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German Pages 232 Year 1982
Lothar Kremendahl Humes verborgener Rationalismus
W DE G
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland
Band 17
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1982
Humes verborgener Rationalismus von Lothar Kreimendahl
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1982
CIP-Kurztitelauf nähme der Deutschen Bibliothek Kreimendahl, Lothat: Humes verborgener Rationalismus / von Lothar Kreimendahl. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1982. (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 17) ISBN 3-11-008865-7 NE: GT
© 1982 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer • Karl J. Trübner · Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter Pieper, Würzburg Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin
Inhaltsverzeichnis Zur Zitierweise 1.
Einleitung
2.
Die Rekonstruktion der Analyse des Kausalitätsbegriffs
3. 3.1. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.2.5
VII 1 .
.
7
Die epistemologischen Prämissen Die präliminarische Distinktion aller Bewußtseinsinhalte in Eindrücke und Vorstellungen Das empiristische Grundprinzip Die Unterscheidung der Perzeptionen in einfache und zusammengesetzte Die „Copy"-These Die Beweise des empiristischen Grundprinzips Das Problem der fehlenden Blauschattierung Identifizierungsprobleme
14
Das Verschiedene, Unterscheidbare und Trennbare (Humes Axiom) 4.1. Die Ableitung und die Struktur des Axioms 4.2. Die Anwendungen des Axioms 4.2.1. Die Anwendung des Axioms in der Kritik des Kausalitätsbegriffs („Treatise" 1,3,3) 4.3. Die Tilgung des Axioms 4.3.1. Das Axiom und der Appendix des „Treatise"
15 28 29 31 38 59 67
4.
5. 5.1. 5.2. 6.
Die Possibilitätstheorie Der Einfluß der rationalistischen Tradition Die Possibilitätstheorie im Kontext der theoretischen Philosophie Humes Die Unterscheidung von Vorstellungsbeziehungen und Tatsachenfragen (Humes „Fork")
74 77 96 100 128 137 147 150 161 172
Inhaltsverzeichnis
VI
6.1.
6.2.
Humes „Fork" vor dem Hintergrund der früh-neuzeitlichen Philosophie und der theologischen Gewißheitsdebatte des 17. Jahrhunderts Humes „Fork" im Kontext seines empiristischen Systems . .
7.
Konsequenzen für die Beurteilung des Humesdien Empirismus 205
8.
Literaturverzeichnis
Namen- und Sachverzeichnis
177 194
209 217
Zur Zitierweise Eine kritische, audi modernen editorischen Ansprüchen genügende Gesamtausgabe der Werke Humes liegt noch nicht vor, wird aber von der Hume-Society für die nächsten Jahre g e p l a n t B i s zu ihrem Erscheinen bleiben die von Thomas Hill Green und Thomas Hodge Grose edierten vierbändigen „Philosophical Works" die vollständigste Werkausgabe. Wenn dennoch im folgenden nur gelegentlich aus ihr zitiert wird, so deshalb, weil diejenigen Texte, mit denen sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich auseinandersetzt, in moderneren Editionen vorliegen, nach denen in der HumeForschung üblicherweise zitiert wird. Um den Anmerkungsteil zu entlasten und um eine Überprüfung der angeführten Stellen aus Humes Werken nicht zu komplizieren, habe ich die Belegstellen direkter Zitate in den fortlaufenden Text einbezogen. Ob der originalsprachige Text oder die deutsche Übersetzung zitiert wird, richtet sich — und dies gilt nicht nur hinsichtlich der Humeschen Schriften — nach der Relevanz des jeweiligen Zitats für den Argumentationszusammenhang. In der Regel habe ich midi immer dann für die Übersetzung entschieden, wenn dem Zitat lediglich eine Belegfunktion zukommt. Der deutsche Text ist fast immer den Übersetzungen entnommen, so wie sie unten angeführt sind, doch habe ich diese durch eigene Übersetzungen ersetzt, wenn es mir angebracht erschien. Insbesondere die von Theodor Lipps kurz nach der Jahrhundertwende veranstaltete Übersetzung des „Treatise of Human Nature" weist neben einigen Schwächen auch eine beträchtliche Anzahl gravierender, weil irreführender Fehler auf 2 . In Fällen eigener Übertragung unterbleibt natürlich eine Stellenangabe der deut1 2
Vgl. Günter Gawlick: Zwischen Empirismus und Skeptizismus. Neue Literatur zu David Hume (I). Philosophische Rundschau 26 (1979), S. 162. Auf einige dieser Schwächen kommt auch Gawlick (a. a. O., S. 165n) in seiner Sammelrezension zu sprechen, in der er neben neun neueren Arbeiten zu Hume und seiner Philosophie auch zwei Textausgaben seiner Werke bespricht. Hierzu zählt der unveränderte Nachdruck der Lippsschen "Übersetzung, den Reinhard Brandt mit einer neuen Einleitung 1973 herausgegeben hat. Gawlick beurteilt die Qualität der Lippsschen Übersetzung recht wohlwollend: Trotz der häufigen Schwächen der Übersetzung und der Willkür, mit der Lipps in die Struktur des Humeschen Textes eingreift, hält er sie für „im ganzen brauchbar" (ebd., S. 165n).
VIII
Zur Zitierweise
sehen Ubersetzung, die ich ansonsten dem Nachweis des englischsprachigen Zitats hinzugefügt habe, um so auch die Benutzung der deutschen Ausgaben der Werke Humes zu ermöglichen. Bis auf wenige, nur einige Worte umfassende Zitate ist auch die übrige fremdsprachige Literatur übersetzt, sofern es sich dabei um Quellentexte und nicht um Sekundär-Literatur im engeren Sinne handelt. Auch hier habe ich so weit wie möglich auf die eingebürgerten deutschen Editionen zurückgegriffen. Der deutsche Text von Descartes' „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie" wird in der durch Lüder Gäbe überarbeiteten Übersetzung Artur Buchenaus zitiert und durch Angabe des Herausgebers (Gäbe) von der älteren Übersetzung Buchenaus unterschieden, nach der die »Einwände" und Descartes' „Erwiderungen" zitiert werden (Buchenau). Die Übersetzung stammt immer dann vom Verfasser, wenn kein Beleg für sie angegeben wird. Dies war in einigen Fällen mangels vorliegender deutscher Übersetzungen unumgänglich. Wird der fremdsprachige Text in Übersetzung zitiert, dann ist auf jeden Fall die Stelle des Originals zur Überprüfung mit angegeben. Eine Ausnahme bilden nur die englischsprachigen Texte. Hier glaubte ich, auf eine Übersetzung verzichten zu dürfen. Die zitierten Werke Humes und — soweit solche vorliegen — ihre deutschen Ausgaben sind wie folgt gesigelt. Soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt wird, entstammen alle Zitate diesen Ausgaben und Übersetzungen. PW
= The Philosophical Works. Edited by Thomas Hill Green and Thomas Hodge Grose. 4 Bde. Reprint of the new edition London 1882—1886. Aalen 1964.
