gegebene für die experimentelle Atomphysik nur eine Mannigfaltigkeit von Lichtflecken und Strichen auf der photographischen Platte. Dieses Gegebene auszulegen, bedarf es nicht weniger Voraussetzungen als bei der Auslegung eines Gedichtes. Es ist nur die Festigkeit und Greifbarkeit der Meßapparatur, was den Anschein erweckt, diese Auslegung stünde auf einem festeren Boden als die angeblich nur auf subjektiven Einfällen beruhenden Auslegungen der Dichter in den Geisteswissenschaften.”; Die Frage nach dem Ding, 212). It’s worth comparing this passage with 51– 4, earlier in the book, in which Hei-

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As the end of this passage indicates, Heidegger takes art to be the main alternative to this relentlessly mathematizing approach to nature, drawing the contrast by way of two paintings by van Gogh, “Crows over Wheatfields” and “Chair with Pipe”: “Fortunately, there still exists […] the coloring and shine of things themselves, the green of the leaf and the yellow of the grain field, the black of the crow and the gray of the sky. […] The question arises as to what more truly is, that crude chair with the tobacco pipe depicted in the painting by van Gogh, or the waves which correspond to the colors used in the painting […]?” ⁶⁰ The last question is rhetorical, or at least intended to shake up any impulse we might have to suppose that of course the light-waves are more real. And the target of this critique of the assumption that reality consists just in what a mathematized science measures is Kant. Kant, says Heidegger, “remains at the level of [the mathematical] starting point. Like the tradition before and after him, he skips that sphere of things in which we know ourselves immediately at home, i. e., things as the artist depicts them for us, such as van Gogh’s simple chair with the tobacco pipe which was just put down or forgotten there.” ⁶¹ Heidegger developed these points, famously, with reference to a different van Gogh painting in his contemporaneous Origin of the Work of Art. ⁶² There, art makes room for the new and the distinctive – for an approach to nature that does not merely try to master it, that uses it without using it up.⁶³

degger argues that the incompetent interpretation of poetry can have vast, if hard to see, social consequences.  Heidegger, What is a Thing?, 210 – 211 (“Zum Glück gibt es aber vorerst noch […] die Farbigkeit und das Leuchten der Dinge selbst, das Grün des Blattes und das Gelb des Kornfelds, das Schwarz der Krähe und das Grau des Himmels. […] Die Frage erhebt sich: Was ist seiender, jener grobe Stuhl mit der Tabakpfeife, den das Gemälde van Goghs zeigt, oder die Lichtwellen, die den dabei verwendeten Farben entsprechen”; Die Frage nach dem Ding, 213).  Heidegger, What is a Thing, 211 (“In der Ebene dieses Ansatzes hält sich auch Kant; er hat, wie die Überlieferung vor ihm und nach ihm, jenen Bereich der Dinge von vornherein übersprungen, in dem wir uns unmittelbar heimisch wissen, der Dinge, wie sie uns auch der Maler zeigt: der einfache Stuhl mit der eben hingelegten oder liegengelassenen Tabakpfeife bei van Gogh”; Die Frage nach dem Ding, 214).  Heidegger, What is a Thing, 209 – 211. The contrast Heidegger draws here between color as wavelength and color as what appears in paintings has a direct parallel in “Origin of the Work of Art”: “Color shines and wants only to shine. When we analyze it in rational terms by measuring its wavelengths, it is gone. It shows itself, only when it remains undisclosed and unexplained.” Heidegger, Origin of the Work of Art, 45 (“Die Farbe leuchtet auf und will nur leuchten. Wenn wir sie verständig messend in Schwingungszahlen zerlegen, ist sie fort. Sie zeigt sich nur, wenn sie unentborgen und unerklärt bleibt”; Der Ursprung des Kunstwerks, 33).  “In fabricating equipment – e. g., an ax – stone is used, and used up. By contrast, the temple-work, in setting up a world, does not cause the material to disappear, but rather causes it to

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But all this has close parallels in Horkheimer and Adorno. Their critique of the identification of nature with what a mathematized physics can measure is very similar: Nature, before and after quantum mechanics, is what can be registered mathematically; even what cannot be assimilated, the insoluble and irrational, is fenced in by mathematical theorems. In the preemptive identification of the thoroughly mathematized world with truth, enlightenment believes itself safe from the return of the mythical. It equates thought with mathematics. […] The reduction of thought to a mathematical apparatus [mathematische Apparatur] condemns the world to be its own measure.⁶⁴

There is even a verbal echo here: compare Horkheimer/Adorno’s “mathematical apparatus [mathematische Apparatur]” with the “measuring apparatus [Meßapparatur]” in the first quotation from Heidegger above. The argument is in any case identical. Both texts suggest that nature seems best approached mathematically because we come to it with the assumption (“presupposition”, “preemptive identification”) that it must be mathematically organized, that the great success of mathematized science is not a discovery but a tautology: something built into what we are willing to count as responsible thought. And, just like Heidegger, Horkheimer and Adorno point to art as the main alternative to this scientism. “With advancing enlightenment, only authentic works of art have been able to avoid the mere imitation of what […] is”, they say.⁶⁵ Art at least can be separate from science, can constitute a sphere that

come forth for the first time […]. The rock comes to bear and rest and so first becomes rock; metals come to glitter and shimmer, colors to glow, tones to sing […]. To be sure, the sculptor uses stone just as the mason uses it, in his own way. But he does not use it up.”; Heidegger, Origin of the Work of Art, 44– 46 (“Der Stein wird in der Anfertigung des Zeuges, z. B. der Axt, gebraucht und verbraucht. Er verschwindet in der Dienstlichkeit. […] Das Tempel-Werk dagegen lässt, indem es seine Welt aufstellt, den Stoff nicht verschwinden, sondern allererst hervorkommen und zwar im Offenen der Welt des Werkes: der Fels kommt zum Tragen und Ruhen und wird so erst Fels; die Metalle kommen zum Blitzen und Schimmern, die Farben zum Leuchten, der Ton zum Klingen […]. Zwar gebraucht der Bildhauer den Stein so, wie nach seiner Art auch der Maurer mit ihm umgeht. Aber er verbraucht den Stein nicht”; Der Ursprung des Kunstwerks, 32– 34).  DE 18, 20/DA 47, 49: “Natur ist, vor und nach der Quantentheorie, das mathematisch zu Erfassende; selbst was nicht eingeht, Unauflöslichkeit und Irrationalität, wird von mathematischen Theoremen umstellt. In der vorwegnehmenden Identifikation der zu Ende gedachten mathematisierten Welt mit der Wahrheit meint Aufklärung vor der Rückkehr des Mythischen sicher zu sein. Sie setzt Denken und Mathematik in eins. […] In der Reduktion des Denkens auf mathematische Apparatur ist die Sanktion der Welt als ihres eigenen Maßes beschlossen.”  DE 13/DA 40: “Mit fortschreitender Aufklärung haben es nur die authentischen Kunstwerke vermocht, der bloßen Imitation dessen, was ohnehin schon ist, sich zu entziehen.”

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doesn’t aim at knowledge⁶⁶, at grasping things. Like Heidegger in the Origin of the Work of Art, they see art as a sphere in which we can step back from our attempts at mastering everything, and allow things to address us directly: allow ourselves to apprehend things “as they are”. Rather than talking about this apprehension of things as a mode of grasping Being, they prefer to talk about the recognition of nature. But they commend a similar kind of humility: “In the mastery of nature, without which mind does not exist, enslavement to nature persists. By modestly confessing itself to be power and thus being taken back into nature, mind rids itself of the very claim to mastery which had enslaved it to nature.”⁶⁷ This, I take it, is the move that would enable Enlightenment to “master itself” and thus “break through the limits of enlightenment”.⁶⁸ The paradox of a truly liberating, humanistic enlightenment is that it can come about only if we master precisely our tendency to mastery, if we overcome our tendency to want to know everything, to fit everything into the classificatory structures of reason, and instead recognize the need to submit our minds to a world outside of them. Among other things, this submission to nature would entail accepting natural emotions like respect and reciprocal love for what they are: starting points for morality that cannot be further reduced to reason. The authors say, in Kantian vein, that reason “unmasks substantial goals as asserting the power of nature over mind” – as “curtailing [reason’s] own self-legislation” – but add that reason thereby “puts itself at the service of every natural interest”.⁶⁹ They suggest, that is, that the very attempt of reason to divorce itself from nature leads it, paradoxically, to enslave itself to nature. If reason were only to allow nature to set it some goals – via (some of?) our natural feelings or “affects” – if it could allow itself to be “taken back into nature,” it seems that it could, again paradoxically, overcome its subservience to “every natural interest”. A reason that recognized these limits to itself would it seems be a truly liberating reason. I think that is what Horkheimer and Adorno retain as their hope for the future; I also think

 DE 14, 25/ DA 41, 56.  DE 31/DA 62: “Naturverfallenheit besteht in der Naturbeherrschung, ohne die Geist nicht existiert. Durch die Bescheidung, in der dieser als Herrschaft sich bekennt und in Natur zurücknimmt, zergeht ihm der herrschaftliche Anspruch, der ihn gerade der Natur versklavt.”  DE 171/DA 238; see n. 7.  DE 68/DA 110: “Da sie inhaltliche Ziele als Macht der Natur über den Geist, als Beeinträchtigung ihrer Selbstgesetzgebung entlarvt, steht sie, formal wie sie ist, jedem natürlichen Interesse zur Verfügung.”; see also DE 64/DA 105. And again, in the next sentence: “Becoming simply an organ, thinking reverts to nature”.

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they believe that their own reasoning throughout Dialektik der Aufklärung, about the nature of reason as well as about modern society, can help lead us to endorse this hope. If so, I suggest that they remain very much within the frame of a Kantian approach to the improvement of human life: albeit a Kantian approach that requires a severe critique of Kant’s own work. It is of course uncanny how closely the critique they do offer of Kant parallels Heidegger’s; perhaps unsurprisingly, even if they were aware of this parallel, they do not mention it.⁷⁰ But the parallel supports my reading of them as eccentric or dissident Kantians. Heidegger took himself to be doing an immanent critique of Kant,⁷¹ and they are far less anti-rational, far less given to the mystical, than he was. Their willingness to talk of “nature” rather than “Being” is a symptom of that, and they also avoid his tendency, especially in his later work, to dismiss reasoning altogether in favor of some more primeval, pre-philosophical encounter with Being. They seem in these ways to be more Kantian than Heidegger. It is in any case a mistake to overlook the degree to which they, like Heidegger, emerge from the thickly neo-Kantian context of early 20th-century German thought, and are always working out from within that context.

4 The third and final ‘optimistic’ hint I see in Dialektik is one that simply affirms the liberating power of honest, thorough-going critique, of the kind that the book itself represents. This is a theme that unsurprisingly goes together with a certain amount of open praise for Kant; intriguingly, it is also tied up with an admiration that the authors express for Judaism (almost certainly something that comes from Horkheimer more than Adorno). Indeed, in this respect, the book links Kantianism to Judaism. At one point, the authors explicitly associate the two: “Neither Moses nor Kant proclaimed emotion,” they say; “their icy law knew nei-

 Instead they cite Husserl’s Crisis of the European Sciences as a source for their critique of mathematization (18 – 19/47). But the Crisis displays Heidegger’s influence in a number of ways: see David Carr’s comments to his edition of the Crisis, notes to 5, 8, and 12. I suspect the critique of mathematization is among them.  “We turn our question […] into Kant’s and […] Kant’s question into ours […]. We put ourselves within [Kant’s philosophy]”; What is a Thing?, 56 (“Wir machen unsere Frage ‘Was ist ein Ding?’ zu der Frage Kants und umgekehrt die Frage Kants zu der unseren. […] Wir versetzen uns in diese [Kants Philosophie] selbst.”; Die Frage nach dem Ding, 56). Compare Heidegger, Phenomenological Interpretation, 2– 4.

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ther love nor sacrificial pyres.”⁷² Just before this, they had associated Judaism’s attack on idolatry more generally with enlightenment, describing “Jewish monotheism” as having issued a “ban on mythology,” and calling enlightenment “that monotheism’s secularized form.” Further down, it seems that “the doctrine of the crucified Christ” was “alien” to both Judaism and the Enlightenment – Kant’s enlightenment, in particular – and that they were right to resist it: the Christian doctrine “sought prematurely” to reconcile civilization with nature. Later, we get an account of Judaism that implicitly associates it with Kant. Judaism’s God, we are told, leads us to “the concept of the absolute self [Begriff des absoluten Selbst] […] [which] subjugates nature” and “offers [us] liberation from it.”⁷³ In the “pitiless statement, ‘I am […],’ that tolerates nothing besides itself” – remember, Kant is also portrayed as “pitiless” – the Jewish God “surpasses […] the blinder and therefore more ambiguous judgment of anonymous fate.” Once again, this Kantian Judaism is arrayed against Christianity, which claims to represent “progress beyond Judaism [Fortschritt über das Judentum]” but really “produce[s] idolatry”, “fraudulently” claiming to offer a spiritual reconciliation between the natural and the supernatural while really “aspiring to power.”⁷⁴ Christians also think that they have demonstrated their spiritual conclusions – proved them, given them firm rational foundations – and have to “forget” the faith on which they really rely. Horkheimer and Adorno exempt Pascal, Lessing, Kierkegaard and Barth from this critique – “the paradoxical Christians, the antiofficial thinkers”⁷⁵ – describing them as radical, tolerant, and honest. But this reversion to faith and paradox, to not being sure of what to believe, is again presented as something Jewish. What is best in Christianity, say Horkheimer and Adorno, is “the Jewish and negative moment” in it, which challenges its mythical elements and aspirations to social power: by way of this moment, “magic and finally the church itself are relativized”.⁷⁶ Now it might seem at first as if Judaism and Kant share precisely what Horkheimer and Adorno dislike about enlightenment – iciness, and an opposition to  DE 89 – 90/DA 137– 138: “Moses und Kant haben nicht das Gefühl verkündigt, ihr kaltes Gesetz kennt weder Liebe noch Scheiterhaufen.”  DE 145/DA 207.  DE 145/DA 207– 208. See also DE 146/DA 208: “Therein lies its untruth: in the fraudulently affirmative interpretation of self-forgetting.” / “Darin liegt ihre Unwahrheit: in der trügerisch affirmativen Sinngebung des Selbstvergessens.”  DE 147/DA 209.  DE 146/DA 208: “Die Unverbindlichkeit des geistlichen Heilsversprechens, dieses jüdische und negative Moment in der christlichen Doktrin, durch das Magie und schließlich noch die Kirche relativiert ist, wird vom naiven Gläubigen im stillen fortgewiesen, ihm wird das Christentum, der Supranaturalismus, zum magischen Ritual, zur Naturreligion.”

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nature. But in both passages the Jewish and Kantian views are presented as superior to their Christian alternative, which “prematurely” or “fraudulently” represents itself as resolving these problems. Elsewhere, the authors characterize Judaism as a worldview that, unlike enlightenment, has successfully conquered myth.⁷⁷ They also describe it as resolutely opposed to falsehood, and as offering a method of “negating” idols that – unlike both Buddhism and Hegelian dialectic – does not turn negation itself into an absolute.⁷⁸ There are also places in which they defend the Kantian themes that they identify with Judaism. They pay tribute to the importance of a freedom that transcends nature, like the Jewish God and the Kantian moral law, criticizing socialism for having embraced a deterministic outlook.⁷⁹ And they say both that the fascist madness of the world that they live in is tied to the decline of the Kantian concept of “the human being as person, as the bearer of reason”⁸⁰, and that that decline is best illustrated by the fact that the Jew has never yet been properly recognized as a human being.⁸¹ So Horkheimer and Adorno link, and praise, a Jewish and a Kantian critique of mythology; they also link, and praise, the Jewish and the Kantian commitment to freedom; and they endorse the Kantian notion of humanity as of supreme value, and take a recognition of Jews as human to exemplify a commitment to this value. Meanwhile, Christianity, which might seem to uphold Horkheimer and Adorno’s proposed return to nature and to sentiment, is criticized as premature and fraudulent. I suggest that the authors view the return to nature and to sentiment they recommend as a very difficult project. It is difficult in part because we moderns are deeply committed to self-mastery and the mastery of nature, however we may try to criticize them, and it is also difficult because our societies reify instrumental reason, and we cannot readily, as individuals, trans-

 DE 153, 164– 165/DA 216, 229 – 230.  See DE 17– 18/DA 46: “The Jewish religion brooks no word which might bring solace to the despair of all mortality. It places all hope in the prohibition of invoking falsity as God, the finite as the infinite, the lie as truth. The pledge of salvation lies in the rejection of any faith which claims to depict it […]. Negation, however, is not abstract. The indiscriminate denial of anything positive, the stereotyped formula of nothingness as used by Buddhism, ignores the ban on calling the absolute by its name no less than its opposite, pantheism […]. [Similarly,] ‘determinate negation [bestimmte Negation]’ is not exempted from the enticements of its intuition […]. With the concept of determinate negation Hegel gave prominence to an element which distinguishes enlightenment from the positivist decay to which he consigned it. However, by finally postulating the known result of the whole process of negation, totality in the system and in history, as the absolute, he violated the prohibition and himself succumbed to mythology.”  DE 32– 33/DA 64– 65.  DE 169/DA 235: “der Mensch als Person, als Träger der Vernunft”.  DE 165/DA 230.

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form those societies. Christian teachings make overcoming these problems look too easy. Like many Jewish thinkers before them, Horkheimer and Adorno value precisely the deferring of redemption characteristic of a Jewish outlook on the world, the very fact that Jews do not think a Messiah has yet arrived. This deferring of redemption keeps us always aware that any salvation we may be able to achieve, any way that we may one day find out of our own inhumanity, and distance from nature, is far off, elusive, hard to attain: certainly not something we should delude ourselves into thinking we have already achieved. Horkheimer and Adorno value precisely the stern refusal of easy comfort, the negativity, the relentless critique that they see in both Judaism and Kant. That is what keeps us from a “premature” or “fraudulent” hope – keeps us truthful, in our quest for freedom, keeps us aiming for a true freedom, rather than a simulacrum of it. Which is to say: In the midst of all their pessimism, their frustration and revulsion at the fascist, socialist, and liberal societies of their day, Horkheimer and Adorno continue deeply to value truth and freedom. In that regard, they also continue to be true friends of Kantian enlightenment, even as they criticize it.

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Sam Fleischacker

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Marcel Hénaff

Welches Aufklärungsprojekt? Sade und Kant in der Dialektik der Aufklärung Einer der innovativsten Aspekte der Dialektik der Aufklärung war es, dem Terminus ‚Aufklärung‘ selbst eine Bedeutung und eine Tiefe zu geben, die sehr weit über die normalerweise damit bezeichnete Epoche hinausging. Diese zeitliche Erweiterung zielte darauf ab, ein neues Licht auf die Quellen und das weitere Schicksal der Rationalität, wie sie sich im Okzident konstituiert und entwickelt hat, zu werfen. Die Kernthese des Werks ist gewagt, ja geradezu provokant; sie besteht in einer doppelten Annahme: Es gibt eine bestimmte Art von Gewalt, die der Vernunft eigen ist; die Vernunft als solche tendiert zur Gewalt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht, ist Horkheimers und Adornos Werk tief von der durch diesen Konflikt bewirkten Katastrophe gezeichnet, insbesondere durch die Verbrechen des Naziregimes. Die Einleitung und das erste Kapitel ihres Buchs stellen eine schneidende Analyse der Verschmelzung dar, die sich ihnen zufolge zwischen den Formen der berechnenden Vernunft und jenen der totalitären Macht vollzogen hat; sie gehen so weit, unvermittelt zu behaupten: „Aufklärung ist totalitär.“¹ Die Themenwahl der folgenden beiden Kapitel, die diese radikale These illustrieren, ist überraschend. Anstatt zu versuchen, wie man es hätte erwarten können, eine historische Genealogie dieser Gewalt nachzuzeichnen, wie sie sich zwischen dem logos der Griechen und der ratio der Moderne herausgebildet und entwickelt haben soll, zwischen der antiken Wissenschaft und der neuen Technologie, machen sich die Autoren daran, zwei fiktionale Charaktere zu besprechen, die in ihren Augen diese Aneignung der natürlichen und der menschlichen Welt durch die listige und manipulative Vernunft in höchstem Maße verkörpern: die Figur von Homers Odysseus und jene von Sades Juliette. Bis dahin hatte die Philosophie sich nur selten dazu entschieden, literarischen Figuren die Aufgabe zu übertragen, ein zentrales Argument zu untermauern und die Geschichte zu resümieren, das heißt: Sie hatte nur selten unterstellt, dass die Menschen in ihren Erzähltexten sagen, wie sie ihre Welt verstehen; dem die Stirn bieten, was sie nicht verstehen; aufdecken, was sie begehren, ohne es zu wissen; aufzeigen, was sie fürchten, um ihm zu trotzen; und manchmal das Schlimmste in Szene zu setzen, um es zu bannen. Sie hätten diese Geschichte ‚Das Projekt der Aufklärung und sein Schicksal‘ nennen können. Dieser Ausdruck – ‚Projekt der Aufklärung‘ – war damals jedoch noch nicht geläufig. Ich möchte hier der Frage nachgehen, ob die  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 28.

https://doi.org/10.1515/9783110555004-008

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neue Bedeutung, um die Horkheimer und Adorno den Begriff der Aufklärung erweitern, stichhaltig ist, und vor allem, ob die Kontinuität, die sie zwischen dem Denken Kants und der spezifischen Rationalität von Sades Texten herstellen, sich einer kritischen Analyse ihres Arguments widersetzt oder nicht.

1 Der Prozess der Aufklärung und sein Umschlag Wir müssen zunächst den Gedankengang von Horkheimer und Adorno wieder aufnehmen und seine grundlegenden Schritte nachvollziehen. Zwischen den beiden Momenten, die die beiden Figuren Odysseus und Juliette emblematisch verkörpern, ist nämlich nicht das allmähliche Anwachsen einer anfänglich gegebenen Möglichkeit, sondern ein radikaler Umbruch zu beobachten. Genau darin liegt die Dialektik. Diese These wird bereits in den ersten Zeilen verkündet: „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“² Damit ist alles gesagt: Es hat ein mit Rationalität verbundenes Freiheitsprojekt gegeben und das Ergebnis ist die Zunahme der Knechtschaft. Nun gibt es zwei Optionen: Entweder war dieses Projekt von Anfang an illusorisch und hat die wahre Geschichte verschleiert; oder aber das Scheitern ist ein perverser Effekt des Projekts selbst. Die zweite Hypothese wird akzeptiert. In dieser Form ist sie neu. Sie bricht mit dem marxistischen Erbe, während sie sich zugleich dessen dialektischer Form bedient. Ist sie haltbar? Das wird zu betrachten sein. Versuchen wir allerdings zuvor, die vorgebrachten Hauptargumente auszuwerten, um sie auf ihre Kohärenz hin beurteilen zu können. Die erste These besteht in der Annahme: Jedes Wissen konstituiert ein Können, eine Macht [un pouvoir]. Ganz allgemein liegt, so die Autoren, „die Überlegenheit des Menschen […] im Wissen“.³ Allein das Wissen erlaubt die Beherrschung der natürlichen Welt durch Anwendung von Vorausschau, von Berechnung, von Messung und Modellierung der Erscheinungen. Dies wird umso wahrer dadurch, dass dieses Wissen von der rationalen Umgestaltung der Welt nicht zu trennen ist. Man muss die Perspektive sogar umkehren: „Technik ist das Wesen dieses Wissens“.⁴ Selbst das formalste Wissen bleibt ein Werkzeug, das die Technik mobilisiert, um die Welt umzugestalten. Darin sind „Macht und Er-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 25.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 26.

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kenntnis […] synonym“.⁵ Diese Verstrickung des Theoretischen und des Technischen ist unmittelbar mit der durch die Arbeit sich vollziehenden Herrschaft verbunden, beginnend mit ihrer repressivsten Form: der Sklaverei. Es gibt eine ganz allgemeine Komplizenschaft zwischen technischer Herrschaft und gesellschaftlicher Herrschaft: „Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann.“⁶ – „Technische Rationalität heute ist die Rationalität der Herrschaft selbst.“⁷ Dabei handelt es sich um dasselbe Wissen-Macht-Verhältnis, das sich im Warentausch, in der Akkumulation finanziellen Reichtums und in der politischen Herrschaft wiederfindet. Diese Stufenreihe Wissen – Technik – Herrschaft, gedacht als lückenloser Zusammenhang, der vom formalen Kalkül bis zur Arbeit und zu den Tauschverhältnissen reicht, ist eine neue Art, die der als Aufklärungsprozess verstandenen Vernunft innewohnende Gewalt zu konzipieren. Die genannten Thesen sollten im Anschluss in den Arbeiten jener, die sich der Kritischen Theorie zurechnen, beachtlichen Erfolg erleben. Eine zweite These verkompliziert diesen Ansatz auf unerwartete und radikale Weise, nämlich jene, dass diese Wissen-Macht-Beziehung bereits in der Welt des Mythos und des Rituals (das häufig fälschlicherweise der „Magie“ zugeschlagen wird) gegenwärtig ist. Eine solche Annahme scheint das vorausgegangene Argument zu relativieren oder es sogar zu schwächen. Tatsächlich ist dem aber nicht so. Die Annahme erlaubt es, eine unüberwindliche Entgegnung zu umgehen. Und wirklich: Wie hätte sich die Vernunft in ihrer historischen Eigentümlichkeit – als Prozess der Aufklärung – manifestieren können, wenn sie als etwas Äußerliches im Werden der Menschen und in ihren geistigen Fähigkeiten hätte auftauchen müssen? Man hätte unsere Spezies neu definieren müssen. Der Zusammenstoß von Wissen und Macht, so sagt man uns, ist so alt wie der Mensch: Das Wissen des Zauberers und des Priesters ist bereits Kontrolle und Herrschaft. Mit einem lobenswerten Sinn fürs Anthropologische (dessen Grenzen man jedoch bald erkennen wird), geben Horkheimer und Adorno zu bedenken, dass Mythen bereits komplexe Unternehmen der Welterklärung und Weltordnung sind. Die mythischen Figuren und die Erzählungen, in denen sie auftreten, konstruieren ein Wissen, das es erlaubt, den Vorstellungen Einheit zu verleihen. Aber wie? Die Antwort unserer beiden Autoren ist klar: Was den Mythen allererst Rationalität gibt, ist genau die Tatsache, dass sie als Wissen eine Macht, eine Kraft [pouvoir] darstellen. Und das ist noch nicht alles: Diese den Mythen eigene Vorstellungs-

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 27.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 31.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 145.

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kraft wird in den Riten und in der „Magie“ eine Interventionsmacht. An dieser Stelle wird die Figur des Odysseus als derjenige analysiert, der mit den Göttern zu kommunizieren und sie durch geschickte Anwendung der Opferriten herbeizurufen vermag. Nun sind natürlich, so heißt es, das in den Mythen aufgearbeitete Wissen und die durch Rituale erworbene Herrschaft bloß illusorisch. In unseren – modernen – Augen sind sie folgenlose Mimesis. Was bleibt, ist, dass Mythen und Riten in ihrer Struktur und ihrer Bewegung eine unvordenklich alte Beziehung zwischen Wissen und Beherrschen aufzeigen, eine Beziehung, die das mathematische Wissen, die Physik und die Naturwissenschaften im Allgemeinen erst in der nackten Wahrheit des Rechnens und des Messens verwirklichen. Der Aufklärungsprozess hat also schon sehr lange vor dem Zeitalter der Aufklärung begonnen. Dies ist der Begriff von ‚Aufklärung‘ im weiteren Sinne, den die Autoren vorschlagen. Dieses Verständnis stellt direkt oder indirekt folgende These auf: Vernunft ist Herrschaft (sie organisiert die Welt und kann so auf ein Zweckinteresse hinarbeiten) und zugleich ist Herrschaft Vernunft. Mythen und Rituale sind nur unter diesem Blickwinkel vernünftig. Wie wir sehen werden, handelt es sich hierbei um eine höchst diskutable Behauptung. Die dritte These ist nicht weniger radikal als die vorhergehende; sie lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die gegenwärtige Bewegung der Aufklärung ist dabei, ihre eigenen Mythologien und rituellen Formen abzusondern; und dies auf mehreren Ebenen. Dieser Vorgang ist zunächst wissenschaftsintern: „Die mathematische Verfahrungsweise wurde gleichsam zum Ritual des Gedankens“⁸; mit anderen Worten: Das reine Wissen treibt eine Naturbeherrschung voran, die keine andere ist als jene der Magie in rationalisierter Form. – Dies betrifft allerdings auch sämtliche gesellschaftlichen Vorstellungen, die sich aus Konsumaktivitäten ergeben, angefangen mit den spielerischen Ausdrucksformen der Massenkultur: eine Bewegung, die als Propagandamittel ebenfalls ihre eigenen Mythologien hervorbringt. Diese Rückwendung ist deswegen beunruhigend, weil sie nicht nur als Gegenteil dessen beschrieben werden kann, was der Aufklärungsprozess anstrebte, sondern als dessen Fortsetzung und Vollendung erscheint: „Wie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich in Mythologie.“⁹ Dies wiederum unterstellt, dass der Mythos kraft seiner Natur eine verdächtige Denkweise ist (eine These, die den Philosophen banal, den Anthropologen aber zunehmend unverständlich geworden ist).

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 48.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 34.

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Es gibt, den beiden Autoren zufolge, in diesem perversen Prozess eine weitere, noch beunruhigendere Stufe. Sie ist der Gegenstand der vierten These: Es handelt sich um den dialektischen Moment, in dem diese Verkehrung der Wissenschaft in Mythologie zur Selbstzerstörung der Aufklärung führt; in diesem Moment werden die Mittel der instrumentellen Vernunft – Methoden, Kalkül, Technik – in den Dienst der gesellschaftlichen Unterdrückung, der politischen Gewalt, der Kriegsmaschinerie und schließlich der Vernichtungslager gestellt. Diese intensiven Gewaltformen kommen nicht aus dem Nichts, sie erscheinen vor dem Hintergrund unsichtbarer und andauernder Gewalt, der Gewalt der technischen Herrschaft, die das Herz der Kontroll- und Unterwerfungssysteme bildet, die seitdem überall den Individuen aufgezwungen werden. Für Horkheimer und Adorno sind die Katastrophen des 20. Jahrhunderts kein Zufall; es hat kein Erstarken äußerer Mächte gegeben, die die schöne technisch-wissenschaftliche Rationalität kolonisiert hätten, um ihr die Richtung auf verabscheuenswerte, ja entsetzliche Ziele zu geben. Die Umkehrung oder Verkehrung war als logische Möglichkeit in die ursprüngliche Verbindung von Wissen und Können [pouvoir] eingeschrieben. Diese Thesen sind radikal und provokant. Statt, wie es die gesamte Tradition der Aufklärung getan hat, eine langsame und gleichmäßige Säkularisierungsbewegung zu sehen, die durch das Aufkommen von Philosophie und Wissenschaft getragen wird, eine Emanzipationsbewegung hin zu einem Mehr an Freiheit und Demokratie, setzen Horkheimer und Adorno den Prozess der Affirmation der Vernunft mit jenem der Versklavung gleich. Die Form des Mythos ist in den Texten und den Bildern der Massenkultur erhalten geblieben, und die Magie kehrt in technologischer Gestalt zurück. Kurz gesagt: Die Umkehr ist faktisch eine Regression. Diese Vision ist eine extrem pessimistische. Bis dahin war, was man Fortschritt nennt, nur selten als Illusion und als Quelle verschärfter Unterdrückung aufgefasst worden. Zwischen dem homerischen Griechenland und dem Europa der Aufklärung hat die Macht zu kontrollieren und auszubeuten nie aufgehört zuzunehmen. Die Linie, die von Odysseus zu Juliette führt, ist direkt und ununterbrochen, auch in der Figur der Umkehr. Der homerische Heros ist gewissermaßen der geistige Vater von Sades Charakter. Ist diese Genealogie treffend? Ist sie nicht eher hochproblematisch? Wir müssen zu den beiden Motiven zurückkehren, die für die Dialektik der Aufklärung emblematisch sind, um uns fragen zu können, ob deren Hypothesen der Prüfung standhalten.

