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German Pages 288 [292] Year 1992
säur
Peter Longerich
Hitlers Stellvertreter Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Partei-Kanzlei Bormann
K · G · Säur München · London · New York · Paris 1992
Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte im K · G · Säur Verlag
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Vorbemerkung Von 1983 bis 1988 bearbeitete der Autor am Institut für Zeitgeschichte in München den Zweiten Teil der Edition "Akten der Partei-Kanzlei". 1 Wahrend dieser Arbeiten entstand die Idee, zusammen mit der Edition eine Organisationsgeschichte dieser Dienststelle in Form einer längeren Einleitung vorzulegen. Das Institut für Zeitgeschichte und der K.G. Säur Verlag entschlossen sich dazu, diese Studie nicht nur im Rahmen des Projekts zu publizieren, sondern gleichzeitig als selbständige Veröffentlichung herauszugeben. Der Autor ist Institut und Verlag dankbar dafür, daß sie ihm die Gelegenheit bieten, sein Manuskript einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Er möchte sich gleichzeitig bei allen bedanken, die ihm bei der Erstellung dieser Studie hilfreich zur Seite gestanden haben. München, im Dezember 1991 Peter Longerich
Diese Edition bildet die Hauptquelle der Untersuchung. Ihr vollständiger Titel lautet: Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Sammlung der in anderen Provenienzen überlieferten Korrespondenzen, Niederschriften von Besprechungen usw. mit dem Stellvertreter des Führers und seinem Stab bzw. der Partei-Kanzlei, ihren Ämtern, Referaten und Unterabteilungen sowie mit Heß und Bormann persönlich. Hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte: Teil 1: 2 Bde Regesten, l Bd. Register, bearb. v. Helmut Heiber u. Mitw. v. Hildegard von Kotze, Gerhard Weiher, Volker Dahm, Reinhilde Staude, Ino Arndt, Carla Motjo, München 1983, hierzu 2 Bde Mikrofiches; Teil II: 2 Bde Regesten, l Bd. Register, bearb. v. Peter Longerich, München 1991, hierzu 2 Bde Mikrofiches.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Longerich, Peten Hitlers Stellvertreter : Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Parteikanzlei Bormann ; eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte / Peter Longerich. - München ; London ; New York ; Paris: Säur, 1992 ISBN 3-598-11081-2
Gedruckt auf säurefreiem Papier/Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten/All Rights Strictly Reserved K. G. Säur Verlag, München 1992 Part of Reed International P. L. C. Printed in the Federal Republic of Germany Druck: WS Druckerei, Bodenheim Binden: Buchbinderei Schaumann, Darmstadt Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig ISBN 3-598-11081-2
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Anfänge der Dienststelle: Die Befestigung ihrer Position im Partei- und Staatsbereich 1933-1935 1. Vorgeschichte und Gründung des "Stabs des Stellvertreters des Führers" . . . . 2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich und die organisatorischen Anfänge der Dienststelle 3. Sachbearbeiter, Beauftragte und sonstige Einrichtungen im Umfeld des StdF . . II. Die Kompetenzen der Dienststelle im staatlichen Bereich und ihre Durchsetzung in der Praxis A. Angelegenheiten der Beamten 1. Beteiligung von StdF und PKzl. bei der Ernennung von Beamten: Das Instrument der politischen Beurteilung a) Das Verfahren für die "Anhörung" des StdF und die Auseinandersetzungen um die Beurteilungskritcrien b) Die Bandbreite der Beurteilungskriterien und die Durchsetzungsfähigkeit von StdF und PKzl. in der Praxis c) Bemühungen von StdF und PKzl. um eine Vereinheitlichung der Beurteilung . 2. Maßnahmen von StdF und PKzl. zur Protektion von Parteigenossen 3. Rassistische Beamtenmaßnahmen: Der Ausschluß "jüdisch vermischter" und "jüdisch versippter" Beamter 4. Das Parteigerichtsverfahren gegen Beamte als Interventionsmöglichkeit der Partei im staatlichen Bereich 5. Weitere Beamtenangelegenheiten a) Wiederbeschäftigung b) Ruhestandsversetzung c) Versetzung von beamteten Parteifunktionären 6. Chancen und Grenzen der Einflußnahme auf die staatliche Beamtenpolitik . . . . B. Gesetzgebung C. Beteiligung der Dienststelle an sonstigen staatlichen Angelegenheiten . . . . 1. Kommunalpolitik 2. Heimtückeverfahren 3. Angelegeheiten von "Mischlingen" 4. Vertretung von politischen Beurteilungen gegenüber staatlichen Stellen
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III. Kompetenzen von StdF und PKzl. im Parteibereich 90 1. Komponenten der parteiinternen Strategie der Dienststelle 90 2. Die "Stellvertretung des Führers" als unumgrenzte Legitimationsquelle 91 3. Kanalisierung der Kontakte zwischen Parteiführer und Parteiführerschaft . . . . 93 4. Berichtswesen 94 5. Parteirecht 95 6. Personalangelegenheiten der Partei 99 7. Problematik und Grenzen des innerparteilichen Führungsanspruchs der Dienststelle 106 IV. Der Stellvertreter des Führers und der weitere Ausbau seines Stabs 1935-1941 . . 1 0 9 1. Selbstverständnis und Führungsstil des "Stellvertreters" Rudolf Heß 109 2. Weitere organisatorische Entwicklung des Stabes des StdF 118
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Inhaltsverzeichnis V. Die Einflußnahme der Dienststelle auf die Verwaltungen der eingegliederten Gebiete als Vorgriff auf eine "Reichsgauverfassung" 132 1. Die Rolle der Dienststelle bei den Eingliederungsmaßnahmen in Österreich . . . 132 2. Die Durchsetzung der "Reichsgauverfassung" in den eingegliederten Gebieten . . 135 3. Die weitere Stärkung der Reichsgaue durch die Dienststelle 143
VI. Martin Bormann und die Partei-Kan/lei 1941-1945 1. Der Übergang vom Stab des Stellvertreters des Führers zur Partei-Kanzlei der NSDAP 2. Martin Bormann: Vorn Stabsleiter des Stellvertreters des Führers zum Leiter der Partei-Kanzlei und maßgebenden Interpreten des "Führerwillens" a) Persönliche Dienstleistungen für Hitler als wesentliche Machtgrundlage Bormanns b) Bormanns zunehmende Selbständigkeit bei der Weiterleitung und Herbeiführung von "Führerentscheidungen" c) Die Kanalisierung des Zugangs zu Hitler durch Bormann d) Bormann auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Die Ernennung zum "Sekretär des Führers" und seine führende Rolle innerhalb des Kanzleisystems in den letzten Jahren des "Dritten Reiches" e) Der Bormann-Stil 0 Bormanns Rolle innerhalb des NS-Herrschaftssystems 3. Organisatorische Entwicklung der PKzl
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VII. Erweiterte Kompetenzen der Dienststelle während des Zweiten Weltkriegs . . . 184 1. Freimachungen an der deutsch-französischen Grenze 1939/40 184 2. Erweiterte Kompetenzen im staatlichen Bereich 1942 185 3. Die Maßnahmen der PKzl. zur Mobilisierung der Heimatfront im Jahre 1942 . . 186 4. Beteiligung der PKzl. an den Maßnahmen zum "Umfassenden Kriegseinsatz" im staatlichen Bereich 187 5. Einschränkungsmaßnahmen im Bereich der Partei im Rahmen des "Umfassenden Kriegseinsatzes" 191 6. Einflußnahme der PKzl. auf die "NS-Führung der Wehrmacht" 193 7. Beteiligung der PKzl. an den Malinahmen zur Durchführung des "Totalen Kriegseinsatzes" 195 8. Maßnahmen der PKzl. im Rahmen der "Reichsverteidigung" in der Endphase des Zweiten Weltkriegs 198 9. Die Auswirkungen der Kriegsmaßnahmen auf die Position der Dienststelle . . . 202 VIII. Inhaltliche Schwerpunkte in der Arbeit der Dienststelle: Rassismus und Kirchenkampf 1. Rassistische Bevölkerungspolitik 2. Beteiligung an der "Judenpolitik" 3. Beteiligung an der "Polenpolitik" 4. Einflußnahme auf die Politik gegenüber den Kirchen
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Schluß: Die Partei-Kanzlei im Spannungsverhältnis von charismatischem Führertum und bürokratischer Herrschaft
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Anhang 1-3
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Quellenverzeichnis
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Literaturverzeichnis
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Personenregister
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Einleitung
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Einleitung I. Ziel dieser Studie ist es, die Organisationsgeschichte des Stabs des Stellvertreters des Führers und seines Nachfolgers, der Partei-Kanzlei der NSDAP, nachzuzeichnen und ihre Stellung innerhalb von Partei- und Staatsapparat des "Dritten Reiches" näher zu bestimmen. Das behördengeschichtliche Interesse am Stab Heß bzw. an der Partei-Kanzlei liegt auf der Hand, war die Dienststelle doch sowohl zentrales Führungsorgan der Partei als auch diejenige Einrichtung der NSDAP, die den vielfältigen Zugriff der Nationalsozialisten auf den Staatsapparat kanalisieren sollte. Da die Dienststelle größten Wert darauf legte, an allen wesentlichen politischen Entscheidungen im Staats- und Parteibereich beteiligt zu werden, wird nahezu jeder Forscher, der sich für Entscheidungsabläufe innerhalb des NS-Systems in zentralen politischen Fragen interessiert, die PKzl. in seine Untersuchung mit einbezichen müssen. Eine intensive Beschäftigung mit ihrer Rolle innerhalb des "Dritten Reiches" kann zudem dazu beitragen, Antworten auf die zentrale Frage nach dem Charakter und nach dem Funktionieren dieses Systems zu finden.
II. Jedem Versuch, eine Organisationsgeschichte der Partei-Kanzlei zu verfassen und ihren Stellenwert innerhalb des NS-Systems zu bestimmen, steht aber die grundlegende Schwierigkeit entgegen, daß die Akten der Dienststelle bei Kriegsende weitgehend vernichtet wurden. Darunter leidet auch der bisher einzige Versuch, die PKzl. zum Thema einer größeren Untersuchung zu machen, nämlich die im Jahre 1969 abgeschlossene, in der Forschung allgemein übersehene amerikanische Dissertation von Louis Eugene Schmier "Martin Bormann and the Nazi Party 1941-1945".1 Im Zentrum dieser Arbeit steht die These, Bormann habe nach der Übernahme der PKzl. die gesamte NSDAP reorganisiert, eine Machtverlagerung zugunsten der Gauleiter initiiert und von dieser Basis aus schließlich den Staatsapparat nahezu vollkommen kontrollieren können: "By the end of 1944, the Party, under the supervision of Bormann, controlled the whole structure of the Reich, and Bormann reigned undaunted in Hitler's entourage."2 Diese Schlußthese der Arbeit ist freilich zu undifferenziert und mißt der Rolle Bormanns und seiner Dienststelle zu viel Bedeutung zu. Dadurch, daß die Arbeit erst im Jahre 1941 einsetzt, dramatisiert Schmier den "Aufstieg" Bormanns in einer übertriebenen Weise, während dieser seine Stellung als "Stabsleiter" von Heß bereits entscheidend ausgebaut hatte. Schmiers Arbeit basiert im wesentlichen auf den von der PKzl. herausgegebenen Anordnungen sowie auf den wenigen erhaltenen Aktensplittern und einigen anderen Archivquellen, die er als Mikrofilme in den National Archives benutzt hat. Letztendlich zeigt sich aber, daß ohne systematische Durchsicht der Aktenbestände der wichtigsten Korrespondenzpartner der Partei-Kanzlei die Quellenbasis für eine Geschichte der Dienststelle fragmentarisch bleibt. Trotz erheblicher
Chapel Hill 1968: die Arbeit liegt als Mikrofilm vor. Ebenda, Zusammenfassung der Ergebnisse S. 345ff.
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Einleitung
Mängel, auf die im weiteren Verlauf dieser Arbeit im Detail einzugehen sein wird 3 , bot die Dissertation zum Zeitpunkt ihres Erscheinens doch an zahlreichen Punkten Erkenntnisfortschritte, so daß die Mißachtung durch die Forschung bedauert werden muß. Der Verlust der Akten der Dienststelle ist auch der Hauptgrund, warum die in der übrigen Forschungsliteratur vorfindbaren Angaben zur Organisationsgeschichte der PKzl. erhebliche Lücken aufweisen. Dies gilt nicht nur für ältere Werke, wie Orlows Geschichte der NSDAP4 oder Diehl-Thieles Untersuchung des Verhältnisses von Partei und Staat5, sondern auch für die kürzlich erschienenen Arbeiten, die Caplan und Rebentisch zur Rolle des öffentlichen Dienstes6 zwischen 1918 und 1945 bzw. zur Geschichte der deutschen Verwaltung während des Zweiten Weltkriegs7 vorgelegt haben. Das gleiche trifft auch auf die verschiedenen Bemühungen zu, sich biographisch mit den beiden Dienststellenleitern Rudolf Heß8 und Martin Bormann9 auseinanderzusetzen: Ohne die Möglichkeit eines
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Siehe Anm. 728 u. 794 dieser Arbeit. Dietrich Orlow, The History of the Nazi Party: 1933-1945, University of Pittsburgh 1973. Peter Diehl-Thiele. Partei und Staat im Dritten Reich: Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeinerund innerer Staatsverwaltung, München 1969. Jane Caplan, Government without Administration. State and Civil Service in Weimar and Nazi Germany, Oxford 1988. Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945. Stuttgart 1989. Mit dieser während der Arbeiten an dieser Studie veröffentlichten Habilitationsschrift dürfte die Erforschung der NS-Bürokratie in eine neue Phase eingetreten sein. Während Rebentisch auf breiter Quellengrundlage vor allem die in der Forschung kontroverse Frage nach dem Verhältnis von "Führer" und bürokratischem Apparat behandelt, beschränkt sich die vorliegende Arbeit bewußt auf eine Organisationsgeschichte der Partei-Kanzlei. Es wird daher hier auch darauf verzichtet, den Forschungsstand zur NS-Verfassung und -Verwaltung noch einmal in der ganzen Breite zu referieren; statt dessen sei hierauf die Einleitung des Buches von Rebentisch verwiesen, ebenso auf die von ihm und seinem Koeditor Karl Teppe verfaßte Einführung in dem Sammelband: Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers, Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986. Eine wissenschaftliche Biographie existiert nicht. In der Literatur dominieren die Diskussion um Motive und Umstände des Heß-Fluges und die Darstellung des Schicksals des "letzten Gefangenen von Spandau", während die Frage nach der Rolle des Stellvertreters des Führers im "Dritten Reich" eher in den Hintergrund tritt. Die bislang wohl noch brauchbarste Darstellung ist Wulf Schwarzwällers "Der Stellvertreter des Führers" Rudolf Heß. Der Mann in Spandau, Wien/München/Zürich 1974; daneben sei noch verwiesen auf Roger Manvell, Heinrich Fraenkel, Hess. A Biography, London 1971. Zum Heß-Flug vor allem James Leasor, Der utopische Friede. Der Englandflug von Rudolf Heß, Bergisch Gladbach 1979 sowie David Irving, Rudolf Heß - ein gescheiterter Friedensbote? Die Wahrheit über die unbekannten Jahre 1941-1945. Graz/Stuttgart 1987. Die weiteren, zum Teil in absurde Dimensionen ausgreifenden Spekulationen über den Heß-Flug, wie etwa die Behauptung, die Rolle des längst vom britischen Geheimdienst ermordeten Heß werde seit Jahrzehnten von einem Schauspieler gespielt (Hugh Thomas, Der Mord an Rudolf Heß, München 1979), und die in jüngster Zeit aufgetauchten "Theorien" über den Tod von Heß interessieren in unserem Zusammenhang nicht. Die Absicht, Heß nicht bloß begnadigt zu sehen, sondern zu rehabilitieren, kennzeichnet die Schriften des Heß-Verteidigers Seid! (z.B. Alfred Seidl, Der Fall Rudolf Heß 1941-1984. Dokumentation des Verteidigers, München 1984) sowie des Heß-Sohnes Wolf Rüdiger (Mein Vater Rudolf Heß. Englandflug und Gefangenschaft, München 1984). Letzterer veranlaßte eine Edition von Heß-Briefen: Rudolf Heß, Briefe 1908-1933, München/Wien 1987. Die umfangreichste und zuverlässigste Arbeit ist die von Jochen v. Lang verfaßte Biographie (Der Sekretär, Stuttgart 1977), die zu einem erheblichen Teil auf Archivalien beruht. Aufgrund des in der Anlage abgedruckten Dokuments, in dem die Frankfurter Staatsanwaltschaft im Jahr 1973 minutiös den Beweis für den Tod Bormanns am 2.5.1945 führte, können die Spekulationen über die Frage, ob Bormann das Kriegsende überlebt habe, als substanzlos bezeichnet werden. - Im übrigen ist aus der älteren Literatur lediglich noch die durch das Erscheinen der Biographie Längs weitgehend überholte Darstellung von Joseph Wulf (Martin Bormann. Hitlers Schatten, Gütersloh 1962) zu nennen.
Einleitung
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systematischen Zugriffs auf die in der Dienststelle produzierten Akten mußten solche biographischen Darstellungen lückenhaft bleiben.
III. Durch die im Rahmen des Projekts "Akten der Partei-Kanzlei" unternommenene Rekonstruktion konnte diese Lücke weitgehend geschlossen werden. Der hier zusammengetragene Bestand von etwa 200.000 Blatt bildete die Quellengrundlage dieser Organisationsgeschichte, die auch die Ergiebigkeit der "Akten der Partei-Kanzlei" in der Praxis demonstrieren soll. Neben den "rekonstruierten" Akten der Partei-Kanzlei spiegelt sich die Geschichte der Dienststelle aber noch in einer Reihe weiterer Quellenbestände wider, die für diese Organisationsgeschichte zusätzlich herangezogen wurden. Hier ist zunächst auf die von der Dienststelle herausgegebenen parteiinternen Verlautbarungen zu verweisen. Sie erschienen unter verschiedenen Titeln (Anordnungen, Bekanntgaben, Verfügungen, Rundschreiben) und wurden zum überwiegenden Teil titel- und jahrgangsweise durchnumeriert. Die Partei-Verlautbarungen wurden zu einem Teil im "Reichsverfügungsblatt" bzw. in einer 1943 erstmalig, von da an halbjährlich herausgegebenen Sammlung publiziert. Ein fast vollständiger Satz dieser Verlautbarungen wurde vor einiger Zeit im Bundesarchiv zusammengestellt und wird nun mit Hilfe eines detaillierten Findmittels erschlossen.10 Die Bedeutung dieser Parteiverlautbarungen für die Arbeit der Partei läßt sich mit den im staatlichen Sektor innerhalb des "Reichsgesetzblattes" zusammengetragenen Gesetzen und Verordnungen vergleichen. Weiteren Aufschluß über die Steuerung der NSDAP durch die Dienststelle geben die von ihr periodisch an die Gauleitungen versandten "Vertraulichen Informationen".11 Neben den veröffentlichten Anordnungen der PKzl. verdienen selbstverständlich die der Vernichtung entgangenen Aktensplitter, die im Bundesarchiv den Bestand NS 6 bilden, Beachtung. Aufgrund der Eigenart des dem Projekt "Akten der Partei-Kanzlei" zugrundeliegenden Gedankens der "Rekonstruktion" wurden diese vorhandenen Originalakten nicht in die Edition einbezogen. Es liegt aber auf der Hand, daß eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte der PKzl. ohne Berücksichtigung dieses Bestandes nicht möglich ist. Allerdings spiegeln die hier überlieferten Aktensplitter nur bestimmte, eindeutig eingrenzbare Schwerpunkte der Arbeit der PKzl. wider. Durch das vom Bundesarchiv vorgelegte sehr detaillierte Findbuch sind diese inhaltlichen Schwerpunkte schnell auszumachen.12 In
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Es handelt sich dabei um den zweiten Teil des Findbuchs zum Bestand NS 6, der aus einer chronologisch angelegten Liste der Parteiverlautbamngen sowie aus einem Sachindex hierzu bestehen wird. Vorhanden z.B. im Institut für Zeitgeschichte. Partei-Kanzlei der NSDAP. Bestand NS 6, Teil I: Bestandsverzeichnis, bearb. v. Josef Henke. Koblenz 1984. - Neben etwa 20 kleineren Aktensplittern handelt es sich vor allem um folgende Schwerpunkte: 1. Mobilmachung der Partei im Krieg (Akten der Gruppe II M); 2. Volks stürm; 3. NS-Führung und Erziehung der Wehrmacht (Gruppe II F); 4. Umfangreiche Unterlagen über die nach dem 20. Juli 1944 angestellten Untersuchungen (vor allem die sogenannten "Kaltenbrunner-Berichte"); 5. Wohnungsbau, Wohnungsbewirtschaftung, Siedlungswesen während des Krieges sowie um 6. einige weitere. Wirtschaftsangelegenheiten betreffende Vorgänge aus den PKzl.-Ämtern III B l und B 2.
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Einleitung
der Abschlußphase des Projekts wurden noch einige Recherchen in dem - mittlerweile in das Bundesarchiv integrierten - Zentralen Staatsarchiv in Potsdam unternommen, dessen Bestände für die Sammlung "Akten der Partei-Kanzlei" nicht ausgewertet werden konnten, da eine Benutzungserlaubnis seinerzeit verweigert wurde. Bei diesen jüngsten Recherchen wurde eine Reihe von Dokumenten aus der PKzl. ermittelt, die noch in diese Arbeit einbezogen werden konnten. Für die Organisationsgeschichte der PKzl. wurde außerdem noch eine Reihe von Archivquellen herangezogen, die im Laufe der Vorarbeiten zu dem Projekt "Akten der Partei-Kanzlei" gesammelt, jedoch nicht mehr in die Edition aufgenommen wurden. Es handelt sich dabei insbesondere um Akten des Preußischen Innenministeriums aus dem Preußischen Staatsarchiv, des Reichsstatthalters in Bayern (Berlin Document Center), des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich (Österreichisches Staatsarchiv) sowie um einige NS-Bestände des Bundesarchivs. Diese Bestände werden jeweils unter der Archivsignatur des Ursprungsarchivs zitiert. Schließlich ist noch auf eine Reihe von Quellenveröffentlichungen zu verweisen, die in erster Linie den Dienststellenleiter Bormann betreffen, für eine Geschichte der PKzl. als Organ des "Führerwillens" aber nicht zu vernachlässigen sind. Es handelt sich dabei um den in englischer Fassung erschienenen Briefwechsel zwischen Bormann und seiner Frau Gerda13 sowie um die auf Bormanns Veranlassung durch Heim bzw. Picker aufgezeichneten Äußerungen, die Hitler während des Rußlandfeldzuges "bei Tisch" machte.14 Weniger informativ, als der Titel möglicherweise verspricht, sind hingegen die kalenderartigen, Bormann zugeschriebenen Tagebuchaufzeichnungen über die letzte Kriegsphase, die von der Roten Armee erbeutet und mittlerweile durch den sowjetischen Journalisten Beszymenski ediert wurden. 15 Die Authentizität der als "Hitlers Politisches Testament" veröffentlichten "Bormann-Diktate" vom Februar und April 1945 wird man, solange die Originale nicht zugänglich sind, mit einer gewissen Skepsis beurteilen müssen.16
IV. Vier Hauptthemen stehen im Mittelpunkt dieser Studie: Erstens wird die interne Organisation der Dienststelle dargelegt werden. Dies schließt sowohl eine kurze Vorstellung der wichtigsten Mitarbeiter ein als auch eine knappe Schilderung derjenigen Einrichtungen, die dem Stellvertreter des Führers aus unterschiedlichen Gründen unterstellt, jedoch nicht unmittelbar in seine Dienststelle integriert waren. Zweitens sollen die von der Dienststelle
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The Bormann Letters. The Private Correspondence between Martin Bormann and his Wife from January 1943 to April 1945, ed. by H. R. Trevor-Roper, London 1954. Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hg. v. Werner Jochmann, Hamburg 1980; Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Fiihrerhauptquartier 1941-42, hg. v. Percy Ernst Schramm in Zusammenarbeit mit Andreas Hillgruber, Stuttgart 1963. Lew Beszymenski, Die letzten Notizen von Martin Bormann. Ein Produkt und sein Verfasser, Gütersloh 1962. Hitlers Politisches Testament. Die Bormann-Diktate vom Februar und April 1945, Hamburg 1981: Albert M. Beer weist zwar auf gewisse Ungereimtheiten der Edition hin, kann jedoch den Beweis einer Fälschung nicht erbringen: Hitlers politisches Testament: Die Bormann-Diktate vom Februar und April 1945: Eine Fälschung? Überarbeitete Fassung eines Vortrages auf der Tagung der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadtam 10. Mai 1986, MS, Ellwangen 1986.
Einleitung
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beanspruchten Kompetenzen und ihre Umsetzung in der Realität des NS-Herrschaftsapparates verfolgt werden. Drittens wird ansatzweise versucht, die Rolle des StdF bzw. der PKzl. innerhalb des Herrschaftssystems und ihr Verhältnis zu konkurrierenden Einrichtungen herauszuarbeiten. Viertens wird, allerdings beschränkt auf ausgewählte Gebiete, die Politik der Dienststelle dargestellt und analysiert. Für die Gliederung der Studie erschien es am zweckmäßigsten, die genannten vier Hauptthemen in einer Mischung aus chronologischer und systematischer Darstellung zu entwikkeln. So beschäftigen sich die Kapitel I, IV und VI mit der naturgemäß etwas trockenen Darstellung der innerorganisatorischen und personellen Verhältnisse der Dienststelle in den Phasen 1933/34, 1935-1941 und 1941-1945. Die Übersichtlichkeit soll durch Organisationspläne und Personalverzeichnisse, die sich in den Anlagen finden, erhöht werden. In den Kapiteln II und III wird die Frage untersucht, wie StdF und PKzl. die seit 1933-1935 im Partei- und Staatsbereich beanspruchten Kompetenzen im Laufe der Zeit in der Praxis durchsetzen konnten. Kapitel V geht speziell dem Kompetenzzugewinn nach, den die Dienststelle durch die Eingliederung neuer Gebiete in das Reich erzielte. Die Beteiligung der PKzl. an den zivilen Kriegsmaßnahmen des Zweiten Weltkriegs wird in Kapitel VII behandelt. Exemplarisch soll sodann die Vertretung inhaltlicher Positionen durch die Dienststelle in den Bereichen aufgezeigt werden, in denen sie ausweislich der Aktenlage besonders engagiert war: Es handelte sich dabei um die nationalsozialistische "Kirchenpolitik" sowie die Bevölkerungs- und Rassenpolitik im weitesten Sinne. Sicherlich wäre es auch von Interesse, aus den zahlreichen Stellungnahmen, die Vertreter von StdF und PKzl. insbesondere in Gesetzgebungsverfahren abgaben, die Einstellung der PKzl. zu wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und anderen Fragen herauszufiltem. Die Arbeit mit den "Akten der Partei-Kanzlei" ergab jedoch den Eindruck, daß Äußerungen zu anderen als den ausgewählten inhaltlichen Schwerpunkten entweder vergleichsweise selten waren oder sich nicht - zumindest nicht auf den ersten Blick - durch eine besondere Konsequenz auszeichneten. Auf eine Auswertung solcher Stellungnahmen zu verzichten, erschien angesichts der primär auf Organisation und Kompetenzen der Dienststelle angelegten Fragestellung dieser Arbeit vertretbar; solche Untersuchungen müssen - wenn sie aufgrund der geringen Aussagekraft der Quellen überhaupt möglich sind - künftigen Forschungen überlassen bleiben.
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I. Anfänge der Dienststelle
I. Anfänge der Dienststelle: Die Befestigung ihrer Position im Partei- und Staatsbereich 1933-1935 1. Vorgeschichte und Gründung des "Stabs des Stellvertreters des Führers" Am Anfang der Geschichte der Dienststelle steht eine Verfügung, die Hitler am 21. April 1933 in seiner Eigenschaft als Führer der NSDAP erließ. Dort hieß es: "Den Leiter der Politischen Zentralkommission, Pg. Rudolf Heß, ernenne ich zu meinem Stellvertreter und erteile ihm Vollmacht, in allen Fragen der Parteileitung in meinem Namen zu entscheiden.1'17 In einer weiteren Verfügung vom 2. September 1933 hob Hitler seinen Parteivize aus dem Kreis der Reichsleiter18 heraus, indem er ihn die Titel eines Reichsleiters und eines Obergruppenführers der SS ablegen ließ und bestimmte, er möge sich künftig nur noch als "Stellvertreter des Führers" bezeichnen. Damit hatte Heß eine Rangerhöhung erfahren, die ihn in besonderer Weise aus dem Kreis der übrigen Parteielite heraushob und die eine außergewöhnliche Wertschätzung des Parteiführers Hitler beinhaltete. Andererseits jedoch waren Heß die übrigen Reichsleiter der NSDAP keineswegs im formellen Sinne unterstellt worden. Mit ihm hatte Hitler keinen starken Vertreter küren wollen. Seine Ernennung zum "Stellvertreter" bedeutete nicht, daß der nun in staatliche Positionen vorgedrungene Hitler etwa den Parteibereich an Heß abgetreten hätte. Heß verdankte seine Beförderung nicht einer herausgehobenen innerparteilichen Machtposition, sondern seiner besonderen Vertrauensstellung, die er sich in langjähriger Kleinarbeit als "Privatsekretär" Hitlers erarbeitet hatte.19 Der am 26. April 1894 als Sohn eines deutschen Kaufmanns in Alexandrien geborene Rudolf Heß besuchte Schulen in Deutschland und der Schweiz, absolvierte eine kaufmännische Lehre in Hamburg und meldete sich 1914 als Kriegsfreiwilliger. Nach vierjährigem Kriegsdienst, den er als Leutnant beendete, begann Heß in München zu studieren. Hier gewannen zwei Personen maßgeblichen Einfluß auf ihn: Er wurde Schüler des Professors Karl Haushofer und Verfechter dessen geopolitischer Lehre sowie begeisterter Gefolgsmann des Parteiführers Adolf Hitler. Nachdem er sich am Putschversuch vom November 1923 beteiligt hatte, wurde er zu Festungshaft verurteilt und nutzte die Haftzeit im Landsberger Gefängnis, um seinem Idol Hitler bei der 17
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Zur Zitierweise der "Akten der Partei-Kanzlei" in dieser Arbeit: Achtstellige Nummern, die sich aus einem dreistelligen Sigel und einer fünfstelligen Blattzähtung zusammensetzen, verweisen auf die Mikrofiches des l. Teils der Dokumentation; fünfstellige Nummern verweisen auf Teil II. Beim I. Teil ist darauf :u achten, daß die Sigel nicht in ihrer numerischen Reihenfolge auf die beiden Mikrofiches-Bände verteilt sind. Die in Klammern stehenden Angaben beziehen sich auf das Archiv, den Bestand und den Aktenband, in dem sich das jeweilige Originaldokument befindet. Volkischer Beobachter, 28.4.33. - Die ausführliche Darstellung der Organisation und Arbeitsweise des Stabes bietet Rebentisch, Führerstaat, S. 68ff. In einer Verfügung vom 2.6.33 hatte Hitler 16 bisherige Amtsleiter der NSDAP zu Reichsleitem ernannt; dabei hatte Heß an der Spitze der Beförderungsliste gestanden. Helmut Heiber hat bereits in der Einleitung zum Teil I der Akten der Partei-Kanzlei die wichtigsten Stationen im Leben des jungen Heß dargestellt. Zur weiterführenden biographischen Literatur vgl. die Einleitung. Anm. 8 dieser Arbeit.
1. Vorgeschichte und Gründung des "Stabs des Stellvertreters des Führers"
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Niederschrift des Manuskriptes seiner Programmschritt "Mein Kampf zu assistieren. Aus der sich anschließenden achtjährigen Zeit als Sekretär des "Tribunen" - wie er Hitler in seinen privaten Briefen20 bezeichnete - sind einige Korrespondenz-Splitter21 erhalten: Sie zeigen, daß Heß in erster Linie für die Terminplanung Hitlers - einschließlich der für die Parteipropaganda so wichtigen Rednerauftritte - zuständig war und in seinem Namen zahlreiche Aufträge und Meinungsäußerungen an die Parteigenossen weitergab. Heß scheint dabei recht selbständig agiert zu haben, wobei er seine Tätigkeit strikt von der Geschäftsführung der Münchner Partei zentrale trennte: Sein Büro sollte dem Parteivolk und den nachgeordneten Funktionären in der Provinz die Möglichkeit eröffnen, an der Reichsorganisationsleitung vorbei direkt mit dem Parteiführer Hitler in Kontakt zu treten. Häufig fungierte er in heiklen Personalfragen der Partei als wichtige Vermittlungsinstanz und trat dabei oftmals auch gegenüber verdienten Parteiveteranen durchaus selbstbewußt auf. So leitete er beispielsweise im Jahre 1927 an Hitler ein Schreiben des Gaugeschäftsführers in Thüringen, Fritz Sauckel, weiter, in dem dieser den Gauleiter Dinter massiv kritisierte und dessen Rücktritt als "beste Lösung" für die im Gau entstandenen Probleme empfahl.22 Heß versah dieses Schreiben u.a. mit der Randbemerkung: "S. ist die wertvollste Kraft im Gau für die Arbeit nach außen." Sauckel wurde noch im gleichen Jahr Nachfolger Dinters. Im Oktober 1930 forderte Heß den langjährigen "Wirtschaftstheoretiker" der Partei, Gottfried Feder, auf, in seinen Vorträgen künftig wirtschaftspolitische Fragen nicht mehr zu berühren. Als Feder trotzdem einen entsprechenden Vortrag hielt, mahnte Heß ihn, ab sofort vor ähnlichen Ansprachen eine Genehmigung Hitlers einzuholen, die durch sein Sekretariat schriftlich zu bestätigen sei. Auch in diesem Fall war Heß selbständig vorgegangen; erst nachträglich gab er Hitler von dem Vorgang Kenntnis und holte dessen Zustimmung ein.23 Die Beschäftigung eines Privatsekretärs war für Hitler nicht nur eine persönliche Entlastung, sondern auch ein Instrument, mit dessen Hilfe er sich einer völligen Einbindung in den Parteiapparat entziehen konnte. Heß hielt Hitler neben dem "Parteidienstweg" zudem andere Kommunikationskanäle innerhalb der NS-Bewegung offen, schuf aber auch eine gewisse Distanz zum Parteialltag. So liefen parteiinterne Intrigen und Konflikte häufig zunächst durch den Filter des Heß-Sekretariats und machen denn auch einen erheblichen Teil der erhaltenen Korrespondenz aus. Das Privatsekretariat Heß hatte demnach für Hitler in der "Kampfzeit" eine ähnliche Funktion wie die nach der "Machtergreifung" eingerichteten Adjutanturen und Kanzleien. Als die Partei im Dezember 1932 durch den Ausschluß Gregor Straßers, durch rückläufige Wahlergebnisse und eine kaum noch zu bändigende interne Unruhe in eine schwere Krise geriet, war für den Parteiführer Hitler Loyalität das entscheidende Kriterium bei der Neuverteilung der Kompetenzen innerhalb der Parteileitung: Er ernannte Heß zum Leiter einer neu gegründeten "Politischen Zentralkommission" der NSDAP. Heß war damit verantwortlich für die Kontrolle der nationalsozialistischen Mandatsträger in den kleineren 20 21
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Publiziert in der von seinem Sohn herausgegebenen Sammlung. 77935-77995 (=BA, NS 18 aus R 55/573, 578-580. 583); 117 01645-01734 (=BA, NS 22/347-351, 355. 358-360); 117 08729-08816 (=ebenda, 1044, 1046, 1050. 1053, 1055, 1057, 1059, 1063f, 1074, 1076 ); 147 00001-00195 (=BA, NS 36/4. 7, 14, 18-20); 581 00001-00203 (=Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, 310 l/A 5 I, A 8 I, A 18, A 19 I/II, A 24, A 37 I/II, A 38 l/II, B l I, B 2 l/U, B 3 I/II, B 51 f. 147 00045-00053 (=BA. NS 36/7). 17.6.27. 117 01709-01721 (=BA, NS 22/359) Schriftwechsel zwischen Heß, Feder und Straßer. 30.10.32-9.11.32.