ΤΗΝ/ΤΜΝ
= A Treatise of Human Nature. Edited, with an Analytical Index, by L. A. Selby-Bigge. 2nd edition with text revised and variant readings by P. H.Nidditch. Oxford 1978. (künftig: „Treatise"). Ein Traktat über die menschliche Natur (A Treatise of Human Nature). Buch I—III. Deutsch mit Anmerkungen und Register von Theodor Lipps. Mit einer Einführung neu hg. von Reinhard Brandt. Hamburg 1973. Da Lipps die drei Bücher des „Treatise" nicht durchpaginiert hat, sondern ab dem zweiten Buch mit der Seitenzählung wieder von vorn anfängt, bedeutet eine II
Zur Zitierweise
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nach dem Sigel, daß das Zitat der Aflektenlehre oder der Moralphilosophie entstammt. ATHN/ATMN = An Abstract of A Book lately Published; Entituled, A Treatise of Human Nature, etc. Wherein the Chief Argument of that Book is farther Illustrated and Explained. In: David Hume: A Treatise of Human Nature. Edited, with an Analytical Index, by L. A. Selby-Bigge. 2nd Edition with text revised and variant readings by P. H. Nidditch. Oxford 1978, S. 641—662. (künftig: „Abstract"). Abriß eines neuen Buches, betitelt: Ein Traktat über die menschliche Natur etc. Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh. Übersetzt und mit einer Einleitung hg. von Jens Kulenkampfl. Hamburg 1980. LFG/BEE
= Α Letter from a Gentleman to his Friend in Edinburgh. Edited by Ernest C. Mossner and John V. Price. Edinburgh 1967. (künftig: „A Letter"). Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh. Zusammen mit: Abriß eines neuen Buches, betitelt: Ein Traktat über die menschliche Natur etc. Übersetzt und mit einer Einleitung hg. von Jens Kulenkampfl. Hamburg 1980.
EHU/UMV
= An Enquiry Concerning Human Understanding. Zusammen mit: An Enquiry Concerning the Principles of Morals. Reprinted from the Posthumous Edition of 1777 and Edited with Introduction, Comparative Table of Contents, and Analytical Index by L. A. Selby-Bigge. 3rd Edition with text revised and notes by P. H. Nidditch. Oxford 1975. (künftig „Enquiry"). Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Übersetzt und hg. von Herbert Herring. Stuttgart 1971.
DCNR/DNR
= Dialogues Concerning Natural Religion. Edited, with an introduction, by Norman Kemp Smith. 12th Printing Indianapolis 1977. (künftig: „Dialogues").
χ
Zur Zitierweise
Dialoge über natürliche Religion. Auf der Grundlage der Übersetzung von Friedrich Paulsen (3. Aufl. 1905) neu bearbeitet, eingeleitet, mit bibliographischen Hinweisen und Register versehen von Günter Gawlick. 4., verbesserte Aufl. Hamburg 1968. EM
= Hume's Early Memoranda, 1729—1740: The Complete Text. Edited with Foreword by Ernest Campbell Mossner. Journal of the History of Ideas 9 (1948), S. 492— 518. (künftig: „Early Memoranda").
MOL
= My Own Life. In: Ernest Campbell Mossner: The Life of David Hume. 2nd Edition Oxford 1980, S. 611—615.
L
= The Letters of David Hume. Edited by J. Υ. T. Greig. 2 Bde. Reprint Oxford 1969.
NL
= New Letters of David Hume. Edited by Raymond Klibansky and Ernest C. Mossner. Reprint Oxford 1969.
1. Einleitung Primärer Gegenstand dieser Untersuchung sind die Grundlagen der theoretischen Philosophie David Humes und damit zugleich die Grundlagen seines Empirismus. Gefragt wird nach dem Status jener fundamentalen Prinzipien seines Systems, die sowohl seiner Kritik am rationalistischen Kausalitätsbegriff als auch seiner eigenen Theorie der Kausalität zugrunde liegen. Diese Grundprinzipien sind nach Hume den Sätzen der Naturwissenschaft gegenüber in keiner grundsätzlichen Weise methodologisch ausgezeichnet: Trotz ihres hohen Abstraktionsgrades gründen auch sie letztlich in Erfahrung 1 . So sind die fundamentalsten Sätze der Humesdien „Wissenschaft vom Menschen", die ihrerseits die Grundlage aller übrigen Wissenschaften bildet, keiner anderen Legitimation fähig als des empirischen Nachweises, daß es sich bei ihnen gleichsam um anthropologische Konstanten handelt, die unauflösbar mit der menschlichen Natur verknüpft sind. Was ein Prinzip im Sinne dieser zu etablierenden Wissenschaft vom Menschen ist, definiert sich damit vor dem Hintergrund eines bestimmten Menschenbildes. Wie aber ist das Verhältnis dieser Prinzipien zueinander bestimmt und gründen sie tatsächlich allesamt in der Erfahrung? Mit dieser Frage setzt die Untersuchung ein. Hume selbst hat weder dem Problem des Nachweises der empirischen Genesis seiner Grundprinzipien noch ihrer Hierarchie und Kompatibilität Beachtung geschenkt. Eine Ausnahme bildet hier nur sein empiristisches Prinzip, nach dem alle Vorstellungen vorausgegangenen Eindrücken entstammen. Für diesen fundamentalen Satz, den Hume bisweilen dadurch aufwertet, daß er ihn als sein „erstes" Prinzip in der Wissenschaft von der menschlichen Natur bezeichnet2, führt er mehrere Beweise an, die zugleich seine empirische Genesis belegen sollen. Doch ist nirgendwo in seinem Werk ein ernstzunehmender Ansatz zur Identifizierung aller tragenden Prinzipien seines Systems und zur Definition ihres Geltungsbereiches zu finden, geschweige daß ihre Kompatibilität miteinander gezeigt sowie der Nachweis ihres tatsächlich empirischen Ursprungs geführt würde. ι Vgl. ΤΗΝ XVI/TMN 4, ΤΗΝ XVII/TMN 5. 2 2. Β. ΤΗΝ 7/TMN 16.
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Einleitung
Die erste Aufgabe muß also in einer Identifizierung derjenigen Prinzipien bestehen, auf denen Humes theoretische Philosophie tatsächlich fußt. Zu diesem Zweck habe ich im zweiten Kapitel Humes Analyse des Kausalitätsbegriffs rekonstruiert, so wie er sie im „Abstract" vorträgt. Diese Vorgehensweise bietet sich an, weil Hume mit dem Untertitel dieser Selbstrezension ausdrücklich bestätigt, was ohnehin kaum einem Leser seiner Schriften entgangen sein dürfte, daß nämlich im Zentrum seiner theoretischen Philosophie das Kausalitätsproblem steht. Was aber darüber hinaus für die Wahl der Rekonstruktion der Analyse des Kausalitätsbegriffs spricht, so wie sie der „Abstract" enthält, ist Humes Ankündigung im Vorwort dieser Schrift, er habe hier das Hauptargument des „Treatise", also den Nachweis, daß die Kausalität nicht in der Rationalität des Menschen, sondern in Erfahrung und Gewöhnung gründet, frei von allen ablenkenden Folgerungen und Konsequenzen präsentiert 3 . Folglich darf man hoffen, durch eine rationale Rekonstruktion des von Hume selbst schon auf das Notwendigste reduzierten Gedankenganges das logische Argumentationsminimum herausfiltrieren zu können, das dann mit einer vergleichsweise hohen Sicherheit diejenigen Prinzipien erkennen läßt, die zurecht als die Grundprinzipien seiner theoretischen Philosophie bezeichnet werden dürfen. Genauer gesagt, sind es somit die der negativ-destruktiven Phase seiner theoretischen Philosophie zugrundeliegenden Prinzipien, die durch diese Methode in den Blick gelangen. Wenn ich mich auf ihre Untersuchung beschränke und von so zentralen Lehrstücken wie der psychologischen Erklärung kausalen Schließens oder der Theorie des Glaubens (belief) absehe, dann deshalb, weil die konstruktive Phase insgesamt aus der destruktiven hervorgeht und damit implizit auch auf den dort eingesetzten Prinzipien beruht, diese Lehrstücke also nicht gleich ursprünglicher Natur sind. Ein Vergleich mit den kritischen Analysen des Kausalitätsbegriffs im „Treatise" und in der „Enquiry" zeigt, daß die derart eruierten Prinzipien in der Tat nicht nur konstitutiv für die destruktive Phase der theoretischen Philosophie Humes sind, sondern seiner Philosophie insgesamt zugrunde liegen: Sowohl die Affektenlehre als audi die Moral- und die Religionsphilosophie sind von ihnen geprägt. So birgt die Frage nach Ursprung, Legitimation und Verträglichkeit jener fundamentalen Sätze die weiterreichende Frage nach der Konsistenz des Humeschen Systems und damit nach der Akzeptabilität seines Empirismus überhaupt in sich.