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2 Habermas’ Kritik und die Legitimität der instrumentellen Vernunft Bevor wir die Thesen der Autoren der Dialektik der Aufklärung genauer diskutieren, mag es nützlich sein, uns in knapper Form die Kritik ins Gedächtnis zu rufen, die ihr Nachfolger in der Leitung des Instituts für Sozialforschung, Jürgen Habermas, ihnen entgegengesetzt hat. In Der philosophische Diskurs der Moderne äußert er unumwunden seine Bedenken: Die „These, die hier verhandelt wird, [ist] nicht weniger riskant als die von Nietzsche in ähnlicher Weise gestellte Diagnose des Nihilismus“.¹⁰ Der erste entscheidende Kritikpunkt, den Habermas äußert, ist ein erkenntnistheoretischer; er beruht auf folgender Annahme: Die beiden Autoren der Dialektik der Aufklärung haben in ihren Analysen Max Webers großes methodisches Prinzip völlig ignoriert, nämlich die Notwendigkeit, zwischen Wertsphären mit unterschiedlichem Status zu unterscheiden. In der Tat zeichnet sich die Entwicklung der Rationalität für Weber zuallererst durch einen Prozess der Verselbstständigung solcher Sphären aus. Jede von ihnen (die kognitive, technische, ethische, juridische Sphäre usw.) besitzt ihre eigenen Legitimitätskriterien. Darüber hinaus, so Habermas, kann man die instrumentelle Vernunft nie mit der Vernunft als solcher gleichsetzen. Erstere zielt auf das effiziente Funktionieren zielgerichteter Tätigkeiten ab, letztere auf eine Verständigung zwischen autonomen Akteuren, die sich selbst nach Normen bestimmen und die in ihre Vorstellung die Existenz Anderer als Subjekt einschließen, das mir gegenübersteht, auf mich antwortet und sich entscheidet. Diese weiter gedachte, dialogische Vernunft nennt Habermas „kommunikative Vernunft“. Ihre Rationalitätsforderungen sind genauso streng wie jene der instrumentellen Vernunft, sie drücken sich aber nicht im selben Argumentationstyp aus. Habermas geht noch weiter und greift Horkheimers und Adornos zentrale These an, indem er innerhalb der Definition der Vernunft selbst eine klare Unterscheidung zwischen Kriterien des Wissens und Kriterien des Könnens fordert. Diese Forderung hebt auf den Begriff der Geltung ab, die in Beziehung zur Ebene der Objektivität steht, auf der es möglich ist, sich über Objekte der Erkenntnis zu verständigen. Objektivität heißt, dass das betrachtete Wissen prinzipiell anerkannten Stringenzkriterien genügt und im Rahmen öffentlich bewährter wissenschaftlicher Normen überprüft werden kann. Diese Anforderungen sind zunächst formale und funktionale Anforderungen. Sie definieren in keiner Weise die

 Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 135.

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Kontrolle Dritter als Ziel. Eine solche Zielsetzung ist zwar möglich und kann die Mittel der instrumentellen Vernunft in unbotmäßiger Weise vereinnahmen; sie gehört jedoch nicht zum Erkenntnisprozess. Habermas fragt sich zudem: „Wie können die beiden Aufklärer, die sie immer noch sind, den vernünftigen Gehalt der kulturellen Moderne so unterschätzen, daß sie in allem nur eine Legierung von Vernunft und Herrschaft, Macht und Geltung wahrnehmen?“¹¹ Es bleibt noch der – zumindest auf logischer Ebene – schwerste Vorwurf, nämlich jener, die These von Horkheimer und Adorno sei selbstwiderlegend. Sie hätten, indem sie auf die Vernunft zurückgriffen, um die Vernunft anzuklagen, einen performativen Widerspruch vollzogen: Die Aufklärungskritik Horkheimers und Adornos „denunzier[e] […] das Totalitärwerden der Aufklärung […] mit deren eigenen Mitteln“.¹² Diese letzte Kritik ist vielleicht die angreifbarste. Sie unterstellt einen logischen Fehler, den man bei Denkern dieser Statur und dieses Reflexionsniveaus nicht erwartet. Habermas gibt zu, dass ihnen ein solcher Widerspruch notwendigerweise bewusst gewesen sein muss, sie ihn aber aus denselben Gründen wie Nietzsche übergangen hätten, indem sie ihre Kritik nicht auf der Ebene eines Diskurses, in dem wahre oder falsche Behauptungen bewertet werden, sondern auf jener eines Machtkonflikts, in dem Entscheidungen für oder gegen etwas getroffen werden, situiert hätten. Eine derartige Zurückweisung der Kriterien für epistemische Geltung und die letztliche Weigerung, überhaupt einen Ort zur Diskussion von Wahrheit vorzustellen, führt Habermas dazu, die beiden älteren Frankfurter als nihilistisch zu qualifizieren. In seinen letzten Bemerkungen zu Horkheimers und Adornos Werk vertieft er seine Bedenken: „Sie haben sich, wie der Historismus, einer hemmungslosen Vernunftskepsis überlassen, statt die Gründe zu erwägen, die an dieser Skepsis selbst zweifeln lassen.“¹³

3 Von Kant zu Sade: die Gewalt des Plans Habermas’ Kritikpunkte sind schwerwiegend; bis heute gehören sie zu den überzeugendsten, die gegen dieses Werk erhoben worden sind. Sie bleiben allerdings auf einer allgemeinen erkenntnistheoretischen Ebene, und es ist bemerkenswert, dass sie die Auswahl der beiden fiktionalen Charaktere, Odysseus und Juliette, immerhin die beiden tragenden Säulen der Argumentation der Dialektik der Aufklärung, so gut wie gar nicht thematisieren. Hierin ist Habermas’

 Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 146.  Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 144.  Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 156.

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Kritik verkürzt. Wir werden hier nicht mehr auf die Figur des Odysseus zurückkommen, deren Diskussion für die vorliegende Abhandlung nicht wesentlich ist.¹⁴ Hingegen müssen wir uns fragen, warum jede Analyse der Figur der Juliette fehlt, die doch eine große Rolle in Horkheimers und Adornos Werk spielt. In Der philosophische Diskurs der Moderne taucht der Name Juliette nicht einmal auf; der Sades ein einziges Mal, verbunden mit dem Nietzsches. Habermas scheint Zweifel an der Rolle gehabt zu haben, die die beiden Autoren diesem verfemten Dichter zumaßen, dessen Texte eine Obszönität und eine Gewalt aufweisen, die zuvor in der Literatur unbekannt gewesen waren. Erklärt eine gewisse Vorsicht – oder gar an Selbstzensur grenzende Prüderie – diese Zurückhaltung?¹⁵ Dies könnte eine Rolle gespielt haben. Der Grund könnte aber auch ein ernsterer sein. In der Dialektik der Aufklärung ist das Juliette-Kapitel exakt jenes, in dem die Autoren am nachdrücklichsten der Frage der Gewalt nachgehen. Diese Frage fehlt nun aber bemerkenswerterweise in Habermas’ Schrift, wie übrigens tatsächlich in seinem gesamten Werk: Die Gewalt ist genau das, was die „kommunikative Vernunft“

 Was den homerischen Helden betrifft, beschränkt sich Habermas darauf, die wesentlichen von den beiden Autoren vorgetragenen Punkte zu referieren. Ihnen zufolge verkörpert Odysseus die Figur der Subjektivität, die aus dem Labyrinth auszubrechen sucht, in das der Mythos sie einsperrt; er tut dies, indem er die Menschen durch spielerischen Geschenkeaustausch überlistet und die Götter durch das Angebot von Opfern; diese manipulative Intelligenz zeugt davon, dass im homerischen Universum eine „Aufklärung“ am Werk ist. – Diese Lesart der Odyssee bespricht Habermas im Grunde nicht. Er wendet sie als rhetorisches Werkzeug in einem Argument an, in dem keine genuin philosophische Diskussion von Geltungsnormen stattfindet. – Für die heutige historische und philologische, durch die Wissensgewinne der Kulturanthropologie informierte Forschung stellt sich die Frage nach dem Mythos und den Riten auf ganz andere Weise: Man versteht hier besser, dass es sich um kohärente Repräsentationsweisen der Welt handelt, um komplexe symbolische Konstruktionen; es sind, kurz gesagt, Denkweisen, die in Erzählungen und zeremoniellen Praxen in Aktion treten. Sie sind also zuvörderst kognitive Operationen und keine einfachen Herrschaftswerkzeuge. – Das wahre Problem ist es vielmehr, zu verstehen, wie sich formale Kategorien des Denkens gebildet und verselbstständigt haben, die einem Diskurs über die Welt als allgemeinstes Sein angehören. Dies nennt sich Philosophie. So könnte die Skizze einer korrekten Genealogie der Aufklärung aussehen.  Diese Zurückhaltung erscheint entschieden symptomatisch; man begegnet ihr in einem – im übrigens sehr luziden – Text von Axel Honneth über die Dialektik der Aufklärung wieder. Honneth analysiert das Unbehagen, das jeder kritische Denker der Gegenwart angesichts der Radikalität der Thesen dieses Werks über die intrinsische Perversität der Vernunft empfindet. Honneths Bezüge zu Odysseus und Juliette bleiben Anspielung; er erwähnt zwar die Beziehung zwischen Sartre und Kant, dies aber, um eine These zu stärken, die eine ganz andere ist als jene von Horkheimer und Adorno; diese stellen Sade, wie wir sehen werden, nicht die Kritik der praktischen Vernunft, sondern die Kritik der reinen Vernunft gegenüber, genauer gesagt die Kategorien des Verstandes. Vgl. Honneth, „Über die Möglichkeit einer erschließenden Kritik. Die Dialektik der Aufklärung im Horizont gegenwärtiger Debatten über Sozialkritik“.

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nicht zu problematisieren vermag. Die Auslassung von Sades Namen durch Habermas in seiner Lektüre der Dialektik der Aufklärung ist eines der sprechenden Symptome dafür. Dabei liegt in diesem Buch, das während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst wurde, ein unbezweifelbares tragisches Pathos; das Gedächtnis der Völkermorde, der Folterungen, der Todeslager, des Antisemitismus lag, als es erschien, noch offen wie eine frische Wunde. Horkheimer und Adorno schreiben mit einem Gefühl der Dringlichkeit, manchmal mit einem der Empörung. Es könnte dennoch merkwürdig erscheinen, dass sie, um dieses Gefühl der Tragik einzuführen und sich die Frage nach der Intensität der in jener Zeit um die Mitte des 20. Jahrhunderts auftauchenden Gewalt zu stellen, ausgerechnet die Figur von Sades Juliette gewählt haben. In ihren Augen findet die Wahrheit des Helden der Odyssee in diesem Charakter ihre Fortsetzung und ihre Radikalisierung. Als ebenfalls irrfahrende, aber weibliche Figur, die sich in und zwischen allen Schichten und Milieus der Gesellschaft zu bewegen vermag, ist Juliette zuallererst geschickt darin, sich der Unterstützung der Reichen und Mächtigen zu versichern: keine zu bestehende Prüfung, aber eine Macht, die ihr rasch durch ihr Talent, Männer und Frauen durch ihr Begehren zu überlisten, zuteil wird, durch ihre Fähigkeit, mit den Reizen ihres Körpers als stets und schnell verfügbare Tauschmünze zu handeln, ohne sich dabei mit komplizierten Intrigen zu belasten. Es handelt sich nicht mehr darum, Herrschaft zu erlangen; sie ist bereits erworben. Es geht darum, sie zu genießen und zu missbrauchen; und hierzu nutzen Juliette und ihre Komparsen die Errungenschaften der instrumentellen Vernunft aufs Beste. Orgien und Gewaltakte werden geflissentlich organisiert und geplant; ihre Vorbereitung erfordert beträchtliche politische, administrative und finanzielle Mittel. Die Ausführung erfordert präzise Ablaufpläne, die darauf abzielen, den Lustgewinn zu vermehren und zu maximieren. Die Gruppen geben sich Regeln, denen sie penibel folgen. Alles in allem führt Juliette in die Welt der Libertinage und der Grausamkeit die neuen Verwaltungstechniken ein, die entwickelt worden sind, um die Gesellschaft zu kontrollieren.¹⁶ Während an der Figur des Odysseus die verschiedenen Facetten von Kontrolle und Herrschaft hervorgehoben werden, die ein den Situationen und den menschlichen und göttlichen Gesprächspartnern angepasstes Wissen verschafft, betritt man mit der Figur der Juliette das Feld der modernen Vernunft. Mit ihr erscheinen Wissensformen und Handlungsfähigkeiten, die der homerischen Welt unbekannt waren: die Fähigkeit [pouvoir], die Realität wissenschaftlich zu konstruieren; die Fähigkeit, sie ratio-

 Es ist kaum nötig, darauf hinzuweisen, dass sich mit genau diesen Kontrolltechniken einige Jahrzehnte später die gesamte Forschungs- und Analysearbeit von Michel Foucault beschäftigen wird; vgl. insbes.: Überwachen und Strafen; Sicherheit, Territorium, Bevölkerung.

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nell zu verwalten; die Fähigkeit, sie systematisch auszubeuten; und zuletzt, sie sich auf totalitäre Weise zu unterwerfen. Diese Analysen von Horkheimer und Adorno zum Sadeschen Universum sind innovativ und überzeugend. Ihre grundlegende These ist allerdings überraschend. Ihnen zufolge verkörpert das Sades Texten implizite Denken die endgültige Fassung eines Denkmodells, dessen Grundriss durch Kant – den „Alleszermalmer“¹⁷, diese Bezeichnung wiegt schwer – skizziert wurde. Für Kant, so die Autoren, obliegt es dem Verstand und dem Kategoriensystem, das er konstituiert, sich die wahrgenommene Welt zu unterwerfen: „Der Verstand prägt die Verständlichkeit der Sache, die das subjektive Urteil an ihr findet, ihr als objektive Qualität schon auf, ehe sie ins Ich noch eintritt.“¹⁸ Dieses Primat des Verstandes akzeptiert den Standpunkt der Wissenschaft, ohne irgendwie die Vorgängigkeit der zu erkennenden Welt in Frage zu stellen. Indem die Vernunft die Aufgabe der Erkenntnis an den Verstand delegiert, konstruiert sie das System, das „mit den Tatsachen am besten fertig wird, das Subjekt am wirksamsten bei der Naturbeherrschung unterstützt.“¹⁹ Die Logik der Eroberung wird durch den Erkenntnisprozess selbst in Gang gesetzt. Insgesamt scheint „die reine Vernunft“ nichts anderes zu sein als der Werkzeugkasten einer ungeteilten Herrschaft, die dabei ist, sich zu konstituieren. In einer Folge gewagter Sprünge – à la Nietzsche – lassen Horkheimer und Adorno uns dem Übergang von der Erkenntnis zur Herrschaft beiwohnen: Die Vernunft bildet […] die Instanz des kalkulierenden Denkens, das die Welt für die Zwecke der Selbsterhaltung zurichtet und keine anderen Funktionen kennt als die der Präparierung des Gegenstandes aus bloßem Sinnenmaterial zum Material der Unterjochung. Die wahre Natur des Schematismus, der Allgemeines und Besonderes, Begriff und Einzelfall von außen aufeinander abstimmt, erweist sich schließlich in der aktuellen Wissenschaft als das Interesse der Industriegesellschaft. Das Sein wird unter dem Aspekt der Verarbeitung und Verwaltung angeschaut.²⁰

Alles in allem hat Kant die grundlegenden Schematismen der neuen Wahrnehmungsverfahren skizziert, die den begrifflichen Apparat der Realitätsproduktion bilden, jenen der neuen Medien: „Kant hat intuitiv vorweggenommen, was erst Hollywood bewußt verwirklichte“.²¹ Die Bilder sind bereits gemäß den Normen, die unsere Wahrnehmung strukturieren, gefiltert und formatiert. Wenn aber eine     

Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 117. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 105. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 106. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 106 f. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 107.

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Kontinuität zwischen Wissenschaft und Kino möglich ist, dann deswegen, weil nach dem Kantischen Modell die Vernunft als solche ein neutrales Instrument geworden ist, das allen möglichen Interessen zur Verfügung steht. Sie ist nunmehr, so die beiden Autoren, ein reines Naturorgan, fähig, gleichermaßen in jeglichen Bereich einzugreifen. Sie programmiert, formatiert, und auf diese Weise kontrolliert sie auch: „Vernunft ist das Organ der Kalkulation, des Plans, gegen Ziele ist sie neutral, ihr Element ist die Koordination“.²² Solchermaßen konzipiert, kann sie den Vorhaben der Wissenschaft genauso gut dienen wie jenen der repressiven Macht. So geschieht der Übergang vom Kalkül zur Herrschaft und von jener wiederum zur Versklavung: „Die totalitäre Ordnung aber setzt kalkulierendes Denken ganz in seine Rechte ein und hält sich an die Wissenschaft als solche. Ihr Kanon ist die eigene blutige Leistungsfähigkeit.“²³ Diese Verkürzung ist erstaunlich. An diesem Punkt des Arguments betritt Sade die Bühne. Sein Denken, wie es seinen Texten implizit ist, so erklären es uns Horkheimer und Adorno, radikalisiert diese als „instrumentelle Vernunft“ definierte Form der Vernunft und wird ein souveränes Entscheidungsinstrument, das von jeder Form der Unterstellung unter Andere abgeschnitten ist. Viele Denker hatten diesen Schritt vorhergesehen, aber „ein einziger hat es bis in die Einzelheiten durchgeführt. Das Werk des Marquis de Sade zeigt den ,Verstand ohne Leitung eines anderen‘, das heißt, das von Bevormundung befreite bürgerliche Subjekt“.²⁴ Die Rede vom „Verstand ohne Leitung eines anderen“ bezieht sich klar auf Kant. Sade geht jedoch weiter; die Zurückweisung jeder Leitung affirmiert sich bei ihm als absolut: in der Aufhebung aller Verbote (Sexualität, Gewalt, religiösen Glauben, Rechtsregeln, moralische Normen betreffend); sie bietet sich einer gnadenlosen Ausnutzung aller Machtmittel an, um den unbegrenzten Lustgewinn der Libertins zu garantieren. Es besteht gleichzeitig eine Freiheit der Herren, die jene der anderen vernichtet oder ausschließt, und eine Methode der Verwaltung des Vergnügens, die das moderne Konzept der Planung einführt. Kant hatte einen neuen Horizont eröffnet, indem er die kognitive Funktion der im Verstand tätigen Vernunft als der Außenwelt ihre Kategorien aufzwingend definiert hatte. Dieser Horizont erweitert sich und verengt sich auf Sade, der in seinen durchgeplanten Orgien die Konzepte der rationellen Massenproduktion vorwegnimmt. Horkheimer und Adorno sprechen von „totalitären Trustherrn […], deren Wissenschaft ganz zum Inbegriff von Reproduktionsmethoden der unterworfenen Massengesellschaft geworden ist. Sade hat ihrem Sinn fürs Planen ein frühes Denkmal

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 111.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109.  Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 109.

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gesetzt.“²⁵ Kant, Sade, die Fabrik, das Lager – dies wären in Summe also Geburt, Wachstum und Vollendung desselben Paradigmas. Diese Genealogie ist gewagt. Ist sie zulässig? Ist dies das ‚Projekt der Aufklärung‘? Ist dies sein Schicksal? Ist der Vernunft eine Art von Gewalt eigen? Wir müssen den Fall neu aufrollen.

4 Das Projekt der Aufklärung in seiner Vielfalt Um auf die Fragen zu antworten, die soeben gestellt worden sind, müssen wir zunächst eine andere beantworten, die sie implizieren: Was ist das ‚Projekt der Aufklärung‘ selbst? Woher kommt dieser Ausdruck? Wir wissen sicherlich, was ein solches Projekt ganz allgemein sein kann. Dennoch gibt es keine Formel dieser Art für andere Epochen. Man spricht nicht vom Projekt der Renaissance oder dem Projekt des Mittelalters. Der Ausdruck ‚Projekt der Aufklärung‘ hat sich in den letzten Jahrzehnten unter den Forschern verbreitet, die, so scheint es, eine allgemeine Bezeichnung dafür vergeben möchten, was im 18. Jahrhundert das wesentliche Ziel der Philosophen, der Wissenschaftler und der Literaten jenseits der Vielfalt der Schulen und Tendenzen war. Der Ausdruck ‚Projekt‘ könnte vermuten lassen, dass dabei an eine Art explizite Intention gedacht ist, eine erklärte Komplizenschaft der Angehörigen jener unsichtbaren Gemeinschaft, die sich selbst oft gerne mit dem Namen der ‚Gelehrtenrepublik‘ bezeichnete.²⁶ Dennoch haben die Studien, in denen der Ausdruck ‚Projekt der Aufklärung‘ auftaucht, eher die Tendenz, etwas Ungedachtes aufzuzeigen, oder sagen wir lieber: Elemente, die Anzeichen einer Kohärenz oder eines heimlichen Einverständnisses darstellen, das von den Akteuren selbst nicht wahrgenommen wurde. Von diesem Standpunkt aus könnte man sagen, dass das ‚Projekt der Aufklärung‘ weniger ein bewusstes Programm (wie es ein Manifest sein kann) war als die Resultante einer ganzen Reihe theoretischer Positionen, die ebenso in der Definition der Natur als Gegenstand der Wissenschaften konvergierten wie in jener der Vernunft als

 Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 110.  Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatte sich in Europa unter dem Namen der ‚Gelehrtenrepublik‘ eine informelle Bewegung des Wissensaustauschs und der intellektuellen Solidarität zwischen Humanisten, Gelehrten und Künstlern konstituiert. Der Ausdruck ‚Republik‘ sollte einen gemeinsamen, zweckfreien, offenen und freien Raum anzeigen. Die Formel von der ‚Gelehrtenrepublik‘ erscheint im 15. und 16. Jahrhundert im Lateinischen (respublica literaria), sie wurde im 17. Jahrhundert geläufig und sollte selbst in den Titel von Zeitschriften (wie den Nouvelles de la République des Lettres von Pierre Bayle) oder verschiedener Essays (so etwa eines Vortrags von D’Alembert) eingehen. Vgl. Goodman, The Republic of Letters: A Cultural History of the French Enlightenment; Bots/Waquet, La République des Lettres.

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letztgültige Grundlage des Wissens, also als Erkenntnisfähigkeit, als kritische und autonome Instanz, als Quelle moralischer Forderungen, und, in noch weiterem Sinne, als Schiedsrichter für öffentliche Organisationsformen der Gesellschaft – Erziehung, Recht, politische Institutionen, Ökonomie. Über ein ‚Projekt der Aufklärung‘ zu sprechen, hieße somit notwendigerweise, zu unterstellen, dass es jenseits der beträchtlichen Differenzen zwischen den Autoren und den philosophischen Tendenzen eine Unterströmung gab, die diese verschiedenen gedanklichen Bewegungen vereint und mit sich fortgetragen hätte. Von diesem Standpunkt aus scheint der Ausdruck ‚Projekt der Aufklärung‘ hinreichend treffend. Es handelte sich dann alles in allem um eine Art Denkplattform, die breit genug ist, um die unterschiedlichsten Ausdrucksformen aufzunehmen. Man könnte dort zum Beispiel Hume und Diderot, Voltaire und Vico, Rousseau und D’Holbach, Condillac und Kant, Sade und Herder zusammen wohnen lassen. Das Erscheinen Sades in dieser Liste erstaunt allerdings. Es scheint ungerechtfertigt. Was könnte denn die tatsächliche Beziehung Sades, des Denkers der uneingeschränkten Grenzüberschreitung, zu einem solchen Projekt sein? Faktisch dürfte dies kein Problem darstellen: Allen Lesern Sades vermittelt sich der Eindruck, dass er, selbst wenn er extreme Thesen vorstellt, ein aufgeklärter [éclairé] Denker ist. Er selbst möchte sich so sehen und versichert sich dessen unablässig. Selbst sein provokantester Radikalismus weiß sich auf bemerkenswerte Weise im Rahmen einer stringenten Argumentation zu halten, die er von zwei Jahrhunderten rationalistischen Denkens ererbt hat. So gesehen ist Sade nicht innovativ; der Umfang seiner Schulden gegenüber seinen Vorgängern ist oft und in hinreichendem Maße nachgewiesen worden. Wenn er innovativ ist, dann auf ganz anderen Wegen als jenen der Gemeinde der vernünftigen Geister. Diese Gemeinde teilt in seinen Augen immer noch die Vorurteile jeglicher Form von Gesellschaft und stellt sich der einzigen Kraft entgegen, aus der sie ihre Realität bezieht, der Natur [la Nature] als unbeeinflussbarer Bewegung von Leben und Tod, Schöpfung und Zerstörung. Zu ihr in dieser Bewegung zurückzukehren, mit ihr aktiv zusammenzuarbeiten, wäre die komplizenhafte Vollendung der Aufklärung. Bei Sade erreicht das Wissen seinen Gipfelpunkt in einem Vollzug. Dies muss nun erklärt werden. Die Frage, die sich stellt, ist die folgende: Findet eine solche Denkweise in Kants Philosophie ihren Vorgänger oder sogar ihren adäquaten Theorierahmen, wie dies Horkheimer und Adorno meinen? Möglicherweise ist dies nicht der Fall. Um dies zu verstehen, ist es aber zunächst notwendig, die Frage der Natur dessen, was man heute ‚Projekt der Aufklärung‘ nennt, selbst wieder aufzunehmen. Was impliziert die Idee eines solchen Projekts? Lässt sie sich auf alle oben genannten Autoren – und viele andere – jener Zeit anwenden? Dass es Denkmodelle gibt, die einer ganzen Epoche gemeinsam sind, hat die die Ideengeschichte seit langem

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eindringlich behauptet, wenn sie dabei auch nicht immer ganz präzise war, und seit Neuestem versucht die neuere Geschichte dies ebenfalls zu etablieren, indem sie, wie Foucault es getan hat, Sagbarkeitsregimes verortet und Querverbindungen zwischen Praxen und Theorien herstellt (wie zum Beispiel zwischen der sprachwissenschaftlichen Forschung und der Forschung zum ökonomischen Austausch oder jener zur Taxonomie der natürlichen Welt). Ein solcher Ansatz verlangt allerdings gerade, die Ebene der expliziten Diskurse und der Ähnlichkeiten zwischen theoretischen Aussagen zu verlassen, um weniger sichtbare Kohärenzen, indirekte Beziehungen und Teilungen sichtbar zu machen, die diagonal zu diesen expliziten Diskursen verlaufen und erfordern, diese anders zu lesen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass jene, die das Projekt der Aufklärung diskutiert haben, versucht waren, über die übermäßig einfachen Positionen hinauszukommen, die durch die Idee eines Projekts mit einheitlicher und globaler Zielsetzung selbst impliziert wurden. Sie haben sich jedoch zunächst nicht dafür entschieden, die Vielfalt der Ausdrucksweisen des Denkens im aufklärerischen Zeitalter zu demonstrieren, sondern dafür, tiefgreifend unterschiedliche Interpretationen davon zu geben. In anderen Worten: Die Vielfalt ist im Gegenstand genauso wenig erkannt worden, wie sie in den sie betreffenden Diskursen akzeptiert wurde. Der Bezugsgegenstand blieb derselbe, aber die Bedeutung begann, beträchtlich zu variieren. Genau dies ist in der Tat in einer ganzen Anzahl von Büchern und Zeitschriften geschehen, die seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts erschienen sind, und die als spezifisches Problem dieses ‚Projekt der Aufklärung‘ angegangen sind, fast, als handle es sich um ein Manifest, das eine Reihe von zur Debatte gestellten Thesen enthalte.²⁷ Dies taten die betroffenen Akteure im Zeitalter der Aufklärung selbst sicherlich nicht, wenn es auch bei ihnen ein lebendiges Bewusstsein davon gab, dass sie eine Epoche tiefgreifender Umwälzungen durchlebten; ihre Beziehungen zu diesem Problem konnten jedoch beträchtlich voneinander abweichen. Aus dieser Sicht kann das Projekt der Aufklärung aus zwei grundsätzlich verschiedenen Richtungen verstanden werden: Entweder fokussiert man auf eine gedankliche und kulturelle Strömung, die als in höchstem Maße positiv angesehen wird, oder man verwendet den Ausdruck im Gegenteil, um den Ursprung der Übel, unter denen unser modernes Zeitalter leidet, anklagend herauszustellen. Diese zwei sehr allgemeinen Tendenzen diver-

 Der Autor, der am explizitesten auf diese Formel zurückgegriffen hat, ist sicherlich Alasdair MacIntyre in Der Verlust der Tugend (1981). Unter den Ausarbeitungen zur Idee des „Projekts der Aufklärung“ („the Enligtenment Project“) selbst vgl. insbes. jene von James Schmidt, „What Enlightenment Project?“. Das Referenzwerk ist das von Albert Hirschman, Denken gegen die Zukunft. Die Rhetorik der Reaktion.

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sifizieren sich in mehrere verschiedene Ansätze, wie A. Hirschman bemerkt hat.²⁸ Es besteht eine erstaunliche Vielfalt von Weisen, das 18. Jahrhundert zu verstehen, dieses berühmte ‚Projekt‘ zu definieren. Vier davon lassen sich im Grundsatz unterscheiden. Die erste ist jene, die im 18. Jahrhundert das Goldene Zeitalter der Neuzeit erkennt und, begründetermaßen, in Kant seinen tiefsten Denker sieht. Diese Überzeugung wird von allen Vertretern der großen rationalistischen Tradition geteilt. Ihr heutzutage bekanntester Erbe ist Jürgen Habermas. Man könnte dies die Fruchtbarkeitsthese über das Projekt der Aufklärung nennen (fecondity thesis, mit Hirschman gesprochen). Von diesem Standpunkt aus werden die Errungenschaften der Aufklärung als gewaltig betrachtet und lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Entwicklung der strengen Wissenschaftlichkeit, Definition der Vernunft als kritische Instanz, neue Effizienz in der Technik, Anerkennung der Idee der bürgerlichen Gleichheit, Herausbildung von öffentlicher Meinung und öffentlichen Räumen, theoretische Begründung der demokratischen Institutionen und schließlich Formulierung der Menschenrechte. Wer möchte die Legitimität und den Umfang dieses Erbes bestreiten? Wenn es häufig in apologetischer Weise verteidigt wird, dann, weil es den betreffenden Denkern darum geht, sich energisch gegen jeden Versuch zu wenden, die Aufklärung für erloschen zu erklären, die rationalistische Tradition der Verengtheit zu verdächtigen oder gar das Fortschrittsdenken in Frage zu stellen, das eine unerschütterliche Verbindung zwischen dem Aufkommen der Demokratien und den Errungenschaften in den verschiedenen Bereichen der Wissenschaft gesetzt hat. Der zweite Ansatz stellt sich diesem diametral entgegen. Wenn die Verteidigung des Projekts der Aufklärung die Tendenz hat, kämpferisch zu werden, dann, weil sich zugleich unablässig eine andere These aufgedrängt hat. Diese pessimistische These sieht in derselben Epoche die Etablierung eines gedanklichen Dispositivs, das alle Übel, unter denen die Moderne gelitten hat, hervorgebracht hat: Individualismus, der den Gemeinsinn bedroht; exzessive Eingriffe in die Natur aufgrund der Ausbreitung einer zunehmend überheblichen Technik und Wissenschaft; technische und wirtschaftliche Dominanz des Okzidents, die zur Begründung kolonialer Eroberungszüge dient; Homogenisierung der Kulturen im Namen rationaler Imperative. Exakt diese Position nehmen Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung ein. Das Argument derer, die sich diesen Ansatz zu eigen machen, lässt sich so zusammenfassen: Die Werte, die die Denker der Aufklärung verteidigt und propagiert haben, haben sich in ihr Gegenteil verkehrt; wir haben einer perversen Wende des aufklärerischen Projekts in neue

 Vgl. Hirschman, Denken gegen die Zukunft.

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Knechtschaft beigewohnt. Dies nennt Hirschman „perversity thesis“. Diese dialektische Erklärung findet ihren ersten Theoretiker in Hegel, als dieser, in der Phänomenologie des Geistes, zeigte, wie in der Französischen Revolution die philosophische Inanspruchnahme einer absoluten Freiheit durch einen unvermeidlichen Umschlag zum revolutionären Regime des Terrors führte.²⁹ Gehen wir noch einen Schritt weiter: Die These der perversen Auswirkung wird bereits von Rousseau in der Abhandlung über die Wissenschaften und Künste von 1750 geäußert. Für Rousseau ist sie allerdings nicht dialektisch, da es für ihn keine Verkehrung, sondern eine Fortsetzung gibt, oder, besser gesagt, die Manifestation einer perversen Situation: Das gesellschaftliche Lebens als solches erzeugt den Vergleich, den Neid, den Wettbewerb, Aneignungsgelüste, und zuletzt die Gewalt, ein von der Entwicklung von Wissenschaft und Technik untrennbarer Prozess. Der dritte identifizierbare Ansatz ist jener, der in der Aufklärung weniger das Risiko eines Umschlags der Vernunft in ihr Gegenteil sieht als das Faktum eines Bruchs mit aller Tradition oder sogar die Verweigerung jeder Tradition. Ihre Vertreter lassen die Aufklärung auf Descartes und seine Entscheidung zurückgehen, alles auf Anfang zu setzen, die Wissenschaft auf die Subjektinstanz aufzubauen: auf das denkende Subjekt (selbst wenn für Descartes das erste Ergebnis des Cogito ist, die Existenz Gottes nachzuweisen, die wiederum für die Verlässlichkeit der Wissenschaften und der Sinnesdaten bürgt). Dieser Bruch mit der Tradition ist für die Kritiker das düsterste Erbe des Projekts der Aufklärung. Ihre Vergehen lassen sich ihnen zufolge an der Missachtung der klassischen Wissensbestände, am Anzweifeln des Kanons, am Unwissen über die Geschichte ablesen. Dies ist die Bruchthese; sie entspricht dem, was die englischsprachigen Kommentatoren (weiterhin an Hirschman anschließend) ironischerweise jeopardy thesis nennen. Die konservative Version dieses Konzepts eines Bruchs manifestiert sich an der Epoche der Französischen Revolution besonders virulent bei Edmund Burke, wobei Hirschman schreibt, „der Gedanke, dass manche Versuche, Freiheit zu erlangen, notwendigerweise in die Tyrannei führen“, habe sich „dem Geist damals geradezu aufgedrängt“.³⁰ Was Burke kritisiert, ist nicht so sehr das Risiko einer Perversion wie die Gefahren eines Tabula-rasa-Denkens. Er zielt vor allem auf die Theoretiker des Rechts oder der politischen Institutionen ab, die behaupten, die Gesellschaft per Dekret zu reformieren oder, noch schlimmer, zu verändern, obwohl ihnen jede praktische Erfahrung öffentlicher Verantwortung und jeder wirkliche Sinn für die alltägliche Befolgung der Regeln bürgerlicher  Vgl. Kapitel VI.B.III „Die absolute Freiheit und der Schrecken“ der Phänomenologie des Geistes, 431– 441.  Hirschman, The Rhetoric of Reaction, 12: „[T]he thought that certain attempts to reach for liberty are bound to lead to tyranny instead almost forced itself upon one’s mind“.

