Historische französische Phonologie aus generativer Sicht 9783111372808, 9783484500778


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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Verzeichnis der Abkürzungen
Verzeichnis der Symbole
1. Prinzipien der generativen historischen Phonologie
2. Vom Latein zum Altfranzösischen
3. Altfranzösisch: Die Regeln
4. Altfranzösisch: Primärer Wandel und Umstrukturierung
5. Ausblick auf das Neufranzösische
6. Überblick über die Regeln des Altfranzösischen
7. Übungen
8. Literaturverzeichnis
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Historische französische Phonologie aus generativer Sicht
 9783111372808, 9783484500778

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Romanistische Arbeitshefte

12

Herausgegeben von Gustav Ineichen und Christian Rohrer

Jürgen Klausenburger

Historische französische Phonologie aus generativer Sicht

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1974

ISBN 3-484-50077-8 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1974 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

VII

Verzeichnis der Abkürzungen

IX

Verzeichnis der Symbole

x

1. Prinzipien der generativen historischen Phänologie

1

1.1. Regelveränderungen 1.2. Regelumkehrung 1.3. Regelinsertion 2. Vcm Latein zum Altfranzösischen 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 2.5.

Die lateinischen Matrizen Regelhinzufügungen Grundlegende Ordnungen Ein Fall von Regelumordnung und Verlust? Regelvereinfachung

3. Altfranzösisch: Die Regeln 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5.

Das Oberflächeninventar Alternanzen mit Diphthongen Konsonantische Regeln Die Akzentregel Ordnung der afr. Regeln

4. Altfranzösisch: Primärer Wandel und Umstrukturierung 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6.

Haupt- und Nebenregeln Die afr. Vokale Akzentumstrukturierung Die afr. Konsonanten Opazität und Umstrukturierung Resultate einer generativen Analyse des Altfranzösischen

1 6 13 17 17 19 25 30 33 34 34 35 40 44 47 49 49 51 54 55 57 60

5. Ausblick auf das Neufranzösische

61

6. Uberblick über die Regeln des Altfranzösischen

67

7. Übungen

68

8. Literaturverzeichnis 8.1. Allgemein 8.2. Romanisch und Französisch

69 69 70

VORWORT

Es besteht bestimmt kein Mangel an Handbüchern der Geschichte der frz. Sprache und auch nicht an Untersuchungen der historischen Phonologie des Französischen. Zu den klassischen Arbeiten von Voretzsch, Rheinfelder, Rohlfs, Nyrop, MeyerLübke, van Vfartburg usw. stellen sich in den letzteren Jahren die strukturalistischen Analysen von Martinet, Lausberg, Lüdtke, Weinrich und Ineichen, die sich nicht alle auf das Französische beschränken, sondern diese Sprache im Rahmen der strukturellen Entwicklung der ganzen Romania behandeln. Seit dem Erscheinen der letztgenannten Titel ist in der modernen Linguistik eine neue Theorie zum Zuge gekorrmen, die generative Granmatik. Ofcwahl diese Methode ohne Zweifel sich auf die Synchronie konzentriert, in der Syntax wie in der Phonologie, hat sie sich in letzter Zeit auch mit der Diachronie befaßt. Die einzige, in Buchform erschienene, systerratische generative Studie zur historischen Linguistik, besonders zur diachronischen Phonologie, ist die Arbeit von R.D. King, Historiaal Linguistias and Generative Grammar (1969), die in deutscher Übersetzung (Steffen Stelzer) als Historische Linguistik und generative Granmatik (1971) erschienen ist. W&s das Französische betrifft, haben wir zur Zeit, aus generativer Sicht, nur das synchronisch eingestellte Buch des Neufranzösischen von S.A. Schane, Frenoh Phonology and Morphology (1968). Das vorliegende Arbeitsheft, das das Altfranzösische synchronisch und diachronisch behandelt, hat das Ziel, die Lücke in generativen Studien der historischen franz. Phonologie wenigstens teilweise zu füllen. Uber den Umfang und die Methodologie soll folgendes erklärt werden. Wir haben natürlich nicht vor, eine kaiplette Geschichte der franz. Iautentwicklung zu schreiben und scmit bestehende Arbeiten zu ersetzen. Im Gegenteil, eine gute Kenntnis der wichtigsten Fakten (und aller Hauptbegriffe der modernen Linguistik), die in den gängigen Lehrbüchern gegeben werden, müssen vorausgesetzt werden. Auf diese Weise werden die Prinzipien der generativen Phonologie auf die Probe gestellt. Es muß sich zeigen, ob die phonologischen Umwälzungen van Latein zum Französischen mit Hilfe der generativen Methode besser zu verstehen sind oder ob die neue Methode nur alten Wein in neuen Schläu-

VIII

chen anbietet. Die Präsentierung einer neuen analytischen Methode genügt also nicht; ebenso wichtig ist deren Bewertung. Dieses Arbeitsheft besteht aus fünf Teilen. Im ersten Kapitel werden die wichtigsten Prinzipien der generativen historischen Phonologie theoretisch eingeführt. Das zweite Kapitel präsentiert die Geschichte van Spätlatein zun Altfranzösischen, während die nächsten zwei Teile dann die afr. Synchronie in Hauptzügen beschreiben. Kapitel Fünf bietet einen kurzen Ausblick auf das Neufranzösische. ÖD diese Geschichte durch die generative Theorie wirklich besser verständlich ist, wird wahrscheinlich nicht immer eindeutig zu entscheiden sein. Ctowohl einzelne Probleme mit Bezug auf die Methode besprochen werden, muß die Bewertung im allgemeinen dem Leser und Benütz er nach dem Studiun des ganzen Heftes überlassen sein. An dieser Stelle möchte ich den Herausgebern der "Rcmanistischen Arbeitshefte", besonders Herrn Professor Gustav Ineichen, für ihre kritischen Anmerkungen, durch die Inhalt und Form verbessert wurden, meinen herzlichen Dank aussprechen.

Seattle, Washington August 1974

Jürgen Klausenburger

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN

Sprachen: lt.

lateinisch

Vit.

vulgärlateinisch

gr.

griechisch

afr.

altfranzösisch

nfr.

neufranzösisch

eng.

englisch

dt.

deutsch

Phonemklassen: K

Konsonant

G

Gleitlaut

V

Vokal

N

Nasalkonsonant

Distinktive Merkmale: (die abgekürzt vorkarmen) Obstr

Obstruent

dau

dauernd

eint

anterior

cor

koronal

sth

stinmhaft

nas

nasal

lat

lateral

gsp

gespannt

VERZEICHNIS DER SYMBOLE

[

]

Kennzeichnung phonetischer Einheiten

/

/

Kennzeichnung phonemischer Einheiten

|

|

Kennzeichnlang zugrundeliegender Repräsentationen



"wird realisiert als" (in synchronischen und diachronischen Regelr "in der Umgebung von" Bezeichnung einer Leerstelle für eine Einheit

• x>

Kennzeichnung von Alternativen

y.

(

)

Kennzeichnung fakultativer Einheiten Charakterisierung eines Segments durch distinktive Merkmale Zusanmenfas sende Klammern

$

Nullwert

#

Kennzeichnung der Wörtgrenze oder Pause

+

Kennzeichnung der Morphemgrenze Kennzeichnimg nicht belegbarer Formen

ZUR PHONETISCHEN TRANSKRIPTION Die lt. Laute: vgl. Kapitel 2, 2.1 (Merkmalmatrizen) Die afr. Laute: vgl. Kapitel 4, 4.2 und 4.4 (Merkmalmatrizen)

1.

PRINZIPIEN DER GENERATIVEN HISTORISCHEN PHONOLOGIE

1.1.

Regelveränderungen

Die Laute einer Sprache verändern sich ständig, doch kernt dabei nicht irrmer ein linguistisch relevanter Wandel zustande. Ein Wechsel in der Aussprache kann nur stilistisch wichtig sein und auf die Struktur der Sprache keinen Einfluß haben. Diesen Wandel können wir phonetisch nennen. So hat sich z.B. ein dentales [r] im Altfranzösischen in einen velaren Reibelaut im Neufranzösischen verwandelt. Phonetischer Wandel kann aber auch phonemische Resultate haben. Die Entstehung von neuen Phonemen, oder die Veränderung der Distribution von Phonemen, kann nur durch eine vergleichende Analyse der Synchronien ermittelt werden. Betrachten wir die Entwicklung des lt. A / im Neufranzösischen um den Zusamrenhang von phonemischem und phonetischem Wandel darzustellen. Das lt. A / entwickelte drei phonetische Varianten (Allophone) in leicht zu bestimmender Umgebung, die dann im Neufranzösischen als [k], ts] und [ä] auftreten: (Vgl. Anttila 1972, 61). Umgebungen im Latein Latein 1, w

Neufranzösisch

III Beispiele: I

cor -»• coeur 'Herz' claru(m) •* clair 'klar' quando quand 'wenn'

II

centu(m) -»• cent '100' cervu(m) -*• cerf 'Hirsch' cinere(m) -»• cendre 'Äsche'

III cantare -»• chanter 'singen' carbone (m) -*• charbon 'Kohle' campu(m) •+• champ 'Feld'

Diese Lautwandel sind phonetisch bestürmt und erhellten erst dann eine phonemische Definition, wenn man erkennt, daß im Neufranzösischen die folgenden Minimalpaare entstehen: [kä] [sä]

[Sä]

quand cent champ

2

Dieser Kanmitationstest etabliert /k/, /s/ und /£/ als nfr. Phoneme. Das lt. Phonem /k/ entspricht jetzt diesen drei nfr. Phonemen. Man sieht, daß es sich im einen strukturellen Wandel handelt, strukturell im Sinne der taxoncmischen Phonologie. Die generative historische Linguistik bildet ein Kontinuum mit der synchronischen Theorie. Da die synchronische Theorie die ganze Grairmatik einer Sprache unfaßt, betrachtet man den Spradwandel aus generativer Sicht als "die Art und Weise, in der die Granmatiken der Sprachen sich im Laufe der Zeit verändern" (King 1971, 47). Oder anders: "Eine eigentliche historische Phonologie ist die Geschichte der (phonologischen) Granmatiken einer Sprache, der verschiedenen Konpetenzen aufeinanderfolgender Granmatiken von Sprechern" (King 1971, 133). Da die Karpetenz des Sprechers durch Regeln beschreibbar ist, muß die Geschichte der Granmatiken mit Regelveränderungen

beschreibbar sein. Mit

anderen Worten: der generative Linguist muß feststellen, ob und wie sich die Regelmenge, die die Synchronie A einer Sprache charakterisiert, von der Regeldie die Synchronie B charakterisiert, unterscheidet. Nach King 1971 kann man mindestens die folgenden vier Regelveränderungen (oder Granmatikänderungstypen) unterscheiden: (a) Regelhinzufügung (rule addition) (b) Regelverlust (rule loss) (c) Regelumordnung (rule reordering) (d) Regelvereinfachung

(rule

simplification)

Wir wollen diese Typen mit den von King gegebenen Beispielen hier illustrieren. Zur Behandlung des Materials aus der historischen frz. Phonologie sei hier auf das 2. Kapitel verwiesen. Regelhinzufügung ist der gewöhnlichste und häufigste Typus. Was traditionell und strukturalistisch ein "typischer Lautwandel" war, wird generativ eine Regelhinzufügung. Lautwandel: "lt. u

afr. ü"

Generativ: "Die Regel u -*• ü wurde der Grammatik des Lateinischen hinzugefügt. "

Komplizierter verhält sich der Regelverlust, da er offenbar morphologische Fakten einbezieht. King entnimmt ein Beispiel von Regelverlust dar» Jiddischen (57-58). In diesem Dialekt gibt es morphonologisehe Alternanzen wie lid der,

tog - teg,

li-

usw. Dieser Zustand unterscheidet sich von den meisten dt. Dia-

lekten, die eine Regel der Auslautverhärtung besitzen. Man kann annehmen, daß das Jiddische diese Regel auch einmal besaß. Dies wird bewiesen durch nichtaltemierende Formen wie hont und gelt.

