179 120 31MB
German Pages 278 [280] Year 2002
Linguistische Arbeiten
461
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese
Christoph
Gabriel
Französische Präpositionen aus generativer Sicht
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gabriel, Christoph: Französische Präpositionen aus generativer Sicht / Christoph Gabriel. - Tübingen : Niemeyer, 2002 (Linguistische Arbeiten ; 461) Zugl.: Berlin, Techn. Univ., Diss., 2000 ISBN 3-484-30461-8
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck G m b H , Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhalt
Vorwort
VII
Abkürzungsverzeichnis
1.
Einleitung 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
2.
Problemstellung und Ziel Klassifizierungsprobleme im Bereich der relationalen Elemente Grammatikalisierung und Grammatikalisierungsforschung Grammatikalisierung und generative Grammatik Kapitelüberblick
Präposition, Präpositionalphrase und Kasus in der generativen Grammatik 2.0 Forschungsüberblick 2.1 Kategorien, Phrasenstruktur und X-bar-Schema 2.1.1 Ρ als lexikalische und funktionale Kategorie 2.1.2 Interne und externe Syntax der PP 2.1.3 X-bar-Schema und Projektionshöhe lexikalischer Kategorien. DP-Hypothese und VP-Shells 2.1.4 Der Satz als maximale Projektion funktionaler Kategorien 2.1.5 Verbbewegung, morphologische 'Stärke' und Split-Infl: Phrasenstruktur im MP 2.1.6 Resümee 2.2 Θ-Theorie 2.2.1 Zur Rollenstruktur von Ρ 2.2.2 Rollenzuweisung in der PP: Ρ als Rollenzuweiser und-transmitter 2.2.3 Lizenzierung syntaktischer Positionen durch Θ-Rollenentladung: Higginbotham ( 1985) und Weiterentwicklung bei Zwarts und Rauh 2.2.4 Die Modi der Θ-Rollenentladung 2.2.5 Rückblick: NP oder D P - P P oder RP? 2.2.6 Resümee 2.3 Kasustheorie 2.3.1 Struktureller und inhärenter Kasus im P&P-Modell 2.3.2 Der Genitiv als adnominaler Kasus des Französischen 2.3.3 Inhärente Kasus im Französischen: Regierte Präpositionen als Kasusmarker? 2.3.4 Phrasenstrukturelle Repräsentation inhärenter Kasus im Französischen: Kasusmarkierte Nominalphrase oder PP? 2.3.5 Kasushierarchie fiir das Französische 2.3.6 Kasus im MP 2.3.6.1 Huppertz (1992): Die KP-Analyse als Vorläufermodell
VIII
1 1 3 13 23 28 30 31 35 35 39 45 51 56 67 68 68 74 76 79 88 90 92 93 103 114 122 128 131 131
VI
2.4
2.3.6.2 Chomsky (1995): Das Checking-Modell als Herzstück des MP 2.3.6.3 Merkmalsstärke und syntaktischer Wandel 2.3.6.4 Freier Dativ 2.3.7 Resümee Antisymmetrie der Syntax 2.4.1 Kayne (1994) 2.4.2 Minimalismus und Antisymmetrie 2.4.3 Resümee
134 139 141 146 148 148 157 163
3.
Elemente einer minimalistischen Grammatik des Französischen 164 3.0 Zur Notation 165 3.1 Intransitive und unakkusati ve Verben 166 3.2 Transitive Verben mit direktem Objekt bzw. Objektklitikon 167 3.3 Transitive Verben mit Objektoid 170 3.4 Konstruktionen mit periphrastischen Verbformen 171 3.4.1 Transitive Verben im passé composé mit voller Objekt-DP 175 3.4.2 Transitive Verben im passé composé mit Objektklitikon 176 3.4.3 Transitive Verben im Passiv 177 3.4.4 Unakkusative Verben im passé composé und Expletivkonstruktionen .... 178 3.4.5 Exkurs: Partizipialkongruenz im Relativsatz 180 3.5 Bitransitive Verben mit zwei vollen Objekt-DPs 185 3.6 Bitransitive Verben mit zwei Objektklitika 187 3.7 Partizipialkonstruktionen 187 3.7.1 Absolute oder unverbundene Partizipialkonstruktion 187 3.7.2 Verbundene Partizipialkonstruktion 188 3.8 Adpositionen 189 3.9 Argumentale und nicht-argumentale Genitive 190 3.10 Versprachlichung der HABEN-Relation: de (possessiver Genitiv), avoir (Possession) und être à (Zugehörigkeit) 192 3.11 Resümee 195
4.
Fallstudien zu den französischen Präpositionen 4.1 Gradueller Wandel und binäre Konstituentenstruktur - ein Widerspruch? 4.2 Die relationalen Elemente des Französischen: Kategorienübergänge am 'lexikalischen' Pol der Grammatikalisierungsskala.... 4.2.1 Kategorienübergänge zwischen Verb und Präposition 4.2.1.1 Partizip Perfekt oder Präposition? 4.2.1.2 Partizipialkonstruktion oder Präpositionalphrase? 4.2.1.3 Weitere Fälle verbbasierter Präpositionen 4.2.2 Kategorienübergänge zwischen Nomen und Präposition
198 202 203 216 225 227
Zusammenfassung und Ausblick
235
5.
197 197
Glossar
242
Literatur
253
Vorwort
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Frühling 2000 vom Fachbereich 1 (Kommunikations- und Gesellschaftswissenschaften) der Technischen Universität Berlin angenommen wurde.
Ich möchte an dieser Stelle folgenden Personen und Institutionen danken: In erster Linie gilt mein Dank der Betreuerin und Erstgutachterin, Trudel Meisenburg, sowie den weiteren Gutachtern Peter Erdmann und Martin Haase. Weiterhin möchte ich meiner Familie sowie allen Kolleginnen, Freundinnen und Bekannten, die mich während der Arbeit an der Dissertation unterstützt haben, herzlichen Dank aussprechen. Dem Land Berlin danke ich für das Gewähren eines Promotionsstipendiums. Mein Dank gilt auch den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe „Linguistische Arbeiten" des Niemeyer-Verlags.
Osnabrück, im August 2001
Christoph Gabriel
Abkürzungsverzeichnis
>
overte Bewegungen koverte Bewegungen
? * t —»
von fraglicher Grammatikalität ungrammatisch siehe unter (Verweis auf das Glossar) 1. daraus folgt
> < υ (... ) [... ]
2. wird transferiert zu entwickelt sich zu hat sich entwickelt aus vereinigt mit (Bildung der Vereinigungsmenge von Merkmalbündeln) fakultativ zu realisierende Elemente stehen in runden Klammem 1. Formale Merkmale einer lexikalischen Kategorie stehen in eckigen Klammem 2. Phonetische Transkriptionen stehen in eckigen Klammem
{... } < ... > 0 α
1. Suspendierte Merkmale stehen in geschweiften Klammem 2. Kategorien stehen bei der Notation von ÎMerge in geschweiften Klammem. θ-spezifische Angaben stehen in spitzen Klammem nicht overte Realisierung, Nullmorphem
Θ-Rolle A ABL Adv ae. afrz.
1. Phonetisch overt realisierte Kategorie (X oder XP) 2. Default-Wert Thetarolle Adjektiv Ablativ Adverb altenglisch altfranzösisch
[±Agr] Agr AgrP AKK [+anim] AOR AP aux Aux AuxP BPS brit. C CD(H)
Merkmal 'kongruierend' [+Agr] vs. 'nicht kongruierend' [-Agr] Kongruenzkopf Kongruenzphrase Akkusativ Merkmal 'belebt' [+anim] vs. 'nicht belebt' [-anim] Aorist Adjektivphrase 'light auxiliary' Auxiliar (Hilfsverb) Auxiliarphrase 'Bare Phrase Structure' britisch Complementizer Checking-Domäne eines Kopfes H
Chl CL CL akk CL d a t CP CSR D
'Computation of Human Language' Klitikon Akkusativklitikon Dativklitikon 'Complementizer Phrase' 'Canonical Structural Realization' Determinant
IX [D:Merkmal:Wert]
Merkmal, das bestimmte Merkmalswerte einer Projektion von D überprüft
DAT
Dativ
[±def]
Merkmal 'définit' [+def] vs. 'indefinit' [—def]
[±deik]
Merkmal 'deiktisch' [+deik] vs. 'nicht deiktisch' [—deik]
DEM
Demonstrativpronomen bzw. -determinant
DFCF
'Doubly-filled-Comp-filter'
DHLF
Dictionnaire historique de la langue française. Paris: Dictionnaires Le Robert, 1992.
DP
Determinansphrase
dt.
deutsch
-E-
g e m ä ß der sog. ' g r o ß e n ' Vokalharmonie des Türkeitürkischen variierender Vokal
e
leeres Element (im Gegensatz zu t basisgeneriert)
Ereignisrolle (referenzielle Rolle von V)
ECM
'Exceptional Case Marking'
ECP
' E m p t y Category Principle'
engl.
englisch
EPP
'Extended Projection Principle'
ESI
'Enlightened Self Interest'
EXP
Θ-Rolle 'Experiencer'
Expl
Expletivum
f
feminin
F
funktionale Kategorie
FEW
Wartburg, W a l t h e r von (1928). Französisches etymologisches W ö r t e r b u c h : eine Darstellung des galloromanischen Wortschatzes. Basel: Zbinden, 1928ff.
FF(LI)
'formal features of the lexical item LI'
FFM
'Formal Feature Matrix'
FG
Fugenelement
FP
funktionale Projektion
frz.
französisch
FUT
Futur
G
Genus
Eigenschaftsrolle (referenzielle Rolle von A )
GB
' G o v e r n m e n t and Binding Theory'
gdw.
genau dann w e n n
[±gen]
Merkmal 'generische B e z u g n a h m e ' [+gen] vs. 'spezifische R e f e r e n z ' [ - g e n ]
GEN
Genitiv
genoss]
possessiver (alienabler oder inalienabler) Genitiv
GENjagens]
argumentaler Genitiv mit der Θ-Rolle A G E N S
GEN[thema]
argumentaler Genitiv mit der Θ-Rolle T H E M A
GL
Le Grand Larousse de la langue française en six volumes. Paris: Librairie Larousse, 197178.
GPP
'Generalized Pied-Piping'
GR
Le G r a n d R o b e r t de la langue française. Dictionnaire a l p h a b é t i q u e et analogique de la langue française de Paul Robert. 2 e édition entièrement revue et enrichie par Alain Rey. Paris: Dictionnaires Le Robert, 1985.
grP
grammatische Präposition
HMC
' H e a d M o v e m e n t Constraint'
[±hum]
Merkmal 'menschlich' [+hum] vs. 'nicht menschlich' [ - h u m ]
-/-
g e m ä ß der sog. 'kleinen' Vokalharmonie des Türkeitürkischen variierender Vokal
i, j , k
kosubskribierte Indizes bei der Notation von Bindungsverhalten und B e w e g u n g e n
I, Infi
'Inflection', funktionale Kategorie, in der die Kongruenz- und T e m p u s m e r k m a l e von V kodiert sind
Χ
INST
Instrumentalis
INSTR INT [±int] [±intrs] IP ital. Κ KAUS klat. KOM KOM kors. KP L lat. LCA lexP LF LFG LH LI liz. LOK LOK LP m MLC MÖGL MP η Ν Ν
Θ-Rolle Instrument Interrogativmorphem Merkmal 'interpretierbar' [+int] vs. 'nicht interpretierbar' [-int] Merkmal 'intrinsisch' [+intrs] vs. 'optional' [-intrs] 'Inflection Phrase' italienisch funktionale Kategorie Kasusmarker Kausativ (Diathesemoφhem) klassisch lateinisch Θ-Rolle Komitativ Komitativ korsisch Kasusphrase lexikalische Kategorie lateinisch 'Linear Correspondence Axiom' lexikalische Präposition Logische Form 'Lexical Functional Grammar' Littré, Emile (1962). Dictionnaire de la langue française. Paris: Gallimard/Hachette. 'Lexical Item' lizenziert Lokativ Θ-Rolle Lokalisierung lexikalische Projektion maskulin 'Minimal Link Condition' Möglichkeitsaffix 'Minimalist Program' 'light noun' Numeration 1. Nomen 2. Numerus Negation Negationsphrase neufranzösisch niederländisch Nominativ maximale Projektion von η Nominalphrase erweiterte Projektion ersten Grades von Ν erweiterte Projektion zweiten Grades von Ν Objekt 'light preposition' Adposition (Prä- bzw. Postpositionen) Person Merkmal, das bestimmte Merkmalswerte einer Projektion von Ρ überprüft Partizip 'Past' Vergangenheit (Tempusmorphem) Passiv (Diathesemorphem)
Neg NegP nfrz. nl. NOM nP NP NP-ext' NP-ext" Obj ρ Ρ Ρ [P:Merkmal:Wert] PART PAST PASS
XI PERF
Perfekt (Tempusmoφhem)
PF
Phonetische Form
PFM
'Phonological Feature Matrix'
PL
Plural
POSS
Possession 1. Kennzeichnung des einen Besitzer (im weitesten Sinne) bezeichnenden Genitivs 2. Possessivaffix
POSS pf
Θ-Rolle Possessor
PP
Adpositionalphrase (Prä- oder Postpositionalphrase)
P&P
Prinzipien- und Parametertheorie
PR
maximale Projektion von ρ
Le nouveau petit Robert. Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française. Nouvelle édition remaniée et amplifiée. Hg. von Rey-Debove, Josette. Paris: Dictionnaires Le Robert, 1993.
PRCU
arbiträres PRO
PROG
'Progressive' (Aspektmorphem)
[±prox]
Merkmal 'proximal' [+prox] vs. 'nicht proximal' [-prox]
PRS
Präsens
pW
präpositionale Wendung
Q
Quantor
qc
quelque chose
qn
quelqu 'un
IP
quelque part
QP
Quantorenphrase
R
funktionale Kategorie, die als Θ-Binder für Ρ fungiert
Referent (referenzielle Rolle von N)
R-Ausdruck
referenzieller Ausdruck
regP
regierte Präposition
RP
maximale Projektion von R
[±S]
Merkmal 'strukturell' [+S] vs. 'inhärent' [ - S ]
Subj
Subjekt
'space' (referenzielle Rolle von P)
referenzielle Rolle von P, spezifiziert als lokaler Raum
referenzielle Rolle von P, spezifiziert als skalarer Raum
referenzielle Rolle von P, spezifiziert als temporaler Raum
sard.
sardisch
SC
'Small Clause'
schwed.
schwedisch
SFM
'Semantic Feature Matrix'
SG
Singular
span.
spanisch
Spec, Spec,XP
Spezifikator, Spezi fikatorposition in der Projektion eines Kopfes X
[istark]
Merkmalseigenschaft 'stark' [+stark] oder 'schwach' [-stark]
Τ
funktionale Kategorie Tempus
t
Spur
TLF
Le Trésor de la langue française. Dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789-1960). Hg. unter der Leitung von Paul Imbs. Paris: Editions du CNRS, 1971-1994.
[±Tns]
Merkmal 'tempusmarkiert' [+Tns] vs. 'nicht tempusmarkiert* [-Tns]
Top
funktionaler Kopf 'Topic'
TopP
'Topic Phrase'
TP
Tempusphrase
XII ttü. UCM UG ugspr. ung. UTAH V
türkeitürkisch 'Uniformity Condition on Case Marking' Universalgrammatik umgangssprachlich ungarisch 'Uniformity of Theta Assignment Hypothesis' 'light verb'
V [V:Merkmal:Wert] VISH vlat. vP VP [±Wh] WhP
Verb Merkmal, das bestimmte Merkmalswerte einer Projektion von V überprüft 'VP-intemal Subject Hypothesis' Vulgärlateinisch maximale Projektion von ν Verbalphrase Merkmal 'interrogativ' [+Wh] vs. 'deklarativ' [-Wh] Wh-Phrase Variablen, die für lexikalische oder funktionale Kategorien stehen können; Phrasenkopf Zwischenprojektionsebene maximale Projektion
X, Y , Z X' Xmax, XP
1.
Einleitung
1.1
Problemstellung und Ziel
Präpositionale Elemente erfüllen eine Vielzahl unterschiedlicher Funktionen bei der Versprachlichung von Relationen zwischen zwei gegebenen Größen. Dabei erstreckt sich im modernen Französisch das Inventar von obligatorisch zu setzenden Einheiten wie à in donner qc à qn über Elemente, die in semantischen Oppositionen zueinander stehen und dementsprechend vom Sprecher gemäß der jeweiligen Äußerungsabsicht selegiert werden (à/avant/après dix heures), bis hin zu morphologisch komplexen Wendungen wie à côté (de), à la place (de) oder au lieu (de). Hierbei bilden relationsbezeichnende Nomina und präpositionale Elemente mehr oder minder fest gefügte Einheiten, die im Einzelfall nur schwer von frei generierbaren Syntagmen abzugrenzen sind. Darüber hinaus verfügt das Französische auch über eine Reihe von verbalen Elementen und Konstruktionen wie concernant, étant donné oder abstraction faite (de), die präpositional verwendet werden können. Eine Abgrenzung der Kategorie Präposition (P) gegenüber ihren Nachbarkategorien erweist sich als ebenso schwierig wie die Subsystematisierung innerhalb der heterogenen Kategorie selbst. Die stark voneinander abweichenden Listen präpositionaler Einheiten, wie sie in zahlreichen an traditionellen Ansätzen orientierten Arbeiten auf den Gebieten der Grammatikographie und der linguistischen Sprachbeschreibung vorgeschlagen werden, lassen den prekären Status der hier vorwiegend interessierenden Kategorie deutlich hervortreten. Diese Klassifizierungsprobleme im Bereich der relationalen Ausdrucksverfahren - der zusammenfassende Terminus für Kasusmarker, Präposition und relationsbezeichnende Periphrase ist in Anlehnung an Poitiers Systématique des éléments de relation (1962) gewählt - bilden den Ausgangspunkt für die hier angestellten Überlegungen. Im Anschluss an eine Übersicht über verschiedene Ansätze, die bisher zur Beschreibung der Kategorie Ρ herangezogen wurden, wird ein Beschreibungsverfahren entwickelt, das es ermöglichen soll, kategorieninterne Differenzen erklärbar zu machen, ohne jedoch den betreffenden Bereich in ein Gerüst starrer Klassen zu zwängen. Das entwickelte Instrumentarium wird anschließend anhand der in den jeweiligen Randbereichen der relationalen Ausdrucksverfahren anzusiedelnden Elemente auf seine Verwendbarkeit hin überprüft. Bei diesen Elementen handelt es sich einerseits um präpositional verwendbare komplexe Syntagmen und andererseits um als Kasusmarker verwendete Präpositionen. Während am Strukturalismus orientierte Arbeiten fur den hier interessierenden morphosyntaktischen Teilbereich immer wieder neue Einteilungen vorgeschlagen haben, bietet die Grammatikalisierungsforschung um Linguisten wie Christian Lehmann oder Elizabeth C. Traugott einen theoretischen Rahmen, der den Akzent nicht auf die Einordnung bestimmter Elemente in ein bestehendes Kategorienraster legt, sondern vielmehr auf die Situierung der fraglichen Einheiten in einem Kontinuum zwischen den Polen 'Lexikon' und 'Grammatik'. Auf diese Weise werden aus der Diachronie gewonnene Erkenntnisse fur eine synchrone Analyse nutzbar gemacht. Das hieraus erwachsende Postulat von kontinuierlichem Wandel in
2 der Diachronie und fließenden Kategorienübergängen im synchronen Schnitt muss jedoch nicht unbedingt mit einem Verzicht auf die Unterscheidung zwischen Synchronie und Diachronie verbunden sein. Es scheint vielmehr unumgänglich, bei der Auseinandersetzung mit einem konkreten Untersuchungsbereich nach wie vor methodisch klar zwischen historischem Rückblick und Beschreibung des aktuellen Sprachzustandes zu trennen. Während sich der grammatikalisierungstheoretische Ansatz aufgrund seines bewusst flexiblen Umgangs mit Kategorien und Kategoriengrenzen in idealer Weise fur die Auseinandersetzung mit den relationalen Elementen einer Einzelsprache anbietet, erweist es sich als problematisch, dass in grammatikalisierungstheoretisch ausgerichteten Arbeiten die syntaktischkonfigurationelle Seite eben solcher Kategorienübergänge oft in nicht hinreichender Weise modelliert wird. Insbesondere Fragen der Wortstellungsvariation und der Reanalyse, d.h. der phrasenstrukturellen 'Uminterpretation' in ihren unterschiedlichen Ausformungen, werden zwar konstatiert und als Phänomene benannt, doch meist nicht anhand der jeweils zugrunde liegenden Konfigurationen explizierbar gemacht. Ein äußerst komplexes Instrumentarium fur die Modellierung von syntaktischem Wandel und syntaktischer Variation bietet dagegen die generative Grammatik. Allerdings konzentrieren sich Arbeiten aus dem generativen Bereich bisher fast ausschließlich auf die Abgrenzung zwischen (semantisch vollwertiger) Präposition und (präpositionalem) Kasusmarker. Dagegen spielen Kategorienübergänge zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien bzw. die Verfestigung komplexerer syntaktischer Strukturen und deren Eingliederung in die Kategorie Ρ kaum eine Rolle. Da zudem detaillierte Untersuchungen für das Französische im Bereich der generativen Grammatik deutlich unterrepräsentiert sind, erscheint es um so interessanter, gerade diesen Ansatz fur eine genauere Betrachtung der relationalen Elemente des Französischen nutzbar zu machen und auf seine Operationalisierbarkeit hin zu überprüfen. Hierzu ist eine eingehende Auseinandersetzung mit den entsprechenden theoretischen Voraussetzungen unerlässlich. Da zudem bislang keine umfassende Darstellung vorliegt, die die jüngsten Entwicklungen der generativen Syntaxtheorie - namentlich das von Noam Chomsky begründete Minimalistische Programm und die von Richard Kayne entworfene Theorie von der Antisymmetric der Syntax - mit einbezieht und konsequent auf das Französische ausgerichtet ist, müssen diese theoretischen Neuerungen einer grundlegenden Aufarbeitung unterzogen werden. Das Ziel ist somit ein zweifaches: Erstens gilt es, die neueren Ansätze der generativen Syntaxtheorie in umfassender Weise aufzuarbeiten und daraus ein Analyseinstrumentarium für die Modellierung französischen Datenmaterials zu entwickeln, das anschließend auf die zentralen Aspekte der Verbal-, Nominalund Präpositionalsyntax angewandt wird. Zweitens wird eine Systematisierung der relationalen Elemente des Französischen unter dem Gesichtspunkt der Grammatikalisierung angestrebt. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt hierbei auf den fließenden Kategorienübergängen einerseits zu den lexikalischen Nachbarkategorien von Ρ und andererseits zur funktionalen Kategorie Kasusmarker. Im Zentrum des Interesses stehen damit die jeweiligen Randbereiche am 'lexikalischen' bzw. 'grammatischen' Pol der entsprechenden Skala, wobei das Gewicht auf der Beschreibung und Explizier-
3 barmachung der syntaktischen Aspekte von Kategorienübergängen und schwankendem Gebrauch einzelner Elemente liegt. In diesem Zusammenhang gilt es schließlich am Beispiel der relationalen Elemente des Französischen abzuwägen, inwieweit die jüngsten Entwicklungen der generativen Syntaxtheorie die Voraussetzungen fur eine im Vergleich zu herkömmlichen Ansätzen adäquatere Modellierung von synchroner Dynamik bieten und wo dem Modell beim gegenwärtigen Entwicklungsstand Grenzen gesetzt sind.
1.2
Klassifizierungsprobleme im Bereich der relationalen Elemente
Ebenso wie der Sprecher einer natürlichen Sprache im Bereich des Wortschatzes gemäß der jeweiligen kommunikativen Bedingungen und entsprechend seiner Mitteilungsabsicht in der Regel aus einem Repertoire mehr oder minder synonymer Einheiten auswählen kann, so stehen ihm auch in den unterschiedlichen grammatischen Teilbereichen eine gewisse Anzahl von funktionsgleichen oder -ähnlichen Einheiten zur Auswahl. Dieses einzelsprachliche Inventar entspricht wiederum einer Selektion aus den für einen onomasiologischen Teilbereich übereinzelsprachlich möglichen Ausdrucksverfahren. Keine Sprache der Welt nutzt allerdings parallel alle potentiellen Versprachlichungsstrategien. So verfügen Pro-drop-Sprachen wie etwa das Lateinische, das Spanische und das Türkeitürkische 1 für die Markierung der Subjektkongruenz am flniten Verb über ein Paradigma freier, betonter Personalpronomina und über Kongruenzaffixe. Letztere treten entweder obligatorisch an einen nach rechts offenen Verbstamm (klassisches Latein, Spanisch) oder agglutinieren an eine morphologisch abgeschlossene verbale Basis (Türkeitürkisch) bzw. werden an eventuell präsente Tempus- oder Modusmarkierungen angefügt: 2 ( 1 -1 )
freie, betonte Personalpronomina
klat. ego, tu, (is/ea/id; ille/illa/illud), nos... span, yo, tu, él/ella, nosotros,... ttü. ben, sen, (o), biz,...
obligatorische Subjektkongruenzaffixe an V
-o, -s, -t, -mus ... -o, -s, -0, -mos,... -im, -sin, (-dir), -ìmìz,...
Mit dem Terminus 'Türkeitürkisch' bezeichne ich mit Johanson (1992 und passim) die kodifizierte Hochsprache der heutigen Türkei. Dagegen stehen die übrigen Turksprachen wie beispielsweise Usbekisch, Turkmenisch oder Aserbaidschanisch, wobei die Klassifizierung eines Idioms als Sprache oder Dialekt in vielen Fällen nicht einheitlich gehandhabt wird. So wird z.B. das Aserbaidschanische oft als Varietät des Türkeitürkischen aufgefasst (cf. Schönig 1998:248). Dabei ist anzumerken, dass die betreffenden Affixe je nach Tempus variieren können. So wird z.B. im klat. Perfekt die Subjektkongruenz durch die Endungen -i, -isti, -it markiert. Ähnliches gilt auch für das Türkeitürkische, wo bei der di-Vergangenheit (di'ti geçmi§ zaman) die 1. Person Plural nicht durch -ìmìz, sondern mit dem Suffix -tk markiert wird, sowie für das Spanische (cf. die Endungen des Präteritums: -é, -aste, -ό etc.). Fragen der Allomorphie bei der Verbalflexion sind jedoch nicht Thema dieser Arbeit und werden daher nicht weiter problematisiert.
4 Das Neufranzösische hingegen weist neben den betonten und in der heutigen Standardsprache fakultativ zur Hervorhebung setzbaren pronoms disjoints und einem - zumindest auf lautlicher Ebene - stark reduzierten Satz von Kongruenzaffixen noch ein weiteres Mittel zur Markierung der personalen Referenz auf. Es handelt sich um die sogenannten pronoms conjoints, die in der Standardsprache obligatorisch zu setzen sind, außer wenn (1.) die Subjektposition durch eine volle DP, ein Wh-Wort (Interrogativum) oder ein Indefinitpronomen (z.B. quelqu 'uri) besetzt ist, oder wenn (2.) das Verb Bestandteil eines Relativsatzes mit C = qui ist {l'homme qui rit)3 oder wenn (3.) zwei oder mehr subjektgleiche koordinierte Verbformen vorliegen. Im spontansprachlichen Bereich lässt sich allerdings eine zunehmende automatisierte Setzung dieser pronoms conjoints gerade auch in den soeben genannten Fällen beobachten. Insbesondere Daten wie das seit Jahrhunderten dialektal belegte ma femme il est venu* wo das Genusmerkmal [Gm] des koreferenziellen Subjektpronomens il den Default-Wert [Ga] angenommen hat, haben dazu Anlass gegeben, die pronoms conjoints als präfigierte Konjugationsaffixe aufzufassen (Präfixthese5). Andererseits wird anhand der sprachlichen Fakten auch klar, dass die Setzung von je, tu etc. im heutigen Französisch in deutlich höherem Maße der Wahlfreiheit des Sprechers unterliegt als die Verwendung der Kongruenzaffixe -e, -es, -e, -ons etc. So können die pronoms conjoints in gewissen Kontexten ohne verbale Basis auftreten (z.B. in Korrekturen wie je ... euh ... il a fait ça), oder sie können gänzlich fehlen (z.B. faut pas faire ça). Beides ist für Elemente mit Affixstatus kaum denkbar. Die hiermit nur angerissene Problematik zeigt deutlich, dass das Neufranzösische zumindest in einem ausgewählten morphosyntaktischen Teilbereich - hier die Subjektkongruenz am Verb - über mehrere Subsysteme verfügt, deren Realisierung oder Nichtrealisierung in einem gegebenen Kontext in stark unterschiedlichem Maße der Wahlfreiheit des Sprechers obliegt 3
Traditionell wird das den Relativsatz einleitende qui als Nominativform des Relativpronomens analysiert. Jones (1996:506-8) liefert jedoch gute Gründe dafür, diese Form vielmehr als Variante des Complementizers [c que] aufzufassen, die immer dann gewählt wird, wenn im Relativsatz die Subjektposition leer ist: (i) (ii) Dies (CP)
le ¡ivre [cpC [\?j'ai lu ]] Objektposition ist leer —> le livre [cpque [¡gj'ai lu ]] le livre [cp C [n> m 'intéresse]] Subjektposition ist leer —> le livre [cp qui [ip m 'intéresse]] ist auch Grundlage für die in Kayne (1994:86-92) vertretene Auffassung, derzufolge der Relativsatz nicht Modifikator des Bezugsnomens (Adjunkt zu N'), sondern Komplement des Artikels D ist: [le
[cp que j'ai lu 0 livre]]. Die korrekte Wortstellung wird hergeleitet, indem das Bezugsnomen aus seiner Basisposition in die Initialposition (hier: Spec,CP) bewegt wird: [le [livre que j'ai lu ]]. Die Darstellungen erscheinen hier zunächst in stark vereinfachter Form. Die in Klammern angegebenen Termini und Abkürzungen werden in Kapitel 2 detailliert erläutert; Kaynes Modell wird unter 2.4, sein Vorschlag für die Modellierung von Relativsätzen in Abschnitt 3.4.5 besprochen. 4 5
Cf. Frei (1929:1450, dort weitere Beispiele. Als wichtige Vertreter der Präfixthese ist u.a. Ashby (1977) zu nennen. Die Auseinandersetzung um die Annahme präfigierter Konjugationsaffixe im Französischen ist eingebunden in die traditionsreiche, von Weinrich (1962) und insbesondere von Baldinger (1968) neu belebte Diskussion zum Wandel vom synthetischen zum analytischen Sprachbau im klassischen Latein bzw. von der lateinischen Postdetermination zur Prädetermination der heutigen romanischen Sprachen. Cf. u.a. Hunnius (1977) und Martínez Moreno (1993:30ff) für einen wissenschaftsgeschichtlichen Überblick. Meisenburg (2000) stellt die Diskussion um den Status der klitischen Subjektpronomina in den Kontext der Grammatikalisierungsforschung und kontrastiert die dort propagierte Unidirektionalitätshypothese mit der in Wandruszka (1992) einleuchtend dargelegten Suffigierungspräferenz (cf. Abschnitt 1.3).
5
beziehungsweise den Regeln der Grammatik unterworfen ist. Eine Sprache wie das Japanische verzichtet sogar völlig auf Subjektpronomina und nutzt einerseits ein Paradigma fusionierter Kongruenzaffixe und andererseits Elemente aus einer (relativ offenen) Klasse sogenannter 'lexically empty nouns' wie beispielsweise watakusi 'ich/wir' ( Lehmann 1985b:48). Auch im Bereich der Markierung syntaktischer Funktionen von Nominalphrasen 6 nutzen die Sprachen der Welt in unterschiedlicher Weise die übereinzelsprachlich möglichen Ausdrucksverfahren: So kann der Status einer Phrase im Satz als Subjekt, Komplement, Adjunkt7 oder Prädikat8 u.a. durch fusionierte oder agglutinierte Kasusaffixe, durch einfache oder komplexe Adpositionen, durch relationsbezeichnende Nomina ('relational noun', Lehmann 1985b:45), letztere i.d.R. in Zusammenhang mit weiteren Adpositionen oder Kasusmarkern, oder durch Wortstellungsregularitäten angezeigt werden. Prinzipiell sind auch hier alle Kombinationen von Ausdrucksverfahren möglich, doch ebenso wie bei der Markierung der Subjektkongruenz trifft jede Sprache eine Auswahl aus den zur Verfugung stehenden Versprachlichungsstrategien. Dies sei aufgrund der Anschaulichkeit, die eine agglutinierende Sprache bietet, zunächst anhand der Fakten des Türkeitürkischen9 exemplifiziert. Das Türkeitürkische verfügt über eine Anzahl agglutinierender Kasussuffixe (1-2), über ein relativ geschlossenes Paradigma von Postpositionen, die teilweise bestimmte morphologisch markierte Kasus regieren (1-3), sowie über eine relativ offene Klasse von relationsbezeichnenden Nomina (1-4): (1-2)
(1-3)
6
7
a.
-0
-in) In
-(y/n)E
-(y/n)-Ì
-(n)dE
NOM
GEN
DAT
AKK
LOK
b.
bavul-da Koffer:LOK 'im / am / beim ... Koffer'
a.
uçakile Flugzeug mit 'mit dem Flugzeug'
b.
saat alti-dan beri Stunde sechs:ABL seit 'seit sechs Uhr'
-(n)dEn ABL
c.
§imdi-y-e kadar jetzt:FG:DAT bis 'bis jetzt'
Der Terminus 'Nominalphrase' besagt zunächst nichts weiter als 'Syntagma mit nominalem Kern'. Im Einzelnen kann es sich hierbei um eine NP, eine DP oder eine KP handeln (cf. Kapitel 2). Die aus dem Bereich der generativen Grammatik stammenden und in dieser Arbeit verwendeten Termini 'Komplement' und 'Adjunkt' entsprechen im Wesentlichen den Begriffen 'Aktant' bzw. 'Zirkumstant' aus dem dependenzgrammatischen Ansatz (Tesnière 1965; 1 1959). Allerdings bezieht sich 'Aktant' nur auf vom Verb geforderte Konstituenten, während 'Komplement' auch beispielsweise Objekte von Präpositionen umfasst. Andererseits zählt das Subjekt des Satzes in der generativen Grammatik nicht zu den Komplementen des Verbs, während es bei Tesnière zu den Aktanten (prime actant; OL) gerechnet wird. Die deutsche Valenzgrammatik verwendet anstelle von 'Aktant' und 'Zirkumstant' weitgehend gleichbedeutend die Termini 'Ergänzung' und '(freie) Angabe' (cf. Helbig/Schenkel 1 1969).
8
Im Rahmen einer Kopulastruktur kann eine Nominalphrase Prädikat sein: mon frère est soldat. Darüber hinaus kann eine Nominalphrase selbstverständlich auch nicht-syntaktische Funktionen wahrnehmen, so z.B. in Inteijektionen, Ausrufen und Vokativphrasen. Cf. hierzu u.a. Abschnitt 2.2.5.
9
Die türkeitürkischen Beispiele werden durchgehend glossiert und übersetzt. Um die Zuordnung der Glossierung zu den betreffenden Morphemen zu erleichtern, werden - abweichend von der gültigen Orthographie die jeweiligen Segmentierungen in den Sprachbeispielen durch Bindestriche angezeigt. Nicht angezeigt werden Segmentierungen, die synchron nicht mehr motiviert sind wie beispielsweise in (l-6.b) biryil içinde.
6 (1-4)
a.
bavul-un iç-i-n-de
b.
Koffer:GEN Inneres:P0SS.3.SG:FG:L0K [das Innere des KoffersjLOK 'im (Inneren des) Koffer(s)'
ev-in arka-s-i-n-a Haus:GEN Rückseite:FG:P0SS.3.SG:FG:DAT [die Rückseite des Hauses]DAT 'hinter das Haus' (lokal-direktiv)
Von besonderem Interesse sind folgende Beobachtungen: Bis zu einem gewissen Grade hängt die Wahl der einzelsprachlich zur Verfügung stehenden Ausdrucksmittel vom jeweiligen Sprachbenutzer und dessen aktuellen kommunikativen Bedürfnissen ab. Beispielsweise besteht im Falle einer Ortsangabe die Möglichkeit, zwischen der (abstrakteren) kasusmarkierten Nominalphrase wie in (l-2.b) und der (konkreteren) Periphrase mittels eines relationsbezeichnenden Ν wie in (l-4.a) zu wählen. So ist es denkbar, dass die Antwort auf eine Frage wie (1-5)
kitap-lar-in
nerede?
Buch:PL:P0SS.2.SG w o 'Wo sind deine Bücher?'
entweder schlicht (1-2.b) bavulda lautet, wobei neben der prototypischen Interpretation 'im Koffer' auch Lesarten wie 'beim Koffer', 'auf dem Koffer' etc. in Frage kommen, oder dass sich der Sprecher einer konkreteren Wendung wie (l-4.a) bavulun içinde bedient, um derartige Ambiguitäten auszuschließen. Konstruktionen mit relationsbezeichnenden Nomina können wiederum syntaktisch mehr oder weniger fest gefugt sein: So handelt es sich bei dem Beispiel (l-4.a) um eine frei verfugbare Genitiv-Possessiv-Konstruktion (sog. /zq/ëi-Konstruktion; cf. hierzu ausführlich Lewis 1967:41-52), wobei das agglutinierte Lokativsuffix mit anderen Kasusaffixen kommutierbar ist (z.B. mit dem Ablativsuffix wie in bavulun içinden 'aus dem Koffer heraus'). Im Gegensatz zu (l-4.a), hier wiederholt als (l-6.a), erlaubt (l-6.b) keine derartigen Kommutationen und verhält sich vielmehr wie eine einfache Postposition: (1-6)
a.
bavul-un iç-i-n-de KoffenGEN Inneres:POSS.3.SG:FG.LOK [das Innere des Koffers]LOK 'im (Inneren des) Koffer(s)'
b.
biryil içinde ein Jahr innerhalb 'binnen eines Jahres'
Auffällig ist, dass die Verfestigung syntaktischer Strukturen ein semantisches Korrelat aufweist: Während es sich in (l-6.a) um eine konkret räumliche Verwendung handelt, liegt bei der Übertragung auf den temporalen Kontext ein metaphorischer Gebrauch vor (l-6.b). Ebenso ist es in gewissen Kontexten möglich, zwischen der Konstruktion mit synthetischem Kasus und einer PP 10 zu wählen: So konkurrieren in den Beispielen 10
Da das Türkeitürkische keine Prä- sondern Postpositionen verwendet, steht hier und in entsprechenden Kontexten PP für 'Postpositionalphrase'. Im generativen Rahmen werden Prä- und Postpositionalphrase prinzipiell als strukturell gleichwertig aufgefasst. Die traditionelle Prinzipien- und Parametertheorie regelt die lineare Abfolge über den Kopfparameter (cf. Abschnitt 2.1). Einen Versuch, die lineare Abfolge der Satzglieder aus der konfigurationellen Repräsentation herzuleiten, stellt Kaynes viel beachtete Hypothese von der Antisymmetrie der Syntax dar (Kayne 1994). In diesem Rahmen wird universell eine zugrunde liegende Abfolge angenommen; davon abweichende Wortstellungsmuster müssen durch entsprechende Bewegungen hergeleitet werden (cf. Abschnitt 2.4). Im dependenzgrammatischen Ansatz wird das Verhältnis von interner Abhängigkeitsstruktur und overter Wortstellung nicht diskutiert.
7 (1-7)
a.
b.
tren ile / uçak ile / baba ile
tren-le / uçak-la /
baba-y-la
Zug:INST / Flugzeug:lNST / Vater:FG:KOM 'mit dem Z u g / Flugzeug / Vater'
Z u g mit / Flugzeug mit / Vater mit ' m i t dem Z u g / Flugzeug / Vater'
die 'free form' iVe und die enklitische, vokalharmonisch angeglichene Variante -(y)lE miteinander, wobei die klitisierte Form im heutigen Sprachgebrauch die unmarkierte ist, während sich der postpositionale Gebrauch von ile vor allem in idiomatisierten Wendungen erhalten hat: uçak ile 'mit Luftpost'. 11 In anderen Fällen steht eine synthetische Kasusform mit einer diachron nicht verwandten Ρ in Konkurrenz. So kann die Markierung der Θ-Rolle BENEFIZIENT bei adjungierten Nominalphrasen durch das Dativsuffix oder die Ρ için erfolgen. 12 Der Bedeutungsunterschied kann - ähnlich wie in der dt. Entsprechung 'für' - recht gering sein: „Sometimes Ì£in means more or less the same thing as the dative case" (Underhill 1976:159; ähnlich: Kornfilt 1997:226). Cf. die folgenden Beispiele: (1-8)
a.
bu kitab-i baba-m-a
getir-di-m
dieses Buch:AKK Vater:POSS.l.SG:DAT bring:PERF:l.SG 'ich habe meinem Vater dieses Buch gebracht'
b.
bu kitab-i baba-m için
getir-di-m
dieses Buch:AK.K Vater:POSS. 1 .SG fur bring:PERF: 1 .SG 'ich habe dieses Buch für meinen Vater gebracht'
Auch im Deutschen ist es möglich, den (nicht valenzgebundenen) Dativus commodi durch eine PP oder eine mehr oder minder fest gefugte komplexe Periphrase zu ersetzen:
11
Die Urteile darüber, ob der Komitativ/Instrumentalis auf -(y)lE als vollwertiger K a s u s neben den in ( l - 2 . a ) verzeichneten a u f z u f a s s e n ist, gehen in der Literatur auseinander. Während nach Haspelmath (1997a: 142) die entsprechende F o r m als grammatisches M o r p h e m Eingang in das vormals nur sechs Fälle u m f a s s e n d e Kasusparadigma g e f u n d e n h a b e , ist es in der t ü r k e i t ü r k i s c h e n G r a m m a t i k o g r a p h i e üblich, d e n K o m i t a -
tiv/Instrumentalis als einen der dijçekim halleri 'Randkasus' zu betrachten, die von den sechs iççekim halleri ' Z e n t r a l k a s u s ' z u u n t e r s c h e i d e n seien ( B a n g u o g l u
1 9 7 4 : 3 2 6 f f ; e b e n s o B l a k e 1994:3, Johanson/Csató
1998:210 und Schroeder 1999:28). Gegen eine vollständig abgeschlossene Integration von ile > -(y)lE in das P a r a d i g m a der kasusmarkierenden A f f i x e sprechen außer d e m synchronen N e b e n e i n a n d e r beider Varianten auch die phonologischen Besonderheiten der betreffenden Einheit: Während die v o k a l h a r m o n i s c h e Angleichung für eine Interpretation als A f f i x spricht, macht der Wortakzent deutlich, dass das enklitische -(y)lE weniger stark mit der nominalen Basis verbunden ist als andere A f f i x e : "It [-(y)lE; C.G.] behaves like a genuine suffix in b e c o m i n g part of the phonological word with respect to V o w e l H a r m o n y , but it remains outside the domain of the word with respect to assignment of word accent ... [W]ord accent falls on the syllable preceding the clitic. Since regular stress in Turkish is word-final, w e have to say that the clitic is outside the word with r e s p e c t to s t r e s s " ( K o r n f i l t 1997:214; cf. den B e t o n u n g s u n t e r s c h i e d z w i s c h e n der Akkusativform arabayi
und dem Komitativ/Instrumentalis arabavla:
hier angedeutet durch Unterstreichung). Ein solcher Be-
f u n d scheint eindeutig fur die A n n a h m e von fließenden Ü b e r g ä n g e n zwischen Kategorien w i e K a s u s a f f i x und Adposition zu sprechen. Dies betont auch bereits von Gabain in ihrer Alttürkischen
Grammatik:
„Dem
logischen und auch dem grammatischen Gebrauch nach gibt es keinen scharfen Unterschied zwischen KasusEndungen und Postpositionen" (1941:86). 12
Bei K o m p l e m e n t e n mit der Θ-Rolle B E N E F I Z I E N T besteht diese Option nicht: Bu kitabi babama için verdim.
/
*babam
'Ich habe meinem Vater / *fur meinen Vater dieses Buch g e g e b e n ' . Dies gilt - wie aus der Über-
setzung ersichtlich - gleichfalls fur das Deutsche und auch für das Französische.
8 (1-9)
a. b. c.
Paul kauft Peter ein Grundstück / Paul kauft ihm ein Grundstück Paul kauft ein Grundstück für Peter /... für ihn Paul kauft ein Grundstück zugunsten (zu Gunsten) von Peter / ... zu seinen Gunsten (Beispiele nach Lehmann 1995:1253)
Das moderne Französisch verfügt zwar über eine Deklination im Bereich der unbetonten Personalpronomina (il - lui - le), weist jedoch seit dem spätestens im 14. Jahrhundert abgeschlossenen Schwund der altfranzösischen Zweikasusflexion keine morphologische Kasusmarkierung am Substantiv mehr auf. Die Markierung der syntaktischen Funktion einer Nominalphrase wird zum einen durch Wortstellungsregeln und overte Flexionsmorphologie am Verb (Differenzierung Subjekt - direktes Objekt), zum anderen durch eine Vielzahl von präpositionalen Elementen geleistet (Markierung von Komplementen und Adjunkten des Typs PP). Hierbei lassen sich näherungsweise folgende Gruppierungen unterscheiden: 13 (1-10)
a.
b.
c.
Eine Vielzahl - morphologisch meist komplexer - präpositionaler Wendungen wie à côté de, au bénéfice de oder à la place de, in welchen Präpositionen und relationsbezeichnende Nomina eine mehr oder minder fest gefügte Einheit bilden und deren Einzelbestandteile in synchroner Perspektive einen stärkeren oder schwächeren Bezug zur jeweils zugrunde liegenden lexikalischen Einheit aufweisen. In diese Gruppe gehören auch verbbasierte Formen wie étant donné oder concernant, deren Bezug zur zugrunde liegenden Verbform im heutigen Sprachzustand noch nicht verblasst ist. Elemente, die Paradigmen semantischer Oppositionen bilden, wie z.B. bei Zeitoder Lokalangaben wie in il m'a téléphoné à/avant/après/vers 10 heures oder in il m'attend à/devant/derrière la gare.'4 Eine begrenzte Anzahl von obligatorisch zu setzenden Elementen wie à bei der Markierung des indirekten Objekts oder bei anderen präpositional markierten
13
Für die präpositionalen Elemente des Englischen schlagen König/Kortmann (1991:112) eine vergleichbare
14
Man beachte die Parallele zu den Lokalisierungsausdrücken im Türkeitürkischen:
Einteilung vor. relativ unkonkrete Lokalisierung: frz. à la gare
ttü.
istasyon-da Bahnhof:LOK
konkrete Lokalisierung:
frz. devant la gare
ttü.
istasyon-un
ön-ü-n-de
Bahnhof:GEN Vorderseite.POSS.3.SG:FG:LOK frz. derrière la gare
ttü.
istasyonun
arka-s-i-n-da
Bahnhof:GEN Rückseite.FG:POSS.3.SG:FG:LOK Im Gegensatz hierzu leistet die Präposition à bei den Temporaladjunkten die konkreteste Lokalisierung. Auch dieser Gegensatz zwischen (konkret) örtlicher und (metaphorisch) zeitlicher Lokalisierung hat eine auffallige Parallele im Türkeitürkischen: konkrete Lokalisierung:
frz. à dix heures
ttü.
(saat)
on-da
(Stunde) zehn:LOK relativ unkonkrete Lokalisierung: frz. avant dix heures
ttü.
(saat) on-dan
önce
(Stunde) zehn:ABL vor frz. après dix heures
ttü.
(saat) on-dan
sonra
(Stunde) zehn:ABL nach
9 Komplementen (compter sur qn, opter pour qc), die - zum Teil mit dem Determinanten amalgamiert - eine offenbar vorwiegend grammatische Funktion erfüllen, semantisch weitgehend 'leer' erscheinen und somit vielfach als Kasusmarker interpretiert bzw. als prépositions vides oder incolores charakterisiert worden sind (u.a. Wartburg/Zumthor 1958, Spang-Hanssen 1963, Weinrich 1978).15 Festzuhalten ist, dass es sich bei den unter (l-10.a,b&c) exemplarisch angeführten Einheiten um Elemente handelt, die in ein und derselben funktionalen Domäne, nämlich im Bereich der Markierung syntaktischer Funktionen von Nominalphrasen, anzusiedeln sind. Dabei unterliegen sie in unterschiedlich starkem Maße bestimmten Verwendungsregeln, wobei der unterschiedliche Grad an Obligatorik von der völlig automatisierten Verwendung wie in donner qc à qn bis hin zur uneingeschränkten Wahl- und in gewissem Maße gar Bildungsfreiheit im Bereich der präpositionalen Wendungen reicht. In Bezug auf ihren jeweiligen semantischen Gehalt lassen sich die genannten Einheiten zwischen Polen wie 'relativ abstrakt' und 'relativ konkret' oder 'vorwiegend grammatisch/funktional' und 'weitgehend lexikalisch' ansiedeln. Die Sprachwissenschaft hat sich der angeführten Kategorisierungsproblematik im Bereich der éléments de relation auf unterschiedliche Weise angenommen. Bevor in den beiden folgenden Abschnitten auf neuere Ansätze eingegangen wird, erfolgt an dieser Stelle zunächst ein kurzer Einblick in traditionellere Herangehensweisen an den Untersuchungsgegenstand. Die Tatsache, dass die unterschiedlichen relationalen Ausdrucksverfahren - wie oben beschrieben - kaum eindeutig der Kategorie 'lexikalisches' bzw. 'grammatisches Zeichen' zuzuweisen sind, stellt sich für eine dem Strukturalismus verpflichtete und weitgehend auf Klassifizierung ausgerichtete Linguistik als problematisch dar. Dies wird nicht zuletzt an den Auswahlkriterien deutlich, die sowohl in den gängigen Grammatiken als auch in einschlägigen Arbeiten für die Grenzziehung zwischen (einfacher) Präposition und präpositionaler Wendung ('locution prépositionnelle' oder 'prépositive') herangezogen werden. Für die Grammatikographie sei hier stellvertretend Grevisse angeführt, der in seinem Bon usage für die Unterscheidung zwischen 'préposition' und 'locution prépositive' einzig und allein auf das Kriterium der Getrennt- oder Zusammenschreibung rekurriert und somit près wie in près la forteresse oder in notre ambassade près le Saint-Siège als Präposition, das weitgehend gleichwertig verwendbare près de (+ DP) hingegen als präpositionale Wendung klassifiziert (1993:§§988f). Ein solches Vorgehen ist zwar nicht völlig abwegig, da die jeweilige Schreibweise durchaus als ein Indikator für den Kohäsionsgrad zweier Einheiten gewertet werden kann und insofern wichtige Informationen in Bezug auf die morphologische Komplexität des jeweiligen Ausdrucks zu liefern imstande ist.16 Allerdings bringt die Beschränkung auf das Kriterium der Graphie mit sich, dass 'durchsichtige' Einheiten wie concernant, die vom heutigen Sprachbenutzer mit dem zugrunde liegenden Verb concerner in Verbindung gebracht 15
Einen Überblick über die Préposition-vide-Diskussion
16
Dass die Orthographie jedoch in keinem Fall ein eindeutiges Kriterium bietet, zeigt sich u.a. anhand des
bietet Vandeloise (1993).
Deutschen, w o Getrennt- und Zusammenschreibung von Ρ und nominalem Ausdruck konkurrieren: zugunsten von vs. zu Gunsten von oder auf Grund von vs. aufgrund von. Auch das Französische kennt - wenn auch in geringerem Maße - vergleichbare Fälle: àl'entour
(de) vs. alentour
(de).
10 werden,17 in einem Atemzug genannt werden mit (ausdrucksseitig gleichartigen) Formen wie pendant, deren Herkunft sich nur unter Rückgriff auf etymologisches Wissen erschließt, oder gar mit Einheiten, die in offensichtlich rein grammatischen Verwendungsweisen vorliegen wie à, de oder par. In neueren linguistischen Arbeiten, die sich mit dem Bereich der relationalen Elemente des Neufranzösischen auseinandersetzen, treten ähnlich gelagerte Klassifikationsprobleme auf, so beispielsweise bei Lang (1991), dessen Liste von Präpositionen 24 Einheiten zählt und damit bezüglich ihres Umfangs zwischen Brandal (1950; 19 Einheiten) und Grevisse (1993; 45 Einheiten) liegt. Dabei schließt Lang u.a. malgré und hormis aus dem Inventar der einfachen Präpositionen aus, da diese Formen für den Sprecher des Französischen als durchsichtige Komposita analysierbar seien (1991:43). Wenn man bereit ist, dieses Ausschlusskriterium zu akzeptieren - wobei mir scheint, dass die von Lang als Kriterium herangezogene Analysierbarkeit bestenfalls in etymologischem Sinne aufrechtzuerhalten ist, nicht aber im Sinne synchroner Motivation - , dann lässt sich mit Recht fragen, warum das so gesehen gleichermaßen analysierbare parmi beibehalten wird (1991:58). Weiterhin ist es problematisch, eine Form wie près (de) mit der Begründung auszuschließen, es handele sich hierbei um die „präpositionale Verwendung eines Ortsadverbs'" (1991:42f), andererseits aber Formen wie avant oder devant, die im Gegenzug hierzu adverbial, also ohne Komplement verwendet werden können, als genuine Präpositionen zu klassifizieren.18 Ähnlich angreifbare Kriterien hat zuvor bereits Brandal bei der Aufstellung seines Inventars zu Hilfe genommen. So widmet er dem Ausschluss 'falscher Präpositionen' ein gesondertes Kapitel, in dessen Rahmen er u.a. sämtlichen morphologisch komplexen Formen wie etwa frz. lors de oder dt. um ... willen und allen aus anderen lexikalischen Kategorien stammenden Formen wie z.B. dt. kraft, trotz oder frz. excepté den Status als Präposition abspricht. Dies geht so weit, dass sogar die Einheit pendant aus dem Repertoire der französischen Präpositionen ausgegrenzt wird, obwohl für den Sprecher des heutigen Französisch wohl kaum noch eine Verbindung zu der im 13. Jahrhundert nach dem Vorbild des juristischen Sprachgebrauchs des Lateinischen19 nachgebildeten Partizipialkonstruktion besteht (cf. Brandal 1950:13f sowie die dort im Anhang gegebenen einzelsprachlichen Präpositionslisten). Die Notwendigkeit der Aufstellung von fest umrissenen Inventaren resultiert nicht zuletzt daraus, dass die Präposition als ein funktionales Element gesehen wird, dessen Aufgabe es ist, zwei Größen - Lang symbolisiert diese in Anlehnung an Pottier (1962) durch die Großbuchstaben A und Β - zueinander zu situieren, und das sich durch eine bestimmte, für alle paroleVerwendungen zutreffende grammatische Systembedeutung auszeichnet. Diese Auffassung hat zur Folge, dass für jede Präposition eine einheitliche Grundbedeutung postuliert wird, auf die Gefahr hin, dass dadurch klasseninteme Differenzen verwischt werden.20 So ist nach der 17
Zudem ist bei concernant
oft nicht zu entscheiden, ob es sich in einem konkreten Fall um eine präpositionale
oder um eine verbale Verwendung (absolute Partizipialkonstruktion) handelt. Cf. Abschnitt 4.2.1.2. 18
Plausibler - und sowohl für près (de) als auch ftir avant brauchbar - ist m.E. die in der generativen Grammatik übliche Annahme des intransitiven Gebrauchs von Präpositionen (cf. Abschnitt 2.1.2).
19
Als Vorbild für die Verwendung des Verbs pendre im Rahmen einer absoluten Partizipialkonstruktion dienten im Mittellateinischen und im juristischen Latein verbreitete Strukturen wie iudicio pendente Urteil noch anhängig ist' (cf. Gamillscheg 1957:319f). Cf. auch Abschnitt 4.2.1.2.
20
Cf. auch die Kritik in Kailuweit (2001:34-40).
'wobei das
11 von Lang vorgeschlagenen tabellarischen Zusammenstellung inhaltsunterscheidender Züge das durch à ausgedrückte Verhältnis eines zu situierenden Elements A durch 'Kontakt mit B' hinreichend charakterisiert, die durch de ausgedrückte Relation hingegen durch 'Distanz za Β' (1991:478). Die einzelnen Redebedeutungen eines präpositionalen Elements ließen sich stets auf die postulierte Sprachbedeutung zurückführen. Da es sich bei grammatischen Paradigmen um synchron geschlossene Klassen handelt, ist eine weitere Folge dieser Herangehensweise die Tatsache, dass die Klasse Ρ als ein klar eingrenzbares Inventar aufgefasst wird, dessen Mitglieder in irgendeiner Weise zu bestimmen sind. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten dürften anhand der Beispiele von Lang (1991) deutlich geworden sein. Weinrich wiederum systematisiert den Bereich der relationalen Elemente in seiner Textgrammatik der französischen Sprache nach ausschließlich semantischen Kriterien. Unterschieden wird zwischen Präpositionen der Orientierung, der Zuordnung und der Handlung (1982:505). Damit verzichtet er gänzlich auf eine Unterteilung nach morphologischen Kriterien. Dies hat zur Folge, dass für ihn auch komplexe Gebilde wie au point de vue de 'im Hinblick auf oder ähnlich strukturierte Ad-hoc-Bildungen wie à l'entrée de 'am Eingang von' als Präposition gelten (1982:571).21 Vergleichbare Beschreibungsverfahren sind auch im Bereich der Schulgrammatik üblich. So systematisieren die Autoren der verbreiteten Grammatik des heutigen Französisch die einzelnen Ausdrucksverfahren nach dem inhaltlichen Aspekt der Bezeichnung temporaler, lokaler oder modaler Beziehungen und sprechen dabei formale sowie funktionale Unterschiede zwar an, behandeln diese aber nicht weiter: „Präpositionen und präpositionale Ausdrücke werden im folgenden beide als Präpositionen bezeichnet" (Klein/Kleineidam 1983:163). Es liegt auf der Hand, dass auch eine solche Vorgehensweise problematisch ist: Indem Weinrich (1982) und Klein/Kleineidam (1983) sich jegliche Systematisierung nach morphosyntaktischen Kriterien versagen, gehen sie zwar der Gefahr einer allzu leicht anfechtbaren Einteilung der relationalen Elemente aus dem Weg, doch verzichten sie dabei zugleich auf wertvolle Hinweise, welche die morphologische Binnenstruktur und die syntaktische Verhaltensweise der betreffenden Einheiten zum Verständnis der Kategorie Ρ zu liefern imstande sind. Nicht vollkommen unproblematisch, wenn auch - wie sich im Verlauf meiner Arbeit zeigen wird - weitaus weniger prekär ist die Unterscheidung zwischen der Präposition als (rein grammatischem) Formelement wie beispielsweise bei der Markierung von Komplementen des 21
In seiner Textgrammatik der deutschen Sprache unterscheidet Weinrich zwischen einer Klasse von 20 primären Präpositionen - „kurze, ein- bis zweisilbige Morpheme (zum Beispiel: an, aus, mit, durch, über, unter), die allesamt eine sehr hohe Frequenz in der Sprache haben" (1993:613) - und ,,eine[r] mehrfach so große[n] Zahl sekundärer Präpositionen", die „in ihrer Form meist komplexer gebildet [sind], entweder mit den Mitteln der Wortbildung (seitens, einschließlich,
unbeschadet...)
oder als Syntagmen, die selber aus Junktionen
entstanden sind (im Hinblick auf, mit Rücksicht auf, anhand von, aufgrund von)" (614). Dass auch ein solches binäres System zu Klassifikationsschwierigkeiten fuhrt, liegt auf der Hand. Konsequenterweise lässt sich der Autor auch nicht darauf ein, im Einzelnen zu entscheiden, ob ein Element der Klasse 'sekundäre' Ρ oder der freien Syntax zuzuordnen ist; bei der nach der jeweiligen Rektion systematisierten Beschreibung der Bedeutung der einzelnen Einheiten spielt die Dichotomie 'primäre' vs. 'sekundäre' Ρ ohnehin keine Rolle mehr (621-695). - Die Unterscheidung primärer und sekundärer Präpositionen tritt auch bei Lehmann (1985b:45) auf, der dieses Begriffspaar verwendet, um innerhalb der morphologisch einfachen Ρ eine Subsystematisierung zu schaffen (cf. Abschnitt 1.3). Haase (1999b:206) wiederum setzt 'sekundäre' Ρ mit intransitiv verwendbaren gleich. Cf. hierzu Abschnitt 2.1.2.
12 Verbs und der (lexikalischen) Präposition mit situierender Bedeutung. Eine generelle Interpretation von Präpositionalphrasen mit [P à] als Dativkomplemente scheidet wegen der Homonymie mit deutlich andersartigen Konstruktionen (Lokalkomplement bzw. Adjunkt) aus. Auch wenn man ein Lokalkomplement wie z.B. in habiter au Portugal aus semantischen Gründen ausschlösse, ergäbe sich bei den verbleibenden ¿-Ergänzungen aufgrund der möglichen bzw. nicht möglichen klitischen Pronominalisierung keine Homogenität: (1-11)
a. je parle à Pierre —> je lui parle b. je pense à Pierre —» *je lui pense aber: je pense à lui
Eine Identifizierung des Dativs mit der klitischen Pronominalisierbarkeit der betreffenden Ergänzung ist allerdings als Tautologie kritisiert worden (Jacob 1991), und auch spätere Arbeiten zu dieser Problemstellung (z.B. Schwarze 1996) haben kaum zu befriedigenderen Lösungen geführt, sondern das Problem bestenfalls auf eine andere Ebene verlagert: So unterscheidet Schwarze (1996) zwischen einer lexikalischen Präposition à mit sehr abstrakter Bedeutung und einem kasusmarkierenden Grammem à mit zwei verschiedenen Kasuswerten, die er als 'DAT' (Dativ) bzw. Ά ' (à) bezeichnet. Diese sind in den entsprechenden Lexikoneinträgen festgeschrieben und zeichnen für die jeweilige Pronominalisierung mittels klitischem lui oder freiem betonten Pronomen wie in (l-9.a&b) verantwortlich.22 Die Problematik der Interpretation eines präpositionalen Elements als Kasusmarker stellt sich jedoch nicht nur in Zusammenhang mit der Präposition à. So weist das moderne Französisch zahlreiche weitere Fälle auf, bei denen das Komplement in der Verbalphrase mit einem im Lexikoneintrag des Verbs festgeschriebenen Element der Klasse Ρ markiert wird: (1-11)
c. je compte sur Pierre —» je compte sur lui d. je parle avec Pierre —» je parle avec lui
Auch in Bezug auf die in (1-1 l.c&d) angeführten Beispiele lässt sich fragen, ob solche präpositional markierten Komplemente ebenfalls als kasusmarkierte Nominalphrasen aufgefasst werden können, wie Rauh (u.a. 1993b, 1994, 1995b, 1998) und Siller-Runggaldier (1996, 1998) es für vergleichbare Fälle des Englischen bzw. Italienischen vorschlagen, und - wenn ja - inwiefern sich die einzelnen präpositional markierten Kasus voneinander unterscheiden und ob es möglich ist, diese Fälle eindeutig von frei generierbaren präpositionalen Adjunkten abzugrenzen: (1-11)
d. je parle avec Pierre je parle avec lui e. je vais à l'opéra avec Pierre —> je vais à l'opéra avec lui
Augenfälliger Unterschied zwischen der Konstituente avec Pierre in den beiden zuletzt angeführten Beispielen ist, dass in (1-1 l.d) die betreffende Phrase - selbstverständlich mit entsprechendem Bedeutungsunterschied - austauschbar ist (je parle à Pierre / avec Pierre / de Pierre ...), jedoch - abgesehen von entsprechenden Kontextbedingungen - nicht völlig weg22
Zur ausfuhrlicheren Darstellung des Ansatzes von Schwarze cf. Abschnitt 2.3.3.
13 gelassen werden kann (*jeparle). In (1-1 l.e) kann avec Pierre demgegenüber problemlos getilgt werden. Fraglich ist nun, ob ein solcher Befund dazu Anlass geben kann, die Präpositionen à, sur und avec in den eben angeführten Verwendungsweisen gleichermaßen als Kasusmarker einzustufen wie das das indirekte Objekt markierende à. Die hier nur angerissene Problematik wird im Kapitel zur Kasustheorie (2.3) ausführlich diskutiert; es dürfte allerdings deutlich geworden sein, dass auch in diesem Bereich Klassifizierungsprobleme auftreten, wenn man mit einem starren Kategorieninventar arbeitet. Angesichts dieser Befunde stellt sich die Frage, ob dem komplexen Untersuchungsgegenstand überhaupt mittels neuer Klassifizierungsversuche beizukommen ist und ob es nicht sinnvoller ist, auf derartige, offensichtlich künstliche Einteilungen generell zu verzichten. Letzteres strebt die Grammatikalisierungsforschung an, deren wichtigste Charakteristika im folgenden Abschnitt dargestellt werden.
1.3
Grammatikalisierung und Grammatikalisierungsforschung
Eine Forschungsrichtung, die nicht das strenge Klassifizieren sprachlicher Einheiten zum Ziel hat, sondern den Akzent auf fließende Übergänge im Kontinuum zwischen Lexem und Grammem, zwischen Lexikon und Grammatik legt, ist die sogenannte Grammatikalisierungsforschung. Im Anschluss an Publikationen wie Givón (1971) und vor allem seit dem Erscheinen von Lehmanns grundlegendem Werk Thoughts on Grammaticalization (1982, 2 1995) wurde sie zunächst vorwiegend im anglo-amerikanischen Raum und dort mit einer vorzugsweise sprachvergleichend-typologischen Ausrichtung, in jüngerer Zeit aber auch verstärkt im deutschsprachigen Raum betrieben und diskutiert. Als Grammatikalisierung wird der (diachrone) Prozess verstanden, im Laufe dessen sich grammatische Zeichen aus lexikalischen entwickeln („lexical item > morpheme model", Traugott/Heine 1991:2). Weiterhin wird der Terminus 'Grammatikalisierung' auch für die Entwicklung grammatischer Kategorien aus dem Diskurs (z.B. die „Grammaticalization of Topic into Subject" - so der Titel von Shibatani 1991) genutzt. Eine Definition, die beide Aspekte miteinander zu verbinden sucht, schlägt Haase vor: Grammatikalisierung besteht in der Übernahme konstanter grammatischer Funktionen durch sprachliche Ausdrucksmittel, die ansonsten nicht zu den grammatischen Primitiva gerechnet werden, sondern ins Lexikon, in die Pragmatik oder zu komplexen, also analysierbaren Syntagmen (im Gegensatz zu den Primitiva) zählen (1999b:297).
Vollkommen neu sind derlei Gedanken selbstverständlich nicht. Nicht nur W. von Humboldt, sondern auch Georg von der Gabelentz war sich bereits dessen bewusst, was die moderne Grammatikalisierungsforschung gerne mit Schlagworten wie "today's morphology is yesterday's syntax" (Givón 1971:413) umreißt. So schrieb Von der Gabelentz bereits 1891 in Die Sprachwissenschaft. Ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse: „Was heute Affixe sind, das waren früher selbständige Wörter" (255). Als Erstbeleg des Terminus 'Grammatikalisierung' wird in den einschlägigen Handbüchern der 1912 publizierte Aufsatz L'évolution
14 des formes grammaticales des Indogermanisten Meillet angeführt, der diesbezüglich von der „attribution du caractère grammatical à un mot jadis autonome" (1921:131) spricht. Durch das vorrangige Interesse des Strukturalismus an synchronem Funktionieren, für dessen Analyse eine Auseinandersetzung mit der Diachronie unnötig sei, gerieten derartige Ansätze in Vergessenheit. Erst während der vergangenen 20 Jahre sind wieder verstärkt Untersuchungen in Erscheinung getreten, die sich von einem gezielten Blick auf die Sprachgeschichte neue Einsichten in die Synchronie erhoffen (cf. Hopper/Traugott 1993:23-24). Mit einer solchen Auffassung wendet sich die Grammatikalisierungsforschung explizit gegen die strikte Trennung von Synchronie und Diachronie, wie sie seit Ferdinand de Saussures Cours de Linguistique générale (1916) vor allem im Bereich der Romanistik für die strukturalistisch ausgerichtete Linguistik maßgeblich war. Eine synchrone Analyse schließt nach Meinung der Grammatikalisierungstheoretiker nicht etwa jegliche diachrone Argumentation von vornherein aus, sie kann vielmehr ohne Rekurs auf die Sprachgeschichte kaum zu schlüssigen Ergebnissen gelangen. Zusammenfassend formuliert Bat-Zeev Shyldkrot für die grammatikalisierungstheoretische Herangehensweise, „qu'il est impossible de comprendre le fonctionnement des éléments grammaticaux sans avoir compris au préalable les processus diachroniques auxquels ils ont été soumis" (1995:3). In ähnlicher Weise äußern sich beispielsweise Heine et al. ( 1991:1 f) sowie Hopper/Traugott (1993:25). Einen auch nur annähernd umfassenden Überblick über Entwicklung und gegenwärtigen Forschungsstand geben zu wollen, wäre angesichts der umfangreichen Literatur ein hoffnungsloses Unterfangen. In Bezug auf wissenschaftsgeschichtliche Aspekte verweise ich deshalb auf Traugott/Heine (1991), Heine et al. (1991), Hopper/Traugott (1993), Bybee et al. (1994), Lessau (1994), Stolz (1994:42-49) und Campbell (1999:238-242). 23 An dieser Stelle seien lediglich einige häufig diskutierte Beispiele aus den romanischen Sprachen angeführt, anhand derer sich die für eine Auseinandersetzung mit den relationalen Ausdrucksverfahren zentralen Gesichtspunkte verdeutlichen lassen: (1-12)
23
a.
Das klat. Lexem passus 'Schritt' wird im Altfranzösischen neben anderen Einheiten wie mie 'Krume' und goutte 'Tropfen' fakultativ zur Verstärkung der Negationspartikel ne genutzt. Im heutigen Französisch hat sich pas weitgehend gegen seine altfranzösischen Konkurrenten durchgesetzt und ist als Negationspartikel (in fast allen Kontexten) obligatorisch zu setzen. Lediglich das literarische point hat im entsprechenden Sprachregister seine Stellung bewahren können. In nähesprachlichen Registern kann pas sogar als alleiniges Negationselement fungieren. 24
In den genannten Werken bleibt unerwähnt, dass das betreffende Phänomen auch von Pottier (1974:272) beschrieben und mit dem Terminus 'grammémisation' etikettiert wurde. Dezidiert auf Pottier (1974) bezieht sich Dervillez-Bastuji (1982). Auch diese Monographie, zeitgleich erschienen mit Lehmann (1982), hat im Rahmen der Grammatikalisierungsforschung keine Beachtung gefunden.
24
Der fakultative Gebrauch von pas hat sich nach Verben wie oser und pouvoir
erhalten, doch ist die alleinige
Verwendung von ne stilistisch deutlich als gehoben markiert. - Die Interpretation von pas als alleiniges Negationselement im nähesprachlichen Bereich (u.a. Hopper/Traugott 1993:58, 116) wird der Tatsache nicht gerecht, dass die Partikel ne in Kontexten wie qui n'a pas d'argent auch in der gesprochenen Umgangssprache kaum elidiert wird (Krassin 1994:13-18).
15
b.
c.
d.
Das klat. Vollverb habere entwickelt sich zum vlat. Auxiliar wie in cantare habeo und habeo cantatum und wird in zahlreichen romanischen Sprachen zum Tempusmorphem grammatikalisiert (cf. frz. je chanterai, span, cantaré) bzw. bleibt Hilfsverb wie bei der Bildung von periphrastischen Tempora (cf. frz .j'ai chanté, span, he cantado). Das klat. Ν mente [Case:ABL] wie in der Periphrase clara mente wird im Laufe der Sprachgeschichte als Derivationsmorphem reanalysiert, das in den heutigen romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) zur Bildung von Adverbien dient: frz. clairement, span, claramente, ital. chiaramente.25 Die klat. Präposition ad DP [Case:AKK] mit lokal-direktiver Bedeutung entwickelt sich zum Kasusmorphem und dient so im Neufranzösischen und im Spanischen zur Markierung des Dativ, im Spanischen, Sardischen und Korsischen bei Objekten [+hum], [+def] auch zur Akkusativmarkierung26.
Anhand der Grammatikalisierung von pas zur Negationspartikel (Beispiel 1-12.a) wird deutlich, dass die lexikalische Ausgangsbasis durchaus als mehr oder minder homonyme Einheit neben dem neu entstandenen Grammem fortbestehen kann: Sowohl im Alt- als auch im Neuftanzösischen sind das zugrunde liegende Lexem pas und das daraus entwickelte Grammem pas (Negationspartikel) kopräsent. Gleiches gilt auch für das Fortbestehen der lexikalischen Ausgangsbasis bei der in (l-12.b) skizzierten Herausbildung der romanischen Auxiliare und Futurmarkierungen. Anders als bei dem zuerst genannten Fall ist hierbei das entstandene Grammem deutlich in morpho-phonologischer Hinsicht differenziert. Solche Aufspaltungen eines Ausgangselements in eine lexikalische und eine grammatische Variante bzw. in mehrere Varianten unterschiedlichen Grammatikalisierungsgrades werden in der einschlägigen Literatur mit Termini wie 'divergence' (Hopper/Traugott 1993:116f) oder 'split' (Heine/Reh 1984:57-9) etikettiert. Ich verwende im Folgenden in Anlehnung an Hopper/Traugott den Terminus 'Divergenz', möchte allerdings auch Phänomene mit einschließen, die nicht unbedingt im engeren Sinne mit Grammatikalisierung, sondern vielmehr mit Lexikalisierung und/oder Kategorienwechsel verbunden sind. So spreche ich beispielsweise auch dann von Divergenz, wenn ein Mitglied einer lexikalischen Kategorie einerseits als 'free form' und andererseits im Rahmen einer idiomatisierten Wendung verwendet wird. Auch im Bereich der relationalen Elemente lassen sich derartige Divergenzphänomene ausmachen. So stehen zum Beispiel die lexikalischen Einheiten côté, place und lieu dem Sprecher einerseits als Input für die freie Syntax zur Verfügung und kommen andererseits als nominaler Bestandteil einer präpositionalen Wendung wie à côté (de), à la place (de) und au lieu (de) vor (cf. hierzu ausführlich Abschnitt 4.2.2). Als Divergenzphänomen ist auch die Tatsache aufzufassen, dass neben der (grammatikalisierten) Verwendung von frz. à als Dativoder von span, a als Akkusativ- und Dativmarkierung jeweils auch der Gebrauch als lokale
25
Eine differenziertere Modellierung unter Berücksichtigung der Unterscheidung Mündlichkeit/Schriftlichkeit gibt Haase (1999b:299f; cf. auch 1999a: 12).
26
Cf. span, 61), kors.
he visto a Juan —> lo he visto·, sard, appo bidu a Juanne —> ¡'appo bidu aghju visiti à Pàulu —» l'aghju vistu (Agostini 1984:43, 234f).