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Praxis abgehen. Daher seine vielzitierte Formel, die „die spekulativen Köpfe unserer spekulativen Epoche“³¹ verdammt. Das Unwissen über die Vergangenheit verbirgt sich hinter der äußersten Allgemeinheit der Theorien; man ersetzt über lange Zeit erworbene Erfahrung durch abstrakte Prinzipien.³² So liefert die allgemeine Anerkennung der Menschenrechte den Revolutionären ein unschlagbares Argument, um die Vernichtung einzelner Individuen zu rechtfertigen. Burke beklagt die Ausmusterung der alten Aristokratie mit ihren strikten Vorschriften von Zurückhaltung und Respekt. In dieser Argumentationslinie, wenn auch mit deutlich anderen Nuancen, lässt sich die Kritik von Leo Strauss an dem, was er „das Projekt der Moderne“ nennt, ebenso situieren wie die seines Schülers Alasdair MacIntyre, der explizit die Formulierung „Enlightenment Project“ aufgreift.³³ Es bleibt noch eine vierte Lesart des aufklärerischen Projekts, eine, die – im Gegensatz zur vorangegangenen – anerkennt, dass das 18. Jahrhundert und besonders die Französische Revolution faktisch nichts Grundsätzliches geändert haben, und dass das, was sich in ihnen manifestierte, bereits lange vorher begonnen hatte, in Erscheinung zu treten. Es war also weder ‚Voltaires Schuld‘ noch ‚Rousseaus Schuld‘. Das beste Beispiel dafür gibt Alexis de Tocquevilles Analyse, der in Der alte Staat und die Revolution eine Vielzahl von Verwaltungseinrichtungen und -praxen, die man für Hervorbringungen der Revolution gehalten

 Vgl. Strauss/Cropsey, Histoire de la philosophie politique, 765: „Dans un discours prononcé en 1785, Burke condamnait déjà les ‚hommes de spéculation de notre époque spéculative‘ (III, 139)“.  Burke erinnert daran, dass das englische Parlament in seiner berühmten Stellungnahme gegenüber Karl I., Petition of Right (sic!) genannt (1689), ein Argument verwendet, das sich nicht auf die Menschenrechte bezieht, sondern darauf, dass die Engländer die Freiheit von ihren Ahnen ererbt haben; Burke fügt hinzu: „Aber aus Ursachen, jener praktischen Weisheit würdig, der ihr spekulatives Wissen weichen mußte, zogen sie einen positiven, niedergeschriebnen ererbten Anspruch auf alles, was dem Menschen und dem Bürger teuer sein kann, einem schwankenden, spekulativen Recht vor, welches ihr sichres Erbteil der Gefahr aussetzte, bei jedem Aufbrausen einer wilden Streitsucht ins Gemenge zu geraten und in Stücke gerissen zu werden“, Betrachtungen über die Französische Revolution, 92.  Um diese beiden Autoren adäquat zu besprechen, bräuchte es eine eigene Abhandlung. Für Leo Strauss war es der Fehler der Moderne, zu glauben, dass die Methoden und Wissensbestände in Bezug auf den Menschen es mit jenen aufnehmen könnten, die die natürliche Welt betreffen; die Versuchung der Moderne war es daher, die Idee einer dauerhaften menschlichen Natur aufzugeben und sie wie die physische Welt als veränderungsfähig zu konzipieren. Daher wendet sich die politische Wissenschaft vom Denken des ‚guten Lebens‘ im aristotelischen Sinne ab und wird zur Verwaltungswissenschaft der menschlichen Gesellschaften. Diese Kritik nimmt Alasdair MacIntyre wieder auf, der eine reine und simple Rückkehr zu Aristoteles anpreist; vgl. Der Verlust der Tugend.

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hatte, weit in die Vergangenheit, ins monarchische Frankreich, zurückverfolgte.³⁴ Man könnte diesen Ansatz die ‚These der Nichtspezifität‘ nennen; sie entspricht dem, was – immer noch mit Hirschman – futility thesis genannt wird, also die Behauptung, die Epoche der Aufklärung sei wenig bedeutend oder realiter nur von schwacher Identität gewesen. In gewisser Weise ist dieser Ansatz auch jener der Historiker der longue durée, als deren Schulbegründer sich Fernand Braudel und sein Schüler Immanuel Wallerstein³⁵ gezeigt haben. Auch in diesem Fall – in diesem Denken der Kontinuität – lassen sich jedoch zwei Haltungen unterscheiden. Jene der Historiker der longue durée zielt nicht darauf ab, die Bedeutung der Aufklärung abzustreiten, sondern nur darauf, ihre wirtschaftlichen und kulturellen Praxen als ein Moment im Verlauf einer allmählichen Transformation zu betrachten. Die Theoretiker der Nichtspezifität der Aufklärung tragen im Gegensatz dazu ihr Argument vor, um die Originalität des Denkens jener Epoche herunterzuspielen. Ihr Schluss lautet etwa wie folgt: Das Projekt der Aufklärung ist ein historisches Artefakt, das von einer Tradition geschaffen wurde, der es wichtiger war, sich ein Bild zu machen, als sich selbst zu einer stringenten historischen Analyse anzuhalten. Dies sind im Großen und Ganzen die vier wichtigsten Leseraster, die sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts und im Laufe der darauffolgenden beiden Jahrhunderte etabliert haben. Ein einziges von ihnen schlägt eine vollständig positive Sicht auf die Aufklärung als ein zu vertiefendes und zu verfolgendes Projekt vor; zwei andere Thesen sind negativ: Die Aufklärung hat entweder ihr Gegenteil hervorgebracht oder aber eine lange und wertvolle Tradition irreparabel beschädigt oder sogar zerstört; die vierte Position ist schließlich relativ neutral oder eher neutralisierend: Die Aufklärung hat nichts zerstört oder verändert, sie hat höchstens einem Prozess, der ihr weit vorausging und der ohne sie weitergeht, die Richtung gegeben. Diese Thesen über die Aufklärung sind als zunächst keine Produkte der heutigen Kritik; oft schafft es diese lediglich, seit Langem begonnene Debatten explizit neu aufzurollen.³⁶ An dieser Stelle kann man sich also fragen: Wo soll man Sade in diesen Leserastern verorten? Man könnte ihn, wenn auch nur ver-

 Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution, 48 – 81.  Vgl. Braudel, Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts; Wallerstein, The Capitalist WorldEconomy.  Paul Bénichou hat in Le sacre de l’écrivain gut gezeigt, wie sehr die Romantiker den Geist der Aufklärung zurückgewiesen haben. Man kann im Gegensatz dazu eine Glorifizierung desselben „aufgeklärten“ Geistes in der laizistischen, voltairianischen und rationalistischen Dritten Republik feststellen. Der Konflikt ist in Deutschland, zwischen den Aufklärern und den Romantikern des Sturm und Drang, noch schärfer.

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suchsweise oder gar ironischerweise, der Reihe nach jedem einzelnen zuordnen; jedes Mal wäre das Argument überzeugend. Wer über Sade geschrieben hat und schreibt, kann sich sehr gut zwischen diesen vier Polen bewegen. Man kann genauso gut, je nach der ins Auge gefassten Frage, die eine oder die andere Position einnehmen, oder aber gewisse Aspekte einer jeden von ihnen. Diejenigen, die das Konzept eines ‚Projekts der Aufklärung‘ in Umlauf gebracht haben, verlangen von uns gewissermaßen, eine Seite zu wählen. Vielleicht hätte man aber dieses allzu ungenaue Konzept gar nicht erst propagieren dürfen. Der Fall Sade lädt aufgrund seines extrem provokanten Charakters mehr als jeder andere zu einer pluralen Lesart ein. Er unterzieht jede Formulierung – wie die vom ‚Projekt der Aufklärung‘ – einer Art Validitätstest und verlangt von uns, die Logik der genannten einander ausschließenden Alternativen hinter uns zu lassen. Wir müssen die Debatte neu aufrollen.

5 Kant: „Sapere aude“. Vernunft, Autonomie, Freiheit Es ist möglich, es anders zu versuchen, indem man die Frage in folgender Weise einschränkt: Sade soll – und auch nur in bestimmter Hinsicht – in Bezug auf den Philosophen verortet werden, der das Konzept der Aufklärung am stärksten für sich reklamiert hat – es geht natürlich um Kant. Genau dies haben Horkheimer und Adorno versucht. Ihre These ist die einer tiefgreifenden Kontinuität zwischen dem Autor der Kritik der reinen Vernunft und jenem von Juliette. Diese überraschende These ist verführerisch. Ist sie auch haltbar? Wir werden bald sehen, dass dies nicht der Fall ist. Weit entfernt von einer Kontinuität, ist der Bezug, der sich bei der Lektüre aufdrängt, eher der eines extremen Kontrasts; es handelt sich um zwei Beispiele, die sich in allen Teilen widersprechen. Man muss es offen aussprechen: Sade setzt Kant nicht fort. Er ist sogar seine radikale Antithese. Dies müssen wir nun zu verstehen versuchen. Wir wissen, dass Kant die Aufklärung folgendermaßen definiert hat: Wage zu wissen – sapere aude. Dieser Appell an den Mut erscheint in einem berühmten Text, der in der Tat Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? heißt. Diese Frage hatte eine Berliner Zeitschrift den Literaten und Wissenschaftlern gestellt. Auf sie wurden viele Antworten gegeben.³⁷ Die Kants ist lediglich die bekannteste. In diesem Text von 1784 entwickelt Kant vor allem anderen das Recht zur kritischen  Vgl. hierzu die Quellensammlung What is Enlightenment? Eighteenth-Century Answers and Twentieth-Century Questions von James Schmidt.

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Debatte über religiöse Fragen als ultimatives Beispiel jenes Sapere aude. Indem er dies tut, bezieht er sich implizit auf die Gesamtheit der Methode, die er 1781 in der Kritik der reinen Vernunft eingeführt hatte. Sie wird unter dem Namen ‚Kritizismus‘ begriffen. Versuchen wir nun, die wesentlichen Elemente jenes ‚Projekts der Aufklärung‘ nach Kant aufzugreifen (und nehmen wir uns dabei die Freiheit, diese erst in jüngerer Zeit etablierte Bezeichnung zu verwenden). Es geht nicht darum, so zu tun, als hätte Sade kantianisch, und noch weniger darum, so zu tun, als hätte Kant sadistisch sein können (auch wenn Nietzsche nicht zögert, ihn als „grausam“ zu bezeichnen³⁸). Wir werden sehen, dass wir in der Tat zwei verschiedene Hauptrichtungen des Denkens des 18. Jahrhunderts vor uns sehen. Jene Kants, sehr neu und von unvergleichlicher Strenge, war in Frankreich vor der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts außerhalb von gewissen germanophilen Kreisen (wie jenen von Mme de Staël und Benjamin Constant) so gut wie unbekannt. Das Denken Sades nimmt seinerseits zuvörderst das gesamte Erbe des französischen Materialismus auf. Wir haben es also mit zwei sehr verschiedenen Konzepten von Kritik zu tun: Jene Kants ist eine Erkenntnistheorie der Vernunftvermögen; ihr ist wesentlich, die spekulative Vernunft von der praktischen (oder moralischen) Vernunft zu trennen; jene Sades ist eine naturalistische Metaphysik, die eine tiefgreifende Kontinuität zwischen kosmologischen und moralischen (oder unmoralischen) Positionen unterstellt. Allerdings beinhalten diese beiden Ansätze, jeder für sich, eine essentielle Vorannahme über die Natur des Wissens selbst, und beide geben auf das Sapere aude jeweils sehr verschiedene Antworten. Es ist das Wisse zu wagen! das das Wage zu wissen! freisetzt; der Schlüssel zu ihm ist dabei der Erwerb einer neuen Art von Wissen. Es bleibt nun zu erkunden, wie dieses definiert ist und ob von ihm noch gesagt werden kann, dass es der Aufklärung angehört. Dieses Argument gilt es nun zu entwickeln, mit dem Ziel, das Ergebnis dieser Überlegungen den Bemerkungen Foucaults über Sade in Die Ordnung der Dinge gegenüberzustellen, vor allem dort, wo er schreibt: „De Sade gelangt ans Ende des Diskurses und des Denkens der Klassik“.³⁹ Zu sagen, dass er die Aufklärung vollende, heißt zu behaupten, dass er sie gewissermaßen abschließt, sie erledigt [accomplit]. Aber können wir uns dessen sicher sein? Wie sollen wir Sade hinsichtlich jener Unterstellung von Kontinuität in seinem Erbe einordnen? Wo sollen wir ihn in diesem gedanklichen Rahmen plazieren? Ist er überhaupt in irgend Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, II.6: Die „Welt [hat] im Grunde einen gewissen Geruch von Blut und Folter niemals wieder ganz eingebüßt […] (selbst beim alten Kant nicht: der kategorische Imperativ riecht nach Grausamkeit…)“.  Foucault, Die Ordnung der Dinge, 264 (Les mots et les choses, 224).

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einem gedanklichen Rahmen situierbar? Sprengt er sie nicht allesamt? Oder vollzieht er nicht zumindest eine Grenzüberschreitung, die alle Vorannahmen im selben Moment entwertet, in dem er sie anerkennt? Dies wäre die endgültig wichtigste Frage. Wir wären dann gerüstet, um zu beurteilen, ob die von Horkheimer und Adorno zwischen Kant und Sade hergestellte Kontinuität weiterhin sinnvoll bejaht werden kann oder im Gegenteil energisch bestritten werden muss. Ein Zusammenbringen von Kant und Sade ist höchst unplausibel. Dennoch ist es bereits geschehen, wenn man so sagen kann; so zum Beispiel bei Lacan, unter dem Gesichtspunkt einer Ethik des Begehrens.⁴⁰ Die hier gestellte Frage ist jedoch eine ganz andere: Es geht darum freizulegen, was Erkenntnisvermögen bei dem einen und bei dem anderen Verfasser bedeutet. Dies dürfte es erlauben, auf die Frage danach zu antworten, ob Sade einen Bezug zu etwas hatte, was man ein ‚Projekt der Aufklärung‘ nennen könnte, oder nicht. Aber was soll ‚Erkenntnisvermögen‘ heißen? Dies ist die zentrale Frage, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft vorstellt und diskutiert. Wozu diese Frage? Und inwiefern erlaubt uns die Weise, auf die Kant sie beantwortet, als Kontrastfolie, die Weise zu beurteilen, auf die Sade sein eigenes Denken beschreibt? Kant fragt sich: Ist die menschliche Vernunft autonom? Mit anderen Worten: Ist sie fähig, sich ihre eigenen Gesetze zu geben? Wie sieht es damit auf jedem der drei Felder aus, auf denen sie ihre Tätigkeit ausübt: Erkennen,Wollen und Empfinden? Anders gesagt – wie manifestiert sich die Vernunft 1) im Bereich des Wissens, 2) in jenem des Handelns, 3) in jenem des Geschmacksurteils? – Ist die Vernunft einer äußeren Macht wie etwa der Natur oder dem Göttlichen unterworfen? Wird sie durch etwas außerhalb ihrer selbst bestimmt, oder kann sie unumschränkte Gesetzgebung ausüben? Um darauf zu antworten, ist es zunächst wichtig, zu wissen, was ihre eigensten Zwecke sind, also Zwecke, die sie aus keiner anderen Quelle als sich selbst erhält. Anschließend ist zu beurteilen, ob diese Zwecke in jedem der drei Tätigkeitsbereiche auf dieselbe Weise erreicht werden oder nicht. Betrachten wir aber zunächst die vorangestellte Frage nach der Autonomie. Die naturalistischen oder empiristischen Denker behaupten, dass die Zwecke der Vernunft ihr durch die Natur angewiesen werden. Ihnen zufolge ist die Vernunft die Fähigkeit der Klugheit und der Anpassung, mit der der Mensch durch die Natur ausgestattet wurde, um sich in ihr zu vollenden. Kant hält dem entgegen, dass eine solche Hypothese widersprüchlich ist: Wenn die Natur es darauf angelegt hätte, in sicherer Weise ihre eigenen Zwecke in einem vernunftbegabten

 Vgl. Lacan, „Kant avec Sade“; deutsch: „Kant mit Sade“; siehe dazu: Martyn, Sublime Failures. The Ethics of Kant and Sade; Marty, Pourquoi le 20e siècle a-t-il pris Sade au sérieux?, IIe partie; Ost, Sade et la loi, Kap. V.

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Wesen zu verwirklichen, hätte sie diese niemals einer solchen Fähigkeit wie der Vernunft anvertraut, sondern eher dem Instinkt.⁴¹ Eine von zwei Optionen muss gelten: Entweder hat die Natur sich grob geirrt, oder sie ist nicht die Instanz, die dem Menschen seine Zwecke anweist. Ganz allgemein kann keine äußere Instanz – Natur oder Gott – dem Menschen seine Zwecke anweisen, ohne aus ihm ein bloßes Mittel zu machen. Die Vernunft den Forderungen einer solchen Macht zu unterwerfen, hieße, ihr jede Autonomie zu nehmen; es hieße, ihre Freiheit zu verneinen. Zugleich wäre der Philosophie ihre Daseinsberechtigung entzogen. Naturwissenschaft und Theologie reichten aus und wären vielleicht sogar allein legitimiert. Wenn dies nun aber nicht der Fall ist, reicht es nicht aus, zu behaupten, dass die Vernunft die Macht beanspruchen kann, allen menschlichen Fähigkeiten ihre Gesetze aufzuerlegen; man muss vor allem verstehen, inwiefern sie dies je nach dem betrachteten Bereich in zutiefst unterschiedlicher Weise tut. Nur unter dieser Bedingung kann eine solche Autonomie eingefordert und aufrechterhalten werden. Das Treffen dieser Unterscheidung macht die ganze Originalität und Fruchtbarkeit des Kantischen Arguments aus. Dieses lässt sich wie folgt zusammenfassen: Dass sich die Vernunft als autonom zeigt, als fähig, ihre eigenen Zwecke zu bestimmen, heißt, dass sie sich als Fähigkeit eines freien Wesens, also eines Wesens, das sich sein eigenes Gesetz geben kann, definiert. Wenn dies nun wirklich der Fall ist, heißt dies auch, dass ihr letzter Zweck ein moralischer ist: denn es ist zuallererst diese Freiheit und dieser Zweck, die die Vernunft als solche bestimmen. Dies betrifft den Bereich des Handelns und der Beziehungen zu den anderen freien Wesen. Indem er auf diese Weise den wesentlichen Zweck der Vernunft auf der praktischen – also auf der moralischen – Ebene ansiedelt, bewerkstelligt Kant eine durchgreifende und überraschende Innovation. Zuvörderst stellt sich die Frage: Wie steht es um die Welterkenntnis selbst? Wie manifestiert sich dort die Autonomie der Vernunft? Um auf diese Frage zu antworten, schlägt Kant vor, die Sache auf ganz neuartige Weise anzugehen. Für ihn drückt sich die Autonomie der Vernunft nämlich auf andere Weise aus: Was es zu erkennen gibt, ist die Welt, also die Gesamtheit der sich unserer Erfahrung darbietenden Gegenstände. Sie sind vollständig äußerlich. Die Vernunft ist hier keine Freiheit mehr, die einer anderen Freiheit gegenübersteht. Sie ist der menschliche Geist im Angesicht der Wirklichkeit der gegebenen Welt. Ich kann nicht wissen, was die Wirklichkeit an sich ist, die mir selbst vorausgeht. Die Vernunft als solche – als Freiheit – ist gegenüber der Opazität der Dinge nicht die richtige Instanz. Sie kann über sie nicht gesetzgeberisch bestimmen. Sie kann in diesem Fall aber ihre Gesetzgebungskompetenz

 Vgl. Kant, Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, AA, VIII, bes. 18 f.

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an eine andere Instanz abgeben, jene, deren Funktion es ist, nicht die Dinge als solche – die Dinge an sich oder Noumena – zu verstehen, sondern die Dinge, wie sie erscheinen – die Phainomena. Diese Vernunftinstanz nennt Kant Verstand; dieser ist mit Kategorien (wie jenen der Substanz, der Kausalität, der Einheit) ausgestattet, die er auf die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen anwenden kann, um sie zu ordnen; er gibt ihnen im Namen der Vernunft Gesetze. Die Wahrnehmung der Phänomene heißt Anschauung. Die Verbindung von Kategorien und Anschauungen konstituiert die Begriffe, also die transzendentale Ordnung. Die Begriffe stehen immer im Verhältnis zur phänomenalen Erfahrung. Kurz gesagt – auf dem Feld der Erkenntnis muss die Vernunft eine wesentliche Einschränkung hinnehmen: Sie kann nichts über das Ding an sich sagen. Mit anderen Worten: Es gibt keine Erkenntnis außer jener der Phänomene. Diese Unterscheidung ins Werk zu setzen und diese Begrenztheit des Wissens anzuerkennen, ist seitens Kant der Gründungsakt des kritischen Vorgehens. Von diesem Standpunkt aus sieht Kant eine tiefgreifende Differenz zwischen zwei Arten von Akten der spekulativen Vernunft: Erkennen und Denken. Erkennen ist das Bilden von Begriffen durch Inbeziehungsetzen von Anschauungen und Kategorien. Denken ist das Bilden von Ideen, die über die Erfahrung hinausgehen, aber notwendige Hypothesen konstituieren, wenn diese auch in drei genau bestimmten Fällen nicht verifizierbar sind: der Idee des Ichs als Einheit der Verstandestätigkeiten, der Idee der Welt als Gesamtheit der Erscheinungen und der Idee Gottes als unbegrenzter Kausalität. Auf diese Weise wird das Feld der vernünftigen Erkenntnis, anders gesagt: der Erkenntnis überhaupt, zugleich begründet und eingegrenzt. In der Kritik der reinen Vernunft hat Kant der spekulativen Vernunft eine gewaltige Macht zuzuerkennen gewusst; dies dadurch, dass ausschließlich mittels der Kategorien des Verstandes die unendliche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen geordnet und Wissenschaft möglich wird. Zugleich ist dem Erkenntnisdrang jedoch eine unüberschreitbare Schranke gesetzt. Diese Grenze ist jene, die die Ordnung der Zwecke definiert: jene der praktischen Vernunft. So sieht, zumindest in Kantischen Begriffen, das Projekt der Aufklärung als kritisches Projekt aus. Was sofort durchschimmert, ist der Unterschied oder sogar möglicherweise der Graben zu Sade und seinem Anspruch, alles wissen und „alles sagen“⁴² zu wollen. Stellen wir dies jedoch zunächst zurück; wir werden wenig weiter unten darauf zurückkommen. Wir müssen zunächst in den Blick nehmen, was die Vernunft als solche, also als Freiheit, ausmacht.Vom übergeordneten Standpunkt der

 Vgl. hierzu Kapitel 2 („Tout dire ou l’encyclopédie de l’excès“) meiner Studie Sade, l’invention du corps libertin.

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Einheit der Vernunft ist die Frage „Was kann ich wissen?“ nämlich untrennbar von der Frage „Was soll ich tun?“. Für Kant hört die Vernunft im Angesicht dieser Frage auf, ihre Mittel an den Verstand zu delegieren, und kann die ihr eigenen Zwecke unmittelbar aussprechen – und diese Zwecke sind moralisch; in der Tat betrifft die Frage „Was soll ich tun?“ das Subjekt, insofern es frei ist, und insofern es im Verhältnis zu einer Gemeinschaft freier Wesen steht. Dies zeigt die Kritik der praktischen Vernunft. Kant versteht „unter Freiheit […] das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen“. Die „Causalität“ der Freiheit steht „also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache […], welche sie der Zeit nach bestimmte.“⁴³ Die Freiheit ist eine Kausalität, die sich an keinen vorhergehenden Grund zurückbinden lässt: Dem frei handelnden „Subjekt“ ist „nichts vorhergehend vor seiner Willensbestimmung“⁴⁴. Dies bedeutet, dass der Begriff der Freiheit sich auf keine Erscheinung beziehen kann, sondern bloß auf ein Ding an sich als übersinnliches Wesen. Das Gesetz, das sich ein Wille gibt, kann kein Naturgesetz sein; es ist ein Sittengesetz; dies darin, dass es aus einer freien Kausalität hervorgeht und eine andere freie Kausalität betrifft. Es definiert wechselseitige Verhältnisse, und zwar nicht von Erscheinungen, sondern von vernünftigen Wesen. Hier übt die Vernunft ihre gesetzgeberische Macht unmittelbar aus, statt sie wie im Erkenntnisakt an den Verstand abzutreten. Jeder ist zugleich Gesetzgeber und Angehöriger seines Rechtskreises. Dieses Gesetz ist für jedes vernünftige Subjekt gleich, das damit mit den anderen Subjekten eine übersinnliche Gemeinschaft bildet; also: eine Gemeinschaft auf anderer Ebene als jene, die von der natürlichen Kausalität bestimmt wird. Wie in der Naturordnung ist dieses Gesetz jedoch nur deswegen ein Gesetz, weil es die Eigenschaft der Allgemeinheit aufweist; darin ermöglicht es Vorhersagbarkeit. Diese Allgemeinheit kann jedoch nicht die eines Determinismus sein. Welcher Art ist sie dann? Kants Antwort ist von außerordentlicher Neuartigkeit: Diese Allgemeinheit hat den Charakter einer Entscheidung, die jedes vernünftige Wesen betrifft und die Gemeinschaft der vernünftigen Wesen einsetzt, und sich in den Imperativ übersetzt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“.⁴⁵ Gesetzgebung heißt das Gegenteil einer reinen Kausalität, die sich nur auf Mittel bezieht. Darum die andere Formel, die von der vorhergehenden nicht zu trennen ist: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl

 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 561.  Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 175.  Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA, IV, 421.

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in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“⁴⁶ So verläuft, kurz zusammengefasst, das Argument, mit dem Kant seine kritische Wende vollzieht; das heißt: mit dem er die Trennung von spekulativer und praktischer Vernunft vollzieht und damit zugleich die Begrenztheit des Wissens feststellt und die Allgemeinheit des Sittengesetzes begründet. Hieraus lassen sich mindestens zwei Folgerungen zum Kantischen Aufklärungsprojekt ziehen. Erste Folgerung: Das Sapere aude muss im Gefolge dieser kritischen Wende verstanden werden. Die Feststellung der Grenzen des Wissens ist, was ihm sein Recht und seinen Anspruch gibt. Auf das Wissen selbst bezieht sich aber zudem jeder Einzelne als autonomer Wille. Insofern wirkt die zweite Kritik auf die erste zurück. Diese ethische Herausforderung wird ab dem Auftakt der Aufklärungsschrift von 1784 fassbar: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. […] Sapere aude! habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“⁴⁷ Die autonome Tätigkeit des Verstandes wird durch die Freiheit des Subjekts als Vernunftwesen selbst eingefordert. Zweite Folgerung: Kant bestätigt – auch wenn er über ihn hinausgeht und ihn transformiert – einen Bruch, den bereits Descartes vollzogen hat, nämlich den der Trennung des Bereichs der Erkenntnis von jenem der Moral. Für Descartes ist die theoretische Vernunft – und die Wissenschaft – notwendigerweise unabhängig von den Regeln der Klugheit und den Imperativen der Moral (die Tugenden oder die Laster des Wissenschaftlers haben in nichts einen Einfluss auf die Qualität seiner Erkenntnisse und seiner Argumente). Ab Descartes – und dem philosophischen Moment, für den sein Name emblematisch steht – wird die antike Zielsetzung der Philosophie als Weisheit, derzufolge alle Kenntnisse selbst zum guten Leben, zur Vortrefflichkeit oder zur Tugend des Akteurs beitragen sollten, nicht mehr verstanden.⁴⁸ Mit Kant geschieht nun aber etwas Bemerkenswertes: Er akzeptiert diesen Schnitt, aber auf umgekehrte Weise. Es geht nicht mehr darum, zu unterstellen, dass die Erkenntnis von der Tugend unabhängig ist, sondern darum, zu bestätigen, dass die Tugend nicht von der Erkenntnis abhängt. Der moralische Imperativ geht dem Wissen nicht voraus, sondern entspringt einer anderen Vernunftinstanz.  Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA, IV, 429.  Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, AA, VIII, 35.  Diese Priorität der griechischen Weisheit hat Pierre Hadot in verschiedenen Werken neu beleuchtet, darunter La philosophie comme manière de vivre. M. Foucault nimmt diesen Ansatz in Die Sorge um sich (Le souci de soi) in erweiterter Form auf.

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Kant hat, wie es scheint, aus seiner Hume-Lektüre gelernt: Normative Behauptungen können nie aus konstativen Behauptungen hervorgehen. Das Sein bestimmt nicht über das Sein-Sollen. Dies vervollständigt er mit einer Einsicht aus Rousseau: Die Forderung, moralisch zu sein, betrifft das gesamte menschliche Wesen als solches, ob wissend oder unwissend. Dies bedeutet aber auch, dass die moralische Praxis, oder allgemeiner gesagt, jedes Handeln überhaupt, darauf zielt, das moralische Subjekt zu verwirklichen und es der Beziehung zu den Anderen zu unterstellen. Dies birgt in sich keine Klärung, keinen Erkenntnisgewinn als solchen. Die Erkenntnis richtet sich auf die Gegenstände und bleibt endlich. Diese Folgerungen, die man aus der Beschäftigung mit dem Kantischen Aufklärungsprojekt ziehen kann, erlauben uns nun, im Kontrast dazu die Umrisse dessen nachzuzeichnen, was in dieser Hinsicht das Sadesche Projekt sein könnte, und den ihm eigenen Mut im Erkenntnisprozess zu umreißen.

6 Sade: „Wisse zu wagen“ – Natur, Vernunft und die Aufklärung im Verbrechen Wenn man anerkennt, dass das Projekt der Aufklärung als kritisches Projekt durch die Kantische Doktrin definiert worden ist (die sich denn auch genau unter dem Namen ‚Kritizismus‘ verbreitet hat), muss man auch feststellen, dass Sade als einem solchen Projekt zutiefst fernstehend verstanden werden muss. Wenn man aber die Aufklärung betreffend zunächst an den Wahlspruch denkt, an den Kant erinnert und den er propagiert hat – sapere aude, wage zu wissen –, ist es zweifellos Sade, der am meisten wagt, und der das Risiko und die Notwendigkeit des Wissens bis an die Grenzen des Vorstellbaren getrieben hat; er stellt die Kantische Formel implizit auf den Kopf und fordert faktisch: Audere sape – wisse zu wagen! Dennoch würde Sade in keiner Weise den kritischen Apparats Kants akzeptieren oder auch das Endlichkeitsprinzip, das die radikale Trennung zwischen spekulativer und praktischer Vernunft gebietet. Bei Sade stellt man im Gegenteil, wie in der antiken Philosophie,⁴⁹ eine tiefgreifende und notwendige Kontinuität zwischen Denken der Natur und Denken der Moral (oder besser der Unmoral) fest. Diese Konzeption stammt zunächst von den materialistischen Denkern, auf die sich Sade beruft. Auch hier haben wir es mit einer Hauptströmung der Aufklärung zu tun, die unter anderen von Autoren wie La Mettrie, D’Holbach, Helvétius, Mably, Morelly, Diderot und Condillac repräsentiert wird. Ihre Vorstellungen gehen der ‚kritischen Wende‘ Kants voraus; darin bleibt Sade ihr unmittelbarer Erbe.  Vgl. Hadot, La philosophie comme manière de vivre.

