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German Pages 143 [144] Year 2016
Geschichte kompakt Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich Frühe Neuzeit: Volker Reinhardt Berater für den Bereich Frühe Neuzeit: Sigrid Jahns
Walter Rummel/Rita Voltmer
Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit 2. Auflage
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Einbandgestaltung: schreiberVIS, Seeheim
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., bibliogr. aktual. Auflage 2012 i 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage 2008 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-24585-7 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72319-5 eBook (epub): 978-3-534-72320-1
Inhaltsverzeichnis Geschichte kompakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Zum Vorverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Historisierung der Hexenverfolgungen . . . . . . . . . . 2. Die Grundlagen zur Erforschung der Hexenverfolgungen: Vom Umgang mit den Quellen . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Die Konstruktion eines „Superverbrechens“ . . . . . . . . . 1. Vorstellungen von Schadenzauberei in Antike und Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ketzerverfolgungen im hohen und späten Mittelalter . 3. Von der klassischen Häresie zur neuen Ketzerei der Hexensekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der alpine Raum als Versuchslabor . . . . . . . . . . . . 5. Erste Rezeption und weitere Verbreitung der neuen Hexenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. … die Zauberer sollst du nicht leben lassen. Vom Umgang der Justiz mit einem „Superverbrechen“ . . 1. Antike und Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der inquisitorisch geführte Ketzerprozess . . . . . . . . 3. Die Übernahme des inquisitorisch geführten Ketzerprozesses durch weltliche Gerichte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation . . . . . . 4. Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten . . . . a) Der Glaube an den Hexensabbat und die Suche nach Komplizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewohnheitsrecht oder römisches Recht? . . . . . . c) Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Urteil und Hinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Bedeutung der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. für die Hexenprozesse . . . . . . . . . . . . g) Die Rolle von Appellationsinstanzen . . . . . . . .
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V. ein wuester grober irrthumb – die Frage von Recht und Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Eindruck des Neuen: Sensation, Skepsis und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Dimensionen der Verfolgungen . . . . . . . . . . . 3. Der gelehrte Diskurs im Zeichen von Eskalation und Kritik Exkurs: Hexen und Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Ausmaß, Geographie und Phasen der europäischen Hexenverfolgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 2. Geschlechterverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Phasen und Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche . . . . . . . . . . 1. Die Hexenforschung nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegen einen monokausalen Ansatz – das Faktorenbündel . . 3. Hexenverfolgung – Handlungsoptionen zur Gewinnung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Vorteile? . . . . . . a) Die Krise – ein Plausibilitätshintergrund . . . . . . . . . . b) Konfessionalisierung, Moralisierung und Disziplinierung – zusätzliche Verdachtsgründe für Hexerei . . . . . . . . . c) Die Kommunikationsstrukturen – die Verbreitung von Hexenfurcht, Verfolgungsdrängen und Handlungsoptionen d) Das multifunktionale Feindbild: soziale und politische Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die soziale Nutzung der Handlungsoption „Hexenverfolgung“ – der organisierte Aktionismus der Bevölkerung (bottom up-Modell) . . . . . . . . . . . f) Die herrschaftlich-politische Nutzung der Handlungsoption „Hexenverfolgung“ . . . . . . . . . . . g) Zur Nutzung von Hexenverfolgungen durch Spezialisten – die Hexenjäger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die konfessionelle Frage – katholische und protestantische Sonderfälle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Hexenverfolgungen in geistlichen Territorien . . . . . b) Die Hexenverfolgungen in protestantischen Territorien . .
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VIII. Herrschaftliche Handlungsoptionen gegen Hexenverfolgungen 1. Fundamentale Opposition – der Fall Kurpfalz . . . . . . . . 2. Strategien der Unterdrückung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einsicht und Ausstieg – die Haltung der kirchlichen Inquisitionsbehörden in den Mittelmeerländern . . . . . . . 4. Frühmoderne Staatlichkeit contra lokale Verfolgungsmilieus .
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Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Namenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Topographisches Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Geschichte kompakt In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch) Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt
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I. Einleitung Das Thema „Hexerei“ beziehungsweise „Hexenverfolgung“ erfreut sich ungebrochen großer Aufmerksamkeit. So viel Interesse für ein historisches Thema ist sicher nützlich, erleichtert aber nicht unbedingt seine Vermittlung. Ein Blick in das Internet, wo allein über 600 000 Angebote zu dem deutschen Begriff „Hexerei“ zu finden sind, lässt noch ganz andere Motive erkennen, als man sie bei einem rein historischen Interesse erwarten würde: Den Glauben an die Sache selbst (SPIEGEL-Online 3.4.2004: „Es gibt Hexerei“), den Wunsch, Hexerei selbst zu praktizieren („Willkommen im Reich der Hexen“), oder lieber in die Rolle der Folterer zu schlüpfen, wie es der Filmtitel „Hexen – bis aufs Blut gequält“ anzubieten scheint. Dabei sind uns die Figuren der ‚bösen Hexe‘ und der ‚guten Fee‘ schon lange durch die älteren Erzähltraditionen der Märchen und Sagen vertraut. Hinzugekommen sind inzwischen neuere Fiktionen, wie Otfried Preußlers „Kleine Hexe“, welche die böse Hexenfigur rehabilitiert, oder J. K. Rowlings „Harry Potter“, in dessen Zauberwelt sich die Konflikte der normalen Welt spiegeln. Filme wie „Blair Witch Project“ spielen hingegen mit unseren UrÄngsten. Gemeinsam ist allen diesen Kreationen jedoch, dass sie ein offenbar unerschöpfliches und tiefreichendes Assoziationspotential haben. So rufen die Begriffe „Hexe“, „Hexerei“ und „Hexenverfolgungen“ immer auch Vorstellungen auf, die hochgradig emotionale, teilweise archaische, in jedem Fall aber unreflektierte Anteile enthalten. Dazugehörige Geschichtsbilder (zum Beispiel „das finstere Mittelalter“) sind unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt meist defizitär. Überblickt man die Vielzahl möglicher Assoziationen, so lassen sie sich in zwei Grundkategorien einteilen: In einen kritischen Typus, welcher Fragen nach Recht und Unrecht sowie dem Zusammenspiel von Kultur, Justiz, Macht und Denunziation nachgeht, und einen mystischen Typus, welcher sich in Imaginationen über Subkultur, Magie, Sexualität und dem ‚Bösen‘ schlechthin ergeht. Dementsprechend zerfällt das allgemeine Interesse, vereinfacht gesagt, in diese zwei gegensätzlichen Grundhaltungen: Einerseits Betroffenheit, ja Empörung über das historische Unrecht der Hexenverfolgung in Europa – deshalb wird auf diesem Feld mit großer Hartnäckigkeit nach Schuldigen gesucht –, andererseits Faszination über das, was Hexerei in Wirklichkeit gewesen sein soll oder gewesen sein könnte, nämlich ein (vermeintlich) real existierender Okkultismus, eine zu Ausschweifungen aller Art einladende Unterwelt, ein geheimes Refugium magischen Wissens, eine Frühform feministischer Autonomie in einer patriarchalischen Gesellschaft oder einfach nur jene uralte Projektionsfläche für das Böse, wie es die Hexenfigur im klassischen Märchen bis heute verkörpert. Schon in früheren Jahrhunderten spiegelte die Aneignung des Themas Varianten der genannten Tendenzen wider. Darunter befand sich lange Zeit jene Überzeugung, mit der zumindest in Europa die Verfolgung vermeintlicher Zauberer und Hexen begann: Dass sie nämlich schuldig seien an vielen Übeln der Welt. Doch schon das Interesse der spätmittelalterlichen Theologen an der Aufdeckung des „Superverbrechens“ (Behringer) der He-
Phantasien
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Einleitung
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Wissenschaftliche Stereotypen
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xerei war unverkennbar von Motiven durchsetzt, die neben machtpolitischen auch esoterische, sexuelle oder sogar perverse Züge aufwiesen. In der Phase des Glaubens an die Wirklichkeit des Hexereideliktes (15.–18. Jahrhundert) begann ab dem späten 17. Jahrhundert mit der Kritik der Aufklärung eine Phase, welche das eigentliche Verbrechen nicht bei den Hexen (deren Existenz man jetzt bestritt), sondern im Sinne eines „Justizmordes“ bei ihren Verfolgern sah. Die vor diesem Hintergrund von protestantischen Gelehrten entwickelte Bewertung der Hexenverfolgungen sollte in den „Kulturkampf“ der 1870er und 1880er Jahre einfließen, als eine protestantisch-laikale Grundströmung des wilhelminischen Kaiserreiches glaubte, den nationalen Staat und die liberale Gesellschaft gegen den Unfehlbarkeitsanspruch des Papsttums verteidigen zu müssen. Eindeutig wurde in dieser Auseinandersetzung die Frage politisch instrumentalisiert, welche Konfession historisch die Verantwortung für die Hexenverfolgung zu tragen habe. Waren für die Anhänger des national-liberalen Lagers der Aberglaube und die finsteren Unterdrückungsmechanismen der Papstkirche schuld an den Verfolgungen, trugen für die Verteidiger des Katholizismus die Reformation und die ihr angeblich nachfolgende Sittenlosigkeit und Verrohung des einfachen Volkes die Last der Verantwortung. Seit dem 19. Jahrhundert traten neben die aufgeklärte Kritik auch romantisierende oder esoterische Interpretationen. Deren Verfechter waren zwar ebenfalls um Rehabilitation der verfolgten Frauen bemüht (die männlichen Opfer interessierten kaum), stilisierten sie aber auf der Suche nach historischen Vorbildern zu unhistorischen Stereotypen. So wurden aus den „Hexen“ mal „weise Frauen“, mal germanische Priesterinnen, mal Vorkämpferinnen weiblicher Emanzipation. Auch wissenschaftliche Erklärungen der Hexenverfolgungen sind bisweilen geprägt von Vorurteilen und mangelnder Sachkenntnis, was immer dann zu erkennen ist, wenn die Ursachen allein auf religiösen Fanatismus und klerikale Frauenfeindlichkeit oder auf Besitz- und Machtgier der Mächtigen reduziert werden. Wenn die Kirchen, insbesondere die katholische, ausnahmsweise einmal nicht alleinverantwortlich gemacht werden, dann zumindest die Vertreter der berüchtigten päpstlichen Inquisition, also jene Dominikaner und (weniger) Franziskaner, die ab dem 13. Jahrhundert zur Überführung von Glaubensabtrünnigen eingesetzt worden waren. Der Begriff „Inquisition“ gilt bis heute als Inbegriff für Machtmissbrauch, wobei wenig bedacht wird, dass es ‚die‘ Inquisition im Sinne einer totalitären, omnipräsenten Institution nicht gegeben hat. Wenn auf der anderen Seite die Mächtigen jener Zeit pauschal verantwortlich gemacht werden, meint man damit unterschiedslos die katholische Kirche als Besitz- und Herrschaftsinstitution gemeinsam mit den Fürsten und Territorialherren, obgleich mit Blick auf das spezifische Interesse an Hexenverfolgungen sehr unterschiedliche Voraussetzungen zu berücksichtigen sind (vgl. Kap. VII). Eine dritte Grundvorstellung aus dem Spektrum der großen Simplifizierungen klassifiziert die Bevölkerung als hauptverantwortlich: Sie sei entweder vom religiösen Fanatismus der Kleriker infiziert oder noch im uralten Aberglauben befangen gewesen. Allen monokausalen Ursachenvermutungen dieses Typs gemeinsam ist die Grundannahme, Hexen hätten als Sündenbock für die Krisen und Katastrophen jener Zeit herhalten müssen.
Einleitung Die Hexe als Sündenbock, als subkulturelle Leitfigur, als Sozialrebell oder als bloßes Objekt in einem Schurkenstück – unverkennbar ist, wie sehr das Thema dazu einlädt, als Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Phantasien und Deutungen zu fungieren. Von allen diesen Vorstellungen beruhte nur die Kritik der Aufklärung am Unrecht der Hexenverfolgungen auf einer bestimmten Kenntnis der historischen Sachverhalte, denn ihre Vertreter befassten sich kritisch mit den Prozessen und kamen zu dem für unsere Geistesgeschichte fundamentalen Ergebnis, dass der Vorwurf der Hexerei theologisch und physikalisch unhaltbar sei, weil der Teufel sich nicht materialisieren könne. Dies ist bis heute die unverzichtbare Grundlage einer rationalen Beschäftigung mit dem Thema. Allerdings ist die Konzentration auf die rechtliche Seite des Phänomens zu einseitig. Sie erschwert das Verständnis dessen, was Hexen und Hexerei in der Zeit der Verfolgungen in den Augen der Gesellschaft darstellten (Mentalitätsgeschichte) und worin die Vielschichtigkeit der Motive und die Dynamik der Verfolgungen begründet waren (Sozialgeschichte). Dieses Buch beschäftigt sich mit den Hexenprozessen, welche während des 15. bis 18. Jahrhunderts überwiegend in Europa stattfanden. Unverzichtbar ist dabei auch die Klärung der Phantasien, welche diesen Vorgängen zugrunde lagen. Angesichts des großen Spektrums von Vorstellungen, die sich auf das Übernatürliche bezogen und immer noch beziehen, ist zunächst eine Begriffsklärung notwendig: Was verstehen wir unter Magie – Zauberei – Hexerei? In allen Kulturen und in allen uns bekannten kulturellen Epochen ist der Glaube verbreitet, dass bestimmte Personen mit Hilfe besonderer Fähigkeiten übernatürliche Kräfte ausüben können. Die dazu gedachten Verfahren können spiritueller Natur sein oder auf bestimmten Substanzen beruhen. In jedem Fall bedarf es dazu magischer Formeln und Rituale, die nur Eingeweihten bekannt sind. Kräuterfrauen, Medizinmänner, Schamanen, GeistheilerInnen, WahrsagerInnen, Magier oder Zauberer und Zauberinnen, HandleserInnen, LosdeuterInnen, so genannte QuacksalberInnen – sie alle hatten und haben sowohl ihrem eigenen Verständnis nach als auch in den Augen ihrer Umgebung immer mit übernatürlichen Kräften zu tun beziehungsweise mit Kräften, die sich dem modernen naturwissenschaftlichen Denken verschließen. Sofern sich solche Praktiken auf Heilung von Krankheiten, Schutz vor Unglück und Wiedergutmachung von bereits eingetretenen Gebrechen und Unglück oder auf materielle Vorteile (Erntezauber, Schatzsuche) und Zukunftsschau beziehen, wurden und werden sie als „weiße Magie“ bezeichnet. Doch die Grenze zur „schwarzen Magie“ oder vielmehr zum Schadenzauber ist fließend, da die Vorteile der einen immer auch Nachteile für andere bedeuten können. Die Kräfte, welche in einem Fall nützen, beinhalten immer auch ein Bedrohungspotential für andere. Dies verschafft allen Formen von Magie eine charakteristische Zwiespältigkeit. Wer sich hier hervortut, nimmt gesellschaftlich eine Sonderstellung ein. Magisches Können bedeutet vielfach Schutz und Prestige, kann aber auch in ihr Gegenteil, in Ausgrenzung, Stigmatisierung und Verfolgung, umschlagen. Schon ein kurzer Blick in die Sprachgeschichte Europas zeigt, welche besonderen Fähigkeiten und Dimensionen lange vor der Epoche der eigentli-
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Begriffe
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Einleitung
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Hexereivorstellung
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chen Hexenverfolgungen mit der Ausübung von Magie gedanklich assoziiert wurden. So gehen die germanischen Wurzeln des deutschen Wortes „Zauber“ auf die Bedeutung von „Schutzmittel“ zurück, während die älteste Bedeutung von „zaubern“ sich auf das Ausüben von besonderen Kräften bezieht, denen man ohne entsprechende Hilfsmittel (Schutzzauber!) ausgeliefert ist. Mit „betören“ (vgl. niederdeutsch betoveren = bezaubern) und „zauberhaft“ sind in unserem Sprachschatz noch heute Bedeutungen vorhanden, welche diese besonderen Wirkungen magischer Fähigkeiten ausdrücken. Zu der defensiven Komponente gehörte also immer auch die offensive. Die englischen Bezeichnungen „witch“ und „wizard“ für Zauberin und Zauberer gehen auf „wissen“ und „sehen“ zurück. Sie lassen vermuten, dass neben den allgemeinen magischen Fähigkeiten speziell die Wahrsagerei ursprünglich ein Kernelement dieser Zaubereivorstellung war. Ähnlich lässt sich das französische Wort „sorcellerie“ (Zauberei) über seine lateinische Wurzel sortilegium, also „Losdeutung“, direkt auf die besondere Fähigkeit der Zukunftsvorhersage zurückführen. Andere lateinische Begriffe wie Beschwörende (Incantatrix) und Kräuterfrau (herbaria) verweisen ebenfalls auf das Feld der besonderen Künste. Nicht nur die Sache selbst (Magie) war in grauer Vorzeit vielgestaltig ausgeprägt, sondern auch die Vorstellung von der Natur der Wesen, welche man zu dieser Sphäre rechnete. Neben den dazu besonders befähigten Menschen, wie sie das niederdeutsche Wort kunstfruwe bezeichnet, begegnen Wesen, die an den Übergängen zum Reich der Geister, Gespenster und Dämonen anzusiedeln sind oder gar vollends diesem Reich angehören. So geht das deutsche Wort „Hexe“ sprachgeschichtlich auf Wortbestandteile zurück, die auf ein böses Gespensterwesen auf der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis, Leben und Tod, Mensch und Dämon verweisen (hagazussa). Weitere zu diesem Bedeutungsfeld gehörende Begriffe bezeichnen Wesen, welche vorzugsweise nachts die Menschen heimsuchen, wie Trutten und Alpe (davon herkommend: Alptraum) beziehungsweise Mare (engl.: „nightmare“). Das lateinische strix (Eule) verweist auf die (vermeintlichen) Fähigkeiten solcher Wesen zum Fliegen, davon abgeleitet und eher menschlicher als dämonischer Natur ist dann der Begriff striga (ital.: „stregha“) für die nachfahrende Frau. Von ihr glaubte man, sie dringe nachts in die Häuser ein und raube Kinder, um sie zu verspeisen. In der Epoche der europäischen Hexenverfolgungen (15.–18. Jh.) ist von diesem vielgestaltigen Kosmos kaum noch etwas in ursprünglicher Gestalt geblieben, ausgenommen das, was mit dem Beibringen von Unglück und Schaden zu tun hatte. Dieses Bedrohungspotential erscheint nun eingebettet in eine umfassende, religiöse Theorie des Bösen. Von Theologen im Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert ausformuliert und von den Trägern der weltlichen Ordnung nach und nach übernommen, besagt diese Theorie folgendes: Alle Magie und insbesondere die Anrufung übernatürlicher Kräfte (= Dämonen) ist eine Sünde gegen den christlichen Glauben. Wer sich trotzdem darauf einlässt, fällt von Gott ab (Apostasie) und wird ein Anhänger des Teufels (Idolatrie), der allein magische Wirkungen vorspiegeln oder real geschehen lassen kann – allerdings immer mit Gottes Zulassung (permissio dei). Um Männer und Frauen in seinen Bann zu ziehen, bietet der Teufel materielle Gefälligkeiten (wie Geld in Notzeiten) oder sexuelle
Einleitung
I.
Befriedigung an, wobei er sich Männern in einer Frauengestalt (succubus) und Frauen in einer Männergestalt (incubus) präsentieren kann. Ziel seiner Verführung ist es, Christen zur Aufkündigung ihres Taufbundes zu bewegen. An dessen Stelle sollen sie mit ihm einen neuen Bund (pactum cum diabolo) schließen, der dann mit einem entsprechenden Schwurritual und häufig noch in Form einer pervertierten „Eheschließung“ (Buhlschaft) sexuell vollzogen wird. Auf solche Weise schafft er eine verschworene Gemeinschaft (Sekte) von Glaubensabtrünnigen (Ketzer). Hexerei wird damit – im Gegensatz zu traditionellen Zaubereivorstellungen – zu einem stets kollektiv ausgeübten Verbrechen, zu einem Bandendelikt. Zudem kommt der Aufmarsch zum Umsturz der göttlichen Weltordnung nicht auf stillen Wegen daher. Vielmehr gibt der Teufel seinen Anhängern Aufträge und entsprechende Mittel an die Hand, um Menschen und Natur heimzusuchen: Unwetter, Frost und Ungeziefer, welche die Ernten vernichten, oder Krankheiten, welche Mensch und Tier dahinsiechen lassen und töten. Durch Not und Elend in Depression und Verzweiflung getrieben, sollen dann umso mehr Menschen den Versuchungen Satans zum Opfer fallen. Neben dem Pakt wird die Sekte durch nächtliche Zusammenkünfte, meist an weit abgelegenen Plätzen, zusammengehalten. Damit ihre Mitglieder schnell und unerkannt dorthin gelangen können, verleiht der Teufel ihnen die Fähigkeit, auf Besen oder auf Tieren zu fliegen (Hexenflug). Bei den Treffen auf dem „Hexensabbat“ oder auf den „Tanzplätzen“ wird stets aufs Neue dem teuflischen „Meister“ durch seine Anhänger gehuldigt, verbunden mit einem Gelage, mit Tanz und orgiastischen sexuellen Ausschweifungen der Teilnehmer. Außerdem wird auf dem Hexensabbat die Ausführung weiteren Schadenzaubers verabredet. Entsprechend der hier sichtbaren Kombination verschiedener, aber in einen logischen Zusammenhang gebrachter Inhalte (Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug, Teilnahme am Hexensabbat, Schadenzauberei) bezeichnet die neuere Forschung diese Vorstellung als „kumulatives Hexereidelikt“ und markiert damit den Unterschied zu einer universalkulturellen (Schaden)-Zaubereivorstellung, die auf einem animistisch-magischen Weltverständnis beruht. Außerdem entwickelte sich die christlich-römische kumulative Vorstellung von Hexerei zu einem komplexen Gesinnungsdelikt, zu einer Todsünde gegen die göttliche Weltordnung: Imaginationen von Magie, von dämonischen Einflüssen und von menschlichen Verbrechen wurden in einem kollektiven, religiös-moralischen Szenario vermischt, ältere Bilder dämonischer Wesen und traditionelle Vorstellungen der als Einzelfiguren gedachten Zauberin beziehungsweise des Magiers in generalisierbare menschliche Rollen umgewandelt. Auch dies hat die Sprachgeschichte konserviert, indem aus der oder dem älteren dämonischen Unhold(in) nun böse Leute wurden, also Menschen mit grundschlechten Absichten. Schließlich gehörte zur frühneuzeitlichen Vorstellung von Hexerei die Zuspitzung des Feindbildes auf das weibliche Geschlecht, obgleich nicht nur Frauen, sondern auch Männer als vermeintliche ‚böse Leute‘ in Frage kamen. Die ideologische Fokussierung auf Frauen verweist wiederum auf die religiös-moralische Erklärung der Hexenlehre durch eine Kirche, deren Theologen und Inquisitoren – allesamt Männer! – Verführbarkeit als allgemein menschliche Eigenschaft besonders auf Frauen projizierten und
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Einleitung
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Aufbau des Buches
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ihnen außerdem das Bedürfnis zur Kompensation von gesellschaftlicher Schwäche als glaubhaftes Motiv ihrer Hinwendung zum Teufel unterschoben. Unabhängig von der Einbettung in eine solch umfassende Theorie des Bösen wurde bloße Schadenzauberei schon in der heidnischen Antike verfolgt, ebenso im frühen Mittelalter – sowohl mit als auch ohne gesetzliche Sanktionierung. In außereuropäischen Kulturen hat das Phänomen alles andere als den Charakter eines anachronistischen Reliktes. In Teilen Afrikas sind Hexenglaube und -verfolgung bis heute Stammestradition. So war Südafrika 1996 Schauplatz einer ausgedehnten Hexenverfolgung mit Hunderten von Opfern, was sogar die UNO zu Reaktionen veranlasste. Davon unterscheiden sich die europäischen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit nicht nur im Umfang, sondern auch in ihrer Motivation, denn nur hier war die Vorstellung existent, dass Hexerei sowohl das größte denkbare spirituell-religiöse Gesinnungsverbrechen als auch das größte Verbrechen gegen das materielle Wohlergehen der Christenheit sei. Wie es zu dieser Vermischung von Religions- und Profandelikt gekommen ist, stellt Kapitel III dar. Kapitel IV beschäftigt sich mit den juristischen Grundlagen und Problemen der Verfolgung eines spirituellen Verbrechens, eines im heutigen Verständnis „Verbrechens ohne Straftat“ (Schormann), während Kapitel V die zeitgenössische Diskussion um die Frage von Recht und Unrecht beziehungsweise Wirklichkeit oder Unwirklichkeit von Hexerei aufgreift. Wer sich zuerst einen chronologisch-geographischen Überblick über die europäischen Hexenverfolgungen verschaffen will, wird diesen in Kapitel VI finden. Kapitel VII diskutiert die ernsthaften wissenschaftlichen Erklärungsansätze und entwickelt daraus ein Faktorenmodell zur Beschreibung der überaus komplexen Bedingungen und Dynamik, welche bei der Durchführung von Hexenverfolgungen in Betracht gezogen werden müssen. Kapitel VIII unternimmt den Versuch einer Erklärung des historischen Phänomens „Hexenverfolgungen“, welche sich an den politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit orientiert. Doch zuvor empfiehlt es sich, in Kapitel II die überaus heterogenen Vorstellungen näher zu beleuchten, welche seit dem Ende der europäischen Hexenverfolgungen im 18. Jahrhundert das Interesse an diesem Thema aufrecht hielten, zugleich aber viele Irrtümer in der Bewertung des Phänomens erschufen, die bis heute in Umlauf sind.
II. Zum Vorverständnis 1. Die Historisierung der Hexenverfolgungen Der erste Gegenentwurf zum theologischen System der Hexenlehre kam von der europäischen Aufklärung (circa 1650–1800). Zwar war diese große geistesgeschichtliche Strömung nicht grundsätzlich areligiös, aber ihre Betonung von Vernunft und kritischer Skepsis gegenüber einer auf bloßen Glauben und Dogma gegründeten Autorität förderte kirchenkritische Positionen, insbesondere gegenüber der stärker auf Traditionen und Autorität gegründeten katholischen Kirche. Dementsprechend ordneten Vertreter der Aufklärung – in Deutschland zunächst besonders Christian Thomasius ({ 1728) – auch Hexenglaube und Hexenverfolgungen ein: Als grundsätzliches Unrecht, weil die behaupteten Delikte – die Verbindung mit einem körperlich präsenten Teufel, der Flug zum Hexensabbat und die Zauberei – weder theologisch noch physikalisch begründet werden könnten. Magie war der Glaube des ungebildeten Volkes an die Wirksamkeit abstruser Rituale und der gelehrte Hexenglaube war nichts als eben solcher Aberglaube auf höherem Niveau, ein „Pfaffentrug“, erfunden von mittelalterlichen Theologen und der Tyranney des Pabsts (Thomasius). Alle wegen Hexerei Verurteilten mussten demnach als Opfer einer Fiktion angesehen werden. Dieses Deutungsmuster griff besonders der lutherische Geistliche Wilhelm Gottlieb Soldan ({ 1869) mit seiner 1843 fertig gestellten „Geschichte der Hexenprozesse“ auf. Dieses oft in undurchsichtigen Überarbeitungen bis heute immer wieder nachgedruckte Kompendium wurde auch außerhalb Deutschlands rezipiert; sein Erklärungsansatz gilt der neueren Hexenforschung als „rationalistisches“ oder „Soldan-Paradigma“ (Monter). Im Gegensatz dazu beharrte die katholische Kirche auf ihren Traditionen, so dass eine kritische Aufarbeitung auch der Hexenlehre unterblieb. Beide Positionen prallten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in Deutschland im „Kulturkampf“ aufeinander, wobei auch die Verantwortung für die historischen Hexenprozesse thematisiert wurde. Die politische Motivation dieser Attacken hat jedoch bisweilen den Blick auf die historischen Sachverhalte getrübt, und dass die heftig angegriffene katholische Seite damals auch ernsthafte Versuche unternommen hat, die eigene Verstrickung kritisch aufzuarbeiten, fiel nicht besonders auf. Bis heute trägt die anti-katholische beziehungsweise anti-kirchliche Komponente jenes „rationalistischen“ Ansatzes dazu bei, die Hexenprozesse auf klerikalen Aberglauben und kirchliche Unterdrückungsabsichten insbesondere der katholischen Kirche zu reduzieren. Auch amerikanische Gelehrte wie Henry Charles Lea ({ 1909) und George Lincoln Burr ({ 1938) folgten unter dem Einfluss ihrer liberal geprägten akademischen Kultur dem „rationalistischen Paradigma“ und bezeichneten die Hexenjagden unter Bezug auf ihre theologischen Grundlagen als Folgen eines ‚gelehrten Wahns‘. Die ‚Entzauberung einer bezauberten Welt‘ (Balthasar Bekker, { 1698), wie sie die Aufklärung propagierte, war notwendig geworden, um zu neuen intellektuellen Ufern aufzubrechen. Doch förderte dies, gerade unter Ge-
Aufklärung
Kulturkampf
Sozialkulturelle Realitäten?
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Zum Vorverständnis
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Romantik
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bildeten, die im 19. Jahrhundert aufkommenden Gegenbewegungen der Romantik, der religiösen Schwärmerei und der Esoterik. Es überrascht somit nicht, dass auch der anhaltende literarisch-gelehrte Diskurs über die historische Hexerei entsprechende Bedürfnisse befriedigte. So ist allen Schwärmern bis heute die Vorstellung gemeinsam, hinter den Hexereianklagen hätten sozialkulturelle Realitäten gestanden. Sogar das Beharren auf der konkreten Existenz des Hexereideliktes im ursprünglich behaupteten Sinne gehört hierzu. Es ist dies ein Argument, das bezeichnenderweise von katholischer Seite ausging, als ob sich damit noch im Nachhinein die Hexenverfolgung rechtfertigen ließe. Ganz deutlich ist dies bei Joseph Görres ({ 1848) im 5. Band seines 1840–1842 erschienenen Hauptwerks „Die christliche Mystik“ zu erkennen. Görres, ab 1827 Professor für Geschichte in München, hatte sich vom Anhänger der französischen Revolution zum hervorstechenden Repräsentanten der mystisch gefärbten katholischen Erneuerungsbewegung jener Zeit gewandelt. In diesem Zusammenhang erklärte er nicht nur die kirchliche Dämonenlehre zur Reaktion auf ein reales Phänomen, sondern entsprechend auch das Hexenwesen, wenngleich er viele Angeklagte für unschuldig hielt. Eine in reale Dimensionen gewandte Variante dieser Vision schuf über 60 Jahre nach Görres der katholische Pfarrer H. Laven aus Leiwen an der Mittelmosel. Laven glaubte, den ‚wahren‘ Kern der in den Geständnissen beschriebenen Hexentänze erkannt zu haben: nächtliche Orgien, bei denen reiche, aber moralisch verkommene Trierer Bürger die Töchter der Bauern aus den Dörfern der Umgebung verführt hätten. Knapp 20 Jahre später veröffentlichte der sich selbst als „katholischer Reverend“ bezeichnende Autodidakt A. Montague Summers ({ 1948) eine „Geschichte der Hexerei“, worin er ebenso von der realen Macht der Dämonen ausging wie von der Bösartigkeit der als Hexen angeklagten Menschen; seinen wirren Ausführungen zufolge seien die Hexen eine soziale Pest und Parasiten gewesen, einem schändlichen und obszönen Glauben verfallen. Sie hätten eine mächtige, kirchenfeindliche Geheimorganisation gebildet und ihre dörflichen Genossen mit Terror und Aberglauben überzogen. In ähnlichen Worten nahm 1969 der Würzburger Rechtshistoriker Friedrich Merzbacher in seiner Studie zu den Hexenverfolgungen in Franken Bezug auf den angeblich wahren Hintergrund der Prozesse: Viele der Angeklagten „seien von Gott abgefallen“ und hätten „einem verhängnisvollen Kultus“ angehangen – eine Deutung, die sich zum Beweis nur auf die Geständnisse der Angeklagten berufen konnte. Allerdings scheint sich der Historiker Merzbacher dieser Interpretation doch nicht so sicher gewesen zu sein, denn er bot zugleich eine Erklärung an, die freilich ebenfalls einer wissenschaftlichen Beweisführung entbehrte: Die Hexereiangeklagten seien „häufig […] zermürbte Naturen“ gewesen; hinter dem Vorwurf der Hexerei hätten reale Delikte wie Giftmord und Kindestötung gestanden, eine Ansicht, die auch schon bei Görres nachzulesen ist. Die Annahme, frühneuzeitliche Hexereianklagen hätten konkrete Vorkommnisse wie sittliche Vergehen, Religionsdelikte oder profane Kriminalität widergespiegelt, ist eher als ein Randphänomen der Rezeptionsgeschichte zu bezeichnen. Im Gegensatz zu dieser negativen Deutung hat sich bis heute die positive Deutung eines vermeintlich realen Gehaltes der
Die Historisierung der Hexenverfolgungen Hexerei erhalten. Alles, was in den Hexenprozessen als kultische Tätigkeit und Eigenschaften der Hexen ‚beschrieben‘ worden war, erschien nun als Hinweis auf reale vorchristliche Kulte und Bräuche. Diese hätten die Christianisierung im Untergrund überdauert, von ‚der Kirche‘ als Satanskult verteufelt und verfolgt. Den Anfang dieser positiven Deutung des Hexenphänomens, welche die vermeintlichen Hexen regelrecht rehabilitierte, machte in Deutschland niemand anderes als der berühmte Göttinger Sprachforscher Jacob Grimm ({ 1863). Im Mittelpunkt seiner romantischen Weltsicht stand die Vorstellung, dass man, wie bereits in den Sagen, Märchen, Mythen und in der Sprache der Deutschen, auch im historischen Hexenwesen Urbestandteile einer germanischen Kultur nachweisen könne. Grimm wollte damit die verschütteten Grundlagen einer nationalen Identität der nach Einheit dürstenden Deutschen freilegen. Da er glaubte, erst die christliche Missionierung hätte die „Verwandlung der Götter in Teufel, der Weisen Frauen in Hexen, der [heidnischen] Gottesdienste in abergläubische Gebräuche“ bewirkt, musste die Urreligion der Germanen wieder von der römisch-christlichen Überformung freigelegt werden. In Frankreich demonstrierte Grimms Zeitgenosse Jules Michelet ({ 1874), dass sich die historischen Hexen auch für andere nationalpolitische Ziele in Anspruch nehmen ließen. In seinem Buch „La Sorcière“ (1862) schuf Michelet in völlig freier, ‚gefühlter‘ Umdeutung des historischen Geschehens die Figur der Hexe als eine aus den Tiefen der Geschichte herkommende ‚weise Frau‘, deren heilkundiges Wissen sie in den dunklen Zeiten der Vergangenheit zur einzigen Helferin des von Kirche und Feudalherren unterdrückten Volkes habe werden lassen. Die revolutionären Errungenschaften der französischen Nation bilden hier den Hintergrund, vor dem die historischen Hexen zu Vorläuferinnen einer großen Volksbefreiung stilisiert wurden. Das von Grimm und Michelet geschaffene „romantische Paradigma“ (Monter) setzte sich in den kommenden Jahrzehnten und erst recht im 20. Jahrhundert im europäischen Bildungsbürgertum fort, eine Bewegung weg von einer rein amtskirchlich geprägten Religiosität hin zu einer ungebundenen, neu-heidnischen, esoterischen und okkultistischen Schwärmerei. Vieles, was historisch nicht zu einander gehört hatte, kam nun zusammen: Begeisterung für germanische Kulte und keltische Druiden, Teilnahme an spiritistischen Zirkeln und regelrechte Satansverehrung. Theorien, die von der Existenz realer Hexensekten in der Verfolgungszeit ausgingen, mussten von dieser Energie regelrecht aufgeladen werden. Die Konturen solider Wissenschaft gingen dabei mitunter verloren. So behauptete die britische Ägyptologin Margaret Alice Murray ({ 1963) in einem 1921 veröffentlichten Buch, die verfolgten Hexen seien die letzten Anhänger eines nur noch im Untergrund existierenden, aber aus archaischer Zeit herkommenden Fruchtbarkeitskultes gewesen. 1933 wartete Murray in einem weiteren Machwerk mit der These auf, der sich auf dem Sabbat konkret realisierende Hexenkult habe einem gehörnten Gott gegolten, der erst von der christlichen Kirche zum Teufel verkehrt worden sei. Grimms Methode der rückwärts orientierten Umdeutung des historischen Hexenglaubens in heidnische Kultformen war damit im 20. Jahrhundert angekommen. Hatte schon Michelet die Figur der Hexe als Helferin des Volkes nur gefühlsmäßig erfasst, berief sich Mur-
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Hexenkulte
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Nationalsozialismus
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ray auf die besondere weibliche Intuition, welches zwar nicht die Fachwelt, dafür aber umso mehr die interessierte Öffentlichkeit und insbesondere feministisch orientierte Leserinnen und Leser ansprechen sollte. Auf welch zweifelhaftem Boden dieser Zugang eigentlich stand, wird an der weiteren Behandlung des Themas in der deutschen und österreichischen Sprach- und Volksforschung deutlich. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg, aber erst recht nach der als schmählich empfundenen Niederlage, gewannen radikale nationalistische Strömungen immens an Bedeutung und mit ihnen auch das Bedürfnis, in praktisch allen vermeintlich nicht von der Kirche beeinflussten kulturellen Zeugnissen der Vergangenheit den heiß verehrten Urzustand einer glorreichen Germanenwelt aufzuspüren. Die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen wurden in dieser Vergangenheitsverklärung darauf reduziert, lediglich ein Instrument der katholischen Kirche zur Unterdrückung einer ‚freien germanischen Kultur‘ gewesen zu sein. Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt hin zu einer rassentheoretischen Vereinnahmung des Phänomens. Mit seiner im Jahre 1930 veröffentlichten Schrift „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ brachte Alfred Rosenberg ({ 1946), Chefideologe der NSDAP, diese unter völkisch-nationalistischen Intellektuellen schon weit verbreitete Position auf den Punkt: Die Hexenverfolgung hatte demnach nicht Millionen von Frauen, sondern Millionen von ‚Germaninnen‘, Trägerinnen besten germanischen Erbgutes, ausgelöscht. Das rassische Motiv ließ auch die Frage der Verantwortung der Kirche in neuem Licht erscheinen; denn die Kirche war demnach nur vordergründig von einem religiös-kulturellen Motiv angetrieben worden, tatsächlich aber aufgrund ihres ‚jüdischen‘ Ursprung auf die Vernichtung des rassisch höherwertigen Germanentums fixiert gewesen. Damit übernahm Rosenberg zentrale Positionen des völkisch-rassischen Feminismus der 1920er Jahren: Vorstellungen von einem germanisch-nordischen Urmatriarchat, das vom ‚orientalisch-italischen‘ Christentum zerstört worden sei, von der Frau als Bewahrerin der nordischen Rasse und des Erbguts des deutschen Volkes. Demzufolge handelte es sich bei den verfolgten Hexen um rassereine blonde und blauäugige ‚Germaninnen‘, Hüterinnen der Volkskultur, kräftig von Statur, wissend und klug. In ihren radikalen Zuspitzungen wurden diese Vorstellungen von Mathilde Ludendorff ({ 1966), Ehefrau des Weltkriegsgenerals und frühen Hitler-Anhängers Erich Ludendorff ({ 1937), in großer Auflage unter dem Titel „Christliche Grausamkeit an Deutschen Frauen“ (1934) in die Öffentlichkeit gebracht. Noch schärfer formulierte Frieda Reimerdes (beziehungsweise Friederike Müller-Reimerdes), die ihre Publikation „Der christliche Hexenwahn. Gedanken zum religiösen Freiheitskampf der deutschen Frau“ (1935) als „Kampfruf für jede nordisch-bewusste Frau“ verstand. Erst die „rassewidrige Weltanschauung“ des Christentums habe das „artgemäße Heldentum“ des germanischen Mannes, der nur die Gleichwertigkeit der Frau akzeptiert habe, zunichte gemacht und zu einer tausendjährigen unwürdigen Stellung der Frau im Volksleben geführt. Die Hexenverfolgung sei Beweis, dass sich die deutschen Frauen nicht freiwillig in dieses Schicksal gefügt hätten: „Blonde Frauen und Mütter, die Trägerinnen nordischen Rasseerbguts“, seien von der Kirche systematisch ausgerottet worden; christliche Männer hätten sich darin überboten, „die eifrigsten Hexenverfolger“ zu sein.
