Hirnbild und »Lügendetektion«: Zur Zulässigkeit der Glaubwürdigkeitsbegutachtung im Strafverfahren mittels hirnbildgebender Verfahren [1 ed.] 9783428531714, 9783428131716

Diskutierte man bisher über "Lügendetektion" im Strafverfahren, ging es dabei fast immer um den Polygraphentes

117 79 1MB

German Pages 304 Year 2010

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Hirnbild und »Lügendetektion«: Zur Zulässigkeit der Glaubwürdigkeitsbegutachtung im Strafverfahren mittels hirnbildgebender Verfahren [1 ed.]
 9783428531714, 9783428131716

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Schriften zum Prozessrecht Band 217

Hirnbild und „Lügendetektion“ Zur Zulässigkeit der Glaubwürdigkeitsbegutachtung im Strafverfahren mittels hirnbildgebender Verfahren

Von

Stefan Seiterle

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

STEFAN SEITERLE

Hirnbild und „Lügendetektion“

Schriften zum Prozessrecht Band 217

Hirnbild und „Lügendetektion“ Zur Zulässigkeit der Glaubwürdigkeitsbegutachtung im Strafverfahren mittels hirnbildgebender Verfahren

Von

Stefan Seiterle

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-13171-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2008/09 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind – soweit verfügbar – bis mindestens Mai 2009 berücksichtigt. Die Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Jan C. Joerden. Meinem Doktorvater gilt auch mein ganz besonderer Dank: Er beließ mir zu jeder Zeit die nötigen Freiräume und begleitete den Prozess in jeder Phase fördernd und ermutigend; seine Rückmeldungen waren stets erhellend und für das Gelingen der Arbeit unerlässlich. Herrn Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler danke ich für das zügige Erstellen des Zweitgutachtens. Vielen weiteren gebührt herzlicher Dank für wertvolles Anregen, vielfältiges Unterstützen und geduldiges Ertragen, allen voran Alexandra Berk und meinen Eltern Gislinde und Rudolf Seiterle. Berlin, im Februar 2010

Stefan Seiterle

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einführung in die Problemstellung

13

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

B. Einführung in das Prinzip der „Lügendetektion“, definitorische und terminologische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

2. Kapitel Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

22

A. Prinzip und Verfahrensweise der Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit dem Polygraphentest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kontrollfragentest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatwissentest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ungeklärte theoretische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 24 27 29

dem Urteil des BGH vom 17. 12. 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BGHSt 5, 332 (1954) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BVerfG – Beschluss vom 18. 8. 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BVerfG – Beschluss vom 15. 10. 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BVerfG – Beschluss vom 7. 4. 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BGH – Beschluss vom 14. 10. 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auffassungen im Schrifttum bis 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 33 34 35 36 37 37

C. Das Urteil des BGH vom 17. 12. 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche verfassungsrechtliche und strafprozessuale Zulässigkeit bei Einverständnis des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Verstoß gegen § 136a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ungeeignetheit des Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ungeeignetheit des KFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein Beweiswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht einmal minimaler Indizwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ungeeignetheit des TWT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

B. Vor I. II. III. IV. V. VI.

38 38 39 40 41 41 42 42

8

Inhaltsverzeichnis

D. Rezeption des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

E. Analyse des BGH-Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Polygraphische Untersuchung als Hilfsmittel im Rahmen des Sachverständigenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eignung des Kontrollfragentests im Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundannahme und Funktionsweise des KFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Indizwert der Ergebnisse eines KFT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Analogstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Feldstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Manipulierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fehleranfälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eignung des Tatwissentests im Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einsatz des Polygraphentests im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . V. Endgültiges Verbot jeglicher Form apparativer „Lügendetektion“? . . . . . .

44

F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

G. Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66 67 67

H. Erfahrungen in anderen Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

45 45 46 50 51 52 54 55 56 56 62 63 65

3. Kapitel Neue Verfahren der „Lügendetektion“

74

A. Hirnstrommessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

B. Hirnbildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

C. „Lügendetektion“ mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) I. Grundlagen der Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionelle Magnetresonanztomographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Übersicht über verschiedene Studien zur „Lügendetektion“ mit fMRT . . IV. Die Versuche von Kozel und Langleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnisse der Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Bereits erfolgter Einsatz in einem deutschen Strafverfahren . . . . . . . . . . . VIII. Theoretische Grundüberlegung zur „Lügendetektion“ mittels hirnbildgebender Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Überkommene und neue Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 78 78 80 82 86 87 89 90 93

Inhaltsverzeichnis

9

D. Weitere neue Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

E. Ausblick: Entdecken falscher Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

4. Kapitel Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven, einverständlich durchgeführten hirnbildgebenden Verfahrens zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung

100

A. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 I. Einbeziehung „perfekter“ Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Maßgeblichkeit des Beweisantragsrechts – Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO: rechtliche Unzulässigkeit der Beweiserhebung . . . . . 103 B. Verstoß gegen § 136a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Generelle Anwendbarkeit auf unwillkürliche Äußerungen . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit auf Sachverständige bei staatlicher Anordnung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 136a StPO bei direkter Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Untersuchung unter Verwendung eines hirnbildgebenden Verfahrens als körperlicher Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untersuchung unter Verwendung eines hirnbildgebenden Verfahrens als „Täuschung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. § 136a StPO in analoger Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. § 136a Abs. 3 StPO bei analoger Anwendung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105

C. Verletzung der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliche Verfügbarkeit des eigenen Menschenwürdeschutzes? . . . . 1. Metaphysische Interpretation der Menschenwürdegarantie . . . . . . . . . . 2. Wertorientiertes Verständnis der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Paternalistische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Menschenwürdegarantie als Achtung der Selbstbestimmung . . . . . . . . 5. Prinzipielle Verfügbarkeit auch in Extremfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Keine Ausnahme bei einem Verfahren der „Lügendetektion“ mit specific lie response . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131 133 134 137 140 143 146

115 116 116 117 118 123 124

150 154

D. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Schutzbereich/Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. § 81a StPO als Eingriffsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

10

Inhaltsverzeichnis 1. Hirnbildgebende Verfahren als „körperliche Untersuchung“ . . . . . . . . 2. Glaubwürdigkeit als „bedeutsame Tatsache“ i. S. d. § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erfordernis einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung – Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158 159 163 163 167

E. Subjektive Schranke der Einwilligung: Das Erfordernis der Freiwilligkeit der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 F. Objektive Schranke der Einwilligung: Vorrangige Belange der Allgemeinheit oder konkreter Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Interessen der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Belange Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Künftige Angeklagte – insbesondere das Argument des mittelbaren Drucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Skizzierung der Untersuchung des Themenkomplexes „mittelbarer Druck auf künftige Angeklagte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ein ausbleibender Testwunsch würde rechtstatsächlich als Schuldindiz aufgefasst – „alltägliche Schuldvermutung“ . . . . . . . . . . . . . . c) Die „alltägliche Schuldvermutung“ führte zu einem Einwilligungsdruck bei künftigen Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mittelbarer Druck und Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Problem des teilweisen Schweigens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unterbliebene Beantragung als teilweises Schweigen bei erfolgter Einlassung zur Sache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Könnte das Verwertungsverbot die „alltägliche Schuldvermutung“ neutralisieren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abhängigkeit der „alltäglichen Schuldvermutung“ und des indirekten Drucks von der Beweissituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Auswirkungen auf die Rechte künftiger Angeklagter . . . . . . . . . . . aa) Mittelbarer Druck als „Zwang“ für künftige Angeklagte i. S. d. § 136a Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelbarer Druck als Beeinträchtigung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beeinträchtigung des Rechts, frei über die Inanspruchnahme des Tests zu entscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beeinträchtigung des Rechts, den Test nicht in Anspruch nehmen zu müssen (Beeinträchtigung des Schweigerechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175 175 177 177 178 179 185 187 188 190 194 200 201 207 211 212 214 217

219 220

Inhaltsverzeichnis

11

dd) Mittelbarer Druck und allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . g) Konsequenzen für die Zulässigkeit nach Abwägung der betroffenen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nach der Beweislage wäre eine Verurteilung wahrscheinlich . . bb) Nach der Beweislage wäre ein Freispruch wahrscheinlich . . . 2. Zusammenfassung und Exkurs: Aussagedruck und „Geständnisbonus“/„Deal“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mitangeklagte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221 222 223 228 229 232

G. Zusammenfassung und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

5. Kapitel Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

235

A. Testung gegen den Willen des Beschuldigten unzulässig . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Testung ohne den Willen des Beschuldigten – heimlicher „Lügendetektor“-Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 C. Signifikante Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse – Spezifität bei maximal etwa 90 Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 D. Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mögliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchsetzbarkeit des Verwertungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwertungsverbot für belastende Ergebnisse wünschenswert? . . . . . . . . .

242 243 243 245

E. Es bestehen weitere Entlastungsmöglichkeiten für den Angeklagten . . . . . 248 F. Zulässigkeit im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Belastende Testergebnisse verwertbar – Spezifität bei annähernd 100 Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Belastende Testergebnisse verwertbar – Spezifität bei maximal 90 Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249 250 252 253

G. Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 H. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse – Spezifität bei maximal 90 Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unerhebliche Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse – Spezifität bei annähernd 100 Prozent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren? . . .

255 256 258 258

12

Inhaltsverzeichnis IV. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ziel der Entlastung des Angeklagten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

I.

„Lügendetektor“-Test zum Beweis strafmildernder Umstände . . . . . . . . . . . 260

6. Kapitel Folgefragen und weitere Aspekte A. Feststellbarkeit der Beweislage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eventualbeweisantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hilfsbeweisantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262 262 263 265 266

B. Berücksichtigung außerprozessual erstellter Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 C. Einsatz beim Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Pflicht des Zeugen zur Einwilligung in eine „lügendetektorische“ Untersuchung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einsatz beim zustimmenden Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Untersuchungsverweigerung des Zeugen verwertbar? . . . . . . . . . . . . . . . . .

270 271 272 275

7. Kapitel Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

278

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

1. Kapitel

Einführung in die Problemstellung A. Einleitung Täuschung, Lüge, Unaufrichtigkeit und verwandtes Verhalten waren und sind allgegenwärtig im Umgang von Menschen miteinander.1 Die Fähigkeit zu lügen brachte Vorteile im Überlebenskampf 2 und ist nach Meinung mancher Autoren gar Grundbedingung für das Menschsein.3 So alt die Lüge ist, so alt sind aber auch die Versuche, sie zu entdecken, im Privaten ebenso wie insbesondere zur Unterstützung der Wahrheitserforschung im Strafverfahren. Die Lügenerkennung ist allerdings ein wenig ausgeprägtes Talent des Menschen, er beherrscht diese Kunst weitaus schlechter, als verbreitet angenommen wird;4 dieser Befund trifft ebenso auf Personen zu, die von Berufs wegen über die Glaubhaftigkeit von Aussagen urteilen müssen, also auch auf Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter.5 Aus diesem Grund wurde zu allen Zeiten versucht, die Un/Wahrhaftigkeit von Aussagen mit möglichst objektiven Mitteln zu erforschen. Dabei setzte jede Generation die Mittel ein, die gerade state of the art waren.6 So versuchte man angeblich im alten China bereits vor 3000 Jahren, anhand des Feuchtigkeitsgehaltes einer Handvoll trockenen Reises, die der Verdächtige sich in den Mund legen musste, auf den Wahrhaftigkeitsgehalt seiner vorangehenden Einlassung zu schließen: Je trockener der Reis blieb, desto wahrscheinlicher,

1 Vgl. das markante Diktum Nietzsches, S. 367, 370: „Hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-Reden, das Repräsentiren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskirtsein, die verhüllende Convention, das Bühnenspiel vor Anderen und vor sich selbst, kurz das fortwährende Herumflattern um die eine Flamme Eitelkeit so sehr die Regel und das Gesetz, dass fast nichts unbegreiflicher ist, als wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen konnte.“ 2 Vgl. Liessmann, in: Der Wille zum Schein. Über Wahrheit und Lüge, S. 7, 9. 3 Vgl. Granhag/Strömwall, in: Detection of Deception, S. 1. 4 Vgl. die umfangreiche Metauntersuchung (206 Studien mit insgesamt über 24.000 Testpersonen) von Bond/DePaulo, Personality and Social Psychology Review 10 (2006), S. 214 ff., die ergab, dass die Testpersonen in lediglich 47 Prozent der Fälle unaufrichtiges Verhalten entdecken konnten; die Trefferquote menschlicher „Lügendetektoren“ liegt damit noch unterhalb der Zufallswahrscheinlichkeit. 5 Siehe Kassin, in: Detection of Deception, S. 172, 175 mit zahlreichen Nachw. 6 Vgl. Langleben, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 1 m.w. N.

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1. Kap.: Einführung in die Problemstellung

dass der Verdächtige subjektiv die Unwahrheit gesagt hatte.7 Parallel zu der fortschreitenden technischen Entwicklung entwickelte man später Alternativen zu dieser und zu vielen weiteren doch recht unsicheren Methoden.8 Dabei stand im 20. Jahrhundert die „Lügendetektion“ mit dem so genannten Polygraphentest ganz im Zentrum der Bemühungen. Diese Ansätze der „Lügendetektion“ verfolgten in aller Regel das Ziel, Straftäter zu überführen; zumindest aber ging die Initiative in aller Regel von den Strafverfolgern aus. Auch in dem Fall, der im Jahr 1954 dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorlag, war ein Polygraphentest zur Belastung des Angeklagten eingesetzt worden – was dazu beigetragen haben mag, dass das Gericht seinen Einsatz als verbotene Vernehmungsmethode und als Verstoß gegen die Menschenwürde des Angeklagten ansah, obwohl die Untersuchung mit dessen freiwilligem Einverständnis erfolgte. Die Frage nach der Zulässigkeit eines „Lügendetektors“ im Strafverfahren lässt sich jedoch ebenso aus der Perspektive eines Beschuldigten stellen, gegen den schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden und der sich aus der Inanspruchnahme des Tests einen Entlastungsbeweis zu gewinnen erhofft. Über die Zulässigkeit eines vom Angeklagten gewünschten Polygraphentests hatte der BGH nun 44 Jahre nach dem ersten Urteil in einer zweiten Entscheidung zur Zulässigkeit polygraphischer Untersuchungen im Strafverfahren zu befinden. Die rechtlichen Bedenken der Vorgängerentscheidung teilten die Bundesrichter zwar nicht mehr; gleichwohl bleibt der „Lügendetektor“ aus deutschen Strafgerichtssälen verbannt, denn der Polygraphentest bzw. die im seinem Rahmen eingesetzten Fragemethoden seien vollständig ungeeignete Beweismittel. Die Begründung für das Verbot wandelte sich also von der rechtlichen Unzulässigkeit zu der Unzuverlässigkeit des eingesetzten Verfahrens. Diese Entscheidung besiegelt jedoch nicht notwendig das endgültige Ende apparativer „Lügendetektion“ im deutschen Strafverfahren, auch wenn das Gegenteil bisweilen behauptet wird. Methoden, die möglichst zuverlässig Auskunft über die Aufrichtigkeit einer Person und über die Wahrhaftigkeit von Aussagen geben können, sind nach wie vor von „höchstem strafprozessualen Interesse“9 – insbesondere in den nicht seltenen Fällen, in denen objektive Beweismittel fehlen, etwa dann, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht. Im Zuge der Entwicklung 7 Siehe Ford, International Journal of Law and Psychiatry 29 (2006), S. 159, 165, die darauf hinweist, dass diese Testmethode – im Gegensatz zu mancher im wahren Sinne mittelalterlichen Methode wie etwa der bekannten „Wasserprobe“ – sogar einen wissenschaftlichen Hintergrund hatte, denn Angst und Nervosität werden oft mit reduzierter Speichelbildung in Verbindung gebracht. 8 Siehe Steller, Aussagebeurteilung, S. 16 ff., für die, soweit ersichtlich, ausführlichste Darstellung der Geschichte der „Lügendetektion“, sowie zu weiteren Übersichten Berning, S. 3 ff.; L. Schneider, S. 132 f., Schüssler, S. 31 ff. 9 Kargl/Kirsch, JuS 2000, S. 537, 538.

A. Einleitung

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von Verfahren, die Zustandsänderungen im Gehirn des Untersuchten abzubilden in der Lage sind (hirnbildgebende Verfahren), gibt es nun seit Beginn des Jahrtausends Versuche, gleichsam durch den Blick in das Gehirn einer Person zuverlässige(re) Aufschlüsse darüber zu gewinnen, ob sie in einer bestimmten Situation lügt oder aufrichtig ist. Binnen kurzer Zeit führten verschiedene Forschergruppen zahlreiche entsprechende Studien durch, die sämtlich vielversprechende Resultate im Hinblick auf ein taugliches Verfahren erbrachten. Auch wenn auf dem Weg zu einer zuverlässigen „Lügendetektion“ mittels Hirnbildgebung noch einige Hindernisse zu überwinden sind, ist jedoch die Erwartung nicht unbegründet, dass sich in nicht ferner Zukunft die Frage nach der Zulässigkeit eines „lügendetektorischen“ Verfahrens für die Strafgerichte ein weiteres Mal stellen könnte – wobei vermutlich wieder die Frage zu beurteilen sein würde, ob sich ein Angeklagter mittels des Tests entlasten dürfte. Bei aller Unsicherheit darüber, ob sich ein ausreichend tauglicher „Lügendetektor“ entwickeln lassen wird, und insbesondere, wie dieses Verfahren konkret ausgestaltet sein und welche Fragemethode zur Anwendung kommen würde, hat es sich diese Arbeit zum Ziel gesetzt, die Frage der rechtlichen Zulässigkeit eines geeigneten hirnbildgebenden Verfahrens zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung bereits heute zu untersuchen. Dabei werden einige vom BGH in der Entscheidung aus dem Jahr 1998 vernachlässigte Probleme der rechtlichen Zulässigkeit im Vordergrund stehen, wie die Frage nach der möglichen Rechtfertigung eines „Grundrechtsschutzes gegen sich selbst“ und insbesondere das für einige Stimmen mit Abstand „wichtigste Argument“ gegen eine Zulassung: ihre angeblichen Auswirkungen auf die Rechte anderer Beschuldigter. Es wird sich dabei zeigen, dass die Frage nach „der“ Zulässigkeit eines „Lügendetektor“-Tests mittels Hirnbildgebung die Komplexität der Problemstellung in unzulässiger Weise verkürzen würde. Vielmehr hängen die Ergebnisse von mehreren Variablen ab, die einzeln zu berücksichtigen sind. Aus dem Voranstehenden ergibt sich der Verlauf der Untersuchung: Nach einer Einführung in Begriffsfragen und Grundlagen der „Lügendetektion“ (Abschnitt II. dieses Kapitels) erfolgt ein Überblick über die bisherige Diskussion zu der Zulässigkeit und Zuverlässigkeit eines Polygraphentests. In diesem Zusammenhang wird auch noch einmal eingehend auf das Urteil des BGH aus dem Jahr 1998 zurückzukommen sein (2. Kapitel). Im Anschluss werden neue technische Ansätze der „Lügendetektion“ vorgestellt, wobei sich die Darstellung auf die Versuche mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) konzentrieren wird (3. Kapitel). Den Hauptteil der Arbeit bildet die Untersuchung, ob dem Beweisantrag eines Angeklagten auf Durchführung einer Glaubwürdigkeitsuntersuchung mit einem nicht-invasiven hirnbildgebenden Verfahren in einer bestimmten, durch verschiedene Variablen definierten Fallkonstellation stattgegeben werden müsste (4. Kapitel). Daran anknüpfend und darauf aufbauend wird die rechtliche Beurteilung weiterer Fallkonstellationen dargestellt (5. Kapitel). In

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1. Kap.: Einführung in die Problemstellung

einem abschließenden Kapitel geht es um die Beantwortung einiger Folgefragen wie etwa der nach dem Einsatz des „Lügendetektors“ beim Zeugen (6. Kapitel).

B. Einführung in das Prinzip der „Lügendetektion“, definitorische und terminologische Vorbemerkungen Die Gesprächspartner Pinocchios hatten es besser. Denn in der Realität gibt es keine spezifische Reaktion des Körpers, die eindeutig mit Lügen in Zusammenhang gebracht werden kann – jedenfalls ist eine solche bisher unbekannt, und es wird bezweifelt, dass sich dies jemals ändern könnte.10 Bereits aus diesem Grund wird der Begriff „Lügendetektor“11 als zumindest „irreführend“ eingeschätzt.12 Will man gleichwohl Lügen bzw. Unaufrichtigkeit entdecken, muss man somit andere Wege gehen. Das Grundprinzip heute existierender Ansätze der „Lügendetektion“ besteht darin, aus dem Vergleich der körperlichen Reaktionen einer Person auf bestimmte dargebotene Reize – wie z. B. Fragen, aber auch visuelle oder akustische Stimuli – Rückschlüsse zu ziehen. Man nimmt an, dass sich die unterschiedliche kognitive Verarbeitung und emotionale Bewertung der Reize in den gemessenen Variablen niederschlagen.13 Bei einem Einsatz eines „Lügendetektors“ im Rahmen eines Strafverfahrens bestünden diese Rückschlüsse darin, dass bei einem Beschuldigten die Täterschaft (nicht) indiziert ist oder er zumindest (kein) Tatwissen hat. Mit dem Polygraphentest werden vornehmlich physiologische Variablen des vegetativen Nervensystems aufgezeichnet, während man mit modernen neurowissenschaftlichen Verfahren Veränderungen der Hirnaktivität misst. Unabhängig von dem eingesetzten technischen Verfahren hängt die Funktionsweise eines „Lügendetektors“ allerdings in erster Linie von der verwendeten Fragemethode und der fachgerechten Interpretation der gemessenen Daten ab. Aus diesem Grund könnte man noch am ehesten von dem Untersucher als einem „Lügendetektor“ sprechen.14 Aber auch dies wäre nur korrekt, wenn es die Testgestal10 Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89, 90; Rill, S. 5 m.w. N.; im Englischen wird davon gesprochen, dass es keine specific lie response gebe. – Diese fehlende „specific lie response“ war für den Bundesgerichtshof (BGH) „von entscheidender Bedeutung“, als er in seinem noch eingehend zu erörternden Urteil aus dem Jahr 1998 der einverständlichen polygraphischen Untersuchung zumindest die rechtliche Zulässigkeit attestierte, BGHSt 44, S. 308, 316. 11 Der Begriff „Lügendetektor“ wurde maßgeblich durch das grundlegende Werk „The Lie Detector Test“ von William M. Marston aus dem Jahr 1938 geprägt. 12 Fabian/Stadler, Kriminalistik 2000, S. 607, 608. 13 Rill, S. 1. 14 SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 73; mittlerweile wird jedoch angestrebt, die Auswertung weitgehend zu automatisieren, so dass es auch hinsichtlich der Auswertung

B. Einführung in das Prinzip der „Lügendetektion‘‘

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tung voraussetzt, dass die Versuchsperson auf bestimmte Fragen bewusst unwahrhaftig antwortet, denn nur dann lügt sie. Dies ist jedoch nicht immer der Fall; in einigen Versuchsgestaltungen müssen die Probanden gerade nicht (verbal) antworten.15 Daran lässt sich erkennen, dass bereits die unwillkürlichen Reaktionen auf den dargebotenen Reiz für die Wirkungsweise des Tests von maßgebender Bedeutung sein können – und nicht erst die den Vorgang des Lügens begleitenden Reaktionen. Es ist somit zunächst einmal festzuhalten: Bei den herkömmlich „Lügendetektion“ genannten Methoden geht es keineswegs immer darum, Lügen zu entdecken.16 Vielmehr besteht ihr Prinzip vornehmlich darin, anhand der körperlichen Reaktionen auf bestimmte Stimuli Schlussfolgerungen über die „Glaubwürdigkeit“ einer Person zu ziehen.17 Bezieht sich der Reiz, also z. B. eine bestimmte Frage, etwa auf eine begangene Tat, so erhofft man sich, aufgrund der Reaktionen, die verglichen werden mit Reaktionen auf andere Fragen, Aufschluss darüber zu gewinnen, ob der Getestete mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit „aufrichtig“ reagierte und also etwa an der Tat beteiligt war bzw. ob er „Tatwissen“ hat. Da man insbesondere in der Psychologie den Begriff „Lügendetektor“ zu vermeiden sucht, verwendet man Alternativen. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass sich dabei auch nur ansatzweise eine einheitliche Terminologie herausbildet – was nicht verwundert, haben doch alle vorgeschlagenen Bezeichnungen Schwächen. So wird die „Lügendetektion“ – als ein Zweig der psychophysiologischen18 Diagnostik – etwa als psychophysiologische Aussagebegutachtung19 bzw. -beurteilung20 bezeichnet. Dabei wird jedoch nicht klargestellt, welche Aussage in Rede steht. Bei Rill etwa klingt an, dass es sich um die verbale Einlassung des Beschuldigten handeln könnte, auf deren Glaubhaftigkeit anhand des Datenmaterials immer weniger auf die Person des Examinators ankommt; vgl. Stoller/Wolpe, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 359, 364. 15 Etwa bei dem „Silent Answer Test“, siehe Delvo, S. 35 f. Bereits bei den grundlegenden Experimenten Lykkens in den 1950er Jahren waren die Testpersonen ausdrücklich angehalten, auf die Fragen zur Begehung zweier Scheinverbrechen nicht zu antworten, Lykken, Journal of Applied Psychology 43 (1959), S. 385. 16 Abgesehen davon, dass man bei bestimmten Versuchsanordnungen ebenso gut nach der (einzig) wahrhaftigen Antwort der Versuchsperson suchen kann, siehe Fabian/Stadler, Kriminalistik 2000, S. 607, 608; vgl. auch Schwabe, NJW 1979, S. 576: „Wahrheitsdetektor wäre gleich richtig“. 17 Vgl. Rill, S. 1. 18 Die Psychophysiologie ist ein Teilgebiet der empirischen Psychologie und geht von funktionellen Zusammenhängen zwischen psychischen und körperlichen Vorgängen aus. Physiologische Veränderungen werden dabei als Begleiterscheinungen psychischer Prozesse verstanden, wodurch man sie als objektiv messbare Anzeichen für subjektive Vorgänge verwenden kann, siehe Steller, Aussagebeurteilung, S. 1. 19 Vehrs, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 16 ff. 20 Steller, Aussagebeurteilung, S. 4, passim; Vossel/Zimmer, S. 191.

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1. Kap.: Einführung in die Problemstellung

der Testergebnisse geschlossen wird.21 Dabei würde indes nicht bedacht, dass diese Terminologie nur dann treffend sein kann, wenn sich der Beschuldigte zuvor im Rahmen der Vernehmung überhaupt zur Sache eingelassen hat. Hat er geschwiegen, liegt keine Aussage vor, deren Glaubhaftigkeit überprüft werden kann. Steller hingegen meint jene „Aussagen“, die im Rahmen des Tests abgegeben werden und sich in aller Regel auf „ja“, „nein“, oder das Drücken eines Knopfes o. ä. beschränken.22 In diesem Fall wäre die vorgeschlagene Bezeichnung „Aussagebegutachtung“ jedoch bei denjenigen soeben erwähnten Testvarianten verfehlt, bei denen der Proband nicht antworten, sondern den Stimulus lediglich wahrnehmen muss (es sei denn, man sähe in der physiologischen Reaktion selbst die zu begutachtende Aussage,23 die gleichsam die Beurteilung ihrer eigenen Glaubhaftigkeit bereits mitlieferte). In der psychologischen Literatur finden sich auch die Begriffe psychophysiologische Täterschaftsermittlung24 bzw. -diagnostik25 oder auch psychophysiologische Verdachtsabklärung26; mit dieser Terminologie kann allerdings nicht die Anwendung eines „Lügendetektors“ bei einem Zeugen erfasst werden. Der Jurist Schüssler gebraucht in seiner Dissertation aus dem Jahr 2002 die Bezeichnung psychophysiologische Glaubwürdigkeitsbegutachtung27. Diese Benennung ist jedoch im besten Falle unpräzise, jedenfalls solange sie nicht erläutert wird. Denn mit dem Polygraphentest oder anderen „lügendetektorischen“ Verfahren wird keineswegs die persönliche bzw. allgemeine Glaubwürdigkeit im Sinne der persönlichen Zuverlässigkeit des Aussagenden überprüft;28 auch bei der Würdigung des Aussageverhaltens ohne technische Hilfsmittel hat sich vielmehr mittlerweile die zutreffende Ansicht durchgesetzt, dass es kein nützliches Unterfangen ist, danach zu forschen, ob ein Zeuge oder ein Angeklagter aufgrund persönlicher Eigenschaften notwendig stets wahrhaftig ist, denn es besteht kein (zumindest kein eindeutiger) Zusammenhang zwischen anerkannt positivem Leumund und der Glaubhaftigkeit der konkreten Äußerung – und ebenso wenig vice versa.29 Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob Aussagen, die sich auf ein bestimmtes Geschehen beziehen, dem Erleben der untersuchten Person ent-

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Rill, S. 6. Steller, Aussagebeurteilung, S. 5; a. A. Undeutsch, zit. nach Steller, a. a. O. (mündliche Mitteilung), für den dies keine „Aussagen i. e. S.“ seien. 23 Dass die Körperreaktionen unter rechtlichen Gesichtspunkten zumindest wie strafprozessuale Aussagen zu behandeln sind, ist ein davon zu trennender Aspekt, der in anderem Zusammenhang erörtert wird (siehe dazu unten 4. Kapitel B. I.). 24 Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89. 25 Dahle, PsychR 2003, S. 103 ff. 26 Undeutsch, PsychR 2003, S. 115 ff. 27 Schüssler, S. 17 ff. 28 Vgl. Eisenberg, Rn. 1426. 29 Siehe Steller/Volbert, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 12, 15. 22

B. Einführung in das Prinzip der „Lügendetektion‘‘

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sprechen.30 Wenn also von „Glaubwürdigkeitsbegutachtung“ die Rede ist, kann darunter allenfalls verstanden werden, dass entweder die Glaubhaftigkeit einer zuvor erfolgten verbalen Beschuldigteneinlassung und/oder die Glaubhaftigkeit der im Rahmen des Tests abgegebenen Antwort („ja“, „nein“, Knopfdrücken etc.) und/oder die „Glaubhaftigkeit“ der Körperreaktion selbst bzw. insgesamt die Aufrichtigkeit der Person während der Testsituation überprüft wird. Angesichts der benannten Unklarheiten werden im Rahmen dieser Arbeit die Bezeichnungen „Täterschaftsermittlung“, „Glaubwürdigkeitsbegutachtung“, „Glaubhaftigkeitsbeurteilung“, „Aussagebegutachtung“ etc. daher alternativ und, soweit nicht anders gekennzeichnet, synonym verwendet, nämlich als „Unaufrichtigkeitserkennung“ in einem möglichst umfassend zu verstehenden Sinn. Trotz der vorstehend benannten Zweifel, inwieweit ein „Lügendetektor“ überhaupt ein Lügendetektor ist, ist jedoch noch in aller Kürze zu klären, was in der vorliegenden Arbeit unter „Lüge“ bzw. „Täuschung“ zu verstehen ist. Die verschiedenen Definitionen zu diesen Begriffen sind Legion;31 Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass unter Lüge ein Spezialfall der Täuschung verstanden wird, nämlich deren verbale Form.32 Die bekannteste Definition der Lüge stammt zweifellos von Augustinus, der sich als erster systematisch mit ihrem Wesen befasste. Nach Augustinus (in deutscher Fassung) lügt derjenige, „der etwas anderes, als was er im Herzen trägt, durch Worte oder beliebige sonstige Zeichen zum Ausdruck bringt.“33 Diese Begriffsbestimmung ist zwar in mehrerlei Hinsicht lückenhaft; einen entscheidenden Aspekt machte Augustinus jedoch deutlich: Es kommt für die Beurteilung nicht darauf an, ob die Aussage einer Person mit der objektiven Wirklichkeit übereinstimmt; für die Feststellung, ob die Person lügt, ist einzig von Bedeutung, ob der Inhalt der Äußerung ihrer subjektiven Vorstellung widerspricht. Der Bezug zur – objektiven – Realität ist unerheblich.34 Noch einmal Augustinus: „Jeder nun, der das ausspricht, was er entweder glaubt oder meint und so im Herzen trägt, lügt nicht, mag es auch unwahr sein.“35 Der Gegensatz zur Lüge ist somit nicht das Äußern der objekti30

BGHSt 45, S. 164, 167 m.w. N. Vgl. Langleben/Dattilio/Guthei, Journal of Psychiatry and the Law 34 (3) (2006), S. 351. 32 Siehe Rill, S. 8 m. Nachw. 33 Augustinus, „Über die Lüge“, S. 3. Wie zu erkennen ist, unterschied Augustinus noch nicht zwischen Täuschung und Lüge, sondern fasste beide unter den Oberbegriff „Lüge“. 34 Es ergeben sich danach also folgende Möglichkeiten: Man kann lügen und dabei die Unwahrheit sagen; man kann aber insbesondere auch lügen und dabei unwissentlich die Wahrheit sagen. Andererseits kann man wahrhaftig sein und dabei die Unwahrheit sagen; und schließlich man kann wahrhaftig sein und dabei gleichzeitig die Wahrheit sagen; vgl. Liessmann, in: Der Wille zum Schein. Über Wahrheit und Lüge, S. 7, 20. 35 Augustinus, „Über die Lüge“, S. 2. 31

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1. Kap.: Einführung in die Problemstellung

ven Wahrheit, sondern das Aussprechen der subjektiven Wahrheit, die Übereinstimmung des Gesagten mit dem Geglaubten oder Gemeinten. Es muss jedoch etwas hinzutreten, was in der Definition von Augustinus allenfalls anklingt: Damit eine Aussage, deren Inhalt von der Überzeugung des Sprechers abweicht, zur Lüge wird, muss ihm die Abweichung bewusst sein. Darüber hinaus muss die subjektiv falsche Aussage mit der Absicht getätigt werden, dass sie vom Empfänger geglaubt wird. Erst dann ist eine Aussage unwahrhaftig.36 Selbstverständlich ist diese vorsichtige Annäherung an eine Definition der Lüge keineswegs unumstritten;37 für die Zwecke dieser Untersuchung möge sie jedoch genügen. Zusammengefasst ist Täuschung somit der Versuch eines Menschen, einen anderen von der Richtigkeit einer Behauptung zu überzeugen, von der er selbst glaubt, dass sie falsch ist.38 Lüge ist die verbale Täuschung. Wie jedoch bereits angedeutet wurde, ist es nicht in allen der gemeinhin unter dem Oberbegriff „Lügendetektion“ zusammengefassten Versuchsanordnungen so, dass auf die vom Untersucher gestellten Fragen überhaupt geantwortet werden soll. Wo dies nicht der Fall ist, kann jedenfalls nicht davon gesprochen werden, dass der Getestete lüge oder täusche oder dass seine Lüge bzw. Täuschung aufgedeckt werde.39 Hinzu kommt, dass nicht eindeutig geklärt ist, was exakt gemessen wird: Selbst wenn eine Versuchsanordnung vorsieht, dass auf Fragen zu antworten ist, ist nicht klar, ob die gemessene Reaktion mit dem Vorgang der – wahrhaftigen oder unwahrhaftigen – Beantwortung der Frage in Zusammenhang steht, in letzterem Fall also tatsächlich mit dem Vorgang des Lügens; oder ob nicht vielmehr lediglich die bewusste Wahrnehmung der Bedeutung der Frage der entscheidende Auslöser für die Reaktion ist;40 in diesem Fall ließe sich nurmehr davon sprechen, dass sich der Betreffende durch die

36 Vgl. die Terminologie im Bereich der Diskussion über die „Falschheit“ der Aussage in §§ 153 ff. StGB, etwa bei Kargl, GA 2003, S. 791, 806, der de lege ferenda unter Rückgriff auf die sog. subjektive Theorie für die Ersetzung des Begriffs „falsch“ durch „unwahrhaftig“ eintritt. 37 Vgl. zum Meinungsstand etwa Gruber, S. 25 ff. 38 Langleben/Dattilio/Guthei, Journal of Psychiatry and the Law 34 (3) (2006), S. 351, 356. Dabei ist inzident auch der umgekehrte Fall erfasst, dass der Akteur den Empfänger von der Falschheit einer Behauptung überzeugen will, von der er glaubt, dass sie richtig ist. 39 Diese Terminologie ist allerdings sehr häufig anzutreffen, vgl. exemplarisch Dalakouras, S. 163; Schüssler, S. 20, passim; Rill, S. 5, 17, 24, passim. 40 Vgl. Rill, S. 54 ff. mit Nachw. zu Experimenten, die untersuchten, ob die physiologischen Reaktionen des Täters bei einer Methode, die eigentlich nur nach vorhandenem Tatwissen fragt, allein auf der bewussten Wahrnehmung des relevanten Tatdetails (etwa ein Ring als Tatobjekt) beruht, oder ob darüber hinaus auch das Lügen (wenn alle Fragen mit „nein“ beantwortet werden müssen) auf die diesbezüglich gestellte Frage („War das entwendete Objekt ein Ring?“) zu der stärkeren Reaktion führt. Die Annahme, dass das Lügen die gemessenen Reaktionen verstärkt, ließ sich indes nicht eindeutig belegen (Rill, S. 57 f.).

B. Einführung in das Prinzip der „Lügendetektion‘‘

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unwillkürlichen Reaktionen „verrät“ oder „selbst entlarvt“ o. ä., nicht aber, dass er „täusche“ oder „lüge“. Die Aufrechterhaltung dieser überkommenen Terminologie wäre allerdings wiederum dann möglich, wenn man den Rahmen erweitert und nicht mehr nur die Reaktion während des eigentlichen Tests in den Blick nimmt: In vielen Fällen wird sich der Beschuldigte zuvor verbal zum Tatvorwurf geäußert haben. Ergibt ein Test nun „Täterschaft indiziert“, dann ist dies gleichzeitig ein starkes Indiz dafür, dass die vorangegangene Einlassung, in welcher der Beschuldigte die Tatbegehung bestreitet, gelogen war. In diesem, aber auch nur in diesem Sinne könnte man dann nach wie vor davon sprechen, dass mittels des Tests „Lügen“ oder „Täuschungen“ aufgedeckt werden können. Wenn somit im weiteren Verlauf dieser Untersuchung gleichwohl aus Vereinfachungsgründen auch von „Lügendetektor“, „Lüge“, „Täuschung“ usw. die Rede ist, ist damit nicht notwendig gemeint, dass es um eine Methode geht, bei der die Testperson auch tatsächlich (verbal oder durch das Drücken eines Knopfes o. ä.) antworten muss. Und wenn von „Lüge bzw. Täuschung erkennen“ etc. gesprochen wird, soll damit nicht behauptet werden, dass das bewusst wahrheitswidrige Antworten auf bestimmte Fragen entscheidend für die physiologischen Reaktionen sei; vielmehr könnten diese Reaktionen auch durch die bloße inhaltliche Wahrnehmung der Reize ausgelöst werden.41

41 Siehe näher zu dem Problem der ungeklärten theoretischen Grundlagen unten 2. Kapitel A. III.

2. Kapitel

Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests Bisher beschränkte sich die Diskussion um den „Lügendetektor“ darauf, ob die Glaubwürdigkeitsbegutachtung mittels eines Polygraphentests1 zuzulassen sei. Die Debatte begann bereits in den 1950er Jahren,2 einer Zeit, die geprägt war von den Erfahrungen im Nationalsozialismus. Große Teile der Bevölkerung hegten eine grundsätzliche Abneigung gegen Beeinträchtigungen der Psyche des Einzelnen durch den Staat, vor allem zur Verfolgung des staatlichen Strafanspruchs. Diese Ängste beeinflussten die Einstellung gegenüber psychologischen Untersuchungsmethoden entscheidend, auch und gerade in der Rechtswissenschaft.3 Das noch zu besprechende erste Urteil des BGH zum Polygrapheneinsatz im Jahre 19544 erteilte auch dem einverständlichen Test eine eindeutige Absage, woraufhin die Diskussion erst einmal erstarb; zum Bedauern mancher Autoren5 war in diesem Urteil zu entscheiden gewesen, ob der Test auf Antrag der Staatsanwaltschaft zur Belastung des Angeklagten zuzulassen sei – die diesbezügliche 1 In der psychologischen Literatur (siehe etwa Rill, S. 5 f.) wird bisweilen kritisiert, dass die Begriffe „Polygraphentest“, „polygraphische Untersuchung“, „Polygraphie“ etc. insbesondere bei Juristen zu Unrecht häufige Verwendung fänden, weil dadurch die Messtechnik überbewertet werde, zu Lasten der eigentlich entscheidenden jeweiligen Frage- und Auswertungsmethoden. Diese Kritik ist schwer von der Hand zu weisen, kommt doch in der Tat der Gestaltung des Untersuchungsrahmens überragende Bedeutung zu, insbesondere der Wahl der Fragemethode und der Auswahl geeigneter Stimuli, während der Polygraph selbst ein bloßes Mess- und Aufzeichnungsgerät ist (vgl. etwa Dahle, PsychR 2003, S. 103, 104). An der in der Rechtswissenschaft überkommenen Terminologie soll im Rahmen dieser Abhandlung gleichwohl zunächst festgehalten werden. Denn erstens sind die genannten Bezeichnungen in der Rechtswissenschaft tatsächlich sehr gebräuchlich (vgl. nur BGHSt 44, S. 308, 311, 312, passim). Zweitens dürfte die Verwendung dieser Begrifflichkeiten unschädlich sein, wenn im Übrigen deutlich gemacht wird, dass der Befragungstechnik die wichtigere Rolle zukommt. Und drittens kann von der Verwendung der überkommenen Terminologie hier deswegen nicht abgesehen werden, weil die Messtechnik der Polygraphie von anderen und neuen Verfahren zu unterscheiden ist, insbesondere von der funktionellen Magnetresonanztomographie. 2 Vgl. Würtenberger, JZ 1951, S. 772 ff.; Kohlhaas, JR 1953, S. 450 f.; Knögel, DRiZ 32 (1954), S. 234 ff.; Erbs, NJW 1951, S. 386 ff. 3 Vgl. Wegner, S. 22. 4 BGHSt 5, S. 332 ff. 5 Siehe etwa Schwabe, NJW 1979, S. 576, 578.

A. Prinzip der Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit dem Polygraphentest

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Ablehnung des BGH beendete aber auch den Streit darüber, ob der Polygraphentest auf Wunsch des Angeklagten zu seiner Entlastung zulässig wäre.6 Erst etwa 20 Jahren später wurde die Debatte wiederbelebt und fand ihren vorläufigen Abschluss in dem zweiten Polygraphen-Urteil des BGH vom Dezember 19987, auf das im Folgenden ebenfalls noch zurückzukommen sein wird.

A. Prinzip und Verfahrensweise der Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit dem Polygraphentest Ein Polygraph („Vielschreiber“) ist ein Mehrkanalschreiber, der mittels Sensoren auf der Haut Veränderungen u. a. des Blutdrucks, der Atem- und Herzschlagfrequenz sowie der elektrischen Leitfähigkeit der Haut – überwiegend also Indikatoren für die Aktivität des peripheren vegetativen Nervensystems8 – misst und graphisch darstellt.9 Die Befürworter des Polygraphentests erwarten sich von diesen – unwillkürlichen – körperlichen Reaktionen die Möglichkeit zu Rückschlüssen auf die Täterschaft bzw. auf verdecktes Tatwissen des Beschuldigten. Man nimmt an, dass jeder für einen Menschen persönlich bedeutsame Reiz zu unkontrollierbaren Veränderungen in seinem Nervensystem führt. Es wird also gerade beim leugnenden Täter10 erwartet, dass er grundsätzlich anders auf bestimmte Fragen oder Vorwürfe reagiert als ein Unschuldiger. Anhand der gemessenen Parameter erstellt der Sachverständige schließlich ein Gutachten über die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten.11 Es ist an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass dabei nicht unmittelbar auf eine Lüge oder auf bestehendes Tatwissen geschlossen wird, denn es ist wissenschaftlich unumstritten, dass eine spezifische Körperreaktion, die ihre Ursache in einer unwahren Aussage oder einem belastenden Vorhalt hat, jedenfalls bisher nicht bekannt ist (engl. no specific lie 6 Wegner, S. 28; vgl. auch die Nachweise bei Schwabe, NJW 1979, S. 576, 578 bei Fn. 19. 7 BGHSt 44, S. 308 ff. – Tatsächlich fällte der BGH an diesem Tag sogar zwei Urteile, die allerdings weitestgehend gleichlautend waren, siehe dazu näher Fn. 62. 8 Rill, S. 1. 9 Eingehender zum Polygraphen etwa Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 127, 129 f.; ausführliche Beschreibung der aufgezeichneten physiologischen Parameter bei Scholz, in: Polygraphie, S. 45 ff. 10 In der Forschung zur psychophysiologischen Aussagebegutachtung verwendet man die Begriffe „Schuldiger/Unschuldiger“, „schuldig/unschuldig“ bzw. „Täter/ Nichttäter“ lediglich, um in wissenschaftlichen Untersuchungen die Zugehörigkeit einzelner Probanden zu Testgruppen zu kennzeichnen; keinesfalls ist mit dieser Terminologie eine strafrechtliche Bewertung verknüpft; siehe Rill, S. 7. 11 Einzelheiten zu Auswertungsmethoden bei Steller, Aussagebeurteilung, S. 9, 10 f.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

response).12 Es geht vielmehr ausschließlich um die Messung von physiologischen Veränderungen. Wie bereits angedeutet, ist mit dem Mess- und Aufzeichnungsgerät Polygraph und den physiologischen Grundannahmen allein indes noch nichts gewonnen.13 Hinzutreten muss eine geeignete Fragetechnik, eine Methode, bei der gewährleistet ist, dass die Bedeutung der dargebotenen Stimuli sich in Abhängigkeit von der tatsächlichen Täterschaft der Person verändert14 – denn der Ansatzpunkt für die psychophysiologische Aussagebeurteilung ist die allgemein geteilte Annahme, dass das Ausmaß einer physiologischen Reaktion mit der individuellen Bedeutsamkeit des zugrunde liegenden Reizes einhergeht.15 Es wurden nun unterschiedliche Untersuchungsmethoden entwickelt mit dem Ziel, diese Erkenntnis für die Zwecke der Aussagebegutachtung bzw. der Täterschaftsdiagnostik nutzbar zu machen. Zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze sind dabei zu unterscheiden: Bei der ersten Variante, für die der Kontrollfragentest (KFT) der typische Vertreter ist, wird direkt nach der Täterschaft gefragt. Demgegenüber ist der Tatwissentest (TWT) eine indirekte Methode, weil mit ihm zunächst nur nach verborgenem Tatwissen geforscht und erst in zweiter Linie Rückschlüsse auf die (fehlende) Täterschaft des Untersuchten gezogen werden.16

I. Kontrollfragentest Bei dem KFT17 werden dem Probanden Fragen aus drei Gruppen gestellt: Die erste Gruppe bezieht sich auf die begangene Tat (z. B. „Haben Sie das De12

Siehe statt vieler Steller, Aussagebeurteilung, S. 144. Vgl. Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 45, 50; Dahle, PsychR 2003, S. 103, 104. 14 Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 127, 133. 15 Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89, 91. 16 Zwischen diesen in mehrerer Hinsicht unterschiedlichen Methoden wurde bis zum Urteil des BGH von 1998 nur selten unterschieden, vgl. erläuternd Rill/Gödert/ Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 165, 167. 17 Ausführliche Darstellung des KFT etwa bei Dahle, PsychR 2003, S. 103, 105 ff.; Rill, S. 14 ff.; Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 45, 54 ff. – Heute wird dieser Test häufig auch „Vergleichsfragentest“ genannt, vgl. Fabian/Stadler, in: Praxisfelder der Rechtspsychologie, S. 226, 228; Undeutsch, PsychR 2003, S. 115 ff.; Vehrs, PraxisRPsych 11 (1) 2001, S. 16, 19. Zumindest aber in der juristischen Diskussion ist der hier verwandte Begriff eingeführt, auch der BGH benutzt nur ihn oder die Variante „Kontrollfragenverfahren“, BGHSt 44, S. 308, 313 ff.; zu finden ist schließlich auch der Terminus „Kontrollfragentechnik“, Dahle, PsychR 2003, S. 103, 105. – Am Rande sei noch darauf hingewiesen, dass dem KFT von manchen bereits der Status eines psychologischen Tests abgesprochen wird, wenn man unter einem solchen eine objektivierbare und standardisierbare Erhebung einer Verhaltensstichprobe versteht; vielmehr beruhten die in Studien gemessenen hohen Trefferquoten nicht auf dem Verfahren, sondern in erster Linie auf den individuellen Fähigkeiten des Prüfers, vgl. Rill, S. 27 m. Nachw. 13

A. Prinzip der Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit dem Polygraphentest

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signerkleid aus der Boutique gestohlen?“). Im Rahmen der zweiten Gruppe wird nach ähnlich belastenden Normverstößen aus der Vergangenheit der Testperson gefragt (z. B. „Haben Sie während der Schulzeit jemals irgendetwas gestohlen?“), wobei die Fragen zuvor in einem intensiven Vorgespräch mit dem Probanden vom Prüfer entwickelt wurden und daher auf diesen individuell abgestimmt sind (Kontrollfragen18). Die dritte Gruppe besteht aus irrelevanten Fragen, die nicht ausgewertet werden (z. B. „Heißen Sie Schulze?“). Der Examinator weist den Probanden in dem Vorgespräch außerdem auf die Treffsicherheit des Tests hin und betont die Wichtigkeit der Kontrollfragen. Der Prüfer erklärt dem Probanden etwa, dass eine starke Reaktion auf die Kontrollfrage dahingehend ausgelegt werden könne, dass er allgemein zum Stehlen neige, was auch im konkreten Fall die Täterschaft nahe lege.19 Der Prüfer wirkt somit mittels Suggestion darauf hin, dass der Proband die Kontrollfragen verneint, also lügt – oder sich zumindest unsicher ist –, denn nur in diesem Fall könne der Proband eine für ihn positive Beurteilung erreichen.20 Dadurch soll die Aufmerksamkeit eines Nicht-Täters ganz darauf gelenkt werden, dass seine Reaktion auf die Kontrollfragen ein (falsches) belastendes Ergebnis zu Tage bringen könnte – und somit von den Tatfragen ablenken. Die Vergleichsfragen werden dabei bewusst vage gehalten und umfassen oft lange Zeitabschnitte, damit sie das Potential haben, bei jedem Probanden die Unsicherheit hervorzurufen, ob er die Frage tatsächlich verneinen kann.21 Anschließend werden dem Untersuchten die Tat- und Vergleichsfragen in wechselnder Reihenfolge in mehreren Durchgängen gestellt und seine Körperdaten währenddessen mit dem Polygraphen aufgezeichnet.22

18 Die Einführung der Kontrollfragen beruht darauf, dass auch vom Unschuldigen zu erwarten war, dass er auf die Frage nach seiner Tatbeteiligung mit gesteigerter physiologischer Erregung reagieren würde. In der ursprünglichen Form war die Frage nach der Tatbeteiligung lediglich eingebettet in eine Folge irrelevanter und belangloser Fragen (sog. Relevant-Irrelevant-Test), siehe Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 306 f. m.w. N. 19 Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89, 94. 20 Vgl. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 307. Einschränkend Undeutsch, nach dessen Angaben den Versuchspersonen gesagt werde, dass beide Arten von Fragen „gleich wichtig“ seien; auch sei experimentell nachgewiesen, dass es unerheblich sei, ob die Kontrollfragen verneint oder bejaht würden, Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 117 (Antwort auf Frage 12 des BGH-Fragenkatalogs). – In einer anderen Variante wird der Befragte zu Beginn des Tests ausdrücklich dazu aufgefordert, bei den Kontrollfragen zu lügen (Direktiver Lügentest, engl. Directed Lie Test [DLT]); vgl. dazu eingehend Rill, S. 37 ff., dort auch zu Vorteilen und Kritik des DLT; als „gerichtete Lügenkontrollfragentechnik“ auch vom BGH erwähnt, BGHSt 44, S. 308, 322. 21 Dahle, PsychR 2003, S. 103, 105. 22 Für eine beispielhafte Fragensequenz siehe Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89, 95.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Es zeigt sich also, dass für den Kontrollfragentest die bloße Registrierung der körperlichen Reaktionen eine Nebenrolle spielt.23 Die eigentliche Herausforderung ist demgegenüber in jedem Einzelfall die Suche nach geeigneten Kontrollfragen. Um als tauglicher Vergleichsmaßstab dienen zu können, müssen die Kontrollfragen mit dem relevanten Reiz (den tatbezogenen Fragen) vergleichbar sein, sie müssen in ihrer Bedeutsamkeit unabhängig von der „Täterschaft“ des Probanden sein und sie müssen so gewählt sein, dass ihre Bedeutsamkeit im Vergleich zu den tatbezogenen Fragen für den Nichttäter zumindest nicht niedriger ausfällt.24 Die Anhänger des KFT erwarten nun, dass der Organismus eines Unschuldigen auf die Kontrollfragen stärker reagiert, weil sie ihn emotional stärker belasten oder er sich wenigstens in einem höheren Ausmaß kognitiv mit ihnen auseinandersetzt als mit den Fragen nach der Tat, die er ja nicht begangen hat – während vom Täter oder Tatbeteiligten angenommen wird, dass die Ausschläge jeweils bei den tatbezogenen Fragen stärker sind.25 Weil die physiologischen Reaktionen auf den Tatvorwurf selbst registriert und interpretiert werden, ist der KFT eine direkte Methode: Reagiert der Untersuchte signifikant stärker auf die tatbezogenen Fragen als auf die Vergleichsfragen, führt dies zu einem positiven Befund.26 Die vorliegenden Studien lassen den Schluss zu, dass beim KFT die Wahrscheinlichkeit irrtümlich positiver Befunde (also die Klassifizierung von Nichttätern als „Täter“) höher ist als die irrtümlich negativer Befunde. Die Verlässlichkeit negativer Befunde ist nach diesen Studien mit dem KFT also recht hoch, während die zutreffende Klassifizierung tatsächlich „schuldiger“ Probanden weniger zuverlässig ist.27 Der KFT sieht sich allerdings vehementer Kritik ausgesetzt, insbesondere wegen seiner angeblich mangelnden konzeptionellen Absicherung und der fehlenden Belegbarkeit seiner Funktionsweise. Diese Kritik war für den BGH letztlich ausschlaggebend, den Polygraphentest mit der Methode des KFT als völlig ungeeignetes Beweismittel einzustufen.28

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Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5, 6. Dahle, PsychR 2003, S. 103, 105. 25 Vgl. Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89, 94. 26 Zu verschiedenen Ansätzen der Datenauswertung, die zunehmend auch computergestützt ist, siehe Rill, S. 18 ff. 27 Steller, Aussagebeurteilung, S. 150. 28 Siehe zu dem Urteil des BGH und zu weiteren Einzelheiten der Kontrollfragenmethode und ihrer Kritik unten 2. Kapitel C. und 2. Kapitel E. 24

A. Prinzip der Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit dem Polygraphentest

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II. Tatwissentest Im Gegensatz zu dem KFT ist der Tatwissentest (TWT) eine indirekte Methode, da er nicht nach der Beteiligung an der Tat fragt, sondern darauf abzielt, verheimlichtes Tatwissen aufzudecken.29 Die Fragen umfassen spezifische Einzelheiten zum Tathergang oder zum Taterfolg, von denen angenommen wird, dass sie der Täter wahrgenommen haben muss. Tatbezogene Details, die auch Unschuldigen bekannt sein können, etwa aus Verhören oder den Medien, dürfen ebenso wenig Eingang in die Befragung finden wie marginale Einzelheiten, da dann nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann, dass der Täter sie überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Zu jeder Frage werden fünf bis sechs etwa gleich plausible Antwortmöglichkeiten gegeben (z. B.: Wo befand sich die gestohlene Uhr? a. im Schrank?, b. in der Schublade? etc.)30, wobei der Beschuldigte in der Standardvariante des TWT jede der Antwortmöglichkeiten zu verneinen hat.31 Man geht davon aus, dass der Schuldige32 bei der „richtigen“ Antwortmöglichkeit signifikant stärkere Reaktionen zeigt als der Unschuldige, für den alle 29 Weswegen in der US-amerikanischen Literatur auch nur für den KFT der Begriff „Lügendetektor“ („lie detector“) verwandt wird (wenn auch dieser Terminus seinerseits inhaltlich zumindest irreführend ist, siehe dazu oben 1. Kapitel B.), vgl. Wolpe/ Foster/Langleben, American Journal of Bioethics 5 (2) (2005), S. 39, 40. Der TWT ist weitaus besser beschrieben als „Wiedererkennungstest“ o. ä., vgl. Happel, Review of Policy Research 22 (5) (2005), S. 667, 671; vgl. auch Langleben, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 1, 2: „prior knowledge test“. Jedoch wurde bereits darauf hingewiesen, dass für die Wirkungsweise des TWT durchaus auch das Lügen selbst zumindest reaktionsverstärkend sein kann, auch wenn der Zusammenhang noch nicht endgültig belegt ist (siehe dazu 1. Kap., Fn. 40). Insofern ist es nicht ganz korrekt, den TWT auf die beschriebene Funktion zu beschränken; siehe Rill, S. 54 m.w. N. 30 Vgl. Rill/Gödert/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 165, 176, mit einem beispielhaften Fall aus der japanischen Praxis. 31 In anderen Varianten werden alle Fragen bejaht oder nachgesprochen, oder es wird gar nicht geantwortet, vgl. Rill/Gödert/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 165, 168. 32 Wie angedeutet, kann mit dem TWT nicht direkt Täterschaft/Nichttäterschaft indiziert werden, sondern lediglich vorhandenes Tatwissen bzw. nicht vorhandenes Tatwissen. Deshalb wird der zu Prüfende vor Durchführung des eigentlichen Tests angewiesen, eventuell vorhandenes Tatwissen zu offenbaren. Es ist anzunehmen, dass Nichttäter dies tun werden; allerdings lassen sich auch Konstellationen denken, in denen Mitwisser, die dennoch nicht Beteiligte der in Rede stehenden Tat sind, Motive haben, ihr Tatwissen zu verschweigen. Diese Personen würden dann mit hoher Wahrscheinlichkeit als „positiv“ klassifiziert, obwohl sie unschuldig sind; vgl. Steller/ Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 198 (Antwort auf Frage 15 des BGHFragenkatalogs). Unter anderem wegen dieser Schwäche des TWT wurde eine Modifikation entwickelt, der sog. Guilty Actions Test (GAT). Dabei werden die Fragen personalisiert (so wird etwa statt „In welchem Raum wurde der Diebstahl begangen?“ gefragt: „In welchem Raum haben Sie den Diebstahl begangen?). Man erhofft sich dadurch, dass ein Unschuldiger mit Tatwissen ebenfalls ein negatives Ergebnis erzielt, weil er alle Fragen (z. B.: „a) im Esszimmer?, b) im Schlafzimmer?“ etc.) wahrheitsgemäß verneinen kann. Es kommt somit bei dieser Kombination aus direkter und indirekter Methode auf die Antwort, also das Lügen bzw. das wahrhafte Antworten an (der

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Varianten von gleicher Bedeutsamkeit sind. Da es mehrere Fragenblöcke gibt, lässt sich so mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass ein Unschuldiger bei allen Fragen zufällig bei der richtigen Antwort die stärkste Reaktion zeigt.33 Im Unterschied zum KFT ist hier die Bedeutsamkeit von relevanten und irrelevanten Antwortmöglichkeiten für Personen mit und ohne Tatwissen von Anfang an gegeben und muss nicht erst in einem individuellen Vorgespräch hergestellt werden.34 Weil also die theoretischen Annahmen, die ihm zugrunde liegen, voraussetzungsärmer sind,35 ist der TWT dem KFT konzeptionell überlegen, weswegen man sich i. Ü. auch zumeist auf die Messung einer einzigen physiologischen Variablen beschränkt, nämlich der elektrischen Hautleitfähigkeits- bzw. Hautwiderstandsreaktion.36 Trotz der konzeptionellen Überlegenheit spielte der TWT in der angewandten forensischen Psychophysiologie in Deutschland und den USA allerdings kaum eine Rolle, wohingegen er etwa in Japan und Israel im Rahmen des Ermittlungsverfahrens häufig zum Einsatz kommt.37 Die entsprechenden Studien zeigen, dass beim TWT im Gegensatz zum KFT einerseits die Verlässlichkeit positiver Befunde sehr hoch ist, weil diejenigen Untersuchten, bei denen das Testergebnis angibt, dass sie „Tatwissen“ haben, auch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich Tatwissen haben. Jedoch besteht bei dem TWT eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass diejenigen, die tatsächlich Tatwissen haben, irrtümlich als „unschuldig“ klassifiziert werden.38 GAT wäre somit am ehesten ein „Lügendetektor“, vgl. dazu oben 1. Kapitel B.), während beim TWT in erster Linie der kognitive Vorgang der Wiedererkennung entscheidend ist; Einzelheiten zum GAT bei Rill, S. 54 ff.; Gödert, S. 67 ff. 33 Bei fünf Fragenblöcken mit fünf Varianten ergibt sich so eine Wahrscheinlichkeit von 1:3.125, bei 10 Fragenblöcken bereits eine von knapp 1 zu 10 Millionen; vgl. Vossel/Zimmer, S. 194. Laut Fiedler, PsychR 2003, S. 112, 113, ist die Wahrscheinlichkeit noch geringer, denn in der Realität gebe es weit mehr als die für den Test ausgewählten (z. B. sechs) Antwortmöglichkeiten; siehe auch Holstein, Kriminalistik 1990, S. 155, 157; siehe schließlich zu den praktischen Beschränkungen Fn. 32. – Ein anderes System zur Auswertung wurde von Lykken entwickelt, das auf der Vergabe von Punkten basiert: Reagiert der Proband innerhalb eines Fragenblocks auf die relevante Antwortmöglichkeit am stärksten, werden zwei Punkte vergeben; bezieht sich die zweitstärkste Reaktion auf die relevante Alternative, ein Punkt – ansonsten 0 Punkte. Ab einer Punktzahl über der Hälfte der möglichen Gesamtpunktzahl wird darauf geschlossen, dass der Proband Tatwissen besitzt; Lykken, Journal of Applied Psychology 43 (1959), S. 385, 386. 34 Vossel/Zimmer, S. 194. 35 Siehe nur Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, 192 f. (Antwort auf die Fragen 2 u. 3 des BGH-Fragenkatalogs). 36 Rill, S. 46 m.w. N. 37 Rill/Gödert/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 165 m.w. N. Siehe zur Lage in anderen Rechtsordnungen auch unten 2. Kapitel H. 38 Steller, Aussagebeurteilung, S. 151; nach den von Undeutsch, PsychR 2003, S. 115, 118, wiedergegebenen Feldstudien beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mit Tatwissen zu Unrecht als Person ohne Tatwissen eingestuft wird, 35 Prozent.

A. Prinzip der Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit dem Polygraphentest

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Der BGH hat den TWT zumindest für das Hauptverfahren als ein ungeeignetes Beweismittel beurteilt.39 Mittlerweile wird indes der Einsatz des TWT im Ermittlungsverfahren vermehrt befürwortet.40 Allerdings sind seine Anwendungsmöglichkeiten eingeschränkt, insbesondere aufgrund der Voraussetzung, dass unschuldigen Versuchspersonen die Details des in Rede stehenden Tathergangs nicht bekannt sein dürfen und dass in vielen Fällen nicht ausreichend prägnante Details zur Verfügung stehen, um einen tauglichen Test zu entwickeln.41 Während somit die Probleme des KFT vornehmlich bei seiner Konzeption angesiedelt sind, liegen die Schwierigkeiten des weit besser begründeten TWT insbesondere bei der konkreten Anwendung.42

III. Ungeklärte theoretische Fundierung Die bisherige Forschung zur psychophysiologischen Glaubwürdigkeitsbegutachtung beschränkte sich weitgehend auf die Zuverlässigkeit der Verfahren, die sich insbesondere an den in den Studien erzielten Trefferquoten bemisst. In den zahlreichen Feld- und Analogstudien zu der Zuverlässigkeit des TWT und des KFT wurden auch fast ausschließlich Trefferquoten erzielt, die (z. T. weit) über der Zufallswahrscheinlichkeit liegen. Beiden Methoden wird daher zumindest von einem Teil der psychologischen Literatur ausreichende Validität43 attestiert.44 39

BGHSt 44, S. 308, 327 f. Vgl. unten 2. Kapitel C. II. 2. und 2. Kapitel E. III. Siehe die Nachweise in Fn. 265. 41 Siehe zu Einzelheiten unten 2. Kapitel E. III. 42 Vgl. Rill, S. 53. 43 Die Validität bzw. Gültigkeit eines Testverfahrens bezieht sich darauf, inwiefern es tatsächlich dasjenige erfasst oder vorhersagt, was es zu erfassen oder vorherzusagen beansprucht (Rill, S. 21). Bei dem KFT wird hier also danach gefragt, ob die Zuordnung einer Testperson in die Kategorie „glaubwürdig/unglaubwürdig“ bzw. „Täterschaft indiziert/nicht indiziert“ etc., bei dem TWT, ob die Zuordnung in die Kategorie „Tatwissen vorhanden/Tatwissen nicht vorhanden“ gelingt, siehe statt aller Steller, Aussagebeurteilung, S. 29. Die Validität eines Testverfahrens ist das letzte in einer hierarchischen Kette von drei Hauptgütekriterien (so werden die grundlegenden Anforderungen an ein psychodiagnostisches Verfahren genannt): Damit ein Testverfahren als gültig anerkannt werden kann, muss es zuvor das Kriterium der Objektivität erfüllen, worunter die Unabhängigkeit der Testergebnisse von der Person der Untersuchers verstanden wird; zweitens muss das Testverfahren Reliabilität (Zuverlässigkeit) aufweisen, womit die Messgenauigkeit des Verfahrens gemeint ist, welche z. B. überprüft werden kann, indem Testergebnisse von verschiedenen Prüfern ausgewertet werden oder der gleiche Test unter identischen Bedingungen zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal durchgeführt wird, vgl. Rill, S. 27 ff., m.w. N. Objektivität und Reliabilität sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für die Validität eines Testverfahrens. 44 Steller, Aussagebeurteilung, S. 104; ausführliche Darstellung der Studien etwa bei Schüssler, S. 102 ff.; zweifelnd im Hinblick auf die Erfüllung der Gütekriterien 40

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Die theoretische Grundlagenforschung wurde demgegenüber eher vernachlässigt, insbesondere die Analyse der Verbindung zwischen Reiz und Reaktion und der ihr zugrunde liegenden psychologischen Prozesse. Gleichwohl werden einige Annahmen für die Erklärung der messbaren Reaktionsunterschiede vertreten.45 Einige der vorliegenden Theorien betonen emotionale Faktoren, darunter die Theorie der Angst vor Strafe oder die Theorie des Konflikts; später gab es Erklärungsversuche, die den Fokus stärker auf die Rolle motivationaler Prozesse legten: Danach führe eine hohe Täuschungsmotivation, etwa jene, als ehrlich eingestuft zu werden, zu verstärkten Reaktionen auf die relevanten Fragen; die Hypothese konnte in Untersuchungen durch Variierung der Täuschungsmotivation gestützt werden.46 In vielen Labor- und Analogstudien wird den Teilnehmern daher zur Erhöhung der Motivation ein (meist geringer) Geldbetrag für den Fall versprochen, dass ihre Täuschung unentdeckt bleibt.47 Das Problem einer allein mit motivational-emotionalen Prozessen operierenden Theorie besteht allerdings darin, dass auch unter Bedingungen, in denen die Täuschungsmotivation gering oder gar nicht vorhanden ist und sich die Probanden schon aufgrund der Laborbedingungen nicht vor Entdeckung oder Strafe fürchten mussten, hohe Trefferquoten erzielt werden.48 Ein anderer Erklärungsansatz lautet daher, dass die gemessenen Veränderungen im physiologischen Erregungsniveau ihren Grund vornehmlich in höherer kognitiver Aktivität haben und mit dem Maß an Energie gleichzusetzen sind, welches für die Informationsverarbeitung nach verschiedenen Testfragen nötig ist bzw. auf erhöhte Aufmerksamkeit oder Vorsicht o. ä. zurückzuführen sind.49 Es werden auch Modelle vorgeschlagen, die im Grenzbereich zwischen den genannten Ansätzen angesiedelt sind.50

Objektivität und Reliabilität, und somit letztlich auch bezüglich der Validität des KFT Rill, S. 22 ff.; sehr kritisch Fiedler, PsychR 2003, S. 112 ff. 45 Siehe zu den einzelnen im Folgenden angesprochenen Erklärungsansätzen die ausführliche Darstellung bei Rill, S. 79 ff. 46 Rill, S. 81 m. Nachw. 47 Vgl. unten 3. Kapitel C. IV. In seltenen Fällen wurden auch reale Strafen angedroht und sogar verhängt, etwa indem ungefährliche, aber von den Probanden als unangenehm empfundene Elektroschocks verabreicht wurden, Lykken, Journal of Applied Psychology 43 (1959), S. 385, 386 f. 48 Vgl. Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 45, 113: siehe auch Rill, S. 87, wobei unklar bleibt, weshalb Rill, S. 32, in anderem Zusammenhang davon spricht, der KFT erfasse die „Furcht [. . .] vor Entdeckung und Strafe“, ohne die eben genannten Zweifel an dieser Hypothese dagegenzustellen. 49 Die Reaktionsunterschiede der Kontrollfragenmethode mit kognitiven Prozessen zu erklären, erscheint schwieriger. Gleichwohl wurden auch Versuche in diese Richtung unternommen; siehe dazu sowie zu damit einhergehenden Problemen und Interpretationsschwierigkeiten Rill, S. 85 ff. 50 Siehe die Darstellung bei Rill, S. 82.

A. Prinzip der Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit dem Polygraphentest

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Steller schließlich sieht eine enge Verbindung zwischen Kognitionen und Emotionen und will die Trennung im Wege einer systemtheoretischen Betrachtung völlig aufheben.51 In der angloamerikanischen Wissenschaft scheint die Ansicht vorzuherrschen, bei den direkten Verfahren (wie dem KFT) seien Emotionen der bestimmende Faktor. So betitelt einer der führenden Lügenforscher, Vrij, diejenigen Methoden, die hierzulande als direkte Methoden bezeichnet werden, als concern-based tests;52 die entsprechende Kapitelüberschrift seine Buches „Detecting Lies and Deceit“ heißt „The Concern Approach“ 53, wobei dieser Ansatz ausdrücklich dem etwa beim TWT ausschlaggebenden orienting reflex approach (Orientierungsreaktions-Ansatz) gegenübergestellt wird.54 Concern lässt sich in diesem Zusammenhang wohl am treffendsten als Besorgnis oder Beunruhigung verstehen; jedenfalls ist der emotionale Aspekt bei der Erklärung der Bedeutsamkeitsunterschiede für den KFT dort eindeutig betont.55 Eine Theorie, die für sich allein die jeweiligen Reaktionsunterschiede bei der Darbietung unterschiedlich bedeutsamer Stimuli schlüssig begründen könnte, ist allerdings bisher nicht gefunden;56 zumindest für die Kontrollfragenmethode lässt sich somit die Frage, welche Ursachen die stärkeren physiologischen Reaktionen auf relevante Stimuli im konkreten Fall haben, nicht abschließend beantworten. Man wird sich daher bis auf weiteres damit begnügen müssen, jene psychologischen Prozesse und Variablen, die zwischen dem Merkmal „Täterschaft“ und der stärkeren physiologischen Reaktion auf tatbezogene Fragen vermitteln, schlicht und allgemein als „subjektive Bedeutsamkeit“ zu interpretieren.57 Damit sind die möglichen Ursachen für physiologische Erregung zusammengefasst: Aufmerksamkeit, Signalwert der Reize, Antwortart, Täuschungsmotivation oder Furcht vor den Konsequenzen einer Entdeckung etc.,58 die sich auch durchaus überlagern und gegenseitig verstärken können. Welche dieser möglichen emotionalen und/oder kognitiven Prozesse jeweils zu dem Bedeutungsunterschied bei den verschiedenen Fragengruppen führen, bleibt aber 51

Steller, Aussagebeurteilung, S. 132 ff. Vrij, Detecting Lies, S. 295. 53 Vrij, Detecting Lies, S. 293. 54 Vrij, Detecting Lies, S. 295, 343 ff. 55 Die Betonung emotionaler Prozesse als Erklärung findet sich jedoch auch in der deutschsprachigen Literatur, siehe z. B. Schleim, S. 26: „Angst [. . .] beim Lügen ertappt zu werden.“; „[. . .] starke emotionale Reaktion hervorrufen“; Delvo, S. 21: „Angst oder Beklemmung“, ders., S. 22: „Umwandlung der Angst in [. . .] meßbare Erscheinungen.“ 56 Dahle, PsychR 2003, S. 103, 105 m. Nachw. 57 Vgl. Dahle, PsychR 2003, S. 103, 104; Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5, 7 f.; Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89, 96; Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 113 (Antwort auf Frage 7 des BGH-Fragenkatalogs). 58 Rill, S. 87. 52

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

letztlich ungeklärt, weshalb auch Befürworter der Kontrollfragenmethode einräumen, dass die ihr zugrunde liegende Annahme „theoretisch höchst sparsam“ sei.59 Für die Methode des TWT ist die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Reiz und Körperreaktion wohl klarer zu beantworten. Hier habe die spezifische Bedeutsamkeit der relevanten Fragen nach Tatdetails für den Täter ihren Grund „zweifellos“ im Prozess des kognitiven Wiedererkennens – wenn auch emotionale Prozesse wie die Furcht vor Entdeckung die Reaktion eventuell verstärkten.60 Letztlich scheint aber auch für den TWT noch nicht endgültig geklärt, auf welchen Prozessen seine Wirkungsweise basiert.61

B. Vor dem Urteil des BGH vom 17. 12. 1998 Vor der Entscheidung des BGH zur Zulässigkeit polygraphischer Untersuchungen im Strafverfahren von 199862 hielt die Rechtsprechung den Einsatz eines Polygraphentests wegen Verletzung der Menschenwürde, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des § 136a StPO für unzulässig. Dieser Ansicht war die Literatur zu großen Teilen gefolgt, wenn auch die kritischen Stimmen ab Ende der 1970er Jahre lauter wurden.63 Nachdem Anfang der 1990er Jahre einige Zivilgerichte, vor allem in Umgangs- und Sorgerechtsfällen, den Polygraphentest zugelassen hatten und schließlich mit dem AG Demmin64 erstmals ein deutsches Strafgericht die Ergebnisse eines Tests als Entlastungsnachweis anerkannt hatte, fällte der BGH das Grundsatzurteil vom Dezember 1998. Zunächst jedoch eingehender zu dessen Vorgeschichte.

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Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5, 7. Dahle, PsychR 2003, S. 103, 107. 61 Einzelheiten bei Rill, S. 83 ff.; vgl. auch eingehend National Research Council 2003, S. 65 ff. 62 Genau genommen fällte der BGH am 17. Dezember 1998 zwei Urteile, Az. 1 StR 156/98 und Az. 1 StR 258/98, wobei nur das erste in der amtlichen Entscheidungssammlung BGHSt (Band 44, S. 308–328) veröffentlicht wurde. Beiden Entscheidungen lagen Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zugrunde und beide Angeklagten hatten die Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines psychophysiologischen Gutachtens mittels eines Polygraphentests gerügt. Die beiden Urteile sind bis auf wenige irrelevante Unterschiede gleichlautend, weshalb sich die vorliegende Arbeit auf die Darstellung des veröffentlichten Urteils beschränkt und im Folgenden auch auf die Pluralbezeichnung verzichtet wird. 63 Angestoßen von Undeutsch, ZStW 87 (1975), S. 650 ff., insbes. 656 ff., und weitergeführt von Schwabe, NJW 1979, S. 576 ff. 64 AG Demmin/Zweigstelle Malchin, Urteil vom 7. September 1998 – 94 Ls 182/ 98 – 741 Js 31691/97, http://www.jura.uni-saarland.de/jurpc/rechtspr/19980176.htm (zugegriffen am 6. Juli 2009). 60

B. Vor dem Urteil des BGH vom 17. 12. 1998

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I. BGHSt 5, 332 (1954) Die erste Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes zur Zulässigkeit des Polygrapheneinsatzes erging 1954.65 In diesem Fall war die Initiative nicht von dem Beschuldigten ausgegangen, sondern von der Staatsanwaltschaft. Sie hatte in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Zweibrücken die Einholung eines Gutachtens auf der Grundlage eines Polygraphentests beantragt, womit sich der Angeklagte einverstanden erklärte. Das Testergebnis belastete den Angeklagten; er wurde verurteilt.66 Der BGH lehnte die Untersuchung mit dem Polygraphen sowohl für das Ermittlungsverfahren, als auch für das Hauptsacheverfahren ab – und zwar „ohne Rücksicht“ auf das Einverständnis des Beschuldigten.67 Das Gericht stützte seine Ablehnung dabei ausdrücklich nicht auf die Brauchbarkeit des Polygraphen oder auf die Richtigkeit und Verlässlichkeit der sie begründenden wissenschaftlichen Erwägungen, sondern allein auf rechtliche Grundsätze.68 Der Beschuldigte sei Beteiligter und nicht Gegenstand des Verfahrens,69 und nur innerhalb dieses Rahmens sei er bestimmten Untersuchungen und Beschränkungen unterworfen wie z. B. in §§ 81, 81a StPO festgelegt. Die in Art. 1 Abs. 1 GG und § 136a StPO geschützte „Entschließungsfreiheit des Beschuldigten für seine Einlassung“ bleibe hingegen in jeder Verfahrensphase unangetastet.70 Die Untersuchung mit dem Polygraphen gewähre jedoch einen „Einblick in die Seele“ des Beschuldigten. Der Beschuldigte, der sich einem solchen Test unterziehe, verliere also die Freiheit seiner Willensentschließung und Willensbetätigung; denn im Gegensatz zur Vernehmung, bei der es dem Angeklagten überlassen bleibe, über das Ob und Wie der Beantwortung jeder Frage zu entscheiden, stehe ihm diese Entscheidung bei der Befragung mit einem Polygraphen nicht mehr zu. Es antworte immer auch das Unbewusste des Untersuchten, ohne dass dieser das verhindern könne.71 65 BGHSt 5, S. 332 ff. Zur Diskussion über den Einsatz des Polygraphentests in den frühen 1950er Jahren vgl. SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 74. – Schon 1951 hatte das Bundesjustizministerium in einem Schreiben die Verwendung des Polygraphentests wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gewährleistung freier Willensentschließung und Willensbetätigung abgelehnt, DRiZ 1951, S. 150. 66 Zu den Einzelheiten des Verfahrens vor dem LG Zweibrücken: Delvo, S. 366 ff., der aus der nicht veröffentlichten Entscheidung zitiert. 67 BGHSt 5, S. 332, 333. 68 BGHSt 5, S. 332, 333. Weshalb sich der BGH am Ende der Urteilsbegründung noch auf zwei Seiten mit eben dem Aspekt der Brauchbarkeit – sehr kritisch – auseinandersetzt (S. 336 ff.), bleibt unklar. 69 BGHSt 5, S. 332, 333 f. 70 BGHSt 5, S. 332, 334. 71 BGHSt 5, S. 332, 335.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Zwar dürfe das Gericht bewusste oder unbewusste Ausdrucksvorgänge des Beschuldigten behutsam berücksichtigen. Solche „groben Sinneseindrücke“ ließen jedoch – im Gegensatz zum Polygraphentest – den „lebensnotwendigen und unverzichtbaren seelischen Eigenraum“ des Beschuldigten unangetastet.72 Auf das immerhin im Leitsatz erwähnte Einverständnis des Beschuldigten und darauf, weshalb es bei der Beurteilung des Polygraphentests als unzulässig keine Rolle spielt, kommt der BGH im Übrigen nicht mehr zu sprechen.73

II. BVerfG – Beschluss vom 18. 8. 1981 Gut 25 Jahre später hatten sich die Gerichte erneut mit der Zulässigkeit eines „Lügendetektortests“ zu befassen. Der wegen Mordes verurteilte Beschwerdeführer hatte im Strafverfahren verlangt, zu seiner Entlastung mittels eines Polygraphentests auf seine Glaubwürdigkeit untersucht zu werden, was vom LG Mannheim74 und vom BGH75 abgelehnt worden war. Der Vorprüfungsausschuss des BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung an. Das BVerfG teilte dabei die verfassungsrechtlichen Bedenken des BGH, begründete seine Ablehnung nun jedoch nicht mehr mit einer Verletzung der Menschenwürde des Beschuldigten, sondern sah sein allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt, welches der Wahrheitserforschung im Strafverfahren Grenzen ziehe.76 Der Beschuldigte werde im Rahmen der polygraphischen Untersuchung „durchleuchtet“, da von ihm unwillkürliche und sonst nicht wahrnehmbare Körperreaktionen aufgezeichnet würden und er somit zu einem „bloßen Anhängsel“ des Apparates werde. Ob dabei der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit berührt sei, könne dahinstehen, denn jedenfalls fehlten überwiegende Interessen der Allgemeinheit oder des Beschuldigten, die einen solchen Eingriff in den Kernbereich rechtfertigen könnten: Obwohl das Gericht von einer Trefferquote von 90 Prozent ausgeht und es immerhin eine „geringe Aussagekraft“ des Polygraphentests nicht ausschließt, stehe die Bedeutung dieser möglichen Aussagekraft in keinem Verhältnis zur Schwere des erforderlichen Eingriffs.77 Die Einwilligung des Untersuchten ändere an der Unzulässigkeit einer solchen Beweiserhebung nichts, denn die Einwilligung sei jedenfalls nicht frei72

BGHSt 5, S. 332, 335, 336. Für eine Übersicht zur Kritik an dem Urteil siehe z. B. Groth, S. 108 f. m. Nachw. Zu den möglichen Gründen für die ablehnende Haltung des BGH siehe Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 887 u. 890. 74 Az.: (1) 2 Kls 3180. 75 Az.: 3 StR 476/80. 76 BVerfG (Vorprüfungssausschuss), NJW 1982, S. 375. 77 BVerfG (Vorprüfungssausschuss), NJW 1982, S. 375. 73

B. Vor dem Urteil des BGH vom 17. 12. 1998

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willig und daher unwirksam, da der Beschuldigte keine Wahlmöglichkeit habe: Angesichts der Bedrohung mit einer „empfindlichen Freiheitsstrafe“ stelle der Polygraphentest ein Beweismittel dar, das der Beschuldigte „nicht ausschlagen“ dürfe.78 Man kann nicht umhin, die Reaktion auf diesen Beschluss in der Literatur verheerend zu nennen. Die einen empfanden ihn als „befremdlich oberflächlich“79, für andere war „eine so klägliche Begründung fast schlechter als gar keine“80 bzw. der „Beschluss von äußerster Dürftigkeit“81, wieder andere vermissten, dass „das Gericht der Komplexität des Falles wirklich gerecht geworden“ wäre.82 Inhaltlich wurde bemängelt, dass sich der Vorprüfungsausschuss nicht mit der Besonderheit auseinandergesetzt habe, dass hier der Polygraphentest zur Entlastung des Beschuldigten durchgeführt werden sollte.83 Auch sei schwer verständlich, dass ein „nur“ 90-prozentiger Unschuldsbeweis unbeachtlich oder von geringer Bedeutung sein solle.84

III. BVerfG – Beschluss vom 15. 10. 1997 Die 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts hatte darüber zu befinden, ob das OLG Koblenz85 mit seiner Entscheidung gegen Verfassungsrecht verstoßen hatte, ein vom Beschwerdeführer (es ging um eine Beschwerde gegen die Untersuchungshaft) eingereichtes polygraphisches Gutachten entkräfte nicht den dringenden Tatverdacht gegen ihn.86 Weder die Vorinstanz noch das OLG hatten sich dabei auf die grundsätzliche Unverwertbarkeit berufen. Vielmehr hatte das LG betont, dass das Gutachten unter Berücksichtigung der übrigen Beweismittel nicht zur Verneinung des Tatverdachts führe – was vom OLG nicht beanstandet wurde. Das BVerfG war nun der Ansicht, dass diese Gesamtwürdigung unter Einbeziehung des Gutachtens sich innerhalb des den Strafgerichten verfassungsrechtlich eingeräumten Rahmens bewegt habe. Das Gericht rügte also nicht den Umstand, dass LG und OLG augenscheinlich von der rechtlichen Zulässigkeit ausgingen und dem Gutachten nur keinen ausschlaggebenden Beweiswert zumaßen. Im Gegenteil: Die Kammer ließ ausdrücklich dahingestellt, „ob die bisherige Rechtsprechung im Strafprozeß, insbesondere unter 78

BVerfG (Vorprüfungssausschuss), NJW 1982, S. 375. LR25-Hanack, § 136a Rn. 56; LR26-Gleß, § 136a Rn. 64; siehe auch Grünwald, Beweisrecht, S. 72: „oberflächlich begründet“. 80 Schwabe, NJW 1982, S. 367. 81 Schwabe, NJW 1982, S. 367. 82 Amelung, NStZ 1982, S. 38. 83 Amelung, JR 1999, S. 382, 383. 84 Schwabe, NJW 1982, S. 367, 368. 85 Az.: 1 Ws 218/97. 86 BVerfG, StraFo 1998, S. 16. 79

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Berücksichtigung der Fortentwicklung der Untersuchungstechnik, der in der Literatur auch später vorgetragenen Einwände und der neueren Rechtsprechung zur Verwertbarkeit polygraphischer Gutachten auf anderen Rechtsgebieten [. . .] weiter Bestand haben kann.“ Diese Formulierung führte dazu, dass der Beschluss unter anderem als „Wende“ 87 interpretiert wurde.

IV. BVerfG – Beschluss vom 7. 4. 1998 Die 2. Kammer des 2. Senats hingegen hatte zu entscheiden, ob das OLG Düsseldorf88 zu Recht der Auffassung war, das LG Wuppertal89 habe den Beweisantrag auf Einführung eines polygraphischen Gutachtens wegen rechtlicher Unzulässigkeit der Beweiserhebung (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO) ablehnen dürfen.90 Das BVerfG war der Meinung, dass – unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und der Ansicht in der Literatur – die Auffassung des OLG „zumindest vertretbar“ sei.91 Allerdings ist das Ergebnis auch speziellem Verfahrensrecht geschuldet: Das Gericht äußerte sich nicht dazu, ob der Polygraphentest verfassungsrechtlich zulässig ist; es war lediglich der Ansicht, dass aus der Ablehnung des Beweisantrags nicht ohne weiteres eine Grundrechtsverletzung folge; diese käme erst in Betracht, wenn Grundrechte die Zulassung des Tests geböten. Das BVerfG ging dieser Frage nicht nach, allerdings nur deshalb, weil dazu „indessen jeder Vortrag“ fehlte. Auch aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder dem Recht auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren ergebe sich nichts anderes. Art. 103 Abs. 1 gewähre keinen Anspruch auf ein bestimmtes Beweismittel. Insgesamt hätte der Beschwerdeführer darlegen müssen, dass LG und OLG bei der Auslegung und Anwendung des Beweisantragsrechts den Einfluss der Grundrechte verkannt hätten oder dass die Ablehnung des Beweisantrags willkürlich war. Dies sei nicht geschehen – und Willkür oder eine Verletzung von Verfassungsrecht auch nicht erkennbar. Daher sei, wie erwähnt, die Auffassung von LG und OLG „zumindest vertretbar“. Auch wenn eine solche Sichtweise nicht allgemein geteilt wurde,92 vertrat man in der Literatur etwa die Auffassung, dieser und der Beschluss vom Oktober 1997 läsen sich „ein wenig so, als warte das BVerfG darauf, daß jemand substantiiert geltend macht, er sei in seinen Grundrechten dadurch verletzt, daß ihm diese Chance des Entlastungsbeweises abgeschnitten wurde.“93 87 88 89 90 91 92 93

Scherer, StraFo 1998, S. 16. Az.: 2 Ss 235/97 – 48/97 III. Az.: 24 Ns 5 Js 342/95-22/96 IV. BVerfG, NJW 1998, S. 1938, 1939. BVerfG, NJW 1998, S. 1938, 1939. Keine Tendenz des BVerfG sah etwa Nack, StraFo 1998, S. 366, 368 f. Hamm, StraFo 1998, S. 361, 365.

B. Vor dem Urteil des BGH vom 17. 12. 1998

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V. BGH – Beschluss vom 14. 10. 1998 In diesem Beschluss war der BGH der Ansicht, sich nicht weiter mit der Frage, ob die Verwendung des Polygraphentests im Strafverfahren gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) verstoße, befassen zu müssen.94 Denn zu entscheiden war, ob eine privat und ohne Wissen der Strafverfolgungsbehörden durchgeführte „Aussagenkontrolle mit Hilfe eines Polygraphen“ insofern in das Verfahren hätte eingeführt werden müssen, als das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht den Gutachter, der den Test durchgeführt hatte, als sachverständigen Zeugen hätte anhören müssen.95 Der BGH verneinte dies mit dem Hinweis auf das „friendly polygrapher syndrome“: Für verlässliche Test-Resultate sei (unabhängig von sonstigen Einwänden) erforderlich, dass der Untersuchte fürchte, im Rahmen des Tests „entdeckt“ zu werden.96 Ein privat durchgeführter Test biete diese Voraussetzung jedoch nicht, da der Angeklagte über die Ergebnisse frei verfügen könne und er also ein für ihn nachteiliges Testergebnis nicht fürchten müsse. Der BGH schloss, dass sich das LG mit einer „solchen Untersuchung“ nicht habe auseinandersetzen müssen.

VI. Auffassungen im Schrifttum bis 1998 Die Literatur war der Entscheidung des BGH von 195497 zunächst weitgehend gefolgt,98 wobei die meisten Autoren jedoch den zu überführenden Beschuldigten im Blick hatten. Wie die Situation zu beurteilen wäre, wenn ein zu Unrecht Beschuldigter sich mit dem Test zu entlasten suchte, erörterte man nicht weiter.99 Spätestens beginnend mit einem Aufsatz Schwabes100 wurden jedoch die Stimmen derjenigen lauter, die den Einsatz des Polygraphentests zumindest in bestimmten Fällen für zulässig erachteten.101 Hinsichtlich der Einzelheiten bestand indes keinerlei Einigkeit. Es wurde vertreten, den Test nur auf ausdrücklichen Wunsch des Beschuldigten zuzulassen102 oder lediglich als ul94

BGH, NJW 1999, S. 662, 663. BGH, NJW 1999, S. 662. 96 BGH, NJW 1999, S. 662, 663. Siehe zu dem „friendly polygrapher syndrome“ ausführlicher unten 6. Kapitel B. 97 Siehe oben 2. Kapitel B. I. 98 Siehe die Nachweise bei BGHSt 44, S. 308, 311; a. A. Knögel, DRiZ 32 (1954), S. 234, 235. 99 Vgl. Schwabe, NJW 1979, S. 576, 578. 100 Schwabe, NJW 1979, S. 576 ff.; bereits vier Jahre zuvor hatte Undeutsch, ZStW 87 (1975), S. 650 ff. die Debatte wiederbelebt; siehe auch Peters’ „Antwort auf Undeutsch“, ZStW 87 (1975), S. 663 ff. 101 AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 57, Klimke, NStZ 1981, S. 433 f.; Steinke, MDR 1987, S. 535, 537; Holstein, Kriminalistik 1990, S. 155, 158; Wegner, S. 184 ff. 102 Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 895; vorsichtiger Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 352. 95

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

tima ratio im Fall eines Beweisnotstands;103 er sollte nur zu Gunsten des Beschuldigten104 oder nur im Ermittlungsverfahren105 möglich sein.

C. Das Urteil des BGH vom 17. 12. 1998 Den Abschluss des – wie gesehen – an Entscheidungen über den „Lügendetektor“ reichen Jahres 1998 bildete das bereits angesprochene Urteil des 1. Strafsenats des BGH vom 17. 12. 1998106. Es bedeutete einerseits eine Wende, was die Beurteilung des Polygrapheneinsatzes im Strafverfahren betrifft, denn dieser wurde nun für rechtlich zulässig erachtet. Andererseits blieb es für den BGH im Ergebnis bei der Unzulässigkeit des Einsatzes, denn sowohl der KFT als auch der TWT seien, letzterer zumindest im Hauptverfahren, ungeeignete Beweismittel im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO. In der Vorinstanz hatte das LG Mannheim den in der Hauptverhandlung gestellten Antrag des Angeklagten abgelehnt, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe durch ein psychophysiologischen Gutachten entkräften zu wollen, das mit Hilfe einer polygraphischen Untersuchung erstellt werden sollte. Das Landgericht begründete die Ablehnung damit, dass eine solche Untersuchung in das „Recht des Angeklagten auf Entschließungsfreiheit“ eingreife und der Angeklagte nicht zum „bloßen Objekt des Verfahrens“ gemacht werden dürfe.107

I. Grundsätzliche verfassungsrechtliche und strafprozessuale Zulässigkeit bei Einverständnis des Beschuldigten Die grundsätzliche rechtliche Zulässigkeit des Polygraphentests (KFT und TWT), für den Fall, dass der Beschuldigte sich mit dem Test einverstanden erklärt, begründete der BGH im Wesentlichen wie folgt: 1. Kein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG Der staatlich angeordnete Einsatz des Polygraphen verstoße zunächst nicht gegen den Menschenwürdeschutz gemäß Art. 1 Abs. 1 GG, da dem Untersu-

103

Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39; L. Schneider, S. 150. Amelung, NStZ 1982, S. 38, 40. 105 Schünemann, Kriminalistik 1990, S. 131, 150. 106 Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass der BGH an diesem Tag zwei weitgehend identische Urteile fällte, von denen nur das eine in der amtlichen Sammlung veröffentlicht wurde; siehe bereits Fn. 62. 107 LG Mannheim, zitiert nach BGHSt 44, S. 308, 309. 104

C. Das Urteil des BGH vom 17. 12. 1998

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chenden (doch) kein „Einblick in die Seele des Beschuldigten“ gewährt sei,108 wie der BGH früher noch angenommen hatte.109 „Von entscheidender Bedeutung“ war für den BGH zunächst, dass nach einhelliger wissenschaftlicher Meinung kein eindeutiger Zusammenhang zwischen kognitiven oder emotionalen Zuständen und dafür spezifischen körperlichen Reaktionen feststellbar sei; vor allem löse das Lügen keine bestimmte, eindeutige körperliche Reaktion aus („no specific lie response“).110 Der Polygraph könne also nicht messen, ob der Proband die Wahrheit sagt, sondern gebe lediglich Auskunft über ein bestimmtes Erregungsniveau des Organismus. Das eigentliche Ergebnis des Tests ermittele der Sachverständige erst durch Interpretation der gemessenen Werte.111 Ein Verstoß gegen das Prinzip der Menschenwürde scheide auch deswegen aus, weil in der gerichtlichen Praxis andere Untersuchungsverfahren wie etwa projektive Persönlichkeitstests Verwendung fänden, die ebenfalls „mit Informationen aus dem Unterbewusstsein“ arbeiteten, wenn sie auch nicht unwillkürliche Körperreaktionen registrierten. Zwar würden beim Polygraphentest solche nicht unmittelbar beeinflussbaren Körperreaktionen gemessen, es sei dem Gericht aber auch sonst erlaubt, nicht steuerbare Körpervorgänge zu verwerten, wenn es etwa um die Wahrnehmung so genannten offenen Ausdrucksverhaltens des Beschuldigten gehe (wie z. B. starke Schweißbildung oder Erröten).112 Die Tatsache, dass der Beschuldigte an ein Messgerät angeschlossen sei, mache ihn auch nicht zu einem „Objekt in einem apparativen Vorgang“. Sofern der Beschuldigte sein Einverständnis erkläre, bleibe er in seiner Subjektstellung unangetastet. Dies ergebe sich auch gerade aus der Tatsache, dass brauchbare Messergebnisse ohne die manipulationsfreie Mitwirkung des Untersuchten nicht zu erzielen seien. Verwehre man dem danach strebenden Beschuldigten mit Hinweis auf die staatliche Verpflichtung zu Achtung und Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, die Möglichkeit sich zu entlasten, bedeute dies einen „ungerechtfertigten ,Schutz‘“.113 2. Kein Verstoß gegen § 136a StPO Aber auch § 136a StPO, der Art. 1 Abs. 1 GG ausforme, sei nicht verletzt. Eine direkte Anwendung der Norm scheide ohnehin aus: Die polygraphische 108

BGHSt 44, S. 308, 315. BGHSt 5, 332, 335; vgl. oben I. 110 BGHSt 44, S. 308, 316. 111 Vgl. SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 73: „[. . .] nicht die Maschine, sondern der Examinator [ist] der ,Lügendetektor‘ “. 112 BGHSt 44, S. 308, 316. 113 BGHSt 44, S. 308, 317. 109

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Untersuchung selbst sei als verbotene Vernehmungsmethode in § 136a StPO nicht genannt.114 Sie werde aber auch nicht vom – restriktiv auszulegenden – Merkmal der Täuschung erfasst, da, wenn überhaupt, nur eine geringfügige Täuschung vorliege.115 Schließlich falle der freiwillige Polygraphentest auch nicht unter das Verbot unzulässigen (mittelbaren) Zwangs. Lapidar verweist der BGH darauf, dass der Gefahr des mittelbaren Zwangs auf andere Beschuldigte durch das Verwertungsverbot begegnet sei, dem die Nichtbeantragung oder Ablehnung der polygraphischen Untersuchung unterliege: Wie im Falle des Schweigens dürfte auch hier der mögliche Schluss, der Beschuldigte habe etwas zu verbergen, nicht verwertet werden.116 Eine analoge Anwendung des § 136a StPO komme nicht in Betracht, weil es schon an der Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen fehle: Der Polygrapheneinsatz erreiche nicht den erforderlichen Schweregrad, wie er etwa im Fall der Hypnose (die explizit in § 136a StPO genannt ist) oder der Narkoanalyse (auf die § 136a StPO nach einhelliger Meinung analoge Anwendung findet) gegeben ist; in beiden Fällen sei der Wille ausgeschaltet oder doch zumindest stark eingeschränkt.117 Wegen der fehlenden Analogie komme es auch auf § 136 Abs. 3 StPO nicht mehr an, der die Einwilligung in die Durchführung einer der verbotenen Vernehmungsmethoden für unbeachtlich erklärt.118

II. Ungeeignetheit des Beweismittels Durfte das LG also die Zulässigkeit eines freiwilligen Polygraphentests im Hauptverfahren nicht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen oder wegen Verstoßes gegen § 136a StPO ablehnen, so sind aber nach Ansicht des BGH sowohl der KFT als auch der TWT, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen, im Hauptverfahren völlig ungeeignete Beweismittel i. S. v. § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO. Vor seiner Entscheidung hatte der BGH Gutachten der vier Experten Fiedler, Jänig, Steller (mit Dahle) und Undeutsch (mit Klein) eingeholt.119

114

BGHSt 44, S. 308, 317. Anders als etwa in den USA würden in Deutschland schwerwiegende Täuschungen nicht vorgenommen, wie das Verwenden von gezinkten Karten bei einem Vortest, um dem Untersuchten die Effektivität des Polygraphen zu demonstrieren, BGHSt 44, S. 308, 318. 116 BGHSt 44, S. 308, 318. 117 BGHSt 44, S. 308, 318. 118 BGHSt 44, S. 308, 319. 119 Die Gutachten der drei Erstgenannten sind abgedruckt in PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999. Jänig erstattete sein Gutachten mündlich. 115

C. Das Urteil des BGH vom 17. 12. 1998

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Der BGH schickt vorweg, dass sich gegen seine Einschätzung jedenfalls nicht ins Feld führen lasse, auch andere in ihrer Beweiseignung umstrittene Testverfahren seien zulässig – denn solche Bedenken sprächen nicht für die Geeignetheit des Polygraphentests.120 Anschließend widmet sich das Gericht der Beurteilung der Methoden des KFT und des TWT. 1. Ungeeignetheit des KFT Seine Begründung der Nichteignung des KFT gliedert der BGH in zwei Teile. Im ersten Teil legt er seine grundlegenden Bedenken hinsichtlich der Grundannahme des KFT dar sowie dessen angebliche methodische und funktionelle Mängel. Im zweiten Teil spricht das Gericht dem KFT darüber hinaus jeden noch so geringen Indizwert ab, da auch die Ergebnisse der mitgeteilten Studien keine werthaltige Aussage über die Zuverlässigkeit des KFT träfen. a) Kein Beweiswert Der BGH verwehrt dem KFT zunächst jeden Beweiswert, da die Methode „in den maßgebenden Fachkreisen“ nicht „allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig“ eingestuft werde.121 Zu Beginn wiederholt der BGH dabei seine Überzeugung, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen emotionalen Zuständen und entsprechenden Reaktionsmustern gebe („no specific lie response“).122 Wenn nun die Anwender des KFT von der Annahme ausgingen, aus der unterschiedlich starken Reaktion auf die tatbezogenen Fragen und die Kontrollfragen dennoch auf die (Un-) Wahrhaftigkeit der Aussage schließen zu können, erachtet der BGH dies für „wissenschaftsmethodisch äußerst zweifelhaft “.123 Aber auch schon die theoretischen Prämissen der Kontrollfragenmethode seien wissenschaftlich nicht belegt. So könne nicht nur die Furcht vor Bestrafung124 zu einer stärkeren Reaktion auf die tatbezogenen Fragen führen, sondern etwa auch, womöglich in noch stärkerem Maße, die Angst vor anderen negativen Folgen des Verfahrens wie die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Schon bei den tatbezogenen Fragen sei daher die Grundannahme, zwischen Täter und Nichttäter gebe es wesentliche Unterschiede, was den Erregungsgrad betrifft, weder zwingend, noch darüber hinaus belegbar.125 120 121 122 123 124 125

BGHSt 44, S. 308, 319. BGHSt 44, S. 308, 319. Siehe oben 2. Kapitel C. I. 1. BGHSt 44, S. 308, 319. Vgl. zu diesem Argument eingehender unten bei Fn. 170. BGHSt 44, S. 308, 320.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Zudem bestehe das Risiko, dass bei der Erstellung der Kontrollfragen Fehler gemacht würden, die dazu führen könnten, dass auch für den Unschuldigen die tatbezogenen Fragen eine höhere Bedeutung hätten als die Kontrollfragen, mit der Folge, dass er zu Unrecht als Täter klassifiziert würde. Wählte man hingegen „extrem“ belastende oder erregende Kontrollfragen aus, sei zu erwarten, dass diese durchgehend zu stärkeren Reaktionen führten als die Tatfragen. Aufgrund der Tatsache, dass die Erstellung der Kontrollfragen stark von der Persönlichkeit des Beschuldigten abhänge, seien die Kontrollfragen ferner inhaltlich auch nicht standardisierbar.126 b) Nicht einmal minimaler Indizwert Schließlich versagt der BGH dem KFT selbst jeden „indiziellen Beweiswert“127, weil es nicht einmal eine ausreichende Datenbasis für die Hypothese gebe, dass ein Verhalten, in diesem Fall „wahre oder unwahre Äußerung“128, und die daraufhin gemessenen Körperreaktionen in hohem Maße zusammenhingen. Die teilweise gemessenen Trefferquoten von 70 bis 90 Prozent begegneten so schweren Bedenken, dass der KFT selbst als noch so schwaches Indiz nicht tauge.129 Die angeführten Analogstudien seien vor allem in emotionaler und motivationaler Hinsicht nicht mit der Realität vergleichbar,130 während die durchgeführten Feldstudien keinerlei Aussagekraft hätten.131 2. Ungeeignetheit des TWT Zur prinzipiellen Brauchbarkeit des TWT musste sich der BGH nicht äußern, da nur die Zulässigkeit des Polygraphentests im Hauptverfahren in Rede stand. Da aber der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt die Anklage und die Ermittlungsergebnisse regelmäßig kennt, bzw. zumindest im vorliegenden Fall davon auszugehen war, weil der Beschuldigte mehrfach konkrete Informationen über die Tatvorwürfe erhalten hatte, erachtete der BGH auch den TWT für ein völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO.132

126

BGHSt 44, S. 308, 321. BGHSt 44, S. 308, 322. 128 BGHSt 44, S. 308, 322. Auch wenn der BGH diese Begriffe verwendet, kann er doch nur die subjektive Wahrheit bzw. Unwahrheit meinen, also im Sinne von Wahrhaftigkeit der Äußerung, vgl. dazu oben 1. Kapitel B. 129 BGHSt 44, S. 308, 323. 130 BGHSt 44, S. 308, 323; vgl. dazu ausführlich unten 2. Kapitel E. II. 2. a). 131 BGHSt 44, S. 308, 326; vgl. dazu ausführlich unten 2. Kapitel E. II. 2. b). 132 BGHSt 44, S. 308, 327. 127

D. Rezeption des Urteils

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D. Rezeption des Urteils Die Rechtsprechung, auch die Zivilrechtsprechung, ist dem Urteil des BGH gefolgt.133 Im Familienrecht, wo polygraphische Gutachten zum Teil als zulässig erachtet wurden, sind die von Gerichten veranlassten Gutachten erheblich zurückgegangen.134 Die verfassungsrechtlichen und strafprozessrechtlichen Aspekte des Urteils wurden von der Literatur größtenteils begrüßt,135 wenn auch vielfach ohne weitergehende Erörterung.136 Vereinzelt findet sich auch Kritik.137 Insgesamt aber scheint die vor dem Urteil sehr lebhafte Diskussion, ob der Polygrapheneinsatz gegen den Menschenwürdeschutz, das Persönlichkeitsrecht oder § 136a StPO verstößt oder nicht, nunmehr weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Hier sei bereits angemerkt, dass der BGH sich mit einigen rechtlichen Aspekten der Zulässigkeit nicht oder nur an der Oberfläche auseinandersetzt. Nur beispielhaft sei bereits erwähnt, dass die Erwägungen des Gerichts zu § 136a StPO zum Teil sehr knapp ausfallen. Insbesondere geht der BGH der zentralen Frage nur auf wenigen Zeilen nach, ob der zugelassene Polygraphentest nicht Rechte künftiger Beschuldigter verletzen würde, weil diese einen mittelbaren Druck 133 BGH, NStZ-RR 2000, S. 35; OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2000, S. 1117, 1121 f. (Fall des Leichtathleten Dieter Baumann, der mittels eines Polygraphentests zu belegen suchte, dass er nicht [bewusst] zu unerlaubten Dopingmitteln gegriffen hatte): Im Bereich der Zivilrechtspflege könne ein auf einem Polygraphentest beruhendes Gutachten allenfalls als Mittel der Glaubhaftmachung gem. § 294 ZPO angesehen werden. Die Wertigkeit sei jedoch geringer als die einer strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung, weshalb die Ergebnisse des Gutachtens nur soviel Wert hätten wie eine eindringliche Parteierklärung; OLG Bremen, Streit 2001, S. 122, 124 f.; schließlich die noch zu besprechende Entscheidung des BGH für Zivilsachen, BGH-Report 2003, S. 1106, vgl. unten 2. Kapitel G. II. 134 Vehrs, PraxisRPsych 11 (1) 2001, S. 16. 135 Amelung, JR 1999, S. 382, 383 f.; Artkämper, NJ 1999, S. 153; Groth, S. 112; Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer 2002, S. 42, 44, insb. in Fn. 20; KMR-Lesch, § 136a Rn. 43; LR26-Gleß, § 136a Rn. 64. 136 Schoreit, StV 2004, S. 284; Hamm, NJW 1999, S. 922 f. (nicht „OLG“ Hamm [so LR26-Gleß, § 136a Rn. 64 bei Fn. 278]); Meyer-Goßner, § 136a Rn. 24. 137 Kargl/Kirsch, JuS 2000, S. 537, 541, die, unter der Annahme der Unbrauchbarkeit des Kontrollfragentests, im Ergebnis die Menschenwürde verletzt sehen; Karow, S. 100, der im Wesentlichen der Argumentationslinie des BGH aus dem Jahr 1954 folgt und nach wie vor einen unzulässigen Blick in die „Seele“ des Beschuldigten feststellt (S. 99); zudem diene der Schutz der Menschenwürde nicht nur dem Einzelnen, sondern der Sicherung eines fairen Verfahrens und „dem Schutz der Rechtsordnung insgesamt“ (S. 100); Pfeiffer (in: KK-StPO [5. Aufl. 2003], Einl. Rn. 91), sah auch in dem freiwilligen „Lügendetektor“-Test immer noch einen Verstoß gegen § 136a StPO analog. Irritierenderweise belegte Pfeiffer seine Ansicht u. a. mit dem Urteil des BGH vom 17. 12. 1998 (BGHSt 44, S. 308 ff.), in dem das Gericht diese Auffassung gerade aufgegeben hatte (anders nunmehr die 6. Auflage, Pfeiffer/Hannich, Einl. Rn. 91). In seinem eigenen Kommentar folgte Pfeiffer indes vorbehaltlos der Ansicht des BGH, Pfeiffer (5. Auflage 2005), § 136a Rn. 11 und, praktisch wortgleich, § 244 Rn. 30.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

verspüren könnten, den Test entgegen ihrer ursprünglichen Absicht durchzuführen, um die Nachteile eines Schuldanzeichens zu vermeiden, als welches ein ausbleibender Testwunsch interpretiert werden könnte. Dem BGH genügte die Annahme eines Verwertungsverbots, um diesen Aspekt nicht weiter zu erörtern – eine problematische Einschätzung, wie sich später noch zeigen wird.138 Da das Gericht den Polygrapheneinsatz jedoch ohnehin untersagt, wenn auch wegen seiner angeblichen Nichteignung, sind diese Auslassungen für das Ergebnis nicht entscheidend und die Oberflächlichkeit der Begründung womöglich hiermit zu erklären. Mit der Entwicklung neuer, geeigneter Verfahren der Aussagebeurteilung werden diese Fragen allerdings von neuem zu stellen sein. Was die mangelnde Eignung des KFT betrifft, war aus der juristischen Literatur kaum Widerspruch zu vernehmen.139 Auf dem Gebiet der Psychologie hingegen hat die Diskussion nach dem Urteil an Intensität zugenommen. Nach wie vor überwiegen dabei die Stimmen, die dem BGH darin beipflichten, dass der KFT kein taugliches Mittel der psychophysiologischen Täterschaftsermittlung sei.140 Angesichts der Tatsache, dass der BGH die Methode des TWT allein deswegen für völlig ungeeignet ansah, weil dem Beschuldigten zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits zu viele Details des Anklagevorwurfs bekannt seien, traten zahlreiche Autoren für seine Anwendung im Ermittlungsverfahren ein.141

E. Analyse des BGH-Urteils Bereits anhand der voranstehend beschriebenen Reaktionen auf das Urteil des BGH muss bei seiner Bewertung die Frage im Vordergrund stehen, ob das Gericht dem KFT insbesondere vor dem Hintergrund des § 244 StPO jegliche Tauglichkeit absprechen durfte und es diese Methode daher zu Recht für unzulässig erachtete. Darüber hinaus ist zu erörtern, wie es grundsätzlich um eine etwaige Anwendung des TWT bestellt ist und wie um eine Anwendung von KFT und TWT im Ermittlungsverfahren. 138

Vgl. 4. Kapitel F. II. 1. Dem BGH zustimmend: Kargl/Kirsch, JuS 2000, S. 537, 539; Hamm, NJW 1999, S. 922 f.; Eisenberg, Rn. 694, 696; Amelung, JR 1999, S. 382, 384; Kühne, Rn. 901; Pfeiffer, § 136a Rn. 11; Meyer-Goßner, § 136a Rn. 24; KK-StPO-Diemer, § 136a Rn. 34; wohl auch Schoreit, StV 2004, S. 284; a. A. Schüssler, S. 142, 166 ff., passim; HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 906; Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 917 f. 140 Dahle, PsychR 2003, S. 103, 107; Rill/Vossel, NStZ 1998, S. 481 ff.; sehr kritisch zum KFT Fiedler, PsychR 2003, S. 113 f.; a. A. Undeutsch, PsychR 2003, S. 115 ff.; Offe/Offe, MschrKrim 87 (2004), S. 86 ff.; in Bezug auf BGH-Report 2003, S. 1106 (vgl. unten 2. Kapitel G. II.) a. A. auch Dettenborn, FPR 2003, S. 559. 141 Rill/Gödert/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 165, 173, 177; Fabian/Stadler, in: Praxisfelder der Rechtspsychologie, S. 226, 232; Dahle, PsychR 2003, S. 103, 108 f.; Schüssler, S. 169 ff. 139

E. Analyse des BGH-Urteils

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Was die rechtlichen Aspekte des Urteils im engeren Sinn anbelangt, kann es in diesem Kapitel hingegen mit einigen wenigen Anmerkungen sein Bewenden haben, da der BGH bezüglich des einverständlichen Tests schließlich keine entsprechenden Bedenken (mehr) äußerte. Wie die rechtliche Zulässigkeit einverständlicher Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit modernen, hirnbildgebenden Verfahren zu beurteilen ist, wird allerdings im Anschluss an die Darstellung dieser Verfahren näher zu untersuchen sein.142

I. Polygraphische Untersuchung als Hilfsmittel im Rahmen des Sachverständigenbeweises Zu Recht hat der BGH zumindest implizit vorausgesetzt, dass die polygraphische Untersuchung kein eigenständiges Beweismittel i. S. d. StPO ist. Als ein solches wäre es im Hauptverfahren von vornherein unzulässig, denn nach dem allgemein anerkannten Grundsatz des numerus clausus der Beweismittel dürfen Beweise, die der Schuld- und Straffrage dienen, nur auf die im Gesetz vorgesehene Weise und mit den im Gesetz vorgesehenen Mitteln erhoben werden143 – die StPO enthält jedoch keine Bestimmungen, die den Polygraphentest ausdrücklich als Beweismittel benennt. Vielmehr ist die Verwendung des Polygraphen eine Untersuchung im Rahmen des Sachverständigenbeweises nach §§ 72 ff. StPO und somit ein Hilfsmittel des Sachverständigen bei der Glaubwürdigkeitsuntersuchung,144 welches als solches keiner eigenständigen strafprozessualen Zulassung bedarf.145

II. Eignung des Kontrollfragentests im Hauptverfahren Wie bereits dargestellt146 und bisher kaum beachtet, trennt der BGH die Begründung der völligen Nichteignung des KFT in zwei Teile, für die er offenbar auch unterschiedliche Maßstäbe anlegt. Zunächst widmet der BGH sich der Grundannahme und Funktionsweise des Kontrollfragenverfahrens,147 für die er verlangt, dass sie in „den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig“148 eingestuft sein müssten, damit dem KFT eine grundsätzliche „Beweisbedeutung“ zukommen könne.149 Diese von ihm aufge142

Siehe 4. und 5. Kapitel. Siehe nur Beulke, Rn. 179 f. 144 Vgl. Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 889; Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351; Artkämper, NJ 1999, S. 153, 154. 145 Siehe Schüssler, S. 68 m.w. N. 146 Siehe oben 2. Kapitel C. II. 1. a). 147 BGHSt 44, S. 308, 319 ff. 148 BGHSt 44, S. 308, 319. 149 BGHSt 44, S. 308, 322. 143

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

stellte Voraussetzung sieht der BGH als nicht erfüllt an und hält den KFT daher bereits für „ungeeignet“150. In einem zweiten Schritt151 begründet der BGH, warum aus seiner Sicht den in Analog- und Feldstudien ermittelten Trefferquoten mit „so tiefgreifenden Bedenken“ begegnet werden müsse, dass dem KFT nicht einmal eine „minimale indizielle Bedeutung“ zukomme.152 Es wird jedoch deutlich, dass der BGH trotz seiner grundlegenden Zweifel an der Grundannahme und der Funktionsweise des KFT einen solchen Indizwert angenommen hätte, wenn die Ergebnisse der vorliegenden Studien für ihn auch nur den geringsten Aussagewert gehabt hätten.153 1. Grundannahme und Funktionsweise des KFT Ausgangspunkt für die Frage, ob ein Beweismittel „völlig ungeeignet“ ist und daher der entsprechende Antrag abgelehnt werden kann,154 ist § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO. Auf diese Norm bezieht sich der BGH allerdings nur am Rande. Es muss dabei zumindest überraschen, dass der BGH – ohne weitere Erläuterung – hinsichtlich der Grundannahme und der Funktionsweise des KFT die allgemeine und zweifelsfreie Akzeptanz in den „maßgeblichen Fachkreisen“ verlangt.155 Womöglich bezieht sich das Gericht dabei auf die Entscheidung aus dem Jahr 1954156, in welcher der BGH forderte, ein „solcher [. . .] Erfahrungssatz“ (dass es zu einer Verstärkung der vegetativen Reaktionen komme, wenn der Proband unwahrhaftig aussagt) müsse „unangefochten feststehen“, denn dies sei für „die Anwendbarkeit naturwissenschaftlicher Untersuchungsweisen im Strafverfahren wesentlich“.157 Weshalb und in welchem Zusammenhang der BGH den hohen Maßstab der zweifelsfreien, eindeutigen Akzeptanz der Methode in den „maßgeblichen Fachkreisen“ hier angelegt hat, wird aus der Urteilsbegründung nicht ersichtlich.158 150

BGHSt 44, S. 308, 319. BGHSt 44, S. 308, 322 ff. 152 BGHSt 44, S. 308, 323. 153 Vgl. BGHSt 44, S. 308, 322; vgl. auch Hamm, NJW 1999, S. 922. 154 Die in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO benannten Ablehnungsgründe sind fakultativ, verpflichten das Gericht also nicht zur Ablehnung des Beweisantrages, LR25-Gollwitzer, § 244 Rn. 208; Toepel, S. 385 in Fn. 110. 155 BGHSt 44, S. 308, 319. Siehe oben 2. Kapitel C. II. 1. a) zur Begründung des BGH. Es wird im Übrigen nicht erläutert, was die Kriterien für die Zuordnung zu diesen „maßgeblichen Fachkreisen“ sind. 156 Vgl. oben 2. Kapitel B. I. 157 BGHSt 5, S. 332, 336. 158 Womöglich hat der BGH für die Begründung einer „Beweisbedeutung“ (S. 322) einen höheren Maßstab angelegt als für die bloß „indizielle Bedeutung“. Wenn dies zutrifft, wird jedenfalls nicht erläutert, weshalb dies im Rahmen des § 244 StPO eine Rolle spielen sollte, wo nur die völlige Ungeeignetheit in Rede steht. 151

E. Analyse des BGH-Urteils

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Die wenigen Aussagen der Rechtsprechung zu der Frage, wann ein Sachverständigenbeweis völlig ungeeignet sein kann, legen dieses Kriterium jedenfalls nicht nahe. In einer Entscheidung findet sich z. B. die Formel, dass die angewandten Untersuchungsmethoden dazu „unausgereift und nicht zuverlässig“ sein müssten.159 Selbst wenn aus Gutachten nur Schlussfolgerungen „aus dem untersten Wahrscheinlichkeitsgrad“ gezogen werden könnten, reiche dies nicht aus, das Beweismittel für völlig ungeeignet zu erachten.160 Dieser an die Geeignetheit einer Methode angelegte Maßstab ist jedoch ersichtlich weniger streng als derjenige, den der BGH in der „Lügendetektor“-Entscheidung anlegte. Aus dem auf die Geeignetheit bezogenen Maßstab ergibt sich die vom BGH geforderte allgemeine Anerkennung der Methode in der Wissenschaft jedenfalls gerade nicht – eher ist das Gegenteil richtig. Auch der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig, denn für eine Zulassung des Beweismittels (also hier des Sachverständigen, der den KFT als Hilfsmittel einsetzt) können keine besonders hohen Anforderungen gelten, wenn sie nur dann versagt werden darf, wenn das Beweismittel (und in diesem Falle somit vornehmlich die vom Sachverständigen angewandte Untersuchungsmethode) völlig ungeeignet ist. Unter anderem wegen dieses klaren Wortlauts wird in der juristischen Literatur zum Teil ein sehr enges Verständnis vom Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit vertreten. So ist Engels der Auffassung, die Untauglichkeit des Beweismittels müsse auf Basis eines „nicht falsifizierbaren Erfahrungssatzes“ feststehen.161 Danach müsste somit ausgeschlossen sein, dass ein Beweismittel über die angegebene Tatsache etwas aussagen könnte.162 Gestützt wird diese Ansicht durch die Begründung des Regierungsentwurfs zur Neufassung des § 245 Abs. 2 StPO durch Art. 1 Nr. 20 StVÄG 1979: In § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO seien nur solche Ablehnungsgründe (unter ihnen jener der „völligen Ungeeignetheit“) aufgenommen worden, „bei denen auch nur eine entfernte Beweisantizipation bzw. auch die nur ganz fernliegende Möglichkeit, daß das Beweiserbieten zu einer dem Antragsteller günstigen Folgerung führen könnte, ausgeschlossen werden kann.“163 Der BGH bewegt sich im anderen Extrem, wenn er für die in Rede stehende Methode die allgemeine Anerkennung in der Fachwelt verlangt.164 Jedenfalls ist BGH, StV 1997, S. 338, 339; vgl. auch LR25-Gollwitzer § 244 Rn. 285 m.w. N. BGH, StV 1997, S. 338 f. 161 Engels, GA 1981, S. 21, 28; ihm insoweit folgend Frister, ZStW 105 (1993), S. 340, 355 u. Grünwald, Beweisrecht, S. 98; vgl. auch Zwiehoff, S. 99: Die Tatsache einer wissenschaftlichen Kontroverse reiche nicht aus; für das Maß der „hohen Wahrscheinlichkeit“ KK5-StPO-Herdegen, § 244 Rn. 78. 162 Grünwald, Beweisrecht, S. 98. 163 Begr. BT Drs. 8/976, S. 51. 164 Interessanterweise erinnert die Formulierung des BGH an die Anforderungen, die im US-amerikanischen Strafprozess an die Zulässigkeit eines wissenschaftlichen 159 160

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

es in der Tat höchst umstritten, ob die theoretischen und methodischen Grundannahmen des KFT haltbar sind.165 Aus diesem Grund ist das Ergebnis des BGH im Rahmen der von ihm aufgestellten Anforderungen immerhin konsequent: Wo etwas umstritten ist, ist es in „den maßgebenden Fachkreisen“ eben nicht „allgemein und zweifelsfrei als richtig und eindeutig anerkannt“. Um dies festzustellen, hätte der BGH indes nicht den Aufwand betreiben müssen, vier Experten umfangreiche Gutachten erstellen zu lassen und seine Ansicht ausführlich zu begründen. Sollte der BGH indes, wenn auch unausgesprochen, die „Unausgereiftheit“ der Methode als Kriterium herangezogen haben, ergäbe die Ausführlichkeit zumindest einen Sinn, denn um die Unausgereiftheit zu belegen, hätte ein bloßer Verweis auf kritische Meinungen nicht genügt. Es mag also sein, dass der BGH seinen eigenen Maßstab, wann eine Untersuchungsmethode als völlig ungeeignet anzusehen ist, im Laufe der Urteilsbegründung „stillschweigend“ nach unten korrigierte, von der fehlenden allgemeinen Akzeptanz zur bloßen Unausgereiftheit. Für diesen Fall ist dann aber zu konstatieren, dass der BGH seine Ablehnung zu einseitig begründet,166 denn Stimmen, die die Konzeption des KFT für fundiert erachten, kommen in der Urteilsbegründung kaum zu Wort.167 Auch vor dem Hintergrund des nicht geringen Widerspruchs, welchen das Urteil gerade in diesem Punkt erfahren hat,168 scheint der Befund nicht unangemessen, dass der BGH der Vielschichtigkeit des Themas nicht vollkommen gerecht wurde – trotz des Lobes, den das Gericht von Seiten der Rechtswissenschaft für die „gut begründete“169 Entscheidung erhalten hat. In jedem Fall wäre es wünschenswerter gewesen, wenn das Gericht seinen Maßstab an § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO orientiert, ihn deutlich gekennzeichnet, dargelegt und begründet hätte.

