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German Pages 362 Year 2000
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 47
Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und öffentliche Kontrolle im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung Von
J. Christian v. Waldthausen
Duncker & Humblot · Berlin
J. CHRISTIAN v. WALDTHAUSEN
Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und öffentliche Kontrolle im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von
Ulrich Karpen, Heinrich Oberreuter, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen
Band 47
Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und öffentliche Kontrolle im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung
Von
J. Christian v. Waldthausen
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Waldthausen, J. Christian v.: Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und öffentliche Kontrolle im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung I J. Christian v. Waldthausen. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 47) Zug!.: Göttingen, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10041-7
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2000 Duncker &
ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-10041-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Meinen Eltern und Imke
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde durch die letztlich gescheiterte Verfassungsänderung des Art. 48 Abs. 3 im Jahr 1995 angeregt. Sie wurde 1997 abgeschlossen und 1999 in unveränderter Form als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie auf den Stand Juli 1999 aktualisiert und entsprechende Beiträge eingearbeitet. Herrn Professor Dr. Andreas Sattler danke ich für die Unterstützung, die er mir gewährte. Insbesondere danke ich ihm, daß er trotz hoher Belastung durch Arbeit und seine Gesundheit sein Gutachten gerade zur richtigen Zeit erstellte. Herrn Professor Dr. Harald Bogs danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Meinen Eltern danke ich für eine sehr gute Ausbildung. Auch wenn es nicht immer leicht war, haben sie mich unterstützt, wo sie konnten. Der mir gewährte Rückhalt war keine Selbstverständlichkeit. Einen ganz besonderen Dank schulde ich meiner Frau. Sie hat meine langen abendlichen Ausführungen mit der ihr eigenen medizinischen Geduld ertragen. Sie hat mich motiviert, obwohl sie kaum glauben konnte, daß Juristen "forschen". Der Konrad-Adenauer-Stiftung habe ich nicht nur für die materielle Unterstützung im Rahmen eines Stipendiums zu danken, sondern auch für den hierdurch bedingten Motivationsschub. Herrn Professor Dr. Ulrich Karpen habe ich schließlich für die zügige Entscheidung über die Aufnahme in diese Schriftenreihe zu danken. Göttingen, im August 1999
J. Christian v. Waldthausen
Inhaltsverzeichnis Einleitung
25
Erster Teil
Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts, Art. 48 Abs. 3 S. 1
28
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung ..........................
29
I. Entwicklung bis 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
I. Der Vonnärz ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
2. Die belgische und französische Lösung ....................................
34
3. Die Paulskirche . . . . . . . . .. . . . .. . . . . ... . . . .. . . . ... . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . .
35
4. Preußen ...................................................................
37
11. Entwicklung im Deutschen Reich .............................. . . . . . . . . . . . . . . .
38
1. Der Reichstag .............................................................
39
2. Die Stellung der Abgeordneten ............................................
40
3. Die Abgeordnetenentschädigung ...........................................
40
a) Vor 1906 ...............................................................
40
b) Nach 1906 .............................................................
41
III. Entwicklung in der Weimarer Republik .......................................
42
1. Der staatliche Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
2. Die Abgeordnetenentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
IV. Entwicklung in der Bundesrepublik ....... . ... . ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
1. Der staatsrechtliche Wandel ............... . .............. . ................
45
2. Die Abgeordnetenentschädigung ...........................................
47
a) Die Regelung des Art. 48 Abs. 3 und deren inhaltliche Ausgestaltung ..
47
b) Das heutige Verständnis der Abgeordnetenentschädigung ... . . . . . . . . . . . .
49
10
Inhaltsverzeichnis V. Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung
51
I. Staatsrechtliche Entwicklung ..............................................
51
2. Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
a) Historische Interdependenz zwischen Abgeordnetenentschädigung und Repräsentationsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
b) Heutige Interdependenz zwischen Abgeordnetenentschädigung und der Stellung des Abgeordneten im demokratischen Willensbildungsprozeß
53
B. Das Wesen der Abgeordnetenentschädigung ................. . . . . . ..... . ........ . . . .
56
1. Die Rechtsnatur der Abgeordnetenentschädigung ........ . ................ . . . .
56
H. Die Abgeordnetenentschädigung als politische Frage ..................... . . . .
57
III. Die Abgeordnetenentschädigung als rechtliches Problem .....................
59
I. Die Abgeordnetenentschädigung im (innenwirksamen) Parlamentsinteresse
60
2. Die Abgeordnetenentschädigung im (außenwirksamen) Abgeordneteninteresse ...................................................................
60
3. Exkurs: Rechtswegproblematik ........................................ . ...
62
IV. Die Abgeordnetenentschädigung und mandatsbedingte Sonderabgaben
c.
63
Schlußbetrachtung .................................................................
66
1. Verfassungswandel des Gesetzesvorbehalts des Art. 48 Abs. 3 S. 3 ... . ... . ....
66
H. Verfassungsdurchbrechung durch Verfassungswandel? ........................
69
III. "Gesteigerte Gefahr mißbräuchlicher Selbstbedienung"? ......................
70
Zweiter Teil
Kriterien zur rechtlichen Beurteilung des Festsetzungsverfahrens, Art. 48 Abs. 3 S. 1
72
A. Die Rechtsprechung zum bisherigen Verfahren .....................................
72
B. Stellungnahmen in der Literatur....................................................
74
1. Gruppe I: Verfassungsrechtlicher Zwang zur Entscheidung in eigener Sache
75
I. Zwang zur Entscheidung in eigener Sache .................................
75
2. Verfassungsrechtliche Pflicht zur jeweils selbständigen Entscheidung ......
76
H. Gruppe 2: Verfassungsrechtlich änderbare Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung
77
III. Gruppe 3: Verfassungsrechtlich unabänderbare Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung .............................. ............................................
77
Inhaltsverzeichnis
11
IV. Gruppe 4: Keine verfassungsrechtliche Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung . . . . .
78
V. Gruppe 5: Verfassungswidrigkeit des bisherigen Verfahrens...................
79
C. Schlußfolgerungen aus dem Meinungsstand für den weiteren Gang der Untersuchung und Herleitung geeigneter Kriterien zur rechtlichen Bewertung des Verfahrens .............................................................................
80
D. Historische Entwicklung der (formalen) Festsetzungsverfahren ........ . ............
82
I. Deutsches Reich ..............................................................
82
11. Weimarer Republik ...........................................................
83
111. Bundesrepublik Deutschland.. . . . . .. . . .... . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . .
84
IV. Zusammenfassung der historischen Entwicklung der (formalen) Festsetzungsverfahren .....................................................................
86
E. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes ....... . ...........................
87
I. Begriffliche Abgrenzungen ...... . ............................................
87
1. Parlamentsvorbehalt .......................................................
88
2. Vorbehalt des Gesetzes I Rechtssatzvorbehalt ...............................
88
11. Vorkonstitutionelle Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes ... . . . . . . .
89
I. Grundsätzliche Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes ...........
89
a) Die Zeit vor dem Deutschen Reich .....................................
90
b) Im Deutschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
c) In der Weimarer Republik..............................................
94
2. Bedeutung für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ............
94
a) Deutsches Reich .......................................................
94
b) Weimarer Republik ....................................................
98
III. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes unter dem Grundgesetz .....
98
I. Grundsätzliche Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes ., . . . . . . . . .
99
a) Wesentlichkeitstheorie .................................................
99
b) Staatsrechtliche Veränderungen ........................................ 101 c) Rechtsstaatlicher Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 102 d) Demokratischer Begründungsansatz .................................... 103 e) Funktioneller Begründungsansatz ...................................... 104 2. Bedeutung für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ............ 106 a) Regelung durch Geschäftsordnung? .................................... 107 b) Regelung durch Verordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
12
Inhaltsverzeichnis
F. Typologie der ..Entscheidungen in eigener Sache" .............................. . ...
111
I. Begriffsklärung: Befangenheit I Betroffenheit ................................. 113 11. Abgrenzung zu anderen ..Entscheidungen in eigener Sache" .................. 114 1. Allgemein .................................................................
114
2. Speziell: Verlängerung der Wahlperiode ................................... 116 G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten. .. .. . . . . . . . ... 117 I. Problemstellung .............................................................. 117 11. Bisherige Bewertung durch die Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Stellungnahme der Rechtsprechung ........................................
119
2. Stellungnahmen in der Literatur ........................................... 119 3. Ergebnis................................................................... 121 III ...Besonderheit" in bezug auf einen überverfassungsrechtlichen Rechtssatz .... 122 1. Der Ansatz von Knebel-Pfuhl..............................................
123
2. Stellungnahme......................................................... . ... 123 IV. .. Besonderheit" in bezug auf das Rechtsstaatsprinzip ............. . ............ 124 V. .. Besonderheit" in bezug auf die Stellung des Abgeordneten .............. . ... 126
1. In Betracht kommende Maßstäbe .......................................... 126 2. Das Abgeordnetenamt .............................. .. ...................... 127 a) Grundsätzlicher Inhalt des Amtsbegriffs ........ . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 127 b) Anwendbarkeit auf Abgeordnete ....................................... 130 aa) Grundsätzliche Erwägungen ............................ . .......... 131 bb) Vergleich mit anderen Ämtern..................................... 132 cc) Das freie Mandat (Art. 38 Abs. I S. 2) ............ . ............ . ... 133 (I) Auftrags- und Weisungsfreiheit ..................... . .......... 134
(2) Gewissensunterwerfung ....................................... 138 dd) Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten ...................... 143 ee) Kontrollüberlegung anhand des Merkmals der funktionsgerechten Organstruktur ...................................................... 148 3...Besonderheit" aufgrund der Repräsentantenstellung .......... . ........ . ... 150 a) Gemeinwohlverpflichtung .............................................. 150 b) Interessen- und Rollendistanz .......................................... 151 c) Gleichheitsgebot ....................................................... 152 VI. Ergebnis ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 154
Inhaltsverzeichnis
13
H. Die kollektive Willensbildung ...................................................... 154
I. Problemstellung.............................................................. 155 11. Bisherige Bewertung durch die Rechtsprechung und Literatur................. 156 III. Beurteilungsmaßstäbe für die kollektive Willensbildung ...................... 158 IV. "Besonderheit" aufgrund der Kompetenzzuweisung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 bei der parlamentarischen Willensbildung ........................................ 159 1. Der prozedurale Gemeinwohlbegriff ............................... ...... .. 159
a) Interessenpluralität im Parlament....................................... 159 b) Interessenpluralität durch Öffentlichkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 160 c) Distanz durch eine Mehrheit von Entscheidungsträgem ................. 162 2. Bedeutung für das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ....................................................................... 162 a) Rechtstatsächliche Ausgangslage ....................................... 162 b) Bewertung ............................................................. 163 aa) Kritik an der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur......... 164 bb) Eigener Ansatz.................................................... 165 cc) Kritik an diesem Ansatz und Stellungnahme ....................... 169 dd) Widerspruch zum Ergebnis der individuellen Willensbildung? ..... 170 V. Verfahrensdefizit aufgrund mangelnder parlamentarischer Kontrolle .......... 172 1. Kontrolle im Gesetzgebungsverfahren ..................................... 172 2. Kontrolle im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ... 173 3. Kontrolle durch den Bundesrat.. .. .. ... .. .. .. ... .. .. .. ... .. .. .. .. .. .... .. .. 173 a) Grundsätzliche Kontrolle durch den Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren .................................................................. 174 b) Im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ......... 175 aa) Überblick zum Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 175 bb) Versuch einer normativen Erfassung des Bundesratsverhaltens ..... 175 cc) Problem der Erfassung und Bewertung des tatsächlichen Bundesratsverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 dd) Ergebnis........................................................... 179 4. Kontrolle durch die Bundesregierung ...................................... 180 5. Kontrolle durch den Bundespräsidenten .................................... 181 6. Ergebnis .......................................... . ........................ 182 VI. Kontrolle durch die Öffentlichkeit ............................................ 182 1. Grundsätzliche Funktion und Bedeutung der Öffentlichkeit im Gesetzgebungsverfahren ............................................................ 182
14
Inhaltsverzeichnis 2. Bedeutung für das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ....................................................................... 186 a) Grundsätzlich .......................................................... 186 b) Öffentlichkeit als einzige wirksame Kontrolle? ......................... 187 VII. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
I. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ............................................... 189 1. Demokratieprinzip ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
2. Rechtsstaatsprinzip
190
J. Zusammenfassung ................................ . ................................ 190
Dritter Teil Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Festsetzungsverfahren A. Verfassungsmäßigkeit des bisherigen Verfahrens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . ..
192 192
I. Grundsätzlich ................................................................ 192 1. Die Ansicht von Henke .................................................... 192
2. Kritik............................................................ . ......... 193 3. Weiterer Ansatz zur Begründung der Rechtsstaatswidrigkeit ............... 193 4. Verwerfung auch dieses zweiten Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 194 11. Erhöhung in der laufenden Wahlperiode verfassungswidrig? .... . . . . . . . ....... 198 B. Grundgesetzliche Anforderungen an das Festsetzungsverfahren .............. . . . . . .. 200 I. Verhaltenskontrolle gegenüber dem Gesetzgeber? ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 200 11. Überblick zu den bisherigen Stellungnahmen - Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung 201 111. Der Ansatz von Häberle ...................................................... 203 IV. Der Ansatz von v. Arnim ..................................................... 203 V. Eigener Ansatz zur Begründung einer Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ..... 205 I. Funktionelles Argument ................................................... 205 2. Historisches Argument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 VI. Zielkonflikt der grundgesetzlichen Anforderungen an das Festsetzungsverfahren ........................................................................ 209 I. Die Abgeordnetenentschädigung als bedeutende politische Frage .......... 210
Inhaltsverzeichnis
15
2. Bedürfnis der öffentlichen Kontrolle ....................................... 211 3. Rationalität und Kompensation der staatlichen Willensbildung durch die Beteiligung der Öffentlichkeit ............................................. 214 4. Funktions- und Bedeutungswandel des Parlamentsgesetzes ................. 215 5. Integrität des Parlaments......................... . ......................... 216 6. Ergebnis ............. . ..................................................... 218 VII. Neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts .... . .................. 219 1. BVerfGE 76, S. 256 ff. ... . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . .. . . . . . .. 219
2. BVerfGE 85, S. 264 ff. ... . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 VIII. Bindungswirkung bundesverfassungs gerichtlicher Entscheidungen. . . . . . . . . . .. 222 I. Bindung des Bundesgesetzgebers an das sog. Diätenurteil .................. 223 2. Exkurs: Das Problem des Normwiederholungsverbots . .. . ... . . . . . . .. . . . .. .. 227 a) Überblick zum Problem des Normwiederholungsverbots ............... 227 b) Rechtskraft ............................................................ 229 c) Gesetzeskraft gern. § 31 Abs. 2 BVerfGG .............................. 230 d) Bindungswirkung gern. § 31 Abs. I BVerfGG .......................... 231 e) Ergebnis zum Exkurs über das Problem des Normwiederholungsverbots und Übertragung auf die Bindung des Gesetzgebers an das sog. Diätenurteil ................................................................... 236 3. Ergebnis zur Bindungswirkung bundesverfassungsgerichtlicher Urteile .... 237 IX. Ergebnis zu den grundgesetzlichen Anforderungen an das Festsetzungsverfahren ........................................................................ 238 X. Verfassungsrechtlicher Rang dieser grundgesetzlichen Anforderungen ........ 238 I. Pflicht zur selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung? .............................................. 239 2. "Verfassungsänderungsfeste" Pflicht zur Beachtung der öffentlichen Kontrolle? ..................................................................... 241 a) Überblick zum Meinungsstand ......................................... 241 b) Grundsätzliches zu den Grenzen einer Verfassungsänderung ............ 243 c) Grundsatz des Demokratieprinzips ..................................... 244 d) Grundsatz des Gewaltenteilungsprinzips ............................... 248 e) Zulässigkeit der systemimmanenten Modifikation ......... . ............ 249 f) Ergebnis ............................................................... 250
16
Inhaltsverzeichnis
c. Weitere Anforderungen an das Festsetzungsverfahren
251
I. Öffentlichkeit der parlamentarischen Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 251
11. Transparenz der Entscheidung ................................................ 252 I. Inhaltliche Klarheit und Bestimmtheit der Regelungen zur Abgeordnetenentschädigung ............................................................. 253 2. Bedeutung einer Verfassungsänderung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 im Hinblick auf das Transparenzgebot .................................................. 255 III. Gesetzesbegründung und Methodik der Gesetzgebung ........................ 255 IV. Einhaltung der Fristen und Lesungen .............................. . . . ........ 260
Vierter Teil
Staatenvergleich
263
A. Neuseeland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 264 B. Großbritannien ..................................................................... 266
C. Österreich ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269 D. Vereinigte Staaten von Amerika .................................................... 270 E. Schlußfolgerung........................................................... . ........ 271
Fünfter Teil
Vorstellung und Diskussion von Alternativrnodellen
273
A. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung am Ende einer Wahlperiode mit Wirkung für die gesamte nächste Wahlperiode ............................................. 273 I. Gründe für dieses Verfahren .............................................. . ... 274
11. Kritische Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . ... .. . ... . . . ... . . . .. . . . . ... 274 III. Ergebnis. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 277 B. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung mit volksunmittelbarer Beteiligung ... 278 I. Grundsätzliche Erwägungen .................................................. 278
11. Ausschluß der Abgeordnetenentschädigung von einer volksunmittelbaren Gesetzgebung? .................................................................. 280 111. Ergebnis .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 283
Inhaltsverzeichnis
17
C. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung zu Beginn der Wahlperiode für die gesamte laufende Wahlperiode ("Staffel") ............................................ 284 I. Gründe für dieses Verfahren ............ . ............................... . ..... 284
11. Kritische Stellungnahme. . . . . . .... . . . ..... . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. 286 III. Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 288 IV. Ausnahmen..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 289 V. Ergebnis ....................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 290 D. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung durch ein Haushaltsgesetz ............ 291 I. Funktion, Bedeutung und Rechtsnatur des Haushaltsgesetzes ................. 291
11. Gewährleistung des öffentlichen Kontrollbedürfnisses auch durch ein Haushaltsgesetz? .................................................................. 294 III. Regelung im Haushaltsgesetz aufgrund spezialgesetzlicher Ermächtigung? " .. 295 IV. Ergebnis .............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 296 E. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung durch ein parlamentarisches Hilfsorgan bzw. einen Ausschuß ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 296 I. Grundsätzliche Zulässigkeit der Delegation von Kompetenzen vom Plenum auf ein parlamentarisches Hilfsorgan bzw. einen Ausschuß .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 297
11. Zulässigkeit der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung durch ein parlamentarisches Hilfsorgan bzw. einen Ausschuß ................................ 298 III. Ergebnis... . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . .. . . . . .... . . . . . . . . . .. . ..... . . .. . . . . . . . . ... .. .. 300
F. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung durch eine Indexierung ............... 300 I. Allgemeines zum Indexierungsverfahren ...................................... 301
11. Vereinbarkeit einer Indexierung mit dem politischen Charakter der Abgeordnetenentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 302 III. Gewährleistung der öffentlichen Kontrolle .................................... 303 IV. Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen durch Verweisung? ... . . . . . . . . . . .. 304 I. Verlagerung auf das Statistische Bundesamt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 305 2. Verlagerung auf Entscheidungen Dritter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 305 V. Relevanz der Regelungsebene ................................................ 306 I. Gewährleistung der öffentlichen Kontrolle .................. . .......... . ... 306 2. Verbleib des Letztentscheidungsrechts beim Parlament? ......... . ......... , 307 a) Zwingender Automatismus auf Verfassungsebene ...................... 307 b) Bloße "Orientierung" auf Verfassungsebene ......... . . . . . . . ...... . . . ... 308 2 v. Waldlhausen
Inhaltsverzeichnis
18
VI. Bestimmung und Ausgestaltung des Indexes .................................. 309
vrr.
Ergebnis ... . . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . .. . .. . .. . . . .. . . . .. 310
G. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung durch Kopplung an die Richter- bzw. Beamtenbesoldung ................................................................. 310 I. Allgemeines ............................................... . . . ... . ............ 311 11. Anpassung der Beamten- bzw. Richterbesoldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 312 III. Gewährleistung der öffentlichen Kontrolle .................................... 312 1. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung .......... . ......... . .......... 313
2. Anpassung der Beamten- bzw. Richterbesoldung ........................... 314 a) Auswirkung einer Kopplung auf das Anpassungsverfahren der Beamten- bzw. Richterbesoldung . .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .... 315 b) Gewährleistung des öffentlichen Kontrollbedürfnisses ....... . . . ........ 316 c) Ergebnis ............................................................... 317 IV. Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen .................... . . . . . . . . . . . . . . . 318 V. Relevanz der Regelungsebene ................................................ 319 VI. Ergebnis ..................................... . .. .. . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . .. 319 H. Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung durch eine Kommission . . . . . . . . . . . . . .. 319 I. Allgemeines .................................................................. 320 1. Vereinbarkeit mit dem politischen Charakter der Abgeordnetenentschädigung ....................................................................... 320 2. Berufung und Besetzung einer Kommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 322 11. Beratende Kommission ....................................................... 323 III. Kommission mit Entscheidungsbefugnis ...................................... 324 1. Numerus c\ausus der Verfassungsorgane und Gesetzgebungsrecht .......... 324
2. Demokratische Legitimation. Kontrolle und Gewaltenteilung .......... . ... 325 a) Darstellung des Problems .............................................. 325 b) Lösungsansatz ......................................................... 326 c) Übertragung auf den Fall der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ................................................................... 327 3. Ergebnis ................................................................... 329 IV. Kommission mit Initiativberechtigung ........................................ 329 V. Kommission mit Veto-Recht .................................................. 330
Inhaltsverzeichnis
19
VI. Kombinierte Kommissions-Lösungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .... 330 VII. Ergebnis .................................................. , . . . . . .. . . ... . . . .... 331 I. Ergebnis .................. . ................................ . ....................... 331
Schlußbetrachtung ................................................................... 333 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 334 Literaturverzeichnis .................................................................. 337 Stichwortverzeichnis .......................... . ........ . .................... . ........ 358
Abkürzungsverzeichnis a.A. a. a. O. AbgG Abs. a.E. AK Anm. APUZ AöR ARSP Art. Aufl. Az. Bayer. BayVB\. BayVerfGH BBankG BBG BerlVerfGH BBesG BGB\. BHO BK BiLl A/H BRat BRRG BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG bzw. Congress
andere Ansicht am angegebenen Ort Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages - Abgeordnetengesetz Absatz am Ende Reihe Alternativkommentare (hier: zum Grundgesetz); hrsg. von Wassermann Anmerkung Aus Politik und Zeitgeschehen, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozial philosophie Artikel (sowohl Singular als auch Plural) Auflage Aktenzeichen Bayerisches Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bundesbank-Gesetz Bundesbeamtengesetz Berliner Verfassungsgerichtshof Bundesbesoldungsgesetz Bundesgesetzblatt Bundeshaushaltsordnung Bonner Kommentar zum Grundgesetz; hrsg. von Dolzer, Rudolf Baumbach I Lauterbach I Albers I Hartmann (Hrsg.), Kommentar zur ZPO Bundesrat Beamtenrechtsrahmengesetz Bundestag Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Congress A to Z, hrsg. von Congressional Quarterly
Abkürzungsverzeichnis ders. dess.
21
derselbe
dies.
desselben dieselben
d. h.
das heißt
DJT
Deutscher Juristentag
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DtZ
Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift
DVBI.
Deutsches Verwaltungsblatt
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift Evangelisches Staatslexikon; hrsg. von Kunst, Hermann; Herzog, Roman; Schlaich, Klaus; SchneemeJcher, Wilhelm
EvStL FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
f., ff.
folgende Festgabe Fußnote(n)
FG
FN FS
Festschrift
gern.
gemäß
GG
Grundgesetz
GGOAbs.2
Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil
GO GS
Geschäftsordnung Gedächtnisschrift Handbuch des Deutschen Staatsrechts; hrsg. von Anschütz, Gerhard; Thoma, Richard
HDtStR HGB
Handelsgesetzbuch
h.M. Hrsg.
herrrschende Meinung Herausgeber
hrsg.
herausgegeben
HStR
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland; hrsg. von Isensee, Josef; Kirchhof, Paul
HVerfR
Handbuch des Verfassungsrechts; hrsg. von Benda, Ernst; Maihofer, Werner; Vogel, Hans-Jochen
i.d.F. i.d.R.
in der Fassung in der Regel
i. S. d.
im Sinne der (die! das! des)
i.S.v.
im Sinne von
i.V.m.
in Verbindung mit
JA JbWiWi
Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften
Jhd.
Jahrhundert
JöR JR
Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau
JuS JZ
Juristische Schulung Juristenzeitung
Abkürzungsverzeichnis
22 L/J/H
Linckl JutzilHartmann (Hrsg.), Kommentar zur Verfassung des Freistaats Thüringen
LK
Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch; hrsg. von Jescheck, Hans Heinrich; Ruß, Wolfgang; Willms, Günther Saarländisches Gesetz über den Landtag i.d.F. vom 20Juni 1973 Maunzl Dürig; Grundgesetzkommentar
LTG
MID
MP M/S-B/K/U
m.w.N. NdsAbgG NdsStGH NdsVBI. NJW NVwZ NVwZ-RR NWVBI. o.ä. o.g. OVG ParlR pr.OVGE pr. Verf. PVS RGBI. Rn. Rspr. RuP RV S. sog. Sp. Steno Ber.
Member of Parliament Maunz I Schmidt-Bleibtreu I Klein I Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz-Kommentar mit weiteren Nachweisen Niedersächsiches Abgeordentengesetz Niedersächsischer Staatsgerichtshof Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter oder ähnliches oben genannt Oberverwaltungsgericht Parlamentsrecht und Parlamentspraxis; hrsg. von Schneider, Hans-Peter; Zeh, Wolfgang Entscheidungen des königlich preußischen Oberverwaltungsgerichts preußische Verfassungsurkunde von 1850 Politische Vierteljahresschrift Reichsgesetzblatt Randnummer Rechtsprechung Recht und Politik Reichsverfassung von 1871 Seite sogenannt(er I el es) Spalte Stenographischer Bericht
ThürVerfGH
Strafgesetzbuch Thüringer Verwaltungsblatt Verfassung des Freistaats Thüringen Thüringer Verfassungsgerichtshof
TRSB u. a. usw. v.Chr.
Top Salaries Review Body unter anderem und so weiter vor Christus
StGB ThürVBI. ThürVerf.
Abkürzungsverzeichnis VerfGHNW VerwArch vgl. VVDStRL VwVfG
WIB
Verfassungs gerichtshof Nordrhein-Westfalen Verwaltungsarchiv vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungs verfahrens gesetz
WRV
z. B.
woche im bundestag - Parlamentskorrespondenz Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel
ZfP
Zeitschrift für Politik
ZG
Zeitschrift für Gesetzgebung
zit. ZParl
zitiert Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozeßordnung
ZPO
ZRP z.T.
Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil
23
"Vermag niemand festzustellen, was gerecht ist, so muß jemand festsetzen, was Rechtens sein soll." Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie 8 , § 10.3
Einleitung Ob und in welcher Höhe die Abgeordneten Geldleistungen aus der Staatskasse erhalten sollen, ist eine Frage, die zu allen Zeiten die Gemüter erhitztel. Nur scheinbar beantwortet das Grundgesetz diese Frage für die Parlamentarier der Bundesrepublik. So bestimmt Art 48 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG: IDie Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. 2Sie haben das Recht der freien Benutzung aller staatlichen Verkehrsmittel.
Da aber kaum jemand allgemeinverbindlich zu sagen vermag, was "angemessen" ist, führt auch heute noch jede Erhöhung der Entschädigung zu heftigen Diskussionen in der Öffentlichkeit. Scheint den einen die Höhe dieser Geldleistungen zu hoch, sei es aus prinzipiellen Erwägungen heraus oder weil ein sog. "politisches Signal" verlangt wird, beklagen die anderen - zumeist Abgeordnete - einen "Rückstand im Vergleich zur allgemeinen Einkommensentwicklung". Doch die Höhe der Leistungen erklärt nur unzureichend die Heftigkeit der Diskussion und Kritik. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die "Selbstbedienung" der Politiker gegeißelt. Unterstützung finden solche Äußerungen zum Teil durch die Staatsrechtslehre 2 . Die eigentliche Brisanz offenbart sich also in einer anderen Frage: Wer gelangt wie zu der Erkenntnis, daß die Entschädigung gern. Art. 48 Abs. 3 S. 13 zu erhöhen ist4 ? Auch hierüber trifft das Grundgesetz eine Aussage: Art 48 Abs. 3 Satz 3: Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. 1 Vgl. Eschenburg, Sold, S. 6 ff., S. 15 ff., der auf die Diskussion in Athen im 4. Jhd. v. ehr. hinweist. 2 Auch in juristischen Publikationen wird von der "Selbstbedienung" der Abgeordneten gesprochen, ohne daß dieses Wort in Anführungszeichen gesetzt wird. Vgl. v. Arnim, NJW 1996, S. 1233 (1234); Rupp, ZG 1992, S. 285 (288). 3 Artikel ohne Gesetzesangabe sind stets solche des Grundgesetzes. 4 Zum Unwort des Jahres 1995 wurde das Wort "Diätenanpassung" gewählt. Tatsächlich ging es bei der "Anpassung" um eine Erhöhung der Entschädigung gern. Art. 48 Abs. 3 S. I. Vgl. v. Arnim, NJW 1996, S. 1233 (1234).
26
Einleitung
Unter Bundesgesetz ist nach allgemeiner Auffassung ein nach den Vorschriften der Art. 76 ff. zustandegekommenes Gesetz gemeint5 . Demnach sind es vor allem die Parlamentarier selbst, welche über die Angemessenheit der Entschädigung zu bestimmen haben. Diese In-sieh-Problematik wird in der juristischen Literatur entweder als hinzunehmendes Faktum oder als verfassungwidrig beschrieben6 . Mit einer ebensolchen Bandbreite an Meinungen hat man es zu tun, wenn man nach Alternativen zum bisherigen Verfahren fragt. Allerdings sind den in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen bislang nur Aufsätze oder Ausführungen in Arbeiten gewidmet, die sich ansonsten vorwiegend mit der Höhe und Struktur der Abgeordnetenentschädigung auseinandersetzen. Eine staatsrechtsdogmatische Aufarbeitung dieses Problems, insbesondere unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung, sowie eine hierauf basierende Diskussion des bisherigen und eine Vorstellung alternativer Festsetzungsverfahren fehlt bislang. Diese Lücke zu schließen, hat diese Arbeit zum Ziel. Zur KlarsteIlung sind folgende Anmerkungen angebracht. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung auf Bundesebene. Regelungen und Besonderheiten der Länder bleiben ausgeklammert7 • Bereits bestehende Regelungen in den Ländern finden aber insoweit Berücksichtigung, als sie auch für den Bund Bedeutung erlangen (könnten). Soweit dies für das Festsetzungsverfahren nicht von Bedeutung ist, wird auf Fragen der Höhe und Struktur der Entschädigung grundsätzlich nicht eingegangen. In terminologischer Hinsicht ist daher für die Arbeit zu klären, was unter den Begriffen der "Abgeordnetenentschädigung" bzw. "Entschädigung" zu verstehen ist. Heute stehen den Abgeordneten vielfliltige Leistungen zu, welche auf einer gesetzlichen Ausgestaltung des Art. 48 Abs. 3 S. 1 beruhen. Hierzu zählen unter anderem: Kostenpauschale, Übergangsgeld, Altersversorgung und nicht zuletzt die eigentliche (monatliche) Entschädigung. Da sich die Arbeit weder mit den einzelnen Bestandteilen noch mit deren Höhe und Struktur befaßt, ist es sinnvoll, einen möglichst umfassenden und neutralen Begriff zu verwenden. Hier soll an den Begriff der Entschädigung, welchen auch Art. 48 Abs. 3 S. 1 verwendet, angeknüpft werden. Zwei Ausnahmen von dieser Terminologie sind allerdings zu beachten. Die erste betrifft die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung. Dort wird von dieser grundSätzlichen Terminologie abgewichen, um der unterschiedlichen inhaltlichen Ausgestaltung der Abgeordnetenentschädigung in den verschiedenen geschichtlichen Etappen gerecht zu werden. Vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 85. Weitere schlagwortartige Beschreibungen sind: Entscheidung in eigener Sache, Gesetzgeber in eigener Sache, kollektive Organbetroffenheit. 7 Allgemein hierzu Storr, Verfassungsgebung in den Ländern. Zur Frage der Regelung der Abgeordnetenentschädigung, vgl. ders., S. 245 ff. 5
6
Einleitung
27
Die zweite Ausnahme betrifft die Darstellung der Alternativmodelle. Dort wird zum Teil auch auf die einzelnen Bestandteile der Entschädigung eingegangen. Ferner noch ein Wort zu dem Begriff des Festsetzungsverfahrens. Sicherlich könnte der Arbeit in diesem Punkt vorgeworfen werden, einen beschönigenden Begriff für "Erhöhung" zu verwenden. Da sich die Arbeit jedoch um Neutralität bemüht und - zumindest theoretisch - auch eine Herabsetzung der Entschädigung in Betracht kommt, wird hier der Begriff der Festsetzung verwandt.
Erster Teil
Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts, Art. 48 Abs. 3 S. 1 Das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung kann nicht losgelöst von seinem Entscheidungsgegenstand betrachtet werden. Erst dieser führt zu den Problemen des Verfahrens. Vor einer Diskussion des Festsetzungsveljahrens wird daher die Abgeordnetenentschädigung sowohl in ihrer historischen Entwicklung als auch in ihrer heutigen Bedeutung und rechtlichen Relevanz dargestellt. Dabei soll unter anderem der These RUppSl nachgegangen werden, daß durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 2 im sog. Diätenurteil der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts aus Art. 48 Abs. 3 S. 3 in seinem ursprünglichen Verständnis gegen einen anderen ausgewechselt wurde. Hierdurch wäre den Abgeordneten ein Selbstentscheidungsrecht von gößerem Gewicht erwachsen. Im Vergleich zum vorigen Regelungsinhalt berge dies eine "erhöhte Gefahr mißbräuchlicher Selbstbedienung" in sich 3 . Obwohl die inhaltliche Änderung der Abgeordnetenentschädigung, welche im folgenden unter A. zu skizzieren ist, heute unbestritten ist, gehen die Auffassungen, wie diese zu bewerten ist, auseinander4 . Nach einer Darstellung und Erörterung weiterer Probleme des Entscheidungsgegenstandes "Abgeordnetenentschädigung" (vgl. Teil 1 B, S. 56 ff.), soll abschließend eine Würdigung dieser inhaltlichen Änderung des Gegenstandes des Gesetzesvorbehalts unternommen werden (vgl. Teil 1 C, S. 66 ff.).
Rupp, ZG 1992, S. 285 (288). BVerfGE 40, S. 296 ff. 3 Rupp a. a. O. 4 Eine der wenigen Stellungnahmen zu diesem Punkt deutet sich bei Peine, JZ 1985, S. 914 (921) an. Im Gegensatz zu Rupp a. a. O. meint er, daß bei Parlamentsentscheidungen in eigenen Angelegenheiten kein "potentieller Mißbrauch" zu vermuten sei. Eine Begründung für diese Annahme bringt er jedoch nicht. 1
2
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
29
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung Die Abgeordnetenentschädigung ist bis in unsere Zeit von einer komplexen Entwicklung geprägt, deren (vorläufigen) Schlußpunkt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 5 im sog. Diätenurteil markiert. Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes interessiert hierbei insbesondere die Entwicklung seit 1871. Erhielten die Abgeordneten damals noch keine Entschädigung6 , so erhalten die Abgeordneten heute eine Unterstützung des vollen Lebensunterhaltes für sich und ihre Familien 7 . Zur vollständigen Erschließung der geschichtlichen Entwicklung sollen aber auch kurz die Anfange des Diätenrechts skizziert werden 8 • Die Darstellung der verschiedenen geschichtlichen Etappen soll und kann sich dabei nicht in der Feststellung der jeweiligen Entschädigungshöhe erschöpfen. Vielmehr ist mitzuberücksichtigen, daß die Abgeordnetenentschädigung ein Symptom des zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen und -politischen Verständnisses der Stellung des Parlaments und der Abgeordneten ist9 . So erkannte das Bundesverfassungsgericht 10 1955, daß das Recht des Abgeordneten auf Entschädigung im Zusammenhang mit seinem Gesamtstatus zu betrachten sei. Gleichzeitig stellte das Gericht fest, daß eben dieser Status mit dem Wandel von der liberal-repräsentativen hin zur parteienstaatlichen Demokratie verbunden ist. Damit würde zugleich die Entschädigung, welche vormals rein die Unabhängigkeit und den repräsentativen Status des Abgeordneten sicherte, zu einem "Entgelt für die im Parlament geleisteten Dienste" 11. Somit ist die Abgeordnetenentschädigung in einem Spannungsfeld von Arbeitsbelastung und Repräsentativfunktion des Abgeordneten, Rolle des Parlaments im Staat und dem jeweiligen Demokratieverständnis zu sehen. Wo es zur Erhellung des jeweiligen Entschädigungsrechts nötig ist, wird hierauf einzugehen sein 12, 13. BVerfGE 40, S. 296 ff. Die Reichsverfassung von 1871 bestimmte in Art, 32, daß die Abgeordneten als solche keine Entschädigung oder Besoldung beziehen. Hierzu unten S. 40 ff. 7 BVerfGE 40, S. 296 (311). K Zur Vorgeschichte des Art. 48 vgl. u. a. Klein. MI D, Art. 48 Rn. I. 9 So auch v. Arnim. PariR, S. 525; ders., BK, Art. 48 Rn. 75; Pitamic. S. \0; Scheffler, S. 31 f. 10 BVerfGE 4, S. 144 (\50). Bestätigt durch BVerfGE 32, S. 157 (164). 11 BVerfGE4, S. 144(151). 12 Mit dem Wandel des verfassungsrechtlichen und -politischen Verständnisses ging auch die "Professionalisierung" der Abgeordnetentätigkeit einher. Diese .. Beruf-Werdung" der Tatigkeit hat nicht zuletzt zu einem Wandel der Höhe und des Verständnisses der Abgeordnetenentschädigung beigetragen. Zur historischen Entwicklung der Professionalisierung der Politik, vgl. Boldt. Die Stellung des Abgeordneten im historischen Wandel, in: Politik als Beruf?, Zur Sache 1179, S. 14 ff.; K. Burmeister, Die Professionalisierung der Politik am Beispiel des Berufspolitikers im parlamentarischen System der Bundesrepublik. 5
6
30
I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
I. Entwicklung bis 1871 Die Diskussion über eine Entschädigung für Abgeordnete ist fast so alt wie der Parlamentarismus l4 . Bereits im Athen des 4. Jhd. v. ehr. wurde über die Einführung von Tagegeldern für öffentlich Bedienstete und insbesondere für die Mitglieder der Volksversammlung heftig gestritten 15. Ob nun die Wurzeln 16 oder zumindest Ansätze 17 des Entschädigungsrechts für Abgeordnete nach heutigem Verständnis im alten Deutschen Reich des Mittelalters zu suchen sind, ist umstritten. Zwar erhielten die Delegierten der landständischen Versammlungen einen Kostenersatz l8 , teils vom Monarchen, teils von den von ihnen vertretenen Ständen l9 . Aber der Inhalt ihrer Tätigkeit und ihre Rechtsstellung eignet sich - wenn überhaupt - nur bedingt für die Entwicklung eines eigenen "Diätenrechts,,2o. So waren die Ständevertreter durch das ihnen erteilte imperative Mandat an ihren Stand gebunden und somit keine Repräsentanten des Volkes 21 . Gleichwohl zeigen sich in dieser geschichtlichen Etappe Sachverhalte, die auch heute in gewandelter Fonn in der Diskussion um das Entschädigungsrecht der Abgeordneten zur Sprache kommen, wie z. B. das Problem der Abkömmlichkeit 22 . Wurden die Delegierten weder verköstigt noch Ersatz für ihre Kosten übernommen, so reisten sie bald ab oder kamen erst gar nicht zu den Sitzungen. War die Kostenerstattung zu reichlich bemessen, so wurden die Sitzungen in die Länge gezogen, um weiterhin eine Erstattung zu erhalten. Lediglich England hatte mit dem "modus tenendi parliamentum" aus dem 14. Jahrhundert ein differenziertes Diätensystem23 .
13 Dieser Ansatz und die hierauf beruhende folgende Darstellung geht z.T. über das für eine Untersuchung des Festsetzungsverfahrens nötige Maß hinaus. Gleichwohl erscheint dies gerechtfertigt. Zum einen rundet es das Verständnis der Materie ab, zum anderen verdeutlicht es den Stellenwert, den die Abgeordnetenentschädigung genießt. Zur Relevanz des letzteren in bezug auf die Gestaltung des Festsetzungsverfahrens, vgl. auch noch unten S. 244 ff. 14 V gl. Immesberger, S. 94. 15 Vgl. Eschenburg, Sold, S. 6 ff., S. 15 ff. 16 V gl. Pitamic, S. 20 17 Vgl. Hospach, S. 30 ff., S. 35, S. 56. 18 Vgl. Hospach, S. 36, dort auch zu den weiteren Begriffen, wie z. B. Defrayirung, Auslösung, Zehrung, Emolument, Tagegeld, Diät. Zur Herkunft des Begriffs "Diät", vgl. ausführlich Horn, S. 34; Pitamic, S. 36 FN 16; Seebold, Etymologisches Wörterbuch, Diät, S. 178. 19 Hierzu Hospach, S. 36 ff., S. 50 ff.; Pitamic, S. I ff. 20 So Pitamic, S. I ff.; zweifelnd Hospach, S. 30 ff. m. w. N. 21 Vgl. Hospach, S. 31 ff. m. w. N., insbesondere zum Problem, inwieweit die Delegierten Repräsentanten i. S. d. äußerst streitigen Begriffs der Repräsentation waren. 22 Vgl. Eschenburg, Sold, a. a. 0.; aus dem neueren Schrifttum vgl. Wiese, AöR 101 (1976), S. 548 (550). 23 Vgl. Pitamic, S. 10 ff.; Prince, Factsheet No. 17, S. I; Scheffler, S. 4 ff.
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
31
1. Der Vonnärz
Die französische Revolution von 1789 und der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation 1806 machten eine Neuordnung des Staatssystems in Deutschland nötig. Ausgangspunkt für eine institutionelle Erneuerung bildete Art. 13 der Deutschen Bundesakte von 1815, der die Einführung landständischer Verfassungen vorsah 24 . Die ersten geschriebenen Verfassungen entstanden so 1815 in Süddeutschland 25 . Diese führten ein Repräsentativsystem mit zwei Kammern ein26 , welches zu einem "Übungsfeld einer ersten Generation deutscher Parlamentarier,,27 wurde28 . Die Mitgliedschaft in der ersten Kammer erwarb man kraft Erbrechts, Amtes oder landesherrlicher Ernennung 29 . Die Mitglieder der zweiten Kammer wurden durch indirekte Wahlen bestimmt, wobei an das aktive und passive Wahlrecht unterschiedlich hohe Anforderungen gestellt wurden 30. Beide Kammern zusammen repräsentierten das gesamte Volk gegenüber dem Monarchen 3!. Die Abgeordneten waren daher quasi 32 Volksvertreter 33 . Dieses unterstreicht auch die Einführung des freien, weisungsungebundenen Mandats im Gegensatz zum imperativen Mandat des alten Ständestaats 34 • 24 Vgl. Hospach. S. 57 ff.; Kühne. ParlR, S. 49 ff. Zur Kontroverse um Art. 13 Deutsche Bundesakte von 1815, vgl. Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 640 ff. 2S Vgl. Botzenhart. S. 21 ff.; Hospach. S. 57 f.; das Problem der "dynastischen Selbstbehauptung" der süddeutschen Monarchen, deretwegen zu "Repräsentativverfassungen" übergegangen wurde. heben hervor K. Burmeister, Professionalisierung. S. 16 und Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 317. 26 Vgl. Botzenhart. S. 22 f. Vgl. auch K. Burmeister, Professionalisierung, S. 16; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 317 und S. 341; Kühne. PariR. S. 49 f. und S. 54 .. 27 So Löwenberg. S. 26. 28 Aus diesem Grund beginnen regelmäßig Untersuchungen über die historische Entwicklung des Entschädigungsrechts der Abgeordneten erst in dieser Zeit. Vgl. insoweit auch die Darstellungen bei v. Arnim. BK, Art. 48 Rn. 54 ff.; Boldt. Politik als Beruf?, S. 14 (17); K. Burmeister, Professionalisierung, S. 16 ff. 29 Vgl. Botzenhart. S. 22; K. Burmeister, Professionalisierung. S. 16; Hospach. S. 63; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 341. 30 Vgl. Botzenhart. a. a. 0.; K. Burmeister, a. a. 0.; Hospach. a. a. 0.; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 344 ff. 31 Vgl. nur Boldt. Politik als Beruf?, S. 14 (18); ders., Staatslexikon III, S. 85 f.; Brandt. Repräsentation, S. 41 f.; Hospach. S. 62; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 341. 32 Als "echte" Volksvertreter nach unserem heutigen Verständnis könnten die Abgeordneten, welche aufgrund des Wahlrechts nur von einern Teil der Bevölkerung gewählt wurden, kaum geiten, auch wenn sie damals als solche erachtet wurden. Vgl. v. Rotteck- Welcker, Staatslexikon I, S. 103, S. 108; a.A. wohl Boldt. Politik als Beruf?, S. 14 (18). 33 Vgl. Nachweise aus FN 31. 34 Vgl. Botzenhart. S. 23; Brandt. Repräsentation, S. 44; K. Burmeister, Professionalisierung, S. 16 f.; Hospach. S. 60; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 317; Kühne. PariR, S. 73 f.; zur historischen Entwicklung des Prinzips des sog. "freien Mandats", vgl. Badura. BK,
32
I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
Das damalige Repräsentationsverständnis setzte für eine Repräsentation des Volkes begriffsnotwendig einen gleichwertigen Adressaten voraus, weIchen nur der Monarch verkörpern konnte 35 . In Kontinuität zur aItständischen Tradition hatte aber der Monarch das Monopol staatlicher Integration inne 36 . Durch die Wiener Schlußakte war in Art. 57 das "monarchische Prinzip" festgeschrieben 37 , weIches eine Dichotomie 38 von Volk und Monarch unter Wahrung eines von der Verfassung vorgegebenen Abstandes bis 1918 bewirken sollte 39 . Die Kompetenzen der kleinstaatlichen Pariamente 40 waren nur sehr begrenzt41 . Hinzu kam, daß die monarchischen Regierungen nur ein geringes Interesse zeigten, die Kammern einzuberufen, so daß Sitzungen lediglich alle drei Jahre stattfanden 42 • Begünstigt durch das Wahl system und das damalige Repräsentationsverständnis, zogen in die zweite Kammer vorwiegend Honoratioren und Beamte ein 43 . Begreift man die Abgeordnetenentschädigung als Symptom der jeweiligen Stellung des Parlaments und der Abgeordneten 44 , so stellt sich vor diesem geschichtlichen Hintergrund die Frage, weIche Entschädigung die Abgeordneten der vormärzlichen Parlamente erhielten 45 . Da die Arbeitsbelastung gering war und die Abgeordneten i.d.R. wohl auch finanziell abgesichert waren, verwundert es zunächst, daß überhaupt eine EntschädiArt. 38 Rn. 6 ff. Ebenso die eingehende Untersuchung von C. Müller, Das imperative und freie Mandat, der betont, daß auch in der heutigen Diskussion über den "Parteienstaat" das freie Mandat eine Voraussetzung einer führenden Versammlung ist; vgl. hierzu auch Schachtschneider, Res publica, S. 710 ff. 35 Vgl. v. Rotteck, Vernunftrecht 11, S. 236; v. Rotteck-Welcker, Staatslexikon IV, S. 98; vgl. aus heutiger Sicht die nicht unumstrittene Ansicht von Leibholz, Repräsentation, S. 40 ff. 36 Vgl. hierzu Brandt, Repräsentation, S. 39; Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 318 f. 37 Vgl. Böcken!örde, Gesetz, S. 72; Selmer, JuS 1968, S. 489 (490). Vgl. auch unten S. 89 ff. 38 So Hermes, S. 17. 39 So deutlich Löwenberg, S. 29. 40 Die Parlamente hatten weniger als hundert Abgeordnete, vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (18). 41 Die Machtlosigkeit der Kammern weist K. Burmeister, Professionalisierung, S. 19 m. w. N., insbesondere an hand der fehlenden Kompetenzen nach. 42 Vgl. Boldt, a. a. 0.; zum Recht der Einberufung der Kammern durch den Monarchen, vgl. Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 343. 43 Vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (19 f.); K. Burmeister, Professionalisierung, S. 17 f.; Hospach, S. 63, der den Begriff des Honoratioren durch den der "vermögenden Person" ersetzt. Zu den Problemen, die gerade die hohe Präsenz der Beamten mit sich brachte, vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (21 f.). 44 Vgl. oben S. 29 f. 45 Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Mitglieder der ersten Kammer regelmäßig - mit wenigen Ausnahmen - keine Entschädigung erhielten. Somit steHt sich die aufgeworfene Frage nur für die Mitglieder der zweiten Kammer, vgl. Hospach, S. 102.
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
33
gung gezahlt wurde. Überdies galt es eigentlich mit dem als Ehrenamt verstandenen Mandat als unvereinbar, daß die Abgeordneten eine Entschädigung oder gar ein Gehalt46 erhalten 47 . Gleichwohl wurde den Abgeordneten eine Entschädigung gewährt48 . Hierzu werden verschiedene Begründungen vertreten 49 . So wird in den Zahlungen zum Teil eine Absicherung des gerade eingeführten sog. freien Mandats und des Wahlrechts gesehen 5o . Desweiteren werden die Entschädigungszahlungen in Kontinuität zu den altständischen Tagegeldern verstanden, welche vor 1806 im Deutschen Reich gewährt wurden 51 . Kühne 52 meint darüber hinaus, in den Diätengewährungen ein korrumpierendes
Element entdecken zu können. Durch die Entschädigungszahlungen wären die Repräsentanten am "goldenen Zügel" gehalten worden. Nicht zuletzt wäre hierdurch eine Distanzierung zwischen Abgeordneten und Urwählern beabsichtigt gewesen 53 . Vermutlich dürfte jeder dieser Ansätze einen Beitrag zu einem entsprechenden ,,Motivbündel" geleistet haben, der die parlamentsunabhängigen monarchischen Regierungen, welchen die Gewährung von Diäten oblag, dazu veranlaßt hat, Entschädigungen zu zahlen. Allerdings ließe sich ein vermeintlicher Widerspruch zwischen unentgeltlichem Ehrenamt und dennoch gewährter Aufwandsentschädigung unter einem anderen Aspekt überwinden 54 . Maßgeblich hängt dies von der Definition der Unentgeltlich46 Vgl. die Untersuchung von Hospach, S. 99, S. 106, der feststellt, daß bereits vor 1848 und vor dem Hintergrund der Diskussionen in Belgien und Frankreich (\ 830 /31 bzw. 1848; vgl. unten S. 34) sowie in einigen deutschen Einzelstaaten eine Gehaltszahlung ausgeschlossen war, und somit - zumindest teilweise - das spätere Problem der Entschädigungs- oder gar Gehaltszahlung bekannt war. A.A. wohl v. Amim, BK, Art. 48 Rn. 55. 47 Vgl. Pitamic, S. 29, der einen (allerdings ungenannten; hierzu Horn, S. 16) Bezug zu den Vorstellungen des Freiherrn vom Stein herstellt. Demnach sollten Mitglieder eines Selbstverwaltungssystems unentgeltlich tätig werden. In der Auffassung der damaligen Zeit stellten die Kammern das höchste "Selbstverwaltungsgremium" dar, so daß auch hier Zahlungen ausgeschlossen sein sollten. Zu weiteren Gründen der Unentgeltlichkeit vgl. Pitamic, S. 28 ff., S. 40; ihm folgend Horn, S. 10. 48 Vgl. Hospach, S. 105, der in seiner Untersuchung der historischen Literatur (vgl. hierzu Hospach, S. 105 FN 434) sogar feststellt, daß Diätenzahlungen als selbstverständlich angesehen wurden. 49 Vgl. zum Ganzen Hospach, S. 98 ff. 50 So v. Amim, PariR, S. 526; Kühne, PariR, S. 74; Pitamic, S. 26, S. 29 f.; Scheffler, S. 91; zur Kritik an dieser Begründung, vgl. Hospach, S. 106. 51 So wohl Hospach, S. 108; ähnlich Pitamic, S. 24. 52 Kühne, PariR, S. 74; zur Kritik, vgl. Hospach, S. 108 f. 53 Hinsichtlich der Beamten in den Parlamenten verwandten die Regierungen allerdings auch andere "Disziplinierungsmittel", wie z. B. die Suspendierung vom Dienst, vgl. Klein, MID, Art. 48 Rn. 9. 54 Hiervon geht Hospach, S. S. I f., S. 108, aus und meint daher, dem Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 4, S. 145 (\49» Widersprüchlichkeit attestieren zu können, weIches in
3 v. Waldthausen
34
1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
keit ab. Wiese 55 stellt in seinen Ausführungen über das Abgeordnetenamt den Begriff der Unentgeltlichkeit dem der Besoldung gegenüber. Eine rein den Aufwand abdeckende Entschädigung würde demnach nicht den Begriff der Besoldung erfüllen. Ohne einen Widerspruch zu provozieren, ließe sich so von einer Unentgeltlichkeit der Abgeordnetentätigkeit sprechen. Vor diesem Hintergrund wäre die Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts56 richtig, wenn es von einer Unentgeltlichkeit der Abgeordnetentätigkeit in diesem Zeitraum ausgeht. Die Entschädigung, welche den Abgeordneten der vormärzlichen Parlamente gewährt wurden, lassen sich im wesentlichen durch folgende Punkte charakterisieren 57 : 1. Die Entschädigung deckte den vollen Lebensunterhalt des Abgeordneten am Tagungsort. Diese stellte also kein "Gehalt" dar und umfaßte auch nicht den Lebensunterhalt der Familie des Abgeordneten. 2. Das Geld wurde nur ausbezahlt, wenn der Abgeordnete auch tatsächlich an den Sitzungen teilgenommen hatte. 3. Ein Verzicht war möglich 58 . 4. Träger der Kosten waren - in Abkehr zu den reinen Ständevertretungen vor 1806, als die Stände selbst ihre Vertreter unterstützen mußten - die Staatskassen 59 • 2. Die belgische und französische Lösung Ein kurzer Blick auf die Diskussionen über die Abgeordnetenentschädigung in Belgien (1830) und Frankreich (1848) soll die dortige Entwicklung würdigen. Die in jenen Ländern ausgelösten und geführten Erörterungen kennzeichnen eine neue seinen Entscheidungen von eben einer unentgeltlichen, ehrenamtlichen Abgeordnetentätigkeit ausging. Allerdings ist in dem O.g. Urteil nicht eindeutig feststellbar, ob sich die Ausführungen des Gerichts (,,Im Reich erhielt sich diese Auffassung bis zum Jahre 1906.") nur auf die entschädigungslose Zeit im Deutschen Reich zwischen 1871 und 1906 beziehen oder auch die Zeit vorher erfassen. 55 Wiese, AöR 101 (1976), S. 548 (549 f.). 56 BVerfGE 4, S. 145 (149). Da es Hospach, a. a. O. versäumt, die Unentgeltlichkeit zu definieren, muß seine These, daß die Tätigkeit der (Honoratioren-) Parlamentarier entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtss doch entgeltlich war, hier erheblichen Zweifeln begegnen (vgl. Hospach, S. 108 f.). 57 In Anlehnung an die Einteilung bei Hatschek, S. 605. Ihm folgend v. Arnim, BK, Art. 48, Rn. 54. Zu einzelstaatlichen Abweichungen, vgl. die Untersuchung von Hospach, S. 64 ff., mit einer entsprechenden Tabel1e auf S. 93 ff. 58 Ob darüber hinaus eine Antragstel1ung - wie dies einige Länder vorsahen - generel1 zwingend erforderlich war (so Hatschek. S. 605), wird von Hospach, S. 101, bezweifelt. 59 Zu den einzelstaatlichen Ausnahmen, vgl. Hospach, S. 103. Dieser Bruch zum alten Ständesystem ist wohl im Zusammenhang mit der Einführung des sog. ,,freien Mandats" - und der damit verbundenen Abschaffung des imperativen Mandats - zu sehen, vgl. Hospach, S. 110.
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
35
Entwicklungsstufe, die auch in Deutschland fortwirkte 60 . In beiden Staaten stand fest, daß den Abgeordneten eine Entschädigung zu gewähren sei, um nicht die allgemeine Wählbarkeit zur Makulatur werden zu lassen 61 • Die zunächst in Belgien geführte Diskussion betraf vor allem die Frage, ob staatliche Zahlungen eine "indemnite" oder ein "traitment" sein sollten62 . Dabei meinte "traitment" die Unterstützung des Lebensunterhalts des Abgeordneten und seiner Familie. Diese Unterstützung sollte es dem Parlamentarier ermöglichen, trotz (teilweiser) Aufgabe seines Berufes, sich der Parlamentsarbeit voll zu widmen. Eingeführt wurde letztlich aber eine "indemnite", also lediglich ein Ersatz für den durch die Parlamentsarbeit entstandenen Mehraufwand. Hierdurch sollte der seinerzeit befürchteten Schaffung eines "unehrenhaften Berufsparlaments" entgegengewirkt werden 63. Für die "indemnite" soll nach Hatschek 64 , in Abweichung zum süddeutschen Konstitutionalismus, besonders charakteristisch sein, daß sie nicht den vollen Lebensunterhalt des Abgeordneten am Tagungsort, sondern - weniger - lediglich den entstandenen Mehraufwand abdeckte. In Frankreich entschied man sich zwar begrifflich ebenfalls für eine "indemnite", inhaltlich wurde die Entschädigung jedoch als "Besoldung" ausgestaltet 65 . 3. Die Paulskirche In den Jahren 1848/49 trat die Frankfurter Nationalversammlung zusammen, um eine neue Bundesverfassung auszuarbeiten66 • Die Versammlung steht, was ihre Zusammensetzung aus Beamten und Honoratioren angeht, in Kontinuität zu den vormärz lichen Parlamenten 67 . Ihnen war es möglich, für die Politik zu leben, ohne von ihr leben zu müssen 68 . Allerdings wich die Größe der Versammlung erheblich von den kleinstaatlichen Parlamenten im Vormärz ab69 . Dieses erforderte erstmals Vgl. v. Arnim. BK, Art. 48 Rn. 55 f.; Hatschek. S. 606; Eschenburg. Sold, S. 42 f. Vgl. v. Arnim. a. a. 0.; Hatschek, a. a. O. mit entsprechenden Zitaten aus den Diskussionen, aus denen deutlich wird. daß das Problem der Abkömmlichkeit von dem den Lebensunterhalt sichernden Beruf im Mittelpunkt stand. V gl. auch Eschenburg. Sold, S. 5 ff., der diesen Gedanken zuerst bei Hesiod im 7. Jhd. v. ehr. ausmacht. Ebenso Weber, Politik als Beruf, S. 16. 62 Vgl. v. Arnim. a. a. 0.; Hatschek, a. a. O. 63 Hatschek. S. 606 f. 64 Hatschek. a. a. O. 6S Vgl. v. Arnim. BK, Art. 48, Rn. 57; Hatschek. S. 608. 66 Ausführlich hierzu Huber, Verfassungs geschichte 11, S. 587 ff. Zur Bedeutung der Revolution von 1848/49 für die heutige Zeit vgl. Kühne. NJW 1998. S. 1513 ff. 67 V gl. K. Burmeister, Professionalisierung, S. 20; Hospach. S. 113. M So Weber, Politik als Beruf, S. 15 f.; ähnlich Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 609, der feststellt. daß für viele Abgeordnete Politik eine Art Nebentätigkeit und keine Grundlage geistiger oder sozialer Existenz war. 60 61
3'
36
1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
in Deutschland eine parlamentarische Großorganisation mit Fraktionsbildung und Straffung der Parlamentsdebatten 70. Die Beschlüsse der Nationalversammlung sahen unter anderem die Einführung eines allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts vor. Dem Monarchen wurde (nur) noch ein suspensives Veto bei der Gesetzgebung zugestanden, während das Parlament eine deutlich stärkere Rolle im Staat übernahm. 7!. Die Frage der Abgeordnetenentschädigung spielte bei den Beratungen eine untergeordnete Rollen. In Art. 95 Paulskirchenverfassung wurde bestimmt, daß die Abgeordneten ein "gleichmäßiges Tagegeld und Entschädigung ihrer Reisekosten"73 erhalten. Das Nähere sollte ein Reichsgesetz bestimmen 74. Dieser Regelung ging eine vergleichbare Diskussion voraus, wie sie zuvor in Belgien stattgefunden hatte. Einigkeit bestand auch hier darüber, trotz des Ehrenamtcharakters des Mandats und der Zusammensetzung als Honoratiorenparlament, Diäten zu gewähren 75 . Wahrend die Radikalen in der Nationalversammlung dafür eintraten, den Abgeordneten ein Gehalt zu gewähren, um so das allgemeine Wahlrecht zu gewährleisten, insbesondere die allgemeine Wählbarkeit 76, setzte sich jedoch mehrheitlich die Auffassung durch, daß es genüge, den Parlamentariern ein Tagegeld zu gewähren 77 . Die Höhe des Tagessatzes bestimmte sich nach dem Tagegeld, welches der großzügigste Staat gewährte 78 . Im übrigen stand die Entschädigungsregelung der Paulskirchenverfassung in Kontinuität zu den Entschädigungen, die den Abgeordneten der Vormärz-Parlamente gewährt worden waren79 .