Die Historisierung der Hexenverfolgungen Die Germanenschwärmerei des „Tausendjährigen Reiches“ brachte noch eine andere, nicht minder phantastische und auch nicht weniger materialistische Deutung der Hexenverfolgung hervor. In ihr wurden nämlich nicht die Opfer der Verfolgungen rassenideologisch geadelt, sondern jene, die schon in grauer Vorzeit die Hexen verfolgt haben sollen. Bei den Verfolgten habe es sich in Wirklichkeit – so die abstruse These – um „kulturzerstörende Frauen“ mit Bösem im Sinn gehandelt. Darum hätten sie, wie die „Volksschädlinge“ im NS-Regime, ausgerottet werden müssen, und zwar durch verschworene Männerbünde. Nach der Christianisierung sei dieses Vernichtungswerk an die Kirche übergegangen, welche damit aber zugleich auch das germanische Erbe auszulöschen versucht habe. Zu Recht ist bemerkt worden (Behringer), dass die besonders von dem Wiener Germanisten Otto Höfler ({ 1987) vorgetragene These von den hexenverfolgenden Männerbünden im Grunde eine in die Urgeschichte projizierte Version des so genannten „Schwarzen Ordens“ des „Dritten Reiches“ war und auf die mythische Verklärung von Heinrich Himmlers SS abzielte, eines ebenfalls zur Vernichtung angeblicher „Volksschädlinge“ eingeschworenen Männerbundes. Wie ernst der für seine okkulten und esoterischen Interessen bekannte Himmler ({ 1945) das Thema „Hexenverfolgung“ nahm, zeigt die Tatsache, dass er innerhalb seiner zentralen Behörde, dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin, von 1935 bis 1944 ein großangelegtes Projekt, das erste seiner Art überhaupt, zur systematischen Erforschung der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung ansiedelte. Während in der gleichen Behörde der Terror des „Dritten Reiches“, die Reichspogromnacht von 1938 und schließlich der Völkermord an den Juden Europas organisiert wurden, trugen Mitarbeiter des „H-Sonderauftrags“ im Referat „Gegnerforschung“ aus Archiven und Bibliotheken Nachweise zu den Hexenverfolgungen in den deutschsprachigen und angrenzenden Ländern Europas zusammen. Als das „H-Sonderkommando“ 1944 seine Arbeit wegen der Kriegslage einstellte, hatte man zwar rund 33 000 Hexenprozesse nachgewiesen, aber nicht jene Millionen, die man der Kirche stets vorgeworfen hatte. Ebenso wenig konnte man Beweise für Höflers Männerbünde oder Belege für die Existenz fortdauernder germanischer Kultur- und Rassemerkmale bei den der Hexerei angeklagten Personen finden. Immerhin folgten die Fragestellungen des Projekts eher der völkisch-materialistischen Version von der ‚edlen‘ germanischen Hexe als der düsteren Version der „Volksschädlinge“, was auch besser zum politischen Zweck des Unternehmens passte, nämlich den letzten, entscheidenden Angriff auf die Kirche(n) nach dem erwarteten Endsieg vorzubereiten. Mit dem Untergang des NS-Regimes waren Materialisierung und politische Nutzung des Themas keineswegs erledigt. Die Sinn-Suche des modernen Menschen hält bis heute die in das 19. Jahrhundert zurückreichenden romantischen und okkulten Phantasien über die vermeintlichen Hexen am Leben. So haben die Vorstellungen vom Hexenwesen als einem verkappten archaischen Kult insbesondere durch Margaret Murrays Vision (Hexerei als matriarchalischer Fruchtbarkeitskult) bis in die 1970er Jahre international die Gründung einer regelrechten Hexenreligion (Wicca-Bewegung) motiviert. Zu diesen „neuen Hexen“ kamen mit der Umweltbewegung noch die
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Moderne Romantik
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Zum Vorverständnis
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Weise Frauen
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‚ökologischen‘ Hexen, das heißt Personen, die sich als ‚Kräuterhexen‘ definieren und nach den Spuren ihrer vermeintlichen Vorgängerinnen suchen. Ebenso hat die emanzipatorische Bewegung des Feminismus die Hexen als ihre historischen Vorläuferinnen entdeckt. Angesichts der noch immer gepflegten faszinierend-irrigen Vorstellung, hinter Hexerei stehe tatsächlich eine okkulte Wirklichkeit mit vorchristlichen Wurzeln, verwundert es nicht, dass selbst um Ernsthaftigkeit bemühte Wissenschaftler davon in den Bann gezogen werden konnten. So argumentierte der amerikanische Mediävist Jeffrey B. Russell in seinem Buch „Witchcraft in the Middle Ages“ (1972), die Hexensekte könne schon seit dem späten Mittelalter ebenso historische Realität beanspruchen wie die mit ihr verwandte Ketzerbewegung. Vergleichbar mit dieser sei der Hexenkult eine heimliche Protestbewegung gegen die dominierende christliche Kultur gewesen; darüber hinaus weise sie Verbindungen zur (nicht weniger mythischen) Volkskultur auf, insbesondere zu Vorstellungen über Fruchtbarkeitsriten. Was Inquisitoren unter der Folter erpressten und in Handbüchern weiter verbreiteten, hielt Russel für die Widerspiegelung realer Handlungsabläufe: Die Treffen auf dem Hexensabbat (jedoch nicht der Flug dorthin), die rituell-sexuelle Verehrung einer Person, die sich dort als Teufel gab, der orgienähnliche Ablauf solcher Veranstaltungen. Waren solche Phantasien immer auch von politischen Visionen inspiriert (Hexen als Sozialrebellen; der vermeintlich real praktizierte Hexenkult als alternativer Entwurf zur herrschenden römisch-christlichen Kultur), so führt der jüngste Ableger, die „New-Age“-Bewegung mit ihrer mythischen Deutung der Welt als Wohnstätte einer wahren Heerschar von guten und bösen Geistern, eher in das unpolitische Fantasy-Reich. Auf der publizistischen Ebene spiegelt sich diese verwirrende Situation darin wider, dass einerseits veraltete, längst überholte „Hexen“-Literatur im modernen Bucheinband nachgedruckt wird, andererseits pseudo-wissenschaftliche Werke beträchtlichen Markterfolg erzielen. Letztere bieten freilich nichts anderes an als die bekannten Verschwörungsszenarien von der unterdrückten Frau, der unterdrückten Weiblichkeit, der unterdrückten matriarchalischen Kultur und den üblichen Zerrbildern männlicher Herrschaft. Wie sehr diese Versatzstücke eine breite Nachfrage befriedigen, zeigt der publizistische Erfolg eines erstmals 1985 erschienenen Buches, welches schon im Titel die Herkunft seiner aus dem 19. Jahrhundert stammenden These offenlegt: „Die Vernichtung der weisen Frauen“. Die Hauptaussage lautet, mit den Hexen seien eigentlich Hebammen beziehungsweise „weise Frauen“ verfolgt worden, weil sie über ein Wissen zur Empfängnisverhütung verfügt hätten, das die Wiederbevölkerung des durch die Pest des 14. und 15. Jahrhunderts entvölkerten kirchlichen und weltlichen Großgrundbesitzes verhindert habe. Und nur weil es „Kirche“ und „Staat“ in einer einzigartigen Repressions- und Ausrottungsaktion gelungen sei, das Wissen um Verhütungstechniken und Abtreibung zu vernichten, habe es das Bevölkerungswachstum der Neuzeit überhaupt gegeben. Alle Annahmen und angeblichen Beweise dieser These sind inzwischen von der historischen Forschung widerlegt worden: Statt Unterbevölkerung herrschte bereits in der Verfolgungszeit eine Überbevölkerung; das Wissen um Verhütungsmittel war keineswegs eine nur den Hebammen oder weisen
Die Historisierung der Hexenverfolgungen
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Frauen zur Verfügung stehende Kunst; Hebammen bildeten unter den Opfern der Verfolgung eine verschwindend geringe Minderheit; die aktive Teilnahme der Bevölkerung an den Hexenjagden war viel zu ausgeprägt, um diese allein auf eine konzertierte Aktion von Kirche und weltlicher Herrschaft zu reduzieren. Überdies gab es im Deutschland der Frühen Neuzeit keinen übermächtig agierenden Staat, sondern eine Vielzahl von Territorien und Herrschaften, deren Obrigkeiten durchaus unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Hexereidelikt einnahmen. Auch von einer unisono agierenden Kirche kann nicht gesprochen werden. Zum einen besaß die römische Papstkirche diesseits der Alpen keine weltliche Macht und zum anderen beurteilten die Vertreter der protestantischen Konfessionen das Hexereidelikt sehr unterschiedlich. Gerade diese herrschaftliche und konfessionelle Pluralität verhinderte auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation eine konzertierte Aktion gegen die vermeintlichen Hexen. In den europäischen Kontext gestellt, verliert die These von der Vernichtung der weisen Frauen überdies völlig den Boden historischer Plausibilität (vgl. Kap. VII) Doch trotz einhelliger und überzeugender Widerlegung hat die Theorie von der „Vernichtung der weisen Frauen“ in der interessierten Öffentlichkeit breite Akzeptanz gefunden. Denn sie bedient nicht nur esoterische und feministische Orientierungen, sondern auch politik- und gesellschaftskritische Einstellungen, für die „Staat“ und „Kirche“ schon immer zum festen Rollenrepertoire von Schurkenstücken und politischen Verschwörungen gehören. Auf der reinen Unterhaltungsebene erhält diese Theorie üppige Nahrung, weil Roman- und Drehbuchschreiber nicht müde werden, klischeehafte Szenarien zu entwerfen, in denen rothaarige, heilkundige, erstaunlich „emanzipierte“ Hebammen von lüsternen Inquisitoren und Richtern als Hexen verfolgt werden. Die mehr als kuriosen und irrigen Vorstellungen, es gäbe einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Hexenjagden und dem angeblichen Gebrauch halluzinogener Drogen oder Hexensalben (Flug und Sabbat als Halluzinationen), dem Ausbrechen von Ergotismus und Mutterkornvergiftung (als Erklärung von Besessenheitsfällen) oder der Verbreitung von Syphilis sollen an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden. Alle populären Deutungen der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen sind unverkennbar von wirkmächtigen Klischees geprägt, in denen entweder die üblichen Verdächtigen ‚Staat‘ und ‚Kirche‘ auftreten oder esoterische Phantasien den Ton angeben. Wer sich nicht unkritisch in ihre Gefolgschaft einordnen und stattdessen den Bezug des Phänomens zur gesellschaftlichen Wirklichkeit der Epoche verstehen will, der bleibt auf eine genaue Analyse der historischen Dokumente, breite Kenntnis der seriösen Literatur und eine kritische Reflexion des eigenen Standpunkts angewiesen.
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Zum Vorverständnis
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2. Die Grundlagen zur Erforschung der Hexenverfolgungen: Vom Umgang mit den Quellen
Gerichtsakten
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Basis eines kritisch reflektierten Umganges mit historischen Phänomenen ist die wissenschaftlich korrekte Erschließung und Interpretation der relevanten Zeugnisse. Diese triviale Erkenntnis gewinnt im Kontext der Erforschung der Hexenverfolgungen jedoch eine besondere Bedeutung. Denn viele der Quellen, aus denen die Hexenforschung ihre Informationen schöpft, weisen – ganz abgesehen von ihrem verwirrenden Inhalt – eine Mischung aus Konstruktion, Zuschreibung und inhärenter Deutung auf, die eine distanzierte, kritische Entschlüsselung und Interpretation erschwert. So bieten gerade die Geständnisse vermeintlicher Hexen derart phantastische Details über Hexenflug und Sabbatorgien, dass manche bei der Lektüre den Entstehungskontext dieser Aussagen vergessen und, wie Jacob Grimm, Pfarrer Laven oder Margaret Murray, hinter dieser imaginären Welt eine Realität vermuten und damit der bestechenden Logik der Hexenverfolger, ihrer Argumentation und Beweisführung buchstäblich aufsitzen. Grundsätzlich bilden die an den lokalen Gerichten (auch an den Rügegerichten) entstandenen Akten die wichtigste Forschungsgrundlage. Wie andere Gerichtsakten auch liefern die Akten von Magie-, Zauberei- und Hexereiprozessen unmittelbare Informationen zum jeweiligen Delikt und seiner prozessrechtlichen Handhabung, zu Mechanismen von Kriminalisierung, Zuschreibung und Ausgrenzung. Daneben können aus der Analyse von Zeugenaussagen, Klageschriften und Geständnissen tiefe Einblicke in die Rechts-, Sozial-, Mentalitäts- und Alltagsgeschichte gewonnen werden. Jedoch darf man nicht davon ausgehen, in Gerichtsprotokollen die vollständige schriftliche Wiedergabe der abgelaufenen Verhandlung, der Zeugenaussagen und Verhöre vorzufinden. Vielmehr geschah die schriftliche Fixierung der gesprochenen Sprache in einem vielschichtigen Transformierungsprozess. So musste eine dialektale Sprache (der Verhörten) in einen rechtsrelevanten Text, verfasst in der jeweiligen Hochsprache oder in Latein, transponiert werden. Dabei übernahm der Gerichtsschreiber die Rolle eines interpretierenden Beobachters, welcher die Verhörsituation filterte und aus seinem spezifischen Blickwinkel heraus mit dem Medium der Schrift erfasste. Oft sind die ursprünglichen Mitschriften verloren. Manchmal sind nur formalisierte Abschriften, Geständnisse oder Urteile erhalten. Nicht selten ist die gütliche wie peinliche Befragung der Angeklagten nur in einem lapidaren Satz zusammengefasst. Beim Transponieren einer Mitschrift in eine Abschrift unternahm der Schreiber nicht nur eine Verschönerung des Schriftbildes, sondern auch sprachliche und inhaltliche Veränderungen. Gerade zur rechtlichen Absicherung und zur Verschleierung missbräuchlicher Verfahrensführung konnten dabei ‚verräterische‘ Passagen in den Verhören der angeklagten Personen getilgt beziehungsweise verändert werden. Dies gilt im besonderen für Versendungsakten, die an eine übergeordnete, rechtsgutachtende Behörde oder beispielsweise an das Reichskammergericht verschickt wurden, und die man von allen Hinweisen auf Missbrauch, Rechtsbruch, unzulässige Manipulationen oder Folterexzesse zu reinigen versuchte.
Die Grundlagen zur Erforschung der Hexenverfolgungen Darüber hinaus wurden die Angeklagten oft nach einem festen Frageschema über das Hexereidelikt inquiriert, woraus sich die Gleichförmigkeit der Geständnisse ergibt. Selbst wenn der genaue Wortlaut eines solchen Interrogatoriums bekannt ist, fehlen doch Aufzeichnungen darüber, wie und in welcher Modifikation die Verhörenden dieses Schema jeweils angewandt haben. Daher kann eine Beeinflussung der Verhörten zwar vermutet, aber selten eindeutig bewiesen werden. Hexereigeständnisse enthalten ein Gewirr von eindeutig fiktiven Elementen (Hexenflug, Buhlschaft mit dem Teufel) und möglicherweise realen Ereignissen (Versuch der Zauberei beziehungsweise Schadenzauberei), was den Historiker auf eine harte Probe stellt. Da diese Geständnisse – selbst wenn sie angeblich freiwillig, das heißt nach einer Selbstanzeige oder ohne die Anwendung der Folter erfolgten – immer unter dem spezifischen Druck einer Gerichtssituation abgelegt wurden, meistens jedoch unter Androhung und Anwendung massiver körperlicher und seelischer Gewalt, muss ihr vermeintlicher Wahrheitsgehalt niedrig angesetzt werden. Einige Historiker sind mittlerweile der Meinung, solche Geständnisse vollständig von einer historischen Interpretation auszuschließen. Ebenso wie die mittels zeitgenössischer Flugblätter und -schriften vertriebenen Holzschnitte, Kupferstücke und Zeichnungen, auf denen Hexentreiben, Flug und Sabbat, Teufelsanbetung und Schadenzauber, Folter und Hinrichtung vermeintlicher Hexen visualisiert wurden, sagen die Geständnisse weniger über tatsächliche Vorkommnisse, aber mehr über Wahrnehmungen, Imaginationen und Deutungen aus. Narrative, fiktive und intentionale Elemente finden sich aber nicht nur in den Sabbaterzählungen, sondern bereits in den Voruntersuchungen und Zeugenaussagen, in der Konstruktion ‚verdächtiger‘ Verhaltensweisen der angeklagten Personen. Selektiv wurden jene Zuschreibungen aufgenommen, welche den bösartigen Charakter der Angeklagten beweisen sollten; entlastende Gesichtspunkte fehlen in der Regel. Aufgabe der Hexenprozessakten war nicht eine objektive Erfassung des Verfahrensganges, sondern der Nachweis, dass die angebliche Hexe oder der angebliche Hexenmeister rechtmäßig verurteilt worden war. Der ständig um Legitimation bemühte Wortformalismus mahnt zur Vorsicht. In der Regel beschreiben Hexenprozessakten das Geschehen nur aus der perspektivisch verengten Wahrnehmung der Verfolgerseite. Eine Geschichte der Hexenverfolgungen, die sich allzu vertrauensselig allein auf die Aussagen von Gerichtsakten stützt, läuft daher schnell Gefahr, zu einer bloßen „Geschichte aus der Perspektive der Sieger“ zu verkommen (Ginzburg). In den an den lokalen Gerichten entstandenen Gerichtsakten finden sich allerdings neben Anklageschriften, Verhörprotokollen und Geständnissen mitunter auch Rechtsgutachten (Advise) oder Zwischenurteile (Interlokute) übergeordneter Behörden (zum Beispiel Oberhöfe, Juristenfakultäten, Hofräte), welche aufgrund der Aktenlage über den Fortgang des Verfahrens zu entscheiden oder das Urteil der lokalen Gerichte zu bestätigen oder zu modifizieren hatten. Für die historische Analyse bedeutet die Trennung zwischen untersuchungsführender und entscheidungsfindender Behörde einen gewissen Perspektivenwechsel, selbst wenn die übergeordneten Instanzen in der Regel nur nach Aktenlage entschieden.
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Perspektivenwechsel
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Zum Vorverständnis
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Norm und Wirklichkeit
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Wer sich daher nicht nur auf die im Umfeld der Verfahren entstandenen Zeugnisse der ‚Täterseite‘ stützen, sondern einen Perspektivenwechsel unter Einbeziehung der Opferseite vornehmen möchte, muss sein Interesse zusätzlich auf die Überlieferung der Oberhöfe, Spruchbehörden, Appellations- und Supplikationsinstanzen richten. Besondere Bedeutung erhalten hier Bittschriften und Appellationen entweder von Personen, die gegen Hexereibeschuldigungen einen Injurienprozess oder nach bereits erfolgter Anklage eine Überprüfung des Verfahrens – meist mit aufschiebender Wirkung – erreichen wollten, oder von solchen Personen, die unter der Folter ungeständig geblieben waren und nun nach ihrer Freilassung die Forderung nach Schadenersatz und Aktenkassation erhoben. Auch bei der Analyse dieser Zeugnisse ist grundsätzlich eine quellenkritische Methode anzuwenden. Allerdings kamen in den Hexenprozessen die Verdächtigen nur unter dem Druck der Anklage zu Wort und ihre Aussagen, gefiltert durch die Niederschrift eines Notars und verzerrt durch Verhör und Folter, konnten nur noch in die Richtung gehen, den Hexereiverdacht zu bestätigen. Hingegen wurden aus den Angeklagten (oder ihren Familienmitgliedern und Rechtsvertretern) nicht selten Kläger, wenn es ihnen gelang, den Fall vor eine übergeordnete Instanz zu bringen. Damit liefern diese Zeugnisse einen entscheidenden Perspektivenwechsel im Vergleich mit den erstinstanzlich entstandenen Akten. Das kann selbst unter der Prämisse gelten, dass selbstverständlich auch die Aussagen von Prozessgegnern, Prozessopfern und deren Anwälten nicht per se die ‚Wahrheit‘ enthalten. Auch hier wurde unter der Benutzung gängiger Topoi wie dem ‚bestechlichen Richter‘, dem ‚übelbeleumdeten Zeugen‘ oder durch Unterstellung nicht weniger gängiger Motive wie Neid, Hass und Rachsucht ein bestimmter Tatbestand ‚konstruiert‘. Doch selbst topoihafte Zuschreibungen und Unterstellungen machten nur dann einen Sinn, wenn sie als plausibel gelten konnten. Außerdem wurden die in Supplikationen gemachten Vorwürfe von den Behörden der Obrigkeit überprüft; Ergebnisse reiner Phantasie durften die darin geschilderten Umstände allein schon deshalb nicht sein. Ginzburgs Warnung gilt auch für andere Zeugnisse. So erfordern die in obrigkeitlichen Erlassen gegen Schadenzauberei, Nekromantie und Hexerei, aber auch gegen Wahrsagerei, Heil-, Find- und Schutzzauberei gerichteten Strafsetzungen ebenfalls eine sorgfältige Quellenkritik. Nur durch Kontextualisierung und durch Heranziehen komplementärer Zeugnisse kann überhaupt überprüft werden, ob und in welchem Maße die auf der Verordnungsebene propagierten Normen in die Praxis umgesetzt worden sind. Aus der Festlegung von Strafkatalogen und Prozessformalismen im Kampf gegen Zauberei, Hexerei, Gelehrtenmagie und kleinmagisches Brauchtum musste nicht automatisch eine scharfe Verfolgung resultieren, vielmehr konnte sich hier der obrigkeitliche Versuch manifestieren, Missbräuche der lokalen Gerichte zu beseitigen, generell die Kriminaljurisdiktion in diesem Deliktfeld zu rationalisieren und dem hoheitlichen Gewaltenmonopol zu inkorporieren. So definierten einschlägige Verordnungen der habsburgischen Erzherzöge die Hexerei zwar als Angriff auf die gute Ordnung; die Verfolgung zählte somit zu den friedenssichernden Maßnahmen staatlichen Handels. Gleichwohl lancierte keiner der österreichischen Herrscher groß angelegte Hexenjagden.
Die Grundlagen zur Erforschung der Hexenverfolgungen
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Auf der anderen Seite stand die Umsetzung obrigkeitlicher Verfolgungserlasse vor beträchtlichen Schwierigkeiten. Bestes Beispiel dafür sind die auf protestantischer wie auf katholischer Seite gegen Kleinmagier (Heiler, Heilerinnen, Hexenbanner und Wahrsager) erlassenen Verordnungen, deren Anwendung oft am Widerstand der Bevölkerung scheiterte; denn dort war man nicht bereit, diese für den Alltag so wichtigen Spezialisten bei den Behörden zu denunzieren (vgl. Kap. VII.3.b). Viele Hexereiverfahren lassen sich überdies nur mehr über dürre Rechnungseinträge nachweisen. Doch selbst noch so vollständig erscheinende Rechnungsserien sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch diese Zeugnisse Lücken aufweisen können. So wurden Hexereiverfahren gelegentlich nicht in die Rechnungslegung aufgenommen, weil die Mittellosigkeit der Hingerichteten dazu führte, dass keine Konfiskationen stattgefunden hatten. Grundsätzliches Misstrauen sollte auch gegenüber Angaben in Chroniken, Flugblättern und -schriften sowie in den einschlägigen Traktaten des Hexereidiskurses bestehen, besonders wenn dabei Zahlen zur (vermeintlichen) Höhe der stattgefundenen Hinrichtungen geliefert werden. Überhaupt liefern Flugblätter, Flugschriften und Traktate mit ihren Exempeln keineswegs „Nachrichten“ im heutigen Sinne. Sie sind keine objektiven Berichte, keine direkten Abbilder von Realität. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um Texte, die nur eine bestimmte Perspektive beziehungsweise eine – manchmal wesentlich später – konstruierte, interpretierende, manchmal sogar gefälschte Wirklichkeit wiedergeben. Sie stammen entweder von Personen, welche die Hexerei als real und die Hexenjagden als legitim betrachteten, oder die mit dem zugkräftigen Thema einen Gewinn versprechenden Absatzmarkt erobern wollten. Dämonologische Traktate und Predigten aus der Feder von Theologen und Juristen, „Neue Zeitungen“, auch die Nuntiaturberichte und die jesuitische Ordenspropaganda (litterae annuae) bringen ebenfalls keinen wesentlichen Perspektivenwechsel; denn sie präsentieren zumindest während der Hauptphase der Hexenjagden eher die offiziell sanktionierte, durch obrigkeitliche Zensur kontrollierte, verfolgungsbefürwortende Hauptrichtung des Hexereidiskurses. Urteilt man allein nach diesen Zeugnissen, dann waren unterschiedslos alle Menschen von tiefer Hexenangst erfüllt, fürchteten sich vor dem nahen Ende der Welt und hielten das erbarmungslose Ausrotten der verderblichen Hexensekte für das einzig probate Mittel, die göttliche Schöpfung vor der Vernichtung zu bewahren. So bleibt fragwürdig, ob die allseits postulierte Hexenangst tatsächlich in diesem Umfang existierte, oder ob es sich dabei nicht auch teilweise um Legitimierungsstrategien der Verfolgerseite gehandelt hat. Umso wertvoller müssen deshalb jene Zeugnisse eingestuft werden, welche geheimen Tagebüchern und Aufzeichnungen anvertraut wurden und wo mancher, wie etwa der Kölner Jurist Hermann Weinsberg ({ 1597) im Jahre 1589, freimütig Zweifel an Hexenglaube und Hexenjagd äußerte.
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III. Die Konstruktion eines „Superverbrechens“ 1. Vorstellungen von Schadenzauberei in Antike und Mittelalter
Missionarischer Rationalismus
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Das Besondere der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen in Europa lag eindeutig in ihrer sprituell-religiösen Begründung. Über das materielle Delikt der Schadenzauberei hinaus wurde Hexerei als Abfall vom christlichen Glauben und der Kirche (Apostasie) verstanden, als eine vom Teufel initiierte Verschwörung von gigantischen Ausmaßen, gerichtet gegen die christliche Gemeinschaft. Diese Merkmale verweisen auf ein komplexes religiöses Begründungssystem und eine ebenso komplexe Bedrohungsvorstellung. Entstanden sind beide erst im Übergang vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit (14./15. Jh.) aus der Verfolgung innerkirchlicher Abtrünniger, so genannter Häretiker oder Ketzer. Dieser Zusammenhang ist bemerkenswert, denn eine feste Tradition magischen Denkens und der Anwendung magischer Praktiken hatte es schon in den Jahrhunderten zuvor in der Bevölkerung Europas gegeben. Dazu gehörte auch der schon erwähnte Glaube an böse Kreaturen (lamiae, strigae), die – halb Mensch, halb Dämon – im Schutze der Nacht ihr Unwesen trieben, dabei insbesondere Kinder aus den Häusern stahlen und sie auffraßen. Mit diesen Vorstellungen wurden Vertreter der Kirche seit dem Ende des Römischen Reiches im Westen Europas konfrontiert (5. Jh.), als sie begannen, die Bevölkerung, die nun unter der Herrschaft germanischer Fürsten lebte beziehungsweise teilweise erst mit diesen in die Gebiete des ehemaligen Römischen Reiches gekommen war, zu christianisieren. Und doch hat die Konfrontation der Kirche mit der magischen Kultur sowohl der nur schwach christianisierten romanischen Bevölkerung als auch der germanischen Eroberer nicht dazu geführt, dass die Theologen schon damals solche Vorstellungen und Praktiken als Hinweis auf eine vom Teufel organisierte Hexensekte gedeutet hätten. Dabei wäre eine solche Sichtweise durchaus möglich gewesen. Denn schon im 5. Jahrhundert hatte eine der wichtigsten theologischen Autoritäten, Bischof Augustinus von Hippo ({ 430), das Axiom vom Teufelspakt formuliert: Danach bedeutete jede Form magischen Handelns, also auch solche mit wohltätiger Absicht, einen Abfall vom Glauben und von Gott, weil ihre Wirksamkeit nur aufgrund einer Übereinkunft mit dem Teufel herbeigeführt werden könne. Augustinus war es auch, der zuerst die Idee von einem sexuellen Verkehr zwischen Frauen und Dämonen in männlicher Gestalt, einem Incubus, formulierte. Dabei ging die gelehrte Diskussion davon aus, dass die Dämonen die Verführung zur Unzucht generell benutzten, um den Menschen zur Sünde und zum Abfall von Gott zu bewegen. Der entscheidende Grund, warum nicht schon jetzt das spätere kumulative Feindbild „Hexerei“ konzipiert wurde, liegt wohl darin, dass die frühmittelalterliche Kirche gegenüber ihrer Umwelt völlig anders positioniert war. Sie blieb über Jahrhunderte mit einer Bevölkerung konfrontiert, die erst dauerhaft zum christlichen Glauben bekehrt werden sollte. Dazu musste die Kirche alle heidnischen Götter zu Dämonen erklären, aber gleichzeitig
Vorstellungen von Schadenzauberei in Antike und Mittelalter ihnen wie auch den ihnen geltenden Ritualen jede Wirksamkeit absprechen. Schriften frühchristlicher Kirchenlehrer und frühchristliche Heiligenviten definierten Dämonen als gefallene Engel, als böse und trügerische Geister, die keine materielle Gestalt annehmen oder materielle Wirkung erzielen, allenfalls als Körper aus verdichteter Luft in Menschen eindringen, ihnen Trugbilder vorgaukeln und sie zur Unzucht verführen könnten. Schutz boten Taufe, Sakramentalien, der priesterliche Exorzismus und ein frommes, nach den christlichen Geboten ausgerichtetes Leben. Diesen missionarischen Rationalismus unter den frühmittelalterlichen Lebensbedingungen durchzuhalten, war nicht immer leicht, zumal auch innerhalb der Kirche die Meinungen über die Wirksamkeit heidnischer Zauberrituale beziehungsweise über die Macht der damit angerufenen Dämonen auseinander gingen. So verspottete Bischof Agobard von Lyon ({ 840) jene, die glaubten, in Luftschiffen über das Land ziehende Zauberer (tempestarii) könnten das Wetter beeinflussen, während gleichzeitig fränkische Bischöfe 829 auf dem Reichstag zu Worms Kaiser Ludwig den Frommen ({ 840) bedrängten, gegen eben jene Zauberer vorzugehen, die durch ihre Schadenzauberei (maleficia) Gewitter und Hagel verursachen würden. Ganz auf der Linie des Bischofs Agobard lag eine weitere kirchliche Stellungnahme gegen den Dämonenglauben dieser Zeit. Sie erscheint erstmals in einem Handbuch zur geistlichen Erziehung der Gläubigen, zusammengestellt um 906 durch Regino von Prüm ({ 915) und später (um 1140) unter dem ehrwürdigen Titel Canon Episcopi der großen kirchenrechtlichen Sammlung des Gratian von Bologna einverleibt (vgl. Kap. V). Gemäß dem missionarischen Grundanliegen der Kirche befasste sich diese Vorschrift damit, wie innerhalb der Gemeinden mit Personen zu verfahren sei, die unchristliche und schädliche Zauberei praktizierten; die Strafbestimmung forderte ihre Ausweisung. Daneben – so der Canon weiter – gebe es Frauen (!), die glaubten, sie würden nachts mit der Göttin Diana über große Strecken durch die Luft fliegen; ihnen sollten die Pfarrer verdeutlichen, dass dergleichen nicht in Wirklichkeit geschehe, sondern eine vom Teufel hervorgerufene Halluzination sei. Trotz der in dieser Epoche erkennbaren Zaubereigläubigkeit – auch der Eliten – konnte sich der missionarische Ansatz der Kirche im Umgang mit heidnischer Magie behaupten. Überzeugt von ihrer religiösen Überlegenheit, proklamierte die Kirche die Allmacht Gottes, wie der einschlägige Kommentar aus dem Canon Episcopi mehr als deutlich macht: Leider hat eine zahllose Menge, getäuscht durch die falsche Meinung, dass diese Dinge wahr seien, vom rechten Glauben sich abgewendet und der Irrlehre der Heiden sich angeschlossen, indem sie annimmt, dass es außer dem einen Gott noch etwas Göttliches und Übermenschliches gibt. Damit nahmen Vertreter der frühmittelalterlichen Missionskirche eine andere Position ein als spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Theologen, welche die Präsenz des Teufels auf Erden und die Schädlichkeit der ihm verbundenen Hexen gar nicht genug hervorheben konnten. Vor allem bedingte der missionarische Ansatz der frühmittelalterlichen Kirche, dass die Strafen für das Festhalten an heidnisch-magischen Vorstellungen und Praktiken nicht auf die Vernichtung der Übeltäter zielten, sondern auf ihre Besserung; deshalb wurden nur materielle (Geldzahlungen)
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Canon Episcopi
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Verbrennung Unschuldiger
und spirituelle Bußen (Gebete und Fastenzeiten) verhängt. Härter war der Umgang mit Personen, welche Magie zum Erwerb ihres Lebensunterhalts betrieben, doch gingen auch die hierzu gehörigen Strafandrohungen nicht über Auspeitschen und Ausweisung hinaus. Jedoch konnte Schadenzauber durchaus von der weltlichen Rechtsprechung mit dem Tode bestraft werden, besonders dann, wenn es sich um politische Prozesse im Umfeld der Königssippe handelte (vgl. Kap. IV). Während weltliche Eliten und Bevölkerung weiterhin an die Wirkmacht des Schadenzaubers glaubten, hielten die Vertreter der Kirche an ihrer theologisch-missionarischen Grundposition fest, nach der alle Magie heidnisch, unwirksam und nur dämonisches Blendwerk sei. Noch am Ende des 11. Jahrhunderts hatte sich an dieser Diskrepanz nichts geändert, wie der Bericht einer Chronik des Bistums Freising über einen Akt der Volksjustiz im Jahre 1090 zeigt: Eine Menschenmenge habe drei Frauen beschuldigt, Giftmischerinnen und Verderberinnen von Menschen und Frucht zu sein. Obwohl man sie trotz mehrfacher Folterung nicht zu einem Geständnis habe bringen können, verbrannte man die drei Frauen, eine von ihnen mit einem noch ungeborenen Kind, am Ufer der Isar. Der geistliche Chronist verurteilte diese Tat klar als heidnisch, die Unschuldsbeteuerung der Opfer hingegen als wahrhaft christlich: Und so erlitten sie im Feuer den Märtyrertod am 18. Juni und wurden von einem Blutsverwandten am Ufer begraben. Später trugen sie ein Priester und zwei Mönche hinweg und begruben sie im Vorhofe von Weihenstephan in der Hoffnung, dass sie in Wahrheit der christlichen Gemeinschaft Würdige seien.