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I. Anfange der Dienststelle
Ländern und in den Gemeinden, für die Überwachung der NS-Presse sowie für das heikle Arbeitsgebiet der Kommission für Wirtschaftsfragen. Heß' Aufgabe bestand insbesondere darin, die grundsätzlichen parteiamtlichen Verlautbarungen und parlamentarischen Initiativen sowie alle "Anträge" auf Beteiligung an einem Streik oder einer Aussperrung zu überprüfen. 24 Während dem bisherigen Stabschef Straßers, Robert Ley, die gesamte Verantwortung für Organisation, Personal, Schulung sowie für die Fachämter der Reichsleitung zufiel, erhielt Heß somit - in einem entscheidenden Moment in der Geschichte der NSDAP - die Kompetenz für die Bereiche der Parteiarbeit, in denen weitere Friktionen und Pannen unbedingt verhindert werden mußten. Mit der Ernennung von Heß zum Leiter der Kommission und seiner - die Kompetenzfragen innerhalb der Parteileitung eben nicht lösenden - Rangerhöhung zum "Stellvertreter des Führers" war der Streit mit Ley vorgezeichnet. Daß Heß in diesem Kampf bestehen konnte und sich nicht dem mächtigen, seit Anfang Mai 1933 auch noch zum Führer der "Deutschen Arbeitsfront" ernannten Ley beugen mußte, ja daß er diesen Kampf um innerparteiliche Kompetenzen überhaupt aufnahm, ist mit Sicherheit nicht auf ein besonders kämpferisches Naturell des "Stellvertreters des Führers" zurückzuführen. Während Heß gerade in der Anfangsphase des NS-Regimes als eine Art innerparteiliche Klagemauer enttäuschter Hoffnungen fungierte und damit die sich alsbald einstellenden Frustrationen des NS-Anhangs vom Parteiführer ablenkte, gleichzeitig eifrig am Ausbau des nationalsozialistischen Führerkultes arbeitete25 und zudem als Mahner und Warner - so etwa gegenüber der SA26 in den entscheidenden Wochen vor dem 30. Juni 1934 - auftrat, überließ er den bürokratischen Kleinkrieg seinem im Juli 1933 ernannten Stabsleiter, Martin Bormann. Bormann27, am 17.Juni 1900 in Wegeleben bei Halberstadt als Sohn eines ehemaligen Militärmusikers und Postbeamten geboren, hatte vor seiner Ernennung zum Stabsleiter bereits eine erhebliche Zahl von Dienstjahren als hauptberuflicher Funktionär der NSDAP gesammelt. Der Gymnasiast, der das Abitur nicht ablegte, wurde 1918 eingezogen, verrichtete jedoch lediglich Dienst in der Gamisonsstadt Naumburg. Nach Kriegsende begann er eine Landwirtschaftslehre und wurde anschließend Gutsinspektor in Mecklenburg. In rechtsradikale Aktivitäten involviert, wurde er 1924 wegen Beteiligung an einem Fememord zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Nach seiner Entlassung arbeitete er zunächst wieder in seiner alten Stellung, um 1926 nach Weimar überzusiedeln. Hier betätigte er sich für den nationalsozialistischen Wehrverband "Frontbann" sowie als Adlatus
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Die Politische Zentralkommission setzte sich zusammen: 1. aus der Kommission für Beratung und Überwachung der nationalsozialistischen parlamentarischen Arbeit in den Länder-Parlamenten und Kommunen (mit zwei Unterkommissionen), 2. der Kommission zur Überwachung der nationalsozialistischen Presse, 3. der Kommission für Wirtschaftsfragen (ebenfalls mit zwei Unterkommissionen): Nationalsozialistisches Jahrbuch, München 1933. Zur Aufgabenstellung: BA, NS 26/1292, Adolf Hitler, Verfügung Nr. 2 v. 15.12.32. Siehe als Beispiel etwa die via Rundfunk vorgenommene Vereidigung der gesamten Parteigenossenschaft am 25.Februar auf den Parteiführer Hitler; gedruckt in: Rudolf Heß, Reden. München 1938, S. 10-14. Vgi. hierzu vor allem seine bekannte "Kölner Rede" v. 25.6.34, in der er "jene idealistischen Leichtgläubigen" unter den Parteigenossen zu "einer besonderen Vorsicht" ermahnen zu müssen glaubte, da diese "manchmal in der Erinnerung an den Heroismus und die herrliche Kameradschaft in den Kampfzeiten der Bewegung dazu neigten, sich Provokateuren zuzuwenden, die Volksgenossen gegeneinander zu hetzen versuchen und dieses verbrecherische Spiel mit dem Ehrennamen einer "zweiten Revolution" bemänteln". Heß, Reden, S. 14-48. Zu Bormanns Biographie vgl. die Einleitung von Helmut Heiber zu Teil I der Akten der Partei-Kanzlei; weiterführende Literatur wird in der Einleitung, Anm. 9 dieser Arbeit nachgewiesen.
l. Vorgeschichte und Gründung des "Stabs des Stellvertreters des Führers"
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des stellvertretenden NSDAP-Gauleiters. Diese Tätigkeiten baute er im Laufe der Zeit zu einer hauptamtlichen Position aus. Ende 1927 wurde er Gaupresseobmann, später Gaugeschäftsführer. Im Oktober 1928 übernahm er die "SA-Versicherung" in der Münchner Parteizentralc, die unter seiner Leitung als "Hilfskasse der NSDAP" erheblich erweiten wurde. Bormann trat aus seiner verwaltenden Tätigkeit erstmals im Oktober 1932 hervor, als er sich in einem Schreiben28 an Heß (und damit an Hitler) wandte, um umfangreiche Beschuldigungen gegen den Stabschef der SA, Ernst Rohm, vorzubringen. Bormann, der mit seiner Forderung nach Ablösung Röhms in der Parteispitze nicht alleine stand, präsentierte sich mit diesem Schreiben als ein zuverlässiger Parteiarbeiter, der den unsauberen Machenschaften und Intrigen Röhms mit offenem Visier entgegentrat. Von Bormann ging einige Monate später auch die Initiative zu der sich dann so "erfolgreich" entwickelnden Zusammenarbeit mit Heß aus: Die drohende Funktionslosigkeit der Hilfskasse nach erfolgter Machtergreifung vor Augen, bewarb sich Bormann regelrecht bei Heß, indem er ihn in einem Schreiben vom Mai 1933 um eine Tätigkeit im "politischen" Bereich der Parteileitung bat - mit der ausdrücklichen Bitte, seinen Vorgesetzten, den Partei-Schatzmeister Schwarz, über dieses Gesuch nicht zu informieren. Die Bewerbung hatte Erfolg: Anfang Juli 1933 wurde Bormann "Stabsleiter" von Heß. Im Sog der Rangerhöhung des Stellvertreters des Führers vom September 1933 gelang dem als solider Arbeiter geltenden, aber in der Partei noch einflußlosen Bonmann dann im Oktober 1933 ein beachtlicher Karrieresprung: Der Stabsleiter des Stellvertreters des Führers erhielt den Rang eines Reichsleiters der NSDAP29, wodurch die Sonderstellung von Heß innerhalb der Reichsleitung erneut betont werden sollte. Im November 1933 wurde er außerdem Abgeordneter des Reichstages. Als einen der ersten Mitarbeiter verpflichtete Bormann noch im August 1933 den Münchner Rechtsanwalt Heinrich Heim.30 Heim übte seine neue Tätigkeit zunächst allerdings nur auf Honorarbasis aus und blieb einstweilen weiter als Anwalt tätig. Der am 15. Juni 1900 in München geborene Heinrich Heim war bereits zwischen 1920 und 1923 Mitglied der NSDAP gewesen. Auch nach dem Verbot der Partei nahm er, wie Heß im April 1936 in einem Schreiben an den Reichsschatzmeister hervorhob, "regen Anteil" am Parteileben der NSDAP und trat lediglich aus besonderen Gründen, die Heß nicht näher bezeichnen wollte, nicht formell der Partei bei.11 Wegen dieser Treue zur Partei wurde das Datum seines (Wieder)-Eintritts denn auch von 1933 auf 1931 vordatiert. Heim unterhielt eine Kanzleigemeinschaft mit Hans Frank und fungierte in dieser Eigenschaft als Rechtsberater für die "Hilfskasse" der NSDAP, in deren Auftrag er verschiedene Prozesse·12 führte. 1936 wurde Heim zum Regierungsrat ernannt. Ein weiterer früher Mitarbeiter des StdF war Alfred Leitgen. Der am I. September 1909inRixdorf (bei Berlin), geborene Journalist hatte Heß im Jahre 1933 bei einem Interview kennengelernt. Zunächst wurde er - gemeinsam mit einem weiteren Heß-Adjutanten, Karl-Heinz Pintsch - Pressereferent, dann persönlicher Adjutant des StdF.11 28 29 30
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B A . N S 26/319, 5.10.32. Mitgeteilt durch die Verfügung des StdF v. 10.10.33. Zu Heim siehe 307 02411 -02419 (=BDC, Partei-Correspondence); 30600396-00429 (=BDC. SS-Offiziere); 103 05360/48-05360/52; 103 06164-06166; 103 06184-06191 (=BA, R 2/11685 u. 11903); 101 2063410639 (=BA. R 43 II/1213a); IfZ ZS 243 I u. II (Interviews mil Heim aus den Jahren 1952 und 1972). 307 02417 (=BDC, Partei-Coirespondence) 7.4.36. - So findet sich beispielsweise auch ein Briefwechsel zwischen Heim und dem in Landsberg einsitzenden Heß in BA, NS 26/942. Diesbe/üglicher Schriftverkehr mit Bormann aus den Jahren 1930-1932 befindet sich in: B A. NS 26/545. HZ. ZS 262 (Befragung Leitgen).
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I. Anfänge der Dienststelle
Als erster Geschäftsführer des StdF firmierte Fritz Wiedemann, ehemaliger Adjutant des bayerischen Regiments List und damit direkter Vorgesetzter des Meldegängers Adolf Hitler im Ersten Weltkrieg. Nachdem Hitler ihn Ende 1933 als seinen Adjutanten angeworben hatte, scheint Wiedemann zunächst vom l. Februar 1934 an zur Einarbeitung nach München abgestellt worden zu sein. Im Januar 1935 wechselte er in die persönliche Umgebung Hitlers.34 Ferner lassen sich in diesem frühen Stadium als Mitarbeiter des StdF Karl Winkler35 (als Buchhalter), Eberhard v. Conta sowie Franz Swoboda (die beiden zuletzt Genannten nur bis zum Januar 1934)36 feststellen.
2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich und die organisatorischen Anfänge der Dienststelle Für den "Stellvertreter des Führers" und seinen unter der Leitung Bormanns noch im Aufbau begriffenen Arbeitsstab stellte sich die doppelte Aufgabe, die in allgemeiner Form ausgesprochene Ermächtigung Hitlers, ihn "in allen Fragen der Parteileitung" zu vertreten, sowohl innerhalb der Partei als auch gegenüber staatlichen Dienststellen durchzusetzen. Die Taktik, die der StdF bei der Durchsetzung seines Führungsanspruchs innerhalb des Parteibereichs verfolgte, orientierte sich an zwei Grundsätzen: Zum einen mußte er sich innerhalb der Reichsleitung der NSDAP als eigentliche politische Führungsinstanz, als das autorisierte Sprachrohr des Parteiführers, durchsetzen und die anderen Reichsleiter auf sachlich begrenzte Aufgabengebiete verweisen. Zweitens mußte innerhalb der Partei ein klares Weisungsrecht der gebietlich zuständigen Parteiführer, der "Hoheitsträger", gegenüber allen, in ihrem "Hoheitsgebiet" vorhandenen Vertretern anderer Parteidienststellen sichergestellt werden. Nur durch die Betonung der hierarchischen Strukturen der Parteiorganisation hatte der StdF eine Chance, seinem Führungsanspruch auch in der Praxis Geltung zu verschaffen. Nur so konnten die zum Teil weitverzweigten nachgeordneten Dienststellen seiner Konkurrenten aus der Parteileitung diszipliniert werden. Um für seine Dienststelle bzw. für die Gauleiter ein allgemeines Weisungsrecht durchzusetzen, mußte zunächst das noch wild wuchernde Anordnungswesen der Partei unter Kontrolle gebracht werden. Im Februar 1934 forderte Heß die Reichsleiter daher auf, alle Rundschreiben "wesentlicheren Inhalts" in jedem Fall über die jeweilige Gauleitung an die zuständigen Referenten oder Amtsleiter zu übermitteln.37 Am 9. April machte er allen Reichsleitern zur "Pflicht", ihn von allen "besonderen, die Partei tiefer berührenden Fragen 34
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Fritz Wiedemann, Der Mann, der Feldherr werden wollte. Erlebnisse und Erfahrungen des Vorgesetzten Hitlers im 1. Weltkrieg und seines späteren Persönlichen Adjutanten, Velbert/Kettwig 1964. Während Wiedemann aus seiner Tätigkeit im Stab nur das Lesen von Bittschriften erwähnt, scheint er tatsächlich umfassendere Aufgaben gehabt zu haben: Als "Geschäftsführer" des StdF wird er sowohl im Nationalsozialistischen Jahrbuch von 1935 (S. 132) wie auch in einem 1935 durchgeführten Parteigerichtsverfahren bezeichnet, in dem Vorwürfe eines ausgeschiedenen Mitarbeiters gegen Unregelmäßigkeiten im Dienstbetrieb des StdF behandelt wurden; vgl. hierzu unten, S. 23f. Laut Nationalsozialistischem Jahrbuch von 1935, S. 132. Conta und Swoboda erscheinen in einer Mitteilung des StdF an die Reichs- und Gauleiter v. 31.10.33; zum Ausscheiden Swobodas: Rundschreiben des StdF an die Reichs- und Gauleiter v. 30.1.34. Conta arbeitete ab Anfang 1934 beim Siedlungsbeauftragten beim StdF, Ludowici 117 03373 (=BA. NS 22/671). Notiz v. 25.1.34. Anordnung des StdF, 27.2.34.
2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich
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in Kenntnis zu setzen". Alle "wesentlichen" Anordnungen müßten ihm "unbedingt vor Erlaß vorgelegt" werden.38 Die Ernennung eines besonderen Sachbearbeiters für Parteiangelegenheiten im März 1934 bildete eine wesentliche Voraussetzung für die Durchsetzung des Kompetenzanspruchs des StdF. Die Wahl fiel auf Helmuth Friedrichs, der bis zum Kriegsende die wichtigste Stütze Bormanns bei der Bearbeitung von Parteiangelegenheiten bleiben sollte. Helmuth Friedrichs wurde am 22.9.1899 in Otterndorf/Unterelbe geboren, war im Ersten Weltkrieg Offizier und anschließend Mitglied eines Freikorps. 1921 wurde er Bergmann, ließ sich nebenher zum Grubensteiger ausbilden und studierte seit 1925 auf der Bergakademie in Clausthal, ohne jedoch einen Abschluß zu erreichen. Seit 1929 engagierte er sich in der NSDAP, die ihn 1930 als hauptamtlichen Gaugeschäftsführer des Gaues Kassel übernahm. Seit November 1933 gehörte er außerdem dem Reichstag an.39
Im Mai 1934 setzte der StdF einen weiteren Sachbearbeiter auf dem Parteisektor ein: Er ernannte seinen Mitarbeiter v. Wulffen, der dem Stab bereits seit August 1933 angehörte, zum Leiter eines neu gegründeten Personalamtes. Der am 18. April 1878 geborene Major a. D. Gustav Adolf v. Wulffen war im Ersten Weltkrieg zunächst Kommandeur eines Bataillons und bekleidete sodann verschiedene Stabsfunktionen. Er war Träger des Ordens "Pour le merite". Nach Kriegsende vorübergehend im Range eines Regierungsrats beim Aufbau eines "Landesschutzes" der Provinzen Ober- und Niederschlesien eingesetzt, wurde er dann jedoch, im Zuge der von den Alliierten verfügten Demilitarisierung des Reiches, aus dem Staatsdienst entlassen. Nach verschiedenen Posten in der Privatwirtschaft übernahm er im Jahre 1924 die Geschäftsführung des "Nationalclubs von 1919" in Hamburg. Seit Anfang 1931 war er Mitglied der NSDAP. Innerhalb des Stabes des StdF war er zunächst für die Bearbeitung von Beschwerden zuständig, bevor er die Leitung des Personalamtes übernahm.40 Am 15. November 1937 schied er aus der Dienststelle aus und wechselte in die Präsidialkanzlei, wo er insbesondere für die Bearbeitung von Ordensangelegenheiten verantwortlich war.41 Sein Ausscheiden aus dem Stab dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß er beim Stabsleiter Bormann nicht gerade in hohem Ansehen stand, wie sich einem Schreiben Bormanns an Himmler aus dem Jahre 1944 entnehmen läßt.42
Bereits einige Monate vor der Ernennung v. Wulffens hatte der StdF einen generellen Kompetenzanspruch auf dem Personalsektor der Partei erhoben, indem er am 30. Januar 1934 angeordnet hatte: "Die Amtsleiter der Reichsleitung werden in Zukunft durch den Führer ernannt. Vorschläge für die Ernennung von Amtsleitem sind über mich zu leiten."43 Mit der Anordnung vom 7. Mai 1934, also der parteioffiziellen Bekanntgabe der Gründung 38 39 40 41 42
43
Verfügung des StdF. 9.4.34. Zu Friedrichs 306 00324-00356 (=BDC. SS-Offiziere) sowie die Charakterisierung bei Rebenlisch. Führerstaat, S. 89f. Lebenslauf. 307 05166-05170 (=BDC, Partei-Correspondence). Rundschreiben des StdF v. 17.11.37. In diesem Schreiben sah sich Bormann veranlaßt, den Werdegang seines ehemaligen Mitarbeiters, der mittlerweile wieder bei der Wehrmachi diente und den Rang eines Generalmajors erreicht hatte, einmal "unverblümt" zu schildern und Himmler von einer weiteren Beförderung des innerhalb der Schutzstaffel zum SS-Brigadeführer aufgestiegenen v. Wulffen zu warnen: Wie "so viele talentlose verabschiedete Hauptleute oder Majore" sei v. Wulffen in der Nachkriegszeit als "Handelsvertreter für Öle und Fette" tätig gewesen. Als er nach der Machtergreifung massiv im Braunen Haus wegen einer angeblich zugesagten Beschäftigung vorstellig geworden sei, habe man ihn eher aus Mitleid innerhalb des Stabs des StdF eingestellt, wo er auch "brav und fleißig" gearbeitet habe: besondere Fähigkeiten, so Bormanns süffisante Beurteilung, habe er bei der "gesellschaftlichen Betreuung von Ehrengästen währenddes Reichsparteitages" gezeigt: 306 01081-01084 (=BDC, SS-Offi/.iere), 16.2.44. Anordnung des StdF. 30. l .34.
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I. Anfänge der Dienststelle
eines Personalamtes beim StdF, wurde dieser Kompetenzanspruch konkretisiert: Danach hatte das Personalamt die Aufgabe, "die Personalien aller in leitenden Stellungen der Reichsleitung befindlichen Parteigenossen bis einschließlich Abteilungsleiter sowie deren Nachwuchs zu sammeln und auf dem laufenden zu halten". Die hierfür erforderlichen Personalunterlagen seien dem StdF zuzuleiten. Nach Eingang der Unterlagen erhalte jeder politische Leiter der Reichsleitung bis zum Abteilungsleiter einen Ausweis, in dem seine Stellung bestätigt werde. Am 14. November 1934 erließ der StdF eine neue Verfügung, in derer sämtliche in leitenden Stellungen tätigen Angehörigen der Reichsleitung aufforderte, die noch fehlenden Personalunterlagen bis zum 15. Dezember bei ihm einzureichen, da alle Dienstrangausweise, die nicht seine Unterschrift trügen, mit dem 1. Januar 1935 ihre Gültigkeit verlören. Durch eine Verfügung Hitlers vom 18. April 1935 wurde das Personalwesen der Partei umfassend neugeordnet. Hitler behielt sich die Ernennung bzw. Absetzung aller Politischen Leiter bis zum Kreisleiter selbst vor. Alle an ihn gerichteten Anträge auf Ernennung bzw. Absetzung Politischer Leiter sollten über die Gau- bzw. Reichsleiter dem StdF zugeleitet werden. Außerdem überließ Hitler das Recht auf einstweilige Beurlaubung bzw, auf kommissarische Betrauung mit einem Amt (mit Ausnahme der Gauleiter) dem StdF. Damit war die grundlegende personalpolitische Kompetenz der Dienststelle im Parteibereich festgelegt worden. Durch diese Kompetenzregelungen war der innerparteiliche Führungsanspruch des StdF abererst teilweise verwirklicht. Vor allem der Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Robert Ley, stellte sich weiteren Ambitionen des StdF entgegen. Bei den Auseinandersetzungen44 mit diesem Konkurrenten, die im folgenden wegen ihrer Bedeutung für die Festigung der innerparteilichen Stellung der Dienststelle detailliert geschildert werden, ging es für den Stab Heß in erster Linie darum, dem Führungsanspruch, den Ley als "Leiter" der Politischen Organisation der NSDAP erhob, die sich aus der Führer-Stellvertretung ergebende besondere politische Kompetenz entgegenzustellen und die Aufgaben Leys auf eine rein organisatorische bzw. betreuende Tätigkeit zu beschränken. Diesem Ziel diente etwa ein Brief, den Heß am 19. April 1934 an Ley richtete. Er beschwerte sich hier über eine Anordnung, in der dieser die Dienststellen der Partei dazu aufgefordert hatte, zum bevorstehenden Geburtstag Hitlers die Parteigebäude zu schließen und zu beflaggen. Durch diese Verfügung, die unter dem Kopf 'Oberste Leitung der PO" herausgegeben worden war, müsse, so Heß, der Eindruck entstehen, der "Führer selbst" habe diese Anordnung getroffen - dies sei aber eindeutig nicht der Fall. Heß sah sich daher gezwungen. Ley "dringendst zu bitten", seine Dienststelle als "Stabsleitung der P.O." zu bezeichnen. Überhaupt sei die Bezeichnung "Politische Organisation" mißverständlich, müsse doch der Eindruck entstehen, das "Arbeitsgebiet der P.O. sei das politische", während sie tatsächlich die "Organisarions-Aüigaben der Partei zu erfüllen" habe.45 Einen weiteren Schlag46 gegen Ley führte Heß im Mai 1934, als er sich die von seinem Konkurrenten im September 1933 ernannten sechs "Gebietsinspekteure"47 unter der neuen Bezeichnung "Beauftragte der Parteileitung" unterstellte. Ein im Ton recht defensives
44 45 46 47
Vgl. hierzu Rebentisch, Führerstaat, S.771. 117 04451t" (=BA, NS 22/713): Hervorhebung im Original. Bekanntgabe B 24/34 v. 11.5.34. Verordnungsblatt. 15.10.33 (Anordnung Leys v. 29.9.33).
2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich
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Rundschreiben Bormanns an die Gauleiter vom 9. Juli 1935 zeigt allerdings, daß es auf diesem Wege kaum möglich war, in den Zuständigkeitsbereich dieser Provinz-Polen täte n einzugreifen, mußte Bormann hier doch ausdrücklich versichern, die Beauftragten der Parteileitung seien selbstverständlich nicht "Organe zur Kontrolle der Gauleiter". Im Mai 1936 wurden die Beauftragten, die im Oktober 1935 zusätzlich zu den ihnen vom StdF übertragenen Aufgaben einen gesonderten Inspektionsauftrag von Ley erhalten hatten48, denn auch abgeschafft.49 Am 20. Oktober 1934 erließ Heß eine Anordnung, in der er die wichtigsten Dienststellen der Reichsleitung "ermächtigte", auf ihren jeweiligen Sachgebieten "verbindliche Richtlinien und Anweisungen" zu erlassen. Im einzelnen wies er dieses Recht dem Reichsschulungsamt, der Reichspropagandaleitung, dem Reichspressechef, der Reichskassenverwaltung, dem Obersten Parteigericht und der Stabsleitung der PO - als "für alle Fragen der Organisation" verantwortliche Dienststelle - zu. Alle "Anweisungen und Richtlinien grundsätzlicher Natur" dieser Dienststellen seien ihm jedoch vor Herausgabe vorzulegen, um "notfalls" eine Entscheidung Hitlers herbeiführen zu können. Als sich Ley aber weigerte, den StdF als vorgesetzte Dienststelle anzuerkennen, beantragte Heß am 22. Oktober gegen ihn ein Parteigerichtsverfahren wegen Verstoßes gegen Satzung und Ziele der Partei, das aber wohl nicht eröffnet wurde.50 In einer Anordnung, die Heß nur drei Tage später, am 25. Oktober 1934, erließ, kam sein Führungsanspruch am klarsten zum Ausdruck. Hier hieß es: "Die Bestimmung der politischen Linie der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie der ihr unterstellten Verbände ist allein Angelegenheit des Führers. Er hat mich für die genaue Beachtung der von ihm jeweils erteilten Richtlinien durch sämtliche Gliederungen der Partei und für die Einheitlichkeit in der politischen Linienführung verantwortlich gemacht." Zur Durchführung dieses Grundsatzes ordnete Heß an, daß die "politische Führung" innerhalb der Partei und ihre "politische Vertretung" gegenüber allen "staatlichen und sonstigen Stellen" ausschließlich bei den "Hoheitsträgern" der NSDAP liege, also bei seiner eigenen Dienststelle sowie bei den Gauleitern, Kreisleitern und Ortsgruppenleitern. Ausschließlich den Hoheitsträgern stehe das Recht zu, in ihrem jeweiligen "Hoheitsbereich" Vereinbarungen mit außerhalb der Partei stehenden Stellen zu treffen, dies aber strikt nach den Richtlinien, die von Hitler oder durch den StdF "in seinem Auftrage erlassen werden". Die Vertretung der Partei "in allen Dingen gegenüber der Reichsregierung" behielt sich Heß "persönlich" vor, ebenso die Wahrnehmung der Parteinteressen in denjenigen Ländern, die mehrere Gaue umfaßten, also Preußen und Bayern. Nur in den kleineren Ländern, deren Grenzen nicht über das Gebiet des entsprechenden Partei-Gaues hinausgingen, blieb den Gauleitern die Vertretung der Parteiinteressen vorbehalten. Am 10. November 1934 erließ Heß eine Verfügung, in der Ley als neue Amtsbezeichnung der Titel "Reichsleiter für das Reichsorganisationsamt der NSDAP" zugewiesen wurde. Sein Aufgabengebiet wurde hier mit "Aufbau, Ausbau und Überwachung der inneren Organisation, Schulung und Personalstatistik der Politischen Organisation" festgelegt. Die Bezeichnungen "Oberster Leiter der P.O." und "Stabsleiter der P.O." sollten künftig nicht
48 49 50
Vereinbarung Leys mit den sechs Beauftragten. 305 ()0258ff (=Research Varia. Korrcsponden/ StdF 1935). Verfügung V 73/36 v. 22.5.36. 307 03435f (=BDC. Partei-Correspondencc. Uy).
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I. Anfänge der Dienststelle
mehr gebraucht werden. In einem Schreiben 5 ', das er am gleich Tag an Ley sandte, begründete Heß, warum die von Ley selbst gewünschte Bezeichnung "Reichsorganisationsleiter" nicht in Frage gekommen war: Durch die Tätigkeit Straßers, der zuletzt diese Bezeichnung geführt hatte, sei "der Eindruck" erweckt worden, ''als führe der Reichsorganisationsleiter die gesamte Parteiarbeit." Außerdem forderte Heß Ley auf, der Auffassung entgegenzutreten, die Partei bestehe aus den "drei Säulen" SA, SS und PO. Richtig sei vielmehr, daß die Politische Organisation gleichbedeutend mit dem Korps der Politischen Leiter sei, also nur einen Teil der (außerhalb von SA und SS stehenden) Parteiorganisation umfasse. Ganz im Sinne dieses Schreibens gab Ley zwar in einer Anordnung vom 16. November 1934 bekannt, daß die von Heß beanstandeten Bezeichnungen künftig wegfallen sollten; ebenso bekannte er sich dazu, daß die PO "nicht ein gesonderter Teil der NSDAP" sei, sondern "das Korps der Politischen Leiter" umfasse. Jedoch betonte Ley andererseits, daß durch den Fortfall der bisherigen Bezeichnungen sein Aufgabengebiet in keiner Weise beschränkt worden sei. Die PO werde durch ihn - und zwar unter der Amtsbezeichnung "Reichsorganisationsleiter"- weitergeführt; sämtliche Ämter der früheren Obersten Leitung der PO gehörten jetzt zur Reichsorganisationsleitung der Partei. Dieser Erklärung fügte Ley - um "dieselben noch einmal ins Gedächtnis zu rufen" - eine Liste von insgesamt 16 ihm unterstehenden Ämtern und Hauptämtern an. Hierauf erhielt Ley ein vom 29. November datiertes Schreiben Hitlers, in dem dieser ihm den Vorwurf machte, den "Aufgabenkreis des Reichsorganisationsleiters noch nicht richtig erkannt" zu haben. Die Aufgaben des Reichsorganisationsleiters - damit akzeptierte Hitler immerhin den von Heß beanstandeten Titel - umfaßten "Aufbau, Ausbau und Überwachung der inneren Organisation, Schulung und Personal-Statistik der Parteiorganisation". Ihm stünden zur Durchführung seiner Aufgaben die Hauptämter für Stabs-, Personal-, Organisations- und Schulungsangelegenheiten sowie für die NSBO zur Verfügung. Die anderen zehn in der Anordnung vom 16. November genannten Hauptämter unterstünden Ley nur im Sinne seines auf organisatorische Fragen bezogenen Auftrags. Ausdrücklich betonte Hitler, daß ihm die politische Führung der Partei ebenso uneingeschränkt vorbehalten bleibe wie die "Einführung, Benennung oder Umbenennung von Ämtern der Parteiorganisation". Ley sah sich nun gezwungen, in einer Anordnung 52 vom 28. Dezember 1934 seine Erklärung vom 16. November abzuändern und nur jene fünf Ämter als zu seinem Stab gehörig aufzuzählen, die Hitler ihm in seinem oben zitierten Schreiben zugestanden hatte. Alle übrigen in der November-Anordnung erwähnten Dienststellen unterstünden ihm "verwaltungsmäßig, personaltechnisch, organisatorisch und disziplinär"; in politischer Hinsicht gehörten sie jedoch - wie die anderen Dienststellen der Reichsleitung - zum Aufgabengebiet des Stellvertreters des Führers. In einer weiteren Anordnung vom gleichen Tage legte Ley fest, daß die umstrittene Bezeichnung "Reichsorganisationsleiter" sich nur auf den Arbeitsbereich der ihm direkt unterstellten Hauptämter beziehe. Während es dem StdF nicht gelingen sollte, mit den Beauftragten der Parteileitung ein Instrument zur wirksamen Kontrolle der Gauleiter in die Hand zu bekommen, vermochte er doch, mittels seiner aus der Stellvertretung Hitlers abgeleiteten Kompetenz diese Spitzenfunktionäre der Partei in der Provinz zu einer regelmäßigen Berichterstattung an seine 51 52
117 04433 (=BA, NS 22/713). Veröffentlicht im Verordnungsblatt. Mitte Januar 1935.
