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German Pages 157 [160] Year 1970
de Gruyter Lehrbuch
Leonhard Fendt
Homiletik
Zweite Auflage neu bearbeitet von
Bernhard Klaus
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1970
Die wissenschaftliche Leitung der theologischen Lehrbücher im Rahmen der „de Gruyter Lehrbuch-Reihe liegt in den Händen des ord. Prof. der Theologie D.
Kurt A l a n d ,
D.
D.
Diese Bände sind aus der
ehemaligen
„Sammlung Töpelmann" hervorgegangen.
Archiv-Nr. 39 04 702 ©
1970
by Walter de Gruyter Sc Co., Berlin 30 Printed in Germany
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Ohne
ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: F. Spiller, Berlin
VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE Leonhard Fendts „Homiletik" gehört zu den bewährten praktischtheologischen Monographien von wissenschaftlichem Rang. Die ihr noch immer zukommende Aktualität der theologischen Konzeption und die ihr eigene Qualität als Praxishilfe dürften die vom Verlag gestellte Aufgabe rechtfertigen, dies Werk durch eine Neuauflage wieder zugänglich zu machen. Für die Bearbeitung erschien es geboten, den theologischen Ansatz unangetastet zu lassen und die nicht nur in der Diktion ausgeprägte Originalität des Verfassers zu wahren. Um die Zeitspanne von zwanzig Jahren seit dem Erscheinen der Erstausgabe mit den inzwischen neu aufgetretenen Fragen im Bereidi der Homiletik unter den genannten Prämissen zu überbrücken, ist insbesondere zwei Anliegen Redinung zu tragen versucht worden. Unumgänglich war es, das hermeneutische Problem einzubeziehen, das z. Z. der Abfassung der Erstausgabe nodi nicht im Brennpunkt homiletischer Interessen stand. Fendt hat selbst einmal dazu geäußert: „Man hat ja jetzt .offiziell' entdeckt, daß alles auf den ,hermeneutischen Nenner' zu bringen ist. Aber es sdieint, daß gerade die Predigt und die Kunst der Einübung wieder zuletzt daran kommen, wenn die Gaben ausgeteilt werden. Da fürchtet man sofort, ,den Geist zu dämpfen'. Lieber will man ein wenig ,wilde Jagd'." (Theol. Literaturzeitung 1953, Sp. 592.) Es war „die wilde Jagd der Einfälle", gegen die er sich zur Wehr setzte und gegen die er das Redit der wissenschaftlichen Exegese geltend madite (s. Erstauflage der „Homiletik" S. 44). Die inzwischen erfolgten Wandlungen haben die Notwendigkeit ergeben, die hermeneutischen Bemühungen, deren Ziel in der redlichen Übersetzung eines Textes in unsere heutige Wirklichkeit erblickt wird, in die Homiletik einzubringen. Verändert hat sich ferner der Standpunkt gegenüber der Relevanz methodisdier Hilfen für die Praxis der Predigtgestaltung. Die damit gestellten Aufgaben standen z. Z. der Abfassung der Erstausgabe unter dem Verdikt Karl Barths, es könne nicht um die Frage gehen: „Predigen - wie macht man das?" (K. Barth, Das Wort Gottes und
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Vorwort zur zweiten Auflage
die Theologie, 1924, S. 103.) Heute wagt die Praktische Theologie mit Hans-Dieter Bastian offen und kühn zu fragen: „ D a r f man eigentlich die elementare Frage stellen: Verkündigen, wie macht man das? - ohne zu riskieren, dogmatisch hingerichtet zu werden?" (H.-D. Bastian, Verfremdung und Verkündigung, 1965, S. 7.) Das Risiko einer solchen „Hinrichtung" zu tragen, darf sich die Homiletik heute nicht mehr scheuen. Vertreter einer jungen Generation unter den Homiletikern - Ernst Lange, Peter Krusche, Dietrich Rössler - haben die Aufgabe entschlossen angepackt mit der Begründung: „Die Resignation vieler Pfarrer und Prediger ist so groß, daß jede Hilfe gebraucht wird" (Lange-Krusche-Rössler, Zur Theorie und Praxis der Predigtarbeit. Predigtstudien, Beiheft 1, 1968, S. 9). So wird nun auch hier „riskiert", eine aus den Erfahrungen eigener Predigtpraxis und der Arbeit mit der jungen Theologengeneration im homiletischen Seminar erwachsene Predigthilfe, die Ergebnisse kirchensoziologischer Forschungen nicht verschmäht, anzubieten und zur Diskussion zu stellen. Auf eine Gegenüberstellung der Homiletik mit informationstheoretischen und kommunikationswissenschaftlichen Problemen wurde dagegen verzichtet; sie hätte den von L. Fendt gesteckten Rahmen gesprengt. Der Bearbeiter der Neuauflage hat sich dazu in einer eigenen Monographie geäußert, auf die verwiesen sei (vgl. B. Klaus, Massenmedien im Dienst der Kirche, Berlin 1969). Praxishilfe entspricht durchaus den Intentionen Leonhard Fendts, der nicht nur seinen Grundriß der Praktischen Theologie „für Studenten und Kandidaten" verfaßt hat. Auch in seiner „Homiletik" führt er das Gespräch mit der theologischen Jugend, das unter Berücksichtigung ihrer gegenwärtigen Fragen hiermit fortgesetzt werden soll. Meinem Assistenten, Herrn Vikar Jürgen Albert, danke ich für seine Hilfe beim Lesen der Korrekturen. Erlangen im Oktober 1969
Bernhard Klaus
VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE Je stärker die Homiletik sich jeweils von der Regierung der Rhetorik freimachte, um so deutlicher wurde jedesmal die Glaubenstheologie als die rechte Heimat der Homiletik sichtbar. Denn um so stärker war man in der Predigt auf den Inhalt, in der Predigtlehre auf die Behandlung des Inhaltes für Predigtzwecke angewiesen. Da war die Predigt sofort Verkündigung des Glaubens und seiner Inhalte, die Homiletik mit Vorzug die Lehre von der Bereitstellung dieser Inhalte (und erst in zweiter Linie von der Art des Vorbringens dieser Inhalte). Nun schenkte uns das 20. Jahrhundert eine neue Welle der eigentlichen Glaubenstheologie, hervorgegangen aus der Überwindung der Herrschaft der wissenschaftlichen Kritik über den Glauben, der Ideen- und Dogmengeschichte über die Bibel, aus der tieferen Einsicht in Luthers und Calvins und Zwingiis Schriften, ja sogar in die der Kirchenväter, und aus dem Willen, die Verkündigung der Kirche als den Ausgangspunkt zu setzen (und doch weder Kritik noch Ideen- und Dogmengeschichte zu vernachlässigen; aber sie müssen an der rechten Stelle angesetzt werden). So wurden die neueren Dogmatiken substantiell Handbücher des Predigtinhaltes, also in der Tat eine Homiletik der ersten Stufe. Doch dauerte es etwas länger, bis die zünftige Homiletik sich in die neue Richtung der Theologie einstellte. Endlich erschienen die Hauptwerke der „neuen" Homiletik: H e l m u t h S c h r e i n e r , Die Verkündigung des Wortes, 2. Auflage 1936; die „Predigtlehre" von W o l f g a n g T r i l l h a a s , 2. Auflage 1936, und „Die Predigt" von O t t o H a e n d l e r , 1941. Inzwischen machten sich aber viele kleinere Schriften um die homiletische Sache in der neuen Richtung verdient, die wert wären, bekannt zu bleiben und ihr Verdienst behalten. Man kann den Grundzug aller dieser Arbeiten dahin zusammenfassen: Der Prediger l e r n e hören, auf Gottes Wort hören, und er l e h r e auf Gott hören! Da in dieser Forderung tatsächlich die Summe des ersten Aktes alles Christenlebens beschlossen liegt (der zweite Akt heißt: Seid nicht bloß Hörer, sondern Täter des Wortes - aber beide Akte sind Gottes Gnade), so sind
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Vorwort zur ersten Auflage
die genannten großen Werke eigentliche Lebensbücher geworden. Vielleicht darf man ihnen nun ein Budi an die Seite stellen, welches zunächst Lernbuch sein will; dieses hier vorgezeigte Lernbuth will aber den Studenten und Prediger gerade zu den großen Lebenswerken der Homiletik führen - und ihn auch Respekt lehren vor den großen Werken der Homiletik in der Vergangenheit, von Augustinus bis zu Palmer, Kleinert und vielen anderen, erst recht zu Luthers homiletischen Bemerkungen. Aber nicht bloß diese Homiletiker sollen von dem Studenten und Prediger gewürdigt werden, auch die Predigten aller Zeiten müssen ihn tragen. Darum braucht der Student der Homiletik und der Prediger eine „Geschichte der Predigt", die er sich durch Lektüre der Hauptpredigten aller Zeiten selbst anschafft - die Skizze am Schluß des vorliegenden Buches „Zur Form- und Ideengeschichte der Predigt" will zur Zusammenstellung einer solchen „Geschichte der Predigt" Anleitung geben. Nach der Fertigstellung des Manuskriptes kamen noch zwei Werke in den Gesichtskreis des Verfassers, die gerade zu diesem Zwecke besonders dienlidi sind: des Schweden Albert WifStrand Buch „Andlig talekonst" („Geistliche Redekunst"), Stockholm 1943 (siehe meine Besprechung ThLZ 1948) und Gerhard Kunze, „Die gottesdienstliche Sdiriftlesung I, Göttingen 1947 (besonders S. 147—159). Eine Ergänzung zu der vorliegenden Homiletik findet der Leser in der 2. Auflage meines „Grundrisses der Praktischen Theologie Heft I " (anfangs 1949 bei Mohr, Tübingen, erscheinend). Die h i e r vorgelegte Homiletik geht von der Tatsache des Reiches Gottes aus und führt immer wieder darauf zurück (Mc 1,14—15). Die Tatsache des Reiches Gottes heißt aber Jesus Christus; und in der Tatsache des Reiches Gottes hat die Rechtfertigung aus Glauben ihren hervorragenden Platz, ebenso die Kirche (aber auch „die Welt"), die Bibel, die Verkündigung und darum auch die Predigt, die Frucht der Rechtfertigung, das Gericht, die „letzten Dinge". Im Advent 1948 Leonhard
Fendt
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort zur zweiten Auflage Vorwort zur ersten Auflage
V VII
A. Prolegomena 1. Reich Gottes und Kirche 2. Kirche und Welt 3. Die Kirdiengliedschafl 4. Die Verkündigung als Grundlage 5. Der Hintergrund des Primates des Wortes . . . . 6. Der Vordergrund für den Primat des Wortes . . 7. Wort Gottes auf Erden heute 8. Wort Gottes als heilige Schrift 9. Wort Gottes als Sprache 10. Die Aufgabe der Textauslegung 11. Der Prediger als Ausleger 12. Der Hörer als Partner im Predigtgeschehen . . . . 13. Wort und Antwort 14. Die Verkündigung als Predigt 15. Homiletik - die Lehre von der Predigt Überblick über die homiletische Literatur
1 1 3 5 6 8 8 10 11 12 16 21 25 27 30 31 33
B. Systematik der Predigt 1. Das genus „Predigt" 2. Der Inhalt der kirchlichen Verkündigung des Reiches Gottes 3. Die Forderung der Rhetorik an die Predigt . . . . 4. Inhalt und Form der Erweckungspredigt 5. Gesetzespredigt - Evangeliumspredigt 6. Der konfessionelle Einschlag
35 35 38 43 49 52 55
Inhaltsverzeichnis
X
C. Einführung in die homiletische Praxis
59
1. Schwierigkeiten der Verkündigung heute
59
2. Die Exegese des Textes
61
3. Der Hauptskopus der kirchlichen Feste
65
4. Der Hauptskopus der Gleichnisse Jesu
68
5. Der Hauptskopus der Wundertaten Jesu
74
6. Die Vorarbeit an alttestamentlichen Texten . . . .
77
7. Die Meditation
80
8. Die homiletische Besinnung
84
9. Die Methode der Predigtgestaltung
93
10. Beispiele für Predigten nach verschiedenen Methoden über M k 1 0 , 1 3 - 1 6
100
11. Die Predigt auf der Kanzel
108
12. Die Predigtsprache
110
13. Paralipomena
113
14. Die Besonderheiten der Kasualpredigt
116
D. Grundlinien einer Form- und Ideengeschichte der Predigt..
129
1. Die Predigt der alten Kirche
129
2. Die Predigt der mittelalterlichen Kirche 3. Die Predigt der reformatorischen Kirchen
133 ....