Daher muß es in der Entwicklung zum

Neujiddischen einen Regelverlust gegeben haben, der die einst vorkeimenden Alternanzen *lit

- Uder,

*tök - *tek

aufhob. Traditionell würde dieser

3

Wandel als Analogie

begriffen; eine morphologische Gruppe wurde vereinfacht.

Generativ lautet die Analyse:

"Die Regel der Auslautverhärtung ging in der

Entwicklung des Neujiddischen verloren." Wir finden den Fall der Regelumordnung in dt. Alternanzen wie Loh [lo:p] Lobes

[lo:bas], Weg [ve:k] - Weges [vergas], aus zugrundeliegenden

|lob| und

|ldbes|, |veg| und |veges| (King 1971, 64-66). Chronologisch war die Ordnung der zwei Regeln diese: (1) Auslautverhärtung (am Wortende) (2) Vokallängung (vor stimmhafter Konsonanz)

Nach dieser Reihenfolge müßten wir heute die Endformen *[ lcp] und *[ vek] erwarten: Zugrunde1iegend: Auslautverhärtung Vokallängung Endformen:

veg vek -

*vek

veges -

ve:ges ve:gss

lob lop -

*lop

lobes lo::bes lo::bas

Um die dt. Formen zu erklären, muß eine Regelumordnung angenottmen werden. Bei der Entstehung des Neuhochdeutschen wurde die Reihenfolge der gegebenen zwei Regeln ausgewechselt: Zugrundeliegend: Vokallängung Auslautverhärtung Endformen:

veg ve:g ve:k ve:k

veges ve:ges ve:gas

lob lo:b lo:p lo:p

lobes lo:bes lo:bas

Wieder würde die traditionelle Analyse hier auf den Begriff der Analogie zurückgreifen. Generativ jedodi gilt: "Die Regeln der Auslautverhärtung und der Vokallängung wurden in der Entwicklung des Neuhochdeutschen ungeordnet." Die Regelvereinfachung kann einer "teilweisen" Regelhinzufügung gleichgestellt werden, da in diesem Typus der Gültigkeitsbereich einer Regel erweitert wird. Zun Beispiel zeigen die frühesten Aufzeichnungen des Altenglischen, daß die Grammatik eine Regel der Auslautverhärtung besaß, die nur Frikative am Wörtende ergriff (King 1971, 73). Spätere Texte aber beweisen, daß alle Konsonanten, nicht nur die Frikative, in die Regel eingeschlossen wurden und auf diese Weise die Regel vereinfachten. Traditionell könnte man diesen Wechsel auch durch Analogie erklären, doch gilt generativ: "Die Regel der Auslauthärtung wurde im Spätenglischen vereinfacht." Setzen wir jetzt die generativen Regelkategorien neben die traditionellen und strukturalistischen Begriffe, dann ergibt sich das folgende Bild: (1) Lautwandel

. Regelhinzufügung Regelverlust

(2) Analogie

Regelumordnung Regelvereinfachung

4

Die bisher gegebene Liste der Regeltypen reicht nicht aus, im die historische Phonologie generativ darzustellen. Denn wir müssen die Verbindung dieser Regelveränderungen mit der zugrundeliegenden Struktur, d.h. mit der morphophonemischen Ebene der Sprache ermitteln. Mit diesem Verfahren ergibt sich eine Zweiteilung des phonologischen Wandels: A. Primärer Wandel (primary B. Umstrukturierung

change) (restructuring)

Primärer Wandel entsteht, wenn eine Regelveränderung die zugrundeliegende Repräsentation nicht erfaßt. Umstrukturierung heißt ein Wandel, der die phonologische Tiefenstruktur ebenfalls erfaßt. Ein Vergleich mit den taxonotnischen Kategorien würde wie folgt aussehen: Taxonomisch Phonetischer Wandel-

Generativ primärer Wandel

Phonemischer Wandel (Morphonologischer Wandel)

Umstrukturierung

Umstrukturierung ist morphonologischer Wandel. Diese Dimension wurde in der taxonemischen historischen Phonologie aber kaum berücksichtigt. Unter welchen Umständen kcmrtt Umstrukturierung vor? Eine vorläufige Antwort kann durch die folgende Tafel gegeben werden, die die Regelveränderungstypen als primären Wandel bzw. als Umstrukturierung einordnet: (Z.R. = Zugrundeliegende Repräsentation) Synchronie B

Synchronie A I. Primärer Wandel Regelhinzufügung :

Z.R. (a)

Regelverlust:

Z.R. (a) Regel (1) Z.R. (a) Regel (1) Regel (2) Z.R. (a) Regel (1) Merkmal 1 Merkmal 2

Regelumordnung :

Regelvereinfachung :

Z.R. (a) Regel (1) Z.R. (a) Z.R. (a) Regel (2) Regel (1) Z.R. (a) Regel (1) Merkmal 1

II.Umstrukturierung Regelhinzufügung :

Z.R. (a)

Regelverlust:

Z.R. (a) Regel (1)

Z.R. (b) (Regel (1)) Z.R. (b)

Wir erkennen, daß die Typen der Regelhinzufügung und Regelverlust unter beiden Hauptkategorien vorkamen. Es ist daher notwendig festzustellen, welche Arten dieser beiden Regelveränderungen primär, welche umstrukturierend wir-

5

ken. Bei den Hinzufügungen ist es leicht, zwei Subkategorien aufzustellen: (a) kontext-abhängig (b) kontext-frei

Die meisten RegelMnzfügungen gehören zur Gruppe (a), d.h. die Umgebung, in der die Hinzufügung entsteht, muß angegeben werden (konditionierter Lautwandel) . Die Entwicklung des lt. /k/ ist dafür ein Beispiel: (1) k

s/ -

a

Solche kontext-abhängige Regelhinzufügungen sind Beispiele für primären Wandel. Das Schema zeigt unter Synchronie B bei I eine zusätzliche Regel (1), doch bleibt die zugrundeliegende Repräsentation unverändert. Dargegenüber war eine Regel wie u

ü (lt. •*• afr.) kontext-frei (nicht-konditionierter Laut-

wandel) und verursachte per definitionem Utastrukturierung, weil keine phonologischen Alternanzen daraus resultierten. Im Schema wird jetzt eine zusätzliche Regel (1) unter Synchronie B bei I gesetzt. Es fragt sich allerdings, ob es sich hier nicht nur um unmittelbare Umstrukturierung handelt, d.h. um Änderung der Z.R. auf (b) . Anders als im Falle der Regelhinzufügung ist unklar, ob und wie man vorhersagen kann, wann Regelverluste Umstxukturierung verursachen. Der schon besproche Fall des Verlustes der Regel der Auslautverhärtung in der Geschichte des Jiddischen gehört unter primären Wandel, denn die zugrundeliegende Repräsentation wurde dort nicht geändert. Kings Beispiel eines umstrukturierenden Regelverlustes ist der Umlaut in der Geschichte des Deutschen (King 1971, 118-129). In dieser Entwicklung wurde zuerst eine kontext-abhängige Regel, nämlich die Umlaut-Pegel der Granmatik des Protoalthochdeutschen hinzugefügt, die aus einem zugrundeliegenden |gasti| die Endform |gesti| erzeugte. Nach anderen Lautveränderungen, die hier ausgelassen werden, erreichen wir das Spätalthochdeutsche, wo die Umlauterzeugenden Elemente und scmit auch die Umlautregel verloren gingen. Daher maß die zugrundeliegende Form im dt. Plural Gäste [gests] jetzt von |gasti| auf |geste| geändert werden. Hier hat ein Regelverlust I^trukturierung verursacht. Solche Beispiele sind häufig im Altfranzösischen, und sie werden eingehend im 4. Kapitel (4.5.) besprochen. Zun Schluß wollen wir betonen, daß das Konzept der Umstrukturierung der wohl wichtigste Beitrag der generativen Theorie zur historischen Phonologie darstellt. Natürlich beruht dieser Begriff auf der synchronischen Ebene der Morphonologie, die in der generativen Phonologie eine zentrale Stellung einnimmt. Ein Wandel der irorphonologischen Struktur ist bedeutender, oder "revolutionärer" sozusagen, als phonetische und phonemische Änderungen. Tatsächlich

6

verhält es sich so, daß die Umstrukturierung verhältnismäßig rarer ist als der primäre Wandel, d.h. es scheint, daß die phonologische Kcrrpetenz im Bezug auf die zugrundeliegende Struktur ziemlich stabil bleibt. 1.2.

Regelumkehrung

Der vorhergehende Abschnitt schloß mit der Bemerkung, daß der Begriff der Umstrukturierung in der generativen Auffassung von Sprachwandel zentral ist. Seit der Klassifikation der Pegelveränderungen durch King sind in der generativen Literatur zwei neue, wichtige Konzepte eingeführt worden: 1. Regelopazität (rule opaaity) (Kiparsky 1971, vgl. hier 2.4 und 4.5), 2. Regelumkehrung (rule Inversion) (Vennemann 1972). Wir wollen uns mit diesem Mechanismus eingehend befassen; er schließt an die Diskussion der Umstrukturierung direkt an. Tatsächlich unternimmt Vennemann mit dem Begriff der Regelumkehrung den Versuch, die Umstrukturierung genauer zu erklären. Und zwar will er beweisen, daß die Umstrukturierung oft nicht sofort total wirkt, sondern am Anfang nur einen Teil der Paradigmen einer Sprache erfaßt, und daß daher noch alternierende Gebiete übrig bleiben (relexicalization with residue). Natürlich kann sich eine solche Teilumstrukturierung nicht auf Fälle von kontext-freien Regelhinzufügungen beziehen, denn es handelt sich da, wie schon erwähnt, um unmittelbare und totale Umstrukturierung. Doch könnte der oben an zweiter Stelle diskutierte Fall des deutschen Umlautes (Umstrukturierving durch Regelverlust) eine Mittelstellung zwischen primärem Wandel und Umstrukturierung einnehmen, und die Regelumkehrung würde sich dann einschieben. Die Regelumkehrung kann wie folgt schematisiert werden (Vennemann 1972, 210-212): Umstrukturierung

Regelumkehrung

Verlust der Regel A B / U Resultat: B = zugrundeliegend in U

Verlust der Regel A-* B / D Resultat (1): B = zugrundeliegend in D Resultat (2): B = auch zugrundeliegend in Dj doch bestehen noch Alternanzen in D._ die durch die umgekehrte Regel B A / D beschrieben werden.