3 Vgl. ATHN 643—644/ATMN 3—5.
Einleitung
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Es sind nun vier Prinzipien, die auf solche Weise gewonnen werden. Vor dem Hintergrund der hier einschlägigen Schriften Humes — also neben des „Abstract" vor allem des ersten Buchs des „Treatise" und der ersten „Enquiry" — werden sie in den folgenden Kapiteln nacheinander analysiert und diskutiert. Da sich in der Untersuchung zeigt, daß das Postulat ihres empirischen Ursprungs entgegen der Behauptung Humes nicht aufrechterhalten werden kann, müssen die Voraussetuzngen, auf denen die Prinzipien beruhen und über die Hume sich selbst keine Rechenschaft ablegt, in der Diskussion berücksichtigt werden, so daß die Frage nach der Kompatibilität der grundlegenden Sätze auf ihre Präsuppositionen ausgedehnt werden muß, will man die Konsistenz des Humeschen Empirismus in einer grundsätzlicheren Weise beurteilen können. Das Instrumentarium, das Hume in seiner Kritik am Kausalitätsbegriff verwendet, ist nämlich nicht neu, es vereinigt Lehrstücke verschiedener geistesgeschichtlicher Provenienz in sich, deren Herkunft zum größten Teil identifizierbar ist. Daß Hume in der Epistemologie weitgehend John Locke folgt, dessen einschlägige erkenntnistheoretische Überlegungen er ohne große Änderungen für sein System übernimmt, ist seit langem hinlänglich bekannt. Die Diskussion des ersten, empiristischen Grundprinzips im dritten Kapitel verzichtet deshalb darauf, die Abhängigkeit Humes von Locke in diesem Punkt nochmals nachzuweisen und konzentriert sich auf die Erörterung der immanenten Schwierigkeiten und Inkonsistenzen der Epistemologie mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die hierauf aufbauenden Lehrstücke seiner Philosophie. Die Auseinandersetzung mit Humes Kritik des Kausalitätsbegriffs und der Nachweis, warum sie nicht mit letzter Konsequenz durchschlägt, erfolgt im vierten Kapitel anläßlich der Thematisierung des zweiten Prinzips seiner theoretischen Philosophie, das ich das „Axiom" genannt habe. Mit diesem Terminus bezeichne ich Humes These, daß alles, was verschieden ist, auch unterscheidbar ist, und alles, was unterscheidbar ist, auch trennbar ist. Ihre Bedeutung für die Humesche Philosophie ist trotz einiger Hinweise den Augen der überwiegenden Mehrzahl der Forscher bisher entgangen. Die Distribution des Axioms — es kommt außer im ersten Buch des „Treatise" nur noch in dem später entstandenen „Appendix" vor — weist auf eine philosophische Entwicklung des jungen Hume hin, denn die Identifizierung der Probleme, zu deren Lösung Hume es einsetzt, läßt die Gründe erkennen, die ihn veranlaßt haben, es bereits vor der Niederschrift des „Abstract" preiszugeben. Hieraus wiederum ergibt sich eine Bestätigung der werkgenetischen These von Norman Kemp Smith, wonach die Bücher II und I I I
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Einleitung
des „Treatise" in ihrer ersten Ausarbeitung früher entstanden sind als die Erkenntnistheorie von Buch I. Die Berücksichtigung des philosophiegeschichtlichen Kontextes war bei der Diskussion der Prinzipien erforderlich, die in den beiden folgenden Kapiteln thematisiert werden. Sie bestehen aus jeweils einem historischen und einem systematischen Teil. Denn sowohl für seine Possibilitätstheorie als auch für seine Unterscheidung der Erkenntnisinhalte in Vorstellungsbeziehungen und Tatsachenfragen — beides zentrale Lehrstücke, an denen Hume vom „Treatise" an bis zu den seit Anfang der 50er Jahre entstehenden „Dialogues" festhält — sind historische Vorläufer identifizierbar, die ihm nachweislich bekannt waren und an die er mehr oder minder unmittelbar anknüpft. Am deutlichsten dürfte dies wohl der Diskussion des Possibilitätskriteriums zu entnehmen sein, die im fünften Kapitel erfolgt: Hume löst es aus der rationalistischen Tradition heraus und übernimmt es ungeachtet der sich daraus ergebenden Widersprüche in sein System. Wie schon aus dem fünften Kapitel, so geht auch aus dem historischen Abschnitt des folgenden Kapitels hervor, daß ein Rationalismus vorwiegend Cartesischer und Leibnizscher Provenienz wohl nachhaltiger auf die Formulierung der grundlegenden Prinzipien des Humeschen Systems eingewirkt hat, als man bislang anzunehmen geneigt war. Doch ist dies nur die eine Komponente, die in das Instrument eingeht, mit dem Hume den Bereich des notwendig Wahren von dem des Kontingenten trennt. Die andere Komponente weist auf die im England des 17. Jahrhunderts ausgetragene Debatte über den Gewißheitsanspruch theologischer Urteile hin, so wie sie ihm aus den Schriften John Tillotsons bekannt war. Die schon im vierten Kapitel im Zusammenhang der Analyse von Humes Kritik am Kausalitätsprinzip geäußerte Vermutung, daß es nicht zuletzt religionsphilosophische Probleme waren, die Hume philosophisch produktiv werden ließen, erhärtet sich hier. Gleichsam als Nebenprodukt des Nachweises, daß schon der frühe Hume die Schriften des späteren Erzbischofs von Canterbury und die darin vorgetragenen evidenz- und beweistheoretischen Überlegungen kannte, ergibt sich die Vermutung, daß Tillotsons Predigten und Abhandlungen den intellektuellen Hintergrund bildeten, der Hume während seines Aufenthaltes in La Fleche sein methodologisches Argument gegen den Glauben an die Möglichkeit von Wundern finden ließ. Das abschließende siebte Kapitel zieht die Konsequenzen der vorausgegangenen Analysen und Ergebnisse für die Beurteilung der Humeschen Kritik am Kausalitätsbegriff und damit für die Akzeptabilität seines empiristischen Systems.