2. Die Ketzerverfolgungen im hohen und späten Mittelalter In dieser Zeit war der Kirche schon ein anderer Feind erwachsen, der im Unterschied zu den Überresten heidnischen Aberglaubens als tödliche Bedrohung empfunden wurde: Die Ketzer – große Bewegungen von Glaubensabtrünnigen, die sich ab dem 11. Jahrhundert ausbreiteten. Ihre Verfolgung führte langfristig zu einer Neubewertung der offiziellen Einstellung zur Zauberei. Dabei entstanden Anschauungen, welche im Weg der Übertragung auf die Hexensekte die späteren Hexenverfolgungen mitbegründen sollten. Auch wenn es Abweichler von dem sanktionierten christlichen Glauben und deren Verfolgung seit frühchristlichen Zeiten gegeben hatte, markierte das Auftreten der hochmittelalterlichen Ketzer eine neue Qualität. Ganze Landstriche, insbesondere im Süden Frankreichs und im Norden Italiens, folgten den als „ketzerisch“ bezeichneten Lehren. Eine Gegenkirche mit neuen Gemeinden entstand. Unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um die aus orientalisch-osteuropäischen Traditionen kommenden Katharer (gr. katharoi, die Reinen) oder um die Anhänger des Kaufmannes Peter Waldes (oder Valdes, { 1207) handelte, so hatten sich doch beide Hauptgruppen von der Papstkirche gelöst. Gründe dafür lagen in der „Verweltlichung“ der Kirche, welche sich besonders im kirchlichen Pfründenwesen und im System
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Die Ketzerverfolgungen im hohen und späten Mittelalter des Ämterverkaufs (Simonie) zeigte. Für die Katharer galt die Anhäufung von immensen Reichtümern durch religiöse Stiftungen und die Verbindung von kirchlichem Amt und weltlicher Macht als augenfälliger Beweis, dass alles Irdische unter der Herrschaft des Teufels stand. Soweit gingen die Waldenser nicht, doch verlangten auch sie eine Lossagung der Kirche von Reichtum und Macht im Sinne einer radikalen Rückkehr zu den biblischen Wurzeln (Armutsbewegung). Aus Sicht der Kirche bedeuteten die Lehren der Ketzer und ihre Missionserfolge einen noch nie da gewesenen Angriff auf ihren religiösen Alleinvertretungsanspruch und auf die materiellen Grundlagen ihrer gesellschaftlichen Position. Kein Wunder, dass Vertreter der Kirche nun ihrerseits die Ketzer zu Teufelsanhängern stilisierten. Als Begründung diente die dualistische Vorstellung der Katharer von der Herrschaft des Teufels über die diesseitige Welt; in grotesker Weise verkehrt, wurde daraus der gegen die Ketzer gerichtete Vorwurf des Götzendienstes (Idolatrie) beziehungsweise der Teufelsanbetung. Das weltabgewandte Gemeindeleben der Ketzer sollte demnach der heimliche Ort dieser Verehrung sein, die man mit Begriffen wie „Synagoge des Teufels“ und „Sabbat“ bezeichnete, welche schon die jüdische Gottesverehrung herabwürdigen sollten. Angeblich würden die Ketzer bei diesen Versammlungen dem Teufel oder einem von ihm gesandten Dämon in Gestalt eines Tieres (Esel, Kröte, Katze) den Huldigungskuss auf widerwärtige Körperteile (Anus) geben, bisweilen auch die Huldigung mit dem ‚Biest‘ geschlechtlich vollziehen. Weil die Ketzer aufgrund ihrer Opposition zur Kirche das Sakrament der Ehe ablehnten, unterstellte man ihnen, sich bei ihren Zusammenkünften den schlimmsten sexuellen Ausschweifungen hinzugeben. Alles dies konstituierte kapitale Verbrechen wie Apostasie (Glaubensabfall), Idolatrie (Götzenverehrung) und Sodomie. Darüber hinaus behauptete die Anti-Ketzer-Propaganda, die Ketzer würden die bei ihren nächtlichen Orgien gezeugten Kinder kurz nach der Geburt und in ungetauftem Zustand schlachten und verbrennen, um anschließend die Asche gemeinschaftlich zu verspeisen. Damit wollten die Ketzer angeblich das Sakrament der heiligen Eucharistie verächtlich machen, anderseits sollten die Bindungen an das Christentum durch den Verzehr der Asche auf magische Weise ausgelöscht werden. Für die bereits hier anzutreffende Assoziation von ritueller Magie und Ketzerei gibt es noch weitere Beispiele. So wurde das rebellische Verhalten der norddeutschen Stedinger (1233) gegenüber dem Erzbischof von Bremen nicht nur im klassischen Sinne als Ketzerei (Teufelsverehrung) diffamiert, vielmehr unterstellte man den Stedinger Bauern auch, sie würden magische Wachsbilder ihrer Gegner anfertigten, um diese dann durch rituelles Einstechen von Nadeln zu vernichten. Rituelle (gelehrte) Magie Rituelle Magie war schon in der Antike eine weit verbreitete Kunst, mit deren Hilfe magische Spezialisten und Spezialistinnen versuchten, übernatürliche Kräfte und Geister dienstbar zu machen, insbesondere zur Weissagung (ars sortilegia, divinatio). Das Christentum verurteilte solche Beschwörungen, weil es nur die Verehrung Gottes und seiner Heiligen gelten ließ, alle anderen Kulthandlungen aber als Götzendienst brandmarkte (Augustinus). Trotzdem blieb rituelle Magie,
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Teufelsanhänger
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besonders in ihrer ‚schwarzen‘ Form (Nigromantie), in den folgenden Jahrhunderten heimlich in Gebrauch, und zwar gerade unter Klerikern, die aufgrund ihrer Bildung Zugang zu den verbotenen Büchern der antiken Magier fanden. Im hohen und späten Mittelalter hatte die Beschäftigung damit Hochkonjunktur, nicht zuletzt gefördert durch die Kreuzzüge, in deren Gefolge weitere antike Magiebücher aus dem Griechischen und Arabischen in Latein übersetzt wurden. Passend zur dynamischen Entwicklung in Gesellschaft und Wirtschaft ließen sich gelehrte und ehrgeizige Köpfe, Glücksritter und faustische Naturen von der Aussicht faszinieren, übernatürliche Kräfte zur Erlangung von Macht und Reichtum einzusetzen. Dagegen bezog der wirkmächtigste Theologe des beginnenden Spätmittelalters, Thomas von Aquin ({ 1274), in seiner Summa Theologiae eine eindeutige Gegenposition. Unter Rückgriff auf schon bei Augustinus formulierte Ideen entwickelte Thomas die Lehre vom Pakt zwischen Dämon und Magier, zwischen Teufel und Zauberer. Demgemäß galten Götzendienst, Wahrsagerei, Traumdeutungen, Prophezeiungen und damit jede Art von ritueller Magie als Aberglaube und Dämonenkult. Mithilfe von bestimmten Zeichen trete der Magier in Verbindung mit den Dämonen und rufe deren Hilfe herbei, wenn es gelte, Divination (zum Beispiel Totenbeschwörung, Vogelschau und Loswerfen) oder Magie (alle Formen von Schaden-, Liebes- und Heilzauber) zu betreiben. Überdies war die Macht, welche sich der Magier von der Anrufung des Dämons erhoffte, nur durch eine Gegenleistung zu erlangen, durch das Opfern von Fleisch, das entweder von geschlachteten Tieren oder von Toten, vorzugsweise Körperteile von Hingerichteten, stammte. Voraussetzung für ein Eingreifen der Dämonen war aber der Teufelspakt, der bewusst als Glaubensabfall oder aber unbewusst in einer als abergläubisch bezeichneten Handlung vollzogen werden konnte. Insgesamt definierte Thomas jede Handlung, die nicht in Einklang mit der christlichen Religion stand, als superstitiös und damit als Abfall von Gott. Völlig wirkungslos blieb die Behauptung der Magiebücher, es ginge letztlich nur darum, den Dämon mit der Hilfe Gottes herbeizuzwingen. Ketzer und Zauberei
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Der gegen die Ketzer erhobene Vorwurf, sie würden bei ihren geheimen Zusammenkünften zum Zweck der Dämonenverehrung verstorbene oder eigens dazu ermordete Kinder verspeisen, konnte als rituelle Magie verstanden werden. Umgekehrt machte sich ein Magier durch Dämonenbeschwörung automatisch der Ketzerei schuldig. Obwohl Katharer und Waldenser mit Zauberei wohl ebenso wenig zu schaffen hatten wie gelehrte Magier mit den Lehren der Ketzer, rückten beide Feindbilder in den Augen der Kirche so nahe aneinander, dass daraus die Vorstellung von der neuen ketzerischen Sekte der Hexen entstand. Bevor dieser Annäherungsprozess abgeschlossen war, bedurfte es erheblicher Veränderungen im hochmittelalterlichen christlichen Weltbild. Dies geschah im Wesentlichen dadurch, dass die Kirche bei Bekämpfung der Häretiker das Bild vom Ketzersabbat im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten verankerte – und damit auch die Vorstellung von der Allgegenwart des Teufels und seiner dämonischen Gehilfen. Obwohl es sich bei den ‚Verbrechen‘ der Ketzer um rein diffamierende und stigmatisierende Phantasien ihrer Verfolger handelte, erhielten sie durch das schriftliche Prozessverfahren beziehungsweise die dabei erpressten und schriftlich fixierten Geständnisse den Rang von Tatsachen. Weiterhin ermöglichten die in Prozessakten festgehaltenen Aussagen über Götzendienst und Teufelskult, Kinderopfer und widernatürliche Unzucht den gelehrten Diskurs über diese Phänomene, zunächst in dem mit der Verfolgung befassten Personenkreis,
Die Ketzerverfolgungen im hohen und späten Mittelalter dann – zum Beispiel über die Rezeption von Inquisitionshandbüchern – in einem größeren Rezipientenkreis. In einem nächsten Schritt vermittelten volkssprachliche Traktate, Beicht- und Erbauungsbücher, katechetische Literatur, Dekalogerläuterungen und Predigten diese, durch die Gerichtspraxis anscheinend bestätigten theologischen Konstrukte weiter an die Bevölkerung. Umgekehrt rezipierten Geistliche über ihr eigenes soziales Milieu, später über Beichte und Katechese, volkstümliche Vorstellungen. In ähnlicher Weise wirkte sich auch die Bekämpfung der rituellen Magie aus. Generell begann man, zunächst in den gebildeten Kreisen, dann in der breiten Bevölkerung, die Beziehungen zwischen Mensch und Dämon als real und persönlich zu sehen. Die einschlägigen Inquisitions- und Predigtkampagnen verbreiteten nicht nur Vorstellungen einer neuen Allgegenwart des Teufels, sondern sie veränderten auch die gesellschaftliche Interpretation von Macht. Die Kollaboration von Mensch und Dämon wurde für wirkmächtig gehalten, und daher erschien das Erlangen solcher Macht als plausibles Motiv für das Anrufen der Dämonen. Indem man solche Motive jeweiligen Kontrahenten unterstellte, wurde der Vorwurf der Dämonenverehrung zu einem Faktor politischer und gesellschaftlicher Machtkämpfe. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich zum Machtmotiv (als mutmaßlicher Grund für die Dämonenanrufung) noch das Rache- oder vielmehr Schadensmotiv gesellte und damit auch der klassische Schadenzaubereivorwurf Teil der Vorstellung von Ketzerei werden konnte. Insgesamt fand eine Sozialisierung und Politisierung der mutmaßlichen Motive für den Abfall vom Glauben mit weitreichenden Folgen statt: In dem Maße wie politisch-gesellschaftliche Gegner in den Verdacht geraten konnten, sich für ihr persönliches Macht- und Rachestreben der Hilfe von Dämonen zu versichern, wurde dieser Vorwurf selbst zum politischen Instrument der Vernichtung eines Kontrahenten. Dass ein Verhalten ‚dämonisiert‘ werden konnte, ebnete der instrumentellen Nutzung des Vorwurfs der Dämonenverehrung im Kontext politisch-gesellschaftlicher Konflikte den Weg (vgl. Kapitel VII.3.d). Die theologische Aufwertung dämonischer Macht ging einher mit einer moraltheologischen Abwertung des menschlichen Charakters: Wer sich von Gott ab- und dem Teufel zuwandte, konnte damit nur scheinbar zu Macht und Erfolg gelangen. Vielmehr war dieses Verhalten Ausdruck eigener Schwäche, weil er oder sie dem triebhaften Streben nach Macht, Reichtum und Genüssen nicht durch ein christliches Leben Einhalt gebieten konnte und somit den Versuchungen des Teufels anheim fiel. Wahre Christen widerstanden dem nicht nur, sie waren aufgrund ihrer Glaubensstandhaftigkeit auch imstande, die Anhänger des Teufels ohne Schaden an Leib und Leben zu überführen. Diese Bedeutungsinhalte wurden unmittelbar wirksam in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts, als der mächtige Templerorden, einst eine Speerspitze des Christentums beim Kampf um das Heilige Land, vom französischen König Philipp IV. ({ 1314) der kollektiven Dämonenverehrung beschuldigt und seine Mitglieder durch Folter der ungeheuerlichsten Taten scheinbar überführt wurden. Ähnliche Vorwürfe trafen auch hochrangige Würdenträger wie den mächtigen Bischof Guichard von Troyes ({ 1314). Selbst der 1303 verstorbene Papst Bonifaz VIII. wurde nach seinem Tode
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Politisierung
Moralisierung
Skandalprozesse
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Ziel einer postumen Beschuldigung wegen Dämonenverehrung. Alle diese Anklagen hatten eines gemeinsam: Sie waren aus machtpolitischen Konfliktlagen entstanden, und stets wurde den Angeklagten unterstellt, sie hätten zur Verfolgung persönlicher Interessen den Teufel angerufen. Der im Jahr 1316 unter dem Einfluss des französischen Königs zum avignonesischen Papst gewählte Johannes XXII. ({ 1334) handelte nicht anders, als er gleich nach seinem Amtsantritt den Bischof von Cahors wegen vermeintlich gegen ihn gerichteter Schadenzauberei verbrennen ließ. Dieser Papst ließ es auch zu, dass seine oberitalienischen Anhänger in gleicher Weise gegen ihre politischen Gegner vorgingen, während er selbst mit seiner 1326 veröffentlichten Bulle Super illius specula die Ausweitung des Bildes der kollektiv definierten klassischen Ketzerei auf die bislang individuell gedachte, rituelle Zauberei betrieb. Wie schnell ein Vorwurf wegen Ketzerei glaubwürdig erscheinen konnte, in den das Motiv verquickt war, einen Dämon zur Gewinnung persönlicher Vorteile einzusetzen, zeigt ein im selben Zeitkontext im irischen Kilkanny stattfindender Prozess (1324). Trotz der räumlichen Distanz zum päpstlichen Hof zu Avignon war sein mit Phantasien über Dämonenverehrung und Zauberei kontaminierter Geist dennoch präsent in der Person des zuständigen Bischofs Richard de Ledrede, der nicht nur 1317 von Papst Johannes XXII. in Avignon geweiht worden war, sondern sich dort schon zur Zeit des Templerprozesses aufgehalten hatte. Vor diesem Bischof wurde Lady Alice Kyteler, die nacheinander mit vier Männern verheiratet gewesen war, mitsamt ihrem Sohn aus erster Ehe von den Kindern, die ihre folgenden Ehegatten aus ihren vorausgegangenen Ehen mitgebracht hatten, beschuldigt, sie hätte ihre drei letzten Ehemänner mittels Zauberei entweder ermordet oder ihre Sinne betört, um sich des Erbes zu bemächtigen. Was so als Familienkonflikt begann, wurde zu einem Häresieprozess neuer Prägung: Gemeinsam mit Lady Kyteler und ihrem Sohn standen noch weitere Männer und Frauen unter der Anklage, in häretischer Weise Dämonenverehrung und Schadenzauberei betrieben zu haben. Zwischen den Vorwürfen bestand ein Kausalzusammenhang: Anrufung und Verehrung der Dämonen erschienen als Vorleistung der Angeklagten, um die Dienste der bösen Mächte in Anspruch nehmen und um magische Potenzen zur Schadenzauberei benutzen zu können. Außerdem sollte Lady Kyteler eine weitere ‚Gegenleistung‘, den Beischlaf mit dem in Männergestalt erscheinenden Dämon, erbracht haben. Bereits in diesem – für Irland absolut ungewöhnlichen – Verfahren finden sich bis auf die Vorstellungen vom Luftflug alle jene Elemente wieder, die später das frühneuzeitliche Delikt der Hexerei ausmachen sollten.
3. Von der klassischen Häresie zur neuen Ketzerei der Hexensekte Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen dauerte es noch zwischen 80 und 100 Jahre, bis sich die getrennten Verschwörungs- und Bedrohungspotentiale des klassischen Ketzereivorwurfs und der rituellen Magie bezie-
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Von der klassischen Häresie zur neuen Ketzerei der Hexensekte hungsweise der Schadenzauberei gegenseitig verstärkten und zum bis dahin unvorstellbaren Szenario der neuen Hexensekte verschmolzen. Doch ist bereits im zeitlichen Vorfeld dieser Fusion eine Zunahme von Inquisitionsverfahren gegen Einzelpersonen festzustellen, in denen aus dem Vorwurf der einfachen Schadenzauberei eine Anklage auf häretische Dämonen- oder vielmehr Teufelsverehrung entstand. Dieser Befund entspricht auch der Argumentation, welche das wohl wichtigste Inquisitionshandbuch jener Zeit vertrat, das 1376 veröffentlichte Directorium Inquisitionum des spanischen Inquisitors Nicolas Eymerich ({ 1399). Es war dann ein konkreter geographischer Raum, in dem das neue Bedrohungsszenario der kollektiven ketzerischen Zauberei auf den Weg gebracht wurde: Das oberitalienisch-südostfranzösische Voralpengebiet und der französisch-schweizerische Westalpenraum mit den Regionen beziehungsweise Territorien Savoyen-Piemont, Dauphiné, dem Wallis und dem Aostatal, dem Genfer See und dem Umfeld der Städte Neuchâtel und Fribourg in den Jahrzehnten vom Ende des 14. Jahrhunderts bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Diese Gebiete gehörten zu den Diözesen Genf, Lausanne und Sion. Die ältesten bislang vorliegenden Belege für die Vermischung individueller Schadenzauberei mit kollektiver Dämonenverehrung beziehen sich auf die Zeit um 1400, wurden aber erst in dem um 1437 verfassten Werk Formicarius des Dominikaners Johannes Nider ({ 1438) überliefert. Nider will vom Richter Peter aus Bern erfahren haben, dass jener in seiner Amtszeit (1392–1406) als Vogt im Walliser Simmental Prozesse wegen Schadenzauberei geführt hätte, und zwar nicht nur gegen Individualtäter, sondern auch gegen eine häretische Sekte. Mitglied in dieser Gruppe wurde man angeblich mittels eines bestimmten Aufnahmeritus: Bei nächtlichen Zeremonien widerriefen die neuen Mitglieder ihre Bindung an das Christentum und unterwarfen sich dem Teufel. Dazu verunreinigten sie das Kreuz und die Sakramente; auch soll es zu rituellen Kindstötungen gekommen sein. Anklänge an klassische Ketzereivorwürfe ebenso wie an den uralten StrigenGlauben sind offensichtlich. Die Zusammenhänge werden klarer, wenn man bedenkt, dass hier die gerichtliche Verfolgung von der weltlichen Justiz als Reaktion auf Gerüchte initiiert worden war, denen zufolge in kurzer Zeit 13 Kinder durch die Machenschaften böser Zauberer den Tod gefunden hatten. Unter der Folter gestanden die Angeklagten dann auch Kindstötungen, die sie einerseits aus bloßer Schadensabsicht, andererseits aus rituellen Zwängen begangen hätten. Laut dem, was Richter Peter von Bern an Johannes Nider weitergab, sollten sie auch weitere, besonders die ländliche Lebens- und Arbeitsgemeinschaft schädigende, mit Hilfe der Dämonen durchgeführte Zauberei ausgeführt haben: Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten bei Mensch und Tier, Ertrinken von Kindern und erntevernichtende Unwetter. Auch mittels Zauberei ausgeführter Getreidediebstahl sollte zu ihrem Repertoire gehört haben. Niders Bericht könnte somit zeigen, wie sich in einem ländlichen Milieu die Vorstellung von der klassischen Schadenzauberei zur Imagination von Hexerei als Bandendelikt wandelte, oder umgekehrt, wie das Bild von einer neuen Sekte entstand, deren Mitglieder neben den bekannten Untaten der Ketzer auch noch der bäuerlichen Gesellschaft mit massiver Schadenzauberei das Leben schwer machten. Eine ganz neue Bedrohungslage würde
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Tatort: Alpenraum
Verschmelzung verschiedener Elemente
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dann bereits für die Zeit um 1400 sichtbar. Gegen diese Deutung ist mit Hinweis auf das Fehlen einer Bestätigung durch direkte Prozessunterlagen aus der Zeit um 1400 sowie den späten Zeitpunkt der Berichtsabfassung (um 1437) Skepsis geltend gemacht worden. Gerade angesichts des Zeitpunktes der Niederschrift müsse eine Beeinflussung von Seiten der mittlerweile sehr aktuellen Diskussion über Hexerei angenommen werden. Der Bericht spiegele daher wohl eher die interpretierende Sichtweise des Autors Johannes Nider wider als das, was dessen Informant, Richter Peter, tatsächlich um 1400 im Simmental erlebt habe (Blauert, Tschacher). Vielleicht hat sich Nider aber bei der Abfassung seines Berichts um 1437 trotz des zeitlichen Abstandes zum Geschehen streng an den Erinnerungen des Berner Richters orientiert. Denn der Dominikaner verwandte eben nicht alles, was mittlerweile an Vorstellungen zur neuen Hexerei zur Verfügung stand. So bleibt bei ihm die zentrale Vorstellung vom Sabbat noch unscharf, auch die Möglichkeit des realen Fluges bezeichnet Nider ganz im Sinne des alten Canon Episcopi als teuflische Illusionen. Zudem lässt sich einem Schreiben von Papst Alexander V. ({ 1410) aus dem Jahr 1409 entnehmen, dass sich bereits zu Anfang des 15. Jahrhunderts die traditionellen Vorstellungen von Ketzerei und Zauberei zu wandeln begannen; denn in diesem an den für Südfrankreich und die Dauphiné zuständigen Inquisitor in Avignon gerichteten Schreiben klagte der Papst nicht nur über die dort entstandenen neuen Sekten (gebildet aus Christen und Juden, letztere aus christlicher Sicht ‚Urketzer‘ und traditionelle Teufelsverehrer), welche verbotene Riten erfänden, im Dunkeln dogmatisierten, lehrten, predigten und bekräftigten, sondern auch darüber, dass es in den gleichen Gebieten viele (wiederum Christen und Juden) gäbe, die als Wahrsager (sortilegi, divini), Dämonenbeschwörer und carminatores in abergläubischer Weise schändliche und verbotene Künste gebrauchten. Damit brächten sie die frommen Christen beziehungsweise die Einfältigen unter ihnen vom rechten Glauben ab. Ähnliche Zweifel wie im Fall der Simmentaler Ereignisse wurden gegen ein weiteres Zeugnis aus den Anfängen der Hexenverfolgung geäußert. Doch was der Luzerner Gerichtschreiber Hans Fründ ({ 1469) vermutlich Anfang der 1430er Jahre über eine große Verfolgung im Jahre 1428 niederschrieb, ist inzwischen von der neuesten Regionalforschung durch Aktenfunde bestätigt worden. Laut Fründ sollen 200 Männer und Frauen im Oberwallis und im angrenzenden savoyischen Gebiet hingerichtet worden sein, weitere, deren Anzahl dem Chronisten unbekannt blieb, in benachbarten Regionen. Während Fründ seinen Bericht schrieb, dauerten die Verfolgungen noch an. Auch nannte er das Verbrechen bereits bei seinem neuen Namen: Ketzereye der hexssen und der zubrern. Als dessen Bestandteile führte er an: Abfall vom Glauben und Unterwerfung unter den Teufel, Kindstötung mit Kannibalismus sowie eine ganze Reihe von Schadenzaubereien. Alle Komponenten der neuen Hexenvorstellung inklusive Flug und nächtlicher Besuch von Versammlungsorten (schulen) sind hier bereits beieinander, nur der sexuelle Verkehr mit dem Dämon und die orgienhafte Ausschmückung des Sabbatgeschehens fehlen noch. Es ist bezeichnend für das Tempo der nun greifbaren Entwicklung, dass die fehlenden ideologischen Elemente binnen weniger Jahre verfügbar werden sollten. So findet sich die Vorstellung, orgiengleiche Ausschweifungen
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Von der klassischen Häresie zur neuen Ketzerei der Hexensekte der Hexen (wie schon bei den älteren Ketzern) seien wesentlicher Teil ihrer Zusammenkunft auf dem Sabbat, in dem nach 1435 entstandenen Traktat Errores gazariorum seu illorum qui scopam vel baculum equitare probantur, einem Werk, dessen Bezug zur inquisitorischen Tätigkeit jener Zeit im westschweizerisch-savoyischen Gebiet offensichtlich ist. Bis auf die Vorstellung vom geschlechtlichen Verkehr zwischen Mensch und Dämon sind in dieser Schrift alle Elemente des neuen Hexereibegriffs versammelt, die Flugvorstellung erscheint sogar im Titel und wird – im Unterschied zu Nider – als bewiesen dargestellt. Zwei weitere Werke aus dem räumlichen wie zeitlichen Umfeld der hier beschriebenen Entwicklung präsentieren schließlich das Element des sexuellen Verkehrs der Hexen mit dem Teufel, und zwar nicht im Sinne einer Gegenleistung für den Dämon, sondern als Teil der von ihm ausgehenden Verführung: Eine um 1436 von Richter Claude Tholosan ({ ca. 1450) geschriebene Abhandlung (Ut magorum et maleficiorum errores …) und der um 1440 von Martin Le Franc ({ 1461) verfasste Champion des Dames. Bei erstgenanntem Werk handelt es sich um den Erfahrungsbericht eines mit Hexenprozessen betrauten weltlichen Juristen aus der Dauphiné, bei letzterem um ein dem Herzog von Burgund gewidmetes literarisches Werk. In Dialogform werden hier die Vorzüge des weiblichen Geschlechts gegen die üblichen misogynen Vorbehalten verteidigt, doch gerade an dieser Themenwahl wird sichtbar, dass man die vermeintliche Neigung besonders von Frauen, der Hexensekte beizutreten, mittlerweile diskutierte. Noch kurz zuvor hatte Johannes Nider wohl als erster Theologe diesen für die Zukunft entscheidenden Punkt im Formicarius besprochen. Mit der hier erkennbaren Konzentration auf weibliche ‚Täter‘ erhält das neue Hexereidelikt im Vergleich zum ‚Vorläufermodell‘ der klassischen Ketzerei sein letztes konstitutives Merkmal. Der Übergang von den Ketzerverfolgungen alter Prägung zur neuen Hexenverfolgung zeigt sich daher auch in den entsprechenden Änderungen der Fahndungsbilder. Zwar standen, wie bei den Ketzereiprozessen, in den frühen Verfahren wegen Hexerei noch Männer im Vordergrund, ebenso wie auch die literarischen Zeugnisse dieser frühen Zeit Männer als Urheber der neuen Hexensekte ansahen. Aber schon in den größeren Verfolgungen der 1430er und 1440er Jahre gibt es einen deutlich höheren Anteil weiblicher Angeklagter. Für diese rasche Feminisierung der neuen Deliktvorstellung (vgl. Kap. V: Exkurs) sind mehrere Gründe zu nennen: – Die klassische Ketzerei galt noch in einem umfassenden Sinne als ein Glaubensdelikt, das auf entsprechenden Überzeugungen und aktivem Handeln der Ketzer beruhte. Mit der Ausprägung der Vorstellung von der neuen Ketzerei der Hexen veränderte sich auch diese Annahme. Jetzt standen die meist sexuelle Verführung durch den Teufel und die Unterwerfung unter diese männlich verstandene Figur im Mittelpunkt. – Zu dieser auf Verführung und Unterwerfung beruhenden neuen Organisationsform der Hexenketzerei kam mit der Schadenzauberei ein Delikt hinzu, das vermutlich schon immer in der populären Vorstellung als eine eher weibliche Handlungsoption gegolten hatte, weil sie als Kompensation für die den Frauen auferlegten gesellschaftlichen Einschränkungen plausibel erschien. Doch auch in der Realität hatten Frauen aufgrund der
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Feminisierung
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geschlechtstypischen Rollenverteilung mehr Bedarf an der Ausübung einfacher magischer Praktiken (Heil- und Schutzzauberei), deren Ambivalenz ihnen leicht den Vorwurf der Schadenzauberei einbrachte. Außerdem waren ihre alltäglichen Wirkungsbereiche – Aufzucht der Kinder, Haus- und Hofwirtschaft – besonders anfällig für jene Kalamitäten, welche auf Schadenzauberei zurückgeführt werden konnten. – Darüber hinaus transportierte die für Hexerei typische Flugvorstellung ältere Phantasien, die allesamt ebenfalls weiblich besetzt waren: Der Strigen- und der Feen-Glaube sowie die vom Canon Episcopi verdammte Vorstellung, dass Frauen mit den heidnischen Göttinnen Diana und Herodias durch die Nacht ‚fahren‘ würden. Eng damit verknüpft blieb die Vorstellung vom so genannten Nachtmahl der ‚guten Frauen‘, die sich angeblich heimlich in den Häusern der Menschen zum Essen trafen – erwähnt in der St. Germanus-Legende.
4. Der alpine Raum als Versuchslabor
Konzil von Basel
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Die oben genannten literarischen Texte wie auch die damit korrespondierenden Akten reflektieren spätestens ab den späten 1420er Jahren eine drastische Zunahme von Verfolgungen eines neuen Ketzertyps, zu dessen angeblichem Repertoire nun auch Schadenzauberei und Flug gehören konnten. Ein „Superverbrechen“ erblickte das Licht der Welt. Seine ‚Entdeckung‘, besser gesagt seine Erfindung, fand zu einer bestimmten Zeit im alpinen Raum statt. Was war der Grund für diese auffallende zeitlich-räumliche Verdichtung? Zunächst fällt auf, dass die gesamte Region schon seit Jahrzehnten von intensiven Waldenser-Verfolgungen betroffen war: 1384 als förmlicher Kreuzzug in der Dauphiné, um 1387/1388 im Piemont und 1399 in der Stadt und im Land Bern, mit einem Höhepunkt um 1430 in Fribourg. Weiterhin bereitete eine intensive seelsorgerische Betreuung dieser Regionen, insbesondere durch Franziskaner, das Verfolgungsterrain. In den Jahren 1399–1409 hatten zudem apokalyptische Predigten des Dominikaners Vincent Ferrer ({ 1419) exakt jene Gebiete der Westalpen aufgewühlt, wo schließlich die Fusion von Ketzerei und Zauberei zur neuen Hexerei stattfinden sollte: Piemont, Lombardei, Savoyen, Dauphiné, die Bistümer Lausanne, Genf und Sion. Über Jahrzehnte hinweg sorgten diese Verfolgungs- und Predigtaktivitäten grenzüberschreitend dafür, Vorstellungen von der angeblichen Teufelsverehrung der Ketzer und den dazugehörigen verbrecherischen Riten wach zu halten. Die Übergänge von der klassischen Ketzerei zur neuen Ketzerei der Hexen spiegeln sich auch in einer Zunahme von Zaubereivorwürfen in den von Inquisitoren geführten Waldenserprozessen. Passend dazu wurde Schadenzauberei zunehmend von Seiten der weltlichen Gerichtsbarkeit thematisiert. Damit fügt sich auch Niders Bericht über das Wirken des Richters Peter von Bern um das Jahr 1400 logisch in diese Entwicklung ein. Innerhalb von etwas mehr als einem Jahrzehnt durchliefen Gerichtspraxis und gelehrte Reflexion im alpinen Raum praktisch alle Übergangsstufen
Der alpine Raum als Versuchslabor von der traditionellen Ketzerei hin zur ungleich gefährlicher erscheinenden Hexerei. Dies verweist auf eine intensive Kommunikation zwischen Inquisitoren und Theologen wie überhaupt zwischen Angehörigen der geistlichen und weltlichen Eliten. Wie ein Katalysator muss in dieser Hinsicht das von 1431 bis 1449 im nahegelegenen Basel tagende Konzil gewirkt haben. Mit circa 500 ständigen Vertretern und insgesamt schätzungsweise 150 000 Besuchern aus allen Teilen Europas bildete diese Versammlung eine „intellektuelle Drehscheibe“ (Blauert), auf der die in Südostfrankreich, in der Westschweiz und in Norditalien gemachten, zum Teil schon schriftlich in der universalen Gelehrtensprache Latein abgefassten Erkenntnisse über die Hexenverschwörung weite Verbreitung finden sollten. Hier kamen Inquisitoren und Theologen aus allen Teilen des christlichen Abendlandes zusammen, von denen einige bereits Erfahrungen mit dem ‚neuen‘ Hexenphänomen gesammelt hatten. Außer den zwei ‚brandneuen‘ Traktaten zur Zauberei – den Errores gazariorum und Niders Formicarius – kursierte die Schrift des weltlichen Richters Claude Tholosan Ut magorum. Zugleich stand das Konzil im Brennpunkt erbitterter innerkirchlicher Machtkämpfe, was die Diskussion über die neue Sekte der Hexen auf eigene Weise vorantrieb. Weil sich der amtierende Papst Eugen IV. ({ 1447) den Beschlüssen der Versammlung widersetzte, klagte ihn eine Konzilsmehrheit der Häresie an, setzte ihn 1439 ab und wählte den früheren Herzog Amadeus VIII. von Savoyen ({ 1451) als Felix V. (1440–1449) zum Papst. Gegen diesen wiederum wehrte sich der abgesetzte Papst mit noch schwererem Geschütz: In einer 1440 erlassenen Bulle bezeichnete er Felix V. als erstgeborenen Sohn Satans und brachte ihn in Zusammenhang mit Wahrsagern und einer Gruppe unheilvoller Männer und Frauen, unter deren Einfluss er schon seit Jahren stünde (1416/17 war ein Ratgeber des Herzogs wegen Zauberei und Verschwörung hingerichtet worden). Indem die päpstliche Bulle jene Personen nicht nur in Ableitung vom älteren Begriff striga als stregule und stregones bezeichnete, sondern auch als Waudenses, unterstrich sie die Verwandtschaft dieser Erscheinung mit den Ketzern (frz. vaudois für Waldenser) und verwandte damit den gleichen Begriff, der erst seit kurzem im Alpenraum zur Kennzeichnung der neuen Hexensekte gebraucht wurde. Der Hinweis, das Territorium des Gegenpapstes AmadeusFelix sei voll mit diesen Hexenketzern, unterstrich die Resultate der jüngsten Verfolgungen dort. Es muss als Ironie der Geschichte bezeichnet werden, dass das Herzogtum Savoyen als Brücken- und Transitland eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Weitervermittlung des Hexereikonzepts spielte; denn der so gescholtene Konzilspapst Felix V. hatte in seiner Amtszeit als Herzog selbst die Bekämpfung der Ketzerei auf seine Fahnen geschrieben, eine asketischstrenge Religionspolitik betrieben und gleichgesinnte Personen in bischöfliche Ämter gebracht. Die territorial übergreifenden bischöflichen Inquisitionsstrukturen und die personellen Zusammenhänge (Netzwerke) sorgten ihrerseits dafür, dass die umliegenden Regionen miterfasst wurden, wie am Wirken des zum Dominikanerorden gehörenden Inquisitors Ulrich de Torrenté in den Bistümern Lausanne, Genf und Sion deutlich wird. Diese Durchdringung des südwestalpinen Raumes lässt die Frage, warum bischöfliche Inquisition und weltliche Gerichte gerade hier so intensiv die
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Politische Konflikte
Kulturelle Rückständigkeit?
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Die Konstruktion eines „Superverbrechens“
III.
Großes Abendländisches Schisma
Jagd nach alten und neuen Ketzern betrieben, in einem neuen Licht erscheinen. Die ältere Forschung hatte als Antwort darauf die These von der kulturellen Rückständigkeit der abgelegenen Alpenregionen entwickelt, wo die Existenz noch immer tief verwurzelter heidnischer Aberglaubenstraditionen eine Umwertung in vermeintliche Tatbestände der Ketzerei erleichtert habe (Trevor-Roper; vgl. Kap. VII). Dagegen lässt sich zunächst geltend machen, dass die Vorstellung von der Hexensekte zwar eine Weiterentwicklung der Ketzerei ist, die Ketzer aber ursprünglich in urbanen Regionen beheimatet waren und sich erst unter dem Druck der Verfolgungen in abgelegene Gebirgsregionen zurückzogen. Arno Borst ({ 2007) hat zudem angeführt, dass die Alpen gerade im beginnenden 15. Jahrhundert Anschluss an die südund nordeuropäischen Wirtschaftsräume erhielten. Der damit verbundene beschleunigte soziale Wandel wird allerdings als ein Vorgang angesehen, der Hexenprozesse begünstigen konnte. Als verfolgungsfördernder Faktor wirkten auch klimageschichtliche Veränderungen, die zwar ganz Europa betrafen, den Alpenraum jedoch besonders hart in Mitleidenschaft gezogen haben dürften (vgl. Kap. VII.3.a). Das Zusammenspiel all dieser Bedingungen bedeutet nicht, dass das Hexereikonzept zwangsläufig im westalpinen Raum entstehen musste, aber das durchaus zufällige Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren erklärt mit einer gewissen Plausibilität, warum diese sich gerade hier in dieser besonderen Weise auswirken konnten. Die Zeitgenossen selbst hatten weniger den Raum als die Zeit vor Augen, wenn sie über die Ketzerei der Hexen als eine durchaus neue Erscheinung reflektierten. Ihre Überlegungen zu der Frage, wann diese erstmals aufgetaucht sei, führten allesamt in die zweite Hälfte des Jahrzehnts 1370/1380. Gleiches ergibt sich aus den Aussagen, die in den frühesten Prozessen von den Angeklagten selbst zu der Frage gemacht wurden, wann sie sich erstmals dem Teufel zugewendet hätten. Sicherlich rückten die Zeitgenossen damit nicht zufällig den Beginn der neuen Hexensekte in das Umfeld der größten Erschütterung, die das Christentum jener Epoche zu erleben hatte – den Ausbruch des Großen Abendländischen Papstschismas im Jahre 1378. Es markierte nicht nur den Anfang einer jahrzehntelang währenden Auseinandersetzung zwischen einer ganzen Reihe von Päpsten und Gegenpäpsten, sondern wurde weithin auch als Beweis für das Auftreten des Antichristen auf Erden gewertet.