Erklärung: U = die totale Umgebung (alle von der Regel zu erfassende Paradigmen) D, D = zwei gleich große Teile von U D = der alternierende Teil von D

Vennemann nennt die eben gegebene Regelumkehrung "total"; doch kann man sich auch eine "Teilunkehrung" vorstellen: Teilverlust der Regel A B / D Resultat (1): A = zugrundeliegend in E Regel: A ->• B / E Resultat (2): B = zugrundeliegend in E Regel: B A / E

7

Erklärung E, E = zwei gleich große Teile von D

Man erkennt sofort, daß die Regelumkehrung notwendigerweise nicht-phonologische Motivierung einführt. Da es sich hier um Teilurnstrukturierung handelt, d.h. daß phonologische Alternanzen

in einem bestimmten Gebiet der Paradigmen

bestehen, muß bewiesen werden, warum diese restlichen Altemanzen nicht mit der historischen Regel A

B auch weiterhin erklärt werden können. Die umge-

kehrte synchronische Regel B -»• A muß motiviert werden. Vennemann benützt das Prinzip der "Deminanz semantisch primitiver Kategorien" (prinaiple of the dominanae of semantieally primitive oategories) (Vennemann 1972, 237). Dieses Prinzip besagt, daß im Falle von phonologischen Altemanzen diejenigen Segmente als zugrundeliegend angesehen werden, die sich in den semantisch primitiven, oder, bezogen auf die Spracherlemung, früher gelernten Formen befinden. Daher liegen Singular dem Plural, Akkusativ und Nominativ dem Genetiv und Dativ, Präsens dem Perfekt, Indikativ dem Konjunktiv, Aktiv dem Passib usw. zugrunde. In der Erläuterung von Regelumkehrung durch mehrere Beispiele zieht Vennemann das soeben erwähnte Prinzip nicht inner heran. Andere Kriterien können zur Motivierung

der Regelunkehrung angewandt werden, wie unsere kurze Zusam-

menfassung zweier Beispiele aus dem Englischen gleich zeigen wird. Das erste Beispiel betrifft den unbestiimtten Artikel (Vennemann 1-972, 213216). Es gibt heute im Englischen zwei Allomorphe, a (aar) und an (apple). Historisch betrachtet ist an zugrundeliegend, da sich der Artikel aus dem Zahlwort one entwickelte. Es gab daher in der Geschichte des Englischen die nachstehende Regelhinzufügung : n

«5 / - K

Doch die heutige synchron!seht Regel ist die Umkehrung der Diachronie:

n

/ -v

Das bedeutet, daß im modernen Englisch a als zugrundeliegend angencnxnen wird. Vennemann motiviert diese Regelumkehrung hauptsächlich mit Fakten aus der Spracherlernung: Englische Kinder lernen a zuerst, sagen lange Zeit a auch vor Vokal (*a apple) und fügen an erst später hinzu. Man darf daher a als primitiv, an dagegen als sekundär betrachten. Die Regelumkehrung beschreibt diese wichtige Tatsache. Anders verhält sich die Regelumkehrung in den eng. Plural- und Preteritmorphemen (Vennemann 1972, 216-218) . Im Plural kommen die Allcmorphe [s], [z] und [az] vor (z. B. in aats, dogs, ahurahes) . Das (reguläre) Preterit hat [d], [t] und [ d] (loved, kiaked, tilted). Historisch liegen [az] und [ad] zugrunde;

8

[z] und [d] sind durch eine Apokopierungsregel, [s] und [t] sodann mit einer Assimilationsregel erreichbar. Synchronisch ninnrt Vennemann jedoch [z] und [d] als zugrundeliegende Formen an. Das besagt, daß die synchronische Regel der vokalischen Epenthese in den Allanorphen [az] und [ad] die Umkehrung der historischen Apckcpe bedeutet: Regelhinzufügung:

9 +

Regelumkehrung:

«i ->• a / -

^ / "

u' •

Die Motivierung für diese Regelumkehrung beruht hauptsächlich auf der Umgebung der synchronischen Regel. Nach t und d wird [a] im Preterit, nach s, z, s, H, ¡f wird [a] im Plural eingefügt. Ohne diese Epenthese erhielten wir z.B. ti-lt + d •+ tilt + t tiltt * ti.lt, und ahurch + s -*• churchs -»• *ohurah (Assimiliation, Degeminierung), was einen nicht ersetzbaren Verlust dieser Suffixe bedeuten würde. Die vorgeschlagene Regelumkehrung verhindert ein solches Ergebnis. Außerdan darf die historische Apokorierungsregel darum synchronisch nicht weitergeführt werden, weil sie im Englischen nicht mehr motiviert werden kann: Man sagt z.B. rabid [raebad], und nicht *[raebd], obwohl es loved [lavd] gibt. Als Musterbeispiel einer Regelunkehrung kann die (von Vennemann nicht erwähnte) nfr. Liaison betrachtet werden. Wie bekannt, gibt es im Neufranzösischen Allomorphe, deren Endkonsonaten vor folgendem Vokal (oder Gleitlaut) realisiert werden, während der Endkonsonant vor folgendem Konsonant (oder vor Pause) verstummt. Das zuerst beschriebene Allcrrorph ist das Beispiel für die Liaißon. Indem wir die am häufigsten vorkcmnenden Liaisorikonsonanten anführen, können wir dieses syntaktisch-phonetische Phänomen des Neufranzösischen wie folgt illustrieren: Allomorphe les [le] les [lez] petit petit

[psti] [pstit]

on [0] on [on]

Liaisonkonsonant [z]

Beispiele les femmes [lefam] les amis [lezami] les oiseaux [lezwazo]

[t]

petit garçon [patigarso] petit ami [patitami] petit oiseau [patitvazo]

[n]

on parle [ôparl] on arrive [ônariv]

Historisch gesehen steht fest, daß die Liaison dem allgemeinen Prozess der Könsonantentilgung unterliegt, einer Entwicklung, die sich in zwei Phasen vollzog: 1. Vorkonsonantische Konsonantentilgung 2. Konsonantentilgung vor Pause

9 In der generativen Analyse der Liaison durch Schane (1968, 1-17) werden synchronische Fortsetzungen dieser zwei historischen Pegeln angesetzt: 1 . Truncation (Tilgung eines Konsonanten vor folgendem Konsonant und Tilgung eines Vokals vor folgendem Vokal - Elision) 2. Konsonantentilgung an der Wortgrenze

Wie man sieht, nirmtt Schane an, daß die Liaison auch synchronisch einer Kbnsonantentilgung gleichzusetzen ist, und die Alternative, daß es sich evtl. um eine Konsonantenepenthese (vor Vokal und Gleitlaut) handelt, wird nicht ernstlich erwogen. Die Anwendung der Regelumkehrung zwingt uns diese Lösung jedoch auf. Wie paßt die Liaison nun in das allgemeine Schema der Regelumkehrung? In der Geschichte des Französischen gab es die folgenden Regelhinzufügungen: 1. K •+ 4 / - K 2. K

izS / - #

Diese Regeln betrafen die Mehrzahl der Wörter, und es trat fast überall Uitstrukturierung ein. Davon ausgenommen ist genau das Restgebiet des nfr. Wortschatzes, vro es noch heute phonologische Alternanzen zwischen gesprochenen und stürmen Endkonsonanten gibt. Diese Restaltemanzen bilden die Fälle der Liaison. Es stellt sich nun die Frage, cb solche Altemanzen synchronisch durch Konsonantentilgung oder durch Konsonantenepenthese zu beschreiben sind. Wir wollen im folgenden die zweite Alternative befolgen. Die Gründe dafür sind fünf: Erstens verlangt die Analyse der Liaison, wenn Konsonantentilgung angencmmen wird, zwei Regeln (siehe oben, Schane 1968), während der Gegenvorschlag, die Regelumkehrung, aus nur einer Regel besteht: Zweitens ist es wahrscheinlich, daß das konsonantenlose Allonorph weit häufiger vorkommt. Wir können daher ruhig annehmen, daß frz. Kinder diese Variante zuerst erwerben, und dann z. B. *[p3ti ami], statt [patitami], eine ganze Zeit lang verwenden, ähnlich wie engl. Kinder *a apple,

statt an apple sagen.

Drittens ist Regelumkehrung vorzuziehen, weil sie die Analyse der Femininformen des Adjektives vereinfacht. Phonetisch kennen vor: a. [patit] femme b. [patit] amie

Sdianes Lösung kann die Nichttilgung von [t] vor femme nicht vorhersagen. Um die Tilgung des Konsonanten zu vermeiden, muß daher ein abstraktes [a] in der zugrundeliegenden Form am Ende des femininen Adjektives angesetzt werden. Wählen wir die Konscnantenepenthese, so entfällt dieses Problem ganz: Es wird kein [t] eingefügt, sondern es liegt schon vor. (Man spricht hier von einer "leeren" (vaouous) Anwendung der Regel).

10 Viertens ist man mit der Konsonantentilgung gezwungen, viele nfr. Wörter als Ausnahmen zu dieser Regel (Liaison) zu charakterisieren, wie z.B. sept, avee, sea, sens, usw. Solche Ausnahmen entstehen mit der Epenthesentheorie nicht, denn die Regel wird wie bei den femininen Formen leer angewandt. Am wichtigsten ist der fünfte Einwand: Wie kann iran die zwei Regeln der Konsonantentilgung synchronisch motivieren? Einen guten Beweis liefert die Behandlung von nichtfranzösischen Wörtern, die sich in der modernen Sprache eingebürgert haben. Da frz. Sprecher gar keine Schwierigkeit empfinden, Endkonsonanten in eng. Wörtern wie alub, stop, park-Cng

usw. auszusprechen, können wir

den Schluß ziehen, daß die Könsonantentilgung als synchronische Regel tot ist. Das ist besonders auffallend, wenn man im Vergleich dazu an die sehr "lebendige" Vokalprothese des Spanischen denkt: Hier wird jedes Fremdwort, das mit s + Konsonant beginnt, mit einem zusätzlichen e- versehen. Man wird gegen die Epenthesentheorie einwenden, daß der Liaisonkonsonant synchronisch nicht motiviert werden kann (Vgl. Schane 1973, 75) . Warun fügen wir [t] im Falle des zugrundeliegenden [pati] vor einen Vokal ein, und nicht [z] oder [n], oder einen anderen Konsonanten, der bei der Liaison vorkcnmt? Dasselbe Problem wurde von Vennemann im Zusaitmenhang mit der Motivierung der eng.

Regelumkehrung a

an / - V erwogen. Eine Iösung bot er nicht an, er-

klärte jedoch, das [n] sei historisch. Es ist nun möglich, daß man die nfr. Liaison ähnlich wie die folgenden Verbformen aus den Maori, einer Sprache Australiens, die Kiparsky (1971, 591) anführt, analysieren darf: Stamm awhi hopu aru tohu mau wero

Passiv awhitia hopukia arumia tohunia mauria werohia

'umarmen' 'fangen' 'folgen' 'zeigen' 'tragen' 'stechen'

Kiparsky zeigt, daß die linguistisch elegantere Lösung zugrundeliegende Formen wie |awhit|, |hopuk|, |maur|, usw. für diese Alternanzen ansetzen würde, wcbei |ia| dann das Suftix des Passives wäre. Um die Stanmformen richtig zu generieren, würde eine synchronische Regel der Könsonantentilgung nötig sein, die [t, k, m, n, r, h] tilgt. Die naivere Iösung würde dangegenüber den Stanm als zugrundeliegend annehmen; das Passiv hätte dann mehrere Suffixe, |tia|, |kia|, |ria|, usw. Berücksichtigt man nun die Beobachtungen aus der Spracherlernung, so stellt sich heraus, daß die angeblich naivere Lösung als psychologisch richtig angesehen werden muß, weil die Maori Kinder das Suffix des Passivs für jedes Verbum separat zu lernen scheinen. Ähnliche Experimente sollten angelegt werden, um zu ermitteln, ob frz. Kinder die konsonantenlose Mlanorphe zuerst, und erst später die richtigen Liaisonkonsonanten erlernen.

11

Obwohl Untersuchungen dieser Art im Französischen zur Zeit nicht vorliegen, gibt es ein anderes Phänomen der Umgangssprache, das die Epenthesentheorie stützt: die sogenannte "falsche" Liaison. Man betrachte die folgenden Beispiele : 1.a. b. c. 2.a. b.