Einleitung
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So führt die Frage nach Humes ersten Prinzipien in das Gebiet philosophiehistorischer Untersuchungen, ein Gebiet, das von der Hume-Forsdhung bislang stark vernachlässigt worden ist. Dabei zeigt sich, daß Hume für die Formulierung der tragenden Pfeiler seines Systems, so wie sie hier ermittelt wurden, keine Originalität zugesprochen werden kann. Er vereinigt diese von ihm bisweilen verfeinerten Elemente, soweit sie ihm zur Erreichung seiner philosophischen Absichten geeignet zu sein scheinen, zu einem System, ohne über deren Verträglichkeit miteinander zu reflektieren. Damit verfolgt die vorliegende Arbeit zwei Zielsetzungen: Zum einen fragt sie aus einem systematischen Interesse heraus nach der Konsistenz des Humeschen Empirismus, zum anderen versucht sie, einen Beitrag zur Aufdeckung der geistesgeschichtlichen Voraussetzungen zu leisten, ohne die Humes Philosophie undenkbar wäre. Beides zusammen macht eine Korrektur am derzeitigen Bild des Philosophen Hume erforderlich: Seine Philosophie ist durchaus inkonsistenter als man gemeinhin konzediert und nachhaltiger von der Diskussion des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts geprägt, als bislang angenommen wird. Wollen wir sie verstehen, dann dürfen wir nicht bei einer systemimmanenten Interpretation seiner Schriften stehen bleiben. Die Bemühungen um sie müssen vielmehr auf die Erschließung des geistesgeschichtlichen Kontextes ausgedehnt werden, in dem sie verankert sind. Damit verknüpft ist die Forderung nach einer entwicklungsgeschichtlichen Interpretation der Humeschen Philosophie als Ergänzung zur textimmanenten Exegese; einer Interpretationsweise, wie sie u. a. in der Kant-Forschung seit langem üblich ist und zu fruchtbaren Ergebnissen geführt hat. Sie könnte Aufschluß über die philosophischen Absichten des jungen Hume geben, uns seine Motive und deren Wandlungen verstehen lassen und damit einen Einblick in den Prozeß des Humeschen Philosophierens gewähren, der audi die alte Frage nach dem Verhältnis des ersten Buchs des „Treatise" und seiner Umarbeitung zur „Enquiry" in einem neuen Licht erscheinen lassen dürfte. Im vierten Kapitel habe ich versucht, einen solchen Entwicklungsprozeß von Humes Denken im „Treatise" aufzuzeigen und die dafür maßgeblichen Gründe zu identifizieren. Allerdings ist die Hume-Forschung hier aufgrund der Quellenlage in einer ungleich schwierigeren Situation als die Kant-Forschung. Es gilt daher, 'allererst die Voraussetzungen zu schaffen, auf die eine entwicklungsgeschichtliche Interpretation sich stützen könnte. Hierzu zählt die Identifizierung der Einflüsse, die in dem Schaffen des jungen Hume wirksam geworden sind. In den philosophiehistorischen Abschnitten dieser Arbeit habe ich. midi bemüht, dies für das eine oder andere seiner Argumente zu leisten.
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Einleitung
Da jedoch das Interesse an Humes Empirismus als philosophischem System im Vordergrund der Arbeit steht, habe ich einige dieser historischen Exkurse in die Anmerkungen verlegt. Dort findet auch die Auseinandersetzung mit der Sekundär-Literatur zum größten Teil statt.
2. Die Rekonstruktion der Analyse des Kausalitätsbegriffs Aufgabe dieses Kapitels ist es, diejenigen Prinzipien der Humesdien Philosophie zu ermitteln, die seiner Kritik am rationalistischen Kausalitätsbegriii zugrunde liegen. Dabei gehe ich so vor, daß ich Humes Analyse, wie er sie im „Abstract" vorträgt, unter Verwendung der Methode der Dezimalnotation rekonstruiere. Die Gründe, die für die Wahl dieses Textes sprechen, sind in der Einleitung bereits dargelegt worden. Hume selbst gibt hier eine knappe Darstellung seines Gedankenganges. Indem er weitgehend auf eine Begründung der Elemente seiner Argumentation verzichtet und die sich aus seinen Resultaten ergebenden Konsequenzen für sekundäre Probleme nicht weiter verfolgt, hofft er, dem „Hauptargument" (chief argument) des „Treatise" eine erhöhte Durchschlagskraft zu geben und damit das Interesse des Publikums auf jenes Werk selbst zu lenken. Eine nochmalige Reduktion dieses Argumentationssubstrats scheint somit am ehesten geeignet, diejenigen Prinzipien in den Blick treten zu lassen, die für Humes theoretische Philosophie konstitutiv sind. Humes Argumentation setzt im „Abstract" mit dem ersten Absatz ATHN 647/ATMN 15 ein und endet mit dem zweiten Absatz ATHN 652/ATMN 29 mit der Feststellung, daß nicht die Vernunft, sondern die Gewohnheit die Führerin des Lebens sei. Zwischenzeitlich hat sich nämlich herausgestellt, daß die Kausalität, durch die wir Kenntnis auch über die Tatsachen erhalten, die nicht unmittelbar den Sinnen oder dem Gedächtnis gegenwärtig sind, nicht in der Rationalität des Menschen, sondern in Erfahrung und Gewohnheit gründet. Bei der nun folgenden Rekonstruktion, die in Übersetzung angeboten wird, habe ich versucht, möglichste Nähe zu Humes Sprache und Terminologie zu wahren.
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Die Rekonstruktion der Analyse des Kausalitätsbegriffs
1. Was immer dem Geist gegenwärtig sein kann, heißt eine „Perception" . 1.1. Diese Perzeptionen sind entweder Eindrücke oder Vorstellungen. 1.2. Alle Vorstellungen oder schwächeren Perzeptionen sind Abbilder unserer Eindrücke oder stärkeren Perzeptionen. 2. Alle Tatsachen betreffenden Überlegungen gründen in der UrsacheWirkung Beziehung. 3. Alle Überlegungen hinsichtlich Ursache und Wirkung gründen entweder in der Vernunft oder in der Erfahrung. 3.1. Sie gründen nicht in der Vernunft, denn dann wären kausale Zusammenhänge demonstrierbar. Beweis: 3.1.1. Was immer wir uns vorstellen können, ist möglidi. 3.1.2. Wir können uns zu jeder Ursache jede Wirkung als deren Folge vorstellen. 3.1.3. Bei Demonstrationen aber ist das Gegenteil unmöglich und impliziert einen Widerspruch. 3.2. Also gründen alle Überlegungen hinsichtlich Ursache und Wirkung in der Erfahrung. 4. Alle in der Erfahrung gründenden Überlegungen beruhen auf der Annahme, daß der Lauf der Natur beständig der gleiche bleibt. 5. Diese Gleichförmigkeit kann entweder demonstriert oder durch Wahrscheinlichkeitsargumente bewiesen werden, oder sie gründet in der Gewohnheit. 5.1. Sie ist nicht demonstrierbar. Beweis: 5.1.1. Die Falschheit dessen, was möglich ist, kann niemals demonstriert werden. 5.1.2. Es ist möglich, daß sich der Lauf der Natur ändert, da wir uns eine solche Änderung vorstellen können. 5.2. Sie ist nicht durch Wahrscheinlichkeitsargumente beweisbar. Beweis: 5.2.1. Die Frage nach dieser Gleichförmigkeit ist eine Tatsachenfrage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung beantwortet werden kann. 5.2.2. Erfahrung aus der Vergangenheit kann aber nur aufgrund der Annahme einer Gleichförmigkeit von Vergangenheit und Zukunft als Beweis für etwas Zukünftiges gelten.