(cf. Mensching 1992:54,
16 und/oder lokal-direktive Präposition vorliegt. Gleiches gilt auch für alle anderen lexikalisch geforderten Präpositionen (cf. elle compte sur son amie vs. elle dort sur son bureau).21 Anhand der Entwicklung der klat. Präposition ad zum romanischen Kasusmarker wird weiterhin deutlich, dass durchaus auch dann von einem Grammatikalisierungsprozess gesprochen werden kann, wenn es darum geht, dass eine bereits grammatische Einheit im Laufe der Zeit noch 'grammatischer' wird. Fasst man nämlich eine Präposition wie ad als Mitglied einer funktionalen Klasse auf, dann ist eine lexikalische Ausgangsbasis nicht nachweisbar. Wenn man jedoch - wie es im Rahmen der jüngeren generativen Grammatik üblich ist und wie ich es auch im Rahmen dieser Arbeit tun möchte (cf. ausfuhrlich Abschnitt 2.1.1) - die Präposition zu den lexikalischen Kategorien zählt, dann ist das lokal-direktive ad des klassischen Latein sehr wohl eine lexikalische Ausgangsbasis. In jedem Falle handelt es sich bei Grammatikalisierung aber um die Entwicklung einer gegebenen Form in eine bestimmte Richtung, und zwar vom frei verfugbaren lexikalischen Element zum Bestandteil eines grammatischen Paradigmas. Grammatikalisierung wird nach der herrschenden Lehre als ein unidirektionaler Prozess aufgefasst, d.h. ein einmal begonnener Vorgang kann zwar jederzeit zum Stillstand kommen, ist jedoch nicht umkehrbar. Das heißt zugleich, dass es keinen systematischen Prozess von Degrammatikalisierung geben kann, bei dem sich Grammeme in systematischer Weise zu Lexemen entwickeln. In der Tat handelt es sich bei den in der Literatur angeführten Gegenbeispielen meist um singulare Einzelfalle aus dem Bereich der Wortbildung.28 Als einen Fall von Degrammatikalisierung führt Lehmann die türkeitürkische Postposition için an, die in früheren Sprachzuständen unter Verlust des anlautenden i mit dem jeweiligen Bezugswort ein Amalgam bilden konnte: „In some rare instances, this morpheme is suffixed, e.g. on-un-çiin (D3-GEN-for) 'therefore'. Since these suffixed forms are archaic relics, the modern productive postpositional usage must be explained ... as a degrammaticalization of the suffixal construction" (1982:17).29 Lehmann wertet solche Fälle von Deklitisierung als Ausnahmen, die die generelle Gültigkeit der Unidirektionalitätshypothese nicht ernstlich in Gefahr bringen. Es ist m.E. jedoch fraglich, ob es sich bei dem enklitischen Gebrauch von için tatsächlich um einen Fall von Grammatikalisierung und dementsprechend bei der Auflösung des Amalgams um Degrammatikalisierung handelt. Für beginnende Grammatikalisierungsvorgänge ist es typisch, dass der ältere Gebrauch (hier die Verwendung der 'free form' için als Kopf einer PP) mit der neueren, auf beginnende Grammatikalisierung hinweisenden Verwendung eines sprachlichen Zeichens (hier die fusionierte Form der Postposition -(y)çiiri) im synchronen Schnitt kopräsent ist. Die jüngere Form verbreitet sich ausgehend von einer bestimmten Konstruktion und kann so allmählich die ältere verdrängen. Im konkreten Fall von için blieb die enklitische Form zwar nicht auf den be27
28
29
Für das Spanische cf. Kailuweit (2001), fur das Türkeitürkische cf. Dervillez-Bastuji (1982:123f), die darauf hinweist, dass der Verbstamm dur- synchron u.a. als lexikalisches Vollverb mit der Bedeutung 'bleiben, stehen' und als fakultatives Kongruenzaffix der 3. Person Singular (-dir) kopräsent ist. So beispielsweise bei der Bildung des englischen Substantivs ism 'Ideologie, Doktrin' aus dem gleichlautenden Derivationssufïix oder bei der Entwicklung von frz. tutoyer oder dt. duzen aus den entsprechenden Personalpronomina. Weitere vermeintliche Gegenbeispiele zur Unidirektionalitätshypothese diskutieren Hopper/Traugott ( 1993:126ff). Zu den sprachlichen Fakten cf. auch ICissling (1960:106) sowie Korkmaz (1961a, 1961b).
17 sonderen Kontext der Besetzung der Komplementposition mit einem pronominalen Element beschränkt - auch Formen wie beispielsweise komsu-y-çiin 'für den Nachbarn' sind belegt (cf. Lewis 1967:87) - , doch lässt sich keine regelhafte vokalharmonische Angleichung wie im Falle von ile > -(y)lE feststellen. Es scheint sich also bei Klitisierung von için eher um die Verschriftung von Allegro-Formen als um einen Fall von Grammatikalisierung zu handeln. Von Grammatikalisierung sollte man m.E. erst sprechen, wenn die entsprechende Form keinen Einzelfall mehr darstellt, sondern durch analogische Ausweitung auf ursprünglich nicht mögliche Kontexte für alle potenziell möglichen grammatischen Operationen zur Verfügung steht.30 In engem Zusammenhang mit der Unidirektionalitätshypothese steht auch die Überlegung nach dem generellen Verhältnis der Phänomene Grammatikalisierung und Lexikalisierung zueinander. Für gänzlich unangebracht halte ich es, Lexikalisierung als das unmittelbare Gegenteil von Grammatikalisierung und somit als Synonym des Begriffs Degrammatikalisierung aufzufassen, wie es verschiedentlich vorgeschlagen wird (cf. Lehmann 1982:16; Lessau 1994:535).31 Es ist vielmehr daraufhinzuweisen, dass die Prozesse Grammatikalisierung und Lexikalisierung - jeweils verstanden als die Herausbildung neuer Grammeme bzw. Lexeme im Anfangsstadium gar nicht voneinander unterschieden werden können. In beiden Fällen geht die Herausbildung von Varianten zu bereits bestehenden Einheiten mit einer Verfestigung bestimmter Strukturen einher (Haase/Nau 1996:6 sprechen von 'Ritualisierung'). Ob eine neu entstandene Einheit im weiteren Verlauf der Entwicklung Eingang in die Grammatik oder ins Lexikon findet, hängt davon ab, ob es bei einem einmaligen Vorgang bleibt (z.B. Fixierung von sog. Funktionsverbgefügen) oder ob die entsprechende Konstruktion analogisch ausgeweitet wird (z.B. Entwicklung von periphrastischen Verbformen). Damit ist die Entscheidung, ob ein Fall von Grammatikalisierung vorliegt, auch immer mit Blick auf die Vorkommensfrequenz der betreffenden Konstruktion zu fällen. 32 Da Grammatikalisierungsvorgänge zu jeder Zeit und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufen, sind entsprechende Zwischenstufen im Kontinuum Lexikon - Grammatik im synchronen Schnitt kopräsent, und der Sprecher hat in einem funktionalen Bereich folglich die Wahl zwischen verschiedenen Versprachlichungsstrategien unterschiedlichen Grammatikalisierungsgrades. Synchrone Variation entpuppt sich so gesehen als momentanes Resultat ständig ablaufender Grammatikalisierungsprozesse und kann, oder besser muss somit auch unter Bezugnahme auf die Diachronie analysiert und beschrieben werden. Lehmann hat in zahlreichen Publikationen der Auffassung von einer synchronen Dynamik, die unter Bezugnahme auf die Diachronie explizierbar gemacht werden könne, in Form von sog. Grammatikalisierungsskalen Ausdruck verliehen. Dabei werden die in einem morphosyntaktischen Teilbereich zur Verfügung stehenden Versprachlichungsstrategien ihrem jeweiligen Grammatikalisierungsgrad entsprechend auf einer Skala zwischen den Polen Lexikon und Grammatik angeordnet. Hierbei ist zu betonen, dass die durch Ziffern markierten Stufen keine fest umrisse30
Ein Grund für die Nicht-Grammatikalisierung von için zum Kasusmarker besteht möglicherweise in der Tatsache, dass mit dem synthetischen Dativ auf -(y)E - in der türkeitürkischen Grammatikographie meist als kirne hali bezeichnet (cf. Banguo|lu 1974) - bereits ein bedeutungsähnlicher Kasus zur Verfügung stand.
31
Diese Auffassung vertreten auch Haase (1995:115) und Haase/Nau (1996:6). Zur Bedeutung der Vorkommenshäufigkeit beim Sprachwandel cf. Martínez Moreno (1993:84ff), die ausfuhrlich über die betreffenden Ansätze in neueren Arbeiten informiert.
32
18 nen Kategorien, sondern lediglich Näherungswerte für die einzelnen Positionen in einem Kontinuum repräsentieren (cf. Lehmann 1995:1259). Als Handwerkszeug für eine diesbezügliche Situierung dienen sog. Grammatikalisierungsparameter, die anhand bestimmter Kriterien den jeweiligen Grammatikalisierungsgrad einer gegebenen Form im Vergleich zu einer anderen messbar machen sollen. Lehmann hat 1982 erstmals eine Reihe solcher Parameter vorgeschlagen, die er anhand von Beispielen aus verschiedenen Einzelsprachen eingehend diskutiert hat und die seitdem in zahlreichen Nachfolgepublikationen immer wieder in unveränderter Form aufgetaucht sind (zuletzt in Lehmann 1995). Es handelt sich hierbei um ausdrucks- und inhaltsseitige Begleiterscheinungen, wie sie bei der Genese von grammatischen Zeichen aus lexikalischen häufig zu beobachten sind. Bei der Bestimmung des Grammatikalisierungsgrades eines gegebenen Zeichens steht also der Grad seiner Autonomie im Vergleich zu funktionsähnlichen bzw. funktionsgleichen Zeichen im Mittelpunkt. Dabei geht es um Autonomie in dreierlei Hinsicht, und zwar in Bezug auf 1. Gewicht, 2. Kohäsion und 3. Variabilität eines sprachlichen Zeichens. Diese drei Kriterien können nun wiederum unter dem Blickwinkel der Auswahl eines sprachlichen Zeichens durch den Sprecher (paradigmatische Achse) und in Bezug auf seine kombinatorischen Eigenschaften (syntagmatische Achse) betrachtet werden. Daraus ergeben sich die sechs Parameter Integrität, Skopus, Paradigmatizität, Fügungsenge sowie paradigmatische und syntagmatische Variabilität. Paradigmatische Parameter 1. (Gewicht) Integrität 2. (Kohäsion) Paradigmatizität 3. (Variabilität) Paradigmatische Variabilität
syntagmatische Parameter Skopus Fügungsenge syntagmatische Variabilität
Mit steigendem Grammatikalisierungsgrad nimmt sowohl die phonische als auch die semantische Integrität des betroffenen Zeichens ab. Während Fragen der lautlichen Erosion bei Grammatikalisierungsvorgängen im Bereich der relationalen Einheiten kaum eine Rolle spielen,33 kann auf inhaltsseitiger Ebene bei steigendem Grammatikalisierungsgrad ein Verlust konkret lexikalischer Bedeutungsmerkmale konstatiert werden. Dies ist vielfach mit Schlagworten wie 'semantic bleaching', 'attrition' oder 'desemanticization' charakterisiert und unter Bezugnahme auf die Konzepte Metapher und Metonymie erklärt worden (cf. Lehmann 1982:127, Heine/Reh 1984:36f, Sweetser 1988, Diewald 1997:22). So ist auch die Entwicklung des klat. ad zur neufranzösischen Dativmarkierung als metaphorischer Prozess beschrieben worden (cf. u.a. Selig 1991:200 und Kilroe 1994:50), und gleichfalls scheinen metaphorische Prozesse bei der Verwendung von Bezeichnungen für (menschliche) Körperteile im Rahmen von präpositionalen Wendungen eine wichtige Rolle zu spielen (cf.face 'Gesicht' > en face (de) 'gegenüber von' oder face (à) 'angesichts').34 Im Kapitel zur Θ-Theorie (2.2) wird
33
Cf. die jeweils identische Lautgestalt eines präpositionalen Elements in seiner konkret lexikalischen bzw. in seiner grammatischen Verwendungsweise: habiter à Paris - donner qc à qn oder eile dort sur son bureau elle compte sur son amie.
34
Stolz rechnet zu diesem Phänomen auch die Herausbildung von Auxiliaren aus Bewegungsverben, da Verben wie engl, go oder frz. venir „eine prototypisch menschliche Handlung kodierfen]" (1994:21).
19 deutlich werden, in welchem Maße der Wandel von rollensemantischen Eigenschaften, wie er bei der Verwendung von Präpositionen als Kasusmarker zu verzeichnen ist, das syntaktische Verhalten der betreffenden Elemente beeinflusst. Auch in syntagmatischer Hinsicht nimmt das Gewicht einer bestimmten Form bei zunehmendem Grammatikalisierungsgrad ab. So ist der Skopus, also die strukturelle Reichweite eines präpositionalen Kasusmarkers geringer als derjenige einer lexikalischen Präposition. Dies zeigt sich u.a. daran, dass die Weglassbarkeit von kasusmarkierenden Präpositionen in koordinierten Strukturen stark eingeschränkt ist (cf. ausführlich hierzu Abschnitt 2.3.4). Der Begriff Skopus ist aus dem Bereich der generativen Grammatik entlehnt worden und bezeichnet dort ursprünglich die semantische Reichweite eines sprachlichen Zeichens, beispielsweise eines Negationsmorphems über eine bestimmte Anzahl weiterer Elemente in einer gegebenen Struktur. Dieser semantische Skopus lässt sich anhand der Dominanzverhältnisse im Strukturbaum explizierbar machen, was in gleicher Weise fur den syntaktischen Skopus der Grammatikalisierungsforschung gilt. Die Kohäsion eines sprachlichen Zeichens nimmt bei steigendem Grammatikalisierungsgrad sowohl in Bezug auf den paradigmatischen als auch auf den syntagmatischen Aspekt zu. Während die kasusmarkierenden Präpositionen des Französischen ein (relativ) geschlossenes Inventar von Einheiten bilden, die von einem regierenden Kopf lexikalisch gefordert werden können, gehören die frei wählbaren Präpositionen und präpositionalen Wendungen einer synchron erweiterbaren und damit offenen Klasse an (Kriterium der Paradigmatizität). In gleicher Weise nimmt die Fügungsenge eines Elements bei zunehmendem Grammatikalisierungsgrad zu. Im Bereich der relationalen Elemente zeigt sich dies u.a. daran, dass eine kasusmarkierende Präposition weder intransitiven Gebrauch noch das Phänomen des sog. 'Preposition Stranding' erlaubt (cf. hierzu Abschnitt 2.1.2). Die Variabilität eines gegebenen Elements schließlich verringert sich bei gesteigertem Grammatikalisierungsgrad sowohl in paradigmatischer als auch in syntagmatischer Hinsicht. So ist eine kasusmarkierende Präposition weder weglassbar noch gegen andere Elemente austauschbar (paradigmatischer Aspekt), und in Bezug auf die Stellungsfreiheit im Syntagma ist völlige Platzfixierung zu konstatieren. Die einzelnen Faktoren, wie sie bei Sprachwandelprozessen zu beobachten sind und die mit Hilfe der besprochenen Grammatikalisierungsparameter fassbar und systematisierbar gemacht werden sollen, können zwar auf einen Grammatikalisierungsvorgang hinweisen, sind jedoch - wie beispielsweise Stolz (1994:21) betont - fur sich genommen noch kein eindeutiges Indiz. Dies lässt sich leicht anhand von Fällen der lautlichen Reduktion wie klat. aqua > nfrz. eau [o] oder des lexikalischen Bedeutungswandels zeigen. Die Bedeutungserweiterung von klat. adripare '(mit dem Schiff) anlegen' zu frz. arriver '(generell) ankommen' kann zwar plausibel mit einem Schlagwort wie 'Semantic bleaching' (verringerte semantische Integrität) umrissen werden, doch lässt sich daraus mit Sicherheit nicht ableiten, dass arriver in höherem Maße grammatikalisiert sei als das lateinische Etymon. Grammatikalisierung ist folglich eine mögliche Erscheinungsform von Sprachwandel, aber nicht jeder Sprachwandel ist zugleich Grammatikalisierung (cf. u.a. Traugott/Heine 1991:4 und Stolz 1994:15). Um einen Grammatikalisierungsvorgang zu konstatieren, müssen also sämtliche Parameter in Betracht gezogen werden.
20 Für den Bereich der relationalen Ausdrucksverfahren wird von Lehmann folgende übereinzelsprachlich gültige Grammatikalisierungsskala vorgeschlagen (cf. 1985a:304, 1985b:45): [1] relational noun + adposition or case affix (+ NP + adposition or case affix) [2]
secondary adposition
[3]
primary adposition
[4]
agglutinative case affix
[51
fusional case affix
>
(+ NP + adposition or case affix) (+ NP + case affix) (on NP or N) (onN)
Die französischen éléments de relation situiert Lehmann auf einer solchen Skala wie folgt: [French] has a host of prepositional locutions of stage 1, such as à cause (de), en face (de) etc. It has also an exhaustive paradigm of prepositions which occupy positions on stages 2 and 3 and between them, e.g. autour (de) or jusqu α at stage 2, pendant and vers between 2 and 3, and par or dans at stage 3. Finally, the prepositions de and à may be said to be at stage 4, with even some characteristics of stage 5 ( 1985b:46).
Die hierbei auf Stufe [1] bzw. [4] situierten Elemente entsprechen im Wesentlichen den beiden Gruppen von Einheiten, die ich in (l-10.a) bzw. (l-10.c) angeführt habe, wobei anzumerken ist, dass ich - abweichend von Lehmann - auf Stufe [1] neben den aus relationalen Nomina gebildeten präpositionalen Wendungen (pW) auch verbbasierte Formen wie concernant oder étant donné annehme. Für nicht unmittelbar einsichtig halte ich jedoch die Subsystematisierung, die Lehmann im mittleren Bereich der Skala annimmt. So ist es m.E. fraglich, ob autour (de) wirklich stärker grammatikalisiert ist als etwa en face (de) oder ob etwa das im temporalen Raum situierende pendant für den heutigen Sprachbenutzer tatsächlich 'lexikalischer' ist als das im lokalen Raum situierende dans. Derartige Überlegungen stehen im Rahmen meiner Arbeit jedoch nicht im Zentrum des Interesses, da für eine Auseinandersetzung mit den relationalen Elementen einer Einzelsprache unter dem Gesichtspunkt der Grammatikalisierung den Randbereichen der betreffenden Skala ohnehin größere Wichtigkeit zukommt als den zentralen Bereichen. Doch gerade in Bezug auf den 'grammatischen' Randbereich der Skala erscheint mir die von Lehmann vorgeschlagene Modellierung nicht unproblematisch. Ohne es genauer auszuführen, konstatiert Lehmann, die kasusmarkierenden Präpositionen des Französischen wiesen gewisse Charakteristika fusionierter Affixe auf. Im gegenwärtigen Sprachzustand lassen sich allerdings kaum Faktoren ausmachen, die eine solche Beschreibung rechtfertigen würden. Wie noch im Einzelnen gezeigt werden wird (cf. v.a. Abschnitt 2.3.3), weisen die aus dem Bereich der präpositionalen Elemente rekrutierten Kasusmarker noch deutliche Charakteristika der Spenderkategorie auf. Mit Blick auf die von Bybee et al. (1990) und Wandruszka (1992) postulierte Suffigierungspräferenz, derzufolge übereinzelsprachlich 35
Die Darstellung ist im Original um 90° gedreht; inhaltliche Veränderungen wurden nicht vorgenommen. Zur Unterscheidung primäre vs. sekundäre Adposition schreibt Lehmann: „A secondary adposition [...] is one which expresses not a grammatical, but an objective meaning and which may be morphological complex and/or transparent [...]. A primary adposition is one which expresses an elementary objective or a grammatical meaning and is morphologically simple, such as of in" (1985a:304).
21 gesehen proklitische Einheiten wesentlich seltener mit ihrer Basis verschmelzen als Enklitika, ist auch kaum zu erwarten, dass eine solche Entwicklung eintreten wird. Eine Entwicklung vom agglutinierten Kasusmarker zum Flexiv würde schließlich voraussetzen, dass die betreffende Kasusmarkierung nicht mehr an eine morphologisch abgeschlossene Form ('free form') tritt, sondern an einen nach links offenen Nominalstamm. Es steht zwar außer Frage, dass fusionierte Kasusaffixe wie etwa die des klassischen Latein oder des Deutschen aufgrund ihrer weitaus höheren Obligatorik noch 'grammatischer' sind als etwa die kasusmarkierenden Ρ der romanischen Sprachen. Jedoch ist es m.E. wenig instruktiv, auf einer einzelsprachlich ausgerichteten Skala rechts von den agglutinierenden Kasusaffixen eine Position für fusionierte Kasusmarker anzunehmen, da eine entsprechende Weiterentwicklung in höchstem Maße unwahrscheinlich ist. Für meine Zwecke ist es daher ausreichend und adäquater, auf einer Grammatikalisierungsskala für den Bereich der relationalen Ausdrucksverfahren des heutigen Französisch nur drei Positionen als Näherungswerte anzusetzen. Die unter (1-10) angeführten Elemente sind entsprechend wie folgt anzuordnen: An Position [1] und damit dem Pol 'Lexikon' am nächsten erscheinen die sog. locutions prépositives, wobei die spontansprachlichen Neubildungen und die oben angesprochenen Klassifizierungsprobleme in diesem Bereich deutlich zutage treten lassen, dass der Übergang zu den benachbarten lexikalischen Klassen als ebenso fließend aufgefasst werden muss wie derjenige zu den morphologisch 'einfachen' Präpositionen, die ich an Position [2] situiere. An Position [3] und damit dem Pol 'Grammatik' am nächsten sind schließlich diejenigen präpositionalen Elemente zu verzeichnen, die von anderen Elementen lexikalisch gefordert werden und die sich - wie im Einzelnen zu zeigen ist (cf. Abschnitte 2.3.3 bis 2.3.5) - als Oberflächenrealisierung inhärenter, d.h. mit einer bestimmten semantischen Rolle verbundener Kasus auffassen lassen. Wenn auch die an Position [3] zu situierenden Einheiten auf den ersten Blick noch am ehesten als geschlossenes Inventar erscheinen, so ist auch hierbei der Übergang zu den an Position [2] situierten präpositionalen Elementen ein fließender, da eine eindeutige Grenzziehung zwischen 'Kasusmarker' und 'echter' Präposition nicht unproblematisch ist. Dies wurde anhand der Beispiele (l-ll.d&e) angedeutet. (1-15)
Vorläufige Grammatikalisierungsskala für die relationalen Elemente des Französischen (•••)
durant (l'été) excepté (les femmes) à côté de au bénéfice de à la place de à l'entrée de
(•••)
à (dix heures)
(parler) avec
après
(compter) sur
avant
à la frontière de
Lexikon
(•••)
pendant (la guerre)
[1]
[2]
(parler) à
[3]
Grammatik
22 Es geht bei einer grammatikalisierungstheoretisch orientierten Herangehensweise also nicht darum, ein gegebenes Element einer statischen Kategorie zuzuweisen, sondern vielmehr darum, unter ständigem Einbeziehen der Diachronie zu bestimmen, an welcher Position auf der Skala zwischen den Polen Lexikon und Grammatik es sich im zu untersuchenden Sprachzustand befindet. Da Versuche statischer Klassifizierung letztlich immer wieder zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt haben, wie weiter oben anhand der von Brandal (1950), Grevisse (1993) oder Lang (1991) vorgeschlagenen Listen von Präpositionen und präpositionalen Wendungen gezeigt wurde, scheint somit der grammatikalisierungstheoretische Rahmen die idealen Voraussetzungen für die Auseinandersetzung mit einem heterogenen Objektbereich wie den relationalen Elementen einer Einzelsprache zu bieten. Trotzdem bleiben bestimmte Fragen offen. So wird in der Grammatikalisierungsforschung der Prozess der syntaktischen Reanalyse als einer der zentralen Faktoren von Sprachwandel angeführt.36 Gemäß der viel zitierten Definition von Langacker handelt es sich hierbei um einen „change in the structure of an expression or class of expressions that does not involve any [...] modification of its surface manifestation" (1977:58), d.h. um eine Veränderung hinsichtlich der zugrunde liegenden Struktur einer Äußerung ohne unmittelbare Affizierung der ausdrucksseitigen Repräsentation, also des signifiant. Ein solcher struktureller Wandel kann unterschiedliche Faktoren wie Konstituenz, konfigurationelle Hierarchie, Änderung von Merkmalspezifikationen oder Kohäsion betreffen (cf. Harris/Campbell 1995:61-64). Für meinen Untersuchungsbereich sind zwei Formen von Reanalyse relevant, wobei im konkreten Einzelfall Kombinationen der beiden angeführten Reanalysetypen zusammenwirken können: (1-16)
a.
b.
Typ A: Es erfolgt eine Uminterpretation eines einzelnen Elements im Sinne eines Kategorienwechsels, und zwar dahingehend, dass es zu einem Zeitpunkt ti der Kategorie α, zu einem Zeitpunkt t2 der Kategorie β angehört und dementsprechend unterschiedliche Merkmalspezifikationen und unterschiedliche Eigenschaften aufweist. Beispiel: die Uminterpretation des Partizips concernant als präpositionales Element (cf. Abschnitt 4.2.1.2) Typ B: Es erfolgt eine Zusammenfassung mehrerer Elemente zu einem einzigen Element, und zwar dahingehend, dass zu einem Zeitpunkt ti mehrere syntaktisch distinkte Elemente α, β, γ etc. vorliegen und zu einem Zeitpunkt Ii die auf der Ausdrucksebene identische Abfolge von Elementen syntaktisch nur noch als ein Element δ aufzufassen ist. Beispiel: die Herausbildung einer komplexen Präposition wie à côté (de) aus den Elementen [pò] und [ncôté] (cf. Abschnitt 4.2.2)
Grammatikalisierungstheoretisch ausgerichtete Untersuchungen verzichten i.d.R. darauf, diese Formen morphosyntaktischen Wandels anhand der jeweiligen Konfigurationen detailliert explizierbar zu machen. So kann die Herausbildung von Adpositionen aus KonstruktioAuch hierbei gilt, dass nicht jeder konstatierte Reanalyseprozess zugleich ein Fall von Grammatikalisierung sein muss.
23 nen mit relationsbezeichnenden Nomina unter Rückgriff auf das Konzept der syntaktischen Reanalyse erklärt werden. Dies skizziert Lehmann (1982:78) mit Blick auf die Herausbildung von Postpositionen aus Strukturen mit relationalen Nomina im Türkeitürkischen folgendermaßen:37 (1-17)
a.
Initial structure
[[ N P - G E N N R E I ] - C A S E ] [[bavul-un iç-i-] -n-de]
b.
Syntactic reanalysis
[ N P - G E N [Adposition [[bavul-un] içinde] [[biryiT\ içinde]
-CASE]]
Der von Lehmann skizzierte Strukturwandel entspricht dem von mir unter (l-16.b) angeführten Fall (Typ B), gefolgt von einer Uminterpretation der kategorialen Merkmale im Sinne von Typ A. Ein vergleichbarer „removal of the syntactic boundary" hat nach Lehmann auch im Französischen bei der Herausbildung der komplexen Präposition à côté (de) stattgefunden (1982:79).38 Wie ein solcher Wandel auf der Ebene der Konstituentenstruktur genau zu modellieren ist und welche formal-grammatischen und rollensemantischen Eigenschaften eine Struktur wie à côté (de Pierre) etwa von à la place (de Pierre) oder gar von dans la chambre (de Pierre) unterscheiden, bleibt indes ungeklärt. Die präpositionale Verwendung von einzelnen Verbformen bzw. von verbalen Konstruktionen und die hierbei zu beobachtenden konfigurationeilen Veränderungen werden von Lehmann ohnehin nicht thematisiert. Gerade dieser Bereich ist jedoch für den vorwiegend an der syntaktisch-konfigurationellen Seite von Kategorienwechselvorgängen Interessierten von höchstem Interesse. Eine diesbezügliche Auseinandersetzung erfordert allerdings ein differenziertes syntaktisches Analyseinstrumentarium, wie es besonders die generative Grammatik bietet.
1.4
Grammatikalisierung und generative Grammatik
Im vorausgegangenen Abschnitt wurde bereits auf zwei Aspekte hingewiesen, die im grammatikalisierungstheoretischen Rahmen eine wichtige Rolle spielen, jedoch eines differenzierteren Beschreibungsinstrumentariums bedürfen, als es in den gängigen grammatikalisierungstheoretischen Darstellungen zur Anwendung kommt. Dabei handelt es sich zum einen um das Phänomen der Reanalyse in seinen unterschiedlichen Ausformungen, die sich im generativen Rahmen in anschaulicher Weise anhand der jeweiligen Baumstrukturen nachvollziehen lassen. Der Analyseapparat, den traditionell orientierte Ansätze zur Verfügung stellen, erweist sich dagegen gerade in Bezug auf die Modellierung syntaktischen Wandels und konfiguratio-
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Ich übernehme die Darstellung von Lehmann (1982:78) und ergänze sie durch meine Beispiele (l-6.a&b). In vergleichbarer Weise erläutern Hopper/Traugott (1993:41) die Entwicklung komplexer Präpositionen aus Strukturen mit nominalem Kern im Englischen.
24 neller Uminterpretation bei Kategorienübergang und schwankendem Gebrauch als nicht zureichend. Zum anderen geht es um den geringer werdenden (syntaktischen) Skopus einer zu untersuchenden Form, der in Lehmanns Modell als einer der Faktoren genannt wird, anhand dessen sich der zunehmende Grammatikalisierungsgrad einer Form ablesen lasse. Auch hierbei bietet der generative Rahmen die Möglichkeit, die strukturelle Reichweite eines Zeichens anhand der Dominanzverhältnisse im Strukturbaum festzumachen (c-Kommando). Ein wesentlicher Faktor, der auf beginnende oder bereits weiter fortgeschrittene Kategorienwechselprozesse hindeutet, ist das Aufkommen von Variation in der Wortstellung. Syntaxtheorien wie die im Rahmen der deutschsprachigen Romanistik kontinuierlich weiterentwickelte Valenzgrammatik, die auf das Tesnièresche Dependenzmodell aufbauen (Tesnière 1959), legen den Schwerpunkt auf die internen Dominanzverhältnisse des Satzes. Sie lassen aber letztlich offen, welche Beziehung zwischen konfigurationeller Hierarchie und linearer Abfolge der Elemente in der chaîne parlée besteht bzw. welche Mechanismen interne Dominanz in Wortstellung überführen. Während in traditionell orientierten Modellen derartige Fragen erst gar nicht gestellt werden, bildet die Herleitung der Linearität bei generativen Syntaxmodellen eine der zentralen Fragestellungen. Dies gilt insbesondere fur die von Kayne (1994) entwickelte Antisymmetrie-Theorie. Da es gerade für die Modellierung von Kategorienübergängen im Grenzbereich Verb/Präposition wünschenswert ist, Wortstellungsphänomene genauer in den Griff zu bekommen, erscheint hierbei die Anwendung neuerer generativer Syntaxtheorien vielversprechend. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Frage nach dem Umgang mit traditionellen Kategorien. Die Erkenntnisse der Grammatikalisierungsforschung „challenge some standard descriptive and theoretical linguistic notions. One is that of categories" (Hopper/Traugott 1993:17). Dieses Bewusstsein um die Problematik (statischer) Kategorien darf jedoch nicht, wie bereits angedeutet, zu völligem Verzicht auf Systematisierung und Analyse fuhren. Stattdessen gilt es, herkömmliche Einteilungen wie 'Kasusmarker' - 'Präposition' - 'präpositionale Wendung/Periphrase' oder 'phrasale/komplexe Präposition' etc. nicht als starre Klassen aufzufassen, denen einzelne Elemente nach bestimmten Ein- und Ausschlusskriterien zuzuordnen sind. Sie sollten vielmehr dynamisiert werden, um bei der Sprachbeschreibung einerseits der Heterogenität innerhalb traditioneller Kategorien und andererseits der Homogenität über traditionelle Kategoriengrenzen hinweg gerecht zu werden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde im Rahmen der generativen Grammatik mit dem Ersetzen der herkömmlichen Kategorien Ν, V, A und Ρ durch entsprechende Kombinationen der Merkmale [+N, +V] unternommen (z.B. Chomsky 1970:48f).39 Dieses Beschreibungssystem ist - speziell mit Blick auf die Klasse Ρ - in letzter Zeit erneut diskutiert und ausdifferenziert worden. So schlägt beispielsweise Zwarts (1997b) vor, außer den kategorialen weitere Merkmale wie z.B. [+funktional] hinzuzuziehen und gelangt auf diese Weise zu einer differenzierten Subsystematisie39
Die Methode, lexikalische Kategorien durch Merkmalbündel zu beschreiben, entwickelt Chomsky (1965) in Anlehnung an die in der Phonologie übliche Vorgehensweise. In Chomsky (1970) findet die Methode Anwendung auf die Kategorien Ν, V und A. Erst in den Lectures on Government and Binding nutzt Chomsky im Einklang mit Jackendoff (1977) - die im gegebenen System leer gebliebene Merkmaispezifikation [-N; - V ] für die Charakterisierung der Kategorie Ρ (cf. Chomsky 1981:48). Der Status von Ρ als vollwertige lexikalische Kategorie neben Ν, V und A wird explizit erst in Chomsky (1986:160) postuliert (cf. Abschnitt 2.1.1).
25 rung der präpositionalen Elemente des Niederländischen. Ähnliche Vorschläge finden sich in den Arbeiten von Rauh (passim) zu den englischen Präpositionen. Die Versuche, den generativen Beschreibungsapparat zu verfeinern, betreffen jedoch vor allem den stärker grammatikalisierten Bereich der relationalen Elemente, d.h., die hinzugewonnenen Differenzierungsmöglichkeiten lassen sich im Wesentlichen für die Beschreibung des Ausgangs einzelner Elemente aus der lexikalischen Kategorie Ρ in Richtung auf funktionale Kategorien wie Kasusmarker nutzbar machen. Ein wichtiges Ziel dieser Arbeit ist es nun, im Einzelnen aufzuzeigen, inwieweit der generative Ansatz auch eine Überwindung des starren Kategoriendenkens beim Eingang von Elementen aus anderen lexikalischen Klassen wie Ν oder V in die Kategorie Ρ zu leisten imstande ist. Zu diesem Zwecke wird im Rahmen eines gesonderten Kapitels (4) eine Auswahl an Fallstudien präsentiert, die sich in detaillierter Weise mit der Modellierung von Kategorienübergängen zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien auseinandersetzen. Wie im Rahmen des zweiten Kapitels deutlich werden wird, sind es vor allem die jüngsten Entwicklungen im Bereich der generativen Grammatik, die sich in vielversprechender Weise für die Modellierung der syntaktischen Seite von Kategorienübergängen im Bereich komplexer Präpositionen nutzbar machen lassen. Insbesondere gilt dies für die theoretischen Vorgaben des Minimalistischen Programms (im Folgenden: MP), das Chomsky in seinem Aufsatz Some Notes ort Economy of Derivation and Representation (1991) erstmals skizziert und in zahlreichen Folgebeiträgen - zuletzt Categories and Transformations (1995:Kap. 4) und Minimalist Inquiries (1998) - präzisiert und teilweise revidiert hat.40 Im Rahmen des MP wird von einer streng 'merkmalsgetriebenen Syntax' ausgegangen, d.h., es wird angenommen, dass syntaktische Prozesse von den grammatischen Merkmalen und Merkmalseigenschaften der an ihnen beteiligten Elemente abhängig sind und auch nur unter Bezugnahme auf diese explizierbar gemacht werden können. Im Verlauf einer Derivation, also während des Aufbaus syntaktischer Strukturen, müssen die einzelnen Merkmale in ein bestimmtes Verhältnis mit den jeweils korrespondierenden Merkmalen gebracht werden, um die entsprechenden Merkmalswerte gegeneinander abzugleichen und um auf diese Weise die Präsenz eines Elements in einer bestimmten konfigurationeilen Position zu lizenzieren. Dieser auch 'Checking-Modell' genannte Überprüfungs- und Lizenzierungsmechanismus kann als Herzstück des MP gelten und liegt auch meinen Analysen im sprachbeschreibenden Teil zugrunde (4. Kapitel). Nicht direkt mit der Entwicklung des MP verbunden und in Bezug auf die Integration in den minimalistischen Rahmen im Einzelfall nicht ganz unproblematisch ist die viel beachtete Theorie von der 'Antisymmetry of Syntax', die Richard Kayne (1994) in seiner gleichnamigen Monographie entworfen hat.41 Während im Minimalismus aus Gründen der Derivationsökonomie auf die Annahme nicht-verzweigender Projektionen sowie weitgehend auf basisgenerierte leere Kategorien verzichtet wird, entwickelt Kayne (1994) mit dem 'Linear Corres40
41
Die allgemein als 'gültige' betrachtete 1995er Version des MP (cf. z.B. Wilder/Gärtner 1997:227) wird in Kapitel 2 eingehend dargestellt. Kayne verwendet die Termini 'Antisymmetrie' und 'Asymmetrie' bzw. 'antisymmetrisch' und 'asymmetrisch' ohne erkennbaren Bedeutungsunterschied. Ich schließe mich seinem Sprachgebrauch an und spreche von 'Antisymmetrie-Hypolhese', 'Anlisymmetrie-ModeW etc., andererseits aber von asymmetrischem c-Kommando.
26 pondence Axiom' (LCA) einen Mechanismus, der es ermöglicht, die lineare Abfolge der Elemente im Satz direkt aus den jeweiligen Konfigurationen abzuleiten. Genau hierfür ist aber in bestimmten Fällen die Annahme von nicht-verzweigenden Projektionen notwendig, da sonst das laut LCA für die Linearisierung notwendige Verhältnis des asymmetrischen c-Kommandos nicht gegeben ist. Zwar gelingt es Chomsky (1995:334f), die Antisymmetrie-These in sein Modell zu integrieren, indem er das LCA als PF-Prinzip interpretiert, doch verbleiben auch hierbei einige technische Probleme, wie u.a. Ouhalla (1999) für das Englische aufzeigt. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass Fragen der Wortstellungsvariation eine wichtige Rolle beim Kategorienwechsel spielen. Insofern ist es im gegebenen Zusammenhang unerlässlich, das von Kayne entwickelte Modell in meine Überlegungen mit einzubeziehen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Antisymmetrie-Hypothese (Abschnitt 2.4) lässt zudem deutlich werden, dass sich Kayne (1994) und Chomsky (1995) gerade in Bezug auf die Analyse französischer Daten als relativ kompatibel erweisen. Zudem bietet Kaynes Ansatz zumindest eine Überdenkenswerte Alternative für die Derivation der französischen Genitivkonstruktionen (cf. Abschnitt 3.10). Speziell für die Beschäftigung mit relationalen Ausdrucksverfahren erweisen sich die zahlreichen Arbeiten von Rauh zu den englischen Präpositionen (cf. v.a. 1993b, 1995b, 1997b & 1998) als hilfreich, da es der Autorin in überzeugender Weise gelingt, aus der gegenseitigen Abhängigkeit von syntaktischen (sprich X-bar-theoretischen) und semantischen (sprich Θtheoretischen) Aspekten eine flexible Subsystematisierung für den heterogenen Bereich der relationalen Ausdrucksverfahren zu entwickeln. So unterscheidet die Autorin mit den Untergruppen 'lexikalische Präposition' (lexP), 'grammatische Präposition' (grP) und 'regierte Präposition' (regP) drei Subklassen, die sich jeweils durch unterschiedliche Fähigkeit zur Instanziierung des X-bar-Schemas in Abhängigkeit von einem spezifischen Θ-Raster auszeichnen.42 Anhand der ausführlichen Darstellung in Abschnitt 2.2.3 dieser Arbeit wird deutlich, dass sich die Vorgaben von Rauh weitgehend auf die Verhältnisse des Französischen übertragen und in den minimalistischen Kontext integrieren lassen. Da der Schwerpunkt in Rauhs Arbeiten deutlich auf den einfachen Präpositionen liegt, sind ihre Ausführungen zur Problematik der komplexen Ρ allerdings wenig ergiebig. So werden zwar bei Rauh „phrasale Präpositionen wie in addition to oder in the light of" (1995a:133) als Untergruppe der Klasse grP kurz angesprochen, doch werden insbesondere Fragen nach Grammatikalisierungsvorgängen und deren Modellierung im minimalistischen Rahmen nicht thematisiert. Konkret mit den morphologisch komplexen Präpositionen des Niederländischen hat sich im generativen Rahmen Zwarts (1997a) auseinandergesetzt. Aus grammatikalisierungstheoretischer Sicht ist sein Ansatz allerdings unbefriedigend, da seine an der Graphie orientierte Zweiteilung in komplexe und einfache Ρ das in traditionellen Ansätzen kritisierte Kategoriendenken nicht überwinden kann.43 Da im Bereich der generativen Grammatik romanistische Arbeiten unterrepräsentiert sind, liegen auch kaum entsprechende Arbeiten vor, die sich mit präpositionalen Elementen des 42
In einigen Beiträgen (u.a. 1993b, 1994, 1995a) werden die Kategorien lexP und grP nochmals unterteilt, wodurch ein System von fünf Untergruppen entsteht.
43
Fries bemerkt im Rahmen einer kontrastiven Analyse deutscher und neugriechischer Präpositionen lapidar: „Complex prepositions ... arise essentially as a result of restructuring of full PPs" (1991b:59), geht aber in keiner Weise darauf ein, wie ein solcher Kategorienwechsel im Einzelnen zu modellieren ist.
27 Französischen auseinandersetzen, geschweige denn Fragen der Grammatikalisierung anhand von Kategorienübergängen im Randbereich zwischen Ρ und den benachbarten lexikalischen Kategorien im Französischen thematisieren. 44 Am eingehendsten hat sich diesbezüglich Jones (1996) geäußert, auch wenn sein Ansatz wie das Gros der Beiträge von Rauh noch streng älteren Modellen der generativen Grammatik verpflichtet ist und die minimalistischen Neuerungen nicht berücksichtigt. Eine speziell auf komplexe Ρ des Französischen ausgerichtete minimalistische Untersuchung ist mir nicht bekannt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass weder im grammatikalisierungstheoretischen noch im generativen Bereich auf das Französische bezogene Untersuchungen vorliegen, die in befriedigender Art und Weise die Randbereiche einer Grammatikalisierungsskala der relationalen Elemente modellieren 45 Während bei generativ ausgerichteten Arbeiten Aspekte der Grammatikalisierung - so diese überhaupt Beachtung finden - im Wesentlichen auf den Übergang Präposition/Kasusmarker konzentriert sind und die Frage nach dem Übergang zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien Ν und V weitgehend ausgeklammert ist, wird der zuletzt genannte Gesichtspunkt von der Grammatikalisierungsforschung ausdrücklich hervorgehoben. Die einschlägigen Studien bleiben jedoch in Bezug auf die Modellierung der syntaktisch-konfigurationellen Seite von Kategorienübergängen oft recht vage, wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt. Insofern ist die - bereits von Haspelmath (1994:3) angemahnte - Anwendung generativer Modelle im Zusammenhang mit Fragen der Grammatikalisierung ein dringendes Desideratum. Da die Beschäftigung mit einem bestimmten morphosyntaktischen Teilbereich unter dem Gesichtspunkt der Grammatikalisierung und die damit verbundene Fokussierung auf Kategorienübergänge eine allzu rigide Beschränkung auf die Eigenschaften der vorwiegend interessierenden Kategorie - hier Ρ - ohnehin von vornherein verbietet, liegt es nahe, im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch Studien zur Nominal- und Verbalsyntax mit einzubeziehen, insbesondere um die Reanalyse von Verbformen (Partizipien) und komplexen Nominalkonstruktionen zu präpositionalen Elementen explizierbar zu machen. Wie sich zeigen wird, ermöglichen gerade die theoretischen Vorgaben des MP eine differenzierte Modellierung von Sprachwandelprozessen - besonders die syntaktische Seite des Wandels betreffend - und lassen sich damit in hervorragender Weise für eine grammatikalisierungstheoretisch motivierte Untersuchung nutzen.
44
Zu den phrasalen Präpositionen des Französischen kann allerdings auf eine gewisse Anzahl (zum Teil schon älterer) Beiträge von Autoren, die eher traditionelle Ansätze verfolgen, zurückgegriffen werden. Zu nennen sind Gaatone (1976), Gross (1981), Pawela (1990) und die entsprechenden Passagen bei Lang (1991:37-52). Hinzu kommen einige Beiträge zum Deutschen wie Benes (1974), Lindqvist (1994) und Meibauer (1995) und zum Englischen wie König/Kortmann (1991), wobei die drei letztgenannten Arbeiten Fragen der Grammatikalisierung explizit in ihre Überlegungen mit einbeziehen.
45
Für andere Untersuchungsbereiche liegen jedoch Arbeiten vor, die Fragen der Grammatikalisierung im generativen Paradigma behandeln, so z.B. Roberts (1993:227f), der die Grammatikalisierung des klat. Vollverbs habere zum vlat. und romanischen Auxiliar bzw. Flexiv (s.o., Beispiele l-12.b) als Kategorienwechsel von der lexikalischen Kategorie V zur funktionalen Kategorie I, also als Reanalyse des Typs A (s.o., l-16.a) beschreibt.
28
1.5
Kapitelüberblick
Im weiteren Verlaufgliedert sich die Arbeit in folgende Kapitel und Abschnitte: In Kapitel 2 werden zwei Anliegen verfolgt. Zum einen gilt es, die theoretischen Vorgaben der Prinzipien- und Parametertheorie (im Folgenden P&P) sowie die jüngsten Neuerungen des MP und der Kayneschen Antisymmetrie-Hypothese anhand französischen Datenmaterials grundlegend aufzuarbeiten und damit die Ergebnisse einer Forschungsrichtung, die im Rahmen der deutschsprachigen Romanistik deutlich unterrepräsentiert ist, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die Darstellung der fur meine Arbeit zentralen Module X-barSyntax (2.1), Θ-Theorie (2.2) und Kasustheorie (2.3) erfolgt - soweit wie möglich - unter konkreter Bezugnahme auf die Kategorie Ρ und deren Randbereiche. Zum anderen soll aufgezeigt werden, welche Ergebnisse in Bezug auf eine Subsystematisierung des Bereichs der französischen éléments de relation mit diesem Instrumentarium erzielt werden können. In den unter 2.1 gruppierten Abschnitten geht es um Probleme und Lösungsversuche in Bezug auf die generative Kategoriensystematik, insbesondere im Kontrast zu strukturalistischen Ansätzen wie Brandal, Pottier und Lang, die Ρ als grammatisch-funktionale Klasse auffassen, deren Mitglieder jeweils ein bestimmtes relationales Verhältnis versprachlichen, wobei die unterschiedlichen Verwendungsweisen auf eine Einheit mit einer (grammatischen) Gesamtbedeutung zurückzuführen sind. Weiterhin werden der Aufbau phrasaler Kategorien im traditionell X-bar-syntaktischen und im minimalistischen Modell, die interne und externe Syntax von PPs sowie der konzeptuelle Unterschied zwischen P&P und MP beleuchtet. Im Abschnitt zur Θ-Theorie (2.2) wird - wiederum konsequent anhand von Ρ und PP - aufgezeigt, in welchem Maße syntaktische und rollensemantische Aspekte bei der Herleitung der in einem einzelsprachlichen System möglichen syntaktischen Repräsentationen ineinander greifen. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die in Abschnitt 1.4 erwähnte Subsystematisierung präpositionaler Elemente nach X-bar- und θ-theoretischen Gesichtspunkten in den Arbeiten von Rauh, deren Ergebnisse im Einzelnen für die Analyse des Französischen nutzbar gemacht werden. Die minimalistischen Neuerungen fallen im Teilbereich Θ-Theorie relativ gering aus. Anders ist die Situation im Modul Kasustheorie (Abschnitt 2.3). Die kasustheoretisehen Aspekte der traditionellen P&P werden im Minimalismus einer weitgehenden Uminterpretation unterzogen und bilden sozusagen in einer erweiterten Fassung als 'Checking-ModelP den grundlegenden Motor fur die Derivation syntaktischer Strukturen. Die Beschäftigung mit den kasustheoretischen Aspekten eines theoretischen Rahmens ist für eine Auseinandersetzung mit den Randbereichen der Kategorie Ρ in besonderer Weise fruchtbar, zeigt sich doch hierbei, ob das jeweilige Instrumentarium eine adäquate Modellierung der Kategoriengrenze zwischen (lexikalischer Kategorie) Ρ und (funktionaler Kategorie) Kasusmarker erlaubt. Der letzte Abschnitt des zweiten Kapitels (2.4) ist dem Antisymmetrie-Konzept (Kayne 1994) gewidmet. Hierbei wird zwar deutlich, dass einige der im MP implizit enthaltenen Annahmen durch Kaynes Modell explizit gemacht werden können (Verzicht auf den Kopfparameter, Herleitung unterschiedlicher Wortstellung SVO vs. SOV etc.), dass aber andererseits trotz der Integration des Antisymmetrie-Modells in Chomsky (1995; LCA als PF-Prinzip) zahlreiche technische Probleme bei der Anwendung auf einen konkreten Untersuchungsbe-
29 reich verbleiben. Alles in allem wird sich jedoch zeigen, dass die mit einer Integration der Antisymmetrie-Hypothese in den minimalistischen Kontext verbundenen Vorteile im Vergleich zu den Problemen deutlich überwiegen. Im dritten Kapitel findet das zuvor erarbeitete Instrumentarium Anwendung auf die zentralen Aspekte der Verbal-, Nominal- und Präpositionalsyntax, und zwar indem jeweils LCAkonforme Vorschläge für die Herleitung der betreffenden Strukturen präsentiert werden. Im Vordergrund stehen hierbei selbstverständlich diejenigen Aspekte, die im nachfolgenden Kapitel für eine Modellierung von Kategorienübergängen zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien von Wichtigkeit sind (u.a. Partizipialkonstruktionen, periphrastische Tempora und Genitivkonstruktionen). Im vierten Kapitel werden einige exemplarische Fallstudien vorgestellt, wobei sich die Ausführungen auf die Explizierbarmachung der syntaktisch-konfigurationellen Seite von Kategorienübergängen und/oder Grammatikalisierungsprozessen konzentrieren. Semantische Aspekte werden zwar angerissen, bilden aber nicht den zentralen Gegenstand der Analysen. In einem ersten Unterabschnitt (4.2.1) setze ich mich mit dem Übergang V > Ρ auseinander, d.h. mit präpositionalen Elementen, die sich aus Verbformen, genauer aus Partizipien, entwickelt haben, bzw. mit Formen, deren Status als verbales oder präpositionales Element nicht eindeutig entschieden werden kann. In einem weiteren Teil (4.2.2) geht es um den Kategorienwechsel Ν > P, also um komplexe Präpositionen, die sich aus mehrgliedrigen Nominalsyntagmen herausgebildet haben, wobei im Einzelnen zu entscheiden ist, ob eine konkrete Einheit tatsächlich als 'grammatikalisiert' gelten kann oder ob eine solche Verfestigung syntaktischer Strukturen (Fossilisierung) vielmehr eine Frage der Idiomatik ist und somit eher als Lexikalisierung anzusehen ist. Im fünften und letzten Kapitel geht es schließlich darum, die erzielten Ergebnisse zusammenzufassen und zu einer generellen Beurteilung der erprobten Methode zu gelangen. Es gilt aufzuzeigen, wo im Einzelnen die Vorteile einer generativ orientierten Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand liegen und wo sich die Grenzen des Beschreibungsapparates auftun.
2.
Präposition, Präpositionalphrase und Kasus in der generativen Grammatik
Im einleitenden Kapitel wurde auf die Vielfalt der Beschreibungsansätze hingewiesen, mit deren Hilfe versucht worden ist, den stark heterogenen Bereich der präpositionalen Elemente des Neufranzösischen zu systematisieren. Anhand einiger exemplarisch herausgegriffener Beispiele aus den Bereichen der vom Strukturalismus beeinflussten Grammatikographie, Sprachbeschreibung und Theoriebildung wurde deutlich, dass in allen Fällen bezüglich meines Untersuchungsbereiches entweder künstliche und somit leicht anfechtbare Einteilungen geschaffen wurden (Brandal 1950, Lang 1991) oder dass im äußerst heterogenen Bereich der präpositionalen Formen auf eine Systematisierung nach morphosyntaktischen Gesichtspunkten gänzlich verzichtet wurde (Weinrich 1982). Beide Vorgehensweisen erwachsen letztlich aus einem fur die strukturalistische Linguistik typischen Denken in fest gefügten, undurchlässigen Kategorien, Dichotomien und Oppositionen, ein Denken, das sich als für die Sprachbeschreibung problematisch erweist, sobald man sich der kontinuierlichen Übergänge zwischen den traditionellen Kategorien einerseits und der Heterogenität innerhalb derselben andererseits bewusst wird. Auch die generative Grammatik scheint trotz ihres vollkommen andersartig begründeten theoretischen Fundaments auf den ersten Blick einem solchen Kategoriendenken verpflichtet. Neben den (grundsätzlich) phonetisch leeren Kategorien 1 PRO, pro und t wird unterschieden zwischen den lexikalischen Kategorien Ν, V, A und Ρ und den funktionalen Kategorien D (Determinant), C (Komplementierer) und I (Flexion), die in bestimmten Fällen phonetisch leer sein können. 2 Ausgehend von der in Split-Infl-Hypothese (Pollock (1989; cf. Abschnitt 2.1.5) ist das Inventar an funktionalen Kategorien zunehmend erweitert worden. In Bezug auf '
'PRO' ist das phonetisch leere Subjekt des infiniten Satzes, das teils pronominale, teils anaphorische Eigenschaften aufweist. PRO kann entweder 'kontrolliert', d.h. durch ein referenzfähiges Antezedens gebunden sein wie in frz. Pierre¡ ne savait que PRO¡ dire oder als arbiträres PRO, d.h. ohne Koindizierung mit einer DP des Matrixsatzes auftreten: il est facile de PROart, comprendre cette théorie (cf. Abschnitt 3.7.2). 'pro' ist das phonetisch leere Subjektpronomen in sog. Pro-drop- oder Nullsubjekt-Sprachen wie z.B. in span, pro sabe español oder ttii. pro Tiirkçe biliyor 'er spricht Türkisch'. Nach Kaiser, der die französischen Subjektpronomina als unter I basisgenerierte Kongruenzaffixe auffasst, ist auch das Französische den Nullsubjekt-Sprachen und - da Objektklitika gleichfalls Affixe seien - darüber hinaus den Nullobjekt-Sprachen zuzurechnen (1992:169). Im einleitenden Kapitel habe ich bereits deutlich gemacht, dass ich diese Ansicht nicht teile. Cf. weiterhin Abschnitte 2.1.5 und 3.1 sowie die Rezension von Gather (1998). 't' symbolisiert die Spur eines in der Syntax verschobenen Elements. Hierzu zählen DP-Spuren als Ergebnis von DP-Bewegungen wie z.B. bei der Passivdiathese (cf. Abschnitt 2.3.1) und sog. Variable als Ergebnis von Quantorenanhebungen oder Wh-Bewegungen wie in frz. Jean-, ne sais pas [Cp où¡ PRO¡ aller tj] (cf. Abschnitt 2.1.4). - Chomsky (1993, 1995) geht entsprechend der 'Copy Theory of Movement' davon aus, dass bei Bewegungen in der Syntax an der Basisposition eine Kopie der bewegten Kategorie zurückbleibt, die dann auf PF getilgt wird. Spuren werden damit als getilgte Kopien uminterpretiert. Ich verwende für die Notation von Bewegungsspuren dementsprechend im Folgenden generell durchgestrichene
2
Charaktere.
So dient in V2-Sprachen ein leeres C als Landeplatz für das finite Verb; ein leeres D kann bei referenziellen Nominalphrasen auftreten (cf. Abschnitte 2.1.4 bzw. 2.2.5).
31
die Zugehörigkeit von Ρ zu den lexikalischen oder funktionalen Kategorien besteht in der generativen Literatur keine Einigkeit. So wertet beispielsweise Jackendoff (1973, 1977) die Präposition als vollwertige lexikalische Kategorie. Den gleichen Standpunkt vertritt Chomsky in Knowledge of Language (1986:160). In den fünf Jahre zuvor erschienenen Lectures on Government and Binding (1981) schließt er die Präposition allerdings aus dem Kreise der lexikalischen Kategorien aus, indem er im Anschluss an die Aufzählung der Klassen Ν, V, A und Ρ bemerkt, nur die ersten drei seien lexikalische Kategorien (cf. 1981:48). Auch in jüngerer Zeit wurde erneut der Standpunkt vertreten, die Präposition sei zu den funktionalen Kategorien zu zählen, z.B. von Grimshaw (1991), die Ρ grundsätzlich als funktionalen Kopf in der erweiterten Projektion eines Ν interpretiert (cf. hierzu ausfuhrlich Abschnitt 2.1.1). Eine solche Auffassung nähert sich implizit der in strukturalistischen Ansätzen vertretenen Auffassung von der Präposition als funktionalem Element an, allerdings mit dem Unterschied, dass nicht versucht wird, fur die jeweiligen präpositionalen Elemente eine einheitliche und fur alle paroleVerwendungen gültige Systembedeutung zu postulieren (Brandal 1950, Lang 1991). Schließlich wurden von Linguisten wie Zwarts (1997b) und Rauh (passim) Modelle zur Subsystematisierung der heterogenen Klasse Ρ entwickelt. Im einleitenden Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass die der Charakterisierung einzelner Kategorien durch Merkmalbündel vom Typ [+a, + ß etc.] inhärente binäre Beschreibungsstruktur nicht unbedingt der postulierten Auffassung von kontinuierlichen Übergängen zwischen den einzelnen Kategorien widersprechen muss. Die diesbezüglich gemachten Vorschläge sollen im Rahmen des nächsten Abschnitts diskutiert und bewertet werden.
2.0
Forschungsüberblick
Als eine der ersten generativ ausgerichteten Publikationen im Bereich der deutschsprachigen Romanistik erschien 1973 eine von Jürgen M. Meisel verfasste Einführung in die transformationeile Syntax. Dieser Veröffentlichung folgte kurze Zeit später ein zweiter Band, in welchem derselbe Autor eine Anwendung der theoretischen Vorgaben auf das Französische vorstellte und sich im Rahmen eines gesonderten Kapitels mit der französischen Präpositionalphrase auseinandersetzte (1973b:6-21). Zwar vermerkte Meisel in seinem Vorwort, dass „sich die Transformationsgrammatik an den Universitäten eines steigenden Interesses erfreu[e]" (1973b: 1), doch sollten sich die Errungenschaften der generativen Grammatik im Bereich der deutschsprachigen Romanistik bis heute kaum gegen die Übermacht der am Strukturalismus orientierten Sprachwissenschaft behaupten können. So dauerte es ein Vierteljahrhundert, bis erneut ein einführender Band vorgelegt wurde, in dessen Rahmen die Weiterentwicklung der generativen Transformationsgrammatik (GTG) zur modular konzipierten P&P aus dem Blickwinkel zweier Romanistinnen zusammenfassend dargestellt und konkret auf die syntaktische Beschreibung romanischer Sprachen bezogen wird (Müller/Riemer 1998). Im englischsprachigen Raum fand die generative Grammatik auch im romanistischen Bereich stärkeren Niederschlag. So legte Kayne mit seinem Werk French Syntax: The Transformational Cycle (1975) eine erste, annähernd umfassende Beschreibung der französischen
32 Syntax auf konsequent generativer Grundlage vor. Diese Arbeit muss jedoch als methodisch überholt gelten, da sie lange vor dem Erscheinen von Chomskys Lectures on Government and Binding (1981) abgeschlossen wurde. Zudem findet keine Auseinandersetzung mit meiner zentralen Fragestellung statt, nämlich mit der Frage nach der Modellierung von Kategorienübergängen und fließenden Kategoriengrenzen in den Randbereichen der Klasse P. Als neueres Überblickswerk aus dem anglophonen Raum, das sich bei der Sprachbeschreibung konsequent auf jüngere Versionen der generativen Grammatik stützt, sind Michael Allan Jones' 1996 erschienene Foundations of French Syntax zu nennen. Die vom Autor präsentierte Analyse „follows a transformational-generative approach, roughly along the lines of Chomsky's (1981) 'Government and Binding' model" (Jones 1996:xxii). Zwar ist ein gesondertes Kapitel der Präposition (Kap. 8), ein Unterabschnitt gar den „complex prepositions" (Kap. 8.4) gewidmet, doch müssen die Ausführungen, die sich auf meinen Untersuchungsbereich beziehen, aufgrund des von Jones weit gesteckten Rahmens notwendigerweise recht knapp ausfallen. Gleichfalls lediglich einfuhrenden Charakter haben Tellier (1995) und Biloa (1998). Auch hier beschränken sich die Autoren jeweils auf eine allgemein gehaltene Darstellung des traditionellen P&P-Modells anhand vorwiegend romanischer Daten. Detaillierter, jedoch im Wesentlichen auf Probleme der Bindungstheorie fokussiert ist Zribi-Hertz (1996). Die Konzentration auf das Βindungsverhalten von anaphorischen und pronominalen Elementen bringt zum einen mit sich, dass grundlegende Fragen der Syntax wie etwa die Modellierung von Konstruktionen mit dreiwertigen Verben allzu beiläufig abgehandelt werden, 3 und hat zum anderen zur Folge, dass die theoretischen Neuerungen des MP weitgehend unbeachtet bleiben - wohl nicht zuletzt deswegen weil grundlegende Begriffe der Bindungstheorie wie die der Domäne im MP einer Uminterpretation unterliegen und damit eine direkte Übertragung der Bindungsprinzipien problematisch geworden ist (Hornstein 2001:153f). Eine französischsprachige Einführung in das MP liegt mit Pollock (1997) vor. Die Darstellung ist jedoch, dem Charakter eines einfuhrenden Werkes entsprechend, relativ allgemein gehalten und bietet insofern für die Sprachbeschreibung des Französischen wenig Konkretes. Weiterhin ist hinzuweisen auf die knappe zusammenfassende Darstellung des Minimalismus, die Friedemann seiner umfassenden Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen von Subjekt-DPs in französischen und italienischen Interrogativ- und Deklarativstrukturen voranstellt (1997:12-18). Eine Arbeit, die sich in neuerer Zeit auf konsequent minimalistischer Grundlage mit einem konkreten Teilbereich der französischen Grammatik, und zwar mit den verschiedenen (argumentalen und nicht-argumentalen) Dativkonstruktionen, auseinandergesetzt hat, kommt mit Herschensohn (1996) wiederum aus dem anglo-amerikanischen Umkreis. Die dort vertretene Auffassung von koverten Anhebungen als Bewegungen kompletter Kategorien (1996:17) und die Interpretation des Dativ als struktureller Kasus (1996:46ff) widersprechen jedoch meinen Auffassungen (cf. Abschnitte 2.3.1, 2.3.3 und 2.3.6). Grundlegend fur alle neueren Arbeiten aus dem Bereich der generativen Grammatik ist die im Wesentlichen von Noam Chomsky entwickelte Prinzipien- und Parametertheorie. Erstmals
3
Zribi-Hertz beschränkt sich in ihrer Darstellung strikt auf binäre Verzweigungen (1996:158), bleibt dem Leser jedoch einen Vorschlag für die Ableitung von Strukturen mit bitransitiven Verben schuldig. Ein brauchbares und mittlerweile gemeinhin anerkanntes Modell liegt mit Larson (1988) vor. Cf. Abschnitt 2.1.3.
33 umfassend in seinen Lectures on Government and Binding (1981) dargestellt, wurde sie zunächst unter der Bezeichnung 'Government-and-Binding-Theory' (GB) bzw. unter dem entsprechenden deutschsprachigen Terminus 'Rektions-Bindungs-Theorie' bekannt. Die Besonderheit dieses Grammatikmodells besteht darin, dass es aus mehreren Teiltheorien (Modulen) zusammengesetzt ist. Den einzelnen Subtheorien kommt bei der Sprachbeschreibung jeweils ein genau determinierter Aufgabenbereich zu; die umfassende syntaktische Beschreibung einer gegebenen Sprache ist allerdings nur durch das Zusammenwirken der einzelnen Module zu leisten. Insofern ist es irreführend, das gesamte Grammatikmodell nach einer der es konstituierenden Subtheorien zu benennen, und der in Chomsky (1981) aufgrund der Fokussierung auf die entsprechenden Module gewählte Terminus GB wird in Chomsky/Lasnik (1993) konsequenterweise durch P&P ersetzt. Bezüglich des die Grammatik einer Einzelsprache determinierenden Systems von Regeln wird unterschieden zwischen übereinzelsprachlich gültigen Prinzipien und den in ihnen enthalten Parametern, die den einzelsprachlichen Besonderheiten Rechnung tragen. Zusammen konstituieren sie die Universalgrammatik (UG), von der angenommen wird, dass sie angeboren sei und dass sie dem Menschen die kognitiven Grundlagen für die Fähigkeit liefere, in relativ kurzer Zeit ein einzelsprachliches System als Muttersprache zu erwerben. Die Prinzipien müssen einerseits restriktiv genug sein, um zu gewährleisten, dass nur eine natürliche Sprache erworben werden kann, andererseits müssen sie mit allen einzelsprachlichen Systemen kompatibel sein. Gewährleistet wird dies durch die in den einzelnen Prinzipien enthaltenen Parameter. Diese sind als Variablen aufzufassen, die so konzipiert sein müssen, dass sie die Beschreibung jeder erdenklichen einzelsprachlichen Variation zulassen (Parametrisierung). Eine der Subtheorien ist die X-bar-Theorie, die als universelles Prinzip das sog. X-barSchema enthält, das (übereinzelsprachlich) den generellen Aufbau phrasaler Kategorien regelt und wiederum (einzelsprachlich) für ein bestimmtes System parametrisiert ist, beispielsweise entsprechend der Position des Kopfes, der entweder links oder rechts von den subkategorisierten Konstituenten erscheint (cf. 2.1). Der Vorteil der P&P wird allgemein darin gesehen, dass eine für sich genommen denkbar simple Subtheorie wie die X-bar-Theorie (die sich auf ein einziges Schema reduzieren lässt) im Zusammenwirken mit den übrigen, ähnlich einfach konzipierten Modulen wie der Θ-Theorie (cf. 2.2) und der Kasustheorie (cf. 2.3) in differenzierter Art und Weise die Beschreibung komplexester syntaktischer Strukturen leisten kann. Gerade anhand dieses Ineinandergreifens von größter Einfachheit (in Bezug auf die Einzelglieder) und höchster Komplexität (bezüglich des Ganzen) wird die Leistungsfähigkeit der Theorie deutlich, nicht zuletzt deswegen, weil auch das Phänomen des kindlichen Spracherwerbs auf diese Weise plausibel zu erklärt werden kann: Die angeborenen Prinzipien werden beim Spracherwerb entsprechend dem jeweiligen Input für ein einzelsprachliches System parametrisiert, und so entsteht aus dem Zusammenwirken unterschiedlichster einfacher Schemata das hoch komplexe Regelsystem einer Einzelsprache (cf. Fanselow/Felix 1987a, Pollock 1997:11-22, Uriagereka 1998:2-12). Gegen die Annahme einer angeborenen Universalgrammatik und den daraus erwachsenden impliziten Anspruch der generativen Grammatik, die mentalen Prozesse der Sprachgenerierung abzubilden, sind in jüngerer Zeit ernst zu nehmende Stimmen laut geworden, v.a. aus den Bereichen Kognitive Linguistik, Neurobiologie und Spracherwerbsforschung (Deacon 1997:102ff). Tatsache ist, dass sich die neuere generative Linguistik weder explizit von der
34 Grundannahme, dass theorieintern motivierte Herleitungen syntaktischer Strukturen den konkreten Prozess der Sprachproduktion abbilden, distanziert hat, noch dezidiert auf rezente Ergebnisse aus der neurobiologischen Forschung eingegangen ist. Weiterhin wird der Universalitätsanspruch in Bezug auf die lexikalischen Kategorien von typologisch und übereinzelsprachlich ausgerichteten Linguisten als eurozentristische Sichtweise kritisiert, so z.B. von Broschart, der zu den Präpositionen des Tonganischen gearbeitet hat. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die Annahme eines universalen Kategoriensystems, das auf der grundlegenden Gegensätzlichkeit verbaler und nominaler Eigenschaften beruht (cf. Abschnitt 2.1.1). Eine solche, anhand indoeuropäischer Sprachen, namentlich des Englischen entwickelte Systematik werde zum Problem, „wenn man feststellt, daß die angeblich so fundamentale Distinktion in Nomen und Verb als Lexemklasse gerade im Tonganischen extrem schwach ausfällt" (1994:25). 4 Auf weitere kritische Stimmen aus den Reihen deijenigen Linguisten, die sich vornehmlich mit 'exotischen' Sprachen auseinandergesetzt haben, verweist Steinitz (1997:6). Ohne auf die hier nur angerissenen Einwände der genannten Kritiker im Einzelnen einzugehen, soll betont werden, dass es möglich ist, sich des von der generativen Grammatik zur Verfügung gestellten Analyseinstrumentariums zu bedienen, ohne zugleich sämtliche Grundannahmen in Bezug auf Spracherwerb, mentale Prozesse bei der Sprachproduktion und Universalitätsanspruch von kategorialen Analysegrößen mittragen zu müssen. Wenn also im weiteren Verlauf von Derivationen syntaktischer Strukturen die Rede ist, dann wird damit nicht implizit behauptet, dass die vorgeschlagene Herleitung der oberflächensyntaktischen Abfolge der aus dem Lexikon selegierten Einheiten in realer Weise den mentalen Prozessen bei der Sprachgenerierung entspricht. Es geht vielmehr darum, aufbauend auf vorliegende Modelle wie P&P, MP und Antisymmetrie-Modell einen kohärenten Apparat für die Modellierung eines morphosyntaktischen Teilbereiches zu entwickeln.
4
Dies gilt bis zu einem gewissen Grade auch fur die Turksprachen. So kann beispielsweise im Türkeitürkischen nicht immer eindeutig zwischen Nominal- und Verbalflexion unterschieden werden (cf. auch Johanson 1992:23). Bei der 'Konjugation' der Verben werden dieselben Suffixe - hier die overte Kongruenzmarkierung -im für die erste Person Singular - an Verbstamm und Tempus-/Aspektmarker angefügt, die im Rahmen sog. Kopula-Strukturen zur Markierung der personalen Referenz an nominale Elemente treten: (i) (ben) yaz-i-yor-um (ich) schreib:FG:PROG: 1 .SG 'ich schreibe (gerade, im Moment)' (ii) (ben) yaz-i-yor-um 'ich bin jemand, der (gerade, im Moment) schreibt' (iii) (ben) yaz-ar-im (ich) schreib:AOR: 1 .SG 'ich schreibe (als Hobby, beruflich,...)' (iv) (ben) yaz-ar-im 'ich bin jemand, der (als Hobby, beruflich,...) schreibt' = 'ich bin Schriftsteller' Eine Entscheidung fur die Interpretation einer Struktur als Syntagma mit verbalem Kern wie in (i) und (iii) oder mit nominalem Kern wie in (ii) und (iv) muss jeweils kontextuell erfolgen.
35 2.1
Kategorien, Phrasenstruktur und X-bar-Schema
In einem ersten Schritt gilt es, den - wie sich zeigen wird - problematischen Status von Ρ im Rahmen des Systems lexikalischer und funktionaler Kategorien zu beleuchten, um in einem zweiten Schritt den Aufbau phrasaler Kategorien am Beispiel der Präpositionalphrase zu exemplifizieren und schließlich mit dem X-bar-Schema diejenige Teiltheorie der P&P vorzustellen, die nicht nur die Struktur einzelner Konstituenten, sondern auch die des Satzes determiniert. Dabei soll die Darstellung konsequent auf Präposition und Präpositionalphrase zentriert sein.
2.1.1
Ρ als lexikalische und funktionale Kategorie
In den gängigen Handbüchern zur generativen Grammatik wird im Allgemeinen zwischen den vier lexikalischen Kategorien Ν, V, A und Ρ und den drei wichtigsten funktionalen Kategorien D (Determinant), C (Komplementierer) und I (Flexion) unterschieden, wobei das Inventar der funktionalen Kategorien - wie bereits gesagt - in jüngerer Zeit konsequent erweitert wurde.5 Sowohl Elemente lexikalischer als auch funktionaler Kategorien verbinden sich auf einer übergeordneten Ebene mit weiteren Elementen, die sie aufgrund semantischer und syntaktischer Eigenschaften selegieren, zu den entsprechenden phrasalen Kategorien, d.h. sie erscheinen als Köpfe von maximalen Projektionen wie NP, VP, AP, PP respektive DP, CP, IP etc. Die aus der Verbindung zweier Einheiten, beispielsweise einer Präposition wie dans und einer Nominalphrase wie une petite ville neu entstandene komplexe Einheit zeichnet sich dadurch aus, dass sie die formalen Merkmale des Kopfes, also der seiegierenden Kategorie Ρ trägt. Damit ist die neu gebildete Konstituente [dans une petite ville] eine präpositionale Projektion, also eine PP. Die Selektion derjenigen Elemente, die im Rektionsbereich einer lexikalischen Kategorie auftreten (Komplemente), ist abhängig vom jeweiligen Subkategorisierungsrahmen des Phrasenkopfes. So fordert beispielsweise eine Präposition wie dans ein nominales Komplement. Daneben können im Kontext einer lexikalischen Kategorie auch Konstituenten vorkommen, die nicht qua Lexikoneintrag gefordert werden, d.h. mit dem Phrasenkopf nicht in einer Rektions- sondern in einer Modifikationsbeziehung stehen, z.B. [PP dans une petite ville [ppprès de Paris]]. Die Lizenzierung solcher Adjunktionskonfigurationen erfolgt nicht durch 5
Neben den funktionalen Kategorien D, C und I werden dem jeweiligen Objektbereich einer Einzeluntersuchung entsprechend weitere Kategorien wie z.B. Κ (Kasusmarker) oder R (funktionaler Kopf in der erweiterten Projektion von P) postuliert (cf. 2.1.5). Mit der 'Split-Infl-Hypothese', d.h. mit der Aufspaltung des IPKnotens gemäß der in I kodierten Merkmale für Kongruenz und Tempus (Pollock 1989) und mit deren Übernahme in das MP haben sich die entsprechenden funktionalen Kategorien Agr s , Agro, Agno und Τ sowie die Annahme von jeweils eigenen maximalen Projektionen Agr s P (Subjektkongruenzphrase), T(ense)P, Agr 0 P (Objektkongruenzphrase) und Agr 10 P (Kongruenzphrase für das indirekte Objekt) weitgehend durchgesetzt. Dabei ist zu betonen, dass ab der 1995er Version des MP weitgehend auf die Projektion von Kongruenzphrasen verzichtet wird. In Arbeiten, die im Anschluss an Kayne (1994) entstanden sind, ist der Bedarf an funktionalen Köpfen besonders hoch (cf. Abschnitt 2.4).
36 die Sättigung einer Leerstelle im Θ-Raster des Phrasenkopfes, sondern unterliegt gesonderten Bedingungen, die im Einzelnen in Abschnitt 2.2 diskutiert werden. Grundsätzlich zu unterscheiden vom Selektions- und Rektionsverhalten lexikalischer Kategorien ist, wie sich im Folgenden zeigen wird, dasjenige von funktionalen Kategorien wie C oder D. Entsprechend der aus der Phonologie entlehnten Praxis der Beschreibung von Segmenten mittels Merkmaispezifikationen ist es allgemein üblich, die Grundkategorien jeweils als Bündel distinktiver syntaktischer Merkmale aufzufassen. Für die genannten lexikalischen Kategorien sind dies die Merkmale „nouniness" [±N] und „verbiness" [±V]. Durch Kreuzklassifizierung ergibt sich für die einzelnen Kategorien folgende Spezifizierung, die in dieser Form seit ihrem Auftreten in Chomsky (1970) 6 und in zahlreichen Folgepublikationen (u.a. Chomsky 1981:48, Chomsky/Lasnik 1993:517) sprachwissenschaftliches Allgemeingut geworden ist.
