Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts: Verfassungs- und europarechtliche Grenzen sozialrechtlicher Regelungen des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts anhand ausgewählter Beispiele [1 ed.] 9783428531226, 9783428131228

In der Vergangenheit hat der Bundesgesetzgeber unter Rückgriff auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Soz

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Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts: Verfassungs- und europarechtliche Grenzen sozialrechtlicher Regelungen des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts anhand ausgewählter Beispiele [1 ed.]
 9783428531226, 9783428131228

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Schriften zum Gesundheitsrecht Band 18

Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts Verfassungs- und europarechtliche Grenzen sozialrechtlicher Regelungen des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts anhand ausgewählter Beispiele

Von Marc Schüffner Laura Schnall

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MARC SCHÜFFNER / LAURA SCHNALL

Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts

Schriften zum Gesundheitsrecht Band 18 Herausgegeben von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR), Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin a.D.

Hypertrophie des ärztlichen Sozialrechts Verfassungs- und europarechtliche Grenzen sozialrechtlicher Regelungen des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts anhand ausgewählter Beispiele

Von Marc Schüffner Laura Schnall

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1614-1385 ISBN 978-3-428-13122-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Das (zahn-)ärztliche Berufsrecht kommt nicht zur Ruhe. Mit immer neuen gesetzgeberischen Eingriffen versucht der Bundesgesetzgeber, den offensichtlichen Fehlentwicklungen im Bereich der Gesundheitsversorgung zu begegnen. Davon ist insbesondere das ärztliche Berufsrecht in erheblichem Maße betroffen. Unter Rückgriff auf die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG statuierte Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung bemühen sich die Apologeten staatsnaher medizinischer Versorgung, den klassischen Status des Arztberufs als freien Beruf faktisch auszuhöhlen und ihn einer immer stärkeren staatlichen Regulierung zu unterwerfen. Letztlich durchbrechen diese Bemühungen die Grenzen der Verfassung, die Freiheit und Eigenverantwortung der Ärzte schützt. Die vorliegende Schrift will einen Beitrag dazu leisten, die verfassungs- und europarechtlichen Grenzen sozialrechtlicher Regelungen des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts anhand ausgewählter Beispiele zu beleuchten. Da das vorliegende Werk im Juli 2008 fertig gestellt wurde, konnte die begrüßenswerte Abschaffung der vertragsärztlichen Höchstaltersgrenze rückwirkend zum 1. Oktober 2008 nur noch am Rande behandelt werden. Die Erörterung dieser Thematik wurde wegen ihrer verfassungs- und europarechtlichen Bedeutung auch in der Druckfassung beibehalten. Die vorliegende Schrift ist als Studie im Auftrag des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) entstanden, das sich als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung für ein freies, faires und partnerschaftliches Gesundheitswesen einsetzt und sich dazu in den Bereichen Forschung, Lehre, Beratung und Nachwuchsförderung engagiert. Dem Direktor und Vorstandsvorsitzenden des DIGR, Herrn Univ.-Prof. Dr. Helge Sodan, sind wir zu besonderem Dank für vielfache Anregungen, für die Aufnahme in die Reihe „Schriften zum Gesundheitsrecht“ sowie für die Vermittlung eines Druckkostenzuschusses des DIGR verpflichtet. Für hilfreiche thematische Anregungen bedanken wir uns ferner beim Koordinator des Consiliums der Bundeszahnärztekammer, Herrn Prof. Dr. Burkhard Tiemann. Schließlich sind wir auch unseren jeweiligen Arbeitgebern für die Unterstützung bei der Anfertigung der Studie äußerst dankbar. In diesem Sinne dankt der Unterzeichner der Kanzlei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten, eine der größten deutschen Rechtsanwaltskanzleien, für die er in Berlin als Rechtsanwalt tätig ist und zu deren Tätigkeitsschwerpunkten auch der gesamte Bereich des Gesundheitsrechts gehört. Die Unterzeichnerin bedankt sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Herrn Univ.-Prof. Dr. Stefan Leible, Rechtsund Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth.

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Vorwort

Möge die vorliegende Schrift zu einer verfassungs- und europarechtskonformen Gestaltung des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts beitragen, welche den freien Beruf als charakteristisches Merkmal der Ärzteschaft im Blick behält. Berlin/Bayreuth im März 2009

Dr. Marc Schüffner, Laura Schnall

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers im Bereich des Gesundheitswesens . 16 I. Gesetzgebungskompetenzen im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG: „Sozialversicherung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) Maßnahmen gegen Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 b) Zulassung zu ärztlichen Heilberufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 c) Arzneien, Medizinprodukte, Heil- und Betäubungsmittel und Gifte . . . . . . . . . . 18 3. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Art. 70 Abs. 1 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Formelle Verfassungswidrigkeit des VÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Differenzen zwischen VÄndG und Berufsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) Zulässige bundesgesetzliche Übernahme von ärztlichem Berufsrecht . . . . . . . . 23 b) Unzulässige bundesgesetzliche Änderung von ärztlichem Berufsrecht . . . . . . . . 24 aa) Verstoß gegen die Zuweisungen von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und Art. 70 GG . 24 bb) Annexkompetenz kraft Sachzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und 19a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

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Inhaltsverzeichnis

C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers im Bereich des Gesundheitswesens 27

I. Grundrechtsschutz ärztlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Gewährleistungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Persönlicher Gewährleistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Sachlicher Gewährleistungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 c) Privatarzt als Selbständiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 d) Arzt als Angestellter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 e) Arzt als Beamter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 f) Vertragsarzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Gewährleistungsbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Gewährleistungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4. Gewährleistungsbereich des Art. 9 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5. Gewährleistungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

II. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit als Eingriff in den Schutzbereich ärztlicher Grundrechte – die Bonus-Malus-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Inhalt der Bonus-Malus-Regel, § 84 Abs. 7a SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Kritik an der Bonus-Malus-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Verstoß der Bonus-Malus-Regelung gegen das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . 36 aa) Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 bb) Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 d) Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4. Folgen des GKV-WSG für die Bonus-Malus-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5. Zulässigkeit einer den § 84 Abs. 7a und 4a SGB V de facto außer Kraft setzenden Zielvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Inhaltsverzeichnis

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III. Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht . . . . . . . . 42 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Sechsjährige Zulassungssperre, § 95b Abs. 2 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 bb) Vereinbarkeit mit Artikel 9 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Beschränkung der Vergütung, § 95b Abs. 3 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Rechtsprechung des Bundessozialgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 c) Verbot von Einzelverträgen, § 72a Abs. 3 Satz 3 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 IV. Privatversicherungsrechtlicher Basistarif und Sicherstellungsauftrag – ein Systembruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Inhalt des Basistarifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Die Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Der Sicherstellungsauftrag gemäß § 72 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Der Sicherstellungsauftrag gemäß § 75 SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Funktion der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (KV) bzw. der Kassen(zahn)ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 bb) Inhalt und Umfang der Sicherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Auswirkungen des Sicherstellungsauftrags auf den Basistarif . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Behandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Gebührensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 5. Innere Systemwidersprüche des basistariflichen Sicherstellungsauftrags . . . . . . . . 61 V. Höchstaltersgrenzen als grundrechtliches und europarechtliches Problem . . . . . . . . . 62 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Abgrenzung: Eingriff in die Berufswahl oder Berufsausübung? . . . . . . . . . . . . 63

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Inhaltsverzeichnis b) Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 aa) Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der gesetzlich Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Vertragsarztgenerationen – Sonderfall Zahnärzte? . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5. Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6. Vereinbarkeit mit dem AGG bzw. der Antidiskriminierungsrichtlinie . . . . . . . . . . 72 a) Eröffnung des Anwendungsbereichs des AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 aa) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Rechtfertigung der Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 d) Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Diskriminierung nach dem AGG . . . . . . 75 e) Richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 f) Vereinbarkeit der Richtlinie 2000/78/EG mit § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V . . . . . . 75 aa) Anwendungsbereich der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Diskriminierung gemäß Art. 2 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) Rechtfertigung der Altersdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Rechtfertigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (2) Rechtfertigung gemäß Art. 4 Abs. 1 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (3) Rechtfertigung nach Art. 7 Abs. 1 RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 g) Unmittelbare Wirkung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 h) Mangold-Entscheidung des EuGH und nationale Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 81 i) Die Palacios-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

D. Zusammenfassung in Leitsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers im Bereich des Gesundheitswesens . . . 85 II. Grundrechtsschutz ärztlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis

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III. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit als Eingriff in den Schutzbereich ärztlicher Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 IV. Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht . . . . . . . 87 V. Basistariflicher Sicherstellungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 VI. Höchstaltersgrenzen als grundrechtliches und europarechtliches Problem . . . . . . . . 89 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

A. Einleitung Die tiefgreifende Krise des gegenwärtigen Struktursystems des deutschen Sozialstaats zeitigt eine Vielzahl von Symptomen. Zu ihnen gehört auch die konkrete rechtliche Gestalt der Einbindung von (Zahn-)Ärzten in das Modell der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Schon längst begnügt sich der Bundesgesetzgeber nicht mehr mit der bloßen Vorgabe eines Rahmens für die Ausübung der Heilkunde in diesem Bereich. Vielmehr bestimmt er mit seinem dichten rechtlichen Netz von Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Verwaltung (zahn-)ärztlicher Tätigkeit faktisch die Grundlagen der Berufsausübung von Ärzten.1 Um die politische Intention einer möglichst umfassenden gesetzlichen Strukturierung der ärztlichen Tätigkeit zu realisieren, bedient sich der Gesetzgeber des Sozialrechts. Diese sozialrechtliche Einordnung des Arztberufs bewirkt zahlreiche Veränderungen des Berufsbildes der Ärzteschaft, die wiederum schon seit längerer Zeit sowohl zu massiven ökonomischen Belastungen vieler Ärzte als auch zu einer Beurteilung der ärztlichen Heilbehandlung ausschließlich unter Kostengesichtspunkten führen.2 Zwar ist es selbstverständlich und auch gar nicht vermeidbar, dass die Einbindung der Heilberufe in den Sozialstaat schon grundsätzlich das Bedürfnis nach rechtlichen Regelungen generiert. Nicht notwendig ist dagegen eine rechtliche Verdichtung der (zahn-)ärztlichen Berufsausübung, welche alle Bereiche (zahn-)ärztlichen Handelns einem kaum noch zu überschauenden komplexen Regelungssystem unterwirft. Der freiheitliche Raum individueller und eigenverantwortlicher Berufstätigkeit tritt in einem solchen System hinter die genormte Funktionszuschreibung eines staatsnahen Leistungserbringers zurück oder ist sogar ganz zerstört. Die steigende Flut an immer detaillierteren Gesetzesbestimmungen schränkt insofern den Handlungsspielraum des einzelnen (Vertrags-)Arztes immer weiter ein. Gleichzeitig wird es für den einzelnen Arzt, der regelmäßig juristischer Laie ist, faktisch schier unmöglich, die für ihn geltenden Bestimmungen zu überblicken. Hat sich aber der Staat erst einmal entschieden, einen Bereich gesetzlich detailliert zu regeln, hat dies aus der Natur der Sache heraus einen künftigen Bedarf an weiteren Detailbestimmungen zur Folge: Wenn nämlich die vorhandenen Detailbestimmungen die Wirklichkeit nicht mehr erfassen, ist der Gesetzgeber gezwungen, sie durch weitere De-

1 Vgl. Catrin Gesellensetter, Die Annäherung des Freien Arztberufes an das Gewerbe, 2007, S. 22. 2 Adolf Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, § 2 Rn. 4; Gesellensetter (Fn. 1), S. 25.

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A. Einleitung

tailbestimmungen anzupassen bzw. zu ergänzen.3 Diese negative Entwicklung fällt aus der Perspektive (zahn-)ärztlicher Berufsausübung besonders gravierend aus. Sie kann als Hypertrophie des Sozialrechts bezeichnet werden, weil sich das Sozialrecht in der Realität von seiner ursprünglich begrenzten Funktion – der rechtlichen Gestaltung der Hilfe für Schutzbedürftige in den Wechselfällen des Lebens – immer weiter entfernt und zu einem umfassenden Steuerungsinstrument des deutschen Gesundheitsbereichs entwickelt hat. Zu den jüngsten gesundheitsrechtlichen Gesetzeswerken, die diese rechtspolitischen Tendenzen aufweisen, zählt beispielsweise das am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze (Vertragsarztrechtsänderungsgesetz – VÄndG) vom 22. Dezember 20064. Es modifiziert einen großen Teil bisheriger arztrechtlicher Regelungen und wirft damit die Frage nach dem Verhältnis zu schon bestehenden berufsrechtlichen Bestimmungen auf. Insbesondere wurden die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) sowie weite Bereiche des SGB V geändert, welche die (zahn-)ärztliche Berufsausübung betreffen. Nur vier Monate später traten am 1. April 2007 die ersten Regelungen des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26. März 20075 in Kraft. Dadurch kam es zu Überschneidungen mit früher erlassenen Regelungen wie etwa dem Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) vom 26. April 20066. So wurde infolgedessen die mit dem AVWG eingeführte so genannte Bonus-Malus-Regelung des § 84 Abs. 7a SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in der Praxis fallengelassen.7 Die vorstehend beschriebenen Konsequenzen – wie etwa der Rationalisierungsund Kostendruck oder die Unüberschaubarkeit des komplexen und stetigen Änderungen unterworfenen Regelungssystems – wirken sich dabei im übrigen in negativer Weise nicht nur auf die Heilberufe, sondern auch auf die Patienten aus. Sie werden ebenfalls einem überregulierten Modell unterworfen, das sie selbst nicht freiwillig gewählt haben und das die typisch paternalistischen Züge der Kollektivversorgung trägt. Die tiefere Ursache dieser Entwicklung liegt neben vielen anderen Gründen letztlich im Menschenbild begründet, dem einige der politischen Entscheidungsträger anhängen. Es ist von dem Gedanken geprägt, dass Risikosituationen – zu denen gesundheitliche Beeinträchtigungen typischerweise gehören – regelmäßig von den Beteiligten (Ärzte und Patienten) nicht selbst bewältigt werden können, sondern um3 Näher dazu Helge Sodan/Marc Schüffner, Staatsmedizin auf dem Prüfstand der Verfassung, 2006, S. 4. 4 BGBl. I, S. 3439. 5 BGBl. I, S. 378. 6 BGBl. I, S. 984. 7 Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen, Pressemitteilung vom 10. 10. 2007 – „Rahmen für Arzneimittelausgaben im Jahr 2007 vereinbart“.

A. Einleitung

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fangreicher staatlicher Vorgaben bedürfen. Die sich daraus ergebende Regelungsemphase untergräbt unter dem Deckmantel sozialstaatlicher Fürsorge die Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens zugunsten eines Kollektivsystems, das individuellen Interessen nicht mehr gerecht werden kann und dies auch gar nicht beabsichtigt. Diese Entwicklung ist allerdings nicht unumkehrbar. Ihr stehen nicht nur die schon gegenwärtig deutlich sichtbaren Finanzierungsprobleme entgegen, die mittel- und langfristig zu erheblichen Strukturveränderungen im deutschen Gesundheitswesen führen müssen. Gegen die Mutation sozialstaatlicher Hilfe für die Schwachen zu einem Modell staatsnaher Gesundheitsversorgung steht auch die deutsche Verfassung. Sie begrenzt den legislativen Gestaltungsspielraum sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht. Zum einen weist sie die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts nicht dem Bundesgesetzgeber, sondern den Ländern zu. Zum anderen sichern die Grundrechte ihren Trägern einen selbstbestimmten Freiheitsraum, der staatlicherseits weder intentional noch faktisch aufgehoben werden darf. Auch aus dem europäischen Rechtssystem lassen sich Schranken gegen freiheitsfeindliche Entwicklungstendenzen in der deutschen Gesundheitsversorgung ableiten. Die vorliegende Arbeit will auf der Basis des geltenden Rechts einen Beitrag dazu leisten, die Problematik kollektivistischer Regelungsmodelle der (zahn-)ärztlichen Berufsausübung aufzuzeigen. Dazu untersucht sie exemplarisch die Verfassungsmäßigkeit und europarechtliche Zulässigkeit einiger Regulierungsbestimmungen aus der rechtlichen Perspektive der betroffenen (Zahn-)Ärzte. Dabei werden zunächst allgemein die Grenzen des Gesetzgebers in formeller und materieller Hinsicht erläutert und danach beispielhaft einzelne Gestaltungen einer rechtlichen Prüfung unterzogen.

B. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers im Bereich des Gesundheitswesens I. Gesetzgebungskompetenzen im Gesundheitswesen Auch nach der zum 1. September 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform I1 bleibt die gesetzgebende Gewalt im Bereich des Gesundheitswesens auf Bund und Länder verteilt. Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Zuordnungen zur konkurrierenden Gesetzgebung wurden durch die Reform im Wortlaut nicht berührt. Da den Ländern somit nach wie vor gemäß Art. 70 Abs. 1 GG eine Auffangkompetenz für das Gesundheitsrecht zusteht, bedarf jede gesundheitsrechtliche Regelung des Bundesgesetzgebers weiterhin einer genauen Zuständigkeitsüberprüfung, um die von der Verfassung vorgegebene föderalistische Kräfteverteilung zu wahren. Laut Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 19 und 19a GG gehören die Sozialversicherung, Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen, das Recht der Arzneimittel und das Recht der wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser sowie die Regelung der Krankenhauspflegesätze zur konkurrierenden Gesetzgebung. Dabei haben grundsätzlich die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Diese sogenannte Kernkompetenz ist dadurch gekennzeichnet, dass mit dem voraussetzungslosen Gebrauchmachen der Kompetenz durch den Bund eine Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung eintritt.2 Die Anwendung der in Art. 72 Abs. 2 GG statuierten zusätzlichen Voraussetzung der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung ist dagegen durch die Föderalismusreform eingeschränkt worden und gilt nicht mehr für alle Regelungsbereiche der konkurrierenden Gesetzgebung. Der Inhalt der unter diese Kernkompetenz fallenden Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, 19 und 19a GG stellt sich wie folgt dar:

1 Vgl. das „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes […]“ vom 28. 08. 2006, BGBl. I, S. 2034. 2 Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl. 2007, Art. 72 Rn. 5.

I. Gesetzgebungskompetenzen im Gesundheitswesen

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1. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG: „Sozialversicherung“ Der in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG enthaltene Begriff der „Sozialversicherung“ ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „weit gefasst.“3 Das Bundesverfassungsgericht entnimmt dem Begriff wesentliche Strukturelemente: Er sei gekennzeichnet durch das soziale Bedürfnis nach Ausgleich besonderer Lasten, die Aufbringung der erforderlichen Mittel durch Beiträge der Beteiligten oder Betroffenen4 und die organisatorische Durchführung durch selbständige Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts.5 Die GKV wird überwiegend unter den Begriff der „Sozialversicherung“ subsumiert.6 Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, ob auch die Berufsausübung der Vertragsärzte unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG fällt und damit von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes umfasst ist. Das Bundesverfassungsgericht sieht zwar das „Recht der Vertragsärzte“ grundsätzlich als Teil des Krankenversicherungsrechts an, umreißt diesen Begriff allerdings nicht näher.7 Die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung sieht Art. 72 Abs. 2 GG n. F. hinsichtlich des Rechts der Sozialversicherung nicht mehr vor.

2. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG a) Maßnahmen gegen Krankheiten Von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG erfasst werden Maßnahmen gegen Krankheiten, d. h. regelwidrige Körper- oder Geisteszustände, die ärztlicher Behandlung bedürfen, sofern sie gemeingefährlich oder übertragbar sind. Auch Vorbeugungsmaßnahmen – wie Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen und Meldepflichten – gehören zum Regelungsgegenstand des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG.8 b) Zulassung zu ärztlichen Heilberufen Die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ebenfalls genannte Zulassung zu ärztlichen Heilberufen umfasst die Vorschriften, die sich auf Erteilung, Zurücknahme und Verlust der Approbation und auf die Befugnis zur Ausübung des ärztlichen Berufs beziehen.9 3

BVerfGE 75, 108 (146 f.); 87, 1 (34); 88, 203 (313). BVerfGE 87, 1 (34); Pieroth (Fn. 2), Art. 74 Rn. 30. 5 BVerfGE 11, 105 (111 ff.). 6 Vgl. Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 12; Christian von Pestalozza, Kompetentielle Fragen des Entwurfs eines Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes, in: GesR 2006, S. 389 (394). 7 BVerfGE 98, 265 (303); 103, 172 (183 – 195); vgl. von Pestalozza (Fn. 6), S. 389 (395). 8 Pieroth (Fn. 2), Art. 74 Rn. 41. 9 BVerfGE 4, 74 (83); 33, 125 (154 f.); vgl. ferner Stefan Oeter, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 74 Rn. 149. 4

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B. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Zur Zulassung gehören auch das Prüfungswesen und die Ausbildung.10 Keine Frage der Zulassung ist die Berufsausübung. Deshalb gehören weder das Ärztekammerrecht11 noch der Berufsbezeichnungsschutz12 noch das Facharztwesen13 oder Gebührenfragen14 zum Regelungsbereich des Art. 74 Nr. 19 GG. Der Bund darf keine Regelungen treffen, die über die Erteilung und den Verlust der Approbation hinausgehen. Seine Zuständigkeit im Bereich der Heilberufe kann er auch nicht selbständig erweitern, indem er diese in verschiedene Professionen auffächert, so dass berufsregelnde Normen als Zulassungsvorschriften fungieren.15 Solange Berufe oder Berufszweige dem Heilkundesektor zuzuordnen sind und der Approbation bedürfen, bleibt es bei der klaren Trennung von Zulassungs- und Berufsausübungsrechten. Abweichende Regelungen wären eine unzulässige Umgehung eindeutiger legislativer Kompetenzregelungen des Grundgesetzes.16 c) Arzneien, Medizinprodukte, Heil- und Betäubungsmittel und Gifte Arzneien, Medizinprodukte, Heil- und Betäubungsmittel und Gifte umfassen – anders als vor Inkrafttreten der Föderalismusreform – nicht nur den Verkehr mit diesen Stoffen, sondern nunmehr auch „das Recht dieser Gegenstände insgesamt“.17 Unter anderem gehören dazu Umsatz, Vertrieb, Herstellung, Handel und Preisbildung.

3. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG beinhaltet Kompetenzzuweisungen für die wirtschaftliche Sicherung von Krankenhäusern und die Regelung der Krankenhauspflegesätze. Die Norm erfasst öffentliche und private Krankenhäuser im Zusammenhang mit stationärer ärztlicher Heilbehandlung.

4. Art. 70 Abs. 1 Satz 1 GG Die übrigen Bereiche des Gesundheitswesens fallen nach Art. 70 Abs. 1 Satz 1 GG in die Auffangkompetenz der Länder. Zu ihr gehört mithin auch die Befugnis 10 11 12 13 14 15 16 17

BVerfGE 106, 62 (129 ff.); BVerwGE 169, 174 f.; Oeter (Fn. 9), Rn. 149. BVerwGE 39, 110 (112); 41, 261 (269). BVerfGE 106, 62 (125 ff.). BVerfGE 33, 125 (155), 98, 265 (307). BVerfGE 17, 287 (292); 68, 319 (327). Gesellensetter (Fn. 1 in A.), S. 81. Gesellensetter (Fn. 1 in A.), S. 81. So die Begründung zum Gesetzentwurf, vgl. BT-Drucks. 16/813, S. 13.

II. Formelle Verfassungswidrigkeit des VändG

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„ausschließlich der Länder, die Berufsausübung der Ärzte nach ihrer Zulassung zu regeln.“18 Auf dieser kompetentiellen Basis fußen die jeweiligen Landesheilberufsgesetze, auf deren Grundlage wiederum das ärztliche Berufsrecht als Satzungsrecht von den zuständigen Ärztekammern erlassen wird. Die Kammer- und Heilberufsgesetze der einzelnen Länder sind dem staatlichen Berufsrecht zuzuordnen. Sie bewirken eine enge Verknüpfung zwischen Fremd- und Selbstkontrolle der Ärzteschaft: Neben einer Generalpflichtenklausel legen Kammer- und Heilberufsgesetze nur in Grundzügen die einzelnen Berufspflichten – beispielsweise die Pflicht, am ärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen – fest. Im Übrigen ermächtigt der formelle Gesetzgeber die Landesärztekammern dazu, die Berufspflichten etwa in den Berufs- und Weiterbildungsordnungen verbindlich als für den Arzt unmittelbar geltendes Recht zu bestimmen.19 Auch wenn damit die wesentlichen Berufsausübungsregeln von den Standesvertretungen der Ärzte erarbeitet und erlassen werden, entsteht eine Verpflichtung der Kammermitglieder aus diesen materiellen Normen jedoch erst dann, wenn die Vorgaben der Kammer als Satzungsrecht durch die nach Landesrecht zuständige Rechtsaufsichtsbehörde genehmigt sind.20 Insofern induzieren die Kammerordnungen eine unmittelbare Verbindung des staatlichen Berufsrechts mit dem (zahn-) ärztlichen Standesrecht.

II. Formelle Verfassungswidrigkeit des VÄndG Der vorstehend beschriebene verfassungsrechtlich statuierte „Vorrang des in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallenden ärztlichen Berufsrechts“21 wird dann gefährdet, wenn der Bund die Kernkompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zum Anlass nimmt, im Wege der konkurrierenden Gesetzgebung die Materie des ärztlichen Berufsrechts faktisch mitzuregeln.22 Die kompetentielle Problematik einer faktischen Regelung des Berufsrechts durch sozialrechtliche Bestimmungen wird am Beispiel des VÄndG besonders deutlich.

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BVerfGE 71, 162. Gesellensetter (Fn. 1 in A.) m. w. N., S. 81 f. 20 Gesellensetter (Fn. 1 in A.), S. 82. 21 So BSGE, 80, 256. 22 Zutreffend Stephan Rixen, In guter Verfassung? Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) auf dem Prüfstand der Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes, in: VSSR 2007, S. 213 (217 ff.). 19

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B. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

1. Differenzen zwischen VÄndG und Berufsordnungen Die Berufsordnungen zahlreicher Länder und das VÄndG widersprechen sich in mehreren Bestimmungen. Dazu gehören etwa die Regelungen zur Beschäftigung angestellter Praxisärzte. Nach dem VÄndG darf eine Anstellung unabhängig vom Behandlungsauftrag erfolgen,23 während die (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO)24 im Rahmen des allgemeinen ärztlichen Berufsrechts, welches auf den landesrechtlichen Heilberufsgesetzen beruht, dies nicht zulässt (vgl. § 19 Abs. 2 MBO25). Ein weiterer Widerspruch ergibt sich bei der Regelung der vertragsärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragsarztsitzes. Im Unterschied zum ärztlichen Berufsrecht (vgl. § 17 Abs. 2 MBO26) wird dem Vertragsarzt durch das VÄndG nunmehr ermöglicht, neben der Tätigkeit an seinem Vertragsarztsitz an weiteren Orten tätig zu sein, ohne dabei durch eine Höchstzahl begrenzt zu sein.27 Die beschriebenen Neuerungen des VÄndG kollidieren mit den berufsrechtlichen Vorschriften derjenigen Länder, in denen das von den Kammern gesetzte Recht mit der MBO übereinstimmt. Aufgrund dieser Abweichungen kam es bereits im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes zu Kritik. Der Bundesrat rügte in seiner Stellungnahme vom 7. Juli 2006 zum Entwurf des VÄndG28 die fehlenden Kompetenzen des Bundesgesetzgebers zum Erlass derartiger arztrechtlicher Regelungen im VÄndG, da der Bundesgesetzgeber mit diesen Regelungen den Vorrang des landesrechtlichen Berufsausübungs23 Nach alter Rechtslage durften Vertragsärzte einen ganztags beschäftigten Arzt desselben Fachgebiets oder höchstens zwei halbtags beschäftigte Ärzte desselben Fachgebietes anstellen, wenn der anstellende Vertragsarzt sich verpflichtete, das im entsprechenden Vorjahresquartal anerkannte Leistungsvolumen um nicht mehr als drei Prozent des Fachgruppendurchschnitts dieses Vorjahresquartals zu überschreiten, § 95 Abs. 9 SGB V a. F. i. V. m. § 32 b Abs. 1 ÄrzteZV a. F. bzw. § 101 Abs. 1 Nr. 5 SGB V i. V. m. Ziffer 1.3/Ziffer 3 der Richtlinien über die Beschäftigung von angestellten Praxisärzten in der Vertragsarztpraxis vom 1.10.1997. 24 Zu berücksichtigen ist, dass die MBO als (Muster-)Berufsordnung der Ärzte lediglich eine Empfehlung der Bundesärztekammer darstellt. In den einzelnen Ländern kann es bei der autonomen Rechtssetzung durchaus Abweichungen von der MBO geben. 25 Art. 19 Abs. 2 MBO: „In Fällen, in denen der Behandlungsauftrag der Patientin oder des Patienten regelmäßig nur von Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachgebiete gemeinschaftlich durchgeführt werden kann, darf eine Fachärztin oder ein Facharzt als Praxisinhaberin oder Praxisinhaber die für sie oder ihn fachgebietsfremde ärztliche Leistung auch durch eine angestellte Fachärztin oder einen angestellten Facharzt des anderen Fachgebiets erbringen.“ 26 Art. 17 Abs. 2 MBO: „Ärztinnen und Ärzten ist es gestattet, über den Praxissitz hinaus an zwei weiteren Orten ärztlich tätig zu sein. Ärztinnen und Ärzte haben Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten an jedem Ort ihrer Tätigkeiten zu treffen.“ 27 § 98 Abs. 2 Nr. 19 SGB V n. F.; § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV n. F. 28 Vgl. BR-Drucks. 353/1/06, S. 7.