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Dennoch weicht er, wenn er ihre Thesen übernimmt, von ihnen ab und wird durch seine Radikalität zum Innovator. Wie soll man sein Vorgehen und den darin inbegriffenen Bruch situieren? Wir können es als einen doppelten Spielzug begreifen, indem der Verkehr und der Austausch zwischen Erkenntnis und Praxis wiederhergestellt werden. Sade setzt also die antike Sicht der Philosophie als Lebensform oder Handlungsweise wieder ein; er tut dies aber, indem er einen neuen Akteur im Herzen des Erkenntnisakts plaziert: die Leidenschaft oder, besser gesagt, die Gewalt des Begehrens. Anders gesagt: Es geht nicht nur um eine fruchtbare Beziehung zwischen Wissen und Handeln; es geht um eine Erfahrung, die die Energien des Individuums mobilisiert und es dadurch auf eine neue Stufe des Sehens und des Bewusstseins führt. Kurz: Die Praxis ist also selbst die Quelle des Wissens. Noch essentieller ist sie sogar selbst das Bewusstsein: sie ist eine performative Form des Denkens. Sade lässt sich also paradoxerweise am ehesten in der Nähe der Visionen, wie sie Heilsreligionen (asketischer, mythischer, prophetischer Art) hervorbringen, verorten. Das gesamte Sadesche Argument zielt darauf, den Gebrauch des Wissens zum Lustgewinn zu ermöglichen. Zugleich wird der Lustgewinn selbst die vollendete Form der Erkenntnis. Der Diskurs zielt darauf, die Leidenschaften zu entfachen; die Entfesselung der Leidenschaften führt zu einem höheren Bewusstseinszustand. Von diesem Standpunkt aus ist es wichtig, ein besseres Verständnis der Verwendung des Begriffs der Natur durch Sade zu bekommen und seine Folgen zu beurteilen. Sade treibt die These einer Kontinuität zwischen Natur und menschlicher Welt auf die Spitze. Dies freilich nicht so, dass er in letzterer die Vollendung ersterer sähe; im Gegenteil erblickt er darin nur ein Element unter anderen. Somit gibt es kein Privileg der Vernunft. Das menschliche Tier ist zunächst Tier. Erst diese Zurückstufung enthüllt ihm seine ganze Freiheit, das heißt sein Recht, sich von Konventionen – sozialer, moralischer, religiöser Art – freizumachen, die ihm im Namen einer von der natürlichen Welt getrennten und über sie erhabenen Position auferlegt worden sind. Das Denken Sades kann also nur ein Monismus wie der Lukrez’ oder jener Spinozas⁵⁰ sein. Es geht von einer vollständigen Kontinuität zwischen der Bewegung der Natur und jener der menschlichen Leiden-

 Man könnte meinen, die folgenden Aussagen Spinozas stammten von de Sade: „Gott, d. h. die Natur […], wie er um keines Zweckes willen existiert, handelt auch um keines Zweckes willen; vielmehr hat sein Handeln genau so wenig wie sein Existieren ein Prinzip, das ein Zweck wäre“ (Ethik, IV,Vorw.; Übers. Bartuschat 375). Vgl. auch Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück, Kap. 24,6 (Übers. Bartuschat 112 f.): „Sofern [der Mensch aber auch ein Teil und Werkzeug der gesamten Natur ist, kann dieser Zweck des Menschen [die Erhaltung seiner eigenen „begrenzten Essenz“] nicht der letzte Zweck der Natur sein, weil diese unendlich ist und ihn zugleich mit allen anderen als eines ihrer Werkzeuge gebrauchen muss“.

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schaften aus. Mehr noch: Letztere sind die klarste Manifestation dessen, dass der kosmische Impetus sich im menschlichen Wesen fortsetzt. Es gibt nur eine einzige Bewegung, die Natur und Mensch durchläuft; eine einzige Energie, die sich in allen Wesen manifestiert, verbreitet und durchsetzt. Diese Gewalt der Elemente, diese Kräfte von Leben und Herrschaft der natürlichen Welt setzen sich in der menschlichen Welt fort, im Spiel der Leidenschaften, aber auch in den Diskursen, die diese weitertragen und erneuern. Das heißt, dass die Vernunft selbst nur ein Getriebe im Naturapparat ist, der in allen Dingen spontan nach Befriedigung strebt. Als Naturprodukt existiert die Vernunft nur, um die Zufriedenheit des Wesens, das über sie verfügt, sicherzustellen; also dazu, die Fülle seiner Genüsse zu vergrößern.Wir haben nun verstanden: Sade steht in dezidiertem Gegensatz zu Kant. Indem sie dem Instinkt die Vernunft beistellte, hat die Natur keine neue Ordnung mit anderen Zielen installiert, wie Kant meint, sondern sie hat lediglich die Ordnung des Instinkts selbst verfeinert und verstärkt. Diese Sadesche „Natur“ ist jedoch nicht mehr jene der klassischen Tradition, also die Natur als vernünftige und stabile Ordnung, die die physische Welt Galileis und Newtons und die menschliche Welt des kartesischen Bewusstseins umschließt. Sade hat Buffon gelesen; die Natur, von der er spricht, ist jene der Meteore, der Kontinente, der Ozeane, der Unwetter, der Vulkane, aber auch jene der pflanzlichen und tierischen Spezies, die entstehen, wachsen, vergehen und neu erstehen. Wir sind von der fernen und regelmäßigen planetarischen Welt der Astrophysik zur nahen und unendlich viel aktiveren, viel unvorhersehbareren – und auch gefährlicheren – Welt des Lebens, der Geographie und der Klimazonen übergegangen. Wir sind von der Klassik zum Barock übergegangen. Die Natur ist Bewegung und Energie; sie zeugt und vernichtet; sie schafft, tötet, erneuert, leidenschaftslos und unablässig. Sie manifestiert sich vor allem in den großen Zyklen des Lebens. Daher rührt die Überlegung Dolmancés in Die Philosophie im Boudoir: Die Zerstörung ist eines der Grundgesetze der Natur, und nichts, was zerstört, kann Verbrechen sein. Wie könnte eine Handlung, die der Natur so sehr dient, ihr zuwiderlaufen? Im übrigen ist diese Zerstörung, deren der Mensch sich rühmt, nur ein Hirngespinst. Mord ist keine Zerstörung. Wer einen Mord begeht, wandelt nur Formen ab. Er gibt der Natur Bestandteile zurück, deren die Hand der Natur sich geschickt bedient, um andere Wesen zu ergänzen.⁵¹

 Sade, Die Philosophie im Boudoir, 96 (Œuvres complètes, III, 422 : „La destruction étant une des premières lois de la nature, rien de ce qui détruit ne saurait être un crime. Comment une action qui sert aussi bien la nature pourrait-elle jamais l’outrager? Cette destruction, dont l’homme se flatte, n’est d’ailleurs qu’une chimère; le meurtre n’est point une destruction; celui qui le commet ne fait

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Der Libertin ist für Sade nur gegenüber den Konventionen böse oder grausam.Wie alles Lebende strebt er nach Selbsterhaltung und nach Vergnügen, sei es auch um den Preis des Leidens und der Zerstörung von anderem Lebenden. Was unterscheidet nun aber den Menschen von diesem anderem Lebenden? Genau eines: dass die Natur ihm eine ungeheure Vielfalt von ‚Geschmäckern‘ oder ‚Leidenschaften‘ gegeben hat. Entsprechend muss der Satz „Alle Geschmäcker liegen in der Natur“⁵² ganz buchstäblich genommen werden. Dies ist es, was aus dem Menschen ein höheres Tier macht und ihm die Fähigkeit zu einer größeren Zahl von Genüssen verschafft. Die 120 Tage stellen ein Inventar und eine Beschreibung dafür vor. Gewalttaten, Qualen, sexuelle Misshandlungen sind bloß Geschmäcker neben anderen beziehungsweise zur Aufstachelung der anderen (da die Geschmäcker sich kombinieren lassen). In diesem Sinne ist der Libertin ‚unschuldig‘ wie das Schicksal bei Heraklit: ein würfelndes Kind. Er ist nicht grausam und nicht einmal pervers (bei Sade gibt es keine psychologischen Beziehungen). Wie die Natur selbst sortiert er schlicht Anordnungen um, mischt die Karten der Leidenschaften, experimentiert vorbehaltlos mit dem Figurensatz der Möglichkeiten, die sein Wesen ausmachen. Im Weiteren stellt sich dann die moralische Frage nach dem Respekt vor dem Anderen – die große Kantische Frage – überhaupt nicht mehr. Wenn es im Universum nur eine einzige energetische Bewegung von Zerstörung und Regeneration von Materie und Leben gibt, verschwindet die Frage nach Entscheidungen und Zwecken. Es verbleibt nur noch die solipsistische Realität einer sprachbegabten Sinnlichkeit: die des genießenden Individuums. Andere sind also lediglich Mittel, nie Zweck. Bei Sade gibt es das, was Kant „eine allgemeine Gesetzgebung freier Willen“ nennt, nicht; im Gegenteil gibt es einen allumfassenden Kampf von Individuen, die sich ihren Lustgewinn mittels oder zulasten anderer verschaffen möchten, selbst wenn sie dabei die gegenseitige Zerstörung riskieren. Zu akzeptieren, dass bei Sade das Wissen nicht von der Erfahrung zu trennen ist, heißt auch, dass selbst das Unerträglichste, das Schändlichste und das Entsetzlichste erprobt werden muss, weil es vorstellbar ist. Das Denkbare muss Wirklichkeit werden. Nur die solchermaßen an ihre Grenzen geführte Erfahrung lässt uns dieses unbekannte, schreckliche und dennoch – weil wir es uns vorstellen können – mögliche Universum erkennen. Der Übergang zum Handeln ist auch die Übersetzung des Möglichen in Erkenntnis. Daher auch die berühmte

que varier les formes; il rend à la nature des éléments dont la main de cette nature habile se sert aussitôt pour récompenser d’autres êtres.“)  „Tous les goûts sont dans la nature“; diese Redensart wird im Französischen ähnlich gebraucht wie „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“ im Deutschen (Anm. d. Übers.).

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Formel: „Du wirst nichts kennen, wenn du nicht alles kennengelernt hast“.⁵³ Es ist aber nicht nur die Erfahrung erkenntnisbringend, und dies am meisten in ihrer extremsten und damit gewaltsamsten Form, sondern der Diskurs selbst wird als extreme Erfahrung begriffen. Er ist kein Kommentar, sondern Performanz. Dies hat Deleuze zu Sade pointiert hervorgehoben: Worum es in der Tat geht, ist der Nachweis, daß die rationale Darstellung selbst eine Gewaltsamkeit ist, daß sie mit ihrer ganzen Strenge, ihrer ganzen Heiterkeit, ihrer ganzen Gelassenheit auf der Seite ist, wo Gewalt ausgeübt wird. Es geht nicht einmal darum, jemandem etwas zu zeigen, sondern um das bloße Erbringen des Beweises kraft einer logischen Demonstration, in der sich nur die totale Einsamkeit und die Allgewalt des Beweisführenden immer wieder selbst beweisen. Es geht um den Nachweis, daß die Ausübung von Gewalt und die logische Beweisführung identisch sind. […] Die von den Opfern erlittene Gewalt ist nur das Abbild einer höheren, von der die Beweisführung zeugt.⁵⁴

Solchermaßen verkehrt sich die Selbstzerstörung der Vernunft – als „Aufklärung“ –, wie sie Horkheimer und Adorno darstellen, bei Sade paradoxerweise in ihren vollkommenen Sieg. Die Gleichsetzung Vernunft–Gewalt zeigt sich nicht an den im Bereich des Instrumentellen ablesbaren Auswirkungen, sondern in der Vernunft selbst. Diese radikale Logik macht die Kraft und die Originalität Sades aus; sie erklärt, warum es – mit Blanchot gesagt – eine Sadesche Vernunft („raison de Sade“)⁵⁵ gibt. Geben wir es zu: Alles zu wissen bleibt ein Wunsch für ein fiktionales Universum; niemand möchte – als Opfer – der Anlass für eine solche totale Erkenntnis durch einen anderen – als Henker – sein. Alles vollzieht sich, als gälten die fiktionalen Texte als geistige Initiationsprozeduren; als virtuelle Experimentalstudie an möglichen Universen und den Grenzen der Erkenntnis. Diese Erkenntnis definiert sich nicht mehr über die Erschöpfung der Möglichkeiten und der Anordnungen von Lustgewinn oder Verbrechen, ihre kombinatorische Exhaustion und ihren enzyklopädischen Verlauf, sondern über die Intensität der Erfahrung selbst, darüber, dass diese Intensität zum Eintritt in eine neue und überlegene Sphäre von Bewusstsein und Beherrschung führt. Hier erreicht der Sadesche Libertin eine Art Absolutes, eine Art mystischer Größe. Dies lässt Sade aus der Masse hervorstechen. Das reine Verbrechen öffnet den Raum der tiefsten Erkenntnis. Hier ist also der Punkt, an dem Theorie und Praxis, die Sphäre des Handelns und jene des Wissens, zur Deckung kommen. Sade vereinigt im Akt der

 Sade, Histoire de Juliette, Œuvres complètes, VIII, 29: „Tu ne connaîtras rien si tu n’as pas tout connu.“  Deleuze, Sacher-Masoch und der Masochismus, 174 f. (Présentation de Sacher-Masoch, 17).  Vgl. Blanchot, „La raison de Sade“.

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Grenzüberschreitung wieder, was Descartes getrennt hat und was Kant nur in einer hierarchischen Beziehung von Verstand und Vernunft neu hatte verkoppeln können. In dieser Verschmelzung zeigt der Libertin den Umriss dessen, was Bataille den „souveränen Menschen“⁵⁶ genannt hat. Mit Erreichen des Herzens des Bösen ist der Libertin am Ziel der Initiationsreise angekommen. Der mystische Wahnsinn, der seinen Figuren innewohnt, ihre Leidenschaft dafür, mit der zivilisierten Welt zu brechen, reißt Sade aus dem liebenswerten und unterhaltsamen Universum der Libertinage des 18. Jahrhunderts heraus. Dieser gedankliche Extremismus, diese Fähigkeit zur unendlichen Grenzüberschreitung drücken sich in dem aus, was als Wunsch, Gott zu werden, erscheint; oder wenigstens als Wunsch, sich der göttlichen Figur in einem Kampf auf Leben und Tod zu stellen. So gesehen gibt es bei Sade eine Art Verbissenheit der Argumentation und eine Art heldenhafte kämpferische Attitüde. Wie kann man Gott werden? Indem man in der Zerstörung die gleiche Macht erreicht, wie sie in der Schöpfung gewirkt hat. Die Göttlichkeit des Sadeschen Helden ist jene des Bösen. Aber dieser Gott ist namenlos; er ist weder der Allerhöchste noch der Allerniedrigste; weder der Glorreiche noch der Schändliche. Er ist niemand. Er existiert nur als Anlass zum Kampf. Ein Verdrängungskampf, der sich durch eines auszeichnet: Sade glaubt nicht an den Teufel. Diese Figur taucht bei ihm niemals auf. An den Teufel zu glauben, hieße an schwache Geister zu glauben. Bei Sade findet man keinen Satanismus oder irgendeine andere trübe Vision des Bösen. Es geht um das Verhältnis von Gott und Mensch. Es gibt kein Drittes: ein Duell auf dem Gipfel. An den Teufel glauben hieße, einer Figur des Aberglaubens die Ehre des Kampfs und das Verdienst des Sieges zuzugestehen, was faktisch hieße, im Kampf mit der göttlichen Figur einen Rivalen zuzulassen. Muss man also hier den Triumph der Natur konstatieren? Viele Texte Sades könnten uns dies vermuten lassen. Seine Aufrufe, gegen die Regeln und Gebote der Moral und der Religion Zeugnis von der Natur abzulegen, sind aber nur ein Mittel, sich ihrer Autorität zu entledigen. Sade erkennt schnell das neue Risiko, das in dieser Überlegung liegt: den Tausch einer Beherrschungsfigur gegen eine andere. Denn auch hier überrascht Sartre erneut und bricht mit der materialistischen Überlieferung. Es geht ihm nicht darum, die Natur zu feiern, um sie an Ort und Stelle der göttlichen Figur zu inthronisieren. Wieder einmal geht er weiter, einmal mehr zerstört er einen Topos und treibt die Verweigerung auf die Spitze: Auch die Natur muss abgelehnt werden; nachdem er sie gefeiert hat, wendet er sich gegen sie und überzieht sie mit Verwünschungen:

 Bataille, Der heilige Eros, 173 u. f. (L’érotisme, 183 u. ff.).

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O du blinde und dumme Macht […]! Wenn ich alle Geschöpfe ausgelöscht hätte, die die Erde bevölkern, wäre ich noch immer weit von meinem Ziel entfernt, weil ich dir gedient hätte […], du Stiefmutter. Ich strebe allein danach, mich für die Dummheit und die Bosheit zu rächen, die du den Menschen zeigst, indem du ihnen die Mittel verweigerst, um sich den grauenhaften Neigungen hinzugeben, die du ihnen einflößt.⁵⁷ Ich leide […] unter der Mittelmäßigkeit der Verbrechen, zu denen die Natur mich ermächtigt. Bei allem, was wir tun, werden nur Götzen und Geschöpfe verletzt, nicht aber die Natur selbst, und sie ist es, die ich beleidigen will, deren Pläne ich verletzen will; ich will ihrem Lauf entgegenwirken, die Himmelskörper, die sich im Weltraum bewegen, durcheinanderbringen; ich will zerstören, was ihr dient, schützen, was ihr schadet; mit einem Wort, ich will sie in ihren Werken schmähen, aber das will und will mir nicht gelingen.⁵⁸

Der Libertin-Philosoph wird der Held der radikalsten Verweigerung, des Nein ohne Zugeständnis, des reinen und glühenden Nein. So wird eine neue Machtfigur jenseits des Göttlichen und des Dämonischen geboren. Die einzigen möglichen Herren sind vernichtet worden. Andere sind nichts. Der Held des Bösen bleibt vor sich selbst allein. Von allen und allem abgeschnitten. Buchstäblich ab-solut. Nicht nur „ans Ende des klassischen Denkens“ gelangt, wie es Foucault gesagt hat, sondern ans Ende der Nacht wie ans Ende der Aufklärung. Jenseits jedes Projekts der Aufklärung. Diese Figur des Menschen, der unklassifizierbar geworden ist, ein unlösbares Rätsel, das schwarze Loch der okzidentalen Kultur, ungreifbar bleibend, können wir, mit Blanchot, „den Einzigen“ [„l’Unique“] nennen. Zumindest als fiktionales Wesen; denn bei jedem Schritt mit Sade sind wir in der Fiktion verblieben, das heißt im Experimentieren mit möglichen Welten. *** Am Ende dieses kritischen Durchgangs durch das, was ein Inbeziehungsetzen von Sade und Kant, wie Horkheimer und Adorno es in der Dialektik der Aufklärung formulieren, heißen könnte, drängt sich die Folgerung auf, dass ihre These nicht haltbar ist. Wir können uns wie Habermas darüber wundern, dass so fordernde  Sade, Histoire de Juliette, Œuvres complètes, IX, 186 f.: „O toi […], force aveugle et imbécile […]. Quand j’aurais exterminé sur la terre toutes les créatures qui la couvrent, je serai bien loin de mon but, puisque je t’aurais servie […] marâtre! […] et que je n’aspire qu’à me venger de ta bêtise ou de la méchanceté que tu fais éprouver aux hommes, en ne leur fournissant jamais les moyens de se livrer aux affreux penchants que tu leur inspires!“  Sade, La nouvelle Justine, ch. 16, Œuvres complètes, VII, 229: „Je souffre […] de la médiocrité des crimes dont la nature me laisse le pouvoir. Il n’y a dans tout ce que nous faisons, que des idoles et des créatures offensées: mais la nature ne l’est pas, et c’est elle que je voudrais pouvoir outrager, je voudrais déranger ses plans, contrecarrer sa marche, bouleverser les globes qui flottent dans l’espace, détruire ce qui la sert, protéger ce qui la nuit, l’insulter, en un mot, dans ses œuvres, et je n’y puis réussir.“

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und strenge Denker so leichthin der Versuchung nachgeben konnten, die Vernunft auf ihre instrumentelle Dimension zu reduzieren. Wir können uns denken, dass diese Versuchung auf der Höhe ihres Anspruchs war, der darin bestand, zugleich die Quellen, die Macht und die zerstörerischen Auswirkungen des Rationalitätsmodells, das sich im Okzident entwickelt hat, zu erfassen. Um diese Kraft und diese Zerstörung zugleich zu denken, mussten sie eine paradoxe These aufstellen und aufrechterhalten: Sie mussten in der Vernunft selbst die Quelle der Gewalt suchen und somit das Projekt der Aufklärung zugleich als Gründungsakt der Emanzipation und Prozess der Selbstzerstörung begreifen. Ist es genug zu sagen, dass diese These selbstwiderlegend ist? Genügt es, die instrumentelle Vernunft von der kommunikativen Vernunft zu scheiden? Man kann weder die Vernunft anklagen – es sei denn, man änderte deren Definition vollständig – noch vorgeben, die Gewalt lediglich durch die Ausübung von vernünftigen Normen geregelter Diskurse einzudämmen (denn dies hieße, nicht mehr verstehen zu wollen, woher die Gewalt als solche kommt). Welche Wahl bleibt noch? Man kann das Böse nicht mehr wie Leibniz als ein Mögliches bestimmen, das unvermeidlich in die optimale Konfiguration der kompossiblen Welten eingeht. Man kann in ihm auch nicht mehr wie Hegel das tragische Moment einer umfassenderen Zweckmäßigkeit sehen – eine Unvernunft als List der Vernunft. Um zu antworten, müssten wir vermutlich das Spielfeld wechseln: die innerphilosophische Debatte verlassen und die Evolutionswissenschaft, die Neurobiologie, die Verhaltensforschung, die Sozialanthropologie befragen. Wir müssen mit unserer Geschichtsschreibung vor der Geschichte neu beginnen. Wir müssen verstehen, wie die Gewalt aus dem Werden unserer Spezies selbst hervorgeht; analysieren, wie eine lebensnotwendige Fähigkeit zur Aggression das Verschwinden seines ursprünglichen Zwecks überlebt hat und in einer Welt weiterbestehen konnte, in der sie nutzlos und pervers geworden ist; wie der Zugang zur Sprache und der Macht des Werkzeuggebrauchs die Möglichkeiten der Vorstellungskraft und die Wirkmittel vervielfacht hat; wie die rückständige Aggressivität diese Möglichkeiten in tödliche Kämpfe und Praxen manchmal extremer Grausamkeit innerhalb der menschlichen Spezies verwandelt hat; wie die bewundernswerte Variation und Streuung der Sprachen und Kulturen sich oft in ein Phänomen der Pseudo-Speziesbildung verschoben hat, das andere Menschen in der Wahrnehmung zu Vertretern feindlicher Spezies und Objekten des Hasses hat werden lassen. Horkheimer und Adorno haben Recht mit ihrer Sicht, dass die Aufklärung so alt ist wie Mythen, Rituale und symbolischer Austausch; sie haben aber Unrecht damit, in Letzterem zuallererst Weisen der Manipulation zu erblicken. Es handelte sich um Werkzeuge der Erkenntnis und der Repräsentation der Welt und des gemeinsamen Lebens; zugleich waren es kognitive Tätigkeiten und Praxen der Ausbildung sozialer Beziehungen. Diese Fähigkeiten des zeichengebrauchenden Tieres, das

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Homo sapiens ist, haben die der Spezies innewohnende Gewalt komplexer und raffinierter werden lassen, aber sie haben genauso auch die Fähigkeiten zur Empathie komplexer und raffinierter gemacht, die im Gruppenleben nicht weniger präsent und unverzichtbar sind. Die beiden Fähigkeiten und die beiden Entwicklungen sind gleichzeitig asymmetrisch zueinander und voneinander untrennbar.⁵⁹ Die ganze Debatte muss von diesen Fragestellungen her neu aufgenommen werden. Hierzu muss die Philosophie die allein aus ihrer eigenen Tradition ererbten Debatten und den selbstreferenziellen Kreis wechselseitiger Kommentare der Autoren verlassen; sie muss sich mit Daten aus verschiedenen Wissenschaften auseinandersetzen, die eine ihr selbst vorausgehende Welt betreffen. Sie muss sich dorthin bewegen, wo sie noch nicht ist; sie muss sich als eine Reflexion, die durch ihre eigenen Gegenstände beeinflusst und verwandelt wird, begreifen und engagieren; dies wäre eine andere Weiterführung der Kritischen Theorie. Aus dem Französischen von Matthias Warkus

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 Ich habe versucht, diese Probleme im letzten Kapitel und dem Abschluss von Violence dans la raison? Conflit et cruauté zu fassen.

Welches Aufklärungsprojekt? Sade und Kant in der Dialektik der Aufklärung

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Else Walravens

Moses Mendelssohns Idee eines Missbrauchs und einer Korruption von Kultur und Aufklärung. Eine Aufklärungskritik aus aufklärerischer Sicht Im Jahr 1755 erscheint mit den Philosophischen Gesprächen das erste Werk von Moses Mendelssohn. Dazu schreibt Lessing in seiner Rezension: „Dieses kleine Werk, welches aus vier Gesprächen über metaphysische Wahrheiten besteht, enthält so viel Neues und Gründliches, daß man leicht sieht, es müsse die Frucht eines Mannes von mehrerm Nachdenken, als Begierde zu schreiben, sein. Vielleicht würde ein andrer so viel Bücher daraus gemacht haben, als hier Gespräche sind.“¹ Diese Worte zu Mendelssohns kompakter Schreibweise hätten den Aufsatz charakterisieren können, den Mendelssohn fast dreißig Jahre später, im September 1784 in der Berlinischen Monatsschrift veröffentlichte. Der Titel lautet: „Ueber die Frage: was heißt aufklären.“² Auch dieser Text ist äußerst gedrängt und programmatisch. Das ist nun aber nicht mehr zurückzuführen auf die Unbeholfenheit eines beginnenden Autors. Inzwischen hatte Mendelssohn sich zu einem Philosophen entwickelt, der gerühmt wurde wegen seines eingängigen, tiefsinnigen und deutlichen Stils. Die Kompaktheit dieses Textes war jedoch bedingt durch besondere redaktionelle Umstände. Er war nicht als eigenständiger Essay konzipiert. Vielmehr handelt es sich um ein kaum bearbeitetes Votum, welches bestimmt war, um im Kreis der Berlinischen Mittwochs-Gesellschaft diskutiert zu werden. „Ueber die Frage: was heißt aufklären“ ist der Text, in welchem Mendelssohn seine Aufklärungskritik und seine Idee zur Korruption von Aufklärung und Kultur darlegte. Angesichts der Kompaktheit dieses Texts ist es notwendig, ihn im Zusammenhang zu sehen. Das soll hier unter folgenden Gesichtspunkten geschehen: 1. Erläuterung des Kontexts, d. h. der Diskussionen in der Berliner Mittwochsgesellschaft über die Frage, ob Aufklärung schädlich sein könne. 2. „Missbrauch von Aufklärung“ als Diskussionsthema der Mittwochsgesellschaft. 3. Mendelssohns Auffassung von Missbrauch von Kultur und Aufklärung. 4. Mendelssohns Idee von einer Korruption von Kultur und Aufklärung. Bei den Ausführungen zu den Punkten 3 und 4 wird auch auf Erörterungen dieser Thematik in  Lessing, Gesammelte Werke, III, 143.  Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumausgabe, VI,1, 113 – 119. https://doi.org/10.1515/9783110555004-009

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den übrigen religionsphilosophischen Schriften Mendelssohns eingegangen, sowohl in den früheren als auch in jenen aus den Jahren 1783 bis 1786. Abschließend werde ich der Frage nachgehen, ob sich Übereinstimmungen zwischen der Aufklärungskritik der Mittwochsgesellschaft und derjenigen von Horkheimer und Adorno feststellen lassen.

1 Erläuterung des Kontexts Als Mittwochsgesellschaft traf sich in Berlin seit 1783 eine Gruppe von „Freunden der Aufklärung“.³ Ihre Ziele waren Selbstaufklärung, Aufklärung ihrer Mitbürger und das Nachdenken über die Umsetzung der hier gewonnenen Einsichten in die gesellschaftliche Praxis. Die Debatten der Mittwochsgesellschaft waren geheim und fanden hauptsächlich während der Regierungszeit Friedrichs II. statt. Unter den Mitgliedern befanden sich zahlreiche führende Regierungs- und Justizbeamte des preußischen Staates. Weil die Aufklärung für diese Intellektuellen eine Realität war, nahmen sie nicht allein Rücksicht auf die Wahrheit, sondern bedachten zugleich deren nützliche und schädliche Folgen für die Gesellschaft. Aus persönlichen Gründen hatte Mendelssohn es abgelehnt, Mitglied der Gesellschaft zu werden.⁴ Er war jedoch einverstanden, als Ehrenmitglied geführt zu werden, und lieferte zahlreiche schriftliche Voten zu Vorträgen und Debatten. Diese Voten wurden ein wesentlicher Bestandteil der Auseinandersetzungen. In der Berlinischen Monatsschrift ⁵, dem wichtigsten öffentlichen Organ der Mittwochsgesellschaft, erscheint in der Dezembernummer von 1783 ein Artikel mit  Die Gründung, Ziele, Mitgliedschaft, Organisation und Geschichte der Mittwochsgesellschaft sind vielfach untersucht; vgl. u. a. Meisner, „Die Freunde der Aufklärung. Geschichte der Berliner Mittwochsgesellschaft“; Birtsch, „Die Berliner Mittwochsgesellschaft“; Vierhaus, „Friedrich Nicolai und die Berliner Gesellschaft“; Nehren, „Aufklärung – Geheimhaltung – Publizität. Moses Mendelssohn und die Berliner Mittwochsgesellschaft“.  Zu diesem Thema: Altmann, Moses Mendelssohn. A Biographical Study, 654– 665; Nehren, „Selbstdenken und gesunde Vernunft. Über eine wiedergefundene Quelle zur Berliner Mittwochsgesellschaft“, 91 f.; Bourel, Moses Mendelssohn. La naissance du judaïsme moderne, 452 f. Das vornehmlichste Motiv für Mendelssohns Absage scheint wohl sein schwacher Gesundheitszustand gewesen zu sein.  Die Berlinische Monatsschrift (BM) erscheint von 1783 bis 1796. Sie ist herausgegeben von Johann Erich Biester (Bibliothekar der königlichen Bibliothek in Berlin) und dem Pädagogen Friedrich Gedike, zwei Mitglieder der fast gleichzeitig gestiftete Mittwochsgesellschaft. Die 28 Bände der BM (und ihrer Nachfolger: die Berlinische Blätter und die Neue Berlinische Monatsschrift) sind durch die Bibliothek der Universität Bielefeld digitalisiert worden und im Internet zur Verfügung gestellt. Vertrieben wurden sie im Jahr 1999 auf zwei CD-ROMs durch Georg Olms Verlag. Ein Reprint von ausgewählten Beiträgen aus den Jahren 1783 – 1786 wurde von Norbert

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dem Titel „Ist es ratsam, das Ehebündniß nicht ferner durch die Religion zu sanciren?“ Der Autor, Johann Friedrich Zöllner, ein aufgeklärter Theologe und Mitglied der Mittwochsgesellschaft, reagiert darin auf einen vorangehenden Beitrag, in dem vorgeschlagen wurde, „die Geistlichen nicht mehr bei der Vollziehung der Ehen zu bemühen“.⁶ Demgegenüber stellt Zöllner fest, dass die Ehe, die ein essentieller bürgerlicher Vertrag sei, wegen eines zunehmenden sittlichen Verfalls schon gefährdet sei. Deshalb halte er es nicht für ratsam, im Namen der Aufklärung die religiöse Sanktion der Ehe abzuschaffen und im Allgemeinen den Wert der Religion herabzusetzen. In einer Fußnote fügt er dann seine berühmt gewordene Frage „Was ist Aufklärung?“ hinzu. „Diese Frage“, so stellt er fest, „sollte doch wol beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge! Und doch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden.“⁷ Diese Fußnote war, wie James Schmidt bemerkt, „but the earliest public manifestation of a much more wideranging discussion which unfolded in secrecy inside the Mittwochsgesellschaft.“⁸ Der unmittelbare Anlass für Mendelssohns Text „Ueber die Frage: Was heißt aufklären“ sind drei Vorträge in der Mittwochsgesellschaft und die sich daran anschließende Debatte unter den Mitgliedern. Johann Karl Wilhelm Möhsen, der Leibarzt Friedrichs II., ist Autor der ersten Lesung. Diese trägt den Titel „Was ist zu thun zur Aufklärung der Mitbürger?“⁹ Der Vortrag war für den 17. Dezember 1783 geplant, wurde aus Mangel an Zeit aber nicht gehalten, sondern ging den Mitgliedern am folgenden Tag in der Schriftform zu.¹⁰ Den Zielen der Gesellschaft entsprechend, „uns und unsere hiesigen Mitbürger aufzuklären“¹¹, macht Möhsen folgende Vorschläge: Zunächst ist „genau zu bestimmen: was ist Aufklärung“¹² und weiter: (1.) was sind die Ursachen für Vorurteile und unzureichende UrHinske in Zusammenarbeit mit Michael Albrecht herausgegeben in: Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift. Zur Berlinischen Monatsschrift; vgl. u. a. die Einleitung von Hinske, XX-XXXVI; Schulz, Die Berlinische Monatsschrift (1783 – 1796). Eine Bibliographie.  Vgl. den J. E. Biester zugeschriebenen Aufsatz „Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei der Vollziehung der Ehen zu bemühen“ (1783).  Zöllner, „Ist es ratsam, das Ehebündniß nicht ferner durch die Religion zu sanciren?“, 516.  Schmidt, „The Question of Enlightenment: Kant, Mendelssohn, and the Mittwochsgesellschaft“, 275. Manuskripte von Vorträgen und Voten der Mittwochsgesellschaft gelangten aus dem Archiv von Möhsen in die Deutsche Staatsbibliothek Berlin: Ms. boruss. fol. 443 (Vorträge der Berliner Mittwochsgesellschaft). Dieses Material wurde digitalisiert mit Angabe der Scan- und Druckseite. Teile von Möhsens Archiv wurden vorher publiziert von Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft. Ein Beitrag zur Geschichte der Geistesentwicklung Preussens am Ausgange des 18. Jahrhunderts“, 67– 94.  Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 73 – 77.  Vgl. Hümpel, „Was heisst aufklären? Was ist Aufklärung?“, 207, Anm. 1.  Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 74.  Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 74.