Verfahrens als gerichtliches Beweismittel gestellt werden; siehe dazu auch unten 2. Kapitel H.; vgl. auch Stübinger, ZIS 2008, S. 538, 547. 165 Vgl. zur ablehnenden Haltung des BGH oben 2. Kapitel C. II. 1. a). 166 Was wiederum ansonsten konsequent gewesen wäre: Wenn eine Methode nur bei allgemeiner Akzeptanz zuzulassen ist, dann reicht es aus, mit den Kritikern zu argumentieren. 167 Als prominentester Vertreter sei hier Undeutsch genannt, von dem auch eines der vier Gutachten stammte, der jedoch nur ein einziges Mal im Urteil erwähnt wird; i. Ü. wird der Gutachter Steller, der sich keineswegs so vehement kritisch äußerte wie Fiedler, vom BGH bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit des KFT ebenfalls nicht berücksichtigt. Vgl. dazu die durchaus pointierte Aussage von Vehrs, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 16, 20: „[. . .] hat sich der BGH hier die Auffassung eines Gutachters zu eigen gemacht, die ansonsten von niemandem geteilt wird.“; vgl. auch Dettenborn, FPR 2003, S. 559, 561: „Er [der BGH] ist dabei dem Gutachter Fiedler aufgesessen.“ 168 Undeutsch, PsychR 2003, S. 115 f.; Dettenborn, FPR 2003, S. 559, 561; Offe/ Offe, PraxRPsych 11 (2001), S. 5, 6 ff.; dies., MschrKrim 87 (2004), S. 86; i. E. auch Fabian/Stadler, Kriminalistik 2000, S. 607, 609. 169 Hamm, NJW 1999, S. 922.

E. Analyse des BGH-Urteils

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Eine weitergehende Befassung mit dem richtigen Maßstab bei der Beurteilung von Grundannahme und Methode des KFT ist im Rahmen dieser Arbeit nicht angezeigt. Zum einen betreffen die Konzeption und die Funktionsfähigkeit des KFT schwierige und komplexe Fragen der Psychophysiologie.170 Zum anderen war für das Gericht die Frage nach Eignung oder Nichteignung des KFT mit der Beurteilung seiner Grundannahme und Funktionsweise noch nicht endgültig beantwortet.

170 Siehe dazu eingehend z. B. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 310 ff.; Offe/Offe, PraxRPsych 11 (2001), S. 5, 6 ff.; dies., MschrKrim 87 (2004), S. 86 ff.; Dahle, PsychR 2003, S. 103 ff.; Fiedler, PsychR 2003, S. 112 ff.; Rill, S. 14 ff. zur Funktionsweise des KFT sowie S. 20 ff. zur Kritik am KFT. – Auf einen kritikwürdigen Punkt sei jedoch auch hier exemplarisch näher eingegangen: Der BGH ging wohl zu Unrecht von der Annahme aus, die Furcht vor Entdeckung bzw. die Furcht vor ihren negativen Konsequenzen sei notwendige Voraussetzung für die Wirkungsweise des KFT (siehe BGHSt 44, S. 308, 320: „Furcht vor Bestrafung“). So antwortet etwa Undeutsch in dem Fragenkatalog des BGH, dass für das Funktionieren des Testverfahrens nicht sichergestellt sein müsse, dass die gemessenen physiologischen Variablen gerade auf der „Furcht vor Entdeckung“ beruhten, denn entscheidend sei allein, dass die eine Kategorie von Fragen von größerer personaler Bedeutsamkeit sei als die andere (Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 113 [Antwort auf Frage 7 des BGH-Fragenkatalogs]). Tatsächlich wären die hohen Trefferquoten in den verschiedenen Analogstudien nicht zu erklären, wenn das Anwendungsprinzip des Testverfahrens allein auf der Furcht vor Entdeckung beruhte (a. a. O. [Antwort auf Frage 6 des BGHFragenkatalogs]). Steller ist ebenfalls der Ansicht, dass die Furcht vor Entdeckung zwar eine wichtige Komponente für das Entstehen der physiologischen Reaktionen sein könne, jedoch keine notwendige Voraussetzung dafür sei (Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 194 [Antwort auf Frage 6 des BGH-Fragenkatalogs]). Dies gelte ebenso für das Kriterium der Erwartung negativer Sanktionen: Auch die Angst vor Strafe könne die Täuschungsmotivation erhöhen und daher ein wichtiger Faktor für das Auftreten unterschiedlicher physiologischer Reaktionen sein; notwendig sei aber auch die Furcht vor Strafe dazu nicht, die unterschiedlichen Reaktionen könnten vielmehr auch ohne Täuschungsmotivation und sogar ohne Wissen der Testperson entstehen (Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 195 [Antwort auf Frage 8 des BGH-Fragenkatalogs]; ebenso Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 114 f. [Antwort auf Frage 8 des BGH-Fragenkatalogs]). Vor diesem Hintergrund muss somit erstaunen, dass für den BGH die Überlegung, auch andere Gründe als die „Furcht vor Bestrafung“ könnten ursächlich sein für differentielle Körperreaktionen auf die Kontroll- und die tatbezogenen Fragen, ein gewichtiges Argument gegen den KFT war, weil auch der zu Unrecht Beschuldigte die Konsequenzen eines für ihn negativen Testergebnisses in gleichem oder noch stärkerem Maße fürchten könne (BGHSt 44, S. 308, 320). Denn Undeutsch und Steller behaupten eben keineswegs, dass die Furcht vor Bestrafung von entscheidender Bedeutung oder gar der entscheidende Faktor für die Wirkungsweise des KFT sei. Abgesehen davon, dass der BGH hier ohnehin die Faktoren „Furcht vor Entdeckung“ und „Furcht vor negativen Konsequenzen“ nicht auseinander zu halten scheint: Das Gericht negiert das Vorliegen von Voraussetzungen, die überhaupt nicht aufgestellt werden. Es geht nicht notwendig um Furcht, sondern allgemein um Unterschiede in der subjektiven Bedeutsamkeit: Nach dem oben Gesagten kann für diese die Furcht vor Entdeckung/Strafe ein (verstärkender) Faktor sein, notwendige Bedingung ist sie aber nicht.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

2. Indizwert der Ergebnisse eines KFT Denn eine – auch und gerade für den BGH171 – von der soeben angestellten Betrachtung zu trennende und für das Problem der Geeignetheit nach § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO letztlich allein entscheidende Frage ist es, ob dem KFT wenigstens ein Indizwert zukommt. Mit den Worten des BGH: „Einen gewissen indiziellen Beweiswert“ könnte das Kontrollfragenverfahren nur haben, „wenn eine hinreichend breite Datenbasis172 belegen würde, daß – warum auch immer – bestimmte gemessene Körperreaktionen mit einem Verhalten (hier: wahre oder unwahre Äußerung) in hohem Maße zusammenhängen.“173 Mit dem Einschub „warum auch immer“ macht der BGH deutlich, dass er trotz der theoretischen Zweifel an der Methode des KFT die Ergebnisse der Studien akzeptiert hätte, so sie für ihn denn einen Aussagewert gehabt hätten. Für den BGH begegnen die Trefferquoten „von 70 bis 90 Prozent“ jedoch „so tiefgreifenden Bedenken“, dass selbst eine minimale indizielle Bedeutung nicht gegeben sei.174 Es sei klargestellt, dass der BGH keineswegs fordert, der KFT müsse eine besonders hohe Zuverlässigkeit aufweisen.175 Denn dem BGH sind die genannten Trefferquoten nicht etwa zu gering,176 sondern er lehnt jeden Erkenntniswert dieser Ergebnisse kategorisch ab.177 Das Gericht hätte dem KFT durchaus einen Indizwert zugestanden, wenn ihn hinsichtlich der Ergebnisse der Studien solch „tiefgreifende Bedenken“ nicht befallen hätten. An diesem Punkt ist der vom BGH angenommene Maßstab ein solcher, den § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO tatsächlich nahe legt: Der KFT kann nur dann völlig ungeeignet sein, wenn bei 171

Vgl. oben 2. Kapitel C. II. 1. Unter „Datenbasis“ versteht der BGH die in den verschiedenen Studien zum KFT ermittelten „Trefferquoten“. 173 BGHSt 44, S. 308, 322. 174 BGHSt 44, S. 308, 323. 175 Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Forderung als verfehlt, wenigstens unter dem Gesichtspunkt des in-dubio-pro-reo-Grundsatzes oder des Prinzips der Waffengleichheit müsse der Test zur Entlastung des Beschuldigten zugelassen werden (Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 918). Denn zur Erschütterung der gegen den Beschuldigten vorliegenden Beweise eignete sich der Polygraphentest eben nur, wenn man ihm überhaupt eine Aussagekraft zubilligte. Die genannten Grundsätze können die völlige Nicht-Eignung des Tests, so man diese annimmt, nicht überdecken; sie werden erst relevant, sobald man dem Verfahren einen (gewissen) Indizwert zubilligt; vgl. dazu auch Amelung, JR 1999, S. 382, 383; Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer 2002, S. 42, 43 f. Ob womöglich bei der Beurteilung des KFT als völlig unzuverlässig, also einen Gedankenschritt zuvor, die von Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 917, vermutete „in-dubio-contra-reo“ (richtig: in-dubio-contra-reum)-Haltung ein Leitmotiv gewesen sein kann, ist eine andere Frage. 176 Wie noch dem BVerfG-Vorprüfungsausschuss, dem auch eine angenommene Trefferquote von 90 Prozent kaum ausreichte, siehe oben 2. Kapitel B. II. 177 Dies eben verkennt Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 917. 172

E. Analyse des BGH-Urteils

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seiner Anwendung nicht einmal Schlussfolgerungen „aus dem untersten Wahrscheinlichkeitsgrad“178 gezogen werden können. Das ist in der Tat nur dann der Fall, wenn jegliche Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse negiert wird. Ob man dem KFT zumindest einen Indizwert beimessen kann, und sei dieser noch so „minimal“, hängt also allein davon ab, ob der Erkenntniswert eines KFT größer ist „als der Blick in eine Kristallkugel“179. a) Analogstudien Gestützt auf das Gutachten Fiedlers, vertritt der BGH mit knappen Worten die Ansicht, dass die Ergebnisse, die in Analogstudien (Simulationsstudien) erzielt wurden, keinen Schluss auf die Zuverlässigkeit des Verfahrens zuließen.180 Analogstudien werden im Labor durchgeführt und verlaufen üblicherweise so, dass die Probanden eine Scheintat („mock crime“) begehen und diese „Tat“ im Folgenden abstreiten müssen.181 Gegenüber echten Kriminalfällen haben Analogstudien den Vorteil, dass der Prüfer die Bedingungen kontrollieren und Variablen ändern kann; außerdem ist bekannt, welcher der Probanden die Wahrheit sagt und welcher lügt.182 Die Ergebnisse können also anhand objektiver Kriterien überprüft werden. Nach Ansicht des BGH sei jedoch nicht gewährleistet, dass die jeweils konstruierte Testanordnung eine mit der Wirklichkeit vergleichbare Situation schaffe.183 Anders gewendet: Ergebnisse von Studien, die im Labor durchgeführt wurden, seien zu realitätsfern, als dass sie Schlüsse auf die (strafrechtliche) Praxis zuließen – womit der BGH das in der Psychologie so genannte Problem der „ökologischen Validität“ anspricht.184 An dieser Stelle macht sich der BGH die Begründung allerdings zu einfach. Das Problem der Realitätsferne stellt sich natürlich bei allen Analogstudien und 178

Vgl. noch einmal BGH, StV 1997, S. 338, 339. Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer 2002, S. 42, 44. 180 BGHSt 44, S. 308, 323. 181 Steller, Aussagebeurteilung, S. 38, versteht Analogstudien in Abgrenzung zu anderen Laborexperimenten, bei denen nicht mit „Scheinverbrechen“ operiert wird und die in ihrer Durchführung nicht weitgehend realen Untersuchungen entsprechen. Mit den Laborstudien sollen vielmehr verheimlichte Kenntnisse (z. B. über Spielkarten, ausgedachte Zahlen oder autobiographische Daten) des Probanden aufgedeckt werden; wegen ihrer Realitätsferne eignen sich diese Experimente in erster Linie zur Grundlagenforschung und zur Theorienbildung, vgl. Rill, S. 7; Steller, Aussagebeurteilung, S. 38. 182 Vgl. Honts, in: Detection of Deception, S. 103, 108. 183 BGHSt 44, S. 308, 323. 184 Vgl. dazu etwa Rill, S. 73 ff. 179

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

ist ein altbekanntes Problem in der Psychodiagnostik. Der BGH übersieht, dass nicht entscheidend ist, dass das Experiment die gesamte Realität genau abbildet, sondern dass vielmehr (nur) die psychologischen Einflussgrößen rekonstruiert werden müssen, die in der Realität von Bedeutung sind.185 Die Studien müssen also in den entscheidenden Punkten realitätsnah sein. Dazu ist unter anderem erforderlich, dass die Probanden nicht nur etwa aus dem Kreis von Studenten rekrutiert, sondern repräsentativ ausgewählt werden. Ein entscheidender Faktor für die Herstellung der Realitätsnähe ist die Motivation der Probanden.186 Meist wird versucht, diese durch Belohnungen zu erhöhen (wie der Zahlung eines Geldbetrages für die Probanden, die erfolgreich täuschen), möglich ist aber auch, den Probanden negative Konsequenzen anzudrohen für den Fall ihres „Versagens“.187 Bisweilen wird auch an den Selbstwert appelliert, indem den Probanden gesagt wird, nur sehr intelligente und emotional stabile Personen könnten den Test bestehen.188 Diese Art der Motivation kommt der Realität noch näher, denn auch der wirklich Beschuldigte möchte negative Folgen vermeiden, im gravierendsten Fall eine Freiheitsstrafe.189 Honts berichtet über elf „hochwertige“ KFT-Studien, die diese erhöhten Anforderungen an die Realitätsnähe der Studien erfüllen. In ihnen ergaben sich im Durchschnitt Trefferquoten von 90 Prozent für das Erkennen der „Täter“ wie der Nicht-„Täter“.190 b) Feldstudien Das Problem der Übertragbarkeit von Laborversuchen auf die Realität existiert – auch für den BGH – bei Feldstudien naturgemäß gerade nicht. In Feldstudien wird die Treffsicherheit einer bestimmten Methode anhand von Tests überprüft, die im Rahmen realer Fälle durchgeführt wurden. Doch auch hier hat der BGH „durchgreifende Bedenken“. Das Hauptproblem der Feldstudien be185

Dettenborn, FPR 2003, S. 559, 562; Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5,

13. 186 Siehe Steller, Aussagebeurteilung, S. 61; diesen Umstand verkennt z. B. Hamm, NJW 1999, S. 922, wenn er die Ergebnisse der Analogstudien einzig mit dem Argument verwirft, dort hätten die Probanden ein „durchgehend vorhandenes gutes Gewissen.“ Neben dem „Gewissen“ ist für die physiologische Reaktion u. a. entscheidend, welche Konsequenzen die eigene Antwort nach sich zieht. Zudem wären die hohen Trefferquoten umso erstaunlicher, wenn das „schlechte Gewissen“ der einzige Auslöser der Reaktionen wäre, denn womit wären die erhöhten Körperreaktionen dann zu erklären? 187 Bereits 1959 hat Lykken den Probanden unangenehme Elektroschocks verabreicht, Lykken, Journal of Applied Psychology 43 (1959), S. 385, 386 f. 188 Rill, S. 70 m. Nachw. 189 Jager/Schmidt/Scholz, MschrKrim 83 (2000), S. 210, 216 m.w. N. 190 Honts, in: Detection of Deception, S. 103, 108 f.

E. Analyse des BGH-Urteils

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steht darin, dass es in den meisten Fällen an zuverlässigen Außenkriterien für die Frage nach der wahren Täterschaft fehlt:191 Solange die Wahrheit nicht feststeht, bleibt die Beurteilung der Testergebnisse schwierig. Als Außenkriterien kommen in erster Linie Geständnisse in Betracht, aber auch Gerichtsentscheidungen oder Urteile von Expertengruppen, die ausschließlich für die Untersuchung zusammengestellt wurden.192 Richtig ist, dass Geständnisse falsch sein können. Jedoch entwertet diese Erkenntnis die Feldstudien nicht vollständig, denn Geständnisse werden sich kaum gleichmäßig auf Täter und Unschuldige verteilen.193 Auch der BGH räumt ein, dass Geständnisse zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Wahrhaftigkeit bieten könnten.194 Letztlich erachtet der BGH die Feldstudien jedoch für statistisch wertlos,195 da die in Feldstudien verwendeten Außenkriterien nicht unabhängig vom Ergebnis des zuvor vorgenommenen Polygraphentests gesetzt würden, sondern vielmehr möglicherweise durch diesen (mit-)bedingt seien. Außerdem sei zu beachten, dass insbesondere in den USA, in denen beinahe alle mitgeteilten Feldstudien durchgeführt wurden, die Gerichtsurteile häufig vom „plea bargaining“ abhängen, also vom Aushandeln des Ergebnisses zwischen den Parteien. Auch hier stellt der BGH zu hohe Anforderungen: Fehlende objektive Außenkriterien sind in der Psychodiagnostik nichts Ungewohntes.196 Vor allem aber ist es durch eine Optimierung der Anforderungen an die Außenkriterien möglich, (doch) zu statistisch aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Seit etwa 1988 sind die Bedingungen z.T. wesentlich strenger geworden, die erfüllt sein müssen, damit von „nachträglich erwiesener Täterschaft“ bzw. „Nicht-Täterschaft“ gesprochen werden kann.197 Für „Täterschaft“ wurde etwa verlangt, dass ein vollständiges Geständnis vorliegt, das durch nachträglich gewonnene eindeutige Sachbeweise bestätigt ist. Für „Unschuld“ war erforderlich, dass der Beschuldigte die Begehung der Straftat konsequent bestreitet, und vor allem, dass ein anderer später die Tat gestanden hat und dies durch wiederum eindeutige Sachbeweise bestätigt wurde.198 Dadurch wird gerade die vom BGH vermisste Unabhängigkeit der Außenkriterien vom Testergebnis erreicht. Undeutsch und Honts 191

Vgl. BGHSt 44, S. 308, 325. Siehe nur Steller, Aussagebeurteilung, S. 29. 193 Vgl. Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5, 10. 194 BGHSt 44, S. 308, 325. 195 BGHSt 44, S. 308, 326. 196 Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5, 10, mit dem Verweis auf Intelligenztests. 197 Undeutsch, PsychR 2003, S. 115, 116. 198 Undeutsch, PsychR 2003, S. 115, 116; vgl. auch Honts, in: Detection of Deception, S. 103, 110. 192

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

zitieren vier Studien, die diese Vorgaben angeblich erfüllen; in ihnen wurden ebenfalls Trefferquoten von etwa 90 Prozent erreicht.199 Schließlich bemängelt der BGH, dass aus solchen Studien nicht auf die Treffsicherheit des Verfahrens im Einzelfall geschlossen werden könne. Ein weiteres Mal legt der BGH dabei jedoch einen zu strengen Maßstab an den KFT an.200 Vollkommen zu Recht weisen z. B. Offe und Offe darauf hin, dass bei keinem Verfahren, das weniger als 100 Prozent Sicherheit bietet, festgestellt werden kann, ob auch im Einzelfall das richtige Ergebnis erzielt wurde.201 Die Qualität solcher Verfahren bestimmt sich eben nicht danach, ob im Einzelfall Fehlentscheidungen möglich sind oder nicht, sondern ob die Fehlerquote bei der Anwendung möglichst gering gehalten werden kann. Über diese Fehlerquoten geben aber gerade die Ergebnisse der Feldstudien Aufschluss.202 c) Zwischenfazit Bei Einhaltung der beschriebenen Standards bei der Durchführung der Untersuchungen können sowohl die Ergebnisse von Analog- als auch von Feldstudien durchaus Aussagekraft besitzen. Was die Detailbegründung der angeblich mangelnden Validität des KFT angeht, fällt ferner ins Auge, dass der BGH sich auch hier wenig mit den Argumenten auseinandersetzt, die für eine – gewisse – Geeignetheit des Kontrollfragentests sprechen. Hier jedenfalls durfte sich der BGH auch nicht mehr mit der 199 Honts, in: Detection of Deception, S. 103, 110 f., table 5.2; Undeutsch, PsychR 2003, S. 115, 116, Tabelle 1. Bei der Tabelle von Undeutsch fällt der niedrige Durchschnittswert von 49 Prozent auf, der für korrekt klassifizierte Unschuldige angegeben wird. Dafür gibt es drei Erklärungen: Erstens beruht die Zahl auf einem schlichten Rechenfehler, denn eine Nachprüfung ergibt 59 Prozent (so auch bei Honts; es handelt sich bei Undeutsch auch nicht um einen Tipp- oder Druckfehler, denn die gleiche Zahl erscheint im Lauftext). Zweitens sind in die Berechnung des Wertes die unentscheidbaren Fälle miteinbezogen; lässt man diese außen vor, erhält man einen Wert von immerhin 75 Prozent. Drittens floss eine Studie in die Berechnung mit ein, die lediglich eine Trefferquote von 30 Prozent ergab; diese Studie litt jedoch unter erheblichen methodischen Mängeln (Undeutsch, a. a. O.). 200 Wohlgemerkt hinsichtlich der Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit den Trefferquoten in den Studien überhaupt eine Relevanz zukommt, nicht was die Höhe der Trefferquoten angeht, vgl. bereits oben 2. Kapitel E. II. 2. 201 Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5, 12. 202 Offe/Offe, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 5, 12. Siehe dazu Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 127, 140, welche das Grundprinzip der individuellen Anwendung anhand von wissenschaftlichen Forschungsbefunden, die an Stichproben von Personen gewonnen werden, zwar anerkennen; sie betonen jedoch zu Recht, dass dabei der Einzelfall mit den Stichproben aus den Befunden in den relevanten Merkmalen wie Personeneigenschaften und Tatumstände möglichst gut vergleichbar sein muss: Je stärker der Einzelfall vom „Durchschnittsfall“ abweiche, desto spekulativer werde eine Anwendung des KFT in diesem Einzelfall.

E. Analyse des BGH-Urteils

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Wiedergabe der Kritikermeinungen zufrieden geben.203 Denn hinsichtlich der Beurteilung der „Datenbasis“ war sein eigener Maßstab ein ganz anderer, weit weniger anspruchsvoller, als bei der Analyse von Grundannahme und Funktionsweise des KFT.204 d) Manipulierbarkeit Schließlich sieht der BGH die Gefahr der gezielten Manipulation des KFT durch den Probanden, entweder durch körperliche (z. B. „Auf-die-Zunge-Beißen“) oder vor allem durch mentale Aktivitäten.205 Sie könnten leicht erlernt werden und seien für den Prüfer nicht erkennbar. Zunächst ist festzustellen, dass überhaupt nur ein Täter ein Interesse daran hätte, das Testergebnis zu manipulieren, denn gerade der Tatunbeteiligte, der den Test wünscht, um sich zu entlasten, möchte natürlich unverfälschte Ergebnisse erzielen. Für einen Täter wäre es darüber hinaus wichtig, den Test nicht nur unbrauchbar zu machen, sondern er müsste ihn dahingehend manipulieren, dass das Ergebnis für ihn günstig ausfällt und dass die Manipulation von dem Untersucher nicht bemerkt wird. Dazu wäre jedoch nicht nur erforderlich, dass der Täter die Verfahrenslogik kennt, sondern er muss diese auch erlernen und beherrschen. Zu diesem Zweck reicht ein selbständiges „Training“, z. B. mithilfe von Anleitungen aus dem Internet, nicht aus; vielmehr ist eine gezielte Einweisung und Einübung durch einen Sachverständigen erforderlich.206 Experimentell konnten bisher lediglich einige wenige Manipulationsversuche als erfolgreich nachgewiesen werden; bei realen Beschuldigten gelang dies mit einer Ausnahme nur hochrangigen Geheimdienstagenten.207 Drogen oder Hypnose haben zwar einen reaktionsverändernden Effekt auf den Probanden. Da sich jedoch die Reaktion auf die Tatfragen und auf die Kontrollfragen in gleicher Weise verändert, also jeweils verstärkend oder mildernd, haben diese Faktoren letztlich keinen signifikanten Einfluss auf die Untersuchung insgesamt.208 Eine Alkoholisierung kann vom Untersucher problemlos erkannt und der Proband von der Untersuchung ausgeschlossen werden.

203 204 205 206

Vgl. oben 2. Kapitel E. II. 1. Vgl. oben 2. Kapitel E. II. 2. BGHSt 44, S. 308, 327. Dettenborn, FPR 2003, S. 559, 565; Honts, in: Detection of Deception, S. 103,

117. 207

Undeutsch, PraxisRPsych 11 (1) 2001, S. 26, 33 m.w. N. Vgl. ausführlich und leicht, aber unwesentlich, einschränkend Schüssler, S. 132 ff. m.w. N. 208

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

e) Fehleranfälligkeit Die Frage, inwieweit der KFT fehleranfällig ist, fand keinen Niederschlag in der Urteilsbegründung des BGH. Sie war jedoch ein wichtiger Bestandteil des an die Gutachter gerichteten Fragenkatalogs, weshalb sie hier nicht unerwähnt bleiben soll. Von Interesse ist insbesondere, ob der KFT bei Patienten mit dissozialer Persönlichkeitsstörung („Psychopathen“, „Soziopathen“)209 angewandt werden kann, da diese womöglich auf kritische Fragen weniger furchtsam oder schuldbewusst reagieren könnten als gesunde Testpersonen. Einige Untersuchungen ergaben zwar, dass die Trefferquoten bei „Psychopathen“ geringer waren als bei der Vergleichsgruppe. Insgesamt herrscht jedoch die Ansicht vor, dass „Psychopathen“ keine nennenswerten Unterschiede in ihren psychophysiologischen Reaktionen zeigen und daher der KFT auf diese Gruppe von Probanden ebenso gut angewandt werden kann.210 Voraussetzung ist aber, wie für sämtliche Formen der Aussagebeurteilung, dass die Probanden überhaupt eine Vorstellung von Wahrheit und Schein auszubilden in der Lage sind: Wer sich der Unwahrhaftigkeit der eigenen Aussage nicht bewusst ist, dessen Organismus reagiert auch nicht stärker.211 Zweierlei entschärft diese Bedenken: Eine entsprechende psychotische Erkrankung des Beschuldigten dürfte bereits im Vorfeld von den Ermittlungspersonen erkannt werden. Und ein weiterer Teil solcher Beschuldigter dürfte spätestens von dem psychologisch geschulten Untersucher identifiziert werden.212 Dies scheint in Deutschland gewährleistet: Um als forensischer Psychophysiologe arbeiten zu können, sind erforderlich: ein Diplom in Psychologie, Qualifikation und Zertifizierung als Fachpsychologe für Rechtspsychologie und eine offiziell anerkannte Spezialausbildung auf dem Gebiet der forensischen Psychophysiologie.213 3. Fazit Man mag an Grundannahme und Methode des KFT zweifeln (so kritisch wie Fiedler, auf den sich der BGH hauptsächlich stützt, ist indes kaum ein Experte214) und Schwierigkeiten bei der Standardisierung des Tests, insbesondere

209 Eine einheitliche Definition für „Psychopathie“ besteht nicht. Als Merkmale werden jedoch häufig genannt: Impulsivität, mangelnde Selbstkontrolle, mangelnde Empathiefähigkeit, Mangel an sozialer Verantwortung, Mangel an Einsicht und Mangel an Furcht-, Reue- und Schuldgefühlen, vgl. z. B. Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10-WHO 2006), Kap. V F60.2. 210 Vgl. Steller, Aussagebeurteilung, S. 73 m.w. N. 211 A. A. Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 117. 212 Vgl. Schüssler, S. 129. 213 Undeutsch, PraxRPsych 11 (2001), S. 26, 30; siehe auch Schüssler, S. 180.

E. Analyse des BGH-Urteils

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bei der Fragenauswahl anerkennen.215 Bei allen einzuräumenden Problemen216 können jedoch die Ergebnisse der zahlreichen Analog- und Feldstudien, die bis auf wenige Ausnahmen stets, und teilweise auch beträchtlich, über den Zufallsraten lagen,217 nicht vollständig ignoriert werden. Der KFT scheint zwar zumindest theoretisch manipulierbar zu sein. Jedoch bedürfte es dazu mindestens der intensiven Unterweisung durch Sachverständige. Das wäre einerseits standeswidrig,218 andererseits gibt es bei einigen Manipulationen die Möglichkeit der Entlarvung, z. B. durch die aufkommenden computergestützten Auswertungsmethoden.219 Die Fehleranfälligkeit ist mithin nicht so hoch, als dass mit ihr der KFT grundlegend in Zweifel gezogen werden könnte. Der BGH beschäftigt sich allerdings erst gar nicht mit den Ergebnissen der Analogstudien, sondern negiert die Signifikanz dieser Studien mit dem knapp dargelegten Argument der Realitätsferne. Das Gericht unternimmt nicht einmal den Versuch, die Ergebnisse anders zu erklären als mit der immerhin plausiblen These, dass die Tatfragen für den Probanden von anderer Bedeutsamkeit sind als die Vergleichsfragen. Gerade die Ergebnisse der Analogstudien hätten dem BGH weitere Überlegungen wert sein müssen, denn bei ihnen entfallen mögliche andere Gründe für die unterschiedliche Reaktion wie z. B. die Angst vor Arbeitsplatzverlust.220 Vielmehr könnten gerade die Analogstudien immerhin als Beleg dafür angesehen werden, dass die Grundannahme des KFT richtig ist, dass also die unterschiedliche Bedeutsamkeit von Vergleichsfragen und tatbezogenen Fragen regelmäßig hergestellt ist.221

214 Vgl. noch einmal Vehrs, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 16, 20: „[. . .] hat sich der BGH hier die Auffassung eines Gutachters zu eigen gemacht, die ansonsten von niemandem geteilt wird.“ 215 Vgl. aber die Studie von Offe/Offe, MschrKrim 87 (2004), S. 86 ff., die ergab, dass die Variierung der Durchführungsbedingungen (Begründung der Vergleichsfragen sowie deren Erörterung zwischen den einzelnen Testdurchgängen) kaum Einfluss auf das Ergebnis hatte. Überhaupt muss gegen das Argument der mangelnden Standardisierbarkeit eingewandt werden, dass in allen anderen üblichen psychodiagnostischen Verfahren wie Schuldfähigkeits- oder Glaubwürdigkeitsgutachten die im Gespräch mit dem Untersuchten gewonnenen Informationen ebenfalls wesentlich sind für das Untersuchungsergebnis. Solche Gespräche sind aber prinzipiell nicht standardisierbar (vgl. Offe/Offe, MschrKrim 87 (2004), S. 86, 88 f.). 216 Siehe zusammenfassend Rill, S. 78 f. 217 Siehe nochmals die umfangreiche Darstellung bei Schüssler, S. 106 ff. 218 Zudem ist der Kreis der Experten in Deutschland klein, vgl. Vehrs, PraxisRPsych 11 (1) (2001), S. 16 f. 219 Honts, in: Detection of Deception, S. 103, 118; siehe zur computergestützten Auswertung erläuternd Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 127, 151 ff. 220 Vgl. BGHSt 44, S. 308, 320. 221 Offe/Offe, MschrKrim 87 (2004), S. 86, 88; vgl. dazu auch oben 2. Kapitel A. I.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Den in Feldversuchen erzielten Trefferquoten hingegen durfte spätestens seit der Verschärfung der Anforderungen an die Außenkriterien jedenfalls nicht mehr jede Aussagekraft verwehrt werden. Noch einmal sei daran erinnert, dass die Zuverlässigkeit222 der Methode nicht hoch sein muss, damit die Methode als (zur Not „gerade noch“) geeignet i. S. d. § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO anerkannt werden kann – selbst in den Augen des BGH reicht dazu schließlich ein „minimaler“ Indizwert aus. Unter seiner eigenen Prämisse, dass der KFT nunmehr keinen verfassungsrechtlichen Bedenken mehr unterliege, durfte der BGH den Test also nicht aus dem Hauptverfahren verbannen, denn ein gewisser Indizwert kommt dem intensiv überprüften KFT durchaus zu. Er ist jedenfalls nicht völlig ungeeignet.223 Wie stark dieser Indizwert ist und wie er sich im Verhältnis zu den anderen be- und entlastenden Beweisen und Indizien jeweils auswirkt, ist eine davon vollständig zu trennende Frage, die der Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung, § 261 StPO, bei der Beurteilung des Sachverständigengutachtens zu beantworten hätte. Insbesondere unter Hinweis auf die skizzierten mannigfaltigen Schwächen des KFT und der begründeten Zweifel an der Stärke des Indizwertes wäre es dem Tatgericht problemlos möglich gewesen, den Test zuzulassen, die Testergebnisse angesichts der sonstigen Beweislage aber für nicht ausreichend zu erachten, um den Tatverdacht gegen den Angeklagten zu entkräften. Es stellt sich ferner die Frage, ob das Urteil angesichts der ungeklärten Stärke der Indizwirkung rechtspolitisch überhaupt zu tadeln ist. Die Zulassung des Polygraphentests hätte wahrscheinlich einen hohen Aufwand nach sich gezogen bei einem jedoch womöglich nur geringen Nutzen für den Angeklagten. Vor diesem Hintergrund erscheint das Urteil im Ergebnis als nicht einmal unverständlich, da die Schwierigkeiten, die sich im Spannungsfeld zwischen allfälligem geringem Beweiswert und der Konfrontation mit einem technischen Gerät einstellen, dem Richter vorerst erspart bleiben – was aber nichts daran ändert, dass das Urteil bei einer Orientierung an § 244 StPO anders hätte ausfallen müssen. Man kann nur darüber spekulieren, ob der BGH letztlich nicht ergebnisorientiert argumentierte. Diese Vermutung drängt sich zumindest auf, angesichts des akribischen Versuchs, dem KFT auf allen Argumentationsebenen jegliche Taug222 In der Disziplin der Psychodiagnostik wird unter Zuverlässigkeit (Reliabilität) nur eine der Grundanforderungen an ein Testverfahren verstanden, nämlich letztlich die intrapersonelle Reproduzierbarkeit der Ergebnisse, also inwieweit wiederholte Untersuchungen mit den gleichen Probanden unter äquivalenten Bedingungen dieselben Befunde ergeben (vgl. Rill, S. 21 f.; siehe bereits oben Fn. 43). Im Rahmen der vorliegenden Abhandlung wird der Begriff allerdings in seiner Alltagsbedeutung gebraucht, also im Sinne allgemeiner Tauglichkeit. 223 Stark zweifelnd an der Richtigkeit des BGH-Ergebnisses auch HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 906.

E. Analyse des BGH-Urteils

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lichkeit abzusprechen,224 sowie der offenkundigen Einseitigkeit, mit der der BGH die Gutachten der Sachverständigen bewertet hat.225 Die Vermutung verstärkt sich, betrachtet man die hohen Anforderungen, die der BGH an Grundannahme und Funktionsweise des KFT und vor allem an die Validität der nunmehr dutzendfach vorliegenden Studien stellt. Zwar verlangt der BGH keine höheren Trefferquoten als bei anderen im Strafverfahren eingesetzten psychologischen Verfahren,226 er stellt jedoch für die einzelnen Teilaspekte jeweils Anforderungen auf, die andere Verfahren ebenfalls kaum erfüllen dürften.227 In diesem Zusammenhang ist auch auf das Urteil zu aussagepsychologischen Begutachtungen (von Zeugenaussagen) aus dem Jahr 1999 hinzuweisen, in dem ebenfalls der 1. Strafsenat des BGH zu entscheiden hatte, ob die Vorinstanz den Antrag der Verteidigung auf Einholung eines weiteren psychologischen Sachverständigengutachtens zu Recht nach § 244 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz abgelehnt hatte.228 In dem Urteil legte der BGH wissenschaftliche Anforderungen an ein aussagepsychologisches Gutachten fest, insbesondere hegte er dabei aber keine grundsätzlichen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Verfahrens. Dem BGH genügten Trefferquoten, die „regelmäßig deutlich über dem Zufallsniveau“ liegen.229 Diese in Feld- und Analogstudien erzielten Ergebnisse lagen mit durchschnittlich ca. 70 Prozent230 allerdings unter den Trefferquoten, die bei Studien mit dem Kontrollfragentest erzielt wurden. Darüber hinaus basieren die Ergebnisse auf einer weit geringeren Anzahl von Studien. Insgesamt sind aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtungen wissenschaftlich „nicht annähernd“ so gründlich untersucht wie psychophysiologische Verfahren.231 Weshalb nun hier den vorliegenden Studien ein verlässlicher Erkenntniswert zugeschrieben wird, obwohl deren Aussagekraft exakt den gleichen Bedenken232 ausgesetzt ist 224

Vgl. dazu ausführlich Groth, S. 117 ff. Dies lässt sich bereits daran ablesen, dass sich der BGH im Wege der Begründung der mangelnden Tauglichkeit des KFT sechs Mal auf den Gutachter Fiedler stützt, einen bekannten Gegner des KFT. Undeutsch, als Befürworter des KFT, wird dort lediglich einmal zitiert und dies auch nur als Quelle für die „70 bis 90 Prozent“ Trefferquote; von seinen Argumenten in der Sache findet sich im Urteil nichts. 226 Siehe oben 2. Kapitel E. II. 2. und Fn. 175. 227 Vgl. Schüssler, JR 2003, S. 188, 190 f., zu den teilweise niedrigen Werten für die Zuverlässigkeit anderer Beweismittel und Untersuchungsmethoden: z. B. für psychiatrische Schuldfähigkeitsgutachten und für die sehr unsicheren projektiven psychologischen Untersuchungsverfahren (z. B. Rorschach-Test), die jedoch hauptsächlich in der Strafvollstreckung angewandt werden und nicht zur Schuldermittlung. Vgl. auch Dettenborn, FPR 2003, S. 559, 562 m.w. N. 228 BGHSt 45, S. 164 ff. 229 BGHSt 45, S. 164, 171. 230 Schüssler, S. 148 f., m.w. N. Zu höheren Werten gelangen allerdings in einer neueren Studie Gödert/Rill/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 273, 283. 231 Steller, Aussagebeurteilung, S. 166 m.w. N. 232 Nämlich die Realitätsferne bei Analogstudien und das Fehlen zuverlässiger Außenkriterien bei Feldstudien, vgl. 2. Kapitel E. II. 2. a) u. 2. Kapitel E. II. 2. b). 225

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

wie die Studien zur Eignung des KFT, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber stellte der BGH an die Ergebnisse der Validitätsstudien deshalb geringere Anforderungen, weil er Grundannahme und Methode aussagepsychologischer Begutachtungen für anerkannt erachtet233 – anders als im Fall des KFT. Dabei ist jedoch einerseits zu bedenken, dass auch der Glaubhaftigkeitsbegutachtung mit Methoden der Aussagepsychologie zum Teil mit großer Skepsis begegnet wird.234 Zum anderen ist beachtlich, dass der BGH selbst ausdrücklich einräumt, dass die für die inhaltliche235 Analyse entscheidenden so genannten Realkennzeichen236 nicht geeignet sind, zwischen einer wahren und einer suggerierten Aussage zu unterscheiden.237 Im Falle des KFT hatte die Annahme, dass es auch andere Ursachen für die unterschiedliche Bedeutsamkeit von tatbezogenen Fragen und Vergleichsfragen gebe (Angst vor 233 Dies übersieht Schüssler, S. 149, der sich die unterschiedliche Bewertung des KFT einerseits und der aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsbegutachtung andererseits durch den BGH nur damit erklären kann, dass es bei dem einen um die Untersuchung von Beschuldigten geht und bei der anderen um die Begutachtung von Zeugenaussagen. Dieser Erklärungsansatz findet in den beiden Urteilsbegründungen allerdings keinerlei Stütze; die o. g. Vermutung hingegen, nach welcher der Grund für die unterschiedliche Beurteilung darin zu suchen ist, dass der BGH im Gegensatz zum KFT von den theoretischen Grundlagen des aussagepsychologischen Ansatzes überzeugt ist, kann sich auf die Anforderungen berufen, die der BGH in BGHSt 44, S. 308, 319 ff. an ein nicht völlig ungeeignetes Beweismittel i. S. d. § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO stellt. 234 So hat eine Metaanalyse aus dem Jahr 2005, die 37 Einzelstudien umfasste, zwar Trefferquoten von 65 bis 90 Prozent ergeben, siehe Vrij, Psychology, Public Policy, and Law 11 (2005), S. 3, 23 (genau genommen betrafen die untersuchten Studien die Glaubhaftigkeitsbegutachtung durch Analyse des Inhalts der Aussage, vgl. sogleich Fn. 235). Gleichwohl plädiert Vrij dafür, die aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung nicht in Strafprozessen zuzulassen, da sie nicht zuverlässig genug sei; in den Ländern, in denen sie bereits zugelassen ist (siehe dazu Köhnken, in: Detection of Deception, S. 41, 60), sollten die Sachverständigen das Gericht dann zumindest über die Probleme und Beschränkungen des Verfahrens aufklären; außerdem sollte jede Aussage von mehr als einem Sachverständigen begutachtet werden, Vrij, a. a. O., S. 34. Siehe i. Ü. kritisch bezüglich Theorie sowie Reliabilität und Validität (siehe zu diesen Begriffen die Erläuterungen in Fn. 43 u. 222) dieses Untersuchungsverfahrens Schüssler, S. 146 ff., jeweils m.w. N. 235 Neben der Möglichkeit, die Glaubhaftigkeit einer Aussage durch eine Inhaltsanalyse zu beurteilen, können diesbezüglich Erkenntnisse auch aus einer Konstanzanalyse (siehe BGHSt 45, S. 164, 172), aus der Feststellung der Aussagegenese (siehe BGHSt 45, S. 164, 173 f.) oder der Analyse der Aussagemotivation (siehe BGHSt 45, S. 164, 175) gewonnen werden; siehe zu den einzelnen Kriterien und insgesamt zu der Glaubhaftigkeitsbeurteilung die detaillierte Darstellung bei Eisenberg, Rn. 1428 ff. m.w. N. 236 Realkennzeichen sind aussageimmanente Merkmale wie logische Konsistenz, Detailreichtum, Schilderung ausgefallener Einzelheiten etc., vgl. BGHSt 45, S. 164, 170. Insgesamt 19 Realkennzeichen werden im Rahmen der Begutachtung überprüft, vgl. Gödert/Rill/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 273, 274 f.; siehe ausführlich zu der nur mangelhaft gesicherten Validität der meisten Einzelkriterien Gödert, S. 21 ff. 237 BGHSt 45, S. 164, 171 f.

E. Analyse des BGH-Urteils

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dem Arbeitsplatz etc.), den BGH noch dazu bewogen, darin einen fundamentalen Mangel zu erkennen.238 Der BGH tat die Kritik, dass auch die Beweiseignung anderer strafprozessualer Verfahren zumindest bestritten sei, mit dem kurzen Hinweis ab, dies spreche jedenfalls nicht für den KFT.239 Dem ist an sich zuzustimmen. Die Konsequenz müsste aber sein, dass für jene Verfahren, so sie einmal auf den Prüfstand kommen, die gleichen Anforderungen gelten wie für den KFT. Die Folge wäre womöglich, dass „jedweder Gutachterbetrieb eingestellt werden müsste“ 240. Der Vergleich mit anderen Verfahren ist demnach zwar kein Grund für die Senkung der Anforderungen an die Beweiseignung, taugt jedoch mindestens als Indiz dafür, dass hinsichtlich verschiedener Untersuchungsverfahren mit zweierlei Maß gemessen wird, was diese Anforderungen betrifft.241 Schließlich sind Mutmaßungen darüber erlaubt, ob für den BGH darüber hinaus die „Furcht vor der Apparatur“242 in diese Richtung motivbildend war. Gänzlich unwahrscheinlich ist es nicht, dass bei der Richterschaft ein gewisses Unbehagen vor der „Mechanisierung, der Zwischenschaltung der Maschine als solcher“243 besteht, gekoppelt mit der Vorstellung, ihrer „ureigensten Aufgabe“ der Glaubhaftigkeitsbeurteilung beraubt zu werden.244 Womöglich fürchtet man, dass den mitgeteilten Trefferquoten eine starke persuasive Kraft innewohnt, dass man ihnen also gleichsam ausgeliefert wäre, weil man über sie den freien Blick auf die Beweislage verlöre.245 Dabei würde jedoch übersehen, dass es nicht die Maschine ist, die über verborgene psychische Prozesse urteilt, sondern dass es 238 BGHSt 44, S. 308, 320. Zwar wird vom BGH vorausgesetzt, dass mögliche Suggestionen (neben weiteren Fehlerquellen, vgl. Schoreit, StV 2004, S. 284, 285) im Vorfeld durch Rekapitulation der Vorgeschichte und der Entstehung der Aussage entdeckt werden. Dies wird jedoch erstens nicht immer gelingen und zweitens befindet man sich dann im Bereich höchst individualisierter Untersuchungsmethoden – diesen Umstand hatte der BGH noch gegen den KFT verwandt [mangelnde Standardisierbarkeit, vgl. oben 2. Kapitel C. II. 1. a)]. – Auch in der psychologischen Fachliteratur wird bisweilen konstatiert, es habe den „Anschein“, als ob an die inhaltsorientierte Glaubhaftigkeitsbeurteilung einerseits und die psychophysiologische andererseits „nicht die gleichen Gütemaßstäbe angelegt“ würden, siehe Gödert, S. 80. 239 BGHSt 44, S. 308, 319. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass der BGH dieses Argument nicht stringent weiterverfolgt: An anderer Stelle nimmt der BGH den Vergleich mit – zulässigen – Untersuchungsmethoden gerade als Beleg dafür, eine Menschenwürdeverletzung durch einen Polygraphentest zu verneinen, BGHSt 44, S. 308, 316, vgl. auch oben 2. Kapitel C. I. 1. 240 Dettenborn, FPR 2003, S. 559, 565. 241 Vgl. Schüssler, S. 189. 242 L. Schneider, S. 144. 243 Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351. 244 Vgl. dazu Dettenborn, FPR 2003, S. 559, 565 f. Vgl. zu diesem Aspekt aus beweisantragsrechtlicher Perspektive unten 4. Kap., Fn. 14. 245 Ähnlich der Pennsylvania Supreme Court in Com. v. Smith, 468 Pa. 375, 377– 378 (1976): „Die dem Polygraphentest immanente Gefahr stammt von der die Benut-

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

sich bei dem Polygraphentest vielmehr um eine Untersuchungsmethode des Sachverständigen handelt, mit deren Hilfe er ein Wahrscheinlichkeitsurteil über die Glaubhaftigkeit der Angaben erstellt.246 Dieses Gutachten zu würdigen, verbliebe die Aufgabe des Gerichts. Diese Leistung der Beweiswürdigung könnte von dem Gericht verlangt werden; in dem bereits angesprochenen Urteil des BGH über aussagepsychologische Begutachtungen wird den Richtern nunmehr sogar zugemutet, induktiv-statistische Schlüsse nach dem „Prinzip der Aggregation“247 nachzuvollziehen, das „in seiner Stärke und Bedeutung dem gesunden Menschenverstand nicht unbedingt zugänglich ist“248 und „schwer verständliche Annäherungen und Deduktionen der Wahrscheinlichkeitstheorie“249 umfasst.

III. Eignung des Tatwissentests im Hauptverfahren Zumindest in dem konkreten Fall, der dem BGH zur Entscheidung vorlag, waren dem Beschuldigten bereits Details über die ihm vorgeworfene Tat bekannt geworden. Da es für einen erfolgreichen TWT jedoch erste Grundvoraussetzung ist, dass der Beschuldigte diese Details nicht kennt,250 erachtete der BGH den TWT hier mit Recht als völlig ungeeignetes Beweismittel. Ob dies allerdings, wie allgemein behauptet, bedeuten muss, dass der TWT unter keinen Umständen im Hauptverfahren eingesetzt werden könnte, ist zumindest zweifelhaft. Denn der Beschuldigte wird zwar grundsätzlich spätestens mit dem Zugang der Anklageschrift (§ 201 Abs. 1 StPO) über einige Tatdetails in Kenntnis gesetzt. Da jedoch nur jene Fakten mitgeteilt werden, die erforderlich sind, um die Erfüllung des Tatbestands zu belegen, ist es nicht ausgeschlossen, dass genügend Tatdetails verbleiben, die einen TWT ermöglichen würden. Wenn darüber hinaus die Hauptverhandlung noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass nicht mehr ausreichend Details für einen Test verbleiben,251 und wenn außerdem sichergestellt ist, dass der Beschuldigte auch ansonsten keine Kenntnis von ihnen hat (etwa durch einen Verzicht auf das Akteneinsichtsrecht nach §§ 169a, zung solcher technologischer Maschinen umgebenden Aura wissenschaftlicher Unfehlbarkeit [. . .]“ (zit. nach Delvo, S. 332). 246 Vgl. oben 2. Kapitel E. I. 247 BGHSt 45, S. 164, 171. 248 Fiedler/Schmid, PraxRPsych 9 (1999), S. 5, 11. 249 Schoreit, StV 2004, S. 284, 287. 250 Vgl. oben 2. Kapitel A. II. 251 Auch der von Amelung, JR, 1999, S. 382, 384, angesprochene Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK spricht nicht notwendig dagegen, denn dieser fordert nur, dass der Angeklagte in allen Einzelheiten über „Art und Grund“ der gegen ihn erhobenen Beschuldigung informiert werden muss. Dies bedeutet indes nicht, dass jedes Tatdetail benannt werden muss. Die Farbe eines Schrankes, die Form einer Vase, die Beschaffenheit eines Teppichbodens sind von Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK sicher nicht erfasst, solange sie nicht erheblich sind für „Art und Grund“ der Beschuldigungen. Aus solchen Details ließe sich aber zumindest theoretisch ein TWT erstellen.

E. Analyse des BGH-Urteils

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147 StPO252), wäre der Einsatz des TWT auch in der Hauptverhandlung immerhin denkbar – wenn es auch als unwahrscheinlich erscheinen mag, dass die Einhaltung der genannten Voraussetzungen in einem konkreten Fall gelingen könnte. Denjenigen Autoren, die den Einsatz des TWT, wenn auch nicht in der Hauptverhandlung, für möglich halten,253 ist zuzugestehen, dass sich der BGH zur Tauglichkeit des TWT nicht geäußert hat, insbesondere ihn also auch nicht für unbrauchbar erklärte. Daraus aber zu schließen, der BGH würde sich einem TWT-Einsatz nicht widersetzen, könnte sich als verfrüht herausstellen. Denn zwar ist die Wirkungslogik des TWT besser begründbar,254 weil hier die unterschiedliche Bedeutsamkeit der relevanten und der irrelevanten Fragen nach den Tatdetails von vornherein besteht und die Fehlerwahrscheinlichkeiten a priori statistisch berechnet werden können.255 Doch die Probleme der Realitätsferne von Analogstudien256 und des schwierigen Nachweises der objektiven Wahrheit bei Feldstudien stellen sich für den TWT in gleichem Maße. Dass der BGH „nur“ wegen der besser fundierten theoretischen Basis des TWT bereit wäre, über diese Probleme insoweit hinwegzusehen, als er den TWT wenigstens nicht als völlig ungeeignet erachten würde, kann zwar bezweifelt werden. Gleichsam als Indiz dafür kommt aber in Betracht, dass offenbar auch bei aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsbegutachtungen die angenommene Belegbarkeit der Grundannahme zu einer Herabminderung der Ansprüche an die mitgeteilten Studien führen würde.257

IV. Einsatz des Polygraphentests im Ermittlungsverfahren Das Beweisantragsrecht im Ermittlungsverfahren bei polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen ist in § 163a Abs. 2 StPO geregelt: „Beantragt der Beschuldigte zu seiner Entlastung die Aufnahme von Beweisen, so sind sie zu erheben, wenn sie von Bedeutung sind“. Dieser Vorschrift wird zwar wenig praktische Bedeutung beigemessen258 – was wohl darin begründet liegt, 252 Laut Hamm, NJW 1999, S. 922, 923, müsste der Verteidiger dazu allerdings „tollkühn“ sein. 253 Siehe Nachweise in Fn. 141. 254 Dettenborn/Lindtner, PraxRPsych 11 (2001), S. 35. 255 Vgl. bereits oben 2. Kapitel A. II. 256 Die Übertragbarkeit von Analogstudien scheint zumindest unter einem Aspekt eher problematischer zu sein, denn in Laborstudien wird die Erinnerbarkeit der Tatdetails durch die Probanden auf verschiedenen Wegen hergestellt, während bei realen Fällen ungeklärt ist, an welche der z. T. zahlreich vorhandenen Details sich ein Täter mit großer Wahrscheinlichkeit erinnert haben müsste, vgl. Honts, in: Detection of Deception, S. 103, 105 f. 257 Vgl. oben 2. Kapitel E. II. 3. 258 LR25-Rieß, § 163a Rn. 107 m.w. N.

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

dass dem Beschuldigten außer der Aufsichtsbeschwerde keine Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen, wenn die Staatsanwaltschaft den beantragten Beweis nicht erhebt;259 gleichwohl lässt sich aus ihr die Subjektstellung des Beschuldigten mit ableiten.260 Es ist auch umstritten, ob § 163a Abs. 2 StPO dem Beschuldigten überhaupt einen eigenständigen Beweisantragsanspruch gibt oder nur einen Anspruch auf Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen.261 Abgesehen von der praktischen Seite ist interessant, dass zum Teil vertreten wird, bei der Beurteilung, ob ein Beweismittel „völlig ungeeignet“ ist, könne bei § 163a Abs. 2 StPO ein „etwas großzügigerer Maßstab“ angelegt werden als bei § 244 Abs. 3 StPO.262 Dann könnte eine Staatsanwaltschaft trotz der BGH-Entscheidung dem Beweisantrag auf eine polygraphische Glaubhaftigkeitsbegutachtung auch unter Verwendung der Kontrollfragenmethode durchaus stattgeben.263 Für die Praxis relevanter wäre nach heutiger Lage allerdings der Einsatz des TWT im Ermittlungsverfahren. In den oben aufgezeigten Grenzen wäre er zulässig, auch und gerade unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung von 1998. Denn nach den Maßgaben des BGH gäbe es an der rechtlichen Zulässigkeit keine Zweifel. Ebensowenig stellt sich die Anwendung des TWT im Rahmen eines Sachverständigengutachtens als „völlig ungeeignetes“ Beweismittel i. S. d. § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO dar.264 Erstaunlicherweise wurde aber in den Jahren seit dem Urteil, soweit dies überschaut werden kann, kein diesbezüglicher Antrag in einem Strafverfahren gestellt – trotz beachtlicher Unterstützung für den TWT-Einsatz in der Wissenschaft.265 259

Toepel, S. 304; SK-StPO-Wohlers, § 163a Rn. 92. LR25-Rieß, § 163a Rn. 107. 261 Für einen Anspruch auf Beweiserhebung LR25-Rieß, § 163a Rn. 107; SK-StPOWohlers, § 163a Rn. 86, jeweils m.w. N.; Eisenberg, Rn. 555; dagegen Meyer-Goßner, § 163a Rn. 15; KK-StPO-Griesbaum, § 163a Rn. 8. 262 So LR25-Rieß, § 163a Rn. 113. 263 Unter der Voraussetzung, dass den Ergebnissen eines KFT zumindest eine gewisse, wenn auch geringe, Indizwirkung zukommt, wäre sein Einsatz jedenfalls auch im Ermittlungsverfahren zuzulassen (auch hier jedoch zunächst vorbehaltlich rechtlicher Erwägungen, die später dargestellt werden), ebenso Schüssler, S. 181, 182 ff. 264 Siehe dazu soeben 2. Kapitel E. III. 265 Für den Einsatz im Ermittlungsverfahren: Fabian/Stadler, in: Praxisfelder der Rechtspsychologie, S. 226, 228 ff.; Dahle, PsychR 2003, S. 103, 108 f.; Schüssler, S. 169 ff.; Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 919; wohl auch Steller, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 89, 92, 99 f.; vorsichtiger Fiedler, PsychR 2003, S. 112, 114: „die erfolgreiche Weiterentwicklung des TWT [hängt] von vielen Anstrengungen [. . .] ab.“; a. A. Amelung, JR 1999, S. 382, 385; wegen der schlechten Eignung, „Schuldige“ zu erkennen, zweifelnd an der Tauglichkeit des TWT in der Praxis Undeutsch, PsychR 2003, S. 115, 118. – In einer umfangreichen Meta-Studie (Ben-Shakhar/Elaad, Journal of Applied Psychology 88 (1) (2003), S. 131 ff., untersucht wurden 80 Einzelstudien) wurde dem TWT ein „exzellentes Potential“ bescheinigt, Personen mit Tatwissen von solchen ohne Tatwissen zu unterscheiden; er weise verschiedene Vorteile gegenüber anderen psychophysiologischen Methoden auf, sei theoretisch gut fundiert und fuße auf einer standardisierten Vorgehensweise, Ben-Shakhar/Elaad, a. a. O., S. 147. 260

E. Analyse des BGH-Urteils

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Noch einmal sei allerdings auf die nur eingeschränkte Einsatzmöglichkeit des TWT hingewiesen. In vielen Fällen wird die Anwendung schon deswegen ausgeschlossen sein, weil der Beschuldigte gar nicht bestreitet, am Tatort gewesen zu sein – er sei aber z. B. Zeuge gewesen oder habe gar nichts von der Tat selbst mitbekommen; auch wenn es um die rechtliche Bewertung eines gar nicht bestrittenen Geschehensablaufs geht, etwa um ein mögliches Einverständnis des Opfers, ist der TWT nicht anwendbar.266 Eine weitere gravierende Einschränkung erfährt der TWT dadurch, dass es nicht stets gelingen wird, genügend geeignete Tatdetails zu finden, um einen tauglichen Test zu entwickeln.267 Der Einsatz des Polygraphentests unter Anwendung der Tatwissenmethode wäre folglich am ehesten in einem sehr frühen Stadium der Ermittlungen möglich.

V. Endgültiges Verbot jeglicher Form apparativer „Lügendetektion“? Es ist bemerkenswert, dass der BGH das Ergebnis, der freiwillige Einsatz des Polygraphen verletze nicht die Menschenwürde, „entscheidend“268 damit begründet, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Lügen und entsprechenden Körperreaktionen gebe („no specific lie response“). Die rechtliche Zulässigkeit ergibt sich für den BGH mithin u. a. erst aus der Erwägung, dass mit der polygraphischen Untersuchung nicht „in die Seele des Beschuldigten“ geblickt werden könne.269 Daraus folgern einige Stimmen, der BGH habe mit dem Urteil den Einsatz technischer Methoden zur Täterschaftsermittlung – zumindest im Hauptverfahren – endgültig verboten.270 An anderer Stelle der Abhandlung wird zu untersuchen sein, ob dem BGH ein Revirement in dem Sinne möglich wäre, dass die einverständliche Durchführung eines Verfahrens, welches die angesprochene „specific lie response“ böte, wiederum die Menschenwürde des Einwilligenden verletzen würde. Ferner wird dort gezeigt wer266

Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 306. Podlesny fand heraus, dass nur in 18 Prozent (1993) bzw. 8,6 Prozent (2003) der von ihm überprüften FBI-Fälle, in denen einen Glaubhaftigkeitsuntersuchung beantragt wurde, ein brauchbarer TWT entwickelt werden konnte, zit. nach Honts, in: Detection of Deception, S. 103, 106. 268 BGHSt 44, S. 308, 316. 269 Vgl. BGHSt 44, S. 308, 315. 270 Kühne, Rn. 901, der dieses Ergebnis gutheißt; Amelung, JR 1999, S. 382, 383, hält die Konsequenz immerhin für möglich. – Die Abhängigkeit der rechtlichen Zulässigkeit von der Tauglichkeit der Methode lässt sich interessanterweise häufiger als Argumentationsgrundlage finden – im Gegensatz zur Auffassung des BGH indes mit konträrem Ergebnis: So sieht z. B. Lesch im Polygrapheneinsatz wegen der unterstellten Unzuverlässigkeit der Methode einen Verstoß gegen § 136a StPO (KMR-Lesch, § 136a Rn. 43 f.); aus dem gleichen Grund halten Kargl/Kirsch den Einsatz nach wie vor für menschenwürdewidrig (Kargl/Kirsch, JuS 2000, S. 537, 541; siehe bereits Fn. 137). 267

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

den, dass die Interpretation des Urteils als „endgültiges Aus“ für jedwede Form der „Lügendetektion“ allerdings in keinem Fall haltbar ist.271

F. Zusammenfassung Der Begriff „Polygraphie“ bezeichnet lediglich das angewandte technische Verfahren. Entscheidend für die Wirkungsweise der psychophysiologischen Glaubwürdigkeitsbegutachtung („Lügendetektion“) ist jedoch vornehmlich die gewählte (Frage-)Methode, wobei hier grob zwischen direkten (z. B. Kontrollfragentest, KFT) und indirekten (z. B. Tatwissentest, TWT) Methoden zu unterscheiden ist. Die zugrundeliegende Theorie muss indes als noch ungeklärt gelten, insbesondere hinsichtlich der psychologischen Prozesse, die der Funktionsweise des KFT zugrunde liegen. Es ist durchaus zugestanden, dass gerade der KFT in der Tat nicht als „allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestufte Methode“ 272 zu qualifizieren ist. Vor diesem Hintergrund mag es als nicht vollkommen unverständlich erscheinen, dass der BGH in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1998 die Methode des KFT für völlig ungeeignet i. S. d. § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO erklärt und somit insgesamt die Anwendung polygraphischer Untersuchungen zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung zumindest aus dem Hauptverfahren – denn der TWT ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anwendbar – verbannt hat. Gleichwohl ist das Urteil zu kritisieren, denn der BGH legt einen zu strengen Maßstab an die „völlige Ungeeignetheit“ an, ohne diesen auch nur ansatzweise herzuleiten oder zu begründen, und spricht dem KFT dabei jeden indiziellen Beweiswert ab, indem er sich einseitig auf die Kritiker dieser Methode beruft. Auch nach den Vorgaben des BGH-Urteils nicht untersagt wäre hingegen der Einsatz des viel besser begründeten Tatwissentests, wobei allerdings die praktische Anwendung in der Regel auf ein frühes Stadium im Ermittlungsverfahren beschränkt wäre.

G. Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten Auch in anderen Rechtsgebieten spielte die polygraphische Untersuchung in Deutschland kaum eine Rolle. Schwabe forderte zwar bereits im Jahr 1979 ihren Einsatz auch für den Zivil- und den Verwaltungsprozess.273 Jedoch wurden einzig in einigen wenigen familienrechtlichen Verfahren unter Anwendung eines Polygraphentests erstellte Glaubwürdigkeitsgutachten als Beweismittel anerkannt. 271 272 273

Siehe unten 4. Kapitel C. I. 6. BGHSt 44, S. 308, 319. Schwabe, NJW 1979, S. 576, 581.

G. Erfahrungen in anderen Rechtsgebieten

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I. Arbeitsrecht In dem, soweit ersichtlich, einzigen deutschen Urteil auf dem Gebiet des Arbeitsrechts entschied im Jahr 1997 das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, dass der Polygraphentest im Strengbeweisverfahren kein zuverlässiges Beweismittel sei – auch dann nicht, wenn eine Partei beantragt, sich dem Test freiwillig zu unterziehen, um eine streitige Prozessbehauptung über eine Vertragsverletzung zu widerlegen.274 Dabei lässt die Begründung der Entscheidung vermuten, dass sich das LAG nicht einmal ansatzweise mit den Grundlagen der polygraphischen Glaubwürdigkeitsbegutachtung auseinandergesetzt hat.275 Anders als in den USA sind in Deutschland, wie überhaupt insgesamt in Europa, Einstellungstests sowie turnusmäßige Überprüfungen mit dem „Lügendetektor“ praktisch unbekannt.276

II. Familienrecht Über die Frage der Zulässigkeit einer polygraphischen Untersuchung als Beweismittel im Zivilprozess hatte bereits vor dem Urteil des BGH vom 17. 12. 1998 keine ausführliche Diskussion stattgefunden – vielmehr begnügte man sich zumeist mit dem Hinweis auf die strafprozessuale Rechtsprechung.277 Das OLG Bamberg, das über das Recht eines Vaters auf persönlichen Umgang mit seinem Kind, § 1634 BGB, zu entscheiden hatte, ließ jedoch 1995 in einem häufig zitierten278 Beschluss einen außerprozessual durchgeführten Polygraphentest als Beweismittel zu.279 Die Frage war, ob sich der von der Mutter des Kindes behauptete sexuelle Missbrauch durch den Vater zumindest als konkreter Verdacht belegen ließ. Der vom Vater durchgeführte Polygraphentest hatte zu einem entlastenden Ergebnis geführt. In der Urteilsbegründung bezeichnete das OLG den Test – gemeinsam mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Vater und einem Gutachten über die Disziplin der Mutter – als „objek274

LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1998, S. 670. Vgl. Schüssler, S. 49. 276 Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1127, mit einigen Erwägungen zu spezifisch arbeitsrechtlichen Fragen, die die Zulassung in diesem Bereich aufwerfen würde; sehr ausführliche Überlegungen zur Zulässigkeit eines „Lügendetektortests“ im deutschen Arbeitsrecht bei Berning, S. 287 ff.; zur Situation in den USA siehe unten 2. Kapitel H. 277 Vgl. Laumen, BGH-Report 2003, S. 1107 m.w. N. 278 Siehe BGHSt 44, S. 308, 310; Schüssler, S. 48; Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer 2002, S. 42, 43 in Fn. 15; Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1116 in Fn. 23; Groth, S. 117 in Fn. 226; Artkämper, NJ 1999, S. 153, 154. 279 OLG Bamberg, NJW 1995, S. 1684. 275

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

tiv“.280 Da der Beschluss des OLG jeder weiteren Auseinandersetzung mit der Frage der Zulässigkeit des Polygraphentests entbehrt, ist er jedoch von nur geringem Erkenntniswert. Kaum Beachtung gefunden hat demgegenüber ein Beschluss des OLG München281 vom 25. November 1998. Dies verwundert insofern, als das Gericht sich hier ausdrücklich – also ganz im Gegensatz zu dem OLG Bamberg – mit der Frage der Zuverlässigkeit eines Gutachtens befasst, das auf der Grundlage einer polygraphischen Untersuchung282 erstellt wurde. Auch hier war die Frage zu entscheiden, ob ein Vater, der in einem Verfahren zum Umgangsrecht des sexuellen Missbrauchs des Kindes verdächtigt wird, diesen Verdacht mittels eines Polygraphentests auszuräumen versuchen darf. Das OLG München war der Auffassung, dass dies der Fall ist. Mit deutlichen Worten hielt es den Polygraphentest für eine „sichere und schnelle Entscheidungshilfe zur Erfassung wahrheitsgemäßer Aussagen.“283 Der Test liefere „auf Grund der wissenschaftlichen Forschungen“ einen „sehr hohen Wahrscheinlichkeitsbeweis“, zumindest dann, wenn das Ergebnis des Tests die Unschuld des Verdächtigen nahe lege.284 Die Anwendung des Polygraphentests verlange allerdings, dass die Tatfragen „sehr exakt“ gestellt werden und den Tatvorwurf präzise umfassen müssen.285 Das Urteil des OLG München überrascht in seiner Eindeutigkeit. Es ist jedoch zu befürchten, dass es sich nicht tiefgehend mit der Frage der Zuverlässigkeit des Kontrollfragenverfahrens auseinandergesetzt hat. Als Quellen werden lediglich Undeutsch286 und Salzgeber/Stadler/Vehrs287 angeführt, kritische 280 OLG Bamberg, NJW 1995, S. 1684. Es steht indes zu vermuten, dass das Gericht mit dieser Beurteilung weniger dem „Lügendetektor“ einen Gütestempel geben, als ihn vielmehr in erster Linie von Methoden abgrenzen wollte, die nach seiner Auffassung gerade nicht „objektiv“ sind. Solche Methoden, die „voreingenommen und suggestiv“ arbeiteten (etwa das Spielen mit Puppen, die originalgetreue Abbildungen männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane trugen), waren im Rahmen von regelmäßigen Sitzungen mit dem 5-jährigen Mädchen angewandt worden. Die daraus hervorgegangenen Angaben des Kindes über sexuelle Handlungen des „Puppenvaters“ mit der „Puppentochter“ waren in den Augen des OLG gerade „kein Beweismittel“ für ein entsprechendes Verhalten des wirklichen Vaters. 281 OLG München, FamRZ 1999, S. 674. 282 Obwohl vom OLG nicht konkret benannt, wird aus dem dort Gesagten deutlich, dass eine Untersuchung mittels des Kontrollfragenverfahrens in Rede stand, vgl. dazu oben 2. Kapitel A. I. 283 OLG München, FamRZ 1999, S. 674. 284 OLG München, FamRZ 1999, S. 674. Spreche das Ergebnis der Untersuchung indes dafür, dass der Verdächtige auf die tatbezogenen Fragen die Unwahrheit gesagt habe, sei dies kein Nachweis, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit für die Schuld. Die Untersuchung in dem konkreten Fall hatte dieses nicht entlastende Ergebnis erzielt. 285 OLG München, FamRZ 1999, S. 674, 675; die allgemeine Frage „Haben Sie sexuelle Handlungen an Ihrem Kind vorgenommen“, reiche dazu nicht aus, weil es ein innerliches Ausweichen des möglichen Täters ermögliche. 286 Undeutsch, FamRZ 1996, S. 329 ff.

H. Erfahrungen in anderen Ländern

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Stimmen hörte man offenbar nicht. Vielmehr hat man sich wohl von dem Sachverständigen (nämlich Undeutsch) leiten lassen, der laut OLG München „die erforderliche Fachkompetenz“ besessen und „speziell für die Testung von Sexualdelikten einen Kurs in den USA durchgeführt“ habe.288 In zwei weiteren Urteilen aus den Jahren 1996289 und 1998290 haben Oberlandesgerichte die Ergebnisse polygraphischer Glaubwürdigkeitsuntersuchungen jeweils bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. In einem Nichtzulassungsbeschluss hat sich im Jahr 2003 der BGH für Zivilsachen nun der Entscheidung des BGH vom 17. 12. 1998 vorbehaltlos angeschlossen: Wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen als für die Beweisführung im Strafprozess ungeeignet angesehen werde, müsse dies ebenso für die Beweisführung im Zivilprozess gelten, in welchem der Tatrichter einen Beweisantritt in gleicher Weise aus beweisrechtlichen Gründen ablehnen könne.291 Da der Strafsenat auf der Grundlage von drei wissenschaftlichen Gutachten292 zu dem Ergebnis der völligen Ungeeignetheit gelangt sei, sei nicht ersichtlich, warum man dies im Zivilverfahren anders beurteilen sollte; die Frage sei also höchstrichterlich geklärt. Auch unter dem Aspekt der Waffengleichheit im Zivilprozess ergebe sich nichts anderes. Um diese herzustellen, reiche es aus, dass die Partei, die keinen Zeugen zur Verfügung hat, nach § 141 ZPO angehört werde. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung, § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sei es dem Gericht möglich, einer Parteierklärung den Vorzug vor Zeugenaussagen zu geben.293 Der BGH folgt in diesem Beschluss dem Strafsenat, ohne eigene Überlegungen zur Zulässigkeit des Polygraphentests anzustellen. Deshalb ist auch diese Entscheidung letztlich nicht weiterführend.

H. Erfahrungen in anderen Ländern Zum Abschluss des Kapitels über den Polygraphentest sei ein kurzer Überblick über seinen Einsatz in anderen Rechtsordnungen gegeben.

287

Salzgeber/Stadler/Vehrs, PraxisRPsych 7 (2) (1997), S. 213 ff. OLG München, FamRZ 1999, S. 674, 675. 289 OLG Koblenz, Beschluss v. 23. 7. 1996 – 15 UF 121/96, zit. nach BGHSt 44, S. 308, 310. 290 OLG Oldenburg, Beschluss v. 15. 6. 1998 – 4 UF 60/96, zit. nach BGHSt 44, S. 308, 311. 291 BGH-Report 2003, S. 1106. 292 Hier irrt der BGH: Es gab vier Gutachten, Jänig erstattete seines allerdings mündlich, siehe Schüssler, S. 191. 293 BGH-Report 2003, S. 1106. 288

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

Der KFT wird in zahlreichen Ländern im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eingesetzt, um einen Tatverdacht zu bestätigen oder zu entkräften.294 Dabei dürfen jedoch – zumindest nach den Angaben von Vrij – die Testergebnisse in aller Regel nicht als Beweismittel in der Hauptverhandlung verwertet werden.295 Der TWT wird, wohl wegen seiner beschriebenen Beschränkungen, viel seltener angewendet, aber etwa in Israel296 und insbesondere in Japan. Beispielhaft sei hier etwas näher eingegangen auf die Situation in Polen, Japan und den USA – und der Schweiz, wo der Einsatz verboten ist. In Polen wird der Polygraphentest seit längerem eingesetzt,297 wenn auch selten und vornehmlich bei Mordfällen.298 Seit dem Jahr 2003 ist sein Einsatz nun auch gesetzlich geregelt. Gemäß dem neuen Art. 199a polStPO ist es zulässig, den „Lügendetektor“ im Rahmen einer Untersuchung durch einen Sachverständigen mit Einwilligung der betroffenen Person einzusetzen und die Testergebnisse als Beweismittel zu verwerten. Bei der Vernehmung von Zeugen oder Verdächtigen ist der Einsatz indes verboten, denn nach Art. 171 § 5 polStPO dürfen technische Mittel nicht angewendet werden, wenn sie darauf gerichtet sind, die unbewussten Reaktionen des Organismus der vernehmenden Person im Zusammenhang mit der Vernehmung zu kontrollieren; darüber hinaus kann der „Lügendetektor“ auch bei Ermittlungen angewendet werden, die zur Eingrenzung des Kreises verdächtiger Personen oder zur Feststellung der Beweiskraft von ermittelten Spuren führen sollen, Art. 192a § 1 Satz 2 polStPO.299 Jaworski weist in seinem jüngsten Plädoyer darauf hin, dass es in der polnischen Praxis bisher keinen Fall gab, in dem ein polygraphisches Gutachten Hauptbeweismittel oder gar das einzige Beweismittel war. Darüber hinaus hätten seinen eigenen 294 Es wird berichtet über den Einsatz unter anderem in Kanada, China, Mexiko, Norwegen, Pakistan, Russland, Singapur, Südkorea, Taiwan, Thailand, den Philippinen, den USA und der Türkei, siehe Vrij, Detecting Lies, S. 295; Honts, in: Detection of Deception, S. 103 f. 295 Vrij, Detecting Lies, S. 295 m.w. N. 296 Siehe zur dortigen Anwendungspraxis Schüssler, S. 41 ff. m.w. N.; siehe auch Steinke, MDR 1987, S. 535 ff., über seinen persönlichen Einblick in die Praxis der israelischen Polizei mit dem „Lügendetektor“-Einsatz. 297 Vgl. z. B. die ausführliche Nachzeichnung eines angewandten Tests in der forensischen Praxis bei Jaworski, Kriminalistik 1990, S. 123 ff. 298 Jaworski, Kriminalistik 2000, S. 23. – In dem genannten Aufsatz berichtet Jaworski i. Ü. über den realen Fall eines deutschen Staatsbürgers, der in Polen wegen zweifachen Mordes in Mittäterschaft angeklagt war. Jaworski schildert, wie er auf Antrag der Staatsanwaltschaft den anderen Angeklagten je einem Kontrollfragen- und einem Tatwissentest unterzog. Der Test ergab ein für den Deutschen entlastendes Ergebnis, woraufhin er aus der Untersuchungshaft entlassen wurde und die Anklage gegen ihn wohl – dies geht aus dem Text nicht eindeutig hervor – fallengelassen wurde. Eine Übersicht über die – wenigen – Gerichtsentscheidungen zur Zulässigkeit polygraphischer Untersuchungen findet sich bei Jaworski, NStZ 2008, S. 195, 196. 299 Siehe Hofman ´ ski/Pływaczewski, S. 299, 315.

H. Erfahrungen in anderen Ländern

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Schätzungen zufolge 80 Prozent der Untersuchungen ein den Verdächtigen entlastendes Ergebnis erbracht,300 weshalb der Einsatz des Polygraphentests keinen ethischen Bedenken ausgesetzt sei.301 In Japan hat der Polygraphentest eine lange Tradition, wobei dort beinahe ausschließlich der Tatwissentest (TWT) zur Anwendung kommt; jährlich werden in Ermittlungsverfahren etwa 5.000 dieser psychophysiologischen Glaubhaftigkeitsbegutachtungen durchgeführt.302 Schon im Jahr 1968 hat das oberste japanische Gericht im Rahmen eines Grundsatzurteils entschieden, dass die Ergebnisse eines Tatwissentests als gerichtliches Beweismittel anerkannt werden können, wenn verschiedene Kriterien erfüllt sind.303 In der Schweiz hingegen war und ist der Einsatz des „Lügendetektors“ nicht erlaubt. So hat beispielsweise im Jahr 2003 das Kassationsgericht des Kantons Zürich den Polygraphentest als ein für das Strafverfahren unzulässiges Beweismittel erachtet. Und zwar unabhängig davon, ob sich der Beschuldigte mit dem Test einverstanden erklärt oder ihn verlangt, ob er vom Gericht angeordnet wird oder privat durchgeführt wurde und ob der Test zur Be- oder Entlastung des Beschuldigten verwertet werden soll.304 Das Kassationsgericht sah im Polygrapheneinsatz einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich geschützte psychische Unversehrtheit im Rahmen des Persönlichkeitsrechts (Art. 10 Abs. 2 nBV305), 300

Jaworski, NStZ 2008, S. 195, 196. Jaworski, NStZ 2008, S. 195, 197. Allerdings vermag die Argumentation Jaworskis in diesem Punkt wenig zu überzeugen. Er erwähnt weder das Problem des „mittelbaren Einwilligungsdrucks“ auf andere Beschuldigte (siehe dazu ausführlich unten 4. Kapitel F. II. 1.), noch stellt er die Frage, ob die im Rahmen eines Polygraphentests gemessenen Körperreaktionen womöglich als Aussagen besonderem Schutz unterliegen (vgl. dazu unten 4. Kapitel B. I.). Nicht mehr gefolgt werden kann Jaworski schließlich, wenn er argumentiert, eine polygraphische Untersuchung sei jedenfalls besser als der „psychische Druck, der bei einem Verhör und dem Erzwingen eines Geständnisses durch die Polizei besteht“; solche Vorfälle habe es gegeben, „sogar in England, einem der demokratischsten Länder der Welt.“ Darüber hinaus zeugten die „aktuellen Ereignisse“ wie der Terrorismus und seine Bekämpfung „von einer Eskalation von Gewalt gegenüber Verdächtigen während des Verhörs bis hin zur Anwendung der Folter.“ Abgesehen davon, dass Jaworski hier die Kategorien durcheinander zu geraten scheinen, bleibt unklar, in welchem Zusammenhang das faktische Aufkommen von weitgehend als mindestens illegitim beurteilten Vernehmungsmethoden mit der Frage steht, ob die Zulassung von freiwilligen „Lügendetektortests“ im Strafverfahren wünschenswert ist. 302 Rill/Gödert/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 165, 173 m.w. N. 303 Die fünf wichtigsten Kriterien sind: 1. Verwendung einer standardisierten Methodik; 2. Einsatz einer fundierten Fragetechnik; 3. Anwendung durch einen qualifizierten Untersucher; 4. angemessene Wahrung der körperlichen und psychischen Unversehrtheit des Probanden; 5. gute Dokumentation des Tests; siehe Rill/Gödert/Vossel, MschrKrim 86 (2003), S. 165, 175 m.w. N. 304 Kassationsgericht des Kantons Zürich, Kriminalistik 2003, S. 190 m.w. N. zur ablehnenden Haltung in der Schweiz. 305 „Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.“ 301

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2. Kap.: Die Diskussion um den Einsatz des Polygraphentests

ein Recht, das vor allem die Willensfreiheit des Menschen zum Gegenstand habe. Zudem stützte das Gericht sein Ergebnis auf einfachrechtliche Erwägungen: Der Einsatz eines „Lügendetektors“ sei eine unzulässige seelische Misshandlung i. S. d. § 154 StPO ZH, der – ähnlich wie § 136a StPO – die Entschließungsfreiheit schützt. Schließlich schränke der mittelbare Druck, der für andere Angeschuldigte entstehen könne, die einen – zugelassenen – Test nicht beantragen wollten, die von § 154 StPO ZH geschützte Aussagefreiheit ein.306 In den USA gehört der Polygrapheneinsatz seit langem zur Praxis der Ermittlungsbehörden. Hinsichtlich der Zulässigkeit im strafrechtlichen Hauptverfahren ergibt sich indes ein anderes, nicht zuletzt unübersichtliches Bild. Denn die Zulässigkeit hängt zum einen von den einzelnen bundesstaatlichen Regelungen ab, die z. T. erheblich voneinander abweichen. Nur in einigen wenigen Bundesstaaten ist der Einsatz des Tests bzw. die Verwertung von Testergebnissen möglich, und dort in aller Regel auch nur mit Zustimmung aller Parteien bzw. des Richters; einzig in New Mexico ist der Polygraphentest auch im Gerichtsverfahren weitgehend uneingeschränkt zulässig.307 Zum anderen richtet sich die Frage nach der Zulässigkeit polygraphischer Glaubwürdigkeitsgutachten vornehmlich nach den Entscheidungen der Rechtsprechung.308 Hierbei ist bereits die bundesgerichtliche Judikatur keineswegs einheitlich; noch vielgestaltiger wird das Bild bei den Entscheidungen der Gliedstaatengerichte. 309 Erwähnt sei hier jedoch zumindest die berühmte Frye-Entscheidung310, in der bereits 1923 die Unzulässigkeit der polygraphischen Untersuchung als gerichtliches Beweismittel festgestellt wurde, da das Verfahren wissenschaftlich nicht anerkannt sei. Hieraus entwickelte sich in der Folge die „general-scientific-acceptance rule“311, die jedoch den Streit um die Zulässigkeit keineswegs beendete: Immer wieder gab es Gerichtsentscheidungen, die den Polygraphentest unter bestimmten Voraussetzungen als Beweismittel zuließen oder die Frage in das Ermessen des jeweiligen

306

Kassationsgericht des Kantons Zürich, Kriminalistik 2003, S. 190. Schüssler, S. 38 m.w. N., bestätigt vom Supreme Courts New Mexicos im Jahr 2004, Lee v. Martinez, 96 P.3d 291 (N.M. 2004). Siehe ansonsten bereits die Dissertation von Delvo aus dem Jahr 1981 („Der Lügendetektor im Strafprozeß der U.S.A.“). Zur derzeitigen Lage siehe insb. Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 411 ff. 308 Siehe erläuternd Wegner, S. 54. 309 Siehe Berning, S. 176 ff. m.w. N. 310 Frye vs. United States, App. D.C. 46, 293 F. 1013 (1923), 34 A.L.R. 145. 311 Siehe ausführlich zu dem „Frye test“ Berning, S. 178 f.; dieser wurde später erweitert durch den „Daubert-Test“, Daubert v. Merrell Dow Pharmaceuticals, 509 U.S. 579, 113 S.Ct. 2786, 125 L.Ed. 2d 469 (U.S. Jun 28, 1993), in dem der Supreme Court unter anderem noch einmal das Erfordernis der Akzeptanz des eingesetzten Verfahrens in der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin hervorhob, zu dem indes weitere Voraussetzungen treten wie die Überprüfung des in Rede stehenden Verfahrens in Feldstudien und eine möglichst niedrige Fehlerquote. 307

H. Erfahrungen in anderen Ländern

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Tatrichters stellten,312 wenn auch weiterhin eine überwiegend ablehnende Haltung zu beobachten ist.313 Im Bereich des Arbeitsrechts waren in den USA polygraphische Gutachten sowohl bei Bewerbungen um Arbeitsplätze als auch zur Kontrolle der Angestellten weit verbreitet.314 Seit dem Employee Polygraph Protection Act 1988 (EPPA)315 ist die Vornahme solcher Tests jedoch zumindest privaten Arbeitnehmern weitgehend verboten316 – einzig bei einem begründeten Verdacht gegenüber einem Arbeitnehmer, etwa einen im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Wertgegenstand entwendet zu haben, darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einem Test auffordern. Für Regierungsstellen blieben die polygraphischen Untersuchungen allerdings zulässig.317 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die umfangreiche Untersuchung des National Research Council (NRC)318, die dem Polygraphentest weitgehende Untauglichkeit bescheinigte, wenn auch in allererster Linie auf die Frage der Zulässigkeit im Arbeitsrecht bezogen. Schließlich sei verwiesen auf Darstellungen zu der Situation in Österreich, im Vereinigten Königreich319 und in Frankreich, wo die forensische Verwendung des Polygraphentests jeweils untersagt ist,320 und auf Skizzierungen der Erfahrungen in Australien, Südafrika und Bulgarien, wo jeweils der Einsatz nicht verboten ist, aber auch keine überragende Rolle spielt.321

312

Schüssler, S. 39. Schüssler, S. 39; Berning, S. 177, mit zahlreichen Nachw. 314 Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1126 f. m.w. N.; Matz übersieht allerdings den Employee Polygraph Protection Act von 1988 (vgl. Matz, a. a. O., S. 1127). 315 Federal Employee Policy Protection Act of 1988, 29 U.S.C. §§ 2001–2009. 316 Ein Verstoß gegen die Vorschrift kann mit bis zu 10.000 US-Dollar Bußgeld belegt werden, 29 U.S.C. § 2005 (2006). Indes behauptet jene Firma, „No Lie MRI“, die zumindest nach eigener Aussage bereits private „Lügendetektor“-Tests mit funktioneller Magnetresonanztomographie anbietet, dass der EPPA auf ihr Verfahren nicht anwendbar sei, siehe http://www.noliemri.com/customers/GroupOrCorporate.htm (zugegriffen am 6. Juli 2009). Dieser Ansicht wird allerdings heftig widersprochen: Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 408 ff. 317 29 U.S.C. § 2006 (2006). 318 National Research Council 2003, The Polygraph and Lie Detection, passim. Das NRC setzt sich zusammen aus Mitgliedern der National Academy of Sciences, der National Academy of Engineering sowie dem Institute of Medicine und erstellte die Studie im Auftrag des US-amerikanischen Energieministeriums. 319 Vgl. auch den Bericht der British Psychological Society („A review of the current scientific status and fields of application of Polygraphic Deception Detection“) über die Anwendbarkeit des Polygraphentests zu Zwecken der „Lügendetektion“ aus dem Jahr 2004, der sich in weiten Teilen auf die Untersuchung des National Research Council (vgl. Fn. 318) bezieht. 320 Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1119 f. (Österreich), 1122 ff. (Vereinigtes Königreich), 1124 f. (Frankreich). 321 Schüssler, S. 43 f., 45 ff. 313

3. Kapitel

Neue Verfahren der „Lügendetektion“ Die soeben dargelegten Schwächen des Polygraphentests, insbesondere der Kontrollfragenmethode, und das Aufkommen neuer diagnostischer Verfahren haben begünstigt, dass die Forschung nunmehr Lügen bzw. Unaufrichtigkeit mit anderen Mitteln zu entdecken sucht. Insbesondere verspricht man sich dadurch Fortschritte, dass man sich von der Peripherie ins Zentrum der biophysikalischen Prozesse bewegt,1 dorthin, wo die Gedanken des Menschen entstehen: in sein Gehirn.2 Im Folgenden werden einige dieser Versuche vorgestellt, wobei sich herausstellen wird, dass der Fokus auf die Versuche mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) zu richten ist.

A. Hirnstrommessung Bereits seit Ende der 1980er Jahre wird mittels so genannter ereigniskorrelierter Potentiale (EKP, engl. event-related potentials, ERP) versucht, im Gehirn gespeichertes Wissen zu erkennen.3 Die EKP sind Wellenformen im Electroencephalogramm (EEG), die von bestimmten Reizen ausgelöst werden. Besondere Bedeutung hat dabei die sog. P-300-Welle, die etwa 300–500 Millisekunden nach einem hervorstechenden Zielreiz entsteht.4 Will man dieses Verfahren für die Zwecke der Glaubhaftigkeitsbegutachtung nutzbar machen, könnte dieser besondere Zielreiz etwa ein der Versuchsperson gezeigtes Bild vom Tatort, der Tatwaffe oder ähnlichem sein; diese für den Täter bedeutsamen Reize würden versteckt zwischen „unverdächtigen“ Bildern.5 Die jeweils auf den dargebotenen Reiz folgenden Hirnströme lassen sich mit einem EEG-Gerät messen, das elektrische Ströme an der Kopfhaut ableitet.6 Farwell, der einen solchen Tatwissentest mittels EKP zu dem von ihm so genannten „Brain Fingerprinting“ weiterentwickelte, behauptet, sein Verfahren 1

Vgl. Happel, Review of Policy Research 22 (5) (2005), S. 667, 673. Ganis u. a., Cerebral Cortex 13 (2003), S. 830. 3 Rosenfeld u. a., International Journal of Neuroscience, 34 (1987), S. 125 ff. 4 Knight, Nature 428 (2004), S. 692, 693. 5 Vgl. Einzelheiten zu einer möglichen Versuchsanordnung Knight, Nature 428 (2004), S. 692, 693. 6 Schleim, S. 34. 2

B. Hirnbildgebende Verfahren

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sei zu 100 Prozent zuverlässig.7 Durch immense mediale Begleitung erhielt dieses neue Verfahren große öffentliche Aufmerksamkeit, Farwells Firma vertreibt die Tests mittlerweile kommerziell.8 Die Behauptung der Unfehlbarkeit, aber auch das Verfahren selbst gerieten indes bald in die Kritik9 – insbesondere ließ sich zeigen, dass das Verfahren höchst anfällig ist für einfache, leicht erlernbare Manipulationen seitens des Probanden.10 Zudem wurde bisher lediglich eine einzige von Farwells Studien nach einer unabhängigen Begutachtung durch gleichrangige Experten (engl. peer reviewed) veröffentlicht.11 Davon abgesehen wurde die Forschung Farwells keiner unabhängigen Überprüfung unterzogen,12 weshalb die wirkliche Validität und Relevanz dieses Verfahrens für die praktische Anwendung nach wissenschaftlichen Standards als ungeklärt gelten muss.13 Das Verfahren des „Brain Fingerprintings“ bleibt daher in der weiteren Darstellung unberücksichtigt.14

B. Hirnbildgebende Verfahren Als erfolgversprechender haben sich jene Verfahren erwiesen, mit denen man gewissermaßen in das Gehirn des Untersuchten blickt. Bei diesen Verfahren der funktionellen Hirnbildgebung lässt sich die Hirnaktivität in räumlicher und zeit7 Siehe BBC News World Edition, 17. Februar 2004, abrufbar unter: http://news. bbc.co.uk/2/hi/science/nature/3495433.stm (zugegriffen am 6. Juli 2009). 8 Schleim, S. 34. 9 In erster Linie von Rosenfeld u. a., Psychophysiology 41 (2) (2004), S. 205 ff.; siehe auch Donchin, einer der Mitautoren einer früheren Studie (vgl. Fn. 11), zit. nach Knight, Nature 428 (2004), S. 692: „The necessary research has never been done.“; Wolpe/Foster/Langleben, American Journal of Bioethics 5 (2) (2005), S. 39, 44 f. 10 Rosenfeld u. a., Psychophysiology 41 (2) (2004), S. 205, 217 f. 11 Farwell u. a., Journal of Forensic Sciences 46 (1) (2001), S. 135 ff.; es handelt sich dabei um eine Studie mit lediglich sechs Probanden. 12 Selbst die CIA, die Farwells Arbeit bis 1993 unterstützte, zog sich zurück, weil dieser sich weigerte, Details seiner Forschungsarbeiten preiszugeben, siehe Happel, Review of Policy Research 22 (5) (2005), S. 667, 673. Jedoch sei darauf hingewiesen, dass die Forschung mit EKP keineswegs beendet ist; so haben etwa Johnson und seine Mitarbeiter in den letzten Jahren einige Studien zur „Lügendetektion“ mit EKP veröffentlicht, Johnson u. a., Biol. Psychol. 64 (2003), S. 217 ff.; ders. u. a., Neuropsychologia 42 (2004), S. 878 ff.; ders. u. a., Brain Res Cogn Brain Res. 24 (2005), S. 386 ff.; ders. u. a., NeuroImage 39 (2008), S. 469 ff. 13 Wolpe/Foster/Langleben, American Journal of Bioethics 5 (2) (2005), S. 39, 45; Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 387; dort auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Behauptung Farwells, sein Verfahren sei bereits erfolgreich in einem Wiederaufnahmeverfahren eingesetzt worden (S. 388 m.w. N.). 14 Auch wenn mit neueren EEG-Verfahren angeblich ebenso gute Darstellungen der Hirnaktivität erzielt werden können wie mit der sogleich dargestellten funktionellen Magnetresonanztomographie, siehe Langleben/Dattilio, J Am Acad Psychiatry Law 36 (2008), S. 502.

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

licher Auflösung bildlich darstellen. Als die wichtigsten Vertreter dieser Verfahren gelten die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Positronenemissionstomographie (PET). Soweit es überblickt werden kann, stammt die weltweit erste Studie, in der mit einem hirnbildgebenden Verfahren getestet wurde, ob bewusste Täuschungen im Vergleich zu wahrhaftigen Aussagen signifikant unterschiedliche Aktivitäten im Gehirn eines Menschen hervorrufen (in diesem Fall mit der PET15), von Markowitsch und seinen Kollegen von der Universität Bielefeld.16 Die erste derartige Untersuchung mit fMRT wurde im Jahr darauf von einer Forschungsgruppe um Spence veröffentlicht.17 Seitdem wurden in nur kurzer Zeit zahlreiche Studien publiziert, die ihr Augenmerk auf unterschiedliche Fragestellungen der „Lügendetektion“ mittels fMRT legten.18 15 Für dieses Verfahren wird der Versuchsperson ein (wenn auch nur schwach) radioaktiver Marker in die Blutbahn injiziert und anschließend der radioaktive Zerfall gemessen, um z. B. den lokalen Blutfluss zu bestimmen. Die PET ist also im Gegensatz zur fMRT ein invasives Verfahren und somit eingriffsintensiver als die fMRT. Weil sich hier unter dem Gesichtspunkt des „körperlicher Eingriffs“ i. S. v. § 136a StPO Probleme ergeben, die sich bei der fMRT nicht stellen, beschränkt sich die vorliegende Abhandlung auf die Darstellung der fMRT. Davon abgesehen wurden die weit überwiegende Anzahl der Studien mit der fMRT durchgeführt – auch wenn zwei der jüngsten Studien wiederum das Verfahren der PET anwandten, siehe Abe u. a., Cerebral Cortex 16 (2006), S. 192 ff.; ders. u. a., Journal of Cognitive Neuroscience 19 (2007), S. 287 ff. 16 Markowitsch u. a., Behav Neurology 12 (2000), S. 181 ff. Ähnlich wie später bei Ganis, Nuñez und Spence (siehe jeweils Fn. 18) bestand die Testgestaltung darin, dass die jeweilige Hirnaktivität der Probanden beim Hören von autobiographischen Geschichten und von strukturell sehr ähnlichen, aber fiktiven – zuvor von den Prüfern mit den Testpersonen gemeinsam entwickelten – Geschichten verglichen wurde. Dabei zeigte sich bei den wirklich erlebten Episoden eine erhöhte Aktivität in rechts frontalen Regionen des Gehirns, während bei den fiktiven Geschichten nur solche Regionen aktiviert waren, die mit bildhaftem Vorstellen in Verbindung gebracht werden. Eine Besonderheit war, dass für den eigentlichen Test diejenigen auf einen kurzen Schüsselsatz reduzierten Geschichten ausgewählt wurden, die – nach eigener Einschätzung der Probanden – die klarsten und unmittelbarsten Emotionen hervorriefen (Markowitsch u. a., Behav Neurology 12 [2000], S. 181, 183). Dies mag der Hauptgrund dafür sein, dass die Bielefelder Forscher bei der akustischen Präsentation der tatsächlich erlebten Geschichten Aktivität in Hirnregionen maßen, die schon zuvor in Zusammenhang mit emotionalen Prozessen gebracht worden waren, insbesondere in der Region des Mandelkerns (Amygdala); bei den Studien von Ganis, Nuñez und Spence wurde demgegenüber keine Aktivität in dieser Region festgestellt, und zwar auch dann nicht, wenn dies zuvor ausdrücklich als Ergebnis erwartet worden war (Kozel u. a., J. Neuropsychiatry Clin. Neurosci. 16 [2004], S. 295, 302). 17 Spence u. a., NeuroReport 12 (2001), S. 2849 ff. 18 Ganis u. a., Cerebral Cortex 13 (2003), S. 830 ff.; Ganis/Morris/Kosslyn, Soc Neurosci. 16. Oktober 2008, S. 1 ff.; Morgan/Lesage/Kosslyn, Soc Neurosci. 25. Juli 2008, S. 1 ff.; Kozel u. a., J. Neuropsychiatry Clin. Neurosci. 16 (2004), S. 295 ff.; Kozel u. a., Behav. Neurosci. 118 (4) (2004), S. 852 ff.; Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 608 ff.; Kozel/Johnson/Grenesko u. a., J Forensic Sci 54 (2009), S. 220 ff.; Lee u. a., Human Brain Mapping 15 (3)(2002), S. 157 ff.; Lee u. a.,

C. „Lügendetektion‘‘ mit funktioneller Magnetresonanztomographie

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Es ist indes wichtig, bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die eingesetzten Methoden grundsätzlich dieselben sind wie bei dem Polygraphentest – auch die bisher vorliegenden Studien mit fMRT verwendeten entweder einen Tatwissentest oder eine Kontrollfragenmethode oder Kombinationen aus beiden. Der Unterschied zum Polygraphentest besteht somit zunächst lediglich in dem angewandten (technischen) Verfahren, das in erster Linie einen direkten19 Zugang zu den physiologischen Vorgängen verspricht, die Aufschluss geben könnten über die sie verursachenden psychischen Prozesse. Es besteht allerdings durchaus die Erwartung, dass durch diesen direkten und insbesondere spezifischeren Zugang Erkenntnisse gewonnen werden können, die auch für die Entwicklung verbesserter Testmethoden genutzt werden könnten,20 was insbesondere vor dem Hintergrund des besprochenen BGH-Urteils von 1998 von hohem Interesse wäre. Eindeutige Vorhersagen zu diesem Thema wären jedoch verfrüht, die Forschung selbst steckt auch hier noch in den Anfängen.

C. „Lügendetektion“ mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) Auch wenn es vielfältige weitere neue Ansätze der „Lügendetektion“ gibt,21 ist doch festzustellen, dass die Forschung mit fMRT im Vergleich zu diesen anderen Verfahren bisher mit Abstand am weitesten gediehen ist.22 Die Darstellung wird sich daher weitgehend auf dieses Verfahren beschränken.

NeuroImage 28 (2005), S. 305 ff.; Langleben u. a., NeuroImage 15 (2002), S. 727 ff.; Langleben u. a., Human Brain Mapping 26 (2005), S. 262 ff.; Davatzikos u. a., NeuroImage 28 (2005), S. 663 ff.; Phan u. a., Acad. Radiol. 12 (2005), S. 164 ff.; Nuñez u. a., NeuroImage 25 (1) (2005), S. 267 ff.; Spence u. a., Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci 359 (2004), S. 1755 ff.; Spence u. a., NeuroImage 40 (2008), S. 1411 ff.; Mohamed u. a., Radiology 238 (2) (2006), S. 679 ff.; Hakun u. a., Neurocase 14 (2008), S. 59 ff.; Monteleone u. a., Soc Neurosci. 2. April 2008, S. 1 ff.; Gamer u. a., Human Brain Mapping 28 (2007), S. 1287 ff.; Gamer u. a., Social Cognitive and Affective Neuroscience 2009, doi:10.1093/scan/nsp005; Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382 ff. 19 Vgl. etwa Wolpe/Foster/Langleben, American Journal of Bioethics 5 (2) (2005), S. 39, 40 f.; Langleben/Dattilio/Guthei, Journal of Psychiatry and the Law 34 (3), (2006), S. 351, 357; Stoller/Wolpe, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 359, 364. 20 Siehe dazu auch unten 3. Kapitel C. VIII. 21 Siehe zu diesen unten 3. Kapitel D. 22 Vgl. Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2207), S. 377, 387 u. 390.

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

I. Grundlagen der Magnetresonanztomographie Mit der Magnetresonanztomographie (auch: Kernspintomographie) lässt sich Gewebe unterschiedlicher Dichte recht genau abbilden.23 Sie basiert auf dem Phänomen der Kernresonanz: Alle Atomkerne mit ungerader Nukleonenzahl (Summe aus Protonenzahl und Neutronenzahl) besitzen ein magnetisches Moment, sie lassen sich daher als winzige Dipolmagnete vorstellen. Wird etwa eine Wasserprobe einem äußeren Magnetfeld ausgesetzt, richten sich die Protonen nach den Feldlinien aus und bewegen sich wie Kreisel um die Feldachse. Dabei kreisen manche Atomkerne antiparallel zur Feldachse, die meisten jedoch parallel zu ihr. Dieser Unterschied ist allerdings nicht ohne weiteres messbar. Wird dieses System nun jedoch durch einen Hochfrequenz-Impuls beeinflusst, können die Protonen unter bestimmten Voraussetzungen einen Teil dieser Hochfrequenz-Energie aufnehmen, woraufhin sie nach und nach in die höherenergetische antiparallele Stellung „umklappen“.24 Wird der Hochfrequenz-Einfluss beendet, wird die zugeführte Energie wieder abgestrahlt und kann über eine Antenne oder Empfängerspule empfangen werden. Durch den Aufbau weiterer Magnetfelder, die sich mit dem Hauptmagnetfeld überlagern, lassen sich die empfangenen Signale orten.25 Diese Signale werden schließlich im Wege einer Datennachbearbeitung in Bilder des aufgenommenen Gewebes umgerechnet. Der Tomograph selbst ist gleichsam ein großer Magnet, dessen Magnetfeld um ein vielfaches stärker ist als das der Erde.26 Der Proband liegt auf einem Tisch, der in eine Röhre geschoben wird, in der sich wiederum der Magnet befindet. Während der Untersuchung muss der Proband die ganze Zeit über bewegungslos bleiben. Die Untersuchung ist jedoch weder mit Schmerzen verbunden noch berührt sie sonst die körperliche Unversehrtheit.27

II. Funktionelle Magnetresonanztomographie Die funktionelle MRT (fMRT) basiert auf der MRT und misst im Unterschied zu jener nicht die Anatomie (hier: des Gehirns), sondern kann lokale Änderungen der Hirndurchblutung nach gezielter Stimulation (z. B. motorisch, sensorisch oder visuell) registrieren und dient somit der Lokalisierung von Hirnfunktionen.

23

Markowitsch/Siefer, S. 48. Heiland/Skalej, in: Neuroradiologie, S. 13. 25 Heiland/Skalej, in: Neuroradiologie, S. 14. 26 Die Magnetfelder haben eine Stärke von mehreren Tesla, wobei 1 Tesla etwa dem Zwanzigtausendfachen des Erdmagnetfeldes entspricht. 27 Thompson, Cornell Law Review 90 (2005), S. 1601, 1607 m.w. N. Die minimale Veränderung durch die o. g. lediglich Sekunden andauernde Energieanreicherung einiger Protonen kann dabei vernachlässigt werden. 24

C. „Lügendetektion‘‘ mit funktioneller Magnetresonanztomographie

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Das Gehirn wird gleichsam bei seiner Tätigkeit beobachtet, z. B. dem Erzeugen von Gedanken, Empfindungen, Erinnerungen und motorischen Befehlen. Der Wirkungsweise der fMRT liegt der Umstand zugrunde, dass sauerstoffreiches Blut andere magnetische Eigenschaften hat als sauerstoffarmes Blut. Wird eine Hirnregion durch Stimulation aktiviert, erhöht sich dort die Konzentration von Oxyhämoglobin. Da Deoxyhämoglobin zu einem Signalabfall führt, während Oxyhämoglobin das Bildsignal nicht beeinflusst, kommt es bei einer Aktivierung zu einem Signalanstieg, der nach vier bis sechs Sekunden sein Maximalniveau erreicht, welches zwei bis sechs Sekunden anhält (BOLD-Kurve, von engl. Blood Oxygen Level Dependent). Der Anstieg ist insgesamt jedoch gering, weshalb eine aufwändige computergestützte Datennachbearbeitung notwendig ist.28 Es wird mit der fMRT also nicht die neuronale Aktivität selbst, sondern nur ein physiologisches Korrelat gemessen, das vom Sauerstoffgehalt des Blutes abhängt und das einige Sekunden nach dem eigentlichen „Feuern“ der Neuronen seinen Maximalwert erreicht. Zwar können mit der fMRT nicht einzelne Neuronen dabei beobachtet werden, wie sie in immer neue Netze eingebunden werden, doch gelingt es den Geräten bereits, immerhin die Aktivität von Neuronengruppen zu verfolgen. Hervorzuheben ist, dass zum Zweck der „Lügendetektion“ auch mit dem Verfahren der fMRT, ebenso wie beim Polygraphentest, Unterschiede zwischen den Reaktionen auf bestimmte Reize gemessen werden. Die Messung der Aktivität, die als Reaktion auf einen bestimmten Stimulus auftritt, kann also nur dann aussagekräftige Daten liefern, wenn sie in Relation gesetzt wird zu einer Vergleichsaktivität bzw. zu einem Grundzustand. Dieser Grundzustand, im Fall der „Lügendetektion“ die jeweilige Hirnaktivität bei wahrhaftigen Antworten, muss somit stets zuvor seinerseits festgelegt werden, indem man verschiedene dieser Aufgabe entsprechende Messungen vornimmt.29 Von einer weiterreichenden Beschreibung des Verfahrens soll im Rahmen dieser rechtswissenschaftlichen Abhandlung abgesehen werden; es sei diesbezüglich auf die einschlägigen Publikationen verwiesen.30

28 Zu Einzelheiten siehe Zimmerman/Gibby/Carmody, S. 219; ausführlich zu den Rohdaten, ihrer Vor- und Nachbearbeitung und neuen Verarbeitungsmethoden der Mustererkennung Schleim, S. 48 ff. 29 Vgl. Langleben/Dattilio/Guthei, Journal of Psychiatry and the Law 34 (3), (2006), S. 351, 359; Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382, 383 m.w. N. 30 Eine instruktive Darstellung findet sich beispielsweise bei Schleim, S. 42 ff.