Die Rekonstruktion der Analyse des Kausalitätsbegriffs
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5.3. Also gründet die Annahme der Gleichförmigkeit von Vergangenheit und Zukunft in der Gewohnheit. 6. Die Gewohnheit, nicht die Vernunft ist daher die Führerin des Lebens. Diese Rekonstruktion erfaßt mit dem Nachweis, daß die Kausalität nicht in der Vernunft ihren Ursprung hat, nicht nur die negativ-destruktive Phase der Humeschen Kritik, sondern auch die positiv-konstruktive Phase, in der Hume zu zeigen versucht, daß und warum die Kausalität in Erfahrung und Gewohnheit gründet. Wenn die Rekonstruktion so angelegt ist, daß sie auch Humes positiven Beitrag zum Kausalitätsproblem mit berücksichtigt, dann nicht zuletzt um des Nachweises willen, daß seine eigene Theorie der Kausalität unmittelbar aus seiner Kritik erwächst und damit implizit auf den gleichen Prämissen fußt wie jene. Darüber hinaus läßt sich auf diese Weise gut zeigen, wie Humes fundamentale Prinzipien genuin mit seinen kritischen Intentionen verknüpft sind, denn in diese Phase fällt ihr erster Einsatz, ohne daß Hume in der konstruktiven Phase noch weitere, gleichermaßen fundamentale Prinzipien beizusteuern wüßte. Scheitert also die negative Phase aus Gründen der Inkonsistenz der ihr zugrundeliegenden Prinzipien oder wegen deren Inkompatibilität, dann scheitert damit zugleich auch die positive Phase. Das aber hieße nichts anderes, als daß in diesem Fall den nachfolgenden Lehrstücken seiner Philosophie — gleichgültig, ob sie sich auf die Ergebnisse der destruktiven oder der konstruktiven Phase stützen — der Boden entzogen würde. Insgesamt käme dies dem Urteil gleich, der Empirismus Humesdier Prägung sei ein nicht widerspruchsfrei formulierbares Konstrukt. Die oben aufgestellten Behauptungen gilt es zu erhärten. In der Rekonstruktion sind deutlich vier mehr oder weniger eng miteinander verbundene Schritte unterscheidbar, die für das Gelingen der Argumentation von unterschiedlicher Relevanz sind. Im Schriftbild sind sie durch Zwischenschaltung einer Blindzeile voneinander abgehoben. Doch wäre es ein Trugschluß zu glauben, daß auf jeden dieser vier Schritte eins der vier Prinzipien entfiele. Der erste Schritt — Satz 1. bis 1.2. — leistet die epistemologische Grundlegung von Humes empiristischem Programm. Welche konkrete Funktion ihm in der Argumentation zukommt, ist aus der Rekonstruktion nicht unmittelbar ersichtlich, und auch der Text des „Abstract" gibt hierüber keinen näheren Aufschluß. In der Tat hat es den Anschein, als könnte die Einführung dieser epistemologischen Prämissen in die Rekonstruktion der Analyse ersatzlos gestrichen werden, da weder sie noch das aus ihnen hervor-
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Die Rekonstruktion der Analyse des Kausalitätsbegriffs
gehende empiristische Grundprinzip (1.2.) einen erkennbaren Einfluß auf den Argumentationserfolg haben. Wie zutreffend audi immer diese Einschätzung sein mag, ein näherer Blick auf die weiteren Prinzipien macht deutlich, wie einige von ihnen in den epistemologisdien Prämissen gründen und von dort abgeleitet werden. Der Epistemologie wächst damit mittelbar eine eminente Bedeutung zu: Aus ihr geht nicht nur das empiristische Grundprinzip hervor, sondern sie stellt auch die Basis dar, in der namentlich zwei weitere fundamentale Prinzipien gründen. Der zweite Schritt — Satz 2. bis 3.2. — enthält nun — wenn auch versteckt — die restlichen drei der vier Prinzipien, die den eigentlichen Untersudiungsgegenstand dieser Arbeit bilden. Das erste dieser Prinzipien verbirgt sich hinter Humes lapidarer Feststellung, es sei „ . . . evident, daß alle Überlegungen, die sich mit Tatsachenfragen beschäftigen, auf der UrsacheWirkung Beziehung beruhen . . . " (ATHN649). Die Dichotomie aller möglichen Erkenntnisinhalte in Vorstellungsbeziehungen (relations of ideas) und Tatsachenfragen (matters of fact) ist hierbei vorausgesetzt. Für diese Unterscheidung hat sich im angelsächsischen Sprachraum spätestens seit dem vielbeachteten Kommentar A. Flews zur „Enquiry" die Bezeichnung „Humes ,Fork'" 1 eingebürgert, eine Bezeichnung, die ich im folgenden übernehmen werde. Humes „Fork" also ist von kaum zu überschätzender Bedeutung für sein System. Sie grenzt den Bereich des notwendig Wahren von dem des Kontingenten ab und läßt damit allererst das Kausalitätsproblem in den Blick treten, an dem Hume in der Folge dann so stark interessiert ist, daß sich kaum mehr als rudimentäre Ansätze zu einer Theorie der Vorstellungsbeziehungen auffinden lassen. Wie aber trennt man analytische von synthetischen Sätzen, wobei die letzteren nach Humes Meinung nur a posteriori gewonnen werden können, und hat Hume diese Grenze in Übereinstimmung mit seinem empiristischen Programm gezogen? Nach dieser vorausgesetzten Unterscheidung der Erkenntnisinhalte wendet sich Hume dem Bereich des Tatsächlichen zu. Aussagenlogisch betrachtet wird der Nachweis der empirischen Fundierung aller sich mit Ursache-Wirkung·Verhältnissen beschäftigenden Überlegungen durch einen disjunktiven Schlußmodus, genauer: des modus tollendo ponens erbracht: ρ V q Λ .p. -»• q. Kausalitätsurteile gründen entweder in der Vernunft oder in der Erfahrung. Da das erste Disjunktionsglied falsifiziert wird und damit zu ne-
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Antony Flew: Hume's Philosophy of Belief. A Study of His First „Inquiry". 3rd. impression London, New York 1969, S. 53.
Die Rekonstruktion der Analyse des Kausalitätsbegriffs
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gieren ist, folgt unmittelbar, daß das zweite wahr ist: Alle Überlegungen hinsichtlich Ursache und Wirkung gründen in der Erfahrung. Diese Falsifikation macht nun von den zwei weiteren Prinzipien Gebrauch. Da ist zunächst das Possibilitätskriterium, das in den Sätzen 3.1.1. und 3.1.3. sowie innerhalb des dritten Schrittes der Rekonstruktion in Satz 5.1.1. zum Tragen kommt. Nach ihm ist alles das möglich, was klar und deutlich vorgestellt werden kann. Das Gegenteil einer jeden Tatsache kann nun nach Hume klar und deutlich vorgestellt werden, und folglich ist es audi möglich. Anders liegt der Fall bei analytischen Wahrheiten, die einer Demonstration fähig sind. Ihr Gegenteil ist immer unmöglich, weil es nicht klar und deutlich vorgestellt werden kann, sondern stets einen Widerspruch involviert. Damit das Possibilitätskriterium aber zum Einsatz gebracht werden kann, bedarf es einer Klärung der Frage dessen, was alles gesondert vorgestellt werden kann. Audi hierüber gibt der „Abstract" kaum hinreichende Auskunft. Er begnügt sich für das hier allein interessierende Problem der Kausalität mit zwei Postulaten: Im zweiten Schritt wird mit Satz 3.1.2. behauptet, daß jede Ursache gesondert von jeder Wirkung vorgesellt werden könne. Diese These wird im dritten Schritt in Satz 5.1.2. dann generalisiert: Wir können uns nicht nur widerspruchsfrei zu einer singulären Ursache jede beliebige Wirkung als deren Folge vorstellen; auch die Vorstellung einer Änderung des gesamten Ablaufs der Natur, d.h. eine Außerkraftsetzung aller Naturgesetze ist für die Einbildungskraft widerspruchsfrei vollziehbar. Ausführlich äußert sich Hume zu diesem Problem der Trennbarkeit der Perzeptionen und der in ihnen gedachten Inhalte iim ersten Buch des „Treatise". Aus seinen empistemologiscben Prämissen entwickelt er mit dem Axiom ein Atomisierungsinstrument, das jeden Sachverhalt bis in seine Elemente zerlegt, denen dann immer noch die Möglichkeit zur gesonderten Existenz zugesprochen wird. Derart vermag Hume zu zeigen, daß keine reale Verknüpfung zwischen diesen kontingenten Elementen besteht. Damit sind die vier Lehrstücke gefunden, auf denen Humes Behandlung des Kausalitätsproblems beruht: die epistemologischen Prämissen, die „Fork", die Possibilitätstheorie und das Atomisierungsinstrument des Axioms. Eine knappe Darstellung der weiteren Argumentation wird die Behauptung belegen, daß Hume dabei auf diese und nur diese Prinzipien zurückgreift. Nachdem mit Satz 3.2. das Beweisziel des zweiten Schrittes in der Rekonstruktion erreicht ist, thematisiert Hume in einem dritten Schritt — Satz 4. bis 5.3. — die allen Erfahrungsschlüssen zugrunde liegende Annahme der