69
587.
So beziffert Huber, Verfassungsgeschichte 11, S. 607, die Zahl der Abgeordneten auf
70 Vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (22 f.); Botzenlwrt, S. 416 f.; K. Burmeister, Professionalisierung, S. 19 f. 7\ Zu den Streitigkeiten in diesem Punkt in der Nationalversammlung, vgl. Hospach, S. 114 f., S. 116 f. 72 Vgl. K. Burmeister, Professionalisierung, S. 20; Scheffler, S. 92; zur Frage der Entschädigung der Mitglieder der Nationalversammlung selbst, vgl. Hospach, S. 118. 73 Zum Begriff der Gleichmäßigkeit, vgl. Hospach, S. 122. 74 Zur inhaltlichen Ausgestaltung vgl. Hospach, S. 120. 75 Vgl. Hospach, S. 127. 76 Vgl. Eschenburg, Sold, S. 52. 77 Vgl. K. Burmeister, Professionalisierung, S. 20, mit dem Hinweis, daß es den gutsituierten Abgeordneten der Nationalversammlung auch nicht auf eine volle Unterstützung des Lebensunterhaltes ankommen mußte; vgl. auch Eschenburg, Sold, a. a. O. 78 Dies war Nassau, vgl. Hospach, S. 126. 79 Hier überzeugt die Studie von Hospach, S. 126, daß der Begriff - und die dementsprechende inhaltliche Änderungen in der Ausgestaltung der Abgeordnetenentschädigung - der "außerordentlichen Aufwandsentschädigung" erst ab 1848 auftrat. Insofern gegen K. Burmeister, Professionalisierung, S. 20; Eschenburg, Sold, S. 52; Hatschek, S. 606 f.; jeweils ohne Nachweise flir die Zeit der Paulskirchen-Versammlung.
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
37
4. Preußen Exemplarisch für die Zeit nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung steht die Verfassung Preußens von 18508
°.
Die Verfassung sah ein Zwei-Kammer-System vor. Die erste Kammer wurde durch königliche Ernennung aus Vertretern der Oberschicht besetzt 81 . Die zweite Kammer ging nunmehr aus allgemeinen, indirekten, öffentlichen, aber durch das Dreiklassenwahlrecht ungleichen Wahlen hervor82 . Nicht zuletzt aufgrund dieses Wahlrechts setzte sich die zweite Kammer vorwiegend aus wohlhabenden Persönlichkeiten zusammen 83 . Der Einfluß des Parlaments auf den Staat war begrenzt. Allerdings stand den Kammern in dieser neuen Phase des Konstitutionalismus das Recht zur Gesetzesinitiative ZU 84 • Als wirksamstes Druckmittel bestand die Mitwirkungspflicht beim Budget85 . Im übrigen herrschte noch immer das alte Repräsentationsverständnis, wonach beide Kammern zusammen das Volk gegenüber einem - verfassungrechtlich abgesicherten - souveränen und fast die gesamte Macht innehabenden Monarchen vertraten 86 . An dem freien, weisungs ungebundenen Mandat wurde festgehalten 87 . Ob die Sicherung des freien Mandats der einzige Beweggrund für die Gewährung einer Abgeordnetenentschädigung88 war, erscheint zweifelhaft 89 . Wie die Diskussionen über eine Abschaffung der Entschädigung zeigen, ging es vielmehr um die Frage, wie die Zusammensetzung des Parlaments gesteuert werden könnte 90 . Die geringe Höhe der durch Art. 85 pr.Verf. garantierten ,,Diäten" macht 80 Zur Einführung im Hinblick auf die hier behandelte Problematik, vgl. Hospach, S. 129 ff. Für eine ausführliche verfassungs geschichtliche Darstellung, vgl. Huber. Verfassungsgeschichte III, S. 54 ff. 81 Vgl. Art. 65 pr. Verf. Vgl. auch K. Burmeister. Professionalisierung, S. 22; Hospach, S. 148 f.; Huber. Verfassungsgeschichte III, S. 83. 82 Zum Wahlrecht insgesamt, vgl. Huber. Verfassungsgeschichte III, S. 85. Von der Direktheit der Wahl geht irrigerweise K. Burmeister. Professionalisierung, S. 22, aus. 83 Vgl. K. Burmeister. Professionalisierung, S. 23; Hospach, S. 137; Huber. Verfassungsgeschichte III, S. 92 ff. 84 Vgl. Art. 64 pr. Verf. Vgl. auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 36, S. 40 ff. 85 Vgl. K. Burmeister. Professionalisierung, S. 22. 86 Vgl. Huber; Verfassungsgeschichte II1, S. 96; Löwenberg, S. 26. Zum monarchischen Prinzip, vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 42 ff. 87 V gl. Art. 83 pr. Verf. : Die Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie stimmen nach ihrer freien Überzeugung und sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. Vgl. auch Huber. a. a. O. 88 Vgl. Art. 85 pr. Verf.: Die Mitglieder der zweiten Kammer erhalten aus der Staatskasse Reisekosten und Diäten nach Maßgabe des Gesetzes. Ein Verzicht hierauf ist unstatthaft. 89 So aber Huber. Verfassungsgeschichte III, S. 97; Kühne, PariR, S. 74. 90 Einzelheiten bei Hospach, S. 138 m. w. N.; Scheffler, S. 92.
38
1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
deutlich, daß es sich bei der nunmehr gezahlten Entschädigung lediglich um eine "außerordentliche Aufwandsentschädigung" handelte, welche nur den durch die Abgeordnetentätigkeit entstandenen Mehraufwand abgelten wollte 91 . Ein Antrag der ersten Kammern, die so ausgestaltete Entschädigung nach dem Wohnort der Abgeordneten zu differenzieren 93 , wurde mit dem Argument abgelehnt, dieses verletze unter anderem die Gleichstellung der Abgeordneten untereinander 94 . Als ganz neues Element übernahm die Preußische Verfassung von 1850 die Unverzichtbarkeit des Entschädigungsanspruches, nach dem Vorbild der französischen Verfassung. Es sollte so sichergestellt sein, daß die Diäten kein Wahlkampfthema werden 95 . Die Charakteristika des Entschädigungsanspruches waren demzufolge: I. Die Entschädigung war als reine "außerordentliche Aufwandsentschädigung" von geringer Höhe ausgestaltet. Sie stellte im Gegensatz zu den Regelungen im Vormärz keine Unterstützung des vollen Lebensunterhalts des Abgeordneten am Tagungsort dar. 2. Ein Verzicht war unzulässig. 3. Um anspruchsberechtigt zu sein, reichte die Eintragung in eine Liste. Der Abgeordnete mußte nicht, wie im Vormärz, tatsächlich bei den Sitzungen anwesend sein96 . 4. Die Staatskasse übernahm nicht, wie noch im Vormärz, die Kosten 97 .
11. Entwicklung im Deutschen Reich Die Reichsgründung 1871 war nicht nur der Grundstein für eine gesamtdeutsche Nation. Sie markiert auch den Ausgangspunkt für eine auf nationaler Ebene be91 Zum Begriff der "außerordentlichen Aufwandsentschädigung", vgl. auch Hatschek, S. 607; Hospach, S. 127, S. 151 f. 92 Nachweise bei Hospach, S. 143; Scheffler, S. 92. 93 Die am Tagungsort wohnenden Parlamentarier sollten keine Entschädigung erhalten. 94 V gl. Hospach, a. a. 0.; Scheffler, a. a. O. Vgl. auch die bemerkenswerte Parallele in BVerfGE 40, S. 296 ff. 2. Leitsatz, wonach sich eine Differenzierung der Abgeordnetenentschädigung der Höhe nach aufgrund eines streng fonnal zu verstehenden Gleichheitssatzes verbiete. 95 Vgl. Hospach, S. 151; Pitamic, S. 50. Ob diese Neuerung einen wesentlichen Unterschied zu den Regelungen im Vonnärz ausmacht, wie dies Hatschek, S. 607, meint, erscheint allerdings aufgrund der erforderlichen Antragstellung zur Geltendmachung des Anspruches zweifelhaft. V gl. insoweit Hospach, a. a. O. Immerhin hat ein bis heute geltendes Institut so Eingang ins Parlamentsrecht gefunden. Für die Zeit der Weimarer Republik vgl. Horn, S. 88 ff. 96 Vgl. Hospach, S. 151; Hatschek, S. 607. 97 Vgl. Hospach, S. 138. Vielmehr mußten die Stände in einem Umlageverfahren die Kosten tragen.
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
39
stehende Repräsentativversammlung 98 . Viele Strukturen, Entscheidungen und Erscheinungen aus dieser Zeit wirkten nicht nur stark in die Weimarer Republik hinein 99 , sondern zeitigen auch heute noch ihre Wirkung!oo. 1. Der Reichstag
Der Reichstag ging aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen hervor (v gl. Art. 20 RV). Geprägt durch das überkommene Repräsentationsverständnis vom "Gegenüber" von Monarch und Parlament, war seine Macht nur sehr begrenzt 101 . Da der Reichstag nicht in der Verantwortung stand, waren seine Debatten nicht sonderlich fruchtbar und setzten ihn daher dem Vorwurf aus, eine "Schwatzbude" zu sein lO2 • Gleichwohl nahm seine Arbeitsbelastung durch das Ansteigen der öffentlichen Ausgaben und dem damit gestiegenen Bedarf an gesetzlichen Regelungen zu 103. Im übrigen setzte sich die Entwicklung der Fraktionenbildung, die mit der Paulskirchen-Versammlung begonnen hatte, fort. War der Reichstag zu Beginn noch eine Honoratiorenversammlungl(>4, so gliederte er sich um 1910 in straff disziplinierte (Partei-) Fraktionen lO5 • Überhaupt hatten sich in dieser Zeit die Parteien stark entwickelt. Waren sie im Vormärz bloße Wahl-Hilfsvereine 106 , so entwickelten sie sich im Kaiserreich zu durchorganisierten Vereinigungen, die bald eine eigenständige Macht im Staate darstellten 107.
Vgl. Löwenberg, S. 32. Vgl. Molt, S. 13 f. 100 Vgl. Löwenberg, S. 32, insbesondere zur Frage der Abgeordnetenentschädigung siehe ders., S. 76 f. Vgl. auch Molt, S. 13 ff. und S. 29. Zu den Defiziten gegenüber unserem heutigen Verständnis von Parlamentarismus, vgl. Kühne, PariR, S. 56. 101 Vgl. Molt, S. 28: ,,Der Reichstag macht Gesetze, aber keine Politik.". Hierzu konnte es kommen, da der Reichtstag keine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Regierung hatte. Allerdings stand ihm, wie auch schon durch die Preußische Verfassung von 1850 normiert, ein Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung zu, vgl. Art. 5 RV. Gleichwohl gelang es dem Reichstag, seine Position im Laufe der Zeit de facto auszuweiten, vgl. Molt, S. 34 102 Löwenberg, S. 453. 103 Vgl. K. Burmeister; Professionalisierung, S. 32. 104 Vgl. Ullrich, S. 33. lOS Vgl. Molt, S. 33. 106 Zu den Anfangen im Vormärz, vgl. Botzenhart, S. 315 ff. und S. 324 ff. Insgesamt zur Parteiengeschichte, vgl. Kaack, Parteiensystem. 107 Vgl. K. Burmeister; Professionalisierung, S. 24. 98 99
40
I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
2. Die Stellung der Abgeordneten Durch die erhöhte Arbeitsbelastung des Reichstags kam es auch zu einer allmählichen Professionalisierung der Abgeordneten 108 . Obwohl in Art. 29 RV die Unabhängigkeit der Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes verbürgt war, traten einzelne Persönlichkeiten immer mehr in den Hintergrund. Vielmehr wurde der Abgeordnete mehr und mehr zum Exponent seiner Partei 109. Begünstigt wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch die Entschädigungslosigkeit der Abgeordneten, auf die im folgenden Abschnitt eingegangen wird 110. So wurden Abgeordnete, weIche wenig begütert waren und daher eigentlich nicht von ihrer Erwerbstätigkeit abkömmlich waren, z. B. durch die Beschäftigung in den Parteiapparaten unterstützt 11 I. 3. Die Abgeordnetenentschädigung a) Vor
1906
Zunächst bestimmte Art. 32 RVein Gehalts- und Entschädigungsverbot für Abgeordnete: Art. 32 RV: Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen.
Dieses Verbot bezog sich eigentlich auch auf den Empfang von Geldleistungen aus privater Hand, soweit diese mit dem Abgeordnetenmandat in Beziehung standen ll2 . Allerdings gab es viele Möglichkeiten der Umgehung ll3 . Für die Gegner einer Abgeordnetenentschädigung gab es verschiedene Gründe, um deren Einführung zu verhindern. Zum einen sollte ein "unehrenhaftes Berufs-
108 Gemeint ist damit eine Entwicklung von der "Bürokratisierung der Abgeordnetenposition" hin zum Berufspolitiker, vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (24, 26); ihm folgend K. Burmeister, Professionalisierung, S. 23; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 891. 109 Vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (28); K. Burmeister, Professionalisierung, S. 24; Grimm, PariR, S. 203; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 890. Differenzierend in bezug auf das Verhältnis zu den Fraktionen zur Bismark-Zeit Ullrich S. 49 ff. 110 Hierzu unten S. 40 ff. III SO bei den Sozialdemokraten, vgl. K. Burmeister, Professionalisierung, S. 27; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 893 f.; Molt, S. 46. Am Beispiel Eberts verdeutlicht Eschenburg, Sold, S. 59, die Problematik. 112 Vgl. Eschenburg, Sold, S. 57; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 894; Molt, S. 45. Zu den "Diätenprozessen", welche gegen Abgeordnete erfolgreich angestrengt wurden, vgl. Hospach, S. 225 ff. Danach mußten die Parlamentarier die empfangenen "Parteidiäten" an den Fiskus zahlen. 113 Vgl. Huber, a. a. O.
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
41
parlament" mit endlos langen Sessionen verhindert werden. Außerdem versprach man sich durch die Entschädigungslosigkeit eine Korrektivwirkung zum allgemeinen Wahlrecht, um so die Zusammensetzung des Parlaments in die gewünschte konservative Richtung zu beeinflussen" 4 • Das erste Argument stand dabei voll in der Tradition des damaligen Denkens, wenngleich bereits im Vormärz auch reine "Honoratiorenparlamentarier" Tagegelder empfangen haben, ohne daß dies als anstößig empfunden wurde. Trotzdem dürfte vor allem das zweite Argument das ausschlaggebendere gewesen sein 115. Das Verbot jeglicher Entschädigung zeitigte mehrere Konsequenzen. Eine davon war die oben erwähnte Parteienbildung und die damit einsetzende Abhängigkeit der Abgeordneten von ihren jeweiligen Apparaten" 6 . Desgleichen litt die Funktionsfähigkeit des Reichstags. Aufgrund der Entschädigungslosigkeit kamen immer weniger Abgeordnete zu den Sitzungen, die dann immer mehr Arbeit zu erledigen hatten. Die Beschlußunfähigkeit des Reichstags war nicht selten die Folge ll7 .
b) Nach 1906
Nach mehreren vergeblichen Anläufen des Reichstags stimmte der Bundesrat, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der häufiger werdenden Beschlußunfähigkeit des Reichstags, einer erneuten Initiative zur Änderung des Art. 32 RV im Jahr 1906 zu 118. Der neugefaßte Artikel lautete: Art. 32 RV: IDie Mitglieder des Reichstags dürfen als soIche keine Besoldung beziehen. 2Sie erhalten eine Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes.
Aufgrund dieses Gesetzes wurde den Abgeordneten eine jährliche, pauschale, lediglich den Aufwand deckende Entschädigung gewährt, die überdies zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlicher Höhe fällig wurde 119. Diese nach 114 Vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 58; K. Burmeister, Professionalisierung, S. 29; Hospach, S. 179 ff.; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 893; Pitamic, S. 28 f. 115 So auch K. Burmeister, Professionalisierung. S. 29; Ullrich, S. 36 f. 116 Insoweit kam es zu einer verdeckten Entschädigung der Abgeordneten, vgl. Klein, M / D. Art. 48 Rn. 5. 117 V gl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 58; K. Burmeister, Professionalisierung, S. 30 f. 118 Zu den Gründen um die Einführung, vgl. die Sitzungsprotokolle des Reichstags, XI. Wahlperiode 2. Session, Band 4, S. 2701 ff. Zur amtlichen Begründung, vgl. den hierzu gehörigen Anlagenband 5, Reichstagsdrucksache Nr. 353, 354, S. 3845 ff. Vgl. ferner v. Arnim, a. a. 0.; K. Burmeister, a. a. 0.; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 894 f. Zu den Argumenten in der Diskussion um die Einführung einer Entschädigungsregelung vgl. Pitamic, S. 28 ff.• weIche heute, z.T. genau entgegengesetzt, in den Diskussionen um die Erhöhung der Entschädigung verwandt werden. 119 Zum Gesetzentwurf, vgl. den Nachweis in FN 118. Vgl. auch K. Burmeister, Professionalisierung, S. 31 f.; Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 895; Pitamic, S. 45 f. Scheffler, S. 146 f.
42
1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
Höhe und Fälligkeit differenzierende Regelung diente dazu, die Sitzungszeiten möglichst kurz zu halten 120. Das Besondere an dieser Regelung zu den vorherigen war, daß nicht die Anwesenheit zum Bezug der Entschädigung berechtigte, sondern umgekehrt, die Abwesenheit zu einem Abzug führte l21 • Zwar war die Höhe des Abzuges so bemessen, daß theoretisch die Entschädigung bei permanenter Abwesenheit verfiel, doch setzte dies voraus, daß das Parlament 150mal im Jahr tagte. Tatsächlich tagte der Reichstag nur wenig mehr als die Hälfte so häufig, so daß den Parlamentariern praktisch mindestens die Hälfte der Aufwandsentschädigung blieb 122 . Im übrigen war der Anspruch unverzichtbar, steuerfrei und wurde von der Staatskasse getragen 123.
111. Entwicklung in der Weimarer Republik 1. Der staatliche Wandel
Der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik ist von einem tiefgreifenden Umbruch in den verfassungsrechtlichen Strukturen gekennzeichnet. Aus seiner bisherigen Machtlosigkeit rückte der Reichstag als Vertreter des nunmehr souveränen Reichsvolkes an die oberste Stelle der Reichsorgane l24 . War der Reichstag im Kaiserreich "Gegenspieler" der monarchischen Regierung, ohne Einwirkungsmöglichkeit auf dieselbe, und bestand lediglich ein Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung, so hatte sich dies nun völlig gewandelt. Die Weimarer Reichsverfassung hatte sich für ein parlamentarisches Regierungssystem mit einem starken, vom Volk gewählten Reichspräsidenten als Ersatzrnonarchen entschieden 125 . Allerdings verharrten die Abgeordneten in ihrem alten Vorstellungsbild, sie seien noch immer "Gegenspieler" der Regierung. Diese auch von den Abgeordneten der Parlamentsmehrheit vertretene Auffassung, verhinderte die notwendige, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament l26 . Gleichzeitig Vgl. K. Burmeister; a. a. 0.; Scheffler; a. a. 0.; Eschenburg, Sold, S. 58. Die Abwesenheit galt entweder durch Nichteintragung in eine Liste oder durch Nichtteilnahme an einer namentlichen Abstimmung als bewiesen. Vgl. Hatschek, S. 618. 122 Vgl. Hatschek, S. 614 f.; Pitamic, S. 48 f. 123 Zu Fragen der Porto- und Reisekostenfreiheit, vgl. Hatschek, a. a. O. 124 Vgl. nur K. Burmeister; Professionalisierung, S. 34. 125 Vgl. v. Beyme, ParIR, S. 104 f.; K. Burmeister; Professionalisierung, S. 34; Löwenberg, S.42. 126 Vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (29); Löwenberg, S. 42 f., insbesondere S. 48, zum Problem, daß der Reichstag nicht in der Lage war, genügend Exekutivpersonal zur Verfügung zu stellen. Ein Grund mag die mangelnde Attraktivität der Reichstagsarbeit im Kaiserreich gewesen sein, so daß der Reichstag nunmehr - aufgrund personelIer Kontinuität (hierzu 120 121
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
43
nutzten die Parteien den verschärften Konflikt zum Ausbau ihrer Parteiorganisation, statt die Chance zu einer Parteienregierung zu ergreifen 127. Dies sowie die Einfühung des Verhältniswahlrechts bedingte, daß der "Honoratiorenabgeordnete" dem durch die Parteiorganisation hervorgebrachten "Berufspolititker" weichen mußte 128. Der so ins Parlament gelangte Abgeordnete stand in einer von straffer Disziplin geprägten Abhängigkeit zu seiner Partei 129. Hieran konnte auch nicht das um die "Gewissensbindung" erweiterte, verfassungsrechtlich durch Art. 21 WRV abgesicherte, freie Mandat etwas ändem l3 o. Dementsprechend wurde das freie Mandat auch schon zum Teil als "fossiles Requisit aus der verfassungsrechtlichen Steinzeit" angesehen 131.
2. Die Abgeordnetenentschädigung Bezüglich der Abgeordnetenentschädigung bestimmte Art. 40 WRV: Die Mitglieder des Reichstags erhalten das Recht zur freien Fahrt auf allen deutschen Eisenbahnen sowie Entschädigung nach Maßgabe eines Reichsgesetzes.
Diese Regelung knüpfte an die Regelung des Art. 32 RVan und ging ohne weitere Diskussionen unter Wegfall des Besoldungsverbots in die Weimarer Reichsverfassung ein 132 . Daher wurde die Entschädigung in der Folgezeit auch inhaltlich als monatliche, pauschal gleichbleibende Aufwandsentschädigung ausgestaltet 133. Wie auch schon zuvor trug die Staatskasse die Kosten. Der Anspruch war unverMolt, S. 357) - nicht in der Lage war, entsprechend qualifiziertes Personal hervorzubringen. Vg\. hierzu auch K. Burmeister; Professionalisierung, S. 34 f. Fraenkel, FG Herzfeld, S. 163 (177), formuliert dies drastisch als "politische Impotenz". 127 Vg\. Löwenberg, S. 43; Molt, S. 368. 128 Vg\. K. Burmeister; Professionalisierung, S. 35; Huber; Verfassungsgeschichte IV, S. 365 f.; Molt, S. 367. Vg\. auch Art. 38 WRV, der vom "Abgeordnetenberur' spricht. 129 Vg\. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (29); K. Burmeister; Professionalisierung, S. 34; Huber; Verfassungsgeschichte VI, S. 365; Löwenberg, S. 43. 130 Vg\. v. Beyme, PariR, S. 104; Huber; a. a. O. Das freie Mandat wurde auch und gerade als rechtliche Freiheit des Abgeordneten gegenüber seiner Partei verstanden. Folgte er gleichwohl dem "Fraktionszwang", so war dies eine "Konventionalregel" aber keine rechtliche, vg\. Anschütz, WRV, Art. 21 Anm. 2 f. Für die Erhaltung des ,Jreien Mandats" auch unter diesen Vorzeichen, vg\. Tatarin-Tarnheyden, HDtStR I, S. 417 f. Zur Entstehungsgeschichte vg\. Heyen, Der Staat 15 (1986), S. 35 (42 ff.), der die Einführung der Gewissensklausel mit dem Abgeordneteneid in Verbindung bringt. 131 So Morstein-Marx, AöR 11 (1926), S. 430 (439). Vg\. auch Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (31).
Vg\. Hospach, S. 248 m. w. N. zu den entsprechenden Protokollen. Vg\. Hospach, a. a. O. In der Weimarer Zeit wurde zwischen 1923 und 1930 die Abgeordnetenentschädigung prozentual an die Ministergehälter gekoppelt. Diese Regelung wurde jedoch wieder fallengelassen, vg\. Gesetz vom 30. 6. 1923, RGB\. 11, S. 322, Gesetz vom 15. 12. 1930, RGB\. 11, S. 1275. Vg\. hierzu Tatarin-Tarnheyden, HDtStR I, S. 434. 132 133
1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
44
zichtbar, steuerfrei und nicht pfändbar 134 . Auch wurde bei unentschuldigtem Fernbleiben von den Sitzungen ein entsprechender Abzug von der monatlichen Pauschale vorgenommen. Bemerkenswert erscheint jedoch, daß sich das Verständnis einer staatlichen Entschädigung der Abgeordneten geändert hatte. War diese noch im Deutschen Reich höchst umstritten und wurde u. a. mit der Begründung abgelehnt, eine Entschädigung vertrage sich nicht mit dem Ehrenamtscharakter des Mandats 135, so war sie in der Weimarer Republik, trotz unverändertem Festhalten am Mandatscharakter 136 , zu einer "unerläßlichen Voraussetzung einer wirksamen parlamentarischen Tätigkeit,,137 geworden. Insbesondere wurde die Sicherung des passiven Wahlrechts als Grund für die Gewährung einer Entschädigung anerkannt 138 . Eine (finanzielle) Absicherung des Abgeordneten zur Wahrung seiner Unabhängigkeit und damit des "freien Mandats" wurde, anders als heute 139, damals in der Entschädigung nicht gesehen. Dieses mag nicht zuletzt deshalb der Fall gewesen sein, weil die Entschädigung eben nur als Aufwandsentschädigung ausgestaltet war. Gleichwohl war umstritten, welchen Charakter die Entschädigung hatte. So wurde entweder vertreten, sie sei nur eine "vorveranschlagte, pauschalierte Aufwandsentschädigung" 140, oder aber eine "öffentlich-rechtliche Alimentation", ohne Gehalt oder Entgelt zu sein 141 . Aber es wurde auch schon zum Teil geäußert, daß es sich angesichts der Höhe der Entschädigung bereits um ein "Gehalt" handele 142. Aus heutiger Sicht erscheinen vor allem zwei Punkte als wesentlich. Auch wenn die aufgrund des Art. 40 WRV gewährte Entschädigung einen teilweisen Einkommensverlust wegen Nichtausübung des Berufs darstellte und somit zu einem sehr geringen Teil "gehaltsähnlich" wurde, so deckte doch der weit überragende Teil den tatsächlich entstandenen Mehraufwand des Abgeordneten Vgl. hierzu Horn, S. 88 ff. Vgl. Horn, S. 16. 136 Zum Ehrenamtscharakter des Mandats in der Weimarer Repubklik, vgl. Anschütz, WRV, Art. 40 Anm. 2. Vgl. aber auch Art. 38 WRV, der vom ,,Abgeordnetenberuj" spricht. 137 Vgl. Horn, S. 18; Tatarin-Tarnheyden, HDtStR 1, S. 434. Eher resignierend Finger, S. 228. Ablehnend v. Freytag-Loringhoven, S. 96, der von einem "Sieg der Futterkrippe" spricht. 138 Vgl. nur Tatarin-Tarnheyden, a. a. O. 139 Vgl. nur v. Arnim, PariR, S. 526. 140 So Anschütz, WRV, Art. 40 Anm. 2, der darauf hinweist, daß der Abgeordnete immer noch ein Ehrenamt (!) innehabe, für das er kein Entgelt beziehen könne. Vgl. auch Finger, S. 228; Stier-Somolo, S. 571. 141 Vgl. Horn, S. 76; Tatarin-Tarnheyden, HDtStR I, S. 435. Diese Form der Beschreibung diente zur KlarsteIlung, daß über den entstandenen Mehraufwand hinaus auch Einnahmeausfalle aus der Nichtausübung des Berufs abgedeckt würden. 142 So v. Freytag-Loringhoven, S. 98, der seine Auffassung damit begründet, daß die Aufwandsentschädigung unabhängig davon gezahlt wird, ob der Reichstag zusammentritt oder nicht. 134 135
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
45
ab 143 . Ferner zeigen die Regelungen über Abzüge von der Monatspauschale, daß der Gesetzgeber selbst noch von einer "Aufwandsentschädigung" ausging. Denn letztlich kann dem abwesenden Abgeordneten nur dann etwas von seiner Entschädigung abgezogen werden, wenn diese ihrer ursprünglichen Intention nach entstehenden Mehraufwand abdecken wollte 144.
IV. Entwicklung in der Bundesrepublik Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft unterbrach die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland 145. Diese Zeit ist für die hier zu skizzierende Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung daher nicht aufschlußreich und bleibt aus diesem Grunde ausgespart. 1. Der staatsrechtliche Wandel
Der bestimmende Gedanke der Verfassungsautoren bei der Schaffung eines neuen Systems für die Bundesrepublik, mit dem Grundgesetz als Fundament, war, daß ,,Bonn nicht wieder Weimar" werden dürfe l46 . Daher resultieren auch die wichtigsten Veränderungen des Grundgesetzes gegenüber der Weimarer Reichsverfassung. Diese sind unter anderem: I. Beschränkung des Bundespräsidenten auf repräsentative Aufgaben; Verzicht auf dessen Volkswahl. 2. Einführung des konstruktiven Mißtrauensvotums. 3. Beschränkung der Möglichkeit der Parlamentsauflösung. 4. Stärkung der Stellung des Kanzlers l47 . So auch v. Arnim, Abgeordnetenentschädigung, S. 15. An dieser Beurteilung ändert auch nichts, daß den Abgeordneten selbst bei permanenter Abwesenheit ein Teil ihrer Entschädigung verblieben wäre, weil der Reichstag praktisch nicht so häufig tagte, daß es zu einem IOOprozentigen Verlust der Entschädigung gekommen wäre. A.A. v. Freytag-Loringhoven, S. 98, der dann allerdings nicht zu erklären vermag, wie sich diese so ausgestaltete Regelung bereits in der Kaiserzeit etablieren konnte (vgl. oben S. 41 f.), an der er aber offensichtlich keinen Anstoß genommen hat. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß es dem Gesetzgeber natürlich unter Verschleierung der wirklichen Tatsachen möglich wäre, zu behaupten, es handle sich um eine ,.Aufwandsentschädigung", um eben jene steuerfrei im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu halten. Vgl. insoweit sehr kritisch v. Arnim, Abgeordnetenentschädigung, S. 16 und S. 36 ff. Eine derartige Situation lag in der Weimarer Republik jedoch offensichtlich nicht vor. 145 Zu den katastrophalen Folgen dieser Diskontinuität für einen durch Überlieferungen und Gewohnheiten mitbestimmten Parlamentarismus, vgl. Löwenberg, S. 50 f. 146 So v. Beyme, ParIR, S. 111. 143 144
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1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
Zugleich wurde die konstruktive Arbeit des Parlaments und dessen Funktionieren durch die Schaffung eines personalisierten Verhältniswahlrechts mit einer sog. "Fünfprozentklausel" als Hürde für den "Sprung in den Bundestag" (einfachgesetzlich) abgesichert l48 . Des weiteren zogen die Verfassungsgeber die notwendige Konsequenz aus der Tatsache, daß eine Demokratie im modemen Staat notwendigerweise für ihr Funktionieren der Parteien bedarf. Von deren anfänglicher Bekämpfung im Deutschen Reich, über ihre Anerkennung in der Weimarer Republik, folgte nun ihre "verfassungsrechtliche Inkorporation,,149. So erhielten die Parteien einen über den Status der Vereinigungen gern. Art. 9 hinausgehenden, verfassungsrechtlich abgesicherten Platz im System des Grundgesetzes l5o . Gern. Art. 21 Abs. 1 S. 1 wirken sie bei der Willensbildung des Volkes mit. War schon zu Zeiten der Weimarer Republik die faktische Parteigebundenheit des ansonsten "freien" und nur seinem Gewissen verpflichteten Abgeordneten kritisch betrachtet worden l51 , so hat diese Diskussion durch den verfassungsrechtlich verankerten Status der Parteien eine neue Qualität bekommen. Denn auch das Grundgesetz hält an der liberalen Tradition des sog. freien Mandats gern. Art. 38 Abs. 1 S. 2 fest l52 . Mit der Erstarkung der Parteien einher geht jedoch auch eine weitere Entwicklung, nämlich die der Fraktionenbildung im Parlament. Für den partei- und damit zumeist auch fraktionslosen Abgeordneten bestehen im Bundestag kaum mehr Mitwirkungsmöglichkeiten 153. Die Geschäftsordnung des Bundestages bestimmt die Verteilung von Sitz- und Stimmrechten in den Ausschüssen, weiche die eigentliche Vorarbeit leisten, nach der Stärke der Fraktionen 154. Hieraus wird die wichtige Bedeutung der Fraktionszugehörigkeit deutlich. Durch die dem Parlament zuteil gewordene größere Macht und die Wandlung des Staates zum Wohlfahrtsstaat, hat die Arbeitsbelastung des Parlaments derart zugenommen, daß allerdings nur noch die Einteilung der Abgeordneten in Fraktionen die Funktionsfähigkeit des Parlaments sichern kann l55 . Vgl. v. Beyme, a. a. O. Vgl. v. Beyme, PariR, S. 111. 149 So Triepel, S. 8; ihm folgend v. Münch, v. Münch/Kunig, Art. 21 Rn. 1. Vgl. auch BVerfGE 2, S. 1 (73) und BVerfGE 5, S. 85 (134). 150 Vgl. v. Münch, a. a. O. 151 Vgl. oben S. 40 f. 152 Vgl. Löwenberg, S. 69. Zur Diskussion über das Verhältnis von Art. 21 Abs. I S. I und Art. 38 Abs. 1 S. 2 vgl. nur Grimm, ParIR, S. 199 ff.; Klein, HStR 11, § 41 Rn. 2; Badura, BK, Art. 38 Rn. 14 ff., der gleichzeitig die Querverbindung zum streitigen Repräsentationsverständnis aufzeigt. Vgl. hierzu die strittigen Ansichten von Leibholz in: Leibholz, Das Wesen der Repräsentation. 153 So schon Scheffle" S. 174. 154 Zu den faktisch eingeschränkten Wirkungsmöglichkeiten des fraktionslosen Abgeordneten äußert sich mit Bedenken Klein, HStR 11, § 41 Rn. 21. 155 So Badura, BK, Art. 38 Rn. 15. 147 148
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
47
Mit der oben vom Deutschen Reich bis heute beschriebenen Entwicklung der Rolle der Parlamente im Staat, ihrer inneren Struktur, der Stellung der Abgeordneten und nicht zuletzt mit dem Aufkommen der Parteien, ist auch eine ,,Professionalisierung" der Politik und damit die Erscheinung des "Berufspolitikers" verbunden 156. Dieses Bild ist nicht allein von der - durch das Bundesverfassungsgericht 157 anerkannten - Tatsache geprägt, daß der Abgeordnete durch die parlamentarische Tätigkeit derart zeitlich inanspruchgenommen ist, daß eine anderweitige Berufsausübung fast unmöglich ist l58 • Vielmehr durchläuft ein Abgeordneter heute eine mehr oder weniger stark ausgeprägte ,,Parteikarriere", bei der sich die Ausübung eines anderweitigen Berufs als unbedeutend erweist l59 .
2. Die Abgeordnetenentschädigung Vor diesem Hintergrund sind nun die rechtliche Grundlage, die Entwicklung der inhaltlichen Ausgestaltung sowie das heutige Verständnis der Abgeordnetenentschädigung aufzuzeigen.
a) Die Regelung des Art. 48 Abs. 3 und deren inhaltliche Ausgestaltung
Als rechtliche Grundlage für die Abgeordnetenentschädigung auf Bundesebene bestimmt Art. 48 Abs. 3 S. 1, daß die Abgeordneten einen Anspruch "auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung" haben. Diese Norm fand ohne Diskussionen bei den Verfassungsberatungen Eingang in das Grundgesetz 160. Dieses mag deshalb so gewesen sein, weil Vorschriften aus der Weimarer Reichsverfassung, welche den neu einzurichtenden Bundestag betrafen, zum größten Teil übernommen wurden. Nur die Vorschriften wurden geändert, die den Bundestag in seiner Stellung im System der Bundesrepublik betrafen l61 . 156 Vgl. Boldt, Politik als Beruf?, S. 14 (29 ff.); und die gleichnamige Schrift von K. Burmeister, Professionalisierung der Politik, S. 36. Kritisch hierzu v. Münch, v. Münch 1 Kunig, Art. 38 Rn. 86, der darin einen Verstoß gegen das demokratische Prinzip der Herrschaft auf Zeit sieht. 157 So BVerfGE 40, S. 296 (312). 158 Gleichwohl übt ein nicht geringer Anteil von Abgeordneten noch ihren Beruf neben der Mandatstätigkeit aus, vgl. Spiegel vom 18. 9. 1995 Nr. 38/1995, S. 30. 159 So Herzog, Politik als Beruf?, S. 63 ff. 160 Vgl. insbesondere Füsslein, JöR I (1951), S. 377 f. Desgleichen v. Arnim, BK, Art. 48 vor Rn. I. Lediglich Klein, MI 0, Art. 48 Rn. 18, weist darauf hin, daß der Abgeordnete Dr. Strauß die Frage aufgeworfen habe, ob "Normen geringen Grades" wie sie vor allem Abs. 3 enthalte, mit der "Würde einer solchen (Verfassungs-)Urkunde vereinbar" seien. 161 Vgl. Löwenberg, S. 51 f.
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1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
Hieraus und aus der Ausgestaltung der Abgeordnetenentschädigung durch das erste "Gesetz über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages,,162, wird deutlich, daß man an die "Aufwandsentschädigung" der Weimarer Republik anknüpfen wollte 163. In der Folgezeit sind vor allem die Erhöhungen in den Jahren 1958 und 1968 interessant. Sie änderten nicht nur die Höhe der Entschädigung, sondern sie lassen auch im Hinblick auf das Verständnis der Entschädigung einen Wandel erkennen 164. 1958 wurde die zu zahlende "Aufwandsentschädigung" - ähnlich wie zeitweise in der Weimarer Republik - auf 22,5% eines Bundesministergehalts festgelegt 165. Zugleich wurde die Unkostenpauschale in eine solche für Bürokosten und eine neue - Tagesgeldpauschale gesplittet. Nur noch für letztere galt eine Kürzungsregel bei unentschuldigtem Fernbleiben von einer Sitzung. Des weiteren wurde ein Übergangsgeld für ausscheidende Abgeordnete bewilligt. Außerdem wurde ein Sterbegeld für Angehörige eines verstorbenen Parlamentariers gewährt, sowie ein Unfallversicherungsschutz für die Abgeordneten eingeführt. Im Jahr 1968 wurde der "Kopplungsprozentsatz" für die "Aufwandsentschädigung" auf 33 1/3% eines Ministergehalts erhöht l66 . Diese Erhöhung sollte den Beitrag zur neu eingeführten Altersversorgung kompensieren, so daß die Abgeordneten weiterhin 22,5 % eines Ministergehaits zur laufenden Verfügung hatten 167. Damit standen die vier wesentlichen sozialen Sicherungen der Abgeordneten, wie sie bis heute geiten, fest:
1. Eine monatliche Grundentschädigung. 2. Eine Kostenpauschale, die aufgrund unentschuldigten Fernbleibens von einer Sitzung gekürzt wird.
3. Ein Übergangsgeld bei Ausscheiden aus dem Bundestag. 4. Eine Altersversorgung. Aufgrund des sog. Diätenurteils des Bundesverfassungsgerichts 168 im Jahr 1975 wurde der "Kopplungsmechanismus" der Abgeordnetenentschädigung an die Mi162 Gesetz vom 15.6. 1950, BGB!. S. 215 ff. 163 Zweifelnd Schia ich I Schreiner; NJW 1979, S. 673 (675), die meinen, der Parlamentari-
sche Rat hätte "Lage und Entwicklung" der Abgeordnetenentschädigung sehr wohl vor Augen gehabt. Unklar das Sondervotum von Seuffert, BVerfGE 40, S. 330 (346), der meint, daß die Entschädigung erst "nach dem Krieg" Ansätze zur Erstattung von Verdienstausfall usw. zeigte. Zur Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung vg!. Klein, MI D, Art. 48 Rn. 119 ff., der im übrigen wohl auch von einer anfänglichen Aufwandsentschädigung ausgeht. 164 Hierzu noch unten S. 49 ff. 165 Gesetz vom 27. 5. 1958, BGB!. I, S. 379 ff. 166 Gesetz vom 3. 5. 1968, BGB!. I, S. 334 ff. 167 Vg!. den Bericht des Vorstandes des Bundestages vom 21. 3. 68, BT-Drs. Nr. 5/2745, S. I ff., insbesondere Erläuterungen zu § 1, S. 2. Vg!. auch v. Amim, BK, Art. 48 Rn. 67. 168 BVerfGE 40, S. 296 (327).
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
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nistergehälter aufgegeben. Außerdem mußte nun die monatliche Grundentschädigung aufgrund des geänderten inhaltlichen Charakters - weg von der Aufwandsentschädigung, hin zu einer vollen Unterstützung des Lebensunterhalts - als Einkommen versteuert werden 169. Desweiteren beschloß der Bundestag seither jede Erhöhung der Entschädigung in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren. Nach der gescheiterten Verfassungsänderung des Art. 48 Abs. 3 im Herbst 1995 17 scheint der Bundestag hiervon nunmehr abzuweichen. Mit Gesetzesbeschluß vom 15. 12. 1995 wurden Erhöhungen der Abgeordnetenentschädigung für die gesamte laufende Legislaturperiode festgelegt 17 '. Dennoch setzte der Bundestag am 13.6. 1996 die vorher beschlossenen Erhöhungen zunächst aus 172 .
°,
b) Das heutige Verständnis der Abgeordnetenentschädigung
Wie bereits oben ausgeführt, knüpften die ersten auf Art. 48 Abs. 3 basierenden Gesetze zur Ausgestaltung der Abgeordnetenentschädigung an die Weimarer Tradition an. Sie gewährten den Abgeordneten lediglich eine den Aufwand abdeckende Entschädigung. Im Laufe der Zeit jedoch änderte sich dieser Entschädigungscharakter als ,,Aufwandsentschädigung". Zunächst ist hier die oben erwähnte, 1958 durchgeführte Trennung der Bürokosten von der monatlichen Entschädigung zu nennen 173 • Besonders deutlich allerdings wird die Änderung im Jahr 1968, als die Altersversorgung für Abgeordnete eingeführt wurde. Wie Klatt 174 aufzeigt, ging gerade der Einführung der Abgeordnetenaltersversorgung eine zum Teil polemische Diskussion über deren Notwendigkeit voraus. K. Burmeister175 weist darauf hin, daß sich die Argumente in dieser Auseinandersetzung, mit denen vor der Einführung einer Entschädigung im Jahr 1906 vergleichen lassen. Wenngleich die Altersversorgung auch nach ihrer Einführung Gegenstand von Kritik war'76, so dürfte sie heute als "nach-parlamentarischer Unabhän169 Vgl. BVerfGE 40, S. 296 (327 ff.). Vgl. auch Schulte, v. Mangoldt/Klein/ Achterberg/Schulte, Art. 48 Rn. 48. 170 V gl. Berichte in "Das Parlament", 6. 10. 95, Nr. 40 - 41, S. I; "Das Parlament", 20. 10. 95, Nr. 43, S. I; Gesetzentwurf der CDU / CSU- und SPD-Fraktion vom 28. 6. 95, BTDrs. Nr. 13/1824 und 13/1825; (ablehnender) Beschluß zur Grundgesetz-Änderung des Bundesrates vom 13. 10.95, BR-Drs. Nr. 561/95 171 Vgl. BGBI. I, S. 327 ff. vom 21. 2.1996; BT-Drs. 13/3121; Sten.Ber. des Bundestages, 78. Sitzung vom 8. 12. 1995, S. 6882 (A) ff. 172 Vgl. BGB\. I, S. 843 zu Art. I Nr. 4 (§ 11) vom 19.6.1996; BT-Drs. 13/4840; Sten.Ber. des Bundestages, 110. Sitzung vom 13. 6. 1996, S. 9767 (C) ff. 173 Vgl. oben S. 47; vgl. auch Seuffert, BVerfGE 40, S. 330 (346). 174 Klau, Altersversorgung, S. 29 ff., der die Entstehungsgeschichte der Abgeordnetenaltersversorgung nachzeichnet. 175 K. Burmeister. Professionalisierung, S. 38. 176 Vgl. u. a. zehn Jahre nach deren Einführung noch Geiger. Politik als Beruf?, S. 105 (119f.).
4 v. Waldthausen
I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
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gigkeitsschutz,,177 bzw. als ,,Annex,,178 zur Grundentschädigung nicht mehr hinwegzudenken sein l79 . Durch die Diskussion über die Abgeordnetenaltersversorgung und deren Einführung offenbarte sich jedoch deutlich ein geändertes Verständnis der Abgeordnetenentschädigung überhaupt. Dieses spiegelt sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wider. 1955 sprach das Bundesverfassungsgericht 180 von einem sich ändernden Repräsentationsverständnis, aufgrund dessen sich die Abgeordnetenentschädigung mehr und mehr zu einer "Besoldung" bzw. einem "Gehalt" entwickele. Diese "Entwicklung" bestätigte das Gericht 1971 181 . Die Begriffe "Gehalt", ,,Entgelt" usw. gehen, ebenso wie die Grundzüge dieser Urteile auf Leibholz zurück l82 . 1975 kam das Bundesverfassungsgericht 183 in seinem sog. Diätenurteil in letzter Konsequenz zu der Auffassung, daß die monatliche Grundentschädigung keine Aufwandsentschädigung mehr darstelle l84 . Vielmehr sei die auf der Basis des Art. 48 Abs. 3 S. 1 gewährte Entschädigung nunmehr eine volle Unterstützung des Lebensunterhalts des Abgeordneten und seiner Familie. Der Abgeordnete müsse eine "Alimentation" aus der Staatskasse erhalten, da die Tätigkeit seine volle Arbeitskraft beanspruche 185 . Von den noch im ,,Diätenurteil" verwandten Begriffen des ,,Entgelts", der ,,Besoldung", der ,,Alimentation" usw. rückte das BundesverSo schon Eschenburg, Sold, S. 76. So BVerfGE 32, S. 157 (165). 179 So auch v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 128 f., der, wenn er Bedenken äußert, diese auf die Höhe der Altersversorgung bezieht, vgl. dazu ders., "Der Staat sind wir''', S. 44 ff.; ebenso Grundmann, DÖV 1994, S. 329 (330). 180 BVerfGE 4, S. 144 (151). 181 BVerfGE 32, S. 157 (164): ,,Je mehr ... die Abgeordneten von ihrem früheren repräsentativen Status eingebüßt haben, um so weniger kann die Aufwandsentschädigung ihren ursprünglichen Sinn erfüllen, die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten sicherzustellen. Es ist daher kein Zufall, daß sich die Aufwandsentschädigung mehr und mehr einem Entgelt für die im Parlament geleisteten Dienste angenährt hat und mehr und mehr den Charakter einer Besoldung annimmt (BVerfGE 4, S. 144 (151)." 182 Der Einfluß von Leibholz zeigte sich in dieser Zeit sehr deutlich. Er meinte einen Zusammenhang zwischen stetig steigender Entschädigung und damit einhergehendem Verlust der RepräsentantensteIlung diagnostizieren zu können (vgl. Leibholz, Repräsentation, S. 91). Zur Kritik an Leibholz und der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vgl. nur v. Arnim, Abgeordnetenentschädigung, S. 21 ff.; Badura, BK, Art. 38 Rn. 12. 183 BVerfGE 40, S. 296 ff. 184 Aufgrund dieses Urteils mußte das die Entschädigung der Abgeordneten regelnde Gesetz neu gefaßt werden. Vgl. die umfassende Darstellung der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgenden Änderungen bei v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 74. Vgl. auch den Bericht der sog. Rosenberg-Komrnission, BT-Drs. 7/5531. Kritisch Determann, BayVBI. 1997, S. 385 ff. 18~ BVerfGE 40, S. 296 (311 ff.). Zur Arbeitsbelastung der Abgeordneten heute, vgl. Das Parlament, Nr. 40-41, S. 5. 177 178
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
51
fassungsgericht Ende der achtziger Jahre allerdings ab und stellte dabei klar, daß der Abgeordnete rechtlich keine (sanktionierten 186 ) Dienste schulde 187 .
V. Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung 1. Staatsrechtliche Entwicklung Der verfassungsrechtliche und -politische Hintergrund des Entschädigungsrechts der Abgeordneten hat sich seit dem Vormärz tiefgreifend gewandelt. Der Staat hat sich durch die Demokratisierung neue Zwecke gesetzt und ist zum Wohlfahrtsstaat geworden, so daß bereits hierdurch die Arbeitsbelastung des Parlaments gestiegen ist 188 . Zugleich hat sich die Rolle des Parlaments im Staat verändert. Heute reflektiert der Bundestag nicht nur die Wählermeinung, sondern er kann und soll Einfluß auf die den Staat lenkende Politik nehmen 189 . Neben diesen Wandlungen hat sich eine Parteienlandschaft entwickelt, die heute durch das Grundgesetz anerkannt ist. Die Parteien sorgen für die Bündelung der Wählermeinungen und wirken so bei der Kreation des Bundestages mit l90 . Als "parlamentarisches Spiegelbild,,191 zu ihrer Partei zugehörigkeit teilen sich die Abgeordneten in Fraktionen auf, wodurch das Parlament wiederum in der Lage ist, trotz erhöhter Arbeitsbelastung funktionsfähig zu sein 192. Dieser Entwicklungsprozeß ist - mit wechselnden Abhängigkeiten und Beeinflussungen - begleitet von einer stetigen Demokratisierung, insbesondere des Wahlrechts 193 . War das Wahlrecht anfänglich auf Personen mit Besitz beschränkt, so ist es heute allgemein und gleich (Art. 38 Abs. 1 S. 1). Die Ausgestaltung des Wahlrechts - und damit verbunden die Frage der Abgeordnetenentschädigung war dabei stets mit dem Problem verknüpft, wie das Parlament zusammengesetzt sein soll. Das jeweilige Verständnis von der Repräsentation des Volkes durch die Abgeordneten gab und gibt dabei noch heute ein Idealbild vor, das es zu erreichen galt bzw. gilt. Repräsentation kann dabei in zweierlei Hinsicht als Begriff Verwendung finden. Zum einen kann "Repräsentation" die Zusammensetzung des Parlaments meinen. 186 Vgl. Stern I. S. 1067, der die dort näher aufgeführten Pflichten als einen Reflex der RepräsentantensteIlung ansieht. 187 Vgl. BVerfGE 76, S. 265 (341 f.). Gerade bezüglich dieser anfangs verwandten Begriffe gab es vielfältige Kritik, vgl. schon das Sondervotum von Seuffert, BVerfGE 40, S. 330 (334 ff.). 188 Vgl. Badura, BK, Art. 38 Rn. 15. 189 Vgl. nur Meyer, ParIR, S. 118. 190 Vgl. v. Münch, v. Münch/Kunig, Art. 21 Rn. 11. 191 Klein, HStR 11, § 40 Rn. 5. 192 Vgl. Badura, a. a. O. 193 Vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 75 ff.
4'
I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
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Dann stellt sich die Frage, inwieweit das Parlament ,,repräsentativ" für die Geschlechts-, Berufs- und Altersstruktur der Bevölkerung ist l94 . Der Begriff kann aber auch die verfassungsrechtlichen Einrichtungen und Verfahrensweise kennzeichnen, unter denen staatliche Entscheidungen zustande kommen und (als politisches Prinzip l95) Anerkennung finden l96 . In bezug auf den Abgeordneten bedeutet dies unter anderem, die Fragen nach seiner Stellung im demokratischen Willensbildungsprozeß und seiner eigenen Entscheidungsfindung zu beantworten. Zwischen beiden Ausprägungen des Repräsentationsbegriffs und der Abgeordnetenentschädigung bestehen wechselseitige Beeinflussungen. Diese Wechselwirkungen sollen im Folgenden kurz aufgezeigt werden. 2. Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung a) Historische Interdependenz zwischen Abgeordnetenentschädigung und Repräsentationsverständnis
,,zielbild des klassischen Parlamentarismus .. 197 im bürgerlich-liberalen Staat des 19. Jahrhunderts war der wirtschaftlich unabhängige Abgeordnete. Diesem, in seinem Status durch das rechtlich verbürgte sog. freie Mandat abgesicherten Parlamentarier, wurde zugetraut, daß er frei von Gruppeninteressen gemeinwohlorientiert entscheidet. Dem lag als Prämisse zugrunde, daß das politisch Richtige nicht in einem Diskurs der Meinungen gefunden werden könne, sondern als "außergesellschaftliches Gemeinwohl" apriori existiere. Jenes könne nur durch besonders qualifizierte Repräsentanten gefunden werden 198. Für einen wirtschaftlich unabhängigen und damit (vermeintlich) von Gruppeninteressen freien Abgeordneten bedurfte es somit für die Ausübung des als Ehrenamt verstandenen Mandats keiner Entschädigung l99 . Vielmehr galt eine Entschädigung des "ehrenamtlich" ausgeübten Mandats als unehrenhaft und war daher mit dem Charakter der Tätigkeit unvereinbar. Vor diesem Hintergrund ist auch die entschädigungslose Zeit im Deutschen Reich zwischen 1871 und 1906 zu sehen. In Preußen wollte man durch das Drei-Klassen-Wahlrecht möglichst "unabhängige" Bürger ins Parlament holen. Da im Deutschen Reich das allgemeine Wahlrecht galt, sollte die Nicht-Gewährung einer Abgeordnetenentschädigungen ein "KorVgl. insoweit Versteyel. DÖV 1972. S. 774 (775). Vgl. Badura. PariR. S. 493. 196 Der Begriff ist auch insoweit bis heute umstritten. Vgl. zur Einführung Böckenförde. HStR 11, § 30; Dreier/Hofmann. PariR, S. 165 ff. Im Zusammenhang mit der Abgeordnetenentschädigung, vgl. die Darstellung von v. Amim. Abgeordnetenentschädigung, S. 27 ff. 197 So Huber; Verfassungsgeschichte IIl, S. 893. 198 Vgl. Badura, BK, Art. 38 Rn. 16. 199 Vgl. BVerfGE 4, S. 144 (149). Dem Gericht folgend, vgl. Grundmann, DÖV 1994, S. 329. Vgl. auch v. Amim, BK, Art. 48 Rn. 80. 194 195
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
53
rektiv" hierzu darstellen 2OO . Dabei kann nicht übersehen werden, daß diese Regelungen auch oder vor allem eine politische Zielrichtung hatten. So sollte die Entschädigungslosigkeit insbesondere die konservativen Kräfte im Parlament stärken. Bei deren Abgeordneten konnte man vermuten, daß sie die Entschädigungslosigkeit als politisches Druckmittel nicht nur verkrafteten, sondern auch unterstützten. Daher verwundert es kaum, daß dieses Bild stets eine Fiktion blieb 20I . Wie oben dargestellt, wurde bereits den "Honoratiorenabgeordneten" der vormärzlichen Kammern Entschädigung gewährt202 . Außerdem gelang es durch organisierte Selbsthilfe und das Aufkommen der Parteien, das so etablierte ,,Monopol der Spitzengruppe,,203 zu durchbrechen.
b) Heutige Interdependenz zwischen Abgeordnetenentschädigung und der Stellung des Abgeordneten im demokratischen Wiliensbildungsprozeß
Heute dagegen wird die Repräsentation als demokratisch-egalitär verstanden 204 . Für jeden besteht aufgrund des formalisierten gleichen aktiven und passiven Wahlrechts die Möglichkeit zu wählen bzw. gewählt zu werden. Mit diesem Wahlrecht ist auch eine Änderung des Idealbilds der Abgeordneten verbunden. Nunmehr soll sich das Parlament aus allen Schichten der Bevölkerung zusammensetzen 205 . Aus dem "Honoratiorenabgeordneten" ist ein "Volksabgeordneter" geworden206 . Um die formale passive Wahlgleichheit jetzt zu gewährleisten, müssen die Abgeordneten, weIche sich nicht mehr nur aus wirtschaftlich abgesicherten Bevölkerungsschichten rekrutieren, für ihre Parlamentstätigkeit entschädigt werden 207 . Da aber die Arbeitsbelastung des Parlaments und damit die der Abgeordneten derart gestiegen ist, daß sie die volle Arbeitskraft der Abgeordneten beansprucht, kann man weder von einer "ehrenamtlichen" noch von einer nebenberuflichen Tätigkeit im Vgl. oben S. 31 ff. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß von einem wirtschaftlich unabhängigen Abgeordneten nicht auf dessen "freie" gemeinwohlorientierte Entscheidung geschlossen werden kann, da auch ein solcher Abgeordneter seinen spezifischen Gruppeninteressen unterliegt. 202 Vgl. oben S. 40 ff.; Hospach. S. 127. 203 So Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 893. 204 Vgl. Badura. PariR, S. 494; BVerfGE 40, S. 296 (317). Auf die sozialpolitische Komponente weist v. Arnim. BK, Art. 48 Rn. 78, hin. Vgl. auch die umfassende Untersuchung von Kimme. Das Repräsentativsystem. und Wefelmeier, Repräsentation und Abgeordnetenmandat. 205 Vgl. Versteyl, DÖV 1972, S. 774 (775). Er bezieht seine Ausführungen zunächst auf die Entscheidung BVerfGE 32, S. 157 ff., welche sich mit der ,.Repräsentation" im Sinne eines Entscheidungs- und Verfahrensablaufs auseinandersetzt. Im Anschluß erörtert er, ohne den Begriff der Repräsentation im oben genannten Sinn zu differenzieren, die Zusammensetzung des Parlaments. Insoweit erscheinen seine Ausführungen unklar. 206 So v. Arnim. BK, Art. 48 Rn. 79. 207 Vgl. v. Arnim. BK, Art. 48 Rn. 81. 200 201
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1. Teil: Der Gegenstand des GesetzesvorbehaIts
Parlament ausgehen. Deshalb können die Mandatsinhaber auch Unterstützung ihres gesamten Lebensunterhalts vom Staat fordern 208 . Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Interdependenz zwischen Stellung der Abgeordneten im demokratischen Willensbildungsprozeß und der ihnen gewährten Entschädigung. Geändert haben sich nämlich nicht nur der Staat in seinem Aufbau und die von ihm gesetzten Zwecke, sondern auch die der Repräsentation im 19. Jahrhundert zugrundeliegende Prämisse, es gäbe ein vorgegebenes Gemeinwohl, welches zu finden den Abgeordneten obläge. Heute geht man vielmehr davon aus, daß sich eine praktische und von allen akzeptierte Lösung aus einem rationalen Diskurs unterschiedlicher Interessen entwickelt 209 . Bei einer derartigen Auffassung staatlicher Willensbildung verlagert sich ein nicht unerheblicher Teil der politischen Diskussion vom Parlament in die Gesellschaft. Hier stehen die Parteien als ,,Mittler,,210 zur Kanalisierung der verschiedenen Interessen bereit und venneiden so ein Chaos im Entscheidungsfindungsprozeß. Der nunmehr gewählte Abgeordnete steht damit aber vor drei Aufgaben: Er soll Wähler-, Partei- und Parlaments-"Repräsentant" sein 2l1 . Aufgrund des personalisierten Verhältniswahlrechts und der verfassungsrechtlichen Verankerung der Parteien in Art. 21 tritt der einzelne Kandidat und damit letztlich der Abgeordnete immer mehr in den Hintergrund. Gewählt wird die Partei. Hierdurch könnte man meinen, daß die Wahl ein real-plebiszitäres Element erhält, in welcher der spätere Abgeordnete nur noch "Parteiexponent" ist212 . Vor dem Hintergrund dieses Erklärungsansatzes wäre auch die an Leibholz angelehnte Wendung des Bundesverfassungsgerichts213 von der "parteienstaatlichen Demokratie" zu verstehen sowie der vom Gericht gleichzeitig diagnostizierte Verlust des repräsentativen Status des Abgeordneten erklärt214 . Vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 81 ff.; BVerfGE 40, S. 296 (311). Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 48; Badura, BK, Art. 38 Rn. 16; ders., ParIR, S. 491; Demmler; S. 73; Grimm, ParIR, S. 202; Hofmann/Dreier; ParIR, S. 173; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 94, Schmitt-Glaeser; HStR 11, § 31 Rn. 2; Schneider. AK, Art. 38 Rn. 18. 210 Vgl. Hofmann/Dreier; PariR, S. 174; v. Münch, v. Münch I Kunig, Art. 21 Rn. 11 und Rn. 25; Stern I, S. 459. 211 So deutlich Scheffler. S. 175: "Der Wähler gibt ihm das Vertrauen, die Partei die Mittel und das Parlament die Möglichkeit der Entfaltung.". Vgl. auch Hofmann/Dreier. ParIR, S. 173, die meinen, der Abgeordnete stehe gleichsam in einer Repräsentationspyramide, ohne ein Repräsentationsmonopol zu besitzen. 212 So vor allem Leibholz, Repräsentation, S. 231; ders., Strukturprobleme, S. 93. Vgl. auch Badura, BK, Art. 38 Rn. 16. 213 Vgl. Schachtschneider. res publica, S. 778 f., mit zahlreichen weiteren Nachweisen der jüngeren Rspr. des BVerfG. A.A. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 101 f., der meint, das Bundesverfassungsgericht sei in seiner Entscheidung BVerfGE 40, S. 296 ff., von der Position Leibholz' abgerückt. Ähnlich Häberle, NJW 1976, S. 537 (538); Schlaich/ Schreiner, NJW 1979, S. 673 (677). Dreier. JZ 1990, S. 310 (317), meint mit Blick auf die sog. Wüppesahl-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80, S. 188 ff.), eine deutliche Abkehr des Gerichts von der Leibholz'schen Lehre zu erkennen. 214 So BVerfGE 40, S. 296 (311), mit Bezug auf BVerfGE 4, S. 144 (151); ähnlich auch schon BVerfGE 32, S. 157 (164). 208 209
A. Historische Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung
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Verfolgte man diesen Ansatz konsequent weiter, so würde die Entschädigung letztlich an ein im Parlament tätiges, "für das Volk arbeitendes Partei mitglied" geleistet werden 215 • Dieses ist aber bereits im Ansatz zu kritisieren. Das Bundesverfassungsgericht und Leibholz gehen immer noch von der überkommenen Prämisse eines a-priorivorgegebenen Gemeinwohls aus 216 • Darüber hinaus würde der Ansatz dazu führen, daß das sog. freie Mandat 217 als ein wichtiges Element staatlicher Repräsentation 218 obsolet geworden wäre. Denn wenn der Abgeordnete aus sog. real-plebiszitären Wahlen als reiner ,,Parteiexponent" ins Parlament zieht, würde Art. 38 Abs. 1 S. 2 durch Art. 21 verdrängt. Dieses würde zu einer nicht hinnehmbaren Sinnentleerung des unabhängigen Mandats führen 219 • Anerkennt man die zentrale Bedeutung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 sowohl im Hinblick auf die Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie als auch gegenüber Art. 21, so gewährleistet auch oder gerade heute noch die Abgeordnetenentschädigung das unabhängige Mandat 22o .