5. Erste Rezeption und weitere Verbreitung der neuen Hexenlehre Sicher kann man davon ausgehen, dass die Fusionierung älterer Häresiekonzepte mit gelehrten sowie volkstümlichen Vorstellungen von Magie und Schadenzauberei in wechselseitigem Austausch stattgefunden hat: Kirchliche Predigttätigkeit und anhaltende Ketzerinquisition mit ihrer Tendenz zur Ausweitung auf magische Praktiken und Unglücksfälle suggerierten der Bevölkerung, dass es für alte und neue Katastrophen ihres bäuerlichen Alltags ‚Verantwortliche‘ gab, deren man mit Unterstützung geistlicher und weltli-
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Erste Rezeption und weitere Verbreitung der neuen Hexenlehre cher Autoritäten habhaft werden konnte. Diese Beteiligung der Bevölkerung, mal von Einzelnen, mal von ganzen Gemeinden, ist bereits bei den frühen alpinen Verfolgungen deutlich zu erkennen (vgl. Kapitel VII.3.e). Die Verarbeitung dieser Aktivitäten durch die Traktate der Jahre 1430/ 1440 trug ihrerseits dazu bei, Verbreitung und Umsetzung des neuen Hexereikonzepts in den westalpinen Regionen zu beschleunigen. Dabei standen konkrete gerichtliche Tätigkeit mit Verhör und Folter einerseits und literarische Verarbeitung andererseits in einem Wechselverhältnis. Manchmal scheinen die Traktate der Prozesswirklichkeit weit voraus gewesen zu sein. So wird das in den Errores gazariorum beschriebene Szenario von Teufelspakt, Teilnahme am Hexensabbat, sexuellen Ausschweifungen und Verzehr von getöteten Kindern erstmals in fünf Hexenprozessen realisiert, die 1448–1449, also etliche Jahre nach Abfassung des Textes, in der Diözese Lausanne erkennbar werden. Geht man von den erwähnten Traktaten aus, so haben die dämonologischen Vorstellungen, abgesehen von der noch umstrittenen Vorstellung des Hexenfluges, bereits um 1440 das Niveau erreicht, welches den Hexenverfolgungen der folgenden Zeit zugrunde liegen sollte. Dies bedeutete noch keine Einheitlichkeit in den konkreten Prozessen. Übergänge von Häresiezu Hexereiverfahren bleiben zu erkennen, ebenso ein Nebeneinander beider Deliktvorstellungen. Aber die Stationen der weiteren Ausbreitung zeigen, dass der Durchbruch erfolgt war. Für die weitere Verbreitung des neuen Konzepts dürften, je nach den örtlichen Bedingungen, verschiedene Faktoren, bisweilen auch in Kombination miteinander, verantwortlich gewesen sein (vgl. Kap. VII). An erster Stelle ist die direkte Kommunikation innerhalb der Eliten zu nennen. Auf der gleichen Ebene spielte sich die literarische Kommunikation durch die Rezeption von Fachliteratur ab, deren Verbreitung mit Erfindung der Druckerpresse (um 1450) wesentlich leichter werden sollte. Als weiterer Faktor muss der bisweilen fanatische Eifer von Einzelpersonen berücksichtigt werden. So erhob sich am Ende des 15. Jahrhunderts ein gelehrter Dominikaner namens Heinrich Institoris (dt. Kramer, { 1505) und publizierte 1486/87 ein Werk, das bis heute im Verdacht steht, entscheidendes zur weiteren Verbreitung des Hexenglaubens beigetragen zu haben – der berüchtigte Malleus Maleficarum (dt. Hexenhammer). Auf jeden Fall stellt das Buch die erste systematische Zusammenfassung der Thematik dar, die trotz ihrer Abfassung in Latein ein breiteres Publikum erreichte als die vorangegangenen Traktate. Spätestens seit Beginn der 1480er Jahre hatte Institoris in seiner elsässischen Heimat Erfahrungen mit Hexenprozessen gemacht, war dabei aber auch auf Opposition gestoßen. Um diese zu überwinden, reiste er nach Rom und erlangte 1484 von Papst Innozenz VIII. ({ 1492) die ebenfalls berüchtigte Bulle Summis desiderantes affectibus. Sie bestätigte gegenüber dem gesamten Christentum die Gefährlichkeit der sich überall in Deutschland ausbreitenden Hexensekte und bekräftigte die Bestellung von Institoris als päpstlicher Inquisitor in Oberdeutschland. Trotzdem scheiterte dieser kläglich beim Versuch, Hexenprozesse in der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck zu installieren. Der für Innsbruck zuständige Bischof Georg Golser ({ 1488) zwang ihn mit Billigung des Landesherrn, Tirol zu verlassen; persönlich
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„Hexenhammer“
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Die Konstruktion eines „Superverbrechens“
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Rezeption
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zweifelte er am Verstand des Dominikaners. Der schrieb darauf sein bekanntes Machwerk, dessen Autorität er mit einem gefälschten Gutachten der Kölner theologischen Fakultät zu steigern versuchte. Heinrich Institoris, als Autor so skrupellos wie als Inquisitor, hatte der Welt aus seiner Sicht eine ‚brandneue‘ Erkenntnis mitzuteilen. Dabei war sein Malleus Maleficarum nicht sonderlich originell, aber er spitzte die Meinungen auf eine Weise zu, welche zur Begründung und Durchführung von Verfolgungen wichtig werden sollten: Die besondere Anfälligkeit von Frauen für die Verführungskünste des Teufels; die Verbindung von geistlichem und weltlichem Kapitaldelikt, um die weltliche Gerichtsbarkeit auf den Plan zu rufen; die besondere Tarnung des Verbrechens, zu dessen Aufdeckung daher die Schutzregeln, welche einem Angeklagten vor dem weltlichen Gericht zustanden, außer Kraft gesetzt werden durften (vgl. Kap. IV). Obwohl Institoris sich 1491 rühmte, über 200 Hexen auf den Scheiterhaufen gebracht zu haben, erlebte er mehr als einmal ein klägliches Scheitern seiner Pläne. Primäre Intention seiner Publikation war es daher, regionale und lokale Autoritäten in geistlichen und weltlichen Ämtern zu Protagonisten der Hexenverfolgung zu machen sowie gleichzeitig Skeptiker zu diskreditieren. Wie sein Buch wirken konnte, lässt sich beispielhaft an der Person des Kanonikers Wilhelm von Bernkastel zeigen – von 1481 bis zu seinem Tod 1536 Angehöriger des Augustiner-Klosters Eberhardsklausen im Trierer Land, eines bedeutenden Marienwallfahrtsortes. Weil eine Vielzahl von Menschen diesen Ort zur Heilung von Gebrechen aufsuchte, notierte Wilhelm die dabei vorfallenden Wunder; nebenbei machte er sich hinsichtlich der Verursachung von so viel Elend Gedanken. In diesem Zusammenhang kam er auf das Wirken der Hexen zu sprechen. Dass viele boshafte Menschen besonders in dieser Zeit und in dieser Gegend die Hilfe von Dämonen in Anspruch nähmen, um anderen zu schaden, war ihm schon bekannt, auch die Zuspitzung solchen Verdachts auf Frauen. Auf welche Weise es aber die Hexen und ihre Dämonen anstellten, Gebrechen der unnatürlichsten Art zu verursachen, wie er sie bei den nach Eberhardsklausen kommenden Menschen wahrzunehmen glaubte, entzog sich Wilhelms Vorstellung. Irgendwann in den 1490er Jahren erhielt er eine an ihn gerichtete Büchersendung, die ihn aufklärte: Johannes Niders Formicarius und der Malleus Maleficarum des Heinrich Institoris. Nach dieser Lektüre hatte sich Wilhelms Sicht der Dinge grundlegend geändert, wie er in einer Notiz festhielt: Ich gestehe, dass ich unwissend gewesen bin. Wer einen reichhaltigen Stoff lesen und wissen will, wie viel die Hexen auszurichten vermögen, wem sie auf welche Weise […] schaden, der lese das genannte Buch des Johann Nider […]. Ich hatte es nicht gelesen, als ich anfing, über diese Dinge zu schreiben. Doch nach der Lektüre habe er erkannt, welche Macht ein Dämon ausüben könne, um Menschen zu schaden. Laut eigenem Bekenntnis entnahm Wilhelm ebenso klare Worte dem Malleus Maleficarum. Die genannten Bücher veränderten nicht alleine Wilhelms Verständnis von Zauberei, sie wirkten mit Hilfe seiner Vermittlung auch auf die Bevölkerung der Region. Menschen, die den Tod ihrer Kinder bei ihm beklagten und sich dabei selbst der Fahrlässigkeit beschuldigten, klärte er nun darüber auf, dass nicht sie selbst, sondern die Hexen dafür verantwortlich seien. Eine Kranke wurde in Wilhelms Kloster nicht nur geheilt, sie ‚erfuhr‘ bei die-
Erste Rezeption und weitere Verbreitung der neuen Hexenlehre
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ser Gelegenheit gleich auch die Namen der (angeblich) für ihr Gebrechen verantwortlichen Hexen; triumphierend notierte Wilhelm, dass die auf diese Angaben hin angeklagten Personen aus dem Heimatort der Kranken vor ihrer Hinrichtung eben seine Version bestätigt hätten. Die Notizen des Wilhelm von Bernkastel demonstrieren die bewusstseinsverändernden Wirkungen, welche von der in pseudo-wissenschaftliche Form gegossenen Hexentheorie ausgehen konnten. Ganz gleich, ob sich diese in einem Werk wie dem Hexenhammer offenbarten oder aus anderen Schriften entnommen und dann in ein weiteres Traktat gegossen wurden oder durch briefliche und mündliche Mitteilungen über Prozesse von einem Ort zum anderen eilten: Im Grunde war der Vorgang stets derjenige, wie ihn Wilhelm erlebte. So spiegelt sich in seiner persönlichen Erfahrung der gesamte Entstehungsprozess eines theologischen Konstrukts und seine Rezeption durch eine bis dahin ahnungslose Welt wider, die daran gewohnt war, ihren Zustand als Verfall und die Verantwortung dafür im Überhandnehmen dunkler Mächte zu sehen. Die populäre Wirkung des Hexenhammer lässt sich nicht nur anhand dieses Beispieles nachweisen. Nach seiner Lektüre warnten Prediger und Pfarrer geradezu enthusiastisch vor dem verderblichen Treiben der Hexen und trugen so zur weiteren Verbreitung der neuen Hexenlehre bei. In die gleiche Richtung wirkten jedoch auch andere Druckerzeugnisse, nicht zuletzt Flugblätter und -schriften, die im 16. Jahrhundert Hochkonjunktur haben sollten. Immer wieder feuerten Prediger auch von der Kanzel aus die weltlichen Obrigkeiten an, Hexereiverfahren zu führen. Im Mittelpunkt der Verfolgungsaufrufe stand immer wieder – neben anderen – das einschlägige, wenn auch falsch übersetzte Bibelzitat aus dem Buch Exodus (22,17) Die Zauberer sollst du nicht leben lassen. Die Reformation sollte daran nichts ändern, allenfalls vorübergehend die Aufmerksamkeit vom Hexenthema abziehen.
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IV. … die Zauberer sollst du nicht leben lassen. Vom Umgang der Justiz mit einem „Superverbrechen“ 1. Antike und Mittelalter
Germanenrechte
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Angesichts der weiten Verbreitung von Magie in allen Kulturen überrascht es nicht, wenn damit das Bedürfnis nach Schutz vor magischen Praktiken einherging, durch welche sich Menschen an Geist, Leib, Leben, Familie und Eigentum bedroht fühlten. Entsprechende Verbote und Strafbestimmungen sind bereits für die älteren Hochkulturen nachweisbar. So führt auch der älteste uns bekannte Gesetzestext, verfasst unter dem sumerischen König Hammurabi ({ 1750 v. Chr.), Schadenzauber als strafbares Delikt auf. Ebenso sind aus der griechischen Antike Bestimmungen bekannt, welche Zaubersprüche und -mittel mit schädigender Wirkung unter Strafe stellten. Das römische Zwölftafelgesetz (451 v. Chr.) verbot Verfluchungen und Zauberei, mit deren Hilfe die Ernte des Nachbarn auf das eigene Feld transferiert werden sollte. Im Jahr 186 v. Chr. führte die Aufdeckung der so genannten Bacchanalien-Verschwörung angeblich zu Hinrichtung von circa 5000 Menschen, denen unter anderem Zauberei als Mittel der politischen Konspiration vorgeworfen worden war. Hintergrund dafür bildete das Eindringen fremder religiöser Kulte, deren Rituale die politische Oberschicht Roms als Bedrohung des Staates empfand. Zentrale gesetzliche Bestimmungen gegen Zauberei wurden dann im Jahr 81 v. Chr. von Lucius Cornelius Sulla ({ 78 v. Chr.) erlassen (Lex de sicaris et veneficis); es stellte unter anderem den mithilfe von Magie verübten Giftmord unter Strafe. Sowohl in republikanischer Zeit als auch in der Kaiserzeit kam es immer wieder zu Ausweisungen von Personen, die sich mit gefährlicher Zauberei abgegeben haben sollen. Besonders die Kaiser fühlten sich von möglichen politischen Konsequenzen, ausgelöst durch zauberische Weissagungen, bedroht. Der noch heidnische Kaiser Diokletian ({ 313/316) bestimmte für Schadenzauberei die Strafe der Lebendverbrennung; wohltätige Zauberei sollte dagegen nicht bestraft werden. Diese Unterscheidung sollte unter den christlichen Kaisern des 4. Jahrhunderts entfallen, getreu dem christlichen Standpunkt, wonach jede Form von Magie eine Sache des Teufels sei. So wurden unter Kaiser Constantius II. ({ 361) alle Magier unterschiedslos als Feinde der Menschheit klassifiziert und die Todesstrafe für jegliche Ausübung von Magie bestimmt. Die entsprechenden Gesetze gingen in die großen spätantiken Gesetzessammlungen ein (Codex Theodosianus und Codex Justinianus); diese Bestimmungen wurden in der Epoche der Hexenverfolgungen wieder aufgegriffen und entfalteten als nachhaltige Begründungen große Wirkmacht. Die Rechtsordnungen der auf das römische Reich folgenden germanischen Herrschaften spiegeln einerseits die anhaltende Furcht vor Schadenzauberei, andererseits das Bemühen wider, die Kirche bei der Unterdrückung so genannten heidnischen Aberglaubens zu unterstützen. Dabei zeigt das Salische Recht mit einer Bestimmung gegen die vampirähnlichen Unholde der Nacht noch den Zustand vor der Christianisierung: Wenn eine striga
Antike und Mittelalter einen Mann verschlinge und dies gegen sie bewiesen werde (!), solle sie bestraft werden. Andere Germanenrechte standen bereits unter dem Einfluss des Christentums; sie verboten daher, eine Frau als striga zu bezichtigen oder deswegen gar zu töten. Ein Edikt des Langobardenkönigs Rothar ({ 652) aus dem Jahr 643 verbot daher ausdrücklich die Tötung von Frauen (auch hier begegnet der Begriff striga), denen unterstellt wurde, sie würden einen Menschen lebendig auffressen. Dass auch Männer solcher magisch-kannibalistischer Untaten beschuldigt werden konnten, zeigt eine Bestimmung Karls des Großen aus dem Jahre 787: Wenn jemand einen Mann oder eine Frau verbrenne, weil er nach Art der Heiden glaube, diese hätten Menschen verzehrt, dann solle er selbst mit dem Tode bestraft werden. Der ebenfalls in den Bereich dieser Vorstellungen gehörende Glaube an die nächtlichen Flüge von Frauen mit den Göttinnen Diana und Herodias (Canon Episcopi; Kap. III) wurde allerdings nicht mit Leibesstrafen verfolgt, weil kein Zusammenhang mit einem materiellen Verbrechen angenommen wurde. Generell unterstützten auch die Karolinger die Kirche bei der Unterdrückung heidnisch-magischen Brauchtums, wie es ein Dekret des Hausmeiers Karlmann ({ 754) von 742 zeigt. Dies galt besonders für die Ermittlung von noch aktiven Trägern solcher Praktiken, den Priestern und Wahrsagern: Diese sollten laut einer weiteren Bestimmung in Kaiser Karls Sachsengesetz von 785 den Kirchen und Geistlichen ausgeliefert werden. Nur im Umgang mit solchen Personen ist auch in den kirchenrechtlichen Bestimmungen eine gewisse Härte feststellbar, doch war auch dies noch weit entfernt von der Praxis der späteren Hexenverfolgungen. So heißt es in der um 1000 entstandenen Sammlung von kirchlichen Bußbestimmungen des Wormser Bischofs Burchard ({ 1025), dass Wahrsager ausgepeitscht und dann ausgewiesen werden sollten. Dieses Ausweisungsgebot betraf überhaupt alle, die Zauberei betrieben, namentlich Wettermacher und Personen, die mit ihren magischen Praktiken das Gemüt der Menschen zu verwirren trachteten. Wie vorsichtig dennoch in dieser Hinsicht vorgegangen werden konnte, zeigt eine Bestimmung, welche im Jahre 799 auf einer Synode in Freising erging: Zauberer, Zauberinnen und andere magische Spezialisten sollten eingekerkert und durch den Archipresbyter womöglich zum Geständnis gebracht werden, was ihr Leben aber nicht bedrohen durfte. Trotz der Unterstützung, welche die germanischen Fürsten und Könige der Kirche bei der Heidenmission gewährten, waren sie keineswegs bereit, auf die Vorstellung zu verzichten, dass durch Zauberei Schaden zugefügt werden könne, erst recht dann nicht, wenn sie sich selbst als Opfer fühlten. So gehörten Anklagen und Hinrichtungen wegen Schadenzauberei schon zum Waffenarsenal der für ihre mörderischen Fehden berüchtigten Merowinger. Auch Karl der Große ({ 814) ließ sich durch die Bekämpfung des heidnischen Aberglaubens nicht davon abhalten, Schadenzauber für möglich und daher für strafwürdig zu halten, ebenso wie der westfränkische König und spätere Kaiser Karl II. ({ 877) oder Alfred der Große von England ({ 899). Schadenzauber war auch in der spätkarolingischen Epoche, im normannischen England, in Italien und in Deutschland ein ebenso glaubhaftes wie todeswürdiges Verbrechen. Die beiden großen deutschen Laienrechtssammlungen des 13. Jahrhunderts, der Sachsenspiegel (ca. 1225) und der Schwabenspiegel (ca. 1240), bestimmten als Strafe dafür den Feuertod. Beide Rechtssammlungen
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Schadenzaubereiprozesse
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… die Zauberer sollst du nicht leben lassen
IV.
zogen bereits eine erste Verbindung zur Ketzerei, indem sie gemäß der kirchlichen Sichtweise die Anwendung von Magie als Glaubensabfall betrachteten. Dies entsprach einerseits der traditionellen Interpretation von Magie als Dämonenbeschwörung (vgl. Kap. III). Andererseits hatte der Abfall vom christlichen Glauben durch das Auftreten realer, als Ketzer diffamierter Sekten inzwischen eine andere Qualität angenommen. Die kirchliche Ketzergesetzgebung zog dementsprechend einen vollständig neuen Rahmen.
2. Der inquisitorisch geführte Ketzerprozess
Akkusationsverfahren
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Im Mittelpunkt der seit dem Ende des 12. Jahrhunderts verstärkt einsetzenden Ketzerverfolgungen standen die Vorwürfe von Apostasie (Glaubensabfall) und Idolatrie (Götzendienst). Aus dem Bedürfnis nach einer effizienten Verfolgung der Häretiker entstand unter Rückgriff auf das römische Prozessrecht der inquisitorisch geführte Ketzerprozess. Ursprünglich hatte diese von Papst Innozenz III. ({ 1216) etablierte Prozessform die Funktion eines Disziplinarverfahrens gegen abtrünnige und häretische Kleriker, denen möglicherweise auch der Umgang mit gelehrter Magie beziehungsweise Nekromantie vorgeworfen wurde. Zentrale Bedeutung sollten im kirchlichen Inquisitionsprozess erhalten: die Vereinigung der Funktionen von Ankläger, Untersuchungsrichter und Richter in einer Hand, die Klärung des Sachverhaltes mittels der Befragung von Zeugen (inquisitio) und Würdigung des Indizienbeweises, schließlich die Schriftlichkeit und Nichtöffentlichkeit des Verfahrens. Da das Prinzip der eigenständigen gerichtlichen Untersuchung erheblich gestärkt wurde, konnte das Verfahren vom Gericht ohne Auftreten eines privaten Anklägers in Gang gesetzt werden (Offizialprinzip). Um die Bedeutung des inquisitorischen Verfahrens für die Rechtsentwicklung unabhängig von dem speziellen Fall des Ketzereiprozesses zu ermessen, muss man es mit dem allgemein üblichen, aus der germanischen Tradition stammenden Gerichtsverfahren vergleichen. Bei diesem wurde nur aufgrund der Anklage einer Partei (die geschädigte Person oder ihre Vertreter) gegen eine andere Partei (die vermeintlich Schuldigen) verhandelt; davon leitet sich der Begriff Akkusations- oder Parteienverfahren und der Grundsatz „Wo kein Kläger, da kein Richter“ ab. Der Richter nahm in diesem Verfahren die Rolle einer unparteiischen Instanz ein, vor der beide Parteien, Kläger und Beklagte, ihre Beweismittel in einer öffentlichen Verhandlung präsentierten. Als Beweismittel galten der unmittelbare Augenschein, wie zum Beispiel der in flagranti überführte Täter, ein bei dem Angeklagten gefundener Tatgegenstand (corpus delicti) und die durch Eide bekräftigten Aussagen von Zeugen, gegen die jedoch die Gegenseite ihre eigenen Zeugen aufbieten konnte. Würde und Zahl dieser „Eideshelfer“ gaben dabei den Ausschlag, nicht die Plausibilität von Aussagen oder gar eine Ermittlung der materiellen Wahrheit. Stand Aussage gegen Aussage, entschied ein Gottesurteil das Verfahren, in der Regel der Zweikampf. Eine gerichtliche Untersuchung des fraglichen Tatherganges gab es in diesem Verfahren nicht, ebenso wenig eine schriftliche Dokumentation. Auch musste der Ankläger
Der inquisitorisch geführte Ketzerprozess das Risiko akzeptieren, die Strafe, die auf dem von ihm behaupteten Tatbestand lag, selbst zu ertragen oder vielmehr Schadensersatz zu leisten, wenn es ihm nicht gelang, seine Behauptungen zu bekräftigen (ius taleonis). Diese Last entfiel im inquisitorisch geführten Verfahren, wenn ein Richter die Ermittlung von Amts wegen aufnahm und Aussagen, die im Akkusationsverfahren eine förmliche Anklage konstituiert hätten, nun die Funktion einer Zeugenaussage erhielten. Das inquisitorische Prozessverfahren stand dem heutigen Strafverfahren viel näher als das ältere germanische Parteienverfahren. Die besonders in Ländern mit anglo-amerikanischer Rechtstradition bestehende negative Reputation des Inquisitionsverfahrens ist zunächst in seiner Struktur begründet: Die heimlich, das heißt nicht öffentlich geführte Untersuchung sowie die Personalidentität von Ankläger und Richter schränkten den Rechtsschutz des Angeklagten selbst dann ein, wenn die Verteidigungsmöglichkeiten noch nicht ausdrücklich beschnitten waren. Zur vollständigen Erosion der Rechte des Angeklagten führten dann die besonderen Formen des inquisitorischen Verfahrens (unter Einschluss der Folter), wie sie erst im kirchlichen Ketzerprozess, dann in den vor weltlichen Gerichten stattfindenden Hexenprozessen praktiziert werden sollten. Unter dem Eindruck des Auftretens der Ketzer änderte sich mit dem Prozessrecht (Verfahrensrecht) auch das materielle Strafrecht. Die Schwere des Ketzereidelikts führte in Verbindung mit dem christlichen Amtsverständnis von Kaiser, Königen und Fürsten dazu, dass es nicht alleine als geistliches Vergehen, sondern auch als weltliche Straftat angesehen wurde und eine besonders harte Bestrafung verlangte. Nach römisch-kaiserrechtlicher Auffassung musste ein Vergehen gegen den Glauben beziehungsweise die Staatsreligion immer auch als ein Verbrechen gegen den Kaiser (crimen laesae maiestatis) gelten. Da die Würde Gottes als höchste Majestät bewertet wurde, musste deren Verletzung – etwa durch Ketzerei – daher mindestens so hart bestraft werden, wie es das römische Recht bei Verletzung der kaiserlichen Majestät vorgesehen hatte. Daher drohten den Verbrechern gegen die göttliche maiestas Verbannung, meist aber die Hinrichtung sowie die Konfiskation ihrer Güter. Besondere Bedeutung sollten dabei die von Kaiser Friedrich II. ({ 1250) erlassenen Ketzergesetze (1220, 1232, 1238) erlangen, welche die Häresie erstmals für das gesamte Reichsgebiet zum Majestätsverbrechen erklärten. In den von ihm 1231 für sein Königreich Sizilien erlassenen „Konstitutionen von Melfi“ gingen die bis dahin für die Ketzerverfolgung entwickelten Rechtsinstrumentarien eine Symbiose ein, darunter implizit die Erlaubnis zur Folter, die im römischen Recht bei Hochverrat Anwendung fand, ferner die Strafe des Feuertodes (erstmals festgelegt 1224) und die Güterkonfiskation. In vergleichbarem Kontext strebte man auch auf päpstlicher Seite eine Vereinheitlichung des gegen die Ketzer gerichteten Prozess- und Strafrechtes an. Gregor IX. ({ 1241) ließ daher 1234 die kaiserlichen Ketzergesetze in seine Dekretalensammlung aufnehmen. 1252 übernahm Papst Innozenz IV. ({ 1254) von dem Stauferkaiser auch die Folter in das kanonische Recht. Einen weiteren entscheidenden Schritt vom Ketzer- zum Hexereiverfahren ermöglichte Papst Johannes XXII., als er 1320 den Inquisitoren von Carcassonne und Toulouse den Auftrag erteilte, nach Maßgabe der Vorschriften
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Inquisitionsverfahren
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… die Zauberer sollst du nicht leben lassen
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Ketzerprozess
über den Ketzerprozess gegen Personen vorzugehen, die sich mit Dämonen einließen und mit deren Hilfe diverse Formen der Magie (zum Beispiel Wahrsagerei) und Schadenzauberei betrieben. In seiner 1326 erlassenen Bulle Super illius specula wurde überdies zum ersten Mal verfügt, dass solche Zauberei generell nach den Ketzergesetzen untersucht und bestraft werden sollte. Ausgesprochen folgenschwer sollte werden, dass Papst Gregor IX. das Instrumentarium des Inquisitionsverfahrens ausdrücklich als processus extraordinarius festgeschrieben hatte. Der inquisitorisch geführte Ketzerprozess wurde damit als Ausnahmeverfahren definiert und ausgestaltet: Die Rechtsposition der Angeklagten war erheblich geschwächt, die Position des vorsitzenden Richters (meist ein Inquisitor oder ein Bischof) hingegen gestärkt. Weitere Maximen des so definierten inquisitorischen Ketzerprozesses waren: Einleitung des Verfahrers von Amts wegen aufgrund nur einer (heimlichen) Denunziation; Zulassung von Personen als Denunzianten und Zeugen, welchen zuvor kein beweisrelevantes Zeugnisrecht zugestanden worden war (zum Beispiel Frauen, Kinder, Tatkomplizen, Kriminelle); Einschränkung oder faktisch völlige Unterbindung von Verteidigungsmöglichkeiten; Zulassung der Folter zum Erzwingen von Geständnissen sowie die Verurteilung auch ohne Geständnis aufgrund reiner Indizienbeweise. Ein geständiger Ketzer erhielt zwar nach der Auflage von oft schweren Bußstrafen (zum Beispiel lebenslange Haft) die Möglichkeit, zumindest formal in die christliche Gemeinschaft zurückzukehren. Rückfällig gewordene Ketzer hingegen sollten sofort der weltlichen Gerichtsbarkeit zur Hinrichtung übergeben werden. Auch wenn die Verfolgung der Ketzer durch geistliche Inquisitionsgerichte erfolgte, lag doch die Vollstreckung der Todesurteile immer in den Händen weltlicher Instanzen, entsprechend dem kirchenrechtlichen Grundsatz, dass die Kirche kein Blut vergießen dürfe. Mit Blick auf diese Repressionsmöglichkeiten muss auch die als Teil des Inquisitionsverfahrens eingeführte Schriftlichkeit des Verfahrens letztlich als Faktor angesehen werden, der zu einer Schwächung der Position des Angeklagten in allen Stadien eines Prozesses führte. Mit der planvollen Anlage und Archivierung von Akten, die auf Tausenden von Seiten mit Denunziationen, Verhören und Komplizenlisten gefüllt waren, welche den Angeklagten in der Regel nicht zugänglich gemacht wurden, schufen sich die Inquisitoren und Tribunale ein überlegenes Herrschafts- und Machtinstrumentarium, dessen bürokratisches „Gedächtnis“ eine effiziente Fortführung der Verfahren sicherte.
3. Die Übernahme des inquisitorisch geführten Ketzerprozesses durch weltliche Gerichte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Akkusationsprinzip im inquisitorischen Verfahren
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Die inquisitorische Prozessform blieb kein für die kirchlichen Gerichte vorbehaltenes Verfahren, denn allzu sehr fügte sie sich in die allgemeine politische Entwicklung des späten Mittelalters mit der ihm eigenen Tendenz zur Ausweitung und Intensivierung von Herrschaft ein. Erste Anzeichen für ihre
Die Übernahme des inquisitorisch geführten Ketzerprozesses Übernahme durch die weltlichen Gerichte sind daher bereits im 14. Jahrhundert, noch vor Beginn der Epoche der Hexenverfolgungen, zu erkennen. Trotzdem wurden Elemente des germanischen Parteienverfahrens weiterhin verwendet und vermischten sich mit den Methoden des Inquisitionsverfahrens. Ein lokales Gericht oder ein Vertreter des Hochgerichtsherrn musste oder konnte nicht immer von sich aus inquisitorisch aktiv werden. Vielmehr konnte es Gründe geben, abzuwarten, bis ein Kläger mit einer entsprechenden Klage eine solche Untersuchung beantragte. Ein solcher Kläger handelte dann nach wie vor zu den Konditionen des älteren Akkusationsverfahrens: Er musste förmlich die Haftung für die Folgen seiner Klage übernehmen, indem er sich entweder gleichzeitig mit dem Beklagten inhaftieren ließ oder zumindest Kaution leistete beziehungsweise Bürgen stellte. Diese Garantien sollten gewährleisten, dass der Angeklagte im Falle eines Scheiterns der Klage eine Entschädigung erhielt. Wenn ein Gericht oder ein Gerichtsherr auf dieser Grundlage eine Klage angenommen hatte, begann der inquisitorische Teil: Das Gericht ließ die vom Kläger angeführten Zeugen vernehmen und ihre Aussagen aufschreiben. Dann wurden Klage und Zeugenaussagen geprüft, ob sie den behaupteten Sachverhalt soweit bestätigten, dass eine Inhaftierung des Angeklagten und, so dieser leugnete, auch seine Folterung berechtigt sein würde. Es ist offensichtlich, dass auch ein inquisitorisch geführtes Verfahren, wenn es in akkusatorischer Form eingeleitet worden war, dem Kläger gewisse, vor allen Dingen finanzielle Schwierigkeiten in den Weg legte und auf diese Weise leichtfertige Anklagen erschwerte. Anders lagen die Dinge, wenn Gerichte oder Gerichtsherren Strafverfahren nach dem Prinzip des reinen Inquisitionsprozesses von Amts wegen einleiteten, denn in diesem Fall schützten keine Haftungskautelen den Angeklagten, weil die Obrigkeiten nicht schadensersatzpflichtig waren. Ob nun die Gerichte und Gerichtsherren auf die eine oder auf die andere Weise vorgingen, konnte unter anderem von ihrem Interesse an den behaupteten Tatbeständen abhängen oder welche Glaubwürdigkeit sie diesen zumaßen. Entscheidend wirkte sich auch die Frage aus, ob das Hexereidelikt aus gerichtlicher Sicht als diabolisches Verbrechen von monströsen Ausmaßen bewertet wurde. Gerade in letzterem Fall mussten auch die Befürworter harter Verfolgungen zugeben, dass es sich um ein dunkles Delikt (delictum occultum) handelte, das durch Augenschein überhaupt nicht zu beweisen war, weil niemand, der bei rechtem Verstand war, sich freiwillig als Teilnehmer am Sabbat oder als Augenzeuge der dort vorgefallenen Untaten präsentieren würde, sieht man einmal von Aussagen ab, die angeblich zum Sabbat entführte Kinder machten. Unter der Prämisse, dass Hexerei als diabolisches Verbrechen interpretiert wurde, thematisierte ein entsprechendes Verfahren überdies nicht allein ein konkretes Fehlverhalten, ein materielles Verbrechen, sondern zugleich eine moralische Einstellung, eine Gesinnungsstraftat, ein spirituelles Delikt, für dessen Nachweis eine eigene Beweiswürdigung nötig wurde, wie man sie nur im kirchlichen Häresieverfahren fand. Die Befürworter der Hexenprozesse argumentierten daher, gerade der monströse Charakter des Verbrechens in Verbindung mit seiner okkulten Natur rechtfertige ganz besondere Maßnahmen zur Überführung der Ange-
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Ausnahmeverfahren
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Ausnahmeverbrechen
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klagten. Damit war man beim Ausnahmeverfahren nach Art des inquisitorischen Ketzerprozesses und ganz besonders bei der Anwendung der Folter angelangt. Solange Gerichte und Richter das Delikt nur aufgrund vereinzelter, privater Anklagen behandelten und nicht von sich aus aktiv wurden, lagen die Hürden für klassische Schadenzaubereiprozesse und erst recht für massenhafte Hexenprozesse relativ hoch. Eine Änderung dieses moderaten Verhaltens konnte allerdings eintreten, wenn sich die neue Deliktvorstellung der kollektiven Hexerei allgemein ausbreitete und damit der Handlungsdruck auf die weltlichen Gerichte erhöht wurde. In dem Maße wie die Gerichte das neue Bild von der Hexensekte rezipierten, musste zugleich die Bereitschaft für Offizialtätigkeit und die Akzeptanz auch anderer Beweismittel als die des bloßen Augenscheins steigen. Gerücht, schlechter Leumund oder auffälliges, deviantes Verhalten erhielten den Wert von Realindizien. Zugleich musste die Hemmschwelle sinken, die Folter nicht nur zur Erlangung eines Geständnisses einzusetzen, sondern darüber hinaus zur Ermittlung vermeintlicher Komplizen, deren Existenz sich logisch aus der Annahme einer Hexensekte ergab. Trotz der nachweislichen Zunahme von Prozessen und Hinrichtungen wegen Hexerei kam es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht zu einer ungebremsten Ausbreitung der im Alpenraum begonnenen Verfolgungen. Tatsächlich stellten sich dem Inquisitor Heinrich Institoris bei seinen Verfolgungskampagnen derartige Schwierigkeiten in den Weg, dass er sich veranlasst sah, den berüchtigten Malleus maleficarum zu schreiben. Ein ganzes Drittel dieses Machwerks widmete er der Empfehlung des inquisitorischen Verfahrens, das – geführt als processus extraordinarius – vortrefflich gegen die Hexerei in den Kampf geführt werden konnte. So konstatierte Institoris die Pflicht weltlicher Gerichte, Hexereiverfahren zu führen, wobei sie die Prozesse entweder durch eigene Untersuchungen (ex officio) oder aufgrund von geheimen Denunziationen, auf keinen Fall aber nach der Klage eines Privatmannes eröffnen sollten. Denn, wie Institoris durchaus schlüssig begründete, das traditionelle Akkusationsverfahren bringe den privaten Kläger durch die Androhung der Talionsstrafe zu sehr in Bedrängnis, auch ziehe es zu viele Unklarheiten und Streitigkeiten nach sich. Wenngleich man die konkreten Auswirkungen der Anweisungen des Hexenhammer für die Verfahrensführung nicht überschätzen darf, so ist doch vieles, was darin als Anweisung für die gerichtliche Praxis formuliert wurde, später zu regulären Bestandteilen von Hexenprozessen geworden; denn dieses Traktat muss als das erste systematisch aufgebaute Plädoyer dafür gelten, Zauberei- und Hexereiprozesse als weltliche Häresieprozesse zu führen. Damit stand ein Referenzwerk zur Verfügung, auf das sich spätere Juristen berufen konnten, wenn sie auf das Ausnahmeverfahren (processus extraordinarius) des Ketzerprozesses zugreifen wollten. Dies bedeutete insbesondere die Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten, die Annahme von zweifelhaften Zeugen und Zeugnissen, die perfiden Methoden der (vermeintlichen) Enttarnung von Hexen (Teufelsmal, Tränenprobe) und das Erzwingen von Geständnissen durch psychische wie physische Folter. Zusätzliche Unterstützung sollte die Anwendung des Ausnahmeverfahrens durch die Definition des Hexereideliktes als Ausnahmeverbrechen (crimen exceptum) erfahren. Diese aus dem römischen Recht stammende Vor-
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stellung bezog sich auf Straftaten (Hochverrat, Totschlag, Vergewaltigung und Giftmord), deren Bedrohungspotential als derartig schwerwiegend empfunden wurde, dass man Abweichungen vom regulären Rechtsgang für gerechtfertigt hielt. Das Christentum akzeptierte diese Einstellung aufgrund der Überzeugung, Gottes Zorn werde über die Welt hereinbrechen, wenn derart schlimme Verstöße gegen die göttliche Ordnung nicht mit der gebotenen Härte verfolgt würden. Die gerichtliche Akzeptanz von Personen (Frauen, Ehrlose, Soldaten und Sklaven), denen man bis dahin ein Zeugnisrecht abgesprochen hatte, machte den Weg frei für die Praxis, geständige Häretiker als Belastungszeugen gegen andere der Häresie angeklagte Personen zuzulassen. Umgesetzt in die Hexereiverfahren bedeutete dies, dass „geständige“ Hexen ihre vermeintlichen Komplizen belasten mussten. Die von Institoris so vehement eingeforderte Unterstützung der weltlichen Justiz konnte jedoch nur erlangt werden, wenn die damit befassten Eliten überzeugt werden konnten, dass es sich bei den Hexen nicht um Ketzer der herkömmlichen Art handelte, sondern um eine häretische Sekte, die durch ihre Verbindung zum Teufel zur Ausführung schrecklichster Schadenzauber befähigt war. Diese „Überzeugungsarbeit“ ist trotz der ersten Verfolgungsschübe in den 1480er und 1490er Jahren (vgl. Kap. VI) zunächst nicht durchweg gelungen, wie sich zum einen am deutlichen Rückgang der Hexenjagden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, zum anderen aber auch an den zurückhaltenden Formulierungen der zeitgleich entstandenen Gesetzeswerke (1507: Bamberger Halsgerichtsordnung; 1532: Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.) ablesen lässt. Zumindest dem Wortlaut nach wurde darin immer noch die klassische Definition des Schadenzaubers, ohne ausdrücklichen Bezug zur Ketzerei und zur diabolischen Hexerei, präsentiert. Allerdings hat der Jurist Ulrich Tengler ({ 1511) die Empfehlungen des Hexenhammer in seinen, an die weltlichen Gerichte adressierten Layenspiegel (1509, 1511) übernommen. Der relative Rückgang der gerichtlichen Verfolgungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts hat trotzdem nicht die Ausbreitung des neuen Hexenglaubens verhindert (Kap. III, Kap. V). Ebenso arbeitete die zunehmende Rezeption des inquisitorischen Gerichtsverfahrens zukünftigen Hexenverfolgungen entgegen.
4. Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten Die im Hexenhammer beklagte Zurückhaltung der weltlichen Obrigkeiten bei der Verfolgung der Hexensekte sollte sich ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Zentral- und Westeuropa grundlegend ändern, denn die nun im großen Stil einsetzenden Hexereiverfahren wurden in der Masse nahezu ausschließlich vor weltlichen Gerichten geführt. Doch existierte in den einzelnen Staaten, Territorien, Landschaften, Städten und Gemeinden eine derartige Fülle differierender Rechtsnormen und Traditionen auf dem Gebiet des Prozess- und Strafrechts sowie im Bereich der Gerichtssysteme, dass das Superverbrechen der Hexerei in ganz unterschiedlicher Weise be-
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Politische Strukturen
Rechtliche Faktoren
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handelt werden konnte. Diese Seite des ‚alten‘ Europas muss genauso berücksichtigt werden wie die im gleichen Zeitraum hervortretenden modernen Züge der Rechtsentwicklung (allgemeine Rezeption des römischen Rechts, Übernahme des Inquisitionsverfahrens, Ausbildung eines gelehrten Juristenstandes). Dabei wird die Modernisierung des Rechtswesens gern als ein Faktor angesehen, welcher die Verfolgungen gefördert habe. Doch lässt sich zeigen, dass diese Entwicklung eher die Behinderung der Verfolgungen und schließlich ihr Ende möglich machte (vgl. Kap. VIII.4). Gleiches gilt mit Blick auf die frühneuzeitlichen politischen Strukturen. So ist häufig darauf hingewiesen worden, das Engagement der weltlichen Justiz bei den Hexenjagden der Frühen Neuzeit füge sich nahtlos in den Ausbildungsprozess frühmoderner Staatlichkeit in Europa ein. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung, die unterschiedlich in Intensität und Erfolg voranschritt, stand das Interesse der Obrigkeiten, die Hochgerichtsbarkeit (Blutgerichtsbarkeit) und die Kontrolle der Strafjustiz als wichtigste Elemente bei der Ausbildung eines Gewaltenmonopols in die landesfürstliche Hand zu bekommen. Dem stand jedoch gerade ein ungeheures Ausmaß territorialer und rechtlicher Zersplitterung entgegen, dessen Rolle bei den Verfolgungen bislang noch zu wenig thematisiert wurde. Besonders in der Übergangszone zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Königreich Frankreich, in Luxemburg, in Lothringen, im Elsass und im savoyisch-schweizerischen Raum sind eine Vielzahl solcher kleiner Herrschaftsgebilde auszumachen. Allein im territorial stark zersplitterten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation existierten Hunderte von Städten, Territorien und kleinen Herrschaftsgebilden, die im Rahmen ihrer traditionell selbständigen Gerichtsverfassung Hexereiverfahren führen konnten und dies auch taten, und sei es nur zur Demonstration ihrer Blut- und Hochgerichtskompetenzen. Als Faustregel kann festgehalten werden, dass eben nicht der frühmoderne Staat mit seinem organisierten Justizapparat, besetzt mit juristisch geschulten Beamten, zum Zentrum von Hexenverfolgungen wurde, sondern vielmehr mittlere und kleine Herrschaften mit schwacher protostaatlicher Infrastruktur (vgl. Kap. VII und VIII). Grundsätzlich nahmen auf der Ebene der Rechtsnormen und der Gerichtswirklichkeit mehrere Faktoren Einfluss auf die Führung von Hexereiverfahren. Damit aus Einzelverfahren, wie sie auch während der schweren Verfolgungszeiten in manchen Regionen immer noch vorkamen, Kettenprozesse werden und sich aus endemischen Verfolgungsschüben innerhalb einer Gerichtsherrschaft epidemische, hochgerichtliche und territoriale Grenzen überschreitende, Hexenjagden entwickeln konnten, mussten auf Seiten der Justiz einige Weichenstellungen vorgenommen werden. Als entscheidende Kriterien sind in diesem Kontext zu benennen: – Der Grad der Akzeptanz des Hexensabbat-Konstruktes; – die Orientierung der Rechtsprechung am Gewohnheitsrecht (welches je nach regionaler Ausprägung den Gebrauch der Folter einschränkte, wie beispielsweise in England und in Skandinavien) oder am römischen Recht (mit expliziter Erlaubnis der Folter); – die Bewertung des Hexereiverfahrens entweder im Sinne des Ausnahmeverfahrens (crimen exceptum und processus extraordinarius) oder des processus ordinarius;
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– die jeweilige Besetzung der lokalen Gerichte mit ungelehrtem oder mit juristisch ausgebildetem Personal; – die Eigenständigkeit der lokalen Gerichte und Behörden oder ihre Einbindung in ein hierarchisch aufgebautes Justiz- und Verwaltungssystem, das die Trennung zwischen verfahrensführender und urteilsfindender Behörde und eine durchsetzungsfähige Aufsicht über das lokale Prozessgeschehen garantieren konnte. a) Der Glaube an den Hexensabbat und die Suche nach Komplizen Katholische Dämonologen, Juristen und Inquisitoren wie Paolo Grillando (1. Hälfte 16. Jh.), Bartolomeo della Spina ({ 1546), Jean Bodin ({ 1596), Peter Binsfeld ({ 1598), Martin Del Rio ({ 1608), Nicolas Rémy ({ 1612), Henri Boguet ({ 1619), Friedrich Förner ({ 1630), Pierre de Lancre ({ 1630) oder Heinrich von Schultheiß ({ 1646) akzeptierten uneingeschränkt die Wirklichkeit des Hexensabbats als Versammlungsort der neuen Ketzersekte, wo Teufelsanbetung sowie sexuelle Ausschweifungen mit Dämonen und Komplizen stattfinden sollten. Die Teilnehmerzahl solcher Treffen wurde meist in die Hunderte, ja in die Tausende geschätzt. Deshalb schrieben die Verfasser in ihren oftmals in mehreren Auflagen und Übersetzungen erscheinenden Traktaten der Denunziation angeblicher Sabbatteilnehmer und damit der vermeintlichen Enttarnung weiterer Anhänger der Hexenketzersekte durch geständig gemachte Hexen einen hohen verdachtsleitenden Indizienwert zu, auf deren Grundlage die Folter angewandt werden durfte. Auf theoretischer Basis legitimierten sie damit nicht nur ihre eigene Gerichtspraxis oder die ihrer Heimatländer, sondern gaben – je nach ihrer persönlichen Involvierung in die regionalen und überregionalen Verfolgungen oder nach Rezeption ihrer Schriften – auch wichtige Impulse zur Intensivierung der Hexenjagden in anderen Gebieten Europas. Auf der Grundlage des Hexensabbat-Konstruktes konnten lange Listen vermeintlicher Komplizen (meist, aber nicht immer, unter Folter) erfragt und die zunächst noch begrenzten Verfolgungen geradezu epidemisch ausgedehnt werden. Wenngleich in protestantischen Regionen das diabolische HexensabbatKonstrukt weniger Akzeptanz gewinnen konnte, so glaubte man doch daran, dass Hexen zumeist in Gruppen agierten (wie etwa in Norwegen) und sich heimlich zu Schadenzauber und Tänzen trafen. So fragte man im protestantischen Thüringen sehr wohl nach den Teilnehmern auf den „Hexentänzen“, an denen gemäß dem spezifisch protestantischen Hexerei-Verständnis jedoch kaum Männer teilnahmen. In der reformierten Grafschaft Lippe war die neue Hexenlehre mitsamt dem Sabbat-Konstrukt seit der Mitte des 16. Jahrhunderts adaptiert. In der lutherisch orientierten Stadt Lemgo, wo mindestens 250 Menschen wegen Hexerei hingerichtet wurden, existierte darüber hinaus das berüchtigte „Schwarze Buch“, in dem alle der Hexerei verdächtigten und besagten Personen verzeichnet worden waren. In Schweden war das Hexensabbat-Konstrukt zwar seit dem Ende des 16. Jahrhunderts bekannt, doch erst, als es in den nordschwedischen BlåkullaVerfolgungen (1668–1676) breite Akzeptanz fand, kam es zu annähernd 300 Hinrichtungen. Gleichwohl konnte auch schwächere Akzeptanz des Sabbat-Konstruktes eine höhere Prozessdichte nicht immer verhindern; so
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verzeichneten das calvinistische Schottland mit ungefähr 1000 und das lutherische Herzogtum Mecklenburg mit circa 2000 Hinrichtungen die höchsten Hinrichtungszahlen innerhalb der nördlichen protestantischen Länder. So konnte es auch in Territorien und Ländern, wo man der Vorstellung des diabolischen Hexensabbats und vom Hexenflug skeptisch gegenüber stand, zu Kettenprozessen und Hinrichtungen kommen, die allerdings – aufgrund eines anderen Verständnisses – zahlenmäßig meist geringer ausfielen. Dabei wurden in protestantischen Territorien des Alten Reiches, in England, Schottland und in den skandinavischen Ländern Prozesse häufig nur auf der Basis von Schadenzaubereianklagen zugelassen und mit Hinrichtungen beschlossen. Das gleiche Ergebnis war möglich, wenn Schadenzauberei als eigentliches Werk der Dämonen und nicht der Hexen erachtet, jedoch den Angeklagten der Teufelspakt und der Wille zur Schädigung als todeswürdiges Verbrechen angelastet wurde. Der Einfluss der so genannten Kursächsischen Konstitutionen (1572) scheint hier unverkennbar.
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Kursächsische Konstitutionen Das von Kurfürst August von Sachsen ({ 1586) erlassene Gesetzbuch aus dem Jahr 1572 enthält – im Vergleich mit der Carolina – wichtige neue Bestimmungen zum Hexereidelikt. Im Gegensatz zur Carolina, wo nur der Schadenzauber, nicht aber die diabolische Gesinnung mit dem Feuertod bestraft werden sollte, wenn tatsächlich eine Schädigung ermittelt werden konnte, stellten die Kursächsischen Konstitutionen erstmals den spirituellen Aspekt des Hexereideliktes in den Vordergrund. Demnach sollte der Teufelspakt mit dem Feuertod bestraft werden, unabhängig davon, ob ein Schadenzauber – und damit ein materieller Straftatbestand – nachgewiesen werden konnte. Schadenzauber ohne Teufelspakt ebenso wie die Wahrsagerei, welche sich der Hilfe des Teufels bediente, sollte ebenfalls mit dem Tod geahndet werden, jedoch ‚nur‘ mit der weniger entehrenden Strafe des Enthauptens. Damit säkularisierten die Kursächsischen Konstitutionen als weltliche Gesetzgebung die bis dahin dem geistlichen Ketzerprozess vorbehaltene Verfolgung eines spirituellen Deliktes. Anstelle des ursprünglichen Entwurfes wurden die gegenüber dem älteren Sachsenspiegel gemilderten Strafen für nichtschädigende magische Praktiken und die Konsultation von magischen Spezialisten ersatzlos gestrichen. Volksmagisches Brauchtum fiel so zwar aus den todeswürdigen Strafbestimmungen heraus, durch fehlende Bestimmungen gab es jedoch eine Gesetzeslücke, welche die individuelle Auslegung möglich machte. Da Kursachsen als Führungsterritorium galt, nahmen die Konstitutionen großen Einfluss auf die Gesetzgebung in anderen protestantischen Territorien.
b) Gewohnheitsrecht oder römisches Recht? In den meisten Gerichten des frühneuzeitlichen Europa hatten das auf dem römischen Recht basierende Strafrecht und der damit einhergehende inquisitorische Prozess formal (und zunächst nur oberflächlich) Einzug gehalten. Ausnahmen bildeten die Gerichte in England, Schottland (hier wurde das römische Recht nur teilweise rezipiert) und in Skandinavien, die sich weiterhin an ihren jeweiligen Gewohnheitsrechten orientierten. Hier blieb das akkusatorische Verfahren in Gebrauch, bei dem Geschworenenjuries über den Verfahrensausgang entschieden. Allerdings wurden – wie in Dänemark oder Schweden – die Entscheidungen der lokalen Gerichte von übergeord-
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neten Instanzen überprüft, bestätigt oder verworfen. In England, wo ein vergleichbares Gerichtssystem fehlte, wirkte es sich beispielsweise entscheidend aus, dass die juristisch ungebildeten Geschworenen dem gleichen lokalen Milieu entstammten wie die Angeklagten. Allerdings standen diese Gerichte unter dem Vorsitz reisender Richter („assizes“), welche nicht dem direkten Umfeld des Prozessgeschehens angehörten und eine solide juristische Ausbildung erfahren hatten. Offiziell zwar nur Urteilsverkünder, konnten verständige rechtskundige Richter durchaus großen Einfluss auf den Ausgang der vor Schwurgerichten geführten Verfahren nehmen. Nicht korrekt ist die Ansicht, dass dort, wo das römische Recht und das daran orientierte inquisitorisch geführte Hexereiverfahren angewandt wurden, grundsätzlich mehr Prozesse mit tödlichem Ausgang geführt worden wären. Richtig ist, dass sich mithilfe des Offizialverfahrens von Seiten der Obrigkeit schneller Verfolgungen initiieren ließen. Dieses herrschaftlich kontrollierte Verfahren eröffnete aber auf der anderen Seite auch die effektive Möglichkeit, Hexenprozesse rascher zum Stillstand zu bringen. So blieben auch in Ländern mit gewohnheitsrechtlich geführten Strafverfahren zum einen sehr wohl Hexenjagden mit hohen Hinrichtungsquoten möglich (wie zum Beispiel 1645–1647 im englischen Essex oder generell in Schottland), zum anderen wurden hier noch lange Einzelverfahren geführt, während in Territorien mit römisch-rechtlichen Rechtstraditionen längst Ruhe eingekehrt war. c) Indizien Als reguläre Indizien galten wie bei jedem anderen Strafdelikt so genannte Realindizien: Aussagen von Zeugen über die (vermeintlich) ursächliche Nähe der Angeklagten zu Schadensfällen, über sonstige verdächtige Verhaltensweisen, die einen Bezug zu Zauberei und Hexerei beweisen sollten und über ihren Leumund (fama, Gerüft, Geschrey). Bekanntschaft, Haushaltsgemeinschaft und Verwandtschaft – insbesondere in der direkten familiären Linie – mit anderen wegen Hexerei bereits verdächtigten oder hingerichteten Personen konnten ebenfalls als Indizien gelten. Besonders in jenen Territorien und Herrschaften, wo das Delikt der Hexerei als Ausnahmeverbrechen (crimen exceptum) gewertet wurde, ließ man zweifelhafte Verdachtsindizien zu, um – nach außen formalrechtlich korrekt – die peinliche Frage anwenden zu können. So wurden die Bezichtigungen durch geständig gemachte Hexen (denunciatio complicum oder Besagung) als Ersatz für die Aussagen von Tatzeugen angesehen und daher besonders hoch eingeschätzt. Die Zulassung dieses Indizes war allerdings umstritten – hier wirkte noch die Illusionstheorie nach – und generell vom Grade der Akzeptanz der Sabbatvorstellung abhängig. Selbst dort, wo man die Komplizennennung grundsätzlich akzeptierte, wurde ihr Stellenwert im Verfahren unterschiedlich eingestuft. So konnte die Besagung als allein ausschlaggebendes Indiz gewertet werden mit der fatalen Wirkung, dass mit den auf der Folter erpressten Namen Kettenprozesse in Gang gesetzt wurden (wie beispielsweise bei den verheerenden Verfolgungen in Würzburg und Bamberg um 1630). In anderen Gebieten ließ man die Besagung als rechtskräftiges Indiz zu, erlaubte die Folter aber nur in Kombination mit den
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Kinder als Belastungszeugen
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so genannten Realindizien. Wie viele Besagungen nötig waren, um eine Person in Verdacht und in ein Verfahren zu bringen, wurde ebenfalls unterschiedlich diskutiert. Der Ansicht des Trierer Weihbischofs Peter Binsfeld, eine einzige Bezichtigung durch eine geständige Hexe genüge zur Anwendung der Tortur, wurde in dieser Radikalität besonders während der Massenverfolgungen in den fränkischen Hochstiften gefolgt. Einen besonderen Stellenwert gewannen in diesem Zusammenhang die Aussagen von Kindern und Heranwachsenden, welche angeblich von Hexen auf den Sabbat entführt worden waren, wobei solche Transporte körperlich oder nur im Traum geschehen konnten. Hexenverfolgungen, welche durch diese, meist freiwillig abgelegten Geständnisse und Besagungen ausgelöst wurden, lassen sich bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisen (Navarra). Nach 1550 begannen sich dann Nachrichten der Jesuiten zu mehren, dass Kinder von Hexen entführt oder von ihnen mit einem Dämon besessen gemacht worden wären. Ihnen konnten nach Meinung einiger Jesuiten nur mehr spektakuläre Exorzismen helfen. Es war wiederum der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld, der ausdrücklich die bereits in Trier und Umgebung praktizierte Verwendung solcher Hexenbuben und -mädchen als Belastungszeugen legitimierte. Ausdrücklich hielt er 1589 in seiner Schrift fest, dass man nur mit deren Aussagen überhaupt die Führer der Hexensekte, die in der Alltagswelt zu den Vornehmen und Reichen gehören würden, enttarnen könne. Der lothringische Generalprokurator Nicolas Rémy verlangte in diesem Zusammenhang die Herabsetzung des Mindestalters jugendlicher Angeklagter, damit man sie eher der Todesstrafe zuführen könne. In Schweden kumulierte man die belastenden Aussagen von Kindern, bis sie das „Gewicht“ der Zeugnisse Erwachsener erreichten. Ihre Rolle als Kronzeugen verschonte im Übrigen Kinder und Jugendliche kaum vor Folter (meist Schläge mit Ruten) und Hinrichtung. Konkrete Wirkungen zeigten speziell die Ausführungen Binsfelds besonders in den fränkischen Verfolgungen (um 1630). Verheerende Folgen zogen die freiwillig abgelegten Geständnisse und Bezichtigungen von Kindern und Jugendlichen auch während der großen baskischen Hexenpanik (1608–1612), in den schwedischen Blåkulla-Verfolgungen (1668–1676) sowie in Prozessen im neuenglischen Salem (1692) nach sich. Als ausgesprochene Kinderhexenprozesse sind die Salzburger Zauberer-Jackl-Verfolgungen (1675–1679) sowie späte bayerische Verfahren (1720, 1754, 1756) zu bezeichnen. Letzte Hexenprozesse in Schottland (1696/1697) waren ebenfalls den Aussagen eines angeblich besessenen Mädchens und zum Sabbat entführter Kinder verdankt. Das Problem der strukturell bedingten Beweisnot bei Hexereiverdächtigungen führte daneben zur Kreation von heute sehr exotisch anmutenden Vorstellungen und Verfahrensweisen. So ließ man beispielsweise den Scharfrichter, seine Helfershelfer oder aber so genannte „Hexenstecher“ (witch pricker) mithilfe einer Nadel den Körper der Angeklagten nach als Hexenmale bezeichneten, (angeblich) schmerzunempfindlichen, blutleeren Hautanomalien absuchen, welche man als Markierungszeichen des Teufels wertete. Solche Teufelsmale – analog gedacht zur christlichen Taufe – ließen sich auch ohne Nadeln aufspüren. In England suchte man bei Verdächtigen nach einer auffälligen Stelle am Körper, welche man sich als
Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten Zitze vorstellte, mit der die Hexe angeblich ihren in Tiergestalt auftretenden, dienstbaren Dämon nährte. Da gerade protestantische Territorien das Hexensabbat-Konstrukt eher ablehnten oder aber es nicht zur Grundlage von Indizien machten, mussten sie sich auf andere (vermeintliche) Verdachtsmomente zum Beweis des Teufelspaktes stützen. Deshalb scheint die Suche nach dem Hexenmal bei protestantisch gesinnten Gerichten weiter verbreitet gewesen zu sein als bei ihren katholischen Gegenstücken. Andere Experten behaupteten, verdächtige Personen allein durch einen Blick in ihre Augen als Hexen enttarnen zu können. Insgesamt verdanken sich die Hexenjagden im Grenzraum zwischen Frankreich und den Niederlanden (vor 1621), im Languedoc (1643–1645), in Burgund (1644–1646), in Südengland (1645–1647) wie auch in Schottland (1661/62) nicht unwesentlich der Arbeit solcher professioneller Hexenfinder, die vorgaben, entweder das Teufelsmal, die Teufelszitze oder den bösen Blick der Hexen erkennen zu können. In Verfahren des späten 17. Jahrhunderts wurde überdies der so genannte Spektralbeweis zugelassen. Er beruhte auf der Annahme, der Teufel könne in der Gestalt von ihm durch Paktschluss verbundenen Hexen andere Menschen im Traum, in einer Vision oder aber für Dritte unsichtbar heimsuchen und quälen. Jede in einer solchen Spektralerscheinung (angeblich) bemerkte Person galt als der Hexerei verdächtig, da unterstellt wurde, der Satan könne nur nach expliziter Zustimmung die Gestalt einer bestimmten Person annehmen. Anwendung fand diese Form des Beweises in einigen wenigen Verfahren in Frankreich (meist in Zusammenhang mit Besessenheitsfällen in Frauenklöstern) sowie in Bury St. Edmunds (1662) und in Salem (1692). Während Heißwasser- und Feuerproben zur Identifizierung von Hexen nur selten angewandt wurden (etwa in einigen Regionen des Balkans), sollte die schon im Mittelalter bekannte, so genannte Kaltwasserprobe größere Indizienkraft erhalten. Grundlage dieses Gottesurteils oder Ordals war die Ansicht, dass das reine Element des Wassers den sündigen Körper der Hexe abstoßen würde. Gebräuchlich war diese Probe besonders im Westen und Norden des Alten Reiches, in Teilen Frankreichs, in den Niederlanden, in England, Skandinavien und in Osteuropa (Ungarn, Balkan). Auch in den amerikanischen Kolonien (Connecticut, Virginia) lässt sie sich nachweisen. Selbst wenn viele Theologen und Juristen die Wasserprobe als illegal betrachteten (so Peter Binsfeld) oder obrigkeitliche Verordnungen diese verboten (etwa 1595 in den spanisch-habsburgischen Niederlanden durch Philipp II. von Spanien ({ 1598) oder 1601 in Frankreich durch das parlement de Paris), fand die Kaltwasserprobe weiterhin Anwendung. Dabei wurde der Proband entweder nackt oder in ein Hemd gekleidet mit kreuzweise gefesselten Extremitäten, stets jedoch an einem Sicherungsseil geführt, vom Scharfrichter in ein stehendes Gewässer geworfen. Schwamm der Körper der verdächtigten Person auf oder ging er nicht richtig unter, galt der Hexereiverdacht als bestätigt. Im nächsten Schritt zog man den Probanden wieder heraus und übergab ihn dem weiteren Verfahren. Die weit verbreitete Meinung, man habe Menschen, die bei der Wasserprobe untergingen, ertrinken lassen, ist irrig. Allerdings kam es gelegentlich zu Formen von Lynchjustiz, wenn der Hexerei verdächtige Personen von einer aufgebrachten Menge einfach ins Wasser gestoßen und ertränkt wurden.
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Spektralbeweis
Ordale
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Insgesamt variierte allerdings auch die Prozedur der Wasserprobe von Territorium zu Territorium, von Hochgericht zu Hochgericht. Während sie beispielsweise an westfälischen Gerichten lange vor einem Hexereiverfahren oft von verdächtigten Personen freiwillig, zur Reinigung ihres Leumunds, nachgefragt wurde, wandte man sie in anderen Territorien wie in der Reichsabtei St. Maximin bei Trier während der bereits laufenden peinlichen Frage an, um die Widerstandskraft noch ungeständiger Personen zu brechen. In Schweden wurde die Wasserprobe an einer verdächtigten Person mit Erlaubnis des Gerichts oft von deren Verwandten ausgeführt, weil die Berührung des Scharfrichters als unrein galt. Festzuhalten bleibt, dass von den Gerichten gerade zum Erbringen von Indizien wie Teufelsmal und Wasserprobe kundige „Spezialisten“ angeheuert wurden, denen man oft einen erstaunlich breiten Spielraum zu Betrug und Vorteilsnahme gewährte (vgl. Kap. VII.3.g). d) Folter Als eine Art feste Regel etablierte sich der Anspruch, dass für einen Schuldspruch entweder die Aussagen zweier unabhängiger Tatzeugen oder das Geständnis des Angeklagten notwendig waren. Da bei einem so geheimen Verbrechen wie der Hexerei jedoch kaum die zwei geforderten, unbescholtenen Tatzeugen zu finden waren, musste man auf andere Mittel zurückgreifen, um den Angeklagten zu einem Geständnis, das als „Königin des Beweises“ galt, zu bringen. Konnte ein solches Geständnis nicht auf freiwilliger Basis erzielt werden, durfte die Folter nach der Vorlage entsprechender verdachtsleitender Indizien eingesetzt werden. Die Tortur war schon im römischen Recht regulärer Teil der Verfahren zur Überführung der Schuldigen von besonders schweren Verbrechen (crimen exceptum) gewesen. In Gebieten mit starker germanischer Rechtstradition konnte sie als Ersatz für die älteren Gottesurteile verstanden werden. Nicht nur bei Hexenprozessen, sondern bei allen Kapitaldelikten kam sie in der Frühen Neuzeit zum Einsatz, allerdings nicht in England, wo sie mit Ausnahme von Hochverratsanklagen verboten war. Neben generellen Verboten von Folter gab es auch erhebliche Einschränkungen ihrer Anwendung. So durfte die Folter nach dänischem Recht erst nach einem freiwillig abgelegten Geständnis und nach einem Todesurteil angewandt werden. Jedoch muss auch hier die Diskrepanz zwischen Norm und Praxis beachtet werden; wie Verfahren in Südengland und in Norwegen (welches unter dänischer Herrschaft stand) nahe legen, wurde hier die Tortur trotz Verbotes illegal angewandt. Dass unter der Folter auch Unschuldige zum Geständnis gebracht oder Schuldige zu Falschaussagen veranlasst werden konnten, war bereits zeitgenössischen Juristen durchaus bekannt. So formulierten sie Regeln, welche die Erlaubnis zur Folter an bestimmte Indizien banden. Diese Regeln verlangten ein hohes Maß an belastendem Material, nach Möglichkeit zwei Augenzeugen des vermuteten Tatherganges. Waren solche nicht vorhanden, sollte die Schwere anderer Indizien, am besten ein corpus delicti, die nötige Sicherheit liefern. Doch im Falle von Hexerei gab es aus den erwähnten Gründen weder freiwillige Augenzeugen – sieht man von den Kindergeständnissen ab (vgl. oben) – noch ein corpus delicti, wenn auch mitunter
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Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten intensiv nach der ominösen Hexensalbe gesucht wurde. Daher konnten sich die Erwägungen des Gerichts nur auf die so genannten Realindizien und auf die in der Regel unter der Folter erlangten Geständnisse anderer Hexen beziehen. Insbesondere dort, wo man das Delikt der Hexerei als crimen exceptum auffasste, wurden die Anforderungen, die zur Erlaubnis der Folter an das Beweismaterial zu stellen waren, erheblich reduziert. Damit ging eine großzügige Handhabung der Regeln einher, welche Härte, Dauer und Wiederholung der Folter festlegten. Insbesondere in diesem Fall erwarteten die Angeklagten schwere, unbarmherzige Misshandlungen, welche in der überwiegenden Zahl aller Fälle in ein Geständnis mündeten. Die in der peinlichen Frage angewandten, meist gestaffelten Methoden der Schmerzzufügung reichten dabei unter anderem von Daumen- und Schienbeinschrauben, dem Aufziehen mit nach hinten verrenkten Armen (strappado), dem Sitzen auf einem so genannten Bock (ein auf der Sitzfläche spitzzulaufender Balken), dem Auspeitschen, dem Abbrennen von Schwefel auf der Haut, dem Stehen auf einer glühenden Ofenplatte bis zum Sitzen auf einem glühenden Stuhl. Berüchtigt war das „Bamberger Hexenbad“, wobei die Delinquenten in eine Flüssigkeit aus heißem Wasser mit ungelöschtem Kalk getaucht wurden – eine Tortur, die kaum jemand überlebte. In manchen Regionen kam der Wachhaltestuhl (sedes vigiliae) in Gebrauch. Solange die Verfahren vor den lokalen Gerichten mittels Aktenversendung an die juristische Aufsicht einer vom Prozessmilieu räumlich und personell entfernten übergeordneten Instanz gebunden waren, blieb die Anwendung der Folter trotz aller Härte in der Regel noch an bestimmte Normen gebunden. Praktisch schrankenlose Folter konnte jedoch eingesetzt werden, wo sich 1. an Hochgerichten ein scharfes, gegen obrigkeitliche Aufsicht abgeschottetes Verfolgungsmilieu ausbildete (vgl. Kap. VII und VIII); 2. die juristische Aufsicht zwar durch einen beigeordneten rechtsgelehrten Kommissar ausgeübt wurde, dessen Fanatismus und Eigeninteresse die Ausbildung eines verdichteten Verfolgungsmilieus aber gerade begünstigte (wie in Kurköln, in den Nassauischen oder in den Manderscheider Grafschaften); 3. die Hexenjagden von einer obrigkeitlich eingesetzten gerichtlichen Sonderkommission kompromisslos durchgeführt wurden, wobei untersuchungs- und urteilsfindende Behörde quasi personalidentisch waren (wie zum Beispiel in den fränkischen Hochstiften). Dies festzuhalten ist durchaus von Belang, denn nicht wenige Angeklagte waren imstande, in Grad und Wiederholung begrenzte Foltern auszuhalten. Ungeständigkeit, die jedoch vom Gerichtstribunal als Halsstarrigkeit und Verstocktheit gewertet wurde, war in der Kernzeit der Hexenverfolgung praktisch die einzige Möglichkeit, eine (nicht selten nur vorübergehende) Freilassung zu erzwingen. Daneben legten besonders Kinder und Jugendliche oft freiwillige Geständnisse und Bezichtigungen ab (vgl. oben). Grundsätzlich sind die Motive für „freiwillig“ abgelegte Geständnisses schwer einzuschätzen. Schon einige Angeklagte in den berüchtigten Templerprozessen sollen solche
IV.
Bedingungen exzessiver Folter
Freiwillige Geständnisse
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… die Zauberer sollst du nicht leben lassen
IV.
Komplizenlisten
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ohne Tortur erreichten Geständnisse geliefert haben. Tatsächlich aber waren sie sehr wohl grausam gepeinigt worden, bevor sie ihre angeblichen Verbrechen gestanden hatten; „freiwillig“, das heißt ohne Folter, hatten sie hingegen – wie es das römische Recht forderte – das Geständnis lediglich wiederholt. Sieht man einmal von solchen und ähnlichen Manipulationen der Gerichtsprotokolle ab, so eröffnete die Verhörsituation in Hexereiverfahren vielfältige Möglichkeiten, Angeklagte auch ohne physische Schmerzzufügung zum Geständnis zu bringen. Allein die Androhung der Folter konnte entsprechende Auswirkungen haben. Daneben machten die verhörenden Beamte und Richter falsche Versprechungen, eine Vorgehensweise, wie sie etwa schon Heinrich Institoris und Jean Bodin vorgeschlagen hatten. Die absichtlich schlechten Haftbedingungen in kalten, nassen, dunklen Löchern voller Ungeziefer und Ratten, oft angekettet und in Eisen geschmiedet, ohne hygienische oder medizinische Versorgung, trugen ein übriges dazu bei, standhaftere Angeklagte zu demoralisieren und ihren Willen zu brechen. Einschlägige Ergebnisse erzielten auch längere Haftzeit, welche den Wächtern einen großen Spielraum zur Einschüchterung und Drangsalierung der Gefangenen einräumte. Auch der Inhalt der Geständnisse blieb von der Einschätzung des Deliktes abhängig. War nur der Schadenzauber, nicht aber die diabolische Hexerei mit ihren Einzelbestandteilen verhandelt worden, musste das Geständnis zumindest die zur Last gelegten Fälle von Schadenzauberei enthalten. Wo die Vorstellung vom kumulativen Hexereidelikt verbreitet war, konnten die Geständigen manchmal auf Ersteres verzichten, allerdings musste in aller Ausführlichkeit die Verführung durch den Teufel, die Abschwörung Gottes, die Einwilligung in den Teufelspakt und den Geschlechtsverkehr mit dem Dämon bis zum Zusammentreffen mit den übrigen Hexen auf dem Hexensabbat geschildert werden. Die namentliche Nennung der dort angeblich erkannten Komplizen krönte das Geständnis. Letztlich wurde damit die Realität des gesamten Konstrukts scheinbar bestätigt und zugleich die Notwendigkeit weiterer Prozesse bedeutsam gemacht. Ein einzelnes Geständnis konnte auf diese Weise schnell zur Nennung einer großen Zahl von vermeintlichen Komplizen führen, die in regelrechten Listen festgehalten wurden, wie sie besonders im Gebiet des Alten Reiches weit verbreitet waren. Eine einzelne Aufstellung umfasste dabei leicht an die Hundert Personen. Im Territorium der Reichsabtei St. Maximin bei Trier wurden von 306 zum Geständnis gebrachten Hexen zusammen in über 6400 Besagungen ungefähr 1400 Personen als Teilnehmer der Hexentänze bezeichnet („Musiel-Register“). Zusammengeführt wurden die Hinrichtungs- und Komplizenlisten oft in so bezeichneten Schwarzen Büchern oder Blutbüchern (zum Beispiel Cochem/Mosel, Lemgo oder Molsheim/Elsass). Es bleibt aber festzuhalten, dass bei weitem nicht jede auf diese Weise der Hexerei bezichtigte Person in ein Verfahren gezogen wurde. In England, Schottland und in den skandinavischen Ländern, wo offiziell die Folter nicht oder kaum angewandt worden ist und das HexensabbatKonstrukt, von Ausnahmen abgesehen, keine große Akzeptanz fand, weiteten sich die Einzelverfahren nur selten zu Kettenprozessen aus. Die in England völlig andere Form des Gerichtsverfahrens mit akkusatorischer Einlei-
Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten
IV.
tung und Urteilsfindung durch Geschworene bedingte allerdings, dass eine Verurteilung auch ohne Geständnis möglich war. Doch als es während der Verfolgung in Essex (1645–1647) – organisiert von den professionellen Hexenfindern Matthew Hopkins ({ 1647) und John Stearne ({ 1671) – zu Fragen nach dem Sabbat und zur Anwendung von Foltermethoden (Schlafentzug für mehrere Tage: watching and walking oder tortura insomniae) kam, häuften sich Geständnisse und Hinrichtungen. e) Urteil und Hinrichtung In den Ländern und Regionen, in denen das römische Recht Anwendung fand, konnte erst bei Vorliegen eines Geständnisses, das zudem außerhalb der Folter „freiwillig“ wiederholt und bestätigt werden musste, das Urteil gefällt werden. Wurde die angeklagte Person für schuldig im Sinne des Hexereideliktes befunden, erging in der Regel ein Todesurteil. Selbst dort, wo die Vorstellung vom kumulativen Delikt der diabolischen Hexenketzersekte weniger vorherrschte – wie zum Beispiel in Schottland und in skandinavischen Ländern – wurden die Delinquenten oft verbrannt, weil der ‚sündige‘ Körper der Hexe vernichtet werden sollte. Die Verbrennung selbst fand in Strohhütten, auf Scheiterhaufen oder in speziell dafür gebauten Öfen (etwa in Schlesien) statt. In sehr vielen Fällen gewährte man den Verurteilten die ‚Gnade‘, zuvor stranguliert oder geköpft zu werden. In Lothringen band man beispielsweise den Delinquenten ‚gnadenhalber‘ ein Säckchen mit Schießpulver um den Hals. Die Lebendverbrennung verhängte man besonders dann, wenn die Angeklagten sich im Sinne des Gerichts als halsstarrig und verstockt gezeigt beziehungsweise wenn sie das Geständnis mehrmals widerrufen hatten und/oder wenn man ihnen viele angebliche Hexereiverbrechen vermeintlich nachweisen konnte. Strafverschärfend wurden solche Delinquenten dann auf ihrem Weg zur Hinrichtungsstätte noch zusätzlich gequält, wie beispielsweise mit glühenden Zangen gerissen. Gerade dort, wo sich ein scharfes Verfolgungsmilieu verdichtet hatte und wo es zu massenhaften Bränden kam, denen bei einem Hinrichtungstermin oft gleich mehrere Personen zum Opfer fielen, fanden viele Lebendverbrennungen statt. Dabei machte man auch nicht vor der Hinrichtung von Säuglingen, Kleinkindern und Jugendlichen halt, so geschehen im schlesischen, unter fürstbischöflicher Regierung stehenden Fürstentum Neisse, wo zwischen Februar 1651 und August 1652 mehr als 250 Menschen verbrannt wurden. Während man in England vermeintliche Hexen hängte und nur solche Frauen verbrannte, die durch Schadenzauberei auch ihren Ehemann getötet haben sollten, verbrannte man in Schottland die zuvor strangulierten Körper der Verurteilten. Auf dem orthodoxen Balkan wurden Schadenzauberinnen von der Bevölkerung selten an die osmanischen Behörden ausgeliefert und dort in der Regel zum Tod durch Steinigung verurteilt. In Russland, wo ebenfalls das christlich-römische Verständnis von Hexerei nicht verbreitet war, wurden männliche Zauberer zum Tod durch Köpfen verurteilt, in der Regel aber begnadigt und zum Militärdienst an die Grenzen verbannt; Frauen hingegen wurden lebendig begraben oder verbrannt. In einigen Städten des Alten Reiches, wo die Obrigkeit versuchte, Scha-
Hinrichtungsarten
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Theater des Schreckens
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denzauberei lediglich als Verstoß gegen das Magieverbot und nicht als kumulatives Hexereidelikt zu behandeln, war die Strafe der Verbannung nicht selten. Doch gab es auch Gerichte, welche das Todesurteil nur für diejenigen verhängten, welche ‚hartnäckig‘ ein Schuldeingeständnis verweigerten, während für geständige, reuige Hexen entsprechende Bußen ausgesprochen wurden. Diese Vorgehensweise findet sich bei den Urteilen der kirchlichen Inquisitionen, welche vor ihrem grundsätzlichen Einstellungswandel gegenüber Hexereiverfahren Todesurteile über unbußfertige oder rückfällige Hexenketzer verhängten, während bußfertige und reuige angebliche Hexen (wie gleichermaßen andere Ketzer) lebend und bekehrt in die christliche Gemeinschaft zurückgeführt werden sollten. Bestes Beispiel dafür bietet das große Autodafé, welches die Spanische Inquisition im baskischen Longroño 1610 abhielt. Von den dort vorzuführenden 31 (vermeintlichen) Hexen – neben 21 anderen ‚normalen‘ Fällen von Häresie (darunter auch Lutheraner, Conversos und Morisken) – waren lediglich elf zum Tode verurteilt worden; weitere achtzehn Personen hatten „freiwillig“ (nach wochenlangem Aufenthalt im Gefängnis der Inquisition und der Gehirnwäsche fortgesetzter Befragung) gestanden, bereut und wurden nach entsprechenden Auflagen (Konfiskation des Vermögens, Verbannung oder Inhaftierung für eine bestimmte Zeit) begnadigt. Zwei Priester erhielten die Möglichkeit, sich durch die Folter vom Vorwurf der Hexerei zu reinigen, was ihnen später auch gelang. Von den elf zum Tode verurteilten Personen musste man fünf als Leichen verbrennen, da sie bereits an einer Typhus-Epidemie im Gefängnis verstorben waren. Lediglich sechs Personen, welche jedes Eingeständnis der Hexenketzerei hartnäckig verweigert hatten, wurden als unbekehrbare Todsünder den Flammen übergeben (Henningsen). So paradox es klingen mag, aber in ähnlicher Weise verfuhren auch einige protestantische Gerichte. So bestanden während der großen schwedischen Hexenpanik (1668–1676), welche von angeblich auf den Sabbat entführten Kindern ausgelöst worden war, für diejenigen, die ihre Schuld als Hexen eingestanden und damit ihre Fähigkeit, dem Bösen zu widerstehen, demonstrierten und bereuten, sehr große Chancen, begnadigt zu werden. Jene Frauen aber, die jedes Geständnis verweigerten, wurden als unrettbar dem Teufel Verfallene zum Tode verurteilt. Auch während der Hexenjagden in Salem (1692) verurteilte man die ungeständig gebliebenen Hexen zum Tod durch den Strang. Deutlich kam hier die Vorstellung von Hexerei eher einem Glaubensdelikt als einer materiellen Straftat nahe. Hinrichtungen waren in der Epoche der Frühen Neuzeit immer eine auf Abschreckung zielende Inszenierung, ein „Theater des Schreckens“, das die Schwächen der damaligen Strafverfolgung kompensieren, die gestörte Ordnung wieder herstellen und die Fähigkeit der Obrigkeit zur Friedenssicherung demonstrieren sollte. Die Teilnahme einer möglichst großen Öffentlichkeit war nicht nur erwünscht, sondern im Fall der Hinrichtung von Hexen oftmals auch angeordnet. Von den Delinquenten wurde eine reumütige Pose erwartet, welche die Rechtmäßigkeit des Urteils unterstützte und auf keinen Fall den Verdacht auf Fehl- und Falschurteile erregen durfte. Aus Hexenprozessen ist daher auch bekannt, dass sich Angeklagte bei ihrem letzten Gang noch einmal an das Publikum wandten und dabei „mit weinenden
Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten Augen“ eine Ansprache hielten, in der sie ihre Schuld betonten, alle Anwesende um Verzeihung baten sowie zu Umkehr, Reue und Buße aufriefen. Ein besonders abschreckendes Beispiel für eine demonstrativ grausame, ja sadistische Inszenierung bietet die im Jahr 1600 in München erfolgte Hinrichtung der Vagantenfamilie Pappenheimer, mit der die verfolgungsfördernde Partei in Bayern (vergeblich) größere Hexenjagden initiieren wollte. Dabei wurden die sechs Verurteilten (das Ehepaar Pappenheimer, zwei ihrer erwachsenen Söhne sowie zwei ihrer männlichen ‚Komplizen‘) auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte an sechs Stationen mit glühenden Zangen gerissen; auf dem Richtplatz schnitt man der Frau die Brüste ab, den Männern zerbrach man Arme und Beine auf dem Rad. Paulus Pappenheimer, der als Anführer galt, wurde darüber hinaus noch gepfählt, bevor man alle (noch) lebendig verbrannte. Wie der Pappenheimer-Prozess dienten auch andere Hinrichtungen von berüchtigten Hexen und Hexenmeister (wie Walburga Hausmännin aus Dillingen und der „Werwolf“ Peter Stump aus Bedburg bei Köln) als Vorlage für die Abfassung von Flugblättern und Neuen Zeitungen, welche einmal mehr das Fahndungsbild „Hexe“ verbreiten halfen. Generell war es üblich, vor der eigentlichen Hinrichtung die Untaten der Delinquenten detailliert zu verlesen. Hier findet sich eine der wichtigsten Ursachen für die Diffusion einschlägiger Hexereivorstellungen innerhalb der Bevölkerung. Wo die Prozesse vom Konzept der ketzerischen Hexensekte bestimmt blieben, wurden außerdem die Angaben zu jenen Personen vorgetragen, welche die Geständigen als weitere Teilnehmer der Hexentänze hatten nennen müssen. Aus späteren Verboten kann geschlossen werden, dass diese Angaben zumindest in der Anfangszeit der Verfolgungen tatsächlich namentlich gemacht wurden. Doch danach konnten allein die Beschreibungen von Aussehen und Kleidung vermeintlicher Tatkomplizen der an der Verlesung beteiligten Öffentlichkeit immer noch recht genaue Hinweise geben, um die Verdächtigen aus ihrer Mitte zu identifizieren. Es bleibt jedoch ein weit verbreiteter Irrtum, Hexenrichter, Gerichtstribunale und Hochgerichtsherren hätten sich mit dem Vermögen der Hingerichteten die Taschen gefüllt und Hexenjagden seien allein aus Gründen der finanziellen Bereicherung angezettelt worden. Dagegen spricht allein, dass die bei Ketzerprozessen übliche und erlaubte Totalkonfiskation bei Hexereiverfahren nicht in allen Territorien angewandt wurde. Gelegentlich wurde jedoch vor Prozessbeginn ein Inventar der mobilen und immobilen Vermögenswerte auf Seiten der angeklagten Person zusammengestellt, auch um eine ‚Entfremdung‘ dieser Güter während des laufenden Prozesses zu verhindern und so die Begleichung der anfallenden Kosten zu sichern. Selbst dort, wo Total- oder Teilkonfiskationen erlaubt waren, ließen sich aus dem Vermögen der Hingerichteten oft kaum die Prozesskosten decken. Für die meisten Herrschaften war die Führung von Hexereiverfahren rein finanziell gesehen ein Verlustgeschäft, auch wenn es gelegentlich – wie im Hochstift Würzburg – tatsächlich zur Konfiskation erheblicher Vermögen kam. Üblich war jedoch, dass die Familien der Hinterbliebenen die Prozesskosten begleichen mussten, wobei dieser Posten den an den Verfahren beteiligten Individuen und Gruppen durchaus beträchtliche Einnahmequellen bot (vgl. Kap. VII.3.g).