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

III. Übersicht über verschiedene Studien zur „Lügendetektion“ mit fMRT Bis zum Zeitpunkt der Drucklegung lagen mindestens 20 Studien vor,31 die sich mit der „Lügendetektion“ mittels fMRT beschäftigen. Beinahe alle dieser Studien waren Laborstudien, in denen die Probanden die Wahrheit sagten oder logen, weil dies von der Versuchsgestaltung vorgesehen war.32 Die Probanden antworteten, indem sie Knöpfe drückten oder verschiedene Finger hoben, seltener durch verbale Äußerungen. Zur Erhöhung der Täuschungsmotivation wurde den Testpersonen bei einigen der Experimente Geld versprochen, wenn ihnen der Täuschungsversuch gelingen sollte. Weil bei der „Lügendetektion“ mit fMRT ein völlig neuartiges Verfahren zum Einsatz kommt und um eine Vorstellung von den jeweils gewählten Versuchsgestaltungen zu vermitteln – die sich keineswegs immer ähneln –, seien einige der Studien in aller Kürze beschrieben.33 Die Forschungsgruppe um Spence34 ging so vor, dass sie die Teilnehmer Behauptungen darüber sehen oder hören ließ, welche Aktivitäten sie an dem betreffenden Tag unternommen hätten. Die Probanden sollten durch das Drücken des entsprechenden Knopfes („ja“ bzw. „nein“) signalisieren, ob sie der Behauptung zustimmten. Immer wenn dabei die Bildschirmanzeige eine bestimmte Farbe annahm (z. B. von rot zu grün wechselte oder umgekehrt), sollten die Probanden den „falschen“ Knopf drücken, also lügen.35 Ganis und seine Kollegen36 untersuchten ebenfalls die differentielle Hirnaktivität bei autobiographischen und fiktiven Episoden. Ferner trugen sie jedoch auch der Vermutung Rechnung, dass sich unterschiedliche Arten von Lügen auch in unterschiedlichen Gehirnaktivitäten zeigen könnten. Sie stellten dabei spontan-isolierte Lügen jenen gegenüber, die zuvor erdacht und Teil einer Erzählung waren. Es zeigte sich, dass diese verschiedenartigen Lügen tatsächlich unterschiedliche Messergebnisse erbrachten. Bei den spontan-isolierten Lügen 31

Siehe oben Fn. 18. Anders aber z. B. bei Spence u. a., NeuroImage 40 (2008), S. 1411 ff. 33 Eine detaillierte Gegenüberstellung der einzelnen, auch der hier nicht weiter erörterten Studien bietet Spence, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 11, 13 ff.; eine kompaktere (und nicht ganz vollständige) Übersicht findet sich bei Vrij, Detecting Lies, S. 367 Tabelle 13.1; siehe schließlich Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382, 383. 34 Spence u. a., NeuroReport 12 (2001), S. 2849 ff. 35 Die jeweilige „Signalfarbe“ wechselte zudem während der einzelnen Testläufe, ohne dass sich dies in unterschiedlichen Ergebnissen niedergeschlagen hätte, vgl. Spence u. a., NeuroReport 12 (2001), S. 2849, 2850 f., so dass ausgeschlossen werden kann, dass das Wahrnehmen einer bestimmten Farbe der eigentliche Grund für die beim Lügen erhöhte Hirnaktivität war. 36 Ganis u. a., Cerebral Cortex 13 (2003), S. 830 ff. 32

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waren unter anderen jene Gehirnareale verstärkt aktiviert, von denen angenommen wird, dass sie für semantisches und episodisches Wissen und Visualisierung zuständig sind.37 Demgegenüber zeigte sich bei den erlernten und eingebundenen Lügen eine erhöhte Aktivität in dem Areal, das mit dem Abrufen von Informationen aus dem episodischen Gedächtnis in Verbindung gebracht wird.38 Lee und ihre Mitarbeiter39 untersuchten, inwieweit sich simulierte Gedächtnisschwäche entdecken lässt, was in zweiter Linie ebenfalls Erkenntnisse für die „Lügendetektion“ liefern sollte. Die Teilnehmer sollten dabei – nach ihrem eigenen Ermessen – absichtliche Fehler machen bei der Beantwortung von Fragen über bestimmte Zahlen und über autobiographische Daten.40 Bhatt und Kollegen41 wollten herausfinden, welchen neuronalen Niederschlag die absichtliche Falschidentifizierung von (durch Aufnahmen von Gesichtern dargestellte) Individuen im Vergleich zur korrekten Identifizierung findet. Dabei wurden zwei Arten von „Lügen“ getestet: Einmal sollten die Probanden versuchen den Untersucher davon zu überzeugen, dass ihnen eine Person nicht bekannt ist, obwohl diese ihnen zuvor gezeigt worden war; und in einer weiteren Testreihe waren die Testpersonen angehalten, den Untersucher glauben zu machen, sie erkennten eine bestimmte Person wieder, obwohl diese ihnen vorher nicht gezeigt worden war. Eine weitere deutsche Studie stammt von Gamer und seinen Kollegen42 von der Universität Mainz. Die Forscher wählten die Methode des Tatwissentests. In den Versuchen sollten die Probanden über den Besitz bestimmter Spielkarten 37 Ganis u. a., Cerebral Cortex 13 (2003), S. 830, 833, mit der Beschreibung weiterer aktivierter Areale und Nachweisen zu Studien, in denen diese Hirnareale näher untersucht wurden. 38 Ganis u. a., Cerebral Cortex 13 (2003), S. 830, 833 f.; siehe zudem Ganis/Morris/Kosslyn, Soc Neurosci. 16. Oktober 2008, S. 1 ff., in dem die Forscher u. a. untersuchten, ob sich die Hirnaktivität bei Lügen über die eigene Person anders darstellt als bei Lügen über andere Personen; siehe auch die Darstellung über zwei Studien von Morgan/Lesage/Kosslyn, Soc Neurosci. 25. Juli 2008, S. 1 ff., die an die Studie von Ganis u. a. (2003) anknüpfen. 39 Lee u. a., Human Brain Mapping 15 (3) (2002), S. 157 ff. 40 In einem Artikel aus dem Jahr 2005 fassen Lee und Kollegen die Ergebnisse dreier weiterer Studien zu der Detektion simulierter Gedächtnisschwäche zusammen. Sie berichten darüber, dass unabhängig von den Variablen Stimulus, Geschlecht und Muttersprache stets auffällige Aktivitäten in den präfrontalen und parietalen Regionen des Gehirns zu verzeichnen waren, Lee u. a., NeuroImage 28 (2) (2005), S. 305 ff.; siehe auch die jüngste Studie Lees und ihrer Kollegen: Lee u. a., Brain Cogn 69 (2009), S. 406 ff. 41 Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382 ff. 42 Gamer u. a., Human Brain Mapping 28 (2007), S. 1287 ff. Interessanterweise ist Langleben, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 1, 4, der Ansicht, Gamer und Kollegen hätten mit dieser Studie seine eigene Studie aus dem Jahr 2005 (Langleben u. a., Human Brain Mapping 26 (2005), S. 262 ff., zu dieser Studie Näheres sogleich) reproduziert, während Spence, Legal and Criminological Psychology 13

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

und Banknoten lügen. Darüber hinaus maßen die Forscher die Reaktionszeit43 und den Hautwiderstand der Testpersonen – eine bereits von dem Polygraphentest bekannte Reaktion des peripheren vegetativen Nervensystems.

IV. Die Versuche von Kozel und Langleben Etwas ausführlicher sollen die diversen Studien von Kozel und Langleben dargestellt werden, weil diese, soweit ersichtlich, bisher die einzigen sind, die nicht nur Gruppenanalysen der erhobenen Daten durchführten, sondern auch für einzelne Versuchspersonen zu entscheiden suchten, ob sie wahrhaftig antworteten oder nicht, und somit eine unabdingbare Voraussetzung für einen funktionierenden „Lügendetektortest“ erfüllten. In der von Kozel 44 und Mitarbeitern in ihrer ersten Studie mit Individualanalyse gewählten Versuchsanordnung sollten die Probanden vor dem eigentlichen Test eine Scheintat45 begehen, indem sie aus einem Schrank entweder eine Uhr oder einen Ring entwendeten. Während des Tests wurden die Probanden dann unter anderem gefragt, ob sie wüssten, wer die Uhr an sich genommen habe oder ob sie den Ring gestohlen hätten.46 Insgesamt wurden je 20 neutrale Fragen (z. B.: „Gehen Sie gerne Schwimmen?“, 20 Fragen zum Ring und zu der Uhr (also tatbezogene Fragen) sowie 20 Kontrollfragen (etwa: „Haben Sie je geflucht?“ oder „Haben Sie je etwas Illegales getan?“) gestellt, wobei die neutralen und die Kontrollfragen wahrheitsgemäß, die tatbezogenen Fragen indes allesamt mit „nein“ zu beantworten waren: Hinsichtlich des tatsächlich genommenen Gegenstands sollten die Versuchspersonen also die Unwahrheit sagen. Methodisch verwandte Kozel den bereits im Zusammenhang mit dem Polygraphen beschriebenen Kontrollfragentest.

(2008), S. 11, 24, die Auffassung vertritt, es gebe in der fMRT-Literatur bislang „noch kein einziges Beispiel für dieses grundlegende Erfordernis [der Reproduzierbarkeit]“. 43 Reaktionszeitmessungen nahmen ebenso Spence (2001), Ganis, Langleben (2005), Davatzikos und Nuñez vor (siehe jeweils Fn. 18). 44 Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605; dies ist die dritte von drei von Experten begutachteten Studien dieser Forschergruppe, die ersten beiden stammen aus dem Jahr 2004 (Kozel u. a., J. Neuropsychiatry Clin. Neurosci. 16 [2004], S. 295 ff. und ders. u. a., Behav. Neurosci. 118 (4) [2004], S. 852 ff.): Bei diesen Experimenten wurde den Teilnehmern zuvor gezeigt, unter welchen beiden von zehn Gegenständen ein bestimmter Geldschein versteckt war. Während der Untersuchung wurden den Teilnehmern die zehn Gegenstände gezeigt und sie bei jedem einzelnen gefragt, ob sich das Geld unter ihm befunden habe. Die Teilnehmer sollten bezüglich des Fundortes des einen Geldscheins die Wahrheit sagen und hinsichtlich des anderen lügen, indem sie behaupteten, er habe unter einem anderen Gegenstand gelegen. 45 Die Scheintat-Versuchsanordnung wählten auch Mohamed u. a. (Fn. 18). 46 Vgl. den vollständigen Fragenkatalog: Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 613.

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Hervorzuheben ist Kozels Vorgehen: Er untersuchte zwei Gruppen zu 30 bzw. 31 Probanden. Anhand der Messungen bei der ersten Gruppe wurde ein Modell entwickelt, das mittels der Hirnaktivität Täuschung und Wahrhaftigkeit unterscheiden können sollte.47 Dieses Modell wandten die Forscher auf die zweite Gruppe an – mit dem Ergebnis, dass bei 90 Prozent dieser Versuchspersonen korrekt bestimmt werden konnte, welchen Gegenstand sie jeweils genommen hatten.48 Als Motivation wurden den Teilnehmern zusätzlich 50 Dollar versprochen, sollte es ihnen gelingen, den Test zu überlisten. Tatsächlich gaben einige der Teilnehmer später an, sie hätten aufgrund des zusätzlichen Anreizes versucht, dies durch bestimmte „Abwehrstrategien“ (engl. countermeasures) zu erreichen, indem sie etwa ihre Atmung veränderten, die Antwort herauszögerten oder sich einen bestimmten Ort vorstellten.49 Die Maßnahmen hatten allerdings keinen signifikanten Einfluss auf die Testergebnisse.50 Langleben und seine Kollegen wählten eine Kombination aus Tatwissentest und der so genannten „Differentiation of Deception (DDP)“-Methode.51 22 Versuchspersonen – auch ihnen wurde Geld versprochen, sollte es ihnen gelingen, den Computer zu täuschen52 – erhielten jeweils zwei Spielkarten, namentlich die Kreuz fünf und die Pik sieben.53 Während des Tests sollten die Teilnehmer 47 Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 608 ff. Kozel maß eine erhöhte Aktivierung in drei Bereichen des Gehirns, wenn die Versuchspersonen bezüglich desjenigen Gegenstandes antworteten, den sie tatsächlich an sich genommen hatten (erhöht wohlgemerkt auch im Vergleich zu den Reaktionen auf den Gegenstand, den sie nicht genommen hatten, nicht nur im Vergleich zu den neutralen Fragen), darunter auch Regionen, die schon in früheren Studien aufgefallen waren (z. B. der präfrontale Kortex). Hinzuzufügen ist allerdings, dass bei vier von 30 Personen in keinem dieser drei Regionen erhöhte Aktivität festgestellt wurde und bei einigen anderen Teilnehmern jeweils nur eine oder zwei dieser Regionen verstärkt aktiv waren. 48 Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 610. 49 Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 611 f. 50 Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 612. 51 Diese Form der laborexperimentellen Grundlagenforschung wurde entwickelt von Furedy (Furedy u. a., Psychophysiology 25 [1988], S. 683 ff.) und knüpft an dem Hauptkritikpunkt an der „Lügendetektion“ an, dass sowohl beim TWT als auch beim KFT die gemessenen Unterschiede in der physiologischen Reaktion zumindest nicht direkt auf den Unterschied zwischen „Lüge“ und „Wahrhaftigkeit“ zurückzuführen sind. Die DDP-Methode ist hingegen darauf ausgerichtet, alle anderen Erklärungen für die gemessenen Unterschiede auszuschließen. Werden etwa inhaltlich gleichbedeutende Fragenpaare dargeboten („Wie alt ist Ihr Vater“? – „Wie alt ist Ihre Mutter“?) und soll die Versuchsperson eine Frage wahrheitsgemäß und eine Frage wahrheitswidrig beantworten, so müssen die physiologischen Reaktionsunterschiede ihren Grund in der unterschiedlichen Bedeutung von Täuschung und Wahrhaftigkeit haben. Siehe dazu eingehend etwa Rill, S. 76 ff. m.w. N. 52 Langleben u. a., Human Brain Mapping 26 (2005), S. 262, 263. 53 Die „Spielkarten-Testgestaltung“ findet sich bereits bei Langlebens erster Studie (Langleben u. a., NeuroImage 15 [2002], S. 727 ff.) sowie bei Phan u. a., Acad. Radiol. 12 (2005), S. 164 ff.

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den Besitz der einen Karte leugnen, wenn sie auf einem Bildschirm angezeigt wurde, den der anderen im gleichen Fall zugeben – den Besitz welcher der beiden Karten sie leugnen bzw. zugeben würden, blieb dabei den Probanden selbst überlassen. Bei dem Test wurde den Probanden für die Dauer von zwei Sekunden eine Karte gezeigt, gefolgt von einer sog. „Nullkarte“ (nur die Rückseite), null bis 16 Sekunden lang, diese wiederum gefolgt von einer Karte. Während jedes Testlaufs sah ein Proband auf einem Bildschirm die „Wahrheits“-, die „Lüge“- und eine bestimmte Ablenkungskarte (Herz-2) jeweils 24 Mal und andere Ablenkungskarten 168 Mal;54 insgesamt mussten die Probanden also während jedes Testlaufs 240 Antworten geben auf die immer gleiche Frage, ob sie im Besitz der gezeigten Karte seien. Jeder Teilnehmer musste somit 216 Mal mit „Nein“ antworten und 24 Mal mit „Ja“ (nämlich wenn die vom Probanden bestimmte „Wahrheits“-Karte gezeigt wurde, die sich ja auch tatsächlich in seinem Besitz befand). Als Gruppendurchschnittswerte analysiert, zeigten die Ergebnisse verschiedene Areale, deren Aktivität sich bei „Lüge“ und „Wahrhaftigkeit“ unterschieden (diese deckten sich allerdings nur zum Teil mit jenen aus der ersten Langleben-Studie55). Anschließend analysierten die Forscher jeden Teilnehmer individuell, nachdem sie aus den Ergebnissen der Gruppenanalyse ein Modell entwickelt hatten, welches auf den Einzelnen übertragen wurde – die Trefferquote betrug 78 Prozent. In einer weiteren Studie benutzte die Forschungsgruppe um Langleben die Daten der soeben dargestellten Untersuchung, verwandte aber eine andere Methode der Datenanalyse („high dimensional non-linear pattern classification method“), bei der nicht nach den BOLD-Kurven einzelner Neuronengruppen gesucht wird, sondern durch die Auswertung von Grauwerten mit Hilfe von Mustererkennungsalgorithmen gewisse Regelmäßigkeiten in der Aktivierung verschiedener Neuronengruppen gefunden werden sollen.56 Im Verlauf der ersten Versuchsreihen „übte“ der Computer, indem er stets erfuhr, ob eine Versuchsperson die Wahrheit sagte oder nicht. Mit dem daraus entwickelten Algorithmus konnte das Programm anschließend bei dieser Person mit 99-prozentiger Sicherheit feststellen, ob sie über den Besitz der „Wahrheits“-Karte log oder nicht.57 Der Algorithmus wurde anschließend auf vier Personen angewendet, die an der Trainingsphase nicht beteiligt waren (Vergleichsprüfung, engl. cross-validation). Bei diesen betrug die Trefferquote noch 88 Prozent.58,59 Allerdings 54

Langleben u. a., Human Brain Mapping 26 (2005), S. 262, 263. Langleben u. a., NeuroImage 15 (2002), S. 727 ff. 56 Siehe zu Einzelheiten dieser Datenanalyse durch Mustererkennung Schleim, S. 58 ff. 57 Davatzikos u. a., NeuroImage 28 (2005), S. 663. 58 Davatzikos u. a., NeuroImage 28 (2005), S. 663. 55

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überschnitten sich die hier für die Dateninterpretation wichtigsten Hirnareale wiederum nur zum Teil mit denen aus den beiden anderen Studien. Im Jahr 2009 publizierten Kozel und Kollegen eine zweite individualanalytische Studie,60 die sich besonders durch ihre Wirklichkeitsnähe auszeichnet. Die Probanden wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Die Teilnehmer der ersten, der „Scheintatgruppe“ sollten zunächst in einem bestimmten Zimmer (No. 370) eines Gebäudes einen Umschlag entgegennehmen, der weitere Instruktionen enthielt. In diesen wurden die Teilnehmer aufgefordert, in einem anderen Zimmer eines anderen Gebäudes eine CD zu vernichten, auf der sich die Aufnahme eines „Raubes“ in einem Lebensmittelladen befand. Als Mittel der Zerstörung wurde den Testpersonen ein sich in dem Raum befindlicher Schredder empfohlen, der jedoch unbrauchbar gemacht wurde, um die Testpersonen in eine unerwartete Situation zu bringen und somit ihr Stressniveau zu erhöhen. Den Mitgliedern der anderen Gruppe wurde erzählt, dass jemand eine CD vernichtet habe, auf der die Aufnahme eines Raubes gespeichert gewesen sei; für diese Tat benötigten die Teilnehmer ein Alibi. Die Teilnehmer beider Gruppen waren angewiesen, den Erhalt des Umschlages in Zimmer 370 einzuräumen, die „Tat“ jedoch abzustreiten. Ziel der Untersucher war es herauszufinden, ob die jeweilige Testperson die „Tat“ begangen bzw. den Umschlag tatsächlich erhalten hatte oder nicht.61 Im Ergebnis erkannten die Untersucher 100 Prozent der „Täter“ (Sensitivität 100 Prozent), sie klassifizierten aber nur 33 Prozent der Nicht-Täter richtig (Spezifität).62 Direkt im Anschluss an die erste Untersuchung sollten alle Teilnehmer noch eine Ring/Uhr-Tat begehen, wie schon in der ersten Studie von Kozel (vgl. oben). In dem anschließenden Test erkannten die Examinatoren in 71 Prozent der Fälle korrekt, welchen Gegenstand, Ring oder Uhr, die jeweilige Testperson an sich genommen hatte.63

59 Langleben selbst hält es allerdings für nicht ausgeschlossen, dass dieses Ergebnis zumindest teilweise darauf zurückzuführen sein könnte, dass die Probanden weitaus seltener die „Nein“-Taste drücken mussten (24 von 240 Mal) und dies daher im Vergleich ein ungewöhnliches Ereignis war, das unabhängig von der Wahrhaftigkeit der Antwort zu einer höheren Hirnaktivität führte, siehe Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 397 u. dort in Fn. 96. 60 Kozel/Johnson/Grenesko u. a., J Forensic Sci 54 (2009), S. 220 ff. 61 Siehe näher zur Testgestaltung Kozel/Johnson/Grenesko u. a., J Forensic Sci 54 (2009), S. 220, 221 f. 62 Die Autoren der Studie erklären diesen Befund u. a. damit, dass die kognitive Anstrengung, die die Lüge über den Umschlag erforderte, zu niedrig war, um eine ausreichende Hirnaktivität auszulösen (Kozel/Johnson/Grenesko u. a., J Forensic Sci 54 (2009), S. 220, 226 f., dort auch detailliertere Erklärungsversuche). 63 Kozel/Johnson/Grenesko u. a., J Forensic Sci 54 (2009), S. 220, 226.

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

V. Ergebnisse der Studien Auch mit der fMRT wurde keine spezifische (Hirn-)Reaktion für das Lügen gefunden und die bisherigen Studien lassen vermuten, dass ein Hirnaktivitätsmuster, das einzig mit Lügen in Zusammenhang steht, auch nicht existiert.64 Insgesamt erbrachten die verschiedenen Studien dennoch das Ergebnis, dass in Gehirnen von Testpersonen, die lügen, zumindest zum Teil andere Areale aktiv sind, als wenn diese Personen wahrhaftig antworten,65 wobei die besonders aktiven Hirnregionen je nach Studie teilweise erheblich differierten.66 Zumindest eine der Ursachen für diesen Befund liegt darin, dass die einzelnen Versuchsanordnungen keinem einheitlichen Muster folgten, sondern sich ihrerseits z. T. stark voneinander unterschieden.67 Nichtsdestoweniger sind auch einige Übereinstimmungen zu beobachten: In den meisten Studien war während der wahrheitswidrigen Antwort in Regionen des präfrontalen Kortex größere Aktivität zu verzeichnen als beim Sagen der Wahrheit;68 insbesondere im dorsolateralen Bereich.69 Langleben sieht Übereinstimmungen bei der präfronto-parietalen Aktivierung.70 Auch im anterioren cingulären Kortex zeigte sich häufiger eine erhöhte Aktivität.71 Sofern schließlich zusätzlich zur Aktivität des Gehirns die Reaktionszeit der Versuchspersonen gemessen wurde, ergaben sich in den meisten Fällen für die unwahrhaftige Antwort längere Reaktionszeiten als für die wahrhaftige.72 64

Vrij, Detecting Lies, S. 369 m.w. N. Vgl. Vrij, Detecting Lies, S. 368. 66 Einzelheiten bei Gamer u. a., Human Brain Mapping 28 (2007), S. 1287, 1288 f.; Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 403, zählen ein gutes Dutzend über das gesamte Gehirn verteilter Hirnregionen auf, in denen bei den Untersuchungen eine beim Lügen erhöhte Aktivität festgestellt wurde. 67 So unterschieden sich die Studien unter anderem nach der Auswahl des Stimulus und der Antwortmodalitäten; danach, ob die Teilnehmer sich frei dafür entscheiden konnten, ob und wann sie lügen würden; nach der jeweiligen Motivation für die Probanden zu lügen (z. B. in Aussicht gestellte Belohnung etc.) und dem Ausmaß der emotionalen Beteiligung; nach der Art der Lüge, die benutzt werden sollte, siehe Happel, Review of Policy Research 22 (5) (2005), S. 667, 675; schließlich wandten die jeweiligen Forscher ganz unterschiedliche Methoden an: zumeist die des Tatwissentests oder seine Varianten – zum Teil aber auch direkte Methoden; siehe zu den Variablen bei der Testgestaltung bereits oben und nochmals Spence, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 11, 13. 68 Vgl. Spence, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 11, 22. 69 Priori u. a., Cerebral Cortex 18 (2008), S. 451, 452. 70 Langleben, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 1, 4. In diesem Bereich wurde anfangs sogar das spezifische „Lügenzentrum“ vermutet, bis sich diese Hypothese aufgrund neuerer Erkenntnisse nicht mehr aufrecht erhalten ließ, siehe Langleben, a. a. O. m.w. N. Vielmehr stellt sich Lügen, auch bei einer Betrachtung der Hirnaktivität, als ein Vorgang heraus, der inter- und intrapersonelle Unterschiede aufweist, siehe Vrij, Detecting Lies, S. 369 m.w. N. 71 Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382, 383 m.w. N. 65

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Nicht nur durch die Studie von Ganis und Mitarbeitern wurde deutlich, dass unterschiedliche Arten von Lügen von unterschiedlicher Hirnaktivität begleitet werden, je nachdem, welche Aufgaben mit der speziellen Art der Lüge verbunden sind.73 Bereits angesprochen wurden die Trefferquoten, die nur in vier aller Studien ermittelt wurden, weil auch nur in diesen Studien bei einzelnen Teilnehmern getestet wurde, ob sie un/aufrichtig antworteten: Langleben erzielte 2005 eine Trefferquote von 78 Prozent und, bei dem gleichen Experiment mit einer aufwändigeren Auswertungsmethode, eine Quote von 90 Prozent. Kozel und Kollegen lagen in ihrer ersten Studie in 90 Prozent der Fälle richtig, in der zweiten betrug die Sensitivität 100 Prozent, während die Spezifität lediglich bei 33 Prozent angesiedelt war.

VI. Beurteilung Auch wenn die neuen Versuche, der „Lüge“ bzw. absichtlichen Täuschungen auf die Spur zu kommen, bisher mit Abstand am intensivsten mit dem Verfahren der fMRT unternommen wurden und in den USA Firmen bereits „Lügendetektor“-Tests mit Hilfe von fMRT anbieten:74 Die bisher vorliegenden Studien rechtfertigen es noch nicht, bereits von einem zuverlässigen Verfahren zu sprechen – was allerdings auch von keinem der Wissenschaftler behauptet wird. Gerade angesichts der rasanten Entwicklung kann eine Beurteilung der bisher vorliegenden Studien auch lediglich eine Momentaufnahme sein. Sie sei gleichwohl an dieser Stelle vorgenommen, weil hierdurch unter anderem deutlich wird, in welche Richtung weitere Bemühungen unternommen werden müssen. So haben bislang nur die erwähnten Studien von Kozel und Langleben bzw. Davatzikos überhaupt die Anwendbarkeit auf Individuen untersucht.75 Alle an72 Vgl. Spence, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 11, 22. Allerdings erbrachte insbesondere die Studie von Davatzikos und Kollegen gerade das gegenteilige Ergebnis: Bei ihnen benötigten die Testpersonen für die Lüge weniger Zeit als für die aufrichtige Antwort, Davatzikos u. a., NeuroImage 28 (2005), S. 663, 665. 73 Ganis, Cerebral Cortex 13 (2003), S. 830 ff.; Abe u. a., Cerebral Cortex 16 (2006), S. 192 ff.; Priori u. a., Cerebral Cortex 18 (2008), S. 451 ff.; kein Problem für die Anwendung sehen in dieser Tatsache Langleben/Dattilio, J Am Acad Psychiatry Law 36 (2008), S. 502, 503, denn ihr könne dadurch Rechnung getragen werden, dass man sich jeweils auf eine spezifische Lüge/Täuschung beschränkt und dies bei der Gestaltung des Experiments berücksichtigt. 74 Dies trifft zumindest für „No Lie MRI“ zu; „CephosCorp“ war zunächst zurückhaltender, scheint aber mittlerweile die Geschäftstätigkeit ebenfalls aufgenommen zu haben. Eine kritische Darstellung der Internetauftritte der beiden Firmen (http:// www.noliemri.com; http://www.cephoscorp.com) findet sich bei Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 391 ff. 75 Es existiert eine weitere derartige Studie, die jedoch nicht die fMRT einsetzte, sondern die Magnetenzephalographie (MEG), mit der insbesondere eine hohe zeitliche

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

deren Studien begnügten sich mit einer Gruppenanalyse der Daten, welche zwar Durchschnittswerte angeben kann, über die Tauglichkeit für den individuellen Einsatz aber kaum Auskünfte zu geben vermag. Von den bekannten Studien wurden bisher lediglich wenige reproduziert.76 Ansonsten unterschieden sich die einzelnen Studien zum Teil erheblich, sowohl was die jeweilige Aufgabenstellung, als auch was insbesondere die Wahl der Analysemethoden betrifft. Reproduzierbarkeit (also die Wiederholbarkeit von empirischen Forschungsmethoden) ist jedoch Grundvoraussetzung für die wissenschaftliche Anerkennung von Experimenten. Dabei sollen die unter gleichen Versuchsbedingungen gewonnenen Ergebnisse möglichst gut übereinstimmen.77 Der Grad der Reproduzierbarkeit gleicher Ergebnisse – entweder durch die Auswertung des Tests durch verschiedene Auswerter oder durch eine erneute Durchführung desselben Tests, die sog. Reliabilität bzw. Messgenauigkeit, ist ihrerseits Vorbedingung für die Validierung von Testergebnissen.78 Bisher war auch die Anzahl der jeweils getesteten Versuchspersonen recht gering, wobei die Teilnehmer auch noch zumeist relativ homogene Gruppen bildeten: Frauen, Linkshänder und nicht-weiße Versuchspersonen waren zum Teil weit unterrepräsentiert; Kinder und Alte, körperlich oder psychisch Kranke oder unter Medikamenten bzw. Drogen stehende Personen nahmen bislang gar nicht an Studien teil ab.79 Schließlich sind die Ergebnisse der vorliegenden Studien deswegen für eine praktische Anwendung weitgehend ungeeignet, weil die meisten Versuchsanordnungen nicht einmal das Begehen von Scheintaten und ihr Bestreiten umfassten, sondern z. B. lediglich vorsahen, dass etwa über den Besitz von Spielkarten die Auflösung erzielt werden kann. Seth und Kollegen erzielten ebenfalls Trefferquoten von mindestens 78 Prozent, teilweise erreichten sie über 90 Prozent, Seth u. a., NeuroImage 32 (2006), S. 465. 76 Siehe Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 611; Langleben, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 1, 4. – Siehe jedoch Spence, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 11, 24, nach dessen Auffassung keine der bekannten Studien das Kriterium der intrapersonellen Reproduzierbarkeit (Reliabilität; siehe dazu 2. Kap., Fn. 43 und Fn. 222) ausreichend erfüllen könne, auch wenn Spence nach eigener Aussage z. T. nur geringere Mängel findet. Ausführlich vergleicht Spence dabei die verschiedenen Studien, die mit der Tatwissenmethode arbeiteten (Spence, a. a. O., S. 22 f.), die drei Scheintat-Experimente Kozels (Spence, a. a. O., S. 23) sowie die beiden Studien Lees, bei der die Probanden eine Gedächtnisschwäche fingieren sollten (Spence, a. a. O., S. 23 f.). Schließlich „schießt er sich selbst ins Knie“ („shooting oneself in the foot“), indem er auch seiner eigenen zweiten Studie von 2005 nicht attestieren mag, sie reproduziere „präzise“ seine erste Studie von 2002 (Spence, a. a. O., S. 24). 77 Kubinger, S. 46. 78 Vgl. Schüssler, S. 101 m.w. N. 79 Das breiteste Spektrum deckte bisher die Studie Kozels ab, Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 610.

C. „Lügendetektion‘‘ mit funktioneller Magnetresonanztomographie

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Unwahrheit zu sagen war. Nach der Definition Stellers wären diese Studien nicht einmal als Analogstudien zu bezeichnen, sondern als bloße Laborstudien, die wegen ihrer zu großen Realitätsferne lediglich der Grundlagenforschung dienen können.80

VII. Bereits erfolgter Einsatz in einem deutschen Strafverfahren Insbesondere von der juristischen Öffentlichkeit blieb bisher weitestgehend unbeachtet, dass die fMRT in einem deutschen Strafverfahren bereits einmal zum Zweck der Glaubhaftigkeitsbegutachtung eingesetzt wurde. Im Jahr 2001 wurde der bereits erwähnte Bielefelder Neuropsychologe Markowitsch von dem betreffenden Gericht damit beauftragt, in einem Wiederaufnahmeverfahren die Aussagen einer angeblichen Zeugin eines länger zurückliegenden Mordes auf ihre Glaubhaftigkeit zu untersuchen. Neben bestimmten neuropsychologischen Untersuchungen81 unterzog Markowitsch die Zeugin dabei auch einem – einverständlichen – „Lügendetektortest“ mittels fMRT, um zu überprüfen, ob die neuronale Aktivität im Gehirn der Zeugin an den gleichen Orten zu finden wäre, wie dies bei „normalen“ Versuchspersonen der Fall ist, die mit (echten) autobiographischen Erinnerungen konfrontiert werden. Die Untersuchung ergab tatsächlich die gleiche Aktivierung wie bei „normalen“ Probanden, so dass Markowitsch schlussfolgerte, dass die Aussagen der Zeugin ihrem eigenen Erleben entsprachen.82 Das Ergebnis des fMRT-Tests hatte die gleiche Tendenz wie die anderen von Markowitsch eingesetzten neuropsychologischen Verfahren, so dass das Gesamtergebnis, „Aussage glaubhaft“, nicht entscheidend auf der fMRT-Untersuchung beruhte.83 Soweit dies nachvollzogen werden kann, hatte das Gericht offenbar weder Bedenken hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit noch in Bezug auf die Tauglichkeit des eingesetzten Verfahrens, insbesondere der von Markowitsch angewandten direkten Untersuchungsmethode. Der Grund für letzteres mag darin liegen, dass die Untersuchung mit der fMRT eben nur eine von mehreren eingesetzten Verfahren war und das Gesamtergebnis des Gutachtens nicht bestimmte. 80 Vgl. Steller, Aussagebeurteilung, S. 38; siehe dazu auch oben 2. Kap., Fn. 181. – Siehe aber nunmehr die Studie von Kozel/Johnson/Grenesko u. a., J Forensic Sci 54 (2009), S. 220 ff., in der sich die Forscher um möglichst große Wirklichkeitsnähe bemühten (vgl. dazu oben 3. Kapitel C. IV.). 81 Siehe näher zu diesen Verfahren Markowitsch, Kriminalistik 2006, S. 619 ff. 82 Vgl. zur Versuchsanordnung die weiter oben skizzierte Studie Markowitschs aus dem Jahr 2000 (Fn. 16), in der es ebenfalls um die differentielle Hirnaktivität als Reaktion auf tatsächlich autobiographisches Erleben einerseits und erfundene Geschichten andererseits ging. 83 Siehe zum Ganzen Markowitsch, Telepolis 2008, abrufbar unter: http://www. heise.de/tp/r4/artikel/27/27066/1.html.

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

VIII. Theoretische Grundüberlegung zur „Lügendetektion“ mittels hirnbildgebender Verfahren Aufgrund der in den Experimenten erzielten Ergebnisse gehen einige Forscher davon aus, dass sich die beim Lügen in manchen Hirnarealen erhöhte Aktivität damit erklären lässt, dass Lügen (bzw. die bewusste Täuschung) eine erhöhte kognitive Kontrolle verlangt. Denn derjenige, der eine Lüge bzw. eine bewusst falsche Antwort auf eine Frage produziert, muss die (subjektive) Wahrheit kennen, er muss dem Impuls widerstehen, diese auszusprechen, und er muss schließlich eine (vermeintlich) glaubhafte Alternative entwickeln, die er dem Empfänger präsentieren kann.84 Langleben ist der Ansicht, die bisherigen Ergebnisse der „Lügendetektor“-Forschung mit fMRT deuteten darauf hin, dass Täuschungsverhalten eine für das Arbeitsgedächtnis anspruchsvollere Aufgabe sei – die zu großen Teilen erledigt werde von den präfrontalen Parietalsystemen, die ansonsten für Verhaltenskontrolle und Aufmerksamkeit zuständig sind.85 Profaner könnte man formulieren: Lügen sei für das Gehirn schlicht anstrengender als Wahrhaftigkeit.86 „Wahrhaftigkeit“ wird dabei gleichsam als der Grundzustand menschlicher Kommunikation betrachtet, während täuschendes Verhalten stets mit Zwecken und Absichten verbunden sei.87 Will das Gehirn von diesem Grundzustand abweichen, ist für diese zusätzliche Anstrengung ein erhöhter Sauerstoffverbrauch erforderlich, der nach dem oben dargestellten Prinzip mit der fMRT gemessen werden kann. In neueren Publikationen wird davon ausgegangen, dass Lügen sich aus verschiedenen elementaren kognitiven Prozessen zusammensetzt, darunter Speicherprozesse, set shifting (bezeichnet den Vorgang des Wechsels kognitiver Einstellungen) und Reaktionshemmung (response inhibition).88 Jüngste Studien untermauern die Vermutung, dass sich, neuronal betrachtet, Täuschung als Unterdrückung der Wahrheit und der Erzeu-

84 Siehe Nuñez u. a., NeuroImage 25 (1) (2005), S. 268. Die letzte Annahme kann natürlich nur dann Geltung beanspruchen, wenn es um spontanes Täuschungshandeln geht; bei erlernten Lügen etwa wurde die Arbeit, eine glaubhafte Alternative zu entwickeln, bereits zuvor verrichtet. 85 Langleben, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 1, 3. 86 Diese kognitive Theorie steht i. Ü. im Einklang mit der Grundannahme inhaltsorientierter Ansätze zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage, wonach die Wiedergabe einer erfundenen Handlung höhere Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit der Aussageperson stellt. Weil der Lügende daher einen großen Anteil der kognitiven Energie auf kreative Prozesse und Kontrollprozesse verwenden müsse, fielen seine Aussagen im Vergleich zu einer wahrhaftigen Bekundung weniger elaboriert aus, was sich anhand verschiedener sog. Realkennzeichen im Rahmen einer Inhaltsanalyse feststellen lasse, siehe Steller/Volbert, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 12, 16; siehe zur aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsbeurteilung auch oben 2. Kapitel E. II. 3. 87 Spence u. a., Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci 359 (2004), S. 1755. 88 Priori u. a., Cerebral Cortex 18 (2008), S. 451 m.w. N.

C. „Lügendetektion‘‘ mit funktioneller Magnetresonanztomographie

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gung einer Lüge darstellt, vermittelt durch den präfrontalen Kortex und unterstützt durch das Arbeitsgedächtnis.89 Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die Forschung noch am Anfang steht und die genannten Erklärungen bislang lediglich Vermutungen über die dem Lügen bzw. den einzelnen Erscheinungsformen der unter dem Begriff „Lüge“ zusammengefassten Verhaltensweisen zugrunde liegenden Prozesse sind. Keineswegs geklärt ist etwa, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang emotionale Prozesse eine Rolle spielen.90 Zumindest die Annahme scheint jedoch durchaus erlaubt, dass für die „Lügendetektion“ mit hirnbildgebenden Verfahren tendenziell die Aufzeichnung kognitiver Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse wesentlich ist und emotionale Vorgänge wie Nervosität, Aufregung oder Angst wenn, dann jedenfalls eine weitaus geringere Rolle spielen, als dies vermutlich bei Verfahren wie dem Polygraphentest, der Reaktionen des peripheren Nervensystems misst, der Fall ist.91 Im Anschluss an die Überlegungen zu der theoretischen Grundannahme der Funktionsweise des Polygraphentests, insbesondere mit der Kontrollfragenmethode, mag jedoch folgende Vermutung erlaubt sein: Während man dort auf der Suche nach einer Theorie der psychophysiologischen Aussagebeurteilung noch nicht wesentlich über die Anfänge hinausgekommen ist,92 scheint es mit Verfahren, die Aktivitäten des Gehirns abbilden, besser möglich und vielversprechender, eine solche Theorie zu entwickeln. Denn beim Polygraphentest wird die Erregung peripherer Reaktionen gemessen, die an sich relativ unspezifisch sind; so liefert z. B. eine erhöhte elektrodermale Aktivität als solche keine Informationen über den sie verursachenden spezifischen Verarbeitungsprozess.93 Mit Hilfe hirnbildgebender Verfahren misst man hingegen nicht nur einige wenige unspezifische Reaktionen, sondern die Aktivität in den verschiedensten Regionen des gesamten Gehirns. Die Hirnforschung hat nun für viele dieser Hirnregionen aufgrund unterschiedlichster Experimente bereits begründete Annahmen formuliert, für welche Aufgaben sie im Allgemeinen „zuständig“ sind,94 bei89

Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382, 386. Vgl. die bereits angeführte Studie Markowitschs aus dem Jahr 2000, Markowitsch u. a., Behav Neurology 12 (2000), S. 181 ff.; siehe erläuternd oben Fn. 16. 91 Stoller/Wolpe, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 359, 364; vgl. auch Simpson, J Am Acad Psychiatry Law 36 (2008), S. 491, 492; Langleben/Dattilio, J Am Acad Psychiatry Law 36 (2008), S. 502, sprechen gar von einem möglichen „fundamentalen Unterschied“ zwischen den jeweiligen physischen Korrelaten für Täuschung und Lüge; eindeutig geklärt, wie Beck, JR 2006, S. 146, 149, suggeriert, ist die Frage jedoch noch lange nicht. 92 Vgl. oben 2. Kapitel A. III. 93 Vgl. Scholz, in: Polygraphie, S. 45, 51. 94 Dies gelingt besser auf der Grundlage eines Modells, nach dem das Gehirn bestimmte Aufgaben in einzelnen „Modulen“, also spezialisierten kleinen Einheiten erledigt. Kritiker nennen die Vertreter dieses Ansatzes spöttisch „Neophrenologen“ und 90

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

spielsweise die erwähnten Parietalsysteme für Aufmerksamkeit und Verhaltenskontrolle, der Mandelkern (Amygdala) – neben anderen – für die Verarbeitung emotionaler Ereignisse95 usw.96 In immer kürzeren Abständen gewinnt man neue Erkenntnisse über die Struktur des Gehirns; mit bevorstehenden Verbesserungen der Messgenauigkeit97 wird sich diese Entwicklung noch einmal beschleunigen. Je besser man auf diese Weise das Gehirn verstehen lernt, desto wahrscheinlicher wird es, dass auch die „Lügendetektion“ mit fMRT auf immer soliderem theoretischem Fundament stehen wird.

unterstellen ihnen, sie würden nach einer „Großmutterzelle“ suchen, also einer Zelle, die stets dann aktiviert ist, wenn jemand an seine Großmutter denkt (siehe Schleim, S. 75). Die gegenteilige Auffassung geht davon aus, dass die Informationsverarbeitung in Netzwerken vonstatten geht und man also keine isolierten Orte im Gehirn benennen kann, die für bestimmte Aufgaben „zuständig“ sind (siehe Schleim, S. 75 f.). Jüngere Forschungsergebnisse deuten jedoch an, dass die Informationsverarbeitung tatsächlich, zumindest zum Teil, in kleinteiligen Zellen erledigt wird. Möglich waren diese Ergebnisse, weil man mit Epilepsiepatienten arbeiten konnte, denen zu therapeutischen Zwecken Tiefenelektroden ins Gehirn transplantiert worden waren (Quian Quiroga u. a., Nature 435 [2005], S. 1102). So war man in der Lage, die elektrischen Signale einzelner Neuronen direkt im Gehirn zu messen. Die Ergebnisse waren auch für die Forscher überraschend. So entdeckten Quian Quiroga und Kollegen bei einem der Patienten eine starke neuronale Aktivität in einem bestimmten Bereich immer dann, wenn ihm Fotos der Schauspielerin Jennifer Aniston gezeigt wurden – bei sämtlichen anderen gezeigten Bildern blieb dieser Bereich jedoch „stumm“, interessanterweise sogar dann, wenn auf einem Bild die Schauspielerin nicht alleine zu sehen war, sondern gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann Brad Pitt (Quian Quiroga u. a., Nature 435 (2005), S. 1102, 1103). Bei einem anderen Patienten reagierte ein spezielles Neuron auf Bilder der Schauspielerin Halle Berry und zwar auch dann, wenn lediglich eine Zeichnung von ihr oder auch nur die Wörter „Halle Berry“ gezeigt wurden (Quian Quiroga u. a., Nature 435 [2005], S. 1102, 1104). In einer weiteren Studie aus dem Jahr 2008 wurden die Ergebnisse bestätigt; darüber hinaus stellte man fest, dass die einzelnen Neuronen nur dann feuern, wenn die Versuchsperson den dargebotenen Stimulus bewusst erkennt; bei zu kurzer Zeigedauer (33 Millisekunden) bleiben die Neuronen inaktiv; siehe Welberg, Nature reviews 9 (2008), S. 247. – Nun aber bedingungslos das von Modulen ausgehende Modell zu favorisieren, wäre gleichfalls mindestens vorschnell; denn es liegen ebenfalls Studien vor, die das Gegenteil nahe legen (Einzelheiten bei Schleim, S. 83 f.). 95 Markowitsch u. a., Behav Neurology 12 (2000), S. 181, 187 m.w. N. 96 Vgl. auch Stoller/Wolpe, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 359, 361; Langleben/Dattilio, J Am Acad Psychiatry Law 36 (2008), S. 502 m.w. N.; eine Übersicht zu den bisherigen Erkenntnissen der Forschung zu den Hirnbereichen, in denen bislang in den Studien zur „Lügendetektion“ mit hirnbildgebenden Verfahren erhöhte Aktivität festgestellt wurde, findet sich bei Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382, 383. 97 Siehe zu entsprechenden Erwartungen http://www.dradio.de/dlf/sendungen/studio zeit-ks/648160/(zugegriffen am 6. Juli 2009); vgl. auch Schleim, S. 47; Markowitsch/ Siefer, S. 89.

C. „Lügendetektion‘‘ mit funktioneller Magnetresonanztomographie

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IX. Überkommene und neue Schwierigkeiten Ferner soll noch einmal kurz zusammengefasst werden, welche Aspekte über die bereits genannten Schwachstellen hinaus in der weiteren Forschung Berücksichtigung finden sollten. Wie bei jeder anderen Form der „Lügendetektion“ auch ist es erforderlich zu untersuchen, ob und inwieweit der Test durch Manipulationen seitens der Versuchsperson nicht nur unbrauchbar gemacht (dies wäre insbesondere für einen Beschuldigten, der sich zu entlasten sucht, kein erstrebenswertes Verhalten), sondern vor allem in eine von ihr gewünschte Richtung verfälscht werden kann. Bei der bereits erwähnten Studie von Kozel hatten die Probanden mit Hilfe von Manipulationen zu täuschen versucht, was ihnen nicht gelang.98 Die dort unternommenen Täuschungsversuche waren allerdings spontaner Natur. Soweit ersichtlich, liegen noch keine Studien mit Probanden vor, die vorher darauf trainiert wurden, während des Tests möglichst erfolgreiche Manipulationsstrategien anzuwenden. Bedenkt man, dass unter dem Schlagwort „How to beat the polygraph?“ insbesondere in den USA eine regelrechte Industrie entstanden ist – angesichts der Regelmäßigkeit, mit der dort in der Arbeitswelt Polygraphentests angewandt wurden (und im öffentlichen Sektor noch werden, vgl. dazu oben99), kein unverständliches Phänomen –, ist zu erwarten, dass diese Versuche auch bei der fMRT unternommen würden.100 Nicht nur wegen der hohen Kosten dürften sich Manipulationswillige indes wesentlich schwerer tun als im Fall des Polygraphentests. Darüber hinaus sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es mit Verfahren funktioneller Hirnbildgebung möglich zu sein scheint, anhand der Hirnaktivität tatsächlich Erlebtes von Erlerntem unterscheiden zu können,101 was Manipulationsversuche, die nicht lediglich auf die Unbrauchbarmachung des Tests gerichtet sind, zusätzlich erheblich erschweren dürfte. Auch bei der Aussagebegutachtung mit fMRT stellt sich womöglich das Problem, dass Täuschungen von Personen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung („Psychopathen“, „Soziopathen“) nicht erkennbar sein könnten.102 Jedoch werden bisweilen schon heute vor den eigentlichen Tests die Probanden mittels einer „Psychopathy Checklist“ auf antisoziale Tendenzen, Angststörungen und/ oder Depressionen untersucht.103 Zudem ist durchaus denkbar, dass „Soziopathen“ in Zukunft auch neurologisch erkannt werden können, da es Hinweise darauf gibt, dass diese Persönlichkeitsstörung mit neuronalen Auffälligkeiten 98

Kozel u. a., Biological Psychiatry 58 (8) (2005), S. 605, 612. Siehe zur Situation in den USA 2. Kapitel H. 100 Vgl. Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 405. 101 Markowitsch u. a., Behavioural Neurology 12 (2000), S. 181 ff., Ganis u. a., Cerebral Cortex 13 (2003), S. 830 ff. 102 Vgl. bereits oben 2. Kapitel E. II. 2. e). 103 Siehe z. B. Bhatt u. a., Brain and Cognition 69 (2009), S. 382, 384. 99

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

einhergeht, wie etwa einer verminderten Aktivität in Mandelkern und Hippocampus.104 Sollte sich darüber hinaus herausstellen, dass für die beim Lügen erhöhte Hirnaktivität in erster Linie kognitive Prozesse verantwortlich sind, könnte sich das Problem ohnehin marginalisieren, weil die Wirkungsweise des Verfahrens dann nicht das Vorliegen von Schuldgefühlen voraussetzen müsste.105 Auch bei der fMRT ist darauf zu achten, dass die Testpersonen nicht unter dem Einfluss von Alkohol, Medikamenten oder anderen Stoffen stehen.106 Schließlich stellen sich auch hier dieselben Probleme wie beim Polygraphentest hinsichtlich der Übertragbarkeit von Analogstudien und der Überprüfbarkeit von Feldstudien (von denen bisher mit der fMRT noch keine vorliegen).107,108 Dann ist auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die speziell mit der Verwendung der Magnetresonanztomographie einhergehen. Diese beginnen bereits damit, dass die Tomographen selbst, ebenso wie die einzelnen Untersuchungen, (noch) sehr teuer sind. Darüber hinaus sind die Untersuchungen recht zeitaufwändig, da insbesondere die Datenanalyse mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann. Und wenn auch bei Anwendung der fMRT keine körperlichen Schäden auftreten, birgt doch die Stärke des Magneten ein indirektes Risiko. Die getestete Person darf keine magnetischen Stoffe wie Schrauben, Drähte, Splitter oder auch Herzschrittmacher am oder im Körper haben, da die Untersuchung für sie ansonsten schlimmstenfalls tödlich enden kann.109 Hinzu kommen die Immobilität der Tomographen und die unkomfortable Untersuchungssituation für die Getesteten. Aus diesen Gründen plädieren manche Autoren dafür, fMRT„Lügendetektion“ allenfalls dann einzusetzen, wenn ihre Zuverlässigkeit signifikant höher anzusiedeln wäre als bei Verfahren, deren Einsatz weniger Aufwand erfordert.110 Das Verfahren ist auch recht störanfällig. Bereits das Bewegen der Zunge durch die Testperson kann dazu führen, dass der Test unbrauchbar wird.111 104 Yang/Raine, Psychiatry 7 (3) (2008), S. 133 ff.; vgl. auch Simpson, J Am Acad Psychiatry Law 36 (2008), S. 491, 494. 105 Ähnlich Langleben/Dattilio/Guthei, Journal of Psychiatry and the Law 34 (3) (2006), S. 351, 357. 106 Vgl. auch dazu oben 2. Kapitel E. II. 2. d). 107 Siehe ausführlich zu dieser Problematik im Rahmen der Validitätsbeurteilung des Kontrollfragentests oben 2. Kapitel E. II. 2. 108 Vgl. darüber hinaus zu weiteren Beschränkungen und zu Herausforderungen, denen sich die künftige Forschung zu stellen haben wird Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 414 ff.; National Research Council 2003, S. 159 f.; Spence, Legal and Criminological Psychology 13 (2008), S. 11, 13 ff.; Vrij, Detecting Lies, S. 371 f. 109 Vgl. Happel, Review of Policy Research 22 (5) (2005), S. 667, 675; siehe auch Hentschel, in: Neuroradiologie, S. 393. 110 Vrij, Detecting Lies, S. 366.

C. „Lügendetektion‘‘ mit funktioneller Magnetresonanztomographie

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Nach derzeitigem Stand müssen die einzelnen Testfragen zudem mehrfach wiederholt werden, damit genügend Signale für die Bilderstellung gewonnen werden können. Eine Lüge würde dann womöglich zum „Mantra“, die späteren Antworten könnten mit anderen Hirnaktivitäten verknüpft sein als die ursprüngliche Lüge.112 Schließlich113 sind Stimmen zu vernehmen, die eindringlich vor der „Macht“ der bunten, scheinbar unbestechlichen Bilder warnen.114 Dabei sind diese Bilder von Gehirnen, auf denen bestimmte Regionen unterschiedlich gefärbt sind, lediglich bildhafte Wiedergaben statistischer Hirnaktivitäts-Karten, wobei der dargestellte Kopf nicht einmal derjenige der Versuchsperson sein muss.115 Diese Warnungen mögen ihre Berechtigung haben, solange es um den Umgang mit den Ergebnissen hirnbildgebender Verfahren in der Alltagswelt unter Laien geht. Was den forensischen Einsatz betrifft, ist zu erwarten, dass es zumindest nicht die Vielfarbigkeit der Aufnahmen sein wird,116 die die (Rechts-)Wissenschaft und auch die Beteiligten am Strafverfahren gleichsam blind werden lassen würde für die darunter liegenden inhaltlichen Aussagen der gemessenen Daten. Insbesondere das Urteil des BGH zum Polygraphentest von 1998 erlaubt die Erwartung, dass sich auch eine etwaige höchstrichterliche Beurteilung der „Lügendetektion“ mit fMRT eingehend mit der Funktionsweise und den Anwendungsprinzipien auseinandersetzen würde. 111 Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 404, wobei jedoch hinzuzufügen ist, dass stets versucht wird, der Tatsache, dass Bewegungen des Kopfes nie vollständig vermieden werden können, dadurch Rechnung zu tragen, dass man die Bewegungen mit Hilfe graphischer Algorithmen so gut wie möglich aus den Ergebnissen herausrechnet, siehe Schleim, S. 50 f. 112 Vgl. Goetz, NZZaS, 9. September 2007, abrufbar unter: http://www.nzz.ch/nach richten/wissenschaft/wahrheit_aus_der_roehre_1.552498.html. Allerdings ist dort die Rede von dem fehlenden „emotionalen Effekt“, den man eigentlich sichtbar machen wolle; dies kann jedenfalls dann nicht richtig sein, wenn sich die Annahme bestätigen sollte, dass mit dem fMRT-„Lügendetektor“ erhöhte kognitive Arbeit gemessen wird und eben gerade nicht eine veränderte Gefühlslage. Aber auch hier muss hinzugefügt werden, dass die diesbezüglichen Erkenntnisse bisher nicht als tragfähig bezeichnet werden können. 113 Zu weiteren Schwierigkeiten wie etwa der Zeitspanne, die bei den sog. Scheinverbrechen zwischen der „Tat“ und der eigentlichen Untersuchung liegt, siehe Kozel/ Johnson/Grenesko u. a., J Forensic Sci 54 (2009), S. 220. 114 Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 419; vgl. auch Wolf, in: JRE 15 (2007), S. 223, 232 ff.; insgesamt zu angeblichen Gefahren der neuen Verfahren, die insbesondere in dem „irrationalen Glauben“ an ihre Möglichkeiten und der „illusorischen Zuverlässigkeit und Objektivität“ begründet seien, die Übersicht bei Happel, Review of Policy Research 22 (5) (2005), S. 667, 682 m.w. N. – Vgl. auch die Studie von McCabe/Castel, Cognition 107 (2008), S. 343 ff., die untersuchten, in welchem Maße die Verwendung von Hirnbildern Einfluss auf die Rezeption des Inhalts eines wissenschaftlichen Artikels haben kann. 115 Wolpe/Foster/Langleben, American Journal of Bioethics 5 (2) (2005), S. 39, 46. 116 Vgl. zur möglichen Furcht vor der Überzeugungskraft technischer Methoden der Glaubhaftigkeitsbegutachtung oben 2. Kapitel E. II. 3.

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

D. Weitere neue Verfahren Wenn auch die „Lügendetektion“ mit fMRT am meisten Erfolg verspricht, sollen andere Verfahren gleichwohl kurze Erwähnung finden. So gab es etwa Versuche, mittels einer Untersuchung der Bauchmuskeln Manipulationen zu erschweren und die Genauigkeit der (herkömmlichen) Polygraphen zu verbessern. Wissenschaftler der University of Texas testeten bei 16 gesunden Personen mit einem Elektrokardiogramm (EKG) und einem Elektrogastrogramm (EGG), wie es sich auf die Aktivität von Puls und Magen auswirkte, wenn die Personen wahrhaftig antworteten oder logen. Dabei stellte sich heraus, dass der Puls sich in beiden Fällen veränderte, während der Magen nur beim Lügen eine veränderte Tätigkeit zeigte. Das Ergebnis könnte die These stützen, dass der Verdauungstrakt des Menschen sensibel auf mentalen Stress reagiert.117 Auch mit einer so genannten Stimmstressanalyse118 wird operiert. Einige Firmen behaupten, mittels kleinster Unterschiede in der Vibration der Stimme mit Hilfe eines Spracherkennungsprogramms beurteilen zu können, ob eine Person lügt. Das vermeintlich „zuverlässigste“ Programm, „TrusterPro“, wurde von einer Forschungsgruppe für forensische Psychophysiologie der Universität Mainz überprüft – mit dem Ergebnis, dass die Trefferquoten insgesamt das Zufallsniveau kaum überstiegen.119 Darüber hinaus gibt es Überlegungen, mittels Nahinfrarot-Spektroskopie (NIRS) der Lüge auf die Spur zu kommen. Ebenso wie bei der fMRT misst man mit NIRS den Blutfluss im Gehirn; am Kopf des Probanden angebrachte Sensoren messen Infrarotlicht, welches durch den Schädel gestrahlt und von den Blutgefäßen reflektiert wurde. Der Vorteil dieses Verfahrens gegenüber fMRT ist offenkundig: Die eingesetzten Geräte wären mobil und die Anwendung mit weitaus geringeren Kosten verbunden. Britton Chance, einer der Experten auf dem Gebiet der NIRS, hofft, dass das Verfahren eines Tages ohne Kontakt zum Körper anwendbar sein wird. Indes gibt es bisher, trotz intensiver Diskussion des Einsatzes von NIRS zum Zweck der „Lügendetektion“, keine von Experten begutachtete Veröffentlichung dazu.120 Schließlich arbeitet man auch mit Infrarotphotographien des Gesichts, insbesondere der Augen. Den Studien von Pavlidis und Levine zufolge erhöht sich die Temperatur im Bereich der Augen signifikant, wenn die untersuchte Person lügt. Sie nehmen an, dass in Stresssituation das Blut aus dem Wangenbereich in 117 Siehe http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,382479,00.html (Spiegel-Online, 31. Oktober 2005). 118 Siehe bereits Delvo, S. 43 f. 119 Gamer u. a., International Journal of Psychophysiology 60 (2006), S. 76 ff. 120 Siehe zum Ganzen Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 388 f. m.w. N.

E. Ausblick: Entdecken falscher Erinnerung

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Richtung Augen fließt, weil sich die Geschwindigkeit der Augenbewegungen merklich erhöht – ähnlich wie beim Polygraphentest wird also gesteigerter Stress gemessen.121 Dieses Verfahren erfordert ebenfalls keinerlei Verbindung zum Körper der Testperson, weshalb es womöglich auch ohne ihr Wissen und aus gewisser räumlicher Distanz zum Einsatz kommen könnte (moderne Infrarotkameras können Temperaturunterschiede von 0,045 Grad messen).122 Allerdings hält auch dieser Ansatz der „Lügendetektion“ bisher wissenschaftlichen Anforderungen noch in keiner Weise stand, weil er mangelhaft überprüft und auch die vorliegende Datenbasis noch unzureichend ist.123 Ob sich eines dieser Verfahren je als zuverlässig herausstellen könnte, ist vollkommen unklar – bei einigen sind jedenfalls diesbezüglich berechtigte Zweifel angebracht. Keines dieser Verfahren ist aber auch nur im Ansatz so weit entwickelt wie die „Lügendetektion“ mit fMRT.124

E. Ausblick: Entdecken falscher Erinnerung Ein grundsätzliches Problem jeder Art der „Lügendetektion“ lag bisher darin, dass vorausgesetzt sein musste, dass die untersuchte Person überhaupt in der Lage ist, zwischen Wahrhaftigkeit und Lüge zu unterscheiden. Wenn sie demgegenüber, aus welchen Gründen auch immer, nicht erkennen kann, dass ihre (falsche) Vorstellung von der Wirklichkeit sich nicht mit der objektiven Wirklichkeit deckt, würde auch ein zuverlässiger Test eine objektive „Lüge“ nicht als solche erkennen, sondern sie im Gegenteil als subjektive Wahrheit ausweisen.125 Denn für diese Person bzw. ihr Gehirn ist es weder kognitiv anstrengender noch emotional belastender, die objektiv unzutreffende, subjektiv aber als zutreffend empfundene Wahrheit zu äußern. Nun gab es bereits theoretische Überlegungen, dass mit Hilfe funktioneller hirnbildgebender Verfahren Einbildung von bewusster Täuschung unterschieden werden könnte, weil es Hinweise darauf gibt, dass sich beide auch in der jeder bewussten Äußerung vorgehenden unbewussten Phase der „Wirklichkeitsüber121 Pavlidis u. a., Nature 415 (2002), S. 35; weitere Nachweise bei Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 390 in Fn. 59. 122 Greely/Illes, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 377, 390 m.w. N. 123 National Research Council 2003, S. 157. 124 Vgl. auch Stoller/Wolpe, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 359, 361 m.w. N. 125 Vgl. Langleben/Dattilio/Guthei, Journal of Psychiatry and the Law 34 (3), (2006), S. 351. Natürlich bestünde das Problem auch in umgekehrter Richtung: Ein Beschuldigter, der sich für den Täter hält, obwohl er objektiv unschuldig ist, würde der Lüge „überführt“, obwohl er objektiv die Wahrheit sagte, wenn er im Rahmen des Tests seine Tatbeteiligung leugnete. Es wäre aber zu erwarten, dass durch geschickte Fragenauswahl dieses Problem in vielen Fällen ausgeschaltet werden könnte.

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3. Kap.: Neue Verfahren der „Lügendetektion‘‘

prüfung“ (engl. „reality-testing“) unterscheiden.126 Jüngere Studien deuten nun zum ersten Mal auch auf experimenteller Basis darauf hin, dass es mit hirnbildgebenden Verfahren möglich sein könnte zu entscheiden, ob sich eine Person fehlerinnert.127 Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen und Selbsttäuschungen also entdeckbar sein, würde dies ein altes Problem der „Lügendetektion“ lösen. Insbesondere bei Zeugen tritt das Phänomen der falschen Erinnerung häufig auf.128 Diesen Umstand gilt es bei einem etwaigen Einsatz der neuen Verfahren beim Zeugen zu berücksichtigen.129

F. Zusammenfassung Die Versuche, mittels funktioneller Hirnbildgebung, insbesondere mit funktioneller Magnetresonanztomographie, Lügen, Täuschungen, Unaufrichtigkeit und verwandtes Verhalten bzw. Bewusstseinszustände zu entdecken, haben zwar erst vor einigen Jahren begonnen, gleichwohl ist bereits heute eine äußerst dynamische Entwicklung auf diesem Gebiet zu beobachten. Bisher konnte in den grundlegenden Experimenten ohne Ausnahme festgestellt werden, dass andere bzw. zusätzliche Hirnareale aktiviert waren, wenn Testpersonen auf bestimmte Fragen (subjektiv) wahrheitswidrig antworteten, als wenn die Antwort auf diese Fragen wahrhaftig war. Bei der Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse auf einzelne Testpersonen wurden Trefferquoten von mindestens 78 Prozent erzielt. Durch die Untersuchungen konnte darüber hinaus die These bestätigt werden, dass Lügen nicht aus einem einzigen Prozess besteht, sondern sich aus einer Vielzahl kognitiver (und eventuell emotionaler) Prozesse zusammensetzt. Die Hirnaktivität unterscheidet sich ferner nach der Art der verwendeten Lüge. Nicht einmal die an der Erstellung der Studien beteiligten Wissenschaftler behaupten jedoch, dass man bereits von zuverlässigen Verfahren sprechen könnte. Zur Erreichung dieses Ziels sind Probleme zu überwinden, die zum Teil schon von der Diskussion um den Polygraphentest bekannt sind, zum Teil je126 Langleben/Dattilio/Guthei, Journal of Psychiatry and the Law 34 (3) (2006), S. 351, 362 f. 127 Kim/Cabeza, Journal of Neuroscience 27 (2007), S. 12190 ff.; Abe u. a., Cerebral Cortex 18 (2008), S. 2811 ff. Advance Access, veröffentlicht am 27. März 2008; siehe auch Garoff-Eaton u. a., Learning & Memory 14 (2007), S. 684 ff., zu den neuronalen Entsprechungen unterschiedlicher Arten von Fehlerinnerungen; siehe schließlich Galow, in: Handbuch der Rechtspsychologie, S. 376, 381, die es für wahrscheinlich hält, dass sog. suggerierte Aussagen weniger konstant sind als Aussagen, die auf wahren Erlebnissen basieren, und die einen Überblick über bisherige Experimente zu der Frage der hirnphysiologischen Unterscheidbarkeit falscher und wahrer Erinnerungen gibt (S. 382 ff.). 128 Siehe zu den Variablen, die eine Zeugenaussage in der Wahrnehmungs- und der Speicherungsphase sowie in der Wiedergabesituation beeinflussen können: Steller/Volbert, in: Psychologie im Strafverfahren, S. 12, 13; ausführlich Eisenberg, Rn. 1363 ff. 129 Siehe dazu 6. Kapitel C.

F. Zusammenfassung

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doch auch erst mit dem modernen Verfahren der fMRT einhergehen. Zugleich gibt es allerdings gute Gründe für die Annahme, dass mit funktioneller Hirnbildgebung nicht bloß ein direkter Zugang zu den biophysikalischen Prozessen des Menschen gewonnen wird, sondern dass sie dem Polygraphentest tatsächlich auch qualitativ überlegen ist.130 Diese Erkenntnis spiegelt sich in der Einschätzung von Experten wieder, dass innerhalb der nächsten Dekade ein Verfahren (oder zumindest eine Kombination von Verfahren) vorhanden sein wird, das „reliable und valide Ergebnisse liefert und somit auch vom BGH nicht ignoriert werden“ könne.131 Im Folgenden wird ein Verfahren mit fMRT vorausgesetzt, das mit einer Methode angewandt wird, die auch den BGH nach den in dem Urteil aus dem Jahr 1998 aufgestellten Anforderungen davon überzeugen würde, dass sie als zumindest nicht mehr „völlig ungeeignet“ im Sinne des § 244 StPO zu beurteilen wäre; darüber hinaus wünschenswert wäre die Entwicklung von Verfahren und Methoden, die „in den maßgebenden Fachkreisen“ zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestuft werden.132 Schließlich gibt es Anzeichen dafür, dass auch Fehlerinnerungen mit neurowissenschaftlichen Verfahren entdeckt werden könnten, was insbesondere für den Beweiswert des Zeugenbeweises einen erheblichen Fortschritt bedeuten würde.

130

Stoller/Wolpe, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 359, 364. So der Neurowissenschaftler Markowitsch in einer mündlichen Mitteilung. 132 Vgl. das vom BGH in der Entscheidung aus dem Jahr 1998 aufgestellte Kriterium, BGHSt 44, S. 308, 319; siehe dazu auch oben 2. Kapitel C. II. 1. a) sowie 2. Kapitel E. II. 1. 131

4. Kapitel

Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven, einverständlich durchgeführten hirnbildgebenden Verfahrens zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung In Kapitel 2 zeigte sich, dass die Eignung des Polygraphentests für die Glaubwürdigkeitsbegutachtung zumindest zweifelhaft ist und dass seine isolierte Anwendung daher auch für einen Angeklagten, der sich in Beweisnot befindet, nur von begrenztem Nutzen wäre. Ein sinnvoller Einsatz lässt sich allenfalls für den Tatwissentest in einem frühen Stadium des Strafverfahrens vorstellen. Nun besteht jedoch, wie in Kapitel 3 gesehen, die durchaus realistische Aussicht, dass mit modernen neurowissenschaftlichen Verfahren wie der hier zugrunde gelegten funktionellen Magnetresonanztomographie eines Tages zuverlässige Aussagen über die Aufrichtigkeit einer Testperson gemacht werden können. Für die Überprüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes eines solchen Verfahrens im Strafverfahren genügte es allerdings nicht, das besprochene Urteil des BGH aus dem Jahr 1998 auf das moderne Verfahren zu übertragen und somit ohne weiteres von seiner rechtlichen Zulässigkeit auszugehen. Denn die Entscheidung des BGH ist, wie bereits in Kapitel 2 angedeutet und wie sich im Folgenden weiter zeigen wird, auch und gerade in Bezug auf die (verfassungs-) rechtlichen Aspekte insgesamt recht oberflächlich und lässt die Auseinandersetzung mit einigen wichtigen Fragen vermissen. Darüber hinaus wäre es bereits reichlich verkürzend, von „der“ rechtlichen Zulässigkeit zu sprechen. Es wird sich vielmehr erweisen, dass die Ergebnisse z. T. von der jeweils betrachteten Situation bzw. Fallkonstellation abhängen. Diesem Umstand wurde bislang weder in den Entscheidungen der Rechtsprechung noch in den Stellungnahmen der Rechtslehre ausreichend Rechnung getragen. Für eine umfassende rechtliche Beurteilung „der“ Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit technischen Verfahren sind jedoch zumindest die folgenden Variablen zu berücksichtigen: (1) Wird der Test mit oder ohne Einverständnis des Beschuldigten durchgeführt? (2) Betrachtet man die Zulässigkeit aus der Perspektive eines „ersten“ Angeklagten, der sich das Recht auf Durchführung eines „Lügendetektor“-Tests

4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

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erst erstreiten müsste, oder wird die Situation in den Blick genommen, in welcher der Test – zumindest in der gerichtlichen Praxis – bereits zugelassen ist? (3) Wäre nur der Test auf Antrag des Beschuldigten zulässig oder auch bei einer Initiative durch die Strafverfolgungsbehörden? (4) Welches Bild ergibt die Beweissituation im Strafverfahren vor einem möglichen Test: Wäre ohne Durchführung des Tests ein Freispruch zumindest wahrscheinlich oder würde der Angeklagte (wahrscheinlich) verurteilt? (5) Stünden dem Angeklagten noch andere Beweismittel zur Verfügung oder wäre der Test sein letztes Beweismittel? (6) Sollte das Testergebnis nur der Entlastung des Beschuldigten dienen dürfen oder wäre auch ein ihn belastendes Ergebnis verwertbar? (7) Änderte sich die rechtliche Beurteilung, wenn das in Rede stehende Verfahren beinahe perfekt wäre oder wenn es nur zu maximal ca. 90 Prozent korrekte Beurteilungen über die Täterschaft des Angeklagten zuließe? (8) Gibt es Unterschiede bei der Beurteilung der Zulässigkeit im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung? (9) Wäre der Test bei einem Zeugen zulässig? Gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen? In diesem Kapitel wird nun zunächst die rechtliche Zulässigkeit eines annähernd perfekten (7) Verfahrens untersucht, welches auf Antrag (1), (3) des „ersten“ (2) Angeklagten (9) im Rahmen der Hauptverhandlung (8) durchgeführt würde, wobei auch ein den Angeklagten belastendes Testergebnis der richterlichen Beweiswürdigung zugänglich wäre (6). Der Test sei die einzige, jedenfalls aber letzte Entlastungsmöglichkeit des Angeklagten (5). Bereits im Rahmen dieses Kapitels wird darüber hinaus weiter nach der Beweislage differenziert (4). In Kapitel 51 bzw. Kapitel 62 folgt die rechtliche Beurteilung weiterer Fallkonstellationen, bei denen jeweils mindestens eine der benannten Variablen verändert ist.

1 Siehe 5. Kapitel A. u. 5. Kapitel B.: Test ohne Einverständnis des Beschuldigten (1); 5. Kapitel C.: maximale Zuverlässigkeit bei 90 Prozent (7); 5. Kapitel D. u. 5. Kapitel D. III.: Verwertungsverbot für belastende Ergebnisse (6); 5. Kapitel E.: Eine Untersuchung mit dem „Lügendetektor“ wäre nicht die letzte Entlastungsmöglichkeit (5); 5. Kapitel F. u. 5. Kapitel G.: Zulässigkeit im Ermittlungsverfahren bzw. in der Untersuchungshaft (8); 5. Kapitel H.: Antragsrecht für die Strafverfolgungsbehörden (3); die Perspektive künftiger Angeklagter (2) wird bereits vollständig im Rahmen der Untersuchung der Zulässigkeit des „Lügendetektor“-Tests bei dem „ersten“ Angeklagten berücksichtigt (siehe 4. Kapitel F. II. 1.). 2 Siehe 6. Kapitel C.: Einsatz beim Zeugen (9).

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

A. Vorüberlegungen I. Einbeziehung „perfekter“ Verfahren Es mag zunächst verwundern, dass hier auch das Szenario eines zu annähernd 100 Prozent zuverlässigen Verfahrens berücksichtigt wird, wenn es richtig ist, was der bereits erwähnte Neurowissenschaftler Daniel Langleben sagt: Die Zuverlässigkeit eines „Lügendetektors“ mit hirnbildgebenden Verfahren werde mittelfristig wohl nicht mehr als „gut 90 Prozent“ erreichen.3 Die Frage nach der Zuverlässigkeit eines „perfekten“ Verfahrens ist gleichwohl nicht von lediglich akademischem Interesse. Denn es ist erstens durchaus möglich, dass Langleben mit seiner Voraussage irrt, oder dass andere Verfahren bzw. Methoden entwickelt werden, die eine (beinahe) perfekte Zuverlässigkeit gewährleisten. Zweitens könnten durch die Kombination verschiedener (auch nicht-apparativer) Untersuchungsverfahren der Lügenerkennung die Validitätsraten zusätzlich gesteigert werden.4 Drittens schließlich sind aus statistischen Gründen „falsch positive“ Untersuchungsergebnisse – und die Wahrscheinlichkeit für diese ist, wie sich zeigen wird, für die rechtliche Beurteilung mitentscheidend – fast ausgeschlossen, wenn man sich einer Methode bedient, die nach dem Tatwissen des Angeklagten fragt (wie etwa der TWT5).6 Diese Methode könnte zwar in der Hauptverhandlung allenfalls in seltenen Ausnahmefällen angewandt werden, weil dem Angeklagten zu diesem Zeitpunkt bereits die meisten Tatdetails bekannt sind. Wohl aber wäre eine Anwendung in einem früheren Verfahrensstadium denkbar.7 Die Möglichkeit, dass „perfekte“ Verfahren nicht nur theoretische Gedankenspiele sind, rechtfertigte nun immer noch nicht, dass man sich ihnen gesondert widmet. Es wird sich jedoch erweisen, dass sich die rechtliche Beurteilung zum Teil anders darstellt, wenn man eine signifikante Wahrscheinlichkeit dafür an3

Mündliche Mitteilung an den Verfasser. Vgl. Granhag/Strömwall, in: Detection of Deception, S. 317 ff.; zu der Aggregationsmethode, die im Rahmen von aussagepsychologischen Glaubwürdigkeitsbegutachtungen angewandt wird, siehe oben 2. Kapitel E. II. 3. Es liegen auch bereits einzelne Studien vor, in denen sowohl der Hautwiderstand als auch die Hirnaktivität mit fMRT gemessen wurden (Gamer u. a., Human Brain Mapping 28 (2007), S. 1287 ff.; Mohamed u. a., Radiology 238 [2006], S. 679 ff.); vgl. schließlich Markowitsch, Kriminalistik 2006, S. 619, 623, der die Wichtigkeit betont, durch das Zusammenführen verschiedener Verfahren „Entscheidungen über Aussagenglaubwürdigkeit mit hoher Sicherheit“ treffen zu können. 5 Zum TWT siehe oben 2. Kapitel A. II. 6 Zu den Einschränkungen dieser Aussage, die sich daraus ergeben, dass bei dem TWT lediglich Tatwissen indiziert werden kann, der Schluss auf die Täterschaft aber daraus nicht immer folgen muss, vgl. oben 2. Kapitel E. III. Dazu, dass zusätzlich Nicht-Täter mit Tatwissen zuvor entdeckt und von der Teilnahme an dem Test ausgeschlossen werden müssen, damit die Aussage Gültigkeit beanspruchen kann, siehe oben 2. Kap. in Fn. 32. 7 Vgl. oben 2. Kapitel E. III. 4

A. Vorüberlegungen

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nimmt, das Verfahren könnte tatsächliche Unschuldige als „unglaubwürdig“ klassifizieren.8

II. Maßgeblichkeit des Beweisantragsrechts – Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO: rechtliche Unzulässigkeit der Beweiserhebung Auch die mit Bildgebung der Gehirnaktivität arbeitenden Verfahren wären keine eigenständigen Beweismittel im Sinne der Strafprozessordnung – sie wären dann wegen des numerus clausus der Beweismittel von vornherein ebenso unzulässig wie der Polygraphentest –, sondern Untersuchungsverfahren im Rahmen des Sachverständigenbeweises (§§ 72 ff StPO). Als bloße Hilfsmittel des Sachverständigen bedürfen sie keiner eigenen gesetzlichen Zulassung9 – zumindest unter beweisrechtlichen Aspekten.10 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Frage, ob der Angeklagte das Recht hätte, sich mittels eines „Lügendetektor“-Tests zu entlasten, zumindest in der Hauptverhandlung allein nach § 244 Abs. 3 bis 4 StPO zu beantworten ist, da Beweisanträge nur mit den dort festgelegten Gründen abgelehnt werden können. Der Sache nicht gerecht würden daher Einschätzungen, nach denen der „Lügendetektor“ zugelassen werden „sollte“, „könnte“ oder „dürfte“ – entweder kann sich das Gericht auf einen der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3, 4 StPO stützen oder nicht, tertium non datur.11 Außer Betracht bleibt in diesem Kapitel natürlich der Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels,12 weil die Eignung des Verfahrens gerade vorausgesetzt wird. Nicht weiter vertieft werden soll zudem die Frage, ob das Gericht einen entsprechenden Beweisantrag wegen eigener Sachkunde nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO ablehnen dürfte, zum einen weil ihre Beantwortung mit dem Selbstbild der Tatrichter zusammenhängt13 und zuverlässige Daten in Bezug auf die Fähigkeit der Tatrichter zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung weitgehend fehlen, zum anderen weil kaum rationale Kriterien für eine ausgewogene Beurteilung zu finden sind.14 8

Vgl. dazu unten 5. Kapitel C. Siehe für den Polygraphentest bereits oben 2. Kapitel E. I. 10 Vgl. ansonsten zu dem Erfordernis einer spezialgesetzlichen Ermächtigung unten 4. Kapitel D. III. 11 Zumindest im Normalverfahren, für das Beschleunigte Verfahren und das Strafbefehlsverfahren gilt anderes, §§ 384 Abs. 3, 420 Abs. 4 StPO; siehe dazu HbStrVfScheffler, Kap. VII Rn. 933 ff. 12 Siehe dazu oben 2. Kapitel C. II. u. 2. Kapitel E. II. 13 Vgl. HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 824: „[. . .] Einfallstor für richterliche Selbstherrlichkeit bei der Festlegung der Beweisaufnahme“. 14 Deshalb nur soviel: Sofern dem Tatrichter eine umfassende Sachkunde zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit deshalb zuerkannt wird, weil die Würdigung von Aussagen zum „Wesen richterlicher Rechtsfindung“ (vgl. BGHSt 8, S. 130, 131; BGH, 9

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Für die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der „Lügendetektion“ verbleibt somit der Ablehnungsgrund der rechtlichen Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO. Rechtlich unzulässig könnte der einverständliche „Lügendetektor“-Test nun wegen Verletzung einfachen Strafprozessrechts sein, wobei hier in erster Linie an einen Verstoß gegen § 136a StPO zu denken ist. Aber auch die Verletzung von Grundrechten des „ersten Angeklagten“ kommt in Betracht. Schließlich ist zu fragen, ob eine Zulassung des Tests deswegen zu unterbleiben hätte, weil sie vorrangige Belange der Allgemeinheit oder überwiegende Interessen Dritter, insbesondere künftiger Angeklagter, beeinträchtigen würde.

StV 1985, S. 398) gehöre, kann dem nicht gefolgt werden, denn aus dem (auch nur behaupteten) Wesen kann naturgemäß keine tatsächliche Befähigung abgeleitet werden. Die Sachkunde des Tatrichters zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung wird vielmehr immer wieder in Frage gestellt. Dabei wird ihm bisweilen sogar unterstellt, er fälle seine Entscheidungen „weithin intuitiv“, die Glaubwürdigkeit werde nach Begründungsmustern zugeschrieben, die sich als wissenschaftlich „wertlos erwiesen haben“, weshalb das „strafrechtliche Alltagsgeschäft [. . .] sich in anderen Kategorien als denen der ,Sachkunde‘“ vollziehe (Fischer, NStZ 1994, S. 1, 5). Es wird auch vermutet, dass die „Trefferquoten“ der Tatrichter häufig nicht über der Zufallswahrscheinlichkeit von 50 Prozent liegen (Scherer, StraFo 1998, S. 16, 17). Bislang ist allerdings die Begutachtung der Glaubwürdigkeit von Beschuldigten eine „seltene Ausnahme“ (Schüssler, S. 163; siehe auch Eisenberg, Rn. 1860 bei Fn. 336 m.w. N.) geblieben. Es stünde daher zu befürchten, dass manches Gericht einen entsprechenden Beweisantrag wegen eigener Sachkunde ablehnen würde. Andererseits ist bemerkenswert, dass dem BGH (1998) in seinem ausführlichen Urteil zur Zulässigkeit der polygraphischen Untersuchung die Möglichkeit einer Beweisantragsablehnung nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht einmal eine Randbemerkung wert war. Und dies zu Recht, denn mag man noch darüber streiten, ob die Tatrichter bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit überhaupt eigene Sachkunde haben (zu weiteren Zweifeln siehe Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 891: „Daß Richter in aller Regel die erforderlichen aussagepsychologischen Fachkenntnisse gerade nicht haben [. . .]“; siehe i. Ü. dazu, dass Berufsrichter bzw. Schöffen „keinerlei gezielte Ausbildung“ für die Aufgabe der Glaubhaftigkeitsbeurteilung erhalten, sowie weitere Erörterungen zu dem Themenkomplex, Jahn, Jura 2001, S. 450, 451 m.w. N.), so ist doch jedenfalls davon auszugehen, dass deren Zuverlässigkeit weit hinter derjenigen von Verfahren zurückbleibt, wie sie hier in Rede stehen. § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO dürfte somit in aller Regel (die Ausnahme wären etwa Tatrichter, die mit der Naturbegabung ausgestattet sind, Lügner zu erkennen; vgl. zu diesen „wizards“ instruktiv O’Sullivan/Ekman, in: Detection of Deception, S. 269 ff.) als Ablehnungsgrund ausscheiden. – Vgl. zum Ganzen auch Schüssler, S. 160 ff.; zu den Fällen, in denen die Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Aussage eines Zeugen für erforderlich gehalten wird, siehe Eisenberg, Rn. 1860 ff. sowie unten 6. Kapitel C. – Vgl. schließlich aus psychologischer Sicht Niehaus, in: Handbuch der Rechtspsychologie, S. 497 ff., mit einem Überblick über verschiedene Studien zur Glaubwürdigkeitsattribution von Laien und auch Richtern – welche trotz ihrer Erfahrung ebenso wie Laien häufig intuitiv und unsystematisch über die Glaubhaftigkeit von Aussagen urteilen (S. 497); auch bei Niehaus ist i. Ü. von der „Selbstüberschätzung eigener Fähigkeiten“ die Rede (S. 503); angemahnt werden auch hier Fortbildungsmaßnahmen für Richter (S. 503).

B. Verstoß gegen § 136a StPO

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B. Verstoß gegen § 136a StPO Für die Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit der „Lügendetektion“ seien zunächst die Vorschriften der Strafprozessordnung in den Blick genommen. Hier kommt § 136a StPO in Betracht, den der BGH in der ersten Entscheidung zum Polygraphentest ungeachtet der vorliegenden Einwilligung des Angeklagten als verletzt ansah.15 § 136a StPO verbietet die Beeinträchtigung der Willensentschließungs- und der Willensbetätigungsfreiheit des Beschuldigten durch bestimmte Vernehmungsmittel und -methoden und hat ein zwingendes Beweisverwertungsverbot zur Folge, § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO. Dass § 136a StPO auf Vernehmungen gerichtet ist, ergibt sich zwar nicht aus seinem Wortlaut, wohl aber aus seiner systematischen Stellung, da er sich in dem Abschnitt der StPO über die „Vernehmung des Beschuldigten“ findet.16

I. Generelle Anwendbarkeit auf unwillkürliche Äußerungen Zunächst ist zu klären, ob es sich bei der Hirnaktivität, die im Rahmen einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit einem bildgebenden Verfahren aufgezeichnet wird, um eine Aussage17 im Sinne der Strafprozessordnung handelt. Denn nur dann finden die Bestimmungen über Vernehmungen wie §§ 136, 136a StPO grundsätzlich Anwendung – wovon die weit überwiegende Anzahl der Gerichte und Autoren wie selbstverständlich ausgeht (wenn auch in Bezug auf die im Rahmen eines Polygraphentests erzeugten Körperreaktionen)18,19 –, und nur 15 Zu den Einzelheiten der Begründung und den Reaktionen der Literatur siehe oben 2. Kapitel B. I. u. 2. Kapitel B. VI. 16 Vgl. nur AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 5. 17 Oder zumindest um „Aussagesurrogate“ oder „qualifizierte Aussagen“ oder „Aussagen sui generis“ o. ä. Entscheidend ist aber allein die Frage, ob die strafprozessualen Regelungen über Aussagen anwendbar sind oder diejenigen über den Sachbeweis – auch hier gibt es kein Drittes, zumindest nach geltender Rechtslage. In der USamerikanischen Literatur werden hingegen bereits erste, wenn auch inhaltlich noch nicht weiter bestimmte Vorschläge unterbreitet, einen „dritten Weg“ einzuschlagen – insbesondere bei Verfahren, bei denen keine Antwort der betroffenen Person nötig ist, sondern vielmehr „Gedankenlesen“ (engl. „mind reading“) betrieben werden kann; siehe Thompson, American Journal of Law & Medicine 33 (2007), S. 341, 346. Der Leib/Seele-Dualismus sei veraltet und nicht mehr haltbar, was sich gerade an der fMRT besonders zeige. Statt sie in den überkommenen Dualismus zu zwängen, seien neue Ansätze erforderlich, Thompson, a. a. O., S. 350. 18 Zumindest in letzter Zeit, vgl. z. B. BGHSt 44, S. 308, 317 f.; Hamm, NJW 1999, S. 922; Beck, JR 2006, S. 146, 148 f. (ausdrücklich bzgl. Hirnaktivität); Klimke, NStZ 1981, S. 433. Zuvor gab es durchaus Stimmen, die den Polygraphentest nicht als Vernehmungsmethode und die bei seiner Anwendung registrierten Äußerungen nicht als Aussagen werteten: Erbs, NJW 1951, S. 386, 387; wohl auch Walder, S. 221 f. Schon der BGH in der ersten „Lügendetektor“-Entscheidung qualifizierte hingegen

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

dann wären die weiteren Voraussetzungen der Norm überhaupt zu untersuchen. Handelte es sich bei der gemessenen Hirnaktivität hingegen nicht um eine strafprozessuale Aussage, sondern um das Ergebnis einer Augenscheinseinnahme, wäre die „Gewinnung“ der Hirnaktivität nicht von der Aussagefreiheit geschützt; Meinert etwa sieht keinen qualitativen Unterschied eines „Lügendetektor“-Einsatzes zum Fotografieren oder zu einer erzwungenen Blutentnahme.20 Erachtete man also die Glaubwürdigkeitsbegutachtung mittels Hirnbildgebung als Sachbeweis und nicht als Personalbeweis, ließe sich in der Tat überlegen, ob ein Angeklagter, mit § 81a StPO als Eingriffsgrundlage, nicht sogar rechtmäßigerweise zur Duldung eines „Lügendetektor“-Tests gezwungen werden könnte (die grundsätzliche Realisierbarkeit vorausgesetzt21). Diese Ansicht wurde nun auch in jüngerer Zeit sogar vereinzelt vertreten,22 wobei allerdings das im Folgenden zu untersuchende Problem der rechtlichen Qualität der Körper- bzw. Hirnreaktionen gerade unbeachtet blieb. Unwillkürliche Äußerungen wie die physiologischen Reaktionen, die bei der polygraphischen Untersuchung gemessen werden, und die Aktivität des Gehirns, die mit hirnbildgebenden Verfahren aufgezeichnet wird, sind jedenfalls nicht ohne weiteres zu der Beschuldigteneinlassung zu rechnen, denn sie entsprechen nicht ihrem klassischen Bild: Herkömmlich besteht die Aussage des Beschuldigten aus verbalen Äußerungen zum Tat- und Schuldvorwurf, die bewusst abgegeben werden und die vom Beschuldigten willentlich gesteuert werden können. Unwillkürliche Äußerungen der hier interessierenden Art sind andererseits aber eben auch kein klassischer Gegenstand der Augenscheinseinnahme, insbesondere nicht der körperlichen Untersuchung i. S. d. § 81a StPO.23 Denn dort werden üblicherweise vorgefundene Körperzustände begutachtet, mithin die „vom Willen des zu Untersuchenden unabhängige So-Beschaffenheit“ des Körpers,24 wodurch der Beschuldigte zum (bloßen) Augenscheinsobjekt 25 wird. diese unwillkürlichen Äußerungen als „Aussagen“ (Anführungszeichen im Original) und wandte konsequenterweise § 136a StPO an (BGHSt 5, S. 332, 335). 19 Von den Gerichten hat sich einzig das LG Düsseldorf, StV 1998, S. 647, 648, etwas näher mit der Frage befasst: Die „Lügendetektion“ sei eine Vernehmungsmethode im Sinne von § 136a StPO, weil auf das Wissen des Beschuldigten von der Tat zugegriffen werde. Es wendete insoweit den Ansatz Fristers an (dazu sogleich im Text), ohne dies jedoch zu kennzeichnen oder weiter auszuführen. 20 Meinert, S. 167. 21 Vgl. dazu näher unten 5. Kapitel A. 22 Berning, S. 278 ff.; dies., MschrKrim 76 (1993), S. 242 u. 251; Berning insoweit folgend Albrecht, S. 171. – Im Folgenden beziehen sich Quellenangaben zu rechtlichen Aspekten der „Lügendetektion“ auf Beiträge zur Diskussion um die Zulässigkeit des Polygraphentests, sofern nicht anders gekennzeichnet. 23 Vgl. Groth, S. 55. 24 Schmidt, NJW 1962, S. 664. 25 Insofern trifft auch die „Objekt-Formel“ des Bundesverfassungsgerichts die Sache nur zum Teil: Sobald der Beschuldigte – sogar mit Zwangsmitteln – in Augen-

B. Verstoß gegen § 136a StPO

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Für die Bewertung der im Rahmen einer „lügendetektorischen“ Untersuchung gemachten Äußerungen als Aussagen könnte zunächst sprechen, dass auch andere unwillkürliche Äußerungen schon vom Gesetz als Bestandteil der Beschuldigteneinlassung angesehen werden (§ 136a Abs. 3 Satz 2 StPO: zustande gekommene „Aussagen“): Von den Vernehmungsverboten des § 136a Abs. 1 StPO sind sowohl die Äußerungen umfasst, die im Verlauf einer Hypnose gemacht werden (ausdrücklich), als auch jene im Rahmen einer Narkoanalyse26 (nach einhelliger Ansicht27). Der, jedenfalls für die Beurteilung der Aussagequalität, einzig relevante Unterschied28 zwischen Hypnose/Narkoanalyse einerseits und der „Lügendetektion“ mit technischen Mitteln andererseits besteht darin, dass bei ersteren die Informationen verbal mitgeteilt werden. Es ist fraglich, ob allein die Tatsache, dass die Äußerungen bei der „Lügendetektion“ nonverbal abgegeben werden, es rechtfertigen könnte, sie nicht als Aussage einzuordnen. Weshalb sollte die Form der Äußerung entscheidend sein? Dass die Verbalität der Äußerung nicht über ihr rechtliches Schicksal bestimmen soll, ist nun allerdings noch kein starkes Argument für eine Gleichbehandlung verschiedener Arten unwillkürlicher Äußerungen. Einen bedenkenswerten Ansatz hat Groth in ihrer Dissertation geliefert.29 Nach Groth besteht die übergeordnete Gemeinsamkeit dieser unterschiedlichen Arten von Äußerungen in der Kommunikation, die zwischen Beschuldigtem und Strafverfolgungsbehörde (bzw. dem Sachverständigen als „Gehilfen“) stattfinde.30 Demgegenüber sei dies beim Augenscheinsbeweis nicht der Fall. Auch beim Augenscheinsbeweis gebe der Beschuldigte zwar als „Objekt“31 Informationen preis, sei es DNS-Material am Tatort oder seinen Fingerabdruck. Dies sei aber „kein zwischenmenschliches Verhalten“. Frister meint demgegenüber, das Kriterium der Kommunikation sei zur Unterscheidung nicht tragbar.32 Beim „Silent Answer Test“33 reagiert der Proband überhaupt nicht verbal, sondern soll die Fragen „für sich selbst“ beantworten. Hier gehe der Test daher „ohne Kommunikationsakt der Testperson vonstatschein genommen werden darf, kann man durchaus davon sprechen, dass der Beschuldigte hierdurch zu einem bloßen Gegenstand der Wahrheitserforschung degradiert wird, vgl. ausführlich Eisenberg, Rn. 2311 ff. m.w. N. 26 Darunter versteht man den Einsatz von „Wahrheitsseren“ zur Gewinnung wahrheitsgemäßer Aussagen, indem durch die hemmungslösende Wirkung der Mittel eine erhöhte Mitteilungsbereitschaft erzielt wird, siehe etwa LR25-Hanack, § 136a Rn. 25. 27 Siehe nur Eisenberg, Rn. 649 m.w. N. 28 Hinsichtlich anderer Unterschiede, die für die Anwendbarkeit von § 136a StPO wichtig sind, siehe unten 4. Kapitel B. IV. 29 Groth, Unbewusste Äußerungen und das Verbot des Selbstbelastungszwangs. 30 Groth, S. 56. 31 Vgl. Fn. 25. 32 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 318. 33 Siehe dazu Delvo, S. 35 f.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

ten“34. Wenn es dann aber von den Details der Ausgestaltung des Verfahrens abhänge, wie es rechtlich zu bewerten sei, tauge der Aspekt der Kommunikation nicht als Abgrenzungskriterium. Frister übersieht dabei jedoch, dass die Äußerungen, die in Rede stehen, nicht die Antworten sind, die der Proband gibt (sich selbst oder verbal), sondern ausschließlich die physiologische Reaktion auf die Fragen des Untersuchers.35 Konsequenterweise müsste Frister dann für alle Verfahren der „Lügendetektion“ ablehnen, dass dort Kommunikation stattfindet, denn die entscheidenden Reaktionen sind stets nonverbal. Aber dies wiederum wäre auch nicht richtig, denn nach Ansicht der Kommunikationstheorie ist die Sprachlichkeit keineswegs Voraussetzung für Kommunikation – es sei nur an den Begriff der „nonverbalen Kommunikation“ erinnert –; Kommunikation kann vielmehr auf vielfältige Weise stattfinden. Nach Watzlawicks erstem „Axiom“36 verhält es sich sogar so, dass man in einer zwischenpersönlichen Situation „nicht nicht kommunizieren“ könne, weil in einer solchen Situation „alles Verhalten“ Mitteilungscharakter habe.37 Die Überlegungen Fristers weisen gleichwohl in die richtige Richtung: Was, wenn es eines Tages möglich wäre, den Test „vollautomatisch“ ablaufen zu lassen? Die Fragen an den Probanden würden vom Computer entwickelt (wenn man einmal davon ausgeht, dass man dann nicht etwa den Entwickler des entsprechenden Programms als den einen Teilnehmer an der Kommunikation ansehen würde), von einer computergenerierten Stimme vorgelesen, die Reaktionen des Gehirns, wie heute schon, würden von technischen Geräten aufgezeichnet und wiederum vom Computer ausgewertet. Fände dann noch Kommunikation statt? Wenn aber nicht, dann dürfte Groth diese „unbewussten Äußerungen“ nicht mehr als Aussagen ansehen. Ein befremdliches Ergebnis, denn auch hier würde die konkrete Ausgestaltung des Tests über die rechtliche Bewertung entscheiden, worauf es, darin ist Frister zuzustimmen, „vernünftigerweise nicht ankommen kann“.38 Das beschriebene Szenario ist zugegebenermaßen „science 34

Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 318. Zu Recht diskutiert etwa Verrel den „Lügendetektor“ unter der Kapitelüberschrift „Nonverbale Selbstbelastungen“ (Hervorh. v. Verf.), S. 198, 199 ff.; vgl. zu den Grundlagen der Funktionsweise ansonsten ausführlich oben 1. Kapitel B.; bereits Würtenberger, JZ 1951, S. 772, 773, hatte früh erkannt, dass es entscheidend auf die Körperreaktion ankommt: „Die registrierbare Reaktionsweise [. . .] erfolgt im Zusammenhang mit den ihm [dem Angeklagten] vorgesprochenen Sätzen des Vernehmenden; diese Reaktion enthält eine ,Stellungnahme‘ des Vernommenen zu dem ihm Vorgesprochenen.“ (Hervorh. v. Verf.) 36 Kritisch zu der Verwendung des Begriffs in diesem Zusammenhang Wate, S. 15. 37 Watzlawick/Beavin/Jackson, S. 51. Groth, die sich in ihrer Abhandlung auf die „Axiome“ Watzlawicks stützt, gibt zu diesem Zitat keine exakte Fundstelle an, vgl. Groth, S. 23. 38 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 318. 35

B. Verstoß gegen § 136a StPO

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fiction“ und wahrscheinlich nicht einmal mittelfristig realistisch. Es verdeutlicht aber, dass die Grenzen fließend sind und die Feststellung, wann Kommunikation stattfindet und wann nicht, nicht immer eindeutig getroffen werden kann. Dies liegt im Übrigen schon darin begründet, dass sich der Begriff der Kommunikation angesichts seiner Vielschichtigkeit ohnehin einer eindeutigen Definition entzieht.39 Auch Groth vermag insofern keine klare Begriffsbestimmung zu liefern. Groth beruft sich i. Ü. beinahe ausschließlich auf die „allgemeine Kommunikationslehre“ Watzlawicks40 und lässt andere Stimmen der Kommunikationslehre unbeachtet, da diese angeblich „für den Gang der Arbeit keine praktische Auswirkungen haben.“41 Dabei ist gegen die Lehre Watzlawicks durchaus Kritik erhoben worden, insbesondere, dass in seinen Kommunikationsbegriff auch Signale einbezogen werden, die gar nicht an einen anderen Interaktionspartner gerichtet sind; solche Signale wären entgegen Watzlawick somit lediglich Information, nicht Kommunikation.42 Danach wären die hier in Rede stehenden unwillkürlichen und damit notwendig nicht an den Untersucher gerichteten Äußerungen wohl gerade keine Kommunikation. Selbst wenn man aber die Richtigkeit der Definition Watzlawicks akzeptiert, vermag Groths Herleitung, weshalb nun im Falle der polygraphischen Untersuchung zum Zweck der „Lügendetektion“ Kommunikation stattfinde, nicht vollständig zu überzeugen. Groth ist der Auffassung, gemäß dem ersten „Axiom“ Watzlawicks handele es sich auch bei allen unwillkürlichen Äußerungen um Kommunikation.43 Wie bereits erwähnt lautet dieses „Axiom“, dass man „nicht nicht kommunizieren“ könne, jedes menschliche Verhalten habe in einer zwischenpersönlichen Situation stets Mitteilungscharakter. Dabei sei es unerheblich, ob diese Mitteilung auch tatsächlich beachtet werde, ob sie bewusst erfolge oder unbewusst. Handeln, Nicht-Handeln, Sprechen, Schweigen: immer würden andere beeinflusst und könnten nicht nicht reagieren.44 Was ist aber danach nicht Kommunikation? Weshalb steht dann für Groth so eindeutig fest, dass beim Augenscheinsbeweis niemals Kommunikation stattfindet? Man denke etwa an die freiwillige Abgabe einer Speichelprobe: Eine Handlung, die etwas mitteilt („Hiermit übergebe ich meinen Speichel mitsamt der in ihm gespeicherten nichtkodierten Geninformationen“), den entgegennehmenden Polizeibeamten beeinflusst und zu einer Reaktion veranlasst.45 39

Vgl. Maletzke, S. 2. Vgl. Fn. 37. 41 Groth, S. 22 in Fn. 2. 42 Wiedergabe der Einwände bei Wate, S. 16. 43 Groth, S. 57. 44 Groth, S. 23. 45 Die Auffassung, dass dort „Kommunikation“ stattfinde, ist nicht so absurd, wie sie vielleicht zunächst erscheinen mag. Es findet sich etwa eine Entscheidung des US40

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Der Aspekt der Kommunikation mag somit ein interessantes Kriterium sein, mit dem in vielen Fällen vertretbare Ergebnisse erzielt werden können. Er ist aber viel zu unbestimmt, als dass er in Grenz- und Zweifelsfällen Orientierung bieten könnte. Weder erscheint klar, dass z. B. bei einem vollautomatisierten Verfahren Kommunikation stattfände, noch, dass bei der Erhebung eines Augenscheinsbeweises niemals Kommunikation stattfindet. Außerdem werden Kommunikationskonzepte vertreten, nach denen die im Rahmen eines hirnbildgebenden Verfahrens in Form von Hirnaktivität abgegebenen Äußerungen wohl nicht als Bestandteil einer Kommunikation zu werten wären. Hinzu kommt schließlich: Groth behauptet, wie dargestellt, dass die Verbindung verschiedenster Arten unwillkürlicher Äußerungen (sie untersucht die Hypnose, den Polygraphentest und projektive Persönlichkeitstests wie etwa den Rosenzweigtest) in der Kommunikation zwischen Untersuchtem und Untersucher bestehe. Sie erklärt aber nicht, aus welchem Grund dies ein relevantes Kriterium für die Beurteilung als Aussagen sein soll; die Tatsache, dass überall dort (angeblich) Kommunikation im Spiel ist, ist schließlich zunächst nicht mehr als eine phänomenologische Feststellung. Ansichten, die bezüglich der einzelnen Verfahren zu dem Ergebnis gelangen, es handele sich dabei nicht um Aussagen, begegnet Groth wiederum damit, diese übersähen eben, dass es sich dabei jeweils um Kommunikation handele.46 Dies ist aber nichts weiter als eine petitio principii. Demnach kann bei der Beurteilung der Frage, wann unwillkürliche Äußerungen als Aussagen einzuordnen sind, der rein formale Kommunikations-Aspekt nicht entscheidend sein. Vielmehr benötigt man dazu einen inhaltlichen Maßstab, der sich an dem Gegenstand der Informationsgewinnung orientiert.

amerikanischen Supreme Court, der sich bereits 1966 dieser Frage widmete. Das Gericht verwarf in der Begründung explizit eine Mindermeinung, die der Auffassung war, ein Bluttest sei „kommunikativer“ Natur, weil er der Jury Fakten über den Zustand des Beschuldigten mitteile (to communicate: [u. a.] mitteilen), Schmerber v. California, 384 U.S. 757 (1966), 761, zit. nach Schlauri, S. 108 in Fn. 15. Obwohl hiermit zum Teil vorgreifend, sei bereits an dieser Stelle hinzugefügt, dass es andererseits auch im US-amerikanischen Recht nicht ausreicht, dass es sich bei der Erlangung der Information um Kommunikation handelt, damit daraus eine geschützte Aussage wird; hinzukommen muss, dass dabei Wissen offenbart wird, siehe Schlauri, S. 109. Interessanterweise hat sich das Gericht in Schmerber v. California in einem obiter dictum auch ausdrücklich, wenn auch kurz, zur Aussagequalität eines „physikalischen Beweismittels“ wie dem „Lügendetektor“ geäußert: Danach neigte das Gericht dazu, die dort erhaltenen Körperreaktionen als „testimonial“ anzusehen und somit als vom 5. Verfassungszusatz (Fifth Amendment) geschützte Aussagen, 384 U.S. S. 757, 764, zit. nach Berning, S. 185 in Fn. 126. Laut Delvo, S. 279, hat dieses obiter dictum bindende Wirkung für alle US-amerikanischen Gerichte; siehe für weitere Nachweise ebenfalls Delvo, S. 279 ff., auch zu der im Schrifttum weit verbreiteten Gegenansicht (S. 281 in Fn. 16). 46 Siehe etwa Groth, S. 57 in Fn. 64.

B. Verstoß gegen § 136a StPO

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Diesen Maßstab liefert ein Ansatz wie derjenige Fristers, wonach das Wissen über die Tat das richtige Unterscheidungsmerkmal sei.47 Frister folgt insoweit ausdrücklich Reiß, der diese „wirklich neuartige“48 Inhaltsbestimmung des nemo-tenetur-Prinzips49 (nemo tenetur se ipsum prodere/accusare50) entwickelte, wenn auch in anderem Zusammenhang und von Reiß nicht konsequent durchgehalten.51 Zwangsanwendung gegenüber dem Beschuldigten sei dann nicht mehr zulässig, wenn er als Wissensträger dazu veranlasst werden solle, dieses Wissen der Strafverfolgung zugänglich zu machen.52 In Abkehr von dem Gedanken des Inquisitionsprozesses gebe die Gewährleistung der Aussagefreiheit dem Beschuldigten die Verfügungsgewalt über sein Wissen: Der Beschuldigte habe die Freiheit darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er sein Wissen den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellt. Die Aussagefreiheit sei also auch dann beeinträchtigt, wenn dem Beschuldigten sein Wissen ohne sein aktives Tun entrungen werden könnte. Der „Lügendetektor“ sei daher als Vernehmungsmethode zu qualifizieren – im Unterschied zu psychologischen Untersuchungen zur Begutachtung der Schuldfähigkeit und projektiven Tests, bei denen regelmäßig Persönlichkeitsmerkmale festgestellt würden und nicht das Wissen des Beschuldigten.53 Der Ansatz Fristers bietet die Möglichkeit, relativ klar zwischen Vernehmungsmethode und Sachbeweis zu trennen. Sobald auf das Wissen des Beschuldigten von der Tat zugegriffen wird, handelt es sich um eine Vernehmungsmethode;54 die im Zuge einer solchen Vernehmung abgegebenen Äußerungen sind 47 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 319. Andeutungen in diese Richtung schon zuvor bei Peters, § 40 S. 325. 48 Verrel, S. 246. Daran, dass die Inhaltsbestimmung tatsächlich „wirklich neuartig“ ist, kann allerdings gezweifelt werden: Erstens sind bereits bei Peters Anklänge in diese Richtung zu finden (vgl. Fn. 47) und zweitens ist die Vorstellung, nemo tenetur schütze den Beschuldigten als Wissensträger, in den USA schon seit Mitte der 1960er Jahre geltende Praxis (siehe Schlauri, S. 173, vgl. dazu bereits Fn. 45). 49 Siehe den Hinweis von H. Möller, JR 2005, S. 314, dass diese Kurzform als wenig glücklich erscheint, überträgt man sie ins Deutsche: „niemand ist gehalten-Grundsatz“; dessen gänzlich ungeachtet findet sie jedoch allgemeine Verwendung. 50 Im Schrifttum finden beide Bezeichnungen Verwendung, vgl. die Übersicht bei Gruber, S. 98 in Rn. 377. 51 Vgl. Verrel, S. 247. 52 Reiß, S. 178. 53 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 320. 54 Natürlich können auch hier Zweifelsfälle auftreten, jedenfalls solange das Merkmal „Wissen“ nicht genauer definiert ist, etwa wenn nicht geklärt werden kann, ob mit einer verbalen Aussage Tatwissen oder lediglich Informationen über die Funktionstüchtigkeit des Körpers (bzw. des Gehirns) mitgeteilt werden (vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen in den USA Schlauri, S. 136 ff.). Eine genauere Bestimmung des Abgrenzungskriteriums kann und muss im Rahmen dieser Untersuchung jedoch unterbleiben, da die Kategorisierung des „Lügendetektor“-Tests nach dem Kriterium „Wissen“ als Aussage nicht von den Details einer Definition abhängt, sondern eindeutig ist, wie sogleich im Text erläutert wird.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

dann „Aussagen“ im Sinne des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO. Unerheblich ist dabei, auf welche Art und Weise die Äußerung zustande kommt, ob verbal oder nonverbal, willkürlich oder unwillkürlich. Körperliche Untersuchungen und sonstige Beweise betreffen hingegen nicht das Wissen des Beschuldigten. Deshalb können Blutentnahmen, DNS-Tests, die Abnahme von Fingerspuren etc. (unter den strafprozessualen Voraussetzungen) erzwungen werden. Um letzten Missverständnissen vorzubeugen, durch die man eventuell geneigt sein könnte, Blutgruppe, genetischen Code usw. als „Wissen“ zu verstehen, wonach dann etwa eine Blutentnahme als Aussage zu beurteilen wäre, sei hinzugefügt: Unter „Wissen“ wird die im Gedächtnis bzw. Gehirn, zumindest aber im Bewusstsein (oder auch im Unbewussten) des Untersuchten „gespeicherte“ Information verstanden, welche die in Rede stehende Tat betrifft.55 Die Aussage selbst besteht dann in der, wie auch immer gearteten, Übermittlung dieser Information.56 Die Unterscheidung nach dem Zugriffsgegenstand Wissen ermöglicht aber nicht nur eindeutige Ergebnisse. Mit ihr ist auch zu erklären, aus welchem Grund der Aussagefreiheit in § 136 StPO und insbesondere § 136a StPO ein Stellenwert eingeräumt wurde, der über den der „bloßen“ Freiheit von Selbstbelastungszwang (nemo tenetur-Garantie) hinausgeht, unter welcher die (noch) herrschende Meinung nur die Freiheit versteht, sich nicht aktiv selbst belasten zu müssen.57 Mit dem materiellen Differenzierungsmaßstab lässt sich das 55 Vgl. die US-amerikanische Handhabung: Eine Aussage, die nicht durch Zwang herbeigeführt werden darf, liegt vor, wenn der Beschuldigte entweder Wissen oder die contents of his own mind (etwa: Geistesinhalte, wobei mind auch Psyche bzw. „Seele“ bedeuten kann) offenbart; siehe Schlauri, S. 109. 56 Vgl. Peters’ Definition des (von ihm selbst so genannten) „subjektiven Personalbeweises“: „Subjektiv ist der Personalbeweis, wenn er auf menschlichem Wissen, Wahrnehmen, Empfinden und Denken beruht. [. . .] Die Beweisperson wirkt. Das Wirkmittel ist die Aussage.“ (Peters, § 40 S. 325, Hervorhebungen im Original). Dass Peters diese Überlegung allerdings nicht vollständig weitergedacht hat, lässt sich bereits daran erkennen, dass er die im Rahmen einer polygraphischen Untersuchung übermittelten Körperreaktionen nicht als Aussagen ansieht (Peters, ZStW 87 [1975], S. 663, 674 und Strafprozeß, § 40 S. 331), obwohl vor dem Hintergrund seiner Definition des subjektiven Personalbeweises an diesem Ergebnis zumindest Zweifel angebracht gewesen wären. 57 SK-StPO-Rogall, Vor § 133 Rn. 141 m.w. N. An dieser Stelle sei auf die lebhafte Diskussion hingewiesen, die sich, in letzter Zeit wieder verstärkt, um eine nähere Bestimmung des Grundsatzes entwickelt hat. Es ging dabei in erster Linie gerade um die angesprochene Frage, ob an der überkommenen Unterscheidung festzuhalten sei, dass nemo tenetur (nur) dann betroffen sei, wenn der Beschuldigte zu aktiver Mitwirkung gezwungen ist, während er im Rahmen der § 81 ff. StPO Eingriffe zu dulden habe, solange er dabei nur passiv bleiben muss. Es fragt sich nämlich etwa, ob verschiedene Eingriffe wie der von der Rechtsprechung z. T. gebilligte Brechmitteleinsatz (z. B. OLG Bremen, NStZ-RR 2000, S. 270; KG Berlin, JR 2001, S. 162, 163 mit Hinweis auf einen Nebensatz in einem Nichtannahmebeschluss des BVerfG [StV 2000, S.1], wonach der Brechmitteleinsatz im Hinblick auf die Selbstbelastungsfreiheit keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne; a. A. OLG Frankfurt NJW 1997, S. 1647, 1648 und jüngst zumindest im Ergebnis der EGMR, Urt. des Großen Senats v. 11.07.