2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich
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Dienststelle zu veranlassen. Im Dezember 1934 übermittelte der StdF den Gauleitern ein Schema, das ihnen als Anleitung bei der Anfertigung monatlicher 'Tätigkeits- und Stimmungsberichte" dienen sollte. Dieser Plan umfaßte nicht weniger als 41 Punkte; so sollten die Gaue etwa über die "Stimmung der Volksgenossen im Verhältnis zum Staat", gesondert nach "a) Behörden, b) Gesetze, c) Gerüchte" berichten, alles Erwähnenswerte aus der Arbeit der Parteigliederungen und angeschlossenen Verbände mitteilen oder über mögliche regimefeindliche Bestrebungen, säuberlich getrennt nach Organisationen, Meldung machen.511 Dieses umfangreiche Berichtswesen diente dem StdF nicht nur dazu, ein recht umfassendes, selbstverständlich ihm allein zur Verfügung stehendes Herrschaftswissen in seiner Zentrale anzusammeln; die Tatsache, daß die Gauleiter seine Weisung zur Berichterstattung befolgten, bedeutete auch in einem gewissen Umfang eine Anerkennung seiner politischen Führungsposition. Diese herausragende Stellung des StdF wurde durch ein Rundschreiben unterstrichen, das Heß am 2. Januar 1935 an die Gauleiter richtete, nachdem er erfahren hatte, daß im Dezember des vergangenen Jahres ohne sein Wissen aufgrund einer Einladung der Gauleitung Westfalen-Süd eine Arbeitstagung der Gauleiter stattgefunden hatte. Der StdF nahm dies zum Anlaß, um den Gauleitern einzuschärfen, daß die "politische Führung der NSDAP" ausschließlich bei Hitler bzw. "in seinem Auftrag" bei ihm liege. Ebensowenig wie ein Reichsleiter könne "selbstverständlich" ein Gauleiter eine Gauleitertagung einberufen oder mit Stellen der Reichsregierung verhandeln, ohne die Genehmigung des StdF eingeholt zu haben.54 Der staatliche Sektor bildete den zweiten großen Bereich, in dem der Stellvertreter des Führers in den Jahren 1933/34 aktiv wurde. Ein erstes Sprungbrett für die Ausdehnung des Einflusses der Dienststelle in staatliche Sphären schuf sich der StdF bereits im Frühsommer 1933, als er sich den in Berlin residierenden "Verbindungsstab der NSDAP"55 unterstellte. Der Verbindungsstab war am 24. März 1933 in der Wilhelmstraße 64, also inmitten des Regierungsviertels, eingerichtet worden, um als eine Art Schleuse für den Geschäftsverkehr zwischen den Dienststellen der Partei einerseits sowie den Reichsministerien und der Reichskanzlei andererseits zu fungieren. Leiter des Stabes war zunächst Rolf Reiner, zuvor Legationsrat in der Bayerischen Vertretung 56 , sein Nachfolger wurde im März 1934 Herbert Stenger57. Ihnen standen etwa zehn Mitarbeiter zur Verfügung. Dem Verbindungsstab sollten überwiegend technische Funktionen zufallen: Er hatte insbesondere die in Berlin anfallende Post weiterzuleiten, Besucher in Empfang zu nehmen und Besprechungen zwischen staatlichen und Parteidienststellen zu arrangieren.58 In einer Stellungnahme eines leitenden StdF-Mitarbeiters aus dem Jahre 1937 erschien der Verbindungsstab nur noch als "ein Absteigequartier und ein Arbeitsplatz" für die aus München anreisenden Referenten. 59 Wenn somit auch die eigentlich politischen Entscheidungen in München gefällt wurden - oder einfach dort, wo sich Heß bzw. Bormann gerade aufhielten -, so war jedoch entscheidend, daß mit der Übernahme des Stabes ostentativ eine Art 53 54 55 56 57 58 59
Anordnung des SldF, 21.12.34. Verfügung v. 2. l .35. Diehl-Thiele, a.a.O., S. 217f. 110 00134 (=R 43 1/1061). Verfügung des StdF. 12.3.34. IfZ, ZS 2008 (Herben Stenger). 101 20038f (=BA, R 43 II/l 199b). Sommer an Lammers, 26.2.37.
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I. Anfänge der Dienststelle
Monopolstellung des StdF bei der Vertretung der Partei gegenüber staatlichen Dienststellen begründet werden konnte. Ein weiterer wichtiger Schritt bei der praktischen Durchsetzung des vom StdF erhobenen Anspruchs auf Vertretung der Interessen der NSDAP gegenüber dem Staat wurde im Sommer 1933 verwirklicht: Am 27. Juni teilte Staatssekretär Lammers Heß mit, er sei künftig berechtigt, an Ministerbesprechungen und Kabinettssitzungen teilzunehmen.60 Durch das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. Dezember 1933 wurde Heß' Position aufgewertet: Der Stellvertreter des Führers und der Stabschef der SA wurden Mitglieder der Reichsregierung; am gleichen Tag wurden Heß und Rohm zu Ministern ohne Geschäftsbereich ernannt. 61 Trotz dieser Rangerhöhung verlief aber die Beteiligung des StdF an der Gesetzgebung aus seiner Sicht noch nicht befriedigend: Am 4. Dezember ersuchte Bormann Lammers, Gesetzentwürfe nicht erst wenige Tage vor den Kabinettssitzungen zu überstellen; um sie "noch einer gründlichen Prüfung vom nationalsozialistischen Standpunkt durch die entsprechenden Parteidienststellen" unterziehen zu können, müßten sie ihm vielmehr "viel früher zugehen als bisher und den anderen Reichsministem". Lammers entsprach dieser Bitte, indem er die Reichsministerien in einem Rundschreiben ersuchte, die von ihnen vorbereiteten Kabinettsvorlagen möglichst direkt an den StdF zu übersenden.62 Im Juni 1934 machte der StdF den Versuch, durch ein Ergänzungsgesetz zum "Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" seine Beteiligung an der Gesetzgebung als allein bevollmächtigter Vertreter der NSDAP festzuschreiben.63 Hiergegen äußerte Reichsinnenminister Frick erhebliche Bedenken64: Die Gesetzgebung, so die Argumentation Fricks, könne nicht "Aufgabe der Partei sein, sondern muß ausschließlich Aufgabe der Regierung bleiben". Allein die "nationalsozialistischen Minister" seien dafür verantwortlich, daß "alle Gesetze mit nationalsozialistischem Geiste" erfüllt seien; eine besondere Instanz, die "neben oder gar über den Reichsministern und der Reichsregierung noch eine Kontrolle darüber auszuüben hätte ... ist nicht nur entbehrlich, sie würde vielmehr mit voraussehbarer Sicherheit auch zu unerwünschten Auseinandersetzungen zwischen den Ministern und der Reichsleitung der NSDAP, führen und mit der Autorität der unter der Führung des Reichskanzlers stehenden Reichsregierung unvereinbar sein". Frick trat in dieser Auseinandersetzung dafür ein, den Nationalsozialismus innerhalb des Staatsapparates zu installieren, gleichzeitig aber wollte er das reibungslose Funktionieren dieser Maschinerie sicherstellen, was zentral zusammengefaßte Kompetenzen sowie das Festhalten an fachlicher Kompetenz und gesetzlicher Normierung bedeutete; der StdF hingegen verfolgte die Strategie, seinen Stab zum - mit der alleinigen Vertretung der Parteiinteressen berechtigten - Anwalt gegenüber dem Staat zu machen, ihm hierfür zwar weitreichende Interventionsmöglichkeiten im staatlichen Bereich zu öffnen, ihn aber organisatorisch strikt vom Staatsapparat getrennt zu halten. Beide Standpunkte, die als "etatistische" und "interventionistische" Konzeption nationalsozialistischer Machtdurchsetzung 60
61 62 63 64
101 9884 (=BA. R 43 11/1196; auch gedruckt in: Akten der Reichskanzlei, Regierung Hitler 1933-1938, Teil I 1933/34, 2 Bde.. Boppard a. Rh. 1983, S. 601). Von seinem neuen Recht machte Heß erstmalig am 30.6.33 Gebrauch: 110 00154 (=BA. R 43 1/1310: Regierung Hitler I, Nr. 175. S. 609ff). RGBI 19331. S. 10; 101 00564 (=BA, R 43 11/141). Ernennungsurkunde. 110 00166-00175 (=BA, R 43 1/1314). 101 19909(=BA, R 43 11/1197), Heß an Lammers, 5.6.34. 101 19910-19914 (=ebcnda), Frick an Lammers, 8.6.34; vgl. Rebentisch. Führerstaat, S. 71.
2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich
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bezeichnet werden können, standen sich bereits zu diesem Zeitpunkt in bemerkenswerter Klarheit gegenüber. Abgesehen von seinen grundlegenden Einwänden sprach sich jedoch auch Frick im Juni 1934 für eine Beteiligung des StdFan den Vorarbeiten /u den Reichsgesetzen aus: Dies sei am zweckmäßigsten durch eine Verwaltungsanordnung sicherzustellen, die das jeweils federführende Ministerium dazu verpflichten solle, Gesetzentwürfe dem StdF spätestens zum gleichen Zeitpunkt wie den übrigen Reichsministern zu überstellen. Tatsächlich wurde eine solche Anordnung durch einen Erlaß des Reichskanzlers 65 vom 27. Juli 1934 getroffen, wobei auch ausdrücklich Rechtsverordnungen - auf Wunsch des StdF wurde dieser Terminus später durch "Ausführungsvorschriften" 66 ersetzt - in diese Regelung einbezogen wurden. Gleichzeitig wurde in diesem Erlaß die Position des StdF noch einmal aufgewertet, indem ihm die "Stellung eines beteiligten Reichsministers" zuerkannt wurde. Am 6. April 1935 wurde die Beteiligung des StdF an der Gesetzgebung auch auf alle Ausführungsbestimmungen und Durchführungsvorschriften, soweit sie im Reichsgesetzblatt zu veröffentlichen waren, ausgedehnt. 67 Eine erneute Bitte 68 von Heß an die Reichsminister vom 9. Oktober 1934 dokumentiert jedoch, daß trotz solcher eindeutiger Regelungen die Beteiligung des StdF an der Gesetzgebung noch keineswegs reibungslos funktionierte: Heß mahnte hier die rechtzeitige Überstellung der Entwürfe an, worauf Lammers in einem Rundschreiben an die Reichsministerien eine großzügigere Bemessung der entsprechenden Fristen anregte.69 Die Ernennung von Beamten bildete den zweiten Komplex, den der StdF bei der schrittweisen Ausdehnung seines Einflusses auf den staatlichen Bereich anging. Der Ansatzpunkt boten diejenigen Bestimmungen des Beamtenrechts, die die "politische Zuverlässigkeit" der Beamtenanwärter forderten.70 Für die Überprüfung der Beamtenanwärter in dieser Hinsicht war in erster Linie die einstellende Behörde verantwortlich; häufig forderten jedoch die Personalreferenten der staatlichen Verwaltung "politische Gutachten" bei Parteidienststellen an, um sich auf diese Weise in ihren Entscheidungen abzusichern, während die Partei auf verschiedenste Weise versuchte, über das Instrument der politischen Beurteilung Einfluß auf die Emennungsverfahren zu nehmen. Auf diese Weise kam es häufig zu einem unkoordinierten Vorgehen von Parteidienststellen und zu erheblichen Verunsicherungen innerhalb der staatlichen Personalpolitik. 71 Angesichts dieser Situation regte der StdF in einem an Lammcrs gerichteten Schreiben 72 vom 7. Februar 1935 an, ein Verfahren auszuarbeiten, mit dessen Hilfe die politische Einstellung der zu ernennenden höheren Beamten des Reiches und der Länder systematisch überprüft werden könne. Seitens der Reichskanzlei wurde hierauf vorgeschlagen, daß die Personal vorschlage der Ministerien neben dem Reichsinnenminister und der Reichskanzlei
65 66 67 68 69 70 71 72
101 00573 (=BA. R 43 11/141). 101 12546ff(=BA. R 43 11/696). 101 00530 (=BA, R 43 11/139 a). 103 01004 (=BA. R 2/4485). 103 01005-01008 (=BA. R 2/4485). 27.10.34. Es handelt sich um § 4 des Berufsbeamtengesei/e.s sowie um die analoge Regelung des Beamtenrechtsänderungsgesetzes: RGBI. 1933 I, S. 175 u. 433. Zur Einschaltung des StdF in die Personalpolitik Mommsen, Beamtentum, S. 75it. 101 04454-04455 (=BA. R 43 11/421).
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I. Anfänge der Dienststelle
auch dem StdF zugeleitet werden sollten. 73 Heß präzisierte nun seine Vorstellungen und beanspruchte ein Mitwirkungsrecht bei der Ernennung der politischen Beamten, aller planmäßigen höheren Ministerialbeamten vom Regierungsrat aufwärts sowie sämtlicher Beamten der übrigen Behörden ab Ministerialrat. 74 Hierauf legte Frick einen Entwurf für einen Führererlaß vor, in dem den Wünschen des StdF weitgehend Rechnung getragen wurde. Allerdings wollte der Reichsinnenminister die Mitwirkung des StdF bei der Ernennung der höheren Ministerialbeamten erst vom Rang eines Ministerialrats aufwärts zugestehen und bei Ernennungen von Beamten in der Provinz die Mitwirkungsrechte der Partei auf die Gauleiter (als vom StdF beauftragte Organe) übertragen sehen.75 Der Konflikt wurde durch den StdF ebenso einfach wie definitiv gelöst: In Vertretung von Heß teilte Bormann Lammers am 12. Juli 1935 mit, er habe die Frage Hitler vortragen lassen und sich dabei "entschließen müssen, den Führer zu bitten, mich bei der Ernennung eines jeden Beamten, den der Führer selbst ernennt, zu beteiligen". Dies waren aber nach den einschlägigen Erlassen Hitlers vom 30. Januar 1935 sämtliche Reichs- und Landesbeamten des höheren Dienstes, also die Besoldungsgruppen von A2c an aufwärts, so daß der StdF jetzt noch über seine ursprünglich erhobenen Forderungen hinausging. In Bormanns Mitteilung hieß es sodann lapidar: "Der Führer hat diesen Wunsch als berechtigt anerkannt und entschieden, daß Vorlagen an ihn, betreffs Ernennung solcher Beamter vorher mir zur Stellungnahme zugehen."76 In einem Führererlaß über die "Beteiligung des Stellvertreters des Führers bei der Ernennung von Beamten" vom 24. September 1935 erhielt diese Entscheidung dann Rechtskraft.77 Die zunehmende Beteiligung an staatlichen Aufgaben veranlaßte den StdF, sich den Sachverstand erfahrener Verwaltungsjuristen nutzbar zu machen. Zu diesem Zweck wurden 1934 zwei Beamte der thüringischen Landesverwaltung an den StdF abgestellt: Der Ministerialrat Walther Sommer und der Regierungrat Johannes Müller. Der am 27. August 1901 in Eisenach und Kiel und promovierte im Jahre 1925 1932 zum Regierungsrat ernannt. 1935 Parteimitgliedschaft datierte vom I . M a i
geborene Johannes Müller 78 studierte Jura in Jena, Berlin zum Dr. jur. Seit 1928 Gerichtsassessor, wurde er im April erfolgte die Ernennung zum Oberregierungsrat. Müllers 1933.
Walther Sommer79, geboren am 9. Juli 1893 in Rudolstadt, studierte von 1912 bis 1914 zunächst Geschichte und Germanistik, dann Rechtswissenschaften in Göttingen. Er legte 1919 bzw. 1922 die juristischen Staatsexamina ab und arbeitete fortan im Thüringischen Innenministerium. Sommer, der von 1912 bis 1922 dem Alldeutschen Verband und von 1919 bis 1924 der Deutschen Volkspartei angehört hatte, war seit 1928 Mitglied der NSDAP:
Nachdem Sommer seit Mai 1934 zur Dienstleistung im Stab Heß beurlaubt worden war, wurde für ihn ab November 1935 eine Ministerialdirektorenstelle beim StdF geschaffen. Bei den Verhandlungen mit dem Reichsfinanzministerium, die der Errichtung dieser Stelle 73 74 75 76 77 78 79
Vermerk aus der Reichskanzlei v. 13.2.35, 101 04456-04457 (=BA. R 43 11/421). Schreiben des StdF an Lammers, 4.3.35, 10l 04458 (=BA, R 43 /421). Frick an Lammers, 12.4.35, 101 04464-04467 (=BA, R 43 11/421). 101 04474 (BA. R 43 11/421). RGB1. 19351, S. 1203. 103 06204-06215 (=BA, R 2/11903). 101 18238-18241,101 19031-19042 (=BA, R 43 II/l 136bu. 1161 c): 103 06159-06192, 10306286-06304, 103 06656-06662 (=BA, R 2/11903 u. 11978); 306 00882-00908 (=BDC, SS-Offiziere). - Vgl. auch die Charakterisierung Sommers durch Rebentisch, Fiihrerstaat. S. 83ff.
2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich
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vorausgingen, gab Heß eine detaillierte Übersicht über die Sommer zugewiesenen Aufgaben: Sommer sei der "Hauptreferent für alle Angelegenheiten, die mich in meiner Eigenschaft als Reichsminister berühren". Damit sei er verantwortlich für die Mitarbeit des StdF an der staatlichen Gesetzgebung, für alle Fragen, "die das Verhältnis von Partei und Staat betreffen", für den zwischen den Ministerien und ihm geführten Schriftverkehr, für "staatsrechtliche Fragen im engeren Sinne" sowie für das gesamte Gebiet der Reichsreform, für deren Bearbeitung der Gauleiter Adolf Wagner als Sonderbeauftragter des StdF verantwortlich zeichnete.80 In seiner praktischen Tätigkeit erwies sich Sommer, obwohl selbst Laufbahnbeamter, als ausgesprochener Gegner der Ministerialbürokratie. Sommer hat in einer Reihe von Stellungnahmen seiner Einstellung gegenüber der staatlichen Justiz und dem öffentlichen Recht prägnant Ausdruck verliehen. So äußerte er sich etwa in einem Grundsatzreferat 81 , das er 1938 im Wiener Parlamentsgebäude vor Parteifunktionären und Beamten der angeschlossenen "Ostmark" über die "Staatsrechtliche Stellung der NSDAP" hielt, wie folgt: "... gute Nationalsozialisten werden es ... fertigbringen, sich über Gesetze, die nicht dem Nationalsozialismus entsprechen, hinwegzusetzen ..." In einer Stellungnahme zur Umbildung des ehemaligen österreichischen Bundesgerichtshofs vertrat Sommer die Ansicht, daß im nationalsozialistischen Staat Entscheidungen der Verwaltungen keiner gerichtlichen Nachprüfung unterliegen dürften: "Meine Meinung ist grundsätzlich die, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht in den Aufbau des Führerstaates paßt und diesen Grundgedanken auch nicht angepaßt werden kann."82 In einem Schreiben an den Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Freisler, vom Januar 1939 gab er - obwohl "grundsätzlich für die Unabhängigkeit der Richter" - seinem Wunsch Ausdruck, das Justizministerium möge "einmal selbst die Scheu vor dem Popanz der Unabhängigkeit der Richter ... überwinden und sie richtig anblasen".831937 schlug er in einer Denkschrift, die er über Lammers zur Vorlage bei Hitler einreichte, eine radikale Verkürzung der Juristenausbildung vor, in der insbesondere die dreijährige Referendarzeit durch ein einjähriges, vor dem Studium abzuleistendes Praktikum abgelöst werden sollte. Sommer begründete seinen Vorschlag vor allem mit bevölkerungspolitischen Argumenten: Angesichts des relativ späten Heiratsalters der Nachwuchsjuristen, durch das der "Akademikerstand ... bevölkerungspolitisch Zuschußgebiet" geworden sei, erschien ihm ein solcher tiefgreifender Einschnitt angemessen.84 Im Januar 1941 bat Bormann Reichsinnenminister Frick, seinen Mitarbeiter Sommer zum Präsidenten des im Entstehen begriffenen Reichsverwaltungsgerichts zu ernennen, da dieser sich "gesundheitlich den Anforderungen seines Amtes nicht mehr gewachsen" fühle.85 Diesem Vorschlag wurde entsprochen. Da sich die Amtsführung des neu ernannten Gerichtspräsidenten bereits nach kurzer Zeit als außerordentlich anfechtbar erwies, kamen Bormann und Lammers überein, ihn aufgrund "ständiger sachlicher und vor allem personalpolitischer Beanstandungen" zu pensionieren. Bevor es dazu kam, wurde Sommer 80 81 82 83 84 85
10306164ff(=BA, R2/11903). Österreichisches Staatsarchiv Wien (ÖS). Reichskommissar für die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich (Rk), Nr. 292. Ebenda, Nr. 061, 15.2.39. 53095f (=BA, R 22/4156), 13.1.39 (Sommer bezog sich hierbei ausdrücklich auf ein Zitat Fricks aus seiner Tätigkeit als thüringischer Innenminister). 101 05185-05197 (=BA. R 43 U/450 a). Schreiben an Lammers, 1.7.37. - Sommers Vorschlag wurde im Zuge der vorgesehenen Reform der Beamtenausbildung erörtert: 101 05208-05213 (=ebenda). 101 18238f(=BA, 1136b).
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I. Anfange der Dienststelle
jedoch gezwungen, wegen einer allzu offenen Affäre mit einer Mitarbeiterin aus vorgeblich "gesundheitlichen" Gründen um seine Entlassung zu ersuchen. Er schied hierauf aus dem Justizdienst aus und verlor ohne ein besonderes Verfahren seinen Parteirang. Als sich Sommer 1942 um einen Posten in den besetzten Ostgebieten bewarb, signalisierte man dem Ostministerium seitens der SS, daß sein Einsatz unerwünscht sei. Der Schaffung der Beamtenstellen für Sommer und Müller im Stab des StdF war eine ungewöhnliche haushaltstechnische Prozedur vorausgegangen. Da der StdF als Minister ohne Geschäftsbereich über keinen eigenen Einzelplan im Reichshaushalt verfügte, wurden die Stellen auf den Haushalt des Reichsinnenministers übertragen. Die Bezüge wurden jedoch vom Reichsschatzmeister der NSDAP zur Verfügung gestellt, der auch jährlich eine pauschale Entschädigung für die Ruhegehälter an den Reichsinnenminister abführte. Ob der Reichsschatzmeister nur als Durchgangsstation fungierte oder die Gelder tatsächlich aus der "Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft" stammten, wie der StdF-Mitarbeiter Heim behauptete, läßt sich nicht mehr feststellen.86 Neben Sommer und Müller wurden in den ersten Monaten des Jahres 1935 zwei weitere wichtige Mitarbeiter des StdF auf dem Sektor staatliche Angelegenheiten berufen: Gerhard Klopfer als Stellvertreter, später als Nachfolger Sommers und Hans von Helms als Personalbearbeiter. Gerhard Klopfer87, geboren am 18. Februar 1905 in Schreibersdorf bei Lauban (Schlesien), hatte Rechts- und Staatswissenschaften in Jena und Berlin studiert. Als Rechtsreferendar trat er 1927 in den Staatsdienst ein, wurde 1931 Assessor und im November 1933 Staatsanwalt. Im Dezember des gleichen Jahres wechselte er als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter zum Preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und wurde im August 1934 zum Regierungsrat ernannt. Seit Dezember 1934 war er zur Bearbeitung von Personalangelegenheiten zum Geheimen Staatspolizeiamt beurlaubt und wurde von dort im April 1935 zum Stab des StdF abgeordnet. 1936 zum Oberregierungsrat ernannt, erlebte Klopfer als Stellvertreter Sommers und später als sein Nachfolger in der Position des Leiters der Abteilung für staatsrechtliche Fragen weitere Beförderungen, die ihn bis zum Rang eines Staatssekretärs führten. Angesichts dieser Karriere in der zentralen Führungsstelle der Partei ist es erstaunlich, daß Klopfer erst im April 1933 in die NSDAP eintrat. Ebenfalls vom April 1933 datierte seine Mitgliedschaft in der SS, wo ihm im Laufe der Zeit die seiner Beamtenposition entsprechenden Ränge verliehen wurden und er so bis zum Gruppenführer aufstieg. Die in seiner SS-Personalakte vorhandene Beurteilung enthält unter den Rubriken "besondere Vorzüge und Fähigkeiten" und "besondere Mängel und Schwächen" jeweils den Vermerk "sind nicht bekannt geworden". Diese Beurteilung charakterisiert zutreffend das, gerade im Vergleich mit seinem Vorgänger Sommer, relativ unauffällige Auftreten Klopfers, dessen Amtsstil stärker an die in der Ministerialbürokratie geltenden Maßstäbe angepaßt war. Für die Bearbeitung der Personalangelegenheiten der Beamten berief der StdF im Februar 1935 den Oberregierungsrat Hans von Helms88, der bereits seit September des vorangegangenen Jahres 86 87
88
103 06l84-06186(=cbenda), Vermerk aus dem Reichsfinanzministerium 25.2.36. Zur Finanzierung aus der Adolf-Hitler-Spende vgl. die Angaben von Heim (IfZ. ZS 243. Interview v. 23.1.72). Vgl. Rebentisch, Führerstaat, S. 8l. 101 17543-17547. 101 20628-20633. 101 20658-20680 (=BA. R 43 11/1036, 1213 a): 103 06241-06243. 103 06286-06304, 103 06377-06383 103 06164-06166. 103 06184-06191 (=BA, R 2/11903); 306 0061900678 (=BDC. SS-Offiziere); 307 02603-02613 (=BDC. Partei-Corresponcende). Zu Klopfer vgl. auch die Charakterisierung durch Rebentisch. Fiihrerstaat. S. 88t". der ihn als die "interessanteste Figur im Stab des Stellvertreters des Führers" bezeichnet und seine administrativen Fähigkeiten hervorhebt. 103 061641 . 103 06186-06191, 103 06204-06215, 103 06286-06307 (=BA. R 2/11903); zur Person auch Rebentisch. Führerstaat, S. 86ff.
2. Die ursprünglichen Funktionen des Stabes Heß im Partei- und Staatsbereich
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innerhalb der Partei Dienst tat. Von Helms, geboren am 25. Mai 1899 in Schitfbek bei Hamburg, hatte Mathematik und Physik in Göttingen, Berlin und Hamburg studiert und 1922 als Dr. phil. promoviert. Seit 1930 war er Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Reichspatentamt. Im August 1933 wurde v. Helms, der als langjähriges Parteimitglied das Vertrauen Fricks genoß, als Regierungsrat übernommen und in das Preußische Innenministerium abgeordnet. Hier war er als Personalreferent für die preußischen höheren Polizeiverwaltungsbeamten tätig, so daß ihm insbesondere eine wichtige Rolle bei der Einsetzung von SA- und SS-Führern als Polizeipräsidenten zukam. Die Tatsache, daß sich aus dieser Tätigkeit notwendigerweise Kontakte mit zahlreichen SA-Führem ergaben, dürfte dafür verantwortlich sein, daß er in Zusammenhang mit dem angeblichen Putschversuch vom 30. Juni 1934 gebracht wurde und an das Polizeipräsidium nach Altona abgeschoben werden sollte. Um dies zu verhindern, ließ sich v. Helms zur Dienstleistung im Parteibereich beurlauben. 89 1937 wurde v. Helms, mittlerweile seit zwei Jahren Mitarbeiter in der Dienststelle Heß, Ministerialrat; im September 1939 trat er eine neue Position als Regierungspräsident in Linz an.
Noch als Personalrefercnt im Preußischen Innenministerium hatte v. Helms im Mai 1934 eine Denkschrift90 über "Nationalsozialistische Personalpolitik in den Zentralbehörden in ihrem Zusammenhang mit Partei und Staat" verfaßt, die wegen der geforderten massiven Einflußnahme auf die Stellenbesetzung im staatlichen Bereich im Hinblick auf die spätere Tätigkeit v. Helms' im Stab Heß Aufmerksamkeit verdient. Der Staatsapparat, so seine Klage, sei "noch sehr weit davon entfernt, die nationalsozialistischen Gedankengänge zu seinem wichtigsten Rüstzeug zu machen". Dieses Defizit meinte er insbesondere in der staatlichen Personalpolitik, dem "Thermometer für das Eindringen einer Idee in den Staat", feststellen zu können. Angesichts dieser Lage schlug v. Helms "zum Schütze der nationalsozialistischen Bewegung" folgende konkrete Maßnahmen vor: Sämtliche Leiter von Personalbehörden sowie sämtliche Personalreferenten auf allen Stufen der Verwaltung sollten alte, vor 1933 "bewährte" Nationalsozialisten sein; der Partei sei bei Beförderung oder Umbesetzung aller höheren Beamten ein "Mitzeichnungsrecht" einzuräumen; schließlich müsse man in den Zentralbehörden "Sonderbeauftragte" mit "besonderen Vollmachten" benennen. Vor allem die Verwirklichung des geforderten "Mitzeichnungsrechts" sollte in den kommenden Jahren das besondere Aufgabengebiet v. Helms' werden. Am Ende dieses Abschnitts soll ein erstes Fazit der bisherigen organisatorischen Entwicklung der Dienststelle gezogen werden. Der StdF hatte im staatlichen und im Parteibereich in den Jahren 1933 und vor allem 1934 wichtige Ausgangspositionen besetzt, um seinen "Stab" zu einer zentralen Kontroll- und Führungseinrichtung auszubauen. Er war dazu übergegangen, eine Reihe von Mitarbeitern zu bestellen; erste Konturen einer Geschäftsverteilung zeichneten sich ab. Es scheint allerdings, daß in dieser Anfangsphase noch in einem beträchtlichen Umfang organisatorische Mängel vorhanden waren, die den Aufbau eines geordneten Bürobetriebes erheblich behinderten. Ein wichtiger Hinweis hierauf findet sich in einem Parteigerichtsverfahren gegen den aus der Dienststelle ausgeschiedenen Heinrich Kersken91, dem vorgeworfen wurde, im Sommer 1934 wider besseres Wissen abträgliche Kritik am Bürobetrieb des StdF geübt zu haben. Kersken wehrte sich gegen diese Vorwürfe, indem er dem früheren Geschäftsführer des StdF, Wiedemann, durch das Oberste Parteigericht eine Reihe von Fragen vorlegen ließ, deren Inhalt deutlich macht, welche Mißstände ihn im einzelnen zu
89 90 91
IfZ, Fa 113, Verfahren des Obersten Parteigerichts in der Sache Grauert/v. Helms. Ebenda, 26.5.34; gedruckt in Mommsen, Beamtentum. S. 171 H. Zur Person vgl. unten, Anm. 97.
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I. Anfänge der Dienststelle
seiner Kritik veranlaßt hatten. Kersken suchte auf diese Weise nachträglich Mängel in der Geschäftsverteilung, bei der internen Weiterleitung der Post, der Organisation der Registratur, dem Geschäftsverkehr zwischen Stab und Verbindungsstelle und anderes mehr aufzuzeigen.92 Die von Kersken behaupteten organisatorischen Defizite, die das Bild eines eher durch Improvisation als durch bürokratische Regeln gekennzeichneten Dienstbetriebes vermitteln 93 , dürften angesichts der großen Heterogenität des in der ersten Zeit angeworbenen Personals und der noch auf fast allen Gebieten umstrittenen bzw. erst vage formulierten Kompetenzen der Dienststelle durchaus glaubwürdig sein. Für solche organisatorischen Defizite war aber nicht nur der rasche Aufbau des expandierenden Stabes verantwortlich, sondern vor allem auch die mangelnde Abgrenzung zwischen der eigentlichen Dienststelle und verschiedenen anderen Einrichtungen, die in irgendeiner Weise innerhalb des Wirkungsbereichs des StdF tätig waren. Auf sie soll im folgenden eingegangen werden.
3. Sachbearbeiter, Beauftragte und sonstige Einrichtungen im Umfeld des StdF Neben dem eigentlichen Stab des Stellvertreters des Führers, dessen Anfänge im vorangegangenen Abschnitt geschildert wurden, firmierte unter der Bezeichnung StdF eine Reihe weiterer Sonderbeauftragter, Sachbearbeiter, Kommissionen und Büros, die dem StdF unterstellt waren, ohne im engeren Sinne in seinen Bürobetrieb eingebunden zu sein. Die Dienststelle bildete so gewissermaßen den Kern in einem erheblich umfangreicheren "Dienstbereich" des StdF. Dieser Dienstbereich umfaßte sowohl selbständige Parteidienststellen der Reichsebene, die dem StdF direkt unterstellt waren, als auch Funktionäre aus dem Staats- und Parteibereich, die durch Personalunionen formal dem Stab zugeordnet wurden, ohne zumeist in ein näheres Arbeitsverhältnis zu ihm zu treten, sowie einige Einrichtungen des Stabes mit technischen und Inspektionsaufträgen, die aus seiner engeren Organisation ausgegliedert worden waren. Das Verhältnis dieser verschiedenen Einrichtungen und Dienststellen zum StdF war jeweils höchst unterschiedlich: Sie fungierten zum Teil als seine ausführenden Organe, zum Teil aber benutzten ihre Leiter nur ihre Berufung in den "Stab" des StdF, um sich auf der Parteiseite formell abzusichern. Auch wenn in vielen Fällen die faktische Beziehung des StdF zu den unter seinem Namen firmierenden Einrichtungen nur eine sehr lockere war, so sollte auch diese Tatsache im Rahmen einer Organisationsgeschichte des StdF erwähnt werden: Gerade die mangelnde Systematik, die im Dienstbereich des Stellvertreters des Führers festzustellen ist, gerade das Fehlen von klaren organisatorischen Strukturen bildet ein besonderes Charakteristikum dieses Kompetenzgebäudes, das man als Konglomerat bürokratischer Apparate bezeichnen könnte. Wenn sich daher die folgende Darstellung streckenweise als eine Aneinanderreihung recht heterogener Zuständigkeitsregelungen und Organisationsbeschreibungen liest, so entspricht dies den historischen Gegebenheiten. 92 93
124 01436-01438 (=BA, NS 10/163). Kersken an Wiedemann sowie an das Oberste Parteigericht, 20.12.35. Als Bestätigung dieser Angaben läßt sich eine Hausmitteilung werten, die der zum Nachfolger Wiedemanns ernannte Rudolf Mackenscn im Februar 1935 im Auftrag Bormanns an alle Angehörigen des Stabes richtete und die als ernsthafter Versuch angesehen werden kann, überhaupt erst einen büromäßigen Betrieb aufzuziehen: Anordnung des Stabsleiters des StdF v. 11.2.35.