(2.1-1) [+V] [-V]
[+N]
[-N]
A (Adjektiv) [+N; +V] Ν (Nomen) [+N; - V ]
V (Verb) [-N; +V] Ρ (Präposition) [-N; - V ]
Intuitiv einsichtig ist der für die Kategorien Ν bzw. V angenommene nominale bzw. verbale Charakter, wenn auch unklar bleibt, was genau unter 'Nominalität' bzw. 'Verbalität' zu verstehen ist. Auch die Spezifizierung von A als [+N; +V] erscheint gerechtfertigt, da Adjektive einerseits die für Nomina typischen Merkmale Numerus und Genus tragen und da sie andererseits wie Verben durch Adverbiale modifiziert werden können. Genau diese Gemeinsamkeit teilt aber auch die Präposition mit dem Verb (2.1-2.c), weshalb in diesem Falle die Charakterisierung mittels [-V] weniger gerechtfertigt erscheint: (2.1-2)
6
a. Pierre admire beaucoup son frère (Adv modifiziert V) b. très amoureux de lui (Adv modifiziert A) c. juste dans cette petite ville (Adv modifiziert Ρ)
Chomsky (1970) identifiziert nur Ν, V und A als lexikalische Kategorien und lässt die Merkmaispezifikation [-N; - V ] unbesetzt. Mit der Zuordnung der unbelegten Merkmalkombination zur Kategorie Ρ schließt Jackendoff (1977) die Lücke im Beschreibungssystem und wertet - wie schon zuvor in seinem 1973er Aufsatz - Ρ als vollwertige lexikalische Kategorie. Vier Jahre später erscheint dann auch bei Chomsky die Kategorie Ρ in der oben wiedergegebenen Tabelle, zunächst in Chomsky (1981) als nicht-lexikalische Kategorie, dann in Chomsky (1986) als lexikalische Kategorie. Cf. hierzu den Forschungsüberblick in Rauh (1993c:268272). Die Kritik an der Merkmalspezifizierung lexikalischer Kategorien ist zahlreich. So schreibt beispielsweise Broschart: „Die kryptische Natur der Formalisierung verdeckt jedoch gravierende Probleme: zum einen ist (zumindest mir) nicht ersichtlich, was die Klassifikation eines Merkmals als [+N] oder [-N], [-V] oder [+V] begründet (warum ist Genus [+N] und nicht [-V]?), zum anderen ist ja wohl kaum die eigentliche Funktion einer Wortklasse dadurch bestimmt, daß man sie nur auf Merkmale einer anderen Wortklasse hin untersucht: z.B. ist m.E. die Wortklasse 'Adjektiv' nicht ausreichend dadurch gekennzeichnet, daß sie sowohl nominale als auch verbale Eigenschaften besitzt, bzw. teilweise als Nomen und teilweise als Verb fungieren kann: dies ist nur ein Resultat, aber nicht eine hinreichende Bedingung für die bei einem Adjektiv typische Funktion der Attribution, die bei den Kategorien Ν und V ja noch überhaupt keine Rolle spielt" (1994:25).
37 Abweichend von der in der neueren generativen Literatur üblichen Einordnung von Ρ als lexikalischer Kategorie mit der Merkmalspezifizierung [-N; -V] fasst Grimshaw (1991) die Präposition als funktionale Kategorie auf, die im Rahmen einer sog. 'erweiterten Projektion' von Ν zu beschreiben sei. Dem liegt folgende Überlegung zugrunde: Funktionale Kategorien selegieren ihre Komplemente nicht wie lexikalische es tun, sondern sie sind relationale Entitäten, die mit einem bestimmten lexikalischen Kopf in einem fundamentalen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Somit ist beispielsweise D nicht einfach eine funktionale Kategorie per se, sondern - da ein D-Element einzig und allein im Kontext von NP auftritt - eine funktionale Kategorie fur N, ebenso wie I eine funktionale Kategorie für V ist. Die Beziehung zwischen einer funktionalen Kategorie wie D und ihrem Komplement (hier: NP) ist also keine Selektion seitens der funktionalen Kategorie, sondern eine Projektion, die vom lexikalischen Kopf des Komplements bestimmt wird.7 Diese Form von Projektion, die über den herkömmlichen Begriff der maximalen Projektion hinausgeht, bezeichnet Grimshaw (1991) als 'erweiterte Projektion'. Daneben existiert weiterhin die traditionelle maximale Projektion, die von Grimshaw mit dem Terminus 'perfekte Projektion' etikettiert wird. Das fundamentale Zugehörigkeitsverhältnis von funktionaler Kategorie F und dem lexikalischen Kopf ihres Komplements - also ihrem 'erweiterten' Kopf - wird durch identische Merkmaispezifikation beschrieben: Sowohl Ν als auch D sind durch [+N; -V] charakterisiert. Für mein konkretes Problem ist dieser Ansatz von besonderem Interesse, weil hier die Präposition nicht als lexikalische Kategorie verstanden, sondern als funktionaler Kopf im Rahmen einer erweiterten Projektion von Ν aufgefasst und folglich durch die nominale Merkmalspezifikation [+N; -V] beschrieben wird. Dabei erscheint der PP-Knoten auf zweiter Ebene über den Projektionen von Ν und D. Funktionale Kategorien werden durch das Merkmal {F} spezifiziert, wobei lexikalischen Kategorien generell der Wert {FO} zugeordnet wird, den funktionalen Kategorien I und D der Wert {Fl}, C und Ρ hingegen der Wert {F2}. Mit der differenzierten Wertung funktionaler Kategorien durch die Spezifizierung mittels {Fl} und {F2} wird die unterschiedliche Platzierung des jeweiligen Elements in Bezug auf seinen erweiterten Kopf innerhalb der Projektion deutlich gemacht. So erscheint in der erweiterten Projektion des Verbs die Kategorie I(nfl), d.h. die dort kodierten und meist in Adjazenz zum verbalen Stamm flexivisch realisierten Tempus-, Modus-, Aspekt- und/oder Kongruenzmerkmale, näher am Kopf V als der Komplementierer C (2.1-3.a), und ebenso ist in der erweiterten Projektion eines nominalen Kopfes der Determinant näher an Ν platziert als die Präposition (2.1-3.b&c): (2.1 -3)
7
a. je savais [cp [c ' ][ip il [r lisait\ I [i e] [vp lisaiti un livre]]]] b. il le donne [PP [Ρ à][DP [D la ][NP concierge]]] c. elle est morte [PP [P avant] [DP [D la ] [NP guerre]]]
Grimshaws radikale Formulierung „functional heads have no selectional powers at all" (1991:41, zit. n. Rauh 1995b: 12) kann jedoch nur in modifizierter Weise beibehalten werden, wenn man mit Kayne (1994) davon ausgeht, dass bei Relativsätzen die CP Komplement von D ist. Allerdings kann auch nicht jede beliebige CP Komplement von D sein, z.B. *le [cp qu 'il habitait à Izmir], Vielmehr scheint es auch hierbei so zu sein, dass nicht der funktionale Kopf D selegiert, sondern umgekehrt bestimmte Formen von CPs einen funktionalen Kopf D in ihrer erweiterten Projektion fordern.
38 Die innerhalb der einzelnen 'perfekten' Projektionen NP, DP und PP zu unterscheidenden Projektionsstufen X (Phrasenkopf), X ' (rekursive Zwischenprojektionsebene) und XP (maximale Projektion) werden durch Spezifizierung mittels (LO), (LI) bzw. (L2) voneinander differenziert. Daraus ergibt sich im Rahmen der erweiterten Projektion des lexikalischen Kopfes Ν folgende Merkmalspezifizierung: (2.1-4)
Ν Ν' NP D D' DP Ρ Ρ' PP
[+N [+N [+N [+N [+N [+N [+N t+N [+N
-V] -V] -V] -V] -V] -V] -V] -V] -V]
{FO} (LO) {FO} (LI) {FO} (L2) {Fl} (LO) {Fl} (LI) {Fl} (L2) {F2} (LO) {F2} (LI) {F2} (L2)
Anhand der Darstellung als Strukturbaum sollen nun die maximale Grundstruktur der erweiterten Projektion von Ν sowie die Beispiele (2.1-3.b&c) veranschaulicht werden (2.1-5). Dabei werden der DP-Knoten und der PP-Knoten mit den zusätzlichen Symbolen NP-ext' bzw. NP-ext' ' gekennzeichnet, um den Unterschied zur herkömmlichen Sichtweise zu verdeutlichen. (2.1-5)
Λ
PP = NP-ext" [+N; - V ] {F2} (L2)
Spec,PP
P' [+N; - V ] {F2} (LI) DP = NP-ext' [+N; - V ] {Fl} (L2) a avant
Spec,DP
>{F2}
D ' t + N ; - V ] {Fl} (LI) D la la
NP [+N; - V ] {FO} (L2) I N ' [+N; - V ] {FO}
Γ
{Fl}
MF°}
Ν [+N; - V ] {FO} (LO) concierge guerre
Festzuhalten ist, dass Grimshaw (1991), abweichend von der traditionellen Auffassung von Ρ als lexikalischer Kategorie mit der Merkmalspezifikation [-N; -V], im Rahmen ihres Modells Elemente der Kategorie Ρ den funktionalen Kategorien zuschlägt. Eine solche Lösung erscheint beispielsweise für das mit à eingeleitete indirekte Objekt in (2.1-3.b) durchaus plausibel, und zwar nicht zuletzt deswegen weil eine vom Verb lexikalisch geforderte Präposition einzig wiederum obligatorisch ein DP-Komplement zu sich nimmt, d.h. dass das betreffende Element, wie es für funktionale Kategorien typisch ist, bezüglich der Selektionseigenschaften
39 auf eine bestimmte kategoriale Größe beschränkt ist. Es ist allerdings fraglich, ob die Interpretation von Ρ als funktionaler Kategorie auch im Falle von (2.1-3.c) avant la guerre gerechtfertigt ist: Wie die Beispiele (2.1-8&14) zeigen, ist die Präposition avant nicht allein auf nominale Komplemente festgelegt, was ebenso wie die Tatsache der semantischen Selektion seitens Ρ (hier: Lokalisierung im temporalen Raum) eher für die Auffassung von Ρ als lexikalischer Kategorie spricht. Eine eindeutige Zuweisung von Ρ entweder zu den lexikalischen oder zu den funktionalen Kategorien, wie sie sowohl im Rahmen der klassischen Kategorisierung nach Chomsky als auch in Grimshaw (1991) vorgenommen wird, erscheint somit deutlich problematisch (cf. auch Zwarts 1992:28-31, 1997b:lfund Rauh 1993c:268-272). Schon hier zeigt sich, dass eine differenzierte Kategorisierung sprachlicher Einheiten, die einerseits der Heterogenität innerhalb einer herkömmlichen Kategorie wie der Präposition und andererseits der Homogenität über traditionelle Kategoriengrenzen hinweg gerecht werden soll, nur mittels eines differenzierteren Merkmalapparates zu leisten ist. Grundsätzlich bieten sich zwei Auswege aus diesem Dilemma: Um zu einer differenzierteren Charakterisierung sprachlicher Einheiten zu gelangen, ist es zum einen möglich, das Inventar der distinktiven Merkmale entsprechend einer gewünschten Subsystematisierung zu erweitern, beispielsweise durch weitere Merkmale wie [±Adv] oder [±A]. Einen solchen Lösungsweg hat Zwarts (1997b) vorgeschlagen, und zwar indem er die Begriffe 'lexikalisch' und 'funktional' nicht als komplementär, sondern als voneinander unabhängig auffasst. Dadurch ist es ihm möglich, einen Teilbereich der niederländischen Präpositionen als [-lexikalisch; -funktional] und einen anderen als [-lexikalisch; +funktional] zu charakterisieren. Eine weitere Methode, die internen Differenzen zwischen den einzelnen Mitgliedern heterogener Kategorien explizierbar zu machen, besteht darin, bestehende kategoriale Merkmale umzuintepretieren und/oder den Beschreibungsapparat durch aus anderen Ebenen entlehnte Features zu komplettieren. Gerade die modulare Konzeption der generativen Grammatik bietet den Vorteil eines mehrschichtigen Merkmalrasters, das neben kategorialen Merkmalen wie [±N] und [±V] auch Θ-Rollenund kasusspezifische Merkmale im Lexikoneintrag notiert. Ein solcher Lösungsansatz, der mit Merkmalspezifikationen auf der Basis unterschiedlicher grammatischer Module arbeitet, wird u.a. von Rauh (1993a, 1995b) zur Diskussion gestellt (cf. 2.1.3). Insofern als in den genannten Arbeiten vor allem die Heterogenität der traditionellen Kategorie Ρ im Mittelpunkt steht, sind derartige Ansätze für meine Zwecke von besonderem Interesse. Bevor im weiteren Verlauf dieses Kapitels eine u.a. auf die Vorgaben von Rauh aufbauende Subsystematisierung präpositionaler Elemente erarbeitet wird, sollen in den folgenden Abschnitten die interne und externe Syntax der Präpositionalphrase im Französischen (2.1.2) sowie - unter ständiger Bezugnahme auf die Kategorie Ρ - Grundlagen und Probleme der Phrasenstruktur in P&P und MP besprochen werden.
2.1.2
Interne und externe Syntax der PP
Wie bereits erwähnt, werden sowohl lexikalische als auch funktionale Kategorien mit bestimmten Ergänzungen zu den jeweiligen maximalen Projektionen expandiert, wobei es sich entsprechend dem für jede Einheit im Lexikon festgeschriebenen Subkategorisierungsrahmen entweder um (obligatorisch oder fakultativ zu realisierende) Komplemente oder um (per defi-
40 nitionem fakultative) Adjunkte, also um optionale phrasale Konstituenten handeln kann. Dem Unterschied zwischen Komplementen und Adjunkten wird durch die Annahme unterschiedlicher Projektionsstufen Rechnung getragen, wobei das Komplement als Schwester des Kopfes X und Tochter von X', die in theoretisch unbegrenzter, bestenfalls durch stilistische Vorgaben limitierter Anzahl vorliegenden Adjunkte hingegen als Schwester und Tochter einer rekursiven ersten Projektionsstufe X' aufgefasst werden. Im folgenden Beispiel nehmen die Köpfe dans und près de% jeweils eine NP bzw. - falls von einer übergeordneten maximalen Projektion eines funktionalen Kopfes D ausgegangen werden soll9 - eine DP zum Komplement, wobei die vom Verb habiter als Lokalkomplement geforderte PP dans une petite ville wiederum von der adjungierten PP près de Paris modifiziert wird: (2.1-6)
elle habite
[PP [P·
dans
[DP
une petite ville][ppprès de Para]]
Außer Komplementen mit nominalem Kopf kann eine Präposition auch eine weitere PP zum Komplement nehmen (cf. z.B. Jackendoff 1973:348):10 (2.1 -7)
elle sortit [PP de [PP derrière la maison]]
8
Ob und unter welchen Umständen eine komplexe Präposition wie près de als Kopf einer PP aufzufassen ist, wird noch zu klären sein. Jones interpretiert die Sequenz près de X als Ρ mit PP-Komplement, wobei près als lexikalische Ρ („prepositions which have a semantic function"; 1996:381) aufgefasst wird, die allerdings ihrem Komplement keinen strukturellen Kasus zuweisen kann und deshalb ein PP-Komplement mit dem kasuszuweisenden Kopf de selegiert. Abweichend von dieser Herangehensweise werde ich in Abschnitt 4.2.2 dafür argumentieren, das präpositionale Element de in morphologisch komplexen Ρ als Oberflächenrealisierung eines speziellen Objektoidkasus aufzufassen.
9
Fukui (1986), Fukui/Speas (1986) sowie Abney (1987) setzen anstelle des in Spec,NP basisgenerierten Determinanten eine maximale Projektion des funktionalen Kopfes D an. Komplement in der DP ist die NP. Generell reduziert sich im Modell von Fukui/Speas die Projektion von lexikalischen Kategorien auf die erste Projektionsstufe L', während die jeweils zugehörigen funktionalen Kategorien das X-bar-Schema vollständig instanziieren können (FP). Mit dieser Annahme geht einher, dass grundsätzlich für funktionale bzw. lexikalische Kategorien unterschiedliche Varianten des X-bar-Schemas (cf. 2.1-25.a&b) anzunehmen sind. Damit wird zwar einerseits die Einheitlichkeit des X-bar-Schemas aufgegeben, andererseits aber eine größere Identität von tiefenstruktureller Repräsentation und oberflächensyntaktischer Realisierung erreicht (cf. 2.1.3). Geht man allerdings davon aus, dass Spec-Positionen in Projektionen lexikalischer Kategorien grundsätzlich für die Basisgenerierung von Subjekten zur Verfügung stehen (cf. Abschnitt 2.2.1), dann weisen auch lexikalische Kategorien das volle Potential zur Instanziierung des X-bar-Schemas auf. - Einen Überblick über die Entwicklung der DP-Hypothese geben Bhatt (1990:18-48), Huppertz (1992) und Fortmann (1996:29-34). In einfuhrenden Darstellungen jüngeren Datums wie Jones (1996) und Müller/Riemer (1998) wird - offensichtlich aus didaktischen Gründen - wieder auf die Repräsentation der Nominalphrase als DP verzichtet und der Artikel D traditionell in Spec.NP generiert. Dies hat allerdings den Nachteil, dass die phrasenstrukturelle Repräsentation nicht mit Longobardi (1994) zwischen referenziellen und nicht-referenziellen Syntagmen differenziert (cf. Abschnitt 2.2.5) und dass die Parallele zwischen Satz (IP) und Nominalphrase weniger überzeugend explizierbar gemacht werden, als dies im Rahmen der DP-Analyse möglich ist.
10
Fälle dieser Art, die von Lang als „Kumulierung von Präpositionen" (1991:53-57) beschrieben werden, spielen für die historische Morphologie der Präpositionen eine wichtige Rolle. So entwickelten sich die frz. Präpositionen avant und dans durch Reanalyse aus den vlat. PP-Sequenzen [ P P P [PP]] ab ante bzw. [ P P P [Adv]] de intus.
41 Minimal besteht jede Phrase aus einem Kopf, was bedeutet, dass Kopf und maximale Projektion auf Oberflächenebene identisch sein können. Für den Fall eines präpositionalen Kopfes verschieben sich mit dieser Auffassung traditionelle Kategoriengrenzen, und Elemente wie avant in Sätzen wie (2.1 -8)
je partirai [pp avant]
werden nicht als Adverb, sondern als komplementlose, d.h. intransitive Präposition klassifiziert. 11 Die [pp avant] ist in (2.1-8) optionale Konstituente und erscheint somit in Adjunktposition, d.h. als Tochter und Schwester der ersten Projektionsstufe V'. In anaphorischen Konstruktionen ist die intransitive Verwendung von Präpositionen grundsätzlich möglich, da das getilgte Komplement [dp la maison] durch die Antezedensbindung implizit ist (hier symbolisiert durch die Kosubskription mit dem Index i): (2.1-9)
la voiture n'est pas [pp devant [dp la maison]·,], elle est [pp derrière [dp la maison],]
Ähnliches gilt fur die Linksdislokation wie in (2.1-10), wo der im Allgemeinen als 'Preposition Stranding' 12 bezeichnete Prozess der Extraktion des nominalen Komplements aus einer PP unter Zurücklassung des präpositionalen Kopfes genauso möglich ist wie in bestimmten umgangssprachlichen Sonderformen des Relativsatzes (2.1-11): (2.1-10) (2.1-11)
[cette valise]·,... je voyage toujours [pp avec cette valisc\\ une [cp [valise]·, que je (ne) peux pas voyager [vrsans va/wci]] 13
Die Präpositionen dans, sur und sous weisen - zumindest in der standardsprachlichen Varietät - mit den Formen dedans, dessus bzw. dessous jeweils eine gesonderte intransitive Variante auf: 14 (2.1-12)
11
12
13
14
a. b.
le chat η 'estpas sous le lit, il est [pp dessus/*sur] le chat η 'est pas sur le lit, il est [pp dessous/*sous]
Weitere Beispiele für (in nähesprachlichen Registern) intransitiv verwendbare Präpositionen sind avec in il est sorti avec 'er ist mit (hin)ausgegangen', depuis 'seitdem' oder après 'danach'. Zum Preposition Stranding im Französischen cf. Jones (1996:517f) sowie King/Roberge (1990), die das vermehrte Vorkommen derartiger Konstruktionen in kanadischen Varietäten als Interferenz mit dem Englischen interpretieren. Die in (2.1-11) angedeutete Darstellung des Relativsatzes entspricht der von Kayne (1994:86ff) vertretenen Auffassung, derzufolge das Relativum (hier: valise) innerhalb des modifizierenden Gliedsatzes basisgeneriert und dann in die initiale Oberflächenposition (hier: Spec,CP) bewegt wird. Der gesamte Relativsatz (CP) ist hierbei Komplement des Determinanten. Die D-CP-Analyse von Relativsätzen wird in Abschnitt 3.4.5 ausführlich besprochen. In informelleren Sprachregistern ist diese Distribution weniger eindeutig ausgeprägt. So zitiert Frei (1929:216f) zahlreiche Beispiele aus dem français populaire bzw. familier, in denen die Verwendung transitiver bzw. intransitiver Varianten von Ρ nicht der (im 17. Jahrhundert fixierten) Norm entspricht: (i) j'ai mis le linge dedans le panier (anstelle von... dans le panier) (ii) le livre est d'ssus la table (anstelle von... sur la table).
42 (2.1-12)
c.
le chat η 'estpas sous le lit, il est [pp dedans/*dans]
In Einzelfällen können die unter (2.1-12.a,b&c) angeführten intransitiven Varianten transitiv verwendet werden, nämlich dann, wenn die betreffende PP als Komplement in einer maximalen Projektion der Ρ par auftritt: (2.1-13)
a. b.
elle passa [pppar [pp dessus la barrière]] elle passa [pppar [pp dessous la barrière]]
Prinzipiell nicht möglich sind die unter (2.1-9,10&11) angeführten Verfahren bei mit de und à eingeleiteten PPs (*je ne parle pas à Pierre, je parle de\ *l 'homme que j'ai pensé à), ebenso wie bei sämtlichen PPs, die in einer übergeordneten Projektion (VP) eine Komplementposition besetzen und deren Kopf im Lexikoneintrag des Verbs festgeschrieben ist ( *un ami que je peux compter sur). An die generelle Möglichkeit, Präpositionen auch ohne Komplement zu verwenden, ist auch die Unterscheidung zwischen 'primären' und 'sekundären' Ρ gebunden, wie sie beispielsweise Haase (1999b:206) vornimmt: Sekundäre Ρ sind solche, die intransitiv verwendet werden können. 15 Nicht nur der intransitive Gebrauch einer Präposition ist möglich, ebenso kann sie ein satzwertiges Komplement fordern wie in (2.1-14.a&b), wo - ebenso wie beispielsweise in (2.1-8) - die PP Adjunkt zur Verbalphrase ist: (2.1-14)
a. je partirai [pp avant [c?qu ' [n> il ne vienne]]] b. [ppavant [CPde [ip quitter ces lieux]]]... (Gounod, Faust, 1. Akt) 16
Auch in diesem Fall wird eine der traditionellen Kategoriengrenzen in Frage gestellt, nämlich die zwischen Präposition und subordinierender Konjunktion (cf. auch Jones 1996:381f). Eine derart weit gefasste Definition der Kategorie P, die auch traditionell als Adverbien bzw. als Konjunktionen identifizierte Elemente mit einbezieht, hat sich, ausgehend von Arbeiten wie Jackendoff 1973, im Rahmen der generativen Grammatik weitgehend durchgesetzt und liegt auch dieser Arbeit zugrunde. Die bisher besprochenen Varianten der Präpositionalphrase - PP mit DP-Komplement und weiterer adjungierter PP in (2.1-15.a), PP mit PP-Komplement in (2.1-15.b), intransitive P,
15
Abweichend hiervon verwendet Lehmann die Begriffe 'primary adposition' und 'secondary adposition' folgendermaßen: „A secondary adposition ... is one which expresses not a grammatical, but an objective meaning and which may be morphologically complex and/or transparent, such as under, during ... A primary adposition is one which expresses an elementary objective or a grammatical meaning and is morphologically simple, such as of, in" (1985b:45).
16
Weitere Präpositionen, die satzwertige Komplemente wie CP oder IP zu sich nehmen können, sind u.a. pour, dès und sans. - Jones argumentiert mit Verweis auf entsprechende Pronominalisierungstests in gewissen Fällen fur die Interpretation der Präpositionen à bzw. de vor Infinitiven als „infinitival complementisers" (1996:385; cf. auch 59). Entsprechend analysiert er auch die Struktur 'P + Infinitiv' als PP mit CP-Komplement, wobei die C-Position durch einen „zero complementiser" (1996:386), also durch ein phonetisch leeres Element C besetzt ist: Max a pris un couteau [PP pour [Cp C [IP couper le pain]]].
43 die zugleich Ρ und maximale Projektion ist in (2.1-15.c) und Ρ mit satzwertigen Komplementen in (2.1-15.d) - sind nachfolgend im Strukturbaum dargestellt. (2.1-15)
a. (=2.1-6)
b. (=2.1-7)
PP I P' PP I P'
P' DP
Ρ
une petite
dans
c. (=2.1-8)
PP I P'
P
PP I P'
de
ville
P
DP
près de
Paris
PP I P' I P
P
DP
derrière
d. (=2.1-14)
avant
la maison
PP I P'
P
CP ι C'
avant
IP qu de
il ne vienne quitter ces lieux
Auf einer zweiten, nicht rekursiven Ebene kann die Projektion eines Kopfes Ρ durch ein spezifizierendes Element abgeschlossen werden. Im Gegensatz zur per definitionem fakultativen Modifikation einer Projektion durch Adjunkte ist das Hinzufügen eines Spezifikators nur bedingt fakultativ und auf eine syntaktische Position begrenzt, d.h. die Projektion ist mit Eröffnung der Spec-Position maximal (XP oder X max ). Die traditionelle P&P nimmt an, dass bei Projektionen mit präpositionalem Kopf die Spec-Position durch Maßangaben wie une semaine, deux mètres etc. oder durch traditionell als Adverbien klassifizierte Einheiten wie juste, peu oder ici belegt sein kann, d.h. durch Elemente, die die durch die Präposition ausgedrückte Beziehung zweier Entitäten zueinander spezifizieren: (2.1-16)
a. b. C.
d.
[w[$v¡Qpvjuste]derriére {o? la maison]] [pp [spec,pppeu] après [Dp la guerre]] [pp [spec.pp i c i ] à [DP Paris]] [pp [spec.pp une semaine] avant [DP Noël]]
Auch hierfür die Darstellung im Strukturbaum:
44 PP
(2.1-17) Spec,PP juste peu une
'semaine
Ρ' ρ
DP la maison la guerre Paris Noël
derriére
apres à avant
Zumindest fur (2.1-16.c) ist neben der gegebenen Interpretation noch eine weitere Lesart möglich. Geht man, wie im Zusammenhang mit avant (2.1-8) vorgeschlagen, von der Existenz intransitiver Präpositionen aus, so lässt sich in einer Struktur wie (2.1-16.c) ici als intransitive Präposition und damit als Kopf einer PP mit an P' adjungierter PP interpretieren. In einer solchen [PP ici] kann seinerseits wiederum eine Spec-Position eröffnet werden, die durch entsprechende spezifizierende Elemente besetzt sein kann: juste ici à Paris. (2.1-18)
PP
Spec,PP
Ρ'
juste Ρ'
PP
Ρ ici
DP Paris
Allerdings scheint es nicht bei allen PPs möglich zu sein, eine Spec-Position zu eröffnen: (2.1-19)
a. b.
* il le donne juste / peu / une semaine à la concierge *elle regarde la télé juste avec un ami
In Sätzen wie (2.1 -20) a. je compte entièrement sur vous b. elle s'adonne entièrement à ses études besetzt das Adverb entièrement nicht etwa die Spezifikatorposition der PP, sondern ist jeweils oberflächensyntaktisch postmodifizierendes 17 Adjunkt zur Verbalphrase.
17
Die Charakterisierung der entsprechenden Einheiten als postmodifizierende Adjunkte zum Verb ist vorläufig. In der jüngeren generativen Literatur wird davon ausgegangen, dass Adverbien als linksperiphere Adjunkte zu VP bzw. vP basisgeneriert und finite Verbformen zur Herleitung der Wortstellung aus der VP herausbewegt werden. - Nach Rauh (1993b) kann die Unterscheidung zwischen Spezifikator- und Adjunktstatus mithilfe des Konjunktionstests getroffen werden. Führt dieser zu einem ungrammatischen Ergebnis wie z.B. in *la voiture se trouve derrière la maison et elle se trouve juste, so handelt es sich um einen Spezifikator. Führt
45 Bezüglich der grundlegenden Struktur der PP ist festzuhalten, dass Ρ unterschiedliche Typen von Komplementen fordern (DP, PP, CP) bzw. in gewissen Fällen ohne Komplement, d.h. intransitiv verwendet werden kann. Weiterhin sind im Rahmen der maximalen Projektion eines präpositionalen Kopfes oberflächensyntaktisch prä- und/oder postmodifizierende Adjunkte (als Schwestern von P') möglich. Die Eröffnung der Spezifikatorposition fuhrt offensichtlich jedoch nicht bei allen Typen von PPs zu einem grammatischen Ergebnis. Damit ist die interne Syntax der PP hinreichend charakterisiert. Bezüglich der externen Syntax der PP ist zu sagen, dass diese im Rahmen übergeordneter LPs als Adjunkt wie in Marie dort dans le jardin (cf. Beispiel 2.2-13.a in Abschnitt 2.2.4) oder als Komplement des Verbs wie in elle habite dans un grand immeuble auftreten kann (cf. Beispiel 2.2-15.a in Abschnitt 2.2.4). Schließlich kann die maximale Projektion eines präpositionalen Elements in Kopula-Strukturen wie Marie est dans le jardin auftreten. Hierbei ist die PP jedoch nicht Komplement des Auxiliars, sondern Prädikat oder Prädikatsnomen (cf. Beispiel 2.2-14.a in Abschnitt 2.2.4). Gleiches gilt fiir sog. Small-Clause-Konstruktionen wie on pensait [sc Marie contre la peine de mort] (Pollock 1997:62), nur dass die Kopula-Struktur in diesem Fall ohne Hilfsverb auskommt, da sie in einen weiteren Matrixsatz eingebettet ist.
2.1.3
X-bar-Schema und Projektionshöhe lexikalischer Kategorien. DP-Hypothese und VP-Shells
An dieser Stelle ist es unumgänglich, die Betrachtung der Phrasenstruktur deutlich über den Bereich der Präpositionalphrase hinaus auszudehnen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen kommt man, wenn man sich mit den kategorialen Randbereichen und Übergangszonen zwischen lexikalischen und/oder funktionalen Kategorien auseinandersetzen will, nicht umhin, die Eigenschaften jeweils beider Kategorien einer genauen Betrachtung zu unterziehen. Zum anderen sind die jüngsten Neuerungen im Bereich der generativen Syntaxtheorie nur nachvollziehbar, wenn man sich bewusst macht, welche Vorzüge und Probleme mit dem Postulat einer einheitlichen Phrasenstruktur fur alle lexikalischen und funktionalen Kategorien im Rahmen des X-bar-Schemas verbunden sind, und wie es überhaupt zu der inflationären Vervielfältigung funktionaler Kategorien kommen konnte, wie sie fur den Minimalismus und - in noch weitaus stärkerem Maße - für die Antisymmetrie-Theorie charakteristisch ist. Die anhand der PP exemplifizierte Phrasenstruktur ist nicht nur fur Projektionen präpositionaler Köpfe, sondern auch für alle anderen bisher genannten Kategorien maßgeblich. Auch Köpfe der Kategorien Ν, V und A können auf der ersten Ebene durch eventuelle Komplemente, auf einer rekursiven Zwischenebene durch (grundsätzlich fakultative) prä- oder postmodifizierende Adj unkte sowie auf der höchsten, nicht-rekursiven Ebene durch den Spezifikator zu maximalen Projektionen expandiert werden:
der Konjunktionstest hingegen zu einem grammatischen Ergebnis wie in je compte sur vous et je le fais entièrement oder in elle s'adonne à ses études et elle le fait entièrement, so handelt es sich um VP-Adjunkte.
46 Spec 18 a. la b. ? ? c. très d. juste ici
Kopf destruction mange amoureux dans
Komplement de la ville19 un gâteau de Pierre cette petite ville
Adjunkt au 15e siècle dans le jardin près de la capitale
Ersetzt man den lexikalischen Kopf durch die Variable X, so erhält man das sog. X-bar-Schema, das den generellen Aufbau von Phrasen regelt: (2.1-22)
Das Schema ist folgendermaßen zu interpretieren: Eine phrasale Kategorie XP repräsentiert eine endozentrische Konstruktion mit einem obligatorischen Kopf X, der ein Komplement (YP) fordern kann, wobei sowohl die kategoriale Zugehörigkeit als auch der Grad der Obligatorik des Komplements im Lexikoneintrag von X festgelegt ist. Auf der rekursiven Zwischenprojektionsebene X' kann die Konstruktion durch (grundsätzlich fakultative) prä- oder postmodifizierende Adjunkte (ZP, WP) ergänzt und auf der zweiten Ebene durch einen (bedingt fakultativen) Spezifikator (Spec,XP) zur maximalen Projektion XP expandiert werden. Die Abfolge von Kopf und Komplement ist einzelsprachlich parametrisiert, d.h. die in der Darstellung zugrunde gelegte, für die modernen romanischen Sprachen geltende Abfolge kann prinzipiell auch umgekehrt sein. Man vergleiche hierzu die türkeitürkischen Beispiele mit den französischen Entsprechungen:
18
Die Position Spec,VP ist problematisch, da unter den bisherigen Annahmen keine Elemente auszumachen sind, die diese Position plausibel besetzten könnten. In Abschnitt 2.2.1 werde ich dafür optieren, Spezifikatorpositionen in Projektionen lexikalischer Kategorien grundsätzlich für die Basisgenerierung von Subjekten zu reservieren. Damit wird auch die Positionierung der Elemente juste und ici in Spec,PP bzw. des Determinanten in Spec,NP revidiert.
19
Der Status von Konstituenten wie de la ville in (2.1-21.a) und de Pierre in (2.1-21.C) als Adjunkt oder Komplement wird in der Literatur nicht einheitlich gehandhabt. Für den Komplementstatus spricht die Tatsache, dass es sich jeweils um Argumente des lexikalischen Kopfes handelt; allerdings sind derartige adnominale oder 'ad-adjektivische' Konstituenten grundsätzlich oberflächensyntaktisch fakultativ, was sie von den argumentalen Konstituenten im Kontext von V - also von den Verbkomplementen - unterscheidet. Insofern wäre es auch denkbar, solche Elemente als 'arguméntale' Adjunkte zu klassifizieren. Eine solche Charakterisierung erinnert m.E. jedoch an den von Beckmann (1997:104f) zu Recht kritisierten Terminus des 'obligatorischen Adjunkts', den Grimshaw (1990:132) geprägt hat, um Fälle wie engl. *this house was designed vs. this house was designed by a French architect terminologisch zu erfassen. Ich will im Rahmen dieser Arbeit auch oberflächensyntaktisch fakultative Konstituenten, die von einem nominalen Kopf Ν eine semantische Rolle erhalten, als Komplemente auffassen.
47 (2.1-23)
a.
ttii. Izmir'de
otur-u-yor-du
cKomplement, Kopf>
IzminLOK wohn:FG:PROG:PERF 'er / sie wohnte in Izmir'
(2.1-24)
b. a.
«¡Komplement, Kopf>
frz. (il) [vp habitait [pp à Izmir]} ttü. [PP [DPye-mek-ten] önce] ess:lNF:ABL vor 'vor dem Essen'
b. C.
frz. [PP avant [DP le repas]] frz. [PPavant [cpde manger /prendre
le repas ...]]
Wenn man im Einklang mit der u.a. von Fukui (1986) und Abney (1987) vorgeschlagenen DP-Hypothese den Artikel nicht in Spec,NP situiert, sondern davon ausgeht, dass er eine der Projektion von Ν übergeordnete DP projiziert, dann stellt sich zunächst das Problem, dass der vom X-bar-Schema vorgegebenen Spezifikatorposition in der Nominalphrase kein overtes Pendant zugeordnet werden kann und man somit von einer grundsätzlich unbesetzten syntaktischen Position ausgehen muss. Um die Annahme einer oberflächensyntaktisch grundsätzlich leeren Position zu vermeiden, haben Fukui/Speas (1986) vorgeschlagen, dass ein nominaler Kopf nur bis zur ersten Stufe, also bis N ' projiziert, die zugehörige funktionale Kategorie D hingegen das Potential zur vollen Instanziierung des X-bar-Schemas aufweist und somit eine DP projiziert (ebenso: Fukui 1986; cf. das ausführliche Resümee in Huppertz 1992:7-15). In Abschnitt 2.2.3 wird sich zeigen, dass es gute Gründe fur eine Generalisierung dieser Annahme über alle Phrasentypen gibt und somit auch für Ρ die Projektion einer bestimmten funktionalen Kategorie, also eine erweiterte Projektion anzunehmen ist. In einer solchen Sichtweise müssen konsequenterweise zwei unterschiedliche X-bar-Schemata fur die Projektion funktionaler bzw. lexikalischer Kategorien angenommen werden, wobei lexikalische Kategorien nur bis zur ersten, rekursiven Ebene projizieren (L'), während funktionale Kategorien das volle Potential zur Instanziierung des X-bar-Schemas aufweisen (FP): (2.1-25)
a.
FP
b.
L' L'
XP (Adjunkt)
XP
V
(Adjunkt)
L
YP (Komplement)
Die in den Beispielen (2.1-21.a,c&d) jeweils im Spezifikator der lexikalischen Projektion situierten Elemente la, très und juste ici müssen entsprechend dieser Auffassung Positionen in der jeweiligen erweiterten Projektion FP besetzen. Dies kann entweder die Kopf- oder die Spec-Position sein. Damit stehen im pränominalen Bereich nicht mehr nur eine, sondern zwei Positionen zur Verfügung. Für die Nominalphrase wurde bereits ausgeführt, dass der traditionell in Spec,NP situierte Determinant dann Phrasenkopf ist. Die Position Spec,DP steht dann entweder als Landeplatz fur aus der NP extrahierte Possessoren (z.B. im Ungarischen) zur
48 Verfugung (2.1-26) oder kann - wie z.B. Bhatt (1990) und Fortmann (1996) annehmen - Ort der Basisgenerierung von pränominalen Genitiven sein (z.B. im Türkeitürkischen, Deutschen oder Englischen): (2.1-26)
a.
ung. Mari-naki
a Marinak\ vendég-e-Φ Maria:DAT der Gast:P0SS:3.SG 'Marias Gast'
b.
DP D'
Spec,DP Marinaki
Λ
D
NP Spec,NP A/ûf/wû^j
Ν' I Ν vendége
Im Ungarischen kann der Possessor - hier Mari - entweder in linker Adjazenz zum nominalen Kopf oder in einer Position links des - dann obligatorisch overten - Artikels [D a(zj] erscheinen (2.1-26.a&b). Damit muss eine weitere pränominale Position in der Nominalphrase angenommen werden. Im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich dafür plädieren, Spec grundsätzlich als Ort der Basisgenerierung von Subjekten aufzufassen (cf. Abschnitt 2.2.1). Unter dieser Voraussetzung kann Spec,DP Landeplatz für den aus der NP extrahierten Possessor sein. Eine weitere Folge der Annahme von phrasenintern in Spec-Positionen basisgenerierten Subjekten ist, dass auch im Kontext der DP-Hypothese nicht von grundsätzlich unterschiedlichen Projektionseigenschaften lexikalischer und funktionaler Kategorien ausgegangen werden muss. Wenn man diese Annahmen über alle Phrasentypen, also auch über PP generalisiert, dann stellt sich selbstverständlich die Frage, welche Positionen die vorläufig in PP angenommenen Elemente juste und ici (cf. 2.1-21.d) im Rahmen einer erweiterten Projektion von Ρ besetzen. Diese Frage wird im Einzelnen in Abschnitt 2.2.4 diskutiert. Eines der Grundprinzipien der X-bar-Syntax ist die Beschränkung auf binäre Verzweigungen. Dies führt dann zu einem Problem, wenn ein Kopf nicht nur eines, sondern mehrere Komplemente fordert, wie es bei bitransitiven Verben der Fall ist. Eine mehrfach verzweigende Struktur wie (2.1-27)
VP Spec,VP
V' V
(2Λ-2Ί A) Pierre... (2.\-2T.b) Pierre... (2.1-27.C ) Pierre...
donne montre met
DP
PP
le livre à Marie Jeanne à Marie le livre sur le bureau
ist nicht wünschenswert, weil bestimmte Bindungsverhältnisse auf diese Weise nicht explizierbar gemacht werden können. So muss in
49 (2.1 -28) a.
Pierre montre Jeanne, à elle-même\
die Anapher elle-même von ihrem Antezedens Jeanne (¡-kommandiert werden, d.h. sie muss in einem bestimmten konfigurationellen Verhältnis zu derjenigen Kategorie stehen, von der sie ihren Referenzwert erhält. Nur dann ist sie gemäß Bindungsprinzip A innerhalb ihrer Rektionskategorie gebunden und korrekt interpretierbar.20 Der Begriff des c-Kommandos wiederum lässt sich mit Fanselow/Felix (1987b:97) wie folgt definieren: (2.1 -29) a.
α c-kommandiert β, α * β gdw. 1. jeder verzweigende Knoten γ, der α dominiert auch β dominiert und 2. α β nicht dominiert.
Dies kann wie folgt in Form eines Strukturbaumes verdeutlicht werden: (2.1-29) b.
Y o· 6 ""*"
Hierbei c-kommandiert α die Knoten ß1, ß2 und ß3 (sowie sämtliche eventuell präsenten Kategorien, die von ß1, ß2 und ß3 dominiert werden). Darüber hinaus c-kommandiert gemäß Definition (2.1-29.a) auch β1 α, d.h. das Verhältnis zwischen α und ß1 kann als symmetrisches cKommando charakterisiert werden. Dagegen c-kommandieren ß2 und β 3 α nicht, da der erste verzweigende Knoten, der ß2 bzw. ß3 dominiert (hier: β1), α nicht dominiert. Nimmt man für Beispiel (2.1-28.a) eine flache Struktur wie (2.1-27) an, dann c-kommandieren sich die beiden Komplemente Jeanne und à elle-même jeweils gegenseitig. Es liegt also ein symmetrisches c-Kommando vor wie zwischen den Knoten α und ß1 im Strukturbaum (2.1-29.b). Hält man sich vor Augen, dass eine Anapher wie elle-même von ihrem Antezedens c-kommandiert werden muss, um Prinzip A der Bindungstheorie zu erfüllen, dann müsste auch die umgekehrte Abfolge der Konstituenten wie in (2.1-28) b.
*Pierre montre elle-même·, à Jeanne-,
grammatisch sein, was jedoch nicht zutrifft. Nur in einer strikt binär verzweigenden Baumstruktur können derartige Grammatikalitätskontraste explizierbar gemacht werden. Weitgehend durchgesetzt hat sich für die Modellierung bitransitiver Verben der Vorschlag von Larson (1988). Dabei geht man davon aus, dass Konstruktionen mit dreiwertigen Verben zu20
Die Bindungsprinzipien lauten im Einzelnen: A: Anaphern müssen in ihrer Rektionskategorie gebunden sein. B: Pronomina müssen in ihrer Rektionskategorie frei sein. C: R-Ausdrücke müssen immer frei sein. Dabei gilt jeweils: α bindet β gdw. α und β koindiziert sind und α β c-kommandiert (cf. Fanselow/Felix 1987b: 108). Der Terminus 'Rektionskategorie' kann gleichgesetzt werden mit der IP, in der sich das zu bindende Element befindet.
50 gründe liegend als komplexe Strukturen aufzufassen sind, und zwar als Kombination der Projektion eines abstrakten Verbs mit einer bestimmten lexikalischen Bedeutung und der übergeordneten Projektion eines kausativen Kopfes. In der Tat lassen sich die in (2.127.a,b&c) angeführten bitransitiven Verben wie folgt als eine Kombination aus einer „impoverished version of the verb itself (Ouhalla 1999:141) und einem kausativen Bestandteil, hier repräsentiert als 'fait', analysieren: (2.1-30)
a. b. c.
[Pierre 'fait' [le livre 'être à' Marie]] = Pierre donne le livre à Marie [Pierre 'fait' [Jeanne 'être vue par' Marie]] = Pierre montre Jeanne à Marie [Pierre 'fait' [le livre 'être' sur le bureau]] = Pierre met le livre sur le bureau
Die beiden verbalen (Teil-)Projektionen werden im Strukturbaum als ineinander verschachtelte, sog. 'kaskadierte VPs' oder 'VP-Shells' repräsentiert. Dabei wird in der unteren VP das indirekte Objekt als Komplement und das direkte Objekt in Spec,VP basisgeneriert. Der Kopf der unteren VP adjungiert an das 'light verb' ν, das in seiner Funktion eines Kausativierers in Spec,vP eine Position fur die Basisgenerierung von Subj zur Verfügung stellt. Das durch diese Adjunktion entstandene komplexe Verb [„V + v] wird dann beispielsweise als donne versprachlicht. Zugleich ist die korrekte Oberflächenabfolge donne le livre à Marie hergeleitet: (2.1-31)
vP Spec,vP V +ν 'fait' + 'être à' 'fait' + 'être vue par' 'fait' + 'être' donne ¡ montre\ met\ fa
VP Spec,VP le livre Jeanne le livre
V'
'être à' être vue par' 'être'
PP (à) Marie (à) Marie sur le bureau
dotutC]
Die Symbolisierung des indirekten Objekts à Marie bzw. des Lokalkomplements sur le bureau als PP ist vorläufig und wird im Zuge einer differenzierteren Behandlung der einzelnen P-Elemente im weiteren Verlauf der Arbeit zu revidieren sein. In Abschnitt 3.5 wird die Ableitung von Konstruktionen mit bitransitiven Verben in den Kontext des MP gestellt.
51 2.1.4
Der Satz als maximale Projektion funktionaler Kategorien
Der Geltungsbereich des X-bar-Schemas ist nicht auf den phrasenstrukturellen Aufbau von Satzkonstituenten beschränkt. Auch die Kategorie des Satzes lässt sich in diesem Rahmen darstellen, und zwar als maximale Projektion der funktionalen Kategorie I(nfl), in der außerhalb der VP Kongruenz-, Tempus-, Modus- und Aspektmerkmale des Verbs repräsentiert sind und die in der traditionellen X-bar-Theorie durch Merkmale wie [±Agr] (,Agreement') und [±Tns] (,Tense') spezifiziert ist.21 Für den unabhängigen Aussagesatz des Französischen ergibt sich daraus die phrasenstrukturelle Repräsentation IP. Ursprünglich ging man davon aus, dass der Verbstamm unter V basisgeneriert und dann - entweder durch Verbanhebung oder IAbsenkung - mit den unter I basisgenerierten Affixen in Verbindung gebracht werde. Neueren Ansätzen zufolge wird die finite Verbform voll flektiert in V eingesetzt und dann nach I verschoben. Diese Auffassung liegt - wie noch zu zeigen sein wird - auch dem Minimalistischen Programm zu Grunde. Als Komplement von I erscheint obligatorisch die VP, d.h. eine IP kann als erweiterte Projektion eines verbalen Kopfes projiziert werden und der Satz ist somit eine verbale Projektion. Im Spezifikator der IP ist gemäß X-bar-Schema die Subjekt-DP des Satzes lokalisiert (cf. Chomsky 1986:161). Dazu muss es sich allerdings um eine finite Verbform oder ein participe présent handeln, d.h. I muss durch [+Tns] spezifiziert sein. Nebensätze werden als maximale Projektion einer weiteren funktionalen Kategorie C aufgefasst. Lexikalische Realisierungen dieses Kopfes, der die fur den Satzmodus wichtigen Angaben enthält, sind u.a. subordinierende Konjunktionen wie das den Kompletivsatz einleitende que oder das den indirekten Fragesatz eröffnende si, wobei ersteres durch [-Wh] 'deklarativ' und letzteres durch [+Wh] 'interrogativ' spezifiziert ist. Obligatorisches Komplement von C ist die IP. (2.1-32)
a. IP
Spec,IP il
b.
IP
Spec,IP
Γ
je
V+I [+Tns] [+Agr] habitait\
t
VP
V+I
VP V
PP
habitait^
à Izmir
CP
V I
C [-Wh] qu '
IP il habitait à Izmir
Im Falle von Satz- oder Wortfragen ist C [+Wh] nicht Position für basisgenerierte Elemente der Kategorie C, sondern grundsätzlich vorhandener Landeplatz fur in der Syntax verscho-
21
Die Kreuzklassifizierung durch die Merkmale [±Agr] und [±Tns] zeigt die jeweilige Aktualisierung verbaler Kategorien an, wobei im Französischen [+Agr; +Tns] dem finiten Verb, [—Agr; +Tns] dem participe présent und [-Agr; -Tns] dem Infinitiv entspricht. Eine Spezifizierung von I durch [+Agr; -Tns] ist im Französischen ausgeschlossen, nicht hingegen im Portugiesischen, wo diese Merkmalspezifikation dem sog. flektierten Infinitiv entspricht. Für das participe passé gelten besondere Bedingungen, die in Abschnitt 3.4 thematisiert werden. Zur Aufspaltung der IP im Rahmen der Split-Infl-Hypothese cf. Abschnitte 2.1.5 und 3.
52
bene Elemente.22 So wird fur die Inversionsfrage eine Bewegung des flektierten Verbs aus der VP heraus über I nach C hin angenommen, für die mit einem Interrogativpronomen eingeleitete Frage zusätzlich eine Bewegung des Fragepronomens aus der Objektposition nach Spec,CP (cf. u.a. Jones 1996:482ff): (2.1-33)
a.
[cp [cveMí-i][ipzV [i vewii' [ovetti,
b.
[CP [sPec,cptfwe¡] [ C f a i t - i ][IP il ? [ ι f a U C [ v p f a t t i φ*€\\]]\
a.
CP
V + I + C [+Wh]
aller à l'opéra
b. IP
?]]]]
CP
Spec,CP
\eut,
C'
queJ
Spec,IP
Y
IP
/f> V + I + C [+Wh] filiti
il
V+I
VP
Spec,IP
veut, '
veut-, aller à l'opéra ?
il?
I' I
VP
fat*. '
filli, que·)
Jt Die Bewegungsregel Move α besagt zunächst nichts weiter als: 'Nimm ein syntaktisches Objekt α (wobei α = XP oder X) und bewege es in eine andere Position.' Dies ist aber nur möglich, wenn ein geeigneter Landeplatz zur Verfügung steht. So ist die Wh-Phrase que in (2.133.b) vom verbalen Kopf θ-markiert, d.h. sie ist Träger einer semantischen Rolle (cf. 2.2), und erhält - ebenfalls von V - den strukturellen Kasus Akkusativ über die Kette (cf. 2.3). Damit die bewegte Konstituente nicht zwei semantische Rollen und zwei Kasus trägt, darf die Landeposition der WhP, also Spec,CP, weder θ- noch kasusmarkiert sein.23 22
Gleichfalls geht man bei der Modellierung von sog. V2-Effekten davon aus, dass C und Spec,CP als Landeplätze für bestimmte Elemente zur Verfügung stehen. So nimmt man im Rahmen des klassischen P&P-Modells an, dass im Deutschen die C-Position entweder durch ein dort basisgeneriertes C wie z.B. dass gefüllt ist (Nebensatzstellung) oder dass das finite Verb dorthin angehoben wird. Die für den deutschen Hauptsatz charakteristische Wortstellung resultiert daraus, dass zusätzlich zur Verbanhebung nach C eine weitere XP nach Spec,CP bewegt wird. Dies ist im unmarkierten Fall das Subjekt, es kann aber auch jede andere topikalisierte Konstituente sein. Auch das Altfranzösische weist im Gegensatz zur heutigen Standardsprache der deutschen Wortstellung vergleichbare Strukturen auf und ist dementsprechend vielfach als V2-Sprache beschrieben worden (Vance 1993, 1997, Rivero 1993, Platzack 1995). Für eine Gegenposition cf. Kaiser (1998).
23
In (2.1-33.b) kann C nicht Landeposition sein, da diese Position bereits durch das verschobene flektierte Verb besetzt ist. Aber auch bei Interrogativstrukturen ohne Inversion wie qu 'est-ce [cp [spec,cp que¡][ C [iP tu [j· as [y fait qve¡?]]]]] ist Spec,CP (und nicht C) Landeposition für die WhP. Dafür sprechen zwei Gründe: Erstens können in Sprachen wie dem Norwegischen, dem Mittelenglischen oder in bestimmten Varietäten des Deutschen zugleich Spec.CP und C besetzt sein (z.B. Bairisch: ich weiß nicht wen dass der Karl eingeladen hat, Fanselow/Felix 1987:142). In den romanischen Sprachen wird eine overte Besetzung von Spec,CP und C durch den sog. 'Doubly-filled-COMP-filter' (DFCF) verhindert; als Landeplatz für die WhP wird aus Gründen der Einheitlichkeit auch dann Spec.CP angenommen, wenn C leer ist. Zweitens schließt das Prinzip der
53 Ob die Bewegung von Konstituenten zu grammatischen Ergebnissen fuhrt, ist weiterhin durch das sog. 'Empty Category Principle' (ECP) geregelt, welches besagt, dass leere Kategorien, also auch Bewegungsspuren bzw. getilgte Kopien 'strikt' regiert sein müssen. Unter strikter Rektion ist zu verstehen, dass die betreffende Kategorie entweder von einem lexikalischen Kopf regiert oder von einem lokalen Antezedens, d.h. von einem Element innerhalb derselben IP, gebunden sein muss. 24 Im Falle von (2.1-33.b) ist die Spur ques als Schwester von V durch das Verb fait kopfregiert; die von der nach C angehobenen Verbform hinterlassene Spur ist in (2.1-33.a&b) jeweils durch die Zwischenspur in I lokal antezedensgebunden. Darüber hinaus weist das Französische Interrogativstrukturen auf, bei denen keine overte Bewegung zu verzeichnen ist und die WhP in ihrer Basisposition verbleibt (Wh-in-situ-Frage25). Trotzdem ist auch die Variante (2.1-34)
il fait
quoi?
eindeutig als Frage zu erkennen, obwohl hierbei die WhP nicht angehoben wird. Um eine korrekte semantische Interpretation einer solchen Struktur zu gewährleisten, nimmt man an, dass das Wh-Raising nach Spec,CP nicht in der overten Syntax, sondern kovert, d.h. ohne Konsequenzen für die Interpretation der Struktur durch die phonologischen Regeln, erfolgt. Dazu muss eine weitere Repräsentationsebene, die der Logischen Form (LF) angenommen werden. Durch eine solche koverte Wh-Anhebung gerät das betreffende Element - hier das Interrogativum quoi - in eine Position, aus der es semantischen Skopus über alle übrigen Elemente der Struktur hat. Diese 'semantische Reichweite' eines Elements lässt sich mit (Ouhalla 1999:155) wie folgt definieren: (2.1-35)
The scope of α is the set of nodes that α c-commands in the LF representation. 26
Daraus ergibt sich fur (2.1-34) folgende LF-Struktur: (2.1 -36) a.
LF: [cp quoi, C [ IP il fait t¡]]
Strukturerhaltung ('structure preserving principle'), welches besagt, dass „Ursprungs- und Landeposition eines Elements stets vom gleichen Projektionstyp (im Sinne des X-bar-Schemas) sein müssen" (Fanselow/Felix 1987:153), die Bewegung einer maximalen Projektion wie einer WhP in eine Kopfposition wie C aus. 24
25
26
Cf. u.a. Ouhalla (1999:264ff). Die Definition der lokalen Antezedensbindung als Relation innerhalb ein und derselben IP ist eine informelle und für meine Zwecke ausreichende. Korrekterweise müsste man an dieser Stelle die Barrierentheorie einführen, welche regelt, dass bestimmte Elemente bestimmte Knoten im Satz nicht überschreiten dürfen (cf. die ausführliche Zusammenfassung in Ouhalla 1999:276-285). Im Spanischen, Italienischen und Portugiesischen sind Wh-in-sifu-Fragen nur als sog. Echofragen möglich, wie z.B. in span. He visto a María. - ¿Has visto a quién? Ansonsten ist die Anhebung der Wh-Phrase nach Spec,CP obligatorisch. Man beachte, dass der strukturelle Skopus, der im grammatikalisierungstheoretischen Rahmen als einer der Parameter zur Bestimmung des Grammatikalisierungsgrades einer gegebenen Form herangezogen wird, in gleicher Weise durch den Begriff des c-Kommandos explizierbar gemacht werden kann. Allerdings ist der strukturelle Skopus auf PF definiert.
54 (2.1-36)
b.
CP Spec,CP quoi A
C' C
IP il fait ψ*θί\
[+Wh]
Auf LF setzt dann auch das ECP an: Die Variable, d.h. die in situ verbleibenden phonetischen Merkmale des Interrogativpronomens, ist vom verbalen Kopf fait lexikalisch kopfregiert und damit lizenziert. Im Kontext des Derivationsmodells der P&P (T-Modell) lassen sich die einzelnen Strukturen den jeweiligen Repräsentationsebenen zuordnen: (2.1-37)
D-Struktur [IP il fait quoi]
X-bar-Theorie
Move α (overt)
S-Struktur [iP il fait quoi]
Überprüfung durch Kasusfilter Move α (kovert)
Phonetische Interpretation: [i(l)fekwa]
PF [IP il fait quoi]
LF [Cp quoi, [IP il fait φωί^} .
î
Semantische Interpretation: 'für welches χ gilt: χ ist eine Tätigkeit: er macht x'
Überprüfung durch ECP Überprüfung durch Θ-Kriterium
Das Schaubild (2.1-37) ist folgendermaßen zu interpretieren: Auf der D-Struktur wird nach den Strukturprinzipien der X-bar-Theorie die IP aufgebaut; das Satzsubjekt [DP il] erscheint in Spec,IP, die Wh-Phrase quoi als Komplement in der VP. Da die WhP in situ verbleibt, erfolgt beim Übergang von der D- zur S-Struktur keine overte Bewegung. Tiefen- und Oberflächenstruktur sind demnach in diesem Falle identisch. Die S-Struktur ist wiederum als diejenige grammatikinterne Schnittstelle aufzufassen, von der gleichermaßen Phonetische und Logische Form abzweigen. Dabei ist die Phonetische Form (PF), deren Merkmale aufgrund von phonologischen Regeln interpretiert und zur Überfuhrung in konkrete Lautstrukturen an den Artikulationsapparat weitergeleitet werden, als „input to articulatory-perceptual systems" aufzufassen und die Logische Form (LF), deren Informationen Grundlage für die semantische Interpretation bilden, entsprechend als „input to conceptual-intentional systems" (Radford 1997a: 171). Da die phonetische Interpretation gleichfalls von der Repräsentationsebene der SStruktur abzweigt, darf die Anhebung der WhP nach Spec,CP erst auf LF erfolgen: Ansonsten wäre die Bewegung nicht kovert, d.h. die fur eine korrekte semantische Interpretation erforderliche Anhebung der WhP nach Spec,CP hätte ein Korrelat in der Lautung. Nach erfolgter koverter Bewegung setzt das ECP auf LF an. Um die Allomorphie des Wh-Elements - [ks] bei der Inversionsfrage, [kwa] im Falle der Wh-in-situ-Konstruktion - zu erklären, muss da-
55
von ausgegangen werden, dass solche Elemente mit mehreren Kombinationen phonetischphonologischer Merkmale im Lexikon gespeichert sind und dass abhängig von erfolgter bzw. nicht-erfolgter Anhebung entweder die eine oder die andere Kombination auf PF interpretiert wird. Dies ist unproblematisch, wenn man davon ausgeht, dass die lexikalischen Formative nicht als »fertige Wörter', sondern als Bündel formal-grammatischer, semantischer und phonetisch-phonologischer Merkmale aus dem Lexikon gespeichert sind und als solche für eine Derivation selegiert werden (cf. im Abschnitt 2.3.6.2). Mit der Annahme von koverten Wh-Bewegungen beim Übergang von der S-Struktur nach L F lassen sich auch Grammatikalitätskontraste explizierbar machen, die ohne die Annahme einer Repräsentationsebene L F unerklärbar bleiben müssten. So sind eingebettete Wh-in-situFragen im Französischen nur beim Erfragen des Objekts der subordinierten Frage möglich (2.1-38.a), im Falle der Erfragung des Subjekts sind sie jedoch ungrammatisch (2.1-38.b): (2.1-38)
a.
Pierre a dit que Jean admire qui ?
b.
*Pierre a dit que qui admire Jean ?
Erklären lässt sich diese Subjekt-Objekt-Asymmetrie durch Anwendung des ECP auf LF: (2.1-39)
a.
L F : [cp qui, C [ipPierre a dit [cp qui,' [cque[\? Jean admire f w i ¡ ] ] ] ] ]
b.
LF: *[cp quii C [ipPierre a dit [cp ψ*ϊ\ [c· que[w qui\ admire J e a « ] ] ] ] ]
In (2.1-39.a) ist die (getilgte) Kopie in der Ausgangsposition durch V kopfregiert (und damit lizenziert), die Frage nach der Antezedensbindung stellt sich somit nicht. In (2.1-39.b) hingegen steht die Ausgangsspur in Spec,IP und ist folglich nicht lexikalisch kopfregiert. Die Antezedensbindung durch die Zwischenspur wiederum ist durch das intervenierende [c que] blockiert ('that-trace-effect', cf. Culicover 1997:197ff). Damit ist die aus einer koverten Bewegung entstandene Spur in (2.1-39.b) nicht lizenziert, und die gesamte Struktur ist folglich ungrammatisch. Auch die unterschiedlichen Interrogativstrukturen des Französischen (Satzfrage, Wortfrage, eingebettete Wh-in-situ-Frage etc.) lassen sich also mit Hilfe des X-bar-Schemas analysieren, wenn auch nur im Zusammenspiel mit einem weiteren Modul, der Bewegungskomponente M o v e α . Die durch Bewegungen beim Übergang von der D - zur S-Struktur bzw. zu L F entstandenen Spuren unterliegen dem ECP, das auf der S-Struktur oder auf L F Anwendung findet und Strukturen, die nicht lizenzierte Spuren enthalten, als ungrammatisch markiert. Die oben besprochenen Interrogativstrukturen weisen zwar - anders als etwa die als CP-Komplement eines präpositionalen Kopfes analysierten Gliedsätze wie in (2.1-14.a&b) - keinen unmittelbaren Bezug zu dem hier vorwiegend interessierenden Bereich, den präpositionalen Elementen des Französischen, auf. Trotzdem konnten sie im Rahmen dieses Überblicks nicht unerwähnt bleiben, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen verdeutlicht die Erklärbarkeit der unterschiedlichsten syntaktischen Strukturen mittels eines einzigen Modells (X-bar-Schema) in Kooperation mit den übrigen generativen Teiltheorien in überzeugender Weise die Leistungsfähigkeit einer modular konzipierten Grammatiktheorie. Zum anderen wurde bereits im ersten Kapitel daraufhingewiesen, dass die jüngeren Entwicklungen im Bereich der generativen Syntaxtheorie, wie sie mit dem M P und der Antisymmetrie-Hypothese vorliegen, nur
56 nachvollzogen werden können, wenn man sie in direkter Kontinuität zum Vorläufermodell, der Prinzipien- und Parametertheorie versteht. Will man solche neueren Ansätze in Bezug auf ihre Operationalisierbarkeit fur die Modellierung von Kategorienübergängen in den Randbereichen einer lexikalischen Kategorie wie Ρ überprüfen, ist also eine umfassende Aufarbeitung der generativen Syntaxtheorie anhand französischen Datenmaterials unumgänglich. Zugleich wurde anhand der Interrogativstrukturen die Problematik des fur die P&P maßgeblichen T-Modells mit den dort angenommenen vier Repräsentationsebenen deutlich (cf. 2.1-37). Bei overter Wh-Bewegung wie in (2.1-33.b) setzt das ECP auf der S-Struktur an, LF ist mit dieser identisch und insofern eigentlich überflüssig. Bei koverter Wh-Bewegung wie in (2.1-36) und (2.1-38) ist der Fall genau umgekehrt, d.h. das ECP findet auf LF Anwendung, und die Repräsentationsebene der S-Struktur ist insofern obsolet. Zudem ist es fraglich, ob Dund S-Struktur bzw. S-Struktur und LF als Repräsentationsebenen gesondert anzuführen sind, da die jeweiligen Basispositionen verschobener Köpfe oder Konstituenten durch die Notation der Bewegungsspuren bzw. der getilgten Kopien ohnehin in der Darstellung der abgeleiteten Struktur präsent sind. Solche und ähnliche Überlegungen haben dazu gefuhrt, dass im Rahmen des MP die für die P&P maßgeblichen Repräsentationsebenen D-Struktur, S-Struktur, PF und LF auf die zwei Ebenen LF und PF reduziert wurden. Bevor am Schluss des nächsten Abschnitts der Aufbau phrasaler Strukturen im Rahmen dieses reduzierten Modells skizziert wird, muss zunächst die für den Minimalismus grundlegende Split-Infl-Hypothese besprochen werden.
2.1.5
Verbbewegung, morphologische 'Stärke' und Split-Infl: Phrasenstruktur im MP
Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits daraufhingewiesen, dass man ursprünglich davon ausging, dass der Verbstamm unter V basisgeneriert und dann in irgendeiner Form mit den in I situierten Affixen in Verbindung gebracht werde. Dies kann prinzipiell entweder durch Verbanhebung nach I oder durch Absenkung der Affixe erfolgen. Mit Blick auf die Positionierung von VP-Adverbien kann man annehmen, dass das finite Verb im Französischen nach I angehoben wird, im Englischen jedoch umgekehrt die Suffixe nach unten zum Verb bewegt werden: 27 (2.1 -40) a. b.
27
nous mangeons souvent des pommes we often eat apples
Eine solche I-Absenkung ist mit einer koverten Rückbewegung (Rekonstruktion) des V-I-Komplexes verbunden, da andernfalls die Spur des nach V bewegten I weder strikt regiert noch antezedensgebunden ist, also ein Verstoß gegen das ECP vorliegt. Derartig 'kostspielige' Ableitungen sind aus Gründen der Derivationsökonomie nicht wünschenswert (Lasnik 1999b:102ff, Ouhalla 1999:384ff).
57 (2.1-40)
a.
b.
IP
Spec,IP
IP
Spec.IP
I'
we
nous
VP
VP -ons
Adv
Adv
VP
VP
often
souvent
V
DP
mange-
des pommes
V
DP
eat
apples
Allerdings ist hinzuzufügen, dass Auxiliare im Englischen das gleiche Bewegungsverhalten zeigen wie französische Hauptverben: Auch sie erscheinen links von eventuellen VP-Adverbien (z.B. we are often eating apples) und müssen demnach nach I bewegt werden, um mit den entsprechenden Flexiven zusammengeführt zu werden. Dieses unterschiedliche Verhalten von Voll- und Hilfsverben einerseits und der Sprachen Französisch und Englisch andererseits begründet Pollock (1989) mit den unterschiedlichen morphologischen Eigenschaften von I. Die Position I wird im Französischen als 'transparent' betrachtet, d.h. ein Vollverb kann sein Komplement auch von seiner Zielposition I aus θ-markieren. Die Morphologie des Englischen hingegen sei 'opak', d.h. ein Verb kann aus der I-Position heraus keine thematische Rolle an sein Komplement zuweisen. Aufgrund dieser Tatsache könne im Englischen ein verbales Element nur dann nach I bewegt werden, wenn es selbst keine semantischen Rollen zu vergeben habe. 28 Die Charakterisierung der Position I als 'transparent' bzw. 'opak' und das damit verbundene Bewegungsverhalten des Verbs korreliere, so Pollocks Beobachtung, mit dem mehr oder minder ausgeprägten Vorhandensein von overter Flexionsmorphologie in den beiden verglichenen Sprachen. Die vergleichsweise stark ausgeprägte Flexionsmorphologie des Französischen sei stark, die relativ schwach ausgeprägte des Englischen sei hingegen schwach. Damit wird eine unmittelbare Abhängigkeit von 'starker' Morphologie und overter Verbanhebung bzw. von 'schwacher' Morphologie und dem Ausbleiben solcher Bewegungen postuliert, ein Zusammenhang, der, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, im Minimalismus als grundlegender Motor jeglicher syntaktischer Operationen angesehen wird. Ein weiteres Ergebnis der von Pollock (1989) angestellten Überlegungen zur kontrastiven Verbalsyntax ist die Split-Infl-Hypothese. Ausgehend von der Beobachtung, dass bei französischen Infinitivkonstruktionen unterschiedliche Stellungsvarianten möglich sind (parler à peine l'italien vs. à peine parler l'italien) schlägt Pollock (1989:383) vor, die herkömmliche IP entsprechend der in I kodierten Merkmale in eigene funktionale Projektionen aufzulösen, und zwar in eine AgrP für die Subjektkongruenz, eine TP für die Tempusmerkmale und - bei Bedarf - eine NegP für eventuelle Negationsaffixe oder -klitika 29 am Verb. Den Vorteil einer 28
29
Auxiliare haben zwar keine semantischen Rollen an bestimmte Mitspieler zu vergeben, jedoch weisen sie durchaus rollensemantische Eigenschaften auf und zwar insofern sie in Konstruktionen mit periphrastischen Verbformen sog. 'suspendierte* Θ-Rollen und Kasusmerkmale 'restaurieren' können. Cf. Abschnitt 3.4. Im Türkeitürkischen wird die Negation durch das Suffix -mE- ausgedrückt (Beispiel in der folgenden Anmerkung). Das klat. Interrogativmorphem -ne tritt nicht an den Verbstamm, sondern an die Subjektkongruenzaffixe. Das Französische verfugt mit der Partikel ne über ein klitisches Negationselement.
58 solchen differenzierteren IP sieht er darin, dass in der erweiterten Projektion des Verbs nunmehr mehrere Landeplätze zur Verfügung stehen, in die das Verb bewegt werden kann und dass auf diese Weise optionale Wortstellungsmuster hergeleitet werden können. Über die Vielfalt und Anordnung der funktionalen Kategorien im Kontext von V ist viel diskutiert worden. Während Pollock ursprünglich davon ausgegangen war, dass TP AgrP dominiere (1989:384), hat sich, ausgehend von Bakers 'Mirror Principle' (2.1-41)
Morphological derivations must directly reflect syntactic derivations (and vice versa) (1988:13),
die Annahme durchgesetzt, dass die Reihenfolge der funktionalen Projektionen über der VP von der Anordnung der korrespondierenden Affixe am Verbstamm determiniert sei und dieser spiegelbildlich entspreche. 30 Zudem geht man unter Berufung auf Sprachen, die wie das Chichewa (Ouhalla 1999:392), das Ungarische oder das Warlpiri (Fanselow/Felix 1987b:212) teilweise overte Objektkongruenz am Verb aufweisen, davon aus, dass in der erweiterten Projektion des Verbs eine AgroP (Objektkongruenzphrase) zu projizieren ist. Auch in den periphrastischen Tempora des Französischen wie in (2.1-42)
a.
(laporte\)... je l\'ai ouverte
kann die phonetisch realisierte Kongruenz in Numerus und Genus [uveift] als overte Objektkongruenz zwischen V und dem durch [DP la porte] gebundenen Pronominalklitikon interpretiert werden (cf. Abschnitt 3.5). Unter Berufung auf eine angeblich zu beobachtende Verallgemeinerung koreferenzieller Subjekt- und Objektpronomina in Dislokationsstrukturen wurden im Zuge der sog. Präfixthese solche klitischen D-Elemente vielfach als obligatorische Konjugationsaffixe am Verb interpretiert (cf. u.a. Kaiser/Meisel 1991, Kaiser 1992 und Friedemann 1997). In einer Struktur wie (2.1-42)
b.
moi, je le mange, le gâteau
wäre demnach ein overter Agrs-Agro-V-Komplex [3almä3] auszumachen. Auch wenn mittlerweile deutlich geworden sein dürfte, dass eine derartig rigide Auffassung nicht durch die sprachlichen Daten gestützt ist, macht doch die Tatsache, dass solche koreferenziellen Objektpronomina gesetzt werden können, die Annahme eines Kopfes Agro plausibel. 31
30
Damit ist die Hierarchie der funktionalen Projektionen in der erweiterten Projektion von V einzelsprachlich parametrisiert. Cinque nimmt dagegen eine universalgrammatisch festgelegte Abfolge funktionaler Kategorien an: „The order appears cross-linguistically invariant" (1999:127). Offensichtliche Differenzen zwischen Einzelsprachen, wie sie sich beispielsweise in der unterschiedlichen Abfolge von Agr und N e g im Türkeitürkischen bzw. im Berberischen manifestieren, erklärt er als „pure 'spell-out' option: whether a language lexicalizes a higher or lower Agr or Neg" (1999:127). Durch Realisierung der .tieferen' NegP ergibt sich für das Türkeitürkische die Abfolge UgrpAgr [TP Tense [ N e g P Neg [vp V]]]] (1999:137). Dies entspricht spiegelbildlich der Abfolge der jeweiligen Affixe am Verb:
31
gel-me-di-niz komm:NEG:PAST:2.PL
'ihr seid nicht gekommen'.
Dies ist im Übrigen unabhängig davon, ob sich proklitische Einheiten zu Affixen weiterentwickeln, wie es von manchen Vertretern der Grammatikalisierungsforschung m.E. zu Unrecht behauptet wird (z.B. Lehmann
59 Dass die generelle Annahme einer Objektkongruenzphrase in der erweiterten Projektion von V sinnvoll ist, wird um so deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, dass in einer funktionalen Kategorie wie Agrs nicht nur die (teilweise in Form von overter Flexionsmorphologie realisierten) Subjektkongruenzmerkmale am Verb kodiert sind, sondern dass in eben diesem Merkmalsbündel auch die - mit den Merkmalswerten des Verbs übereinstimmenden φ-Features (Person, Numerus, Genus) der als Subjekt selegierten DP verzeichnet sind. In einer solchen Sichtweise besteht in Sprachen, die keine durchgehende overte Objektkongruenz am Verb aufweisen, der generelle Unterschied zwischen den funktionalen Köpfen AgrsP und AgroP darin, dass im Subjektkongruenzkopf die V-Features für die Kongruenzmerkmale am Verb und die D-Features für die entsprechenden φ-Merkmale des Subjekts spezifiziert sind, während im Objektkongruenzkopf nur die D-Features bestimmte Merkmalwerte kodieren und die V-Features grundsätzlich fur den Default-Wert α spezifiziert sind. Dies lässt sich anhand eines einfachen Beispiels veranschaulichen: (2.1 -43) que Marie mange le gâteau
Agrs
D : P3 Nsg Gf V : P3 Nsg G a
Agro
D : P 3 Nsg Gm V: P a N a G a
Damit sind Kongruenzköpfe letztlich nichts anderes als Bindeglieder zwischen lexikalischen Kategorien (bzw. Projektionen lexikalischer Kategorien), die in einem Rektionsverhältnis zueinander stehen, und zwar unabhängig davon, ob die entsprechende Kongruenz in Form von overter Morphologie realisiert wird oder nicht. Hieraus ergibt sich für die erweiterte Projektion von V folgende Grundstruktur, die auch fur das MP in der 1993er Fassung grundlegend ist: (2.1-44)
CP
C
CP C
AgrsP
que
que
Agr s
TP
IP AgroP
Agro
VP
VP
Marie mange le gâteau
Marie mange le gâteau
1995:1259), oder ob die Weiterentwicklung von Klitika zu fusionierten Kongruenzaffixen gemäß der in Wandruszka (1992) postulierten Bindungsscheu proklitischer Einheiten den Enklitika vorbehalten ist. Auch ein obligatorisches Auftreten von koreferenziellen Objektpronomina, die nicht mit dem Verb fusionieren, wäre als overte Objektkongruenz aufzufassen. Dies trifft beispielsweise fur das Spanische zu, wo in bestimmten Fällen sog. 'pleonastische' oder 'redundante' Objektpronomina gesetzt werden müssen, z.B. bei Besetzung der Objektposition durch ein freies Personalpronomen wie in span, [pro no la vi a ella]. Zu betonen ist, dass die redundanten Objektklitika nicht - wie etwa die korrespondierenden Flexive des Ungarischen - durchgehend obligatorisch sind. Berschin et al. urteilen zusammenfassend: „Insgesamt gesehen gehört das Spanische nicht zu den Sprachen mit Objektkonjugation, es weist allerdings in einigen Bereichen seiner Pronominalsyntax objektkonjugationstypische Eigenschaften a u f (1987:199).