II. Formelle Verfassungswidrigkeit des VändG

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rechts der betroffenen Heilberufe nicht berücksichtige. So lasse – wie bereits dargestellt – der Entwurf des VÄndG die fachgebietsübergreifende Anstellung von Ärzten zu, was hingegen vom Kammerrecht der Ärztekammer nicht überall übernommen worden sei. Letztlich schlug der Bundesrat vor, in die entsprechenden Vorschriften einen Vorbehalt zu Gunsten der landesrechtlichen Berufsausübungsregelungen aufzunehmen. Die Bundesregierung lehnte dies ab,29 da aus den Regelungen des VÄndG deutlich hervorgehe, dass sie „ausschließlich Aussagen zur vertragsärztlichen Zulässigkeit“ träfen, ohne berufsrechtliche Zulässigkeitshindernisse zu tangieren. Einige Stimmen im Schrifttum folgern daraus einschränkend, dass das VÄndG überall dort nicht angewandt werden könne, wo landesrechtliche Regelungen in den Berufsordnungen den Vorschriften des VÄndG entgegenstünden. Das Vertragsarztrecht eröffne insofern einen sozialrechtlichen Handlungsrahmen für Vertragsärzte, den aber nur diejenigen Ärzte ausnutzen könnten, denen das jeweilige Berufsrecht der Kammern einen entsprechenden Handlungsrahmen gewähre.30 Daneben kritisiert ein anderer Teil der Literatur die Versuche der Bundesregierung, kompetenzrechtliche Bedenken zu übergehen.31 Dazu gehören auch offizielle Äußerungen der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf. So heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 22. Juni 200632 : „Die alten Zöpfe des ständischen Niederlassungsrechts müssen endlich ab.“ Die Schlussfolgerung ist nicht ganz fernliegend, dass die Bundesregierung hier zugunsten ihrer rechtspolitischen Ziele der Prüfung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Kompetenzsystematik keine Priorität eingeräumt hat. Konsequenterweise wird in der Gesetzesbegründung33 daher auch nur oberflächlich auf diese Problematik eingegangen: „Die neue (Muster-)Berufsordung Ärzte (MBO-Ä) erfüllt derzeit die ihr zugedachte Funktion, durch Empfehlung an die Ärztekammern als Normgeber der Berufsordnungen eine Simultannormgebung auf dem Gebiet des allgemeinen Berufsrechts zu gewährleisten, nicht in ausreichendem Maße; […] Deshalb ist es zur Transformation von Regelungen der MBO-Ä ins Vertragsarztrechts nicht zweckmäßig, wie bisher in Form einer dynamischen Verweisung auf landesrechtliche Vorschriften über die Berufsausübung zu verweisen […] Die entsprechenden Tatbestände werden daher zwar – grundsätzlich – inhaltlich gleichlautend, aber eigenständig ausformuliert. Darüber hinaus ist es zur Herstellung effizienter und auch medizinisch sinnvoller Versorgungsstrukturen in einigen Bereichen notwendig, im Vertragsarztrecht über die im ärztlichen Berufsrecht erfolgte Liberalisierung hinauszugehen.“ 29

BT-Drucks. 16/2474, S. 42. Ulrich Orlowski/Bernd Halbe/Thomas Karch, Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG), 2. Aufl. 2007, S. 6. 31 von Pestalozza (Fn. 6), S. 389 (395); Rixen (Fn. 22), 213 (219 ff.). 32 Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung Nr. 111 vom 22.09.2006 – „Mehr Flexibilität und Entscheidungsfreiheit für Ärztinnen und Ärzte“. 33 BT-Drucks. 16/2474, S. 16. 30

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B. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Es fällt vor diesem Hintergrund in der Tat schwer, nachzuvollziehen, dass das VÄndG ausschließlich die vertragsärztliche Zulässigkeit betreffe und das ärztliche Berufsrecht respektierend rezipiert werde. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass die eigentliche Intention des Gesetzesvorhabens die Veränderung des ärztlichen Berufsrechts ist34 und das Gesetz das ärztliche Berufsrecht den sozialrechtlich induzierten Bedürfnissen der GKV anzupassen beabsichtigt. Das VÄndG kann sich bei diesen Änderungen nicht auf die Kompetenztitel der Verfassung stützen.

2. Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG einschlägig sei.35 Aus der vorstehend beschriebenen Definition der „Sozialversicherung“ folgt jedoch nicht automatisch, dass das gesamte (zahn-)ärztliche Berufsrecht, soweit es Vertrags(zahn)ärzte betrifft, von einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes erfasst ist.36 Bei deren Auslegung ist insbesondere die Funktion der „klassischen“ Sozialversicherung zu berücksichtigen: Diese bezieht sich primär auf den solidarischen Schutz der in bestimmten Krisensituationen Hilfebedürftigen durch die Gemeinschaft.37 Von der legislativen Bundeskompetenz der Sozialversicherung können deshalb nur Regelungen umfasst sein, die unmittelbar diese Schutzfunktion konkretisieren. Vor diesem Hintergrund erscheint die Subsumtion von Regelungen über die Zahl der Vertragsarztsitze oder die Anstellung von Vertragsärzten als Arbeitnehmer in einer Praxis unter den Begriff der „Sozialversicherung“ überaus zweifelhaft, weil diese Regelungen von der dargestellten ursprünglichen Funktion einer Sozialversicherung weit entfernt sind. Sie sind stattdessen klassische Berufsausübungsregelungen, die der Einbindung der ärztlichen Berufsträger in ein staatsnahes System der Gesundheitsversorgung dienen. Selbst wenn man davon ausginge, dass das Vertragsarztrecht grundsätzlicher Bestandteil des „Sozialversicherung“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG wäre, so wäre diese Gesetzgebungskompetenz des Bundes doch beschränkt durch die Kompetenz „ausschließlich der Länder, die Berufsausübung der Ärzte nach ihrer Zulassung zu regeln.“38 Daher ist zu differenzieren zwischen dem Recht der Vertragsärzte, das noch auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gegründet ist, und allgemeinem ärztlichen Berufsrecht, das der Zuständigkeit der Länder obliegt. Das Bundesverfassungsgericht ordnet die legislativen Kompetenzen von Bund und Ländern nach dem Schwerpunkt der 34 35 36 37 38

Rixen (Fn. 22), S. 213 (221). BT-Drucks. 16/2474, S. 17 ff. Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 12. Vgl. Sodan/ Schüffner (Fn. 3 in A.) m. w. N., S. 12. BVerfGE 71, 162.

II. Formelle Verfassungswidrigkeit des VändG

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jeweiligen Regelung zu.39 Um diesen Schwerpunkt zu ermitteln, muss zunächst geprüft werden, welcher Handlungsspielraum den Ländern nach den bundesgesetzlichen Regelungen verbleibt. Denn davon hängt ab, ob überhaupt ein Zuständigkeitskonflikt vorliegt. Es gilt dabei zu unterscheiden zwischen denjenigen Regelungen, welche das allgemeine Berufsrecht adaptieren und denjenigen, welche es verändern. a) Zulässige bundesgesetzliche Übernahme von ärztlichem Berufsrecht Die bundesgesetzliche Übernahme von berufsrechtlichen Regelungen ist verfassungsrechtlich unproblematisch, wenn das allgemeine ärztliche Berufsrecht ohne sachliche Änderungen in das Vertragsarztrecht integriert wird.40 Dies geschieht regelmäßig durch eine dynamische oder statische Verweisung im Bundesrecht, in der auf das Landessatzungsrecht in seiner jeweiligen oder aktuellen Fassung verwiesen wird. Hier kann der Landesgesetzgeber bzw. die jeweilige Ärztekammer weiterhin ungehindert agieren und Normen ohne Eingriff durch den Bundesgesetzgeber beliebig ändern.41 Dieser kann sich nach Modifizierungen des Landessatzungsrechts seinerseits entscheiden, ob er diese im Vertragsarztrecht gelten lassen will und – wenn nicht – eine dynamische Verweisung zurücknehmen bzw. eine statische Verweisung rückwirkend ändern.42 Demokratie- und Bundesstaatsprinzip werden durch diese internormative wechselseitige Verweisungssystematik nicht angetastet. Ferner sind auch solche Regelungen des Bundesgesetzgebers verfassungskonform, welche nur zum Teil auf das allgemeine ärztliche Berufsrecht Bezug nehmen, da die Geltung des ärztlichen Berufsrechts dadurch nicht in Frage gestellt ist, sondern weiterhin anerkannt wird.43 Das Vertragsarztrecht tritt in diesem Fall nur neben, nicht an die Stelle des ärztlichen Berufsrechts.44 Die oben beschriebenen Regelungen des VÄndG gehören nicht dazu. Weder ganz noch teilweise übernehmen sie vorhandenes ärztliches Berufsrecht; stattdessen verändern sie es, indem sie sich zu den einschlägigen Regelungen des Berufsrechts in Widerspruch setzen.

39

BVerfGE 106, 62 (114 f.). BSGE, 82, 55 (59). 41 Vgl. auch die billigende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in BSGE 82, 55 (59); BSG, MedR 2001, S. 535 (537), die vom Bundesverfassungsgericht in BVerfG, MedR 2004, S. 608 (609), faktisch bestätigt worden ist. 42 Rixen (Fn. 22), S. 213 (227). 43 BVerfG, NJW 1999, S. 2730; BVerfG, NZS 2005, S. 91 (93). 44 Vgl. Rixen (Fn. 22), S. 213 (228 f.). 40

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B. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

b) Unzulässige bundesgesetzliche Änderung von ärztlichem Berufsrecht aa) Verstoß gegen die Zuweisungen von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und Art. 70 GG Ärztliche Berufsregeln des Bundes, die unter Bezugnahme auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG mit vertragsarztrechtlichen Normen verbunden werden, greifen in den Handlungsspielraum der Länder ein. Sie betreffen den Bereich des allgemeinen ärztlichen Berufsrechts, weil sie diesem bislang nicht bestehende Normen hinzufügen.45 Der normative Bereich des allgemeinen ärztlichen Berufsrechts wird mithin erweitert, weil die vertragsarztrechtlichen Vorschriften gleichzeitig den Anspruch haben, das allgemeine Berufsrecht zu regeln. So verhält es sich auch bei den vorstehend beschriebenen Regelungen des VÄndG. Die zitierte Gesetzesbegründung46 scheut sich in diesem Sinne nicht, die berufsrechtliche Regelungsabsicht des VÄndG explizit zu benennen. Insofern liegt ein Zuständigkeitskonflikt zulasten der Länder vor. bb) Annexkompetenz kraft Sachzusammenhang Derartige Regelungen sind schließlich auch nicht von einer „Annexkompetenz kraft Sachzusammenhangs“ umfasst. Diese bewusst zulasten einer Landesgesetzgebungskompetenz gehende extensive Anwendung einer Bundeskompetenz wird vom Bundesverfassungsgericht nur in engen Grenzen zugelassen,47 weil bei extensiverer Auslegung die Gefahr der Aushöhlung von Länderkompetenzen besteht.48 Die Annahme einer Annexkompetenz kraft Sachzusammenhanges hat zur Voraussetzung, dass eine Erweiterung der Bundeskompetenz unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der zugewiesenen Materie ist.49 Ein notwendiger Zusammenhang fehlt, wenn die betreffende Regelung selbstständig denkbar ist.50 Zulässig sind nur „reflexartige Auswirkungen“.51 Zudem genügt keinesfalls die bloße Erwägung, dass die Regelung „zweckmäßig“ sei.52 Schließlich verlangt die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine aussagekräftige Begründung des Gesetzgebers für die Unerlässlichkeit einer solchen Annexregelung.53

45 46 47 48 49 50 51 52 53

Rixen (Fn. 22), S. 213 (229 f.). BT-Drucks. 16/2474, S. 16. Vgl. etwa BVerfGE 3, 407 (421 f.); 17, 287 (292); 98, 265 (299 f.). Rixen (Fn. 22), S. 213 (230). BVerfGE 98, 265 (299 f.). BVerfGE 17, 287 (293). BVerfG, NJW 1996, S. 2497 (2498). BVerfGE 3, 407 (421). BVerfGE 106, 62 (123).

II. Formelle Verfassungswidrigkeit des VändG

25

Die im VÄndG enthaltenen Bestimmungen zur ärztlichen Berufsausübung sind weder „nicht selbstständig denkbar“ noch „reflexartige Auswirkung“ der vertragsärztlichen Rechtsmaterie. Vielmehr stellen sie – wie sich auch aus der zitierten Gesetzesbegründung ergibt – gezielte Normierungen des ärztlichen Berufsrechts dar.54 Es wird gerade nicht auf die Unerlässlichkeit der Regelung abgestellt, sondern im Gegenteil betont, man halte derartige Regelungen für „zweckmäßig“.55 Dass in diesem Fall der Übergriff auf die Landesmaterie des ärztlichen Berufsrechtsrechts durch Aneignung und Änderung nicht „unerlässlich“ ist, ergibt sich im Übrigen bereits daraus, dass der Bund bisher die entsprechenden Regelungen nicht selbst getroffen hatte und die Anwendung des geltenden Rechts unproblematisch war. Es ist nicht ersichtlich, dass sich diese Konstellation derart geändert hätte, dass nunmehr in originäre Gesetzgebungskompetenzen der Länder eingegriffen werden müsste.56 Insofern besteht keine Annexkompetenz des Bundes zum Erlass berufsrechtlich relevanter Normen. Mit den entsprechenden Regelungen des VÄndG hat der Bundesgesetzgeber daher gegen Art. 70 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen. Schließlich ist die vorstehend beschriebene Ansicht, die bei einer Kollision mit dem ärztlichen Berufsrecht die bundesgesetzlichen Regelungen nicht anwendet,57 mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. Eine derartige Sichtweise – die zwar teilweise zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen mag wie die vorliegend vertretene Auffassung – verkennt, dass diese Regelungen des Bundes verfassungswidrig sind und bereits aus diesem Grund bei Entscheidungserheblichkeit auch von der deutschen Sozialgerichtsbarkeit nicht angewendet werden dürften. Vielmehr müsste diese die betreffenden Bestimmungen im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Zudem lebte bei Annahme eines bloßen Anwendungsvorrangs die verdrängte Regelung wieder auf, wenn die speziellere Regelung – hier im Rahmen der länderspezifischen Berufsordnung – entfiele. Ein verfassungswidriges Gesetz hat aber nicht das Potential, jemals im Rahmen des Anwendungsvorranges zur Anwendung zu gelangen. Der durch eine „einschränkende Auslegung“ vermittelte Anwendungsvorrang führt schließlich auch zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Diese hätte das VÄndG selbst problemlos verhindern können, indem es auf die Regelung berufsrechtlicher Fragen weder intentional noch materiell Bezug genommen hätte.

54 55 56 57

Rixen (Fn. 22), S. 213 (221). BT-Drucks. 16/2474, S. 16. von Pestalozza (Fn. 6), S. 389 (396). Orlowski/Halbe/Karch (Fn. 30), S. 6.

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B. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

3. Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 und 19a GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ist – im Gegensatz zum in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG enthaltenen Begriff der „Sozialversicherung“ – nicht weit gefasst, sondern umfasst den nach seinem Wortlaut recht präzisen Begriff der „Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen“. Dem Bund wird damit ausdrücklich keine umfassende Ermächtigung im Gesundheitswesen eingeräumt.58 Die „gesamte Regelung des Facharztwesens“ gehört vielmehr zur „ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit“ der Länder.59 Die enge Auslegung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG entfaltet sogar eine Sperrwirkung für die Annahme einer etwaigen Bundeskompetenz hinsichtlich fachärztlicher Regelungen, die keinen notwendigen und unmittelbaren Bezug zum von der klassischen Sozialversicherung geprägten Bild der GKV besitzen.60 Anhaltspunkte, dass mit dem VÄndG der Regelungsbereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG tangiert werden sollte, sind nicht erkennbar. Auch der Gesetzgeber selbst beruft sich – anders als bei Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG – nicht auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG. Ähnlich verhält es sich mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG.

III. Ergebnis Weder ist der Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 noch der des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 oder 19a GG einschlägig. Auch eine Annexkompetenz liegt nicht vor, weil die Regelung gerade durch den Bundesgesetzgeber nicht unerlässlich ist. Vielmehr fällt die geregelte Materie ärztlichen Berufsrechts schwerpunktmäßig in die Gesetzgebungskompetenz der Länder nach Art. 70 GG. Mit den berufsrechtsrelevanten Normen des VÄndG hat der Bundesgesetzgeber daher gegen Art. 70 GG verstoßen. Auch zukünftige Regelungen des ärztlichen Berufsrechts müssen sich an der verfassungsrechtlich induzierten Verschränkung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern messen lassen.

58 59 60

Vgl. von Pestalozza (Fn. 6), S. 389 (395). BVerfGE 33, 125 (155). Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 14.

C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers im Bereich des Gesundheitswesens I. Grundrechtsschutz ärztlicher Tätigkeit 1. Gewährleistungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG a) Persönlicher Gewährleistungsbereich Grundrechtsinhaber können altersunabhängig natürliche und juristische Personen sein. Zwar handelt es sich nach dem Wortlaut um ein Deutschen-Grundrecht, doch ist der gleiche Schutzstandard auch für EG-Ausländer zu gewähren, wobei – trotz gleichem Ergebnis – umstritten ist, ob dies über Art. 2 Abs. 1 GG geschehen soll oder über die direkte Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG.1 b) Sachlicher Gewährleistungsbereich Auch wenn der Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG zwischen Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit differenziert, geht das Bundesverfassungsgericht von einem ungeteilten und einheitlichen Schutzbereich aus, der sich auf alle Phasen beruflicher Betätigung bezieht.2 Voraussetzung für den Grundrechtsschutz ist ein berufsbezogenes Verhalten des Grundrechtsinhabers, wobei der Begriff „Beruf“ vom Bundesverfassungsgericht weit ausgelegt wird.3 Danach ist unter „Beruf“ jede auf eine gewisse Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende, also auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit zu verstehen,4 für die der Einzelne sich geeignet glaubt, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft und unselbständig oder selbständig ausgeübt werden kann.5 Geschützt ist die Wahl des Berufs, also die Entscheidung, einen Beruf zu ergreifen,6 ihn zu wechseln7 oder ganz oder teilweise aufzugeben.8 Auch Wahl und Kom1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Stephan Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 227. BVerfGE 7, 377 (401 f.); 33, 303 (329 f.). BVerfGE 95, 267 (302); BVerfG, NJW 2000, S. 1325. BVerfGE, 7, 377 (397 f.); 50, 290 (362); Rixen (Fn. 1), S. 231. Rixen (Fn. 1), S. 231. BVerfGE 58, 358 (364), 68, 256 (267). BVerfGE 43, 291 (363); 62, 117 (146). BVerfGE 85, 360 (373).

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

bination verschiedener Berufe werden vom sachlichen Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfasst.9 Die Berufsfreiheit schützt daneben die Ausübung des Berufs, d. h. die gesamte berufliche Tätigkeit, insbesondere Form, Mittel und Umfang sowie den Inhalt der beruflichen Betätigung. Geschützt ist auch die Phase der Planung bzw. Vorbereitung solcher Schritte.10 Ein Eingriff in die Berufsfreiheit liegt nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, wenn eine Norm selbst oder eine darauf beruhende Maßnahme berufsregelnde Tendenzen aufweist.11 Neben final auf die berufliche Tätigkeit gerichteten Regelungen kommen auch sogenannte „faktische“ oder „mittelbare“ Beeinträchtigungen als grundrechtsrelevante Eingriffe in Betracht.12 Voraussetzung dafür ist ein enger Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes und eine objektiv berufsregelnde Tendenz oder aber, dass die staatliche Maßnahme als nicht bezweckte, aber vorhersehbare und in Kauf genommene Nebenfolge eine schwerwiegende Beeinträchtigung der beruflichen Betätigungsfreiheit bewirkt.13 Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG darf die Berufsausübung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Diese Grundrechtsbegrenzung erstreckt sich im Sinne des Verständnisses des Art. 12 Abs. 1 GG als einheitliches Grundrecht sowohl auf die Berufsausübungs- als auch die Berufswahlfreiheit. Dennoch wird im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten Apotheken-Urteil14 entwickelten Stufentheorie zwischen Berufswahl und Berufsausübung differenziert. Je stärker die Freiheit der Berufswahl betroffen ist, umso höherrangig muss der den Eingriff rechtfertigende Gemeinwohlbelang sein.15 Diese „Drei-Stufen-Theorie“ als Ableitung aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht davon aus, dass reine Berufsausübungsbeschränkungen bereits durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls legitimiert werden.16 Für besonders gravierende Beschränkungen gelten dieselben Anforderungen wie für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung bei Regelungen der Berufswahl.17 Dabei wird zwischen subjektiven und objektiven Zulassungsbeschränkungen differenziert. Subjektive Zulassungsvoraussetzungen setzen für eine Berufsaufnahme das Vorliegen persönlicher Eigenschaften, Fähigkeiten oder Leistungsnachweise voraus.18 Sie lassen sich nur zum Schutz besonders wichtiger Ge9

BVerGE 21, 173 (179). BVerwGE 75, 109 (114). 11 BVerfGE 95, 267 (302). 12 Hans D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl. 2007, Art. 12 Rn. 13a. 13 BVerfGE 13, 181 (186); 95, 267 (302); vgl. ferner Friedrich E. Schnapp, in: Schnapp/ Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl. 2006, § 4 Rn. 60. 14 BVerfGE 7, 377. 15 BVerfGE 7, 377 (405 ff.). 16 BVerfGE 65, 116 (125); 70, 1 (28). 17 BVerfGE 11, 33 (44); 12, 144 (148). 18 Jarass (Fn. 12), Art. 12 Rn. 26. 10

I. Grundrechtsschutz ärztlicher Tätigkeit

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meinschaftsgüter rechtfertigen, die der Freiheit des Einzelnen vorgehen.19 Objektive Zulassungsvoraussetzungen knüpfen an objektive, vom Bewerber nicht beeinflussbare Kriterien an. Daher ist für deren Rechtfertigung das Vorliegen nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich schwerwiegender Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut erforderlich.20 c) Privatarzt als Selbständiger Der idealtypisch freiberuflich tätige Arzt wird von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. Der Zugang zum Arztberuf steht jedermann offen. Jede Person mit Approbation kann entsprechende Leistungen am Markt anbieten.21 Wenn im Zusammenhang des selbständig tätigen Arztes vom „freien Beruf“ die Rede ist, ist damit keine dezidiert verfassungsrechtliche Figur gemeint, obwohl ein freier Beruf durchaus ein Beruf im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG ist.22 Als Kernbereich ärztlicher Tätigkeit gehört zum Schutzbereich ärztlicher Berufsfreiheit auch die Therapiefreiheit.23 Es ist anerkannt, dass Art. 12 Abs. 1 GG neben der abwehrrechtlichen Funktion in bestimmten Bereichen auch einen Anspruch auf Teilhabe grundrechtlich verbürgt.24 Das betrifft vor allem das Verhältnis der Leistungserbringer zur gesetzlichen Krankenversicherung, wenn es um Teilhabe an den Entgeltleistungen der GKV durch die Anerkennung der jeweiligen realen Leistungserbringung als Sach- oder Dienstleistung der GKV geht.25 d) Arzt als Angestellter Der angestellte Arzt ist zwar in der Berufswahl frei. Allerdings obliegt es nicht seiner Entscheidung, ob er auch als angestellter Arzt tätig werden kann, da dies abhängig ist vom Einstellungs- und Beschäftigungswillen des Arbeitgebers. Als Arbeitnehmer ist er an den Arbeitsvertrag gebunden und unterliegt dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, das sich jedoch nicht auf den medizinischen Bereich erstreckt.26

19

BVerfGE 13, 97 (107); 59, 302 (316). BVerfGE 7, 377 (408); 11, 168 (183). 21 Gesellensetter (Fn. 1 in A.), S. 45. 22 Stephan Rixen (Fn. 1), S. 233. Grundlegend Helge Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Beitrag zum Umbau des Sozialstaates, 1997; vgl. auch Peter J. Tettinger, Grundfragen zahnärztlicher Freiberuflichkeit, in: MedR 2001, S. 287 (289). 23 BVerfGE 106, 275 (304). 24 BVerfGE 33, 303 (331); Schnapp (Fn. 13), § 4 Rn 57. 25 Schnapp (Fn. 13), § 4 Rn 57. 26 Gesellensetter (Fn. 1 in A.), S. 46. 20

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

e) Arzt als Beamter Ein verbeamteter Arzt hat verfassungsrechtlich einen besonderen Status. Grundsätzlich ist er in der Wahl seines Berufes frei. Allerdings hängt die Realisierung der Wahl davon ab, ob ihm der Staat einen Dienstposten überträgt. Seine Berufsausübung ist in diesem Fall nicht allein eine Ausübung grundrechtlicher Freiheit, sondern wird durch innerbehördliche Weisungen, Amtsloyalität und unbedingte Dienstbereitschaft unter Ausschluss von Tarifautonomie und Arbeitskampf eingeschränkt.27 f) Vertragsarzt Vertragsärzte sind diejenigen Ärzte, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Aufgrund dieser Einbindung der Leistungserbringer in die staatliche Organisation des Systems der GKV will ein Teil der Literatur die Tätigkeit des Vertragsarztes als Staatsfunktion und seine berufliche Stellung einem öffentlichen Amt gleichsetzen.28 Dies hätte zur Folge, dass der Vertragsarzt verfassungsrechtlich nicht mehr unter den Schutz des Art. 12 GG, sondern in die staatsorganisatorische Sphäre des Art. 33 GG fiele.29 Für diese Einordnung spricht, dass dem Vertragsarzt ein typisches Merkmal des freien Berufes – die Vertragsfreiheit – versagt ist. Der Vertragsarzt muss aufgrund seiner Zulassung als solcher an der Versorgung mitwirken und grundsätzlich dem Behandlungswunsch des Kassenpatienten nachkommen. Vertragliche Beziehungen zwischen ihm und dem Patienten bestehen nicht.30 Stattdessen vergüten die Krankenkassen die Leistungserbringung gegenüber den Kassenärztlichen Vereinigungen, die wiederum die Leistungen der einzelnen Ärzte abrechnen. Der „Markt“, an dem der Vertragsarzt teilnimmt, bedeutet daher in weiten Teilen eine „künstliche Veranstaltung des Staates“.31 Andererseits prägen immer noch wesentliche Elemente des freien Arztberufes die Tätigkeit des Vertragsarztes. Dazu gehören insbesondere die Therapie- sowie die Unternehmerfreiheit. Auch die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Patientennachfrage sowie der Wettbewerb mit anderen Ärzten sind der vertragsärztlichen Tätigkeit eigen und insofern mit der Situation freiberuflich tätiger Privatärzte vergleichbar. Das Bundesverfassungsgericht ordnet die vertragsärztliche Tätigkeit nicht dem Bereich des öffentlichen Dienstes i. S. v. Art. 33 Abs. 5 GG zu. Zur Begründung 27 Josef Isensee, Das Recht des Kassenarztes auf angemessene Vergütung, in: VSSR 1995, S. 321 (328). 28 So Ingwer Ebsen, Bedarfsorientierte Regulierungen der Zulassung von Leistungserbringern zur Gesetzlichen Krankenversicherung und das Grundrecht der Berufsfreiheit, in: ZSR 1992, S. 328 (332). 29 Gesellensetter (Fn. 1 in A.) m. w. N., S. 47. 30 Isensee (Fn. 27), S. 321 (330 f.). 31 Isensee (Fn. 27), S. 321 (331 f.).

I. Grundrechtsschutz ärztlicher Tätigkeit

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führt das Gericht an, dass der Vertragsarzt (in der Diktion der damaligen Urteile: der Kassenarzt) kein Dienstnehmer der Kassenärztlichen Vereinigung sei. Diese befreie ihn auch nicht von seiner haftungsrechtlichen Verantwortung gegenüber den von ihm behandelten Patienten. Schließlich trage er auch das wirtschaftliche Risiko alleine.32 Die vertragsärztliche Tätigkeit sei vielmehr als Ausübungsform des Berufes des frei praktizierenden Arztes zu verstehen (sog. „Kassenarzturteil“).33 Zudem hat der Staat die vertragsärztliche Versorgung noch nicht in seine behördliche Ämterorganisation eingebunden. Leistungserbringer bleibt der jeweilige Arzt. Ein anderes Ergebnis hätte zur Konsequenz, dass der Gesetzgeber jede Tätigkeit, an der ein öffentliches Interesse besteht, durch den Erlass hoheitlicher Regelungen in die Nähe des öffentlichen Dienstes rücken und damit die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG mit seinem spezifischen grundrechtlichen Gewährleistungsbereich unterlaufen könnte.34 Dem Bundesverfassungsgericht ist insofern zuzustimmen, dass sich auch der Vertragsarzt bei seiner Tätigkeit auf den Schutz der Berufsfreiheit berufen kann.

2. Gewährleistungsbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wird das Eigentum gewährleistet. Eigentum meint dabei die Zuordnung eines vermögenswerten Rechtsguts an einen Rechtsträger, der in einer Gemeinschaft lebt, und bedarf insofern der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber.35 Inhalt und Schranken des Eigentums sind daher gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch den Gesetzgeber festzulegen. Dieser gesetzgeberische Gestaltungsspielraum endet aber dort, wo „grundlegende Wertentscheidungen des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums“ zu beachten sind.36 Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht nur den Bestand des Eigentums vor Entzug, sondern auch dessen Nutzungs- und Verfügungsmöglichkeit.37 Insofern genießt die ärztliche Praxis als vermögenswerte Rechtsposition den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG.38 Zur Feststellung eines Eingriffs in die Eigentumsfreiheit muss wegen des normgeprägten Schutzbereichs vorher geklärt werden, ob eine Inhalts- und Schrankenbestimmung oder eine Enteignung vorliegt. Die abstrakt-generelle Festlegung von Rechten und Pflichten des Eigentümers indiziert das Vorliegen einer Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Bei konkrekt-individuellen Verkürzungen, die gezielt das Eigentum vollständig oder teilweise entziehen, liegt dagegen eine Enteignung vor. Die Inhaltsbestimmung des Eigentums beinhaltet in32 33 34 35 36 37 38

BVerfGE 11, 30 (39 f.), 12, 144 (147). BVerfGE, 11, 30 (40 f.). Schnapp (Fn. 13), § 4 Rn. 74. BVerfGE 14, 263 (277); 58, 300 (330); 89, 1 (8). BVerfGE 14, 263 (278); 21, 150 (155). Dazu näher Sodan (Fn. 22), S. 253 ff. Vgl. Sodan (Fn. 22), S. 256 ff.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

sofern eine zukunftsorientierte Neudefinition, während die Enteignung eine gezielte Entziehung konkreter gegenwärtiger Eigentumspositionen bewirkt. Für die Enteignung ist gemäß Art. 14 Abs. 3 GG eine formell-gesetzliche Regelung zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich. Zudem muss das enteignende Gesetz selbst eine Regelung über Art und Ausmaß der Entschädigung enthalten. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei zu beachten. Inhalts- und Schrankenbestimmungen können gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG durch Gesetze im materiellen Sinne erfolgen. Auch wenn hier grundsätzlich keine Entschädigung zu gewähren ist, kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeit in Ausnahmefällen doch ein Ausgleich erfolgen, um die Verhältnismäßigkeit einer ansonsten unverhältnismäßigen Maßnahme zu gewährleisten.

3. Gewährleistungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz umfasst die Rechtsanwendungsgleichheit und die Rechtsetzungsgleichheit.39 Nach der sog. neuen Formel40, mit der das Bundesverfassungsgericht das ältere Willkürverbot41 ergänzt hat, ist eine ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von Normadressaten mit Art. 3 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.42 Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen: Die Ungleichbehandlung muss eine legitimen Zweck verfolgen sowie zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und zumutbar sein.

4. Gewährleistungsbereich des Art. 9 Abs. 1 GG Art. 9 Abs. 1 GG garantiert allen Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu gründen. Über den Wortlaut hinaus wird ein umfassender Freiheitsschutz gewährleistet, der sich auf Vereinigungen schlechthin – als Oberbegriff von Vereinen und Gesellschaften – bezieht.43 Als Vereinigung wird jeder Zusammenschluss angesehen, zu dem sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammenfindet und einer organisierten Willensbildung unterwirft.44 Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistet aber nicht nur die Freiheit, Vereinigungen zu gründen bzw. ihnen beizutreten, sondern als negative Vereinigungsfreiheit auch, ihnen fernzubleiben oder aus ihnen auszutreten.45 Umstritten ist allerdings 39 40 41 42 43 44 45

Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Staatsrecht II, Grundrechte, 23. Aufl. 2007, Rn. 428. BVerfGE 55, 72 (88). BVerfGE 1, 14 (52). BVerfGE 55, 72 (88). Pieroth/Schlink (Fn. 39), Rn. 721. BVerfGE 38, 281 (303). BVerfGE 10, 89 (102); 38, 281 (297 f.).

I. Grundrechtsschutz ärztlicher Tätigkeit

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die durch hoheitliche Gewalt begründete Zwangsmitgliedschaft, die für den Vertragsarzt hinsichtlich der Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung relevant ist. Die verfassungsrechtlichen Schranken für Zwangsmitgliedschaften in öffentlichrechtlichen Verbänden richten sich nach überwiegender Auffassung nicht nach Art. 9 Abs. 1 GG, sondern nach Art. 2 Abs. 1 GG.46

5. Gewährleistungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Diese allgemeine Handlungsfreiheit schützt jedes menschliche Verhalten47 und stellt wegen seines weiten Schutzbereichs ein Auffanggrundrecht dar.48 Einschränkende Vorschriften müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Je mehr der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, umso sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden.49 So ist es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Umständen nicht vereinbar, wenn der Einzelne durch unnötige Zwangsmitgliedschaften in Anspruch genommen wird.50 Eine Zwangsmitgliedschaft wäre bei einer Konkurrenz mit frei gegründeten Vereinigungen nicht erforderlich und damit verfassungswidrig, wenn diese die Aufgaben der Zwangskörperschaft ebenso gut ausführen könnten.51

46 BVerfGE 10, 354 (361 f.); 15, 235 (239); Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 2. Aufl. 2007, § 37 Rn. 6; Jarass (Fn. 12), Art. 9 Rn. 7. Nach anderer Ansicht stellt die bloße Statuierung einer Pflichtmitgliedschaft selbst noch keinen Grundrechtseingriff dar, sondern erst die Auferlegung der mit der Mitgliedschaft verbundenen Pflichten, siehe dazu Schnapp (Fn. 13), § 4 Rn. 88. 47 BVerfGE 54, 143 (146). 48 BVerGE 6, 32 (37); Udo Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1 Rn. 15; Sodan/Ziekow (Fn. 46), § 27 Rn. 1. 49 BVerfGE 17, 306 (314); Schnapp (Fn. 13), § 4 Rn. 92. 50 Vgl. BVerfGE 38, 281 (298, 303). 51 BVerfGE 38, 281 (298, 303).

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

II. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit als Eingriff in den Schutzbereich ärztlicher Grundrechte – die Bonus-Malus-Regelung 1. Einleitung Das SGB V statuiert staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit in verschiedenen Erscheinungsformen. Sie reichen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit anschließenden Regressforderungen bis hin zur Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln. Grundsätzlich ist der Vertragsarzt im Rahmen der diagnostischen und therapeutischen Notwendigkeiten bei der Verordnung von Arzneimitteln zu Lasten der GKV frei. Die Verordnung von Arzneimitteln bedarf keiner Genehmigung der jeweiligen Krankenkassen; die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln kann allerdings durch Vorgaben in den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) sowie insbesondere durch dessen Therapiehinweise eingeschränkt werden. Ferner kann die Wirtschaftlichkeit der Verordnung eines Arzneimittels nachträglich etwa im Rahmen von Richtgrößenprüfungen gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V überprüft werden. Wegen der Möglichkeit von Regressforderungen gegenüber dem einzelnen Vertragsarzt war die sogenannte Bonus-Malus-Regelung besonders umstritten. Dieses Element der in § 84 Abs. 7a SGB V vorgesehenen Wirtschaftlichkeitsprüfung wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz – AVWG) vom 26. April 200652 mit dem Ziel eingeführt, den Kostensteigerungen bei der Arzneimittelversorgung durch gesetzliche Regelungen entgegenzuwirken.53 Mit einer „Zielvereinbarung“ vom 9. Oktober 2007 einigten sich die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) jedoch darauf, die Bonus-Malus-Regelung nicht mehr anzuwenden.54 Diese Vereinbarung ist nicht schon auf den ersten Blick selbstverständlich. Zum einen war die Intention des AVWG – zu dem auch die Bonus-Malus-Regelung gehört – nach Ansicht der federführenden Bundesministerin für Gesundheit gerade darauf gerichtet, die Krankenkassen „spürbar finanziell zu entlasten“55, so dass es umso überraschender ist, wenn die Krankenkassen selbst dieses Element nicht anzuwenden beabsichtigen. Zum anderen ist fraglich, ob die Anwendbarkeit einer gesetzlichen Regelung durch eine „Zielvereinbarung“ zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der KBV überhaupt ausgeschlossen werden kann. 52 53 54

BGBl. I, S. 984. Begründung zum Gesetzentwurf in BT-Drucks. 16/194, S. 1. Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (Fn.7

in A.). 55 Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung vom 14.12.2005: „Ulla Schmidt: Arzneimittelgesetz wird Krankenkassen bereits im nächsten Jahr spürbar finanziell entlasten“.

II. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit

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Zum besseren Verständnis der Problematik soll ein kurzer Überblick über die in § 84 Abs. 7a SGB V enthaltene Bonus-Malus-Regelung erfolgen, die als Bestandteil des SGB V nach wie vor – formell und materiell – die Gültigkeit einer Rechtsnorm beansprucht.

2. Inhalt der Bonus-Malus-Regel, § 84 Abs. 7a SGB V Nach Satz 1 dieser Vorschrift vereinbaren die KBV und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bis zum 30. September für das jeweils folgende Kalenderjahr für Gruppen von Arzneimitteln für verordnungsstarke Anwendungsgebiete, die bedeutsam zur Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven sind, Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit, die sich bei wirtschaftlicher Verwendungsweise ergeben. Diese Vereinbarung ist Teil der Arzneimittelvereinbarung im Sinne von § 84 Abs. 1 SGB V. Die Modalitäten für die Festlegung der Durchschnittskosten finden sich in § 84 Abs. 7a Sätze 1 – 5 SGB V. Danach sind die Durchschnittskosten für Gruppen von Arzneimitteln für verordnungsstarke Anwendungsgebiete festzulegen, die für die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven Bedeutung haben. Dabei sind Besonderheiten unterschiedlicher Anwendungsgebiete zu berücksichtigen. Die Definitionsmacht für die Grundlage der Eingriffe in die Rechte des einzelnen Vertragsarztes wird an die KBV und den Spitzenverband Bund der Krankenkassen abgegeben. Definierte Dosiereinheiten können – müssen aber nicht – auf der Grundlage der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegebenen anatomisch – therapeutisch – chemischen ATC-Klassifikation festgelegt werden.56 Hierbei handelt es sich um eine Einteilung von Wirkstoffen nach ihren chemischen pharmakologischen und therapeutischen Eigenschaften in verschiedene Gruppen und entsprechend dem Organ oder Organsystem, auf das sie einwirken.57

Überschreiten die Ausgaben für die vom Arzt verordneten Arzneimittel die vereinbarten Kosten, hat der Arzt gemäß § 84 Abs. 7a Satz 6 SGB V einen Überschreitungsbetrag von mehr als 10 – 20 Prozent entsprechend einem Anteil von 20, von mehr als 20 – 30 Prozent um 30 Prozent und eine darüber hinausgehende Überschreitung zur Hälfte gegenüber den Krankenkassen auszugleichen.58 Eine Verordnung von Arzneimitteln, die zu einer Überschreitung der vereinbarten Kostenschwelle führt, wird insofern sanktioniert. Unterschreiten die Ausgaben des von den Ärzten einer Kassenärztlichen Vereinigung insgesamt verordneten Arzneimittel die Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit, entrichten die Krankenkassen nach § 84 Abs. 7a Satz 7 SGB V einen Bonus an die kassenärztliche Vereinigung. Der Bonus ist unter den Vertragsärzten 56 57 58

Gemäß § 84 Abs. 7a Satz 3 in Verbindung mit § 73 Abs. 8 Satz 5 SGB V. Siehe dazu die Klassifikationen auf http://www.dimdi.de. Vgl. Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 7 f.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

zu verteilen, deren Verordnungskosten die Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit nicht überschreiten (§ 84 Abs. 7a Satz 8 SGB V). Insgesamt kann sich also aus der Über- oder Unterschreitung der Durchschnittskosten ein Bonus oder Malus zugunsten oder zulasten des einzelnen Vertragsarztes ergeben.

3. Kritik an der Bonus-Malus-Regelung Im Zusammenhang mit § 84 Abs. 7a SGB V wurde nicht nur die mit der BonusMalus-Regelung verbundene Bürokratisierung, sondern auch die Kollision mit verfassungsrechtlichen Vorgaben kritisiert.59 In der Tat bestehen gegenüber der Bonus-Malus-Regelung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, die im Folgenden kurz skizziert werden. a) Verstoß der Bonus-Malus-Regelung gegen das Rechtsstaatsprinzip aa) Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung Elementarer Bestandteil des in Art. 20 Abs. 2 Satz 1, Absatz 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips ist der Grundsatz, den Normadressaten nicht mit widersprüchlichen Regelungen zu konfrontieren.60 Daher dürfen sich die jeweiligen Regelungen nicht widersprechen. Vielmehr sind „alle rechtsstaatlichen Organe des Bundes und der Länder“ gehalten, die Regelungen jeweils aufeinander abzustimmen.61 Treten dennoch widersprüchliche Regelungen auf, muss zumindest eine Norm unanwendbar sein. Maßgeblich sind hierbei Rang, Zeitenfolge und Spezialität der Regelungen.62 Wenn verschiedene Normen dem Bürger Verhaltensweisen vorschreiben, die im Gegensatz zueinander stehen, entsteht Rechtsunsicherheit. Die Unverständlichkeit gesetzlicher Vorgaben erschüttert das Vertrauen des Einzelnen in die Rechtsordnung, die damit nicht mehr ihren obersten Zweck – der Sicherung des Rechtsfriedens – erfüllen kann.63 Allerdings ist das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung nur bei einem echten Normwiderspruch einschlägig, der sich weder durch Auslegung noch durch Kollisionsregeln beheben lässt.64 Voraussetzung ist insofern, dass zwei

59 So etwa Helge Sodan/Stefanie Schlüter, Die Bonus-Malus-Regelung für Vertragsärzte als Verfassungsproblem, in: NZS 2007, S. 455 (458). 60 BVerfGE 98, 106 (118 f.); Näher dazu Helge Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, in: JZ 1999, S. 864 (866 ff.). 61 BVerfGE 98, 106 (118 f.). 62 BVerfGE 98, 106 (119). 63 Sodan/Schlüter (Fn. 59). 64 Jarass (Fn. 12), Art. 20 Rn. 6.

II. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit

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Regelungen für denselben Sachverhalt zwei einander ausschließende, also miteinander unvereinbare Rechtsfolgen anordnen.65 Die Bonus-Malus-Regelung stellt den einzelnen Arzt vor einen derartigen Regelungskonflikt. Zum einen verlangt der ärztliche Heilauftrag die Versorgung jedes einzelnen Patienten nach dem jeweils aktuellen ärztlichen Wissensstand. Zum anderen wird eine wirtschaftliche Verordnungsweise von Arzneimitteln verlangt, die wegen ihrer Fixierung auf ökonomische Kriterien nicht mehr jedem Einzelfall gerecht werden kann. Verordnet ein Arzt demnach seinem Patienten das therapeutisch Notwendige und überschreitet dadurch die vorgegebenen Durchschnittskosten, trifft ihn gemäß § 84 Abs. 7a Satz 6 SGB Veine Regresspflicht gegenüber den Krankenkassen. Dies kann – je nach Umfang der Regressverpflichtung – eine erhebliche wirtschaftliche Belastung zur Folge haben, die bis zur Insolvenz reichen kann. Bemüht sich hingegen ein Arzt, seine Verordnungen im Rahmen der staatlich vorgegebenen Wirtschaftlichkeitskriterien zu halten, besteht für ihn zwar die Chance auf finanzielle Belohnung; gleichzeitig kann aber eine damit verbundene möglicherweise unzureichende Behandlung des Patienten zu Arzthaftungsansprüchen gegen ihn führen.66 Dieses Dilemma ist bislang vom Gesetzgeber nicht gelöst worden. Aus diesem Grund bestehen erhebliche Bedenken, ob die Bonus-Malus-Regelung noch dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gerecht wird. bb) Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt Nach der sogenannten Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts67 verpflichten die in Art. 20 und 28 Abs. 1 GG enthaltenen Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat den parlamentarischen Gesetzgeber, die „wesentlichen“ Entscheidungen selbst zu treffen und diese nicht der Exekutive zu überlassen. Das Parlament darf sich seiner Verpflichtung zur Regelung des Wesentlichen nicht dadurch entziehen, dass es wesentliche Entscheidungen „der Sache nach durch nicht hinreichend bestimmte Normierungen“ der Exekutive überlässt.68 Die Reichweite dieses Parlamentsvorbehalts richtet sich „nach der Intensität, mit welcher die Grundrechte der 65 Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 165 f. 66 Entsprechende Prozesse sind mit einem hohen finanziellen Risiko für den einzelnen Arzt verbunden, weil neben dem eigentlichen Schadensersatzanspruch oft hohe Rechtsanwaltsgebühren anfallen. Selbst bei Abweisung der Schadensersatzklage gegen den Arzt bleibt ungewiss, ob diesem als Beklagten die außergerichtlichen Kosten je erstattet werden, wenn der klägerische Patient zahlungsunfähig ist. Hinzu kommt, dass Kosten, die durch Zusatzvereinbarung im Mandatsvertrag über der Regelvergütung des RVG liegen, grundsätzlich nicht erstattet werden. Besonders nachteilig dürfte sich ein langwieriger Prozess auch auf das Ansehen der (zahn-)ärztlichen Praxis auswirken, das ein wesentliches Element des beruflichen Erfolgs darstellt. Die durch Arzthaftungsprozesse genährten Zweifel an ärztlichen Fähigkeiten lassen Patienten letztlich das Vertrauen verlieren und einen anderen Arzt aufsuchen. 67 Siehe nur BVerfGE 40, 237 (249); 45, 400 (417 f.); 89 (126 f.). 68 BVerfGE 21, 72 (79); Sodan (Fn. 22), S. 230.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Regelungsadressaten betroffen werden.“69 Die Wirtschaftlichkeitsvereinbarungen konkretisieren die Vorgaben von § 84 Abs. 7a SGB V, indem sie die Durchschnittswerte festsetzen, die von den Ärzten eingehalten werden müssen und bei deren Nichterfüllung finanzielle Sanktionen drohen. Insofern greifen diese normkonkretisierenden Vorschriften in die Grundrechtspositionen der betroffenen Ärzte nicht unerheblich ein. Der parlamentarische Gesetzgeber hat sich insoweit seiner Verpflichtung zur Regelung des „Wesentlichen“ unter Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt entzogen. Auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts70 aus der jüngeren Zeit mit Bezug auf die gemäß § 135 SGB V erlassenen Richtlinien weist im Ansatz in diese Richtung. Dort heißt es: „Ob für die Erfüllung dieser Aufgabe das nach § 135 SGB V vorgesehene Verfahren der Entscheidung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt […] ist hier nicht zu entscheiden […] Das Bundesverfassungsgericht hat […] keinen Anlass zu prüfen, ob die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur demokratischen Legitimation der Bundesausschüsse und des Gemeinsamen Bundesausschusses und zur rechtlichen Qualität der von ihnen erlassenen Richtlinien als außenwirksamen untergesetzlichen Rechtssätzen (vgl. dazu BSGE 78,70 (74 ff.); 81, 54 (59 ff.); 81, 73 (76 ff.) mit dem Grundgesetz in Einklang steht (siehe dazu aus dem umfangreichen Schrifttum Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S. 119 ff., 153 ff.; Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, 2001, S. 454 ff.: Schnapp, in: von Wulffen/ Krasney (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, S. 497 ff.; Hase, MedR 2005, S. 391; Rixen, Sozialrecht als öffentliches Wirtschaftsrecht, 2005, S. 176 ff., jeweils m. w. N.).“

Es liegt nahe, dass die umfangreichen Literaturangaben des Bundesverfassungsgerichts nicht dazu dienen sollen, eine ohnehin schon vermeintliche eindeutige Rechtslage zu erläutern. Vielmehr weist der verfassungsgerichtliche Hinweis auf den Streitstand im Schrifttum im Konnex mit der Feststellung, dass diese Frage hier nicht zu entscheiden war, darauf hin, dass auch das Bundesverfassungsgericht durchaus Defizite in der demokratischen Legitimation untergesetzlicher grundrechtsrelevanter Vorgaben für Ärzte erkannt hat. c) Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Die Bonus-Malus-Regelung ist auch mit der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltenen grundrechtlichen Schutzverpflichtung des Staates für Gesundheit und Leben der Patienten unvereinbar. Die Schutzpflicht folgt aus dem objektiv rechtlichen Gehalt der Grundrechte.71 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält nicht nur das vorstehend beschrie69

BVerfGE 58, 257 (274). BVerfGE, 115, 25 (47). 71 BVerfGE 56, 54 (73); siehe auch Helge Sodan, Der Anspruch auf Rechtsetzung und seine prozessuale Durchsetzbarkeit, in: NVwZ 2000, S. 601 (603 ff.). 70

II. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit

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bene Abwehrrecht des Einzelnen, sondern auch eine Verpflichtung des Staates zum aktiven Schutz der im Grundrecht genannten Rechtsgüter des Einzelnen. Dem Staat steht bei der Konkretisierung der Schutzpflicht grundsätzlich ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zur Verfügung, der Raum für die Berücksichtigung konkurrierender öffentlicher und privater Interessen lässt. Diese Einschätzungsprärogative wird allerdings vom Untermaßverbot begrenzt: „Notwendig ist ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener Schutz. Entscheidend ist, dass er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Entscheidungen beruhen […] soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muss die Ausgestaltung des Gesetzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen.“72

Genau dies ist allerdings nicht der Fall, wenn der Staat durch pauschalierte und einzelfallunabhängige Regressforderungen mittelbar Ärzte dazu drängt, auf eine nach Fachkenntnis für richtig erachtete Therapie aus Kostengründen zu verzichten. Die Regressforderung zielt nämlich gerade darauf ab, den einzelnen Arzt in bestimmten Bereichen von kostspieligen Therapien abzuhalten, ohne dass der Gesetzgeber selbst diese Bereiche umreißt. Vielmehr lässt er es zu, dass die exakte Festsetzung des Bereichs maßgeblich durch Korporationen erfolgt, die zugunsten der eigenen finanziellen Stabilität ein erhebliches Interesse daran haben, die Behandlungskosten der Patienten möglichst gering zu halten. Durch die Delegierung der Festlegung der Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit für – ebenfalls festzulegende – verordnungsstarke Anwendungsgebiete, welche die Basis für die späteren Regressforderungen bildet, hat der Staat sich selbst von vornherein des Instruments entledigt, Schutzmaßnahmen zugunsten der Gesundheit des gesetzlich versicherten Bürgers zu ergreifen. Dieser läuft nun Gefahr, bestimmte Arzneimittel nicht mehr zu erhalten, deren Verordnung sein Arzt aus therapeutischer Sicht im konkreten Fall für erforderlich hält, weil dieser staatlich induzierte Regressforderungen fürchtet. Ein angemessener Schutz der Gesundheit der Patienten ist dadurch nicht mehr gewährleistet. Insofern kommt der Staat seiner Schutzverpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber den Patienten nicht im ausreichenden Maß nach. d) Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG Die von der Bonus-Malus-Regelung betroffene ärztliche Therapiefreiheit ist Bestandteil der ärztlichen Berufsausübung, die dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 unterfällt.73 Es bestehen dabei erhebliche Bedenken an der Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs in die ärztliche Berufsausübung. Regelungen zur Berufsausübung sind verhältnismäßig, „wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn das gewählte Mittel 72 73

BVerfGE 88, 203 (254 f.). BVerfGE 106, 275 (304).

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist.“74 Mit der von der Bonus-Malus-Regelung intendierten Sicherung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Arzneimitteln liegt grundsätzlich im Rahmen des legislativen Spielraums ein legitimer Zweck vor. Schon die Geeignetheit der Bonus-Malus-Regelung zur Verwirklichung des intendierten Zwecks ist allerdings fraglich. Wenn aufgrund dieser Regelung die therapeutisch notwendigen Arzneimittel nicht mehr verschrieben werden, kann es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des mangelhaft therapierten Patienten bzw. zu Folgeerkrankungen kommen. Diese generieren jedoch weitere Kosten, die ebenfalls von den gesetzlichen Krankenversicherungen zu tragen wären. Die bezweckte Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherungen wird dadurch eher gefährdet als gefördert. Letztlich bestehen erhebliche Zweifel, ob die Bonus-Malus-Regelung dem Vertragsarzt noch zumutbar ist, weil ungewisse Kosteneinsparungen gegenüber dem mit der Einschränkung der Therapiefreiheit verbundenen Konflikt- und Gefährdungspotential für Arzt und Patient von geringerem Gewicht sind.75 Insofern ist diese Regelung im Hinblick auf die in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte ärztliche Berufsfreiheit äußerst bedenklich.

4. Folgen des GKV-WSG für die Bonus-Malus-Regelung Mit Inkrafttreten des GKV-WSG kam es zu – allerdings vorhersehbaren – Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung der aufgrund von § 84 Abs. 7a SGB V getroffenen Vereinbarungen. Die Möglichkeit von Rabattverträgen, Zuzahlungsfreistellungen sowie abgesenkten Festbeträgen veränderten die Angebots- und Preisstruktur insbesondere im generikafähigen Markt. So entstanden beispielsweise Bonus-Ansprüche bei Ärzten, auch wenn diese ihr Verordnungsverhalten nicht umgestellt hatten.76 Zudem führte die gesetzliche Orientierung an den durchschnittlichen Tagesbehandlungskosten flächendeckend zur Verschreibung von mehr und größeren Packungen sowie hohen Wirkstärken. Daher einigten sich – wie beschrieben – die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und die KBVin einer Zielvereinbarung darauf, die Bonus-Malus-Regelung nicht mehr anzuwenden.77

74 75 76 77

BVerfGE 68, 272 (282); fast wortgleich BVerfGE 61, 291 (312). Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 10. Berliner Budget-Bulletin 04/07, abrufbar unter http://www.kvberlin.de. Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen (Fn. 7 in A.).

II. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit

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5. Zulässigkeit einer den § 84 Abs. 7a und 4a SGB V de facto außer Kraft setzenden Zielvereinbarung Fraglich ist, ob der vertraglich festgeschriebene Konsens von Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und KBV über einen Verzicht auf eine Vereinbarung im Sinne § 84 Abs. 7a bzw. 4a SGB V rechtlich zulässig ist. Dagegen spricht schon der Wortlaut des § 84 Abs. 7a SGB V. Darin ist festgehalten: „[…] Die Vertragspartner […] vereinbaren […] Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit, die sich bei wirtschaftlicher Verwendungsweise ergeben.“ Die Regelung sieht mithin nicht den Fall vor, dass eine solche Vereinbarung nicht getroffen wird. Auch die Ersatzpflicht des Arztes ist demnach zwingend: „Überschreiten die Ausgaben für die vom Arzt verordneten Arzneimittel die Kosten nach Satz 1, hat der Arzt einen Überschreitungsbetrag […] auszugleichen.“ (Hervorhebungen durch die Verfasser) Insofern sieht der Wortlaut keinen Spielraum für die Vertragsparteien vor, eine derartige Vereinbarung nicht zu treffen. Auch die Gesetzessystematik spricht gegen die Möglichkeit eines Verzichts auf die Vereinbarung. § 84 Abs. 7a Satz 12 SGB V verweist für den Fall, dass eine Vereinbarung nach § 84 Abs. 7a Satz 1 SGB V nicht zustande kommt, auf § 89 SGB V (Schiedswesen). § 89 Abs. 1a Satz 1 und 2 SGB V legen für gesetzlich vorgesehene Verträge wie der BonusMalus-Regelung fest: „Kommt ein gesetzlich vorgeschriebener Vertrag über die vertragsärztliche Versorgung ganz oder teilweise nicht zustande, und stellt keine der Vertragsparteien bei dem Schiedsamt den Antrag, eine Einigung herbeizuführen, können die zuständigen Aufsichtsbehörden nach Ablauf einer von ihnen gesetzten angemessenen Frist das Schiedsamt mit Wirkung für die Vertragsparteien anrufen. Das Schiedsamt setzt mit der Mehrheit seiner Mitglieder innerhalb von drei Monaten den Vertragsinhalt fest.“ (Hervorhebungen durch die Verfasser)

Die Konstellation, dass keine der Vertragsparteien beim Schiedsamt den Antrag stellt, eine Einigung herbeizuführen, ist mithin vom Gesetzgeber berücksichtigt und durch § 84 Abs. 1a Satz 1 SGB V geregelt worden. Die Kann-Bestimmung bezüglich der zuständigen Aufsichtsbehörde zeigt, dass dieser ein Ermessen zusteht, ob sie einem gesetzlich vorgesehenen Vertrag – vorliegend den Richtgrößen der BonusMalus-Regelung – zur Durchsetzung verhelfen will. Im Übrigen weist schon die in § 89 Abs. 1a SGB Venthaltene Formulierung des „gesetzlich vorgesehenen Vertrag(es)“ kontradiktorische Elemente auf. Ein Vertrag setzt naturgemäß Kontrahierungsfreiheit und Verhandlungsspielraum sowohl hinsichtlich der Entscheidung zum Vertragsschluss als auch hinsichtlich des Vertragsinhaltes voraus und kann insofern nicht „gesetzlich vorgesehen“ sein.

Insgesamt sieht also § 84 Abs. 7a SGB V zwingend eine Vereinbarung zur BonusMalus-Regelung vor. In Anbetracht des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips verbietet sich daher grundsätzlich eine Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen bzw. nunmehr dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

und der KBV dergestalt, diese Vorschrift im Rang eines Parlamentsgesetzes faktisch für nicht mehr anwendbar zu erklären. Spielraum besteht allerdings, soweit § 89 SGB V die Durchführung des Schiedsverfahrens vom (politischen) Willen bzw. Ermessen der Aufsichtsbehörde abhängig macht und insofern eine Vereinbarung letztlich gegen diesen Willen nicht erzwingt. Die beteiligten potentiellen Vertragspartner scheinen sich darüber einig zu ein, eine sachlich ungerechtfertigte und verfassungsrechtlich zweifelhafte Regelung nicht anzuwenden. Dennoch wäre es in diesem Fall nur konsequent und der rechtsstaatlichen Transparenz sowie dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit rechtlicher Regelungen geschuldet, § 84 Abs. 7a SGB V aus dem ohnehin äußerst komplexen SGB V zu entfernen.