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teilsfähigkeit beim deutschen Publikum; (2.) weiter sind die schädlichsten Vorurteile und Irrtümer zu bekämpfen und auszurotten, zugleich aber sind grundlegende Wahrheiten zu verbreiten; (3.) ist der Frage nachzugehen, wie es kommt, dass die Aufklärung in Berlin so wenig verbreitet ist, obwohl dort seit 40 Jahren, das heißt, seit der Regierungszeit Friedrichs II., ein für die Meinungsfreiheit günstiges Klima herrscht. Schließlich (4.) fragt Möhsen, „ob unsere Bemühungen, außer dem Publico, auch dem Staate und der Regierung nützlich oder schädlich sind?“¹³ Um sich mit dieser Thematik näher vertraut zu machen, empfiehlt Möhsen eine kritische Lektüre der beiden ex aequo gekrönten Schriften, die sich mit der Preisfrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften befassen, die 1778 für das Jahr 1780 gestellt worden war. Sie lautete: „Ist es dem gemeinen Haufen der Menschen nützlich, getäuscht zu werden, indem man ihn entweder zu neuen Irrtümern verleitet oder bei den gewohnten Irrtümern erhält?“¹⁴ Zu den Besonderheiten der Auslobung der Frage und der Krönung der Preisschriften gehört, dass die Fragestellung der Akademie von Friedrich II. auferlegt worden war und die Akademie dann zwei gegensätzliche Antworten belohnte. Während der Mathematikprofessor Fréderic de Castillon die Frage, wenn auch nuanciert, bejahte, sprach der Erfurter Hofmeister Rudolph Zacharias Becker dem Volksbetrug die Nützlichkeit ab. Mit der Debatte, welche der Vortragstext von Möhsen auslöste, kommt die erst junge Mittwochsgesellschaft mit der Verfolgung ihrer Ziele richtig in Gang. Mendelssohn beteiligt sich daran mit einem kurzen, thesenhaften Votum vom 26. Dezember 1783. Am 21. Januar 1784 folgen Vorträge von Johann Friedrich Zöllner, „Was heißt aufklären?“¹⁵ und von dem Arzt Christian Gottlieb Selle, „Was ist Aufklärung, Wenn verdient jemand aufgeklärt genannt zu werden und wenn gehört er zur Zahl der Unaufgeklärten?“¹⁶ Dem Verständnis Zöllners zufolge verhält es sich so: Aufgeklärt seyn heißt, nach der ursprünglichen Bedeutung der Methapher [sic] gewis nichts anders, als richtig über die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis denken, und da es nicht möglich ist, daß jemand alles wißen, aber alles, was er wirklich weiß, richtig wißen kan

 Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 75.  Castillon/ Becker, Dissertation sur la question: Est-il utile au Peuple d’être trompé (1780); deutsche, bearbeitete Fassung von Beckers Aufsatz: Becker, Beantwortung der Frage: Kann irgendeine Art von Täuschung dem Volk zuträglich seyn, sie bestehe nun darinn, daß man es zu neuen Irrthümern verleitet, oder die alten eingewürzelten fortdauern läszt (1781). Zur Preisfrage vgl. u. a. Krauss, „Eine politische Preisfrage im Jahre 1780“ und die „Introduction“ zu Krauss (Hrsg.), Est-il utile de tromper le peuple? Ist der Volksbetrug von Nutzen?, 1– 6.  Ms. boruss. fol. 443, 182r-184r (Scanseite 369 – 373).  Ms. boruss. fol. 443, 184r-186r (Scanseite 373 – 377).

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so würde ein aufgeklärter Mann derjenige heißen müßen, der viele richtige Erkenntniße hat. In dieser Bedeutung würde man dann auch von einem Mathematiker, einem Philologen, einem Chemiker sagen können, er sey ein aufgeklärter Mann. Allein man nennt einen solchen lieber einen gelehrten, einsichtsvollen Mann und legt man ihm den Ruhm der Aufklärung bei, so denkt sich jederman sogleich, er zeichne sich auch außer seinem Fache dadurch aus, daß er frei ist von gemeinen Vorurteilen hauptsächlich in der Religion, in der Philosophie, in den Begriffen über die Verhältnisse des bürgerlichen Lebens. Man bezieht also Aufklärung immer auf diejenigen Erkenntnisse, die man sich in einem nähern Zusammenhange mit dem Wohl und Weh des Menschengeschlechts denkt.¹⁷

Im Anschluss daran unterscheidet Zöllner zwischen zwei Arten von Aufklärung. Zunächst spricht er von einer „wahren Aufklärung“, die er im „Reich der Gelehrsamkeit“ ansiedelt, „wo alle Zweige der menschlichen Erkenntniß cultiviert werden“ und wo es „einem jeglichen freisteht, alles was er im Gebiet der Wahrheit denkt, ohne Umstände zu sagen“.¹⁸ Dann spricht Zöllner von „Volksaufklärung“. Dabei geht es um Wahrheiten, deren Anerkennung dem Menschen Ruhe und Glück verschafft und ihn zu einem guten, zufriedenen und nützlichen Bürger macht. Und er kommt zu dem Schluss: „dazu bei einem Volke wirken, würde ich ein Volk aufklären nennen.“¹⁹ Aber: Ziel dieser Aufklärung ist es nicht, „ihm [dem Volk] alle Vorurtheile, Irrthümer nehmen zu wollen.“²⁰ In dieser Hinsicht kann Aufklärung Schaden anrichten. Zöllner gibt zu bedenken: „Hat es [das Volk] sich einen Irrthum oft in Verbindung mit anderen wahren Sätzen gedacht, und man will ihm nun den Irrthum geradezu rauben, so wirft es gewiß alles, was seiner Meinung nach, damit zusammenhängt, hinter drein.“²¹ Christian Georg Selle argumentiert in seinem Vortrag ähnlich. Er fordert, dass die wissenschaftliche Debatte vor Eingriffen der Staatsgewalt sicher sein muß; er hält aber dafür, dass eine allgemeine uneingeschränkte Pressefreiheit nicht wünschenswert sei. Er hält sie für „nachtheilig und zweckwiedrig“. Sie würde „unter unaufgeklärten Menschen gewiß am stärksten gemisbraucht“ und kann daher „unmöglich Mittel der Aufklärung seyn“.²² Die Vorträge von Zöllner und Selle setzen in der Mittwochsgesellschaft die Diskussion fort, die mit dem Beitrag von Möhsen begonnen hatte. Sie eröffnen eine weitere Diskussion, woran Mendelssohn sich mit seinem Votum vom 16. Mai 1784 beteiligt, welches dann, leicht bearbeitet, unter dem Titel „Ueber

     

Zöllner, „Was heißt aufklären“, 182r (Scanseite 369). Zöllner, „Was heißt aufklären“, 182r-182v (Scanseite 369 f.). Zöllner, „Was heißt aufklären“, 182v (Scanseite 370). Zöllner, „Was heißt aufklären“, 183r (Scanseite 371). Zöllner, „Was heißt aufklären“, 183r (Scanseite 371). Selle, „Was ist Aufklärung?“, 185r-185v (Scanseite 375 f.).

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die Frage, was heißt aufklären“ in der Septembernummer des Jahres 1784 in der Berlinischen Monatsschrift erscheint.

2 „Missbrauch von Aufklärung“ als Thema in der Mittwochsgesellschaft In den Stellungnahmen zu Möhsens Vortragtext stand die Frage nach dem Wesen der Aufklärung nicht im Mittelpunkt, wohl aber Möhsens letzter Vorschlag, die Frage der Nützlichkeit oder Schädlichkeit von Aufklärung betreffend, ebenso Zöllners Ausführungen, die dieser in der Berlinischen Monatsschrift in seinem Artikel über die religiöse Sanktion der Ehe gemacht hatte. Sie betreffen die Schäden, die bei einer unbesonnen vorgenommenen Aufklärung zu befürchten seien. In diesem Zusammenhang wird das Thema eines Missbrauchs von Aufklärung in die Auseinandersetzung eingeführt. Lebhaft diskutiert wurden die Vorstellungen vom Missbrauch von Aufklärung im Sinne von deren misslicher Anwendung, auch von Anwendung in guter Absicht, die ihr Ziel aber verfehlt oder sogar zu unerwünschten Resultaten führt. Die Mitglieder der Mittwochsgesellschaft, welche auf diese negative Seite der Aufklärung hinweisen, beteuern stets, dass sie Befürworter der Aufklärung und ihrer Popularisierung seien. Aufklärung wird dabei verstanden als ein Vermehren von wahrer Erkenntnis und als Mittel gegen Vorurteile, gegen Gewohnheiten, die einem vernunftgemäßem Handeln abträglich sind, und gegenüber Irrtümern. Diese Aufklärung solle verbreitet werden, und das bei Angehörigen aller Stände. Im Prinzip habe Aufklärung für die Individuen wie für die Gesellschaft und den Staat günstige Auswirkungen. Allerdings könne ihre Verbreitung problematisch werden. Zu Beschränkungen aufklärerischen Handelns sah man sich unter zwei Aspekten veranlasst: Zum einen kann Aufklärung ineffizient sein. Sie verfehlt ihr Ziel, wenn sie das Fassungsvermögen der Adressaten nicht berücksichtigt oder wenn sie zu schnell durchgeführt wird. Eine zu rasche und undifferenzierte Aufklärung ist nicht wirksam, weil sie die Menschen nicht erreicht. Mit den Worten von Ernst Ferdinand Klein: „Isolierte Wahrheiten, welche nicht an die Ideenreihe eines gewissen Menschen angeknüpft werden können, überzeugen nicht und bleiben ohne Wirkung.“²³ Volksaufklärung hat daher differenziert und behutsam vorzugehen. Erforderlich sind unterschiedliche Grade von Aufklärung, abgestimmt auf die Fassungskraft der Individuen und auf den Horizont der An-

 Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 77 f.

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gehörigen der verschiedenen Stände (Karl Gottlieb Svarez).²⁴ In diesem Sinne ist Aufklärung ein relativer Begriff (Friedrich Gedike).²⁵ Zum anderen kann Aufklärung schädlich sein. Das ist der Fall, wenn sie jene Vorurteile des ‚gemeinen Mannes‘ abbaut, aus welchen dieser „Motive sittlich guter Handlungen herzunehmen gewohnt war“. Nimmt man dem Volk diese Motive, „so befördert man statt Aufklärung Sitten-Verderbniss“ (Svarez).²⁶ Ein vorsichtiges Heranführen an Aufklärung ist daher erforderlich. Was die Zensur betrifft, so solle diese für die bürgerliche Vorhut der Aufklärung nicht gelten. Gegenüber den niederen Schichten der Gesellschaft kann sie hingegen legitim sein. Über die Frage, wer diese Zensur ausüben solle, die Volksaufklärer selbst oder der Staat, waren die Meinungen geteilt. Missbrauch von Aufklärung aufgrund von Ineffizienz und Schädlichkeit ist für einen erheblichen Teil der Diskutanten also eine Realität, die man im Namen der Aufklärung erkennen muss. Sonst läuft die Aufklärung Gefahr, nicht nur unwirksam zu sein, sondern auch in ihr Gegenteil umzuschlagen. Man neigt mithin zu der Auffassung, dass Volksaufklärung in Grenzen zu halten sei und dass Zensur vom großen Publikum auch als hinnehmbar erachtet werde. Diese Akzeptanz durch Mitglieder der Mittwochsgesellschaft entsprang keineswegs einer antiaufklärerischen Einstellung. Vielmehr sollte dadurch ein Gelingen von Volksaufklärung sichergestellt werden. Hinter der Forderung nach Behutsamkeit bei aufklärerischem Vorgehen stand natürlich auch die Sorge um die Stabilität von Staat und Gesellschaft. Die Vorsicht und Zurückhaltung der Berliner Aufklärer lässt sich als paternalistisch und elitär-konservativ deuten und wurde viel kritisiert – und das bereits in den eigenen Reihen. So gibt der Oberkonsistorialrat Karl Franz von Irwing in einem Diskussionsbeitrag am 22. Februar 1784 zu bedenken: „Wer gar zu ängstlich alle doch immer ungewisse Stürme, welche durch die Aufklärung im Anfange vielleicht erregt werden können, fürchtet, der hätte sicherlich Luthern, und noch weit mehr Jesum alle Aufklärung widerraten“.²⁷ In seiner Studie über Aufklärung und Pressefreiheit kennzeichnet Eckhardt Hellmuth die Mitglieder der Mittwochsgesellschaft als von einer „obrigkeitlich-etatistischen Grundhaltung“ und von einem „Überlegenheitsbewusstsein“ geprägt sowie von der liberalen Auffassung weit entfernt, dass die Pressefreiheit ein fundamentales Menschen-

   

Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 79. Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 85. Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 79. Keller, „Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft“, 88.

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recht sei.²⁸ Und Ernst Haberkern charakterisiert diese Aufklärung bereits im Titel seiner Studie als „limitiert“.²⁹ Andere Interpreten richten ihren Blick dagegen auf das Bemühen der aufgeklärten Staatsdiener um ein Gleichgewicht zwischen – erstens – ihrem politischen Realismus in der damals noch stark ständisch gegliederten Gesellschaft, – zweitens – ihrer Loyalitätsverpflichtung als Staatsbeamte und – drittens – ihrem Bestreben, aufklärerisch zu wirken. So spricht James Schmidt von einer „collision between general ideals and concrete political realities“, welche bestimmend gewesen sei für „the Mittwochsgesellschaft’s entire discussion of the nature of the enlightenment. Citizens have a right to be free from fear, superstition, and prejudice, but only as free from fear, superstition, and prejudice as their rank in society permitted.“ Und Ursula Goldenbaum weist auf die Spannung hin, in welcher sich die aufgeklärten Staatsbeamten befanden, zwischen Loyalität gegenüber dem preußischen Monarchen und ihren Bemühungen, die aus bürgerlichem Bewusstsein hervorgegangenen aufgeklärten Ideen in soziale Praxis umzusetzen.³⁰ Was sind nun Mendelssohns Ansichten zu diesem Problem?

3 Mendelssohn: Missbrauch von Kultur und Aufklärung „Auch ich“, schreibt Mendelssohn in seinem Votum vom 16. Mai 1784, „will es wagen, nach obigen vortrefflichen Betrachtungen zur Sache, einige Worterklärungen und Wortunterschiede festzuhalten, die aber nicht ohne allen Einfluss auf die Sache zu seyn scheinen“.³¹ Die von Mendelssohn definierten Begriffe sind „Bildung“ und ihre zwei Komponenten „Kultur“ und „Aufklärung“. Diese sind „Modifikationen des geselligen Lebens; Wirkungen des Fleißes und der Bemühungen der Menschen, ihren geselligen Zustand zu verbessern“.³² Dadurch schafft Mendelssohn Differenzierungen, durch die er die Diskussion auf ein philosophisches Niveau hebt und durch neue Kriterien erweitert. Der Versuch, diese in einem

 Hellmuth, „Aufklärung und Pressefreiheit“, 342; 344; 341.  Haberkern, Limitierte Aufklärung. Die protestantische Spätaufklärung in Preußen am Beispiel der Mittwochsgesellschaft.  Schmidt, „The Question of Enlightenment: Kant, Mendelssohn, and the Mittwochsgesellschaft“, 285 (vgl. auch 282– 285) und Goldenbaum, „‚Nul Auguste pour protecteur‘“, 135– 138.  Ms. boruss. fol. 443, 186r (Scanseite 377) und Hümpel, „Was heisst aufklären? Was ist Aufklärung?“, 217. Dieser einführende Satz ist selbstverständlich nicht in die Druckfassung aufgenommen.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 115.

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analysierenden Vorgehen konsequent herauszuarbeiten, wird naturgemäß durch die der Form des Votums entsprechende Kürze erschwert. „Aufklärung“, so urteilt Mendelssohn, beziehe sich mehr auf das Theoretische. „Auf vernünftige Erkenntniss (objekt.) und Fertigkeit (subj.) zum vernünftigen Nachdenken über Dinge des menschlichen Lebens, nach Maßgebung ihrer Wichtigkeit und ihres Einflusses in die Bestimmung des Menschen“. Erkenntnis, Kritik, Abschaffung von Vorurteilen und Entlarvung der Schwärmerei kennzeichnen die Aufklärung. „Kultur“ dagegen gehe „mehr auf das Praktische […]: auf Güte, Feinheit und Schönheit in Handwerken, Künsten und Geselligkeitssitten (objektive), auf Fleiß und Geschicklichkeit in jenen, Neigungen, Triebe und Gewohnheit in diesen (subjektive)“. Auch der kulturelle Prozess brauche eine Orientierung durch die Bestimmung des Menschen.³³ Gemäß dieser weitgefassten Definition ist Kultur der komplexe Bereich der Praxis. Sie umfasst eine materielle Komponente, nämlich das Gewerbe und seine Produkte und Leistungen. Weitere Bestandteile der Kultur sind die Bräuche, die Sittlichkeit, die Kunst, die Religion und die Politik.³⁴ Kultur repräsentiert ferner das ‚Herz‘, die Domäne der menschlichen Bedürfnisse und Gefühle sowie der Sinngebung. Der letzte zu erörternde Begriff, ist die ‚Bestimmung des Menschen‘. Das ist ein Schlüsselbegriff in Mendelssohns Philosophie, den er hier unvermittelt einbringt. Gewonnen hatte er ihn im Gedankenaustausch mit seinem jungen frühverstorbenen Freund Thomas Abbt.³⁵ Bekanntlich handelt es sich um eine Thematik, die der Theologe Johann Joachim Spalding, auch er ein Mitglied der Mittwochsgesellschaft, eingeführt hat, und zwar mit seiner Schrift Betrachtung über die Bestimmung des Menschen, die nach ihrem Erscheinen im Jahr 1748 eine große Verbreitung mit insgesamt 13 Auflagen fand.³⁶

 Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 115.  Zur kulturell-gesellschaftlichen Funktion von Staat und Religion vgl. Mendelssohn, Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum (1783), Erster Abschnitt, JubA, VIII, 103 – 142.  „Zweifel über die Bestimmung des Menschen“ [Thomas Abbt], JubA, VI,1, 9 – 18; „Orakel, die Bestimmung des Menschen betreffend“ [Moses Mendelssohn], JubA, VI,1, 19 – 25; „Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz“, JubA, VI,1, 27– 65. Zu diesem Thema: Altmann, Moses Mendelssohn, 130 – 140; Hinske, „Mendelssohns Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? oder Über die Aktualität Mendelssohns“, 93 – 105; Behm, Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin, 102– 113, 255 – 262.  Vgl. die kritische Ausgabe von Albrecht Beutel. Pütz, Die deutsche Aufklärung, 29 f., weist auf den Leibniz-Wolffschen Ursprung dieses Begriffs hin; Schwaiger („Zur Frage nach den Quellen von Spaldings Bestimmung des Menschen“) hebt auch den Einfluss von Shaftesburys Philosophie auf die Entstehung von Spaldings Schrift hervor.

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Mendelssohns Verständnis des Begriffs ‚Bestimmung des Menschen‘ hat, wie die Begriffe ‚Bildung‘, ‚Kultur‘ und ‚Aufklärung‘, eine dynamische Konnotation. Es handelt sich um die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen, und es handelt sich weiter um das Bemühen, seine Fähigkeiten auch zu entwickeln. Das betrifft die Entfaltung seiner kognitiven, ethischen und ästhetischen Anlagen in einem Prozess, der nicht auf dieses Leben beschränkt bleibt. „Welches ist die Bestimmung des Menschen?“ fragt Mendelssohn im „Orakel, die Bestimmung des Menschen betreffend“ (1764) und antwortet darauf: „In dem Zustande vernünftiger Erkenntniß die Absichten Gottes zu erfüllen, fortzudauren, vollkommener zu werden, und in dieser Vollkommenheit glückselig zu sein“.³⁷ Nicht eine offene Entwicklung im Sinne von Rousseaus perfectibilité ist hier also gemeint, sondern eine Vervollkommnung im teleologischen Rahmen der göttlichen Vorsehung. Mit diesem zentralen Thema aus Mendelssohns Philosophie ist primär eine individuelle Perfektionierung gemeint. In seinem Text „Ueber die Frage: was heißt aufklären“ wendet Mendelssohn diese Idee nun auch auf die Bildung der Gesellschaft oder von Nationen an. Kultur und Aufklärung sind für Mendelssohn gleichwertig und „stehen in dem genauesten Zusammenhange“.³⁸ In ihrer Wechselwirkung sind neben fruchtbaren Interaktionen aber auch Kollisionen möglich. Mendelssohn behandelt hier eine Reihe solcher Konflikte. Bei diesen geht es um den Widerspruch zwischen einerseits den Interessen des Menschen als Mensch und als Individuum und anderseits den Interessen des Staates und des Staatsbürgers. Außerdem geht es um die Spannung zwischen den Idealen der Aufklärung und der kulturellen Realität. In seiner Erörterung dieser Kollisionen berührt Mendelssohn auch Missbrauch von Kultur und Aufklärung. Grundlegend für die Ausführungen über diese Konflikte ist der Unterschied, den Mendelssohn zwischen „Mensch als Mensch“ und „Mensch als Bürger“ macht.³⁹ Was er „Mensch als Mensch“ nennt, betrifft das Individuum mit Merkmalen, die es mit anderen Menschen gemeinsam hat, wie das Verfügen über Vernunft, das Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse, Schön und Hässlich sowie Willensfreiheit. Dadurch unterscheidet der Mensch sich von anderen Lebewesen, daraus bezieht er seine Würde und erhält „seine Bestimmung des Menschen als Mensch“. Hierum geht es bei der soeben erwähnten Vervollkommnung der menschlichen Anlagen und Fähigkeiten. „Der Mensch als Mensch  Mendelssohn, „Orakel, die Bestimmung des Menschen betreffend“, JubA, VI,1, 23.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 116.  Zum Folgenden vgl. Mendelssohn, „Anmerkungen zu Abbt’s freundschaftlicher Correspondenz“, besonders Anmerkungen l), 36, q), 40 – 43, r), 45 – 48; t), 51– 54. Vgl. auch Jerusalem, 111– 113, 125 f.

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bedarf Aufklärung“, betont Mendelssohn in „Über die Frage: was heißt aufklären?“ und diese ist „allgemein ohne Unterschied der Stände“.⁴⁰ Zugleich ist der Mensch auch Bürger, das heißt – erstens – Mitglied einer bestehenden kulturell geprägten Gemeinschaft und – zweitens – eines Staates. In der Gemeinschaft hat der Mensch die Stellung, die ihm seinem Beruf und Stand entsprechend zukommt. Als Bürger einer Gemeinschaft hat er die besondere Pflicht, das zu vervollkommnen, was sein Beruf von ihm fordert. Unter diesem Aspekt gibt es verschiedene Bestimmungen, zum Beispiel die Bestimmung als Arzt oder Schuhmacher. Seinem Beruf gemäß braucht der Mensch „andere theoretische Einsichten, und andere Fertigkeit dieselben zu erlangen, einen andern Grad der Aufklärung“. Die Aufklärung, die der Mensch als Bürger braucht, ist also nicht mehr universell, sondern „modifiziert sich nach Stand und Beruf.“⁴¹ Als Bürger ist der Mensch auch Mitglied eines Staates, das heißt, einer politischen Einheit mit der ihr eigenen Organisation, Einrichtungen und Gesetzen. Daraus leitet sich her, dass der Staat dem Bürger Rechte und Pflichten zuweist. Entsprechend seiner Zugehörigkeit zum Staat muss das Individuum auf gewisse Freiheiten und Möglichkeiten verzichten. Im Gegenzug erhält er Vorteile wie Schutz und die Gelegenheit, seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine Anlagen zu entwickeln. Insofern ist die Erhaltung des Staates im Interesse der Bürger. Demnach erhält der Mensch auch als Staatsbürger eine besondere, dem jeweiligen Staat entsprechende, limitierte Bestimmung. In dieser gesellschaftlichen Bedingtheit – und das ist Mendelssohns Überzeugung – geht der „Mensch als Mensch“ aber nicht auf. Diese Überlegungen erklären Mendelssohns auf den ersten Blick widersprüchliche Ansicht, dass Konflikte entstehen können, zum einen zwischen der Bestimmung des Menschen als Mensch und der Bestimmung des Menschen als Bürger, sowie zum anderen zwischen „Menschenaufklärung“ und „Bürgeraufklärung“.⁴² Wann besteht ein Missbrauch von Kultur? In seiner Erörterung des ersten Konfliktes äußert Mendelssohn indirekt Kritik an despotischen Staaten, die aus Eigeninteresse die Rechte ihrer Untertanen schonungslos verletzen und Aufklärung grundsätzlich unterbinden. Ein solcher Staat vernichtet die Menschlichkeit seiner Bürger.⁴³ Hier wird Kultur in ihrer politischen Erscheinungsform des

 Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 116 und 117.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 117.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 117.  „Unglückselig ist der Staat, der sich gestehen muß, daß ihm die wesentlichen Bestimmungen des Menschen mit der wesentlichen des Bürgers nicht harmonieren, daß die Aufklärung, die der Menschheit unentbehrlich ist, sich nicht über alle Stände des Reichs ausbreiten könne; ohne daß die Verfassung in Gefahr sei, zu Grunde zu gehen. Hier lege die Philosophie die Hand auf den

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Missbrauchs angeklagt. Gemeint sind Machtmissbrauch als ein Verfehlen des eigentlichen Zweckes der Politik, die auf das Gemeinwohl gerichtet sein sollte. Worin besteht ein Missbrauch von Aufklärung? Die Bemühungen um Aufklärung drohen fehlzuschlagen, wenn die Aufklärer ignorieren, dass bestimmte Vorurteile des ‚gemeinen Mannes‘ durchaus günstige soziale Auswirkungen haben. Eine unbesonnene Bekämpfung solcher Vorurteile ist gefährlich. Unbeabsichtigte zerstörerische Folgen sind zu befürchten, wenn die aufklärerische Kritik sich dort nicht zurückhält, wo Vorurteile dazu dienen, Sittlichkeit oder soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. „[Wenn] man“, so urteilt Mendelssohn, „gewisse nützliche und den Menschen zierende Wahrheit nicht verbreiten darf, ohne die ihm nun einmal beiwohnenden Grundsätze der Religion und der Sittlichkeit niederzureißen; so wird der tugendliebende Aufklärer mit Vorsicht und Behutsamkeit verfahren, und lieber das Vorurtheil dulden, als die mit ihm so fest verschlungene Wahrheit zugleich mit vertreiben.“⁴⁴ Mendelssohn ist sich aber wohl bewusst, dass das Dulden von Vorurteilen eine zweischneidige Angelegenheit ist: es könnte auch Gegnern der Aufklärung in die Hände spielen. „Freilich ist diese Maxime von je her Schutzwehr der Heuchelei geworden, und wir haben ihr so manche Jahrhunderte von Barbarei und Aberglauben zu verdanken. So oft man das Verbrechen greifen wollte, rettete es sich ins Heiligthum.“⁴⁵ In Mendelssohns Brief vom 27. November 1784 an August Hennings, einen leidenschaftlichen Anhänger der Aufklärung, findet sich eine entsprechende Argumentation: „Der Aufklärer, der nicht unbedachtsam zufahren und Schaden anrichten will, hat sorgfältig auf Zeit und Umstände zu sehen und den Vorhang nur in dem Verhältnisse aufzuziehen, in welchem das Licht seinen Kranken heilsam seyn kann.“⁴⁶ Wo dies nicht berücksichtigt wird, kann Aufklärung schädlich sein. Aber auch hier warnt Mendelssohn vor Missbrauch: „Die Zeloten haben Recht, wenn sie zuweilen die Folgen der Aufklärung für bedenklich halten. Der Trugschluß liegt bloß darin, daß sie euch bereden wollen, den Fortgang

Mund! Die Nothwendigkeit mag hier Gesetze vorschreiben, oder vielmehr die Fesseln schmieden, die der Menschheit anzulegen sind, und sie nieder zu bezeugen [sic; gemeint ist ‚nieder zu beugen‘, vgl. Berlinische Monatsschrift, 4 (1784), 198], und beständig unterm Drukke zu halten“; Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 117.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118. Inspiration für diese Maxime findet Mendelssohn in Zöllners Ratschlägen zum Gelingen von Volksaufklärung im Vortrag vom 21. Januar 1784, Ms. boruss. fol. 443, 183v – 184r (Scanseite 372 f.). Anstatt dieser Maxime schreibt Mendelssohn im Votum vom 16. Mai 1784: „[…], so hat H[err] Zöllner sehr gute Maaßregeln angegeben, nach welchen zu verfahren sey.“ Vgl. Hümpel, „Was heissst aufklären? Was ist Aufklärung?“, 223.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118.  Mendelssohn, Briefwechsel, JubA, XIII, 237.

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derselben zu hemmen. Aufklärung hemmen, ist in aller Betrachtung und unter allen Umständen weit verderblicher, als die unzeitigste Aufklärung. Sie rathen also zu einem Mittel, das schädlicher ist als die Krankheit“.⁴⁷ Daraus darf man schließen, in welchem Ausmaß Mendelssohn Verteidiger der Aufklärung bleibt. Dazu enthält derselbe Brief noch zwei weitere Beweise. So führt Mendelssohn aus, dass es der Aufklärer selbst ist, der über Einschränkungen entscheiden muss, wenn es um die Verbreitung aufklärerischer Gedanken geht. Dazu im Brief an Hennings: „Aber die Entscheidung muß ihm selbst überlassen werden, und keine öffentliche Anstalt darf hierin Maaß und Ziel setzen.“⁴⁸ Weiter dann zum Schaden, den Aufklärung anrichten könnte, der aber nur vorübergehender Art sei: „Das Übel, welches zufälliger Weise aus der Aufklärung entstehen kann, ist außerdem von der Beschaffenheit, daß es in der Folge sich selbst hebt. Lasset die Flamme nur recht auflodern, so wird sie den Rauch selbst verzehren, den sie hat aufsteigen lassen“.⁴⁹ Letzteres begegnet bereits in der zweiten der Anmerkungen, die Mendelssohn in seinem Votum vom 23. Dezember 1783 zum Text von Möhsen gemacht hatte: „Bei Erwägung des Nutzens und Schadens, den die Aufklärung und die zuweilen daraus entstandenen Revolutionen gebracht haben, unterscheide man die ersten Jahre der Krisis von den darauf folgenden Zeiten. Jene sind zuweilen dem Ansehen nach gefährlich, im Grunde aber Vorboten der Verbesserung.“⁵⁰ Aber eben weil er sie so schätzt, will Mendelssohn die Aufklärung vor einem Fehlgebrauch schützen. Diese Absicht äußert sich auch in seinem Aufsatz „Soll man der einreißenden Schwärmerey durch Satyre oder durch äußere Verbindung entgegenarbeiten?“ (1785).⁵¹ Mendelssohn lehnt darin Satire und Spott als Mittel, um Vorurteil, Aberglaube und Schwärmerei zu bestreiten, ab. Diese Methoden seien kontraproduktiv, weil sie keine Einsicht zuwege bringen, sondern zu befürchten sei, dass sie höchstens eine simulierte Aufklärung („Afteraufklärung“) auslösen würden. „Nicht Verspottung, – das einzige Mittel wahre Aufklärung zu befördern, ist Aufklärung. Die Menschen können aus ihren falschen Begriffen und Vorurtheilen über Gott und der Vorsehung weder durch Satyre hinausgelacht, noch durch äußere Macht und Ansehen hinausgeschrekt werden.“⁵²

 Mendelssohn, Briefwechsel, JubA, XIII, 237.  Mendelssohn, Briefwechsel, JubA, XIII, 237.  Mendelssohn, Briefwechsel, JubA, XIII, 237.  Mendelssohn, „Votum zu Möhsens Aufsatz über Aufklärung“, 111.  JubA, VI,1, 139 – 141.  Mendelssohn, „Soll man der einreißenden Schwärmerey durch Satyre oder durch äußerliche Verbindung entgegenarbeiten?“, JubA, VI,1, 139.