60 Die Annahme, dass bestimmte Merkmalsbündel mit jeweils zwei Sätzen von Features als funktionale 'Bindeglieder' zwischen zwei lexikalischen Einheiten fungieren, betrifft nicht nur, wie in (2.1-43) angedeutet, das Verhältnis zwischen einem verbalen Kopf und den entsprechenden Komplementen, sondern in gleicher Weise auch die Beziehung zwischen Determinant und NP-Komplement bzw. zwischen einer Adposition und der subkategorisierten DP. Die entsprechenden funktionalen Projektionen symbolisiere ich aus mnemotechnischen Gründen als AgroP bzw. AgrpP. Während in Agro sowohl die D-Features als auch die N-Features voll spezifiziert sind, weisen in Agrp nur die D-Features spezifische Merkmalswerte auf, während die P-Features im Französischen generell für den Default-Wert α spezifiziert sind. Auch hierfür sei wiederum jeweils ein einfaches Beispiel gegeben: (2.1-45)
a. b.
[AGRDPAGR D [DP
Agr D Ν : P3 Nsg Gm
le jardin]]
[Agrpp Agr P [PP dans
[ A G R DP
D : P 3 Nsg Gm
Agr D [DP le jardin]]]]
Agr P D : P 3 Nsg Gm Ρ:Ρα Να Ga
In Sprachen wie dem Navaho oder dem Ungarischen, die teilweise overte Kongruenz zwischen Adposition und Komplement aufweisen (cf. Kayne 1994:49f), wären die P-Features in Agrp den jeweiligen Merkmalen entsprechend auszudifferenzieren. Es ist allerdings festzuhalten, dass overte Kongruenz zwischen Adposition und Komplement nur bei Post-, nicht aber bei Präpositionen vorkommt - Formen wie frz. du, au, des oder das archaische ès sind keine genus- und numerusmarkierten Präposition, sondern Amalgame aus Ρ und D, die auf dem PF-Zweig der Grammatik erstellt werden. 32 Für die PP ist dementsprechend eine grundlegende Struktur wie in (2.1-46) anzunehmen: 33
NP jardin
Mit der Entwicklung des MP, ausgehend von der ersten Skizze in Chomsky (1991), wird das Verhältnis Morphologie und Syntax zueinander dahingehend präzisiert, dass Bewegungen in 32
Gleiches gilt für vergleichbare Formen des Italienischen, wobei die Präpositionen a, con, da, di, in und su obligatorisch mit dem Determinanten amalgamieren (al, alla, ai etc.). Im Falle von con sind die entsprechenden Formen col, colla etc. fakultativ, bei per gelten sie als veraltet (cf. Lepschy/Lepschy 1986:123). Für eine Gegenposition cf. Napoli/Nevis (1987), die für das Italienische von flektierten Präpositionen ausgehen.
33
In einer solchen Sichtweise müssen AgrPP und Agr D P prinzipiell über jeder PP bzw. DP projiziert werden. Da mit der Generalisierung der VP-Shells über alle lexikalischen Kategorien AgrPs ohnehin weitgehend überflüssig werden (cf. Abschnitt 2.3.6.2), will ich in den nachfolgend gegebenen Strukturbäumen hierauf verzichten.
61 der Syntax nur erfolgen, um das betreffende Element im entsprechenden Kontext zu lizenzieren und zwar durch Überprüfung morphologischer Eigenschaften (Checking). Damit ist die Herleitung syntaktischer Strukturen merkmalsgetrieben und bestimmten Ökonomieprinzipien unterworfen. Entscheidender Unterschied zu älteren Herangehensweisen ist, dass im MP Kategorien wie beispielsweise V nicht angehoben werden, um sich durch schrittweise Adjunktion an die jeweiligen funktionalen Köpfe die entsprechenden Affixe (Tempus-, Modus-, Aspektmarkierung, Negationsmorpheme, Subjekt- oder Objektkongruenz etc.) 'abzuholen', sondern dass Kategorien voll flektiert - oder zumindest für die entsprechenden Merkmale spezifiziert - in die Derivation eingesetzt werden. In einem weiteren Schritt muss überprüft werden, ob die betreffende Form mit den fur die vorliegende Derivation passenden Merkmalspezifikationen selegiert wurde. Gleiches gilt selbstverständlich auch für nominale Elemente. Die Wortstellung wird dabei durch overte bzw. koverte Anhebung hergeleitet. Dies wiederum hängt von der Spezifizierung der überprüfenden Merkmale als [±stark] ab, wobei starke Merkmale als auf PF 'sichtbar' aufgefasst werden. Da sie qua ihrer Eigenschaft als grammatisch-formale - und eben nicht als phonetisch-phonologische - Merkmale auf PF nicht in entsprechende Lautstrukturen überführt werden können, müssen sie vor der Überführung in die PF-Repräsentation gecheckt und getilgt werden. Auf diese Weise können übereinzelsprachlich differierende Wortstellungsmuster ebenso wie einzelsprachliche Variation und diachroner Wandel durch Unterschiede in Bezug auf grammatische Merkmale und deren Eigenschaften explizierbar gemacht werden. Allerdings korreliert Merkmalsstärke nicht in einem 1 ^-Verhältnis mit overter Morphologie, wenn auch eine gewisse Affinität von starken Merkmalen bzw. overter Bewegung und overter Flexionsmorphologie nicht zu leugnen ist. Van Kemenade/Vincent bemerken hierzu: „One problem that arises in the new framework is exactly how to interpret the notion of 'strength' of Features, since there is apparently no necessary correlation between overt morphology and strength" (1997:8). Vergleichbar äußert sich Parodi: „Rich overt morphology does not necessarily mean strength, but it may" (1995:372). Auf diese Problematik wird in Abschnitt 2.3.6.2 genauer eingegangen. Bevor als Grundlagen hierfür die generativen Module Θ- und Kasustheorie besprochen werden, soll zum Schluss dieses Abschnitts zunächst der konzeptuelle Unterschied zwischen traditioneller P&P und Minimalismus verdeutlicht werden. Radford skizziert die Derivation syntaktischer Strukturen nach den Vorgaben des MP wie folgt: By an operation of selection, lexical items are taken from the lexicon (each item comprising sets of phonetic, semantic and grammatical [bei Chomsky: formal, C.G.] features). By the process of merger, constituents are combined together in a pairwise fashion to form a phrase structure tree (with each word in the tree comprising a set of phonetic, semantic and grammatical features). After spellout, the phonetic and semantic features of items are processed separately, the former being processed by PF operations which compute PF representations, and the latter being processed by LF operations which compute LF representations ... Spellout is the point at which the phrase structures generated by the processes of selection and merger feed into two different components - a PF component which processes their phonetic features, and an LF component which processes their grammatical and semantic features (1997a: 17If; Herv. im Text).
In einem ersten Schritt selegiert der Sprecher die für die Realisierung des konkreten Sprechaktes benötigten lexikalischen und funktionalen Kategorien. Das Ergebnis dieser Operation
62 Select (bei Radford: 'Selection') ist die sog. Numeration Ν, d.h. die 'Aufzählung' aller fur die Derivation selegierten Kategorien. Die lexikalischen Kategorien sind jeweils durch eine Matrix phonologischer (PFM), semantischer (SFM) und formal-grammatischer Merkmale (FFM) charakterisiert. Zu den FF eines Elements - „formal features of the lexical item LI" (Chomsky 1995:231) - zählen neben kategorialen Merkmalen wie [±N; ±V] auch die jeweiligen φ- oder Kasusmerkmale einer Kategorie. Weiterhin zählen zu den FF(LI) auch sog. überprüfende Merkmale, d.h. solche, die bestimmte Forderungen an selegierte Elemente stellen. In einem zweiten Schritt werden die selegierten Elemente jeweils paarweise zu neuen Kategorien verbunden, und zwar in Abhängigkeit von den jeweiligen Selektions- und Projektionseigenschaften der beteiligten Elemente. Diese strikt binäre Operation wird als Merge bezeichnet. So fordert beispielsweise eine Präposition wie dans ein Komplement des Typs DP. Demnach kann ein Merge von dans und jardin wie in (2.1-45.b) nur erfolgen, wenn der nominale Kopf des Komplements zuvor mit dem D-Element le zu einer komplexen Struktur verbunden wurde, wenn also eine erweiterte Projektion des nominalen Kopfes vorliegt (cf. 2.1-45.a). Bei Merge zweier Kategorien α und β muss eine der beiden verbundenen Kategorien projizieren, d.h. die entstandene komplexe Kategorie trägt die grammatischen Merkmale FF einer der beiden Kategorien und zwar die des Phrasenkopfes. Dies kann prinzipiell entweder α oder β sein: (2.1-47)
{α} + {β}
{α {α, β}} oder {β {α, β}}
Bei Merge der Einheiten {le} und {jardin} ergibt sich eine Kategorie, die die grammatischen Merkmale FF(D) trägt. Im konkreten Falle sind dies neben den kategorialen Merkmalen [+N; - V ] {F 1} die φ-Features [P3 Nsg Gm] sowie die entsprechenden Kasus- und Definitheitsmerkmale. Eine Kombination aus {le} und {jardin} mit den grammatisch-formalen Merkmalen von Ν wäre im Rahmen einer übergeordneten Struktur wie dans le jardin nicht interpretierbar, da in Komplementposition zu Ρ eine referenzielle Nominalphrase, also eine Projektion von D auftreten muss (cf. Abschnitt 2.2.5): (2.1-48)
a.
{le} + {jardin} —> {le {le, jardin}}, aber: *{jardin {le, jardin}}
Wenn nun in einem weiteren Schritt die DP {le {le, jardin}} mit der Präposition dans verbunden wird, ist Ρ die projizierende Kategorie, d.h. die gesamte Präpositionalphrase trägt die grammatischen Merkmale FF(P) (2.1-48)
b.
{dans} + {le {le, jardin}}
{dans {dans, {le {le,
jardin}}}}
und kann somit in entsprechenden Kontexten, z.B. als Lokalkomplement auftreten. Die Lizenzierung eines Elements in einem gegebenen Kontext erfolgt - wie bereits angedeutet - u.a. durch die Überprüfung der jeweiligen grammatischen Merkmale FF, beispielsweise der Kongruenzmerkmale. Dazu muss die betreffende Kategorie in ein bestimmtes Verhältnis mit demjenigen Element gebracht werden, das die überprüfenden Merkmale aufweist und die fragliche Kategorie durch Abgleichen der Merkmale im entsprechenden Kontext lizenzieren kann. In Bezug auf Fragen der Kongruenz sind dies die unterschiedlichen Agr-Köpfe. Wie bereits erwähnt, können Varianten in der Wortstellung explizierbar gemacht werden, indem die
63
für d i e Ü b e r p r ü f u n g g r a m m a t i s c h e r E i g e n s c h a f t e n n o t w e n d i g e n B e w e g u n g e n , a l s o d i e A n w e n d u n g der Operation M o v e , e n t w e d e r in der o v e r t e n o d e r in der k o v e r t e n S y n t a x verortet w e r d e n . 3 4 D a b e i ist j e g l i c h e B e w e g u n g b e s t i m m t e n Ö k o n o m i e p r i n z i p i e n unterworfen. D i e s e k ö n n e n im E i n z e l n e n w i e f o l g t z u s a m m e n g e f a s s t w e r d e n : (2.1-49)
a.
E i n e B e w e g u n g erfolgt nur, w e n n sie erforderlich ist u n d ist s o kurz w i e m ö g lich: Least Effort / Last Resort 3 5
b.
E i n e B e w e g u n g erfolgt s o spät w i e m ö g l i c h : Procrastinate
c.
E i n e B e w e g u n g erfolgt nur, w e n n die b e w e g t e K a t e g o r i e selbst v o n der Operation profitiert, z . B . durch Überprüfung e i g e n e r M e r k m a l e : Greed b z w . w e n n e n t w e d e r d i e Z i e l k a t e g o r i e o d e r die b e w e g t e K a t e g o r i e v o n der Operation profitieren: Enlightened S e l f Interest ( E S I ) 3 6
W ä h r e n d im T - M o d e l l der traditionellen P & P (cf. D i a g r a m m 2 . 1 - 3 7 ) B e w e g u n g e n e n t w e d e r overt auf d e m D e r i v a t i o n s p f a d D-Struktur —» S-Struktur o d e r kovert a u f d e m D e r i v a t i o n s p f a d S-Struktur —» LF a n g e n o m m e n werden, ist im reduzierten M o d e l l d e s M P lediglich festgelegt, o b die Operation M o v e - d e n j e w e i l i g e n Wortstellungsregeln entsprechend - z u m Einsatz g e k o m m e n s e i n m u s s , b e v o r das B e w e g u n g s r e s u l t a t a u f PF durch p h o n o l o g i s c h e R e g e l n interpretiert und an den artikulatorischen Apparat w e i t e r g e l e i t e t wird. D i e s e r Punkt in einer Derivation, an d e m die j e w e i l i g e n Matrizes phonetischer M e r k m a l e ( P F M ) v o n den s e m a n t i s c h e n und g r a m m a t i s c h e n M e r k m a l e n zur g e s o n d e r t e n Weiterverarbeitung abgetrennt w e r d e n , wird mit d e m T e r m i n u s Spellout, z u deutsch e t w a ' D a t e n a u s g a b e ' , etikettiert. W e n n die j e w e i l i g e n
34
Es ist zu betonen, dass eine Anwendung von Move stets eine Anwendung der Operation Merge nach sich zieht, und zwar einen Merge der bewegten Kategorie mit der Zielkategorie. Dies kann entweder in Form einer Adjunktion erfolgen, woraus eine neue Kategorie mit mehreren Segmenten resultiert, oder in Form einer 'Substitution', womit Chomsky (1995) die Eröffnung einer Spezifikatorposition und die Bewegung einer XP in diese bezeichnet.
35
Die genannten Ökonomieprinzipien betreffen nicht nur Bewegungsoperationen, sondern auch die nachträgliche Insertion von nicht in der Numeration Ν enthaltenen Elementen im Verlauf einer Derivation. So müssen beispielsweise im Französischen in bestimmten Fällen Auxiliare oder Expletiva wie il eingesetzt werden, da die Strukturen anderweitig nicht zu 'retten' wären. So kann die Insertion eines semantisch leeren Expletivums wie il in die Subjektposition 'letztes Hilfsmittel', also im Wortsinne Last Resort sein (cf. hierzu ausführlich Abschnitt 3.4). Ähnliches gilt für den sog. rfo-support des Englischen. - In diese Gruppe von Ökonomieprinzipien fällt auch die sog. 'Minimal Link Condition' (MLC), ein von Chomsky/Lasnik (1993:546) postuliertes Derivationsprinzip, demzufolge bei Bewegungen (d.h. bei Anwendung der Operation Move) jedes Kettenglied so kurz wie möglich sein muss und das demnach verbietet, dass eine bewegte Kategorie α bzw. ein angehobenes Merkmalbündel FF(LI) potenzielle Landeplätze überspringt. Dem entspricht Chomskys 'Shortest Movemenent Condition' (1993:16).
36
Das Ökonomieprinzip Greed ist vielfach als zu rigide kritisiert worden. Während Roberts (1998:114) vorschlägt, Greed generell abzuschaffen, plädiert Lasnik (1995:620, 1999b:2, 78ff) dafür, das Prinzip durch eine gemäßigte Form zu ersetzen, die er Enlightened Self Interest (ESI) nennt. Danach können Bewegungen auch erfolgen, wenn sie nur der Zielkategorie, nicht aber der bewegten Kategorie 'nutzen'. Auf diese Weise können Wh-Bewegungen wie in (2.1-33.a) [cp [c [veut-, + I] C][iP il veut,' I [Vp vetrí¡ aller à l'opéra?]]]] explizierbar gemacht werden: Hierbei wird das finite Verb nach C bewegt, um das starke Merkmal [+Wh] zu checken, nicht jedoch um eigene Merkmale zu überprüfen. Gleiches gilt fur die obligatorische Anhebung des Verbs nach C und einer weiteren XP nach Spec,CP in V2-Sprachen.
64 Wortstellungsbedingungen es nicht erfordern, erfolgen Bewegungen - dem Ökonomieprinzip Procrastinate entsprechend - grundsätzlich so spät wie möglich und damit erst nach Spellout. Starke Merkmale setzen also Procrastinate außer Kraft und lösen damit overte Bewegungen aus.37 Wenn in einer gegebenen Sprache beispielsweise das D-Feature in AgroP stark ist, dann muss das DP-Komplement vor Spellout angehoben werden, und es resultiert die Wortstellung SOV, wie es u.a. in den Turksprachen der Fall ist. Als Grundprinzip der minimalistischen Syntaxkonzeption kann festgehalten werden, dass aus identischen Basiskonfigurationen durch overte bzw. koverte Bewegungen unterschiedliche Wortstellungsmuster hergeleitet werden. Ob eine Bewegung overt oder kovert, d.h. vor oder nach Spellout erfolgt, ist wiederum von grammatischen Merkmalen und Merkmaleigenschaften abhängig. Damit kann auch auf den Kopfparameter der klassischen X-bar-Syntax verzichtet werden. Diese Auffassung ist in der 'Urfassung' des MP (Chomsky 1991, 1993) bereits implizit enthalten, wird jedoch erst durch die bahnbrechende Arbeit von Kayne (1994) explizit gemacht, und zwar indem der Autor unter Berufung auf theorieimmanente und empirische Argumente eine universell gültige grundlegende Abfolge postuliert. Kaynes Modell und die mit dessen Integration in den minimalistischen Rahmen verbundenen Schwierigkeiten werden ausfuhrlich in Abschnitt 2.4 diskutiert. Das auf zwei Repräsentationsebenen reduzierte Derivationsmodell des MP lässt sich wie folgt skizzieren: (2.1-50)
Select
> Numeration Ν i Merge & Move ν Spellout /
Merge & Move (kovert)
i PF ! LF ! i 'signifiant'! 'signifié' ; Wie aus (2.1-50) ersichtlich ist, kommt hiermit auch Saussures bilaterales Zeichenmodell aus Cours de linguistique générale (1972:99) zu Ehren. Dazu Hornstein: „It is indisputable that natural language sentences are pairings of sound and meaning. PF and LF are the theoretical reflexes of this obvious fact" (1995:63). Die von Chomsky (1995) übernommene Klammernotation der Operation Merge hat bereits deutlich gemacht, dass im Minimalismus eine Vereinfachung der in 2.1.2 und 2.1.3 dargestellten X-bar-theoretischen Grundannahmen angestrebt ist, und zwar in Bezug auf zwei Aspekte: (2.1-51)
37
a.
Aus Gründen der Derivationsökonomie werden keine nicht-verzweigenden Projektionen angenommen, d.h. man verzichtet auf die Annahme einer grundsätzlich präsenten Zwischenprojektionsebene (X').
Ishikawa formuliert den Zusammenhang zwischen Merkmalsstärke und overter Bewegung folgendermaßen: „In a pretheoretical (and somewhat metaphorical) sense, it may be conceived that overt movement needs 'more strength' to carry a full phonological load (thus allowing movement over only a short distance at one time), whereas covert movement needs 'less strength'" (1999:306).
65 b.
Eine Kategorie kann zugleich X und X m a 7XP sein; der jeweilige Status wird kontextuell bestimmt.
Die hiermit verbundene Vereinfachung wird deutlich, wenn man die oben in (2.1-48) gegebenen Klammernotationen in Strukturbäume überfuhrt und diese mit den von der traditionellen X-bar-Syntax vorgesehenen Repräsentationen vergleicht: (2.1-52)
a. {le}
{jardin}
c.
(2.1-53)
a.
{dans} {dans}
b. {le}
{/ef"
PP Ρ
~~~~{jàrdin}
DP D
N/NP
In den in (2.1-52.a&b) bzw. (2.1-53.a&b) gegebenen Repräsentationen sind die jeweiligen Elemente grundsätzlich sowohl minimal als auch maximal; die Interpretation als X oder X max erfolgt aus dem entsprechenden Kontext, und zwar dahingehend, dass eine Kategorie genau dann nicht mehr maximal ist, wenn sie projiziert (z.B. le in 2.1-52.a). Die nicht projizierende
66 Kategorie hingegen behält ihren ambigen Status und kann - je nach Position im Strukturbaum - sowohl X als auch Xmax sein.38 Dieses vereinfachte, mit dem Terminus 'Bare Phrase Structure' (im Folgenden BPS) etikettierte Modell wurde erstmals in Chomsky (1994) vorgestellt und hat sich in der jüngeren generativen Literatur weitgehend durchgesetzt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Erstens kann beispielsweise beim intransitiven Gebrauch von Präpositionen wie [PP [P· [P avant]]] auf die Zwischenprojektionsebene X' verzichtet werden, und Spec-Positionen werden nur im Bedarfsfalle eröffnet. Damit ist auch die Diskussion um eventuell grundsätzlich unterschiedliche Projektionseigenschaften lexikalischer und funktionaler Kategorien und die daraus erwachsende Annahme zweier unterschiedlicher X-bar-Schemata wie bei Fukui/Speas (1986) obsolet (in 2.1-52.C und 2.1-53.C jeweils durch die Klammerung der Spec-Position angedeutet). Zweitens sind Bewegungen aus A- in A'-Positionen, wie sie bei der in den romanischen Sprachen obligatorischen Anhebung von klitischen Objektpronomina vorliegen, im Gegensatz zum traditionellen P&P-Modell unproblematisch: So ist ein CL wie [D/DP le], wenn es als Komplement des Verbs, also in einer Argumentposition, basisgeneriert wird, eine maximale Projektion DP (2.1-54.a) und kann im weiteren Verlauf der Derivation als Kopf D an den verbalen Kopf V adjungieren (2.1-55.b):39 (2.1-54) a.
VP
b.
VP
D/DP
V
fe¡
D/DP
V
l'
aime
Die bisherigen Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass das MP im Vergleich zum in den Abschnitten 2.1.1 bis 2.1.4 vorgestellten traditionellen X-bar-Modell der P&P zahlreiche Vorteile und Vereinfachungen bietet.
38
„There are no such entities as XP (Χ™™) or Χ"1"1 in the structures formed by CHL> though I continue to use the informal notations for expository purposes, along with X' (X-bar) for any other category. A category that does not project any further is a maximal category XP, and one that is not a projection at all is a minimal projection Xmi"; any other is an X'" (Chomsky 1995:242).
39
Kaiser, der das BPS-Modell noch nicht einbeziehen konnte, umgeht diese Problematik, indem er die französischen pronoms conjoints generell als Affixe auffasst. Dabei geht er davon aus, dass die klitischen Subjektpronomina unter I (1992:113), die Objektpronomina zusammen mit dem Verb unter V basisgeneriert werden (1992:128). Problematisch ist hierbei m.E., dass Klitika in einer solchen Sicht generell kasus- und θ-rollenlos sind. Zudem gilt zumindest für die frz. Subjektklitika, dass sie deutlich weniger eng an V angebunden sind als etwa fusionierte und agglutinierte Kongruenzaffixe im Lateinischen oder im Türkeitürkischen. Offensichtlicher Nachteil der oben skizzierten Bewegungsanalyse ist wiederum, dass die Anordnung mehrerer Objektklitika auf diese Weise kaum schlüssig modelliert werden kann: Entscheidet man sich mit Kayne (1991, 1994) für generelle Linksadjunktion an V (bzw. an leere funktionale Köpfe), kann zwar die Proklise der Objektklitika an das flektierte Verb, nicht aber die Abfolge innerhalb eines Klitik-Clusters erklärt werden (cf. Abschnitt 2.4). Eine Lösung bietet eventuell ein optimalitätstheoretischer Zugang, wie ihn u.a. Gerlach (1998) vorgeschlagen hat.
67 2.1.6
Resümee
Bevor unter 2.2 und 2.3 mit der Θ-Theorie und der Kasustheorie zwei weitere, insbesondere für die Auseinandersetzung mit relationalen Elementen relevante generative Subtheorien aufgearbeitet werden, sollen am Schluss dieses Abschnittes die für das weitere Vorgehen wichtigsten Fakten noch einmal zusammengefasst werden: • Im Rahmen der P&P wird zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien unterschieden, wobei bezüglich der Zugehörigkeit von Ρ unterschiedliche Auffassungen bestehen. Während die den meisten Darstellungen jüngeren Datums zugrunde liegende Einteilung die Präposition im Anschluss an Chomsky (1986) als vollwertige lexikalische Kategorie mit der Merkmalspezifizierung [-N; -V] auffasst, wird von Grimshaw (1991) die Präposition aus den lexikalischen Kategorien herausgenommen und als funktionaler Kopf mit der Merkmaispezifikation [+N; -V]{F2} innerhalb einer erweiterten Projektion des lexikalischen Kopfes Ν beschrieben. Eine solche Analyse nähert sich der in traditionellen Ansätzen vertretenen Auffassung von der Präposition als geschlossener, funktionaler Klasse an. Ob Grimshaw ihren Vorschlag über alle präpositionalen Elemente, also auch über präpositional verwendbare komplexere Syntagmen generalisieren will, wird aus ihren Ausführungen nicht ganz klar. Die Tatsache, dass eine solche Analyse nicht in Bezug auf alle präpositionalen Elemente überzeugend ist, lässt vermuten, dass Ρ im Ganzen weder den lexikalischen noch den funktionalen Kategorien zugerechnet werden kann, sondern dass die 'Wahrheit' vielmehr in einem Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik zu suchen ist, etwa dergestalt, dass manche Präpositionen in bestimmten Verwendungsweisen einerseits als lexikalische und andererseits als funktionale Kategorie vorliegen können (Divergenzphänomen). • Die grundlegende Struktur der PP entspricht den Vorgaben des von den Anhängern der P&P als Universalie postulierten X-bar-Schemas, d.h. in der maximalen Projektion eines präpositionalen Kopfes sind Positionen für jeweils ein Komplement und einen Spezifikator sowie für Adjunkte vorhanden. Allerdings haben nicht alle präpositionalen Köpfe das Potential zur vollen Instanziierung des X-bar-Schemas. Beispielsweise lassen einige Präpositionen in bestimmten Verwendungen offensichtlich keine Spezifikatoren bzw. - bei Generalisierung der DP-Hypothese über alle lexikalischen Kategorien - keine erweiterten Projektionen zu: *il le donne juste à la concierge. • Die Komplementposition innerhalb der PP kann entsprechend dem Subkategorisierungsrahmen des Kopfes Ρ durch unterschiedliche phrasale Kategorien besetzt werden. Als möglich wurden DP, PP und CP identifiziert; zudem ist die intransitive Verwendung von Ρ möglich (interne Syntax der PP). Damit ist der Begriff der Präposition im Rahmen der P&P deutlich weiter gefasst als in der traditionellen Grammatik. • Die PP insgesamt kann wiederum im Rahmen übergeordneter Projektionen Komplementoder Adjunktpositionen besetzen; weiterhin kann sie in Kopula-Strukturen und SmallClause-Konstruktionen als Prädikat auftreten (externe Syntax der PP). • Soweit bisher besprochen, zeichnet sich das MP im Vergleich zur traditionellen P&P durch eine Reihe von Vereinfachungen aus, die generell die Herleitung syntaktischer Strukturen und damit auch die interne und externe Syntax der PP betreffen. Grundlegend ist der Gedanke, dass - ausgehend von der erstmals in Pollock (1989) vorgeschlagenen Split-Infl-
68 Hypothese - Bewegungen in der Syntax von bestimmten grammatischen Merkmalen und deren Eigenschaften abhängig sind. Auf diese Weise lassen sich - mit Hilfe der Operationen Select, Merge und Move und unter Beachtung bestimmter Ökonomieprinzipien Wortstellungsdifferenzen aus identischen Basiskonfigurationen ableiten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um die Modellierung von synchroner Dynamik (Sprachvariation), von diachronem Wandel oder von übereinzelsprachlichen Kontrasten handelt. Die Ersetzung der traditionellen X-bar-Syntax durch das BPS-Modell, demzufolge der Status eines Elements als X oder X m a x aus dem jeweiligen konfigurationeilen Kontext abgeleitet wird, bietet folgende Vorteile: Zum einen kann auf die Annahme von nicht-verzweigenden Projektionen verzichtet werden, womit u.a. die Diskussion um die eventuell unterschiedlichen Projektionseigenschaften von lexikalischen und funktionalen Kategorien obsolet wird. Zum anderen sind Bewegungen aus Argumentpositionen in A'-Positionen unproblematisch. Damit können beispielsweise die Objektklitika des Französischen als maximale Projektionen in Komplementposition basisgeneriert und anschließend an V adjungiert werden.
2.2
Θ-Theorie
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über alle rollensemantischen Aspekte, die fur eine Auseinandersetzung mit den relationalen Ausdrucksverfahren, die dem Sprecher des heutigen Französisch zur Verfügung stehen, von Interesse sind. Dabei wird deutlich werden, dass die in einem einzelsprachlichen System möglichen syntaktischen Strukturen unmittelbar von den Θtheoretischen Eigenschaften der an der jeweiligen Derivation beteiligten lexikalischen Kategorien abhängig sind. Im Bereich der präpositionalen Elemente zeigt sich dies daran, dass sowohl die Möglichkeiten der Lizenzierung von bestimmten Elementen im Kontext eines präpositionalen Kopfes als auch die Positionierung eines präpositionalen Syntagmas im Satz unter Rückgriff auf rollensemantische Eigenschaften in differenzierter Weise explizierbar gemacht werden können. Dies gilt insbesondere für die referenzielle Rolle < S > , die Zwarts (1992) und Rauh (passim) im Anschluss an Higginbotham (1985) zusätzlich zu den thematischen Rollen im Θ-Raster bestimmter präpositionaler Köpfe annehmen.
2.2.1
Zur Rollenstruktur von Ρ
Als universelle Regel legt das X-bar-Schema den generellen Aufbau phrasaler Kategorien fest. Entsprechend parametrisiert, determiniert es die Struktur der in einer Einzelsprache möglichen maximalen Projektionen einer gegebenen (lexikalischen oder funktionalen) Kategorie. Das bedeutet jedoch nicht, dass jede so erzeugte Struktur auch grammatisch ist. Das Potenzial zur vollständigen oder teilweisen Instanziierung des X-bar-Schemas ist abhängig von den syntaktisch-semantischen Eigenschaften eines Kopfes X . Ungrammatische Strukturen werden vom Sprecher als solche erkannt und ausgeschlossen, indem er überprüft, ob die im Lexikon festgeschriebenen syntaktisch-semantischen Eigenschaften des jeweiligen Kopfes
69 X mit den im Kontext von X realisierten Konstituenten übereinstimmen. 40 Hierbei wird unterschieden zwischen • Argumentstruktur, • Subkategorisierungsrahmen und • Θ-Raster eines jeden lexikalischen Formativs. In der Argumentstruktur eines Ausdrucks ist lediglich die Anzahl der Mitspieler festgelegt, die an dem jeweils ausgedrückten Sachverhalt teilnehmen. Unterschieden wird grundsätzlich zwischen einem sog. 'externen' oder 'prominenten' Argument , das auf eine phrasenexterne Entität abgebildet wird, und den 'internen' Argumenten , die - je nach Lexikoneintrag obligatorisch oder fakultativ - auf Konstituenten innerhalb von XP abgebildet werden. Im Falle einer Präposition wie avant mit der Argumentstruktur bedeutet dies, dass zwei Entitäten notwendig sind, um den Sachverhalt der (hier temporalen 41 ) Lokalisierung eines Elements in Bezug auf ein weiteres zu versprachlichen. Dabei wird das externe Argument außerhalb, das interne innerhalb der PP realisiert. Bei intransitiver Verwendung wie etwa in (2.1-8) je partirai [PP avant] bleibt das interne Argument syntaktisch unrealisiert, wird jedoch als 'implizites Argument' mitverstanden. Im Falle von entre ist entsprechend eine dreistellige Argumentstruktur anzunehmen: . Der Subkategorisierungsrahmen eines Kopfes X legt die kategoriale Zugehörigkeit seiner Komplemente fest. Da es allerdings nur um die Konstituenten im Rektionsbereich von X geht, werden keine Aussagen bezüglich der kategorialen Beschaffenheit derjenigen Konstituente gemacht, auf die das externe oder prominente Argument abgebildet wird. Im Subkategorisierungsrahmen von avant ist das (fakultative) DP- oder CP-Komplement verzeichnet, bei entre ein (obligatorisches) DP-Komplement, das entweder die Pluralmarkierung tragen (entre les arbres) oder aus zwei koordinierten Nominalphrasen 42 bestehen muss (entre Marseille et Toulon).
40
In gleicher Weise ist das Kasusfilter als 'Wohlgeformtheitsbedingung' für die Überprüfung X-bar-generierter
41
Außer der Lokalisierung im temporalen Raum kann avant auch eine Lokalisierung im lokalen Raum denotie-
Strukturen zuständig. Cf. Abschnitt 2.3. ren: la maison avant la poste. Solche lokalen Verwendungen der Präposition avant sind im heutigen Sprachzustand jedoch nur möglich, wenn aufgrund der mitgemeinten Bewegung an einem Objekt vorbei (hier: la maison) in Richtung auf ein anderes Objekt (hier: la poste) die temporale Dimension implizit ist, wie es u.a. bei Wegbeschreibungen etc. der Fall ist. Bei einer statischen Lokalisierung ist die Verwendung von avant hingegen nicht möglich: La chaise se trouve *avant/devant
l'armoire.
Ob der Gebrauch von avant in Zusam-
menhängen wie la maison avant la poste als (schon) lokale Verwendung mit obligatorisch impliziter temporaler Dimension oder als (noch) temporale Verwendung mit obligatorisch impliziter lokaler Dimension aufgefasst werden soll, ist wiederum Auffassungssache. Der Befund verdeutlicht in jedem Fall, dass die Grenzen zwischen lokaler und temporaler Verwendung einer Ρ durchaus fließend sein können (Vergleichbares gilt für skalare P; cf. Wege 1997). Dies wiederum ist mit Blick auf die Diachronie nicht verwunderlich, leitet sich frz. avant doch von der klat. Ρ ante her, die neben der Grundbedeutung 'gegenüber von' die Bedeutungen des lokalen und schließlich des temporalen 'vor' entwickelte und im Vlat. zunehmend durch ab verstärkt wurde. 42
Auch bei Eigennamen (Anthro- und Toponyme), die in der französischen Standardsprache generell ohne overtes D auftreten, kann es sich um DPs handeln, nämlich dann wenn - wie im o.g. Fall - die betreffende Konstituente eine A-Position besetzt und somit ein referenzielles Syntagma sein muss. Treten Eigennamen hingegen in nicht-syntaktischen Funktionen (z.B. Interjektionen, Vokative) auf, handelt es sich um NPs. Cf. hierzu im Einzelnen 2.2.5.
70 Im Θ-Raster eines Ausdrucks sind die semantischen (oder 'thematischen') Rollen verzeichnet, die er seinen Argumenten zuweist. Dabei muss jedes Argument genau eine Θ-Rolle erhalten, und jede Θ-Rolle muss genau einem Argument zugewiesen werden. Diese beiden Bedingungen, die im als übereinzelsprachliches Prinzip geltenden Θ-Kriterium 43 zusammengefasst werden, schließen aus, dass eine Θ-Rolle mehrmals zugewiesen wird wie in (2.2-1)
*[Marie AGENS] a assassiné son voisin [par le peuple AGENS]
und dass ein einziges Argument mehrere Θ-Rollen erhält. Letzteres wird daran deutlich, dass sich der Sprecher bei ambigen Strukturen wie (2.2-2)
endlich wurde ihm das neue Buch von Marie
geschenkt
für eine der beiden möglichen Lesarten entscheiden muss. Soll deutlich gemacht werden, dass Marie in (2.2-2) sowohl Autorin des Buches (externes Argument von Buch mit der Θ-Rolle AGENS) als auch Urheberin der Verbalhandlung ist (externes Argument von schenken mit der Θ-Rolle AGENS"), muss eine weitere PP angefügt werden, z.B. von ihr selbst oder von der Autorin höchstpersönlich etc. 44 Ein Zusammenhang zwischen Subkategorisierung und Θ-Markierung, in der Terminologie von Chomsky (1986:86) auch C-Selektion („categorial selection") bzw. S-Selektion („semantic selection"), besteht nun darin, dass ein lexikalischer Kopf X genau diejenigen phrasalen Kategorien subkategorisiert bzw. c-selegiert, denen er auch aufgrund seines Θ-Rasters eine Rolle zuweisen kann. Für die syntaktische Realisierung einer semantischen Rolle ist wiederum jeweils eine bestimmte 'Canonical Structural Realization' (CSR; Chomsky 1986:87) belegt. So ist beispielsweise die kanonische Realisierung der ΘRolle LOK ('Lokalisierung') im Französischen die Präpositionalphrase; es gilt also: CSR(LOK) = PP. 45 Davon abweichende Realisierungen, wie in (2.2-3)
elle habite [DPParis/un grand immeuble...
LOK]
müssen im Lexikoneintrag des Verbs notiert werden, ansonsten leitet sich die C-Selektion aus der S-Selektion ab. Beispiele für die sog. kanonische Realisierung der Θ-Rolle LOK als Präpositionalphrase sind in (2.2-4.a) gegeben: (2.2-4)
43
a.
elle habite [pp à/dans/près de Paris /dans cet immeuble...
LOK]
„Each argument bears one and only one θ-role, and each θ-role is assigned to one and only one argument" (Chomsky 1981:36; cf. auch 1986:93,97).
44
In der Literatur besteht kein Konsens bezüglich des Inventars von Θ-Rollen: „There is no clear consensus among linguists as to how many theta-roles should be distinguished and there is some variation in the way in which particular labels are used" (Jones 1996:13). Cf. auch Beckmann (1997:36f) und Pollock (1997:49).
45
Die Bezeichnung einer solchen Präpositionalphrase als PP ist in diesem Zusammenhang vorläufig. In Abschnitt 2.2.5 werde ich dafür argumentieren, strikt zwischen referenziellen und nicht-referenziellen Syntagmen zu unterscheiden. Dies hat zur Folge, dass Präpositionalphrasen in Komplementposition als RP ('Raumphrase') aufzufassen sind.
71 Bisher wurde differenziert zwischen einer externen Θ-Rolle, die durch Zuweisung an eine Entität außerhalb der jeweiligen maximalen Projektion entladen wird, und den internen Rollen, die an phraseninterne XPs zugewiesen werden. Die Charakterisierung der Subjekt-0-Rolle als 'extern' wird jedoch obsolet, sobald man annimmt, dass das Subjekt innerhalb der VP in Spec,VP basisgeneriert und dann in eine höhere Position verschoben wird. Geht man mit Fukui/Speas (1986) davon aus, dass lexikalische Kategorien generell nur bis L' projizieren (cf. 2.1-25.a&b), kann als Ausgangsposition der Subjekt-DP natürlich nicht Spec,VP angenommen werden. Stattdessen müssten Subjekte als Schwester und Tochter von V' basisgeneriert werden. Damit hätte das Subjekt Adjunktstatus und wäre in Bezug auf die phrasenstrukturelle Repräsentation von anderen adjungierten XPs wie z.B. fakultativen Orts- oder Zeitangaben nicht zu unterscheiden. 46 Ein Ausweg wäre, einzig und allein für das phrasenintern basisgenerierte Subjekt eine Spezifikatorposition anzunehmen. An diesem Punkt zeigt sich deutlich der Vorteil der von Chomsky (1994, 1995) postulierten 'Bare Phrase Structure' (BPS): Die ausgiebig geführte theorieinterne Diskussion um Fragen der Projektionshöhe von lexikalischen und funktionalen Kategorien wird obsolet, wenn man annimmt, dass sich der Status einer Kategorie als minimal (X) oder maximal (XP) aus den jeweiligen konfigurationeilen Zusammenhängen ergibt. Die Hypothese vom VP-intern basisgenerierten Subjekt ('VP-Internal Subject Hypothesis'; im Folgenden VISH) erwächst im Wesentlichen aus θ-theoretischen Erwägungen: Die Subjektposition kann im Gegensatz zu anderen A-Positionen θ-unmarkiert sein, nämlich dann, wenn sie in Nicht-Pro-drop-Sprachen bei Konstruktionen mit Witterungsverben (frz. il pleut, dt. es regnet) oder in Expletivkonstruktionen (frz. il est arrivé une jeune fille, dt. da ist ein Monster im Garten) Spec,IP durch ein Expletivum wie il oder da gefüllt bzw. in Pro-dropSprachen durch pro besetzt ist (it. pro piove, span, llueve). Wenn jedoch das Subjekt wie im Regelfall vom Verb θ-markiert wird, dann macht es sich ungünstig bemerkbar, dass die in Spec,IP basisgenerierte (pronominale oder komplexe) Subjekt-DP als einzige Konstituente im Kontext von V ihre Θ-Rolle nicht im Rektionsbereich der rollenzuweisenden Kategorie (d.h. weder unter c- noch unter m-Kommando) erhält. Chomsky/Lasnik formulieren zusammenfassend: The status of [Spec, IP] is anomalous in several respects. One is that it may or may not be a θ-position, depending on lexical choices. ... [Spec, IP] is also the only position in which θ-role is not assigned within the m-command domain of a lexical head. Such idiosyncratic properties would be eliminated if we were to assume that a thematic subject originates from a position internal to VP, then raising to [Spec, IP] (1993:530).
Insbesondere die Auffassung vom Aufbau der Phrasenstruktur durch die Operationen Select, Merge und Move, wie sie im MP vertreten wird (cf. Abschnitt 2.1.5), lässt die Hypothese vom phrasenintern basisgenerierten Subjekt plausibel erscheinen. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Vorgang anhand eines der unter (2.2-4.a) gegebenen Beispiele, hier wiederholt als (2.2-4)
46
b.
elle habite à Paris
Es sei an dieser Stelle bereits daraufhingewiesen, dass Subjekte im Rahmen der Kayneschen AntisymmetrieTheorie als linksperiphere Adjunkte modelliert wird. Cf. Abschnitt 2.4.
72 Wie bereits in Abschnitt 2.1.5 beschrieben, werden in einem ersten Schritt die fur die Derivation benötigten lexikalischen und funktionalen Kategorien aus dem Lexikon selegiert (Operation Select). Die Numeration Ν enthält folglich neben den phonetisch overten lexikalischen und funktionalen Kategorien [d elle], [v habite], [ρ à] und [ν Paris] auch die entsprechenden funktionalen leeren Kategorien. Die Operation Merge verbindet dabei zunächst {0} und {Paris} mit dem Resultat {à {à Paris}}, wobei die neu entstandene Kategorie die grammatischen Merkmale der Präposition trägt und somit eine Projektion von P, also eine PP ist (Merge l). 47 Anhand der θ-theoretischen Erfordernisse der selegierten Kategorien wird auch klar, dass die Präposition diejenige Kategorie ist, die projizieren muss, da in ihrem Θ-Raster eine (interne) Rolle LOK verzeichnet ist, die sie an ein Komplement entladen muss (zur genauen Modellierung der unterschiedlichen Entladungsvorgänge cf. Abschnitte 2.2.3 und 2.2.4). Entsprechendes gilt für die Verbindung von {habite} und der durch Merge 1 entstandenen PP {à {à Paris}}: Die projizierende Kategorie ist das Verb, weil es eine interne Rolle zu vergeben hat, die ebenfalls auf ein Komplement abgebildet werden muss. Entsprechend der CSR(LOK) ist dies in diesem Falle die Präpositionalphrase {à Paris} (Merge 2). In einem dritten Schritt (Merge 3) erfolgt die Verbindung der verbalen Projektion {habite à Paris} mit der noch verbleibenden Kategorie {eile}. Hier muss wiederum das Verb die projizierende Kategorie sein, da es noch eine weitere Θ-Rolle, nämlich . zu vergeben hat. Die externe Rolle wird nicht von V alleine, sondern von V ' {habite à Paris} kompositionell, also von Verb und Komplement gemeinsam zugewiesen. 48 Die hierin bestehende Andersartigkeit der Θ-Rollenzuweisung an Komplemente und an Subjekte rechtfertigt auch weiterhin die terminologische Differenzierung zwischen externer und interner Θ-Rolle, auch wenn beiden Rollen streng genommen phrasenintern zugewiesen werden. Cf. zur Veranschaulichung die Darstellung im Strukturbaum, wobei in (2.2-4.c) die von Chomsky ursprünglich vorgesehene Klammernotation und in (2.2-4.d) die traditionelle Notationsweise verwendet wird: (2.2-4)
C.
{habite {elle} {habite à Paris}} {elle}
(à {à} {Paris}}
{à}—L0K
47
48
Merge 3 Merge2 Mergel
> {Paris}
In Abschnitt 2.2.5 werde ich dafür argumentieren, mit Longobardi (1994) generell zwischen referenziellen und nicht-referenziellen Nominalphrasen zu differenzieren und somit in Α-Positionen (Argumentpositionen) nur DPs zuzulassen. In einer solchen Sichtweise muss dem Merge von {à} und {Paris} selbstverständlich ein Merge von {Paris} mit einem leeren D vorangehen. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass die Θ-Rolle des Subjekts je nach Typ des Komplements variieren kann; cf. engl. Mary broke the window (Subj = AGENS) vs. Mary broke her arm (Subj = PATIENS). Zur kompositioneilen Rollenzuweisung cf. auch Authier/Reed (1992:298) und Williams (1995:106).
73 d.
VP
Merge 3
AGENS
Neben den angeführten (eher theorieinternen) Argumenten sind auch verschiedene datenorientierte Begründungen für VISH angeführt worden. So machen beispielsweise Webelhuth (1995:63) und Zribi-Hertz (1996:167) auf das Phänomen der 'Floating Quantifiers' im Französischen aufmerksam und werten die Tatsache, dass der Quantor tous in Strukturen wie (2.2-5)
a.
[ip
b.
[ip
tous les enfants^ verront) I [vp [spec.vp tous les enfants-^] verrontj ce film]] les enfantSi verrontj I [vp [spec.vp tous les enfants,] verrontj ce film]]
entweder links vom Subjekt (2.2-5.a) oder rechts vom Vollverb (2.2-5.b) erscheinen kann, als Evidenz dafür, dass die gesamte [QP tous [DP les enfants]] im Spezifikator der VP basisgeneriert wird und dann entweder im Ganzen (2.2-5.a) oder unter Zurücklassung des Quantors (2.2-5.b) nach Spec,IP bewegt wird. 49 Zwarts (1992:65f) generalisiert VISH über alle Phrasentypen: Unter dieser Voraussetzung wird auch in Kopula-Strukturen das Subjekt phrasenintern in Spec,XP basisgeneriert und dann in die overte Subjektposition angehoben: (2.2-5)
c.
d. e.
Marie¡ est¡ I [AuxP est¡ [ P P [spec.pp Marie¡][P· contre [ D p la peine de mort]]]]] [ip Marie-, ests I [Λι1χΡ est¡ [ΝΡ [spec.NP Marie¡][N· professeur à Paris VII]]]] [IP Marie¡ esf¡ I [AuxP est¡ [Ap [spec,ApMa«e¡][A· intelligente]]]]
[IP
Bei Small-Clause-Konstruktionen (SC) erfolgt demgegenüber keine Subjektanhebung: (2.2-5)
f.
g. h.
Pierre pensait [sc = PP [spec.pp Marie] contre la peine de mort] Pierre supposait [se = np [spec.NP Marié] professeur à Paris VII] Pierre considère [se = AP [spec,AP Marie] intelligente] (Beispiele teilweise nach Pollock 1997:62f)
Ist jedoch ein Klitikon als Subjekt der SC selegiert, wird es zusammen mit dem Verb angehoben: (2.2-5)
49
f. ' Pierre la¡ pensait [sc = PP [spec.pp M ] contre la peine de mort] g. ' Pierre la¡ supposait [se = np [spec.NP professeur à Paris VII]
Interessant ist, dass sich das P&P-Modell mit VISH der in Tesnière (1959) vertretenen und auch späteren valenzgrammatischen Arbeiten zugrunde liegenden Idee von der strukturellen Gleichwertigkeit der Aktanten annähert. Allerdings wird damit nicht - wie im dependenzgrammatischen Ansatz - auf die Annahme eines zentralen Satzknotens und damit auf die Möglichkeit einer differenzierten Darstellung der verschiedenartigen Abhängigkeitsverhältnisse von Subjekt, Komplement und Adjunkt verzichtet.
74 (2.2-5)
h.' Pierre la\ considère [se = AP [spec.AP As¡] intelligente]
Der Vorteil des phrasenintern basisgenerierten Subjekts ist also darin zu sehen, dass für die Subjekte aller Phrasentypen (NP, VP, AP, PP) und für alle Konstruktionstypen eine einheitliche Positionierung in der Konfiguration angenommen werden kann: „La définition des positions-Θ externes du français est maintenant simple : c'est la position de spécifieur des projections maximales de Ν, V, A, Ρ" (Pollock 1997:72). Damit ist auch klar, dass die Hypothese vom phrasenintern basisgenerierten Subjekt nicht auf das unpersönliche il in Konstruktionen mit Witterungsverben (il pleut) oder in Expletivkonstruktionen (il est arrivé une jeune fille) zutrifft: Es handelt sich hierbei um Elemente mit 'Platzhalterfunktion', die nicht θ-markiert sind und in Nicht-Pro-drop-Sprachen direkt in die oberflächensyntaktische Subjektposition eingesetzt werden. Im Folgenden gilt es zunächst, die Funktion von Ρ bei der Rollenzuweisung genauer zu fassen.
2.2.2
Rollenzuweisung in der PP: Ρ als Rollenzuweiser und -transmitter
In den Beispielen (2.2-4.a), hier wiederholt als (2.2-6) (2.2-6)
[vp elle [vp habite [PP à/dans/près de Paris /dans un grand immeuble /...]]]
wird die interne Rolle LOK aus dem Θ-Raster des verbalen Kopfes [v habite] auf Präpositionalphrasen wie à Paris, près de Paris oder dans un grand immeuble abgebildet. Damit ist jeweils eine gesamte PP Rollenempfanger. Der Kopf einer PP kann wiederum Rollenzuweiser sein, nämlich dann, wenn wie in (2.27.a&b) der Kopf der an V' adjungierten PP seinem Komplement die Θ-Rolle LOK (Lokalisierung im lokalen bzw. temporalen Raum) und jeweils der gesamten Kategorie VP die externe Θ-Rolle THEMA zuweist: 50 (2.2-7)
a. b.
[vp [VP elle regarde la télé THEMA] [ PP à [up Paris LOK]]] [VP [VP elle regarde la télé THEMA][PP À [op minuit LOK]]]
Im Kontext von (2.2-7) sind selbstverständlich auch PP-Adjunkte denkbar, in denen der Kopf Ρ seinem Komplement eine andere Rolle als LOK zuweist, nämlich beispielsweise die der Begleitung oder Gemeinschaft im weitesten Sinne, hier abgekürzt mit KOM (Komitativ): (2.2-7)
50
c.
[VP [vp elle regarde la télé THEMA] [PP avec [DP un ami KOM]]]
Die an dieser Stelle provisorisch gewählte Formulierung, derzufolge die Präposition der Kategorie VP die Rolle THEMA zuweist, ist insofern irreführend, als hierdurch suggeriert wird, die θ-spezifìsche Bindung eines Adjunkts an die jeweils modifizierte Kategorie entspräche der Zuweisung einer Θ-Rolle an ein Komplement durch den jeweiligen Phrasenkopf. Mit Hilfe einer differenzierten Θ-Theorie, wie sie Higginbotham (1985) vorgelegt hat, können derartige Unterschiede explizit gemacht werden (cf. 2.2.3).
75 Festzuhalten ist: Die adjungierten PPs in (2.2-7.a,b&c) sind keine Rollenempfánger, da das ΘRaster des Verbs regarder keine Position enthält, die auf die entsprechenden PPs abzubilden wäre; der jeweilige Kopf Ρ hingegen ist Rollenzuweiser fur sein jeweiliges DP-Komplement. In (2.2.-6) hingegen sind PPs wie à Paris /dans Paris /dans un grand immeuble etc. keine optionale Konstituente (Adjunkt), sondern ein vom Verb lexikalisch gefordertes Lokalkomplement und - wie bereits ausgeführt - im ganzen Θ-Rollenempfánger (s.o.). Welche Bedeutung kommt nun aber dem präpositionalen Kopf einer solchen obligatorischen Lokalergänzung in Bezug auf die Zuweisung der Θ-Rollen zu? Ist Ρ lediglich Vermittler von Θ-Eigenschaften oder selbst wiederum Rollenzuweiser? Denkbar ist es, das Verhältnis von präpositionalem Kopf zu seinem Komplement dahingehend zu interpretieren, dass Ρ als Rollentransmitter die vom Verb obligatorisch vergebene Θ-Rolle LOK an die jeweilige Nominalphrase (hier: Paris bzw. un grand immeuble) weiterleitet. Dies entspräche der Transmitterfunktion, die Rauh in zahlreichen Arbeiten (1993a:50, 1995b: 161) fur die sog. 'regierten' Präpositionen (regP)51 identifiziert hat, nur mit dem Unterschied, dass die Weitergabe der Θ-Eigenschaften vom Verb an die ortsbezeichnende DP vermittels Ρ nicht an eine einzige, im Lexikoneintrag des Verbs festgeschriebene Präposition gebunden wäre, sondern durch das gesamte Inventar derjenigen Präpositionen geleistet werden könnte, in deren Θ-Raster sich ihrerseits die Θ-Rolle LOK findet. Dies scheint aber gerade dafür zu sprechen, auch dem Kopf einer PP in den Beispielen (2.2.-6) die Fähigkeit zur Θ-Rollenzuweisung zuzusprechen. In einer solchen Sichtweise sind PPs generell als potenzielle Rollenempfänger, präpositionale Köpfe hingegen - mit Ausnahme der regP - als Rollenzuweiser aufzufassen. (2.2-8)
b. (= 2.2-7.a)
a. (= 2.2-6) elle habite
; [PPà
; [dp-Farà]]
i
LOK
I
elle regarde la télé
[ppà I
i [dp.Pans]] LOK Φ
LOK Es stellt sich allerdings die Frage, ob mit der in (2.2-8.a) skizzierten Auffassung eine Verletzung des Θ-Kriteriums einhergeht, und zwar dahingehend, dass die DP Paris einerseits von der Präposition und andererseits vom Verb eine semantische Rolle erhält. Anhand einer differenzierteren Θ-Theorie, wie sie Higginbotham (1985) vorgelegt hat, wird jedoch deutlich, dass dem nicht so ist (cf. im Einzelnen Abschnitt 2.2.3). 51
Für das Englische nennt Rauh z.B./or in (to) apologize for (1993b:51, 1995a: 165). Als Beispiele für regierte Präpositionen im Französischen und deren Funktion als Θ-Rollentransmitter können die nachfolgenden Elemente angeführt werden: (i) à in elle donne le livre à Pierre Ρ leitet die von V vergebene Θ-Rolle FINAL an [dpPierre] weiter Ρ leitet die von V vergebene Θ-Rolle THEMA an [DP Pierre] weiter (ii) à in elle pense à Pierre Ρ leitet die von V vergebene Θ-Rolle THEMA an [DP Pierre] weiter (iii) sur in elle compie sur Pierre (iv) de in elle est amoureuse de Pierre Ρ leitet die von A vergebene Θ-Rolle THEMA an [DP Pierre] weiter Ebenso kann das Verb habiter in der Bedeutungsvariante 'zusammenwohnen mit' ein durch regP markiertes Komplement fordern: Elle habite avec Pierre. Dann leitet Ρ die von V vergebene Θ-Rolle KOM an die Determinansphrase [dp Pierre] weiter.
76 Bezüglich der rollensemantischen Eigenschaften präpositionaler Köpfe und der entsprechenden Projektionen sind vorläufig folgende drei Möglichkeiten festzuhalten: Erscheint die PP in Adjunktposition, erhält sie keine Θ-Rolle von einem übergeordneten lexikalischen Kopf und ist somit kein Rollenempfänger. Der Kopf Ρ ist allerdings Θ-Rollenzuweiser in Bezug auf sein DP-Komplement (Beispiele 2.2-7.a,b&c). Erscheint die PP in Komplementposition, erhält sie unter Rektion von einem übergeordneten lexikalischen Kopf L eine Θ-Rolle (PP als Rollenempfánger). Ist die Wahl des Kopfes Ρ im Lexikoneintrag von L festgeschrieben, dann fungiert die Präposition lediglich als Rollentransmitter, womit der gesamten PP der Status einer (inhärent) kasusmarkierten Nominalphrase zukommt. Dies ist beispielsweise der Fall bei engl, (to) rely on s.o., frz. compter sur qn oder span, contar con alguien. In diesen Fällen soll mit Rauh (passim) von 'regierten' Präpositionen (regP) gesprochen werden. Ob auch die das indirekte Objekt markierende Präposition à in gleicher Weise zu den regP zu rechnen ist, muss noch entschieden werden. Wenn die PP in Komplementposition erscheint und dementsprechend unter Rektion eine ΘRolle erhält (PP = Rollenempfánger), der Kopf Ρ abweichend vom o.g. Fall jedoch nicht lexikalisch gefordert wird, dann ist die Präposition ihrerseits Rollenzuweiser in Bezug auf ihr DPKomplement oder zumindest an der Θ-Rollenzuweisung beteiligt (Beispiele 2.2-4).
2.2.3
Lizenzierung syntaktischer Positionen durch Θ-Rollenentladung: Higginbotham (1985) und Weiterentwicklung bei Zwarts und Rauh
Hält man sich nochmals vor Augen, dass ein lexikalischer Kopf X nur diejenigen phrasalen Kategorien c-selegiert, denen er entsprechend seinem Θ-Raster eine Rolle zuweisen kann, so wird die Abhängigkeit syntaktischer von semantischen Eigenschaften oder - um mit Rauh zu sprechen - der Status der Θ-Rollen als „Schnittstelle von Syntax und Semantik" (1993b:32, 1995a: 152) deutlich. Unter Bezugnahme auf das von Chomsky (1986) eingeführte Prinzip der Lizenzierung52 heißt das, dass syntaktische Positionen u.a. über die Zuweisung von Θ-Rollen lizenziert werden. Die von Higginbotham (1985) zunächst mit Blick auf die Kategorien V und Ν entwickelte und von Zwarts (1992:45-68) konsequent auf die Θ-Eigenschafìten von Präpositionen und deren maximalen Projektionen übertragene Variante der Θ-Theorie ermöglicht eine detaillierte Beschreibung der unterschiedlichen Mechanismen, die für die Lizenzierung syntaktischer Strukturen durch Θ-Eigenschaften von Wichtigkeit sind. Das entscheidende Novum in Higginbothams Ansatz ist die Annahme einer referenziellen Rolle im Θ-Raster eines Ausdrucks. So enthält beispielsweise der Eintrag für das englische Verb see neben den Positionen für das externe und interne Argument, die auf entsprechende syntaktische Konstituenten abgebildet werden müssen, eine Position für die Ereignisrolle (1985:555). Da alle Positionen des Rasters durch Entladung ('discharge') gesättigt ('saturated') werden müssen,53 ist auch die Ereignisrolle für die Lizenzierung syntaktischer Positionen verantwortlich und weist damit ein Erklärungspotenzial bezüglich der Instanziierung des X-bar52
„Every element that appears in a well-formed structure must be licensed in one of a small number of available ways" (Chomsky 1986:93).
53
„Every thematic position is discharged" (Higginbotham 1985:561).
77 Schemas durch eine sprachliche Einheit auf. Für die Entladung der Θ-Rollen sind in Higginbothams Modell drei unterschiedliche Modi vorgesehen (1985:559-564). Im Falle der Θ-Markierung wird eine interne Rolle des lexikalischen Kopfes an sein Komplement entladen, welches auf diese Weise lizenziert wird. Durch Θ-Identifikation werden Adjunkte lizenziert, und zwar indem die externe Rolle des Adjunkts mit der referenziellen Rolle des Kopfes X identifiziert und auf diese Weise durch Entladung gesättigt wird. Bei der Θ-Bindung bindet der Spezifikator die referenzielle Rolle des lexikalischen Kopfes, also beispielsweise beim Verb, die dadurch entladen und saturiert wird (Lizenzierung von Spec,XP).54 Diesen Mechanismus verdeutlicht Higginbotham anhand der Nominalphrase [DP the dog]: Solange die referenzielle Rolle des [N dog] ungesättigt ist, denotiert es „each of the various dogs" (1985:560). Wird die Projektion von Ν durch ein D in Spec,NP vervollständigt, ist sie referenzfahig und kann einen oder mehrere Hunde (the dog, this dog, these dogs etc.) bzw. bei generischer Bezugnahme die entsprechende Klasse denotieren: [ n p [ s p e c . N P D] dogs]. Damit gilt als gesättigt. In der von Higginbotham (1985:560) übernommenen Darstellung in (2.2-9) zeigt der Asterisk * die Sättigung der referenziellen Rolle an. Zugleich wird klar, daß die Lizenzierung eines Spezifikators an die Präsenz einer referenziellen Rolle im Θ-Raster des Phrasenkopfes gebunden ist: (2.2-9)
a.
NP * Spec.NP = Di the this
a
Ν' I Ν dog
b.
NP * Spec.NP = Di
Ν' I Ν dogs
Evidenz für die Referenzialität von NPs mit besetztem Spec - bzw. fur die Referenzialität der DP - liefern auch die exophorischen Deiktika, die solche maximalen Projektionen substituieren können: wer ist denn [DP jener/dieser junge Mann?] —» wer ist denn der? (Rauh 1997b:417). Gleiches gilt für die Sättigung der referenziellen Rolle eines Verbs: „the position E of the thematic grid of the verb is discharged at the point where VP meets Infi" (Higginbotham 1985:561). Auch hier können exophorische Deiktika die betreffende CP ersetzen: ich hätte nicht erwartet, [cp dass du mich belügst] —> das hätte ich nicht erwartet (Rauh 1997b:417). Damit ist Θ-Bindung als Relation zwischen einer lexikalischen Kategorie und einer übergeordneten funktionalen Projektion mittels Koindizierung der referenziellen Rolle des lexikalischen Kopfes mit dem betreffenden funktionalen Kopf definiert,55 d.h., das Vorhandensein einer referenziellen Rolle und einer erweiterten Projektion mit einem funktionalen Kopf F bedingen sich gegenseitig. Dementsprechend argumentiert Zwarts (1992:196-207) analog zur
54
Die Modi der Θ-Rollenentladung werden weiter unten anhand französischen Beispielmaterials gesondert er-
55
Zwarts gibt folgende, gegenüber Higginbotham (1985) modifizierte Definition von Θ-Bindung: , A functional
läutert. head F theta-binds a lexical projection LP iff: a. F and LP are sisters, and b. F is coindexed with the referential argument of LP" (Zwarts 1992:62).
78 DP-Hypothese für die Annahme eines funktionalen Kopfes R 56 in der erweiterten Projektion von P. Anhand der Gegenüberstellung von Nominal- und Präpositionalphrase in (2.2-10) wird deutlich, dass der funktionale Kopf R die referenzielle Rolle der Präposition in gleicher Weise θ-bindet wie in der erweiterten Projektion von Ν der Determinant die referenzielle Rolle von Ν bindet: (2.2-9)
c.
DP D¡
d.
NP I Ν
Damit erscheint die Präposition nicht wie in Grimshaws Modell als funktionaler Kopf im Rahmen einer erweiterten Projektion von N, sondern bildet selbst eine erweiterte Projektion. Dies kann allerdings nur Geltung haben für P, in deren Θ-Raster eine referenzielle Rolle, nämlich , verzeichnet ist. Analog zur von Higginbotham für V identifizierten Ereignisrolle nimmt Zwarts für alle lexikalischen Kategorien eine referenzielle Rolle an. Ausgehend von der Annahme, dass die Präposition grundsätzlich auf einen Raum referiert, wird für Ρ die Rolle ('space') postuliert (1992:58f). Nach Rauh (1995a:160) kann es sich dabei um einen lokalen, einen temporalen oder einen skalaren Raum handeln. Französische Beispiele sind in (2.2-10) gegeben: (2.2-10)
a. b. c.
avant sous (de la table) en-dessous (de zéro degré)
Auch hier liefern die entsprechenden deiktischen Proformen Evidenz für die Referenzialität maximaler Projektionen von P: der Stuhl stand schon immer [PP am Fenster] —> der Stuhl stand schon immer da/dort (Rauh 1997b:418). Die referenzielle Rolle kann nun durch ΘIdentifikation Adjunkte und mittels Θ-Bindung einen Spezifikator im Kontext von Ρ bzw. den referenzbestimmenden funktionalen Kopf R und damit dessen maximale Projektion lizenzieren. Semantisch lässt sich dies folgendermaßen begründen: Ein Spezifikator wie juste in [pp [spec.pp juste][r derrière la maison]] spezifiziert den kategorienspezifischen Referenzbereich des Raumes ebenso wie die an P' adjungierte PP près de Paris in (2.2-11)
elle habite [PP [p- [p- dans [DP une petite ville]] [PPprès de[DP Paris]]]
den durch die [PP dans une petite ville] denotierten Raum modifiziert. Die Differenzierung zwischen (modifizierendem) Adjunkt und (spezifizierendem) Spezifikator ergibt sich aus dem bereits erwähnten Konjunktionstest, demzufolge ein ungrammatisches Ergebnis wie *elle se 56
Die Bezeichnung R für den funktionalen Kopf wählt Zwarts in Anlehnung an eine Arbeit von H. van Riemsdijk (A Case Study in Syntactic
Markedness:
the Binding Nature of Prepositional
Phrases,
Lisse 1978), der
fur das Niederländische mit den sog. „R-Pronouns" eine Klasse von Einheiten identifiziert, als deren zentrales Kennzeichen er ihre Fähigkeit herausstellt, als Proformen PPs zu substituieren, und die auf lautlicher Ebene alle das Phonem /r/ enthalten (cf. Zwarts 1992:197).
79 trouve juste derrière la maison et elle se trouve juste fur den Spezifikatorstatus der betreffenden Einheit spricht. Damit ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, welche Elemente im Kontext von Ρ konkret als Θ-Binder der referenziellen Rolle zu betrachten sind und ob die von Zwarts postulierte Generalisierung der DP-Hypothese über Ρ überhaupt durch entsprechende oberflächensyntaktische Befunde gestützt wird. Diese Frage wird im Zusammenhang mit der Exemplifizierung der Higginbothamschen Entladungsmodi anhand französischen Beispielmaterials zu klären sein und sei dementsprechend bis zum Ende dieses Kapitels zurückgestellt. Als grundlegendes Θ-Raster von Ρ soll angenommen werden, wobei jeweils als , oder auszubuchstabieren ist. Die eckige Klammerung zeigt an, dass die nicht alle präpositionalen Elemente über eine referenzielle Rolle verfügen. Ist eine solche jedoch präsent, muss sie auch entladen werden. Abweichend hiervon kann die Entladung der internen Rolle (2) - hier symbolisiert durch runde Klammern - fakultativ sein (intransitive Präpositionen). Der externen Rolle entspricht grundsätzlich die semantische Interpretation THEMA, fur die interne Rolle können die Rolleninterpretationen LOK, ZIEL, PFAD und HERKUNFT identifiziert werden. Als Beispiele für die semantische Interpretation der internen Rolle als LOK können u.a. sous, derrière, après angeführt werden; fur die Rolleninterpretation ZIEL entsprechend vers, fur PFAD par oder via und fur HERKUNFT depuis. Die vier genannten Rolleninterpretationen haben Gültigkeit für die von Rauh als lexP identifizierte Subklasse. Andere Rolleninterpretationen wie KOM in elle regarde la télé [PP avec un ami] oder INST in elle ouvre la porte [PP avec un marteau] sind selbstverständlich möglich, allerdings nur bei Präpositionen, für die wegen der fehlenden Referenz auf einen Raum keine referenzielle Rolle anzunehmen ist. Die Unterscheidung zwischen im Θ-Raster festgeschriebener Rollen- oder Argumentstruktur und semantischer Interpretation wird im Folgenden nicht beibehalten; statt dessen erscheinen die semantischen Rolleninterpretationen wie THEMA, ZIEL, LOK etc. entsprechend der von Zwarts (1992) gegebenen Darstellung direkt im Θ-Raster. Das von Higginbotham mit Blick auf Ν und V entwickelte und von Zwarts über die übrigen lexikalischen Kategorien generalisierte Modell wurde von Rauh in zahlreichen Arbeiten zum Englischen für eine detaillierte Beschreibung der syntaktisch-semantischen Eigenschaften präpositionaler Elemente nutzbar gemacht. Im folgenden Abschnitt soll anhand von französischem Beispielmaterial im Einzelnen gezeigt werden, wie im Kontext von Ρ syntaktische Positionen durch die Sättigung der einzelnen Positionen im Θ-Raster mittels der drei genannten Entladungsmodi Θ-Markierung, Θ-Identifikation und Θ-Bindung lizenziert werden.
2.2.4
Die Modi der Θ-Rollenentladung
Die externe Rolle einer Präposition kann über zweierlei Modi entladen werden. Bei der Entladung mittels Θ-Identifikation wird die PP in Adjunktposition lizenziert. So wird beispielsweise in (2.2-12)
[¡Ρ Marie-, dort) [VP Marie, [Ν [V· ehrt^w dans le jardin\\\
80 die externe Rolle von Ρ mit der referenziellen Rolle des Verbs koindiziert, womit zwischen der [ PP dans le jardin] und der VP eine Modifikationsbeziehung vorliegt. Damit ist die externe Rolle von dans saturiert, nicht jedoch die Ereignisrolle des Verbs dort. Die Sättigung der referenziellen Rolle von V erfolgt, wie bereits unter 2.2.3 besprochen, durch Θ-Bindung, und zwar genau dann, wenn [v dort] durch die Projektion des funktionalen Kopfes I (bzw. T) als finite Verbform lizenziert wird (Koindizierung von mit I bzw. T). Tritt eine PP als Adjunkt zu PP auf, dann wird die externe Rolle des Kopfes der adjungierten Phrase nicht mit I, sondern mit der referenziellen Rolle des Kopfes der Matrix-PP koindiziert. Auf diese Weise wird beispielsweise in (2.2-11) die [ppprès de Paris] durch Θ-Identifikation als (oberflächensyntaktisch postmodifizierendes) Adjunkt zur [PP dans une petite ville] lizenziert. Zur Veranschaulichung sind nachstehend in (2.2-13) die Beispiele (2.2-11) und (2.2-12) im Strukturbaum dargestellt: (2.2-13)
a.
PP als postmodifizierendes Lokaladjunkt zu PP (= 2.2-11 ) PP PP
PP
près de Paris cTHEMAi. LOK, S>
DP
Ρ
une petite ville dans
b.
PP als postmodifizierendes Lokaladjunkt zu VP (= 2.2-12) VP VP Spec,VP Marie
PP ,
m
VP
dans le jardin cTHEMAi. LOK, S>
|
V dort
Die Entladung der externen Rolle eines präpositionalen Kopfes mittels Θ-Markierung setzt die bereits in Abschnitt 2.2.1 erwähnte Annahme des phrasenintern in Spec,XP basisgenerierten Subjekts voraus (cf. Zwarts 1992:65). Analog zum in Spec,VP basisgenerierten Subjekt der Verbalphrase nimmt Zwarts an, dass auch eine PP ein Subjekt haben kann, das phrasenintem in der Spezifikatorposition basisgeneriert wird. Dies ist der Fall beim prädikativen Gebrauch von PPs in Kopula-Strukturen. In (2.2-5.c), hier wiederholt als (2.2-14)
a.
[ip...
[AUXP
est [pp Marie [p· contre
[DP
la peine de mort]]]]]
81 muss zur Herleitung der korrekten Wortstellung die [DP Marie] aus der Basisposition Spec,PP nach Spec,IP (bzw. Spec,TP) angehoben werden. Die externe Rolle der Präposition wird mit der referenziellen Rolle von Marie - diese ist bei Ν stets und mit der externen Rolle identisch - koindiziert und auf diese Weise entladen: (2.2-14)
b.
AuxP Aux
PP
est
Spec,PP
P'
Marie
Ρ
DP
dans
le jardin
Gleiches gilt auch fur Small-Clause-Konstruktionen wie (2.2-5.Í), hier wiederholt als (2.2-14)
c.
Pierre pensait
[SC/PP
[spec.pp Marie]
co«fre la peine de mort]
Auch hier wird die externe Rolle von Ρ mit der referenziellen Rolle des Subjekts koindiziert. Die Entladung der internen Rolle ist einzig und allein durch Θ-Markierung möglich. Hierbei wird ein Komplement durch Koindizierung der internen Rolle des Phrasenkopfes mit der referenziellen Rolle des Komplements lizenziert. So wird in den Beispielen (2.2-6), hier auszugsweise wiederholt als (2.2-15)
a.
[vp elle habite [pp dans un grand immeuble]]]
einerseits die [PP dans un grand immeuble] als Komplement des Verbs (Koindizierung der referenziellen Rolle von Ρ mit der internen Rolle der Verbform habite) und andererseits die [DP un grand immeuble] als Komplement von Ρ lizenziert (Koindizierung der referenziellen Rolle von immeuble mit der internen Rolle von dans): (2.2-15)
b.
VP
Spec,VP
V'
elle
ν
PP
habite
Ρ
DP
dans
un grand immeuble
Die Entladung der referenziellen Rolle einer lexikalischen Kategorie kann über Θ-Markierung, Θ-Identifikation oder Θ-Bindung erfolgen.