3. Sachbearbeiter. Beauftragte und sonstige Einrichtungen im Umfeld des StdF
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In zwei Politikbereichen unterstanden dem StdF auffällig zahlreiche, zum Teil miteinander konkurrierende Einrichtungen: Es handelte sich dabei um die Außen- bzw. Volkstumspolitik sowie um den Bereich Wirtschaft und Finanzen. Sein biographischer Hintergrund als gebürtiger Auslandsdeutscher, ferner gute persönliche Beziehungen zu Schlüsselfiguren auf dem Gebiet der "Volkstumspolitik" mochten Heß prädestiniert erscheinen lassen, auf diesem in der Anfangsphase des "Dritten Reiches" besonders sensiblen Terrain eine koordinierende Rolle zu übernehmen. Auf dem Gebiet der 'Volkstumspolitik" scheint Heß im Sommer 1933 weitgehende Vollmachten erhalten zu haben.94 Zunächst ging es in erster Linie darum, den im "Volksbund für das Deutschtum im Ausland" und anderen Verbänden gesammelten Kräften, die sich für den Erhalt und die Stärkung der Volksdeutschen einsetzten, eine gewisse Unabhängigkeit zu garantieren und sie zugleich in die Politik des Regimes einzubinden. Nach umfangreichen Erörterungen mit verschiedenen auf dem Gebiet der Volkstumspolitik engagierten Persönlichkeiten verfügte Heß im Oktober 1933 die Berufung eines 'Volksdeutschen Rates"95, der - ohne nach außen in Erscheinung zu treten - koordinierend auf dem Gebiet der Politik gegenüber den Volksdeutschen im Ausland tätig werden sollte. Gleichzeitig gab der StdF bekannt, daß die sudetendeutsche Volksgruppe ausschließlich seiner Obhut und Aufsicht unterstehe.96 Vorsitzender des Volksdeutschen Rates wurde Karl Haushofer, ihn vertrat sein Sohn Albrecht; weitere Mitglieder waren (als Geschäftsführer) Hans Steinacher, Robert Ernst, Herrmann Ullmann, Rudolf Pechel, Hans Helferich, Richard Hasselblatt und Walter Reusch. Die politische Grundlinie dieser Personengruppe, die aus der Volksdeutschen Verbandsarbeit und Publizistik hervorging, war überwiegend national-konservativ. Der Rat hatte seine wichtigste Stütze in dem starken persönlichen Vertrauensverhältnis, das zwischen den Haushofers und Heß bestand. Die laufende Verbindung zum Rat hielt Heß durch seinen Beauftragten für Fragen der Volkstumspolitik, den SA-Standartenführer Heinrich Kersken97, während auf der anderen Seite häufig Albrecht Haushofer98, Dozent an der Hochschule für Politik, als Vertreter seines Vaters in Erscheinung trat. Die gemäßigte Grundhaltung des Rates, der in der Anfangsphase eine beruhigende Wirkung auf die Volksdeutschen Gruppierungen im Ausland haben und damit die deutsche Außenpolitik entlasten helfen sollte, geriet jedoch immer stärker in Widerspruch mit radikaleren Auffassungen, die von Parteidienststellen vertreten wurden. Als ein wichtiger Widersacher erwies sich vor allem die "Auslandsorganisation" (AO)99 der NSDAP. Die 1931 unter der Bezeichnung "Auslandsabteilung" gegründete und in 94 95 96 97
98 99
So die Schlußfolgerung bei Hans-Adolf Jacobsen, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933-1938. Frankfurt a. M./Berlin 1968, S. 175f. Ebenda, S. 176ff. 21951 f (=PA/AA. Pol.Abt.Geh. 73/3), Aufzeichnung über eine Besprechung mit Kersken, 28.6.34. Geboren am 21. November 1894 in Orsoy (Niederrhein), Kriegsfreiwilliger, Studium in Freising und München. Seit 1920 Mitglied der NSDAP und aktive Betätigung innerhalb der NS-Studentenschaft. Seit 1929 führend am Aufbau der SA am Niederrhein beteiligt: Das Deutsche Reich (1934). Führende Persönlichkeiten. - Im Dezember 1935 wurde er wegen eines Parteigerichtsverfahrens beurlaubt (vgl. oben, S. 230 und trat zur S A zurück, später fand er eine neue Betätigung als Offizier der Flak-Truppe: 124 01436-01438 (=BA. NS 10/163), Kersken an Wiedemann sowie an das OPG. 20.12.35. Zu seiner Person: Ursula Laack-Michel, Albrecht Haushofer und der Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Zeitgeschichte, Stuttgart 1974. Eine ausführliche Darstellung der AO findet sich bei Jacobsen, Außenpolitik. S. 90ff.
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I. Anfänge der Dienststelle
Hamburg ansässige Organisation hatte sich der StdF im Oktober 1933 unterstellt. 1()0 In der aus diesem Anlaß herausgegebenen Verfügung war durch den StdF bestimmt worden, daß der gesamte Schriftverkehr zwischen den Dienststellen der Partei und den Auslandsgruppen der NSDAP über die Auslandsabteilung zu führen sei; er hatte damit in seinem Machtbereich ein Organ zur Kontrolle etwaiger störender Auslandsaktivitäten aus dem Bereich der NSDAP geschaffen. Der Leiter der Abteilung, Ernst Wilhelm Bohle, wie Heß ebenfalls gebürtiger Auslandsdeutscher, gehörte zum engeren Freundeskreis des Führer-Stellvertreters, mit dem er offensichtlich über seinen Bruder, Alfred Heß, bekannt geworden war. Die engen persönlichen Beziehungen zu Rudolf Heß wurden 1934 weiter verstärkt, als Alfred Heß zum stellvertretenden Leiter der nun "Auslandsorganisation" genannten Parteidienststelle avancierte. Die AO wandte sich insbesondere gegen die von den konservativen Volkstumspolitikern stets vertretene Unterscheidung zwischen Ausländern deutscher Herkunft und deutschen Staatsangehörigen im Ausland und plädierte für die Einheitlichkeit nationalsozialistischer Auslandsarbeit. Einen wichtigen Erfolg konnte Bohle verbuchen, als er - als Nachfolger Kerskens - im Oktober 1934 zum "Sachbearbeiter für Volkstumsfi'agen" beim StdF ernannt und gemeinsam mit dem neu bestellten außenpolitischen Sonderberater Ribbentrop in den Volksdeutschen Rat berufen wurde. Damit war Bohle innerhalb der Partei für alle Fragen des Deutschtums im Ausland zuständig, also sowohl für die Reichsangehörigen wie für die Volksdeutschen mit fremder Staatsbürgerschaft. Im allgemeinen führte die Dienststelle ihren Schriftverkehr unter dem Briefkopf "NSDAP Die Leitung der Auslandsorganisation"; im Schriftverkehr mit dem StdF verwandte man die Bezeichnung "Der Leiter der Auslands-Organisation im Stab des StdF"101. Im Juli 1935 regelte Heß in einer Verfügung die Kompetenzen auf dem Gebiet der Politik gegenüber den Auslandsdeutschen neu: Die AO war demnach für die Reichsdeutschen im Ausland sowie die Volksdeutschen in Übersee (außer USA) zuständig, während der Volksdeutsche Rat die Angelegenheiten der Deutschstämmigen in Europa und in den Vereinigten Staaten bearbeiten sollte.102 Im Oktober 1935 gingen die Aufgaben des Volksdeutschen Rates, der inzwischen durch Fehden mit Parteidienststellen zermürbt worden war, auf einen interministeriellen, wiederum unter dem Vorsitz Karl Haushofers stehenden "Volksdeutschen Arbeitskreis" über, während ein unter der Leitung Otto von Kurseils neu eingerichtetes und dem StdF unterstelltes Büro die "Zentralisierung der Volkstumsführung" bewerkstelligen sollte.103 Im Januar 1937 wurde das Arbeitsgebiet des sich bald "Volksdeutsche Mittelstelle" nennenden Büros aber dem S S-Obergruppenführer Werner Lorenz übertragen, das damit weitgehend unter Himmlers Einfluß geriet.104 Der StdF war nun aus der Politik gegenüber den Volksdeutschen endgültig ausgeschaltet; die ursprünglich von ihm verfolgte Linie, die konservativen Volksdeutschen Kräfte im Reich zu integrieren und gleichzeitig das Ausland hinsichtlich großdeutscher Ambitionen zu beschwichtigen, wich einer direkten Inanspruchnahme der Volksdeutschen durch das "Dritte Reich" unter den Vorzeichen von Expansion und Krieg.
100 Verfügung des StdF v. 3.10.33. 101 Zum Beispiel: 211 00338f (=AA/PA. Chef AO 32). Schreiben v. 14.9.39 betr. das Verhalten russischer Seeleute. 102 Jacobsen, a.a.O., S. 222. 103 Ebenda. S. 225ff. 104 Ebenda. S. 234ff.
3. Sachbearbeiter, Beauftragte und sonstige Einrichtungen im Umfeld des StdF
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Neben diesem Engagement auf dem Gebiet der Volkstumspolitik beanspruchte der StdF zumindest nominell auch eine parteiinterne Kompetenz auf außenpolitischem Terrain: Joachim v. Ribbentrop, seit April 1934 "Beauftragter für Rüstungsfragen" und in dieser Eigenschaft dem Reichsaußenminister unterstellt, wurde im Mai 1934 von Heß zu seinem "Bearbeiter für außenpolitische Fragen" w- ernannt. Diese Unterstellung Ribbentrops ergab sich nicht, wie im Falle des Volksdeutschen Rates und der AO, aus persönlichen Interessen und Kontakten des Stellvertreters des Führers, sondern war wohl in erster Linie der Absicht des Parteineulings Ribbentrop zuzuschreiben, seine Position auch parteiintern abzusichern, ohne sich dadurch in die Rolle eines ausführenden Organs des StdF versetzen zu lassen. Das Büro106, das Ribbentrop sich zur Durchführung seines außenpolitischen Auftrages aufbaute, befand sich im gleichen Gebäude wie der Verbindungsstab des StdF. Die seit 1935 "Dienststelle Ribbentrop" genannte Einrichtung erreichte 1936 einen Personalstand von etwa 150 Mitarbeitern. Die Dienststelle fungierte als ein Arbeitsstab zur Durchführung der diversen außenpolitischen Sonderaufträge, die Ribbentrop, seit 1935 "Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter des Deutschen Reiches", von Hitler zugewiesen erhielt, und sollte ihn vom Auswärtigen Amt unabhängig machen. 1936 richtete Ribbentrop außerdem eine "Parteiverbindungsstelle" - auch "Parteiberatungsstelle" genannt - unter Leitung Martin Luthers ein. Durch einen organisatorischen Schachzug wertete Luther diese Einrichtung im April 1937 auf: Er besann sich auf den Ribbentrop im Jahre 1934 von Heß verliehenen Partei-Auftrag und ließ verlauten, Ribbentrop habe die Umbenennung der Parteiverbindungsstelle in "Dienststelle des Beauftragten für Außenpolitische Fragen im Stabe des Stellvertreters des Führers" angeordnet.107 Die Dienststelle hatte vor allem die Aufgabe, alle unter außenpolitischen Gesichtspunkten relevanten Vorgänge in den Gauen, insbesondere in den "Grenzgauen", sowie innerhalb der verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen zu beobachten und zu überwachen. Zu diesem Zweck schuf sich die Dienststelle ein reichsweites Netz von - nebenamtlich tätigen - "Gauverbindungsmännern" und arbeitete eng mit den jeweiligen Auslandsämtern der NS-Gliederungen und Verbände zusammen. Auch nach der Übernahme des Außenministeriums durch Ribbentrop und dem Wechsel Luthers in das "Referat Partei" des AA behielt die Dienststelle Aufgaben am Rande der offiziellen Außenpolitik. So fungierte sie insbesondere als Verbindungsstelle zwischen den Gaubeauftragten bzw. den Auslandsämtern der Partei einerseits und den interessierten Stellen innerhalb des AA andererseits. Offensichtlich wurde die Bezeichnung "Dienststelle des Beauftragten für außenpolitische Fragen der NSDAP im Stabe des StdF" nun auf die gesamte frühere Dienststelle Ribbentrop angewandt.108 Hierin spiegelt sich aber nicht etwa eine größere Einflußnahme des StdF wider, sondern lediglich das Bemühen der Dienststelle, 105 106 107 108
Rundschreiben des StdF an alle Reichs- und Gauleiter v. 8.5.34. Grundlegend auch hier: Jacobsen, a.a.O.. S. 252ff. 22207-22210, (=AA/PA, Dienstst. Ribbentrop 12/2), Luther an Likus, 29.4.37. So ist beispielsweise eine Liste erthalten, die nicht der Parteiverbindungsstelle angehörige Mitarbeiter unter der Bezeichnung "Mitglieder der Dienststelle des Beauftragten für außenpolitische Fragen im Stabe des StdF" aufführt (203 02609t'- ). Nach Beginn der Mobilmachung teilte er Lammcrs in einem Schreiben vom l .9.39 mil, daß er "auch weiterhin ständig zur Begleitung des Führers gehören" werde und demnach "nach der Abreise des Führers aus Berlin" Heß bei Besprechungen des Ministerrats für die Reichsverteidigung nicht vertreten könne: 07723f (=BA, R 43 Il/605a). 12173 (=BA, R 43 H/689), Bormann an Lammers. 22.2.42. 12181- 219 (=ebenda). 18.7.42.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
Anordnungen wiesen die gleiche Tendenz auf, nämlich im Zweifelsfall die Schulbildung zurückzustellen, so daß dem Ministerium deutlich eine Grundlinie für die Schulpolitik im Krieg vorgegeben wurde. 674 Die wichtige Rolle, die Bormann bei der Weiterleitung auch der den staatlichen Sektor betreffenden Anordnungen Hitlers einnahm, soll etwas eingehender am Beispiel der Strafjustiz nachvollzogen werden. Hierbei ging es in erster Linie darum, die zahlreichen Forderungen des Diktators nach einer schärferen Bestrafung, insbesondere von kriegstypischen Vergehen, in die Praxis umzusetzen. Bereits im März 1940 genügte etwa eine einfache schriftliche Mitteilung Bormanns, um den Katalog der mit der Todesstrafe bedrohten Straftaten zu erweitem: Bormann teilte Lammers mit, Hitler wünsche "die unverzügliche Herausgabe einer Verordnung, die Todesstrafe androht für jene, die sich an den Metallgegenständen, die zum 20.4. abgeliefert werden, bereichem, oder die solche Metallgegenstände, die zum 20.4. abgeliefert werden, einer anderen Verwendung als Kriegsmaterial zuführen." 675 Einem handschriftlichen Vermerk Lammers' ist zu entnehmen, daß er das Erforderliche sogleich in die Wege leitete: Noch im gleichen Monat wurde eine "Verordnung zum Schütze der Metallsammlung des Deutschen Volkes" erlassen, die die geforderte Strafandrohung enthielt.676 Im weiteren Verlauf des Krieges verschärfte sich die kritische Haltung Hitlers gegenüber der Justiz; angesichts der zunehmenden militärischen Belastungen wollte der Diktator auch an der "Heimatfront" größere "Härte" sehen. Zahlreiche abfällige Äußerungen über die Rechtsprechung und die Juristen in den "Tischgesprächen" dokumentieren diese Haltung 677 . Sie dürften dazu beigetragen haben, Bormann in seiner feindseligen Einstellung gegenüber der Justiz zu bestärken und den "Führerwillen" gerade auf diesem Feld mit größtem Nachdruck zu vertreten. Immer häufiger griff Hitler Einzelfälle auf und machte sie zum Ausgangspunkt für eine generelle Kritik an einer zu "laschen" bzw. zu formalistischen Vorgehensweise der Justiz. So teilte etwa Bormann Lammers im März 1941 mit, Hitler habe ein Gerichtsurteil in einem 674
675 676 677
055031' (=BA, R 21/203): In einem aus dem Reichserziehungsministerium stammenden Vermerk vom 27.9.40 wird eine von Bormann überlieferte Äußerung Hitlers zitiert, die Schulzeit könne ruhig verkürzt werden, da an den Schulen ohnehin zuviel Ballast gelehrt werde. Dabei habe, so Bormanns Mitteilung, Hitler wörtlich folgende Leitlinie ausgegeben: "Im übrigen sei noch niemand an Dummheit gestorben." - 101 15471 (=BA, R 43 11/940): Am 5.1.41 informierte Bormann Lammers über den Vorschlag Hitlers. Abituricntinnen. die in der Munitionsfertigung eingesetzt worden waren, vorzeitig die Hochschulreife zuzuerkennen. Der Reichserziehungsminister legte hierauf einen entsprechenden Erlaß vor. - 101 09318f (=BA, R 43 11/652): Am 4.4.41 teilte Bormann Lammers "im Auftrage des Führers" in einem weiteren Schreiben mit. Hitler teile die Auffassung, "durch eine länger dauernde Verpflichtung von Jugendlichen aus der Stadt" der Landwirtschaft zu helfen; "gemäß Entscheidung des Führers haben Erwägungen der Schule dabei angesichts der höheren völkischen Notwendigkeiten zurückzutreten". Lammers leitete diese Entscheidung am 8.4.41 an Rust weiter: 101 09320f (=ebenda). 101 11599 (=BA. R 43 ll/680b). Bormann an Lammers, 25.3.40. RGBI. 1942 I, S. 565. So äußerte Hitler am 1.8.41 die Ansicht, die von den Jurisien verfolgte Vorstellung einer unbedingten Reichseinheitlichkeit in der Gesetzgebung sei eine "fixe Idee". Am 8.2.42 kritisierte er die Strafjustiz als "noch zu wenig elastisch" (Heim, a.a.O., S. 50f u. S. 271 f). Am 10.5.42 (Picker, a.a.O., S. 3250 bemängelte er die Fähigkeit von Juristen. Verbrechen aufzuklären. Am 29.3.42 feuerte er eine wahre Breitseite gegen die Justiz ab, die in der Forderung gipfelte, es müßten bis auf 10 % alle Richter entfernt werden. Am 22.5.42 forderte er die Todesstrafe für alle während der Verdunkelung begangenen Straftaten. Am 31.5.42 äußerte er. Richter müßten nach völlig anderen Gesichtspunkten als bisher ausgewählt werden und das Kriterium größerer Praxisorientierung erfüllen (Picker. a.a.O., S. 2221'f. S. 37 If u. S. 380).
2. Martin Bormann: Vom Stabsleiter des Stellvertreters des Führers zum Leiter
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Notzuchtverfahren als "völlig abwegig" bezeichnet. Das Gericht hatte in der Urteilsbegründung die Ansicht geäußert, dem Angeklagten, einem polnischen Landarbeiter, seien mildernde Umstände zuzubilligen, da er "als Pole nicht die gleichen Hemmungen gegenüber weiblichen Mitarbeitern besitzt wie der deutsche Landarbeiter". Durch das Reichsjustizministerium wurde hierauf in einer Rundverfügung "das Abwegige der Auffassung ... der Strafjustiz mitgeteilt". Zudem wurden der Vorsitzende der Strafkammer und die beiden Beisitzer abgelöst.678 In einem anderen Fall, ebenfalls im März 1941, teilte Bormann dem Staatssekretär im Reichsjustizministerium, Freisler, mit, Hitler teile keineswegs die Bedenken, die der bayerische Gauleiter Wagner gegen ein Verfahren geäußert habe, in dem es um eine weitverzweigte Verschiebung von Reischwaren durch Gastwirte ging. Hitler, so Bormanns weitere Ausführungen, habe sogar präzise Vorstellungen über das Strafmaß geäußert: Es seien "sehr hohe Geldstrafen" auszusprechen und im Wiederholungsfalle "schwere Zuchthausstrafen" zu verhängen. 679 Im Mai 1941 mußte der Diktator, nachdem er zwei Tage zuvor sich in seiner Tischrunde über die Notwendigkeit verbreitet hatte, "Verdunkclungsverbrechen" in jedem Fall mit der Todesstrafe zu ahnden, dem 'Völkischen Beobachter" entnehmen, ein während der Verdunkelung begangener Handtaschenraub sei mit "nur" zehn Jahren Zuchthaus bedacht worden. Bormann informierte hierauf Lammers über die Position Hitlers in dieser Frage, die unbedingt zu beachten sei.680 Die Interventionsmöglichkeiten Bormanns im Bereich der Justiz wurden, wie noch näher zu schildern sein wird, im August 1942 erweitert 681 : Dem neuen Justizminister Thierack wurden zum Aufbau einer "nationalsozialistischen Rechtspflege" Sondervollmachten erteilt, die er "im Einvernehmen mit dem Reichsminister und Chef der Reichskanzlei und dem Leiter der Partei-Kanzlei" wahrzunehmen hatte. So in seiner Position gegenüber der Justiz erheblich aufgewertet, informierte Bormann Lammers weiterhin kontinuierlich über kritische Bemerkungen Hitlers zu einzelnen Gerichtsentscheidungen sowie über Anordnungen des Diktators, strafrechtliche Bestimmungen zu verschärfen. Im August 1942 beispielsweise teilte er dem Chef der Reichskanzlei mit, daß der verstärkten Plünderung von Güterwagen der Reichsbahn durch "Verhängung drakonischer Strafen" entgegengetreten werden müsse.682 Kurze Zeit darauf konnte der in dieser Angelegenheit bemühte Reichsjustizminister einen Erlaß vorweisen, der dazu aufforderte, solche Straftaten entsprechend streng zu verfolgen. Im Spätsommer 1942 übermittelte Bormann der Reichskanzlei eine Weisung Hitlers, Jugendliche, die mit Vollendung des 19. Lebensjahres aus der Fürsorgeerziehung ausschieden, ohne daß bei ihnen eine positive Wirkung des Heimaufenthalts festgestellt werden könne, sofort auf Lebenszeit in Konzentrationslager zu verbringen.683 678 679
680 681 682 683
101 28292-28296 (=BA, R 43 II/1542a), Schriftwechsel zwischen Bormann und der Reichskanzlei. 26.3.41-10.10.41. 101 28297 (=ebenda), 9.3.41; nach Auffassung des mit der Führung der Geschäfte beauftragten Staatssekretärs war jedoch im Lichte neuer Erkenntnisse ein weiterer Führervortrag notwendig: 101 28296/128296/3 (=ebenda). 7.7.41. 101 08765 (=BA. R 43 II/645a). 25.5.41. Vgl. unten, S. 339f. 101 08658 (=BA. R 43 11/644). Schreiben Bormanns an Lammers. 24.8.42. 101 03962 (=BA, R 43 11/399), Vermerk aus der Reichskanzlei v. 6.9.42.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
Der Anlaß f ü r diese Maßnahme war ein Einzelfall, in dem ein soeben aus der Fürsorgeerziehung entlassener 20jähriger Zögling wegen fortgesetzter Diebstähle verurteilt worden war. Die Reichskanzlei leitete diesen Wunsch Hitlers an den Reichsinnenminister mit der Bitte weiter, die "erforderlichen Maßnahmen" zu treffen. In den Aufzeichnungen der "Tischgespräche" Hitlers finden sich unter dem 2. September 1942 längere Ausführungen des Diktators684 über die seiner Ansicht nach uneinheitliche Rechtsprechung im Reich. Dabei griff Hitler in größerem Umfang auf Gedankengänge zurück, die er bereits bei der Einweisung des neuen Reichsjustizministers in sein neues Amt am 20. August geäußert hatte. 685 Während die Wilderei nach wie vor hart bestraft werde und in einem Einzelfall ein Mann, der "einem Hähndl draufgeschlagen" hatte, wegen Tierquälerei zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden sei, so begann Hitler seinen Monolog, habe andererseits ein Fleischer, der seinen Hund auf ein Kind gehetzt und es dadurch schwer verletzt habe, nur eine relativ geringe Freiheitsstrafe erhalten. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen forderte Hitler, Männer, die ihre schwangeren Geliebten umgebracht hätten, in jedem Fall zum Tode zu verurteilen, hingegen Wilderer nicht ins Gefängnis zu stecken, sondern in Partisanenjagdkommandos zusammenzuziehen. Schließlich bot ihm das Thema Wilderei Gelegenheit, sich allgemein über die Verhältnisse in der "Ostmark" auszulassen, bis sein Mitteilungsdrang endlich mit einem Loblied auf den österreichischen Gauleiter Leopold zum Ende kam. Die im Kontext des - für die "Tischgespräche" charakteristischen - assoziativen Monologstils des Diktators eher wie eine Tour d'horizon anmutenden Anwürfe gegen die Justiz wurden noch am gleichen Tag von Bormann in einen konkreten Beschwerdekatalog - "Der Führer beauftragt mich, Ihnen noch folgendes mitzuteilen" - umgearbeitet und dem Reichsjustizminister vorgelegt.686 Schließlich übernahm es Bormann auch, im Auftrag Hitlers komplette Leitsätze für die Beurteilung bestimmter Straftaten zu übermitteln: So übersandte er im November 1942 Lammers ausführliche Richtlinien, die Hitler für die strafrechtliche Behandlung des Geschlechtsverkehrs von deutschen Frauen mit Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitem aufgestellt hatte.687 Unverzüglich leitete Lammers diese Grundsätze wörtlich an Thierack weiter. Nicht nur im Bereich der Strafjustiz läßt sich an vielen Beispielen aufzeigen, daß die von Bormann "im Auftrag" Hitlers übermittelten Weisungen häufig nicht nur Einzelfallregelungen beinhalteten, sondern vielfach sogar in ausführlicher Weise ausgesprochene Bagatellfragen regelten. Es ist gerade die besondere Mischung aus generellen politischen Richtlinien, Einzel maßnahmen staatsterroristischen Charakters und absoluten Nebensächlichkeiten, die den von Bormann kanalisierten steten Strom von "Führeraufträgen" auszeichnete.688 So übermittelte Bormann im September 1942 Lammers einen unter der Überschrift "Kaninchen im Schrebergarten" erschienenen Artikel der "Neuen Illustrierten Zeitung" mit der Bemerkung, Hitler sei über diesen Artikel "äußerst empört"; die Bestimmungen, die die 684 685
686 687 688
Heim, a.a.O., S. 381 ff. Der Monolog war ebenfalls auf Anordnung Bormanns durch Heim aufgezeichnet worden und wurde daher in die Edition der "Tischgespräche" eingereiht: Heim, a.a.O. S. 347ff; vgl. auch Lothar Gruchmann, Hitler über die Jusli/. Das Tischgespräch vom 20. August 1942. i n : VfZ 12 (1964), S. 86-101. 55072t (=BA. R 22/4720), 2.9.42. 101 28384-28386 (=BA. R 43 II/1544a). 7.11.42. Vgl. hierzu auch die Auflistung bei Rebentisch, Führerstaat, S. 4()5ff.
2. Martin Bormann: Vom Stabsleiter des Stellvertreters des Führers zum Leiter
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Kaninchenjagd im eigenen Garten noch einschränkten, seien umgehend aufzuheben. 6W Im Dezember des gleichen Jahres konnte Lammers auf eine Verordnung des Reichsjägermeisters verweisen, durch die die entsprechenden Erleichterungen verwirklicht wurden. 640 Eine Auflistung solcher marginaler "Führerentscheidungen" ließe sich nahezu endlos fortsetzen: So leitete Bormann die Anordnung weiter, ins Deutsche übernommene Fremdwörter so zu schreiben, wie sie ausgesprochen werden (z.B. Schi statt Ski) 6 9 1 , informierte über das Verbot, die von der Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde angekündigte Umbenennung von Tiernamen ("Spitzer1' statt Spitzmaus) einzuführen 642 , gab die Anweisung weiter, "Wilhelm Teil" nicht mehr spielen zu lassen693, oder erläuterte den bevölkerungspolitisch motivierten Wunsch, "alle Standesämter... sobald wie möglich in geeigneten würdigen und schönen Räumen unterzubringen". 694 Die Mischung aus politischen Grundsatzentscheidungen und zum Teil grotesken Einzelfallregelungen - die, bei aller Banalität, für die Betroffenen weilreichende Folgen haben konnten - war eine Konsequenz der Formlosigkeit, in der sich diese Art "führerstaatlicher" Entscheidungsbildung vollzog. In vielen Fällen, in denen Bormann aktiv wurde, ist nicht ersichtlich, ob tatsächlich ein förmlicher Auftrag des "Führers" vorlag oder ob lediglich eine von Hitler gesprächsweise geäußerte Auffassung von Bormann sodann als "Führerauftrag" interpretiert und entsprechend durchgeführt wurde. Die Angewohnheit Hitlers, sich in seiner engeren Umgebung in langen Monologen buchstäblich über Gott und die Welt auszulassen, bot dem sich fast ständig in seiner Nähe aufhaltendem Bormann die Möglichkeit, sich im Laufe der Zeit über die Gedankengänge des Diktators zu allen nur denkbaren Problemen zu orientieren. Seine zu Beginn des Rußlandfeldzuges gefällte Entscheidung, Aufzeichnungen über die sogenannten 'Tischgespräche" anfertigen zu lassen, sollte ihn in die Lage versetzen, dieses Wissen um das "Orakel" Hitlers zu systematisieren und schriftlich zu dokumentieren. Da jedoch die Aufzeichnungen, die in seinem Auftrage durch Heinrich Heim bzw. Henry Picker durchgeführt wurden, grundsätzlich nicht mit dem Einverständnis Hitlers erfolgten, konnte Bormann im allgemeinen nicht ohne weiteres direkten Gebrauch von diesem Zitatenschatz machen, sondern allenfalls in allgemeineren Wendungen auf den ihm bekannten "Willen des Führers" verweisen. Nur in relativ wenigen Fällen, so scheint es, hatte Bormann die Möglichkeit, die bei Tisch, also außerhalb jeder Tagesordnung, geäußerten Ansichten Hitlers wörtlich gegenüber der Ministerialbürokratie zu verwenden, wobei er sich in solchen Fällen vermutlich vergewissem mußte, daß er das Einverständnis des Diktators besaß. An einigen Beispielen läßt sich die durch Bormann veranlaßte bürokratische Umsetzung von Ideen und Vorstellungen, die Hitler in den "Tischgesprächen" ausführte, in allen Einzelheiten nachvollziehen. Im Juli 1942 verwandte Bormann die Niederschrift, die Picker über die mittägliche Tafelrunde des vergangenen Tages angefertigt hatte, um Speer davon in Kenntnis zu setzen, daß anläßlich seines "gestrigen Vortrages beim Führer" dieser einen von Speer vorgelegten Gesetzentwurf über die künftige Energie-Bewirtschaftung abgelehnt habe. Durch diese kleine Manipulation, also die Verknüpfung der ablehnenden Reaktion Hitlers auf den ihm 689 690 691 692 693 694
101 02296f(=BA. R 4 3 I 1 / 2 I 7 ) , 2.9.42. 101 02299 (=ebenda). 23.12.43: s.a. RGB1. 19421. S. 683. 101 16066 (=BA. R 43 11/953), Bormann an Lammers, 3. l .42. 101 16075 (=BA. R 43 II/953a). Bormann an Lammcrs. 4.3.42. 101 16249 (=BA. R 43 ll/955a), 3.6.41. 101 1 H 3 2 2 ( = B A . R 4311/1137a). Bormann an Lammers. 11.3.41.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
vorgelegten Entwurf mit den weitläufigen Ausführungen, die der Diktator an seiner Mittagstafel über Probleme der künftigen Energieversorgung gemacht hatte, erweckte Bormann den Eindruck, als ob die zumindest streckenweise in die fernere Zukunft gerichteten Vorstellungen Hitlers und seine eher allgemein gehaltene Kritik an einem überhandnehmenden Zentralismus Bestandteile einer fundamentalen sachlichen Auseinandersetzung mit dem Speerschen Entwurf gewesen seien. So setzte Bormann in den von Picker ausgearbeiteten Text den Zusatz "Wenn man den ihm vorgelegten Entwurf durchführen würde" ein und stellte damit einen direkten Zusammenhang zwischen den von Hitler vorgetragenen allgemeinen Überlegungen und dem Gesetzentwurf her, der in der PickerMitschrift so deutlich nicht vorhanden war. Ebenso hieß es jetzt in der von Bormann erstellten Fassung, Hitler habe die "denkbar größten Bedenken gegen den Zentralismus, der mit dem jetzt vorliegenden Entwurf beabsichtigt" sei, währendes bei Picker allgemeiner geheißen hatte, er habe "die größten Bedenken gegen den Zentralismus, den Speer beabsichtige". Außerdem fügte Bormann den von Picker zum Schluß seiner Aufzeichnung vermerkten vier Punkten, in denen Hitler noch einmal die Essentials einer künftigen Energiepolitik zusammengefaßt hatte, einen fünften Punkt an, der sich wiederum konkret auf die von Speer zu erstellende Neufassung des Entwurfs bezog. Am 24. März 1942 notierte Henry Picker längere Ausführungen Hitlers über die schädliche Verfilzung von Politik und Wirtschaft im Bereich von Versorgungsuntemehmen. Hitler rühmte sich hier, schon "beizeiten" verboten zu haben, daß ein Aufsichtsratsmitglied gleichzeitig Reichstagsabgeordneter sei.695 Dieses von Hitler "beizeiten" ausgesprochene Verbot war aber keineswegs in vollem Umfang in die Praxis umgesetzt worden. So hatte Goring in seiner Eigenschaft als Reichstagspräsident entschieden, die Frage der Unvereinbarkeit von Mandat und Aufsichtsratsposition sei nicht kriegswichtig.696 Aus diesem Grund mußte Bormann im Juli 1942 auf eine entsprechende Anfrage Hitlers einräumen, daß nach wie vor eine größere Zahl von Abgeordneten einen Aufsichtsratsposten in der Privatwirtschaft bekleide. Hitler, der zunächst, so der Eindruck des mitschreibenden Picker, "gar nicht glauben wollte, daß seine diesbezügliche Weisung noch nicht verwirklicht sei", setzte nun erneut zu einer längeren Suada über die mögliche Korruption politischer Funktionsträger durch wirtschaftliche Abhängigkeiten ein.697 Bormann ließ diese Äußerungen durch Picker mitschreiben und übersandte die Niederschrift an Larnmers.698 Ferner teilte der PKzl.-Abteilungsleiter Klopfer Frick den sachlichen Inhalt der Äußerungen Hitlers mit699, der hierauf in seiner Eigenschaft als Führer der NSDAP-Reichstagsfraktion im August 1942 an die Mitglieder des Deutschen Reichstages einen Runderlaß richtete, in dem er sie dazu aufforderte, ihre noch wahrgenommenen Aufsichtsratsposten niederzulegen.700 Auch außerhalb der Hitler zu weitschweifigen Monologen animierenden Tafelrunde registrierte Bormann mit größter Aufmerksamkeit sämtliche Meinungsäußerungen des Diktators und leitete sie gegebenenfalls an die sachlich zuständige Stelle weiter, wobei aus diesen 695 696 697 698 699 700
Picker, a.a.O., 24.3.42, S. 205f. Hierzu Aufzeichnung aus der Reichskanzlei vom 27.7.42: 101 05414f (=BA. R 43 H/459a). Hierzu Picker. a.a.O.. 26.7.42. S. 48Iff. 101 04617-04624 (=BA, R 43 11/425). 26.7.42 mit Anschreiben vom 29.7.42. 101 05426 (=BA, R 43 Il/459a), 28.7.42. 101 05427 (=ebenda). 10.8.42.