136
4. Die evangelische Predigt in der Gegenwart . . . .
139
Register
142 Personenregister
142
Sachregister
144
Bibelstellenregister
146
A. PROLEGOMENA 1. R e i c h G o t t e s
und
Kirche
Grundlegend für den Gang der christlichen Ereignisse nach dem Tode Jesu ist die Tatsache: nach dem Tode und der Verherrlichung Jesu Christi waren die Apostel 'ExxÄ.r|aia, Gemeinde, und bauten Gemeinde. So sehen es die Briefe des Paulus und die Apostelgeschichte an. Dabei waren sich die Apostel bewußt, die Absichten Jesu Christi selbst auszuführen, wie (um es vorsichtig auszudrücken!) schon die Anführung der Worte Jesu M t l 6 , 1 8 und Mt 28, 18-20 durch das Mt-Evangelium beweist. Wenn demnach die Jüngerschaft Jesu gewiß war, die 'E-xxXrjaia als das Werk Jesu aufzubauen, so hat die Annahme wenig Aussicht, daß Jesus selbst ganz anders gedacht und etwas ganz anderes gewollt hätte. Alle vier Evangelien enthalten vielmehr Hinweise genug auf Jesu Absicht, eine Gemeinschaft der Seinen zu haben und zu hinterlassen. Das, was in Jesu Absichten anders gewesen sein mag, liegt dann zwischen der von Jesus gewollten Gemeinschaft und dem alsbaldigen derberen Kirchenwesen, wobei das Derbere von dem „in der Welt sein" kam und kommen mußte. Damit war aber Jesus der großen Idee des Alten Bundes treu geblieben: Gott erwählte ein Volk als sein Volk, an diesem seinem Volk handelte er schaffend, erhaltend, verheißend, gebietend, richtend, strafend, vergebend. Jesus nun setzte an die Stelle des auserwählten Volkes Israel seine auserwählte Gemeinschaft (ob er dafür nun den Ausdruck 'ExxAriaia in aramäischer Entsprechung, also etwa edta, gebraucht hat oder nicht). Paulus und die Apostelgeschichte nennen diese Gemeinschaft der Jünger Jesu 'Ejodriaia. An dieser erwählten 'ExxXriaia handelt nun (so die Darstellung des N.T.) der Gott und Vater Jesu Christi und unser Vater zweifach: a) im Sinn des A.T., b) im Sinn des N.T. Anders ausgedrückt: Gottes Vaterwerk, Schöpferwerk, Helferwerk, Gnadenwerk, Richter- und Strafwerk geschieht, wie im A.T. an der israelitischen Gemeinde, so auch an der auserwählten 'ExxXriaia des Neuen Bundes - aber dazu kommt nun das neue große Werk Gottes, nämlich die Taten Gottes in Jesus Christus, und dieses neue große Werk Gottes geschieht nur an der Gemeinde Jesu Christi! Gerade das also, wozu Jesus vom Vater in die Welt gesandt wurde! Gerade das also, weshalb man Christ ist! 1 Fendt-Klaus, Homiletik, 2. Aufl.
2
Prolegomena
Freilich halten die neutestamentlidien Schriften daran fest, daß auch im A.T. schon einzelne Lichter aufschimmern, die auf den zukünftigen Weg Gottes mit Jesus Christus hinweisen. Es kann ja gar nicht anders sein, da für das N. T. derselbe Gott im A. T. und im N. T. verherrlicht wird. Man muß sich einmal ganz diesem wahrhaft majestätischen Gedanken hingeben, den wir allzu gewohnt sind und der doch Berge versetzt. Also im A. T. schon ein Schimmer von dem großen neuen Werk Gottes in Jesus Christus! Aber wie in der Kirche Jesu der Deus invictus Sol der Gestalt unseres Heilandes einfach zum Mantel gegeben wurde, so wurden auch alle jene alttestamentlichen Lichter in das Licht vom ewigen Licht, Jesus Christus, eingesammelt, als das Neue völlig gekommen war. Wenn die Sonne aufgeht, erbleichen die Sterne. Das neue große Werk Gottes in Jesus Christus schaut aber das N. T. als den siegreichen Kampf Gottes gegen das Reich Satans, und zwar Gottes in Jesu Gestalt, Wundern, Lehren, Leiden und im Triumphieren Jesu - der „Kommende" ist gekommen, Gott hat ihn gebracht; nun beginnt der Entscheidungskampf. Jesus aber nannte das Neue, das Wirken Gottes in Jesus Christus an den Jesusjüngern: das Reich Gottes. Davon, vom Reich Gottes, hatten auch die Leute des A. T. schon ein Wesen gemacht, aber sie hatten es zu stark mit einem Triumph des auserwählten israelitischen Volkes auf Erden über seine Gegner und alle Völker auf Erden gleichgesetzt. Eine solche Erwartung enttäuscht aber immer. Nun, durch Jesus, war die völlige Klarheit gekommen: das Reich Gottes war und ist eindeutig das neue Wirken Gottes in Jesus Christus an der Gemeinschaft der Jünger Jesu. Ein neues Wirken gegenüber dem Wirken Gottes im Alten Bund, ohne daß doch dieses „,alte" Wirken Gottes im Neuen Bund aufgehört hätte. Und zwar ging der Blick Jesu vorzüglich auf jene Etappe des neuen Gotteswirkens, die an ihm selbst und durch ihn selbst in seinen Erdentagen und in seiner ersten Verherrlichung geschah - und auf jene Etappe, die einst geschehen wird am Tage seiner Parusie. Daneben aber ging der Blick Jesu doch auf jene Etappe des neuen Gotteswirkens, die die Zwischenzeit zwischen den Erdentagen Jesu und der Parusie ausfüllt - aber freilich viel weniger nachdrücklich als auf die beiden andern Etappen. Das kam davon, daß Jesus mit den beiden genannten Entscheidungsetappen persönlich eins ist, während er für die Zwischenzeit-Etappe im Hl. Geist wirkt. Der Blick auf die Zwischenzeit-Etappe wurde erst nachher nachdrücklich, ja oft ausschließlich, als nach dem Gotteswillen die Zwischenzeit zwischen den Erdentagen Jesu und der Parusie mächtig in die Länge schoß.
3
Kirche und Welt
Um nun den Gesichtspunkten Jesu möglichst getreu zu bleiben, haben wir uns daran gewöhnt, expresse „Reich Gottes" die neuen Taten Gottes an Christus und durch Christus in den Erdentagen Jesu und in der Parusie zu nennen, hingegen das Wirken Gottes in Christo und durch Christus im Hl. Geist in der Zwischenzeit-Etappe 'Ewdriaia, Kirche, Gemeinde zu heißen. Dabei darf aber um keinen Preis vergessen werden, daß das neue Wirken Gottes in Christo und im Hl. Geist an der Gemeinde Jesu in der Zwischenzeit-Etappe kein anderes Werk Gottes darstellt als genau dasjenige, das Gott einst in den Erdentagen Jesu an und durch Jesus Christus begann und das Gott dereinst in der Parusie Jesu Christi triumphal vollenden wird. Und so ersteht die Kirche vor unserem Auge als das größte Werk Gottes in der Jesus-Christus-Wirklichkeit auf Erden - und eine Offenbarung von Licht und Wahrheit, Heil und Gnade, wie es Offb 21, 2 ff. für die letzte Zeit beschrieben wird, erfaßt uns in der Kirche der Zwischenzeiten - nämlich Gott in Christo und im Hl. Geist (Eph 3, 20 f.). Kirche als Tat Gottes in Christo und im Hl. Geist, darauf kommt es an! (Aber freilich: die Kirche ist zugleich eine Gemeinschaft von Menschen, die noch in der Welt leben, in der Welt mitarbeiten, in der Welt ihr Arbeitsfeld haben - und das färbt ab!) 2. K i r c h e
und
Welt
Dieses neue Wirken Gottes in der Menschheit, nämlich durch Christus und im Hl. Geist an der 'Exrl^aia, geschah und geschieht und wird geschehen, damit die Menschen Söhne und Töchter Gottes würden und seien (Jo 1,12). Dieses neue Wirken Gottes will also nicht einfach wie ein Sonnenball seine Bahnen ziehen, sondern es will Früchte zeitigen. Auf diese Früchte kommt es auch an. Das erfaßte die 'ExxXr)aia alsbald und nachdrücklich — und so begaijn auch die TatAntwort der' Christen, der Kirche, auf das Gotteswirken in Christo und im Hl. Geist. Diese Tat-Antwort zerlegte sich in die „Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit" (Jo 4, 23) einerseits, andererseits in ein großes Erziehungswerk in der Christenheit, ja in der Menschheit. Das Erziehungswerk aber zog natürlicherweise alle Wege der Menschheit in seinen Bereich - und so wurde die Kirche auch zu einer Weltmacht und verfiel darin den politischen Gewalten. Wer nun „Kirche" sagte, der meinte immer noch die „heilige Kirche" Jesu Christi, aber zugleich eine im Namen Jesu vorhandene Weltmacht. Es ist freilich sehr leicht, dies abzuurteilen; dennoch bleibt es dabei, l*
4
Prolegomena
daß die Kirche nicht bloß die „Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit", sondern auch das große Erziehungswerk in der Christenheit und in der Menschheit zu tun hat, wenn sie die Früchte der neuen Taten Gottes auf der Christusebene nicht bloß ausmalen, sondern bringen soll. Die Kirche nimmt Gottes Kampf gegen das Satansreich auf, von Jesus her, im Hl. Geist, aber auch mit den menschlichen Mitteln, die der Gemeinschaft von Menschen entsprechen, die die Kirche eben auch darstellt - und das ist das Erziehungswerk. Aber es liegt nun alles daran, dieses Erziehungswerk so zu reinigen und so in die Wesensmomente der Kirche Jesu Christi einzubauen, daß „der Greuel an der heiligen Stätte" vermieden wird. Luther hat das im Großen begonnen, indem er die 'ExxA.T]ganz andere als die Bibel und insofern falsche? Vielleicht verbinden sie gar keine Vorstellungen damit; denn neben der Ferne der zu verhandelnden Sache gilt es, die Ferne des Lutherdeutsch zu überbrücken. Die Beantwortung dieser Fragen fördert unsere Obersetzungsbemühungen im sprachlichen Bereich. Da wir aber dabei nicht stehenbleiben können - in der Predigt geht es ja um mehr als um bloße Wissensvermittlung - , müssen wir den Brückenschlag als Übersetzungsvorgang in das gelebte Leben hinein verlängern. Es kommt darauf an, die wirkliche Lage der wirklichen Gemeinde zu erhellen und diese Lage mit der Textaussage zu konfrontieren. Das kann etwa durdi die Beantwortung der folgenden Fragen ingang kommen. 3. Welche Textaussagen treffen auf ein von christlichem Glauben oder kirchlicher Sitte geprägtes Leben? Wieweit ist das vom Text gemeinte Leben bloßer Konvention gewichen? Hat es überhaupt aufgehört? Alle diese Fragen führen zu der wichtigsten Frage, deren Antwort genau den Platz auf unserem Ufer für den Brückenschlag bezeichnet, auf dem wir ankommen wollen, und die darum zuletzt gestellt wird: Wo ist die besondere Situation im Leben der Gemeinde heute, die der einstigen Situation der ersten Leser oder Hörer entspricht? Das ist die Frage, die nicht mit einer allgemeinen Situationsschilderung abgetan werden kann. Sie zielt auf eine ganz bestimmte Situation, auf eine bestimmte Anfechtung, vielleicht auf die Gefahr einer Häresie, vielleicht auf eine schlichte oder auf eine brutale Notsituation der Seele oder auch nur des Leibes. Das Ziel muß sein, die wirkliche Lage der wirklichen Gemeinde zu erhellen und diese Lage mit der Textaussage zu konfrontieren. Ein allgemeines Stimmungsbild zu zeichnen, in dem sich die Stimmung des Predigtanfängers spiegelt,
Die homiletische Besinnung
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wirft wenig ab und ergibt am Ende nur ein Selbstgespräch des jungen Theologen, in dem er Fragen beantwortet, die außer ihm niemand gestellt hat. Er muß den anderen sehen lernen und zwar nicht nur den nadi der Schablone konfektionierten Illustrierten-Typ, sondern den wirklichen Menschen in der Gemeinde in einer ganz bestimmten Situation, in der der Prediger die vom Text gemeinte einstige Situation der Adressaten wiederfindet. Ist die letzte Frage beantwortet worden - nicht immer wird es bis zur letzten Konsequenz möglich sein - , dann ist ein entscheidend wichtiger Teil der Vorbereitungsarbeit auf die Predigt hin geleistet. Der Pfeiler ist gefunden, auf dem eine tragfähige Brücke errichtet werden kann. Nun kann der Brückenschlag gewagt werden. c) Brückenschlag von der einstigen zur jetzigen Situation der Hörer. Wenn wir als Prediger das Ufer kennengelernt haben, auf das wir hinübergelangen wollen, wenn wir in unserer Gemeinde von heute die Situation aufgespürt haben, die der entspricht, in die hinein die neutestamentliche Verkündigung von einst, nämlich unser Text, einstmals verkündigt worden war, erst dann können wir die weiterführende Frage stellen: Wie rede ich nun in diese neue Situation hinein89? Die Wahrung des theologischen Gehalts als Fundament der Aussage ist das erste Anliegen. Unter Berücksichtigung dieses Sachgehalts und der darüber vorhandenen Kenntnis oder Unkenntnis heute gilt es, die Fragen zu bedenken: 1. Wie kann das zu verkündigende Wort vorhandenes Wissen vertiefen, Fehlurteile korrigieren, der Unkenntnis mit neuen Aufschlüssen begegnen? Solche der notitia dienende Belehrung hat durchaus theologische Relevanz. Der Mensch der Gegenwart begegnet ihr auch mit Interesse. Er nimmt Informationen gern zur Kenntnis. Wenn es dabei zum Staunen kommt, wenn die Hörer sich wundern, dann ist bei ihnen der Ausgangspunkt gesetzt für eine innere Auseinandersetzung mit der Sache. 2. Welche bei meinen Hörern gängigen Wörter, Begriffe, Vorstellungen und Bilder sind geeignet, die Textaussage für sie verstehbar zu machen? Mit welchem Veranschaulichungsmaterial der Gegenwart kann die Textaussage heute bildhaft oder plastisch anschaulich werden? Die Beantwortung dieser Fragen fördert unsere Bemühungen um den Brückenschlag ungemein. Wir wollen uns aber vor gewollter Modernität, sprachlicher Effekthascherei und übertreibenden Superlativen hüten. So etwas darf nicht mit der zu fordernden GegenwartsM
Vgl. W. Marxsen, Exegese und Verkündigung, München 1957, S. 53 ff.