B. Verstoß gegen § 136a StPO

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„schwer zu erklärende Nebeneinander“ 58 von gesetzlich garantierter Aussagefreiheit einerseits und den nach § 81a StPO möglichen Zugriffen auf den Beschuldigten als Sachbeweis andererseits erhellen.59 Es lässt sich zumindest gut vertreten, dass die „Teile“ der Person des Beschuldigten (wie Atemluft, Blut, Speichel etc.60), die nach der StPO zum Objekt der Strafverfolgung gemacht werden, einen anderen, entfernteren Persönlichkeitsbezug haben als „sein Wissen, sein Geist und seine Seele.“ 61 Verrel, der diese Wertdifferenz vertritt, gesteht dabei ebenso ein, dass sich darin die „idealistische Vorstellung eines 2006 – Beschwerde Nr. 54810/00 [Jalloh v. Germany]) nur deswegen erlaubt sein sollen, weil es dazu keiner Mitwirkung des Beschuldigten bedarf – oder ob solche Maßnahmen nicht doch die Menschenwürde ebenso, oder gar stärker, beeinträchtigen könnten, als es eine Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung nach Ansicht der h. M. tut. Instrumentalisiert etwa eine zwangsweise Blutabnahme den Beschuldigten weniger als eine Verpflichtung zum „Röhrchenblasen“ (Verrel, S. 224)? Die Frage nach der Sinnhaftigkeit des rein formalen Abgrenzungskriteriums Aktivität/Passivität stellt sich in der Tat, wenn es stimmt, dass das „einzig ersichtliche Argument für diese Unterscheidung“ die These ist, dass der Eingriff in die Entschließungsfreiheit bei Zwang zur aktiven Mitwirkung stärker sei (Weßlau, ZStW 110 [1998], S. 1, 31) – die genannten Beispiele zeigen, dass daran Zweifel angebracht sind. Verrel will daher nicht an dieser Unterscheidung festhalten und schlägt, wie angesprochen, als Abgrenzungskriterium vor, ob der Zwang zur Preisgabe von Tatwissen eingesetzt wurde. Andere Stimmen hingegen beharren auf der hergebrachten Differenzierung mit der Erwägung, der Schutzzweck der Selbstbelastungsfreiheit liege in erster Linie in der Respektierung des natürlichen Selbsterhaltungstriebes, der nicht betroffen sei, wenn der Beschuldigte Maßnahmen nur dulden müsse (Kraft, S. 181 f.). Eidam will ebenfalls an dem überkommenen Abgrenzungskriterium aktives Tun/passives Dulden festhalten, auch wenn er Probleme in der Reichweitenbestimmung einräumt, die er aber für letztlich handhabbar hält (Eidam, S. 135 ff.); darüber hinaus lehnt er eine Beschränkung von nemo tenetur auf Zwangsanwendungen ab (Eidam, S. 110 ff.). Wieder andere schlagen vermittelnde Lösungen vor, wie etwa eine partielle Mitwirkungspflicht nach dem Vorbild des US-amerikanischen Abgrenzungskonzepts (Schlauri, S. 176 ff., insbes. S. 178 ff.). Vgl. ferner die Dissertation von Bosch, der für einen gegenüber den klassischen Umschreibungen des nemo tenetur-Prinzips „erheblich erweiterten“ Schutzbereich eintritt (Bosch, S. 352). 58 Verrel, S. 253. 59 Das Bundesverfassungsgericht begnügt sich in dem „Gemeinschuldnerbeschluss“ demgegenüber mit der Feststellung, dass die Duldungspflichten des § 81a StPO ebenso wie Verhaltenspflichten (etwa die Wartepflicht des § 142 StGB) „in die personale Freiheit der Willensentschließung jedenfalls weniger“ eingriffen „als die Nötigung, durch eigene Äußerungen strafbare Handlungen offenbaren zu müssen.“ Ob dies lediglich als Hinweis auf die herkömmliche Abgrenzung gemeint ist, oder ob in den Worten des Gerichts eine materiale Abgrenzung durchscheint, wird wohl kaum zu klären sein. 60 Eine Ausnahme wäre wohl für die DNS-Analyse von Körperproben im kodierenden Bereich zu machen, wenn dadurch auf Persönlichkeitsmerkmale zugegriffen werden könnte, die nicht auf den Körper bezogen sind, Verrel, S. 256 in Fn. 1489 m.w. N. (Angemerkt sei, dass die Aussagekraft der Unterscheidung zwischen kodierendem und nicht-kodierendem Bereich mittlerweile bezweifelt wird, da sich womöglich auch auf dem nicht-kodierendem Teil der DNS persönlichkeitsrelevante Merkmale befinden, vgl. Krehl/Kolz, StV 2004, S. 447, 448). 61 Verrel, S. 256.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

,Leib-Seele-Dualismus‘ “ 62 widerspiegelt, wie er einräumt, dass es sich bei dieser wertenden Differenzierung um eine nicht zwingende normative Setzung handelt.63 Im Rahmen einer etwas materialistischeren Sichtweise würde man darüber hinaus wohl nicht von „Seele“ sprechen, sondern vielleicht von einem Gehirn-(sonstiger)Körper-Dualismus bzw. davon, dass das Gehirn als zentrales Generierungs-, Steuerungs-, Kontroll- und Speicherorgan des Menschen hochwertiger und auch schützenswerter ist als seine sonstigen „zellkernhaltigen Körperbestandteile“ 64. Verrel ist aber zumindest darin zuzustimmen, dass die strafprozessuale qualitative Trennung zwischen Aussage und Augenscheinsbeweis nach einer materiellen Begründung verlangt und dabei das qualitative Kriterium des Zugriffsgegenstands „Tatwissen“ rein formalen Differenzierungsmaßstäben vorzuziehen ist. Dazu gehört auch die rein phänomenologische Betrachtung des Kontextes der Informationsgewinnung, die in der Kommunikation zwischen den Beteiligten den Maßstab sucht – auch sie geht lediglich deduktiv vor und kann keine materiellen Gründe für das „Nebeneinander“ liefern.65, 66 62

Verrel, S. 254. Verrel, S. 258. 64 Verrel, S. 256. 65 Im Text wurde ausgeführt, dass das Wissen als Abgrenzungskriterium, zumindest im Grundsatz, auch von Verrel, S. 246 ff., favorisiert wird. „Kritisch“, wie Groth (S. 60 in Fn. 72) meint, ist Verrel (auf S. 204 ff.) nicht hinsichtlich des Abgrenzungskriteriums Wissen an sich, sondern in Bezug auf die angebliche Inkonsistenz in Fristers Argumentation auf der Grundlage dieses Ansatzes. Verrel seinerseits vermengt im Folgenden die Frage, ob beim „Lügendetektor“-Einsatz überhaupt eine Aussage vorliegt, mit der Frage, ob dieser mit den nach § 136a StPO verbotenen Vernehmungsmethoden Hypnose und Narkoanalyse vergleichbar ist (S. 205 f.). 66 Wie bereits angesprochen (siehe Fn. 45 u. 55), ist auch im US-amerikanischen Recht der Wissensgehalt der erlangten Information dafür entscheidend, ob es sich um eine Aussage handelt, die nicht erzwungen werden darf, oder um „nontestimonial evidence“, das grundsätzlich (bei unvertretbaren Handlungen zumindest indirekt) zwangsweise erlangt werden darf (siehe ausführlich Schlauri, S. 107 ff., 136 ff.). Allerdings ist dort zusätzlich erforderlich, dass die Äußerung „kontrollierbar“ ist (Schlauri, S. 110), weshalb etwa Schrift- und Stimmproben grundsätzlich erzwungen werden dürfen bzw. der Beschuldigte zu ihrer Vornahme verpflichtet werden darf (soweit dabei der Inhalt völlig unbedeutend ist und es nur auf Schriftbild bzw. Stimmklang ankommt); kommt der Beschuldigte seiner Verpflichtung dazu nicht nach, dürfen aus diesem Verhalten – anders als im deutschen Recht – negative Schlüsse gezogen werden (siehe Schlauri, S. 123 f., 156 ff.; zu Grenzfällen dies., S. 133). Für das deutsche Recht sieht auch Verrel in einer Stimmprobe die Aussagefreiheit dann als nicht betroffen an (S. 196 f.), wenn es bei der Auswertung der Stimme nicht um die inhaltliche Bedeutung der Worte geht, sondern ausschließlich um ihre formal-physikalischen Eigenschaften (S. 181), also um ein äußeres Identitätsmerkmal (S. 196). Eine davon zu trennende Frage ist, ob die Veranlassung zum Gebrauch der Stimme seitens der Strafverfolgungsbehörden in den Schutzbereich des nemo tenetur-Grundsatzes fällt. Die Antwort hängt wiederum davon ab, ob man an der überkommenen Dichotomie Aktivität/Passivität festhält oder etwa materielle Abgrenzungskriterien wählt, vgl. auch Fn. 57. 63

B. Verstoß gegen § 136a StPO

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Zieht man nun als Konsequenz aus den voranstehenden Erörterungen das Wissen von der Tat als Abgrenzungskriterium heran, zeigt sich für den „Lügendetektor“-Test ein eindeutiges Ergebnis: Es ist schließlich konstitutiv für die Methoden der „Lügendetektion“, dass nach der Täterschaft (etwa mit der Kontrollfragenmethode) bzw. sogar ausdrücklich nach dem Tatwissen (mit dem Tatwissentest) gefragt wird. Konkret wird mit der Messung der Hirnaktivität auf das Wissen des Beschuldigten in dem Sinn zugegriffen, dass aus dem Vergleich der jeweiligen Hirnaktivität als Reaktion auf verschiedene Stimuli durch Interpretation der Daten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit geschlossen werden kann, dass der Beschuldigte an der Tat (nicht) beteiligt war bzw. dass er (kein) Tatwissen hat. Weil der Angeklagte somit im Rahmen einer mit einem hirnbildgebenden Verfahren vorgenommenen Glaubwürdigkeitsbegutachtung Wissen von der Tat preisgäbe, wäre die dieses Wissen gleichsam transportierende Hirnaktivität als strafprozessuale Aussage zu beurteilen. Der Einsatz eines solchen „Lügendetektors“ stellt sich somit als Vernehmungsmethode dar, deren Zulässigkeit an § 136a StPO zu messen ist.

II. Anwendbarkeit auf Sachverständige bei staatlicher Anordnung der Untersuchung Damit ist jedoch noch nicht endgültig entschieden, dass § 136a StPO grundsätzlich auf den Einsatz hirnbildgebender Verfahren Anwendung finden kann, da die Norm zunächst nur diejenigen Prozessbeteiligten verpflichtet, die bei der Strafverfolgung mit staatlicher Autorität agieren, also Richter, Staatsanwaltschaft (§ 163a Abs. 3 Satz 2 StPO) und Polizeibeamte (§ 163a Abs. 4 Satz 2 StPO). Die Verwendung hirnbildgebender Verfahren zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung erfordert jedoch ebenso wie der Polygraphentest den Einsatz eines Sachverständigen.67 Ob und gegebenenfalls wie für den Sachverständigen die Vernehmungsverbote des § 136a StPO gelten, wird nicht einhellig beurteilt. Eine unmittelbare Anwendung der Norm trifft auf weitgehende Ablehnung, da der Sachverständige keine Stellung innehabe, die derjenigen der Strafverfolgungsorgane vergleichbar wäre;68 als bloßes Beweismittel sei der Sachverständige daher kein Normadressat des § 136a StPO.69 Überwiegend wird jedoch davon ausgegangen, dass die Norm analog auf Sachverständige anwendbar ist70: Zwar

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Siehe dazu oben 4. Kapitel A. I. Statt aller ausführlich Toepel, S. 384 sowie 262 ff.; a. A. wahrscheinlich BGHSt 11, S. 211, 212: „Der Sachverständige ist Gehilfe des Gerichts. Was dem Richter verwehrt ist, das ist auch dem Richtergehilfen verboten“. 69 Toepel, S. 384. 70 KMR-Lesch, § 136a Rn. 8 m.w. N.; Hilland, S. 16. 68

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sei die Exploration durch den Sachverständigen keine Vernehmung, in der Sache unterschieden sich beide jedoch kaum voneinander.71 Schließlich wird vertreten, dass Sachverständige durchaus etwa Hypnose anwenden oder bei Tests täuschen dürften, solange dies im Rahmen der lex artis geschehe.72 Verwertbar seien die Ergebnisse allerdings nur dann, wenn es sich um Untersuchungen handele, die nicht im Zusammenhang mit der Tatermittlung stehen, sondern etwa die Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten betreffen.73 Glaubhaftigkeitsbegutachtungen durch Sachverständige, mit oder ohne technische Hilfsmittel, haben jedoch ausschließlich die Tatermittlung zum Zweck. Sofern also der Einsatz hirnbildgebender Verfahren bei der Aussagebeurteilung materiell von § 136a StPO erfasst wäre, dürfte der Richter den Sachverständigen nicht dazu „benutzen“, die nach § 136a StPO verbotene Vernehmungsmethode anzuwenden, weil er sich das Verhalten des Sachverständigen als eigenes zurechnen lassen muss.74 (Ob von dem Verbot, die so gewonnenen Aussagen zu verwerten, unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen zulässig wären,75 ist dabei zunächst einmal unerheblich). Aus diesem Grund kann auch letztlich dahinstehen, ob der Sachverständige die verbotenen Vernehmungsmethoden des § 136a StPO nicht anwenden oder ob der Richter einen Sachverständigen nicht einsetzen darf, der nach § 136a StPO verbotene Vernehmungsmethoden anwendet. Denn für die Zulässigkeit der hirnbildgebenden Verfahren im Strafprozess spielt die Unterscheidung keine Rolle.76

III. § 136a StPO bei direkter Anwendung 1. Untersuchung unter Verwendung eines hirnbildgebenden Verfahrens als körperlicher Eingriff Nach mittlerweile allgemeiner Ansicht ist mit einer Maßnahme erst dann ein körperlicher Eingriff verbunden, wenn sie auf die Veränderung der körperlichen Konstitution gerichtet ist.77 Insoweit hat schon der BGH 199878 zu Recht hin71

Hellmann, Rn. 476. AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 8. 73 AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 11. 74 Vgl. Joerden, JuS 1993, S. 927, 928; SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 8; AK-StPOKühne, § 136a Rn. 10. 75 Siehe dazu unten VI. 76 Vgl. AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 10. 77 Jahn, JuS 2005, S. 1057, 1059; KK-StPO-Diemer, § 136a Rn. 14. – Früher beurteilte man den Polygraphentest verbreitet als körperlichen Eingriff, siehe die Nachweise bei L. Schneider, S. 148; Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 890; Prittwitz wies dabei mit Recht darauf hin, dass es ein bezeichnendes „Beispiel ergebnisorientierter juristischer Auslegungs- und Argumentationskunst“ sei, dass die Gegner des Polygraphentests diesen nicht einmal als körperliche Untersuchung erachteten (siehe dazu unten 4. Kapitel D. II. 1.), „wohl die ,legitimierende‘ Wirkung des § 81a StPO fürchtend“ 72

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sichtlich des Polygraphentests kein Wort darüber verloren, ob sein Einsatz einen körperlichen Eingriff im Sinne des § 136a StPO darstellen könnte, da die Untersuchung ohne jeden Eingriff in die Substanz des Körpers erfolgt.79 Gleiches gilt für nicht-invasive neurowissenschaftliche Verfahren. Mittels Magnetresonanztomographie werden lediglich Vorgänge im Gehirn des Probanden beobachtet.80 2. Untersuchung unter Verwendung eines hirnbildgebenden Verfahrens als „Täuschung“ Für den Kontrollfragentest gehen die Meinungen darüber auseinander,81 ob ihm aufgrund seiner Funktionsweise ein Täuschungselement immanent ist, etwa weil der Testperson eine höhere Zuverlässigkeit als die tatsächlich gegebene vorgespiegelt wird.82 Der BGH war in der zweiten Entscheidung zur Zulässigkeit polygraphischer Untersuchungen der Ansicht, dass zumindest in Deutschland gravierende Täuschungen nicht vorgenommen würden.83 (vgl. dazu, dass diese Furcht unbegründet war, unten 4. Kapitel D. II. 2.), andererseits ihn aber als körperlichen Eingriff bezeichneten, „offensichtlich das Verdikt des § 136a StPO im Auge.“ – Abgesehen davon, ob eine solche so offenkundig widersprüchliche Sicht wirklich als das Ergebnis künstlerischer Tätigkeit bezeichnet werden kann, sei jedoch noch einmal herausgestellt, dass der Polygraphentest heute, soweit ersichtlich, von niemandem mehr als körperlicher Eingriff eingestuft wird (wohl mit Ausnahme von Benfer, S. 295 f.). 78 BGHSt 44, S. 308 ff.; ebenso LR25-Hanack, § 136a Rn. 56. 79 Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 890; Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 314; Schüssler, S. 73. 80 Thompson, Cornell Law Review 90 (2005), S. 1601, 1607 m.w. N. – Die von dem Hochfrequenzimpuls ausgelöste Energieanreicherung einiger Protonen dauert lediglich wenige Sekunden an, bevor die Protonen auf ihr ursprüngliches Energieniveau zurückfallen (vgl. oben 3. Kapitel C. I.); will man darin überhaupt einen körperlichen Eingriff sehen, so ist dieser jedenfalls unwesentlich und daher nicht vom Anwendungsbereich des § 136a StPO erfasst. – Beim Einsatz radioaktiver Substanzen wäre dies allerdings anders. Wenn diese z. B. durch Injektionen verabreicht würden, fiele ein solcher Einsatz zudem unter das Merkmal „Verabreichung von Mitteln“, vgl. z. B. LR25-Hanack, § 136a Rn. 23, 24; dann stellte sich die Frage der Dispositivität des § 136a Abs. 3 StPO nicht nur theoretisch (vgl. dazu unten 4. Kapitel B. VI.). „Lügendetektion“ mit invasiven Verfahren ist allerdings nicht das Thema dieser Arbeit; siehe gleichwohl zu Studien, die mit dem Verfahren der Positronenemissionstomographie (PET) durchgeführt wurden, oben 3. Kapitel B. 81 Dafür etwa LG Düsseldorf, StV 1998, S. 647, 648. Dagegen wohl Schüssler, S. 74 m.w. N. zum Streitstand. Schüssler stellt allerdings lediglich die verschiedenen Ansichten dar und enthält sich einer eindeutigen Entscheidung – was erstaunen muss, steht und fällt doch die Zulässigkeit zumindest des Kontrollfragenverfahrens (unter anderem) mit der Beantwortung dieser Frage und plädiert Schüssler doch an anderer Stelle für die Zulassung dieses Kontrollfragentests (S. 177 ff.). 82 Siehe erläuternd Delvo, S. 30, passim. 83 BGHSt 44, S. 308, 318. Gemäß Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 314, könnte das Täuschungsverbot allenfalls zur Unzulässigkeit bestimmter Formen von Stimula-

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Für hirnbildgebende Verfahren ist noch nicht abzusehen, welche Methode(n) in der Praxis Anwendung finden würde(n). Sollte sich erweisen, dass in der Tat vornehmlich kognitive Prozesse für die Funktionsweise des Verfahrens – auch bei Anwendung direkter Methoden wie einem Kontrollfragentest – maßgebend wären,84 würde dies voraussichtlich bedeuten, dass auf Täuschungen im Vorfeld des eigentlichen Tests gänzlich verzichtet werden könnte. Davon abgesehen wird für die hiesige Untersuchung im Sinne der genannten BGH-Entscheidung jedenfalls vorausgesetzt, dass etwaige Irreführungen nicht das nach weit überwiegender Ansicht restriktiv zu interpretierende85 Merkmal der „Täuschung“ i. S. d. § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO erfüllen würden.

IV. § 136a StPO in analoger Anwendung Dies bedeutet jedoch noch nicht, dass die Beurteilung der Aussage des Beschuldigten mittels hirnbildgebender Verfahren nicht von dem Verbot des § 136a StPO erfasst sein könnte.86 Denn nach ganz herrschender Ansicht ist die Aufzählung der verbotenen Vernehmungsmethoden in der Vorschrift nicht abschließend; § 136a StPO ist auch anwendbar auf Beeinträchtigungen der Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit, die dort nicht explizit genannt sind.87 Voraussetzung für die Annahme einer Analogie ist nun stets die Ähnlichkeit der Sachverhalte.88 Die im Gesetz genannten Vernehmungsmethoden müssten also mit den hirnbildgebenden Verfahren bei wertender Betrachtung vergleichbar sein, insbesondere in Bezug auf das Maß der Beeinträchtigung.89 Im tionstests (Nachweise zu diesen Methoden bei Frister, ZStW 106 [1994], S. 303, 308 in Fn. 28) führen. 84 Vgl. dazu oben 3. Kapitel C. VIII. 85 BGHSt (GS) 42, S. 139, 149 m.w. N. 86 So bzgl. des Polygraphentests der BGH im Jahr 1954, BGHSt 5, S. 332, 333 (vgl. oben 2. Kapitel B. I.), und in der Folge „fast allgemein vertretene“ Ansicht, LR25-Hanack, § 136a Rn. 56, dort bei Fn. 162 die entsprechenden Nachweise. 87 Joerden, JuS 1993, S. 927, 930; Beulke, Rn. 141; Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 314; Meyer-Goßner, § 136a Rn. 6 m.w. N.; zweifelnd Krey II, Rn. 808: Der Normtext spreche für eine abschließende Regelung. – Die Willensentschließung betrifft dabei das „Ob“ und das „Wie“ der Aussage, während die Willensbetätigung die Umsetzung der Willensentschließung in das Verhalten meint, siehe AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 15. 88 Siehe etwa Rüthers, Rn. 889. 89 AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 56. – Stübinger, ZIS 2008, S. 538, 554, erkennt zwar diese Voraussetzung für eine analoge Anwendung und verneint sie auch für den Fall eines „Lügendetektor“-Einsatzes mittels Hirnbildgebung, gelangt dann aber auf argumentativ wenig nachvollziehbarem Weg („Wenn aber jede zwanghafte oder listige Einwirkung auf einen Aussagewilligen untersagt ist, dann sollte doch wohl die Umgehung der willentlichen Kontrolle [. . .] ebenfalls verboten sein“) offenbar doch zu einer Bejahung des § 136a Abs. 1 StPO (denn ansonsten hätte Stübinger nicht an anderer Stelle mit § 136a Abs. 3 argumentieren können; vgl. näher zu dem Erfordernis der eindeutigen Abgrenzung von Abs. 1 und Abs. 3 der Norm im Text und unten Fn. 119).

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Bewusstsein, dass eine Einteilung nach Schweregraden stets relativ bleiben muss, da objektive Kriterien fehlen,90 dürfte jedoch Folgendes gelten: Zweifellos geht auch mit einem mit der Einwilligung des Angeklagten vorgenommenen „Lügendetektortest“ eine Beeinträchtigung seiner Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung einher, da die gemessenen Körperbzw. Hirnreaktionen der willentlichen Kontrolle des Untersuchten nicht unterliegen – darin besteht schließlich auch das Grundprinzip der „Lügendetektion“. Die zu klärende Frage ist daher, ob der Verlust an Willenskontrolle so schwer wiegt, dass der „Lügendetektor“ insoweit insbesondere mit der Hypnose (deren Anwendung von § 136a Abs. 1 StPO explizit untersagt ist) oder auch der Narkoanalyse (die einhellig als ebenfalls von § 136a StPO erfasst angesehen wird 91) vergleichbar ist. Denn nur bei diesen beiden Verfahren ist der Verlust von Willenskontrolle das charakteristische Merkmal, während bei den anderen in § 136a Abs. 1 StPO genannten Vernehmungsmethoden die willentliche Steuerung nicht aufgehoben ist,92 sondern die „Wehrlosigkeit und das Ausgeliefertsein des in staatlicher Gewalt befindlichen Individuums“ 93 auf anderem Wege „erreicht“ wird. Der BGH (1998) war hinsichtlich des Polygraphentests der Ansicht, dass dieser nicht den Schweregrad von Hypnose und Narkoanalyse erreiche.94 Bei der Hypnose etwa solle gerade unter Ausschaltung des Willens des Hypnotisierten eine Einengung seines Bewusstseins in die von dem Hypnotiseur gewünschte Vorstellungsrichtung erreicht werden. Vergleichbar beeinträchtigt sei das Bewusstsein im Fall der Narkoanalyse.95 Weil es an der Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen also fehle, scheide eine analoge Anwendung von § 136a Abs. 1 StPO aus. Etwas missverständlich schickt der BGH dieser Argumentation den Satz voraus, die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung der Vorschrift lägen nicht vor, „wenn der Beschuldigte einer Untersuchung mittels des Polygraphen zustimmt, weil es dann an der für eine Analogie erforderlichen Vergleichbarkeit“ fehle.96 Der Satz lässt sich so verstehen, dass für den BGH die 90

Darauf weist mit Recht hin AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 56. LR25-Hanack, § 136a Rn. 45; Eisenberg, Rn. 649; Meyer-Goßner, § 136a Rn. 10; dabei ist aber darauf hinzuweisen, dass die Narkoanalyse zumeist unter das Merkmal „Verabreichung von Mitteln“ gefasst, bisweilen auch zusätzlich als körperlicher Eingriff angesehen wird, siehe AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 44. Um die Narkoanalyse als verbotene Vernehmungsmethode einzustufen, ist es somit eigentlich gerade nicht erforderlich, eine analoge Anwendung des § 136a StPO zu prüfen. 92 Siehe Verrel, S. 206. 93 AK-StPO-Kühne § 136a Rn. 5. 94 BGHSt 44, S. 308, 318; anders noch BGHSt 5, S. 332, 333, 334 f. 95 BGHSt 44, S. 308, 318. 96 BGHSt 44, S. 308, 318. 91

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Einwilligung der Grund für die fehlende Vergleichbarkeit ist. Dies ließe sich jedoch kaum plausibel machen. Insbesondere bestimmt § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO ausdrücklich, dass das Verbot der Absätze 1 und 2 „ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten“ gilt. Nach der o. g. Lesart des Satzes müsste dann aber jede nicht ausdrücklich genannte Vernehmungsmethode von vornherein mit § 136a Abs. 1 StPO vereinbar sein, solange sie nur mit dem wirksamen Einverständnis des Beschuldigten vorgenommen wird. Denn es fehlte dann immer an der Vergleichbarkeit – auch eine freiwillige Narkoanalyse ließe sich dann zumindest mit dieser Begründung97 nicht unter das Verbot des § 136a Abs. 1 StPO subsumieren. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass der BGH den Satz nicht in dem beschriebenen Sinne gemeint haben kann. Die Betonung der Einwilligung erlangt vielmehr nur insofern Bedeutung, als mit ihr deutlich gemacht wird, dass nicht ein erzwungener oder heimlich durchgeführter Test zu beurteilen ist, sondern dass allein danach gefragt wird, ob ein mit Einverständnis des Betroffenen durchgeführter Test als verbotene Vernehmungsmethode einzustufen ist. Zu untersuchen ist daher, ob die Willensbeeinträchtigung auch bei einem einverständlichen Test so erheblich ist, dass dieser – trotz der Einwilligung – sich bei entsprechender Anwendung der Norm als verbotene Vernehmungsmethode erweist. Anders gewendet: Es geht um die Begründung der Vernehmungsmethode als verboten, nicht um den Versuch, eine von vornherein (gesetzlich) verbotene Methode mit Hinweis auf die Einwilligung zu „heilen“: Bei dem „Lügendetektor“ handelt es sich eben nicht um eine von § 136a Abs. 1 StPO bereits ausdrücklich verbotene Vernehmungsmethode, von der § 136a Abs. 3 StPO bestimmt, dass ihre Verwendung auch durch eine Einwilligung nicht geheilt werden kann. Vielmehr muss erst entschieden werden, ob auch der freiwillige Test (bereits) von § 136a Abs. 1 StPO erfasst ist (der unfreiwillige Test würde ohnehin gegen § 136a StPO verstoßen98). Dafür müsste die Beeinträchtigung der Willenskontrolle während der eigentlichen Testung jedoch ebenso erheblich99 sein, dass sie insoweit insbesondere mit der explizit verbotenen Hypnose vergleichbar wäre. Entscheidend ist somit einzig 97

Vgl. aber soeben Fn. 91. Siehe dazu näher unten 5. Kapitel A. und 5. Kapitel B. 99 Zu Recht ebenfalls auf das Maß der Willensbeeinträchtigung abstellend: SKStPO-Rogall, § 136a Rn. 25; KK-StPO-Diemer, § 136a Rn. 8; Eisenberg, Rn. 642; HbStrVf-Jahn, Kap. II Rn. 273. – Wäre man hingegen davon überzeugt (wie Lesch in: KMR § 136a Rn. 2, passim), dass die Funktion des § 136a StPO (allein) darin besteht, die Beweiserhebung gegen Fehlerquellen zu immunisieren und auf diese Weise die Sicherheit der Tatsachenfeststellung im Verfahren zu gewährleisten, käme es einzig darauf an, ob der „Lügendetektor“ ein taugliches Verfahren der Glaubwürdigkeitsbegutachtung (und damit der Wahrheitsermittlung) wäre. Unter Zugrundelegung des BGH-Urteils vom Dezember 1998, das insbesondere dem Kontrollfragentest die völlige Ungeeignetheit bescheinigt, gelangt Lesch (in: KMR, § 136a Rn. 44) konsequenterweise zu dem Urteil, der Polygraphentest sei eine nach § 136a Abs. 1 StPO verbotene Vernehmungsmethode. Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch die Taug98

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der Vergleich der Anwendungsprinzipien der einzelnen Vernehmungsmethoden hinsichtlich ihres schmälernden Einflusses auf die Willenskontrolle des Untersuchten. Bezüglich des Polygraphentests ist dem BGH nun im Ergebnis zuzustimmen, auch im Hinblick auf die, wenn auch knappe, Argumentation, die das Gericht – im Widerspruch zu dem eingangs zitierten Satz, der die fehlende Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Einwilligung zu verknüpfen scheint – dann vornimmt: Der Polygraphentest erreicht nicht den Schweregrad an Beeinträchtigung der Willensfreiheit, der im Fall der Hypnose und der Narkoanalyse erreicht wird. Ein mit Einwilligung des Angeklagten eingesetztes hirnbildgebendes Verfahren zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung unterscheidet sich insoweit nun nicht wesentlich von einem „Lügendetektor“ mittels einer polygraphischen Untersuchung: Auch hier ist die Entscheidung des Angeklagten über das „Ob“ frei (mit noch zu besprechenden Einschränkungen), weil er den Test bei vollem Bewusstsein und in freier Entscheidung ebenso gut ablehnen könnte. Während des Tests hat der Angeklagte zwar keine Kontrolle über seine Gehirnaktivität, die dann durch die Auswertung der gemessenen Daten zu Aussageinhalten gerinnt. Entscheidend ist jedoch, dass sein Bewusstsein dabei nicht ausgeschaltet oder eingeengt ist wie in den Fällen der Hypnose (oder auch der Narkoanalyse100). Der Angeklagte ist in jedem Augenblick eines „Lügendetektor“-Tests bei vollem Bewusstsein und hat auch die Möglichkeit, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen,101 entweder bereits vor dem Beginn der Untersuchung oder dadurch, dass er den Test abbricht oder unbrauchbar macht.102 Die mit der Messung nicht lichkeit des Verfahrens gerade vorausgesetzt wird, ist eine weitergehende Auseinandersetzung mit dieser Auffassung hier nicht erforderlich. 100 Siehe Eisenberg, Rn. 649 m.w. N. 101 Anderenfalls wäre die Freiwilligkeit der Einwilligung äußerst zweifelhaft, vgl. Koch, S. 132. 102 Ob dieses Verhalten dann als verwertbares „teilweises Schweigen“ zu beurteilen wäre, ist eine andere Frage. Man könnte einen Testabbruch gleichsam als gescheiterten Alibibeweis ansehen, der nach einhelliger Ansicht nicht der Verwertung durch das Tatgericht zugänglich ist (siehe BGHSt 25, S. 285, 287; BGHSt 41, S. 153, 154 f.). Andererseits hängt diese Beurteilung damit zusammen, dass das Scheitern eines Entlastungsversuchs auch mit anderen Motiven erklärt werden könnte als mit der Täterschaft des Angeklagten. Die Antwort auf die Frage, ob ein Testabbruch zum Nachteil des Angeklagten gewürdigt werden dürfte, wird somit in erster Linie davon abhängen, ob man diesem Verhalten einen Beweiswert zumessen kann [vgl. zu der generellen Problematik des Beweiswertes bestimmten Prozessverhaltens unten 4. Kapitel F. II. 1. d) aa) (2)]. Dies wird man nicht pauschal entscheiden können. Es mag Fallkonstellationen geben, in denen es eindeutig feststeht, dass ein Beschuldigter seinen Test nur deshalb abbricht, weil er „bemerkt“ bzw. fürchtet, dass seine Täterschaft nunmehr entdeckt werden wird; in der Regel werden sich jedoch andere unverdächtige und nicht fernliegende Gründe für den Testabbruch vorstellen lassen, sodass er im Ergebnis wie ein fehlgeschlagener Alibibeweis zu beurteilen wäre, der von dem Tatrichter nicht als Schuldindiz gewertet werden darf.

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steuerbarer Gehirnaktivitäten verbundene Beeinträchtigung der Willensfreiheit ist daher nicht einmal im Ansatz mit dem Ausmaß an Kontrollverlust zu vergleichen, das bei einer Hypnose (und auch bei einer Narkoanalyse) herbeigeführt wird.103 Für die Wahrung eines ausreichenden Maßes an Willensfreiheit genügt es somit, dass der Beschuldigte in freier Entscheidung im Vorhinein und pauschal dem „Lügendetektortest“ zustimmt. Es ist nicht erforderlich, dass er bei jeder einzelnen Frage auch noch über den Inhalt seiner Aussage frei entscheiden kann.104 Unbeschadet eines möglichen gegenteiligen Ergebnisses einer Einzelfallprüfung105 steht somit fest, dass die Glaubwürdigkeitsbegutachtung mittels hirnbildgebender Verfahren jedenfalls nicht generell gegen § 136a StPO in entsprechender Anwendung verstößt.106 103 Vgl. für die polygraphische Untersuchung Berning, MschrKrim 76 (1993), S. 242, 252; AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 57. 104 Mit der strikten Orientierung an dem Ausmaß des Willensverlusts, das mit dem Einsatz der in Rede stehenden Vernehmungsmethode einhergeht, lässt sich i. Ü. auch das Verbot einer mit Einwilligung des Beschuldigten durchgeführten Hypnose nach § 136a Abs. 1 StPO erklären. Denn wie im Text angedeutet ist zumindest bei einigen Spielarten der Hypnose in der Tat das Bewusstsein des Hypnotisierten ausgeschaltet (vgl. instruktiv Fuchs, Kriminalistik 1983, S. 2, 3), so dass zumindest während der Vernehmung nicht einmal ein Rest an Willenskontrolle verbliebe. Im Unterschied zu dem „Lügendetektortest“ ist die Narkoanalyse insoweit mit der Hypnose vergleichbar (siehe nur Hilland, S. 129 f.), weshalb es zumindest konsequent ist, diese Vernehmungsmethode dann ebenfalls unter § 136a Abs. 1 StPO (analog) zu fassen (wiederum davon abgesehen, dass das Verbot der Narkoanalyse auch anders begründet werden kann, z. B. weil es dabei zu einer „Verabreichung von Mitteln“ kommt, vgl. nochmals oben Fn. 91). Die Frage, ob der Beschuldigte über dieses Verbot verfügen können soll, wenn die Hypnose (oder die Narkoanalyse) ein geeignetes Verfahren der Wahrheitsermittlung wäre und sich der Beschuldigte mit ihr entlasten wollte, stellt sich dann (erst) bei § 136a Abs. 3 StPO (vgl. dazu unten Fn. 133). – Wenn man hingegen den einzigen Zweck des § 136a StPO darin sähe, die Aussageperson vor fehlerhaften Aussagen zu bewahren (so KMR-Lesch, § 136a Rn. 2, vgl. bereits oben Fn. 99), dürfte es danach auch für die Zulässigkeit der Hypnose nur darauf ankommen, ob diese ein taugliches Verfahren der Tatsachenfeststellung wäre. Wäre diese Voraussetzung erfüllt, dürfte man danach die Hypnose zumindest de lege ferenda nicht unter die nach § 136a StPO verbotenen Vernehmungsmethoden fassen (Lesch äußert sich zu dieser Fragestellung allerdings nicht). 105 Vgl. Berning, MschrKrim 76 (1993), S. 242, 252. 106 Im Ergebnis für die polygraphische Untersuchung ebenso AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 57; Groth, S. 120; Hamm, NJW 1999, S. 922; Hilland, S. 65; Evers, JZ 1965, S. 664 in Fn. 36; Volk, § 9 Rn. 16; Wegner, S. 186, der so weit geht zu sagen, dass die Ungewissheit über das, was den Beschuldigten erwarte, bei einer „bloßen Vernehmung“ sogar größer sei; für die hirnbildgebenden Verfahren Beck, JR 2006, S. 146, 149; a. A. offenbar Schüssler, S. 75, wenn auch weitgehend ohne Begründung; Beulke Rn. 141 (allerdings für den Fall des einverständlichen Tests nur unter dem Gesichtspunkt des mittelbaren Drucks auf andere Beschuldigte); HK3-Lemke, § 136a Rn. 43 (obwohl die 3. Auflage im Jahr 2001 erschien, war dort allerdings das BGHUrteil von 1998 noch nicht erwähnt) – anders nunmehr HK-Lemke (4. Auflage 2008), Rn. 29; ebenfalls a. A. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 317 ff., 322, der sich jedoch

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V. Zwischenergebnis Die Vorschrift über verbotene Vernehmungsmethoden, § 136a StPO, ist grundsätzlich anwendbar auf die durch einen Sachverständigen vorgenommene Glaubwürdigkeitsbegutachtung eines Angeklagten mit hirnbildgebenden Verfahren. Denn zum einen darf sich nach einhelliger und zutreffender Ansicht auch der Sachverständige nicht der untersagten Methoden des § 136a StPO bedienen, obwohl er keine eigentliche Vernehmung durchführt. Zum anderen ist die Norm hier anwendbar, weil die im Rahmen der Untersuchung des Angeklagten gemessene Hirnaktivität als strafprozessuale Aussage und nicht als Gegenstand eines Augenscheinsbeweises zu bewerten ist. Dieses Ergebnis lässt sich zwar möglicherweise auch erzielen, wenn man als Kriterium für die Abgrenzung heranzieht, ob zwischen den Beteiligten Kommunikation stattfindet. Da dieses Kriterium jedoch keine klaren Zuordnungen zulässt und zudem inhaltsleer bleibt, erscheint es überzeugender, für die Abgrenzung zwischen Personal- und Sachbeweis als materielles Merkmal das Wissen von der Tat heranzuziehen. Allerdings stellt sich der einverständliche „Lügendetektor“-Test im Ergebnis weder bei direkter noch bei analoger Anwendung des § 136a StPO als verbotene Vernehmungsmethode dar.107 Auf § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO, der das Verbot der Absätze 1 und 2 der Norm auch für den Fall aufrechterhält, dass der Beschuldigte mit der Anwendung der in Rede stehenden Vernehmungsmethode einverstanden ist, kommt es somit nicht mehr an.

darauf beschränkt, die Argumente gegen eine analoge Anwendung des § 136a StPO widerlegen zu wollen. Die Erwartung einer positiven Begründung wird ebenso enttäuscht wie die einer Auseinandersetzung mit der entscheidenden Frage, ob hier überhaupt die für eine Analogie zwingend vorausgesetzte Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen gegeben ist – weshalb Ausführungen zur Erheblichkeit der Willensbeeinträchtigung fehlen. Die bloße Einordnung des Tests als „Vernehmung“ im Sinne des § 136a StPO (Frister, ZStW 106 [1994], S. 303, 317 ff.) sagt dabei nur etwas über die prinzipielle Anwendbarkeit der Norm, nichts aber darüber aus, weshalb „Lügendetektortests“ (bei analoger Anwendung der Norm) gegen sie verstoßen sollten. 107 Der mittelbare Druck, der durch die Zulassung eines Verfahrens zur „Lügendetektion“ auf künftige Angeklagte ausgeübt werden könnte, spielt hier noch keine Rolle [siehe dazu unten 4. Kapitel F. II. 1. f) aa)], da in diesem Abschnitt zunächst die rechtliche Lage desjenigen Angeklagten untersucht wird, der die Zulassung der Lügendetektion erst noch erstreiten müsste. Ein solcher Einwilligungsdruck kann bei diesem Angeklagten jedenfalls noch nicht entstehen. Dieser Umstand wird von all jenen nicht beachtet, die den mittelbaren Druck bereits für den „ersten“ Beschuldigten voraussetzen und deshalb das Merkmal „Zwang“ des § 136a StPO als erfüllt ansehen wie etwa das LG Düsseldorf, StV 1998, S. 647, 648 m.w. N. Eine Vermischung der Perspektiven zeigt sich auch bei Groth, S. 100 f., die bei § 136a StPO sowohl den gleichsam natürlichen Entlastungsdruck (auf den konkret betroffenen Angeklagten) als auch den mittelbaren Druck (auf künftige Angeklagte) anspricht.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

VI. § 136a Abs. 3 StPO bei analoger Anwendung? Wenn man nun gleichwohl – wie vor der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1998 beinahe einhellig108 und auch heute noch bisweilen109 vertreten – die Beeinträchtigung der Willensfreiheit im Rahmen eines „Lügendetektortests“ als von mit der Hypnose vergleichbarer Intensität ansehen wollte und aus diesem – oder auch aus einem anderen – Grund § 136a Abs. 1 StPO (analog) für verletzt erachtete,110 wäre dann angesichts des § 136a Abs. 3 StPO das Schicksal der „Lügendetektion“ im Strafverfahren besiegelt? Denn Abs. 3 Satz 1 der Norm bestimmt ausdrücklich, dass das Verbot des ersten Absatzes ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten gilt. Bei strikter Beachtung des Wortlautes bedeutete dies dann tatsächlich das „Aus“ für den „Lügendetektor“. Andererseits lassen sich durchaus Gründe angeben, die dieses Ergebnis in Zweifel ziehen könnten.111 Bevor die einzelnen zu berücksichtigenden Aspekte näher betrachtet werden, ist jedoch noch einmal hervorzuheben, dass hier der folgende Fall zu beurteilen ist: Der Angeklagte will unter Inanspruchnahme einer an sich nach Abs. 1 verbotenen Vernehmungsmethode einen Entlastungsbeweis führen und stellt aus diesem Grund den Antrag, das Gericht möge eine entsprechende Beweiserhebung anordnen. Es geht somit um die Frage, ob der „Lügendetektortest“ sich auch dann noch als verbotene Vernehmungsmethode erwiese oder ob, entgegen dem Wortlaut von § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO, die Einwilligung in diesem Fall doch beachtlich und der „Lügendetektortest“ somit zumindest in diesem Fall keine verbotene Vernehmungsmethode wäre. Der erste Satz des § 136a Abs. 3 StPO betrifft also die Beweiserhebung und somit direkt die Frage, ob eine Vernehmungsmethode verboten ist. Satz 2 der Norm formuliert hingegen ein Verwertungsverbot und betrifft u. a. den Fall, dass eine mit dem Ziel der Überführung bereits eingesetzte (definitiv) verbotene Vernehmungsmethode (zumindest auch) Entlastendes zu Tage gefördert hat. Die Frage nach der Erlaubtheit der Beweisverwertung stellt sich nun aber gar nicht, wenn bereits die Beweismethode – entgegen dem Wortlaut des Satzes 1 – zumindest in der hier vorliegenden Fallkonstellation erlaubt wäre. In der Literatur wird im Rahmen der Argumentation um die Anwendbarkeit des § 136a Abs. 3 StPO in Bezug auf entlastende Momente vielfach nicht klar zwischen Beweiserhebungs- und BeSiehe nochmals die Nachweise bei LR25-Hanack, § 136a Rn. 56 bei Fn. 162. Siehe die Nachweise in Fn. 106. 110 So jüngst auch Stübinger, ZIS 2008, S. 538, 554, für „Lügendetektoren“ mit neurowissenschaftlichen Verfahren; vgl. zu dieser Ansicht bereits oben Fn. 89. 111 Entgegen der Einschätzung Schüsslers, S. 76, betreffen die im Beschluss des BVerfG vom Oktober 1997 (StraFo 1998, S. 16; vgl. oben 2. Kapitel B. III.) zu erahnenden Zweifel nicht § 136a Abs. 3 StPO, sondern bereits die entsprechende Anwendung von Abs. 1 der Norm. 108 109

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weisverwertungsverbot unterschieden,112 also einerseits zwischen der Frage, ob der Staat verpflichtet ist, dem Wunsch eines Beschuldigten nach Anwendung einer bestimmten Vernehmungsmethode nachzukommen, und andererseits, ob das Gericht verpflichtet ist, einen rechtswidrig erlangten Entlastungsbeweis in die Beweiswürdigung einzubeziehen. Zwar mögen sich die jeweils vorgebrachten Argumente zum Teil ähneln und zumindest grob in die gleiche Richtung weisen, geht es doch letztlich in beiden Fällen darum, ob dem Angeklagten das Vorbringen entlastender Momente gestattet werden soll. Es sind jedoch andererseits durchaus erhebliche strukturelle Unterschiede zu beachten. Es ist eine Sache, ein Verwertungsverbot abzulehnen, wenn das Kind – der Einsatz einer verbotenen Vernehmungsmethode – bereits in den Brunnen gefallen ist und es nun (nur) noch darum geht, wie mit zufällig erlangten Entlastungsbeweisen zu verfahren ist; es erscheint dann durchaus als höchst plausibel, wenn man es zumindest grundsätzlich als „Rechtsstaatsverstoß in der Sache selbst“ bewertet, wenn ein Gericht sehenden Auges ein Fehlurteil fällen müsste, weil der Entlastungsbeweis rechtsstaatswidrig erlangt wurde und daher nicht beachtet werden dürfe.113 Es ist aber ein nicht ganz so leicht zu lösendes Problem, ob dem Beschuldigten die Chance, einen Entlastungsbeweis zu erlangen, einzuräumen ist, denn hierbei gilt es, ganz andere (rechtliche) Auswirkungen einer etwaigen diesbezüglichen Erlaubnis zu bedenken, wie sich sogleich zeigen wird. Diese beiden 112 Vgl. etwa Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, S. 655, 656; Jäger, S. 274 f. in Fn. 1269; Nack, StraFo 1998, S. 366, 368 (der die Zulässigkeit eines gewünschten „Lügendetektortests“ dann jedoch ohnehin ablehnt); auch Amelung, StraFo 1999, S. 181, 182, erwähnt explizit den „Lügendetektor“, obwohl es ihm um die Begründung der teleologischen Reduktion des zweiten Satzes geht, also den Ausschluss des Verwertungsverbots bei rechtswidrig erlangten Beweismitteln; siehe schließlich Hamm, StraFo 1998, S. 361, 363, der den Fall des gewünschten „Lügendetektortests“ unkommentiert in eine Aufzählung verschiedener Fallgruppen einreiht, die sich ansonsten allesamt dadurch auszeichnen, dass die verbotene Maßnahme bereits stattgefunden hat und der Entlastungsbeweis also bereits vorliegt. Im Unterschied zu diesen Fällen kann aber für den von dem Angeklagten gewünschten „Lügendetektor“-Test gerade nicht gefragt werden, ob es nicht „zynisch“ sei, wenn „der Rechtsstaat, der unter Verletzung seiner eigenen Regeln jemanden überführen will“, ihm dann, „wenn dabei das Gegenteil herausgekommen ist, auch noch die Zunge herausstreckt und ihm scheinheilig verwehrt, die gegen das Gift des Baumes resistenten süßen Früchte zu ernten“ (Hamm, a. a. O.). Denn es wurde kein Baum vergiftet und Früchte sind noch gar nicht gewachsen; es muss vielmehr erst noch entschieden werden, ob der Baum überhaupt gepflanzt werden darf, der dann dem Angeklagten mundende Früchte hervorbringen könnte. 113 Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, S. 655, 656; im Ergebnis ebenso Amelung, StraFo 1999, S. 181, 182; Nack, StraFo 1998, S. 366, 368; Löffelmann, S. 129; Brandis, S. 166; siehe auch jüngst BGH, NStZ 2008, S. 706 f., wo das Gericht offengelassen hat, ob der Angeklagte unter bestimmten Umständen auf den Schutz des § 136a Abs. 3 Satz 2 verzichten dürfte (siehe zu diesem Urteil die Anm. v. Roxin, StV 2009, S. 113 ff.). – A. A. Kleinknecht, NJW 1966, S. 1537, 1543, der für den Fall des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO den Begriff von der „zweiseitigen Unverwertbarkeit“ geprägt hat; KMR-Lesch, § 136a Rn. 47; ebenfalls gegen eine Reduzierung der Beweisverwertungsverbote auf Belastungsverbote Meyer-Goßner, Einl. Rn. 55a; KMR-Paulus, § 244 Rn. 547.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

zwar verwandten, aber keineswegs deckungsgleichen Diskussionen um die Zulässigkeit von Entlastungsbeweisen dürfen somit nicht vermischt werden. Insbesondere ist größte Vorsicht bei dem Versuch angebracht, die Disponibilität von § 136a StPO Abs. 3 Satz 1 StPO mit Argumenten stützen zu wollen, die zunächst einmal nur bei der Begründung von Satz 2 als reines Belastungsverbot passen. Die hier interessierende Frage lautet also konkret, ob § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO im Einklang mit dem Wortlaut für alle Informationen gilt, die im Rahmen des Einsatzes verbotener Vernehmungsmethoden erlangt werden könnten, oder ob der Angeklagte über das Verbot der Absätze 1 und 2 der Norm zumindest dann verfügen können soll, wenn der Einsatz der in Rede stehenden Methode zu seinem Vorteil wäre.114 Ein entscheidender Gesichtspunkt für die Lösung besteht nach Amelung darin, dass § 136a Abs. 1 StPO eben nur analog angewendet würde. Dann müsse diese Analogie auch auf Absatz 3 der Norm übertragbar sein. Daran lasse sich aber bereits unter dem Aspekt zweifeln, dass für staatliche Freiheitsbeschränkungen nach der h.A. ein Analogieverbot gelte.115 Zudem fehle es möglicherweise an der für eine Analogie erforderlichen Gleichheit der Interessenlage. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle § 136a StPO davor schützen, dass die genannten Vernehmungsmethoden dafür genutzt werden, gegen den Beschuldigten vorzugehen.116 Dieser Schutzzweck entfalle aber eben dann, wenn die Methode dem Beschuldigten „nur zugute“ kommen solle.117 114 Um die Frage der Beachtlichkeit eines Verwertungsverbots ginge es hingegen (nur) dann, wenn man den „Lügendetektortest“ auch mit Einwilligung des Angeklagten als verbotene Vernehmungsmethode einstufte, der Angeklagte den Test aber privat durchführte, er dem Gericht das – entlastende – Ergebnis vorlegte und nun zu beurteilen wäre, ob dieses Ergebnis berücksichtigt werden muss bzw. darf. Hierbei wäre aber zu beachten, dass der Entlastungsbeweis nicht aus dem staatlichen Einsatz rechtswidriger Methoden hervorginge, sondern das Ergebnis einer bewussten Entscheidung des Angeklagten wäre. Zum anderen wäre zu berücksichtigen, dass der Beweiswert eines außerprozessual erstellten Tests jedenfalls erheblich geschmälert wäre, so man sein Ergebnis denn überhaupt anerkennen wollte (vgl. dazu insgesamt unten 6. Kapitel B.). 115 Amelung, NStZ 1982, S. 38, 40 m.w. N.; Schüssler, S. 75 f., dessen Ausführungen sich allerdings von denen Amelungs kaum unterscheiden; gegen die Möglichkeit einer Argumentation aus dem Analogieverbot Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 323 f. 116 Verh. des BT, Sitzung v. 26. 7. 1950, Sp. 2882, zit. nach Amelung, NStZ 1982, S. 38, 40. 117 Amelung, NStZ 1982, S. 38, 40; es ist indes nicht eindeutig, ob Amelung mit „nur zugute kommen“ tatsächlich meint, was man an sich darunter verstehen muss: dass belastende Ergebnisse nicht verwertbar sein sollen. Denn auch wenn belastende Ergebnisse verwertbar wären, bedeutet dies doch nicht notwendig, dass dann mit dem „Lügendetektor“ gegen einen Verdächtigen vorgegangen wird – nämlich dann nicht, wenn der Wunsch, im Bewusstsein des Risikos eines für ihn nachteiligen Ergebnisses, von dem Beschuldigten stammt. Nimmt man Amelung beim Wort, dürfte er die Anwendung von § 136a Abs. 3 StPO analog nicht mehr ablehnen, wenn der Test dem Angeklagten nicht nur zugute kommen kann.

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Klimke118 vertritt die Auffassung, § 136a Abs. 3 StPO wolle nach den Erfahrungen in der Zeit unter dem Nationalsozialismus ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleisten; ferner habe der Gesetzgeber ausweislich der diesbezüglichen Beratungen durch diese Regelung den freiwilligen Narkosetest untersagen wollen. Diese Intention sei vom Schrifttum auf den Polygraphentest erweitert worden; es gebe jedoch zwischen beiden Verfahren wesentliche Unterschiede.119 Berücksichtige man die ursprüngliche Zielrichtung, wäre es widersinnig, dem entlastungswilligen Angeklagten § 136a Abs. 3 StPO vorzuhalten. Schwabe sieht die Notwendigkeit, § 136a Abs. 3 StPO in diesen Fällen verfassungsgemäß auszulegen. Seiner Ansicht nach verstoße es gegen das Rechtsstaatsgebot und – im Stadium des Hauptverfahrens – gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn man gewichtige Entlastungsumstände außer Acht ließe.120 In eine ähnliche Richtung weisen die Überlegungen von Löffelmann121, für den sich die Begründung der Dispositionsbefugnis aus dem das Strafverfahren beherrschenden Grundsatz der Wahrheitserforschung ergibt: Ausnahmen von diesem Grundsatz in Form von Verwendungsverboten zu belastenden Zwecken, wenn es also um eine Verurteilung des Beschuldigten gehe, seien durch das Gebot strenger und rechtsstaatlicher Maßstäbe der Wahrheitserforschung begründet. Wenn es um die Entlastung des Beschuldigten gehe, gälten diese Anforderungen allerdings nicht, da mit einem Freispruch keine Beschwer verbunden sei. In diesem Fall sei dann der „unbedingte Vorrang der Freiheitsrechte des Beschuldigten anzuerkennen“, indem man ihm die Chance auf einen Entlastungsbeweis nicht abschneidet.122 Es kann festgehalten werden, dass bedenkenswerte Gründe dafür sprechen, das Verbot des § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO teleologisch auf den Einsatz von Vernehmungsmethoden zu reduzieren, mit denen der Beschuldigte überführt werden soll, dass aber eine mit Einwilligung des Beschuldigten vorgenommene, 118

Klimke, NStZ 1981, S. 433, 434. Dies ist indes strukturell ein Argument, das bereits bei der Entscheidung darüber, ob es sich bei dem „Lügendetektortest“ von vornherein um eine verbotene Vernehmungsmethode nach § 136a Abs. 1 StPO handelt, zu berücksichtigen ist (vgl. soeben 4. Kapitel B. IV.), weshalb sich für Klimke die Frage nach § 136a Abs. 3 StPO ebenfalls nicht mehr als entscheidungserheblich stellen dürfte; vgl. auch Dalakouras, S. 181, der gleichfalls keine klare Trennung zwischen der Frage eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 StPO analog und des Geltungsbereichs von § 136a Abs. 3 StPO vornimmt. 120 Schwabe, NJW 1979, S. 576, 579. 121 Löffelmann, S. 128 f. 122 Auch Löffelmann trennt zwar nicht zwischen den verschiedenen Bezugspunkten von Satz 1 und Satz 2 des § 136a Abs. 3 StPO. Zumeist scheint es ihm dabei um das Verwertungsverbot des Satz 2 zu gehen; aus dem Gesagten ergibt sich aber, dass Löffelmann seine Erwägungen auch für den Fall des Verbots nach Satz 1 gelten lassen will. 119

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

eigentlich nach Abs. 1 der Norm untersagte Vernehmungsmethode dann nicht verboten ist, wenn der Beschuldigte mit ihr seine Entlastung anstrebt. Die Befürworter dieser Sichtweise betonen jedoch einseitig die Position des Angeklagten, der sich zu seiner Entlastung einer Vernehmungsmethode bedienen möchte, und lassen dabei die ratio des § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO zumeist vollkommen außer Acht. Der Vorrang der Freiheitsrechte des Angeklagten ist nämlich keineswegs „unbedingt“, auch mit dem Rechtsstaatsgebot werden nicht nur die Individualinteressen eines konkret betroffenen Angeklagten geschützt.123 Es ist vielmehr notwendig, etwaige Belange der Allgemeinheit und Dritter, vornehmlich „künftiger“ Angeklagter, zu berücksichtigen, deren Schutz von § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO angestrebt wird. Zwischen diesen Belangen und dem Interesse des Angeklagten, sich mittels der Inanspruchnahme einer nach Abs. 1 „verbotenen“ Vernehmungsmethode entlasten zu können, wäre dann ggf. abzuwägen, um die Frage nach der Disponibilität der Norm zufriedenstellend beantworten zu können. Nach Rogall wird mit § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO dabei zunächst der Schutz der Integrität der Rechtspflege und damit der „Rechtsstaatlichkeit schlechthin“ intendiert, welche durch die Anwendung „verpönter“ Vernehmungsmethoden auch bei Einwilligung des Beschuldigten Schaden nehmen könnte, weshalb ein generelles Einwilligungsverbot gerechtfertigt sei.124 Dieser Auffassung ist allerdings zumindest für den Fall eines gewünschten „Lügendetektortests“ zum Zweck der Entlastung des Angeklagten nicht zuzustimmen. Dabei kann noch davon abgesehen werden, dass die Rede von der „Integrität der Rechtspflege“ nicht viel hergibt, solange sie nicht von rationalen Beurteilungskriterien begleitet wird.125 Denn selbst wenn es tatsächlich so wäre, dass über den Schutz vor „scheinbar freiwilliger“ Einwilligung durch § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO die „Integrität der Rechtspflege“ insoweit sichergestellt würde, als sie durch die Anwendung „verpönter, strafbarer, jedenfalls ungewollter Vernehmungsmethoden auch bei Einwilligung des Betroffenen Schaden nehmen könnte“126, bleiben die Zweifel bestehen. Strafbar oder verpönt ist der Einsatz von „Lügendetektoren“ jedenfalls nicht. Und ob eine Vernehmungsmethode „ungewollt“ ist oder nicht, ist erstens wiederum kein objektives Kriterium und zweitens ist nicht ersichtlich, wie durch das Verbot des Einsatzes von zuverlässigen „Lügendetektoren“ die „Rechtsstaatlichkeit schlechthin“ vor Schaden bewahrt werden könnte. Soll123 Jedenfalls nicht unmittelbar, denn mittelbar dienen alle überindividuellen Belange letztlich dem Individuum, aber eben dem abstrakt gedachten und nicht dem konkret betroffenen Einzelnen, vgl. Joerden, S. 169 f. und unten Fn. 235. 124 SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 80; ihm folgend Eisenberg, Rn. 705; ähnlich AKStPO-Kühne, § 136a Rn. 72; Krey II, Rn. 809. 125 Vgl. KMR-Lesch, § 136a Rn. 7. 126 HK-Lemke § 136a Rn. 45, insoweit ebenfalls weitgehend SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 80, folgend.

B. Verstoß gegen § 136a StPO

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ten mit den „ungewollten“ aber lediglich jene in Abs. 1 ausdrücklich erwähnten Methoden gemeint sein, ist das Kriterium hier von vornherein irrelevant.127 Zumindest als substanzieller erscheint der Verweis auf einen anderen Zweck des § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO: Mit dem Verbot solle verhindert werden, dass der Beschuldigte um die Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden bittet. Dies könnte nämlich dazu führen, dass die Strafverfolgungsorgane auf die Erteilung einer Einwilligung hinwirken, so dass ihre Freiwilligkeit in Frage gestellt wäre und im Ergebnis das Verbot des § 136a Abs. 1 StPO ad absurdum geführt würde.128 Dem ist jedoch im Hinblick auf die „Lügendetektion“ entgegenzuhalten, dass diese Befürchtung schon dann gegenstandslos wäre, wenn den Verfolgungsbehörden ein entsprechendes Initiativrecht versagt würde – was im Übrigen von den Befürwortern des „Lügendetektor“-Einsatzes fast ausnahmslos gefordert wird. Möglicherweise müsste man jedoch nicht einmal soweit gehen: In einem anderen Zusammenhang wird untersucht werden, ob die Freiwilligkeit der Einwilligung durch bestimmte Maßnahmen sogar dann noch gesichert werden könnte, wenn der Impuls für ihre Erteilung von der Staatsanwaltschaft käme.129 Dass „eine Freiwilligkeitskontrolle letztlich in Frage gestellt wäre“130, könnte jedenfalls im Fall des gewünschten „Lügendetektortests“ zumindest ohne weitere Erörterung nicht als tragfähiges Argument dienen. Schließlich wird befürchtet, dass eine unterbleibende Inanspruchnahme der Möglichkeit, sich mittels einer „verbotenen“ Vernehmungsmethode zu entlasten, von dem Tatgericht als Schuldeingeständnis gewertet werden könnte. Mit § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO werde dieser Gefahr begegnet, indem dem Angeklagten diese Möglichkeit von vornherein versagt wird.131 Dieser Gesichtspunkt ist nun durchaus ernstzunehmen. Es handelt sich bei § 136 Abs. 3 Satz 1 StPO um die gesetzliche Ausprägung des wohlbekannten Arguments des „indirekten Einwilligungsdrucks“ auf „künftige“ Angeklagte, der durch die Versagung der Dispositionsbefugnis des Einzelnen über den Schutz seiner Grundrechte verhindert werden solle. Insbesondere weil nach hier vertretener Auffassung der „Lügendetektortest“ jedoch bereits strukturell, also von seinem Potential her, die Willensfreiheit des Angeklagten während der Vernehmung zu beeinträchtigen, nicht als verbotene Vernehmungsmethode anzusehen ist, soll der – wichtige – 127 Strukturell zielt diese Argumentation darauf ab, den Vorrang von (etwa hinter dem „Rechtsstaatsgebot“ stehenden) Allgemeininteressen vor den Belangen des Entlastung suchenden Angeklagten zu begründen; vgl. dazu auch näher unten 4. Kapitel F. I. 128 SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 80; LR25-Hanack, § 136a, Rn. 60, Krey II, Rn. 809, wohl auch Eisenberg, Rn. 705. 129 Siehe näher zur Frage des Initiativrechts für die Staatsanwaltschaft und zu entsprechenden Nachweisen unten 5. Kapitel H. 130 SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 80. 131 LR25-Hanack, § 136a Rn. 60; Krey II, Rn. 809.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Aspekt des mittelbaren Drucks auch erst später einer genauen Prüfung unterzogen werden.132 Es wird dabei letztlich darum gehen, welchem Interesse der Vorzug einzuräumen sein wird, dem des in Not geratenen Angeklagten, nicht einer (vielversprechenden) Entlastungschance beraubt zu werden, oder jenem künftiger Angeklagter am vollständigen Erhalt ihrer (Grund-)Rechte.133 Das Ergebnis dieser Prüfung wäre jedenfalls auf die Frage der Verfügbarkeit des in § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmten Einwilligungsverbots übertragbar.134 Zusammenfassend: Würde – im Widerspruch zu der hiesigen Auffassung – der „Lügendetektor“-Einsatz von dem Verbot des § 136a Abs. 1 StPO erfasst, stellte sich die Frage, ob der Angeklagte, der sich mittels eines solchen Tests entlasten wollte, über dieses Verbot entgegen dem Wortlaut des § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO disponieren dürfte. Es geht dabei ausdrücklich nicht um das Verwertungsverbot nach Satz 2 der Norm; deshalb sind Erwägungen, mit denen dieses Verwertungsverbot auf ein Belastungsverbot reduziert wird, allenfalls be132

Siehe unten 4. Kapitel F. II. 1. In voller Konsequenz stellte sich die Frage nach der Disponibilität des § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO hingegen bei anderen Verfahren, deren auch einverständlicher Einsatz von § 136a Abs. 1 StPO erfasst ist, wie etwa im Fall der explizit genannten Hypnose – einmal angenommen, dass es sich bei ihr um ein taugliches Mittel der Wahrheitserforschung und somit um einen potentiellen Entlastungsbeweis handelte (vgl. bereits oben Fn. 104). Auch hier hätte man die bedrohten Grundrechte des Angeklagten zu berücksichtigen und es wäre danach zu fragen, ob diese Rechtspositionen etwaig beeinträchtigten Interessen Dritter oder der Allgemeinheit vorgingen. Es müsste also gezeigt werden, dass die Zulassung der Hypnose im Strafverfahren sich derart nachteilig auf die Belange Dritter oder der Allgemeinheit auswirken würde, dass man auch einem Angeklagten, der in dem – unterstellten – tauglichen Verfahren der Hypnose sein letztes Entlastungsmittel hat, deren Inanspruchnahme verwehren müsste. Es lässt sich zumindest prima facie anzweifeln, ob dies überzeugend gelingen könnte. Für den Fall der Narkoanalyse ließen sich diesbezüglich womöglich bereits bessere Gründe finden – da hierbei betäubende oder einschläfernde Medikamente verabreicht werden (Eisenberg, Rn. 649 m.w. N.) –, die aber wohl letztlich auch nicht durchgriffen. Anders verhielte es sich aber in dem weitgehend theoretischen Fall, dass etwa die Folter ein zuverlässiges Mittel der Wahrheitserforschung wäre und der Angeklagte nun in die Anwendung wiederum deswegen einwilligte, weil dies seine letzte Entlastungsmöglichkeit darstellte. Hier mag es gelingen zu begründen, weshalb mit der Zulassung der Folter Allgemeininteressen beeinträchtigt würden, die dem Individualinteresse des Angeklagten vorzugehen hätten (vgl. dazu unten 4. Kapitel C. I. 5.; siehe i. Ü. unten 4. Kapitel C. I. 6. zu der Frage, wann Allgemeininteressen den Gebrauch von Individualfreiheiten beschränken können). Wenn nun demgegenüber ein Verwertungsverbot einer entlastenden Aussage, die im Rahmen einer bereits erfolgten (natürlich rechtswidrigen) Folteranwendung gemacht wurde, zu Recht ohne weiteres abgelehnt wird (z. B. von Jäger, S. 274 f. in Fn. 1269; a. A. Hamm, StraFo 1998, S. 361, 364 f.), belegt dieser Umstand den o. g. Befund, dass die beiden Fälle des § 136a Abs. 3 StPO klar voneinander getrennt werden müssen. 134 Mit dem Unterschied, dass angesichts der Regelung des § 136a Abs. 3 StPO eine Anwendung zur Belastung ausgeschlossen wäre, während diese Beschränkung außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Norm nicht von vornherein gilt (vgl. dazu unten 5. Kapitel H.). 133

C. Verletzung der Menschenwürde

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dingt auf die hier interessierende Frage nach der Fortgeltung des Beweiserhebungsverbots übertragbar. Wenn nun auch gewichtige Gründe dafür sprechen, nach Abs. 1 verbotene Vernehmungsmethoden zu erlauben, wenn sich der Angeklagte mit ihrer Inanspruchnahme zu entlasten anstrebt, darf dabei nicht die ratio des § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO vernachlässigt werden. Hinweise auf die Integrität der Rechtspflege und die „Rechtsstaatlichkeit schlechthin“ erweisen sich dabei zwar als wenig zielführend. Auch der Gefahr, dass andernfalls der Angeklagte von den Strafverfolgungsbehörden zu der Einwilligung gedrängt werden könnte, ließe man sie grundsätzlich zu, könnte wohl in der Praxis wirksam begegnet werden. Die Gefahr allerdings, dass die Erlaubnis sich auf künftige Angeklagte nachteilig auswirken könnte, ist ernstzunehmen. Die entsprechende Untersuchung wird allerdings erst im Rahmen der Frage nach den objektiven Schranken der Dispositionsbefugnis des Einzelnen über den eigenen Grundrechtsschutz vorgenommen, weil es auf § 136a Abs. 3 StPO zumindest nach der hier vertretenen Ansicht letztlich nicht ankommt.

C. Verletzung der Menschenwürde Wie bereits zu Beginn ausgeführt, hatte der BGH in seinem ersten Urteil zum Polygraphentest eine Verletzung der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde des Beschuldigten angenommen.135 Die Begründung fiel jedoch knapp aus, insbesondere war das vorliegende Einverständnis des Angeklagten dem BGH keine weitere Erwähnung mehr wert, obwohl das Urteil ausdrücklich „ohne Rücksicht auf sein Einverständnis“ (amtlicher Leitsatz) erging.136 Mitentscheidend für die Beurteilung des konsentierten „Lügendetektor“-Einsatzes als menschenwürdewidrig mag gewesen sein, dass der Test in dem zu entscheidenden Fall auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgte und der Überführung137 des Angeklagten dienen sollte.138 Der Fall betraf somit eine Konstellation, die in der späteren Diskussion kaum mehr eine Rolle spielte, in welcher beinahe stets nur derjenige Beschuldigte im Blickpunkt stand, der sich in einer Situation des „Beweisnotstands“ mit einem „Lügendetektor“-Test entlasten möchte. Die Entscheidung des BGH fand zunächst große Zustimmung in der Literatur, wobei man auch hier dem Einverständnis des Beschuldigten keine Beach-

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BGHSt 5, S. 332, 334; vgl. oben 2. Kapitel B. I. BGHSt 5, S. 332, 333. 137 Davon ist in diesem Fall auszugehen, auch wenn die Staatsanwaltschaft ansonsten „die objektivste Behörde der Welt“ sein sollte. 138 Zudem fiel das Testergebnis auch noch negativ für den Beschuldigten aus. Die Diskussion um den Polygraphen begann also unter Umständen, die Schwabe mit Recht als „wenig glücklich“ bezeichnet, Schwabe, NJW 1979, S. 576, 578. 136

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

tung schenkte139 und sich hauptsächlich mit dem überführten Beschuldigten befasste.140 Es ist jedoch auch für den letztgenannten Fall keineswegs ausreichend, die Einwilligung141 des Angeklagten für unbeachtlich zu erklären, solange dieses Ergebnis nicht begründet wird. Auch nur den Versuch einer substantiellen Herleitung, weshalb die Durchführung eines „Lügendetektor“-Tests trotz wirksamer Einwilligung des Angeklagten dessen Menschenwürde verletze, sucht man allerdings weitgehend vergebens. Nachdem das BVerfG 1981 das allgemeine Persönlichkeitsrecht als verletzt ansah142 und 1997 diese Frage ausdrücklich offen ließ,143 vollzog der BGH 1998 einen radikalen Perspektivenwechsel: Nunmehr sollte der einverständliche Polygraphentest keine Verletzung der Menschenwürde mehr darstellen.144 Auch hiernach bildete sich – mit wenigen Ausnahmen145 – eine breite Gefolgschaft,146 aus der gar zu vernehmen war, dass „wir Strafjuristen uns in Sachen Menschenwürde gegen ,Lügendetektor‘ fast ein halbes Jahrhundert lang selbst belogen“147 hätten. Wenn auch nicht in so offenkundiger Weise wie im Fall des ersten BGH-Urteils zur polygraphischen Untersuchung aus dem Jahr 1954, so ließ das Gericht, ebenso wie das Schrifttum, auch hier einige Fragen offen. Es wurde beispielsweise wiederum weitgehend ebenso auf eine Beschäftigung mit Begriff und Inhalt der Menschenwürde verzichtet wie auf die nähere Auseinandersetzung mit der Grundfrage, ob über die Menschenwürde durch den Rechtsgutsträger in dem Sinne „verfügt“ werden kann, dass eine wirksame Einwilligung die Verletzung des Grundrechts ausschließt. Ebenfalls weitgehend unbeachtet blieb der mögliche Zusammenhang zwischen Tauglichkeit der Methode und Menschenwürdeverletzung. Hier liegt einer der Hauptgründe für eine ausführliche Beschäftigung mit der Menschenwürde: Der BGH erweckte in seinem Urteil aus dem Jahr 1998 zumindest den Anschein, er mache die rechtliche Zulässigkeit – insbesondere bezüglich der nicht verletzten Menschenwürde – unter 139 Siehe oben 2. Kapitel B. I.; ausdrücklich auch für eine Verletzung der „Menschenwürde (Art. 1 GG) und der in Art. 2 GG geschützten Freiheit der Person“ trotz Einwilligung Peters, ZStW 87 (1975), S. 663, 677. 140 Siehe Nachweise bei Schwabe, NJW 1979, S. 576, 578 in Fn. 19. 141 Die terminologischen Unterschiede, wonach traditionell von Einverständnis gesprochen wird, wenn bereits der Tatbestand des entsprechenden Delikts entfällt, und von Einwilligung, wenn die Disposition erst rechtfertigend wirkt, bedürfen hier keiner näheren Erörterung. 142 BVerfG (Vorprüfungssausschuss) NJW 1982, S. 375; vgl. auch oben 2. Kapitel B. II. 143 BVerfG, StraFo 1998, S. 16. 144 BGHSt 44, S. 308, 315 ff.; siehe bereits oben 2. Kapitel C. I. 1. 145 Siehe Nachweise im 2. Kap., Fn. 137. 146 Siehe oben 2. Kap., Fn. 135. 147 Hamm, NJW 1999, S. 922.

C. Verletzung der Menschenwürde

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anderem davon abhängig, dass der Polygraphentest seiner Ansicht nach untauglich ist. Daher wird zu klären sein, ob im Falle eines zuverlässigen Verfahrens das Kriterium der Menschenwürdeverletzung wieder aufleben könnte. Aus den genannten Gründen ist die nähere Befassung mit der Frage der Menschenwürde im Kontext der einverständlichen „Lügendetektion“ nicht einem formalen Streben nach womöglich falsch verstandener Vollständigkeit geschuldet – obwohl die Frage angeblich „faktisch gegenstandslos“148 sei –, sondern in hohem Maße geboten. Zwar mag eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG näher liegen als eine Verletzung der Menschenwürde.149 Jedoch steht dieses Grundrecht ohnehin in engem Zusammenhang mit dem Würdeschutz des Art. 1 Abs. 1 GG;150 zudem geht es in der vorliegenden Untersuchung unter anderem um die ausführliche Rezeption des Urteils von 1998, in welchem der BGH, wie angesprochen, ausschließlich eine Verletzung der Menschenwürde prüft – weshalb auch hier die Prüfung einer Menschenwürdeverletzung am Beginn stehen soll.151

I. Grundsätzliche Verfügbarkeit des eigenen Menschenwürdeschutzes? Es muss somit zunächst geklärt werden, ob die Menschenwürde insofern grundsätzlich zur Disposition des Einzelnen steht, als dem Willen des Betroffenen derart Gewicht beigemessen wird, dass die freiwillig erteilte Einwilligung bereits die Tangierung des Schutzbereichs der Menschenwürde ausschlösse152 – volenti non fit iniuria. Die Menschenwürde ist zwar jedenfalls insofern unverzichtbar, als der Einzelne den Staat nicht von dessen Pflicht freistellen kann, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Dies heißt aber nicht notwendig, dass jede Einwirkung, die ohne Einwilligung eine Würdeverletzung bedeutet, auch mit einer Einwilligung zu einer Verletzung der Menschenwürde führt.153 Die Einwilligung würde dann bereits verhindern, dass in die Menschenwürde überhaupt eingegriffen wird. Nur in diesem Sinne ist es richtig, danach zu fragen, ob die Menschenwürde „disponibel“ ist154 – treffender erscheint 148

Beck, JR 2006, S. 146, 148. Vgl. Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351. 150 Siehe statt aller v. Münch/Kunig, Art. 1 Rn. 10. 151 Die Erörterung einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts erfolgt im Anschluss, siehe unten 4. Kapitel D. 152 Vgl. Sternberg-Lieben, S. 47 m.w. N. 153 BK-Zippelius, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 39; vgl. auch Dreier-Dreier, Vorbem. Rn. 133. 154 Zur Klarstellung sei hinzugefügt, dass es hier nicht um einen herkömmlichen Grundrechtsverzicht geht. Denn ein Verzicht ist bindend, indem er eine Ermächtigung zur dauerhaften Freiheitsverletzung enthält. In Rede steht vielmehr der Grundrechts149

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

daher, insoweit von der eventuellen Verfügbarkeit des Menschenwürdeschutzes zu sprechen. Nun kann man dem Grundrechtsberechtigten diese Verfügungsbefugnis verwehren, wenn man der Menschenwürde einen objektiven Wertgehalt beimisst, der über den Schutz des Einzelnen und seiner Interessen hinausweist und folglich, zumindest in Teilen, seiner Verfügung entzogen werden müsste. Eine solche objektive Werthaltigkeit der Menschenwürde lässt sich aus bestimmten metaphysischen Ansätzen zumindest gut ableiten.155 Die bloße Behauptung seiner Existenz steht hingegen schon von vornherein auf tönernen Füßen.156 Ein Dispositionsverbot ließe sich schließlich dann begründen, wenn man nicht das Selbstbestimmungsrecht des Individuums in den Vordergrund stellte, sondern ein paternalistisches Verständnis von der Funktion des Staates, das es erlaubte, dem Einzelnen – wenn auch zu seinem Wohle – vorzuschreiben, wann und wie seine Menschenwürde zu schützen sei, auch gegen seinen – freien – Willen.157 1. Metaphysische Interpretation der Menschenwürdegarantie In der Entscheidung des BGH von 1954 ist die Rede von „unbewußten Äußerungen seiner Persönlichkeit“, davon, dass „auch das Unbewußte“ auf die Fragen antworte, so dass insgesamt „ein solcher Einblick in die Seele des Beschuldigten und ihre unbewußten Regungen die Freiheit der Willensentschließung“158 verletze, weshalb im Ergebnis auch der einverständliche „Lügendetektor“-Test eine Verletzung der Würde des Menschen darstelle. Bereits die von dem Gericht gewählte Terminologie fällt durch ihre Konturenlosigkeit auf und erweckt den Eindruck, hier sei bestenfalls Laienpsychologie am Werk gewesen.159 Auch ansonsten geben die Entscheidungsgründe wenig her, was die doch wenigstens aus heutiger Sicht überraschend unproblematische Einschätzung eines zwar staatlich angeordneten, aber freiwilligen „Lügendetektortests“ als menschenwürdewidrig erhellen würde. Folglich ist der Leser des Urteils weitgehend auf Spekulationen angewiesen, wenn er beantworten möchte, wie der BGH zu diesem Ergebnis gelangt sein könnte.

ausübungsverzicht, also die Möglichkeit der Einwilligung in die Einwirkung auf ein Grundrechtsgut, die jederzeit widerruflich ist und damit stets vom Willen des Einwilligenden abhängt. Insofern lieferte sich der Einwilligende nicht wie im Falle des Grundrechtsverzichts dem Staat aus, sondern bliebe „Herr des Geschehens“; siehe nur Amelung, Einwilligung, S. 19 f. 155 Siehe dazu sogleich, 4. Kapitel C. I. 1. 156 Siehe näher unten 4. Kapitel C. I. 2. 157 Siehe näher unten 4. Kapitel C. I. 3. 158 Alle Zitate aus BGHSt 5, S. 332, 335. 159 Vgl. dazu aus psychologischer Sicht Berning, S. 251.

C. Verletzung der Menschenwürde

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In Betracht kommt dabei etwa, dass bei der Entscheidung des BGH eine von einem religiösen Menschenbild beeinflusste Vorstellung der Menschenwürde Regie führte. Dies machte die Rede vom „Einblick in die Seele“160 und davon, dass ein „lebensnotwendiger und unverzichtbarer seelischer Eigenraum [. . .] auch im Strafverfahren unangetastet bleiben muß“161 wenigstens erklärbar. Die Annahme, der Mensch sei durch göttliche Schöpfung entstanden, kann dazu führen, dass menschliche Eingriffe, oder auch nur „Blicke“ in die – gottgegebene – „Seele“ als auch durch das Einverständnis des Betroffenen nicht gerechtfertigt angesehen werden. Aus einer solchen Sichtweise heraus kann sich somit die absolute Unverfügbarkeit der Menschenwürde durchaus ergeben.162 Einer derartigen Herleitung des Menschenwürdegehalts wäre jedoch entschieden entgegenzutreten. In einem aufgeklärten und (weitgehend) säkularen Staat können religiöse Argumente allenfalls auf der moralischen Ebene – was wegen ihrer fehlenden Begründbarkeit bereits sehr zweifelhaft ist – relevant werden, keineswegs aber bei der rechtlichen Beurteilung eine Rolle spielen.163 Dass das Prinzip der Menschenwürde nach verbreiteter Auffassung seine Wurzeln auch in der christlichen Tradition hat,164 ist dabei lediglich von historischer Bedeutung: In einer nicht auf theologische Prämissen verpflichteten Diskussion sind theologische Ansätze nicht konsensfähig;165 sie können ohnehin nicht Gegenstand einer rationalen Ethik sein.166 Genauso wenig ist es möglich, die Menschenwürde – als Rechtsbegriff – aus sonstigen metaphysischen Erwägungen und Überzeugungen zu bestimmen, die etwa ein bzw. das Naturrecht zum Ausgangspunkt ihrer Ableitungen machen.167 160

BGHSt 5, S. 332, 335. BGHSt 5, S. 332, 335. Leider versäumte es der BGH, näher darzulegen, was in etwa die Seele sein könnte und warum der Polygraphentest einen tiefen Einblick in sie gewähre. 162 Die Auslegung der Grundrechte vor christlichem Hintergrund fordert z. B. auch Gern, NJW 1983, S. 1585, 1590: Das Grundgesetz gehe „von einer christlich geprägten Ethik inhaltsbestimmter und mithin begrenzter Freiheit“ aus. 163 Vgl. dazu Sternberg-Lieben, S. 105 in Fn. 139 m.w. N. 164 Dazu, dass der Schutz der Menschenrechte im Allgemeinen und der Menschenwürde im speziellen im Gegenteil oftmals gegen den Widerstand christlicher Vorstellungen zu kämpfen hatte, siehe Dreier-Dreier, Vorbem. Rn. 4 m.w. N. und Art. 1 I Rn. 7. Insgesamt kritisch zu einer Überbetonung des christlichen Erbes ders., Art. 1 I Rn. 5 ff. 165 Neumann, ASRP 84 (1998), S. 153, 164. 166 Neumann, ASRP 84 (1998), S. 153, 158. 167 Vgl. von der Pfordten, JZ 2005, S. 1069, 1070. – Zu Recht wandte sich bereits im Jahr 1948 in den Beratungen des Grundsatzausschusses über die Formulierung von Art. 1 des Grundgesetzes der SPD-Abgeordnete Schmid gegen die Bestrebungen anderer, mit „Art. 1 Abs. 1 auf dem Naturrecht“ aufzubauen: „Wenn wir an dem Satz von dem vorgegebenen Recht festhalten, müssen wir uns darüber klar sein, daß wir damit jedermann freistellen, zu sagen: ,Naturrecht, wie ich es auffasse.‘“ (JöR 1 n. F. [1951], S. 48); vgl. auch Rüthers, JZ 2008, S. 446, 450: „Übergesetzliches ,Naturrecht‘ gibt es 161

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Auch mit einem moralphilosophisch hergeleiteten „Sittengesetz“168 (etwa im Sinne Kants), gegen welches mit der Erteilung des Einverständnisses verstoßen werden könnte, ist die Unwirksamkeit des Einverständnisses nicht zu begründen.169 Mit den Worten Herdegens lässt sich abschließend pointiert formulieren, nur in Glaubensgemeinschaften. In einem weltanschauungsneutralen demokratischen Verfassungsstaat ist es systemfremd. Jede Weltanschauungsgruppe würde sonst ihr eigenes ,Naturrecht‘ als verbindlich proklamieren können.“ 168 Noch im Jahr 1954 nahm der BGH Bezug auf „das Sittengesetz“, welches jeden Selbstmord „streng“ missbillige, da niemand „selbstherrlich“ über sein eigenes Leben verfügen dürfe, BGHSt (GS) 6, S. 147, 153. 169 Vgl. Sternberg-Lieben, S. 105. – Selbst wenn man jedoch, wiederum etwa mit Kant, beispielsweise die Existenz vorpositiver „Pflichten gegen sich selbst“ (Kant, Metaphysik der Sitten, Schaubild S. 240 [Einleitung Rechtslehre]; S. 417 ff. [Tugendlehre]) anerkennte (siehe Durán Casas, S. 117 ff., zur Darstellung des „Meinungsstandes“ und ebd. bei Fn. 1 und 2 die umfangreichen Nachweise), müssten diese zunächst so ausgestaltet sein, dass sich aus ihnen rechtlich relevante Handlungsanweisungen ableiten ließen, um für die Frage der etwaigen Menschenwürdewidrigkeit eines einverständlichen „Lügendetektor“-Tests im Strafverfahren Bedeutung erlangen zu können – jedenfalls dürften sie, um in der kantischen Terminologie zu bleiben, keine (bloßen) Tugendpflichten sein. Obwohl Kant die sog. vollkommenen Pflichten gegen sich selbst in der „Tugendlehre“ und nicht in der „Rechtslehre“ der Metaphysik der Sitten behandelt, kann man diese doch dann als Rechtspflichten verstehen, wenn man den Rechtsbegriff in einem weiteren Sinne, als ius latum versteht und nicht (bloß) als ius, im Sinne äußerer Rechtspflichten (siehe Durán Casas, S. 65; vgl. in diesem Zusammenhang ders., S. 66, 207, dazu, dass es für die Behandlung der vollkommenen Pflichten in der Tugendlehre der Metaphysik der Sitten keinen zwingenden Grund gibt und sie ebenso in der Rechtslehre hätten abgehandelt werden können). Problematisch dabei ist nun jedoch, dass eben aus einer Rechtspflicht gegen sich selbst in diesem weiten Sinne kein Recht Dritter erwächst, in diesem Sinne Zwang auf den Verpflichteten auszuüben, also keine äußere Gesetzgebung möglich ist – vielmehr bleibt ein Verstoß Unrecht bloß im Selbstverhältnis (siehe Köhler, in: JRE 14 (2006), S. 425, 442). Jedoch muss daraus nicht notwendig die vollständige rechtliche Irrelevanz einer Verletzung der Rechtspflicht gegen sich selbst folgen, denn sie kann insofern mittelbar äußeren Rechtszwang rechtfertigen, als sie die Unwirksamkeit der erteilten Einwilligung zur Folge hat (siehe Maatsch, S. 221). Akzeptierte man nun, um der Argumentation willen, eine Rechtspflicht gegen sich selbst, die über den Umweg der Unwirksamkeit der Einwilligung auch in der Rechtssphäre Auswirkungen hätte, könnte dann aus dem Aspekt der möglicherweise verletzten Rechtspflicht gegen sich selbst die Unwirksamkeit der Einwilligung in einen „Lügendetektortest“ folgen? Es wird vertreten, dass auch bei einer grundsätzlichen Akzeptanz von Rechtspflichten gegen sich selbst Selbstverfügungen über Leib und Handlungsfreiheit „im weiten Rahmen“ erlaubt blieben, nämlich solange, wie dabei „der Selbstbesitz“ der eigenen Person noch gewahrt bleibt, solange sie also die Bedingungen der Handlungsfreiheit nicht grundlegend betreffen. Danach verböte die Rechtspflicht gegen sich selbst erst solche Handlungen, die von eindeutig negatorischem Charakter sind, mithin solche, die die „äußeren Daseinsbedingungen menschenrechtlicher Selbstbestimmung [. . .] überhaupt“ (Hervorh. v. Verf.) negieren (alle Zitate von Köhler, a. a. O., S. 439, 440; vgl. inhaltlich auch Maatsch, S. 215) – weil erst dann das den Rechtspflichten gegen sich selbst „correspondirende Recht der Menschheit in seiner eigenen Person“ (Kant, 27.2.I [„Vigilantius-Nachschrift“], S. 604) verletzt sei. Die Rechtspflicht im Selbstverhältnis wäre m. a. W. also beschränkt auf die Pflicht zur Selbsterhaltung. Köhler nennt als Beispiele für selbstnegatorische Handlungen u. a. Selbsttötung, Selbstverstümmelung oder Ver-

C. Verletzung der Menschenwürde

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weshalb von der Annahme eines überpositiven Charakters der Menschenwürdegarantie Abstand zu nehmen ist und die Auslegung der Menschenwürde vielmehr anhand von Begriffen des positiven Rechts zu erfolgen hat: Wer dies nämlich bestreite, „kann nur auf das Hohepriestertum seiner höchstpersönlichen Ethik und deren Überzeugungskraft in der Gemeinschaft der Würdeinterpreten setzen.“ Auf diese Weise könnten Ergebnisse einer Verfassungsauslegung nur in einer religiös und weltanschaulich homogenen Gemeinschaft erreicht werden – „oder mit Intoleranz gegenüber allen, denen der rechte Zugang zu den Gewissheiten einer überpositiven Wertordnung versagt ist.“170 2. Wertorientiertes Verständnis der Menschenwürde Die Unmöglichkeit einer metaphysischen Begründung bedeutet aber nicht notwendig, dass eine Ansicht, die dem Einverständnis bei der Durchführung eines „lügendetektorischen“ Verfahrens die Beachtung versagen will, nicht zumindest plausibel zu machen wäre. Womöglich lag der Entscheidung des BGH 1954, den Polygrapheneinsatz unter ausdrücklicher Nichtberücksichtigung des Einverständnisses für menschenwürdewidrig zu erklären, ein „wertorientiertes Verständnis der grundrechtlichen Freiheit“171 zugrunde.

sklavung (Köhler, a. a. O., S. 440). Für Kant selbst allerdings beginnen die Pflichten gegen sich selbst bereits an einer niedrigeren Schwelle; jedenfalls sind die in der Tugendlehre genannten Fälle z. T. zumindest milderer Natur (Lüge [S. 429 ff.], Geiz [S. 432 ff.] und Kriecherei [S. 434 ff.]). Die in der „Vigilantius-Nachschrift“ der Vorlesungen zur Metaphysik der Sitten von Kant ausdrücklich als Verstöße gegen Rechtspflichten gegen sich selbst aufgeführten Beispiele erscheinen dabei allesamt von noch einmal geringerer Drastik: Außer dem Lügen (Kant, a. a. O., S. 604 f.) nennt er Widerruf, Schuldenmachen, Betteln (S. 605), Verzagtheit, „filzige Kargheit“, Schmarotzertum (S. 606) und weitere (ähnlich später in der „Tugendlehre“, S. 436, dort allerdings als Beispiele für die „Kriecherei“). – Nun ist offenkundig, dass ein „Lügendetektor“Test nicht den „Tatbestand“ der „Selbstentrechtung“ erfüllen würde und nicht „auf die Selbstauflösung menschlicher Willens- und Handlungsfähigkeit“ gerichtet wäre (Zitate von Kersting, S. 219). Es wäre aber auch ansonsten kaum verständlich, weshalb er bzw. die entsprechende Einwilligung oder zumindest Duldung als entsprechende „Handlung“ „das Recht der Menschheit in unserer eigenen Person“ verletzen würde, denn ein „Lügendetektor“-Test hat wenig mit einer Aufopferung der Freiheit der „Menschheit in mir“ zu tun bzw. damit, dass durch ihn die Menschheit bloß als Mittel oder Ware behandelt würde (vgl. die Anmerkungen von Durán Casas, S. 294 f., zur „Kriecherei“ als Verstoß gegen die Rechtspflicht gegen sich selbst). – Nach dem Gesagten wäre es somit zumindest ausgesprochen zweifelhaft, ob sich aus Rechtspflichten im Selbstverhältnis – selbst wenn man sie grundsätzlich akzeptierte – ein Argument gegen die Zulässigkeit der einverständlichen „Lügendetektion“ im Strafverfahren gewinnen ließe. 170 Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 17; weniger zugespitzt, aber in der Sache sehr ähnlich BK-Zippelius, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 15; von der Pfordten, JZ 2005, S. 1069, 1070. 171 Koch, S. 152. Dies ist lediglich einer der vielen gebrauchten Termini für die Frage der objektiven Dimension der Grundrechte. Es finden sich die Begriffe „objek-

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Ein solches Verständnis wählte der Sache nach das BVerwG in seiner ersten „Peep-Show“-Entscheidung.172 Im Gegensatz zum BGH in der „Lügendetektor“Entscheidung von 1954 hielt das BVerwG zwar die Einwilligung der an der Peep-Show als Darstellerinnen beteiligten Frauen in ihr Tun immerhin einer Erörterung für wert. Jedoch hinderte die Tatsache, dass die Frauen in der betreffenden Peep-Show freiwillig handelten, das Gericht nicht, bei der „als bloßes Anregungsobjekt zur Befriedigung sexueller Interessen“173 zur Schau gestellten Frau eine Verletzung ihrer Menschenwürde festzustellen, da letztere ein „objektiver, unverfügbarer Wert“ sei, „auf dessen Beachtung der einzelne nicht wirksam verzichten kann“.174 Die Menschenwürde müsse hier „wegen ihrer über den einzelnen hinausgehenden Bedeutung“ auch gegenüber der Absicht des Betroffenen verteidigt werden, seine vom objektiven Wert der Menschenwürde abweichenden subjektiven Vorstellungen durchzusetzen.175 Dies bedeutet im Ergebnis, dass ein Verhalten des Grundrechtsträgers, das der Menschenwürde abträglich ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen verboten werden müsste, ohne dass dies eine weitere Begründung erforderte. Insbesondere müssten hierfür keine konkret betroffenen Interessen Dritter benannt werden mit der daraus abzuleitenden Folge, dass dann zu entscheiden wäre, wie die jeweiligen Belange in Einklang gebracht werden könnten bzw. welchem der Vorrang zu gewähren wäre.176 Das BVerwG wendet sich interessanterweise – was in der Rezeption, soweit ersichtlich, kaum Beachtung gefunden hat – nicht generell dagegen, eine vorliegende Einwilligung in die Beurteilung einzubeziehen. Vielmehr kann eine Menschenwürdeverletzung nach Ansicht des Gerichts dann ausscheiden, wenn sie „gerade und nur“ darin begründet wäre, dass die Einwilligung des Betroffenen tive Wertordnung“, „Grundrechte als objektive Normen“, „wertentscheidende Grundsatznorm“ etc., siehe Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 49, 51 m.w. N. 172 BVerwGE 64, S. 274, 279. 173 BVerwGE 64, S. 274, 279. 174 BVerwGE 64, S. 274, 279. 175 BVerwGE 64, S. 274, 280. 176 Vgl. Koch, S. 150 f. In einer Entscheidung des VG Stuttgart, GewArch 1986, S. 90, 92, wird gar betont, dass das BVerwG eine Belästigung Dritter nicht feststellte. In der „live-show“-Entscheidung nahm das BVerwG hingegen an, dass durch den sittenwidrigen Charakter solcher Veranstaltungen schutzwürdige Belange der Allgemeinheit beeinträchtigt würden, BVerwGE 64, S. 280, 282. Auch dem ist aber nicht zuzustimmen: Nur weil eine Veranstaltung potentiell jedem (erwachsenen) Zuschauer offen steht, ist sie deshalb noch nicht geeignet, die „öffentliche Ordnung“ zu stören. Zwar können es Passanten nicht vermeiden, die bloße Existenz solcher Veranstaltungen wahrzunehmen – das bedeutet aber nicht, dass sie mit dem dort Gebotenen unfreiwillig in Berührung kommen (vgl. Gusy, DVBl. 1982, S. 984, 988). Im Gegensatz zur Ansicht von Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223, ist es nicht zutreffend, dass der Einzelne ein Recht habe, „nicht in unzumutbarer Weise mit Beeinträchtigungen seiner eigenen Wertvorstellungen konfrontiert zu werden“, solange hiermit keine Rechtsgutsverletzung des Einzelnen einhergeht, siehe Hillgruber, S. 171, Anm. 348.

C. Verletzung der Menschenwürde

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fehlte.177 Damit meint das Gericht wohl die Fälle, in denen die Beurteilung einer Handlung als menschenwürdewidrig allein auf der mit ihr verbundenen Zwangswirkung beruht. Davon unterscheidet das BVerwG nun die Fälle, in denen die Menschenwürdeverletzung in zusätzlichen Elementen gründet („[. . .] die Menschenwürde der auftretenden Frauen durch die für diese Veranstaltungen typische Art und Weise der Zurschaustellung verletzt wird.“178). Bedauerlicherweise führt das BVerwG in dem Urteil nicht aus, weshalb dieses über die bloße Zwangswirkung hinausgehende Element der Würdeverletzung nicht zur Disposition des Einzelnen steht, weshalb also trotz Freiwilligkeit179 die Frauen „erniedrigt“180 und zum „Objekt herabgewürdigt“ werden.181 Das Gericht kann m. a. W. nicht erklären, woher eine kollektive Bedeutung der Würde herrühren kann und weshalb sie – mit oben erwähnter Ausnahme – per se gegen den Willen des Einzelnen bewahrt werden muss. Das BVerwG bleibt im Gegenteil bei einer bloßen Postulierung stehen und ist nicht in der Lage, seine Ansicht auch nur andeutungsweise plausibel zu machen.182 Seine „Begründung“ der (partiellen) Unverfügbarkeit der Menschenwürde besteht, neben zwei Literaturstellen, aus zwei Verweisen auf Entscheidungen des BVerfG und des BGH für Zivilsachen, die ihrerseits die Unverfügbarkeit der Menschenwürde lediglich unerörtert in den Raum stellen.183 Das BVerwG argumentiert nicht einmal paternalistisch, denn es wird an keiner Stelle behauptet, dass das Verbot gleichsam „zum Besten“ der betroffenen Frauen sei – es unterbleibt vielmehr jede Erläuterung, welchem Zweck die Verteidigung des „unverfügbaren“ Werts der Menschenwürde überhaupt dienen soll.184 Endlich lassen sich auch ansonsten außer dem „dürren Hinweis auf die Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums“185 keine weiteren Begründungsansätze für ein schlicht wertorien177

BVerwGE 64, S. 274, 280. BVerwGE 64, S. 274, 280. 179 Dass die Einwilligung tatsächlich freiwillig war, wird hier vorausgesetzt und wurde auch vom BVerwG nicht angezweifelt. 180 BVerwGE 64, S. 274, 279. 181 BVerwGE 64, S. 274, 278. 182 Vgl. Höfling, NJW 1983, S. 1582, 1584: „[. . .] ohne jede methodische Reflexion“. 183 BGHZ 67, S. 119, 125: „[. . .] ergibt sich aus der Unverzichtbarkeit der personalen Würde, die der Gesellschaft auch ohne Rücksicht auf den Willen ihres Trägers angelegen sein muß.“ Noch lapidarer BVerfGE 45, 187, 229: „Bei alledem darf nicht aus den Augen verloren werden: Die Würde des Menschen ist etwas Unverfügbares.“ 184 Ein solcher paternalistischer Zweck ließe sich immerhin angeben: Das BVerwG hätte versuchen können darzulegen, dass ein Leben, welches durch die eigene „Entwürdigung“ „würdelos“ geworden ist, schlechter ist als dasjenige eines Bürgers, der sich „würdegemäß“ verhält; vgl. allgemein K. Möller, S. 117, dort auch dazu, dass die Annahme, ein „würdeloses“ führe notwendig zu einem „schlechteren“ Leben, ihrerseits erst belegt werden müsste. 185 Koch, S. 145. 178

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

tiertes Menschenwürdeverständnis finden, die dann nicht doch wiederum metaphysischen oder paternalistischen Inhalts wären.186 Selbst wenn also der Aussagebeurteilung mit hirnbildgebenden Verfahren ein würdegefährdendes Element innewohnte, das über diejenige Würdeverletzung hinausginge, die allein durch die Zwangswirkung im Falle eines unfreiwilligen Tests eintritt, kann die Argumentation des BVerwG nichts dazu beitragen, die Unverfügbarkeit dieses Elements zu rechtfertigen. 3. Paternalistische Begründung Scheiden metaphysische Ansätze und ein bloß behaupteter „Wertbegriff“ als Begründung für die prinzipielle Unbeachtlichkeit der Einwilligung in Fragen der Menschenwürdeverletzung aus, verbleibt die Möglichkeit einer paternalistischen Interpretation, um die schwache Begründung des BGH-Urteils von 1954 argumentativ zu stützen. Hier wird nun mit der Unverfügbarkeit immerhin ein klar benannter Zweck verfolgt: Der Staat soll aus Fürsorge den Menschen vor sich selbst schützen dürfen; dann soll der Einzelne nicht (immer) tun dürfen, was er will, solange er keine andere Person schädigt.187 Paternalistische Interventionen unterliegen allerdings dann einer Begründungspflicht, wenn das Individuum begriffen werden kann als Person, die autonom die Ziele und Werte selbst bestimmt, an denen sie ihr Leben ausrichtet.188 Wie sich zeigen wird,189 ist die personale Autonomie in einem freiheitlichen demokratischen Staatswesen die Grundlage jeder Rechtfertigung von Staat und Gesetz. Dann aber bedeuten paternalistische Interventionen einen Angriff auf das der Person innewohnende Selbstbestimmungsrecht. Das Prinzip der Menschenwürde würde nicht zur Sicherung, sondern zur Einschränkung der Selbstbestimmung des Individuums führen. Der Staat würde zum Berechtigten einer Norm, der eigentlich durch sie berechtigte Bürger würde zum Verpflichteten.190 Im Ergebnis würde Art. 1 I GG de facto zur verfassungsrechtlichen Pflicht des Individuums zu „würdegemäßem Verhalten“.191 Der Einzelne würde erst dadurch zum bloßen Objekt des Staates 186 Das „Peep-Show“-Urteil des BVerwG lehnen neben den bereits Genannten z. B. ab: Gusy, DVBl. 1982, S. 984, 985 f.; v. Olshausen, NJW 1982, S. 2221, 2224 („Ausdruck eines letztlich totalitären Werte-Absolutismus“), Kirchberg NVwZ 1983, S. 141, 143 („Begründung [. . .] aus der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes ist [. . .] unhaltbar.“); Hoerster, JuS 1983, S. 93, 95 f.; das VG München verweigerte dem BVerwG die Gefolgschaft, NVwZ 1983, S. 175. 187 Gemäß einer elaborierteren Definition von Dworkin, S. 20, ist Paternalismus „der Eingriff in die Handlungsfreiheit einer Person, der durch Gründe gerechtfertigt ist, die sich ausschließlich auf das Wohl, Güter, Glück, Bedürfnisse, Interessen oder Werte der betroffenen Person beziehen.“ Siehe zum Ganzen Klimpel, S. 22. 188 Klimpel, S. 22. 189 Siehe sogleich unter 4. Kapitel C. I. 4. 190 Gusy, DVBl. 1982, S. 984, 985. 191 Sternberg-Lieben, S. 47.

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gemacht, dass dieser (bzw. das entscheidende Gericht) ihn gleichsam entmündigt, indem er ihn vorgeblich gerade vor einer Objektivierung schützen will.192 Versteht man mithin die Menschenwürdegarantie vorrangig als Ausdruck und Zweck des Schutzes der personalen Autonomie, ließe sich eine Begründung für Eingriffe zum Wohle, aber gegen den Willen des Betroffenen dann noch finden, wenn mit dem Schutz gegen sich selbst die Basis jeglicher Freiheitsausübung, nämlich gerade die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, erhalten werden soll.193 Die Durchführung eines konsentierten „Lügendetektortests“ im Strafverfahren, sei es mittels einer polygraphischen Untersuchung oder mittels hirnbildgebender Verfahren, ist jedoch offenkundig nicht geeignet, die prinzipielle Fähigkeit des Einzelnen zur Selbstbestimmung zu zerstören oder auch nur zu gefährden.194 Eine – soweit ersichtlich – letzte Möglichkeit, Paternalismus zu rechtfertigen, besteht darin, auf die Persönlichkeit des Handelnden abzustellen: Würde man den Einzelnen zu einem Verhalten zwingen, damit dieser weiterhin im Einklang mit seinen eigenen, also subjektiven Werten leben könnte, also zur „Integrität“, würde der Staat dem Bürger dadurch gerade nicht irgendwelche unverrückbaren „objektiven“ Werte oktroyieren, sondern seine Autonomie dadurch respektieren, dass er seine Prioritäten ernst nimmt.195 Dieser auf den ersten Blick nicht unplausible Ansatz hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: Es müsste stets eine Einzelentscheidung darüber getroffen werden, ob im konkreten Fall der paternalistische Eingriff gerechtfertigt ist oder nicht. Dazu wäre es in jedem Fall erforderlich, ein Persönlichkeitsprofil des Betroffenen zu erstellen, um anhand seiner 192 In seiner zweiten Peep-Show-Entscheidung hielt das BVerwG zwar an dem Verbot fest, begründete den Verstoß gegen die guten Sitten i. S. v. § 33a II 2 GewO nun jedoch nicht mehr mit der angeblich verletzten Menschenwürde, sondern auf anderem Wege, BVerwGE 84, S. 314, 317; siehe dazu Koch, S. 155. 193 Vgl. Klimpel, S. 29 ff.: Selbstzerstörung der Autonomie als s. E. einzige (siehe aber zu einer weiteren sogleich im Text) denkbare Legitimation paternalistischer Eingriffe. An dieser Stelle soll der Ansicht, die auf diesem Wege etwa zu dem Ergebnis gelangt, es gebe kein Recht auf Selbsttötung und eine Pönalisierung der Teilnahme am Suizid wäre ggf. legitim (Klimpel, S. 73), nicht etwa zugestimmt werden. Es geht lediglich darum zu zeigen, dass diese mögliche Rechtfertigung von paternalistischen Interventionen für die Frage der freiwilligen „Lügendetektion“ nicht relevant ist. 194 Vgl. die strukturelle Ähnlichkeit des Aspekts der Zerstörung der Grundlagen für Autonomie und der Rechtfertigung für „Rechtspflichten gegen sich selbst“, sobald es um selbstnegatorisches Verhalten geht, oben in Fn. 169. 195 Zum „Integritätsansatz“ K. Möller, S. 179 ff. Dort auf S. 180 das Beispiel zur Gurtpflicht: Ist derjenige, der sich nur aus Nachlässigkeit nicht anschnallt, ansonsten „lebensfroh“, hat womöglich Familie und legt Wert auf seine Gesundheit, so könnte man im Sinne dieses Ansatzes annehmen, dass das Nichtanschnallen die Persönlichkeit des Handelnden eigentlich nicht widerspiegelt. Zwingt man ihn nun, sich anzuschnallen, „hilft“ man ihm vielmehr, seine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Einem „wilden Abenteurer“ gegenüber ließe sich dieser Zwang dann hingegen nicht begründen.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

ermittelten subjektiven Werte und Vorstellungen entscheiden zu können, ob das aufgezwungene Verhalten integritätsfördernd ist oder nicht. Ein solches Vorgehen ist allerdings vollkommen impraktikabel. Abgesehen davon ergäbe sich für den Fall der „Lügendetektion“ im Strafverfahren mit hirnbildgebenden Verfahren kein neues Ergebnis: Ihr Verbot könnte aus paternalistischen Gründen danach ja nur dann statthaft sein, wenn es im Einklang mit den sonstigen subjektiven Prioritäten des Betroffenen stünde. Dies ist jedoch mit Ausnahme etwaiger Sonderfälle196 ausgeschlossen, denn für die weit überwiegende Anzahl der Betroffenen dürfte das Ziel des Tests – Vermeidung von Freiheitsstrafe – viel eher den eigenen Werten und Wünschen entsprechen als das Unterlassen dieses Tests. Der zuletzt genannte Gedanke lässt sich verallgemeinern und prinzipiell auf den Paternalismus übertragen: Selbst wenn grundsätzlich das fürsorgliche Eingreifen des Staates zum Wohle des Betroffenen gestattet sein sollte, wäre doch für die Wirksamkeit dieses Eingriffs wenigstens erforderlich, dass das Eingreifen tatsächlich „zum Besten“ des Einzelnen wäre, gleichviel, ob dieses „Beste“ nun mit objektiven oder subjektiven Werten erklärt würde. Weshalb ein Verbot der Lügendetektion nicht zum „subjektiven“ Besten des Beschuldigten wäre, wurde soeben erläutert. Es ist aber auch kaum vorstellbar, wie das Verbot im „objektiven“197 Interesse des Beschuldigten stehen sollte. Denn es sichert evident nicht „Wohlfahrt, Güter, Glück, Bedürfnisse, Interessen oder Werte“198 eines um Entlastung suchenden Angeklagten, wenn man ihm diese Gelegenheit zur Entlastung nimmt und ihn dadurch womöglich in den sicheren Eigentumsoder gar Freiheitsverlust treibt. Jedenfalls für den Fall der einverständlichen „Lügendetektion“ steht somit fest, dass auch paternalistische Erwägungen die Unverfügbarkeit der Menschenwürde nicht begründen können – und zwar selbst dann nicht, wenn das Prinzip des autonomen Individuums nicht das Fundament einer freiheitlichen Rechtsordnung bildete.199 196 Man tut sich etwas schwer mit der Bildung von Beispielen, weil schon die Entscheidung, sich einer „Lügendetektion“ zu unterwerfen, in aller Regel überlegt sein und kaum aus Nachlässigkeit getroffen werden wird. Man könnte sich allenfalls den Technikfeind oder den Staatsverächter vorstellen, der durch die Beantragung des Tests sich selbst untreu würde. Jedoch würde dies aufgrund der erstrebten Vermeidung eines Freiheitsverlustes geschehen, wodurch die Zulassung doch wieder integritätsfördernder wäre als ein Verbot. 197 Es sei nur angedeutet, dass bereits an dieser Stelle große Schwierigkeiten aufträten hinsichtlich der Frage, wie das objektive Interesse des Betroffenen zu bestimmen wäre und wer im Zweifel die Deutungshoheit hätte. 198 Vgl. Fn. 187. 199 Entscheidungen des BVerfG, die z. B. ausdrücklich Eingriffe, „die dem Schutz des Betroffenen dienen, wie z. B. die Unterbringung eines wegen Geistesschwäche Entmündigten in einer geschlossenen Anstalt zu dem Zweck, ihn daran zu hindern, daß er

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4. Menschenwürdegarantie als Achtung der Selbstbestimmung Auch wenn die herausragende und die Interpretation der Menschenwürde leitende Stellung des Individuums in der deutschen Rechtsordnung kaum zu bezweifeln ist und auch kaum bezweifelt wird, seien dennoch einige Erörterungen zum Selbstbestimmungsrecht angefügt, zumal dadurch die Unvertretbarkeit insbesondere paternalistischer Interpretationsansätze noch deutlicher wird. Vorangestellt sei, dass in einer Zeit, in der alle „Metaphysiken des Rechts gescheitert“200 sind, es also – wenigstens auf rationaler Grundlage – keine absoluten Gründe für die Verbindlichkeit von Recht mehr gibt, auch die Betonung des Selbstbestimmungsrechts als Ausdruck der Autonomie des Menschen sich natürlich nicht letztbegründen lässt. Auch die personale Autonomie muss somit als Axiom gesetzt werden – was aber nicht heißt, dass ihre Annahme nicht plausibel zu machen wäre.201 Zunächst lässt sich Demokratie nicht denken, ohne die Autonomie des Einzelnen anzuerkennen. Nach den modernen Staatstheorien schließen sich die Menschen im Wege eines Gesellschaftsvertrags zu einem Gemeinwesen zusammen, indem sie bestimmte (vernünftige) Regeln aufstellen, die das Zusammenleben ordnen sollen. Grundlage für diese Gesellschaftsordnung ist allein der autonome Wille des Individuums, sich einer solchen Ordnung zu unterwerfen.202 In einer demokratischen Grundordnung kann Inhalt dieser Vereinbarung aber nur eine Ordnung sein, die dem Einzelnen die Autonomie belässt – Vorstellungen von der Menschenwürde, die sie zu einem objektiven Prinzip erheben, das sich selbst größeren persönlichen oder wirtschaftlichen Schaden zufügt“ (BVerfGE 22, S. 180, 219, Hervorh. v. Verf.), für zulässig erachten, können diese Erkenntnis nicht erschüttern. Denn in diesen Fällen fehlt es gerade an der Fähigkeit zur Bildung eines autonomen Willens (vgl. auch BVerfGE 10, S. 302 ff.: Freiheitsentziehung zu fürsorgerischen Zwecken im Falle eines volljährigen Entmündigten zulässig). Im Gegenteil hat nach Ansicht des BVerfG in derselben Entscheidung der Staat ansonsten eben gerade „nicht die Aufgabe, seine Bürger zu ,bessern‘ und deshalb auch nicht das Recht, ihnen die Freiheit zu entziehen, nur um sie zu ,bessern‘ [. . .]“, BVerfGE 22, S. 180, 219 f. 200 Naucke/Harzer, Rn. 212, die allerdings einen „engen Bereich von Regeln, der mit Anspruch auf absolute Richtigkeit durch das Recht gegen Abweichung zu sichern ist“ für existent erachten (Rn. 273) – mehr als das „Vertrauen, eine Metaphysik der Rechts [. . .] werde begründbar sein“ (Rn. 273), bleibt aber auch ihnen nicht. 201 Selbstverständlich geht die Idee der Autonomie als „Grund der Würde der menschlichen [. . .] Natur“ maßgeblich auf Immanuel Kant zurück (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, passim, das Zitat findet sich auf S. 436 [Z. 6 f.]); wegen der metaphysischen Herleitung seiner Moralphilosophie habe es im Rahmen dieser Arbeit jedoch mit der Erwähnung Kants sein Bewenden; vgl. zum Einfluss des kantischen auf den modernen Autonomiebegriff Plunger, in: JRE 14 (2006), S. 519, 521 ff.; zum Würdebegriff bei Kant siehe von der Pfordten, in: JRE 14 (2006), S. 501 ff. 202 Vgl. Klimpel, S. 20.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

sich im Zweifel gegen die Selbstbestimmung des Einzelnen wenden kann, widersprechen somit dem demokratischen Grundgedanken;203 sie lassen gar Zweifel an der Wirksamkeit jener Willenserklärung aufkommen, die zum „Vertragsschluss“ führte. Auffassungen, wie in der Weimarer Republik stark vertreten, die die Autorität des Staates als einen Eigenwert ansehen, dem Staat somit einen über die gebündelten Zwecke der ihn bildenden Individuen hinausgehenden Selbstzweck zubilligen,204 lassen sich damit nicht vereinbaren. Der Mensch ist gerade deshalb frei, weil er nicht mehr gezwungen ist, Normen zu befolgen, die nicht von ihm selbst stammen; die Voraussetzung für die (westliche) Modernität, und damit Grundlage der Demokratie, ist die Autonomie, die Souveränität seiner Selbstregierung.205 Der Staat ist also nur insofern ein „Gut“, als er Garant menschlicher Selbstverwirklichung und damit für jedes einzelne Individuum wertvoll ist.206 Diese staatstheoretischen Überlegungen setzen aber zunächst einmal nur den Rahmen für die nähere Bestimmung des Prinzips der Menschenwürde. Eine Präzisierung gelingt durch die Orientierung an den Begriffen des positiven Rechts.207 Für den Vorrang des Menschen vor dem Staat208 spricht bereits Art. 1 Abs. 1 des Entwurfs von Herrenchiemsee, der ursprünglichen Fassung des Art. 1 GG. Danach sei der „Staat um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“209 – nach verbreiteter Auffassung fand diese pointierte Formulierung lediglich deshalb nicht Eingang in die endgültige Fassung, weil sie „nur Selbstverständliches“ sage; sie lebe jedoch „konkret und unvermindert“ in ihr weiter.210 203 Allerdings wären sie wohl vereinbar mit einem Modell des Gesellschaftsvertrags, wie es Thomas Hobbes vertrat. Nach Hobbes erhält der Staat durch den einmaligen Zustimmungsakt des einzelnen (mit allen) absolute Gewalt (von einem Widerstandsrecht in existenziellen Ausnahmesituationen abgesehen), er wird zum Leviathan (so auch der Titel des entsprechenden Werkes von Hobbes); ab diesem (gedachten) Zeitpunkt finden die Belange der Individuen praktisch keine Berücksichtigung mehr; vgl. von der Pfordten, JZ 2005, S. 1069, 1070. 204 Siehe als einen der Hauptvertreter Smend, S. 45, passim; Erläuterungen etwa bei Haverkate, S. 93 f. 205 Flores d’Arcais, Süddeutsche Zeitung v. 12. April 2007, S. 2. 206 Marx, S. 79. 207 Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 17. 208 Insoweit anknüpfend an den Vorrang des Menschen vor dem Staat in der abendländischen Überlieferung, wie er sich etwa auch in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (Präambel und Art. 2) und der Virginia Bill of Rights 1776 (Abschnitt 1) widerspiegelte, siehe v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 1 Rn. 1. 209 JöR 1 n. F. (1951), S. 48. 210 Marx, S. 33 f. m.w. N.; nach von der Pfordten, JZ 2005, S. 1069, 1071, waren es (lediglich) stilistische Gründe, die die Aufnahme in die Endfassung verhinderten.