6. Ergebnis Die in § 84 Abs. 7a SGB Venthaltene Regelung, Ärzte in Regress zu nehmen, welche bei der Verordnung von Arzneimitteln eine zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und der KBV vereinbarte Kostenschwelle überschreiten, ist verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Es kommen Verstöße gegen die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung und den Parlamentsvorbehalt in Betracht. Ferner liegt ein Eingriff in die ärztliche Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG vor, dessen verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht erkennbar ist.

III. Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht 1. Einführung Aufgrund steigender Unzufriedenheit der (Zahn-)Ärzteschaft mit dem Honorarsystem der gesetzlichen Krankenkassen wird seit mehreren Jahren immer wieder diskutiert, dem vertragsärztlichen System in Form eines kollektiven Zulassungsverzichts den Rücken zu kehren. Der mit einem kollektiven Zulassungsverzicht verbundene gesellschaftliche Druck soll die Krankenkassen vor allem dazu bringen, Honorare für die Behandlung der in der GKV Versicherten denen der Privatpatienten anzugleichen. Durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 199278 hat der Gesetzgeber im neu eingefügten § 95b SGB V verschiedene Sanktionen für diejenigen Vertragsärzte implementiert, die in einem mit anderen Vertragsärzten aufeinander ab-

78

BGBl. I, S.2266.

III. Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht

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gestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung als Vertragsarzt verzichten (§ 95 Abs. 1 SGB V). Dennoch haben in den letzten Jahren im Rahmen von Bestrebungen zum kollektiven Zulassungsverzicht verschiedene Aktionen von Vertragsärzten stattgefunden. So verzichteten in Niedersachsen viele Zahnärzte für Kieferorthopädie mit Ablauf des 30. Juni 2004 auf ihre vertrags(zahn)ärztliche Zulassung, nachdem eine Umstrukturierung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für zahnärztliche Leistungen letztlich zu einer Absenkung der Bewertung kieferorthopädischer Leistungen geführt hatte. Das Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit des Landes Niedersachsen stellte daraufhin mit Bescheid vom 3. März 2004 auf der Grundlage von § 72a Abs. 1 SGB V fest, dass in den Planungsbereichen Landkreis Hannover, Landkreis Cuxhaven und Landkreis Hildesheim insgesamt jeweils mehr als 50 % aller dort niedergelassenen Kieferorthopäden in einem mit anderen Zahnärzten abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf ihre Zulassung verzichtet hatten.79 In der jüngeren Vergangenheit haben bayerische Hausärzte ein abgestuftes Modell entwickelt, um politischen Druck auszuüben, als dessen letzter Schritt kollektiv auf die Zulassung verzichtet werden sollte.80 Das dafür notwendige Quorum von 70 % der bayerischen Hausärzte, die einem Systemausstieg zustimmen, wurde jedoch nicht erreicht, so dass es zu keinem kollektiven Zulassungsverzicht kam.

2. Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen Die Sanktionen des Gesetzgebers bei einem kollektiven Verzicht setzen gemäß § 72a Abs. 1 SGB V voraus, dass die Aufsichtsbehörde die Feststellung getroffen hat, dass mehr als 50 vom Hundert aller in einem Zulassungsbezirk oder einem regionalen Planungsbereich niedergelassenen Vertragsärzte auf ihre Zulassung nach § 95b Abs. 1 SGB V – also in einem aufeinander abgestimmten Verhalten – verzichtet haben. Die in § 95b Abs. 1 SGB V statuierte Sanktionsvoraussetzung eines aufeinander abgestimmten Verhaltens der auf die Zulassung verzichtenden Ärzte wird gesetzlich nicht näher konturiert. In diesem Zusammenhang stellt sich deshalb schon die Frage, ob der Anteil von mehr als 50 % auf einmal bzw. in kurzer Zeit erreicht werden muss, denn nur dann liegt der Schluss auf ein abgestimmtes Verhalten nahe.81 Abgesehen davon ist bei einer über längere Zeit sich aufsummierenden Zahl verzichtender Ärzte nicht klar, ob zwischenzeitlich an andere Ärzte neu erteilte Zulassungen sal-

79

Vgl. BSG, Urteil vom 27.6.2007, B 6 KA 39/06 R. Nach diesem sogenannten Korbmodell sollen sich zunächst diejenigen Vertragsärzte, die eine Zulassungsrückgabe nicht ausschließen, vertraulich von den Verbänden der Hausärzte registrieren lassen. Wenn eine vorher festgelegte Quote erreicht ist, wird dann eine Vollversammlung einberufen, auf der die kollektive Rückgabe der vertragsärztlichen Zulassung beschlossen wird. 81 Wieland Schinnenburg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht von Vertragsärzten, in: MedR 2005, S. 26. 80

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

diert werden, so dass die Zahl der zugelassenen Vertragsärzte nie unter 50 % der ursprünglichen Zahl fallen kann.82 Die an diese Zahl geknüpfte Feststellung hat zur Folge, dass den beteiligten Ärzten erst nach Ablauf von sechs Jahren eine neue Zulassung erteilt werden kann (§ 95b Abs. 2 SGB V). Ferner dürfen die verzichtenden Ärzte, solange sie keine neue Zulassung haben, die Behandlung gesetzlicher Versicherter auf Dauer nur mit einem Steigerungssatz von 1,0 bzw. dem Einfachsatz der Gebührenordnung für Ärzte bzw. Zahnärzte berechnen. Ihre Leistungen dürfen sie ausschließlich mit den einzelnen Krankenkassen abrechnen; ein unmittelbarer Vergütungsanspruch gegenüber den behandelten Patienten besteht nicht und darf auch nicht vereinbart werden (§ 95b Abs. 3 SGB V). Schließlich dürfen die Krankenassen oder deren Landesverbände und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich keine Einzel- oder Gruppenverträge mit Ärzten schließen, die auf ihre Zulassung kollektiv verzichtet haben (§ 72a Abs. 3 Satz 3 SGB V). Diese rigiden Maßnahmen sind verfassungsrechtlich äußerst bedenklich.83 a) Sechsjährige Zulassungssperre, § 95b Abs. 2 SGB V Die Sanktionsregelung des § 95b Abs. 2 SGB V legt fest, dass Vertragsärzte, die in einem mit anderen Vertragsärzten aufeinander abgestimmten Verfahren auf ihre Zulassung verzichtet und damit bewirkt haben, dass der Sicherstellungsauftrag in ihrem Planungsbereich auf die Krankenkassen übergegangen ist, eine erneute Zulassung frühestens nach Ablauf von sechs Jahren nach Abgabe der Verzichtserklärung erhalten können. aa) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schränkt eine Zulassungsentziehung bei einem Vertragsarzt die Berufsfreiheit in einem Maße ein, das in seiner Wirkung der Beschränkung der Berufswahl nahe kommt.84 Entsprechend intensiv wirkt insofern eine Regelung, die eine sechsjährige Zulassungssperre vorsieht, da der Arzt damit auf Dauer generell von der Behandlung von mehr als 90 % der Bevölkerung ausgeschlossen bleibt.85 Ein unmittelbarer finaler Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Ärzte liegt mithin vor. Als Grund für die Sanktion wird die Absicht der kollektiv Rückgebenden genannt, die Funktionsfähigkeit des vertragsärztlichen Versorgungssystems durch Herbeifüh82

Schinnenburg (Fn. 81), S. 26. Verfassungsrechtliche Bedenken werden auch von Stimmen aus dem Schrifttum geltend gemacht, vgl. nur Rainer Hess, in: Kasseler Kommentar, § 95b SGB V Rn. 4, hinsichtlich der sechsjährigen Zulassungssperre. 84 BVerfGE 11, 30 (43); Sodan (Fn. 22), S. 274. 85 Schinnenburg (Fn. 81), S. 26 (26 f.). 83

III. Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht

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rung einer Unterversorgung zu unterminieren, um dadurch wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.86 Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung: „Der kollektive Verzicht bezweckt, das mit einem Ausstieg aus dem vertragsärztlichen System verbundene Risiko von erheblichen Einkommensverlusten zu minimieren und losgelöst von gesetzlichen und satzungsrechtlichen Bindungen die Bedingungen für die eigenen Leistungen, insbesondere zur Vergütungshöhe und zum Abrechnungsverfahren selbst bestimmen zu können […]“. Die Pflichtwidrigkeit wird demnach nicht in der auch in einem solchen Fall rechtswirksamen Verzichtserklärung, sondern in der Vorbereitung und Durchführung einer gemeinsamen Aktion zur Destabilisierung des Versorgungssystems durch Vertragsärzte gesehen.87

Nach der Gesetzesbegründung ist der kollektive Verzicht deshalb rechtsmissbräuchlich, da ihn der verzichtende Vertragsarzt „in der Erwartung erklärt, die vertragsärztliche Versorgung könne auf Dauer nicht ohne ihn auskommen und er werde deshalb weiterhin von der gesetzlichen Krankenversicherung – dann allerdings zu den von ihm gewünschten Bedingungen – in Anspruch genommen werden“.88 Ein Vertragsarzt könne daher nicht erwarten, alsbald wieder zum Vertragsarztsystem zugelassen zu werden. Die von ihm gezeigte Illoyalität rechtfertige es, den kollektiv ausgeschiedenen Vertragsarzt „beim Wort zu nehmen“.89 Grundsätzlich stellt die Aufrechterhaltung des Versorgungssystems für gesetzlich Versicherte unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Spielraums einen legitimen Zweck dar. Allerdings ist schon die Geeignetheit des Mittels der Zulassungssperre zweifelhaft, diesen Zweck zu erreichen. Die gesetzlichen Krankenkassen werden ihren Sicherstellungsauftrag kaum erfüllen können, wenn über 50 % der Vertragsärzte in einem Gebiet für einen mehrjährigen Zeitraum nicht mehr zur Verfügung stehen. Angesichts des deutschlandweiten Ärztemangels wird es aber regelmäßig nicht möglich sein, für einen Zeitraum von sechs Jahren neue Ärzte für ein Gebiet zu verpflichten, ohne dass es in anderen Gebiete zu einer (weiteren) Unterversorgung kommt. Der zwangsweise Ausschluss von Ärzten aus dem Vertragsarztsystem über einen langen Zeitraum steht mithin der Realisierung des Sicherstellungsauftrages gerade entgegen. Eine Zulassungssperre mit einem geringeren Sperrzeitraum ist zudem ein milderes, aber ebenso effektives Mittel, so dass es auch an der Erforderlichkeit fehlt. Schließlich ist die Regelung auch unangemessen, weil über einen so langen Zeitraum eine Berufstätigkeit faktisch ausschließlich für Privatpatienten aus finanzieller Sicht des betroffenen Arztes regelmäßig ausgeschlossen ist. Dieser wird nicht selten schon vor dem Ende der sechsjährigen Sperrfrist seinen Beruf aufgeben müssen. Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts darf der Zeitraum einer Zulassungssperre von fünf Jahren nach einem vertragsärztlichen Fehlverhalten nur in besonders 86 87 88 89

BT-Drucks.: 12/3608, S. 94. So Rainer Hess, in: Kasseler Kommentar, § 95b SGB V Rn. 3. BT-Drucks. 12/3608, S. 95. BT-Drucks. 12/3608, S. 95.

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gravierenden Fällen überschritten werden.90 Im Falle des kollektiven Zulassungsverzichts ist es mehr als zweifelhaft, ob dieser als besonders gravierender Fall zu werten ist, der einen solch langen Zeitraum rechtfertigen könnte. Der kollektive Verzicht auf die Zulassung beruht nämlich nicht auf einem medizinethischen oder nach dem Maßstab der ärztlichen Heilkunst vorliegenden Fehlverhalten, sondern ist lediglich eine Ausdrucksform eines politischen, wenn auch gesetzlich nicht erwünschten Protests. Zugunsten der betroffenen Ärzte ist deshalb zu berücksichtigen, dass ihre Motive nicht die Verweigerung der Behandlung von Patienten betreffen, sondern regelmäßig politische Wünsche auf Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen ärztlicher Tätigkeit. Insofern kann eine Sanktionierung dieses Verhaltens nicht Rechtsfolgen zeitigen, die nur bei besonders gravierenden Fällen individuellen ärztlichen Fehlverhaltens angemessen sind. Es spricht deshalb viel dafür, dass die pauschale sechsjährige Zulassungssperre nach einem kollektiven Zulassungsverzicht ein unangemessener Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Ärzte ist. bb) Vereinbarkeit mit Artikel 9 Abs. 1 GG Auch ein Verstoß des sechsjährigen Zulassungssperre gegen Art. 9 Abs. 1 GG kommt in Betracht. Diejenigen Vertragsärzte, die in einem abgestimmten Verhalten ihre Zulassung zurückgeben, bilden eine von Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Gemeinschaft und können sich deshalb auf den grundrechtlichen Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG berufen. Alle Deutschen haben nach Art. 9 Abs. 1 das Recht, Vereinigungen zu bilden. Eine Vereinigung liegt dann vor, wenn sich eine Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammenfinden und einer organisatorischen Willensbildung unterwerfen.91 Der Begriff der Vereinigung ist weit auszulegen. Eine grundrechtlich geschützte Vereinigung muss grundsätzlich auf eine gewisse Dauer angelegt sein.92. Allerdings genießen auch vorübergehende Zusammenschlüsse mit einem Mindestmaß an organisatorischer Stabilität – etwa Bürgerinitiativen – grundrechtlichen Schutz.93 Bei einem Verband von Vertragsärzten, die planen, ihre Zulassung zurückzugeben, wird allerdings von einer gewissen organisatorischen Festigkeit und Dauer auszugehen sein. Neben der Erörterung zahlreicher rechtlicher und wirtschaftlicher Aspekte eines kollektiven Zulassungsverzichts wird auch die entsprechende Meinungsbildung in mehreren Beratungen stattfinden müssen. Andernfalls könnte wohl auch kaum von einem „abgestimmten Verhalten“ im Sinne von § 95b SGB V gesprochen werden.94 Die Abstimmungs- und Willensbildungsprozesse werden des90 91 92 93 94

BSG, MedR 1987, S. 254 (255). Pieroth/Schlink (Fn. 39), Rn. 721. Jarass (Fn. 12), Art. 9 Rn. 3; Pieroth/Schlink (Fn. 39), Rn. 724. Sodan/Ziekow (Fn. 46), § 37 Rn. 2. Schinnenburg (Fn. 81), S. 26 (27).

III. Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht

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halb hinsichtlich ihrer organisatorischen Verfestigung regelmäßig mindestens mit denen einer typischen Bürgerinitiative vergleichbar sein. Insofern genießen die sich zum kollektiven Verzicht auf die Zulassungen zusammenschließenden Ärzte als Vereinigung den Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG. Daraus folgt, dass gesetzliche Sanktionen, die sich auf die Vereinigung beziehen, als Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit verhältnismäßig sein müssen.95 Das ist vorliegend nicht der Fall. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Sanktionierung eines kollektiven Zulassungsverzichts die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu sichern und im Wege der Abschreckung (Generalprävention) die Vertragsärzte von einem kollektiven Zulassungsverzicht abhalten. Die sechsjährige Zulassungssperre ist kein geeignetes Instrumentarium, dieses Ziel zu fördern. Wenn die ausgeschiedenen Vertragsärzte sechs Jahre lang keine neue Zulassung erhalten, bleiben sie für diesen Zeitraum von der Versorgung der gesetzlich Versicherten ausgeschlossen. Diese Sanktion fördert aber gerade nicht die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Systems, sondern behindert sie.96 Auch an der Erforderlichkeit des Mittels bestehen erhebliche Zweifel. Für den Fall, dass genügend Ärzte zur Verfügung stehen, welche die ärztliche Versorgung übernehmen können, wird der einzelne verzichtende Arzt mit eigener Arztpraxis infolge eines nur noch sehr eingeschränkten behandlungsfähigen Kreises von Privatpatienten aus finanziellen Gründen bereits nach wesentlich weniger als sechs Jahren seine Praxis aufgeben müssen. Ein milderes Mittel läge also auch schon bei einer Zulassungssperre von drei oder vier Jahren vor, ohne dass dieses Mittel hinsichtlich der legislativen Ziele weniger effektiv wäre. Wenn allerdings nicht genügend Ärzte zur Übernahme der ärztlichen Versorgung zur Verfügung stehen, ist das Mittel schon ungeeignet, da dadurch die ärztliche Versorgung gerade nicht sichergestellt wird. Erhebliche Zweifel bestehen auch an der Angemessenheit der Regelung. Insofern kann auf die bei der Prüfung des Art. 12 Abs. 1 GG dargestellten Wertungen verwiesen werden. b) Beschränkung der Vergütung, § 95b Abs. 3 SGB V Mögliche Rechtsbeziehungen zwischen den pflichtwidrig ausgeschiedenen Leistungserbringern und den Versicherten sowie deren Krankenkassen werden durch § 95b Abs. 3 SGB V geregelt. Diese Vorschrift soll nach dem Willen des Gesetzgebers sicherstellen, dass Vertragsärzte den mit einem kollektiven Verzicht verfolgten Zweck nicht auf Kosten der Versicherten und des Systems der GKVerreichen können. Der kollektiv ausgeschiedene Vertragsarzt bleibt dem Vertragsarztsystem kraft Gesetzes zumindest insoweit verhaftet, als er die Behandlung eines Versicherten nur mit dem Einfachsatz nach der jeweils einschlägigen (zahn-)ärztlichen Gebührenord-

95 96

Allgemein Sodan/Ziekow (Fn. 46), § 37 Rn. 15. Siehe auch Schinnenburg (Fn. 81), S. 26 (28).

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nung vergütet erhält und ihm ausschließlich ein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse, nicht jedoch gegenüber den Patienten eingeräumt wird.97 aa) Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 GG Es scheint sich bei § 95b Abs. 3 SGB V auf den ersten Blick um einen Eingriff in die Berufsausübung zu handeln. Tatsächlich hat der Eingriff in die Berufsfreiheit zur Folge, dass die Einnahmen bei der Behandlung in der GKV Versicherter um bis zu 40 % abgesenkt werden könnten und nach Abzug von eigenen Kosten eventuell gar kein Gewinn mehr für den einzelnen Arzt verbleibt.98 Die Wirkung einer Zulassungsentziehung könnte schärfer nicht sein. Daher kommt eine derartige Beschränkung der Vergütung einer Beschränkung der Berufswahl nahe. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist auch hier die Vergütungsbeschränkung nicht geeignet, die Funktionsfähigkeit des Systems wiederherzustellen. Sie bietet für die betroffenen Ärzte keinen Anreiz, in der GKV versicherte Patienten ärztlich zu versorgen. Unverhältnismäßig ist die Regelung aber vor allem in Anbetracht des Umstandes, dass die verzichtenden Ärzte gerade aus dem System ausgestiegen sind und eigentlich ohne vertragsarztrechtliche Vorgaben liquidieren könnten.99 Insofern stellt die Sanktion in Verbindung mit der sechsjährigen Zulassungssperre eine doppelte Benachteiligung dar. Der einzelne Arzt wird schlechter behandelt als ein Vertragsarzt, weil er gesetzlich Versicherte nicht mehr behandeln darf.100 Gleichzeitig darf er auch nicht als privater Arzt in vollem Umfang seine Rechnungen stellen, obwohl doch die Gesetzesbegründung ausdrücklich den Anspruch erhebt, den aussteigenden Vertragsarzt „beim Wort zu nehmen“. Für diese doppelte Ungleichbehandlung gibt es keine Rechtfertigung. Sie ist unangemessen. Das Grundrecht der betroffenen Vertragsärzte auf Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG ist durch die beschriebenen Sanktionen verletzt. bb) Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Das Bundessozialgericht hat am 27. Juni 2007 einen Rechtsstreit entschieden, in dem eine Kieferorthopädin einen in der GKV versicherten Patienten behandelt hatte, nachdem aufgrund ihres Verzichts das Ende ihrer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung zum 30. Juni 2004 festgestellt worden war.101 Für ihre Leistungen stellte die Kieferorthopädin auf Grundlage des 1,0 fachen Satzes der 97 98 99 100 101

BT-Drucks. 12/3608, S. 95. Vgl. Schinnenburg (Fn. 81), S. 26 (29). Vgl. Schinnenburg (Fn. 81), S. 26 (29) m. w. N. Sodan (Fn. 22), S. 277. BSG, Urteil vom 27.06.2007 – B 6 KA 37/06 R.

III. Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht

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Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) der beklagten Krankenkasse einen Betrag in Rechnung, dessen Zahlung die Krankenkasse ablehnte. Dagegen klagte die Ärztin. Das Bundessozialgericht war der Auffassung, die Klägerin sei nicht von einem Versicherten i. S. v. § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V in Anspruch genommen worden. Eine entsprechende Inanspruchnahme liege nur dann vor, wenn der Versicherte berechtigt wäre, sich von dem aus der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Zahnarzt zu Lasten einer gesetzlichen Krankenkasse behandeln zu lassen. Wann dies der Fall sei, regele § 95b Abs. 3 Satz 1 SGB V hingegen nicht. Die Kieferorthopädin hätte durch den Patienten erst nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden dürfen. Denn § 13 Abs. 2 Satz 6 SGB V bestimme, dass nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer – zu denen die Klägerin als gemäß § 95 Abs. 1 SGB V Verzichtende nicht mehr gehörte – nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden dürften. § 13 Abs. 2 Satz 8 SGB V statuiere ausdrücklich, dass die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Abs. 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ausgeschlossen sei. Das Bundessozialgericht vertrat die Ansicht, die Begrenzung der von der Krankenkasse geschuldeten Vergütung auf das 1,0-fache des Gebührensatzes von GOÄ und GOZ sei eine Regelung der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese sei verfassungskonform, weil sie einem wichtigen Gemeinwohlbelang diene, zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele erforderlich und insgesamt verhältnismäßig sei. Sie erfülle nämlich den Zweck, Ärzte und Zahnärzte von einem pflichtwidrigen organisierten Verzicht abzuhalten. Ein derartiger Zulassungsverzicht erschüttere die Stabilität der vertragsärztlichen Versorgung, deren Sicherstellung in sachlicher wie in finanzieller Hinsicht ein Gemeinwohlbelang von erheblichem Gewicht sei. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften fand bedauerlicherweise nur am Rande des Urteils mit wenigen Worten statt, obwohl sich die vorstehend dargestellten Problempunkte für eine ausführlichere Abhandlung geradezu angeboten hätten. Diese unbefriedigende Situation vermag deshalb letztlich nur das Bundesverfassungsgericht zu erhellen.102 c) Verbot von Einzelverträgen, § 72a Abs. 3 Satz 3 SGB V Falls die Aufsichtsbehörde feststellt, dass in einem Zulassungsbezirk oder einem Planungsbereich die vertragsärztliche Versorgung infolge kollektiven Zulassungsverzichts nicht mehr sichergestellt ist, erfüllen nach § 72a Abs. 1 SGB V insoweit 102 Die 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG, Beschluss vom 26.02.2008 – 1 BvR 3067/07, hat die gegen das Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG ohne nähere Begründung für „nicht ersichtlich“ gehalten. Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht bei anderer Gelegenheit ausführlich zur dargelegten verfassungsrechtlichen Problematik Stellung nimmt.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

die Krankenkassen und ihre Verbände den Sicherstellungsauftrag, bis im jeweiligen Bereich wieder genügend Vertragsärzte zugelassen sind. Zu diesem Zweck schließen sie nach § 72a Abs. 3 SGB V Verträge mit Ärzten und Zahnärzten. Nur mit den Ärzten, die zuvor in einem abgestimmten Verfahren auf ihre Zulassung verzichtet haben, dürfen solche Verträge gemäß § 72a Abs. 3 Satz 3 SGB V nicht geschlossen werden. Grundsätzlich kann der Versicherte der GKV – mit Ausnahme eines Notfalls gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V – deshalb nur zugelassene oder ermächtigte Ärzte in Anspruch nehmen. Im Übrigen dürfen die Kassen Leistungen der Ärzte, die keine Vertragsärzte sind, nicht vergüten. Auch diese Regelung tangiert Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG. Neben der Ungeeignetheit der Regelung, die Funktionsfähigkeit des Systems wiederherzustellen, da zahlreiche Ärzte als Vertragsärzte ausgeschieden sind und daher für derartige Verträge nicht zur Verfügung stehen, ist sie wegen des Ausschlusses der verzichtenden Ärzte von der Versorgung gesetzlich Versicherter über einen langen Zeitraum auch unzumutbar. Die grundrechtlichen Wertungen bei der Beurteilung des Verbots von Einzelverträgen sind insofern mit den im Rahmen der grundrechtlichen Prüfung der übrigen Sanktionen vorstehend dargelegten Überlegungen vergleichbar.

3. Ergebnis Die an den kollektiven Zulassungsverzicht geknüpften Rechtsfolgen verstoßen gegen die Grundrechte der betroffenen Ärzte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 GG.

IV. Privatversicherungsrechtlicher Basistarif und Sicherstellungsauftrag – ein Systembruch Das GKV-WSG verpflichtet die privaten Versicherer zur Einführung eines brancheneinheitlichen Basistarifs zum 1. Januar 2009:103 Nach dem zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen § 12 Abs. 1a Satz 1 VAG haben Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welche die substitutive Krankenversicherung betreiben, einen branchenweit einheitlichen Basistarif anzubieten, dessen Vertragsleistung in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB V, auf die ein Anspruch besteht, jeweils vergleichbar sind. Für die privaten Krankenversicherungen besteht 103 Der Basistarif soll den bisher bestehenden Standardtarif gemäß § 315 Abs. 4 SGB V i. V. m. § 12 Abs. 1a VAG ablösen. Seit dem 1. Juli 2007 können sich Personen ohne Versicherungsschutz, die der PKV zugeordnet werden, in dem in § 315 SGB V ausgestalteten Standardtarif versichern. Maßgeblich für die Beitragshöhe sind dabei Alter und Geschlecht, nicht aber der jeweilige Gesundheitszustand. Der durchschnittliche Höchstbetrag der GKV darf nicht überschritten werden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen stellen für den Standardtarif die ärztliche Behandlung sicher.

IV. Basistarif und Sicherstellungsauftrag

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dabei hinsichtlich der Versicherungsnehmer regelmäßig ein Kontrahierungszwang. Ein Antrag darf nur abgelehnt werden, wenn der Versicherte bereits bei dem Versicherer versichert war und der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hat oder von dem Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten ist (§ 12 Abs. 1b Satz 4 VAG n. F.).

1. Inhalt des Basistarifs Der Kreis der Zugangsberechtigten zum Basistarif ist einer komplexen gesetzlichen Regelung unterworfen: Auf die wesentlichen Personengruppen verkürzt erhalten Zugang zum Basistarif nach § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG und § 12 Abs. 1b Satz 1 VAG alle freiwillig in der GKV Versicherten bis zu sechs Monaten nach dessen Einführung (Nr. 1), diejenigen Personen, die keiner Pflicht zur Versicherung in der GKV unterliegen und auch nicht in der PKV versichert sind (Nr. 2), die Beihilfeberechtigten (Nr. 3) und alle Versicherten mit einer privaten Krankheitskostenversicherung, die nach dem 31. Dezember 2008 abgeschlossen wurde (Nr. 4). Wurde eine private Krankheitskostenversicherung vor dem 31. Dezember 2008 abgeschlossen, kann ein Wechsel in den Basistarif nur bis zum 30. Juni 2009 erfolgen. Einen unbefristeten Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif können mithin alle Nichtversicherten (§ 12 Abs 1b Satz 1 Nr. 2 VAG n. F., § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG n. F.) und Beihilfeberechtigten (§ 12 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 VAG n. F., § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 VVG n. F.) geltend machen. Ein unbefristetes Wechselrecht in den Basistarif desselben Versicherers gilt nach § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b VVG n. F. ferner für die Fälle, in denen der Versicherungsnehmer über 55 Jahre alt oder einen Anspruch auf eine Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung besitzt und diese beantragt hat bzw. ein Ruhegehalt nach beamtenrechtlichen oder vergleichbaren Vorschriften bezieht oder hilfebedürftig nach dem SGB II bzw. XII ist. Als Motiv für die verpflichtende Einführung des Basistarifs wird vom Gesetzgeber vor allem die Absicherung von Personen ohne Krankenversicherungsschutz angegeben.104 Dieser Personenkreis, dessen Zahl auf über 200.000 angestiegen ist, besteht primär aus Selbstständigen in schwierigen wirtschaftlichen Situationen, aber zunehmend auch aus geschiedenen – vor der Scheidung beim Ehepartner mitversicherten – Personen sowie Heimkehrern aus dem Ausland.105 Die gesetzliche Umschreibung des Basistarifs in § 12 Abs. 1a VAG wird ergänzt durch den neu gefassten § 203 VVG: Eine Risikoprüfung des Antragstellers findet gemäß § 203 Abs. 1 Satz 2 VVG n. F. grundsätzlich nicht statt. Die in der privaten Krankenversicherung üblichen Risikoausschlüsse oder -zuschläge sind dem Basista104

Vgl. schon die Begründung im Entwurf des GKV-WSG, BT-Drucks. 16/3950, S. 1. Ronald Richter, Gesundheitsreform – Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, in: DStR 2007, S. 810. 105

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

rif demnach fremd. Zum Ausgleich der Versicherungsrisiken verpflichtet § 12g VAG zum Aufbau eines Risikoausgleichssystems zwischen den jeweiligen Versicherern, dessen Errichtung, Ausgestaltung, Änderung und Durchführung der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegen. Dieser Risikoausgleich umfasst auch einen vom Versicherungsnehmer nach § 12g Abs. 1 Satz 3 VAG, § 8 Abs. 1 Nr. 6 KalV n. F. zu entrichtenden Zuschlag zur Umlage der Mehraufwendungen durch Vorerkrankungen. Hinzu kommt gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 7 KalV n. F. ein Zuschlag zur Umlage der Begrenzung der Beitragshöhe im Basistarif.106 Der Basistarif ist gemäß § 12 Abs. 1a VAG n. F. in verschiedenen Ausformungen vom privaten Versicherer anzubieten. So müssen etwa basistarifliche Varianten für Kinder und Jugendliche, bei denen bis zum 21. Lebensjahr keine Altersrückstellungen gebildet werden, oder für Beihilfeberechtigte angeboten werden. Die Höhe der Beiträge des Basistarifs beruht nicht auf dem Gesundheitsstatus, sondern richtet sich nach Eintrittsalter und Geschlecht des Versicherungsnehmers. Im Versicherungsmodell sind gemäß § 12 Abs. 1a VAG n. F. verschiedene Selbstbehaltstufen vorgesehen. Die Versicherungsprämie für den Basistarif darf nach § 12 Abs. 1c VAG n. F. für Einzelpersonen den durchschnittlichen Höchstbeitrag der GKV und für Ehegatten bzw. Lebenspartner 150 Prozent dieses Beitrags nicht übersteigen. Wenn durch diese Beitragslast Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder SGB XII verursacht wird, halbiert sich der Beitrag. Dauert die Hilfebedürftigkeit dennoch fort, beteiligt sich der zuständige Träger nach dem SGB II oder SGB XII maximal mit dem für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der GKV zu zahlenden Beitrag.107 Der Höchstbeitrag im Basistarif darf gemäß § 12 Abs. 1c VAG n. F. den Höchstbetrag der GKV nicht übersteigen; im Jahr 2009 wird zur Berechnung dieses Höchstbeitrages der allgemeine Beitragssatz der Krankenkassen vom 1. Januar 2009 zugrunde gelegt. Für jeden Versicherungsnehmer des Basistarifs gilt derselbe Leistungsumfang; die Nettobeitragskalkulation ist brancheneinheitlich, d. h. die Beiträge werden ohne die Kosten für den Versicherungsbetrieb auf der Basis gemeinsamer Kalkulationsgrundlagen einheitlich für alle beteiligten Unternehmen ermittelt.108 Allein bei den unternehmensindividuellen Faktoren besteht damit ein gewisser Spielraum für die privaten Krankenversicherungen, indem Verwaltungsaufwendungen oder Schadensregulierungsaufwendungen unterschiedlich hoch angesetzt werden können. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die Beitragskappung auf die Beiträge inklusive der unternehmensindividuellen Aufwendungen vorzunehmen ist.109

106

Vgl. ausführlich Helge Sodan, Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform 2007, 2. Aufl. 2007, S. 76 ; Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 33. 107 Vgl. Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 33. 108 Richter (Fn. 105), S. 810 (811). 109 Richter (Fn. 105), S. 810 (811).