Ähnlich Versteyl, DÖV 1972, S. 774 (775 f.). So v. Arnim, Abgeordnetenentschädigung, S. 30 ff.; Badura, HStR I, § 23 Rn. 36 und Rn. 38; Hofmann/Dreier, ParIR, S. 173; Schneider, HVerfR, S. 253. 217 Zur Kritik an diesem Begriff, vgl. Achterberg, Mandat, S. 16 f.; Schneider, HVerfR, § 13 Rn. 42 f.; Wefelmeier, S. 165. Zustimmend aber Abmeier, S. 48 m. w. N.; Stern /, S. 1070. 218 Vgl. Badura, ParIR, S. 493; Böckenförde, HStR 11, § 30 Rn. 15; Grimm, ParIR, S. 205; Hofmann/ Dreier, ParIR, S. 184; Klein, HStR 11, § 40 Rn. 3; Stern /, S. 1069 ff. 219 So Badura, BK, Art. 38 Rn. 12 f., 52 und 67. Klein, HStR 11, § 41 Rn. 5, versucht indes, die Kollision nicht auf Verfassungsebene zu klären, sondern verweist darauf, daß ein Spannungsverhältnis allenfalls zwischen Verfassungsrecht und politischer Praxis besteht. Ausführlich zum Streitstand Schachtschneider, res publica, S. 810 ff., mit zahlreichen Nachweisen. Zu den Schutzrichtungen der Gewährleistung des unabhängigen Mandats vgl. Welti, S. 80 ff. 220 Maunz. M/D, Stand der Ergänzungslieferung (32. Lieferung) Oktober 1996, Art. 48 Rn. I, bezeichnet Art. 48 Abs. 3 als Ausführungsvorschrift zu Art. 38 Abs. 1 S. 2. Zustimmend, vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 4; Badura, BK, Art. 38 Rn. 57; Klein, HStR 11, § 41 Rn. 34; Stern /, S. 1059. Keine Einbuße des repräsentativen Charakters des Mandats sieht auch Kimme, S. 164 f. Zweifelnd, wieviel Freiheit die Entschädigung dem Abgeordneten gegenüber seiner Fraktion bzw. Partei bringt, vgl. v. Arnim, ParIR, S. 526. Vgl. auch BVerfGE 20, S. 56 (103). In dieser Entscheidung erklärt das Gericht unter Bezugnahme auf die Prinzipien der "liberal-repräsentativen Demokratie" (!) (ein Bezug, den das Gericht später für "gewandelt" erklärt, vgl. BVerfGE 32, S. 157 (164», die ,,Existenzberechtigung" der Abgeordnetenentschädigung aufgrund ihrer die Unabhängigkeit sichernden Funktion. Gleichwohl hat das Gericht in seiner Entscheidung BVerfGE 4, S. 144 ff., die Entschädigung als ein zur Organklage berechtigendes Statusrecht des Abgeordneten angesehen. Dieses ablehnend, Meyer, v. Münch (1. Aufl.), Art. 93 Rn. 31, der aber anscheinend diese Position in der 2. Aufl. ohne Hinweis wieder aufgegeben hat. 215
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I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
B. Das Wesen der Abgeordnetenentschädigung Mit der Feststellung, daß die Abgeordnetenentschädigung nunmehr den vollen Lebensunterhalt der Parlamentarier und ihrer Familien sichert, ist die Entschädigung jedoch nur unzureichend beschrieben. In der Diskussion um das Festsetzungsverfahren tauchen immer wieder Fragen um den Gegenstand des Gesetzesvorbehalt des Art. 48 Abs. 3 auf, die durch die Darstellung und Würdigung der geschichtlichen Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung nicht erfaßt sind. Diese Fragen sollen im folgenden behandelt werden 221 .
I. Die Rechtsnatur der Abgeordnetenentschädigung Wenngleich im Zusammenhang mit dem Festsetzungsverfahren selten die Frage auftaucht, welche rechtliche Natur die Entschädigung eigentlich einnimmt, so verwirrt doch auf den ersten Blick die Vielfalt von Begriffen, mit denen sie etikettiert wird. Wie bereits anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dargelegt, läßt sich allerdings an der Verwendung bestimmter Begriffe ablesen, welches verfassungsrechtliche Verständnis der Abgeordnetenentschädigung zugrundegelegt wird 222 . Kennzeichnend für die Abgeordnetenentschädigung sind im wesentlichen dabei folgende Punkte: 1. Der Abgeordnete erhält soviel Geld, wie er - seinem Status angemessen - zur Sicherung seines Lebensunterhalts und der seiner Familie benötigt. 2. Die Leistung erfolgt aus der Staatskasse. 3. Der Abgeordnete ist nicht zur Gegenleistung im Sinne eines "do ut des" verpflichtet. Seine rechtlich nicht sanktionsbewehrten Abgeordnetenpflichten, wie z. B. Teilnahme an den Sitzungen (vgl. § 13 Abs. 2 GO-BT), stehen in keinem synallagmatischen Verhältnis zu seiner Unterstützung. 4. Die monatliche Grundentschädigung stellt steuerrechtlich ein Einkommen dar, welches demzufolge zu versteuern ist.
221 Die einzige im Zusammenhang mit der Abgeordnetenentschädigung stehende Frage, die keine Berührung mit dem Festsetzungsverfahren aufweist, ist die der Funktionszulagen für Fraktionsvorsitzende und deren Stellvertreter. Diese Zulagen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Diätenurteil aufgrund des für die Abgeordneten geltenden Gleichheitssatzes für unzulässig erklärt. Gleichwohl ist diese Entscheidung - wie auch die anderen Punkte des Urteils - bis heute heftig umstritten. Aufgrund der mangelnden thematischen Berührung mit dem Thema dieser Arbeit, soll dieser Frage nicht näher nachgegangen werden. Einen instruktiven Überblick zum aktuellen Stand der Diskussion bietet Klein, M/D, Art. 48 Rn. 168 ff. m. w. N. Aus der neueren Literatur vgl. auch Welti, S. 207 ff. 222 So lag den vom Bundesverfassungsgericht zunächst verwandten Begriffen "Entgelt", ,.Besoldung", "Alimentation" ersichtlich die Lehre von Leibholz zugrunde.
B. Das Wesen der Abgeordnetenentschädigung
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5. Der Anspruch ist unverzichtbar und nicht übertragbar, vgl. § 31 AbgG. 6. Die Leistungen sollen dazu dienen, daß sich der Abgeordnete gewissenhaft seiner Mandatstätigkeit widmen kann. 7. Die Leistungen sollen im Hinblick auf Art. 38 Abs. I S. 2 die Unabhängigkeit des Abgeordneten - auch von Partei und Fraktion - gewährleisten. 8. Schließlich wird dem Abgeordneten zur Sicherung seiner "postparlamentarischen Unabhängigkeit" Übergangsgeld und eine Altersversorgung gewährt. Eben diese Vielschichtigkeit der Abgeordnetenentschädigung erschwert es, wie auch die Diskussionen zeigen 223 , die Entschädigung mit einem alles erklärenden Schlagwort zu belegen. Wenn überhaupt könnte man von einem "alimentativen Charakter" der Entschädigung sprechen. Dabei wird aber stets zu beachten sein, daß die Alimentation der Beamten stets eine lebenslange, die der Abgeordneten aber nur eine auf die Wahlperiode begrenzte ist 224 . Genaugenommen handelt es sich wohl um eine Geldleistung sui generis, auch wenn diese Feststellung am wenigsten befriedigt.
11. Die Abgeordnetenentschädigung als politische Frage Wenn man versucht das Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung juristisch faßbar zu machen, stellt sich auch die Frage, inwieweit die "angemessene Entschädigung" selbst, ökonomisch greifbar und unter Umständen juristisch nachvollziehbar ist. Zur ökonomischen Nachvollziehbarkeit der Entschädigung hat man daher versucht, Parallelen zwischen Abgeordneten und anderen Berufsgruppen zu ziehen 225 • Wie jedoch die Diskussion über die letztlich gescheiterte Verfassungsänderung des Art. 48 Abs. 3 im Herbst 1995 gezeigt hat, läßt sich das Abgeordnetenmandat aufgrund seiner besonderen statusrechtlichen Ausgestaltung schwerlich mit anderen 223 v. Arnim. BK. Art. 48 Rn. 100 f .. schlägt vor. staU "Besoldung" oder .,Alimentation" besser die Begriffe "Gehalt" oder ,,Einkommen" zu verwenden. Ebenfalls den Begriff des Einkommens verwendet Kimme. S. 164. Der Begriff des "Gehalts" läßt sich jedoch mangels Synallagmas nicht halten. Auch das "Einkommen" würde als rein vermögens-rechtlich definierter Begriff die verfassungsrechtliche Gewährleistung des unabhängigen Mandats nur verkürzt wiedergeben. Als "Arbeitsentgelt eigener Art" klassifiziert Welti. S. 143 ff., 380. die Abgeordnetenentschädigung. da er in Anlehnung an Kimme eine Pflicht des Abgeordneten zur Repräsentation anerkennt. 224 Vgl. insoweit BVerfGE 76, S. 265 (341 f.). 225 Hierzu u. a. die vergleichende Darstellung bei Fischer. S. 40 ff. Einen rein ökonomischen Ansatz wählt Meyer, JbWiWi 1996, S. 324 ff.; ders., PVS 1998. S. 329 ff. Hierzu v. Arnim. PVS 1998, S. 345 ff. Zu dem Vorschlag. die Abgeordnetenentschädigung als Verdienstausfallentschädigung auszugestalten, vgl. v. Arnim. a. a. 0.; Determann. BayVBI. 1997, S. 385 ff.; Meyer. a. a. O. A.A. Welti. S. 213. Vgl. unten S. 69 ff.
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1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
Berufen vergleichen 226 . Selbst bei noch so "gehöriger geistiger Anspannung,,227 wird es also nicht gelingen, eine alle Seiten befriedigende und befriedende Vergleichbarkeit herzustellen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob man nicht die Abgeordnetenentschädigung ein für allemal "entpolitisieren" sollte und ob man dies nicht auch (teilweise) kann. Schließlich öffnet das Auslegungsproblem der "Angemessenheit" Wunschvorstellungen wie Aversionen Tür und Tor28 . Dieses führt regelmäßig zu ernstzunehmender Parlaments- und Parteienkritik, wenn es gilt, die Abgeordnetenentschädigung zu erhöhen 229 . Insoweit bestünde unter Umständen die Möglichkeit für den (Verfassungs-)Gesetzgeber, sich einmal zu einer grundlegenden Entscheidung über die Abgeordnetenentschädigung durchzuringen, zum Beispiel durch Einführung eines Kopplungssystems. Derartige Möglichkeiten sind jedoch bereits Verfahrensfragen, die deshalb in den folgenden Teilen zu erörtern sind 23o . Daß die Abgeordnetenentschädigung im Grunde eine politische Frage ist, mag vielleicht zunächst unbefriedigend erscheinen 231 • Doch ist es in diesem Zusammenhang angezeigt, den Blick nicht verkürzend auf eventuelle Vergleichbarkeiten mit anderen Berufsgruppen zu richten. Vielmehr ist die oben in Teil 1 A aufgezeigte Interdependenz zwischen Abgeordnetenentschädigung und Repräsentation zu beachten. Die obige Untersuchung hat deutlich gemacht, welchen Einfluß die Abgeordnetenentschädigung auf die Zusammensetzung des Parlaments und damit den Entscheidungsfindungsprozeß der Abgeordneten hat bzw. haben kann 232 . Es 226 Näher hierzu, vgl. Kissel, FS Zeuner, S. 78 (83 f.); Scheu, FAZ vom 6. 10. 1995, Nr. 232, S. 10 f. Eine Vergleichbarkeit der Abgeordneten mit anderen Berufsgruppen in bezug auf die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung scheint auch Linck, ZParl 1995, S. 683 (687), abzulehnen, der jedoch meint, diese Ablehnung sei weder verfassungsrechtlich noch verfassungspolitisch begründbar. Eyermann, ZRP 1992, S. 201 ff., spricht sich trotz "Unvergleichbarkeit" für eine Kopplung der Abgeordnetenentschädigung an eine Besoldungsgruppe aus, um so der "ewigen Diätenquerelen" aus dem Weg zu gehen. Vgl. auch Beschlußempfehlung und Bericht des Ältestenrats des Bundestages (Rechtsstellungskommission), BT-Drs. 13/1803, S. 10 f., Anlage 2. 227 Rupp, ZG 1992, S. 285 (291). 228 So Kissel, FS Zeuner, S. 79. 229 Vgl. Kissel, FS Zeuner, S. 79 (79 f.); Vogel, ZG 1992, S. 293 (299). Vgl. auch oben S. 25 f. . 230 Vgl. unten S. 210 f., S. 302 f., S. 320 f. 231 So auch BVerfGE 40, S. 296 (316). Zustimmend auch v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1245 f.); Fischer, S. 54; Rupp, ZG 1992, S. 285 (291); Schulze-Fielitz, Dreier, § 48 Rn. 20. Vgl. auch Stern /, S. 14 ff. und S. 129, der allgemein darauf verweist, daß Verfassungsrecht "politisches" Recht ist (so auch schon die Überschrift zu § I V: Verfassungsrecht als "politisches" Recht). 232 Hierzu auch v. Arnim, "Der Staat sind wir''', S. 97 ff. m. w. N. Selbst wenn man seinen (Gegen-) Argumenten bezüglich der Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung (Unabhängigkeitssicherung, Anreiz für sog. "Seiteneinsteiger") nicht folgen will, so macht er doch deutlich, daß die Entschädigung zumindest Einfluß haben kann, sowohl was die Zusammensetzung des Parlaments angeht als auch auf die Entscheidungen der Abgeordneten.
B. Das Wesen der Abgeordnetenentschädigung
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ist eben letztlich eine (politische) Frage unseres Gemeinwesens, wen wir im Parlament haben wollen und wie wir den staatlichen Entscheidungsmechanismus ausgestalten. Auf bei des hat die Abgeordnetenentschädigung Einfluß 233 . Vor diesem Hintergrund ist die Aussage 234 , bei Art. 48 Abs. 3 handle es sich um eine ,,Norm geringen Grades" nicht nachvollziehbar 235 . Vielmehr diente die
Ausgestaltung der Abgeordnetenentschädigung bereits in der Geschichte "handfesten politischen Interessen,,236. Um so mehr muß dies für die heutige Zeit gelten, in der die Abgeordneten (z.T.) auf eine volle Unterstützung des Lebensunterhaltes angewiesen sind237 . Insoweit ist auch auf das Verhältnis der Abgeordnetenentschädigung zur Stellung Abgeordneten im staatlichen Willensbildungsprozeß hinzuweisen 238 .
In. Die Abgeordnetenentschädigung als rechtliches Problem Aber die Abgeordnetenentschädigung ist nicht nur ein politisches Problem. Dies zeigt sich schon, wenn man nach der rechtlichen Relevanz einer zu niedrigen oder zu hohen Entschädigung fragt. Beide werden für verfassungswidrig gehalten 239 . Als weiteres (juristisches) Problem taucht im Rahmen der Diskussion um das Festsetzungsverfahren die Frage auf, in wessen Interesse die Entschädigung steht. Die verschiedenen Implikationen, welche die unterschiedliche Beantwortung dieser Frage im Rahmen der Untersuchung des Festsetzungsverfahrens auslöst, macht eine Klärung erforderlich 24o . 233 Vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 98 vorletzter Absatz, der insoweit von einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ausgeht. 234 So der Abgeordnete Dr. Strauß in den Beratungen zum Grundgesetz im Organisationsausschuß bei Füsslein, JöR 1951, S. 376. V gl. im Anschluß hieran auch die Ansicht von Klein, FS Blümel, S. 225 (244).
Von einer "eminent politischen Regelung"spricht Welti, S. 381. So Klein, M / D, Art. 48 Rn. 110. V gl. auch oben S. 40 f. 237 Erklärlich mag die Sicht des Abgeordneten Dr. Strauß, a. a. 0., nur sein, wenn man berücksichtigt, daß den Abgeordenten zu Anfang lediglich eine Aufwandsentschädigung gewährt wurde. Dies würde die Anknüpfung der grundgesetzlichen Regelung an die WRV bestätigen. 238 Hierzu oben S. 53 ff. 235
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239 Zu diesem bislang theoretisch gebliebenen Problem, vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 98, der sich insbesondere mit dem (größeren) Problem der zu hohen Entschädigung auseinandersetzt. Vgl. ähnlich Geiger, Politik als Beruf?, S. 128 (133 f.). 240 Entscheidend ist die Klärung dieser Frage für die Feststellung, in welchem Maße die Abgeordneten von der Entscheidung über die Abgeordnetenentschädigung persönlich "betroffen" sind, vgl. unten S. 113 ff., S. 117 ff. und S. 154 ff. Systematisch könnte diese Klärung auch erst dann erfolgen, wenn sie im Rahmen der Untersuchung des Festsetzungsverfahrens relevant wird. Doch soll dieses Problem, da es zum "Gegenstand des Verfahrens" gehört, hier quasi "vor die Klammer gezogen werden". Vgl. noch unten S. 70 f.
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I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
1. Die Abgeordnetenentschädigung im (innenwirksamen) Parlamentsinteresse Die Abgeordnetenentschädigung wird zunächst übereinstimmend als materielles Parlamentsrecht 241 oder als verfassungsergänzendes Recht 242 verstanden. Mit Blick auf die Gewährleistung des unabhängigen Mandats, kommt der Abgeordnetenentschädigung eine status sichernde Funktion ZU 243 • Dementsprechend steht die Abgeordnetenentschädigung als Organrecht im Parlamentsinteresse244 • Umbach 245 stellt hierzu klar, daß weder aus dem Gesichtspunkt, es handle sich "nur um Geld", noch aus der Tatsache, die Entschädigung habe "lediglich" unterstützende Funktion 246, gefolgert werden könne, daß diese (allein) der ,,Privatsphäre" des Abgeordneten zuzurechenen wäre. Als Organrecht steht die Abgeordnetenentschädigung somit (zumindest auch) im Parlamentsinteresse. Insoweit ist sie ein innerorganisatorisches Recht247 • 2. Die Abgeordnetenentschädigung im (außenwirksamen) Abgeordneteninteresse Für die Abgeordnetenentschädigung könnte jedoch fraglich sein, ob sie sich in dieser rein innenrechtsregelnden Wirkung erschöpft. Eine in der bloßen statussichernden Funktion erschöpfende Betrachtung würde allerdings den Besonderheiten dieses Rechts nicht gerecht werden. Für eine umfassende Beurteilung der Abgeordnetenentschädigung ist vielmehr mit zu berücksichtigen, daß der Abgeordnete nicht nur Mandatar, sondern auch eine natürliche Person ist, die außerhalb des Parlaments steht248 • In eben dieser Doppelrolle erhält er auch die Entschädigung: einerseits als Parlamentarier zur Sicherung seiner Unabhängigkeit, andererseits als Staatsbürger zur Bestreitung seines Lebensunterhalts 249 • Es ist selbstverständlich, Vgl. nur BVerfGE 4, S. 144 (151). So Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 28: materielles Verfassungsrecht. 243 Vgl. oben S. 53 ff.; sowie die Aufzählung weiterer Statusrechte in Abgrenzung zu sog. Amtsträgerrechten bei Stern I, S. 1059. 244 So Klau, ZParl 1973, S. 404 (417); ihm folgend Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (521 f.). 245 Umbach, FS Zeidler 11, S. 1235 (1249 f.). 246 Anders die aus dem Status "fließenden Reche", wie z. B. das Rederecht, Umbach, a. a. O. Insoweit erscheint die Unterscheidung in ,,Amtsträgerrechte" (Rede-, Stimm-, Antrags- und Fragerecht) und "Statusrechte" (Entschädigungsanspruch, Immunität, Indemnität etc.) bei Stern I, S. 1057 ff. aufschlußreich. V gl. ähnlich Steiger, S. 71 ff. 24? Zur Innenrechtswirkung des Organrechts im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4, vgl. Krebs, VerwArch 68 (1977), S. 189 (198). 248 Vgl. Haug, S. 99 f.; Umbach, FS Zeidler II, S. 1235 (1240). 249 Vgl. BVerfGE 40, S. 296 (311 f., 315 f.). Insoweit stellt sich das bereits oben im Rahmen der geschichtlichen Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung erwähnte (alte) Problem der Abkömmlichkeit. 241
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B. Das Wesen der Abgeordnetenentschädigung
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daß sich beide Bereiche bedingen: Ein Abgeordneter, der finanziell im Privatbereich nicht frei ist, kann auch nicht unabhängig sein. Somit läßt sich auch die Äußerung des Bundesverfassungsgerichts250 schlüssig erklären, in welcher das Gericht feststellte, bei der Abgeordnetenentschädigung handle es sich "nicht nur um ein Vermögensrecht". Geht man davon aus, daß das Gericht klarstellen wollte, daß es sich bei der Entschädigung (auch) um ein statussicherndes (organinternes) Recht handelt25 1, so muß den Worten "nicht nur" die Bedeutung eines "auch" beigemessen werden. Gerade dadurch, daß sich die Entschädigung zu einer vollen Unterstützung des Lebensunterhalts des Abgeordneten entwickelt hat, wird deutlich, wie der Abgeordnete auf diese persönlich angewiesen ist. Das Bundesverwaltungsgericht 252 wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Parlamentarier insoweit mit den Beziehern von Einkommen vergleichbar sind. Eben dieser personale und individuelle Bezug253 der Abgeordneten zur Entschädigung unterscheidet dieses Statusrecht von den nur rein intern wirkenden Organrechten 254 . Die Abgeordnetenentschädigung weist also einen Doppelcharakter auf, wonach sie einerseits Organrecht, andererseits zugleich Individual- 255 bzw. subjektiv-öffentliches Recht 256 ist. Es kann daher nicht der Ansicht Klatti 57 gefolgt werden, die Abgeordnetenentschädigung stünde allein im Parlamentsinteresse. Etwas anderes gilt lediglich für die sog. Kostenpauschale. Ihre Gewährung erfolgt nicht im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts, sondern dient der Sicherung der BVerfGE 4, S. 144 (151). Hiervon ist aufgrund des Zusammenhangs auszugehen. Das Gericht erklärt die Abgeordnetenentschädigung aus einem inneren Zusammenhang mit dem repräsentativen Gesamtstatus des Abgeordneten, vgl. BVerfGE 4, S. 144 (150 f.). 252 BVerwG, NJW 1985, S. 2344 (2345). 253 Vgl. Schmidt-Aßmann, MI 0, Art. 19 Abs. 4 Rn. 117 und 147 f. 254 Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 37; Schmidt-Aßmann, M/D, Art. 19 Abs. 4 Rn. 148. Für die Zeit der Weimarer Republik so schon Horn, S. 35. 255 Vgl. Trute, v. Münch, Art. 48 Rn. 35. 256 Vgl. Brockmeyer, Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 48 Rn. 12 a; Demmler, S. 50; Maunz, MI 0, Stand der Ergänzungslieferung (32. Lieferung) Oktober 1996, Art. 48 Rn. 31; Umbach, FS Zeidler 11, S. 1235 (1243 f.). Vgl. auch BVerwG, NJW 1985, S. 2344 ff.; BVerwG, NVwZ 1992, S. 173 ff. 257 Klau, ZParl 1973, S. 404 (417); ihm folgend Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (521 f.). Nicht ganz eindeutig Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 333 und S. 341, der zwischen persönlicher und sachlicher Betroffenheit differenziert. Die Abstimmung über die Abgeordnetenentschädigung soll dabei eine "sachliche Betroffenheit" des Abgeordneten auslösen, d. h. lediglich ein "politisches Vorhaben ... , mit dem sich der Abgeordnete identifiziert hat" (Schneider, a. a. 0., S. 333), kennzeichnen. Dagegen wäre für' "persönliche Betroffenheit" kennzeichnend, daß die persönlichen Lebensbeziehungen berührt seien (eine Abstimmung hierüber sei "suspekt", vgl. S. 333). Wie Schneider, a. a. 0., zu seiner Einordnung kommt, läßt er offen. Seiner Einteilung zufolge, aber in Abweichung zu seiner Qualifizierung, müßte nach den hier getroffenen Feststellungen die Abstimmung über die Abgeordnetenentschädigung in den Bereich der "persönlichen Betroffenheit" eingeordnet werden. 250 251
62
1. Teil: Der Gegenstand des GesetzesvorbehaIts
Mandatstätigkeit. Mithin steht die Kostenpauschale als statussicherndes Recht im reinen Parlamentsinteresse 258 . Der grundsätzliche Doppelcharakter der Entschädigung ist i.d.R. unproblematisch. Virulent wird er jedoch bei Fragen des Rechtsweges 259 , die hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollen.
3. Exkurs: Rechtswegproblematik Sollte es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Abgeordnetenentschädigung kommen, so ist aufgrund des insofern überwiegenden organschaftlichen Charakters 260 wohl grundsätzlich von einem Verfassungsstreit auszugehen, für den der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet ist261 . Der individualrechtliche Charakter der Abgeordnetenentschädigung tritt dahinter zurück262 bzw. wird vom Bundesverfassungsgericht mitjudiziert 263 . Bei der Frage des Rechtswegs ist dabei auf den aktuellen Status des Klägers abzustellen 264 . Als Mandatsinhaber steht dem Abgeordneten das Organstreitverfahren offen (Art. 93 Abs. I Nr. 1 i.Y.m. §§ 63 ff. BVerfGG)265. Vor und nach Innehabung des Mandats läßt das 258 Vgl. in diesem Zusammenhang VerfGH NW vom 16.5. 1995, Aktenzeichen 20/93, in: BT-Drs. 13/1803 Anhang I, S. 15 (18). Dort stellt der VerfGH fest, daß auf die Festsetzung der Kostenpauschale die Maßstäbe der Außenrechtssetzung anzuwenden sind, woraus sich schließen läßt, daß das Gericht vom innenrechtsregelnden Charakter der Kostenpauschale ausgeht. Als Begründung für diese ,.Maßstabsanwendung" führt das Gericht zwar den statussicherenden Charakter der Kostenpauschale an, weshalb aber gerade auf Statusrechte die Maßstäbe der Außenrechtssetzung anzuwenden sind, erklärt das Gericht nicht. Dies erscheint insbesondere deshalb fraglich, da andere statussichernde Rechte, wie z. B. das Recht des Abgeordneten auf Immunität gern. Art. 46 Abs. 2 und 3 in der Geschäftsordnung des Bundestages (Anlage 6 und insbesondere Anlage 7 - hierzu Magiera. Sachs, Art. 46 Rn. 19 f.) verfahrenstechnisch geregelt wird. Vgl. noch unten S. 294 ff. 259 Vgl. Umbach. FS Zeidler 11, S. 1235 (1240). Zum Rechtsschutz der Abgeordneten allgemein, vgl. Welti. S. 370 ff. 260 Vgl. Maunz. M/D, Stand der Ergänzungslieferung (32. Lieferung) Oktober 1996, Art. 48 Rn. 15. 261 Im Gegensatz zur Weimarer Republik, als man noch von der Unklagbarkeit des Entschädigungsanspruches ausging. Vgl. Anschütz. WRV. Art. 40 Anm. 3; Horn. S. 80 ff. Ohne Begründung für die (junge) Bundesrepublik hieran anknüpfend. vgl. Giese. GG (4. Aufl.), Art. 48 Anm. Abs. 2 4. Für die Zeit des Deutschen Reiches, vgl. Hatschek. S. 623; Pitamic. S. 97 ff. 262 Vgl. Umbach. FS Zeidler 11, S. 1235 (1240). 263 Vgl. Schmidt-Aßmann. M/D, Art. 19 Abs. 4 Rn. 175 m. w. N., zur strittigen Frage, ob das BVerfG, sofern es mit dem Schutz von Individualrechten betraut ist, zum Rechtsweg gern. Art. 19 Abs. 4 zu zählen ist. 264 Vgl. Schneider, AK, Art. 38 Rn. 25; Umbach. FS Zeidler 11, S. 1235 (1241 ff.• 1249 ff.). 265 Vgl. Klein. HStR 11. § 41 Rn. 40; Schneider, AK, Art. 38 Rn. 25; Umbach. FS Zeidler 11, S. 1235 (1241). Vgl. auch BVerfGE 4, S. 144 (147 ff.). A.A. Meyer, v. Münch (1. Aufl.), Art. 93 Rn. 31; Lorenz. FG Bundesverfassungsgericht I, S. 225 (246). Allerdings scheint
B. Das Wesen der Abgeordnetenentschädigung
63
Bundesverfassungsgericht266 die Verfassungsbeschwerde zu (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a i.Y.m. §§ 90 ff. BVerfGG)267. Dieser Rechtsweg ist jedoch nur dann gegeben, wenn es um Rechtspositionen geht, die mit dem verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten zusammenhängen 268 . Probleme ergeben sich, wenn entweder der Verfassungsrechtsweg ausgeschlossen ist oder es um eine bereits konkretisierte Entschädigung geht. Der erste Fall dürfte aufgrund der Wiedervereinigung nicht mehr zum Tragen kommen. Mitte der achtziger Jahre kam es zu einem Rechtsstreit um eine Entschädigung an einen Berliner Abgeordneten. In diesem Fall entschied das Bundesverwaltungsgericht 269 , daß der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei. Offensichtlich sollte so der Rechtsweg überhaupt eröffnet werden, da aufgrund des Sonderstatus von Berlin der verfassungsgerichtliche Weg nicht eröffnet war 70 . Für den zweiten Fall ließe sich beispielsweise an eine Rückforderung bereits gewährten Übergangsgeldes denken. Das Bundesverwaltungsgericht271 entschied auch hier für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs. Als Grund führte das Gericht an, daß der Status des Abgeordneten nach Beendigung des Mandats nicht mehr berührt sei 272 . Außerdem handle es sich bei dem die Entscheidung treffenden Landtagspräsidium quasi um eine Verwaltungsbehörde, ähnlich wie bei der Vergabe von Finanzmitteln an die Parteien 273 .
IV. Die Abgeordnetenentschädigung und mandatsbedingte Sonderabgaben Ein weiteres Problem sind die sog. mandatsbedingten Sonderabgaben der Parlamentarier, welche sich u.U. mittelbar auf die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung auswirken könnten. Dabei handelt es sich um Beiträge der Abgeordneten an ihre Partei und Fraktion auf der Grundlage von Satzungsbeschlüssen, die Meyer, v. Münch (2. Aufl.), Art. 93 Rn. 31, seine Ansicht geändert zu haben; jedenfalls findet sich in der 2. Aufl. kein Hinweis zu der von ihm vormals vertretenen Ansicht. 266 BVerfGE 32, S. 157 (162 ff.); ebenso BVerfGE 40, S. 296 (308 ff.). 267 Vgl. auch Klein, HStR 11, § 41 Rn. 40; Umbach, FS Zeidler 11, S. 1235 (1241). Zur Kritik an dieser Rspr., vgl. Schneider, AK, Art. 38 Rn. 25. 268 Vgl. Umbach, FS Zeidler 11, S. 1235 (1240). 269 BVerwG, NJW 1985, S. 2344 ff. 270 Zur Kritik vgl. Pestalozza, NJW 1986, S. 33 ff.; Ziekow, NJW 1986, S. 1595 ff. 271 BVerwG, NVwZ 1992, S. 173. 272 Vgl. Schneider, AK, Art. 38 Rn. 25, der die Ansicht des Gerichts für inkonsequent hält, da es sich bei jedweder Ausprägung der Abgeordnetenentschädigung, sei es Übergangsgeld oder Altersversorgung, um ein Statusrecht handelt, welches im Streitfall den Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet. 273 Zustimmend Umbach, FS Zeidler 11, S. 1235 (1252 m. w. N.).
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1. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
über den üblichen Mitgliedsbeiträgen liegen. Diese Zahlungen finanzieren zu einem nicht unerheblichen Teil die Arbeit der Parteien mit274 . Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem sog. Diätenurteil 275 festgestellt, daß derartige Zahlungen nicht bei der Berechnung der Abgeordnetenentschädigung mitberücksichtigt werden dürfen 276 . In einer späteren Entscheidung hat das Gericht diese Zahlungen als verfassungsrechtlich zulässig erachtet 277 . Dabei hat es darauf abgestellt, daß die aus öffentlichen Mitteln stammende Abgeordnetenentschädigung den Abgeordenten zur privaten Verfügung stehe, so daß diese Sonderabgaben keine unzulässige verdeckte Parteien- oder Fraktionenfinanzierung aus öffentlichen Mitteln sei. Gleichwohl ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Abgaben umstritten. Nach einer Ansicht sind derartige Zahlungen verfassungsrechtlich unzulässig278 . Begründet wird diese Ansicht damit, daß der Sinn und Zweck der Abgeordnetenentschädigung, nämlich die Unabhängigkeit der Parlamentarier von ihren Parteien und Fraktionen zu sichern, durch diese Zahlungen unterlaufen würde. Eine Zahlungsverweigerung würde zu einem Ende der "Karriere" führen. Außerdem sei unter Berücksichtigung dieser Zahlungen die Abgeordnetenentschädigung entweder unangemessen oder aber sie führten zu einer unzulässigen verdeckten Parteien- und Fraktionenfinanzierung aus öffentlichen Mitteln 279 . Die Gegenansicht hält die mandatsbedingten Sonderabgaben, zumindest in einem gewissen Umfang, für verfassungsrechtlich zulässig 28o. Hierfür wird angeführt, daß es sich bei den Zahlungen um eine freiwillige Leistung handele. Außerdem würde die Sonderabgabe die umflinglichen Leistungen der Parteien abgelten, wie z. B. Wahlkampfhilfe und Wahlbüro im Wahlkreis. Überdies würde die Abgeordnetenentschädigung durch die Zahlungen nicht unangemessen, da die Leistung der Sonderabgabe lediglich Auswirkungen auf den Lebensstandard der Parlamentarier habe.
274 So betrug nach Schätzung der sog. Parteienfinanzierungskommission der Anteil der mandats bedingten Sonderabgaben an dem gesamten Beitragsaufkommen der Parteien im Jahr 1989 ca. 20-25%, vgl. BT-Drs. 12/4425, S. 18. m BVerfGE 40, S. 296 (316). 276 Da der Begriff der Abgeordnetenentschädigung weit zu verstehen ist, dürfen diese Zahlungen auch nicht als mandatsbedingter Aufwand bei der Berechnung der Kostenpauschale berücksichtigt werden. 277 BVerfG, Beschluß vom 19.5. 1982, Az.: 2 BvR 630/81, DÖV 1982, S. 153 f. 278 Vgl. v. Arnim, BK, Art. 21 Rn. 212; ders., PariR, § 16 Rn. 99; ders" DÖV 1983, S. 155 (156); Klatt, ZPar11976, S. 61 (64). 279 Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang auf § 27 Abs. 2 NdsAbgG hingewiesen, wonach die Abgeordneten niemanden mit Rücksicht auf ihr Mandat Zahlungen leisten dürfen. 280 Vgl. Henke, BK, Art. 21 Rn. 113 ff.; Henkel, DÖV 1977, S. 350 (354 f.); Stober. ZRP 1983, S. 209 (212).
B. Das Wesen der Abgeordnetenentschädigung
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Auf den ersten Blick erscheinen die mandatsbedingten Sonderabgaben tatsächlich mit Art. 48 Abs. 3 nicht vereinbar. Psychologisch mag es weder ausgeschlossen sein, daß damit eine bestimmte Abhängigkeit der Abgeordenten zu ihren Parteien und Fraktionen bewirkt wird, noch, daß diese Leistungen bei der Bemessung der Abgeordnetenentschädigung von den Parlamentarierern (unbewußt) mitkalkuliert werden. Andererseits kann es auch nicht Aufgabe des Verfassungsrechts sein, die Abgeordneten auf einen bestimmten Lebensstandard zu verpflichten. Es erscheint auch nicht unbillig, daß die Abgeordneten - einem Franchise-System vergleichbar - die jeweilige sie unterstützende Partei an ihrem (persönlichen) Wahlerfolg teilhaben lassen. Immerhin stellen die Parteien den Parlamentariern - und auch solchen, die es nicht geworden sind - technische Möglichkeiten zur Verfügung, die ein parteiloser Kandidat aus eigener Tasche bezahlen müßte 281 . Insoweit ist es im Anschluß an Henke 282 angebracht, "die Verhältnisse realistisch, aber nicht zynisch zu betrachten". Sicherlich können die mandatsbedingten Sonderabgaben das freie Mandat in gewisser Weise gefährden. Diesseibe "Gefährdung" läge aber durch die Drohung einer Partei vor, einen "abweichenden" Abgeordenten nicht wieder zur Wahl aufzustellen. Auch diese Konstellation würde u.U. zu einem abrupten "Karriereknick" führen. Die durch das Grundgesetz gesetzten Bedingungen wird man nicht durch noch so ausgekügelte Vorgaben beseitigen können. Vielmehr wird man von den Abgeordenten erwarten dürfen, daß sie sich im ,,Ernstfall" gegen ihre Partei stellen. Dieses nötige Maß an Zivilcourage erwartet das Grundgesetz ohnehin von den Inhabern eines freien Mandats. Ein verfassungsrechtlich zulässiges Maß der mandatsbedingten Sonderabgaben im Verhältnis zur Abgeordnetenentschädigung zu finden, dürfte schwierig sein, da die Grenzen insoweit fließend sind. Sinnvoller und von praktisch größerem Nutzen wäre es, die Parteien und Fraktionen dazu zu verpflichten, diese Abgaben gesondert in ihren Rechenschaftsberichten auszuweisen. Bis in die Mitte der achtziger Jahre war dies im Parteiengesetz auch vorgeschrieben 283 . In einem solchen Fall wäre ein weit zu verstehendes Öffentlichkeits- und Transparenzgebot erfüllt. Dabei hätte die Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich selbst ein Bild davon zu machen, inwieweit die Abgeordneten "frei" von ihren Parteien und Fraktionen sind oder von einer "verdeckten" öffentlichen Finanzierung der jeweiligen Apparate auszugehen ist. Wie die z.T. heftigen Diskussionen um die Abgeordnetenentschädigung gezeigt haben, kann ein öffentlicher Diskurs bereits zu einer Korrektur führen, ohne daß das Bundesverfassungsgericht hierzu angerufen werden müßte.
281 Inwieweit nämlich die Wahlkampfkostenerstattung zur Deckung der tatsächlichen Kosten reicht, stünde dann allein im Risiko des parteilosen Kandidaten. 2R2 Henke. BK, Art. 21 Rn. 117. 283 Dieser bis dahin gesonderte Ausweis der Sonderabgaben wurde aufgrund der mögIchen Verfassungswidrigkeit fallen gelassen und unter den "normalen" Beiträgen "verbucht". Vgl. hierzu den Bericht der sog. Parteienfinanzierungskommission, BT-Drs. 12/ 4425, S. 18. 5 v. Waldthausen
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I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
c. Schlußbetrachtung Nunmehr ist die im Laufe der Geschichte eingetretene inhaltliche Änderung der Abgeordnetenentschädigung rechtlich zu würdigen. Dabei soll die eingangs aufgeworfene These untersucht werden, ob durch diese Änderung "die Gefahr einer mißbräuchlichen Selbstbedienung in die Nähe gerückt ist,,284.
I. Verfassungswandel des Gesetzesvorbehalts des Art. 48 Abs. 3 S. 3 RUpp 285 meint, durch das sog. Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts sei der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts gern. Art. 48 Abs. 3, also die Abgeordnetenentschädigung, durch einen anderen "ausgewechselt worden". Juristisch faßbar wird der Begriff des "Auswechselns", wenn man ihn durch den des Wandels ersetzt. Der Begriff des Wandels beschreibt im Verfassungsrecht die Situation, daß sich, bei unverändertem Wortlaut einer Verfassungsnorm, deren inhaltliche Konkretisierung bzw. Sinn verändert hat 286 . In bezug auf die Abgeordnetenentschädigung könnte dies zutreffen 287 . Wie aufgezeigt wurde, knüpfte der Parlamentarische Rat und der erste Bundestag an die Tradition aus der Weimarer Republik an. Das heißt, den Abgeordneten wurde eine vorveranschlagte, pauschalierte Aufwandsentschädigung gewährt, die keine bedeutende Unterstützung des Lebensunterhalts darstellte. Im Laufe der Zeit erfuhr die Entschädigung diverse Erhöhungen und eine geänderte inhaltliche und strukturelle Ausgestaltung. Als besonders bedeutsam müssen hier die Loslösung der Entschädigung von der Kostenpauschale (1958) sowie die Einführung einer Altersversorgung (1968) angesehen werden. Gerade letztere macht deutlich, daß es bei der seither gewährten "Entschädigung" um eine Sicherung des Lebensunterhalts ging. Das sog. Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 stellt insoweit lediglich einen deklaratorischen Schlußpunkt dieser Entwicklung dar. Schlaich/Schreine?88 bezweifeln, ob diese Entwicklung tatsächlich ein "echter Fall" von Verfassungs wandel ist. Sie beziehen sich dabei auf die Darstellung von So Rupp, ZG 1992, S. 285 (288). Rupp, a. a. 0.; ihm folgend v. Arnim, "Der Staat sind wir!", S. 112 f. 286 Vgl. Hesse, Grundzüge, S. 15; Stern I, S. 160 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Kritisch zu Hesse sowie instruktiv zur Verfassungsinterpretation, vgl. Böckenförde, NJW 284 285
1976, S. 2089 (2096, insbesondere FN 89). Allgemein zum Wandel der Normsituation, vgl. Larenz. S. 350 ff. 287 So BVerfGE 40, S. 296 (311), mit der Begründung, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht mehr eine Aufwandsentschädigung, sondern ein "Gehalt" darstelle. 288 Schlaich/Schreiner; NJW 1979, S. 673 (675).
C. Schlußbetrachtung
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Hatschek 289 aus dem Jahr 1915, als dieser davon sprach, daß in Demokratien das Abgeordnetenmandat "besoldet" sei. Schlaich/Schreine?90 sind der Ansicht, der Parlamentarische Rat hätte daher die sich abzeichnende Entwicklung vor Augen haben können. In dieselbe Richtung zielt wohl auch die Ansicht von Seuffert291 , nach der die beschriebene Entwicklung von jeher im demokratischen Parlamentarismus angelegt sei. Dieses ergäbe sich nicht zuletzt aus dem Wortlaut der die Entschädigung regelnden Verfassungsartikel. Sie sprächen gerade nicht von einer "Aufwandsentschädigung" . Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß sich der Ursprung des Art. 48 Abs. 3 nachweisbar auf Art. 32 S. 2 RV zurückführen läßt292 . Auch Art. 32 S. 2 RV sprach von einer "Entschädigung" und meinte inhaltlich ,,Aufwandsentschädigung". Unzweifelhaft kann 1906 kaum von einer Demokratie im Deutschen Reich die Rede sein. Daß die Weimarer Republik hieran anknüpfte, brachte trotz des tiefgreifenden staatsrechtlichen Wandels keine inhaltliche Neubewertung. Außerdem konnte nachgewiesen werden, daß die ersten Entschädigungsregeln an die Weimarer Tradition anknüpften und es erst ab Ende der fünfziger Jahre zu einem Umdenken kam, was die Ausgestaltung der Abgeordnetenentschädigung anbelangte 293 . Die diskussionslose Übernahme des Art. 32 S. 2 RV durch die Weimarer Reichsverfassung und die anschließend ebenfalls unerörtert gebliebene Übernahme des Art. 40 WRV durch das Grundgesetz (Art. 48 Abs. 3), läßt den Schluß zu, daß weder der Parlamentarische Rat noch der erste Bundestag die Entwicklung "vor Augen gehabt hat". Es mag vielleicht zutreffen, daß diese Entwicklung vorhersehbar war, doch spielt dies für die (objektive) Beurteilung eines Verfassungswandels keine Rolle. Es kann nicht darauf ankommen, was die Verfassungsgeber hätten erkennen können. Vielmehr ist darauf abzustellen, an welche Regelung sie (inhaltlich) anknüpften und sich somit ein bestimmtes Verständnis zu eigen gemacht haben 294 . Erst diese Vorgehensweise ermöglicht eine unter Umständen zu erfolgende Neubewertung. Gleichwohl könnte ein Verfassungswandel unter einem anderen Gesichtspunkt ausgeschlossen sein. Abstrakt betrachtet, spielt es keine Rolle, ob über eine AufHatschek, S. 604 ff., insbesondere S. 614. Schlaichl Schreiner, a. a. O. 291 Seuffert. BVerfGE 40. S. 330 (346). 292 Zur jeweils diskussionslosen Übernahme des Art. 32 S. 2 RV durch Art. 40 WRV und des Art. 40 WRV durch Art. 48 Abs. 3. vgl. oben S. 43 f. und S. 47 f. 293 Vgl. oben S. 47 f. 294 V gl. Larenz. S. 350: ,,Die Zeit aber steht nicht still; was sich zur Entstehungszeit des Gesetzes in einer bestimmten, vorn Gesetzgeber gewünschten Weise auswirkte. kann sich in der Folgezeit in einer Weise auswirken, die der Gesetzgeber weder vorhergesehen hat. noch. wenn er sie hätte voraussehen können. zu billigen bereit gewesen wäre." Hervorhebung durch den Verfasser. 289
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5'
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I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
wandsentschädigung oder eine den gesamten Lebensunterhalt sichernde Leistung beschlossen wird: In beiden Fällen handelt es sich um Geldleistungen an die Parlamentarier. Eine derartige Sichtweise würde jedoch den materiellen Kern der insoweit unterschiedlichen Geldzuwendungen verfehlen. Solange die Entschädigung, zumindest zum überwiegenden Teil, den entstandenen Mehraufwand abdecken wollte, war die Höhe einer derartigen Aufwandsentschädigung in gewisser Weise objektiv nachprüfbar, mindestens nachvollziehbar. Heute jedoch stellt sich die schwer beantwortbare Frage nach dem "gerechten Lohn eines Abgeordneten,,295. So hat unter anderem die Diskussion über eine etwaige Kopplung bzw. Orientierung der Entschädigung von Bundestagsabgeordneten an die Richterbesoldung R 6 gezeigt, daß es kaum möglich ist, das Amt und die Tätigkeit des Abgeordneten mit anderen Berufen zu vergleichen, um auf diese Weise zu einer "gerechten", "angemessenen" (Art. 48 Abs. 3 S. 1) Entschädigung zu gelangen 296 . Nicht zuletzt das Festsetzungsverfahren trägt zu dieser Schwierigkeit bei 297 . Heute besteht kaum mehr die Möglichkeit, anders als vielleicht noch bei einer Aufwandsentschädigung, in objektiv nachvollziehbarer Weise die statusangemessene Unterstützung des Lebensunterhalts des Abgeordneten zu bestimmen. Darüber hinaus ist es für den Abgeordneten, abgesehen von dem quantitativen Unterschied, auch ein qualitativ anders zu bewertender Umstand, ob er "nur" Geld für ein Büro oder dergleichen erhält, oder aber, ob er und seine Familie von den Geldzuwendungen ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen oder müssen. Hinsichtlich des letzteren stellt sich dies gleichzeitig als eine Entscheidung über einen bestimmten Lebensstandard dar. Zu bedenken ist ferner, daß erst unter der Geltung des Grundgesetzes ein Teil der Abgeordnetenentschädigung ein subjektives öffentliches Recht der Abgeordneten darstellt. Zuvor war die als Aufwandsentschädigung ausgestaltete Abgeordnetenentschädigung rein internes Organrecht298 . Seit Bestehen der Bundesrepublik ist es mithin zu einer geänderten inhaltlichen Konkretisierung des Art. 48 Abs. 3 gekommen. Diese Änderungen begründen einen Verfassungswandel des Gegenstandes des Gesetzesvorbehaltes 299 . So der gleichnamige Aufsatz von Kissel, FS Zeuner, S. 79 ff. Vgl. oben S. 57 ff. 297 Vgl. Kissel, FS Zeuner, S. 79. 298 Dies läßt sich daran ablesen, daß im Deutschen Reich, der Weimarer Republik und zu Beginn der Bundesrepublik von der Unklagbarkeit der Abgeordnetenentschädigung ausgegangen wurde. Zum Deutschen Reich, vgl. Hatschek. S. 615 (durch die OrgansteIlung bedingter Mehraufwand) und S. 623 (Unklagbarkeit). Für die Weimarer Republik, vgl. Anschütz, WRV, Art. 40 Anm. 3 (öffentlichrechtlicher Anspruch im ordentlichen Rechtsweg nicht verfolgbar). Für die Bundesrepublik, vgl. Giese, GO (4. Aufl.), Art. 48 Anm. 4 (unklagbar); ders., GG (7. Aufl.), Art. 48 Anm. 4 (als mit dem Status verbundenes Recht im Organstreit - nicht mit der Verfassungsbeschwerde - geltend zu machen). 299 Ohne Angabe von Gründen nur unter Bezugnahme auf BVerfGE 40, S. 296 ff., vgl. Böckenförde, HStR I, § 19 Rn. 46. 295
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C. Schlußbetrachtung
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11. Verfassungsdurchbrechung durch Verfassungswandel? Fraglich ist sodann, ob es sich bei diesem Verfassungswandel um eine Verfassungsdurchbrechung handelt. Unter einer Verfassungsdurchbrechung soll hier die Abweichung des konkretisierten Verfassungsrechts vom Text des Grundgesetzes ohne entsprechende Textänderung verstanden werden 3OO . Einer derartigen außerverfassungsrechtlichen Entwicklung ist durch Art. 79 Abs. 1 S. 1 eine deutliche Grenze gesetzt. Danach müßte für den Fall, daß die neue, inhaltlich gewandelte Konkretisierung die Grenzen des Normtextes überschreitet, ein ausdrücklich den Text des Grundgesetzes änderndes Gesetz mit Zweidrittelmehrheit (Art. 79 Abs. 2) verabschiedet werden 301 . Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem ,,Diätenurteil", ohne es ausdrücklich zu erwähnen, die Unterstützung des vollen Lebensunterhalts der Abgeordneten als (noch) vom Wortlaut des Art. 48 Abs. 3 S. 1 (..angemessene Entschädigung") gedeckt angesehen. In der älteren Literatur findet sich nur die Ansicht Kirchhojs302. Er hebt insoweit den deklaratorischen Charakter der Entscheidung zu der bereits eingetretenen Entwicklung hervor. Dabei verweist er auf andere Fälle des Bundesverfassungsgerichts, in denen eine Sprachanalyse und bewußte Sprachverwendung eine rechtserhebliche Entwicklung überhaupt erst auslösen sollte. Erst in der neueren Literatur nimmt Deternumn 303 hieran anscheinend Anstoß. Er ist der Ansicht, daß sich die volle Unterstützung des Lebensunterhaltes, die er als Besoldung versteht, weder mit dem Wortlaut - insbesondere im Vergleich zum Begriff der Entschädigung in den Art. 14, 15 -, der geschichtlichen Entwicklung noch aufgrund der den Begriff der Entschädigung ergänzenden Worten ..angemessen" und ..Unabhängigkeit sichernd" in Einklang bringen lassen 304 . Versteht man unter der Entschädigung einen angemessenen Ausgieich 305 , so würde dies bei den zeitlich voll in Anspruch genommenen Abgeordneten, im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht306 , auch eine volle Unterstützung des Le300 Vgl. Böckenförde, HStR I, § 19 Rn. 46; Stern /, S. 160 und S. 163. Zu eng insoweit auf das Verfahren der Verfasssungsänderung durch Gesetz bezogen, vgl. Badura, Staatsrecht, S. 497; Hesse, Grundzüge, S. 15 f. 301 Eine Verfassungsänderung ,,kraft inteq>retativen Verfassungswandels" ist demnach ausgeschlossen. Zitat von Klein bei Kirchhof, GS Klein, S. 227 (231). Zur Verfassungsänderung, vgl. Hesse, Grundzüge, S. 15; Stern /, S. 153 ff. 302 Kirchhof, GS Klein, S. 227 (228). Gleichzeitig warnt er jedoch vor nachlässigem Sprachgebrauch (ohne Textänderung des Grundgesetzes), Kirchhof, a. a. 0., S. 234. 303 Determann, BayVBI. 1997, S. 385 ff. 304 Determann, a. a. 0., läßt allerdings offen, ob er aus diesen Gründen das Verdikt der Verfassungsdurchbrechung fällen will, er spricht insofern lediglich davon, daß das Bundesverfassungsgericht durch seine Rechtsprechung im Diätenurteil (BVerfGE 40, S. 296 ff.) den Wortlaut ..mißachtet" habe. 30S Duden, ,.Entschädigung", S. 223. 306 BVerfGE 40, S. 296 (312).
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I. Teil: Der Gegenstand des Gesetzesvorbehalts
bensunterhalts bedeuten. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Abgeordneten in der Regel nicht mehr ihrem "alten" Beruf nachgehen können und daher voll unterstützt werden müssen. Den Begriff der Entschädigung allein in einem Gegensatz zur Besoldung zu verstehen 307 , mag vielleicht historisch richtig sein, für eine Überschreitung des Wortlauts eignet sich diese Gegensatzbildung nicht. Ob die Auslegung des Art. 48 Abs. 3 auch eine andere Ausgestaltung des Begriffs der Entschädigung zuläßt, ist eine ganz andere - u. a. politisch zu beantwortende 308 - Frage 309 . Festzustellen ist daher, daß die "neue" inhaltliche Konkretisierung des Art. 48 Abs. 3 nicht dessen Textgrenzen überschreitet und daher auch keine Verfassungsdurchbrechung im oben genannten Sinn darstellt.
111. "Gesteigerte Gefahr mißbräuchlicher Selbstbedienung"? RUpp310 meint, durch den Verfassungswandel "wuchs den Abgeordneten über den Gesetzesvorbehalt ein Selbstentscheidungsrecht von so großem politischen und finanziellem Gewicht zu, daß die Gefahr einer mißbräuchlichen Selbstbedienung in die Nähe rückt. ,,311.
Was das politische Gewicht der Abgeordnetenentschädigung angeht, so konnte festgestellt werden, daß nicht erst heute die Entschädigungsfrage der Abgeordneten Einfluß auf Zusammensetzung und Entscheidung des Parlaments nimmt. Daß sich dies durch den Verfassungswandel geändert haben soll, ist nicht erkennbar. Allerdings hat der Verfassungswandel zweifelsohne bewirkt, daß heute die Entscheidung über die Abgeordnetenentschädigung kaum mehr objektivierbar ist. Dabei spielt es offensichtlich nicht nur eine Rolle, daß die Abgeordneten eine quantitativ höhere Entschädigung erhalten, sondern vor allem, daß sich die Entschädigung mitbestimmend über den Lebensstandard der Abgeordneten auswirkt. Gerade letzteres scheint das größer gewordene "politische und finanzielle Gewicht" auszumachen. In diesem Zusammenhang könnte sich insbesondere problematisch aus307 Deutlich vor Mißverständnissen warnt in diesem Zusammenhang Klein, MI D, Art. 48 Rn. 116. 308 Vgl. oben S. 57 f. 309 So geht Determann, BayVBI. 1997, S. 385 (392 ff.), zum Schluß seines Aufsatzes der Frage nach, warum den Abgeordneten nicht wie den Wehrpflichtigen nur der Verdienstausfall ersetzt werden soll. Der Frage, ob dies verfassungsrechtlich zulässig wäre, soll hier nicht nachgegangen werden. Vgl. hierzu auch v. Arnim, PVS 1998, S. 345 ff.; a.A. Welti, S. 213. 310 Rupp, ZG 1992, S. 285 (288). 3ll Der Begriff der "Selbstbedienung" sollte gegen einen wertneutralen Begriff ausgetauscht werden. Vgl. z. B. Achterberg, AöR 109 (1984), S. 503 ff.: "Die Abstimmungsbefugnis des Abgeordneten bei Betroffenheit in eigener Sache" oder Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 ff.: "Gesetzgeber in eigener Sache".
C. Schlußbetrachtung
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wirken, daß die Abgeordnetenentschädigung aufgrund der Entwicklung in der Bundesrepublik mittlerweile ein subjektives Recht der Abgeordneten begründet 312 • Diese Tatsache könnte in der Tat zu einer Neubewertung des Festsetzungsverfahrens führen. Was allerdings die Aussage angeht, durch die Änderung des Entscheidungsgegenstandes sei "eine mißbräuchliche Selbstbedienung in die Nähe gerückt", so läßt sich dies erst nach einer Analyse und Beurteilung des (bisherigen) Festsetzungsverfahrens nach Art. 48 Abs. 3 S. 3 verwerfen oder verifizieren 313 .
Vgl. oben S. 66 ff. m Hierzu unten S. 194 ff.
312
Zweiter Teil
Kriterien zur rechtlichen Beurteilung des Festsetzungsverfahrens, Art. 48 Abs. 3 S. 1 In der Einleitung wurde darauf hingewiesen, daß die Diskussion über die Abgeordnetenentschädigung ihre Brisanz nicht zuletzt aus dem Festsetzungsverfahren erhält. Wenngleich die materielle Richtigkeit staatlicher Entscheidungen stets umstritten sein wird 1, so sollen doch die Verfahren zur Entscheidungsfindung in einer rechtsstaatlichen Demokratie die größt- und bestmögliche Gewähr dafür bieten, derart ,,richtige" Entscheidungen zu finden 2 • Die Bedeutung der Verfahren und die Beachtung ihrer Regeln verhalten sich dabei proportional zum Inhalt der Entscheidungen. Das heißt, je weniger inhaltlich dicht determiniert die Entscheidungen sind, um so wichtiger werden die Verfahren 3. Für das Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung wurde im ersten Teil festgestellt, daß der Gegenstand der Entscheidung im Laufe der geschichtlichen Entwicklung an inhaltlicher Dichte verloren hat4 • Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Diskussion über das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung zu einer "Herausforderung der rechtsstaatlichen Demokratie geworden"s. Für eine erste Orientierung sollen die Ansichten vorgestellt werden, die sich mit den Problemen des Festsetzungsverfahrens auseinandersetzten.