Peu [z] ä peu II va [t] et vient fa va [n] en faire du bruit Quat' [z] yeux Cinq tz] hommes

In der ersten Gruppe wird der Liaisonkonsonant offensichtlich darum eingesetzt, um den Hiat zu vermeiden: ö a •*• öza. Es handelt sich um Konsonantenepenthese. In der zweiten Gruppe entsteht kein Hiat; hier muß das [z] als analogisch zu den Pluralformen mit dem bestinmten Artikel, les yeux, les hommes , betrachtet werden. Man kann annehmen, daß Sprecher, die 2 (a) und 2 (b) sagen, Plurale für "Augen" und "Männer" mit [z-] besitzen. Dann allerdings bleibt nur ein Alloirorph des bestiimtten Artikels tle], das natürlich auch zugrundeliegend sein muß. Im Gegensatz zur Liaison scheint die (verwandte) nfr. Elision keine Regelumkehrung zu sein. Historisch gab es die Regelhinzufügung: v

• mayno (8) Monophthonqierunq von [ay] vor Nichtnasal: ay r V f r G -[ [+ tief) [- hinten!



P tief f I- hinten!

e r K-f I- nasl

1 (Der Tiefvokal wird gehoben und frontiert, der Gleitlaut y ausgestoßen, außer vor Nasalkonsonant.) Beispiele: mayre -»• mere (Aber: mayno -»• mayno

21 (9) Apokope V - tief - betont

t]

betont

K (K)

(K) #

(Der unbetonte Ultimavokal von Paroxytonia fällt, außer Tiefvokal.) Beispiele: grande •*• grand (10) a-Reduzierung: a •*• a V + tief - betont

[+ betontj

K

(K)

(K)

#

(Der Tiefvokal der Ultima in Paroxytonis wird aufa abgeschwächt.) Beispiel: terra •*• terra (11) Stützvokalbildung: $ -+• a

K (K) # Obstr1 [ wird nach Muta cum liguida-Gruppen vor Pause hinzugefügt.)

* + * /[

+

betontj

K

(K)

(Der Vokala Beispiel: enfl -»• enfla

(12) Frontierung von u: u -*• ü V + hoch + hinten

[

- hinten] + rund

(kontext-frei)

(Der hohe hintere Vokal wird frontiert, bleibt jedoch rund, ohne Rücksicht auf Silbenstruktur oder Akzentverhältnis.) Beispiel: duro düro (13) Hebung von o.: o. •*• u + + +

V hoch tief hinten gsp betont

[+ hoch]

K K

(Der betonte gespannte hintere Mittelvokal wird in geschlossener Silbe gehoben. ) Beispiel: ko.rsos -»• kursos (14) Nasalierung V

•*

[+ nas]

k r+ nas I

(Alle Vokale vor Nasalkonsonant assimilieren dessen Nasalqualität.) Regelhinzufügungen: Konsonanten (vorläufige Ordnung) (15) Spätlateinische Yodbildung: i, e + y V - hinten - betont Die vorderen Vokale bilden den Gleitlaut y in unbetonter Stellung und vor Vokal.) Beispiel: linea •*• linya

22

(16) Sonorisation: p, t, k, s K - Obstr - sth

b, d, g, z

• [+ sth]

V—

'(£

S)

[V] r Kk -| [j- ObstrJ

v

(Zwischen zwei Vokalen oder zwischen Vokal und den Liquiden plus Vokal werden die stimmlosen lateinischen Konsonanten stimmhaft.) Beispiele: ripa riba patre -*• padre (17) Lenisierung: b, d, g + +

K Obstr dau scharf sth

v, >> y

[+ dau]

[V] _ K Obstr

[-

(Aus den stimmhaften Verschlußlauten in intervokalischer Stellung oder zwischen Vokal und Liquid plus Vokal entwickeln sich Reibelaute.) Beispiel: riba riva (18) Verlust von v und y: v, y •*• tf> + + +

K Obstr cor dau sth

(Die velaren und labialen Reibelaute werden zwischen Vokal und hinterem Vokal getilgt.) Beispiele: amiyo -> amio pavone *• paone (19) Yodisierung von y: + + +

K Obstr ant cor dau sth

y

y

r-

g i hinten

v r tiefj i [+ K rJ- ObstrJ i I

v

(Vor Tiefvokal oder Liquid plus Vokal und nach Vokal entsteht aus dem Velaren Reibelaut der Gleitlaut y.) Beispiel: baya baya (20) Degeminierung: KjK2 -»• K / V

V (Bedingung: K

K 2' (Die lt. Doppelkonsonanten werden in intervokalischer Stellung vereinfacht. ) Beispiel: vakka vaka

(21) Auslautverhärtung K + Obstr + sth

•*

t- sth]

(Ein stimmhafter Obstruent wird am Ende des Wortes oder vor Pause stimmlos.) Beispiel: fey3 feyö

23

(22) Labialpalatalisierung (a): P •+• £ ~ + + -

K " Obstr ant cor dau sth

(Der stimmlose labiale Verschlußlaut entwickelt sich in eine palatale Affricata vor dem Gleitlaut y.) Beispiel: sapya •+• sa£ya (23) Labialpalatalisierung (b) : b, v, m •*• J K + ant - cor + sth

- dau - ant + scharf

G

[- 1 hinten!

(Die stimmhaften labialen Konsonanten erreichen die Phase der stimmhaften palatalen Affrikata vor y.) Beispiel: kavya •*• kajya (24) Dentalpalatallsierung (a) : t -•• £ + + + -

K Obstr dau ant cor sth

[+ scharf]

(Der stimmlose dentale Verschlußlaut wird vor y affriziert.) Beispiel: enfantya -»• enfantya (25) Dentalpalatalisierung (b) : d -»• J" ~ + + +

K ~ Obstr dau ant cor sth

(Der stimmhafte dentale Verschlußlaut erreicht die palatale Affrikata Phase vor y, im Anlaut oder nach Konsonanz.) Beispiel: dyorno Jfyorno (26) Tilgung von d: d -»• 4> + + + +

K Obstr dau ant cor sth

(Nach Vokal vor y fällt der stimmhafte dentale Verschlußlaut.) Beispiel: radyo -»• rayo

24

(27) Nasalpalatalisierung (a) : n -* n K + nas

G 1 hinten! i-t

p- cor [- ant

+ cor + ant

(b) :

r

g

K nas cor ant

i

[j- hintenj

(Der dentale Nasalkonsonant wird vor y auf die palatale Stellung geschoben (a), während der Gleitlaut dann nach n abfällt (b).) Beispiel: (a) vinya vinya (b) vinya ->• vina (28) Lateralpalatalisierung (a) : 1 K lat • [- ant] ant

X

(b) : y

(¡5

[-hintenj1 G

G

1

hinten!

K + lat - ant

(Der dentale Lateralkonsonant wird vor y auf die palatale Stellung geschoben (a), während der Gleitlaut dann nach X abfällt (b).) Beispiel: (a) filya -»• fiXya (b) fiXya fiXa (29) 1-Vokalisierung: 1 K + lat + ant

r

w

g

i

|_+ hinten]

(Der dentale Lateralkonsonant wird vor Konsonant in den hinteren Gleitlaut verwandelt.) Beispiel: alba -+ awba (30) Velarpalatalislerung (a) : k -> c + -

K Obstr dau ant cor sth

[+ scharf]

(Der stimmlose velare Verschlußlaut frontiert in Richtung auf die palatale Affrikata vor Tiefvokal.) Beispiel: kampo •+• fiampo

25 (31) Velarpalatalisierunq + -

K Obstr dau ant cor sth

(b): k

+ ant + cor + scharf

(Vor vorderem Vokal oder y erreicht der stimmlose velare Verschlußlaut die dentale Affrikata.) Beispiel: rakemo ra&emo (32) Velarpalatalisierung

V

(c) : g •+• j

K + +

Obstr dau ant cor sth

V

[+ scharf]

[-hinten1 [-hinten1 G

(Der velare stimmhafte Verschlußlaut wird vor nicht-hinterem Vokal oder y palatal affriziert.) Beispiel: garaba jamba (33) Gleitlauttilqunq nach Affrikaten: y •*• jS

G

[--hinten1-

K + Obstr - dau + scharf

(Der Gleitlaut y wird nach den Affrikaten c, j, & (b), die nach Regeln 22, 23, 24, 25, 31, 32 vor y gebildet wurden, getilgt.) Beispiele: sacya saca kajya kaja enfancya * „ -*»• enfan&a jyorno jorno

2.3.

Grundlegende Ordnungen

Obwohl die relative Chronologie der angeführten diachronischen Regeln zianlich genau durch gerneinrananisehe Daten und spätlateinische Textstellen und Inschriften festgestellt werden können, ist die interne Methode, grundlegende Ordnungen (erucial Orders) aufzustellen, in einer generativen Analyse vorzuziehen. Denn mit Hilfe einer geeigneten Ordnung kann man die wesentlichen Bezüge der verschiedenen Regelhinzufügungen direkt beobachten. Auf diese Weise wird das Faktum der Granmatikänderung sichtbar. Es ist deshalb nicht notwendig, eine absolut genaue Reihenfolge für alle Regeln von Latein zum Altfranzösischen aufzustellen. Es genügt, diejenigen Regeln aus der Menge herauszuschälen, die bestimmte aufeinander einwirkende Gruppen bilden. Als zwei leicht erkennbare Gruppen erweisen sich:

26

A,

(1) Diphthongierungen (2) Synkope

(3) Apokope B.

(1) Sonorisation (2) Degeminierung (3) Palatalisierung

Betrachten wir einige Entwicklingen, die die Gruppe A betreffen: Zugrundeliegend: (Spätlatein) Regel 3 Regel 5 Regel 6 Regel 9 Endformen: (Altfranzösisch)

tfepedo

k&mete

k6mes

rede

tyepedo tyepdo tyepd tyeda

kwemete kwemte

kwemes -

ve.rde

kwemt *kwenta

kwems kwens

verd vert

d&.bet deybet deybt deyt

d6.beto

do.bto dobt dute

(andere Regeln eingeschlossen)

Da sich die Diphthongierungen nur in offener Silbe vollzogen, ist die Ordnung der Synkope grundlegend: sie muß nach der nichtgespannten Mittelvokaldiphthongierung eingeordnet werden, um das Beispielwort [tyed ] richtig abzuleiten. Synkope schiebt sich aber vov der gespannten Mittelvokaldiphthongierung ein, wie die afr. Resultate [vert] und [duta] beweisen, d.h. nichtdiphthongierte Formen, da Regel 6 sie nicht erfaßt, weil ihre betonten Silben von der Synkope schon vorher geschlossen wurden. Die Regel der Apokope folgt klar am Ende der hier ausgewählten Gruppe, da die Tonvökale in [kwSns] und [deyt] die richtigen Diphthonge aufweisen. Die einzige Kcnplikation bringt die falsche Form *[kwgnt9], aus |kcmete|. Un diese nicht-existierende Endform zu vermeiden, könnten wir die Regeln 3 und 5 die Plätze wechseln lassen (umordnen), oder besser: wir nüssen Regel 3 zweiteilig machen: (a) e, o -+• ye, we (b) e, o •*• ye, we

nasj

Enas]

Regel 3 (a) geht der Synkope voraus, während 3(b) der Synkope folgt, also diese Ableitiongen für Beispiele mit Nasalen: Zugrundeliegend: k&mete &mene (Spätlatein) Regel 5 komte omne Regel 3(b) Endformen: kSnta oma (Altfranzösisch) (andere Regeln eingeschlossen)

g&nero

k&mes

genro jendra

kwemes kwSns

Viel komplexer erweist sich die Aufeinanderwirkung der Regeln aus Gruppe B, und zwar hauptsächlich darum, weil ja die Prozesse der Sonorisation und der Palatalisierung mehrere Regeln einschließen. Für unsere Diskussion sind die