C. Verletzung der Menschenwürde

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Bis auf die weiter oben dargestellten vereinzelten Entscheidungen, die mit dem Postulat der Unverfügbarkeit der Menschenwürde offenbar die Selbstbestimmung des Bürgers zumindest geringschätzen, ist aber auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen, dass die Menschenwürde ihre Bedeutung zuallererst durch die Autonomie des Einzelnen gewinnt. So formuliert das Gericht in der ersten „Transsexuellen-Entscheidung“: „Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewußt wird. Hierzu gehört, daß der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann.“211 Hier zeigt sich die Anerkennung des autonomen Individuums ebenso wie im „Elfes“-Urteil; dort führt das BVerfG aus, dass Einschränkungen des „ausschließlichen Bestimmungsrechts“ des Einzelnen davon abhängen, inwieweit sein „Sein und Verhalten“ auf andere einwirkt und dadurch Interessen anderer oder des Gemeinschaftslebens berührt.212 Auch hier akzeptiert das Gericht ausdrücklich die grundsätzlich uneinschränkbare Autonomie des Individuums, die lediglich durch konkrete, schutzwürdige Belange Dritter oder der Allgemeinheit limitiert werden kann. Auch an Entscheidungen des Gesetzgebers lässt sich erkennen, dass er einem Bild des Menschen folgt, das ihn als selbstbestimmt erachtet und ihm sogar in Situationen, in denen mit der Einwilligung eine tiefgreifende Persönlichkeitsveränderung herbeigeführt wird, die Entscheidungshoheit belässt. An dieser Stelle seien nur §§ 2 Abs. 1 Ziff. 1, 3 KastrG erwähnt, wonach im Ergebnis die Einwilligung eines Häftlings in eine Kastration zulässig ist, wenn diese in der Hoffnung auf eine darauffolgende Entlassung erteilt wird.213 Schließlich bezweifelt auch die Rechtslehre214 die Vorrangigkeit des Individuums und seiner Selbstbestimmtheit nur noch vereinzelt und sieht sogar in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle nicht einmal das Bedürfnis, dieses Ergebnis auch nur dem Versuch einer Herleitung zu unterziehen. Wiederum pointiert, 211

BVerfGE 49, S. 286, 298. BVerfGE 35, S. 202, 220, wenn auch nicht allein auf die Menschenwürde bezogen, sondern auch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. 213 Vgl. dazu auch unten 4. Kapitel E.; vgl. i. Ü. beispielhaft die Darstellung von der Pfordtens, JZ 2005, S. 1069, 1077, nach dessen Auffassung sich auch gerade in der Entwicklung des deutschen Strafrechts der von ihm so bezeichnete. „normative Individualismus“ zeige: Neben Individualrechtsgütern schütze es Universalrechtsgüter weitestgehend nur insoweit, als sich ihr Schutz zumindest mittelbar auf individuelle Interessen zurückführen lasse; v. a. aber enthalte das deutsche Strafrecht mittlerweile keine Delikte mehr, die bloße Moralvorstellungen schützten oder der allgemeinen Ordnung dienten, ohne dass hiermit wenigstens mittelbar der Schutz von Individualinteressen angestrebt sei; siehe ders., a. a. O., S. 1071 ff., zu zahlreichen Einzelregelungen im deutschen Recht, die belegten, dass der „normative Individualismus“ im Grundgesetz verwirklicht worden sei. 214 Siehe die ausführlichen Nachweise bei von der Pfordten, JZ 2005, S. 1069 Fn. 2. 212

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

wiederum mit Herdegen: „Die rechtlich verfaßte Gemeinschaft findet ihre letzte Rechtfertigung in Achtung und Schutz des Menschen als Person gegenüber staatlicher Gewalt und anderen Mitgliedern der Gemeinschaft.“215 Akzeptiert man nun trotz fehlender Letztbegründbarkeit die Autonomie des Einzelnen als Grundlage jeder Rechtfertigung von Staatlichkeit und Recht, kann ein paternalistischer Ansatz schon aus diesem Grund nicht verfangen.216 Denn Paternalismus verletzt die Autonomie per se, indem er das Wohl des Menschen gegen dessen – vorausgesetztermaßen freien! – Willen mehren will. 5. Prinzipielle Verfügbarkeit auch in Extremfällen Nun mag man allerdings einwenden, dass es nur schwer vorstellbar ist, diese Interpretation vom Gegenstand der Menschenwürde auch in Extremfällen aufrechtzuerhalten. Wenn dies aber nicht gelänge, ohne auf Ausnahmen zurückgreifen zu müssen, würde dadurch das ganze Konzept in Zweifel gezogen, weshalb diese Frage hier einer kurzen Betrachtung bedarf.217 Ein klassisches Beispiel ist die „freiwillige“ Folter.218 Auf den ersten Blick müsste es nach den oben aufgezeigten Grundsätzen dem Individuum erlaubt sein, sich mit seinem wirksamen Einverständnis foltern zu lassen.219 Diese Er215

Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 1. Allenfalls mit den oben skizzierten möglichen Ausnahmen, die aber für den vorliegenden Kontext bedeutungslos sind. 217 Der einfachere Weg wäre es, solche Ausnahmen (z. B. die eines mit Verfügungsverbot belegten Würdekerns) schlichtweg zu postulieren, verbunden mit der Behauptung, dieses letzte metaphysische Element habe keinen Einfluss auf das sonstige Verständnis der Menschenwürde, etwa im Sinne von Naucke/Harzer, Rn. 273 (vgl. schon oben Fn. 200): „Auf diese Weise entsteht ein von der Rechtsphilosophie beherrschter kleiner Bereich politikfreien, zweckungebundenen richtigen echten Rechts, das wegen seiner Richtigkeit auch ohne Positivierung verbindlich ist, und ein großer Bereich willkürlicher technischer Regeln für die Verfahrensordnung in Gesellschaft und Staat, Regeln, die positiviert werden müssen, deren Legitimität aber nicht weiter reicht als die Macht, sie durchzusetzen“. Das Verbot der Folter etwa gehörte dann wohl zum „richtigen echten Recht“, das auch durch eine Einwilligung nicht relativiert werden könnte, während das Verbot der „Lügendetektion“ – wenn überhaupt – nur im Falle erzwungener Durchführung Teil dieses „richtigen“ Rechts wäre, der freiwillige Test davon aber nicht erfasst wäre. Anfechtungsfester ist jedoch der Versuch, auch diese Extrembeispiele behandeln zu können, ohne sich auf metaphysische Trutzburgen zurückziehen zu müssen. (Im Ergebnis ähnlich wie Naucke/Harzer wohl Hamm, NJW 1999, S. 922, wenn auch sehr knapp.) 218 Nach Ansicht von Kargl/Kirsch, JuS 2000, S. 537, 540, sei in der „subjektiven Auslegung des Begriffs der Menschenwürde“ durch den BGH eine Argumentation, die auch die zu Entlastungszwecken gewünschte Folter ermöglichen müsste, „unzweifelhaft angelegt“. 219 Für die Argumentation kommt es nicht darauf an, dass bereits erhebliche Zweifel daran angebracht sind, ob die Folter überhaupt eine taugliche Methode zur Wahrheitserforschung wäre (siehe z. B., mit Hinweis auf die Hexenprozesse, AK-StPO216

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wägung sei auf die Situation beschränkt, dass sich der Beschuldigte im Strafprozess foltern lassen möchte, etwa, weil er sich dadurch eine Strafmilderung erwartet, oder gar erhofft, dass seine Aussagen dadurch an Glaubhaftigkeit gewinnen.220, 221 Hierzu lässt sich in der Literatur etwa die Aussage finden, dass „konsentiert“ sein dürfte, dass „niemand wirksam in seine eigene Versklavung oder in Folterung einwilligen kann“.222 Leider wird die Erwartung einer Begründung enttäuscht. Sollte es doch so sein, dass ein allerletzter Bereich selbst durch die „beste“ Einwilligung nicht angetastet werden darf? Was hätte diese Erkenntnis für Auswirkungen auf das bisher Gesagte und wo wäre die Grenze zu ziehen zwischen einwilligungsfähigen Beeinträchtigungen der Menschenwürde im Strafverfahren einerseits und absolut verbotenen Beeinträchtigungen andererseits? Zwei mögliche Auswege lassen sich denken. Zunächst erscheint zweifelhaft, ob die Einwilligung in die eigene Folterung begriffsnotwendig überhaupt freiwillig und daher die Einwilligung wirksam sein kann.223 Folter ist mindestens eine sehr verschärfte Form der Nötigung. Schon bei § 240 StGB wirkt das Einverständnis des Opfers tatbestandsausschließend – mit der Begründung, dass die Nötigung zwingend voraussetze, dass sie gegen oder ohne den Willen des Opfers vorgenommen wird. Für die hier verfolgte Argumentation ist aber ein zweiter Aspekt entscheidend: Womöglich lassen sich auch diese Extremfälle unter die erwähnten Gründe fassen, aus denen ein „Menschenwürdeschutz gegen sich selbst“ gerechtfertigt ist: Denn ließe man die konsentierte Folter im Strafverfahren zu, könnte dies Interessen der Allgemeinheit berühren. Hierzu kann auf die Erwägungen zurückgegriffen werden, die u. a. zur Rechtfertigung des § 216 StGB angestellt werden – einer Norm, die de lege lata die freie Verfügung des Rechtsgutsinhabers über das Rechtsgut „Leben“ beschränkt, da sie selbst bei „ernstlichem Verlangen“ des Rechtsgutsinhabers, der Täter möge seinem Leben ein Ende setzen, nur eine Privilegierung für den Täter vorsieht. Lehnt man Kühne, § 136a Rn. 3). Wäre sie es nicht, wäre sie schon aus diesem Grunde unzulässig, denn sie bedeutete dann ein „unsinniges Opfer“ für den Betroffenen (vgl. Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39). 220 Ein Verbot der freiwilligen Folterung im privaten, von der Öffentlichkeit völlig getrennten Rahmen, könnte sich nach der hier vertretenen Auffassung allenfalls unter dem Aspekt der letztlich fehlenden Freiwilligkeit begründen lassen. 221 Dass das einfache Gesetzesrecht in Gestalt von § 136a Abs. 3 StPO die Einwilligung in solche Methoden insofern für wertlos erachtet (siehe dazu auch oben 4. Kapitel B. VI.), als es die Verwertung solcherart erlangter Aussagen untersagt, schadet hier nicht. Denn für die Frage der Beachtlichkeit der Einwilligung in eine staatliche Einwirkung auf die Menschenwürde ist hiermit nichts gewonnen, ist doch Verfassungsrecht dem einfachen Recht stets vorrangig. 222 Dreier-Dreier, Vorbem. Rn. 129; dort nicht einmal auf staatlich angeordnete Handlungen beschränkt. 223 Vgl. Grünwald, Beweisrecht, S. 69: „Einwilligung in die Nötigung zu einer Aussage [. . .] ist nicht denkbar.“

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metaphysische oder paternalistische Konzepte der Menschenwürde ab und geht man davon aus, dass nicht in allen Fällen eines Suizidwunsches ein pathologischer Hintergrund besteht, so dass der Suizident hier freiverantwortlich handelt und also keines Schutzes durch den Staat bedarf,224 verbleibt als Möglichkeit der Rechtfertigung des § 216 StGB, dass die Norm die Selbstbestimmtheit des Einzelnen zugunsten von Drittinteressen einschränkt: Man kann etwa225 das Verbot der Tötung auf Verlangen als Mittel ansehen, das Leben aller Bürger vor unfreiwilliger Fremdtötung zu schützen, indem die Norm die prinzipielle Unantastbarkeit fremden Lebens bekräftigt.226, 227 Eine vergleichbare Argumentation findet sich bei der Beurteilung der Frage, ob der Betrieb so genannter „Laserdrome“228 gegen die „öffentliche Ordnung“ verstößt. Das nordrhein-westfälische OVG bejahte dies unter Hinweis darauf, dass ein derartiges „Gewalt- und Tötungsspiel“ die Gefahr hervorrufe, ein entsprechendes Verhalten könne auch in der Realität als akzeptabel angesehen werden und damit „ein Abstumpfen ge-

224 Von den Erkenntnissen der Suizidforschung einmal abgesehen, legt auch die Systematik des StGB die Erlaubtheit eines selbstbestimmten Suizids zugrunde: Anderenfalls dürfte § 216 StGB weder von einem „ernstlichen“ Tötungsverlangen sprechen, noch wäre zu erklären, dass die Teilnahme am Suizid straflos ist; vgl. Sternberg-Lieben, S. 111. 225 Es werden noch andere Begründungen vorgeschlagen wie z. B. jene, dass mit § 216 StGB lediglich Beweisschwierigkeiten aus dem Weg gegangen werden soll. Andere unterstellen dem Gesetzgeber staatsutilitaristische Interessen (zu den verschiedenen Begründungen siehe etwa Göbel, S. 30 ff.). Abgesehen von den Schwächen dieser Ansichten (siehe auch dazu Göbel, a. a. O.) geht es hier jedoch lediglich darum, anhand der – in Teilen parallelen – Diskussion um § 216 StGB zu zeigen, dass eine Einwilligungssperre in Fällen extremer Beeinträchtigungen der Menschenwürde allein mit dem Rekurs auf entgegenstehende Drittinteressen begründet werden kann (i. e. nicht muss). 226 Hirsch in: Lackner-FS, S. 597, 612; vgl. auch Sternberg-Lieben, S. 118 m.w. N. 227 Göbel, S. 38, lehnt dieses Verständnis des § 216 StGB i. Ü. ab. Mit ihm sei nicht zu vereinbaren, dass (zumindest nach Göbels Ansicht) in Fällen einer fahrlässigen Tötung, bei der seitens des Opfers lediglich eine Zustimmung in eine Lebensgefährdung vorliege und eben nicht in den Verletzungserfolg, diesem Umstand zum Teil strafbefreiende Wirkung zugemessen werde. Lege man aber die Tabuisierung fremden Lebens bei § 216 StGB zu Grunde, müsse die „einverständliche“ fahrlässige Tötung ebenso verboten sein wie die vorsätzliche. Göbels Argumentation kann hier nicht überzeugen. Beschränkt man nämlich das Tabu auf die vorsätzliche, genauer: absichtliche Vernichtung fremden Lebens, löst sich der Systemwiderspruch auf. Dass ein solcher Weg keine bloße Flucht vor den Göbelschen Argumenten ist, lässt sich damit begründen, dass ein Tabu, im Sinne einer sehr starken Moralregel, ohnehin nur einen Sinn ergibt, wenn es absichtliche Handlungen mit einem Bann belegt. Vgl. dazu auch Joerden, in: Festschrift für Jakobs, S. 235, 255, der die These erörtert, dass Fahrlässigkeit leichter zu rechtfertigen sei als absichtliches Verhalten, weil es für die Frage der Rechtfertigung nicht nur auf den Rechtsgüterschutz, sondern auch hier zusätzlich auf die subjektive Seite ankomme. 228 Dort werden simulierte Kampfhandlungen mit schusswaffenähnlichen, wenn auch ungefährlichen Geräten in einer künstlich geschaffenen Umgebung veranstaltet.

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genüber Gewalt- und Tötungshandlungen“ fördern.229 Nach Ansicht des rheinland-pfälzischen OVG sei Gewalt als Mittel der Freizeitgestaltung geeignet, „die allgemeinen Hemmschwellen bezüglich ihrer Anwendung abzubauen und die zu beobachtende Entwicklung eines Abstumpfens gegenüber Tötungshandlungen weiter zu fördern“.230, 231 Erst recht lässt sich diese Begründung auf den Fall der „freiwilligen“ (s. o.) Folter anwenden: Ließe man sie im Strafprozess zu, könnte dadurch beim Bürger die – hier unterstellte – natürliche Hemmschwelle gegen die mit Qualen und Erniedrigung verbundene Folterung anderer232 Menschen sinken. Dies könnte potentiellen Opfern dieser „Enthemmten“ zu großem Nachteil gereichen. Gleichviel, ob und inwieweit man einer solchen Argumentation zu folgen geneigt ist,233 bleibt doch festzuhalten, dass ein Verbot bestimmter extremer Beeinträchtigungen der Menschenwürde trotz Einwilligung – oder gar Wunsch – des Rechtsgutsträgers einer Begründung zugänglich ist, ohne dass dabei doch 229 OVG NW, DÖV 1995, S. 1004, 1005; ausführliche Darstellung z. B. bei Koch, S. 159 ff. 230 OVG Rh.-Pf., GewArch 1994, S. 374, 375. 231 Im Übrigen ließe sich – zumindest formal – mit dieser Argumentationslinie auch ein Verbot des „Zwergenweitwurfs“ begründen: Anders als im Fall der „PeepShow“ (vgl. dazu oben 4. Kapitel C. I. 2.) sind dort die Akteure von der Allgemeinheit nicht schon räumlich derart getrennt, dass auf Basis eines am autonomen Individuum orientierten Menschenwürdebegriffs eine Beeinträchtigung von Drittinteressen von vornherein ausscheiden würde. Daher erscheint es beim „Zwergenweitwurf“ immerhin denkbar, dass die öffentliche freiwillige Zurverfügungstellung der Kleinwüchsigen als Wurfobjekt die Gefahr für andere Kleinwüchsige – oder Menschen mit Behinderungen allgemein – erhöhen könnte, zum Opfer von Angriffen zu werden (vgl. Sternberg-Lieben, S. 48 bei Fn. 90 [Beginn auf S. 47]). Hiermit sei wiederum nicht gesagt, dass solch eine Begründung überzeugend wäre; sie ist aber – anders als im Fall der „Peep-Show“ – zumindest formulierbar. Vgl. zum „Zwergenweitwurf“ auch VG Neustadt, NVwZ 1993, S. 98, 99, wobei sich das VG bei der „Begründung“ des Menschenwürdeverstoßes trotz Freiwilligkeit nicht um eine solche Herleitung bemühte, sondern vielmehr beinahe wortwörtlich die Ausführungen des BVerwG aus dessen „Peep-Show“-Entscheidung übernahm (das Argument eines möglichen Abbaus von Hemmschwellen taucht zwar auf, allerdings in anderem Kontext und gerade nicht zur Begründung der Unverfügbarkeit der Menschenwürde). Vgl. zudem die Entscheidung des französischen Conseil d’Etat vom 27. 10. 1995 (Darstellung bei Rädler, DÖV 1997, S. 109, 110 ff.), deren knappe Begründung zumindest die Vermutung zulässt, das Gericht habe die Menschenwürdegarantie ebenso wie der Commissaire du Gouvernement als ein „concept absolu“ angesehen, womit dem objektiven Wertgehalt der Menschenwürde prinzipiell der Vorrang gegenüber ihrem „grundrechtsgleichen Gehalt“ gewährt sei (Rädler, a. a. O., S. 114). 232 Nur um diese geht es, denn ebenso wie der Suizid sind sämtliche Formen der „Selbstfolterung“ erlaubt – mit Ausnahme etwa des § 109 StGB, der Selbstverstümmelung unter Strafe stellt, was aber wiederum mit dem Schutz von Allgemeininteressen, hier Erhaltung der Wehrhaftigkeit, zu begründen ist. 233 Kritisch etwa zur Argumentation der Oberverwaltungsgerichte in Sachen „Laserdrome“ mit dem Hinweis auf die fehlende empirische Untermauerung solcher Prognosen: Koch, S. 160 f.

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wieder auf metaphysische oder paternalistische Konzepte der Menschenwürde zurückgegriffen werden müsste. Somit bleibt es schließlich dabei: Staatliche Einwirkungen234 auf die Menschenwürde sind im Falle einer Einwilligung des Grundrechtsträgers stets zulässig, solange nicht überwiegende Interessen anderer, d. h. konkreter Dritter oder der Allgemeinheit235 entgegenstehen oder die Einwilligung nicht freiwillig erfolgte.236 Die wirksame Einwilligung schließt somit die Menschenwürdewidrigkeit einer staatlichen Handlung aus. Ansichten, für die die „Einwilligung in eine Untersuchungsmethode nur wenig über deren Charakter als menschenwürdig oder menschenunwürdig aussagt“237, sind, nicht nur in ihrer Allgemeinheit, zurückzuweisen. 6. Keine Ausnahme bei einem Verfahren der „Lügendetektion“ mit specific lie response Es wurde nun bereits oben238 angesprochen, dass das Urteil des BGH von 1998 zur Zulässigkeit des Polygraphentests zumindest die Deutung zulässt, das Gericht könnte unter einer Voraussetzung zu dem in BGHSt 5, 332 vertretenen Verständnis der Menschenwürde zurückkehren wollen, um einen „Lügendetektortest“ wiederum wegen Verletzung der Menschenwürde des einwilligenden Angeklagten zu verbieten: Wenn ein Verfahren in Rede stünde, mit dem ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Lügen und physiologischer Reaktion (specific lie response) festgestellt werden könnte. Mit den soeben entwickelten Grundsätzen lässt sich die Frage nunmehr beantworten, ob dem BGH in einem 234 „Eingriffe“ im verfassungsdogmatischen Sinn können es aus den oben genannten Gründen nicht sein: Die wirksame Einwilligung schließt bereits die Tangierung des Schutzbereichs aus, siehe 4. Kapitel C. I. 235 Zumindest in Anknüpfung an die hier vertretene Auffassung, nach welcher das Individuum letzter Zweck des Rechts ist, kann diese Allgemeinheit nicht als mit selbständigen Zwecken versehener überindividueller Körper verstanden werden, sondern stets „nur“ als Summe aller Bürger eines Gemeinwesens, die als Rechtsgutinhaber potentiell Betroffene von Grundrechtsbeeinträchtigungen sind, vgl. von der Pfordten, JZ 2005, S. 1069. Trotz der Sozialnatur des Einzelnen sind Belange der Allgemeinheit also stets nur abgeleitet; dem Staat kann nur eine „auf den Menschen bezogene, unterstützende, sichernde und dienende Funktion“ zukommen (Sternberg-Lieben, in: Rechtsgutstheorie, S. 65, 68). 236 A. A. Schlüchter, Strafprozeßrecht, S. 66. Der „menschenunwürdige Verlust an Autonomie“ könne auch mit „Einverständnis des Beschuldigten und zu seiner Entlastung nicht hingenommen werden.“ Hierin offenbart sich jenes unbegründete wertorientierte Verständnis der Menschenwürde des BVerfG, das verkennt, dass durch die Einwilligung der Autonomie erst Geltung verschafft werden kann; a. A. ebenso, jeweils ohne Begründung, AK-GG-Podlech, Art. 1 Abs. 1 Rn. 71; Glauben, DRiZ 1998, S. 46. 237 Ranft, Rn. 332. 238 Siehe oben 2. Kapitel E. V.

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etwaigen Urteil zur Zulässigkeit eines solchen „lügendetektorischen“ Verfahrens dieser Weg offenstünde. Zuvor ist jedoch eines festzustellen: Die Annahme, das Urteil aus dem Jahr 1998 trüge ein immerwährendes Verbot der apparativen „Lügendetektion“, geht jedenfalls von vornherein fehl.239 Entgegen der Ansicht Kühnes und anderer kann das Urteil unter keinen Umständen auf diese Weise interpretiert werden. Es wird dabei nämlich übersehen, dass „lügendetektorische“ Verfahren nicht entweder „völlig ungeeignet“ sind im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO oder mit der Annahme einer spezifischen Lügenreaktion arbeiten. Der BGH selbst hat für den Polygraphentest (mit der Kontrollfragenmethode) eingehend untersucht, ob diesem nicht aufgrund der in den zahlreichen Studien mitgeteilten Ergebnisse wenigstens ein, wenn auch nur „minimaler“240, Indizwert zukommt, obwohl er „konzeptionell nicht abgesichert und seine Funktionsweise nicht belegbar“ sei.241 Damit macht der BGH – völlig zu Recht – deutlich: Ein Verfahren, welches irgendwo zwischen „völlig ungeeignet“ und „mit specific lie response“ angesiedelt ist, wäre, zumindest auf der Grundlage dieser Entscheidung, ohne weiteres zuzulassen.242 Nach dem Stand der Forschung würde ein Verfahren, das wenigstens nicht (mehr) „völlig ungeeignet“ wäre, auch in eben diesem Rahmen angesiedelt sein, denn bisher hat man kein Verfahren mit „specific lie response“ entdeckt – auch bei den neurowissenschaftlichen Verfahren war die Suche bisher vergebens – und es wird bezweifelt, dass sie jemals erfolgreich sein kann.243 Es bleibt somit allein bei der Frage, wie ein Verfahren mit einer „specific lie response“, möge es auch zumindest mittelfristig als wenigstens unwahrscheinlich erscheinen, rechtlich zu beurteilen wäre: Könnte der BGH aufgrund seiner Entscheidung von 1998 „wenigstens“ für dieses Verfahren zurückschwenken auf die rechtliche Unzulässigkeit, weil es gegen die Menschenwürde verstieße? 239 Diese mögliche Konsequenz wird auch gesehen von Amelung, JR 1999, S. 382, 383, ihm folgend Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer, S. 42, 44; Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1117; Stübinger, ZIS 2008, S. 538, 552; vgl. auch K. Schneider, Gehirn & Geist, Nr. 7–8/2008, S. 39; Kühne, Rn. 901, hält die Konsequenz gar für begrüßenswert, wenn er auch keine Gründe dafür benennt, weshalb, wenn man doch „ins Innerste des Menschen schauen“ könnte, dies trotz Einwilligung „wohl zugleich eine Verletzung der Menschenwürde zufolge“ hätte. Zu Recht, wie sich zeigen wird, kritisch gegenüber einer Einteilung der „Welt der Polygraphen in ,zulässig, aber ungeeignet‘ und ,geeignet, aber unzulässig‘“ HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 909. 240 BGHSt 44, S. 308, 323. 241 BGHSt 44, S. 308, 322. 242 Vgl. oben 2. Kapitel C. II. 1. b). – Dies verkennt K. Schneider, Gehirn & Geist Nr. 7–8/2008, S. 39, wenn sie verlangt, dass „spezifische Areale“ ermittelbar sein müssten, „deren Aktivität eindeutig auf eine Lüge schließen“ lässt, damit ein entsprechendes Verfahren „als gerichtliches Beweismittel [. . .] interessant werden könnte.“ 243 Vgl. nochmals Steller, Aussagebeurteilung, S. 144.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Dazu ist ein genauerer Blick auf jene Passage in dem Urteil erforderlich, in welcher der BGH die fehlende Menschenwürdeverletzung begründet und welche überhaupt erst den Verdacht aufkommen lassen konnte, der BGH habe mit dem Urteil den „Lügendetektor“ für immer aus dem Strafverfahren verbannen wollen; wegen der Bedeutung der fraglichen Passage sei sie hier im Wortlaut wiedergegeben: „Untersuchungsverfahren und Gerät messen zwar willentlich nicht unmittelbar beeinflußte körperliche Vorgänge, sie ermöglichen [. . .] aber keinen ,Einblick in die Seele des Beschuldigten‘ (so aber BGHSt a. a. O. [. . .]). Es wird zwar eine begrenzte Anzahl ausgewählter Körperdaten erhoben, die – in sehr eingeschränktem Umfang und nur diffus – Schlüsse auf allgemein bestehende Emotionen und intrapsychische Veränderungen zulassen. Es ist für den Senat von entscheidender Bedeutung244, daß es [. . .] nach einhelliger wissenschaftlicher Auffassung nicht möglich ist, eindeutige Zusammenhänge zwischen bestimmten kognitiven oder emotionalen Zuständen und hierfür spezifischen Reaktionsmustern im vegetativen Nervensystem zu erkennen. Dies gilt insbesondere für mit der unwahren Beantwortung von Fragen in Verbindung stehende Reaktionen (,no specific lie response‘).“ 245

Dies kann kaum anders verstanden werden, als dass für den BGH die Anwendung eines Verfahrens mit erwiesener „specific lie response“ notwendig verknüpft wäre mit einem „Blick in die Seele des Beschuldigten“. Die Annahme eines solchen „Blicks in die Seele“, was auch immer darunter letztlich genau zu verstehen wäre, müsste dann in der Tat für den BGH konsequenterweise bedeuten, dass ein solches – auch ein freiwillig durchgeführtes! – Untersuchungsverfahren wiederum gegen die Menschenwürde verstieße, und zwar in bewusster Anknüpfung an BGHSt 5, 332.246 Die eigenartige Rede von der „entscheidenden Bedeutung“ verwundert dabei umso mehr, als der BGH später in der Entscheidung – mit Recht – auf das Einverständnis des Beschuldigten abstellt. Dem Beschuldigten dürfe bei freiwilligem Einverständnis in die Vornahme eines Polygraphentests die Möglichkeit der Entlastung eben nicht unter Hinweis auf seine Menschenwürde genommen werden.247 Es ist fraglich, wie diese beiden Elemente zu vereinbaren sind.

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Hervorh. v. Verf. BGHSt 44, S. 308, 315 f. 246 Aus diesem Grunde ist es auch verfehlt, dass die meisten Autoren die Menschenwürdefrage deshalb für gelöst erachten, weil schließlich auch der BGH nunmehr keine grundsätzlichen Bedenken mehr in diese Richtung habe, vgl. indirekt Schüssler, passim, der sich in seiner Dissertation einer Kritik der rechtlichen Ausführungen des BGH vollständig enthält und sich auf die Analyse des beweisrechtlichen Teils beschränkt; siehe auch Hamm, NJW 1999, S. 922; Volckart, Recht & Psychiatrie 16 (1998), S. 138. 247 BGHSt 44, S. 308, 317. 245

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Auf der Basis eines an der vorrangigen Stellung des Individuums orientierten Verständnisses der Menschenwürde ließe sich die Argumentation des BGH nur „retten“, wenn es gerade die „specific lie response“ eines „Lügendetektor“-Tests wäre, die die Einwilligung des Betroffenen zu einer unfreiwilligen machte. Jedoch deutet der BGH derlei Erwägungen – zu Recht – nicht einmal an, so dass davon ausgegangen werden muss, dass das Gericht die im Falle einer „spezifischen Lügenreaktion“ doch wieder angenommene Menschenwürdeverletzung auch nicht auf diese Weise begründen würde. Geht man somit davon aus, dass die Begründung einer Würdeverletzung unter Zugrundelegung eines an der Autonomie des Einzelnen orientierten Verständnisses der Menschenwürde vom BGH zumindest nicht angestrebt war (und aber auch schwerlich gelänge), könnte ein freiwillig zugelassener „Blick in die Seele“ tatsächlich wiederum nur dann als Verletzung der Menschenwürde verstanden werden, wenn der Menschenwürde ein überindividueller Gehalt beigemessen würde. Aber auch diese Deutung dürfte der BGH bei rationaler Betrachtung kaum im Sinn gehabt haben, wenn man berücksichtigt, wie das Gericht an anderer Stelle die Bedeutung des Einverständnisses hervorhebt. Es bleiben somit augenscheinlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat sich der BGH unbewusst in einen Widerspruch gesetzt. Denn nach dem oben Gesagten erscheint es als nicht möglich, einerseits einen fehlenden Verstoß gegen das Prinzip der Menschenwürde „entscheidend“ damit zu begründen, dass das Verfahren keine „specific lie response“ bietet – und andererseits zu dem gleichen Ergebnis durch die Betonung der Relevanz des Einverständnisses zu gelangen.248 Oder der BGH hat den „Lügendetektoreinsatz“ tatsächlich endgültig verbieten wollen. Dieser Versuch wäre jedoch erstens untauglich, weil, wie gesehen, jedes Verfahren, dass noch keine „specific lie response“ bietet, gleichwohl aber nicht „völlig ungeeignet“ ist, auf der Grundlage der Urteils von 1998 zugelassen werden müsste. Der Versuch wäre zweitens aber auch gar nicht durchführbar, weil sich der soeben aufgezeigte Widerspruch durch die – unterstellte – Absicht des BGH, den „Lügendetektor“ für alle Zeit aus dem Strafverfahren herauszuhalten, natürlich nicht auflösen würde. Das Gericht müsste dazu vielmehr ausdrücklich zu einem Verständnis der Menschenwürde zurückkehren, welches nicht primär an dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums orientiert ist. Für das Gelingen dieses Unterfangens wäre allerdings die bloße Rede von der entscheidenden Bedeutung der „specific lie response“ und dem „Blick in die Seele“ des Beschuldigten ein völlig unzureichender Ansatz.249 248 Verkürzend Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1117, die die Gefahr, dass wegen der „specific lie response“ die Frage nach der Menschenwürde bei zuverlässigen Verfahren „wieder aufgerollt werden“ könnte, mit der Betonung der Einwilligung durch den BGH ohne weiteres als gebannt ansieht. 249 Vgl. auch K. Schneider, Gehirn & Geist Nr. 7–8/2008, S. 39, die den freiwilligen Einsatz eines hirnbildgebenden Verfahrens zur „Lügendetektion“ dann für „ver-

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Sollte somit jemals eine Methode existieren, die eine „specific lie response“ feststellen kann, und dem BGH dereinst die Zulässigkeit hirnbildgebender Verfahren im Rahmen der Aussagebegutachtung zur Entscheidung vorliegen, ist einer möglichen Rückkehr zu einem vorpositiven Verständnis der Menschenwürde und dessen Anwendung auf den erwogenen Fall bereits jetzt eine eindeutige Absage zu erteilen. Es wäre auf der Basis des Grundgesetzes schlicht nicht erklärbar, weshalb „verbessertes Wissen über (diese) intrapsychischen Vorgänge“, das einen Blick in das „Innerste des Menschen“ erlaubte, „wohl zugleich eine Verletzung der Menschenwürde zufolge“ hätte250 – wenn der Betroffene diesen Blick freiwillig gewährt.251

II. Zwischenfazit Der Grundrechtsschutz und insbesondere der Menschenwürdebegriff sind in unserer Rechtsordnung an den Bedürfnissen des freien, selbstbestimmten252 Individuums ausgerichtet. Daraus folgt, dass der Einzelne grundsätzlich berechtigt ist, über seine Menschenwürde zu verfügen bzw. präziser gesagt darüber, ob staatliches Handeln sich überhaupt als menschenwürderelevant darstellt.253 Dafassungsrechtlich unbedenklich“ erachtet, wenn „die Messung die bloße Qualität eines Gedankens feststellte (wahr oder falsch?)“. Anders verhalte es sich jedoch, wenn man den „genauen Wortlaut“ erkennen könne. Abgesehen davon, dass ein solches Verfahren noch nicht in Sicht ist, fällt auch hier auf, dass sich die Auffassung, ein „qualitativer Sprung“ (hier: von der „Qualität“ eines Gedankens zum Wortlaut, dort von einem unspezifischen „Lügendetektor“ zur „specific lie response“) bedeute wieder eine Verletzung der Menschenwürde, obwohl sich an der Freiwilligkeit nichts ändert, stets nur behauptet, niemals aber auch nur andeutungsweise begründet wird. 250 Kühne, Rn. 901. 251 I. E. ebenso Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer, S. 42, 44. 252 Dazu ist natürlich erforderlich, den Menschen als an sich fähig zu Freiheit und „wahrer“ Selbstbestimmung anzusehen. Die Diskussionen um „Freiheit oder Determination“ sind Legion. Aber nicht nur aus Platzgründen soll hier schlicht vorausgesetzt werden, dass der Mensch als in jeder Hinsicht frei verstanden wird, sondern auch deshalb, weil im Falle einer angenommenen Determiniertheit (oder auch „nur“ fehlender Willensfreiheit) des Einzelnen nicht nur die Frage der „Lügendetektion“ im Strafprozess, sondern womöglich weite Teile des (insb. Straf-)Rechts gänzlich neu bedacht werden müssten. – Klimpel, S. 19, macht i. Ü. zu Recht darauf aufmerksam, dass die akademische Diskussion durchaus plausiblerweise abgekoppelt werden kann von der Frage, welches Maß an Entscheidungsfreiheit dem Menschen im alltäglichen Leben de facto zugebilligt wird – denn es ist unstreitig, dass unabhängig von ontologischen Fragen das Alltagsleben zu weiten Teilen in der Vorstellung gründet, dass das Individuum zu (relativ) freier Entscheidung in der Lage und für die resultierenden Handlungen verantwortlich gemacht werden kann. – Vgl. gleichwohl zu der insbesondere durch aufsehenerregende Erkenntnisse der Hirnforschung nun auch im Strafrecht wieder intensiveren Diskussion Detlefsen, Grenzen der Freiheit, passim; sowie die Sachbeiträge des von Hillenkamp herausgegebenen Tagungsbandes Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht? (S. 29 ff.); vgl. aus der englischsprachigen Literatur z. B. Gazzaniga/Steven, in: Neuroscience and the Law, S. 51 ff., jeweils m.w. N.

C. Verletzung der Menschenwürde

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mit steht fest, dass ein freiwilliger „Lügendetektortest“ jedenfalls die Menschenwürde des Beschuldigten nicht verletzen kann, der sich der entsprechenden Untersuchung zu seiner Entlastung unterziehen möchte. Es ließe sich nur innerhalb dieser Sphäre noch sinnvoll begründen, ob und wann es in Frage kommt, dem Individuum den Grundrechtsschutz „aufzudrängen“, obwohl es diesen Schutz in freier254, autonomer Entscheidung gar nicht will. Der Verlust an Autonomie und Handlungsfreiheit, den der „Grundrechtsschutz gegen sich selbst“ bedeutet, kann dann – eben vorbehaltlich der Freiwilligkeit des Einverständnisses – nur geboten sein durch den Schutz vorrangiger Belange Dritter und/oder der Allgemeinheit.255,256 Intuitive, aber substanzlose Reden von der Erforschung innerer Seelenräume usw. (bezogen auf den „Lügendetektor“) können daran ebenso wenig ändern wie die bloße Behauptung, dass man allgemein bei „gewissen Tabuverletzungen“ die äußerste Grenze ziehen müsse.257 Sie wären höchstens dann von rechtlicher Relevanz, wenn nur mit einem Verbot des erstrebten Verhaltens der Gefahr begegnet werden könnte, dass Hemmschwellen abgebaut oder tradierte, für ein gedeihliches Zusammenleben notwendige Vorstellungen in der Bevölkerung ins Wanken gerieten oder gar völlig verloren gingen, wenn dieses Verhalten „hoffähig“ würde. Dazu müsste aber gezeigt werden, dass diese Gefahr überhaupt bestünde – was im Fall der „Lügendetektion“ kaum denkbar scheint. Und selbst bei Verfahren, bei denen – in einem standardisierten und klar begrenzten Rahmen – dem Angeklagten mit dessen Einverständnis gleichsam ins Gehirn geblickt würde, müsste nachgewiesen werden, dass damit, wenn auch nur mittelfristig, ernsthafte Gefahren für (andere) Einzelne oder das Gemeinwesen entstünden.258 253 Im Ergebnis auch Schwabe, NJW 1979, S. 576, 578; BK-Zippelius Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rn. 86; v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 1 Rn. 36; Dreier-Dreier, Vorbem. Rn. 133; Geddert-Steinacher, S. 89 ff. 254 Noch einmal sei dazu hervorgehoben, dass dazu aber die konkrete Person überhaupt zu freier Entscheidung fähig sein muss. Dies ist in der Regel nicht der Fall etwa bei Geisteskranken, Kindern und immer dann, wenn selbst der „gesunde“ Erwachsene in der konkreten Situationen aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist, seine grundsätzlich vorhandene (bzw. unterstellte, siehe Fn. 252) Fähigkeit zur Selbstbestimmung auch auszuüben. Dies ist jedoch im konkreten Einzelfall festzustellen und ändert nichts an der hier vorgeschlagenen Grundannahme: Ein Verhalten, das nicht auf einem freien Willen beruht, muss staatlicherseits nicht per se anerkannt werden, weshalb dann (und nur dann) fürsorgliche Eingriffe zum Schutze der Betroffenen zulässig sind; siehe dazu auch nochmals die in Fn. 199 zitierten Entscheidungen des BVerfG. 255 v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 1 Rn. 36; ausführlich Sternberg-Lieben, S. 106. 256 Ob gegebenenfalls gleichwohl eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich wäre, ist ein davon unabhängiges Problem, das an anderer Stelle besprochen wird (siehe unten 4. Kapitel D. III.). 257 Dreier-Dreier, Art. 1 I, Rn. 154. 258 Zur Überprüfung der Frage, ob von solchen Gefahren im Rahmen der „Lügendetektion“ auszugehen sein könnte, vgl. unten 4. Kapitel F. I.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

D. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts I. Schutzbereich/Eingriff In der „Lügendetektor“-Entscheidung des BGH von 1998 fand eine mögliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG keine Erwähnung. Dies erstaunt insofern, als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1981 die einverständliche Durchführung eines „Lügendetektortests“ als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten beurteilt hatte – ohne seinerseits die Menschenwürde auch nur anzusprechen.259 Nach einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts260 zu fragen, liegt nun jedenfalls nicht fern. Das Grundrecht schützt die „Integrität der menschlichen Person in geistig-seelischer Beziehung“261. Als von ihm umfasst kann man das Recht auf die (Beobachtung und) Interpretation der eigenen Gehirnaktivität ansehen bzw. allgemeiner das Recht auf informationelle Selbstbestimmung,262 auf das durch einen „Lügendetektortest“ eingewirkt würde, weil in seinem Rahmen Daten bzw. „persönliche Lebenssachverhalte“ preisgegeben und staatlicherseits verwertet werden.263 Man könnte auch an einen Eingriff in die vom Persönlichkeitsrecht umfasste Intimsphäre denken,264 die den Einzelnen vor staatlicher Ausforschung der Gedanken- und Gefühlswelt schützt.265 Jedenfalls betreffen staatliche Informationserhebungen und -verarbeitungen – wie hier die Ermittlung und Auswertung von Reaktionen des Gehirns – den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.266 Die genauere Bestimmung des Schutzbereichs267 kann dabei unterbleiben, da sie nur dann von Wert wäre, wenn man zu dem Ergebnis gelangte, dass ungeachtet der wirksamen Einwilli-

259 BVerfG (Vorprüfungsausschuss), NJW 1982, S. 375. In einem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 1997 wiederum blieb das Verfassungsrecht unerörtert; vielmehr rekurrierte das Gericht ausschließlich auf § 136a StPO, siehe BVerfG, StraFo 1998, S. 16. 260 Zu der Entwicklung dieses „unbenannten Freiheitsrechts“ (BVerfGE 54, S. 148, 153; BVerfGE 95, S. 220, 241) als „Produkt richterlicher Rechtsfortbildung“ (DreierDreier, Art. 2 I Rn. 68) siehe z. B. Jarass, NJW 1989, S. 857 f. 261 v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 86. 262 So für den „Lügendetektor“ wohl Berning, S. 264; siehe i. Ü. zu dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung z. B. Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 78 ff.; Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173 ff. 263 Vgl. die Nachweise bei Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 44. 264 Dalakouras, S. 173. 265 Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 154; der Einsatz des „Lügendetektors“ greife in diesen „psychischen Innenbereich“ ein, Rn. 155. 266 Vgl. Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 83; vgl. auch Berning, S. 264. 267 Unabhängig von der Tatsache, dass eine abschließende und vollständige Typenbildung beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht ohnehin nicht ersichtlich ist, siehe v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 22.

D. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

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gung eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit hirnbildgebenden Verfahren das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten verletzen würde. Es ist jedoch, anders als bei der Menschenwürdegarantie, beinahe allgemeine Ansicht, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht prinzipiell zur Disposition des Einzelnen steht268 – in den Grenzen, die oben für die „Verfügbarkeit“ der Menschenwürde bereits ausgeführt wurden. Dies gilt zumal dann, wenn, wie oben, der Ansicht gefolgt wird, dass bereits die Menschenwürde disponibel ist (in dem Sinne, dass bei wirksamer Einwilligung schon kein Eingriff vorliegt). Es ist dann kein Grund ersichtlich, warum dies für das „schwächere“, weil Schranken unterworfene,269 Persönlichkeitsrecht nicht gelten sollte. Schließlich wäre es ein eklatanter Widerspruch, gerade dasjenige Grundrecht, das dem Einzelnen nach allgemeiner Auffassung speziell die Möglichkeit autonomer Selbstentfaltung garantiert,270 der Verfügungsgewalt des Betroffenen zu entziehen. Entscheidend ist also auch hier allein, ob die Einwilligung des Angeklagten freiwillig wäre und ob durch die Freiheitsausübung des „ersten“ Angeklagten vorrangige Rechte der Allgemeinheit oder Dritter berührt würden. Ein spezifischer Gesichtspunkt darf jedoch hier nicht außer Acht gelassen werden:

II. § 81a StPO als Eingriffsgrundlage Es gibt Stimmen, die auch eine konsentierte Einwirkung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur auf der Grundlage einer spezialgesetzlichen Ermächtigung akzeptieren möchten.271 Die Einwilligung des Betroffenen reiche als Rechtfertigungsgrund nicht aus, da nur durch eine gesetzliche Grundlage die näheren Bestimmungen (Voraussetzungen der Einwilligung, Durchführung des Verfahrens, eventuelle Verwertungsverbote) geregelt werden könnten.272 268 BVerfGE 27, S. 344, 352; Maunz/Dürig-Di Fabio, Art. 2 Abs. 1 Rn. 228; vgl. auch BVerfGE 65, S. 1, 42: „Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“. Vom BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NJW 1982, S. 375 (siehe oben 2. Kapitel B. II.) indes ausdrücklich offen gelassen. 269 Das Bundesverfassungsgericht tendierte zunächst zum Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 GG (BVerfGE 32, S. 373, 379), orientierte sich später indes an der sog. Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfGE 65, S. 1, 44; BVerfGE 92, S. 191, 197) – wenn es auch strengere Maßstäbe anlegte als bei der „verfassungsmäßigen Ordnung“, siehe Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 86. 270 Dreier-Dreier, Art. 2 I Rn. 69. 271 SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 75; LG Düsseldorf, StV 1998, S. 647, 648; Schoreit, StV 2004, S. 284, 285 in Fn. 8; Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 889, der zutreffend fragt, ob der Polygrapheneinsatz im Rahmen des Sachverständigenbeweises einer gesetzlichen Regelung bedarf, vgl. dazu bereits oben 4. Kapitel A. I. 272 SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 75.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Nun wird bereits bezweifelt, dass eine staatliche Einwirkung auf den Schutzbereich eines Grundrechts überhaupt einen Eingriff darstellt, wenn sie mit Zustimmung des Grundrechtsträgers erfolgt.273 Dann erübrigt sich die Frage nach der Rechtfertigung von vornherein. Dieses Problem sei jedoch zunächst zurückgestellt, denn wenn sich eine geeignete Eingriffsgrundlage finden ließe, müsste ihm nicht nachgegangen werden. Als Eingriffsgrundlage kommt hier nur274 § 81a StPO in Betracht.275 Nach § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO276 darf eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Voraussetzung wäre also zunächst, dass es sich bei dem Einsatz hirnbildgebender Verfahren um körperliche Untersuchungen im Sinne der Norm handelt. 1. Hirnbildgebende Verfahren als „körperliche Untersuchung“ Mit einer körperlichen Untersuchung i. S. d. § 81a StPO wird „die vom Willen des zu Untersuchenden unabhängige Beschaffenheit des Körpers oder einzelner Körperteile mittels sinnlicher Wahrnehmung“277 festgestellt. Es ist gerade das Prinzip der „Lügendetektion“ mit einem hirnbildgebenden Verfahren, dass in seinem Rahmen Körperzustände (genauer: Zustandsänderungen des Gehirns) gemessen werden, die vom Willen des Betroffenen unabhängig sind.278 Zu Recht wird auch sonst ausdrücklich die Prüfung der Arbeitsweise des Gehirns,279 insbesondere durch Verfahren wie der Elektroencephalographie (Hirnstrommessung) oder der Computertomographie,280 als körperliche Untersuchung angesehen. Die funktionelle Magnetresonanztomographie und an273 Jarass, NJW 1989, S. 857, 860; Wegner, S. 188; ihm folgend L. Schneider, S. 142. 274 Siehe jedoch Jahn, Gutachten, S. C 70, für den §§ 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4, 5 StPO die ausreichende Befugnisgrundlage auch für Grundrechtseingriffe auf der Basis von Beweisanträgen darstellen. 275 Vorgeschlagen von Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 889 f.; Berning, S. 265; Schüssler, S. 80; i. Ü. hatte bereits das LG Zweibrücken (siehe oben 2. Kapitel B. I.) die von ihm angeordnete polygraphische Untersuchung unter § 81a Abs. 1 StPO gefasst; aus der älteren Literatur dafür: Erbs, NJW 1951, S. 386, 387; Knögel, DRiZ 32 (1954), S. 234, 236. 276 § 81a StPO wird im Schrifttum zum Teil für verfassungswidrig gehalten, weil der Beschuldigte dulden müsse, dass sein Körper zum Augenscheinsobjekt gemacht werde, aber auch wegen der angeblichen Unbestimmtheit, vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner, § 81a Rn. 1 und LR25-Krause, § 81a Rn. 3. Das BVerfG folgte dieser Ansicht nicht, BVerfGE 16, S. 194, 200 f.; BVerfGE 47, S. 239, 248. 277 LR25-Krause, § 81a Rn. 18 m.w. N. 278 Vgl. ausführlich oben 3. Kapitel C. 279 OLG Hamm, NJW 1974, S. 713. 280 Meyer-Goßner, § 81a Rn. 20.

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dere nicht-invasive hirnbildgebende Verfahren281 unterscheiden sich diesbezüglich nicht strukturell von den genannten und sind somit – ebenso wie der Polygraphentest – körperliche Untersuchungen i. S. v. § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO.282 2. Glaubwürdigkeit als „bedeutsame Tatsache“ i. S. d. § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO gestattet die Anordnung von körperlichen Untersuchungen zur Feststellung von Tatsachen, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Nun wird die Ansicht vertreten, dass auch die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten unter das Merkmal der „bedeutsamen Tatsachen“ falle.283 Dabei wird mit dem Wortlaut argumentiert, der keine Beschränkung auf die bloße Beschaffenheit des Körpers (inkl. des psychischen Zustands) erkennen lasse.284 Auf diesem Wege gelangt Berning zu der Ansicht, § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO 281 Verfahren, die mit radioaktiven Substanzen arbeiten, wie etwa die Positronenemissionstomographie (PET), bleiben im Rahmen der vorliegenden Untersuchung unberücksichtigt, siehe dazu bereits Fn. 15 sowie Fn. 80. 282 Für den Polygraphentest ebenso etwa SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 76; LR25Krause, § 81a Rn. 58. Im Gegensatz zu der Auffassung von Schüssler, S. 77, trifft es nicht zu, dass Würtenberger (JZ 1951, S. 772, 774) den Polygraphentest deswegen nicht als körperliche Untersuchung ansah, weil dieser regelmäßig einen Eingriff in den Körper voraussetze. Würtenberger begründet seine Ablehnung vielmehr damit, dass es sich bei dem Polygraphentest nicht um eine Untersuchung des körperlichen Zustands, sondern um die „Erhebung eines ,seelischen Befundes eigener Art‘“ handele (Würtenberger, a. a. O.). Eine Ansicht wie die von Schüssler genannte wäre i. Ü. auch höchst problematisch, würde sie doch den schon sprachlichen Unterschied zwischen einer bloßen Untersuchung und einem körperlichen Eingriff verkennen: Bei letzterem tritt im Gegensatz zur Untersuchung eine Veränderung der Körpersubstanz ein; vor allem aber ergäbe die Unterscheidung zwischen „körperlicher Untersuchung“ in § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO und „körperlichen Eingriffen“ in Satz 2 zum Zweck der Feststellung von bedeutsamen Tatsachen keinen Sinn, wenn die Untersuchung ihrerseits einen Eingriff voraussetzte. Offenkundig nicht gesehen wird der Unterschied indes auch später noch von Wegner, S. 28, wenn dieser das Vorliegen einer körperlichen Untersuchung mit der Erwägung ablehnt, dass der Polygraphentest keine Schäden verursache und schmerzlos sei. Diese Aspekte begründen zwar, dass der Test kein körperlicher Eingriff ist (vgl. oben 4. Kapitel B. III. 1.), nicht hingegen das Fehlen einer körperlichen Untersuchung. 283 Berning, S. 234 f.; Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 890; Schlüchter, Strafverfahren Rn. 169, allerdings ohne Begründung; wohl auch Schüssler, S. 78; a. A. die h. M.: LR25-Krause, § 81a Rn. 16 m.w. N.; Dzendzalowski, S. 20 (es muss ungeklärt bleiben, weshalb Berning Dzendzalowski zugleich als Unterstützer [Berning, S. 235 in Fn. 84] und – zu Recht – als Gegner [Berning, S. 234 in Fn. 82] ihrer Meinung ansieht); bereits der BGH hatte in der Entscheidung von 1954 das Urteil des LG Zweibrücken (vgl. 2. Kapitel B. I.) unter anderem mit der Begründung aufgehoben, § 81a Abs. 1 StPO sei keine geeignete Grundlage, da unter „Tatsachen“ nur die körperliche Beschaffenheit, nicht jedoch die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten zu verstehen sei (BGHSt 5, S. 332, 336). 284 Berning, S. 234; Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 890, hingegen begnügt sich mit der Feststellung, das Gegenteil „dürfte auch schwer zu begründen sein“.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

sei eine taugliche gesetzliche Grundlage, die sogar den erzwungenen Einsatz zumindest des Tatwissentests285 ermögliche.286 Es ist einzuräumen, dass der Wortlaut der Norm nicht gegen eine Einbeziehung der Glaubwürdigkeit (genauer: spezielle Glaubwürdigkeit bzw. Glaubhaftigkeit der Aussage, vgl. dazu oben287) des Beschuldigten steht, denn selbstverständlich gehört diese zu den Tatsachen, die für das Verfahren von (oftmals gar entscheidender) Bedeutung sind, da sie zum „Beweis der Straftat, der Täterschaft und Schuld des Beschuldigten“288 dient.289 Berning übersieht jedoch den entscheidenden Gesichtspunkt: Dass die im Rahmen eines „Lügendetektor“Tests gemessenen Körperreaktionen als Aussagen im Sinne des Strafprozessrechts zu bewerten sind.290 Für die Beantwortung der Frage, inwieweit es im Wege von Vernehmungen zulässig ist, Aussagen vom Beschuldigten zu gewinnen, ist aber § 136a StPO maßgeblich, während § 81a StPO regelt, welche Zwangsmaßnahmen zur Gewinnung eines Augenscheinsbeweises der Beschuldigte zu dulden hat. Dieser Unterschied erklärt sich durch die unterschiedliche Gewährleistung der Aussagefreiheit einerseits und der Freiheit vor Zwang zur Selbstbelastung andererseits. Das „so schwer zu erklärende Nebeneinander“291 dieser beiden Garantien wurde zwar bereits ausführlich dargetan, als die Frage nach der strafprozessualen Natur der im Rahmen eines „Lügendetektor“-Tests getätigten unwillkürlichen Äußerungen zu beantworten war.292 Gleichwohl ist darauf nun zurückzukommen, um zu zeigen, dass § 81a StPO schon strukturell keinen Zugriff auf diese Äußerungen zu rechtfertigen vermag.

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Siehe zu dieser Methode oben 2. Kapitel A. II. Berning, S. 278 ff.; dies., MschrKrim 76 (1993), S. 242 u. 251; Berning folgend Albrecht, S. 171; Berning gesteht zwar zu, dass ein Test bei einem sich wehrenden Beschuldigten zu nicht auswertbaren Ergebnissen führen könnte, hält diesen Umstand jedoch für unbedeutend bei der Frage nach der generellen Zulässigkeit des erzwungenen Tests nach § 81a StPO: Eine duldungspflichtige Untersuchung im Rahmen der Norm müsse nicht notwendig durchsetzbar sein; wichtig sei vielmehr, dass sie angedroht werden könne (S. 251). 287 1. Kapitel B. 288 LR25-Krause, § 81a Rn. 16. 289 Vgl. Dzendzalowski, S. 20, der zu seinem ablehnenden Ergebnis allerdings nur über eine „verfassungskonforme Auslegung“ des § 81a StPO gelangt, die ein Ausufern der körperlichen Untersuchung verbiete; Dzendzalowski verkennt dabei ebenso wie Berning den strukturellen Unterschied zwischen Beschuldigteneinlassung und Augenscheinsbeweis. 290 Siehe dazu ausführlich oben 4. Kapitel B. I. Bernings Ansicht verwundert umso mehr, als sie bei der Betrachtung der US-amerikanischen Situation durchaus auf die Unterscheidung Aussage/Augenscheinsbeweis zu sprechen kommt, Berning, S. 185 ff. 291 Verrel, S. 253. 292 Vgl. oben 4. Kapitel B. I. 286

D. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

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Der Schutz der Aussagefreiheit293 ist einerseits ein spezieller Aspekt der Freiheit vor dem Zwang, sich selbst belasten zu müssen, geht aber andererseits über letztere hinaus.294 Die nemo-tenetur-Garantie schützt den Beschuldigten zwar davor, an der eigenen Überführung (aktiv) mitwirken zu müssen (die Betonung liegt hierbei darauf, dass er nicht gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten, und nicht auf dem Zwangselement). Wohl aber ist der Beschuldigte immerhin zur Duldung bestimmter Untersuchungen und damit von Eingriffen in seine Rechtssphäre verpflichtet – wobei diese Eingriffe auch mit Zwang vorgenommen werden dürfen, wie z. B. § 81a Abs. 1 StPO zeigt. Im Gegensatz dazu ist jedoch Zwang verboten, der zur Gewinnung einer Aussage eingesetzt werden soll, § 136a Abs. 1 StPO. Verstünde man § 81a StPO hingegen als Eingriffsgrundlage für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung mit hirnbildgebenden Verfahren, könnte damit, zumindest auf den ersten Blick, tatsächlich auch ihr erzwungener Einsatz295 gerechtfertigt sein (sofern dieser denn technisch überhaupt möglich wäre): § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO verlangt gerade keine Einwilligung und selbst schwerwiegendere „Eingriffe“ wie Blutentnahmen sind nach Satz 2 gestattet, wenn keine gesundheitlichen Nachteile drohen. Ebenso hätte der Beschuldigte sämtliche körperlichen Untersuchungen zu dulden, von denen sich die Verfolgungsorgane versprächen, dass sie Erkenntnisse über seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen zu Tage fördern könnten, auch wenn diese Erkenntnisse darin bestünden – und das ist entscheidend! –, dass man durch die Untersuchung strafprozessuale Aussagen (hier in der Form nonverbaler und insbesondere unwillkürlicher Äußerungen, vgl. oben296) vom Beschuldigten erhielte. Dies wäre aber eben nicht vereinbar mit der grundgesetzlich abgesicherten297 und in §§ 136, 136a StPO geschützten Aussagefreiheit.298 293

Siehe zur Aussagefreiheit ausführlicher unten 4. Kapitel F. II. 1. f) bb). Vgl. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 319. 295 Die Zustimmung des Beschuldigten durch indirekten Zwang zu erreichen, indem man seine Weigerung als Schuldindiz in die Beweiswürdigung einbezieht, ist auch nach § 81a StPO nicht möglich – zumindest nach der (noch) herrschenden Meinung, für die jeglicher Zwang zur Herbeiführung einer aktiven Mitwirkung des Beschuldigten wegen der nemo tenetur-Garantie verboten ist. Siehe zur Diskussion um die Reichweite des Grundsatzes auch oben Fn. 57. 296 4. Kapitel B. I. 297 BVerfGE 56, S. 37, 43 m.w. N. 298 Hier ist nun auf Berning, S. 278 ff.; dies., MschrKrim 76 (1993), S. 242 u. 251 (siehe bereits Fn. 286), zurückzukommen, die der Auffassung ist, zumindest der Tatwissentest lasse sich mit § 81a StPO als Eingriffsgrundlage erzwingen. Der TWT verlange nicht notwendig eine verbale Reaktion, also kein aktives Mitwirken. Es handele sich dann nicht um eine Aussage, die Aussagefreiheit sei somit nicht verletzt. Es liege kein unzulässiger Zwang i. S. d. § 136a Abs. 1 Satz 2 StPO vor, da § 81a StPO diesen Zwang gerade erlaube (Berning, S. 248). Berning verkennt hier, dass Aussagen nicht notwendig verbal erfolgen müssen. Auch ein Verweis auf sonstige nonverbale Äußerungen wie Schwitzen, Erröten etc. hülfe ihr nicht, denn diese sind nach allgemeiner 294

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Von den meisten Befürwortern der These, dass § 81a StPO eine taugliche Eingriffsgrundlage darstelle, wird aber nun verlangt, dass der Sachverständige bei Anwendung der nach dieser Norm zulässigen Mittel zusätzlich § 136a StPO zu berücksichtigen habe299 – so dass sich an dem beinahe allgemein geteilten Ergebnis der Unzulässigkeit einer zwangsweisen Testung zwar nichts änderte; auch diese Sichtweise offenbart jedoch wiederum, dass gerade der entscheidende strukturelle Unterschied zwischen Augenscheinsbeweis und Beschuldigteneinlassung zumeist verkannt wird. In § 136a StPO wird die Aussagefreiheit geschützt, in § 81a StPO zeigen sich die gesetzlichen Grenzen300 des allgemeinen nemo tenetur-Grundsatzes: Letzterer verbietet de lege lata (nur) die Pflicht zur aktiven Mitwirkung an der eigenen Überführung, Eingriffe müssen jedoch in bestimmten Grenzen geduldet werden. Im Fall des § 81a StPO können die Beweisergebnisse – anders als Aussagen – also auch auf gesetzmäßigem Wege erlangt werden.301 Es ergibt folglich keinen Sinn, die Glaubwürdigkeit unter die bedeutsamen Tatsachen zu fassen, somit § 81a StPO als Eingriffsgrundlage anzusehen, aufgrund derer gar die Testerzwingung möglich wäre, und im Anschluss über den Umweg des § 136a StPO doch zu einem Verbot zu gelangen. Vielmehr gilt § 136a StPO (nur) für Vernehmungen,302 während § 81a StPO (nur) beim Augenscheinsbeweis Anwendung findet.303 Meinung gerade nicht verwertbar, wenn der Beschuldigte auch ansonsten schweigt, siehe BGH, StV 1993, S. 458 (vgl. Keiser, StV 2000, S. 633, 636 m.w. N.: „Annex“ zum Schweigen). Verwirrend wird Bernings Argumentation, wenn sie gleichzeitig fordert, während des TWT-Tests dürfe aber „keine Vernehmung gestattet“ sein und „die im Zusammenhang mit der Testung gemachten Äußerungen des Beschuldigten“ (Hervorh. v. Verf.) müssten einem Verwertungsverbot unterfallen (S. 281). Berning verharrt hier bei dem rein formalen Kriterium der Verbalität der Äußerung und kommt so zu inakzeptablen Ergebnissen. Siehe auch die Nachweise zu älteren Ansichten bei Schwabe, NJW 1979, S. 576 in Fn. 6. 299 Berning, S. 244 ff.; Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 890; die Frage, ob § 136a StPO im Rahmen von § 81a StPO zumindest sinngemäß zu berücksichtigen ist, ist an sich umstritten. Die wohl herrschende Meinung spricht sich dagegen aus, siehe Nachweise bei LR25-Krause, § 81a Rn. 97 in Fn. 322 und Eisenberg, Rn. 1655. 300 Dazu, dass diese alles andere als unumstritten sind, vgl. noch einmal Fn. 57. 301 LR25-Krause, § 81a Rn. 97 m.w. N. 302 Meyer-Goßner, § 136a Rn. 4. 303 Demnach stünden § 81a StPO und § 136a StPO im Verhältnis der Exklusivität zueinander (wohl ebenso BGHSt 24, S. 125, 129). Eine zusätzliche Anwendung von § 136a StPO ist auch dann nicht erforderlich, wenn im Rahmen einer Augenscheinseinnahme Folter o. ä. angewandt würde: Denn § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO verbietet Eingriffe, die einen Nachteil für die Gesundheit des Beschuldigten befürchten lassen; dies muss erst recht bei den weniger schwerwiegenden körperlichen Untersuchungen nach Satz 1 gelten. Außerdem ist, wie bei jeder Zwangsmaßnahme, auch bei § 81a StPO der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bei § 81a StPO im Wege einer verfassungskonformen Auslegung sogar stets in besonderem Maße, BVerfGE 16, S. 194, 202; BVerfGE 17, S. 108, 117). Folter oder ähnliche Maßnahmen sind also bereits nach § 81a StPO selbst verboten, eines Rekurses auf § 136a StPO bedarf es dazu nicht.

D. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

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3. Zwischenergebnis Ein „Lügendetektortest“, sei er mit einem Polygraphen oder hirnbildgebenden Verfahren durchgeführt, ist eine körperliche Untersuchung i. S. d. § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Wortlaut der Norm spricht außerdem nicht dagegen, die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschuldigten zu den „bedeutsamen Tatsachen“ zu zählen. Weil unwillkürliche Äußerungen wie jene im Rahmen hirnbildgebender Verfahren aber als Aussagen im strafprozessualen Sinne zu beurteilen sind und als solche nicht erzwungen werden dürfen, § 81a Abs. 1 StPO solchen (unmittelbaren) Zwang jedoch gerade zulässt, kann die Vorschrift keine Eingriffsgrundlage für den „Lügendetektor“-Einsatz sein, auch nicht für den freiwilligen.304 Bei wertender Betrachtung ist die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten somit keine „bedeutsame Tatsache“, die auf der Grundlage von § 81a Abs. 1 StPO gewonnen werden könnte – jedenfalls dann nicht, wenn dazu erforderlich ist, dass im Rahmen einer entsprechenden Untersuchung strafprozessuale Aussagen (hier in Form unwillkürlicher Hirnaktivität) gemacht werden. § 81a StPO ist daher keine taugliche gesetzliche Grundlage für die mit einer „lügendetektorischen“ Untersuchung einhergehende Einwirkung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten.

III. Erfordernis einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung – Vorbehalt des Gesetzes Wenn damit auch feststeht, dass sich keine strafprozessuale Eingriffsgrundlage finden lässt, die den Einsatz hirnbildgebender Verfahren zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung durch den Sachverständigen erlaubt,305 bedeutet dies noch Im Ergebnis ebenso LR25-Krause, § 81a Rn. 58; SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 75 m.w. N. und bereits BGHSt 5, S. 332, 336. Schüssler, S. 77, scheint mit knappen Worten der Ansicht von Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 889 f., zu folgen, dass die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten eine „Tatsache“ im Sinne des § 81a StPO sei. Seinen Ausführungen fehlt jedoch jede Unterscheidung zwischen Selbstbelastungsfreiheit/Augenscheinsbeweis einerseits und Aussagefreiheit/Beschuldigteneinlassung andererseits und mündet in der lapidaren Feststellung, dass der „freiwilligen Durchführung einer körperlichen Untersuchung i. S. d. § 81a StPO [. . .] nichts im Wege“ stehe (S. 80). Eine zwangsweise Durchführung, so möglich, lehnt Schüssler lediglich unter Verhältnismäßigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen ab („[. . .] wird hiervon [. . .] abzusehen sein“, S. 80). Volckart, Recht & Psychiatrie 16 (1998), S. 138 ff., argumentiert jenseits des Gesetzeswortlautes, wenn er meint, Erörterungen zu §§ 81a ff. StPO lägen „neben der Sache“, weil die körperliche Integrität des Probanden durch die polygraphischen Messungen nicht berührt würden (S. 138); dass § 81a Abs. 1 Satz 1 StPO auch körperliche Untersuchungen erlaubt, wird dabei übersehen. 305 Vgl. allerdings nochmals Jahn, Gutachten, S. C 70, der in §§ 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4, 5 die ausreichende gesetzliche Grundlage für Grundrechtseingriffe erblickt, die aufgrund von Beweisanträgen erfolgen. 304

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

nicht, dass der Einsatz deshalb notwendig unzulässig wäre. Denn damit ist noch nicht geklärt, ob es einer solchen Eingriffsgrundlage überhaupt bedarf. Die Frage, die sich hier stellt, ist diejenige nach dem Vorbehalt des Gesetzes, also dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für staatliche Eingriffe.306 Speziell für den „Lügendetektor“-Einsatz wird bisweilen eine spezialgesetzliche Ermächtigung für erforderlich gehalten, wenn dabei auch von ausführlicher Argumentation regelmäßig abgesehen wird.307 Nun bedarf es – zumindest aus der isolierten Sicht auf die Rechte des konkreten Angeklagten, dessen Einverständnis freiwillig ist – einer gesetzlichen Ermächtigung jedenfalls dann nicht, wenn die mit der Einwilligung in den Test verbundene Verfügung über die Grundrechtrechtsposition der Einwirkung bereits den „Eingriffs“-charakter308 nähme, denn naturgemäß ist für einen „Eingriffsvorbehalt“309 kein Raum, wenn es bereits an einem zu erlaubenden Eingriff fehlt. Ob die staatliche Einwirkung auf die Grundrechte trotz Einwilligung310 des Grundrechtsberechtigten einen solchen Eingriff bedeutet, ist umstritten. Für Stern etwa nimmt die wirksame Zustimmung dem Handeln des Grundrechtsadressaten lediglich die Rechtswidrigkeit; die Qualifikation als Eingriff bleibe aber unberührt.311

306

Vgl. Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527, 534. SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 75 (die Einwilligung entbinde „nicht von der Notwendigkeit, eine gesetzliche Regelung zu schaffen“); sich Rogall lediglich anschließend SK-StPO-Wolter, vor § 151 Rn. 129; LG Düsseldorf, StV 1998, S. 647, 648 (ohne Begründung); Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer, S. 42, 45; Schoreit, StV 2004, S. 284, 285 in Fn. 8 (die „spezielle Untersuchungsmethode“ sei auch bei seinem Einverständnis mit „Eingriffen in die Grundrechte des Beschuldigten“ verbunden; in welche, und weshalb trotz Einverständnisses ein Eingriff vorliegen soll, bleibt unerörtert); Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 889: auch der freiwillige Test „könnte Rechte verletzen, wenn es sich um indisponible Rechte handelt“; welche Rechte er dabei im Blick hat und weshalb diese indisponibel sind, teilt Prittwitz indes nicht mit. 308 Statt von Eingriff wird bisweilen auch von „Beeinträchtigung“ (BVerfGE 105, S. 279, 301) oder „Beeinträchtigungstatbestand“ (Koch, S. 130) gesprochen, wobei der Eingriff vom BVerfG als unmittelbare Beeinträchtigung verstanden zu werden scheint, während Beeinträchtigung auch mittelbar faktische Wirkungen umfasst (BVerfGE 105, S. 279, 300 f., „Osho“-Entscheidung). Für die vorliegende Abhandlung haben diese terminologischen Unterschiede jedoch keine praktischen Auswirkungen. 309 So die treffende Bezeichnung von Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 75. 310 Stets verstanden als vorher erteilte, frei widerrufliche und daher Bindungswirkung ausschließende Einwilligung des Grundrechtsberechtigten in eine konkrete staatliche Maßnahme, die auf Grundrechte des Berechtigten einwirkt. Selbstverständlich ist für den Ausschluss eines Eingriffs auch erforderlich, dass die Zustimmungserklärung auf einem autonom gebildeten Willen des Betroffenen beruht, da die Willensbildung ansonsten nicht frei von Zwang vonstatten geht. Zur Freiwilligkeit sogleich, zu Fragen indirekten Zwangs, der Einfluss auf die Willensbildung nehmen könnte, siehe unten 4. Kapitel F. II. 1., insb. 4. Kapitel F. II. 1. f). 311 Stern, Staatsrecht Bd. III/2, S. 918 m.w. N. zum Streitstand. 307

D. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

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Nun wäre es jedoch verfehlt, die Frage nach der Beurteilung des mit Einwilligung des Betroffenen erfolgenden staatlichen Handelns gleichzusetzen mit der Frage nach der Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung. Man kann zwar mit guten Gründen vertreten, dass mit der Zustimmung des Berechtigten zu der in Rede stehenden hoheitlichen Maßnahme bereits der Eingriffscharakter entfällt: Denn auf der Grundlage der vorrangigen Stellung des Individuums312 sind die Grundrechte, insbesondere die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, zuvorderst dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des Einzelnen „vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern“313, was der „ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte“314 ist. Grundrechte sollen vor Fremdbestimmung schützen, weshalb die Beeinträchtigung des Schutzbereichs eine Zwangswirkung voraussetzt.315 Für einen Eingriff ist daher begriffsnotwendig, dass das betreffende staatliche Handeln gegen oder zumindest ohne den Willen des Grundrechtsträgers erfolgt.316 Dann aber schließen staatliche Maßnahmen gegenüber dem Bürger, die mit dessen wirksamer, also insbesondere auch freiwilligen Zustimmung erfolgen, eine Grundrechtsbeeinträchtigung aus.317, 318 312

Siehe oben 2. Kapitel C. I. 4. BVerfGE 7, S. 198, 204. 314 BVerfGE 50, S. 290, 337. 315 Koch, S. 131. 316 Vgl. Amelung, Einwilligung, S. 65. 317 Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 54; ders., NJW 1989, S. 857, 860; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527, 534 f.; HbStR-Schmitt Glaeser, § 129 Rn. 55; Pieroth/Schlink, Rn. 141; Hillgruber, S. 136; Bleckmann, Staatsrecht II, § 15 Rn. 8; Amelung, Einwilligung, S. 65; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 98 ff.; Dalakouras, S. 173; Wegner, S. 188. Das BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NJW 1982, S. 375, geht in seinem „Lügendetektor“-Beschluss wie selbstverständlich davon aus, dass die Verwendung des Polygraphen in das Persönlichkeitsrecht „eingreift“, weil es den „Untersuchten zu einem bloßen Anhängsel“ des Apparates werden lasse. Dass sich das Gericht hier nicht mit der dogmatischen Wirkung der Einwilligung befasst, ist verständlich, scheitert die Zulässigkeit doch seiner Ansicht nach an der fehlenden Freiwilligkeit der Einwilligung, vgl. oben 2. Kapitel B. II. Andere Ansichten sind in neuerer Zeit nicht ersichtlich; Nachweise zu älteren abweichenden Meinungen bei Amelung, Einwilligung, S. 64 in Fn. 196, aber auch nur bezogen auf die Einwilligung in § 340 StGB und zum subordinationsrechtlichen Verwaltungsvertrag. 318 Mit Amelung ist zusätzlich auf die historische Entwicklung des Vorbehalts des Gesetzes hinzuweisen, die das o. g. Ergebnis – in Grenzen – zu stützen vermag. Vorläufer des Gesetzesvorbehalts war das Steuerbewilligungsrecht der Stände, das auf dem Gedanken fußte, dass rechtliche Beeinträchtigungen der Untertanen nur mit deren Zustimmung erlaubt sind (siehe Amelung, Einwilligung, S. 64 mit Nachw.). Diese Zustimmung erfolgte kollektiv durch ständischen Steuerbewilligungsakt bzw. Gesetz. Fehlte diese gebündelte kollektive Zustimmung, war die Rechtsbeeinträchtigung illegitim. Der Gesetzesvorbehalt ist ursprünglich also nichts anderes als die Befugnis der Individuen, in die Beeinträchtigung ihrer Rechte einwilligen zu können (Amelung, Einwilligung, S. 65). Nun hat der Vorbehalt des Gesetzes zwar seither z. T. einen „Funktionswandel“ erfahren (Amelung, Einwilligung S. 66 ff.), allerdings nicht in so einschneidender Weise, dass aus seiner Entstehungsgeschichte keinerlei Erkenntnisse mehr gewonnen werden könnten (Amelung, Einwilligung, S. 69). 313

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Die dogmatische Bewertung einer mit Einwilligung des Betroffenen erfolgenden hoheitlichen Maßnahme kann jedoch letztlich dahinstehen. Denn selbst diejenigen Autoren wie Stern, die den Eingriffsakt durch die Einwilligung als nicht berührt ansehen, sind der Ansicht, dass ein solcher Eingriff allein auf der Basis der Willensäußerung des Grundrechtsberechtigten zulässig sein kann; anderenfalls würde das „verfassungsrechtliche Fundament des Grundrechtsverzichts beiseitegeschoben.“319, 320 Es bedarf somit grundsätzlich keiner gesetzlichen Ermächtigung, um staatliches Handeln, das auf einen Grundrechtsberechtigten einwirkt, (zusätzlich) zu legitimieren, wenn der Berechtigte einwilligt bzw. wenn die Einwilligung das staatliche Handeln überhaupt erst auslöst. Der einverständliche Einsatz eines „Lügendetektors“ mit hirnbildgebenden Verfahren ist daher jedenfalls nicht wegen der fehlenden gesetzlichen Grundlage unzulässig.321 319

Stern, Staatsrecht Bd. III/2, S. 919. Auch wenn man, unter Loslösung von dem Begriff des Eingriffs (BVerfGE 47, S. 46, 79: „überholte Formeln [Eingriff in Freiheit und Eigentum]“), der „Wesentlichkeitstheorie“ des Bundesverfassungsgerichts folgt (ausführliche Darstellung der Kritik z. B. bei Perschke, S. 36 ff.), wonach der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen habe (BVerfGE 49, S. 89, 126; BVerfGE 61, S. 260, 275; BVerfGE 88, S. 103, 116), ergibt sich nichts anderes: Denn die Wesentlichkeit der Entscheidungen kann sich dabei nur nach der Intensität bemessen, mit der die Grundrechte durch die staatliche Maßnahme betroffen sind (Pieroth/Schlink, Rn. 266). Die Intensität der Beeinträchtigung hängt zu weiten Teilen von dem Maß der mit ihr verbundenen Zwangswirkung ab. Einer Maßnahme, die mit Einwilligung des Betroffenen vorgenommen wird, fehlt aber jedes Zwangselement, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten (vgl. hierzu oben 4. Kapitel C. I. 2.). Die wirksame Einwilligung mildert somit die Intensität, mit der die Grundrechte betroffen sind, in entscheidender Weise; die Wesentlichkeit wird zur abhängigen Variablen der Einwilligung (vgl. Pietzcker, Der Staat 117 [1978], S. 537). In der „Tagebuchentscheidung“ des BVerfG lässt sich diese Wirkung gut verfolgen: Im Sinne der von dem Gericht entwickelten „Sphärentheorie“ findet sich innerhalb des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Bereich privater Lebensgestaltung, der staatlichem Zugriff schlechthin entzogen sein soll (wenn auch nach Ansicht des Gerichts private Aufzeichnungen diesem Bereich nicht zuzuordnen sind, wenn sie Aussagen über begangene oder geplante Straftaten betreffen, BVerfGE 80, S. 367, 375), wobei selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen können (BVerfGE 80, S. 373). Wenn der Betroffene auf die Geheimhaltung des Lebenssachverhaltes jedoch keinen Wert lege, sei der Kernbereich „schon wegen dieses Umstands in aller Regel nicht berührt“ (BVerfG 80, S. 374, Hervorh. v. Verf.). – Für die Preisgabe der in der Hirnaktivität verkörperten Information kann hinsichtlich der Intensität der Beeinträchtigung nichts anderes gelten, zumal hier, im Unterschied zu den Tagebuch-Konstellationen, dem Beschuldigten sogar bereits von vornherein bewusst ist, dass die Informationen an die Strafverfolgungsbehörden gelangen werden. Im Falle einer freiwilligen Inanspruchnahme des Tests ist die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit bereits wegen des Einverständnisses somit soweit herabgesenkt, dass es auch die Wesentlichkeitstheorie nicht mehr verlangte, den Einsatz des hirnbildgebenden „Lügendetektors“ im Strafverfahren gesetzlich zu regeln. – Siehe aber auch BGHSt (GS) 50, S. 40, 64: „Es ist primär Aufgabe des Gesetzgebers, die grundsätzlichen Fragen der Gestaltung des Strafverfahrens [. . .] festzulegen“. 320

E. Subjektive Schranke der Einwilligung

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IV. Zwischenergebnis Ein auf Wunsch eines entlastungswilligen Angeklagten durchgeführter Test zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit mit einem zuverlässigen hirnbildgebenden Verfahren würde den Angeklagten nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. 1 Abs. 1 GG verletzen. Zwar findet sich in der Strafprozessordnung keine Ermächtigung für einen „Lügendetektortest“ – insbesondere § 81a StPO scheidet als gesetzliche Grundlage aus. Eine spezialgesetzliche Eingriffsgrundlage ist jedoch auch nicht erforderlich, da das Einverständnis des Angeklagten selbst – dessen Freiwilligkeit vorausgesetzt – den staatlichen Zugriff auf die nicht steuerbaren Gehirnaktivitäten des Angeklagten legitimiert.

E. Subjektive Schranke der Einwilligung: Das Erfordernis der Freiwilligkeit der Einwilligung Gleichviel, ob man nach der Verfügbarkeit der Menschenwürde fragt oder nach jener des allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Der Wille des Einzelnen kann nur dann eine Verletzung der genannten Rechte ausschließen, wenn er frei gebildet wurde – die Einwilligung muss freiwillig erfolgen. Dass hier zunächst die generelle Einsichtsfähigkeit des konkreten Beschuldigten vorausgesetzt wird, wurde bereits angesprochen.322 Ausgeklammert bleiben sollen zudem Fragen der Einwilligungserklärung.323 Darüber hinaus ist eine Einwilligung aber als unfreiwillig anzusehen, wenn die Erklärung auf Zwang, Irrtum oder Unkenntnis beruht,324 wenn also Willensmängel vorliegen. Dabei ist eine menschliche Entscheidung wohl niemals vollkommen freiwillig, da der Mensch in allen Situationen seines Lebens unter den verschiedensten Eindrücken steht; auf ihn und seine Entscheidungen wirken stets mehr oder weniger starke Einflüsse.325 So banal es klingen mag, das Maß an Arbeitsbelastung, das Verhalten anderer Menschen, der Zustand der Gesundheit, auch das Wetter etc. können Einfluss haben auf die Entscheidung.326 Überdies besteht im Strafverfahren von vornherein ein Gefälle: Macht, Sprachkompetenz und Wissen sind bei jeder Kommunikation vor Gericht ungleich verteilt. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es bereits schwierig, überhaupt von freiwilliger Teilhabe an einer 321 Ebenso bereits für den Polygraphentest wohl Schwabe, NJW 1979, S. 576, 579 in Fn. 27. 322 Siehe oben Fn. 252 u. 254. 323 Siehe dazu z. B. Roxin, AT I § 13 Rn. 71 ff. 324 Siehe statt aller Amelung, Einwilligung, S. 79. 325 AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 16. 326 Vgl. K. Möller, S. 188.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

solchen Kommunikation zu sprechen.327 Es ist somit nur eine Teilfrage, ob die Erklärung des Beschuldigten unter Willensmängeln leidet. Weitaus wichtiger ist die Frage, ob die Willensmängel so erheblich sind, dass man die Entscheidung dem Rechtsgutsinhaber nicht mehr als eigene zurechnen kann. Zunächst ist evident, dass die Einwilligungserklärung gerade desjenigen Beschuldigten, der den „Lügendetektortest“ von sich aus anstrebt, in aller Regel nicht auf einem Irrtum basiert. Irrtum und Unkenntnis können durch die umfassende Aufklärung des Beschuldigten über die Funktionsweise der fMRT, vor allem aber über das Prinzip des eigentlichen Tests, das konkrete Vorgehen der Untersucher und über die Auswertung der Daten etc. weitgehend ausgeschlossen werden.328 Der Aspekt des Zwangs hingegen ist näher zu betrachten. Der Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts verneinte in seinem vielfach kritisierten Beschluss von 1981 die Freiwilligkeit der Einwilligung in eine – angenommene – Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Angeklagten: Eines Schutzes gegen staatliche Eingriffe bedürfe nur derjenige nicht, der auch tatsächlich wählen könne. Diese Freiheit habe jedoch der von einer empfindlichen Freiheitsstrafe bedrohte Angeklagte gerade nicht. Denn die Untersuchung mit einem „Lügendetektor“ stelle sich für ihn als eine günstige Gelegenheit dar, die er „nicht ausschlagen“ dürfe.329 Wenn diese Einschätzung des Gerichts auch so gut wie keine Zustimmung fand, weder von Vertretern des Schrifttums330 noch von der Rechtsprechung331 – und überdies auch falsch belegt ist332 –, soll die 327

Eidam, S. 245 m.w. N. Vgl. allgemein zum Erfordernis der Aufklärung für die Wirksamkeit der Einwilligung z. B. SK-StPO-Rogall, § 81a Rn. 18. Recht haben sicherlich Kargl/Kirsch, JuS 2000, S. 537, 541, wenn sie im Fall der polygraphischen Kontrollfragenmethode Zweifel daran anmelden, ob dort eine solche Aufklärung möglich wäre, da der Test zumindest eine fortwährende Suggestion über die Bedeutung der Kontrollfragen erfordert (vgl. oben 2. Kapitel A. I.). Den Probanden darüber aufzuklären, könnte bedeuten, den Test von vornherein unbrauchbar zu machen. Hinsichtlich einer „Lügendetektion“ mit hirnbildgebenden Verfahren sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass die Forschung noch nicht weit genug gediehen ist, als dass über derartige Fragen bereits zuverlässige Prognosen abgegeben werden können. Es lässt sich allenfalls vermuten, dass sich das Problem bei den hirnbildgebenden Verfahren nicht stellen würde, weil deren Funktionsweise womöglich in erster Linie auf der Beobachtung kognitiver Prozesse beruht und daher Suggestionen der genannten Art auch für direkte Methoden wie einen Test, der mit Kontrollfragen operiert, nicht erforderlich wären; vgl. zu diesem Aspekt oben 3. Kapitel C. VIII. 329 BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NJW 1982, S. 375 (siehe auch oben 2. Kapitel B. II.). 330 Soweit ersichtlich, hat lediglich Di Fabio (in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 155) dem BVerfG insoweit zugestimmt, allerdings ohne weitere Erörterung. 331 Die Wirksamkeit der Einwilligung des Beschuldigten wurde in keiner der späteren Gerichtsentscheidungen auch nur im Ansatz problematisiert; auch der BGH schwieg in seinem Urteil vom 17. 12. 1998 dazu. 328

E. Subjektive Schranke der Einwilligung

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Ansicht des BVerfG und die mit ihr verbundene Problematik dennoch nicht außer Acht gelassen werden.333 Denn es ist dem BVerfG zumindest zuzugeben, dass hier von klassischer „Freiwilligkeit“ in der Tat keine Rede sein kann. Es ist nämlich im Blick zu behalten, dass der Angeklagte die Beeinträchtigung von Grundrechtsgütern hier tatsächlich nur deswegen anbietet, weil er einen Eingriff in andere Grundrechtsgüter abwehren will. Der Angeklagte, der einen „Lügendetektortest“ beantragt, will damit in aller Regel die drohende strafrechtliche Verurteilung verhindern, die in sein Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG334; Freiheitsstrafe) und/oder in sein Recht auf Eigentum (Art. 14 GG; Geldstrafe) und/oder in seine Berufsfreiheit (Art. 12 GG, bei drohendem Berufsverbot nach § 70 StGB) und jedenfalls in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (durch den mit der Verurteilung verbundenen „sozialethischen Tadel“335) eingreift. Mit der Einwilligung in die Überprüfung seiner Aufrichtigkeit mittels eines hirnbildgebenden Verfahrens lässt der Angeklagte aber zugleich zumindest eine Art von „Einwirkung“ auf seine Menschen332 Bei „Peters, ZStW 87 (1975), 676“ liest man nämlich nichts über die Freiwilligkeit der Entscheidung desjenigen „ersten“ Angeklagten, der den Test zu seiner Entlastung beantragt, sondern (nur) darüber, ob sich (künftige) Angeklagte noch frei gegen den Test entscheiden könnten (vgl. Schwabe, NJW 1982, S. 367); dieser Hinweis von Peters betrifft indes das gänzlich anders gelagerte Problem des „mittelbaren Drucks“ (siehe dazu ausführlich unten 4. Kapitel F. II. 1.; vgl. auch sogleich Fn. 350). 333 Dass in dieser Arbeit die Einwilligung in die Beeinträchtigung der Menschenwürde untersucht wird, zieht dabei keine Konsequenzen nach sich, denn das Problem der Freiwilligkeit stellt sich unabhängig von den konkret betroffenen Rechtsgütern stets in gleichem Maße. 334 Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (Recht auf Freiheit der Person) erscheint bei isolierter Wortlautbetrachtung zwar als Grundrecht mit weitem Schutzbereich. Der systematische Zusammenhang mit Art. 104 GG und mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie die Entstehungsgeschichte zeigen indes, dass es ausschließlich um die Freiheit der körperlichen Bewegung geht, BVerfGE 94, S. 166, 198; BVerfGE 105, S. 239, 247; v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 73; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 2 II, Rn. 98; in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG wurzelt i. Ü. das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren, mit Mindesterfordernissen für eine zuverlässige Wahrheitserforschung, BVerfGE 70, S. 297, 308 m.w. N. – Amelung bezeichnet das Recht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG als „Grundrecht auf Fortbewegungsfreiheit“ (Amelung, JR 1999, S. 382, 384); diese Terminologie wird, soweit ersichtlich, von der verfassungsrechtlichen Literatur kaum geteilt, womöglich wegen der Gefahr der Verwechslung mit Art. 11 Abs. 1 GG (vgl. die Formulierungen bei v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 74). Gleichwohl bezeichnet Amelungs Begriff gerade den Teilbereich der Freiheit der körperlichen Bewegung, um dessen Schutz es in erster Linie geht: Das Recht, einen Ort verlassen zu dürfen, welches insbesondere durch staatliche Freiheitsentziehungen nicht nur beeinträchtigt, sondern (für eine bestimmte Zeit) aufgehoben wird. – Nicht eingegriffen würde indes in die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, da dieses Grundrecht nach ganz herrschender Meinung lediglich eine Auffangfunktion hat (vgl. statt vieler DreierDreier, Art. 2 I, Rn. 30 m.w. N.) und daher hinter das speziellere Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zurücktritt. 335 Siehe Sternberg-Lieben, S. 276 in Fn. 373.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

würde bzw. sein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu. Somit stünde er vor der Entscheidung, ob er diese Grundrechte vor einem Eingriff bzw. zumindest einer Einwirkung schützen, oder ob er die o. g. Grundrechte vor einer – im Fall seiner tatsächlichen Unschuld materiell rechtswidrigen! – Beeinträchtigung bewahren will. Beide gleichzeitig zu schützen, wäre in dieser speziellen Prozesssituation beinahe ausgeschlossen. Der Angeklagte befindet sich folglich in einer Notsituation, in der er sich vernünftigerweise für den „Lügendetektortest“ entscheiden muss, wenn er sich die Chance auf einen Freispruch bewahren will – insoweit hat das BVerfG durchaus Recht. Das Gericht übersieht dabei jedoch, dass dieser Mangel an Entscheidungsfreiheit keineswegs notwendig zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen muss. In vielen vergleichbaren Fällen werden Einwilligungen in die Beeinträchtigung von Grundrechtsgütern vom Gesetzgeber – zu Recht – als wirksam anerkannt, obwohl sie ebenso allenfalls als „halbfreiwillig“336 bezeichnet werden könnten. So akzeptiert das Strafrecht Einwilligungen in bestimmte Weisungen nach § 56c Abs. 3 StGB (wie etwa die Einwilligung in eine Heilbehandlung, vgl. dazu auch § 183 Abs. 3 StGB), obwohl der Verurteilte die Einwilligung in den entsprechenden Rechtsgutseingriff in aller Regel nur deshalb erteilt, um so der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zu entgehen. Auch im Fall der bereits erwähnten §§ 2 Abs. 1 Ziff. 1, 3 KastrG337 wird hingenommen, dass die erforderliche Einwilligung aus einer Zwangslage heraus erfolgt. In diesen und zahlreichen weiteren Fällen338 wird die Entscheidung des Betroffenen anerkannt, obwohl er Einwirkungen auf Rechtspositionen nur deshalb in Kauf nimmt, um von ihm als höherwertig eingeschätzte Rechtsgüter vor Beeinträchtigungen zu bewahren. Mit Amelung kann man die Einwilligung in diesen Fallkonstellationen unter die Bezeichnung „eingriffsmildernde Einwilligung“ fassen.339 Dabei ist der grundlegende Gedanke dieser Regelungen das Verhältnismäßigkeitsprinzip: Staatliche Organe müssen bei Eingriffen in die Sphäre des Individuums das mildeste Mittel wählen, um den erstrebten Zweck zu erreichen.340 Sieht sich der 336

Amelung, JR 1999, S. 382, 384. Einwilligung in die eigene Kastration, um der weiteren Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregeln zu entgehen. Hier wird am deutlichsten, wie einem – durchaus intensiven – Eingriff in eigene Grundrechte in aller Regel ausschließlich zur Vermeidung bestimmter Folgen zugestimmt wird. 338 Etwa die Einwilligung in die Anfertigung von Fingerabdrücken und Fotografien, um eine polizeiliche Festnahme, die zur Identifizierung erfolgte, zu verhindern (vgl. § 163 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. StPO); die Einwilligung in die Preisgabe des Briefgeheimnisses nach § 148 Abs. 2 StPO zu dem Zweck, mit einem Untersuchungsgefangenen Kontakt aufzunehmen, der des Terrorismus verdächtig ist; oder die Einwilligung eines Beschuldigten, der zur Begutachtung seines Geisteszustands in einer psychiatrischen Klinik festgehalten wird, in einen diagnostischen Eingriff, um einem möglicherweise tagelangen Warten in der Klinik auf die an sich nach § 81a StPO erforderliche richterliche Anordnung zu entgehen; vgl. zum Ganzen Amelung, StV 1985, S. 257, 262. 339 Amelung, Einwilligung, S. 105 ff., 109 ff. 337

E. Subjektive Schranke der Einwilligung

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Betroffene einer Grundrechtsbeeinträchtigung gegenüber, so kann es eine mildere Behandlung darstellen, wenn er an der Art der Beeinträchtigung mitwirkt.341 Dem Betroffenen muss es dabei selbst überlassen werden, welche der beiden jeweils (zumindest formell) rechtmäßigen Beeinträchtigungen er hinnehmen möchte, weil nur er selbst einschätzen kann, welche Einbuße ihn am wenigsten trifft.342 Zusammengefasst ist die Einwilligung des Betroffenen in diesen Fällen also trotz der Zwangslage deshalb als „noch“ autonom anzuerkennen, weil er (nur) mit seiner Einwilligung ansonsten unverhältnismäßige Beeinträchtigungen in eigene Grundrechtsgüter mildern kann.343 Nun geht es jedoch in dem Fall der „Lügendetektion“ mit dem Ziel der Entlastung gar nicht darum, dass der Einwilligende mit seiner Entscheidung das 340

Siehe Amelung, StV 1985, S. 257, 262. Amelung, Einwilligung, S. 106. 342 Vgl. Amelung, Einwilligung, S. 109. 343 Es ließe sich an dieser Stelle fragen, worin denn der strukturelle Unterschied zu dem in mancher Hinsicht vergleichbaren Fall einer Nötigung bzw. Erpressung (z. B. wenn der Täter das Opfer vor die Alternative „Geld oder Leben“ stellt) besteht, bei der das abgenötigte Verhalten (z. B. Übergabe des verlangten Geldes an den Täter durch das Opfer) – jedenfalls in „klassischen“ Fallkonstellationen – gerade als unfreiwillig und die entsprechende Einwilligung in die Rechtsgutspreisgabe daher als unwirksam angesehen wird (vgl. Joerden, S. 141 f.). Zunächst ist dabei hervorzuheben, dass die Zwangslage, in der sich der Beschuldigte im Fall einer „eingriffsmildernden Einwilligung“ befindet, auf rechtmäßigem Weg entstanden ist und auch nicht mit der Intention herbeigeführt wurde, den Betroffenen zu dem gewünschten Verhalten zu drängen; bei der Erpressung (wie auch bei der Nötigung) steht hingegen gerade die Ausübung rechtswidrigen Zwangs (bei entsprechendem Erpressungs-/Nötigungsvorsatz) unter Strafe. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass die Wirksamkeit der Einwilligung aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beurteilt wird: Wählt in dem Fall der Erpressung das Opfer die Option „Geld“, tritt also der Erpressungserfolg ein, dann liegt gerade in der Unfreiwilligkeit des Opferverhaltens, die aus den vom Täter eingesetzten (rechtswidrigen) Nötigungsmitteln resultiert, die Strafwürdigkeit des Täterverhaltens begründet. Anders als in den oben genannten Fällen steht dabei nicht die rechtliche Bewertung des Verhaltens des Verletzten als solches im Zentrum der Betrachtung; das Opferverhalten ist vielmehr nur in Bezug auf die etwaige Strafbarkeit des Täters von Interesse. Man stelle sich zur Verdeutlichung den theoretischen Fall einer Rechtsordnung vor, in welcher dem Bürger nur freiwilliges Verhalten erlaubt, und zur Sicherung des Verbots unfreiwilligen Verhaltens jedes Vorhaben unter diesem Aspekt erlaubnispflichtig wäre. Es ließe sich wohl kaum begründen, dem Opfer der Erpressung die Erlaubnis für die Übergabe des „Geldes“ mit der Begründung zu versagen, seine Handlung wäre schließlich nicht freiwillig und somit nicht erlaubt; er möge sich daher bitte in seinen Tod fügen, indem er die Option „Leben“ wählt (einmal vorausgesetzt, dass dieses Verhalten, warum auch immer, als freiwillig anerkannt würde). Je nach Wahl des Bezugspunktes kann sich somit dasselbe Verhalten eines Menschen zugleich als freiwillig und unfreiwillig bzw. genauer: als wirksam und unwirksam darstellen. Dass das Verhalten des Einwilligenden im Rahmen der Beurteilung der Strafbarkeit des Täters nicht als wirksam anerkannt wird, kann somit nicht als Argument für die Unwirksamkeit der Einwilligung des „Opfers“ herangezogen werden. Im Gegenteil: Bei Einnahme der richtigen Perspektive erweist sich der „Erpressungsfall“ sogar als Bestätigung der Überlegungen zur „eingriffsmildernden Einwilligung“. 341

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Maß einer rechtmäßigen Beeinträchtigung insgesamt reduzieren will. Der Angeklagte will hier durch die Einwilligung in die Beeinträchtigung von Grundrechtsgütern vielmehr verhindern, dass er – jedenfalls für den Fall seiner tatsächlichen Unschuld – die unrechtmäßige Beeinträchtigung seiner Grundrechtsgüter hinnehmen muss. Es handelt sich somit gar nicht um den klassischen Fall der „eingriffsmildernden Einwilligung“, deren Gestalt von dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geprägt ist. Es bedarf daher einer anderen Begründung, um zu erklären, weshalb eine solche „eingriffsverhindernde Einwilligung“ trotz des Zwangselements als wirksam anerkannt werden soll; deshalb liegen auch jene Autoren344, die sich diesbezüglich auf das von Amelung beschriebene Institut der eingriffsmildernden Einwilligung berufen, etwas neben der Sache. Der eigentliche Grund dafür, dass die Einwilligung im Fall der Entscheidung für einen „Lügendetektortest“ mit dem Ziel der Entlastung nicht für unbeachtlich erklärt werden darf, ist folgender: Ein wesentliches Ziel des Strafverfahrens ist die Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips. Das Gericht muss stets bestrebt sein, „alles zu tun, daß nur der Schuldige seiner Schuld gemäß bestraft, der unschuldig in Verdacht Geratene aber baldmöglich aus dem Verfahren entlassen oder freigesprochen wird“345. Es ist daher dem Ziel verpflichtet, den wahren Sachverhalt, die materielle Wahrheit zu ermitteln, um so eine gerechte Entscheidung treffen zu können.346 Wird an dieser Stelle auch gerne hervorgehoben, dass die Wahrheit aber nicht um jeden Preis erforscht werden dürfe, so bezieht sich diese Forderung jedoch auf den Schutz des Beschuldigten vor Maßnahmen, die seiner Überführung dienen. Wenn es hingegen um die Verwirklichung des Ziels geht, tatsächlich Unschuldige so weit wie möglich vor ungerechtfertigten Belastungen zu verschonen, kann der Preis, der hierfür angesetzt wird, durchaus recht hoch liegen. Willigt nun ein Angeklagter in die Beeinträchtigung von Rechtspositionen ein, weil er das Gericht von seiner Unschuld überzeugen will, muss dieser Preis, den der Angeklagte zu zahlen bereit ist, in der Regel akzeptiert werden. Aus dem Gesagten, insbesondere der Orientierung an den Zielen der Wahrheit und der Gerechtigkeit im Strafprozess, ergeben sich auch die weiteren Wirksamkeitsvoraussetzungen: Der Staat darf aufgrund der Entscheidung des Angeklagten nur dann in dessen Rechtssphäre eindringen, wenn damit diesen Zielen auch gedient wird. Daher muss das Mittel, mit dem die Entlastung erreicht werden soll, ein taugliches und (ansonsten rechtlich) zulässiges Mittel der Wahrheitserforschung sein. Würde also beispielsweise die Einschätzung des 344 Etwa Schüssler, S. 63; Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 888; vgl. auch Amelung selbst (NStZ 1982, S. 38, 39), der jedoch in JR 1999, S. 382, 384 den benannten Unterschied immerhin andeutet. 345 BVerfG, NJW 1987, S. 2662, 2663. 346 BVerfG, NJW 1987, S. 2662, 2663 m.w. N.

E. Subjektive Schranke der Einwilligung

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BGH zutreffen, dass der Polygraphentest nicht einmal den geringsten Beitrag zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren leisten kann, wäre der Test allein schon wegen der fehlenden Wirksamkeit der Einwilligung unzulässig.347 Ebenso verhielte es sich, wenn es um Beeinträchtigungen ginge, die nicht der Wahrheitsfindung dienten, sondern die der Beschuldigte gleichsam im Austausch für einen Freispruch anböte (wenn er etwa vorschlüge, sich im Gegenzug für einen Freispruch für eine bestimmte Zeit in ein psychiatrisches Krankenhaus zu begeben o. ä.). Leitet man hingegen die Wirksamkeit der Einwilligung in einen „Lügendetektortest“ zur Entlastung des Angeklagten einseitig aus dem Autonomiegedanken her, wie etwa Brandis348, müsste man auch Einwilligungen in sinnlose „Opfer“ für beachtlich erklären. Bei dieser Argumentation wird nämlich übersehen, dass es sich um staatliche Eingriffe handelt, die ohne gesetzliche Grundlage eben nur durch die Einwilligung des Betroffenen „gerechtfertigt“ werden können. Die Strafverfolgungsorgane sind jedoch nicht befugt, dem Bürger bloß auf dessen Wunsch hin Verletzungen zuzufügen, sobald er sich in irgendeiner Zwangslage befindet, worauf aber die bloß an dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen orientierte Begründung hinauslaufen müsste. Aus dem Autonomieprinzip folgt m. a. W. kein genereller Anspruch des Bürgers auf staatliche Eingriffe; fehlt eine entsprechende Eingriffsermächtigung, darf der Staat die Rechtssphäre des Einzelnen nur dann beeinträchtigen, wenn damit zugleich legitime Zwecke verfolgt werden.349 Die genannten Anforderungen an die Wirksamkeit der Einwilligung sind nun hier – zumindest für den „ersten“ Angeklagten350 – allesamt erfüllt: Es wird im 347

Vgl. dazu Kargl/Kirsch, JuS 2000, S. 537, 541 f. Brandis, S. 288 ff., 291 ff., insb. S. 291. 349 Gleiches gilt bei der „eingriffsmildernden Einwilligung“, auch hier muss das von dem Einwilligenden eingesetzte Mittel inhaltlich auf den verfolgten Zweck bezogen sein. In dem oben genannten Beispiel etwa kann die Kastration bei wiederholten Sexualstraftaten Voraussetzung für eine Strafrestaussetzung nach § 57 StGB sein (wenn die Strafrestaussetzung andernfalls „nicht verantwortet werden“ könnte, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB); wenn diese Situation eintritt, kann der Betroffene seine vorzeitige Entlassung ohne den mit der Kastration verbundenen Grundrechtseingriff nicht erreichen. Würde hingegen ein Dieb in eine Kastration einwilligen, um aufgrund dieses „positiven“ Verhaltens eine Strafrestaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB zu erreichen, läge keine „eingriffsmildernde Einwilligung“ vor, weil eine Kastration dann in keinem Fall Voraussetzung für eine vorzeitige Entlassung nach § 57 StGB sein kann (vgl. Brüning, S. 162). Folgerichtig legt das Gesetz in § 2 Abs. 1 Nr. 2 KastrG selbst fest, dass die freiwillige Kastration nur dann erlaubt ist, wenn sie im Zusammenhang mit der Behandlung eines „abnormen Geschlechtstriebs“ des Betroffenen steht. 350 Befände sich der Angeklagte in einer Situation, in der die „Lügendetektion“ im Strafverfahren bereits zugelassen wäre und auch regelmäßig durchgeführt würde, könnte sich die fehlende Freiwilligkeit jedoch aus einem anderen Aspekt ergeben: Jener „künftige“ Angeklagte könnte – über den „herkömmlichen“ Entlastungsdruck 348

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Rahmen dieser Arbeit gerade unterstellt, dass der „Lügendetektor“ mit einem hirnbildgebenden Verfahren wie der fMRT aussagekräftige Ergebnisse über die Aufrichtigkeit des Untersuchten erbringen könnte und dass er folglich ein geeignetes Mittel der Wahrheitserforschung wäre. Der Angeklagte könnte somit gerade mittels der partiellen Preisgabe seines Persönlichkeitsrechts vermeiden, dass er aufgrund falscher Tatsachenannahmen zu einer (im Fall seiner tatsächlichen Unschuld) zumindest materiell unrechtmäßigen Strafe verurteilt wird. Die (sonstige) rechtliche Zulässigkeit eines „Lügendetektortests“ mittels eines hirnbildgebenden Verfahrens zumindest in der Prozesssituation der drohenden Verurteilung wird dabei ebenfalls zunächst einmal unterstellt – ansonsten würde sich die Frage nach der Wirksamkeit der Einwilligung ja auch gar nicht stellen.351 Zumindest solange kein zusätzlicher Druck352 auf den Angeklagten ausgeübt wird, ist somit seine Entscheidung, sich mittels eines „Lügendetektortests“ vor einer strafrechtlichen Verurteilung zu bewahren, als wirksam anzusehen. Es bleibt festzuhalten: Die Einwilligung eines Angeklagten in die Einwirkung auf eigene Grundrechte muss insbesondere in der besonderen Situation des Strafverfahrens nicht stets im herkömmlichen Sinne „freiwillig“ sein. Sie kann vielmehr auch dann als wirksam anerkannt werden, wenn die Entscheidung über die Einwilligung aus einer Zwangslage heraus erfolgt. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen „eingriffsverhindernden Einwilligung“ ist, dass die Zwangslage auf rechtmäßige Weise entstanden ist, und dass der Betroffene gerade durch die Hinnahme einer Beeinträchtigung eigener Grundrechte erreichen kann, dass er sich vor dem Eingriff in andere, von ihm als höherwertig veranschlagte Grundrechte bewahren kann. Unter der Annahme, dass ein „Lügendetektortest“ mit einem hirnbildgebenden Verfahren ein taugliches Verfahren hinaus – einem mittelbaren Druck ausgesetzt sein, sich dem Test zu unterziehen, um sich nicht anderenfalls dem Verdacht auszusetzen, er hätte etwas zu verbergen. Da im vorliegenden Kontext aber zunächst nur die Lage desjenigen Beschuldigten betrachtet wird, der den Einsatz des „Lügendetektortests“ seinerseits erst gerichtlich erkämpfen muss, kann der Aspekt dieser Zwangswirkung hier noch nicht relevant werden. Wo ein Verfahren noch gar nicht zugelassen ist, kann es keinen indirekten Druck geben, sich ihm zu unterziehen; in dieser Situation würde niemand dem Beschuldigten unterstellen, er „habe etwas zu verbergen“, wenn er dem Test nicht zustimmen würde. Der mittelbare Druck kann somit frühestens dann nachteilig auf die Freiwilligkeit der Einwilligung eines Beschuldigten einwirken, wenn der Test zugelassen ist; darauf wird später zurückzukommen sein [siehe unten 4. Kapitel F. II. 1. f) dd)]. 351 Die Zulässigkeit des Tests in dieser Prozesssituation lässt sich darüber hinaus auch gut begründen, wie sich noch zeigen wird. 352 Wie Schwabe, NJW 1979, S. 576, 579, zu Recht feststellt, könnte der angebliche „Testzwang“ (der nicht mit dem „mittelbaren Druck“ verwechselt werden darf, siehe bereits Fn. 350) allenfalls dann als solcher Zweifel an der Freiwilligkeit begründen, wenn der Test zur Überführung und letztlich zu einer Bestrafung des Angeklagten führen sollte; siehe zur Frage der Freiwilligkeit in dieser Konstellation unten 5. Kapitel H.

F. Objektive Schranke der Einwilligung

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der Glaubwürdigkeitsbegutachtung ist und kein zusätzlicher Druck auf den Angeklagten ausgeübt wird, sind die Anforderungen an die Wirksamkeit einer Einwilligung erfüllt. Unter diesen Umständen einem Angeklagten, der angesichts einer erdrückenden Beweislage bereits die Zellentür hinter sich zufallen hört, vorzuhalten, er dürfe nicht einmal versuchen, mit Hilfe eines Mittels der Wahrheitserforschung diesem Schicksal zu entgehen, weil seine Entscheidung nicht frei von Zwang wäre, wirkt demgegenüber lediglich wie ein verbrämter Versuch, unerwünschte Methoden aus dem Strafprozess herauszuhalten. Mit dem Argument der fehlenden Wirksamkeit der Einwilligung jedenfalls ist die Unzulässigkeit der „Lügendetektion“ im Strafverfahren mit grundrechts„einwirkenden“ Testverfahren nicht zu begründen.353

F. Objektive Schranke der Einwilligung: Vorrangige Belange der Allgemeinheit oder konkreter Dritter Wegen rechtlicher Unzulässigkeit der Beweiserhebung (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO) könnte ein auf eine „lügendetektorische“ Untersuchung gerichteter Beweisantrag somit nur noch abgelehnt werden, wenn durch die Zulassung des „Lügendetektors“ vorrangige Belange Dritter oder der Allgemeinheit beeinträchtigt würden.354

I. Interessen der Allgemeinheit Bei einem „Lügendetektor“-Test mittels Hirnbildgebung wird gleichsam in das Gehirn des Angeklagten geblickt. Damit geht zumindest insofern eine Beeinträchtigung der Willens- und Entschließungsfreiheit der Person einher, als die Reaktionen im Gehirn nicht steuerbar sind355 – dies ist hier zumindest vorausgesetzt, da anderenfalls wegen der möglichen Manipulierbarkeit wiederum Zweifel an der Zuverlässigkeit angebracht wären. Um hieraus jedoch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Interessen der Allgemeinheit den Grund dafür abzuleiten, dem Angeklagten das Verfügungsrecht über seine Grundrechte zu versagen, müsste in Anknüpfung an die o. g. 353 Im Ergebnis für den Polygraphentest ebenso SK-StPO-Wolter, vor § 151 Rn. 129; Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 888; Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer, S. 42, 44 in Fn. 33; Verrel, S. 206; Niemöller/ Schuppert, AöR 107 (1982), S. 387, 444 f.; Schwabe, NJW 1979, S. 576, 579: „Die brutale Alternative Entlastungsbeweis durch Polygraphentest oder Strafmakel verträgt nur eine Lösung.“ 354 Vgl. oben 4. Kapitel C. II. 355 Vgl. oben 4. Kapitel B. IV.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Ausführungen356 gezeigt werden können, dass der „Lügendetektortest“ mittels Hirnbildgebung im Strafverfahren gewissermaßen ein Tabu357 darstellte, vor dessen Aufweichung man die Allgemeinheit bewahren müsste.358 Zumindest aber müsste die Gefahr belegt werden, dass die Zulassung eines solchen Tests die Allgemeinheit in einem Maße nachteilig beeinflussen würde, dass es ihr berechtigtes Interesse wäre, diesen Einfluss zu verhindern. Einen Tabubruch o. ä. stellt die Durchführung von einverständlichen „Lügendetektor“-Tests im Strafverfahren sicher nicht dar. In Kapitel 2 wurde dargestellt, dass der Test, auch in der westlichen Welt, verbreitet eingesetzt wird, sowohl in der Privatwirtschaft als auch im forensischen Kontext.359 In Deutschland ist die Situation zwar eine andere; jedoch sind die Ergebnisse von „Lügendetektor“-Tests auch in deutschen Gerichtsverfahren durchaus als Beweismittel zugelassen worden, insbesondere vermehrt vor dem Grundsatzurteil des BGH von 1998,360 ohne dass dies auch nur ansatzweise zu negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit geführt hätte. Die – auch private361 – Durchführung von „Lügendetektortests“ und die Teilnahme daran werden nicht nur nicht kritisiert, sondern zeigen sich als weitestgehend sozial akzeptiertes Verhalten. Auch die Tatsache, dass nun nicht mehr Polygraphen, sondern neurowissenschaftliche Verfahren wie die fMRT eingesetzt würden, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Allenfalls könnte man daran denken, dass durch den mit diesen Verfahren möglichen „Blick ins Gehirn“ der untersuchten Personen Vorstellungen von der Natur des Menschen ins Wanken kämen. Dies beträfe indes nicht spezifisch die Anwendung der Verfahren als „Lügendetektor“, sondern vielmehr die Technik der bildgebenden Verfahren als solche – die ausgiebig in Forschung und Praxis eingesetzt wird; insbesondere aber müsste präzise gezeigt werden, worin konkret die nachteilige Wirkung für die Allgemeinheit läge und weshalb gegebenenfalls der Schutz der Allgemeinheit vor diesen Nachteilen denn vorrangig wäre. Auch hier genügte jedenfalls das nicht weiter begründete Erheben „ethischer Bedenken“ etc. nicht einmal ansatzweise.362 356 Vgl. bereits oben 4. Kapitel C. I. 5. sowie 4. Kapitel C. I. 6. zu der Frage, wann Allgemeininteressen (die letztlich immer auf Individualinteressen zurückzuführen sind, vgl. Fn. 235) den Gebrauch von Individualfreiheiten beschränken können. 357 Verstanden etwa als „striktes Verbot“, siehe Joerden, S. 169 Fn. 1. 358 Wiederum, um letztlich Individuen vor Rechtseinbußen zu bewahren, vgl. Joerden, S. 169 f. 359 Siehe insbesondere 2. Kapitel H. 360 Siehe dazu oben 2. Kapitel G. II. 361 Vgl. nochmals etwa den Fall des Langstreckenläufers Dieter Baumann, der mit dem Ergebnis eines „Lügendetektortests“ den Verdacht entkräften wollte, er habe seine Leistung mittels Doping zu steigern versucht (siehe auch 2. Kap., Fn. 133). 362 Sollten eines Tages „Lügendetektoren“ (auch) auf größere Distanz und somit auch ohne Einwilligung des Betroffenen funktionieren (vgl. unten 5. Kapitel B.) –

F. Objektive Schranke der Einwilligung

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II. Belange Dritter 1. Künftige Angeklagte – insbesondere das Argument des mittelbaren Drucks Beschränkungen der individuellen Verfügungsbefugnis des entlastungswilligen Angeklagten über seine Grundrechte könnten sich nun daraus ergeben, dass seine dergestalte Freiheitsausübung grundrechtlich relevante Interessen künftiger Angeklagter berührte. Dies ist der Rahmen für das weiter oben bereits angesprochene Argument363, das gegen die Zulassung technischer Verfahren zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung von Angeklagten vorgebracht wird: Die Einwilligung des konkret betroffenen Angeklagten in die Durchführung eines solchen Verfahrens könnte insofern Rechte künftiger Angeklagter verletzen, als auf diese ein mittelbarer Druck364 entstünde, sich dem Test zu unterziehen, weil sie ansonsten Gefahr liefen, mit ihrer „Weigerung“ den Verdacht zu nähren, sie hätten etwas zu verbergen. Dann erscheint es möglich, dass eine unterbliebene Beantragung des Tests als Indiz für die Schuld des Angeklagten gewertet würde.365 Trotz der Befürchtung Rogalls und Harnacks, die – auch nur begrenzte – Zulassung eines „Lügendetektors“ im Strafverfahren ziehe „kaum überschaubare“ Konsequenzen nach sich, insbesondere was „die Problematik des mittelbaren

wozu überdies erforderlich wäre, dass es keinerlei Fragemethoden usw. mehr bedürfte –, wäre über diese Fragen eventuell neu nachzudenken. – Hier wäre i. Ü. der richtige Ort, wenn man aus dem Umstand, dass mit einer Methode, die mit einer spezifische Lügenreaktion arbeitete, nunmehr „ins Innerste des Menschen“ (Kühne, Rn. 901) geblickt oder gar der „genaue Wortlaut“ seiner Gedanken erfasst (K. Schneider, Gehirn & Geist, Nr. 7–8/2008, S. 39) werden könnte, ein Argument gegen die Zulässigkeit solcher Methoden im Strafverfahren gewinnen wollte: Dazu müsste begründet werden, weshalb dieser „Blick in die Seele“ (vgl. BGHSt 5, S. 332, 335; BGHSt 44, S. 308, 315) usw. eines Beschuldigten, den dieser freiwillig gewährt, derart nachteilige Folgen für die Allgemeinheit haben würde, dass dem Beschuldigten aus diesem Grund das Recht versagt werden müsste, mittels eines derartigen „Lügendetektors“ einen zuverlässigen Entlastungsbeweis zu erlangen. Wie oben gezeigt wurde, wäre es jedenfalls nicht möglich, mit diesem „qualitativen Sprung“ die Kehrtwende zu einem überindividuellen Verständnis der Menschenwürde zu begründen (vgl. oben 4. Kapitel C. I. 6.). 363 Für Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 325, verbleibt „allein“ dieses Argument des seiner Ansicht nach unzulässigen indirekten Drucks, um dem Beschuldigten die Dispositionsbefugnis über seine Aussagefreiheit zu entziehen; siehe auch Klimke, NStZ 1981, S. 433 („[. . .] diesem Verfahren als das Argument entgegengehalten werden.“, Hervorh. im Original); Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rn. 81 („Die Problematik [. . .] liegt vor allem in möglichen Rückschlüssen auf die Glaubwürdigkeit bei Verweigerung des Einverständnisses“); vgl. auch Kassationsgericht des Kantons Zürich, Kriminalistik 2003, S. 190. 364 Die in der Literatur zu findenden Termini „indirekter Druck/Zwang“ (vgl. Frister, ZStW 106 [1994], S. 303, 325, 327, 329), „mittelbarer Druck/Zwang“ (vgl. Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39), „moralischer Druck/Zwang“ (vgl. Klimke, NStZ 1981, S. 433) etc. werden im Folgenden synonym verwandt. 365 Eisenberg, Rn. 699; so auch schon Peters, ZStW 87 (1975), S. 663, 676.