IV. Basistarif und Sicherstellungsauftrag

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Die Implementierung der PKV in sozialversicherungsrechtliche Strukturen bringt auch eine Erweiterung des Sicherstellungsauftrages der KV und KBV gemäß § 75 Abs. 3a ff SGB V mit sich. Dabei sind auch schiedsamtsfähige normenvertragliche Regelungen der KV und KBV mit dem Verband der PKV vorgesehen.110 § 12 Abs. 1d VAG n. F. beleiht zudem den Verband der PKV explizit, Art, Umfang und Höhe der Leistungen im Basistarif vergleichbar den Leistungen der GKV zu fixieren. Fachaufsicht führt dabei das Bundesministerium für Finanzen. Der in § 75 Abs. 3a SGB V geregelte Sicherstellungsauftrag der Ärzte und Zahnärzte für Versicherungsnehmer im Basistarif ist Ausdruck der gesetzgeberischen Befürchtung, dass die ärztliche Behandlung in Anbetracht der Gebührengrenze verweigert werden könnte.111

2. Die Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung Im Rahmen der Sicherstellung der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung verpflichtet § 72 SGB V die Vertragsärzte zur gemeinschaftlichen Zusammenarbeit, um die in den vorangegangenen Vorschriften statuierten Leistungsrechte der Versicherten zu erfüllen. Dabei greift § 72 die Vorgaben der §§ 2 und 12 SGB V auf und schreibt den Normadressaten ambulanter Leistungserbringung deren Detailkonkretisierung vor.112 Darüber hinaus präzisiert § 75 SGB V das Zusammenwirkungsgebot von § 72 Absatz 1 SGB V für die Kassenärztlichen Vereinigungen. a) Der Sicherstellungsauftrag gemäß § 72 SGB V § 72 Abs. 2 SGB V beinhaltet neben einer Ermächtigungsgrundlage auch einen verpflichtenden Regelungsauftrag, die vertragsärztliche Versorgung durch schriftliche Verträge so zu regeln, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden. Bei den abzuschließenden Verträgen handelt es sich um öffentlich-rechtliche Verträge. Mit § 72 Abs. 2 SGB V erhält das Prinzip des Leistungsrechts (§ 2 SGB V) eine rechtliche Präzisierung: Da nach § 2 SGB V den Versicherten von den gesetzlichen Krankenkassen durch Behandlungs- und Verordnungsentscheidung der Vertragsärzte Sach- und Dienstleistungen unter Beachtung des allgemein anerkannten Stands der 110 Vgl. Peter Axer, Einbeziehung der PKV in die GKV – Standard- und Basistarif als Gegenstand der Sicherstellung in der vertragsärztlichen Versorgung, auf: http://www.dg-kassenarztrecht.de / Veroeffentlichungen / Thesenpapiere_200711/Axer_Thesenpapiere_ 081107 .pdf. 111 Richter (Fn. 105), S. 810 (811). 112 Rainer Hess, in: Kasseler Kommentar, SGB V, § 72 Rn. 17.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

medizinischen Erkenntnisse und des medizinischen Fortschritts zur Verfügung gestellt werden müssen, haben die Selbstverwaltungskörperschaften der Krankenkassen und der ärztlichen Leistungserbringer Verträge über deren Inhalt, Umfang und nähere Modalitäten der Erbringung nach den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB V zu schließen. Beispiele für ausdrücklich vorgeschriebene Verträge mit bestimmten Vertragsinhalten sind etwa auf Bundesebene die Bewertungsmaßstäbe für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, einschließlich der Kriterien zur Verteilung der Gesamtvergütung durch besondere Bewertungsausschüsse gemäß §§ 87 Abs. 1 Satz 2, 85 Abs. 4a SGB Voder aber die Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 Abs. 2 b SGB V. Auf Landesebene gehören etwa Gesamtvergütungs- und Vergütungsverträge gem. §§ 82 Abs. 2, 83, 85 – 85d SGB Voder Prüfungsvereinbarungen gemäß §§ 106 Abs. 3, 106a Abs. 5 SGB V zu den gesetzlich vorgeschriebenen Verträgen. Die von §§ 2, 12 i. V. m. § 72 SGB V intendierte ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung unter Berücksichtigung des allgemeinen Standes der medizinischen Erkenntnisse wird insbesondere durch die Richtlinienentscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 SGB V und die Empfehlungen nach § 137f SGB V, hinsichtlich neuer Behandlungs- und Untersuchungsmethoden durch die Anerkennungsentscheidungen nach den § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 135 Abs. 1 SGB V konkretisiert.113 In denselben Bereich fallen aber auch die Qualitätssicherungsvereinbarungen auf Basis des § 135 Abs. 2 SGB V sowie die sonstigen gesamtvertraglichen Vereinbarungen nach den §§ 72 Abs. 2, 82 Abs. 1, 82 SGB V, wie etwa die sogenannte Schmerztherapievereinbarung, Anlage 12 zum BMV-Ä/EK.114 b) Der Sicherstellungsauftrag gemäß § 75 SGB V aa) Funktion der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen (KV) bzw. der Kassen(zahn)ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Die KV und die KBV sind gemäß § 77 Abs. 5 SGB V Körperschaften des öffentlichen Rechts. Über die Pflichtmitgliedschaft der Vertragsärzte in den KV werden insbesondere die von den KV auf Landesebene abgeschlossenen Verträge über die vertragsärztliche Versorgung für alle Vertragsärzte verbindlich. Die durch § 77 Abs. 4 SGB V konstituierte Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung sind Körperschaften von Körperschaften. Im System der gesetzlichen Krankenversicherung haben die Kassenärztlichen Vereinigungen eine Schlüsselstellung. Zum einen obliegt ihnen die Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung durch die niedergelassenen Ärzte. Die vertragsärztliche Versorgung hat dabei 113

Harald Hesral, in: Rainer Schlegel/ Klaus Engelmann (Hrsg.), Juris-PraxisKommentar, SGB V, 2008, § 72 Rn. 42. 114 Hesral (Fn. 113).

IV. Basistarif und Sicherstellungsauftrag

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den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen zu entsprechen. Sie überwachen ferner die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten und sind zur Anwendung von Disziplinarmaßnahmen gegenüber den Vertragsärzten befugt, § 75 Abs. 2 SGB V. Zum anderen sind sie aber als Interessenvertretung der Vertragsärzte konzipiert und nehmen die Rechte der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen wahr, § 75 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Gleichzeitig unterliegen sie jedoch als Körperschaften des öffentlichen Rechts der staatlichen Aufsicht. Diese Ambivalenz der KV wird im gesundheitsrechtlichen Schrifttum auch als „Janusköpfigkeit“115 bezeichnet.

bb) Inhalt und Umfang der Sicherstellung § 75 SGB V sieht einen Sicherstellungsauftrag der KVauf zwei Ebenen vor: Zum einen bezieht er sich auf die Mitwirkung bei der in § 72 Abs. 2 SGB V beschriebenen Zusammenarbeit im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung bzw. in Form der gemeinsamen Normvertragssetzung. Zum anderen liegt die Bedeutung der Sicherstellung im engeren Sinne in der Durchführung der ambulanten Versorgung zum Zwecke der Erfüllung der Leistungsansprüche der gesetzlich Versicherten. Diese Sicherstellung im engeren Sinne äußert sich in der Erbringung ärztlicher Leistungen in bedarfsdeckender Zahl und geschuldeter Qualität.116 Die sachlichen Grenzen der sicherzustellenden vertragsärztlichen Versorgung ergeben sich aus § 75 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 73 Abs. 2 SGB V. Der Umfang des Sicherstellungsauftrages bezieht sich danach u. a. auf die „ärztliche Behandlung“ i. S. d. Definition des § 27 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 und 3 SGB V. Die durch die KV sicherzustellende ärztliche Behandlung umfasst demnach nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist.117 Es ist insofern auf die Ausführungen zu § 72 SGB V zu verweisen, als sich der eigentliche Leistungs- und Anspruchsinhalt in den diesen konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und des zu setzenden Normvertragsrechts auf Bundesebene (Bundesmantelverträge) und auf Landesebene (sonstige Gesamtverträge) mit Regelungswirkung gegenüber dem Versicherten und dem Leistungserbringer findet.118 Durch § 75 Abs. 3 und 4 SGB V wird der Sicherstellungsauftrag im Übrigen auf die ärztliche Versorgung von Personen mit dienstrechtlichen Ansprüchen auf freie Heilfürsorge und die ärztliche Behandlung von Strafgefangenen in Notfällen ausge115 So etwa das Gutachten 2005 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, BT-Drucks. 15/5670, S. 51. 116 Hesral (Fn. 113), Rn. 23 f. 117 Vgl. Herbert Schiller, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl. 2006, § 5 II Rn. 105 ff. 118 Hesral (Fn. 113), Rn. 25.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

dehnt. Das Bundessozialgericht legt den Sicherstellungsauftrag für die KV sehr weit aus und spricht von einer „umfassenden Sicherstellungsverantwortung“.119 Der Umfang der Teilnahmeverpflichtung des einzelnen Vertragsarztes wird gesetzlich nicht näher umrissen. Das Bundessozialgericht sieht die Mitwirkung des Vertragsarztes allerdings in der Verpflichtung, grundsätzlich die typischen Leistungen seines Fachgebiets anzubieten und zu erbringen, zu deren Ausführung er berechtigt und in der Lage ist.120 Zum Gewährleistungsauftrag der KV und der KBV gehört ferner die Aufgabe, die Abrechnung der Vertragsärzte und Psychotherapeuten vor der Weitergabe an die Krankenkassen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 SGB V i. V. m. § 45 BMV-Ä bzw. § 34 Abs. 4 und 5 AEKV und Plausibilität zu überprüfen, so dass den Krankenkassen nur solche Leistungen in Rechnung gestellt werden, die nach den jeweils geltenden Gebührenordnungen berechnungsfähig und in sich plausibel sind.121 Nach § 85 Abs. 1 SGB V entrichtet die gesetzliche Krankenkasse nach Maßgabe der Gesamtverträge für die gesamte vertragsärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die jeweilige KV, mit der die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung durch die KV finanziell abgegolten wird. Insofern ist die Entrichtung einer Gesamtvergütung untrennbar mit dem Sicherstellungsauftrag und der Gewährleistungspflicht der KV gemäß § 75 SGB V verbunden.122

3. Auswirkungen des Sicherstellungsauftrags auf den Basistarif Der Basistarif hat – wie vorstehend beschrieben – nach § 75 Abs. 3a SGB V n. F. die Erweiterung des Sicherstellungsauftrages der KV zur Folge. Die Gewährleistungspflicht erstreckt sich somit auf alle im Basistarif versicherten Leistungen und richtet sich nach Umfang und Inhalt dieser Tarifleistungen. Gleichzeitig stellt dies auch die Grenze des Leistungserbringungsrechts dar.123 Gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist, ob die Vertrags(zahn)ärzte zur Behandlungsübernahme bei im Basistarif Versicherten verpflichtet sind. Jedenfalls besteht eine Bindung an den Teilnahmestatus wie etwa die Einhaltung der Gebietsgrenzen und an alle vertragsärztlichen Pflichten, welche an die Zulassung geknüpft werden.124

119 120 121 122 123 124

BSGE 79, 97 (99 f.); 78, 284 (285). BSG, Urteil vom 14.3.2001, B 6 KA 54/00 R; Schiller (Fn. 117), § 5 II Rn. 117. Vgl. Schiller (Fn. 117), § 5 II Rn. 127. Schiller (Fn. 117), § 5 II Rn. 124. Hesral (Fn. 113), Rn. 84. Hesral (Fn. 113), Rn. 89.

IV. Basistarif und Sicherstellungsauftrag

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Auch die satzungsrechtlichen Pflichten müssen im Rahmen des Basistarifs von den Leistungserbringern beachtet werden. Viele Satzungen statuieren für das gesamte Leistungsverhalten die Verbindlichkeit des Wirtschaftlichkeitsgebots sowie des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V.125 Im Übrigen richtet sich die Pflicht zu Art und Weise, Inhalt und Umfang der Leistungserbringung nach den Bedingungen des Basistarifs. Hesral ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass die Leistungserbringer in dem Maße, in dem die Tarifbedingungen auf Regelungen der GKV verweisen, nur mittelbar zur Beachtung der gesetzlichen und untergesetzlichen Regeln der ambulanten Versorgung verpflichtet seien.126 Es ergäbe sich keine unmittelbare Einwirkung auf das Versicherungsvertragsverhältnis kraft Gesetzes. Die gesetzlich geforderte „Vergleichbarkeit“ des Basistarifs mit den Regeln der GKV bedeute keine „Deckungsgleichheit“, weshalb die Tarife nach Umfang und Inhalt im Detail abweichend von den Regeln der GKV ausgestaltet sein könnten.127 Die generellen Leistungsprinzipien der GKV werden jedenfalls de facto die Gestaltung des Basistarifs entscheidend prägen. Die Vergütung für diese ärztlichen Leistungen kann nach § 75 Abs. 3b SGB V n. F. in Verträgen zwischen dem Verband der PKV mit Wirkung für die beteiligten Unternehmen der PKV und im Einvernehmen mit den Trägern der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach den beamtenrechtlichen Vorschriften mit den KVoder den KBV vereinbart werden. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande und werden auch von einer einzurichtenden Schiedsstelle keine Vergütungsregelungen festgesetzt, gelten nach § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V die dort gesetzlich festgelegten Gebührenhöchstgrenzen. Mit dem basistariflichen Sicherstellungsauftrag ist nach der Begründung im Gesetzentwurf beabsichtigt, die Höhe der Vergütung für die gleichen Leistungen im Basistarif zu vereinheitlichen und zudem mittelbar über die Beteiligung der KV bzw. KBVeine ärztliche Behandlungspflicht bezüglich der im Basistarif Versicherten einzuführen.128 Diese Regelungen wirken sich auch unmittelbar auf die Privatärztlichen Verrechnungsstellen (PVS) aus. Ihr Ausmaß ist derzeit noch nicht absehbar und bleibt letztlich davon abhängig, wie groß der Kreis derjenigen Versicherten sein wird, die den Basistarif wählen.129 Für die ärztlichen Vergütungsansprüche, die nach dem in § 75 Abs. 3a SGB V n. F. beschriebenen System abgerechnet werden, kommt eine Beteiligung der PVS jedenfalls nicht mehr in Betracht. Die den KV durch die Übernahme der Sicherstellung und der Abrechnung der ärztlichen Leistungen im Basistarif entstehenden Verwaltungskosten sind „in angemessenem Umfang“ zu erstatten. Die Gesetzesbegründung nennt als Maßstab hier den Umfang der Erstattung im Fall gesetzlich Versicherter, will aber Näheres grundsätz-

125 126 127 128 129

Hesral (Fn. 113), Rn. 90. Hesral (Fn. 113), Rn. 91. Hesral (Fn. 113), Rn. 91. BT-Drucks. 16/3100, S. 116; vgl. auch Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 38. Vgl. Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 39.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

lich den vertraglichen Vereinbarungen zur Vergütung der von Vertragsärzten erbrachten im Basistarif versicherten Leistungen überlassen.130

4. Verfassungsrechtliche Bedenken Schon der Basistarif mit seiner gesetzlich vorgegebenen Grundstruktur ist schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Dies betrifft insbesondere den gesetzlichen Kontrahierungszwang sowie die generelle Ablösung der Beiträge von einer risikoäquivalenten Einordnung der Versicherten. Diese gesetzlichen Regelungen sind verfassungswidrige Eingriffe in Grundrechte sowohl der privaten Krankenversicherungsunternehmen als auch der Altbestandskunden.131 Darüber hinaus ergeben sich weitere verfassungsrechtliche Probleme aus der vorstehend dargestellten Statuierung eines Sicherstellungsauftrags hinsichtlich der im Basistarif versicherten Personen. Die rechtlichen Konsequenzen dieses Sicherstellungsauftrags sind im SGB V nicht präzise definiert; die verfassungsrechtliche Beurteilung ist insofern davon abhängig, welche konkrete rechtliche Gestalt dem basistariflichen Sicherstellungsauftrag zugeordnet wird. Im Folgenden werden die in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematischen möglichen Elemente des in § 75 Abs. 3a SGB V implementierten Sicherstellungsauftrags kurz skizziert:

a) Behandlungspflicht Eine wesentliche Intention des Gesetzgebers für die Einführung eines Sicherstellungsauftrags hinsichtlich der im Basistarif versicherten Personen war, die als unbefriedigend empfundenen Auswirkungen des bisherigen Standardtarifs zu vermeiden. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausgeführt:132 „Aufgrund der im privatärztlichen Bereich fehlenden allgemeinen Behandlungspflicht kam es immer wieder zu Beschwerden über die Verweigerung einer (zahn)ärztlichen Behandlung unter Hinweis auf die Gebührenbegrenzung für den Standardtarif. Mit einer vergleichbaren Entwicklung wäre auch für den Basistarif zu rechnen. Um den in dem brancheneinheitlichen Basistarif der PKV versicherten Personen eine den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen vergleichbare Sicherstellung ihrer ambulanten (zahn)ärztlichen Versorgung bieten zu können, erhalten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen die Aufgabe, die Versorgung für die Versicherten zu gewährleisten.“

Aus den Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs wird deutlich, dass hinsichtlich der im Basistarif versicherten Privatpatienten mittelbar eine Behandlungspflicht für Vertragsärzte geschaffen werden sollte, um möglichen Verweigerun130 131 132

BT-Drucks. 16/3100, S. 116. Vgl. ausführlich Sodan (Fn. 106), S. 80 ff.; Sodan/Schüffner (Fn. 3 in A.), S. 34 ff. BT-Drucks. 16/3100, S. 116.

IV. Basistarif und Sicherstellungsauftrag

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gen von Behandlungen – wie angeblich beim Standardtarif – zuvorzukommen. Eine valide Datenbasis für den Umfang dieser vermeintlichen Behandlungsverweigerung bei im Standardtarif versicherten Patienten hat der Gesetzgeber allerdings weder vorgelegt noch ist eine solche überhaupt bekannt. Eine Behandlungspflicht für Vertragsärzte wirft schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken auf. Durch eine vertragsärztliche Behandlungspflicht für die im Basistarif versicherten Patienten würde ihre Berufsfreiheit tangiert. Vertragsärzte können insofern auch privatärztlich tätig sein, indem sie in der PKV Versicherte behandeln. Eine Behandlungspflicht, die auf einen bestimmten Teil der Privatversicherten ausgedehnt würde – die im Basistarif-Versicherten –, hätte zur Folge, dass diese der privatärztlichen Tätigkeit der Vertragsärzte entzogen würden. Sie müssten den Versicherten nunmehr im Rahmen des Sicherstellungsauftrags und mit den daraus resultierenden Vorgaben hinsichtlich des Leistungsumfangs und der Vergütung behandeln. Eine solche Regelung würde in die Berufsausübungsfreiheit des betroffenen Vertragsarztes eingreifen. Eine verfassungsrechtliche Legitimation dieses Eingriffs käme nicht in Betracht, weil es schon an der formellen Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs fehlte. Der Bund besäße für die Statuierung einer Behandlungspflicht keine Gesetzgebungskompetenz. Aus der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Sozialversicherung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG könnte eine kompetentielle Legitimation einer Behandlungspflicht nicht abgeleitet werden, weil es sich bei den im Basistarif Versicherten weiterhin um Versicherte privater Krankenversicherungsunternehmen handelt. Das klassische Bild der Sozialversicherung, das systematischer Bezugspunkt der entsprechenden Gesetzgebungskompetenz ist, ist dagegen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts geprägt. Der Basistarif entspricht mithin nicht mehr diesem klassischen Bild der Sozialversicherung. Zudem sind wesentliche und unverzichtbare Solidarelemente der Sozialversicherung beim Basistarif nicht vorhanden. Das betrifft etwa die Prämienbemessung, die sich beim Basistarif – anders als bei der GKV – nicht am Einkommen orientiert. Eine Behandlungspflicht im Rahmen des Sicherstellungsauftrages für den Basistarif könnte auch nicht auf die bundesgesetzliche Kompetenz für das privatrechtliche Versicherungswesen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gestützt werden. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ist jedenfalls dann einschlägig, wenn sich eine Regelung auf Versicherungsunternehmen bezieht, die im Wettbewerb mit anderen durch privatrechtliche Verträge Risiken versichern, die Prämien grundsätzlich am individuellen Risiko und nicht am Erwerbseinkommen des Versicherungsnehmers orientieren und die vertraglich zugesagte Leistungen im Versicherungsfall aufgrund eines kapitalgedeckten Finanzierungssystems erbringen.133 Eine Orientierung am individuellen Risiko erfolgt bei der Prämienberechnung im Rahmen des Basistarifs nicht, so dass es in diesem Sektor an einer typisch privatversicherungsrechtlichen Tätigkeit fehlt. Zwar ist es nach bundesverfassungsgerichtlicher Ansicht durchaus zulässig, im Rahmen des 133

BVerfGE 103, 197 (162 f.).

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG auch einen neuen Typus von privatrechtlicher Versicherung zu schaffen, der Regelungen des sozialen Ausgleichs vorsieht und insbesondere während einer Übergangszeit die das privatwirtschaftliche Versicherungswesen prägenden Merkmale nur begrenzt wirken lässt. Die das privatwirtschaftliche Versicherungswesen prägenden Merkmale, zu denen entscheidend das Äquivalenzprinzip gehört, werden beim Basistarif allerdings nicht nur für eine Übergangszeit begrenzt angewandt, sondern unbefristet gänzlich außer Kraft gesetzt. Insofern fehlt ein systematischer Bezug des Basistarifs zu den Grundprinzipien der Privatversicherung. Zudem richtete sich die Behandlungspflicht an die Vertragsärzte und nicht unmittelbar an die Versicherungsunternehmen, so dass letztere nicht Adressaten der Statuierung einer Behandlungspflicht sind. Die Einführung einer solchen Behandlungspflicht wäre mithin von der Gesetzgebungskompetenz für das privatrechtliche Versicherungswesen nicht mehr umfasst. Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit eine den Vertragsärzten auferlegte Behandlungspflicht durch die Statuierung eines Sicherstellungsauftrags hinsichtlich der im Basistarif Versicherten verneint.134 Die Versorgung der Basistarifversicherten vollziehe sich außerhalb des Systems vertragsärztlicher Versorgung. Die Übertragung eines Sicherstellungsauftrags an die KV und die KBV hinsichtlich der im Basistarif Versicherten sei unabhängig von der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Der Vertragsarzt sei nach § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V nur zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet. Der Sicherstellungsauftrag für die im Basistarif Versicherten führe daher nicht zur unmittelbaren Erstreckung der gesetzlichen Behandlungsverpflichtung der Vertragsärzte auf diese Patientengruppe. Die KV und KBV besäßen vielmehr eine Gestaltungsfreiheit, aufgrund derer sie selbstständig zu entscheiden hätten, wie sie Aufgabe der Sicherstellung am zweckmäßigsten lösen könnten. Die Verfassungsbeschwerden von zwei Vertragsärzten gegen die Regelungen des § 75 Abs. 3a SGB n. F. wurden deshalb nicht zur Entscheidung angenommen. Eine unmittelbar gesetzlich statuierte Behandlungspflicht für die Vertragsärzte besteht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mithin nicht. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die KV und KBV eine solche Behandlungspflicht statuieren werden. Sie sähen sich den vorstehend dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken ebenso ausgesetzt. b) Gebührensätze § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V n. F. sieht umfangreiche und detailliert geregelte Obergrenzen für die Vergütung ärztlicher Leistungen vor, soweit nichts abweichendes nach § 75 Abs. 3b SGB V n. F. vereinbart oder festgesetzt wird. Diese gesetzliche Festlegung von Gebührenobergrenzen in § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V n. F. begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Gesetzlich festgelegte Vergütungsobergrenzen tangieren die Berufsfreiheit der Vertragsärzte bei ihrer Behandlung pri134

BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 05.05.2008 – 1 BvR 807.08, 1 BvR 808.08.

IV. Basistarif und Sicherstellungsauftrag

61

vat versicherter Patienten. Allerdings ist vorliegend nicht nur zu berücksichtigen, dass nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine unmittelbare gesetzliche Behandlungspflicht aus dem Sicherstellungsauftrag nicht abgeleitet werden kann. Die Vergütung nach § 75 Abs. 3b SGB V n. F. kann in Verträgen zwischen dem Verband der PKV einheitlich mit Wirkung für die Unternehmen der PKV und im Einvernehmen mit den Trägern der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtlichen Vorschriften mit den KVoder den KBV ganz oder teilweise abweichend von den gesetzlichen Gebührenvorgaben geregelt werden. Die in § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V genannten Obergrenzen gelten nur dann, wenn eine solche Vereinbarung nicht zustande kommt und auch keine Festsetzungen durch eine Schiedsstelle unter den in § 75 Abs. 3a Satz 3 SGB V genannten Bedingungen erfolgen. Von einem unmittelbaren gesetzlichen Eingriff in Grundrechte durch gesetzliche Vergütungsregelungen kann ohne Kenntnis des Zustandekommens von prioritären vertraglichen Regelungen oder Festsetzungen deshalb nicht ausgegangen werden. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit durch Gesetz könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn die in § 75 Abs. 3a Satz 2 SGB V geregelten Gebührenhöchstsätze zur Anwendung kämen.