A. Die Rechtsprechung zum bisherigen Verfahren Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mehrmals zur Abgeordnetenentschädigung geäußert6 . Für das Festsetzungsverfahren hat insbesondere das sog. Vgl. Isensee, HStR III, § 52 Rn. 91. Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 48; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 89. Zur "Richtigkeit" einer staatlichen Entscheidung im statischen bzw. prozeduralen Sinn vgl. oben S. 52 ff. und unten Teil 2 G und H. J Vgl. v. Amim, Gemeinwohl, S. 48 ff.. 4 Vgl. oben S. 66. 5 V. Arnim, ,,Der Staat sind wir''', S. 112. Linck, ZParl 1995, S. 683 (684), meint, daß das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung immer noch (nach dem Scheitern der Verfassungsänderung im Herbst 1995) "auf der Tagesordnung bleibe". 6 Vgl. BVerfGE 4, S. 144 ff.; 32, S. 157 ff.; 40, S. 296 ff.; 76, S. 256 (341 f.); 85, S. 264 (291 f.). I
2
A. Die Rechtsprechung zum bisherigen Verfahren
73
Diätenurteil aus dem Jahr 1975 Bedeutung erlangt 7 . In dem Verfahren ging es um die Verfassungs beschwerde eines Bewerbers um einen Sitz im saarländischen Landtags. Dieses Verfahren veranlaßte das Gericht zu einer grundsätzlichen Stellungnahme über die Abgeordnetenentschädigung sowie unter anderem an zwei Stellen auch zum Festsetzungsverfahren 9 . Die erste SteIle betraf eine - bis dato nicht nur saarländische - Regelung, wonach die Abgeordnetenentschädigung prozentual an die Beamtenbesoldung gekoppelt war. Diesen Automatismus verwarf das Gericht lO . Zum einen würde sich eine Annährung der Abgeordnetenentschädigung an die Beamtenbesoldung nicht mit dem unterschiedlichen Charkater bei der Geldleistungen vertragen. Zum anderen würde es das Parlament der verfassungsrechtlich gebotenen Pflicht entheben, jeweils selbständig die politische Entscheidung über die Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Desweiteren verwarf das Gericht eine Delegation von Entscheidungskompetenzen auf das (Landtags-)Präsidium 11. Es sei in einer parlamentarischen Demokratie unvermeidbar, daß das Parlament in eigener Sache entscheide. In diesem FaIle forderten jedoch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, daß der Willensbildungsprozeß durchschaubar und öffentlich vonstatten gehe. Das Gericht begründet dies mit dem Vertrauen des Volkes in das Parlament, welches nur bei genügender Transparenz realisierbar sei. Im übrigen hielt das Gericht die Öffentlichkeit für "die einzige wirksame KontroIle". Von Bedeutung für das damalige Verfahren und darüber hinaus ist die Feststellung des Gerichts 12, daß es sich bei diesen aus Art. 48 Abs. 3 abgeleiteten Grundsätzen um ,,Essentiale des demokratischen Prinzips" handele. Nur so war es dem Gericht möglich, über Art. 28 Abs. 1 S. 1, die aus Art. 48 Abs. 3 abgeleiteten Grundsätze auf die saarländischen Regelungen anzuwenden 13. So erhielt dieses Urteil aber auch weitreichende Wirkung für die Ausgestaltung der Festsetzungsverfahren in allen Ländern und dem Bund. Bislang wurde auf die verworfenen "Alternativen" verzichtet l4 . Aus neuerer Zeit stammt ein Urteil des Thüringer BVerfGE 40, S. 296 ff. Zum Sachverhalt und zu den prozessualen Voraussetzungen vgl. BVerfGE 38, S. 326 ff. Eine Zusammenfassung findet sich auch bei Klein, FS Blümel, S. 225 (226). Zum Rechtsweg, wenn Fragen der Abgeordnetenentschädigung in Rede stehen, vgl. oben S. 62 f. 9 Kritisch zum (ausgedehnten) Prüfungsumfang, vgl. Menger; VerwArch 67 (1976), S. 303 ff. Kritisch zum gesamten Urteil, vgl. Klein, FS Blümel, S. 225 (238). IO BVerfGE 40, S. 296 (316 f.). II BVerfGE 40, S. 296 (327). 12 BVerfGE40, S. 296 (319). 7
8
Hierzu instruktiv Schlaichl Schreiner; NJW 1979, S. 673 (674 f.). Vgl. VerfGH NW vom 16.5.1995, Aktenzeichen 20/93, in: BT-Drs. 1311803 Anhang I, S. 15 f. In diesem landesgerichtlichen Urteil werden wesentliche Passagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wiederholt und dienen als Stütze zur Verwerfung einer Delegation von Kompetenzen. 13
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Verfassungsgerichtshofes 15, in dem eine Indexierung der Abgeordnetenentschädigung mit der Thüringer Landesverfassung und dem Grundgesetz für vereinbar gehalten wird. Dabei stellte der Verfassungsgerichtshof hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Indexierung der Abgeordnetenentschädigung mit dem Grundgesetz u. a. darauf ab, daß Thüringen - anders als das Saarland im Falle des Diätenurteils eine (landes-) verfassungsrechtliche Regelung über das Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung habe. Im übrigen scheide eine Vorlagepflicht gern. Art. 100 Abs. I aus. Die Verfassungsräume des Bundes und der Länder stünden selbständig nebeneinander. Das Homogenitätsgebot gern. Art. 28 Abs. I S. I verpflichte nur zur Einhaltung eines Mindeststandards, der durch die Thüringer Index-Lösung nicht verletzt sei, zumal über diese Regelung letztlich das Volk abgestimmt habe l6 . Von dem Diätenurteil könnte das Bundesverfassungsgericht allerdings durch zwei später ergangene Entscheidungen seine Ansicht relativiert haben 17 . Beide Urteile fanden aber bislang in der Literatur zum Festsetzungsverfahren nur geringe Beachtung l8 . Inwieweit die Urteile für die hier zu untersuchende Problematik relevant sind, ist gesondert zu erörtern 19.
B. Stellungnahmen in der Literatur Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist in der Literatur teils auf Zustimmung, teils auf Kritik gestoßen. Die nachfolgende Darstellung der unterschiedlichen Meinungen versucht, diese in Meinungsgruppen zu unterteilen.
15 ThürVerfGH Urteil vom 16. 12. 1998, Aktenzeichen VerfGH 20/95, NVwZ-RR 1999, S. 282 ff. 16 Die Entscheidung ist daher betont landes(verfassungs)rechtlich gehalten. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich aber auf die Bundesebene. Das Urteil des ThürVerfGH wird also im folgenden nur hinsichtlich seiner entsprechenden Relevanz für den Bund Erwähnung finden. 17 Vgl. BVerfGE 76, S. 256 (341 ff.).; 85, S. 264 (291 f.). 18 Vgl. zum Beispiel nur in bezug auf BVerfGE 76, S. 256 ff.: Fischer, S. 27 f., erörtert dieses Urteil nur in bezug auf die Höhe der Abgeordnetenentschädigung. Vgl. auch Klein, FS Blümel, S. 225 (249, 253); Scheu, FAZ vom 6. 10. 1995, Nr. 232 S. 10 (11), deutet zwar an, daß dieses Urteil eine Abkehr vom sog. Diätenurteil sein könnte, läßt dies aber angesichts bestehender Zweifel dahinstehen. 19 Vgl. unten S. 219 ff.
B. Stellungnahmen in der Literatur
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I. Gruppe 1: Verfassungs rechtlicher Zwang zur Entscheidung in eigener Sache 1. Zwang zur Entscheidung in eigener Sache
Von einem verfassungsrechtlich gebotenen Zwang zur Entscheidung in eigener Sache geht Klatt20 aus. Aufgrund des Art. 48 Abs. 3 S. 3 müsse das Parlament selbst entscheiden. Wäre ein anderes Beschlußorgan zuständig, würde dies eine Beeinträchtigung der "Souveränität,,21 des Parlaments bedeuten. Im übrigen bestünden auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken an der bisherigen Verfahrenspraxis. Die Abgeordnetenentschädigung stünde im Parlamentsinteresse und brächte den Abgeordneten keine individuellen, unmittelbaren Vorteile, so daß auch keine Interessenkollision zu befürchten sei 22 . Andere Alternativen, wie zum Beispiel die (einfachgesetzliche) Kopplung an die Beamtengehälter oder die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung mit Wirkung für die kommende Legislaturperiode, hält er für "Kunstgriffe'.23. Auch einer Lösung, die Abgeordnetenentschädigung erst mit Wirkung für die nächste Wahlperiode zu erhöhen, steht Klatr 4 zweifelnd gegenüber. Trotz gewisser Bedenken spricht Klatr 5 sich jedoch für eine beratende Kommission aus. Mangels einer anderen Zuständigkeit als der des Bundestages zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung, untersucht Knebel-Pfuhp6 von vornherein in ihrer Arbeit nicht, ob Abgeordnete diesbezüglich "befangen" sind. Peine 27 , der ansonsten für ein Mitwirkungsverbot wegen "Befangenheit" der Abgeordneten optiert, sieht im Falle der Entscheidung in eigener Parlamentsange20 Klatt, ZPari 1973, S. 404 (418). Ihm folgend Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (521 f.), der sich ansonsten weder in diesem Beitrag, noch in seinem Buch (Achterberg, Parlamentsrecht, S. 265 ff.) zu dem Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung äußert. 21 Klatt, a. a. 0., verwendet diesen Begriff ohne Anführungszeichen. Vgl. hierzu noch unten S. 110 f. 22 Zu dieser irrigen Annahme bereits oben S. 60 f. 23 Klatt, ZPar11973, S. 404 (419). 24 Klatt, a. a. O. Schon für das alte Deutsche Reich, vgl. Hatschek, S. 628. Für die Bundesrepublik hat Krüger; DVBI. 1964, S. 220 f., als erste diesen Vorschlag wieder in die Diskussion gebracht, der neuerdings immer mehr Beachtung findet. Vgl. aus neuerer Zeit v. Arnim, NJW 1996, S. 1233 (1239); Brugger; ZRP 1992, S. 321 ff. Ablehnend die Stellungnahme der sog. Kissel-Kommission, BTDrs. 12/5020 S. 21 f. Im Anschluß hieran ebenso, vgl. Linck, ZParl 1995, S. 683 (688); Vogel, ZG 1992, S. 293 (300). 25 Klatt, ZPar11973, S. 404 (419 ff.). 26 Knebel-Pfuhl, S. 61 f., die den Begriff der "Befangenheit" auch für Abgeordnete verwendet. Zu den Bedenken einer solchen Begriffsverwendung, vgl. unten S. 113. 27 Peine, JZ 1985, S. 914 (920 f.). Auch Peine verwendet den Begriff der "Befangenheit" für die Kennzeichnung einer (möglichen) Interessenkollision bei Abgeordneten.
2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
76
legenheit, ohne nähere Begründung, keine potentielle Mißbrauchsgefahr. Damit stützten Peine und Knebel-Pfuhl im Ergebnis die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, da sie grundsätzlich keine Bedenken gegen eine Parlamentsentscheidung in eigener Sache erheben. Diesen Ansichten läßt sich jedoch nicht entnehmen, ob aus einem bestehenden Zwang auch eine Pflicht des Parlaments zur jeweils selbständigen Entscheidung gefolgert werden kann.
2. Verfassungsrechtliche Pflicht zur jeweils selbständigen Entscheidung Ausdrücklich begrüßt wird die durch das Bundesverfassungsgericht konstatierte Pflicht zur jeweils selbständigen Entscheidung über die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung von Häberle 28 • Ausgehend von dem von ihm vertretenen Öffentlichkeitsprinzip der Verfassung29 , sieht er hierin die Verwirklichung eines politisch zu verstehenden, demokratischen Gesetzesbegriffes. Dieser erfülle nunmehr das "verfassungsrechtliche Publizitätsgebot,,3o. Auch Rupp31 schließt sich dem bundesverfassungsgerichtlichen Urteil an. Im Hinblick auf eine Ergänzung des durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedingten Verfahrens der jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung zur Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung, schlägt Rupp die Errichtung einer beratenden Kommission vor32 . Vorschläge, eine Kommission mit Entscheidungsbefugnissen auszustatten, lehnt er ab 33 . Von einem verfassungrechtlich unbedenklichen Zwang zur Entscheidung in eigener Sache geht auch Schneider34 aus. Auch er fordert eine beratende Kommission in der Form eines "Senats für Parlaments fragen" . Außerdem tritt er für eine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung erst mit Wirkung für die nächste Wahlperiode ein. 28
Häberle, NJW 1976, S. 537 (540). Er hebt im Originaltext das Wort "selbständig" be-
sonders hervor.
29 Häberle, Öffentliches Interesse, S. 708 ff. Hierzu Böcken!örde, NJW 1976, S. 2089 (2093 f.); Isensee, HStR VII, § 162 Rn. 48. 30 Häberle, NJW 1976, S. 537 (540). 31 Rupp, ZG 1992, S. 285 (288), stellt allerdings fest, daß das Postulat des Bundesverfas-
sungsgerichts, das Parlament müsse jeweils selbständig über eine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung entscheiden, eine "magere Kompensation" sei. 32 Dabei beruft er sich ausdrücklich auf Vorschläge v. Amims. Rupp, ZG 1992, S. 285 (291), äußert aber schon bezüglich dieses Vorschlags Bedenken, die sich im wesentlichen auf die "politische Natur" der Abgeordnetenentschädigung beziehen. Vgl. auch oben S. 57 sowie unten S. 210 f. 33 Diesen Vorschlag Henkes lehnt Rupp, a. a. 0., ab. 34 Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 ff., insbesondere S. 342 ff.
B. Stellungnahmen in der Literatur
77
Was die Errichtung einer Kommission anbelangt, geht der Vorschlag Vogels 35 hier weiter. Vogel geht im Anschluß an das sog. Diätenurteil zwar von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des derzeitigen Verfahrens aus, doch schlägt er, wohl aus verfassungspolitischen Erwägungen heraus, die Einrichtung einer Kommission mit eigenen Entscheidungsbefugnissen vor. Allen Ansichten gemeinsam ist, daß sie von einem Zwang zur Entscheidung in eigener Sache ausgehen, jedoch ohne deren verfassungsrechtlichen Rang zu problematisieren. Auch die mit einer Entscheidung in eigener Sache auftretenden verfassungsrechtlichen Implikationen werden nur gelegentlich erörtert36 .
11. Gruppe 2: Verfassungsrechtlich änderbare Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung Eine weitere Gruppe von Autoren 37 teilt zwar die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, daß nach der derzeitigen Regelung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 das Parlament seIbst über die Abgeordnetenentschädigung zu entscheiden habe, gleichwohl halten diese Autoren diese Pflicht nicht für verfassungsrechtlich unabänderbar. Im Wege einer Verfassungsänderung seien eine Kopplung oder Indexierung der Abgeordnetenentschädigung sehr wohl mit dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Öffentlichkeits- und Transparenzgebot vereinbar 38 .
111. Gruppe 3: VerfassungsrechtIich unabänderbare Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung In besonderer Weise betont v. Arnim 39 das Postulat der jeweils selbständigen Entscheidungspflicht des Parlaments. Aufgrund der nur durch die Öffentlichkeit gewährleisteten Kontrolle dürfe von diesem Verfahren nicht abgerückt werden. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Vogel, ZG 1992, S. 293 ff., insbesondere S. 300 ff. Vgl. zum Beispiel Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 ff. 37 Vgl. Huber, ThürVBI. 1995, S. 80 ff.; Linck, ThürVBI. 1995, S. 104; ders., ZParl 1995, S. 372 ff.; ders., ZParl1995, S. 683 ff.; Rommelfanger, ThürVBI. 1993, S. 173 (183); Scheu, FAZ vom 6. 10. 1995 Nr. 232, S. 10 f.; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 48 Rn. 32. 38 V gl. BVerfGE 40, S. 296 (327). 39 Vgl. v. Arnim, NJW 1996, S. 1233 ff.; ders., "Der Staat sind wird!", S. 116 ff. ; ders., DVBI. 1987, S. 1241 (1245 ff.); ders., Gemeinwohl, S. 403 ff. Ihm folgend vgl. Fischer, S. 236 ff., dort zur Thüringer "Index-Lösung". 35
36
2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
78
"Wesentlichkeitstheorie,,4o. Im übrigen könne nicht die "klassische Richtigkeitsvermutung" für Parlamentsentscheidungen bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung gelten 41 . Im Hinblick auf Bestrebungen, das Grundgesetz für andere Verfahrensalternativen zu ändern, vertritt v. Arnim die Ansicht, daß eben jenes Verfahren einer Grundgesetzänderung entzogen sei 42 . Dabei stützt er sich insbesondere auf die Äußerung des Bundesverfassungsgerichts, daß es sich bei den Grundsätzen des Art. 48 Abs. 3 S. 3 um "Essentiale des demokratischen Prinzips" handele. Hieraus leitet v. Arnim ab, daß es sich insoweit um Grundsätze handelt, die der Disposition des verfassungsändernden Gesetzgeber nach Art. 79 Abs. 3 entzogen sind43 . Zur Stärkung der öffentlichen Kontrolle schlägt v. Arnim44 unter anderem die Einrichtung einer beratenden Kommission vor. Neuerdings tritt er für die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung erst mit Wirkung für die nächste Wahlperiode ein 45 .
IV. Gruppe 4: Keine verfassungsrechtliche Pflicht zur jeweils selbständigen Parlamentsentscheidung über die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung Völlig anders dagegen verhält es sich mit der Ansicht von Seuffert46. Er vermag dem Grundgesetz kein Öffentlichkeitsgebot zu entnehmen, welches das Parlament verpflichtet, jeweils selbständig über Änderungen der Abgeordnetenentschädigung zu entscheiden. Diese auch von anderen Autoren47 geteilte Ansicht bestreitet zwar
v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1245 f.). Ohne nähere Begründung, v. Arnim, "Der Staat sind wir!", S. 114. In ähnlicher Richtung darf man dann wohl auch die Äußerung Rupps, ZG 1992, S. 285 (288), verstehen, der das Selbstentscheidungsrecht des Parlaments aufgrund der gewandelten Abgeordnetenentschädigung "in die Nähe der mißbräuchlichen Selbstbedienung" gerückt sieht. A.A. dann wohl Peine, JZ 1985, S. 914 (921), der insoweit keinen Mißbrauch anzunehmen vermag. 42 V. Arnim, NJW 1996, S. 1233 (1237); das., "Der Staat sind wir!", S. 137; das., Gutachten, S. 15 ff. Vgl. auch Empfehlung der Kommission unabhängiger Sachverständiger, BTDrs. 12/4425, S. 45 f.; Bericht und Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts (sog. Kissel-Kommission), BT-Drs. 12/5020, S. 21 f.; Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 88 f. 43 Nicht ganz eindeutig ist insofern die Stellungnahme der ,,86 Staatsrechtslehrer" zur letztlich gescheiterten Grundgesetzänderung im Herbst 1995. Wortlaut bei Linck, ZParl 1995, S. 683 und Schmirr Glaeser, FS Stern, S. 1183 (1186 FN 19). 44 v. Arnim, Macht macht erfinderisch, S. 150 ff.; das., Abgeordnetendiäten, S. 49 f.; das., BK, Art. 48 Rn. 88 ff. 4S v. Arnim, NJW 1996, S. 1233 (1238 f.). 46 Seufferr, BVerfGE 40, S. 330 (349 f.). 40 4\
B. Stellungnahmen in der Literatur
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nicht das Recht des Parlaments, die Entscheidung selbst zu treffen, erhebt dieses Recht jedoch nicht zu einer verfassungsrechtlichen (unabänderbaren) Pflicht. Im Ergebnis stünde es dem Parlament frei, durch ein einfaches Gesetz die Kompetenz zur Festsetzung der Entschädigung zu übertragen oder die Abgeordnetenentschädigung einfachgesetzlich an eine Bundesbesoldungsgruppe zu koppe1n 48 .
V. Gruppe 5: Verfassungswidrigkeit des bisherigen Verfahrens Von der Verfassungswidrigkeit des bisherigen Verfahrens geht Krüger49 aus. Ebenso wie eine Verlängerung der Legislaturperiode, hält sie eine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung während der laufenden Legislaturperiode von dem Verbot erfaßt, daß das Parlament nicht die Bedingungen ändern darf, unter denen es angetreten sei. Derartige Vorschläge werden heute zwar wieder aktuell diskutiert, allerdings nicht vom Boden einer möglichen Verfassungswidrigkeit aus, sondern als - möglicherweise - verfassungspolitisch gebotene Alternative5o. Einen anderen Ansatz zur Begründung der Verfassungswidrigkeit des bisherigen Verfahrens wählt Henke 51 . Im Widerstreit lägen das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Das Rechtsstaatsprinzip gebiete den Abgeordneten, als Amtswaltern bei Ausübung öffentlicher Gewalt keine persönlichen Interessen wahrzunehmen. Die Abstimmung über die "eigene" Entschädigung sei daher eine Verletzung des aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Amtsprinzips, welche nicht durch die vermittelte demokratische Legitimation behoben werden könne. Denn auch eine auf den Volkswillen rückführbare staatliche Entscheidung sei an Recht und Gesetz ge47 Vgl. Eyermann, ZRP 1992, S. 201 ff.; Klein, M/D, Art. 48 Rn. 151 und 154; Klein, FS Blümel, S. 225 (238 ff.); Menger, VerwArch 67 (1976), S. 303 (314); wohl auch Schmitt Glaeser, FS Stern, S. 1I 83 ff.; unklar Schlaich/Schreiner. NJW 1979, S. 673 (677). 48 So meint Eyermann, a. a. 0., trotz klar erkanntem Widerspruch zum sog. Diätenurteil, daß die Abgeordnetenentschädigung an die Beamtenbesoldung gekoppelt werden sollte. Es sei ohnehin fraglich, ob sich ein Antragsteller zur Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht finden würde und zum anderen sei nicht sicher, daß das Gericht ein zweites Mal so entscheide wie 1975. Zur Bindung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vgl. ausführlich Schmitt Glaeser, FS Stern, S. 1183 ff. sowie unten S. 222 ff. 49 Krüger, DVBI. 1964, S. 220 f. 50 Vgl. v. Amim, NJW 1996, S. 1233 (1238 f.); Brugger, ZRP 1992, S. 321 f.; Fischer. S. 234 f.; Klatt, ZParl 1973, S. 404 (419); Schneider. Gesetzgebungstheorie, S. 327 (342). Unklar der ,,Appell der 86 Staatsrechtslehrer", Wortlaut bei Linck, ZParl 1995, S. 683. Für die Zeit des Deutschen Reiches, vgl. schon Hatschek, S. 627 f. ~l Henke, BK, Art. 21 Rn. 322; ders., Der Staat 1992, S. 98 (102 ff.). Vgl. die in ähnliche Richtung gehenden Erwägungen in dem Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 88 f. Zwar beschäftigt sich Henke, a. a. 0., mit den Fragen der Parteienfinanzierung, doch sind seine Ausführungen auf das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung übertragen worden. Dieser Schritt wird hier entsprechend wiedergegeben. V gl. ausführlich hierzu unten S. 192 ff.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
bunden. Überdies zeigten Art. 93, 113 und das Bundesbankgesetz, daß Parlamentsentscheidungen kein uneingeschränkter Anspruch auf Richtigkeit zukomme. Einziger Ausweg in dieser Situation wäre die Konstitution einer selbständig entscheidenden Kommission.
C. Schlußfolgerungen aus dem Meinungsstand für den weiteren Gang der Untersuchung und Herleitung geeigneter Kriterien zur rechtlichen Bewertung des Verfahrens Die eben skizzierten Meinungen geben die gesamte Bandbreite überhaupt nur denkbarer Ansichten zum Festsetzungsverfahren wieder: von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Verfahrens bis hin zu dessen Verfassungswidrigkeit. Ebenso verhält es sich mit den Anforderungen, die an das Festsetzungsverfahren gestellt werden: von der verfassungsrechtlich gebotenen Entscheidung durch eine unabhängige Kommission über die (z.T. verfassungsrechtlich unabänderbare) Pflicht zur jeweils selbständigen Entscheidung bis hin zur völligen gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit des Festsetzungsverfahrens. Ausgangspunkt einer eigenen Untersuchung des Festsetzungsverfahrens muß aufgrund dieser Meinungsvielfalt zunächst eine Auslegung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 in der derzeitigen Fassung sein52 . Hierbei hat anfangs die von Henke aufgeworfene Frage zu interessieren, ob dieser Artikel verfassungswidrig ist. Erst danach ist zu überlegen, ob sich aus Art. 48 Abs. 3 spezifische Voraussetzungen für das Festsetzungsverfahren ergeben und ob gegebenenfalls der (Verfassungs-)Gesetzgeber bei der Gestaltung zukünftiger Verfahren bestimmte Anforderungen zu berücksichtigen hat53 • Bevor hierauf im dritten Teil eingegangen wird, bietet es sich aufgrund der breit angelegten Konzeption an, alle Fragen gleichermaßen betreffende Probleme vorab zu klären. An diesem Punkt zeigt sich bereits, daß die oben vorgestellten verschiedenen Ansichten zumeist auf unterschiedlichen - auch unterschiedlich betonten Ansätzen beruhen. Probleme bereitet dabei nicht zuletzt der häufige, wechselhafte und pauschale Rekurs auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip oder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im sog. Diätenurteil 54 . Um ein verläßli52 Vgl. auch den Ansatz des VerfGH NW vom 16. 5. 1995, Aktenzeichen 20/93, in: BTOrs. 13/1803 Anhang I, S. 15 (18); NVwZ 1996, S. 164 ff.; OÖV 1995, S. 863 ff.; OVBI. 1995, S. 921 ff. 53 Oie Grenze zwischen beiden Fragestellungen läßt sich nur hier so scharf ziehen. Wie sich im dritten Teil zeigen wird, ist der Übergang zwischen beiden fließend. 54 Vgl. BVerfGE 40, S. 296 (327): "Gerade in einem solchen Fall [seil. in dem das Parlament gezwungen ist, in eigener Sache zu entscheiden] verlangt aber das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip (Art. 20), daß der gesamte Willensbildungsprozeß für den Bürger
C. Schlußfolgerung und Herleitung geeigneter Kriterien
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ches und möglichst erschöpfendes Fundament an Kriterien zur Beurteilung des Festsetzungsverfahrens zu erhalten, wird daher (zunächst55 ) auf eine Ableitung von Grundsätzen aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verzichtet 56 . Vielmehr sollen solche Kriterien untersucht werden, die sich aus der Anwendung der klassischen Auslegungsmethoden ergeben. Da dem Wortlaut des Art. 48 Abs. 3 S. 3 nicht mehr zu entnehmen ist, als daß die Abgeordnetenentschädigung durch ein Bundesgesetz zu regeln ist57 , ist das Festsetzungsverfahren insbesondere in historisch-genetischer, teleologischer und systematischer Hinsicht zu analysieren. Bezüglich der Entstehungsgeschichte wird demzufolge zu untersuchen sein, wie sich die Festsetzungsverfahren in der Geschichte entwickelt haben. Insbesondere wird zu fragen sein, ob sich das derzeitige auf Art. 48 Abs. 3 S. 3 basierende Verfahren auf einen historischen Vorläufer zurückführen läßt. Im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 wird - je nach Ergebnis der historisch-genetischen Untersuchung - danach zu fragen sein, ob die damals geltende Ratio der Regelung der Abgeordnetenentschädigung durch ein Gesetz auch heute noch (unverändert) Geltung beansprucht, bzw. wie heute die Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes zur Festlegung der Abgeordnetenentschädigung zu beurteilen ist. Bei der Einordnung des Festsetzungsverfahrens in das System des Grundgesetzes ist anschließend zu untersuchen, wie sich diese Entscheidungsfindung zu denjenigen im "normalen" Gesetzgebungsverfahren verhält 58 . Hierfür ist zwischen der individuellen Willensbildung des einzelnen Abgeordneten und der kollektiven Ebene - nämlich detjenigen der Gesamtheit der Abgeordneten sowie der Beteiligung anderer Staatsorgane und der Öffentlichkeit - zu differenzieren.
durchschaubar ist. .. " (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. auch v. Arnim, Gutachten, S. 16, der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt weitgehend übernimmt (Erklärungen versucht er dagegen in ders., Gemeinwohl, S. 403 ff. und ders., DVBI. 1987, S. 1241 (1245), dort im Zusammenhang mit der "Wesentlichkeitstheorie"). Vgl. auch den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 88; Bericht und Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts (sog. Kissel-Kommission), BT-Drs. 12/5020, S. 20 ff. 55 Vgl. aber unten S. 189 f. 56 Ableitungen und Untersuchungen von Kriterien zur Bewertung des Festsetzungsverfahrens aus diesen Prinzipien bergen die Gefahr ,,freier" Auswahl in sich. 57 Zur insoweit ähnlichen nordrhein-westfalischen Regelung, vgl. ebenso VerfGH NW,
a. a.O.
58 Da die Kompetenzzuweisung logisch vor der konkreten Ausübung steht, wird zunächst der Sinn und Zweck des Parlamentsgesetzes vor der Einordnung des Festsetzungsverfahrens in die Systematik der Gesetzgebungsverfahren untersucht. 6 v. Waldlhausen
82
2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
D. Historische Entwicklung der (formalen) Festsetzungsverfahren Für eine Untersuchung der historischen Entwicklung des Festsetzungsverfahrens soll das durch die jeweilige Rechtsgrundlage vorgegebene fönnliche Verfahren dargestellt werden. Da im ersten Teil nachgewiesen werden konnte, daß die grundgesetzliche Bestimmung der Abgeordnetenentschädigung im wesentlichen auf die Regelung des Art. 32 S. 2 RV zurückgeht, rechtfertigt dies den Beginn der Untersuchung zur Zeit des alten Deutschen Reiches. Im Vordergrund stehen dabei folgende Fragen: erstens ist zu fragen, ob sich das Festsetzungsverfahren gern. Art. 48 Abs. 3 S. 3 - ähnlich wie Art. 48 Abs. 3 S. 1 - auf Art. 32 S. 2 RV zurückführen läßt; zweitens ist zu untersuchen, ob sich eine Kontinuität im Zusammenspiel der beteiligten Institutionen bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung nachweisen läßt.
I. Deutsches Reich Bei der Einführung der Abgeordnetenentschädigung im Deutschen Reich 1906 wurde Art. 32 RV dahingehend neugefaßt, daß er nicht nur den Zustand der Entschädigungslosigkeit aufhob, sondern gleichzeitig für die Zukunft regelte, daß die ,,Entschädigung sich nach Maß des Gesetzes" bestimmen sollte (Art. 32 S. 2 RV). Durch die Festlegung der Fonn, in weIcher die Frage der Abgeordnetenentschädigung zu regeln sei, war damit gleichzeitig die Aussage über das Verfahren getroffen: Die Entschädigung wurde im Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Die Gesetzgebung wurde nach Art. 5 RV durch den Reichstag und Bundesrat ausgeübt. Beide Organe mußten dem Gesetz also (gleichberechtigt) ihre Zustimmung erteilt haben 59 . Nur ihnen stand nach Art. 2 RV das Recht zur Initiative zu 60. Gesetze waren nach erteilter Sanktion61 im Reichsgesetzblatt zu veröffentlichen, Art. 2 S. 2 RY. Mehr Aussagen zum Gesetzgebungsverfahren sind der Reichsverfassung nicht zu entnehmen. Im übrigen regelten die Geschäftsordnungen der beiden Legislativorgane, wie ein Gesetz zu verabschieden sei, d. h. insbesondere unter Wahrung weIcher Beratungsfristen und Beschlußmehrheiten 62 . Vgl. Arm/t. Staatsrecht, S. 177; Huber, Verfassungsgeschichte III. S. 921. Zur Erklärung, warum die Reichsregierung kein Initiativrecht hatte und wie sie dies praktisch umging, vgl. Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 920. 61 Hierzu Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 922 ff., der sich im wesentlichen auf die Ausführungen Labands, Staatsrecht H, S. 29 ff., stützt. 62 Hierzu Arm/t. Staatsrecht, S. 177 ff. S9
60
D. Historische Entwicklung der (formalen) Festsetzungsverfahren
83
Im Reichstag fanden i.d.R. drei Lesungen statt, zwischen denen jeweils einige Tage liegen sollten. Ein Gesetz galt im Reichstag - wie grundsätzlich auch im Bundestag - dann als angenommen, wenn die Mehrheit der anwesenden Mitglieder diesem zugestimmt hatte 63 . Bedeutsam ist, daß der Bundesrat sich aus sog. instruierten Mitgliedern der parlamentsunabhängigen Regierungen der Länder zusammensetzte64 . Seinem ursprünglichen Verständnis nach sollte der Bundesrat eine ,,Ersatzregierung" sein 65 , wodurch er - zumindest was die Regelung der Abgeordnetenentschädigung anging 66 - zu einer Art "Kontrollinstanz" wurde 67 .
11. Weimarer Republik Die Weimarer Reichsverfassung knüpfte nicht nur - unter Streichung des Besoldungsverbots - an die grundsätzliche verfassungsrechtliche Regelung der Abgeordnetenentschädigung des Art. 32 S. 2 RVan 68 , sondern sie übernahm - ebenso undiskutiert - die Form der Regelung durch Parlamentsgesetz, vgl. Art. 40 WRV 69 . Somit war wieder für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung das Gesetzgebungsverfahren vorgesehen. Die Weimarer Reichsverfassung regelte das Gesetzgebungsverfahren ausführlicher, als dies die Reichsverfassung getan hatte 70. War der Bundesrat des alten Deutschen Reiches noch gleichberechtigt am Gesetzgebungsverfahren beteiligt, so dominierte nun der Reichstag. Ansonsten verlief das Gesetzgebungsverfahren ähnlich wie im Deutschen Reich 71. Das Recht zur Gesetzesinitiative standen Reichsregierung, weIche die Stellungnahme des Reichsrates einholen und dem Reichstag V gl. Huber; Verfassungsgeschichte III, S. 921. V gl. Huber; Verfassungsgeschichte III, S. 852 ff. 65 Vgl. Huber; Verfassungsgeschichte III, S. 658 und S. 920. 66 Hierzu die Darstellung bei Hospach, S. 233 ff., über die Weigerung des Bundesrates zur Änderung der Verfassung und der Einführung einer Abgeordnetenentschädigung. 67 Anerkennung dieser Kontrolle findet dies für die damalige Zeit durch Hatschek. S. 627, der meinte, daß dadurch eine "unkontrollierte" und "selbstsüchtige" Diätenpolitik vermieden werde. Heute hebt dies v. Arnim. ,,Der Staat sind wir!", S. 113 f., besonders hervor, der allerdings auch auf die Weigerung des Bundesrats zur Einführung jedweder Abgeordnetenentschädigung hinweist. Allgemein zum Bundesrat als Korrektiv und Gegengewicht zum Reichstag. vgl. Klein. AöR 108 (1983), S. 327 (332) m. w. N. 68 Daß dieses Verfahren diskussionslos aus der Reichsverfassung übernommen wurde, heißt insbesondere, daß es vor dem Hintergrund des staatsrechtlichen Wandels keine Überlegungen gab, ob oder wie dieses Verfahren den neuen Strukturen anzupassen sei. 69 Vgl. oben S. 43 f. insbesondere Nachweis in FN 43. 70 Der Gesetzgebung war nun ein eigener Abschnitt gewidmet: Fünfter Abschnitt, Art. 68 - 77 WRY. 71 Vgl. Huber; Verfassungsgeschichte VI, S. 383 f. und S. 411 f. 63
64
6"
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
vorlegen mußte, dem Reichstag und dem Reichsrat zu, vgl. Art. 68 S. 1, 69 WRV Stimmte der Reichsrat einem vom Reichstag beschlossenen Gesetz innerhalb von zwei Wochen nicht zu, so hatte der Reichstag die Möglichkeit diesen Einspruch durch eine Zweidrittelmehrheit zu überstimmen, vgl. Art. 74 WRV72 . War ein Gesetz in der von der Verfassung beschriebenen Weise "verfassungsmäßig zustandegekommen", so fertigte der Reichspräsident das Gesetz aus, und es wurde im Reichsgesetzblatt verkündet, vgl. Art. 70, 71 WRV Außerdem bestand die Möglichkeit, einen Volksentscheid durchzuführen, sei es in Ergänzung zum Gesetzgebungsverfahren oder unabhängig von diesem, vgl. Art. 73, 74 S. 3 f. WRV 73 . Außer den durch Art. 74 WRV bestimmten Fristen· für einen Einspruch des Reichsrates, regelten die Geschäftsordnungen den Gang der parlamentarischen Gesetzgebung. Der Reichstag knüpfte hierbei an die Geschäftsordnung des Reichstags des alten Deutschen Reiches an 74. Für das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung wurde, aufgrund der geschwächten Stellung des Reichsrates 75, dessen vorherige "KontrollsteIlung" als nicht mehr existent angesehen. Die Möglichkeit, daß der Reichspräsident ein entsprechendes Gesetz zum Volksentscheid bringt, wurde als "mäßigende Kontrolle" oder "Gegengewicht" nicht gesehen76 •
111. Bundesrepublik Deutschland Wie oben bereits dargelegt, übernahm Art. 48 Abs. 3 ohne jedwede Erörterung und ohne wesentliche Änderungen Art. 40 WRV77 • Dementsprechend undiskutiert wurde an dem entsprechenden Festsetzungsverfahren festgehalten, so daß auch heute noch nach allgemeiner Ansicht gemäß Art. 48 Abs. 3 S. 3 ein Parlamentsgesetz zur Regelung der Abgeordnetenentschädigung nötig ist78 . Dabei handelt es Die Gesetze waren also durchweg sog. Einspruchsgesetze. Zu einem Volksentscheid im Rahmen des normalen Gesetzgebungsverfahren kam es nicht, vgl. Huber; Verfassungsgeschichte VI, S. 411. Zur Bedeutung anderweitig eingeleiteter Volksentscheide, vgl. Huber; Verfassungsgeschichte VI. S. 430 f. CoDas Volksgesetz - ein Kampfrnittel der politischen Opposition"). 74 Vgl. Anschütz. WRV. Art. 26 Anm. 2. Vgl. im einzelnen Pereis. HDtStR I, S. 449 (456 ff.). 7S Dieser setzte sich aus den Mitgliedern der Landesregierungen zustande, welche nunmehr, ebenso wie die Reichsregierung, parlamentsabhängig waren, vgl. Huber; Verfassungsgeschichte VI, S. 377 f. Zur geschWächten Stellung des Reichsrates allgemein, vgl. Klein. AöR 108 (1983), S. 327 (336 ff.). 72 73
76 V gl. Hatschekl Kurtzig. S. 444; wohl nicht zuletzt aus der Tatsache heraus, daß es zu keiner Zeit einen Volksentscheid im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 74 gegeben hatte. Aus heutiger Sicht betont dies aber v. Amim. "Der Staat sind wir!", S. 114. 77 Vgl. oben S. 47 ff. 78
Zur Notwendigkeit eines Parlamentsgesetzes, vgl. v. Amim. BK. Art. 48 Rn. 85.
D. Historische Entwicklung der (fonnalen) Festsetzungsverfahren
85
sich, da das Grundgesetz anders als die Weimarer Reichsverfassung zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen unterscheidet, um ein sog. Einspruchsgesetz 79 . Das Gesetzgebungsverfahren beschreiben die Art. 76 ff. 8o • Es läßt sich in vier Verfahrensabschnitte einteilen: erstens die Gesetzesinitiative, zweitens die Beratung und Beschlußfassung des Parlaments, drittens die Beteiligung des Bundesrates und viertens die Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes 81 . Das Recht zur Gesetzesinitiative steht der Bundesregierung, dem Bundesrat und dem Bundestag zu, vgl. Art. 76. Die parlamentarische Behandlung von Gesetzen regeln für den Bundestag die §§ 75 ff. GO-BT. Sie bestimmen im wesentlichen, daß unter Wahrung bestimmter Fristen drei Beratungen (Lesungen) über die Gesetzesvorlage stattfinden 82 . Die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat regelt Art. 77. Im Rahmen eines nicht-zustimmungspflichtigen Gesetzes kann der Bundestag - unter Einhaltung bestimmter Quoren (Art. 77 Abs. 4) - den Einspruch des Bundesrates zurückweisen83 . Der Bundesrat kann vorher allerdings die Einberufung eines Vermittlungsausschusses verlangen, Art. 77 Abs. 2. In Art. 77 sind ebenfalls die Fristen für die Zusammenarbeit von Bundesrat und Bundestag genannt. Im übrigen trifft das Grundgesetz in Art. 40 Abs. 2, 77 Abs. 4 auch Aussagen über die notwendigen Mehrheiten für die Beschlußfassung im Bundestag84 . Darüber hinaus bestimmt Art. 113, daß ausgabenerhöhende Gesetze, also auch Gesetze, welche die Abgeordnetenentschädigung erhöhen, der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen85 • Art. 113 knüpft dabei an eine überkommenes Verständnis des Gegenübers von Parlament und Regierung an. Diese Norm hat erst mit dem Grundgesetz Einlaß in das deutsche Recht gefunden. Aufgrund des spezifischen Verfassungsauftrags der Regierung sollte dieser ein finanzwirtschaftliches Kontrollrecht gegenüber der Legislative gegeben werden 86 . Praktisch ist diese Vorschrift von geringer Bedeutung87 • 79 Allgemein zum zustimmungspflichtigen und nicht-zustimmungspflichtigen (= Einspruchs-) Gesetz, vg\. Bülow, HVerfR, § 30 Rn. 24 ff. Zur Kontinuität des Gesetzgebungsverfahrens, vg\. Stern 1I, S. 613 m. w. N. 80 Zur Refonn des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund Art. 5 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 vg\. Hofmann, NVwZ 1995, S. 134 ff.; Meyer-Teschendorf, DÖV 1994, S. 766 ff. 81 Vg\. Starck, Staatslexikon H, Gesetzgebung, Sp. 1006; Stern 11, S. 614 f. 82 Zum praktischen parlamentarischen Verfahren insbesondere unter Berücksichtigung der Arbeit der Ausschüsse vg\. die Darstellung bei Bülow, HVerfR, § 30 Rn. 44 ff.; Ossenbühl, HStR III, § 63 m. w. N. 83 Das Bestehen zustimmungspflichtiger Gesetze stellt eine erhebliche Stärkung der SteIlung des Bundesrates gegenüber seinem Weimarer Vorgänger dar, vg\. Klein, AöR 108 (1983), S. 327 (343) m. w. N.
V g\. aber insoweit § 45 GO-BT, der die Frage der Beschlußfahigkeit regelt. Vg\. die Schlußfonnel des Abgeordnetengesetzes von 1977, BGB\. I, S. 297 (308), nach der die Bundesregierung ihre Zustimmung gern. Art. 113 erteilt hat. 86 V g\. Fischer-Menshausen, v. Münch, Art. 113 Rn. 1 ff. 84 85
2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
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IV. Zusammenfassung der historischen Entwicklung der (formalen) Festsetzungsverfahren Die historische Entwicklung des Festsetzungsverfahrens und die (genetische) Entstehung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 weisen ein hohes Maß an Kontinuität auf. Nach der Einführung des Gesetzgebungsverfahrens zur Festlegung der Abgeordnetenentschädigung durch Art. 32 S. 2 RV ist diese Regelungsform zweimal, nämlich durch die Weimarer Reichsverfassung sowie das Grundgesetz, ohne jede Diskussion übernommen worden. In demselben Zeitraum hat sich der förmliche Entstehungsprozeß eines Gesetzes zwar kaum geändert88 , doch der Staat in seiner gesamten Struktur hat seit dem alten Deutschen Reich einen grundlegenden Wandel erfahren89 . Insofern erstaunt es, daß weder die Erkenntnis, daß Art. 48 Abs. 3 seinen Ursprung in Art. 32 S. 2 RV hat, noch daß der Staat sich grundlegend gewandelt hat, zu einer (früheren) Neubewertung des Festsetzungsverfahrens geführt hat. So muß aus heutiger Sicht die Ansicht Hatscheks 90 besonders hinterfragt werden, daß der Bundesrat zur Zeit der Einführung des Art. 32 S. 2 RV eine ,,kontrollierende" Rolle in bezug auf Erhöhungen der Abgeordnetenentschädigung wahmahm 91 . Dabei stellen sich hier Fragen, die erst im Laufe der folgenden Untersuchung eine Klärung erfahren (können). So unter anderem, ob dem Gesetzgebungsverfahren heute überhaupt ein Element der Kontrolle immanent ist, bzw. ob das Festsetzungsverfahren einer besonderen Form der Kontrolle bedJ2. Außerdem wäre zu klären, ob der Bundesrat in seiner heutigen Stellung überhaupt eine derartige "Kontrolle" gewährleistet und falls nicht, ob andere "Kontrollen" durch die Verfassung vorgesehen sind, wie zum Beispiel die Zustimmungspflicht der Regierung gern. Art. 113 oder die Öffentlichkeit 93 . Jedenfalls rechtfertigen die hier getroffenen Feststellungen auch im folgenden, den geschichtlichen Ursprung des Art. 48 Abs. 3 zumindest im Blick zu behalten.
Hierzu unten S. 180 f. Vgl. SternIl, S. 613. 89 Vgl. oben S. 51 f. 90 Hatschek, S. 627 f. 91 Aufgrund des staatsrechtlichen Wandels sind die Mitglieder des Bundesrates nicht mehr parlamentsunabhängig. 92 Besonders dezidiert spricht sich in diese Richtung v. Arnim aus. Zuletzt in v. Arnim, NJW 1996, S. 1233 (1236 f.); noch drastischer ders., "Der Staat sind wir!", S. 109 ff. 93 Dies sind nur die Fragen hinsichtlich der kollektiven Willensbildungsebene, die sich aufgrund der Äußerung Hatscheks stellen, vgl. hierzu unten S. 154 ff. 87
88
E. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes
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E. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes Wenn nach Sinn und Zweck des Parlamentsgesetzes zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung zu fragen ist94 , so läßt sich dies insofern konkretisieren, als dessen Funktion und Bedeutung zu untersuchen ist. Hierzu wird zunächst der Frage nachgegangen, welche allgemeine und grundsätzliche Funktion und Bedeutung eine parlamentsgesetzliche Regelung hat 95 . Anschließend ist zu prüfen, inwieweit sich diese Erwägungen auf eine parlarnentsgesetzliche Regelung zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung übertragen lassen. Dabei gilt es die im ersten Teil aufgezeigten Besonderheiten der Abgeordnetenentschädigung zu beachten. Da sich aus der obigen Untersuchung ergeben hat, daß Art. 48 Abs. 3 S. 3 seinen Ursprung in der Regelung des Art. 32 S. 2 RV hat96 , rechtfertigt dies den Untersuchungszeitraum auch auf das Deutsche Reich und die Weimarer Republik auszudehnen. Insoweit könnten die Gründe für die Einführung des Gesetzgebungsverfahrens zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung von damals unter Umständen auch heute noch aktuell sein.
J. Begrimiche Abgrenzungen Daß hier explizit der Begriff des Parlarnentsgesetzes verwandt wird, mag zunächst als übertriebene Förmlichkeit erscheinen 97. Gleichwohl dient der Begriff zur KlarsteIlung, daß es sich bei dem Untersuchungsgegenstand um ein vom Parlament im förmlichen Gesetzgebungsverfahren gern. Art. 76 ff. zu beschließendes Gesetz handelt 98 • Betrachtet man allerdings die Diskussion über Begriff und Bedeutung des Gesetzes, so fällt die zum Teil sehr unterschiedlich verwandte Terminologie auf9. Daher erscheint es angezeigt, vorweg eine begriffliche Abgrenzung vorzunehmen.
Zu diesem Ansatz oben S. 80 ff. V gl. Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 8, der darauf hinweist, daß sich Funktion und Bedeutung nach der jeweiligen Verfassungslage richten. 96 Vgl. oben S. 86 ff. 97 V gl. Magiera, S. 174 ff., der ebenfalls den Begriff des Parlamentsgesetzes verwendet. 98 Hierzu der insoweit klarstellende Hinweis von Klein, HStR 11, § 40 Rn. 19 FN 56. 99 In diesem Sinne auch Staupe, S. 28 ff., der instruktiv vor dem Hintergrund der VorbehaItsdiskussion verschiedene Vorbehaltsbegriffe voneinander abgrenzt. 94 95
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
1. Parlamentsvorbehalt Zunächst ist der Begriff des Parlamentsgesetzes von dem des Parlamentsvorbehaltes 100 abzugrenzen 101. Der Begriff des Parlamentsgesetzes kennzeichnet zunächst einmal wenig mehr, als daß ein bestimmtes Organ eine bestimmte staatliche Entscheidung in einer bestimmten Form und einem bestimmten Verfahren zu beschließen hat. Der Begriff des ParlamentsvorbehaIts hingegen wird terminologisch dort verwandt, wo es auf eine Kompetenzabgrenzung zwischen Parlament und Regierung ankommt 102. Dem Begriff des Vorbehalts sind dabei zwei Komponenten immanent lO3 • Zum einen, daß das entsprechende Organ tätig zu werden hat, und zum anderen, daß die Regelung eine gewisse inhaltliche Dichte aufweisen muß. Einer so begründeten Regelungspflicht korrespondiert ein entsprechendes Delegationsverbot 104. Um nicht von vornherein den Blick auf dieses dem Parlamentsvorbehalt inhärente Kompetenzproblem zu verkürzen, wird hier der neutrale Begriff des Parlamentsgesetzes verwandt. Dies soll aber nicht heißen, daß die Vorbehaltsproblematik außer acht gelassen werden könnte. Vielmehr markiert der Begriff des Gesetzes, seit er mit dem Parlament verknüpft ist, eine Kompetenzordnung zwischen Parlament und Regierung. Eine Funktionsdeutung des Parlamentsgesetzes wird daher nur erschöpfend sein, wenn diese Kompetenzfrage mitberücksichtigt wird lO5 •
2. Vorbehalt des Gesetzes I Rechtssatzvorbehalt Aufgrund der eben genannten Erwägungen, wird hier auch nicht auf den von 0.
Mayer lO6 geprägten Begriff des "Vorbehalts des Gesetzes .. 107 zurückgegriffen. I. d. 100 Ebenso wird vom Vorbehalt des Parlaments, Vorbehalt des Gesetzgebers oder Vorbehalt des formellen Gesetzes gesprochen. Vgl. Staupe, S. 29; Busch, S. 23 f. 101 Instruktiv zum folgenden, vgl. Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 7 ff., 32 ff., 41 f.; Staupe, S.29f. 102 Vgl. Kloepfer. JZ 1984, S. 685 (690); Ossenbühl, a. a. 0., der insbesondere in Rn. 41 f. darauf hinweist, daß die Wesentlichkeitstheorie den Parlamentsvorbehalt "substantiiere"; ähnlich Staupe, S. 30 f. Vgl. auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 225, der davon ausgeht, daß dem Parlamentsvorbehalt auch durch einen schlichten Parlamentsbeschluß Genüge getan ist. Zur Kritik hieran, vgl. Rupp, JuS 1975, S. 609 (612). 103 Vgl. Staupe, S. 30. 104 Vgl. Busch, S. 18 und S. 23 f.; Staupe, a. a. O. lOS Vgl. Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 7. Allgemein zur Wandelbarkeit der Staatsfunktionenlehre, vgl. Zimmer, S. 38 ff. 106 o. Mayer, S. 70. 107 Der Begriff des Gesetzesvorbehalts wird wie hier häufig synonym gebraucht. Einige Autoren verstehen hierunter allerdings in Abgrenzung zu dem allgemeinen, ungeschriebenen
E. Funktion und Bedeutung des Parlaments gesetzes
89
R. wird dieser Begriff im wesentlichen deckungsgleich mit dem des Parlamentsvorbehaltes verwandt 108 . Der Parlametsvorbehalt umfaßt allerdings ein Delegationsverbot, der Gesetzesvorbehalt enthält ein solches Verbot nicht 109 .
Von bei den Begriffen unterscheidet sich der Rechtssatzvorbehalt dadurch, daß ihm bereits durch eine abstrakt-generelle Regelung Genüge getan ist" O• Da es hiefür nicht auf das Regelungsorgan ankommt, kann der Rechtssatzvorbehalt auch durch eine Verordnung oder Satzung erfüllt werden III .
11. Vorkonstitutionelle Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes Im folgenden soll zunächst die dogmengeschichtliche Entwicklung des Parlamentsgesetzes in ihren wesentlichen Zügen skizziert werden II 2; bevor diese in bezug zum Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung gesetzt wird. 1. Grundsätzliche Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes
Die Entwicklung des Gesetzesbegriffes setzt nicht erst mit der Zeit des Deutschen Reiches ein. Diese ist kurz vorzustellen, da die Funktion und der Bedeutungsgehalt des Gesetzes (auch) auf der Entwicklung vor 1871 beruht.
Gesetzesvorbehalt, die in der Verfassung ausdrücklich normierten Vorbehalte, vgl. Krebs. Vorbehalt, S. 11 FN 1. 108 Vgl. Herrnes. S. 11; Kisker. NJW 1977, S. 1313 f.; Ossenbühl, HStR I1I, § 62 Rn. 7; Staupe. S. 32, verwendet den Begriff des Vorbehalts des Gesetzes als neutralen Oberbegriff für den Parlaments- und Rechtssatzvorbehalt, um so zu vermeiden, daß einer der drei Begriffe im Falle der Deckungsgleichheit entbehrlich wird. 109 Vgl. Ossenbühl, a. a. O. Rn. 9 f. 110 Vgl. Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 11; Staupe, S. 31. Zum problematischen Verhältnis von Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt, vgl. Busch. S. 15 ff. und S. 74 ff. 111 Aus diesem Grund scheidet auch der RechtssatzvorbehaIt als Untersuchungskategorie aus. 112 Hierfür kann auf verschiedene Arbeiten zurückgegriffen werden, vgl. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt; G.c. Burmeister. Gesetzesvorbehalt, S. 47 ff.; Erichsen. Grundlagen, S. 135 ff.; Grawert. Grundbegriffe, S. 863 ff.; fesch, S. 102 ff.; Krebs, Vorrang, S. 16 ff.; Rottmann, EuGRZ 1985, S. 277 ff.; Starck, Gesetzesbegriff, S. 69 ff.; Staupe. S. 42 ff.
90
2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
a) Die Zeit vordem Deutschen Reich
Wenngleich der Begriff des Gesetzes in Deutschland seit dem Mittelalter bekannt war 1l3 und im Zeitalter des Absolutismus das Gesetz von Verordnungen, Erlassen, Edikten usw. nominell unterschieden wurde, so blieb doch diese Unterscheidung angesichts der umfassenden monarchischen Souveränität l14 bedeutungslosm. Erst durch die Einrichtung ständischer Vertretungen kam es zu einer Mitwirkung an der Gesetzgebung" 6 . Dies führte zu einer Verknüpfung des Gesetzesbegriffs mit den Volksvertretungen 117. Hierdurch erhielt das Gesetz sein kompetenzzuweisendes Gepräge" 8 . In der Zeit des Vormärz stand dabei der Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger" 9 . Erst im Laufe derZeit geriet der Gesetzesbegriff zum Synonym für die Mitwirkung der Stände und stand somit im Gegensatz zur (zustimmungsfreien) monarchischen Verordnung 120• Der damalige Gesetzesbegriff erfüllte damit einen rechtsstaatlichen und einen demokratischen Aspekt. Aus rechtsstaatlicher Sicht sollte der willkürlichen monarchischen Rechtsetzung durch eine gebietlich-überprovinizielle - zum Teil abstraktgenerelle - oder wichtige, dauerhafte Regelung eine Grenze gezogen werden 121. Im Laufe der Zeit erfuhr der Gesetzesbegriff allerdings durch die bürgerlich-liberale Bewegung verstärkt einen demokratisch-partizipatorischen Akzent 122. Die VerV gl. Grawert, Grundbegriffe, S. 870 ff., Staupe, S. 42 f. Souveränität meint hier die nach außen gegenüber anderen Staaten unabhängige und die im Innern des Staates gegenüber anderen Machtinhabern höchste Gewalt, vgl. Magiera, S. 160 m. w. N. 115 Vgl. Selmer, JuS 1968, S. 489 (490); Staupe, S. 43; Stern ll. S. 561. 116 Dies bedeutete jedoch keine Souveränitätsteilhabe des Volkes, vgl. Grawert, Grundbegriffe, S. 904. Vgl. auch schon oben S. 31 f. 117 Zur Statthaftigkeit dieses Begriffs zur Kennzeichnung der landständischen Vertretungen, vgl. oben S. 31. 118 Daher wird auch die Gewaltenteilung als konstitutives Element für den Gesetzesbegriff angesehen; vgl. fesch, S. 103; Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn .. 14; Staupe, S. 42. Zur Ideengeschichte der Gewaltenteilung, vgl. Böckenförde, Gesetz, S. 20 ff. 119 Vgl. Böckenjörde, Gesetz, S. 71 ff.; Erichsen, Grundlagen, S. 136 f.; Grawert, Grundbegriffe, S. 904; fesch, S. 111 ff., S. 117 ff.; Staupe, S. 44; Stern 1/, S. 565. Sofern ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt durch die vormärzlichen Verfassungen postuliert wurde, so wurde dieser im Laufe der Zeit ebenfalls nach dieser Eingriffsformel interpretiert, vgl. fesch, S. 112; Selmer, JuS 1968, S. 489 (490); Staupe, S. 44; Stern ll. S. 565. 120 Vgl. Grawert, Grundbegriffe, S. 906 f.; Starck, Gesetzesbegriff, S. 78 ff.; Staupe, S. 45; Stern II, S. 561. 121 Zum insoweit formellen Rechtsstaatgedanken, vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (685), der von einer Selbstbindung des Monarchen spricht; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 52, der dies als "Machtbeschränkung" beschreibt; ders., HStR III, § 62 Rn. 14; ders., Göuinger Symposium, S. 15. Zur Allgemeinheit des Gesetzes, vgl. Erichsen, Grundlagen, S. 138 f.; Grawert, Grundbegriffe, S. 904 f. 122 Vgl. fesch, Gesetz, S. 107; Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (685 f.); Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 13 f.; Staupe, S. 47 ff.; Stern II, S. 563 113
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E. Funktion und Bedeutung des Parlaments gesetzes
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knüpfung des Gesetzes mit den Mitwirkungsbefugnissen der Volksvertretung fügte sich nahtlos in die liberalen Vorstellungen 123. Mit Hilfe einer entsprechenden Interpretation der Reichweite des Gesetzes - damit einhergehend, die Mitwirkungsbefugnisse der Volksvertretungen - war es nun möglich, entsprechende Teilhabe an der Macht zu erlangen. So verwundert es nicht, daß der Gesetzesbegriff in der Zeit des Konstitutionalismus zum "juristischen Problemausdruck" für die politische Rivalität zwischen Monarch und Volksvertretung wurde l24 ; Der Gesetzesbegriff markierte eine juristisch verschiebbare Grenze zwischen zwei Machtsphären 125. Die liberale Sprengkraft des Gesetzesbegriffes zeigte sich unter anderem in dem preußischen Budgetkonflfkt von 1862 bis 1866, da die preußische Verfassung von 1850 weder den Gesetzesbegriff näher definierte, noch eine Abgrenzung der Mitwirkungsbefugnisse des Parlaments normierte l26 • Vor dem Hintergrund dieses Konfliktes entwickelte Laband seine lange Zeit nachwirkende Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff l27 • Ausgangspunkt dieser Lehre bildete der Rechtssatzbegriff128, der als Oberbegriff die voneinander zu unterscheidenden Begriffe des Gesetzes und des Gewohnheitsrechts umfassen sollte l29 • Im Anschluß an diese Unterscheidung bestimmte sich das materielle Gesetz als ein Ausspruch eines Rechtssatzes. Formelle Gesetze hingegen waren unabVgl. Böckenförde, Gesetz, S. 222; Starck, Gesetzesbegriff, S. 80. So Huber; Verfassungsgeschichte 11, S. 16 ff. Ihm folgend Hermes, S. 15; Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 13; ders., Verwaltungsvorschriften, S. 53; Staupe, S. 49 f.; Stern 11, S. 563. 125 Hierzu auch oben S. 31 f. Vgl. Selmer; JuS 1968, S. 489 (490): "zwei echte politische Potenzen"; ähnlich Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 35: "Polarität" zwischen Volksund Fürstensouveränität. Vgl. auch Böckenförde, Gesetz, S. 130 ff., der zutreffend darauf hinweist, daß es sich hierbei um die grundlegende Frage vom Verhältnis Staat und Gesellschaft handelt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund wechselnder verfassungsrechtlicher Kompetenzordnungen könnten sich dann neue Verfassungsprobleme stellen. In diesem Zusammenhang ist auch die Organlehre Jellineks (vgl. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 544 ff.) zu sehen, die einen Organdualismus von selbständigen (Monarch) und unselbständigen (Parlament; da dieses seine Organqualität vom primären Organ Volk ableitet) Organen begründete. Vgl. hierzu Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 49 ff. Gleichwohl darf dieser Aspekt für die Zeit des Frühkonstitutionalismus nicht überhöht werden, kennzeichnet er doch eine Entwicklung, die zu dieser Zeit erst ihren Anfang nahm. So fehlte den ständischen Vertretungen z. B. noch ein eigenes Initiativrecht zur Gesetzgebung. Vgl. Erichsen, Grundlagen, S. 144, der dies ferner damit begründet, daß eine erhebliche Masse an potentieller - mitwirkungsbedürftiger - Regelungsmaterie durch fortgeltendes Gewohnheitsrecht abgedeckt war. 126 Hierzu Huber; Verfassungsgeschichte III, S. 309 ff.; Selmer; JuS 1968, S. 489 (491 f.); Staupe, S. 50 f.; Stern 11, S. 561 ff. 127 Laband, Budgetrecht, S. 3 ff.; ders., Staatsrecht 11, S. 61 ff. Vgl. auch Böckenförde, Gesetz, S. 226 ff., mit einer instruktiven Darstellung der auf dieser Lehre aufbauenden Ansichten und deren Kritikern. Eine kritische Auseinandersetzung aus neuer Zeit findet sich bei Magiera, S. 185 ff.. 128 Dieser wird von Laband, Budgetrecht, S. 3, als materielles Gesetz bezeichnet, welcher aufgrund seiner älteren Herkunft nicht mit der Rechtssetzung des Parlaments gleichzusetzen sei. 129 Vgl. Böckenförde, Gesetz, S. 227; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 55. 123
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hängig von ihrem Inhalt staatliche Willensäußerungen 130. Von Bedeutung war vor allem die Gleichsetzung des materiellen Gesetzes mit dem Rechtssatzbegriff. Der Rechtssatz sollte die Befugnisse und Pflichten der einzelnen Subjekte in der Gesellschaft regeln. Alle staatsinternen Regelungen waren daher kein (materielles) Gesetz und gehörten von vornherein nicht zur Sphäre des Rechts l31 . Die Beteiligung des Parlaments am Erlaß rein fonneller Gesetze stellte sich demnach als Überschreitung der parlamentarischen Kompetenzen dar 132 .
b) Im Deutschen Reich
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, insbesondere nach Begründung der Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff, kam es in der Folgezeit zu Auseinandersetzungen um den insoweit kompetenzabgrenzenden Rechtssatzbegriff. Seine Aktualität büßte dieses Thema auch nicht unter der Reichsverfassung von 1871 ein. Allerdings legten die Regierungen im Laufe der Zeit vennehrt Regelungen zur Verabschiedung im Gesetzgebungsverfahren vor, so daß eine Neufassung des Rechtssatzbegriffes erforderlich wurde. Hierzu griff man auf die weit interpretierbare Freiheits- und Eigentumsfonnel zurück. Letztlich führte dies dazu, daß das Wesen des Rechtssatzes als staatlicher Eingriff in die Freiheit und das Eigentum des Bürgers definiert wurde 133 • Die Lehre vom doppelten Gesetzesbegriff stellt allerdings lediglich das äußere Zeichen des "inneren Grundes" des Parlamentsgesetzes dieser Zeit dar. Vielmehr diente diese Lehre dazu, staatsrechtsdogmatische Harmonie dort herzustellen, wo sich der demokratische Partizipations wille des Volkes bereits in der Verfassung und im täglichen politischen Leben Bahnen gebrochen hatte 134. Wie stark dieser Wille zur Beteiligung war, zeigt sich auch am Problem der Delegation von Rechtssetzungskompetenzen. Vor 1871 stellten sich hier aufgrund der umfassenden monarchischen Kompetenzen keine realpolitischen Probleme, da die Parlamente i.d.R. nicht bereit waren, gerade erworbene Kompetenzen wieder weiterzudelegieren 135 • Die Reichsverfassung von 1871 kannte jedoch kein umfassendes (monarchisches) Verordnungsrecht. Im Bereich der Mitwirkungspflicht des Parlaments (materielle Gesetze) behalf man sich damit, eine schrankenlose Delegationsbefugnis des Ge130 Formelles und materielles Gesetz stellten demnach zwei sich schneidende Kreise dar, vgl. Magiera, S. 187; Stern I, S. 565 f. 131 Vgl. Hermes, S. 16, mit Hinweis auf die Impermeabilitätsdoktrin; Staupe, S. 50. 132 Laband, Budgetrecht, S. 6; ders.; Staatsrecht 11, S. 61 ff. Zur Trennung von Staat und Gesellschaft, vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 51. 133 Zur Entwicklung in diese Richtung, vgl. Böckenförde, Gesetz, S. 226 ff., S. 271 ff. Hauptvertreter war Anschütz, vgl. insoweit Meyer / Anschütz. S. 656 f. 134 Vgl. Hermes, S. 16. 135 Vgl. Staupe, S. 52.