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Drucks“ betreffe,366 soll hier zumindest der Versuch unternommen werden, die möglichen Folgen einigermaßen überschaubar darzustellen. a) Skizzierung der Untersuchung des Themenkomplexes „mittelbarer Druck auf künftige Angeklagte“ Es mag nun zwar in der Tat wünschenswert für künftige Angeklagte sein, „nicht unter Druck gesetzt zu werden“.367 Aus dieser bloßen Feststellung lassen sich jedoch noch keine Kriterien für eine rechtliche Bewertung gewinnen. Für eine Beurteilung der Zulässigkeit der „Lügendetektion“ relevant kann dieser respektable Wunsch nämlich erst dann werden, wenn der indirekte Druck zu einer Beeinträchtigung der rechtlich geschützten Interessen des Dritten führt.368 Ein indirekter Druck, so er sich denn zumindest postulieren lässt, kann dabei unter zwei Gesichtspunkten rechtlich bedeutsam werden: Erstens geht es um die Frage, ob die Zulassung der „Lügendetektion“ eine unzulässige Beschränkung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter nach sich ziehen würde. Und zweitens könnte eine Einwilligung des Angeklagten in die Durchführung eines „Lügendetektor“-Tests nicht mehr als freiwillig beurteilt werden, wenn die Einwilligung vornehmlich auf dem zusätzlichen Druck beruhte; somit könnte die Zulassung auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht künftiger Angeklagter verletzen. Dafür, dass die Aussagefreiheit bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht künftiger Angeklagter durch die Zulassung der „Lügendetektion“ überhaupt beeinträchtigt sein könnten, müssen jedoch folgende Voraussetzungen erfüllt sein: – Das entscheidende Gericht müsste eine unterbliebenen Beantragung369 des Tests als ein Indiz für die Schuld des Angeklagten werten.370 – Daraus müsste dann auch tatsächlich ein Einwilligungsdruck bei späteren Angeklagten erwachsen – einmal angenommen, dass ein ausgebliebener Testwunsch auch von Rechts wegen von dem Tatrichter in die Beweiswürdigung einbezogen werden dürfte.371 SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 78; LR25-Hanack, § 136a Rn. 56. Dalakouras, S. 178. 368 Auch von anderen Autoren (etwa Beck, JR 2006, S. 146, 149; Schwabe, NJW 1979, S. 576, 579; Eisenberg, Rn. 699; Beulke, Rn. 141; Klimke, NStZ 1981, S. 433 u. 434) wird nicht oder nicht ausreichend klargestellt, dass es nicht in erster Linie auf das Vorliegen eines ausgeübten Drucks ankommt, sondern darauf, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus ihm ergäben. 369 Mit „Beantragung“ gemeint ist stets der Beweisantrag auf Erstellung eines Sachverständigengutachtens über die Glaubwürdigkeit des Angeklagten, dessen Ergebnisse der Sachverständige unter Einsatz eines hirnbildgebenden Verfahrens ermittelt. 370 Siehe dazu sogleich 4. Kapitel F. II. 1. b). 371 Siehe dazu näher unten 4. Kapitel F. II. 1. c). 366 367

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– Dieser über den „natürlichen Entlastungsdruck“ hinausgehende Druck würde aber nur dann von einem potentiellen zu einem tatsächlichen Einwilligungsdruck werden, wenn zu erwarten wäre, dass die Richter auch ein entsprechendes Verwertungsverbot nicht in ausreichendem Maße beachten würden; damit verflochten ist die Frage, ob ein solches Verwertungsverbot überhaupt begründet werden könnte.372 – Schließlich müsste der auch durch ein Verwertungsverbot nicht vollständig kompensierte mittelbare Druck tatsächlich zu einer Beeinträchtigung der Aussagefreiheit373 bzw. des allgemeinen Persönlichkeitsrechts374 künftiger Angeklagter führen. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und somit feststeht, dass die Zulassung der „Lügendetektion“ die genannten Rechte künftiger Angeklagter beeinträchtigen würde, schließt sich die Frage an, welchem der widerstreitenden Interessen der Vorrang zu gewähren wäre – jenem des Entlastung suchenden Angeklagten oder jenem der künftigen Angeklagten am vollständigen Erhalt der angesprochenen Rechte.375 Es wird sich dabei insbesondere zeigen, dass das Ergebnis entscheidend von der Beweislage abhängt. Was schließlich bisher nicht beachtet wurde, soweit dies überblickt werden kann: Vollkommen unabhängig von Fragen eines aus der „alltäglichen Schuldvermutung“ resultierenden Einwilligungsdrucks könnte bereits das Faktum der Schuldvermutung selbst nachteilige Auswirkungen auf das Schweigerecht derjenigen künftigen Angeklagten haben, die sich gegen die Inanspruchnahme des Tests entscheiden.376 Auch dabei muss dann im Wege einer Abwägung entschieden werden, welchem Recht der Vorrang einzuräumen ist.377 b) Ein ausbleibender Testwunsch würde rechtstatsächlich als Schuldindiz aufgefasst – „alltägliche Schuldvermutung“ Das Problem des mittelbaren Drucks und der Gefahr für die Aussagefreiheit „künftiger“ Angeklagter kann sich nur dann stellen, wenn einer unterlassenen Test-Beantragung auch tatsächlich ein (indizieller) Beweiswert beigemessen würde. Denn wenn der Tatrichter dieses Unterlassen bereits nicht als Schuldindiz378 bewertet, könnte sich bei künftigen Angeklagten auch kein indirekter 372

Siehe dazu 4. Kapitel F. II. 1.d) u. 4. Kapitel F. II. 1. d) bb). Siehe dazu unten 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (1). 374 Siehe dazu unten 4. Kapitel F. II. 1. f) dd). 375 Vgl. dazu unten 4. Kapitel F. II. 1. g) bb). 376 Vgl. dazu unten 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (2). 377 Siehe dazu unten 4. Kapitel F. II. 1. g) aa) sowie 4. Kapitel F. II. 1. g) bb). 378 Der Begriff „Schuldindiz“ wird hier und im Weiteren im untechnischen Sinne verwandt, also synonym für Tatbegehungsindiz; siehe i. Ü. allgemein zum Indizienbeweis Bender/Nack/Treuer, Rn. 577 ff. 373

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Druck entwickeln, den Test gegen ihren eigentlichen Willen zu beantragen, da sie nicht zu fürchten brauchten, dass ihr Untätigsein nachteilige Folgen hätte.379 Zurückgegriffen werden kann hierbei auf die Diskussion, die um die Verwertbarkeit des vollständigen Schweigens des Beschuldigten geführt wurde. Denn beim Schweigen wie bei der Nichtbeantragung eines „Lügendetektor“-Tests geht es um unterbliebene Entlastungsbemühungen seitens des Beschuldigten, die der „gesunde Menschenverstand“ jedoch erwarten würde und aus deren Fehlen der Schluss auf die Schuld naheliegt (im Folgenden, im Anschluss an Schlauri380, als „alltägliche Schuldvermutung“ bezeichnet). Dass überhaupt die Frage nach einem Beweiswert des vollständigen Schweigens (und desjenigen einer unterbliebenen Testbeantragung) gestellt werden kann, liegt darin begründet, dass das Gericht in der Beweiswürdigung grundsätzlich frei ist, § 261 StPO. Bei seiner Überzeugungsbildung über Schuld bzw. Unschuld darf (und muss) der Richter grundsätzlich jedes Beweismittel und seinen Wert frei würdigen, er ist also nicht an Beweisregeln gebunden, wie sie im Inquisitionsprozess üblich waren.381 Seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten kann er somit auch durch einen Indizienbeweis erlangen.382 Hinsichtlich der normativen383 Ebene wird mittlerweile kaum mehr bestritten, dass das vollständige Schweigen nicht als Indiz für die Schuld des Angeklagten gewertet werden darf.384 Der schlichte Grund hierfür liegt darin, dass sich viel379 Irrationale Angeklagte könnten natürlich auch ohne den geringsten realen Anlass befürchten, dass ein bestimmtes Verhalten im Prozess zu ihrem Nachteil ausgelegt würde. Wollte man diese in die Erwägungen einbeziehen, wäre man jedoch gänzlich auf bloße Mutmaßungen zurückgeworfen, die nicht einmal mehr plausibel gemacht werden könnten. 380 Schlauri, S. 317. 381 Kühl, JuS 1986, S. 115, 116; KK-StPO-Schoreit, § 261 Rn. 28. Nach der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina) von 1532 war eine Verurteilung nur möglich, wenn der Angeklagte durch ein glaubhaftes Geständnis (Art. 22 CCC: „auß eygen bekennen“; insbesondere die Glaubhaftigkeit eines aus gerechtfertigter „marter“ hervorgegangenen Geständnisses wurde penibel überprüft, Art. 48 ff.) oder das Bekunden mindestens zweier Zeugen, „die von eynem waren wissen sagen“ (Art. 67 CCC; siehe auch Art. 69, wonach die Aussage der Zeugen auch dann für die Verurteilung ausreichte, „so der beklagt nach der beweisung nit bekennen wolt“ [Überschrift]), überführt war. – Vgl. zum Beweisrecht des Inquisitionsprozesses etwa Wessels, JuS 1966, S. 169, 170; Lesch, ZStW 111 (1999), S. 624, 627 f. m.w. N. 382 Kühl, JuS 1986, S. 115, 117. 383 Die normative von der rechtstatsächlichen Ebene strikt zu trennen, ist unabdingbar. Denn anderenfalls besteht die Gefahr, dass vom Sollen (des Verwertungsverbots) auf das Sein (tatsächliche Beachtung des Verwertungsverbots) geschlossen wird und man somit, wie etwa Klimke, NStZ 1981, S. 433, einem umgekehrten naturalistischen Fehlschluss erliegt, der den Blick auf wesentliche Aspekte des Problems verstellen würde. 384 Rogall, S. 248; Verrel, S. 17; Meyer, GA 2007, S. 15, 21; Aselmann, S. 64 m.w. N.

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fältige andere Ursachen für das Schweigen denken lassen als das Verbergen der Täterschaft: Resignation oder Erinnerungslücken können ebenso motivbildend für das Schweigen sein wie etwa die Bewahrung fremder oder eigener als höher bewerteter Interessen.385 Auch der Rat des Verteidigers – ob in der konkreten Situation vernünftig oder unvernünftig – kann ausschlaggebend sein für das Schweigen eines Angeklagten, gerade eines „unerfahrenen“. Aufgrund der Tatsache, dass sich stets Gründe für das vollständige Schweigen denken lassen, die nicht auf die Schuld des Beschuldigten weisen, ist auch für die rechtstatsächliche Ebene anzunehmen, dass die Vermutung des „gesunden Menschenverstandes“386, jeder, der zu Tatvorwürfen schweige, habe etwas zu verbergen, sich – wenn überhaupt – in nur sehr schwacher Form auswirken wird. Dies gilt jedenfalls solange, wie der Beschuldigte noch nicht durch eindeutige Indizien und Beweise belastet ist (die ihrerseits jedoch noch nicht zum Nachweis der Schuld ausreichen; denn anderenfalls stellte sich die Frage nach dem Beweiswert des Schweigens von vornherein nicht387). Dann ist anzunehmen, dass ein angeblich im Schweigen liegendes Schuldindiz von dem Tatgericht auch rechtstatsächlich nicht als „argumentative Brücke“388 beschritten wird, um die Täterschaft des Angeklagten zu begründen.389 Die Situation ändert sich jedoch, wenn der Beschuldigte bereits durch andere Beweise belastet ist. In diesem Fall scheint der „gesunde Menschenverstand“ eine Erklärung des Beschuldigten für das belastende Material zu erwarten, jedenfalls dann, wenn sich für das Gericht keine Anhaltspunkte dafür bieten, einen anderen – „unverdächtigen“ – Grund für das Schweigen anzunehmen.390 Bleibt eine Einlassung dennoch aus, interpretiert der „gesunde Menschenverstand“ dies als Schuldeingeständnis. Für das Schweigen wird diese „natürliche“ Reaktion seit langem beschrieben; schon Bentham war der Überzeugung, zwischen Täterschaft und Schweigen bestehe ein „offensichtlicher Zusammenhang“391. Zahlreiche Redewendungen zei385 Eisenberg, Rn. 900, siehe dort auch für weitere denkbare Motive; KK-StPOSchoreit, § 261 Rn. 39. 386 Zur Untauglichkeit des „gesunden Menschenverstands“ als Kriterium siehe i. Ü. Meyer, GA 2007, S. 15, 21. 387 Vgl. Verrel, S. 18. 388 KK5-StPO-Herdegen, § 244 Rn. 5. 389 Noch im Jahr 1929 hatte aber z. B. das OLG Hamburg die Verurteilung (wegen Störung des Straßenverkehrs durch Falschparken) eines Angeklagten (der Halter des entsprechenden KFZ war, sich aber in dem gesamten Verfahren nicht äußerte) gebilligt, die ausschließlich auf dessen Schweigen gestützt war (das OLG bejahte ausdrücklich die Frage, ob „allein aus dem Stillschweigen eines Angeklagten seine Schuld gefolgert werden“ kann), GA 74 (1930), S. 315 (also nicht GA 73 [so Wessels, JuS 1966, S. 170 u. 171], und auch nicht GA 1974, 315 [so Rau, S. 67 in Fn. 125]). 390 Siehe dazu Verrel, S. 18. 391 Bentham, S. 446.

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gen die Verankerung der „common sense assumption“ im Alltagsdenken.392 Noch in den 1960er Jahren wurde in Deutschland eine intensive Diskussion darüber geführt, ob aus dem Schweigen nachteilige Schlüsse gezogen werden dürfen.393 Ob die Reaktion des „gesunden Menschenverstands“ nun vernünftig ist oder nicht, sie ist eine intuitive Regung, die immer wieder anzutreffen ist.394 Nun ließe sich einwenden, dass die Verankerung dieser Schuldvermutung im menschlichen Alltag noch nichts darüber aussagt, ob auch professionelle Entscheidungsträger wie Tatrichter regelmäßig in der beschriebenen Weise reagieren. Es scheint indes wenig dafür zu sprechen, dass sich Richter insoweit substanziell von Laien (also auch Schöffen) unterscheiden. Es liegen zwar keine empirisch gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob und wann Tatrichter das Schweigen als Indiz für die Schuld eines Angeklagten bewerten. Zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen und sogar gesetzliche Regelungen unterstellen indes sogar Richtern, sie würden zumindest in bestimmten Situationen ebenfalls die Alltagsregel „Schweigen deutet auf Schuld hin“ befolgen: Dies zeigt ein Blick auf das englische Strafprozessrecht und auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). In England dürfen seit Einführung der sections 34 ff. des Criminal Justice and Public Order Act von 1994395 unter bestimmten Voraussetzungen sogar aus dem vollständigen Schweigen des Beschuldigten nachteilige Schlüsse („adverse inferences“) gezogen werden.396 Auch für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

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Beispiele bei Schlauri, S. 317. In dem – seinerzeit – heftig diskutierten „Mariotti-Prozess“ (1965) hatte die Angeklagte in der Revisionsverhandlung geschwiegen. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft vertrat in seinem Plädoyer die Ansicht, „jeder denkende Mensch müsse aus dem Schweigen der Angeklagten folgern, daß sie etwas zu verbergen habe“ (zit. nach Wessels, JuS 1966, S. 169). Dass am nächsten Tag der Generalstaatsanwalt sich gegen die Ausführungen des Staatsanwalts stellte und der Meinung war, es sei nicht zulässig, aus dem Schweigen nachteilige Schlüsse zu ziehen, sorgte für ein „lebhaftes Echo“, provozierte aber auch Widerspruch in der Staatsanwaltschaft, u. a. von dem damaligen Bundesanwalt (Wessels, a. a. O.). 394 Ein anschauliches Beispiel für die Aktivität des „gesunden Menschenverstandes“ in solchen Fällen ist jenes des ehemaligen Berufsradfahrers Jan Ullrich. Im Zuge von spanischen Ermittlungen wurden Dokumente und Beutel mit konserviertem Blut gefunden, die den starken Verdacht zuließen, Ullrich habe versucht, seine Leistung mit unerlaubten Mitteln zu steigern. Es wäre dem Sportler durch Abgabe einer DNS-Probe leicht möglich gewesen, seine Unschuld zu beweisen. Als er dies über einen Zeitraum von mehreren Monaten unterließ, war sogar in seriösen Medien der Tenor zu vernehmen, dass dieser Umstand eindeutig auf die „Täterschaft“ Ullrichs schließen lasse (so der Kommentar in „Sport in Dritten“ [SWR-Fernsehen] vom 4. März 2007; Kommentar in den „Tagesthemen“ [ARD], 24. Mai 2007). 395 Gesetzestext z. B. bei Bucke/Street/Brown, S. 77 ff. Die Bestimmungen entsprechen weitgehend den Regelungen der Criminal Evidence (Northern Ireland) Order 1988, die auf Vorschlag einer 1972 vom damaligen Innenminister eingesetzten Kommission (Criminal Law Revision Committee) dort eingeführt wurden. 393

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stellen die nordirischen und englischen Regelungen zur Verwertbarkeit des vollständigen Schweigens – bzw. die auf ihren Grundlagen ergangenen Urteile – keinen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK (aus dem das right not to incriminate oneself abgeleitet wird, also die Freiheit vor Zwang zur Selbstbelastung) dar.397 Schließlich sei auf ein Grünbuch der Europäischen Kommission über die Unschuldsvermutung hingewiesen, in dem ein Schwerpunkt auf dem Schweigerecht liegt.398 Dem Grünbuch zufolge sei das Schweigerecht kein absolutes Recht; vielmehr könne es dem Gericht erlaubt sein, aus dem Schweigen des Beschuldigten Schlüsse zu ziehen, die der gesunde Menschenverstand nahe lege, wenn die inkriminierenden Beweise der Staatsanwaltschaft derart überzeugend seien, dass vom Angeklagten eine erklärende Reaktion erwartet werden könne.399 Diese Beispiele zeigen, dass zum Teil ganz selbstverständlich und unausgesprochen auch von Tatrichtern (bzw. jury-Mitgliedern) sogar erwartet wird, sie würden das Schweigen als Schuldindiz interpretieren.400 Rechtstatsächlich wird also verbreitet angenommen, es gebe eine Erfahrungsregel, welche (auch nach396 Nach s. 35, der das Schweigen des Angeklagten im Gerichtsverfahren betrifft, sind nachteilige Schlüsse erlaubt, wenn der Angeklagte keinen „vernünftigen Grund“ („good cause“) vorweisen kann, eine Frage nicht zu beantworten, s. 35 ss 2 CJPOA. Zu den englischen Regelungen siehe z. B. Rau, S. 231 ff., und Schlauri, S. 358 ff. 397 Gleichsam die Ur-Entscheidung zum Schweigerecht des Beschuldigten stellt John Murray v. UK, EGMR (1996) 22 EHRR, S. 29, dar, in welcher der EGMR gleichzeitig aber auch bestimmte Mindestvoraussetzungen aufstellte, die für eine Verwertbarkeit gegeben sein müssen. Ansonsten aber sei das right not to incriminate oneself nicht absolut; vielmehr sei die Selbstbelastungsfreiheit nicht notwendig verletzt, wenn aus dem Schweigen nachteilige Schlüsse gezogen würden, sondern erst dann, wenn der daraus entstehende Aussagedruck erheblich („improper“) sei (ebd., S. 62 § 50). In Averill v. UK, EGMR (2001) 31 EHRR, S. 829, spezifizierte das Gericht diese Bedingungen, stellte aber noch einmal klar, dass es gute Gründe für eine Verwertbarkeit gebe, um eine effizientere Verbrechensverfolgung zu gewährleisten. Im Urteil Condron & Condron v. UK, EGMR (2001) 31 EHRR, S. 1, betonte der EGMR, dass auch eine Laienjury das Schweigen würdigen könne, ohne dass dies gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoße; in diesem Fall bejahte das Gericht jedoch einen Verstoß, da der Richter seine Belehrung so hätte formulieren müssen, dass die Jury die Schlüsse nur ziehen durfte, wenn das Schweigen nach ihrer Überzeugung ausschließlich auf der Schuld des Angeklagten beruhte (a. a. O., S. 22, 23 §§ 61, 62). 398 Grünbuch über die Unschuldsvermutung, KOM (2006) 174 endg. 399 Grünbuch über die Unschuldsvermutung, KOM (2006) 174 endg., Bl. 9; das Grünbuch nimmt dabei Bezug auf die soeben erwähnte Murray-Entscheidung des EGMR (siehe Fn. 397). 400 Ob dafür die Tatsache, dass nach Auffassung der deutschen Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen das so genannte teilweise Schweigen der Beweiswürdigung durch den Tatrichter zugänglich ist, ebenfalls als Beleg dienen könnte, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Denn es ist nicht klar, ob das teilweise Schweigen von der Rechtsprechung überhaupt als eigenständiges Schuldindiz verwertet wird oder lediglich in dem Sinn, dass aus dem Schweigen auf die Unwahrheit der (Teil-)Einlassung geschlossen werden darf. Siehe zu dieser Frage ausführlich unten 4. Kapitel F. II. 1. d) aa) (2).

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teilige) Schlüsse ermöglicht, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen.401 Die Annahme eines für den Angeklagten nachteiligen Schlusses, weil dieser die Möglichkeit nicht in Anspruch nehmen will, sich mittels eines zuverlässigen Tests zu entlasten, müsste dabei kein Ergebnis eines bewussten Prozesses sein. Vielmehr ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie von ganz persönlichen Motiven, sozialen Einflüssen, Vorurteilen und Erfahrungen des Richters abhinge, im Rahmen eines Vorgangs also, der sich dem Zugriff der kognitiven Kontrolle des einzelnen Richters weitgehend entziehen kann.402 Die persönliche Überzeugung (vgl. § 261 StPO) der Richter (bzw. Schöffen) als entscheidender Faktor der Beweiswürdigung ist das Einfallstor für das „gefühlsmäßige Element“403, das in die richterliche Überzeugungsbildung hineinkommt. Für die „Lügendetektion“ mit einem (wie hier vorausgesetzt:) zuverlässigen Verfahren lässt sich nun Vergleichbares feststellen: Befindet sich der Beschuldigte in der Situation, dass ihn Tatsachen und Anhaltspunkte belasten und besteht die Möglichkeit einer Entlastung durch den Einsatz eines dieser Verfahren, scheint zumindest die Vermutung angebracht, dass nicht wenige Tatrichter (und Schöffen) auch de facto nicht über andere Gründe spekulieren würden, weshalb der Angeklagte diese Entlastungsmöglichkeit nicht wahrnimmt. Vielmehr steht zu erwarten, dass das Motiv für den unterbliebenen Entlastungsversuch in der Täterschaft des Angeklagten gesucht würde. Die Reaktion fiele wahrscheinlich auch stärker aus als im Fall des bloßen Schweigens. Denn es würde umso unverständlicher erscheinen, dass ein Angeklagter eine Entlastungsmöglichkeit nicht wahrnähme, deren Erfolgschancen weit höher wären als die einer bloßen Aussage.404 Da in diesem Kapitel die Zulässigkeit eines annähernd perfekten Verfahrens untersucht wird, ist an dieser Stelle indes noch nicht relevant, ob der Richter auch dann noch den ausbleibenden Testwunsch mit der Schuld des Angeklagten erklären würde, wenn das Verfahren nicht mit ausreichender Sicherheit gewährleistete, dass Tatunbeteiligte fälschlicherweise als Tatbeteiligte klassifiziert werden – denn dann könnte ein fehlender Testwunsch auch immer durch die Furcht des Angeklagten vor einem „falsch positiven“ Ergebnis motiviert sein.405 401 Siehe zu einer Kategorisierung verschiedener Erfahrungssätze KK5-StPO-Herdegen, § 244 Rn. 5. Deutlich wird dabei, dass nicht nur von „einfachen Erfahrungssätzen“ ausgegangen wird, die etwas über Zusammenhänge aussagen, die zwar nicht unwahrscheinlich, aber auch nicht besonders wahrscheinlich sind – diese alleine könnten Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten nicht rechtfertigen. Vielmehr sieht man in der „alltäglichen Schuldvermutung“ offenbar gar einen „Erfahrungsgrundsatz“ (Herdegen, a. a. O.) mit dem beschriebenen Grad an Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit. 402 Vgl. allgemein zur Urteilsfindung Eisenberg, Rn. 918 ff., speziell zum Aspekt ihrer Beeinflussung durch nur bedingt steuerbare Faktoren Rn. 922. 403 AK-StPO-Maiwald, § 261 Rn. 12. 404 Vgl. dazu näher unten 4. Kapitel F. II. d) bb). 405 Siehe zu der Frage der „alltäglichen Schuldvermutung“ in dieser Konstellation ausführlich unten 5. Kapitel C.

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Im Ergebnis kann somit grundsätzlich angenommen werden, dass die Richter einen ausbleibenden Testwunsch eines künftigen Angeklagten als Indiz für dessen Täterschaft interpretieren würden – sofern gegen diesen Angeklagten zu diesem Zeitpunkt (andere) belastende Indizien vorliegen. c) Die „alltägliche Schuldvermutung“ führte zu einem Einwilligungsdruck bei künftigen Angeklagten Dass der „gesunde Menschenverstand“ tatsächlich auf die soeben skizzierte Art und Weise zu reagieren geneigt ist, bedeutet nun nicht notwendig, dass daraus auch ein mittelbarer Zwang auf künftige Angeklagte entstünde, sich dem Test trotz gegenteiliger Absicht zu unterziehen.406 Es mag zwar prima facie plausibel erscheinen, dass aus der richterlichen „common sense assumption“ ein solcher Einwilligungsdruck resultiert. Dieser Zusammenhang wird auch in der Literatur postuliert. Auffällig ist indes, dass dies beinahe stets ohne weitere Erläuterung geschieht407 – dabei handelt es sich doch erst einmal um nichts weiter als eine psychologische Vermutung, wie die Angeklagten auf die „common sense assumption“ mit ihrem Prozessverhalten reagieren. Frister unternimmt immerhin den Versuch einer Herleitung, indem er auf die große Zahl von Einwilligungen in eine polygraphische Untersuchung in den USA sowie den zurückhaltenden Gebrauch des Schweigerechts in Deutschland hinweist, was zeige, dass der „indirekte Druck“ trotz Verwertungsverbots sehr wirksam sein könne.408 Ob die Zahl derjenigen Beschuldigten409 in den USA, die in eine polygraphische Untersuchung einwilligen, tatsächlich „groß“ ist, ist jedoch zweifelhaft. Denn diese quantitative Wertung kann sich in diesem Kontext nicht auf die absolute Zahl, sondern ausschließlich auf das Verhältnis der Einwilligenden zu allen Beschuldigten beziehen. Aber selbst die Nennung absoluter Zahlen bleibt Frister schuldig. Es ist überdies auch kaum zu vermuten, dass sich tatsächlich ein signifikanter Prozentsatz aller Beschuldigten mit dem Test einverstanden erklärte. Aber selbst wenn dies so sein sollte, wären diese Erkenntnisse nur schwer übertragbar: Der Polygraphentest wird in den USA hauptsächlich im Ermittlungsverfahren angewandt (wie Frister selbst mit406 Mittelbarer Zwang meint dabei auf einer rein phänomenologischen Ebene, dass nicht direkte Zwangsmittel angewandt werden, um beim Angeklagten ein bestimmtes Verhalten zu erwirken, sondern dass der Angeklagte bei „Verweigerung“ dieses erwarteten Verhaltens mit nachteiligen Konsequenzen zu rechnen hat; siehe Verrel, S. 16. 407 Vgl. etwa Eisenberg, Rn. 699. 408 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 329. 409 Da in diesem Kapitel die rechtliche Zulässigkeit des „Lügendetektors“ im Hauptverfahren untersucht wird, wäre an sich auch hier der Begriff Angeklagter präziser (vgl. § 157 StPO). Der Polygraphentest wird in den USA jedoch fast ausschließlich im Ermittlungsverfahren eingesetzt (vgl. oben 2. Kapitel H.), so dass der Terminus „Beschuldigter“ gewählt wurde, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen.

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teilt410) und dort meist auf Initiative der Ermittlungsbehörden – was von den Gerichten als unproblematisch angesehen wird.411 Gerade in der hier betrachteten Konstellation soll das Initiativrecht aber dem Angeklagten vorbehalten sein. Auch sagt eine angeblich große Zahl von Einwilligenden noch nichts über deren Motivation und also auch nichts über den möglicherweise motivbildenden inneren Druck aus, solange keine Vergleichswerte zur Verfügung stehen. Ebenso liegt der Fall mit dem Hinweis auf den „eher zurückhaltenden Gebrauch“ des Schweigerechts in Deutschland.412 Es ist unklar, ob dieser (von Frister i. Ü. nicht näher belegte) Umstand auf einen – ungeachtet des Verwertungsverbots und der dementsprechenden Belehrung – inneren Druck zurückzuführen ist oder nicht doch eher z. B. auf ein gleichsam natürliches Rede- und Verteidigungsbedürfnis der Beschuldigten.413 Es ist der englischen Regierung zu „verdanken“, dass es hinsichtlich des tatsächlich entstehenden mittelbaren Drucks nicht bei Spekulationen bleiben muss. Denn nach Inkrafttreten der Bestimmungen zur (eingeschränkten) Verwertbarkeit des Schweigens in bestimmten Fällen414 wurden Untersuchungen zum Aussageverhalten der Beschuldigten erstellt. Diese Untersuchungen zeigen ein klares Bild: Nicht nur hat sich eine Veränderung im Verhalten der Verteidiger ergeben, die nunmehr ihren Mandanten häufiger anraten, schon in frühen Verfahrensstadien den Verfolgungsbehörden Informationen zur Verfügung zu stellen.415 Sondern es ließ sich insbesondere auch feststellen, dass seit 1995416 Verdächtige seltener von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben als vor dem Inkrafttreten der neuen Vorschriften.417 Diese Ergebnisse belegen, dass die (in England sogar gesetzlich erlaubte) „common sense assumption“, unterbliebene Entlastungsversuche seien ein Hinweis auf die Schuld, auch 410

Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 313. Siehe die Nachweise bei Schüssler, S. 37 in Fn. 15. 412 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 329. 413 Vgl. den Boer, Zeitschr. f. Semiotik 1990, S. 211, 212 m.w. N.: Die meisten Beschuldigten äußern sich in erster Linie nur deshalb, weil sie das Schweigen als unhöflich, als Fehlen eines Alibis oder sogar als Schuldeingeständnis ansehen. 414 Siehe oben b). 415 Bucke/Street/Brown, S. 24 f. 416 Die Regelungen des CJPO 1994 traten im April 1995 in Kraft. 417 Die Studie von Bucke/Street/Brown bezog sich auf eine frühere Studie von Phillips/Brown, die vor Einführung der neuen Regelungen durchgeführt wurde (wenn sie auch erst 1998 publiziert wurde). Phillips/Brown untersuchten insgesamt 1785 Verdächtige in acht verschiedenen Polizeidienststellen. Bucke/Street/Brown befragten 1227 Verdächtige in denselben Polizeidienststellen und sie verwandten dieselbe Untersuchungsmethode (Bucke/Street/Brown, S. 10). Die Bucke/Street/Brown-Studie kam zu dem Ergebnis, dass nunmehr sechs Prozent der Verdächtigten die Aussage verweigerten, während es zuvor noch zehn Prozent waren; das Verhältnis hinsichtlich derjenigen, die nur auf einige Fragen nicht antworteten, betrug zehn zu dreizehn Prozent, siehe jeweils Bucke/Street/Brown, S. 31. 411

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realiter zu einer größeren Neigung der Beschuldigten führen, auf ihr Schweigerecht zu verzichten. Die beobachteten Änderungen im Aussageverhalten sind nur mit dem gestiegenen Druck zu erklären, durch eine Aussage die negativen Schlussfolgerungen aus dem Schweigen zu vermeiden. Natürlich würde dieser Druck nicht bei jedem Angeklagten entstehen. Genauso wenig ist der mittelbare Druck zwingend abhängig von einer regelmäßig anzutreffenden „alltäglichen Schuldvermutung“ beim Tatrichter.418 Es ist aber zu vermuten, dass Angeklagte diesen zusätzlichen Druck jedenfalls häufiger und intensiver empfinden würden, wenn ihre Furcht vor nachteiligen Schlüssen auch einen realen Hintergrund hätte. Davon abgesehen: Wenn Angeklagte (zusätzlich) einen Einwilligungsdruck verspürten, ohne damit zumindest mittelbaremotional auf die tatsächlichen Gegebenheiten zu reagieren, würde sich an der Tatsache des Einwilligungsdrucks nichts ändern – es brauchte dann nur gar nicht erst nach der richterpsychologischen Situation gefragt zu werden. d) Mittelbarer Druck und Verwertungsverbot Steht damit fest, dass die Zulassung des „Lügendetektor“-Tests zumindest potentiell zu einem mittelbaren Zwang bei späteren Angeklagten führen kann, den Test entgegen ihrer eigentlichen Absicht zu beantragen, stellt sich die Frage, ob diese Zwangswirkung auch dann noch eintritt, wenn das Schuldindiz einer unterbliebenen Testbeantragung mit dem Verbot belegt ist, es im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Denn nur dann, wenn dieses Verwertungsverbot zur Folge hätte, dass das Gericht auch rechtstatsächlich das Schuldindiz nicht in die Beweiswürdigung einbezöge – und zwar auch unbewusst nicht! – könnten künftige Angeklagte, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, dem Verwertungsverbot auch tatsächlich vertrauen.419 Hier zeigt sich, dass zwischen den einzelnen Faktoren ein lineares Abhängigkeitsverhältnis besteht. Der mittelbare Einwilligungsdruck auf spätere Angeklagte entstünde nur dann, wenn die Angeklagten der Beachtung des Verwer-

418

Vgl. dazu bereits oben Fn. 379. Dabei muss allerdings nochmals darauf hingewiesen werden, dass auch diese Folge keineswegs zwingend ist; auch hier handelt es sich lediglich um Spekulationen über psychische Vorgänge, die sich letztlich nicht belegen lassen werden. Gleichwohl erscheint es als plausibel, dass die tatsächliche Übung der Richter auf nicht näher benennbaren Wegen zu bestimmten Überzeugungen bei künftigen Angeklagten führt. Jedenfalls lassen sich dabei mögliche Abhängigkeiten angeben, während die Annahme, dass künftige Angeklagte von den o. g. Faktoren gänzlich unbeeindruckt blieben, nicht einmal auf Plausibilität hoffen kann. In Ermangelung anderer verfügbarer Anhaltspunkte für die Bestimmung der (psychischen) Situation künftiger Angeklagter sei daher im Folgenden die sogleich im Text dargelegte Kausalkette als gegeben vorausgesetzt. 419

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tungsverbots nicht ausreichend vertrauen könnten;420 dieses Vertrauen wäre jedoch dann groß genug, wenn die Tatrichter das Beweisverwertungsverbot rechtstatsächlich einzuhalten in der Lage wären; dies hinge wiederum davon ab, wie stark die richterliche Vermutung wäre, dass die Nichtbeantragung eines zuverlässigen „Lügendetektor“-Tests ein Hinweis auf die Schuld des Betroffenen ist – je stärker die alltägliche Schuldvermutung, desto weniger würden die Tatrichter, bewusst oder wohl überwiegend unbewusst, das Verwertungsverbot ausreichend beachten können. Entscheidend für die Entstehung des mittelbaren Einwilligungsdrucks sind folglich die Intensität der alltäglichen Schuldvermutung und die Fähigkeit der Richter, auch angesichts einer womöglich starken Schuldvermutung das entsprechende Beweisverwertungsverbot zu befolgen. Ein Teil des Schrifttums421 ist nun ebenso wie auch der BGH422 der Ansicht, ein Verwertungsverbot reiche bereits aus, um den indirekten Druck auf spätere Angeklagte zu verhindern. Es wird argumentiert, der ausbleibende Wunsch nach einem „Lügendetektor“-Test und das Schweigen des Beschuldigten seien auch in dieser Hinsicht vergleichbar. Die Tatsache, dass Beschuldigte von ihrem Aussagerecht Gebrauch machten, führe auch nicht zu einem erhöhten Aussagedruck bei denjenigen, die sich zum Schweigen entschlössen. Jedenfalls fordere niemand wegen eines möglicherweise erhöhten Aussagedrucks auf den Schweigenden eine Abschaffung der Aussagefreiheit.423 Die Unverwertbarkeit eines nicht beantragten „Lügendetektortests“ verhindere dann ebenso wie beim Schweigen, dass zusätzlicher Druck auf den Beschuldigten ausgeübt werde. aa) Problem des teilweisen Schweigens Bevor zu untersuchen ist, ob der Verweis auf die Parallele zur Unverwertbarkeit des (vollständigen) Schweigens die Bedenken hinsichtlich des mittelbaren 420 Diesen Zusammenhang zwischen Vertrauen der Betroffenen in die tatsächliche Beachtung des Verwertungsverbotes und einer Beeinträchtigung der Aussagefreiheit verkennt Koch, S. 133, wenn er meint, ein Verwertungsverbot reiche insofern nicht aus, als „nicht auf die strafprozessuale Situation, sondern die Perspektive eines Angeklagten“ abgestellt werden müsse. Der Angeklagte ist aber eben nicht per se durch die Zulassung von Verfahren der „Lügendetektion“ in seiner Freiheit über das „Ob“ und „Wie“ einer Aussage eingeschränkt, sondern erst dann, wenn er nicht (mehr) darauf vertrauen kann, dass aus einer unterbliebenen Test-Beantragung auch de facto keine Schlüsse auf seine Schuld gezogen werden. 421 Klimke, NStZ 1981, S. 433; AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 57; Schüssler, S. 64; Dalakouras, S. 179; Wegner, S. 189; wohl auch Holstein, Kriminalistik 1990, S. 155, 158; Hilland, S. 62; speziell für hirnbildgebende Verfahren ebenso Beck, JR 2006, S. 146, 149. 422 BGHSt 44, S. 308, 318. 423 AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 57; vgl. auch Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580 in Fn. 31.

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Drucks tatsächlich zu entkräften vermag, ist jedoch zu fragen, ob – zumindest nach der Rechtsprechung – die Annahme eines Verwertungsverbotes überhaupt zutreffend bzw. konsequent ist. Dem wäre nämlich eventuell nicht so, wenn die unterbliebene Inanspruchnahme des Tests als so genanntes teilweises Schweigen424 zu beurteilen wäre, denn bekanntlich ist es nach Auffassung der Rechtsprechung dem Tatgericht dann grundsätzlich nicht untersagt, diesen Umstand bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.425 Der Fall eines „klassischen“ teilweisen Schweigens liegt dann vor, wenn der Angeklagte sich zur Sache einlässt426 und dabei jedoch zu einigen Aspekten schweigt oder auf einzelne Fragen die Antwort verweigert.427 Weitgehend unbestritten ist ferner, dass eine Beweiswürdigung zum Nachteil des Beschuldigten dann nicht in Frage kommt, wenn der Angeklagte zu einer eigenständigen Tat im prozessualen Sinne oder zu einem von mehreren Tatvorwürfen schweigt; dieses Verhalten stellt sich auch nach Ansicht der Rechtsprechung als vollständiges Schweigen dar, das nicht zum Nachteil des Angeklagten interpretiert werden darf.428 Für den Fall der „Lügendetektion“ kann sich das Problem der Verwertbarkeit also von vornherein nur dann stellen, wenn sich der Angeklagte in dem dargelegten Sinn zur Sache äußert und keinen Beweisantrag auf eine gutachterliche Überprüfung der Einlassung auf ihre Glaubhaftigkeit mit einem „Lügendetektor“-Test stellt (bzw. eine entsprechende Frage des Gerichts verneint oder mit Schweigen quittiert) – ansonsten wäre ein ausbleibender Beweisantrag auf eine „lügendetektorische“ Untersuchung ebenso wie das Schweigen bereits unabhängig von allen weiteren Fragen unverwertbar.429 Wenn sich aber die unterblie424 Auch „horizontales“ oder „gleichzeitiges“ Schweigen genannt, siehe KMR-Stuckenberg, § 261 Rn. 54. 425 BGHSt 20, S. 298; BGHSt 32, S. 140, 145; BGHSt 38, S. 302, 307. 426 Auch für die Rechtsprechung genügt dabei nicht jede verbale Äußerung, einen Fall des teilweisen Schweigens anzunehmen – und zwar auch dann nicht, wenn die Aussage des Beschuldigten einen gewissen Bezug zum Tatvorwurf hat, dabei aber fragmentarisch und allgemein bleibt. Einen Überblick über die Fälle, in denen die Rechtsprechung trotz Vorliegens einiger Aussageelemente ein – unverwertbares – vollständiges Schweigen angenommen hat, bietet Rau, S. 141 f. 427 Eisenberg, Rn. 906; KK-StPO-Schoreit, § 261 Rn. 41. Dabei wird eine etwaige Verwertung in aller Regel auf die letztgenannte Fallgruppe beschränkt sein (siehe HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 269), da es in der Tat mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens nicht vereinbar wäre, dem Angeklagten, der sich geäußert hat, später vorzuhalten, er habe zu einigen Punkten geschwiegen, ohne dass man ihn nach den vermissten Aspekten gefragt hätte. Siehe aber auch BGH, NJW 2002, S. 2260: Nachteilige Schlüsse seien auch dann erlaubt, wenn der Angeklagte von sich aus zu einem bestimmten Punkt schweigt. 428 BGHSt 32, S. 140; BGH, NStZ 1984, S. 377; sog. „zeitweises Schweigen“. 429 Siehe oben bei Fn. 102 zu der Frage, ob ein Testabbruch womöglich als teilweises Schweigen zu beurteilen wäre.

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bene Testbeantragung unter den genannten Voraussetzungen als zumindest mit dem teilweisen Schweigen vergleichbares Verhalten darstellte, hätte der BGH das Problem des indirekten Einwilligungsdrucks nicht mit dem Hinweis auf ein entsprechendes Verwertungsverbot beiseite wischen dürfen, sondern sich dem Problem zumindest eingehender widmen müssen.430 (1) Unterbliebene Beantragung als teilweises Schweigen bei erfolgter Einlassung zur Sache? Es erscheint indes keineswegs als zwingend, dass die Rechtsprechung eine unterbliebene Testbeantragung auch bei ansonsten vorliegender Sachaussage als verwertbares klassisches „teilweises Schweigen“ einstufen müsste.431 Denn beim „teilweisen Schweigen“ macht der Angeklagte Angaben zu einigen Aspekten des Tatvorwurfs, während er sich zu anderen nicht einlässt. Demgegenüber sagt der Angeklagte im Fall der unterbliebenen Testbeantragung zunächst vollumfänglich aus, unterlässt es hernach aber, dem Gericht das Angebot zu unterbreiten, diese Angaben mittels eines technischen Verfahrens auf ihre Glaubhaftigkeit hin überprüfen zu lassen. Die Frage, inwieweit auch solches in der (Nicht-)Wahrnehmung von Verfahrensrechten bestehende „sonstiges Prozessverhalten“ zum Nachteil des Beschuldigten gewertet werden darf, wurde in der Rechtsprechung erst in jüngerer Zeit wieder verstärkt beachtet. Die „Ur-Entscheidung“ hierzu stammt allerdings bereits aus dem Jahr 1965.432 In diesem Fall hatte sich der Angeklagte zu seiner Verteidigung auf den Inhalt eines Gesprächs mit einem Rechtsanwalt in anderer Sache berufen. Die Einlassung des Angeklagten hätte nur der Rechtsanwalt bestätigen oder widerlegen können. Der Angeklagte nahm sein Recht wahr, den Rechtsanwalt nicht von dessen Schweigepflicht zu entbinden.433 Der BGH entschied, dass das Landgericht zulässigerweise aus diesem Umstand den Schluss gezogen hatte, die Einlassung des Angeklagten sei unwahr. Interessanterweise galt diese Entscheidung lange Zeit als leading case zum Problem des teilweisen Schweigens, obwohl, wie dargelegt, dort gar kein teilweises Schweigen im engeren Sinne in Rede stand, sondern eben die unterlassene Entbindung des Zeugen von dessen Schweigepflicht, also im weiteren Sinne das „sonstige Prozessver430 Auch Klimkes Auffassung, nach der „die Problematik der Teileinlassung [. . .] in diesem Zusammenhang außer acht bleiben“ könne (Klimke, NStZ 1981, S. 433 in Fn. 20), erschiene vor diesem Hintergrund als angreifbar. 431 A. A. möglicherweise Eisenberg, Rn. 699, wobei er den Aspekt des teilweisen Schweigens nur als Beleg dafür heranzieht, dass eine fehlende Testbereitschaft rechtstatsächlich als Schuldindiz gewertet würde; gegen die Bewertung als teilweises Schweigen, wenn auch ohne weitergehende Erörterung, Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 894. 432 BGHSt 20, S. 298 ff. 433 BGHSt 20, S. 298, 299.

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halten“ des Angeklagten.434 Nichtsdestoweniger begründete der BGH die Verwertbarkeit dieses teilweisen Schweigens mit der Erwägung, der Angeklagte, der sich zur Sache äußere, unterwerfe seine Einlassung und sein Prozessverhalten der umfassenden Beweiswürdigung.435 In einem Beschluss436 aus dem Jahr 2000 spezifizierte der BGH seine Ansicht zur rechtlichen Bewertung dieses Prozessverhaltens. Zu entscheiden war wiederum, ob das Landgericht zulässigerweise nachteilige Schlüsse aus dem Umstand hatte ziehen dürfen, dass der Angeklagte seinen Verteidiger nicht von dessen Schweigepflicht entbunden hatte. In diesem Fall aber handelte es sich um ein Beweisthema, das nicht Gegenstand der Einlassung des Angeklagten war, sondern eine vertrauliche, möglicherweise tatrelevante Unterredung betraf. Dem Angeklagten war der Totschlag an einer Prostituierten vorgeworfen und er war vom Landgericht verurteilt worden. Er hatte ausgesagt, das Opfer weder gekannt, noch aufgesucht, noch getötet zu haben. Nun hatte eine Zeugin ausgesagt, der Angeklagte habe seinem Verteidiger gegenüber zugegeben, zur Tatzeit doch bei dem Opfer gewesen zu sein. Auf Anfrage des Gerichts hatte der Angeklagte seinen Verteidiger nicht von dessen anwaltlicher Schweigepflicht entbunden.437

Diesen Unterschied nahm der BGH nun zum Anlass, es für unzulässig zu erklären, aus dem Prozessverhalten des Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen. Eine Verwertung des Prozessverhaltens komme nur in Betracht, wenn, wie es in BGHSt 20, 298 der Fall gewesen sei, der Inhalt der Einlassung mit dem übrigen Prozessverhalten in einem „engen und einem einer isolierten Bewertung unzugänglichen Sachzusammenhang“ stehe.438 Nur dann mache sich der Angeklagte selbst „zum Beweismittel“. Ansonsten übe er lediglich sein Recht aus, ein Beweismittel nicht gegen sich verwenden zu lassen, über das er verfügen könne.439 Stets im Sinne der Rechtsprechung gefragt, ist für den Fall der unterbliebenen Inanspruchnahme eines „Lügendetektortests“ trotz vorhandener verteidigender Einlassung somit entscheidend, ob hier dieser enge inhaltliche Zusammenhang zwischen Prozessverhalten und Einlassung besteht. 434 Auch wenn der BGH seiner Lösung hinsichtlich des sonstigen Prozessverhaltens explizit Überlegungen zum teilweisen Schweigen voranschickt, BGHSt 20, S. 298, 300. 435 BGHSt 20, S. 298, 300. – Gegen die Gleichsetzung von teilweisem Schweigen und der Weigerung, einen nach § 53 StPO Zeugnisverweigerungsberechtigten von dessen Verschwiegenheitspflicht zu entbinden Schroeder/Meindl, S. 42 ff. 436 BGHSt 45, S. 367 ff. 437 BGHSt 45, S. 367 f. 438 BGHSt 45, S. 367 (amtlicher Leitsatz); nur am Rande sei auf die fehlerhafte Formulierung dieses Leitsatzes hingewiesen: Gemeint sein kann nicht die Bewertung des Sachzusammenhangs, sondern nur die Bewertung des Prozessverhaltens im Zusammenhang mit der Einlassung. Weitere Einzelheiten zu dem Aspekt des „würdigungsfähigen Gesamtverhaltens“ bei Verrel, S. 30 ff.; Keiser, StV 2000, S. 633, 634 f. 439 BGHSt 45, S. 367, 370.

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Diese Frage wird man zunächst bejahen können. Der Angeklagte äußert sich zur Sache, indem er eine ihn entlastende Version darlegt. Er weigert sich jedoch, diese Version durch Inanspruchnahme eines zuverlässigen Beweismittels überprüfen zu lassen – hier die Beantragung des Gutachtens eines Sachverständigen, der mittels hirnbildgebender Verfahren die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Angeklagten beurteilen würde. Der Angeklagte nähme damit nicht nur sein prozessuales Recht wahr, ein zu seiner Disposition stehendes Beweismittel nicht zu seinem möglichen Nachteil verwenden zu lassen. Vielmehr vereitelte er die Überprüfung seines eigenen entlastenden Vortrags.440 Es ist nicht vorstellbar, wie das unterlassene Prozessverhalten – Stellung des Beweisantrags auf „lügendetektorische“ Überprüfung der entlastenden Aussage – einer „isolierten Bewertung“ zugänglich sein könnte, denn sie wäre stets auf die Behauptungen im Rahmen der Einlassung bezogen. Der vom BGH geforderte enge inhaltliche Zusammenhang ist damit jedenfalls gegeben.441 Bei einer rein phänomenologischen Betrachtung müsste eine unterbleibende Inanspruchnahme des Tests von der Rechtsprechung mithin als verwertbares sonstiges Prozessverhalten beurteilt werden. Nun gilt es jedoch Folgendes zu bedenken: Die abgelehnte Überprüfung der eigenen Einlassung mit zuverlässigen „lügendetektorischen“ Methoden und anderes „sonstiges Prozessverhalten“, mit dem die Überprüfung einer konkreten Behauptung verhindert wird, mögen sich zwar einerseits in dem dargestellten Sinne gleichen. Es lassen sich jedoch andererseits Unterschiede feststellen, welche für die Rechtsprechung möglicherweise eine andere Einschätzung rechtfertigen könnten. So geht es bei der Nichtinanspruchnahme des „Lügendetektor“Tests, anders als in den besprochenen Fällen, zunächst um die Nichtinanspruchnahme eines Beweismittels. In diesem Zusammenhang hat etwa das OLG Düsseldorf betont, dass die Benennung eines Beweismittels ein eigenständiges Verfahrensrecht darstelle, dessen Ausübung in keinem Fall zum Nachteil des Angeklagten gewürdigt werden dürfe.442 Keiser macht in diesem Zusammenhang mit Recht darauf aufmerksam, dass die Ausübung von Verfahrensrechten, anders als 440 Dem Gericht dürfen dabei natürlich keine anderen Möglichkeiten der Überprüfung zur Verfügung stehen, denn ansonsten ließe sich nicht von „Vereitelung“ sprechen. 441 Da die im Rahmen der Untersuchung in Form von Hirnaktivität abgegebenen unwillkürlichen Äußerungen bereits ihrerseits strafprozessuale Aussagen darstellen (siehe oben 4. Kapitel B. I.), könnte man einen fehlenden Beweisantrag auf einen „Lügendetektor“-Einsatz auch als nicht „bloß“ sonstiges prozessuales Verhalten, sondern sogar als teilweises Schweigen „im engeren Sinne“ ansehen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die im Rahmen des Tests gemachten Aussagen lediglich ein Nebenprodukt des Hauptanliegens der „Lügendetektion“ – Feststellung der „Aufrichtigkeit“ des Angeklagten im weitesten Sinne – sind und somit nur bedingt vergleichbar mit der herkömmlichen Struktur des teilweisen Schweigens. Letztlich kommt es auf die Kategorisierung aber nicht an, da nach hier vertretener Auffassung die nachteilige Würdigung einer fehlenden Inanspruchnahme des Tests ohnehin nicht erlaubt ist.

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die bloße verbale Einlassung, insbesondere im Verbund mit Beweisanträgen „umfangreiche Aktivitäten“ von dem Angeklagten verlangen kann.443 Als noch gewichtigerer Unterschied dürfte sich jedoch erweisen, dass im letztgenannten Fall der Verzicht des Angeklagten auf das Beweismittel selbst nicht mit Nachteilen verknüpft ist – die Entbindung eines Zeugnisverweigerungsberechtigten nach § 53 StPO von seiner Verschwiegenheitspflicht ist an sich ein neutraler Vorgang. Demgegenüber muss der Angeklagte während der eigentlichen „lügendetektorischen“ Untersuchung, in deren Durchführung er einwilligt, zumindest eine Einwirkung auf seine Menschenwürde bzw. sein allgemeines Persönlichkeitsrecht hinnehmen444 – somit ist bereits die Vornahme der vermissten Prozesshandlung als solche nicht mehr neutral für den Angeklagten, sondern in jedem Fall mit Beeinträchtigungen verknüpft. Auch unter dem Aspekt der Verwertbarkeit ergäbe sich somit durch die Zulassung der „Lügendetektion“ eine unbekannte Situation, denn bisher ist dem Angeklagten die Möglichkeit nicht gegeben, seine eigene Einlassung mit zuverlässigen Methoden untermauern und somit zu einem gewichtigen Beweismittel hochstufen zu können. Wollte die Rechtsprechung die Verwertbarkeit einer Test„Verweigerung“ gestatten, hieße dies in der Konsequenz, dass diejenigen Angeklagten, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht die Absicht hätten, ihre verbale Einlassung überprüfen zu lassen, sich dann auch dagegen entscheiden müssten, überhaupt auszusagen, um den nachteiligen Schlüssen ihres „teilweisen Schweigens“ zu entgehen; es wäre somit zusätzlich das Schweigerecht hinsichtlich der „herkömmlichen“ Einlassung beeinträchtigt. In Ansehung der genannten Aspekte dürfte es sehr fraglich sein, ob die Rechtsprechung es erlauben würde, dass ein unterbliebener Beweisantrag des Angeklagten auf „lügendetektorische“ Überprüfung der eigenen verbalen Einlassung auf ihre Glaubhaftigkeit zu seinem Nachteil gewürdigt werden darf. Es soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter darüber spekuliert werden, wie die Rechtsprechung den Fall einer unterbliebenen Testbeantragung unter dem Aspekt des teilweisen Schweigens beurteilen würde, weil im Folgenden ohnehin von seiner Unverwertbarkeit ausgegangen wird (dazu sogleich). Es ist jedoch hervorzuheben, dass der BGH in seinem Urteil von 1998 zur Zulässigkeit des Polygraphentests angesichts der Rechtsprechung zur Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens bzw. „sonstigen Prozessverhaltens“ zu diesem Punkt seinerseits nicht hätte schweigen dürfen. Vielmehr hätte sich das Gericht damit auseinandersetzen müssen, ob ein solcher Fall, trotz der erwähnten Bedenken, auch hier vorliegt und ob gegebenenfalls die Verwertung zumindest 442 OLG Düsseldorf, StV 1990, S. 442; zustimmend Schroeder/Meindl, S. 49; dagegen Verrel, S. 31, siehe aber auch dort Fn. 214. 443 Keiser, StV 2000, S. 633, 636 f. 444 Siehe dazu oben 4. Kapitel C. bzw. 4. Kapitel D. I.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

nicht generell verboten wäre. Der BGH hätte jedenfalls das Argument des mittelbaren Drucks nicht mit dem lapidaren Hinweis auf das Verwertungsverbot vom Tisch wischen dürfen.445 Um der These der Unerheblichkeit des mittelbaren Drucks für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit zumindest Plausibilität zu verleihen, hätte das Gericht vielmehr begründen müssen, weshalb ein Verzicht auf den „Lügendetektor“-Test sich bei ansonsten vorliegender Sachaussage nicht als teilweises Schweigens darstellt bzw. weshalb dieser Verzicht nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden dürfte. Es ist anzunehmen, dass der BGH das Problem des teilweisen Schweigens (bzw. des sonstigen Prozessverhaltens) und seiner Verwertbarkeit schlicht übersehen hat. Der Befund, dass der BGH das Problem des mittelbaren Drucks auf spätere Angeklagte „eher problemverkürzend“446 behandelt hat, wird hierdurch ein weiteres Mal bestätigt. (2) Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens Das Problem, ob die unterbleibende Testbeantragung bei vorliegender Sachaussage in Analogie zum teilweisen Schweigen bzw. „sonstigen Prozessverhalten“ zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden darf, stellt sich allerdings dann ohnehin nicht, wenn man, entgegen der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur,447 insbesondere der Kommentarliteratur,448 die Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens generell ablehnt. An dieser Stelle ist nun auf Folgendes aufmerksam zu machen: Es scheint eine gewisse Verwirrung darüber zu herrschen, was materiell damit gemeint ist, wenn davon gesprochen wird, dass aus dem teilweisen Schweigen „Schlüsse zum Nachteil des Beschuldigten“ gezogen werden dürfen; dass es „der richterlichen Beweiswürdigung zugänglich“ ist; dass es „verwertbar“ ist etc. Es ist zu beobachten, dass diese Rede auf grundsätzlich zwei verschiedene Weisen verstanden wird. Zunächst so, dass die „Verwertung“ des teilweisen Schweigens darin besteht, dass aus ihm ein eigenständiges Indiz für die Schuld gefolgert wird, dass mit ihm also Beweislücken geschlossen werden können, indem es den berühmten „letzten Mosaikstein“ zur Überführung des teilweise schweigenden Angeklagten liefert – diese Interpretation entspricht der auch in der vorliegenden Arbeit bislang thematisierten Problematik des Schweigens als Schuldindiz.449 445

BGHSt 44, S. 308, 318. Eisenberg, Rn. 699. 447 Siehe die Darstellungen des Streitstandes bei Verrel, S. 25 ff.; Eisenberg, Rn. 906 ff. 448 Siehe die Nachweise bei Rau, S. 127 in Fn. 334. 449 Siehe dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. b). 446

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Nun ist jedoch Verrel der Auffassung, dass das teilweise Schweigen von der Rechtsprechung nicht im Sinne eines selbstständigen Schuldindizes verwertet werde. Es werde also nicht „auf das Vorliegen gerade des Nichtgesagten“ geschlossen, sondern lediglich auf die Unwahrhaftigkeit des (mit der Teilaussage) Vorgetragenen.450 Es gehe der Rechtsprechung also lediglich darum, das Gesamtaussageverhalten bei der Widerlegung der (Schutz-)Behauptung des Angeklagten zu berücksichtigen.451 Sollte Verrel mit seiner Vermutung Recht haben, verlöre die sehr lebhafte Diskussion um die Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens erheblich an Brisanz. Denn es ginge dann nicht mehr um eine Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit: Wenn das teilweise Schweigen nicht als eigenständiges Schuldindiz gewürdigt werden darf, sondern mit ihm lediglich auf die Unwahrhaftigkeit des entlastenden Vortrags geschlossen werden dürfte, verbliebe dem teilweise schweigenden Angeklagten als einziges Risiko, dass ihm sein Entlastungsvortrag nicht geglaubt wird. Dieses Risiko besteht jedoch immer, weshalb, darin ist Verrel natürlich zuzustimmen, von einem nennenswerten „Aussagevervollständigungszwang“, der die Gefahr der Selbstbelastung in sich trüge, nicht mehr gesprochen werden könnte.452 Verrel kann jedoch nur zum Teil gefolgt werden. Die Lektüre einiger Entscheidungen des BGH zum teilweisen Schweigen lädt zu der von Verrel beschriebenen Interpretation durchaus ein.453 Dort ist des öfteren von „nachteiligen Schlüssen“ die Rede – wie diese Schlüsse gezogen werden dürfen, ob vor allem in einer die Selbstbelastungsfreiheit einschränkenden Weise, bleibt jedoch offen und ist auch durch eine Textexegese nicht zu entscheiden. In einzelnen Entscheidungen handelt es sich auch eindeutig um eine Verwertung im Sinne der Auffassung Verrels.454 Schon die Formulierungen der „Ur-Entscheidung“ des BGH zum inhaltlichen Teilschweigen lassen aber zumindest die Deutung zu, dort sei (auch) erlaubt worden, vom teilweisen Schweigen tatsächlich auf die Schuld zu schließen, und nicht nur auf die Unwahrhaftigkeit des Vorbringens.455 Darüber hinaus finden sich jedoch in der Tat, soweit ersichtlich, keine Entscheidungen des BGH, in denen das Gericht ausdrücklich „eine nachteilige Wertung des Teilschweigens zur Überbrückung von Beweislücken bei dem Tatnachweis“456 zugelassen hätte. Andererseits liegt aber auch keine Entscheidung 450

Verrel, S. 28 sowie insbes. S. 33. Verrel, S. 28. 452 Verrel, S. 33. 453 Z. B. BGH, JR 2003, S. 165. 454 Siehe etwa BGH, NJW 2002, S. 2260. 455 „[. . .] so macht er sich in freiem Entschluß selbst zu einem Beweismittel und unterstellt sich damit der freien Beweiswürdigung, so daß seine Erklärungen wie jede andere Beweistatsache vom Tatrichter zu würdigen sind“, BGHSt 20, S. 298, 300 (Hervorh. v. Verf.). 456 Verrel, S. 33. 451

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

vor, in der sich ein Gericht explizit gegen die Verwertung des teilweisen Schweigens als selbstständiges Schuldindiz gewandt hätte. Es kann somit nicht entschieden werden, was die Rechtsprechung letztlich unter „Würdigung“ des teilweisen Schweigens versteht. Selbst wenn man aber der Deutung Verrels folgte, ist zu kritisieren, dass er sich nicht mit der eigentlich interessanten Frage auseinandersetzt, ob das teilweise Schweigen nicht darüber hinaus auch als Schuldindiz gewertet werden könnte. Denn dafür hätte Anlass bestanden: Ganz unabhängig davon, was die Rechtsprechung unter der „Verwertung“ des teilweisen Schweigens materiell verstehen mag, wird in der Literatur zu dieser Thematik zumeist nur die Würdigung im Sinne eines Schuldindizes problematisiert (sofern nicht ohnehin nur neblig von „nachteiligen Schlüssen“ etc. die Rede ist) – ohne dass dabei auch nur mit einem Wort auf die von Verrel favorisierte Sichtweise Bezug genommen würde.457 Man scheint m. a. W. zumeist gar nicht auf den Gedanken zu kommen, dass unter „Verwertung zum Nachteil des Beschuldigten“ etwas anderes verstanden werden könnte als die Interpretation des teilweisen Schweigens als eigenständiges Schuldindiz.458 Da im vorliegenden Kontext in erster Linie von Interesse ist, welche Auswirkungen eine Verwertbarkeit der fehlenden Inanspruchnahme eines „Lügendetektor“-Tests auf den Einwilligungsdruck künftiger Angeklagter hätte, sei im Folgenden die Frage nach der Erlaubnis einer Beweiswürdigung dieses Prozessverhaltens als Schuldindiz näher untersucht. Das Risiko, dass eine unterbleiSiehe LR25-Gollwitzer § 261, Rn. 78 („als Schuldindiz“); KMR-Stuckenberg, § 261, Rn. 54 (insbesondere im Zusammenhang mit Rn. 53 [„Schuldindiz“] u. Rn. 55 [„Belastungsindiz“]; Müller-Christmann, JuS 2001, S. 60, 61 („sein Aussageverhalten [. . .] darf in vollem Umfang und in jeder Hinsicht gewürdigt werden.“); Hartmut Schneider, Jura 1990, S. 572, 579 („als Indiz für die Schuld“); Park, StV 2001, S. 589, 592 („[. . .] das Teilschweigen als negatives Beweisanzeichen gewürdigt werden darf.“); Schroeder/Meindl, S. 46 („[. . .] das teilweise Schweigen belastend zu werten.“); AKStPO-Maiwald, § 261 Rn. 21 („als Schuldindiz“); Rogall, S. 254 ([. . .] daß bei teilschweigenden Beschuldigten geringere Anforderungen an den Schuldnachweis zu stellen seien.“; ders., S. 256 („Keiner Form des Schweigens kommt schuldindizierende Wirkung zu.“); wohl auch Grünwald, Beweisrecht, S. 66; siehe zudem KK-OWiG-Wache, § 55 Rn. 18 („als Beweisanzeichen verwertet werden“). 458 Vgl. die in Fn. 457 aufgeführten Nachweise; vgl. auch Rau, S. 163 ff., der sich gegen eine „differenzierende Behandlung nach der Art der Schlüsse aus dem Schweigen“ wendet (Rau, S. 166), und dem es in seiner Dissertation, wie schon am Titel zu erkennen („Schweigen als Indiz der Schuld“) ausschließlich um die Beweiswürdigung als Schuldindiz zu tun ist. – Beide Sichtweisen finden sich, zunächst ohne weitere Unterscheidung, allerdings bei Stree, JZ 1966, S. 593, 598: „[. . .] Eindruck eines beredten Schweigens, das mit den Äußerungen fest verknüpft ist und diese, soweit sie belastende Zugeständnisse enthalten, bestärkt oder abrundet, andererseits entlastendes Vorbringen entwertet.“ (Hervorh. v. Verf.); eindeutig dann auf S. 599: einerseits dürfe das teilweise Schweigen „den Gerichten nicht dazu dienen, eine Beweislücke zu überbrücken und letzte Zweifel zu überwinden“ (linke Spalte), andererseits müsse sich der Angeklagte gefallen lassen, dass „von seiner Weigerung auf [. . .] die Unwahrheit seiner Behauptung geschlossen wird“ (rechte Spalte). 457

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bende Testbeantragung (lediglich) Rückschlüsse auf die Unwahrhaftigkeit des Vorbringens zulässt, hätte hingegen wohl kaum das Potential, einen nennenswerten Druck bei künftigen Angeklagten auszulösen, eine „lügendetektorische“ Untersuchung entgegen ihrer Absicht zu beantragen. Die Frage, ob der ausbleibende Testwunsch insoweit verwertbar ist, kann hier somit unbeantwortet bleiben. (Wenn auch einiges ebenfalls gegen eine so verstandene Würdigung sprechen mag, insbesondere der bereits angesprochene Aspekt, dass der Betroffene bereits mit der Duldung der Untersuchung als solcher Nachteile hinnimmt.) Für die Befürworter einer Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens i. S. e. Schuldindizes macht sich der Beschuldigte „in freiem Entschluss selbst zu einem Beweismittel“ und unterstellt sich damit der freien Beweiswürdigung.459 Das teilweise Schweigen bilde gemeinsam mit der Teilaussage eine „Gesamtaussage“, die einheitlich zu würdigen sei.460 Zumindest das Problem des Erkenntniswerts des (teilweisen) Schweigens stelle sich hier weniger, da „unstreitig“ sei, dass das partielle Schweigen verlässlichere Schlussfolgerungen zulasse als das völlige Schweigen.461 Gegen diese Argumente lassen sich jedoch Bedenken formulieren. Die Kategorisierung des teilweisen Schweigens (bzw. des sonstigen Prozessverhaltens unter den oben beschriebenen Voraussetzungen) als Bestandteil einer Gesamtaussage ist eine rein phänomenologische Sichtweise und kein Ergebnis rechtlicher Überlegungen.462 Ebenso wenig gesichert ist die Behauptung, der Richter sei per se nicht in der Lage, gedanklich zwischen Reden und Schweigen zu trennen,463 zumal genau dies beim „zeitweisen Schweigen“ vom Tatrichter verlangt wird.464 Entscheidend gegen die Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens sprechen jedoch die Gründe, die bereits die Unverwertbarkeit des vollständigen Schweigens begründen. Für hirnbildgebende Verfahren zum Zweck der „Lügendetektion“ kann dabei somit Folgendes gelten: 459

BGHSt 20, S. 298, 300. Subjektiv, weil es dem Richter psychologisch unmöglich sei, nur die teilweise Aussage zu würdigen (Rieß, JA 1980, S. 293, 295), und objektiv, weil die Einheit von Teilaussage und -schweigen nicht auseinander gerissen werden dürfe; die Einlassung lasse sich nur als Ganzes unter Einbeziehung des Schweigens würdigen (LR25-Hanack, § 136 Rn. 27; BGHSt 32, S. 140, 142); siehe zum Ganzen Rau, S. 131 ff., mit jedoch nur z.T. zutreffenden Nachw. in Fn. 349. 461 Verrel, S. 24 m.w. N. 462 Eisenberg, Rn. 908; siehe auch Günther, JR 1978, S. 89, 91 in Fn. 24: „Behauptungen, deren Begründung noch erbracht werden müsste“; Hartmut Schneider, Jura 1990, S. 572, 579: These der „Gesamtaussage“ bislang noch nicht verifiziert. 463 Siehe dazu Rogall, S. 253; Hartmut Schneider, Jura 1990, S. 572, 579; Eisenberg, Rn. 908. 464 Dieses zeitweise Schweigen ist nach absolut herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung nicht verwertbar, siehe die Nachweise in Fn. 428. 460

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass ein Verwertungsverbot die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) außer Kraft setzt, weshalb ungeschriebene Verwertungsverbote stets der besonderen Begründung bedürfen.465 Dabei könnte das Verwertungsverbot des unterbleibenden Testwunsches ebenso wie des Schweigens bereits aus § 261 StPO selbst begründet werden. Dazu wäre zu zeigen, dass ein ausbleibender Testwunsch eines Angeklagten keinen Erklärungswert hat und diesem Prozessverhalten daher kein Indizwert beigemessen werden kann.466 Hier käme es dann nicht auf die rechtstatsächliche Reaktion des gesunden Menschenverstandes an, sondern einzig darauf, ob im Rahmen des § 261 StPO aus einer unterbliebenen Beantragung nachteilige Schlüsse gezogen werden dürften, ob sie also tauglicher Anknüpfungspunkt für jene sein könnten. Oben467 wurde dies bereits bezweifelt, weil sich andere Motive für die unterlassene Inanspruchnahme des Tests vorstellen lassen. Ein generelles Verwertungsverbot aus § 261 StPO lässt sich jedoch nur statuieren, wenn man ausschließen könnte, dass sich in der Praxis je die Situation ergibt, in der ein Entscheidungsträger alle anderen möglichen naheliegenden Motive für das fehlende Testangebot ausschließen kann und dem fehlenden Testangebot dann also einen Indizwert beimessen dürfte. Solche Fälle lassen sich aber zumindest denken: wenn z. B. der Angeklagte, aus welchen Gründen auch immer, von sich aus erklärte, er wolle den Test nicht etwa aus Angst vor dem Gerät nicht in Anspruch nehmen oder weil doch „ohnehin dabei nichts herauskomme“ etc. Gelingt also eine an § 261 StPO orientierte Begründung eines absoluten Verwertungsverbots nicht,468 ist eine rein normative Begründung erforderlich.469 Diese ergibt sich nun aus der ratio des Schweigerechts selbst: Das Schweigerecht ist strafprozessual – für die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO470 – vorausgesetzt, es hat sich positivrechtlich in Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR niedergeschlagen, und überhaupt macht „die StPO von jeher dem Be-

465 Günther, JR 1978, S. 89, 92; vgl. auch Rogall, S. 247. A. A. wohl Jahn, Gutachten, S. C 25. 466 Vgl. zur Möglichkeit einer Begründung der Unverwertbarkeit des Schweigens allein aus § 261 StPO z. B. Rogall, S. 247 f. m.w. N.; Verrel, S. 17, 19, auch wenn beide der Ansicht sind, nicht in allen Fällen habe das Schweigen keinen Erklärungswert, weshalb eine Begründung aus dem „,normalen‘ Beweisrecht“ (Verrel, S. 17) aus diesem Grund nicht gelinge; der Sache nach leitet hingegen Salger, S. 79, das Verbot der Würdigung des Schweigens einzig daraus ab, dass eine solche Beweisführung gegen die Denkgesetze verstoße; a. A. Rau, S. 81 f., 104, für den rein tatsächliche Risiken der Beweiswürdigung nicht ausreichen, § 261 StPO als „umfassendes Gebot der Wahrheitsfindung“ einzuschränken. 467 Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. b). 468 A. A. (für das Schweigerecht) wie erwähnt Salger, S. 79. 469 Vgl. Rogall, S. 248. 470 „[. . .] ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.“ (Hervorh. v. Verf.)

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schuldigten die Wahl des Schweigens nicht streitig“471.472 Das Schweigerecht ist dabei Ausdruck des nemo-tenetur-Prinzips473 und sichert überdies das Recht des Beschuldigten auf freie Wahl der Verteidigungsstrategie.474 Würde die Ausübung des Nichtbeantragungsrechts nun doch zumeist mit negativen Konsequenzen für den Angeklagten verbunden sein, würde die Schweigebefugnis diskreditiert.475 Ist das Schweigerecht dem Angeklagten aber gewährt, ganz ungeachtet der materiellrechtlichen Herleitung, ist es durch das Verwertungsverbot davor zu bewahren, ausgehöhlt zu werden.476 Salger477 lehnt diese Begründung bereits für das vollständige Schweigen ab. Auch Aussagen des Angeklagten könnten schließlich zu dessen Nachteil verwertet werden, niemand denke aber an ein diesbezügliches Verwertungsverbot. Salgers Bedenken vermögen indes nicht zu überzeugen. Zwar können Aussagen für den Angeklagten selbstverständlich nachteilig sein. Allerdings ist ihm das Rederecht in erster Linie eingeräumt, um sich verteidigen zu können, indem er plausibel Entlastendes vorträgt; die Möglichkeit, dass der Entlastungsversuch scheitert, weil sich der Angeklagte in Widersprüche verstrickt oder gar ein Geständnis ablegt (nur dieses darf im Übrigen als Schuld„indiz“ verwertet werden, fehlgeschlagene Entlastungsversuche und fehlgeschlagene Alibibeweise dürfen gerade nicht im Sinne eines eigenständigen Schuldindizes gewertet werden!478), ist lediglich die Schattenseite des Verteidigungsrechts. Das Schweigen wird hingegen niemals zum Vorteil des Angeklagten gewertet.479 Dürfte man es zu seinem Nachteil verwerten, wäre das Schweigerecht vielmehr ein seltsames „Recht“, dessen Inanspruchnahme ausschließlich nachteilige Konse471 Rogall, S. 44; der Gesetzgeber wollte dem Beschuldigten auch nicht nur die bloße „Möglichkeit“ zu schweigen einräumen, sondern ein Schweigerecht gewähren, Wessels, JuS 1966, S. 169, 171. Vgl. ansonsten zur Aussagefreiheit und zum Schweigerecht unten 4. Kapitel F. II. 1. f) bb). 472 Davor war die Strafrechtspflege allerdings beherrscht von der Überzeugung, der Beschuldigte sei zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet und die Erfüllung dieser Pflicht dürfe mit allen Mitteln erzwungen werden, siehe Wessels, JuS 1966, S. 170 m.w. N. 473 Siehe etwa Eisenberg, Rn. 831 m.w. N. 474 Lesch, ZStW 111 (1999), S. 624, 638, der allerdings seinerseits bestreitet, dass das Schweigerecht Ausdruck des nemo-tenetur-Prinzips ist, S. 636 ff.; ähnlich Bosch, S. 120; auch Verrel, S. 244 f, ist der Möglichkeit einer eigenständigen Begründung des Schweigerechts aus dem Aspekt der Verteidigungsfreiheit nicht abgeneigt. – Ausdrücklich der BGH, NStZ 1996, S. 80: Das Recht auf Verteidigung reiche weiter als die nemo tenetur-Garantie (zur Frage, ob „fortwährendes und bewusstes“ Sagen der Unwahrheit strafschärfend berücksichtigt werden darf). 475 Verrel, S. 21. 476 Vgl. Wessels, JuS 1966, S. 169, 171. 477 Salger, S. 78. 478 BGHSt 25, S. 285, 287; BGHSt 41, S. 153, 154 f.; BGH StV 2004, S. 358, 360. 479 Rau, S. 64.

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quenzen480 hätte; es wäre tatsächlich ein „privilegium odiosum“ 481, ein Recht, das die Stellung des Angeklagten nur verschlechterte. Nicht anders stellt sich die Bewertung dar, wenn es um die Würdigung des teilweisen Schweigens bzw. des sonstigen Prozessverhaltens geht. Wenn die Aussagefreiheit tatsächlich umfassend gewährt sein soll,482 schließt dies ein, dass der Beschuldigte frei über Zeitpunkt und Modalität seiner Aussage bestimmen kann. Schweigt er zu einigen Aspekten, will er diesbezüglich eben nicht zum „Beweismittel“ gemacht werden, seinem Willen nach soll nur der Aussageteil seines Kommunikationsverhaltens gewürdigt werden dürfen; bezüglich des Restes möchte er gerade nicht an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken.483 Es kommt nicht darauf an, wie sich ein vernünftiger Angeklagter wohl verhalten würde, sondern lediglich darauf, dass er (teilweise) schweigen darf.484 Insbesondere aus diesem Grund ist nicht einzusehen, weshalb das hier in Rede stehende teilweise Schweigen verwertbar sein soll, das „zeitweise Schweigen“ hingegen nicht.485 Es würde hier ebenso zum privilegium odiosum wie im Fall des zeitweisen oder gar des vollständigen Schweigens. (3) Ergebnis Ein ausbleibender Wunsch des Angeklagten, seine verbale Einlassung mit einem zuverlässigen hirnbildgebenden Verfahren auf ihre Glaubhaftigkeit überprüfen zu lassen, dürfte ebenso wenig wie „klassisches“ teilweises Schweigen als Schuldindiz in die Beweiswürdigung einbezogen werden. Somit kommt es letztlich nicht darauf an, ob die Rechtsprechung die Verwertung eines unterlassenen Beweisantrags auf „lügendetektorische“ Untersuchung erlauben würde, auch wenn Zweifel daran angebracht sind. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zum teilweisen Schweigen bzw. zum „sonstigen Prozessverhalten“ hätte der BGH in der Entscheidung aus dem Jahr 1998 zur polygraphischen Untersuchung zu dieser Frage allerdings Stellung nehmen müssen.

480 Wenn man einmal die (wohl weitgehend theoretischen) Fälle ausschließt, in denen das Schweigen insofern vorteilhaft ist, als eine Aussage die Lage des Angeklagten notwendig verschlimmern würde. 481 Die Bezeichnung stammt von Liepmann, ZStW 44 (1924), S. 647, 671. 482 Siehe dazu eingehend auch unten 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (1). 483 Rogall, S. 252, Günther JR 1978, S. 89, 91 in Fn. 24. Zu weiteren Kritikpunkten siehe Rau, S. 129 ff. 484 Miebach, NStZ 2000, S. 234, 237. 485 KMR-Stuckenberg, § 261 Rn. 54.

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bb) Könnte das Verwertungsverbot die „alltägliche Schuldvermutung“ neutralisieren? Somit ist auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen, ob das Verwertungsverbot die „alltägliche Schuldvermutung“ in so ausreichendem Maße kompensieren könnte, dass damit das Problem des mittelbaren Drucks auf zukünftige Angeklagte entfiele. Konkret ist zu beantworten, ob die vom BGH und einigen Autoren gezogene Parallele zur Unverwertbarkeit des Schweigens tatsächlich für das hier verhandelte Problem nutzbar gemacht werden kann.486 Zum besseren Verständnis sei dazu nochmals die Argumentationslinie der Vertreter der „Gleichbehandlungsthese“ in Erinnerung gerufen: Sie sind der Ansicht, auch der Umstand, dass Beschuldigte von ihrem herkömmlichen Aussagerecht Gebrauch machten, führe nicht zu einem erhöhten Aussagedruck bei denjenigen, die sich zum Schweigen entschlössen. Die Unverwertbarkeit eines nicht beantragten „Lügendetektortests“ verhindere dann ebenso wie beim Schweigen, dass zusätzlicher Druck auf den Beschuldigten ausgeübt werde. Jedenfalls aber werde wegen eines möglicherweise erhöhten Aussagedrucks auf den Schweigenden nicht die Abschaffung der Aussagefreiheit gefordert.487 Bereits für das „herkömmliche“ Schweigerecht ist nun zu vermuten, dass selbst das umfassende Verwertungsverbot einen faktischen mittelbaren Aussagedruck nicht immer vollständig ausgleichen kann.488 Nur muss diese Tatsache im Fall des Schweigerechts hingenommen werden. Denn der einzige Weg, jeglichen faktischen Druck auf den schweigewilligen Beschuldigten zu verhindern, läge in der Tat in der Abschaffung der (positiven) Aussagefreiheit, des Rederechts.489 Dies wäre jedoch alleine schon angesichts des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unmöglich.490 Im Fall des „Lügendetektors“ geht es jedoch gerade um die Frage der Zulässigkeit. Der Angeklagte hat eben zunächst einmal keinen – zumindest keinen strafprozessualen – Anspruch auf die Durchführung einer entsprechenden Untersuchung. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der Garantie auf rechtliches Gehör, denn diese Garantie gewährt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Beweismittel.491 Der Angeklagte hat daher kein Recht darauf, sich auf jede beliebige Art und Weise zu äußern; sein Recht beschränkt sich zunächst darauf, überhaupt seine Sicht der Dinge darzulegen.492 Hinzu kommt, dass der Angeklagte 486

Siehe die Nachweise in Fn. 421 u. 422; entschieden Groth, S. 104. AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 57; vgl. auch Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580 in Fn. 31. 488 Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39. 489 Vgl. AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 57. 490 Vgl. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 326. 491 Siehe nur BVerfG, NJW 1998, S. 1938, 1939. 492 Vgl. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 326. 487

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einen Beweisantrag stellen muss, um im Rahmen des Tests eine strafprozessuale Aussage zu machen. Im Unterschied zur „klassischen“ Aussage stehen hier das Beweisrecht und der Sachverständige gleichsam zwischen Aussagewunsch und Aussage des Angeklagten.493 Der Verweis auf die angebliche Parallele zum Schweigerecht und der Unverwertbarkeit des Schweigens verfängt aber auch aus einem weiteren Grund nicht: Einer herkömmlichen verbalen Einlassung kommt nämlich als solcher kein gesteigerter Beweiswert zu,494 jedenfalls solange, wie sie nicht schlüssig und (zweifelsfrei) überprüfbar ist. Selbst dann aber gründet der eigentliche Beweiswert nicht in der Aussage selbst, sondern in der Beweiskraft der sie bestätigenden Tatsachen.495 Demgegenüber wohnt dem Ergebnis eines äußerst zuverlässigen „Lügendetektor“-Tests ein ganz erheblicher und zudem eigenständiger Beweiswert inne. Dieser Umstand hat nun Einfluss auf Art und Maß der Schuldvermutung. Es ist nämlich davon auszugehen, dass es dem Tatrichter weitaus unverständlicher erscheinen würde, weshalb ein Angeklagter, der seine Unschuld beteuert, die Glaubhaftigkeit seiner Einlassung nicht mit einem Test zu stützen bereit ist, welcher ihm, so er denn wirklich unschuldig wäre, allerbeste Entlastungschancen böte. Der Schluss von einem ausbleibenden Testantrag auf die Schuld des Angeklagten würde wegen des erheblichen Beweiswertes des in diesem Kapitel vorausgesetzten beinahe perfekten Verfahrens somit generell weitaus schneller und häufiger gezogen als beim bloßen Schweigen und insbesondere wäre die Intensität dieser Schuldvermutung um ein Vielfaches größer. Folgt man diesem Gedankengang, stellt sich aber die von den Verfechtern der „Gleichbehandlungsthese“ für unerheblich erklärte Frage, ob die Reaktion des „gesunden Menschenverstandes“ nicht derart verstärkt würde, dass selbst das Verwertungsverbot sie nicht mehr ausreichend eindämmen könnte. Zur Beantwortung der Frage ist man nun zugegebenermaßen wiederum weitgehend auf Vermutungen angewiesen – solange Untersuchungen dazu fehlen, wie stark der „gesunde Menschenverstand“ reagiert und ob und gegebenenfalls wie er wenigstens von Richtern (und Schöffen) beeinflusst werden kann (und es ist durchaus zweifelhaft, ob die forensische Psychologie jemals auch nur halbwegs verlässliche Ergebnisse dazu würde liefern können). Gleichwohl seien hier einige 493 Die genannten Unterschiede verkennt Groth, S. 104, wenn sie aus der angeblichen Parallele zwischen „Teilnahmeentscheidung“ und „Entscheidung über Sprechen oder Schweigen“ schließt, mögliche Bedenken aus einer nicht ausreichenden Beachtung des Verwertungsverbots (die Groth durchaus teilt, S. 102) seien hinfällig: Da man die herkömmliche Aussage zugunsten jener Angeklagten, die das Schweigen bevorzugten, nicht abschaffen könne, sei „von einem psychischen Zwang zur Teilnahme am Polygraphentest, der im Hinblick auf § 136a StPO relevant wäre, ebenfalls nicht auszugehen.“ (Groth verortet die Prüfung des mittelbaren Drucks bei § 136a StPO, eine Einschätzung, die hier nicht geteilt wird, siehe unten 4. Kapitel F. II. 1. f) aa).) 494 Ähnlich Eisenberg, Rn. 699. 495 Vgl. KMR-Stuckenberg, § 261 Rn. 47.

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Mutmaßungen darüber angestellt, zumal es sich um ein bedeutsames Problem handelt: Käme man zu dem Schluss, dass das Verwertungsverbot ausreichende Wirkung entfalten könnte, hätten sich alle Probleme erledigt, die mit dem indirekten Druck auf künftige Angeklagte zusammenhängen; das für manche einzige bzw. wenigstens gewichtigste Argument496 gegen den Einsatz von „Lügendetektoren“ im Strafverfahren wäre keines mehr. An dieser Stelle ist zunächst zurückzukommen auf Frister497, der sich als einer der wenigen, die in dem indirekten Einwilligungsdruck ein Argument gegen die Zulassung der „Lügendetektion“ sehen, näher mit diesem Aspekt auseinandergesetzt hat.498 Frister zufolge überschätze die bloße Forderung nach einem Verwertungsverbot in „naiver Weise“ die Wirkung, die rechtliche Regelungen auf die Überzeugungsbildung des Richters haben könnten, einen Vorgang, den er selbst nur begrenzt kontrollieren könne.499 In der Tat spricht die Intuition für die Ansicht Fristers, der Richter sei rechtstatsächlich mit der Aufgabe, Beweise völlig ignorieren zu müssen, in vielen Fällen überfordert. Wenig überzeugend ist aber die Kompromisslosigkeit, mit der Frister den Richtern unterstellt, die Reaktion ihres „gesunden Menschenverstandes“ nicht kontrollieren und in rechtsstaatliche Bahnen lenken zu können – womit er in einem Satz das gewichtige Argument des die Aussagefreiheit schützenden Verwertungsverbots als unerheblich abtut. Vielmehr lassen sich durchaus Argumente für die einhegende Wirkung des Verwertungsverbotes finden. So ließe sich etwa anführen, dass der Richter auch ansonsten in zahlreichen Fällen sogar sehr starke Beweise zu ignorieren hat, wenn diese aus welchen Gründen auch immer einem Verwertungsverbot unterliegen.500 An sich spricht dies natürlich noch nicht dafür, dem Richter Gleiches 496

Vgl. die Nachweise in Fn. 363. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 325 ff. Es ist jedoch klarzustellen, dass Frister das Problem an ganz anderer Stelle ansiedelt. Zunächst geht es ihm nur um die Wirkung des indirekten Drucks auf den konkreten Beschuldigten, der sich dem Test unterziehen will, um sich zu entlasten (was in der vorliegenden Arbeit ein Aspekt der Freiwilligkeit ist). Zum anderen fragt Frister danach, ob die Regelung des § 136a Abs. 3 StPO darin ihre Rechtfertigung findet, dass sie eben den indirekten Druck auf den Beschuldigten vermeiden will und somit seine Aussagefreiheit schützt. Diese Frage wird dort natürlich nur relevant, wenn man – wie Frister – der Ansicht ist, dass der „Lügendetektor“-Einsatz der Wertung des § 136a Abs. 1 StPO zumindest bei analoger Anwendung widerspricht (vgl. zu diesem Problem oben 4. Kapitel B.). Lehnt man letzteres – wie hier – ab, spielt das Problem der rechtspolitischen Rechtfertigung für Abs. 3 keine Rolle mehr. Nichtsdestoweniger kann das Substrat der Gedanken Fristers nicht unbeachtet bleiben, denn die Struktur der Argumentation ist im Prinzip dieselbe, unabhängig von der dogmatischen Verortung. 498 Ausführungen zur Wirksamkeit eines Verwertungsverbots finden sich noch bei Volckart, Recht & Psychiatrie 16 (1998), S. 138, 141, die aber wenig zielführend sind. 499 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 325. 500 Wenn etwa DNS-Untersuchungen an nach § 81a StPO erlangtem Material vorgenommen wurden (§ 81e StPO), ohne dass die strafprozessualen Voraussetzungen 497

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zumuten zu wollen, wenn über die Zulässigkeit eines Beweismittels erst noch entschieden werden muss. Erst dann würde ein Argument für die Zulassung daraus, wenn man den Richter deshalb für bereits geübt in der Kunst hielte, die Augen vor Beweisen zu verschließen: Als erfahren im Ignorieren von Beweisen könnte er dazu womöglich auch beim Schuldindiz der unterbliebenen Inanspruchnahme eines Entlastungstests in der Lage sein.501 Für letzteres spricht, dass das in der Nichtbeantragung liegende Schuldindiz jedenfalls eine wesentlich geringere Beweiskraft hat als starke Beweise wie DNS-Analysen, Fingerspuren oder sonstige mit wissenschaftlich anerkannten und beinahe absolut sicheren Methoden gewonnene Beweise. Unter diesem Aspekt könnte man vermuten, dass es einem Richter, der sogar im Ignorieren (oder wenigstens dem entsprechendem Versuch) stärkster Beweise geübt ist, dann wenigstens möglich sein sollte, weit schwächere „Beweise“ bei der Beweiswürdigung unbeachtet zu lassen. Wenn es aber andererseits zutreffen sollte, dass es auch für den Richter relativ schwer zu bewerkstelligen ist, „das psychologisch (fast) Unmögliche möglich machen zu können“502, nämlich (auch vermeintliche) Indizien und Beweise bei seinen Entscheidungen nicht zu verwenden, dann scheint es nicht ausgemacht, dass dies gelingen sollte, nur weil der Erkenntniswert eines zu ignorierenden Indizes hier schwächer ist – besonders in Situationen, in denen es „als höchst lebensfremd erscheint, daß ein völlig Unschuldiger“503 nicht nur schweigen, sondern zudem einen recht zuverlässigen Entlastungstest nicht wünschen würde. Hinzu kommt, dass es sich bei dem hiesigen Schuldindiz eben nicht um einen „klassischen“ Beweis handelt, einen, den man ansehen, begreifen kann, sondern um ein Indiz, das sich überhaupt erst in der Person des Entscheidungsträgers bildet – im Zweifel ein höchst unbewusster und kaum zu kontrollierender Vorgang. Mag aber schon das bloße Vorhandensein des Indizes in vielen

(§ 81 f Abs. 1 StPO) erfüllt waren, oder wenn Personen, die bestimmte Prüfungsmerkmale erfüllen, die vermutlich auf den Täter zutreffen, ohne deren schriftliche Einwilligung (§ 81h StPO) Körperzellen entnommen und molekulargenetisch untersucht werden, vgl. dazu Finger, Kriminalistik 2006, S. 696, 698. 501 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 326, hat zwar Recht damit, dass diese bereits existierenden Beweisverwertungsverbote hingenommen werden müssen, weil „das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“ und das Verbot als einzige Möglichkeit erscheint, den Schaden wiedergutzumachen – während man hier durch die Nichtzulassung dem Richter bereits die faktische Möglichkeit zu einem Indizienschluss nehmen könne. Allein: Diese Unterscheidung führt nicht weiter, wenn es um die rein psychologische Frage geht, ob und ggf. wie sehr die Entscheidungsträger in der Lage sind, Verwertungsverbote zu beachten. 502 Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, S. 48; vgl. Schmidt, NJW 1968, S. 1209, 1218: „psychologisches Akrobatenstück“; vgl. auch Jahn, Gutachten, S. C 98 f. zu der von ihm so genannten Frage der „Weiterwirkung“. 503 Roxin, Strafverfahrensrecht § 15 Rn. 25.

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Fällen nicht viel mehr als eine reine Ahnung sein, die sich vom Bewusstsein entkoppelt seine Wege sucht, dürfte es unter diesem Gesichtspunkt wiederum weit schwerer werden, ein solch amorphes Indiz auch tatsächlich zu ignorieren. Dafür, dass die Unschuldsvermutung nicht (unbewusst) vom Richter untergraben würde, spricht aber wiederum, dass im deutschen Strafprozess das Gericht die Pflicht hat, sein Urteil schriftlich zu begründen, § 267 StPO504 – anders als etwa im angloamerikanischen Jury-Prozess, in dem die Gefahr der, wenn auch nur unbewussten, Verwertung eines unterbliebenen Beweisantrags deutlich erhöht erschiene.505 Die Entscheidungsträger der Tatsacheninstanz sind stets der Gefahr einer erfolgreichen Revision ausgesetzt, weswegen sie bestrebt sein müssen, das Urteil mit den vorhandenen Beweisen und Indizien „revisionssicher“ zu begründen. Daher muss das Gericht darlegen, wie es zu der Behauptung gelangt ist, der Angeklagte habe sich schuldig gemacht, und aus welchem Grund es die Tatsachen als erwiesen ansah, die es in der Sachverhaltsschilderung festgestellt hat.506 Wegen des Verwertungsverbots wäre der Richter gehindert, auch nur den Anklang eines Beweiswertes der unterbliebenen Testbeantragung in die Urteilsbegründung einfließen zu lassen. Wiederum andererseits ist dadurch nicht notwendig die Gefahr gebannt, dass im Wege der richterlichen Überzeugungsbildung angesichts der „common sense assumption“ die anderen, verwertbaren, Indizien für gewichtiger erachtet wür504 Auch wenn § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO die Begründungspflicht nur bei einem Indizienbeweis vorsieht, verlangt die Rechtsprechung, dass auch ansonsten das Urteil die Angabe der Beweisgründe und eine Beweiswürdigung enthält, vgl. Meyer-Goßner/ Appl, Rn. 347 m.w. N. Im Übrigen ist eine (zumindest verurteilende) Urteilsbegründung gerade auch erforderlich, um die verfassungsrechtlich geschützte Unschuldsvermutung zu widerlegen, siehe nur HK-Julius, § 267 Rn. 1. 505 Im US-amerikanischen Strafprozess geht man indes einen anderen Weg: Dort wird dafür gesorgt, dass die Jury erst gar keine Kenntnis von den rechtswidrig gewonnenen Informationen erlangt. Gelingt dies nicht und werden diese Informationen dem Gericht erst in der Hauptverhandlung präsentiert, droht ein „mistrial“ mit der Folge, dass die Jury entlassen wird, weil sie nicht mehr unbefangen urteilen würde; siehe dazu Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, S. 47. In Fällen, in denen der „Beweis“, hier das aus der Nichtbeantragung resultierende angebliche Schuldindiz, aber überhaupt erst in den Köpfen der Entscheidungsträger entsteht, kann dieses Verfahren natürlich nicht funktionieren, denn wie sollte man Informationen von denen fernhalten, die sie erst produzieren? Damit wäre man auch dort wieder dem Problem der tatsächlichen Beachtung von Verwertungsverboten ausgesetzt. – Siehe schließlich die Studie mit 81 „Scheingeschworenen“ von Kassin/Sommers, Personality and Social Psychology Bulletin 21 (1997), S. 893 ff. (mit zahlreichen weiteren Nachweisen zu dem Themenkomplex [Nicht-]Beachtung unverwertbarer Beweise durch Geschworene), die ergab, dass den „jury“-Mitgliedern die Nichtbeachtung von unverwertbaren Beweisergebnissen schwerer fiel, sie den „Angeklagten“ also öfter verurteilten, wenn der Grund für die Unverwertbarkeit nicht in einem Verstoß gegen Rechte des „Angeklagten“ lag, sondern in der (angeblichen) Unzuverlässigkeit des (unverwertbaren) Beweismittels. 506 Meyer-Goßner/Appl, Rn. 347.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

den, als es ihrem eigentlichen Gewicht entspräche. Ist der Richter angesichts der eingetretenen „common sense assumption“ erst einmal von der Schuld des Angeklagten überzeugt, kann er diese (angebliche) Schuld mit den vorhandenen Beweisen jedoch nicht revisionsfest begründen, bestünde die Gefahr, dass das „Bestreben, dem materiellen Recht zum Siege zu verhelfen, einen Einfluß auf die hypothetische Überzeugungsbildung ausüben wird.“507 Am Ende dieser „Höherbewertung“ könnte die Verurteilung des Beschuldigten stehen, schriftlich begründet mit der Überzeugungskraft der „angereicherten“ Indizien. Es zeigt sich, dass die Frage, ob das Verwertungsverbot ausreichend beachtet würde, kaum eindeutig zu beantworten ist. Dies kann auch kaum verwundern, befindet man sich doch im Reich der Spekulation über vermutete psychologische Vorgänge der richterlichen Entscheidungsfindung. Soweit aber darüber hinaus Aspekte gefunden werden konnten, die die Entscheidungsfindung beeinflussen könnten, scheint sich beinahe ein argumentatives Patt ergeben zu haben. Die Punkte, die dafür sprechen, dass das Verwertungsverbot Wirksamkeit entfalten würde (auch ansonsten zu beachtende Beweisverbote; geringerer Beweiswert als bei manch anderen Beweisen; Begründungspflicht), erscheinen nicht signifikant mehr oder weniger gewichtig als diejenigen, die in die Richtung deuten, dass es den Tatrichtern nicht möglich sein würde, das Verbot ausreichend zu beachten (stark erhöhter Beweiswert eines „Lügendetektor“-Tests im Vergleich zur herkömmlichen Einlassung; Schuldindiz womöglich schlechter zu kontrollieren, weil von dem Entscheidungsträger selbst erzeugt; Begründungspflicht eventuell nicht entscheidend, da Gefahr der Höherbewertung anderer Indizien). Evident scheint aber, dass der „gesunde Menschenverstand“ bei einer unterbliebenen Beantragung eines „Lügendetektor“-Tests jedenfalls weit stärker reagieren würde als beim bloßen Schweigen. Wenn es zudem stimmt, dass für die jahrzehntelange vehemente Ablehnung jeglicher technischer Verfahren der Glaubwürdigkeitsbegutachtung die „Furcht vor der Apparatur“ motivbildend war,508 dann mag dies zusätzlich verdeutlichen, dass es mit der Behauptung einer Parallele zum Schweigerecht nicht getan ist. Diese Angst vor der – psychologisch womöglich schwer zu widerstehenden – Überzeugungskraft der Testergebnisse hätte nämlich ihr Spiegelbild in der Furcht vor zu starker Voreingenommenheit im Fall eines ausbleibenden Testantrags. Daher soll für die vorliegende Untersuchung angenommen werden, dass zumindest die Gefahr besteht, der Tatrichter würde das absolute Verwertungsverbot jedenfalls nicht immer genügend berücksichtigen (können).509 Dann aber würde das Verwertungsverbot 507

Grünwald, JZ 1966, S. 489, 500 f. Vgl. oben 2. Kapitel E. II. 3. 509 Siehe schließlich auch die Studie von Wistrich/Guthrie/Rachlinski, University of Pennsylvania Law Review 153 (2005), S. 1251 ff., an der wirkliche Richter als Probanden teilnahmen. Die Autoren untersuchten, inwieweit die Richter in der Lage waren, verschiedene Arten unverwertbarer Informationen zu ignorieren. Dabei ergab sich 508

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die alltägliche Schuldvermutung nicht kompensieren und in der Konsequenz die Entstehung eines zu beachtenden Einwilligungsdrucks bei (späteren) Angeklagten nicht verhindern.510 e) Abhängigkeit der „alltäglichen Schuldvermutung“ und des indirekten Drucks von der Beweissituation Wenn überhaupt, dann nur selten und eher oberflächlich, wurde bisher beachtet, dass die „alltägliche Schuldvermutung“ und der aus ihr resultierende Einwilligungsdruck bei den Angeklagten keineswegs starre Faktoren sind, sondern von der konkreten Beweislage abhängen. An dieser Stelle sei dabei noch außer Acht gelassen, dass in der konkreten Prozesssituation die Beweislage nicht gleichsam per Knopfdruck abgerufen werden kann;511 vielmehr soll zunächst einmal theoretisch untersucht werden, wie sich die rechtliche Beurteilung in Abhängigkeit von der Beweissituation darstellt. Wenn die Verurteilung ohne den Einsatz eines „Lügendetektor“-Tests bereits als sicher erscheint, besteht die Gefahr der Verwertung eines ausbleibenden Beweisantrags als Beweismittel nicht. Denn die vorhandenen Indizien und Beweise sind dann vollkommen ausreichend und Zweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen nicht.512 Dann aber kann der Richter kaum in die Gefahr geraten, das Verwertungsverbot nicht zu beachten, denn er benötigt das „Indiz“ einer unterbliebenen Testbeantragung nicht mehr, um zu der Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu gelangen. Steht die nachteilige Würdigung eines nicht gewünschten Tests aber nicht einmal in Rede, kann bei einem vernünftigen späteren Angeklagten auch kein mittelbarer Druck entstehen, denn er muss eben gerade nicht befürchten, dass sein Verhalten die „alltägliche Schuldvermutung“ auslöst.513 Dann ist die Situation in den Blick zu nehmen, in der eine Verurteilung des Angeklagten nach dem Stand der Verhandlung wahrscheinlich ist, der Angeein uneinheitliches Bild: Es gelang den Richtern nicht, unverwertbare Informationen wie einschlägige Vorstrafen des Angeklagten, Gespräche zwischen Angeklagtem und Verteidiger oder Details aus vertraulichen Güteverhandlungen zu ignorieren; andererseits vermochten die Richter es, unverwertbare Informationen nicht zu beachten, die etwa unter Verstoß gegen das Recht auf Verteidigung zustande gekommen waren. 510 Sogar höhere Gerichte erkennen die Möglichkeit an, dass ein Verwertungsverbot nicht notwendig seine tatsächliche Beachtung nach sich zieht. So räumt das Kassationsgericht des Kantons Zürich ein, „dass sich das Fehlen eines Polygraphentests“ im Strafverfahren „[. . .] wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch zu Ungunsten des Angeschuldigten“ (Hervorh. v. Verf.) auswirken könnte (Kriminalistik 2003, S. 190). 511 Siehe zu Fragen der praktischen Handhabung unten 6. Kapitel A. 512 Ähnlich zu der Entbehrlichkeit, in dieser Lage (aus dem Teilschweigen) Schlüsse zu ziehen, Rogall, S. 255. 513 Unvernünftige Angeklagte bleiben, wie bereits angemerkt (siehe Fn. 379), im Rahmen dieser Abhandlung unberücksichtigt.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

klagte aber weiterhin seine Unschuld beteuert und ihm keine anderen Entlastungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen als die Durchführung eines zuverlässigen Verfahrens zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit. Hier ist der Angeklagte also durch andere Beweismittel erheblich belastet, es ist jedoch nicht endgültig sicher, ob diese für die Überzeugung des Richters von der Schuld des Beschuldigten ausreichen, oder ob nicht doch der „Beweiswert“ eines nicht beantragten „Lügendetektortests“ gerade den „letzten Mosaikstein“ darstellen könnte, der das „schuldig“-Bild komplettiert. Hier gilt es nun zu unterscheiden: Haben in dieser Situation tatsächlich Unschuldige ansonsten keine Entlastungsmöglichkeit, ist zunächst davon auszugehen, dass die weit überwiegende Mehrzahl von ihnen den Test ohnehin von vornherein in Anspruch nehmen würde, ohne dass ein Gefühl des Drucks, den Test zur Vermeidung von Nachteilen beantragen zu müssen, überhaupt entstehen könnte. Selbst wenn sich aber das Motiv der Nachteilsvermeidung für die Stellung eines Beweisantrags im Bewusstsein der Angeklagten niederschlagen sollte, wird im Regelfall bereits der „natürliche Entlastungsdruck“514 so groß sein, dass kaum vorstellbar ist, ein zusätzlicher Druck könnte noch weiteren Einfluss auf das Prozessverhalten der Angeklagten ausüben: Wenn ein tatsächlich Tatunbeteiligter, der sich in einer Situation des „Beweisnotstands“ befindet und eine Verurteilung fürchten muss, den Test beantragt, wird er dies in aller Regel deswegen tun – aufgrund eigener Überlegungen oder auf Rat seines Verteidigers –, weil ein für ihn positives Testergebnis die einzige verbleibende Möglichkeit ist, der drohenden Freiheits- oder Geldstrafe mit großer Wahrscheinlichkeit zu entgehen, gerade in dieser Konstellation, die ein beinahe perfektes Verfahren der „Lügendetektion“ voraussetzt. Das Motiv der Nachteilsvermeidung wird dann bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Angeklagten allenfalls eine zu vernachlässigende Nebenrolle einnehmen. Für den Schuldigen ist es hier genau umgekehrt: Kein vernünftiger Täter würde ein Verfahren beantragen, das ihn in fast allen Fällen korrekt als Täter klassifizieren würde. Völlig unabhängig von dem Einwilligungsdruck, den er wohl verspüren wird, muss sich dieser Angeklagte dann passiv verhalten, auch wenn er dadurch den Argwohn des Gerichts auf sich ziehen mag, denn nur dann kann er sich immerhin die Hoffnung auf einen Freispruch bewahren. Es zeigt sich somit, dass sich bei dieser Beweislage der Aspekt des mittelbaren Einwilligungsdrucks auf künftige Angeklagte weitestgehend verflüchtigt, sowohl für den tatsächlich Tatunbeteiligten, als auch für den Tatbeteiligten. Es zeigt sich aber zugleich, dass die alltägliche Schuldvermutung erheblich an Intensität zunehmen dürfte. Denn bei einem äußerst zuverlässigen „lügendetekto-

514 Siehe bereits oben 4. Kapitel E., auch dazu, weshalb im Fall der „eingriffsverhindernden Einwilligung“ die Freiwilligkeit der Entscheidung des Angeklagten nicht in Abrede gestellt werden darf – trotz der Tatsache, dass in einer solchen Lage einzig die Entscheidung für den Test als vernünftig erscheint.

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rischen“ Verfahren wäre es in der Tat so, dass kaum ein – vernünftiger – Unschuldiger sich die perfekte Möglichkeit auf einen Entlastungstest entgehen lassen könnte, während es bei einem Schuldigen beinahe nur mit Ignoranz zu erklären wäre, wenn er sich freiwillig einem Test unterzöge, der mit größter Wahrscheinlichkeit seine Verurteilung besiegeln würde. Hier wird deutlich, dass sich bei dieser Beweislage die Frage, inwieweit die Rechte künftiger Angeklagter der Zulassung der „Lügendetektion“ in dieser Konstellation entgegenstehen können, vom Problem des mittelbaren Drucks fort bewegt, hin zu der Beeinträchtigung (des Schweige- bzw. Nichtbeantragungsrechts der „Untätigen“ 515) bereits durch das bloße Faktum der alltäglichen Schuldvermutung. Anders stellt sich wiederum die Situation dar, in der zwar einige Indizien für die Schuld des Angeklagten sprechen, er aber nach dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung freigesprochen werden müsste, weil die Indizien nicht ausreichen, um eine auf rationalem Weg gewonnene Überzeugung des Richters von der Schuld des Angeklagten zu begründen.516 Der künftige Angeklagte befindet sich also in einer Lage, die zunächst als weit weniger prekär erscheint als die soeben dargestellte. Denn hier ist er eigentlich durch den verfassungsrechtlichten Grundsatz in dubio pro reo ausreichend geschützt.517, 518 An dieser Stelle zeigt sich das Problem des mittelbaren Drucks, mit dem die meisten Bedenken gegen die Zulassung des Tests vorgebracht werden, in seiner eigentlichen Gestalt: Wie sehr wäre angesichts eines zugelassenen hirnbildgebenden Verfahrens der Glaubhaftigkeitsbegutachtung zu erwarten, zu verlangen oder auch nur zu hoffen, dass der Richter die Unverwertbarkeit des Beweiswer515

Siehe dazu unten 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (2). Spricht hingegen wenig oder nichts (genauer: nichts mehr, denn anderenfalls wäre es schon gar nicht zu der Anklage bzw. zu der Eröffnung des Hauptverfahrens gekommen) für die Schuld des Angeklagten, erübrigen sich alle weiteren Überlegungen: Das Gericht würde in einem unterbliebenen Testangebot kein Schuldindiz sehen und der Angeklagte sähe sich keinem Druck ausgesetzt, sich dem Test entgegen seiner Absicht zu unterziehen; vgl. bereits oben 4. Kapitel F. II. 1. b). 517 Vgl. Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1118 u. 1129. Vgl. auch Rogall, S. 255, zu der Unmöglichkeit, bei dieser Beweislage das teilweise Schweigen zu verwerten. Rogall übersieht dabei jedoch, dass rechtstatsächlich gerade das Ziehen nachteiliger Schlüsse aus dem teilweisen Schweigen (unbewusst) zu einer „Höherbewertung“ der (bisher nicht ausreichenden) Indizien führen könnte. 518 In diesem Zusammenhang ist auch noch einmal auf das Urteil des BGH zur Bewertung aussagepsychologischer Glaubhaftigkeitsbegutachtungen aus dem Jahr 1999 hinzuweisen (BGHSt 45, S. 164 ff., siehe dazu oben 2. Kapitel E. II. 3.). Wie weiter oben beschrieben, stellt der BGH in diesem Urteil recht strenge Kriterien für die methodologischen Anforderungen an ein solches Gutachten auf. Gerade für die Fälle der sog. Vier-Augen-Delikte, in denen die gerichtliche Entscheidung zu großen Teilen von der Bewertung der Aussage des einzigen Belastungszeugen abhängt (wie zum Beispiel beim Vorwurf von Sexualstraftaten), kann das BGH-Urteil einen signifikant besseren Schutz des Beschuldigten vor einer Verurteilung bedeuten, vgl. Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1118. 516

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tes einer etwaigen Nichtbeantragung durch den Beschuldigten auch de facto einhielte? Anders gewendet: Wäre der Tatrichter noch in der Lage, der Unschuldsvermutung in vollem Umfang Geltung zu verschaffen? Nur dann könnte der Beschuldigte im Vertrauen auf die Beachtung der Unschuldsvermutung weitgehend frei von Druck entscheiden, ob er die Möglichkeit eines Tests wahrnehmen wollte. Fehlte es hingegen an diesem Vertrauen, weil sich herausstellte, dass die Richter in diesem Punkt ihrer Aufgabe nicht gewachsen wären, entstünde ein immenser Druck auf den künftigen Angeklagten. Er müsste dann nämlich befürchten, dass gerade seine „Weigerung“, sich dem Test zu unterziehen, die „alltägliche Schuldvermutung“ hervorriefe, er müsse dann ja wohl doch schuldig sein, auch wenn ansonsten die Beweislage für eine Verurteilung nicht ausreichte. Es bestünde somit die Gefahr, dass die Lage des Beschuldigten „kippt“, er nunmehr anstatt eines Freispruchs einer Verurteilung entgegensähe. Es wäre jedenfalls nicht auszuschließen, dass Tatrichter (als Folge eines unbewussten Prozesses) die – ja durchaus vorhandenen, aber zunächst für eine Verurteilung nicht ausreichenden – Indizien im oben519 beschriebenen Sinn in ihrer Bedeutung hochstufen würden, so dass am Ende dieses Vorgangs diese angereicherten Indizien „gerade“ genügen, um beim Richter die letzten „vernünftigen Zweifel“520 auszuschalten, die ihn an einer Verurteilung hinderten. Es ist zwar anzunehmen, dass sich der Schluss von der Nichtbeantragung auf die Schuld wohl nicht in gleichem Maße aufdrängen würde wie in den Fällen, in denen bereits sehr viele Tatsachen für die Täterschaft des Angeklagten sprechen; aus diesem Grund dürfte die Erwartung gerechtfertigt sein, der Richter würde bei einer schwächer ausgeprägten Reaktion seines „gesunden Menschenverstandes“ auch eher in der Lage sein, das Verwertungsverbot de facto zu berücksichtigen. Der verspürte Druck erscheint dadurch aber nur auf den ersten Blick abgeschwächt. Denn welcher Angeklagte würde sich angesichts der – wenn auch nicht sehr großen – Gefahr, dass gerade sein unterbliebener Wunsch, den Test durchzuführen, letztlich ausschlaggebend sein könnte für seine Verurteilung, noch für sein „Nichtbeantragungsrecht“ entscheiden? Hier nun beruhte die Entscheidung für den Test, den der Angeklagte angesichts eines wahrscheinlichen Freispruchs ursprünglich gar nicht in Anspruch nehmen wollte, in der Tat gerade auf dem aus der „alltäglichen Schuldvermutung“ resultierenden Einwilligungsdruck. Der soeben beschriebene Mechanismus beträfe indes nur diejenigen künftigen Angeklagten, die an der ihnen vorgeworfenen Tat tatsächlich nicht beteiligt waren. Ein wirklicher Täter müsste und würde das Risiko des Schuldindizes und 519 520

Rn. 4.