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Gleichförmigkeit von Vergangenheit und Zukunft und ihre Legitimation. Der Nachweis der Fundierung der Gleichförmigkeitsthese in der Gewohnheit wird formal betrachtet abermals in einem disjunktiven Schlußmodus erbracht: Sie kann entweder demonstriert oder durch Wahrscheinlichkeitsargumente bewiesen werden, oder sie gründet in Gewohnheit. In die Falsifikation des ersten Disjunktionsgliedes, das ihre Demonstrierbarkeit behauptet, sind zwei der vier Prinzipien eingegangen: das Possibilitätskriterium (5.1.1.) und das Axiom (5.1.2.). Nachdem feststeht, daß die Gleichförmigkeitsthese nicht demonstriert werden kann — denn sie betrifft eine Tatsachenfrage und das Gegenteil von Tatsachen ist stets möglich — falsifiziert Hume die zweite Möglichkeit, daß sie durch Argumente stützbar sei, die auf der Kausalitätsrelation basieren. Ein solcher Beweis nämlich würde einen Zirkel involvieren, denn alle Erfahrungsargumente setzen ja gerade die Gültigkeit der Gleichförmigkeitsthese voraus. Folglich gründet diese These in der Gewohnheit. In einem vierten Schritt schließlich — Satz 6. — wird das für den rationalistischen Kausalitätsbegriff vernichtende Gesamturteil ausgesprochen. Wenn wir durch die Kausalitätsrelation über Tatsadien informiert werden, und diese Relation nicht in der Vernunft, sondern in der Gewohnheit gründet, dann ist die Gewohnheit und nicht die Vernunft die eigentliche Führerin des Lebens. Die folgenden Kapitel werden weitgehend unabhängig von dieser Rekonstruktion die vier ermittelten Prinzipien diskutieren. Denn wie aus der Einleitung hervorgegangen sein dürfte, wurde die Rekonstruktion des Kausalitätsbegriffs vor allem aus heuristischen Gründen zur Ermittlung der fundamentalen Prinzipien der Humeschen Philosophie gewählt. Eigentliches Thema bleibt immer die Frage nadi dem Status, den Voraussetzungen und der Kompatibilität dieser zentralen Lehrstücke. Erst im letzten Kapitel werden die Konsequenzen aus den angefallenen Ergebnissen für eine Beurteilung des Humeschen Empirismus gezogen. Wenn die Besprechung der Prinzipien in einer anderen Reihenfolge erfolgt, als ihre Ermittlung anhand der Rekonstruktion nahelegen möchte, so deshalb, weil das Axiom eng mit dem Possibilitätskriterium verflochten ist und beide wiederum in mehr oder weniger unmittelbarem Zusammenhang mit den epistemologischen Prämissen stehen. Ihre vorgezogene Behandlung erschien aus diesen Gründen sinnvoll. Kann man aber sicher sein, auf der Textgrundlage des „Abstract" allein mit jenen vier Prinzipien in der Tat alle fundamentalen Sätze ermittelt zu haben auf denen Humes Behandlung des Kausalitätsproblems beruht? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage setzt wohl die Kenntnis aller ein-
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schlägigen Aussagen Humes hierzu voraus und kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit am ehesten für das abschließende Kapitel in Aussicht gestellt werden. Zu Beginn der Untersuchung läßt sich aber zumindest soviel sagen: Die kritische Argumentation gegen den rationalistischen Kausalitätsbegriff ist — wie D . C. S t o v e 2 zutreffend feststellt — in allen drei Texten der Substanz nach gleich. Ein Vergleich der Argumentation des „Treatise" und der „Enquiry" 3 mit der des „Abstract" führt nicht zur Entdeckung eines weiteren zentralen Lehrstücks, sondern bestätigt den fundamentalen Charakter der vier eruierten Prinzipien.
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„For the sceptical view which he took of inductive inference, David Hume only ever gave one argument" (D. C. Stove: Probability and Hume's Inductive Scepticism. Oxford 1973, S. 1). Im „Treatise" trägt Hume diese Argumentation in den Abschnitten zwei bis sieben des dritten Teils von Buch I vor. Sie verdichtet sich dort zu Beginn des sechsten Abschnitts „Of the inference from the impression to the idea" Ί Ή Ν 86—90/TMN 116—121. In der „Enquiry" ist der vierte Abschnitt „Sceptical Doubts Concerning the Operations of the Understanding" der entscheidende für die negativ-destruktive Phase. Erst im fünften Abschnitt „Sceptical Solutions of these Doubts" zieht Hume dort die positiven Folgerungen aus seiner Kritik. Diese Textpassagen identifiziert auch Stove (Probability and Hume's Inductive Scepticism, S. 30) als die relevanten.
3. Die epistemologischen Prämissen Die „Abstract"-Version der Analyse des Kausalitätsbegriffs läßt Hume mit der Etablierung seines empiristischen Grundprinizps beginnen. Im Gegensatz zum „Treatise", den er ebenfalls mit der Präsentation dieses Prinzips eröffnet, ist hier eine gewisse Nähe zu rationalistischen Verfahrensweisen deutlicher erkennbar. „Unser Autor (seil, der mit Hume identische Verfasser des .Abstract', L.K.) beginnt mit einigen Definitionen", die ihn zur Aufstellung des ersten Lehrsatzes (first proposition) führen, „ . . . daß alle unsere Vorstellungen oder schwachen Perzeptionen aus unseren Eindrücken oder starken Perzeptionen abgeleitet sind" (ATHN 6 4 7 ) l . So beginnt etwa auch Spinozas „Ethica" mit Definitionen, die ggf. erläutert werden und denen die Axiome und Lehrsätze (propositiones) 2 folgen, deren Begründung bzw. Beweis durch jene zwei geleistet wird 3 . Die Strategie dieser Eröffnungsphase erinnert somit an rationalistische Methoden und läßt eine nicht unbeVgl. kontrastiv hierzu die Einführung des epistemologisdien Grundprinzips in Abschnitt I I der „Enquiry". Die Unterscheidung zwischen Eindrücken und Vorstellungen als Perzeptionen von unterschiedlicher Stärke und Lebhaftigkeit gewinnt er dort aus einem argumentum ad hominem: „Jedermann wird bereitwillig zugeben, daß ein beträchtlicher Unterschied zwischen den Perzeptionen des Geistes besteht, wenn ein Mensch den Schmerz übermäßiger Hitze empfindet oder die Wohltat angenehmer Wärme und wenn er sich nachher diese Wahrnehmung ins Gedächtnis zurückruft oder sie in der Einbildungskraft vorwegnimmt" (UMV 31/EHU 17). Es fällt auf, daß Hume eingangs des zweiten Abschnittes nur mit dem nicht spezifizierten Terminus „Perzeption" arbeitet und die Termini „Eindruck" und „Vorstellung" erst im dritten Absatz zur Bezeichnung der aus jenem Argument gewonnenen Unterscheidung zweier Perzeptionsklassen einführt. Diese Präsentation des epistemologisdien Fundaments präsupponiert somit die explizite Definition aller möglichen Bewußtseinsinhalte als Perzeptionen, mit der Hume die Argumentation im „Abstract" eröffnet. 2 Spinoza: Ethica. Opera. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hg. von Carl Gebhardt. Heidelberg o. J . (1925), Bd. I I , S. 45 ff. 3 Vgl. etwa auch den Anhang zu Descartes' Antwort auf die zweiten Einwände gegen seine „Meditationen", der ebenfalls in diesem — wie Descartes sagt — „synthetischen Stil" abgefaßt ist. Descartes: Oeuvres. Publiees par Charles Adam et Paul Tannery. Nouvelle Presentation, en Co-Edition avec le Centre National de la Recherche Scientifique. Paris 1964 ff., Bd. V I I , S. 159 und 160 ff. (künftig: Adam/ Tannery)
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trächtliche Zuversicht in die Macht der Definition erkennen. Nun sind nicht nur die zentralen Entscheidungen ζ. B. der Spinozischen Philosophie durch die wenigen, gleich eingangs präsentierten Definitionen und Axiome prädeterminiert 4; audi mit den Humeschen Definitionen sind die Weichen auf bestimmte Positionen hin bereits gestellt. Die weitreichenden Konsequenzen lassen den epistemologischen Prämissen, mit deren Einführung Hume in den drei erwähnten Schriften jeweils die Argumentation eröffnet, eine besondere Bedeutung zukommen.