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setzgebers zu konstituieren 136. Nunmehr bedurften Eingriffe in die geschützte Sphäre des Bürgers der gesetzlichen Regelung 137 . Im Extremfall reichten jedoch inhaltsleere Ermächtigungen aus, die die rein formale Beteiligung des Parlaments sicherten 138. Durch die Beteiligung des Parlaments sollte sichergestellt werden, daß die Bürger größtmögliche Freiheit vom Staat erhalten 139. Dabei war das Parlament die Instanz, mit dessen Hilfe die Bürger auf den Staat einwirkten, während dem Staat eine gesellschaftsordnende Funkion zukam 140. In diesen Kontext gestellt, kann nicht übersehen werden, daß sich hier auch wesentliche Züge des damaligen (formellen) Rechtsstaatsbegriffs widerspiegeln 141. Dem Staat sollte die Verwirklichung des Rechts obliegen 142. Das Recht sollte dabei zwar so bestimmt sein, daß es die Sphäre des Bürgers bestimmte, aber gleichzeitig nur die notwendigsten Regelungen traf l43 . In Anknüpfung an diesen rein auf die Form reduzierten Rechtsstaatbegriff wurde später im Deutschen Reich die Erfüllung des Rechtsstaates in einer bestimmten Ordnung von Gesetz, Verwaltung und Individuum gesehen 144. Somit war der Rechtsstaatsbegriff durch bloße Legalität gekennzeichnet 145. Für die Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes im Deutschen Reich läßt sich somit festhalten, daß das Gesetz die demokratische Teilhabe des Volkes in einem vom Monarchen dominierten Staat und damit zugleich die Freiheit des Individuums sichern sollte. Hierdurch wurde gleichzeitig das auf reine Legalität reduzierte Rechtsstaatsprinzip erfüllt l46 .
Eingehender hierzu Staupe, S. 55. Vgl. Staupe, S. 51. mit Hinweis auf das wegweisende Kreuzberg-Urteil des preußischen Oberverwaltungsgerichts, pr. OVGE 9, S. 353 ff. Vgl. auch Vogel, VVDStRL 24, S. 125 (130). 138 Vgl. Staupe, S. 55. 139 So Ossenbühl, VerwaItungsvorschriften, S. 51; Rupp, HStR I, § 28 Rn. 4, sog. "staatsfreie Sphäre". 140 Vg1. Ossenbühl, VerwaItungsvorschriften, S. 50 ff. Zum Verhältnis Staat und GeseIIschaft, vgl. Rupp, HStR I, § 28 Rn. 4 ff. 141 Vgl. in diesem Zusammenhang Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 33, der von einer Dominanz des rechtsstaatlichen Gedankens im Spätkonstitutionalismus ausgeht. 142 Vgl. Stahl, S. 210. Zu den Lehren Stahls und zur Entwicklung des Rechtsstaatbegriffs, vgl. Stern I, S. 769 ff. 143 Vgl. das Zitat von Stahl bei Stern I, S. 770. 144 Vgl. Meyerl Anschütz, S. 29, insbesondere FN b. Vgl. auch Stern I, S. 771. 145 Vgl. Stern I, S. 772. 146 Vgl. Vogel, VVDStRL 24, S. 125 (150), der dem Vorbehalt des Gesetzes so eine Doppelfunktion von Kompetenz und Gewährleistung zuschreibt. 136
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c) In der Weimarer Republik
Wenngleich der Übergang vom Deutschen Reich zur Weimarer Republik einen tiefgreifenden staatsrechtlichen Wandel brachte, führte dies nicht zu einer Loslösung vom doppelten Gesetzesbegriff147 • Vielmehr blieb man dem dualistischen Denken vom Gegenüber von Monarch, respektive Regierung, und Parlament verhaftet. Konsequenzen aus der Etablierung der Volkssouveränität und der hieraus abzuleitenden Staatsgewalt, insbesondere der damit verbundenen Aufwertung des Parlaments und der parlamentsabhängigen Regierung, wurden nicht gezogen 148. So hatte, trotz aller Kritik 149 , der doppelte Gesetzesbegriff auch in der Weimarer Zeit immer noch Bestand, obwohl dieser vom Grundgedanken auf einem vom monarchischen Prinzip geprägten Staat basierte 150. Auch wenn es einer Neubewertung der Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes bedurft hätte, so ist diese nicht im vorherrschenden verfassungsrechtlichen Verständnis der Weimarer Republik getroffen worden. 2. Bedeutung für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung a) Deutsches Reich
Vor eben aufgezeigten Hintergrund ist nun zu fragen, welche Gründe zu der Bestimmung des Art. 32 S. 2 RV führten, wonach die Abgeordnetenentschädigung mittels eines Gesetzes festgesetzt werden sollte 151. In der historischen Literatur sind zu dieser speziellen Fragestellung keine konkreten Stellungnahmen erfolgt. Somit kann nur der Versuch unternommen werden, von der allgemeinen auf die spezielle Funktion und Bedeutung des Gesetzes zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung zu schließen 152. 147 Vgl. Herrnes, S. 17; Ossenbühl, VelWaltungsvorschriften, S. 77 ff.; Rupp, JuS 1975, S. 609 (611); Starek. Gesetzesbegriff, S. 94 ff.; Staupe, S. 57 ff. 148 Vgl. oben S. 42 f. 149 Hierzu die Darstellungen bei Böckenjörde, Gesetz, S. 282 ff.; Starck, Gesetzesbegriff, S. 98 ff. ISO SO Herrnes, S. 17; wohl auch Huber; Verfassungsgeschichte VI, S. 404 ff.; Rupp, JuS 1975, S. 609 (611); Staupe, S. 57; Starck, Gesetzesbegriff, S. 96. 151 Zum Gesetzgebungsverfahren, vgl. oben S. 82 ff. 152 Diese Form der Festsetzung findet überdies kaum Vorläufer in der frühkonstitutionellen Phase des beginnenden 19. Jahrhunderts. In jener Zeit wurden die Entschädigungen zumeist durch die monarchischen Regierungen festgesetzt, vgl. Hatschek, S. 604 f.; Hospach, S. 64 ff., S. 93 f. Allerdings sahen schon § 95 Paulskirchenverfassung sowie Art. 85 pr. Verf. von 1850 die Festsetzung der Aufwandsentschädigung durch ein Gesetz vor. Einzige Ausnahme in frühkonstitutioneller Zeit war Württenberg, welches die Entschädigung mittels Gesetz bestimmte; vgl. Hatschek, S. 605; Hospach, S. 66 f.
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Einen ersten Anhalt bietet eine Äußerung Hatscheks l53 , in welcher er feststellt, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht im Wege einer exekutiven Verordnung gewährt werden soll. Damit beschreibt Hatschek wenig mehr als die tatsächliche Verfassungsrechtslage. Ausgehend von der historischen Differenzierung der Rechtssetzungsgewalt, kann man dieser Äußerung allerdings nicht entnehmen, ob er mit exekutiver Verordnung den parlamentarisch-mitwirkungsfreien Bereich des Monarchen meint. Sodann stellt Hatschek l54 weiter fest, daß die gesetzliche Gewährung der Entschädigung als Rechtssatz des (Reichs-) Parlamentsrechts aufzufassen ist. Jedenfalls sei dies aber aufgrund der gesetzlichen Neufassung des Art. 32 RVanerkannt. Angesichts der Diskussion und der damit verbundenen Tragweite des Rechtssatzbegriffes ist davon auszugehen 155, daß Hatschek hiermit den kompetenziellen Regelungsbereich des Parlaments bezeichnen wollte. Wenn er also zuvor feststellte, daß die Entschädigung nicht im Wege einer Verordnung gewährt werden könne, kann er folglich nur die Delegation einer dem Parlament (im Mitwirkungsbereich) zustehenden Kompetenz gemeint haben. Wie bereits ausgeführt, ist diese Kompetenzregelung im Konstitutionalismus Ausdruck der demokratischen Partizipation der Gesellschaft am Staat, wodurch die Freiheit des einzelnen vom Staat gewährleistet werden sollte. Dieser Gedanke läßt sich allerdings nicht unvermittelt auf die Kompetenzregelung des Art. 32 S. 2 RV übertragen. Hierzu ist vielmehr die besondere Stellung des Parlaments im Staat zu berücksichtigen. Nach damaligem staatsrechtlichen Verständnis nahm das Parlament eine besondere Rolle im konstitutionellen Staat ein l56 . Neben dem Monarchen war das Parlament als Staatsorgan anerkannt l57 . Innerhalb seiner Kompetenzen war es dem Parlament möglich, die Macht des Monarchen durch seine verbindliche Mitwirkung zu beschränken. Der Monarch konnte dem Parlament nichts befehlen i58 • Aus heutiger Sicht wäre es daher naheliegend, die Form der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung als einen Ausdruck der Sicherung des sog. freien Mandats zu sehen. Wäre die monarchische Regierung in die Lage versetzt worden, parlamentsunabhängig die Entschädigung festzusetzen, hätte man hierin eine unzulässige Einflußnahme auf die lediglich dem Gemeinwohl verpflichteten Repräsentanten sehen können. Doch wie sich aus der Entwicklungsgeschichte des Art. 32 S. 2 RV ergeHatschek, S. 627. Hatschek, S. 627. ISS Vgl. oben S. 90 ff. IS6 Hierzu die Organlehre von Jellinek, S. 544; Meyer I Anschütz. S. 267 ff.; instruktiv Ossenbühl. Verwaltungsvorschriften, S. 49 ff. IS7 Vgl. Jellinek, S. 545; Meyer/ Anschütz. S. 268 f., S. 330, insbesondere FN 5, in welcher sich Anschütz mit der die Staatsorganqualität des Parlaments leugnenden Ansicht Riekers auseinandersetzt. IS8 Vgl. Jellinek, S. 556. IS3
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ben hat, spielte die Gewährung einer Entschädigung zur Sicherung des unabhängigen Mandats im Gegensatz zu heute keine Rolle l59 • Wie bereits im ersten Teil erwähnt, wurde der Satz 2 des Art. 32 RVeingefügt, um die Beschluß- und damit die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten l60 . Dies wäre jedoch auch durch den einseitigen Erlaß einer Verordnung durch die Regierung erreicht worden. Hierbei ist jedoch die Entstehungsgeschichte des Art. 32 S. 2 RV mitzuberücksichtigen. Die Initiative zur Änderung des Art. 32 RV ging vom Reichstag aus l61 • Bis zur Verfassungsänderung mußten die Widerstände der Regierung und des Bundesrates überwunden werden. Die Regelung des Art. 32 S. 2 RV, wonach ein Gesetz zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung nötig war, kann also nur Ausdruck des den eigenen Machtbereich abgrenzenden Parlaments sein. An dieser Stelle spiegelt sich der Dualismus wider, welcher den Konstitutionalismus beherrschte l62 . Weniger die Sicherung des unabhängigen Mandats vor exekutivem Einfluß, als vielmehr das Bewußtsein in der eigenen (Macht)Position im Staat mußte zur Wahl dieser Form des Festsetzungsverfahrens geführt haben l63 , manifestierte sich doch in Gestalt des Parlaments die demokratische Partizipation der Gesellschaft am Staat. In dieser exponierten Stellung kam es dem Parlament vor allem darauf an, Kompetenzen zu erringen l64 . Doch nicht nur die Kompetenzerringung dürfte bei dieser Regelung eine Rolle gespielt haben. Auch der Gedanke der Autonomie des Parlaments, d. h. die von der Mitwirkung des Monarchen unabhängige Bestimmung der eigenen Ordnung, könnte zu dieser Regelung geführt haben. Gemeint ist hiermit die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments. Diese in Art. 27 RV normierte Autonomie war angesichts der geschichtlichen Entwicklung keine Selbstverständlichkeit 165, weshalb die Parlamentarier des So Hospach, S. 247. Vgl. oben S. 40 f. Vgl. auch Hospach, S. 210 ff.; S. 239 ff. Vgl. auch Begründung zum Gesetzentwurf, Verhandlungen des Reichstags, XI. Wahlperiode 2. Session, Anlagenband 5, Drucksache vom 20. 04. 1906 Nr. 353, S. 3845 f. 161 Zur Entstehungsgeschichte ausführlich Hospach, S. 233 ff. 162 Zum Dualismus in der konstitutionellen Monarchie von Parlament und Monarch, vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 50 f. 163 Zum Gesetz als historisches Mittel zum Machtgewinn des Parlaments, vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (691). 164 Vgl. Busch, S. 19; Selmer, JuS 1968, S. 489 (490); Staupe, S. 48, der darauf hinweist, daß sich das Problem der Delegation real politisch nicht stellte, da daß Parlament kaum bereit war, einmal errungene Kompetenzen zu delegieren. 165 Vgl. Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, S. 19 ff.; Haagen, S. 5 ff. Zu Preußen und dem Deutschen Reich, vgl. Haagen, S. 12 ff.; Kretschmer, PariR, S. 293 ff. In der frühkonstitutionellen Zeit versuchten die Monarchen den Kammern Geschäftsordnungen zu oktroyieren. In diesem Zusammenhang ist auch das anfänglich fehlende Recht der Kammern bzw. Parlamente zur Einberufung von Sitzungen zu sehen. Eben jenes Einberufungsrecht stand zunächst den monarchischen Regierungen zu, vgl. oben S. 31. Ebenso Amdt, Geschäftsordnungsautonomie, S. 31. 159 160
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Reichstags auch sehr darauf bedacht waren, Eingriffe der Regierung in diesen Bereich abzuwehren 166. Von dieser Autonomie erfaßt waren, wie Art. 27 RV wörtlich formuliert, der Geschäftsgang und die Disziplin. Damit oblag die Regelung der formelle Ordnung l67 - von der Behandlung bis zur Entscheidung von Parlamentsgeschäften l68 - der alleinigen Regelungskompetenz des Parlaments. Kennzeichnend ist, daß nur die interne Ordnung des Parlaments durch dieses - autonom - festgesetzt werden sollte. Diese Kompetenz sollte sicherstellen, daß Entscheidungen des Parlaments, welche in rechtlicher Unabhängigkeit erfolgen sollten, nur in einer unabhängig gesetzten Geschäftsordnung ergehen 169. Dem dürfte der Gedanke zugrundegelegen haben, daß sich der äußere Gang des Verfahrens auch auf das Ergebnis der Entscheidungen auswirkt. Von seiten des Parlaments ist jedoch bei der Einführung der Abgeordnetenentschädigung nie der Anspruch erhoben worden, es handle sich hierbei um eine rein parlamentsinterne Angelegenheit 170. Dieses wäre wohl auch im Hinblick auf die Regelungskompetenz des rein internen parlamentarischen Verfahrens nach damaligem Verständnis kaum tragbar gewesen 171. Gleichwohl ließe sich aus dem Autonomiegedanken des Parlaments ableiten, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht der alleinigen Regelungskompetenz der Regierung überlassen bleiben sollte. Schließlich war von Gegnern wie von Befürwortern der Einfluß der Entschädigung auf das Parlament anerkannt 172 . Als weiterer Grund gegen eine parlaments autonome Regelung der Abgeordnetenentschädigung könnte die Kontrolle durch die Regierung und den Bundesrat sprechen. Hatschek l73 hielt diese für ein notwendiges Korrektiv. Durch die Mitwir166 Deutlich wird dies u. a. an den Beratungen über die Änderung des Art. 32 RV und die Einführung einer Abgeordnetenentschädigung. Zeitgleich versuchte die Regierung eine Änderung des Art. 28 RV durchzubringen, die eine Regelung der Beschlußfähigkeit des Reichstags zum Gegenstand hatte. Vgl. Sitzungsprotokoll der 88. Sitzung vom 26. 04. 1906, XI. Wahlperiode 2. Session, Band 4, S. 2701 ff. Vgl. Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, S. 52 ff. mit weiteren Beispielen aus dieser Zeit. 167 Vgl. Laband, Staatsrecht I, S. 344. 168 Vgl. Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, S. 64 f. Zum Begriff der Disziplin, vgl. Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, S. 68. 169 So Arndt. Geschäftsordnungsautonomie, S. 61. Vgl. auch Schräder, S. 201 f. 170 Zu bedenken ist hier auch die von der monarchischen Regierung im Hinblick auf die "Korrektivwirkung" zum allgemeinen Wahlrecht intendierte entschädigungslose Zeit seit 1871. Insofern ist davon auszugehen, daß die Regierung hier immer noch einen Einfluß ausüben wollte. 17l So wohl Hatschek. S. 627 f.; a.A. wohl Haagen, S. 18. m Die Gegner versprachen sich eine "Korrektivwirkung" zum allgemeinen Wahlrecht, um die Zusammensetzung des Parlaments in ihrem Sinne zu steuern. Die Befürworter wollten entweder diesen Zustand unter dem Aspekt der Abkömmlichkeit beseitigen oder aber die Beschlußfähigkeit des Reichstags sicherstellen. 173 Hatschek, S. 628. Im übrigen weist er auf die Diskussion in der französischen Nationalversammlung aus dem Jahre 1848 hin. Dort diskutierte man, ob eine Erhöhung der Entschä-
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kung der Regierung und des Bundesrats an der Gesetzgebung wäre es den Abgeordneten, anders als in "parlamentarisch regierten Staaten", nicht möglich, eine nach "eigenem Belieben, egoistischen Interessen folgende selbstsüchtige Diätenpolitik" zu betreiben. b) Weimarer Republik
Da sich in der Weimarer Zeit das Verständnis von der Funktion und der Bedeutung des Parlamentsgesetzes nicht weiterentwickelt hat, sind demzufolge auch keine neuen - der Verfassungslage angepaßten - Erkenntnisse für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung unter der Weimarer Reichsverfassung zu gewinnen. Festzustellen ist aber, daß das Problem der ,,Entscheidung in eigener Sache" nun mehr Beachtung fand, ohne daß dabei allerdings eine dogmatische Aufarbeitung erfolgte oder Lösungsvorschläge erarbeitet wurden J74 • Einzige Ausnahme bildet Kurtzig, der unter Bezug auf die in Frankreich geführte Diskussion vorschlägt, daß Entschädigungserhöhungen erst mit der nächsten Legislaturperiode wirksam werden sollen 175. Die Möglichkeit, daß der Reichspräsident die Diätengesetze zur Volksabstimmung bringen konnte (vgl. Art. 73 WRV), und hierdurch eine mäßigende Kontrolle ausgeübt wurde l76 , wurde in der zeitgenössischen Literatur nicht gesehen 177 ,
IH. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes unter dem Grundgesetz Das Grundgesetz verwendet den Begriff des Gesetzes über 300maI 178 , allerdings ohne ihn, wie auch in der vorangegangenen Zeit, zu definieren. Die veränderte Verdigung aus verfassungspolitischen Gründen erst mit der nächsten Legislaturperiode wirksam werden sollte. Auf diesen - neuerdings wieder aktuellen (vgl. v. Amim, NJW 1996, S. 1233 (1238 f.» - Vorschlag wird noch einzugehen sein. 174 Vgl. nur Anschütz, WRV, Art. 40 Rn. I ff.; Finger, S. 228 f. Zur Praxis des Reichstags, die Entschädigung prozentual an die Ministergehälter zu koppeln, nehmen v. Freytagh-Loringhoven, S. 98, und Tatarin-Tarnheyden, HDtStR I, S. 433 ff., Stellung. Übereinstimmend stellen sie fest, daß der Reichstag diese Praxis wählte, um nicht stets "Selbstbewilligungen" in der Öffentlichkeit vornehmen zu müssen. Auf rechtliche Implikationen gehen sie dabei nicht ein. m Hatschekl Kurtzig, S. 444. 176 So aber heute v. Amim, ,,Der Staat sind wir''', S. 114. 177 Vgl. Nachweise in FN 98; vgl. z. B. auch Anschütz. WRV, Art. 73 Rn. I ff., der - exemplarisch - in seiner Komrnentierung des den Volksentscheid und das Volksbegehren regelnden Art. 73 WRV nicht auf die machtmäßigende Wirkung zu sprechen kommt. 178 Vgl. Starek, Gesetzesbegriff, S. 21.
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fassungslage seit dem alten Deutschen Reich hat im Gegensatz zur Weimarer Zeit nunmehr allerdings zu einer Neubewertung der Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes geführt l79 . Eben jene Verfassungslage hat sich seit dem alten Deutschen Reich in zwei Punkten wesentlich verändert l8o. Zum einen betrifft dies die Stellung des Parlaments im Staat. War das Parlament im Deutschen Reich nur an der Macht des Monarchen beteiligt, so ist es nun als Staatsorgan zum Vertreter des souveränen Volkes geworden. Es setzt nicht nur Recht in Gesetzesform, sondern legitimiert darüber hinaus die Regierung l81 . Desweiteren haben sich die Staatsaufgaben durch neue Zwecksetzungen geändert. War der Staat des 19. Jahrhunderts vorwiegend "Eingriffsstaat", so ist die Bundesrepublik durch die vielfältigen Gewährleistungen unter anderem im sozialen Sektor aus dieser eingriffsbezogenen gesetzgeberischen Kontrolle "herausgewachsen,,182. 1. Grundsätzliche Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes
Vor dem Hintergrund dieses staatsrechtlichen Wandels sind im wesentlichen die folgenden Konsequenzen für die Funktion und Bedeutung des Gesetzes unter dem Grundgesetz maßgeblich. a) Wesentlichkeitstheorie
Zunächst ist an die Ausweitung der vom Staat wahrgenommenen Aufgaben anzuknüpfen. War der Gesetzesvorbehalt im Deutschen Reich mit Eingriffen in Freiheit und Eigentum der Bürger verbunden, so ließ sich diese Formel aufgrund der staatlichen Gewährleistungen nicht mehr aufrecht erhalten l83 . Daher entwickelte das Bundesverfassungsgericht die sog. Wesentlichkeitstheorie 184, wonach wesent179 Vgl. aus dem zahlreichen Schrifttum v. Arnim. DVBI. 1987, S. 1241 (1243); Busch. S. 19 ff.; G. C. Burmeister, GesetzesvorbehaIt, S. 30 ff., S. 70 ff.; Eberle. DÖV 1984, S. 485 ff.; fesch, S. 171 ff.; Kisker, NJW 1977, S. 1313 ff.; Kloepfer, JZ 1984, S. 685 ff.; Ossenbühl. HStR III, § 62 Rn. 7 ff.; Rupp. Grundfragen, S. 113 ff.; Starck. Gesetzesbegriff; Staupe. S. 162 ff. 180 Allgemein Ossenbühl. a. a. 0., vgl. auch Rn. 15. 181 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (686); Stern 11. S. 568. Überspitzt bezeichnet Ossenbühl. HStR III, § 62 Rn. 17, das Parlament in diesem Zusammenhang als das "oberste Staatsorgan". 182 Begriffe bei Kloepfer, JZ 1984. S. 685 (686). 183 So Ossenbühl. HStR III, § 62 Rn. 33. Ähnlich v. Arnim. DVBI. 1987, S. 1241 (1242); Herzog. M/D, Art. 20 VI Rn. 73; Kisker, NJW 1977, S. 1313 (1316); Umbach. FS Faller, S. 111 (113 f.). 184 Der Begriff geht wohl auf Oppermann. 51. DJT. S. C 48 f. , insbesondere FN 104. zurück. Daß es sich hierbei streng genommen nicht um eine Theorie handelt, stellt Ossenbühl. HStR III, § 62 Rn. 41, klar.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
liche Entscheidungen - unabhängig davon, ob sie Eingriffe in Freiheit und Eigentum darstellen - durch den Parlamentsgesetzgeber und nicht durch die Exekutive zu treffen seien l85 . Die "Wesentlichkeitstheorie" dient dabei vor allem zwei Zwecken. Zum einen versucht sie zu bestimmen, wann eine Regelung durch ein Parlamentsgesetz zu treffen ist. Anschließend fragt sie nach der inhaltlichen Dichte, die eine parlamentsgesetzliche Regelung haben muß 186. In bezug auf die letzte Funktion, substantiiert die "Wesentlichkeitstheorie" den Parlaments vorbehalt 187. Der Parlamentsvorbehalt markiert in diesem Zusammenhang eine Regelungspflicht des Parlaments, wohingegen das Gesetz im Konstitutionalismus noch ein Recht des Parlaments darstellte 188. Ein Eingehen auf die Wesentlichkeitsrechtsprechung l89 oder die Konkretisierung des "Wesentlichen"l90 bietet sich aufgrund der gewählten Fragestellung nach Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes nicht an, da diese "Theorie" keine Aussage darüber trifft, warum eine parlamentsgesetzliche Regelung in bestimmten Fällen anzustreben ist l91 . Allerdings könnten die Begründungen zur "Wesentlichkeitstheorie" zur Beantwortung dieser Frage führen. Dabei ist auf den
185 Vgl. nur BVerfGE 49, S. 89 (126) m. w. N. der Rspr. Instruktiv zur Entwicklung der sog. Wesentlichkeitstheorie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Hermes, S. 21 ff., mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr.; Umbach, FS Faller, S. III (115 ff.). 186 Vgl. Busch, S. 74; Staupe, S. 101, der diese beiden Ansätze in eine "Tatbestands-" und eine "Rechtsfolgenseite" unterteilt. Man könnte auch nach dem "Ob" und "Wie" einer parlamentsgesetzlichen Regelung differenzieren. 187 So Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 42. 188 Zum Verhältnis Gesetzesvorbehalt I Parlamentsvorbehalt unter Berücksichtigung der "Wesentlichkeitstheorie", vgl. Busch, S. 55 ff. Vgl. wie hier Kloepjer. 1Z 1984, S. 685 (690); Ossenbühl, a. a. O. Vgl. auch bereits oben S. 88 f. 189 Vgl. zur Kritik nur Kisker. N1W 1977, S. 1313 (1317 ff.); Kloepjer. 1Z 1984, S. 685 ff. Für die Kritik seien folgende Aussagen wiedergegeben: Die Kemaussage der Wesentlichkeitstheorie ist ebenso rhetorisch einprägsam wie rechtlich unklar (Kloepjer. a. a. 0., S. 689). Die Wesentlichkeitsrechtsprechung ist die "theoretisierende Bezeichnung für freie richterliche Dezision: Wesentlich ist, was das Bundesverfassungsgericht dafür hält. Damit überspannt das Gericht seine Funktion: Es ist Hüter, aber nicht Herr der Verfassung!" (Kloepjer. a. a. 0., S.692). 190 Vgl. Böckenjörde, Gesetz, S. 398 f.; Busch, S. 41 ff.; Staupe, S. 236 ff.; Umbach, FS Faller, S. 111 (127). Ähnlich schon Magiera, S. 205 ff., der von der "Bedeutsamkeit der Regelung" ausgeht. 191 In diesem Sinne auch v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1242). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß der Verfassungsgeber die Frage des "Ob" einer gesetzlichen Regelung für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung in Art. 48 Abs. 3 S. 3 beantwortet hat. Vgl. Starck, Gesetzesbegriff, S. 171: Das Grundgesetz selbst beantwortet die Frage der Wesentlichkeit. Eben jenes "Ob-überhaupt" steht hier aber in Frage. Wenn diese Frage beantwortet ist, dann ließe sich u.U. mit Hilfe der "Wesentlichkeitstheorie" klären, wie detailliert der Parlamentsgesetzgeber die Abgeordnetenentschädigung in einem entsprechenden Gesetz zu regeln hat.
E. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes
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staatsrechtlichen Wandel zurückzugreifen, der seinen Niederschlag (auch) in der Neubewertung des Parlamentsgesetzes gefunden hat l92 . b) Staatsrechtliche Veränderungen
Entscheidende Bedeutung behält das Parlamentsgesetz, auch in der Bundesrepublik, als Kompetenzgrenze zwischen dem Regelungsbereich der Regierung und der Legislative. Diente das Gesetz im Konstitutionalismus noch als Abgrenzung der monarchischen Machtsphäre von der demokratisch legitimierten und legitimierenden Sphäre des Parlaments 193, so stellt sich mit der Einführung der Volkssouveränität und der parlamentsabhängigen Regierung die Frage der Kompetenzabgrenzung neu l94 . Denn anders als im Konstitutionalismus ist nun auch die Regierungzumindest mittelbar - demokratisch legitimiert. Durch ihre Bindung an das Parlament verläuft die "politisch relevante Front,,195 nicht mehr scharf zwischen diesen bei den Gewalten, sondern vielmehr zwischen Regierungspartei und Opposition. Diese "politische Blockbildung"l96 kann dazu führen, daß, abgesehen von der unterschiedlichen formal juristischen Entstehung, Verordnung und Gesetz gleichen oder ähnlichen Inhalt haben, gleich von welcher Gewalt sie erlassen wurden l97 . Um diesen Veränderungen zu begegnen, wurde unter anderem die Lehre vom Totalvorbehalt entwickelt l98 . Gemeint ist damit eine umfassende gesetzliche Er192 Eine solche staatsrechtliche Veränderung mit entsprechenden Folgen für den Gesetzesvorbehalt stellt auch die Bindung aller staatlicher Gewalt an die Gesetze dar (Art. 1 Abs. 3, und Art. 20 Abs. 3). In diesem Zusammenhang sei hier die sog. Strafgefangenenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 33, S. 1 ff.) erwähnt. Sie wird in der Literatur (vgl. nur Hermes, S. 21; Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (688» im Zusammenhang mit der sog. Wesentlichkeitstheorie erörtert. Dies ist insoweit richtig, als die überkommene Eingriffsfonne1 nicht zuletzt auf der strikten Unterscheidung von Allgemeinem - und Besonderem Gewaltverhältnis (Impenneabilität) beruhte. Eine Ausdehnung des Gesetzesvorbehaltes in den Bereich des Besonderen GewaItverhältnisses bedeutete daher zugleich eine Ausdehnung der nur auf das Allgemeine Gewaltverhältnis bezogenen Eingriffsfonnel. Das Gericht sah den gesetzesfreien Innenraum der Verwaltung (Besonderes Gewaltverhältnis) aufgrund der Bindung aller staatlicher Gewalt an die Gesetze (Art. 1 III, 20 III), als nicht mehr tragbar an. Eben jene gesetzliche Bindung aller staatlicher Gewalt war aber dem konstitutionellen Verfassungsverständis fremd. Vgl. insoweit Hermes, a. a. 0.; Kisker, NJW 1977, S. 1313 (1313 f.); Kloepfer, a. a. O. 193 Zur legitimierenden Wirkung des Parlamentsgesetzes im Konstitutionalismus, vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 38; ders., DVBI. 1987, S. 1241 (1243); Würtenberger, FG Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 533 (535 ff.). 194 Vgl. Kisker, NJW 1977, S. 1313 (1314); Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (686); Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 17.; ders., Göttinger Symposium, S. 16. 195 Vgl. Kisker, NJW 1977, S. 1313 (1314); Stern I, S. 1022 ff. 196 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (687). 197 So deutlich Kisker, NJW 1977, S. 1313 (1314); Kloepfer, JZ 1984, S. 685 (686). 198 Zusammenfassend Achterberg, Parlamentsrecht, S. 337 ff.; Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 18 ff.; ders., Verwaltungsvorschriften, S. 221 ff., dort auch zum sog. erweiterten Gesetzesvorbehalt.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
mächtigung der Verwaltung als radikalste Form des Gesetzesvorbehalts 199. Begründet wurde diese Lehre wechselnd mit dem Demokratie- 200 oder dem Rechtsstaatsprinzip 201. Diese Lehre vermochte sich jedoch nicht durchzusetzen 202 . Allerdings liefern die Begründungen für diese Lehre verschiedene, auch für die Erklärung der Fuqktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes unter dem Grundgesetz weiterführende Erkenntnisse. Demnach könnte heute das Parlamentsgesetz eine doppelte Stütze im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip haben 203 . c) Rechtsstaatlicher Begründungsansatz
Das Rechtsstaatsprinzip erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts204 , daß die öffentliche Gewalt durch die Gewaltenteilung so gebunden wird, daß Machtmißbrauch verhütet und die Freiheit des Einzelnen gewährleistet wird205 . Das Gesetz erscheint unter diesem Aspekt als in besonderer Weise geeignet, rechtsstaatliche Grundsätze zu verwirklichen 206 , grenzt es doch Gesetzgebung und Gesetzesvollzug in der Funktionenverteilung der Staatsorgane deutlich voneinander ab. Darüber hinaus gewährleistet das formell und materiell verfassungsmäßige Gesetz ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Gerechtigkeit 207 . Gegen diesen Begründungsansatz zur Abgrenzung des Gesetzes von anderen Regelungsformen sind jedoch Einwände erhoben worden 208 • Bezüglich der Rechtssicherheit hat Staupe 209 klargestellt, daß es für den Bürger von nachrangiger Bedeutung sei, von welchem Organ die staatliche Entscheidung Vgl. Staupe, S. 119. So fesch, Gesetz, S. 171 ff. 201 So Rupp, Grundfragen, S. 113 ff. 202 Vgl. Busch, S. 40 f.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 211 ff.; Staupe, S. 119 m. w. N.; Stern Il, S. 575. Vgl. auch BVerfGE 68, S. 1 (109). 203 Vgl. G. C. Bunneister; Gesetzesvorbehalt, S. 29 ff.; Busch, S. 26 f.; Ossenbühl, HStR 111, § 62 Rn. 32. Mit eben jenen Prinzipien bemüht sich auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner "WesentIichkeitsrechtsprechung" um eine dogmatische Begründung, vgl. nur BVerfGE 58, S. 257 (268) m. w. N. der Rspr. 204 Vgl. nur BVerfGE 33, S. 125 (158); ebenso BVerfGE 34, S. 52 (59). 205 Vgl. auch die Definition bei Stern I, S. 781 m. w. N. Von dieser oder ähnlichen Definitionen gehen auch die im Zusammenhang mit dem Gesetzesvorbehalt stehenden Untersuchungen von Busch, S. 28 ff.; Eberle, DÖV 1984, S. 485 (488); Ossenbühl, HStR 111, § 62 Rn. 33 f.; Staupe, S. 175 ff., aus. 206 So Busch, S. 30. 207 Vgl. auch Busch, S. 28 ff.; Eberle, DÖV 1984, S. 485 (488); Herzog, M/D, Art. 20 Abs. 6 Rn. 72 f.; Staupe, S. 175 ff. Für die Rechtsprechung, vgl. nur BVerfGE 8, S. 274 (325). 208 Vgl. Eberle, DÖV 1984, S. 485 (488 f.); Ossenbühl, HStR 111, § 62 Rn. 19,33; Staupe, S. 178 ff. 209 Staupe, S. 179 ff., der sich im folgenden intensiv mit möglichen Gegeneinwänden auseinandersetzt. Ebenso Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 217 f. 199
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E. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes
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herrühre. Eine Rechtsverordnung oder Satzung gewährleiste ebenso die Rechtsförmigkeit und lustitiabilität wie ein Gesetz 21O. Bezugnehmend auf den Gewaltenteilungsgrundsatz wird eingewandt, daß es letztlich darauf ankomme, daß Rechtssetzung und Rechtsanwendung getrennt würden. Dies sei i.d.R. aber auch bei einer ministeriellen Verordnung der Fall 211 • Ebenso werden die Publikationsfunktion 212 und die Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns 213 , welche das Gesetz in besonderer Weise gegenüber der Verordnung gewährleisten soll, kritisch bewertet 214 . Aber selbst wenn man aus dem Rechtsstaatsprinzip kein Kriterium zu deduzieren vermag, welches eindeutig begründet, warum in bestimmten Fällen eine gesetzliche Regelung einer Verordnungs- oder Satzungsgebung vorzuziehen ist, so wird man jedenfalls sagen können, daß das Gesetz - wenn auch neben anderen staatlichen Akten, wie z. B. Rechtsverordnungen oder Satzungen - seine Wurzeln zumindest auch im Rechtsstaatsgedanken hat.
d) Demokratischer Begründungsansatz
Im Hinblick auf das Demokratieprinzip könnte sich das Parlamentsgesetz dadurch besonders begründen - und damit sich zum Beispiel von einer Rechtsverordnung unterscheiden -, als es von den unmittelbar legitimierten, die Volkssouveränität ausübenden Parlamentariern verabschiedet wird215 . Unter diesem Aspekt versuchte auch das Bundesverfassungsgericht216 eine "Parlamentssuprematie,,217 zu entwickeln, indem es auf den höheren Grad der Legitimation des Parlaments gegenüber der Exekutive hinwies.
210 Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 217, der im übrigen auf die größere Flexibilität der Exekutive zur Reaktion auf bisher gesetzlich nicht geregelte Sachverhalte verweist. Die Begründung eines Totalvorbehaltes würde hier den Interessen des Bürgers gerade entgegenlaufen. 211 Vgl. Eberle, a. a. O. Vor einer Überbewertung des Gewaltenteilungsgrundsatzes angesichts ohnehin schon bestehenden Abhängigkeit der Regierung vom Parlament warnt in diesem Zusammenhang auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 229. 212 Hierzu Herzog, M/D, Art. 20 Abs. 6 Rn. 70 213 Die Rechtsprechung fordert hier eine gesetzliche Regelung, vgl. nur BVerfGE 34, S. 52 (60). 214 Vgl. Eberle, a. a. 0.; Staupe, a. a. O. m Vgl. diesen Ansatz auch bei den in FN 102 genannten Autoren; Böcken!örde, Gesetz, S.383. 216 Vgl. BVerfGE 33, S. 125 (159); 40, S. 237 (249 f.). 217 So Magiera, S. 160, S. 170. G. C. Burmeister. Gesetzesvorbehalt, S. 77, verwendet den Begriff der "Präponderanz".
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Auch dieser Ansatz zur Abgrenzung des Bereichs des Parlamentsgesetzes ist trotz seiner anfanglichen Anerkennung 218 auf Bedenken gestoßen 219 • Nicht zuletzt hat hierzu auch das Bundesverfassungsgericht selbst durch seine Rechtsprechung beigetragen, indem es einen "Gewaltenmonismus in Fonn eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts" abgelehnt hat22o • Mittlerweile wird die demokratische Legitimation der Regierung und damit der von ihr erlassenen Rechtsakte auch nicht mehr bestritten 221 • Wie auch schon beim Versuch, die besondere Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleiten, wird man auch in bezug auf das Demokratieprinzip sagen können, daß zwar das Parlamentsgesetz hier ebenfalls seine dogmatischen Wurzeln findet, letztlich aber dieses Kriterium allein auch nicht zu einer tauglichen Erklärung der besonderen Stellung des Parlamentsgesetzes führt 222 • e) Funktioneller Begründungsansatz
Weder das Demokratie- noch das Rechtsstaatsprinzip führen also zu einer stichhaltigen Erklärung 223 , warum das Parlamentsgesetz eine besondere Stellung in der Gesamtheit der staatlichen Entscheidungen einnimmt. Gleichwohl legt es die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nahe, daß das Parlamentsgesetz eine besondere Stellung innerhalb der Akte der staatlichen Willens bi 1dung einnimt. Somit stellt sich die Frage nach dem Unterscheidungskriterium der Rechtsakte untereinander. Die Antwort wird heute überwiegend in der Besonderheit des Gesetzgebungsverfahrens gesehen224 . Das Gesetzgebungsverfahren zeichnet sich gegenüber andeNachweise bei Staupe, S. 167 FN 167. Vgl. die ablehnenden Stellungnahmen von Busch, S. 34 ff.; Eberle, DÖV 1984, S. 485 (489); Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 35 ff.; Staupe, S. 163 ff., S. 167 ff. 220 So im sog. Kalkar-Beschluß, vgl. BVerfGE 49, S. 89 (124 ff.). Vgl. auch BVerfGE 68, S. 1 (108 f.). 221 Vgl. Busch, S. 35 f.; G. C. Burmeister, Gesetzesvorbehalt, S. 77 ff.; Eberle, DÖV 1984, S. 485 (489); Ossenbühl, HStR 111, § 62 Rn. 35 ff.; ders., Verwaltungsvorschriften, S. 228; Staupe, S. 163 ff. A.A. wohl v. Danwitz, S. 66 f., der, ohne die Gewalten(ver)teilung des Grundgesetzes zu berücksichtigen, schlicht auf die "doppelte Mediatisierung" der Legitimation der Regierung abstellt. 222 Böckenjörde, Gesetz, S. 384 f., meint daher auch, daß die verschiedenen Begründungsansätze nicht alternativ, sondern kumulativ in der verfassungsrechtlichen Diskussion zu verwenden sind. 223 Zu weiteren "sekundären" Begründungsansätzen, vgl. die ausführliche Darstellung von Staupe, S. 185 ff., der auch diese Ansätze im Ergebnis als mangelhafte Erklärung für die Begründung des Parlamentsgesetzes verwirft. 224 Vgl. v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241(1243 f.); v. Danwitz, S. 67 f.; Eberle, DÖV 1984, S. 485 (489); Kisker, NJW 1977, S. 1313 (1315); Ossenbühl, HStR III, § 62 Rn. 48 ff.; 218 219
E. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes
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ren staatlichen Entscheidungsfindungsprozessen insbesondere durch Diskussion und Öffentlichkeit aus 225 • Wie schon die Darstellung des (formalen) Festsetzungsverfahrens gezeigt hat226 , besteht im Gesetzgebungsverfahren genügend Raum für die Beteiligung und Einbringung verschiedenster Interessen. Hierdurch wird nicht zuletzt auch eine bestimmte inhaltliche Güte des Gesetzes erreicht 227 . Zudem ist die Beteiligung von Minderheiten zu beachten, die, wenngleich sie überstimmt werden, die Chance erhalten, ihre Ansichten interessewahrend zu vertreten. Dieses Procedere fördert gleichzeitig die Akzeptanz der staatlichen Entscheidung 228 . In diesem Sinne ist auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 229 in der sog. Nachrüstungsentscheidung zu verstehen. Darin hatte das Gericht festgestellt, daß die Gewaltenteilung des Grundgesetzes darauf abziele, "daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen,mo. Als Grundlage für diese Ansicht führt das Gericht den Gedanken der rechtsstaatlichen Demokratie an, der es nicht nur auf die Vermittlung von (unmittelbarer) Legitimation ankomme. Im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip bedeute die Verteilung von politischer Macht, Staupe, S. 201 ff., jeweils m. w. N. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens im Laufe der geschichtlichen Entwicklung immer mehr der verfassungsrechtlichen Normierung unterlag, vgl. oben S. 82 ff. Bol/mann, S. 124 f., dessen Arbeit sich mit der Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments und damit auch mit dem Verfahren der Gesetzgebung beschäftigt, verweist auf die ,,Essentialität" dieser grundgesetzlichen Vorgaben. Dies würde eine funktionelle Betrachtung des Gesetzgebungsverfahrens stützen. 225 So Starek, Gesetzesbegriff, S. 157 f., ders., Verfassungsstaat, S. 23. Vgl. auch Böckenförde, Gesetz, S. 384; Sattler; Göttinger Symposium, S. 97 f. Vgl. im übrigen Nachweise aus FN 104. Eingehend auf die strukturellen und funktionellen Unterschiede von Parlamentsgesetz und Rechtsverordnung, vgl. Staupe, S. 213 ff. 226 Vgl. oben S. 82 ff. 227 Von der besonderen Güte spricht Starck, Gesetzesbegriff, S. 33 ff.; ders., Staatslexikon 11, Sp. 1008; Von ,,Richtigkeit" im prozeduralen Sinn spricht v. Arnim, DVBl. 1987, S. 1241 (1243 f.). Zur "hohen Autorität" des Gesetzes, vgl. Schmidt-JortziglSchürmann, BK, Art. 76 Rn. 31. 228 Insoweit ist davon auszugehen, daß die in diesem Zusammenhang verwandten Begriffe der "legitimierenden Wirkung" und "Integrationskraft" des Gesetzes dasselbe meinen. Vgl. auch v. Arnim, DVBl. 1987, S. 1241 (1244); Busch, S. 37, mit dem Hinweis auf Luhmann, Legitimation durch Verfahren (hierzu Zippelius, Staatslehre, S. 110 ff. und seine Kritik an Luhmann); Gusy, DVBl. 1998, S. 917 (925 f.); Hermes, S. 41 f., der das Gesetz auch als ,,zentralen Transmissionsriemen" für die Vermittlung von Legitimation bezeichnet (Hermes, S. 34); Jochum, S. 67, 76; Kloepfer; JZ 1984, S. 685 (694). Allgemein zur demokratischen Willensbildung und deren Fähigkeit, Akzeptanz zu vermitteln, vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 89. Zum soziologischen Begriff der Akzeptanz vgl. Lucke, Akzeptanz: Legitimität in der ,.Abstimmungsgesellschaft". Zur Fähigkeit des Repräsentativsystems, Legitimation zu vermitteln, vgl. Böckenförde, HStR 11, § 30 Rn. 17 ff. 229 BVerfGE 68, S. I ff. 230 BVerfGE 68, S. 1 (86).
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Verantwortung und Kontrolle auch, daß es einen der Regierung vorbehaltenen Bereich gäbe, zumal diese ohnehin parlamentsabhängig sei 23l . Auch die "Richtigkeitsgewähr" , welche das Gesetzgebungsverfahren biete, würde hieran nichts ändern232 . Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, daß zunehmend das Kriterium der "funktionsgerechten Organstruktur,,233 für die Begründung des Parlamentsgesetzes und seine Abgrenzung zu anderen staatlichen Entscheidungen Verwendung findet 234 .
2. Bedeutung für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung Unter Berücksichtigung der gewandelten Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes, ist nunmehr nach der Ratio des Parlamentsgesetzes für die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung zu fragen. Hierbei kann das heutige Verständnis des Parlamentsgesetzes zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung mit dem konstitutionellen Verständnis unmittelbar verglichen werden. Denn wie aufgezeigt werden konnte 235 , wurde in der Zeit der Weimarer Republik keine Neubewertung des Parlamentsgesetzes und damit auch des Festsetzungsverfahrens der Abgeordnetenentschädigung vorgenommen. Besondere Brisanz erhält diese Betrachtung dadurch, daß das Grundgesetz bei der Regelung der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung an die Tradition der Weimarer Reichsverfassung und damit mittelbar an das staatsrechtliche Verständnis des Deutschen Reiches anknüpft236 . Zu berücksichtigen ist ferner, daß sich das eben skizzierte Verständnis des Parlamentsgesetzes unter dem Grundgesetz auch erst entwickeln mußte. Für den historischen Verfassungsgeber bedeutet dies, daß dieser bei der Übernahme
BVerfGE, a. a. O. BVerfGE 68, S. 1 (109). 233 Vgl. v. Danwitz, Der Staat 1996, S. 329 ff., der hierin ein verfassungswertiges Prinzip sieht, welches als bundesverfassungsgerichtlicher Kontrollmaßstab dienen kann (S. 349 f.). Vgl. Ossenbühl, HStR 111, § 62 Rn. 48; Schröder; S. 181. Der Begriff wird auf Küster; AöR 75 (1949), S. 397 (402) zurückgeführt. 234 So bei v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1242 ff.): Nicht, "daß das Parlament entscheidet, sondern wie", sei das Charakteristikum der parlamentsgesetzlichen Entscheidung (v. Arnim. a. a. 0., S. 1246, Hervorhebungen im Original). Vgl. auch Böckenförde. Gesetz, S. 384; Busch. S. 37 ff.; Ossenbühl. HStR III. § 62 Rn. 49; Stare,," Gesetzesbegriff, S. 169 ff., geht von einer Proportionalität von Inhalt und Verfahren aus; Staupe. S. 213 ff. 235 Vgl. oben S. 94 und S. 98. 236 Dies zeigt sich zum einen an der Diskussion über den Begriff des Gesetzes (vgl. Hermes, S. 17 ff.). der diskussionslosen Übernahme des Art. 40 WRV durch Art. 48 III, sowie auch der Übernahme der Geschäftsordnungsautonomie (vgl. Arndt, Geschäftsordnungsautonornie, S. 41 ff.). Löwenberg, S. 51, meint sogar, daß fast alle den Bundestag betreffende Regeln aus der Weimarer Reichsverfassung bzw. der Geschäftsordnung "unversehrt" und angesichts der veränderten politischen Situation "ungefragt" übernommen wurden. 231
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E. Funktion und Bedeutung des Parlaments gesetzes
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der Regelung des Art. 40 WRV noch nicht auf die heute vorliegenden Erkenntnisse zurückgreifen konnten. Als bedeutsamster Unterschied zwischen dem Regelungsverständnis des Art. 32 S. 2 RV und dem heutigen Verständnis des Parlamentsgesetzes läßt sich die Abkehr von der Kompetenzerringung durch das Parlament hin zur funktionsgerechten Organ- und damit Entscheidungsstruktur nennen. Dieser grundlegende Verständniswandel wirft dabei zwei Fragen auf: Erstens, warum die Abgeordnetenentschädigung heute nicht in der Geschäftsordnung oder einer Verordnung geregelt wird 237 ; zweitens, ob das Gesetzgebungsverfahren zur Festlegung der Abgeordnetenentschädigung die Erwartungen zur funktionsgerechten Organ- bzw. Entscheidungsstruktur erfüllt. Hinsichtlich der zweiten Frage ist auf die folgende Untersuchung der individuellen und kollektiven Willensbildung zu verweisen, da es dort unter anderem darum geht, ob die dem Gesetzgebungsverfahren normalerweise unterstellte Entscheidungsfindung auch im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung gewährleistet ist. Die erste Frage soll im folgenden geklärt werden. a) Regelung durch Geschäftsordnung? Wie auch schon im Deutschen Reich und der Weimarer Republik, so ist auch unter dem Grundgesetz die autonome Regelung der Geschäftsordnung durch das Parlament anerkannt, vgl. Art. 40 Abs. 1 S. 2238 . Diese Autonomie wurde weitgehend diskussionslos und wortgleich aus der Weimarer Reichsverfassung (vgl. Art. 26 S. 2 WRV) übernommen. Da Art. 26 S. 2 WRV seinen Ursprung in Art. 27 RV hatte, liegt folglich der Regelung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 das staatsrechtliche Verständnis der Kaiserzeit zugrunde 239 . Daher wird, vor dem Hintergrund einer mittlerweile parlaments abhängigen Regierung, ein Bedeutungsverlust dieser autonomen Regelungskompetenz angenommen 240 . Ohne näher auf die Berechtigung oder Bedeutung der Geschäftsordnungsautonomie einzugehen 241 , sollen hier die 237 Zu diesen bei den in Frage kommenden Normebenen zur Regelung der Abgeordnetenentschädigung im Deutschen Reich, vgl. oben S. 96 ff. 238 Ausführliche Arbeiten zur Geschäftsordnung und Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages von Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, sowie aus jüngerer Zeit Bol/mann, Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages; Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber. 239 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung ausführlich Arndt, Geschäftsordnungsautonomie, S. 43 ff.; Haug, S. 27 ff.; im Ergebnis auch Kretschmer, PariR, S. 291 ff.; Maunz, M/D, Art. 40 Rn. 1. 240 So Maunz, a. a. O. 241 Vgl. nur BVerfGE 70, S. 297 ff. mit den abweichenden Meinungen der Richter Mahrenho/z (S. 366 ff.) und Böckenförde (S. 380 ff.). Vgl. hierzu auch die Kontroverse im
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Gründe genannt werden, die gegen eine Regelung der Abgeordnetenentschädigung im Rahmen der Geschäftsordnung angeführt werden. Der erste Grund findet sich in der Regelungsreichweite, die der Geschäftsordnungsautonomie beigemessenen wird 242 . Die herrschende Meinung geht davon aus, daß den Regelungen der Geschäftsordnung nur rein parlamentsinterne Wirkung zukomme. Regelungen mit Außenwirkung müßten mittels eines Gesetzes getroffen werden 243 . Da der Abgeordnetenentschädigung Außen wirkung zukommt, müßte diese also mittels eines Gesetzes festgesetzt werden, was in Art. 48 Abs.3 S. 3 seine Bestätigung findet 244 • An dieser Stelle spielt auch der im ersten Teil dargestellte Streit eine Rolle, ob die Entschädigung im reinen Parlamentsinteresse steht245 . Dort wurde dargelegt, daß die Abgeordnetenentschädigung (auch) ein subjektives Recht des Abgeordneten mit Außenwirkung ist. Sofern es also tatsächlich um die Abgrenzung Geschäftsordnung (= Innenwirkung) - Gesetz (= Außenwirkung) geht, wäre diesem Grund zuzustimmen. Letztlich hängt es jedoch von der Beantwortung der Frage ab, was die Geschäftsordnung vom Gesetz unterscheidet. Auch in diesem Zusammenhang stößt man auf funktionelle Argumente. Für die Geschäftsordnungsautonomie wird angeführt, daß Geschäftsordnungsbeschlüsse unter Ausschluß der Beteiligung anderer Organe ergehen, was letztlich die selbständige Willensbildung des Bundestages unterstreicht 246 . Im Unterschied zum Gesetz ist die Geschäftsordnung leichter änderbar, da sie statt des einfachen Gesetzgebers 247 nur der Parlamentsmehrheit bedarf. Aus diesem Grund ist auch die Beteiligung der Öffentlichkeit nur in sehr viel geringerem Maße geWährleistet. Des weiteren ist auch die besondere Publikationsfunktion des Gesetzes nicht durch Schrifttum zwischen Bücker; ZParl 17 (1986), S. 324 ff., einerseits, der für eine erweiterte Regelung des bislang parlamentsautonomen Bereichs durch Gesetz eintritt und Dreier; JZ 1990, S. 310 ff., andererseits, der sich für die Beibehaltung der Geschäftsordnungsautonomie ausspricht. Ohne nähere Begründung, die Parlaments autonomie annehmend, vgl. Schröder; S. 202. Zum Ganzen vgl. Haug, S. 34 ff.; Pietzker; ParIR, S. 340 f. 242 Zur sachlichen Reichweite der Geschäftsordnung vgl. Bollmann, S. 34 ff. 243 Vgl. Abmeier; S. 22 f.; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 59 ff.; Bollmann, S. 149 f. (auch zur ,,Außenwirkung" der rein innenrechtswirkenden Geschäftsordnung gegenüber Nichtparlamentariem); Maunz, M/D, Art. 40 Rn. 18. Kritisch zu dieser Differenzierung Schwerin, S.74ff. 244 Unkiar ist bei Dreier; JZ 1990, S. 310 (314 f.), ob er die Regelung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 dem lnnen- oder Außenbereich zuordnet, da er sie als "unproblematisch" bezeichnet. Ebenso Pietzker; ParIR, S. 338. Später schreibt letzterer der Norm jedoch Außenwirkung zu, vgl. Pietzker; a. a. O. S. 340. Kritisch Bücker; ZParl 17 (1986), S. 324 (329 ff.), der bei Vorliegen von Innen- und Außenwirkung immer ein Gesetz als adäquate Regelungsform ansieht. 245 Vgl. oben S. 59 ff. 246 Vgl. Dreier; JZ 1990, S. 310 (314 f.): "Die Organisation der parlamentarischen Willensbildung ist Voraussetzung der Gesetze, nicht ihr Objekt". A.A. wohl Bücker; ZParl 17 (1986), S. 324 (333). 247 Zu ihm zählen neben der Mehrheit des Bundestages auch die Beteiligung des Bundesrates, der Bundesregierung und des Bundespräsidenten. Näher zum Gesetzgebungsverfahren, vgl. oben S. 84 f.