5. Innere Systemwidersprüche des basistariflichen Sicherstellungsauftrags Die in § 75 Abs. 3a ff. SGB V n. F. enthaltenen Regelungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine rechtssystematische Zwitterstellung zwischen dem Regelungssystem der GKV und dem der PKV konstituieren. Auf der einen Seite sind diejenigen Versicherungsnehmer, die den Basistarif wählen, weiterhin Versicherte eines privaten Krankenversicherungsunternehmens. Andererseits ist der Leistungsumfang des Basistarifs mit dem der GKV vergleichbar. Die Gebührensätze werden zudem nicht den Vergütungen entsprechen, die für Behandlungen von Privatpatienten mit regulären Krankheitskostenversicherungen abgerechnet werden könnten. Durch diese Vorgaben werden sowohl die Patientenversorgung als auch die ärztliche Vergütung nivelliert, ohne dass ein drängendes sozialrechtliches Bedürfnis dafür erkennbar wäre. Es liegt vielmehr nahe, dass diese Nivellierung ein Element des schon fortgeschrittenen Umbaus des deutschen Gesundheitssystems in eine staatsnahe Gesundheitsversorgung darstellt. Hinzu kommt, dass auch im Basistarif wie bei den übrigen privaten Krankenversicherungen Vertragsverhältnisse zwischen dem Arzt und dem Patienten (Dienstvertrag) sowie zwischen dem Patienten als Versicherungsnehmer und der privaten Krankenversicherung (Versicherungsvertrag) bestehen. Die Vergütung der Ärzte soll für die Behandlung der im Basistarif Versicherten in Verträgen zwischen den KV bzw. KBV und dem Verband der PKVerfolgen. Damit erhalten die KV als Körperschaften des öffentlichen Rechts per Gesetz die Möglichkeit, genuin privatversicherungsrechtliche Vertragsbestandteile zu regeln. Ebenfalls zu berücksichtigen ist hierbei, dass der Verband der PKV nach § 12 Abs. 1d VAG n. F. beliehen wird, unter Fachaufsicht des

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Bundesministeriums für Finanzen die Art, den Umfang und die Höhe der Leistung im Basistarif festzulegen. Schließlich werden auch weitere Bestandteile der öffentlichrechtlich geprägten GKV durch die Ausweitung des Sicherstellungsauftrags in den bisher privatautonomen Gestaltungsraum der medizinischen Leistungen für Privatversicherte implementiert. Dazu gehören etwa das Sachleistungsprinzip und die Wirtschaftlichkeitsprüfung für die (zahn)ärztlichen Leistungen. Durch diese Regelungen werden im Basistarif systematisch Elemente der GKV und der PKV zusammengeführt, ohne dass noch eine präzise Zuordnung möglich ist. Der Einfluss staatlicher Regulierung in die bisher privatrechtlich organisierte Gesundheitsversorgung der PKV-Patienten wird somit erheblich ausgeweitet. Aus ordnungspolitischer Sicht ist die Ausweitung des Sicherstellungsauftrags gänzlich verfehlt. Sie ordnet zwar de jure die im Basistarif Versicherten dem Bereich der privatrechtlich organisierten Gesundheitsversorgung zu, unterwirft jedoch diese Gesundheitsversorgung durch die mit dem Sicherstellungsauftrag verbundenen gesetzlichen Vorgaben engen staatlichen Vorgaben. Eine solche Regelungsstruktur entspricht gerade nicht den sozialstaatlichen Vorgaben, die der Eigenverantwortung des Einzelnen Priorität vor jeder staatlichen Regulierung einräumt.135 Der basistarifliche Sicherstellungsauftrag ist damit ein weiterer Schritt auf dem Weg in die Staatsmedizin.

V. Höchstaltersgrenzen als grundrechtliches und europarechtliches Problem 1. Einleitung Mit dem VÄndG ist der vormals in § 25 Ärzte-ZV statuierte generelle Ausschluss der Zulassung eines Arztes, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, abgeschafft worden. Ärzte konnten danach in über- wie unterversorgten Gebieten zugelassen werden. Nach dieser begrüßenswerten Deregulierung, die einen mehrjährigen verfassungswidrigen Zustand beendete,136 ist Bewegung in die Diskussion um die noch verbliebenen allgemeinen vertragsärztlichen Höchstaltersgrenzen gekommen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKVOrgWG) vorgeschlagen, die Sätze 3 bis 9 des bisherigen § 95 Abs. 7 SGB Versatzlos zu streichen.137 Die Bundesregierung hat diesem Änderungsantrag zugestimmt.138 Das GKV-OrgWG vom 15. Dezember 2008 ist schließlich zum 1. Januar 2009 in

135

Zum Primat der Eigenverantwortung im Gesundheitsrecht näher Sodan (Fn. 106), S. 66 m. w. N. 136 Dazu Sodan (Fn. 22), S. 228 f. 137 BR-Drucks. 342/08, S. 6. 138 BT-Drucks. 16/10070, S. 15.

V. Höchstaltersgrenzen

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Kraft getreten.139 Die in § 95 Abs. 7 SGB Va. F. geregelten Höchstaltersgrenzen wurden rückwirkend zum 1. Oktober 2008 aufgehoben. Damit hat der Gesetzgeber den schon seit langem bestehenden gravierenden verfassungs- und europarechtlichen Bedenken gegen die vertragsärztlichen Höchstaltersgrenzen faktisch Rechnung getragen, ohne freilich deren Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit ausdrücklich zu konzedieren. Vertragsärzte, die das 68. Lebensjahr vollendet hatten, verloren bisher ihre Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Die Zulassung eines Vertragsarztes, der das 68. Lebensjahr vollendete, endete automatisch am Ende des Kalendervierteljahres, in das der Geburtstag fiel (§ 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F.). Von der 68-Jahresaltersgrenze konnte gemäß § 95 Abs. 7 Satz 8 und 9 SGB V a. F. jedoch dann abgewichen werden, wenn für das Gebiet, in dem die Praxis eines Vertragsarztes ihren Sitz hatte, der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen feststellte, dass in dem Gebiet ärztliche Unterversorgung eingetreten war bzw. einzutreten drohte. Damit sollte die Versorgung in unterversorgten Gebieten aufrechterhalten werden.

Die Zulassung des Vertragsarztes zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung wurde somit ohne administratives Umsetzungserfordernis beendet. Die von der vertragsärztlichen Zulassung unabhängige Approbation blieb erhalten, so dass der Arzt auf ausschließlich privatärztlicher Grundlage weiterhin behandeln konnte. Allerdings hatte die Höchstaltersgrenze zur Folge, dass etwa 90 Prozent der Bevölkerung, die gesetzlich krankenversichert sind,140 als Patienten nicht mehr zur Verfügung standen.141 Ohne die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung war ein Arzt mithin ausschließlich auf die Privatpatienten angewiesen, mit denen er jedoch regelmäßig seine Praxis nicht rentabel führen konnte.142

2. Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG a) Abgrenzung: Eingriff in die Berufswahl oder Berufsausübung? Fraglich war, ob eine Höchstaltersgrenze nur die Berufsausübung regelt oder auch die freie Berufswahl betrifft, an deren Einschränkung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts höhere Voraussetzungen zu knüpfen sind.143 Abgrenzungen in diesem Bereich sind grundsätzlich schwierig, zumal Regelungen der Berufsausübung „in vielfältig abgestufter Weise denkbar“144 sind. Eine reine Ausübungsregelung, welche auf die Freiheit der Berufswahl nicht zurückwirkt, trifft der Gesetz139

BGBl. I, S. 2426. Sozialbericht der Bundesregierung 2005, S. 71. 141 Winfried Boecken, Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 (394). 142 Boecken (Fn. 141), S. 393 (394). 143 Schnapp (Fn. 13), § 4 Rn. 63 f. 144 BVerfGE 86, 28 (38). 140

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

geber, wenn er „nur bestimmt, in welcher Art und Weise die Berufsangehörigen ihre Berufsausübung im Einzelnen zu gestalten haben.“145 Die Tätigkeit als Vertragsarzt ist – wie beschrieben – nur eine besondere Ausübungsform des allgemeinen Berufs des freiberuflich praktizierenden Arztes. Daher stellte die Jahresaltersgrenze formal eine Regelung der Berufsausübung dar. In ihrer praktischen Auswirkung kam sie angesichts der Einbeziehung von 90 % der Patienten in die GKV aber einem Eingriff in die Berufswahl nahe, da sie dem betroffenen Vertragsarzt nicht gestattete, weiterhin in dem von ihm gewählten Beruf tätig zu sein. Zwar konnten Ärzte über 68 Jahren auch ohne vertragsärztliche Zulassung gesetzlich krankenversicherte Patienten behandeln; jedoch übernahm die GKV in diesem Fall nicht mehr die dabei entstehenden Kosten. Angesichts der fehlenden Kostenübernahme durch die GKV wären diese Patienten damit gezwungen, die entstehenden Kosten selbst zu begleichen. Sowohl die finanzielle Leistungsfähigkeit als auch die Bereitschaft dazu dürfte bei vielen in der GKV versicherten Personen nicht vorhanden sein.146 Grundsätzlich greifen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts147 „Höchstaltersgrenzen auf der Stufe der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen in die Freiheit der Berufswahl ein.“ Eine Höchstaltersgrenze bedeutet danach keine bloße Beschränkung der Berufsausübung, sondern ist vielmehr verfassungsrechtlich eine Voraussetzung für die Fortführung der Zulassung und damit faktisch des Berufs selbst. Die berufliche Entscheidungsfreiheit umfasst deshalb nicht nur den Zeitpunkt des Beginns, sondern auch der Beendigung der Berufstätigkeit. Nach diesen Kriterien stellt die 68-Jahresgrenze damit einen Eingriff in die Berufswahl dar, auch wenn das Bundesverfassungsgericht für den konkreten Fall der Altersbeschränkung der vertragsärztlichen Tätigkeit die Antwort offen gelassen hat.148 b) Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Bei einer Altersgrenze handelt es sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts um eine subjektive Zulassungsvoraussetzung und damit um einen Eingriff auf der zweiten Stufe, so dass zur ihrer Rechtfertigung ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut vorliegen muss.149 Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 31. März 1998 zwei Verfassungsbeschwerden, die sich gegen § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. richteten, nicht zur Entscheidung angenommen, weil kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vor-

145 146 147 148 149

BVerfGE, 7, 377 (405 f.). Vgl. Sodan (Fn. 22), S. 228. BVerfGE 64, 72 (82); 80, 257 (263). Zuletzt BVerfG, NZS 2008, S. 311. Vgl. BVerfGE 13, 97 (107); 59, 302 (316).

V. Höchstaltersgrenzen

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liege.150 § 95 Abs. 7 SGB V diene einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut, nämlich der Gesundheit der in der GKV Versicherten, indem sie die Gefährdungen, die von nicht mehr leistungsfähigen Berufstätigen ausgingen, eindämme.151 Offengelassen wurde in der Entscheidung, ob als besonders wichtiges Gemeinschaftsgut auch die Intention des Gesetzgebers in Betracht kommt, eine „zur Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene Beschränkung der Vertragsarztzahlen nicht nur zu Lasten der jüngeren Ärzte“152 zu verwirklichen. Nur diese Intention – nicht aber der Gesundheitsschutz – wurde als Zweck der Altersbeschränkung in der Gesetzesbegründung genannt und stellte insofern auch für das Bundessozialgericht einen entsprechenden Rechtfertigungsgrund für die Altersgrenze dar.153 In seiner jüngsten Entscheidung zur Altersgrenze vom 7. August 2007 bestätigte das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung.154 aa) Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der gesetzlich Versicherten Hält man die Gesundheit der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten für einen legitimen Zweck – auch wenn der Gesetzesbegründung eine solche Intention nicht entnommen werden kann –, so stellt sich insbesondere die Frage nach der Erforderlichkeit der Höchstaltersgrenze zur Erreichung dieses Zweckes. Diese Altersgrenze stellt eine starre, für den betroffenen Vertragsarzt kaum überwindbare Begrenzung seiner Berufstätigkeit dar. Das führt angesichts der regelmäßigen ökonomischen Abhängigkeit von einer vertragsärztlichen Zulassung zu einer vollständigen Entwertung der Berufsfreiheit des Betroffenen, weil ihm die Möglichkeit der Berufstätigkeit genommen ist.155 Diese erzwungene faktische Aufgabe der Berufstätigkeit ist nicht erforderlich, weil durch eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit ein geringer in die ärztliche Berufsfreiheit eingreifendes Instrument zur Verfügung steht.156 Durch regelmäßige ärztliche Untersuchungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit von Vertragsärzten kann sichergestellt werden, dass nur leistungsfähige Ärzte Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen behandeln. Einer individuellen Prüfung der Leistungsfähigkeit stünden auch nicht finanzielle Bedenken entgegen, weil die entstehenden Kosten dem einzelnen Vertragsarzt auferlegt werden könnten.157 Darüber hinaus ist mit einer solchen Prüfung auch kein unverhältnismäßiger Aufwand an Untersuchungen verbunden. Insgesamt handelt es sich jährlich um 150

BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.3.1998 – 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93. BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.3.1998 – 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93. 152 Vgl. BT-Drucks. 12/3608, S. 93. 153 BSGE 83, 135 (141). 154 BVerfG, NZS 2008, S. 311. 155 Ähnlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Art. 6 RL 2000/78/EG Boekken (Fn. 141), S. 393 (396). 156 Vgl. Boecken (Fn. 141), S. 393 (396). 157 Vgl. auch Boecken (Fn. 141), S. 393 (396). 151

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

eine relativ geringe Zahl von Ärzten, die – noch dazu auf das gesamte Bundesgebiet verteilt – das 68. Lebensjahr vollenden und auch danach eine Fortführung ihrer ärztlichen Berufstätigkeit anstreben. Hinzu kommt, dass die Prüfung einer fortbestehenden individuellen Leistungsfähigkeit bei fortschreitendem Alter in mit der ärztlichen Berufsausübung vergleichbaren und sogar noch größeren Gefährdungskonstellationen für Gesundheit und Leben – etwa bei Piloten – durchaus üblich ist.158 Zudem ist im Vertragsarztrecht mit der in § 95d SGB V für Vertragsärzte geregelten Verpflichtung zur Fortbildung durch Erwerb entsprechender Fortbildungszertifikate bereits ein System installiert worden, das individuell die Leistungsfähigkeit von Vertragsärzten – hier bezogen auf das Vorhandensein entsprechender Fachkenntnisse – überprüft. Ein ähnliches System könnte auch bezüglich der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit bei älteren Vertragsärzten geschaffen werden. Eine solche Maßnahme belastete die ärztliche Berufsfreiheit geringer als eine starre Altersgrenze, wäre aber ebenso effektiv. Insofern kann die Altersgrenze nicht als erforderliches Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels des Gesundheitsschutzes der gesetzlich Krankenversicherten bewertet werden. Das Bundesverfassungsgericht führte jedoch im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung in gedrängter Kürze aus, eine Prüfung der individuellen vertragsärztlichen Leistungsfähigkeit sei zur Abmilderung der Maßnahme verfassungsrechtlich nicht geboten und insofern eine auf der Grundlage von Erfahrungswerten erlassene generalisierende Regelung nicht zu beanstanden.159 Höchstaltersgrenzen wurden vom Bundesverfassungsgericht zwar schon früher für bestimmte Berufsgruppen als verfassungsgemäß erachtet, so unter anderem für Hebammen160, für Prüfingenieure für Baustatik161 sowie bei öffentlich bestellten Sachverständigen162. Dabei traf das Bundesverfassungsgericht jeweils die Feststellung, „nach allgemeiner Erfahrung“ lasse das körperliche und geistige Leistungsvermögen des Menschen mit zunehmendem Lebensalter nach, so dass bei nicht mehr hinreichender Leistungsfähigkeit eines Sachverständigen erhebliche Gefahren für Auftraggeber und Allgemeinheit bestünden. Im Unterschied zu der Gruppe der Vertragsärzte war hier allerdings konsequenterweise jedweden Angehörigen der aufgeführten Berufsgruppen ihre weitere berufliche Tätigkeit versagt. Dies ist bei der vorliegenden Konstellation gerade nicht der Fall. Denn den ehemaligen Vertragsärzten blieb es unbenommen, privat Versicherte trotz angeblich „nachlassender Leistungsfähigkeit“ weiterzubehandeln. Außerdem konnte ein approbierter und weitergebildeter Arzt auch nach der Vollendung des 68. Lebensjahres einen Vertragsarzt vertreten (§ 32 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV). Eine angebliche potentielle Gefährdung der Patientengesundheit durch ältere Ärzte wäre nach diesem Maßstab auch bei 158 159 160 161 162

Vgl. Boecken (Fn. 141), S. 393 (396). BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.3.1998 – 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93. BVerfGE 9, 338 (346); vgl. Sodan (Fn. 22), S. 269. BVerfGE 64, 72 (83). BVerfG, NVwZ 1991, S. 358 (359).

V. Höchstaltersgrenzen

67

dem bestehenden Regelungssystem nicht ausgeschlossen. Nach Auslegung der Gesetzesbegründung scheinen diese Differenzierungen allerdings nicht unverständlich – war doch der vom Bundesverfassungsgericht proklamierte Gesundheitsschutz laut Gesetzesbegründung gerade nicht die Motivation für die Jahresaltersgrenze bei Vertragsärzten.163 Andernfalls hätte der Gesetzgeber dann auch die privatärztliche Tätigkeit oder die Vertretungstätigkeit durch ältere Ärzte unterbinden müssen. Wäre die Weiterbehandlung von Patienten ab dem Erreichen des 68. Lebensjahres tatsächlich für diese mit Gesundheitsgefahren verbunden, hätte der Gesetzgeber nicht zwischen privaten und gesetzlichen Patienten sowie zwischen der Tätigkeit als Vertragsarzt und der seines Vertreters differenzieren dürfen. Dies war aber gerade geschehen. Die Tätigkeit als Vertragsarzt stellt keine anderen Anforderungen an die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit als die privatärztliche Tätigkeit. Die Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lautet daher überspitzt formuliert: Privatversicherte können im Gegensatz zu in der GKV Versicherten nach dem Maßstab des Bundesverfassungsgerichts keinen staatlichen Schutz vor vermeintlichen gesundheitlichen Gefährdungen durch Ärzte fortgeschrittenen Alters beanspruchen. Nach – allerdings schon älterer Rechtsprechung164 – haben die in der GKV-Versicherten und Privatpatienten aber einen Anspruch auf vergleichbaren staatlichen Schutz. Es war daher nicht verständlich und darüber hinaus widersprüchlich, dass die in der GKV versicherten Patienten faktisch als schutzbedürftiger eingestuft wurden als Privatpatienten und deshalb von möglicherweise altersbedingt gefahrenträchtigeren Ärzten nicht behandelt werden durften, während dieses Risiko gegenüber Privatpatienten durch den Gesetzgeber hingenommen wurde. Im Rahmen der Angemessenheit eines Eingriffs in die Berufsfreiheit ist zu berücksichtigen, dass zur freiberuflichen Tätigkeit regelmäßig auch die altruistische Berufseinstellung gehört.165 Insofern ist jede berufliche Tätigkeit, aber insbesondere auch die freiberufliche Tätigkeit regelmäßig von erheblicher Bedeutung für die Persönlichkeit eines Menschen und trägt zum Bewusstsein eines erfüllten Lebens bei. Der Verlust der vertragsärztlichen Zulassung aufgrund der Altergrenze beraubte aber den betroffenen Arzt dieses Lebensinhalts.166 Insofern stellte sich die alte Regelung des Art. 95 Abs. 7 SGB V auch als unverhältnismäßig im engeren Sinne dar. bb) Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Vertragsarztgenerationen – Sonderfall Zahnärzte? Nimmt man den Gesetzgeber beim Wort, so bestand die Intention einer Regelung darin, die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen zu sichern und bei

163 164 165 166

BT-Drucks. 12/3608, S. 93. BVerfGE 25, 236 (251). Sodan (Fn. 22), S. 70 ff. Vgl. Sodan (Fn. 22), S. 247.

68

C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

einer Überversorgung die Zahl der Vertragsärzte nicht nur zulasten junger Vertragsärzte zu begrenzen.167 Zumindest für die Zahnärzte unter den Vertragsärzten wurde dieser Zweck scheinbar nun nicht mehr verfolgt, wenn man die aktuelle Fassung der Zulassungsbeschränkungen der §§ 101, 103 SGB V und der – mittlerweile aufgehobenen – Bedarfszulassung, § 102 SGB V a. F., berücksichtigte. So wurde § 102 SGB V mit dem VÄndG ganz aufgehoben, da der „1992 befürchtete Anstieg der Überversorgung, zu deren Beendigung der § 102 dienen sollte“ nun „auch ohne die Umsetzung einer Bedarfszulassung nahezu zum Stillstand gekommen“ sei.168 Der Gesetzgeber hielt diese Zulassungsbeschränkungen anscheinend nicht mehr für erforderlich.169 Mit der Neufassung durch das GKV-WSG wurden auch die §§ 101 und 103 SGB V geändert. §§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 – 5 SGB V gelten nun gemäß § 101 Abs. 6 SGB V und § 103 Abs. 1 bis 7 SGB V gemäß § 103 Abs. 8 SGB V nicht mehr für Zahnärzte. Damit war die Begründung, die Altersgrenze diene der Entlastung der jungen (Zahn-) Ärzte im Rahmen der Verteilungsgerechtigkeit, nicht mehr aktuell. Der Gesetzgeber selbst erachtete zwingende Zulassungsbeschränkungen nunmehr bezüglich der Zahnärzte nicht mehr für notwendig. Die Änderung des § 101 SGB V stand jedoch auch der Annahme entgegen, der Gesetzgeber habe weiterhin das Ziel, die Zulassung zum Vertragszahnarzt auf verschiedene Generationen zu verteilen: Mit dem Wegfall von Zulassungsbeschränkungen für die junge Zahnarztgeneration waren nur noch ältere Ärzte nachteilig betroffen, indem sie bei Erreichen der Altersgrenze ihre vertragsärztliche Zulassung verloren. Insofern lag es nahe, dass das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit – zumindest hinsichtlich der Zahnärzte – an Bedeutung verloren hatte und vom Gesetzgeber insofern auch nicht mehr uneingeschränkt zur Begründung starrer Altersbeschränkungen herangezogen werden durfte. Interessant ist ferner, dass es in der Begründung zur Änderung des § 103 Abs. 8 SGB V n. F. heißt, es würden an den Fall der Überversorgung „keinerlei Rechtswirkungen“ mehr geknüpft.170 Nimmt man diese Ansicht des Gesetzgebers ernst, so musste auch die in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB G genannte Höchstaltersgrenze entfallen, weil es sich dabei ebenfalls um eine „Rechtswirkung“ handelte. Dennoch hielt das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einem jüngeren Urteil171 unverständlicherweise an der Rechtmäßigkeit starrer Alters-

167

BT-Drucks. 12/3608, S. 93. BT-Drucks. 16/2474, S. 25. 169 Wiebke Arnold, Die Auswirkungen des GKV-WSG-Gesetzesentwurfs, des VÄG und des AGG auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Altersgrenze im Vertrags(zahn)-arztrecht, in: MedR 2007, S. 143 (145). 170 Begründung des Entwurfs des GKV-WSG in BT-Drucks. 16/3100, S. 136. 171 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.09.2007, L 11 B 17/07 KA ER. 168

V. Höchstaltersgrenzen

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grenzen fest und verlagerte deren Zweck nunmehr auf die „Einkommensverbesserung jüngerer Ärzte“. Es führte aus: „Diese Zulassungsbeschränkungen gelten allerdings seit dem 01. 07. 2007 nicht mehr für den Bereich des Vertragsarztzahnrechts. Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz sind in § 101 SGB V ein Abs. 6, in § 103 SGB V ein Abs. 8 eingefügt worden, wonach die Regeln über die Zulassungsbeschränkungen für Zahnärzte nicht gelten. Begründet hat der Gesetzgeber die Aufhebung der Zulassungsbeschränkung damit, dass für den Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung auf die Steuerung durch zwingende Zulassungsbeschränkungen verzichtet werden könne, weil in diesem Bereich sich zum einen das Problem der Überversorgung nicht so stelle, zum anderen auch die Gefahr von angebotsinduzierter Versorgung nicht so gegeben sei […] Die Altersgrenze von 68 Jahren kann somit im zahnärztlichen Bereich nicht mehr im Zusammenhang mit der Beschränkung des Zugangs zum System der GKV als flankierende Maßnahme zur Entlastung jüngerer Ärzte gesehen werden. Allerdings hat der Gesetzgeber ungeachtet der genannten Gesetzesänderungen, in deren Zusammenhang auch noch der Wegfall der Altersgrenze von 55 Jahren für die Zulassung […] zu nennen ist, an der Altersgrenze der Vertragsarzttätigkeit festgehalten. […] Trotz des Wegfalls der Zulassungsbeschränkung im zahnärztlichen Bereich lässt sich die Altersgrenze auch weiterhin als Mittel arbeitsmarktpolitischer Verteilungsgerechtigkeit zwischen jüngeren und älteren Ärzten rechtfertigen. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Zahnärzte mit der Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung an einem von Anderen finanzierten System partizipieren. Dieses bietet ihnen insoweit Vorteile, als es ihnen Honoraransprüche in dem für die Aufrechterhaltung der Existenz notwendigen Umfang als angemessene Vergütung garantiert. Von daher scheint es gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber dieser Teilnahme am System ein zeitliches Ende setzt und damit die Chancen der jüngeren Ärzte, ihrerseits ihr Einkommen in diesem Versorgungssystem zu finden, verbessert.“

Das Bundesverfassungsgericht war in einer Entscheidung vom 7. August 2007 der Auffassung, an dem gesetzlichen Konnex zwischen festgelegten Altersgrenzen und der reduzierten ärztlichen Leistungsfähigkeit habe sich auch nach den jüngeren Gesetzesänderungen nichts geändert: „Aus der mit Wirkung zum 1. 1. 2007 durch das Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze vom 22. 12. 2006 (BGBl I S. 3439) eingefügten Ausnahmebestimmung des § 95 Abs. 7 Satz 8 SGB V, wonach im Falle der in einem bestimmten Gebiet eines Zulassungsbezirks festgestellten ärztlichen Unterversorgung die Altersgrenze nicht gilt, kann nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber gehe nicht mehr von einer reduzierten Leistungsfähigkeit der Ärzte aus. Die Neuregelung soll vielmehr zur Abmilderung regionaler Versorgungsprobleme beitragen. Der Gesetzgeber hat demnach lediglich für Ausnahmefälle der Sicherstellung der medizinischen Versorgung den Vorrang vor dem Schutz der Patienten vor der Gefahr einer geminderten Leistungsfähigkeit eingeräumt.“172

Damit wird dem Gesetzgeber eine Intention unterstellt, die er nie zum Ausdruck gebracht hatte. Der Gesetzgeber war zu keinem Zeitpunkt von „einer reduzierten Leistungsfähigkeit der Ärzte“ ausgegangen, so dass er von diesem niemals vertretenen Grundsatz auch nicht abrücken konnte. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat 172

BVerfG, Beschluss vom 07.08.2007 – 1 BvR 1941/07.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

in seiner Entscheidung vom 31. März 1998 festgestellt, dass trotz der auf die Verteilungsgerechtigkeit abstellenden Gesetzesbegründung „das Bundesverfassungsgericht prüft, ob eine gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist, unter Berücksichtigung aller Gesetzpunkte, auch wenn sie in der Gesetzesbegründung keinen Niederschlag gefunden haben.“173 Insofern muss man konsequenterweise zumindest hinsichtlich der Zahnärzte konstatieren, dass der Gesetzgeber mehrere Hinweise darauf gegeben hatte, dass er am ursprünglichen Gesetzeszweck der Verteilungsgerechtigkeit nicht mehr festhalten will. Ein Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit kann mithin nicht durch die Intention legitimiert werden, die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Ärztegenerationen zu gewährleisten.

3. Vereinbarkeit mit Art. 14 Abs. 1 GG Die Altersgrenze berührte im Hinblick auf die ärztliche Praxis auch die Eigentumsgarantie, denn die ärztliche Praxis genießt als vermögenswerte Rechtsposition den Schutz des Art. 14 GG174. Der wirtschaftliche Wert hängt überwiegend von der Teilnahme an der Versorgung im Rahmen der GKV ab. Mit dem gesetzlich erzwungenen Ausscheiden als Vertragsarzt wurde – trotz der verbleibenden Möglichkeit der Veräußerung der Praxis – eine vermögensrelevante Rechtsposition entzogen. Im Regelfall sah sich ein Arzt nach Erreichen der Höchstgrenze und Verlust der Zulassung als Vertragsarzt wegen eines erheblich reduzierten Patientenkreises zur Aufgabe seiner Praxis veranlasst. Neben Art. 12 Abs. 1 GG wird also auch Art. 14 Abs. 1 GG tangiert. Diese grundrechtliche Idealkonkurrenz ist aus verfassungsdogmatischer Sicht möglich. Das Bundesverfassungsgericht geht in einigen Urteilen selbst von einer Idealkonkurrenz zwischen Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG aus.175 Im Mitbestimmungsurteil führt das Bundesverfassungsgericht176 aus, dass Art. 12 Abs. 1 GG durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht verdrängt wird. „Beide Normen seien zwar „funktionell aufeinander bezogen“, hätten jedoch „selbständige Bedeutung“. Beide Grundrechtsnormen können demnach einschlägig sein.177

Die Höchstaltersgrenze stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung dar, weil sie den Arzt faktisch in seiner Verfügungs- und Nutzungsmöglichkeit über die geschützte ärztliche Praxis einschränkt. Seine bisherigen gesetzlich versicherten Patienten waren nach altersbedingtem Verlust der Zulassung als Vertragsarzt seiner Behandlung entzogen, so dass ihm mangels einer ausreichenden Zahl von Privatpatienten oftmals kaum eine andere Möglichkeit als die Praxisaufgabe blieb. Die „grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand“ ist der Kernbereich der Eigen173 174 175 176 177

BVerfG, Beschluss vom 31.03.1998 – 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93. Näher dazu Sodan (Fn. 22), S. 256. BVerfGE 8, 71, 79 ff.; 21, 150 (154 f., 160); 50, 290 (339 ff., 361 ff., 365). BVerfGE, 50, 290 (361 f.). Vgl. Sodan (Fn. 22), S. 269.

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tumsgarantie.178 Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der gesetzlich vorgegebenen Altersgrenze ist zu berücksichtigen, dass die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, der Regelungsauftrag des Art. 14 Abs. 2 GG und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG in „einem unlösbaren Zusammenhang“ stehen.179 Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Eigentumsfreiheit bestanden – wie schon bei Art. 12 Abs. 1 GG – erhebliche Bedenken. Der etwaige Verkauf einer Arztpraxis unter ihrem eigentlichen Wert oder gar ihre ersatzlose Aufgabe war nicht mit finanziellen staatlichen Kompensationen verbunden, so dass der betroffene Vertragsarzt in diesem Fall einen erheblichen Eigentumsverlust zu gewärtigen hatte. Dies stand außer Verhältnis zu den mit den Höchstaltersgrenzen verfolgten Zielen und war auch nicht erforderlich.

4. Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz umfasst die Rechtsanwendungsgleichheit und die Rechtsetzungsgleichheit.180 Nach der sogenannten neuen Formel181, mit der das Bundesverfassungsgericht das ältere Willkürverbot182 ergänzt hat, ist eine ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von Normadressaten mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.183 Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen: Die Ungleichbehandlung muss eine legitimen Zweck verfolgen, zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und notwendig sein sowie in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des Zwecks stehen. Zieht man einen Vergleich zu anderen freien Berufen wie etwa dem des Rechtsanwalts, fällt auf, dass dieser keiner Altersbeschränkung unterliegt. Da auch der Vertragsarzt – wie vorstehend ausgeführt – einen freien Beruf ausübt, liegen zwei gleichartige Vergleichsgruppen vor. Die Ungleichbehandlung konnte nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Ärzte bei nachlassender Leistungsfähigkeit einen größeren, weil auf die Gesundheit bezogenen Schaden verursachen könnten. In diesem Fall müsste konsequenterweise nicht nur die Zulassung als Vertragsarzt, sondern wegen der Möglichkeit der Behandlung von Privatpatienten auch die Approbation entzogen werden. Auch die Verteilungsgerechtigkeit vermochte die Ungleichbehandlung nicht zu legitimieren. Angesichts der nach wie vor ungebremst steigenden 178 179 180 181 182 183

BVerfGE 91, 294 (308); vgl. Sodan (Fn. 22), S. 254 f. Sodan (Fn. 22), S. 259. Pieroth/Schlink (Fn. 39), Rn. 428. BVerfGE 55, 72 (88). BVerfGE 1, 14 (52). BVerfGE 55, 72 (88).

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Zahl an Rechtsanwälten läge es aus der isolierten Perspektive einer Verteilungssteuerung nämlich näher, in diesem freien Beruf Beschränkungen einzuführen, als bei den sinkenden Ärztezahlen. Dort wird der Wettbewerb zwischen den Berufsträgern nicht durch Altersbeschränkungen eingeschränkt, wohl aber bei den Ärzten. Insofern lag eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor, ohne dass eine entsprechende Rechtfertigung erkennbar gewesen wäre.

5. Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt Auch die durch das VÄndG vorgenommene Flexibilisierung der Altersgrenzen in Gebieten mit ärztlicher Unterversorgung rief verfassungsrechtliche Bedenken hervor. Ein Tätigwerden jenseits der Jahresaltersgrenze war für einen Vertragsarzt nur dann möglich, wenn der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen im Rahmen des § 95 Abs. 7 Satz 8 SGB V a. F. für sein Gebiet feststellte, dass dort ärztliche Unterversorgung eingetreten war bzw. einzutreten drohte. Das Kriterium der „Unterversorgung“ wurde damit nicht vom Gesetzgeber definiert, obwohl es darüber entschied, ob der Vertragsarzt weiterhin gesetzlich Versicherte behandeln durfte. Wie bereits dargestellt, stellen die gesetzlich Versicherten etwa 90 % der Patienten, so dass ohne ihre Mitbehandlung eine Praxis regelmäßig nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Der Entzug der gesetzlich Versicherten kommt daher faktisch einem Eingriff in die Berufswahl gleich. In diesem grundrechtssensiblen Bereich des Art. 12 Abs. 1 GG sah der parlamentarische Gesetzgeber gleichwohl davon ab, selbst die Kriterien für das Vorliegen einer Unterversorgung festzulegen, sondern ermächtigte dazu den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Damit regelte der Gesetzgeber einen wesentlichen grundrechtsrelevanten Bereich nicht selbst und verstieß gegen die vorstehend erläuterte sogenannte Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts.184

6. Vereinbarkeit mit dem AGG bzw. der Antidiskriminierungsrichtlinie Fraglich war zudem, wie sich das am 18. Juli 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006185 bzw. die sogenannte Antidiskriminierungsrichtlinie186 auf § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V auswirkte. Auf der Grundlage von Art. 13 EGV hatte der Rat die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 (im Folgenden: RL) zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens

184 185 186

Siehe nur BVerfGE 33, 125 (158); 40, 237 (249); 45, 400 (417 f.). BGBl. I, S. 1897. Abl. L 303/16 vom 02.12.2000.

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für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf erlassen.187 Diese Richtlinie zielt darauf ab, dass gemeinschaftsweit jede Diskriminierung – auch die altersbezogene – bekämpft wird.188 Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 18 RL verpflichtet, die zur Beseitigung der Diskriminierung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Die Umsetzungsfrist lief bis zum 2. Dezember 2003. Nach Art. 18 RL war es den Mitgliedstaaten allerdings möglich, mit Bezug auf das Kriterium des Alters eine Zusatzfrist von drei Jahren in Anspruch nehmen, was die Bundesrepublik damals getan hat. Um die Folgen der RL auf § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. zu ermitteln, war § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. zunächst am AGG zu messen, das als nationales Recht die RL umzusetzen beabsichtigte. a) Eröffnung des Anwendungsbereichs des AGG aa) Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich des AGG bezieht sich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG auf die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg. Die Altersgrenze betrifft insofern den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit, da sie ein Verbleib im Beruf verhindert. Auch ist ein „beruflicher Aufstieg“ erschwert, wenn ein Arzt die in der GKV Versicherten faktisch nicht mehr behandeln kann. Daneben ist auch § 2 Nr. 1 Nr. 2 AGG einschlägig, der den Anwendungsbereich auf die „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg“ erstreckt. Für den EuGH189 sind „Arbeitsbedingungen“ nicht nur vertraglich vereinbarte Bedingungen, zu denen die Arbeit zu leisten ist, sondern er erstreckt den Begriff auf alle mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Umstände.190 Mit „Entlassungsbedingungen“ sind daher auch Regelungen zur Begründung von Altersgrenzen gemeint.191 Die Altersgrenze wäre insofern in Bezug auf den Vertragsarzt auch als Entlassungsbedingung zu qualifizieren, da sie dem Arzt durch faktischen Entzug eines Großteils seiner Patienten die wirtschaftliche Lebensgrundlage raubt und ihn regelmäßig zur Aufgabe der Praxis veranlassen wird. 187 188 189 190 191

Abl. L 303/16 vom 02.12.2000. Art. 1 RL. EuGH 13. 7. 1995 AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 69. Monika Schlachter, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2008, § 2 Rn. 7. Schlachter (Fn. 190) § 2 Rn. 8.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Soweit § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG den Anwendungsbereich der RL auch auf den Bereich des Sozialschutzes „einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste“ erstreckt, ist zu konzedieren, dass der Gesetzgeber dabei wohl primär die Perspektive der Leistungsempfänger, nicht der Leistungserbringer im Blick hatte.192 Die Gesetzesbegründung führt nämlich aus: „Die meisten dieser Sachverhalte werden öffentlich-rechtlichen Regelungen unterliegen, denn beim Sozialschutz sowie den sozialen Vergünstigungen und auch bei der Bildung wird es sich überwiegend um staatliche Leistungen handeln.“193 Zwar ist damit nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Leistungserbringer innerhalb des Gesundheitssystems von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG erfasst werden können. Doch scheint der Gesetzgeber das in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 5 fallende Gegenstück zu den „staatlichen Leistungen“ lediglich in den „privaten Leistungen“ zu sehen, deren Empfänger im Bereich des Sozial- bzw. Gesundheitsschutzes nicht diskriminiert werden sollen. So heißt es in der Gesetzesbegründung194 weiter: „Es ist aber auch denkbar, dass einschlägige Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden, etwa im Rahmen eines privaten Arztvertrages oder Bildungsleistungen privater Anbieter.“ Insofern bleibt es bei der Erfassung der Vertragsärzte von Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AGG.195

bb) Persönlicher Anwendungsbereich Auch wenn Abschnitt 2 des AGG (§§ 6 – 18) mit dem Titel „Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung“ überschrieben ist, so sind dessen Vorschriften auch auf selbständige Vertragsärzte über § 6 Abs. 3 AGG dann entsprechend anzuwenden, wenn es um Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit oder den beruflichen Aufstieg geht. Dass beide Merkmale vorliegen, wurde bereits geprüft. b) Diskriminierung Mit dem Verlust der Vertragsarztzulassung ab einem gewissen Alter erfuhr der betroffene Arzt eine weniger günstige Behandlung als die Ärzte, welche das Grenzalter noch nicht erreicht haben. Insofern lag eine unmittelbare Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG vor. c) Rechtfertigung der Diskriminierung Eine Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters liegt nach § 10 Satz 1 AGG dann vor, wenn diese verhältnismäßig ist.196 Das war bei 192 Vgl. Stephan Rixen, „Rettung für den altersdiskriminierten Vertragsarzt durch den EuGH? – Das EG-rechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und die 68-Jahre-Grenze des deutschen Vertragsarztrechts.“, in: ZESAR 2007, S. 345 (347). 193 BT-Drucks. 16/1780, S. 31 f. 194 BT-Drucks. 16/1780, S. 31 f. 195 Siehe auch Rixen (Fn. 192), S. 345 (347 f.). 196 Vgl. Arnold (Fn. 169), S. 143 (146).

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den vertrags(zahn)ärztlichen Höchstaltersgrenzen – wie vorstehend ausführlich erörtert – jedoch nicht der Fall. Die Höchstaltersgrenze für Vertragsärzte war mithin eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung aufgrund des Alters. d) Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Diskriminierung nach dem AGG Das AGG sieht als Rechtsfolgen neben einem Schadensersatzanspruch (§ 15) ein Beschwerderecht (§ 13) und ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 14) vor. Darüber, wie mit einem nationalen Gesetz zu verfahren ist, das eine ungerechtfertigte Diskriminierung statuiert, schweigt sich das AGG aus. Die Unwirksamkeit diskriminierender nationaler Gesetze wird nicht angeordnet. e) Richtlinienkonforme Auslegung Fraglich ist zunächst, ob sich bei einer richtlinienkonformen Auslegung des AGG eine Regelung für den Fall legislativen Unrechts ergibt. Dieses Gebot der richtlinienkonformen Interpretation des nationalen Umsetzungsrechts soll eine offene Normenkollision vermeiden197 und gehört als Rechtsfigur zur gefestigten Rechtsprechung des EuGH.198 Voraussetzung dafür war allerdings zunächst, dass § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. mit der Richtlinie selbst nicht vereinbar war. f) Vereinbarkeit der Richtlinie 2000/78/EG mit § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V aa) Anwendungsbereich der Richtlinie Fraglich ist, ob die vertragsärztliche Tätigkeit in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fällt. Art. 3 RL umreißt den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich der RL. Nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit a gilt die RL für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position. Danach unterfallen Vertragsärzte und die für diese maßgebende Höchstaltersgrenze dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie.199 Bei Vertragsärzten handelt es sich nämlich um Personen, die im öffentlich-rechtlich geregelten Bereich der Leistungserbringung der gesetzlichen Krankenversicherung tätig sind 197 198 199

Vgl. Rixen (Fn. 192) S. 345 (350). Vgl. etwa EuGH, Rs. 32/74, Slg.1974, 1201, Rn. 6. Boecken (Fn. 141), S. 393 (394).

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

(vgl. §§ 95 ff. SGB V). Sie üben freiberuflich eine Erwerbstätigkeit aus, die explizit von der Richtlinie erfasst wird. Zudem stellt die Höchstaltersgrenze für die Zulassung eine „Bedingung für den Zugang zu Erwerbstätigkeit“ i. S. v. Art. 3 lit a RL dar. Als Zugang ist nicht nur die erstmalige Aufnahme einer Berufstätigkeit, sondern auch ihre Fortführung anzusehen,200 weil ohne die Möglichkeit zur kontinuierlichen Berufsausübung die bloße erstmalige Berufsaufnahme faktisch bedeutungslos ist. Die Altersgrenze war mithin eine Bedingung, die den Zugang zur weiteren Tätigkeit als Vertragsarzt regelte. Dem konnte auch hier nicht entgegen gehalten werden, dass der Arzt nach Vollendung des 68. Lebensjahres seiner ärztlichen Erwerbstätigkeit als Privatarzt weiter nachgehen könne, weil dafür tatsächlich regelmäßig zu wenig Privatpatienten zur Verfügung standen.201 Vertragsärzte als freiberuflich Tätige und die ihnen auferlegte Höchstaltersgrenze werden auch nicht durch Ausnahmen von dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG ausgeschlossen. Nach Art. 3 Abs. 3 RL gilt zwar die RL nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes. Bei der Zulassung als Vertragsarzt und der diesbezüglichen Altersgrenze geht es aber nicht um staatliche Leistungen oder Leistungen gleichgestellter sozialer Sicherungssysteme, sondern vielmehr um eine Beschränkung der Berufstätigkeit. Die Richtlinie ist nach allem auf die vorliegende Problematik des vertragsärztlichen Zulassungsverlusts bei Erreichen der Altersgrenze anwendbar. bb) Diskriminierung gemäß Art. 2 RL Art. 2 RL verbietet sowohl eine mittelbare als auch unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters. Gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. a ist eine Diskriminierung dann unmittelbar, wenn eine Person aus Gründen ihres Alters in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als sie eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Kennzeichen der unmittelbaren Altersdiskriminierung ist also die Anknüpfung für die Ungleichbehandlung an das Merkmal Alter selbst. Eine Höchstaltersgrenze für eine bestimmte Berufstätigkeit knüpft unmittelbar an das Alter an. Sie stellt gegenüber jüngeren Ärzten eine weniger begünstigende Behandlung dar, so dass eine altersbedingte Diskriminierung vorliegt.202 cc) Rechtfertigung der Altersdiskriminierung Die Altersdiskriminierung wäre aber zulässig, wenn ein Rechtfertigungsgrund vorläge. Einen solchen Rechtfertigungsgrund statuieren Art. 4 Abs. 1 RL (Ungleich200 201 202

So auch Boecken (Fn. 141), S. 393 (394) m. w. N. Boecken (Fn. 141), S. 393 (394) m. w. N. Vgl. auch Boecken (Fn. 141), S. 393 ( 395).

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behandlung wegen beruflicher Anforderungen), Art. 6 Abs. 1 RL (Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen im Hinblick auf die Verfolgung legitimer Ziele) und Art. 7 RL (positive Maßnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen wegen des Alters). Während Art. 4 Abs. 1 RL und Art. 7 Abs. 1 RL normierte Ausnahmetatbestände darstellen, die für alle in Art. 1 RL genannten Kriterien gelten, bezieht sich Art. 6 Abs. 1 RL speziell auf das Alter. (1) Rechtfertigung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL stellt eine Ungleichbehandlung wegen des Alters auch dann keine Diskriminierung dar, wenn diese objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. In diesem Zusammenhang sind unter legitimen Zielen insbesondere solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen. Dabei müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angemessen und erforderlich sein. Dieser Ausnahmetatbestand ist der zentrale Anknüpfungspunkt für die Frage der Zulässigkeit der Höchstaltersgrenze zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Der Schutz des einzelnen Patienten vor einer nachlassenden Leistungsfähigkeit des ihn behandelnden Arztes kann zwar grundsätzlich als legitimes Ziel angesehen werden, das der nationale Gesetzgeber verfolgen darf. Allerdings gehörte diese Intention – wie vorstehend gezeigt – nicht zu dem erklärten Ziel des deutschen Gesetzgebers. Auch war die mit der Altersgrenze zusammenhängende Ungleichbehandlung der Vertragsärzte nach Vollendung des 68. Lebensjahres von objektiver Prägung, da sie nicht an veränderbare Merkmale anknüpfte. Die Altersgrenze war deshalb nicht erforderlich. Mit der Altersgrenze hat der Gesetzgeber eine starre, für den betroffenen Vertragsarzt unüberwindbare Begrenzung der Berufstätigkeit aufgestellt.203 Das führte – bezogen auf die Möglichkeit der Ausübung des ärztlichen Berufs – angesichts der in der Regel tatsächlichen Abhängigkeit von einer vertragsärztlichen Zulassung zu einer faktischen Entwertung der Berufsfreiheit des Betroffenen. Insofern kann auf die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG verwiesen werden. Die Altersgrenze stellte vor dem Hintergrund ihrer verfassungsgerichtlichen Begründung, nach allgemeiner Lebenserfahrung lasse die Leistungsfähigkeit im Alter nach, für den einzelnen Vertragsarzt die unwiderlegliche Vermutung nachlassender Leistungsfähigkeit auf. Diese der gesetzlichen Altersgrenze zugrundeliegende Annahme berücksichtigte nicht, dass Menschen aus gerontologischer Sicht individuell altern.204 Hinzu kommt, dass die typischen altersbedingten Einbußen an körperlicher 203 204

Boecken (Fn. 141), S. 393 (396). Siehe auch Boecken (Fn. 141), S. 393 (396).

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Leistungsfähigkeit oftmals durch andere berufsrelevante Faktoren ausgeglichen werden. Dazu gehört etwa die Zunahme der Beurteilungs- und Entscheidungsfähigkeit auf Grund der Lebens- und Berufserfahrung. Darüber hinaus ist das Erfordernis der Leistungsfähigkeit auch nach Fachrichtungen zu differenzieren: An einen Chirurgen sind tätigkeitsbedingt andere Anforderungen an seine körperliche Leistungsfähigkeit zu stellen als etwa an einen Psychotherapeuten. Durch die pauschale Altersgrenze wurde der Ausnahmetatbestand des Art. 6 RL qua Gesetz in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. faktisch als Regelfall festgelegt.205 Damit stand die Regelung der in Art. 10 RL geforderten Darlegungs- und Beweislastverteilung entgegen. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung soll nämlich grundsätzlich den ungleich Behandelnden treffen. Hinsichtlich der vom Gesetzgeber in Bezug genommen Intention der Sicherstellung der Verteilungsgerechtigkeit fehlt es im vertragsärztlichen Bereich an der Erforderlichkeit einer Höchstaltersgrenze, um jüngeren Ärzten die Möglichkeit zur beruflich existenznotwendigen Teilnahme am System der vertragsärztlichen Versorgung zu ermöglichen. Zwar unterliegt die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung einer gesetzlich und untergesetzlich geregelten Bedarfsplanung mit der Folge, dass in so genannten überversorgten Planungsbereichen Zulassungsbeschränkungen angeordnet werden können. Allerdings gibt es bis heute keine absolute Begrenzung der Vertragsarztzahlen. Insbesondere hat der Gesetzgeber bislang nicht von der früher in § 102 Abs. 1 SGB V für das Jahr 2003 angekündigten Bedarfszulassung Gebrauch gemacht, wonach ab diesem Zeitpunkt die Zulassung auf Grund von gesetzlich festgelegten Verhältniszahlen zu erfolgen hat.206 § 102 SGB V ist vielmehr mit dem Inkrafttreten des GKV-WSG entfallen. Damit ist die Möglichkeit zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung für junge Ärzte rechtlich zu keinem Zeitpunkt beschränkt worden. Zudem ist die Situation in Deutschland eher von einer Unter- als Überversorgung geprägt,207 so dass gar kein Bedürfnis nach einer durch Altersgrenzen induzierten Verteilungsgerechtigkeit besteht. Insofern hält die Begründung des Gesetzgebers den Anforderungen des Ausnahmetatbestands des Art. 6 RL nicht stand. (2) Rechtfertigung gemäß Art. 4 Abs. 1 RL Gemäß Art. 4 Abs. 1 RL können die Mitgliedstaaten Regelungen vorsehen, nach denen eine Ungleichbehandlung keine Diskriminierung beinhaltet, wenn das betreffende Differenzierungsmerkmal auf Grund einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Art. 4 Abs. 1 RL kann danach durchaus einschlägig sein, wenn von der Ausübung der Tätigkeit mit zunehmendem Alter und nachlassen205 206 207

Boecken (Fn. 141), S. 393 (396). Boecken (Fn. 141), S. 393 (397). Vgl. BT-Drucks. 16/1555, S. 21 f.

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der Leistungsfähigkeit Gefährdungen für Leben und Gesundheit der Berufstätigen selbst wie auch Dritter ausgehen können. Ein bestimmtes Alter ist allerdings keine angemessene Anforderung des Arztberufs i. S. d. Art. 4 Abs. 1 RL. Die im Rahmen dieser Rechtfertigung vorgenommenen Wertungen sind mit den bei Art. 6 RL beschriebenen Wertungen vergleichbar. Eine starre Altersgrenze ist wegen der fehlenden Erforderlichkeit unverhältnismäßig. Insofern vermag auch Art. 4 Abs. 1 RL die Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. (3) Rechtfertigung nach Art. 7 Abs. 1 RL Art. 7 Abs. 1 RL hält ausdrücklich fest, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht entgegensteht, zur Gewährleistung der Gleichstellung im Berufsleben Maßnahmen einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen Alters verhindert oder ausgeglichen werden. Die Einführung einer Altersgrenze, deren Überschreitung zum Verlust der Zulassung als Vertragsarzt führt, ist keine Maßnahme einer von Art. 7 Abs. 1 RL erfassten sogenannten positiven Diskriminierung. § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. war insofern mit der RL nicht zu vereinbaren.

g) Unmittelbare Wirkung der Richtlinie Die oben gestellte Frage, ob eine richtlinienkonforme Auslegung des AGG dazu verhilft, legislatives Unrecht zu überwinden, muss jedoch verneint werden: Art. 16 RL fordert, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden. Für diese Maßgabe, legislativer Diskriminierung Einhalt zu gebieten, stellt das AGG keine in diesem Sinne auslegungsfähige Vorschrift zur Verfügung. Denn es regelt abschließend die Rechtsfolgen bei einer ungerechtfertigten Diskriminierung mit den oben beschriebenen §§ 13 – 15 AGG. Zu diesen Rechtsfolgen gehört nicht die Unwirksamkeit diskriminierender Normen. Da aber Art. 16 fordert, dass ein die Antidiskriminierungsrichtlinie umsetzendes Gesetz eine Regelung für den Fall legislativen Unrechts hätte treffen müssen, stellt sich die Frage, wie mit einem solchen Umsetzungsdefizit im nationalen Recht zu verfahren ist. Der deutsche Gesetzgeber hätte die Rechtwirksamkeit des Art. 16 RL für sein nationales Recht durch ein gesetzliches Instrumentarium, welches die Korrektur von diskriminierenden Gesetzen zulässt, sicherstellen müssen. Das hat er nicht getan. Zwar gelten Richtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EGV grundsätzlich nur mittelbar, doch hat der EuGH im Wege der Rechtsfortbildung unter bestimmten Voraussetzungen den Richtlinien unmittelbare Wirkung zuerkannt.208 Diese unmittelbare Anwen208 Ruffert, in: Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV Rn. 73.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

dung einer nicht richtig umgesetzten Richtlinie begründet der EuGH unter anderem mit der andernfalls zu befürchtenden Abschwächung der praktischen Wirksamkeit (effet utile) von Richtlinien bei deren Nichtbeachtung.209 Daher müssten nach diesem Maßstab die säumigen Mitgliedstaaten nach Fristablauf die RL unmittelbar gegen sich gelten lassen. Das gebietet im Übrigen auch die Rechtssicherheit sowie die von Art. 249 Abs. 3 EGV geforderte Verbindlichkeit einer Richtlinie.210 Voraussetzung einer solchen unmittelbaren Anwendung sind der Ablauf der Umsetzungsfrist sowie die fehlende Umsetzung. Beides ist – wie vorstehend dargestellt – zu bejahen. Zudem müssen unmittelbar angewendete Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sein.211 Inhaltlich unbedingt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die einzelne Bestimmung vorbehaltlos anwendbar ist und keiner weiteren Maßnahme der Organe der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft bedarf.212 Diese vorbehaltlose Anwendung ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 RL i. V. m. Art. 1 RL mit seinem absoluten Verbot der Altersdiskriminierung. Dieser vorbehaltslose Anwendungsmaßstab wird auch durch die Existenz des Ausnahmetatbestands des Art. 6 RL nicht in Frage gestellt. Ist nämlich der Ausnahmetatbestand zu bejahen, liegt schon begrifflich keine Diskriminierung i. S. v. Art. 2 RL vor.213 Dass dem Mitgliedstaat im Umgang mit diskriminierenden nationalen Rechtsvorschriften kein Ermessensspielraum zukommt, zeigt auch die Vorgabe des Art. 16 RL. Danach haben die Mitgliedstaaten „sicherzustellen, dass die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden“. Liegt also eine Diskriminierung durch den Gesetzgeber im Sinne von Art. 2 RL vor, so bedeutet dies, dass die entsprechende diskriminierende Vorschrift per se vorbehaltlos keine weitere Gültigkeit beanspruchen kann. Eine Bestimmung ist daneben hinreichend genau, wenn aus ihr ein eindeutiger normativer Gehalt hervorgeht. Dieser normative Gehalt liegt in dem von Art. 2 Abs. 1 RL klar statuierten Altersdiskriminierungsverbot. Mit dem Gebot des Art. 16 RL, „sicherzustellen, dass die Rechtsund Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden“, wird zudem eine eindeutige Verpflichtung des Gesetzgebers begründet, nach Art. 2 altersdiskriminierendes nationales Recht aufzuheben. Insofern lagen die Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung von Bestimmungen der Richtlinie vor. Adressat der unmittelbaren Wirkung ist der Staat, unabhängig davon, welche Staatsgewalt handelt. Insofern bedeutet die unmittelbare Wirkung der RL hier, 209

EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, Rn. 12; Rs. 38/77, Slg. 1977, 2203, Rn. 9, 10. Ruffert (Fn. 208), Rn. 74 m. w. N. 211 Ruffert (Fn. 208), Rn. 79 m. w. N. aus der Rspr. des EuGH. 212 EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1977, 1337, Rn. 13, 14. 213 Vgl. auch den Wortlaut der englischen Fassung von Art. 6 Abs. 1 RL: „Notwithstanding Article 2(2), Member States may provide that differences of treatment on grounds of age […] shall not constitute discrimination“. 210

V. Höchstaltersgrenzen

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dass § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. als legislatives Unrecht nicht weiter angewendet werden durfte. Entfaltet eine Richtlinienbestimmung unmittelbare Wirksamkeit, so ist sie für ihren Adressaten rechtsverbindlich, ohne dass es einer besonderen Geltendmachung seitens des Begünstigten bedürfte.214 Bestimmungen des nationalen Rechts, die mit einer unmittelbar wirkenden Richtlinienbestimmung kollidieren, sind unanwendbar.215 Dabei ist zu beachten, dass auch in diesem Fall die Pflicht des Mitgliedstaates zur Umsetzung fortbesteht.216 Nach dieser Verpflichtung war § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. aufzuheben. Unabhängig davon sind die Organe der Exekutive und Judikative eines Mitgliedstaates dazu verpflichtet, bei einer unmittelbaren Wirksamkeit einer Richtlinie entgegenstehendes nationales Recht außer Acht zu lassen.217 Bei Entscheidungserheblichkeit müssten die nationalen Gerichte deshalb dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsnorm mit europäischem Recht vorlegen. Dass die Voraussetzungen für die unmittelbare Wirkung der Antidiskriminierungsrichtlinie hinsichtlich der vertragsärztlichen Höchstaltersgrenze erfüllt sind, ist von der deutschen Gerichtsbarkeit mithin von Amts wegen zu beachten. Das ist bisher nicht in ausreichendem Maß geschehen. Die weitgehende Ignoranz gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze spiegelt sich auch in der mangelnden Berücksichtigung der Mangold-Rechtsprechung des EuGH wieder. h) Mangold-Entscheidung des EuGH und nationale Rechtsprechung Nach der Rechtsprechung des EuGH (Mangold-Entscheidung)218 ist das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters auch ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts. Eine Altersdiskriminierung ist danach nicht zulässig, wenn sie sich nicht durch angemessene und erforderliche Gründe sachlich rechtfertigen lässt. Eine solche Rechtfertigung liegt – wie vorstehend ausführlich geprüft – jedoch nicht vor. Für diesen Fall stellt der EuGH fest: „Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ist somit als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen. […] Es obliegt daher dem nationalen Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters anhängig ist, im Rahmen seiner Zuständigkeiten den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt, zu gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt.“

214

Martin Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Bd. III, Art. 249 EGV. Rn. 181. 215 Nettesheim (Fn. 214). 216 EuGH, Rs. C-433/93, Slg. 1995, I-2303; Nettesheim (Fn. 214). 217 Vlg. EuGH, Verb. Rs. C-87/90 u. a., Slg. 1991, I-3757, Rn. 15; Nettesheim (Fn. 214). 218 EuGH, C-144/04, Slg. 2005, I – 09981, Rn. 75.