2. Martin Bormann: Vom Slabsleiter des Stellvertreters des Führers zum Leiter
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Schreiben nicht zu erkennen ist, ob es sich um eine eher beiläufig geäußerte Bemerkung des "Führers" oder um einen expliziten Auftrag handelte. Eine Äußerung, die Hitler machte, als er beim Durchblättern der "Münchner Neuesten Nachrichten" vom 17. April 1944 auf eine Bekanntmachung des Münchner Oberbürgermeisters über die Obstbaumzählung stieß, genügte Bormann, um einen Generalangriff auf die statistischen Ämter einzuleiten. Der Führer, so Bormarin, habe geäußert, die "statistischen Ämter müßten einmal gründlich aus- und durchgekämmt werden, denn sie hätten offenbar viel zu viel Angestellte, die kriegswichtig eingesetzt werden müßten." Lammers zog die entsprechenden Konsequenz aus diesem "Führerauftrag", indem er dem Reichswirtschaftsminister unter dem 20. April 1944 mitteilte, die statistischen Ämter müßten "nochmals gründlich ausgekämmt werden".701 Neben der Mitteilung von eher gesprächsweise geäußerten "Führeraufträgen" ging Bormann im Laufe der Zeit verstärkt dazu über, sich in allgemeinerer Form auf Willenskundgebungen Hitlers zu berufen, ohne daß dabei ersichtlich gewesen wäre, ob die dem "Führer" zugeschriebene Äußerung tatsächlich im Zusammenhang mit dem gerade zur Entscheidung anstehenden Vorgang stand. In solchen Fällen blieb offen, ob Bormann nach eigenem Gutdünken eine generellere Weisung Hitlers auf den konkreten Fall bezog oder eine ältere Äußerung des Diktators aus gegebenem Anlaß "aktualisierte". So teilte Bormann Lammers im Juni 1939 mit, daß die beabsichtigte Bildung eines Referats "Mittlere Schulen" in der Behörde des Reichsstatthalters in der Ostmark dem "eindeutig erklärten Willen des Führers" widerspreche; Hitler wünsche hinsichtlich der Schulorganisation in Österreich - wo es bisher keine Mittelschulen gab - keine Änderung. 702 Im Juli 1941 wandte sich Bormann in einem Schreiben an Generalfeldmarschall Keitel gegen die Errichtung von Musikschulen durch die einzelnen Wehrmachtteile und kündigte statt dessen den Aufbau von Orchesterschulen an, die den gesamten musikalischen Nachwuchs erziehen sollten. "Diese Absicht", so Bormanns weitere Erläuterung, "hat der Führer gebilligt."701 Eine Aufzeichnung, die Bormann im Januar 1944 zur Orientierung seiner Mitarbeiter in der PKzl. auf dem Gebiet der Bevölkerungspolitik anfertigte, zeigt, wie souverän er zu diesem Zeitpunkt Ausführungen Hitlers aus jüngster Zeit mit ihm bekannten früheren Meinungsäußerungen des Diktators zu einer richtungweisenden Grundsatzerklärung vermischte. In der Aufzeichnung gab Bormann Gedankengänge Hitlers wieder, die um das Problem kreisten, wie die "blutlichen Verluste" des gegenwärtigen Krieges in Zukunft ausgeglichen werden könnten. Zu diesem Zweck, so Bormanns Niederschrift, habe Hitler einen umfassenden Maßnahmenkatalog entwickelt, den er im Folgenden übermittelte. Grundlage seiner Aufzeichnung, so erläuterte Bormann einleitend, seien Darlegungen Hitlers, die dieser in der Nacht vom 27. zum 28. Januar zum Thema "Unsere volkliche Zukunft" gemacht habe; ergänzend habe er einschlägige Meinungsäußerungen des "Führers" herangezogen, die ihm aus "früheren Unterhaltungen und Überlegungen" bekannt gewesen und wichtig erschienen seien.704 Es ist offensichtlich, daß diese Vorgehensweise Bormann erhebliche Interpretationsmöglichkeiten ließ. 701 702 703 704
101 07502-07303 (=BA, R 43 11/591), 19.4.44, 20.4.44. 08044 (=BA, R 21(76)/768), Bormann an den Reichsinnenminister. 30.6.39. 63274f (=BA, NS 18/308). 15.7.41. 107 00236-00245 (=BA, NS 19 alt/184). Unter dem 10.3.1944 falite Bormann diese Ausführungen noch
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941 -1945
Der Rückgriff auf ältere, nicht genau zu datierende Äußerungen Hitlers, der allgemeine Bezug auf den "erklärten Willen des Führers" oder unbestimmte Zusicherungen wie "hat der Führer gebilligt" zeigen den relativ großen Handlungsspielraum, den Bormann bei der Interpretation des "Führerwillens" besaß. Bormann ging dabei sogar so weit, bestimmte Erklärungen mit Blick auf vermutete bzw. potentielle Ansichten Hitlers abzugeben. So beschwerte sich Bormann im Dezember 1942 in einem Schreiben an Himmler über den Leiter des Reichskriminalpolizeiamtes. Nebe, der angeblich die Ansicht geäußert habe, die sogenannten "reinrassigen Zigeuner" sollten aus der allgemeinen Verfolgung dieser Volksgruppe ausgenommen werden und die Möglichkeit erhalten, "Sprache, Ritus und Brauchtum" zu pflegen, frei im Lande herumzuziehen und den Wehrdienst abzuleisten. Bormann hielt diese Auffassung für falsch: Sie werde weder von der Bevölkerung noch von den Unterführern der Partei verstanden werden. "Auch der Führer würde es nicht billigen, wenn man einem Teil der Zigeuner seine alten Freiheiten wiedergäbe."705 Das Wissen Bormanns um solche voraussichtlichen Führerentscheidungen war nur durch die peinlich genaue Registrierung sämtlicher Meinungsäußerungen Hitlers möglich. Wie genau Bormann auch die Einstellung Hitlers zu vordergründig unpolitischen Themen beobachtete und seine so entstandene intime Kenntnis über Neigungen und Antipathien des Diktators einsetzte, soll am Beispiel des Themas "Jagd" aufgezeigt werden. Bormann muß aufmerksam verfolgt haben, wie sich Hitlers Abneigung gegenüber der Jagd geradezu zu einer fixen Idee auswuchs. Aus verschiedenen Äußerungen war zu entnehmen, daß die Jagd für Hitler mehr und mehr zum besonderen Merkmal gerade jener gesellschaftlich privilegierten Kreise wurde, denen er voller Vorurteile und Ressentiments gegenüberstand.706 Es war naheliegend, Hitlers hochsensible Einstellung zu diesem Thema, etwa bei der Erörterung von Personalien, zu instrumentalisieren. In zwei Aktenvermerken vom März 1942 versuchte Bormann denn auch, seinen Mitarbeitern in der PKzl. diese tief sitzende Antipathie Hitlers zu vermitteln. Ausführlich legte er dar, wie "wenig ein Jäger in der Lage ist, in Angelegenheiten, die die Jagd berühren, mit dem Führer, d. h. national-sozialistisch, zu denken".707 Die in der langen Aufenthaltszeit in der unmittelbaren Nähe Hitlers erworbene Fähigkeit, präzise die Abneigungen und Sympathien seines "Führers" vorhersagen zu können, bewies Bormann sodann, indem er seinen Mitarbeitern zur Bekräftigung seines Standpunktes eine vom ehemaligen Wiener Bürgermeister Neubacher erzählte Anekdote übermittelte; einige Tage später führte Hitler gegenüber seinen Tischgästen ebenfalls Neubacher als einen Gewährsmann für seine Auffassung an, die Jägerei sei "eine moderne Freimaurerei".708
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einmal in verkürzter Form zusammen: 107 00232-00235 (=cbenda). - Zu den im einzelnen vorgeschlagenen bevölkerungspolitischen Maßnahmen vgl. S. 206 dieser Arbeit. !0200067f(=BA. NS 19/180). 3.12.42. Siehe hierzu etwa die von Hitler in einem ironischen Tonfall geführte Unterhaltung mit dem SS-Gruppenführer Wolff, der soeben von einer Diplomatenjagd zurückkam (Picker, a.a.O.. S. 11 If. 30.10.41.). Ferner: "Wie die Jägerei das Wild hegt, um es bei Gelegenheit umbringen zu können, so hegen die Juristen die Unterwelt." (Picker. a.a.O., 2.8.41). Am 26.7.42 erwähnte Hitler, als er die Versuche der Wirtschaft, Beamte in Beschaffungsämtern zu beeinflussen, schilderte, ausdrücklich die Jagd, "da sie für einen Offizier denselben Anreiz habe wie ein Diamantenring für eine Frau" (Picker, a.a.O., S. 483: weitere polemische Bemerkung über die Jäger ebenda, S. 347, 20.8.42). 103 22374f(=BA. R 2/31096), 25.3.42 (hierin Verweis auf einen Aktenvermerk zur gleichen Angelegenheit vom Vortag). Picker. a.a.O.. S. 264. 9.4.42.
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Nach mehrjähriger Tätigkeit in der unmittelbaren Nähe Hitlers verfügte Bormann schließlich über ein unvergleichliches Wissen um die von Hitler vertretenen Anschauungen und wurde damit zum wohl wichtigsten Interpreten des Führerwillens. An einem aus dem Herbst 1942 stammenden Beispiel läßt sich aufzeigen, wie selbständig Bormann mittlerweile in zentralen politischen Fragen die von Hitler vertretene Linie wiedergeben konnte. Bormann war zusammen mit einem "Stimmungsbericht von der Front" ein Katalog politisch heikler Fragen vorgelegt worden, den er mit kurzen handschriftlichen Notizen versah.709 Unter anderem hatte Bormann die Frage nach der Zukunft Südtirols beantwortet ("Der Brenner ist die Grenze"), war auf die Nachkriegsbeziehungen zwischen Japan und Deutschland eingegangen ("Zwangsläufig Bündnis, wie bisher!"), hatte eine Antwort auf die sich nach dem Kriegsende vermutlich einstellende Inflationsproblematik formuliert ("Produktionssteigerung") und hatte sich zur Kolonialfrage geäußert ("Daran wird ein Frieden nicht scheitern. In den Ostgebieten haben wir Besseres als Kolonien!"). Außerdem war er darauf eingegangen, ob "die Finnen zur germanischen Welt" gerechnet werden ("Ja, zum großen Teil"), ob die Ukraine selbständig werden solle ("Nein!") oder ob Schweden und die Schweiz Bestandteile eines "germanischen Reichs" sein sollten ("Ja!"). Schließlich hatte er in höchst knapper Form auch die Frage beantwortet, wie die "Judenfrage gelöst" werden könnte: "Sehr einfach!" c)
Die Kanalisierung des Zugangs zu Hitler durch Bormann
Die entscheidende Voraussetzung für Bormanns souveräne Interpretation des "Führerwillens" war aber nicht nur seine schon fast kongeniale Beziehung zu Hitlers Vorstellungswelt, sondern die Tatsache, daß er durch seine ständige Anwesenheit in der Umgebung Hitlers und durch seine Vertrauensstellung den Zugang zum Diktator weitgehend kanalisieren konnte. Auch außerhalb des Parteibereichs gewann Bormann mehr und mehr nicht nur maßgebenden Einfluß auf die zum "Führervortrag" kommenden Themen, sondern konnte weitgehend auch den Personenkreis bestimmen, der in direkten Kontakt mit dem Diktator kam. Bis auf die wenigen engsten Vertrauten710 Hitlers, die direkten Zugang zu ihm hatten, und bis auf die Militärs, denen Gesprächstermine über die Wehrmachtadjutantur vermittelt wurden, nahm er damit den meisten Entscheidungsträgern des "Dritten Reiches" die Möglichkeit, sich selbst von der Richtigkeit der von ihm gelieferten Interpretation des Führerwillens zu überzeugen oder den Versuch zu unternehmen, Hitler, etwa im Lichte neuer Fakten, zu einer Revision seiner Auffassung zu bewegen. An zwei Beispielen soll verdeutlicht werden, wie Bormann seinen Ermessensspielraum nutzen konnte, um Hitler gegenüber bestimmten Themen abzuschotten, deren Erörterung er für unwesentlich oder inopportun hielt. Im Sommer 1941 wandte sich der Verbindungsmann der PKzl. zum Propagandaministerium, Tießler, an die Dienststelle und legte dar, sowohl Goebbels wie Rosenberg träten dafür ein, in den besetzten Ostgebieten die Parole "Dem Bauern Land" in das Zentrum der Propaganda zu rücken. Nachdem sich die beiden 709 710
Unter dem 16.2.42 übersandte die PKzl. ihrem Finanzsachverständigen Gündcl ein Exemplar: 103 22376f (=BAR2/31096), 16.10.42. So betont Rebentisch, Führerstaat, S. 400, daß der Zugang zu Hitler nicht nach einem "starren Regelsystem" geordnet war; eine perfekte Kontrolle habe nicht einmal Bormann erlangt. Zu denjenigen, die sich während der Kriegszeit - zum Teil allerdings nur in bestimmten Phasen - direkt an Hitler wenden konnten, rechnet Rebentisch Lammers. Goring, Goebbels. Ribbentrop, Himmler, Speer, Ley, Sauckel, Brandt, v. Schirach sowie die wichtigsten Gauleiter.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanz.lei 1941-1945
einschlägigen Fachminister geäußert hatten, lag es im Ermessen Bormanns, diese für die deutsche Besatzungspolitik im Osten wesentliche Frage Hitler vorzutragen. Nach etwa einer Woche reagierte Bormann auf den ihm vorgelegten Vorschlag mit einem Aktenvermerk, mit dem er vor allem sein Desinteresse an dieser Frage bekundete. Grundsätzlich sei er der Ansicht, Versprechungen an die russischen Bauern seien momentan nicht hilfreich und könnten sich zu einem späteren Zeitpunkt sogar als Belastung erweisen. Im übrigen, so fuhr Bormann fort, glaube er, "daß irgendwelche öffentlichen Erörterungen über diese Dinge völlig unnötig sind, denn in der Landwirtschaft in den besetzten russischen Gebieten sind inzwischen genügend tüchtige deutsche Landwirte eingesetzt, die dafür sorgen, daß geemtet und wieder gesät wird. Dies ist zunächst die Hauptsache. Wir brauchen uns garnicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wie diese deutschen Landwirte die russischen Bauern und Landarbeiter an die Arbeit bekommen; ich bin der Überzeugung, daß diese alten Praktiker das am besten an Ort und Stelle regeln."71' Im Mai 1944 bat der Reichsjustizminister aufgrund eines Einzelfalls Bormann, eine generelle Entscheidung Hitlers darüber herbeizuführen, ob die Witwe eines gefallenen Rechtsanwalts anstelle ihres Mannes zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen sei, falls sie die nötige berufliche Qualifikation vorweisen könne. In seiner Antwort verwies Bormann auf eine negative Entscheidung Hitlers in dieser Frage aus dem Jahre 1942; im Hinblick auf diese "eindeutige Weisung des Führers", so Bormanns Kommentar, "möchte ich davon absehen, ihn erneut zu befragen".712 Die Art und Weise, wie Bormann Hitlers Terminkalender als Machtmittel einsetzte, soll ebenfalls mit einigen Beispielen belegt werden. Im Herbst 1942 bestand zwischen Bormann und dem Reichsjugendführer Axmann ein sachlicher Dissens in der Frage, inwieweit aus einer gesprächsweise geäußerten Bemerkung Hitlers, für "verwahrloste" Jugendliche die Prügelstrafe einzuführen, praktische Konsequenzen zu ziehen seien. 713 Während Bormann die Auffassung vertrat, Hitler wünsche die Einführung dieser Form der Bestrafung, lehnte Axmann den Gedanken einer "gesetzlich geordneten" Prügelstrafe ab.714 Im Herbst 1942 erklärte sich Bormann mit dem Vorschlag Axmanns einverstanden, seinen Standpunkt in einem Führervortrag darlegen zu können. Im September 1943, also fast ein Jahr nach dieser nur scheinbar generösen Zusage, teilte der Leiter der PKzl. jedoch dem an der weiteren Entwicklung der Angelegenheit interessierten Reichsjustizminister folgendes mit: "Der Reichsjugendführer hatte bisher noch keine Gelegenheit zu dem vorgesehenen Führervortrag. Im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse ist auch nicht damit zu rechnen, daß er sie in nächster Zeit finden wird. Die Angelegenheit muß also einstweilen zurückgestellt bleiben."715 711
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72145-72148 (=BA, NS 18 alt/749). Vermerke Tießlers vom 28.7. und 30.7., Antwort Bormanns vom 5.8.41. - Neben Rosenberg und Goebbels hatten sich auch das Auswärtige Amt und die Wehrmacht für die Landaufteilung ausgesprochen. Vor Dezember 1942 ist jedoch eine Befassung Hitlers mit dem Problem nicht nachweisbar: Alexander Dallin, Deutsche Herrschaft in Rußland 1941-1945. Eine Studie über Besatzungspolitik, Düsseldorf 1958, S. 337ff. 53866f (=BA, R 22/4495), Schriftwechsel 16.5.44-11.8.44. 55302-55308 (BA, R 22/5018), Schreiben Thieracks an Himmler, Axmann und Bormann, 25.9.42; Vermerk für Axmann, 12.10.42. - Hitlers Äußerung war eine Reaktion auf eine "Führerinformation" des Reichsjustizministers betr. jugendliche Cliquen. 55309 (=ebenda), Vermerk aus dem Reichsjustizministerium, 12.12.42; 55513f (=ebenda), Schreiben Axmanns an Lammers 10.2.43. 55317t" (=ebenda), Bormann an Thierack, 9.9.43.
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Als weiteres Beispiel für diese Abschirmungstaktik Bormanns läßt sich Bormanns Reaktion auf einen im Frühjahr 1942 vom Reichsjustizminister vorgelegten Entwurf einer "Verordnung zur Bekämpfung der Wilderei"anführen. Hitler habe, so Bormanns Begründung, "wiederholt bis in die letzte Zeit hinein" betont, man solle nicht gegen Wilderer, sondern gegen Wildschaden vorgehen. Er hege Bedenken gegen die beabsichtigte Verschärfung der Strafbestimmungen, da "anzunehmen ist, daß der Führer damit keinesfalls einverstanden sein dürfte". Im übrigen empfahl er dem Justizminister "dringend", über den Chef der Reichskanzlei feststellen zu lassen, ob die vorgeschlagenen Vorschriften die "Billigung des Führers" fänden. 716 In einem Schreiben an Lammers stellte er jedoch klar, daß er in Wirklichkeit nicht daran dachte, dem Justizminister diesen Weg zu eröffnen: Zur "Vermeidung von Mißverständnissen", so Bormanns Mitteilung, wolle er darauf hinweisen, erhalte es "selbstverständlich nicht für notwendig, daß Sie über den vorliegenden Entwurf dem Führer Vortrag halten, denn die Auffassungen des Führers sind Ihnen ja bekannt". Er selbst beabsichtige ebenfalls nicht, Hitler in der Sache anzusprechen.717 Gerade dieses Beispiel verdeutlicht, wie weit es Bormann zu diesem Zeitpunkt bereits gelungen war, sich auf informellem Wege in die - eigentlich der Reichskanzlei vorbehaltene - Funktion einer zentralen Vermittlungsstelle zwischen dem Diktator und dem Staatsapparat einzuschalten. Die Tatsache, daß er über seine Rolle als Leiter einer zentralen Parteidienststelle hinaus laufend den staatlichen Sektor betreffende Anweisungen weitergab, erfuhr schließlich aber auch eine förmliche Anerkennung. d)
Bormann auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Die Ernennung zum "Sekretär des Führers" und seine führende Rolle innerhalb des Kanzleisystems in den letzten Jahren des "Dritten Reiches"
Seine Ernennung zum "Sekretär des Führers" am 12. April 1943 kann als Schlußstein im Kompetenzgebäude Bormanns angesehen werden. Am 8. Mai 1943 teilte Lammers unter Bezug auf die von Hitler ausgestellte Ernennungsurkunde und nach Abstimmung mit Bormann den Obersten Reichsbehörden und den "dem Führer unmittelbar unterstellten Dienststellen" hierzu folgendes mit: "Der Führer erteilt seit Jahren gewohnheitsmäßig dem Reichsleiter Martin Bormann laufend Sonderaufträge der verschiedensten Art, die nicht in den Aufgabenkreis des Reichsleiters Bormann in seiner Eigenschaft als Leiter der ParteiKanzlei fallen, sich vielmehr auf Angelegenheiten beziehen, in denen außerhalb des Rahmens der Partei Weisungen und Auffassungen des Führers führenden und leitenden Persönlichkeiten des Staates und staatlicher Dienststellen im Auftrage des Führers übermittelt werden sollen." Bormann habe bei der Erledigung solcher Aufträge "bewußt seine Eigenschaft als Leiter der Partei-Kanzlei ausgeschaltet und sich... lediglich als 'Reichsleiter Bormann' bezeichnet". Da hierdurch aber Unstimmigkeiten eingetreten seien, habe Hitler durch einen Führererlaß, den Lammers in der Anlage beifügte, Bormann in seiner Rolle als sein "persönlicher Sachbearbeiter" die Bezeichnung "Sekretär des Führers" verliehen. Durch diese Anordnung, so stellte Lammers klar, werde aber "weder eine neue Dienststelle geschaffen" noch seien "neue Zuständigkeiten entstanden"; es solle lediglich klargestellt 716 717
101 26877 (=BA. R 43 11/1512). 3.4.42. 101 26880 (=ebenda), 15.4.42. Bormann stimmte schließlich einem neuen Verordnungsentwurf des Reichsjustizministers, der die Einführung der reichsrechtlichen Wildererbestimmungen in Österreich vorsah, nur deshalb zu, weil hierdurch eine Milderung gegenüber den alten österreichischen Strafvorschnften erreicht wurde.
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werden, "daß Reichsleiter Bormann neben der von ihm geleiteten Partei-Kanzlei die bezeichneten Sonderaufträge des Führers erledigt". Fielen solche Sonderaufträge im staatlichen Bereich an. so werde Bormann sie in der Regel über Lammers' Dienststelle weiterleiten. 71 * Bevor er dieses Rundschreiben absandte, hatte Lammers Bormann in einem persönlichen Gespräch seine Verärgerung über die neue Regelung deutlich gemacht. Wie Bormann seinen Mitarbeitern Klopfer und Friedrichs ebenfalls unter dem 8. Mai 1943 in einem Aktenvermerk 719 mitteilte, habe Lammers, als er ihm den Entwurf seines Rundschreibens vorlegte, bemerkt, die neue Bezeichnung habe schon "erheblich Staub aufgewirbelt". Es gebe Kräfte, so der Chef der Reichskanzlei weiter, die ihn "schon scharf machen" wollten, indem sie verbreitet hätten, "nun würde Dr. Lammers wohl überflüssig sein". Lammers habe außerdem Goring mit den Worten zitiert, "künftig solle er wohl die Hände an die Hosennaht legen", wenn er einen Brief von ihm als Sekretär des Führers erhalte. Er sei, so Bormanns Kommentar für seine PKzl.-Mitarbeiter, den Befürchtungen Lammers' mit dem Hinweis auf die Tatsache entgegengetreten, daß er de facto schon seit Jahren die Position eines Sekretärs Hitlers bekleidet habe. In einem Schreiben vom 1. Mai 1943 hatte Bormann außerdem Himmler das Aufgabengebiet des "Sekretärs des Führers" näher erläutert.720 Es handele sich demnach um die "Erledigung zahlreicher persönlicher Angelegenheiten", um die "Teilnahme an Besprechungen des Führers", um den 'Vortrag der eingehenden Vorgänge", um die "Übermittlung von Entscheidungen und Meinungsäußerungen" Hitlers an Reichsbehörden, um die Schlichtung von "Meinungsverschiedenheiten, Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Reichsministern und dergl.", um die "Bearbeitung der mit den Aufträgen Linz zusammenhängenden Angelegenheiten" sowie um die "Dienstaufsicht" über die "Hausintendantur" und die im Führerhauptquartier arbeitende Stenographengruppe. Die neue Bezeichnung bedeutete für Bormann eine erhebliche Chance, seinen Einfluß weiter zu steigern. Im Juni 1943 versuchte er, auf der Basis der gerade verliehenen "Sekretär"-Funktion, seine Kompetenzen im staatlichen Bereich auszuweiten. Er schlug Lammers vor, eilige Vorlagen, die nicht durch den Chef der Reichskanzlei Hitler vorgelegt werden könnten, an ihn in seiner Eigenschaft als Sekretär des Führers zu schicken. Hierdurch sollte vor allem vermieden werden, daß die Wehrmachtadjutantur und Hitlers Persönliche Adjutantur mit solchen Angelegenheiten befaßt würden und somit Führervorträge hinter Bormanns Rücken stattfänden. 721 In einer persönlichen Aussprache gelang es Lammers am 18. Juni 1943 jedoch, Bormann dieses Vorhaben auszureden. Lammers führte u.a. an, er müsse für sich "eine gewisse Totalität für den staatlichen Sektor... in Anspruch nehmen". Er habe die "größten Bedenken, den Ressorts für den staatlichen Sektor ausdrücklich einen anderen Weg als den über mich zu weisen, um an den Führer zu gelangen". In diesem Fall bestimmten nämlich die Ressorts, was eilig sei: "Sie würden Gelegenheit haben, uns beide, d.h. Reichsleiter Bormann und mich, gegeneinander auszuspielen." Nachdem Bormann diese Argumentation akzeptiert hatte, einigte man sich auf bestimmte Verfahrensrichtlinien, nach denen eilige "Führervorlagen", die den staatlichen Sektor betrafen, zu behandeln seien. In der Regel sollte Lammers 718 719 720 721
101 20693-20706 (=BA. R 43 11/1213a). BA, NS 6/159. 10200677f (=BA. R 43 Il/NS 19/1205). 101 07291-07293 (=BA. R 43 H/583a). 15.6.43.
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Hitler solche Angelegenheiten vortragen, es war aber auch die Möglichkeit vorgesehen, sie gemeinsam beim "Führer" zur Sprache zu bringen. Nur ausnahmsweise sollte Bormann allein solche Vorlagen Hitler vortragen, und zwar dann, wenn Lammers "darum bäte oder dies nicht zu vermeiden" sei. Im übrigen, so die Vereinbarung, gebe es auch die Möglichkeit, einvernehmlich festzustellen, daß ein Vonrag sich erübrige. 722 Diese Absprache sollte dazu beitragen, die Anfang 1943 durch den Zusammenschluß von Keitel, Bormann und Lammers im sogenannten "Dreierausschuß" beabsichtigte enge Zusammenarbeit der "Kanzleien" weiter abzusichern. 723 Die von dem Dreierausschuß angestrebte Rolle einer zentralen Clearingstelle, die Funktionen eines Kriegskabinetts ausüben konnte, ließ sich nur durchsetzen, wenn die Immediatstellung anderer Mitglieder der NS-Führungsclique unter Kontrolle gebracht werden konnte. So hatte es beispielsweise Speer als sein legitimes Vorrecht aufgefaßt, im Alleingang Führererlasse ohne vorherige Abstimmung mit der Reichskanzlei zu erwirken. Eine Gelegenheit, die Stellung des Rüstungsministers zu schwächen, ergab sich, als Hitler bei der Lektüre des von Speer formulierten "Erlasses des Führers über die Konzentration der Kriegswirtschaft" Bormann die Frage stellte, ob der "geplante Erlaß bereits mit sämtlichen Beteiligten abgesprochen worden sei". Als Bormann diese Frage verneinte, reagierte Hitler höchst ungehalten und ließ sich ausführlich über die grundsätzlichen Modalitäten aus, die bei "Führervorträgen" einzuhalten seien; Bormann leitete diese Ausführungen sogleich an Lammers weiter. Hitler habe, so Bormann, "wiederum mit aller Entschiedenheit" betont, "ein solches Vorgehen dürfe es nicht geben, unbedingt seien alle Verordnungen und Erlasse sämtlichen Beteiligten im Entwurf zuzustellen; dem Führer sei erst dann Vortrag zu halten, wenn die Stellungnahme aller Beteiligten geklärt und ein Einvernehmen herbeigeführt sei". Man würde zu "unzuträglichen Verhältnissen kommen, wenn jeder Minister etc. ohne Rücksicht auf die übrigen Beteiligten beim Führer seine Meinung durchzudrücken versuche. Der Führer betonte weiter, Sie, Herr Reichsminister Dr. Lammers, seien ihm dafür verantwortlich, daß in allen Angelegenheiten, deren Vortrag beim Führer beabsichtigt sei, rechtzeitige Erörterung und Abstimmung zwischen sämtlichen Beteiligten stattfände."724 Diese Grundsätze teilte Lammers sogleich den Obersten Reichsbehörden in einem Runderlaß mit. 725 Insgesamt läßt sich sagen, daß das Verhältnis von Reichs- und Partei-Kanzlei zwar von Spannungen und Reibungen nicht frei war, in der täglichen Zusammenarbeit aber dennoch funktionierte. Allerdings besaß Bormann ein wachsendes Übergewicht, da er zunehmend in den staatlichen Bereich hineinregieren konnte, ohne daß Lammers vergleichbare Interventionsmöglichkeiten im Parteisektor besaß.726 Gegen den Versuch, durch enge Kooperation der beiden Dienststellen ein Regierungssystem der Kanzleien zu errichten, erhob sich von Anfang an eine starke Opposition. Treibende Kraft war Goebbels, der gerne der vierte Mann im "Dreiergremium" gewesen wäre und nun u.a. Göring, Speer und Ley gegen das "unfähige" Gremium, das eine Art "Kabinettsregierung" anstrebe, mobilisierte. 727 Die ständigen Attacken hatten Erfolg: Bereits im Spätsommer 1943 endeten die Sitzungen des Dreierausschusses. Nun traten mit Himmler als Innenminister (seit August 1943), mit dem 722 723 724 725 726 727
101 07294-07297 (=ebenda). 19.6.43. Vgl. umen, S. 344ff. 101 12617-12619 (=BA, R 43 11/695). Bormann an Lammers. 18.3.43; Hervorhebung wie im Original. 101 12620-12624 (=ebenda). 19.8.43. Zur Zusammenarbeit beider Behörden vgl. Rebentisch. Führerstaat, S. 4561 . Ebenda. S. 394f.
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seit September 1943 durch erweiterte Vollmachten ausgestatteten Speer und schließlich mit Goebbels als "Reichsbevollmächtigtem für den Totalen Kriegseinsatz" (seit Juli 1944) starke Männer mit sektoralen Befehlsgewalten in den Vordergrund, die sich durch Bormann nicht mediatisieren ließen. Bevor weiter auf Bormanns Verhältnis zu Lammers eingegangen wird, soll sein Verhältnis zu diesen drei in der zweiten Phase des Krieges besonders wichtigen Angehörigen der NS-Führungsclique behandelt werden. Es ist bereits erwähnt worden, daß Bormann sich im Sommer 1943 gegen Speers Angewohnheit gewandt hatte, eigenmächtig "Führererlasse" zu erwirken. Nachdem Speers Befugnisse im September 1943 ausgedehnt worden waren, setzten sich die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Bormann verstärkt fort. Bormann versuchte seit Herbst 1943, Speers Aufgabenbereich wieder zu beschneiden; zum gleichen Zeitpunkt verspürte Speer verstärkten Widerstand der Gauleiter gegenüber seiner Politik.728 Die Chronik des Rüstungsministeriums vermerkte zwischen August und Oktober 1944 ständige Auseinandersetzungen mit Bormann und Goebbels, vor allem über die Einziehung von Arbeitskräften aus der Rüstung zur Wehrmacht.729 In einem Schreiben an Hitler vom 20. September 1944 wandte sich Speer gegen die von Bormann erhobene Klage, sein Ministerium sei parteifremd; außerdem forderte er, die Bormann unterstehenden Gauwirtschaftsberater ihm zu unterstellen.730 Im Herbst 1944 intrigierte Bormann, zusammen mit Himmler, gegen einen der Amtschefs Speers, Walter Schieber. Bormann denunzierte Schieber bei Hitler als Landesverräter, ohne gleichzeitig Speer hierüber zu informieren.731 Zwar stellte sich die Unschuld Schiebers heraus, doch war seine Position so angeschlagen, daß er gehen mußte. Das Verhältnis Bormanns zu Himmler war demgegenüber durch eine gegenseitige Respektierung der jeweiligen Aufgabenbereiche gekennzeichnet. Unter anderem ist dieses relativ konfliktfreie Verhältnis wohl darauf zurückzuführen, daß Bormann regelmäßig mit hohen Summen aus seinem Reptilienfonds einen Beitrag zur Finanzierung der Repräsentationskosten des Reichsführers SS leistete.732 Seit Anfang 1942 arbeiteten Bormann und Himmler eng zusammen, um auf informelle Weise über den Kopf des in Mißkredit geratenen Hans Frank hinweg grundlegende Angelegenheiten der deutschen Besatzungsherrschaft im Generalgouvernement zu regeln.733 Im Juli 1942 sprach sich Bormann jedoch gegen den Versuch Himmlers aus, durch einen Führererlaß eine Hitler direkt unterstellte "Reichsschutzmacht" ins Leben zur rufen, die die Kompetenzen Himmlers im SS- und Polizeibereich und auf dem Gebiet der "Festigung des deutschen Volkstums" umfassen sollte.734 Nachdem Himmler am 20.August 1943 zum Reichsinnennminister ernannt worden war, verfolgte er in Übereinstimmung mit der PKzl. die Idee, im Zuge der Verwaltungsvereinfachung möglichst viele Verwaltungsaufgaben auf die untersten Instanzen zu verlagern; 728 729 730 731 732 733 734
Speer. Erinnerungen, S. 289, S. 325f. 108 00553-00059 (=BA, R 3/1740), Eintragungen in der Chronik der Dienststelle Reichsminister Speer, August bis Oktober 1944. 108 00105-00021 (BA, R 3/1526), Schreiben v. 20.9.44. 103 1103f (NS 19/2058), Schreiben Bormann an Himmler, im Faksimile bei Albert Speer. Der Sklavenstaat. Meine Auseinandersetzungen mit der SS, Stuttgart 1981, S. 88, ferner ebenda. S. 84 u. 96f. Vgl. S. 155 dieser Arbeit. Vgl. S. 232 dieser Arbeit. 107 00729f (=BA. NS 19alt/225), Vermerk v. 27.7.42.