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Einführung in die homiletische Praxis
nähe verwechselt werden. Der Mensdi im Alltag spricht nicht so und wir Prediger reden normalerweise auch nicht so. Darum ist die Nüchternheit in der Sprache zu empfehlen, Redlichkeit im Ausdruck und in der Wortwahl. Unredliche Übertreibungen würden uns selbst und die uns am Herzen liegende Sache verdächtig machen. Die Frage nach dem Veranschaulichungsmaterial ist im Grunde die gleiche, die sich der Katechet stellen muß bei seiner Überlegung: Wie sage ich's meinem Kinde? Es gelten auch die gleichen Regeln: Wenige, aber treffende Bilder und Beispiele; ja kein verwirrender Bilderteppich! Wir stehen damit vor der Ubersetzungsaufgabe nicht nur der Sprache, sondern der gesamten Bildwelt und aller konkreten Vorstellungsmöglichkeiten. Das ist eine ebenso wichtige wie schwierige Aufgabe. Zu warnen ist, wie bei der Wortwahl, so auch bei der Wahl von Bildern und Beispielen vor gewollter, routinierter, manierierter, effekthaschender Modernität, die einfach unausstehlich sein kann. Makabre Bilder gehören nicht auf die Kanzel, sie entsprechen nicht der „frohen" Botschaft, die uns aufgetragen ist. Manfred Mezger warnt mit Recht vor einer „bedauerlichen Anbiederung an den Straßen- und Zeitungsstil, die meint, der Anschluß an den Menschen von heute werde hergestellt, indem die Verkündigung sich aller möglichen Saloppheiten und überflotten Einfälle bediene, aus denen der Hörer entnehmen soll, daß die Botschaft der Kirche eine tolle Affäre sei, spannend wie eine Sensations-Reportage. Die Gefahr unwürdiger Selbstempfehlung in dieser Riditung ist zur Zeit größer als die Gefahr einer veralteten, mit Feierlichkeit durchtränkten Sprache . . . Das wirkungssüchtige Gerede, überladen mit Anleihen aus der technischen oder militärischen Welt, ist einfach schlecht, wenn nicht gar lächerlich, abgesehen davon, daß der Mensdi nach seiner Fabrik- und Bürowoche, nicht auch noch in der Kirche hören will, die Offenbarung sei eine Initialzündung und Gottes Macht eine atomare Explosion. Wo ist der Text für solche Aufmachungen'""1? Wir haben dem die Bitte hinzuzufügen, der Prediger wolle bedenken, daß es darum geht, die Aussage seines Textes dem heutigen Menschen, wie er ihn in seiner Gemeinde antrifft, verstehbar zu machen. Es könnte sein, daß die Sache diesem Menschen ärgerlich ist; dann ist er innerlich zur Auseinandersetzung genötigt. Es darf aber nicht sein, daß wir ihm ärgerlich werden; denn dann wendet er sich mit Grausen und sieht auch keine Veranlassung, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen, die so schlechte Anwälte hat, wie er es erfahren mußte. 30
M. Mezger, Verkündigung heute, Hamburg 1966, S. 33 f.
Die homiletische Besinnung
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Da es in der Predigt nidit um Wissensvermittlung geht, die rationalen Bemühungen um das Sprachproblem aber lediglich die Verstehbarkeit von Wörtern, Begriffen und Sinnzusammenhängen fördern, müssen wir über das rein Sprachliche hinaus weiter in die Lebenswirklichkeit eindringen. Wir fragen darum: 3. Wie können Textaussagen über Glauben und Lehre in nachvollziehbares Leben der Gemeinde in der Welt verwandelt werden? Wie kann das zu verkündigende Wort erkaltetem Leben gegenüber aufrüttelnd und erwärmend wirksam werden? Ist alles Leben erkaltet oder dem Ansdiein nach erkaltet, so darf sich der Prediger auch dadurch die Freudigkeit zum Zeugendienst nicht nehmen lassen. Die in einer solchen Lage gegebene letzte Möglichkeit ergibt sich aus der Frage: Wie kann das zu verkündigende Wort „in majestätischer Selbstverständlichkeit"*1 und auch für Ignoranten unüberhörbar in dieses Leben hineingestellt werden? Wie unsere Predigt vom Leben im Alltag nicht isoliert sein darf, so ergeht sie auch nicht isoliert vom gottesdienstlichen Leben und dem gesamten liturgischen Geschehen. Darum fragen wir weiter: Welchen Bezug hat das zu verkündigende Wort zum gottesdienstlichen Leben der Gemeinde? Welche Unterstreichung der Textaussagen oder welche Förderung für die Verdeutlichung ergeben sich aus der Liturgie? Die Frage nach einem solchen Bezug muß und kann nicht immer und nicht für jeden Text gestellt werden. Sie darf jedoch nie fehlen bei Texten, die als Festtagsperikopen bestimmt worden sind. Hier kommt hinzu, daß die kirchliche Verkündigung von vornherein umspielt wird mit bestimmten Erwartungen der Hörer. Das läßt sich an Advent und Weihnachten immer wieder leicht feststellen, und es ist viel erreicht, wenn das Leben der christlichen Familien und der Gottesdienst der diristlidien Gemeinde als ein gemeinsames und gleiches Erleben verstanden werden kann. So wird es deutlich, daß die Predigt nicht isoliert steht im Ganzen des Gemeindelebens, zumal des gottesdienstlichen Lebens der Gemeinde. Sie ist vielmehr ein Teil der Lebenswirklichkeit der Gemeinde und sie ist ein Teil ihrer Liturgie. Darum steht die Predigt nicht beziehungslos zum De-tempore der übrigen liturgischen Stücke. Praktisch wird es sich zumeist um Fragen nadi dem Kirchenjahr handeln, die an dieser Stelle der Predigtwerdung bedacht werden sollten, z. B.: Welche Bedeutung hat die Situation im Kirchenjahr für die Erwartungen der Hörer? Welchen Bezug hat der Text zu 11
L. Fendt, Grundriß der Praktischen Theologie für Studenten und Kandidaten, I. Bd., 2. Aufl., Tübingen 1949, S. 95.
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Einführung in die homiletische Praxis
dieser Situation? Für die Verdeutlichung durch De-tempore-Stücke kommt immer wieder der Bezug auf die Lektionen in Frage. Es kann sein, daß der Introitus zu einem Einstieg in die Predigt verhilft. Verstehenshilfen zu bieten, sind auch das Wochenlied oder das Predigtlied in der Lage. Wenn die Fragen nach dem Bezug zum Kirchenjahr als Bezug der Textaussagen zum Ganzen des Gottesdienstes beantwortet sind, dann liegt eine Fülle von Material für die eigentliche Predigt vor; aber noch ist es dem Urgestein vergleichbar in seinem Rohzustand oder einem völlig ungeordnetem Gebilde. Darum muß nun Ordnung im Großen gemacht werden. d) Erwägungen zur Gestaltung der Predigt. Nachdem das Material bereitgestellt ist, fragen wir: 1. Welche Predigt-Methode erscheint auf Grund des Textes geeignet? Die gewählte Methode hilft, den Weg abzustecken, auf dem wir vorgehen wollen. Die einzelnen Arbeitsabschnitte auf diesem Weg sind Sammeln — Ordnen - Auswählen. Gesammelt ist bereits alles das, was sich aus der bisherigen Arbeit an Material ergeben hat. Es kommt aber noch etwas hinzu, was bisher nicht berücksichtigt werden konnte, weil es an keiner Stelle auf dem Weg vom Text zur Predigt fixierbar ist, sondern sich überall ereignen kann und wird: Aus der Exegese und aus der homiletischen Besinnung, mit der diese gesamte Arbeit umgreifenden meditativen Reflexion, empfangen wir Denkanstöße, die spontan auf uns zukommen. Auch die Sammlung der Ergebnisse spontaner Reaktionen gehört in die Vorarbeiten für die Predigt. Spontane Reaktionen werden dadurdi gesammelt, daß sie - sofort - schriftlich festgehalten werden. Ordnung gewinnen wir durch das Ausscheiden des Unbrauchbaren, Streichen des Überflüssigen und Auswählen dessen, was für die Predigt verwendet werden soll. Ordnung und Sichtung können durch folgende Fragen gefördert werden: 2. Was gehört an den Anfang, was in die Mitte, was an das Ende der Predigt? Das ist noch keine Disposition, sondern eine vorläufige Ordnung des bereitgestellten Materials, aus der sich dann die Disposition ergibt. Eine solche Ordnung hat zur Voraussetzung, daß sich der Prediger klargemacht hat, worauf er auf Grund seiner Arbeit am Text hinaus will; denn erst dann kann er die Schritte bedenken, mit denen er sein Ziel zu erreichen gedenkt. So entsteht die Ordnung des Materials, aus dem die Predigt gestaltet werden soll, und der Prediger hat einen logischen Gedankenablauf vor sich.
Die Methoden der Predigtgestaltung
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Wenn er nun weiß, worauf er hinaus will, kann er weiterfragen: Wie fange ich an und wie sichere ich am Schluß den Ertrag? Welche Einleitung soll zur Textaussage hinführen, welcher Schluß soll die Aussage einprägsam machen? Einzelheiten über Einleitung und Schluß werden im nächsten Abschnitt im Zusammenhang mit den Fragen der Methoden der Predigtgestaltung dargelegt. Wie am Schluß der exegetischen Arbeit der Skopus des Textes erscheint, so verdichtet sidi die homiletische Besinnung am Schluß zur Formulierung des Themas der Predigt als Antwort auf die Frage: 3. Auf welche Formel ( = Thema der Predigt) kann das Ganze gebracht werden? 9. D i e M e t h o d e n
der
Predigtgestaltung
Die methodische Bemühung um Gestalt und Form der Predigt hat ihren theologischen Ort in der „notitia", mit der die „fides" ihren Anfang nimmt. Der Glaube ist Gottes Werk im Hl. Geist; was der Prediger tun kann, betrifft lediglich die Verstehenshilfen und die Aktivierung des Willens der Hörer. Daß der Prediger nach bestem Vermögen tun muß, was er mit seinen Mitteln tun kann, ist selbstverständlich. Wie er sich auf dem gesamten Wege vom Text zur Predigt um das Verstehen des Textes (Exegese) und um die Möglichkeiten, der Gemeinde von heute verstehbar weiterzusagen, was er verstanden hat (homiletische Besinnung), bemühen muß, so muß er auch die willensmäßige Bereitschaft zum Hören und zum Tun des Gehörten fördern durch äußerste Sorgfalt in der Gestaltung der Predigt, durch ihre zwingende Gedankenführung, die die Hörer klar und packend trifft. Man unterscheidet herkömmlich zwischen der „Homilie" als Textauslegung mittels der analytischen Methode und der „Thema-Predigt", die mit Hilfe der synthetischen Methode erarbeitet wird. 1. Die Homilie in ihrer klassisch zu nennenden Form kennt keine auf ein Thema hinführende Einleitung, sondern geht Vers für Vers am Text entlang, legt jeden einzelnen Vers aus (explicatio) und fügt jedem einzelnen Vers eine Anwendung hinzu (applicatio), so daß - wie W. Trillhaas treffend formuliert - „die ganze Homilie schließlich zu einer Perlenschnur von Kurzpredigten über einzelne Verse wird"32. Ohne einen Schlußteil endet sie mit einer kurzen Doxologie, vergleichbar etwa dem liturgischen Abschluß der Evangelienlesung: „Lob sei dir, o Christel" Diese Methode birgt in sich die Gefahr, daß die Hörer 82