82 Durch Θ-Markierung, d.h. durch Koindizierung der referenziellen Rolle von Ρ mit der internen Rolle des rollenzuweisenden Kopfes V, wird eine Präpositionalphrase als Komplement lizenziert. Dies wurde soeben in (2.2-15.b) exemplifiziert. Wichtig ist hierbei, dass es die referenzielle Rolle der Präposition dans und nicht diejenige von immeuble ist, die mit der internen Rolle des verbalen Kopfes koindiziert wird. Auf diese Weise wird deutlich, dass bei einer Struktur wie ''habiter + Lokalkomplement' keine doppelte Θ-Markierung vorliegt, da das Verb seine interne Θ-Rolle LOK durch Koindizierung mit von P, die Präposition hingegen ihre interne Rolle LOK durch Koindizierung mit von [N immeuble] entlädt. Durch einen anderen Modus der Rollenentladung, durch Θ-Identifikation, werden PP-interne Adjunktpositionen lizenziert. Dieser Vorgang wurde bereits im Strukturbaum (2.2-13.a) dargestellt (Koindizierung der referenziellen Rolle von Ρ mit der externen Rolle des Kopfes des Adjunkts: dans une petite ville près de Paris). Schließlich kann die referenzielle Rolle über den Modus der Θ-Bindung entladen werden. Bei Generalisierung der DP-Hypothese über alle lexikalischen Kategorien (cf. 2.2-9) wird hierdurch die funktionale Projektion RP in der erweiterten Projektion von Ρ lizenziert. Geht man von einer solchen RP aus, sind Adverbien wie juste in (2.1-16.a) juste derrière la maison und peu in (2.1-16.b) peu après la guerre oder Maßangaben wie une semaine in (2.1-16.d) une semaine avant Noël nicht als Spezifikatoren der PP aufzufassen (cf. 2.1-17), sondern besetzen die Spec-Position in der übergeordneten funktionalen Projektion RP.57 Im funktionalen Kopf R selbst sind laut Zwarts (1992:199) Proformen wie nl. hier/er bzw. entsprechend frz. ici/là angesiedelt, die entweder pronominal (bzw. als intransitive lokale Präposition) verwendet werden können wie in (2.2-16) a. nl. Jan woont hier/er b. frz. Jean habite ici/là oder aber als „determiner of a prepositional phrase" (bzw. als Kopf R) fungieren können wie in (2.2-17) a. b.
nl. Jan woont hier in Utrecht frz. Jean habite ici à Paris
Ist in einer Äußerung kein Element vorhanden, das die Kopfposition in der postulierten RP besetzen könnte, nimmt Zwarts ein leeres R an, um die Θ-Bindung der referenziellen Rolle von Ρ zu gewährleisten: (2.2-18) a. b.
nl. [RP R¡ [ pp achter [Dp de tafel]]] (Beispiel nach Zwarts 1992:200) frz. [RP RI [PP derrière [DP la table]]]
Ebenso können in der funktionalen Projektion RP sowohl Kopf- als auch Spec-Position overt besetzt sein: 57
Entsprechendes sieht Wege (1997:25) fur das Englische vor.
83 (2.2-18)
c.
[RP [ s p e c . R P [ r ' « ] Í [PP derrière=\\>[m· la table]]}]
Als Kandidaten fur den Θ-Binder der referenziellen Rolle einer lexikalischen Präposition im Französischen kommen also zunächst die traditionell als Adverbien klassifizierten Einheiten ici und là in Frage. Im Anschluss an Rauh (1997b:426-433), die am Beispiel des Deutschen verdeutlicht, dass sowohl im Kontext von Ν und V als auch von Ρ mit D und T 58 bzw. mit R „referenzbestimmende Operatoren" (426) zu identifizieren sind, welche jeweils durch ein identisches Repertoire von Merkmalspezifikationen beschrieben werden können, lassen sich weitere Einheiten R ausfindig machen. Die Argumentation von Rauh sei im Folgenden verkürzt wiedergegeben: Maßgeblich fur die Funktion von D als Θ-Binder fur von Ν ist das Merkmal [±def], wobei der bestimmte Artikel der59 mit [+def], der unbestimmte Artikel ein sowie irgendein mit [-def] spezifiziert sind. Daneben können auch deiktische Artikel die „Position eines Determinans mit referenzbestimmender Funktion" (427) besetzen, wobei wiederum zwischen dem mit [+deik(tisch); +prox(imal)] spezifizierten dieser und den entsprechend mit [+deik; -prox] spezifizierten Einheiten der und jener zu unterscheiden ist. Définit, aber nicht deiktisch, also [+def; -deik], ist schließlich der bestimmte Artikel bei generischer Bezugnahme. Gleiches gilt fur jeder. Entsprechend der Tatsache, dass das Merkmal [±prox] als Spezifikation deiktischer Determinanten das Merkmal [+deik] voraussetzt, welches wiederum [+def] voraussetzt, ergibt sich die (2.2-19) skizzierte Merkmalhierarchie. (2.2-19)
[ ±def 1
Diese ist nicht nur fur die Elemente der Kategorie D, sondern auch für die Θ-Binder der referenziellen Rolle von P, also für alle Elemente R, gültig. Die „strikte Analogie referenzbestimmender Elemente im nominalen und präpositionalen Kontext" (Rauh 1997b:428) wird anhand der deutschsprachigen Beispiele Rauhs deutlich, die in (2.2-20) tabellarisch zusammengestellt und durch die entsprechenden französischen R-Elemente ergänzt werden.
58
Rauh identifiziert entsprechend der Split-Infl-Hypothese den funktionalen Kopf Τ als Θ-Binder der verbalen Ereignisrolle.
59
Selbstverständlich ist hier und im Folgenden immer das gesamte Paradigma der Determinanten mit entsprechender Genus-, Kasus- und Numerusmarkierung, also der, die, das etc. mitgemeint.
84 (2.2-20)
[-def]
Elemente der Kategorien D und R im Deutschen und im Französischen deutsch (Beispiele nach Rauh 1997b:428) D-Elemente R-Elemente (a) Du sollst mir nicht irirgendein, (d) Leg das Buch nicht irirgendwo gendein Buch geben... ein gendwo auf den Tisch ...
|
frz.
Γ+def -deik
(b) Der / jeder Mensch ist schlecht.
jeder, der (generisch)
(e) Überall auf der Welt gibt es schlechte Menschen.
überall
quelque part, η 'importe où partout
Γ+def +de¡k +prox
(a) ...sondern dieses (Buch), (c) Ich habe nicht dieses Buch gemeint... (c) ... sondern das /jenes (Buch).
dieser
(d) ... sondern hier (auf den Tisch). (f) Das Buch ist nicht hier im Schrank ... (f) ... sondern da/dort (im Schrank).
hier
ici
da, dort
là, là-bas
Γ+def +deik -prox
der, jener
Zur Veranschaulichung sei nachstehend in (2.2-21) fur einige der bisher angeführten französischen Beispiele die Darstellung im Strukturbaum gegeben, wobei die Lizenzierung der funktionalen Projektion RP jeweils an die Annahme einer referenziellen Rolle im Θ-Raster von Ρ gebunden ist. Diese wird durch den Prozess der Θ-Bindung (Koindizierung mit dem funktionalen Kopf R) entladen. Das von Zwarts angenommene leere R, das die Bindung der referenziellen Rolle gewährleistet, ist jeweils durch 0 symbolisiert. (2.2-21)
RP Spec,RP
R' PP
R>
DP (2.1-16.a)
juste
(2.1-16.d) une semaine (2.2-16.b) (2.2-17.b) (2.2-18.b) (2.2-18.C)
ici ici
0 juste
derrière avant
la maison Noël
à derrière derrière
Paris la table la table
Betrachten wir noch einmal die Beispiele (2.2-16.b) und (2.2-17.b). Wie bereits bei der Besprechung der Spezifikatorposition in der PP in Abschnitt 2.1.2 angemerkt, sind Konstruktionen wie (2.2-17.b) ici à Paris strukturell ambig: Einerseits lässt sich - wie oben in (2.2-21) ici als funktionaler Kopf R in der erweiterten Projektion von Ρ und damit als Θ-Binder für die referenzielle Rolle der Präposition à interpretieren. Andererseits kann ici als intransitive lokale Präposition und damit selbst als Kopf einer PP aufgefasst werden, in deren Kontext eine weitere PP - nämlich à Paris - adjungiert ist. Eine PP mit der intransitiven Ρ ici als Kopf lizenziert wiederum eine erweiterte Projektion RP. Allerdings muss hierbei der Kopf R leer sein, da die Spezifizierung einer solchen [PP/'C/] durch die in (2.2-20) als Θ-Binder identifizier-
85
ten Elemente aus semantischen Gründen ausgeschlossen ist (z.B. *là ici, *quelque part ici, *ici ici). Im Spezifikator der erweiterten Projektion kann dann das Element juste erscheinen: (2.2-22)
a.
[rp
[s
P
ec,RPi"5/e][
R
·
R¡ [ P P [ P · ici ][ PP à Paris]]]]
Gleiches gilt selbstverständlich für Beispiel
(2.2-18.C),
hier in der zweiten Lesart wiedergege-
ben als (2.2-22)
b.
[rp [spec,RPjusté][r' Ri [pp[p· ici ][?? derrière la
table]]]]
Die Darstellung in (2.2-21) trifft somit nur fur die erste der beiden Lesarten von (2.2-17.b) und (2.2-18.C) zu. Die beiden möglichen Lesarten - ici als funktionaler Kopf R vs. ici als intransitive Ρ mit (fakultativem) präpositionalem Adjunkt - seien nachfolgend in der Repräsentation als Strukturbäume (2.2-23.a) bzw. (2.2-23.b) einander gegenübergestellt. D i e adjungierten PPs [pp à Paris] bzw. [pp derrière
la table] sind als optionale Konstituenten geklam-
mert. (2.2-23)
a.
RP R'
Spec.RP
PP
Ri
I (2.2-17.b) (juste) (2.2-18.C) juste b.
; ici ici
Ρ < 1 , 2 , S> à derrière
DP Paris latable
RP R'
Spec.RP
PP
Ri
i i i (2.2-22.a) juste (2.2-22.b) juste
< 1 , 2, Si>
i I I
P' I Ρ
0 0
ici ici
(RP) : I
(à Paris) (derrière la table)
Zugleich wird deutlich, dass die in (2.2-21) gegebene Repräsentation fur (2.2-16.b) ici im höchsten Maße problematisch ist, da wir es demnach mit der intransitiven Verwendung einer funktionalen Kategorie zu tun hätten. Funktionale Köpfe aber haben kein eigenes Θ-Raster, sondern dienen als Θ-Binder der referenziellen Rolle einer lexikalischen Kategorie. Demnach können sie nicht eigenständig referieren und folglich auch nicht ohne Komplement auftreten. Der Vergleich mit der erweiterten Projektion des Verbs macht dies deutlich: Eine funktionale Kategorie wie I macht ohne die verbale Basis wenig Sinn und kann folglich auch nicht ohne
86 VP in Komplementposition auftreten. Gleiches gilt fur die Θ-Binder nominaler Elemente, da D-Elemente wie der Artikel [+def] oder auch Demonstrativpronomina wie ce bekanntlich nicht ohne nominales Komplement auftreten können. Insofern erscheint es sinnvoll, mit Rauh (1997b:429, 439), für sämtliche Θ-Binder der Kategorien R und D, die oberflächensyntaktisch auch intransitiv auftreten können, neben einer funktionalen Variante auch eine lexikalische anzunehmen. Demnach kann beispielsweise die Form ici entweder lexikalische Instanziierung des Θ-Binders fur die referenzielle Rolle von Ρ oder (intransitive) Präposition und damit ein lexikalisches Formativ sein. Da es sich bei der lexikalischen Variante von ici um eine lokale Präposition handelt, muss diese - wie aus der Darstellung in (2.2-23.b) deutlich wird durch eine funktionale Projektion RP eingebettet werden. Festzuhalten ist, dass die referenzielle Rolle eines Elements der Kategorie Ρ Adverbiale wie juste oder Maßphrasen wie une semaine, deux mètres etc. im Kontext einer Präpositionalphrase lizenziert. Dies gilt letztlich unabhängig davon, ob die entsprechenden Elemente in Spec,RP oder nach dem traditionellen Modell in Spec,PP situiert werden. 60 Ausgehend von der bilateralen Wirksamkeit des Lizenzierungsprinzips heißt das umgekehrt, dass Präpositionen, die keinen Spezifikator zulassen wie die in (2.1-19) genannten Beispiele, hier wiederholt als (2.2-24)
a. b.
*il le donne juste / peu / une semaine à la concierge *elle regarde la télé juste avec un ami
auch keine referenzielle Rolle haben können. Damit muss das am Schluss von Abschnitt 2.2.3 als fur die Kategorie Ρ grundlegend angenommene Θ-Raster jeweils für die einzelnen präpositionalen Subklassen ausdifferenziert werden, und zwar so, dass die Unterschiede, welche die einzelnen Elemente der traditionellen Klasse Ρ bezüglich ihrer Fähigkeit zur Instanziierung des X-bar-Schemas aufweisen, unter Bezugnahme auf ihre jeweiligen ΘEigenschaften explizierbar gemacht werden können. Genau diesen Weg beschreitet Rauh (u.a. 1995a:165), indem sie zwischen lexikalischen, grammatischen und regierten Präpositionen unterscheidet, deren unterschiedliche Projektionseigenschaften sie durch jeweils unterschiedliche Θ-Eigenschafìten erklären kann: Während lexikalische Präpositionen (lexP) ein vollständiges Θ-Raster und damit das volle Potenzial zur Instanziierung des X-bar-Schemas aufweisen, haben grammatische, also nicht-lokale Präpositionen (grP) wie avec keine referenzielle Rolle und können somit weder Adjunkte noch eine erweiterte Projektion RP lizenzieren (2.1-
60
Es ist anzumerken, dass die Generalisierung der DP-Hypothese über PP, wie Zwarts (1992) sie mit dem Ergebnis der Annahme einer erweiterten Projektion RP vorgenommen hat, in der Literatur nicht allgemein anerkannt ist. So gesteht beispielsweise Wunderlich (1991, 1992), entsprechend der 'Urfassung' der Theorie bei Higginbotham, nur den Kategorien V und Ν eine referenzielle Rolle zu und nimmt folglich auch keine der PP übergeordnete maximale Projektion einer funktionalen Kategorie an: „Nur die beiden Hauptkategorien, [+V] und [+N], haben ein referenzielles Argument; und dementsprechend gibt es fur sie F-Kategorien, die dieses Argument binden. [...] Adjektive und P-Elemente haben kein referenzielles Argument; sie denotieren nur Eigenschaften (oder Relationen); demzufolge haben sie keine F-Kategorien mit Bindungseigenschaften" (1992:9). Gleichfalls spricht sich Kupferman gegen die Annahme einer referenziellen Rolle für Ρ aus: „un PP n'est pas un syntagme référentiel" (1996:112). Diese Auffassung wird auch in Bierwisch (1988) und Steinitz (1997) vertreten.
87 24.b). Als dritte Subklasse werden die bereits erwähnten regierten Präpositionen (regP) identifiziert, die lediglich die Θ-Eigenschaften des übergeordneten lexikalischen Kopfes weiterleiten ('Rollentransmitter') und insofern über gar kein eigenes Θ-Raster verfügen: (2.2-25)
lexP
grP regP
elle habite/dort juste ici derrière la table elle habite/dort ici deux semaines avant Noël peu au-dessus de zéro degré avec un ami pour ma sœur (elle le donne) à la concierge (je compte) sur lui
Projektionen lexikalischer Präpositionen können in Komplement- oder Adjunktposition sowie in Kopula-Strukturen und Small-Clause-Konstruktionen als Prädikate auftreten. Projektionen grammatischer Präpositionen können, da sie keine referenzielle Rolle haben, keine Komplementpositionen besetzen. Sie können jedoch als Adjunkte im Kontext von lexikalischen Projektionen lizenziert werden (elle ouvre la porte avec un marteau) und als Prädikate auftreten (je pensais Marie contre la peine de mort). Die - wie Rauh selbst konzediert - „etwas unglückliche Bezeichnung 'grammatische' Präposition wurde gewählt, um auszudrücken, dass es sich in der überwiegenden Mehrzahl um Formen handelt, die als Grammatikalisierungen lexikalischer Präpositionen betrachtet werden können" (Rauh 1998:190). Dies mag für die meisten morphologisch einfachen grammatischen Präpositionen zutreffen. So hat sich beispielsweise neben dem konkret räumlichen Gebrauch von dans wie in entrer [RP [PP dans le jardin]] ein figurativer Gebrauch derselben Präposition wie in tomber [PP dans la misère] etabliert (Divergenz). Bei der Präposition avec, die sich aus vlat. *abhocque (Verstärkungsform zu ab hoc) mit der Bedeutung 'à partir de cela', 'immédiatement après', 'conjointement' entwickelt hat, ist dieser Übergang vom konkret Lokalen zum Abstrakten nur mit Blick auf die Diachronie nachzuvollziehen. Gleiches gilt für pour. Berücksichtigt man die zahllosen phrasalen Präpositionen, dann wird jedoch klar, dass nicht jedes Mitglied der Klasse P, das eine abstrakte Relation bezeichnet, die grammatikalisierte Variante einer konkret lokalen Präposition oder präpositionalen Wendung sein muss. So haben sich z.B. im Falle von à cause (de) nominale und präpositionale Elemente zu einer idiomatisierten Struktur verfestigt, die als grP aufzufassen ist. Ebenso hat sich [grp concernant] aus einer verbundenen Partizipialkonstruktion herausgebildet, ohne jemals ein konkret räumliches Verhältnis bezeichnet zu haben (cf. Abschnitte 4.2.1.2 und 4.2.2.). Ich will der Einfachheit halber den Terminus grP beibehalten, allerdings ohne damit zwangsläufig eine bestimmte Anordnung auf einer Grammatikalisierungsskala der relationalen Elemente zu verbinden. Projektionen von regierten Präpositionen, die im Lexikoneintrag der übergeordneten lexikalischen Kategorie festgeschrieben sind und als Rollentransmitter fungieren, können nur in Komplementposition auftreten. 61 Für diese Unterklasse von präpositionalen Elementen trifft 61
Dies lässt sich jedoch nur aufrecht erhalten, wenn man zu den regP nur Elemente zählt, die nicht klitisch pronominalisierbare Konstituenten markieren und damit den freien DAT unbeachtet lässt. Cf. Abschnitt 2.3.6.
88
auch am ehesten Grimshaws Auffassung von Ρ als funktionalem Kopf in der erweiterten Projektion von Ν zu.
2.2.5
Rückblick: NP oder DP - PP oder RP?
In Zusammenhang mit der Generalisierung der DP-Hypothese über alle phrasalen Kategorien ist deutlich geworden, dass ein fundamentaler Unterschied zwischen den jeweiligen syntaktischen Eigenschaften referenzieller und nicht-referenzieller Syntagmen besteht. Projektionen wie in (2.2-9.c&d), hier wiederholt als (2.2-26)
a.
DP Di
NP
b.
RP R¡
I Ν
PP I Ρ
treten in anderen syntaktischen Zusammenhängen auf als bloße NPs oder nicht-referenzielle PPs. So müssen Α-Positionen wie die Komplementposition in der VP oder in der PP (Beispiele 2.2-27) und die Basisposition des Subjekts Spec,XP (Beispiele 2.2-28) grundsätzlich von referenziellen Syntagmen besetzt werden: (2.2-27)
(2.2-28)
a. Marie adore [DP cet institutrice] b. Marie habite [RP dans un grand immeuble] (RP = referenzielle PP) c. contre [DP la peine de mort] d. Marie sortit de [RP derrière la maison] a. [DP l'institutrice] m'a téléphoné b. je croyais [DP cet institutrice] contre la peine de mort
Nicht-referenzielle Syntagmen können dagegen nur als Nicht-Argumente, d.h. in Vokativphrasen oder in Exklamativausdrücken (Beispiele 2.2-29.a&b) sowie als Prädikate in KopulaStrukturen und Small-Clause-Konstruktionen auftreten (Beispiele 2.2-29.c&d): (2.2-29)
a. garçon, un demi s'il vous plaît ! b. diable ! C. Marie est [NP institutrice] d. je croyais Marie [NPprofesseur à Paris VII] e. Marie est [PP contre la peine de mort] f. je croyais Marie [PP contre la peine de mort]
Ein referenzielles Syntagma wie DP ist in Vokativphrasen oder Ausrufen ausgeschlossen (*le garçon, un demi s'il vous plaît ! *l 'institutrice, venez ici !), kann jedoch als Prädikat auftreten: (2.2-30)
vous êtes [DP / 'institutrice qui m'a téléphoné hier soir], η 'est-ce pas ?
89 Diese Beobachtung hat Longobardi mit Blick auf die Nominalphrase in seinem viel beachteten Aufsatz Reference and Proper Names folgendermaßen zusammengefasst: (2.2-31)
DP can be an argument, NP cannot (1994:628).
Angesichts der Tatsache, dass auch referenzielle Präpositionalphrasen sowohl in A-Positionen (cf. 2.2-27.b&d) als auch in Kopula- und Small-Clause-Konstruktionen als Prädikate lizenziert sind (Marie est [RP dans le jardin]), lässt sich dieses Prinzip problemlos auf Projektionen von Ρ übertragen und wie folgt verallgemeinern: (2.2-32) Nur referenzielle Syntagmen können Α-Positionen besetzen. Damit ist abgedeckt, dass DPs und RPs sowohl in Α-Positionen (z.B. als Komplement) als auch als Prädikate lizenziert werden können und dass NPs und (nicht-referenzielle) PPs in APositionen ausgeschlossen sind. Zugleich wird deutlich, dass bei Konstruktionen, in denen eine Projektion von Ν oder Ρ eine A-Position besetzt, aber kein overter Θ-Binder D bzw. R vorhanden ist, von einem leeren D bzw. R ausgegangen werden muss. Nur so kann der fundamentale Unterschied zwischen referenziellen und nicht-referenziellen Syntagmen explizit gemacht werden. Longobardi (1994) nimmt deshalb an, dass auch Konstituenten, die ohne overtes D-Element auftreten wie z.B. Eigennamen DPs sind, wenn sie Α-Positionen besetzen. Dazu wird in seinem Modell über der NP ein leeres D basisgeneriert, in welches - zumindest im Italienischen - das nominale Element, also der Eigenname, bewegt wird. 62 Übertragen auf französische Beispiele, ergeben sich aus dieser Annahme Konfigurationen wie: (2.2-33)
a.
elle va à l'opéra [?pavec Marie]
PP Ρ
DP
avec
NP / Ν
D Ν
D
Marie,
t
62
Die obligatorische N-Anhebung erfolgt bei Longobardi aus theorieinternen Gründen: Da eine leere Kategorie qua ECP strikt regiert sein muss, kann in Subjektposition kein leeres D verbleiben (eine leere Kategorie ist dort weder lexikalisch kopfregiert noch antezedensgebunden). Zugleich ist die Präsenz dieser Kategorie aus syntaktischen Gründen notwendig. Als einziger Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich die Annahme an, das nominale Element N/NP werde obligatorisch nach D angehoben bzw. dort adjungiert (cf. 1994:622). Diese Annahme generalisiert Longobardi dann über alle anderen syntaktischen Positionen. Da PPs ohnehin nicht in Subjektposition auftreten können, erübrigt sich die Frage, ob in Analogie an Longobardis N-Raising in der DP eine obligatorische Anhebung der P/PP in der RP anzunehmen ist.
90 (2.2-33)
b.
elle habite [M à Paris]
RP
D Ν
NP/N D
Paris¡
t
Die knappen Ausführungen sollten zweierlei deutlich gemacht haben. Erstens wurde nochmals klar, dass das syntaktische Verhalten von lexikalischen Kategorien und deren Projektionen von den jeweiligen rollensemantischen Eigenschaften abhängig ist: Die Bindung der referenziellen Rolle bzw. ermöglicht das Auftreten der jeweiligen maximalen Projektionen in Argumentpositionen. 63 Zweitens hat sich anhand der Gegenüberstellung der Verwendungsbereiche referenzieller und nicht-referenzieller Syntagmen gezeigt, dass es sinnvoll ist, generell zwischen DP und NP bzw. zwischen RP und PP zu unterscheiden, selbst wenn die betreffenden θ-bindenden D- bzw. R-Elemente nicht overt realisiert werden, wie es beispielsweise in den in (2.2-33) gegebenen Konfigurationen der Fall ist.
2.2.6
Resümee
Abschließend werden die für die weitere Argumentation wichtigen Fakten zusammengefasst: • Jede lexikalische Kategorie und damit grundsätzlich auch die Präposition verfügt über ein Θ-Raster. Unter Bezugnahme auf die dort verzeichneten Eigenschaften wird das syntaktische Verhalten einer Einheit (Instanziierung des X-bar-Schemas) explizierbar. Im Θ-Raster eines Ausdrucks müssen neben den Informationen zur Rollen- oder Argumentstruktur auch solche zur entsprechenden semantischen Interpretation sowie - falls von der CSR abweichend - Angaben zur C-Selektion (Subkategorisierung) erscheinen. Damit ist selbstverständlich noch keine genaue semantische Beschreibung der im Kontext von Ρ lizenzierten Konstituenten geleistet. • Aus θ-theoretischen Erwägungen ist es sinnvoll, davon auszugehen, dass in Spec-Positionen lexikalischer Kategorien Subjekte basisgeneriert werden (VISH). Im Falle von Ρ betrifft dies Kopula- und Small-Clause-Konstruktionen. • Für Ρ wird die grundlegende Θ-Rollenstruktur angenommen, wobei die referenzielle Rolle - sofern vorhanden - als lokaler, temporaler oder skalarer Raum spezifiziert 63
Zu den referenziellen Syntagmen zählen auch Konstituenten, die mit Elementen der Klasse regP markiert werden. Hierbei ist es die Bindung der referenziellen Rolle des nominalen Kopfes, die das Auftreten in APositionen ermöglicht. Konsequenterweise können solche Syntagmen auch nicht als PP oder RP repräsentiert werden; das präpositionale Element ist vielmehr als funktionaler Kopf Κ (Kasusmarker) in der erweiterten Projektion von Ν aufzufassen. Cf. Abschnitt 2.3.
91
ist < [ S = 1 / 1 / sc]>. B e s t i m m t e Subklassen der Kategorie Ρ w e i s e n ein reduziertes Θ-Raster o h n e referenzielle R o l l e (grP) b z w . gar kein Θ-Raster auf (regP). Letztere haben dementsprechend auch keinen e i g e n e n Lexikoneintrag. A l s B e i s p i e l werden nachstehend die Einträge für die l e x P devant,
•
devant
lexP
à
lexP
avant
lexP
avec
grP
à und avant s o w i e fur die grP avec
Subkategorisierungseigenschaften (C-Selektion) DP DP _DP/_CP/_# DP
gegeben:
Argumentstruktur und Θ-Raster (S-Selektion)
PPs werden grundsätzlich als m ö g l i c h e Rollenempfänger, präpositionale Elemente j e nach Status als Rollentransmitter (regP) oder als R o l l e n z u w e i s e r a u f g e f a s s t (grP, lexP). D a s Problem der vermeintlich doppelten Θ-Rollenzuweisung an die D P bei lexikalisch geforderter PP in einer Struktur w i e 'habiter
+ Lokalkomplement' konnte mithilfe v o n Higgin-
botham ( 1 9 8 5 ) gelöst werden. •
Mithilfe der in Zwarts ( 1 9 9 2 ) weiterentwickelten Entladungsmodi Θ-Markierung, Θ-Identifikation und Θ-Bindung lassen sich syntaktische Verhaltensweisen lexikalischer Kategorien unter B e z u g n a h m e auf die j e w e i l i g e n Θ-Eigenschaften in differenzierter W e i s e erklären: Entladung der internen θRolle Lizenzierung des Komplements von Ρ durch Koindizierung der referenziellen Rolle des Kopfes der subkategorisierten DP mit der internen Rolle von Ρ
durch Θ-Markiening
1. Marie est dans le jardin 2. je pensais Marie contre la peine de mort Lizenzierung der PP in Adjunktposition durch Koindizierung der externen Rolle THEMA von Ρ mit der referenziellen Rolle des Kopfes einer übergeordneten LP z.B.: Marie dort dans le jardin
z.B.: dans un grand immeuble
durch Θ-Identifikation
durch Θ-Bindung
Entladung der externen θRolle Lizenzierung der PP als Prädikatsnomen in KopulaStrukturen oder SmallClause-Konstruktionen durch Koindizierung mit der referenziellen Rolle des Subjekts
Entladung der referenziellen Rolle Lizenzierung der PP in Komplementposition durch Koindizierung der referenziellen Rolle von Ρ mit der internen Rolle des Kopfes einer übergeordneten lexikalischen Projektion elle habite dans un grand immeuble
Lizenzierung von Adjunktpositionen in der PP durch Koindizierung der referenziellen Rolle von Ρ mit der externen Rolle des Adjuntos dans une petite ville près de Paris Lizenzierung der erweiterten Projektion RP durch Koindizierung der referenziellen Rolle von Ρ mit dem funktionalen Kopf R z.B.: juste ici derrière la table
92 •
Die Bindung der referenziellen Rolle einer Kategorie entscheidet darüber, ob die betreffende maximale Projektion in Α-Positionen, also als Komplement eines lexikalischen Kopfes oder in der kanonischen Subjektposition Spec,XP, auftreten kann. Deshalb ist es sinnvoll, konsequent zwischen referenziellen Syntagmen wie DP und RP und nicht-referenziellen wie NP und PP zu differenzieren.
2.3
Kasustheorie
Neben dem Θ-Kriterium dient das Kasusfilter zur Überprüfung der Grammatizität X-bar-generierter Strukturen: (2.3-1)
Every phonetically realized NP must be assigned (abstract) Case. In some languages, Case is morphologically realized, in others not, but we assume that it is assigned in a uniform way whether morphologically realized or not (Chomsky 1986:74).
Das Französische verfügt bekanntlich seit dem endgültigen Abbau der altfranzösischen Zweikasusflexion im ausgehenden 14. Jahrhundert nur noch im Bereich der klitischen Personalpronomina über eine overte, d.h. morphologisch sichtbare Kasusmarkierung (il - lui - le). Im Rahmen der generativen Grammatik geht man allerdings davon aus, dass maximale Projektionen von N, die von solchen Proformen substituiert werden können, in gleicher Weise kasusmarkiert sind, mit dem einzigen Unterschied, dass hierbei keine overte Markierung vorliegt ('abstract case'): (2.3-2)
a. b.
il lit [AKKSOW journal] il le] lit
abstrakter Kasus Akkusativ morphologischer Kasus Akkusativ
Da es hierbei um referenzielle Syntagmen geht, findet das Kasusfilter Anwendung auf DPs. Während im Rahmen der P&P das Kasusfilter als Wohlgeformtheitsbedingung überprüft, ob den einzelnen Konstituenten der richtige Kasus zugewiesen wurde, unterliegt die gesamte Kasustheorie im MP einer grundlegenden Uminterpretation. Man geht davon aus, dass Kasus nicht mehr zugewiesen wird, sondern dass Elemente [+N] bereits mit Kasusmerkmalen versehen aus dem Lexikon implementiert werden und im Laufe der Derivation in geeigneten Konfigurationen überprüft werden (Checking-Mechanismus). Im Rahmen dieses Kapitels wird in einem ersten Schritt das traditionelle Kasusmodell anhand französischen Datenmaterials vorgestellt. Aufbauend hierauf erfolgt eine detaillierte Auseinandersetzung mit der minimalistischen Kasustheorie. Zugleich gilt es, Entscheidungen darüber zu treffen, welche Kasus fur das Französische anzunehmen sind und welche präpositionalen Elemente sich plausibel als overte Kasusrealisierungen auffassen lassen. Dabei steht der Randbereich zwischen der lexikalischen Kategorie Ρ und der funktionalen Kategorie Kasusmarker im Mittelpunkt der Überlegungen.
93 2.3.1
Struktureller und inhärenter Kasus im P&P-Modell
Wird einer DP im Rahmen einer Struktur kein Kasus zugewiesen, steht sie im Satz an einer fur sie unangemessenen Position, und die betreffende Struktur ist somit ungrammatisch. Für das Französische lässt sich die Kasuszuweisung (vorläufig) wie folgt definieren: (2.3-3)
In einer Konfiguration [α β ...] oder [β α ...] weist α β Kasus zu, wenn 1. α mit [ - N ] spezifiziert ist. Dann ist Kasus mit [Case:AKK] spezifiziert, oder wenn 2. α mit [+Tns; +Agr] spezifiziert ist. Dann ist Kasus mit [Case:NOM] spezifiziert, und wenn 3. α der Kopf einer phrasalen Kategorie ist, und wenn 4. α und β adjazent sind. Parametrisierung der Zuweisungsrichtung: α [ - N ] weist Kasus nach rechts zu, α [+Tns; +Agr] weist Kasus nach links zu.
Bedingungen 1 und 2 geben an, welche kategorialen Merkmale kasusrelevant sind und welche Kasuskategorie jeweils selegiert wird. Demzufolge sind im Französischen wie in allen Sprachen die mit [ - N ] spezifizierten Kategorien Kasuszuweiser: V weist dem direkten Objekt den meist mit Akkusativ oder Objektiv bezeichneten Kasus (im Folgenden AKK) zu. Gleiches gilt fur Ρ bezüglich der Kasuszuweisung an das DP-Komplement (Bedingung l). 6 4 Finîtes I weist dem in Spec,VP basisgenerierten und nach Spec,IP angehobenen Subjekt den Nominativ (NOM) ZU (Bedingung 2). 65 In Bedingungen 3 und 4 sind die strukturellen Voraussetzungen formuliert: Kasuszuweisung findet unter Rektion statt, wobei bei der AKK-Zuweisung der Kopf α das Komplement β c-kommandiert und bei der NOM-Zuweisung der Kopf α das Subjekt β m-kommandiert. Das Adjazenzkriterium (Bedingung 4) legt fest, dass im Französischen Kasus nicht über eine intervenierende XP (Barriere) hinweg zugewiesen werden kann. Die Parametrisierung der Zuweisungsrichtung schließlich regelt, dass V und P 66 im Französischen Kasus nach rechts zuweisen (cf. dagegen die Kasuszuweisung durch V und Ρ nach links im Türkeitürkischen); finîtes I weist Kasus ausschließlich nach links zu. 64
Hiervon abweichend unterscheidet Chomsky (1986:193) bezüglich der Kasuszuweisung von V und Ρ an das jeweilige Komplement zwischen einem strukturell von V an die betreffende DP zugewiesenen 'objective case' und einem von Ρ inhärent zugewiesenen 'oblique case'. Gegen eine solche Differenzierung argumentiert Huppertz (1992:32), indem sie daraufhinweist, dass im Englischen für beide Fälle sowohl Konfiguration (das jeweilige Komplement ist Schwester von V bzw. P) als auch Realisierung auf morphosyntaktischer Ebene (kill him, for him) identisch sind. Da diese Befunde gleichfalls für das Französische gelten, verzichte ich ebenfalls auf eine Unterscheidung zwischen 'Akkusativ' und 'Objektiv'.
65
Im Deutschen können auch Ν (die Zerstörung der Stadt) und A (seinem Freunde treu) Kasus zuweisen. In den französischen Äquivalenten muss jeweils eine Präposition eingefugt werden: *la destruction la ville la destruction de la ville; *fidèle son ami —> fidèle à son ami. Im Altfranzösischen hingegen konnte Ν Kasus zuweisen: la fille le roi. Interpretiert man de und à in den genannten Beispielen als Kasusmarker, so müssen auch Ν und A als Kasuszuweiser gelten. Dies ist jedoch nicht durch (2.3-3) abgedeckt. Eine Lösungsmöglichkeit wird nach der Auseinandersetzung mit der Unterscheidung struktureller vs. inhärenter Kasus weiter unten in (2.3-24) gegeben.
66
Es gibt allerdings Fälle, die auf den ersten Blick dafür sprechen, im Französischen auch Postpositionen und damit auch linksgerichtete Kasuszuweisung von Ρ anzunehmen: toute sa vie durant. Cf. Abschnitt 4.2.1.2.
94 Kommen wir nochmals auf das Adjazenzkriterium zurück. Aus Bedingung 4 folgt, dass in den Beispielen (2.3-4.a,b&c) jeweils die zweite Variante ungrammatisch ist: (2.3-4)
a. b. c.
Marie a lu le livre dans sa chambre Marie a mis le livre sur son bureau Marie a donné le livre à son amie
*Marie a lu dans sa chambre le livre *Marie a mis sur son bureau le livre *Marie a donné à son amie le livre
In allen genannten Fällen kann V als Kopf der Phrase über eine intervenierende maximale Projektion - hier jeweils eine PP in Adjunkt- (2.3-4.a) bzw. Komplementposition (2.3-4.b&c) - keinen Kasus an sein Komplement [DP le livre] zuweisen. Für andere Sprachen ist dieser Parameter nicht gültig, was anhand der - zumindest in Bezug auf die Grammatizität - austauschbaren Reihenfolge der Konstituenten in den deutschen, spanischen und türkeitürkischen Äquivalenten von Beispiel (2.3-4.b) deutlich wird: (2.3-5) (2.3-6) (2.3-7)
a. b. a. b. a.
dt. dt. span. span. ttü.
dass Marie das Buch auf den Tisch gelegt hat dass Marie auf den Tisch das Buch gelegt hat Maria puso el libro encima de la mesa Maria puso encima de la mesa el libro Ay§e kitab-i masa-n-in iizer-i-n-e koy-du Ay§e Buch.AKK Tisch.FG.GEN Oberfläche.POSS.3SG.FG.DAT leg.PAST 'Ayçe hat das Buch auf den Tisch gelegt.'
b.
ttü.
Ay§e masanin üzerine kitabi koydu
Im deutschen Beispiel (2.3-5.a) sind bei unmarkierter Abfolge der Konstituenten Verb und Akkusativobjekt oberflächensyntaktisch nicht adjazent. Die Zuweisung des AKK an ein Komplement muss im Deutschen somit offensichtlich nicht in Adjazenz zum betreffenden Kopf erfolgen; eine markierte Abfolge wie in (2.3-5.b) entsteht durch sog. Scrambling 67 . Haider nimmt an, dass im Lexikon für jedes deutsche Verb eine unmarkierte Abfolge der Komplemente festgelegt ist, aus der dann die abweichenden Serialisierungen abgeleitet werden (1993:216ff). Dies ist im o.g. Falle: (2.3-5)
c.
[vp Subjekt [Akkusativobjekt [Lokalkomplement [v legen]]]]6* Ί
Kasuszuweisung über Barriere
I
Weiterhin ist vorgeschlagen worden, die unterschiedlichen Abfolgen der Komplemente in Konstruktionen mit dreiwertigen Verben unter Rückgriff auf die phonologische Komponente herzuleiten, wobei angenommen wird, dass bestimmte Bewegungen in der Syntax erfolgen müssen, um eine prosodisch markierte Struktur zu verhindern, wie sie beispielsweise durch die Zuweisung des Fokusakzents erfolgen kann (cf. Zubizarreta 1998). Auch im Französischen kann das direkte Objekt durch eine intervenierende XP vom kasuszuweisenden Kopf 67
Unter 'Scrambling' versteht man die Herleitung optionaler Wortstellungsvarianten, wie sie für das deutsche (oder niederländische) Mittelfeld typisch sind.
68
Daneben kann auch die adjazente Anordnung die unmarkierte sein: [vpSubj [Obj DAT [ObjAKK wie in dass man niemandem
so etwas zumuten sollte (Haider 1993:217).
[vzumuten]]]]
95
getrennt sein, nämlich dann, wenn es sich um eine sog. 'heavy NP', d.h. um eine besonders komplexe Projektion von Ν handelt und diese aus stilistischen Gründen aus ihrer Basisposition herausbewegt und rechts an VP adjungiert wird.69 Gemäß ECP ist ein solcher 'Heavy Shift' möglich, da die Ausgangsspur durch das Verb kopfregiert und damit lizenziert ist: (2.3-8)
a.
Marie a mis [le livre que son frère lui avait offert] sur son bureau
b.
Marie a mis le livre que son frère lui avait offert¡ sur son bureau [le livre que son frère lui avait offert]
·,
Das Adjazenzkriterium wird nicht in Frage gestellt, wenn man davon ausgeht, dass bei jeder Bewegung eine Kette 70 zwischen Ausgangs- und Zielposition entsteht, und dass Kasusmerkmale (und Θ-Rollen) über diese weitergeleitet werden. In (2.3-8.b) bildet die verschobene komplexe DP eine Kette mit ihrer Spur bzw. mit der Kopie. Diese ist nach wie vor mit dem kasuszuweisenden Element, also mit V, adjazent, erhält somit regelgemäß unter c-Kommando den AKK (sowie die Θ-Rolle THEMA) und leitet diese Merkmale an die verschobene X P weiter. Cf. die Darstellung im Strukturbaum71: IP
(2.3-9) Spec,IP Mariej
vP DP le livre que son frère lui avait offert^
vP Spec,vP AíufiCj V
+V
mis¡
VP
Spec,VP le /ivre que ...k
V'
RP sur son bureau
69
So die Beschreibungen bei Jones ( 1996:31 f) und Ouhalla ( 1 9 9 4 : 8 4 f ) . Im Rahmen der Antisymmetrie-Theorie, wie sie von Kayne ( 1 9 9 4 ) vorgeschlagen wird, sind derartige Rechtsadjunktionen ausgeschlossen. Eine Möglichkeit ist jedoch die Reanalyse von V ' als komplexer K o p f [y mis sur son bureau],
gefolgt von Ad-
junktion an v. Cf. hierzu ausfuhrlich Abschnitte 2.4 und 3.5. - Es sei betont, dass die Modellierung eines solchen 'Heavy NP Shift' als Adjunktion nicht beinhaltet, dass der betreffenden Konstituente Adjunktstatus im Sinne einer freien Angabe zukommt. Zur grundlegenden Unterscheidung zwischen basisgenerierten und bewegungserzeugten Adjunktionskonfigurationen cf. Beckmann (1997:23, 29-32). 70
„ < a , ß> form a chain i f and only if (i) α and β are coindexed, (ii) α c-commands ß " (Culicover 1997:40).
71
Die Darstellung entspricht der im Rahmen meiner Arbeit angenommenen Analyse dreiwertiger Verben nach Larson ( 1 9 8 8 ) . Für Einzelheiten bezüglich der Derivationsschritte verweise ich auf Abschnitt 3.5. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird hier das Auxiliar als lexikalische Instanziierung von I eingesetzt. Für Genaueres zu Konstruktionen mit periphrastischen Tempusformen verweise ich auf Abschnitt 3.4.
96 Durch Adjunktion der komplexen DP rechts an vP wird der Barrierenstatus des intervenierenden Lokalkomplements [RP sur son bureau] umgangen. Gleiches gilt auch für die entsprechende Variante von (2.3-4.c), hier wiedergegeben als (2.3-10)
a. b.
Marie a donné [le livre que son frère lui avait offert] à son amie Marie a donné le livre que son frcrc lui avait offerti à son amie [DP le livre que son frère lui avait offert]·,
Im Falle von (2.3-4.a), hier modifiziert wiedergegeben als (2.3-11)
Marie a lu [DP le livre que son frère lui avait offert] dans sa chambre
kommt hinzu, dass die lineare Anordnung der Konstituenten im Satz nicht nur stilistisch fragwürdig ist, sondern auch zu Ambiguitäten führt, da die freie Lokalangabe [RP dans sa chambré] entweder als Modifikator des Matrixsatzes (Marie-, l'a lu dans sa, chambre) oder - allerdings mit prosodischer Differenzierung - als Modifikator der subordinierten CP (son frère¡ le lui avait offert dans sa-, chambré), jeweils mit unterschiedlichem Bindungsverhalten des Possessivums, verstanden werden kann. Insofern ist mit der Platzierung von [RP dans sa chambre] in Initialposition wie in (2.3-12)
dans sa chambre, Marie a lu [DP le livre que son frère lui avait offert]
eine Anordnung wahrscheinlicher, bei der eine weitere overte Bewegung wie in (2.3-13)
Marie a lu dans sa chambre le livre que son frère lui avait offert
erst gar nicht notwendig ist. Allerdings bewirkt die Initialstellung des Lokaladjunkts zugleich Topikalisierung der betreffenden Konstituente. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Gültigkeit des für das Französische postulierten Adjazenzkriteriums nicht in Abrede gestellt wird, wenn man davon ausgeht, dass Kasus an Ketten zugewiesen wird. Bekanntlich wird im P&P-Modell zwischen strukturellem und inhärentem Kasus unterschieden (Chomsky 1981:170). Strukturelle Kasuszuweisung erfolgt sozusagen 'automatisch' in bestimmten Konfigurationen: Ρ und V weisen ihrem jeweiligen DP-Komplement unter cKommando den AKK zu, finîtes I weist der nach Spec,IP bewegten Subjekt-DP unter mKommando den NOM zu: (2.3-14)
a.
VP V
IP
b. DP A
Spec,IP DP A
PP Ρ
DP Λ [D:Case:AKK] I
.IÇjCase:NOM]_
Γ [+Tns] [+Agr]
VP
97 Diese Bedingungen wurden in (2.3-3) zusammengefasst. Inhärente Kasuszuweisung hingegen ist lexemspezifisch und muss sich entsprechend im Lexikoneintrag des zuweisenden Kopfes niederschlagen. So weisen in dt. [ppfìir [dpseinen Freund]] oder [vp mag [dpseinen Freund]] Ρ bzw. V dem jeweiligen DP-Komplement unter c-Kommando strukturell den Akkusativ zu; inhärente Kasuszuweisung wie die des Dativs im Falle von mit seinem Freund oder schadet seinem Freund ist demgegenüber im Lexikon festgeschrieben: (2.3-15)
a. b.
mit [ - N ; - V ] [D:Case:DAT]72 schaden [ - N ; +V] [D:Case:DAT]
Der fundamentale Unterschied zwischen strukturellem und inhärentem Kasus lässt sich anhand der Passivdiathese verdeutlichen: Im Passiv ist es möglich, genuin transitive Verben intransitiv zu verwenden. 73 Dabei wird die externe Θ-Rolle AGENS nicht wie im Aktivsatz der in Spec,IP situierten DP zugewiesen, sondern kann fakultativ auf eine PP, im Französischen üblicherweise mit [ppar], abgebildet werden. 74 Die kommunikativ-pragmatische Funktion der Passivdiathese lässt sich darin sehen, dass der Urheber der Handlung entweder verschwiegen werden kann (Suspendierung des Agens) oder dass ihm bei Realisierung als PP ein besonderes Gewicht zukommt. Im Rahmen der Kasustheorie kann dies dahingehend interpretiert werden, dass V die Fähigkeit zur strukturellen Kasuszuweisung verliert oder - anders ausgedrückt - dass der strukturelle Kasus des Verbs absorbiert wird: „[The] general defining property of passive morphology is that it 'absorbs Case'" (Chomsky 1986:74). Gleichzeitig ist mit passivischer Morphologie verbunden, dass die im Θ-Raster verzeichnete externe Rolle suspendiert wird. Burzio hat diesen Zusammenhang in seiner Italian Syntax folgendermaßen formalisiert: (2.3-16)
ft
A (1986:185)
Dieser als Burzios Generalisierung bekannt gewordene Lehrsatz besagt, dass ein Verb, das keine externe Θ-Rolle ( f t fur Subjekt-0-Rolle) vergibt, auch keinen strukturellen Kasus (A fur Akkusativ) zuweist und dass umgekehrt ein Verb, das keinen strukturellen Kasus zuweist, auch keine externe Rolle vergibt. Dies ist insofern problematisch, als mit der postulierten 72
73
74
Der Eintrag ist folgendermaßen zu lesen: mit ist durch die Spezifizierung [-N; - V ] als Element der Klasse Ρ ausgewiesen, hat eine externe und eine interne, jedoch keine referenzielle Rolle und weist - wie aus dem Merkmal [D:Case:DAT] ersichtlich - seinem DP-Komplement inhärent den Kasus Dativ zu. - Rauh (1995b:41) verzeichnet abweichend von meiner Notation bei Präpositionen ohne referenzielle Rolle , d.h. bei den Mitgliedern der von ihr postulierten Klasse grP, lediglich die Θ- und Kasusmerkmale, nicht jedoch die kategorialen Merkmale, also [-N; -V], um so zu verdeutlichen, dass diese keine erweiterten Projektionen bilden können (cf. die in Abschnitt 2.2.4 eingehend besprochene Lizenzierung der übergeordneten funktionalen Projektion RP durch Koindizierung mit von P). Zudem verzeichnet sie auch strukturelle Kasusmerkmale im Lexikoneintrag. Dies ist m.E. redundant, wenn man davon ausgeht, dass der an ein Komplement zugewiesene Kasus - soweit nicht anders angegeben - immer der Akkusativ ist. Genauer gesagt werden genuin transitive Verben im Passiv wie unakkusative Verben verwendet. Hierbei handelt es sich um eine Untergruppe einwertiger Verben, die weder eine externe Θ-Rolle vergeben noch den strukturellen Kasus Akkusativ zuweisen/überprüfen. Der einzige Mitspieler ist ein internes Argument und wird somit nicht in der kanonischen Subjektposition, sondern als Komplement von V basisgeneriert (s.u.). Für Fälle mit anderen Präpositionen cf. Gaatone (1998:188-210).
98 Umkehrbarkeit der Generalisierung intransitive Verben wie dormir, die zwar keinen strukturellen Kasus zuweisen, wohl aber die externe Argumentposition θ-markieren, nicht abgedeckt sind. Deshalb soll hier Burzios Generalisierung in revidierter Form gelten: (2.3-17)
a. b.
Ein V, das strukturellen Kasus zuweist/überprüft, kann auch eine externe ΘRolle vergeben. Verliert ein V aufgrund eines morphologischen Prozesses sein Kasusmerkmal, verliert es auch seine externe Θ-Rolle.
Dementsprechend kann in (2.3-18.b) die passivische Verbform est donné der in Komplementposition basisgenerierten DP zwar eine interne Θ-Rolle, nämlich , doch keinen strukturellen Kasus zuweisen: (2.3-18)
a. b.
Paul donne ce parapluie à Pierre *est donné ce parapluie à Pierre (par Paul)
Da wegen der suspendierten externen Rolle AGENS im Spec der Verbalphrase keine SubjektDP basisgeneriert wird, bleibt auch Spec,IP frei und bietet sich als Landeplatz für das in der Ausgangsposition nicht kasuslizenzierte interne Argument an. In der kanonischen Subjektposition Spec,IP wird dann dem tiefenstrukturellen Objekt vom finiten I der NOM zugewiesen: (2.3-18)
c.
[DP ce parapluie]¡ I est donné ce parapluic\ à Pierre (par Paul)
Man vergleiche hierzu die entsprechenden deutschen und türkeitürkischen Beispiele: (2.3-19) (2.3-20)
a. b. a.
dt. dt. ttü.
dass Paul dem Peter diesen Regenschirm gibt *dass dem Peter (von Paul) diesen Regenschirm gegeben Ali Ay§e'y-e bu §emsiye-y-i ver-i-yor
wird
Ali Ay§e.fg.DAT dieser Regenschiim.FG.AKK geb.FG.PROG 'Ali gibt Ay§e diesen Regenschirm'
b.
ttü.
*Ay§e'y-e (Ali tarafindan) bu §emsiye-y-i
ver-il-i-yor75
Ayje.FG.DAT (Ali von) dieser Regenschiim.FG.AKK geb.PASS.FG.PROG
Wie anhand der nicht lizenzierten Akkusativ-DPs in den ungrammatischen Strukturen (2.319.b) und (2.3-20.b) deutlich wird, tritt das Phänomen der Kasusabsorption in gleicher Weise in germanischen und in Turksprachen auf. Auch hier müssen die betreffenden DPs von einem anderen Element als von V ihren Kasus erhalten, um eine Verletzung des Kasusfilters zu vermeiden. Da sie sowohl im Deutschen als auch im Türkeitürkischen NOM-markiert sind, müssen sie wie im französischen Beispiel (2.3-18.c) ihren Kasus vom finiten I erhalten:
75
Die Nennung des Agens ist auch im Türkeitürkischen möglich, und zwar entweder durch eine PP mit der aus dem relationalen Ν
taraf
Seite' entstandenen Postposition
tarafmdan 'vonseiten' als K o p f oder - wenn der -cE (z.B. Di¡ Í¡lerleri Bakanliginca
Urheber ein Kollektivbegriff oder eine Institution ist - durch die Form
'vonseiten des Außenministeriums'). Beide Formen sind auf schrift- und distanzsprachliche Register beschränkt (cf. Tornow 1994:196).
99 (2.3-19) (2.3-20)
c. c.
dt. ttü.
dass Peter dieser Regenschirm (von Paul) gegeben wird76 bu ¡emsiye Ay§e'ye (Ali tarafindan) veriliyor
Es wird also deutlich, dass die Passivdiathese in so unterschiedlichen Sprachen wie Französisch, Deutsch und Türkeitürkisch prinzipiell gleich abläuft: Das in Komplementposition basisgenerierte interne Argument - ce parapluie, dieser Regenschirm, bu ξemsiye - muss jeweils aus kasustheoretischen Gründen in die Subjektposition angehoben werden. Nun kennt das Französische aber auch Strukturen, die der bisherigen Modellierung augenscheinlich widersprechen: (2.3-21)
a.
b.
sont dispensés de la tutelle [DP les personnes désignées dans les titres ... ; les présidents et les conseillers à la Cour de cassation, le procureur général... les préfets ; tous citoyens exerçant une fonction publique...] (Code civil, Art. 427, zit. n. Grevisse 1993:§379) sont exclues de cet emploi [DP les formes adjectives des verbes transitifs indirects ... et la très grande majorité des verbes intransitifs à auxiliaire avoir...] (Denis&Sancier-Chateau 1994:391)
Derartige Konstruktionen lassen zunächst in Analogie zum oben in (2.3-9) beschriebenen 'Heavy Shift' vermuten, dass auch hier eine besonders komplexe Nominalphrase aus stilistischen Gründen an den rechten Satzrand verschoben wurde. Hält man sich jedoch vor Augen, dass die anzunehmende Zielposition einer solchen fakultativen Bewegung mit der Basisposition der betreffenden Konstituente identisch ist, dann erscheint es plausibler anzunehmen, dass die Anhebung in die kanonische Subjektposition erst gar nicht stattfindet. Problematisch ist dies allerdings, wenn man - wie bisher angenommen - davon ausgeht, dass das grammatische Subjekt seinen Kasus in einer bestimmten syntaktischen Position (Spec,IP bzw. Spec,TP) erhält. Nimmt man jedoch an, dass die entsprechenden Formative bereits mit Kasusmerkmalen aus dem Lexikon implementiert werden und dass diese Merkmale im Verlauf der Derivation in einer geeigneten Konfiguration überprüft werden, dann ist es unproblematisch, die Anhebung der DP (bzw. der formalen Merkmale FF(DP)) nach Spellout, also auf LF in der koverten Syntax zu verorten. Zusätzliche Evidenz erhält diese Annahme von einer Gruppe einwertiger Verben, die diese Konstruktion gleichfalls zulassen: (2.3-22)
a.
passe/entre/sort
[DP le majordome]
b.
passent/entrent/sortent
[DP la princesse et sa nourrice]
Nicht möglich ist dagegen: (2.3-23) 76
a.
*mange/*chante/*dort
[DP le majordome]
Da die Anordnung der Konstituenten im deutschen Mittelfeld durch Scrambling relativ frei ist, sind fur (2.3-19-c) selbstverständlich auch andere Oberflächenabfolgen denkbar: dass dieser Regenschirm Peter (von Paul) gegeben wird, dass Peter (von Paul) dieser Regenschirm gegeben wird etc. Ähnliches gilt für die Abfolge der Satzglieder in den Turksprachen.
100 (2.3-23) b.
*mangent/*chantent/*dorment
[DP la princesse et sa nourrice]
Der Kontrast zwischen (2.3-22) und (2.3-23) legt die Vermutung nahe, dass sich Verben wie entrer oder sortir in Θ- und kasustheoretischer Sicht genauso verhalten wie Verbformen mit passivischer Morphologie, nur dass die im Passiv suspendierten Eigenschaften - strukturelles Kasusmerkmal und externe Θ-Rolle - bereits im Lexikoneintrag nicht vorhanden sind. Zudem teilen die genannten Verben mit dem Passiv die Selektion des Auxiliars être und die morphologisch overte Kongruenz zwischen grammatischem Subjekt und Partizip bei der Bildung periphrastischer Tempusformen. Solche Verben werden als unakkusative oder ergative Verben bezeichnet (cf. Abschnitte 3.1 und 3.4.4). Zwei Beobachtungen rechtfertigen die generelle Unterscheidung von strukturellem und inhärentem Kasus: Erstens betrifft der Kasuswechsel bei der Passivdiathese nur AKK und NOM, während die DAT-markierte DP in den deutschen und türkeitürkischen Beispielsätzen ebenso wie das mit à eingeleitete Komplement des französischen Satzes unverändert bleibt.77 Zweitens ist struktureller Kasus θ-rollenunabhängig: So kann ein internes Argument mit der Θ-Rolle THEMA im Aktivsatz im Akkusativ, im Passivsatz hingegen im Nominativ erscheinen. Inhärenter Kasus ist demgegenüber an eine bestimmte Θ-Rolle gebunden, so beispielsweise der Dativ in den deutschen und türkeitürkischen Beispielsätzen (2.3-19) bzw. (2.3-20) an die ΘRolle BENEFIZIENT. Dies bedeutet nun nicht, dass eine l:l-Relation zwischen dem (morphologischen oder abstrakten) Kasus Dativ und der Θ-Rolle BENEFIZIENT bestünde. Vielmehr korreliert der Dativ mit einer Gruppe verwandter Rollen, die „nicht klar voneinander abgehoben sind und lediglich lexikalisch bedingte Varianten bzw. Subtypen einer einzigen, allen Dativaktanten gemeinsamen semantischen Rolle darstellen, nämlich der des vom Geschehen 77
Dies gilt allerdings nur mit gewissen Einschränkungen: Zunächst verfugt das Französische über passivähnliche Konstruktionen wie z.B. die se voí'r-Diathese, bei denen ein Kasuswechsel auch beim Dativ möglich ist: Paul a offert un livre à Pierre —» Pierre s'est vu offrir un livre (par Paul). Hier kann die DP un livre in postverbaler Stellung verbleiben, da der strukturelle Kasus von V nicht absorbiert wird. Die durch Suspendierung des Agens frei gewordene Spec.IP-Position nimmt diejenige DP ein, auf die die Θ-Rolle BENEFIZIENT/FINAL abgebildet wird (Kasuswechsel DAT —» NOM). Auch das Deutsche verfügt mit dem bekommenbzw. kriegen-Passiv
über eine vergleichbare Strategie; cf. hierzu Webelhuth (1995:58). Weiterhin besteht die
Möglichkeit, ein Dativkomplement mittels lexikalischer Konverse zur Subjekt-DP zu transferieren (nach Siller-Runggaldier 1996:58 in Anlehnung an Herslund 1988: lOOff 'HABEN-Relation'): (i)
dt.
(ii)
frz. xa offert ce livre à y —>y a ce livre 'y AVOIR ce livre'
* hat y dieses Buch geschenkt —> y hat dieses Buch 'y HABEN dieses Buch'
(iii) frz. χ échappe à y
y perd χ 'y NE PLUS AVOIR x'
Es handelt sich jedoch bei beiden genannten Einwänden um von der regulären Passivdiathese abweichende Verfahren. Schließlich ist mit frz. obéir (und seinem Antonym désobéir)
auf ein transitives Verb hinzuwei-
sen, das kein direktes Objekt, sondern eine klitisch pronominalisierbare ά-Ergänzung als Komplement fordert und trotzdem die reguläre Passivdiathese erlaubt: (iv) frz. les enfants ont obéi à l'instituteur —> l 'instituteur a été obéi (par les enfants) Herslund (1988:217-19) erklärt diesen singulären Fall, der die These von der 'Resistenz' des Dativ gegenüber einem diathesenbedingten Kasuswechsel emsthaft in Frage zu stellen scheint, indem er darauf verweist, dass im Falle von (dés)obéir échapper —> perdre
keine lexikalische Konverse nach dem Muster offrir —» posséder,
avoir oder
zur Verfugung steht. Das Manko dieser lexikalischen Lücke werde wettgemacht, indem
das vom direkt transitiven Verb obéir des Français classique (17. Jh.) regulär abgeleitete Passiv être obéi als gesonderte Form erhalten wurde. Ähnliches gilt fur pardonner.
101 Betroffenen" (Siller-Runggaldier 1996:60). So handelt es sich bei dem Dativklitikon in cela lui plaît nicht um einen Benefizienten, sondern vielmehr um einen Experiencer.78 Für die Gruppe verwandter Rollen, die dem Dativ entsprechen, soll der Einfachheit halber vorläufig in Anlehnung an Jacob (1991) die Bezeichnung FINAL übernommen werden. Die Bedingung der obligatorischen Verbindung von inhärentem Kasus mit einer bestimmten Θ-Rolle - oben exemplifiziert anhand des Dativs und der Θ-Rolle FINAL - lässt sich mit Webelhuth wie folgt konkretisieren: If α is an inherent Case marker, then α Case-marks NP if and only if α theta-marks the chain headed by NP" (1995:56).
Mit dieser sog. 'Uniformity Condition on Case Marking' (UCM) ist festgelegt, dass inhärenter Kasus nur zugewiesen (bzw. überprüft) werden kann, wenn der zuweisende Kopf die betreffende DP (bzw. ein Kettenglied) zugleich θ-markiert. Für freie Dativklitika, deren Kasus nicht zugewiesen bzw. gecheckt wird, gelten andere Bedingungen (cf. Abschnitt 2.3.6.3). In einer solchen Perspektive lässt sich auch im Französischen ein Subtyp der mit à eingeleiteten Komplemente plausibel als Realisierung eines inhärenten Kasus DAT auffassen. Auch hier ist eine Gruppe verwandter Θ-Rollen zu identifizieren wie u.a. BENEFIZIENT (Paul a offert ce parapluie à mon frère), EXPERIENCER (ça plaît à mon frère) etc., und genau in diesen Fällen ist die klitische Pronominalisierung des ¿-Komplements möglich: Paul lui a offert ce parapluie. Cela lui plaît. Mit à eingeleitete Komplemente, die einer anderen Θ-Rolle entsprechen, wie z.B. THEMA (Standardbeispiel: Pierre pense à Paul) sind nach Jones (1996) nicht als DAT-markierte DPs, sondern als „a genuine PP headed by à" (251) zu interpretieren und lassen folglich keine klitische Pronominalisierung zu: *Pierre lui pense.19 Jacob macht gleichfalls die klitische Pronominalisierbarkeit von ò-Komplementen im Französischen an der Θ-Rolle der betreffenden PP fest und plädiert dafür, die Annahme von „Dativität" des à-Aktanten bei Verben, die eine klitische Pronominalisierung zulassen, zu ersetzen durch das, was normalerweise die „Standardbedeutung" der Oberflächenkategorie 'Dativ' ist: die semantische Aktantenrolle ' Finalfunktion ' (oder wie immer man diese Rolle auch nennen mag) (1991:183).
Jacob möchte fur das moderne Französisch generell auf die Annahme eines Kategoriengefuges Kasus zugunsten einer Differenzierung ausschließlich nach semantischen Rollen verzich78
Das heißt selbstverständlich nicht, dass Rollen wie BENEFIZIENT und EXPERIENCER ausschließlich auf DAT-markierte DPs abgebildet würden: dt.
Peter (BENEFIZIENT) erhielt einen Brief. Peter (EXPERIENCER) furchtet große
ttü.
Ah (BENEFIZIENT) bir mektup aldi. Ali (EXPERIENCER) büyük köpekten
Hunde.
korkuyor.
frz. Pierre (BENEFIZIENT) a reçu une lettre etc. (cf. Melis 1998:283f fiir weitere Beispiele). Vielmehr geht es darum hervorzuheben, dass die strukturellen Kasus Nominativ und Akkusativ im Gegensatz zum Dativ soweit desemantisiert sind, dass sie sich fiir die Wiedergabe höchst unterschiedlicher, ja gegensätzlicher (Passivdiathese!) Θ-Rollen eignen (cf. Siller-Runggaldier 1996:411). Die Schwierigkeit einer semantischen Bestimmung des Dativs heben auch Vogel&Steinbach mit Blick auf das Deutsche hervor: „Everybody in the field agrees that dative case is semantically more specific than accusative and nominative. On the other hand, the numerous attempts to make this intuition explicit show that it is really hard to tell, what the semantics o f dative case actually is" (1998:85). 79
Zur phrasenstrukturellen Repräsentation solcher durch regP markierten Komplemente cf. Abschnitt 2.3.4.
102 ten. Dieser Schritt erscheint mir nicht unbedingt zwingend, insofern als eine an eine bestimmte semantische Rolle (FINAL) gebundene Oberflächenkategorie Dativ' im Französischen mit der klitisch pronominalisierbaren Sequenz à DP —» lui ja eindeutig zu identifizieren ist. Siller-Runggaldier befindet aufgrund italienischer Daten, „der von Jacob (1991) postulierte Anspruch einer Finalfunktion einzig und allein fur das sogenannte Dativobjekt [sei] in dieser Absolutheit nicht aufrechtzuerhalten" (1996:54)80 und konstatiert im Anschluss an ihre Auseinandersetzung mit verschiedenen Versuchen, den Dativ semantisch zu fassen: Das Dativobjekt denotiert eine Größe, die von einem Geschehen betroffen, von diesem aber nicht verändert wird. Sie zeichnet sich durch die Eigenschaften der Agentivität, der Belebtheit und der Partizipation aus und tritt in Konstruktionen auf, die Resultativität implizieren. Ferner ist sie in eine AVERE- oder eine Korrespondenz-Relation eingebunden (1996:60).
Diese mit Blick auf das Italienische formulierte Definition mag in Einzelheiten durchaus angreifbar sein. So scheint beispielsweise das Kriterium der NichtVeränderung der vom Dativkomplement denotierten Größe nicht in allen Fällen erfüllt.81 Deutlich wird jedoch, dass die Unterscheidung zwischen den klitisch pronominalisierbaren Dativkomplementen und den teilweise äußerlich identischen, aber nicht durch klitisches lui/leur pronominalisierbaren Präpositionalobjekten „kein syntaktisch-morphologisches Oberflächenphänomen ist, sondern tiefer liegende komplementäre syntaktisch-semantische Verhältnisse widerspiegelt" (Siller-Runggaldier 1996:62). Präpositionalobjekte, die nicht durch proklitisches lui/leur ersetzbar sind, werden in der Terminologie Siller-Runggaldiers Objektoide, die zugehörigen Kasus Objektoidkasus genannt. Diese Termini will ich im Folgenden übernehmen. Für das Französische kommen als inhärente Kasus neben dem Dativ eine Vielzahl von Objektoidkasus in Frage, d.h. solche, die durch lexikalisch geforderte, sog. 'regierte' Präpositionen (regP) markiert werden. Inhärente Kasus können im Unterschied zu den strukturellen Kasus Nominativ und Akkusativ auch von Kategorien [+N], also von Nomina wie in la destruction de Ια ville oder in l'abus de l'alcool und von Adjektiven wie in fidèle à son ami oder in fier de son succès zugewiesen werden. Über Ρ als Zuweiser inhärenter Kasus wird im Zusammenhang mit der Analyse komplexer Präpositionen nachzudenken sein (cf. Abschnitt 4.2). Bezüglich der PPs mit [P de] ist zu entscheiden, ob - analog zu den ò-Komplementen ein Unterbereich der betreffenden Elemente als Realisierung eines inhärenten oder strukturellen Kasus Genitiv aufzufassen ist, da auch hier gravierende Unterschiede im Zusammenhang mit der Substitution durch Proformen zu konstatieren sind: en vs. son. 80
Die Θ-Rolle FINAL kann nach Siller-Runggaldier (1996) auch auf Objektoide, d.h. auf nicht klitisch pronominalisierbare präpositional markierte Komplemente abgebildet werden. So sei im Falle von (i)
ital. Gianni mira a una cattedra
universitaria
die vom Objektoid denotierte Größe als das „Ziel einer metaphorisch zu verstehenden Bewegung zu interpretieren" (54). Hinzuzufügen ist, dass sich manche klitisch pronominalisierbaren ά-Ergänzungen nur schwerlich als Realisierungen der Θ-Rolle FINAL interpretieren lassen: (ii) 81
frz. son père¡... Pierre lui¡ ressemble
Cf. etwa umgangssprachliche Wendungen wie ital. gli accarezzo
le spalle! gli spacco il muso! oder frz. je lui
casse la figure ! je lui casse la gueule ! Allerdings ist hierbei die aus der Handlung resultierende 'Veränderung' (sprich Verletzung) der vom Dativkomplement denotierten Größe wohl eher eine Frage von Weltwissen.
103 Im P&P-Modell vollzieht sich inhärente Kasuszuweisung auf tiefenstruktureller Ebene, und zwar gemäß UCM unter der Bedingung der gleichzeitigen Θ-Rollenzuweisung. Realisiert werden inhärente Kasus dann auf S-Struktur (cf. Chomsky 1986:193). Overte Realisierungen inhärenter Kasus sind im Französischen (wie auch im Englischen) Elemente der Kategorie P, wobei die klitischen Personalpronomina eine Ausnahme bilden. Struktureller Kasus hingegen wird unabhängig von der Θ-Rollenzuweisung oberflächenstrukturell im Rahmen bestimmter Konfigurationen zugewiesen und realisiert. Im Französischen ist die Realisierung struktureller Kasus nicht overt; lediglich im Pronominalbereich kommen flexivische Mittel und zwar in Form von ererbten Suppletivformen zum Einsatz. Der enge Zusammenhang von Θ-Rollenund Kasuszuweisung wurde anhand der Passivdiathese verdeutlicht. Die unter (2.3-3) fur Kasuszuweisung im Französischen formulierten Bedingungen sind also nur fur die Zuweisung von strukturellen Kasus gültig und müssen wie folgt ergänzt werden: (2.3-24)
2.3.2
Inhärente Kasuszuweisung: In einer Konfiguration [α β ...] oder [β α ...] weist α β inhärenten Kasus zu, wenn 1. α im Lexikon spezifiziert ist für die Kasuszuweisung. In diesem Fall wird der Kasuswert idiosynkratisch durch α bestimmt, und wenn 2. α der Kopf einer phrasalen Kategorie LP ist, und wenn 3. α β gleichzeitig θ-markiert (UCM). Parametrisierung der Zuweisungsrichtung: α weist inhärenten Kasus nach rechts zu.
Der Genitiv als adnominaler Kasus des Französischen
In Abschnitt 2.3.1 habe ich dafür plädiert, die mit proklitischem lui pronominalisierbaren àErgänzungen des Französischen als Realisierung eines inhärenten Kasus Dativ aufzufassen, die übrigen mit à eingeleiteten Komplemente - zusammen mit allen anderen durch regP markierten Komplementen - hingegen den sog. Objektoiden zuzuschlagen. Analog hierzu stellt sich die Frage, ob die bei Syntagmen der Struktur de DP zu konstatierende Diskrepanz bezüglich der Substitution durch en bzw. durch das Possessivum sorfi2 dazu berechtigt, einen Subtyp dieser Phrasen als Realisierungen eines (inhärenten oder strukturellen) Kasus Genitiv aufzufassen. Nicht-adnominale PPs mit [P de] sind grundsätzlich durch en substituierbar, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um von V subkategorisierte Präpositionalphrasen bzw. um Adjunkte handelt wie in (2.3-25)
a. je suis revenu de mon château —» j'en suis revenu b. du balcon on aperçoit le château —» on en aperçoit le château
oder um Objektoide wie in
82
Die Form son steht hier und nachfolgend für das gesamte Paradigma der Possessiva.
104 (2.3-26)
a. je suis fier de mon succès —> j'en suis fier b. je ne me souviens plus de mon enfance je ne m'en souviens plus
In den Beispielen (2.3-25) ist de jeweils lexP, wobei in (2.3-25.a) die Präposition Kopf einer referenziellen Präpositionalphrase - also einer RP - ist, auf welche die Θ-Rolle HERKUNFT aus dem Θ-Raster des Verbs abgebildet wird. Dabei wird de vom Sprecher gemäß Mitteilungsabsicht aus dem Repertoire der lexP gewählt, und der präpositionale Kopf weist seinem DPKomplement entsprechend den unter (2.3-3 bzw. 24) formulierten Bedingungen den strukturellen Kasus AKK zu. In (2.3-25.b) ist de als lexP Kopf eines präpositionalen Adjunkts. 83 Da im Kontext solcher PP-Adjunkte keine lexikalische Kategorie als potenzieller Kasuszuweiser zu identifizieren ist, müssen sie selbstverständlich aus dem Kreis möglicher Kandidaten fur eine Genitivrealisierung ausscheiden. In den Beispielen (2.3-26.a&b) ist de als regP zu interpretieren, die in den jeweiligen Lexikoneinträgen von A bzw. V festgeschrieben ist und die gleichfalls ihrem DP-Komplement strukturellen Kasus zuweist. Ob solche regP als overte Realisierungen von Objektoidkasus aufzufassen sind, wird unter 2.3.3 thematisiert. Eine weitere Verwendung von de ist der Gebrauch als article partitif wie in (2.3-27)
a.
et les douches, ça fonctionne avec des jetons ?
Auch hier ist grundsätzlich die Pronominalisierung mit en möglich: (2.3-27)
b.
oui ...vous en prenez?
Die Verwendung des präpositionalen Elements de im Amalgam mit dem Determinanten als partitiver Artikel oder als Pluralform des indefiniten Artikels soll jedoch von den weiteren Betrachtungen ausgeschlossen werden. Es verbleiben also die zahlreichen adnominalen de-Ergänzungen, die neben der Pronominalisierung mittels en größtenteils auch eine Substitution der betreffenden Konstituente durch das Possessivum son erlauben: (2.3-28)
a. b. c.
[DP les baskets / les beaux yeux [de Pierre]] me plaisent beaucoup [DP ses baskets / beaux yeux] me plaisent beaucoup [DP ?? les baskets / ? les beaux yeux] m'en plaisent beaucoup
(2.3-29)
a. j'admire [DP les baskets / les beaux yeux [de Pierre]] b. j'admire [DP ses baskets / ses beaux yeux] c. j'en admire [DP ?? les baskets / ? les beaux yeux]
Die unter (2.3-28.a&29.a) angeführten Beispiele erlauben ausnahmslos die Substitution des optionalen „complément de relation" (Grevisse 1993: §342) durch das Possessivum son, und zwar unabhängig davon, ob die komplexe DP wie in (2.3-28.a) in Subjektposition oder wie in 83
Zu de als lexP cf. u.a. Schepping (1992). Problematisch ist, dass die lexP de nicht wie à (elle m'attend à/devant/... la gare) in paradigmatischer Beziehung zu anderen lokalen Ρ steht. In (2.3-25.b) ist bestenfalls an eine Substitution durch depuis zu denken.
105 (2.3-29.a) VP-intern in Objektposition situiert ist. Darüber hinaus ist in allen Fällen die Pronominalisierung mittels en zumindest möglich, wenn auch, wie Jones (1996:269) ausführt, bei einem Referenten [+hum] eher unüblich.84 Der grundsätzliche Unterschied zwischen sort und en besteht darin, dass es sich bei en um ein Klitikon handelt, das an eine verbale Basis gebunden ist, während son eine DP-interne Position, nämlich D, besetzt.85 Gemeinsam unterscheiden sich beide Elemente von vollen DPs dadurch, dass sie nicht eigenständig referieren können. Ihre Referenz erhalten sie über die Koindizierung mit einem Antezedens. Bisher wurde stets von Pronominalisierung und Substitution einer DP durch Proformen gesprochen. Dies ist insofern irreführend, als hierbei der Anschein erweckt wird, eine phrasale Struktur wie (2.3-28.a), hier wiederholt als (2.3-30)
a.