E. Funktion und Bedeutung des Parlamentsgesetzes
109
eine Regelung in der Geschäftsordnung erfüllt. Diese Gründe mögen zwar im Hinblick auf die rein innengerichtete Wirkung von Geschäftsordnungsangelegenheiten hinnehmbar sein 248 , sie sind jedoch mit dem im Außenverhältnis anerkannten Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar. Erwiesen sich diese Kriterien zur Bestimmung und Abgrenzung des Parlamentsgesetzes von anderen Regelungsformen oben noch als wenig tauglich, so entfalten sie hier jedoch ihre Wirkung249 . Für Regelungen, die den außerhalb des Parlaments stehenden Bürger betreffen, sieht das Grundgesetz eben gerade das förmliche Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. vor, um die entsprechende Rechtssicherheit und Beteiligung zu sichern 25o . Da die Abgeordneten bei der Regelung der Abgeordnetenentschädigung wie ein außerhalb des Parlaments stehender Bürger betroffen sind, kann aus diesem Grunde bereits die Entschädigungsfrage nicht in der Geschäftsordnung geregelt werden. Als weiteren Grund führt Amdr51 an, daß die Geschäftsordnungsautonomie dort ihre Grenze findet, wo Statusrechte des Abgeordneten verfassungsrechtlich garantiert sind. Besonders gelte dies für das Recht des Abgeordneten auf Entschädigung gern. Art. 48 Abs. 3 S. 1. Dieses Argument erscheint allerdings zweifelhaft. Es bewegt sich lediglich auf der Ebene der Anerkennung der Verfassungslage. Unzweifelhaft richtig ist es, einen Abzug von der Abgeordnetenentschädigung, weIche auf der Grundlage des Art. 48 Abs. 3 gewährt wird, nicht durch die Geschäftsordnung zu regeln 252 . Hieraus jedoch ableiten zu wollen, daß verfassungsrechtlich abgesicherte Statusrechte nicht durch die Geschäftsordnung eingeschränkt oder gestaltet werden können, widerlegt Arndr53 selbst. So erkennt Amdt, daß die Mitwirkungsrechte der Abgeordneten nicht absolut, sondern nur in den Grenzen der Geschäftsordnung gewährleistet sind. Überdies steht die Geschäftsordnung in der Gestaltungsfreiheit der jeweiligen Mehrheit. Eine Begründung für die Regelungsform des Gesetzes statt der Geschäftsordnung zur Festlegung der Abgeordnetenentschädigung ist daher insoweit nicht gewonnen. Letztlich wird noch von v. Arnim254 der gesteigerte Kontrollbedarf durch die Öffentlichkeit als Argument gegen eine Regelung der Abgeordnetenentschädigung in der Geschäftsordnung genannt. Dieser Ansatz findet allerdings seine Begründung 248 Vgl. Dreier, JZ 1990, S. 310 (315 f.), der ausdrücklich auf die große Konstanz der Regelungen der Geschäftsordnungen hinweist. Kritisch wiederum Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (331). 249 Vgl. oben S. 102 f. 230 So auch Bol/mann, S. 84 f. und S. 121 f., der ansonsten in seiner Arbeit das rechtsstaatliche Element der Geschäftsordnung betont. m So Arndt. Geschäftsordnungsautonomie, S. 72 f. m Vgl. insoweit das Beispiel bei Amdt. Geschäftsordnungsautonomie, S. 72 f. Der von ihm gerügte Abzug von der Abgeordnetenentschädigung als Ordnungsmaßnahme findet sich nun auch nicht mehr in der Geschäftsordnung des Bundestages. m Arndt. Geschäftsordnungsautonomie, S. 74. 234 v. Arnim. ParIR. S. 532.
110
2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
nur dann, wenn tatsächlich ein solcher Kontrollbedarf besteht255 . Damit sind aber schon die durch das Festsetzungsverfahren bedingten Implikationen angesprochen, die es erst im folgenden zu untersuchen gilt 256 . An dieser Stelle soll die Feststellung ausreichen, daß bereits die Außen wirkung der Abgeordnetenentschädigung eine Regelung durch Gesetz erfordert. b) Regelung durch Verordnung?
Das andere Extrem betrifft die Regelung der Abgeordnetenentschädigung durch eine Verordnung. Letztlich ließe sich ein derartiger Regelungsort auch mit funktionellen, verfahrenstechnischen Argumente ablehnen 257 . An dieser Stelle ist jedoch noch auf einen weiteren Gedanken einzugehen, nämlich den der Parlamentsautonomie. Zuvor wurde die Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments formell - ihrem Inhalt nach - und von ihrer innenrechtsregelnden Wirkung her bestimmt. Die Autonomie des Parlaments läßt sich allerdings auch materiell definieren 258 . Die Ermittlung dieses materiellen Inhaltes hat dabei an den Sinn und Zweck der Autonomie anzuknüpfen. Dieser wird heute darin gesehen, daß jedes Staatsorgan frei von der Beeinflussung anderer Organe sich selbst organisieren kann und somit in seiner Willensbildung frei von externer Gängelung ist. Dies hat in einem gewaltenteiligen Staat, in welchem die Organe in einem verschränkten System der gegenseitigen Kontrolle und Hemmung stehen, auch heute noch seinen guten Sinn259 . Fraglich ist nun, ob die Abgeordnetenentschädigung zu diesem materiellen Begriff der parlamentarischen Autonomie zu zählen ise 60 • Zu berücksichtigen ist dabei, daß der 255 Vgl. insoweit die Feststellungen in BVerfGE 40, S. 296 (327), daß das Festsetzungsverfahren eben jener öffentlichen Kontrolle bedarf. 256 Hierzu unten S. 117 ff., 154 ff., 165 ff. Gleichwohl soll an dieser Stelle der Hinweis erfolgen, daß das Festsetzungsverfahren ein entsprechendes Bedürfnis an öffentlicher Kontrolle aufweist. 257 Zu nennen wäre auch hier das Bedürfnis der Öffentlichkeit, die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung kritisch beobachten zu können. Ebenso Klein, M ID, Art. 48 Rn. 148, der ergänzend anmerkt, daß es ein sachfremder Gedanke sei, die Regierung mit der Entscheidung über die Bezüge der Mitglieder des zu ihrer Kontrolle berufenen Parlaments zu betrauen. 258 Hierzu Haug, S. 36 ff. 259 So wie hier zur Ratio der Geschäftsordnungsautonomie, vgl. Arndt Geschäftsordnungsautonomie, S. 63; Haug, S. 36, geht von der adäquaten Erfüllung der Leitfunktionen aus; Schröder, S. 202; Steiger, S. 42. Wenn im übrigen Klatt, ZParl 1973, S. 404 (418), von der ..Souveränität" des Parlaments spricht, ist es angebrachter, von der Autonomie des Parlaments auszugehen und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu betrachten. Vgl. auch oben S. 75 insbesondere FN 75. Gegen den Begriff der ..Souveränität" in bezug auf den Bundestag vgl. auch Achterberg, Parlamentsrecht, S. 95; Magiera, S. 167; Storr, S. 293 ff. 260 Vgl. so Magiera, Sachs, Art. 40 Rn. I, der die Abgeordnetenentschädigung dem ..Außenbereich" der Parlamentsautonomie zuordnet. Auch Storr, S. 245, ordnet - allerdings
F. Typologie der "Entscheidungen in eigener Sache"
111
Abgeordnetenentschädigung auch eine parlamentsinterne Wirkung zukommt 261 . Die oben dargestellten Äußerungen, die Regelung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 sei angesichts der Parlamentsautonomie "unproblematisch,,262, können somit dahingehend verstanden werden, daß es jedenfalls anderen (bestehenden) Verfassungsorganen verwehrt ist, in ausschließlicher Kompetenz über die Abgeordnetenentschädigung zu bestimmen. Angesichts der weitreichenden - auch politischen - Wirkung, die die Abgeordnetenentschädigung auf die Abgeordneten und damit die Funktion des Parlaments hat, ist dieses auch verfassungsrechtlich geboten 263 . Bestimmt man also die Parlamentsautonomie materiell, ohne sich dabei auf die Regelungsebene festzulegen, läßt sich die Frage der Abgeordnetenentschädigung zweifelsohne hierzu zählen. Für das verfaßte System des Grundgesetzes bedeutet dies, daß dem Parlament zumindest eine Mitwirkung an der Entscheidung über die Abgeordnetenentschädigung verbleiben muß 264 . Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zum obigen Ergebnis, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht in einer Geschäftsordnung regelbar ist, da insoweit der Entschädigung Außenwirkung265 zukommt und sie daher in Form eines Gesetzes festzusetzen ist. Unter dem Gesichtspunkt einer materiell verstandenen Parlamentsautonomie kann die Abgeordnetenentschädigung folglich nicht durch eine Verordnung geregelt werden.
F. Typologie der "Entscheidungen in eigener Sache" Die Untersuchung im ersten Teil hat ergeben, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht nur im Parlamentsinteresse gewährt wird, sondern auch im Interesse des einzelnen Abgeordneten steht 266 . So führt das derzeitige Verfahren der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung dazu, daß die Parlamentarier über "ihre" Entschädigung abstimmen müssen. Diese Abstimmung, welcher also auch eigene Interessen der Abgeordneten zugrunde liegen, führt zu dem Problemkreis der "Entohne nähere Begründung - die Regelung der Abgeordnetenentschädigung dem Bereich der Parlamentsautonomie zu. 261 Vgl. oben S. 60 f. 262 Vgl. oben S. \07 ff. 263 Hierzu der erste Teil der Arbeit. 264 Bereits an dieser Stelle zeigt sich, daß die z.T. propagierten "Kommissions-Modelle" genau auf ihre Implikationen im Hinblick auf die Parlamentsautonomie zu untersuchen sind. Vgl. hierzu die entsprechenden Darstellungen unten im fünften Teil. 26S Vgl. Magiera, Sachs, Art. 40 Rn. I. 266 Vgl. oben S. 60 f.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
scheidungen in eigener Sache" und wird unter anderem auch im Zusammenhang mit den sog. Mitwirkungsverboten für Parlamentarier diskutiert 267 . Während Schneider268 der Ansicht ist, die Entscheidung über die Abgeordnetenentschädigung sei geradezu ein "Musterbeispiel" für Entscheidungen in eigener Sache, meint Isensee 269, es handle sich hierbei um eine Besonderheit. Noch weiter als Isensee geht Henke 270 , der dieses Verfahren als rechtsstaatswidrig bezeichnet. Außerhalb dieses Meinungskanons stehen Knebel-Pfuhp71 und Peine 272 , die dieses Verfahren von vornherein aus ihren Untersuchungen über Mitwirkungsverbote von Parlamentariern ausklammern. Eine entgegengesetzte Ansicht vertreten Klein 273 und Schmitt Glaese?74. Während Klein in dem Begriff des "Gesetzes in eigener Sache" überhaupt keine (greifbare) verfassungsrechtliche Kategorie erblickt, verortet Schmitt Glaeser die Problematik der Entscheidung in eigner Sache im Rechtsstaatsprinzip und erblickt aus diesem Grund keinen Widerspruch zum Demokratieprinzip, wie es das Diätenurteil durch die Bezugnahme auf die "Essentiale des demokratischen Prinzips" nahelegt275. Ob nun das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung tatsächlich ein "Musterbeispiel für Entscheidungen in eigener Sache" ist, beurteilt sich allerdings nach der Vergleichbarkeit der zugrunde gelegten Tatbestände. Insofern ist vor einer Untersuchung der individuellen und kollektiven Entscheidungsfindung eine Differenzierung der mit diesem Problemkreis angesprochenen Sachverhalte vorzunehmen.
1h7 Vgl. Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 ff.; v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1245 ff.); kurz erwähnt auch bei Fischer; S. 17 ff.; Henke, BK, Art. 21 Rn. 321 ff.; Knebel-Pfuhl, Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit für Parlamentarier?, bezüglich des Festsetzungsverfahrens der Abgeordnetenentschädigung vgl. Knebel-Pfuhl, S. 59 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 ff.; Rupp, ZG 1992, S. 285 ff.; Schneider; Gesetzgebungstheorie, S. 327 ff.; Vogel. ZG 1992, S. 293 ff. 268 Schneider; Gesetzgebungstheorie, S. 327 (341). 269 Isensee, HStR III, § 57 Rn. 59 FN 93. 270 Henke, BK, Art. 21 Rn. 322; ders., Der Staat 1992, S. 98 (102 ff.). 27\ Knebel-Pfuhl, S. 59 ff., klammert die Problematik mangels Ersatzzuständigkeit aus. 272 Peine, JZ 1985, S. 914 (921), meint, im Hinblick auf "Entscheidungen des Parlaments in eigenen Angelegenheiten", sei kein potentieller Mißbrauch anzunehmen. Dabei läßt er allerdings offen, ob es sich bei der Abgeordnetenentschädigung um eine Frage im Parlamentsinteresse handelt, derenwegen er keinen Mißbrauch meint vermuten zu müssen, oder aber, ob in Fragen weIche das Parlament im ganzen - also alle Abgeordneten - betreffen, ein Mißbrauch auszuschließen sei. 273 Klein, M/D, Art. 48 Rn. 149. 274 Schmitt Glaeser; FS Stern, S. 1183 (1194 ff.). 275 Ihm folgend Klein, M/D, Art. 48 Rn. 150 FN 348.
F. Typologie der ,,Entscheidungen in eigener Sache"
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I. BegritTsklärung: Befangenheit I BetrotTenheit Zunächst ist aber eine terminologische Klärung angebracht. In der Diskussion über Entscheidungen der Abgeordneten in eigenen Sachen tauchen immer wieder die Begriffe der Befangenheit oder Betroffenheit auf 76 . Beide Begriffe sollen dabei einen Sachverhalt kennzeichnen, wonach bei einem oder mehreren Abgeordneten eine Interessenkollision zu befürchten ist. Dem liegt der Gedanke des römischen Rechtssatzes "nemo iudex in sua causa" zugrunde. Demnach kann einem Amtswalter nicht zugemutet werden, im Falle kollidierender eigener Interessen, eine seinen Amtspflichten gemäße, objektive Entscheidung zu treffen. Dies dient zugleich dem Ansehenserhalt der öffentlichen Entscheidungen. Dieser Grundsatz hat über das Prozeßrecht hinaus auch im Verwaltungsrecht Berücksichtigung gefunden 277 . Zu beachten ist, daß in den prozessualen und verwaltungsrechtlichen Vorschriften immer von der "Besorgnis der Befangenheit" oder dem "Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsführung" die Rede ist. Dieses wird angenommen, wenn nach objektiven Kriterien zu befürchten ist, daß die Amtsführung nicht unparteiisch ist 278 . Wenn also von dem "befangenen Abgeordneten,,279 gesprochen wird, so verkürzt dies den Gedanken der in bezug genommenen Regelungen 28o . Mit der Begriffsverwendung der "Besorgnis der Befangenheit" verknüpft ist der des Amtsträgers. In erster Linie sind damit die Entscheidungsträger der Judikative und Exekutive gemeint. Von ihnen wird aufgrund des Amtes eine gemeinwohlorientierte, fremdnützige, also frei von Interessen getroffene, objektive Entscheidung erwartet281 . Zwar spricht Art. 48 Abs. 2 S. 1 auch vom Amt des Abgeordneten, doch gehen die Ansichten über den Inhalt und den hieraus folgenden Konsequenzen auseinander. Da erst im folgenden der Maßstab des Amtes im Rahmen der individuellen Willensbildung des Abgeordneten untersucht wird, soll hier zur 276 Ausdrücklich verwenden den Begriff der Befangenheit Knebel-Pfuhl, Mitwirkungsverbot wegen Befangenheit für Parlamentarier?, und Peine, JZ 1985, S. 914 ff. ("Der befangene Abgeordnete"). Den Begriff der Betroffenheit verwenden Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 ff.; Schneider. Gesetzgebungstheorie, S. 327 ff. 277 Vgl. Schneider. Gesetzgebungstheorie, S. 327. Vgl. u. a. die gesetzlichen Regelungen in § 42 ZPO (Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit); § 31 ZPO (Ablehnung eines Urkundsbeamten); § 406 ZPO (Ablehnung eines Sachverständigen); § 21 VwVfG (Ablehnung eines mitwirkenden Amtsträgers wegen "Mißtrauen" gegen seine Unparteilichkeit). Vgl. darüber hinaus im Zivilrecht, vgl. § 318 Abs. 3 S. I HGB (Ablehnung eines Prüfers). Zu den Zwecken dieser Regelungen, vgl. Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (519 f.); Obermayer. VwVfG, § 20 Rn. 3 ff. m Vgl. Hartmann, BILl A/H, § 42 Rn. 10; Obermayer. VwVfG, § 21 Rn. 11. 279 So ohne KlarsteIlung Knebel-Pfuhl, a. a. 0.; Peine, a. a. O. 280 Zum "Anschein", daß Abgeordnete sich in ihrem Stimmverhalten von persönlichen Motiven leiten lassen könnten, vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 405. 281 Vgl. Böcken!örde, HStR 11, § 30 Rn. 19; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 29 Losehelder. S. 227 ff.; Schneider. Gesetzgebungstheorie, S. 331 f.
8 v. Waldthausen
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Venneidung von Unklarheiten vom Begriff der (Besorgnis der) Betroffenheit ausgegangen werden 282 . Der Begriff der (Besorgnis der) Betroffenheit dient also der Kennzeichnung von Sachverhalten, bei denen Interessen des Abgeordneten beruhrt sind 283 .
11. Abgrenzung zu anderen ,,Entscheidungen in eigener Sache" 1. Allgemein
Die im Parlamentsrecht anzutreffenden Beispiele, in denen. eigene Interessen der Abgeordneten beruhrt sind, lassen sich in verschiedener Weise kategorisieren 284 • Ohne diese Einteilungen hier näher darstellen zu müssen, läßt sich das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung von den meisten Betroffenheitstatbeständen bereits im tatsächlichen Bereich unterscheiden. Die zumeist angeführten Tatbestände beziehen sich nämlich auf einzelne oder Gruppen von Abgeordneten28S • Das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung jedoch betrifft alle Abgeordneten gleicher-maßen. Zugleich betrifft die Entscheidung über die Abgeordnetenentschädigung (im wesentlichen 286 ) keine außerhalb des Parlaments stehende Person 287 . 282 Dabei ist nicht zu übersehen, daß auch diese Begriffsverwendung bereits ,,Programm" sein kann. So verwendet Schneider, a. a. 0., diesen Begriff, um klarzustellen, daß der Abgeordnete seiner Meinung nach ein "partei- oder gruppengebundenes Mandat wahr(nimmt), das ihn von "Amts-"wegen stets auf eine bestimmte Richtung festlegt". Gleichwohl soll hier dieser Begriff in einem neutralen Sinn verwandt werden. 283 Zum besonderen Problem finanzieller Interessen bei öffentlichen Entscheidungsträgern, vgL Krüger, S. 267 ff. 284 VgL die Einteilung in acht Gruppen bei Knebel-Pfuhl, S. 39 ff., auf die sich auch Peine, JZ 1985, S. 914 (915 f.) bezieht. Ferner die Einteilung bei Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 (332 f.). 28S VgL Knebel-Pfuhl, S. 39-59, die im übrigen nicht danach differenziert, ob die Betroffenheit tatsächlicher Natur ist oder rechtlich verifizierbar ist. Für den Fall der Abgeordnetenentschädigung wurde oben (vgL Teil I S. 60 f.) nachgewiesen, daß sie (auch) im rechtlich nachweisbaren Interesse der Abgeordneten steht. 286 Zutreffend weist Klein, MI D, Art. 48 Rn. 150 FN 352, darauf hin, daß die Regelungen über die Abgeordnetenentschädigung auch die Europaabgeordeneten sowie die ehemaligen und künftigen Abgeordenten betrifft. Bei dieser Gruppe handelt es sich aber um eine nahezu zu vernachlässigende Größe, was nicht zuletzt dadurch unterstrichen wird, daß von dieser Seite noch keine nennenswerte Stellungnahme zu den Änderungen der Abgeordnetenentschädigung zu vermerken war. 287 Damit ist nicht der Abgeordnete gemeint, wenngleich dieser zur Beschreibung der Doppelnatur der Abgeordnetenentschädigung auch als außerhalb des Parlaments stehende Person beschrieben wurde, vgL oben S. 60 f.
F. Typologie der ,.Entscheidungen in eigener Sache"
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Schneider288 hat diesen Fall, in Abgrenzung zu den übrigen Betroffenheitstatbeständen, als ,,kollektive Organbetroffenheit" bezeichnet. Diese Bezeichnung ist allerdings nicht korrekt, denn sie würde bedingen, daß die Abgeordneten "Organe" sind 289 . Vielmehr sind die Abgeordneten Teile des Organs "Bundestag" und somit "Organwalter,,290. Insofern müßte von einer ,,kollektiven Organwalterbetroffenheit" die Rede sein 291 .
Wenngleich also das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung untersucht wird, darf dabei nicht übersehen werden, daß es zahlreiche (praktische) Fälle der Interessenbetroffenheit bei Abgeordneten gibt. Auch wenn sich die folgende Untersuchung der individuellen und kollektiven Willensbildung fokussierend diesem Problem des ,,kollektiven Interesses" zuwendet, darf andererseits nicht ausgeblendet werden, daß es auch andere Fälle der ,,Interessenwahrnehmung" gibt 292 . Wenn nun aber das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung nur eine Konstellation von vielen verschiedenen Arten der Entscheidungen in eigener Sache ist, so ist danach zu fragen, warum Schneider293 dieses als ,,Musterbeispiel" bezeichnet. Sicherlich zeichnet sich dieses Verfahren durch die allseitige rechtliche Betroffenheit der Abgeordneten aus, wohingegen in anderen Konstellationen nur wenige Parlamentarier - womöglich nur rein tatsächlich betroffen sind. Als ,,Musterbeispiel" kann diese Entscheidung der Abgeordneten in eigener Sache allerdings nur dann gelten, wenn sie die Erwartungshaltung des Grundgesetzes an Verfahren dieser Art auch erfüllt294 . Diese Frage gilt es im Rahmen einer Analyse der individuellen und kollektiven Willensbildung zu klären 295 .
288 Schneider; Gesetzgebungstheorie, S. 327 (333). Fischer; S. 17, führt den Begriff allerdings auf Vogel, ZG 1992, S. 293 (294), zurück. 289 So aber Badura, BK, Art. 38 Rn. 33. Die andere Alternative wäre, daß "alle Organe", d. h. Bundestag, Regierung und Bundesrat betroffen sind. Dieses ist aufgrund des Zusammenhangs allerdings völlig abwegig. 290 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 215 f. m. w. N. in FN 1; Steiger; S. 67 ff.; Stern I, S.1052. 291 Man könnte auch von "Organbetroffenheit" sprechen, um die Betroffenheit aller Abgeordneten zu bezeichnen, dann wäre aber die zusätzliche Verwendung des Begriffs ,,kollektiv" überflüssig bzw. irreführend. Im übrigen stellt dieser Begriff nicht die Betroffenheit des einzelnen Abgeordneten deutlich genug heraus. 292 Ob eine solche ,.Interessenwahrnehmung" grundsätzlich zulässig ist, wird in der Analyse der individuellen Willensbildung der Abgeordneten zu erörtern sein, vgl. unten S. 117 ff. 293 Schneider; Gesetzgebungstheorie, S. 327 (341). 294 Sofern Schneider; a. a. 0., darauf abhebt, daß dieser Fall der Entscheidung in eigener Sache durch das Grundgesetz angeordnet wird, vgl. Art. 48 Abs. 3 S. 3, so steht ja gerade diese Entscheidungssituation hier zur Diskussion. 295 Vgl. die Andeutung hierzu bereits oben S. 106 ff.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
2. Speziell: Verlängerung der Wahlperiode Das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ist allerdings nicht der einzige Fall kollektiver Organwalterbetroffenheit. Hierzu läßt sich noch die Verlängerung der Wahlperiode zählen 296 . Der "Appell von 86 Staatsrechtslehrern,,297 zur Verhinderung der letztlich gescheiterten Verfassungsänderung im Herbst 1995 298 legt in diesem Zusammenhang die Vermutung nahe, daß sich die Verlängerung der Wahlperiode und das Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung vergleichen lassen. In dem Appell heißt es, daß es "nicht nur guter demokratischer Brauch, sondern auch eine ... Selbstverständlichkeit (sei), Verfassungsänderungen in eigener Sache erst für die jeweils nächste Wahlperiode wirksam werden zu lassen". Dies wirft für die folgende Untersuchung die Frage auf, ob nicht das bisherige Verfahren gegen demokratische Grundsätze verstößt, wonach die Abgeordnetenentschädigung in der jeweils laufende Wahlperiode verändert wurde 299 . Für die Verlängerung der Wahlperiode ist in diesem Zusammenhang unstreitig anerkannt, daß diese nicht für die laufende Wahlperiode, sondern erst für die künftige verlängert werden könnte. Eine Verlängerung der laufenden Wahlperiode wäre verfassungswidrig 300 • Die Anspielung in dem Appell der 86 Staatsrechts lehrer würde insofern zu den Stimmen in der Literatur passen, die eine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung erst mit Wirkung für die nächste Wahlperiode fordern. Diese Ansichten gehen jedoch erkennbar davon aus, daß es sich dabei um eine ,,Alternative" zum bisherigen - ansonsten (wohl) verfassungsrechtlich zulässigen 301 - Verfahren der Er296 Vgl. Knebel-Pfuhl. S. 59 ff.; Peine. JZ 1985, S. 914 (916). Aufgrund der speziellen Probleme, die im Rahmen der Finanzierung von Parteien, Fraktionen und politischen Stiftungen auftreten, bleiben diese hier ausgeklammert, hierzu Schneider. Gesetzgebungstheorie, S. 329 f. Jedenfalls wird man in Abgrenzung zu der Frage der Abgeordnetenentschädigung sagen können, daß diese Finanzierungsfragen den Abgeordneten nicht unmittelbar in seinem (außenwirksamen) subjektiven Recht betreffen. Zur Vergleichbarkeit bei der parlamentarischen Willensbildung, vgl. BVerfGE 85, S. 264 (291 f.). Zur Abgrenzung vom Beschluß zur Geschäftsordnung. vgl. oben S. 107 ff. 297 Wortlaut und Kritik bei Linck. ZParl 1995. S. 683 und Schmitt Glaeser. FS Stern, S. 1183 (1186 FN 19). Kritisch ebenfalls Klein, M / 0, Art. 48 Rn. 199 ff.; ders .. FS Blümel, S. 225 (237). 298 Die Änderung des Art. 48 sah eine Kopplung der Abgeordnetenentschädigung an das Richtergehalt R 6 vor, vgl. oben Teil I, S. 47 ff. Zu deren verfassungsrechtlicher Zulässigkeit, vgl. unten Teil 5. m Diesen Zusammenhang stellen auch Krüger. DVBI. 1964, S. 220 f., und Linck.. ZParl 1995, S. 683 (685), her. Ein eventueller Unterschied zwischen einer Veränderung der Entschädigung per Verfassungsänderung oder einfacher Gesetzgebung soll hier außer Betracht bleiben. 300 Vgl. statt aller Achterberg. Parlamentsrecht, S. 201; Schulte. v. Mangoldt/Klein/ Achterberg/Schulte, Art. 39 Rn. 3 ff.
G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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höhung in der laufenden Wahlperiode handelt 302 . Die Frage, ob eine Veränderung der Entschädigung während der laufenden Legislaturperiode verfassungswidrig ist, soll nach dem hier gewählten Aufbau zu Beginn des dritten Teils geklärt werden, da es sich insoweit um eine Beurteilung des Verfahrens handelt 303 . Insofern ist auf die dortigen Ausführungen zu verweisen 304 .
G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten Nunmehr ist - wie oben bereits angesprochen 305 - in "systematischer" Hinsicht die näher zu untersuchende Frage interessant, wie sich die Entscheidungssituation und -findung auf der Ebene der individuellen Willensbildung des einzelnen Abgeordneten im Festsetzungsverfahren im Vergleich zur "normalen" Gesetzgebung darstellt 306 .
I. Problemstellung Das Festsetzungsverfahren bedingt, daß die Abgeordneten über die auch in ihrem Interesse stehende Abgeordnetenentschädigung abzustimmen haben. Vor dem Hintergrund, daß das Grundgesetz nicht nur bestimmte staatliche EntscheidungsVon der Verfassungswidrigkeit geht aber Krüger; DVBI. 1964, S. 220 f., aus. Vgl. v. Amim, NJW 1996, S. 1233 (1238 f.); Brugger; ZRP 1992, S. 321 ff.; Fischer; S. 234 f.; Hatschek, S. 627 f.; Klatt, ZParl 1973, S. 404 (419); Schneider; Gesetzgebungstheorie, S. 327 (342). 303 Dies setzt auch voraus, daß zunächst noch die individuelle und kollektive Willensbildung untersucht wird, da sich aus dieser Untersuchung u.U. noch weitere wichtige Bewertungskriterien ergeben können. Zum Aufbau, vgl. auch oben S. 80 ff. 304 Vgl. unten S. 198 ff. 305 Vgl. oben S. 80 ff. 306 Daß in diesem Abschnitt der Untersuchung kein Vergleich zur Zeit des Deutschen Reiches oder der Weimarer Republik angestellt wird, rechtfertigt sich aus der Tatsache, daß die Problematik der parlamentarischen Willensbildung längst nicht so ausgeprägt war wie heute, insbesondere in bezug auf sog. Entscheidungen in eigner Sache. Einzig Hatschek. S. 627, bemerkte, daß es aufgrund der parlamentsunabhängigen Mitglieder des Bundestages ein "kontrollierendes Gegengewicht" zur parlamentarischen Entscheidung über die Festlegung der Abgeordnetenentschädigung gab (vgl. hierzu bereits oben S. 86 ff.). Inwieweit die Kategorie der Kontrolle bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung eine Rolle spielt, ist auf der Ebene der kollektiven Willensbildung zu untersuchen, vgl. unten S. 154 ff. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß sich auch erst unter der Geltung des Grundgesetzes das Problem der funktionsgerechten Organ- bzw. Entscheidungsstruktur gestellt hat. Dieses Problem war zur Zeit des Deutschen Reiches unbekannt, damals galt eine Entscheidung des Parlaments als per se legitimierend, hierzu v. Amim, Gemeinwohl, S. 38. Zum unterschiedlichen Funktions und Bedeutungsverständnis des Parlamentsgesetzes im Deutschen Reich und der Bundesrepublik, vgl. oben S. 106 f. 301
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
mechanismen aufstellt, sondern damit auch eine bestimmte Erwartungshaltung an die Qualität der so getroffenen Entscheidungen verbunden ist 307 , ist also fraglich, ob hier nicht die Erwartungshaltung des Grundgesetzes an die individuelle Willensbildung der Abgeordneten enttäuscht wird 308 . Problematisch ist daran, daß das Grundgesetz keine ausdrückliche Aussage über seine Erwartungshaltung an die individuelle Willensbildung enthält, insbesondere ob es Abgeordneten erlaubt oder verwehrt ist, über Fragen abzustimmen, bei denen sie selbst betroffen sind. Nur scheinbar hält Art. 38 Abs. 1 S. 2 eine Antwort parat, indem er die Abgeordneten auf ihr Gewissen verweist: Art. 38 Abs. I S. 2: Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Die Einordnung der "Gewissensunterworfenheit" der Abgeordneten ist allerdings ebenso strittig309 wie die Einordnung der Stellung des Abgeordneten in den gesamten staatlichen Willensbildungsprozeß 31O , sowie die Maßstäbe, die sich aus dieser Einordnung für die individuelle Willensbildung ergeben 3ll .
11. Bisherige Bewertung durch die Rechtsprechung und Literatur Ausgehend von den Stellungnahmen der Rechtsprechung und Literatur, soll im folgenden der Versuch unternommen werden, die Maßstäbe zu entwickeln, anhand derer die Entscheidungssituation des einzelnen Abgeordneten zu beurteilen ist. 307 So sollen die Verfahren in der rechtsstaatlichen Demokratie die bestmögliche Gewähr dafür bieten, eine ,.richtige" Entscheidung zutage zu fördern, vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 38, S. 44 ff. (dort mit zahlreichen Nachweisen zum strittigen Problem, ob das Demokratieprinzip auch materielle Richtigkeit gewährleistet) und S. 48. Insbesondere im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren wird dem Gesetz eine besondere Güte unter den übrigen staatlichen Entscheidungen beigemessen, vgl. Starck. Gesetzesbegriff, S. 33 ff.; Schmidt-Jortzig/ Schünnann, BK, Art. 76 Rn. 31 f. 308 Isensee, HStR III, § 57 Rn. 59 FN 93, spricht sogar ausdrücklich von einer "Anomalie". 309 Vgl. nur die unterschiedlichen Auffassungen von Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (510 ff.), auf der einen und Knebel-Pfuhl, S. 149 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 (919), auf der anderen Seite. Kritisch auch Schachtschneider, res publica, S. 811. 310 So z. B. die Frage, inwieweit der Abgeordnete im Parlament durch die Beteiligung der Parteien ein "parteigebundenes Mandat" wahrnimmt, so Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 (332). Dagegen, mit einer umfassenden Darstellung der bestehenden Ansichten, Schachtschneider, res publica, S. 810 ff. Hierzu auch schon die Darstellung der Interdependenz zwischen Abgeordnetenentschädigung und Stellung des Abgeordneten im demokratischen Willensbildungsprozeß, oben S. 53 ff. 311 Dies soll nicht heißen, daß nicht auf Art. 38 Abs. I S. 2 zurückgegriffen werden müßte. Doch wie zu zeigen sein wird (vgl. unten S. 133 ff.) dann in einem größeren Zusammenhang.
G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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1. Stellungnahme der Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht hat sich im sog. Diätenurteil zu dem Problem, wie die Entscheidungssituation des einzelnen Abgeordnete im Falle eigener Interessenbetroffenheit zu bewerten ist, nur beiläufig geäußert. Dort stellte es fest, daß es sich "in einer parlamentarischen Demokratie ... nicht vermeiden (läßt), daß das Parlament in eigener Sache entscheidet,,312. Weiter führt das Gericht aus, daß in diesem Fall besonders das Vertrauen des Volkes in die parlamentarische Demokratie durch Transparenz zu gewährleisten sei 313 . Hieraus allerdings zu schließen, den Abgeordneten stünde eine reine "Interessenvertretung" frei, erscheint angesichts des Verbots sog. Lobbygelder fraglich 314 . Das Gericht begründet dieses jedenfalls nicht mit verbotener Interessenvertretung im Parlament, sondern mit dem von unzulässiger Einflußnahme frei zu haltenden unabhängigen Status des Abgeordneten 315 . Somit ist letztlich dem "Diätenurteil" nicht eindeutig zu entnehmen, wie das Gericht die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten über die auch in seinem Interesse stehende Entschädigung beurteilt, außer, daß es diese - resignierend?316 - als hinzunehmend bezeichnet.
2. Stellungnahmen in der Literatur Stellungnahmen in der Literatur, die auf Maßstäbe und die hieraus zu ziehenden Konsequenzen für die individuelle Willensbildung der Abgeordneten gerade in bezug auf das Festsetzungsverfahren eingehen, sind rar 317 . Dezidiert halten Klein 318 und Schmitt Glaeser319 die Entscheidung der Abgeordneten über "ihre" Entschädigung für unproblematisch. Das "Problem" einer Entscheidung in eigener Sache ließe sich nur im Rechtsstaatsprinzip verorten. Die Parlamentarier seien aber (demokratische) Repräsentanten und entschieden selbständig immer auch (zulässigerweise) über ihre Angelegenheiten.
BVerfGE 40, S. 296 (327). BVerfGE, a. a. O. 314 Vgl. BVerfGE 40, S. 296 (319). Vgl. ebenfalls v. Arnim, Gemeinwohl, S. 400 und S. 406 f. 315 Hierzu auch BVerfGE 40, S. 296 (313). 316 So Rupp. ZG 1992, S. 285 (288). 317 Zum Teil sind insoweit die Stellungnahmen aus der Diskussion über sog. Mitwirkungsverbote für Parlamentarier mitzuberücksichtigen, da diese nicht zuletzt den hier behandelten Problemkreis berühren. 318 Klein. M/D, Art. 48 Rn. 150. 319 Schmitt Glaeser, FS Stern. S. 1183 (1194). 312 313
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Achterberi20 , der ansonsten für ein sog. rahmengebundenes Mandat optiert 321 und eine Beschränkung der Abstimmungsbefugnis des betroffenen Abgeordneten ablehne 22 , hält im Anschluß an Klatt 323 die Entscheidung der Parlamentarier für eine reine Parlamentsangelegenheit. Bereits aus diesem Grund scheidet für ihn eine etwaige Interessenkollision aus 324 . In die gleiche Richtung zielt die Stellungnahme von Schneider. Auch er vertritt die Ansicht, daß der Abgeordnete ein sog. gruppengebundenes Mandat innehabe, weIches ihn "von Amts wegen" auf eine entsprechende Interessenvertretung festlege 325 . Unter dem Gesichtspunkt eines Mitwirkungsverbots - weIches auch er ablehnt - hält er die (individuelle) Entscheidung des Abgeordneten über die Abgeordnetenentschädigung geradezu für ein ,,Musterbeispiel" für Entscheidungen in eigener Sache326 . In die entgegengesetzte Richtung geht die Ansicht Henkes 327 • Er folgert aus dem (rechtsstaatlichen) Amt des Abgeordneten, daß dieser in Ausübung öffentlicher Gewalt - also auch im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung - keine persönlichen Interessen ausüben darf. Insoweit sei diese Entscheidung in eigener Sache rechtsstaatswidrig 328 . Dieser Argumentation hat sich unter Achterberg, AöR 109 (1984), s. 505 (521 f.). Vgl. die gleichnamige Schrift von Achterberg, Das rahmengebundene Mandat. Die Erwähnung erfolgt im Blick darauf, daß die Entscheidung der Abgeordneten im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung nicht die einzige Entscheidung ist, in der sie in ihren Interessen betroffen sind, vgJ. oben S. 111 f. Die Ansicht, daß das Mandat rahmen-, gruppen- oder partei gebunden sei, läßt insoweit den Rückschluß zu, ob der jeweilige Autor von vornherein eine "Interessenwahmehmung" durch den Abgeordneten zuläßt. Kritisch Schachtschneider. res publica, S. 810 ff., mit weiteren Nachweisen, auch zu den Vertretern einer "praktischen Konkordanzlösung" zwischen den insoweit in Rede stehenden Art. 21 Abs. I S. I und Art. 38 Abs. I S. 2. 322 Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (531). 323 Klau, ZPar11973, S. 404 (417 f.). 324 Diese Argumentation ist durch die Feststellung, daß die Abgeordnetenentschädigung zumindest auch im Interesse des Abgeordneten steht, widerlegt, vgl. oben Teil I S. 60 f. Im übrigen ist die Argumentation von Achterberg, a. a. 0., noch aus zwei weiteren Bedenken heraus zweifelhaft. Zum einen versucht er, die Ablehnung eines "Mitwirkungsverbots" dadurch zu belegen, daß er Art. 48 Abs. 3 S. 3 als Gegenbeweis anführt. Wenn jedoch untersucht werden soll, ob das Grundgesetz eine Mitwirkung bei Betroffenheit vom Grundsatz her nicht intendiert, wäre es verkehrt eine - dann näher zu untersuchende - Ausnahme zum Grundsatz zu erheben. Desweiteren meint Achterberg, a. a. 0., daß die Abgeordneten als Teil einer "Bevölkerungsgruppe" aufträten. Diese Argumentation wäre richtig, wenn andere als nur Abgeordnete von der Regelung der Abgeordnetenentschädigung betroffen wären. Eben dieses ist aber nicht der Fall, vgJ. oben S. 111 ff. Vielmehr erhält anscheinend gerade aus diesem Umstand heraus das Verfahren seine Brisanz. 325 Schneider. Gesetzgebungstheorie, S. 327 (332); ders., HVerfR, § 13 Rn. 50 ff. 326 Schneider. Gesetzgebungstheorie, S. 327 (341). 327 Henke, BK, Art. 21 Rn. 321 ff., ders., Der Staat 1992, S. 98 ff. 328 Henke, Der Staat 1992, S. 98 (10H.). 320
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anderem auch Linck 329 in abgeschwächter Form angeschlossen, indem er das Verfahren als dem Rechtsstaatsprinzip tendenziell zuwiderlaufend qualifiziert hat. Ebenfalls vom gemeinwohlverpflichtenden und auf Fremdnützigkeit ausgerichteten Amtsbegriff ausgehend, argumentiert Isensee 33o , daß die Entscheidung der Abgeordneten in diesem Verfahren eine "Anomalie" darstelle. In die gleiche Richtung geht die Ansicht von v. Arnim 33l . Er sieht in dem Verfahren einen Verstoß gegen das repräsentative System, denn "die Entscheidenden (dürften) kein unmittelbares persönliches, besonders kein finanzielles Interesse an dem Ergebnis der Entscheidung haben".
3. Ergebnis Diese Darstellung kann in bezug auf das grundsätzliche Problem der Interessenbetroffenheit der Abgeordneten keineswegs erschöpfend sein. Gleichwohl ergibt sich doch ein Anhalt, welche Maßstäbe für eine Beurteilung der verfassungsrechtlichen Implikationen bei der individuellen Willensbildung der Abgeordneten im Rahmen der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung näher zu untersuchen sind. Für die Begründung einer Stimmrechtsbeschränkung der Abgeordneten im Falle der Betroffenheit kann von vornherein auf einen Analogieschluß oder die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgedankens aus anderen Rechtsgebieten verzichtet werden. Der verfassungsrechtliche Rang des Stimmrechts 332 erlaubt keine einschränkenden Auslegung aufgrund eines Analogieschlusses aus einfachgesetzlichen Regelungen. Ein solcher wird daher auch einhellig abgelehne 33 . Daraus folgt gleichzeitig für die übrigen Ansätze, daß sie verfassungsrechtlichen Rang haben müssen.
329 Linck, LI J I H, Art. 54 Rn. 10; ders., ZParl 1995, S. 683 (686). Ebenso der Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 88. 330 Isensee, HStR III, § 57 Rn. 59 FN 93. 331 V. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 85 m. w. N. Vergleichbar argumentiert auch Peine, JZ 1985, S. 914 (920). Er will aus dem Repräsentationsprinzip den Ausschluß der Verfolgung egoistischer Ziele herleiten. Gleichwohl erkennt er das sog. Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts an, ohne eine nähere Begründung hierfür zu geben. Daher will er auch keinen Mißbrauch vermuten, weIcher ein Mitwirkungsverbot begründen könnte (Peine, a. a. 0., insbesondere FN 55). Auch Knebel-Pfuhl, S. 145 ff., macht den Status des Abgeordneten zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung. Zur Rationalitätssicherung der Entscheidung durch Interessen- und Rollendistanz im repräsentativen System, vgl. Zippelius, ARSP 15 (1981), S. 84 (90). 332 Vgl. Abmeier, S. 97. 333 Vgl. Achterberg, AöR \09 (1984), S. 505 ff.; Knebel-Pfuhl, S. 132 ff., insbesondere S. 136; Peine, JZ 1985, S. 914 (918).
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Aus der Diskussion über sog. Mitwirkungsverbote für Parlamentarier sind daher der überverfassungsrechtliche Ansatz von Knebel-Pfuhp34 und Implikationen im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip 335 zu analysieren. Desweiteren ist dieses Verfahren auf seine Vereinbarkeit mit der Abgeordnetenstellung zu überprüfen. Dieser Ansatz findet sich - in verschiedenen Ausprägungen 336 - in allen Meinungen wieder. Anders als bei den Arbeiten zu der Mitwirkungsproblematik betroffener Abgeordneter, kann es hier allerdings nicht um die Begründung eines Mitwirkungsverbots gehen. Dies verbietet sich schon durch die eindeutige Regelung des Art. 48 Abs. 3 S. 3. Danach sind die Abgeordneten wenigstens einmal (noch) gezwungen zu entscheiden. Aber es bleibt zu untersuchen, ob diese Kompetenzzuweisung in das System des Grundgesetzes paßt, oder ob es sogar, wie Henke meint, rechtsstaatswidrig ise 37 . Daher ist danach zu fragen, ob sich aus den verschiedenen Untersuchungsansätzen nicht eine untypische individuelle Willensbildung der Abgeordneten ergibt, die eine verfassungssystematische ,,Besonderheit" darstellt 338 .
111. ,,Besonderheit" in bezug auf einen überverfassungsrechtlichen Rechtssatz Zunächst könnte Art. 48 Abs. 3 S. 3 eine ungewöhnliche Kompetenzzuweisung im Hinblick auf einen überverfassungsrechtlichen Rechtssatz darstellen, welcher es den Abgeordneten grundsätzlich verwehrt, in eigener Sache Entscheidungen zu treffen.
Knebel-Pfuhl, S. 138 ff. So ein Ansatz bei Peine, JZ 1985, S. 914 (918 ff.). 336 Vgl. zur Strukturierung dieser Ausprägungen unten S. 126 f. 337 lsensee, HStR III, § 57 Rn. 53, weist darauf hin, daß die Gemeinwohlverwirklichung ein durch Kompetenz und Verfahren zu lösendes Problem der Verfassung ist. Eine scharfe Trennung mag dabei terminologisch möglich sein, inhaltlich überschneiden sich die Begriffe. Da die Kompetenzzuweisung i.d.R. ein bestimmtes Entscheidungsverfahren aktiviert, wie z. B. die Kompetenzzuweisung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 das Gesetzgebungsverfahren, kann eine verfassungsuntypische Entscheidung nur durch die Untersuchung der beteiligten Personen und deren WiIIensbildung abschließend beurteilt werden. Die untypische Entscheidungsfindung ist ihrerseits aber auf die Kompetenzzuweisung zurückzuführen. Diese wird daher als Anknüpfungspunkt gewählt. 338 Es wird hierbei bewußt der Begriff der ,,Besonderheit" in Anführungszeichen verwandt und nicht der - leicht mißverständliche - Begriff der ,,Anomalie", wie ihn lsensee, HStR III, § 57 Rn. 59 FN 93, verwendet. Auf das sich möglicherweise ergebende Problem der verfassungswidrigen Verfassungsnorm ist erst im dritten Teil einzugehen, vgI. unten S. 192 ff. 334 335
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1. Der Ansatz von Knebel-Pfuhl Knebel-Pfuhl 339 meint in ihrer Arbeit, die Beschränkung des Stimmrechts der Abgeordneten aus der Deduktion eines Rechtssatzes von überverfassungsrechtlichem Rang herleiten zu können. Dabei geht sie, im Anschluß an Wolfl40, vom Prinzip der Gerechtigkeit aus 341 . Hieraus ließen sich allgemeine Rechtsgrundsätze ableiten, wie z. B. der Grundsatz der Sachlichkeit. Aus diesem wiederum ließe sich der besondere Rechtsgrundsatz des Verbots der Entscheidung in eigener Sache folgern 342 . Für die in eigener Sache entscheidenden Abgeordneten macht sie jedoch Einschränkungen. Diese ergäben sich aus der im Vergleich zum Prozeß- und VerwaItungsrecht anderen Interessenlage. Dort beanspruche aufgrund der "Auswechselbarkeit" der Amtswalter das Verbot der Entscheidung in eigener Sache uneingeschränkte Geltung. Abgeordnete hingegen wären durch die Wahl persönlich legitimiert, also nicht ersetzbar343 . Nur im Falle seiner "alleinigen Primärbetroffenheit" scheine der Abgeordnete in so "höchst denkbaren Maß befangen", daß dies eine Einschränkung seines Rechts aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 rechtfertige 344 .
2. Stellungnahme Diese Ansicht ist in verschiedener Hinsicht erheblichen Bedenken ausgesetzt 345 . Zunächst einmal ist fraglich, weIche Bedeutung überverfassungsrechtliche Rechtssätze neben den Normen des Grundgesetzes zukommt - sofern man deren Existenz annimmt 346 . Am ehesten dürfte dem ungeschriebenen Recht eine Ergänzungsfunktion der geschriebenen Verfassung zukommen 347 . Das heißt aber auch, daß der geschriebenen Verfassung solange der Vorrang einzuräumen ist, bis "im äußersten Fall,,348 die Verwirklichung materialer Gerechtigkeit schwerer wiegt als der Knebel-Pfuhl, S. 138 ff. Wolf!, GS Jellinek, S. 33 ff. 341 Knebel-Pfuhl, S. 140, die sich dabei für die Begründung der Existenz solcher "ungeschriebener Fundamentalnormen" (S. 138) u. a. auf BVerfGE 3, S. 225 (232) bezieht. 342 Knebel-Pfuhl, S. 141. 343 Knebel-Pfuhl, S. 143. 344 Knebel-Pfuhl, S. 144. 345 So auch die Ablehnung bei Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (518 ff.); Zweifel bei Peine, JZ 1985, S. 914 (917 FN 26). 346 Zweifel bei Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (520); Peine, a. a. O. Vgl. allgemein Stern I, S. III m. w. N. 347 So Hesse, Grundzüge, S. 14. Vgl. Stern I, S. 110 ff. In die gleiche Richtung dürfte auch die von Knebel-Pfuhl selbst zitierte Entscheidung BVerfGE 3, S. 225 (232 f.) zu verstehen sein. So erklärt das Gericht Art. I und Art. 20 zu Normen, die "in ihrer Einzelausgestaltung" die Grenzen der Gerechtigkeit markieren. 348 So BVerfGE 3, S. 225 (232). 339 340
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Grundsatz der Geltung des Gesetzes 349 . Hieraus folgt, daß - nicht nur für den hier zu untersuchenden Fall - zunächst die Lösung des Grundgesetzes zu untersuchen ist. Erst anschließend - und nicht im Vorgriff35o - wäre zu fragen, ob die Lösung des Grundgesetzes dem überverfassungsrechtlichen Gerechtigkeitspostulat genügt. Desweiteren erscheint es überaus problematisch, die individuelle Willensbildung der Abgeordneten isoliert vom kollektiven Entscheidungsverfahren zu betrachten. Dies erkennt auch Knebel-PfuhP51 und erörtert im Anschluß, ob das von ihr begründete Mitwirkungsverbot überhaupt mit pluralistischen Grundsätzen vereinbar ist. Auch an dieser Stelle offenbart sich die Unzulänglichkeit einer Ableitung aus einem überverfassungsrechtlichen Rechtssatz. Eine derartige Deduktion müßte dann schon das gesamte System der Willensbildung, so wie es durch das Grundgesetz konstituiert wurde, berücksichtigen. Aber selbst wenn man die Thesen Knebel-Pfuhls zugrundelegt, könnte dies nicht die Annahme einer ungewöhnlichen Willensbildung der Abgeordneten im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung rechtfertigen. Wie KnebelPfuhl 352 selbst relativierend ausführt, könnte das von ihr so begründete Mitwirkungsverbot nur für den Fall einer alleinigen Primärbetroffenheit des Abgeordneten Geltung beanspruchen. Die Beispiele, die Knebel-Pfuhp53 hierfür nennt, offenbaren bereits die Schwierigkeiten, dieses Kriterium überhaupt faßbar zu machen354 . Für die Abgeordnetenentschädigung läßt sich jedenfalls feststellen, daß sie nicht im ausschließlichen Abgeordneteninteresse gewährt werden, sondern auch im Parlamentsinteresse. Bereits aus diesem Grund verbietet sich schon die Annahme einer entsprechend hergeleiteten "Besonderheit".
IV. "Besonderheit" in bezug auf das Rechtsstaatsprinzip Einen weiteren Ansatz zur Beurteilung der individuellen Willensbildung der Abgeordneten stellt Peine dar355 . Ausgehend vom Rechtsstaatsprinzip, welches unter BVerfGE, a. a. O. V gl. auch Hesse, a. a. 0.; Stern I, S. 111. So aber der Aufbau bei Knebel-Pfuhl, S. 138 ff. 351 Knebel-Pfuhl, S. 187 ff. 352 Knebel-Pfuhl, S. 144. 353 Knebel-Pfuhl, S. 143 f., nennt einmal die Abstimmung eines Abgeordneten über eine Subvention für eine von ihm herausgegebene Zeitung und ferner die Bewilligung einer Planstelle, die von vornherein für den abstimmenden Parlamentarier gedacht war. Argumente für eine dennoch erfolgte Beteiligung durch die betroffenen Abgeordneten, bezeichnet sie - juristisch kaum greifbar - als "unglaubwürdig" oder "scheinheilig". In Betracht kämen Argumente, wie zum Beispiel eine bestimmte Subvention stehe deshalb im Volksinteresse, da sie Arbeitsplätze sichere etc. 354 So auch Peine, JZ 1985, S. 914 (920). 355 Peine, JZ 1985, S. 914 (918 f.). 349 350
G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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anderem die Gewährleistung von Gerechtigkeit zum Ziel habe 356 , stellt er fest, daß den Abgeordneten als Teil des Staates die Pflicht treffe, nicht willkürlich zu entscheiden. Insbesondere sei die Vereitelung des Gemeinwohls zugunsten eigener egoistischer Ziele sachwidrig 357 und damit rechtsstaatwidrig. Ein Mittel, die Verfolgung eigener Interessen, welche nicht mit dem Gemeinwohl übereinstimmen, zu unterbinden, sei daher das Mitwirkungsverbot. Peine 358 selbst erkennt jedoch die Bedenken, die sich aus diesem Ansatz ergeben 359 . So meint er, daß nur im Falle der ausschließlichen Verfolgung eigener Interessen unter Außerachtiassung des Gemeinwohls ein solches Mitwirkungsverbot begründet sei, nicht hingegen bei bloßer Interessenkollission. Interessant ist hieran, wie Peine zu dieser Einschränkung kommt. Er stellt nämlich fest, daß eine Verfolgung eigener, gemeinwohl konform er Interessen nicht willkürlich und damit auch nicht rechtsstaatwidrig sein kann. In dieser Konstellation dürfe die Abstimmungsbefugnis keine Einschränkung erfahren. Dies offenbart zwei Probleme, welche Peine in dieser Deutlichkeit nicht anspricht, welche aber seine Argumentation in Frage stellen. Zum einen wäre zu fragen, wie überhaupt die ausschließliche, gemeinwohlwidrige Verfolgung eigener Interessen sich von der Verfolgung eigener, dann wiederum gemeinwohlkonformer Interessenverfolgung abgrenze 60 . Außerdem erklärt dieser Ansatz nicht, ob und warum Abgeordnete überhaupt eigene Interessen verfolgen dürfen 361 . Dieser auf einem ,,Minimalkonses" über den Inhalt des Rechtsstaatsprinzips 362 beruhende Ansatz kann also, wenn überhaupt, nur dann eine Aussagekraft enthalten, wenn er die Willensbildung vor dem Hintergrund der Stellung des Abgeordneten im staatlichen Willensbildungsprozeß mitberücksichtigt.
Aber selbst wenn man dem Ansatz von Peine folgen würde, wäre für die Frage, ob die Willensbildung der Abgeordneten im Festsetzungsverfahren eine "Besonderheit" darstellt, nichts gewonnen. Hier würden die Interessen des Abgeordneten 356 Vgl. nur die Definition bei Stern I, S. 781. mOas Sachlichkeitsprinzip leitet Peine, a. a. 0., aus dem Willkürverbot ab. Vgl. zum Sachlichkeitsprinzip in bezug auf die individuelle Willensbildung auch Knebel-Pfuhl, S. 170 ff. 358 Peine, 1Z 1985, S. 914 (919). 359 Ob das Rechtsstaatsprinzip überhaupt eine geeignete Beurteilungskategorie für die Entscheidung im Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung sein kann, stellen die Ansichten von Klein, MI 0, Art. 48 Rn. 150, und Schmitt Glaeser. FS Stern, S. 1183 (1194), mit Blick auf das Repräsentationsprinzip in Frage. 360 Peine kommt erst später auf das Problem, wie man den "Grad der Betroffenheit" so fassen kann, daß er ein Mitwirkungsverbot nach sich zieht. Er meint, dies stehe im weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, vgl. Peine, 1Z 1985, S. 914 (920 f.). Vgl. zum Problem dieser Abgrenzung unten S. 143 ff. 361 Insofern ist die von Peine, a. a. 0., geschilderten Gefahr einer Deduktion mit dem Ziel, das herauszulesen, was man zuvor hineingelegt hat, beachtlich. In diesem Sinn auch Abmeier. S.47m. w. N. 362 Peine, 1Z 1985, S. 914 (919): ,,kleinster gemeinsamer Nenner".
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
und das hiervon abstrahierte Interesse des Parlaments im Sinne eines zu verwirklichenden Gemeinwohls in der Frage der Abgeordnetenentschädigung "kollidieren". Eine "Besonderheit" ließe sich bei Betrachtung des einzelnen Abgeordneten also auch hieraus nicht begründen.
v. "Besonderheit" in bezug auf die Stellung des Abgeordneten
Wie schon mehrfach angesprochen, kann die Frage, ob sich eine Entscheidung im (auch) eigenen Interesse der Abgeordneten tatsächlich in das System des Grundgesetzes einfügt, letztlich nur aufgrund der Stellung des Abgeordneten im staatlichen Willensbildungsprozeß beantwortet werden. An dieser Stelle ist allerdings eine terminologische Klärung vonnöten. Bisher war unbefangen vom Status des Abgeordneten die Rede. Was jedoch inhaltlich mit diesem Begriff verknüpft ist, wurde bislang noch nicht geklärt. In der Literatur und Rechtsprechung wird dieser Begriff, sofern er verwandt wird, zur Kennzeichnung verschiedener Sachverhalte benutzt363 . Dabei dient er zur Beschreibung der Rechte, welche den Abgeordneten innerhalb oder außerhalb des Bundestages zustehen 364 . Zu Recht weist Abmeier365 darauf hin, daß mit diesem Begriff nichts gewonnen ist, da die entsprechenden Kompetenzen nicht Folge, sondern Ursprung des Abgeordnetenstatus sind. Daher wird hier auch nicht an den "nebulösen,,366 Begriff des Status des Abgeordneten angeknüpft, sondern von der Stellung des Abgeordneten im Gefüge des staatlichen Willensbildungsprozesses ausgegangen.
1. In Betracht kommende Maßstäbe Die Abgeordneten erlangen ihr parlamentarisches Mandat durch die Wahlen zum Bundestag. Art. 38 Abs. 1 S. 2 bestimmt hierzu, daß "sie Vertreter des ganzen Volkes sind"367 und das Mandat frei in dem Sinne ist, als sie "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (sind)". Als unmittelbar demokratisch legitimierte Repräsentanten nehmen die Abgeordneten als Teile des Organs "Bundestag" dessen Kompetenzen wahr. Die Abgeordneten haben, dies ist heute überwiegend anerkannt, ein Amt inne 368 . Vgl. Abmeier, S. 34 ff. Hierzu ausführlich Abmeier, S. 34 ff. 365 Abmeier, S. 46 f. 366 Abmeier, S. 47. 367 Zum Streit, ob mit dieser Fonnulierung der einzelne oder die Gesamtheit der Abgeordneten angesprochen ist, vgl. Abmeier. S. 58 f.; Demmler. S. 81 ff., jeweils m. w. N. 363 364
G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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Für die weitere Untersuchung gilt es festzustellen, ob sich aus diesen Begriffen ein Maßstab für die Willensbildung des einzelnen Abgeordneten herleiten läßt. Hiernach wäre zu beurteilen, ob die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten im Festsetzungsverfahren eine verfassungsrechtliche "Besonderheit" darstellt. Aus der obigen Meinungsdarstellung der Literatur ergeben sich insbesondere zwei Ansätze 369 . Zum einen ist dies das Amt des Abgeordneten 370 und desweiteren seine Repräsentantenstellung 371 . Hier soll zunächst das Amtsprinzip untersucht werden, nachdem Henke unter diesem Aspekt das bisherige Festsetzungsverfahren besonders drastisch als rechtsstaatswidrig bezeichnet hat.