W. Trillhaas, a. a. O., S. 129.
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den Überblick über das Ganze verlieren, weil der Text nidit mehr als Sinneinheit vor ihnen ersteht. Die Thema-Predigt kam auf, als in der alten Kirdie Prediger auftraten, die über das Bildungsgut der antiken Rhetorik verfügten und dies für die Praxis der Predigtgestaltung einbrachten. Ihre Methode wurde durch Melanchthon auch an die Kirchen der Reformation weitergegeben. Die nach den Regeln der Rhetorik aufgebaute ThemaPredigt älterer Art über ein Thema aus Glaube, Lehre und Leben des Christentums kann grundsätzlich auf einen Text verzichten oder sich damit begnügen, einen Text zu suchen, der in den Dienst des Themas gestellt wird. Am Anfang steht eine sorgfältig, zuweilen als Vorpredigt ausgebaute Einleitung, die zum Thema hinführt und in der Partition die abzuhandelnden Teile genau bezeichnet. In der Reihenfolge dieser Teile wird dann das Corpus der Predigt entfaltet. Ein zusammenfassender Schluß führt rekapitulierend oder belehrend auf das Thema zurück und endet mit einer admonitio oder einem „Ausblick in die Ewigkeit". Diese Methode hat den Vorzug straffer Gedankenführung; sie kann aber den Gefahren erliegen, denen der Verzicht auf einen Text oder die Unterordnung eines Textes unter das Thema ausgesetzt ist. 2. Seit dem Auftreten der Reformatoren mit ihrer „Predigt des Evangeliums" ist in den evangelischen Kirchen die Predigt immer Textauslegung gewesen und daher grundsätzlich als „Homilie" zu verstehen. Die exegetische Vorarbeit führt aber immer auf einen Skopus hin, so daß auch immer eine bestimmte Thematik gegeben ist. Damit sind zugleich Modifizierungen in den Predigtmethoden in Erscheinung getreten, die die Gestaltung der evangelischen Predigt noch heute maßgeblich bestimmen. Die analytische Methode heute ergibt eine Homilie, die ein Thema hat. Der Skopus des Textes ergibt das Thema, das immer mitschwingt, aber erst im zusammenfassenden Schluß als krönender Abschluß genannt wird. Eine Einleitung erübrigt sich. Die Gliederung bestimmt der Text, nicht das „heimliche" Thema. Den kurzen Schluß ergibt die Zusammenfassung des Dargebotenen mit dem nunmehr zu nennenden Thema. Die synthetische Methode heute ergibt eine Thema-Predigt, die mit der Homilie die Textauslegung gemeinsam hat. Das aus dem Skopus des Textes gewonnene Thema wird am Beginn der Predigt ausdrücklich genannt, indem die Einleitung als Hinführung zum Thema gestaltet wird. Die Gliederung des Hauptteiles bestimmt das Thema. Im
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Schlußteil faßt man das Ganze der Textaussage noch einmal knapp und straff zusammen, um es als Gottes Appell an die heutige Gemeinde heranzutragen. 3. Im Hauptteil der Predigt (Corpus der Predigt) wird das Thema mit denjenigen Mitteln behandelt, die der Text an die Hand gibt. Das ist eine grundlegende und für die Predigt entscheidende Einschränkung: nicht mit allen möglichen Mitteln, sondern mit den Mitteln, die der Text an die Hand gibt! Zur Unterstreichung der vom Text dargereichten Mittel sind aber erlaubt: a) Mittel aus dem Ganzen der Bibel; b) Mittel aus der Religions-, Sitten- und Weltgeschichte; c) Mittel aus der Erfahrung. Aber alle diese (und ähnlidie) Mittel sind nur erlaubt - den tenor müssen die vom Text gelieferten Mittel abgeben. Die erlaubten Mittel verwandeln sich sofort in unerlaubte, wenn sie vom Text selbst ablenken wollen und können. Vielmehr sollen alle erlaubten Mittel nur der Unterstreichung des vom Text Dargebotenen dienen. Der Hauptteil der Predigt arbeitet nicht bloß den Sinn des Textes heraus, sondern zugleich den Willen des Textes, der der Wille Jesu Christi (oder seiner Apostel und der Apostelschüler im Geiste Christi) und so der Wille Gottes ist. Die Predigt bringt diesen Willen des Textes als das Eingreifen Gottes in das Leben der hörenden Gemeinde von heute vor. Eben als eine Offenbarung Gottes. - Eine Predigt über einen alttestamentlichen Text wird nicht verfehlen, den Willen des alttestamentlichen Textes als übereinstimmend mit dem Willen Jesu, demnach mit dem Willen Gottes, als eine Offenbarung Gottes, durch Bezugnahme auf das N . T. zu erweisen. Zu beachten ist: Am Anfang des Hauptteiles bringt man noch nicht die stärksten Waffen, sondern man beginnt mit den schwächeren, steigert die Stärke allmählich - und spielt am Ende des Hauptteils den Trumpf aus. Und dann fügt nur ein Stümper noch einiges Schwächere bei, der Sachkenner hört auf, wenn die Sache auf den Gipfel geführt ist. Da es eine Predigt werden soll, also Verkündigung an die Gemeinde von heute, also Fortsetzung des Botschaftswerkes Jesu mit den biblischen Mitteln, darum muß der Hauptteil der Predigt so gebaut sein, daß die Gemeinde von heute fortwährend mit dem Text, mit dessen Thema und mit dessen Willen konfrontiert wird. H a t die eigentliche Fortsetzung des Botschaftswerkes Jesu mit den biblisdien Mitteln zu geschehen, so ist die eigentliche evangelische Predigt die beim Text bleibende und am Text geschehende. Jedenfalls hat sich der angehende Prediger diese Predigtart einzuüben, - darin muß er bewandert sein - ,
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geht er dann später in seiner Predigtarbeit einmal die Wege anderer Predigtarten, dann kann er auch darin nie ganz unbiblisch werden. Der Einleitung kommt insofern besondere Bedeutung zu, als durch sie alles Folgende determiniert wird. Darum ist die Einleitung gründlich zu überlegen und sorgfältig festzulegen. Häufig entscheiden bereits die ersten Sätze, ob die Hörer mit großer Erwartung bei der Sache bleiben oder ob sie abschalten. Widitig ist es, daß sich der Prediger zuerst — mittels der Exegese und der homiletischen Besinnung - Klarheit über den Sachgehalt verschafft hat. Erst wenn er diese Klarheit hat, erst wenn er weiß, worauf er hinaus will, kann er sich fragen: Wie fange ich an? Für den ersten Satz gelten die Regeln: Der erste Satz soll formal kurz sein, damit die Hörer mitzugehen vermögen, und er soll inhaltlich offen sein, damit die Hörer nachdenklich oder gar stutzig gemacht und zum weiteren Mitdenken angeregt werden 33 . Inhaltlich geht es bei der Einleitung um die Entscheidung, ob der Prediger mit dem Bezug auf den Text oder mit dem Bezug auf die Gemeinde anfangen will. Der textbezogene Predigtanfang hat die Funktion, das Thema der Predigt anzugeben, wie es sich aus der Arbeit am Text ergeben hat. Das Thema kann sogleich im ersten Satz genannt werden, oder eine knappe Einleitung kann auf das Thema hinführen. Auch eine kurze Charakterisierung des Textes kann diesen Dienst leisten. Hingegen ist der Wert einer Einführung in die Einleitungsfragen sehr zweifelhaft; sie kann der ganzen Predigt das heimliche Thema geben: „Es war einmal"! Der gemeindebezogene Predigtanfang kann Freuden oder Nöte der Gemeinde in der Welt oder besondere Ereignisse innerhalb der Gemeinde zum Ausgangspunkt machen, von dem aus die Hörer an das Thema herangeführt werden. Ein solcher Anfang kann auch als Bezugnahme auf die gottesdienstliche Situation der gegenwärtig versammelten Gemeinde gestaltet werden. Besonders an Festtagen liegt der Bezug auf die Liturgie oder auf das Kirchenjahr nahe; aber gerade dann sollte die Gefahr der lediglich sentimentalen Rührung und bloß frommen Stimmung nicht übersehen werden! Für den Predigtschluß gelten folgende formalen Regeln: Er muß kurz sein und er muß frei sein vom Pathos. Je kürzer und je ruhiger der Schluß ist, desto besser ist er. Inhaltlich geht es um die Zusammenfassung der dargebotenen Bibelinhalte. Bei der „Homilie" wird hier das Thema genannt. Eine „Weisung zur T a t " ist möglich. Richtig ist eine Verbindung zur Liturgie des Sonntags oder des Festtages, damit die Gemeinde mit ihrem » Vgl. M. Josuttis, Über den Predigtanfang, in: MPTh 53. Jg. 1964, S. 474 ff.
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Predigtlied die Gedanken aufnehmen kann, in die die Predigt ausmündete. So bildet das Ganze des Gottesdienstes eine starke innere Einheit. Fast noch wichtiger als für die Einleitung ist die sorgfältige Festlegung der Gedanken für den Schluß. Ein Mangel an Sorgfalt bringt den Prediger in die Gefahr, „vom Hundertsten ins Tausendste" zu kommen und den Abschluß nicht zu finden! Sorgfältige Festlegung des Gedankenablaufs in Form einer PredigtDisposition ist die beste Waffe gegen das Geschwätz auf der Kanzel! Die angegebenen Methoden und methodischen Kunstgriffe für die Gestaltung der Predigt sollten vom Studierenden der Homiletik beachtet werden; sie bedeuten aber für die Predigtpraxis im Amt der Kirche weder Zwang noch Gewalt, sondern sollen lediglidi als Hilfen verstanden werden. Die Predigt braucht weder wie eine Homilie auszusehen noch wie eine Thema-Predigt; sie darf durchaus der Eigenart des Predigers entsprechen. Darum gebührt dem geübten Prediger hinsichtlich der Methode der Predigtgestaltung größte Freiheit34. W. Trillhaas, der ebenfalls jeden gesetzlichen Zwang hinsichtlidi der Anwendung bestimmter Methoden ablehnt, fordert soviel, „daß jeder Prediger ein gewisses ,methodisches Bewußtsein' hat und sich über den eingeschlagenen Weg rechtfertigen kann." Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der Methoden und Klarheit über die Vorzüge und Nachteile der einzelnen Gestaltungsformen. Praktische Erwägungen, die eine Entscheidung über die jeweils einzuschlagende Methode herbeiführen, betreffen entweder den Text oder das Können des Predigers oder auch den Stand der Gemeinde. „Wir sind hier jedenfalls an der Grenze angelangt, wo die .praktische' Theologie haltmachen und die Verantwortung dem Prediger übertragen werden muß. Er entscheide nach bestem Wissen und Gewissen und bedenke: Summa utilitas omnis regula"ss! 4. Ein besonderer Fall der synthetischen Predigt ist die allegorische Predigt. Wir meinen damit nicht die mystischen, theosophischen, ja kabbalistischen Möglichkeiten, sondern direkt die Behandlung eines neutestamentlichen Textes, als ob darin das jeweils dem Prediger (und vielleicht auch der Zuhörerschaft) wichtige Thema stecke, und die Behandlung eines alttestamentlichen Textes, als ob darin geradewegs die neutestamentlidie Botschaft Jesu erklänge. Diese Art der Predigt ist schlechthin modern und tut ungeheure Wirkungen. Wie kommt es, daß ein Prediger diese Art liebt und die Zuhörerschaft solche Art schätzt? Beim Prediger, der unabänderlich die Botschaft Jesu vom Reich Gottes ** L. Fendt, Grundriß der Praktischen Theologie, I. Bd., 2. Aufl. 1949, S. 97. 85 W. Trillhaas, a. a. O., S. 133 f. 7 Fendt-Klaus, Homiletik, 2. Aufl.