IV.
Bereicherung?
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IV.
f) Die Bedeutung der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. für die Hexenprozesse
Indizienlehre
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Während für manche protestantische Territorien nach 1572 eher die Kursächsischen Konstitutionen den Rahmen für die Hexereigesetzgebung sowie den Umgang der Justiz mit diesem Delikt (vermittelt durch den Juristen Benedict Carpzov, { 1666) schufen, blieb für katholische Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und für den habsburgischen Staatenverbund die 1532 erlassene Peinliche Strafgerichtsordnung Karls V. (Carolina) relevant. Grundsätzlich eine Mischung aus allgemeinem Verfahrensrecht und Strafbestimmungen zu Kapitalverbrechen (materielles Prozessrecht), behandelte dieses Werk in einigen Artikeln auch das Verbrechen der Zauberei. Seine Hauptabsicht war, die Fülle gewohnheitsrechtlicher Straf- und Verfahrensformen sowie die davon abhängigen notorischen Missbräuche (Artikel 218) durch am römischen Recht orientierte Regeln reichsweit einzudämmen. Dabei vereinigte die Carolina Elemente des traditionellen Akkusationsverfahrens mit dem Inquisitionsverfahren. Sie galt aufgrund der so genannten salvatorischen Klausel nicht für alle Territorien verbindlich. Die konkrete Bedeutung der Carolina für Hexereiverfahren erscheint durchaus zwiespältig. So stellte sie dem Wortlaut nach nur die tatsächlich schädigende Zauberei unter Todesstrafe, überließ die Bestrafung der Zauberei ohne Schädigung dagegen dem Ermessen des Richters (Artikel 109). Mit keinem Wort wird die Annahme einer ketzerischen, teufelsdienerischen Hexensekte erwähnt. Andererseits griff man bei der Definition der Indizien, welche den Zaubereiverdacht glaubwürdig begründen sollten (Artikel 44), wenn auch nicht explizit, so doch praktisch auf eine Indizienlehre zurück, welche schon der Hexenhammer formuliert hatte. Insbesondere das Indiz der „Gemeinschaft mit anderen Zauberern“ bot im Grunde ein Einfallstor für jede Anklage, welche die Existenz einer Hexensekte voraussetzte. Eine Anklage auf Schadenzauberei konnte demnach durchaus die Frage nach weiteren Komplizen aufwerfen; umgekehrt konnte jeder Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer geheimen Hexensekte zur Unterstellung von Schadenzauberei führen. Die Unterscheidung von Zauberei mit und ohne Schadensfolge wurde damit unerheblich. Gleichermaßen brauchbar für Hexereianklagen war das in der Indizienlehre der Carolina auch genannte Indiz des einschlägigen Leumunds von Verdächtigen, ein Indiz, das praktisch in keiner Anklageschrift wegen Hexerei fehlte. Aufgrund dieser konzeptionellen Offenheit der Carolina für das kumulative Delikt der Hexerei diente dieses Gesetzwerk auch als formale Grundlage für Massenverfolgungen. Ausdrücklich muss aber betont werden, dass sie viele allgemeine Bestimmungen enthielt, welche angeklagten Personen und ihren Familien helfen konnten, das drohende Ende eines Hexereiverfahrens abzuwehren. Unter den durchaus als moderat zu bezeichnenden Bestimmungen der Carolina stehen an erster Stelle die Beibehaltung des ordentlichen Strafprozesses (processus ordinarius) und des akkusatorischen Verfahrensprinzips, nach welchem ein privater Kläger ebenso für die Kosten des Vorverfahrens (Anfertigung der Klageschrift, Beibringen der Zeugen und anderes) haften musste wie für die Folgen, die seine Klage für den Angeklagten hatte (vgl. Kap. IV.2). Obrigkeiten, die Hexereiverfolgungen eindämmen
Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten wollten, haben diese Verfahrensweise ganz bewusst dazu genutzt, Ankläger abzuschrecken. Auch erlaubte die Carolina eine Verteidigung (Artikel 47), ohne dies etwa durch Verweis auf die Besonderheit eines crimen exceptum einzuschränken. Eine verdächtigte Person, die aufgrund vorliegender ‚Indizien‘ verhaftet worden war, durfte zur Erlangung eines Geständnisses, nachdem die gütliche Befragung ohne Ergebnis geblieben war, gefoltert werden. Zwar enthielt die Carolina keine Bestimmung, welche Dauer, Art und Wiederholung der peinlichen Befragung regelte (Artikel 58), doch durften während des Verhörs keine Suggestivfragen gestellt, und das Geständnis sollte vom Angeklagten nach einer mehrtägigen Ruhepause ohne Folter wiederholt werden (Artikel 56). Widerrief die angeklagte Person ein solches Geständnis, sollte man sie erneut der peinlichen Frage unterwerfen (Artikel 57). Generell war das Gericht in schweren Fällen, zu denen im Besonderen die Verhandlung des Hexereideliktes gehörte, dazu angehalten, nicht nur vor jedem neuen Verfahrensschritt (zum Beipiel vor dem Beginn des Verhörs unter der Folter), sondern auch zur Bestätigung des Urteils, Rechtsgutachten (Advise) einzuholen (Artikel 219). Für diese waren die übergeordneten Gerichte („Oberhöfe“) oder Juristenfakultäten zuständig. Damit versuchte die Carolina, die zumeist noch mit ungelehrten Schöffen besetzten Gerichte an eine übergeordnete Instanz und an die Urteilsfindung ausgebildeter Juristen zu binden, um Rechtsmissbräuche zu vermeiden. Gleichzeitig war eine Herauslösung der Entscheidungsfindung aus dem lokalen Milieu der Anklage intendiert. Alle diese Bestimmungen, und besonders das Instrument der Aktenversendung an eine auswärtige Instanz, konnten einer kritischen Prozessaufsicht die Handhabe zur Einschränkung und Behinderung von Hexereiverfahren geben. Hatte die inquirierte Person den Schadenzauber mit oder ohne Folter zugegeben, sollte sie nach Artikel 52 der Carolina die Umstände der Tat detailliert angeben: mit welchen Hilfsmitteln, wie und wann sie den Schadenzauber ausgeführt (das Gericht war angehalten, nach den angegebenen Zauberwerkzeugen zu suchen), von wem und auf welche Weise sie das Zaubern gelernt habe, welche weiteren Zaubereitaten sie begangen und welche Schäden sie dabei verursacht habe. All dies spiegelt den Versuch wider, Regeln für eine rationale Tatsachenermittlung mithilfe des obrigkeitlich gelenkten, inquisitorisch geführten Verfahrens aufzustellen. Obwohl sich Gerichte und Juristen, die mehr an der Hexenverfolgung als an der Tatsachenermittlung interessiert waren, dadurch nicht von ihrem Vorsatz abhalten ließen, konnte das hier formulierte Anliegen helfen, juristische Einsprüche zu begründen. Bei aller Rationalität griff die Carolina durchaus auf eine archaische Tradition zurück, indem sie eine verbindliche Regel über das Ende der peinlichen Frage setzte: Angeklagte waren freizulassen, wenn sie trotz Folter ungeständig blieben (Artikel 58). Hier meint man ein fernes Echo der Gottesurteilstradition zu hören. Doch auch diese Anweisung zeigte in der Prozesspraxis zwei sehr unterschiedliche Folgen: Zum einen ließen fanatische und übereifrige Hexenjäger die Folterungen so grausam durchführen, dass die Angeklagten entweder starben oder ein Geständnis ablegten. Zum anderen konnte sich diese Regelung, wenn denn die peinliche Frage moderat und
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Glaubwürdigkeit des Geständnisses
Freilassung
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nicht bis zum Exzess angewandt wurde, als potentieller Störfaktor, bisweilen sogar als der Wendepunkt in einer ganzen Verfolgungsserie auswirken, wenn Angeklagte aufgrund ihrer Ungeständigkeit wieder freigelassen werden mussten. g) Die Rolle von Appellationsinstanzen Die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. stellte in vielen verfahrensrechtlichen Regeln ein Potential rechtsschützender Maßnahmen zu Verfügung, welches sich auch zum Nutzen der wegen Hexerei angeklagten Personen auswirken konnte. Als Beweis dafür kann die Rechtsprechung des Reichskammergerichtes in Hexereisachen gelten; denn dieses Reichsgericht hat sich nach Überzeugung der neuesten Forschung bei Anrufung um Rechtsschutz in Hexereianklagen ganz überwiegend auf die Seite der Angeklagten gestellt und auf die Einhaltung der Prozessregeln, wie sie das kaiserliche Recht formulierte, gepocht – und dies, obwohl vermutlich ein Teil seiner Mitglieder das Hexereiverbrechen für ein außerordentlich schweres Verbrechen hielten. Doch ging es den Juristen dieser übergeordneten Instanz ja nicht um die Ermittlung des materiellen Tatherganges, sondern um die Überprüfung des angewandten Verfahrensrechtes. Allerdings blieb das Prozessieren vor dem Reichskammergericht umständlich, langwierig und kostenintensiv und war allein schon deshalb nur den wohlhabenderen Familien unter den Hexereiangeklagten vorbehalten. Selbst wenn das Gericht in relativ kurzer Frist Mandate mit aufschiebender Wirkung erließ, konnte es geschehen, dass das lokale Gericht zwischenzeitlich bereits Tatsachen geschaffen hatte, indem der Angeklagte schon zur Folter und zum Geständnis gebracht worden war. Überdies konnte nach einem ergangenen Endurteil nicht mehr appelliert werden. Doch sind auch wirksame Entscheidungen des Reichskammergerichtes bekannt; so scheint es auch am Ende der Verfolgungen in Würzburg (1630) mitgewirkt zu haben. Allerdings beschäftigte sich nur eine verschwindend geringe Prozentzahl der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung überhaupt mit Hexereisachen. In diesem Kontext genoss die konkurrierende Institution des Reichshofrates, ein direkt dem Kaiser unterstehendes Gericht, welches ebenfalls bei Verstoß gegen kaiserliches Recht angerufen werden konnte, weitaus mehr Autorität. So trugen Eingriffe des Reichshofrates in die furchtbaren Hexenverfolgungen von Bamberg (1631), im Kurfürstentum Köln (1639) und in Vaduz (1681–1684) dazu bei, diese zu beenden (vgl. Kap. VI). Die in der Carolina geforderte Anbindung der lokalen Gerichte an eine übergeordnete Spruchbehörde, deren gelehrtes Personal nur aufgrund der Aktenlage und gemäß der Prozessordnung über den Fortgang der Verfahren entscheiden sollte (Aktenversendung), hätte bei strikter Befolgung eine Ausweitung der Verfolgungen im Alten Reich verhindern können. Doch die Strukturschwäche des Reiches ließ eine Durchsetzung des Reichsgesetzes gegen die Interessen der Partikulargewalten zunächst nicht zu (vgl. Kap. VII). In anderen europäischen Ländern jedoch lässt sich die erfolgreiche Etablierung von Aktenversendung, Instanzenzug und Appellationsbehörden feststellen. So bestimmte schon 1576 ein königlicher Erlass in Dänemark, dass alle Urteile in Hexereisachen von einem übergeordneten Gericht ge-
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Das Hexereiverfahren vor weltlichen Gerichten prüft werden müssten. In Frankreich war es besonders der oberste Gerichtshof in Paris (parlement de Paris), welcher die Möglichkeit eröffnete, durch direkten Appell ein Hexereiverfahren aus dem lokalen Gerichtsmilieu weg an das übergeordnete, mit seinem am römischen Recht orientierten, dem Hexereidelikt durchaus abwägend gegenüberstehenden Personal zu verweisen. Ab 1624 erklärte ein Edikt des parlement de Paris diese Appellpraxis bei Hexereiverfahren für alle Gerichte in seinem Einzugsbereich zur Pflicht. Auch die übrigen französischen Obergerichtshöfe (Toulouse, Rouen, Dijon, Bordeaux) beherzigten diese Politik der Aufsicht über die lokalen Gerichte und ihre Urteilspraxis. Vergeblich bemühten sich Jean Bodin und Pierre de Lancre, diese übergeordneten Appellationsinstanzen zu intensiveren Verfolgungen anzuregen. So hat das parlement de Rouen mehr Menschen wegen des unrechtmäßigen ‚Lynchens‘ von vermeintlichen Hexen zum Tode verurteilt als angebliche Hexen selbst. Ähnliche Entwicklungen sind im Herzogtum Luxemburg wie auch im ab 1633 teilweise zu Frankreich zählenden Herzogtum Lothringen festzustellen (vgl. Kap. VII). Grundsätzlich konnten Serien von Hexenprozessen nur dort geführt werden, wo der gesamte Justizapparat in den Dienst der Verfolgungen gestellt wurde. Gerichtsherren, Fürsten, Regierungen und über Hochgerichtsrechte verfügende Stadträte mussten Hexenjagden zumindest dulden, wenn nicht explizit initiieren und fördern. Dort, wo Obrigkeiten die Verfolgungswünsche der Bevölkerung konsequent unterdrückt haben, wie zum Beispiel in der Kurpfalz, fanden keine Hexenprozesse statt. Dort, wo eine entsprechend skeptisch ausgerichtete obrigkeitliche Kontrolle der Verfahrensführung gesichert blieb, wie beispielsweise in den Herzogtümern Württemberg und Bayern, fanden vergleichsweise wenige Verfahren mit tödlichem Ausgang statt. Von entscheidender Bedeutung sollten deshalb generell die politische Kleinräumigkeit von Gerichtseinheiten sowie ihre noch mangelnde Anbindung an übergeordnete Kontrollinstanzen werden. Wie es scheint, war es – neben den dezidiert von oben organisierten und gelenkten Verfolgungen (wie in den fränkischen Hochstiften) – gerade ein Mischsystem materieller und prozessrechtlicher Vorgaben, welches den Ausbruch massenhafter, von den Gerichten getragener Hexenjagden zulassen konnte: eine pervertierte akkusatorische Prozesseinleitung, bei welcher der private Kläger oder ein Klagekonsortium faktisch der Klägerhaftung und Schadensersatzleistung enthoben war, eine inquisitorisch geführte Beweissicherung und Geständniserzwingung (ex officio), die Besetzung der Gerichte mit ungelehrten Schöffen aus dem direkten sozialen Umfeld der Betroffenen, die Akzeptanz des Hexensabbatkonstruktes, die Bewertung des Hexereideliktes als crimen exceptum, die Anwendung eines Schnellverfahrens und die mangelhafte Trennung zwischen verfahrensführender und entscheidungsfindender Behörde.
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Bedeutung des Justizapparates
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V. ein wuester grober irrthumb – die Frage von Recht und Unrecht Das Thema „Hexen und Hexerei“ ist während seiner gesamten Wirkungszeit von einem breiten Strom von Kommentaren begleitet worden: Gelehrte Abhandlungen, aber auch persönliche Kommentare in Briefen und Stellungnahmen, die zum Teil ebenfalls publiziert wurden, schließlich Flugschriften, welche Nachrichten über Prozesse und Verbrennungen wie moderne Boulevardblätter hinausschrien. Auf der einen Seite stehen Äußerungen, welche die Glaubwürdigkeit der Hexenlehre betonten und zur Verfolgung aufriefen. Auf der anderen Seite stehen skeptische Reaktionen und kritische Stimmen. Befürworter wie Gegner der Verfolgungen zeigten sich entsetzt und empört – die einen über die schrecklichen Taten der Hexen, die anderen über die Schrecken ihrer Verfolgung. Auch wenn Dauer und Intensität der Verfolgungen die über weite Strecken überragende Stellung der Hexenlehre und ihrer Befürworter bestätigen, so darf das Ausmaß von Skepsis und Kritik nicht gering geschätzt und im Hinblick auf das Ende der Prozesse im 18. Jahrhundert auch nicht unterschätzt werden.
1. Der Eindruck des Neuen: Sensation, Skepsis und Widerstand In den frühen Äußerungen der Anhänger der neuen Hexenvorstellung wird vor allem das Bemühen erkennbar, die Außenwelt von der Richtigkeit ihrer Erkenntnisse zu überzeugen. Insbesondere die weltlichen Obrigkeiten sollten dazu bewegt werden, jene Hindernisse aus dem Weg zu schaffen, welche eine Verfolgung der neuen Hexenketzerei behinderten (vgl. Kap. IV). So gab der weltliche Richter Claude Tholosan aus dem Dauphiné in seinem um 1436 verfassten Traktat an, er wolle die vorhandene ‚Unsicherheit‘ über die Behandlung dieser besonderen Ketzer beseitigen, denen man ja, im Unterschied zu den traditionellen Häretikern, nicht die Chance zur Umkehr einräumen könne, sondern die man zum Tode verurteilen müsse. Es war auch ein wesentliches Anliegen des Hexenhammer, die weltliche Gerichtsbarkeit für die Durchführung von Hexereiverfahren im großen Stil zu gewinnen. Damit zog sein Autor, Inquisitor Heinrich Institoris, die Konsequenz aus seinen gescheiterten Bemühungen, Hexenjagden zu initiieren. Die Bulle Papst Innozenz VIII. (1484), die Institoris bei der Kurie bestellt und seinem Buch beigefügt hatte, beklagte daher, Geistliche und Gemeinden in den Bistümern des deutschen Südens und Nordens hätten die vom Papst bestellten Inquisitoren an der Ausübung ihres Amtes gehindert. Ulrich Tengler, der als erster die Botschaft des Hexenhammer in deutscher Sprache propagierte (Layenspiegel, 1509; Der new Layenspiegel, 1511), räumte ein, die Verbrechen und Fähigkeiten, welche man den Hexen unterstellte, seien so unglaublich, dass sie mit menschlicher Vernunft nicht
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Der Eindruck des Neuen: Sensation, Skepsis und Widerstand leicht zu begreifen und zu glauben wären. Deshalb sei ja auch unter den Rechtsgelehrten mancherlei Zweifel und disputation entstanden und deswegen hätten weltliche Richter die Hexen zeitweise nicht verfolgen wollen. Der studierte Kleriker Wilhelm von Bernkastel musste sich sogar eingestehen, dass er den Verfechtern der Hexenlehre eigentlich nicht glauben dürfe, weil ihre Behauptungen den Lehren der alten kirchlichen Autoren zuwiderliefen (vgl. Kap. III). Tatsächlich – und dies mutet aus heutiger Sicht seltsam an – beriefen sich nun ausgerechnet die Skeptiker auf die Autorität der Tradition, wohingegen die Anhänger der Hexenlehre deren Modernität bemühten: Nur auf Erfahrung seien ihre Behauptungen gegründet, so Wilhelm, und die Erfahrungen selbst seien ganz aktuell. Den Protagonisten des Neuen blieb zunächst auch nichts anderes übrig, da sich ein wichtiges Element der Hexenlehre im vollständigen Widerspruch zu etablierten kirchenrechtlichen Anschauungen zu befinden schien: Die Flugvorstellung, die im Handbuch des Regino von Prüm und in den sich daran anschließenden kirchenrechtlichen Bestimmungen unter der Bezeichnung Canon Episcopi als teuflische Illusion bezeichnet worden war (vgl. Kap. III). Mit der Flugvorstellung aber stand oder fiel wiederum die zentrale Vorstellung vom Hexensabbat, der ja nur im Schutz der Nacht und an abgelegenen Orten ohne Gefahr der Entdeckung aufgesucht und gehalten werden konnte. Die Illusions-Theorie des Canon Episcopi wurde so zum Ausgangspunkt vieler Zweifel an der Wirklichkeit der von den Dämonologen beschriebenen Hexereiverbrechen. Schon speziell bei der Ausformung der Flugvorstellung schieden sich die Geister. So behauptete das vielleicht wichtigste programmatische Traktat der Anfangszeit (Errores gazariorum, nach 1435) die Möglichkeit des Fluges, während der um 1440 verfasste Dialog Champion des Dames des Martin Le Franc ihn ebenso wie das gesamte Szenario des Sabbat mit seinen abscheulichen Zeremonien und den dort ausgeheckten Verbrechen als Illusion verwarf. Im Jahr 1458 aber startete der Dominikaner und Inquisitor Nicolas Jacquier ({ 1472) in seinem Werk Flagellum haereticorum fascinariorum den prinzipiellen Gegenangriff: Der Canon Episcopi beziehe sich nur auf Illusionen, die Hexen aber existierten in Wirklichkeit. Außerdem könne der Canon überhaupt nicht das aktuelle Phänomen der Hexerei meinen, weil dieses – so schon Papst Alexander V. im Jahre 1409 – ein völlig neuartiges Verbrechen sei, welches zur Zeit seiner Abfassung noch nicht existiert habe. Auch der Autor des Hexenhammer widmete dem Canon eine ausführliche Kommentierung, um dem Leser das Gefahrenpotential der Hexen auch in dieser Hinsicht (Wie die Hexen von Ort zu Ort fahren) im Sinne der Hexenlehre überzeugend nahe zubringen – er unterstrich damit ein weiteres Mal, welche Bedeutung die alte Bestimmung des Canon im gelehrten Diskurs noch immer besaß. Es erscheint daher nur logisch, dass einerseits der erste literarische Versuch zur teilweisen Widerlegung der neuen Hexenlehre im Jahr 1489 von dem im Dienste des Erzherzogs Sigmund von Tirol ({ 1496) stehenden Juristen Ulrich Molitor ({ 1508) verfasst wurde, der gerade das ‚Ausfahren‘ der Hexen unter Hinweis auf den Canon Episcopi als bloße Illusion darstellte. Andererseits schmückte ein gewichtiger Befürworter des Hexenglaubens, der römische Jurist Paolo Grillando, im Jahr 1524
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Kritik am Hexenflug
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Allmacht Gottes
Unkraut unter dem Weizen
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gerade die mit dem Flug verbundene Sabbat-Vorstellung auf bislang nie dagewesene Weise weiter aus. Obwohl er den Teufelspakt nicht leugnete, gehörte Molitors Argument zu einem Angriff auf zentrale Bestandteile der Hexenlehre. In den Mittelpunkt stellte er Gottes Allmacht, welche den Hexen keinerlei Macht zur Veränderung der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten zubilligte. Das Erzeugen von Unwettern, die Verhexung von Menschen und Vieh, die Verwandlung in Tiere und eben der Flug zum Sabbat, all dies vermochten nicht die Hexen, sondern nur Dämonen (mit göttlicher Zulassung) und die von ihnen erzeugten Illusionen. Damit war ein prinzipieller Einwand gegen die Hexenlehre formuliert, dessen Spur sich durch die gesamte Diskussion bis zum Ende der Hexenverfolgungen ziehen sollte. Die grundlegende Differenz, welche die Skeptiker von den Hexengläubigen schied, beruhte auf der Frage, wie viel Macht Gott dem Teufel auf Erden trotz des Neuen Bundes einräumte. Bis hin zu den radikalen Kritikern Balthasar Bekker und Christian Thomasius beantworteten die Skeptiker diese Frage ganz restriktiv, während ihre Gegner ein Weltbild propagierten, in dem der Teufel, unbeschadet von Gottes Allmacht, aber gemäß biblischer Weltuntergangsprophezeiungen (Apokalypse) auf Erden herrschte, bevor Gottes Sohn selbst (wieder) erscheinen würde, um Strafgericht zu halten. Exemplarisch scheinen sich diese gegnerischen Positionen in einer Auseinandersetzung gegenüberzustehen, die 1519 in Metz stattfand, wo der berühmte Arzt Agrippa von Nettesheim ({ 1535) eine wegen Hexerei angeklagte Frau verteidigte. Sein Gegner, der dominikanische Inquisitor Nikolaus Savini, brachte als Hauptindiz vor, schon die Mutter der Angeklagten sei als Hexe verbrannt worden. Sodann berief er sich unter anderem auf den Hexenhammer, um glaubhaft zu machen, dass Zauberinnen nicht nur ihre Kinder gleich nach der Geburt den Dämonen weihten, sondern sogar im sexuellen Verkehr mit diesen selbst Kinder zeugten. Agrippa drehte daraufhin den beliebten Spieß der Dämonologen – Zweifler werden als Häretiker diffamiert – um, indem er den Inquisitor selbst der Ketzerei beschuldigte; denn dessen Argumentation laufe darauf hinaus, die Wirksamkeit des heiligen Sakramentes der Taufe zu bestreiten. Der Streit zwischen beiden Positionen wurde schon während dieser ersten Phase nicht nur mit theologischen, sondern auch mit juristischen Argumenten ausgefochten. Die Befürworter einer scharfen gerichtlichen Vorgehensweise beriefen sich auf die ihrer Ansicht nach nicht zu überbietende Bösartigkeit der Hexensekte. Das juristische Gegenstück zur dämonologischen Bewertung bildete daher die Einstufung dieses Verbrechens als Ausnahmetatbestand (crimen exceptum) und seine Aburteilung in einem summarischen Ausnahmeprozess (processus extraordinarius; vgl. Kap. IV). Dagegen mobilisierten die Skeptiker und Gegner alles, was das traditionelle Rechtswesen an Möglichkeiten zur Abwehr von Hexereianklagen bot; dies war vor allem – nach den Regeln des Akkusationsverfahrens – die Haftung eines privaten Anklägers für die Folgen seines gerichtlichen Auftretens. Ganz in diesem Sinne beharrte 1557 der Schleswiger Jurist Johann Boye darauf, dass der Richter dem Ankläger auferlege, mit Bürgen für die Folgen seiner Anklage zu haften. Denn falls der Beklagte nicht gestehe beziehungsweise sich als unschuldig erweise, stehe ihm der rechte Schadensersatz und
Neue Dimensionen der Verfolgungen
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der Obrigkeit die gebührende Buße zu. Boye lehnte zudem nicht nur das scharfe Verfahren ab, wie es die Befürworter der Hexenverfolgung forderten, sondern hielt jedes gerichtliche Vorgehen aufgrund derartiger Anklagen für problematisch: Denn man könne die Angeklagten nur durch Folter zum Geständnis bringen, was kein rechter Beweis sei; ebenso führe die Folter oft dazu, dass die Angeklagten auf die Fragen nach Komplizen Unschuldige angäben, nur um der Marter zu entgehen. Folgte man dieser Argumentation, dann gelangte man zu der ebenfalls grundsätzlichen Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck. Im viel zitierten biblischen Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Matthäus 13,29) hält Jesus die Knechte, welche das Unkraut vorzeitig ausreißen wollen, davon ab, um den Weizen zu schonen. Wann aber kam der Zeitpunkt der Ernte, bei der auf Jesu Gebot hin das Unkraut dann doch aussortiert und verbrannt werden sollte? Der pfalz-zweibrückische Reformator Johannes Schwebel ({ 1540) empfahl seinem Landesherren noch 1532, die Verfolgung der Hexen, deren Verbrechen er durchaus nicht bestritt, Gottes Strafgericht zu überlassen; denn die Gefahr sei zu groß, dass das fehlbare menschliche Gericht dabei auch Unschuldige belange. In den folgenden Jahrzehnten sollten vor allem protestantische Skeptiker und Gegner – im Gefolge von Johann Weyer ({ 1588) – mit ähnlicher Argumentation immer wieder die Diskussion über die Auslegung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen aufgreifen.
2. Neue Dimensionen der Verfolgungen In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die Häufigkeit von Hexenprozessen deutlich zurückgegangen. Auch hatte die Debatte über das Thema keinen Durchbruch der Verfolgungsbefürworter gezeigt. Trotzdem muss sich der gelehrte Hexenglauben in diesen Jahrzehnten räumlich in weiten Teilen Europas und gesellschaftlich in allen Schichten ausgebreitet haben. Anders wären weder der erneute Ausbruch von Verfolgungen ab den 1560er Jahre noch deren Heftigkeit zu erklären. Dass sie von einem gewaltigen Aufschwung dämonologischer Literatur begleitet wurden, hat allerdings auch mit dem Auftreten eines Kritikers zu tun, der als erster in umfassender Weise den Standpunkt des fundamentalen Skeptizismus artikulierte: Dr. Johann Weyer, Leibarzt des Herzogs von Kleve. Wie der Titel seines 1563 veröffentlichten Werkes ankündigte – De prestigiis daemonum (Über die Vorspiegelungen der Dämonen) – vertrat Weyer nachhaltig die Illusionstheorie in der Tradition des Canon Episcopi. Nicht nur der Hexenflug, sondern alles, was man unter Hexerei verstand, war demnach nur eingebildet, ein Resultat dämonischer Einflüsterungen; diese Macht räumte auch ein Weyer den Dämonen ein, obwohl er sie in die strengen Grenzen der von Gottes Allmacht bestimmten natürlichen Ordnung verwies. Was demnach für Schadenzauberei gehalten wurde, hatte für Weyer natürliche Ursachen, und was man den Hexen sonst noch unterstellte, war physikalisch nicht möglich. Dahinter stand Weyers medizinischhumanistisches Menschenbild: Nur schwachen, ungebildeten, armen, kran-
Weyer
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Katholische Reaktion
Katholische Kritik
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ken und geistig verwirrten Frauen konnte der Teufel einflüstern, sie seien Hexen und wären imstande, Hexerei zu begehen. Tatsächlich seien sie aber nur Opfer teuflischer Illusionsmacht; deshalb dürfe man sie noch nicht einmal für den bloßen Vorsatz der Hexerei verurteilen. Vielmehr solle man ihnen medizinische Behandlung und religiöse Belehrung zukommen lassen, damit sie sich der Versuchungen des Teufels erwehren könnten. Weyer forderte daher den Kaiser in einem offenen Brief auf, die Hexenverbrennungen, dieses Blutbad der Unschuldigen, nach welchem sonst den leidigen Teuffel […] ohn underlaß huengert und duerstet, zu beenden. Die Schrift des Arztes vom Niederrhein war der erste Frontalangriff auf den Hexenhammer. Auffallend heftig war die Reaktion auf der katholischen Seite. Ein Rudel hoch angesehener Juristen nahm den Fehdehandschuh auf, allen voran Jean Bodin, der mit seinen Six Livres de la République als einer der Begründer der modernen Staatslehre gilt. Zugleich muss Bodin aber auch als ein überzeugter Anhänger des Hexenglaubens bezeichnet werden. Zur juristischen Untermauerung und zur Propagierung scharfer Verfolgungen veröffentlichte er 1580 seine Daemonomania in vier Teilen, von denen einer allein der Widerlegung der Thesen Johann Weyers gewidmet war. Für Bodin stand fest, dass alle ‚Irrtümer‘ der Skeptiker vom Schlage Weyers aus ihren Zweifeln an der Macht der Hexen und Unholde herrührten. Dagegen führte Bodin in bewährter scholastischer Manier eine Vielzahl anderer Schriften an, allen voran die Bibel und altchristliche Autoren („Kirchenväter“). Insbesondere der Verweis auf das Matthäus-Evangelium, demzufolge Jesus vom Teufel durch die Luft transportiert worden sei, sollte den Gegnern das Canon-Episcopi-Argument aus den Händen schlagen sowie endlich den Einklang von Tradition und neuer Hexenlehre beweisen. Bodin bemühte darüber hinaus die gesamte heidnische Antike wie auch alle gegenwärtig an der Verfolgung beteiligten ‚Nationen‘, um sowohl die Wirklichkeit von Zauberei als auch deren immer schon harte Bestrafung darzulegen. Auf juristischer Ebene machte er ebenfalls seinen Gegner aus: Das ordentliche Verfahren (processus ordinarius) mit seiner privaten Klageeinleitung. Nicht einer unter hundertausend Zauberern würde angeklagt und bestraft, so Bodin in selbstentlarvender Offenheit, wenn die Parteien aus Mangel an Beweisen durch den ordentlichen Gerichtsprozess gebunden blieben. Weitere katholische Autoren wie der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld, der lothringische Richter Nicolas Rémy, der Löwener Jesuit und Theologieprofessor Martin Del Rio und der französische Richter Pierre de Lancre hieben in die gleiche Kerbe. Man setzte sich nicht argumentativ mit den Skeptikern auseinander, sondern verdammte sie als Ignoranten, als Ketzer und sogar als Hexen-Patrone. Hingegen forderte man scharfe Verfolgungen, wobei die Prozesse im Sinne des crimen exceptum als Ausnahmeverfahren zu führen waren. In den katholischen Gebieten Deutschlands sollte insbesondere Binsfeld außerordentlich einflussreich werden mit seiner Argumentation, dass zur Verhängung der Folter gegen eine(n) Angeklagte(n) schon eine einzige Bezichtigung aus einem bereits vorliegenden Geständnis ausreichen würde. Diese Autoren rechtfertigten im Grunde die heftigen Hexenjagden, welche am Ende des 16. Jahrhunderts in katholischen Territorien des Reiches
Neue Dimensionen der Verfolgungen stattfanden. Mit der Billigung dieser Vorgehensweise durch weltliche und kirchliche Autoritäten wurden Hexenglaube und Hexenverfolgung für die katholische Kirche praktisch zu einem Gebot der Rechtgläubigkeit. Der Fall des aus den Niederlanden stammenden Theologen Cornelius Loos ({ 1596?) zeigt dies nicht nur, sondern trug selbst dazu bei: Loos war aufgrund der Erfahrungen, die er in den späten 1580er Jahren während der heftigen Hexenverfolgungen in der Stadt Trier und in der Reichsabtei St. Maximin machen musste, zu einem scharfen Kritiker Binsfelds und dessen Traktat geworden. Gestützt auf eine kritische Textanalyse von Bibel und älteren Kirchenschriftstellern negierte er, dass der Teufel physisch menschliche Gestalt annehmen und mit Menschen sexuellen Verkehr haben könnte. Ebenso bestritt er die Möglichkeit des Hexenfluges. Seiner Auffassung nach beruhten die Hexereigeständnisse entweder auf Wahngebilden der Angeklagten oder auf grausamer Folter, wobei die Verfolgungen ebenso von Bereicherungsabsichten wie vom Fanatismus der Gerichte motiviert waren. Als Loos seine Anschauungen um 1590 in der Schrift De vera et falsa magia (Von der wahren und der falschen Magie) in Köln drucken lassen wollte, ließ der päpstliche Nuntius Frangipani ({ 1612) den Druck verbieten. Loos selbst wurde in der Abtei St. Maximin bei Trier inhaftiert, wo er 1593 seine Anschauungen gegenüber Binsfeld widerrufen musste. Martin Del Rio veröffentlichte diesen Widerruf 1599 in seinem, bald zum dämonologischen Standardwerk aufsteigenden Bestseller Disquisitionum magicarum libri sex als Warnung für alle, die es wagten, ähnliche Überzeugungen zu hegen. Kritisch denkende katholische Skeptiker mussten ab jetzt die direkte Auseinandersetzung mit dem Hexenglauben meiden und sich statt dessen auf das Prozessverfahren konzentrieren, wenn sie einem Schicksal, wie es Loos widerfahren war, entgehen wollten. Die Organisation von Lutheranern und Calvinisten in einzelnen Landeskirchen verhinderte das Entstehen einer herrschenden Meinung auf protestantischer Seite. Die Diskussion zum Hexenthema blieb vielschichtig: Harte Positionen standen neben differenzierten Meinungen und solchen, welche die Verfolgungen gänzlich ablehnten. So erfuhr Weyer von dem Marburger Philosophen Wilhelm Adolf Scribonius ({ 1600) die gleiche Ablehnung wie von Seiten Bodins und anderer katholischer Verfechter harter Verfolgungen. Scribonius bezeichnete Weyer 1583 gar öffentlich als Hexer. Ebenso geißelte 1609 der hennebergische Superintendent Johannes Zehner ({ 1612) Gegner der Verfolgungen als Verteidiger der Hexen und somit als des Teufels Bundesgenossen. Während bei Zehner die Vorstellung von der Macht des Teufels sehr ausgeprägt schien, hatten Theologen wie Johannes Brenz ({ 1570), Matthäus Alber ({ 1570) und Wilhelm Bidembach ({ 1572) im Herzogtum Württemberg andere Wege der Argumentation eingeschlagen. Unter Verweis auf Gottes Allmacht bestritten sie, dass die Hexen zu irgendeiner der ihnen zugeschriebenen Untaten fähig waren. Vielmehr sei es der Teufel, der so handele, weil Gott ihm dies zur Bestrafung der sündigen Menschen aufgetragen habe. Eine solche Sichtweise führte aber nicht zu Weyers ablehnender Haltung, sondern zu einem anderen Verständnis der Strafwürdigkeit: So seien der Abfall der Hexen von Gott und ihre Bereitschaft, dem Teufel gegenüber gehorsam zu sein, die eigentlich todeswürdigen, weil gotteslästerlichen Delikte.
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Protestantischer Pluralismus
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V. Spiritualisierung
Protestantischer Humanismus
Diese Spiritualisierung des Hexereideliktes entsprach einer Grundströmung des Protestantismus, schloss aber auch, wie bei den Katholiken die Ketzerei, die Einstufung als zugleich weltliches Kapitaldelikt nicht aus; so erklärten die Kursächsischen Konstitutionen 1572 die Apostasie für todeswürdig. Hexenprozesse blieben damit auch weiterhin möglich, wenngleich die Rückführung auf das Glaubensdelikt dazu beitragen konnte, die Verfolgungen einzuschränken. Im Gegensatz dazu stand das materialistische Konzept der katholischen Verfolgungspartei, die mit der Betonung von Schadenzauberei und Hexensabbat die Bevölkerung stärker beteiligte und Prozesse mit endlosen Komplizenketten zuließ. Verfolgungshemmend wirkte sich auf protestantischer Seite auch die Tatsache aus, dass hier trotz grundsätzlich vorhandenem Strafbedürfnis auch bei Geistlichen deutliche Skrupel vor prozessualen Missständen vorherrschten. So warnten die erwähnten württembergischen Prediger ebenso wie 1587 der Rostocker Jurist Johann Georg Goedelmann ({ 1611) eindringlich vor zu scharfer Verfolgung. Ein dritter Argumentationstyp auf protestantischer Seite setzte in radikaler Weise Weyers humanistische Position fort. Ihre hauptsächlichen Vertreter waren Herman Witekind ({ 1603), der unter dem Pseudonym Augustin Lercheimer schrieb, und ihm nachfolgend Anton Prätorius ({ 1613). Von Bedeutung ist dabei, dass beide in der Kurpfalz tätig waren, Witekind als Professor für Mathematik an der Universität Heidelberg, Prätorius als Pfarrer. Dies scheint kein Zufall zu sein, denn die Kurpfalz war das einzige deutsche Territorium, dessen Regenten seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts konsequent Hexenprozesse ablehnten und verhinderten (vgl. Kap. VIII.1). Unter Anwendung der für die protestantische Grundposition so wichtigen Bibelexegese behaupteten Witekind und Prätorius, dass Schadenzauber, Hexenflug und Hexensabbat physisch unmöglich seien, weil sie dem christlichen Glauben an Gottes Allmacht und der Identität seiner Schöpfung mit dem Naturgesetz widersprachen. Was die Angeklagten in ihren Geständnissen vermeintlich ‚berichteten‘, seien nur vom Teufel erzeugte Gespenster. Konkret sei allerdings der Abfall der Hexen von Gott und der Teufelspakt. Aber die Bestrafung dieser Glaubensdelikte – dies unterschied Witekind und Prätorius etwa von der strengen württembergischen Position – blieb Gott allein vorbehalten. Beide forderten daher die Einstellung aller Hexenprozesse. Wenn doch Zaubereiverfahren geführt würden, dann auf keinen Fall als Ausnahmeprozesse, sondern unter strenger Beachtung des ordentlichen Prozessverfahrens.