2. Das Abgeordnetenamt Wie oben festgestellt, ist nach überwiegender Ansicht der Abgeordnete Inhaber eines öffentlichen und staatlichen Amtes 372 • Es gilt also zu untersuchen, ob die Kompetenzzuweisung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 im Hinblick auf die individuelle Amtsausübung des Abgeordneten eine verfassungsuntypische, besondere Willensbildung bzw. Entscheidung bedingt. Hierzu ist vom grundsätzlichen Inhalt des Amtsbegriffs auszugehen, um anschließend nach der Übertragbarkeit entsprechender Vorgaben auf die individuelle Willensbildung der Abgeordneten zu fragen. Schließlich ist daraus die Bedeutung der individuellen Willensbildung der Abgeordneten im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung zu entwickeln.
a) Grundsätzlicher Inhalt des Amtsbegriffs Bereits begriffsgeschichtlich ist das Amt mit der Ausübung von Herrschaftsgewalt verbunden 373 . Wenngleich mit dem Amt schon frühzeitig ein Begrenzungsge368 So der Wortlaut des Art. 48 Abs. 2 S. I. Vgl. BVerfGE 32, S. 157 (166). Aus der Literatur, vgl. Abmeier; S. 37; v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 49; Böcken!örde, HStR II, § 30 Rn. 19; Dagtoglou, S. 34 f.; Demmler; S. 49; Henke, DVBI. 1973, S. 553 (559); Hennis, FG Smend, S. 51 ff.; Klein, HStR II, § 41 Rn. I; ders., M/D, Art. 48 Rn. 28; Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 52; Steiger; S. 69; Stern II, S. 46; Wiese, AöR 101 (1976), S. 548 ff. A.A. Achterberg, JA 1983, S. 303, der unter dem Begriff des Amtes nur das Amt des Beamten verstehen will; Schulte, v. Mangoldtl Klein I Achterbergl Schulte, Art. 38 Rn. 70. Kritisch auch Schröder; S. 288 ff. 369 So auch Klein, MI D, Art. 48 Rn. 150. 370 Vgl. Henke, Der Staat 1992, S. 98 (102 f.). 371 Vgl. v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 85; Knebel-Pfuhl, S. 145 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 (920). Ob und inwieweit sich Überschneidungen zum Amtsprinzip ergeben, vgl. unten S. 150 f. 372 Zustimmend zur Staatlichkeit des Abgeordnetenamtes Abmeier; S. 38 f.; ausführlich Demmler; S. 42 ff. A.A. Häberle, NJW 1976, S. 537 (539); Strunk, DÖV 1977, S. 615 ff. 373 Vgl. Dreier; Staatslexikon I, Amt, Sp. 128.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
danke verbunden war, so diente derselbe Gedanke zur Rechtfertigung der Herrschaft 374 , was den Wert dieser Begrenzung minderte. Insbesondere sollte durch das Amt eine Loslösung von der Subjektivität der einzelnen Person erreicht werden, um so möglichst richtige Handlungen zu gewährleisten 375 . Der Begriff des (öffentlichen) Amtes, welchem auch heute noch zentrale Bedeutung zugeschrieben wird 376 , kann mehrdeutig verwandt werden 377 . Im hier näher darzustellenden und zu untersuchenden organisationsrechtlichen Sinn, wird das Amt als ein von der jeweiligen Person des Amtswalters losgelöster institutionalisierter Komplex von Wahrnehmungszuständigkeiten verstanden 378 . Durch diese Loslösung findet insbesondere eine Trennung von Amt und Person statt379 . Die einzelne Person ist also lediglich Inhaber eines öffentlichen Amtes bzw. ist Amtswalter. Fraglich ist nun, was aus der Trennung von Amtskompetenz und Person des Amtswalters, für die individuelle Willensbildung des Amtsinhabers zu folgern ist. Da die Trennung von Amt und Person auch die Verfolgung eines Staatszweckes darstellt, könnte hierin der Grund der Abstrahierung liegen 380. Als allgemeiner, ältester aber auch zugleich unschärfster Staatszweck hat sich das staatliche Handeln auf die Verwirklichung des Gemeinwohls zu richten 381 . Als Ziel oder Leitbild hat sich das staatliche Handeln - verkürzt formuliert - auf einen "guten Zustand des Gemeinwesens und ... (das) Gedeihen aller seiner Glieder" 382 zu richten. Synonym wird aber auch die Gewährleistung möglichst richtigen staatSo Dreier, a. a. 0 .. Vgl. auch Graf Kielmannsegg, Herausforderungen, S. 9 (24). So insbesondere zur Entwicklung im Kirchenrecht Krüger. S. 254. Zur Herrschaftsbegrenzung auch Hennis, FG Smend, S. 51 (54); Isensee, HStR III, § 57 Rn. 10. 376 So Losehelder, S. 233. In bezug auf die Repräsentation des Volkes, vgl. Böckenförde, HStR 11, § 30 Rn. 19; Krüger. S. 253 ff. Allgemein zur Bedeutung des Amtes heute, vgl. Hennis, FG Smend, S. 51 ff.; Köttgen, FG Smend, S. 119 ff. 377 Vgl. Dreier, Staatslexikon I, Amt, Sp. 128 f.; WolfflBachof, VwR 11, S. 28 f.; Wolffl BachoflStober, VwR 11, S. 512. Von einer "Variationsbreite der Begriffsbildung" im Hinblick auf die "zweckrationale" Verwendung des Amtsbegriffs durch die Gesetze spricht Köttgen, FG Smend, S. 119. 378 Vgl. Dreier, Staatslexikon I, Amt, Sp. 129; Klein, HStR 11, § 41 Rn. I; Krüger, S. 256; Schröder. S. 142 ff., mit Hinweis auf die eher "metajuristischen" Deutungen des Amtes durch Köttgen und Krüger sowie die amtsrechtliche Bezüge im Parlamentsrecht ablehnenden Ansichten von Leibholz und Schmitt (jeweils mit entsprechenden Nachweisen); Steiger, S. 69; Wiese, AöR 101 (1976), S. 548 (549 FN 6); Wolffl Bachof, VwR 11, S. 28 f. 379 Vgl. Steiger, S. 69; WolfflBachof, VwR 11, S. 29. 380 Vgl. Wolff, EvStL (2. Aufl.), Amt, Sp. 31; WolfflBachof, VwR 11, S. 29. 381 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 5 ff.; Heßler, EvStL (2. Aufl.), Gemeinwohl, Sp. 802 ff.; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 1 ff.; Kerber und Hollerbach, Staatslexikon 11, Gemeinwohl, Sp. 857 ff. und Sp. 862 f. 382 So Isensee, HStR III, § 57 Rn. 2. Vgl. auch die Definition des 11. Vatikanischen Konzil bei Kerber, Staatslexikon 11, Gemeinwohl, Sp. 857. 374 375
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lichen Handels verwandt 383 . Die Schaffung staatlicher Ämter und die damit verbundene Trennung von der Person des Amtswalters bietet insofern die größtmögliche Gewähr dafür, daß das staatliche Handeln möglichst "gemeinwohlrichtig" ise 84 . Während das Gemeinwohl aber nur Ziel staatlichen Handels ist, fragt es sich nun, wie dieses vom Amtswalter zu erreichen ist bzw. wie die Gewährleistung richtiger Entscheidungen durch das Verfahren abgesichert ist. Wenn dem Amtswalter durch die Schaffung des Amtes aufgegeben ist, die Interessen des Staates zu verfolgen, schließt dies umgekehrt die Verfolgung eigener Interessen aus 385 . Das heißt der Amtswalter hat seine Entscheidung auf das Ziel der Gemeinwohlverwirklichung auszurichten, sein Handeln hat jedoch fremdnützig zu erfolgen 386 . Zum Teil wird auch die Sachlichkeit der Amtsführung als Wesenselement des Amtes beschrieben 387 . Besonders im Amt des Beamten wird die Gemeinwohlorientierung und Fremdnützigkeit staatlichen Handels deutlich. Unter anderem aufgrund § 36 S. 2 BRRG und § 54 S. 2 BBG sind die Beamten ausdrücklich zur uneigennützigen Amtsführung aufgefordert. Verfahrensrechtlich abgesichert wird dies durch die Regelungen zum Ausschluß befangener Amtswalter 388 . Daß auch keine Fremdinteressen wahrgenommen werden dürfen, wird durch die Regelungen der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit in den §§ 331 ff. StGB sanktioniert 389 . Ähnliches gilt für das Amt des Richters. Ob sich das Amtsprinzip auf eines der Strukturprinzipien des Grundgesetzes zurückführen läßt 390 oder ob es dem Repräsentationsprinzip zuzuordnen 383 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 5; ders., DVBI. 1987, S. 1241 (1243 f. insbesondere FN 36). So dürfte auch Krüger. S. 256, zu verstehen sein, wenn er von der Gewährleistung der Richtigkeit staatlichen Handels spricht. Zu weiteren Synonymen, vgl. Heßler. EvStL (2. Aufl.), Gemeinwohl, Sp. 802; Kerber. Staatslexikon 11, Gemeinwohl, Sp. 857. 384 Krüger, S. 256, spricht von der menschenmöglichen richtigen Handlungsweise. 385 So Wolff, a. a. 0.; Wolff/ Bachof, VwR 11, S. 29. 386 Zur strikten Unterscheidung von Gemeinwohl und Fremdnützigkeit als einerseits Ziel und andererseits Weg, vgl. deutlich Jsensee, HStR III, § 57 Rn. 28 f. und Rn .. 60 ff.; im Hinblick auf die Abgeordneten auch Knebel-Pfuhl, S. 158. Allgemein zur Fremdnützigkeit der Amtsführung, vgl. Krüger. S. 266 ff.; Wolff, EvStL (2. Aufl.), Amt, Sp. 31 ff.; Wolff/Bachof, VwR 11, S. 29. Zur Orientierung des Amtes am Gemeinwohl, vgl. Hennis, FG Smend, S. 51 (54 f.). Zu den allgemeinen Pflichten des Amtswalters, vgl. Dreier. Staatslexikon 1, Amt, Sp.131. 387 So Loschelder. S. 238 ff., insbesondere S. 246. 388 Vgl. oben S. 113 f. 389 Dies erklärt sich eben daraus, daß die Interessen durch den Amtswalter wahrzunehmen sind, um derentwillen das Amt geschaffen wurde, d. h. hier die Interessen der Allgemeinheit. Dementsprechend sind die Schutzgüter der §§ 331 ff. StGB die Rechte Dritter, das Treueverhältnis zum Staat, das Vertrauen in die Sauberkeit der Amtsführung - also die Sachlichkeit der Entscheidung - und die Unkäuflichkeit von Diensthandlungen, vgl. Jescheck, LK, vor § 331 Rn. 17. 390 So Henke, Der Staat 1992, S. 98 (102 f.), der in der Trennung des Amtes von der jeweiligen Person des Amtswalters, auf der die Uneigennützigkeit der Amtsführung aufbaut, ein Element des Rechtsstaatsprinzips sieht.
9 v. Waldthausen
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
ist 391 , mag hier dahinstehen 392 . Entscheidend ist die Feststellung, daß dem Amtsprinzip ein eigener (juristischer) Stellenwert beizumessen ist.
b) Anwendbarkeit auf Abgeordnete
Mit der Konstatierung, daß die Amtsführung gemeinwohl orientiert, insbesondere aber fremd- bzw. uneigennützig zu erfolgen habe, ist ein zentrales Problem dieser Arbeit angesprochen 393 • Eine Übertragung des Amtsbegriffs auf Abgeordnete, so wie dies durch die überwiegende Meinung geschieht 394 , würde bei gleichzeitiger, undifferenzierter Übertragung des Inhalts des Amtsbegriffs - also insbesondere des Merkmals der Uneigennützigkeit - dazu führen, daß Abgeordnete nicht über die in ihrem Interesse stehenden Entscheidungen mitabstimmen dürften, bzw. sich eine solche Abstimmung als verfassungsuntypisch erweisen würde 395 . Für die Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage, ob die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung verfassungssystematisch unüblich ist, stellt sich also das Problem, ob und mit welchem Inhalt das eben skizzierte Amtsprinzip überhaupt auf Abgeordnete übertragbar ist. Gegen die Übertragung des Amtsprinzips auf Abgeordnete - gleich mit welchem Inhalt - wurde bereits im Grundsatz Kritik erhoben 396 . In ebensoIch grundsätzlicher Weise wurden aber auch Gründe für eine Übertragbarkeit angeführt 397 . Eine eigene Beurteilung dieser Frage setzt zunächst bei den Erwägungen an, die es 391 Dies deutet sich bei Böckenjörde, HStR 11, § 30 Rn. 19, an, der im Amt die ,,zentrale Kategorie" für das Zustandekommen inhaltlicher Repräsentation erblickt. Vgl. Dreier, Staatslexikon I, Amt, Sp. 130; Krüger, S. 256: ,,Repräsentation des Staates in einem System von Ämtern". 392 Zu einem ,,Nebeneinander" von Strukturprinzipien des Grundgesetzes, Repräsenta-tionsprinzip und Amtsprinzip, als "Fonnprinzipien des Parlamentsrechts", vgl. Schräder, S. 99 ff. und S. 213, der allerdings im Ergebnis das Amtsprinzip als Fonnprinzip des Parlamentsrechts ablehnt, vgl. Schröder, S. 302; zustimmend Abmeier, S. 39 FN 46. 393 Dieses Problem stellt sich auch bei den Arbeiten über mögliche Mitwirkungsverbote von Parlamentariern. Hierzu Achterberg. AöR 109 (1984). S. 505 ff.; Knebel-Pfuhl. S. 155 ff.; Schneider, Gesetzgebungstheorie. S. 327 ff.; Peine. JZ 1985, S. 914 ff. 394 Nachweise siehe FN 368. m In diese Richtung zielen die Ansichten von Linck. LI J / H, Art. 54 Rn. 10; ders., ZParl 1995. S. 683 (686); Henke. BK, Art. 21 Rn. 321 ff.; ders .• Der Staat 1992, S. 98 (102 f.); Isensee. HStR III, § 57 Rn. 59 FN 93; Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrs. 12/6000. S. 88. Einen Verstoß gegen ein etwaiges Fremdnützigkeitsprinzip. dieses allerdings aus dem Repräsentationsprinzip (hierzu unten S. 150) ableitend. konstatieren v. Arnim. BK, Art. 48 Rn. 85; Knebel-Pfuhl. S. 145 ff.; ähnlich Peine. JZ 1985. S. 914 (920). 396 So insbesondere von Achterberg. Parlamentsrecht. S. 215 f. 397 Grundlegend Hennis. FG Smend, S. 51 ff.; Köttgen. GS Jellinek, S. 195 ff.; ders .• FG Smend, S. 119 ff. Unter Betonung der geschichtlichen Entwicklung zustimmend Henke, Parteien, S. 120 ff.; ders .• Der Staat 1992, S. 98 (102 f.). Vgl. die Auseinandersetzung mit dem Problem der Übertragbarkeit des Amtsprinzips auf Abgeordnete bei Abmeier, S. 37 ff., der
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möglich erscheinen lassen, Abgeordnete als Inhaber eines Amtes zu qualifizieren, ohne daß dabei eine entsprechende Pflicht mitverbunden wäre. aa) Grundsätzliche Erwägungen Für eine derartige Qualifizierung der AbgeordnetensteIlung als Amt spricht zunächst der Wortlaut des Art. 48 Abs. 2: Art. 48 Abs. 2 S. I: Niemand darf gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben.
Hierauf ließe sich grundsätzlich, ohne daß dies eine Konkretisierung von Pflichten irgendwelcher Art bedeuten würde, die Annahme stützen, die Abgeordneten hätten ein Amt inne. Wie jedoch Schröde?98 anhand der Entstehungsgeschichte zutreffend nachgewiesen hat, war mit dieser Terminologie nicht eine amtsrechtliche Konzeption der AbgeordnetensteIlung verbunden. Vielmehr ging es (wohl) um eine Beschreibung der AbgeordnetensteIlung, für deren Kennzeichnung man nicht auf den Begriff des Mandats o.ä. zurückgreifen wollte 399 . Allerdings könnte die Erwägung, daß alle demokratische Macht amts mäßig ausgeübt werden müsse, um sie der individuellen Willkür des Herrschaftsinhabers zu entziehen, dafür sprechen, daß auch die Abgeordneten ein Amt wahrnehmen 4OO . Dafür spräche insbesondere auch der von Henke 401 skizzierte Wandel der Stellung des Parlaments im Staat und der damit einhergehende Wandel der Abgeordnetenstellung402 . In der Zeit des Konstitutionalismus waren die Abgeordneten mangels echter Mitwirkungsbefugnisse bei der Ausübung der Staatsgewalt echte "Volksvertreter,,403. Ihre Stellung wurde als schlichte Rechtsstellung oder als "eine Art gesellschaftliches Ehrenamt,,404 verstanden. Angesichts des tiefgreifenden staatsrechtlichen Wandels stehen den Abgeordneten heute aber weitgehende Rechte an letztlich einern "Amt des Abgeordneten" zustimmt; umfassend Schröder, S. 280 ff., der letztlich einern "Abgeordnetenamt" eher ablehnend gegenübersteht, Schröder, S. 302. 398 Schröder, S. 282 ff. m. w. N., der auch die Entstehung und zeitgenössische Kommentierung des Art. 39 S. I WRV berücksichtigt, welcher bereits vor Art. 48 Abs. 2 S. I vorn Amt des Abgeordneten sprach. 399 Vgl. Schröder, S. 284. 400 So insbesondere Hennis, FG Smend, S. 51 ff.; Köttgen, FG Smend, S. 119 (143). Vgl. aber Böckenförde. HStR 11, § 30 Rn. 19; Isensee. HStR III, § 57 Rn. 59; ders., HStR VII, § 162 Rn. 74; ders., Herausforderungen, S. 43 (45); Graf Kielmannsegg. Herausforderungen, S. 9 (21 ff.), der insbesondere das Spannungsfeld von Demokratie und Amt betont; Krüger, S. 253 ff. 401 Henke. Parteien. S. 120 ff.; ders., Der Staat 1992. S. 98 (102). 402 Vgl. oben Teil I, insbesondere S. 42 f. und S. 45 f. 403 Bezeichnend ist, daß der Reichstag Z.T. nicht einmal als Organ des Staates angesehen wurde, sondern als Teil der Gesellschaft. Diese Ansicht hat sich jedoch nicht durchzusetzen vermocht. Vgl. Meyer/ Anschütz. S. 330 FN 5. 404 Tatrin-Tarnheyden. HDtStR I, S. 415. 9'
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der Staatsleitung ZU405 • Dieser Wandel könnte ebenfalls bewirkt haben, daß die Abgeordneten Amtswalter (geworden) sind406 , wenn man unterstellt, daß sich ihre Rechte und Pflichten denen der ,,klassischen" Amtswalter angenähert haben bzw. entsprechen407. All diese Gründe für ein Abgeordnetenamt lassen sich in dieser Allgemeinheit nicht ohne weiteres widerlegen - aber auch nicht bestätigen408 • Deshalb soll im folgenden die Abgeordnetenstellung mit den Ämtern in der Judikativen und Exekutiven verglichen werden, um so die Frage zu klären, ob die Abgeordneten ein Amt innehaben. bb) Vergleich mit anderen Ämtern Die Frage, ob Abgeordnete ein Amt innehaben, und sie somit insbesondere eine Pflicht zur Uneigennützigkeit trifft, könnte bereits mit Blick auf die Ämter der Judikative und insbesondere der Exekutive verneint werden. Als Gründe, die gegen eine Übertragung des Amtsbegriffs auf Abgeordnete sprechen könnten, käme die Weisungsfreiheit der Abgeordneten sowie deren lediglich als Verfahrens- oder Mitwirkungsrechte ausgestalteten Befugnisse in Betracht409 • Hierzu ist festzustellen, daß die Weisungsgebundenheit jedoch kein wesentliches Merkmal des Amtes ist41O • Auch das Fehlen von Weisungsrechten begründete keinen Hinweis darauf, daß die Abgeordnetenstellung amtscharakteristische Merkmale vermissen läßt411 . Denn bezüglich des Fehlens der Weisungsrechte ist zu berücksichtigen, daß es gerade die Verfahrens- und Mitwirkungsrechte des Abgeordneten sind, die seinen Wahrnehmungskomplex kennzeichnen 412 . Als weiteres Unterscheidungskriterium käme die grundsätzlich nur für eine Wahlperiode angelegte Dauer der Innehabung des Mandats in Betracht413 . Auch im Beamtenrecht ist jedoch der Beamte auf Zeit oder der Wahlbeamte vorgesehen, so daß auch dieses Kriterium eine Amtsstellung der Abgeordneten nicht widerlegen kann. 40S Hierzu die ähnlich lautende Arbeit von Magiera. Parlament und Staatsleitung. Zum staatsrechtlichen Wandel, vgl. oben S. 51 f. 406 Ebenso Dagtoglou. S. 35 f.; Köttgen. GS Jellinek, S. 195 (198); Steiger, S. 72. 407 Vgl. Schröder, S. 287 m. w. N. 408 So Schröder; a. a. O.
Vgl. Eschenburg. Staat, S. 503. Vgl. Abmeier; S. 38; Wolf!, EvStL (2. Aufl.), Amt, Sp. 31. Zu erinnern ist hier an die Unabhängigkeit der Richter, deren Stellung gleichwohl als Amt beschrieben wird. 411 Vgl. Eschenburg. a. a. O. 409 410
m Vgl. Abmeier; S. 38; Schröder; S. 290. 413 Zur periodischen politischen Rückbeziehung als wesentliches Merkmal der Repräsentation, um so einen demokratischen Verantwortlichkeitszusammenhang herzustellen, vgl. Böckenförde. HStR 11, § 30 Rn. 15.
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Allerdings bestehen unter einem anderen Aspekt für die Übertragbarkeit des Amtsprinzips auf Abgeordnete im Vergleich zu den Beamten erhebliche Zweifel. Beamte wie Richter verwirklichen das Gemeinwohl nach den Präjudizien der Gesetze. Abgeordnete hingegen haben das Gemeinwohl in Form von Gesetzen erst zu schaffen414 . Mit anderen Worten: Beamte werden zweckerfüllend tätig, Abgeordnete zwecksetzend415 • Es ist daran zu erinnern, daß sich nach dem heutigen Repräsentationsverständnis das Gemeinwohl erst in einem Prozeß des politischen Diskurses verwirklicht416 . Damit eröffnet sich die weitergehende Frage, wie das Grundgesetz die Art und Weise der individuellen Willensbildung der Abgeordneten in bezug auf die Verwirklichung eines prozedural verstandenen Gemeinwohls ausgestaltet hat. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur regelmäßig hervorgehoben, daß die Ausübung der Abgeordnetentätigkeit, im Gegensatz zu den Tätigkeiten in der Exekutive und Judikative, stark "subjektiviert" sei417 • Grundsätzlich schließt dies nicht die Innehabung eines Amtes durch die Abgeordneten aus 418 . So könnte die, wie auch immer inhaltlich ausgestaltete Amtsausübung als verpflichtende Seite des ansonsten "freien" Mandats verstanden werden419 . Dies beantwortet jedoch nicht die oben aufgeworfene Frage, inwieweit die Abgeordneten uneigennützig zu entscheiden haben. Um hierauf eine Antwort zu erhalten, ist im folgenden Art. 38 Abs. 1 S. 2, weIcher das sog. freie Mandat des Abgeordneten normiert, näher zu untersuchen. cc) Das freie Mandat (Art. 38 Abs. 1 S. 2) Wenn nach den eben getroffenen Feststellungen nun das freie Mandat des Abgeordneten untersucht wird, so ist dieses daraufhin zu durchleuchten, ob erstens die 414 Zur Gesetzesbindung der Abgeordneten, vgl. Abmeier, S. 54; Dagtoglou, S. 37; Heyen, DÖV 1985, S. 772 (773); v. Münch, v. Münch I Kunig, Art. 38 Rn. 77; Storr; S. 245; kritisch, aber wohl verfehlt Schröder, S. 293 ff., der die Verfassungstreue des Abgeordneten seiner Selbstbestimmung überlassen sieht. Gerade im Hinblick auf die sog. Rotation von Abgeordneten Mitte der achtziger Jahre, wurde die verfassungsrechtliche Bindung des Abgeordneten deutlich, vgl. NdsStGH, NJW 1985, S. 2319 ff. Hierzu Heyen, a. a. O. 415 Vgl. Schröder, S. 296 f.; Steiger, S. 80. 416 Vgl. oben Teil I S. 53 ff. Vgl. Krause, DÖV 1974, S. 325 (326 f.); Klein, M/D, Art. 48 Rn. 33; Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 54 m. w. N. 417 So Abmeier, S. 39; Demmler, S. 51; Isensee, HStR III, § 57 Rn. 100 ff.; tiers.; HStR VII, § 162 Rn. 74; Schröder, S. 297, der im Vergleich mit anderen Amtswaltern darauf hinweist, daß den Abgeordneten nur eingeschränkt die Pflicht zur Wahrnehmung ihrer Tätigkeit obliegt (Schröder, S. 290 f.); Steiger, S. 80. Ansonsten wird terminologisch auch auf den "eigenen verfassungsrechtlichen Status" des Abgeordneten Bezug genommen, so Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 53 m. w. N. der Rechtsprechung; v. Münch, v. Münch I Kunig, Art. 38 Rn. 70. 418 Isensee, Herausforderungen, S. 43 (46), meint, daß ein Amt zumindest dann vorläge, wenn wenigstens eine moralische Verpflichtung besteht. 419 Vgl. Krause, DÖV 1974, S. 325 (327); allgemein zu den Abgeordnetenpflichten Hesse, Grundzüge, S. 243; Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 58 ff.; Stern I, S. 1067 ff., der damit ausdrücklich die Ansicht des BVerfGE 40, S. 296 (316), der Abgeordnete "schulde" rechtlich
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o.g. Subjektivierung der Abgeordnetentätigkeit tatsächlich besteht und zweitens, ob dies zur Wahrnehmung eigener Interessen berechtigt. (1) Auftrags- und Weisungsfreiheit Art. 38 Abs. 1 S. 2 normiert unter anderem die Auftrags- und Weisungsfreiheit des Abgeordneten. Diese Freiheit könnte dahingehend verstanden werden, daß sie eine Verpflichtung zur uneigennützigen Amtswahrnehmung darstellt. Die Uneigennützigkeit wäre dann nicht nur im Gegensatz fremd- / eigennützig, sondern in einem weiteren Sinn so zu verstehen, daß weder Eigen- noch Fremdinteressen wahrgenommen werden dürften42o • Die Beantwortung dieser Frage ist dem Problem der Wahrnehmung eigener Interessen vorgelagert. Denn wenn bereits die Wahrnehmung von Fremdinteressen ausgeschlossen ist, so liegt es nahe, daß auch eigene Interessen bei einer Entscheidung keine Berücksichtigung finden dürfen. Dieser Punkt ist daher vor einer Untersuchung, ob sich aus der Gewissensklausel des Art. 38 Abs. 1 S. 2 eine etwaige umfassende Subjektivierung der Abgeordnetentätigkeit ergibt, zu behandeln. Regelmäßig wird die Auftrags- und Weisungsfreiheit als Rechtsfolge des unabhängigen Mandats der Parlamentarier verstanden 421 • Damit soll die rechtliche Unabhängigkeit des Abgeordneten von Gruppen oder fremden Interessen gewährleistet werden422 • Entsprechend eingegangene Verpflichtungen werden als rechtlich unverbindlich, darüber hinaus als unzulässig erachtet. Gleichwohl wird überwiegend angenommen, daß der Abgeordnete derartige Verpflichtungen freiwillig erfüllen kann423 • keine Dienste, klarstellt. Die Bindung des Abgeordneten an die Verfassung und die Gesetze versteht ausdrücklich als Amtspflicht Dagtoglou, S. 35 f.; hierzu kritisch Schröder, S. 293 ff. 420 Im Vergleich zu den Amtswaltern der anderen Gewalten ist dies naheliegend, da diesen eine Wahrnehmung auch von fremden Interessen versagt ist. Ausdruck dieses Gedankens sind die Regelungen über die Vorteilsannahme bzw. Bestechlichkeit im Amt, vgl. §§ 331 ff. StGB (vgl. oben S. 127, insbesondere FN 388). Seit 1994 existiert nun der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung, § 108 e StGB. Auf diese Regelung ist im folgenden noch einzugehen. Vgl. die vor der Einfügung des § 108 e StGB entstandenen Arbeiten zum Problem der Abgeordnetenbestechung von Kühne, Die Abgeordnetenbestechung; Olderog, Die Wahl- und Abgeordnetenbestechung; Römer, Das strafrechtliche Problem der Abgeordnetenbestechung. 421 Vgl. Badura, BK, Art. 38 Rn. 51; Knebel-Pfuhl, S. 164 ff.; Schneider, AK, Art. 38 Rn. 29, dort auch zum Pleonasmus von Auftrags- und Weisungsfreiheit; Stern I, S. 1071. V gl. BVerfGE 40. S. 2% (318 f.). 422 Vgl. Abmeier, S. 49 m. w. N.; Badura, PariR, § 15 Rn. 15; Demmler, S. 96 f.; Klein, HStR 11, § 41 Rn. 2; Steiger, S. 188 ff. Zur Sicherung der Weisungsfreiheit insbesondere im Hinblick auf die demokratische Willensbildung in Partei und Fraktion, vgl. Abmeier, S. 50; Badura, PariR, S. 496. 423 Vgl. Badura, BK, Art. 38 Rn. 58 und Rn. 60; Demmler, S. 97 ff.; Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 47 m. w. N.; v. Münch, v. Münch I Kunig, Art. 38 Rn. 74 f.; Schneider, AK, Art. 38 Rn. 29. Zum verfassungsrechtlichen Problem des sog. Rotationsprinzips, vgl. Dehne, Rotation; Heyen, DÖV 1985, S. 772 ff.; Brockmeyer, Schmidt-Bleibtreu I Klein, Art. 38 Rn. 22, jeweils m. w. N.
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Allerdings wird diskutiert, ob den Abgeordneten eine Pflicht trifft, sich im Hinblick auf derartige, seine Unabhängigkeit gefährdenden Verpflichtungen frei zu halten424 . So hat auch das Bundesverfassungsgericht425 gesetzliche Vorkehrungen gegen sog. Beraterverträge gefordert, die dem einzelnen Parlamentarier Zahlungen im Hinblick auf die Wahrnehmung von Interessen des Geldgebers gewähren. In der Frage fremdnütziger Wahrnehmung der Abgeordnetentätigkeit will insbesondere Peine 426 im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts427 zu dem Problem der sog. Beraterverträge, die Verfolgung nicht nur fremder, sondern darüber hinaus auch eigener Interessen im Parlament ausschließen. Dies meint er deshalb folgern zu können, weil das Gericht gesetzliche Vorkehrungen gegen diese Verträge gefordert hat. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Regelmäßig wird auch von Befürwortern eines sog. Mitwirkungsverbots für Parlamentarier anerkannt, daß es den Abgeordneten frei stehe, "Sonderinteressen" zu vertreten 428 . Auch Peine429 hält die Vertretung von fremden und eigenen Interessen des Abgeordneten, soweit sie sich mit dem Gemeinwohl in Einklang bringen lassen, für zulässig. Vor diesem Hintergrund erscheint Peines Ansicht widersprüchlich: Einerseits darf der Abgeordnete "Sonderinteressen" vertreten, andererseits soll sich aus den gerichtlich geforderten gesetzlichen Vorkehrungen gegen sog. Beraterverträge ein Verbot der Vertretung von - dann so bezeichneten - egoistischen Interessen konstruieren lassen. Eine verfassungsrechtliche Untersuchung stößt an dieser Stelle jedoch an ihre Grenzen. Wollte man der Ansicht Peines folgen, so bestünde die Schwierigkeit, zwischen zulässiger und unzulässiger bzw. gemeinwohlkonformer und gemeinwohlwidriger Interessenvertretung zu unterscheiden 43o • Die Grenzen zwischen beiden Gruppen sind aber fließend und in juristischer Hinsicht nicht (sauber) vonein424 Vgl. Knebel-Pfuhl. S. 166 ff.; Krause. DÖV 1974, S. 325 (327); Meessen. FS Scheuner, S. 431 (439 ff.); Peine, JZ 1985. S. 914 (920). Zur Frage der Abgeordnetenbestechung, vgl. Kühne. Die Abgeordnetenbestechung. 425 BVerfGE 40, S. 296 (318). Vgl. § 44 a AbgG (insbesondere Nr. 4) i.Y.m. den "Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages". Dazu Roll. ZRP 1984, S. 9 ff.; das. PariR, S. 607 ff.; kritisch Schneider; Gesetzgebungstheorie, S. 327 (328 FN 8 m. w. N.). 426 Peine. a. a. O. 427 BVerfGE 40, S. 296 (318). 428 So insbesondere Knebel-Pfuhl. S. 158. Vgl. auch Meessen. FS Scheuner, S. 431 (433 ff.); deutlich v. Münch, v. Münchl Kunig, Art. 38 Rn. 68, der sprachlich klarer von "Interessen einzelner Gruppen" spricht. Dezidiert und instruktiv, vgl. Sendler; NJW 1985, S. 1425 (1431 f.). Vgl. die Nachweise in FN 423. 429 Peine. JZ 1985, S. 914 (920).
430 Eben jenes Problem stellt sich auch in der Arbeit von Knebel-Pfuhl. die diese Frage daher - ähnlich wie Peine. JZ 1985, S. 914 (920 f.) und Krause. DÖV 1974, S. 325 (331 ff.) - im wesentlichen der Regelung des (Verfassungs-) Gesetzgebers überlassen will, vgl. Knebel-Pfuhl. S. 173 ff. und S. 179 ff. Zur Frage der Regelungsebene, vgl. Abmeier; S. 10 I, der im übrigen einer Einschränkung des Stimmrechts der Abgeordneten bei Betroffenheit kritisch gegenüber steht.
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ander zu unterscheiden431 . Zu Recht meint Steiger432 daher, daß eine verfassungsrechtliche Untersuchung keine Motivationsforschung zu betreiben hat. Der Zweck der vom Bundesverfassungsgericht geforderten, gesetzlichen Vorkehrungen gegen sog. Beraterverträge ist vielmehr der Schutz des unabhängigen Mandats. Dieser Schutz soll nicht die Wahrnehmung von Fremd- oder Eigeninteressen unterbinden, sondern dient dem Verfahren der Gemeinwohlfindung 433 . Wenn das parlamentarische Verfahren von der Diskussion und dem Komprorniß geprägt ist434 , so verträgt sich hiermit nicht die - unter Umständen unnachgiebigere - Verfolgung von Partikularinteressen435 . Damit ist aber keineswegs gleichzeitig eine Aussage darüber getroffen, ob der Abgeordnete Sonder- bzw. Fremdinteressen vertreten darf. Insofern dürfte davon auszugehen sein, daß es dem Abgeordneten grundsätzlich unbenommen ist, eben jene Partikularinteressen in den Ausschüssen oder im Plenum zu vertreten 436 . Eine Vertretung von Sonderinteressen, weIche einen offenen Kommunikationsprozeß - wie er durch das Gesetzgebungsverfahren bedingt ist437 - verhindert, ließe sich allerdings nicht rechtfertigen 438 . Diese Gefahr liegt realistischerweise bei entgeltlicher Interessenwahrnehmung besonders nahe 439 . Im übrigen könnte auch die integrierende, akzeptanzfördernde Kraft eines Gesetzgebungsbeschlusses leiden, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, daß einzelne Abgeordnete im Interesse von Geldgebern entscheiden 44o . 431 Vgl. zu den Abhängigkeiten des Abgeordneten den gleichnamigen Aufsatz von Sendler, NJW 1985, S. 1925 ff. Vgl. oben S. 124 f., wo bereits diese Differenzierung von Peine abgelehnt wurde. 432 Steiger, S. 70, der gleichwohl meint, daß diese Motivationen nicht aus dem Blick gelassen werden dürften. Mit Bezug auf Steiger wohl zustimmend Schröder, S. 292. Zur Motivationskontrolle im Rahmen der Gewissensbindung, vgl. Heyen, DÖV 1985, S. 772 (774 f.). Hierzu auch unten S. 138 ff. 433 So deutlich \I. Amim, Gemeinwohl, S. 389. 434 Vgl. Abmeier, S. 50; Steiger, S. 188. 435 Vgl. Knebel-Pfuhl, S. 166 f.; Krause, DÖV 1974, S. 325 (327), spricht von einer Kompensation der mangelnden InhaItsbindung der Abgeordneten durch entsprechende Verfahrensbindungen; Meessen, FS Scheuner, S. 431 (437). Vgl. allgemein zum parlamentarischen Verfahren als eher "wert- bzw. erkenntnisorientiert", im Gegensatz zum ,,macht- bzw. interessendeterminierten" Verfahren, \I. Amim, Gemeinwohl, S. 50 ff. und S. 389 f. 436 Die vielmehr berechtigende als verpflichtende Funktion des freien Mandats betont daher Steiger, S. 191. Vgl. insoweit auch Müller, S. 212 ff. 437 Vgl. hierzu Badura, ParIR, S. 493; Böckenförde, HStR 11, § 30 Rn. 14; Heyen, Der Staat 15 (1986), S. 35 (52); Klein, HStR 11, § 40 Rn. 39; Magiera, S. 148 ff.; Steiger, S. 192 ff. 438 Insoweit ergibt es einen Sinn, wenn \I. Münch, v. Münchl Kunig, Art. 38 Rn. 68, fordert, der Abgeordnete müsse die Interessen des gesamten Volkes "im Auge behalten". 439 Vgl. insofern den seit 14. 1. 1994 geltenden § 108 e StGB, der die aktive und passive Abgeordnetenbestechung unter Strafe stellt. 440 Vgl. Knebel-Pfuhl, S. 166 f. Zur Integrationswirkung, vgl. Böckenjörde, HStR 11, § 30 Rn. 18, dort wird das Bewirken von Zustimmung und Folgebereitschaft als Aufgabe repräsentativen HandeIns genannt und Rn. 25, wo Böckenförde darauf hinweist, daß es nicht auf
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Bestätigt wird die hier vertretene Ansicht durch die Diskussion bei der Einführung der Strafbarkeit der aktiven und passiven Abgeordnetenbestechung (§ 108 e StGB)441. In der Begründung des Koalitionsentwurfs 442 wird daher zunächst auch die Schwierigkeit betont, durch ein deskriptives oder normatives Tatbestandsmerkmal die Strafwürdigkeit eines bestimmten Verhaltens zu fassen 443 . Wegen der engen Fassung des strafwürdigen Verhaltens wird allerdings bezweifelt, ob § 108 e StGB überhaupt zur Anwendung gelangen wird444 . Wenn allerdings Barton445 der Gesetzesbegründung Widersprüchlichkeit insofern vorwirft, als diese einmal von der Zulässigkeit und andererseits von der strafwürdigen Wahrnehmung fremder Interessen ausgeht, so kann dem nicht zugestimmt werden. Vielmehr oblag es dem Gesetzgeber, zwischen der grundsätzlich zulässigen Wahrnehmung von Sonderinteressen einerseits und der unzulässigen (strafbaren) Beeinflussung des demokratischen Kommunikationsprozesses andererseits zu differenzieren, um so die Rechtsgüter der Integrität des Parlaments, der Unabhängigkeit des Mandats sowie die Sachbezogenheit der Entscheidungen zu sichern 446 . Diese angenommene Widersprüchlichkeit könnte sich nur ergeben, wenn man davon ausginge, daß der Abgeordnete nie fremde Interessen wahrnehmen dürfte. Dies ist aber gerade nicht der Fall447 . Grundsätzlich ist daher - angesichts der juristisch nicht greifbaren Motivationslage des einzelnen Abgeordneten - von einer zulässigen Wahrnehmung von Sonder- bzw. Fremdinteressen auszugehen. Die Frage, inwieweit (verfassungs)gesetzden Inhalt, sondern auf die Art und Weise der Entscheidungsfindung ankommt; Isensee, HStR III; § 57 Rn. 89. 441 Vgl. allgemein Tröndle, Kommentierung zu § 108 e, mit zahlreichen Nachweisen in Rn. 2 und Rn. 4. 442 BT-Drs. 1215927, insbesondere S. 5 ff. Unter Verkennung der strukturellen Unterschiede von Beamten und Abgeordneten fordert auch Tröndle, § 108 eRn. 10, eine beamtenrechtsähnliche Ausgestaltung der Strafbarkeit bei Zahlungen an Abgeordnete. Zur Unterschiedlichkeit von Abgeordneten und anderen Amtsträgern, vgl. Klatt, ZParl 1979, S. 445 (447). Vgl. BVerfGE 40, S. 296 (316); 76, S. 256 (341 ff.). 443 Klau, ZParl 1979, S. 445, bezeichnet daher auch den Versuch, eine allgemein gültige Definition des Mandatsmißbrauchs zu finden als unlösbares Problem. Zu den Regelungen in den einzelnen Bundesländern vgl. Grüll, ZRP 1992, S. 371 (372, insbesondere FN 8), Klau, ZPar11979, S. 445 (446). 444 Kritisch Barton, NJW 1994, S. 1098 ff. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 108 e StGB, insbesondere im Hinblick auf die auch nach diesem Paragraphen schwierige Abgrenzung zwischen erlaubtem und verbotenem Abstimmungsverhalten, vgl. Tröndle, § 108 e Rn. 5. 445 Barton, NJW 1994, S. 1089 (1099 FN 23). Ihm folgend Tröndle, § 108 e Rn. 10. 446 Vgl. Tröndle, § 108 eRn. 9. Diese Auffassung steht auch nicht im Widerspruch zur Ablehnung der Ansicht von Peine, hierzu oben S. 124 f. Nach Peines Ansicht wäre eine (unzulässige) Motivationskontrolle vonnöten gewesen, um zulässige und unzulässige Wahrnehmung von Fremdinteressen voneinander zu unterscheiden. Hier aber geht es um eine "äußerlich sichtbare", unzulässige Beeinflussung der Entscheidungsfindung des einzelnen Abgeordneten, mit negativen Auswirkungen auf den demokratischen Kommunikationsprozeß. 447 Deutlich Sendler, NJW 1985, S. 1425 (1431 f.).
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liche Regelungen über die bereits bestehenden Regelungen (Verhaltensordnung, § 108 e StGB) zulässig oder sogar geboten sind, um unzulässigen Fremdeinfluß oder unzulässige Wahrnehmung von Fremdinteressen im Parlament abzuwehren, geht über diese Arbeit hinaus448 . An dieser Stelle genügt die Feststellung, daß aus der Auftrags- und Weisungsfreiheit nicht gefolgert werden kann, daß der Abgeordnete zu einer uneigennützigen Wahrnehmung seiner Tätigkeit verpflichtet ist. Daraus kann allerdings auch für das Problem, ob die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten in eigener Sache eine verfassungssystematische ,,Besonderheit" darstellt, nichts gewonnen werden. (2) Gewissensunterweifung
Die zuvor angesprochene Subjetivierung der Amtsführung durch die Abgeordneten 449 könnte sich insbesondere aus der Aussage des Art. 38 Abs. 1 S. 2 ergeben, nach der die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Dann müßte die Gewissensunterworfenheit einen rein subjektiven Maßstab zur Entscheidungsfindung des Abgeordneten darstellen. In diesem Fall wäre jedoch zu klären, ob die Berufung auf eine am Gewissen ausgerichtete Entscheidung jeden Erklärungsinhalt deckt. Insbesondere im Hinblick auf das die Wahrnehmung eigener Interessen ausschließende Merkmal der Fremdnützigkeit wäre dann das Verhältnis von Amtsprinzip und Gewissensunterworfenheit des Abgeordneten näher zu untersuchen 450. Zunächst ist also der Frage nachzugehen, inwieweit die Gewissensunterwoifenheit eine subjektive Gewissensfreiheit des Abgeordneten gewährleistet. Wie die Auftrags- und Weisungsfreiheit, so wird auch die Gewissensunterworfenheit der Abgeordneten als besonderes Kennzeichen des freien, unabhängigen Mandats verstanden451 • Während die einen hierin ein "Bollwerk gegen die Parteienherrschaft" sehen452 , optieren andere für ein rahmen- bzw. gruppenbezogenes Mandat453 • Damit ist vor allem das (streitige) Verhältnis zwischen der verfassungs448 Hierzu v. Arnim, Gemeinwohl, S. 396; Knebel-Pfuhl, S. 179 ff.; Krause, DÖV 1974, S. 325 (331 ff.); Kühne, S. 100 ff.; Peine, JZ 1985; S. 914 (920 f.). Kritisch Abmeier, S. 96 ff. Ablehnend und auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit abstellend, vgl. Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (531); Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 (342 ff.); Schulte, v. Mangoldt / Klein / Achterberg / Schulte, Art. 38 Rn. 59 ff. 449 Vgl. oben S. 133 f. 450 Vgl. den ähnlichen Ansatz bei Knebel-Pfuhl, S. 149 und Peine, JZ 1985, S. 914 (920). Aber auch der umgekehrte Ansatz, also die Frage, ob die Gewissensunterworfenheit gerade ein fremdnütziges Handeln bedingt, sähe sich mit denselben inhaltlichen Problemen konfrontiert, hierzu der Ansatz bei Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (510). 451 Vgl. Abmeier, S. 48; Badura, BK, Art. 38 Rn. 48 ff.; Klein, HStR 11, § 41 Rn. 2; v. Münch, v. Münch/Kunig, Art. 38 Rn. 76; Schachtschneider, res publica, S. 710 f.; Schulte, v. Mangoldtl Klein/ Achterberg/ Schulte, Art. 38 Rn. 39. 452 So ausdrücklich Schachtschneider, a. a. O. 453 Vgl. Achterberg, Das rahmengebundene Mandat; Schneider, AK, Art. 38 Rn. 34; ders., Gesetzgebungstheorie, S. 327 (332).
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rechtlich abgesicherten Position der Parteien gern. Art. 21 Abs. 1 und dem freien Mandat gern. Art. 38 Abs. 1 S. 2 angesprochen 454 . Ohne daß es hier einer vertieften Darstellung dieser Ansichten bedarf, läßt sich jedenfalls grundsätzlich feststellen, daß die Verweisung des Art. 38 Abs. 1 S. 2, der Abgeordnete sei "nur" seinem Gewissen verpflichtet, ihn nicht nur in sog. Gewissensfragen von etwaigen Bindungen freistellt. Vielmehr soll das Gewissen des Abgeordneten stets Richtschnur seines Handeins und Entscheidens sein455 . Wenn also das Gewissen stets den Maßstab für die Tätigkeit des Abgeordneten vorgeben soll, fragt sich mit Blick auf die angesprochene Subjektivierung, ob und gegebenenfalls wie das Gewissen gern. Art. 38 Abs. 1 S. 2 inhaltlich zu definieren ist456 . Zum einen wird vertreten, daß der Begriff des Gewissens in Art. 38 Abs. 1 S. 2 im gleichen Sinne wie in Art. 4 Abs. 1457 zu verstehen ist. Das heißt eine Gewissensentscheidung läge dann vor, wenn sie an den Kategorien "Gut" oder ,,Böse" ausgerichtet ist und "im Ringen um (die) Einsicht in das sittlich Richtige mit letztem Emst"458 gefaßt ist459 . Eine andere Ansicht will in Abgrenzung zu dem auf grundrechtlichen Schutz zielenden Art. 4 Abs. 1 den Gewissensbegriff des Art. 38 Abs. 1 S. 2 als weitergreifende "politische Überzeugung" verstehen 460 . 454 Vgl. Abmeier; S. 54 ff.; Klein HStR II, § 41 Rn. 4 f.; Stern I, S. 1071. Umfassende Meinungsdarstellung mit zahlreichen Nachweisen bei Demmler; S. 55 ff. und Schachtschneider; res publica, S. 810 ff. 455 Vgl. Abmeier; S. 53; Badura, BK, Art. 38 Rn. 50; Demmler; S. 127; Klein, HStR II, § 41 Rn. 3, der ausdrücklich von "Richtschnur" spricht; Schulte, v. Mangoldtl Klein I Achterberg I Schulte, Art. 38 Rn. 39. Insofern bedenklich ist die Aussage von Schneider; AK, Art. 38 Rn. 30, der sich gegen eine ,,Inflation" von Gewissensentscheidungen ausspricht. Dabei darf und kann nicht übersehen werden, daß Schneider; a. a. 0., Rn. 32 ff., für ein rahmengebundes Mandat optiert, welches bei ..Gewissensentscheidungen" dann Gefahr liefe, überspielt zu werden. 456 Insoweit hat es Versuche gegeben, den Gewissensbegriff zu objektivieren, vgl. Kühne, S. 50 ff., oder negativ einzugrenzen, vgl. Häberle, Öffentliches Interesse, S. 30, 588 f. Auch v. Arnim, Gemeinwohl, S. 389, meint, den Entscheidungsspielraum eingrenzen zu können, gibt jedoch zu, daß ein ,,Restraum subjektiven Für-richtig-Haltens" bestehen bleibt (Zitat von Hennann Soell bei v. Arnim). Genau in entgegengesetzter Richtung liegt der resignativen Ansatz von Giese. WRV (4. Aufl.), Art. 21 Anm. II 4: Die Bindung an das Gewissen entzieht sich ,,rechtlicher Erfaßbarkeit" (Geänderte Auffassung dess., WRV (8. Aufl.), Art. 21 Anm. 2: Nicht bloß - wie noch in der 4. Aufl. angenommen - ethische oder politische Pflicht, sondern vielmehr eine rechtliche (!) Verpflichtung, pflichtgemäß und selbstverantwortlich zu prüfen was dem Gemeinwohl dient. Insoweit aufschlußreich ist die ähnliche Formulierung bei Anschütz, WRV, Art. 21 Anm. 2). Oder die Ansicht von Immesberger; S. 146 (ebenso Römer; S. 117.), wonach der Abgeordnete nach freiem Willen entscheiden kann, so daß jeder nur denkbare Erklärungsinhalt gedeckt wäre. 457 Zur Definition des Gewissens, vgl. BVerfGE 12, S. 45 (55). 458 Wetzei, FS DJT, S. 383 (395) 459 So ausdrücklich Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (512 f. m. w. N. der verschiedenen Definitionen); Schulte, v. Mangoldt/Kleinl Achterberg/Schulte, Art. 38 Rn. 60. Vgl. auch Immesberger; S. 54; Knebel-Pfuhl, S. 150; Maunz, M/D, Art. 38 Rn. 17; Peine, JZ 1985, S. 914 (920); Schachtschneider; res publica, S. 420.
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Eine Entscheidung zwischen bei den Ansätzen kann hier dahinstehen, denn letztlich machen beide Ansätze deutlich, daß die durch den Abgeordneten zu treffende Entscheidung, der Sphäre seiner privaten Überzeugung zuzuordnen ist461 . Dies zwingt zu dem Schluß, daß die Gewissensfreiheit die Tatigkeit des Abgeordneten in dem Sinne subjektiviert, daß sie weder objektivierbar noch - daraus folgend rechtlich nachprüfbar ist462 . Insofern ist Schröder463 zuzustimmen, daß die Subjektivierung der Abgeordnetentätigkeit den Amtsbegriff, bezogen auf die Abgeordneten, erheblich relativiert464 . Gleichwohl darf ein Vergleich mit den ,,klassischen" Ämtern der Exekutive nicht dazu verleiten, den Amtsbegriff für Abgeordnete völlig aufzugeben, da immer noch die Zielvorgabe der Gemeinwohlverwirklichung bestehen bleibt465 • Vorläufig ist allerdings festzustellen, daß der einzelne Abgeordnete aufgrund der nicht justitiabIen Gewissensfreiheit anscheinend nicht gehindert ist, auch eigene Interessen wahrzunehmen und dies mit der Verwirklichung des Gemeinwohls begründen kann 466 . Dieser Befund mag zunächst erstaunen, ließen sich so doch (fast) alle Entscheidungen mit dem Hinweis, es handele sich um Gewissensentscheidungen, einer juristischen Kontrolle entziehen. Daher wird regelmäßig darauf hingewiesen, daß eine gegen das Gewissen getroffene Entscheidung verfassungswidrig sei 467 • Dies kaschiert aber eher hilflos, daß kaum jemand in der Lage sein wird, den Beweis zu führen, eine Entscheidung wäre gewissenlos ergangen468 . Um unerwünschte Einflußnahmen oder Motivationen auf die parlamentarische (individuelle wie kollektive) Willensbildung auszuklammern, sind daher verschie460 Ausdrücklich Demmler, S. 123 ff. m. w. N. in FN 6. In diesem Sinn auch Abmeier, S. 53; Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 47 461 Vgl. Peine, JZ 1985, S. 914 (920), der dies treffend als "Individualnatur" der Entscheidung bezeichnet. Hierzu auch Wefelmeier. S. 166 f. 462 So deutlich Demmler, S. 129 ff.; Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 47; v. Münch, v. Münchl Kunig, Art. 38 Rn. 76; Steiger, S. 80. 463 Schröder, S. 299 ff.
Ihm folgend Abmeier, S. 39 FN 46. SO Demmler, S. 54. Selbst wenn man hierin nur einen moralischen Appell an die Abgeordneten sieht, hebt das nicht die Amtsqualität der Stellung auf, vgl. Isensee, Herausforderungen, S. 43 (46). Vgl. Abmeier, S. 58 f., der die Gemeinwohlverpflichtung nicht aus dem Amt des Abgeordneten folgert, sondern aus der RepräsentantensteIlung. Für diese Arbeit kann es jedoch dahinstehen, ob sich die Gemeinwohlverpflichtung aus diesem oder jenem Prinzip ergibt. Die Gemeinwohlverpflichtung als Ziel des Abgeordnetenamtes erkennt ausdrücklich Demmler. S. 51 und S. 85. 466 Daher ist Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (531), zuzugeben, daß der Gewissensunterworfenheit zumindest insoweit keine Einschränkungen bei der Betroffenheit eines Parlamentariers zu entnehmen sind. 467 So Krause, DÖV 1974, S. 325 (331); Peine, a. a. O. Vgl. auch den Hinweis von Demmler, S. 127 f., der Abgeordnete sei rechtlich verpflichtet, seiner eignen Überzeugung vom Gemeinwohl zu folgen. 468 Zutreffend Demmler, S. 130, der, wie Peine, a. a. 0., allerdings davon ausgeht, daß der Abgeordnete nicht frei ist in der Auswahl seiner Motive. 464
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dene Ansätze unternommen worden, diesen weiten Gewissensbegriff juristisch "in den Griff zu bekommen". Diese könnten Aufschluß darüber geben, ob die Verfassung grundsätzlich von einer untypischen Willensbildung ausgeht, wenn ein Abgeordneter über eigene Interessen mitzuentscheiden hat. Ein Ansatz geht dahin, daß das der Gewissensentscheidung vorgelagerte Entscheidungsverfahren von vornherein (präventiv) so auszugestalten ist, daß - nach einer gesetzgeberischen, nicht juristischen Wertung469 - unerwünschte Fremdeinflüsse oder die unzulässige Wahrnehmung eigener Interessen von vornherein ausgeschaltet sind47o • Abmeier471 weist zutreffend darauf hin, daß eine (repressive) Beschränkung des Stimmrechts ohnehin nur sehr begrenzt in Betracht kommt472 . Wenn überhaupt, müßte eine Regelung auf Verfassungsebene getroffen werden, da dem Stimmrecht Verfassungsrang zukommt473 • So erwägenswert dieser Ansatz vielleicht de lege ferenda in rechtspoltischer Hinsicht auch sein mag, für die aufgeworfene Frage, ob das Grundgesetz die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten bei Betroffenheit eigener Interessen de lege lata als im Grundsatz für unüblich erachtet, ist hieraus keine Erkenntnis zu ziehen. Eine weitere Einschränkung wird in der Bindung des Abgeordnete an die Verfassung und die Gesetze gesehen474 . Diese eher selbstverständlich anmutende Feststellung erlangte jedoch im Streit um die sog. Rotation von Abgeordneten besondere Bedeutung, da diese sich u. a. auf eine freiwillige Gewissensentscheidung beriefen, um so vor der Zeit ihr Mandat niederzulegen 475 • Insbesondere Heyen 476 versuchte hier, ausgehend von der historischen Entwicklung und Bedeutung der Gewissensklausel, ein mit verfassungsimmanenten Grenzen versehenes Amtsgewissen zu konstruieren. Ob dieser Rückgriff auf immanente Grenzen eines Amtsgewissens tatsächlich nötig war, erscheint angesichts eines möglichen Verstoßes gegen die Verfassung eher zweifelhaft477 • Hier kann dies dahinstehen, da auch 469 Dies ergibt sich aus der juristisch nicht möglichen Nachprüfbarkeit entsprechender Motivationen des einzelnen Abgeordneten, vgl. Peine, JZ 1985, S. 914 (920 f.). 470 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 396; Knebel-Pfuhl, S. 173 ff.; Krause. DÖV 1974, S. 325 (331 ff.); Peine, JZ 1985, S. 914 (920 f.). 47\ Abmeier. S. 101. 472 Mögliche zu beachtende Implikationen sind u. a. der pluralistische Interessenausgleich und die Funktionsfähigkeit des Parlaments insgesamt, Vgl. hierzu Abmeier. S. 64 ff.; umfassend Knebel-Pfuhl, S. 208 ff. 473 Vgl. Abmeier. S. 101. A.A. Knebel-Pfuhl, S. 179 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 (921). Eine gesetzliche Regelung käme hingegen bei der Abwehr möglicher entgeltlicher Interessenwahrnehmung bei sog. Beraterverträgen in Betracht. Insoweit, im Anschluß an Meessen, FS Scheuner, S. 431 (448), differenzierend Abmeier. S. 100 f. 474 Vgl. Demmler. S. 129; Magiera, Sachs, Art. 38 Rn. 47 f. Vgl. auch die Nachweise in FN 414. 475 Vgl. das Urteil des NdsStGH, NJW 1985, S. 2319 ff., mit einer Anmerkung von Rupp. Vgl. instruktiv zum Ganzen Bruhal Möllers, JA 1985, S. 13 ff.; Schmalz, S. 144 ff. m. w. N. 476 Heyen, DÖV 1985, S. 772 ff.
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Heyen nur vom Boden der geschriebenen Verfassung argumentiert478 . Dieser ist im Hinblick auf das Problem der Entscheidung des einzelnen Abgeordneten in eigener Sache aber gerade keine klare Aussage zu entnehmen.
Letztlich wird - ähnlich dem Ansatz von Heyen - der Versuch unternommen, den Abgeordneten auf ein Amtsgewissen zu verweisen479 . Dieser Ansicht ist immerhin zuzugeben, daß sie die angestrebte Gemeinwohlverwirklichung allen staatlichen Handeins mit dem Gewissen des Abgeordneten, und sei dies auch nur appellativ, in Einklang zu bringen vermag480 . Ohne den Amtsbegriff nur auf die Exekutive und Judikative zu verkürzen, ließe sich so von einem Amt des Abgeordneten sprechen 481 . Aber auch diese Verweisung des Abgeordneten auf sein amtsmäßig zu prüfendes und auszuübendes Gewissen482 , hat nur appelativen Charakter, da von den Vertretern dieser Ansicht zugegeben wird, daß auch diese Form des Gewissens nicht justitiabel ist. Fraglich ist nun allerdings, welche Schlüsse hieraus für eine Entscheidung des Abgeordneten in eigener Sache zu ziehen sind. Die Tatsache, daß das Amtsgewissen nur appellativen, nicht juristisch nachvollziehbaren Charakter besitzt, muß nicht unbedingt heißen, daß das auf Verwirklichung des Gemeinwohls ausgerichtete Grundgesetz eine solche Entscheidung als grundsätzlich zulässig erachtet. Denn wenn das Gewissen der Abgeordneten amtsmäßig - also gemeinwohlorientiert auszuüben ist, könnte sich die Nichtwahrnehmung eigener Interessen als immanente Grenze des Gewissens erweisen483 • Dies richtet sich jedoch danach, wie sich 477 Vgl. insoweit die Anmerkung zum Urteil des NdsStGH von Rupp, a. a. O. Gegen eine ludizierbarkeit der Rotation - auch mit Blick auf Art. 39 -, vgl. Sendler, N1W 1985, S. 1425 (1429 ff. m. w. N.). 478 Auch seine Aussage, es gelte nun u.U. andere Fälle einer Motivationskontrolle zu unterziehen, kann nicht entnommen werden, daß er hier eine Kontrolle über die geschriebene Verfassung hinaus meint, vgl. Heyen. DÖV 1985, S. 772 (775). 479 Vgl. Demmler, S. 123 ff., der auf die rechtliche Verpflichtung des Abgeordneten, seiner persönlichen Entscheidung zu folgen, hinweist (Demmler, S. 127. Vgl. auch Anschütz. WRV Art. 21 Anm. 2); Krause. DÖV 1974, S. 325 (331); Isensee. HStR VII, § 162 Rn. 74; Steiger, S. 80. Vgl. auch v. Arnim. Gemeinwohl, S. 389; Schachtschneider, res publica, S. 670 f., der das Gewissen einem allgemeinen Sittengesetz zuordnet. 480 Nachdrücklich Demmler, S. 54. A.A. Badura. BK, Art. 38 Rn. 50, der jedoch seine Auffassung später aufgibt, vgl. ders .• PariR, S. 492 f. Vgl. Abmeier, S. 58 f., der zwar die Gemeinwohlausrichtung des Mandats anerkennt, sie jedoch nicht aus dem Amtsbegriff ableitet. Schröder, S. 288 ff., verkürzt hingegen den Amtsbegriff auf die "klassischen" Amtsträger. Vgl. in diesem Zusammenhang BT-Drs. 12/5927, S. 5, zur Einordnung der Abgeordnetenbestechung in die "Straftaten gegen die Verfassungsorgane" und nicht in die Amtsträgerdelikte. 481 Insofern bewahrheitet sich die Aussage Krügers. S. 256. daß das von ihm skizzierte Amt nur eine ideale Konstruktion ist. 482 Das heißt konkret, daß der Abgeordnete sein Gewissen in Richtung auf die Verwirklichung des Gemeinwohls auszurichten hat, vgl. Demmler, S. 128 ff. 483 Insoweit ließe es sich auch erklären, daß Isensee. HStR III. § 57 Rn. 59 FN 93 (dort ohne nähere Begründung) das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung
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die (amtsmäßige) Gemeinwohlverpflichtung der Abgeordneten darstellt. Diese Frage ist im folgenden zu klären. dd) Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten Wenn man die Literatur und Rechtsprechung auf die Frage nach einer eindeutigen Stellungnahme hin untersucht, ob Abgeordnete grundsätzlich in eigener Sache entscheiden dürfen oder nicht, so wird man enttäuscht. Entweder wird nur in allgemeiner Weise zum Ausdruck gebracht, daß eine Entscheidung aus nur eigennützigen Motiven heraus sich nicht mit der Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten vertrage484 . Oder es wird, ohne näher die Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten im einzelnen zu untersuchen, darauf verwiesen, daß gerade die Abstimmung im Rahmen der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung eben jener Gemeinwohlverpflichtung entgegenliefe485 . Dem wiederum genau entgegengesetzt wird aber auch angenommen, gerade diese Entscheidungskompetenz sanktioniere die Entscheidung in eigener Sache486 . Eine eigene Untersuchung hat daher zunächst zu klären, ob die Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten grundsätzlich eine Entscheidung in eigener Sache zuläßt. Erst danach kann der Frage nachgegangen werden, welche Folgerungen sich hieraus für die Willensbildung und Entscheidung des einzelnen Abgeordneten im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ergeben. Einen ersten Anhalt scheinen die Aussagen derjenigen zu liefern, die meinen, eine Entscheidung des Abgeordneten aus eigennütziger Motivation heraus widerspreche seiner Gemeinwohlverpflichtung. Dem ist, genauso allgemein wie auch die Aussage gehalten ist, zuzustimmen. Denn wenn der Abgeordnete dem Ziel der Gemeinwohlverwirklichung verpflichtet ist, verträgt es sich nicht damit, wenn er (für sich) erkennbar dieses Ziel vereitelt487 . Wenn Müller488 gleichwohl aneinerseits als eine "Anomalie" der Amtsausübung des Abgeordneten ansieht, während er andererseits konstatiert, daß die Ausübung dem nicht justitiabIen, nur appellativen Amtsgewissen unterliege, ders., HStR VII, § 162 Rn. 74. Ansonsten ließe sich die von ihm angesprochene ,.Anomalie" bestenfalls in einem ethisch-moralischen, nicht aber in einem juristisch nachprüfbaren Bereich ansiedeln, vgl. ders., Herausforderungen, S. 43 (46). 484 Vgl. Demmler; S. 53, der aufgrund der (unterverfassungsrechtlichen!) Regelungen des § 44 a AbgG eine uneigennützige Amtsausübung des Abgeordneten folgern will. V gl. ders., S. 127 ff., wo er dann relativierend lediglich die Verfolgung "nur eigennütziger" Motive mit der Gemeinwohlverpflichtung als unvereinbar betrachtet. Vgl. auch Knebel-Pfuhl, S. 158 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 (920). A.A. Müller; Modell Müller, Art. 38 Rn. 19, der auch die Wahrnehmung eigennütziger Interessen durch den Abgeordneten für zulässig hält. 485 So v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 85; Henke, Der Staat 1992, S. 98 (102 f.); Isensee, HStR III, § 57 Rn. 59 FN 93. Aus dem Repräsentationsprinzip folgern dies auch Klein, MID, Art. 48 Rn. 33 und 150 und Schmitt Glaeser; FS Stern, S. 1183 (1194). 486 Vgl. Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 (521); Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 (341); Sendler; NJW 1985, S. 1425 (1432). 487 Vgl. Peine, JZ 1985, S. 914 (920).