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verkündigt, muß doch wohl eine Freude erwacht sein, diese Jesusbotschaft nun gerade in Texten zu suchen und zu finden, die sie eigentlich nicht enthalten oder doch nicht so enthalten! Im Hintergrund liegt dann die Müdigkeit, immerfort aus den üblichen Texten das Übliche herausarbeiten zu sollen, - es soll einmal das Übliche aus anderen Texten herausgeholt werden! Bei den Zuhörern dürfte es ähnlich sein: Man will einmal neue Texte das alte Evangelium sagen hören! Zum zweiten gehört aber dazu eine Art Genugtuung, nun endlich das „rechte" Verständnis von biblisdien Stellen gefunden zu haben. Zum dritten (und nicht zum letzten!) wirkt hier gewiß auch die sogenannte „liturgische Exegese" mit; man ist aus dem Gottesdienst gewöhnt, Bibelstellen im Introitus, in Zurufen, in Segenssprüchen usw. auf Feste, Kasualien, Vorbilder „angewandt" zu sehen, mit denen die Bibelstellen an und für sich gewiß nichts zu tun haben, aber die betende Gemeinde betet mit solchen biblisdien Worten das Tagesgebet. Warum soll man dann nicht entsprechend der „liturgischen Exegese" auch predigen können? Kurz: die allegorische christliche Predigt ist ein Versuch, der Schulexegese nun gerade in der Kirche zu entkommen und ganz „kirchlich" zu sein, ohne Hörsaalgeschmack. Darin geben wir nun der allegorischen Predigt recht: Man soll in einer Predigt nichts mehr merken von dem Hörsaal und der Sdiulexegese. Natürlich: geschehen muß die Schulexegese (und sie geschieht im Hörsaal maßgeblich), vor jeder Predigt muß die Schulexegese ihr Recht finden - aber nicht in der Predigt. Hier, in der Predigt, muß ganz „Kirche" sein! Aber diese „Kirchlichkeit" wird nicht durch „liturgische Exegese" erreicht, sondern durch wirkliche Verkündigung der im Text wirklich liegenden Botschaft Jesu Christi. Darum hat die Predigt „liturgisch" zu sein, was etwas anderes ist als „liturgische Exegese"; nämlidi die Predigt ist „liturgisch" durch ihre Bestimmung, dem Handeln Gottes in der Versammlung Raum zu geben, - die „liturgische Exegese" aber heißt „liturgisch" aus einem defectus exegesis: An die Stelle der Exegese setzt sie die „liturgische Stimmung". Was aber die Müdigkeit anlangt, die Prediger und Gemeinden den alten Texten mit dem ewig alten Inhalt gegenüber empfinden wollen, - diese Müdigkeit muß behoben werden; aber kann sie wirklich dauernd behoben werden durch Einlegung der alten Inhalte in Texte, die nichts davon wissen? Wird nicht mit der Zeit das Quid pro quo erkannt werden, zum Unheil für „die ewig alten Inhalte"? Die Behebung der Müdigkeit gegenüber jenen alten Texten mit den alten Inhalten muß geschehen durch echte Beleuchtung der Szenerie mittels der Gleichzeitig-
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machung der alten Texte und Inhalte mit uns, mit unserer verlorenen, hoffnungslosen, sündhaften und adi so zum Himmel schreienden Situation. Schließlich: Wenn Prediger und Gemeinden glauben sollten, durch Allegorie hätten sie das „riditige" Verständnis einer Bibelstelle gewonnen, dann kann man ihnen nur ein „Halt!" zurufen und sie um der Offenbarung willen zum wirklichen Text und seinem wirklichen Inhalt zurückrufen. Aber natürlich braucht man darüber nun keinem „allegorischen" Prediger gram zu sein, sondern man verfahre nach Philipper 1 , 1 8 - und gehe selbst den natürlichen und gesunden Weg. Alle Maße sprengte z. B. Kohlbrügge, wenn er über II Chron 29,27: „Und um die Zeit, da man anfing das Brandopfer, fing audi an der Gesang des Herrn und die Drommeten und dazwischen mancherlei Saitenspiel Davids, des Königs in Israel", von der Rechtfertigung aus Glauben allein predigte, die uns fröhlich macht! Aber es ist eine gewaltige Predigt geworden - bloß nicht über den Text! Walter Scott hat in seinem Roman Old Mortality (deutsche Übersetzung unter dem Titel „Die Presbyterianer" von Benno Tschischwitz, 1876) das Letzte an Gewagtheit und Willkür gezeichnet, was der Bibel durch leidenschaftliche Redner, die schlechteste Exegeten sind, angetan werden kann (Frau Mause - der Prediger Pauker - Macbriar Bruder Habakuk). Zum Thema „Allegorie" sagt Melanchthon in der Apologie Art. X I I : „Wenn die Sache mit Allegorien auszurichten wäre, so würde jedermann Allegorien finden, ihm dienlich. Aber alle Verständigen wissen, daß man in solchen hochwichtigen Sachen vor Gott gewiß und klar Gottes Wort haben muß, und nicht dunkle und fremde Sprüche herzuziehen mit Gewalt. Solche ungewissen Deutungen halten den Stich nicht vor Gottes Gericht." (Das ist zwar in Bezug auf die „Messe" und die katholischen Theorien davon gesagt - aber es gilt für alle „hochwichtigen Sachen".) Schon der große Basilius ( f 379) hat in der letzten Homilie zum Hexaemeron gegen die Auslegung durch Allegorese geeifert: „Ich denke an Heu, wenn ich das Wort Heu höre, an Pflanzen und Fische und wildes und zahmes Getier, und alles andere nehme idi als das, was sein Name sagt. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht." Allegorisieren heißt „seine Weisheit über die Aussprüche des Hl. Geistes stellen und unter dem Vorwand der Erklärung seine eigenen Einbildungen einführen" (vgl. Horn. 2. in Haxaem. no. 5 und Horn. 3. no. 9; vgl. Krieg-Ries, Homiletik S. 38). 7*
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Einführung in die homiletische Praxis 10. B e i s p i e l e f ü r P r e d i g t e n n a c h v e r s c h i e d e n e n M e t h o d e n üb er M k 1 0 , 1 3 - 1 6
Der Text: „Sie brachten Kindlein zu Jesus, daß er sie anrührte. Die Jünger aber fuhren die an, die sie trugen. Da es aber Jesus sah, ward er. unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes. Wahrlich ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt als ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie." Ergebnis der Exegese: Nehmen wir an (man kann darüber verschiedener Meinung sein!), Hauptskopus dieser Perikope sei die Wiedergeburt, die Neugeburt zum Reich Gottes. Die Szene mit den Kindern bedeutet dann: Wie Kinder noch den „Frühling der Geburt" an sich tragen, so sollen euch Erwachsenen die Kinder ein Zeichen dafür sein: „Audi ihr Erwachsenen müßt für das Reich Gottes neu geboren werden." Mittelpunkt der Perikope ist also die Ansprache an die Erwachsenen, die den Sinn hat: „Wenn ihr Erwachsenen das Reich Gottes nicht aufnehmt wie ein Kindlein, nämlich mit Neugeburt, so werdet ihr nicht hineinkommen." Das alles stellt die Exegese heraus. Die homiletische Besinnung fördert folgendes zutage: Ich muß in meiner Gemeinde die Ruhe stören; ich muß meiner Gemeinde klarmachen: Es reicht nicht aus, geboren zu sein, heranzuwachsen, zu altern, zu sterben, - für das Reich Gottes reicht das nicht aus, so schwer das alles wiegt; für das Reich Gottes muß es Neugeburt sein! Gott muß euch neugebären - und ihr müßt als Neugeborene wandeln! Das liegt jeder Gemeinde sehr fern, also auch der meinen. Mit allen Schrecken und Lockungen werde ich meine Gemeinde doch nicht zur Sehnsucht nach der Neugeburt bringen, wenn es sich um eine göttliche Tat für göttliche Bezirke (und nicht um eine menschliche Tat im menschlichen Bezirk!) handelt. So will ich meiner Gemeinde einfach vorlegen: Jesus war es, der so meinte, Jesus wollte es so, es ist Offenbarung Gottesl An euch, für euch! - Die Gemeinde wird intellektuelle Schwierigkeiten haben wie Nikodemus: „Gibt es denn so etwas? Gibt es denn eine göttliche Neugeburt für den göttlichen Bezirk?" Die Gemeinde wird, durch ihre Versuche zu neuem Wandel auf Grund der Taufe oft und oft enttäuscht, nicht recht an einen neuen Versuch, im göttlichen Bezirk neu zu wandeln, heran wollen. Die intellektuellen Schwierigkeiten kann ich nicht lösen, Jesus hat sie dem Nikodemus auch nicht gelöst, - auch ich muß mich damit begnügen: „Jesus wollte es so, - es ist also Gott, der es so will, - Gottes Offenbarung tut die
Beispiele für Predigten nach verschiedenen Methoden über Mk 10,13-16 101 Neugeburt." Daß aber die Gemeinde einen neuen Versuch macht, in der Neugeburt zu -wandeln, das kann ich dadurch erreichen, daß ich Jesu Willen, Gottes Willen als unser größtes Glück schildere, in dem Sinn: Wenn es Jesu Wille, Gottes Wille mit uns ist, dann liegt darin Erlösung, Heil, Zukunft, - wer das versäumen würde, der hätte alles versäumt, darum: Versucht es noch einmal! Die Sprache des Ganzen überlege ich mir gut. Sie muß so sein, daß die Gemeinde auf die Forderung der Neugeburt stark hingewiesen wird, wirklich aufhorcht - und so, daß die Gemeinde es noch einmal wagen will, im Licht der Neugeburt zu wandeln. Ordnen werde ich die Sache zweckdienlich so: I. Die Kinder-Szene und der Unwille der Jünger; II. das hohe Jesuswort vom Neugeborenwerden der Erwachsenen; III. Jesu Zärtlichkeit gegenüber den Kindern. a) Beispiel für eine Thema-Predigt der neueren Art 1. Die Einleitung nennt das Thema. Aber die Nennung des Themas darf nicht nüchtern sein wie im Hörsaal, sondern sie muß das Interesse der Gemeinde geradezu erregen. Also werde ich etwa sagen: „Dieser Text macht unserem Niedergang ein Ende; von da aus geht es nun wirklich aufwärts! Endlich geht Gott an das Werk mit uns! Alles Leben wird neu, entschieden neu, Neugeburt aller Hiesigen, ja aller Menschen. Davon handelt unser Text, nun hört!" 2. Das Corpus der Predigt sieht etwa so aus: „Sie brachten Kindlein zu Jesus, daß er sie anrührte." Haltet euch nicht bei den Äußerlichkeiten auf, denkt nach: Was für einen guten Ruf muß Jesus bei den Müttern seines Landes und bei den Kindern gehabt haben, wenn so etwas geschah! Welches Zutrauen der Mütter! Welche Freude der Kinder! Wir ahnen: Jesus war anders, tiefer, göttlicher, als man so täglich annimmt. Gott war in ihm, Gott sprach in ihm, Gott handelte in ihm. Das merkten die Mütter, und das ahnten die Kinder, - „und sie brachten Kindlein zu ihm, daß er sie anrührte". Aber die Jünger Jesu hatten auch recht. Gerade weil Jesus so tief göttlich war, Gottes Handeln und Reden auf Erden war, das Reich Gottes verkündigte und tat, - gerade darum war er zu gut zum Kinder-Berühren. Erwachsene, ja nur Erwachsene gehörten her. Bürger des herangekommenen Gottesreiches. Entscheidungen mußten fallen, die bis in die Ewigkeit hineinreiditen. Wenn schon Mütter kamen, dann als Erwachsene, dann als Hörerinnen des Gottesboten vom Reich Gottes, - aber nicht, um Kinder anrühren zu lassen, - das verschiebt doch die ganze Jesussadie auf ein kindisches Geleise. Wir dürfen sagen:
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„Gut gemacht, ihr Jünger! Ihr habt die Jesussadie verstanden, ihr wißt, daß es um Erwachsene geht! Mit Recht habt ihr die angefahren, die die Kinder herzutrugen!" Aber man lernt nie aus. Gerade über die Jünger und ihr Verhalten wurde nun Jesus unwilligl Unwillig wurde Jesus! So etwas! Und Jesus verlangte: „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht." Wollte denn Jesus ausspannen? Wollte er seine Botschaft vom gekommenen Reich Gottes einige Augenblicke vergessen? Wollte er mit Kindern tändeln? Nein. Ganz gewiß nicht. Jesus blieb auch hier ganz seiner Sendung treu. Wie eine Fahne pflanzte er vor den Jüngern die Tatsache auf: „Kinder, gerade Kinder, gehören in meine Reichgottesverkündigung hinein!" Darum: „Lasset die Kindlein zu mir kommen!" Und wir fragen nun: Ja, inwiefern gehören die Kinder in die Sendung und Arbeit Jesu, nämlich in das Botschaftswerk vom Reich Gottes hinein? Die Antwort Jesu heißt: „Solcher ist das Reidi Gottes." Solcher? Was soll das heißen? Auf keinen Fall heißt es: „Den Kindern gehört das Reich Gottes", - da hätte Jesus doch gesagt: „Dieser ist das Reich Gottes!" Er sagte aber: „Solcher!" Es geht um ein Bild. Also die Kinder gehören in die Reidigottespredigt Jesu hinein, weil sie ein Bild von denjenigen sind, die Reichgottesbürger werden können! Ein Bild für die Reichgottesbürger sind die Kinder! „Solcher" ist das Reich Gottes. Darum das hohe Jesuswort an die Jünger, das dem Sinn nach heißt: „Wenn ihr das Reich Gottes nicht aufnehmt wie die Kinder, werdet ihr nicht hineinkommen." „Wie die Kinder?" Was soll das nun heißen? Viel hat man darüber geredet, geraten, entschieden, und man kann wirklich verschiedener Meinung sein. Aber nehmt alles in allem - mir ist kein Zweifel, daß Jesus sagen wollte: „Die Kinder erinnern nodi an ihre Geburt, die Kinder duften noch nach dem Frühling der Geburt - „Geburt, Geburt" ruft uns ein Kleinkind zu - nun also: Neugeburt ruft Jesus eudi Erwachsenen zu - „Neugeburt" rufen euch Erwachsenen die Kinder zu - „Neugeburt für das Reich Gottes, ihr Erwachsenen!", „wenn ihr nidit für das Reich Gottes neugeboren werdet wie diese Kinder für die Erde neugeboren sind, so werdet ihr Erwachsenen nicht in das Reich Gottes kommen." Also dieselbe Aufforderung, die Jesus in der Nikodemus-Perikope an Nikodemus stellt! Das ist das Ende unseres Niedergangs, das ist Aufbrudi zu wirklich Neuem: Gott will und wird uns neu gebären, uns Erwachsene, - und wir werden dann neu wandeln! Tritt das aber nicht ein, dann hat die ganze Jesussache für uns keinerlei Bedeutung mehr. Darum: Neugeburt, Wiedergeburt, durch Gott, für das Reich Gottes, und neuer
Beispiele für Predigten nach verschiedenen Methoden über Mk 10,13-16 103 Wandel im Reich! Jedes Kind, das ihr seht, soll euch daran erinnern, wieder und wieder und immer wieder. Von heute ab! Es soll auch bei euch heißen: Lasset Kindlein kommen, sie sollen uns Erwachsene an die Gottes- und Christussache erinnern: Neu werden, durch Gott neu werden und neu wandeln! Sonst kommt es zu dem Ende: „Ich kenne euch nicht — ich kenne dich nicht." Darum die merkwürdige Begebenheit: Jesus rührte schließlich die Kinder wirklich an! Er legte ihnen die Hände auf! Er segnete sie! Er liebkoste sie! Aber das alles, alles nur um den Erwachsenen zuzurufen: Neugeburt! Gottesgeburt! Euer Wandel! Gotteswandel! Es werde Licht! Und es wird Licht. Verzweifelt nicht. Eine große Erneuerung kommt! Gott ist am Werk. Kommt! Sehet! Wandelt! Weicht nicht noch einmal aus! Ihr habt schon viel verloren, allzuviel - nun verliert nicht auch noch Gottes Tat, Gottes Heil! Kommt! Kommt zu Jesus - da findet sich alles weitere. Haltet zu Jesus! 3. Der Schluß der Predigt: „Frohe Botschaft für uns Verlassene und Verlorene habt ihr vernommen. Einst las man euch dieses KinderEvangelium (das doch den Erwachsenen gilt!) in der Taufe vor, als Gottes Tat an euch geschah. Da habt ihr es nicht gehört. Heute habt ihr es gehört! Die Botschaft Jesu ist unter euch getreten, der Botschafter Jesus wartet auf euch. Der Ruf ist ergangen, der Ruf zum Aufstieg, zur Erneuerung. Nun sprecht: Ich glaube, Herr, hilf aber meinem Unglauben - ich folge, Herr, hilf aber meiner Schwachheit - ich liebe, Herr, laß meine Liebe entbrennen wie Gottes Liebe zu uns. Gott hat es unter euch nun begonnen - euer ist die Tat! Amen." b) Beispiel für eine Homilie 1. Eine Einleitung fällt weg, da das Thema ja nicht gleich zu Anfang genannt wird, sondern erst am Schluß als Frucht der Bibelarbeit herauskommt. Will man trotzdem eine Einleitung machen, so kann diese nur andere Einleitungsmotive enthalten, z. B.: Bezugnahme auf den heutigen Festtag, - auf eine besondere Not, - auf eine Frage, die gerade aktuell ist u. ä. m. Dagegen wird der Schluß der Predigt als „Offenlegen der Karten" besonders wichtig, - während das Corpus der Predigt in allem auf das Thema hinarbeitet. 2. Man geht also am besten ohne Einleitung in medias res und fängt einfach mit dem Text an. „Sie brachten Kindlein zu Jesus, daß er sie anrührte." Für unser Empfinden ein „abergläubisches" Beginnen! Anrühren? Wozu denn? Was hat solches Anrühren mit dem Reich Gottes zu tun? Das Wort, das Wort Jesu, das Hören und der Gehorsam, -
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das Wort muß es tun! Aber nicht das „Anrühren"; die hätten es sich ja leicht gemacht. Wir sehen jedenfalls keinerlei Beziehung des „Anrührens" zum Reich Gottes. Wir nicht. Auch die Apostel sahen keine Beziehung des „Anrührens" zum Reich Gottes. Darum schalten sie, murrten, begehrten auf, waren außer sich. Aber Jesus sah eine Beziehung! Zwar nicht eine Beziehung des Anrührens zum Reich Gottes, - aber eine Beziehung der anzurührenden Kinder zum Reich Gottes. Und zwar sah Jesus eine so starke Beziehung, daß er - welch ein Schrekken - über die Apostel und ihr Gebaren unwillig wurde! Sie kamen ihm wieder einmal als unfähig vor, unfähig, die Dinge des Reiches Gottes zu fassen! Nun klärteer sie auf: Kinder stehen gar wohl in einer Beziehung zum Reich Gottes, - „solche", wie die Kinder sind, werden das Reich Gottes erben! Und wenn ihr nidit „solche" werdet, wie die Kinder es darstellen, so werdet ihr, meine geliebten Apostel, die ihr euch so tolpatschig stellen könnt, nicht in das Reich Gottes eingehen! „Solche" wie die Kinder, müssen die Apostel werden, müssen wir werden! Dann gehen die Apostel, dann gehen wir ins Reich Gottes ein. „Solche!" „Solcherlei!" Also fragen wir: „Welcherlei?" Mit den Kindern hat es etwas zu tun, das „Solcherlei". Aber was hat es mit den Kindern zu tun? Ausgeschlossen dürfte sein: „Nur die Kinder kommen ins Reich Gottes." Jesus sprach ja zu Erwachsenen — von „Solcherlei", wie es die Kinder darstellen! Aber befragen wir doch das übrige N. T., besonders die Nikodemus-Perikope! Hier erhalten wir die Antwort: „Die Erwachsenen müssen eine Neugeburt durchmachen, eine Neugeburt für das Reich Gottes! Die Erwachsenen müssen aufhören, in ihrem gewohnten Lebensstil weiterzufahren, - sie müssen neu beginnen, von vorn beginnen, müssen neu geboren werden!" Und das haben nun die Kinder mit dieser Neugeburt zu tun: Die Kinder sind erst seit kurzem geboren, „Kinder" und „Geburt" denkt man leicht zusammen, - wenn ein Erwachsener Kinder sieht, dann denkt er an Neues, an frisch Geborenes, - so soll denn der Erwadisene jedesmal denken: „Auch ich muß in eine Geburt hinein, auch ich muß noch einmal ein neugeborenes Kind werden, nämlich für das Reich Gottes, in das Reich Gottes, durdi Gottes Tat, zu einem neuen Lebenswandel." „Solcherlei", wie die Kinder, müssen wir Erwachsenen werden. Aber auf dem Boden des Reiches Gottes, nicht auf dem Boden der Geburtsklinik. Also: Wiedergeburt durch Gott, — neuer Wandel in Gott! Gerade das, was Jesu Plakat „Reich Gottes" ausrief: „Das Reich Gottes ist herbeigekommen, - ändert euern Sinn, - glaubt dem Botschafter und der Botschaft vom Reich, — lebt darin." Diese Wendung vom Bisherigen
Beispiele für Predigten nadi verschiedenen Methoden über Mk 10,13-16 105 und Gewohnten zum Göttlich-Neuen - und Gott ist es, der uns „wendet" - und wir wandeln dann im Neuen, - das ist die Wiedergeburt, die Neugeburt, für das Reich Gottes! Dann sind wir die „Solcherlei". Und an dies „Solcherlei" erinnern uns die Kinder durch ihre Nähe zur Geburt. Aber es gilt wohl auch den Kindern, wenn sie nicht bloß für diese Erde geboren sind, sondern wenn sie zugleich neugeboren werden für das Reich Gottes! Ein getauftes Kind erinnert noch stärker an das „Solcherlei"! Indem Jesus nachher die Kinder „anrührte", d. h. sie segnete und liebkoste, machte er, kraft seiner göttlichen Vollmacht, das Kindesalter zum Gleichnis der Neugeburt in das Reidi Gottes, ein für allemal - und seitdem braucht man nicht mehr nach Gleichnissen für die Neugeburt ins Reich Gottes zu suchen. Aber indem Jesus die Kinder liebkoste und segnete, machte er zugleich jene Kinder zu Vorbildern getaufter Kinder, zu Vorbildern jener Kinder, die nicht bloß Gleichnisse der Wiedergeburt sein werden, sondern selbst wiedergeboren sind für das Reich Gottes. Darum wurde Mk 10,13—16 (und Parallelen) schon im Mittelalter zum evangelium puerorum, zum Kinderevangelium. 3. Der Schluß der Homilie: So erhebt sich über unserem Text das Spruchband: „Wiedergeburt! Neugeburt! Für das Reich Gottes! Für alle Reichgottesbürger!" Und der Text selbst führt die Kinder eures Dorfes vor euch hin: Und siehe da, diese Kinder haben von Jesus den Auftrag, euch zu fragen: Bist du neugeboren für das Reich Gottes? Wandelst du neu, anders als vorher? Und wenn du „nein" sagen mußt: Die Sache ist nicht vorüber, - immer wieder werden die Kinder vor dich kommen, immer wieder wird es Kinder geben, und immer wieder, bis an dein Ende, werden sie dir im Auftrag Jesu zurufen: „Neugeburt, mein Lieber, Neugeburt zum Reich Gottes!" Und du wirst erst Ruhe finden, wenn du antwortest: „Ja, Herr Jesus, ich will, ich komme, ziehe mich zum Vater. Amen." c) Beispiel für eine Thema-Predigt
der älteren Art
(Skizze)
Aus dem Text hätte der Prediger das Thema entnommen: „Wiedergeburt für das Reich Gottes." Dieses Thema nun hätte er frei von allen Richtungen her, darunter auch von der biblischen Richtung her, behandelt. Als Einleitung hätte er etwa vorgebracht: „Unser Text führt uns zur Besinnung auf die Wichtigkeit der Neugeburt, der göttlichen Wiedergeburt. Diese Wichtigkeit ist eminent. Denn die Gestalt dieser Welt vergeht; aber was aus Gott geboren ist, das bleibt in alle Ewigkeit." Das Corpus der Predigt hätte etwa so ausgesehen: A. Be-
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Einführung in die homiletische Praxis
Schreibung der Wiedergeburt nach Johannes, Paulus, Petrus. B. Beschreibung der Wichtigkeit der Neugeburt nach Mk 10,13-16, Johannes, Paulus, Petrus, Apocalypse. C. Heranziehung der heidnischen Wiedergeburt-Riten (Mysterien), um die Sehnsucht und das Ahnen der Menschheit im Sinn des Themas zu illustrieren. D. Äußerungen von Dichtern und Denkern zur Wiedergeburt (cf. Goethe: „Und solang du dies nicht hast, dieses Stirb und Werde usw."). E. Rückkehr zur Perikope Mk 10,13-16: So wird die Perikope klar und eindeutig, - auch sie ruft uns zu: Neugeburt, Wiedergeburt ist von absoluter Notwendigkeit für die Bürger des Reiches Gottes. Zum Schluß: „Wie sollte das nicht auch für uns gelten? Wir sind Menschen dieser vergänglichen Welt; aber wir können neu geboren werden zur unvergänglichen Welt des Reiches Gottes! Wir sind müde all des Alten und ewig Gestrigen, wir wollen ein Neues. Hier steht es bereit! In uns lebt die Sehnsucht und die Ahnung der Allerbesten dieser Welt, und wir schauen die Erfüllung: Gotteskinder werden in einer göttlichen Neugeburt! So laßt uns herantreten zu dem Herrn der Neugeburt, - es beginne das Wunder im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen." d) Beispiel für eine verfehlte Thema-Predigt älteren Art (Skizze)
der
Verfehlt wäre die Predigt - auch nach dem Urteil der Themaprediger der alten Art - , wenn der Prediger es sich einfallen ließe (und manche ließen es sich leider einfallen), nun das Thema „Wiedergeburt" losgelöst von der Bibel, im säkularisierten Sinn zu behandeln. Also etwa so: I. Einleitung: „Aus dem eben verlesenen Text tönt uns das Wort entgegen: ,Wie die Kinder!' Wir Erwachsene müssen wie die Kinder werden. Laßt uns darüber nachdenken, was da von uns verlangt wird." II. Das Corpus der Predigt: A. Kinder sind natürlich, einfach, gehen auf das Beispiel der Erwachsenen ein, vertrauen ihnen, haben einen gewissen Schmelz der Unschuld und der Unberührtheit. B. Obwohl wir Erwachsene nicht mehr zu Kindern werden können ach, für immer ist das schöne Kindesalter dahin - , so können wir uns doch bemühen, jene Kindertugenden von neuem in uns erblühen zu lassen. Also: Weg mit der Unnatürlichkeit der sogenannten guten Gesellschaft, der Bildung und des Kastenwesens! Weg mit dem Luxus und der übertriebenen Gier nach Genuß! Weg auch mit der Pose, dem Ehrgeiz, der Ruhmsucht! Weg mit der Meinung, du seiest allein auf der Welt und die Welt warte auf dich, - vielmehr wähle dir große Vor-