[DP les baskets [de Pierre]] me plaisent beaucoup
werde erst mit einer voll besetzten DP als Possessor generiert, um dann in einem zweiten Schritt den R-Ausdruck zu tilgen und durch eine Proform wie son zu ersetzen, die damit ebenfalls den Status einer maximalen Projektion haben müsste: (2.3-30)
b.
? [DP les baskets [χρ de Pierre —> son]] me plaisent
beaucoup
Um die korrekte Oberflächenabfolge herzuleiten, müsste son in die Anfangsposition bewegt werden, wobei als Landeplatz Spec,DP angenommen werden könnte: (2.3-30)
c.
? [DP [spec,DP = χρ son], les baskets [χρ se«¡]] me plaisent beaucoup
Die korrekte morphologische Form ses ergäbe sich als Konsequenz phonologischer Regeln, die die Informationen, welche auf dem PF-Zweig der Grammatik zur Verfügung stehen, in konkrete Lautketten umwandeln:
84
85
Vergleichbares gilt für die Substitution von mit à eingeleiteten Objektoiden [+hum] durch y (cf. 2.3.3). - Entsprechend den Ausführungen bei Kupferman ist die Substitution eines adnominalen rfe-Adjunkts [+hum] durch en nur bei Ausdruck eines inalienablen Possessionsverhältnisses möglich, d.h. wenn zwischen dem betreffenden Referenten (hier: Pierre) und dem des nominalen Kopfes der komplexen DP (hier: les baskets bzw. les beaux yeux) eine „relation de connexion interne, préconstruite lexicalement ou préétablie pragmatiquement" (1996:118) besteht. Dagegen bestehen bei son keine derartigen Restriktionen: „[ion] peut aussi représenter I'aliénabilité, où la relation se définit comme extérieure aux référents des deux expressions nominales" (ibid.). Dementsprechend ist die Substitution durch en bei les beaux yeux de Pierre grundsätzlich möglich, während bei les baskets de Pierre ein Verhältnis der Inalienabilität zwischen den jeweiligen Referenten kaum denkbar ist. J'en admire les baskets - in (2.3-28c) mit ?? gekennzeichnet - wäre demnach ungrammatisch. Nach Jones bestehen derartige Restriktionen nicht; allerdings sei die Konstruktion mit son „strongly preferred when a human reference is involved" (1996:269). Mit Blick auf das Deutsche ist verschiedentlich dafür plädiert worden, Possessiva wie mein etc. nicht als Determinanten in D, sondern als maximale Projektionen in Spec,DP anzunehmen (cf. z.B. Bhatt 1990:141). Auf die diesbezüglich geführte Diskussion kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen eingegangen werden. Ich fasse demgegenüber die Possessiva des Französischen im herkömmlichen Sinne als déterminants possessifs und damit als Elemente D auf, die mit den anderen D-Elementen (bestimmter, unbestimmter Artikel, Demonstrativdeterminant etc.) in einem Verhältnis komplementärer Distribution stehen.
106 (2.3-30)
d.
? [DP [[spec,DP = XP son\[ + [D les] —> /se/] baskets [s©«,]] me plaisent beaucoup
Eine solche Auffassung widerspricht jedoch offensichtlich jeder Vorstellung von derivationeller Ökonomie. Plausibler ist die Annahme, dass eine Einheit wie ses als Kopf D in der Numeration Ν enthalten ist und dass die Selektion eines solches Elements durch den Sprecher von bestimmten Kontextbedingungen, d.h. von der Bindung der betreffenden Einheit durch ein autoreferenzielles Antezedens abhängig ist, z.B.: (2.3-30)
e.
tu connais Pierre-, ? [DP [Ü.SES]¡ baskets ] me plaisent beaucoup
Wenn im Folgenden dennoch von 'Pronominalisierung' und 'Substitution' gesprochen wird, dann ist damit keine wie unter (2.3-30.a-d) angedeutete Herleitung gemeint. Unter der Voraussetzung, dass inhärenter Kasus an die Zuweisung von Θ-Rollen gebunden ist (cf. 2.3.1), liegt es nahe, die durch son substituierbaren c/e-Ergänzungen als Genitivrealisierungen aufzufassen, da sie zugleich der Θ-Rolle POSS entsprechen. Dabei kann es sich sowohl um alienable als auch um inalienable Possession handeln (cf. les baskets de Pierre vs. les beaux yeux de Pierre). Zuweisende Kategorie ist dann der nominale Kopf der komplexen DP. Doch auch de-Syntagmen, die nicht der Θ-Rolle POSS entsprechen, können durch Possessiva - und gleichfalls durch en - ersetzt werden: (2.3-31)
a. b. cd. e· f·
j 'ai vu le portrait [d'Aristote THEMA] j 'ai vu son portrait j 'en ai vu le portrait j 'ai vu le portrait [de Rembrandt AGENS] j 'ai vu son portrait j 'en ai vu le portrait
Dementsprechend unterscheidet Kupferman im Einklang mit den Resultaten von Milner (1982a, 1982b) neben einem possessiven Genitiv (im Folgenden G E N [ P O S S ] X der prinzipiell von jedem Ν an eine DP zugewiesen werden kann {les baskets de Pierre), zwischen zwei sog. „génitifs argumentaux" (Kupferman 1996:119), die als oberflächensyntaktisch fakultative Realisierungen des externen bzw. internen Arguments eines nominalen Kopfes aufzufassen sind. Diese werden im Folgenden durch G E N [ A G E N S ] bzw. GEN[THEMA] symbolisiert.86 Während ein Ν wie basket lediglich eine referenzielle Rolle hat (die eine erweiterte Projektion DP lizenziert), weist das Θ-Raster von Nomina wie portrait oder traduction neben der referenzi-
86
Dies entspricht im Wesentlichen der traditionellen Unterscheidung zwischen der Interpretation des Genitiv in
amor patris als Genitivus subjectivus 'die Liebe des Vaters zu jemandem' bzw. als Genitivus objectivus 'die Liebe zum Vater'. - Die Unterscheidung zwischen einem 'possessiven' und zwei 'argumentalen' Genitiven, wie sie Kupferman vornimmt, ist terminologisch insofern nicht ganz befriedigend, als auch der inalienable Possessor mit einer Position aus der Argumentstruktur des nominalen Kopfes korrespondiert. So ist beispielsweise bei père immer die Relation 'Vater von jemandem' bzw. bei œil entsprechend die Relation 'Auge von jemandem' implizit, während dies bei alienabler Possession nicht der Fall ist.
107 eilen Rolle jeweils eine externe und eine interne Rolle auf. In Bezug auf die Argumentstruktur gleichen sie also dem jeweils korrespondierenden Verb: (2.3-32)
a. b. c.
portrait traduction basket
portraiturer*1 traduire
Die Klammerung zeigt an, dass die oberflächensyntaktische Realisierung der jeweiligen Konstituenten beim Verb obligatorisch, im Falle des Ν hingegen fakultativ ist. Weiterhin optional kann jedes Ν mit dem (alienablen) G E N [ P O S S J eine weitere Konstituente in seinem Kontext lizenzieren, die von der Argumentstruktur des nominalen Kopfes unabhängig ist. Dies gilt wohlgemerkt für Elemente wie portrait und traduction, die neben der referenziellen Rolle weitere Positionen in ihrem Argumentraster aufweisen, ebenso wie für Nomina, die - wie basket - nur über eine referenzielle Rolle verfugen. Prinzipiell können im Kontext eines nominalen Kopfes also maximal drei strukturell unterschiedlich motivierte GEN-markierte DPs lizenziert werden. In Bezug auf ihre lineare Anordnung innerhalb der komplexen DP sind sie der thematischen Hierarchie (2.3-33)
POSS > AGENS > THEMA (Kupferman 1996:108)
unterworfen. Dieser Rangordnung entspricht auch die rollensemantische Interpretation des jeweiligen Antezedens von son in Konstruktionen mit einem Possessivum (Beispiele s.u.). Im konkreten Sprachgebrauch ist die Realisierung aller drei potenziell möglichen Rollen POSS, AGENS und THEMA in Form von cfe-Syntagmen innerhalb einer komplexen DP eher selten. In Bezug auf die Grammatizitätsbewertung solcher komplexer DPs mit multiplen, aufeinander folgenden Genitiven besteht in der Literatur allerdings kein Konsens. Während Kupferman eine DP wie le portrait d'Aristote de ce musée lediglich als „plutôt gauche" (1996:107) einstuft, werden von Stein (1993:89) vergleichbare Konstruktionen als eindeutig ungrammatisch bewertet. Giorgi&Longobardi (1991:133) wiederum heben hervor, dass gerade in den romanischen Sprachen im Gegensatz zum Englischen solche Abfolgen unterschiedlich motivierter Genitivsyntagmen möglich seien. Milner bleibt in seiner Formulierung vage, wenn er schreibt: „les suites de trois [génitifs; C.G.] paraissent inacceptables en performance" (1982a:77), und auch Grevisse, stellvertretend fur die Grammatikographie, hält sich in Bezug auf eine eindeutige Beurteilung bedeckt, wenn er einerseits zwar herausstellt, dass im Kontext eines Ν das Agens fur gewöhnlich durch par, das interne Argument hingegen durch de markiert wird {la conquête de l'Algérie par la France', 1993:§347), andererseits aber lediglich darauf hinweist, dass eine „succession d'un grand nombre de compléments introduits par de" (1993:§345) aus stilistischen Gründen vermieden werden sollte. Sicherlich ist hierbei von einem Kontinuum unterschiedlicher Grade von Akzeptabilität auszugehen, und zwar dahingehend, dass beispielsweise komplexe DPs wie l'éloge de la folie d'Érasme oder le portrait d'Aristote de Rembrandt (beide Beispiele in Kupferman 1996) eher für akzeptabel befunden werden als etwa lia traduction d'Aristote de Pierre oder lia conquête de l'Algérie de la
87
Gebräuchlicher als das Verbum simplex portraiturer
qn ist das Funktionsverbgefüge faire le portrait de qn.
108 France, obwohl die jeweils zugrundeliegende Argumentstruktur mit für alle genannten Beispiele identisch ist.88 Trotz allem ist festzuhalten, dass Konstruktionen mit drei unterschiedlich motivierten Genitivsyntagmen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind.89 Dies sei im Folgenden anhand von Kupfermans Beispiel (2.3-34)
a.
le portrait d'Aristote de Rembrandt de ce musée
erläutert. Zunächst die Darstellung im Strukturbaum nach dem traditionellen P&P-Modell: (2.3-34)
b. Dk le
Ν '
GEN[P0SS]
— Ν '
—
portrait
e
ce musée
GEN[AGENS]¡
de Ν
d
Rembrandt
GEN[THEMA]j
d'Aristote
Die in der Hierarchie (2.3-33) POSS > AGENS > THEMA am höchsten stehende Konstituente, so fuhrt Kupferman unter Bezugnahme auf Cinque (1980) aus, kann jeweils durch son ersetzt werden. Daraus ergeben sich die folgenden Daten: (2.3-35)
a. b. c.
ce musée¡... son¡portrait d'Aristote de Rembrandt Rembrandt¡... son¡ portrait d'Aristote *de ce musée Aristote¡... son¡portrait *de Rembrandt *de ce musée
88
Eine mögliche Erklärung kann vielleicht darin gesehen werden, dass Sequenzen wie portrait d'Aristote und éloge de la folie, die bestimmte Kunstwerke bezeichnen, eher als zusammengesetzte Eigennamen aufgefasst werden, denn als Ν mit postnominaler Genitivergänzung.
89
Entsprechendes gilt für das Deutsche: Stilistisch nicht unbedingt überzeugend, aber mit Sicherheit nicht ungrammatisch sind Abfolgen wie das Portrait [der Sängerin Isabella Colbran THEMA] [ifes Malers Ferdinand Waldmüller AGENS][der Neuen Pinakothek in München POSS]. Bhatt (1990) zeigt auf, dass die Akzeptabilität eines Beispiels wie die Erfindung der Dampfmaschine des Ingenieurs James Watt allein von „semantisch-pragmatische[n] Faktoren" (126) abhängt: Will man in dieser Abfolge die Konstituente des Ingenieurs James Watt nicht als postnominalen (possessiven) Genitiv zu Dampfmaschine auffassen, so bleibt aufgrund der Semantik der jeweiligen Ν in den betreffenden Konstituenten lediglich die Interpretation von der Dampfmaschine als GEN(THEMAI und von des Ingenieurs James Watt als GEN[ A GENSJ, obwohl eine Auffassung von der Dampfmaschine als GENJAGENS] und von des Ingenieurs James Watt als G E N O S S ] durch die thematische Hierarchie (2.3-33) gleichfalls abgedeckt wäre. Da aber aufgrund unseres Weltwissens eine Dampfmaschine als Erfinder und ein Ingenieur namens James Watt als 'Besitzer' der Erfindung kaum in Frage kommt, scheidet eine solche Interpretation wohl eher aus.
109 In (2.3-35.c) ist die Rolleninterpretation THEMA des Antezedens von son nur möglich, weil keine weiteren ife-Syntagmen vorhanden sind, die einen GEN[AGENS] bzw. einen GEN[Poss] repräsentieren könnten, d.h. weil nur hier der dem internen Argument des Kopfes [Nportrait] entsprechende GEN in der thematischen Hierarchie (2.3-33) am höchsten steht. Selbstverständlich kann son in (2.3-35.c) aber auch als Entsprechung eines G E N [ A G E N S ] oder eines GEN[POSS] aufgefasst werden, d.h. das Antezedens von son - also Aristote - könnte theoretisch auch Agens oder Possessor sein ( Ά . hat das Portrait gemalt' bzw. Ά . besitzt das Portrait'). In (2.3-35.b) hingegen ist die Interpretation des Possessivums als Entsprechung des GEN[THEMA] ausgeschlossen: Da nur die ranghöchste Rolle mit dem Possessivum koindiziert sein kann und die betreffende Projektion eine weitere GEN-markierte Konstituente beinhaltet, muss das Antezedens von son entweder Agens oder Possessor sein. Dass die Interpretation des Antezedens Rembrandt als Agens die wahrscheinlichere ist, ist wohl eine Frage des Weltwissens. In (2.335.a) schließlich ist für das Antezedens von son einzig und allein die Interpretation als Possessor möglich, da bei zwei weiteren overten ü/e-Syntagmen nur eine Rolleninterpretation, nämlich POSS, übrig bleibt. Auch Jones arbeitet in diesem Zusammenhang mit einer thematischen Hierarchie. So spricht er in Bezug auf die Substitution der einzelnen Genitivtypen durch son von einer 'pecking order' which gives the Agent or Possessor priority over the complement [d.h. den thematischen Genitiv] for the realisation as a possessive determiner; thus, in son portrait
de Pierre, Pierre must be interpreted
as the depicted person while son can denote either the artist or the owner (1996:270).
Problematisch ist m.E., dass Jones offensichtlich zusätzlich zur thematischen Hierarchie annimmt, die unterste Position in der Hierarchie POSS > AGENS > THEMA müsse stets besetzt sein. Es gibt jedoch keinen Grund dafür, in Bezug auf sein Beispiel son portrait de Pierre die Interpretation von Pierre als AGENS und von son als POSS auszuschließen. Wird im selben Kontext die Konstituente [de Pierre] beispielsweise durch [de Rembrandt] ersetzt, ist eine solche Interpretation sogar naheliegender als die von Jones genannten Varianten: So haben befragte Muttersprachler son portrait de Rembrandt intuitiv als 'ein Portrait, das Rembrandt gemalt hat und das jemandem gehört' paraphrasiert. Die jeweils möglichen Interpretationsvarianten von son in den Beispielen (2.3-35) werden abschließend unter (2.3-36) tabellarisch zusammengefasst:
110 (2.3-36)
Interpretationsmöglichkeiten von son in den Beispielen (2.3-35.a,b&c) [DP le [portrait
[d'Aristote THEMA [d'Aristote] THEMA
35.a
ce muséei... POSS
[DP son, portrait
35.b
Rembrandt¡.. AGENS
[DP son, portrait
[d'Aristote]] THEMA
ce musée¡... POSS
[DP son-, portrait
[d'Aristote]] THEMA
ce musée, ... POSS
[DP son, portrait
Aristote¡ ... THEMA
[DP son, portrait]
Rembrandt,.. AGENS
[DP son, portrait]
ce musée-,... POSS
[DP son, portrait]
35.C
[de Rembrandt AGENS [de Rembrandt]] AGENS
[de ce musée]]]] POSS
[d'Aristote]] AGENS
Paraphrasierung ein Portrait, das A. darstellt, von R. gemalt wurde und jemandem gehört, z.B. dem Museum ein Portrait, das A. darstellt und von jemandem gemalt wurde, z.B. von Rembrandt ein Portrait, das A. darstellt und jemandem gehört, z.B. dem Museum ein Portrait, das von A. gemalt wurde und jemandem gehört, z.B. dem Museum ein Portrait, das jemanden (oder etwas) darstellt, z.B. A. ein Portrait, das von jemandem gemalt wurde, z.B. von Rembrandt ein Portrait, das jemandem gehört, z.B. dem Museum
Die Unterscheidung zwischen einem possessiven Genitiv einerseits und den argumentalen Genitiven G E N [ T H E M A ] und G E N [ A G E N S ] andererseits und der damit verbundene Verzicht auf die Annahme einer einheitlichen, in Verbindung mit dem Genitiv zugewiesenen Θ-Rolle erweckt zunächst den Eindruck, ausnahmslos alle adnominalen ofe-Ergänzungen seien als GEN-markierte Konstituenten aufzufassen. Es gibt jedoch auch adnominale ¿fe-Syntagmen, die nicht durch son substituierbar sind, obwohl die thematische Hierarchie (2.3-33) dies eigentlich gestatten müsste: (2.3-37)
a. b. c.
le rêve [de ce grand départ THEMA] a été réalisé ce grand départi... *son¡ rêve a été réalisé ce grand départi... le rêve en-, a été réalisé
Ill Dass dem präpositionalen Element de in (2.3-37.a) nicht der gleiche Status zukommt wie in den Beispielen (2.3-35), zeigt sich auf zweifache Weise: Erstens kann in (2.3-37.b) - abweichend vom Bindungsverhalten der oben besprochenen Genitivtypen - das Antezedens von son nicht als THEMA interpretiert werden. Zweitens subkategorisiert das korrespondierende V rêver eine mit der regP de markierte Konstituente, um darauf die Θ-Rolle THEMA abzubilden, und nicht etwa eine DP, die unter Rektion strukturellen Kasus erhält: (2.3-38)
a. b.
* rêver ce grand départ90 rêver de ce grand départ (Kupferman 1996:110; dort weitere Fälle)
Kupferman, der im Rahmen seines Ansatzes nicht mit Konzepten wie 'Objektoid(kasus)' oder 'regP' arbeitet, interpretiert ein solches de als ein „élément... véritablement prépositionnel" (110). Damit ist zwar unterstrichen, dass derartige Verwendungen von de vom gleichlautenden Genitivmarker de abzugrenzen sind, jedoch wird auf diese Weise verschleiert, dass ein nicht minder gravierender Unterschied zur Verwendung von de als lexP besteht. In den Abschnitten 2.3.3 und 2.3.4 werde ich im Anschluss an Rauh und Siller-Runggaldier dafür plädieren, im Lexikoneintrag festgeschriebene Präpositionen (regP) als overte Markierungen von speziellen Objektoidkasus und damit als funktionale Köpfe Κ in der erweiterten Projektion eines nominalen Kopfes zu analysieren und auch als solche zu repräsentieren. Abschließend sei die Frage aufgeworfen, ob umgangssprachliche Strukturen wie (2.3-39)
c 'est la voiture de/à Madame Χ(= c 'est sa voiture)
dazu Anlass geben sollten, für das français familier das präpositionale Element à als registerspezifische Variante (Allomorph) des Genitivmarkers de zu interpretieren. Zu bedenken ist hierbei, dass auch die Standardsprache die Versprachlichung von HABEN-Relationen mit Hilfe von à kennt, und zwar dann, wenn als Possessum eine DP [+def] selegiert ist. Dabei handelt es sich um die meist als Zugehörigkeitsvariante ('appartenance') bezeichnete Form der HABEN-Relation: (2.3-40)
la/cette voiture est à Madame X( = Madame Xa une voiture)91
Auch bei den Verwandtschaftsbezeichnungen, die zusammen mit den Bezeichnungen für Körperteile zum Bereich der inalienablen Possession gerechnet werden (cf. Spanoghe
90
91
Dies gilt nur für das unmarkierte Standardfranzösisch. In poetischer Sprache sind derartige Konstruktionen durchaus möglich: il vaut mieux rêver sa vie que la vivre (Proust, zit. n. PR). Spanoghe (1995:25) charakterisiert in ihrer Monographie La syntaxe de l'appartenance inaliénable den Unterschied zwischen der Possessions- und der Zugehörigkeitsvariante bei der Versprachlichung von HABENRelationen als einen der Passivdiathese vergleichbaren Perspektivenwechsel im Verhältnis zwischen Possessor (Ρ) und Possessum (p). Dies veranschaulicht sie mithilfe des nachfolgend wiedergegebenen Schemas: (i) Ρ —> ρ „avoir" Madame X a une voiture (ii) Ρ und
133
Die Repräsentation der Konstituente Jean als NP ist von Kayne übernommen; entsprechend meinen Ausführungen in Abschnitt 2.2.5 müsste jedoch auch in diesem Falle eine DP angenommen werden. Die Frage nach der Repräsentation nominaler Konstituenten als NP oder DP ist hier allerdings nicht von Bedeutung; der springende Punkt ist, dass das Komplement nicht minimal (X) sein darf, sondern maximal sein muss (X""" bzw. XP).
134
Dies ist ein weiteres - wenn auch theoretisches - Argument für die Annahme strikt binär verzweigender Strukturen bei dreiwertigen Verben (cf. Abschnitte 2.1.3, 3.5 und 3.6). Weiterhin hat diese Beschränkung zur Folge, dass auch die koordinierende Konjunktion et als Phrasenkopf aufgefasst werden muss. Auf diese Weise werden die Konjunkte zueinander in ein asymmetrisches Verhältnis gebracht, und nur so lässt sich eine solche Struktur linearisieren (cf. Kayne 1994:57ff). Detaillierte Vorschläge für die strikt binäre Modellierung von Koordinationsstrukturen hat Johannessen (1998) gemacht.
153 Diesen Paaren entsprechen wiederum die folgenden terminalen Elemente: (2.4-6)
c.
/¡ 'ouvre-t-elle ?
Hier zeigt sich deutlich der Vorteil des BPS-Modells: Wenn jede nicht weiter verzweigende Kategorie in Abhängigkeit von ihrer konfigurationellen Position entweder X oder X max /XP sein kann, dann ist es unproblematisch, ein als maximale Projektion DP in Komplementposition zum Verb basisgeneriertes Klitikon als Kopf D an das Verb zu adjungieren, und zwar ohne dadurch das Strukturerhaltungsprinzip zu verletzen. Abschließend sei für die Beispiele (3-6f.&g) die Darstellung im Strukturbaum gegeben: (3-6)
TP
h.
Τ
Spec,TP
Marie
, CL + V + ν + Τ
/ ouvre
vP Spec,vP J CL + V + v
CP TP
CL + V + v + T + C [+wh]
l 'ouvre-t
Spec,TP c [[ c
T' vP
fCL + V + v+ T I*
Spec,vP cuc 1
CL + V + V
l'ouvre
VP
I
Auch Friedemann/Siloni (1997) sprechen in Zusammenhang mit den romanischen Objektklitika von gewissen „intrinsic properties that force clitics to raise overtly" (89). Diese 'intrinsischen Eigenschaften' werden von den Autoren allerdings nicht weiter charakterisiert. Ähnlich vage äußert sich Drijkoningen (1997:98). In Bezug auf ihr 'Anlehnungsbedürfnis' an eine verbale Basis zeigen nicht-argumentale CL wie freie Dative und Pronominaladverbien wie y und en das gleiche syntaktische Verhalten wie Objektklitika.
170 In (3-6.h) ist die vollständige Derivation der Konstruktion mit einem Objektklitikon gegeben; die Darstellung in (3-6.i) beschränkt sich auf die gemeinsame Anhebung des Komplexes aus CL und Verb in der Interrogativstruktur. Bewegungsauslösendes Merkmal ist das starke Feature [+Wh] in C; auf dem Weg in die Zielposition werden durch Adjunktion an die einzelnen funktionalen Köpfe die grammatischen Merkmale des Verbs FF(V) gecheckt. Die Insertion des euphonischen Konsonanten [t] ist ebenso wie die Elision des auslautenden Vokals beim Klitikon als Resultat phonologischer Regeln aufzufassen, die auf dem PF-Zweig der Grammatik ansetzen.
3.3
Transitive Verben mit Objektoid
Die im Französischen generell mit regP markierten indirekten Objekte symbolisiere ich durchgehend als KPs, und zwar unabhängig vom jeweiligen Wert, fur den das Kasusmerkmal der betreffenden Konstituente spezifiziert ist (cf. Abschnitt 2.3.4). Die präpositionale Herkunft der kasusmarkierenden Elemente Κ schlägt sich darin nieder, dass innerhalb der jeweiligen KP ein (koverter) Checking-Vorgang zu verzeichnen ist, der demjenigen von PPs/RPs mit lexikalischen oder grammatischen Präpositionen entspricht (cf. Abschnitt 3.8). Die Überprüfung eines Objektoidkasus wie [Case:s«r] erfolgt parallel zum Checking des strukturellen Kasusmerkmals [Case:AKK] beim direkten Objekt durch FF-Adjunktion an den komplexen Kopf [V + ν + T]. Gleiches gilt für die Überprüfung der Objektkongruenz. Die überprüfenden Merkmale fur Kasus und Kongruenz finden sich jeweils in v; Checking findet in Head-HeadKonfiguration statt. (3-7)
a. b.
Marie compte sur Pierre / sur Pierre et son fils /sur Pierre et Paul... TP
Spec,TP Marie
DP Pierre / Pierre et son fils / .
171
3.4
Konstruktionen mit periphrastischen Verbformen
Grundlegend für das hier angenommene Modell fur die Derivation von Konstruktionen mit zusammengesetzten Verbformen sind zum einen die Annahme einer AgrP zur Überprüfung der Partizipialkongruenz (Friedemann/Siloni 1997) und zum anderen die Auffassung vom Spezifikator als sekundärem Kopf, wie sie in Cann (1999) vorgeschlagen wird. Friedemann/Siloni (1997) gehen davon aus, dass bei Konstruktionen mit zusammengesetzten Verbformen, die aus einem Auxiliar wie avoir oder être und einem Partizip Perfekt bestehen, eine AgrP für die Überprüfung des accord zwischen Partizip und angehobener DP projiziert wird. Empirische Grundlage für diese Annahme ist die Tatsache, dass bei passivischen und unakkusativen Konstruktionen wie (3-8)
a. b.
la porte est ouverte Marie est arrivée
das oberflächensyntaktische Subjekt in Numerus und Genus mit dem Partizip kongruiert, während zwischen Auxiliar und Subjekt Kongruenz in Numerus und Person zu verzeichnen ist. Dem kann Rechnung getragen werden, indem in Agr andere Kongruenzmerkmale kodiert sind als in T. Die Projektion auxΡ erscheint im Strukturbaum (3-9) in Klammern, da aux ('light auxiliary') nur dann auftritt, wenn es in seiner Funktion als 'Kausativierer' (cf. Abschnitt 2.3.6.2) eine Spezifikatorposition für die Basisgenerierung eines Subjekts bereitstellen muss. Dies ist - wie sich weiter unten zeigen wird - der Fall bei allen Konstruktionen mit dem Hilfsverb avoir. (3-9)
Zu den Besonderheiten des Partizips Perfekt zählen die speziellen Θ- und kasusspezifischen Eigenschaften dieser Formen. Gemäß (der revidierten Form von) Burzios Generalisierung, hier wiederholt als (3-10.a&b), gilt: (3-10)
a.
Ein Verb, das strukturellen Kasus überprüft, kann auch eine externe Θ-Rolle vergeben.
172
(3-10)
b.
Verliert ein Verb aufgrund eines morphologischen Prozesses sein kasusüberprüfendes Merkmal, verliert es auch seine externe Θ-Rolle.6
Während (3-10.a) sich auf die Θ- und kasusspezifischen Eigenschaften transitiver V bezieht, besagt der Zusatz in (3-10.b), dass passivische Morphologie diesbezüglich einen Wandel nach sich zieht, und zwar dergestalt, dass genuin transitive Verben wie unakkusative (nicht: intransitive!) Verben verwendet werden können. So verliert das mit dem türkeitürkischen Passivmorphem -In- suffigierte Verb bulmak sowohl das strukturelle Kasusmerkmal als auch seine externe Θ-Rolle, d.h. das Θ-Raster des so entstandenen morphologisch komplexeren V bulunmak enthält nur noch eine interne Rolle (bzw. im Falle der Verwendung im Sinne von 'sich befinden' eine weitere interne Rolle LOK). (3-11)
a. b.
bulmak [D:Case:AKK] Ali, kitab-i-n-i bul-a-ma-di Ali Buch:P0SS.3.SG:FG:AKK fmd:MÖGL:NEG:PAST
'Ali hat sein Buch nicht finden können.'
c. d.
bulunmak oder: [D:Case:LOK]7 Al'inin kitab-i dolap-ta bul-un-du Ali:GEN Buch:P0SS.3.SG SchrankiLOK find:PASS:PAST 'Alis Buch wurde im Schrank gefunden / oder: befand sich im Schrank.'
Da das Französische wie die übrigen romanischen Sprachen das Passiv periphrastisch bildet, müssen zum einen die Besonderheiten des Partizips Perfekt und zum anderen diejenigen des Auxiliars être Beachtung finden. So kann eine Form des Typs ouvert sowohl in verbalen Kontexten (zusammengesetzte Tempora, Passiv) als auch in adjektivischen auftreten: une toile peinte, une porte fermée. Dementsprechend ändern sich die kategorialen Merkmale des 6
Bereits unter 2.3.1 wurde daraufhingewiesen, dass Burzios Generalisierung in der ursprünglichen, umkehrbaren Form problematisch ist: Geht man nämlich davon aus, dass neben (3-10.a) auch die (von Burzio vorgesehene) Umkehrform 'Ein V, das keinen strukturellen Kasus überprüft, kann auch keine externe Θ-Rolle vergeben' (3-10.a') gültig ist, dann wäre damit die Existenz einfach intransitiver Verben wie dormir, die keine strukturellen Kasus checken, wohl aber eine externe Argumentposition θ-markieren, in Abrede gestellt. Doch selbst in der reduzierten Version ist Burzios Generalisierung nicht ganz unproblematisch, hält man sich vor Augen, dass es beispielsweise im Deutschen und im Spanischen Konstruktionen gibt, wo das Verb offensichtlich ein überprüfendes Merkmal [D:Case:AKK] aufweist, aber keine externe Θ-Rolle zuweist: (i) (ii)
dt. es gibt einen Riesenärger span, hay montañas bonitas en España —> montañas bonitas, las hay en España
In beiden Fällen scheint die Subjektposition nicht θ-markiert zu sein - in (i) ist sie durch das Expl es, in (ii) durch pro besetzt - , das jeweilige DP-Komplement ist jedoch eindeutig ΑΚΚ-markiert. Um die unter (3-10) gegebene Version trotzdem beibehalten zu können, müsste man davon ausgehen, dass dt. es und span, pro in (i) bzw. (ii) nicht als (Null)-Expletiva, sondern als Elemente aufzufassen sind, die eine von V mit der externen Θ-Rolle EVENT o.ä. versehene A-Position besetzen. Selbstverständlich ist diese Rolle nicht mit der referenziellen Rolle von V zu verwechseln. - Für meine Zwecke kann jedoch ohnehin an (3-10) festgehalten werden, da vergleichbare Problemfalle im Französischen nicht auftreten bzw. eine Entscheidung nicht getroffen werden kann, da die dem dt. es gibt bzw. dem span, hay entsprechende Konstruktion il y a keinerlei morphologische Hinweise auf ein in V/Aux anzunehmendes Kasusmerkmal liefert: Il y a de belles montagnes en Espagne il y en a en Espagne. 7
Man beachte, dass das Merkmal [DP:Case:LOK] keinen strukturellen, sondern einen inhärenten Kasus checkt.
173 Partizips von der verbalen Spezifikation [+V, - N ] zum verbal-adjektivischen Mischcharakter [+V, ±N], wobei [+V, - N ] für den verbalen und [+V, +N] für den adjektivischen Gebrauch zutrifft. Auch hierbei gilt Burzios Generalisierung, und zwar in dem Sinne, dass externe ΘRolle und kasusüberprüfendes Merkmal suspendiert werden, d.h. weiterhin in den jeweiligen Θ- und Kasusrastern vorhanden, aber inaktiv sind. Suspendierte Merkmale erscheinen in {geschweiften Klammem}: (3-12)
a.
ouvrir ouvert
[+V.-N] [+V, ±N]
[D:Case:AKK] vs. {D:Case:AKK}
Damit ist auch klar, dass ein Objektklitikon nicht an ein Partizip Perfekt adjungiert werden kann: (3-12)
b. c.
*(laporte),... *(laporte),...
Marie a brusquement A 'ouverte a-t-elle brusquement h 'ouverte ?
{D:Case:AKK} in V {D:Case:AKK} in V
Im Verlauf einer Derivation können suspendierte Merkmale jedoch reaktiviert werden. Dies geschieht durch Insertion eines finiten Hilfsverbs, das die entsprechenden restaurierenden Merkmale [Restore:Case] bzw. aufweist (cf. Friedemann/Siloni 1997:82). Klitika adjungieren in Konstruktionen mit periphrastischen Verbformen an das Auxiliar, also an diejenige Kategorie, die das 'kasusrestaurierende' Merkmal trägt: (3-12)
d. e.
(la porte),... (laporte)·,...
Mariella ouverte Marie l¡ 'a-t-elle ouverte ?
[Restore:Case] in Aux [Restore:Case] in Aux
Da ein Auxiliar nicht 'wissen' kann, welches Kasusmerkmal bzw. welche Θ-Rolle es reaktivieren soll, müssen sich die (suspendierten) Merkmale des Partizips und die (restaurierenden) Merkmale des Auxiliars in irgendeiner Weise verbinden. Dies ist aber nicht ohne weiteres möglich, da nach Chomsky bei der Operation Merge eine der beiden sich verbindenden Kategorien (hier Aux und Agr) projizieren muss und die neu entstandene Konstituente damit die formalen Merkmale FF der projizierenden Kategorien, d.h. des Phrasenkopfes trägt (cf. Abschnitt 2.1.5). Im Gegensatz zu Chomsky (1995:244) geht Cann (1999) davon aus, dass bei Es ist zu überlegen, ob das Partizip [+V, ±N] ouvert beim adjektivischen Gebrauch seine (typisch verbale) Ereignisrolle 'event' behält oder ob diese zur prototypisch adjektivischen Rolle 'Eigenschaft' uminterpretiert wird (in Zwarts 1992 mit der Majuskel G bezeichnet, da Eigenschaften i.d.R. gradierbar sind). Zwarts (1992:600 argumentiert, dass die ursprüngliche referenzielle Rolle bei schwankendem Gebrauch oder bei Kategorienwechsel erhalten bleibe. Dazu führt er das häufig zitierte Beispiel engl, destroy an, das ebenso wie die nominalisierte Form destruction ein Ereignis denotiere. In diesem Fall bleibt also auch beim Kategorienwechsel (hier Nominalisierung) das ursprüngliche Θ-Raster erhalten (in meiner Notation müssten lediglich das externe sowie das interne Argument wegen der generellen oberflächensyntaktischen Optionalität geklammert werden). Während der Erhalt rollensemantischer Eigenschaften in dem von Zwarts genannten Beispiel zwar plausibel sein mag, scheint es mir adäquater, wenn Partizipien bei adjektivischer Verwendung eher eine Eigenschaft als ein Ereignis denotieren, diesen Wandel auch im Θ-Raster zu verzeichnen. In Zusammenhang mit der Modellierung periphrastischer Verbformen ist diese Frage jedoch nur von mittelbarer Relevanz, da das Partizip hierbei seine verbalen Eigenschaften behält.
174 Merge von α und β der Label der neuen Kategorie nicht zwangsläufig {α {α, β}} oder {§ {α, β}} sein muss, sondern dass eine Kombination der syntaktischen - nicht der phonologischen oder semantischen! - Merkmale von α und β möglich ist, also {α υ β {α, β}}, z.B. [(enuV) have/be [(en> cremated] [(ν) tj the cat]]], wobei en = 'past participle' (cf. Cann 1999:3If). Dabei ist das Auxiliar allerdings Spezifikator und nicht etwa Kopf einer übergeordneten Projektion AuxP, und genau deshalb können sich die syntaktischen Merkmale des Auxiliars FF(Aux) mit denen des Partizips zu einem neuen Label verbinden: „specifiers unify their properties with heads" (1999:30). 9 Damit sind Hilfsverben, die in Spec-Positionen basisgeneriert werden, als eine Art zweiter Phrasenkopf aufzufassen: Specifiers as Secondary Heads so der Titel von Canns Arbeit. Die für die Derivation von Konstruktionen mit periphrastischen Verbformen notwendigen Annahmen können nun wie folgt zusammengefasst werden: (3-13)
a.
b.
c.
d.
9
Ein Partizip Perfekt wie ouvert(es) kann weder eine externe Θ-Rolle zuweisen noch strukturellen Kasus überprüfen, da entsprechende Eigenschaften suspendiert sind (cf. 3-12). Das Aux avoir kann durch seine Merkmale [Restore:Case] und die inaktiven ('suspendierten') Θ- und Kasuseigenschaften des Verbs reaktivieren. Das Aux être hingegen weist keine restaurierenden Merkmale auf. Ist in der Numeration Ν ein Subjekt enthalten, also eine DP, die von V keine externe Θ-Rolle erhalten kann, muss, um die Derivation konvergieren zu lassen, das Hilfsverb avoir inseriert werden: Auf diese Weise wird die externe Θ-Rolle restauriert. Ist in der Numeration Ν keine weitere DP enthalten, wird eine finite Form des Aux être selegiert, damit der Kasus der in Komplementposition basisgenerierten DP durch das entsprechende Merkmal in Τ gecheckt werden kann. Damit sich die (suspendierten) Merkmale von V und die (restaurierenden) Merkmale von Aux verbinden können, wird das Hilfsverb als 'Secondary Head' in die Derivation eingefügt. Bei Konstruktionen mit einer finiten Form von avoir kann dann im Spezifikator der dieser doppelköpfigen Projektion (AuxuAgrP) übergeordneten aux Ρ (also in Spec,a«jcP) das Subjekt basisgeneriert werden, das dann gemäß EPP overt bis nach Spec,TP angehoben wird. Diese Bewegung ist durch ein starkes D-Feature in Τ motivert. Bei Konstruktionen mit einer finiten Form von être wird keine Spec-Position als Basisposi-
Als Bedingungen für eine „unification operation" formuliert Cann im Einzelnen: „x υ y is valid iff: i. the formal features of χ and y are non-contradictory; ii. either χ or y is phonological null; iii. and the argument structure and associated thematic structure of χ and y can merge coherently" (1999:42). Alle Bedingungen sind im fraglichen Fall erfüllt. Es ist zu betonen, dass die suspendierten Merkmale des verbalen Kopfes V (d.h. des Partizips) in der im Sinne von Grimshaw (1991) erweiterten Projektion AgrP präsent sind und insofern bei der Bildung einer Unifikationsmenge von formalen Merkmalen in der doppelköpfigen Projektion AuxuAgrP beteiligt sind.
175
e.
tion fiir ein Subjekt eröffnet. Statt dessen wird die als Komplement zu V basisgenerierte DP overt in die Subjektposition angehoben.10 Kongruenz zwischen dem Partizip und der als Komplement zu V basisgenerierten DP tritt im Französischen ein gdw. die entsprechende DP overt angehoben wird, d.h. wenn Spec,AgrP eröffnet wird. Ob die Kongruenz auch ein overtes Korrelat in der phonischen Morphologie aufweist, hängt von der jeweiligen Merkmaispezifikation in Agr ab. In der Standardsprache weist das V-Feature für Numerus und Genus jeweils den gleichen Wert auf wie das entsprechende D-Feature. Für das ugspr. Französisch, wo die Kongruenz zwischen Objekt und Partizip oft unrealisiert bleibt (Typ: la portea ...je l¡ 'ai ouvert), muss eine vom Regelfall abweichende Spezifizierung der in Agr kodierten Merkmale angenommen werden.
Auf dieser Basis können im Folgenden die einzelnen Ableitungen für Konstruktionen mit Verben im passé composé und in parallel strukturierten Tempora (3.4.1 und 3.4.1), für die Passivdiathese (3.4.3) und für Unakkusativa besprochen werden (3.4.4).
3.4.1
Transitive Verben im passé composé mit voller Objekt-DP
In einer Konstruktionen mit periphrastischen Verbform wie (3-14)
a.
Marie a ouvert la porte
kann die Verbform [ν ouvert] qua ihrer Eigenschaft als Partizip weder eine externe Θ-Rolle zuweisen noch strukturellen Kasus überprüfen, da entsprechende Eigenschaften suspendiert sind. Das Auxiliar avoir wiederum hat aufgrund seiner Merkmale [Restore:Case] und die Fähigkeit, die inaktiven Θ- und Kasuseigenschaften des Verbs zu reaktivieren. Da in der Numeration Ν mit der nominativmarkierten [DP Marie] ein Subjekt enthalten ist, also eine DP, die von [v ouvert] keine externe Θ-Rolle erhält, muss eine entsprechende Form des 10
Es muss allerdings angemerkt werden, dass es auch gewisse Faktoren gibt, die sich gegen die Annahme der Basisgenerierung von Subjekten im Spezifikator der doppelköpfigen Projektion AuxuAgr ( p a n ) P anfuhren lassen. So könnte man 'gestrandete' Quantoren wie in les enfants ont tous vu ce film als Hinweis darauf interpretieren, dass das Subjekt als QP in Spec.vP basisgeneriert und dann unter Zurücklassung ('Stranding') des Quantors tous in die Initialposition bewegt wird. Wenn man allerdings bedenkt, dass die Basisgenerierung des Subjekts im Spezifikator der VP durch eine von V (hier vom Partizip) zugewiesene Θ-Rolle lizenziert sein muss, dann relativiert sich der Einwand erheblich. Schließlich ist die externe Rolle von V im Partizip suspendiert (cf. Bedingung 3-10.b). Neben dem rollensemantischen Aspekt spricht auch die Tatsache, dass Quantoren in Konstruktionen mit unakkusativen Verben das gleiche Stellungsverhalten aufweisen, gegen die Annahme, dass bei periphrastischen Tempora das Subjekt in Spec,vP basisgeneriert wird. Auch hier ist neben tous les enfants sont arrivés die Variante les enfants sont tous arrivés möglich. In beiden Fällen kann das Subjekt aber nicht im Spec der VP basisgeneriert werden, da unakkusative Verben wie arriver
über keine
externe Θ-Rolle verfügen (cf. ausführlich Abschnitt 2.3.1). Insofern will ich für Konstruktionen mit zusammengesetzten Zeitformen an der oben gegebenen Modellierung festhalten, zumal das Stellungsverhalten von tous für die Modellierung von Kategorienübergängen in den Randbereichen von Ρ keine zentrale Rolle spielt.
176 Hilfsverbs avoir inseriert werden: Auf diese Weise wird die externe Θ-Rolle restauriert. Damit sich die (suspendierten) Merkmale von V und die (restaurierenden) Merkmale von Aux verbinden können, wird das Hilfsverb als 'secondary head' in die Derivation eingefugt. Im Spezifikator der über der doppelköpfigen Projektion AuxuAgrP projizierten aux? wird das Subjekt basisgeneriert. Dieses wird dann gemäß EPP overt nach Spec,TP bewegt (starkes D-Feature in T):
(3-14)
TP
b. Spec,TP
T'
Marie
/N
Τ a
auxΡ Spec,a«JcP
aux
Aux + aux «
AuxuAgrP AgrP
Aux β Agr
3.4.2
VP V
DP
ouvert
la porte
Transitive Verben im passé composé mit Objektklitikon
Ist in der Numeration Ν anstelle eines R-Ausdrucks ein Klitikon CL selegiert, verläuft die Derivation parallel zu (3-14), nur mit dem Unterschied, dass Kongruenz zwischen Partizip und Objekt-CL vor Spellout geprüft wird. Wie bereits ausfuhrlich besprochen, werden Klitika aufgrund ihres Merkmals [Search:Case] overt bis zu demjenigen Kopf angehoben, der das Merkmal zur Kasusüberprüfung aufweist bzw. das entsprechende Merkmal restauriert. Im Falle von (3-12.d), hier wiederholt als (3-15)
a.
(laporte)·,... Marie l-, 'a ouverte
ist das Hilfsverb [Aux a] Zielkategorie fur die Anhebung des Klitikons. Auf dem Weg nach Aux wird Spec,AgrP als Zwischenlandeplatz eröffnet, da die Kongruenz zwischen Partizip und Klitikon anderweitig nicht überprüft werden kann. Die Eröffnung der betreffenden Spezifikatorposition ist also kein Resultat eines starken D-Features in Agr, sondern eine Folge des Ökonomieprinzips Last Resort. Da φ-Features grundsätzlich [+int] sind, werden sie im Verlauf des Checking-Vorgangs nicht getilgt und können somit bei weiterer Anhebung das für die Objektkongruenz zuständige D-Feature in aux checken.
177 (3-15)
b.
TP Τ
Spec,TP Marie
CL + Aux + aux + Τ
aux?
l'a
Spec.awxP
aux
CL + Aux + aux
3.4.3
AuxuAgrP
Transitive Verben im Passiv
Die Ableitung der Passivdiathese eines transitiven Verbs entspricht weitgehend der Derivation von Konstruktionen mit zusammengesetzten Tempusformen. Entscheidender Unterschied ist allerdings, dass in der Numeration Ν keine DP selegiert ist, auf die eine externe Θ-Rolle abgebildet werden müsste. Deshalb müssen keine Θ- und kasusspezifischen Eigenschaften des Hauptverbs restauriert werden, und entsprechend wird die betreffende finite Form des Hilfsverbs être in die Aux eingesetzt. Die Bildung einer Unifikationsmenge von suspendierten und restaurierenden Merkmalen wie in (3-14&15) ist nicht notwendig. Im konkreten Fall (3-8.a), hier wiederholt als (3-16)
a.
la porte est ouverte
wird die in Komplementposition basisgenerierte [DP la porte] wegen des starken D-Features in Τ in der overten Syntax bis nach Spec,TP angehoben. Unterwegs muss auch hier Spec,AgrP eröffnet werden, damit die Kongruenzmerkmale in Agr nicht ungecheckt bleiben. Da es sich bei den φ-Features des syntaktischen Subjekts um interpretierbare, weil intrinsische Merkmale handelt und diese im Zuge des Checking-Vorgangs nicht getilgt werden, können die betreffenden Merkmale sowohl gegen das D-Feature in Agr (Kongruenz in Numerus und Genus zwischen Subjekt und Partizip) als auch gegen das entsprechende Merkmal in Τ abgeglichen werden (Kongruenz in Person und Numerus zwischen Subjekt und Auxiliar).
178 TP
(3-16) Spec,TP
Γ
la porte
A
AuxP est fa
AgrP
Aux
AgrP
Spec,AgrP la porte
Agr
VP (Adv)
3.4.4
VP V
DP
ouverte
la porte
Unakkusative Verben im passé composé und Expletivkonstruktionen
Ein unakkusatives Verb wie arriver kann weder eine externe Θ-Rolle zuweisen noch einen strukturellen Kasus überprüfen. Deshalb muss das in Komplementposition basisgenerierte Subjekt in eine Position bewegt werden, in der das Kasusmerkmal gecheckt werden kann. Da das Verb in einer Form vorliegt, die keine Finitheitsmerkmale trägt und somit in der erweiterten Projektion auch keine TP lizenziert, wird ein finîtes Hilfsverb in die Derivation eingefugt. Da wie bei der Passivdiathese weder Θ- noch kasusspezifische Eigenschaften reaktiviert werden müssen, handelt es sich um die betreffende Form von être. Wegen des starken DFeatures in Τ wird das Subjekt overt angehoben und passiert auf dem Weg nach Spec,TP die Position Spec,AgrP. Dies bewirkt die in der Standardsprache morphologisch overte Kongruenz (in Numerus und Genus) am Partizip. Die Subjektkongruenzmerkmale am Hilfsverb werden nach Adjunktion an Τ in Head-Head-Konfiguration gecheckt. (3-17)
a.
urte jeune fille est arrivée TP T'
Spec,TP une jeune fille
A
AuxP
τ est
AgrP
Aux
AgrP
Spec,AgrP une jeune fille
VP
Agr V
DP
arrivée
une jeune fille
179
Abweichend von dem beschriebenen Verfahren kann die Forderung des EPP nach einem Subjekt auch erfüllt werden, indem ein Expletivum in die Derivation eingesetzt wird, das das starke D-Feature in Τ checkt. Dazu wird [TP [AUXP est arrivé une jeune fille]] durch die Operation Merge mit dem Element [DP/D il] verbunden (Eröffnung von Spec,TP). Die [Dp une jeune fille] verbleibt in diesem Fall overt in ihrer Basisposition. Da wegen ausbleibender DP-Anhebung Spec,AgrP nicht eröffnet wird, ist keine overte Kongruenz zwischen Partizip und Bezugs-DP zu verzeichnen (cf. Annahme 3-13.e). Als Repräsentation zum Zeitpunkt von Spellout ergibt sich somit: (3-17)
b.
[TP [spec,TP
il] est\ Τ
[AuxP
est\
U g r P [VP
arrivé
[Dp
une jeune fille]]]]]
Fraglich ist jedoch, wie das Kasusmerkmal des Assoziativums une jeune fille gecheckt werden soll: Würde man von einer koverten Anhebung der formalen Merkmale FF (une jeune fille) nach Τ ausgehen, dann müsste das Hilfsverb être mit dem Assoziativum kongruieren, was aber nicht der Fall ist. Deutlicher wird dies, wenn das Assoziativum für [Npl] spezifiziert ist wie etwa in il est arrivé [DP/QP des/trois jeunes filles]. Insofern ist die Annahme plausibler, dass das Expletivum il nicht nur das starke Kasusmerkmal, sondern auch die Kongruenzmerkmale in Τ checkt. Cardinaletti weist darauf hin, dass Expletiva immer dann mit dem verbalen Element kongruieren, wenn sie wie das französische Expletivum il eindeutig den Nominativ kodieren: „Only those expletives that are unambiguously marked as nominative trigger agreement with the verb" (1997:526). Das deutsche es ist wegen der Homonymie mit der Akkusativform beispielsweise nicht eindeutig nominativmarkiert; lokale Expletiva wie dt. da oder engl, there tragen ohnehin keinen Kasus. Deshalb müssen in deutschen und englischen Expletivkonstruktionen die grammatischen Merkmale des jeweiligen Assoziativums kovert angehoben werden, und das finite Verb kongruiert folglich nicht mit dem Expletivum, sondern mit dem Assoziativum (z.B. dt. es sind zwei Männer angekommen). Cardinaletti geht davon aus, dass im Französischen die relevanten Kasus- und Kongruenzmerkmale in Τ durch Einsetzung von il gecheckt werden und dass das Assoziativum auch auf LF in der Basisposition verbleibt: „[In] languages like French and Northern Italian dialects, the associate does not raise to check either Case or agreement (since both Case and φ-Features are already checked by the expletive subject)" (1997:531). Die Tatsache, dass im Rahmen einer solchen Herangehensweise das Assoziativum auf LF mit einem ungecheckten Merkmal [-int], nämlich mit dem Kasusmerkmal, zurückbleibe, müsse nach Cardinaletti zwar in Kauf genommen werden, sei aber unproblematisch, denn „unchecked [-interpretable] features make the derivation crash when they are on heads, but not when they are on XPs" (1997:532)." Auch wenn eine solche Modellierung auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, als werde hiermit das gesamte Checking-Modell empfindlich in Frage gestellt, scheint mir diese Herangehensweise durchaus berechtigt zu sein, wenn man sich vor Augen hält, dass auch in anderen
1
Weiterhin sprechen gewisse Bindungsdaten gegen die Annahme einer koverten Anhebung des Assoziativums. So erklärt Cardinaletti im Einklang mit Chomsky (1995:274) die Tatsache, dass die Anapher se in Iii est entré trois hommes sans s'excuser
nicht gebunden werden kann, durch die Annahme, dass die Merkmale
des Assoziativums trois hommes nicht auf LF angehoben werden (cf. Cardinaletti 1997:524).
180 Konstruktionen maximale Projektionen mit ungecheckten Kasusmerkmalen auf LF zurückbleiben können, ohne dass die betreffende Struktur ungrammatisch ist. Dies ist beispielsweise der Fall bei freien Dativen wie in le gosse lui a nettoyé l'escalier. Auch hier bleibt das Kasusmerkmal des adjungierten CL ungecheckt, da in der Konstruktion kein Kopf vorhanden ist, der den entsprechenden Kasuswert überprüfen kann. Trotzdem ist eine solche Struktur nicht ungrammatisch (cf. Abschnitt 2.3.6.3). Gerade hierbei zeigt sich jedoch, dass auch Cardinalettis Argumentation nicht ganz unproblematisch ist, und zwar unter folgendem Gesichtspunkt: Freie Dativklitika zeigen in Bezug auf ihr 'Anlehnungsbedürfnis' an eine verbale Basis das gleiche syntaktische Verhalten wie Klitika mit Argumentstatus, sind also ebenfalls als Köpfe D aufzufassen, die an eine verbale Basis adjungieren. Damit verbleiben also auf LF Köpfe mit ungecheckten Kasusmerkmalen, was nach Cardinaletti eigentlich den maximalen Projektionen vorbehalten sein sollte. In Abschnitt 2.3.6.3 habe ich bereits dafür argumentiert, abweichend von Chomsky (1995:278) Kasusmerkmale nicht generell als [-int] aufzufassen, sondern zwischen strukturellem und inhärentem Kasus zu unterscheiden, und zwar dahingehend, dass nur strukturelle Kasusmerkmale als [-int] aufzufassen sind. Inhärente Kasus sind per definitionem mit einer bestimmten Θ-Rolle verbunden (z.B. FINAL beim Dativ) und können daher auf LF interpretiert werden. Wenn man unter dieser Prämisse mit Belletti (1988) annimmt, dass das Assoziativum in unakkusativen Expletivkonstruktionen nicht den strukturellen Kasus Nominativ, sondern den inhärenten Kasus PARTITIV12 trägt, dann kann das Kasusmerkmal der DP une jeune fille in (3-17.b) ungecheckt bleiben, ohne dass die Derivation zusammenbricht. Die genannten Annahmen treffen auch fur die Ableitung von Passivkonstruktionen mit expletivem il in Subjektposition zu. So verbleibt auch im Fall von (3-17)
c.
il a été trouvé [DP une montre et un portefeuille]
das syntaktische Subjekt overt in der Basisposition, da sowohl Kasus und Kongruenz in Τ durch die jeweils korrespondierenden Merkmale des Expletivums il gecheckt werden. Auch hierbei ist anzunehmen, dass die [DP une montre et un portefeuille] nicht den strukturellen Kasus Nominativ trägt, sondern ein inhärentes Kasusmerkmal [Case:PARTlTlv] aufweist, das qua seines Status als Merkmal [+int] ungecheckt bleiben kann.
3.4.5
Exkurs: Partizipialkongruenz im Relativsatz
Obwohl Relativsätze auf den ersten Blick relativ wenig mit dem Bereich 'Kasusmarker - Präposition - präpositionaler Periphrase' zu tun zu haben scheinen, kann das in Kayne (1994:8692) vorgeschlagene Modell nicht unerwähnt bleiben, da Kayne in Analogie hierzu einen alternativen Vorschlag für den französischen Genitiv entwickelt. Dies wiederum ist von besonderem Interesse für meine Fragestellung, nämlich für die Modellierung von Kategorienübergän-
12
Die Bezeichnung Partitiv wurde gewählt, da als Assoziativum nur indefinite oder quantifizierte DPs in Frage kommen. Nicht möglich ist die parallele Struktur mit definitem Artikel *il est arrivé la jeune fille. Cf. hierzu auch Müller (1999), die im Italienischen einen strukturellen Kasus Partitiv annimmt (1999:62f, 167f).
181 gen in den Randbereichen von P, da Kayne den französischen Genitivmarker de nicht als grammatikalisierte Verwendung der Präposition de, sondern als C auffasst (cf. Abschnitt 3.10). Zudem erscheint die traditionelle Analyse von Relativsätzen als basisgenerierten Rechtsadjunkten an N' nicht unproblematisch, da unklar bleibt, wie die Kongruenz zwischen Partizip und Bezugs-DP (hier: faites und fautes) modelliert werden soll: (3-18)
a.1
DP D
NP I
les
N' N' ι Ν fautes
CP c
IP
que
Pierre a faites
Rechtsadjunktionen sind in Kaynes theoretischem Rahmen grundsätzlich ausgeschlossen, da sie qua LCA nicht linearisierbar sind. Deshalb entwickelt der Autor in Anlehnung an Vergnaud (1985) eine alternative Analyse fur Relativsätze. Dabei ist die CP nicht Rechtsadjunkt zu N' (oder NP), sondern Komplement von D: (3-18)
b. c.
les [c?que [ip Pierre a faites [N/NP_/ÂWFEY]]]] —> [DP les [cp [N/NPfautes] ¡ que [IP Pierre a faites fautes·^]]
[DP
In dieser Sichtweise wird das Relativum als bloßes Ν (oder NP) innerhalb des optionalen Gliedsatzes basisgeneriert und overt nach Spec,CP angehoben, damit es in der linearen Abfolge unmittelbar auf den Determinanten folgt. Wenn, wie es bei Konstruktionen mit zusammengesetzten Tempusformen der Fall ist, die Spezifikatorposition in der AgrP eröffnet wird, ist overte Kongruenz zu verzeichnen.
13
Die Form que wird hierbei als Complementizer aufgefasst, dessen Oberflächenrealisierung sich unter bestimmten Bedingungen zu qui wandelt: „the complementiser que is changed to qui whenever there is a gap in the subject position of the immediately following IP" (Jones 1996:507). Selbstverständlich kann qui aber auch Wh-Wort sein; cf. die Ausführungen zu (3-20). - Jones (1996:505) nimmt zudem an, dass bei Relativsätzen des Typs les fautes que Pierre a faites eine WhP (hier: lesquels) als Komplement des Verbs basisgeneriert, von V θ-markiert und dann nach Spec,CP bewegt wird. Da eine overte Besetzung von C und Spec,CP durch den Doubly-filled-COMP-Filter (DFCF) im Französischen ausgeschlossen ist, muss die WhP nach erfolgter Wh-Bewegung getilgt werden. Hieraus ergibt sich die folgende Ableitung: (i) les fautes [Cp [c que] Pierre a faites [whP lesquels]] (ii) les fautes [ c p [spec,cp = whp lesquels]¡ [c que] Pierre a faites [whP lesquels],] (iii) les fautes [ c p [spec.cp - whp lesquels], [c que] Pierre a faites [whP lesquels],] Eine Tilgung des Complementizers que ist nach Jones im heutigen Französischen jedoch ausgeschlossen: (iv) * les fautes [ C p [spec.cp - whp lesquels], [c que] Pierre a faites [WHP lesquels],] Beim englischen Äquivalent ist hingegen entweder die Tilgung des Complementizers oder der Wh-Phrase möglich, woraus sich die Varianten the book [Cp which, that I read which,] und the book [Cp which, that I read whtehi] ergeben (cf. Jones 1996:501).
182
Spec,CP
C'
fautes
TP
c que
Spec,TP
Γ
Pierre
auxΡ aux
Spec,aittP aux
AuxuAgrP Aux"""
ÀgrP
Spec,AgrP
Agr'
Agr
VP V faites
NP/N Routes
Während das traditionell als Akkusativform des Relativpronomens analysierte que im soeben besprochenen Beispiel als C aufgefasst wird, gibt es laut Kayne auch Konstruktionen mit 'echten' Relativpronomina. So alternieren z.B. im Englischen die Konstruktion mit C (3-19.a) und die Variante mit einem Wh-Wort (3-19.b): (3-19)
a. b.
[DP the [Cp [N/NP book]\ [c that] [ΙΡ I read book\\\\ the book which I read
Dabei nimmt Kayne an, dass das Relativpronomen als Kopf D (oder Wh) 14 direkt über dem Relativum basisgeneriert wird. Die gesamte Konstituente wird dann nach Spec,CP angehoben, und als letzter Schritt wird book nach Spec,WhP bewegt (cf. Kayne 1994:90):
14
In Bezug auf die kategorielle Zugehörigkeit von Relativpronomina wie engl, which oder frz. qui und lequel bleibt Kayne leider sehr vage. So spricht er zunächst generell von den betreffenden Elementen als „wA-determiner" (1994:90), etikettiert dann das engl. Interrogativ- und Relativpronomen who als D (cf. ibid.) und klassifiziert die im Verlauf der Derivation nach Spec,CP angehobenen Projektionen solcher Köpfe schließlich als „wA-phrases" (1994:91).
183 (3-19)
c.
DP D
CP
the ? fle)
DP/WhP
CP
Spec,DP/WhP
IP
book ? (livre)
I read which book ? (j'ai lu lequel livre)
Damit unterscheidet Kayne grundsätzlich zwei Möglichkeiten für die Ableitung von Relativsätzen. Im einen Fall ist C durch engl, that bzw. frz. que/qui15 besetzt, und das innerhalb der IP basisgenerierte Relativum wird als Ν oder NP overt nach Spec,CP angehoben (3-18.b). Im anderen Fall muss ein leeres C angenommen werden (3-19.c), in dessen Spezifikator wiederum eine gesamte DP (oder WhP) bewegt wird. Die in (3-19.c) durch Klammerung und Fragezeichen gekennzeichnete französische Struktur (3-19)
d.
?? le livre lequel j'ai lu
ist im heutigen Sprachgebrauch stark markiert. Während es laut Kayne im Englischen möglich sei „to use the specifier position of the ννΛ-determiner itself as a landing site" (1994:90), gilt eine Struktur wie le livre lequel j'ai lu als „archaïsme assez rare" (Grevisse 1993: §692). Man muss somit davon ausgehen, dass in früheren Sprachzuständen des Französischen die Spec-Position der WhP/DP uneingeschränkt als Landeplatz zur Verfügung stand (wie im heutigen Englisch), dass jedoch im modernen Französisch die Eröffnung dieser Position, wenn nicht generell blockiert, so doch zumindest stark markiert ist.16 Anders ist die Situation bei Konstruktionen mit präpositionalen Elementen wie (3-20)
15
la personne avec qui/laquelle Bill a parlé
Es sei nochmals daraufhingewiesen, dass der Complementizer als qui realisiert wird, gdw. nach der Anhebung des Relativums nach Spec,CP in der Subjektposition der IP eine Spur (bzw. eine getilgte Kopie) verbleibt, z.B.
(i) (ii) 16
a.
[DP la [CP [c que/qui] [,P [NP vache] Wr]]] [ DP /o [CP [spec,cp - NP vache], [cque/qui][xrvaehe·, rit])]
(iii) [DP¡a [CP [sp«c.cp =• NP vache]\ [cqui}[wveehet rit]]] Aus demselben Grund ist laut Kayne auch *la personne qui Bill a vue und *l'homme la femme de qui tu as insultée ungrammatisch: „once ... qui and la femme de qui have filled Spec,CP, there is no 'room' for ... per-
sonne or homme" (1994:89).
184 Hierbei nimmt Kayne parallel zum englischen Beispiel (3-19.a&b) an, dass das Relativpronomen qui (bzw. lequel) als 'wA-determiner' direkt über dem Relativum basisgeneriert wird: (3-20)
b.
la [CP C [Bill a parlé avec qui/laquelle personne]
Durch Wh-Anhebung der gesamten Präpositionalphrase 17 [PP avec qui/laquelle personne], also des Komplements in der VP, nach Spec,CP ergibt sich: (3-20)
c.
la [CP [spec.cp = PP avec qui/laquelle personne]¡ C [Bill a parlé avec... personne¡]]
Die korrekte Wortstellung wird schließlich durch die Anhebung von [NP personne] Spec,PP hergeleitet (aus Platzgründen hier die Darstellung mit Bewegungsspuren): (3-20)
d.
nach
la fcp [spec.cp = PP [spec.pp = NP personne]] avec qui/laquelle tj]j C [Bill a parlé t¡]]
Auch wenn die von Kayne vorgeschlagene Herleitung von Relativsätzen auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen mag, ergeben sich doch gravierende Probleme, und zwar vor allem aus theoretischer Sicht: Bei Relativsätzen mit overt besetzter C-Position basisgeneriert Kayne das Relativum in Komplementposition zu V (cf. 3-18.b). Dies ist insofern problematisch als nach der von Longobardi (1994) in meine Arbeit übernommenen Differenzierung zwischen (referenziellen) DPs und (nicht-referenziellen) NPs eine NP nicht in einer A-Position erscheinen kann. Es fragt sich demnach, durch welchen Mechanismus gesichert ist, dass eine NP in Kontexten wie (3-21)
* [TP Pierre a fait [NPfautes]]
ausgeschlossen, im Rahmen einer zum Relativsatz transferierten IP jedoch möglich ist. Das Problem löst sich auch nicht durch die obligatorische Anhebung der betreffenden Konstituente, denn auch der Landeplatz in Spec.CP ist eine A-Position. Man könnte bestenfalls annehmen, dass es sich nicht - wie Kayne mehrfach ausdrücklich betont (cf. u.a. 1994:91) - um eine NP handelt, sondern um eine DP mit obligatorisch leerem D. Damit wäre jedoch nur wenig gewonnen, da man auch hierbei eine Zusatzklausel stipulieren müsste, dass D in Relativsätzen leer, in allen anderen Fällen aber gefüllt sein muss (einzige Ausnahme: Eigennamen). Es wird also deutlich, dass es unumgänglich ist, eine ganze Reihe zusätzlicher Beschränkungen aufzustellen, wenn man an Kaynes Analyse festhalten will. Dies konstatiert auch Borsley (1997) im Anschluss an eine ausführliche Konfrontation von Kaynes Analysevorschlag mit vorwiegend englischem und polnischem Datenmaterial. Zusammenfassend hält er fest, „that relative clauses cast serious doubt on Kayne's theory" (629). Ein weiteres Problem stellt sich aus kasustheoretischer Sicht. Wenn das Relativum tatsächlich innerhalb der IP basisgeneriert wird, dann lässt sich kaum erklären, wie es möglich ist, dass z.B. die Konstituente fautes in (3-18.c), hier wiederholt als 17
Die Klassifizierung der Konstituente [avec gui/laquelle personne] als PP ist von Kayne übernommen; m.E. handelt es sich hierbei jedoch um ein Objektoid, das dementsprechend als KP zu repräsentieren ist.
185 (3-22)
a.
[DP les [ C p [spec.cp = NPfautes]·, que [I P Pierre a faites
fautes{]]]
erst das kasusüberprüfende Merkmal [D:Case:AKK] des Verbs checkt und dann im Matrixsatz in Subjektposition erscheinen kann: (3-22)
b.
[DP les [CP [i>pec,c? = wfautes], que [IP Pierre a faites featesì]]] ne sont pas graves
Der auftretende Konflikt zwischen den unterschiedlichen Kasusmerkmalen AKK und NOM ist auch nicht behoben, wenn man entsprechend dem in Borsley (1997:637, Anm. 5) diskutierten Vorschlag von Cinque das Relativum als DP mit overtem Kopf in der Komplementposition des Verbs basisgeneriert und diese DP (eventuell über den Zwischenlandeplatz Spec,CP) in die Spezifikatorposition einer Matrix-DP mit leerem D anhebt: (3-22)
c.
[DP [spec,DP = DP
les fautes] ¡ D [Cp (DP") que [Pierre a if faites BP¡]]]
Auch hierbei gilt: „it is not clear why the fronted DP should not inherit Case from its trace in IP" (Borsely 1997:637). Wie bereits eingangs bemerkt, betrifft die Herleitung von Relativsätzen meinen Untersuchungsbereich nur mittelbar, und zwar insofern Kayne in Analogie zu seiner D-CP-Analyse von Relativsätzen ein Modell für den possessiven Genitiv des Französischen entwickelt (cf. Abschnitt 3.10). Es kann also nicht zentrales Anliegen dieser Arbeit sein, eine LCA-konforme Lösung für die Derivation von Relativsätzen zu entwickeln. Die overte Partizipialkongruenz in Fällen wie les fautes que Pierre a faites scheint in jedem Fall dafür zu sprechen, dass das Relativum tatsächlich innerhalb des Relativsatzes basisgeneriert und dann durch Spec,AgrP in seine Oberflächenposition bewegt wird. Eine technisch saubere Lösung kann ich allerdings nicht bieten; für diesbezügliche Vorschläge verweise ich auf Bianchi (1999, 2000).
3.5
Bitransitive Verben mit zwei vollen Objekt-DPs
Gemäß der von Larson (1988) vorgeschlagenen und in dieser Arbeit übernommenen Analyse bitransitiver Verben geht man davon aus, dass Verben wie donner oder mettre als komplexe Strukturen aufzufassen sind, die zugrundeliegend aus zwei verbalen Konstruktionen bestehen. Dies ist im Falle einer Konstruktion mit donner wie (3-23)
a.
Marie donne le livre à Pierre
die Kombination aus einer HABEN-Relation und einer kausativen Struktur. Dies wird im Strukturbaum durch die Repräsentation zweier kaskadierter VPs deutlich gemacht (VPShells). Dabei wird in der unteren VP das indirekte Objekt in Komplementposition und das direkte Objekt in der Spec-Position basisgeneriert. Dieses Stadium der Derivation spiegelt die HABEN-Relation le livre 'être à' Pierre wider. Die untere VP ist wiederum Komplement ei-
186 nes kausativen Kopfes ν, an den der Kopf der unteren VP adjungiert wird. Aus der Kombination dieser beiden Köpfe resultiert die komplexe Struktur [vp Marie 'fait' [vp le livre 'être à' Pierre]], die als Marie donne le livre à Pierre versprachlicht wird. Die Verbform donne ist hierbei als komplexer Kopf [M + v donne] aufzufassen. Der weitere Verlauf der Derivation entspricht der Ableitung von Konstruktionen mit zweiwertigen Verben (cf. Abschnitte 3.2. und 3.3). Subjekt und Verb werden aufgrund von entsprechenden starken Merkmalen overt angehoben; alle übrigen Merkmalsüberprüfungen erfolgen in der koverten Syntax. Dabei ist anzunehmen, dass das Verb zwei kasusüberprüfende Merkmale aufweist. Die Kasuslizenzierung der beiden Objekte erfolgt dann durch Adjunktion von FF(/e livre) und FF(à Pierre) an den komplexen Kopf [v V + v]. In gleicher Weise funktioniert die Ableitung eines dreiwertigen V mit direktem Objekt und Lokalkomplement wie beispielsweise in (3-23)
b.
Marie met le livre sur le bureau.
Hierbei entspricht die untere VP-Shell der Lokalisierungsrelation y 'être' LOK, im konkreten Falle le livre 'être' sur le bureau. Der signifikante Unterschied zu (3-13.a) ist, dass das interne Argument LOK nicht auf eine KP mit lexikalisch gefordertem Kopf K, sondern auf eine PP abgebildet wird, deren Kopf, je nach Mitteilungsabsicht des Sprechers, mit einem Element der Kategorie Ρ besetzt wird. Der kausative Kopf ν erweitert die untere VP in einem weiteren Schritt zur komplexen Struktur [vp Marie 'fait' [VP le livre 'être' sur le bureau]]. Im Gegensatz zu (3-23.a) wird das Lokalkomplement nicht kovert angehoben; das Verb weist der betreffenden Konstituente zwar eine Θ-Rolle zu, verfügt aber über kein entsprechendes kasusüberprüfendes Merkmal. 18 Der Kasus von [DP le bureau] wird PP-intern überprüft, die Präpositionalphrase als solche unterliegt nicht dem Kasusfilter (cf. Abschnitte 2.3.6.2 und 3.8). (3-23)
TP
c. Spec,TP Marie
V + v+ T donne
"^'Spec.vP
_J
V+v 'fait' + 'être' 'fait' + 'être' = donne
l/K
Spec,VP ¡g
¡¡vre
V
KP/RP
'être' 'être'
à Pierre sur le bureau
I
18
Man beachte, dass in Sprachen, die für die Versprachlichung von Lokalisierungsrelationen morphologische Kasus nutzen, auch für Verben, die Lokalkomplemente fordern, entsprechende kasusüberprüfende Merkmale anzunehmen sind; z.B. (i)
ttü. oturmak 'habiter' [D:Case:LOK]
(ii)
ttü. koymak 'mettre' [D:Case:AKK] und [D:Case:DAT].
187 3.6
Bitransitive Verben mit zwei Objektklitika
In Abschnitt 3.2 habe ich ausfuhrlich dafür argumentiert, Objektklitika ebenso wie R-Ausdrücke in der Komplementposition der VP basiszugenerieren. Ungeklärt ist jedoch, wie die lineare Anordnung mehrerer Klitika bei der Adjunktion an den kasusüberprüfenden Kopf modelliert werden kann. Da das LCA keine multiplen Adjunktionen an einen Kopf zulässt, muss nach Kayne (1994:20) das [CL DA T VOUS] an das zuvor angehobene [CLAKK le] adjungiert werden. Die Reihenfolge der Klitika wird in Kaynes Modell durch bestimmte Beschränkungen gelöst. So sei es z.B. generell nicht möglich, an die Klitika vous, nous, me, te, se zu adjungieren. Problematisch ist eine solche Lösung im Rahmen einer streng merkmalsgetriebenen Syntax allerdings insofern, als für jegliche Bewegung entweder ein höher gelegenes starkes Merkmal (Attract F) oder eine dem betreffenden Element inhärente Eigenschaft, d.h. [Search:Case] beim Klitikon, anzunehmen ist. Dies funktioniert allerdings nur, wenn das anzuhebende Klitikon auch wirklich an den kasusüberprüfenden (bzw. merkmalsrestaurierenden) Kopf, also an V oder Aux, aber nicht an ein weiteres klitisches Element adjungiert. (3-24)
a. b.
(le livre)\... Marie vous le, donnera τρ Spec,TP
Τ
Marie
vP
CL + CL + V + v + T vous le donnera
Spec,vP I CL + CL + V + v
VP
vous lo donnera
Spec,VP
VP
le
V
DP
donnera
3.7
Partizipialkonstruktionen
3.7.1
Absolute oder unverbundene Partizipialkonstruktion
Die Ableitung der absoluten oder unverbundenen Partizipialkonstruktion entspricht im Wesentlichen den bereits abgehandelten Derivationen. Betrachten wir folgendes Beispiel: (3-25)
a.
la pluie tombant toujours, (les amis décidèrent de rester à la maison)
188 Da es sich bei tomber um ein unakkusatives Verb handelt, wird keine vP projiziert, und das in Komplementposition basisgenerierte Subjekt wird overt nach Spec,TP bewegt. Anders ist die Situation bei einer Konstruktionen mit intransitiven Verben wie etwa Pierre travaillant sans relâche, wo das Subjekt in Spec.vP basisgeneriert wird. (3-25)
b.