3.1. Die präliminarische Distinktion aller Bewußtseinsinhalte in Eindrücke und Vorstellungen Um das empiristische Grundprinzip etablieren zu können, bedarf es einer vorbereitenden Präsentation der beiden Perzeptionsklassen der Eindrücke und Vorstellungen. Sie sind über die sog. „Copy"-Beziehung5 miteinander verbunden und bilden die beiden Relate des empiristischen Grundprinzips. Die Bezeichnung dieser Distinktion als präliminarische ergibt sich aus dieser Perspektive. Nachdem feststeht, daß Hume zur Einführung dieser vorbereitenden Unterscheidung über nicht nur eine Argumentationsstrategie verfügt, gilt es nun, die inhaltliche Seite dieses Schrittes näher zu betrachten. Den terminologischen Fixpunkt bildet in dieser grundlegenden Phase der Perzeptionsbegriff. Er dient Hume grundsätzlich unterschiedslos zur Bezeichnung jedes Elementes aus der Menge möglicher Bewußtseinsinhalte. Die erste der drei Definitionen des „Abstract", die das empiristische Grundprinzip vorbereiten, stellt dies deutlich heraus: „He calls a perception whatever can be present to the mind, whether we employ our senses, or are actuated with passion, or exercise our thought and reflection" (ATHN 647/ATMN 13, Hervorhebung Humes) 6 . Im Definiens der zwei übrigen Definitionen 4
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Dies ist im Falle Spinozas so evident und allgemein anerkannt, daß es sich wohl erübrigen dürfte, hierfür Belege aus der Sekundär-Literatur anzuführen. Zur leichteren Kennzeichnung einiger zentraler Topoi der Humesdien Philosophie haben sich in der Hume-Forschung, die zum überwiegenden Teil im angelsächsischen Raum beheimatet ist, besondere Ausdrücke eingebürgert, die ich, nachdem sie erläutert worden sind, übernehmen werde. Hierzu gehört audi — das sei im Vorgriff auf die noch folgende Diskussion dieses Problembereidis bereits hier erwähnt — die „Copy"-These. Sie dient zur Bezeichnung der Humeschen Behauptung, daß die Vorstellungen getreue Abbilder der ihnen zugrundeliegenden Eindrücke seien. Vgl. etwa auch folgende Stelle aus dem dritten Buch des „Treatise". Unter Hinweis auf das zusammen mit Buch II bereits 1739 publizierte erste Budi des „Treatise" sagt er dort, es sei bereits früher festgestellt worden, „ . . . daß dem Geist nie etwas
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spiegelt sich das Ergebnis der Dichotomie des Perzeptionsbegriffs wider: E s gibt ein Kriterium, das eine Unterscheidung aller möglichen Bewußtseinsinhalte in Eindrücke und Vorstellungen gestattet. Dieses Kriterium ist das psychologische ihrer unterschiedlichen Stärke und Lebhaftigkeit, mit der sie auf den Geist wirken 7 : „Impressions, therefore, are our lively and strong
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anderes gegenwärtig ist, als seine Perzeptionen. Alle die Tätigkeiten des Sehens, Hörens, Urteilens, Liebens, Hassens und Denkens fallen unter diese Bezeichnung. Der Geist kann sich in keiner Weise betätigen, die nicht unter den Begriff der Perzeption gebracht werden könnte . . , " (TMN II,196/THN 456, Hervorhebung Humes). In einer Anmerkung des „Treatise" legt Hume Rechenschaft ab über die Wahl der beiden Termini „impression" und „idea" (ΤΗΝ 2n/TMN 10n). In Anspielung auf John Lockes „Essay Concerning Human Understanding" (z.B. 1,1, §8) meint er, durch seine Verwendung dem Terminus „idea" seine ursprüngliche, durch Locke pervertierte Bedeutung zurückzugeben (John Locke: An Essay Concerning Human. Understanding. Edited with an Introduction, Critical Apparatus, and Glossary by Peter H. Nidditdi. First Published 1975, Reprinted [with Corrections] Oxford 1979, S. 47). Ein für philosophische Diskurse innovatives Moment hingegen — so äußert er sich auch im „Abstract" (ATHN 647/ATMN 13) und in der „Enquiry" (EHU 18/UMV 32) — stelle die Einführung des Terminus „impression" dar. — Zu dieser Dichotomie könnte er durch seinen Edinburgher Lehrer Colin Maclaurin angeregt worden sein, bei dem sich Ansätze zu einer entsprechenden Unterscheidung nachweisen lassen, ohne daß er sie selbst ins Prinzipielle gehoben hätte. Im folgenden Zitat hält Maclaurin zwar noch im Lockeschen Sinne an der Verwendung des Terminus „idea" zur Bezeichnung jedes möglichen Bewußtseinsinhaltes fest, arbeitet jedoch auch mit dem Terminus „impression", der sich — wie später bei Hume — durch seine Rezeptivität und relative Objektnähe auszeichnet: „For in many of our ideas, particularly those that are accompanied with pain, the mind must be passive, and receive the impressions (which are involuntary) from external causes or instruments, that depend not upon us" (Colin Maclaurin: An Account of Sir Isaac Newton's Philosophical Discoveries. A Facsimile of the First Edition. With a New Introduction and Index of Names by L. L. Laudan. New York, London 1968, S. 97. Vgl. auch S. 98, 99). Aus dem folgenden Zitat geht nicht nur hervor, daß die Evidenz eines Urteils via Konformität entsprechend der Anzahl untersuchter Fälle zunimmt — Humes These in ΤΗΝ 1,4,1 — sondern auch, daß Maclaurin wie Hume einen Zusammenhang sieht zwischen dem Bezug der Eindrücke zur Sinnlichkeit und der Evidenz ihrer Erkenntnisinhalte: „The idea we form in our imagination of a person, place, or figure which we have often seen, has a much more perfect resemblance to the impression we receive from sense . . d e n n dieser sinnliche Eindruck ist für uns die erste Quelle unserer Objekterkenntnis (ebd., S. 98). Maclaurin wird hauptsächlich durch seine zahlreich besuchten Veranstaltungen an der Universität Edinburgh auf Hume gewirkt haben, denn als er 1725 durch persönliche Vermittlung Newtons als Nachfolger von James Gregory den Lehrstuhl für Mathematik übernahm, wird Hume noch in Edinburgh studiert haben. (Vgl. Ernest Campbell Mossner: The Life of David Hume. 2nd Edition Oxford 1980, S. 43, 49 und James Noxon: Hume's Philosophical Development. Α Study of his Methods. First Published 1973, Reprinted with corrections Oxford 1975, S. 68n5). Sowohl Mossner als audi Noxon äußern sich sehr zurückhaltend zur Frage eines direkten Einflusses Maclaurins auf Hume. Demgegenüber halten Klibansky/Mossner es für sehr wahrscheinlich, daß