Beispiele für Predigten nach verschiedenen Methoden über Mk 10,13-16 107 bilder und folge ihnen nach! Weg mit dem allseitigen Mißtrauen, sei vorsichtig, aber übe Vertrauen und Liebe! Es kehre wieder, zwar nicht das Kindesalter, aber die Unschuld und Güte des Kindesalters, das Vertrauen, die Selbstverständlichkeit guter Absichten, die Spielschar, die Schar der guten Freunde und Freundinnen! III. Der Schluß: So spricht unser Text das tiefste Sehnen der gegenwärtigen Menschheit aus, - helfen wir mit, daß diese Sehnsucht wenigstens in einigen Punkten, wenigstens an dem Punkt, wo wir stehen, erfüllt wird. Und Gott gebe seinen Segen dazu. Amen." e) Beispiel für eine allegorische Predigt
(Skizze)
Thema: Advent ist nicht Bußzeit, sondern Segenszeit. I. Einleitung: Wieder ist Advent. Jesus kommt! So laßt uns ihm entgegengehen! Auf dem Wege unseres Textes! - II. Das Corpus: A. Die Mütter machten sich auf, die Kinder sprangen, die Kleinsten trug man, alles war in Bewegung, in Aufregung: Jesus kommt, das große Ereignis für unser Dorf hebt an! Kommt alle! Seid mit dabei! Abraham freute sich auf diesen Tag - er sah ihn nicht. Wir aber, wir Glücklichen, wir sehen ihn. Kommt! B. Jesus kam in das Dorf. Und siehe da: Er kam, um zu segnen! Es gab natürlich in dem Dorf gar vieles, was zu tadeln war, es gab überall gestörte Ehen, es gab Sünder, es gab böse Leute, sogar böse Kinder. Die Apostel hatten offene Augen für dies alles, darum murrten sie, schalten sie. Aber Jesus nicht so: Jesus war lauter Segen! Wenn Jesus kommt, da hört alles Wenn und Aber auf, da kommt der Segen wie ein Strom, und der Segen verzehrt auch das Böse, schwemmt alles „Wenn und Aber" hinweg. Darum ist auch unser Advent lauter Segen, nidit Strafe, nicht Tadel, nicht Buße. Aber im Segen des Advents schmilzt die Sünde, kommt die Buße, die „süß" ist, die Buße, die Luther meinte. C. Jesus sprach die großen Advent-Worte: „Ja, ihr Kinder, das Reich Gottes ist nun zu euch gekommen, idi bin es." „Ja, ihr Erwachsenen, ihr Mütter besonders, über eure Kinder und ihr Lallen kommt das Reich Gottes zu euch, nicht im Kriegslärm, nicht im Tatensturm, nicht in den Geleisen dieser Welt. In meinem Segen kommt das Reich Gottes zu euch. Ich bin das Reich Gottes. Wohl euch, ihr habt mich aufgenommen, - ihr habt das Reich Gottes angenommen." D. (Anwendung:) Es ist Advent. Der Segen Jesu, das Reich Gottes wartet auf euch, auf uns, meine liebe Gemeinde. Die Worte Jesu zu den Kindern und zu den Erwachsenen gelten schnurstracks auch für euch, auch für uns. Jesus kommt, sein Reich kommt, sein Segen kommt, zu uns, zu euch! So sammelt die Kinder um euch,
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und holt auch die Väter herzu, betet, singt, geht dem Herrn entgegen! Dann wird es hell, Lidit Gottes und des Reiches Gottes, über unserem Dörflein. Dann lohnt es sich wieder zu leben! Dann wird endlich audi die Sache unserer Sünden, unserer Zweifel und Streitigkeiten bereinigt werden, im Segen Christi fallen sie dahin wie Laub im Herbst, - es ist Advent. III. Der Schluß: Herr, rühre uns an, wie du die Kinder angerührt hast, segne uns und behalte uns lieb in deiner göttlichen ewigen Liebe und Treue, heute und immerdar. Bringe uns den Advent! Amen. 11. D i e P r e d i g t a u f d e r K a n z e l 1. Die Hauptforderung für die Predigt auf der Kanzel heißt: Keine Gedächtnisleistung, sondern eine wirklidie Neusdiöpfung auf der Kanzel! Diese wirkliche „Neusdiöpfung auf der Kanzel" setzt aber die ganze bisher besprochene Vorbereitungsarbeit schlecht und recht voraus; wer diese Arbeit nicht getan hat oder schlecht getan hat, dem gelingt keine „Neusdiöpfung auf der Kanzel". Ausnahmen gibt es, aber sehr oft sind sie bloß sdieinbare Ausnahmen von unserer Regel; z. B. wenn ein fleißig arbeitender Prediger einmal schuldlos unvorbereitet auf eine Kanzel muß und dann doch eine gute Predigt hält, so kommt das nicht von der „Unvorbereitetheit", sondern von der dauernd von ihm geleisteten Vorbereitungsarbeit! Was vermieden werden muß, ist eben dies, daß man als „Predigt auf der Kanzel" nun gedäditnismäßig die zu Hause geleistete Vorbereitungsarbeit reproduziert, etwa noch mit Zuhilfenahme eines Manuskripts. 2. Die „Gedächtnisleistung auf der Kanzel" lag aber recht nahe bei der alten Art, von jedem Prediger ein Manuskript für jede Predigt zu fordern und dieses Manuskript als die Hauptleistung anzusehen. Nidit das Manuskript ist die Hauptleistung, sondern die ganze bisher geschilderte Arbeit! Gewiß gehört schließlich auch die Fertigstellung eines Manuskripts zu dieser Arbeit; - aber dieses Manuskript wird nicht zum Auswendiglernen gefertigt, nidit für die „Gedächtnisleistung auf der Kanzel", sondern zum Absdiluß der Vorbereitungsarbeiten. Freilich gibt es solche, die unfähig sind, nach Absdiluß der vorbereitenden Arbeiten nun auf der Kanzel auf Grund dieser Vorarbeiten eine wirklidie Neuschöpfung zu t u n - u n d solche, aber nur solche, haben kein anderes Mittel, als daß sie ihr Manuskript auswendig lernen. Solche Ausnahmen sollen aber nidit zur Regel gemadit werden. Das Natürliche und Gegebene ist vielmehr dies: Der Prediger hat durch die bisher besprochenen Arbeiten sich wirklich auf die „Predigt auf der Kan-
Die Predigt auf der Kanzel
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zel" vorbereitet, nun kann er auf der Kanzel wirklich predigen! Für ihn hat das Manuskript nur folgende Bedeutung: a) Im Manuskript faßt er seine Vorbereitungsarbeiten, die wir bisher besprachen, zusammen; b) im Manuskript schreibt er eine Möglichkeit hin, wie er etwa die Sache auf der Kanzel bewältigen kann; c) im Manuskript hat er später eine Urkunde, wie er die Sache damals angefaßt hat; d) ein Manuskript kann er einer Prüfungsbehörde vorlegen (aber auch die Prüfungsbehörde kennt ihn erst als Prediger, wenn er die Predigt auf der Kanzel getan hat!); e) ein Manuskript kann er zum Druck befördern (obwohl hier ein Manuskript, das nach gehaltener Predigt verfertigt wäre, besser ist). Es handelt sich also (das wäre das große Mißverständnis!) nicht darum, etwa unvorbereitet auf die Kanzel zu gehen, sondern im Gegenteil darum, völlig und nach jeder Richtung vorbereitet nun die Predigt auf der Kanzel zu wagen. Alles hat man überlegt und zurechtgelegt - nun kann man darauf rechnen, daß die Predigt auf der Kanzel gelingt. Bei dieser Methode hat es etwas für sich, erst einmal zur Probe, nach aller Vorbereitung, die „Neuschöpfung auf der Kanzel" in der Stille z. B. des Waldes oder an einem einsamen Ort zu probieren, ohne Zuhörer. Es genügt aber auch, wenn man die „Neuschöpfung auf der Kanzel" rein in Gedanken probiert. Durch solche Übung wird sdion vor dem Gang zur Kanzel manches zurechtgestellt, was nur scheinbar in Ordnung war. Diese Übung gibt einem die rechte Ordnung, die rechten Worte, die rechten Übergänge an die Hand. 3. Was also der Prediger auf die Kanzel zu bringen hat, ist in der Tat ungefähr das, was im Manuskript steht. Aber nicht das Manuskript bringe er mit, auch nicht das auswendig gelernte Manuskript, sondern die Materialien des Manuskripts, verbessert durch die vorgenannte stille Übung. Was bringt er also mit? a) den Ertrag der Exegese, soweit dieser kanzelfähig ist; b) den Ertrag der Meditation und der homiletischen Besinnung, soweit er zur Verkündigung kommen soll; c) die rechte und gute Anordnung dieser Materialien; d) die dafür zu verwendeten Ausdrücke, Wendungen, Übergänge, Erläuterungen; e) die festgelegte Einleitung, von der man auf der Kanzel nicht abgehen soll; f) den festgelegten Schluß, von dem man unter keiner Bedingung abweichen soll, auch wenn einem auf der Kanzel etwas scheinbar Besseres einfällt. Am Schluß der Predigtarbeit zu Hause stehe also nicht eine Gedächtnismarter, ein peinvolles Auswendiglernen (das wäre nur für diejenigen unausweichlich, die für den regulären Weg unfähig sind), sondern
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die reichlich gewonnene und nun ad hoc parate Klarheit darüber, was als Ertrag der Vorarbeit auf die Kanzel gebracht werden soll und wie dies zu geschehen haben wird. Stfcfcew-Klarheit ist mehr als Manuskript-Gedächtnisleistung. Von der Sachen-Klarheit geht die Neuschöpfung auf der Kanzel logisch und natürlich aus, von der ManuskriptGedäditnisleistung kommt nur eine Reproduktion (aber, wenn man nichts Besseres kann, dann muß es freilich bei der Reproduktion bleiben!). Natürlich geht es auch bei der Sachen-Klarheit nicht ohne Gedächtnis-Anstrengung a b - e s müssen ja auch die Sachen dem Prediger parat sein auf der Kanzel, und dazu muß er sie sich immer wieder vor die Seele gestellt haben, bis sie ihm gegenwärtig bleiben-aber das ist doch etwas ganz anderes als die peinvolle Mühe des Auswendiglernens eines Manuskripts. Der „gute Prediger" ist also nicht der mit dem besten Manuskript und dem besten Gedächtnis, sondern der über die Sachen Klare, der nun auf Grund seiner eifrigen Vorbereitung predigen kann, wie ein Künstler auf Grund seiner Vorbereitung seine Kunst praktiziert. 4. Die Wichtigkeit des Manuskripts gerade für junge Prediger soll aber stark betont werden. Freilich nicht, um die jungen Prediger auf die eben abgelehnte Gedächtnisübung zu lenken, sondern um sie zur Ausbildung eines Stils, ihres Stils zu bringen. Wer sich einen wirklichen Stil verschaffen will, muß schreiben, immer wieder schreiben; also auch seine Predigt schreiben. Hier lauert aber wiederum eine Gefahr. Man hat mit Recht den Unterschied einer „Schreibe" und einer „Rede" festgestellt. Der Prediger muß sein Manuskript als „Rede-Manuskript" abfassen. Und dies lernt er erst allmählich, wenn er zunächst ein „Schreibe-Manuskript" so gut wie möglich zu verfertigen lernt. Die Wichtigkeit des Schreibens wegen der Ausbildung des Stils hat wohl unsere Vorfahren zu der These verführt, man müsse das Manuskript predigen. Für uns gilt also: Der junge Prediger erarbeite ein Manuskript, ein „Rede-Manuskript", damit er seinen eigenen Stil gewinnt das trägt dann erst recht zur „Neuschöpfung auf der Kanzel" b e i aber sie, die „Neuschöpfung auf der Kanzel", ist das Ziel aller Predigtarbeit vorher. 12. D i e
Predigtsprache
1. Für die Sprache oder Diktion der Predigt gilt als oberste Regel: Es gibt keinen eigenen sprachlichen Predigtstil, obwohl oft auch ein Stil als der eigentliche Predigtstil angegeben wurde. Die Predigt hat
Die Predigtspradie