27

Palatalisierungen der stimnlosen lateinischen Verschlußlaute am wichtigsten: (a) p + •fc/ -

(Regel 31)

(d) k - » - £ / -

(Regel 30)

i

Die Regeln der eigentlichen Sonorisation (16), der Lenisierung (17), der Yodisirierung von [yl (19) und der Degeminierung (20) verzahnen sich mit den gegebenen vier Palatalisierungsregeln in den folgenden Beispielen: Zugrundeliegend: ratyone rakemo (Spätlatein) Regel 24 racyone Regel 31 racemo Regel 16 racemo rafcyone Regel 17 Regel 19 Regel 20 Regel 30 Regel 22 Endformen: rayèSn rayèïn (Altfranzösisch) (andere Regeln eingeschlossen)

fakkya

vakka

baka

propyano

fak&ya baga baya baya fafcya

vaka vaca

fata

baya

procyano procäyn

Es ist leicht ersichtlich, daß eine richtige Ableitung der afr. Ausgaben zwei Teile oder Schichten, der Palatalisierungen fordert: Regeln 24 und 31 müssen vor der Sonorisation eingefügt werden, um im Altfranzösischen die stirrmhafte Phase [z] zu erreichen, während Regeln 22 und 30 folgen, so daß die Affrikata [c] von der Sonorisation nicht erfaßt wird. Außerdem ist es auch klar, daß die Degeminierung nach den Sonorisationsregeln kennen muß. Nur so kann mein den Verlust von [-k-] in [baya], das [c] in [vaca] und das [c] in [faca] erklären. Die Palatalisierungen der stinmhaften Verschlußlaute (und v und m) lassen sich ohne weiteres in unser Systan einordnen, und zwar alle nach der Sonorisation: Zugrunde1legend: radyo dyorno (Spätlatein) Regel 17 Regel 19 Regel 32 Regel 23 Regel 25 Jyorno Endformen: ray Jurn (Altfranzösisch) (andere Regeln eingeschlossen)

plaga playa playa

larga

rabya

larja rajya

playa

larja

raja

Eigentlich sind von den soeben angesetzten Regeln nur 17, 19 und 32 grundlegend geordnet (um afr. [playa] und [larja] richtig zu generieren), doch ist

28

Zusammenfassende Obersieht: Ordnung der Regeln und Ableitungen têpedo k&mete Zugrundeliegend: (Spätlatein) Regel 3(a) tyepedo Regel 5 tyepdo komte Regel 3(b) Regel 24 Regel 31 Regel 16 Regel 17 Regel 19 Regel 6 Regel 20 Regel 30 Regel 22 Regel 32 Regel 23 Regel 25 Regel 26 Regel 9 tyepd komt Regel 21 Endformen: tyeda könts (Altfranzösisch) (andere Regeln eingeschlossen)

k&mes

kwemes

vé.rede

fé.de

ratyone

ve.rde raeyone fe.fie

ra&yone

fey Ce

kwems kwëns

verd vert vert

feyf fey6 fey©

raêyon rayfeSn

es unwichtig, die Reihenfolge von 23, 25 und 26 genau zu etablieren. Wenn wir jetzt das Verhältnis von Gruppe A zu Gruppe B betrachten, dann stellt sich heraus, daß Synkope, Sonorisation (Lenisierung) und Apokope grundlegend geordnet sind, wie die folgende Darstellung zeigt, der wir auch Regel 21, Auslautverhärtung, einverleiben: Zugrundeliegend: tr6po fê.de (Spätlatein) Regel 3(a) trwepo Regel 5 Regel 16 trwebo Regel 17 trwevo fe. fie Regel 6 feyfie Regel 9 trwev feyö Regel 21 trwef feye Endformen: feyö trwef (Altfranzösisch) (andere Regeln eingeschlossen)

vê.rede -

ve.rde

d&.beto -

do.bto

têpedo

m&veta

tyepedo tyepdo

mweveta mwevta

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

verd vert vert

-

dobt -

duta

tyepd -

tyede

-

mweta

Synkope muß vor der Sonorisation hinzugefügt werden, um im Altfranzösischen keine Frikative in den letzten vier Entwicklungen zu erhalten. Apokope folgt der Sonorisation, doch präzediert die Auslautverhärtung, und zwar wegen den Frlkativen in [trwef] und [fey©].

29

rakemo

vakka

ra&emo racemo

baka

sapya

radyo

dyorno

baga baya baya

plaga

larga

rabya

playa playa

vaka vaca sacya larja rajya jyorno rafcem rayfcin

vaca

baya

saca

rayo ray

jyorn

ray

jurn

playa

larja

raja

Kiparsky (1968) hat vorgeschlagen, grundlegende Ordnungen mit den Begriffen bleeding order und feeding order zu charakterisieren. Zwei Regeln A und B sind in bleeding order, wenn A B "anzapft" (bleeds), d.h. Repräsentationen ersetzt, auf die B anwendbar wäre. Zwei Pegeln A und B sind in feeding order, wenn A B "füttert" (feeda), d.h. Repräsentationen schöpft, auf die B anwendbar ist. In unserer Ordnungsdiskussion haben wir schöne Beispiele für beide Typen gesehen. Bleeding

order:

(1) Synkope Gespannte MittelVokaldiphthongierung (2) Synkope Sonorisation

Beide Fälle sind Arten von bleeding order, weil Synkope in (1) die offenen Silben eliminiert, in denen sich die gespannte Mittelvokaldiphthongierung vollziehen könnte: ve.rede Synkope: ve.rde Diphthongierung: nicht anwendbar

und in (2) die stirtmlosen Verschlußlaute der intervokalischen Stellung entzieht: tyepedo Synkope: tyepdo Diphthongierung: nicht anwendbar

30

Die Regeln der Sonorisation (16), Lenisierung (17) und Yodisierung von [y](19) sind alle in feeding ovder: 16 füttert 17 und 17 füttert 19 (baka •* baga -»• baya baya). Das Verhältnis von Apokope und Auslautverhärtung ist auch feeding: feySe Apokope: feyï Auslautverhärtung: fev©

Eine wichtige Erweiterung der Ordnungsbegriffe wurde von Newton (1971) mit oountevbleeding und oounterfeeding beigesteuert. Diese Termini sollen die entgegengesetzten Reihenfolgen von bleeding und feeding kennzeichnen, also z.B., wenn A -»• B bleeding zeigt, dann wäre B ->• A oountevbleeding. Auch diese letzten Ordnungen können durch Entwicklungen vom Latein zun Altfranzösischen veranschaulicht werden: Counterbleeding:

(1) Nichtgespannte Mittelvokaldiphthongierung Synkope (2) Gespannte Mittelvokaldiphthongierung Apokope

Da in (1) die Diphthongierung vor der Synkope eingeordnet ist, erreichen wir im Afr. die Pom [tyeda] ; wäre die Ordnung tingekehrt, dann hätten die Synkopierung die Diphthongierung angezapft. Die Apokope folgte der gespannten Mittelvokaldiphthongierung (dê.bet deyt) ; wäre sie vorangegangen, dann hätte sie diese Diphthongierung unanwendbar gemacht. Das klarste Beispiel für oounterfeeding enthält die Ordnung Sonorisation vor Degeniinierung: vakka Sonorisation: nicht anwendbar Degeminierung: vaka

Wäre diese Reihenfolge entgegengesetzt, dann würde die Degeminierung die Sonorisation "füttern", d.h. die Ableitung wäre vakka •+• vaka -»• *vaga *vaya -*• *vaya. 2.4.

Ein Fall von Regelvmordnung und Verlust?

Bisher haben wir nur Regelhinzufügungen in der phonologischen Umgestaltung von Latein zun Altfranzösischen aufgezählt und deren wahrscheinliche Ordnung bestimmt. Hat sich die Grammatik des Lateinischen auch auf andere Weise (n) verändert? Beim Prozeß der Sonorisation scheint es naheliegend, eine Regelunordnung und einen Regelverlust anzusetzen. Das Problem besteht darin, die folgenden Entwicklungen der intervokalischen Labialkonsonanten zu erklären: (a) (b) (c) (d) (e)

Latein kaballo sapone ripa pavone tabone

Afr. 5aval savön riva paön taon

31

Wie man sieht, erreichen lt.' -p- und -kr- die Phase -v- in (a), (b) und (c), lt. -v- wird eliminiert und lt. -b- fällt im letzten Beispiel. Diese Entwicklungen erlauben die "einfache" Ordnung der Sonorisationsregeln, die oben angezeigt wurde, nicht mehr. (1) p ->• b / V - V (2) b v / V - V (3) v

4, / -

V + hinten

(Regel 16) (Regel 17) (Regel 18)

Wäre diese Ordnung richtig, dann müßten wir im Afr. *[saön] erhalten. Eigentlich stiitmt die Reihenfolge (1) - (2) ja schon chronologisch nicht, denn gemeinwestromanische Evidenz deutet auf eine Lenisierung von lt. b

v (ß) vor

der Sonorisation p •* b. Wenn wir aber die Ordnung (2) - (1) - (3) annehmen, dann sind im Altfranzösischen die Resultate t&val], *[sabön], *[ribs], [paön] und [taön] zu erwarten. Eine mögliche Lösung ist die folgende. Teilen wir die Entwicklung in zwei chronologische Schichten auf, Grammatik I und II. Granmatik I enthielt die drei gegebenen Regeln in der Ordnung (2) - (1) - (3). Von Grammatik I auf Granmatik II wurde (a) (2) - (1) nach (1) - (2) umgeordnet und (b) Regel 18 eliminiert. Beide Änderungen waren notwendig. Nähmen wir nur die Unordnung an, dann ergäbe sich die falsche Form *[saön] (siehe oben); wenn nur der Verlust von Regel 18 vorgeschlagen würde, dann erhielten wir die falschen Formen *[pave>n] und *[tavOn]. Granmatik II enthielt also nur Pegeln 16 und 17, und zwar in der Ordnung (1) - (2). Die ganze Diskussion kann mit diesen Ableitungen zusammengefaßt werden: Zugrundeliegend: ripa kaballo (Spätlatein) Grammatik I Regel 17 kavallo Regel 16 riba Regel 18 Grammatik II Regel 16 Regel 17 riva Endformen: riva ¿aval (Altfranzösisch) (andere Regeln eingeschlossen)

sapone

pavone

tabone

tavone sabone

savone savon

paone

taone

paon

taon

Die vorgeschlagene Regelunordnung entspricht einem Wechsel von ooimterfeeding auf feeding order. Diese Entwicklung stürmt also mit dem allgemein gültigen Prinzip, das Kiparsky für die Richtung von Unordnungen annahm, überein: Feeding order wird tendenziell maxinalisiert und bleeding order wird tendenziell minimalisiert; oder anders: "Regeln verschieben sich tendenziell in diejenige Ordnung, die ihre vollständige Benutzung in der Granmatik erlaubt" (King 1971, 225), Da aber in einigen Sprachen scheinbar Unordnungen vorkamen, die mit dem soeben erwähnten Prinzip nicht Übereinstinmen, hat Kiparsky kürzlich eine Neu-