TP Spec,TP
Τ'
la pluie
ν + τ
(VP)
tombant
(Adv)
VP
(toujours)
V
DP
tombant
la pluic
I
3.7.2
Verbundene Partizipialkonstruktion
Die verbundene Partizipialkonstruktion zeichnet sich dadurch aus, dass die Subjektposition nicht durch eine volle DP, sondern durch das phonetisch leere PRO besetzt ist. Während Radford (1997a:333) davon ausgeht, dass PRO ein Kasusmerkmal hat, welches durch FF-Adjunktion gegen das entsprechende D-Feature in Τ abgeglichen wird, nehme ich mit Chomsky (1995) an, dass PRO kasuslos ist.19 Der Forderung des EPP nach einem Subjekt wird Rechnung getragen, indem das kategoriale Merkmal D von PRO kovert nach Τ angehoben wird und dort das korrespondierende D-Feature von Τ checkt. - Die einzige overte Bewegung ist die Anhebung des Partizips traversant, das aufgrund der Wortstellungsbedingungen vor Spellout aus der VP extrahiert werden muss. (3-26)
a. b. c. d.
Pierre-, a vu un renard en PRO¡ traversant la forêt en PROi traversant la forêt, Pierre, a vu un renard PRO¡ traversant la forêt, Pierre, a vu un renard Pierre a vu un renard, PRO¡ traversant la forêt
Auf die Unterscheidung zwischen verbundener Partizipialkonstruktion und gérondif wird in Abschnitt 4.2.1.2 genauer eingegangen. Hier zunächst die Darstellung der Ableitung im Strukturbaum:
19
Es ist allerdings anzumerken, dass die Debatte über den Status von PRO in Bezug auf Kasusmerkmale keineswegs abgeschlossen ist. So betont Ouhalla: „One of the major issues still to be resolved is the status of PRO with respect to the Case Requirement" (1999:252).
189 (3-26)
(CP)
e.
TP
(C) (en)
Τ'
Spec,TP V + v+ T
(vP)
traversant
(Adv)
vP Spec.vP PRO
V+v
VP
traversant
I A
3.8
V
DP
traversant
la forêt
Adpositionen
Im Falle einer lexP wie derrière lizenziert die referenzielle Rolle im Θ-Raster des Phrasenkopfes die erweiterte Projektion RP (Entladung der referenziellen Rolle durch Θ-Identifikation, hier symbolisiert durch die Koindizierung mit subskribiertem i). Ist der Phrasenkopf hingegen eine grP wie avec, so ist in Ermangelung einer referenziellen Rolle keine erweiterte Projektion RP lizenziert. Lexikalisch geforderte Ρ - also die objektoidmarkierenden 'regierten Präpositionen' (regP) - werden in meinem Ansatz als lexikalische Instanziierungen von Kasus und somit als Köpfe Κ von KPs (Kasusphrasen) aufgefasst (cf. Abschnitt 3.3). Bei allen präpositionalen Elementen ist die PP bzw. KP in die Projektion einer 'light preposition' eingebettet (pP bzw. AP). Dabei erfüllt ρ (bzw. A) dieselbe Funktion als Transitivierer wie ν in der VP, d.h. durch Adjunktion von Ρ bzw. Κ und von FF(DP) an ρ bzw. A werden Kasus und Kongruenz des Komplements überprüft. (3-27)
a. b.
juste ici derrière la porte (maximal besetzte Präpositionalphrase mit Ρ = lexP) avec sa fille (maximal besetzte Präpositionalphrase mit Ρ = grP) (= 2.3-88) RP
a. Spec,RP
b. RP
Ρ +p
juste
R,
AA
Ρ+ p
Ρ
DP sa fille
PP
derrière
AA
PP
avec
PP
ici
PP
P demere
DP la porte
FF(DPJ
FF(DP)
190 Eine overte Bewegung des DP-Komplements nach Spec,pP erfolgt in Sprachen mit Postpositionen wie dem Türkeitürkischen: (3-27)
c.
kizkarde§-im için Schwestenposs. 1 .SO für 'für meine Schwester'
pP Spec,/?P knkardeijim
P+p
PP
için
A
DP kizkardcjim
Enthält das Θ-Raster von Ρ eine referenzielle Rolle , muss eine RP projiziert werden, um die Entladung von zu gewährleisten.
3.9
Argumentale und nicht-argumentale Genitive
Wie in Abschnitt 2.3.2 ausgeführt, sind beim Genitiv arguméntale und nicht-argumentale Konstituenten zu unterscheiden. Argumentale Genitive sind solche, die mit bestimmten Positionen aus dem Θ-Raster des Bezugsnomens korrespondieren. Hierbei sind neben der inalienablen Possession (Verwandtschaftsbezeichnungen, Körperteile) der GEN[AGENS] und der GEN[THEMA] ZU identifizieren. Geht man davon aus, dass jede Θ-Rolle, die an eine Konstituente zugewiesen wird, kanonisch an eine bestimmte konfigurationelle Position gebunden ist (UTAH; cf. Baker 1988:46), dann liegt es nahe, den GEN[AGENS] in der kanonischen Subjektposition Spec,wP und den GEN[THEMA] als Komplement zu Ν basiszugenerieren. Da zusätzlich zu einer argumentalen Subjekt-DP (Θ-Rolle AGENS) noch ein optionaler Possessor hinzukommen kann, gehe ich mit Carstens (2000) davon aus, dass in einer nominalen Projektion maximal zwei «Ps projiziert werden können, wobei im Spec der oberen nP (hier nP2) der Possessor, in Spec,«P ! das Agens basisgeneriert wird. Ist im Θ-Raster des nominalen Kopfes keine Agens-Rolle verzeichnet, so wird nur eine nP projiziert, in deren Spec ein - argumentaler oder nicht-argumentaler - Possessor basisgeneriert werden kann. Wichtig ist, dass in der erweiterten Projektion eines nominalen Kopfes auf eine weitere funktionale Projektion nicht verzichtet werden kann, damit ein entsprechender Landeplatz für den overt angehobenen komplexen Kopf zur Verfugung steht. Carstens (2000:321) bezeichnet diesen Kopf als F. Da innerhalb dieser FP die Kongruenz zwischen Ν und der Subjekt-DP geprüft wird, 20 wähle ich die Bezeichnung AgrP. Man betrachte in diesem Zusammenhang Beispiel (2.3-34) aus Kapitel 2.3.2, hier wiederholt als
20
Im Türkeitürkischen ist die Kongruenz zwischen dem nominalen Kopf und dem Subjekt (hier: dem Possessor) an Ν morphologisch markiert: Ali'nin araba-s-i
Ali:GEN Auto:FG:POSS.3.SG 'Alis Auto'.
191 (3-28)
a. b.
le portrait d'Aristote de Rembrandt de ce musée DP
D
AgrP
le
Spec,AgrP
Spec,«P (POSS) de ce musée
η
Spec,wP (AGENS) de Rembrandt
η'
KP (THEMA) d'Aristote
Zur Herleitung der korrekten Wortstellung aus der Basiskonfiguration (3-28.b) muss eine Anhebung des Komplexes [portrait d'Aristote] nach r? (3-28.c) und eine Weiterbewegung von [portrait d'Aristote de Rembrandt] nach Agr erfolgen (3-28.d). Hierzu ist davon auszugehen, dass das Komplement [d'Aristote] in den nominalen Kopf [n portrait] inkorporiert wird und dass der neu entstandene komplexe Kopf als Ganzes angehoben wird. In einem zweiten Schritt wird dann die Terminalabfolge [portrait d'Aristote de Rembrandt] als komplexer Kopf reanalysiert und nach Agr bewegt. Damit handelt es sich jeweils, wie durch die gestrichelten Kästen angedeutet, um Reanalyse des Typs B; cf. (l-16.b) in Abschnitt 1.3. (3-28)
c.
«P2
Spec,«?·1 de ce musée
«Ρ1 Spec,«Ρ de Rembrandt
[ν [Ν + KP]] + η portrait
NP
d'Aristote
Λ
i
Ν
Reanalyse TypB ' KP d'Aristote
i
Ν Ν ^Wfrfltf
KP d'Aristote
192 (3-28)
d.
D
DP AgrP
le
[„[„ [n[N + KP]] + «Ρ1] + η] + Agr portrait d'Aristote de Rembrandt
Spec,«P de ce musée
[η [Ν [Ν + KP]] + «Ρ1] + η portrait d'Aristote
Spec,«Ρ
η'
de Rembrandt
Reanalyse Typ Β
In Agr ist ein starkes N-Feature - kein D-Feature! - anzunehmen, das die overte Anhebung des komplexen Kopfes rechtfertigt. Alle weiteren Merkmalsüberprüfungen erfolgen kovert durch FF-Adjunktionen; in Ν sind zwei kasusüberprüfende Merkmale [D:Case:GEN] anzusetzen. Da die Realisierung argumentaler GEN-Phrasen oberflächensyntaktisch generell optional ist, müssen sowohl die entsprechenden Positionen im Θ-Raster eines solchen Ausdrucks als auch die Kasusmerkmale durch Klammerung als fakultativ gekennzeichnet werden. (3-28)
3.10
e.
portrait
(D:Case:GEN), (D:Case:GEN)
Versprachlichung der HABEN-Relation: de (possessiver Genitiv), avoir (Possession) und être à (Zugehörigkeit)
Beim Genitivus possessivus ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob es sich hierbei um einen inalienablen oder um einen alienablen Possessor handelt. Wie bereits im vorhergehenden Abschnitt ausgeführt, ist der Genitiv der inalienablen Possession (Typ: le père de Jean, le nez de Jean) den argumentalen Genitiven zuzurechnen. Dabei verfügt der nominale Kopf über eine entsprechende Θ-Rolle POS S sowie über ein entsprechendes kasusüberprüfendes Merkmal. Der Possessor wird in Spec,nP basisgeneriert, der Kasus GEN wird nach koverter Anhebung von FF {de Jean) gecheckt. Als kasusüberprüfendes Merkmal ist (D:Case:GEN) in Ν anzunehmen, wobei die Klammerung anzeigt, dass es sich um ein optionales Merkmal handelt. (3-29)
a. b.
le père de Jean (inalienable Possession) la voiture de Jean (alienable Possession)
193 (3-29)
c.
DP D le la
AgrP Ν + η + Agr père voiture
A
Spec,«Ρ de Jean
N+n
NP/N VO itUFC
Jt Der Unterschied zwischen der Konstruktion mit einem inalienablen, argumentalen Possessor wie in (3-29.a) und einem alienablen und damit frei hinzufiigbaren Possessor wie in (2.3-29.b) besteht darin, dass bei einem argumentalen Possessor wie in le père de Jean das überprüfende Merkmale [D:Case:GEN] durch Anhebung von FF {de Jean) gecheckt wird, während im Falle von la voiture de Jean der nominale Kopf kein kasusüberprüfendes Merkmal aufweist. Da ich davon ausgehe, dass inhärente Kasusmerkmale interpretierbar sind, kann das Merkmal ungecheckt auf LF verbleiben, ohne dass die abgeleitete Struktur ungrammatisch ist. Die Θ-Rolle wird im Falle der inalienablen Possession vom nominalen Kopf zugewiesen; bei alienabler Possession hingegen nehme ich - analog zum Vorgehen bei freien Dativen - an, dass die dem Genitiv inhärente semantische Rolle POSS aktiviert wird. Dies kann jeder nominale Kopf unabhängig von seiner Argumentstruktur leisten. Um die overte Anhebung von [n + N] zu rechtfertigen, muss auch hier ein starkes Merkmal in Agr angenommen werden. Eine alternative Analyse schlägt Kayne (1994) vor, indem er den possessiven Genitiv des Französischen (und die parallele (»/-Konstruktion des Englischen) wie den Relativsatz als DCP-Struktur analysiert: ,JDe Jean and of John 's are not adjoined to voiture/car, instead, they are phrases (headed by de/of) whose specifier position contains voiture/a car" (105). Leider bleibt Kayne in seinen Ausführungen so vage, dass es schwer fallt, seinen als indizierte Klammerung skizzierten Vorschlag (3-29)
d.
la [,^ voiturej [de [lfJean [I [e]j... (= Beispiel (79) in Kayne 1994:102)
in eine konkrete Baumstruktur zu übertragen. Es ist anzunehmen, dass in einer solchen Struktur der Possessor wie in (3-29.c) in der Spezifikatorposition des nominalen Kopfes basisgeneriert wird, jedoch nicht als GEN-markierte Konstituente [kp de Jean], sondern offensichtlich als DP. Die komplexe Nominalphrase [np [spec.NP^ea/îJlNP voiture]] ist Komplement einer „abstract copula" (1994:102), also eines leeren Kopfes, der wiederum in die funktionale Projektion IP eingebunden ist. Die gesamte IP ist schließlich Komplement des präpositionalen Komplementierers [c de], in dessen Spezifikator - parallel zur Derivation des Relativsatzes - das Possessum voiture bewegt wird.
194 (3-29)
e.
DP D
CP
la
Spec,CP
CP
voiture
c
IP
de
Spec,IP
IP
Jean
AuxP ? „abstract copula" (Kayne 1994:102)
Spec,NP
NP N/NP VôiÎWf'iî
Zweifelsohne geht es Kayne bei diesem Vorschlag um zwei Dinge. Zum einen müssen alle Ableitungen mit dem LCA kompatibel sein; dies bedeutet, dass basisgenerierte Rechtsadjunktionen, wie sie die traditionelle P&P fur die hier behandelten Strukturen vorschlägt, generell ausgeschlossen sind. Zum anderen ist ihm daran gelegen, die unterschiedlichen Versprachlichungsformen der possessiven Relation wie la voiture de Jean und Jean a une voiture auf eine universalgrammatisch gültige Basisstruktur zurückzufuhren. Dies scheint möglich zu sein, indem für beide Konstruktionen eine zugrunde liegende verbale Struktur (IP) angenommen wird, in die im Falle von Jean a une voiture mit der betreffenden Form von avoir ein overtes verbales Element eingesetzt wird, die im Falle von la voiture de Jean jedoch ausschließlich aus leeren Köpfen besteht (3-29.e). Problematisch ist dies allerdings sowohl aus empirischer als auch aus theoretischer Sicht: Die sprachlichen Fakten liefern keinerlei empirische Evidenz für die Annahme eines leeren Aux-Knotens, und die Projektion einer IP, verstanden als funktionale Kategorie, in der Kongruenz- und Tempusmerkmale verbaler Kategorien kodiert sind, ist an ein verbales Zentrum gebunden. Im Kontext eines leeren Knotens macht die Annahme solcher funktionaler Projektionen wenig Sinn. Der einzige Grund für die Annahme einer solchen impliziten IP-Struktur bei possessiven deStrukturen scheint somit der Wunsch nach einer Gleichbehandlung von verbalen und nichtverbalen Possessiv-Strukturen zu sein. Dieses Vorgehen wird m.E. auch nicht dadurch überzeugender, dass Kayne den „prepositional complementizer" de kurzerhand als „prepositional determiner" [p/d de] umdefiniert (cf. 1994:102). In Zusammenhang mit der hieraus resultierenden Struktur (3-29)
f.
la [d/pp voiture, [de [i ? Jean [I [e]j... (Kayne 1994:102)
stellt sich zudem die Frage, wie eine Phrase, deren Kopf als „prepositional determiner" [p/d de] charakterisiert ist, Komplement eines weiteren Determinanten [d la] sein kann. Darüber hinaus erscheint es wenig plausibel, in einem Fall de als kasusmarkierendes Element Κ zu
195 interpretieren (arguméntale Genitive) und das gleiche Element in einem anderen Fall als Komplementierer aufzufassen. Dies gilt um so mehr, als arguméntale und nicht-argumentale Genitive ausnahmslos durch das Possessivum son ersetzt werden können. Insofern möchte ich im Rahmen dieser Arbeit für den possessiven Genitiv an der in (3-29.c) skizzierten Lösung festhalten.
3.11
Resümee
Im Rahmen des dritten Kapitels ist der Versuch unternommen worden, auf der Basis der streng merkmalsgetriebenen Syntaxkonzeption des Minimalistischen Programms für alle kerngrammatisch relevanten Bereiche des Französischen Vorschläge für LCA-konforme Derivationen zu präsentieren. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf diejenigen Fragestellungen gerichtet, die für eine Modellierung der jeweiligen Randbereiche der im Rahmen dieser Arbeit vorwiegend interessierenden Kategorie Ρ von vorrangigem Interesse sind. Um einerseits den Übergangsbereich zwischen (der lexikalischen Kategorie) Präposition und (der funktionalen Kategorie) Kasusmarker und andererseits Kategorienübergänge zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien adäquat beschreiben zu können, musste dabei deutlich über den unmittelbaren Bereich der Präpositionalsyntax hinausgegangen werden. Für die Differenzierung zwischen der Verwendung eines präpositionalen Elements als Kasusmarker bzw. als lexikalische oder grammatische Präposition wurde festgehalten, dass davon auszugehen ist, dass eine funktionale Verwendung genau dann vorliegt, wenn die betreffende Präposition als Komplementmarkierung von einer regierenden Kategorie lexikalisch gefordert werden kann. Diese Elemente bilden demnach in synchroner Sicht ein geschlossenes Repertoire. Die präpositionale Herkunft dieser kasusmarkierenden Elemente schlägt sich wie bereits in Abschnitt 2.3.3 ausfuhrlich diskutiert - im besonderen syntaktischen Verhalten dieser Elemente Κ nieder. Dies lässt sich wiederum unter Rückgriff auf ihre grammatischen Merkmale und deren Eigenschaften explizierbar machen. Dazu zählt u.a. die Tatsache, dass präpositionale Elemente in funktionaler Verwendungsweise zwar die präpositionale Merkmalspezifikation [-N; - V ] und die ursprünglichen θ-spezifischen Eigenschaften verloren haben, sich in kasustheoretischer Sicht aber genauso verhalten wie lexikalische und grammatische Präpositionen. Dies zeigt sich darin, dass innerhalb der jeweiligen KP ein (koverter) Checking-Vorgang zu verzeichnen ist (cf. Abschnitt 3.3), der demjenigen entspricht, der in referenziellen und nicht-referenziellen Präpositionalphrasen (RPs bzw. PPs) anzusetzen ist (cf. Abschnitt 3.8). Um die fur eine genauere Betrachtung der Kategorienübergänge zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien notwendigen Grundlagen zu schaffen, mussten bestimmte Gebiete der Verbal- und Nominalphrasensyntax in besonderem Maße vertieft werden. So wurde in Abschnitt 3.4 - abweichend von Chomsky (1995) und unter Rückgriff auf den von Cann (1999) gemachten Vorschlag, bei der Operation Merge Unifikationsmengen von formalen Merkmalen zuzulassen - ein Modell für die Derivation periphrastischer Verbformen entwickelt, das im folgenden Kapitel als Basis für die Beschreibung von Kategorienübergängen
196 zwischen Verb und Präposition dienen wird. Dies betrifft, wie sich zeigen wird, diejenigen präpositional verwendbaren Verbalkonstruktionen, die ein participe passé enthalten. Weiterhin wurde der absoluten und der verbundenen Partizipialkonstruktion besondere Aufmerksamkeit gewidmet (Abschnitt 3.7), da auch diese Konstruktionen beim Kategorienübergang zwischen V und Ρ eine wichtige Rolle spielen (cf. Abschnitt 4.2.1.2). Im Bereich der Nominalphrasensyntax sind v.a. die Strukturen mit argumentalen Genitiven und die Versprachlichungsformen der HABEN-Relation (Genitiv der alienablen und der inalienablen Possession) für eine Modellierung von Kategorienwechselphänomenen im Randbereich der Kategorie Ρ von besonderer Wichtigkeit, machen doch diejenigen N-basierten präpositionalen Wendungen, die ihr DP-Komplement mit de anschließen (Typ: au lieu de, à la place de, à côté de, au sujet de etc.), einen besonders hohen Anteil aus. Allerdings bleiben im Rahmen dieses skizzierten Entwurfes für eine minimalistisch ausgerichtete Grammatik des Gegenwartsfranzösischen zahlreiche Fragen offen. Dies betrifft im Wesentlichen diejenigen Strukturen, die von der traditionellen Prinzipien- und Parametertheorie als bewegungserzeugte oder basisgenerierte Rechtsadjunkte modelliert werden.21 Die Frage nach einer LCA-konformen Modellierung von bewegungserzeugten Rechtsadjunkten (Extrapositionen, Heavy-Shift-Phänomene) hatte ich am Schluss des Abschnitts 2.4.2 bereits bewusst von den weiteren Betrachtungen ausgeschlossen. Die Auseinandersetzung mit der von Kayne für die Derivation von Konstruktionen mit Relativsätzen und possessiven Genitiven vorgeschlagenen D-CP-Analyse (Abschnitte 3.4.5 und 3.10) hat deutlich werden lassen, dass auch die Modellierung deijenigen Strukturen, die im Rahmen einer traditionelleren Herangehensweise als basisgenerierte Rechtsadjunkte analysiert werden, nicht unproblematisch ist. Eine technisch saubere Lösung konnte im gegebenen Rahmen noch nicht gefunden werden und muss somit als Desideratum für weitere Untersuchungen formuliert werden. In Bezug auf die Modellierung der kerngrammatisch relevanten Strukturen kann jedoch festgehalten werden, dass der gewählte theoretische Rahmen ein kohärentes Beschreibungsinstrumentarium bietet, mit dessen Hilfe sich Differenzen im syntaktischen Verhalten unterschiedlicher relationaler Elemente in plausibler Weise explizierbar machen lassen. Dies gilt insbesondere für Divergenzphänomene bei der Grammatikalisierung von Präpositionen zu Kasusmarkern, also für diejenigen Entitäten, die am 'stark grammatikalisierten Pol' einer postulierten Skala der relationalen Elemente zu verorten sind. Im folgenden Kapitel gilt es, anhand einiger exemplarischer Fallstudien aufzuzeigen, inwieweit das erarbeitete Analyseverfahren auch bei der Modellierung von Kategorienwechselvorgängen im schwach grammatikalisierten Bereich der relationalen Elemente gute Dienste zu leisten imstande ist.
21
Fragen, die die Kompatibilität von Chomskys BPS-Modell und Kaynes LCA betreffen, haben sich bereits in Abschnitt 2.4.1 als relativ unproblematisch ftir die Modellierung französischen Datenmaterials herausgestellt.
4.
Fallstudien zu den französischen Präpositionen
4.1
Gradueller Wandel und binäre Konstituentenstruktur - ein Widerspruch?
Im ersten Kapitel wurde darauf hingewiesen, dass weder im grammatikalisierungstheoretischen noch im generativ orientierten Bereich auf das Französische bezogene Untersuchungen vorliegen, die in restlos befriedigender Weise die jeweiligen Randbereiche einer Grammatikalisierungsskala der relationalen Elemente modellieren. In generativ orientierten Arbeiten sind Fragen der Grammatikalisierung im Wesentlichen auf die Entwicklung von Präpositionen zu Kasusmarkem fokussiert. Dies ist insofern nicht weiter verwunderlich, als im Rahmen der jüngeren generativen Grammatik die Präposition als vollwertige lexikalische Kategorie neben Ν, V und A aufgefasst wird. Insofern ist es auch vor allem der Randbereich zwischen der lexikalischen Kategorie Ρ und der funktionalen Kategorie Kasusmarker, der mithilfe des Instrumentariums der generativen Grammatik in plausibler Weise explizierbar gemacht worden ist. Die von Rauh (passim) vorgeschlagene Subsystematisierung präpositionaler Elemente ist hierfür ein gutes Beispiel. Indem Präpositionen, die bestimmte syntaktische Funktionen markieren und von einer regierenden Kategorie lexikalisch gefordert werden können, als Subklasse der Kategorie Ρ (regP) aufgefasst und als funktionaler Kopf Κ in der erweiterten Projektion von Ν repräsentiert werden, wird der funktionale Status der betreffenden Elemente unterstrichen, ohne dass dabei deren lexikalische, namentlich präpositionale Herkunft verleugnet wird. Die präpositionale Herkunft der betreffenden Elemente zeigt sich, wie im Kapitel zur Kasustheorie dargestellt wurde, u.a. daran, dass sie in bestimmten Kontexten weglassbar sind, dass sie sich teilweise genauso verhalten wie lexikalische und grammatische Präpositionen (Bildung von Relativsätzen, PP-Island Constraint) und schließlich daran, dass auch kasusmarkierende Präpositionen ein kasusüberprüfendes Merkmal [D:Case:AKK] aufweisen und somit - wie semantisch vollwertige Ρ - eine strukturelle Kasusforderung an ihr DP-Komplement stellen. In semantischer Hinsicht lässt sich die lexikalische Abkunft der präpositionalen Kasusmarker des Französischen daran festmachen, dass sie stets inhärente Kasus markieren, die kanonisch mit einer bestimmten Θ-Rolle bzw. einer Gruppe von Θ-Rollen verbunden und gegen diathesebedingte Kasuswechsel (weitgehend) resistent sind. 1 So wird beispielsweise der im Französischen mit der Θ-Rolle FINAL verbundene Dativ durch die ursprünglich lokal-direktive Präposition à markiert. Der Übergang eines präpositionalen Elements von der lexikalischen zur funktionalen Kategorie ist - wie bereits in Abschnitt 2.3.4 betont - dann anzusetzen, wenn die betreffende Form von einem regierenden Kopf lexikalisch gefordert werden kann.
Auf Sonderfalle wie Konstruktionen mit den Verben obéir, posséder und désobéir, wo bei der Passivdiathese das Dativkomplement zum Satzsubjekt transferiert wird (les enfants obéissent à l'instituteur —» l'instituteur est obéi), sowie auf Verfahren, die von der regulären Passivbildung abweichen, wie die se-voir-Diathese {Χ a offert un parapluie à Y—» Y s'est vu offrir un parapluie) wurde bereits in Abschnitt 2.3.1 hingewiesen.
198 Die synchrone Koexistenz von mehr und minder stark grammatikalisierten Verwendungsweisen ein und derselben Einheit hat zugleich deutlich werden lassen, dass Grammatikalisierungsprozesse im Bereich der relationalen Ausdrucksverfahren nur als Divergenzphänomene plausibel zu beschreiben sind: Alle Mitglieder der postulierten Subklasse regP liegen auch als lexP bzw. als grP vor. Dies betrifft nicht allein den stark grammatikalisierten Randbereich der relationalen Elemente. Gleiches ist auch bei Kategorienübergängen zwischen Ρ und den benachbarten lexikalischen Kategorien zu beobachten, und zwar dergestalt, dass ein nominales oder verbales Element, das als Kern einer präpositional verwendbaren Fügung auftritt, i.d.R. als 'free form' weiterexistiert, auch wenn die betreffende Wendung deutlich Eingang in die Zielkategorie Ρ gefunden hat. Im Folgenden gilt es, anhand einiger exemplarischer Fallstudien zu exemplifizieren, inwieweit sich das im zweiten und dritten Kapitel erarbeitete Analyseinstrumentarium zur Modellierung solcher Kategorienübergänge im 'lexikalischen' Randbereich der relationalen Elemente nutzbar machen lässt. Wenn man sich vor Augen hält, dass morphosyntaktischer Wandel zunächst von einem singulären Einzelfall ausgeht (Reanalyse in ihren unterschiedlichen Ausprägungen) und sich dann sukzessive über andere Kontexte ausbreitet (Analogie), dann wird klar, dass der Widerspruch zwischen kontinuierlichem Wandel und punktueller - weil auf strikt binären Verzweigungen beruhender - Uminterpretation auf der Ebene der Konstituentenstruktur nur ein scheinbarer ist: Die Schaffung eines neuen Ausdrucksverfahrens aus dem Expressivitätsbedürfhis 2 eines einzelnen Sprechers heraus ist in jedem Fall mit einem abrupten Wandel in der zugrunde liegenden Struktur verbunden. Damit ist selbstverständlich noch nicht klar, ob es sich hierbei um einen singulären Einzelfall handelt, der als solcher wieder verschwindet oder bestenfalls als feste Wendung (z.B. als Funktionsverbgefüge o.ä.) im Lexikon inventarisiert wird, oder ob die betreffende Neuerung an Terrain gewinnt, über andere Kontexte generalisiert wird und auf diese Weise Eingang in ein grammatisches Paradigma findet. Die Verbreitung und Generalisierung eines neuen Ausdrucksverfahrens ist jedoch eindeutig ein gradueller Vorgang (cf. Van Kemenade/Vincent 1997:3-6).
4.2
Die relationalen Elemente des Französischen: Kategorienübergänge am 'lexikalischen' Pol der Grammatikalisierungsskala
Während es sich bei denjenigen Einheiten, die am 'grammatischen' Pol der fur die relationalen Elemente des Französischen postulierten Skala anzusiedeln sind, um ein synchron geschlossenes Repertoire von kasusmarkierenden Präpositionen handelt, 3 ist man bei einer Auseinandersetzung mit Kategorienübergängen und schwankendem Gebrauch im Randbereich 2
Zur Bedeutung der Expressivität beim Sprachwandel cf. u.a. Mair (1992:319ff), Diewald (1997:106) und Koch/Oesterreicher ( 1996).
3
Es sei nochmals betont, dass ich dazu nur bestimmte Verwendungsweisen eines präpositionalen Elements als regP wie beispielsweise sur in compter sur, avec in parler avec oder à in penser à zähle. In allen Fällen existiert die lexikalische (oder grammatische) Variante neben der zum Kasusmarker grammatikalisierten Verwendungsweise weiter.
199 zwischen Ρ und den benachbarten lexikalischen Kategorien mit der Problematik konfrontiert, dass sich kaum plausible Kriterien finden lassen, mit deren Hilfe ein zu analysierendes Inventar aufgestellt werden könnte. Zwar sind sowohl im Bereich der Grammatikographie stellvertretend sei Grevisse (1993: §989) genannt - als auch in linguistischen Arbeiten immer wieder Listen von sog. locutions prépositives aufgestellt worden (Gaatone 1976:28-31, Lang 1991:46-52), doch lässt sich mit Recht fragen, ob es dem Charakter des Untersuchungsgegenstandes adäquat ist, derartige Zusammenstellungen überhaupt vorzunehmen. Lang, dessen Liste mit insgesamt 242 verzeichneten Einheiten die umfangreichste ihrer Art ist, bemerkt selbst, dass „Vollständigkeit in diesem Bereich ohnehin ein Trugbild [sei], weil es sicher Ausdrücke gibt, die von manchen Sprechern nie, von anderen dagegen recht häufig als präpositionale [Wendung] verwendet werden, ohne daß das besonders auffällt" (1991:44). 4 Insofern lägen die Differenzen, die u.a. Gaatone (1976) bezüglich der lexikographischen Erfassung präpositionaler Wendungen konstatiert hat, in der Natur der Dinge. Dieser Einschätzung ist zweifelsohne zuzustimmen: Bereits eine kursorische Durchsicht der von Lang angeführten Einheiten verdeutlicht den offenen Charakter derartiger Zusammenstellungen. So verzeichnet beispielsweise der PR eine ganze Reihe von als locution prépositive klassifizierten Wendungen, die bei Lang nicht auftauchen - u.a. en ayant égard (à), alentour (de), en amont (de), jeweils mit obligatorischem DP-Komplement - , und in jedem Gebrauchstext lassen sich spontan Einheiten ausmachen, die in gleicher Weise Anspruch auf Aufnahme in die von Lang aufgestellte Liste hätten. Exemplarisch seien an dieser Stelle einige Wendungen angeführt, die ich bei der Durchsicht aktueller Ausgaben der Online-Version der Tageszeitung Le Monde ausfindig gemacht habe. 5 (4-1)
a. b. c. d. e. f. g. h. i. j. k.
4
5
en début de semaine à la poursuite de relations sinon cordiales, du moins urbaines avec les EtatsUnis située à 200 kilomètres au sud-est de Belgrade sous le couvert de l'anonymat à l'abri de la police civile et militaire qui rôde, à l'affût de toute nouvelle rébellion à l'arrivée de l'hiver à la frontière du Kosovo à l'intérieur du Kosovo à la demande du juge madrilène Baltasar Garzón ài 'origine de la contamination au début du mois de juin etc.
Lang beschreibt dies anhand der vom PR auf 1538 datierten Wendung au lieu (de DP). Da der entscheidende Schritt der strukturellen Uminterpretation durch den Sprecher (Reanalyse des Typs B) eines ausdrucksseitigen Korrelats entbehrt, konnte au lieu (de DP) während einer gewissen Zeitspanne als pW mit der Bedeutung 'anstelle von' oder als frei bildbare PP (im wörtlichen Sinne: 'an der Stelle von') interpretiert werden (cf. Lang 1991:39). Das Korpus wurde nach dem Zufallsprinzip aus Beiträgen zusammengestellt, die in den Monaten Mai bis Oktober 1999 auf der Homepage der Tageszeitung Le Monde (http://www.lemonde.fr) abrufbar waren, und umfasst insgesamt 75535 Wörter.
200 Die Aufzählung solcher komplexer Strukturen, die präpositional verwendet werden können, ließe sich beliebig erweitern. Problematisch ist an Langs Vorgehen also nicht die Tatsache, dass seine Liste „von im Französischen besonders üblichen präpositionalen Ausdrücken" (1991:44) naturgemäß keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, sondern vielmehr, dass hiermit suggeriert wird, präpositionale Wendungen könnten unter Zuhilfenahme gewisser Ausschlusskriterien deutlich von einem festen Repertoire einfacher Präpositionen abgegrenzt werden. So verzeichnet Lang beispielsweise Einheiten wie malgré, hormis, outre, moyennant, durant, nonobstant oder sauf in seiner Liste präpositionaler Wendungen, weil sie zuvor aus dem Inventar der einfachen Präpositionen mit rein situierender und damit funktionaler Bedeutung ausgeschlossen wurden (cf. Lang 1991:41-44). Zu Beginn meiner Arbeit habe ich bereits die Inkohärenzen kritisiert, die notwendigerweise aus derartigen Versuchen erwachsen, zwischen einfacher Präposition und präpositionaler Wendung eine deutliche Trennung zu ziehen (cf. Abschnitt 1.2). Das heißt nun aber nicht, dass es in Bezug auf den 'lexikalischen' Randbereich einer fur die relationalen Elemente postulierten Grammatikalisierungsskala nichts zu sagen gäbe. Interessant ist es vor allem, Einheiten zu betrachten, die im synchronen Schnitt einerseits in typisch präpositionalen und andererseits in typisch verbalen oder nominalen Kontexten auftreten können. Damit stehen also diejenigen Fälle im Zentrum des Interesses, anhand derer sich Kategorienübergänge zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien im aktuellen Sprachzustand exemplifizieren lassen. In Anbetracht der Tatsache, dass eine Entscheidung für oder gegen die Interpretation einer Abfolge von Elementen als frei generierte Syntax oder als (reanalysierte) pW im Einzelfalle kaum möglich ist und dass zu jeder Zeit neue 'Zweifelsfalle' hinzukommen, kann auch die Kategorie Ρ nur als offene, zu den Nachbarkategorien durchlässige Klasse aufgefasst werden, die jederzeit durch spontansprachliche Neubildungen erweiterbar ist und - aus dem Bedürfnis der Sprecher nach Expressivität heraus - auch de facto erweitert wird. Hierbei wird einmal mehr deutlich, dass die in der generativen Grammatik vertretene Auffassung von Ρ als lexikalischer Kategorie adäquater ist als die Einstufung als funktional-grammatische Klasse, wie sie in strukturalistisch orientierten Arbeiten verbreitet ist. So hat Rauh mit Blick auf die „schier unendliche Zahl phrasaler Präpositionen" (1990:42) dezidiert darauf hingewiesen, dass „die Einordnung von Präpositionen als Vertreter geschlossener Klassen unangemessen ist" (1990:33; cf. auch die ausführliche Auseinandersetzung mit der generativen Sichtweise der Kategorie Ρ in Abschnitt 2.1.1). Es werden jedoch auch in strukturalistisch beeinflussten Arbeiten Positionen vertreten, denen zufolge Ρ nicht als geschlossene und damit funktionale Klasse aufgefasst wird. So findet sich beispielsweise in einem Beitrag von BeneS (1974), der den „präpositionswertigen Präpositionalfugungen" des Deutschen gewidmet ist, vieles von dem, was später von Lehmann (1982 und in zahlreichen Folgepublikationen) als fur Grammatikalisierungsprozesse typische Prinzipien reformuliert und systematisiert werden sollte (z.B. der Verweis auf bestimmte 'Grammatikalisierungskanäle' wie Ν > Ρ und V > Ρ oder die Betonung von Divergenzphänomenen). Dass auch der Strukturalismus nicht ausschließlich mit starren Kategorien arbeitet, wird zudem am Konzept von Zentrum und Peripherie deutlich, mit dessen Hilfe der Autor (unter Bezugnahme auf DaneS 1966) heterogenes Verhalten innerhalb traditioneller Kategorien und fließende Übergänge zwischen traditionellen Kategorien explizierbar machen will. Für Peripherieelemente gilt nach BeneS, dass sie u.a.
201 „ins System weniger fest integriert [cf. Lehmanns Paradigmatizität, C.G.], weniger funktional belastet und auch weniger frequent sind" (1974:33). Eine solche Sichtweise ermögliche nicht nur, „den geschichtlichen Wandel des Systems aus der Beseitigung bzw. Umwertung seiner 'schwachen Stellen' zu erklären, sondern auch die Dynamik in der synchron (aber nicht statisch!) betrachteten Gegenwartssprache aufzudecken" (34). Typisch strukturalistisch ist an dieser Auffassung die Überzeugung von der sprachinternen Steuerung diachroner Prozesse, im Laufe derer systeminterne 'Mängel' behoben werden; vorausweisend auf die Grammatikalisierungstheorie der 80er Jahre ist bei Beneä wiederum die Betonung der Diachronie in der Synchronie. Diese Sichtweise gewinnt jedoch durch eine verstärkte und theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit den Rand- und Übergangsbereichen traditioneller Kategorien, wie sie die Grammatikalisierungsforschung in den Mittelpunkt des Interesses stellt, neues Gewicht. Entsprechend der Tatsache, dass bei schwankendem Gebrauch und eventuell nachfolgender Herausbildung neuer Präpositionen die Kategorien V und Ν als die mit Abstand häufigsten Ausgangskategorien zu identifizieren sind, konzentriere ich mich zunächst auf den Übergangsbereich zwischen V und Ρ (Abschnitt 4.2.1). In einem weiteren Abschnitt (4.2.2) geht es um phrasale Präpositionen wie à côté (de DP), au lieu (de DP) und côté (DP), die sich aus frei bildbaren Syntagmen mit nominalem Kern entwickelt haben und die im heutigen Sprachzustand teilweise nur schwer von Phänomenen der freien Kombinatorik abzugrenzen sind. Die Ausführungen konzentrieren sich auf die Modellierung der syntaktisch-konfigurationellen Seite der beim Kategorienübergang zwischen Ρ und den lexikalischen Nachbarkategorien zu verzeichnenden Prozesse Reanalyse, Grammatikalisierung und/oder Lexikalisierung. Als theoretische Grundlage hierfür dienen das im zweiten und dritten Kapitel auf der Basis der minimalistischen Syntaxtheorie und der Kayneschen Antisymmetrie-Hypothese erarbeitete Analyseinstrumentarium sowie die von Rauh vorgeschlagene Subsystematisierung der Klasse Ρ in lexikalische, grammatische und regierte Präpositionen. Selbstverständlich können Aspekte der Bedeutung hierbei nicht vollkommen ausgeblendet werden: So ist beispielsweise die Semantik ein deutlicher Indikator dafür, dass eine präpositional verwendbare Form wie durant der Ausgangskategorie Verb noch näher steht als etwa das äußerlich gleichartige nonobstant, das synchron nicht mehr motiviert ist und nur noch unter Rekurs auf die Etymologie mit einer verbalen Basis in Verbindung gebracht werden kann. Gleiches gilt etwa für pendant (cf. Abschnitt 4.2.1.2). Wie bereits erwähnt, ist es bei vielen präpositionalen Wendungen kaum möglich zu entscheiden, ob die syntaktische Reanalyse bereits stattgefunden hat oder ob die betreffende Einheit noch der freien Syntax zuzurechnen ist. Bestimmte syntaktische Tests bieten jedoch die Möglichkeit, über den Grad der Eingliederung einer V- oder N-basierten pW in die Zielkategorie Ρ zu entscheiden, auch wenn sich auf der ausdrucksseitigen Ebene noch keine eindeutigen Veränderungen wie Verlust von overter Flexionsmorphologie, Tilgung von Determinanten, phonetische Erosion, Bildung von Amalgamen etc. ausmachen lassen. Dazu gehören u.a. Fragen nach der Weglassbarkeit, Pronominalisierbarkeit, Determinier- oder Modifizierbarkeit einzelner Bestandteile und Tests in Bezug auf die Möglichkeit bestimmter Einschübe. Derar-
202 tige Fragen betreffen im Wesentlichen den Kategorienübergang zwischen Ν und Ρ und stehen somit in Abschnitt 4.2.2 im Mittelpunkt der Überlegungen.6
4.2.1
Kategorienübergänge zwischen Verb und Präposition
In der Liste von Lang sind insgesamt 23 präpositionale Wendungen verzeichnet, die sich auf der Basis von Verbformen entwickelt haben.7 Der Bezug zum jeweils zugrunde liegenden Verb ist in einigen Fällen verdunkelt und nur noch unter Rückgriff auf etymologisches Wissen herzustellen, so beispielsweise bei hormis (DP/CP), suivant (DP/CP), nonobstant (DP), touchant (DP) oder moyennant (DP).8 Derartige Fälle müssen im Rahmen einer synchron aus6
Als Basis fur die folgenden Ausführungen dient die in Lang (1991) gegebene Zusammenstellung von locutions prépositives. Den größten Anteil machen hierbei präpositional verwendbare Syntagmen mit nominalem und verbalem Kern aus, wobei die zuerst genannten deutlich überwiegen. An präpositional verwendeten Adjektiven nennt Lang nur die Form sauf, in gleicher Weise hätte jedoch plein wie in plein les mains (cf. Grevisse 1993:§311) Anspruch auf Aufnahme in die Liste. Insgesamt 157 Einheiten entsprechen dem oberflächensyntaktischen Typ à la place de, also [ρ Ρ (D) Ν P] + DP; 88 dieser Einheiten stehen Langs Angaben zufolge obligatorisch mit overtem D, bei 2 Einheiten ist der Gebrauch als schwankend angegeben: à (la) portée (de DP) und sous (le) prétexte (de DP). Teilweise sind die Einzelbestandteile P, D und Ν einer pW bereits zu einer (orthographischen) Einheit verschmolzen, die sich nur noch mit Blick auf die Diachronie analysieren lässt, so beispielsweise bei autour (de DP). In Einzelfällen handelt es sich beim nominalen Kern der betreffenden Syntagmen um Nominalisierungen von Adjektiven oder Verben (Partizipien) wie beispielsweise in à l'opposé (de DP). Solche Ausdrücke rechne ich den N-basierten pW zu, wenn - wie im soeben genannten Fall - das zur Diskussion stehende nominalisierte A oder Partizip bereits deutlich Eingang in das Lexikon gefunden hat und dies auch lexikographisch belegt ist (so datiert der PR die nominale Verwendung von opposé im Sinne von 'contraire' auf das Jahr 1681). Hinzu kommen fünf weitere N-basierte Einheiten wie face (à DP) oder faute (de DP), die ohne einleitende Ρ stehen. Damit lassen sich insgesamt 163, also gut 67 % der von Lang angeführten pW als Syntagmen mit nominalem Kern betrachten. Deutlich verbalen Ursprungs sind hingegen nur 23 Einheiten, also knapp 10 %. Dazu zähle ich auch Einheiten wie abstraction faite (de DP), en tenant compte (de DP) oder eu égard (à DP), wo neben dem verbalen Element auch ein nominales zu identifizieren ist. Es handelt sich bei den fraglichen Ν jedoch um Bestandteile von Funktionsverbgefugen, also um ursprüngliche DP-Komplemente von V, die im Zuge der Idiomatisierung ihre referenzielle Rolle und damit die Fähigkeit zur Lizenzierung einer erweiterten Projektion DP eingebüßt haben, z.B. faire abstraction (de DP), aber *faire une/cette/l 'abstraction (de DP). Nur zwei der von Lang aufgezählten Wendungen leiten sich aus Adjektiven her: zum einen das bereits im 12. Jh. in präpositionaler Verwendung belegte sauf DP, und zum anderen - wenn auch nur mittelbar über die Adverbbildung - das vom PR auf 1718 datierte relativement (à DP). Auch an dieser Stelle ließe sich die von Lang vorgeschlagene Liste beliebig erweitern, so etwa durch conformément (à DP), parallèlement (à DP), indépendamment (de DP) (die beiden letzten Beispiele aus: Le Gofïic 1993:411). Selbstverständlich können Auszählungen, die auf der Basis solcher Listen erfolgen, nicht den Anspruch korpuslinguistischer Genauigkeit erheben. Die deutliche Überzahl von Wendungen mit nominalem Kern, gefolgt von solchen mit verbalem Zentrum dürfte sich jedoch auch bestätigen, wenn man die getroffenen Aussagen mit größerem Datenmaterial konfrontiert. Die kursorische Durchsicht von Pressetexten (s.o.) hat diesen Eindruck bestätigt.
7
Im Einzelnen sind dies: à compter (de), à partir (de), abstraction faite de, attendu (que), compte tenue de, concernant, durant, en attendant (que), en tenant compte de, étant donné, eu égard à, excepté, hormis, il y a, moyennant, nonobstant, passé, pourvu que, suivant (que), supposé (que), touchant, vu (que), y compris (cf. Lang 1991:46-52). Gleiches gilt auch für die Form pendant, die Lang zum Inventar der einfachen Präpositionen zählt (1991:58).
8
203 gerichteten Betrachtung ausscheiden; sie können jedoch durchaus als 'Präzedenzfälle' herangezogen werden, wenn es darum geht, deutlich zu machen, dass bestimmte Fälle von Kategorienübergang und Kategorienwechsel, die im aktuellen Sprachzustand zu beobachten sind, in der Sprachgeschichte parallele Vorläufer aufweisen. Rein mengenmäßig überwiegen in der von Lang gegebenen Liste bei den präpositional verwendbaren Syntagmen mit verbalem Kern eindeutig solche wie en tenant compte (de DP) oder durant (DP), denen Konstruktionen mit dem participe présent oder dem gérondif zugrunde liegen, und zum anderen Einheiten wie excepté (DP), y compris (DP) oder abstraction faite (de DP), die ein Verb im participe passé enthalten und die eine Zurückführung auf zugrunde liegende Passivkonstruktionen nahe legen. Innerhalb dieser beiden Gruppen sind wiederum interne Differenzen zu beobachten (cf. Abschnitte 4.2.1.1 und 4.2.1.2). 9 Schließlich finden sich unter den verbbasierten pW Einheiten wie à partir (de DP), die einen Infinitiv enthalten. Solche Fälle sind in Zusammenhang mit der Modellierung von Kategorienübergängen und schwankendem Gebrauch weniger interessant, da sie in den angeführten Verwendungsweisen einzig und allein die präpositionale Analyse zulassen. Ihnen ist somit nur ein kurzer Abschnitt gewidmet (4.2.1.3).
4.2.1.1 Partizip Perfekt oder Präposition? Präpositional verwendete Verbalkonstruktionen, die ein Partizip Perfekt Passiv enthalten, legen die Herleitung aus einer zugrunde liegenden Passivkonstruktion nahe. Dabei sind grundlegend zwei Fälle zu unterscheiden. Zunächst kann das DP-Komplement der (komplexen) Ρ dem internen Argument des zugrunde liegenden Verbs entsprechen. Dieses wird bei der Passivdiathese in Objektposition basisgeneriert und dann - nach Insertion der entsprechenden Form des Auxiliars être - overt in die Subjektposition angehoben (zur Modellierung von Passivkonstruktionen cf. Abschnitt 3.4.3). In bestimmten Verwendungen des Partizips tritt in der Konstruktion kein Hilfsverb auf (wobei noch zu entscheiden ist, ob es sich um eine Auxiliartilgung handelt oder ob die betreffende Einheit erst gar nicht in die Derivation inseriert wird), und es ist keine overte Anhebung zu verzeichnen. Damit verbleibt die als Komplement der Verbform basisgenerierte DP in situ und steht in der linearen Abfolge nicht mehr vor, sondern nach dem Partizip. Zugleich bleibt auch die morphologisch realisierte Kongruenz aus.10 Dies alles sind Indizien dafür, dass hier eine Uminterpretation der Verbform stattgefunden hat, d.h. dass das Partizip als präpositionaler Kopf reanalysiert wurde. Eine solche Herleitung ist anzunehmen für Fälle wie (4-2)
9 10
a. b. c.
[TP [DP les femmes], sont exceptées les femmes·,] > [PP excepté [DP les femmes]] [TP [DP les frais] ¡ y sont compris les fraisi] > [ΡΡ> compris [DP les frais]] [TP [DP les circonstances]¡ sont vues les circonstanccs\]> [pp vu [DP les circ.]]
Zu vergleichbaren Entwicklungen im Englischen cf. König/Kortmann ( 1991 ). Dies ist zwar der Regelfall, doch tritt teilweise auch overte Kongruenz am Partizip auf, wenn ihm die B e zugs-DP in der linearen Abfolge nicht vorausgeht, sondern folgt. Cf. hierzu meine Ausführungen am Schluss dieses Abschnitts.
204 In anderen Fällen entspricht das DP-Komplement der (komplexen) Ρ einem in der zugrunde liegenden Verbalkonstruktion mit regP markierten internen Argument, also einem Objektoid. Da es sich hierbei um eine Konstituente mit inhärentem Kasus handelt, die ohnehin nicht von der Passivdiathese betroffen ist, bleibt die den inhärenten Kasus overt markierende regP auch beim Reanalyseprozess erhalten. Dabei ist noch zu entscheiden, ob de als Kopf Κ in der erweiterten Projektion des subkategorisierten Ν aufzufassen (angedeutet in 4-3.c) ist oder ob es eher als inkorporierter Bestandteil der reanalysierten (komplexen) Ρ zugerechnet werden sollte (4-3.d). (4-3)
a. b. c. d.
[TP DP fait abstraction [KP de [DP son âge]] > *[abstractiori]i est faite abstraction de son âge [ΡΡ [Ρ abstraction faite][^pde [DPson âge]]] [pp [p abstraction faite de] [DP son âge] ]
Es fragt sich allerdings, ob die in (4-3) skizzierte Herleitung der Form abstraction faite (de DP) restlos überzeugen kann, da das angenommene Zwischenstadium (4-3 .b) in der gegebenen Form ungrammatisch ist. Das bloße Ν abstraction als Bestandteil einer locution verbale ist kein referenzielles Syntagma, also keine DP, und kann somit auch keine Α-Positionen besetzen, wie es für die Bildung einer korrekten Passivdiathese vonnöten ist." Möglich wäre also bestenfalls (4-3)
e.
[/ 'abstraction de son âge]\ est faite l'abstraction de son âga
was aber wiederum weder als Herleitung in Frage kommt (falsche Wortstellung!) noch der Tatsache gerecht wird, dass es sich bei faire abstraction de um ein Funktionsverbgefüge handelt. Trotzdem scheint mir hier eine Art Passiv vorzuliegen, da das participe passé transitiver Verben grundsätzlich eine passivische Lesart aufweist (cf. Denis/Sancier-Chateau 1994:391, Grevisse 1993:§741). Gleiches gilt fur compte tenu (de DP), da auch hier das DP-Komplement der komplexen Ρ dem mit [regp de] markierten internen Argument einer idiomatisierten Wendung tenir compte [KP de DP] entspricht und das 'Subjekt' der als Zwischenstadium anzunehmenden Passivkonstruktion Bestandteil der pW ist. Offen ist noch die bereits angerissene Frage nach dem Status des präpositionalen Elements de in den betreffenden komplexen P, d.h. es fragt sich, ob de - wie in den als zugrunde liegend angenommenen idiomatisierten Wendungen - einen Objektoidkasus 12 markiert oder ob die regP als reanalysierter Bestandteil der komplexen Ρ aufzufassen ist. Cf. die unter (43.c&d) skizzierten Vorschläge, hier wiedergegeben als Strukturbäume (4-3.f&g):
11 12
Zur eingeschränkten Referenzfähigkeit nominaler Elemente in Funktionsverbgefügen cf. Detges (1996:9-12). Ein Genitiv ist gemäß der Vorgaben in Abschnitt 2.3.2 als rein adnominaler Kasus ohnehin ausgeschlossen: Die mit de markierte Konstituente ist nicht durch ein Possessivum ersetzbar, z.B. pour faire abstraction son âge
*pour faire son abstraction. Möglich ist jedoch die Substitution durch en.
de
205 (4-3)
f.
pP
g. pp
Ρ abstraction faite compte tenu [D:Case.cfe]
Ρ? ρ ρ
kP ^ ^ ¿
DP
abstraction faite de compte tenu de [D:Case:AKK]
JQJ
Κ
PP
DP
de
Angesichts der Tatsache, dass die Substitution des Komplements durch en nach der Reanalyse als komplexe Ρ nicht mehr möglich ist (cf. pour en faire abstraction, aber: *abstraction en faite), scheint die in (4-3.f) gegebene Interpretation von de als regP ausgeschlossen. Dementsprechend könnten Präpositionen im Französischen - anders als etwa im Deutschen oder im Türkeitürkischen - nur akkusativmarkierte DPs als Komplement fordern. Andererseits steht das Kriterium der (Nicht-)Ersetzbarkeit durch en ohnehin auf tönernen Füßen, hält man sich vor Augen, dass en qua seines Status als Klitikon an eine verbale Basis gebunden ist und auch in adnominalen Kontexten nur auftreten kann, wenn sich ein entsprechendes finîtes Verb (oder Auxiliar) als Basis anbietet: l'abus [KPde l'alcool] —> l'abus [CL-AUXen est] nuisible, aber *l'abus en /*l'en abus. Zudem erscheint die in (4-3.g) skizzierte Interpretation von de als festem Bestandteil der reanalysierten Ρ nicht völlig überzeugend, wenn man beachtet, dass in Strukturen mit koordinierten DPs das Element de i.d.R. wiederholt werden muss: abstraction faite de son âge et de son état de santé. Wenn de nicht repetiert wird, dann gelten die von den koordinierten DPs denotierten Entitäten semantisch als eine Einheit - ähnlich wie bei der Markierung von Dativkomplementen wie in envoyer une lettre à [Pierre [et Marie]]; cf. hierzu Abschnitt 2.3.4 und Blanche-Benveniste (1995). Jones, der nicht mit den hier angenommenen Kategorien regP und KP arbeitet, schließt hieraus, dass für alle pW, die mit de anschließen, eine Struktur [ P P P [PP de DP]] anzunehmen sei (cf. 1996:390f). Auf meinen Ansatz übertragen bedeutet dies, dass Ρ nicht nur das strukturelle Kasusmerkmal [D:Case:AKK], sondern auch inhärente Kasusmerkmale aufweisen kann wie etwa [D:Case:¿fe], Die Weglassbarkeit eines Elements wie de in Strukturen mit koordinierten DPs verdeutlicht letztlich nur einmal mehr die im Kapitel zur Kasustheorie (2.3) konstatierte Affinität von präpositional markierten Kasus mit den Kasusaffixen agglutinierender Sprachen. Ein weiteres Argument gegen Struktur (4-3.g) ist auch die Tatsache, dass Einschübe bestenfalls vor, in keinem Fall jedoch nach dem präpositionalen Element de möglich sind: (4-3)
h. i.
abstraction faite, me semble-t-il, [de son âge] *[abstraction faite de], me semble-t-il, son âge
Ich möchte demnach annehmen, dass Präpositionen im Französischen nicht nur den strukturellen Kasus Akkusativ checken, sondern auch überprüfende Merkmale fur inhärente Kasus aufweisen können. Damit ist fur abstraction faite und compte tenu jeweils ein D-Feature [D:Case:¿fe] anzunehmen. Die Überprüfung des Kasuswertes der Komplement-DP erfolgt in der koverten Syntax bei Adjunktion von FF(P) und FF(Komplement) an die 'light preposition' p.
206
A n d e r s a l s b e i d e n b i s h e r b e h a n d e l t e n p W abstraction
faite
de u n d compte
tenu de ist e i n e
p a s s i v i s c h e H e r l e i t u n g i m F a l l e d e s a u f d e n ersten B l i c k ä h n l i c h strukturierten eu égard
(à
D P ) kaum schlüssig: (4-4)
a.
D P a égard
à son
b.
> *[égard]¡
est eu ti à son
âge
c.
>· * égard
âge
eu à [dp 5 0 « âge]
A u g e n f ä l l i g ist z u n ä c h s t , d a s s aus e i n e r s o l c h e n H e r l e i t u n g i m G e g e n s a t z z u m p a r a l l e l e n Fall ( 4 - 3 . c & d ) d i e f a l s c h e W o r t s t e l l u n g resultiert: * égard
eu (à D P ) . D o c h b e r e i t s d i e a n g e n o m -
m e n e Z w i s c h e n s t u f e ( 4 - 4 . b ) ist p r o b l e m a t i s c h , u n d z w a r n i c h t nur - w i e b e i faire de qc in ( 4 - 3 . b ) - w e g e n der I d i o m a t i z i t ä t v o n avoir w e i l das V e r b avoir (4-4)
13
d.
égard
abstraction
(à D P ) , s o n d e r n v.a. d e s w e g e n ,
o h n e h i n k e i n e P a s s i v d i a t h e s e erlaubt. 1 3 A u c h
> * [/ 'égard
à son áge]¡ est eu l'égard
à son
âgc\
Verben, die wie avoir, avere, have etc. zur Versprachlichung der HABEN-Relation dienen, schließen generell die Passivdiathese aus, obwohl sie oberflächensyntaktisch wie transitive Verben konstruiert werden: (i) Pierre a une belle voiture (ii) *une belle voiture est eue (par Pierre) Gleiches gilt auch für posséder. Es existiert jedoch auch für die HABEN-Relation eine Art Umkehrung, die aus zwei Gründen der Passivdiathese transitiver Verben nahe kommt: Zum einen ist ein Perspektivenwechsel, nämlich der von 'Possession' zu 'Zugehörigkeit' zu verzeichnen, zum anderen erscheint das Possessum in der Possessionsvariante in Objektposition, in der Zugehörigkeitsvariante hingegen in Subjektposition: (iii)
la/cette belle voiture est à Pierre (Zugehörigkeit)
Auch hierbei bietet das Verb appartenir eine alternative Versprachlichungsstrategie. Allerdings ist die Possessionsvariante der HABEN-Relation (i) nur bei einer DP [—def] möglich ist, während die Zugehörigkeitsvariante (iii) auf DPs [+def] beschränkt ist. - Uriagereka (1998:167) fasst unter Berufung auf Benveniste (1966:193ff) avoir, avere, have etc. nicht als Vollverben mit Θ- und kasusspezifischen Eigenschaften, sondern - jeweils gemeinsam mit être, essere, be etc. - als eine der beiden möglichen Oberflächenformen eines abstrakten Kopfes Aux auf. Die Selektion von avoir oder être bei der Versprachlichung der HABEN-Relation ergibt sich dann - wie auch bei Auxiliarselektion bei der Bildung von komplexen Tempora - aus der Numeration Ν. Dies könnte man sich ungefähr so vorstellen: Wenn als Possessum eine DP [-def] selegiert ist, dann muss als Possessor-DP eine NOM-markierte Konstituente ausgewählt und in den abstrakten Knoten Aux eine finite Form von avoir eingesetzt werden (i); ist als Possessum hingegen eine DP [+def] gewählt, so muss als Possessor-DP eine DAT-markierte Konstituente selegiert werden und die Insertion einer finiten Form von être erfolgen (iii). Evidenz für eine solche Auffassung liefert nach Uriagereka (1998) u.a. die Tatsache, dass im ugspr. Englisch Formen von have und be durch ein und dieselbe Kontraktionsform (airi 't) ersetzt werden können. Als ein weiteres Argument kann angeführt werden, dass viele Sprachen keine verbalen Elemente aufweisen, die avoir und être entsprechen, sondern sowohl die HABEN- als auch die SEIN-Relation in Form von Kopula-Strukturen realisieren (cf. die ttü. HABEN-Konstruktionen mit var 'vorhanden' und yok 'nicht vorhanden'; hierzu detailliert Harweg 1968). Problematisch erscheint an einer solchen Sichtweise, dass avoir - ebenso wie das gleichfalls eine HABEN-Relation ausdrückende posséder - wie ein direkt transitives Verb konstruiert wird und folglich auch ein kasusüberprüfendes Merkmal [D:Case:AKK] aufweist, was mit dem Status als Auxiliar nur schwerlich zu vereinbaren ist.
207 ist eindeutig ungrammatisch. Somit erscheint es plausibler, als zugrunde liegende Form für eu égard à keine Passivdiathese, sondern eher eine (aktivische) Partizipialkonstruktion des Typs ayant aimé mit getilgtem Hilfsverb anzusetzen: (4-4)
e.
PRO ayant eu égard à sott âge > PRO eu égard à son âge
Damit ist eu égard (à DP) allerdings dem unter 4.2.1.2 behandelten Typ zuzurechnen. Betrachten wir nun im Einzelnen die Veränderungen, wie sie bei der Herausbildung von verbbasierten Präpositionen des Typs excepté (DP) zu beobachten sind. Zum einen ist ein Wortstellungswandel (les femmes (sont) exceptées > excepté les femmes), zum anderen das Ausbleiben der overten Kongruenz am Partizip (*exceptées les femmes) zu verzeichnen; Ausnahmen werden am Schluss dieses Abschnitts besprochen. Entsprechend den in 3.4.3 formulierten Annahmen ergibt sich fur die Passivdiathese transitiver Verben folgende Derivation: TP
(4-5) Spec,TP
Τ'
les femmes
Aux + T
AuxP
sont/étaient/...
Aux
AgrP
iJÔH//ί/ίϊί CW//...
I
Spec,AgrP
Agr'
les femmes
|/N
Agr
VP V
DP
exceptées
les femmes
Ähnlich ist die sog. unverbundene oder absolute Partizipialkonstruktion abzuleiten, die in Abschnitt 4.2.1.2 genauer besprochen wird. Fundamentaler Unterschied zur finiten Passivkonstruktion ist, dass anstelle einer finiten Form von être das entsprechende Partizip Präsens erscheint. Anders als das finite Auxiliar kongruiert das Partizip étant nicht in Person und Numerus mit dem Subjekt. Dementsprechend weisen - zumindest im modernen Französisch - die im V-Feature von Τ kodierten φ-Merkmale jeweils den Default-Wert α auf.14 14
Entstanden ist das participe présent aus dem lautlichen Zusammenfall der klat. Ablativform des Gerundiums cantando und der Akkusativform des klat. Partizip Präsens cantantem, wobei durch Analogie die Endung der 1. Konjugation -ant auf alle Verben ausgedehnt wurde (cf. Price 1988:242). Im klassischen Latein war die overte Kongruenz zwischen Subjekt und Partizip Präsens obligatorisch, im Altfranzösischen üblich und bis ins 16. Jh. möglich ( c f . j ' a i m e la bouche imitante la rose; Ronsard; zit. n. Grevisse 1993:§887). Demnach ist anzunehmen, dass im modernen Französisch das V-Feature in Τ fur Numerus, Genus und Person jeweils durch den Default-Wert α spezifiziert ist, während im klassischen Latein das V-Feature und das D-Feature in Τ fur Numerus und Genus jeweils die identischen Werte kodieren. Für sprachgeschichtliche Stadien, in denen beide Varianten kopräsent sind, ist anzunehmen, dass zwei verschiedene Merkmaisspezifikationen nebeneinander existieren. - Es ist jedoch zu betonen, dass sich die overte Kongruenz zwischen Subjekt und Partizip Präsens insofern von der Subjektkongruenz in finiten Verbalkonstruktionen unterscheidet, als Verb und DP in Numerus und Genus miteinander kongruieren, und nicht etwa in Person und Numerus.
208 Mit der präpositionalen Wendung étant donné (DP) liegt nun ein Fall, der die Herleitung aus einer passivischen Partizipialkonstruktion nahelegt: (4-6)
TP Spec,TP
Τ'
les circonstances
Aux + T
AuxP
étant
Aux
AgrP Spec,AgrP
Agr'
les circonstances
Agr
VP V
DP
données
les circonstances
I
Schließlich verfugt das moderne Französisch über sog. absolute Konstruktionen wie les femmes exceptées oder ces contrats signés, die u.a. in der Funktion von modalen (4-7.a) oder kausalen (4-7.b) Nebensätzen auftreten und sich als passivische Partizipialkonstruktionen mit getilgtem Auxiliar étant oder einem in die Derivation eingesetzten phonetisch leeren Hilfsverb [AUX e] modellieren lassen (zur Modellierung von Auxiliartilgungen cf. Abschnitt 4.2.1.2): (4-7)
a.
[TP [DP les femmes] ¡ Τ f A u x P [Α e] [ v p exceptées les fcmmcs\\\]... tout citoyen doit faire son service militaire b. [TP [DP ces contrats]·, Τ [ X P [A ux CtQHÍ\¡\_Aux e] [νγsignés ces contraisi]]] ••• les prix augmenteront sans doute Der augenfälligste Unterschied zwischen der Verwendung des Partizips in Verbalkonstruktionen wie (4-5), (4-6) oder (4-7) und dem präpositionalen Gebrauch der entsprechenden Formen wie in excepté les femmes oder in étant donné les circonstances ist die veränderte Wortstellung, die aus der nicht erfolgten overten Anhebung der Komplement-DP resultiert. Grund fur die ausbleibende Anhebung kann - technisch gesprochen - nur eine vom kerngrammtischen Regelfall abweichende Alternation der Stärke des bewegungsauslösenden Merkmals (D-Feature in T) sein, wie man sie auch annehmen muss, wenn bei Konstruktionen mit unakkusativen Verben das interne Argument in situ verbleibt (Typ: entre la reine) oder in Passivkonstruktionen eine besonders komplexe DP nicht overt angehoben wird (cf. Beispiele 4-15).15 Nimmt man nun an, dass in den Strukuren (4-5), (4-6) bzw. (4-7) die overte Anhebung abweichend vom Regelfall ausbleibt, dann kann die hieraus resultierende Terminalabfolge von den Sprechern entsprechend bereits vorliegenden Mustern als PP reanalysiert werden. Dies ist zu beschreiben als ein Wandel in der Merkmalstruktur des betreffenden Kopfes, nämlich von der verbalen Spezifizierung [-N; +V] zur präpositionalen [-V; - N ] (Reanalyse Typ A; cf. (1AU
15
Eine andere Modellierung von syntaktischer Variation und syntaktischem Wandel im minimalitischen Rahmen haben Roberts/Roussou (1999) vorgelegt. Cf. Abschnitt 2.3.6.3, Anmerkung 121.
209 16.a) in Abschnitt 1.3). Damit ändern sich auch die in der erweiterten Projektion des betreffenden Elements auftretenden funktionalen Köpfe. Da angenommen wird, dass in passivischen Konstruktionen die DP-Anhebung erfolgt, weil der verbale Kopf der betreffenden Konstituente zwar eine (interne) Θ-Rolle zuweist, aber wegen des suspendierten Merkmals {D:Case:AKK} den Kasus der DP nicht checken kann, ist davon auszugehen, dass Formen wie excepté(es) oder étant donné(es) bei der Reanalyse als Ρ das bei der Verwendung als Partizip suspendierte Kasusmerkmal wieder hinzugewinnen. Damit können die als Präposition reanalysierten Formen das strukturelle Kasusmerkmal [CaseiAKK] eines DP-Komplements überprüfen, und zwar ohne dass - wie im Falle der verbalen Verwendung - ein entsprechendes merkmalrestaurierendes Auxiliar in die Derivation eingefugt werden müsste. Das V-Feature des abstrakten Merkmalkomplexes Agr wird zum P-Feature in ρ umgedeutet, und die entsprechenden φ-Merkmale, die die overte Realisierung der Kongruenz am Partizip zur Folge haben, werden jeweils auf den Default-Wert α gesetzt. Das D-Feature in Agr, das bei Passivkonstruktionen die Kongruenzmerkmale der nach Spec,TP angehobenen DPs les femmes bzw. les circonstances in der Zwischenlandeposition Spec,AgrP checkt, wird durch ein D-Feature in ρ ersetzt. Daraus ergibt sich fur ρ die folgende Merkmalspezifikation. (4-8)
ρ: [Ρ:Ρα Ν α Ga], [D:P3 Npl Gf]
In der reanalysierten Konstruktion erfolgt die Überprüfung von Kasus und Kongruenz durch koverte Anhebung von FF(DP); die daraus resultierende Wortstellung ist die in der französischen PP obligatorische Abfolge [PP Ρ [DP]], also excepté les femmes bzw. étant donné les circonstances (zur Nachstellung von durant cf. 4.2.1.2). Die einzelnen Schritte des CheckingVorgangs in der als PP reanalysierten Konstruktion sind nachfolgend dargestellt: (4-9)
a.
b.
pP
Ρ [Ρ:Ρα Να Ga] [D:P3 Npl Gf)
PP
PP Ρ
ρ
DP
excepté étant donné
les femmes les circonstances
[PaNaGa]
[D:Case:AKK]
(4-9)
pV
excepté étant donné
[P3 Npl Gf]
[P«t*Ja«e]
[Case:AKK]
[D:Case:AKK]
Ρ [PiPaNaGa] [D:P3 Npl Gf]
Ρ
DP
les femmes étant donné les circonstances CALVLTV
[P3 Npl Gf] [Case:AKK]
t
ρΡ
c.'
PP FF (les femmes)
Ρ
FFf7es circonstances)
[P3 Npl Gf]
Ρ excepté étant donné
Ρ GXCCptë [D;P3 Npl Gf] étant donné
DP les femmes les circonstances
[D:CQ3C;AUK]
16
Nach Kayne (1994) sind multiple Adjunktionen an ein und denselben Kopf ausgeschlossen, weil sie nicht linearisierbar sind. Dies ist jedoch unproblematisch, wenn man mit Chomsky (1995:334) das LCA als PFPrinzip auffasst, da FF-Adjunktionen per definitionem nicht an Fragen der Linearisierung gebunden sind.
210 Eine erweiterte Projektion RP ist in diesen Fällen nicht lizenziert, da das Θ-Raster der jeweiligen Präposition keine referenzielle Rolle aufweist, die den funktionalen Kopf als Θ-Binder benötigen würde (cf. Abschnitt 2.2.4 dieser Arbeit). Demnach sind die als Ρ reanalysierten Verbformen excepté und étant donné als grP zu klassifizieren. Will man den anhand der gegebenen Beispiele dargestellten Kategorienwechselprozess V (Partizip Perfekt) > Ρ unter Bezugnahme auf die an den jeweiligen syntaktischen Prozessen beteiligten Merkmale und deren Eigenschaften explizierbar machen, so lässt sich dies wie folgt zusammenfassen: (4-10)
a. b.
c.
d.
Verben, die ein internes Argument θ-markieren, bieten sich fur einen Kategorienwechsel V (Partizip Perfekt) > Ρ an. In Anlehnung an bereits vorliegende Fälle von [±stark]-Alternation des bewegungsauslösenden D-Features in Τ (internes Argument verbleibt bei Konstruktionen mit unakkusativen Verben fakultativ in der Basisposition; Typ: entre la reine bzw. 'schwere' DPs in situ bei der Passivdiathese; cf. Beispiele 4-15) kann die im kerngrammatischen Regelfall erfolgende Anhebung des internen Arguments ausbleiben. Die resultierende Terminalabfolge kann dann als PP, der betreffende Kopf als Ρ reanalysiert werden. Zugleich wandeln sich kasus- und rollensemantische Eigenschaften. Wird wegen ausbleibender Anhebung in einer AgrP keine Spezifikatorposition eröffnet, hat dies einen Einfluss auf die Realisierung von Flexionsmorphologie.
Bezüglich der Kategorienzuordnung eines Partizips in einer gegebenen Struktur sei vorläufig Folgendes festgehalten: (4-11)
a. b.
Steht die Bezugs-DP vor dem Partizip, dann kongruieren beide Einheiten in Numerus und Genus miteinander, und das Partizip ist Kopf einer VP. Steht die Bezugs-DP nach dem Partizip, dann kongruieren beide Einheiten (i.d.R.) nicht miteinander, und das Partizip ist als reanalysierte Präposition aufzufassen und damit Kopf einer PP.
Die am Beispiel von excepté und étant donné dargestellte Herleitung hat auch Gültigkeit für Einheiten wie attendu (DP), passé (DP), vu (DP) und (y) compris (DP). Als Präzedenzfall fur eine parallele Entwicklung kann die seit dem 13. Jh. belegte (und mittlerweile im PR als veraltet markierte) Präposition hormis (DP) angeführt werden, die im Bewusstsein der heutigen Sprecher allerdings wohl kaum noch mit der zugrunde liegenden passivischen Konstruktion in Verbindung gebracht wird. Spätestens hier bietet es sich an, die gesamte Argumentation in einen historischen Kontext zu rücken. Dass für die behandelten Formen eine passivische Herkunft anzunehmen ist, steht mit Blick auf die generell passivische Lesart des participe passé transitiver Verben außer Frage. Wenn man, wie ich es in den bisher skizzierten Herleitungen von präpositional verwendeten Partizipialkonstruktionen getan habe, Formen wie excepté (DP) oder étant donné (DP) unter Rückgriff auf im aktuellen Sprachzustand frei verfügbare grammatische Verfahren wie die
211
Passivdiathese oder die Bildung absoluter Partizipialkonstruktionen explizierbar zu machen sucht, geht man dezidiert vom heutigen Sprachbenutzer und von dessen sprachlichem Wissen aus. Auf diese Weise wird zwar deutlich, worin in synchroner Perspektive der Unterschied zwischen der verbalen und der präpositionalen Verwendung eines participe passé wie excepté besteht, jedoch ist damit selbstverständlich keine Aussage darüber getroffen, ob diese (synchron angemessene) Erklärung auch zugleich die diachrone Entwicklung derartiger Konstruktionen widerspiegelt. Für eine synchron ausgerichtete Betrachtung stehen Faktoren wie der Wandel von Merkmalsdistribution sowie von Θ- und kasustheoretischen Eigenschaften, die wie oben im Einzelnen dargelegt - bei Kategorienwechsel- und Divergenzphänomenen zu beobachten sind, im Zentrum des Interesses. Hält man sich jedoch das Postulat der Grammatikalisierungsforschung vor Augen, demzufolge synchrone Dynamik stets in Zusammenhang mit diachronem Wandel zu sehen ist, dann empfiehlt es sich, einen gezielten Blick auf eventuelle Präzedenzfälle für die im aktuellen Sprachzustand zu beobachtenden Fälle von Kategorienwechsel zu werfen. Auch das klassische Latein verfugt mit dem Ablativus absolutus über eine passivische Konstruktion, die ohne finîtes Verb auskommt und deren (stets overtes) Subjekt nicht mit einer DP des Matrixsatzes koindiziert ist:17 (4-12)
a. b.
his verbis dictis 'nachdem diese Worte gesagt worden waren' oppidis exceptis 'nachdem die Städte ausgenommen worden waren'
Bereits im (nichtliterarischen) Spätlatein sind Konstruktionen mit offensichtlich präpositionalen Verwendungen des lateinischen Partizip Perfekt belegt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass das Partizip vorangestellt wird und keine Kongruenz mit der Bezugs-DP aufweist, dass also nicht wie im unter (4-12) angeführten Typ die nach Genus und Numerus flektierte Ablativform, sondern eine nicht kongruierende Form verwendet wird. Zudem trägt die Bezugs-DP mit dem Akkusativ genau den Kasus, der im Spätlateinischen zunehmend die anderen obliquen Kasus verdrängt und dessen altfranzösischer Nachfolger Obliquus (cas régime) sich zum obligatorisch zu setzenden Kasus des Komplements in der PP entwickeln sollte: (4-13)
a. b.
excepto hos 'außer ihnen' (Gamillscheg 1957:321) excepto oppida 'außer den (befestigten) Städten' (Peregrinatio Aetheriae, ca. 400 n. Chr.; zit. n. ibid.)