3. Der gelehrte Diskurs im Zeichen von Eskalation und Kritik In der Herausbildung eigenständiger protestantischer Positionen, die bei aller Verschiedenheit zum größten Teil das scharfe strafrechtliche Vorgehen im Sinne des crimen exceptum ablehnten, ist sicherlich ein Reflex auf die großen Verfolgungen der 1580er und 1590er Jahren in den katholischen Gebieten im Westen Deutschlands zu sehen. Doch selbst mit Blick auf die katholischen Verfolgungsschübe blieben zwei protestantische Sichtweisen
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Der gelehrte Diskurs im Zeichen von Eskalation und Kritik möglich: Die eine verurteilte die auf katholischer Seite geführten Hexenverfolgungen als Unrecht, wie es 1592 der hessische Superintendent Georg Nigrinus ({ 1602) tat; die andere sah sie als Ausdruck der religiösen Verelendung des Katholizismus, dem es eben nicht gelinge, die Menschen von den Versuchungen des Teufels fernzuhalten (so etwa 1605 David Meder – { 1616 – über die kurtrierischen Hexenverfolgungen). Auf der Gegenseite grenzte man sich ebenfalls auf konfessionstypische Weise von der protestantischen Partei ab. Der Löwener Jesuit Del Rio zitierte genüsslich aus der Schrift des calvinistischen Predigers Lambert Daneau ({ 1595), demzufolge in Genf die Hexen ihren Sabbat in der Nähe der Hauptkirche abgehalten hätten. Ein Gutachten der bayerischen Regierung (Hofrat) von 1590 erklärte dem regierenden Herzog Wilhelm V. ({ 1626), dass die von Weyer und Brenz vertretene Meinung über die Unwirklichkeit von Hexerei (bloße praestigia, imaginationes und starcke impressiones) derzeit von einem großen Teil der Protestanten (‚Ketzer‘) vertreten werde. Das Gutachten bekräftigte, dass dies ein ketzerische verdammte opinion sei, vielfach widerlegt durch heilige Geschichten und heilige Bücher, geistliche und weltliche Rechte sowie die tägliche Erfahrung. Alle katholischen und approbierten Autoren, die älteren wie die jüngeren, würden daraus einmütig schließen, dass jeder, der an der Wirklichkeit der Hexerei zweifele, ein Häretiker, ein Ungläubiger oder sogar selbst ein Zauberer sei. Mit dieser Dogmatisierung des Hexereikonzeptes unterdrückte man auf katholischer Seite zum einen die grundsätzliche Diskussion, zum anderen legte man sich auf die schärfste Prozessform fest, was den exzessiven Einsatz der Folter implizierte sowie die Bewertung von „Besagungen“ als entscheidende Indizien. Damit waren die Voraussetzungen für weitere Höhepunkte der Verfolgung gegeben, wie sich dann bis um 1630 in den kurkölnischen und westfälischen Gebieten, besonders aber in den fränkischen Fürstbistümern Würzburg und Bamberg zeigen sollte. Das Ausmaß der Verfolgungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bedingte zwangsläufig, dass die Frage ihrer Berechtigung immer wieder gestellt wurde. Dies galt auch gerade für die katholische Seite, wo kritische Geister allerdings zur Vermeidung einer Häresieanklage nicht die Hexenlehre selbst, dafür aber umso heftiger deren Umsetzung in den Prozessen angreifen konnten. Innerhalb der Regierung des Herzogtums Bayern war schon Anfang des 17. Jahrhunderts ein jahrelang andauernder „Prinzipienstreit“ über die Frage ausgebrochen, ob allein aufgrund der Komplizennennung durch geständige Hexen die so in Verdacht gebrachten Personen verhaftet und gefoltert werden dürften. Die Anhänger der crimen exceptumTheorie bekräftigten diese Vorgehensweise mit dem bekannten Argument, ohne Besagungen könne niemand der Hexerei überführt werden. Im Jahr 1615 hatte sich in Bayern der politische Widerstand gegen die Hexenprozesse allerdings soweit verfestigt, dass die Verfolgungspartei im Hofrat ihre Gegner als einen groß Haufen kalter und politischer Christen beschimpfte. Auch versuchte sie den Herzog dazu zu bewegen, diese Verfolgungsgegner unter den Hofräten nicht an den Beratungen über in Dillingen stattfindende Prozesse zu beteiligen, an ihrer Stelle jedoch Vertreter des Jesuitenordens zu bestellen, welche die verfolgungslegitimierenden Anschauungen der
V.
Dogmatisierung
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V. Tanner
Laymann
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Theologen Peter Binsfeld und Martin Del Rio besser darlegen könnten als etliche kaltsinnige politische Juristen. Doch gerade die Mitglieder der „Gesellschaft Jesu“ konnten nach der Wende zum 17. Jahrhundert nicht mehr uneingeschränkt als Stütze der Hexenverfolgungen angesehen werden, nachdem die Ordensleitung bereits das Engagement Trierer Jesuiten bei den dortigen Hexenprozessen um 1590 heftig getadelt und unterdrückt hatte. Sichtbar wurde eine veränderte Haltung spätestens 1627, als Adam Tanner ({ 1632), Jesuit und Professor für scholastische Theologie an der Universität Ingolstadt, aus Anlass der in Bayern beziehungsweise Franken erneut heftig ausbrechenden Hexenverfolgungen eine kritische Einschätzung von sich gab, eingefügt in eine größere theologische Abhandlung. Da für Zweifel an der Existenz der Hexen aufgrund der katholischen Dogmatik kein Raum zur Verfügung stand, leitete Tanner sein Argument staatspolitisch ein und verkehrte die Rollen: Pochten die Verfolger auf den spirituellen und materiellen Schaden, der durch die Hexen angeblich entstand, thematisierte Tanner die äußerst schweren Schäden, die dem gesamten Gemeinwesen aus dem ungerechten, unbedachten und gefährlichen Prozess gegen dieses Verbrechen entstehen können. Hierbei verwies er auf die Folter, die er vehement ablehnte (entsetzlich) und auf mangelnde Eignung von Richtern: Diese würden entweder durch Unerfahrenheit oder durch die ungezügelte Begierde zu bestrafen einerseits die Gerechtigkeit verletzen, andererseits schweren Schaden über die Unschuldigen bringen. Zudem wich Tanner auch der Dogmatik nicht aus, indem er mit Blick auf den Hexensabbat immerhin die Skepsis äußerte, ob Personen, die von anderen Teilnehmern dort gesehen und im Verhör entsprechend angegeben worden waren, tatsächlich dort gewesen seien, denn bisweilen könnten Dämonen auch Menschengestalt annehmen. Tanners Hauptbezugspunkt blieb jedoch das Gerichtsverfahren: Als gerichtliches Zeugnis akzeptierte er die Besagung Dritter durch geständig gemachte Hexen nur dann, wenn mindestens drei gleichlautende vorlagen und diese von Delinquenten stammten, die ihre Taten ehrlich bereut, ihre Aussagen aus freien Stücken unabhängig von einander gemacht hatten und ordnungsgemäß verurteilt worden waren. Außerdem mussten gegen die bezichtigten Personen noch andere gravierende Indizien vorliegen. Die Besagung von Personen mit gutem Leumund lehnte Tanner von vorneherein ab. Nicht nur in der ausgeprägten Vorsicht, welche Tanner von der Justiz verlangte, zeigt sich seine Distanz zu den Dämonologen und Verfolgungsbefürwortern seiner Zeit. Ähnlich der von Weyer, Witekind und Prätorius vertretenen protestantischen Argumentation plädierte auch Tanner für eine Rückführung der Hexerei auf den Status eines spirituellen Deliktes: Personen, welche vor Beginn eines Prozesses ernsthafte Reue zeigten und dem Teufel entsagt hätten, sollten nicht bestraft werden. Tanners Stellungnahme, obschon im sachlichen Tonfall einer wissenschaftlichen Erörterung gehalten, muss die katholische Verfolgungspartei heftig getroffen haben, insbesondere da er noch das letzte argumentative Aufgebot der Verfolger – Gott werde schon dafür sorgen, dass keine Unschuldigen verurteilt würden – in Zweifel zog. Dass dieser erste sichtbare Riss im offiziellen Lehrgebäude der katholischen Kirche Folgen haben
Der gelehrte Diskurs im Zeichen von Eskalation und Kritik würde, zeigte sich schon 1630, als Paul Laymann ({ 1635), ein weiterer Jesuit und Professor für Kanonisches Recht an der Universität Dillingen, die erweiterte Auflage seiner moraltheologischen Abhandlung veröffentlichte. In der ersten Auflage (1625) hatte er die Hexenprozesse nur insofern gestreift, als er darin auch auf den Umgang der Beichtväter mit zur Hinrichtung bestimmten Hexen zu sprechen kam. Jetzt kündigte er im Vorwort des entsprechenden Abschnittes an, das Thema an sich zu diskutieren. Dazu hatte sicherlich auch beigetragen, dass Teile aus der ersten Auflage seines Werkes 1629 in Köln von Verfolgungsbefürwortern mit verfälschten Auszügen separat veröffentlicht worden waren, um die dortigen Verfahren zu rechtfertigen. In seiner aktuellen Stellungnahme griff Laymann in hohem Maß auf Tanner zurück und legte dar, dass größte prozessuale Vorsicht nötig sei, insbesondere im Umgang mit den so gefährlichen Besagungen. Wie Tanner bestritt Laymann ihren gerichtlichen Wert, da der Teufel die Sinne täuschen könnte. Deshalb seien schon viele unschuldige Menschen grausam behandelt worden und zu Tode gekommen. Mit Tanner und Laymann hatten sich binnen kurzer Zeit zwei angesehene Vertreter der katholischen Kirche, noch dazu Jesuiten und Theologieprofessoren, deutlich sichtbar von den bisherigen katholischen Verfolgungsautoritäten Binsfeld und Del Rio distanziert. Beachtenswert erscheint, dass dieser Widerstand formuliert wurde, während in den fränkischen Fürstbistümern eine Massenverfolgung mit Tausenden von Opfern ihrem Höhepunkt zusteuerte, die sogar ein Thema des Regensburger Kurfürstentages des Jahres 1630 werden und Eingriffe des kaiserlichen Reichshofrates beziehungsweise des Kaisers selbst nach sich ziehen sollte (vgl. Kap. VII.4.a). Vor diesem Hintergrund musste es wie ein Donnerschlag wirken, als bereits 1631 ein dritter Jesuit, wiederum eine akademische Autorität, einen Angriff auf die Verfolgungen startete. Dabei übertraf Friedrich Spee von Langenfeld ({ 1635), Professor für Moraltheologie, mit seiner Schrift Cautio Criminalis beziehungsweise Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse alle frühere katholische Kritik an Deutlichkeit. Derartig massiv waren seine Angriffe auf die Verfahrensweise bei Hexenprozessen und besonders gegen die Verantwortlichen – Beamte, Juristen, Geistliche, selbst die Fürsten ließ er nicht aus –, dass sein Buch zunächst anonym erscheinen musste. Erst eine 1664 in Lyon publizierte französische Übersetzung nannte Spee ausdrücklich als Verfasser, doch war der Name des Autors in kirchlichen Kreisen schon zuvor kein Geheimnis mehr. Im Kern machte Spee fünf Faktoren beziehungsweise Gruppierungen für die Verfolgungen verantwortlich: 1. die Einstellung der Bevölkerung, die entweder aus Aberglauben oder aus Hass und Neid stets neue Anklagen vorbringe; 2. das Treiben der Juristen, Richter und Beamte, die entweder grausam, auf ihren Vorteil bedacht oder bloß unfähig seien; 3. der Fanatismus der Geistlichkeit, welche die Fürsten immer wieder dazu verleitete, die Prozesse fortzuführen, 4. die Sorglosigkeit der Fürsten selbst, welche die Verantwortung für die Prozesse auf ihre Beamten und Gerichte schoben, und schließlich 5. die Folter, welche jene Geständnisse erzeugte, mit denen die Verfolgerseite ihr Gewissen beruhigen und ihr Handeln rechtfertigen konnte. Deutlich wird, dass Spee die Erfahrung von Kettenprozessen vor Augen stand, welche nur durch die Aussagen geständiger Hexen beziehungs-
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weise die Verwendung der von ihnen genannten Namen vermeintlicher Komplizen dynamisiert worden waren. Spee kannte aber auch Prozesse, welche sich dazu auf Anklagen aus der Bevölkerung stützten. Außerdem wusste er um die Techniken, mittels derer geschäftstüchtige Juristen – damit meinte er insbesondere die kurkölnischen Kommissare – die Bevölkerung aufwiegelten, um dann auf die entsprechenden Bitten von Gemeinden mit einer Hexenjagd vor Ort beginnen zu können. Alles dies führte bei Spee zu der Forderung – und darin zeigte er sich radikaler als alle katholischen Vorgänger –, die Verfolgungen vollständig einzustellen und zu einer angemessenen Weltsicht und Politik zurückzukehren. Dazu gehörte vor allem, der von Gott geordneten Natur wieder ihren Platz einzuräumen und nicht jedes Ereignis auf Hexerei zurückzuführen. Es war dies ein fernes Echo protestantischer Stimmen des 16. Jahrhunderts, welche gegen das Verfolgungsgeschrei der Hexengläubigen die Allmacht Gottes ins Feld geführt hatten. Auch deshalb kam Christian Thomasius bei der Lektüre von Spees Buch, das ihm selbst um 1700 nur in einer anonymen Ausgabe vorlag, zu der sicheren Überzeugung, es handele sich bei dem Autor um einen Protestanten. Spee ging aber noch weiter, indem er die Heilsgeschichte wieder in den Vordergrund schob – das Opfer Jesu und sein Versprechen der Gnade – und damit in Umkehrung der bisherigen Situation diejenigen, die den Hexenglauben verfochten, als glaubensschwach beziehungsweise ungläubig anprangerte. Die heiligen Autoritäten der Hexenverfolger – der Hexenhammer, Binsfeld, Rémy, Del Rio –, sie wurden von Spee mit einer atemberaubenden Radikalität auf den Schutthaufen der Geschichte geworfen: Ihre ganze Lehre stützt sich nur auf mancherlei Ammenmärchen und mit der Folter herausgepresste Geständnisse. Die Fürsten forderte er auf, sich endlich auf ihre Amtspflichten zu besinnen und dabei gemäß dem christlichen Gleichnis von dem Unkraut und dem Weizen zu verfahren; denn es sei besser und christlicher, dreißig und noch mehr Schuldige laufen zu lassen, als nur einen Unschuldigen zu bestrafen. An einer einzigen Stelle warf Spee die Frage auf, ob es denn Hexen gebe – um sie gleich wieder zurückzustellen und damit zu vermeiden, seinen Gegnern einen Anlass zum Vorwurf der Ketzerei in die Hände zu spielen. Gleichwohl drückt sein ganzes Werk, liest man es zwischen den Zeilen und denkt die Argumente zu Ende, immer wieder auch den Ansatz eines grundlegenden Zweifels am Hexereidelikt aus. Es ist schwer, die konkreten Auswirkungen von Spees Buch auf die Verfolgungen zu bestimmen, weil die Massenverfolgungen ohnehin mit dem Jahre 1631, dem Erscheinungsdatum der Cautio Criminalis, endeten. Betrachtet man die Diskussion, welche um die Frage der Berechtigung der fränkischen Verfolgungen fast zeitgleich auf dem Regensburger Kurfürstentag aufgeworfen wurde, sowie die Eingriffe des Reichskammergerichtes beziehungsweise des Reichshofrates in die kurkölnischen Hexenverfolgungen 1632 und 1639, so zeigt sich, dass bei der juristischen Elite des Reiches bereits feste Vorstellungen vorhanden waren, auf welche Weise das ordentliche Gerichtsverfahren (processus ordinarius) bei Hexereianklagen angewandt werden sollte. Ebenso gab es bereits ein Bewusstsein über die bei Hexereiverfahren eingerissenen Abweichungen und Missbräuche. Dennoch hat Spees Buch sicher dazu beigetragen, die weitere Entwicklung hin zur völligen Ab-
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Der gelehrte Diskurs im Zeichen von Eskalation und Kritik kehr von Hexenverfolgungen in Gang zu halten beziehungsweise zu beschleunigen. Zumindest aus Prozessen im Rheinland (um 1652/53) ist bekannt, dass die Cautio Criminalis von Verteidigern in Hexereiverfahren zu Gunsten der Angeklagten benutzt wurde. Die Zuspitzung der Situation auf katholischer Seite um 1630 – sowohl in Gestalt der fränkischen Massenverfolgung und der damit ausgelösten politischen Diskussion auf dem Regensburger Kurfürstentag als auch in Form der publizistischen Stellungnahmen – wurde auf protestantischer Seite aufmerksam verfolgt. Anlass dazu gab die eigene Verstrickung in eine ähnliche Auseinandersetzung: der Coburger Hexenstreit (1628/30), wo der lutherische Hofprediger Nikolaus Hugo ({ 1631) mit explizitem Bezug auf Del Rio dem dortigen Schöffengericht vorgeworfen hatte, es wolle wie Hexen-Patrone das Laster der Hexerei nicht gebührend bestrafen. Im Grunde findet sich hier die gleiche Diskussion, wie sie inzwischen auf katholischer Seite zwischen der Verfolgungspartei und den Gegnern von Prozessen geführt wurde: Rechtfertigte das Hexereidelikt das Ausnahmeverfahren und konnten die denunciationes vermeintlicher Komplizen als vollwertige Indizien zur Folteranwendung bewertet werden? Das Coburger Schöffengericht verneinte dies, jedoch nicht nur unter Bezug auf protestantische Autoritäten, sondern es scheute sich keineswegs, den mittlerweile durch den Jesuiten Laymann dokumentierten katholischen Argumentationsstand heranzuziehen. Ein wortgewaltiger Teilnehmer dieser Debatte auf Seiten des Schöffengerichts war der lutherische Theologe Johann Matthäus Meyfart ({ 1642), bis 1632 Professor, später auch Direktor am Coburger Gymnasium Casimirianum. Seine Gegenposition zum Eifer des Hofpredigers Nikolaus Hugo und damit auch zum Landesherrn selbst hatte er schon 1631 zu Papier gebracht. Doch die Anfeindungen, die Meyfart dafür empfing, zwangen ihn, 1632 das kleine sachsen-coburgische Territorium zu verlassen, um an der Universität Erfurt, zu diesem Zeitpunkt in schwedischer Hand, eine Professur anzunehmen. Aus dieser sicheren Entfernung veröffentlichte er dann 1635 sein Buch Christliche Erinnerung an gewaltige Regenten und dachte darin das konfessionelle Argument bis zur bittersten Konsequenz zu Ende: Mit Verweis auf die Spanische Inquisition – die er in Unkenntnis ihres schon längst vollzogenen Abschieds von den Hexenprozessen als Chiffre benutzte, um das vom ordentlichen Prozess abweichende Verfahren zu brandmarken – stellte er die protestantischen Territorien, die noch immer Hexen verfolgten, auf die gleiche Stufe wie diese katholische Institution. Auch führte Meyfart dem protestantischen Publikum den gedanklichen Horizont von Adam Tanner und des ihm noch unbekannten Autors der Cautio Criminalis vor. Obwohl die sachsen-coburgischen Verfolgungen zu diesem Zeitpunkt schon beendet waren, sprach Meyfarts Werk doch die auch auf protestantischer Seite noch immer vorhandene Anhängerschaft harter Hexenverfolgungen an und provozierte sie mit dem interkonfessionellen Argument. Grundsätzlich endete mit diesen Äußerungen die Diskussion um das gerichtliche Verfahren bei Hexerei. Sie endete, weil zunehmend auf politischer Ebene die Konsequenzen aus jenen Skandalerfahrungen gezogen wurden, die man in der Gerichtspraxis fortwährend erlebt hatte. Stellungnahmen protestantischer Obrigkeiten aus den 1640er und 1650er Jahren bestätigen dies: 1649 befahl die schwedische Königin Christina ({ 1689)
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Meyfart
Unterdrückung von Hexenprozessen
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Bekker und Thomasius
Bayerischer Hexenkrieg
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ihrer Verwaltung in Osnabrück, alle dort schwebenden Hexereiverfahren einzustellen, um zu vermeiden, dass man damit in ein unentwirrbares Labyrinth gerate, wie es, mit allen schrecklichen Folgen, andernorts schon geschehen sei. Der Trierer Kurfürst Carl Caspar von der Leyen ({ 1676) wurde noch deutlicher, als er im Rückblick (1659) auf die vermutlich denkwürdigste Entscheidung seiner Regierung, den um 1653/54 gegebenen Befehl, sämtliche Hexereiuntersuchungen zu unterbinden, auf die Gründe für dieses Vorgehen zu sprechen kam: Eine nicht endende Kette von Missbräuchen, Ungerechtigkeiten und Irrtümern, die weder sein Amtsvorgänger noch er selbst bei den zu Anfang seines Amtszeit geführten Prozessen hätten verhindern können. Trotz dieses bemerkenswerten Eingeständnisses hatte auch dieser Fürst seine Entscheidung (wie auch die nachträgliche Reflexion) nicht in einem öffentlichen Edikt kundgetan. Der Befehl zum Abbruch war vielmehr eine nur für seine lokalen Vertreter bestimmte Anweisung, weitere Prozesse zu verhindern. Damit vermied der Landesherr eine öffentliche Auseinandersetzung. Intern hatte es diese Auseinandersetzung sicherlich gegeben, wie daran zu erkennen ist, dass der Fürst im Rückblick betonte, er habe sich mit seiner Entscheidung bislang wohl befunden. Auch wenn die Jahre um 1630 und 1650/60 für die Hexenverfolgungen eine Zäsur darstellen, so gilt dies nur für die massenhaften Verfolgungen. In protestantischen Gebieten kam es auch nach der Mitte des Jahrhunderts noch zu Einzelprozessen, mitunter auch zu Prozessserien. In katholischen Gebieten ereigneten sich vereinzelte Verfahren sogar noch bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts. Es war daher keineswegs überflüssig, sich weiterhin damit zu befassen; denn die zentrale Voraussetzung des dämonologischen Verständnisses von Hexerei blieb die Vorstellung von der körperlichen Präsenz und der physischen Macht des Teufels. Sie anzugreifen und zu widerlegen wurde zu einem Anliegen der Aufklärung. Besonders damit hervorgetan haben sich der niederländische Theologe Balthasar Bekker mit seiner vierbändigen Schrift Die bezauberte Welt (1691–1693) und der Hallenser Jurist und Professor Christian Thomasius mit seinen berühmt gewordenen Schriften De crimine magiae (1701) und De origine ac progressu processus inquisitorii contra sagas (1712). Doch die Reaktionen fielen durchaus unterschiedlich aus: Während Thomasius vom protestantischen Publikum große Anerkennung zuteil wurde, sah sich Bekker einem Sturm der Entrüstung gegenüber, obwohl Hexenprozesse in den Niederlanden schon lange der Vergangenheit angehörten. Doch dass ein Theologe die Existenz jeglicher dämonischer Mächte verneinte, wurde zu sehr als ein Angriff auf die heilige Schrift, ja sogar als Vorlage zum Zweifel an der Existenz Gottes selbst gesehen. Ein langer kirchlicher Prozess begann, in dessen Folge das Buch verdammt und Bekker seines kirchlichen Amtes enthoben wurde; sogar seine Zugehörigkeit zur reformierten Gemeinde ging ihm verloren. Sein Buch aber wurde ein Bestseller, nicht nur in den Niederlanden, sondern auch außerhalb. Vor allem in Deutschland interessierte sich das der Aufklärung zugehörige Bürgertum ganz besonders dafür. Zu einer letzten großen Hexendebatte sollte es – ausgelöst durch eine kritische Rede des Theatinerpaters Don Ferdinand Sterzinger ({ 1786) – ab 1766 in Bayern zwischen radikalen Aufklärern und so genannten „Finster-
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lingen“ kommen, wobei letztere immer noch das alte Hexereikonstrukt verteidigen wollten. In diesem „bayerischen Hexenkrieg“ (Behringer) bemühten die Kontrahenten erneut die publizistischen Medien, um auf der einen Seite mit Volksaberglauben und Dämonologie aufzuräumen und auf der anderen Seite an den Lehrsätzen der Teufels- und Hexengläubigkeit festzuhalten. Die aufklärerisch gesinnten Köpfe konnten sich letztendlich durchsetzen, so dass 1784 im Rückblick Lorenz von Westenrieder ({ 1829), Jesuit, Historiker und Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, schreiben konnte: Aus dem Gewühl jener Zänkereyen und Feindseligkeiten gieng zuletzt eine gesündere Art von Begriffen hervor, und gegenwärtig denket man allgemein über das Märchen des Hexenwesens ganz anders, als man ehemals gedacht hat. Exkurs: Hexen und Frauen Schon in der Frühzeit der Hexenverfolgungen, als sich um 1440 erstmals die Vorstellung von der neuen Ketzerei der Hexen mit allen ihren Bestandteilen präsentierte, wird die Feminisierung dieses Superverbrechens offenkundig (vgl. Kap. III). Der für seine extreme Frauenfeindschaft bekannte Hexenhammer (1486/87) verstärkte nur eine schon bestehende Entwicklung, wobei er praktisch alle seit der Antike existierenden misogynen Vorurteile, und seien sie noch so trivial, verwandte, um eine angeblich besondere Sensibilisierung des weiblichen Geschlechts für die Einflüsterungen und Verführungen des Teufels zu konstatieren: Frauen seien von Natur aus boshaft und streitsüchtig, in Reaktion auf ihre gesellschaftliche Schwäche und Minderstellung rachsüchtig und neidisch, zudem leichtgläubig, glaubensschwach und ganz monoman ihren sexuellen Begierden ausgeliefert. Institoris schöpfte zwar aus der literarisch überlieferten Frauenfeindschaft der Gelehrten, doch wusste er auch um den spezifisch weiblichen Lebensund Arbeitskontext. So beschrieb er konkrete alltägliche Situationen, aus denen Zeitgenossen, vom Nachbarn bis zum Inquisitor, Material für die Verdächtigung insbesondere von Frauen finden konnten: Streit nach Weiberart und Unglücksfälle, deren Hintergründe in den spezifisch weiblichen Pflichten der Nahrungszubereitung, Geburtshilfe, Kindererziehung, Krankenpflege und der Versorgung des Milch- und Kleinviehs zu suchen waren. Die absolut frauenfeindliche Zuspitzung im Hexenhammer wurde erstaunlicherweise von den führenden katholischen Dämonologen des 16. Jahrhunderts so nicht übernommen. Vielmehr hielten diese weiter fest an der Vorstellung vom Hexensabbat als einem zweigeschlechtlichen Treiben, möglicherweise eine Folge der tiefen Verankerung des Hexenthemas in der altkirchlichen Ketzerverfolgung des späten Mittelalters. Dagegen zeichnete sich auf protestantischer Seite ein ausgeprägtes Verständnis von Hexerei als spezifisch weiblichem Delikt ab. So definierte Martin Luther ({ 1546) Zauberer [!] und Hexen als die bösen Teufelshuren und übersetzte die immer wieder zitierte Bibelstelle aus dem Buch Exodus (im Unterschied zur katholischen Vulgata) mit der aus dem hebräischen Original stammenden weiblichen Form: Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen. Dies sollte die fatale Folge haben, dass für Protestanten als getreue Bibelexegeten die Hexerei grundsätzlich von Frauen ausging. Doch unabhängig von der konfes-
Hexenhammer
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Verteidigung der Frauen
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sionellen Prägung wurde das frauenbezogene Verständnis von Hexerei allein dadurch aufrechterhalten, dass immer dann, wenn der nächtliche Hexenflug zur Sprache kam (Canon-Episcopi-Diskussion), von weibern die Rede war, ein deutlicher Beleg dafür, wie geschlechtsspezifisch prägend allein diese alte Vorstellung blieb. Auch die zeitgenössischen Flugblätter und Neuen Zeyttungen berichteten konfessionsübergreifend vorzugsweise über Prozesse, in denen entweder ausschließlich oder vor allem Frauen als Hexen enttarnt und hingerichtet worden waren. Gleichzeitig wurde damit eine allgemein bestehende Erwartung bestätigt. Zur Kontinuität der frauenfeindlichen Grundeinstellung gehörte auch die oft diskutierte Frage, warum mehr Frauen als Männer zur Hexe werden. In ihrer Beantwortung vertrat beispielsweise Jakob Vallick, Pfarrer in Kleve, 1576 die gleichen Anschauungen, wie sie schon fast hundert Jahre zuvor der Hexenhammer formuliert hatte. Angesichts dieser erdrückenden frauenfeindlichen Meinungsmacht musste auch die Kritik der Hexenverfolgung sich damit auseinandersetzen. Sie tat dies zum einen, indem sie die besondere Lage der Frauen vor Gericht thematisierte. So argumentierte der Schleswiger Jurist Johannes Boye, dass Frauen wegen ihrer körperlichen Schwäche unter der Folter mehr litten als Männer, daher auch viel eher wegen der großen Schmerzen alles gestehen würden, was das Gericht hören wolle. Andere Kritiker, allen voran Johann Weyer, betonten ausdrücklich die allgemein üblichen Vorurteile über die körperliche und geistige Schwäche der Frauen, um damit das Argument von der bloßen Illusion des Hexereiverbrechens zu unterstützen. Witekind argumentierte umgekehrt, dass Frauen, da sie leichter zu verführen wären, ebenso leichter wieder zu bekehren seien. Er ging sogar so weit, das zeitgenössische Vorurteil von der spezifisch weiblichen Rachsucht als Motiv für die Hinwendung zum Teufel zu übernehmen – darumb, wann sie sich mit eigener macht nicht rechen koennen, so hengen sie sich an den Teiffel –, aber da alles Hexenwerk letztlich nur in der Einbildung bestehe, forderte er, wie vor ihm bereits Weyer, dass solche Frauen nicht vor das Gericht, sondern eher zum Arzt und zum Pfarrer gebracht würden, damit inen von ihrer aberwitz, unsinnigkeit und unglauben geholfen werde. Die Männer bekamen in dieser Rollenverteilung auch ihren Teil ab; denn eben weil sie so hart zu ihren Frauen seien, würden sich diese dem Teufel zuwenden: hat mich der teuffel zu diesem holtzbock [das heißt zum Ehemann] gefuehrt, der fuehre mich wider von ihm. Gegen eine Gruppe bestimmter Männer dachte Witekind die Vorstellung von der weiblichen, lediglich durch Schwäche eingebildeten Hexerei konsequent zu Ende, indem er die männlichen Zauberer (schwarzkuenstler und warsager) aufs Korn nahm, die man aufgrund ihrer Künste sogar in hohem Ansehen halte, während sie doch harter gestrafft werden sollten als die weiber, darumb dass sie maenner sind […]. Grundsätzlich teilten die protestantischen Skeptiker und Kritiker die geschlechtstypologischen Einstellungen ihrer Zeit, verwandten diese Charakterisierungen aber, um zu erklären, warum Frauen nicht zu Täterinnen im Sinne der Hexenlehre, sondern vielmehr zu Opfern des Teufels wurden. Ihre Teilhabe an den zeittypischen Vorurteilen hielt die humanistisch geprägten Kritiker nicht davon ab, die besondere soziale Situation von Frauen
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zu beachten. Witekind hat diese Position ganz nüchtern gegen die dämonologische Vorstellung vom ausgelassenen Treiben der ‚Weiber‘ beim Hexentanz gesetzt: Arme verschmachtete arbeitsame muehselige Weiber geluestet nit zu tantzen: das holtztragen auß dem wald, das mist tragen in weingarten und andere schwere arbeit vertreibet inen die geilheit und uppigkeit, machet sie muede, dass sie deß nachts ruhen und schlaffen muesen, und nicht begeren zu tantzen […]. Die Präsenz zeittypischer Vorurteile selbst im Denken der Kritiker von Hexenprozessen zeigt somit, dass auch in dieser Frage innerhalb des gleichen mentalen und ideologischen Referenzsystems ganz unterschiedliche Handlungs- und Argumentationsoptionen möglich waren.
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VI. Ausmaß, Geographie und Phasen der europäischen Hexenverfolgungen 1. Zahlen 9 Millionen Opfer?