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perceptions; ideas are the fainter and weaker" (ATHN 647/ATMN 15, Hervorhebungen Humes) 8 . Von dieser definitorisch festgelegten Bedeutung von Maclaurin und Hume sidi nach dessen Aufenthalt an der Universität zu Edinburgh in späteren Jahren persönlich kennengelernt haben, geben jedoch leider keine konkreten Indizien an, die ihnen hierfür zu sprechen scheinen (NL 21n3). Jener Text selbst erschien erst postum zwei Jahre nach Maclaurins Tod im Jahr 1748, so daß ein direkter Einfluß von dorther auf den „Treatise" ausscheidet, doch ist Humes spätere Kenntnis dieses Textes nicht zuletzt durch Huributts Aufweis zahlreicher Parallelitäten zwischen dieser Schrift und Humes „Dialogues" belegt, mit deren Ausarbeitung er Anfang der fünfziger Jahre begann. Vgl. Robert H. Huributt: Hume, Newton and the Design Argument. Lincoln 1965, bes. S. 141—144. In diesem Zusammenhang ist noch ein anderer Text von Interesse, auf den mich Herr Prof. Dr. G. Gawlick freundlicherweise aufmerksam gemacht hat. Es handelt sich dabei um „Cato's Letters", einer von J . Trendiard in Zusammenarbeit mit T. Gordon herausgegebenen Briefsammlung. Die einzelnen Briefe waren auch von Trenchard und Gordon verfaßt worden und erschienen ursprünglich in wöchentlichen Abständen hauptsächlich in Londoner, aber auch in anderen Britischen Journalen, bevor sie 1723—1724 erstmals separat veröffentlicht wurden. Diese Briefsammlung umfaßte vier Bände und zählte zu den erfolgreichsten und meistgelesenen ihrer Art: Im Jahr 1755 erlebte sie bereits die 6. Auflage (vgl. The National Union Catalogue. Pre-1956 Imprints. Bd. 600. London, Wisbech 1978, S.593). Der 111. Brief vom 12. Januar 1722 setzt den eine Woche zuvor begonnenen Essay „Of Liberty and Necessity" fort und beginnt mit folgenden Worten: „As all the Ideas or Images of the Brain must be caused originally by Impressions of Objects without us, so we can reason upon no other" (Cato's Letters; or, Essays on Liberty, Civil and Religious, and other important Subjects. Vol. IV. 3rd edition, carefully corrected. London 1733, S. 47). Die Eindrücke entstammen den extramentalen Objekten und verursachen die Vorstellungen. Affiziert ein Objekt den Geist, dann wird es im Medium des Eindrucks Bewußtseinsgegenstand: „The Mind finds that it sees, hears, tastes, smells, and feels, which is its Manner of first conceiving Things, or in other Words, is the Modus in which Objects affect it; and it can reason no farther upon them, than according to those Impressions" (ebd., S. 47—48). Folglich ist der Geist „ . . . conversant only about the Film or Outside of Bodies, and ( . . . ) consequently can affirm or deny nothing about them, but according to the Perceptions which it has" (ebd., S. 48). Verläßt er aber das sichere Fundament der Perzeptionen, die offensichtlich als Oberbegriff die Eindrücke und Vorstellungen umfassen, dann vermag er keine zuverlässigen Aussagen mehr zu treffen, sondern rambles in the Dark" (ebd., S. 48). Was die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß Hume diesen Text kannte, ist außer dem allgemeinen Interesse, das er den in „Cato's Letters" behandelten Themen entgegenbrachte, ein an seine berühmte Ausnahme der fehlenden Blauschattierung erinnerndes Beispiel, mit der Trenchard/Gordon ihre einleitende These illustrieren, daß der Geist nur mit solchen „Bildern" zu operieren vermag, die ihm durch Eindrücke von der Außenwelt zugeführt werden: „A Man bom blind can have no Image of Light or Colours; nor one who has been always deaf, of Sounds; whatever Descriptions are given him of them" (ebd., S. 47). Vgl. zu dem Problem der fehlenden Blauschattierung ΤΗΝ 5—6/TMN 14—15, EHU 20—21/UMV 35—36 und die Ausführungen des Abschnitts 3.2.4. 8 Zur Kennzeichnung der unterschiedlichen Intensität, durch die sich Eindrücke von Vorstellungen unterscheiden, dienen Hume mehrere Ausdrücke. Zur Charakterisie-
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Die epistemologisehen Prämissen
„Perzeption" als Oberbegriff zu „Eindruck" und „Vorstellung" weicht Hume gelegentlich ab. Er verwendet „Perception" dann in einem restringierten Sinn, so daß ihm dieser Terminus zu einem Synonym für „Eindruck" wird 9 . Neben dem Begriff „perception" verwendet Hume gelegentlich auch rung der relativen Stärke der Eindrücke bedient er sich in substantivischen Wendungen häufig der Termini „force" und „vivacity", die er auch gerne kombiniert verwendet. So etwa ΤΗΝ 2/TMN 9, ΤΗΝ 96/TMN 129 (wo Lipps „force" plötzlich mit „Energie" übersetzt), ΤΗΝ 106/TMN 145 (ebenso), ΤΗΝ 119/TMN 163, ΙΉΝ 319/TMN 11,50, EHU 17/UMV 31 u.ö. Daß diese Termini seine „favourites" sind, stellt auch Trudy Govier: Variations on „Force" and „Vivacity" in Hume. Philosophical Quarterly 22 (1972), S. 52 deutlich heraus. Bisweilen substituiert er „vivacity" durch ein semantisches Äquivalent wie ζ. B. „liveliness" (ΤΗΝ 1/TMN 9 [von Lipps wie „vivacity" mit „Lebhaftigkeit" wiedergegeben], ΤΗΝ 5/TMN 14). Unter den Adjektiven bevorzugt er die Oppositionspaare „strong and lively" und „faint and weak". Auch hier neigt er also einer Kombination der Merkmalgruppen zu (ΑΊΉΝ 647/ATMN 15 u. ö.). Doch sind auch andere Kombinationen — beispielsweise „strong" mit „sensible" (EHU 62/UMV 85) — durchaus möglich. Wie nachhaltig dieses psychologische Kriterium der Intensität auf die Konzeption der Humeschen Epistemologie eingewirkt hat, läßt sich deutlich aus Goviers Untersuchung entnehmen. Sie hat nämlich überzeugend herausgearbeitet, daß Hume mit den oben genannten Termini nicht nur den Unterschied zwischen Eindrücken und Vorstellungen markiert, sondern audi behauptet, „ . . . that ideas of the memory were more forceful and vivacious than those of the imagination; and that ideas believed were more forceful and vivacious than those merely conceived of" (a. a. O., S. 47. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommt Ronald J. Butler: Hume's Impressions. In: Godfrey Vesey [Ed]: Impressions of Empiricism. London, Basingstoke 1976 [ = Royal Institute of Philosophy Lectures. Bd. 9