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insgesamt gesehen kam es zu einer Verbesserung des Verhältnisses der PKzl. zum Innenministerium. 735 Die Ernennung Bormanns zum Leiter der PKzl. war von Goebbels zunächst mit Mißtrauen verfolgt worden. Er sei "nicht ehrlich und klar" und habe seine "Position mehr erschlichen als erarbeitet" und an Heß "treulos gehandelt", vertraute der Propagandaminister seinem Tagebuch an.736 Einige Wochen später erschien ihm der Leiter der PKzl. zwar als "Schattenfigur", er mußte aber einräumen, daß ein anderer "es auch nicht besser machen" könne.737 Wiederum einige Wochen später hatte sich das Bild grundlegend gewandelt738: "Mit Bormann arbeiten wir gut. Er packt das Problem Partei/Staat viel resoluter an, als Heß das jemals getan hat. Mir gegenüber ist er auch immer sehr loyal." In den nächsten Jahren schwankte das Urteil des Propagandaministers: Im März 1943 beschwerte sich Goebbels etwa über die bürokratische Schwerfälligkeit Bormanns, während er ihn andererseits im Mai des gleichen Jahres als "äußerst loyal" bezeichnete.739 Zur gleichen Zeit häuften sich Auseinandersetzungen zwischen Bormann und Goebbels über taktische Fragen der NS-Propaganda, in der Bormann stärker als der flexiblere Goebbels Grundsätze der nationalsozialistischen Weltanschauung verankert sehen wollte.740 Nach der Ernennung des Propagandaministers zum Generalbevollmächtigten für den Totalen Kriegseinsatz kam es immer wieder zu Konflikten zwischen Bormann und Goebbels, bei denen es in erster Linie darum ging, die Rolle des Parteiapparates innerhalb der von Goebbels betriebenen Mobilisierungsmaßnahmen exakt zu bestimmen.741 Trotz der zahlreichen Attacken, die Bormann gegen diese drei Angehörigen der NS-Führungsclique ritt, zeigte sich doch, daß seine Stellung nicht stark genug war, um relativ geschlossene bürokratische Apparate, deren Leiter ein hohes Prestige bei Hitler besaßen, in irgendeiner Weise unter Kontrolle zu bekommen. Auch die Ereignisse des 20. Juli 1944, die Bormann weidlich ausnutzte, um gegen die angeblich unzuverlässigen Kräfte in Staat und Wehrmacht vorzugehen und den Primat der Partei bei der "Menschenführung" zu betonen, brachten keine qualitative Aufwertung seiner Stellung.742 Die überstürzten Notmaßnahmen der letzten Kriegsphase machten eine geordnete zentrale Verwaltungsführung, als deren Garant Lammers stets aufgetreten war, vollends unmöglich; seine Position begann zu bröckeln. Ein bekanntes Dokument aus der Schlußphase des "Dritten Reiches", nämlich der von Lammers zu Beginn des Jahres 1945 an Bormann 735 736 737 738 739 740 741 742
Rebentisch, S. 504ff. Goebbels-Tagebücher. 20.5.41. Ebenda. 14.6.41. Ebenda, 2.7.41. Siehe Anm. 730 dieser Arbeit; Ralf Georg Rcuth, Goebbels, München/Zürich 1990. S. 524. Vgl. S. 125ff dieser Arbeit. Vgl. S. l96ff dieser Arbeit. Bormann verwies, um Druck auszuüben, verschiedentlich auf die Ereignisse vom 20. Juli, so bei der Forderung nach Unterstellung der preußischen Regierungspräsidenten (drei von ihnen standen im Zusammenhang mit dem Putschversuch) unter die Oberpräsidenien: 101 24514-24521 (=BA, R 43 II/1364a), 11.8.44; bei der Forderung nach Verstärkung der NS-Führung der Wehrmacht: 102 00317-00321 (=BA, NS 19neu/750); bei der Aufforderung an die Partei, die vollziehende Gewalt in Notzeiten nicht an die Wehrmacht abzugeben, sondern "fester denn je in der Hand der Gauleiter zu halten"; !01 16543-16546 (=BA, R 43 11/991), 24.7.44: bei dem Appell an die Parteigenossen, alle "Verräter. Defätisten und ähnliche Handlanger des Feindes" zu denun/.ieren: Anordnung A 178/44 v. 12.8.44; sowie bei seiner Aufforderung, die noch im öffentlichen Dienst verbliebenen "jüdischen Mischlinge" zu entfernen: Siehe S. 66 dieser Arbeit.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
gesandte Neujahrsbrief, illustriert diesen Macht verfall, macht aber auch deutlich, daß Lammers noch keinesfalls resigniert hatte. 743 Denn obwohl das Schreiben in einem betont liebenswürdigen, ja zum Teil devoten Ton abgefaßt war, enthielt es doch einen klaren sachlichen Kern, den man durchaus als eine gewisse Drohung gegenüber Bormann verstehen kann. Zunächst aber erinnerte Lammers an die lange Phase einer konstruktiven Zusammenarbeit, um dann zu bedauern, daß das "Band unserer dienstlichen und persönlichen Verbundenheit... sich jedoch seit kurzem zu meinem größten Bedauern etwas gelockert" habe. Seit er Ende Oktober sein dem FührerHauptquartier angeschlossenes Feldquartier habe aufgeben müssen, sei er praktisch "abgehängt"; sein letzter Vortrag bei Hitler liege schon mehr als drei Monate zurück. Wenn er auch wisse, daß Hitler "monatelang nicht in der Lage war, meinen und auch unseren gemeinsamen Vortrag entgegenzunehmen, so hatte ich doch die Pflicht, auf diesen Vortrag zu drängen". Eingehend schilderte Lammers sodann seine vergeblichen Versuche, zu Hitler zu gelangen. Der mangelnde Kontakt habe zur Folge, daß "die Minister des Reichs, die anderen Obersten Reichsbehörden und alle anderen dem Führer unmittelbar unterstellten, im Auftrage des Führers von mir zu betreuenden Dienststellen, wenn sie sehen, daß sie durch mich nicht vorwärts kommen, andere - nicht immer die erwünschten und richtigen - Wege zum Führer wählen oder sich unmittelbar an ihn wenden." Hierdurch entstehe die "unangenehme und oft peinliche Lage, daß ich Entscheidungen des Führers übermittelt erhalte, bei denen ich überhaupt nicht mitgewirkt habe, für die ich aber die Verantwortung tragen soll, sie zum Teil auch verantwortlich mitzeichnen muß, ohne daß ich je in der Lage war, den Führer auf maßgebende Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, die ihn vielleicht zu einer anderen Entscheidung bestimmt hätten". Nach diesen Klagen ging Lammers zum Angriff über, indem er in verklausulierten Wendungen ankündigte, sich bei Hitler über die Behinderungen in seiner Arbeit zu beschweren und ihm bei dieser Gelegenheit die "Vertrauensfrage" zu stellen: Nun sei "der Augenblick gekommen, in dem es meine Pflicht mir gebietet, dem Führer zu berichten, daß ich so mein Amt und die damit verbundenen Aufgaben nicht erfüllen kann. Da ich annehmen zu können glaube, daß der Führer mir das Vertrauen, das er mir bisher geschenkt und versichert hat, mir nicht entzogen hat, vielmehr der Ansicht bin, daß der Führer lediglich darüber nicht unterrichtet ist, welche Fülle von wichtigen Angelegenheiten bei mir des Vortrags harrt und welche Schwierigkeiten und Schäden eintreten, wenn ich weiterhin so ausgeschaltet bleibe, wie es zur Zeit der Fall ist, möchte ich Dich, lieber Bormann, bitten, mir möglichst bald beim Führer ein kurzes Vorsprechen zu erwirken, lediglich zur Erörterung dieser Fragen." Bormann reagierte auf dieses Schreiben wenige Tage später mit einem Telegramm, in dem er einen baldigen gemeinsamen Vortrag ankündigte 744 , sowie mit einem längeren Schreiben, das die "Mißverständnisse" der vergangenen Zeit klären sollte.745 Verglichen mit der Reichskanzlei waren die übrigen in der Umgebung Hitlers arbeitenden Führungsinstanzen eine weit geringere Konkurrenz für die Bestrebungen der Partei-Kanzlei. Während das Verhältnis zur Wehrmachtadjutantur relativ konfliktfrei gewesen zu sein 743 744 745
101 29995-30004 (=BA. R 43 11/1641). 1.1.45. - Zur Interpretation dieses Schreibens vgl. Rebentisch. Führerstaat. S. 424. der die Darstellung, die Lammers hier über seine eigene Stellung gibt, nur für die Endphase der NS-Herrschaft für zutreffend hält. 101 30005 (=ebenda). 5.1.45. 101 30006f(=ebenda). 5.1.45.
2. Martin Bormann: Vom Stabsleiter des Stellvertreters des Führers zum Leiter
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scheint, da die hier bearbeiteten militärischen Angelegenheiten von vornherein weitgehend außerhalb des Zugriffs der PKzl. blieben, und die von Meißner geleitete Präsidialkanzlei mit ihren weitgehend auf Protokoll fragen beschränkten Aufgaben kaum eine Gefährdung für den Aufgabenbereich Bormanns darstellte, bedeutete die Existenz der von Philipp Bouhler geleiteten Kanzlei des Führers ein gewisses Ärgernis für den Leiter der PKzl. Zwar war sie in der Praxis keine ernsthafte Rivalin seiner Dienststelle, jedoch forderte die von Bouhler gelegentlich plakativ und selbstherrlich herausgestellte besondere Bedeutung seiner Kanzlei 746 als Organ des "Führers" den Zorn Bormanns heraus. Durch die im Januar 1942 erlassene Verordnung zur Durchführung des "Führererlasses über die Stellung des Leiters der Partei-Kanzlei" sah Bouhler die Kompetenzen seiner Dienststelle beeinträchtigt, die seiner Ansicht nach in der Bearbeitung derjenigen Parteiangelegenheiten bestanden, die Hitler sich "persönlich" vorbehalten hatte. Dies waren insbesondere Gnadenerlasse, an Hitler gerichtete Petitionen und bestimmte Sonderaufgaben, darunter vor allem die Durchführung des Massenmordes an Insassen von Heilanstalten. In einem Briefwechsel kamen Bouhler und Bormann überein, daß die stets auf "Einzelfragen" abgestellte Tätigkeit der Kanzlei des Führers, die auch die unmittelbare Fühlungnahme mit Obersten Reichsbehörden einschloß, prinzipiell nicht mit der Tätigkeit der PKzl. kollidieren könne, da es bei ihrer Arbeit ja um die Regelung von "grundsätzlichen Angelegenheiten" gehe.747 Als Bouhler im Jahre 1942 in Zusammenarbeit mit einem Lexikonverlag einen "TaschenBrockhaus zum Zeitgeschehen" veröffentlichte, stieß er wegen des hierin enthaltenen Artikels über seine Person auf den massiven Widerstand Bormanns. Den Leiter der PKzl. störte vor allem, daß Bouhler die Kanzlei des Führers zusammen mit der Reichs- und der Präsidialkanzlei als die "politische Führungseinrichtung des Führers" bezeichnet und angegeben hatte, in seiner Dienststelle würden "die Fragen der Partei bearbeitet, die der Führer sich unmittelbar vorbehalten hat".748 Bormann nahm dies zum Anlaß, um Bouhler in scharfer Form zurechtzuweisen 749 : "Ihre Kanzlei hat keine Führungsaufgaben. Zur Führung der Partei bedient sich der Führer nicht der Kanzlei, sondern der Partei-Kanzlei. Ich halte gerade auch Ihres Ansehens wegen eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Berichtigung für erforderlich." Besonders verärgert zeigte sich Bormann über die Tatsache, daß Bouhler die PKzl. nicht zu den "politischen Führungseinrichtungen des Führers" gezählt hatte. Nachdem Hitler nach dem Heß-Flug "die Leitung der Partei wieder vollständig in die eigenen Hände genommen" habe und sich zu diesem Zweck der PKzl. bediene, gebe es für Bouhler keine Parteiangelegenhciten mehr zu bearbeiten, die Hitler "sich selbst vorbehalten" habe. Konsequenterweise wandte sich Bormann in seinem Schreiben auch dagegen, daß Bouhler ihn als "Chef der Partei-Kanzlei bezeichnet hatte. Wenn man diesen Begriff überhaupt auf die PKzl. beziehen wolle, so "wäre als Chef der Führer selbst zu bezeichnen. Ich fühle mich daher auch gar nicht als Chef einer eigenen selbständigen Reichsdienststelle, sondern als 746
747 748 749
Siehe beispielsweise das an Lammers gerichtete Schreiben Bormanns vom 24.6.40. in dem er Beschwerde über Kompeienziiberschreitungen Bouhlers führt: 101 20459f (=BA. R 43 M/1210). - Zu Bouhlers Dienststelle siehe Rebentisch, Kihrerstaat, S. 449t'f sowie Jeremy Noak.es. Philipp Bouhler und die Kanzlei des Führers der NSDAP, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe. Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System. Göttingen 1986, S. 208-236. 101 20575-20577 (=R 43 11/1213). Bouhler an Bormann. 30.1.42 sowie Antwort vom 8.3.42. 101 20467-20471 (=BA. R 43 II/l2l2a). Schreiben Bouhlers an Lammers. 15.5.42 u.a. 101 20473-20476 (^ebenda). 6.6.42.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
Beauftragter des Führers, der für ihn unmittelbar die die Gesamtpartei betreffenden Angelegenheiten in der Partei-Kanzlei bearbeiten läßt." An diese Belehrung Bormanns schloß sich ein Briefwechsel zwischen den beiden Kontrahenten an, der zum Teil in einem recht scharfen Ton geführt wurde. 750 Bouhler erkannte schließlich an, daß die von ihm benutzten Formulierungen noch aus der Ära des "Stellvertreters des Führers" stammten, führte zugleich aber ins Feld, daß die ihm seinerzeit gegebenen Aufträge unverändert gültig seien; die eigentliche Schuld an den aufgetretenen Unklarheiten gab er der Tatsache, daß nie der Versuch einer neuen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen beiden Dienststellen unternommen worden sei. Den fortgesetzten Angriffen der PKzl. ausgesetzt, geriet Bouhler schließlich dermaßen unter Druck, daß er im Mai 1943 ein Schreiben an Hitler verfaßte751, in dem er um die Auflösung seiner Dienststelle bat, da ihre Aufgaben inzwischen weitgehend von der Partei-Kanzlei und der Reichskanzlei übernommen worden seien. Zutiefst deprimiert bat Bouhler hier um eine persönliche Aussprache; dabei gehe es ihm "nicht um eine Position, sondern ausschließlich darum ..., aus dem Zustande einer unerträglichen seelischen Belastung wieder herauszufinden". Schließlich kam es aber doch zu einer Zuständigkeitsvereinbarung 752 zwischen der ParteiKanzlei und der Kanzlei des Führers. In diesem Abkommen wurde die Aufgabenverteilung zwischen beiden Dienststellen bei der Bearbeitung von Gesuchen geregelt. Im wesentlichen liefen die Bestimmungen der Vereinbarung darauf hinaus, die PKzl. immer dann einzuschalten, wenn grundsätzliche oder besonders heikle Fragen anstanden. e)
Der Bormann-Stil
Die besonderen Fähigkeiten Bormanns, die sich als Erklärung für seinen Aufstieg anführen lassen, bestanden offensichtlich darin, Servilität und absolute Anpassungsfähigkeit an die persönlichen Gewohnheiten Hitlers mit bürokratischer Effektivität und Durchsetzungsvermögen so zu verbinden, daß er im Laufe der Zeit ein unentbehrlicher Katalysator innerhalb 750
751 752
101 20477-20484 (=ebenda). 5.6.42-4.8.42; siehe auch die von Borniann in Auftrag gegebene Zusammenstellung der PKzl. über "An und Umfang der Doppelarbcit, die in der Kanzlei Bouhler geleistet wird": 103 22429-22447 (=BA. R 2/31096). - In einem Schreiben des RSHA, in dem Himmler über den Streit zwischen Bonmann und Bouhler informiert wurde, wird darauf verwiesen, daß das in letzter Zeit zu beobachtende stärkere Engagement Bouhlers auf dem Sektor der Kolonialpolitik auf diese Auseinandersetzungen zurückzuführen sei: 1 0 2 0 l 3 2 7 f ( = B A . NS 19 neu/2506), 17.6.42. BAP, 62 Ka l (Kanzlei des Führers), Nr. 42. Schreiben des Chefs der Kanzlei des Führers der NSDAP an Hitler. 11.5.43: durch Bouhler unterschrieben, jedoch kein Absendevermerk. Ebenda. Die von Bormann unterschriebene Vereinbarung wurde von ihm am 26.3.44 übersandt; sie umfaßte vier Punkte. So sollten Gnadengesuche, bei denen "Fragen von grundsätzlicher oder politischer Bedeutung zu klären" seien, von Bouhler an die PKzl. "zur abschließenden Bearbeitung in politischer und grundsätzlicher Hinsicht" gesandt werden. "An die politische oder grundsätzliche Entscheidung der Partei-Kanzlei ist die Kanzlei des Führers der NSDAP, gebunden." Belaste ein "Gesuchssteiler im Zusammenhang mit der ihm zur Last gelegten Verfehlung eine prominente Persönlichkeit einer gleichartigen Straftat größeren Umfangs", so habe Bouhlers Kanzlei den Vorgang ebenfalls an die PKzl. abzugeben. Auch Gnadengesuche von Politischen Leitern seien der PKzl. stets zur Stellungnahme zuzuleiten. Außerdem wurde bestimmt, daß die Bearbeitung "aller Vorgänge grundsätzlicher Art. die Wehrmacht und Partei berühren, insbesondere die lenkende Gestaltung des Verhältnisses Partei-Wehrmacht und der Zusammenarbeit zwischen beiden ... Aufgabe der Partei-Kanzlei" sei. Ferner sei in "allen die Mitgliedschaft zur NSDAP betreffenden Gnadensachen, deren Sachbearbeitung nicht dem Leiter der Partei-Kanzlei obliegt. ... dessen Zustimmung herbeizuführen, bevor die Entscheidung des Führers eingeholt wird".
2. Martin Bormann: Vom Stabsleiter des Stellvertreters des Führers zum Leiter
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des sich in der Führerumgebung vollziehenden Entscheidungsprozesses wurde. Über alle Stimmungsschwankungen, Abneigungen und Sympathien des "Führers" informiert, konnte Bormann den Zugang zum Diktator weitgehend kanalisieren. Gleichzeitig besaß er die Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte auf einfache Formeln zurechtzustutzen und griffig vorzutragen sowie den von ihm oft vorformulierten Auftrag gegen alle Widerstände weiterzuverfolgen und durchzusetzen. 733 Bormann kam in dieser Rolle vor allem zugute, daß er sich nicht oder nur oberflächlich mit den inhaltlichen Aspekten der ihm erteilten Weisungen beschäftigte, sondern, vorwiegend in Machtstrukturen und Freund-Feind-Schemata denkend, diese als regelrechte Kampfaufträge begriff, die es innerhalb des unübersichtlichen Machtapparates des "Dritten Reiches" gegen zahlreiche Widersacher durchzusetzen galt. Die Eigenschaft Bormanns, die ehemaligen Mitarbeitern bzw. Personen aus der unmittelbaren Umgebung Hitlers am stärksten in der Erinnerung haften blieb, war denn auch die Roheit und Brutalität, mit der er seine Untergebenen dazu antrieb, seine Weisungen zu befolgen.734 So sind in größerer Zahl Schriftstücke erhalten, in denen er in seiner großen und ungelenken Handschrift die Arbeitsergebnisse seiner Mitarbeiter mit zum Teil sarkastischen, zum Teil demütigenden Kommentaren versah. Solche überheblichen, zugleich belehrend-spöttischen Randbemerkungen mußte sich beispielsweise einer der engsten Mitarbeiter Bormanns, der Leiter der Abteilung II, Friedrichs, im Dezember 1939 gefallen lassen: Als Friedrichs Bormann eine Ausarbeitung vorlegte, fügte dieser nicht nur der Überschrift "Vorlage" den Relativsatz "der jede Übersichtlichkeit für StdF mangelt" hinzu, sondern versah obendrein einen hier enthaltenen Personalvorschlag mit der Bemerkung: "Denselben Vorschlag bei Ablehnung lOx zu machen, erscheint wirklich zwecklos,"755 Auch der Leiter der Abteilung I der PKzl., Winkler, mußte solche hart formulierte Kritik über sich ergehen lassen. Anlaß war in diesem Falle eine Banalität: Es ging um die Beschaffung von Bett- und Tischwäsche für verschiedene Gebäude der PKzl. Bormann versah dieses Schreiben zum Teil bis zum äußersten Seitenrand mit einer Reihe wütender Kommentare: "Wenn I auf Draht wäre, wenn dort die notwendigen vorausdenkenden u. vorausschauenden Köpfe säßen, dürften irgendwelche Material-Schwierigkeiten nicht bestehen, weil entsprechend rechtzeitig vorgesorgt wäre. Die notwendigen überlegenen kaufmännisch-praktisch veranlagten Köpfe sind leider bei I bisher nicht vorhanden. Dort wird nur nach Schema Fund ohne jede Überlegung abgerechnet... Bei I (Geschäftsführung) befinden sich keine brauchbaren Sachbearbeiter für derartige Angelegenheiten, sondern offenbar nur Buchhalter kleinsten Formats."756 Die sich anschließende Überprüfung des Vorgangs weitete sich in den folgenden Wochen zu einer Affäre aus, die nach Bormanns Ansicht grundlegende Mängel in der Abteilung I der PKzl. offenbarte und schließlich zur Entlassung Winklers führte. Das siebenseitige Kündigungsschreiben 757 , das Winkler noch im Juli 1943 durch den Leiter der PKzl. erhielt, diente gleichzeitig dazu, von Winkler angeführte Rechtfertigungsversuche Punkt für Punkt 753 754 755 756 757
Vgl. hierzu Speer. Erinnerungen. S. 266 und Christa Schroeder. a.a.O., S. 31 f. Alfred Rosenberg, Letzte Aufzeichnungen. Ideale und Idole der nationalsozialistischen Revolution, Göttingen 1955. 207f; Speer, Erinnerungen, S. 101; Kempka. a.a.O., S. 42f; Linge. a.a.O., S. 137. BA.NS 6/799. 2.12.39. BA.NS 6/485. 14.7.43. Ebenda, 28.7.43.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
zurückzuweisen. Die Ausführlichkeit, in der Bormann auf die Fehlleistungen seines Mitarbeiters einging, die unnachgiebige Art und Weise, in der er seine Entschuldigungen zerpflückte, und die außerordentliche Schärfe, mit der er die aufgetretenen Mängel auf die Inkompetenz Winklers zurückführte, zeigen exemplarisch die Detailbesessenheit Bormanns sowie seine schonungslosen Umgangsformen, die sich denn auch in den Erinnerungen seiner Mitarbeiter als vorherrschendes Merkmal ihres ehemaligen Chefs eingeprägt haben. Winklers Verhalten zeige deutlich, so Bormann, daß er seinen "Aufgabenbereich einfach nicht zu übersehen" vermöge. Er sei seinen Obliegenheiten, so Bormanns mehrfach wiederholte Wertung, nicht gewachsen und "habe einfach die Übersicht" verloren. Sein "Versagen" habe ihn zu der Auffassung geführt, daß "eine selbständige Tätigkeit nichts für Sie ist". Er wolle ihm zwar "weder den guten Willen noch einen sehr großen Fleiß" absprechen, um dann aber in seinem abschließenden Satz zu dem vernichtenden Urteil zu kommen: "Damit allein sind die Aufgaben, die der Geschäftsführung gestellt sind, nicht zu meistern." Offensichtlich im unmittelbaren Anschluß diktierte Bormann ein weiteres Schreiben758, in dem er eine Vorlage Winklers dazu benutzte, noch einmal "beispielhaft an einem Einzelvorgang" in aller Ausführlichkeit den Beweis anzutreten, daß "Sie sich nicht zur Übernahme einer selbständigen Tätigkeit" eignen. Aber auch außerhalb seines unmittelbaren Dienstbereiches zeichnete sich Bormanns Vorgehen zum Teil durch einen äußerst aggressiven Stil aus, der - wie die folgenden Beispiele belegen - die offene Drohung mit KZ-Haft oder Todesstrafe beinhalten konnte. So beanstandete Bormann etwa in einem Schreiben759 an den Reichsjustizminister vom Februar 1941 das Verhalten eines Amtsrichters, der nachhaltig darauf bestanden hatte, daß das Original eines - in Form eines Abschiedsbriefes an die Eltern gehaltenen - Testaments eines gefallenen Piloten an das zuständige Nachlaßgericht abgeliefert werde. Bormann kündigte in seinem Schreiben an, den Namen des Richters festzustellen und ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Wegen seiner "Herzensroheit" gehöre er "nicht an ein Amtsgericht, sondern an einen ganz anderen Platz". Als nach dem 20. Juli 1944 interministerielle Beratungen zur Durchführung eines Führererlasses stattfanden, der vorsah, "politische" Straftaten von Angehörigen der Wehrmacht, der Waffen-SS und der Polizei künftig an den Volksgerichtshofbzw, an die Sondergerichte zu überweisen, glaubte Bormann beim Verhandlungsführer der Wehrmacht eine Verschleppungstaktik feststellen zu können. In einer Aktennotiz für die PKzI. äußerte er seine Auffassung, man habe "zu oft die Erfahrung gemacht, daß Generäle oder andere Offiziere die Straftaten bagatellisierten, beschönigten und mit den Augen des Kameraden sehen". Gerade die Ereignisse des 20. Juli hätten aber gezeigt, "wie notwendig der Führererlaß ist. denn keiner der Vorgesetzten oder Kameraden hat Anzeige erstattet, sondern alle schwiegen, und zwar zum Teil aus der sogenannten Kameradentreue heraus". Der Verhandlungsführer der Wehrmacht habe daher "nicht den geringsten Grund, sich aufs hohe Roß zu setzen, sondern solle eher an seinen Kollegen, den Heeresrichter Dr. Sack" denken, der bekanntlich "verhaftet und erhängt" worden sei.760 758 759 760
Ebenda, 28.7.43. 35716f(=BA, R 22/749), 22.2.41. 54897t" (=BA. R 22/4696). 14.10.44. - Der ehemalige Oberste Hccresrichter Dr. Karl Sack, am 8.9.44 wegen seiner Beteiligung am Unternehmen vom 20. Juli verhaftet, war zu diesem Zeitpunkt noch am Leben: er wurde am 9. April 1945 erhängl (Hermann Busch. Heeresrichtcr Dr. Karl Sack im Widerstand. München 1967).
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Bormanns Rolle innerhalb des NS-Herrschaftssystems
Sosehr die oben zitierten Äußerungen auch das in der Memoiren-Literatur vorherrschende Bild eines skrupellosen Machtmenschen bestätigen mögen, so besteht doch andererseits die Gefahr, Bormanns Persönlichkeit durch eine bloße Aneinanderreihung solcher und ähnlicher Äußerungen karikaturhaft zu überzeichnen. Man muß sich vor Augen halten, daß die existierenden Vorstellungen über Bormann und seine Rolle im "Dritten Reich" nicht auf der wirklich umfassenden Analyse seiner schriftlichen Hinterlassenschaft beruhen, sondern im wesentlichen auf den bereits erwähnten Erinnerungen aus seiner bzw. Hitlers unmittelbarer Umgebung, die häufig durch journalistische Nachkriegsbearbeitungen auf eingängige Charakterisierungen hin zugespitzt wurden. Hinzu kommt der an Selbsttäuschung grenzende Versuch führender Nationalsozialisten, von ihnen wahrgenommene Fehlentwicklungen in der Führungsspitze einseitig auf den unheilvollen Einfluß Bormanns zurückzuführen. 761 Zusammen mit den bekannten Informationen über sein Privatleben, die ihn als trinkfesten Weiberhelden762 ausweisen, entstand so das Bild einer monströsen Figur, eines primitiven, machtgierigen "Sekretärs", der durch zähe Kleinarbeit schließlich eine außerordentliche Machtstellung erreicht habe. "Der Mann, der Hitler beherrschte"763, der "Mächtigste, der am wenigsten Bekannte und der Geheimnisvollste aller Naziführer" 764 lauten die auf diese Art und Weise zustandegekommenen Charakterisierungen. Mit der im Rahmen des Projekts "Akten der Partei-Kanzlei" vorgelegten Sammlung einiger tausend Schreiben, Aktenvermerke und Notizen Bormanns besteht nun die Möglichkeit, dieses zu holzschnittartige Bild zu überprüfen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Bormann aufgrund seiner besonderen Stellung in der unmittelbaren Umgebung Hitlers vielfältige Chancen hatte, politischen Einfluß auszuüben: Durch Auswahl von Informationen, durch die Kontrolle des Zugangs zum "Führer", durch die Weiterleitung von "Führeraufträgen" und nicht zuletzt durch im täglichen Umgang unauffällig gestreute Intrigen ergaben sich zahlreiche Möglichkeiten, Hitlers Wahrnehmungsfähigkeit für bestimmte Themen zu regulieren und den jeweiligen Status der einzelnen Mitglieder der NS-Führungsclique - und damit den Stellenwert der von ihnen betriebenen Politik - zu beeinflussen. Gleichzeitig verfügte er mit der PKzl. über einen 761
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Hans Frank, Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit auf Grund eigener Erlebnisse und Erkenntnisse, München 1953, S. 167: Speer. Erinnerungen. S. 266: "... de facto führte Bormann die inneren Geschäfte des Reiches": der ehemalige Gauleiter von Augsburg spricht von einer "Machttülle", die "ins Uferlose" ging, von einem "Machthunger, der kaum /u stillen war" (Karl Wahl."... es ist das deutsche Her/". Erlebnisse und Erkenntnisse eines ehemaligen Gauleiters. Augsburg 1954. S. 146ff). - Zu weiteren Urteilen vgl. Rebentisch. Führerstaat. S. 83. Siehe hierzu vor allem den bekannten Briefwechsel zwischen Bormann und seiner Frau über eine "Ehe zu dritt": Bonmann Letters, Gerda Bomiann to Martin Bormann, 27. l .44. MB an GB. 21.1.44. Gerda to Martin, 24.1.44, u.a. So der Untertitel der Arbeit von Lang. a.a.O.. der trot/ solcher einseitiger Akzentuierungen bisher kenntnisreichsten Bormann-Biographie. - Auch Schmier, a.a.O., übertreibt, wie in der Einleitung dieser Arbeit kritisiert, den Machtzugewinn Bormanns seit 1941 und überzeichnet die von ihm gegen Ende des Krieges erreichte Position. Es gelingt ihm in dem zentralen Kapitel "Bormann, The Party and Total War" auch nicht ansatzweise, die Rolle Bormann herauszuarbeiten: er bleibt im Grunde bei einer allgemeinen Darstellung der NS-Führungsclique stehen. Wie stark seine Arbeit durch den zum Teil eklatanten Mangel an Quellen beeinträchtigt wurde, wird besonders zum Auftakt dieses Kapitels deutlich, in dem Schmier auf drei/ehn Seiten (240-252) versucht, die Position Borrnanns fast ausschließlich aus den veröffentlichten Teilen der Goebbels-Tagebücher sowie aus anderen Goebbels-Quellen zu rekonstruieren. U.R. Trevor-Roper. Martin Borman in: Der Monat 6 11 (1954). S. 168-176, S. 168.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
Apparat, der in einer für das "Dritte Reich" einzigartigen Weise Querschnittaufgaben wahrnahm, also sowohl im Partei- wie im Staatsbereich kontrollierend und intervenierend tätig war. Diese Kombination von Führernähe und Omnipräsenz innerhalb des bürokratischen Systems machten die Besonderheit der Stellung Bormanns aus. Angesichts dieser vielfältigen Möglichkeiten stellt sich die Frage, ob Bormann solche Chancen nutzte, um eine durchgängige politische Linie zu verfolgen, ob und inwieweit er selbst gestaltend in die Politik des "Dritten Reiches" eingriff. Bormann war aufgrund seines begrenzten intellektuellen Zuschnitts kaum in der Lage, eigenständige politische Konzeptionen zu entwickeln, hatte keine eigene Hausmacht in der Partei und war zudem unfähig, sich in der Öffentlichkeit darzustellen. Insbesondere fehlte ihm die innerhalb der NS-Bewegung so wichtige Eignung zum Redner.76S Neben solchen persönlichen Merkmalen ist aber vor allem entscheidend, daß Bormann seine Stellung letztlich aus der Führer-Allmacht ableitete und ihre Ausgestaltung wesentlich von seiner persönlichen Beziehung zu Hitler abhing. Bormann, der sich seiner eigenen Schwächen und Fähigkeiten wohl bewußt war, hatte daher überhaupt keine Chance, mit eigenständigen oder gar abweichenden politischen Vorstellungen hervorzutreten, sondern er konnte in seiner Funktion als Bindeglied zwischen "Führer" und bürokratischem Apparat nur bereits vorhandene Tendenzen aufnehmen und allenfalls verstärken. Allerdings war auch diese Rolle auf bestimmte Bereiche beschränkt. Seinem Zugriff weitgehend entzogen waren diejenigen Aufgaben oder Aufgabenkomplexe, die - entsprechend dem von Hitler vertretenen personalistischen Prinzip - durch Mitglieder der NS-Fuhrungsclique repräsentiert wurden, die das Vertrauen des "Führers" genossen und sich in ihrem Aufgabenbereich uneingeschränkt auf seine Autorität berufen konnten. Dies waren in den Jahren seit 1938 nur für diese Zeit ist die Frage nach einer zentralen Rolle Bormanns relevant - insbesondere der durch Goring, Todt und Speer repräsentierte Rüstungsbereich, der von Himmler und Heydrich vertretene SS- und Polizeiapparat, die von Ribbentrop verantwortete Außenpolitik sowie - mit gewissen Einschränkungen in bestimmten Phasen - der von Goebbels geführte Propagandapparat. Auch der militärische Bereich, in dem Hitler selbst die zentralen Funktionen übernahm, blieb - bis auf den Aspekt der "Menschenführung der Wehrmacht" - dem Zugriff Bormanns entzogen.766 Im Zentrum seines Interesses standen hingegen jene "innenpolitischen" Themen, für die er einerseits wegen ihres hohen politisch-ideologischen Gehalts das ausgeprägte Interesse Hitlers voraussetzen konnte, die andererseits aber nicht durch umfassenden Aufträge Hitlers an bestimmte Personen seines Vertrauens abgedeckt waren, so daß er sich als Übermittler des "Führerwillens" einschalten konnte; insbesondere handelte es sich dabei um solche Gebiete, die den Partei- und Staatsbereich gleichermaßen betrafen. Drei Schwerpunkte lassen sich dabei deutlich erkennen: l. Der unter dem Stichwort "nationalsozialistische Menschenführung" geführte vielschichtige Komplex der Kontrolle und Durchdringung des Staates durch die Partei, der insbesondere die Protektion politisch "bewährter" Beamter, die Interessenwahrnehmung der Partei 765
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Diese mangelnden kommunikativen Fähigkeiten Bormanns veranlaßten etwa Goebbels, der sich in einem Tagebuch-Eintrag vom Mär?. 1943 über die "et was bürokratische und verwaltungsmäßige Führung der Partei durch Bormann" ärgerte, zu folgender Charakterisierung: "Er hat sich immer nur in der Verwaltung betätigt und bringt deshalb für die eigentlichen Führungsaufgaben nicht das richtige Organ mit." Goebbels Tagebücher. Aus den Jahren 1942-43. Mit anderen Dokumenten hg. v. Louis P. Lochner, Zürich 1948. 6.3.43. Zur Bewertung der Position Bormanns vgl. insbesondere auch Rebentisch, Fuhrerstaat. S. 447.