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nimmt, der Abgeordnete dürfe auch eigennützige, dem Gemeinwohl zuwiderlaufende Entscheidungen zulässigerweise vertreten, so vermischt er Anspruch und lustitiabilität. Gleichwohl wird diese Ansicht von ihren Vertretern bereits selbst relativiert, wenn sie die "nur eigennützigen", dem Gemeinwohl zuwiderlaufenden Interessen von der Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten ausklammern wollen489 . Diese Relativierung läßt auf Unsicherheiten im Umgang mit der Wertung von Entscheidungen in eigener Sache schließen. So will Demmler490 etwaigen Mißbrauch dadurch eingrenzen, daß die Abgeordneten die von ihnen getroffenen Entscheidungen begründen sollen. Er räumt allerdings ein, daß auch dann der Nachweis verfassungs-, also gemeinwohl widrigen Verhaltens schwer zu erbringen sein dürfte. In ähnlicher Weise knüpfen andere Konzeptionen an die Kontrollwirkung der Öffentlichkeit an 491 , wobei diese sich auf das sog. Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts492 berufen. Wieder andere meinen, bereits de lege lata in besonders krassen Fällen ein Mitwirkungsverbot betroffener Abgeordneter feststellen zu können 493 . Für eine Beurteilung dieser Frage kann die DoppelsteIlung der Abgeordneten einen weiterführenden Aufschluß geben 494 • Sie sind nicht nur die ins Amt gewählten Repräsentanten, sondern sie sind auch "normale Bürger". Das heißt konkret, daß sie z. B. von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer in gleicher Weise betroffen sind wie jeder andere Bürger auch, ohne daß dies irgendeinen Anstoß erregen würde. Daß dies so ist, ist auch vom Grundgesetz so gewollt. Denn der gesamte staatliche Willensbildungsprozeß wird vom Volk getragen (Art. 20 Abs. 2). Insbesondere die zur letztverbindlichen Entscheidung berufenen Vertreter des Volkes (Art. 38 Abs. 1 S. 2) rekrutieren sich - unter Mediatisierung der Parteien - aus dem Volk und sollen nicht von diesem abgehoben existieren. Akzeptiert man dies, so läßt sich eine ganze Bandbreite der (eigenen) Betroffenheit bei Abgeordneten konstruieren, die von dem eben gezeigten Beispiel bis zum individuellen Vorteil eines einzelnen Abgeordneten495 reicht496 . Die Grenzen sind insofern fließend 497 . Müller, Modell Müller, Art. 38 Rn. 19. Insofern deutlich Demmler, S. 130. Vgl. auch Knebel-Pfuhl, S. 153 ff., S. 174 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 (920). Unklar Krause, DÖV 1974, S. 325 (33\). 490 Demmler, S. 130. 491 Vgl. Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 ff.; v. Arnim, Gemeinwohl, S. 403 ff.; Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 ff.; Schulte, v. Mangoldtl Klein I Achterberg I Schulte, Art. 38 Rn. 61. Während diese von einer zulässigen Wahrnehmung eigener Interessen durch die Abgeordneten ausgehen, nimmt v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 ff., die Unzulässigkeit an. Gerade hieraus meint er, die Beachtung des öffentlichen Kontrollbedürfnisses fordern zu können. 492 BVerfGE 40, S. 296 (327). 493 So Knebel-Pfuhl, S. 223 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 (920 f.). 494 Vgl. bereits oben S. 60 f. 495 Zum Beispiel die Bewilligung einer Planstelle flir einen an der Entscheidung mitwirkenden Parlamentarier, vgl. Peine, JZ 1985, S. 914 (916). 488
489
G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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Diese Sichtweise lenkt den Blick auf das eigentliche Problem bei der Frage nach der Zulässigkeit der Entscheidung in eigener Sache. Der Terminus .. eigene Sache" setzt immanent und logisch vorrangig voraus, daß ein eigenes Interesse besteht. Bereits am Beispiel der o.g. Mehrwertsteuererhöhung ließen sich diverse Ansätze zur Konstruktion eines eigenen Interesses denken. Zum Beispiel die Befürchtung eines Abgeordneten, daß die Erhöhung zu einem Umsatzrückgang in einem ihm gehörigen Geschäft führt. Wenn der Abgeordnete in einer solchen Situation (auch) eigene Interessen berücksichtigt oder im Vorfeld zur Geltung bringt, so findet dies angesichts eines prozedural verstandenen Gemeinwohls regelmäßig keinen Widerspruch. Vielmehr wird darauf hingewiesen, daß der Abgeordnete Sonderinteressen wahrnehmen498 bzw. seine Vorstellung in den demokratischen Willensbildungsprozeß einfließen lassen kann499 . Dem liegt die Annahme zugrunde, daß es in eben jenem Prozeß der staatlichen Willensbildung zu einem Ausgleich der Interessen, unter Umständen durch einen Komprorniß, kommt 5OO • Damit ist aber auch klargestellt, daß der Abgeordnete grundsätzlich auch seine eigenen Interessen wahrzunehmen berechtigt ist 501 , wenn er nur das Gemeinwohl dabei .. im Auge behält"s02. Wenngleich dies nicht justitiabel ist, geht aber eine rein eigennützige, gemeinwohlvereitelnde Entscheidung durch den Abgeordneten über diese, auch durch das freie Mandat gewährleistete Freiheit zur Wahrnehmung (auch) eigener Interessen hinaus. Dies ist Ausdruck des gemeinwohlverwirklichenden Anspruchs. den das freie Mandat an den einzelnen Abgeordneten richtet. Damit stellt sich die Frage, wann man von einem, die Betroffenheitsproblematik auslösenden, eigenen Interesse auszugehen hat. Das heißt, es entsteht ein Abgrenzungsproblem, wann ein eigenes Interesse durch den Abgeordneten zulässigerweise noch wahrgenommen werden darf und wann sich dessen Wahrnehmung als .. nur eigennützig", also gemeinwohlwidrig, darstellt 503 . Hieraus könnte man dann eine etwaige verfassungssystematische ,.Besonderheit" bei Entscheidungen in eigener Sache konstatieren. 496 In diesem Sinne wohl auch Klein. M/D, Art. 48 Rn. 150, zu verstehen sein, wenn er meint, daß die Parlamentarier immer Gesetze ..in eigener Sache" beschließen. 497 Knebel-Pfuhl. S. 39; Sendler; NJW 1985. S. 1425 (1431 f.). 498 Vgl. Nachweise in FN 428. 499 So Klein. HStR H. § 41 Rn. 1. Unter der Voraussetzung, daß sich die eigenen Interessen mit dem Gemeinwohl verbinden lassen. hält auch Peine. JZ 1985, S. 914 (920), eine Wahrnehmung eigener Interessen für zulässig. 500 Das heißt aber nicht, daß es für den politischen Willensbildungsprozeß nicht der Verfahrensregeln bedürfte. Insbesondere bei der Verwirklichung von allgemeinen Interessen. wird immer wieder eine Durchsetzungsschwäche diagnostiziert, die nur durch bestimmte Verfahrensausgestaltungen der parlamentarischen Willensbildung ausgeglichen werden könnte, hierzu ausführlich. v. Arnim. Gemeinwohl; Knebe-Pfuhl. S. 187 ff. 501 Deutlich so Schneider; Gesetzgebungstheorie, S. 327 (331). 502 So v. Münch. v. Münch I Kunig, Art. 38 Rn. 68. V gl. auch Demmler; S. 84 ff. und S. 92 ff. 503 Unklar Peine, JZ 1985, S. 914 (920), der unvermittelt die Betrachtungsebene von der individuellen zur kollektiven Willensbildung wechselt und der Ansicht ist, es vertrage sich
10 v. Waldlhausen
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Zu beachten ist allerdings, daß Interessen, auch die "eigenen", zunächst einmal wertneutral sind. Erst die unterschiedliche Verfolgung und Durchsetzung läßt ein eigenes, gemeinwohlkonformes Interesse zum rein eigennützigen, gemeinwohlwidrigen Interesse werden, zum Beispiel, wenn die eigene Position kompromißlos vertreten wird. Knebel-PfuhZ 504 räumt daher ein, daß ein in eigenen Interessen betroffener Abgeordnete gleichwohl (amts-)gewissenhaft entscheidet, wenn er der Meinung ist, daß die durch ihn vertretenen Interessen ansonsten nicht zur Geltung kämen 505 . Es zeigt sich somit, daß allein die Beschreibung des eigenen Interesses keine ausreichende Begründung für die Annahme einer gemeinwohlwidrigen Wahrnehmung des Amtes durch den Abgeordneten bieten kann 506 . Vielmehr müßte hierzu die Motivation des einzelnen Abgeordneten untersucht werden. Eine solche Motivationskontrolle, die keinen konkreten Anhalt in der geschriebenen Verfassung findet 507 , kann aber nicht durch eine juristische Arbeit geleistet werden 508 . Jede in Betracht kommende Differenzierung würde Gefahr laufen, das herauszuarbeiten, was man zuvor hineingelesen hat. Allerdings könnte man danach fragen, ob es - näher zu definierende -Interessen gibt, die per se eine abstrakte Gefährdung für die Verwirklichung des Gemeinwohls darstellen 509 . Insofern könnte an die obige Argumentation angeknüpft werden, daß bestimmte Interessen einem offenen, demokratischen Willensbildungsprozeß entgegenstehen 51O • Hierdurch würde jedoch der Versuch unternommen, nicht mit der Integrität des Parlaments, wenn nur noch Interessen zur Geltung kämen. Vgl. unten S. 148 ff. und S. 154 ff. S04 Knebel-Pfuhl, S. 154. sos Zur dogmatisch nicht realisierbaren Trennung von Eigen- und Gemeinnutz, vgl. auch schon Wetzei, Dreher; Lackner; Mezger; Niederschriften, S. 275 ff. Ihnen folgend Krause, DÖV 1974, S. 325 (328 FN 44); Olderog, S. 101. 506 Auch das Merkmal der unmittelbaren und persönlichen Betroffenheit kann somit nicht überzeugen. Außer Knebel-Pfuhl, S. 178, verwendet dieses Merkmal u. a. auch v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 85. S07 Insofern stellt sich die von Heyen, DÖV 1985, S. 772 ff., geforderte Motivationskontrolle anders dar, vgl. auch oben S. 138 ff. S08 Vgl. Abmeier; S. 98; Steiger; S. 70. An dieser Stelle verschwimmt die Grenze zwischen Anspruch und lustitiabilität. So lange der Abgeordnete theoretisch die Möglichkeit hat, sich über seine "eigennützigen" Interessen zugunsten der Gemeinwohlverwirklichung hinwegzusetzen, kann ihm juristisch nicht vorgehalten werden, seine Willensbildung und letztlich seine Entscheidung vertrage sich nicht mit dem Anspruch, den das Amt an ihn stellt. Auch KnebelPfuhl, S. 176 ff., erkennt das Problem der Motivforschung und hält daher eine Regelung durch den Gesetzgeber für nötig. Desgleichen Peine, JZ 1985, S. 914 (920 f.). S09 Diesen Ansatz wählen Knebel-Pfuhl, S. 39 ff., und Peine, JZ 1985, S. 914 ff., indem sie entsprechende Fallgruppen bilden. Beide erkennen jedoch, daß letztlich das eigene Interesse nicht mit hinreichender juristischer Deutlichkeit herauspräpariert werden kann, so daß sich hierauf sind ihre Arbeiten gerichtet - ein Mitwirkungsverbot de lege lata ergäbe. Sie nehmen allerdings eine Regelungspflicht des Gesetzgebers an. Zum Anschein im Rahmen der Abgeordnetenbestechung, vgl. Tröndle, § 108 eRn. 10; dort hat allerdings der Gesetzgeber eine Entscheidung darüber getroffen, wann ein vertrauenserschütternder Tatbestand erfüllt ist. SIO Vgl. oben S. 134 ff.
G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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doch noch eine Motivationskontrolle auf die Abgeordneten auszuüben. Denn dann müßte man ihnen attestieren, daß sie beim Auftreten bestimmter Interessen einseitig nur diese verfolgen. Dies würde aber bereits eine Anmaßung über die Willensbildung des einzelnen Abgeordneten bedeuten. Allerdings wäre es unter Umständen Sache des (Verfassungs-)Gesetzgebers, das parlamentarische Willensbildungsverfahren so auszugestalten, daß entsprechende Einflüsse vermieden bzw. vermindert werden. Nun könnte man aber daran denken, daß bestimmte Entscheidungsgegenstände für sich genommen bereits eine abstrakte Gefahr dafür begründen, daß die Abgeordneten dazu neigen, die im Gemeinwohl stehenden Interessen hinter ihren eigenen zurückstehen zu lassen. Hier aber eine juristische Trennlinie zu ziehen, die überdies kaum einen Anhalt im Grundgesetz finden würde, hieße ebenfalls eine unzulässige Motivationskontrolle einzuführen511 • Folglich ist es also nicht möglich, eine rein eigennützige Motivation des einzelnen Abgeordneten festzustellen. Somit ist ebenfalls nicht möglich, eine bestimmte Entscheidung eines Abgeordneten als amtswidrig zu qualifizieren. Nunmehr ist nach der Bedeutung dieses Ergebnisses für das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung zu fragen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Abgeordnetenentschädigung nicht nur im Interesse des einzelnen Abgeordneten steht, sondern auch im Parlamentsinteresse gewährt wird 512 . Schon aus diesem Grund ist es nicht möglich, eine "nur eigennützige" Motivation der Abgeordneten zu konstruieren, verbleibt dem Abgeordneten doch immer die Möglichkeit, seine eigenen Interessen hinter die Verwirklichung eines ohnehin nicht inhaltlich definierbaren Gemeinwohls zurücktreten zu lassen. Bereits die Stellungnahmen in der Literatur verdeutlichen insoweit die gesamte Skala möglicher Ansichten. Während v. Arnim 513 stets Mißbrauch annimmt, meint R upp 514, die Gefahr eines Mißbrauchs wäre naheliegend, und Peine 515 ist schließlich der Ansicht, daß Mißbrauch gar nicht vermutet werden müsse. Hier zeigt sich die offensichtliche Unzulänglichkeit der Bemühungen, die Interessen der Abgeordneten an der Verwirklichung des Gemeinwohls messen zu wollen. Zu leicht würde Kritik an der Höhe der Abgeordnetenentschädigung, angesichts der stets vorhandenen und normalen Strittigkeit der Inhalte staatlicher Entscheidungen 516 , zu emotionsbelasteten Stellungnahmen führen, wie 511 Hier greifen die eben genannten Gründe zur Ablehnung einer Bestimmung des gemeinwohlwidrigen Interesses ebenfalls durch. 512 Vgl. oben S. 59 ff. 513 Zuletzt v. Arnim. NJW 1996, S. 1233 (1236), der das entsprechende Verfahren zur Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung nun als "Camouflage" bezeichnet und so eine negative Assoziation des Verheimlichen-wollens erweckt. Vgl. ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S. 343. 514 Rupp, ZG 1992, S. 285 (288), der dies mit dem größeren finanziellen und politischen Gewicht der Entscheidung begründet. Vgl. auch Fischer, S. 18. m Peine, JZ 1985, S. 914 (921), ohne nähere Begründung. 516 Vgl. Isensee, HStR III, § 57 Rn. 91.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
das Stimmverhalten der Abgeordneten interessenmäßig am Gemeinwohl zu werten wäre. Mit anderen Worten: Es würde eine unzulässige Vermischung stattfinden, von üblicher - in einer Demokratie normalen - Kritik am Inhalt einer Entscheidung und einer ,juristischen" Stellungnahme über die Bewertbarkeit, ob dieser oder jener Gegenstand nicht doch zu sehr im eigenen Interesse der Abgeordneten stünde. Dies offenbart sich nirgends besser als im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung. Insbesondere nachdem der Entscheidungsgegenstand - die Entschädigung an sich - an inhaltlicher Dichte verloren hat 517 und somit "Wunschvorstellungen und Aversionen Tür und Tor geöffnet,,518 sind. Zusammenfassend ist also festzustellen, daß es den Abgeordneten, wenngleich Inhaber eines Amtes, grundsätzlich nicht verwehrt ist, "in eigener Sache" zu entscheiden. Eine juristische Differenzierung, wann eine unzulässige Amtsausübung vorliegt, weil "nur eigennützige" Interessen verfolgt wurden, kann nicht geleistet werden. Für das Festsetzungsverfahren kann folglich nicht festgestellt werden, daß die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten "amtsunüblich" ist. ee) Kontrollüberlegung anband des Merkmals der funktionsgerechten Organstruktur Die soeben getroffene Feststellung mag angesichts der öffentlichen Kritik, aber auch den - insoweit also fehlgehenden - Stellungnahmen in der Literatur519 erstaunen. Es darf dabei aber nicht übersehen werden, daß die oben durchgeführte Untersuchung sich auf die Betrachtung des einzelnen Abgeordneten konzentrierte. Die Gemeinwohlverwirklichung obliegt jedoch nicht dem einzelnen Abgeordneten allein, sondern allen Abgeordneten. Zutreffend hat Demmle,-52o entsprechend herausgearbeitet, daß der einzelne Abgeordnete zwar der Verwirklichung des Gemeinwohls verpflichtet ist, sich letztlich aber das Gemeinwohl "angemessen,,521 in einer Entscheidung aller Abgeordnete realisiert 522 . Damit vereinbar ist insbesondere auch, daß der einzelne Abgeordnete bestimmte Interessen wahrzunehmen berechtigt ist. Dies folgt aus der Annahme, daß es in einem pluralistischen Parlament zu einem Ausgleich der Interessen kommt 523 . m Vgl. oben S. 70 f.
Kissel. FS Zeuner. S. 79. Insbesondere also die Ansichten von Henke. Der Staat 1992, S. 98 (102 f.) und lsensee. HStR III. § 57 Rn. 59 FN 93. Vorsichtiger Linck.. ZParl 1995. S. 683 (686). der im Anschluß an Henke. a. a. 0., das bisherige Verfahren als dem Rechtsstaatprinzip "tendenziell zuwiderlaufend" qualifiziert. 520 Demmler, S. 92 ff. Auch schon Wefelmeier, S. 167 ff. 521 Vgl. BVerfGE 44, S. 308 (316). 518
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522 Vgl. Magiera. S. 137 ff.; Schröder, S. 302 ff.• auf den die hier gewählte Kontrollüberlegung zurückgeht. 523 Insofern grundlegend zu einer Pluralismustheorie Fraenkel. Deutschland und die westlichen Demokratien; ders., Pluralismus. S. 158 ff., der das Gemeinwohl als Resultante eines
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Hiergegen kann eingewandt werden, daß dann letztlich die Abgeordneten nur noch reine Interessenvertreter wären 524 . Das unabhängige Mandat würde dadurch in seiner Existenzberechtigung erschüttert werden, denn die Unabhängigkeit soll gerade ein wertorientiertes statt ein interessendeterminiertes Verfahren gewährleisten525 . Eine solche Kritik übersähe aber, daß das freie Mandat auch die Wahrnehmung von Sonderinteressen erlaubt 526 , ohne daß dies im Hinblick auf ein wertorientiertes parlamentarisches Verfahren abträglich erschiene. Es ist eben jene Freiheit der Abgeordneten auszuwählen, weIchen Interessen bzw. welchen Gründen sie besonderes Gewicht in der parlamentarischen Willensbildung verleihen möchten. Eine einseitige Überhöhung der Unabhängigkeit der Abgeordneten und ihres Schutzes vor sich selbst würde übersehen, daß es strukturelle Unterschiede zwischen den Amtsträgem anderer Gewalten und den Abgeordneten gibt527 . Das parlamentarische Verfahren stellt demzufolge eine Mischung aus wertorientiertem und interessendeterminiertem Verfahren dar. Den wertorientierten Charakter erhält es durch den Unabhängigkeitsschutz der Abgeordneten, den interessendeterminierten Charakter aus der pluralistischen Besetzung des Parlaments, weIcher nicht zuletzt durch die Parteien zustande kommt 528 . Das Grundgesetz hat dabei maximale Erwartungen bezüglich der Gemeinwohlorientierung des einzelnen Abgeordneten, aber nur einen minimalem rechtlichen - und teilweise nicht justitiabIen - Anspruch, was den Weg und die Motivation des einzelnen zur Verwirklichung dieses Ziels anbelangt 529 • Es darf also, verkürzt ausgedrückt, nicht die Erwartung, die man an die Willensbildung des gesamten Parlaments hat, in oder auf den einzelnen Abgeordneten projiziert werden. Damit ist aber nicht gesagt, daß es dem Gesetzgeber verwehrt ist, das (kollektive) parlamentarische Willensbildungsverfahren in Richtung einer Wertorientierung so zu optimieren, so daß die Abgeordneten möglichst frei von Fremd- oder Eigeninteressen entscheiden 53o . Wie an dem oben angeführten Beispiel einer MehrwertKräfteparallelogramms beschreibt (Fraenkel, Deutschland, S. 21). Vgl. auch Scheuner, DÖV 1965, S. 577 ff.; Zippelius, Staatslehre, S. 224 ff.; ders., ZRP 1993, S. 241 f. Zur Kritik an der Pluralismustheorie, vgl. Knebel-Pfuhl, S. 187 ff., insbesondere S. 192 ff.; aus neuerer Zeit vgl. Huba, Der Staat 1994, S. 581 ff. 524 Vgl. Klein, HStR H, § 40 Rn. 5. m Hierzu ausführlich v. Amim, Gemeinwohl, S. 50 ff. und S. 388 ff. Insoweit vergleichbar auch Knebel-Pfuhl, S. 192 ff. 526 Vgl. auch Hesse, EvStL Abs. 1 (3. Aufl.), Abgeordneter, Sp. 13. 527 Diese Unterschiede sind oben erarbeitet worden und lassen sich insbesondere in der Subjektivierung der Amtsführung und der zwecksetzenden statt zweckerfüllenden Abgeordnetentätigkeit begründen, vgl. insbesondere oben S. 133 ff. Vgl. auch Schröder, S. 288 ff. 528 Vgl. Hesse, a. a. O. 529 Knebel-Pfuhl, S. 158, geht hingegen davon aus, daß die Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten per se jede Verfolgung eigener Interessen verbietet. Dieses ist nach den eben getroffenen Feststellungen nicht haltbar, da fast jede staatliche Entscheidung schon aufgrund ihres abstrakt-generellen Charakters eigene Interessen des Abgeordneten betreffen kann.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
steuererhöhung demonstriert, lassen sich solche Einflüsse nicht ganz ausschalten. Dies ist aber angesichts eines pluralistisch besetzten Parlaments auch nicht nötig 53I . Dabei darf aber nur nicht die Betrachtungsebene verwechselt werden 532 : Der einzelne Abgeordnete kann ohne Schaden für die kollektive Willensbildung in eigenen Interessen betroffen sein und darf diese auch (begrenzt) wahrnehmen. Das kollektive Willensbildungsverfahren hingegen muß so ausgestaltet sein, daß es die Gewähr dafür bietet, möglichst ,,richtige" Entscheidungen hervorzubringen 533 . Für das Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung ist damit also noch keineswegs eine Aussage darüber getroffen, ob, im Hinblick auf die kollektive Willensbildung, dieses eine verfassungssystematisch untypische Besonderheit darstellt.
3. "Besonderheit" aufgrund der RepräsentantensteIlung Eine untypische Entscheidung des einzelnen Abgeordneten im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung könnte sich aber im Hinblick auf seine Stellung als Repräsentant ergeben534 . Art. 38 Abs. 1 S. 2 bestimmt hierzu, daß die Abgeordneten "Vertreter des ganzen Volkes" sind535 . a) Gemeinwohlverpjlichtung
Zunächst ist daran zu denken, daß sich auch aus der RepräsentantensteIlung der Abgeordneten eine Gemeinwohlverpflichtung ergibt536 . Allerdings ist dabei zu be530 Vgl. Abmeier, S. 101; v. Arnim, Gemeinwohl, S. 396 ff.; Knebel-Pfuhl, S. 192 ff.; Peine, JZ 1985, S. 914 (920 f.). Vgl. auch schon oben S. 134 ff. 531 Vgl. Schröder, S. 302 ff. 532 So aber Knebel-Pfuhl, S. 192 ff., die das Gemeinwohl zu eng in der Entscheidung der einzelnen Abgeordneten verwirklicht sehen möchte. 533 Dieser Ansatz zielt in die Richtung der von Steiger, S. 195, geäußerten Ansicht, daß die Entscheidungen im großen und ganzen die fundamentalen Interessen aller und auch der einzelnen zu erfüllen haben. Diese Gewähr soll, dies ist dem Bezug Steigers, a. a. 0., auf Luhmann zu entnehmen, insbesondere das Verfahren übernehmen. Insbesondere Luhmann, S. 29 ff., meint, in einem abgestimmten Verfahren den heutigen Ursprung der Legitmationsvennittlung sehen zu können. Zur Kritik hieran, vgl. Zippelius, Staatslehre, S. 115 ff. Ähnlich die Ansicht von Klein, HStR 11, § 40 Rn. 6, der darauf hinweist, daß das Parlament Funktionen des Interessenausgleichs und der Interessenintegration wahrnimmt. 534 So ausdrücklich v. Arnim, BK, Art. 48 Rn. 85. m Ausführlich zum Problem, ob mit dieser Formulierung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 der einzelne oder die Gesamtheit der Abgeordneten angesprochen sind, vgl. Demmler, S. 72 ff. m. w. N. 536 Insbesondere Abmeier, S. 58 ff., meint, daß sich die Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten nicht schon aus dem Rückgriff auf das Amtsprinzip ergäbe, sondern aus seiner RepräsentantensteIlung. Im Ergebnis ebenso Demmler, S. 77 ff., der gleichwohl an der Gemeinwohlverpflichtung des Abgeordneten aufgrund seines Amtes festhält (vgl. Demmler, S. 54).
G. Die individuel1e Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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rücksichtigen, daß dem Grundgesetz ein einheitliches, widerspruchsfreies Verfahren zur Gemeinwohlverwirklichung zugrundezulegen ist. Dementsprechend kann an die Gemeinwohlverpflichtung und -verwirklichung durch den einzelnen Abgeordneten in bezug auf seine RepräsentantensteIlung kein anderer Maßstab als der bereits oben skizzierte angelegt werden s37 • Hinsichtlich der Gemeinwohlverwirklichung ist also davon auszugehen, daß die sich aus dem Amt und aus der RepräsentantensteIlung ergebenden Verpflichtungen deckungsgleich sind538 . Folglich kann sich hieraus auch keine "Besonderheit" ergeben.
b) lnteressen- und Rollendistanz
Aus der RepräsentantensteIlung könnte sich jedoch ein über die Gemeinwohlverwirklichung hinausgehender Gedanke ergeben, der eine "Besonderheit" in bezug auf die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten im Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung begründen könnte. Anzuknüpfen wäre hierzu an die Intention der Repräsentation. Deren Zweck ist nicht nur die Gemeinwohlverwirklichung, sondern in einem spezielleren Sinn die inhaltliche Vermittlung einer volonte generale im Unterschied zur volonte de tous 539 . Um eben jene volonte generale zu realisieren, bietet der Prozeß der Repräsentation ein System, welches es grundsätzlich ermöglicht, einen rationalen Diskurs über diese Frage zu führen. Erreicht wird der rationale Diskurs nicht zuletzt durch eine Rollen- und damit eine Interessendistanz der Entscheidungsträger von den persönlichen Anliegen der Betroffenen 540 • Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß sich durch die Distanz auch die Beurteilungsperspektive eines zur Entscheidung anstehenden Problems ändert 541 . Auch vor diesem Hintergrund erklärt sich die besondere Bedeutung des unabhängigen Mandats; denn jede Fremdbeeinflussung oder die Wahrnehmung eigener Interessen widerspricht dieser Absicht 542 . Auf das Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung bezogen, könnte man nun der Meinung sein, daß die Abgeordneten aufgrund ihres eigenen Interesses keine notwendige Distanz zu ihrer Entscheidung haben. Dieser Ansatz zur Begründung einer ,,Besonderheit" könnte aber schon daran scheitern, daß sich die Interessen- und Rollendistanz - bezogen auf den einzelnen Abgeordneten nicht verallgemeinern läßt. Vgl. oben S. 143 ff. Köttgen, GS Jellinek, S. 195 (198 FN 14), spricht - bezogen auf Amt und Repräsentation - von "verschwisterten Begriffen". 539 Vgl. Böckenförde, HStR H, § 30 Rn. 23. 540 Vgl. Demmler, S. 76; Zippelius, ARSP 15 (1981), S. 84 (90 ff.). 541 Vgl. das Zitat von D. Hume bei Zippelius, a. a. 0.: "Wenn wir die Dinge aus der Ferne betrachten, ... ziehen wir das vor, was an sich vorgezogen zu werden verdient". 542 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 388 ff. 537
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Auch hier gilt es, das oben erwähnte Beispiel der Mehrwertsteuererhöhung im Blick zu behalten 543 . Der einzelne Abgeordnete ist in vielfältiger Weise von staatlichen Entscheidungen selbst betroffen. Zweifelsohne variiert der Grad der Betroffenheit, doch ändert dies nichts an der Feststellung, daß der Abgeordnete grundsätzlich selbst betroffen sein kann. Die Frage der Entschädigung muß dabei für den einzelnen Abgeordneten noch nicht einmal ein solch gravierendes Gewicht erreichen wie andere Entscheidungen. Zutreffend stellt Zippelius 544 daher fest, daß die angestrebte Rollendistanz sich bei Parlamenten, nicht zuletzt aufgrund einer pluralistischen Demokratie, nur in "geminderter" Form wiederfinden läßt 545 . Dementsprechend kommt auch unter diesem Gesichtspunkt eine verfassungssystematisch untypische Entscheidung der Abgeordneten im Festsetzungsverfahren nicht in Betracht. c) Gleichheitsgebot
Mit der Entscheidung des einzelnen Abgeordneten im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung könnte jedoch der Grundsatz der demokratischen Gleichheit verletzt sein 546 . Diesem Grundsatz liegt der Gedanke zugrunde, daß der durch Wahl zum Repräsentanten berufene Bürger, diese neue Rechtsposition nicht zur privaten Nutzung mißbrauchen dürfe 547 . Insbesondere finanzielle Interessen stehen hier im Brennpunkt der Kritik 548 . Schon im Rahmen der Untersuchung der Gemeinwohlverpflichtung der Abgeordneten wurde der Mißbrauchsgedanke erörtert. Dort konnte zwar festgestellt werden, daß eine aus rein eigennütziger Motivation getroffene Entscheidung dieser Gemeinwohlverpflichtung entgegensteht. Doch ließ sich dieser Gedanke angesichts der Unzulässigkeit einer Motivationskontrolle weder verallgemeinern noch im Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung beim einzelnen Abgeordenten verifizieren. Bei dem Grundsatz demokratischer Gleichheit geht es hingegen nicht um eine unzulässige Motivation, sondern um das Ziel der Entscheidung 549 . Folgte man also diesem Ansatz, so könnte in der Tat die Entscheidung des Vgl. oben S. 143 ff. Zippelius, ARSP 15 (1981), S. 84 (93). 545 Vgl. Hofmann/Dreier, PariR, S. 178. 546 Zu diesem Ansatz Krause, DÖV 1974, S. 325 (328). Ihm folgend Knebel-Pfuhl, S. 169 ff. 547 Vgl. Krause, a. a. O. 548 Vgl. Krüger, S. 267 f. 549 Vgl. in diesem Zusammenhang die bereits oben (S. 127 ff.) erwähnte Differenzierung zwischen dem Ziel staatlichen Handeins einerseits (Gemeinwohlverwirklichung) und dem Handeln (Weg, Motivation) andererseits (Uneigen- bzw. Fremdnützigkeit). 543
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G. Die individuelle Willensbildung und Entscheidung der Abgeordneten
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einzelnen Abgeordneten zur Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung eine unzulässige Nutzung der ihm verliehenen Stellung bedeuten 550. Zuvor könnte man jedoch daran denken, daß sich Geldzahlungen an Abgeordnete überhaupt nicht mit diesem Grundsatz vereinbaren lassen, denn warum sollte der zum Parlamentarier gewählte Bürger überhaupt eine Entschädigung erhalten. Unter diesem Aspekt sind aber noch nie Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abgeordnetenentschädigung erhoben worden 551 . In seiner Arbeit hat Loschelder552 nachgewiesen, daß die Übernahme eines Amtes aus finanziellen Erwägungen heraus, nämlich zur Absicherung des Lebensunterhalts, keine untypische Erscheinung ist. Nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts553 im sog. Diätenurteil, sind die Abgeordneten durch die zeitliche Beanspruchung auf eine volle Unterstützung des Lebensunterhalts angewiesen. Somit ist zwar die grundsätzliche Zahlung einer Entschädigung an die Abgeordneten mit dem Gebot demokratischer Gleichheit vereinbar55 4, aber für die Frage der Zulässigkeit einer Erhöhung der Entschädigung durch die Abgeordneten selbst ist damit noch keine Aussage getroffen 555 . Die Beurteilung dieser Frage hängt zunächst davon ab, ob der Grundsatz tatsächlich uneingeschränkt Anwendung finden kann. Krause 556 vermischt diesen Grundsatz mit dem Amtsbegriff. Hieraus folgernd wendet er sich besonders gegen die Annahme von Vorteilen für eine bestimmte Ausübung des Mandats. Ohne hierauf näher einzugehen, kann man feststellen, daß es eine Vielzahl von (abstrakt-generellen) Entscheidungen gibt, bei denen der Abgeordnete selbst betroffen ist und die sich letztlich günstig auf seine Rechtsposition auswirken 557 . Nicht zuletzt aufgrund der inhaltlichen Nicht-Definierbarkeit des Gemeinwohls erscheint eine Differenzierung in zulässige und unzulässige Verbesserungen angesichts fließender Grenzen - läßt man die Schwierigkeiten in der Bewertung sog. Beraterverträge außen vor558 - nicht möglich. 550 So v. Arnim. BK, Art. 48 Rn. 85, dort allerdings allgemein zur Frage, ob ein Repräsentant ein unmittelbares, persönliches Interesse am Ausgang einer von ihm mitzuverantwortenden Entscheidung haben darf. Diesem Ansatz sehr ähnlich ist die bereits oben (vgl. S. 116 f.) erwähnte Ansicht von Krüger; DVBI. 1964, S. 220 f., nach der die Abgeordneten nicht die Rechtsposition verbessern dürfen, unter der sie angetreten sind. 551 Hierzu oben Teil 1. 552 Loschelder; S. 241. 553 BVerfGE 40, S. 296 (311 ff.). 554 Vgl. Knebel-Pfuhl. S. 169; Krause. DÖV 1974, S. 325 (328). 555 Diese Frage spricht auch Loschelder; S. 240 ff., in seinen, insofern grundsätzlichen. Erwägungen zur inhaltlichen Bestimmung des Merkmals der Fremdnützigkeit nicht an. Auch Knebel-Pfuhl. a. a. 0., und Krause. a. a. 0., lassen diese Frage offen. 556 Krause. a. a. O. 557 Grundsätzliche Bedenken bestehen gegen diesen Ansatz also schon deshalb, weil die Stellung des Abgeordneten an sich von der des Bürgers "abgehoben" ist. 558 Hierzu auch Fromme. ZRP 1972, S. 225 ff.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
Somit ist jedoch festzustellen, daß sich auch aus dem Grundsatz demokratischer Gleichheit keine Repräsentanten-abweichende Entscheidung des Abgeordneten bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung nachweisen läßt.
VI. Ergebnis Nach den eben getroffenen Feststellungen lassen sich folgende Ergebnisse festhalten. Die Abgeordneten haben ein Amt inne, welches sie zwar grundsätzlich auf die Verwirklichung des Gemeinwohls verpflichtet. Aufgrund ihrer Stellung, insbesondere der damit verbundenen Subjektivierung ihrer Tätigkeit und der Art der von ihnen getroffenen Entscheidung, kann aber im Gegensatz zu den ,,klassischen" Amtsträgern kein festumrissenes Merkmal der Uneigennützigkeit festgestellt werden. Wenngleich die Wahrnehmung rein egoistischer Interessen durch einzelne Abgeordnete nicht justitiabel ist, so widerspricht dies doch dem gemeinwohlverpflichtenden Amt. Für die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten im Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung kann aufgrund der juristisch nicht zu leistenden Motivationskontrolle keine verfassungssystematisch untypische Amtsausübung festgestellt werden. Auch aus der RepräsentantensteIlung, insbesondere der intendierten Distanz zum Gegenstand der Entscheidung und dem Gebot demokratischer Gleichheit, kann für die Entscheidung des einzelnen Abgeordneten keine "Besonderheit" im Festsetzungsverfahren diagnostiziert werden.
H. Die kollektive Willens bildung Wenngleich sich im Rahmen der Untersuchung der individuellen Willensbildung der Abgeordneten keine verfassungssystematisch untypische Besonderheit hat feststellen lassen, so heißt dies für die kollektive Willensbildung zunächst nur, daß sich keine entsprechende "Besonderheit" auf das gesamte parlamentarische Willensbildungsverfahren auswirkt. Ob sich darüber hinaus für die kollektive Willensbildung, das heißt im wesentlichen für die Willensbildung der Gesamtheit der Abgeordneten 559 , eine ,,Besonderheit" nachweisen läßt, ist im folgenden zu untersuchen.
559
Zum Ansatz vgl. oben S. 80 ff.
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I. Problemstellung Vergleichbar der Untersuchung der individuellen Willensbildung der Abgeordneten stellt sich nun die Frage, ob die Gesamtheit der Abgeordneten über die Frage ihrer Entschädigung abstimmen darf bzw. ob dies verfassungssystematisch untypisch ist. Dabei stellen sich vorweg zwei Probleme. Zum einen boten bei der Untersuchung der individuellen Willensbildung das Amt und die RepräsentantensteIlung noch einen gesicherten Anhalt für die Frage, ob eine Entscheidung in eigener Sache zulässig ist oder nicht. Derart "gesicherten Boden" scheint man bei einer Untersuchung der kollektiven Willensbildung zu verlassen 560 . Desweiteren könnte angenommen werden, daß, wenn schon keine "Besonderheit" bei der Entscheidungskompetenz des einzelnen Abgeordneten angenommenwurde, eine solche erst recht nicht für die Gesamtheit der Abgeordneten indiziert ist. Beide Probleme sind gleichwohl überwindbar. Für die Frage, ob nach den Feststellungen zur individuellen Willensbildung überhaupt noch eine untypische kollektive Willensbildung in Betracht kommen kann, ist darauf zu verweisen, daß die (prozedurale) Gemeinwohlverwirklichung nicht nur Sache des einzelnen Abgeordneten ist. Dieses ergibt sich aus den Hinweisen auf die "angemessenere" Repräsentation - also Gemeinwohlverwirklichung - durch die Gesamtheit der Abgeordneten 561 . Dazu wurde bereits oben festgestellt, daß die Erwartungen, welche man an die Ergebnisse der Parlamentsentscheidungen knüpft, nicht auf die Entscheidung eines einzelnen Abgeordneten projiziert werden darf. Nicht zuletzt trägt hier auch das Argument der funktionsgerechten ürganstruktur, welches sich nicht nur als spezifisches Unterscheidungskriterium für die Entscheidungskompetenzen ergeben hatte 562 , sondern auch als Kontrollüberlegung in der vorangegangenen Untersuchung diente 563 . Aufgrund dieser Erwägungen erscheint auch dogmatisch sicherer Boden erreichbar564 •
560 So Klein, MI 0, Art. 48 Rn. 149, wenn er davon spricht, daß das "Gesetz in eigener Sache" keine verfassungsrechtliche Kategorie darstelle. 561 So Demmler, S. 92 ff. Allgemein zu den Vorteilen einer kollegialen statt monokratischen Organstruktur, vgl. Herzog, S. 193 f.; Zippelius, Staatslehre, S. 102 f. 562 Vgl. oben S. 104 ff. 563 Vgl. oben S. 148 ff. 564 V gl. unten S. 157 ff.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
11. Bisherige Bewertung durch die Rechtsprechung und Literatur In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutet sich ein erhöhter Legitimationsbedarf des Gesetzgebungsverfahrens zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung an. So weist das Bundesverfassungsgericht565 im sog. Diätenurteil ausdrücklich auf das Vertrauen des Volkes in die parlamentarische Demokratie hin. Dieses Vertrauen bedinge, daß politische Entscheidungen, insbesondere die Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung, vor den Augen der Öffentlichkeit getroffen werden müßten. Ohne auf den Willensbildungsprozeß im Festsetzungsverfahren näher einzugehen, rekurriert das Gericht dabei formal auf das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip. Rückschlüsse auf die Beurteilung der parlamentarischen Willensbildung erlaubt lediglich die Feststellung, daß eine für die Öffentlichkeit durchschaubare Willensbildung überdies die für dieses Verfahren "einzige wirksame Kontrolle" (sic!) gewährleiste. Das im sog. Diätenurteil nur indirekt angedeutete Kontrolldefizit wird in einem späteren Urteil des Bundesverfassungsgerichts 566 dahingehend konkretisiert, daß es in diesem Verfahren "des korrigierenden Elements gegenläufiger politischer Interessen" ermangele. Gerade dieser mit der Öffentlichkeit verbundene Kontrollgedanke, wird in der Literatur nicht nur für das Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung 567 , sondern darüber hinaus auch für andere Fälle kollektiver Organwalterbetroffenheit zur Anwendung gebracht568 . Das in diesem Zusammenhang verwandte Argument der materiellen Interessenidentität der Abgeordneten, welches als einziger Hinweis auf eine "besondere" kollektive Willensbildung dienen kann, wird dabei weder besonders hergeleitet, noch in seiner Tragweite ausgedeutet. Vielfach wird auf (vermeintlich) tatsächliche Befunde bezuggenommen und von einer "großen Koalition" oder von "Heimlichkeit" oder "Schnelligkeit" in der Regelung der Abgeordnetenentschädigung gesprochen. Demnach neigten die Abgeordneten dazu, über die Partei- bzw. Fraktionsgrenzen hinweg, zunächst Einigkeit über diese Frage zu erlangen, bevor man damit an die Öffentlichkeit tritt. Außerdem würde das Verständnis des Ergebnisses durch komplizierte Regelungen erschwert569 . Nicht zuletzt von dieser mangelnden normativen Begründung scheinen auch die Schwierigkeiten herzurühren, die sich im Umgang mit dem vom BundesverfasBVerfGE 40, S. 296 (327). BVerfGE 85, S. 264 (292). 567 Besonders deutlich v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1245 f.); ders., NJW 1996, S. 1233 (1237 f.). Vgl. des weiteren Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 (342 ff.); Schulte, v. Mangoldtl Klein / Achterberg / Schulte, Art. 38 Rn. 61; Starr, S. 249 f. 568 SO Z. B. Grimm, ParIR, S. 241, für das Problem der Parteienfinanzierung; Schneider, a. a.O. 569 Vgl. v. Arnim, "Der Staat sind wir!", S. 145; Fischer, S. 17 und S. 198; Klatt, ZParl 1973, S. 404 (415 f.). Ablehnend zum Vorwurf der "Heimlichkeit" und "Schnelligkeit", vgl. Scheu, FAZ vom 6. 10. 1995, Nr. 232, S. 10 f. 565
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sungsgericht geforderten Öffentlichkeits- und Transparenzgebot und dem hierauf beruhenden Gebot der jeweils selbständigen Entscheidung durch das Parlament zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung ergeben570 . In der entgegengesetzten Richtung liegt die Ansicht Seufferts 571 , der in dem Verfahren offensichtlich keine Besonderheit erblickt. Er vermag daher der Verfassung auch kein besonderes - einem Kontrollerfordnernis Rechnung tragendes - Öffentlichkeits- und Transparenzgebot zu entnehmen 572 . Er verkürzt das Öffentlichkeitsund Transparenzgebot einseitig auf das Ergebnis der parlamentarischen Willensbildung, wenn er meint, daß es jedem Bürger möglich sei, durch eine Anfrage herauszufinden, wie hoch die Abgeordnetenentschädigung ist. Einen besonderen Gesetzesbeschluß kann er daher nicht für erforderlich halten. Sein Vergleich der parlamentarischen WiIIensbildung mit der Entscheidungsfindung in der Rechtsprechung, muß aber angesichts der strukturellen Unterschiede zwischen Richtern und Abgeordneten 573 bereits hier zweifelhaft erscheinen. Geht man davon aus, daß der einzelne Abgeordnete in diesem Verfahren weder amts- noch repräsentantenunüblich entscheidet, ließe sich - wie sich dies auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und einem Teil der Literatur andeutet - ein entsprechender (spezieller) Kontrollbedarf also nur durch eine Untersuchung der kollektiven Willensbildung (er)klären. Nimmt man einen (speziellen) Kontrollbedarf durch die Öffentlichkeit an, so verwundert es, daß die kollektive Willensbildung bislang nicht eingehender untersucht wurde 574 . Die Behauptung, eine materielle Interessenidentität der Abgeordneten bedinge eine entsprechend besondere öffentliche Kontrolle, vermag nur dann zu überzeugen, wenn feststeht, daß die parlamentarische Willensbildung verfassungssystematisch untypisch ist. Eine derartige, nicht nur die parlamentarische, sondern die gesamte kollektive Willensbildung umfassende Untersuchung hätte dann auch die Beteiligung der anderen Organe mitzuberücksichtigen. Bislang wird deren Verhältnis zum Bundestag bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung, wenn überhaupt, nur dadurch beschrieben, daß sie sich aus einer Entscheidung der Bundestagsabgeordneten über ihre Entschädigung "heraushalten,,575. 570 Vgl. nur einerseits v. Arnim, Gutachten, S. 15 ff.; ders., DVBI. 1987, S. 1241 (1245 f.), der eine Entschädigung nur durch ein jeweils neu zu fassendes Gesetz als mit dem Öffentlichkeits- und Transparenzgebot vereinbar ansieht. Andererseits Linck, ZParl 1995, S. 372 ff.; Scheu, FAZ Nr. 232 vom 6. 10. 1995, S. 10 f., die der Ansicht sind, daß auch durch eine Verfassungsänderung dem Öffentlichkeits- und Transparenzgebot Rechnung getragen werden kann. 571 Seuffert zu BVerfGE 40, S. 296 (349 f.). 572 Ihm folgend Eyer/'tUlnn, ZRP 1992, S. 201 ff. Desweiteren Menger, VerwArch 67 (\976), S. 303 (314); SchlaichlSchreiner, NJW 1979, S. 673 (677). 573 Hierzu oben S. 127 ff. 574 Aus der neueren Literatur ist allerdings Schmitt Glaeser, FS Stern, S. 1183 (1195), zu nennen, der es ausdrücklich für falsch hält, aus der "Gleichheit der Interessenlage" von Parlamentsmehrheit und Opposition zu folgern, daß die Richtigkeitsgewähr der parlamentarischen Willensbildung tangiert wäre. Hierzu noch unten S. 169 f.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
III. Beurteilungsmaßstäbe für die kollektive Willens bildung Wie schon mehrfach angesprochen, obliegt dem einzelnen Abgeordneten nicht allein die Gemeinwohlverwirklichung. Vielmehr soll sich dieses Gemeinwohl im Zusammenspiel aller Parlamentarier und auch der anderen an der Gesetzgebung beteiligten Organe ergeben. Gerade durch das Verfahren erhält das Gesetz seine "besondere Güte,,576. Da die Gesetzgebung im wesentlichen durch die Willensbildung der Gesamtheit der Abgeordneten geprägt ist577 , steht die parlamentarische Willensbildung im Vordergrund dieser Untersuchung. Wenn zuvor eine "angemessene" Repräsentation, das heißt eine tatsächliche Annäherung an das Gemeinwohl durch die Gesamtheit der Abgeordneten angenommen wurde, so stellt sich die Frage, wie diese zustandekommt. Für den einzelnen Abgeordneten ergab sich ein von Durchbrechungen gezeichnetes Idealbild, welches es nicht erlaubte, von einer amts- oder repräsentantenabweichenden Entscheidung im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung auszugehen. In bezug auf das Parlament wird zu prüfen sein, ob sich diese Maßstäbe auf die als Gesamtheit gedachten Abgeordneten übertragen lassen, insbesondere, ob sich hieraus eine gemeinwohlabweichende Kompetenzzuweisung578 an das Parlament durch Art. 48 Abs. 3 S. 3 verifizieren läßt. Des weiteren ist zu klären, in welchem Verhältnis die anderen Organe im Gesetzgebungsverfahren zum Parlament stehen. Hierzu ist zunächst festzustellen, daß in den Prozeß der Gesetzgebung - bis auf das Bundesverfassungsgericht - alle anderen Staatsorgane miteingebunden sind579 . Dieses System der Funktionenverknüpfung soll die Konzentration von Macht in der Hand eines einzelnen Organs verhindern und dadurch einen machtmäßigenden - bzw. machthemmenden Einfluß ausüben 58o . Versteht man diesen Einfluß begrifflich als Kontrolle, so erscheint die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts 581 im sog. Diätenurteil, daß die Öffentlichkeit die einzige wirksame Kontrolle in diesem Verfahren darstelle, in einem besonderen Licht. Denn aufgrund der Formulierung "einzig wirksam" liegt die Vermutung nahe, daß die übrigen Organe eine ihnen unter Umständen obliegende Kontrollfunktion nicht wirksam ausüben 582 . Daher ist das Verhältnis der übrigen m Vgl. v. Arnim. DVBI. 1987, S. 1241 (1245 f.); Klatt. ZParl 1973, S. 404 (418); Krüger; DVBI. 1964, S. 201; Line/" ZPar11995, S. 683 (687). 576 Starck. Staatslexikon 11, Gesetzgebung, Sp. 1008. Auch schon oben S. 104 ff. m Vgl. Stern /I. S. 614. 578 Für die Frage, warum die Kompetenzzuweisung zum Anknüpfungspunkt der Untersuchung gewählt wurde, vgl. bereits die Erläuterung in Fußnote 337 auf S. 122. 579 Vgl. zum Gesetzgebungsverfahren bereits oben S. 84 f. 580 Vgl. Stern I. S. 186; Stern /I. S. 529 f, S. 538. 581 BVerfGE 40, S. 296 (327). 582 Vgl. so deutlich v. Arnim. DVBI. 1987, S. 1241 (1245 f.). Vgl. auch Klatt. ZParl 1973, S. 404 (418); Krüger; DVBI. 1964, S. 201; Linck. ZParl 1995, S. 683 (687). Vgl. auch
H. Die kollektive Willensbildung
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am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe daraufhin zu untersuchen, ob und in welcher Ausprägung sie Kontrolle ausüben und ob sich aufgrund der Kompetenzzuweisung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 ein Kontrolldefizit ergibt. Im übrigen ist im Anschluß an das Bundesverfassungsgericht583 und mehrere Stimmen in der Literatur584 die Rolle der Öffentlichkeit im Gesetzgebungsverfahren, speziell im Verfahren zur Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung, eingehender auszuleuchten 585 .
IV. "Besonderheit" aufgrund der Kompetenzzuweisung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 bei der parlamentarischen Willensbildung Zunächst ist also zu untersuchen, ob sich aufgrund der Kompetenzzuweisung des Art. 48 Abs. 3 S. 3 das Gemeinwohl in derselben Weise verwirklicht, wie das Grundgesetz dies bei anderen Gesetzgebungsbeschlüssen des Parlaments erwartet. 1. Der prozedurale Gemeinwohlbegriff
Das Gemeinwohl wird durch das Parlament im Gesetzgebungsverfahren in einem Prozeß des Ausgleichs und des Kompromisses gesucht und gesetzt 586 . Im folgenden sollen einige Grundzüge der kollektiven Willensbildung im Parlament skizziert werden, welche für das Festsetzungsverfahren der Abgeordnetenentschädigung relevant sind587 . a) Interessenpluralität im Parlament Einen ausdrücklichen Maßstab, in welcher Weise das Gemeinwohl durch die Gesamtheit der Abgeordneten verwirklicht werden soll, enthält das Grundgesetz nicht. Auch wenn man Literatur und Rechtsprechung nach einem derartigen MaßBVerfGE 85, S. 264 (292), wo das Gericht von einem Mangel an korrigierenden, politisch gegenläufigen Interessen spricht. 583 BVerfGE 40, S. 296 (327). 584 Vgl. v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1245 f.); Schneider, Gesetzgebungstheorie, S. 327 (339); Schulte, v. Mangoldt/Kleinl Achterberg/Schulte, Art. 38 Rn. 61. 585 Zur Bedeutung der Öffentlichkeit im Gesetzgebungsverfahren vgl. bereits oben S. 104 ff. 586 Vgl. Klein, HStR II, § 40 Rn. 6. 587 Zu Recht stellt Schauer, S. 28 f., fest, daß es eine endgültige, umfassende Beschreibung aufgrund der Komplexität der Willensbildung wohl nicht geben kann. Die hier skizzierten Aspekte sollen allerdings in bezug zu den Besonderheiten der Willensbildung bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung gesetzt werden, so daß sich aus diesem Grund deren "Herausgreifen" rechtfertigt.
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2. Teil: Rechtliche Kriterien des Festsetzungsverfahrens
stab durchsucht, wird man enttäuscht. Bei der Untersuchung der individuellen Amtsausübung durch die Abgeordneten konnte lediglich festgehalten werden, daß die Willensbildung im Parlament sich als Ausgleich verschiedener Interessen vollzieht 588 . Inwieweit es tatsächlich zu einem Ausgleich verschiedener Interessen in einem - parteibedingt - fraktionengeprägten Parlament kommt, mag zweifelhaft erscheinen 589 . Die Intention einer pluralistisch geprägten, parlamentarischen Willensbildung dürfte aber zumindest durch die Interessenrivalität der unterschiedlichen Fraktionen erfüllt sein. Am deutlichsten wird dies an der besonderen Rolle der Opposition im Parlament590 . Ihr wird unter anderem die Funktion einer IntraOrgankontrolle zugeschrieben 591 . Die Opposition bewirkt auch die Realisierung der besonderen Elemente des Gesetzgebungsverfahrens: die Diskussion sowohl im Parlament als auch in der Öffentlichkeit592 . Das Bemühen der Opposition wird darauf gerichtet sein, stets eine Alternative zu den Entscheidungen der Regierungsfraktion zu präsentieren, um so die nächste Wahl zu gewinnen und so die nächste Regierung zu stellen. Dieser Form der Kontrolle wird ein hemmender Einfluß zugeschrieben 593 . b) Interessenpluralität durch Öffentlichkeit
Die sich selbst als nächste Regierungsfraktion empfehlende, öffentlich agierende Opposition weist auf ein weiteres, wichtiges Kennzeichen demokratischer Willensbildung hin. Die durch die Gesamtheit der Abgeordneten getroffene Entscheidung 594 bildet lediglich das geregelte 595 Ende eines - auch das Staatsvolk - umfas588 Vgl. Klein. HStR 11, § 40 Rn. 6; Krebs. Kontrolle, S. 161 f.; Zippelius. ZRP 1993, S. 241 f. Auch oben S. 143 ff. 589 Vgl. Klein. HStR 11. § 40 Rn. 6. 590 Hierzu Klein. HStR 11, § 40 Rn. 42; Schneider, Opposition, S. 35; ders., PariR, S. 1056; ders., HVerfR, § 13 Rn. 17 ff. Zur intern-kritischen Mehrheitskontrolle, statt der extern-kritischen Oppositionskontrolle, vgl. Steffani. ParlR, S. 1348. Zur Opposition als Rechtsbegriff. vgl. den gleichnamigen Aufsatz von Poscher, AöR 122 (1997), S. 444 ff. 59\ Vgl. v. Arnim, DVBI. 1987, S. 1241 (1246); Schneider, Opposition, S. 70; ders., HVerfR, § 13 Rn. 66; ders., Gesetzgebungstheorie, S. 327 (329); Steffani. ParlR, S. 1328. Allgemein zur Intra-Organkontrolle, vgl. Loewenstein. S. 167 ff.; Herzog. S. 350 ff. Allgemein zum Begriff und der Bedeutung von Kontrolle im staatlichen Entscheidungsgefüge vgl. Krebs. Kontrolle, S. 4 ff.; Scheuner, FS Müller, S. 379 ff.; Steffani, ParlR, S. 1325 ff. Vgl. unten S. 172 ff. 592 Zu Diskussion und Öffentlichkeit als Prinzipien des Gesetzgebungsverfahrens vgl. Klein. HStR 11, § 40 Rn. 39; Starck, Staats1exikon 11, Gesetzgebung, Sp. 1007 f. Zur integrativen Wirkung dieses durch eine heterogene Interessenstruktur gekennzeichneten, öffentlichen Kontrollprozesses, vgl. Krebs. Kontrolle, S. 161 f. m Vgl. Stern /, S. 186. 594 Zur Zusammenfassung aller einzelnen Abgeordnetenentscheidungen zu einem Entschluß des Parlaments, vgl. Steiger, S. 70 f. 595 Zur unreglementierten Willensbildung im Staatsvolk, vgl. Schmitt-Glaeser, HStR 11, § 31 Rn. 21.
H. Die kollektive Willensbildung
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senden Willensbildungsprozesses 596 . Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß das Volk nicht nur in einem einmaligen (Wahl-)Akt demokratische Legitimation vermittelt - also über die Zusammensetzung des Parlaments unter anderem die Berufung der Regierung steuert -, sondern auch auf die Willensbildung im Parlament Einfluß nehmen kann und nimmt 597 . Damit soll an dieser Stelle noch nicht die besondere Rolle der Öffentlichkeit oder der öffentlichen Meinung im Gesetzgebungsverfahren ausgeführt werden 598 . Vielmehr ist hier festzustellen, daß die Öffentlichkeit auch zum Interessenpluralismus im Parlament beiträgt599 , ohne daß dadurch die institutionelle Freiheit der Abgeordneten berührt wäre 600 . Der Grund hierfür dürfte in der Natur der durch das Parlament getroffenen Entscheidungen liegen. Regelmäßig ist die Bevölkerung oder Bevölkerungsteile von den parlamentarischen Entscheidungen in eigenen Interessen betroffen6