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4 Mendelssohns Idee einer Korruption von Kultur und Aufklärung Im letzten Teil seines Beitrags geht Mendelssohn noch einen Schritt weiter und schlägt einen radikaleren Ton an. Es handelt sich um zwei negative Entwicklungen, die wohl Übereinstimmungen mit den zuvor behandelten Fehlentwicklungen aufweisen, aber doch neu sind: die Korruption einer abgehobenen Kultur und Aufklärung sowie der Verfall, der auf einen Höhepunkt folgt. Drastische Vorstellungen vermittelt Mendelssohn von der Korruption, in welche eine von der Kultur abgelöste Aufklärung gerät. Wie er dabei vorgeht, ist eine Illustration seines gedrängten Philosophierens in Thesen, das dieses Votum kennzeichnet. Zitierend beginnt er die Aufzählung von Verderbnis: „Je edler ein Ding in seiner Vollkommenheit, sagt ein hebräischer Schriftsteller, desto gräßlicher in seiner Verwesung. Ein verfaultes Holz ist so scheußlich nicht, als eine verweste Blume; diese nicht so ekelhaft als ein verfaultes Thier; und dieses so gräßlich nicht, als der Mensch in seiner Verwesung. So auch mit Kultur und Aufklärung. Je edler in ihrer Blüte: desto abscheulicher in ihrer Verwesung.“⁵³ Dass dadurch der Zustand der Verderbnis anschaulich werden soll, zu dem es kommt, wenn Aufklärung und Kultur sich getrennt voneinander entwickeln, lässt sich freilich erst im Umkehrschluss aus dem zweiten darauf folgenden Abschnitt gewinnen: „Wo Aufklärung und Kultur mit gleichen Schritten fortgehen, da sind sie sich einander die besten Verwahrungsmittel wider die Korruption.“⁵⁴ Hatte Mendelssohn bis dahin erörtert, zu welchen Schäden es kommen kann, wenn Kultur und Aufklärung in Konflikt miteinander geraten, so besteht das Problem nun darin, dass beide nicht mehr mit einander verbunden sind. Was Mendelssohn kulturelle Korruption nennt, lässt sich als das Ergebnis einer kulturellen Entwicklung verstehen, die weder für konstruktive noch für kritische Einsichten der Vernunft offen ist. Kultur wird dann irrational: sie stockt, verfällt oder entwickelt sich fehlerhaft. Als Pervertierungen der Kultur nennt Mendelssohn „Üppigkeit, Gleisnerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei.“⁵⁵ Mit diesen Charakterisierungen dürfte er nicht so sehr eine Stagnation der

 Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118. Bourel, Moses Mendelssohn. La naissance du judaïsme moderne, 456 und 524, weist als Quelle nach: Mischna, Yadayim, IV, 6.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118.

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Kultur aufgrund eines Festhaltens an obsoleter Tradition⁵⁶, sondern vor allem eine dekadente, ‚materialistische‘ Evolution der Kultur im Blick haben. Wenn, so suggeriert Mendelssohn, Überfluss („Üppigkeit“) in einer vom Denken abgelösten Kultur überhand genommen hat, treten sowohl individuelle als auch soziale Verfallserscheinungen ein („Weichlichkeit“, „Gleisnerei“, „Sklaverei“). Weil die Vernunft ausgeschaltet ist, entartet die Religion in Aberglauben. Als Pervertierungen der Aufklärung nennt Mendelssohn: „Schwächung des sittlichen Gefühls, Hartsinn, Egoismus, Irreligion und Anarchie“.⁵⁷ Warum befürchtet er diese Korruption der Aufklärung? Offensichtlich beunruhigen ihn bestimmte intellektuelle Entwicklungen seiner Zeit.⁵⁸ Er konstatiert, dass die neue Generation sich nicht mehr zufrieden gibt mit den Wahrheiten der Leibniz-Wolffschen Philosophie, wozu die Wahrheiten der natürlichen Religion gehören. Es handelt sich dabei um trostvolle Wahrheiten, die der Mensch mit seinem beschränkten Erkenntnisvermögen einsehen kann. Anders die jungen Philosophen: Diese, so Mendelssohn, begnügen sich nicht mit diesen bescheidenen Einsichten. Sie wollen die Schranken der Vernunft überschreiten und werden missmutig und skeptisch, wenn ihnen dies nicht gelingt. Darüber hinaus kritisiere die neue Generation – übrigens mit Recht – den pedantischen Stil der deutschen Schulphilosophie. Problematisch sei dabei aber, dass sie gleichzeitig deren deutliche Begriffe und logisch korrekte, strikte Beweisführung aufgebe und stattdessen locker und unpräzise argumentiere. Ein aufklärerisches Denken – so ist Mendelssohns Charakterisierung einer korrupten Aufklärung wohl zu interpretieren –, das von den skizzierten Entwicklungen beeinträchtigt ist und sich darüber hinaus von der kulturellen Realität abkapselt, wird kühl und destruktiv. Der abstrakte Aufklärer verliert die Verbindung zu seinen Mitmenschen und wird unempfänglich für seinen natürlichen Altruismus. Sein Skeptizismus führe zur Unterminierung der Religion und zum Atheismus. Dadurch werde auch die Sittlichkeit zerstört, die nach Mendelssohn durch wahre Religion gestützt werden muss. Dass Religion – der Glaube

 Als ein solches Festhalten an obsoleter Tradition wurde dies verstanden von dem Pädagogen Dietrich Benner in seinem im übrigen einleuchtenden Aufsatz „Aufklärung, Bildung und Kultur. Anmerkungen zu Kants ‚Beantwortung der Frage: ,Was ist Aufklärung?‘ und zu Mendelssohns Essay ‚Über die Frage was heißt aufklären?‘“, 43. Der Verf. spricht von „kulturellen Üblichkeiten“, die „ihre alte Wahrheit verloren und eine neue noch nicht gewonnen haben“ und „die ihren Sinn verloren haben, aber neuerlich mit absoluten Ansprüchen auftreten“.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118.  Zu diesem Thema vgl. Anmerkung z) zu „Abbts freundschaftlicher Correspondenz“, JubA,VI,1, 58 – 62 und „Soll man der einreißenden Schwärmerey durch Satyre oder durch äußere Verbindung entgegenarbeiten?“, JubA, VI,1, 140 f.

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an Gott, an die göttliche Vorsehung und an die Unsterblichkeit der Seele – für Moralität unentbehrlich sei, ist ein Gedanke, der in allen seinen moralphilosophischen Texten gegenwärtig ist.⁵⁹ Entsprechend Mendelsssohns Vorstellungen von Moralphilosophie kann die Trennung von Aufklärung und Kultur noch auf eine andere Weise zur Schwächung der Sittlichkeit führen. Die Vernunft, die Mendelssohn mit Aufklärung gleichsetzt, ist wohl imstande, so kann man seiner Schrift Abhandlung über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften (1764) entnehmen,⁶⁰ ethische Theorien zu entwickeln. Unentbehrlich bleibt für Mendelssohn, der auch vom englischen Empirismus beeinflusst war, jedoch die ethische Praxis. Zur Moralität, so Mendelssohn, gehört „praktischer Beifall“ und „Ueberzeugung des Herzens“. Davon unterscheidet er den „theoretischen Beifall“ und die „Ueberzeugung des Verstandes“. Moralität ist seiner Auffassung nach eine Angelegenheit des „Gemüths“. Es ist die kulturelle Interaktion, in der die ethischen Regeln verinnerlicht werden und „Ueberzeugung des Herzens“ aufkommt. Einer rein theoretischen Ethik fehlt es demzufolge an Wirksamkeit. „Man kann von einer Verbindlichkeit theoretisch überzeugt seyn, und ihr dennoch zuwiderhandeln.“⁶¹ Damit dürfte sich sein Vorbehalt gegenüber einer Aufklärung artikulieren, die theoretisch bleibt und eine Umsetzung in die Praxis des täglichen Lebens außer Acht lässt. Seine Aufzählung der Folgen einer sich selbst überlassenen Aufklärung schließt Mendelssohn mit der Bezeichnung von Anarchie als Konsequenz der Unterminierung von Glaube und Sittlichkeit. Anarchie wäre dann der Effekt einer radikalen Aufklärung, die blind ist für ihre zerstörerischen Folgen. Mit dieser Aufklärungskritik deckt Mendelssohn eine reale Gefahr auf: eine abstrakte Vernunft, welche die Beziehung zur Realität des Lebens verloren hat, entmenschlicht und ist potentiell destruktiv. Aber es ist deutlich, dass Mendelssohn bei dieser Kritik auch von seiner Furcht bestimmt war, der fortschreitende Rationalisierungsprozess könne seine eigene metaphysische Weltanschauung in Frage stellen und zu Fall bringen. Er befürchtete eine weitergehende und tiefergreifende Entzauberung als diejenige, die seine ‚trostvolle Aufklärung‘ auslöste. Nach Mendelssohns Ansicht kann die Korruption von Kultur und Aufklärung vermieden oder wenigstens vermindert werden, wenn beide sich aufeinander beziehen – das heißt: sich ergänzen, erweitern und korrigieren – und sich „mit gleichen Schritten“ entwickeln. „Die Bildung einer Nation, welche nach obiger  Vgl. u. a. „Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz“, JubA, VI,1, 45 f., Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele (1767), JubA, III,1, 79 – 81, 115 – 120.  Mendelssohn, Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften, Vierter Abschnitt. Von der Evidenz in den Anfangsgründen der Sittenlehre, JubA, II, 315 – 330.  Mendelssohn, Abhandlung über die Evidenz in Metaphysischen Wissenschaften, JubA, II, 326.

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Worterklärung aus Kultur und Aufklärung zusammen gesetzt ist, wird also weit weniger der Korruption unterworfen sein“.⁶² Aber damit sind nicht alle Gefahren ausgeräumt. Eine neue problematische Situation tritt ein, wenn die Bildung den höchsten Punkt ihrer Vollkommenheit erreicht hat. „Eine gebildete Nation kennet in sich keine andere Gefahr als das Übermaß ihrer Nationalglückseligkeit, welches, wie die vollkommenste Gesundheit des menschlichen Körpers, schon an und für sich eine Krankheit, oder der Übergang zur Krankheit genennt werden kann. Eine Nation, die durch Bildung auf den höchsten Gipfel der Nationalglückseligkeit gekommen, ist eben dadurch in Gefahr zu stürzen, weil sie nicht höher steigen kann“.⁶³ Mit diesen Aussagen betreten wir den Bereich von Mendelssohns Philosophie der Geschichte. Im Gegensatz zu Lessing und Kant glaubt Mendelssohn nicht an die Idee eines Fortschritts der Menschheit. In mehreren seiner Texte betont er, dass die Absicht der Vorsehung (oder der Natur) nicht die Vervollkommnung des Menschengeschlechts ist, sondern die Vervollkommnung des einzelnen Menschen.⁶⁴ Eine fundamentale Feststellung dabei ist, dass jedes Individuum des Widerstandes bedarf, um seine Kräfte zu üben und seine Talente und Möglichkeiten zur Entfaltung zu bringen. Diese Auffassung teilt er mit Kant.⁶⁵ Wenn eine Entwicklung – auf welchem Gebiet auch immer – einen Endpunkt erreicht hat, dann fehlt diese motivierende Herausforderung, und es kommt erst zu Stagnation und dann zu Rückfall. In seinem Aufsatz „Ueber die beste Staatsverfassung“ (1785) schreibt er dazu: Haben die Väter Ehre und Vermögen erworben und den Kindern hinterlassen, so bleibt diesen nichts übrig, als der leidige Genuss ohne Erwerb. Haben jene die Freiheit erfochten und wider allen Angriff gesichert, so erfolgt bei den Kindern Gemächlichkeit [und] Sklavensinn. Sind alle Vorurtheile bestritten und ausgerottet, so erlischt und erkaltet die Liebe zur Wahrheit, und die Kinder haben keinen Sporn zur Aufklärung. In Absicht auf ganze Staaten also, wo die Glückseligkeit von Vätern auf Kindern fortgeht, scheint Stillstand oder Rückfall unvermeidlich.⁶⁶

 Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118.  Mendelssohn, „Über die Frage: was heißt aufklären?“, JubA, VI,1, 118 f.  Vgl. u. a. Brief an Hennings vom 25. Juni 1782, JubA, XIII, 65 f.; Jerusalem, JubA, VIII, 162 f., explizit gegen Lessings Hypothese eines Fortschrittes des Menschengeschlechts; implizite Ablehnung der Kantischen Geschichtsphilosophie, „Ueber die beste Staatsverfassung“, JubA, VI,1, 146 f.  Mendelssohn, Briefwechsel, JubA, XIII, 65 f.; „Ueber die beste Staatsverfassung“, JubA, VI,1, 145; Kant, „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ (1784), vierter Satz, AA, VIII, 20 – 22.  Mendelssohn, „Ueber die beste Staatsverfassung“, JubA, VI,1, 145.

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Dieser Verfall ist natürlich etwas Negatives. Sein erstes Stadium, der Stillstand, ist gekennzeichnet durch Dekadenz. Das lässt an Nietzsches Vorstellung vom „letzten Menschen“ denken. Paradoxerweise hat das zweite Stadium, der Verfall, nach Mendelssohn trotzdem auch eine positive Funktion: der Rückschritt bietet den neuen Ankömmlingen erneut jene Spannung, die nötig ist, um ihre Anlagen zu entwickeln. Der Rückfall oder „Kreislauf“ ist demnach ein unvermeidliches, von der Vorsehung zugelassenes Übel.⁶⁷ Mendelssohn erkennt die ständige Abwechslung von Fortschritt und Rückgang in der Geschichte von Gesellschaften und Staaten. Er sieht die immer wieder ausbrechenden Konflikte und Kriege und das nie auszurottende Unrecht. Damit vertritt er eine zyklische Sicht der gesamten Menschheitsgeschichte. In seinem Werk Jerusalem oder Über religiöse Macht und Judentum (1783) heißt es, dass man in der Wirklichkeit „in Absicht auf das Menschengeschlecht keinen beständigen Fortschritt in der Ausbildung [findet], der sich der Vollkommenheit immer näherte. Vielmehr sehen wir das Menschengeschlecht im ganzen kleine Schwingungen machen, und es tat nie einige Schritte vorwärts ohne bald nachher, mit doppelter Geschwindigkeit, in seinen vorigen Stand zurückzugleiten.“⁶⁸ Konsequent widerspricht Mendelssohn denn auch aufklärerischen Geschichtsphilosophien, die den Gedanken einer zunehmenden Verbesserung der Menschheit propagieren.⁶⁹ Darüber hinaus äußert er in „Ueber die beste Staatsverfassung“ (1785) noch ein anderes Bedenken gegen solche Geschichtsphilosophien: Wenn der Fortgang der Gesellschaft oder der Menschengattung der Endzweck wäre, wie sie behaupten, dann würde die Gesellschaft das Ziel und der einzelne Mensch zum Mittel.⁷⁰ Mendelssohn scheint zu ahnen, dass aufklärerische Geschichtsphilosophien in Ideologien ausarten könnten, die die Rechte der Individuen zugunsten eines höheren Ziels aufopfern.

 Mendelssohn, „Ueber die beste Staatsverfassung“, JubA, VI,1, 145, 147.  Mendelssohn, Jerusalem, JubA, VIII, 163.  Böhr („Johann Jakob Engel und die Geschichtsphilosophie Moses Mendelssohns“, 172) charakterisiert Mendelssohns Geschichtsauffassung als „negative Geschichtsphilosophie“ „nicht im Sinne einer ,schlechten‘ Geschichtsphilosophie, sondern im Sinne einer nachdenklichen Kritik an einem geschichtsphilosophischen Denken, das von euphorischen, jedoch trügerischen Zukunftshoffnungen geleitet wird“.  Mendelssohn, „Ueber die beste Staatsverfassung“, JubA, VI,1, 146. Vgl. zu diesem Thema Hinske, „Das stillschweigende Gespräch. Prinzipien der Anthropologie und der Geschichtsphilosophie bei Mendelssohn und Kant“, 152– 155; Behm, Moses Mendelssohn und die Transformation der jüdischen Erziehung in Berlin, 263 – 266.

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5 Vergleich mit Adornos und Horkheimers Idee einer Dialektik der Aufklärung Zum Schluss sei noch ein kurzer vergleichender Blick auf die Idee einer „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer geworfen. Zum einen besteht eine auffällige Übereinstimmung darin, dass beide Kritiken aus der Sicht der Aufklärung vorgenommen werden. Der Vorwurf der Kritischen Theorie, dass die Aufklärung auf ihre kritische Selbstreflexion verzichtet habe, ist also schon auf dieser Basis nicht berechtigt. Zum anderen lässt sich bemerken, dass die Überlegungen der Mitglieder der Mittwochsgesellschaft und diejenige Mendelssohns über den „Missbrauch der Aufklärung“ sich deutlich von Adornos und Horkheimers viel radikalerer Kritik unterscheiden. Es handelt sich beim Thema „Missbrauch der Aufklärung“ für die Mitglieder der Mittwochsgesellschaft in der Tat nicht um eine Kritik der Aufklärung an sich, sondern um die Aufdeckung von konkreten Gefahren, die mit ihrer Verbreitung verbunden sind und denen durch konkrete Maßnahmen (Selbstbeschränkung, Vorsichtsmaßregeln) vorgebeugt werden kann. Nicht die Aufklärung selbst wird damit in Frage gestellt, sondern die Methoden ihrer Popularisierung. Allerdings lassen sich zwischen Mendelssohns Idee einer Korruption der Aufklärung und dem Thema der ‚Dialektik der Aufklärung‘ einige Parallelen aufzeigen. Auch Mendelssohn thematisiert das Problem einer Pervertierung der Aufklärung an sich, nämlich dort, wo er ihren dialektischen Umschlag aus der Perspektive ihrer Separation von der Kultur betrachtet. Seine Vorstellung dieser reinen, theoretischen Aufklärung ähnelt ebenfalls Adornos und Horkheimers globaler Charakterisierung der Aufklärung als transhistorischer Rationalisierungsprozess. Wie beide Philosophen aus dem 20. Jahrhundert scheint Mendelssohn diesen Prozess als eine fortschreitende Entzauberung zu interpretieren, die in Dehumanisierung zu münden drohe. – Mendelssohn ist nicht mehr dazu gekommen, seine ebenso tiefgehende wie herausfordernde Aufklärungs- und Kulturkritik ausführlicher und systematischer auszuarbeiten. Er starb am 4. Januar 1786, erst 57 Jahre alt.

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Petra Gehring

Dialektik oder Parrhesiastik der Aufklärung? Horkheimer/Adorno und Foucault „List aber ist der rational gewordene Trotz.“ (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 82) „Die Parrhesiastiker sind jene, die das Sagen der Wahrheit zu einem unbekannten Preis auf sich nehmen […]“ (Foucault, Vorlesungen am Collège de France 1982/83, 84)

Ein freihändiges Vorgehen ist erforderlich, wenn der Jahrhundertessay von Horkheimer und Adorno zum Denken des Wissenshistorikers und Machttheoretikers Michel Foucault ins Verhältnis gesetzt werden soll. ‚Dialektik‘ als Methodik lehnte Foucault ab; belastbare grundbegriffliche Anknüpfungspunkte oder wechselseitige Rezeptionen gibt es nicht. Dennoch lagen während des politischen Aufbruchs ab 1967 und danach für mindestens drei Jahrzehnte neben der Dialektik der Aufklärung auch Foucaults frühe Studien in den Schultertaschen und Bücherregalen¹, und wie Horkheimer/Adorno wurde auch Foucault als aufklärungskritischer, als resigniert-pessimistischer, als Nietzsche zuneigender, wenn nicht gar anti-emanzipatorischer Denker verbucht.² Tatsächlich mag man auf der Suche nach einer Kritik der Moderne im historischen Großmaßstab zu Horkheimer/Adorno und Foucault gleichermaßen greifen, und man kann Horkheimer/ Adorno und Foucault als Kritiker des „Subjekts“ zusammenlesen – gegen Freud beispielsweise, aber auch gegen euphorische Bildungstheorien und Varianten einer humanistischen oder naturalistischen Anthropologie.³

 Vgl. Felsch, Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte 1960 – 1990; Felschs Milieustudie rückt insbesondere Westberlin ins Bild.  Für diese Sicht steht die Foucault-Rezeption durch Jürgen Habermas, der aber auch Horkheimer/Adorno Düsterkeit und Defätismus vorwirft. Stichworte lauten „schwärzestes Buch“, „Abkehr vom Ziel theoretischer Erkenntnis“, „hemmungslose Vernunftskepsis“, „Einziehen“ oder „Dementieren“ des eigenen theoretischen Anspruchs aus „Furcht vor Metaphysik“ (zu Horkheimer/Adorno) bzw. „gnadenloser Historismus“, „zynischer Blick“, „Selbstermächtigung“ (zu Foucault); vgl. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, I, 518 sowie Ders., Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, 130, 156 sowie 296 f., 313.  Vgl. Van Reijen, „Das unrettbare Ich“, sogar mit der These, „die postmoderne Diskussion bis heute“ sei „zum Großteil“ durch die Dialektik der Aufklärung bestimmt (393). Adorno und Foucault verarbeitet auch (wobei Merleau-Ponty den Rahmen bietet) Meyer-Drawe, Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Allmacht des Ich. https://doi.org/10.1515/9783110555004-010

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Im Folgenden wird ein noch einmal vergrößerter Abstand gewählt, um Horkheimer/Adorno und Foucault ins selbe Bild zu bringen. Es geht um das jeweilige Pathos der Wahrheit selbst. Um das Moment philosophischer Kritik, für welches das Wort ‚Moment‘ nicht ausreicht, etwa, weil von etwas Dramatischerem zu reden wäre. In aller Vorsicht nehme ich auf der einen Seite in den Blick, was man bei Horkheimer/Adorno in der Dialektik eine Fatalität des Denkens nennen könnte – das Anliegen, den Ausgriff auf Wahrheit (und Freiheit) als im Vollzug gefährdetes Vorhaben zu verstehen. Und auf der anderen Seite behandelt tatsächlich auch Foucault so etwas wie eine existentielle Sache der Kritik, eine – das werde ich erläutern – ‚Dramatik‘ der Wahrheit, wobei er den Namen Aufklärung in einem weiten Wortsinn aufgreift und vielleicht sogar mit dem Sinn philosophisch-kritischer Wahrheitsansprüche überhaupt verknüpft. Ich gehe weder auf Foucaults Arbeiten zur Geschichte des Wahnsinns, der Klinik und der Strafhaft ein noch auf seine Kritik von Subjekt bzw. ‚Mensch‘⁴ sowie seine Prognose eines Endes der Anthropologie⁵ und auch nicht auf den Themenkomplex ‚Foucault und Kant‘, obwohl sich Foucault keineswegs nur in einem Schlüsselabschnitt in Les mots et les choses mit Kant befasst hat. Wie gerade in den letzten Jahren die Foucault-Forschung nachholend feststellte, übersetzte Foucault Kants späte Anthropologie ins Französische und hat 1984 an Kant anschließend einen (jetzt zum Kult-Text avancierten) Essay Was ist Aufklärung? publiziert; dieser liegt in einer zunächst englischen Langfassung⁶ sowie in einer Kurzfassung vor⁷, die einer Vorlesung entnommen ist, von der gleich die Rede sein soll. Schließlich zog ein erst 1990 publizierter Akademievortrag von 1978, Was ist

 Vgl. hierzu Gehring, „Abseits des Akteurs-Subjekts. Selbsttechniken, Ethik als politische Haltung und der Fall der freimütigen Rede“.  Die nicht immer korrekt zitierte Wendung lautet, man könne wetten, der Mensch werde „verschwinden“; Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, 462; vgl. hierzu Gehring, „Wird er sich auflösen? Foucaults Anthropologiekritik – ein Retraktandum“.  Foucault, „Was ist Aufklärung?“ (1984), in: Dits et Écrits/Schriften, IV, 687– 707; die Übersetzung für die Schriften besorgte Hans Dieter Gondek. Eine deutsche Fassung, übersetzt von Eva Erdmann und Rainer Forst, erschien zuvor in: Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der Aufklärung, hrsg. Eva Erdmann, Rainer Forst, Axel Honneth, 35 – 54.  Foucault, „Was ist Aufklärung“ (1984), in: Dits et Écrits/Schriften, IV, 837– 848; übersetzt von Hans Dieter Gondek. In deutscher Sprache erschien dieser kürzere Text zunächst deutlich schwungvoller übertragen von Thierry Chervel („Was ist Aufklärung, Was ist Revolution?“) in der Tageszeitung (2.7.1984). Da der Text auf dem Vorlesungsmanuskript der Parrhesia-Vorlesung basiert, welches Jürgen Schröder 2009 erneut übersetzte, liegen Foucaults Überlegungen also in drei deutschsprachigen Fassungen vor. – Ich halte mich im Folgenden an Schröders Übersetzung, dies trägt dem Vorlesungskontext Rechnung, auf den es in unserem Zusammenhang ankommt.

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Kritik?, die Aufmerksamkeit der Foucault-Gemeinde auf sich. Hier geht Foucault ebenfalls auf Kants Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? ein.⁸ Dennoch konfrontiere ich die Dialektik der Aufklärung, erschienen 1944 und 1969 erneut publiziert, nicht mit Kant, sondern mit dem Kontext, in dem Foucault Kant streift, nämlich mit dem, was man Foucaults späte, als historische Quellenstudie angelegte Mikrologie der Wortergreifung nennen könnte – und dies heißt konkret: mit Foucaults erst seit wenigen Jahren zugänglichen zwei letzten Vorlesungen Über die Regierung seiner selbst und der Anderen aus den Jahren 1983 und 1984.⁹ Foucault studiert hier den Themenkreis der parrhesía und entfaltet die These eines charakteristischen „parrhesiastischen“ Moments im Aussprechen der Wahrheit, der zum Programm des abendländischen Wissenswillens hinzugehört – immer dort jedenfalls, wo jemand in wahrhaft kritischer Absicht spricht. Foucault nutzt die Parrhesiastik zudem zu einer neuerlichen Schärfung seines historisch-analytischen Zugriffs. Man hat also in den Vorlesungen einen letztmaliger Neuansatz Foucaults im Hinblick auf die Historiographietheorie einer europäischen Geschichte der Wahrheit vor sich – unter dem Gesichtspunkt der Frage nach dem ebenso prekären wie auf Wirkung angelegten Status ‚wahrer‘ Kritik. Es ist dieses maximalistische Untersuchungs- und auch Umakzentuierungsvorhaben, das ich mit dem Projekt, das die Dialektik der Aufklärung verfolgt, kontrastieren will. Denn wie bei Horkheimer/Adorno trifft man auch bei Foucault auf ein historisierendes und zugleich systematisch-kritisch radikales Projekt, das sowohl der als Epochenbezeichnung verstandenen Aufklärung als auch allen generalisierenden Deutungen des Wortes den Spiegel einer Genealogie entgegenhält, welche die aufklärerisch-kritische Hoffnung überhaupt verfremdet. Zudem ziehen die Parrhesia-Vorlesungen die lange Linie einer abendländischen Schicksalsgeschichte des Projektes philosophischer Kritik. Bei Foucault geschieht dies wohlgemerkt in historisch-deskriptiver Absicht, aber eben doch auch, indem sich Foucaults eigene Textgesten mit der Tradition, von der der Rede ist, verbünden. Befragt wird das Material im Hinblick auf etwas, das Dire Vrai genannt wird, „Wahr-Sprechen“. Gemeint sind situative, letztlich moralisch-ethisch wie politisch brisante und existenzielle Gelingensbedingungen für das wirksame ‚Wie‘ des Aussprechens von (kritisch gemeinten) Wahrheiten. Foucault spricht auch  Foucault, „Was ist Kritik?“.  Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen. Vorlesungen am Collège de France 1982/83; Der Mut zur Wahrheit: Die Regierung des Selbst und der Anderen II. Vorlesungen am Collège de France 1983/84.

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von „alethurgischen Formen“¹⁰ sowie von einer „Dramatik“¹¹ des Denkens und stellt beides in einen epochengeschichtlichen Rahmen. Immerhin lassen dabei Bestimmungen wie diejenige, Philosophie sei „eine Praxis, die in ihrem Verhältnis zur Politik ihre Wirklichkeit beweist“¹², durchaus an einen ‚kritischen‘ Kritikbegriff denken, etwa an die Vorrede von 1969 zur Dialektik der Aufklärung, in der es heißt, es gehe um „Parteinahme für die Residuen von Freiheit, für Tendenzen zur realen Humanität“.¹³ Auch an jenes Fragment mag man sich erinnert fühlen, das notiert Philosophie sei „nicht Synthese, Grundwissenschaft oder Dachwissenschaft, sondern die Anstrengung der Suggestion zu widerstehen, die Entschlossenheit zur intellektuellen und wirklichen Freiheit“.¹⁴ Gleichwohl ist es nicht mein Ziel, die beiden Titelwörter ‚Dialektik‘ und ‚Parrhesiastik‘ zusammenzuführen. Aus der Parrhesia ergibt sich keine Methode, und der Begriff Dialektik wiederum will sicherlich mehr sein als nur die Anzeige eines parrhesiastischen Moments.

I Phänotypisch haben auch Foucaults Vorlesungen den Charakter literarisch experimenteller Skizzen, deutlicher noch als die Dialektik der Aufklärung halten sie sich in der Nähe des mündlichen Worts. Ist Horkheimer/Adornos kultur- und gegenwartsdiagnostischer Essay ein mehrteiliger philosophischer Wurf mit Paratexten, die das Kernmanuskript umgeben, so ergeben auch die über weite Strecken philologisch-exegetisch angelegten Vortragsmanuskripte Foucaults kein Ganzes, sondern brechen ab und haben teils unterwegs den Charakter einer Rechenschaftslegung. So äußert sich Foucault rückblickend zur eigenen Werkentwicklung und bettet seine Studien in selbstreflexive Überlegungen zur Rolle der universitären Lehre und zur Textform der Vorlesung ein. Gewisse philosophiehistorische Parallelen drängen sich, zumal im Kontext der jeweiligen Oeuvres, ebenfalls auf. Da ist die kritische Frontstellung gegen Hegel – bei Horkheimer/Adorno eher im Stil einer Modifikation, bei Foucault als entschiedene Abwendung vom Hegelschen Sprachspiel wie auch von marxistisch geprägter Ideologiekritik, da sind gleichermaßen entschlossene Zurückweisungen von metaphysischer Tradition, Ontologie und Vernunftglauben gleicherma    

Vgl. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1983/84, 15 passim. Vgl. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 97 f. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 444. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 13. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 275.

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ßen, und da ist die Charakterisierung des Kantischen Vernunftbegriffs als ‚gespalten‘, verbunden mit einer Zurückweisung modernetypisch zwieschlächtiger Anthropologien.¹⁵ Zudem tragen die Texte Foucaults, Horkheimers und Adornos je auf ihre Weise das Wasserzeichen der Husserlschen Phänomenologie. Insbesondere der Husserl der späten Krisis-Fragmente hat sowohl Foucaults Wissensgeschichte als auch der Dialektik der Aufklärung wesentliche Impulse gegeben. Foucaults „Archäologie“ (ein Husserl entnommener Begriff) knüpft mit Konzepten wie ‚historisches Apriori‘ direkt an Husserls ganz eigener Form der Geschichtsforschung an.¹⁶ In der Dialektik der Aufklärung wiederum wird Husserls 1936 publizierter sogenannter Wien-Vortrag zitiert, der einen Teil des Krisis-Konvoluts darstellt. Ebenso ist Husserls Diagnosebegriff der ‚Formalisierung‘ als mit Mathematisierung einhergehender Neuerung typisch neuzeitlich-moderner Wissenschaftlichkeit in der Dialektik der Aufklärung durchgehend präsent. Des Weiteren spielen ähnliche thematische Kontexte ins Auge, etwa ließen sich Foucaults Lektüren der Ordnungsobsessionen de Sades als Anzeichen für „Grenzen der Repräsentation“¹⁷ und eine Reorganisation des Verhältnisses von Diskurs und Begehren¹⁸ mit den einschlägigen Passagen bei Horkheimer/Adorno parallelisieren, dazu der Themenkreis des Gefängnisses, den in kurzer, aber prägnanter Weise auch die Dialektik der Aufklärung im Anhang streift.¹⁹ Und schließlich sollte man, mit dem Problemkomplex Formalisierung eng verbunden, das Subthema ‚Technik‘ nicht vergessen, welches sowohl in Foucaults Arbeiten zur Antike virulent ist als auch in der Dialektik der Aufklärung, und dies jeweils in einem das Technische auf die Selbstverhältnisse der Individuen ausdehnenden Sinn. Etwas wie „techniques de soi“, „Selbsttechniken“ – ein Stichwort, das Foucault im Zusammenhang mit seiner Charakterisierung der antiken Selbst- und

 Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 106: „In der Kritik der reinen Vernunft dagegen kommen sie im unklaren Verhältnis des transzendentalen zum empirischen Ich und den anderen unversöhnten Widersprüchen zum Ausdruck. Kants Begriffe sind doppelsinnig.“ Dies stimmt sogar erstaunlich formulierungsnah mit Foucaults kantkritischem Befund von der „empirisch-transzendentalen Doublette“ zusammen; vgl. Foucault, Die Ordnung der Dinge, 385.  Vgl. zum Motiv des Archäologischen, das Foucault mit Derrida und anderen französischen, eben nicht nur „poststrukturalistischen“, sondern auch der historischen Epistemologie des späten Husserl verbundenen Autoren Gehring, „Epoche der Archäologien“.  Foucault, Die Ordnung der Dinge, 262– 264, hier 263.  Vgl. Foucault, Vortrag über Sade [1970].  Vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 257– 260 mit der Aufzeichnung „Aus einer Theorie des Verbrechers“; vgl. auch ungekürzt Horkheimer, „Theorie des Verbrechers“.