3. Organisatorische Entwicklung der PKzI.
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in der staatlichen Gesetzgebung und den allgemeinen Kampf gegen die staatliche Bürokratie und die noch rudimentär vorhandenen rechtsstaatlichen Bezirke beinhaltete. 2. Die gesamte Bevölkerungs- und Rassenpolitik, wobei das antisemitische Motiv bei ihm unbedingt im Vordergrund stand. 3. Der Versuch, den Einfluß der Kirchen in allen Lebensgebieten auszuschalten. An anderer Stelle wird die inhaltliche Position der PKzl. in diesen Politikfeldern ausführlicher zu charakterisieren sein.767 Bei diesen drei Themenkomplexen handelte es sich um Kembereiche nationalsozialistischer Politik. In der abgeschlossenen Atmosphäre der unmittelbaren Führerumgebung gewannen diese Themen angesichts der wachsenden Schwierigkeiten des Regimes im Krieg zunehmend als nationalsozialistische Zukunftsvisionen an Gewicht. Bormanns Funktion innerhalb des Herrschaftssystems scheint demnach vor allem darin bestanden zu haben, solche utopischen Vorstellungen auf ausgewählten innenpolitischen Sektoren in direkte bürokratische Aktionen umzusetzen. Die Frage, ob Bormann hierbei lediglich als ausführendes Organ Hitlers handelte oder ob sich hinter der Maske des sich unterwürfig gebenden Sekretärs der eigentliche Antreiber zu radikalen Taten verbarg, kann wegen des schlecht dokumentierten Entscheidungsprozesses in der unmittelbaren Führerumgebung und angesichts des Bemühens Bormanns, eine absolute Identität zwischen seinen und Hitlers Vorstellungen herzustellen, kaum noch beantwortet werden; die Frage läßt sich allerdings eingrenzen. Bormann konnte aufgrund seiner begrenzten Position nur in bestimmten Politikfeldern aktiv handeln, und er konnte dies nur in einer Art und Weise tun, die sich mit belegbaren Intentionen Hitlers in Einklang bringen ließ. Durch seinen starken Einfluß auf die an den "Führer" herangetragenen und in seinem Namen herausgehenden Informationen sowie durch die Präsenz seiner Dienststelle in nahezu allen Zweigen des Staats- und Partciapparates hatte er allerdings die Chance, in der Vorstellungswelt Hitlers vorhandene Tendenzen in ihren politischen Auswirkungen erheblich zu verstärken.
3. Organisatorische Entwicklung der PKzI. Die bisherige Organisation der Dienststelle blieb auch unter der neuen Bezeichnung Partei-Kanzlei weitgehend erhalten: Nicht nur blieb die Einteilung in drei Abteilungen, für interne, Staats- und Parteiangelegenheiten, bestehen, auch unterhalb dieser Ebene kam es zu keinen spektakulären Veränderungen. In der unmittelbaren Umgebung Bormanns und in der Leitung der Abteilung I tauchen eine Reihe neuer Namen auf, ohne daß über deren Träger nähere Auskünfte vorliegen: So wurde die Position des Persönlichen Referenten Bormanns im Laufe des Jahres 1943 mit Hans Müller neubesetzt; dem 1943 geschaßten Leiter der Abteilung I, Winkler, folgte zunächst Alfons Zeller, und dann Fritz Jensen.768 767 768
Siehe Kap. V l l l dieser Arbeit. Zu diesen Veränderungen s. etwa BA. NS 6/138. Telefon-Verzeichnis v. 20.1.45. sowie NS 6/451. Organisatorische Gliederung der PKzI.. undatiert, ca. 1944.
180*
VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
Geschäftsverteilungspläne 769 der Abteilung II von 1942 bzw. 1944 zeigen eine Einteilung in insgesamt vier bzw. fünf "Gruppen", die im Schriftverkehr auch als "Hauptämter" bezeichnet wurden. Dies entsprach der seit etwa 1938 bestehenden Einteilung, wobei jetzt allerdings die ehemalige Gruppe D (Beschwerden) in II A eingegliedert und die früher selbständige Abteilung für Mobilmachungsangelegenheiten seit Ende 1942 als Gruppe II M in die Abteilung integriert worden war. II M unterstand ab März 1944 dem am 18. Oktober 1910 geborenen Kurt Beier770, einem seit 1931 hauptberuflich tätigen Parteifunktionär, der zuletzt als Kreisleiter des Kreises Braunschweig eingesetzt war.
Die Gruppe II A, in erster Linie für organisatorische Grundsatzfragen der Parteiarbeit zuständig, gliederte sich nun in insgesamt sechs Ämter. Als Nachfolger des Gruppenleiters Neuburg, der seit 1943 zu anderen Dienststellen abkommandiert war, um die für die Ernennung zum stellvertretenden Gauleiter notwendigen Erfahrungen zu sammeln, wird ein Pg. Keitel erwähnt. Die Gruppe II B, die seit 1940 in verschiedene selbständig auftretende Arbeitseinheiten zerfallen war, wurde seit 1942 in ihrer ursprünglichen Form wiederhergestellt und bestand nun aus insgesamt fünf Ämtern. Sie war nach wie vor für Berichtswesen, für Propaganda und "Feiergestaltung" sowie für Schulungsfragen zuständig. Neuer Leiter der Gruppe wurde Wilhelm Ritterbusch. Der am 3. Juli 1892 in Werdau (Kreis Torgau) geborene Wilhelm Ritterbusch arbeitete seit Oktober 1941 beim StdF, nachdem sein Name seit Herbst 1939 verschiedentlich im Zusammenhang mit der Suche nach neuen stellvertretenden Gauleitern genannt worden war.771 Parteimitglied seit 1925, fungierte er in der "Kampfzeit" zeitweise als Gauleiter, wurde nach 1933 Kreisleiter der NSDAP und war schließlich in der Verwaltung der besetzten Niederlande tätig, wo ihn der aus dem Stab des StdF hervorgegangene Generalkommissar z.b.V., Schmidt-Münster, hervorragend beurteilte. 772 Nach dem Tod Schmidt-Münsters wurde Ritterbusch Leiter des Arbeitsbereichs Niederlande der NSDAP und Generalkommissar zur besonderen Verwendung. Ritterbuschs Nachfolger in der PKzl. wurde der am 13. Dezember 1899 geborene Adolf Mauer 773 , der als stellvertretender Gauleiter des Gaues Württemberg vorgesehen war und zu diesem Zweck zunächst im Sommer 1943 zur PKzl. kommandiert, im April 1944 in die Dienststelle versetzt wurde. Im März 1945 kehrte er zu seinem Heimatgau zurück.
Die für Personalfragen zuständige Gruppe II P erhielt Anfang 1944 einen neuen Leiter, nachdem der bisherige Personalchef der PKzl., Friedrich Hesseldieck, zum Oberbürgermeister von Bochum ernannt worden war. Heinrich Walkenhorst 774 , am 14. August 1906 in Osnabrück geboren, hatte den Beruf eines Kaufmanns erlernt. Er trat im Dezember 1930 der NSDAP bei und bekleidete in den Jahren 1931 bis 1933 die Ämter eines Kreispropaganda- sowie eines Kreisorganisationsleiters. 1933 und 1934 war er Kreisleiter, Anfang 1935 übernahm er das Amt eines Gauorganisationsleiters im Gau Weser-Ems. 769 770 771 772 773 774
. NS 6/451, 26.3.42 u. 2.2.44. - Zur Organisation der PKzI. s. insbesondere Rebentisch, Führerstaal. S. 441 ff sowie Schmier. a.a.O., S. 57ff. 307 00725-00732 (=BDC. Partei-Correspondence), Personal unterlagen Beier. BA NS 6/799. Aufstellungen v. 17.9.39 u. 2.12.39. 307 04921f (=BDC, Partei-Corrcspondcnce), Personalunterlagen Rittcrbusch; BA. NS 6/799. Vorschlagsliste stellvertretende Gauleiter. 17.7.41. 307 03881 -03883 (=BDC, Partei-Correspondence), Personalunterlagen Mauer. - Zur vorgesehenen Verwendung als stellvertretender Gauleiter: BA, NS 6/799. Vorlage v. 30.11.43. 307 05125 (=BDC, Partei-Correspondence), Personalunterlagen Walkenhorst. Lebenslauf.
3. Organisatorische Entwicklung der PKzl.
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Zu diesen seit längerem bestehenden Arbeitseinheiten der Abteilung II - zu denen noch die Gruppe II W, seit März 1945 unter der Leitung eines Wilhelm Zander775, zu rechnen ist kamen noch einige neue Gruppen hinzu. Unter der Bezeichnung II F wurde nach dem Jahreswechsel 1943/44 in der PKzl. am Aufbau eines Arbeitsstabes für "NS-Führungsfragen" gearbeitet. Der Arbeitsstab war das Gegenstück zu dem innerhalb des OKW aufgrund des Führerbefehls vom 22. Dezember 1943 eingerichteten NS-Führungsstabes und sollte diesen auf verschiedenste Weise unterstützen, um so nationalsozialistisches Gedankengut in die Wehrmacht hineinzutragen. 776 Der Arbeitsstab sollte unter Führung der PKzl. die Tätigkeit verschiedener Parteidienststellen koordinieren und wurde daher relativ klein gehalten; es war von nur fünf ständigen Mitarbeitern die Rede.777 Leiter des Arbeitsstabes wurde der am 24.März 1910 geborene Willi Ruder778. Ursprünglich Gaustabsamtsleiter in der Gauleitung Frankfurt, wurde Ruder Anfang 1943 zunächst auf die Dauer von sechs Monaten zur PKzl. kommandiert. Nachdem diese Kommandierung offensichtlich noch einmal verlängert worden war, erfolgte seine endgültige Versetzung zur PKzl. Anfang 1944.
In der Endphase der PKzl. tritt noch eine Reihe weiterer Gruppen auf: So wurde etwa eine Gruppe II E gebildet, die zum einen für die zuvor in II A bearbeiteten Volkstumsfragen zuständig war, zweitens als Auffangstelle für die in den besetzten Gebieten in Anlehnung an die Parteigaue gebildeten "Arbeitsbereiche" diente und drittens die allgemeine außenpolitische Arbeit der Partei, soweit hiervon noch die Rede sein konnte, in Zusammenarbeit mit dem AA koordinieren sollte. 779 Daneben existierten noch die Gruppe II S für Sonderfragen780 und die Gruppe II V, unter einem Pg. Bofinger, als zentrale Dienststelle für die politischen und organisatorischen Aspekte des Volkssturm-Aufbaus 781 , der seit September 1944 vorgenommen wurde. In der Endphase des Krieges, als sich die PKzl. zunehmend in die Mobilisierung der letzten Reserven zur Verteidigung des Altreichsgebiets einschaltete, wurde schließlich noch eine Gruppe II N ("Nachrichtenwesen") geschaffen. Leiter dieser "Sondergruppe" wurde Karl Schmidt-Römer.782 Auch in der Abteilung III der Dienststelle blieb die Geschäftsverteilung aus früheren Jahren mehr oder weniger erhalten: Die Abteilung gliederte sich in insgesamt sechs Gruppen und zwei Sonderstäbe.7fn Die Leitung der Abteilung übernahm 1941 Klopfer, nachdem Sommer zum Präsidenten des Reichsverwaltungsgerichts ernannt worden war. Die Gruppe III A, im wesentlichen für den Geschäftsbereich des Reichsinnenministers verantwortlich, übernahm 1941 Edinger Ancker als Nachfolger Gerhard Klopfers; die Leitung von III B, für alle Fragen des Wirtschafts-, des Verkehrs-, des Arbeits- und des Ernährungsministeriums zuständig, wechselte im Jahre 1943 von Hans Bärmann zu Werner Froh ling784. 775 776 777 778 779 780 781 782 783 784
, NS 6/522, Umlauf v. 10.3.45. Vgl. unten, S. 354 . BA. NS 23/54, Aktenvermerk über ein Gespräch mit Ruder, 19.2.44. 307 04930-04931, 049037 (=BDC, Partci-Correspondence), Personalunterlagen Ruder. BA, NS 6/451. Angaben zur Geschäftsverteilung in der Abteilung II v. 11.4.45. Möglicherweise waren IIE und II S identisch mit den in einem anderen Geschäftsverteilungsplan genannten Sonderreferaten Hund und Fritsch: BA. NS 6/451. Organisatorische Gliederung der Parteikanzlei. Zur Zusammensetzung der Gruppe siehe BA, NS 6/763, Schreiben Friedrichs' an Bormann. 29.9.44. Rundschreiben R 141/45 v. 19.3.45. Undatierter Geschäftsverteilungsplan, vermutlich 1943, in BA, NS 6/451. 103 01041-01043. 10243-10248 (=BA, R 2/4502 u. 18488). Personalunterlagen Fröhling.
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VI. Martin Bormann und die Partei-Kanzlei 1941-1945
Edinger Ancker 785 , geboren am 22. Februar 1909 in Kiel, nach Auskunft der PKzI. "alter Berliner SA-Mann", wurde aus dem Reichsinnenministerium in die PKzl. übernommen und stieg hier bis zum Ministerialrat auf. Werner Fröhling wurde am 27. April 1907 in Allmannshofen (Bayern) geboren. Er studierte zunächst Geschichte und Germanistik, wechselte dann aber zu den Staatswissenschaften, wurde 1933 stellvertretender Gau Wirtschaftsberater im Gau Westfalen-Nord und arbeitete nebenher als ehrenamtlicher Mitarbeiter beim Reichstreuhänder der Arbeit für Westfalen. 1934 wurde er von dieser Dienststelle zunächst als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, dann als Ständiger Vertreter für das Wirtschaftsgebiet Westfalen eingestellt. 1938 übernahm er die gleiche Aufgabe für Schlesien. Anfang 1939 wechselte er zum StdF. wo den Rang eines Ministerialrats erreichte. Fröhling hatte vor 1933 der SA angehört und trat erst nach der Machtergreifung der NSDAP bei.
Ill C, die für das Reichsjustizministerium zuständige Gruppe, wurde 1944, nachdem ihr bisheriger Leiter Herbert Klemm als Staatssekretär ins Justizministerium gewechselt hatte, durch einen Pg. Alfred Hopf übernommen. Die Leitung der Gruppe III D, in der alle Kirchenfragen sowie alle Erziehungs-, Bildungs-, und Jugendangelegenheiten bearbeitet wurden, wechselte 1942 von Ludwig Wemmer zu Kurt Krüger. Der am 13. Oktober 1906 in Flensburg geborene Kurt Krüger786 war zunächst im Danziger Justizdienst tätig und wurde 1935 in das Reichserziehungsministerium übernommen. Nach dem "Anschluß" Österreichs wurde er offensichtlich zeitweilig nach Wien abgeordnet, wo er sich mit Kirchenfragen beschäftigte. 1940 wechselte er zum StdF, wo er im gleichen Jahr zum Ministerialrat ernannt wurde. Krüger war bereits seit 1925 Mitglied der NSDAP.
Nach der Ernennung Bormanns zum Leiter der PKzl. kam es zu einem neuen Arrangement über die Mitwirkung des Finanzsachverständigen des StdF und Staatssekretärs im Reichsfinanzministerium, Fritz Reinhardt, an den Arbeiten der Dienststelle. Innerhalb der PKzl. wurde eine Gruppe "Öffentliche Finanzen" (III E) unter Leitung des Oberregierungsrats Herbert Gündel, des Persönlichen Referenten Reinhardts, gebildet. Gündel sollte nur zeitweise in München arbeiten und die laufenden Geschäfte dort dem Regierungsrat Brack überlassen, der aus dem Reichsfinanzministerium an die PKzl. abgeordnet wurde.787 Hans Brack, geboren am 2. April 1907 in Gießen, wurde nach Jurastudium und Referendariat im Februar 1935 in den Dienst der Reichsfinanzverwaltung übernommen. Im November 1938 zum Regierungsrat befördert, tat er seit Mai 1939 im Reichsfinanzministerium Dienst. Seine Parteimitgliedschaft datierte von Mai 1937, seit Juli 1933 gehörte er der SA an.788
Daneben lassen sich in der zweiten Kriegshälfte noch zwei weitere Gruppen nachweisen: III V fungierte unter Leitung eines Justus Beyer als Verbindungsstelle zum Reichssicherheitshauptamt; III S, von einem Erwin Knöpfel geleitet, war für "Sonderaufträge" zuständig. Während des Krieges wurde der Personalbestand der PKzl. trotz der im Staats- und Parteiapparat unternommenen Verwaltungsvereinfachungen, Stillegungen und Auskämmaktionen noch einmal erheblich vergrößert. Während ein Telefonverzeichnis des StdF, das offensichtlich vom April 1941 stammt, 415 Namen aufwics 789 , enthält ein Anschriftenver785 786 787 788 789
103 01044-01047/1 (=BA, R 2/4502), Personalunterlagen Ancker. 103 01054-01057, 01882-01885, 01889, 05361/8-11 (=BA. R 2/4502, 4993. 11688). Personalunterlagen Krüger. Nachrichten des Reichsf'inanzministeriums, 9.1.42; B A, NS 1/280, Vermerk über einen Besuch Gündels beim Reichsschatzmeister. 7.1.42. 307 1099-1101 (=BDC. Partei-Correspondnce). Personalunterlagen Brack. BA. NS 6/149. Feinsprechverzeichnis, vermutlich April 1941.
3. Organisatorische Entwicklung der PKzl.
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zeichnis der PKzl. vom Januar 1944 871 Mitarbeiter, von denen allerdings 252 bei der Wehrmacht dienten oder zu anderen Dienststellen abkommandiert waren.790
790
BA. NS6/I95.
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V I I . Erweiterte Kompetenzen der Dienststelle während des Zweiten Weltkriegs
VII. Erweiterte Kompetenzen der Dienststelle während des Zweiten Weltkriegs Im Zweiten Weltkrieg wuchsen der NSDAP zahlreiche neue Aufgaben an der "inneren Front", also auf dem Gebiet der Betreuung, der Kontrolle und der Mobilisierung der Bevölkerung zu. Durch die unmittelbar nach Kriegsbeginn erfolgende Ernennung der Gauleiter zu Reichsverteidigungskommissaren, die den Wehrkreisbefehlshabern zur Koordinierung der zivilen Verwaltung zugeordnet wurden, war im Ansatz eine neue Mittelinstanz in der staatlichen Verwaltung geschaffen. 791 Diese Position wurde während des Krieges schrittweise ausgebaut, so daß schließlich eine "Verschränkung von innerer Verwaltung und Gauapparat" eintrat.792 Die Partei griff aber nicht nur verstärkt in den staatlichen Bereich ein, sondern übernahm zahlreiche kriegstypische Aufgaben, wie etwa die Hilfeleistung nach Bombenangriffen, die Versorgung und Unterbringung Obdachloser, die Kinderlandverschickung, die Betreuung Volksdeutscher "Rückkehrer", die Verteilung von Bezugsscheinen, die Betreuung von Verwundeten in Wehrmachtlazaretten oder die Sammlung kriegswichtiger Materialien. Nicht zuletzt nahm aber die vielfältige propagandistische Kleinarbeit, die der Verbesserung der "Stimmung" dienen sollte, den Parteiapparat in Anspruch.793 Diese veränderte Aufgabenstellung der Partei hatte zur Folge, daß die Dienststelle StdF bzw. PKzl., die bisher vor allem durch Kontroll- und Interventionsmaßnahmen für die Durchsetzung nationalsozialistischer Grundsätze innerhalb des staatlichen Bereichs gesorgt hatte, sich zunehmend direkt in die Vorbereitung und Durchführung komplexer Kriegsmaßnahmen einschaltete und in wachsendem Maße exekutive Aufgaben übernahm.
1. Freimachungen an der deutsch-französischen Grenze 1939/40 Bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn wurde die Dienststelle in eine der organisatorisch aufwendigsten Kriegsmaßnahmen des "Dritten Reiches" eingeschaltet. Unmittelbar nach Kriegsbeginn war die deutsche Führung dazu übergegangen, die an der deutsch-französischen Grenze wohnende Bevölkerung zu evakuieren und bewegliche Güter aus diesem Raum ins Reichsinnere abzutransportieren. 794 War der zu diesem Zweck durch den Reichs791
792
793
794
Mit der "Verordnung iiberdie Bestellung der Reichsverteidigungskommissare" v. I.September I939(RGB1. 1939 I. S. 1570) wurden Gauleiter, die bereits Staatsämtcr mnnehatten (preußische Oberpräsidenten, die Reichsstatlhaller Sachsen, Württemberg, Thüringen, Hamburg, Anhalt u. Braunschweig, Hessen sowie der Bayerische Innenminister) zu Reichsverteidigungskommissaren bestellt. Hierzu ausführlich Rebentisch, Führerstaat. S. I32ff sowie Karl Teppc, Der Rcichsverteidigungskommissar. Organisation und Praxis in Westfalen, in: Verwaltung contra Menschenführung, S. 278-301. Rcbentisch. Führerstaat, S 281. Grundlegend für die Stellung der Gauleiter in der zweiten Kriegshälfte war die "Verordnung über die Reichsverteidigungskommissare und die Vereinheitlichung der Winschafisverwaltung" v. 16.11.42 (RGBI. 1942 I. S. 649), durch die alle Gauleiter qua Amt zu Reichsverteidigungskommissaren bestellt wurden. Siehe hierzu die Auflistung in dem von Anfang Oktober 1944 stammenden Entwurf einer in Goebbels' Umgebung angefertigten Pressemitteilung (10111060-1 1071 ) oder die in den Akten der Reichspropagandaleitung vorhandene Abschrift eines wohl Ende 1942 von einem Blockwart verfaßten Briefes, in dem dieser sein "Packeseldascin" schildert (60001 f 45
946 947 948 949 950
103 22526 (=ebenda). Reinhardt antwortete am 23.12. (103 22527) und wies darauf hin, daß das Gesetz zunächst zurückgestellt werde. 103 22528. Schreiben v. 2.3.38: s.a. 103 22530. weitere Anfrage v. 23.4.38 (^ebenda). Der "Kurswechsel" in der staatlichen Judenpolitik Ende 1937 wird vor allem von Genschel.a.a.O., S. 144ff betont. Barkai. a.a.O.. S. 128ff. Hierzu: Der Judenpogrom 1938. Von der "Reichskristallnacht" zum Volkermord. Mit Beitr. v. Uwe Dietrich Adam u.a.. hg. v. Walter I I . Fehle. Frankfurt am M. 1988. Anordnung A 174/38.
2. Beteiligung an der "Judenpolitik"
*217
StdF an, die "bei den aus der Bevölkerung heraus entstandenen Aktionen gegen die Juden ... hier und dort von Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen zum Schütze des deutschen Volksvermögens" sichergestellten Wertgegenstände nun unverzüglich bei der Gestapo abzuliefern. 951 Die unmittelbar nach dem Pogrom unter der Federführung Görings beschlossenen Maßnahmen gegen jüdisches Vermögen - die Auferlegung einer Kontribution, die Konfiszierung der an die Geschädigten zu zahlenden Versicherungsleistungen und vor allem die nun verfügte Zwangsveräußerung jüdischer Gewerbebetriebe - wurden durch Anordnungen des StdF an die Partei flankiert. Am 12.November verbot der Führer-Stellvertreter alle weiteren ungesetzlichen Maßnahmen; ein gemeinsam von Göring und Heß herausgegebener Erlaß vom 10. Dezember stellte klar, daß jüdische Betriebe nur auf gesetzlicher Grundlage übernommen werden dürften und der von der wirtschaftlichen Ausschaltung der Juden erwartete Profit alleine dem Reich zufalle.952 In einer Anordnung vom l .Dezember versuchte Heß, weitere unkoordinierte und störende Eingriffe in jüdische Firmen abzuwehren. Der allgemeinen Beruhigung galt die Versicherung, die "Judenfrage" werde "einer endgültigen Lösung zugeführt werden". Einstweilen aber seien "alle Maßnahmen gegen Unternehmen, die irgendwie mit der Ausfuhr zu tun haben, zu unterlassen. Auch die Möglichkeit der Ersetzung jüdischer Auslandsvertreter kann nur von Fall zu Fall von den verantwortlichen Dienststellen des Staates entschieden werden .... Auch diese Frage wird später, wenn es ohne Gefährdung der deutschen Wirtschaft möglich sein wird, in Angriff genommen werden."953 Die Ereignisse vom November 1938 waren der Anlaß für eine weitere Welle von antisemitischen Aktivitäten des Stabes Heß. Innerhalb der Partei wurden die bestehenden Kontaktverbote mit Juden weiter ausgedehnt: Durch eine Anordnung vom Dezember 1938 verbot Bormann allen Parteimitgliedern, Juden als Rechtsanwälte zu vertreten.954 Im Februar 1939 stellte Bormann in einem Schreiben an den Reichsinnenminister entrüstet fest, es sei nach den geltenden Bestimmungen noch möglich, Fürsorgeerziehung für jüdische Jugendliche anzuordnen. Dies sei ein "unmöglicher Zustand". Es könne nicht "unsere Aufgabe sein, wie es in dem Reichsjugendwohlfahrtgesetz heißt, Juden zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit zu erziehen"; "kriminelle Elemente" gehörten ins "Gefängnis oder ins Konzentrationslager". Auch könne es "den in den Fürsorgeerziehungsanstalten untergebrachten deutschen Menschen nicht zugemutet werden, mit Juden zusammen in Gemeinschaft zu leben. Bei der destruktiven Natur des Juden wird die Erziehungsarbeit nur unnötigerweise gehemmt."95'' Ebenso wandte sich Bormann Anfang 1939 gegen die Ernennung von "jüdischen Mischlingen zweiten Grades" zu Beamten, auch wenn diese ausnahmsweise mit "Deutschblütigen gleichgestellt" wurden: Bormann vertrat die Ansicht, daß der "Makel" des "jüdischen Bluteinschlags" durch keinen administrativen Akt außer Kraft zu setzen war. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die bereits weitgehend vollzogene Ausgliederung der deutschen Juden aus Wirtschaft und Gesellschaft durch verschiedene 951 952 953 954 955
Anordnung A 189/38 v. 23.11.38. 14400001-00004 (=BA. NS 28/38). mit Begleitschreiben v. 16.12.38; vgl. Adam. a.a.O.. S. 216. Anordnung A 194/38. Anordnung A 204/38 v. 19.12.38: vgl. Adam. a.a.O.. S. 223. 42144 (=BA, R 22/1915). 4.2.39: vgl. Adam. S. 224.
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VIII. Inhaltliche Schwerpunkte in der Arbeit
Maßnahmen zu einer totalen Isolierung weiterentwickelt: Ausgangsbeschränkungen, Beschleunigung der bereits vor Kriegsbeginn begonnenen Umsiedlung der jüdischen Bevölkerung in "Judenhäuser"956 und die Zwangsverpflichtung jüdischer Arbeitsloser zu bestimmten Arbeiten - der entsprechende Erlaß der Arbeitsverwaltung wurde durch den StdF der Partei in einer Anordnung bekanntgegeben957 - kennzeichneten die Situation. Bei der Beratung der Rechtsvorschriften, die die letzten Hinweise auf die frühere Stellung der Juden im deutschen Wirtschaftsleben tilgen sollten, zeigte sich der StdF besonders engagiert. Als im Jahre 1941 eine Verordnung beraten wurde, die vorsah, aus den Firmennamen "entjudeter" Gewerbebetriebe die Namen der ehemaligen jüdischen Inhaber zu entfernen, forderte der StdF, diese Bestimmungen auch auf die vor dem 30. Januar 1933 in nichtjüdischen Besitz übergegangenen Firmen auszudehnen: "Zweck des Entwurfs muß es sein, sämtliche Namen von Juden, die früher Inhaber von Unternehmen waren, aus dem deutschen Geschäftsleben zu entfernen. Wenn auch eine Entjudung der deutschen Wirtschaft erst nach dem 30. Januar 1933 überhaupt in Gange gekommen ist und die Übernahme von jüdischen Betrieben vor diesem Zeitpunkt durch Arier einen üblichen Geschäftsvorgang darstellt, der mit einer Entjudung nicht das geringste zu tun hatte, so stehe ich dennoch auf dem Standpunkt, daß im Endergebnis alle Fälle gesetzlich gleich behandelt werden sollten ,.."958 Desgleichen setzte sich die PKzl. dafür ein, möglichst alle Warenzeichen, die den Namen eines früheren jüdischen Besitzers enthielten, zu entfernen, zeigte sich jedoch schließlich damit einverstanden, diese Forderung auf die Zeit nach Kriegsende zurückzustellen.959 Als die beteiligten Ministerien Anfang 1941 einen Verordnungsentwurf berieten, der den prinzipiellen Ausschluß von Juden aus der Kriegsschädenentschädigung vorsah, schlug der StdF vor, Juden aus dem feindlichen bzw. besetzten Ausland in diese - zunächst nur für deutsche Juden beabsichtigte - Regelung einzubeziehen.960 Radikal war auch der Ansatz des StdF, als er im März 1941 mit der Frage konfrontiert wurde, wie Juden künftig in Arbeitsgerichtsverfahren zu behandeln seien: Er schlug vor, wie der Reichsarbeitsminister dem Justizressort mitteilte, "die Arbeitsgerichtsbarkeit für jüdische Beschäftigte auszuschließen und die Erledigung von Streitigkeiten besonderen Einrichtungen (z.B. Schiedsgerichten) zu übertragen"961. Auch in der letzten Phase der "Judenpolitik", der Vorbereitung und Durchführung der "Endlösung", läßt sich der bereits bekannte Dualismus von zentraler Entscheidungsfindung und Initiative der Parteiorganisation beobachten. Seit Beginn des Krieges hatten verschiedene Gauleitungen sporadisch Abschiebungen von Juden veranlaßt: Im Herbst 1939 waren Juden aus Wien, Berlin und Stettin in die besetzten polnischen Gebiete abtransportiert worden, im Oktober 1940 hatten die Gauleiter der Saarpfalz und Badens "ihre" Juden in den unbesetzten Teil Frankreichs abgeschoben, und im Februar und März 1941 waren auf Drängen des Wiener Gauleiters 5000 Juden deportiert worden. Während im Sommer 1941 956 957 958 959 960 961
Hierzu: Marlis Buchholz, Die hannoverschen Judenhäuser. Zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941 bis 1945, Hildesheim 1987. Anordnung A 32/39 v. 4.2.39 mit Erlali des Präsidenten des Reichsarbeitsamtes v. 20.12.38. 32084f (=BA, R 22/515), 22.2.42. Dagegen wurde der Wunsch des StdF, diese Regelung auch auf Handelsmarken auszudehnen, nicht berücksichtigt. 33625-33631 (=BA. R 22/638), 26.5.41 sowie 33643f (=ebenda), 16.7.41. 48920 (=BA, R 22/2727), 14.4.41. 44773 (R 22/2057), 1.3.41; vgl. Adam. a.a.O., S. 289.