Siehe 4. Kapitel F. II. 1. d) bb). Ständige Rechtsprechung, siehe die Nachweise bei KK-StPO-Schoreit, § 261

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der möglichen Aufwertung der vorhandenen Indizien in Kauf nehmen, denn die Alternative wäre inakzeptabel: Mit der Teilnahme an einem Test, der ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit (zu Recht) als Schuldigen klassifizieren würde, unterschriebe er schließlich gleichsam seine eigene Verurteilung. f) Auswirkungen auf die Rechte künftiger Angeklagter Weiter oben521 wurde bereits angedeutet, dass die rechtlichen Folgen einer Zulassung des „Lügendetektors“ auf künftige Angeklagte aus zwei verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten sind: Wie sich zeigen wird, kann bereits die Tatsache selbst, dass eine ausbleibende Testbeantragung trotz Verwertungsverbot als Indiz für die Schuld eines künftigen Angeklagten interpretiert würde, dessen Rechte beeinträchtigen, namentlich sein Schweige- bzw. Nichtbeantragungsrecht – allerdings natürlich nur dann, wenn er tatsächlich untätig bleibt. Ein daraus entstehender Einwilligungsdruck ist für diese mögliche Rechtsbeschränkung nicht erforderlich, was insbesondere dann wichtig ist, wenn die Existenz eines solchen Drucks nicht sicher festgestellt werden kann und von vielen sogar bestritten wird.522 Von der Rechtsprechung und der Literatur hingegen wurden die Rechte künftiger Angeklagter ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des mittelbaren Drucks thematisiert. Hierbei ist auffällig, dass die rechtliche Bedeutung des mittelbaren Drucks an den verschiedensten Stellen verortet wird: Während einige Autoren die Aussagefreiheit anderer Angeklagter als verletzt ansehen,523 thematisieren andere Stimmen den Druck bei § 136a StPO unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen Zwangs.524 Bei nicht wenigen Autoren fehlt die rechtliche Einordnung dieses gewichtigen Arguments gegen die Zulassung der „Lügendetektion“ völlig.525 Auch finden sich nur äußerst selten wenigstens Andeutungen in die Richtung, dass das Problem des indirekten Drucks sich nicht monolithisch darstellt, sondern vielmehr in Abhängigkeit von der Zuverlässigkeit des „lügendetektorischen“ Verfahrens und der konkreten Beweislage im Prozess zu beurteilen ist. Und schließlich ist eine zeitliche Perspektive zu beachten: So stehen andere Rechte desjenigen künftigen Angeklagten in Rede, der noch vor der Entscheidung steht, ob er sich dem Test unterziehen soll, als bei jenem, der sich bereits dafür oder dagegen entschieden hat.

521 522

Siehe 4. Kapitel F. II. 1. a). Vgl. zu der entsprechenden Diskussion und zu Nachweisen oben 4. Kapitel F. II.

1. e). 523

So Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 324 f. So etwa der BGH in der Entscheidung zur polygraphischen Untersuchung aus dem Jahr 1998, BGHSt 44, S. 308, 318. 525 Vgl. dazu bereits oben bei Fn. 367 u. 368. 524

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Im Folgenden soll die Frage, wie sich die Zulassung des „Lügendetektor“Einsatzes auf die Rechte künftiger Angeklagter auswirken würde, unter Einbeziehung aller genannten Aspekte beantwortet werden. aa) Mittelbarer Druck als „Zwang“ für künftige Angeklagte i. S. d. § 136a Abs. 1 StPO Unter anderem vom Bundesgerichtshof wird der indirekte Einwilligungsdruck prinzipiell dem Anwendungsbereich des § 136a Abs. 1 Satz 2 StPO zugeordnet.526 Wie weiter oben beschrieben, verneinte das Gericht dabei allerdings bereits die Gefahr, dass die Zulassung der „Lügendetektion“ überhaupt einen mittelbaren Druck beim Angeklagten erzeugen könnte, weil das entsprechende Verwertungsverbot dies verhindere.527 Dazu wurde oben528 zu zeigen versucht, dass der Aspekt des mittelbaren Drucks in dieser Knappheit der Argumentation nicht ausreichend durchdacht ist, insbesondere weil davon auszugehen ist, dass sich die „alltägliche Schuldvermutung“, und mit ihr der indirekte Druck, nicht so leicht durch ein Verwertungsverbot kompensieren lassen würden.529 Im Unterschied zum BGH akzeptiert Groth die Möglichkeit, dass auch das Verwertungsverbot faktisch nicht verhindern könne, dass eine Test-„Verweigerung“ als Schuldindiz interpretiert würde.530 Groth schließt sich in der Folge jedoch der Sache nach Klimke531 an, indem sie eine Parallele mit dem Schweigerecht zieht. Entweder gebe es in beiden Fällen eine subjektive Zwangslage oder nicht. Da man aber die herkömmliche Aussage nicht abschaffen könne, um jeglichen Druck auf andere Angeklagte zu verhindern, könne der mittelbare Druck im Fall des Polygraphentests auch nicht relevant sein.532 Wie weiter oben bereits angedeutet wurde,533 ist dies jedoch ein untauglicher Versuch, die Vereinbarkeit der „Lügendetektor“-Einsatzes mit § 136a StPO zu begründen. Denn während die Aussagefreiheit nun einmal garantiert ist, ist hier gerade die Frage der Zulässigkeit zu beantworten, wobei die Rechte Dritter den entscheidenden Faktor gegen sie darstellen könnten. Der ausschlaggebende Aspekt ist hier vielmehr darin zu sehen, dass zwar sowohl die verbale Aussage als auch die un526 BGHSt 44, S. 308, 318; dem BGH insoweit folgend Amelung, JR 1999, S. 382, 384 f.; Groth, S. 99 ff. 527 BGHSt 44, S. 308, 318. 528 Siehe 4. Kapitel F. II. 1. d). 529 Vgl. Eisenberg, Rn. 699; hier zeigt sich indes wiederum, dass man sich kaum je bemüht hat, das Problem des mittelbaren Drucks auch nur rechtlich zu verorten, denn schon die Nachweise bei Eisenberg bezeichnen Quellen, die den mittelbaren Druck keineswegs ausdrücklich bei dem Merkmal „Zwang“ ansiedeln. 530 Groth, S. 102. 531 Klimke, NStZ 1981, S. 433, 434. 532 Groth, S. 104. 533 Siehe 4. Kapitel F. II. 1. d) bb).

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willkürlichen Äußerungen im Rahmen eines „Lügendetektortests“ in der Tat Bestandteil der Beschuldigteneinlassung sind,534 dass sie aber trotzdem nicht völlig gleichwertig sind. Dem Angeklagten kommt zunächst einmal nicht das Recht zu – auch nicht aus der Garantie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) –, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu äußern.535 Die Begründungen, weshalb der indirekte Druck nicht unter das Merkmal „Zwang“ zu subsumieren ist, vermögen somit nicht zu überzeugen. Gleichwohl ist dem BGH und Groth wenigstens im Endergebnis beizupflichten, denn, wie sich sogleich erweisen wird, ist § 136a StPO jedenfalls nicht der richtige Maßstab für die rechtliche Beurteilung des mittelbaren Drucks. Erstens bezieht sich § 136a StPO nämlich nur auf konkrete Handlungen von Vernehmungspersonen.536 Der mittelbare Zwang würde aber hier durch richterrechtliche bzw. gesetzliche Zulassung entstehen und nicht durch die einzelne Handlung des Vernehmungspersonals537 – jedenfalls in der hier betrachteten Konstellation, in der der Staatsanwaltschaft kein Initiativrecht eingeräumt würde. Zweitens ist zu beachten, dass die Vorschrift nur solche Methoden verbietet, von denen angenommen wird, dass sie typischerweise die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung beeinträchtigen.538 Nun wurde vorstehend gezeigt, dass sich der mittelbare Druck ohnehin in aller Regel nur bei einer Beweislage auswirken würde, in der ein – unschuldiger – künftiger Angeklagter mit einem Freispruch rechnen kann.539 Zudem wäre in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der indirekte Druck auch tatsächlich bei dem Angeklagten entstanden ist. Und selbst in der für den Druck prekären Beweissituation des zu erwartenden Freispruchs müsste sich der Angeklagte der möglichen nachteiligen Folgen einer unterbliebenen Beantragung auch bewusst sein – nur dann könnte sich die Zulassung der „Lügendetektion“ überhaupt als „Zwang“ i. S. d. § 136a StPO darstellen. Beruhte bei der Zulassung der „Lügendetektion“ nun die Einwilligung in eine Untersuchung der Glaubwürdigkeit mit einem hirnbildgebenden Verfahren in der überwiegenden Zahl der Fälle gar nicht auf dem hier in Rede stehenden indirekten Einwilligungsdruck, resultierte aus der Zulassung des 534

Siehe dazu abermals oben 4. Kapitel B. I. Siehe nochmals BVerfG, NJW 1998, S. 1938, 1939. 536 Rau, S. 91; KK-StPO-Diemer, § 136a Rn. 3. 537 Unerheblich dafür ist die Diskussion, ob auch alle Aussagen mit § 136a StPO unvereinbar sind, die von Privatpersonen herbeigeführt werden, oder ob dies nur dann der Fall sei, wenn deren Handeln dem Staat zugerechnet werden kann (vgl. zu diesem Aspekt etwa Jahn, JuS 2005, S. 1057, 1058). Hier werden jedenfalls weder Vernehmungspersonen noch nichtstaatliche Akteure tätig, sondern der indirekte Druck entstünde durch die bloße Möglichkeit, sich mittels „Lügendetektion“ zu entlasten. 538 Vgl. AK-StPO-Kühne, § 136a Rn. 19 f. 539 Siehe dazu soeben 4. Kapitel F. II. 1. e). 535

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

„Lügendetektors“ gerade keine typische Einschränkung der Willensfreiheit künftiger Angeklagter. Ein Druck, der nicht regelmäßig beim Betroffenen als solcher wahrgenommen wird und sich erst recht nicht typischerweise auch tatsächlich auf das Prozessverhalten auswirkt, kann schwerlich als grundsätzlich verbotener unzulässiger Zwang im Sinne des § 136a StPO aufgefasst werden. Schließlich muss der Zwang zumindest nach Ansicht der Rechtsprechung gezielt zur Herbeiführung einer Aussage angewendet werden, damit er sich als verboten im Sinne des § 136a StPO darstellt.540 Diese Voraussetzung liegt für den Fall des mittelbaren Drucks als Folge der „alltäglichen Schuldvermutung“ natürlich nicht vor. Aber auch wenn man für § 136a StPO eine Beschränkung auf finale Handlungen nicht akzeptiert:541 Jedenfalls in der in diesem Kapitel untersuchten Fallgestaltung wird mit der Zulassung der „Lügendetektion“ die Wirkung eines mittelbaren Einwilligungsdrucks bei späteren Angeklagten nicht nur nicht intendiert; vielmehr wird in der Diskussion um die Zulässigkeit der „Lügendetektion“ im Gegenteil – insbesondere durch den Vorschlag, den Druck durch Installierung eines Verwertungsverbotes zu minimieren – durchweg angestrebt, dass der mittelbare Druck möglichst nicht entstehe, um erst gar nicht die Gefahr einer durch ihn provozierten Aussage (bzw. eines Antrags auf „Lügendetektion“) heraufzubeschwören. Entstünde der mittelbare Druck trotzdem, wäre er nicht angestrebt, er wäre nicht einmal insgeheim erwünschte Nebenfolge, sondern ein höchst unerwünschter Reflex der Zulassung der „Lügendetektion“ – die schließlich im grundsätzlichen Interesse aller Angeklagten erfolgen würde und eben nicht, um im Einzelfall zur Überführung beizutragen. bb) Mittelbarer Druck als Beeinträchtigung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter Richtigerweise lässt sich dagegen aber mit Frister fragen, ob der indirekte Einwilligungsdruck zu einer Beeinträchtigung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter führen könnte. Im Zusammenhang mit der Erörterung der Verwertbarkeit des teilweisen Schweigens wurde bereits erwähnt, dass das deutsche Strafprozessrecht dem Beschuldigten ein umfassendes Schweigerecht gewährt, das nach herrschender Auffassung die wichtigste Ausprägung des Verbots ist, dass niemand zur eigenen Überführung beizutragen verpflichtet ist (nemo-tenetur-Grundsatz)542 und 540 BGH, NStZ 2005, S. 517, 518; BGH, StV 1992, S. 356, 357 m.w. N. zur Rechtsprechung; vgl. auch KK-StPO-Diemer, § 136a Rn. 29. 541 Vgl. Fezer, StV 1996, S. 77, 78 f.; Jahn, JuS 2005, S. 1057, 1060; Bung, StV 2008, S. 495 ff. 542 SK-StPO-Rogall Vor § 133 Rn. 66 m.w. N.; siehe auch noch einmal KMRLesch, Vor § 133 Rn. 31 ff., insbes. Rn. 32, für den die Aussagefreiheit (nur) auf der Freiheit der Verteidigungsauswahl beruht und das nemo-tenetur-Prinzip eine davon ge-

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daher verfassungsrechtlichen Schutz genießt.543 Den Beschuldigten trifft keine Pflicht, das Gericht bei der Sachverhaltsaufklärung zu unterstützen,544 er muss sich also nicht äußern, wenn er dadurch einen eigenen Beitrag zu seiner Überführung leisten würde. Doch das Aussageverweigerungsrecht geht noch über den bloßen Schutz vor Zwang zur Selbstbelastung hinaus, da es unabhängig davon gewährt wird, ob im Einzelfall die vom Beschuldigten erlangte Information be- oder entlastenden Inhalts wäre.545 Es ändert also nichts an dem Schweigerecht des Angeklagten, dass dieser mit einem „Lügendetektortest“ in aller Regel zu seiner Entlastung beitragen will; ihm ist bezüglich der Entscheidung, ob er den Test beantragen möchte, völlige Freiheit eingeräumt. Die Aussagefreiheit ihrerseits erschöpft sich nicht in dem Recht, zur Sache zu schweigen. Der Beschuldigte kann sich natürlich auch dafür entscheiden, sich zur Sache einzulassen – eine Befugnis, die schon der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verleiht. Daher ist das Aussageverweigerungsrecht zwar ein wichtiger Bestandteil der Aussagefreiheit, beschreibt aber nur das Recht zu Passivität.546 Zur Sicherung der Subjektstellung des Beschuldigten ist es aber erforderlich, ihm prozessuale Rechte an die Hand zu geben, mit denen er sich aktiv verteidigen kann, um so auf Gang und Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss nehmen zu können.547 Das Rederecht (z. B. §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) als zweites Element der Aussagefreiheit ermöglicht dies, ebenso wie weitere Rechte im Rahmen der Verteidigungsfreiheit.548 trennte Prozessgarantie darstellt; beide seien aber letztlich Aspekte der „radikalen Beschränkung“ (Rn. 31), die die „Inquisitionsfunktion“ der Vernehmung durch die Abkehr vom alten Inquisitionsprozess erfahren habe. – Für die hiesige Untersuchung ist allerdings nicht entscheidend, ob man – wie hier – beide Aspekte unter die Aussagefreiheit fasst oder sie getrennt betrachtet. 543 Siehe zum Verfassungsrang des nemo-tenetur-Prinzips BVerfGE 56, S. 37, 43 („Gemeinschuldnerbeschluss“). Auf welchen verfassungsrechtlichen Grundlagen die nemo tenetur-Garantie ihrerseits fußt, muss als ungeklärt gelten; oftmals wird das Prinzip mit der Menschenwürde begründet, aber auch das Rechtsstaatsgebot, die informationelle Selbstbestimmung und andere Ansätze der verfassungsrechtlichen Begründung werden genannt, vgl. instruktiv H. Möller, JR 2005, S. 314, 317 ff. 544 BGH, StV 1986, S. 421, 422. 545 Verrel, S. 36, 270; KMR-Lesch, Vor § 133 Rn. 32. 546 Zumeist wird die Aussagefreiheit mit dem Schweigerecht (im Sinne einer negativen Aussagefreiheit) gleichgesetzt; dazu, dass das Recht des Beschuldigten darauf, aussagen zu dürfen, also die positive Aussagefreiheit, ebenfalls Beachtung verdient, siehe Eser, ZStW 79 (1967), S. 565, 571, 576 f. (bzw. 213, 219, 224 f.) m.w. N. 547 BVerfGE 26, S. 66, 71; BVerfGE 57, S. 250, 275; BVerfGE 66, S. 313, 318 f.; BGHSt 38, S. 372, 374. 548 Etwa Rügerechte oder insbesondere Antragsrechte, siehe nur § 24 StPO, § 140 Abs. 2 StPO, und dort wiederum vor allem Beweisantragsrechte, §§ 136 Abs. 1 Satz 3 i.V. m. 163a Abs. 2, 201, 244 StPO; Erklärungsrecht zu Beweiserhebungen, § 257 StPO, und das Recht auf das letzte Wort, § 258 Abs. 2 StPO.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Wie weiter oben dargetan, handelt es sich auch bei den im Rahmen eines Tests zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung gemachten unwillkürlichen Äußerungen um Aussagen im Sinne des Strafprozessrechts.549 Daher hat der Beschuldigte nicht nur das Recht zu schweigen, sondern er darf auch ansonsten nicht gezwungen werden, sich durch Aussagen anderer, z. B. nonverbaler, unwillkürlicher Art, zum Tatvorwurf zu äußern. Auch bezüglich des „Lügendetektortests“ besteht somit für den Beschuldigten ein Aussageverweigerungsrecht, d. h. ein „Nichtbeantragungsrecht“ bzw. in Analogie zum eben Gesagten eine „Beantragungsfreiheit“. Frister550 und in seiner Folge Stalinski551 sind, soweit ersichtlich, die einzigen, die ausdrücklich die Aussagefreiheit als das durch die Zulassung der „Lügendetektion“ verletzte Recht späterer Angeklagter ansehen.552 Dabei rücken sie allerdings den Aspekt zu sehr in den Vordergrund, dass durch die Zulassung gleichsam ein Aussagezwang auf jene Angeklagten ausgeübt würde. Eine solche Perspektive betont einseitig die Freiheit der Entscheidung, ob der Angeklagte den Test in Anspruch nehmen will oder nicht. Ein von Frister und Stalinski nicht beachteter Gesichtspunkt ist das Schweigerecht bzw. hier das Nichtbeantragungsrecht als solches, das trotz Verwertungsverbot gefährdet scheint, wenn sich ein künftiger Angeklagter dafür entscheidet, den Beweisantrag auf Durchführung des Test nicht zu stellen. Die genaue Differenzierung der Perspektiven ist schon deswegen gerechtfertigt, weil eine Beeinträchtigung der Schweigebefugnis bereits dann möglich ist, wenn nur der „gesunde Menschenverstand“ in der oben beschriebenen Weise reagiert,553 dass er einen fehlenden Testantrag als Schuldindiz interpretiert; eines vom Angeklagten empfundenen Drucks bedarf es dazu gerade nicht. Die Einschränkung der Aussagefreiheit hingegen ist in der Tat eine direkte Folge des mittelbaren Drucks. Weil, wie oben gezeigt, die „alltägliche Schuldvermutung“ nicht in jeder Konstellation zwangsläufig auch zu einem Einwilligungsdruck führt, sollen die jeweiligen Konsequenzen im Folgenden getrennt untersucht werden: Zunächst wird beschrieben, wie sich der mittelbare Druck auf das Recht künftiger Angeklagter auswirkt, sich frei für oder gegen die Untersuchung mit einem „Lügendetektor“ zu entscheiden; im Anschluss werden die Folgen der „alltäglichen Schuldvermutung“ auf das Schweige- bzw. Nichtbeantragungsrecht derjenigen künftigen Angeklagten dargestellt, die sich gegen den Test entschieden haben. 549

Siehe oben 4. Kapitel B. I. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 325 f. 551 Stalinski, S. 127 f. 552 Eine Beeinträchtigung der Aussagefreiheit nimmt auch Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39, an, der jedoch im Wege der Abwägung der verschiedenen Interessen zu dem gegenteiligen Ergebnis gelangt, dass den Belangen des nach Entlastung suchenden Angeklagten im Fall des Beweisnotstands der Vorzug gegenüber den Interessen künftiger Angeklagter einzuräumen sei. 553 Siehe 4. Kapitel F. II. 1. b). 550

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(1) Beeinträchtigung des Rechts, frei über die Inanspruchnahme des Tests zu entscheiden Nun wäre jedoch bereits die Feststellung vorschnell, dass der mittelbare Einwilligungsdruck überhaupt mit einer Einschränkung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter einherginge. Ob die entsprechende These richtig ist, hängt davon ab, was man unter dem Wesen der Aussagefreiheit versteht. Unstrittig umfasst die Aussagefreiheit zwar die Freiheit von rechtlichem und körperlichem Zwang.554 Nicht eindeutig ist indes, ob sie auch die Freiheit von psychischem Zwang umfasst – wie bei dem hier relevanten Druck, zur Vermeidung etwaiger Nachteile den Test in Anspruch zu nehmen, ohne dies eigentlich zu beabsichtigen. Zur Beantwortung dieser Frage lassen sich zwei entgegengesetzte Standpunkte einnehmen, je nachdem, ob man gleichsam ein formelles oder ein materielles Verständnis von der Aussagefreiheit bevorzugt.555 Bei einem formellen Verständnis bleibt die Wahlfreiheit künftiger Angeklagter durch einen bloß indirekten Einwilligungsdruck insgesamt unberührt, solange noch ein Rest an Wahlfreiheit vorhanden ist. Nach diesem Verständnis bedeutete Aussagefreiheit nichts weiter als die Freiheit davon, rechtlich oder physisch zur Aussage gezwungen zu werden.556 Die Gegenposition muss danach fragen, was eine solche Freiheit noch wert sein kann, wenn sie de facto keine wirkliche mehr ist, sondern gleichsam nur auf dem Papier besteht. Eine „materiell“ verstandene Aussagefreiheit ist bereits dann nicht mehr vollständig garantiert, wenn durch maßgeblichen Druck die Entscheidung in eine Richtung stark vorgezeichnet ist. Es werden beide Positionen eingenommen.557 Dabei ist jedoch auffällig, dass mit Ausnahme von Stalinski558 das, was jeweils unter dem Wesen der Aussagefreiheit verstanden wird, zumeist nur behauptet und nicht einmal als Postulat gekennzeichnet wird. Das gleiche Phänomen findet sich bei der Frage, ob psy554

Stalinski, S. 120. Vgl. Stalinski, S. 121 ff., im Zusammenhang mit der Frage, ob der übliche „Geständnisbonus“ (vgl. dazu auch unten 4. Kapitel F. II. 2.) zu einer Beschränkung der Aussagefreiheit anderer Angeklagter führt (Nachweise zu den Vertretern beider Positionen auf S. 110 ff.). 556 Vgl. Stalinski, S. 121. 557 Vgl. einerseits für ein formelles Verständnis Sternberg-Lieben, S. 276: „Die Anwendung des Polygraphen [. . .] würde auch keineswegs [. . .] die grundrechtlich garantierte verfahrensrechtliche Stellung anderer Beschuldigter nachteilig verändern, da diese als Verfahrenssubjekt frei darüber entscheiden können, ob sie sich einem entsprechenden Testverfahren unterziehen [. . .].“ (Hervorh. v. Verf.); andererseits müssen all jene, für die der mittelbare Druck zu einer Beeinträchtigung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter führt (z. B. Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 325 f.) dies auf der Grundlage eines materiellen Verständnisses von der Aussagefreiheit tun. 558 Siehe oben Fn. 555. 555

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chischer Zwang den nemo-tenetur-Grundsatz berühren kann; auch hierbei wird zur Begründung der Ergebnisse ein seinerseits unbegründetes Vorverständnis vom Wesen des Prinzips herangezogen.559 Diese unterschiedlichen und als solche nicht thematisierten Vorverständnisse vom Garantiegehalt der Aussagefreiheit mögen manche Verwirrung und manches Missverständnis erklären. In der Sache ist jedenfalls den Vertretern der materiellen Aussagefreiheit beizupflichten. Eine Aussagefreiheit, die nur die Abwesenheit von direktem Zwang garantieren wollte, hätte mit Freiheit im klassisch-liberalen Sinn nicht mehr viel gemein, wenn die Konsequenzen der Entscheidung für eine der beiden Optionen – Inanspruchnahme des Tests ja oder nein – derart ungleich verteilt sind. Die Prozesssituation ist für den Angeklagten ohnehin bereits durch ein strukturelles Ungleichgewicht gekennzeichnet;560 zur Erhaltung eines Mindestmaßes an Beschuldigtenrechten ist es daher erforderlich, von der Wahrung der Aussagefreiheit erst dann zu sprechen, wenn beide Entscheidungen Konsequenzen von wenigstens ähnlichem Gewicht nach sich ziehen.561,562 Innerhalb des so abgesteckten Rahmens würde die Zulassung des „Lügendetektortests“ in der hier betrachteten Fallkonstellation somit die Aussagefreiheit anderer Angeklagter beschränken. Denn entscheidet sich ein künftiger Angeklagter, vor die Wahl gestellt, ob er sich einem „Lügendetektor“-Test unterziehen möchte oder nicht, für sein Nichtbeantragungsrecht, hat dies zur Konsequenz, dass der Tatrichter dieses Prozessverhalten als Schuldindiz interpretiert563 – von „wirklicher“ Aussagefreiheit kann dann nicht mehr gesprochen werden. 559 Dies ist gut zu beobachten etwa bei Rau, S. 85 u. 86. Für ihn kann sich ein Verwertungsverbot für das Schweigen unter anderem deshalb nicht aus der ratio des nemo-tenetur-Prinzips ergeben, weil „die Drucksituation ausschließlich psychologisch und [. . .] nicht so ,massiv‘ wie andere Formen des Zwangs“ sei. Warum „bloß“ mittelbare Zwangseinwirkungen auf das Schweigerecht rechtlich ohne Relevanz sein und also nur „klassische Formen“ (Rau, S. 86) des Zwangs von der Garantie des Grundsatzes erfasst sein sollen, erörtert Rau nicht. Ganz im Gegensatz zu Rau hält sich etwa Eidam, S. 239 ff., insb. S. 242 ff., bei seiner ausführlichen Darstellung erst gar nicht mit der Überlegung auf, dass psychologischer Druck unter dem Gesichtspunkt des nemo-tenetur-Prinzips zulässig sein könnte. Janke wiederum ist der Ansicht, der indirekte Druck stelle kein Problem für die Zulässigkeit der Absprache („Deal“) dar und folgt unausgesprochen einem „formalen“ Verständnis der nemo-tenetur-Garantie („[. . .] steht der Angeklagte nicht so ,unter Druck‘, als daß es nicht mehr in seiner Willensmacht stünde, wie er sich verhalten soll.“ [Janke, S. 159]) 560 Vgl. Eisenberg, Rn. 54; Schünemann, Absprachen S. 12 f. 561 Siehe zum Ganzen Stalinski, S. 122. 562 Auch das Bundesverfassungsgericht vertritt der Sache nach eine materielle Auffassung vom Wesen der Aussagefreiheit, zumindest was die Frage des mittelbaren, also (bloß) psychischen Drucks betrifft. Das Gericht begründete die Unverwertbarkeit der Ausübung des Schweigerechts damit, dass anderenfalls der Beschuldigte „mittelbar einem unzulässigen psychischen Aussagezwang“ ausgesetzt und dadurch das Schweigerecht „illusorisch“ wäre, BVerfG, StV 1995, S. 505, 506. 563 Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. b) und 4. Kapitel F. II. 1. c); vgl. auch etwa Kassationsgericht des Kantons Zürich, Kriminalistik 2003, S. 190.

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Es gilt jedoch daran zu erinnern, dass die Zulassung der „Lügendetektion“ in dieser Konstellation nur zu einem Einwilligungsdruck bei faktisch unschuldigen Angeklagten führen würde, die zwar durch Indizien belastet sind, die jedoch nach dem Stand der Dinge erwarten dürften, dass sie ohne Test freigesprochen würden.564 Vermutlich nur in dieser Beweissituation würden die (unschuldigen) Angeklagten überhaupt einen nennenswerten Druck verspüren, der die Beeinträchtigung ihrer Aussagefreiheit zur Folge hätte – drohte den künftigen Angeklagten hingegen ohnehin eine Verurteilung, wäre deren Aussagefreiheit in aller Regel nicht beeinträchtigt.565 Somit stellt sich auch nur für die erstgenannte Beweissituation die Frage, ob die Beeinträchtigung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter letztlich ein stichhaltiges Argument gegen die Zulassung sein kann.566 (2) Beeinträchtigung des Rechts, den Test nicht in Anspruch nehmen zu müssen (Beeinträchtigung des Schweigerechts) Auch ohne dass künftige Angeklagter überhaupt einen zusätzlichen Einwilligungsdruck verspüren würden, könnte die Zulassung der „Lügendetektion“ jedoch das Schweigerecht567 jener künftiger Angeklagter beschränken, die den Test nicht in Anspruch nehmen. Während im Rahmen der Frage nach der möglicherweise beschränkten Aussagefreiheit die Betonung auf der Entscheidungsfreiheit liegt, also der Situation vor der eigentlichen Entscheidung, geht es hier darum, dass die Ausübung des Schweigerechts selbst, also die Entscheidung gegen die Inanspruchnahme des Tests als Ergebnis der Entscheidungsfindung, nachteilige Konsequenzen für künftige Angeklagte hätte. Es wurde bereits beschrieben, wie selbst ein Verwertungsverbot keineswegs garantieren könnte, dass aus einer unterbliebenen Testbeantragung nicht der für den Angeklagten nachteilige Schluss gezogen werden würde, sein Untätigbleiben könne nur mit dem Eingeständnis erklärbar sein, er habe die ihm vorgeworfene Tat begangen.568 Die Wahrnehmung des dem Angeklagten garantierten 564

Siehe 4. Kapitel F. II. 1. e). Vgl. ebenfalls oben 4. Kapitel F. II. 1. e). 566 Folgt man hingegen der hier vorgenommenen Einschätzung der Drucksituation im Falle einer drohenden Verurteilung nicht und geht auch für diese Situation davon aus, dass künftige Angeklagte einem indirekten Einwilligungsdruck ausgesetzt wären, wäre auch deren Aussagefreiheit beeinträchtigt und dann müssten auch ihre Rechte in die unten [siehe 4. Kapitel F. II. 1. g) bb)] vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen einbezogen werden. 567 Da im Rahmen der Glaubwürdigkeitsuntersuchung mit hirnbildgebenden Verfahren strafprozessuale Aussagen gemacht werden (siehe oben 4. Kapitel B. I.), geht es hier auch um eine Beeinträchtigung des Schweigerechts und nicht etwa nur um eine Einschränkung des durch das nemo-tenetur-Prinzip gewährleisteten Mitwirkungsverweigerungsrechts. 568 Siehe dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. d) bb). 565

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Rechts zu schweigen, bzw. hier: den Test nicht in Anspruch zu nehmen, bärge also zumindest die Gefahr nachteiliger Folgen. Die Zulassung des Tests würde wohl dazu führen, dass diejenigen, die den Test nicht beantragten, aus welchen Gründen auch immer, sich durch die bloße Ausübung ihres Rechts selbst belasteten. Wie bereits bei der Begründung des Verwertungsverbots dargestellt,569 würde das „Nichtbeantragungsrecht“ späterer Angeklagter somit tendenziell zum privilegium odiosum, weil eben dieses Verwertungsverbot nicht zu verhindern vermag, dass sich die Position des Angeklagten nur verschlechtern kann. Im schlimmsten Fall hätte die bloße Ausübung eines Rechts zur Folge, dass der Angeklagte ihretwegen verurteilt würde: Nämlich dann, wenn die Annahme, wer dieses Recht in Anspruch nehme, offenbare dadurch seine Schuld, den „Mosaikstein“ darstellte, der die letzten „vernünftigen Zweifel“ des Gerichts an der Schuld des Angeklagten ausräumte. Auch hier ist nun das Ausmaß der Beeinträchtigung des Schweigerechts näher zu bestimmen. Für die Beweissituation, in der nach dem Gang der Verhandlung mit einer Verurteilung zu rechnen ist, gilt Folgendes: Weiter oben570 wurde beschrieben, dass dann aus der „alltäglichen Schuldvermutung“ kaum ein Einwilligungsdruck folgen kann, weil der faktisch Unschuldige sich vernünftigerweise für und der faktisch Schuldige sich gegen den Test entscheiden müsste, unabhängig von einem zusätzlichen Schuldindizvermeidungsdruck. Dieser Umstand hat nun eine verstärkende Rückwirkung auf die Intensität der Schuldvermutung: Wenn es sich gerade in dieser Konstellation, mit einem vorausgesetzten beinahe perfekten Verfahren der „Lügendetektion“, in der Tat so verhält, dass fast ausschließlich Schuldige den Test nicht in Anspruch nähmen, steht erst recht zu vermuten, dass ein fehlender Testwunsch dann als Schuldeingeständnis verstanden würde. Die Vermutung wäre ungleich stärker als bei dem herkömmlichen Schweigen, denn das Risiko des Schuldigen, sich durch seine verbale Aussage selbst zu belasten, ist weitaus geringer als sein Risiko, wenn er sich dem Test unterzöge: Dieser würde fast zwangsläufig zu einer Selbstbelastung führen, die gleichzeitig in aller Regel seine Verurteilung besiegelte. Das Verwertungsverbot würde den „Beweiswert“ des unterbliebenen Testwunsches zwar stark eindämmen – angesichts der Stärke der Schuldvermutung würde das Schweigerecht künftiger Angeklagter durch die Zulassung der „Lügendetektion“ mutmaßlich gleichwohl in nicht unerheblichem Maße eingeschränkt. cc) Zusammenfassung Würde dem „ersten“ entlastungswilligen Angeklagten gestattet, durch die Einwilligung in die Durchführung eines „Lügendetektor“-Tests über sein allge569 570

Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. d) aa) (2). Siehe 4. Kapitel F. II. 1. e).

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meines Persönlichkeitsrecht bzw. seinen Menschenwürdeschutz zu verfügen, geriete die vollständige Gewährung der Aussagefreiheit künftiger Angeklagter unter verschiedenen Blickwinkeln in Gefahr. Es würde zunächst das Schweigerecht bzw. Nichtbeantragungsrecht derjenigen künftigen Angeklagten erheblich beeinträchtigt, denen nach dem Gang der Hauptverhandlung eine Verurteilung drohte und die sich dafür entschieden, den Test nicht in Anspruch nehmen zu wollen – wofür insbesondere der tatsächliche Täter gute Gründe hätte. Auf einen indirekten, durch die „alltägliche Schuldvermutung“ ausgelösten Einwilligungsdruck kommt es dabei hier nicht an. Der mittelbare Druck würde sich bei dieser Beweislage ohnehin nicht in nennenswertem Maße entwickeln, weshalb eine Einschränkung der – umfassend verstandenen – Aussagefreiheit dann nicht zu befürchten wäre. Diese Aussagefreiheit wäre jedoch beeinträchtigt, wenn nach der Beweissituation ein Freispruch wahrscheinlich wäre. Darüber hinaus wäre hier ebenfalls das Schweigerecht derjenigen Angeklagten berührt, die sich gegen die Inanspruchnahme des Tests entscheiden würden. dd) Mittelbarer Druck und allgemeines Persönlichkeitsrecht Schließlich könnten unter einem weiteren Gesichtspunkt Drittinteressen betroffen sein, würde die Aussagebegutachtung des Beschuldigten mittels hirnbildgebender Verfahren zugelassen: Der mittelbare Druck auf spätere Angeklagte, den Test an sich durchführen zu lassen, mag Zweifel wecken daran, ob deren Einwilligung in den Test dann noch als freiwillig anzusehen wäre. Müsste man dies verneinen, bedeutete die Vornahme des Tests einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht571 jener Angeklagten, die den Test ohne diesen zusätzlichen Druck nicht beantragt hätten. Um es zu verdeutlichen: Eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtsrechts kommt nur bei jenen Angeklagten überhaupt in Frage, die sich für die Inanspruchnahme des Tests entscheiden und auch nur dann, wenn die Inanspruchnahme ihren Grund zumindest überwiegend darin hat, dass der Angeklagte so die nachteiligen Folgen vermeiden will, die sein Untätigbleiben vermutlich zeitigen würde. Die Einwilligung müsste also auf dem indirekten Druck beruhen.

571 Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt näher als ein Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie (vgl. Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351 und bereits oben 4. Kapitel D.), auch wenn der BGH dies in seiner Entscheidung von 1998 offenkundig anders sah. Siehe unter 4. Kapitel D. i. Ü. auch dazu, dass der Schutzbereich dieses Grundrechts jedenfalls potentiell betroffen wäre und dies nur durch eine wirksame, also insbesondere freiwillige Einwilligung „gerechtfertigt“ werden könnte.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Wie bei der Aussagefreiheit scheidet dies dann regelmäßig aus, wenn die Analyse der Beweislage ergibt, dass ohne Test die Verurteilung des Angeklagten zumindest wahrscheinlich wäre, weil für diese Situation davon ausgegangen werden muss, dass die Angeklagten den zusätzlichen Einwilligungsdruck schon gar nicht verspüren würden, er aber jedenfalls nicht die Triebfeder für ihre Einwilligung wäre.572 Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht künftiger Angeklagter kann somit überhaupt nur dann gegen die Zulassung zuverlässiger „lügendetektorischer“ Verfahren ins Feld geführt werden, wenn festgestellt wird, dass mit den vorhandenen Indizien eine Verurteilung wohl nicht begründet werden könnte, der Angeklagte also in Ansehung der Unschuldsvermutung wahrscheinlich freigesprochen werden müsste. Aus diesen Gründen ist in ihrer Pauschalität die Auffassung Kochs nicht haltbar, wonach von Freiwilligkeit nicht mehr gesprochen werden könne, wenn sich die Betroffenen auf Grund des Drucks gedrängt sähen, in den Test einzuwilligen.573 Wie sich zeigte, könnte einzig bei Unschuldigen, die an sich einen Freispruch erwarten könnten, regelmäßig nicht mehr von einer freiwilligen Entscheidung gesprochen werden, wenn sie sich zuvorderst aus Angst vor dem Schuldindiz dazu entschlössen, den Test in Anspruch zu nehmen. Nur für diese Situation kann der Auffassung Kochs zugestimmt werden. g) Konsequenzen für die Zulässigkeit nach Abwägung der betroffenen Interessen Es hat sich gezeigt, dass die Beeinträchtigung der Interessen künftiger Angeklagter stark von der konkreten Beweissituation abhinge. Die Belange des entlastungswilligen „ersten“ Angeklagten unterscheiden sich ebenfalls danach, wie sogleich noch deutlich zu machen sein wird. Die Frage, welche Folgen sich daraus für die Zulässigkeit der „Lügendetektion“ mit hirnbildgebenden Verfahren ergeben, ist daher im Folgenden getrennt nach der Beweislage zu untersuchen.574 572

Vgl. eingehend oben 4. Kapitel F. II. 1. e). Koch, S. 133. Es ist irreführend, wenn Koch (a. a. O. Fn. 311) hier meint, Robbers, JuS 1985, S. 925, 930, sehe dies ebenso, denn Robbers gibt lediglich den Beschluss des Dreier-Ausschusses des BVerfG von 1981 wieder und vermutet eine „im Hintergrund stehende“ Gefahr des mittelbaren Drucks; einer eigenen Stellungnahme enthält er sich jedoch. 574 Noch einmal sei diesbezüglich darauf hingewiesen, dass diese Differenzierung zunächst unabhängig davon betrachtet wird, wie es zu bewerkstelligen wäre, die Beweissituation und damit die Verurteilungswahrscheinlichkeit in einer realen Hauptverhandlung festzustellen. Darüber hinaus ist auch unsicher, ob der Tatrichter und der Angeklagte überhaupt von derselben Beweislage ausgehen – wäre dem nicht so, könnte dies wiederum Verschiebungen in der Beurteilung zur Folge haben. Die Unterteilung wird daher durchaus in dem Bewusstsein vorgenommen, dass die Prozesswirklichkeit zu dynamisch, von schwer fassbaren psychologischen Variablen abhängig und 573

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aa) Nach der Beweislage wäre eine Verurteilung wahrscheinlich Die (spekulative) Analyse der psychologischen Situation, in der sich Tatrichter und künftiger Angeklagter befinden, hat ergeben, dass zwar ein ausbleibender Testantrag vermutlich als nicht unerhebliches Schuldindiz gewertet würde, dass daraus aber weder beim „wahren“ Schuldigen noch beim tatsächlich Unschuldigen ein nennenswerter (zusätzlicher) Einwilligungsdruck resultieren würde. Damit scheidet zwar eine relevante Tangierung der Aussagefreiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus.575 Es hat sich jedoch gezeigt, dass hier das Schweige- bzw. Nichtbeantragungsrecht jener künftigen Angeklagten, die sich gegen die Inanspruchnahme des Tests entschieden, nicht unerheblich beeinträchtigt würde. Was bedeutete diese Beeinträchtigung des Schweigerechts nun für die Zulässigkeit der „Lügendetektion“ in dieser Konstellation? Es geht um die Frage, wie die Kollision zwischen dem grundrechtlich geschützten Interesse des Angeklagten an der Vermeidung einer ungerechtfertigten Strafe mit dem letztlich auch grundrechtlich geschützten Interesse künftiger Angeklagter am vollständigen Erhalt ihres auf der nemo tenetur-Garantie beruhenden Nichtbeantragungs- bzw. Schweigerechts aufzulösen ist. Amelung und andere vertreten hierzu der Ansicht, dass diese, „wie bei jeder Grundrechtskollision“576 auch, im Wege „praktischer Konkordanz“ zu einem möglichst „schonenden Ausgleich“ zu bringen seien.577 Abgesehen davon, dass der Ausgleich widerstreitender Grundrechte im Sinne „praktischer Konkordanz“ keineswegs allgemein als Lösung des Problems anerkannt ist578 – schon gar nicht für alle Kollisionsfälle579 – ist diese Vorgehensweise jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall abzulehnen. Denn richtigerweise ist für jede einzelne der hier untersuchten Fallkonstellationen eine eigenständige Entscheidung zu treffen, da sich zeigte und noch zeigen wird, dass die rechtliche Situation je nach Konstellation zu stark divergiert, als dass man im Zuge einer Gesamtsaldierung durch Ver-

daher zu unscharf ist, als dass sie sich in ein solches Schema pressen ließe. Nichtsdestoweniger kann bereits eine Orientierung anhand dieser theoretischen und groben Leitlinien ein weiterer Schritt sein auf dem Weg, die Konsequenzen des mittelbaren Drucks „überschaubar“ zu machen (vgl. noch einmal SK-StPO-Rogall § 136a Rn. 78); überdies stehen ohnehin keine anderen Beurteilungsmaßstäbe zur Verfügung, so dass die Alternative darin bestünde, sich überhaupt nicht zu dem Problemkomplex zu äußern. 575 Siehe 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (1) bzw. 4. Kapitel F. II. 1. f) dd). 576 Brandis, S. 296. 577 Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39; ihm neben Brandis, S. 296, folgend Dalakouras, S. 178 f. 578 Siehe Pieroth/Schlink, Rn. 327 ff.; siehe i. Ü. zur praktischen Konkordanz etwa Harald Schneider, S. 22. 579 Vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 331 ff.

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

schiebungen zwischen den einzelnen Fallgestaltungen insgesamt zu einem möglichst schonenden Ausgleich der jeweils betroffenen Interessen gelangen könnte. Es ist also nicht möglich, vor dem Hintergrund der „praktischen Konkordanz“ etwa zu fordern, den Test „gänzlich aus dem Ermittlungsverfahren herauszuhalten“.580 Vielmehr ist auch für diese wie für andere Fallkonstellationen jeweils isoliert zu untersuchen, ob überhaupt eine Interessenkollision vorliegt und wie diese gegebenenfalls aufzulösen ist. Anderenfalls ginge die Gewährung des Tests zu Gunsten des konkret betroffenen Beschuldigten in der einen Situation (etwa im Hauptverfahren) womöglich zu Lasten der nach Entlastung strebenden Beschuldigten in einer anderen Situation (etwa durch Versagung der Testmöglichkeit im Ermittlungsverfahren), um insgesamt die Rechte künftiger Beschuldigter zu schonen. Dies bedeutete jedoch eine unzulässige Instrumentalisierung der „geopferten“ Beschuldigten. Zunächst sind die jeweils betroffenen Interessen klar zuzuordnen: Dem konkreten Angeklagten, der einer Verurteilung entgegensieht und dem die Inanspruchnahme eines zuverlässigen „Lügendetektor“-Tests verwehrt würde, drohte, je nach verwirklichtem Delikt und je nach Einzelfall, der Eingriff in sein Grundrecht auf körperliche Bewegungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und/oder in sein Grundrecht auf Eigentum nach Art. 14 GG; hinzu kommt in jedem Fall eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs.1 GG durch den mit der Verurteilung verbundenen „sozialethischen Tadel“581; im Fall eines Berufsverbots nach § 70 StGB käme noch der Eingriff in Art. 12 GG hinzu; die Zulassung der „Lügendetektion“ trüge zudem zur Verbesserung der Wahrheitssuche im Strafprozess bei. Würde der Test in dieser Konstellation zugelassen, würde allerdings das verfassungsrechtlich geschützte Schweigerecht bzw. „Nichtbeantragungsrecht“ derjenigen künftigen Angeklagten beeinträchtigt, die sich gegen die Inanspruchnahme der Testmöglichkeit entschieden. Es ist nun nicht ersichtlich, weshalb, etwa als Folge einer abstrakten Rangaussage,582 einer der beiden Interessen von vornherein der Vorrang zu gewähren wäre583 – auch wenn auf Seiten der Zulassung ein quantitatives Übergewicht zu 580

Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39; ihm wiederum folgend Dalakouras, S. 179. Siehe bereits oben 4. Kapitel E. 582 Selbst wenn man die Möglichkeiten einer solchen akzeptierte, vgl. dazu ausführlich Harald Schneider, S. 153 f. – Vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 78 ff., passim, der die Grundrechte als Prinzipien versteht, mit der Folge, dass im Kollisionsfall eines der Prinzipien zurückzutreten habe; und zwar eben nicht in dem Sinn, dass eines der Prinzipien ein abstrakt höheres Gewicht hätte, sondern stets in Abhängigkeit von bestimmten Umständen – „unter anderen Umständen kann die Vorrangfrage umgekehrt zu lösen sein“ (S. 79). 583 Vgl. BVerfGE 51, S. 324, 345 (zu der Frage, ob im Falle eines Beschuldigten, der mit der Durchführung der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung einen Herzinfarkt zu erleiden drohte, die Pflicht des Staates zur Gewährleistung einer funktions581

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verzeichnen sein mag. Vielmehr kommt es darauf an, welchem der abstrakt gleichrangigen Belange im konkreten Fall das höhere Gewicht zukommt. Es ist somit eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit, Proportionalität) vorzunehmen.584 Für die Gewichtung der widerstreitenden Interessen ist dabei neben der jeweiligen Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung die Intensität der im nachteiligen Fall zu gewärtigenden Einbußen zu berücksichtigen. Auch Frister, der als einer der wenigen eine ausführlichere Abwägung vornimmt,585 postuliert ebenfalls keinen prinzipiellen Vorrang; vielmehr kommt es für ihn auch auf das Maß der Beeinträchtigung der sich gegenüberstehenden Interessen an.586 Frister gelangt diesbezüglich zu einem raschen Ergebnis: Der Schutz der Aussagefreiheit587 künftiger Angeklagter, der durch eine Zulassung der „Lügendetektion“ wegen des indirekten Drucks bedroht wäre, gehe den Interessen des um Entlastung ringenden konkreten Angeklagten vor, denn der Schutz der Aussagefreiheit habe Vorrang vor dem „Risiko der Verurteilung Unschuldiger“.588 Fristers Argumentation kann allerdings schon im Ansatz nicht überzeugen. Denn er verortet im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen den „Gewinn“ einer Zulassung der „Lügendetektion“ allein auf der quantitativen tüchtigen Strafrechtspflege oder das Interesse des Beschuldigten an der Wahrung seiner verfassungsgemäß verbürgten Rechte vorrangig sei). 584 Dass die mit der Erlaubnis des „Lügendetektoreinsatzes“ verbundene Beeinträchtigung der Rechte künftiger Angeklagter geeignet wäre, den Entlastung suchenden Angeklagten vor der Preisgabe seiner Grundrechte zu bewahren, lässt sich nicht in Zweifel ziehen; denn wenn das Testergebnis „aufrichtig“ lautet, bestehen gute Chancen, dass der Angeklagte daraufhin freigesprochen wird und somit seine Rechtsgüter vor jeder Einbuße bewahren kann. Ebenso wenig kann daran gezweifelt werden, dass die Gestattung des Tests notwendig (erforderlich) wäre, denn hier ist gerade vorausgesetzt, dass dem Angeklagten außer der apparativen Glaubwürdigkeitsbegutachtung keine weiteren Entlastungsmittel zur Verfügung stehen, und der Staat somit keine Möglichkeiten hat, den verfolgten Zweck mit Mitteln zu erreichen, die künftige Angeklagte weniger belasten würden. – Vgl. kritisch zu dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit i. e. S. Pieroth/Schlink, Rn. 293 ff.; Martins, S. 146 f. 585 Ansätze einer Abwägung finden sich noch bei Brandis, S. 297 f. 586 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 328 f. 587 Bei Frister finden sich die hier weiter oben vorgenommenen Differenzierungen zwar nicht, weshalb für ihn „die“ Aussagefreiheit beeinträchtigt wäre, gewährte man dem entlastungswilligen Angeklagten die rechtliche Möglichkeit, mit der Einwilligung in den Einsatz des „Lügendetektors“ über seine Menschenwürde bzw. sein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu verfügen. Aber auch wenn es im vorliegenden Zusammenhang nicht die aus dem indirekten Druck resultierende Aussagefreiheit ist, die gefährdet wäre, sondern konkret das Schweigerecht jener künftigen Angeklagten, die tatsächlich „schwiegen“, kann an dieser Stelle gleichwohl eine Auseinandersetzung mit Fristers Thesen erfolgen, da sie strukturell ebenso auf den hier untersuchten Fall anwendbar sind. 588 Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 328 f., 330.

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Ebene, indem er auf dem Habenkonto einer Zulassung lediglich die möglicherweise – seiner Ansicht nach zu vernachlässigende – sinkende Anzahl an Fehlurteilen verbucht. Dabei, und das ist ausschlaggebend, geraten Frister in wenig nachvollziehbarer Weise aber der konkrete, nach Entlastung suchende Angeklagte, seine Interessen und Rechte beinahe vollständig aus dem Blick.589 Frister hält augenscheinlich die konkret gefährdeten Grundrechte dieses Angeklagten keiner weiteren Beachtung für wert. Über den abstrakten Vorteil einer optimierten Wahrheitssuche und das damit erzielte höhere Maß an Gerechtigkeit hinaus sind es aber gerade die benannten Grundrechte, deren vollständiger Erhalt im Interesse des Angeklagten steht. Mag man noch über die (gar nicht entscheidende) Rangordnung der auf der Habenseite der Zulassung stehenden Interessen streiten: Frister durfte den konkret betroffenen Angeklagten jedenfalls nicht weitgehend ignorieren. Nimmt man dessen Grundrechte in die Abwägung hinein, ergibt sich ein der Auffassung von Frister entgegengesetztes Bild. Die Beeinträchtigung des Schweigerechts künftiger Angeklagter wäre zwar nicht nur „mittelbar“, 590 sondern folgte eben direkt aus der Tatsache, dass der Tatrichter einen ausgebliebenen Testantrag als Schuldeingeständnis einstufen würde. Auch ist anzuerkennen, dass es sich zunächst einmal um eine recht starke Beeinträchtigung handeln würde.591 Schließlich kann mit guten Gründen erwartet werden, dass ein Verbot, einen ausbleibenden Testantrag als Schuldindiz zu würdigen, die Beeinträchtigung des Schweigerechts nicht aufhöbe.592 Andererseits kann die Existenz des Verwertungsverbots jedoch keinesfalls unterschlagen werden; man darf nicht – wie aber wohl Frister, der sich mit der Dämmungswirkung des Verwertungsverbots nicht auseinandersetzt – unausgesprochen unterstellen, dass es überhaupt keine Wirkung hätte. Diese Wirkung hätte es durchaus: Mag man 589 Und dies, obwohl Frister zuvor einräumt, dass das Interesse des Einzelnen, sich mit „einer nicht willentlich kontrollierten Offenlegung des eigenen Wissens zu verteidigen“ für ihn „existentielles Gewicht“ bekommen kann (S. 327). Sobald Frister jedoch im Rahmen der eigentlichen Interessenabwägung argumentiert, lässt sich dieser Aspekt praktisch nicht mehr finden (S. 329). Vielmehr behauptet Frister einerseits, die Befürworter einer Dispositionsbefugnis argumentierten „nur mit dem Einzelfall“ (!), räumt dann aber doch noch ein, dass zumindest Amelung sich einer Abwägung nicht verschließt (S. 330, was allerdings auf S. 329 noch bestritten wurde: „[. . .] nicht tragfähige Erwägung, dass das Risiko eines ,Opfers von Freiheit und Eigentum Unschuldiger‘ einer Abwägung nicht zugänglich sei“), und hält schließlich die von Amelung geforderte „praktische Konkordanz“ dann aber für eine „Illusion“ (S. 330), ohne die Interessen des betroffenen Angeklagten zu gewichten. 590 So Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39. Das Argument der Mittelbarkeit der Beeinträchtigung kann nur zutreffen, wenn die Rechtsbeeinträchtigung gerade auf dem indirekten Druck beruht (wie im Fall der Aussagefreiheit bzw. des allgemeinen Persönlichkeitsrechts); insoweit wurde es von Amelung auch vollkommen zu Recht in die Diskussion gebracht. 591 Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (2). 592 Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. d) bb).

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auch vermuten, dass die Prozesse der Beweiswürdigung zum Teil unkontrolliert ablaufen, so darf nicht vergessen werden, dass der Verstand des Tatrichters naturgemäß nicht ausgeschaltet wäre. Dieser ist vielmehr das Korrektiv, wenn nicht gar der Hauptakteur, der sich an das Verwertungsverbot zu halten sucht, wobei die Begründungspflicht gemäß § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO593 als stete Mahnung dient. Kann das Verwertungsverbot die Schuldvermutung also nicht völlig tilgen, muss doch gesehen werden, dass es einen erheblichen mildernden Einfluss594 hat – mit der Konsequenz, dass das Schweigerecht künftiger Angeklagter in toto keineswegs auch nur annähernd in ähnlich starkem Ausmaß beeinträchtigt würde, wie dies ohne Verwertungsverbot der Fall wäre. In diesem Zusammenhang ist schließlich zu berücksichtigen, dass die aus der Interpretation der Nichtbeantragung als Schuldindiz resultierende Einschränkung des Schweigerechts sich nur bei denjenigen künftigen Angeklagten auch materiell nachteilig auswirkt, bei denen gerade das Schuldindiz den entscheidenden Faktor, den „letzten Mosaikstein“ für eine Verurteilung bedeutete – was überdies, wegen der Begründungspflicht, zusätzlich durch eine unbewusste Höherbewertung der anderen vorliegenden Indizien begründet werden müsste.595 Alle anderen Angeklagten, die sich gegen die Inanspruchnahme des Tests entschieden und die entweder freigesprochen würden oder bei denen die Verurteilung nicht auf dem Schuldindiz „ausgebliebener Testantrag“ beruhte, wären zwar in ihrem Schweigerecht beeinträchtigt, die Beeinträchtigung hätte jedoch in der Prozesswirklichkeit keine Folgen. Demgegenüber ist in der hiesigen Fallgestaltung die „Not“ des Angeklagten akut, es ist gleichsam Gefahr im Verzug.596 Überdies droht ihm im schwerwiegendsten Fall im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG der (zumindest zeitweise) Totalverlust eines Grundrechts. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Mittel, das zur Abwendung der Gefahr Anwendung finden soll, bei einer unterstellten Zuverlässigkeit von beinahe 100 Prozent allerbeste Erfolgsaussichten bietet, die Grundrechtsverletzung – im Fall der tatsächlichen Unschuld des 593

Vgl. genauer oben Fn. 504. Wenn man nicht schon wie der BGH und andere mit dem Hinweis auf das Verwertungsverbot jegliche Befassung mit den Belangen anderer Angeklagter von vornherein für unnötig erklärt. 595 Vgl. bereits oben 4. Kapitel F. II. 1. d) bb). 596 Frister hingegen erwähnt zwar die Situation des „Beweisnotstands“, entledigt sich des Problems jedoch mit dem Einwand, auch bei einer Zulassung nur als letztes Mittel der Entlastung entstehe die Gefahr, dass sich die Anforderungen an den Schuldbeweis unmerklich verschieben könnten (Frister, ZStW 106 [1994], S. 303, 329 f.). – Die Frage einer möglichen Verschiebung bei der Urteilsfindung ist, mit Einschränkungen, nun bereits in Fristers Sinne beantwortet [siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. e) u. 4. Kapitel F. II. 1. g) bb)]. Dass aber allein aus dieser Überlegung unweigerlich der Vorrang der Aussagefreiheit folgen soll, ist wenig verständlich und im Ergebnis auch nicht zutreffend, wie sich zeigt. 594

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Angeklagten – auch wirklich verhindern zu können. Bei einer Orientierung insbesondere an dem Ausmaß der Rechtsbeeinträchtigung kann es somit wenig Zweifel daran geben, dass – zumindest in dieser Konstellation und jedenfalls bei drohender Freiheitsstrafe – den geschilderten Interessen des konkret belasteten Angeklagten der Vorrang vor den Belangen künftiger Angeklagter an dem vollständigen Erhalt ihres Schweige- bzw. Antragsverweigerungsrechts zukommt.597 Im Ergebnis darf man deshalb dem Entlastung suchenden Angeklagten die Verfügungsbefugnis über den grundgesetzlichen Schutz seiner Menschenwürde bzw. seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts in dieser Situation nicht wegen der entgegenstehenden Interessen künftiger Angeklagter nehmen. Ein entsprechender Beweisantrag auf „Lügendetektion“ dürfte somit nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO wegen rechtlicher Unzulässigkeit der Beweiserhebung abgelehnt werden.598 bb) Nach der Beweislage wäre ein Freispruch wahrscheinlich Anders verhält es sich jedoch, wenn der „erste“ Angeklagte nach der Beweislage freigesprochen werden müsste, auch wenn bereits einige belastende Indizien gegen ihn vorliegen.599 In dieser Situation brächte die Zulassung des Tests die ernsthafte Gefahr mit sich, dass eine größere Anzahl künftiger, insbesondere faktisch unschuldiger Angeklagter nicht unerheblich in ihrer Aussagefreiheit beeinträchtigt würde.600 Zusätzlich wäre das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen künftigen Angeklagten nachteilig betroffen, die dem Einwilligungsdruck tatsächlich nachgäben und sich zur Stellung eines entsprechenden Beweisantrags entschlössen.601 Schließlich führte die Zulassung auch602 in dieser Si597 Auch in dem Fall einer zu erwartenden hohen – gemessen an der Anzahl der Tagessätze – Geldstrafe dürfte dieses Ergebnis Bestand haben, wenn sich hier auch eher anderes vertreten ließe, weil dem Angeklagten, dem man hier die Testmöglichkeit verwehrte, nicht mehr der Totalverlust eines äußerst bedeutenden Grundrechts drohte. Stünde hingegen nur eine geringe Geldstrafe in Rede, könnte man durchaus mit guten Gründen die Rechte künftiger Angeklagter für vorrangig erachten. Insofern wäre in dieser Konstellation daran zu denken, den Einsatz auf bestimmte Delikte oder auf Verbrechen o. ä. zu beschränken; möglich wäre etwa auch eine Orientierung an § 140 StPO, der bestimmt, wann ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. 598 Vgl. i. E. Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39; Dalakouras, S. 179; Brandis, S. 297 f., Schwabe, NJW 1979, S. 576, 579; L. Schneider, S. 149, wenn auch sein Argument, dass ansonsten „der Einzelne geopfert wird zum Wohle der Vielen“, in dieser Kürze nicht recht zu überzeugen vermag. 599 Siehe dazu, wie sich die „alltägliche Schuldvermutung“ und der aus ihr resultierende Beantragungsdruck für künftige Angeklagte darstellten, wenn die „Lügendetektion“ in dieser Beweissituation zugelassen würde, oben 4. Kapitel F. II. 1. e). 600 Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (1). 601 Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. f) dd). 602 Vgl. soeben 4. Kapitel F. II. 1. g) aa).

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tuation zu einer Bedrohung der vollständigen Gewährleistung des Schweigerechts derjenigen Angeklagten, die den Test ungeachtet des Drucks nicht in Anspruch nehmen würden.603 Hier erhalten nun die Bedenken Fristers und anderer ihre eigentliche Bedeutung.604 Denn gäbe es die Möglichkeit des Tests gar nicht, wären künftige Angeklagte in dieser Prozesssituation durch die Unschuldsvermutung weitgehend geschützt und würden keinen Druck verspüren, sich zu ihrer Entlastung „Lügendetektortests“ auszusetzen, die sie vernünftigerweise gar nicht in Anspruch nehmen wollen. Im Unterschied zu einer Situation, in der dem Angeklagten die Verurteilung mindestens droht, ist derjenige, der den Test hier wünschte, weit weniger schützenswert, denn ihn bewahrt bereits der Grundsatz in dubio pro reo vor einer Verurteilung und damit vor einer Beeinträchtigung der oben genannten Grundrechte. Das einzige Interesse, das dieser Angeklagte in die Waagschale legen kann, ist die mögliche Verringerung der Belastung durch das Verfahren selbst. Dieser Belang ist indes nicht grundrechtsrelevant und hat daher zurückzutreten, wenn anderenfalls je nach Entscheidungssituation die Aussagefreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Schweigerecht künftiger Angeklagter beeinträchtigt würde und in letzter Konsequenz womöglich Fehlurteile zu Lasten späterer Angeklagter drohen (nämlich bei jenen tatsächlich Tatunbeteiligten, die den Test nicht beantragen und bei denen dies als entscheidendes Schuldindiz gewertet würde).605 In dieser Prozesssituation muss daher ein Beweisantrag auf eine „lügendetektorische“ Untersuchung wegen rechtlicher Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abgelehnt werden. 2. Zusammenfassung und Exkurs: Aussagedruck und „Geständnisbonus“/„Deal“ Das Problem des „mittelbaren“ Drucks auf künftige Angeklagte erweist sich als vielschichtig. Zunächst ist es zutreffend, dass eine unterbliebene Beantragung eines „lügendetektorischen“ Entlastungstests von dem Tatgericht in der Regel als Schuldindiz gewertet würde. Es erscheint zudem zumindest als plausibel, dass dieser Umstand grundsätzlich zu einem gewissen Druck bei künftigen Angeklagten führen würde, einen solchen Test entgegen ihrer eigentlichen Absicht zu beantragen. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass auch ein Verwertungsverbot nicht gewährleisten könnte, die „alltägliche Schuldvermutung“ und 603 604 605

Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (2). Vgl. bereits oben 4. Kapitel F. II. 1. e). Vgl. nochmals 4. Kapitel F. II. 1. e).

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

somit auch den aus ihr resultierenden Einwilligungsdruck bei späteren Angeklagten in ausreichendem Maße zu verhindern – ganz abgesehen davon, dass der BGH in seinem Urteil zur polygraphischen Untersuchung aus dem Jahr 1998 den Aspekt des mittelbaren Drucks nicht mit dem lapidaren Verweis auf ein entsprechendes Verwertungsverbot hätte abtun dürfen, da das Gericht hätte untersuchen müssen, ob ein fehlender Testantrag bei vorliegender (verbaler) Einlassung zur Sache unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Verwertbarkeit des „teilweisen Schweigens“ bzw. „sonstigen Prozessverhaltens“ der Beweiswürdigung – auch im Sinne eines Schuldindizes!– zugänglich wäre. Die Beurteilung der beeinträchtigten Rechte künftiger Angeklagter hängt anschließend vornehmlich von der betrachteten Beweislage in der Hauptverhandlung ab. Droht dem Angeklagten die Verurteilung, wären die Rechte künftiger Angeklagter unter dem Blickwinkel des mittelbaren Drucks nicht nennenswert berührt; bereits das Faktum der auch durch ein Verwertungsverbot nicht vollständig kompensierten Schuldvermutung bedeutete jedoch eine Beeinträchtigung des Schweige- bzw. „Nichtbeantragungsrechts“ derjenigen künftigen Angeklagten, die sich gegen den Test entscheiden. Das Interesse künftiger Angeklagter am vollständigen Erhalt dieses Rechts muss im Ergebnis allerdings hinter den Belangen des um Entlastung ersuchenden Angeklagten zurückstehen und führt somit nicht zur Unzulässigkeit der „Lügendetektion“ bei dieser Beweislage. Anders verhält es sich im Fall eines zu erwartenden Freispruchs. Hier müsste der Tatrichter den Beweisantrag des Angeklagten nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO ablehnen, da in dieser Beweislage die Zulassung der „Lügendetektion“ verschiedene Rechte anderer Angeklagter beeinträchtigen würde, die denjenigen des durch den in dubio pro reo-Grundsatz weitgehend geschützten testwilligen Angeklagten vorgehen. Um die hier in Rede stehenden Relationen zu verdeutlichen, sei schließlich an dieser Stelle ein kurzer Exkurs erlaubt: Es muss nämlich erstaunen, dass dem Aspekt der Freiwilligkeit und des indirekten Drucks auf andere Angeklagte vor allem vor dem BGH-Urteil von 1998, aber auch noch danach, ein solch hoher Stellenwert beigemessen werden konnte, dass man sogar in Kauf nahm, Unschuldigen im schlimmsten Fall langjährige Freiheitsstrafen zuzumuten. Denn man ist in anderen Zusammenhängen weit weniger anspruchsvoll, was die Anforderungen an die Freiwilligkeit und den Schutz der Aussagefreiheit betrifft. Gemeint ist der Umstand, dass traditionell606 Geständnisse (unter bestimmten Voraussetzungen, die aber keine allzu große Hürde darstellen) mit einer Strafmilderung honoriert werden, die zum Teil durchaus erheblich ausfallen kann.607

606 607

Seibert, MDR 1952, S. 457, 458: „Seit unvordenklichen Zeiten [. . .]“. Vgl. eingehend Stalinski, S. 68 ff., 85 ff., passim.

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Was diese Tatsache für einen erheblichen Geständnisdruck bei eigentlich nicht geständniswilligen Angeklagten auszulösen vermag, lässt sich vorstellen608 – denn wer nicht gesteht, erleidet einen Nachteil, darüber kann es keine Diskussion geben. Von einem diesen Nachteil zumindest eindämmenden Verwertungsverbot ist hierbei natürlich keine Rede, es wäre auch widersinnig. Hinzu kommt, dass es dem Gericht sogar erlaubt ist, auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses hinzuweisen. Um wie viel weniger freiwillig ist nach allem ein solches Geständnis, verglichen mit der Einwilligung in einen „Lügendetektortest“. Und um wie viel mehr werden durch die Zulassung des „Bonussystems“ die Aussagefreiheit und das Schweigerecht der Angeklagten beeinträchtigt.609 Und doch wird ein vor diesem Hintergrund abgelegtes Geständnis als freiwillig gewertet und die erheblichen negativen Auswirkungen auf die Aussagefreiheit und das Schweigerecht der Angeklagten werden schlicht hingenommen.610 Und damit nicht genug. Noch bedenklicher stellt sich die Situation bei den so genannten „Deals“ dar, die (auch) unter den Gesichtspunkten der mangelnder Freiwilligkeit des Geständnisses und der massiven Beeinträchtigung der Beschuldigtenrechte aus dem Strafprozess verbannt werden müssten.611 Bei den „Deals“ handelt es sich bekanntlich um Absprachen zwischen Verteidigung, Staatsanwalt und Gericht. Zum Inhalt der Absprachen gehört wesentlich die Zusage des Angeklagten, ein Geständnis abzulegen, während ihm als Gegenleistung eine mildere Strafe garantiert wird.612 Zwar darf die Weigerung des Angeklagten, an einem solchen „Deal“ teilzunehmen, nicht als Schuldindiz gewertet werden. Es droht ihm dann aber der Nachteil einer (mitunter weitaus) höheren Strafe, also gleichsam eine indirekte Sanktionierung.613 Der Eintritt dieser erheblich negativen Folge ist sogar erlaubt: Die negative Würdigung der Weigerung ist keineswegs mit einem Verbot belegt wie ggf. im Fall der „Lügendetektion“. Der so aufgebaute Druck auf den Angeklagten, von seinem Schweigerecht keinen Gebrauch zu machen, mit der Folge der Beeinträchtigung seiner

608

Vgl. Grünwald, Beweisrecht, S. 67: „mittelbarer Zwang zur Selbstbelastung“. H. Möller, JR 2005, S. 314, 319 f., sieht in der pauschalen strafmildernden Wirkung von Geständnissen einen Verstoß gegen das nemo-tenetur-Prinzip. 610 Dies, obwohl der BGH bereits 1951 der Ansicht war, es sei unzulässig, „den geständigen Verbrecher nur seines Geständnisses wegen milder [. . .] zu bestrafen, weil eine solche schematische Berücksichtigung [. . .] als unzulässiger Druck auf den Angeklagten wirken könnte (§ 136a StPO)“, BGHSt 1, S. 105, 106. 611 Vgl. nur mit Vehemenz Schünemann, Absprachen, S. 1 ff.; Seier, JZ 1988, S. 683, 688 („unzulässiger Willensdruck“); weitere Nachweise bei Eidam, S. 242 in Fn. 1027, siehe zum Streitstand ansonsten HbStrVf-Ioakimidis, Kap. VIII Rn. 1 ff.; ders. zu aktuellen Gesetzesentwürfen, a. a. O. Rn. 6 ff.; eine synoptische Gegenüberstellung der Entwürfe findet sich bei Müller, S. 495 ff. 612 Siehe nur Meyer-Goßner, Einl. Rn. 119a. 613 Verrel, S. 52. 609

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4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

Prozessgrundrechte, ist ungleich größer als es der Druck auf denjenigen Beschuldigten wäre, der sich keiner Glaubwürdigkeitsbegutachtung unterziehen möchte. Und doch war der „Deal“ als strafprozessuales Faktum anerkannt,614 und von dem BVerfG und dem BGH mehrfach bestätigt bzw. jedenfalls nicht für unzulässig erachtet worden.615 Mittlerweile ist die „Verständigung im Strafverfahren“ auch gesetzlich geregelt, mit der zentralen Vorschrift des neuen § 257c StPO.616 Will man dem Angeklagten im Fall des einverständlichen „Lügendetektortests“ ein äußerst wichtiges Entlastungsmittel aus der Hand nehmen, weil seine Einwilligung angeblich nicht freiwillig sein könne bzw. Rechte anderer Angeklagter zu sehr in Mitleidenschaft gezogen würden, während man gleichzeitig den „Deal“ nach wie vor trotz eines weit erhöhten Einwilligungsdrucks und einer immensen Beeinträchtigung der genannten Prozessrechte anderer Angeklagter für zulässig hält und er nunmehr sogar gesetzlich legitimiert ist, zeigt dies wohl nur eines: Während einerseits die Rechte des Angeklagten geringgeschätzt werden, wenn man unliebsame Methoden der Glaubwürdigkeitsbegutachtung aus dem Strafverfahren heraushalten will, genießen andererseits prozessökonomische Erwägungen einen enormen Stellenwert617 (wenn auch aus einer Notlage heraus618) und können daher sehr zweifelhafte Maßnahmen „rechtfertigen“.619

III. Mitangeklagte Hinsichtlich einer möglichen Beeinträchtigung der Interessen Dritter ist schließlich an potentielle Mitangeklagte620 zu denken. Ungeachtet weiterer 614

Vgl. Rieß, JR 2005, S. 435, 437. BVerfG, NJW 1987, S. 2662; BGHSt 43, S. 195. 616 Nachdem der Rechtsausschuss des Bundesrates zunächst Änderungen angeregt und insbesondere empfohlen hatte, ein der Nachprüfung zugängliches Geständnis („qualifiziertes Geständnis“) zur Voraussetzung jeder Verständigung zu machen (BRDrs. 582/1/09), billigte der Bundesrat am 10. Juli 2009 schließlich doch den vom Bundestag am 28. Mai 2009 verabschiedeten Gesetzesentwurf (BT-Drs. 16/11736). 617 Vgl. BGH (GS), NJW 2005, S. 1440, 1444; „[. . .] könnte die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz nicht gewährleistet werden, wenn es den Gerichten generell untersagt wäre, sich über den Inhalt des zu verkündenden Urteils [. . .] abzusprechen.“ 618 Vgl. dazu z. B. den Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister v. 17./18. Juni 2004: „Die Justizministerinnen und Justizminister weisen erneut darauf hin, dass die Strafjustiz am Rande ihrer Belastbarkeit arbeitet“, zit. nach BGH (GS), NJW 2005, S. 1440, 1443 f. 619 Wie die Problematik um den „Deal“ richtigerweise zu lösen wäre, kann hier nicht näher erörtert werden; die einzig logische Konsequenz wäre wohl, auf die Strafmilderung für ein Geständnis zu verzichten, vgl. Eidam, S. 261 m.w. N., bzw. auch dem schweigenden Angeklagten einen Geständnisbonus gutzuschreiben, vgl. Stalinski, S. 141 ff. 620 Siehe allgemein zu Mitbeschuldigten und Mitangeklagten Eisenberg, Rn. 927 ff. 615

G. Zusammenfassung und Ergebnis

233

Überlegungen könnte die Zulassung hirnbildgebender Verfahren zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung Mitangeklagte des getesteten Angeklagten jedoch nur in einer Prozesssituation nachteilig betreffen, in der gerade durch ein entlastendes Testergebnis des einen Angeklagten einer oder mehrere seiner Mitangeklagten belastet würde(n). Darüber hinaus wird in der weit überwiegenden Anzahl der Verfahren überhaupt nur gegen einen einzelnen Angeklagten verhandelt, so dass der Aspekt der Belange Mitangeklagter von vornherein nicht die generelle Zulässigkeit „lügendetektorischer“ Verfahren in Zweifel ziehen könnte. Aber auch für die verbleibenden Fälle ergeben sich keine Bedenken gegen die Zulässigkeit. Diskutiert wird das hier angedeutete Problem nämlich zu Recht nur für die Fälle, in denen ein den einen Angeklagten entlastender Beweis rechtswidrig erlangt wurde und nun die Frage zu beantworten ist, ob dieser Angeklagte die Verwertung des Beweises erreichen kann, auch wenn dadurch Dritte, namentlich der Mitangeklagte, nachteilig betroffen wären.621 Hier jedoch verhält es sich anders: Wie gesehen, wäre der Einsatz hirnbildgebender Verfahren zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung des Angeklagten grundsätzlich zulässig, weshalb ein den getesteten Angeklagten entlastendes Ergebnis rechtmäßig zustande käme. Insoweit unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, in der ein Angeklagter seinen Mitangeklagten indirekt dadurch belastet, dass seine eigene (verbale) Aussage von dem Tatgericht als glaubhaft eingeschätzt wird. Die Belastung des Mitangeklagten ist dann nur die unvermeidliche Nebenfolge der Entlastung des Angeklagten, die diesem nicht verwehrt werden darf.622

G. Zusammenfassung und Ergebnis Für die in diesem Kapitel untersuchte Fallkonstellation623 lässt sich demnach die Frage, ob der Beweisantrag eines Angeklagten auf eine zuverlässige „lügendetektorische“ Aufrichtigkeitsüberprüfung von dem Tatgericht wegen rechtlicher Unzulässigkeit der Beweiserhebung nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abgelehnt werden darf, zusammengefasst wie folgt beantworten: Beschränkt man zu Beginn den Blick auf den konkret betroffenen Angeklagten, können im Ergebnis keine Bedenken gegen die Zulässigkeit erhoben werden. Die einverständliche Untersuchung mittels eines „Lügendetektors“ verstieße zunächst nicht gegen § 136a StPO. Die im Rahmen eines hirnbildgebenden Verfahrens von dem Beschuldigten unwillkürlich erzeugte Hirnaktivität ist zwar als strafprozessuale Aussage zu beurteilen, weshalb der Einsatz dieses 621 Siehe dazu Amelung, StraFo 1999, S. 181, 184 f.; Nack, StraFo 1998, S. 366, 372 ff. 622 Siehe Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580. 623 Siehe oben 4. Kapitel.

234

4. Kap.: Rechtliche Zulässigkeit eines nicht-invasiven Verfahrens

„Lügendetektors“ in der Tat auf die Vereinbarkeit mit § 136a StPO zu überprüfen wäre. Es erweist sich jedoch, insoweit noch weitgehend im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, dass die Beeinträchtigung der Willens- und Betätigungsfreiheit bei einem einverständlichen „Lügendetektortest“ zumindest nicht die für eine Verletzung von § 136a StPO (analog) erforderliche Erheblichkeitsschwelle erreichen würde. Die vorliegende Einwilligung des Angeklagten spielt auch die entscheidende Rolle für die Beantwortung der Frage, ob die Verwendung eines „Lügendetektors“ die Menschenwürde bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten verletzte. Denn auf der Grundlage des für unsere Rechtsordnung konstitutiven Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen geht sein wirksames Einverständnis in die staatliche Einwirkung auf seine Grundrechte allen Versuchen vor, ihm mit metaphysischen, paternalistischen oder an vorgeblichen objektiven Werten orientierten Erwägungen die Verfügungsbefugnis über die Grundrechte zu verwehren; ein „Grundrechtsschutz gegen sich selbst“ ist mithin jedenfalls solange nicht gerechtfertigt, wie die Einwilligung frei von Willensmängeln ist. Es kann dabei nun nicht bestritten werden, dass der Entscheidung für einen „Lügendetektortest“ durchaus Zwangselemente eignen; letztlich ist aber auch diese „eingriffsverhindernde Einwilligung“ als freiwillig zu beurteilen. Somit kann sich die rechtliche Unzulässigkeit der Beweiserhebung mittels eines „Lügendetektor“-Tests nur noch aus dem Aspekt überwiegender Belange der Allgemeinheit oder Dritter ergeben. Im Ergebnis zeigt sich dabei, dass dem Beweisantrag eines Angeklagten auf Glaubwürdigkeitsbegutachtung mittels Hirnbildgebung in dieser Konstellation dann zu entsprechen ist, wenn ihm nach dem Stand der Beweisaufnahme wahrscheinlich die Verurteilung wegen des erhobenen Anklagevorwurfs bevorstünde und seine Grundrechte in erheblichem Maße bedroht wären, insbesondere bei zu erwartender Freiheitsstrafe ohne Bewährungsaussetzung. Jedoch müsste ein entsprechender Beweisantrag des Angeklagten nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abgelehnt werden, wenn der Beschuldigte nach der Beweislage mit einem Freispruch rechnen kann, weil sich für diesen Fall die Rechte künftiger Angeklagter als vorrangig erweisen.624

624 Siehe zu dem Aspekt der Rechte künftiger Angeklagter die ausführliche Zusammenfassung unter 4. Kapitel F. II. 2.

5. Kapitel

Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung A. Testung gegen den Willen des Beschuldigten unzulässig Obwohl die Frage nach der Zulässigkeit eines erzwungenen Tests in Kapitel 4 bereits en passant geklärt wurde, sei an dieser Stelle noch einmal festgehalten, dass es unzulässig wäre, einen „Lügendetektor“-Test gegen den erklärten Willen des Beschuldigten durchzuführen.1 Zu dieser Ansicht lässt sich, wie dort ausgeführt, aber nur dann ohne weiteres gelangen, wenn man die im Rahmen des Tests von dem Beschuldigten erzeugten Körperreaktionen als Aussagen im Sinne der StPO ansieht, denn nur insoweit ist dem Beschuldigten seine Stellung als Verfahrenssubjekt garantiert; fungiert der Beschuldigte hingegen als Gegenstand des Augenscheinsbeweises, darf er durchaus zum „Objekt des Verfahrens“ gemacht werden,2 und man könnte zumindest daran denken, eine zwangsweise Testung über § 81a StPO zu rechtfertigen. Weil aber eben die „geäußerte“ Hirnaktivität als Bestandteil der Beschuldigteneinlassung anzusehen ist, würde der Einsatz eines Tests gegen den Willen des Beschuldigten diesen seiner Subjektstellung entkleiden, weshalb der erzwungene Test seine in Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde verletzte;3 zudem stellte der Test dann eine verbotene Vernehmungsmethode im Sinne des § 136a Abs. 1 StPO dar, weil strafprozessual unzulässiger Zwang angewendet würde.4

1 Siehe 4. Kapitel B. I. u. 4. Kapitel D. II. 2., insb. Fn. 298. Der zwangsweise Test wurde bereits in den 1950er Jahren diskutiert, vgl. die Nachweise bei Schwabe, NJW 1979, S. 576 bei Fn. 6; in letzter Zeit hat sich jedoch bis auf Berning, S. 278 ff.; dies., MschrKrim 76 (1993), S. 242 u. 251, niemand mehr ernsthaft mit der Möglichkeit einer erzwungenen Testung befasst. 2 Vgl. Eisenberg, Rn. 2311 ff. m.w. N. 3 Im Ergebnis ebenso SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 75; Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Rn. 81. 4 Vgl. für den Polygraphentest Eisenberg, Rn. 695 m.w. N.; Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1 Rn. 81; vgl. dazu ausführlich oben 4. Kapitel D. II. 2., wo sich auch zeigt, dass der Versuch Bernings, einen erzwungenen Tatwissentest über § 81a StPO zu rechtfertigen, ebenso fehl geht wie die Andeutung Schüsslers, der Einsatz eines „Lügendetektor“-Tests gegen den Willen des Beschuldigten scheitere einzig unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit.

236

5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

Ungeachtet der rechtlichen Unzulässigkeit eines mit dem Einsatz von Zwangsmitteln durchgeführten Tests ist ohnehin zweifelhaft, ob eine erzwungene Anwendung praktisch überhaupt möglich wäre. Dabei ist zu beachten, dass es noch nicht einmal damit getan wäre, den Untersuchten zu fixieren und zu knebeln,5 um ihn davon abzuhalten, etwa durch das Ausstoßen von Lauten das Hören der Fragen zu verhindern. Als weiteres Erfordernis käme hinzu, dass man den Probanden zwingen müsste, die Fragen nicht nur akustisch wahrzunehmen, sondern auch deren Bedeutung zu erfassen. Es scheint indes keine Methode vorstellbar, mit welcher der Beschuldigte gehindert werden könnte, dies durch selbst produzierte Ablenkungsvorgänge im Gehirn zu vereiteln. Nun müsste zwar, was zumeist übersehen wird, nicht notwendig vis absoluta eingesetzt werden; man könnte den Beschuldigten auch etwa durch die Androhung von Nachteilen im Weigerungsfall, äußerstenfalls durch die Drohung mit dem Einsatz von Zwangsmitteln, dazu nötigen wollen, in eine „lügendetektorische“ Untersuchung einzuwilligen.6 Dies bedeutete jedoch nur, dass ein Einsatz gegen den Willen des Beschuldigten durchaus praktisch möglich wäre, wenn man auch die Fälle der vis compulsiva einbezieht. Am Ergebnis jedoch, dass eine Untersuchung auf der Grundlage einer abgenötigten Einwilligung dann zumindest gegen § 136a StPO verstieße, änderte sich durch diese erweiterte Sicht nichts.

B. Testung ohne den Willen des Beschuldigten – heimlicher „Lügendetektor“-Einsatz Gänzlich unbeachtet, auch auf bloß theoretischer Grundlage, blieb bisher die Frage, wie es um die Zulässigkeit eines Tests bestellt wäre, der zwar nicht gegen, jedoch immerhin ohne den Willen des Beschuldigten eingesetzt würde; vornehmlich wäre dabei an einen heimlich durchgeführten „Lügendetektor“-Test zu denken. Die Entwicklung eines tauglichen Verfahrens, das ein heimliches Vorgehen ermöglichen würde, mag zwar einerseits in (noch) fernerer Zukunft liegen als ein Verfahren, für deren Anwendung das Einverständnis des zu Untersuchenden erforderlich ist. Andererseits wird auch in diese Richtung bereits Forschung betrieben: Weiter oben wurden die Experimente mit der Nahinfrarotspektroskopie bzw. mit Infrarotphotographie beschrieben, die womöglich in Zukunft Verfahren bieten könnten, welche auch ohne Kontakt zum Körper anwendbar wären.7 Unter der weiteren Voraussetzung, dass ein solches Vorgehen ohne spezielle Fragemethode (wie KFT, TWT etc.8) auskäme, wäre etwa ein Szenario vorstellbar, bei 5 6 7 8

Vgl. Schwabe, NJW 1979, S. 576, 577. Vgl. Berning, MschrKrim 76 (1993), S. 242, 251. Siehe dazu oben 3. Kapitel D. Vgl. dazu ausführlich das 2. Kapitel.

B. Testung ohne den Willen des Beschuldigten

237

dem der Beschuldigte während seiner Aussage mit einer entsprechenden „Kamera“ gefilmt wird und ein Sachverständiger im Anschluss ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Aussage erstellt.9 Ein solches Vorgehen würde jedoch eine gesetzliche Grundlage erfordern, da mit der Messung von (spezifischer) Hirnaktivität zumindest in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. 1 Abs. 1 GG eingegriffen wird10 – gleichviel, ob man dabei den Fokus auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung11 legt, auf die Verletzung der Intimsphäre oder auf ein – noch zu entwickelndes – Grundrecht auf Gedankenfreiheit.12 Da hier die Einwilligung des Beschuldigten gerade fehlt, käme als einzig ersichtliche Eingriffsermächtigung dabei wiederum § 81a StPO in Betracht. Und auch hierbei ist wiederum von entscheidender Bedeutung, dass es sich bei der gemessenen Hirnaktivität um nonverbale Äußerungen handelt, mit denen der Beschuldigte Wissen mitteilt, weshalb sie als strafprozessuale Aussagen zu beurteilen sind und sich die Zulässigkeit ihrer Gewinnung nach § 136a StPO richtet.13 Damit ist gleichzeitig entschieden, dass § 81a StPO, als Norm, die die Zulässigkeit der Beweisgewinnung im Rahmen eines Augenscheinsbeweises regelt, keine taugliche Ermächtigungsgrundlage sein kann14 – einmal ganz davon abgesehen, dass der Einsatz eines solchen Verfahrens tatsächlich gegen § 136a StPO verstieße, worauf sogleich näher einzugehen ist. Eine Begutachtung der Aussage des Beschuldigten mittels Verfahren, die eine Beurteilung der Glaubhaftigkeit auf Distanz zulassen, käme naturgemäß auch im Ermittlungsverfahren in Betracht. Hier soll nicht weiter darauf eingegangen werden, dass die „Ermittlungsgeneralklausel“ des § 161 Abs. 1 StPO wohl nicht 9

Vgl. Wolpe/Foster/Langleben, American Journal of Bioethics 5 (2) (2005), S. 39,

46. 10

Siehe dazu bereits oben 4. Kapitel D. I. Vgl. Franke, JR 2000, S. 468, 470, der fragt, ob eine staatlich veranlasste freiwillige Äußerung des Beschuldigten von dessen Informationsbeherrschungsrecht umfasst sei. 12 Auf dem noch jungen Gebiet der Neuroethik (siehe dazu instruktiv Wolf, JRE 15 [2007], S. 223 ff.) wird über die Notwendigkeit eines „Datenschutzes für Bewusstseinsinhalte“ u. ä. nachgedacht, siehe Metzinger, Gehirn & Geist 6 (2006), S. 68, 69 – wobei fraglich ist, ob es der Schaffung eines neuen Grundrechts innerhalb des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn man die Äußerungen einmal so versteht, überhaupt bedürfte, oder ob allgemein „Gedankenlesen“ nicht vielmehr mit den genannten Rechten bereits hinreichend erfasst wäre; vgl. aus dem US-amerikanischen Schrifttum über ein Recht auf „cognitive liberty“ Boire, American Journal of Bioethics 5 (2) (2005), S. 62 f. 13 Vgl. dazu oben 4. Kapitel B. I. Dies gälte natürlich ebenso für heimlich einsetzbare „Lügendetektoren“, die nicht die neuronale Aktivität, sondern andere physiologische Reaktionen wie die Schweißbildung aufzeichnen, weil auch dabei letztlich Wissen mitgeteilt würde. 14 Siehe dazu oben 5. Kapitel C. 11

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

ausreichte, den eben angesprochenen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten zu rechtfertigen15 – denn der Einsatz eines derartigen Verfahrens verstieße jedenfalls gegen § 136a Abs. 1 StPO. Man könnte zwar zunächst auf den Gedanken der Vereinbarkeit mit § 136a StPO kommen, wenn man berücksichtigt, dass die Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums zumindest in bestimmten Fällen die heimliche Erlangung von (selbstbelastenden) Aussagen erlaubt; so wurde etwa der Einsatz einer (Mit-) Hörfalle, bei welcher der Verdächtige davon ausging, dass er sich am Telefon mit einer Privatperson unterhalte und dieses (von der Strafverfolgungsbehörde initiierte) Gespräch nicht mitgehört werde, vom BGH für zulässig erachtet.16 Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Fallgestaltungen besteht jedoch darin, dass bei der Hörfalle die Aussage selbst freiwillig erfolgt und der Beschuldigte sich „lediglich“ über Anzahl und Funktion der Mithörer, also über die Modalitäten der freiwillig abgegebenen Aussage irrt. Die Hirnaktivität, die mittels einer Apparatur aus der Entfernung aufgezeichnet wird, würde aber nicht freiwillig preisgegeben. Dies könnte nun wiederum deswegen unschädlich sein, weil bekanntlich der nemo-tenetur-Grundsatz nach der vorherrschenden Auffassung lediglich Zwang zur aktiven Selbstbelastung des Beschuldigten verbietet. Weil es sich aber um Aussagen handelt, ist eben darüber hinaus die Vereinbarkeit der Methode mit § 136a StPO zu prüfen. Wurde nun vor dem BGH-Urteil von 1998 von der Rechtsprechung und von zahlreichen Vertretern des Schrifttums sogar bereits der einverständliche „Lügendetektor“-Test als nach entsprechender Anwendung des § 136a StPO verbotene Vernehmungsmethode angesehen,17 gilt Gleiches jedenfalls für den zwar nicht erzwungenen, aber gleichwohl unfreiwilligen Test: Denn bei der heimlichen Aufzeichnung unwillkürlicher Hirnaktivität verbliebe dem Beschuldigten nicht einmal ein Rest an Freiheit, weder hinsichtlich der Entschließung zur Aussage noch bezüglich der Betätigung seines Willens. Wenn aber der Beschuldigte bezüglich des „Ob“ und des „Wie“ der Aussage absolut unfrei ist, liegt ein eindeutiger Verstoß gegen § 136a StPO analog vor.18

15 16 17 18

Siehe allgemein zu § 161 Abs. 1 StPO HbStrVf-Jahn, Kap. II Rn. 14 m.w. N. BGHSt (GS) 42, S. 139, 149. Siehe die Nachweise im 4. Kap. in Fn. 86 u. 106. Vgl. oben 4. Kapitel B. IV.

C. Signifikante Wahrscheinlichkeit für „falsch positive‘‘ Ergebnisse

239

C. Signifikante Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse – Spezifität bei maximal etwa 90 Prozent In Kapitel 4 wurde stets unterstellt, dass neue Verfahren zur Täterschaftsermittlung so zuverlässig seien, dass insbesondere tatsächliche Nicht-Täter höchstens äußerst selten als Täter klassifiziert würden (sehr hohe Spezifität19). Langleben siedelt hingegen die mittelfristig zu erreichende maximale Zuverlässigkeit eines isoliert angewendeten „Lügendetektortests“ mit funktioneller Magnetresonanztomographie bei „nur“ gut 90 Prozent an.20 Aus diesem Grund ist zu fragen, wie sich die rechtliche Beurteilung vor diesem Hintergrund darstellen würde, insbesondere weil in der Praxis wohl ohnehin zunächst einmal signifikant unvollkommene Verfahren angewandt würden – soviel Prophetie sei gestattet. Auf den ersten Blick scheint es, als würden dann keine zu berücksichtigenden Drittinteressen beeinträchtigt werden können, weil bereits die alltägliche Schuldvermutung ausbleiben würde. Denn aus der Sicht des Tatrichters hätte hier auch ein unschuldiger „künftiger Angeklagter“ stets einen vernünftigen Grund, den Test nicht zu beantragen: die Furcht vor einem „falsch positiven“ Ergebnis21 – unter der Voraussetzung einer einmal angenommenen 10-prozentigen Wahrscheinlichkeit, dass der Test zu dem falschen Ergebnis führte, der in Wahrheit unschuldige Angeklagte habe die Tat begangen, also bei einem Verfahren mit einer Spezifität von etwa 90 Prozent. Dieser Grund für eine unterbliebene Testbeantragung wäre dem Gericht bekannt und nachvollziehbar, es brauchte dieses Motiv weder zu erforschen noch nach ihm zu fragen,22 und er beträfe grundsätzlich jeden Angeklagten (nur jene wären ausgenommen, die kundtäten, sie wünschten den Test nicht, obwohl sie falsch positive Ergebnisse keineswegs fürchteten o. ä.). Um abzusichern, dass das Gericht diesen „guten Grund“ auch wirklich beachtet, könnte auf einen Vorschlag von Delvo zurückgegriffen werden: Delvo schlägt vor, den Beschuldigten ein Formblatt ausfüllen zu lassen, auf welchem er die Wahl hat zwischen dem Wunsch, den Test in An19 Während also die Spezifität den Anteil der zutreffend als „glaubwürdig“ diagnostizierten „unschuldigen“ Probanden angibt, bezeichnet die Sensitivität den Anteil der korrekt als „unglaubwürdig“ klassifizierten „schuldigen“ Probanden, siehe Rill, S. 7 f. – Wenn also etwa bei einem Verfahren anhand der Testergebnisse von 100 „unschuldigen“ Probanden 90 zutreffend als „glaubwürdig“ einstuft werden, weist dieses Verfahren eine Spezifität von 90 Prozent auf. Die allgemein angegebenen Trefferquoten eines Verfahrens (vgl. z. B. oben 3. Kapitel C. V.) stellen in der Regel den Mittelwert aus Sensitivität und Spezifität dar. 20 Siehe oben 4. Kapitel A. I. dazu, dass dieser Wert unter bestimmten Voraussetzungen aber auch höher liegen könnte. 21 Vgl. Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580 in Fn. 31 (beginnt auf S. 579); Delvo, S. 378. 22 Vgl. zu diesem Aspekt Meyer-Goßner, § 261 Rn. 16 m.w. N.

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

spruch zu nehmen oder dies nicht zu tun. Die entsprechende „Nein“-Antwortmöglichkeit könnte lauten: „Ich möchte mich keinem Glaubwürdigkeitstest mit fMRT unterziehen, weil ich davon überzeugt bin, dass mit ihm auch Unschuldige belastet werden können“.23 Spätestens dann würde wohl auch rechtstatsächlich kein Richter einem ausbleibenden Testwunsch mehr einen Erkenntniswert im Sinne eines Schuldindizes beimessen. Ohne die alltägliche Schuldvermutung wiederum entwickelte sich bei den Angeklagten kein Druck mehr, den Test entgegen ihrer Absicht beantragen zu müssen, um den Nachteil einer Würdigung zu ihren Ungunsten zu vermeiden. Mit der Orientierung an der (mangelnden) Zuverlässigkeit des Verfahrens ergibt auch Schwabes – von ihm nicht weiter erläutertes – Diktum Sinn, dass sich ein schweigender Angeklagter „weit mehr verdächtig“ mache als derjenige, der sich einem „Lügendetektor“-Test nicht unterziehen wolle.24 Denn demjenigen, der „nur“ schweigt, steht kein objektives und stets zu seinen Gunsten zu unterstellendes Motiv für sein Verhalten zur Seite. Nun ließe sich auf den zweiten Blick jedoch fragen, ob diese Sichtweise nicht zu kurz greift. In einer Situation, in der inkriminierende Umstände gegen den Angeklagten sprechen, so dass die Hoffnung auf einen Freispruch nicht weit von bloßem Wunschdenken entfernt wäre, könnten die Dinge anders liegen. Hat nämlich ein Angeklagter praktisch nichts mehr zu verlieren, wird auch den Unschuldigen die Aussicht auf ein falsch positives Testergebnis nicht schrecken und er müsste vernünftigerweise seine Entlastung in einem zuverlässigen Verfahren der Glaubwürdigkeitsbegutachtung suchen. Der „gute Grund“ für eine „Verweigerung“ des Tests fiele somit fort; es könnte dem Gericht nun wiederum verdächtig erscheinen, dass ein Angeklagter in einer solchen Situation den Test nicht wünscht. Der Angeklagte könnte sich wiederum gedrängt sehen, den Test nur aufgrund dieses Druckes zu beantragen, um die nachteilige Würdigung zu vermeiden. Der „gesunde Richterverstand“ könnte sogar recht stark reagieren, denn je aussichtsloser die Lage für den Angeklagten, desto unverständlicher dürfte es wirken, wenn er in dieser Situation den „letzten Strohhalm“ nicht ergreift. Es ist jedoch auch hier genau zu unterscheiden: Steht die Verurteilung ohne den Test fest, dann kommt entscheidend hinzu, dass das Gericht überhaupt keinen „Mosaikstein“ mehr benötigt, um mögliche letzte Zweifel an der Schuld der Täterschaft des Angeklagten zu überwinden. Dann aber spielte die „common sense assumption“ keine Rolle mehr, beim Angeklagten entstünde kein Einwilligungsdruck.25 Steht hingegen die Verurteilung noch nicht sicher fest, fehlt 23

Vgl. Delvo, S. 378. Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580 in Fn. 31 (beginnend auf S. 579). – Schwabe meint auch tatsächlich diesen Vergleich, und nicht, wie Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 894, angibt, den Vergleich des schweigenden zum redenden Beschuldigten. 25 Vgl. dazu 4. Kapitel F. II. 1. e). 24

C. Signifikante Wahrscheinlichkeit für „falsch positive‘‘ Ergebnisse

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eventuell noch ein letztes Indiz, das für die „Überzeugung jenseits vernünftiger Zweifel“ nötig ist, würde wiederum die Gefahr bestehen, dass ein Test ein (falsch) positives Ergebnis zu Tage fördert, das gerade dieses letzte fehlende Element darstellt. Dass manch Angeklagter dieses Risiko vernünftigerweise nicht eingehen mag, stellt dann wieder den oben beschriebenen „vernünftigen Grund“ für eine unterbliebene Beantragung dar. Gleichviel also, ob eine Verurteilung feststeht oder nur sehr wahrscheinlich ist, in dieser Konstellation dürfte sich das Problem der alltäglichen Schuldvermutung und des ihr nachfolgenden Einwilligungsdrucks nicht stellen. Solange die Zuverlässigkeit für die korrekte Klassifizierung von Nicht-Tätern nicht in der Nähe von 100 Prozent angesiedelt ist, kann die Berücksichtigung der Rechte künftiger Angeklagter im vorliegenden Zusammenhang die Zulässigkeit des Tests also nicht in Frage stellen. Ohne die alltägliche Schuldvermutung seitens des Entscheidungsträgers, eine unterbliebene Testbeantragung könne ein Hinweis auf die Schuld des Angeklagten sein, wären jene künftigen Angeklagten, die den Test nicht in Anspruch nehmen, somit nicht in ihrem Schweigerecht bzw. „Nichtbeantragungsrecht“ beschränkt.26 Reagierte aber der „gesunde Menschenverstand“ bereits nicht in dieser Weise, könnte auch bei anderen Angeklagten kein mittelbarer Druck entstehen, den Test entgegen ihrer eigentlichen Absicht doch zu beantragen. Dann erführen diese aber keine Beeinträchtigung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts, denn die Einwilligung in die Testdurchführung wäre dann nach wie vor als freiwillig anzuerkennen.27 Und auch die Aussagefreiheit dieser Angeklagten wäre nicht betroffen, weil sie keinem zusätzlichen Einwilligungsdruck ausgesetzt wären.28 Anders als oben bestehen somit hier weder unter dem Gesichtspunkt der alltäglichen Schuldvermutung noch des aus ihr resultierenden Einwilligungsdrucks grundsätzliche Bedenken, den Test auch dann zuzulassen, wenn ein künftiger Angeklagter nach der Beweislage einem Freispruch entgegensieht. Bestünde eine bestenfalls etwa 90-prozentige Zuverlässigkeit bei der Klassifizierung Unschuldiger, dann müsste der Test somit prinzipiell in jeder Prozesssituation zugelassen werden. Dieses Ergebnis kann allerdings nur unter zwei Voraussetzungen Bestand haben: Es müsste sich verhalten wie hier angenommen, dass erstens die Richter in dieser Konstellation einen ausbleibenden Beweisantrag tatsächlich nicht als Schuldindiz interpretieren würden29 und dass zweitens die Entwicklung eines indirekten Einwilligungsdrucks bei künftigen Angeklagten auch in der Rechts26

Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (2). Vgl. oben 4. Kapitel E. u. 4. Kapitel F. II. 1. f) dd). 28 Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (1). u. 4. Kapitel F. II. 1. g) bb). 29 Dafür spricht neben den soeben dargestellten Umständen i. Ü. das Verwertungsverbot, welches die nachteilige Wirkung der eventuell doch auftretenden Schuldvermu27

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

wirklichkeit zumindest weitgehend davon abhängt, wie häufig ihnen eine Test„Verweigerung“ tatsächlich zum Nachteil gereichen würde. Sieht man eine oder beide Voraussetzungen als nicht erfüllt an, stellt sich die rechtliche Situation dar wie in Kapitel 4 gesehen (auch wenn die Beeinträchtigungen der Rechte künftiger Angeklagter dann aber von geringerer Intensität wären): Bei drohender Verurteilung wäre der Test trotz der Beeinträchtigung von Drittinteressen zuzulassen;30 bei zu erwartendem Freispruch hingegen nicht.31

D. Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse Der BGH vertrat in seinem Urteil vom 17.12.1998 die Auffassung, dass auch ein freiwilliger Test, dessen Ergebnis zu Lasten des Betroffenen verwertet würde, keinen rechtlichen Einwänden ausgesetzt sei – allerdings in einem obiter dictum und ohne eine Wort der Begründung.32 Letzteres wäre nicht ohne Wert gewesen, denn einige derjenigen Autoren, die sich vor dem Urteil für die Zulassung des Polygraphentests ausgesprochen hatten, wollten dabei die Verwertung belastender Testergebnisse gerade ausschließen.33 Vor diesem Hintergrund sei der Frage nach einem etwaigen Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse auch hier nachgegangen. tung hier verhindern dürfte, weil die Intensität der Schuldvermutung von vornherein angesichts des Risikos falsch belastender Testergebnisse wesentlich geringer wäre. 30 Vgl. 4. Kapitel F. II. 1. g) aa). 31 Vgl. 4. Kapitel F. II. 1. g) bb). 32 BGHSt 44, S. 308, 315; Amelung, JR 1999, S. 382, 383, scheint den BGH allerdings so zu verstehen, dass der Einsatz zur Belastung ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken ausgesetzt sei, dass also der Test – seine Zuverlässigkeit vorausgesetzt – auch als Angriffsmittel der Strafverfolgungsbehörden eingesetzt werden könnte. Diese Interpretation ist in dem Wortlaut des Urteils indes nicht angelegt; dort ist nur die Rede davon, dass die überkommenen Bedenken nicht mehr durchgriffen, „unabhängig davon, ob das Testergebnis nur zu seinen Gunsten oder auch zu seinen Lasten verwertet werden soll.“ (BGH a. a. O., Hervorh. v. Verf.) 33 Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580; Delvo, S. 215 f., 374 ff.; Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 917; Amelung, NStZ 1982, S. 38, 40, unter dem Blickwinkel, dass nur dann § 136a Abs. 3 StPO nicht mehr analog angewendet werden könnte; wohl auch Brandis, S. 298 (siehe zur Ansicht von Brandis auch unten in Fn. 39). Die ansonsten bei Schünemann, Kriminalistik 1990, S. 131, 150 in Fn. 18 (auf S. 152) angegebenen Nachweise treffen die Sache nicht („Klimke, NStZ 1981, S. 433 f.; Prittwitz MDR 1982, 886 ff.“, „Schwabe NJW 1982, S. 367 f.“); Schünemann verwechselt hier den Einsatz „zu Gunsten“ des Angeklagten (was die Verwertung belastender Ergebnisse jedenfalls zunächst einmal nicht ausschließt) mit der Konstellation, in welcher sich der Test „nur zugunsten des Beschuldigten auswirken kann“ (Schünemann a. a. O.); die von Schünemann genannten Autoren äußern sich lediglich zu ersterem. – Mit Hinweis auf das „friendly polygrapher syndrome“ (vgl. dazu unten 6. Kapitel B.) a.A. Schünemann, Kriminalistik 1990, S. 131, 150, sowie Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351; ansonsten a. A. Schüssler, S. 171, insoweit aber lediglich dem obiter dictum des BGH folgend; Klimke, NStZ 1981, S. 433; Wegner, S. 186, und zuvor bereits Knögel, DRiZ 32 (1954), S. 234, 235.

D. Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse

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I. Mögliche Folgen Zunächst drängt sich die Vermutung auf, dass in diesem Kontext die Probleme in Bezug auf die Schuldvermutung und den indirekten Druck unabhängig von der Zuverlässigkeit des Verfahrens zu lösen sein müssten. Wenn nämlich belastende Ergebnisse nicht berücksichtigt werden dürfen, kann das Risiko, dass der Test einen Unschuldigen zu Unrecht als Schuldigen ausweist, kein Motiv für einen späteren Angeklagten sein, den Test nicht zu beantragen. Stellte sich somit das „Druck“-Problem hier in ganzer Schärfe? Denn ließe sich nicht sagen, dass dann eine Inanspruchnahme des Tests hier erst recht die beinahe einzig vernünftige Entscheidung eines Angeklagten wäre, insbesondere eines Angeklagten, der sich der Gefahr einer Verurteilung gegenüber sieht und die Vorwürfe aktiv bestreitet (was auch für den tatsächlich Schuldigen gälte, solange er aufgrund der Unvollkommenheit des Verfahrens auf falsche Ergebnisse zu seinen Gunsten hoffen könnte)? Und dass ein ausbleibender Testantrag bei komplett fehlendem Risiko eines belastenden Ergebnisses dann als sehr starkes Schuldindiz interpretiert würde? Es ist jedoch daran zu erinnern, worin die „alltägliche Schuldvermutung“ überhaupt besteht: Beim Schweigen ist sie anzutreffen, weil davon ausgegangen wird, dass ein Unschuldiger sich angesichts der Vorwürfe entlastet hätte. Das Schuldindiz gründet auf der Annahme, dass ein Schuldiger deshalb schweigt, weil er sich gerade nicht entlasten kann und fürchtet, sich durch eine Aussage in Widersprüche zu verwickeln oder sich sonst durch die Aussage verdächtig zu machen; der Angeklagte verberge etwas mit seinem Schweigen, nämlich letztlich das Eingeständnis seiner Täterschaft. Und genau dies scheint nun hier nicht möglich zu sein. Hier hätte der Angeklagte nichts zu verbergen, er könnte den Test vielmehr risikolos in Anspruch nehmen, da er sich mit der Durchführung eines „Lügendetektor“-Tests gar nicht selbst belasten kann, wenn die Verwertung entsprechender Resultate verboten ist. Das Gericht würde dann den fehlenden Testwunsch, wenn überhaupt, mit anderen Motiven erklären – wie etwa einer etwaigen Angst des Angeklagten „vor der Apparatur“ oder der Prozedur. Es scheint also, dass in dieser Konstellation die Annahme einer, auch unbewussten, „alltäglichen Schuldvermutung“ nicht gerechtfertigt wäre.

II. Durchsetzbarkeit des Verwertungsverbotes Bei dieser Sichtweise würde jedoch die Frage übersehen, ob das Verbot, belastende Testergebnisse zu würdigen, in der Praxis überhaupt durchsetzbar wäre. Mit einer Ausnahme haben die Vertreter der Auffassung, dass bei einer etwaigen Zulassung des „Lügendetektors“ nur entlastende Ergebnisse der Beweiswürdigung zugänglich sein sollten, dazu geschwiegen, wie die Einhaltung dieses Verwertungsverbots praktisch erreicht werden könnte, womöglich mit gutem

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

Grund. Delvo hingegen, der einige Vorschläge unterbreitet,34 tut dies für den Fall, dass der Test im Rahmen des Ermittlungsverfahrens unter der Regie staatlicher Prüfungszentren und ausdrücklich nicht im Auftrag der Strafverfolgungsorgane durchgeführt wird.35 Für die Hauptverhandlung sind Delvos Vorschläge daher nur begrenzt erkenntnisfördernd, weil nicht ersichtlich ist, wie verhindert werden könnte, dass die Strafverfolgungsbehörden von einem belastenden Ergebnis Kenntnis erhalten.36 In der Hauptverhandlung ist es schließlich das erkennende Gericht, das dem Beweisantrag des Angeklagten auf „lügendetektorische“ Untersuchung stattgeben müsste. Delvo schlägt nun Weiteres für den Fall vor, dass die Behörden von der Durchführung des Tests erfahren. Dann solle bei einem belastenden Ergebnis nur mitgeteilt werden: „Test nicht aufschlussreich/ keine geeignete Testperson“.37 Dieses Ergebnis sei auch wegen „des Prozentsatzes nicht auswertbarer Tests zuzüglich des prozentualen Anteils der nicht testbaren Personengruppen nicht diskriminierend“.38 Es ist allerdings zweifelhaft, ob man den Gutachter tatsächlich mit dem Recht ausstatten könnte, das Gericht anzulügen (!), und ob ein solches Vorgehen noch im Einklang mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz stünde. Lässt man diese Bedenken erst einmal beiseite, sind aber jedenfalls inhaltlich an der zuletzt genannten These Delvos starke Zweifel angebracht. Hier stellt sich nämlich ebenso das Problem, ob das Gericht rechtstatsächlich in der Lage wäre, das Testergebnis „unbrauchbar“ nicht als Indiz für die Schuld des Angeklagten zu interpretieren. Mit ansteigender Präzision eines Verfahrens verstärkten sich diese Zweifel noch, denn damit sänke gleichzeitig der Anteil der Untersuchungen, die de facto kein brauchbares Ergebnis erbringen können. Letztlich verhielte es sich wohl so, dass das Gericht hinter jedem „gescheiterten“ Test ein eigentlich belastendes Testergebnis vermuten würde. Es ist somit festzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, wie das Verbot, belastende Testergebnisse zu würdigen, in der Hauptverhandlung so ausgestaltet werden könnte, dass es auch rechtstatsächlich beachtet würde. Wenn auch über den Umweg der richterlichen Interpretation, so würden sich belastende Ergebnisse doch nicht geheim halten lassen. Weil die Richter die soeben beschriebene Dynamik durchaus erkennen würden und somit auch bei einem Verwertungsverbot für belastende Untersuchungsergebnisse einen ausbleibenden Testantrag als Schuldindiz ansehen würden, ergäbe sich für die rechtliche Bewertung kein qua34

Delvo, S. 378 f. Delvo, S. 377. 36 Vgl. Delvo, S. 377. Siehe auch Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580: Dass belastende Ergebnisse bekannt würden, werde sich „freilich nicht völlig vermeiden lassen“. Gleichwohl schlägt Schwabe vor, das Verwertungsverbot durch „institutionelle Vorkehrungen“ abzusichern, wird dann aber auch nicht konkreter. 37 Delvo, S. 378. 38 Delvo, S. 378 f. 35

D. Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse

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litativer Unterschied zu der Fallgestaltung, in der belastende Testergebnisse gleichsam offiziell der richterlichen Beweiswürdigung zugänglich sind.39 Wer es jedoch gleichwohl für möglich hält, dass das in Rede stehende Verwertungsverbot auch in der Rechtswirklichkeit ausreichend beachtet werden könnte, kann dieser Auffassung natürlich nicht beipflichten. Für diesen Fall würde sich die Situation zusammengefasst wie folgt darstellen40: Ein fehlender Testantrag des Angeklagten würde dann von dem Tatrichter zumindest nicht als Schuldindiz gewertet werden, da sich der Angeklagte unter keinen Umständen selbst belasten könnte, wenn er den „Lügendetektor“-Test in Anspruch nähme. Mit der Zulassung der „Lügendetektion“ würden somit in Abwesenheit der Probleme, die mit der „alltäglichen Schuldvermutung“ und dem aus ihr folgenden Einwilligungsdruck verbunden sind, keine zu berücksichtigenden Belange künftiger Angeklagter beeinträchtigt. Der Einsatz eines „Lügendetektor“-Tests wäre dann generell zulässig.

III. Verwertungsverbot für belastende Ergebnisse wünschenswert? Obwohl hier somit angenommen wird, dass sich ein Verbot, belastende Testergebnisse zu würdigen, in der Praxis nicht einhalten lassen würde, seien dennoch einige Überlegungen dazu angestellt, welche Lösung vorzuziehen wäre; zumal die Belastung, die sich ungeachtet eines entsprechenden Verwertungsverbotes ergäbe, nur indirekt wäre und darüber hinaus durch das Verwertungsverbot erheblich gemildert würde, da das Gericht seine Vermutung, dass sich hinter dem Testergebnis „unentscheidbar“ in Wahrheit ein belastendes Ergebnis ver39 Von der hier vertretenen Auffassung abgesehen, dass sich die Verwertung belastender Ergebnisse in der Praxis gar nicht verhindern lassen würde, sei angemerkt: Weshalb „erst die Beschränkung auf entlastende Beweisergebnisse zur Zulässigkeit des Verzichts“ des Angeklagten auf den Grundrechtsschutz führen soll, wie Brandis, S. 298 (er verwendet statt des Terminus „Einwilligung“ den Ausdruck „Verzicht“, meint in der Sache aber dasselbe, vgl. Brandis, S. 285) behauptet, kann den dieser Behauptung vorangehenden Erwägungen nicht entnommen werden. Jedenfalls hieße dies im Umkehrschluss, dass der „Verzicht“ (d. h. die Einwilligung in die Einwirkung auf die Grundrechte) unwirksam wäre, wollte man auch die Verwertbarkeit belastender Ergebnisse zulassen. Brandis übersähe dabei, dass die Einwirkung auf die Menschenwürde bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht einzig darin besteht, dass der Sachverständige, als Vertreter des Staates, Aufzeichnungen über unwillkürliche Gedankenvorgänge des Angeklagten macht. Die Einwirkung liegt aber nicht darin begründet, dass diese Aufzeichnungen belastende Ergebnisse für den Angeklagten erbringen können. Es ist ein allgemeines Risiko des Angeklagten im Strafverfahren, dass seine Entlastungsbemühungen fehlschlagen und ihn sogar letztlich belasten können. Die Möglichkeit, dass die erzielten Testergebnisse auch zur Belastung des Angeklagten herangezogen werden können, kann somit kein Argument für die Unzulässigkeit des „Grundrechtsverzichts“ des Angeklagten sein. 40 Siehe bereits soeben 5. Kapitel D. I.