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Lebensführungsliteratur prägt²⁰ – werden womöglich auch in den subjektkritischen Passagen der Dialektik der Aufklärung skizziert.²¹

II Damit genug der Ähnlichkeiten von einer Art, wie man sie stets finden kann, wenn man sie sucht – zu konturieren sind vor diesem Hintergrund, viel aussagekräftiger, die Kontraste.Was tut Foucault in den beiden Vorlesungen von 1983 und 1984? Unter dem Titel einer „Regierung“ seiner selbst wie auch anderer greift er ein in einer vorausgegangenen Vorlesung Hermeneutik des Subjekts ²² bereits andiskutiertes Thema neu auf: Die in griechischen Quellen verschiedentlich beschriebene Äußerungsform der parrhesía. Übersetzt wird der Ausdruck gern mit „freimütige Rede“.²³ Es handelt sich dabei, und eben dies weckt Foucaults Interesse, nicht eigentlich um eine rhetorische Form. Vielmehr hat man es, jedenfalls den frühen Belegen zufolge, mit einer Art Anti-Form zu tun, einem Redetyp des Aus-derRolle-Fallens, welchem einerseits eine besondere Direktheit und Authentizität zugebilligt wird, der gleichzeitig aber auch darauf hinausläuft, sich ungeschützt zu exponieren. Die parrhesía ist also eine gefährdete und gefährdende Geste, sie setzt die soziale Anerkennung des Sprechers aufs Spiel. Mit der isegoría, dem Rederecht freier Bürger, darf die parrhesía nicht verwechselt werden – ein ‚Rederecht‘ wahrzunehmen, trifft ihr Wesen gerade nicht. Sie ist gewissermaßen illegitime, auf Zugehörigkeit nicht zählende oder den Ausschluss aus der Sprecher Vgl. Foucault, Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit, II, 315, wo Diätetik, Ökonomik und Erotik als „drei große Selbstführungskünste [trois grands arts de se conduire]“ oder auch „drei große Selbsttechniken [trois grandes techniques de soi]“ bezeichnet werden. Die spezifische Verteilung/Ordnung der Lüste im antiken Griechenland habe weder auf Kodifizierung gezielt (wie später im Christentum), noch auf eine ars erotica (wie in China), sondern „auf die Einrichtung einer Lebenstechnik [l’instauration d’une technique de vie]“; 182.  Interessant ist beispielsweise der Hinweis auf „Psychotechnik“, vgl. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 192. – Parallellektüre wäre auch meiner Sicht auch jenseits des Wortes „Technik“ erlaubt, denn Foucault meint ja durchaus schlicht Praxis bzw. Praktiken. So erscheinen, wo er in Der Gebrauch der Lüste den Gedanken einer „allgemeinen Geschichte der „Selbsttechniken““ einführt (18 f.), die „Selbsttechniken“ in Anführungszeichen, hingegen wird äquivalent und ohne Anführungszeichen der Ausdruck „Selbstpraktik“ verwendet: Er wolle, so Foucault, „statt einer von Verboten ausgehenden Geschichte der Moralsysteme eine von den Selbstpraktiken [pratiques de soi] ausgehende Geschichte der ethischen Problematisierungen schreiben.“ (21).  Foucault, Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am Collège de France 1981/82.  Vgl. Beer, „Parrhesia“.

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und Rechtsgemeinschaft sogar absichtsvoll riskierende Rede. Aus diesem Grund geht es beim fraglichen Phänomen auch von vornherein um mehr und anderes als um einen ‚Sprechakt‘ im Sinne der Sprechakttheorie, der bekanntlich gerade den verlässlichen, eingeführten Regeln einer Pragmatik folgt.²⁴ Plutarch, ein nachchristlicher Autor, charakterisiert die parrhesía sogar vorrangig über den Mut, den sie erfordert – was den Gesichtspunkt des Regelbruchs auf die Spitze treibt.²⁵ Darauf will Foucault, der sich vor allem früheren Quellen widmet, jedoch keinesfalls in der Hauptsache hinaus. Die Vorlesung schreitet vielmehr die im Quellenmaterial variierend geschilderten Merkmale der parrhesiastischen Rede in intensiver Lektüre von Einzelbelegen ab. Foucault setzt sich zunächst mit vier Dramen von Euripides, dazu mit Thukydides, Isokrates, dazu Plutarch als Folie, sowie weiteren Autoren auseinander, bevor er dann auf Platon zusteuert, hierzu eingehende Analysen auch mit systematischen Thesen vorlegt, um dann abschließend – dies im letzten Jahr der Vorlesung – die Kyniker sowie im Ansatz auch frühe Formen christlicher Askese zu diskutieren. Schon für die frühen Zeiten des klassischen Athen arbeitet Foucault zunächst einen Wandel heraus, mit welchem so etwas wie eine parrheisiatische Haltung als ethisch-politisches Moment genau dort hervortritt, wo wir normalerweise die Geschichte der epistemischen Haltung beginnen sehen – nämlich die Geschichte der typisch ‚philosophischen‘ Präferenz für Sachwahrheit, gegenstandsbezogene Argumente und dialektische Vernunft im Sinne einer ‚objektiv‘ orientierten Dialog- bzw. Lehr- und Lernkultur. In der historischen Rekonstruktion ändert sich zum einen die (informelle) parrhesiastische Form, zum anderen verschiebt sich ihre Wertung. Nachdem die Tragödie die parrhesía zunächst lediglich als Gipfelpunkt verzweifelter Eskalationsszenen zeigt – wenn etwa Kreusa herausbrüllt, betrogen, vergewaltigt und gedemütigt worden zu sein: „Dich, Gott […] klage ich an. Die Sonne soll es hören“²⁶ – etabliert sich die parrhesiastische Rede bis zu einem gewissen Grad. Als mutige Sprachgeste kann sie in der athenischen Demokratie erfolgreich sein, die Massen – politisch ausnahmsweise – bewegen und  Foucault verwendet einige Gründlichkeit auf die Abgrenzung zwischen (geregeltem) Sprechakt und der offenen Performanz der parrhesía (vgl. Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 97). Der Grundgedanke, dass es gerade nicht um Performanz oder Pragmatik geht, ließe sich mit wenig Mühe auch auf Habermas’ kommunikationstheoretische Schemata übertragen: Wo Habermas ungeschmälerte Rationalität im konstativen oder normenregulierten kommunikativen Handeln entstehen sieht, blickt Foucault in eine Richtung, die erstens Konstatives und Normatives nicht zu trennen erlaubt und zweitens einbezieht, was Habermas als „dramaturgisches“ Handeln abtrennt dann gar nicht mehr intensiver würdigt; vgl. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, I, 369 – 452.  Vgl. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 77 ff.  Vgl. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 159 f.

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hat dann, jedenfalls im Rückblick betrachtet, womöglich bewunderte Karrieren eröffnet.²⁷ Namentlich in der Figur des platonischen Sokrates, so Foucault dann weiter, wird diese individualisierte Form der Wortergreifung gewissermaßen professionalisiert. Die Philosophie, welche die ‚wahre Rede‘ zu wagen gerade unabhängig von der Mehrheitsmeinung des Publikums beansprucht, situiert den Parrhesiasten allerdings außerhalb der Bürgerversammlung, in einer zweideutigen, einer gebrochenen Nähe zur Politik. Der Philosoph oder auch die philosophierende Elite kultiviert gewissermaßen ihr eigenes Spiel gegenüber der Politik, bleibt dabei aber freilich auf die Anderen, auf öffentliche Wirkung angewiesen und damit doch auch auf eine „Realitätsprüfung“, wie Foucault das nennt. Deren Gelingenkönnen wiederum bezieht sich auf das politische Feld. Genauer gesagt ist es die Art ihres Verhältnisses zur Politik, welches die Philosophie auf die Probe stellt, in dem Moment, wo sie auf einer eigenen Wahrheit besteht: Die Form, in der, etwas „Wahres“ zu sagen, Politik bricht, muss ihrerseits als politikbezogen (und politikrelevant) verstanden werden können. Die Philosophie sei also, so Foucault, eine Praxis, die in ihrem Verhältnis zur Politik ihre Wirklichkeit beweist. Sie ist eine Praxis, die in der Kritik der Täuschung, der Verlockung, der Vorspiegelung, der Schmeichelei ihre Funktion der Wahrheit findet. Sie ist schließlich eine Praxis, die in der Transformation des Subjekts durch sich selbst und durch die anderen ihr Wirkungsziel findet. Die Philosophie als Exteriorität gegenüber einer Politik, die ihre Realitätsprüfung darstellt. die Philosophie als Kritik im Hinblick auf einen Bereich der Täuschung, der sie herausfordert, sich als wahrer Diskurs zu konstituieren, die Philosophie als Askese, d. h. als Konstitution des Subjekts durch sich selbst, das scheint mir das moderne Wesen der Philosophie auszumachen oder vielleicht das zu sein, was im modernen Wesen der Philosophie das Wesen der antiken Philosophie wieder aufnimmt.²⁸

Diesen letzten Aspekt, dass die so umschriebene Praxis des Sprechens der Wahrheit Subjektpositionen stiftet, dass sie also Rollen erfindet für ein gewissermaßen Draußen, im exponierten Wort, im Redevollzug sich konstituierendes „Ich“, unterstreicht Foucault. Er radikalisiert ihn im Wege der Forderung, das klassische Erkenne dich selbst sei neu zu deuten, nämlich anti-erkenntnistheoretisch, als ethisch-politisches Postulat. Die Haltung, wahr sprechen zu wollen

 Die parrhesía „ermöglicht bestimmten Individuen, unter den ersten zu sein und, indem sie sich an die anderen wenden, ihnen zu sagen, was sie denken, was sie für wahr halten […] und dadurch, daß sie das Wahre sagen, das Volk durch gute Ratschläge zu überzeugen, um auf diese Weise die Stadt zu leiten und sich um sie zu kümmern.“ Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 205.  Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 444.

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und zu sollen formte sich demnach gemäß der Maxime eines „Kümmere dich um dich selbst“ und ebenso auch, jedenfalls in der klassischen Epoche, als ein „Kümmere dich um die Stadt“, also um die gemeinsamen Angelegenheiten aller. Die Vorlesungen bleiben hier nicht stehen, sondern zeichnen nach, wie sich der Typus des Philosophen in mehr oder weniger ausbalancierter Weise einerseits in der sokratisch-dissidenten Version, andererseits auch als in der wohldosierten Abweichung im Namen einer hinreichend neutralisierten Wahrheit durchaus geduldeter Politikberater fortschreibt. In der Spätantike erhält die Maxime des „sich Kümmerns“ allmählich einen deutlich individualistischeren und verstärkt körperbezogenen Sinn. Der Kynismus interessiert Foucault hier besonders. Die Vorlesung interpretiert das Auftreten der Kyniker als Radikalprogramm einer im Grenzfall nahezu nonverbalen parrhesiastischen Geste, exekutiert als vorwiegend körpersprachliche Provokation, deren Ethos es auf Selbstisolation anlegt oder diese zumindest hinzunehmen bereit ist. Im christlichen Kontext tritt hier – im Rahmen veränderter Formen der Askese – das neue Pathos einer durch Gläubigkeit vermittelten Selbstrettung hinzu, die Prophetie und die Möglichkeit der Menschheitsrettung mit umschließt.

III Im Zuge seines historischen Aufrisses entfaltet Foucault systematische Überlegungen zu einer veränderten Akzentsetzung für die Geschichte des Wissens. In deren Zentrum steht nicht einfach ‚Ethik‘, wie das die Foucault-Rezeption seit den 1990er Jahren im Hinblick auf die Studien zur Antike leider vielfach pauschal kolportiert, sondern es ist die generalisierte Frage nach „Formen der Verdiktion“ und damit unter anderem nach jenem – sich wandelnden, aber auf seine Weise stets maßgeblich geblieben – Ethos des riskanten, selbstverantworteten Worts, das als Begleitumstand und vielleicht sogar Ermöglichungsbedingung der Produktion und Realisierung von ‚Wahrheit‘ zu einem bestimmten Zeitpunkt die europäische Wissensgeschichte zu begleiten beginnt und auch zu dem werden lässt, was sie ist. Von einer Wissensgeschichte, die bloße Analyse der Wissensentwicklung war, soll zu „Analyse der Formen der Veridiktion“ vorangeschritten werden, so Foucault. Und dabei zählt nicht das erkenntnistheoretische Subjekt, sondern eben jener Bezug zum „Regieren“ – sowohl in ethischem Sinne, sofern aufs Wahre aus zu sein ein bestimmtes, erst zu schaffendes Selbstverhältnis impliziert, als auch im politischen Sinne, denn auf potentielle ‚Wahrheit‘ gehende Äußerungsformen bedürfen als Abweichung einer öffentlichen Resonanz, ohne welche aus einer freimütigen, so nicht vorgesehenen Redegeste im Wortsinne

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nichts Wirkliches wird.²⁹ Tatsächlich geht es – wo Wahrheiten sich erst anschicken, Wahrheiten zu werden – in einem grundlegenden Sinne um die Schaffung von Realitäten oder eben besser, denn im Deutschen können wir da unterscheiden: um den Ausgriff auf Wirklichkeit. Nur durch Worte, gewissermaßen durchs verkörperte Wort. Im geschilderten Zusammenhang hat Foucault erstens einige Formulierungen gewagt, die sein Diskurskonzept um eine existentielle Seite erweitern, es sind Selbsttechniken, individuelle Haltungen – wenngleich an der Schwelle zu einer Rolle auch immer wieder neu zu gestaltenden Haltungen, auf welche die Frage der Veridiktionsformen abzielt. Diese nach vorn rückend ergäbe sich womöglich eine „Geschichte der Ontologien des wahren Diskurses“, der gestischen Expositionsformen wissenschaftlicher Wahrheit (als Wahrheit) also, so der Text: „Die Geschichte des Denkens […] muß als Geschichte der Ontologien verstanden werden, die auf ein Prinzip der Freiheit bezogen wäre, wobei die Freiheit nicht als Recht zu sein, sondern als Fähigkeit des Handelns bestimmt wird.“³⁰ Drei Fragen hätte dann, so Foucault, eine diesbezügliche Geschichtsschreibung – und ich ergänze: epochenscharf – nachzuverfolgen: die deskriptiv-konkrete nämlich nach der Art des praktischen Vollzugs einer Veridiktion, diejenige nach ihrer Realisierungsform (die eine der Anerkennung eines individuell Sprechenden als einer, der Wahres sagt, ist) und diejenige nach dem subjektiven Existenzmodus, jemand sein zu können oder auch sich zu erfahren als jemand, der das Spiel der Wahrheit in gelungener Weise – indem er also eine solche findet oder erfindet – spielt bzw. gespielt hat. Dies klingt abstrakt, meint aber das Problem, dass mit Anerkennung ein Zuwachs an Macht einhergeht, was schon im Falle parrhesiastischer Urszenen auf der Hand liegt, erst recht aber etablierte Rollen oder Privilegien betrifft, die, wie prekär auch immer, einer Zuständigkeit fürs Wahre gleichen. Hier ergeben sich Fragen – exemplarisch an die Philosophie, eigentlich aber natürlich überhaupt an das Verhältnis von Wissenschaft und Kritik: Heißt ‚wahr‘ zu sprechen etwa, Herrschaftsansprüche andern gegenüber wuchtig zu vertreten, oder sind Wahrheitsanspruch und Machtbesitz zwei Dinge, die einander strikt ausschließen – so dass Macht Wahrheit ruiniert?³¹ Diese Frage kann schon im Kontext der Antike leicht unterschiedliche Antworten finden. Gleichwohl ist mit dem platonisch-parrhesiastischen Vorbild die Richtung der Antwort klar: ‚Wahrheit‘ gibt es (schon habituell) nur abseits der politischen Macht, zugleich aber auch nur abseits eines allzu ungeschulten Resonanzraums.  Vgl. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 63.  Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 390.  Vgl. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 390 – hier in meiner Paraphrase.

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In einer Vortragsfolge über La vérité et les formes juridiques hat Foucault diese wahrheitsmoralische, aber eben auch ideenpolitische Weichenstellung wie folgt auf den Punkt gebracht: Während die Macht nun durch Unwissenheit, Unbewusstheit, Vergessen und Dunkelheit gezeichnet ist, haben wir auf der einen Seite den Seher und den Philosophen, in Verbindung mit der Wahrheit, den ewigen Wahrheiten der Götter und denen des Geistes – und auf der anderen Seite das Volk, das, ohne eine Macht innezuhaben, die Erinnerung bewahrt hat oder noch Zeugnis von der Wahrheit ablegen kann.³²

Anlässlich einer Analyse des König Ödipus des Sophokles hebt Foucault auch hier auf den mit dem platonischen Sokrates vorgeführten Bild des Wahren verbundenen Einschnitt ab: Seither ist der Westen von dem großen Mythos beherrscht, die Wahrheit gehöre niemals der politischen Macht, die politische Macht sei blind, und wirkliches Wissen besitze man nur, wenn man mit den Göttern in Verbindung stehe oder sich an etwas erinnere, wenn man die große ewige Sonne anschaue oder den Blick auf die Vergangenheit richte. Mit Platon beginnt ein großer abendländischer Mythos, wonach es einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Wissen und Macht gibt. Wissen setze voraus, dass man auf Macht verzichte.³³

Ob man den Grenzgang der Philosophie als freiheitlich-parrhesiastisches Aufbegehren oder als Pakt mit Politik und Publikum interpretiert – die Brisanz des Problems der Macht wird in dem Maße sicher steigen, wie man ‚Wahrheit‘ in institutionellem Rahmen kultiviert, sei dies gerahmt durch religiöse Dogmen, sei im Wege einer allein Vernunft behauptenden Wissenschaft oder sei es mittels Wahrheiten gleichsam seriell produzierenden Expertenkulturen heutigen Typs. In den Parrhesia-Vorlesungen, in denen es ja um das dire vrai als ausnahmsweise gelingende, abweichende Praktik geht, entwirft Foucault für die Zwecke einer historischen Analyse eine kleine – sicher nicht abschließend gemeinte – Typologie. Er nennt fünf Formen der Veridiktion bzw. „Formen der Dramatik des wahren Diskurses“³⁴, die bedeutsam wurden für die europäische Wissensgeschichte wie eben auch Machtgeschichte des Wahren, des Verhältnisses von Philosophie zu Politik, von Wissen zu Herrschaft: (1) den antiken öffentlichen Redner, (2) den Ratgeber-Diskurs, der ebenfalls der Antike zuzurech-

 Foucault, Die Wahrheit und die juristischen Formen [1973, 1994], 50 f. – Im Zitat schwingt mit, dass Foucault hier eine andere Optik wählt als später in den Parrhesia-Vorlesungen; mit Nietzsche kommt es ihm 1973 gerade auf eine Dekonstruktion der sokratischen Geste an, sofern Wissenschaft sich eben nur vermeintlich von der Politik ablöst.  Foucault, Die Wahrheit und die juristischen Formen, 51.  Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 98.

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nen wäre – hierhin gehört nach Platon dann ganz wesentlich ‚der Philosoph‘, (3) die Figur des Ministers im 16. Jahrhundert, (4) die Figur des ‚Kritikers‘ im 18. Jahrhunderts auftauchend und sich im 19. und 20 Jahrhundert fortsetzend, (5) die Figur des Revolutionärs.³⁵ Bei entsprechender Interpretation von Zwischenbemerkungen denke ich, es ließe sich eine sechste Form ergänzen, nämlich die des akademischen Lehrers, letzteres deutet Foucault als Autor im Text seiner eigenen Vorlesung zumindest an. Wir haben hier also die getupfte Linie einer Art Genealogie verschiedener Veridiktions-Normalitäten oder (in einem Wortsinn, der historischen Wandel nicht ausschließt) ‚apriorischer‘ Grundhaltungen der Veridiktion vor uns. Lesen wir das als Idee einer möglichen Praxis- und Moralgeschichte der Kritik, so kehrte wohl in genau einem dieser veridiktiven Szenarien, demjenigen der „Kritik“ im engeren Sinn³⁶, tatsächlich die Aufklärung und die Gestalt des Aufklärers wieder. Dass Foucault seine Parrhesia-Vorlesung auftaktartig, obwohl sie in der Hauptsache die Antike behandeln wird, mit einer gesonderten Kant-Interpretation beginnen lässt, deutet einen großen Bogen zumindest an, welcher – möglicherweise – die Antike und das 18. Jahrhundert im Wege einer kontingenten Herkunftsgeschichte trotz eines immensen Abstandes verknüpft. Oder geht es auch in eigener Sache darum, ein der Moderne nahes Glied der parrhesiastischen Kette zu zeigen, um ahnen zu lassen, dass es auch heute geht? Denn was Foucault vorschlägt, ist ja nichts anderes, als Kants Schrift über die Frage was Aufklärung sei, mitsamt ihrer Aufforderung „Habe Mut“ (nämlich: sich des eigenen Verstandes zu bedienen) als kluge und zeitgebundene Variation über die Temporalstruktur, die unmittelbare Geschichtsmacht und unverminderte Aktualität der parrhesiastische Geste zu lesen – und als Text, der selbst eine solche Geste vollzieht.³⁷

IV Damit zur Dialektik der Aufklärung zurück. Man ahnt, dass sich etwa Horkheimer/ Adornos Überlegungen zum erfinderischen Vorgehen des Odysseus schon von der szenischen Qualität her leicht konfrontieren ließen mit Foucaults Kreusa, die den Göttern offen entgegentritt. Oder mehr noch – den Odysseus der Dialektik der  Vgl. Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 98 f. – auch hier habe ich paraphrasiert.  Foucault setzt den „Kritiker“ tatsächlich wohl auch deshalb in Anführungszeichen: Diese Form der Kritik heißt eben auch Kritik.  Vgl. Kertscher, „Vorurteilslosigkeit oder Wahrhaftigkeit. Kant und Foucault über Aufklärung“.

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Aufklärung mit dem Sokrates der Apologie, der seinem Publikum die Wahrheit ins Gesicht sagt, um dann an entscheidenden Punkten aber auch listenreich gespalten zu argumentieren, etwa indem er, um sich von seiner zuvor einbekannten Distanz zur bürgerschaftlichen Politik noch einmal zu distanzieren, ein daimonion einführt: eine – nach Foucault – parrhesiastische innere Stimme, die gleichsam in ihm vorgesprochen habe, was er seinerseits dann ‚wahr‘ spricht.³⁸ Ebenso ließe sich wohl auch, ohne den Intentionen von Horkheimer/Adorno Gewalt anzutun, aus den homerischen Szenen eine odysseische ‚Veridiktion‘ herauspräparieren. Der sokratischen Form nicht ganz unähnlich gliche sie vielleicht zudem einem Kafka’schen „Herrn K.“, der auch in einer Situation, in der man sich verbal beugen muss, Wahrhaftigkeit nicht völlig preisgibt. Denn Odysseus lügt den Zyklopen ja bekanntlich nicht an, sondern wählt mit der Angabe, er sei oudeis, also niemand, eine ‚wahre‘ und auch teil-authentische (nämlich die Antwort verweigernde) Auskunft. Seinem naiven, nominalistisch veranlagten Gegenüber wird damit allerdings eine Falle gestellt, von Rapport kann nicht die Rede sein und Odysseus bewegt, indem er wider Erwarten überzeugt, gerade nicht in gelingender Form mit Worten die Welt. Womöglich wäre Odysseus so sogar ein scheiternder oder invertierter, ein eben nur bei der Lebensrettung verharrender, ein, was das Verstandenwerden angeht, publikumsloser und sogar aufs gewollte Missverständnis spekulierender Parrhesiast. Eine Wahrheit stiftet er nicht und ‚Aufklärung‘ findet in der Zyklopenszene, die brutal endet, nicht statt – jedenfalls nicht in dem Sinne, dass das Gesagte sich mitgeteilt hätte. Stattdessen wurde nur eine halbe Wahrheit gegeben (und aufgefangen) und der Erfinder eines sprachlichen Werkzeugs, das eine Parrhesia zu imitieren vermag, geht als der in einem instrumentellen Sinne intelligentere Sieger vom Platz. Hinterlassen werden ein Toter und eine Anekdote, die die Gebildeteren über die Dümmeren lachen lässt, jedoch kein philosophisches Werk – wohingegen Sokrates, auch er intelligent, auch er einer, der mit dem Leben abschließt, sich zwar keineswegs opfert, aber doch das Angebot einer solchen Siegerrolle zurückweist und so auf unvergleichliche Weise die Wahrhaftigkeit und den Werkcharakter seiner Worte orchestriert. Der Tod des Parrhesiasten ist dabei nicht einfach ein Heroismus, das Leben wird auch nicht quasi als Preis der Wahrheit eingetauscht oder gezahlt. Eher gleicht der Tod hier dem Prüfstein und einem Siegel, durch welche der Veridiktion Glaubwürdigkeit zuwächst und eine ethisch-politische Haltung bekräftigt wird.

 Vgl. Platon, Apologie, 31d.

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V Ließe sich auch der Kritikbegriff, der in Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung am Werk ist, im Wege dieses figurativen Vergleichs mit der parrhesiastischen Form befragen? Besitzt der Text eine charakteristische temporale Gestik und gleicht diese, wenn man sie auch im Hinblick auf ein Ethos befragen würde, Kants „Habe Mut“? Jedenfalls rückt Horkheimer/Adornos Essay kaum die Naherwartung eines Ausgangs aus selbstverschuldeter Unmündigkeit ins Zentrum dessen, wohinein er seine Leser verwickelt. Eher schon reproduziert er ein Pathos der Enttäuschbarkeit und des ‚Immer wieder‘ eines Scheiterns, das nur aus paradoxer Perspektive nicht als restlos fatal erscheint. Geradezu beschwörungsartig werden jene Erwartungsmuster kassiert, die in dem zusammenschießen, was im Text generalisierend ‚Aufklärung‘ heißt. ‚Aufklärung‘ steht für alles, aber jedenfalls nicht für Wahrheit im Wortsinn. Aufklärende Setzungen gleichen womöglich der Antwort des Odysseus, sind also zweideutig von Anfang an. Und auch die Bewegung der Kritik verbürgt allenfalls die Anwartschaft auf etwas, was auch morgen noch Wahrheiten bewirken könnte – dies aber weder muss noch auch mit dauerhafter Wirkung kann. So ist womöglich die Lüge viel eher das Thema der Dialektik der Aufklärung als überhaupt das Wahre. Was Horkheimer/Adorno heraufbeschwören, sind Figuren einer Art von tiefsitzendem Betrug, des geraubten Selbsterhalts von Gelungenem – in der Geschichte sowieso, aber eben auch in einer Geschichte des Denkens und des Wissens, die ja demjenigen der denkt und Worte macht die Idee eines Fortbestandes gleichsam versprochen zu haben scheint. Auf Momente der Befreiung folgt jener – und womöglich selbstverschuldete – Umschlag in Totalherrschaft, einen Rückschlag also, und auch was gedankliche Anknüpfungsmöglichkeiten anbelangt gerade nichts, was vertrauenswürdig bleibt. So schreiben Horkheimer/Adorno auf ihre Weise gegen Hegel, Marx, entfesselten Szientismus und kynischen Quietismus gleichermaßen an. Ein Hauch von Altklugheit und Übereifer umgibt diese Dialektik freilich auch: Bereits im Vollzug verleugnet die Stimme der Dialektik der Aufklärung, woran sie doch dem eigenen Bekenntnis nach zumindest für den Moment wohl glauben müsste. Im Negativfall behält sie freilich dann umso gesicherter Recht. Ein reflexiv-vorlaufendes Dementi dessen, was man eben noch mit dem eigenen Namen zu signieren vorgab, tritt dergestalt neben sich selbst (und auch neben den Leser), dass am Ende nur die Hoffnung bleibt.

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VI Der Ball lässt sich zurückspielen. Auch Foucaults Vorlesungen entwickeln, wenn man so will, eine eigene veridiktive Geste, denn während sie zum einen am Leitfaden der parrhesía eine groß angelegte Mikrologie der Wortergreifung in Angriff nehmen treten sie zum anderen geradezu mustergültig als akademische Vorlesungen auf – und am Ende deutet Foucault sogar explizit an, die eigenartig unauffällige, aber doch persistente Sprechsituation des universitätsöffentlich philosophierenden Lehrers sei ebenfalls möglicher Gegenstand einer Geschichte der wahren Rede oder eben – aktuell womöglich – der Formen einer Veridiktion. Dies demonstriert ein anderes Verständnis der Valenz von Denkakten als es der plakative Kritikstil, der die Dialektik der Aufklärung prägt, zumindest nahelegt. Aber auch grundsätzlich ist der Parrhesiastik ein anderes Zeitverhältnis zu eigen. Die Ambivalenzen einer gedanklich schon vorweggenommenen Enttäuschung sind ihr ebenso fremd wie das, was dieser vorausgeht, nämlich schicksalhaft aufgeladene Zukunftsprojektionen. Parrhesiastische Kritik kennt gewissermaßen kein Scheitern – jedenfalls keines, das zwischen Aufklärungsversprechen und einem Betrug oszilliert, der gleichsam im Herzen des Versprechens selbst immer schon sitzt. Die Wahrheit des antiken Parrhesiasten nach sokratischem Zuschnitt kennt dafür schlicht nicht genug Danach, keine Zukunft im Singular, die potentiell so etwas wie ‚geschichtlich‘ wäre. Darauf, dass bezogen auf eine solche Zukunft im Großmaßstab etwas ‚wahr‘ werden könne, spekulieren die antiken Kritikformen daher auch nicht. Eine diesbezüglich wahlverwandte Struktur hebt Foucault, wenngleich auch historisch gewandelt, dann auch im Kantischen Text hervor, womit dann Kant vermutlich tatsächlich vielleicht nicht gegen Hegel, aber gegen hegelianische Formen der Überbetonung von Zukunft in Stellung gebracht wird. Kant habe, so Foucault, eben gerade nicht nur die spezifische Denkform des transzendentalen Abstandes erfunden, sondern auch – im Wege des Appells für den Weg aus selbstverschuldeter Unmündigkeit – eine Neubestimmung von Gegenwart vorgenommen: „als Ausgang, durch eine Bewegung, durch die man sich von etwas befreit“.³⁹ Foucault weist damit gerade die Art, wie die Dialektik ihre Korruptheitsdiagnosen anlegt – nämlich gewissermaßen über den Weg einer von der Enttäuschung sich nähernde Zukunftsorientierung – zurück. Und er schiebt wohl auch überhaupt das Denken als postulierte Anwartschaft aufs Überleben und Bewahren von ‚Zeitkernen‘ von sich – zugunsten einer Haltung, welche die Klage über  Foucault, Die Regierung des Selbst und der Anderen 1982/83, 45.

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allfällige Verfälschung wahrer Kritik durch Fortbestand (und auf Dauer stets Totalisierung) durch blankes Ringen um Aktualität ohne länger garantierten Fortbestand ersetzt. Lernen könnte Foucaults Genealogie der Veridiktionsformen vom intensiven Kontrastfall der Studien Horkheimers und Adornos freilich auch. So könnte und sollte, denke ich, eine Geschichte der ethisch-politischen Rollentypik und Rollenbindung der Wahrheit nicht nur das Gelingen, das auf uns kam, sondern nach Möglichkeit auch Verfallsmomente des Wahr-Sprechens untersuchen. Neben einer Genealogie der Veridiktionen, der kritisch wirksamen Sprengformen, wäre ebenso eine Untersuchung der auch ihrerseits typischen Schieflagen versagender und versagter Veridiktion wertvoll. Woran genau beispielsweise scheitern Imitate, scheitert das, was doch nur populistische Sophistik gewesen sein wird, und woran scheitert – epochenscharf betrachtet – Epigonales? Was genau ließ so vieles, obzwar situativ wahr und gut gemeint, bald schon oder sogleich in die überfüllte Hölle des Unkritischen oder unkritische Gewordenen fahren? Aus derartigen Gegenrechnungen ergäbe sich ein interessantes diskursgeschichtliches Forschungsprogramm. Bezogen auf das gänzlich Unsinnige, den Wahnsinn, der gar nicht erst als Gesagtes gilt, ist Foucault einen solchen Weg der historischen Rückfrage zugunsten einer Kehrseiten-Geschichte der Wahrheit bereits gegangen. Der Wahnsinn ist freilich das Extrem. Auch das schlicht Unkritische würde wohl lohnendes Objekt von Arbeiten sein können, die der radikalen Perspektive einer Suche nach Veridiktionsbedingungen folgen. Indes würden dann positive Analysewerkzeuge gebraucht. Denn über Negativschablonen wie „Selbstzerstörung“⁴⁰ des Wahren, „Metamorphosen von Kritik in Affirmation“⁴¹, „rückläufige Momente“⁴² oder „Rückfall“⁴³, die allesamt auf den schlichten Gegensatz zwischen Richtigkeit/Berechtigung oder aber Negation und Falschheit abzielen, greift das deskriptiv reichere Paradigma der Veridiktion von vornherein hinaus.