2. Beteiligung an der "Judenpolitik"
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die Massenerschießungen sowjetischer Juden einsetzten und gleichzeitig innerhalb der NS-Führungsspitze die Vorbereitungen für die "Endlösung der Judenfrage" anliefen, wurden die Gauleiter darauf vorbereitet, bei der bevorstehenden Abschiebung der Juden von sich aus aktiv mitzuarbeiten. 962 Zumindest in einem Fall läßt sich aufzeigen. dai3 bei dieser Anleitung der Gauleiter der Leiter der PKzl. eingeschaltet wurde. Es handelt sich dabei um ein Schreiben, das Bormann im Auftrag Hitlers an den Wiener Gauleiter Schirach richtete, nachdem dieser dem "Führer" die Unzufriedenheit in der Stadt, insbesondere die Animositäten zwischen einheimischer Bevölkerung und den hereindrängenden Reichsdeutschen, geschildert hatte. Die Antwort bestand in der Empfehlung an Schirach, die auftretenden sozialen Probleme doch durch eine Dezimierung der "nichtarischen" Bevölkerung zu lösen: "Sie sollten, betonte der Führer, Dire Aufgabe in Wien nicht in der Schaffung neuer Wohnviertel sehen, sondern in der Bereinigung der bestehenden Verhältnisse. Zunächst seien baldigst in Verbindung mit Reichsführer-SS. Himmler alle Juden abzuschieben, anschließend alle Tschechen und sonstigen Fremdvölkischen, die eine einheitliche politische Ausrichtung und Meinungsbildung der Wiener Bevölkerung ungemein erschwerten. Wenn Sie durch derartige Maßnahmen die Einwohnerzahl Wiens auf l ,5 bis l ,4 Millionen herabdrückten, so würde dadurch am besten und am leichtesten und am raschesten die Wohnungsnot in Wien behoben."963 Bei den administrativen Maßnahmen, die die im Oktober 1941 einsetzenden Deportationen flankierten, war die PKzl. ebenfalls aktiv beteiligt; dabei ging es Bormann vor allem darum, noch ausstehende Versorgungsleistungen an die zur Deportation vorgesehenen Menschen nach Möglichkeit auf ein Minimum zu begrenzen. Bei den Beratungen der Durchführung der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz, bei der es um die Verwertung der Vermögenswerte der deportierten Juden ging, brachte Bormann etwa die Frage der Weiterzahlung von Pensionen zur Sprache. Er trat dafür ein, "eine volle Fortgewährung der bisherigen Bezüge auszuschließen". Andererseits wollte er aber auch nicht die Pensionsbezüge ersatzlos streichen, da sonst eine erhebliche Anzahl von Juden fürsorgebedürftig werden und der Reichsvereinigung für Juden - und damit wegen deren beschränkten Mitteln letztlich dem Reich - "zur Last" fallen würde. Bormann schlug daher vor, "die gesetzlichen Vorschriften über das Ruhen der Pensionsbezüge derart anzuwenden, daß den Juden von der Behörde, die bisher die Pensionslasten getragen hat, der Teil ausbezahlt wird, der zur Fristung ihres notwendigen Unterhalts erforderlich ist"964. In die Durchführungsverordnung zur Elften Verordnung wurde daraufhin ein Passus eingeführt, der die Möglichkeit vorsah, nach einer Übergangsregelung von drei Monaten einen "Unterhaltsbeitrag zur Bestreitung des notwendigen Unterhalts" zu gewähren. Bei den Beratungen des Entwurfs einer "Verordnung über die Behandlung von Juden und Zigeunern in der Reichsversicherung" schlug die PKzl. im Oktober 1942 vor, die Höchstunterstützung auf 80 Prozent des niedrigsten Richtsatzes der öffentlichen Fürsorge zu begrenzen. Bis zu dieser Höhe sei eine Unterstützung nur dann zu gewähren, wenn "unter 962 963
964
Siehe dazu die Tagebucheintragungen des Berliner Gauleiters Goebbels v. 20.8.41, 24.9.41 u. 18.11.41, zitiert bei Broszat, Hitler, S. 750. S. 751, S. 752. 101 24418f (=BA, R 43II/1361a). 2.11.41. Die Mitteilung Schirachs ergibt sich aus dem Schreiben. Das Dokument ist gedr. bei Gerhard Bolz, Wohnungspolitik und Judendeportation in Wien 1938-1945. Zur Funktion des Antisemitismus als Ersatz nationalsozialistischer Sozialpolitik, Wien 1975. S. 199f: vgl. auch Textteil, S. 112. 15688-15690 (=BA, R 18/5509). 24.3.41.
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VIII. Inhaltliche Schwerpunkte in der Arbeit
Zugrundelegung der für Juden und Zigeuner gegebenen Arbeitseinsatz- und Arbeitsverdienstmöglichkeiten infolge des Unfalls tatsächlich eine Minderung des Arbeitsverdienstes eintritt"965. Im September 1942 wandte sich Bormann gegen einen Vorschlag des Reichsjustizministers, der die geplanten Rechtsmittelbeschränkungen für Juden nur für die "Rechtsmittel im engeren Sinn" angewendet sehen wollte. Bormann forderte hingegen eine wesentlich weitergehende Ausdehnung der vorgesehenen Beschränkungen: So solle z.B. die Ablehnung eines Richters durch einen Juden für unzulässig erklärt werden.966 Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hatte jedoch die Dienststelle zu erkennen gegeben, daß die nationalsozialistische "Judenpolitik" mittlerweile eine Richtung eingeschlagen habe, die weitere administrative Maßnahmen der Justiz überflüssig machen werde. Im März 1941 hatte der StdF dem Reichsjustizminister eine ausführliche Liste mit einer größeren Anzahl von Fällen übermittelt, in denen "die Durchführung der Zwangsvollstreckung mit nationalsozialistischem Rechtsempfinden nicht im Einklang steht".967 Der Reichsjustizminister überprüfte diese Fälle im einzelnen, um zu der Schlußfolgerung zu kommen, daß "in allen Fällen die bestehenden Vorschriften ausgereicht haben, um den deutschen Schuldner wirksam gegen ungerechtfertigte Ansprüche des Juden in Schutz zu nehmen". Angesichts dieser Sachlage sowie "insbesondere auch mit Rücksicht auf die voraussichtliche weitere Entwicklung der Judenfrage" erübrigte es sich nach Auffassung des Reichsjustizministers, die Gerichte noch einmal mit einer besonderen Anweisung zur Behandlung dieser Fälle zu versehen.968 In einem weiteren Schreiben vom 27. November 1941 trat hierauf die PKzl. ausdrücklich der Auffassung bei, "daß sich vor allem mit Rücksicht auf die bisherige und die voraussichtliche weitere Entwicklung der Judenfrage eine Ergänzung der am 5.1.1939 festgelegten Richtlinien zurzeit erübrigt".969 Im Juli 1943 erkundigte sich die PKzl. bei Lammers nach einer in Aussicht gestellten Anordnung des Reichsinnenministers über die Behandlung der Versorgungsansprüche von im Inland lebenden Juden. "Da seitdem nichts mehr über die Angelegenheit bekannt geworden ist, andererseits von den Gauleitungen immer wieder gemeldet wird, daß noch Pensionen an Juden gezahlt würden, wäre ich Ihnen für eine Mitteilung des derzeitigen Sachstands dankbar." In dem Schreiben wird sodann eine Reihe von ehemaligen jüdischen Beamten namentlich genannt, die nach einer Mitteilung der Gauleitung Baden noch Ruhegehalt bekämen; eine entsprechende Aufstellung der Gauleitung Berlin wurde wenige Tage später nachgereicht.970 Seit 1941 unternahm die PKzl., unterstützt von dem ihr unterstehenden Rassenpolitischen Amt und in gemeinsamer Front mit dem Reichssicherheitshauptamt und anderen radikalen Kräften, erhebliche Anstrengungen, um die "jüdischen Mischlinge" in die Maßnahmen zur "Endlösung der Judenfrage" einzubeziehen.971 Der Angriff richtete sich gegen den Status 965 966 967 968 969 970 971
76135 (=BA, NS 18 alt/842). Vermerk aus der PKzl. für Pg. Tießler, 27.10.42; zitiert aus einem Schreiben der PKzl. vom 23.10.42. 76119f(=BA, NS 18/842), Bormann an den Reichsjustizminister, 9.9.42. 34325-34336 (=BA, R 22/688). 6.3.41. 34352f(=ebenda), 29.10.41. 34369 (^ebenda). 101 05I31f(=BA, R 43 11/449). 17.7.43: 101 05134 (=ebenda). Gauleitung Berlin v. 4.8.43. Zur Politik gegenüber den "Mischlingen" in diesem Zeitraum: Jeremy Noakes, Nazi Policy towards German-Jewish "Mischlinge'·, in: Yearbook Leo Baeck Institute 34 (1989), S. 291-354; John A. S. GrenvilJe,
2. Beteiligung an der "Judenpolitik"
*22I
der "Mischlinge", wie er im Anschluß an die Nürnberger Gesetze durch den Reichsinnenminister (gegen den Widerstand der Partei) durchgesetzt worden war. Nun forderten die Vertreter der NSDAP erneut, die sogenannten "Halbjuden" den' Volljuden" gleichzustellen. Demgegenüber hielt das Reichsinnenministerium, insbesondere sein Judenreferent Lösener, an der von ihm geschaffenen Kategorie der "Mischlinge" fest. Auch die mit "Deutschblütigen" verheirateten Juden sollten nach Ansicht der PKzl. nicht von der "Endlösung" verschont bleiben. In einer Besprechung vom 15.Januar 1941 über Staatsangehörigkeitsfragen der Juden - die weiteren Verhandlungen über diese Frage mündeten schließlich in der Elften Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz schlug der Vertreter des StdF, Reischauer, ebenso wie der Abgesandte des Reichssicherheitshauptamtes vor. auch die in "privilegierten Mischehen" lebenden Juden zu Staatenlosen zu erklären, um auch diese Gruppe in mögliche Deportationen einbeziehen zu können. 972 Die Kampagne gegen die "jüdischen Mischlinge" wurde durch den Leiter des Rassenpolitischen Amtes, Walter Groß, eingeleitet. Am 27.März 1941 hielt Groß auf einer Arbeitstagung des Instituts zur Erforschung der Judenfrage ein Referat, in dem er die herrschende gesetzliche Unterscheidung zwischen Juden und "Halbjuden" als irrelevant ablehnte und die seiner Auffassung nach in der Praxis bereits vorherrschende Gleichstellung von Juden und "Mischlingen ersten Grades" als "rassenpolitisch richtig und notwendig" hervorhob. Es erscheine, so Groß, "durchaus notwendig, diese Halbjuden mit den Juden zusammen, denen sie ja genau so nahestehen wie den Nichtjuden, aus Europa auszuschalten". Bei den "Vierteljuden" solle man sich darauf beschränken, die Vermehrung so gering wie möglich zu halten.97-1 Entsprechend der von Groß vertretenen Linie kam es in den folgenden Monaten zu einem koordinierten Vorgehen zwischen Rassenpolitischem Amt, der PKzl. und dem Reichssicherheitshauptamt. Im August 1941 lud Eichmann zu einer Sitzung ein, auf der - ohne entsprechende Vorankündigung - der als Wortführer auftretende Vertreter der PKzl., Reischauer, die Forderung erhob, in den besetzten Gebieten die Definition der Juden durch Einbeziehung der "Mischlinge" zu erweitern. Außerdem wurde auf dieser Sitzung beschlossen, zur weiteren Klärung der noch offenen Aspekte der "Judenfrage" eine Arbeitsgemeinschaft einzusetzen, die überwiegend aus Vertretern der radikaleren Linie bestand. Lösener, der zu dieser Sitzung zunächst nur einen Mitarbeiter entsandt hatte, fühlte sich durch diese Vorgehenswcise überrumpelt, da er befürchtete, daß auf dem Weg über die besetzten Gebiete der Status der "Mischlinge" im Reichsgebiet aufgeweicht werde.974
972 973 974
Die "Endlösung" und die "Judenmischlinge" im Dritten Reich, in: Das Unrechtsregimc. Internationale Forschung über den Nationalsozialismus. Hg. v. Ursula Büttner. Hamburg 1986. S. 9 1 - 1 2 1 ; Adam, a.a.O.. S.3l6ff. 204 10193 (=AA/PA, Inland H A/B. 121/2). 204 01100-01104 (=ebenda), Besprechung v. 15.1.41; vgl. Adam, S. 295. Walter Groß: Die Rassenpolitischen Vorausetzungen zur Lösung der Judent'rage. München 1943, S. 23 u. S. 28 f. Vgl. Adam. a.a.O.. S. 319f; Noakes. a.a.O.. S. 340. So die aus dem Jahre 1950 stammenden Erinnerungen Löseners: Das Reichsministerium des Innern und die Judengesetzgebung, in: VfZ 9 (6l). S. 262-313. S. 297. S.a. IfZ F 71/3, Handakten Lösener. Aufzeichnung des Lösener-Mitarbeiters Feldscher über die Sitzung vom 13.8. im Hauptamt Sipo sowie Aufzeichnung Löseners hierzu v. 14.8.41.
222*
VIII. Inhaltliche Schwerpunkte in der Arbeit
Wenige Tage später konnte Lösener jedoch, wie aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, über die Reichskanzlei in Erfahrung bringen, daß Hitler die Pläne der Partei, "Halbjuden" Juden gleichzustellen, nicht billige und ausdrücklich auch angeordnet hatte, diesen Standpunkt Groß - wegen seines Referats in Frankfurt - mitzuteilen. 975 Einer in den Handakten Löseners überlieferten Notiz läßt sich jedoch entnehmen, daß trotz dieses angeblichen Verbots Hitlers die radikalen Kräfte weiterhin an ihrer Forderung festhielten. Auf mehreren Besprechungen, die im August und September stattfanden, verfolgten die Vertreter von Reichssicherheitshauptamt, Vierjahresplan und Partei-Kanzlei übereinstimmend die Linie, die "Mischlinge" grundsätzlich mit Juden gleichzusetzen und zu deportieren; man wollte allerdings gewisse Ausnahmefälle, in der Größenordnung von ca. 10.000 Personen, zulassen, die zu sterilisieren seien.976 Diese Forderungen entsprachen den Überlegungen, die mittlerweile in der oben erwähnten "Arbeitsgemeinschaft" angestellt worden waren und durch Groß Anfang Oktober Lammers vorgestellt wurden.977 Auf der am 20. Januar 1942 stattfindenden Wannseekonferenz wurde über das Schicksal der "Mischlinge" weiter verhandelt. Nachdem Heydrich zunächst den anwesenden Parteiund Regierungsvertretern die Maßnahmen zur "Endlösung" bekanntgegeben und die weitere Durchführung mit ihnen koordiniert hatte, bildete die Mischlingsfrage den zweiten großen Themenkomplex der Konferenz, auf der die Partei-Kanzlei durch Klopfer vertreten war. Heydrich entwickelte bei dieser Gelegenheit die gleichen Vorstellungen, wie vor ihm bereits Groß und Reischauer: "Mischlinge ersten Grades" sollten mit Juden "gleichgestellt", d. h. deportiert werden. Ausgenommen waren nur diejenigen, die aus Ehen mit "Deutschblütigen" Kinder besaßen oder besondere Ausnahmegenehmigungen vorlegen konnten. Diese im Reich verbleibenden "Mischlinge" sollten sterilisiert werden. "Mischlinge zweiten Grades" waren grundsätzlich, wiederum von bestimmten Ausnahmen abgesehen, mit "Deutschblütigen" gleichzustellen. Bei "Mischehen" sah Heydrich vor, den jüdischen Partner zu deportieren oder ihn unter Umständen in einem "Altersghetto" unterzubringen. Staatssekretär Stuckart hielt demgegenüber an der vom Reichsinnenministerium vertretenen Linie fest und schlug, da die weitere Differenzierung des Mischlingsbegriffs einen hohen Verwaltungsaufwand erfordere, die Zwangssterilisierung aller "Mischlinge" und die zwangsweise Scheidung der "Mischehen" vor. Zu einer Klärung dieser unterschiedlichen Standpunkte kam es auf der Wannseekonferenz nicht.978 Wenige Tage nach der Wannseekonferenz, am 29.Januar 1942, fand eine weitere Besprechung statt, auf der der "Judenreferent" des Ostministeriums, Wetzel, den Versuch unternahm, für die besetzten Ostgebiete eine Gleichsetzung von "Mischlingen" mit Juden festzuschreiben. Reischauer979 unterstützte diesen Vorstoß im Namen der PKzl. ebenso wie 975 976 977
978 979
Lösener-Erinnerungen (wie Anm. 939), S. 304 (Vermerk v. 18.8.41). IfZ. F 71/3, undatierte Aufzeichnung Löseners. JfZ. Nürnberger Dokumente (ND), NG 978, Aufzeichnung Groß' v. 13.10.41 betr. Besprechung mit Lammers über Mischlingsfrage. Groß wollte also zu diesem Zeitpunkt nicht, wie bei Adam, a.a.O., S. 320 und bei Noakes, a.a.O., S. 341f behauptet, alle "Mischlinge" sterilisieren lassen, sondern nur diejenigen, denen die Gelegenheit geboten wurde, sich für den Verbleib im Reich zu entscheiden; die übrigen waren zu deponieren. AA/PA. Inland Hg/177, gedr. u.a. in: Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation des Holocaust, hg. v. Peter Longerich, München 1989, S. 83ff; vgl. Adam, S. 320ff. 801 00008-00013 (=Centre de Documentation Juive Contemporaine, CXXXIX-43); vgl. Noakes, a.a.O.,
2. Beteiligung an der "Judenpolitik"
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der Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes; beide Dienststellen setzten hier ihre Bemühungen vom August 1941 fort, auf dem Umweg über die besetzten Gebiete den im Reich geltenden Mischlingsstatus anzugreifen. Lösener gab zu bedenken, man habe sich im Reichsgebiet gegen eine solche Gleichstellung vor allem deshalb gewandt, weil man auf diese Weise "dem Juden nur deutsches Blut und Führernaturen zuführen würde"; gerade im "Hinblick auf die Schaffung eines einheitlichen europäischen Judenbegriffes" sei es problematisch, in den besetzten Gebieten eine abweichende Regelung zu treffen. Reischauer erkannte sofort den wunden Punkt dieser Argumentation und erklärte, "daß er schon im Hinblick darauf, daß das fremdvölkische Blut nicht so wertvoll sei wie das deutsche, besondere Gefahren bei einer Gleichstellung der jüdischen Mischlinge l .Grades nicht erblicken könnte". Bereits zuvor hatte Wetzel deutlich gemacht, daß angesichts der bevorstehenden "Endlösung" die von Lösener vorgetragenen Bedenken gegenstandslos geworden seien. Durch die Verordnung über die Bestimmung des Begriffs "Jude" in den besetzten Ostgebieten wurde die geforderte Neuregelung schließlich in Kraft gesetzt. Auf einer weiteren Besprechung980, die am 6. März 1942 auf Referentenebene stattfand, wurde die "Mischlingsfrage" erneut diskutiert. Der Vertreter der Partei-Kanzlei, wiederum Reischauer, drängte darauf, den größten Teil der "Mischlinge ersten Grades" in die Endlösungsmaßnahmen einzubeziehen, also sie zu ermorden: Er machte geltend, "von höchster Stelle" sei "anläßlich der Erörterung von Mischlingsfragen in der Wehrmacht zum Ausdruck gebracht" worden, es sei notwendig, "diese Gruppe auf Juden und Deutsche aufzuteilen"; sie dürfte keinesfalls "als dritte kleine Rasse auf die Dauer am Leben" erhalten werden. Dieser Forderung wäre durch eine allgemeine Zwangssterilisation nicht Rechnung getragen. Statt dessen solle eine einmalige individuelle Überprüfung der "Mischlinge" erfolgen. Es sei zu erwarten, daß anschließend "nur ein relativ kleiner Teil der Mischlinge im Reich verbleiben" werde; da für diese Personengruppe, die zu sterilisieren wäre, die einschränkenden Bestimmungen nicht mehr gelten würden, könne "jede weitere Verwaltungsarbeit in Zukunft entfallen". Außerdem erörterte man auf dieser Besprechung Maßnahmen zur erleichterten Scheidung der sogenannten "Mischehen". Während des Frühjahrs und Sommers 1942 wurden in der Mischlingsfrage keine grundlegenden Entscheidungen getroffen, was nicht zuletzt auf den hinhaltenden Widerstand des Reichsinnen- und des Reichsjustizministers zurückzuführen ist.981 Allerdings wurde im Juni 1942 die Zulassung von "Mischlingen ersten Grades" zum Hochschulstudium auf wenige Ausnahmefälle beschränkt, und im Juli 1942 wurden durch eine von Bormann übermittelte Entscheidung Hitlers praktisch alle "Mischlinge ersten Grades" aus der Wehrmacht ausgeschlossen.982 Im Oktober 1942 ergriff das Reichssicherheitshauptamt erneut die Initiative in der "Mischlingsfrage" und lud zu einer Besprechung983 ein, an der die PKzl.-Mitarbeiter Kap und Raudies teilnahmen. Diskutiert wurde die Sterilisierung der "Mischlinge ersten Grades"; sie sollte auf "freiwilliger" Grundlage erfolgen, d.h. de facto die einzige Alternative zur drohenden Deportation sein. Bei Ehen zwischen "Mischlingen ersten Grades" und "Deutschblütigen" war die Zwangsscheidung (mit den entsprechenden
980 981 982 983
S. 343. 207 00272-00280 (=AA/PA, Inland Hg/177); gedr. in: Robert W. Kempner. Eichmann und Komplizen. Zürich 1961, S. 170ff; Adam, a.a.O., S. 322f; Noakes, a.a.O., S. 343f. Adam, a.a.O., S. 324ff. Vgl. S. 66f dieser Arbeit. 207 00262-00267 (=PA/AA Inland Hg/177); vgl. Noakes, a.a.O., S. 347: Adam. a.a.O.. S. 328.
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VIII. Inhaltliche Schwerpunkte in der Arbeit
Konsequenzen für den dann zur Deportation freigegebenen "Mischling") vorgesehen; auch hier sollte die "freiwillige" Sterilisation als Ausweg angeboten werden. Neue, vereinfachte Sterilisierungsverfahren sollten die massenweise Unfruchtbarmachung erleichtern. Tatsächlich aber kam auch dieses Vorhaben nicht über das Planungsstadium hinaus. Eine grundsätzliche Entscheidung, ob die "Mischlinge" nun wie die übrigen Juden deportiert oder gewaltsam unfruchtbar gemacht werden sollten, kam ebensowenig zustande wie ein Beschluß über die Behandlung der "Mischehen". Der größte Teil der "Mischlinge" und mit "Deutschblütigen" verheirateten Juden konnte auf diese Weise überleben. Wenn sich die PKzl. auch mit ihrer Forderung nach Einbeziehung der "Mischlinge" in die Maßnahmen zur "Endlösung der Judenfrage" nicht durchsetzen könne, so unternahm sie doch vielfältige Anstrengungen, um die Situation der "Mischlinge" in jeder nur denkbaren Weise zu verschlechtern und die auf verschiedenen Lebensgebieten noch ausnahmsweise mögliche Gleichstellung mit "Deutschblütigen" nach Kräften zu verhindern. Innerhalb der Partei war die PKzl. seit Februar 1942 für die Bearbeitung von Anträgen zuständig, die "jüdische Mischlinge" oder mit Juden verheiratete Personen wegen der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen stellten.984 Der restriktive Kurs, den die PKzl. in der Mischlingsfrage steuerte, spiegelt sich in einer Reihe von parteiinternen Anordnungen wider.985 Im April 1944 wurde die Kompetenz der PKzl. in der Mischlingsfrage durch Führererlaß auf die Ausnahmegenehmigungen im staatlichen Bereich ausgedehnt.986 Etwa um die gleiche Zeit entstand in der PKzl. eine umfangreiche Aufzeichnung987, in der Richtlinien entwickelt wurden, die die Parteidienststellen künftig bei ihren Stellungnahmen in Mischlingsangelegenheiten zu beachten hätten. Die Partei, so hieß es in dem Papier, sei grundsätzlich nicht an die geltenden Rassengesetze des Staates gebunden, sondern könne darüber hinausgehen. Bei der Bearbeitung von Anträgen "jüdischer Mischlinge" sei daher äußerst restriktiv vorzugehen; solche Anträge seien keine Gnadenangelegenheiten, jede Befürwortung eines Gesuchs schaffe einen Berufungsfall. Aus der Partei müßten auch "Mischlinge mit nur geringem jüdischen Bluteinschlag" entfernt werden. Zu der Frage der Heirat von Deutschen mit "Mischlingen" finden sich hier folgende Ausführungen: "Die Partei-Kanzlei steht auf dem Standpunkt, Ehen zwischen Deutschblütigen und jüdischen Mischlingen 1. Grades seien grundsätzlich überhaupt nicht mehr zuzulassen ... Bei Anträgen deutschblütiger Soldaten, die als Vorgesetzte im aktiven Wehrdienst Verwendung finden, auf Genehmigung der Ehen mit einem Judenmischling 2. Grades, wird die Stellungnahme der Partei grundsätzlich ablehnend sein müssen." Ein 984 985
986 987
Verfügung V 48/42 v. 20.2.42; vgl. S. 87 dieser Arbeit. Siehe etwa Rundschreiben R 117/43 v. 22.8.43: Bewertung der Erbanlagen von jüdischen Mischlingen 2. Grades bei ihrer politischen Beurteilung durch die Partei; Bekanntgabe B 45/44 v. 28.2.44 betr. Stellungnahmen der NSDAP zur Eheschließung Deutschblütiger mit jüdischen Mischlingen 2. Grades; Verfügung V 48/44 v. 20.2.44 betr. Bearbeitung der Ausnahmegenehmigungen wegen jüdischem oder artfremden Bluteinschlages im Bereich der NSDAP; Anordnung A 16/43 v. 8.3.43 betr. Ehen von Parteimitgliedern mit Volksgenossen, die früher mit Juden verheiratet waren. - Zur parteiinternen Kompetenz der PKzl. bei der Erstellung von Beurteilungen von "Mischlingen" im Wehrmachtbereich s. S. 87f dieser Arbeit. Bekanntgabe B 84/44 v. 24.4.44 mit Wortlaut des Führererlasses v. l .4.44. 107 00382-00427 (=BA. NS 19/199). Die undatierte und nicht gezeichnete Aufzeichnung wurde vom Stab des RFSS unter dem 26.7.44 an das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt mit der Bemerkung weiterversandt, inzwischen sei "in verschiedener Hinsicht die Handhabung schon weiter verschärft worden". Vgl. Noakes. a.a.O.. S. 3.W. der das Schriftstück auf März 1944 datiert.
3. Beteiligung an der "Polenpolitik"
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Parteigenosse, der die Genehmigung zur Ehe mit einem "Mischling" beantrage, "setze sich u.U. schon durch diesen Antrag einer parteigerichtlichen Verfolgung aus, da durch das Verlangen nach der Heirat mit einem Mischling bereits eine derartige rassische Instinktlosigkcit bewiesen werden kann, daß ein weiterer Verbleib in der NSDAP, ausgeschlossen ist". Anträge auf Zulassung von "Mischlingen" zum Wehrdienst, so die Aufzeichnung weiter, seien praktisch sinnlos; nach einer kürzlich ergangenen Entscheidung Hitlers, auch einen hochverdienten Altparteigenossen nicht in die Wehrmacht aufzunehmen, könne "davon ausgegangen werden, daß eine Ausnahmebehandlung von Mischlingen I.Grades heute überhaupt nicht mehr möglich ist". Im Bereich der Wirtschaft seien "jüdische Mischlinge ersten Grades" sowie mit Juden oder "Mischlingen l. Grades" Verheiratete grundsätzlich als "Betriebsführer" unerwünscht; ferner dürften sie nicht als Vorgesetzte gegenüber deutschen, aber auch nicht gegenüber ausländischen Arbeitern auftreten sowie nicht mehr Personalsachbearbeiter sein. Außerdem sollten "Mischlinge ersten Grades" von Handwerksberufen ferngehalten und - wenn sie noch als Geschäftsinhaber fungierten - "gelegentlich der Geschäftsschiießungsaktion nach Möglichkeit ausgemerzt" werden. Ebenso gelte es im Bereich der Kultur, den Einfluß der "Mischlinge" einzudämmen. Bormann setzte seine Bemühungen, die noch vorhandenen Ausnahmeregelungen für "Mischlinge" aufzuheben, konsequent bis zum Ende des "Dritten Reiches" fort. Noch im November 1944 erwirkte er, im Auftrag Hitlers handelnd, ein Rundschreiben der Reichskanzlei, in dem die Obersten Reichsbehörden dazu aufgefordert wurden, Beamte, die "jüdische Mischlinge" oder mit Juden bzw. "Mischlingen" verheiratet waren, aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen.988
3. Beteiligung an der "Polenpolitik" Auch bei der Einflußnahme des Stabes des StdF bzw. der PKzl. auf die nationalsozialistische Politik gegenüber dem besetzten Polen bildete Rassismus das Leitmotiv. Die besetzten polnischen Gebiete galten als Experimentierfeld für die angestrebte "völkische Neuordnung": Durch die "Germanisierung" des unterworfenen Landes sollten die Polen auf den Status von Arbeitssklaven herabgedrückt, ihre nationale Identität und Kultur vernichtet werden.989 Die Chancen der Dienststelle, in die "Polenpolitik" einzugreifen, waren in den in das Reichsgebiet eingegliederten Ostgebieten größer als im Generalgouvernement: Die Partei war beim Aufbau der neuen staatlichen Verwaltungen in den "Reichsgauen" Wartheland und Danzig-Westpreußen aktiv beteiligt; da in diesen Gebieten deutsches Recht eingeführt wurde, hatte die PKzl. außerdem die Möglichkeit, aufgrund ihrer allgemeinen Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren mitzuwirken. In vielen Fällen unterstützte die PKzl. die Politik 988 989
Siehe S. 67 dieser Arbeit. Zur nationalsozialistischen Politik gegenüber Polen: Gerhard Eisenblätter, Grundlinien der Politik des Reiches gegenüber dem Generalgouvernemeni, 1939-1945, MS, Phil. Diss. Frankfurt 1969: Broszat, Polenpolitik; Diemut Majer, "Fremdvölkische" im Dritten Reich. Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, Boppard 1981: Czeslaw Madajcyk. Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945, Berlin (O) 1987.
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V I f l . Inhaltliche Schwerpunkte in der Arbeit
des Gauleiters des Warthelandes, Greiser, der sich durch eine besonders rücksichtslose antipolnische Haltung auszeichnete. Ausgehend von ihrem rassistischen Ansatz verfolgte die Dienststelle in der "Polenpolitik" - ähnlich wie in der Judenverfolgung vor 1941 - vor allem zwei Bestrebungen: die möglichst weitgehende Trennung der Polen von den Deutschen und die Schaffung eines rassistischen Sonderrechts.990 Maßnahmen zur Trennung 991 von Deutschen und Polen wurden in den eingegliederten Ostgebieten in nahezu allen Lebensgebieten eingeführt; sie waren für die polnische Mehrheit mit zahlreichen Diskriminierungen verbunden. Das Interesse der PKzl. an dieser Separierung läßt sich in besonderer Weise bei ihren Anstrengungen verfolgen, die biologische "Vermischung" von Deutschen und Polen zu verhindern. In einer im Juni 1940 im Reichsinnenministerium abgehaltenen Besprechung über die Frage der Eheschließung Deutscher mit "Angehörigen des polnischen und tschechischen Volkstums" brachte der Vertreter des StdF eine Entscheidung Hitlers zur Kenntnis, die durch Bormann Himmler übermittelt worden sei: "Hiernach habe der Führer - etwa im Januar 1940 - angeordnet, daß Ehen Deutscher mit Polen und Ungarn verhindert werden sollten." Im Anschluß an die Besprechung gab der Vorsitzende "im engsten Kreise" Kenntnis von einem Brief Bormanns an Frick, demzufolge Hitler die Weisung gegeben habe, daß "Beamte, die sich mit Polinnen oder Tschechinnen geschlechtlich einlasssen, augenblicklich und ohne Pension aus dem Staatsdienst zu entlassen seien"992. Durch eine Verfügung vom November 1940 machte der StdF Parteiangehörigen zur Auflage, vor einer Eheschließung mit bestimmten "Fremdvölkischen", nämlich Polen, Tschechen und Ungarn, eine Erlaubnis einzuholen. 993 In einer im Mai 1941 im Reichsinnenministerium abgehaltenen Besprechung994 forderte der Vertreter der PKzl., es müsse unter allen Umständen "darauf gedrückt werden, daß Heiraten von Deutschen mit Polen unterbunden werden und daß als Vorbedingung hierfür die Seßhaftmachtung der Polen im Reich nach Kräften verhütet weide". Ein solches allgemeines Eheverbot zwischen Deutschen und Polen war im Wartheland bereits im März 1941 erlassen worden.995 Auch bei dem anderen Hauptpunkt der Besprechung, nämlich der Erörterung der Frage, wie die relativ hohen Geburtenziffern der "polnischen Volksangehörigen früherer polnischer Staatsangehörigkeit" gesenkt werden könnten, beteiligte sich der Vertreter der PKzl. rege an der Diskussion. Im Prinzip erklärte er sich damit einverstanden, daß "zur Abwendung des biologischen Druckes" zur massenweisen Sterilisation übergegangen werde, mußte sich aber darüber belehren lassen, daß dies aus quantitativen Gründen nicht praktikabel sei. Schließlich stimmte der Vertreter der Partei-Kanzlei dem Vorschlag des Vertreters des Reichssicherheitshauptamts zu, eine Beschränkung der Geburten durch Arbeitsverpflichtung bei gleichzeitiger Kasernierung auszuüben; gleichzeitig solle die 990 991 992 993 994 995
Majer. a.a.O., S. 317ff. Majer, a.a.O., S. 358ff. 101 26227-26229