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

Diese „volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts“ im Rahmen des Anwendungsvorranges219 europäischen Rechts gewährleisteten die deutschen Gerichte den vor dem Ausscheiden stehenden Vertragsärzten bis zum gesetzlichen Wegfall der Höchstaltersgrenzen nicht. Auch die jüngeren Urteile der zuständigen Sozialgerichte220 bis hin zum Bundessozialgericht221 haben die Altersgrenze mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht nicht moniert. Zuletzt hat das Bundessozialgericht am 6. Februar 2008 entschieden, dass die Beendigung der Kassenzulassung mit 68 Jahren nicht gegen Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht verstößt. In den Entscheidungsbegründung stützen sich die Gerichte dabei wiederholt auf den oben erwähnten Beschluss vom 31 März 1998, mit dem das Bundesverfassungsgericht zwei Verfassungsbeschwerden, die sich gegen § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V richteten, nicht zur Entscheidung angenommen hatte, weil diese aus verfassungsrechtlicher Sicht keinen Erfolg haben könnten.222 Diese Nichtannahmeentscheidung wie auch die Nichtannahmeenscheidung vom 7. August 2007223 sind zwar gemäß § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG unanfechtbar, aber keine Entscheidungen eines Senats des Bundesverfassungsgerichts. Daher kommt es auch nicht zu einer die Staatsgewalten betreffenden Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG.224 Zur Frage eines möglichen Verstoßes der Höchstaltersgrenze gegen gemeinschaftsrechtliche Regelungen hat das Bundesverfassungsgericht nicht Stellung genommen, weil es sich nicht für zuständig hielt. „Zur Entscheidung der Frage, ob eine innerstaatliche Norm des einfachen Rechts, also hier § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V mit einer vorrangigen Bestimmung des europäischen Gemeinschaftsrechts unvereinbar ist und deshalb wegen des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts verdrängt wird, ist das Bundesverfassungsgericht nicht zuständig.“225

Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts führt zu der paradoxen Situation, dass der EuGH die Prüfungszuständigkeit des Verstoßes altersdiskriminierender Regelungen gegen europäisches Gemeinschaftsrecht den nationalen Gerichten zuweist, das Bundesverfassungsgericht sich allerdings gar nicht für zuständig hält. Die nationale Rechtsprechung berücksichtigte insofern weder das primäre Gemeinschaftsrecht in seiner Ausprägung des Verbots der Altersdiskriminierung, noch beachtete sie, dass die Voraussetzungen für die unmittelbare Wirkung von Bestimmungen der Antidiskriminierungsrichtlinie erfüllt waren. 219 Dazu Sodan/Ziekow (Fn. 46), § 5 Rn. 10 ff.; Bernhard Wegener, in: Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2007, Art. 220 EGV Rn. 27 ff. 220 Vgl. etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 09.11.2007, L 3 KA 69/07, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 18.09.2007, L 11 B 17/07; Bayerisches LSG, Urteil v. 19.07.2006, L 12 KA 9/06; SG Marburg, Urteil vom 10. 10.2007, S 12 KA 268/07. 221 BSGE 83, 135 (144 f.); zuletzt Urteil vom 6.2.2008, B 6 KA 41/06. 222 BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.3.1998 – 1 BvR 2167/93, 1 BvR 2198/93. 223 BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.8.2007 – 1 BvR 1941/07. 224 Arnold (Fn. 169), S. 143 m. w N. 225 BVerfG, Kammerbeschluss vom 7.8.2007 – 1 BvR 1941/07.

V. Höchstaltersgrenzen

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i) Die Palacios-Entscheidung des EuGH Mit Urteil vom 16. Oktober 2007 hat der EuGH226 über die Vereinbarkeit von Altersgrenzen mit dem europäischen Diskriminierungsrecht entschieden.227 Dabei beschäftigte er sich in einem Vorlageverfahren aus Spanien mit der Zwangsbeendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund von Tarifverträgen. Der zu entscheidende Fall weicht wegen der Anwendung spanischen Rechts nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern auch hinsichtlich der ihm zugrundeliegenden Tatsachen von der vorliegend zu beurteilenden Situation der Vertragsärzte ab, so dass eine pauschale Übertragung der Wertungen des Urteils nicht in Betracht kommt.228 Der EuGH hat die Altergrenzen in dieser Fallkonstellation grundsätzlich gebilligt, diese allerdings an strenge Vorgaben geknüpft: Die Altersgrenze lasse sich danach nur durch ein legitimes Ziel rechtfertigen, das insbesondere die Bereiche der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes oder der beruflichen Bildung betreffe.229 Der Themenbereich der „Beschäftigungspolitik“ scheidet schon aufgrund des anhaltenden Ärztemangels als Legitimationsgrundlage für Höchstaltersgrenzen bei Vertragsärzten aus. Die Intention der Verteilungsgerechtigkeit kann – wie vorstehend ausgeführt – ebenfalls Höchstaltersgrenzen nicht rechtfertigen. Die Altersgrenze für Vertragsärzte hielte auch den übrigen Vorgaben des EuGH nicht stand. Zum einen muss nach dem Urteil des EuGH auch eine mit der Statuierung einer Altersgrenze verfolgte legitime Zielsetzung des Staates erkennbar sein. Diese Anforderung kann entweder durch ausdrückliche Erwähnung der Ziele oder aber indirekt durch Anhaltspunkte, aus denen sich die Zielsetzung ergibt, erfüllt werden.230 Daran fehlt es vorliegend jedoch: Der Gesetzgeber hat ausdrücklich auf die Verteilungsgerechtigkeit in seiner Begründung abgestellt, die kein legitimes Ziel darstellt. Dagegen hat er den Schutz der Gesundheit der Patienten, der als legitimes Ziel in Betracht käme, nicht erwähnt. Auch weitere Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass der Höchstaltersgrenze Ziele des Gesundheitsschutzes zugrunde lägen, sind nicht ersichtlich: Dagegen spricht schon, dass – wie ausgeführt – der ausgeschiedene Vertrags(zahn)arzt nach Verlust der Zulassung weiterhin privatärztlich tätig sein darf. Zum anderen muss nach dem Maßstab des EuGH die Höchstaltersgrenze objektiv und angemessen sein. Das ist nicht der Fall, weil eine pauschale Höchstaltersgrenze 226

EuGH, Rs. C-411/05. Vgl. dazu Frank Bayreuther, Altersgrenzen nach der Palacios-Entscheidung des EuGH, in: DB 2007, 2425 ff; Klaus Bertelsmann, Altersgrenze 65, EuGH und AGG, in: Arbeitsrecht im Betrieb 2007, S. 689 ff. 228 Das entschiedene Fall betraf ausschließlich Arbeitnehmer im Anwendungsbereich eines Tarifvertrages, mithin keine Selbständigen. Zu den weiteren Einzelheiten des entschiedenen Falles vgl. Bertelsmann (Fn. 227), S. 689 (692). 229 EuGH, C-411/05, Rn. 52. 230 EuGH, C-411/05, Rn. 54,55,56,58. 227

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C. Materiellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers

bei Vertragsärzten angesichts der schwerwiegenden negativen Folgen für ihre Berufstätigkeit – wie schon dargestellt – nicht erforderlich ist.

7. Ergebnis § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. verstieß nicht nur gegen die in Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Grundrechte der betroffenen Vertragsärzte, sondern auch gegen die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG. Diese ist unmittelbar anwendbar, da das AGG als nationales Umsetzungsgesetz insofern ein Umsetzungsdefizit aufweist, als es keine Rechtsfolge für legislatives Unrecht vorsieht.

D. Zusammenfassung in Leitsätzen I. Formellrechtliche Grenzen des Gesetzgebers im Bereich des Gesundheitswesens 1. Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) verstößt mit seinen das ärztliche Berufsrecht erweiternden Bestimmungen gegen die grundgesetzliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zulasten der Länder. Der Bundesgesetzgeber kann sich dabei weder auf die Kompetenznormen des Art. 74 Nr. 12 GG noch des Art. 74 Nr. 19 oder 19a GG stützen. 2. Die detaillierten Regelungen des VÄndG zur Berufsausübung durch Vertragsärzte überschreiten den durch die Schutzfunktion der klassischen Sozialversicherung geprägten legislativen Kompetenzbereich der „Sozialversicherung“ i. S. d. Art. 74 Nr. 12 GG. Die im VÄndG enthaltenen ärztlichen Berufsregeln des VÄndG greifen in den Handlungsspielraum der Länder ein. Sie betreffen den Bereich des allgemeinen ärztlichen Berufsrechts, für deren Regelung die Länder zuständig sind. 3. Auch eine Annexkompetenz des Bundes kraft Sachzusammenhangs liegt nicht vor, da eine Erweiterung der Bundeskompetenz in diese Fall keine unerlässliche Voraussetzung für die Regelung der zugewiesenen Materie ist. Dies wäre nur zu bejahen, wenn eine dem Bund zugewiesene Regelungsmaterie nicht geregelt werden könnte, ohne dass eine landesgesetzliche Materie mitgeregelt würde. Eine solche Konstellation liegt nicht vor und ist vom Bundesgesetzgeber auch nicht geltend gemacht worden.

II. Grundrechtsschutz ärztlicher Tätigkeit 1. Der selbständig tätige Arzt wird von Art. 12 Abs. 1 GG ebenso geschützt wie der angestellte Arzt. Der verbeamtete Arzt ist zwar in der Wahl seines Berufes frei, wobei dessen Realisierung vom Einstellungsverhalten des Staates abhängig ist. Seine Berufsfreiheit ist mit der Maßgabe geschützt, dass die berufliche Tätigkeit durch innerbehördliche Weisung, Amtsloyalität und unbedingte Dienstbereitschaft unter Ausschluss von Tarifautonomie und Arbeitskampf eingeschränkt ist. 2. Vertragsärztliche Tätigkeit ist verfassungsrechtlich dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG zuzuordnen. Art. 33 GG ist in keiner Ausformung einschlägig. Zwar unterliegt der Vertragsarzt als Leistungserbringer einem gewissen Kontrahierungszwang mit den in der GKV versicherten Patienten, doch verwirklicht er bei sei-

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D. Zusammenfassung in Leitsätzen

ner Tätigkeit wesentliche Elemente der Tätigkeit des freiberuflich tätigen Privatarztes. Dazu gehören die Wahrnehmung von Therapie- und Unternehmerfreiheit ebenso wie die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Patientennachfrage sowie der Wettbewerb zwischen den Ärzten.

III. Staatlich verordnete Wirtschaftlichkeit als Eingriff in den Schutzbereich ärztlicher Grundrechte 1. Die von § 84 Abs. 7a SGB V vorgesehene Wirtschaftlichkeitsprüfung – eingeführt durch das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) – beansprucht als Bestandteil des SGB V nach wie vor die Gültigkeit einer Rechtsnorm. Diese sogenannte Bonus-Malus-Regelung, die im Rahmen der Verordnung von Arzneimitteln Regresspflichten des Arztes bei Überschreiten einer zuvor vereinbarten Kostenschwelle vorsieht, verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip sowie die Grundrechte von Ärzten und Patienten. 2. Die Bonus-Malus-Regelung verstößt gegen die vom Rechtsstaatsprinzip vorgegebene Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, indem der einzelne Vertragsarzt vor den Regelungskonflikt gestellt wird, einerseits seinem ärztlichen Heilauftrag hinsichtlich der Versorgung des Patienten gerecht zu werden, andererseits aber eine wirtschaftliche Verordnungsweise von Arzneimitteln vornehmen zu müssen. 3. Daneben liegt mit der Bonus-Malus-Regelung ein Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt vor. Das Parlament hat sich seiner Verpflichtung zur Regelung des Wesentlichen entzogen, indem es trotz der bei verhängten finanziellen Sanktionen tangierten ärztlichen Berufsfreiheit die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Sanktionierung nicht selbst geregelt hat. Vielmehr sollen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf vertraglicher Basis entsprechende Regelungen treffen. 4. Die Bonus-Malus-Regelung ist auch mit der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleiteten grundrechtlichen Schutzverpflichtung des Staates für Gesundheit und Leben der Patienten unvereinbar. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält nicht nur ein Abwehrrecht des Einzelnen, sondern auch eine Verpflichtung des Staates zum positiven Schutz von Leben und Gesundheit der Grundrechtsträger. Mit der Bonus-Malus-Regelung können Ärzte aufgrund der Androhung finanzieller Sanktionen im Einzelfall dazu angehalten werden, auf eine nach Fachkenntnis für richtig erachtete Therapie aus Kostengründen zu verzichten. 5. Die Bonus-Malus-Regelung schränkt auch die ärztliche Therapiefreiheit unverhältnismäßig ein. Bei Nichtverschreibung bestimmter Medikamente aufgrund wirtschaftlicher Verordnungen kann es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des mangelhaft therapierten Patienten kommen, die mit weiteren Kosten für das gesetzliche Krankenversicherungssystem verbunden ist. Die Geeignetheit der Bonus-

IV. Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht

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Malus-Regelung ist hinsichtlich der damit intendierten finanziellen Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung deshalb äußerst fraglich. 6. Der Wortlaut von § 84 Abs. 7a SGB V schreibt vor, dass die Vertragspartner Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit, die sich bei wirtschaftlicher Verwendungsweise ergeben „vereinbaren“. § 84 Abs. 7a Satz 12 SGB V verweist allerdings für den Fall, dass eine Vereinbarung nach § 84 Abs. 7a Satz 1 SGB V nicht getroffen wurde, auf das Schiedswesen in § 89 SGB V. Danach steht der zuständigen Aufsichtsbehörde ein Spielraum zu, ob sie den Inhalt eines gesetzlich vorgesehenen Vertrages selbst festsetzt. Die Vereinbarung von Wirtschaftlichkeitsabsprachen im Sinne der Bonus-Malus-Regelung ist rechtlich nicht erzwingbar.

IV. Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen bei kollektivem Zulassungsverzicht Die Sanktionen des Gesetzgebers bei einem kollektiven Verzicht von Vertragsärzten auf ihre Zulassung gemäß § 72a Abs. 1 SGB V sind aufgrund ihrer Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig. 1. So schränkt die sechsjährige Zulassungssperre des § 95b Abs. 2 SGB V die Berufsfreiheit des betroffenen Vertragsarztes in einer Intensität ein, die in ihrer Wirkung der Beschränkung der Berufswahl nahe kommt. Der ehemalige Vertragsarzt ist von der Behandlung von mehr als 90 % der Bevölkerung ausgeschlossen. Die Geeignetheit des Mittels ist angesichts der Prognose, dass es bei der Behandlung einer gleichbleibenden Zahl von Kassenpatienten zu einem Mangel an Vertragsärzten kommen wird, welche die verzichtenden Ärzte ersetzen können, erheblichen Zweifeln ausgesetzt. Eine Zeitspanne von sechs Jahren für die Sperre ist zudem nicht erforderlich, da bereits nach einem Zeitraum von mehreren Monaten ein finanzieller Engpass des verzichtenden Arztes zu erwarten ist. Ein kürzerer Sperrzeitraum käme deshalb als milderes Mittel in Betracht. Auch der Eingriff der sechsjährigen Zulassungssperre in Art. 9 Abs. 1 GG erscheint aus diesem Grund unverhältnismäßig. 2. Ferner ist die Beschränkung der Vergütung gemäß § 95b Abs. 3 SGB V mit Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG nicht vereinbar, weil sie in diese Grundrechte in unverhältnismäßiger Weise eingreift. Die auf die vertragsärztliche Zulassung verzichtenden Ärzte sind auf Privatpatienten angewiesen. Dennoch können sie ihnen gegenüber nicht wie andere Privatärzte liquidieren, sondern werden besonderen gesetzlichen Vorgaben unterworfen. 3. Die Regelung des § 72a Abs. 3 Satz 3 SGB V verstößt ebenfalls gegen Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 1 GG. Neben der Ungeeignetheit der Regelung, die Funktionsfähigkeit des Systems wiederherzustellen, da zahlreiche Ärzte als Vertragsärzte ausgeschieden sind und daher für derartige Verträge nicht zur Verfügung stehen, ist

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D. Zusammenfassung in Leitsätzen

sie wegen des unbefristeten Ausschlusses der verzichtenden Ärzte von der Versorgung gesetzlich Versicherter auch unzumutbar.

V. Basistariflicher Sicherstellungsauftrag Der in § 75 Abs. 3a SGB V n. F. statuierte Sicherstellungsauftrag für im Basistarif versicherte Personen wirft schwerwiegende verfassungsrechtliche und systematische Probleme auf. 1. Zum 1. Januar 2009 müssen die privaten Krankenversicherungsunternehmen einen neuen Basistarif anbieten. Zugang zum Basistarif erhalten mit bestimmten Einschränkungen grundsätzlich Personen ohne Krankenversicherungsschutz, die freiwillig in der GKV Versicherten, die Beihilfeberechtigten und die Versicherungsnehmer mit einer privaten Krankheitskostenversicherung. Wegen der Kontrahierungszwangs und der vorgeschriebenen risikoinäquivalenten Beiträge begegnet die gesetzlich vorgegebene Gestaltung des Basistarifs schon allein aus diesen Gründen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. 2. Nach der Intention des Gesetzgebers sollte mit der Implementierung eines Sicherstellungsauftrages für im Basistarif Versicherte der potentiellen Behandlungsverweigerung durch Vertragsärzte entgegengetreten werden. Eine solche gesetzlich statuierte Behandlungspflicht wäre schon deshalb verfassungswidrig, weil es an einer entsprechenden Gesetzgebungskompetenz fehlte. Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings der Auffassung, dass eine unmittelbare gesetzliche Behandlungspflicht mit dem basistariflichen Sicherstellungsauftrag nicht verknüpft sei. Es bestünde vielmehr eine Gestaltungsfreiheit der KVund KBV, wie der Sicherstellungsauftrag im Einzelnen auszugestalten sei. Bei dieser Ausgestaltung ist damit jedenfalls die ärztliche Berufsausübungsfreiheit zu beachten. Würde eine mittelbare Behandlungspflicht für Vertragsärzte hinsichtlich der im Basistarif Privatversicherten eingeführt, so wäre diese verfassungswidrig. 3. Weil die gesetzlich festgelegten Gebührenhöchstsätze für Behandlungen von im Basistarif Versicherten ebenfalls erst dann relevant werden, wenn keine vertraglichen Vereinbarungen bzw. Festsetzungen durch Schiedsstellen vorliegen, liegt ein unmittelbarer gesetzlicher Eingriff in Grundrechte der Ärzte durch die Vergütungsobergrenzen nicht vor. Spezifische Gebührenhöchstgrenzen für einen bestimmten Kreis von Privatversicherten sind allerdings grundsätzlich verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. 4. Der Sicherstellungsauftrag für eine bestimmte Gruppe von Privatversicherten ist aus systematischer Sicht verfehlt. Elemente der öffentlich-rechtlich geprägten GKV werden durch die Ausweitung des Sicherstellungsauftrags in den bisher privatautonomen Gestaltungsraum der medizinischen Leistungen für Privatversicherte implementiert. Dazu gehören etwa das Sachleistungsprinzip und die Wirtschaftlich-

VI. Höchstaltersgrenzen

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keitsprüfung für die (zahn-)ärztlichen Leistungen. Durch diese Regelungen werden im Basistarif Grundprinzipien der GKV und der PKV zusammengeführt, ohne dass noch eine präzise Zuordnung möglich ist. Der Einfluss staatlicher Regulierung in die bisher privatrechtlich organisierte Gesundheitsversorgung der PKV-Patienten wird somit erheblich ausgeweitet und widerspricht damit auch dem sozialstaatlich induzierten Primat der Eigenverantwortung. Der basistarifliche Sicherstellungsauftrag ist ein weiterer Schritt auf dem Weg in die Staatsmedizin.

VI. Höchstaltersgrenzen als grundrechtliches und europarechtliches Problem 1. Die Höchstaltersgrenze von 68 Jahren für die Tätigkeit als Vertragsarzt verstieß gegen den aus dem Demokratie- und Rechtstaatsprinzip abgeleiteten Parlamentsvorbehalt. Eine Tätigkeit jenseits der 68-Jahresaltersgrenze war für einen Vertragsarzt nur dann möglich, wenn der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für den Ort seiner ärztlichen Tätigkeit feststellte, dass dort eine ärztliche Unterversorgung eingetreten war bzw. einzutreten drohte. Das Kriterium der Unterversorgung wurde in einem wesentlichen grundrechtsrelevanten Bereich nicht vom Gesetzgeber definiert. Da die gesetzlich Krankenversicherten einen Anteil von etwa 90 % der Bevölkerung ausmachen, so dass ohne ihre Mitbehandlung eine ärztliche Berufsausübung regelmäßig nicht wirtschaftlich betrieben werden kann, kam der Entzug der Behandlungsmöglichkeit einem Eingriff in die Berufswahl gleich. Die Voraussetzungen der Unterversorgung hätten deshalb vom Parlament selbst festgelegt werden müssen. 2. Dieser Eingriff in die Berufsfreiheit war zudem nicht verhältnismäßig. Nach dem Maßstab des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei einer Altersgrenze um eine subjektive Zulassungsvoraussetzung. Der Schutz der Gesundheit der in der GKV Versicherten ist ein wichtiges Gemeinschaftsgut und damit ein legitimer Zweck. Die Altersgrenze war zur Realisierung dieser Intention allerdings nicht erforderlich. Der Vertragsarzt hatte keine Möglichkeit, die starre Altersgrenze zu überwinden, während im Rahmen einer individuellen Prüfung der Leistungsfähigkeit ein die Berufsfreiheit weniger belastendes Mittel zur Verfügung gestanden hätte. Durch regelmäßige ärztliche Untersuchungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit von Vertragsärzten hätte ebenso effektiv gewährleistet werden können, dass nur leistungsfähige Ärzte Versicherte der GKV behandeln. Angesichts der Tatsache, dass die Tätigkeit als Vertragsarzt mit keinen anderen Anforderungen an die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit verbunden ist als die privatärztliche Tätigkeit, fehlte eine Begründung dafür, dass Privatpatienten weiter behandelt werden durften. Auch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, als Vertreter eines Vertragsarztes weiterhin ärztlich tätig zu sein, widerspricht der einer Höchstaltersgrenze zugrundelie-

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D. Zusammenfassung in Leitsätzen

genden gesetzlichen Prämisse, die Tätigkeit eines älteren Arztes stelle ein Gesundheitsrisiko für Patienten dar. 3. Das mit der Altersgrenze durch den Gesetzgeber verfolgte Ziel, die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den verschiedenen Ärztegenerationen zu wahren und bei Überversorgung nicht nur zulasten junger Vertragsärzte die Vertragsarztzahl zu begrenzen, wurde zumindest für die Zahnärzte unter den Vertragsärzten nicht mehr verfolgt. Dafür spricht die aktuelle Fassung der Zulassungsbeschränkungen der §§ 101, 103 SGB V und der – mittlerweile aufgehobenen – Bedarfszulassung, § 102 SGB Va. F. Die §§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 – 5 SGB V sind gemäß § 101 Abs. 6 und § 103 Abs. 1 bis 7 SGB V gemäß § 103 Abs. 8 SGB V nicht mehr für Zahnärzte anwendbar. Mit dem Wegfall von Zulassungsbeschränkungen für die jüngere Zahnarztgeneration trugen mithin nur noch ältere Zahnärzte das Risiko, bei Überversorgung nicht vertragsärztlich tätig sein zu dürfen, indem sie mit Erreichung der Altersgrenze automatisch ausschieden. Für diese Ungleichbehandlung gab es keine Rechtfertigung. 4. Die Altersgrenze berührte im Hinblick auf die ärztliche Praxis auch die in Art. 14 Abs. 1 GG genannte Eigentumsgarantie, deren Schutz die ärztliche Praxis als vermögenswerte Rechtsposition umfasst. Der wirtschaftliche Wert einer Praxis hängt regelmäßig von der Teilnahme an der Versorgung im Rahmen der GKV ab. Mit dem gesetzlich erzwungenen Ausscheiden als Vertragsarzt wurde – trotz der verbleibenden Möglichkeit der Veräußerung der Praxis – vertragsärztlichen Praxisinhabern eine vermögensrelevante Rechtsposition entzogen. Diese Inhalts- und Schrankenbestimmung begegnete hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit erheblichen Bedenken. 5. Es lag zudem im Vergleich zu anderen freien Berufen – wie etwa dem des Rechtsanwalts – eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem und insofern ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Da auch der Vertragsarzt einen freien Beruf ausübt, kann er als Vergleichsgruppe zu einem Angehörigen anderer freier Berufe herangezogen werden. Die Ungleichbehandlung zwischen Vertragsärzten und Rechtsanwälten hinsichtlich der Altersbeschränkung konnte nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Ärzte bei nachlassender Leistungsfähigkeit größeren Schaden hätten anrichten können. Dieser Annahme stand die weiterhin gegebene Möglichkeit für den betroffenen Arzt entgegen, Privatpatienten zu behandeln. 6. § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. statuierte eine mit dem AGG nicht zu vereinbarende Altersdiskriminierung. Da das AGG die Unwirksamkeit diskriminierender gesetzlicher Regelungen nicht anordnet, musste § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. direkt an der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG gemessen werden. Wegen der mangelnden Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG nach Ablauf der Umsetzungsfrist kommt ihr ausnahmsweise unmittelbare Wirkung zu mit der Rechtsfolge, dass § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V a. F. nicht angewendet werden durfte. Diese unmittelbare Wirkung der RL ist von Exekutive wie Judikative der Bundesre-

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publik zu beachten. Weiterhin blieb der bundesdeutsche Gesetzgeber nach Art. 16 RL dazu verpflichtet, den diskriminierenden § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. aufzuheben. Auch bei Beachtung der Grundsätze der Mangold-Rechtsprechung des EuGH musste § 95b Abs. 7 Satz 3 SGB Va. F. im Wege des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts zurücktreten, weil das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ist. Dieses Verbot ließ sich auch nicht durch angemessene und erforderliche Gründe sachlich rechtfertigen, da diese nicht vorlagen. Die Palacios-Entscheidung des EuGH hatte keinen Einfluss auf die rechtliche Einordnung der vertragsärztlichen Höchstaltersgrenze im SGB V als gemeinschaftsrechtswidrig.

Literaturverzeichnis Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen, Pressemitteilung vom 10. 10. 2007 – „Rahmen für Arzneimittelausgaben im Jahr 2007 vereinbart“. Arnold, Wiebke: Die Auswirkungen des GKV-WSG-Gesetzesentwurfs, des VÄG und des AGG auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Altersgrenze im Vertrags(zahn)arztrecht, in: MedR 2007, S. 143 ff. Axer, Peter: Einbeziehung der PKV in die GKV – Standard- und Basistarif als Gegenstand der Sicherstellung in der vertragsärztlichen Versorgung, abrufbar unter: http://www.dg-kassenarztrecht.de/Veroeffentlichungen/Thesenpapiere_200711/Axer_Thesenpapiere_081107.pdf Bayreuther, Frank: Altersgrenzen nach der Palacios-Entscheidung des EuGH, in: DB 2007, S. 2425 ff. Berliner Budget-Bulletin, abrufbar unter http://www.kvberlin.de Bertelsmann, Klaus: Altersgrenze 65, EuGH und AGG, in: Arbeitsrecht im Betrieb 2007, S. 689 ff. Boecken, Winfried: Die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte aus EG-rechtlicher Sicht, in: NZS 2005, S. 393 ff. Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung Nr. 111 vom 22. 09. 2006 – „Mehr Flexibilität und Entscheidungsfreiheit für Ärztinnen und Ärzte“. Calliess, Christian / Ruffert, Matthias: Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Aufl., München 2007. Ebsen, Ingwer: Bedarfsorientierte Regulierungen der Zulassung von Leistungserbringern zur Gesetzlichen Krankenversicherung und das Grundrecht der Berufsfreiheit, in: ZSR 1992, S. 328 ff. Gesellensetter, Catrin: Die Annäherung des Freien Arztberufes an das Gewerbe, Berlin 2007. Grabitz, Eberhard / Hilf, Meinhard (Hrsg.): Das Recht der Europäischen Union, Band III, München, Stand: Oktober 2007. Isensee, Josef: Das Recht des Kassenarztes auf angemessene Vergütung, in: VSSR 1995, S. 321 ff. Jarass, Hans D. / Pieroth, Bodo: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl., München 2007. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, München, Stand: Oktober 2008. Larenz, Karl / Canaris, Claus-Wilhelm: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., München 1995. Laufs, Adolf / Uhlenbruck, Wilhelm (Hrsg.): Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., München 2002.

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Sachverzeichnis Annexkompetenz 24 ff., 85 Basistarif 50 ff., 88 f. – Behandlungspflicht 57 ff., 88 – Berufsfreiheit 60 f. – Gebührensätze 60 f., 88 – Sicherstellungsauftrag 50, 53 ff., 88 f. Behandlungspflicht 57 ff., 88 Berufsfreiheit 27 ff., 39 f., 42, 44 ff., 59 ff., 63 ff., 77, 85 ff., 89 Bonus-Malus-Regelung 14, 34 ff., 86 f. – Berufsfreiheit 39 f., 42, 77, 86 – Parlamentsvorbehalt 37 f., 42, 86 – Recht auf Leben 38 f., 86 – Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 36 f., 42, 86 Durchschnittskosten 35 ff., 87

– Gleichheitssatz, allgemeiner 71 f., 90 – Parlamentsvorbehalt 72, 89 – Verhältnismäßigkeit 64 ff., 71, 74 f., 89 f. Parlamentsvorbehalt 37 f., 42, 72, 86, 89 Privatarzt 29 f., 57 ff., 63, 67, 76, 83, 86 f., 89 Recht auf Leben 38 f., 86 Rechtsstaatsprinzip 36 f., 41, 86 Schutzpflicht, grundrechtliche 38 f., 86 Sicherstellungsauftrag 50, 53 ff., 88 f. Sozialversicherung 16 f., 22, 26, 38, 59, 85 Vereinigungsfreiheit 32 f., 46 ff., 87 Vertragsarzt 30 f., 42 ff., 54 ff., 62 ff., 84 ff., 89 f.

Gesetzgebungskompetenzen 15 ff., 22 ff., 59 f., 85, 88 Gleichheitssatz, allgemeiner 32, 71 f., 90

Wesentlichkeitstheorie 37 f., 72 Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 36 f., 42, 86 Wirtschaftlichkeit 34 f., 37 f., 40, 54, 57, 62, 86 ff.

Handlungsfreiheit, allgemeine 33 Höchstaltersgrenzen 62 ff., 89 ff. – AGG 72 ff., 90 – Antidiskriminierungsrichtlinie 72 f., 75 ff., 90 – Berufsfreiheit 63 ff., 84, 89 – Eigentumsfreiheit 70 f., 84, 90

Zulassungssperre 44 ff., 87 Zulassungsverzicht, kollektiver 42 ff., 87 f. – Berufsfreiheit 44 ff., 87 f. – Verbot von Einzelverträgen 49 f., 87 f. – Vereinigungsfreiheit 46 ff., 87 f. – Vergütungsbeschränkung 47 ff., 87 – Zulassungssperre 44 ff., 87

Eigentumsfreiheit 31 f., 70 f., 84, 90