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sich vielmehr in der Sprache nach der Art des edleren Vortrags zu richten. Die Sprache der Predigt hat als Sprache des edleren Vortrags ebenso weit entfernt zu sein von der Sprache des Ausrufers oder des Auktionators, wie von der Sprache des barocken Huldigungsgedichts oder der barocken Huldigungsansprache. Um anderen falschen Tönen zu wehren, sollte bedacht werden: Die Predigt kann niemals den Ton und die Sprache des militärischen oder zivilen Kommandos tragen niemals den Ton und die Sprache der antiken Klageweiber - niemals den Ton und die Sprache technischer Berichte - niemals die Sprache der Zeitungsartikel - niemals die Sprache der Hetzrede - niemals die Sprache der Komödie usw. 2. Positiv läßt sich sagen: Jeder Ausdruck, jeder Satz der Predigt soll so gewählt werden, daß er das Gemeinte klar ausdrückt, aber auch packend ausdrückt. „Klar" bedeutet: Der Zuhörer versteht, was gemeint ist, auf den ersten Hieb. „Packend" heißt: Der Zuhörer fühlt sich von dem Gesagten „angepackt", also angezogen. Keineswegs braucht die Predigt auf den „Schmuck" der Sprache zu verzichten; aber die Klarheit verlangt, daß der „Schmuck" nur da verwendet wird, wo er Klarheit schafft - oder doch der Klarheit hilft. Sobald der „Schmuck" die Sache verdunkelt oder sdiwieriger macht, hat er fern zu bleiben. Die Forderung „packend" verlangt, daß der „Schmuck" so geartet ist, daß er nicht zum Lächeln oder zum Überdruß reizt, sondern das Gesagte noch anziehender macht als es ohnehin wäre. Sogenannte „schöne" Predigten im Stile der Überladung und der barocken Rhetorik sind heute verboten. Jedoch ist eine Predigt ohne jeden Schmuck der Sprache, an allen Stellen schmucklos, zwar erlaubt, aber nicht eben vollkommen. Man kann die rechte Predigtsprache z. B. aus Friedrich Naumanns „Gotteshilfe" ersehen, obwohl Naumann „schreibt" und nicht „predigt", und obwohl die Theologie Naumanns kein Vorbild zu sein braucht. 3. Eine Festpredigt wird natürlich um ein paar Töne höher greifen als die gewöhnliche Sonntagspredigt. Aber man hüte sich, lauter Festpredigten zu halten. Es gibt ordentliche Christen, die sagen: „Ich kann nicht jeden Sonntag eine Festpredigt hören", und das läßt sich verstehen. Festpredigt an besonderen Festtagen - sonst die „gewöhnliche" Sonntagspredigt. Aber auch eine Festpredigt am Festtage verpufft, wenn sie durchweg „Schmuckpredigt" sein will. Den guten Maßstab auch für die Festpredigt gibt immer die gewöhnliche Sonntagspredigt, es mag also die Festpredigt eine etwas gehobene Sonntagspredigt sein;
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Einführung in die homiletische Praxis
aber der einfache und edle Standpunkt der Sonntagspredigt darf auch in der Festpredigt nicht aufgegeben werden. 4. Es versteht sich von selbst, daß die Predigt jeden Fehler in der deutschen Sprache peinlich vermeiden muß. Daher ist der Prediger zum Studium der deutschen Sprache verpflichtet". Ebensosehr muß die Predigt darauf aus sein, jeden nur in einem Volksdialekt gebräuchlichen Ausdruck zu vermeiden. Das heißt nicht, daß der Prediger nicht verraten darf, welchem Volksteil und welchem Volksdialekt der Prediger (und die Zuhörerschaft) angehört; aber die in seinem Dialekt von der offiziellen Sprache abweichenden Ausdrücke sind dem Prediger verboten. Fremdwörter sind keineswegs untersagt; aber sie dürfen nur da angewendet werden, wo sie allgemein gebräuchlich und allgemein verständlich sind-sonst gilt die Forderung: Möglichst ohne Fremdwörter! Dabei sind die theologischen Fremdwörter, wenn sie nun einmal nötig sind, vom Prediger zu erklären, und wäre es bloß durch Nebenfügung der deutschen Bezeichnung, wenn es eine solche gibt; z. B. „Trinität", „Dreifaltigkeit". Es wäre aber töricht, auch Wörter wie Elektrizität, Automobil, Medizin verdeutschen zu wollen. Reinheit der Sprache, aber nicht Purismus! 5. Eine besondere Frage bildet für die Sprache der Predigt der sogenannte Biblizismus. Muß eine richtige Predigt klingen wie ein Stück Bibel? Wir sagen: Nein; die Predigt kommt von der Bibel her, sie führt auf die Bibel h i n - a b e r sie ist selbst ein edlerer Vortrag über den biblischen Text! Natürlich gab es (und gibt es) ausgezeichnete Predigten im „Bibelstil", z. B. Kohlbrügges Predigten". Natürlich ist im „edleren Vortrag", den wir meinen, auch Platz für die biblische Sprache. Aber die Bibel hat ihre Sprache - und die Predigt die ihrige - und die Predigt hat ihre Sprache um der Bibel willen. Von der Bibel her, auf die Bibel hin! Die Predigt soll nicht selbst „Bibel" sein 36
Wichtige Hilfsmittel zum Studium der deutschen Sprache sind: Alle neun Bände des Großen Duden; insbesondere Bd. 1: Rechtschreibung (16. Aufl.), Bd. 2: Stilwörterbuch, Bd. 3: Bildwörterbuch, Bd. 4: Grammatik; dazu die fünf Bände der Sonderreihe zum Großen Duden: „Duden Taschenbücher''. Weitere bewährte Hilfsmittel sind: L. Reiners, Der sichere Weg zum guten Deutsch, eine Stilfibel, München 1951; ders., Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa, München 1953; F. Melzer, Unsere Sprache im Lichte der Christus-Offenbarung, 2. Aufl., Tübingen 1952; ders., Das Wort in den Wörtern. Die deutsche Sprache im Dienste der Christus-Nachfolge. Ein theo-philologisches Wörterbuch, Tübingen 1965.
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Vgl. Kohlbrügges Schrift: „Die Sprache Kanaans", neu hrsg. im FurdieVerlag, Hamburg 1936.
Paralipomena
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wollen, sondern eben Predigt. Audi aus diesem Grunde ist es abwegig, die ganze Predigt mit lauter Bibelstellen zu bestreiten oder auf so etwas Gewicht zu legen. Die Predigt kommt von einer Perikope der Bibel her und führt auf diese Perikope hin - das muß genügen. 13.
Paralipomena
1. Die Predigt ist ein Stück des gesamten Gottesdienstes. Also muß nicht bloß die Predigt auf den gesamten Gottesdienst abgestimmt sein, sondern auch der gesamte Gottesdienst auf die Predigt. So kommt der Prediger nicht darum herum, ebenso wie auf die Predigt sich auf den gesamten Gottesdienst vorzubereiten. Diese Vorbereitungsarbeit erstreckt sich auf die Auswahl der Bibelsprüche, der Gebete, der Lieder, der Lektionen - und wo diese Stücke für jeden Sonn- und Festtag schon kirchenamtlich bereitgestellt sind, da muß der Prediger sie doch recht eigentlich „neu auswählen", d. h. überdenken, erwägen, beten. Er muß sich dabei klarmachen, wie auch die Gemeinde sie hören, singen, beten kann. In diesen gesamten Gottesdienst hinein kommt seine Predigt. Wo aber der Prediger selbst die Lieder, Gebete, Sprüche, Lektionen des Gottesdienstes zu bestimmen hat, da obliegt es ihm erst recht, die Auswahl so zu treffen, daß der gesamte Gottesdienst in der Predigt seine „sprechende Mitte" und die Predigt im gesamten Gottesdienst ihre „liturgische Heimat" finde. Auch bei der „Neuschöpfung auf der Kanzel" wird alles lebendiger und tiefer geraten, wenn der Prediger vom Gesamtgottesdienst betend, singend, in Andacht und Erhebung des Herzens feiernd, herkommt-und wiederum nach der Predigt dorthin zurückkehren will. 2. Als eine Art Direktive für soldie „liturgische Arbeit" hat man den Kanon aufgestellt: Das Evangelium des Sonntags oder Festtags gibt dem Sonn- oder Festtag seinen liturgischen Charakter. Mit diesem Evangelium soll wenigstens ein Lied (das „Predigtlied") übereinstimmen, ebenso das Kollektengebet, ebenso der Introitus. Alles übrige wird Gegensatz, Unterstreichung, Parallele usw. sein dürfen; der Gottesdienst soll nicht „einförmig" werden. 3. Die „Predigt auf der Kanzel" hat wiederum um sich eine Reihe von regelmäßigen liturgischen Akten, die man den Fronaus nennen kann. Dieser Pronaus ist nach Gegenden verschieden, aber ungefähr folgende Akte kommen in Sicht: a) der Gang zur Kanzel —er sei ruhig und langsam, wenn auch nicht überlangsam, denn auch er ist eine liturgisdie Aktion, kein bloßer „Zweck-Sprung"; b) der Segens8 Fendt-Klaus, Homiletik, 2. Aufl.
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Einführung in die homiletische Praxis
spruch; c) die Lesung des Predigttextes - sie sei eine Lesung und noch keine Predigt! Der Ton wird also mehr referierend und nicht schon verkündigend sein; aber eine deutliche und klare Lesung ist die Voraussetzung für das Hören der Gemeinde. Also befleißige man sich hier größter Sorgfalt! d) Die Predigt selbst (es ist auch möglich, die „Einleitung" der Predigt schon vor der Textlesung zu bringen - und dann die Textlesung direkt vor dem Corpus der Predigt zu tun - diese Sitte hat gewisse Vorteile); e) das Predigtlied, das die Predigt in ihrem Skopus aufnimmt und singend weiterführt; f) Abkündigungen, die den Sinn haben: Das sind die Anliegen, denen nachher unser Fürbittegebet gilt; g) das große Fürbittegebet, das aber vielerorts erst am Altar verrichtet wird; h) der Kanzelsegen; i) nochmals ein Liedvers, der wiederum die Predigt in ihrem Hauptskopus aufnimmt. Was die Abkündigungen anlangt, so besteht ein Streit darüber, ob sie nicht besser an den Anfang des Gottesdienstes oder doch vor das Glaubensbekenntnis oder aber an das Ende des Gottesdienstes zu verlegen seien; alles dies wurde versucht, ohne daß viel dabei herausgekommen ist. Man lasse die Abkündigungen an der alten Stelle, nach der Predigt, näherhin nach dem Predigtlied, das auf die Predigt folgt, kündige aber nur Dinge ab, für die nachher wirklich gebetet werden kann. Was nicht Gegenstand des Gebetes der Gemeinde sein kann, das gehört nicht auf die Kanzel und nicht in das Gefolge der Predigt, sondern an die Anschlagtafeln der Kirche. Wird das große Fürbittegebet irgendwo nicht gleich nach der Abkündigung gebetet, sondern erst am Altar, also nach dem Kanzelsegen und der weiteren Liedstrophe, so weise man nach den Abkündigungen darauf hin: „Wir wollen für alle diese und für all dieses nachher am Altar das große Fürbittegebet tun und alle und alles in unser Vaterunser einschließen." Auch dadurch könnte man die durch die Abkündigungen von der Sache der Predigt mehr oder weniger Abgezogenen wieder auf die Predigt zurückbringen, daß man nach den Abkündigungen noch einmal den Skopus der Predigt verkündigt und an diese Verkündigung dann die weiteren Liedverse anschließt. 4. Die Haltung des Predigers auf der Kanzel sei gerade und doch nicht gezwungen gerade, ruhig und doch nicht steif; nicht vornübergebeugt, nicht hingelehnt, nicht ein Sidi-hin-und-her-bewegen, nidit ellbogen-gemütlich, nicht hin und her schreitend, nicht hin und her schwankend. - Die Gesten oder Aktionen bei der Predigt seien sparsam und edel, aber nicht „theatralisch" (auf dem Theater machen sie das auch nicht mehr so!), und nicht „burlesk". Üble Angewohnheiten,
Paralipomena
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die sich leicht einstellen und auf die den Prediger doch niemand aufmerksam macht, seien deshalb hier angemerkt: Gesichtsverzerrungen infolge der großen Anstrengungen des Redners; Lippenlecken infolge der Trockenheit der Lippen beim Redner; in die Höhe fahren aus Verlegenheit oder aus Begeisterung; Schweiß abtrocknen infolge der starken Anstrengung und vieles andere, das dem Gesagten entspricht. Der Kanon heißt: Was in guter Gesellschaft verboten ist, ist auch auf der Kanzel verboten. Ein besonders schlechtes Stück, auch bei den besten Predigern zu finden, ist das Schlagen oder Klopfen auf die Kanzelbrüstung h i n - m a n täuscht sidi über den Effekt. Der Prediger lache nicht auf der Kanzel und er tobe nicht. Kommt einmal ein Einwurf aus der Hörerschaft (was nicht selten ist!), so beantworte der Prediger diesen Einwurf nicht während der Predigt, sondern lade bei den Abkündigungen den Betreffenden zu einer Aussprache e i n - o d e r gehe bei der Abkündigung auf den Einwurf ein, falls ihm eine Antwort parat ist. In manchen Fällen dürfte es klüger sein, überhaupt keine Notiz von der Sache zu nehmen, die eigentlich doch eine Störung der Predigt ist. Das kurze Gebet des Predigers auf der Kanzel sei ein wirkliches Gebet, das man schon bereit hält, ein „Stoßgebet" also um Gottes Hilfe für den Prediger und die Gemeinde, etwa: „Herr, tue meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige!" Dabei zu knien oder den Kopf in die Hände zu legen, ist nicht nötig; man kann stehend, einfach etwas gebeugt, besser beten. Das Hauptkanzelgebet vor und nach der Predigt geschehe in der Sakristei; Luthers Gebet ist besonders inhaltsreich, aber manch anderes ist auch empfehlenswert; es muß bloß immer parat sein. 5. Schließlich noch ein Wort zum Steckenbleiben in der Predigt. Die Gefahr des Steckenbleibens ist am größten bei der Predigt als einer Gedächtnisleistung, am geringsten bei unserer Weise der 5