32

formulierung mit dem Begriff der Opazität (opaoity) versucht. Definition: Eine Regel A -»• B / C - D wird als opak (opaque) definiert, wenn es Oberflächenrepräsentationen von der Form (1) "A in der Umgebung C - D" oder (ii) "B in einer Umgebung anders als C - D" gibt. Das Gegenteil der Opazität ist die Transparenz (tvansparenay) (Kiparsky 1971, 622). Das neufornrulierte Prinzip für Unordnungen heißt: "Regeln verschieben sich tendenziell, um ihre Transparenz zu vergrößern" (623). In unserem französischen Beispiel wäre die Lenisierungsregel b •*• v / V - V opak im Falle (i) der Definition in der historischen Reihenfolge, denn nach der Anwendung der Lenisierung gibt es noch [b]-Lautungen aus der Sonorisationsregel p -»• b / V - V, die folgt. Die Unordnung macht aber beide Regeln transparent, denn jetzt kennen nur noch [v]-Lautungen vor. In diesem Beispiel entspricht natürlich die transparente Ordnung dem feeding order. Die Schwäche des Punktmodells in der historischen Phonologie tritt zu Tage, wenn es notwendig wird, Unordnungen zu postulieren. Denn klar gesagt handelt es sich im Sonorisation-Lenisierungsfall um zwei sich überschneidende Lautveränderungen. Das heißt, die historische Reihenfolge der Pegeln (1) b v /v - v (2) v (3) p

4 /-

_+ hinten b /V -V

bedeutet hier nicht "wenn (1) endet, beginnt (2), und wenn (2) endet, dann beginnt (3)", wie das Punktmodell fordert. Zur Zeit von (3) war (1) ja noch aktiv! Schematisch könnte man das Punktnodell so darstellen: b

v v

- M P

Die eigentliche Entwicklung scheint aber diese gewesen zu sein: b -»• v i v - *

}//', i p -> b r/ / /

Der Anfangspunkt der Regel v

0 muß nach dem Beginn von b -»• v angesetzt wer-

den; doch kam sie vor dem Ende von (1) und vor dem Beginn von (3) zum Stillstand. Das schattierte Gebiet im Scharia soll andeuten, daß sich Regeln (1) und (3) überschneiden. Kämen solche Überschneidungen von phonologischen Prozessen häufiger vor, so wäre zweifelhaft, ob sich das traditionelle Modell, das auch der generativen Phonologie zugrunde liegt, so fest verankert hätte. Doch, wie unsere Auswahl diachronischer französischer Regeln gezeigt hat, kann die überwiegende Mehrheit dieser Veränderungen wirklich mit Punkten auf einer (zeitli-

33

chen) Linie verglichen werden, Punkte, die natürlich eine geordnete Folge par exaellenoe

2.5.

bilden.

Hegelvereinfachung

Die Regelvereinfachung wird in der generativen Phänologie einen Zunehmen des Gültigkeitsbereichs der Regeln gleichgestellt, da in der Änderung größere natürliche Klassen eingeschlossen werden. Auch für diesen lypus weist die historische franz. Phonologie schöne Beispiele auf: (1) (2) (3) (4)

Diphthongierung Nasalierung Velarpalatalisierung Tilgung der Nachtonvokale

Die erste Phase der Diphthongierung erfaßt nur die nichtgespannten Mittelvo- hocfil kaie (e, o), oder die Klasse - tief dann erweitert sie sich auf alle Mittel- gsp

vokale (e, o, e., o.), ^ f j ; und endlich schließt sie nur i und u, oder [+ hoch], aus. Die Regelvereinfachung besteht aus der Unterdrückung von zwei Merkmalen. Es ist bekannt, daß die Nasalierung unten im vokalischen Dreieck anfing und später allmählich alle Vokale einschloß: (a) [+ t i e f ] (b) t- h o c h ] (c) V

(ä) (ä, e, 3)

(ä, e, 5, I, ü)

Hier ist kein Merkmalverlust erkennbar, doch ist klar, daß [- hoch] eine größere Klasse als [+ tief] und V eine größere Klasse als [- hoch] umfaßt. Wie schon gezeigt wurde, muß die Palatalisierung des [k] in zwei Phasen geteilt werden, die erste vor, die zweite nach der Sonorisation. Wieder stellen wir eine Vereinfachung fest : zuerst palatalisiert [k] vor einer kleineren hinten] (i, e), die sich dann auf nur [- hinten] (i, e, a) Vokalklasse, tief J ausdehnt. Es ist auch naheliegend, Synkope und Apokope in eine Regelvereinfachung einzubauen, und zwar als Nachtonvokaltilgung. Synkope, die erste Phase, tilgt den Nachtonvokal, wenn ein zweiter Vokal folgt; Apokope tilgt den Nachtonvokal, ohne daß ein zweiter Vokal diesem folgt. Festzustellen ist also ein Zunehmen des Regelbereichs, von K - K _ ^ J # auf ^ K - (K) #. Zur Lektüre empfohlen: King 1969 (1971 Kiparsky 1968a Kiparsky 1971 Newton 1971

3.

ALTFRANZÖSISCH: DIE REGELN

3.1.

Das Oberflächeninventar

Aus strukturalistisehen Studien des Altfranzösischen geht hervor, daß sich das phonologische System der Sprache des Mittelalters "revolutionär" von dem des Lateins und natürlich auch von dem der Neuzeit unterscheidet. Wenigstens muß man zu diesem Schluß kennten, wenn man sich die Vokal- und Konsonantenstrukturen des Altfranzösischen genau ansieht: Vokale u

i e

c Vor Nasalkonsonant entstehen nasalierte Diphthonge

Vokale und Diphthonge (siehe unten, 4.2)

ey

i ye

we ay

Konsonanten p b

t d

k g

i

* J

'c

f v

s z

e m

n

h

9

fi

r

1

X

Als hervorragende Charakteristika des Altfranzösischen erweisen sich die fünf Diphthonge und die vier Affrikaten. Außerdem heben sich auch der Vokal [ü], die Reibelaute [6, 9], das [h], und die Palatale [ft, X] im Vergleich zun Latein deutlich ab. Wir können das hier gegebene System ein Oberflächeninventar des Altfranzösischen nennen, denn es registriert genau die Laute, die wir für die phonetische Realisierung von afr. Wörtern annehmen. Eine generative Analyse des Altfranzösischen beginnt mit diesem Inventar. Die norphonologische Alter-

35

nanzen, in denen diese Laute vorkommen, bilden die Basis für die synchronischen Regeln. Es ist zu erwarten, daß das Oberflächeninventar Im Vergleich zur zugrundeliegenden Repräsentation stark reduziert werden muß. Man kann sich leicht vorstellen, daß viele dieser Laute paarweise zusammengesetzt werden können, von denen einer zugrundeliegend, der andere abgeleitet ist. Wenn diese Reduzierung sich als wirklich nötig erweist, dann wird es sich auch herausstellen, ob ein Vergleich der zugrundeliegenden Strukturen des Lateinischen und des Altfranzösischen noch inmer bedeutende Unterschiede zeigt. Mit anderen Worten: die generative Analyse fordert strengere Kriterien für die Festsetzung außergewöhnlicher Umwälzungen in der historischen Phonologie, als dies bislang der Fall war. Man kann allerdings sagen, daß die generative Darstellung , mit ihrer Betonung der phonologischen Tiefensturktur, die strukturalistische Analyse ergänzt, nicht ersetzt. Der Terminus Oberflächeninventar soll deshalb nicht schmälernd gemeint sein, sondern einfach die - offensichtlich unvollständige Grundlage unserer Studie bezeichnen. 3.2.

Alternanzen mit Diphthongen

Die wohl am leichtesten erkennbaren morphologischen Altemanzen des Altfranzösischen sind die Diphthonge auf der einen Seite, im Wechsel mit den entsprechenden einfachen Vokalen auf der anderen. Obwohl diese Alternanzen auch bei den Substantiven und Adjektiven auftreten, gehört ihre überwiegende Anzahl der Konjugation des Verbs, und zwar dem Präsens, an. Als Folge der bekannten Starrmabstufung in der Gegenwart, die auf lt. Verhältnisse zurückgeht, erhalten wir im Altfranzösischen Allcmorphe des Stdimurphems, d.h. eine betonte Form in den Personen des Singular und in der dritten Person des Plural, und eine unbetonte Variante in den ersten zwei Personen des Plurals. Die folgenden Beispiele, die alle die 2. Person im Singular und im Plural (mit separat geschriebenem Personenmorphem) illustrieren, machen diese Abstufung offensichtlich. espeyr + SS meyn + es dSy + s v£y + s ceyl + 3S lyev

+ 3S

abrye5 fyer vyin kry^n

+ + + +

9S S s s

esper men dev ve &el

+ ec + et + et + et + et

+ eb abre5 + et fer + et + et ven krem + et lev

'hoffen' 'führen' 'sollen' 'sehen' 1 verheimlichen 1

heben 1 'abkürzen' 'schlagen' •kommen' • fürchten'

36 (C) plöwr loböwr kötvl espöwz

+ as + SS + es + 3S

plor labor kol espoz

+ + + +

ec ec ec ec

(d) denwcr trwfev pr w'zw wtv r mwer

+ as

+ as + as + as + s

demor trov prov ovr mor

+ + + + +

ec ec ec ec ec

'bleiben1 ' finden' 'beweisen' 'öffnen' 'sterben'

s as as as + s

äm lav sän navr sav

+

ec ec ec ec ec

' lieben' 'waschen' 'heilen' 'schmerzen' 'wissen'

(e) aym lev sayn nevr se

+ + + +

+ + + +

'weinen' arbeiten' 'durchseihen 'heiraten'

1

Als Alternanzpaare erweisen sich also diese: Betont

Unbetont

ey ye ow we ay, e

e e o o a

Wir gehen von der Annahme aus, daß die gegebenen Paare synchronisch verwandt waren und deshalb eine gemeinsame zugrundeliegende Form enthielten. Es ist daher naheliegend, die unbetonten Varianten als Basen, die Diphthonge aber als abgeleitet anzusehen. Die synchronischen Regeln erklären diese Ableitungen als durch den Akzent verursacht: Afr. Regel 1: vgl. (a) und (c) - Gespannte Mittelvokaldiphthonqierunq "" V - hoch - tief 4 ahinten + gsp + betont (e, o -»• ey, ow) Afr. Regel 2: vgl. (b) und (d) - Nichtqespannte Mittelvokaldiphthonqierung V - hoch - tief ahinten - gsp + betont (e,o

ye, wo)

Afr. Regel 3: vgl. (b) und (d) - Frontierung von [wo] + -

V hoch tief hinten gsp

(wo

we)

[- hinten]

G hinten

37

Afr. Regel 4: vgl. (e) - TiefVokaldiphthongierung

G

1

hinten]

r Ki

V + tief + betont

1+ nasj

(a ->• ay) Afr. Regel 5: vgl. (e) - Frontierunq von [a] V + tief + betont

fKl

P tief hinten]

^ nasj

(a e) Gemäß diesen Regeln scheinen die afr. Diphthonge von der Betonung allein abhängig zu sein. Doch wenn wir andere afr. Wörter, wie z.B. die folgenden, betrachten, dann maß die obige Ebrmalierung etwas geändert werden: 'Horn' (a) jSnt •Volk' (d) kórn 'stark* vért 'grün' f5rt 1 fest' 'Graf' (c.r.) ferra könta 1 'Wind' (e) cirbra (b) vlnt Baum' 'Fest' cämp fèsta 'Feld* 1 pista Teig' tcmps 'Zeit' 'Tag' (c) jürn •Form* fórma 'nähen1 kuzdra In diesen Beispielen kennen die in den verbalen Altemanzen unbetonten Vokale in betonter Stellung vor. Wie können wir diese Nichtdiphthongierung vorhersagen? Die Silbenstruktur muß in die Regelforrrulierung eingebaut werden. Die Diphthonge erscheinen nur dann, wenn dem betonten Vokal höchstens ein Konsonant (oder Muta cum Liquida) folgt. Mit andern Worten: Die Umgebung (nach dem Schrägstrich) lautet jetzt für die Regeln 1 und 2 genauer: v Afr. Regel 1: (K)