Bibliographie Beer, Beate, „Parrhesia“, in: Reallexikon für Antike und Christentum, hrsg. Georg Schöllgen u. a., XXVI, Stuttgart, Hiersemann, 2015, 1014 – 1032.

   

Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 18. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 17. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 19. Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, 19.

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Sachregister Aberglaube 19, 25, 62, 72, 99, 102 f., 115 f., 173, 186, 190 – 193 Abstraktion; abstrakt 2, 33, 86, 91, 97, 159, 194 Amoralismus; Immoralismus 7, 65, 73, 127, 129, 172 – Schwächung des sittlichen Gefühls 193 Anarchie 193 f. Anthropologie 6 f., 32, 49, 63, 68, 145 f., 201 f., 205 – dialektische Anthropologie 68 Antike; Aufklärung in der Antike 13, 24 f., 58, 89, 104, 143, 167 ff., 205 ff. Antisemitismus 31 – 36, 39, 42, 46 – 49, 68 f., 83 f., 92, 123 – 126, 133, 151 Aristotelismus 15, 159 Atheismus 91, 193 Aufklärung 11 ff., 31 ff., 41, 56 ff., 83 ff., 178 ff., 202 – historische Aufklärung; Epoche der Aufklärung 13 – 16, 57, 60, 88 f., 101, 114, 117, 160, 203 – Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts 15 f. – Kantische Aufklärung 76 – Programm/Projekt der Aufklärung 59 ff., 76, 143 ff., 154 ff. – Enlightenment – enlightenment 12 ff. – Radikalität; Radikalaufklärung 3, 7, 25, 57, 91, 98, 118, 194 – fortschreitendes Denken 1, 31, 41, 58 f., 144 – das gesamte philosophische Denken 13 – Rettung der Aufklärung 19, 35, 37, 55, 78, 123 – platte Aufklärung 65, 78 – Volksaufklärung 183 f., 190 – Menschenaufklärung 189 – Bürgeraufklärung 189 – Afteraufklärung 191 – Zeitalter der Kritik 64

https://doi.org/10.1515/9783110555004-011

Aufklärungskritik 5, 11 f., 15 f., 20 – 24, 56, 64 f., 78, 123, 149, 178 ff. – konservative Aufklärungskritik 5, 20 – 22, 24, 65, 158 Autonomie; autonom 129, 161 – 164, 167 Autoritarismus 22, 38, 40 – 42, 47 – 49 – autoritärer Staat 35, 43 f., 48 Begriff 2, 124 f. Behaviorismus 65, 92, 101, 104 Christentum 5, 71,98, 119, 138 – 140, 206 clercs 17, 19 Demokratie 5, 47, 49, 207 Deutscher Idealismus 13, 65, 72 Dialektik 21, 32 f., 41, 55, 59, 71, 125, 140, 144, 158, 197, 201, 207, 214 – dialektische Logik 32 f., 36, 71 Eclipse of reason 12, 20, 74, 123 Einheitswissenschaft 86, 89 f., 100 Emanzipation 101, 114, 147, 175 – bürgerlicher Emanzipationsprozess 101 Empirismus 92 f., 97 f., 163, 194 Entfremdung 6, 88 Entmythologisierung 14, 58 Entzauberung der Welt 15, 20, 31, 41, 58 f., 65, 85, 194, 197 Erkenntnistheorie; Epistemologie 13 f., 33, 73, 96, 124 ff., 132 f., 162 Ethik 7, 91, 96, 103 f., 117, 194, 202, 209 Fachwissenschaft 100, 102, 113 Faktum der Vernunft 6, 129 – 131 Faschismus 18, 31, 37, 40, 48, 90, 118, 133 Felicitologie 104 Fordismus 41 – 45, 50 formal; formalistisch; Formalismus 24, 33, 75, 91, 119, 137, 144 f., 150, 205 Fortschritt 16, 20 f., 41 f., 147, 157, 195 f. Frankfurter Schule 30 ff., 55, 66, 70 ff. Französische Revolution 4, 13, 65, 158 f.

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Sachregister

Gegenaufklärung 3, 20, 31, 72 Geschichtsphilosophie 29, 33, 69, 71, 84, 106 ff., 195 f. Gewissensbisse 119 Hegelianismus 36, 69, 76, 125, 140 Herrschaft; Herrschaftskritik 1 – 3, 18, 24 – 26, 31, 37, 41, 94, 105 ff., 114, 120, 123, 132, 137, 145 ff. Humanismus; Humanisierung 4 – 7, 18, 33, 133, 137, 204 – Enlightenment humanism 7 Ideologie 59 f., 119 Ideologiekritik 69 – 72, 99, 204 Idolenlehre; Idole 62, 98 f. Individuum; Individualität; Individualismus 13, 22 f., 49 f., 87, 90, 92, 131, 134, 147, 157, 159, 171, 188 f., 193 ff., 208 f. Irrationalität, Irrationalismus 41, 49, 103, 136 Judentum

46, 119, 138 – 141, 180, 196

Kalkulieren; kalkulierendes Denken 15 – 17, 130 – 132, 145 – 147, 152 f. Kantianismus 74 – 77, 123 – 141 Kapitalismus 4, 35, 37, 39 – 44, 46 f., 90, 133 Kategorischer Imperativ 128, 162 Kolonialismus 7 Kulturindustrie 32, 42, 44 – 47, 65, 68, 84, 90, 100, 126 – 128, 133 Kyniker, Kynismus 207, 209, 214

Magie 23, 31, 117, 139, 145 – 147 Marxismus 36 f., 39 f., 43, 46, 68, 109, 131, 133, 144, 204 Materialismus 30, 33, 36, 50, 101, 162, 168, 173 Mathematik 85 f., 90 f., 97, 133 – 138, 146, 183, 205 Mathematisierung 134 – 136, 205 Menschenrechte 4, 157, 159, 186 Metaphysik 18, 53, 76 f., 86, 91, 96 f., 100 – 104, 108 f. Mitleid 117, 119 f. Moderne; Modernitätskritik 5, 7, 11, 14, 24, 38 f., 57, 70, 83 – 85, 89 f., 102, 105 – 109, 114, 131, 137, 140, 143, 149 ff., 156 ff., 156 ff., 201 ff. Moral; Moralphilosophie 2 – 4, 6 f., 13 f., 22, 31, 49, 61, 65, 72 – 74, 92, 95 f., 103 f., 107, 115, 118, 125 – 132, 137, 140, 155, 162 ff., 193 f., 203, 206, 212 Mündigkeit; Unmündigkeit 23, 62 f., 127, 167, 214 f. Mythos, Mythologie 13, 16, 22 – 25, 59, 67, 71, 83 f., 87 – 93, 114 f., 117, 138 – 140, 145 – 147, 150

Lebensphilosophie 103 Libertinage; Libertin 119, 151, 153, 171 – 174 Logik 2, 32 – 36, 71, 89, 91 f., 96 – 99, 103, 126 – formale Logik 2, 91 – dialektische Logik 32 f., 36, 71 – Marktlogik 47 Logistik 101 Logischer Empirismus 53

Nationalsozialismus 2, 29 f., 35, 40, 42 – 47, 73 Natur 34, 58, 118, 120 f., 133, 136 – 140, 154 – 157, 159, 164, 169 – 174 – menschliche Natur 30, 34, 63, 118, 134 Naturalismus 6, 162 f., 201 Naturbeherrschung 5 f., 26, 34, 41, 64, 70, 88, 94, 99, 105, 107, 114, 134, 137, 140, 146, 152 – vexation / torture of nature 5 f. Naturgeschichte 103 Naturverfallenheit 137 Naturwissenschaften 99, 105, 114, 146 Neukantianismus 75, 126, 138 – Marburger Schule 126 – Südwestdeutsche Schule 127 Nihilismus 5 – 7, 65, 71, 148 Nominalismus 65, 86, 96

Macht 49, 83, 85, 88, 93 f., 118 f., 144 f., 174 f., 201 ff., 210 ff.

Odyssee 22 f., 31, 36, 67, 88, 143 ff., 150 f., 212 – 214

Sachregister

Okzident; okzidentale Kultur 174 f. Ontologie 75, 97, 204, 210

4, 143, 157,

parrhesía 201 ff. Phänomenologie 102, 205 Platonismus 25 Positivismus 53, 58, 65, 75, 83 – 109, 124, 140 Postmoderne 3, 42, 78, 201 Psychoanalyse 34, 45, 69, 71, 76 Quantifizierung

133

Rationalität 15 f., 23, 41 f., 64, 133, 143 ff. Rationalismus 22, 35, 97 f., 100 – 104 Rationalitätskritik 2 – 4, 7, 29, ff., 78 Religion 7, 13, 31, 64, 89, 95, 139, 162, 173, 181 ff., 190 ff. – Irreligion 193 repressive Egalität 2 Reue 117, 119 Romantik, Romantiker 2, 29, 65, 72, 78, 103, 160 Säkularisierung 65, 147 Sapere aude 2, 63, 161 f., 167 f. Schematismus 73, 126 f., 131 – 133, 152 Schwärmerei 62, 72, 187, 191, 193 scientia universalis 86 Selbsterhaltung 21 f., 92, 95, 101 f., 113 – 117, 152, 171 Sensualismus 100, 102 shadow history 84, 106, 109 Sophistik, Sophisten 25, 58, 216 Sozialismus 43 f., 103, 140 f. Sozialwissenschaften 69, 71 Sprachkritik 53, 114 Staat 42 – 47, 99, 182 – 189, 195 f. – autoritärer Staat 35, 43 f., 48 – Etatismus 44, 185 Staatskapitalismus 46

221

Staatssozialismus 43 f. Stalinismus 40, 42 f., 73, 90 Stoizismus, Stoiker 119 Subsumtion 2, 124 – 126, 133 f. Supranaturalismus 139 Szientismus 133, 136, 214 Technik 42, 85, 92, 144 f., 147, 157 f. Teleologie 118, 132, 188 Terror; terreur 4, 30, 40, 158 Theologie 5, 13, 78, 96, 115, 118, 164 Totalitarismus; totalitär 15, 21, 24 f., 32, 42 f., 45, 83, 86, 92, 105, 118, 143, 149, 153, Tragödie 23, 207 Umschlag; umschlagen 71, 83, 89, 92, 94, 118, 144 ff., 158, 197, 214 Universalien 2, 4, 86 Utilitarismus 65, 104 Verdinglichung 6 Vernunft 3 – 6, 21, 29 ff., 58, 61 ff., 73 ff., 89 ff., 101, 118, 120 f., 143 f., 187 ff., 205 – instrumentelle Vernunft 31, 36, 43 f., 64, 70, 73 f., 85, 87, 92, 107, 127 – 129, 131, 140, 147 – 151, 175 – praktische Vernunft 32, 41, 162, 164 – 168 – Vernunft und Herrschaft/Macht 3, 85 Vorurteil 31, 40, 48, 62 f., 65, 69, 72, 120, 155, 181 – 187, 190 f., 195 Wiener Kreis 86, 100 f., 104 f., 109 Wissen 58, 85, 88, 92 – 94, 144 f., 148, 151, 155, 165 – 172, 211 – Wissen ist Macht (scientia et potentia coincidunt) 94, 145 Wissenschaft 6, 31 f., 36, 41, 47, 58, 71, 78, 85 – 109, 117 f., 134, 143, 146, 152 – 154, 157 f., – scientia universalis 86 – Einheitswissenschaft 86, 89 f., 100

Namenregister Abbt, Thomas 187 f., 193 f. Adorno, Gretel 23, 100 Adorno, Theodor W. passim Ahrens, Rüdiger 95 Airaksinen, Timo 6 Albert, Hans 84 Albrecht, Michael 62, 181 d’Alembert, Jean-Baptiste le Rond 154 Allison, Henry 129 Altmann, Alexander 180 Anderson, Perry 39 Anshen, Ruth Nanda 22 Aristoteles 15, 159 Arnason, Johann D. 88 Ayer, Alfred Jules 91

Brandt, Reinhard 63 Braudel, Fernand 160 Brunon-Ernst, Anne 4 Buffon, Georges-Louis Leclerc de Burke, Edmund 65, 158 f.

25, 101,

Bacon, Francis 1 – 3, 5 f., 24, 26, 59, 62, 64, 83 – 89, 93 – 99, 101, 105 – 107, 114 Baillie, James Black 17 Barth, Hans 98 f., 139 Bartuschat, Wolfgang 115 – 119, 169 Bataille, Georges 73, 173 Bayle, Pierre 62, 154 Beccaria, Cesare 4 Beck, Lewis White 129 Becker, Carl 21 Becker, Rudolph Zacharias 182 Beer, Beate 206 Behm, Britta L. 196 Benda, Julien 17 – 19 Benjamin, Walter 21, 56 Benner, Dietrich 193 Bense, Max 24 f. Bentham, Jeremy 4, 7 Bergson, Henri 103 Biester, Johann Erich 180 f. Birtsch, Günter 180 Blanchot, Maurice 172, 174 Bloch, Ernst 33 Bloch, Olivier 7 Böhr, Christoph 196 Bourel, Dominique 180 https://doi.org/10.1515/9783110555004-012

170

Calas, Jean 18 Capelle, Wilhelm 25 Carnap, Rudolf 86, 91, 99 f., 102 Carr, David 138 Cassirer, Ernst 61 Castillon, Fréderic de 182 Chervel, Thierry 202 Comte, Auguste 88, 101, 104 Condillac, Étienne Bonnot de 155, 168 Condorcet, Jean Antoine Nicolas de Caritat de 7, 24 Constant, Benjamin 162 Cornelius, Hans 14 Crocker, Lester G. 3 Cropsey, Joseph 159 Cumming, John 15 f. Darnton, Robert 11, 65 Deleuze, Gilles 172 Demokrit 25 Deprun, Jean 6 Derrida, Jacques 205 Descartes, René 62, 101, 106, 158, 167, 173 Diderot, Denis 17 – 19, 24 f., 63, 155, 168 Dorschel, Andreas 3 Dubiel, Helmut 43 Durkheim, Émile 23 Engels, Friedrich 109 Engfer, Hans-Jürgen, 97 f. Enskat, Rainer 55, 59, 69 Epikur 58, 104 Erasmus von Rotterdam, Desiderius Erdmann, Eva 4, 202 Euripides 207 Feigl, Herbert

53

18

224

Namenregister

Felsch, Philipp 201 Ferrone, Vincenzo 11 f., 23 Fleischacker, Sam 123 – 142 Fontenelle, Bernard Le Bovier de 62 Forst, Rainer 4, 202 Foucault, Michel 4 – 6, 73, 151, 156, 162, 167, 174, 201 – 216 Frege, Gottlob 91 Freud, Sigmund 56, 69, 71, 76, 201 Friedrich II. von Preußen 180 – 182 Fromm, Erich 40, 56, 71 Galilei, Galileo 170 Garrard, Graeme 10 Gay, Peter 11, 21, 23 Gedike, Friedrich 180, 185 Gehring, Petra 102, 201 – 218 Geuss, Raymond 55, 60, 69 Goethe, Johann Wolfgang 19 Goldenbaum, Ursula 186 Gondek, Hans Dieter 202 Goodman, Dena 154 Gorer, Geoffrey 21, 34 Göschel, Albrecht 50 Grossmann, Henryk 35, 108 f. Gurland, Arkadij 43 Guzzoni, Ute 88 Haberkern, Ernst 186 Habermas, Jürgen 5, 55, 100, 148 – 151, 157, 174, 201, 207 Hadot, Pierre 167 f. Hamann, Johann Georg 25 Hartmann, Nicolai 103 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 16 – 19, 24, 33, 36, 69, 76, 125, 140, 158, 175, 204, 214 f. Heidegger, Martin 124, 126 f., 134 – 136, 138 Hellmuth, Eckhardt 185 f. Helvétius, Claude Adrien 168 Hénaff, Marcel 6, 143 – 177 Hennings, August 190 f., 195 Henrich, Dieter 130 Heraklit 171 Herder, Johann Gottfried 155 Hinske, Norbert 11, 23, 61 f., 64, 180 f, 196 Hippler, Thomas 6

Hirsch, Joachim 43 Hirsch, Katharina von 37, 102, 108, 113 Hirschman, Albert 156 – 158, 160 Hitler, Adolf 20, 40, 59 Hobbes, Thomas 94, 101, 106, 108, 116 f. d’Holbach, Paul-Henri Thiry 155, 168 Homer 31, 59, 67, 143, 147, 150 f., 213 Honneth, Axel 4, 70, 150, 202 Horkheimer, Max passim Howard, Dick 13 Hume, David 53, 89, 101, 155, 168 Hümpel, Heinrich (Henri) 181 Husserl, Edmund 102, 138, 205 Hutchins, Robert Maynard 20 Irwing, Karl Franz von Isokrates 207 Jephcott, Edmund Jay, Martin 13

185

15 f., 123

Kafka, Franz 213 Kant, Immanuel 1 – 3, 5 – 7, 14, 22 f., 31, 53, 55, 62 – 67, 72 – 78, 117 f., 123 – 141, 143 – 175, 181, 186, 193, 195 f., 202 f., 205, 212, 214 f. Katznelson, Ira 20 Keller, Ludwig 181, 184 Kertscher, Jens 212 Kierkegaard, Søren 139 Kirk, Russell 21 Kirchheimer, Otto 43, 55 Klein, Ernst Ferdinand 184 Knights, Mark 13 Knott, Brigitte 64 Kondylis, Panajotis 3 Kracauer, Siegfried 56 Krauss, Werner 182 Krohn, Wolfgang 94 Kuhn, Thomas S. 98 La Mettrie, Julien Offray de 168 Lacan, Jacques 5, 73, 163 Lavaert, Sonja 1 – 10 Leibniz, Gottfried Wilhelm 86, 89, 175, 187, 193 Lenin, Wladimir Iljitsch 109

Namenregister

Lessing, Gotthold Ephraim 139, 179 Livingston, Donald 106 Locke, John 53, 62 f., 98 Louden, Robert B. 60 Löwenthal, Leo 12, 22 f., 32, 36, 38, 56 Lukács, Georg 56 Lukrez 58, 169 Luther, Martin 185 Mably, Gabriel Bonnot de 168 Mach, Ernst 88, 104 f., 109 Macherey, Pierre 6 MacIntyre, Alasdair 156, 159 Macor, Laura Anna 63 Maistre, Joseph de 2 Malebranche, Nicolas 18 Marcuse, Herbert 21,35, 43, 55 f. Marx, Karl 4, 56, 69, 71, 109, 204, 214 Masseau, Didier 7 Mauss, Marcel 23 Meisner, Heinrich 180 Mendelssohn, Moses 7, 25, 64, 179 – 197 Mensching, Günther 3, 6 Merleau-Ponty, Maurice 201 Meyer-Drawe, Käte 201 Mill, John Stuart 101, 104 Miller, Arnold V. 17 Möhsen, Johann Karl Wilhelm 181 – 184, 191 Moreau, Pierre-François 113 – 121 Mothu, Alain 7 Morelly, Étienne-Gabriel 168 Natge, Hans 98 Nehren, Birgit 180 Neiman, Susan 3, 128 f., 131 Nestle, Wilhelm 24 f. Neumann, Franz 43 Neurath, Otto 86, 89, 99 – 101, 104, 109 Newton, Isaac 170 Nielsen, Kai 3 Nietzsche, Friedrich 20, 31, 39, 67, 71, 73, 75, 128, 148, 150, 152, 162, 196, 201, 211 O’Neill, Onora 3 Oppenheim, Gabriele 34 Oppenheim, Paul 34

225

Parmenides 89 Pascal, Blaise 139 Pečar, Andreas 57 Pesic, Peter 6 Pinkard, Terry 19 Platon 15 f., 25, 54, 124, 207, 210 – 213 Plutarch 207 Pollock, Friedrich 1, 17, 19, 23, 34 – 37, 43, 46, 56, 66 Popper, Karl 84 Prokop, Dieter 47 Quinton, Anthony

97

Rauschning, Hermann 5 Reijen, Willem van 201 Reinhardt, Karl 25 Reisinger, Klaus 62 Renouvier, Charles Bernard 19 Rickert, Heinrich 102 Rorty, Richard 106 Ross, Alex 54 Rousseau, Jean-Jacques 72, 108, 155, 158 f., 168, 188 Russell, Bertrand 88 f., 106 Sade, Donatien Alphonse François de 2 f., 5 – 7, 21 – 23, 31, 34, 67, 72 f., 75, 118 f., 127 – 129, 131, 143 – 176, 205 Sartre, Jean-Paul 150, 173 Scheler, Max 103 Schlick, Moritz 53, 104 Schiller, Hans-Ernst 44 Schlieper, Andreas 4 Schmidt, James 11 – 27, 64 f., 156, 161, 181, 186 Schmid Noerr, Gunzelin 29 – 52, 66, 107, 123 Schnädelbach, Herbert 107 f. Schneiders, Werner 60, 62, 64 Scholz, Oliver R. 53 – 81 Schröder, Jürgen 202 Schröder, Winfried 1 – 10, 55, 73 Schumann, Karl 94 Schwaiger, Clemens 187 Schwegler, Albert 25 Schweppenhäuser, Gerhard 47

226

Namenregister

Selle, Christian Gottlieb 182 f. Sessions, William A. 98 Sibree, John 17 Siegl, Edmund 97 Siegetsleitner, Anne 104 Snell, Buno 24 Sokrates 25, 54, 208 f., 211, 213, 215 Söllner, Alfons 43, 88 Sophokles 211 Spalding, Johann Joachim 63, 187 Spinoza, Benedictus de 2 f., 6, 18, 59, 101, 113 – 121, 169 Staël, Germaine de 162, Steinert, Heinz 46, 50 Sternhell, Zeev 2 Sterling, James Hutchison 17 Strauss, Leo 20, 159 Stuke, Horst 60 Svarez, Karl Gottlieb 185 Talmon, Jacob 21 Taylor, Charles 7 Thukydides 207 Tocqueville, Alexis de 150 f., 160 Tricoire, Damien 57 Trump, Donald W. 54 Tugendhat, Ernst 74 Turgot, Anne Robert Jacques 101

Van Gogh, Vincent 135 Vico, Giambattista 155 Vierhaus, Rudolf 180 Voegelin, Erich 20 Voltaire 18, 63, 85, 89, 155, 159 Wagner, Richard 45 Wallerstein, Immanuel Maurice 160 Walravens, Else 179 – 200 Walter, Emil 103 Warman, Caroline 6 Watson, Richard A. 106 Weber, Max 20, 31, 41, 56, 59, 69, 85, 148 Weil, Felix 35 f., 69 Wellmer, Albrecht 3 Whitney, Charles 107 Wiggershaus, Rolf 39, 55, 66, 69 – 71 Williams, Howard 3 Wilson, Susan 3 Wittfogel, Karl August 109 Wittgenstein, Ludwig 126 Wussow, Philipp von 92 Xenophanes

58, 89

Zagorin, Perez 95, 97 Zöllner, Johann Friedrich

181 – 184, 190

Zu den Autorinnen und Autoren Samuel Fleischacker (University of Illinois, Chicago). – Veröffentlichungen: Integrity and Moral Relativism (1992); The Ethics of Culture (1994); A Third Concept of Liberty: Judgment and Freedom in Kant and Adam Smith (1999); On Adam Smith’s Wealth of Nations: A Philosophical Companion (2003); A Short History of Distributive Justice (2004); Heidegger’s Jewish Followers. Essays on Hannah Arendt, Leo Strauss, Hans Jonas, and Emmanuel Levinas (2008); (Hrsg., mit Vivienne Brown) The Philosophy of Adam Smith (2010); Divine Teaching and the Way of the World. A Defense of Revealed Religion (2011); What Is Enlightenment? The Legacy of a Kantian Question (2013); The Good and the Good Book. Revelation as a Guide to Life (2015); Aufsätze zur Philosophie der Aufklärung, Kant, Adam Smith, sowie zur jüdischen Theologie. Petra Gehring (Technische Universität Darmstadt). – Veröffentlichungen: Innen des Außen – Außen des Innen. Foucault, Derrida, Lyotard (1994); Sterbehilfe. Die neue Zivilkultur des Tötens? (2002); Foucault – Die Philosophie im Archiv (2004); Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens (2006); (Hrsg., mit Marc Rölli u. Maxine Saborowski) Ambivalenzen des Todes. Wirklichkeit des Sterbens und Todestheorien heute (2007); Traum und Wirklichkeit. Zur Geschichte einer Unterscheidung (2008); (Hrsg.) Michel Foucault. Geometrie des Verfahrens. Schriften zur Methode (2009); Theorien des Todes (2010); (mit Andreas Gelhard) Parrhesia. Foucault und der Mut zur Wahrheit (2012); Aufsätze u. a. zu Begriffsgeschichte, Bioethik, Biopolitik, Foucault. Marcel Hénaff (University of California, San Diego). – Veröffentlichungen: Sade, l’invention du corps libertin (1978); Sade, the Invention of the Libertine Body (1999); Claude Lévi-Strauss and the Making of Structural Anthropology ([1991] 1998); (Hrsg., mit Tracy Strong) Public Space and Democracy (2001); Claude Lévi-Strauss, le passeur de sens (2008); The Price of Truth. Gift, Money, Philosophy (2010); Le don des philosophes. Repenser la réciprocité (2012); Die Gabe der Philosophen: Gegenseitigkeit neu denken (2014); Violence dans la raison? Conflit et cruauté (2014); The City in the Making (2015); Aufsätze u. a. zur politischen Philosophie, Kulturund Sozialphilosophie. Sonja Lavaert (Vrije Universiteit Brussel). – Veröffentlichungen: Het perspectief van de multitude. Agamben, Machiavelli, Negri, Spinoza, Virno (2011); (Hrsg., mit Winfried Schröder) The Dutch Legacy. Radical Thinkers of the 17th Century and the Enlightenment (2017); Aufsätze u. a. zur Philosophie und politischen Theorie der Radikalaufklärung, Machiavelli, Spinoza, Koerbagh, sowie zur aktuellen politischen Philosophie, Ästhetik, Sprachphilosophie und Theorie der Übersetzung. Pierre-François Moreau (École normale supérieure, Lyon). – Veröffentlichungen: Spinoza (1975); Les racines du libéralisme (1978); Hobbes: philosophie, science, religion (1989); (Hrsg., mit Edwin Curley) Spinoza. Issues and Directions (1990); Spinoza: l’expérience et l’éternité ([1994] 2009); (Hrsg., mit Fabienne Brugère) Spinoza et les affects (1999); (Hrsg.) Le Stoïcisme aux XVIe et XVIIe siècles (1999); (Hrsg.) Le scepticisme aux XVIe et XVIIe siècles (2001); Lucrèce: l’âme (2002); (Hrsg., mit Bernard Besnier und Laurence Renault) Les passions antiques et médiévales (2003); (Hrsg., mit Ann Thomson) Matérialisme et passions (2004); (Hrsg.) Lectures https://doi.org/10.1515/9783110555004-013

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Zu den Autorinnen und Autoren

de Michel Foucault III. Sur les Dits et Écrits (2003); Spinoza. État et religion (2005); (Hrsg., mit Charles Ramond) Lectures de Spinoza (2006); (Hrsg.) Les passions à l’âge classique (2006); Problèmes du spinozisme (2006); Spinoza et le spinozisme ([2003], 22007); (Hrsg., mit Frank Lestringant und Alexandre Tarrête) L’unité du genre humain: race et histoire à la Renaissance (2014); (Hrsg., mit Raphaële Andrault und Mogens Laerke) Spinoza/Leibniz. Rencontres, controverses, réceptions (2014); (gemeinsam mit Raphaële Andrault) Internet-Plattform Les philosophes et la Bible (http://www.ens-lyon.fr/node/314297); Aufsätze zur Philosophie der Antike, der Frühen Neuzeit und der Aufklärung. Gunzelin Schmid Noerr (Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach). – Veröffentlichungen: Sinnlichkeit und Herrschaft; zur Konzeptualisierung der inneren Natur bei Hegel und Freud (1980); (Hrsg., mit Alfred Schmidt) Horkheimer, Gesammelte Schriften (1985 – 1996); (Hrsg.) Metamorphosen der Aufklärung. Vernunftkritik heute (1988); Das Eingedenken der Natur im Subjekt (1990); Gesten aus Begriffen. Konstellationen der Kritischen Theorie (1997); (Hrsg., übers. Edmund Jephcott) Horkheimer/Adorno, Dialectic of Enlightenment: Philosophical Fragments (2002); Geschichte der Ethik (2006); (Hrsg.) Kultur und Unkultur (2005); Ethik in der Sozialen Arbeit (2012); Aufsätze u. a. zur Kritischen Theorie. James Schmidt (Boston University). – Veröffentlichungen: Maurice Merleau-Ponty: Between Phenomenology and Structuralism (1985); (Hrsg.) What is Enlightenment?: Eighteenth Century Answers and Twentieth Century Questions (1996); (Hrsg.) Theodor Adorno (2007); (Hrsg., mit Amelie Rorty) A Critical Guide to Kant’s Idea for a Universal History (2009); Persistent Enlightenment (https://persistentenlightenment.com/); Aufsätze u. a. über Aufklärung, Gegenaufklärung, Frankfurter Schule, sowie zu Kant, Diderot, Burke, Horkheimer, Adorno, Benjamin, Foucault, Luhmann, Habermas. Oliver R. Scholz (Westfälische Wilhelms-Universität Münster). – Veröffentlichungen: Bild, Darstellung, Zeichen (1991; 2. vollst. überarb. Aufl. 2004, ³2009); Verstehen und Rationalität (1999, ²2001, ³2016). Zahlreiche Aufsätze und Wörterbuchartikel u. a. zur Erkenntnistheorie, Sprach- und Zeichenphilosophie, Hermeneutik und Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften, sowie zum Programm der Aufklärung, insbesondere in der Philosophie Immanuel Kants. Dietrich Schotte (Philipps-Universität Marburg). – Veröffentlichungen: Die Entmachtung Gottes durch den Leviathan. Thomas Hobbes über Religion (2013); (Hrsg.) Die Macht der Bilder der Macht. Zum Vermächtnis von Ernst H. Kantorowicz (2015); Aufsätze u. a. über Hobbes, Rousseau, Spinoza, Leo Strauss, Habermas, sowie zu systematischen Problemen der politischen und Sozialphilosophie. Winfried Schröder (Philipps-Universität Marburg). – Veröffentlichungen: Spinoza in der deutschen Frühaufklärung (1987); Ursprünge des Atheismus ([1998]; 2012); Moralischer Nihilismus ([2002] 2005); Athen und Jerusalem. Die philosophische Kritik am Christentum in Antike und Neuzeit ([2011]; 2013); (Hrsg.) De tribus impostoribus (1999); (Hrsg.) Traité des trois imposteurs ([1992] 1994); (Hrsg.) Philosophische Clandestina der deutschen Aufklärung (1999 ff.); (Hrsg.) Freidenker der europäischen Aufklärung (1994 ff.); (Mit-Hrsg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie (ab Bd.11); (Hrsg.), Gestalten des Deismus in Europa (2013); (Hrsg.) Reading between the Lines. Leo Strauss and the History of Early Modern Philosophy (2016); (Hrsg., mit S. Sala-

Zu den Autorinnen und Autoren

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towsky) Duldung religiöser Vielfalt – Sorge um die wahre Religion. Toleranzdebatten in der Frühen Neuzeit (2016); (Hrsg., mit Sonja Lavaert) The Dutch Legacy: Radical Thinkers of the 17th Century and the Enlightenment (2017). Else Walravens (Vrije Universiteit Brussel). – Veröffentlichungen: Johann Christian Edelmann (1978); (Hrsg., mit Hubert Vandenbossche) De politieke filosofie van Spinoza. La philosophie politique de Spinoza (1978); (Hrsg.) Tijdschrift voor de studie van de verlichting en van het vrije denken (1984 – 1990); (Hrsg.) Dialectiek van de verlichting (1984); (Hrsg.) Conservatisme vóór de Franse Revolutie (1987); (Hrsg.) De verlichting heden (1990); (Hrsg., mit Johan Stuy) Denken als openheid (1998); (Hrsg.) Liefde in meervoud (1996, 2001); (Hrsg. mit Tinneke Beeckman und Marc Van den Bossche, Het verstaan van de ander (2006); De verwondering. Een geschiedenis van de westerse filosofie van Thales tot Nietzsche (2012); Aufsätze u. a. über Lessing, Mendelssohn, Kant, Edelmann, Reimarus, sowie über De Beauvoir, Lyotard und Rorty.