Dies heißt jedoch noch nicht unbedingt, dass eine neufranzösische Struktur wie excepté (DP) in direkter Kontinuität zu ihrer spätlateinischen Vorgängerkonstruktion zu sehen ist: Nach Gamillscheg ist die betreffende Wendung erst wieder seit früher mittelftanzösischer Zeit in präpositionaler Verwendung belegt (14./15. Jh.),18 was die Frage nach der Beschaffenheit solcher Konstruktionen während der knapp ein Jahrtausend umfassenden 'beleglosen' Zeit-
17
Dagegen ist beim participium
coniunctum die Subjektposition durch ein mit einer DP des Matrixsatzes V i n -
diziertes PRO besetzt. Diese Konstruktion findet ihre neufranzösische Entsprechung in der verbundenen Partizipialkonstruktion (cf. Abschnitt 4.2.1.2). 18
Ebenso: Rheinfelder (1967:§743); Nyrop (1930) macht diesbezüglich keine Angaben.
212 spanne aufwirft. Auch im Beispielmaterial von Müller-Lancé (1994), der die absolute Partizipialkonstruktion vom Altlatein bis zum Neufranzösischen untersucht hat, finden sich für die altfranzösische Periode keine Belege für excepté (cf. 206-237). Weiterhin konstatiert er, dass er „die verschiedentlich aufgestellte These, daß sich in den romanischen Sprachen vor allem diejenigen AK's [absoluten Konstruktionen, C.G.] fortsetzen, die schon im Altlatein und dann wieder im Spätlatein formelhaft auftraten,... für das Altfranzösische nicht bestätigen [könne]" (230f). Insofern liegt es näher anzunehmen, dass es während der protoromanisch-altfranzösischen Periode derartige Konstruktionen gar nicht oder kaum gegeben hat und dass sie erst in mittelfranzösischer Zeit im Zuge einer verstärkten Übersetzungstätigkeit aus dem Lateinischen wieder vermehrt Eingang in die Sprache fanden - sozusagen als direkte Nachbildungen der lateinischen Konstruktionen. 19 Wenn sich dann im weiteren Verlauf der Entwicklung aus der - dem Modell des lateinischen Ablativus absolutus nachgebildeten - absoluten Konstruktion vom Typ les femmes exceptées eine präpositionale Verwendung des Partizip Perfekt Passiv herausbildet, dann hat dieser Prozess des Kategorienwechsels Verbform > Präposition einen parallelen Vorläufer in der Herausbildung des unter (4-13.b) angeführten excepto oppida aus dem klat. Ablativus absolutus, allerdings ohne dass beide Fälle in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander stünden. Die bis ins 16. Jh. übliche und in Ausnahmefällen sogar in der heutigen Schriftsprache vorkommende Verwendung der in Numerus und Genus mit der Bezugs-DP kongruierenden Form des Partizips auch bei präpositionalem Gebrauch deutet in jedem Fall darauf hin, dass der enge Zusammenhang solcher Formen mit den im jeweiligen sprachgeschichtlichen Stadium verfügbaren passivischen Konstruktionen den Sprechern stets bewusst war und auch heute noch bewusst ist. Auf solche Fälle, die auf den ersten Blick in eklatantem Widerspruch zu den in (4-10) und (4-11) formulierten Beobachtungen zu stehen scheinen, soll abschließend genauer eingegangen werden. Dabei handelt es sich um Beispiele wie (4-14)
a. b. c. d. e.
exceptées les années 1945-1975 (Α. Glucksmann; zit. η. Grevisse 1993:§311) tous les favoris, exceptés Kelly et Fignon défaillants, ont alors tenté de s'enfuir (France Soir vom 27.4.1992:15; zit. n. Müller-Lancé 1994:281) dans les attitudes très héroïques, y comprise celle où il se casse la gueule (J. Giono; zit. n. Grevisse 1993:§311) personne, exceptée toi, n 'entend le coup de feu (L. Aragon; zit. n. Grevisse 1993:§311) étant données les circonstances (A. Robbe-Grillet; zit. n. Grevisse 1993: §311)
Abweichend vom Regelfall kongruiert in den angeführten Beispielen das Partizip mit der Bezugs-DP. Dies scheint im Rahmen der von mir gewählten Modellierung insofern nicht unproblematisch zu sein, als das Ausbleiben overter Kongruenz in unmittelbarem Zusammenhang mit der ausbleibenden DP-Anhebung gesehen wird und die unter (4-14) genannten Strukturen somit nicht abgedeckt werden. Es stellt sich also die Frage, ob bei der Verwendung der betreffenden Partizipien mit overter Kongruenz die Uminterpretation vom verbalen zum präpositionalen Element bereits stattgefunden hat. Geht man davon aus, dass dies der Fall ist, dann 19
Cf. Müller-Lancé (1994:234, 320).
213 müsste man annehmen, dass es - zumindest in bestimmten Fällen - so etwas wie flektierte Präpositionen gibt. Dies erscheint in höchstem Maße problematisch, da ein systematischer Prozess der morphologischen Angleichung zwischen präpositionalem Kopf und DP-Komplement weder im Französischen noch in anderen Sprachen zu beobachten ist.20 Dass es sich bei Amalgamen wie du, au, des, aux etc. oder bei den (weitaus zahlreicheren) Parallelfallen des Italienischen wie al, nel, sulla etc. nicht um flektierte Präpositionen, sondern um Resultate phonologi scher Regeln handelt, die auf dem PF-Zweig der Grammatik ansetzen, wurde bereits mehrfach betont. Ein anderer Erklärungsvorschlag fasst die genannten Fälle als (verkürzte) Verbalkonstruktionen auf und betont die Nähe zu Strukturen, bei denen trotz des suspendierten Kasusmerkmals im Partizip Perfekt eine in Komplementposition basisgenerierte DP oberflächensyntaktisch in situ verbleibt. Cf. die Beispiele (2.3-21.a&b), hier wiederholt als: (4-15)
a.
b.
sont dispensés de la tutelle [DP les personnes désignées dans les titres ... ; les présidents et les conseillers à la Cour de cassation, le procureur général les préfets ; tous citoyens exerçant une fonction publique ...] (Code civil, art. 427; zit. n. Grevisse 1993:§379) sont exclues de cet emploi [DP les formes adjectives des verbes transitifs indirects ... et la très grande majorité des verbes intransitifs à auxiliaire avoir...] (Denis/Sancier-Chateau 1994:391)
Für solche Fälle habe ich in Abschnitt 2.3.1 angenommen, dass die Anhebung des Subjekts nicht overt, sondern kovert erfolgt und dass dementsprechend das D-Feature in Τ abweichend vom Regelfall schwach ist. Dies kann geschehen, wenn die anzuhebende Konstituente besonders 'schwer', d.h. komplex ist. In der traditionellen P&P wird diese Wortstellungsvariante bei der Passivdiathese in Analogie zu Fällen wie (2.3-8.a&b), hier wiederholt als (4-16)
a. b.
Marie a mis [le livre que son frère lui avait offert] sur son bureau Marie a mis le livre que son frère lui avait offerti sur son bureau [le livre que son frère lui avait offert] ¡
als Heavy Shift modelliert. D.h. man geht davon aus, dass die - im Fall von (4-15.a&b) äußerst komplexen - DPs regulär in die Subjektposition angehoben, dann aber aus stilistischen Gründen an den rechten Satzrand verschoben werden. 21 Will man diese Auffassung fur die Erklärung der unter (4-14) gegebenen Beispiele nutzbar machen, so wäre (in etwa) folgende Derivation anzunehmen: Die Komplement-DP wird overt nach Spec,TP bewegt, landet in Spec,AgrP zwischen, und das Partizip kongruiert deshalb mit seiner Bezugs-DP. Eine solche Anhebung ist nur möglich, wenn sie durch ein entsprechendes starkes Merkmal ausgelöst
20 21
Bei Postpositionen ist dies durchaus möglich, so z.B. im Ungarischen oder im Navaho; cf. Abschnitt 2.1.5. Im traditionellen P&P-Modell wird Heavy N P Shift als Adjunktion rechts an IP modelliert. Nach Kayne (1994) müssten anstelle einer Bewegung der komplexen DP nach rechts alle übrigen Elemente des Satzes nach links verschoben werden, da Rechtsadjunktionen qua LCA nicht linearisierbar sind.
214
wird. Dies ist bei der Passivdiathese das starke D-Feature in T. Problematisch ist nun bei (414.a-d), dass in der Konstruktion keine Verbform präsent ist, in deren erweiterter Projektion ein T-Knoten enthalten ist. Der einzige Ausweg wäre somit entweder die Annahme eines in die Derivation eingefugten und vor Spellout wieder getilgten Auxiliars bzw. eines leeren funktionalen Knotens mit entsprechendem Merkmal. Als letzter Schritt müsste dann die entsprechende optionale Bewegung (Heavy Shift) erfolgen, um die gewünschte lineare Abfolge herzuleiten. Abgesehen davon, dass eine solche Derivation aus leicht nachvollziehbaren Gründen allzu spekulativ anmutet, erscheint auch die (auf den ersten Blick einleuchtende) Heavy-Shift-Erklärung weniger plausibel, wenn man sich vor Augen hält, dass die nachgestellten DPs - zumindest im Falle von (4-14.a,d&e) - alles andere als besonders 'schwer' sind. Beide Herangehensweisen, d.h. die Auffassung der betreffenden Fälle als flektierte Präpositionen einerseits und die Interpretation als verbale Strukturen mit optionaler Bewegung andererseits, scheinen somit kaum angemessen. Ich möchte letztlich dafür plädieren, bei der Entscheidung über den (eher noch) verbalen oder (eher bereits) präpositionalen Status der fraglichen Einheiten dem Kriterium der veränderten Wortstellung einen deutlich höheren Stellenwert beizumessen als dem Kriterium der ausbleibenden Kongruenz, und zwar aus folgendem Grunde: Da im Französischen nur die wenigsten Verben ein Partizip Passiv aufweisen, das auf lautlicher Ebene entsprechend der φMerkmale differenziert, 22 ist der accord du participe passé im Wesentlichen eine Frage der (Ortho-)Graphie. Insgesamt führt Grevisse für fünf Elemente sowohl Belege mit als auch ohne accord an. Im Einzelnen handelt es sich um étant donné, excepté, passé, y compris und vu, wobei für letzteres nur ein einziges Beispiel genannt wird (cf. 1993:§311). 23 Unter den Beispielen mit Voranstellung von Partizip/Präposition und overtem accord findet sich mit [kôpRÏz] wiederum nur ein einziger Fall, bei dem die in der Graphie präsente Kongruenz auch ein Korrelat in der Lautung aufweist (4-14.c). Zudem handelt es sich in allen Fällen eindeutig um Belegmaterial aus dem gehobenen schriftsprachlichen Bereich oder aus der Literatursprache, und die entsprechenden Okkurenzwerte in der gesprochenen Sprache dürften, zumindest im nähesprachlichen Register, verschwindend gering sein. Es liegt also die Vermutung nahe, dass es sich bei der Kongruenzmarkierung in der Graphie um ein rein schriftsprachliches Phänomen handelt, und zwar in dem Sinne, dass der Schreiber selbst dort noch einen accord vornimmt, wo wegen der ausbleibenden DP-Anhebung - und wegen der aus diesem Grunde nicht eröffneten Spezifikatorposition der Partizipialkongruenzphrase - eine Angleichung eigentlich nicht mehr zu erwarten wäre. Müller-Lancé bringt in Zusammenhang mit dem Beispiel (4-14)
b.
tous les favoris, exceptés Kelly et Fignon défaillants, ont alors tenté de s'enfuir
die Frage nach der Bewertung solcher graphischer Kongruenzmarkierungen im Sinne einer (präskriptiven?) Norm ins Spiel und bemerkt: „In diesem Fall einer Pluralmarkierung ist nun 22
23
So weisen nur Verben wie ouvrir, faire, réduire, conduire, écrire etc. oder mettre, prendre, clore mit den Auslautkonsonanten [-t] bzw. [-ζ] eine phonetisch relevante Genusmarkierung auf; eine hörbare Numerusmarkierung ist auch hier nicht gegeben. Im Falle von hormis ist die Verwendung mit overter Kongruenz zuletzt bei Marguérite de Navarre (16. Jh.) belegt: il η 'avoit jamais aymé femme, hors mise la sienne. Der Gebrauch ohne accord ist bereits bei Froissart (14. Jh.) nachgewiesen: hors mis leurs armeures (cf. Grevisse 1993:§311).
215 schwer zu entscheiden, ob lediglich ein orthographischer Fehler vorliegt oder ob das Partizip hier bewußt angepaßt wurde" (1994:281, Anm. 717).24 Im Sinne einer deskriptiven Norm, die aufgrund von Vorkommensfrequenzen bestimmte Formen als markiert herausstellt, ist die in (4-14.b) zu verzeichnende Numerusangleichung mit Sicherheit zumindest als ungewöhnlich zu werten. Ob man dem Phänomen gerecht wird, indem man es einfach als 'orthographischen Fehler' einstuft, erscheint mir jedoch zweifelhaft. Vielmehr scheint dem Schreiber auch bei präpositionaler Verwendung die verbale Herkunft des Partizips bewusst zu sein. Offensichtlich wird die graphische Kongruenzmarkierung dadurch begünstigt, dass der betreffenden Form ein mit der Bezugs-DP koindiziertes Element vorangeht, das eindeutig genus- und numerusmarkiert ist. Auf diese Weise entsteht eine Art 'Zwischenstellung' des präpositional verwendeten Partizips, sei es durch Apposition wie in (4-14.b) oder durch ein Antezedens, das - wie in (4-14.C) - den Demonstrativdeterminanten celle bindet.25 Für den unter (4-14.d) angeführten Fall personne, exceptée toi, η 'entend le coup de feu greift eine solche Erklärung selbstverständlich nicht, da es sich bei personne um ein Negationsmorphem und nicht etwa um einen genus- und numerusmarkierten Nominalausdruck handelt.26 Tatsache ist, dass der verbale Charakter einer Form auch bei bereits erfolgtem Kategorienwechsel durchscheinen kann, wobei gewisse Kontextbedingungen wie die oben angeführte 'Zwischenstellung' dies offensichtlich begünstigen. Zusammenfassend will ich die in den Beispielen (4-14) angeführten Entitäten als (bereits reanalysierte) Präpositionen auffassen. Die zu verzeichnende overte Kongruenz ist m.E. keine Flexionsmorphologie im engeren Sinne, also kein systematisch vorgenommener accord wie bei der Passivdiathese, sondern vielmehr ein Reflex der Diachronie, der sich allein in der Graphie niederschlägt. In einer solchen Sichtweise kann auch problemlos an den in (4-10) und (4-11) formulierten Beobachtungen festgehalten werden, lässt sich auf diese Weise doch der Unterschied zwischen einem präpositional oder verbal verwendeten Partizip in plausibler Weise deutlich machen und insofern auch modellieren, welche Mechanismen beim Kategorienübergang von V nach Ρ am Werk sind. Dies konnte anhand des Wandels in Bezug auf Θ- und kasustheoretische Eigenschaften sowie anhand der Uminterpretation der Werte und Eigenschaften in den jeweiligen Merkmalbündeln deutlich gemacht werden: Ein präpositional verwendetes Partizip gewinnt seine externe Θ-Rolle und sein kasusüberprüfendes Merkmal [D:Case:AKK] zurück, 24
Diese Einschätzung nimmt insofern nicht wunder, als der Autor mehrfach an anderer Stelle für das Neufranzösische konstatiert, vorangestelltes excepté komme grundsätzlich nicht mehr mit accord vor: „Im Neufranzösischen ... wird excepté in Voranstellung grundsätzlich nicht mehr angepaßt, ist also als Präposition anzusehen" (Müller-Lancé 1994:131). Zudem betrachtet er die Eingliederung der „invariablen Form excepté" in die Kategorie Ρ als „abgeschlossene Grammatikalisierung" (301). Abgesehen davon, dass ich einen Kategorienwechsel von V nach Ρ nicht zwangsläufig als einen Fall von Grammatikalisierung auffasse (dies hängt wie bereits gesagt - essentiell davon ab, ob man Ρ den funktionalen oder den lexikalischen Kategorien zurechnet), spricht m.E. die Tatsache, dass es im Gebrauch von excepté noch gewisse Einzelfälle von kongruierender Voranstellung gibt, dafür, dass der Eingliederungsprozess in die Zielkategorie zumindest noch nicht vollkommen abgeschlossen ist.
25
Die am präpositional verwendeten Partizip realisierten Kongruenzmerkmale richten sich aber in jedem Fall nach dem DP-Komplement und nicht nach dem Antezedens; andernfalls müsste ja in Beispiel (4-14.c) dans les attitudes très héroïques, y comprise celle das Partizip neben der femininen Genusmarkierung auch eine Pluralmarkierung aufweisen. Genau dies könnte dem Schreiber aber (irrtümlicherweise) vorgeschwebt haben.
26
216 ohne dass - wie beim verbalen Gebrauch - ein bestimmtes Auxiliar in die Derivation eingefügt werden muss. Weiterhin wandeln sich die Merkmale Agr bzw. ρ dergestalt, dass overte Anhebung und - in der Mehrzahl der Fälle - auch overte Kongruenz ausbleiben. Allerdings darf ein solches Modell nicht 'mechanisiert' werden, und zwar dergestalt dass alle Daten, die nicht den getroffenen Voraussagen entsprechen, als Aporie aufgefasst und 'wegargumentiert' werden. Vielmehr sollte man akzeptieren, dass es auch im Bereich von Morphologie und Syntax gewisse Aspekte gibt, die sich kaum in plausibler Art und Weise unter Rückgriff auf die konfigurationelle Beschaffenheit der jeweiligen Strukturen explizierbar machen lassen. Zwar ist es im Rahmen des minimalistischen Syntaxmodells durchaus möglich, die in (4-14) genannten Fälle adäquat zu beschreiben, nämlich indem man annimmt, dass unter bestimmten Bedingungen die P-Features in ρ nicht wie im Regelfall jeweils für den Default-Wert α spezifiziert sind (cf. die in (4-8) skizzierte Merkmalsstruktur), sondern einen bestimmten Genusund Numeruswert kodieren. Eine Erklärung, wann genau dies eintreten kann, ist hiermit selbstverständlich nicht gegeben. Auf eine solche Frage kann das minimalistische Modell auch keine andere Antwort geben als jede traditionell ausgerichtete Modellierung von diachronem Wandel und synchroner Dynamik. Eine Abwertung des Modells, mit dessen Hilfe sich die Überzahl der zu konstatierenden Fälle adäquat modellieren lässt, muss m.E. mit einer solchen Feststellung nicht verbunden sein. Man muss sich nur bewusst sein, wo genau die Möglichkeiten und Grenzen der jeweils gewählten Herangehensweise liegen.
4.2.1.2 Partizipialkonstruktion oder Präpositionalphrase? Mengenmäßig an zweiter Stelle steht die Untergruppe präpositional verwendeter Verbalkonstruktionen, die ein participe présent bzw. ein gérondif enthalten. Nachdem bereits in Abschnitt 4.2.1 Formen, bei denen der Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Verb semantisch verdunkelt ist, von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen wurden, 27 kommen hier folgende Beispiele in Frage: (4-17)
concernant DP, durant DP, (en) ayant égard à DP, en attendant CP, en tenant compte de DP
Hinzu kommen Wendungen wie eu égard à DP, die ich, wie unter 4.2.1.1 ausgeführt, als (aktivische) Partizipialkonstruktion mit getilgtem Auxiliar ayant und somit als für den Aspekt [+perfektiv] markierte Variante zu (en) ayant égard à DP auffassen möchte. Inwieweit es sich hierbei bereits um eine präpositionale Verwendung der betreffenden Einheit handelt oder ob selbige eher noch der freien syntagmatischen Kombinatorik zuzuordnen ist, bleibt noch zu entscheiden. Wie bei den in Abschnitt 4.2.1.1 behandelten Strukturen ist auch bei Präpositionen des hier zu diskutierenden Typs grundlegend zwischen zwei Konstruktionen zu unterscheiden. Dabei handelt es sich zum einen um pW, bei denen das DP-Komplement dem Komplement in der vormaligen Partizipialkonstruktion entspricht - z.B. concernant DP, (en) ayant égard à DP,
27
Dies betrifft u.a. suivant DP/CP, nonobstant DP, touchant DP oder moyennant DP.
217 eu égard à DP oder en tenant compte de DP - und zum anderen um solche, bei denen das Komplement dem Subjekt in der zugrunde liegenden Verbalkonstruktion entspricht. Letzteres ist bei durant DP der Fall. Es fragt sich nun, inwieweit es plausibel ist, den zuerst genannten Typ generell auf die sog. verbundene Partizipialkonstruktion (cf. Abschnitt 3.7.2) zurückzufuhren und entsprechend für durant DP die sog. absolute oder unverbundene Partizipialkonstruktion (cf. Abschnitt 3.7.1) als zugrunde liegend anzunehmen. Die jeweilige Herleitung der zwei Typen von Partizipialkonstruktionen sei im Folgenden kurz rekapituliert. Die verbundene Partizipialkonstruktion zeichnet sich dadurch aus, dass die Subjektposition nicht durch eine overte DP (also einen R-Ausdruck, einen Eigennamen oder ein Pronomen), sondern durch die phonetisch leere pronominale Anapher PRO besetzt ist. Dabei muss es sich um ein kontrolliertes PRO handeln, d.h. ein arbiträres PRO, wie es in Infinitivkonstruktionen auftreten kann, 28 scheidet generell aus. Die Fähigkeit des Verbs, bestimmte Komplemente zu fordern, ist durch die morphologischen Besonderheiten des participe présent nicht beeinträchtigt. Somit können im Rahmen einer Partizipialkonstruktion - lizenziert durch die entsprechenden überprüfenden Merkmale des verbalen Kopfes - ein oder mehrere Objekte in verschiedenen Kasus auftreten. Zudem verfugt das participe présent in gleicher Weise wie eine finite Verbform oder ein Infinitiv über eine thematische Rolle, die an PRO (oder bei der absoluten Partizipialkonstruktion an eine overte Subjekt-DP) entladen wird. Gegeben sei das Beispiel einer verbundenen Partizipialkonstruktion mit direktem Objekt, die in Funktion eines temporalen Nebensatzes auftritt. Cf. den in (3-26.e) gegebenen Strukturbaum, hier in leicht modifizierter Weise wiederholt als (4-18). (4-18)29
28
a.
(en) PRO, traversant la forêt, Pierre, a vu un renard
Unter arbiträrem PRO (abgekürzt als PRO arb ) versteht man das phonetisch leere Subjekt eines Gliedsatzes, das keine Referenz zu einer DP des Matrixsatzes aufweist wie beispielsweise in il est difficile comprendre
29
de PRO„t,
cette théorie. Für deutsche und englische Beispiele cf. Fanselow/Felix (1987b:204-210).
Zur Unterscheidung zwischen (verbundener) Partizipialkonstruktion und gérondif das phonetisch leere Subjekt PRO beim gérondif
sei hier nur gesagt, dass
vom Subjekt des Matrixsatzes kontrolliert werden muss und
zwar unabhängig von der Platzierung: (i)
en PROj traversant
(ii)
Pierre¡ a vu un renard en PRO¡ traversant
(iii) *en PROj traversant (iv)
la forêt, Pierre-, a vu un renard la forêt
la forêt, Pierre a vu un renard-,
* Pierre a vu un renard, en PRO¡ traversant
la forêt
(Kontrolle durch Subjekt des Matrixsatzes) (Kontrolle durch Subjekt des Matrixsatzes) *(Kontrolle durch Objekt des Matrixsatzes) '(Kontrolle durch Objekt des Matrixsatzes)
Dagegen ist das Kontrollverhalten von PRO in der Partizipialkonstruktion freier, d.h., sowohl Subjekt als auch Objekt des Matrixsatzes können mit PRO koindiziert sein: (v)
PRO¡ traversant
la forêt, Pierre, a vu un renard
(vi) Pierre a vu un renard, PRO¡ traversant
la forêt
(Kontrolle durch Subjekt des Matrixsatzes) (Kontrolle durch Objekt des Matrixsatzes)
Demnach ist die Setzung von en ausgeschlossen, wenn PRO durch das Objekt des Matrixsatzes kontrolliert wird, bei Kontrolle durch das Subjekt des Matrixsatzes jedoch fakultativ. Dies wird im o.g. Strukturbaum durch die Klammerung angedeutet.
218 (4-18)
b.
(CP)
(C)
TP
(en)
V + v+ T
vP
traversant
Spec.vP PRO V+v
VP
traversant
I /N
V
DP
traversant
la forêt
Die unverbundene (oder absolute) Partizipialkonstruktion unterscheidet sich von der verbundenen dadurch, dass die Subjektposition durch eine phonetisch gefüllte DP besetzt ist. Ein pronom conjoint ist in dieser Position allerdings generell ausgeschlossen: (4-19)
Pierre travaillant sans relâche, ce travail sera bientôt achevé *il travaillant sans relâche, ce travail sera bientôt achevé TP Spec,TP
Τ'
Pierre
V + v+T
vP
travaillant
AdvP
vP
sans relâche
Spec,vP V+v travaillant ΙΛ
VP I V travaillant
Sowohl bei der verbundenen als auch bei der absoluten Partizipialkonstruktion kann das Hilfsverb étant getilgt werden (verkürzte Partizipialkonstruktion). Beispiele für die Auxiliartilgung in der absoluten Partizipialkonstruktion wurden bereits in Zusammenhang mit der Passivdiathese im vorangegangenen Abschnitt genannt, cf. (4-11.a) [DP les femmes]\ CtQïlt ceptées los fcmmcs¡ und (4-1 l.b) [DP ces contrats]¡ étant signés ces contraisi. Gleichermaßen kann étant auch bei der verbundenen Partizipialkonstruktion ausfallen; als Beispiel sei hier eine Konstruktionen mit dem unakkusativen Verb arriver gegeben: (4-20)
étant arrivée PRO¡ à Berlin, Marie¡ a aussitôt téléphoné à son frère
In der gegebenen Darstellung erscheint das mit dem Subjekt des Matrixsatzes koindizierte PRO in der Basisposition, also als Komplement des unakkusativen Verbs arriver. Im Verlauf der Derivation muss das kategoriale Merkmal D von PRO, also [+N; - V ; Fl], angehoben
219 werden, um die aus dem starken D-Feature in Τ resultierende Forderung nach einem (overten oder koverten) Subjekt zu erfüllen (EPP). Erst dann kann sinnvollerweise das Auxiliar étant getilgt werden. Dies ist nun insofern problematisch, als Merkmalsanhebungen per definitionem in der koverten Syntax vonstatten gehen, die Auxiliartilgung jedoch in jedem Falle vor Spellout erfolgen muss. Dieses Problem kann auf zweierlei Weise gelöst werden: Entweder geht man davon aus, dass nicht die gesamte Kategorie, sondern nur PFM(Aux), d.h. die Gesamtheit der phonologischen Merkmale des Hilfsverbs, getilgt werden oder man nimmt an, dass die betreffende Kategorie von Anfang an unvollständig, d.h. als Bündel semantischer und grammatischer Merkmale selegiert wird. Die Tilgung des Auxiliars ayant ist jedoch nicht möglich, und zwar weder bei der verbundenen Partizipialkonstruktion (4-21&22) noch bei der absoluten (4-23): (4-21)
(4-22) (4-23)
a. b. a. b. a. b.
PROi ayant traversé la forêt, Pierre¡ s'est rendu compte du fait qu 'il avait vu un renard *PRO¡ traversé la forêt, Pierre\... PRO, ayant pensé à sa fille, Pierre¡... * PRO, pensé à sa fille, Pierre¡... la pluie ayant cessé, les amis décidèrent de poursuivre leur chemin *la pluie cessé, les amis décidèrent de poursuivre leur chemin
Dies ist aufgrund des generell unterschiedlichen Status der Hilfsverben avoir und être in Bezug auf ihre jeweilige Merkmalskonstellation nicht weiter verwunderlich. Schließlich wird die entsprechende Form des Hilfsverbs avoir in eine Derivation eingefügt, weil avoir die Eigenschaft aufweist, suspendierte Merkmale zu reaktivieren (cf. Abschnitt 3.4). Dies bedeutet beispielsweise im konkreten Fall von (4-23.a), dass, wenn in der Numeration Ν bereits ein Subjekt wie [DP la pluie] selegiert ist, die Derivation nur konvergieren kann, wenn die entsprechenden Eigenschaften des Auxiliars - hier die Eigenschaft, die externe Θ-Rolle des Verbs zu restaurieren - auch wirklich zur Verfügung stehen. Wird hingegen das Hilfsverb ayant wie in (4-23.b) wieder getilgt (oder erst gar nicht selegiert), dann kann die Subjekt-DP nicht lizenziert werden, weil sie keine thematische Rolle erhält. Gleiches gilt für den Fall der verbundenen Partizipialkonstruktion in (4-21) und (4-22), nur dass es hier außer der fehlenden thematischen Rolle zusätzlich das nicht aktivierte kasusüberprüfende Merkmal in V ist, das die Derivation zusammenbrechen lässt. Dabei ist es unerheblich, ob es sich - wie in (4-21) - um das Merkmal zur Überprüfung des strukturellen Kasus [D:Case:AK.K] oder um ein inhärentes Kasusmerkmal wie [D:Case:à] in (4-22) handelt. In diesem Zusammenhang wird auch klar, dass die zu Anfang des Abschnitts erwähnte Wendung eu égard à DP nicht mehr der freien syntaktischen Kombinatorik zugerechnet werden kann, da dort die Tilgung des Auxiliars nicht möglich wäre. Demnach muss eu égard à DP als in die Zielkategorie Ρ eingegliederte präpositionale Wendung, also als ein Fall von Idiomatisierung gelten. Betrachten wir nun im Einzelnen die konfigurationellen Änderungen beim Kategorienübergang zwischen Verb (participe présent) und Präposition, und zwar zunächst anhand des Typs concernant DP. Ein transitives Verb wie concerner verfügt bei der Verwendung als Partizip
220 über seine vollen Θ- und kasustheoretischen Eigenschaften, d.h. es kann, wie anhand von (424.a) deutlich wird, die interne Rolle THEMA an [DP les commerçants] und die externe Rolle an das (im konkreten Falle) mit dem Subjekt des Matrixsatzes koindizierte PRO zuweisen und zudem den Kasus der Objekt-DP checken: (4-24)
a.
PROi concernant exclusivement les commerçants, [ce nouvel impôt]·, ne nous inquiète pas vraiment 'da sie (ja) ausschließlich die Kaufleute betrifft ...'
Auch eine absolute Partizipialkonstruktion ist möglich: (4-24)
b.
ce nouvel impôt concernant exclusivement les
commerçants...
Als Beispiele fur die präpositionale Verwendung nennen gängige Wörterbücher Konstruktionen wie: (4-25)
a. concernant les immigrants, aucune décision η 'a été prise (PR) b. concernant cette affaire, je η 'ai reçu aucune information (TLF; GL) c. j'ai à vous parler concernant votre ami (LH) d. tout d'abord, le préfet prit des mesures concernant la circulation des véhicules et le ravitaillement (GR) e. avez-vous lu l'article concernant la crise ministérielle ? (GR)
Angesichts der auf den ersten Blick eindeutigen strukturellen Parallelität der unter (4-24) bzw. (4-25) genannten Konstruktionen drängt sich die Frage auf, ob es nicht plausibler ist, die Beispiele (4-25) - hier teilweise wiederholt als (4-26) - anstelle der Interpretation als Konstruktionen mit adjungierten PPs als verbundene Partizipialkonstruktionen zu analysieren (4-27): (4-26)
a.
[PP concernant les immigrants], aucune décision η 'a été prise (präpositionales Adjunkt zu VP) b. avez-vous lu I 'article [PP concernant la crise ministérielle] ? (präpositionales Adjunkt zu Ν) c. j'ai à vous parler [pp concernant votre ami] (präpositionales Adjunkt zu VP)
(4-27)
a. b. c.
PROj concernant les immigrants, [aucune décision], η 'a été prise (verbundene Partizipialkonstruktionen; PRO = Subjekt des Matrixsatzes) avez-vous lu [l'article], PRO¡ concernant la crise ministérielle ? (verbundene Partizipialkonstruktionen; PRO = Objekt des Matrixsatzes) ?? j'ai à vous parler PRO? concernant votre ami (verbundene Partizipialkonstruktionen; PRO = ??)
Während in den ersten beiden Fällen letztlich kaum zu entscheiden ist, ob es sich eher um eine adjungierte Präpositionalphrase oder um eine Partizipialkonstruktion handelt, erscheint
221 die Interpretation von (4-27.c) als verbundene Partizipialkonstruktion wenig plausibel, da im gegebenen Kontext keine DP verfügbar ist, die PRO kontrollieren könnte (Koindizierung mit der pronominalen Subjekt-DP je scheidet aus, da concerner kein Subjekt [+hum] haben kann). Analysiert man die betreffende Einheit jedoch als Präposition, dann stellt sich die Frage nach der Kontrolle von PRO erst gar nicht. Im zweiten Kapitel habe ich für die Kategorie Ρ als grundlegende Θ-Rollenstruktur angenommen, wobei bestimmte Subklassen von Präpositionen nur über ein reduziertes Raster verfügen bzw. gar kein eigenes Argumentraster aufweisen (cf. 2.2.4). Da im Falle von concernant keine erweiterte Projektion RP lizenziert ist (j'ai à vous parler *[RPjuste/exclusivement [PP concernant votre amï\\), muss die betreffende Einheit der Klasse der grP zugerechnet werden und verfugt damit über eine externe und eine interne, nicht jedoch über eine referenzielle Rolle. Die externe Rolle einer Präposition kann - wie in Abschnitt 2.2.4 ausgeführt - entweder durch Θ-Identifikation oder über den Modus der Θ-Markierung entladen werden, wobei letzteres auf Kopula-Strukturen beschränkt ist. Bei Entladung der externen Rolle durch Θ-Identifikation wird die betreffende Präpositionalphrase in Adjunktposition lizenziert. Dabei wird die externe Rolle von Ρ mit der referenziellen Rolle des Kopfes einer übergeordneten LP koindiziert. Im Fall von (4-26.c) ist dies die referenzielle Rolle des Verbs parier, bei (4-26.b) die referenzielle Rolle von [N article], bei (426.a) wiederum die Ereignisrolle eines Verbs, genaugenommen die des Funktionsverbgefüges prendre une décision. Im Gegensatz zu den Beispielen (4-26.a) und (4-26.b), die beide Interpretationen zulassen, kann die betreffende Phrase in (4-26.c) nur als PP aufgefasst werden. Daneben gibt es auch Verwendungsmöglichkeiten von concernant, die allein die verbale Analyse zulassen, nämlich dann, wenn die durch das Partizip ausgedrückte Verbalhandlung durch ein Adverb modifiziert ist (Beispiele 4-24) oder wenn wie in (4-28) ein klitisches Personalpronomen vorliegt, das aufgrund seiner speziellen Eigenschaften obligatorisch an die jeweils kasusüberprüfende Kategorie (hier das Partizip concernant) adjungiert: (4-28)
veuillez vous présenter au commissariat pour affaire¡ [PRO, vous concernant] (PR)
Es scheint also für die präpositionalen Ausdrücke des eben behandelten Typs schwierig zu sein, eine eindeutige Grenze zwischen (noch) verbalem und (bereits) präpositionalem Gebrauch zu ziehen. Fast alle in den Wörterbüchern als Beispiele für den präpositionalen Gebrauch angeführten Wendungen lassen sich auch plausibel als verbundene Partizipialkonstruktionen analysieren. Lediglich einige wenige Verwendungsweisen von concernant sind eindeutig als präpositional aufzufassen (4-26.c). Genau in diesem Nebeneinander zweier möglicher Analysen im synchronen Schnitt zeigt sich aber der besondere Charakter von Formen wie concernant. Ganz anders liegen die Verhältnisse bei durant DP, wo das Komplement der als Ρ reanalysierten Einheit dem Subjekt einer zugrunde liegenden absoluten Partizipialkonstruktion entspricht. Dieser Fall kann eindeutig als Mitglied der Klasse Ρ betrachtet werden, da der Kate-
222 gorienwechsel V > Ρ mit einem deutlichen Anzeichen syntaktischen Wandels verbunden ist:30 Während das Subjekt in einer absoluten Partizipialkonstruktion in Spec,VP basisgeneriert wird und somit in der linearen Abfolge vor dem Verb steht, folgt das Komplement in der PP der Präposition. Hierbei hat durant mit der Form pendant31 einen historischen Präzedenzfall, und zwar insofern als sowohl durer als auch pendre zunächst in Form von absoluten Partizipialkonstruktionen auftreten: (4-29)
a. b. c.
ce temps pendant, Patelin vient aux entremets (Gamillscheg 1957:319) le mariage durant (Nyrop 1930:111) les noces durant (Gamillscheg 1957:320) TP Spec,TP
Τ
ce temps le mariage V + v + T pendant fa
vP
durant Spec,vP
fa
ce temps V+v le mariage pendónt düfViflt
VP I V
ι fa
pendant
diifßtit I
Seit dem 14. Jh. ist fur pendant, seit dem 16. Jh. auch für durant die Voranstellung belegt (Angaben nach DHLF). Während bei durant die alte Wortstellung noch in einigen Verwendungen bewahrt ist, erscheint pendant im heutigen Sprachgebrauch ausschließlich in Voranstellung; die ursprüngliche lineare Anordnung der Elemente ist allein in der fossilisierten Wendung cependant bewahrt.32 Hier würde ich insgesamt dafür plädieren, von einer präpositionalen Verwendung nur zu sprechen, wenn der Wandel in der Wortstellung bereits vollzogen ist. Dies ist bei pendant eindeutig der Fall, bei durant jedoch nicht in all seinen Verwendungsmöglichkeiten. Diese Einheit kann insofern im modernen Französisch einerseits als verbaler Kopf in einer absoluten Partizipialkonstruktion wie (4-30)
a.
[τρ... [vp l'été [νγdurant]}]
und andererseits als (lexikalische) Präposition wie in (4-30) 30
b.
[RP [PP U
[?durant][0¥l'été\\W
Für die äußerlich identischen Konstruktionen mit moyennant,
nonobstant
und pendant
stellt sich die Frage
nicht mehr: Da der Zusammenhang zu der zugrunde liegenden Verbform semantisch verdunkelt ist, lassen sie sich ohnehin nicht mehr als Partizipialkonstruktionen analysieren. 31
Absolute Konstruktionen mit pendant,
die die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse bezeichnen, entstehen im
13. Jh. in Anlehnung an den juristischen Sprachgebrauch des Lateinischen (cf. Gamillscheg 1957:319). 32
Die Bildung einer solchen Struktur wäre im heutigen Französisch ohnehin nicht mehr möglich, da ein pronom conjoint oder ce nicht die Subjektposition in der absoluten Partizipialkonstruktion besetzen kann.
223 auftreten. Es liegt somit ein für den Kategorienübergang typisches Divergenzphänomen vor. Auf das Kriterium der Wortstellung rekurrieren auch König/Kortmann, die der Reanalyse von Verbformen als Präpositionen im Englischen eine gesonderte Studie gewidmet haben: One factor that clearly shows that such a reanalysis has taken place or is taking place is a change of word order in such structures where the preposition derives from an absolute construction with a participle serving as head of the predicate. ... The change makes itself felt as a restriction of the variation in word order (1991:114).
Als Beispiel nennen sie u.a. das engl, during, das im 14./15. Jahrhundert sowohl in Voran- als auch in Nachstellung, im heutigen Englisch jedoch nur noch in Voranstellung gebraucht wird. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, wie genau in solchen Fällen die konfigurationelle Seite des Kategorienwechsels V > Ρ zu modellieren ist. Während fur die unter 4.2.1.1 behandelten Einheiten angenommen werden kann, dass die Wortstellung des heutigen Sprachzustandes aus dem Ausbleiben einer vormals obligatorischen Bewegung resultiert und bei den im ersten Teil dieses Abschnittes behandelten Präpositionen des Typs concernant gar keine veränderten Wortstellungsbedingungen vorliegen, 33 stellt sich in Zusammenhang mit den hier zur Diskussion stehenden Einheiten die Frage, wie der konstatierte Wortstellungswandel erklärt werden soll. Da das als Ρ reanalysierte verbale Element, im konkreten Fall das Partizip durant, in der als zugrunde liegend angenommenen Partizipialkonstruktion tiefer und damit weiter rechts erscheint als das Komplement in der reanalysierten Struktur, scheint es auf den ersten Blick nicht möglich, den Wandel von der verbalen zur präpositionalen Konstruktion in Analogie zur ausbleibenden DP-Anhebung bei der Konstruktion mit excepté zu erklären.34 Führen wir uns also nochmals vor Augen, welche overten Bewegungen bei der Derivation der absoluten Partizipialkonstruktion im Gegensatz zur Präpositionalphrase anzunehmen sind. Wie aus den Strukturbäumen (4-19.c) und (4-29.c) ersichtlich, wird bei der absoluten Partizipialkonstruktion zum einen das Subjekt overt nach Spec,TP angehoben und zum anderen das Verb vor Spellout aus der VP extrahiert. Es erfolgen also, ebenso wie bei der Ableitung eines kanonischen Basissatzes mit finitem (intransitiven) Verb (cf. Abschnitt 3.1), zwei overte Bewegungen. Wenn eine dieser beiden Bewegungen, nämlich die Anhebung der Subjekt-DP l'été nach Spec,TP ausbleibt, das Raising des Partizips durant jedoch erfolgt, dann liegt hiermit ein Derivationsstadium vor, das der linearen Abfolge der französischen PP entspricht, nämlich durant l'été. Genau an diesem Punkt der Derivation kann der Reanalyseprozess, also die Uminterpretation der Verbform zum präpositionalen Element ansetzen (Reanalyse des Typs A; cf. l-16.a in Abschnitt 1.3). Hält man sich vor Augen, dass der Θ-Binder für die referenzielle Rolle des Verbs, also T, stets ein starkes D-Feature aufweist, dann nimmt es 33
34
Das DP-Komplement von concernant steht - wie oben gezeigt - sowohl in der verbalen als auch in der präpositionalen Konstruktion nach dem Phrasenkopf. Auch in der Arbeit von König/Kortmann stellt sich dieses Problem: Während die Entwicklung der (dem frz. excepté entsprechenden) englischen Präposition except aus Konstruktionen wie [[Ais father the king]¡ excepted t,] there is none whose honor I more tender and love (16. Jh.; zit. n. König/Kortmann 1991:114) durch den Wegfall der overten Anhebung der Subjekt-DP explizierbar gemacht werden kann, ist eine solche Erklärung für das aus Konstruktionen wie [[alle the moneth] during] (15. Jh.; zit. n. ibid.) stammende during nicht möglich, da das Subjekt des Partizips bereits in der Basisposition vor dem Partizip steht. Die Autoren stellen sich diese Frage allerdings erst gar nicht.
224 nicht wunder, dass eben dieses Merkmal bei einigen Sprechern schwach wird, denn auf diese Weise kann die Konstruktion entsprechend dem Vorbild [ P P pendant DP] zur Präpositionalphrase uminterpretiert werden. Das nach Τ angehobene Partizip [τ [ν durant] + ν + Τ] wird in dieser Position als [p [p durant] + ρ] reanalysiert, d.h. die Merkmaispezifikation der Form durant wandelt sich - zumindest in dieser Verwendungsweise - von [-N; +V] zu [-N; -V], Zugleich werden die in der erweiterten Projektion des Verbs auftretenden funktionalen Köpfe gegen diejenigen ersetzt, die in der erweiterten Projektion eines präpositionalen Kopfes auftreten: Anstelle des verbalen Θ-Binders Τ erscheint R; statt des 'light verb' ν erscheint die 'light preposition' p. Zugleich wird die vormalige Subjekt-DP l'été, die in der Partizipialkonstruktion in Spec,vP erscheint, als Komplement in der Präpositionalphrase uminterpretiert. Cf. die Darstellung im Strukturbaum:
Wie bei der Herausbildung von Präpositionen aus Konstruktionen mit dem participe passé (cf. die ausfuhrliche Besprechung des Beispiels excepté im vorausgegangenen Abschnitt), so scheint auch in diesem Fall das Ausbleiben von overten Bewegungen und damit der Wandel von starken zu schwachen Merkmalen eine besondere Rolle beim Kategorienwechsel zu spielen. Nimmt man mit Chomsky (1995) an, dass die overten Bewegungen, bei denen zusätzlich zu den formalen Merkmalen auch die phonologischen mit angehoben werden müssen, grundsätzlich weniger ökonomisch sind als koverte Bewegungen, also als reine FF-Anhebungen, dann ist es kaum verwunderlich, dass beim Kategorienwechsel und generell bei der Herausbildung von neuen sprachlichen Zeichen gerade diejenigen Mechanismen wirksam werden, die ökonomischere Derivationen erlauben. Damit ist zwar wahrscheinlicher, dass sich solche Varianten herausbilden, die den grundlegenden Prinzipien derivationeller Ökonomie entsprechen, als solche, die mit 'kostspieligeren' Derivationen verbunden sind, doch lässt sich das Streben nach derivationeller Ökonomie mit Sicherheit nicht als alleiniger Motor für synchrone Dynamik und diachronen Wandel postulieren. Es scheint vielmehr so zu sein, dass sich die Herausbildung von Varianten aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren ergibt, die hemmend oder begünstigend aufeinander wirken können. Wenn beispielsweise bei der Derivation einer Partizipialkonstruktion mit dem verbalen Kopf durant eine der beiden overten Anhebungen ausbleibt, dann entspricht die neu geschaffene Struktur dem Bedürfnis nach derivationeller Ökonomie. Zugleich wird dem Bedürfnis der Sprecher nach Expressivität Rech-
225 nung getragen, und zwar indem auf diese Weise ein neues relationales Element geschaffen wird, das in dieser Form bis dato noch nicht verfugbar war und das in Konkurrenz zu einem bereits existenten Element, nämlich zu pendant tritt. Das neue Element wird durch konfigurationellen Wandel, d.h. durch Ausbleiben einer overten Bewegung und Änderung von Merkmalsspezifikationen (s.o.) in die Kategorie Ρ integriert und steht somit auch formal-syntaktisch in einer Reihe mit denjenigen Elementen, mit denen es auch auf semantischer Ebene in Opposition steht, d.h. mit den Präpositionen avant (Erstbeleg nach PR 842) und après (Erstbeleg nach PR 1080). Dass durant nicht in allen Verwendungen in die Zielkategorie Ρ integriert worden ist, sondern im Gegensatz zu pendant die gleichbedeutende Verwendung in einer absoluten Partizipialkonstruktion erhalten blieb, mag darauf zurückzuführen sein, dass im Bereich der temporalen Lokalisierung mit pendant bereits eine weitgehend funktionsgleiche Einheit vorlag.35
4.2.1.3 Weitere Fälle verbbasierter Präpositionen Ebenso wie bei den unter 4.2.1.1 und 4.2.1.2 besprochenen Typen der ursprünglich verbale Charakter einer Form verloren geht, wenn diese in präpositionaler Funktion auftritt, kann auch ein Infinitiv wie in à partir de oder à compter de nicht mehr als verbales Element aufgefasst werden, da typisch verbale Eigenschaften nicht mehr gegeben sind. Dies betrifft zum einen den rollensemantischen Aspekt: Da die Modifizierbarkeit durch Adverbien verloren gegangen ist (*à partir vraiment de Noël), ist klar, dass der Infinitiv partir in dieser Verwendung nicht mehr referieren kann, also seine Ereignisrolle eingebüßt hat. Verbunden mit dem Verlust der referenziellen Rolle ist auch die Tatsache, dass das vormals verbale Element in der präpositionalen Verwendung keine erweiterte Projektion IP mehr lizenziert. Weiterhin zeigt sich anhand der Tatsache, dass Komplemente nicht durch en substituiert werden können, dass die betreffenden Infinitive nicht mehr als verbale Elemente betrachtet werden können:
(4-31)
a. b.
à partir de Noël à compter de Noël
*à en partir —» *à en compter
Dies ist weiter nicht verwunderlich, da Klitika generell einer verbalen Basis bedürfen. So ist beispielsweise auch im Falle von la destruction de la ville die Substitution des Komplements durch en nur möglich, wenn die nominale Konstruktion in eine übergeordnete Struktur mit einem verbalen Element eingebettet ist, z.B. la destruction [CL-AUX en a] été terrible. Nicht möglich ist hingegen die Substitution des Komplements bei isoliertem Gebrauch des komplexen Nominalausdrucks: *la destruction en / "l'en destruction. In Abschnitt 4.2.1.1 habe ich in Zusammenhang mit der Frage nach dem Status des präpositionalen Elements de in abstraction faite de bereits unterstrichen, dass die Nicht-Ersetzbarkeit eines Komplements durch en nicht zwangsläufig gegen die Interpretation von de als Κ sprechen muss. Vielmehr möchte ich auch 35
Gemäß den Angaben von Rheinfelder (1967:§§738, 740) tritt pendant spätestes im 14. Jh., durant erst im 16. Jh. in präpositionaler Verwendung auf.
226 in diesem Fall davon ausgehen, dass (komplexe) Präpositionen wie à partir (de) und à compter (de) mit dem D-Feature [D:Case:tfe] jeweils ein überprüfendes Merkmal für einen inhärenten Kasus aufweisen. Das präpositionale Element de ist also regP bzw. funktionaler Kopf in der erweiterten Projektion des nominalen Komplements. Dagegen ist de in einer verbalen Konstruktion wie il part de Paris als lexP aufzufassen - wenn auch die Möglichkeit der Kommutation gegen andere lexP recht eingeschränkt ist36. Im Gegensatz zu manchen der im vorangegangenen Abschnitt behandelten präpositional verwendbaren Verbalkonstruktionen müssen die Sequenzen à compter de und à partir de als vollends in die Zielkategorie Ρ integriert gelten. Während es sich beispielsweise bei concernant eindeutig um ein 'präpositionalverbales Zwittergebilde' handelt, da im Einzelfall schwer zu entscheiden ist, ob eine präpositionale oder eine verbale Verwendung vorliegt, 37 können die hier behandelten Einheiten in keinem Fall als verbale Konstruktionen analysiert werden. Schließlich ist darüber nachzudenken, inwieweit auch die unpersönliche Wendung il ya in bestimmten Verwendungen als präpositionales Element aufzufassen ist, nämlich dann, wenn sie wie in (4-32)
[[P il y Ö][QP deux aw]]
eine Lokalisierung im temporalen Raum leistet und obligatorisch eine quantifizierte Nominalphrase subkategorisiert. König/Kortmann verweisen mit Blick auf solche Fälle auf das morphologische Kriterium, demzufolge ein Verb flektiert werden kann, eine Präposition jedoch grundsätzlich invariabel ist: „In ... cases where prepositions do derive from inflectional forms (e.g. Fr. il y a un an 'a year ago' or It. un anno fa 'a year ago') the relevant expressions have become frozen expressions that do not inflect anymore" (1991:117). Allerdings ist zu betonen, dass il y a auch bei der Verwendung als „expression impersonnelle" - so die Charakterisierung des PR (s.v. avoir) - nicht flektiert, sondern sich vielmehr wie eine Expletivkonstruktion verhält, bei der im Französischen bekanntlich generell das verbale Element mit dem Expletivum und nicht mit dem Assoziativum kongruiert, z.B. il est arrivé deux jeunes filles und nicht *il sont arrivées deux jeunes filles. Ebenso wenig kongruiert auch bei der Verwendung von il y a als Präsentativ das verbale Element mit der Bezugs-DP: il y a des gens dans la rue und nicht *il y ont des gens dans la rue. Wichtiger scheint mir die Tatsache zu sein, dass il y a in seiner Verwendung als Präsentativ tempus- und modusmarkiert ist (il y avait des gens dans la rue; je ne crois pas qu 'il y ait...), während dies bei der in (4-32) angedeuteten Verwendungsweise nicht gegeben ist. Andernfalls könnte il y a + QP nicht im Rahmen einer KopulaStruktur wie (4-33)
a.
c 'était il y a deux ans
36
Möglich ist lediglich il part pour
37
Cf. die unter (4-26) bzw. (4-27) angeführten Analysevorschläge fur jeweils ein- und dieselbe Konstruktion
Paris.
mit concernant als verbundene Partizipialkonstruktion oder als präpositionales Adjunkt.
227 auftreten. Insofern möchte ich il y a in solchen Kontexten als Präposition auffassen, die eine Lokalisierung im temporalen Raum leistet und für die Besetzung der Komplementposition mit quantifizierten Nominalphrasen als Variante von avant zur Verfügung steht: (4-33)
b. c.
il est mort [pp [p il y ö][qp deux ans]] il est mort [pp [p avant] [dp la guerre]]
In (4-33.b) ist il y a auch durch andere Präsentative wie voilà oder voici ersetzbar. Diese Entitäten sind dann gleichfalls als präpositionale Elemente aufzufassen. Dies geht jedoch über den in diesem Abschnitt gesteckten Rahmen des Kategorienübergangs zwischen Verb und Präposition hinaus und soll deshalb nicht weiter vertieft werden.
4.2.2
Kategorienübergänge zwischen Nomen und Präposition
Im Folgenden geht es darum, das Phänomen des Kategorienübergangs zwischen Nomen und Präposition einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Im Unterschied zu präpositional verwendbaren verbalen Strukturen, wie sie im vorangegangenen Abschnitt besprochen wurden, ist der nominale Kern der zu behandelnden Einheiten größtenteils in eine komplexere Struktur eingebettet, die oberflächensyntaktisch von frei generierbaren Phrasen des Typs PP/RP nicht zu unterscheiden ist.38 Exemplarisch seien an dieser Stelle angeführt: Ρ au au à de par à à etc.
38
(D)
la la 0 0 0
Ν sujet lieu place part rapport côté travers
(P) de de de de à de 0
+ + + + + + + +
DP DP DP DP DP DP DP DP
Darüber hinaus gibt es Fälle, wo ein bloßes Ν offenbar präpositional gebraucht wird. So ist zu überlegen, ob in bestimmten Verwendungsweisen von sog. direkten Konstruktionen mit Nomina wie aspect, côté, question davon ausgegangen werden kann, dass das betreffende nominale Element als präpositionaler Kopf reanalysiert wurde. Noailly-Le Bihan wertet Fälle wie (i) côté/question bricolage, Paul est le meilleur (1982:336), wo das bloße Ν côté bzw. question weitgehend gleichbedeutende komplexe Wendungen wie etwa pour ce qui est de oder en ce qui concerne ersetzen kann, als präpositionale Verwendungen von nominalen Elementen: „Voilà donc des substantifs extraits de leur classe et s'immisçant dans celle, beaucoup plus fermée des prépositions" (Noailly-Le Bihan 1982:341). Problematisch ist an dieser Auffassung m.E. vor allem die Tatsache, dass die Komplementposition in der PP eine A-Position ist und somit durch ein referenzielles Syntagma besetzt werden muss. Dies bedeutet, dass eine DP mit overtem D möglich sein muss. In den fraglichen Fällen ist dies jedoch gerade ausgeschlossen: (ii) *côté le bricolage, Paul est le meilleur aber: (iii) en ce qui concerne le bricolage /pour ce qui est (de + le —>) du bricolage, Pau! est le meilleur.
228 Derartige Entitäten können im heutigen Sprachzustand als mehr oder minder fest gefugte Einheiten gelten und sind in Bezug auf bestimmte syntaktische Prozesse in unterschiedlich starkem Maße gewissen Restriktionen unterworfen. Dabei geht es im Einzelnen darum, festzustellen, welche Kriterien Aussagen bezüglich des Eingliederungsgrades einer konkreten Form in die Zielkategorie Ρ ermöglichen. Von Interesse ist es in diesem Zusammenhang, die Weglassbarkeit, Pronominalisierbarkeit, Determinier- oder Modifizierbarkeit einzelner Bestandteile zu ermitteln sowie die Möglichkeit bestimmter Einschübe innerhalb der fraglichen Entitäten zu überprüfen. Besondere Wichtigkeit kommt hierbei der Präsenz bzw. Nichtpräsenz eines overten Determinanten in der jeweils interessierenden Struktur zu. Grundsätzlich kann eine pW wie beispielsweise au sujet de Pierre als (morphologisch komplexer) Phrasenkopf oder als syntaktische Struktur - vergleichbar mit einer frei generierbaren Präpositionalphrase wie etwa dans la chambre de Pierre - analysiert werden: (4-35)
a.
PP
Ρ
DP
au sujet de
Pierre
N/NP cfo €MÎ brc
Gemäß einer Analyse wie in (4-35.a) wäre die Sequenz au sujet de als ein „single word for the purposes of syntax" (Jones 1996:389) aufzufassen, also als eine Folge von Einheiten, die mit einer spezifischen, aus den Einzelbedeutungen synchron nicht mehr herleitbaren Bedeutung versehen ist und die im Lexikon somit als X-Kategorie gespeichert ist. Dies trifft fur die Wendung au sujet de mit der Bedeutung 'in Bezug auf, hinsichtlich' in jedem Fall zu. Damit wäre davon auszugehen, dass die Einzelelemente à, le, sujet und de durch Reanalyse zu einer einzigen Kategorie [osy3eds] verschmolzen wären, die als Ρ unterschiedlich strukturierte DPKomplemente fordern kann: (4-36)
au sujet de Pierre / Pierre et sa fille / cet opéra / la syntaxe générative etc.
Hält man sich jedoch vor Augen, dass die Tilgung von de in au sujet de Pierre et 0 sa fille einen Sonderfall darstellt, der nur möglich ist, weil die beiden Konjunkte durch ein koreferenzi-
229 elles D-Element miteinander verbunden sind, 39 dann erscheint es plausibler, das präpositionale Element de strukturell dem DP-Komplement 40 zuzurechnen und es nicht etwa als der regierenden Kategorie, also dem komplexen Phrasenkopf, zugehörig zu betrachten. Weitere Evidenz fur eine solche Auffassung liefert die Tatsache, dass bei intransitivem Gebrauch komplexer Präpositionen das Element de grundsätzlich nicht gesetzt wird: (4-37)
a. b.
Marie habite à côté 'nebenan' Marie habite en face 'gegenüber'
Darüber hinaus lässt sich das bereits in Abschnitt 4.2.1.1 in Zusammenhang mit der Wendung abstraction faite (de) angeführte Kriterium der Möglichkeit von Einschüben gegen eine allzu enge Anbindung des Elements de an die präpositionale Wendung ins Feld fuhren. Auch bei den präpositional verwendbaren Syntagmen des hier behandelten Typs sind Einschübe bestenfalls vor, keinesfalls jedoch nach de denkbar, z.B.: (4-38)
a. b.
? Marie a publié un article au sujet, me semble-t-il, [de la syntaxe générative] * Marie a publié un article [au sujet de], me semble-t-il, la syntaxe générative
Jones schließt aus diesen Befunden, dass präpositionale Wendungen, die mit de anschließen, grundsätzlich als Präpositionen aufzufassen seien, die obligatorisch ein PP-Komplement fordern: „According to this approach, au sujet, au-dessus, etc., have essentially the same status as simple prepositions like près or lors (de NP) which select a PP complement" (1996:391). Dementsprechend schlägt er folgende Struktur vor:41
39
Die hier zu beobachtenden Regularitäten entsprechen generell dem Verhalten von präpositionalen Kasusmarkern (cf. Abschnitt 2.3.4). Diese sind in koordinierten Strukturen nur weglassbar, wenn erstens Bedingung (a) und zweitens entweder Bedingung (b) oder Bedingung (c) erfüllt sind: (a)
Der Sprecher will die Zusammengehörigkeit der von den koordinierten DPs denotierten Größen betonen. (b) Die Position D ist entweder in beiden Konjunkten gefüllt oder in beiden Konjunkten leer. (c) Die Konjunkte sind durch ein koreferenzielles D-Element miteinander verbunden. Insofern führt beispielsweise die Tilgung von de in Marie a publié des articles au sujet de la syntaxe générative et de l'opéra italien du XIX* siècle zu einem ungrammatischen Ergebnis: Eine enge Zusammengehörigkeit der von den beiden koordinierten Phrasen denotierten Entitäten (nämlich der beiden unterschiedlichen Themen, zu denen Marie Aufsätze publiziert hat) ist hierbei kaum denkbar: * ... au sujet de la syntaxe générative et 0 l'opéra italien du XIXe siècle. Wenn im Falle von l'autobus s'arrête en face du musée et de l'opéra das präpositionale Element de elidiert wird (... en face du musée et 0 l'opéra), dann kann dies nur so interpretiert werden, dass der Bus nicht etwa zweimal vor zwei verschiedenen Gebäuden hält, sondern dass es nur eine einzige Haltestelle gilt, die sich direkt vor dem Museum und dem Opernhaus befindet. 40
41
Weiter unten wird sich zeigen, dass es sich bei 'Komplementen' von präpositionalen Wendungen zugrunde liegend um Spezifikatoren handeln kann. Ich passe den in Jones (1996:391) gegebenen Strukturbaum dem in meiner Arbeit angenommenen theoretischen Rahmen an, indem ich auf die Darstellung der Zwischenprojektionsebene (P') verzichte und das bei Jones als NP dargestellte Komplement als referenzielles Syntagma, sprich als DP notiere.
230 (4-39)
PP
a. Ρ
PP
au sujet au-dessus à côté de la part
Ρ
DP
de
Ausdrücke wie par-dessus oder à travers seien dagegen auf eine Stufe zu stellen mit morphologisch einfachen Präpositionen wie devant oder derrière, die obligatorisch ein DP-Komplement zu sich nehmen. Problematisch ist, dass bei der von Jones vorgeschlagenen Analyse unklar bleibt, wie modelliert werden soll, dass der Kopf der vom präpositionalen Ausdruck subkategorisierten PP nicht frei wählbar ist (wie etwa im Falle eines obligatorischen Lokalkomplements), sondern dass es sich bei de in den angeführten Beispielen um ein obligatorisch zu setzendes Element handelt. Plausibler erscheint mir die Annahme, in Analogie zu dem in Abschnitt 4.2.1.1 diskutierten Fall abstraction faite [D:Case: ce Uvre\ ...j'en, connais l'auteur. pro. Phonetisch leeres Subjektpronomen in sog. Pro-drop- oder Null-subject-Sprachen wie beispielsweise im Spanischen (pro sabe español) oder im Türkeitürkischen (pro Tiirkçe bili-yor pro Türkisch wissen:FG:PROG 'er spricht Türkisch'). PRO. Phonetisch leeres Subjekt infiniter Sätze. PRO kann entweder 'kontrolliert', d.h. gebunden sein wie z.B. in frz. je, ne savais que PRO¡ dire, et j'ai rougi d'abord... oder als arbiträres PRO, d.h. ohne Referenz zu einer DP des Matrixsatzes auftreten wie in frz. il est difficile de PROarb comprendre cette théorie oder in PROarb éternuer est désagréable. Procrastinate. Minimalistisches Ökonomieprinzip, demzufolge jede Bewegung so spät wie möglich, also vorzugsweise nach TSpellout erfolgt. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass koverte Bewegungen, bei denen nur Merkmalbündel bewegt werden, ökonomischer und somit 'billiger' sind als overte Bewegungen, bei denen das phonetische Material mit angehoben wird. Procrastinate kann nur durch Merkmale [+stark] außer Kraft gesetzt werden. Progressive (PROG). Symbol für das entsprechende Aspektmorphem in morphologischen Glossaren wie z.B. in ttü. mektupyaz-i-yor-du-m (Brief schreib:FG:PROG:PAST:l.SG 'ich war dabei, Briefe/einen Brief zu schreiben'). Projektion. ÎKonstituente, verstanden als Expansion eines Kopfes, und zwar insofern als sie dessen formale Merkmale trägt. Dabei ist eine minimale Projektion X mit dem Phrasenkopf gleichzusetzen, die ÎZwischenprojektionsebene X ' beinhaltet optional adjungierte Konstituenten, eine maximale Projektion XP oder X max schließlich ist zu verstehen als Konstituente, die nicht weiter projiziert, d.h. die nicht Bestandteil einer Konstituente mit denselben formalen Merkmalen ist. Quantorenphrase (QP). Maximale Projektion eines Quantors wie toutes in [ QP toutes les filles]. Raising. Anhebung.
249 R-Ausdruck. Referenzieller Ausdruck, d.h. Ausdruck, der im Gegensatz zu Pronomina und Anaphern eigenständig referieren kann. R-Ausdrücke sind ÎBindungsprinzip C unterworfen, d.h. sie sind nicht mit einem Antezedens kompatibel und dürfen deshalb nicht gebunden sein. Cf. frz. *elle¡ pense que Marie¡ gagnera le prix vs. frz. elle\ pense que Marie¡ gagnera le prix. Reanalyse. Uminterpretation auf der Ebene der Konstituentenstruktur ohne unmittelbares ausdrucksseitiges Korrelat (Langacker 1977:78). Rektionskategorie. Die Rektionskategorie einer Kategorie α ist definiert als J e plus petit syntagme qui contient à la fois α et un sujet" (Zribi-Hertz 1996:117). Dies ist i.d.R. die IP, in der sich α befindet. Rekonstruktion. In Chomsky (1976) eingeführter Prozess, demzufolge eine in der overten Syntax verschobene Kategorie auf LF in ihrer Ausgangsposition rekonstruiert wird, um die für eine korrekte Interpretation notwendigen Skopusverhältnisse herzustellen. So muss beispielsweise eine Anapher wie himself gemäß Bindungsprinzip A innerhalb ihrer Rektionskategorie gebunden sein. Dies ist in einer Wh-Konstruktion wie engl, which picture of himself does John like? nur gegeben, wenn die 'Nicht-Wh-Teile' der angehobenen Konstituente auf LF in ihrer Ausgangsposition rekonstruiert werden (das Wh-Element muss auch auf LF in Initialposition verbleiben, damit es Skopus über den ganzen Satz hat). Cf. engl, [cp [whp which x]j [ip John-, likes [np χ picture of himself] j]]. Rekonstruktionen können auch erforderlich sein, um Verstöße gegen das ÎEmpty Category Principle zu vermeiden (koverte Rückbewegung des V-I-Komplexes nach I-Absenkung im Englischen; cf. Ouhalla 1999:418ff). Im Zuge der t C o p y Theory of Movement kann auf den Mechanismus der Rekonstruktion generell verzichtet werden, da die an der Ausgangsposition zurückbleibenden Kopien nur auf PF getilgt werden und somit auf LF für die semantische Interpretation zur Verfügung stehen. Das Problem der nicht strikt regierten Spur bei I-Absenkung nach V kennt das MP ohnehin nicht mehr, da voll spezifizierte Verbformen in V eingesetzt werden. [Restore:a], Besonderes Merkmal von Auxiliaren wie frz. avoir, ital. avere, engl, have etc., das die suspendierten Θ- und Kasusmerkmale eines Partizips wieder aktiviert, d.h. bzw. [Restore:Case], So sind beispielsweise beim Partizip frz. lu sowohl die externe Θ-Rolle {AGENS) als auch das Kasusmerkmal {D:Case:AKK} suspendiert. Sind in der ÎNumeration Ν eine AKK-markierte DP und ein Subjekt selegiert, so muss eine finite Form des Auxiliar avoir in die Derivation eingesetzt werden, um Θ-Rolle und Kasusmerkmal des Verbs lire wieder zu aktivieren. Andernfalls kann die Derivation nicht konvergieren. Secondary Head. Das Symbol υ kennzeichnet die - abweichend von Chomsky (1995) angenommene - Möglichkeit der Vereinigung funktionaler Merkmalsbündel bei der Operation ÎMerge. Dies ist z.B. bei der Basisgenerierung eines Auxiliare in der Spezifikatorposition der erweiterten Projektion AgrP eines Partizips gegeben. Dabei wird die Spezifikatorposition als 'zweitrangiger Kopf aufgefasst (Cann 1999). In dieser doppelköpfigen Projektion AuxuAgrP vereinen sich die suspendierten Merkmale des Partizips und die restaurierenden Merkmale des Auxiliars. Semantic Feature Matrix (SFM). Gesamtheit der semantischen Merkmale einer Kategorie X, wobei X = XP oder X, z.B. [±anim], [±hum] etc. (Uriagereka 1998:250).
250 Small Clause (SC). Phrase mit propositionaler Interpretation, aber ohne finîtes Verb als Komplement von ÎECM-Verben wie z.B. in frz .je pensais [sc =pp mon frère contre la peine de mort]. Das 'Subjekt' mon frère der SC wird im Spezifikator des präpositionalen Kopfes basisgeneriert und erhält auch von diesem seine Θ-Rolle. Ist in der Numeration Ν ein ECMVerb wie penser, considérer, supposer etc. selegiert, dann verbleibt das Subjekt overt in seiner Basisposition und checkt sein Kasusmerkmal [Case:AKK] kovert durch FF-Adjunktion an den V-v-Komplex. Enthält die Numeration Ν hingegen kein ECM-Verb und ist zudem eine NOM-markierte DP als 'Subjekt' selegiert, dann muss eine Form des Auxiliare être inseriert werden, und das 'Subjekt' wird overt nach Spec,TP angehoben, wo es seinen Kasus checkt. Daraus resultieren Kopula-Strukturen wie mon frère¡ est [pp mon frère, contre la peine de mort]. Spellout. Stadium, in welchem sich eine Derivation in die Repräsentationsebenen PF und LF verzweigt. Da an diesem Punkt die fur die phonologische Interpretation notwendigen Informationen an den artikulatorischen Apparat weitergeleitet werden, müssen Wortstellungsbedingungen spätestens bei Spellout erfüllt sein. Wilder&Gärtner (1997:236) schlagen 'Ausbuchstabierung' oder 'Datenausgabe' als dt. Entsprechung vor. Split-Infl-Hypothese. Aufspaltung des traditionellen Inflection-Knotens (Infi oder I) in einzelne funktionale Kategorien entsprechend der in I kodierten Merkmale. S-Selektion. 'Semantic Selection' entspricht bei Chomsky (1986) 'Θ-Rollenzuweisung'. S-Struktur. 'Surface Structure'; Oberflächenstruktur, d.h. Konfiguration nach der Anwendung von Bewegungsregeln im P&P-Modell. stark. Eigenschaft eines (überprüfenden) Merkmals einer funktionalen Kategorie als 'stark' [+stark] oder 'schwach' [-stark]. Starke Merkmale setzen das Ökonomieprinzip Procrastinate außer Kraft und erfordern die Anhebung gesamter Kategorien, bestehend aus den jeweiligen Matrizes semantischer, phonologischer und formaler Merkmale. Topic Phrase (TopP). Funktionale Projektion in der linken Peripherie, deren Spezifikator einen potenziellen Landeplatz für topikalisierte XPs bereitstellt. Uniformity Condition on Case Marking (UCM). Die Zuweisung eines inhärenten Kasus an eine Konstituente α durch β ist an die gleichzeitige Θ-Markierung mindestens eines Gliedes der Kette durch β gebunden, wobei γ entweder eine weitere Kategorie oder t„ sein kann (Webelhuth 1995:56). Universalgrammatik (UG). Gesamtheit der übereinzelsprachlich gültigen Prinzipien. Uniformity of Theta Assignment Hypothesis (UTAH). Jede Θ-Rolle, die einer Konstituente zugewiesen wird, ist kanonisch mit einer bestimmten konfigurationeilen Position verbunden. So ist z.B. Spec,VP die kanonische Position für die Θ-Rolle AGENS und die Komplementposition [VP [V DP]] die kanonische Position für Rollen wie PATIENS oder THEMA. Die Subjekt-DP erhält dementsprechend bei der Passivdiathese und bei Konstruktionen mit unakkusativen Verben ihre Θ-Rolle PATIENS in Komplementposition [VP [V DP]] und wird dann erst in die overte Subjektposition Spec,TP angehoben (Baker 1988:46; Radford 1997a:342, 533). Anders als fur die TCanonical Structural Realization (CSR) wird für UTAH übereinzelsprachliche Gültigkeit angenommen. V2-Sprache. Sprache, in welcher das Verb im Hauptsatz obligatorisch als zweite Konstituente erscheint. Dazu zählen das Deutsche und das Niederländische sowie das Altfranzösische und frühere Varietäten des Englischen. In der klassischen P&P wird dieses Phänomen mo-
251 delliert, indem V obligatorisch in die leere C-Position bewegt und Spec,CP mit dem Subjekt oder einer topikalisierten XP besetzt wird. V-Feature. Im Rahmen der minimalistischen Syntaxtheorie ein sog. überprüfendes Merkmal eines funktionalen Kopfes, das bestimmte Merkmalswerte des Verbs überprüft. Im Falle einer Struktur wie Marie parle à son frère sind dies [V:Tns:PRS] und [V:P3 Nsg G a ] in Τ sowie [V:Pa N a G a ] in v. Nimmt man nach dem 1993er Modell eine Aufspaltung des IKnotens in Kongruenzphrasen vor, findet sich das überprüfende Merkmal für die Subjektkongruenz in Agrs und das für die Objektkongruenz in Agro. VP-internal Subject Hypothesis (VISH). Hypothese vom in Spec,vP bzw. als Adjunkt zu VP basisgenerierten (und dort vom Verb θ-markierten) Subjekt. Im traditionellen P&P-Modell wird das Subjekt dann nach Spec,IP angehobenen und erhält dort von finitem I unter TmKommando seinen Kasus Nominativ. Im MP werden FF(Subj) durch die Operation ÎMove F bzw. ÎAttract F in die ÎChecking-Domâne von Τ angehoben, wobei bei overter Subjektanhebung das phonetische Material durch den Mechanismus ÎGeneralized Pied-Piping (GPP) mit angehoben wird (in diesem Fall wird als Landeplatz Spec,TP eröffnet). Im Rahmen dieser Arbeit wird VISH über alle Phrasentypen generalisiert, d.h. das Subjekt in einer Konstruktion Marie est dans le jardin in Spec,pP basisgeneriert und in die overte Subjektposition angehoben. Gleiches gilt für Kopulastrukturen mit nominalen oder adjektivischen Prädikaten (Marie est professeur à Paris VII; Marie est intelligente). Wh-Phrase (WhP). Maximale Projektion eines Wh-Elements. Eine solche WhP kann bei Verwendung eines pronominalen Wh-Elements wie in frz. il veut faire [whP quoi ?] aus einem einzigen Element bestehen oder - bei Verwendung eines transitiven Wh-Elements - ein Komplement beinhalten. Cf. frz. il préfère [whP quel opéra ?]. Zwischenprojektionsebene (X'). Erste, rekursive Projektionsebene, an die rechts und links beliebig viele optionale Konstituenten adjungiert werden können. Während im klassischen P&P-Modell grundsätzlich eine Zwischenprojektionsebene angenommen wird (z.B. [vp[v· [ν dort]]]), verzichtet das ÎBPS-Modell (Chomsky 1994) aus Ökonomiegründen auf die Annahme solcher nicht-verzweigender Projektionen.
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