Afr. Regel 2:

(K)

C °bstr]

Wenn wenigstens zwei Konsonanten, von denen der zweite nicht als [- Obstr] gekennzeichnet ist, dem betonten Vokal folgen, dann bleibt der Vokal unverändert. (Die Formen mit betontem [u] in (c) erklären wir im nächsten Kapitel.) Sehen wir uns jetzt die oben angeführten Verbalaltemanzen noch einmal an. Es zeigt sich, daß die Oberflächenrepräsentationen der unbetonten Vokale (2. Persc« Plural) nicht genau stinmen. In den Beispielen (a) und (b) wurden die vorderen Vokale in unbetonter Stellung wahrscheinlich als [a] realisiert, während in (c) und (d) die hinteren Vokale in unbetonter Position als [u] gespro-

38

chen wurden. Wir haben diese phonetischen Nuancen nicht gleich angesetzt, um die synchronischen Diphthongierungsregeln klarer präsentieren zu können. Die genauen afr. Btormen lauten: (a) esparefc mane£ davet vae£ 6ale£

(b) lavefc abratet faret vanet kramet

(c) pluret laburet kulet espuzet

(d) damurefc truvefc pruvet uvreC muret

Diese Fälle weisen darauf hin, daß offenbar zwei weitere synchronische Regeln vorhanden waren: Afr. Regel 6: vgl. (a, b) - Reduzierung der Vordervokale -

rv i

V hoch tief hinten betont

|_+ betont]

(e, e + a) Afr. Regel 7; vgl. (c, d) - Hebung der Hintervokale + -

V hoch tief hinten betont

[+ hoch]

rv i

|+ betont]

(o, o + u )

(Die Umgebung nach der Leerstelle kennzeichnet die sich verändernden Vokale als Vortonvokale. Die Altemanzen (e) sind hier nicht eingeschlossen, denn der Vokal [a] bleibt [a] in der \tortonstellung.) Man kann die bisher besprochenen Altemanzen in dieser Tabelle zusanmenfassen: Zugrundeliegend Betont e e o o a

- K ey ye ow we ay, e

Oberfläche Betont - KK e e o o a

Unbetont a a u u a

An diesem Punkt stellt sich die methodologische Frage: Sind wir berechtigt, die gegebenen zugrundeliegenden Vokale für die Verbalalternanzen zu postulieren, wenn die Oberflächenformen nur im Falle des [a] die Tiefenstruktur widerspiegeln? Es ist ersichtlich, daß beide Oberflächenrepräsentationen in den ersten vier Paaren abgeleitet sind. In unserer Analyse des Altfranzösischen vertreten wir eine gemilderte Fassung der sog. starken Alternanzbedingung (Kiparsky 1968b). Die strenge Interpretation würde die ersten vier Fälle nicht erlauben, und zwar deshalb, weil die angesetzte zugrundeliegende Form nicht mit einer

39

entsprechenden Oberflächenmanifestation übereinstimmt. Die gemilderte Interpretation läßt Tiefenformen zu, die mit höchstens einer Regel mit der Oberfläche verbindbar sind (vgl. auch Kiparsky 1971, 590). Sollte mehr als eine Regel nötig sein, mit anderen Worten: müßte man Zwischenformen in der Ableitung von der Tiefenstruktur zur Oberfläche ansetzen, dann würde die Analyse als zu abstrakt zurückgewiesen werden. Gute Beispiele für den letzteren Fall sind die Alternanzen in den folgenden Verben: (a) apuy enüy

+ es + SS

-

apoy enoy

+ e£ + e£

1 stützen' •verhaßt sein

(b) pri

+ Ö3 + as

-

prey ney

+ e& + e&

'bitten' 'leugnen'

ni

Die phonetische Gestalt des Staitmes könnte auf zugrundeliegende Formen wie |apoy|, |enoy|, |prey| und |ney| zurückgeführt werden. Dann leiten wir Zwischenformen des Singular des ersten Verbs durch die Diphthongierungsregel und durch eine (hier nicht formulierte) Regel der Tiphthongenvereinfachung ab, die Endform schließlich durch die (historische) Regel der u-Frontierung: Zugrundeliegend: Diphthongierung Triphthongvereinfachung u-Frontierung Endform

apoy apwey apuy apüy [apüy]

Ähnlich würde die Ableitung von 'bitten' aussehen: Zugrundeliegend: Diphthongierung Triphthongvereinfachung Tilgung des Gleitlautes Endform

prey pryey priy pri [pri]

Ohne Schwierigkeit ist der synchrcrtisch abstrakte Charakter einer solchen Analyse erkennbar. Wir brauchen zwei Zwischenfarmen, bevor wir die phonetische . Oberfläche erreichen, und drei Regeln! Die gegebenen Ableitungen stirrmen wahrscheinlich als historische Entwicklungen. Doch ist es unwahrscheinlich, daß wir überzeugend für deren psychologische Realität im Sprachvermögen afr. Sprecher plädieren könnten. (Die vorliegende Analyse wird bei Wälker 1971, 24-26, vorgeschlagen,) Die unbetonten \Aokale, die mit Diphthongen alternieren, sind Vortonvokale in der ersten Silbe des Wbrtes. Als nicht-erstsilbig, bzw. in Zwischentonstellung, fallen sie entweder aus, oder sie werden wie Im Falle von [a] zu [a] abgeschwächt: (a) par6l + as pari + e6 'sprechen' arayfc(5n + as arayfcn + e6 'anreden' (b) ac£t traväA

+ ss + as

-

a&at + efc travaA + et

'kaufen' 'quälen'

40

Die Beispiele in (a) fordern eine synchronische Syrikopierungsregel, die alle Vbkale außer [a] betrifft: Afr. Regel 8: V - tief - betont

^

/

betont] K

K

[+ betont]

(o Die a-Reduzierung für die Gruppe (b) lautet etwa wie folgt: Afr. Regel 9; V + tief - betont

betont] K

K

[+ betont]

(a -f a) 3.3.

Konsonantische Regeln

Wie schon erwähnt, bilden die afr. Affrikaten die vielleicht hervorragendsten Kennzeichen des konsonantischen Systems. Ob sie in einer generativen Analyse als zugrundeliegend oder als abgeleitet charakterisiert werden können, ist nicht leicht zu entscheiden. Davon soll im nächsten Kapitel die Rede sein. Wir schreiben hier zunächst nur die synchronischen Regeln, deren Motivation in der Folge zu begründen sein wird. Alternanzen mit Affrikaten entnehmen wir den Adjektiv- und Verbalparadigmen: Adjektive maskulinum lark

femininum larj + s 'breit' sei sek 'trocken + e lönk 15nj + a 'lang' bl3nk blänc + 3 •weiß' fresc + s fr esk 'frisch' Verben (1. Person Singular, Präsens) Indikativ Konjunktiv suric surja 'entspringen' kolk kolja 'sammeln' plank plänja 'beklagen' ferJc £er£ 'umkreisen' kulJc kuli • schlafen' vSnk vSnca 'besiegen' Partizipien surjant iercSnt kulcänt Drei Affrikaten, [c], [c] und [jj], kennen in den genannten Verbformen vor, und zwar vor [a], [a] und am Ende des Wortes. Es fällt gleich auf, daß die palatalen Affrikaten, obwohl beide die gleiche phonetische Umgebung aufweisen, aus

41

zwei verschiedenen Quellen abgeleitet werden müssen, eben weil die Oberflächenreal isationen verschieden sind. Die Formen des maskulinen Adjektivs und des Indikativs können nur teilweise als Tiefenstruktur angesehen werden, denn sie weisen ja nur den Laut [k] auf. Die folgenden Regeln tragen der Affrikatenalternanzen Rechnung: Afr. Regel IQ: Velarpalatalisierung

(a)

V + -

Obstr dau ant cor

r vi

[+ tief]

[+ scharf]

[a]

(k, g -*- c, J)

Die dentale Affrikata Ec] könnte entweder (a) morphologisch charakterisiert werden, das heißt, k ->• c / 1. Person Singular Konjunktiv, oder besser (b) durch eine pbonologische Regel: Afr. Recjel 11: Velarpalatalisierung

(b)

K + -

Obstr ' dau ant cor sth

+ ant + cor + scharf

7

^ V - hoch - tief - hinten

(k ->• t) Regel 11 wird durch die Formen der 2. Person Plural des Konjunktivs dieser Verben konkret motiviert: + et + et

£er£ kul£

Um die Endformen von lark, ZZmk, surk, kolk und plänk zu generieren, brauchen wir zusätzlich noch eine Regel für die Auslautverhärtung, da wir in diesen Formen g als zugrundeliegend ansetzen: Afr. Regel 12: Auslautverhärtung K

+ Obstr + sth

[- sth]

(g + k) Ctowohl diese Regel für die obigen fünf Beispiele eigentlich zu generell geschrieben ist, geben wir sie schon hier in einer Form, die für spätere Alternanzen nötig sein wird. (Vgl. unten die Mjektivparadigmen) Außer den Palatalisierungsregeln besitzt das Altfranzösische andere, ziemlich weitreichende konsonantische Regeln. Es gibt Stanmabstufung bei den Substantiven, wie die folgenden Alternationen des aas regime zeigen:

42

Singular (a) Zerf cämp verm

Plural fcer + s + s San + s ver + s ne + s ser

'Hirsch' •Feld' 'Frühj ahr' 1 Kirchenschiff 'Diener'

(b) kok sak

ka sa

+ s

s

'Hahn' ' Sack'

(c) Jurn körn Snfern

V + s Dur + s kor enfer + s

'Tag' 'Horn' 'Hölle'

(d) mür

mür v?nt fin vln

s + s + s

'Mauer' •Wind' 'Ende' 'Wein'

(e) ba 1 cßva 1 k ol

baw + s cavaw + s k ow + s

'Tanz' •Pferd' •Hals1

(f) fil kül nül

fi kü nü

'Faden' 'Hintern' 'keiner'

rief

ser f

vint

f in vi n

+

+ s

+

+

s

+

s

+ s

Wie man sieht, fällt der starrmauslautende Konsonant vor dem Pluralmorphem -s, das separat geschrieben ist, in den Beispielen (a), (b), (c) und (f) aus, während er in (d) unverändert, in (e) aber verändert erhalten bleibt. Um die Alternanzen in (a) und (b) zu beschreiben, zwingt sich die folgende Regel auf: Afr. Regel 13: Tilgung der Nichtdentale (jjcor]

s

**

(Morphem)

(p, k, f, m ->Die Dentale, t, n und r, werden vor dem Morphan -s im allgemeinen nicht getilgt, wie wir aus (d) erkennen. Doch fällt der Konsonant n vor -s, wenn ein anderer Konsonant vorangeilt. Daraus ergibt sich die folgende Regel: Afr. Regel 14: n-Verlust K + nas + cor

*

K

s (Morphem)

(n ->- ) Die letzten zwei Gruppen von Beispielen veranschaulichen das Vorkamen des Liquiden l, dessen Oberflächenrealisation im Plural entweder der Gleitlaut [w] (nach nicht-vorderen Vokalen) oder Null (nach Vordervokalen) ist:

43

Afr. Regel 15: Vokalisierung des 1 (Gleitlautbildung) K V + lat -s (Morphem) - hoch + ant + hinten [_+ hinten] (1 + w) Afr. Regel 16: 1-Verlust V K -s (Morphem) + hoch + lat hinten + ant (1 0) Daß solche Regeln wie die Auslautverhärtung (12), Tilgung der Nichtdentale (13) und Vokalisierung des l (15) im Altfranzösischen weit verbreitet sind, baieist die folgende Menge von Altemanzen, die Adjektiv- und Verbalmorphemen entnommen sind: Adjektive femininum muskulinum caw f cawv + 3 'glatzig' kurp kurjb + 3 'gebogen' gris griz + 3 •grau1 3 vert • grün' verd + cawt cawd + 3 'warm' nüS + 3 nü? 'nackt' Der stinmhafte Konsonant (v, ba z, d, 3) wird als zugrundeliegend angesehen; die maskulinen Formen generieren wir dann durch Anwendung von Regel 12. (Vgl. oben die Adjektive mit Affrikaten, die das velare g in der Tiefenstruktur haben.) Verben (Indikativ Präsens) 1. P. Sg. 2. P. Sc,. 2.- P. PI. + ec + s bey 'trinken' (a) bey-f bsf kryef 'sterben' krye + s krsv + ec eskrif eskri + s eskriv + ec ' schreiben + s mwef + ec mwe muv 'bewegen' + s + efc (b) rie rit ri? * lachen' klogr + efc klo© klot + s 'schließen suku© sukucf + ec sukut + s 'helfen' prent pr6nt + s prSnd + ec 'nehmen' vaitr + s va 1 + ec (c) vaX 'wert sein saX • + s saw sal + ec 'springen' + e& (d) mäfi m3yn + s män •bleiben' vyefi + et vy in + s v§n 'kommen' In den Beispielen (a) postulieren wir v als zugrundeliegend; durch Regel 13 erreichen wir die 2. Person Singular (das v wird getilgt, vor -s) und durch Regel 12 die 1. Person Singular (das v wird vor Pause stinmloses [f]). Die 1. Person Singular in (b) läßt sich auf zugrundeliegendes 3 in den ersten drei Beispielen, auf d in [prSnt] zurückführen. Doch die Formen [rits], [klots] und

rg i

44

[sukuts] dieser Gruppe fordern eine zusätzliche Regel, die ungefähr wie folgt aussieht: Afr. Regel 17: Dentalokklusivierung

K + cor + dau + sth

s

(Umwandlung des dentalen Reibelautes in den entsprechenden Verschlußlaut) (Morphem)

(3 - t) Die Vokalisierungsregel (15) erfaßt das zugrundeliegende l in (c) und wandelt es in den Gleitlaut [w] der 2. Person Singular um. Das palatale [X] der 1. Person muß wahrscheinlich durch eine morphologische Regel erklärt werden, und zwar 1 •+• X (1. Person Singular). Ähnlich würden wir mit dem palatalisierten [ft] in (d) vorgehen. In beiden Fällen wäre es zu abstrakt, ein zugrundeliegendes Yod anzusetzen, das l bzw. n folgen würde. Dies würde zwar die Diachronie widerspiegeln, aber um die Oberfläche zu erreichen, brauchten wir zwei synchronische Regeln: Palatalisierung des l und Gleitlauttilgung. 3.4.

Die Akzentregel

In der Formulierung der Regeln, die für die Alternanzen mit Diphthongen notwendig waren, spielte der Akzent eine wichtige Rolle. Wir wollen uns jetzt eingehender mit der afr. Betonung beschäftigen. Wie bekannt, kann das afr. Wort entweder auf der Ultima oder auf der Pänultima akzentuiert werden, im zweiten Fall aber nur dann, wenn der letzte Vokal ein [a] ist: Afr. Regel 18: Akzentuierung V

[+ betont] / - (K) (K) (KS) #

Diese Regel enthält die folgenden Betonungsmöglichkeiten: (1) (2) (3) (4) (5)

-

#

: : KKtt : KKKatt: KKa# :

(6) - Ks#

mey 'mich' (endet eigentlich mit Gleitlaut) bek 'Schnabel' fort 'stark' ärbra 'Baum* empareira 'Kaiser* (cas sujet)

: deta

'Schuld'

Die Akzentregel bezieht sich auf die zugrundeliegende Repräsentation, obwohl die oberen sechs Wörter phonetisch geschrieben wurden. (Es wird sich zeigen, daß die Ctoerfläche in der Position des Akzentes von der Tiefenstruktur nicht abweicht.) Betrachten wir jetzt einige Ableitungen von schon gegebenen Verbformen: Zugrundeliegend: Regel 18 Regel 1 Regel 2-3 Regel 6 Regel 7 Endformen:

de + s de + s dey + s dey + s

dev dev

dev dav

+ + + +

ec ec

trov trov

+ es + as

trwev

+ as

trwev

+ as

trov trov

+ ec + ec

truv truv

+ ec + ec

ec ec

45

Es gibt im Altfranzöischen eine beträchtliche Anzahl von Substantiven und Komparativen, die zufolge der Akzentregel ganz verschiedene phonetische Gestalten im Singular aufweisen: Substantive (Imparisyllaba) cas sujet cas regime empare?fra ëmparaïowr änfcestra äncasowr nyes navowt pastra pastowr cäntr a cäntowr leSra lajTrön nöne nönäyn püta pütäyn änta äntäyn surowr swer Komparative myeldra meyndra pira mera

maXowr manowr payowr majowr

'Kaiser1 •Vorfahr' •Neffe' •Hirte* 'Sänger' 'Räuber' 'Nonne* 'Dirne' 'Tante' 'Schwester' 'bessar' 'kleiner' 'schlechter' 'größer'

In einer generativen Analyse dieser Formen ist die Versuchung groß, beide Kasus von einer gemeinsamen zugrundeliegenden Form abzuleiten. Da der semantische Zusammenhang beider Formen nicht bezweifelt werden kann und da sie ja schließlich auch einen einzigen Substantiv zugehören, könnte man annehmen, sie seien auch phonologisch auf eine einzige Repräsentation zurückzuführen. In diesem Fall würde man für ein Wort wie für 'Kaiser' die zugrundeliegende Form |enperaSor| vorschlagen. Doch dann wird die Akzentsetzung zum Probien. Nach Regel 18 muß der Akzent in diesem Wort auf die letzte Silbe gesetzt werden, da sie kein [a] enthält. Diese Akzentuierung wäre für den aas régime richtig, doch nicht für den aas sujet'. Wir müßten dann eine morphologische Regel einschließen, die besagen würde, daß der aas sujet paroxytone, der aas régime aber oxytone Betonung erhält. Die weitere Ableitung würde wie folgt aussehen: Zugrundeliegend : Morph. Akzentregel Regel 5 Regel 1 Apokope Regel 9 S tüt zvokalbildung Endform

empsracfor emparâctor (c. s.) empare3or empareSr

emparaïor emparaïôr

(c. r.)

emparaïowr

empara8owr empareSra empare8ra emparaJowr Es ist leicht erkennbar, daß für den aas sujet zu viele Regeln notwendig sind, um diese Analyse synchronisch plausibel zu machen (Apokope, Stützvokalbildung) . Und im gegebenen Beispiel war die Ableitung verhältnismäßig einfach! Die Formen für 'Nonne', 'Neffe', 'schlechter', 'größer' usw. würden zusätzliche Regeln fordern (Auslautender n-Verlust, Umlaut, u.a.).

46

Die zweite Lösung erscheint vielleicht linguistisch nicht so interessant, doch kann sie realistischer genannt werden. Wir schlagen vor, die zwei Kasus bei den akzentwechselnden Imparisyllaba als phonologisch separate Einheiten anzusehen. Sie gehen also auf verschiedene zugrundeliegende Strukturen zurück: Zugrundeliegend: Regel 18 Regel 5 Regel 1 Regel 9 Endform

emparajra emparäSra empareJTra

emparaJor empara96r emp&ra8fowr emparajowr empara9owr

empareära

Die in diesen Ableitungen benützten Regeln wurden alle schon mit anderen Beispielen motiviert. Die zweite Lösung hat außerdem den Vorteil, alle gegebenen Imparisyllaba mit zugrundeliegenden Repräsentationen versehen zu können, die nicht zu weit von der Oberfläche entfernt sind. Zum Beispiel würde im Falle von 'schlechter' die Oberflächenform im aas sujet mit der Tiefenstruktur identisch sein, im aas regime würden wir [payowr] aus zugrundeliegendem | payor | mit der Diphthongierungsregel generieren. Ein ähnliches Problem der Ableitung betrifft auch imparisyllaba, die den Akzent nicht wechseln: cas sujet

cas regime

kwen + s

konta

'Graf'

Wir dürfen das -s in cuens als das einzig trennbare Substantivmorphem separat schreiben. Doch wenn wir dann eine gemeinsame zugrundeliegende Form für beide Kasus vorschlagen, brauchen wir zwei synchronisch unmotivierte Regeln, t-Verlust vor -s und Apokope; dabei würden wir den Diphthongen trotzdem nicht ableiten können: Zugrundeliegend: k.onta konta Regel 18 khnta konta Regel 2-3 nicht anwendbar Apokope im cas sujet kont t-Verlust kon Endform: *kön + s könta

Man kann also sagen, daß die rein phonologische Lösung nicht haltbar ist. Als selbständige Elemente aber könnte man die beiden Formen so erklären: Zugrundeliegend: Regel 18 Regel 2-3 Endform

kon knn kwen kwen

+ + + +

s s s s

(Vgl. Kiparsky 1971, 590-596).

konta könta konta

47 3.5.

Ordnung der afr. Regeln

Anders als im Falle der diachronischen Regeln fordert die afr. Synchronie nicht, daß die Regeln grundlegend geordnet werden. Die einzige Ausnahme bilder die Akzentregel (18), die an erste Stelle gesetzt werden muß, denn darauf beruhen alle vokalischen Regeln (1-9). Bei jeder Ableitung muß der Tiefenstruktur zuerst der Platz für die Betonung zugewiesen werden, um zu bestirnten, ob an zweiter Stelle eine Regel für betonte Vokale oder eine Regel für unbetonte Vokale folgt. Daß keine synchronische Ordnung der anderen Regeln notwendig ist, kann natürlich unserer gemilderten Fassung der Alternanzbedingung zugeschrieben werden. Da wir keine zugrundeliegende Formen zulassen, die mehr als eine Regel (außer der Akzentregel) benötigen, um die Oberfläche zu erreichen, haben alle Regeln denselben Rang. Aus diesem Grunde sind sie nicht gegenseitig geordnet. Historische und synchronische Regeln unterscheiden sich also wesentlich im Hinblick auf die Ordnung. Falls man die Alternanzbedingung nicht berücksichtigt, erreicht die synchronische Beschreibung häufig einen abstrakten Charakter, und sie spiegelt die Diachronie fast Schritt für Schritt wider. In diesem Fall könnte man die generative Analyse der historischen Methode der internen Rekonstruktion gleichstellen. Mit dem behandelten Material haben wir versucht, die wichtigsten Regeln der afr. Sprache zu formulieren. Was hier vorliegt, ist also bloß eine Auswahl. Denn wir beschränkten uns allein auf morphologische Paradigmen, obwohl die derivationelle Morphologie zusätzlichen Stoff liefern würde. Aber es ist nicht wahrscheinlich, daß neue, allganeine Regeln des Altfranzösischen nur durch Beispiele aus der derivationellen Morphologie, und nicht gleichzeitig durch die Paradigmen des Substantiv, Verbum und Adjektiv motiviert werden könnten. Zur Lektüre empfohlen: Kiparsky 1968b Kiparsky 1971 Schane 1972 Walker 1971

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