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

birgt, in der Urteilsbegründung nicht einmal erwähnen dürfte.41 Insofern ergäben sich zwar keine Unterschiede bei der Beantwortung der Frage, ob sich ein indirekter Druck auf künftige Angeklagte durch ein Verwertungsverbot für belastende Ergebnisse vermeiden ließe; für die Frage, wie intensiv die Belastung selbst ausfiele, hingegen sehr wohl. Setzt man ein Verfahren voraus, welches nicht (annähernd) perfekt funktioniert, läge das Hauptargument gegen eine Verwertbarkeit belastender Ergebnisse in der Fehleranfälligkeit des Verfahrens bei der Erkennung Unschuldiger (Spezifität42).43 Solange „falsch positive“ Ergebnisse nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, bestünde stets ein nicht zu vernachlässigendes Risiko von Testresultaten, die den Nicht-Täter zu Unrecht belasten. Je höher die Spezifität wäre, desto seltener würde dieser Fall zwar eintreten;44 eine höhere Zuverlässigkeit hätte aber andererseits zur Konsequenz, dass das Gericht dem Ergebnis einer einzelnen Untersuchung noch bereitwilliger folgen würde als bei niedrigerer Zuverlässigkeit. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich die Anzahl der Fehlurteile, die aufgrund falsch belastender Ergebnisse ergehen, wiederum in Grenzen halten dürfte. Zunächst einmal müsste der Test tatsächlich ein falsch belastendes Ergebnis erbringen, was umso seltener der Fall wäre, je höher der Anteil tatsächlich Schuldiger an der Gesamtzahl der Angeklagten und je treffsicherer das eingesetzte Verfahren ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das falsch belastende Ergebnis dann auch gerade jenen berühmten „Mosaikstein“ (wie groß dieser auch sein möge) darstellen müsste, der zu der Verurteilung führt. Denn wenn 41 Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. d) bb) zu vermuteten psychologischen Prozessen, wenn von dem Tatrichter die Beachtung eines Verwertungsverbots verlangt wird. 42 Siehe dazu oben Fn. 19. 43 Es sei hier daran erinnert, dass sich gerade die Kontrollfragenmethode in dieser Hinsicht als problematisch erwiesen hat, vgl. oben 2. Kapitel A. I.; siehe auch Rill, S. 30 f. mit Nachw. 44 Das Problem der „falsch positiven“ Ergebnisse stellt sich in einem noch ganz anderen Maße in einem Umfeld, in dem der Anteil der tatsächlich „Schuldigen“ unter den insgesamt Getesteten sehr gering ist. Testet man etwa 10.000 Personen, nimmt man eine Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse von 15 Prozent an (Spezifität 85 Prozent), und befinden sich aber unter den Getesteten nur 0,1 Prozent tatsächlich Schuldige (also im Beispiel: zehn Schuldige), dann bedeutet dies, dass von den 1510 Testergebnissen, die auf „schuldig“ lauten (bei einer unterstellten Sensitivität [vgl. Fn. 19] von 100 Prozent), 1500 inkorrekt sind, dass also nur ca. jedes 150ste positive Testergebnis korrekt ist! Dieses Szenario ist kein bloß theoretisches, dürfte doch eine solche Verteilung typisch sein für Tests im Arbeitsumfeld, insbesondere bei verdachtsunabhängigen Einstellungs- oder Kontrolltests (die in den USA durchaus verbreitet sind bzw. vor Erlass des EPPA verbreitet waren, siehe dazu oben 2. Kapitel H.; vgl. zu Zahlenbeispielen National Research Council 2003, S. 48 [Tabelle 2-1] sowie 180 ff., 183). Im Strafverfahren hingegen stellt sich dieses statistische Problem so nicht, da davon auszugehen ist, dass ein signifikanter Anteil der Beschuldigten und ein noch größerer Anteil der Angeklagten tatsächliche Täter sind.

D. Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse

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der Unschuldige auch ohne den Test (fehl)verurteilt worden wäre, wäre das falsch belastende Ergebnis nicht der Grund für das Fehlurteil, womit diese Fälle als Argument gegen die Verwertung belastender Testergebnisse ausscheiden.45 Für die Verwertbarkeit belastender Ergebnisse einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit einem nicht-invasiven hirnbildgebenden Verfahren spräche in erster Linie, dass dadurch der Anreiz für Schuldige verringert würde, den Test in der Hoffnung auf ein „falsch negatives“ Ergebnis zu beantragen, ein Ergebnis also, das dem Schuldigen einen starken Entlastungsbeweis in die Hand gäbe. Dieser Anreiz ist erheblich kleiner, wenn der Schuldige zu Recht befürchten muss, dass der Test das „richtige“ Ergebnis erbringt, nämlich „korrekt positiv“. Gerade der tatsächliche Täter, der noch die Hoffnung hegt, über die Unschuldsvermutung zu einem (fehlerhaften) Freispruch zu kommen, würde das Risiko eines Tests, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem belastenden Ergebnis führt, nicht eingehen können. Die Verwertbarkeit belastender Ergebnisse würde also nicht nur die Gefahr erhöhen, dass Unschuldige verurteilt, sondern gleichzeitig die Gefahr verringern, dass tatsächliche Täter freigesprochen würden. Geht man zudem davon aus, dass sich das Verwertungsverbot ohnehin nicht vollständig durchsetzen ließe, kommt noch hinzu, dass es dann nachteilige Folgen für jene Angeklagten hätte, deren Testergebnis tatsächlich auf „unentscheidbar“ lautet: Sie gerieten in die wohlbegründete Gefahr, dass von dem Tatrichter vermutet würde, dieses Ergebnis sei in Wahrheit nicht unbrauchbar, sondern ein den Angeklagten belastendes.46 Ließe man die Würdigung belastender Resultate hingegen zu, bestünde dieses Risiko nicht, da das Testergebnis „unentscheidbar“ dann auch faktisch als nicht aussagekräftig gewertet würde. Letztlich wird es jedoch für die Beurteilung der Frage nach einem Verwertungsverbot für den Angeklagten belastende Resultate eines „Lügendetektor“Tests schlicht darauf ankommen, wie man es mit dem berühmten Satz hält, wonach man „lieber zehn Schuldige laufen lassen“ solle „als einen Unschuldigen zu verurteilen“47. Nimmt man ihn ernst, muss davon Abstand genommen werden, die Würdigung belastender Testergebnisse zuzulassen.48 Ist man aber, wie 45 Das so genannte „friendly polygrapher syndrome“ hingegen kann wohl nicht als Argument für die Hereinnahme belastender Ergebnisse in die Beweiswürdigung herangezogen werden (so jedoch Schünemann, Kriminalistik 1990, S. 131, 150; Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351). Die entsprechende These besagt, dass ein „Lügendetektor“Test nicht funktionieren könne, wenn die Testperson keine Angst vor Entdeckung habe. An der These wird jedoch erstens heftige Kritik geübt; und zweitens ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Wirkungsweise der „Lügendetektion“ in erster Linie auf kognitiven Prozessen beruhen könnte, so dass Bedenken unter dem Gesichtspunkt des „freundlichen Examinators“ möglicherweise hinfällig wären; siehe zu der Diskussion ausführlicher unten 6. Kapitel B. m.w. N. 46 Vgl. soeben 5. Kapitel D. II. 47 Siehe nur Amelung, JR 1999, S. 382, 385 in Fn. 25. 48 So im Ergebnis Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 917.

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

etwa Frister49, der Ansicht, Fehlurteile seien systemimmanent und würden daher um des Strafverfolgungsinteresses willen „ganz selbstverständlich in Kauf genommen“, spricht nichts mehr grundsätzlich dagegen, auch die für den Angeklagten ungünstigen Ergebnisse in die Beweiswürdigung einzubeziehen. Denn um das Strafverfolgungsinteresse geht es auch hier, weil tatsächliche Straftäter sich dann keinen starken Entlastungsbeweis „erschleichen“ könnten. Wäre hingegen das Risiko „falsch positiver“ Testergebnisse verschwindend gering (Spezifität bei annähernd 100 Prozent), bestünde auch praktisch keine Gefahr für daraus erwachsende Fehlurteile mehr. Dann spräche endgültig nichts mehr dagegen, belastende Ergebnisse in die Beweiswürdigung einzubeziehen.

E. Es bestehen weitere Entlastungsmöglichkeiten für den Angeklagten Solange nicht feststeht, ob sich der Angeklagte im Hauptverfahren überhaupt in einer Lage befindet, in der ihm keine weitere Entlastungsmöglichkeit zur Verfügung steht, sind seine oben dargestellten Grundrechte jedenfalls noch nicht unmittelbar bedroht.50 Bei einer Wahrscheinlichkeit von annähernd 100 Prozent, dass faktische Nicht-Täter auch als solche erkannt werden, wäre der Test dann unzulässig. Denn unabhängig von der konkreten Beweislage wären dort stets rechtlich bedeutsame Belange künftiger Angeklagter beeinträchtigt, sei es als Folge der „alltäglichen Schuldvermutung“ oder erst des aus ihr resultierenden Einwilligungsdrucks.51 Die Rechte der künftigen Angeklagten müssten hier in keiner Situation hinter dem Interesse des entlastungswilligen Angeklagten zurücktreten, weil dieses Interesse lediglich darin besteht, die Belastung durch das Verfahren52 so weit wie möglich zu verringern. Bewegt sich die Zuverlässigkeit für die korrekte Klassifizierung Unschuldiger demgegenüber bei bestenfalls 90 Prozent, würden keine grundrechtsrelevanten Interessen künftiger Angeklagter beeinträchtigt.53 Das Begehr des konkreten 49

Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 327. Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. g) aa). 51 Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. f). 52 Vgl. Schwabe, NJW 1979, S. 576, 579. Durch diese Belastung werden jedenfalls keine Grundrechte des Beschuldigten verletzt; vgl. dazu BVerfGK 2, S. 27, 28: Es besteht kein Rechtsschutz gegen die Aufnahme von Ermittlungsmaßnahmen. 53 Immer muss dabei aber unterstellt werden, dass das objektive und auf der Hand liegende Motiv für einen – auch unschuldigen! – Angeklagten, den Test nicht in Anspruch nehmen zu wollen, nämlich die Gefahr falsch belastender Ergebnisse, auch rechtstatsächlich dazu führen würde, dass der Tatsachenrichter dieses Prozessverhalten dann auch nicht als Schuldindiz interpretieren und sich kein daraus geborener Einwilligungsdruck bei späteren Angeklagten entwickeln würde, siehe oben 5. Kapitel A. 50

F. Zulässigkeit im Ermittlungsverfahren

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Angeklagten, sich durch einen Entlastungstest der (in langwierigen Verfahren durchaus nicht unerheblichen) Belastung durch das Strafverfahren zu entledigen, dürfte somit von dem Gericht nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO abgelehnt werden. Bereits um zu vermeiden, dass die kosten- und zeitintensiven Verfahren der Glaubwürdigkeitsbegutachtung auch in diesen gleichsam harmlosen Situationen eingesetzt werden müssten, wenn ein Angeklagter den entsprechenden Beweisantrag stellt, wäre allerdings hier eine gesetzliche Regelung wünschenswert (wenn auch nicht, wie gesehen, notwendig54), welche die Anwendung beschränkte, etwa angelehnt an den Regelungsgehalt der Bestimmung über die notwendige Verteidigung in § 140 Abs. 1 Nr. 1–3 StPO.55

F. Zulässigkeit im Ermittlungsverfahren Wie bei dem Einsatz des Polygraphentests zu Zwecken der Täterschaftsermittlung ist auch bei einem hirnbildgebenden Verfahren zu fragen, wie seine Verwendung im Ermittlungsverfahren zu beurteilen ist.56 Unabhängig von sogleich zu klärenden Detailfragen ist dabei jedenfalls bereits vorab eines zu konstatieren: In diesem Stadium des Verfahrens ist nicht sicher, ob dem Beschuldigten nicht noch andere Beweismittel zur Verfügung stehen (werden), es ist also kaum feststellbar, ob er sich in einer Situation des „Beweisnotstands“ befindet. Vor allem aber sind die oben benannten Grundrechte des Beschuldigten in dieser Phase des Strafverfahrens (noch) nicht unmittelbar bedroht: Weder stehen der Verlust der Freiheit der körperlichen Bewegung57, des Eigentums oder der Berufsfreiheit bevor, noch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine mit „sozialethischem Tadel“ verbundene Verurteilung.58 Das zu berücksichtigende Interesse des entlastungswilligen Beschuldigten besteht hier vielmehr lediglich darin, die Belastung durch das Strafverfahren zu verhindern bzw. abzukürzen.59 Einem entsprechenden Beweisantrag müsste wiederum nach § 163a Abs. 2 StPO stattgegeben werden, wenn die Einwilligung in die Durchführung des Tests freiwillig wäre und etwaig beeinträchtigte Rechte künftiger Beschuldigter das Interesse des konkret betroffenen Beschuldigten nicht überwiegen würden. Zurückzuweisen sind in jedem Fall Pauschalforderungen, wonach der Test aus dem „Ermittlungsverfahren gänzlich herausgehalten

54

Siehe dazu oben 4. Kapitel D. III. Vgl. bereits 4. Kap., Fn. 597. 56 Siehe zur Diskussion um die Zulässigkeit vor allem des (mit einem Polygraphen durchgeführten) Tatwissentests im Ermittlungsverfahren oben 2. Kapitel E. IV. 57 Zu Fragen der Untersuchungshaft siehe unten 5. Kapitel G. 58 Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. g) aa). 59 Vgl. dazu Fn. 52. 55

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

werden“ müsse,60 wobei diese Forderung verbreitet mit dem Prinzip der „praktischen Konkordanz“ begründet wird, wonach kollidierende Verfassungsrechte zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen sind. Es wurde bereits in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass eine solche Argumentation nicht tragfähig ist; denn damit würde das Interesse eines konkret betroffenen Beschuldigten, sich in einer bestimmten Situation (z. B. im Ermittlungsverfahren) mit einem „Lügendetektortest“ entlasten zu können, gleichsam aufgeopfert, um den Rechten künftiger Beschuldigter insgesamt zu größerer Wirkung zu verhelfen. Es ist daher für jede Fallkonstellation isoliert zu untersuchen, wessen Belange sich als vorrangig erweisen, diejenigen des entlastungswilligen Beschuldigten oder diejenigen „des“ künftigen Beschuldigten.61 Darüber hinaus ist hinsichtlich der Zulässigkeit eines „Lügendetektor“-Einsatzes im Ermittlungsverfahren wiederum nach der Zuverlässigkeit eines entsprechenden Verfahrens zu unterscheiden.

I. Belastende Testergebnisse verwertbar – Spezifität bei annähernd 100 Prozent Ein annähernd perfektes Verfahren wäre hier nicht unbedingt Zukunftsmusik. Wie weiter oben beschrieben, lässt sich bei Anwendung der Tatwissenmethode mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass einem Nichtbeteiligten zu Unrecht Tatwissen unterstellt wird.62 Aber auch mit der Kombinierung verschiedener Verfahren und Methoden63 wäre eine Annäherung an eine 100-prozentige Treffsicherheit (genauer: Spezifität64) zumindest denkbar – welche dann sogar auf die Täterschaft des Betroffenen bezogen wäre und nicht nur auf sein Tatwissen. Die Situation des Einwilligungsdrucks auf künftige Beschuldigte stellte sich dann wie folgt dar: Diese Beschuldigten hätten, insbesondere auch in der Vorstellung der Ermittlungspersonen, keinen generell gültigen „guten Grund“ mehr, einen „Lügendetektor“-Test nicht zu beantragen. Denn insbesondere in dieser Lage, in der die Beschuldigten nicht fürchten müssen, durch „falsch positive“ Testergebnisse belastet zu werden, kann angenommen werden, dass der „gesunde ,Polizistenverstand‘“ einen unterbleibenden Testantrag durchaus als 60 Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39; ders. in JR 1999, S. 382, 384 f., dann differenzierter, wenn auch nicht weitere Fallkonstellationen unterscheidend (S. 385); Amelung insoweit folgend Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer, S. 42, 45; sowie Dalakouras, S. 179, der jedoch diesbezüglich ebenso eine Begründung schuldig bleibt wie hinsichtlich der Forderung, dass der Polygraphentest „keine ,immense Bedeutung‘ im Strafrecht bekommen“ dürfe. 61 Siehe dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. g) aa). 62 Siehe 2. Kapitel A. II., siehe aber auch 2. Kap., Fn. 32 zu Einschränkungen dieser Aussage. 63 Vgl. oben 4. Kapitel A. 64 Siehe dazu Fn. 19.

F. Zulässigkeit im Ermittlungsverfahren

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Schuldeingeständnis werten würde. Zwar dürfte auch hier das Ausbleiben eines Testantrags nicht als Schuldindiz gewürdigt werden, denn das Verwertungsverbot gälte auch für die Ermittlungsbehörden65 – entgegen der Behauptung Schüsslers.66 Doch haben Amelung67 und in seiner Folge Landau68 nicht Unrecht, wenn sie vermuten, dass „erfolgsorientierte“69 Ermittlungspersonen wohl (noch) weniger als Tatrichter in der Lage (oder gar willens) wären, das Verwertungsverbot auch in der Praxis zu beachten. Man denke nur an die fehlende Begründungspflicht für das Aufnehmen weiterer Ermittlungen oder an den Umstand, dass das Ermittlungsverfahren weitgehend ohne richterliche Kontrolle abläuft.70 Indem die Ermittlungspersonen einen ausbleibenden Testwunsch demnach als Indiz für die Schuld interpretieren würden, würde die Zulassung der „Lügendetektion“ in dieser Konstellation bereits das Schweigerecht bzw. Nichtbeantragungsrecht künftiger Beschuldigter beeinträchtigen.71 Anders als in der Hauptverhandlung, wenn dem Angeklagten nach dem Stand der Beweisaufnahme die Verurteilung bevorstünde, resultierte darüber hinaus die „alltägliche Schuldvermutung“ hier wohl auch in einem signifikanten Einwilligungsdruck künftiger Beschuldigter. Denn die Beschuldigten befänden sich im Ermittlungsverfahren nicht annähernd in einer ähnlich existenziellen Position, in der ihr Prozessverhalten in Bezug auf die Inanspruchnahme eines „Lügendetektors“ unabhängig von einem eventuellen indirekten Druck in aller Regel ohnehin vorgezeichnet wäre.72 Bei dieser Überlegung darf zwar nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch die Konsequenzen bei weitem nicht so gravierend wären wie in der Hauptverhandlung: Während dort das Schuldindiz des nicht beantragten Tests gerade den „letzten Mosaikstein“ darstellen kann, der zu einer Verurteilung führt, können im Ermittlungsverfahren lediglich weitere Ermittlungsmaßnahmen ergriffen werden (das Problem der drohenden Untersuchungshaft sei, wie gesagt, zunächst einmal zurückgestellt). Man könnte daher annehmen, dass der Druck, mit der Inanspruchnahme eines „Lügendetektor“Tests diese vergleichsweise harmlose Folge zu vermeiden, kein erhebliches Ausmaß erreichen würde.73 Jedoch ist insbesondere im Ermittlungsverfahren die Gefahr besonders hoch, dass die besagten unerfahrenen, womöglich nicht ein65

Vgl. Dencker, StV 1994, S. 667, 670. Schüssler, S. 183. 67 Amelung, JR 1999, S. 382, 385. 68 Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer, S. 42, 45. 69 Amelung, JR 1999, S. 382, 385. 70 Amelung, JR 1999, S. 382, 385. 71 Siehe dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (2). 72 Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. e). 73 Diese Annahme hätte allerdings schon dann keine Gültigkeit, wenn man annähme, dass die Tatsache des im Ermittlungsverfahren „verweigerten“ Tests ihrerseits im Hauptverfahren – wiederum trotz des diesbezüglichen Verbots – verwertet würde. Dem 66

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

mal anwaltlich vertretenen Beschuldigten auch angesichts dieser „harmlosen“ Folgen einen enormen Druck verspüren könnten, durch Beantragung des Tests erst gar keinen „Verdacht“ aufkommen zu lassen. Insgesamt dürfte die Zulassung des „Lügendetektors“ somit zu einem Einwilligungsdruck führen, welcher die Aussagefreiheit derjenigen künftigen Beschuldigten, die noch vor der Entscheidung über die Testteilnahme stehen,74 und das allgemeine Persönlichkeitsrecht jener, die den Test aufgrund des Drucks beantragen,75 nicht nur unerheblich beeinträchtigt würden.76 Da zudem, wie gesehen, das Interesse des testwilligen Beschuldigten im Ermittlungsverfahren keine Grundrechtsrelevanz aufweist, führt die Verkürzung der aufgeführten Rechte der künftigen Beschuldigten zu dem Ergebnis, dass der „Lügendetektor“-Einsatz in dieser Fallgestaltung unzulässig wäre.

II. Belastende Testergebnisse verwertbar – Spezifität bei maximal 90 Prozent Steht aber der Einsatz von Verfahren in Rede, bei deren Anwendung zu einem signifikanten Prozentsatz tatsächliche Nicht-Täter zu Unrecht als Täter klassifiziert werden (Spezifität bei maximal 90 Prozent), muss wiederum angenommen werden, dass es schon an der für einen relevanten indirekten Druck vorausgesetzten „alltäglichen Schuldvermutung“ fehlte: Hätte der Beschuldigte stets einen vernünftigen objektiven und für jeden Beteiligten erkennbaren „guten Grund“, den Test auch dann nicht zu beantragen, wenn mehrere Tatsachen gegen ihn sprechen – nämlich die berechtigte Furcht vor einem belastenden Ergebnis –, wäre es nicht nur unvernünftig, sondern auch rechtstatsächlich unwahrscheinlich, dass ein ausbleibender Testwunsch von den Ermittlungspersonen dann als Schuldindiz interpretiert würde. Zwar fehlt es wie gesagt in diesem Verfahrensstadium weitgehend an richterlicher Kontrolle und es darf unterstellt werden, dass Ermittlungsbeamte wohl einen grundsätzlich größeren Belastungseifer als Richter haben. Es sei jedoch ebenfalls unterstellt, dass auch die Ermittlungspersonen die Regeln der Vernunft beachten würden, welche besagen, dass in einem solchen Fall das Ausbleiben einer Testbeantragung nicht mit der Schuld des Betroffenen erklärt werden kann. Es ist nun auch hier nicht auszuschließen, dass sich in Verkennung dieser Umstände bei manchen Beschuldigten gleichwohl ein irrationaler Druck einstelGedanken sei hier indes nicht nachgegangen, da er am Ergebnis der Unzulässigkeit in dieser Konstellation nichts ändern würde, sie allenfalls noch manifestierte. 74 Siehe dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. f) bb) (1). 75 Siehe dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. f) dd). 76 Vgl. zu der Abhängigkeit der jeweils betroffenen Rechtspositionen von dem zeitlichen Faktor und dem tatsächlichen Verhalten des Beschuldigten oben 4. Kapitel F. II. 1.

F. Zulässigkeit im Ermittlungsverfahren

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len würde, den Test in Anspruch zu nehmen, obwohl er dies eigentlich nicht beabsichtigte. Will man diese Gefahr nicht bereits vernachlässigen, so sollte die erforderliche Belehrung des Beschuldigten so abgefasst sein, dass spätestens dann auch einem unerfahrenen und unverteidigten Beschuldigten offenbar wird, dass er bei einer Test-„Verweigerung“ nichts zu befürchten hat. Will man sich noch weiter absichern, kann man dem Beschuldigten ein Formblatt vorlegen, wie es etwa Delvo vorgeschlagen hat.77 Einem Beweisantrag des Beschuldigten auf Begutachtung seiner Glaubwürdigkeit mittels eines hirnbildgebenden Verfahrens müsste in dieser Konstellation also entsprochen werden,78 um dem unschuldigen Beschuldigten die Möglichkeit zu geben, die Belastung durch das Ermittlungsverfahren zu verhindern bzw. zu verringern. Im Ermittlungsverfahren dürften die hierzu geäußerten Bedenken indes noch einmal von geringerem Gewicht sein. Zwar stellen „falsch positive“ Ergebnisse auch dann ein erhebliches Risiko für den Unschuldigen dar. Ihre Folgen wären aber weit weniger gravierend als in der Hauptverhandlung (von Fragen der Untersuchungshaft nochmals abgesehen). Vor allem dann dürfte eine Verwertung belastender Ergebnisse innerhalb des Ermittlungsverfahrens nahe liegen, wenn man, wie es etwa Schünemann79 vorschlägt, die Verwertung der Ergebnisse in der Hauptverhandlung von vornherein verböte.80 Denn damit würde das Hauptargument gegen die Verwertung belastender Ergebnisse, die Gefahr von Fehlverurteilungen (oder auch von falschen Freisprüchen bei entsprechender Fehleranfälligkeit) aufgrund falsch positiver Ergebnisse, gegenstandslos.81

III. Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse Es soll an dieser Stelle nicht weiter auf Delvos82 Vorschläge Bezug genommen werden, wie ein Verwertungsverbot für belastende Testergebnisse sichergestellt werden könnte. Möglicherweise wäre dies leichter zu bewerkstelligen als in der Hauptverhandlung – ob aber etwa die Einrichtung unabhängiger und zur 77

Delvo, S. 378; siehe bereits oben 5. Kapitel C. Vgl. oben 2. Kapitel E. IV. zu der umstrittenen Frage, ob § 163a Abs. 2 StPO dem Beschuldigten überhaupt einen eigenständigen Beweisantragsanspruch gibt oder nur einen Anspruch auf Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen, sowie zu dem Problem der praktischen Durchsetzbarkeit. 79 Schünemann, Kriminalistik 1990, S. 131, 150; dagegen Schüssler, S. 175. 80 Dies dürfte jedenfalls praktisch weit weniger schwer zu bewerkstelligen sein als die Durchsetzung des Verbots der Würdigung belastender Ergebnisse in ein und demselben Verfahrensstadium mit denselben Beteiligten (vgl. dazu oben 5. Kapitel D.). 81 Auch hier jedoch wäre de lege ferenda überlegenswert, ob die Zulässigkeit nicht zu beschränken wäre, zumindest solange, wie die Verfahren teuer und zeitaufwändig sind, vgl. bereits oben 4. Kapitel, Fn. 597 u. 5. Kapitel E. a. E. 82 Siehe dazu oben 5. Kapitel D. II. 78

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

Geheimhaltung verpflichteter Prüfungszentren83 in der Praxis jemals durchsetzbar wäre, darf nichtsdestoweniger bezweifelt werden. Es wird hier daher die gleiche Lage unterstellt wie in der Hauptverhandlung: Ein Verwertungsverbot könnte in der Realität nicht eingehalten werden; mittelbar würden sich zumindest in den Augen der Ermittlungspersonen belastende Ergebnisse offenbaren.84 Unter dieser Voraussetzung stellt sich die rechtliche Beurteilung so dar, wie sie soeben beschrieben wurde.85

G. Untersuchungshaft Für die Fallgestaltung, für welche die Zulässigkeit des „Lügendetektors“ im Ermittlungsverfahren verneint wurde,86 ist indes eine wichtige Ausnahme zu machen, die in der Diskussion bisher kaum eine Rolle spielte87 – dies, obwohl der Fall bereits einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag.88 Nicht immer wären die Konsequenzen der nachteiligen Schlussfolgerungen, die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens aus einem ausbleibenden Testwunsch gezogen würden, so „harmlos“ wie gerade dargestellt. Insbesondere in den Fällen schwererer Kriminalität besteht für den Beschuldigten oftmals die Gefahr, in Untersuchungshaft genommen zu werden, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Straferwartung in der Praxis von erheblicher Bedeutung für die Feststellung des Haftgrundes der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist.89 Da hier wiederum (Ermittlungs-)Richter die Entscheidungsträger sind und das Grundrecht des Beschuldigten auf Erhalt seiner Freiheit der körperlichen Bewegung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG konkret gefährdet ist, gilt Gleiches 83

Vgl. Delvo, S. 377 u. 378 f. Vgl. oben 5. Kapitel D. 85 Siehe 5. Kapitel F. I. sowie 5. Kapitel F. II. Ginge man jedoch trotz allem davon aus, dass die Durchsetzung des Verwertungsverbots gelänge, würden keine relevanten Rechte künftiger Beschuldigter beeinträchtigt, weshalb einem Beweisantrag auf Durchführung eines „Lügendetektor“-Tests unabhängig von der Zuverlässigkeit des Verfahrens entsprochen werden müsste, vgl. 5. Kapitel D. II. a. E. 86 Wenn ein Verfahren mit an Perfektion zumindest heranreichender Spezifität zum Einsatz käme, vgl. 5. Kapitel F. I. 87 Auch Matz, ZaöRV 59 (1999), S. 1107, 1119, spricht lediglich davon, dass aufgrund eines mit Hilfe einer polygraphischen Untersuchung (genauer: mit der Methode des Tatwissentests) erstelltes Gutachten je nach Ergebnis „die Polizei weiter ermitteln oder aber die Ermittlungen im Hinblick auf den begutachteten Verdächtigten einstellen wird.“ Einzig Schüssler, S. 172 f., schneidet die Frage der Untersuchungshaft an, allerdings nicht unter dem Blickwinkel der generellen Zulässigkeit, sondern bezogen darauf, ob dann eine Ausnahme von der s. E. unproblematischen Verwertbarkeit belastender Testergebnisse gemacht werden sollte. 88 BVerfG, StraFo 1998, S. 16; siehe zu dieser Entscheidung auch oben 2. Kapitel B. III. 89 Siehe nur LR26-Hilger, § 112 Rn. 39. 84

H. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden?

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wie in der beschriebenen Situation der Hauptverhandlung: Spätestens, wenn der Haftbefehl von der Staatsanwaltschaft beantragt ist und dem Beschuldigten keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den dringenden Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) zu entkräften, muss dem so betroffenen Beschuldigten die Möglichkeit eröffnet werden, sich mittels eines beinahe perfekten Entlastungstests durch „Lügendetektion“ vor dem Verlust seiner Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zu bewahren. Befindet sich der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft, ist also der Freiheitsverlust bereits eingetreten, muss dies erst recht gelten.

H. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden? Soweit in der Literatur die Zulassung der polygraphischen Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Angeklagten befürwortet wird, besteht im Hinblick auf einen Aspekt weitgehende Einigkeit: Den Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der Staatsanwaltschaft, dürfe kein Initiativrecht eingeräumt werden,90 der Test sei allein auf Antrag des Angeklagten zulässig.91 Wer sich auf ein Testangebot der Staatsanwaltschaft einlasse, handele nicht frei von „Furcht und Zwang“.92 Das Testverfahren dürfe nicht zum Angriffsmittel der Ermittlungsbehörden werden.93 Diese Ansichten sind indes in ihrer Allgemeinheit ebenso wenig unterstützenswert wie jene Schüsslers, der als einziger sowohl für das Ermittlungsverfahren, als auch für die Hauptverhandlung kein Problem in einem Initiativrecht für die Staatsanwaltschaft sieht, mit der eher lapidaren Begründung, dass wie bei anderen Beweismitteln das Recht, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen, auch hier allen Verfahrensbeteiligten zustehe.94 Für die nun folgende Erörterung sei zunächst wiederum angenommen, dass ein Verwertungsverbot für belastende Ergebnisse in der Praxis eine bloße Chimäre wäre,95 weshalb die entsprechenden Konstellationen als eine betrachtet werden. Es muss jedoch auch hier nach der Zuverlässigkeit der untersuchten Verfahren differenziert werden, insbesondere nach der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Tatunbeteiligter als Täter klassifiziert würde.

90 Es sei daran erinnert, dass es jedoch diese Fallgestaltung war, die der BGH 1954 in dem ersten Urteil zur polygraphischen Untersuchung zu beurteilen hatte, vgl. BGHSt 5, S. 332; vgl. auch oben 2. Kapitel B. I. 91 Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351; Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39; ihm folgend Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 894; Berning, S. 284; dies., MschrKrim 76 (1993), S. 242, 254; Delvo, S. 329; Wegner, S. 184; HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 908. 92 Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351. 93 Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39. 94 Schüssler, S. 182 f. u. 185. 95 Vgl. oben 5. Kapitel D.

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

I. Nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse – Spezifität bei maximal 90 Prozent Die erste Voraussetzung für die Zulässigkeit einer „lügendetektorischen“ Untersuchung – dass die Zustimmung des Angeklagten freiwillig erfolgt, weil die Anwendung des Tests ansonsten bereits gegen § 136a StPO verstieße und überdies mindestens sein allgemeines Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen würde96 – müsste natürlich auch erfüllt sein, wenn der entsprechende Vorschlag von der Staatsanwaltschaft stammt. An dieser Stelle der Argumentation wird nun vorgebracht, dass man „das Prinzip der ,eingriffsmildernden Einwilligung‘“ verkenne, halte man die Erteilung des Einverständnisses dann noch für freiwillig, wenn das „Testangebot“ von Seiten der Staatsanwaltschaft komme.97 Diese Auffassung verkennt jedoch den entscheidenden Gesichtspunkt: Es ist ja nicht so, dass die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zur Durchführung des Tests zwingen könnte – auch wenn dies bei den ablehnenden Meinungen beinahe durchklingt –, denn die Schweige- bzw. Nichtbeantragungsbefugnis verleiht dem Angeklagten das jederzeitige Recht, den „Vorschlag“ der Staatsanwaltschaft abzulehnen. Kann er dies tun, ohne dadurch Nachteile befürchten zu müssen, spricht nichts gegen ein Antragsrecht für die Staatsanwaltschaft. Wenn sich ein Angeklagter in dieser Situation dennoch für den Test entscheidet, beruht seine Motivation für eine Einwilligung gerade nicht darauf, durch kooperatives Verhalten den Eindruck zu vermeiden, er habe etwas zu „verbergen“98; die Einwilligung würde also gerade nicht auf einer Zwangslage beruhen. Weiter oben wurde nun dargelegt, dass der Angeklagte in der Tat eine ihm nachteilige Interpretation seines „unkooperativen“ Verhaltens nicht fürchten muss, wenn, wie hier, nicht mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass der Test kein „falsch positives“ Ergebnis zu Tage fördern kann, da das Gericht eine Testverweigerung dann auch rechtstatsächlich nicht als Schuldindiz werten würde.99 Nun könnte jedoch auch völlig unabhängig von einer etwaigen Gefahr der nachteiligen Würdigung bei dem Angeklagten ein Einwilligungsdruck entstehen, besonders hier, wenn er von der Staatsanwaltschaft gleichsam zur Durchführung des Tests aufgefordert würde. Ausgesprochen wichtig wäre daher dann eine umfassende Belehrung darüber, dass der Angeklagte das Recht hat, den Test zu verweigern und dass diese Weigerung nicht zu seinem Nachteil gewürdigt werden darf. Optimalerweise würde 96 97 98 99

Vgl. dazu oben 4. Kapitel B. IV., 5. Kapitel A. sowie 5. Kapitel B. Achenbach, NStZ 1984, S. 350, 351. Vgl. SK-StPO-Rudolphi, vor § 94 Rn. 62. Siehe dazu genauer oben 5. Kapitel C.

H. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden?

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die Belehrung durch ein Formblatt o. ä. im Sinne Delvos100 abgesichert. In der Hauptverhandlung würde diesbezüglich wegen der Protokollierungspflicht auch die mündliche Antwort des Angeklagten bzw. seines Verteidigers ausreichen; der Richter könnte fragen: „Möchten Sie/Möchte Ihr Mandant den von der Staatsanwaltschaft beantragten ,Lügendetektor‘-Test durchführen? Oder möchten Sie/möchte Ihr Mandant dies nicht, weil Sie/er aufgrund der Fehleranfälligkeit des Verfahrens falsche Ergebnisse zu Ihren/seinen Ungunsten befürchten/t?“ Dann sollte (noch einmal) die Belehrung darüber erfolgen, dass eine Ablehnung auf keine Weise nachteilige Folgen für den Angeklagten haben würde. Dadurch, dass die Gefahr falscher Belastung offen angesprochen und in der ablehnenden Antwort noch einmal wiederholt würde, wäre sich das Gericht auch dessen bewusst, dass dieser Grund für eine Weigerung weit plausibler wäre als eine mögliche Schuld des Angeklagten. Spätestens bei Einhaltung der genannten Vorkehrungen dürfte sich das Problem des zusätzlichen Einwilligungsdrucks somit marginalisieren. Wenn sich vor diesem Hintergrund ein Angeklagter gleichwohl für den Test entscheidet, wird er dies tun, weil er sich ein entlastendes Ergebnis erwartet oder erhofft, nicht aber, um etwaige – auch nur eingebildete – Nachteile einer Weigerung zu vermeiden. Somit wäre seine Einwilligung in die Einwirkung auf seine Grundrechte als ebenso freiwillig zu beurteilen wie bei einem Test, der von vornherein auf Wunsch des Angeklagten durchgeführt wird.101 Von „Furcht und Zwang“ könnte dann keine Rede sein. In dieser Situation mag zwar das Antragsrecht in der Tat ein „Angriffsmittel“ des Staates sein. Es hat sich aber gezeigt, dass mit solchen aus der Intuition geborenen Schlagworten nichts gewonnen ist. Denn wenn der Angeklagte diesen Angriff folgenlos, also ohne Einschränkungen seiner Prozessrechte hinnehmen zu müssen, abwehren kann, ist es unerheblich für die Frage eines Antragsrechts für die Staatsanwaltschaft, ob sie damit ein „Angriffsmittel“ erhält oder nicht.102 Gleichzeitig entfällt das Argument, zur Schonung der Interessen anderer Angeklagter sei der Staatsanwaltschaft das Antragsrecht zu versagen103 – denn die bedürfen dieser Schonung hier gar nicht. 100

Delvo, S. 378; siehe dazu oben Fn. 21. Siehe dazu oben 4. Kapitel E. 102 Gleiches muss für eine entsprechende Anregung des Gerichts gelten. Dabei könnte zusätzlich gefragt werden, ob es dem Gericht – unter der Prämisse, dass seine Sachkunde zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Zuverlässigkeit eines modernen Verfahrens zumindest weit unterlegen wäre (siehe dazu oben 4. Kap. Fn. 14) – nicht aus der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) sogar obläge, den Angeklagten bzw. seinen Verteidiger aus eigenem Antrieb in der im Text angedeuteten Art und Weise zu fragen, ob die Überprüfung seiner Glaubwürdigkeit mit einem hirnbildgebenden Verfahren gewünscht werde, ebenfalls unter Beachtung der genannten Anforderungen an eine „qualifizierte Belehrung“. 103 So aber Amelung, NStZ 1982, S. 38, 39. Vgl. jedoch oben 4. Kapitel F. II. 1. g) aa) dazu, dass der Ansatz, wonach die widerstreitenden Interessen insgesamt im Wege 101

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

II. Unerhebliche Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse – Spezifität bei annähernd 100 Prozent Diese Einschätzung ändert sich wiederum, wenn die Weigerung des Angeklagten als Indiz für seine Täterschaft interpretiert würde, weil bei einer Zuverlässigkeit von (beinahe) 100 Prozent die Fehlerbehaftetheit des Verfahrens keinen „guten Grund“ mehr für ein solches Verhalten darstellen kann.104 In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass sich eine beträchtliche Anzahl von Angeklagten (wenn auch wohl zumeist tatsächlich Unschuldige) dann mit der Testung nur deswegen einverstanden erklären würden, weil sie dadurch die nachteilige Würdigung einer Ablehnung vermeiden wollten105 – insbesondere hier, wo es der Staatsanwaltschaft ja gerade darauf ankäme, durch den Test einen belastenden Beweis zu erlangen. Wie weiter oben dargetan,106 wäre eine solche Einwilligung dann nicht mehr als freiwillig anzuerkennen, hier „noch“ weniger als oben. Da aber jedenfalls die Freiwilligkeit der Zustimmung unerlässliche Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Anwendung eines „Lügendetektor“-Tests wäre, dürfte der Staatsanwaltschaft in dieser Konstellation ein Antragsrecht nicht gewährt werden.107

III. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren? Aus dem Voranstehenden ergibt sich, dass auch in dem Stadium des Ermittlungsverfahrens die Annahme eines Initiativrechts für die Strafverfolgungsbehörden ohnehin nur dann in Frage käme, wenn ein Verfahren in Rede stünde, bei dem die Wahrscheinlichkeit von falschen Ergebnissen zu Lasten eines Unschuldigen ausreichend groß wäre, so dass eine Weigerung, das „Angebot“ der Ermittlungsorgane anzunehmen, stets mit einen „guten Grund“ erklärt werden könnte, der nicht auf die Schuld des Beschuldigten hindeutet. In der weit weniger geordneten und überschaubaren Phase des Ermittlungsverfahrens wäre nun aber nicht mehr notwendig davon auszugehen, dass sich die ermittelnden Personen auch an diese „theoretischen Vorgaben“ halten würden.108 Womöglich wä„praktischer Konkordanz“ zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen sind, für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit „der“ „Lügendetektion“ ohnehin nicht fruchtbar gemacht werden kann. 104 Vgl. oben 5. Kapitel A. 105 Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. 106 Siehe 4. Kapitel F. II. 1. f) dd). 107 (Nur) für diese Konstellation kann somit Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 894, zugestimmt werden, der in einem Antragsverbot für die Strafverfolgungsbehörden ein Mittel sieht, „die Freiwilligkeit [. . .] zu gewährleisten“. 108 Vgl. die Betrachtungen der US-amerikanischen Situation bei Delvo, z. B. S. 323 ff., passim.

H. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden?

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ren diese doch geneigt, zumindest unterschwellig einen zusätzlichen Einwilligungsdruck auf den Beschuldigten auszuüben, allein schon vor dem Hintergrund der „Erfolgsorientiertheit“ ihrer Arbeit.109 Wenn man ein Vorschlagsrecht dennoch bejahen wollte, müsste aber auch hier sichergestellt werden, dass der Beschuldigte umfassend über die Funktionsweise des Verfahrens und über sein Nichtbeantragungsrecht sowie das entsprechende Verwertungsverbot aufgeklärt würde; es wären strenge Dokumentationspflichten einzuführen und hier erst recht mit einem Formblatt in dem von Delvo vorgeschlagenen Sinn zu arbeiten.110 Dann und nur dann erscheint zumindest möglich, dass ein Test-„Angebot“ auch freiwillig angenommen würde. Letztlich hängt die Zulassung eines Initiativrechts für die Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren davon ab, inwieweit man den handelnden Personen zutraute, insoweit ohne (auch subtilen) Zwang auszukommen – begründete Zweifel daran sind durchaus angebracht. Für Verfahren schließlich, bei denen die Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Ergebnisse gegen Null tendiert, gilt Entsprechendes wie für die Situation im Hauptverfahren: Hier muss den Strafverfolgungsbehörden das Initiativrecht versagt bleiben.111

IV. Antragsrecht der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ziel der Entlastung des Angeklagten? Auf einer eher theoretischen Ebene lässt sich abschließend fragen, ob es der Staatsanwaltschaft nicht generell erlaubt sein sollte, den Test mit dem Ziel der Entlastung des Beschuldigten zu beantragen. Nun kann zwar als unbestritten gelten, dass es der Staatsanwaltschaft in der Regel doch eher um eine Überführung des Angeklagten zu tun ist als um die eifrige Suche nach Entlastungsbeweisen.112 Immerhin aber hat die deutsche Staatsanwaltschaft die Pflicht, auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln (§ 160 Abs. 2 StPO); sie hat die Befugnis, Rechtsmittel auch zugunsten des Angeklagten einzulegen und sie muss im Schlussplädoyer nach allgemeiner Ansicht Freispruch beantragen, 109 Vgl. nochmals die diesbezüglichen Befürchtungen Amelungs, JR 1999, S. 382, 385, und Landaus, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer, S. 42, 45. 110 Siehe dazu Fn. 21. 111 Siehe soeben 5. Kapitel H. II. 112 Vgl. z. B. Kühne, Rn. 138: „Auch die rechtliche Konzeption einer objektiven Staatsanwaltschaft, die gleichermaßen entlastende wie belastende Umstände zu ermitteln hat [. . .] ist in der Praxis weitgehend uneingelöst geblieben.“ (Hervorh. im Original) – Und weiter unten: „Die Staatsanwaltschaft versteht sich allzu häufig als Verfolgungsbehörde [. . .]. Das zieht sich bis in die Hauptverhandlung hinein. Bei vielen Plädoyers von Staatsanwälten wird der Eindruck vermittelt, dass die entlastenden Beweismittel überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden sind.“

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5. Kap.: Weitere Fallkonstellationen und ihre rechtliche Beurteilung

wenn die Hauptverhandlung nicht die Schuld des Angeklagten erwiesen hat. Daher wird sie, es wurde oft zitiert, bisweilen immer noch die „objektivste Behörde der Welt“ genannt.113 Die Möglichkeit, dass eine Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Glaubwürdigkeitsbegutachtung zur Entlastung des Beschuldigten stellen würde, kann daher durchaus in Betracht gezogen werden. Im Anschluss an die Erwägungen zu der Fallkonstellation in Kapitel 4 müsste man in der Tat auch hier das Antragsrecht gewähren, wenn der Angeklagte nach der Beweislage einer Verurteilung entgegensieht und keine weitere Entlastungsmöglichkeit ersichtlich ist. Man könnte den Beweisantrag der Staatsanwaltschaft dann gleichsam als bloßen Impuls für denjenigen Angeklagten ansehen, der die Möglichkeit eines „Lügendetektor“-Tests nicht bedacht hat. Das Szenario ist selbstverständlich unrealistisch, denn welche Staatsanwaltschaft würde einen Entlastungsbeweis beantragen, wenn die bisherige Beweisaufnahme zu einer Verurteilung führen würde? Nichtsdestoweniger gäbe es keinen rechtlichen Aspekt, unter dem man der Staatsanwaltschaft dann ein Antragsrecht versagen könnte.114

I. „Lügendetektor“-Test zum Beweis strafmildernder Umstände Die Frage der Zulässigkeit einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit einem nicht-invasiven hirnbildgebenden Verfahren kann sich nun nicht nur dann stellen, wenn die Alternative Freispruch oder Verurteilung lautet. Auch in anderen Situationen kann ein Angeklagter das berechtigte Interesse haben, seine Aussagen auf ihre Glaubhaftigkeit bzw. allgemein seine Aufrichtigkeit untersuchen zu lassen. Dabei wird nicht in erster Linie an zu beweisende Tatsachen zu denken sein, die allgemein als mildernde Umstände gewertet werden. Vielmehr wird es um Fälle gehen, in denen der Angeklagte konkret gleichsam einen qualitativen Sprung „nach unten“ erwarten würde, wenn man seiner diesbezüglich relevanten Einlassung Glauben schenkte.115 Wenn also der Angeklagte durch den Einsatz 113

Vgl. Krey I, Rn. 154. Dabei muss allerdings zugunsten der Staatsanwaltschaft unterstellt werden, dass dann nicht folgende Dynamik einträte: Gewährte man das Antragsrecht nämlich nur zur Entlastung (d. h. in allen Fällen, in denen ein Initiativrecht (auch) mit dem Ziel der Belastung abzulehnen wäre, siehe oben 5. Kapitel H. II., vgl. auch 5. Kapitel H. III.), müsste wiederum sichergestellt werden, dass etwaige belastende Testergebnisse der Beweiswürdigung durch das Gericht auch faktisch entzogen wären. Zumindest nach hier vertretener Auffassung müsste dieser Versuch indes scheitern (siehe oben 5. Kapitel D. II.), weshalb man befürchten könnte, die Staatsanwaltschaft würde das „Entlastungsangebot“ lediglich als Vorwand einsetzen, um über Umwegen doch zu einem Belastungsbeweis zu gelangen. 115 Dies kann der Fall sein, wenn der Angeklagte Tatsachen vorträgt, die aus einer Täter- eine Teilnahmestrafbarkeit, aus einer Vollendungs- eine Versuchsstrafbarkeit, insbesondere auch aus einer Vorsatz- eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit werden ließen etc. 114

I. „Lügendetektor‘‘-Test zum Beweis strafmildernder Umstände

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des „Lügendetektors“ etwa bewirken könnte, dass er zu einer Geld- statt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt würde oder wenn er so erreichen würde, dass eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt würde o. ä. – dann wären seine Grundrechte auf gleiche Weise betroffen wie in der „klassischen“ Fallkonstellation. Der Test müsste demnach jedenfalls immer dann zugelassen werden, wenn der Angeklagte ohne seinen Einsatz einen qualitativ schwerwiegenderen Eingriff in seine Grundrechte hinnehmen müsste.116 Etwa die Erwartung einer bloßen Verringerung einer Geldstrafe wird man hingegen nicht als derart grundrechtsrelevant ansehen können, als dass dieser Belang den Interessen künftiger Angeklagter am möglichst vollständigen Erhalt ihrer Aussagefreiheit, ihres Schweigerechts bzw. ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorgehen könnte,117 auch dann nicht, wenn z. B. die höhere Geldstrafe ohne Durchführung des Tests gewissermaßen bereits feststünde. In all jenen anderen Fallgestaltungen jedoch, in denen keine nennenswerten Rechtsgüter künftiger Angeklagter tangiert wären, wären der Einwilligung des Beschuldigten in die Durchführung eines „Lügendetektor“-Tests keine Schranken gesetzt und einem entsprechenden Beweisantrag müsste auch dann entsprochen werden, wenn der Beschuldigte mit einem für ihn positiven Testergebnis lediglich eine Geldstrafenreduzierung erreichen könnte.118

116

Vgl. oben 4. Kapitel F. II. 1. g) aa). Vgl. dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. g) bb). 118 Davon unabhängig wäre wiederum zu beurteilen, ob der Einsatz in solchen Fällen aus Gründen der Prozessökonomie im Rahmen einer gesetzlichen Regelung ausgeschlossen werden sollte. 117

6. Kapitel

Folgefragen und weitere Aspekte Bisher wurde untersucht, welche Aspekte der rechtlichen Zulässigkeit hirnbildgebender Verfahren zur Ermittlung der Täterschaft bzw. der Schuld eines Beschuldigten im Strafverfahren zu berücksichtigen sind, wobei sich herausstellte, dass für die Beurteilung neben der Zuverlässigkeit des „lügendetektorischen“ Verfahrens insbesondere die jeweilige Beweislage von entscheidender Bedeutung ist. Im Folgenden ist daher zu fragen, wie diese Erkenntnis in der strafprozessualen Wirklichkeit umgesetzt werden könnte. Im Anschluss wird erörtert, ob Glaubwürdigkeitsgutachten zu berücksichtigen sind, die außerhalb des Strafverfahrens erstellt wurden. Abschließend ist dann nach der Zulässigkeit eines Tests zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung von Zeugen zu fragen.

A. Feststellbarkeit der Beweislage Die Untersuchung, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen in der Hauptverhandlung einem Beweisantrag auf Durchführung einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung mit nicht-invasiven hirnbildgebenden Verfahren stattzugeben ist, hat ergeben, dass die Antwort unter anderem von der jeweiligen Beweissituation abhängt. Es zeigte sich, dass ein solcher Beweisantrag wegen rechtlicher Unzulässigkeit abgelehnt werden muss, wenn der Angeklagte freizusprechen wäre und ein Verfahren der „Lügendetektion“ angewendet wird, das mit nur zu vernachlässigender Wahrscheinlichkeit Tatunbeteiligte als „Tatbeteiligte“ klassifiziert (Spezifität nahe 100 Prozent).1 Auch wenn dies (noch) als eine eher unbedeutende Fallgestaltung erscheinen mag, drängt sich gleichwohl die Frage nach der praktischen Umsetzung auf – zumal man über die hier unterstellten psychologischen Prozesse bei Tatrichter und Angeklagtem auch differierende Mutmaßungen anstellen und auf diesem Weg durchaus zu entgegengesetzten Ergebnissen gelangen könnte, so dass sich die Frage nach der Handhabung auch für andere Konstellationen stellen würde. Wie ließe sich also in der Praxis feststellen, ob der Angeklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer Verurteilung oder mit einem Freispruch zu rechnen hätte und ob daher zu diesem Zeitpunkt einem Beweisantrag auf eine „lügendetektorische“ Untersuchung stattgegeben werden müsste? 1

Siehe oben 4. Kapitel F. II. 1. g) bb).

A. Feststellbarkeit der Beweislage

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Zunächst ist zu konstatieren, dass der Angeklagte zumindest nach bestehender Rechtslage keinen direkten Anspruch darauf hat, von dem Gericht über die aktuelle Beweissituation und die Verurteilungswahrscheinlichkeit aufgeklärt zu werden. Der BGH hat zudem entschieden, dass in der Hauptverhandlung kein Anspruch auf ein „Zwischenurteil“ über Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen besteht.2 Die Lösung kann daher allenfalls im Beweisantragsrecht gefunden werden. Die StPO selbst kennt indes nur unbedingte Beweisanträge, denen entweder nachzugehen ist, oder die aus den in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO genannten Gründen abzulehnen sind.3 Ein unbedingter Beweisantrag würde hier jedoch nicht weiterhelfen, da die Zulässigkeit der Beweiserhebung – zumindest in einigen Konstellationen – eben gerade von der Beweislage abhängt. In Betracht kommen somit nur die von Rechtsprechung und Literatur praeter legem entwickelten4 Formen des „bedingten Beweisantrags“: Eventual- und Hilfsbeweisantrag.5

I. Eventualbeweisantrag Die eine Möglichkeit für den Angeklagten, Auskunft über die Verurteilungswahrscheinlichkeit zu erlangen, bestünde in der Stellung eines Eventualbeweisantrags. Mit diesem knüpft der Antragsteller an eine für ihn ungewisse Sachoder Verfahrenslage6 an, von der das Beweisbegehren abhängig gemacht wird. Die Bedingung kann dabei auch in der Beantwortung einer Beweiswürdigungsfrage bestehen, etwa ob das Gericht einen Belastungszeugen für glaubwürdig hält7 oder von der Unwahrhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten überzeugt ist.8 Dem Beweisantrag soll in diesem Fall nur dann stattgegeben werden, wenn das Gericht von der genannten Sachverhaltswürdigung ausgeht.9

2

BGH, JZ 1998, S. 53. Schlothauer, StV 1988, S. 542. 4 Michalke, StV 1990, S. 184, 185. 5 Die Begrifflichkeiten auf dem Feld der „bedingten Beweisanträge“ sind indes keineswegs eindeutig, siehe Ingelfinger, S. 6 ff.; Michalke, StV 1990, S. 184, 185 und dort in Fn. 4; LR25-Gollwitzer, § 244 Rn. 160; Hamm/Hassemer/Pauly, Rn. 65. Hier wird im Folgenden die Terminologie Schlothauers, StV 1988, S. 542 ff., zugrunde gelegt; ebenso Ingelfinger, S. 8. In der Sache allerdings sind die Unterschiede zumindest einigermaßen geklärt. 6 Insoweit ist der Auffassung Schefflers (HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 806) zuzustimmen, dass eine Differenzierung zwischen einem bedingten Beweisantrag, der sich auf den Eintritt einer bestimmten Sachlage („Eventualbeweisantrag“) bezieht und dem „prozessual bedingten Beweisantrag“, der sein Schicksal von dem Eintritt einer bestimmten Verfahrenslage abhängig macht, sachlich nicht erforderlich ist. 7 BGH, NStZ 1989, S. 191. 8 Alsberg/Nüse/Meyer, S. 59. 9 Schlothauer, StV 1988, S. 542, 546. 3

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6. Kap.: Folgefragen und weitere Aspekte

Die Stellung eines Eventualbeweisantrags – als Einsatz eines „völlig unterschätzten Instrumentariums“ der „Früherkennung richterlicher Beweiswürdigung“10 – wäre somit eine gute Möglichkeit, das Gericht gewissermaßen doch zu zwingen, sich (bereits) zu einem von dem Angeklagten gewählten Zeitpunkt über seine Einschätzung klar zu werden und diese den Beteiligten kundzutun, gerade in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht. Insbesondere in diesen Fällen dürfte zudem auch zugleich feststehen, dass dem Angeklagten keine weiteren Entlastungsmöglichkeiten außer der Inanspruchnahme eines „Lügendetektor“-Tests zur Verfügung stehen.11 Der Eventualbeweisantrag kann sich jedoch auch darauf beziehen, ob das Gericht eine bestimmte Tatsache für erwiesen hält, weil es von der Aussagekraft eines oder mehrerer Beweismittel ausgeht.12 So könnte der Angeklagte einen entsprechenden Beweisantrag auf ein „lügendetektorisches“ Gutachten stellen, um herauszufinden, ob das Gericht einen bestimmten inkriminierenden Sachverhalt als erwiesen ansieht, um gegebenenfalls den Versuch zu unternehmen, durch den „Lügendetektor“-Test zu verhindern, dass dieser Umstand seine Verurteilung begründet. Diese Möglichkeit, die Beweiswürdigung des Gerichts möglichst früh zu erkennen, ist zwar nicht gleichzusetzen mit einem Anspruch darauf, vom Gericht zu einem bestimmten Zeitpunkt über die „Verurteilungswahrscheinlichkeit“ unterrichtet zu werden. Je nach Sachlage kann es aber faktisch darauf hinauslaufen, nämlich dann, wenn keine weiteren Beweismittel ersichtlich sind. Wenn das Gericht in unserem Beispiel etwa dem Zeugen glaubt, bedeutet dies, dass es der bestreitenden Aussage des Angeklagten nicht glaubt und dass also – mangels anderer Entlastungsmöglichkeiten – seine Verurteilung zumindest sehr wahrscheinlich ist. Dann muss nach dem oben Gesagten dem Angeklagten die Möglichkeit eröffnet werden, sich mittels eines zuverlässigen „Lügendetektor“-Tests entlasten zu können. Lehnt das Gericht den Eventualbeweisantrag ab, bedeutet das notwendig, dass es nicht von der Richtigkeit der Aussagen des Zeugen (bzw. des Gutachtens des Sachverständigen) überzeugt ist und dass, so andere belastende Beweise fehlen und der weitere Verlauf der Hauptverhandlung nichts anderes ergibt, ein Freispruch beinahe sicher ist.

10 HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 807. – Diese Einschätzung kann aber nur dann zutreffen, wenn man nicht, wie etwa KK5-StPO-Herdegen, § 244 Rn. 50a, der Ansicht ist, auch beim Eventualbeweisantrag erweise sich erst in der Urteilsberatung, ob eine Bedingung eingetreten ist oder nicht. 11 Die Tatsache, dass der „Lügendetektor“-Test die letzte Entlastungsmöglichkeit für den Beschuldigten darstellt, ist dann eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der entsprechenden Beweiserhebung, wenn die Spezifität des in Rede stehenden Verfahrens der „Lügendetektion“ bei annähernd 100 Prozent angesiedelt ist, vgl. oben 5. Kapitel E. 12 Hamm/Hassemer/Pauly, Rn. 63.

A. Feststellbarkeit der Beweislage

265

Es ist zwar zu beachten, dass diese Einschätzung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Beweisantrag letztlich lediglich eine Bestandsaufnahme ist,13 die sich im Laufe des Prozesses und insbesondere während der Urteilsberatung noch verändern könnte. Für diesen Fall wird man jedoch dem Grundsatz des fairen Verfahrens eine Verpflichtung des Gerichts entnehmen können, den Beurteilungswandel insbesondere dem Angeklagten noch vor dem Urteil bekannt zu machen, so dass dieser den Beweisantrag von neuem stellen könnte.14

II. Hilfsbeweisantrag Die andere Möglichkeit für den Angeklagten, die Beweislage in Erfahrung zu bringen, bestünde darin, den Weg über einen Hilfsbeweisantrag zu gehen. Auch der Hilfsbeweisantrag ist insofern bedingt, als er an einen konkreten Hauptbeweisantrag anknüpft, der auf das Verfahrensergebnis abzielt, also in der Regel auf den Freispruch des Angeklagten.15 Nur falls das Urteil anders ausfallen sollte, will der Antragsteller hilfsweise den im Hilfsbeweisantrag bezeichneten Beweis erheben lassen.16 Aufgrund der Verknüpfung mit dem Hauptantrag wird der Hilfsbeweisantrag typischerweise im Schlussvortrag gestellt.17 Entspricht das Gericht dem Hauptantrag nicht, kommt es also in der Schlussberatung beispielsweise zu der Überzeugung, dass der Angeklagte zu verurteilen ist, dann tritt die Bedingung des Hilfsbeweisantrags ein und das Gericht muss über den Beweisantrag befinden. Käme also das Gericht zu dem Beratungsergebnis „Freispruch“, hätte sich die Erforderlichkeit eines „Lügendetektor“-Einsatzes erledigt. Gelangte das Gericht allerdings zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte schuldig zu sprechen wäre, müsste es erneut in die Beweisaufnahme eintreten und einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens mittels hirnbildgebender „Lügendetektion“ über die Glaubwürdigkeit des Angeklagten beauftragen.18 13 Vgl. allgemein Hamm, in: Festgabe für Peters, S. 169, 170: Beweiswürdigung als „dynamischer innerer Vorgang“. 14 Dies ist strittig für den Fall, dass sich eine als wahr unterstellte Beweisbehauptung später als für das Urteil unerheblich herausstellt; die Rechtsprechung bejaht hier eine Pflicht des Gerichts zur Unterrichtung des Angeklagten nur ausnahmsweise, während im Schrifttum die Auffassung vorherrscht, das Gericht treffe eine generelle Mitteilungspflicht, vgl. Eisenberg, Rn. 244 ff. m.w. N.; vgl. auch Hamm, in: Festgabe für Peters, S. 169, 177 f. 15 Michalke, StV 1990, S. 184, 185; Hamm/Hassemer/Pauly, Rn. 63; der Hilfsbeweisantrag kann sich aber ebenso auf bestimmte Modalitäten des Schuldspruchs beziehen wie Versuch/Vollendung, Täterschaft/Beihilfe, Vorsatz/Fahrlässigkeit etc., siehe Schlothauer, StV 1988, S. 542, 543. 16 Schlothauer, StV 1988, S. 542. 17 Michalke, StV 1990, 184, 185; LR25-Gollwitzer, § 244 Rn. 161. 18 Die Möglichkeit, mittels eines Hilfsbeweisantrags eine Feststellung der Beweissituation zu erreichen, bestünde aber uneingeschränkt nur dann, wenn man die Ansicht

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6. Kap.: Folgefragen und weitere Aspekte

III. Bewertung Auf den ersten Blick scheinen demnach mit dem Eventual- und dem Hilfsbeweisantrag ausreichende Instrumente zur Verfügung zu stehen, um feststellen zu können, wie sich die Beweislage zu einem bestimmten Zeitpunkt im Prozess darstellt. Nun gilt es jedoch Folgendes zu bedenken: Da der Angeklagte wie gesehen keinen (isolierten) Anspruch auf eine dementsprechende Auskunft durch das Gericht hat und das Gericht zu dieser Auskunftserteilung erst recht nicht verpflichtet ist (es ist ihm nach geltender Rechtslage sogar verwehrt, sich [aus eigenem Antrieb] eindeutig zu dem Stand seiner Beweiswürdigung zu positionieren: Verbot der Beweisantizipation 19), würde man im Ergebnis dem Angeklagten die Pflicht aufbürden, durch sein Prozessverhalten dafür zu sorgen, dass die Beweislage „festgestellt“ werden kann. Das hieße, dass es, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, die alleinige Aufgabe des Angeklagten wäre herauszufinden, ob eine Beweiserhebung überhaupt zulässig wäre. Dies kann man indes nicht ernsthaft als Lösung vertreten; ein solches Vorgehen wäre systemfremd und nicht mit dem Recht auf ein faires Verfahren zu vereinbaren. Der beschriebene Weg über das Beweisrecht erweist sich daher als nicht gangbar. Es verblieben dann nur zwei Möglichkeiten: Man könnte den Test erstens auch in dieser Fallkonstellation insgesamt zulassen, also auch für diejenigen, die freigesprochen würden; damit hinge die Zulässigkeit des „Lügendetektortests“ nicht mehr von der konkreten Beweislage ab und die Angeklagten müssten nicht mehr durch eigene Initiative klären, ob ihnen die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Glaubwürdigkeitsüberprüfung mit hirnbildgebenden Verfahren rechtlich überhaupt offenstünde; dieses Vorgehen würde allerdings bedeuten, dass man die Rechte jener künftiger Angeklagten, die (ohne zugelassenen „Lügendetektortest“!) freigesprochen würden,20 gewissermaßen opferte zugunsten der Belange derjenigen, die ohne Test eine Verurteilung zu gewärtigen hätten. Die zweite Möglichkeit müsste ergriffen werden, wenn man von dem oben gefundenen Ergebnis der Unzulässigkeit des Tests in der Beweislage des zu erwartenden Freispruchs überzeugt wäre und man annähme, dass dies auch in der Praxis berücksichtigt werden müsste. Dann führte wohl kein Weg daran vorbei, dem Gericht doch eine Verpflichtung aufzuerlegen, den Angeklagten (spätestens nach der Beweisaufnahme) darüber in Kenntnis zu setzen, ob es ihn nach dem jetzigen Stand verurteilen würde und dass er gegebenenfalls nunmehr die Möglichkeit hätte, dieses vorläufige Beweiswürdigungsergebnis durch das teilt, dass der Hilfsbeweisantrag immer noch in der Hauptverhandlung beschieden werden muss (siehe HbStrVf-Scheffler, Kap. VII Rn. 808, 1096 m.w. N.) – anderenfalls bestünde stets die Gefahr, dass das Gericht ihn in den Urteilsgründen aus anderen Gründen ablehnt. 19 Siehe näher Eisenberg, Rn. 198 ff., Hamm, in: Festgabe für Peters, S. 169 f. 20 Siehe dazu oben 4. Kapitel F. II. 1. g) bb) mit weiteren Verweisen.

B. Berücksichtigung außerprozessual erstellter Tests

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entlastende Resultat eines „Lügendetektortests“ zu erschüttern. Dieses Vorgehen könnte natürlich Bedenken hinsichtlich der Freiwilligkeit einer daraufhin erteilten Einwilligung verstärken – obwohl man im Ergebnis im Anschluss an die obigen Erwägungen auch hier diese „eingriffsverhindernde Einwilligung“ als zumindest „freiwillig“ ansehen müsste.21 Dieser Lösungsweg würde auch dem erwähnten Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung widersprechen, wobei dies in einem klar definierten Rahmen und für Ausnahmefälle hinzunehmen sein mag – gerade vor dem Hintergrund, dass es der Angeklagte zumindest mit dem oben beschriebenen Instrument des bedingten Beweisantrags heute bereits in vielen Fällen de facto in der Hand hat, das Gericht zu einer vorweggenommenen Beweiswürdigung zu zwingen. Um den Ausnahmecharakter sicherzustellen, wäre auch hier wiederum daran zu denken, die Zulassung der „Lügendetektion“ auf Verbrechen oder gar Fälle zu beschränken, bei denen eine Freiheitsstrafe ohne Bewährungsaussetzung in Rede stünde.22

B. Berücksichtigung außerprozessual erstellter Tests Im Rahmen der Diskussion um die Zulässigkeit polygraphischer Untersuchungen zu dem Zweck der „Lügendetektion“ war ein weiterer Punkt umstritten. Insbesondere diejenigen, die der Ansicht waren, der Test sei innerhalb des Strafverfahrens aus rechtlichen Gründen unzulässig, sahen sich mit der Frage konfrontiert, ob dann nicht wenigstens der Angeklagte einen prozessualen Anspruch darauf hätte, dass ein privat, also insbesondere ohne Wissen des Gerichts durchgeführter Test in der Hauptverhandlung im Rahmen eines entsprechenden Sachverständigengutachtens berücksichtigt wird. Zahlreiche Stimmen 21

Vgl. oben 4. Kapitel E. Wählte man die zuletzt genannte Lösungsmöglichkeit, könnte man nun auf die Idee kommen, dass sich damit sämtliche Probleme, die sich um die „alltägliche Schuldvermutung“ und den mittelbaren Druck auf künftige Beschuldigte ranken, in Wohlgefallen auflösen würden. Denn wie sich oben zeigte, stellen sich die Probleme nicht, wenn der Freispruch bzw. die Verurteilung sicher sind. Damit diese Überlegung Geltung beanspruchen könnte, müsste man allerdings zugleich dem Angeklagten verbieten, zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt einen (Eventual-)Beweisantrag auf Einsatz eines „Lügendetektors“ zu stellen. Nur wenn dem Angeklagten versagt wird, außer in Reaktion auf die Mitteilung des Gerichts einen eigenen Beweisantrag zu stellen, wäre ausgeschlossen, dass das Gericht einen unterbliebenen Antrag als Schuldindiz beurteilen würde. Denn anderenfalls würde das etwaige Schuldindiz eines fehlenden Testantrags in die Beurteilung der Beweissituation bereits einbezogen sein. Aber auch wenn man dem Angeklagten das jederzeitige Antragsrecht nähme, bestünde immer noch die Gefahr, dass dann die Richter geneigt sein könnten, tendenziell häufiger zunächst einmal zu dem Beratungsergebnis „Verurteilung“ zu gelangen. Die Tatrichter würden nämlich etwaige letzte Zweifel an der Verurteilung womöglich deshalb beiseite schieben, weil sie – durchaus nachvollziehbar –, annehmen könnten, dass ein tatsächlich unschuldiger Angeklagter in diesem Fall anschließend die Möglichkeit des schlagenden Entlastungsbeweises „Lügendetektor“-Test wahrnehmen würde. 22

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6. Kap.: Folgefragen und weitere Aspekte

in der Literatur bezweifelten dies mit dem Hinweis auf das vielbesprochene Phänomen des „friendly polygrapher syndrome“, darunter der Bundesgerichtshof in einer bereits angesprochenen Entscheidung vom Oktober 1998:23 Da die „Methode der Polygraphie“ darauf basiere, dass der Proband Angst vor Entlarvung verspüren müsse, sei zu befürchten, dass das Testergebnis zugunsten des Probanden verfälscht würde, wenn er keine Angst vor belastenden Ergebnissen habe – falle nämlich das Ergebnis für den Angeklagten negativ aus, werde der Gutachter eben nicht als Zeuge benannt. Die These hinter dem angeblichen „friendly polygrapher syndrome“ lautet dementsprechend, dass lügende Versuchspersonen, die den Untersucher als freundlich und ihnen wohlgesonnen wahrnehmen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein falsch negatives Testergebnis erzielen könnten, weil bei ihnen die für das Gelingen des Tests erforderliche Erregung herabgesetzt sei.24 Nun ist jedoch bereits für den Polygraphentest keineswegs geklärt, ob es durch das Phänomen des angeblich „freundlichen“ Untersuchers auch in der Praxis tatsächlich zu einer signifikanten Erhöhung falsch negativer Ergebnisse kommen würde, Ergebnissen, bei denen tatsächlich Schuldige als „unschuldig“ klassifiziert werden.25 Ob die Hypothese zutrifft, hängt hauptsächlich mit der Beantwortung der Frage zusammen, auf welchen psychologischen Prozessen die Veränderungen der physiologischen Variablen letztlich beruhen.26 Die Annahme, dass etwa die Angst vor Strafe entscheidend für die Funktionsweise insbesondere der Kontrollfragenmethode ist, wird von einigen Experten durchaus in Zweifel gezogen.27 Für hirnbildgebende Verfahren würde sich das Problem jedenfalls wiederum nicht stellen, wenn sich die These als zutreffend erweisen sollte, dass für seine 23 BGH, NJW 1999, S. 662, 663; siehe zu dieser Entscheidung ansonsten oben 2. Kapitel B. V.; zuvor bereits OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21. 8. 1997, 2 Ss 235/97 III; LG Wuppertal, NStZ-RR 1997, S. 75 f.; OLG Karlsruhe, StV 1998, S. 530; so auch Rieß, GA 1984, S. 140, 141; Schünemann, Kriminalistik 1990, S. 131, 150; a. A. Eisenberg, Rn. 701: Das Wissen darum, das belastende Ergebnis würde nicht verwertet, führe nicht unbedingt zu so großer Entspannung, dass das Ergebnis verfälscht würde; Rogall (in SK-StPO, § 136a Rn. 77) wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Berücksichtigung außerprozessual vorgenommener Tests, spricht aber das Problem des „friendly polygrapher syndrome“ nicht an. 24 Siehe Steller, Aussagebeurteilung, S. 67, mit Darstellung der Studien, deren Ergebnisse die Formulierung der „friendly polygrapher“-Hypothese bedingten. 25 Siehe die Übersicht über den Meinungsstand bei Schüssler, S. 138 ff. 26 Siehe zu dieser – noch ungeklärten – Frage oben 2. Kapitel A. III. 27 Siehe Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 195 (Antwort auf Frage 8 des BGH-Fragenkatalogs); eindeutig ablehnend Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 114 f. (Antwort auf Frage 8 des BGH-Fragenkatalogs): die als „friendly polygrapher syndrome“ bezeichnete Hypothese sei „eindeutig widerlegt“ (S. 115).

B. Berücksichtigung außerprozessual erstellter Tests

269

Funktionslogik zumindest in erster Linie nicht emotionale, sondern im weitesten Sinne kognitive Speicherungs- und Verarbeitungsprozesse verantwortlich sind.28 Letztlich ist der Streit um die Existenz des Phänomens des „freundlichen Untersuchers“ nach hier vertretener Auffassung jedoch müßig: Denn machte man die Resultate privat durchgeführter Tests der Beweiswürdigung zugänglich, hätte auch bei „lügendetektorischen“ Verfahren mit nicht-invasiver Hirnbildgebung ein Beschuldigter dann die Möglichkeit, den Test so oft durchzuführen, bis ihm das Ergebnis behagt, um es dann in das Verfahren einzuführen.29 Dies wäre insbesondere für den (vermögenden) Schuldigen eine verlockende Chance, auf diese Weise zu einem sonst nicht zu erreichenden Unschuldsbeweis zu kommen (natürlich vorausgesetzt, dass mit dem Verfahren Schuldige nicht zu 100 Prozent korrekt klassifiziert werden können). Bereits aus diesem Grund sollte es dem Angeklagten versagt bleiben, privat und „heimlich“ durchgeführte Gutachten in die Hauptverhandlung einführen zu können. Durch die generelle Unverwertbarkeit kann auch die Gefahr verringert werden, dass sich durch häufige Teilnahmen an „Lügendetektor“-Untersuchungen etwaige Trainingseffekte einstellen, die einen späteren (zulässigen) Test zu Gunsten des Untersuchten verfälschen könnten30 – einmal abgesehen davon, ob sich der Test tatsächlich trainieren ließe und ob sich dazu, zumindest in Deutschland, Gutachter finden ließen, denn nach Ansicht von Undeutsch und Klein wäre die Vornahme eines von vornherein strafprozessual unzulässigen Tests standeswidrig und widerspräche dem Berufsethos.31 Dies mag zwar unredliche Gutachter nicht davon abhalten, auch „heimliche“ Tests zu Trainingszwecken durchzuführen; nichtsdestoweniger machte es die Unverwertbarkeit privater Tests übungswilligen Beschuldigten schwerer, sich auf eine – nach hier vertretener Ansicht gegebenenfalls zulässige – Untersuchung innerhalb des Strafverfahrens „vorzubereiten“. Wenn man jedoch dem Beschuldigten die Verwertung privat erzielter Testergebnisse nicht gänzlich verwehren wollte, müsste bei der Beweiswürdigung jedenfalls berücksichtigt werden, dass den Ergebnissen aus den eben genannten Gründen dann grundsätzlich nur ein geminderter Beweiswert zukäme.32

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Vgl. oben 3. Kapitel C. VIII. Vgl. Schüssler, S. 185. 30 Schüssler, S. 185. 31 Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 45, 102. 32 Vgl. SK-StPO-Rogall, § 136a Rn. 77; OLG Karlsruhe, StV 1998, S. 530, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die generelle Verwertung privat durchgeführter Polygraphentests durch den Gesetzgeber erlaubt würde, denn die Beantwortung der Frage der Zulässigkeit falle „ausschließlich“ in die Kompetenz des Gesetzgebers. 29

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6. Kap.: Folgefragen und weitere Aspekte

C. Einsatz beim Zeugen Abschließend sei ein Gesichtspunkt der Debatte um den Einsatz von „Lügendetektoren“ im Strafverfahren erörtert, der bislang eine eher stiefmütterliche Behandlung erfahren hat:33 Es gilt zu klären, ob ein zuverlässiger Test auch bei Zeugen angewendet werden dürfte.34 In diesem Zusammenhang sei zunächst daran erinnert, dass eine „lügendetektorische“ Untersuchung mit dem Verfahren der fMRT (neben anderen Verfahren) im Rahmen der Begutachtung einer Zeugin auf ihre Glaubwürdigkeit bereits in einem deutschen Strafverfahren eingesetzt wurde35 – ohne dass dies allerdings ersichtliche Reaktionen in der juristischen Literatur hervorgerufen hätte. Allgemein wird die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen eines Zeugen – ebenso wie beim Beschuldigten – grundsätzlich als „ureigenste Aufgabe“ des Gerichts angesehen.36 Es könne sich eigene Sachkunde zutrauen,37 müsse aber andererseits zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage einen Sachverständigen beiziehen, wenn es diese Sachkunde nicht hat.38 Anders als bei dem Beschuldigten ist die Überprüfung der Zeugenaussage in der Praxis jedenfalls kein seltener Einzelfall.39 Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen heranzuziehen, wird unter anderem bei kindlichen bzw. jugendlichen Zeugen oder bei unaufgeklärten Widersprüchen zwischen den Aussagen mehrerer Personen diskutiert40 – Zwiehoff plädiert gar dafür, in Fällen mit nur einem einzigen 33 Dies, obwohl es bereits in den 1950er Jahren durchaus Bemühungen gab, die Zulassung der polygraphischen Untersuchung zu dem Zweck der Glaubwürdigkeitsbeurteilung wenigstens für die Zeugenvernehmung durchzusetzen (dafür etwa Less, DRZ 5 [1950], S. 322 f.), insbesondere vor dem Hintergrund der Beweisnotlage, in der sich der Richter vornehmlich in Fällen von „Sittlichkeitsverbrechen“ befunden habe (Wegner, S. 30); gleichwohl lehnte die überwiegende Ansicht den Einsatz des „Lügendetektors“ auch in diesem Bereich ab (siehe Würtenberger, JZ 1951, S. 772, 774 f.; Kohlhaas, JR 1953, S. 450, 451). 34 In neuerer Zeit haben sich – mehr oder zumeist minder – ausführlich dazu geäußert: Schüssler, S. 186 ff.; Wegner, S. 191 ff., Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580 f.; Meyer-Mews, NJW 2000, S. 916, 919; Delvo, S. 357 ff.; Schoreit, StV 2004, S. 284, 286 in Fn. 25; Hilland, S. 65 ff.; angedeutet noch bei Frister, ZStW 106 (1994), S. 303, 304 in Fn. 8. 35 Siehe dazu oben 3. Kapitel C. VII. 36 Siehe nur Burhoff, Rn. 528a. 37 Vgl. nur BVerfG, NJW 2004, S. 209, 211. 38 Selbstverständlich entscheidet aber das Gericht auch dann allein über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, wenn es sich der Unterstützung eines Sachverständigen bedient hat; insoweit wird an der Einstufung als „ureigensten Aufgabe“ nicht gerüttelt. 39 Siehe dazu oben 4. Kap. bei Fn. 14. 40 Siehe zu verschiedenen Begutachtungsanlässen Eisenberg, Rn. 1860 ff. m.w. N.; Überblick über die einschlägige Rechtsprechung bei Pfister, in: Zeugenaussagen, S. 42, 45 f.

C. Einsatz beim Zeugen

271

Tatzeugen ausnahmslos ein Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen.41 Aus Sicht eines Unschuldigen ist insbesondere die Frage relevant, ob die Glaubhaftigkeit der Aussagen eines einzelnen Belastungszeugen mittels eines „lügendetektorischen“ Verfahrens überprüft werden kann. Die grundsätzliche Aussagepflicht des Zeugen42 scheint dabei zunächst nahezulegen, dass der Einsatz bei einem Zeugen weniger Fragen aufwirft als der Einsatz bei dem Beschuldigten. So erklärt etwa Schüssler den Einsatz eines Polygraphentests zur Begutachtung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen mit dessen Zustimmung nonchalant für „unbedenklich“43 und die prozessuale Anwendung für „ebenso unproblematisch“44. Dies erscheint jedoch zumindest für den Polygraphentest als keineswegs zwingende Argumentation: So sieht z. B. der Gutachter Undeutsch den Einsatz der Kontrollfragenmethode beim Zeugen durchaus als bedenklich an, da gerade bei Opferzeugen die Gefahr bestehe, dass sie nicht selten stärker auf tatbezogene Fragen reagieren und als Folge ihre Aussagen zu Unrecht als unglaubhaft eingestuft würden.45 In diesem Zusammenhang könnte es sich nun wiederum als ein entscheidender Vorteil nicht-invasiver hirnbildgebender Verfahren herausstellen, wenn sich erweisen würde, dass bei ihnen emotionale Prozesse wie die Furcht vor Entlarvung für eine zuverlässige Glaubwürdigkeitsbegutachtung zumindest nicht erforderlich sind.46 Dass es selbst in diesem Fall jedoch mit einer knappen Erörterung im Sinne Schüsslers nicht sein Bewenden haben kann, zeigt sich im Folgenden.

I. Pflicht des Zeugen zur Einwilligung in eine „lügendetektorische“ Untersuchung? Zwar ist die im Rahmen eines „Lügendetektortests“ als Reaktion auf bestimmte Reize, wie z. B. Fragen, erzeugte Hirnaktivität als strafprozessuale Aussage zu beurteilen.47 Im Gegensatz zu dem Einsatz bei einem Beschuldigten dient diese Aussage im Rahmen des Zeugenbeweises jedoch ausschließlich der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der herkömmlichen, verbalen Aussage des Zeugen.48 Sind nun zur Erzwingung der herkömmlichen Aussage eines Zeugen ge41

Zwiehoff, S. 215. Als staatsbürgerliche Pflicht, die die StPO nicht begründet, sondern voraussetzt, BVerfGE 49, S. 280, 284. 43 Schüssler, S. 187. 44 Schüssler, S. 188. 45 Undeutsch/Klein, PraxisRPsych 9 (Sonderheft) 1999, S. 125 f. (Antwort auf Frage 28 des BGH-Fragenkatalogs); Galow, in: Handbuch der Rechtspsychologie, S. 376, 378. 46 Vgl. dazu oben 3. Kapitel C. VIII. 47 Siehe oben 4. Kapitel B. I. 48 Vgl. oben 1. Kapitel B. dazu, dass hinsichtlich des Einsatzes bei dem Beschuldigten diesbezüglich verschiedene Betrachtungsweisen möglich sind. 42

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6. Kap.: Folgefragen und weitere Aspekte

mäß § 70 StPO Ordnungs- und Beugemittel erlaubt (Ordnungsgeld, Abs. 1 Satz 2; Ordnungshaft, Abs. 1 Satz 2; Beugehaft, Abs. 2), so ist es doch einhellige Meinung, dass keine Verpflichtung seitens des Zeugen besteht, sich im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage untersuchen zu lassen.49,50 Die StPO stellt hierfür ohnehin keine Rechtsgrundlage bereit. Auch § 81c StPO in direkter oder analoger Anwendung ist diesbezüglich keine taugliche Eingriffsermächtigung.51

II. Einsatz beim zustimmenden Zeugen In Betracht kommt somit auch hier nur der Einsatz eines „Lügendetektortests“ mit Zustimmung des Zeugen. Eine spezielle Rechtsgrundlage ist dazu ebenso wenig erforderlich wie im Falle des Einsatzes beim Beschuldigten:52 Unter der Voraussetzung, dass die Einwilligung des Zeugen wirksam ist – also insbesondere freiwillig, ernstlich und in Kenntnis der Sachlage erfolgend53 –, genügt sie als Rechtfertigung des Eingriffs in seine Menschenwürde bzw. sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.54, 55 Hier stellt sich auch die Frage eines etwaigen Einwilligungsdrucks nicht, denn „künftige Zeugen“ könnten die Zustimmung zu einer „lügendetektorischen“ Überprüfung der Glaubhaftigkeit ihrer Aus-

49 BGHSt 14, S. 21, 23; Eisenberg, Rn. 1867; AK-StPO-Wassermann, § 81c Rn. 14; Schlüchter, Strafverfahren Rn. 203.1; KK-StPO-Senge, § 81c Rn. 9 m.w. N. 50 Unerheblich ist an dieser Stelle der Streit darüber, ob es zulässig ist, dass ein Sachverständiger der richterlichen Vernehmung des Zeugen beiwohnt, an ihn Fragen stellt und anschließend ein Gutachten über seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit der Aussage erstellt (siehe zum Meinungsstand KK-StPO-Senge § 81c Rn. 9; Eisenberg, Rn. 1868, jeweils m. Nachw.). Denn in diesem Fall liegt, anders als bei der „Lügendetektion“ mit technischen Verfahren, keine körperliche Untersuchung im Sinne des § 81a StPO vor, siehe nur BGH, StV 1995, S. 622. 51 LR25-Krause, § 81c Rn. 8; Otte, S. 222 ff.; Eisenberg, Rn. 1661. – Man wird für eine entsprechende Untersuchungspflicht auch kaum plädieren können. Denn diese Pflicht könnte zwar zur Erreichung des strafprozessualen Ziels der Tatsachenfeststellung einen äußerst wertvollen Beitrag leisten; andererseits ist jedoch zu bedenken, dass ein „Lügendetektortest“ mit einem hirnbildgebenden Verfahren bei einem an sich nicht dazu gewillten Zeugen – dem ohnehin bereits die „staatsbürgerliche Pflicht“ zur wahrheitsgemäßen Aussage aufgebürdet ist – mit einem erheblichen Eingriff in dessen Grundrechte verbunden wäre, der auch mit dem Zweck einer verbesserten Wahrheitserforschung im Strafprozess kaum zu rechtfertigen wäre. 52 Siehe 4. Kapitel D. III. 53 KK-StPO-Senge, § 81c Rn. 8 m.w. N.; AK-StPO-Wassermann, § 81c Rn. 13. 54 Die Situation stellt sich bezüglich der Einwirkung in den Schutzbereich von Menschenwürde und allgemeinem Persönlichkeitsrecht nicht anders dar als bei einem Beschuldigten, der in die Durchführung des Tests einwilligt; „Rechtfertigung des Eingriffs“ sei hier untechnisch verstanden, also auch den hier vorliegenden Fall umfassend, dass die Einwilligung bereits eingriffsausschließend wirkt; vgl. insgesamt dazu oben 4. Kapitel D. I. und 4. Kapitel D. III. 55 Jarass, NJW 1989, S. 857, 860.

C. Einsatz beim Zeugen

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sage ohne nachteilige Konsequenzen verweigern. Möchte ein Zeuge nicht beim Lügen ertappt werden, kann er die Zustimmung zu dem Test folgenlos verweigern; dieses Prozessverhalten reicht auch nicht aus, um Ermittlungen gegen den Zeugen wegen Aussagedelikten nach §§ 153 ff. StGB einzuleiten, denn wie beim Beschuldigten kann eine diesbezügliche Weigerung vielfältige Gründe haben; sie muss nicht notwendig auf die Unwahrhaftigkeit des Ausgesagten schließen lassen. Ein für den Angeklagten belastendes Ergebnis des Tests beim Zeugen, weil es dessen belastende Aussage stützte, könnte zwar auf den Angeklagten wiederum einen Druck erzeugen, nun seinerseits einen Test zur Entlastung zu beantragen. Dieser Einwilligungsdruck entspräche aber lediglich dem ohnehin vorhandenen „natürlichen Entlastungsdruck“, dem jeder Angeklagte ausgesetzt ist, dem eine Verurteilung droht, und der vor allem auch der „eingriffsverhindernden“ Einwilligung des Angeklagten nicht die Freiwilligkeit nähme.56 Die Zulassung der Glaubhaftigkeitsbeurteilung mit hirnbildgebenden Verfahren beim Zeugen würde also die Zulässigkeit des Tests beim Angeklagten nicht berühren. Bei dem Zeugenbeweis ist nun allerdings besonders zu beachten, dass eine falsche (also objektiv unwahre) Aussage des Zeugen nicht unbedingt auf einer (bewussten) Lüge beruhen muss, sondern vielmehr nicht selten auf psychologischen Verdrängungs- und Schutzmechanismen bei der Wahrnehmung und der Speicherung von Gedächtnisinhalten gründet.57 Dieser Umstand dürfte die ausschlaggebende Ursache für den Befund sein, dass es sich bei dem Zeugenbeweis um ein „eher weniger zuverlässiges Beweismittel“58 handelt. Nun liegen die bereits weiter oben erwähnten neueren Erkenntnisse der Hirnforschung vor, nach denen die Erwartung nicht unbegründet erscheint, dass es in Zukunft möglich sein wird, mittels neurowissenschaftlicher Verfahren nicht nur Lügen bzw. Unaufrichtigkeit etc. entdecken, sondern darüber hinaus auch Wahrhaftigkeit bzw. Lüge von Selbsttäuschungen unterscheiden zu können.59 Angesichts der beschriebenen Unzuverlässigkeit des Zeugenbeweises wäre die Entwicklung eines Verfahrens, mit dem falsche Erinnerungen entdeckt werden könnten, von immenser Bedeutung für die Wahrheitserforschung im Strafprozess.60 Aber auch wenn sich falsche Erinnerungen (noch) nicht entdecken ließen, wären die geschilderten Bedenken dadurch stark gemildert, dass der Beschuldigte seinerseits die Möglichkeit hätte, einen „Lügendetektor“-Test in Anspruch zu nehmen und im Falle eines für ihn günstigen Ergebnisses den Beweiswert 56

Vgl. dazu oben 4. Kapitel E. Kühne, Rn. 855. 58 Kühne, Rn. 851, Einzelheiten in Rn. 852 f. m.w. N.; vgl. aus naturwissenschaftlicher Sicht Markowitsch/Siefer, S. 98 ff.; siehe auch bereits oben 3. Kapitel E. m.w. N. 59 Vgl. ausführlich oben 3. Kapitel E. 60 Vgl. Markowitsch/Siefer, S. 90. 57

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6. Kap.: Folgefragen und weitere Aspekte

der Zeugenaussage wieder erheblich zu schmälern.61 Ein auch bei dem Angeklagten durchgeführter Test schlösse regelmäßig die Gefahr aus, dass er nur aufgrund des Testergebnisses bei dem sich fehlerinnernden Zeugen zu Unrecht verurteilt würde. Auf die gleiche Weise ließe sich dem Risiko begegnen, dass ein „Lügendetektor“-Test, eine gewisse Fehleranfälligkeit des Verfahrens unterstellt, bei einem bösgläubigen Belastungszeugen ergibt, dessen Aussage sei wahrhaftig – wobei dieses Risiko von vornherein minimiert ist, da sich ein lügender Zeuge ohnehin nur selten mit der Überprüfung seiner Aussagen einverstanden erklären dürfte,62 denn seine Chancen auf ein „falsch negatives“ Testergebnis wären weit geringer als die Hoffnung, das Gericht werde seine (Falsch-)Aussage ohne weitere Überprüfung für glaubhaft erachten. Darüber hinaus gilt jedoch wieder das zuvor Gesagte: Auch hier hätte der (unschuldige) Angeklagte seinerseits die Möglichkeit, ein falsch belastendes Testresultat bei dem Zeugen gewissermaßen zu kompensieren. Und selbst wenn aus bestimmten Gründen ein Test beim Beschuldigten nicht möglich wäre bzw. kein aufschlussreiches Ergebnis zu Tage förderte,63 oder die Durchführung aufgrund der speziellen Fallkonstellation nicht zulässig wäre,64 führte dies nicht zur Unzulässigkeit des Einsatzes im Rahmen des Zeugenbeweises, denn auch bei anderen anerkannten65 und praktizierten Arten der Glaubhaftigkeitsbegutachtung wie etwa der Aussagepsychologie66 wird die Gefahr einzelner falsch belastender Ergebnisse hingenommen. Dies ist letztlich auch unbedenklich, wird doch durch die Zulassung der Glaubhaftigkeitsbegutachtung von Zeugenaussagen durch Sachverständige das Risiko für Fehlurteile und insbesondere für Fehlverurteilungen insgesamt gemindert.67 Nun sind Stimmen zu vernehmen, die zwar grundsätzlich den „Lügendetektor“-Test beim Zeugen bejahen, ihn aber lediglich zur Bekräftigung der Aussagen von Entlastungszeugen bzw. nur auf Wunsch des Angeklagten zulassen möchten.68 Einleuchtende Begründungen werden für diese Auffassung allerdings nicht vorgebracht. Es ist auch in der Tat kein Grund ersichtlich, weshalb 61

Vgl. Schwabe, NJW 1979, S. 576, 580. Vgl. Wegner, S. 192. 63 Siehe dazu Schwabe, NJW 1979, S. 576, 581. 64 Siehe dazu u. a. oben 4. Kapitel F. II. 1. g) bb). 65 Interessanterweise trotz weitgehend fehlender Untersuchungen zu „Trefferquoten“ von derartigen Sachverständigengutachten, Eisenberg, Rn. 1860, 1887 ff. Vgl. zu diesem Befund bereits oben 2. Kapitel E. II. 3. 66 Vgl. dazu oben 2. Kapitel E. II. 3. 67 Zumindest wird dies angestrebt; ob die Bestrebungen von Erfolg gekrönt sind, lässt sich schwer beurteilen, denn Untersuchungen zur Zuverlässigkeit aussagepsychologischer Gutachten sind rar gesät (siehe Steller/Dahle, PraxisRPsych 9 [Sonderheft] 1999, S. 127, 168 in Fn. 89). 68 Wegner, S. 192; Delvo, S. 360; zumindest de lege ferenda wohl auch Schwabe, NJW 1979, S. 576, 581. 62

C. Einsatz beim Zeugen

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man nicht auch der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht die Möglichkeit einräumen sollte, die Aussagen von Entlastungs- und Belastungszeugen mit einem zuverlässigen „Lügendetektor“-Test überprüfen zu lassen. Der Zeuge ist, wie gesehen, berechtigt, seine Einwilligung zu der entsprechenden Untersuchung zu verweigern; aus der Verweigerung dürften, wie sich sogleich zeigen wird,69 auch keine für den Angeklagten nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Abgesehen davon hat ein Angeklagter jedoch auch ansonsten kein Recht, durch Zeugenaussagen nicht belastet zu werden; vielmehr wird bereits heute mittels aussagepsychologischer Gutachten die Glaubhaftigkeit der Aussagen von Belastungszeugen überprüft. Was die Fehlerhaftigkeit des Verfahrens angeht, wurden die damit verbundenen, letztlich nicht durchgreifenden Schwierigkeiten bereits benannt. Schließlich sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Beschuldigte seinerseits die Möglichkeit hätte, seine Unschuld mit einem entsprechenden Test zu beweisen, wodurch sich die Bedeutung der Problematik erheblich relativiert.

III. Untersuchungsverweigerung des Zeugen verwertbar? Geht man somit von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Anwendung eines „Lügendetektor“-Tests im Rahmen des Zeugenbeweises aus, bleibt zu fragen, ob aus der Weigerung eines Zeugen, die Glaubhaftigkeit seiner Aussage mittels eines hirnbildgebenden Verfahrens untersuchen zu lassen, für den Angeklagten nachteilige Schlüsse gezogen werden dürften – wobei diese nachteiligen Schlüsse hier nur darin bestehen können, dass das Gericht der entlastenden Aussage des Zeugen wegen dessen Weigerung keinen Glauben schenkt; ein Indiz für die Schuld des Angeklagten kann die Untersuchungsverweigerung des Zeugen jedenfalls nicht sein.70 In Bezug auf einen zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen ist die Frage der Würdigung einer etwaigen Untersuchungsverweigerung umstritten.71 Ein Urteil des BGH lässt sich so verstehen, dass nach Auffassung des Gerichts eine 69

Siehe dazu sogleich, 6. Kapitel C. III. Zutreffend spricht KK-StPO-Senge, § 81c Rn. 10, auch nur davon, dass die Weigerung des Zeugen (in eine Blutprobe zur Überprüfung seiner Aussage einzuwilligen) „bei der Würdigung seiner Aussage“ berücksichtigt werden kann und vermeidet die missverständliche Rede von den „nachteiligen Schlüssen“ (so aber der BGH, BGHSt 32, S. 140, 142). – Vgl. oben [4. Kapitel F. II. 1. d) aa) (2)]: Bei der Diskussion um die Würdigung des teilweisen Schweigens herrscht keine Klarheit darüber, was letztlich unter „Verwertung“, „nachteiligen Schlüssen“ etc. konkret überhaupt verstanden werden soll. 71 Dieser Streit betrifft den Fall der Verweigerung einer aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsüberprüfung; mit dem spezifischen Problem der Verweigerung einer „lügendetektorischen“ Untersuchung hat sich bisher noch niemand beschäftigt. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die Erwägungen strukturell vergleichbar sind. Allenfalls ergibt sich im Fall des „Lügendetektors“ eine noch stärkere Tendenz gegen die Würdigungsmöglichkeit. 70

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6. Kap.: Folgefragen und weitere Aspekte

Untersuchungsverweigerung in der Tat auch dann verwertet werden darf, wenn dies für den Angeklagten nachteilig ist72 – obwohl es in dem konkreten Fall um eine Würdigung zugunsten des Angeklagten ging, weshalb Pelchen zu Recht fragt, ob der Sachverhalt die Entscheidung der Rechtsfrage überhaupt erforderte.73 Auf einen nicht zur Zeugnisverweigerung Berechtigten dürfte diese Ansicht aber jedenfalls nicht übertragbar sein. Denn als Argument für die Würdigung bei dem Zeugnisverweigerungsberechtigten wird – parallel zur Argumentation hinsichtlich der Frage der Würdigung des teilweisen Schweigens eines Beschuldigten – vorgetragen, dieser stelle sich, wenn er aussagt, obwohl dazu nicht verpflichtet, als Beweismittel zur Verfügung und „zwinge“ dadurch das Gericht, die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu überprüfen.74 Der nicht weigerungsberechtigte Zeuge hat aber gerade nicht das Recht, sich nicht zum Beweismittel zu machen – er ist vielmehr zur Aussage verpflichtet. Dann macht er sich durch seine Aussage aber auch nicht bewusst zum Beweismittel, denn er hat schließlich keine andere Wahl. Nimmt dieser Zeuge nun (wenigstens) das Recht wahr, seine Aussage nicht auf ihre Glaubhaftigkeit überprüfen lassen zu müssen, ist das eine andere Situation als beim zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen, der erst durch seine Entscheidung auszusagen die Frage der Glaubhaftigkeit seiner Aussage überhaupt aufwirft – und sich (erst!) dann – zumindest nach der genannten Ansicht – fragen lassen muss, weshalb er deren Überprüfung durch eine „Lügendetektion“ verhindert. Zusammenfassend: Selbst wenn also die Weigerung eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen, seine entlastende Aussage mittels eines „Lügendetektortests“ auf ihre Glaubhaftigkeit untersuchen zu lassen, als Indiz für die Unglaubhaftigkeit dieser Aussage gewertet werden dürfte,75 so gälte dies nicht für 72 BGHSt 32, S. 140, 142. In diesem Sinne ebenso verstanden von KK-StPO-Senge, § 81c Rn. 10; Eisenberg, Rn. 1229. 73 Pelchen, JR 1985, S. 71, 73. 74 Siehe z. B. BGHSt 32, S. 140, 143. 75 Wogegen allerdings bereits gewichtige Gründe sprechen. Denn erstens muss die Frage gestellt werden, welchen Erklärungswert die Untersuchungsverweigerung im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der Aussage hat: Wie im Fall des teilweisen Schweigens lassen sich auch hier andere nachvollziehbare Motive für die Weigerung wohl nur äußerst selten ausschließen. Zweitens würde man den Zeugnisverweigerungsberechtigten in seiner Entscheidungsfreiheit über sein Weigerungsrecht einschränken, wenn er mit der Entscheidung für die Aussage zugleich gleichsam eine Verpflichtung zur Durchführung eines „Lügendetektortests“ eingeht, wollte er nicht Gefahr laufen, dass ihm anderenfalls nicht geglaubt wird; vgl. Eisenberg, Rn. 1229, Kühl, JuS 1986, S. 115, 121 (jeweils in Bezug auf die „herkömmliche“ Untersuchungsverweigerung). – Handelt es sich hingegen um eine den Angeklagten belastende Aussage, und käme dieser Aussage bei einer Verurteilung entscheidende Bedeutung zu, müsste die Untersuchungsverweigerung wegen des in dubio pro reo-Prinzips wohl zugunsten des Angeklagten gewertet werden dürfen (vgl. Eisenberg, Rn. 1229). Anderenfalls räumte man durch ein Verwertungsverbot dem Zeugen die Möglichkeit ein, durch geschicktes

C. Einsatz beim Zeugen

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den nicht zur Zeugnisverweigerung Berechtigten. Denn das von den Befürwortern einer Verwertung vorgebrachte Argument kann hier nicht verfangen: Weil der nicht zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge zu der Aussage verpflichtet ist, stellt er sich mit seiner Aussage auch nicht freiwillig als Beweismittel zur Verfügung und „zwingt“76 somit das Gericht nicht, die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu überprüfen; er verhält sich mit einer etwaigen Untersuchungsverweigerung nicht in einem Sinne „zwiespältig“77, dass man aus diesem Prozessverhalten Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage ziehen könnte.

Prozessverhalten die Überführung des Angeklagten zumindest beeinflussen zu können; die Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Zeugen muss in diesem Fall zugunsten der vorrangigen Interessen des Angeklagten hingenommen werden, zumal Sinn und Zweck des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 (Bewahrung eines Angehörigen vor Belastungszwang) nicht berührt wären (Kühl, JuS 1986, S. 115, 122). 76 BGHSt 32, S. 140, 143. 77 Eisenberg, Rn. 1229.

7. Kapitel

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Für den rechtmäßigen Einsatz jedweder Glaubwürdigkeitsbegutachtung mittels apparativer Verfahren ist es eine Mindestvoraussetzung, dass der Betroffene, ob Beschuldigter oder Zeuge, sich mit ihm einverstanden erklärt. Denn sowohl ein abgenötigter, als auch ein (so jemals möglich) heimlich angewendeter „Lügendetektor“-Test verstoßen gegen Normen der Strafprozessordnung und des Grundgesetzes – wenn man auch zu diesem eindeutigen Ergebnis nur dann kommt, wenn man, wie hier, die im Rahmen des eigentlichen Tests aufgezeichnete Körperreaktion bzw. Gehirnaktivität als strafprozessuale Aussage versteht. Alle nachfolgenden Ergebnisse beziehen sich daher auf die Anwendung eines „Lügendetektors“ im Strafverfahren mit Einverständnis der jeweiligen Testperson. 2. Der Einsatz eines Polygraphentests zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung im Hauptverfahren wurde vom Bundesgerichtshof im Jahr 1998 für unzulässig erklärt, weil die verwendeten Fragemethoden untauglich seien. Dieser Entscheidung ist im Ergebnis nicht beizupflichten, da auch die Methode des Kontrollfragentests nicht völlig ungeeignet ist, wie es jedoch § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO für die Ablehnung eines entsprechenden Beweisantrags verlangt. Gleichwohl ist das Urteil aus rechtspolitischer Sicht nur in begrenztem Maße zu kritisieren, da die Testmethode der Kontrollfragentechnik in der Tat mit erheblichen Mängeln behaftet ist. Durch das Urteil nicht berührt ist allerdings der Einsatz des Tatwissentests in einem möglichst frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens. 3. Insbesondere in jüngerer Zeit gibt es zahlreiche Ansätze, ein zuverlässigeres Verfahren als den Polygraphentest zu entwickeln. Als solideste Versuche haben sich dabei die unter Anwendung der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) erstellten Studien herausgestellt. Mit hirnbildgebenden Verfahren wie der fMRT kann – ebenfalls ohne Eingriff in die Körpersubstanz des Untersuchten – das Gehirn gleichsam bei der Arbeit beobachtet werden, wodurch ein direkter und somit genauerer und spezifischerer Zugang zu den relevanten physiologischen Prozessen möglich ist als mit dem Polygraphentest, der lediglich allgemeine Vorgänge des peripheren Nervensystems aufzeichnen kann. Trotz skeptischer Stimmen und noch zu überwindender Schwierigkeiten erscheint gerade vor diesem Hintergrund die Erwartung nicht unbegründet, dass am Ende der Entwicklung ein ausreichend zuverlässiges Verfahren der „Lügendetektion“ zur Verfügung stehen wird.

7. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

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Die Tauglichkeit eines Verfahrens zur Glaubwürdigkeitsbegutachtung mittels funktioneller Hirnbildgebung unterstellt, ergibt sich für die Frage, ob der Einsatz eines solchen Verfahrens im Strafverfahren rechtlich überhaupt zulässig wäre, Folgendes: 4. Der einverständliche Einsatz eines „Lügendetektors“ mittels eines nicht-invasiven hirnbildgebenden Verfahrens wie der fMRT verstößt nicht gegen § 136a StPO oder gegen das Prinzip der Menschenwürde bzw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten, wenn man die Auffassung teilt, dass das Wesen der Grundrechte und insbesondere auch der Menschenwürde zuallererst an dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu messen ist. Unter dieser Voraussetzung kommt der Einwilligung der Testperson überragende Bedeutung zu – weshalb auch dann keine Verletzung der Menschenwürde oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt, wenn mit einem sehr weit entwickelten „Lügendetektor“-Test in das „Innerste des Menschen“ – was immer man darunter letztlich genau verstehen mag – geblickt oder gar der Wortlaut einzelner Gedanken mitverfolgt werden könnte. Die erforderliche, sonst weder irrtums- noch nötigungsbedingte Einwilligung ist auch grundsätzlich als freiwillig anzusehen, da ansonsten der Beschuldigte, der sich mit einem „Lügendetektor“-Test entlasten will, gerade durch die Versagung der Befugnis, in seiner prekären Situation überhaupt eine Entscheidung treffen zu dürfen, zu einem bloßen Gegenstand des Verfahrens herabgestuft würde. Zweifel an der Freiwilligkeit der Einwilligung ergäben sich erst dann, wenn man den Strafverfolgungsbehörden gestattete, den „Lügendetektor“-Test auch als Angriffsmittel zu nutzen. 5. Es bleiben jene Bedenken gegen die Zulässigkeit einer Glaubwürdigkeitsbegutachtung mittels Hirnbildgebung, die unter dem Gesichtspunkt vorrangiger Belange anderer Beschuldigter vorgetragen werden und die man auch – unpräzise und verkürzend – mit dem Schlagwort „mittelbarer Einwilligungsdruck“ umschreibt. Welche Folgen die prognostizierte Beeinträchtigung „der“ Rechte künftiger Beschuldigter für „die“ Zulässigkeit des „Lügendetektor“-Einsatzes im Strafverfahren hätte, lässt sich allerdings nicht pauschal beantworten. Ob die Interessen anderer Beschuldigter gegen die Zulässigkeit des Tests in Stellung gebracht werden können, hängt von einer Reihe von Variablen ab. Als gewichtigste dieser Variablen erweist sich dabei, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Verfahren Ergebnisse hervorbringt, die einen Unschuldigen zu Unrecht belasten. Insgesamt ergibt sich für die Zulässigkeit eines tauglichen „Lügendetektors“ im Strafverfahren dabei folgendes Bild: 6. Im Hauptverfahren ist der „Lügendetektor“ zulässig, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass mit dem eingesetzten Verfahren „falsch positive“ Ergebnisse erzielt werden (Spezifität), bei maximal ca. 90 Prozent liegt, da unterstellt werden kann, dass dann jeder Angeklagte einen „guten Grund“ hat, den Test nicht zu beantragen und dass mithin ein fehlender Testantrag von den Entscheidungsträgern nicht im Sinne eines Schuldeingeständnisses verstanden würde; in

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7. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

diesem Fall ist sogar tendenziell ein Antragsrecht für die Strafverfolgungsbehörden zu befürworten. Beträgt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Unschuldiger fälschlich als „schuldig“ klassifiziert wird, hingegen (annähernd) 100 Prozent, ist zu differenzieren: Hier wäre der Test nur dann zulässig, wenn der Angeklagte nach dem Gang der Beweisaufnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussichtlich verurteilt würde. Wäre er demgegenüber zu diesem Zeitpunkt freizusprechen, müsste ein Beweisantrag eines Angeklagten auf Durchführung eines „Lügendetektortests“ abgelehnt werden. Wie sich die Differenzierung der Zulässigkeit nach der jeweiligen Beweissituation in der strafprozessualen Praxis umsetzen ließe, erweist sich allerdings als Problem. Ebenfalls abgelehnt werden müsste der Beweisantrag jedenfalls dann, wenn dem Angeklagten hier noch weitere Entlastungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Bei dieser Zuverlässigkeitsrate des „Lügendetektortests“ dürfte schließlich der Staatsanwaltschaft kein Initiativrecht eingeräumt werden. 7. Für das Ermittlungsverfahren fällt das Ergebnis klarer aus: Besteht eine signifikante Gefahr falsch belastender Testergebnisse, ist der Test zulässig, da keine relevanten Rechte anderer Beschuldigter betroffen sind; ein Vorschlagsrecht für Polizei und Staatsanwaltschaft wäre zumindest einigen Bedenken ausgesetzt. Erweist sich jene Gefahr falsch belastender Testergebnisse jedoch als eine quantité négligeable, wäre der Test insgesamt unzulässig. Droht hingegen eine Untersuchungshaft oder ist der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft genommen, müsste einem Beweisantrag auf einen „Lügendetektortest“ stets stattgegeben werden. 8. Der Einsatz bei einem Zeugen wäre, die Freiwilligkeit seines Einverständnisses vorausgesetzt, generell zulässig. Verweigerte ein Entlastungszeuge die Einwilligung, dürfte dies nicht zum Nachteil des Beschuldigten gewertet werden. 9. Es ist indes zu konzedieren, dass die vorangehend (Punkte 6.–8.) zusammengefassten Differenzierungen der Zulässigkeit z. T. auf Mutmaßungen über intrapsychische Vorgänge bei den Beschuldigten beruhen sowie darüber, wie die Tatrichter das Prozessverhalten der Beschuldigten interpretieren würden, und ob die Würdigung eines ausbleibenden Testantrags als Schuldindiz gegebenenfalls nachteilig auf das von den Beschuldigten empfundene Maß an Entscheidungsfreiheit wirken würde. Insbesondere angesichts dieser unsicheren Tatsachengrundlage können daher die gefundenen Ergebnisse keineswegs Anspruch auf unumstößliche Wahrheit und allgemeine Akzeptanz erheben. So könnte man einerseits beispielsweise postulieren, dass auch bei „nur“ 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit für „falsch positive“ Testergebnisse in der Rechtswirklichkeit trotz des angeblichen „guten Grundes“ für Beschuldigte, den Test dann nicht in Anspruch zu nehmen, ein ausbleibender Testantrag von den Tatrichtern als Schuldindiz gewertet würde – für diesen Fall kann dann aber auf das in Kapitel 4 gefundene Ergebnis verwiesen werden. Andererseits könnte man die Auffassung

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vertreten, dass die Tatrichter, entgegen der hier zugrunde gelegten Ansicht, das Verbot, eine Test-„Verweigerung“ als Schuldindiz zu würdigen, doch ausreichend beachten würden – dann ergäben sich aus dem Gesichtspunkt der beeinträchtigten Belange künftiger Beschuldigter überhaupt keine Bedenken gegen die Zulässigkeit eines „Lügendetektortests“ und es könnten die in 5. Kapitel C. angestellten Erwägungen Geltung beanspruchen. 10. Jenseits der genannten Unwägbarkeiten steht jedoch – neben der Zulässigkeit im Rahmen des Zeugenbeweises – ein Ergebnis fest: Zumindest dann, wenn sich ein Beschuldigter – im Hauptverfahren oder im Falle drohender oder bereits angeordneter Untersuchungshaft – in einer Situation des „Beweisnotstands“ befindet und er sich mittels des entlastenden Ergebnisses eines „Lügendetektor“-Tests vor erheblichen Grundrechtseinbußen, insbesondere dem Totalverlust seines Rechts auf Freiheit der körperlichen Bewegung, bewahren könnte, gehen seine Interessen den Belangen etwaiger künftiger Beschuldigter vor. Seinem Beweisantrag auf die Durchführung einer apparativen Glaubwürdigkeitsbegutachtung muss dann, unabhängig von allen weiteren Variablen, entsprochen werden. 11. Akzeptiert man nun die Zulässigkeit eines „Lügendetektor“-Tests mittels eines hirnbildgebenden Verfahrens zumindest in einigen Fällen und teilt die hier vertretene Auffassung, dass der Einsatz auch keine eigenständige gesetzliche Ermächtigung erfordert, so ist doch abschließend denjenigen Stimmen beizupflichten, die gleichwohl eine gesetzliche Regelung anmahnen für den Fall, dass sich eine Form der „Lügendetektion“ als tauglich erweist.1 Neben der dadurch gegebenen Möglichkeit, Belehrungspflichten festzuschreiben, erschiene es allein aus prozessökonomischen Gründen als beinahe unumgänglich, dass der Gesetzgeber hier tätig würde, denn es könnte ansonsten zu unüberschaubaren Kosten und Verfahrensverzögerungen kommen, wenn sich „jeder Ladendieb“ zu Entlastungszwecken in einen Hirnscanner zu legen wünschte. Zu denken wäre etwa an eine Beschränkung auf den Einsatz in Verfahren, in denen im Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe ohne Bewährungsaussetzung zu erwarten wäre; vorstellbar wäre aber auch etwa eine Orientierung an den Fallkonstellationen, für die § 140 Abs. 1 Nr. 1–3 StPO die notwendige Verteidigung vorsieht.

1 Siehe Prittwitz, MDR 1982, S. 886, 895; Landau, in: NJW-Sonderheft zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Gerhard Schäfer 2002, S. 42, 45; LG Düsseldorf, StV 1998, S. 647, 648.

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Stichwortverzeichnis Absprache 231 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 156, 221 Allgemeininteressen 175 Alltägliche Schuldvermutung 179, 207 Analogstudien 51 Arbeitsrecht 67 Augenscheinsbeweis 160, 235 Augenscheinseinnahme 106 Augustinus 19 Aussage 105, 112 Aussagefreiheit 111, 160, 214 Aussagepsychologie 60, 209 Außenkriterien 53 Baumann, Dieter 43 Beweisnotstand 227 BOLD-Kurve 79 Criminal Justice and Public Order Act 182

Folter 130, 146 Freiheit der Person 169 Freiwilligkeit der Einwilligung 167 Friendly polygrapher syndrome 247, 268 Frye-Entscheidung 72 Funktionelle Magnetresonanztomographie 76, 78 Gesellschaftsvertrag 143 Geständnisbonus 230 Glaubhaftigkeit 18, 160 Glaubwürdigkeitsbegutachtung 18, 160 Grundrechtsverzicht 133 Guilty Actions Test 27 Hilfsbeweisantrag 265 Hirnbildgebende Verfahren 75 Hirnstrommessung 74 Hypnose 107, 119, 122 Indizwert 151

Deal 231 Differentiation of Deception 83 Disponibilität 133, 157 Eigene Sachkunde 103 eingriffsmildernde Einwilligung 170 Einwilligung 167 Einwilligungsdruck 174, 177, 221 Ereigniskorrelierte Potentiale 74 Ermittlungsverfahren 63, 237, 249 Eventualbeweisantrag 263 Falsch positive Testergebnisse 256 Familienrecht 67 Feldstudien 52

Japan 71 Kant 136 Kommunikation 107 Kontrollfragentest 24, 46 Körperliche Untersuchung 158 Laborstudien 51 Lüge 19, 80, 90 Magnetresonanztomographie 78 Manipulationen 93 Mariotti-Prozess 182 Menschenwürde 39, 131

Stichwortverzeichnis Nahinfrarot-Spektroskopie 96 Narkoanalyse 107, 119, 122 National Research Council 73, 246 nemo-tenetur-Prinzip 111–112, 161, 214 New Mexico 72

Sonstiges Prozessverhalten 190 specific lie response 150 Spezifität 239, 246 Stimmprobe 114 Stimmstressanalyse 96

Objektivität 29

Tatwissentest 27, 62, 64, 160 Täuschung 19 teilweises Schweigen 121, 188 Tugendlehre 136

Paternalismus 140 Peep-Show-Entscheidung 138 Pflichten gegen sich selbst 136 Polen 70 Polygraph 23 Polygraphentest 22, 151 Positronenemissionstomographie 76, 117 Praktische Konkordanz 223 Psychophysiologie 17 Psychophysiologische Glaubwürdigkeitsbegutachtung 18 Reliabilität 29 Sachverständigenbeweis 45 Sachverständiger 115 Schuldindiz 194 Schweigen 180 Schweigerecht 180, 219 Schweiz 71 Selbstbestimmungsrecht 143, 153 Sensitivität 239, 246

303

Ullrich, Jan 182 Untersuchungshaft 254 Unwillkürliche Äußerungen 105–106 USA 72, 185 Validität 29 Verbotene Vernehmungsmethoden 40, 118, 124 Vergleichsfragentest siehe Kontrollfragentest 57 Verwertungsverbot 194, 201, 242, 253 Watzlawick 108–109 Wesentlichkeitstheorie 166 Zeuge 270 Zivilprozess 69 Zwang 212