Vorsichtige Schätzungen
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Die als „eine der schlimmsten von Menschenhand angerichteten Katastrophen der europäischen Geschichte“ (Behringer/Jerouschek) bezeichneten Hexenverfolgungen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit werden meist mit horrenden, zwischen mehreren Millionen und Hundertausend schwankenden Opferzahlen in Verbindung gebracht. Inzwischen konnten diese pauschalen Zahlenangaben erheblich nach unten korrigiert werden, ohne dass dadurch das Phänomen seinen Schrecken verloren hätte. Längst widerlegt ist die Annahme, während der großen Hexenverfolgungen seien neun Millionen Menschen verbrannt worden (Behringer). Diese Zahl wurde durch den Quedlinburger Stadtsyndikus Gottfried Christian Voigt ({ 1791) in die Welt gesetzt: Er ‚ermittelte‘ in einer abenteuerlichen Hochrechnung – ausgehend von einigen Hexenprozessakten, die er im städtischen Archiv gefunden hatte – für den völlig willkürlich festgelegten Zeitraum von elf Jahrhunderten (vom Beginn des 7. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts) „Hexenverfolgungen“ mit insgesamt 9 442 994 Hinrichtungen. Vor dem Hintergrund der protestantisch geprägten Aufklärung wie der macht- und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem protestantischen Zweiten Kaiserreich des 19. Jahrhunderts und dem Papsttum wurde diese Zahl instrumentalisiert, um die katholische Kirche und ihre Anhänger zu desavouieren. Vergleichbares geschah während des Nationalsozialismus. Ungeprüft lebt der „Neun-Millionen-Mythos“ heute noch fort, wie Ausgaben des „Stern“ aus den Jahren 1982 und 1986 zeigen. Auch die Angabe von 100 000 Opfern beruht auf einer reinen Vermutung, die Voltaire ({ 1778) äußerte, um damit die vor der Regierungszeit Ludwig XIV. ({ 1715) liegenden dunklen Jahrzehnte zu kennzeichnen. Vorsichtige Schätzungen gehen inzwischen von europaweit 50–60 000 Hinrichtungen aus. Dabei konzentrierten sich die Verfolgungen auf die herrschaftlich und gerichtsrechtlich stark zersplitterten Gebiete des Alten Reiches (fränkische Hochstifte, Südost- und Südwestdeutschland, Mosel-, Nahe- und Eifel-Region), auf das Grenzgebiet zwischen Frankreich und dem Alten Reich (Herzogtümer Luxemburg und Lothringen, Elsass, FrancheComté, Dauphiné, Schweiz), auf die peripheren Räume Frankreichs (Navarra, Normandie) sowie das westliche Polen. Die zu den österreichischen Erblanden zählenden Territorien sahen insgesamt vergleichsweise moderate Verfolgungen (circa 1900 Hinrichtungen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert bei zwei Millionen Einwohnern). Auch in Ungarn (circa 1110 Hinrichtungen bei 3,5–5,3 Millionen Einwohner) und in Böhmen (circa 400 Opfer) blieben die Hexenjagden auf einem eher niedrigen Niveau. Große Flächenstaaten wie Bayern, Sachsen und Württemberg gehörten ebenfalls nicht zu den „Brennpunkten“ der Verfolgungen. Auch in den peripheren europäischen Gebieten wie Italien, Spanien, Portugal, England und den skan-
Zahlen
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dinavischen Ländern fanden vergleichsweise nur wenige Hexenprozesse statt, eine Ausnahme bildet Schottland. Eine Ausweitung der in christlichrömischer Tradition entstandenen Hexereivorstellungen auf den griechisch-/ russisch-orthodoxen Raum fand kaum statt. Auch wenn die Forderung nach korrekten Hinrichtungszahlen durchaus verständlich ist, muss bei deren Ermittlung folgendes beachtet werden: 1. Statistisch korrekte Hinrichtungszahlen zu liefern scheitert für viele Verfolgungsräume an der zum Teil schlechten Überlieferung und der häufig noch mangelnden Aufarbeitung der Zeugnisse. 2. Grundsätzliches Misstrauen ist gegenüber summarischen Zahlenangaben in Chroniken, Flugblättern oder Traktaten angebracht. Diese Angaben dürfen ohne die Verifizierung anhand anderer Zeugnisse in Statistiken nicht eingearbeitet werden. 3. Ein sinnvoller Vergleich der absoluten Hinrichtungszahlen muss unbedingt die Bevölkerungszahlen der jeweiligen Herrschaftsgebiete einbeziehen, welche sich allerdings für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit ebenfalls nur mit großen Unwägbarkeiten ermitteln lassen. Selbst diese vergleichende Vorgehensweise kann ihre Tücken bergen, denn innerhalb einer Herrschaft, eines Territoriums konnten sich die Verfolgungen in einem Bezirk, in einer Region häufen, während andere Dörfer oder Städte davon eher unberührt blieben. Außerdem bleibt die schwerpunktmäßige Verteilung im Gesamtzeitraum der Verfolgungen zu beachten: Kam es eher zu endemischen, über einen langen Zeitraum kontinuierlich geführten Verfolgungen oder gab es massenhafte, aber nur kurzzeitige Ausbrüche mit einer hohen Anzahl von Hingerichteten? 4. Immer noch konnte in der Forschung kein Konsens darüber gefunden werden, ob bei der Ermittlung von Verfahrens- und Hinrichtungszahlen die zeitgenössischen Grenzen oder heutige Gebietseinteilungen zugrunde gelegt werden sollen. Diese mangelhafte Definition des jeweiligen Untersuchungsraumes führt gelegentlich dazu, dass Hinrichtungszahlen in bestimmten Territorien gleich zweimal in die Statistik eines Untersuchungsraumes eingerechnet werden. So machen beispielsweise die im Henneberger Land geführten Hexereiverfahren in der Statistik der thüringischen Verfolgungen die Hälfte aller Fälle aus (Füssel), während sie gleichzeitig ein Drittel aller kursächsischen Hinrichtungen stellen (Wilde). Die Konstruktion von Verfolgungsräumen unter Einbeziehung von Gebieten, die unterschiedlich strukturierte Hexenjagden aufweisen, kann überdies zur völligen Verwischung von jeweils spezifischen lokalen Ursachen, Abläufen und Hintergründen führen. 5. Grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen der Zahl der Verfahren und der Zahl der Hinrichtungen. In manchen Regionen behielten auch inhaftierte Personen durchaus die Möglichkeit, durch die Einreichung von Rechtsmitteln oder das Überstehen moderat angewandter Tortur aus einem Verfahren entlassen zu werden. So endeten von den ungefähr 1500 im Herzogtum Bayern geführten Verfahren nur circa 200 mit einer Hinrichtung. 6. Auch sollten die Hexereiverfahren zusammen mit der übrigen Strafgerichtspraxis gesehen werden. Wurden andere vergleichbar eingestufte Delikte (etwa Sodomie, Inzest, Kindstötung, Mordbrenner, Vaganten- und
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Täufertum) ebenso hart und in gleicher Verfahrenshöhe verfolgt oder lähmte die Hexenjustiz das Vorgehen gegen die übrige Kriminalität? Gerade Einzelverfahren wegen Schadenzauberei, Wahrsagerei oder anderer Magieformen sollten möglicherweise besser im Kontext der üblichen Kriminalgerichtspraxis analysiert werden, als sie auf struktureller Ebene mit den eruptiven Ausbrüchen von Hexenpaniken zu vergleichen. Durch diese ‚ganzheitliche‘ Betrachtungsweise könnte der tatsächliche Stellenwert der Hexereiverfahren im Bewusstsein von Bevölkerung und Obrigkeit weitaus besser eingeschätzt werden. 7. In der Opferstatistik können jene Hexereiverdächtigen oder Freigelassenen, welche in Folge von Lynchjustiz ihr Leben verloren, kaum berücksichtigt werden, denn ihr Tod hinterließ selten Spuren in der aktenmäßigen Überlieferung. Auch verwertbare Nachrichten zu jenen Personen, welche zu Tode gefoltert wurden und durch Selbstmord oder an den schrecklichen Haftbedingungen starben, fehlen bisweilen in den Quellen. 8. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, nicht nur die Hingerichteten, sondern auch diejenigen als Opfer zu erfassen, die lebend aus einem Hexereiverfahren herauskamen, sei es, weil sie die Folter ungeständig überstanden hatten oder weil sie lediglich verbannt wurden. Probleme
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Aufgrund dieser Probleme können die bislang in der Hexenforschung gebotenen Zahlen lediglich als Richtwerte dienen, die durchaus wieder nach oben oder nach unten korrigiert werden müssen. Zur Interpretation solcher Zahlen wurden verschiedene Hilfsmodelle konstruiert. So hat Brian P. Levack die Unterteilung nach Einzelprozessen und kleinen Hexenjagden („small hunts“: Verfahren gegen höchstens drei Personen), mittleren Hexenjagden („medium-sized hunts“: Verfahren gegen fünf bis zehn Personen) und großen Hexenjagden („large hunts“: Verfahren gegen zehn bis mehrere hundert Personen) eingeführt, Wolfgang Behringer verteilt die Verfahren nach ihrer Größe und zeitlichen Verdichtung auf fünf Kategorien, William Monter möchte lieber von unterschiedlich großen „panics“ sprechen. Konsens über eine Kategorisierung der Verfahren auf der Grundlage ihrer Häufung ist nicht in Sicht, zumal die Berücksichtigung der oben angemahnten quellenkritischen Anmerkungen die Ermittlung des ‚Sachstandes‘ nicht gerade vereinfacht. Einige Beispiele mögen dieses Dilemma verdeutlichen: Zwischen 1586 und 1596 wurden in der Reichsabtei St. Maximin bei Trier mindestens 400 Menschen wegen Hexerei zum Tode verurteilt; Freilassungen von einmal inhaftierten Personen sind kaum bekannt. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl von rund 2200 Menschen wurden damit fast 19 % der Bevölkerung innerhalb von nur zehn Jahren hingerichtet. Unter Einbeziehung der Opfer aus der zweiten Welle in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erhöht sich die Rate auf über 22 %. Lediglich eine Rate von rund 16 %, die mit mindestens 500 Hingerichteten in der Deutschordenskommende Mergentheim im Zeitraum von rund vierzig Jahren (1590–1631) erreicht wurde, kommt im gesamten Alten Reich an die Maximiner „Quote“ heran. Schauen wir zum Vergleich auf die Hinrichtungsraten in zwei ausgemachten „Hochburgen“ der Verfolgungen, in Kurköln und in der Fürstabtei Fulda: Um das Jahr 1600 lebten in Kurköln – ohne die Reichsstadt Köln – rund 220 000 Menschen. Mindestens
Zahlen 2000 vermeintliche Hexen und Hexenmeister wurden hier allein zwischen 1624 und 1634 hingerichtet; die Hinrichtungsrate im Verhältnis zur Einwohnerschaft liegt damit bei 0,9 %. Bezogen auf die Größe, die herrschaftliche Zersplitterung und die ganz unterschiedliche Ausbreitung der Verfolgungen in den Ämtern und Unterherrschaften liefert diese makrohistorische Angabe eigentlich überhaupt keine Information. Erst der mikrohistorische Blick in die buchstäblichen ‚Brennpunkte‘ der kurkölnischen Hexenjagden (beispielsweise in Rheinbach bei Bonn oder im Sauerland) kann hier konkrete Einsichten und Erklärungen liefern. In der Fürstabtei Fulda (weniger als 90 000 Einwohner) erreichte die Hexenjagd mit mindestens 250 Hingerichteten während der Jahre 1603 bis 1606 immerhin eine Rate von 0,3 % der Bevölkerung. Anhand dieser ‚Zahlenspielereien‘ kann jedoch ein Faktum erkannt werden: Die exorbitanten Verfolgungen in der bei Trier gelegenen Reichsabtei St. Maximin am Ende des 16. Jahrhunderts erregten kaum publizistische Aufmerksamkeit. Hingegen verschmolzen sie in der Fernsicht gemeinsam mit den Verfolgungen in Kurtrier und in der Stadt Trier zu einer phantasmatischen Einheit. Sie trugen Kurfürst Johann VII. von Schönenberg ({ 1599) den zweifelhaften Ruf eines der größten Hexenverfolger seiner Zeit ein. Zu verifizieren sind die schon von Zeitgenossen für „Trier“ beklagten hohen Hinrichtungszahlen jedoch nicht mehr, da hier fast alle Akten flächendeckend verloren gingen beziehungsweise vernichtet wurden. Selbst bei der üblichen Annahme von rund 1000 Todesurteilen läge in Kurtrier (bei rund 75 000 Einwohnern) die Hinrichtungsquote bei 1,3 %. Im Vergleich mit den Verfolgungen in St. Maximin, welche bis auf wenige Spuren völlig aus dem kollektiven Gedächtnis des 16. und 17. Jahrhunderts verschwanden, erlebten die intensiven Hexenjagden in Kurköln, vor allem aber jene in Fulda und in den fränkischen Hochstiften große zeitgenössische Aufmerksamkeit, wurden sie doch – zumindest was Kurköln, Bamberg und Würzburg angeht – unter Einschaltung der Reichsgerichte beendet. Außerdem fanden sie in Friedrich Spee einen wortgewaltigen Kritiker. Schon in der konfessionellen Auseinandersetzung des 17. Jahrhunderts wie auch in der protestantisch dominierten Aufklärung und im Kulturkampf des 19. Jahrhunderts avancierten sie so zu Beispielen für „papistische“ Grausamkeiten und für den besonderen katholischen Verfolgungseifer. Die Wirkkraft dieser Deutungsmuster zeigt immer noch (oft unbemerkte) Folgen; denn selbst heute bleibt unsere wertende Wahrnehmung vermeintlich objektiver Zahlen von dieser besonderen Perspektive geprägt. Bei aller Unsicherheit im Umgang mit Zahlen steht jedoch fest, dass die Hexenverfolgungen im Alten Reich die europäische Statistik anführen (circa 25 000 Hinrichtungen). Das vermeintliche Faktum, katholische Obrigkeiten hätten sich bei der Hexenjagd besonders hervorgetan, wird angesichts von 4000 Verfahren (2000 Hinrichtungen) relativiert, die allein im protestantischen Mecklenburg geführt wurden. Wenn auch die geistlichen Kurfürstentümer Trier (mindestens 1000 Hinrichtungen), Mainz (mindestens 1800 Hinrichtungen) und Köln (über 2000 Hinrichtungen) zusammengenommen mit höheren Hinrichtungsraten hervortreten, bleibt hier jedoch die besondere Verfolgungsstruktur zu beachten. Ihr Hintergrund ist nicht in einem konfessionell bedingten, obrigkeitlich angeordneten Kampf gegen Hexerei
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Überblick
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Ausmaß, Geographie und Phasen der Hexenverfolgungen
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zu suchen, sondern in dem Zusammenspiel vieler verfolgungsauslösender Faktoren, unter denen der Aktionismus der Bevölkerung eine besondere Rolle spielte (vgl. Kap. VII.3.e). Tatsächlich entsprechen nur die intensiven Hexenjagden in den fränkischen Hochstiften, welche auf personeller wie auch auf struktureller Ebene eng miteinander verknüpft waren, dem Bild katholischer Massenverfolgungen. Im gesamten Einzugsgebiet dieser Verfolgungsschübe haben zwischen 1590 und 1630 wahrscheinlich 4000 Menschen ihr Leben unter der Folter, im Gefängnis oder im Feuer verloren. Doch auch in den zwischen Reich und Frankreich liegenden Herzogtümern Lothringen (rund 1500 Hinrichtungen) und Luxemburg (rund 2000 Hinrichtungen) gab es während des 16. und 17. Jahrhunderts einen extremen Verfolgungsdrang. Von den seit 1648 offiziell zur Schweizer Eidgenossenschaft gerechneten Territorien verbreitete sich die Hexenverfolgung nicht nur mit den frühesten Hinrichtungen seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts fast in ganz Europa (vgl. Kap. III), hier fand auch die letzte bekannte Hinrichtung im Jahr 1782 statt. Mit einem Zentrum im Waadtland (allein rund 1700 Hinrichtungen) sind in der gesamten Schweiz circa 3500 Hexen und Hexenmeister hingerichtet worden. Genauere mikrohistorische Untersuchungen fehlen noch für das Elsass, doch scheinen auch hier die Opferzahlen die 1000 zu überschreiten. An den europäischen Peripherien scheint man zurückhaltender gegen angebliche Hexen und Hexenmeister vorgegangen zu sein. Nach neuesten Forschungen wurden in den skandinavischen Ländern annähernd 1100 Menschen hingerichtet. Doch große Vorsicht bleibt geboten. So ist die absolute Zahl der dänischen Hexenprozesse völlig unbekannt; erst ab 1609 wurden die Akten des obersten Gerichtshofes serienmäßig aufbewahrt, erhalten haben sie sich nur für Jütland. 494 Verfahren lassen sich so nachweisen, eine Hochrechnung auf das gesamte Königreich erscheint mit guten Gründen als nicht ratsam. Disparat zeigt sich auch die Lage in Schweden, wo es zwar zwischen 1668 und 1676 während zweier Hexenpaniken in Blåkulla und Bohuslän insgesamt zu 300 Hinrichtungen kam, daneben aber zwischen 1550 und 1750 nicht mehr als 100 Personen im gesamten Königreich hingerichtet wurden. In Norwegen, das zwischen 1380 und 1814 unter dänischer Regierung stand, lässt sich im Vergleich mit der übrigen Strafgerichtspraxis hochrechnen, dass von insgesamt 2000 Todesurteilen im 17. Jahrhundert lediglich 216 auf Hexerei entfielen. Während man lange annahm, in Finnland seien nur wenige Hexenprozesse geführt worden, erhöht sich jetzt die Zahl der Verfahren mit jeder neuen Mikrostudie: Finnland, welches zum Königreich Schweden zählte und in dem weniger als 500 000 Menschen lebten, hat wahrscheinlich mehr als 2000 Anklagen wegen Hexerei gesehen, doch wurden – da die Anwendung der Folter nicht erlaubt war und der seit 1623 in Turku etablierte Appellationsgerichtshof eine strenge Aufsicht führte – wohl nur rund 75 Todesurteile gefällt. Während im katholischen Irland bis auf höchstens vier Fälle keine Hinrichtungen bekannt sind, verurteilte man in England etwa 500, im reformierten Schottland dagegen rund 1000 Menschen wegen angeblicher Hexerei zum Tode. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass in England viermal so viele Menschen lebten wie in Schottland. Zu den Regionen mit verhältnismäßig wenigen Verfahren und Hinrichtungen müssen sicher auch die nördlichen
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Geschlechterverhältnis
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Niederlande gezählt werden, selbst wenn man die nach dem Beginn des Niederländischen Aufstandes durch Spanien okkupierten Gebiete einrechnet (150–200 Hinrichtungen bei 1,5 Millionen Einwohnern). Im bevölkerungsreichen Flächenstaat Frankreich, der mit seinen obersten Gerichtshöfen (parlements) bereits über eine starke zentralistische Verwaltungsstruktur und Kontrolle der lokalen Gerichte verfügte, kam es bei einer Einwohnerzahl von rund 20 Millionen zwar zu mehreren tausend Verfahren, auch zu unzähligen Lynchmorden, jedoch nur zu einigen hundert legalen, von den obersten Gerichtshöfen genehmigten Hinrichtungen; gelegentlich wird die Zahl 400 genannt. Genauere Angaben zu liefern wird unmöglich bleiben, weil die aktenmäßige Überlieferung fragmentarisch bleibt. Auch die Territorien in Osteuropa wurden, wenngleich verspätet, von den Hexenjagden erfasst. Dabei scheint es in Polen erst zwischen 1650 und 1750 zu intensiveren Verfolgungen gekommen zu sein, wenn auch die bislang geschätzte Zahl von über 10 000 viel zu hoch gegriffen ist. Sie beruht auf einer völlig unzulässigen Hochrechnung. Gerade auch für das Polen der Frühen Neuzeit muss deshalb eine geographisch und chronologisch heterogene Verteilung der Hexereiverfahren angenommen werden mit einer Massierung in den westlichen Gebieten und in jenen Städten, welche der Jurisdiktion eines adligen Herren unterstanden und wo keine Appellationsinstanz etabliert war. Insgesamt bedürfen die polnischen Hexenverfolgungen noch detaillierter mikrohistorischer Untersuchungen. Europaweit wurden einzelne Verfahren noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein geführt; die letzte Hexenhinrichtung auf deutschem Boden ist für das Jahr 1755 bezeichnenderweise in einer geistlichen Herrschaft, nämlich in der Fürstabtei Kempten, nachweisbar. Hier wurde zwar 1775 erneut eine Frau als angebliche Hexe zum Tode verurteilt, das Urteil jedoch nicht vollstreckt. Die letzte legale Hinrichtung in Europa fand nach bisherigen Erkenntnissen 1782 im schweizerischen Kanton Glarus statt.
2. Geschlechterverhältnis Niemand wird heute mehr bezweifeln können, dass Hexereiverdacht, Hexenverfolgung und die Kategorie Geschlecht in einem fatal engen Konnex standen. Darauf verweisen allein schon die Hinrichtungszahlen, nach denen – wenn auch mit regionalen Verschiebungen – 70–80 % aller Opfer Frauen waren. Dieses makrohistorische Bild wird durch den Blick in einzelne Regionen jedoch wieder revidiert. So gab es auch Gegenden, in denen wesentlich mehr Männer hingerichtet wurden, wie beispielsweise in Island, Estland und Finnland; denn hier war das klassische westeuropäische Hexenstereotyp kaum adaptiert worden. Auch im Waadtland lag mit einem Drittel die Zahl der männlichen Opfer verhältnismäßig hoch. Wahrscheinlich war diese Quote das Resultat eines konsequent zweigeschlechtlich gedachten Hexensabbats, der auf die noch lebendige Tradition der klassischen Ketzerei mit ihrer zweigeschlechtlichen Organisation zurückweist (vgl. Kap. III). In der Normandie waren sogar zwei Drittel der insgesamt 100 Hin-
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Ausmaß, Geographie und Phasen der Hexenverfolgungen
VI.
Hexenstereotypen
Hebammen
gerichteten Männer, wobei die Zahl der angeklagten „Hexenmeister“ nach 1600 kontinuierlich anstieg. Verantwortlich dafür kann wahrscheinlich die besondere Deliktvorstellung sein, nach der es besonders Krötengift und gestohlene Hostien waren, welche angeblich von Schäfern und Pfarrern für Schaden- und Heilzauber gebraucht wurden. Grundsätzlich bleibt auffällig, dass – wiederum aus der Makrosicht – in katholischen Regionen bis zu dreißig Prozent Männer hingerichtet wurden, während in protestantischen Gebieten und Territorien – wie zum Beispiel in Schweden, Dänemark, den Niederlanden, England und Schottland – achtzig bis neunzig Prozent weibliche Hingerichtete nachzuweisen sind, ein Befund, welcher sich auch aus der spezifisch protestantischen Deliktbeschreibung erklärt (vgl. Kap. III und V, Exkurs). Gegen das gelegentlich propagierte Hexenstereotyp, nach dem eher Frauen in oder jenseits der Menopause (Roper) oder Witwen und alleinstehende Frauen (Midelfort) bevorzugtes Ziel der Hexenjagd waren, bleibt zu konstatieren, dass dieses simple Opfermuster schon bei frühen Verfolgungen wie auch den späteren massenhaften Hexenjagden gegen Ende des 16. und im Laufe des 17. Jahrhunderts von Anfang an durchbrochen wurde. Gerade in jenen Kettenprozessen, wo nicht mehr nach vermeintlichem Schadenzauber geforscht wurde, sondern allein die erfolterte Bezichtigung durch eine geständig gemachte Hexe als Indiz für eine Verhaftung ausreichte, konnten unterschiedslos alle Stände und Berufe, junge, verheiratete, schwangere und ledige Frauen, Kinder, Jugendliche, Männer, Amtsträger und Geistliche in die Hexereiverfahren geraten. Auch zeigen schon die exorbitanten Verfolgungen im Trierer Land am Ende des 16. Jahrhunderts, dass bereits zu Beginn der Hexenjagden männliche und weibliche Mitglieder der städtischen wie dörflichen Elite als vermeintliche Hexen belangt wurden. Auch gehörten weder heilkundige Frauen noch in der Geburtshilfe tätige Nachbarinnen oder städtische wie dörfliche Hebammen zu den bevorzugten Opfern der Hexenverfolgung. Unter den nachweisbar rund 1000 Opfern, welche die Hexenverfolgung beispielsweise an Mittel- und Untermosel forderte, sind kaum Hebammen zu finden, die als Hexen verbrannt wurden. Der spektakuläre Fall der 1587 in Dillingen hingerichteten städtischen Hebamme Walburga Hausmännin fand ein so großes öffentliches wie publizistisches Interesse eben wegen seiner Einzigartigkeit und nicht, weil Hexenprozesse gegen Hebammen der Regelfall gewesen wären. Auch unter Einrechnung einer Dunkelziffer scheint die Mehrzahl der Geburtshelferinnen völlig unbehelligt geblieben zu sein. Dagegen waren Hebammen als Sachverständige an Hexereiverfahren beteiligt, wenn es galt, inhaftierte Frauen zu untersuchen, die zur Begründung einer Haftverschonung angaben, schwanger zu sein.
3. Phasen und Verteilung Definitionsprobleme
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Hexenverfolgungen fanden seit dem frühen 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in den meisten europäischen Territorien und Staaten statt. Unter der Prämisse, dass das Delikt der „Hexerei“ mit seinen Bestandteilen Teu-
Phasen und Verteilung felspakt, Teufelsbuhlschaft, Hexenflug, Teilnahme am Hexensabbat und Ausführung von Schadenzauber eine Neuschöpfung des beginnenden 15. Jahrhunderts ist, wirft der Gebrauch des Terminus „Hexenverfolgung“ erhebliche definitorische Probleme auf. Umstritten bleibt einerseits, ob jene Verfahren wegen gelehrter Magie und Schadenzauberei, welche bis zur ‚Erfindung‘ des Hexereideliktes stattgefunden hatten, tatsächlich in eine Chronologie der „Hexenverfolgungen“ einbezogen werden sollten. Andererseits wurde das kumulative Konzept der diabolischen Hexerei während der Frühen Neuzeit nicht in allen europäischen Territorien vollständig rezipiert, so dass auch hier der Terminus „Hexenverfolgungen“ – angewandt beispielsweise auf die meisten Verfahren in England, in Finnland oder in Russland oder auf die oftmals ohne Hilfe der osmanischen Gerichte durchgeführten Verfolgungen auf dem Balkan – als fragwürdig erscheint. Das Hilfskonstrukt einer begrifflichen Trennung zwischen Zauberei- und Hexereiprozessen steht ebenfalls auf schwankendem Boden. Dieser Ansatz würde trennen zwischen Prozessen wegen Schadenzauberei ohne und solchen mit Teufelspakt. Eine Orientierung an den Quellentermini bietet kaum eine Klärung, denn noch weit bis in das 17. Jahrhundert hinein wurden in deutschsprachigen Zeugnissen „Hexen“ (im Sinne des kumulativen Deliktes) durchweg als „Zauberer“ beziehungsweise „Zauberinnen“ bezeichnet. Noch verwirrender wird das Problem, wenn die Regionen jenseits der deutschen Sprachgrenze mit ihren anderen Bezeichnungen und Bedeutungen untersucht werden. Auch spricht die Prozesspraxis gegen eine solche strikte Trennung, denn nicht selten konnten sich reine Schadenzauberprozesse in „Hexenprozesse“ wandeln. Überdies war es immanenter Bestandteil der kumulativen Deliktvorstellung, dass der Schadenzauber den Teufelspakt voraussetzen konnte. Ausweg aus diesem Dilemma bietet nur eine pragmatische Einbeziehung aller Verfolgungen von Schadenzauberei (ob mit oder ohne ausdrücklich genanntem Teufelspakt) sowie diabolischer Hexerei nach 1400. Abgesehen von diesen definitorischen Problemen reicht die Bandbreite der mit Hilfe der Justiz organisierten Hexenjagden von Einzel- zu Kettenprozessen und von endemischen Verfolgungen, welche auf eine Gerichtseinheit beschränkt blieben, bis hin zu Verfolgungen, welche Territorialgrenzen überschreitend epidemische Hexenjagden zur Folge hatten. Hexenprozesse blieben nicht auf die ländlichen Regionen beschränkt, sie finden sich auch in kleineren bis größeren (Reichs-)Städten. Dabei blieben Großstädte unempfindlich gegenüber der Hexenfurcht. Insgesamt verliefen die europäischen Hexenjagden über die Jahrzehnte hinweg weder gleichzeitig noch flächendeckend oder kontinuierlich. Charakteristisch ist dagegen ein Wechsel von Hoch- und Ruhephasen, von massenhaft auftretenden Hinrichtungen und von trügerischen Atempausen mit vereinzelten Verfahren. Generell kann ein Ansteigen der Verfolgungstätigkeit nach 1420, ein Nachlassen zwischen 1520 und 1560, konzentrierte Hexenjagden mit außergewöhnlich hohen Opferzahlen zwischen 1560 und 1630 sowie danach ein langsames Abebben der Hinrichtungen bis 1800 festgestellt werden. Wiederum jedoch wird der generalisierenden Makrosicht durch die mikrohistorisch festgestellten ‚Ausnahmen von der Regel‘ widersprochen. So waren nicht alle Regionen Europas in gleichem Umfang und zur gleichen Zeit von den Hochphasen der Verfolgungen betroffen. Selbst
VI.
Chronologischgeographische Verteilung
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Ausmaß, Geographie und Phasen der Hexenverfolgungen
VI.
wenn in einer Gerichtseinheit massive Verfolgungen stattfanden, konnten sie in den angrenzenden Territorien völlig fehlen. Gründe für diesen ungleichmäßigen chronologischen Ablauf und für die unterschiedliche räumliche Verbreitung liegen in den unterschiedlichen sozialen, ökonomischen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, welche nötig waren, um das Klima für eine Einzelprozesse überschreitende größere Hexenjagd zu bereiten (vgl. Kap. VII). So fanden in den Niederlanden nach 1608 keine Hinrichtungen mehr statt, während gleichzeitig in Süd- und Mitteldeutschland die Hexenjagden noch nicht einmal auf ihrem Höhepunkt angelangt waren. Darüber hinaus lässt sich auf die Ausbreitung der Hexenjagden das „Zentrum-Peripherie“-Modell anwenden. So wurden die Länder Nord- und Osteuropas (wie Schlesien, Ungarn, Böhmen, Estland, aber auch Schweden und Finnland) erst später vom west- und mitteleuropäischen Verfolgungstyp erfasst. Deshalb finden sich hier die Kulminationspunkte erst im Laufe des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts, wobei die Verfolgungen noch weit bis in das 18. Jahrhundert hineinreichen konnten. Diesem Modell stehen jedoch die am Rand von Europa stattgefundenen schottischen Hexenverfolgungen entgegen, die wesentlich höher ausfielen wie diejenigen in England. Generalisierend gesprochen, bahnten sich einzelne, aber auch schwerere Verfolgungen – ausgehend von dem „Versuchslabor“ der Alpenregion (vgl. Kap. III) und auf der Kommunikationsebene durch den Buchdruck vorangetrieben – ihren Weg zunächst entlang von Flussläufen und Handelsrouten in den Westen und Nordwesten Frankreichs bis hinauf in den Norden, um gleichzeitig – über Lothringen und Luxemburg – die Gebiete an Mosel und Rhein zu erreichen. Eine andere Route führte den Rhein hinauf in die oberdeutsche Region oder – über die Alpen – nach Oberitalien. Nach 1500 finden sich Hinweise auf endemische Verfolgungspunkte im Baskenland (1507, 1539), in Katalonien (1549), in der Diözese Como und anderen Teilen Norditaliens (1510/1520) und im nördlichen Teil des Languedoc (1519–1530). Die Niederlande und Luxemburg verzeichneten Verfahren in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die mit Reformation, Unruhen und dem Aufstand des Gemeinen Mannes – zumindest im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation – einhergehenden Konflikte, vermutlich aber auch die in Humanistenkreisen geübte Kritik am neuen, auf scholastischem Theoriegebäude fußenden Hexenglauben brachten die Verfolgungen vorübergehend zum Einschlummern (vgl. Kap. V). Nach 1560 sollten die Hexenjagden allerdings umso vehementer wieder ausbrechen. Wenn auch die konfessionellen Auseinandersetzungen nicht ursächlich für die Verfolgungen verantwortlich zu machen sind, so erhöhten sie doch erheblich das Krisenempfinden, die Heilsangst und die endzeitliche Grundstimmung. Darüber hinaus fanden der Hexenglaube und der Ruf nach Verfolgung einen Plausibilitätshintergrund in den klimatischen Auswirkungen der so genannten „Kleinen Eiszeit“ (vgl. Kap. VII.3.a). Zwischen 1560 und 1630 ist sicherlich für weite Teile des Alten Reiches der Höhepunkt der Hexenjagden anzusetzen, wobei ein Bündel unterschiedlicher Ursachen zum Ausbruch massenhafter Verfolgungen führte (vgl. Kap. VII.2). Katholische und protestantische Gebiete wurden gleichermaßen erfasst, wenn auch die Gebiete im Nordosten später betroffen waren als jene im Süden und Westen des Alten Reiches.
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Phasen und Verteilung Das Ende der verheerenden Verfolgungen in Kurköln und in den fränkischen Hochstiften wurde nicht zuletzt durch den Kurfürstentag in Regensburg 1630 eingeläutet, auf dem sich die bayerische verfolgungsskeptische Partei durchsetzen konnte. Sieht man von den erst später erfassten Gebieten im Osten Europas ab, ist bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein allmählicher Rückgang der gerichtlichen Verfolgungen festzustellen, auch wenn es noch zu keinem völligen Stillstand kam und der Glaube an die Wirksamkeit von Zauberei verbreitet blieb. In paradoxer, aber logischer Konsequenz führten die steigende Skepsis bei Juristen und Theologen sowie das obrigkeitliche Zurückdrängen beziehungsweise Erschweren von Hexereiverfahren zu einer Zunahme der Selbstjustiz. Lynchmorde sind generell immer dann zu beobachten, wenn die Gerichte die angebliche Zauberei und Hexerei nach Maßgabe einer sich bedrängt fühlenden Bevölkerung nicht hinreichend verfolgten. So kam es in Dänemark während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem Ausbruch von Massenmorden an vermeintlichen Hexen, nachdem das Land gerade eine Periode von Bürgerkriegen, Expansion und radikaler religiöser Reformen überstanden hatte. Die restriktive Politik des französischen parlement de Paris führte zu einer deutlichen Zunahme von aktionistischer ‚Selbsthilfe‘ auf Seiten der Bevölkerung gegen das ‚Hexenwerk‘. Auch in jenen Teilen Südosteuropas, die unter osmanischer Oberherrschaft standen, lassen sich massive Lynchkampagnen nachweisen. Bis hinein in das 19. und 20. Jahrhundert sind Einzelfälle in den Niederlanden, in England, Frankreich, Deutschland oder auf dem Balkan nachweisbar.
VI. Ende
Lynchjustiz
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VII. Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche 1. Die Hexenforschung nach 1945
Akkulturationsthese
84
Nach 1945 und bis in die 1970er Jahre hinein waren es in Deutschland vorwiegend die juristischen Dissertationen, in denen die Erforschung der Hexenverfolgungen weiterlebte. In Fortschreibung des „rationalistischen Paradigmas“ wurde das Problem allein in einem auf Irrglauben gegründeten Prozessverfahren untersucht; sozial- und mentalitätsgeschichtliche Fragen fanden in diesem Kontext keine Beachtung. Dafür wurden häufig Bezüge zwischen dem „Hexenwahn“ vergangener Jahrhunderte und dem „Massenwahn“ der jüngsten Vergangenheit hergestellt. Versuche, auf der Grundlage der älteren Literatur eine Gesamtschau der europäischen Hexenverfolgungen zu liefern, waren bei diesem Stand der Hexenforschung grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Einen glanzvollen Fehlgriff tat beispielsweise 1969 der Oxforder Professor Hugh Trevor-Roper ({ 2003), als er in seiner Schrift „The European witchcraze in the 16th and 17th century“ behauptete, der „Hexenwahn“ sei eine von fanatischen Theologen und Juristen getragene Disziplinierungs- und Unterdrückungskampagne gegen das einfache Volk gewesen. Zugleich sah er in den angeblich rückständigen Bergregionen der Alpen, des Jura, der Vogesen und der Pyrenäen eine Brutstätte abergläubischen Denkens. Die dünne Luft in der Höhe riefe Halluzinationen hervor; Naturphänomene wie Stürme, Gletscherkalben und Lawinen würden den Glauben an das direkte Wirken des Teufels verstärken. Trevor-Ropers Ausführungen stießen gleich nach ihrem Erscheinen auf heftige Kritik. Angeregt durch die sozial- und mentalitätsgeschichtliche Schule der „Annales“ und dennoch fast im Sinne des „romantischen Paradigmas“ gelangten auch französische Historiker zu der Überzeugung, hinter den Hexenverfolgungen eine Allianz von „Kirche“ und „Staat“ erkennen zu können. Im Jahr 1978 erschienen die Arbeiten von Jean Delumeau und Robert Muchembled, besonders letzterer ein Vertreter der inzwischen stark umstrittenen und auch von ihm nicht mehr mit gleicher Vehemenz behaupteten „Akkulturationsthese“. Ihr zufolge wurde die von Lebens- und damit von Angstbewältigung sowie von animistisch-magischer Weltsicht bestimmte Volkskultur im 17. und 18. Jahrhundert durch die von kirchlicher Missionierung und staatlicher Disziplinierung getragene Elitenkultur unterdrückt. Dabei sollen die herrschenden Schichten von panischen Ängsten vor dem Wirken des Teufels und seinen Dienern, den Hexen und Ketzern, durchdrungen gewesen sein. Die „Christianisierung der breiten Massen“ (Delumeau) und ihre Akkulturation sei vorrangig auf dem Wege einer Kriminalisierung volksmagischer Praktiken, der damit in Zusammenhang stehenden Verfolgung vermeintlicher Hexerei und der verschärften Kontrolle jedweden abweichenden Verhaltens, vorzugsweise im Bereich der Sexualität und der Festkultur, erfolgt. Diese Thesen bekräftigte Marie-Sylvie Dupont-Bouchat 1978 mit Bezug auf die Hexenverfolgungen in den Spanischen Niederlanden. Gegen diese Deutungsmuster konnte jedoch inzwischen für die Provinzen Flan-
Die Hexenforschung nach 1945 dern, Holland, Brabant und Luxemburg nachgewiesen werden, dass der Befehl Philipps II. von 1592 zur Verfolgung von Häretikern, Hexen und Wahrsagern nicht die vermutete Initialzündung für Hexereiverfahren bewirkt hat, und wo diese stattfanden, wurden sie nicht vom weltlichen Souverän im Verbund mit der katholischen Kirche organisiert. Ein vollständig antagonistisches Verhältnis zwischen Eliten- und Volkskultur wird neuerdings nicht mehr vermutet. Mehr oder weniger zeitgleich war ein wirklicher Paradigmenwechsel in der europäischen Hexenforschung eingetreten, inspiriert von englischsprachigen Anthropologen und Sozialhistorikern wie Keith Thomas und seinem Schüler Alan MacFarlane, von skandinavischen Ethnologen wie Gustav Henningsen oder von den beiden Amerikanern William Monter, der die Verfolgungen im französisch-schweizerischen Grenzraum untersuchte, und H. C. Erik Midelfort mit seinen Forschungen zu Hexenjagden im deutschen Südwesten. Hexenforscher, die sich zum Teil von den Methoden ethnologischer Feldforschung, zum Teil von bewährten landes- und sozialgeschichtlichen Ansätzen inspirieren ließen, gingen nun dazu über, in einem begrenzten Raum (Dorf, Tal, Region, Territorium, Landschaft) eine ganzheitliche Untersuchungsmethode anzuwenden, wobei die gesamte Bandbreite der vorhandenen Zeugnisse herangezogen und ausgewertet werden sollte. Damit eroberte die vergleichende Regionalstudie mit erweitertem sozial- und mentalitätsgeschichtlichem Zugriff das Feld der Hexenforschung. Gleichzeitig rückte damit wieder das akribische Studium der Prozessakten und anderer relevanter Zeugnisse in den Vordergrund, wobei man freilich nicht mehr – wie noch Joseph Hansen ({ 1943) – behauptete, die Lektüre eines einzigen Hexenprozesses würde zur Erfassung des Phänomens genügen, denn es fänden sich in diesen Akten allemal nur Wiederholungen. Als Pionierarbeiten dieses Typs sind die Dissertationen von H. C. Erik Midelfort (1972), Gerhard Schormann (1977), Wolfgang Behringer (1987), Herbert Pohl (1988), Eva Labouvie (1991) und Walter Rummel (1991) für den Raum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu nennen. Bereits im Jahr 1985 bildete sich in Tübingen mit dem Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) ein Dachverband der in den 1980er Jahre entstehenden nationalen wie internationalen Arbeitsgruppen zur Hexenforschung. Zum wichtigsten Ertrag der neueren Arbeiten zählt sicher die Erkenntnis, dass der Zauber- und Magieglaube in den fernen Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit kein, wie ihn die jeweiligen religiösen Orthodoxien klassifizieren, „Aberglaube“ gewesen ist, sondern innerhalb der Gemeinschaften eine sinnstiftende, schadenabwehrende Funktion erfüllte, die nicht zuletzt der Bewältigung eines als bedrohlich empfundenen Alltags diente. Man erkannte, dass magische Praktiken allenthalben nachgefragt und angewandt worden waren. Darüber hinaus gelang – als ein weiteres, nicht weniger bedeutendes Ergebnis – der Nachweis, dass die Bevölkerung an den Hexenjagden einen weitaus größeren Anteil hatte als bislang angenommen (Rummel). Verfolgungen waren eben nicht nur „von oben“ in Gang gesetzt worden, sondern auch „von unten“ und mit aktiver Beteiligung vieler Einwohner von Städten und Dörfern. Dies führte auch zu einer umfassenden Neubewertung der Rolle der Obrigkeiten.
VII.
Paradigmenwechsel und Regionalgeschichte
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
VII.
2. Gegen einen monokausalen Ansatz – das Faktorenbündel Inzwischen hat die neuere Hexenforschung trotz durchaus divergierender Ansätze, welche einem stets willkommenen wissenschaftlichen Pluralismus und einer interdisziplinären Methodenvielfalt entsprechen (vgl. Encyclopedia of Witchcraft – The Western Tradition, 2006), dahingehend Konsens gefunden, dass sich trotz aller zeitlicher und regionaler Unterschiede mehrere gemeinsame Faktoren herausarbeiten lassen, die intensive Hexenjagden auslösen (beziehungsweise verhindern) konnten. In den einzelnen Verfolgungsräumen mussten sie nicht immer vollzählig, nicht immer gleichzeitig und auch nicht immer in gleicher Intensität auftreten. Dazu gehören: 1. Die epochale ökonomisch-soziale Krise („Kleine Eiszeit“), konfessionelle und/oder politische Krisenszenarien und Konflikte (vgl. Kap. VII.3.a); 2. die Rezeption des gelehrten Hexereibegriffs und die Akzeptanz (beziehungsweise Nicht-Akzeptanz) seiner einzelnen Bestandteile Teufelspakt und -buhlschaft, Hexenflug, Sabbat und Schadenzauber (vgl. Kap. III und VII.3.b/d); 3. die dem Hexereiverfahren zugrunde liegenden Rechtsnormen, die Rezeption des römischen Rechts, die angewandte (oder nicht angewandte) Maxime des crimen exceptum, die Anwendung (oder Nicht-Anwendung) des Ausnahmeverfahrens (processus extraordinarius) sowie – damit einhergehend – das Maß der jeweils eingesetzten Folter (vgl. Kap. IV); 4. das Verfolgungsdrängen von Gruppen der Bevölkerung mit verschiedenen Stufen der Beteiligung am Selektions-, Ausgrenzungs- und Vernichtungsprozess vermeintlicher Hexen („bottom up-Modell“) oder aus der Bevölkerung kommender Widerstand gegen eine Verfolgung (vgl. Kap. VII.3.e); 5. die aktive Verfolgungsbereitschaft der ‚kleinen‘, mediaten oder noch partikularen Hochgerichtsherren in adligen, geistlichen oder städtischen Herrschaftseinheiten (vgl. Kap. VII.3.f); 6. die entweder verfolgungsfördernden oder verfolgungshemmenden Eingriffe der Territorien und frühmodernen Staaten („top down-Modell“; vgl. Kap. VIII); 7. das Karriere-, Profilierungs- und Bereicherungsinteresse, welches lokale Gerichtsbeamte, Kommissare, Notare oder andere an der Durchführung von Hexereiverfahren beteiligte Gruppen und Individuen nehmen konnten (vgl. Kap. VII.3.g); 8. die Rolle der Kommunikationsstrukturen, von denen die Wirkmacht der meisten Faktoren abhängig blieb; zum Beispiel Klein- beziehungsweise Großräumigkeit, territoriale Zersplitterung sowie herrschaftlich-politische Durchdringung der Territorien, Besiedlungsdichte, Wirtschafts- und Siedlungsstrukturen, Verkehrslage, Kirchenorganisation, Gelehrten- wie Juristendichte, geistliche Netzwerke (zum Beispiel Dominikaner, Jesuiten, Inquisitoren), familiäre Netzwerke der Hochgerichtsherren und landesfürstlichen Beamten (vgl. Kap. VII.3.c).
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Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen?
VII.
3. Hexenverfolgung – Handlungsoptionen zur Gewinnung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Vorteile? a) Die Krise – ein Plausibilitätshintergrund Das Feindbild der Hexe konnte eine so große gesellschaftliche Dynamik entfalten, weil die Krisenhaftigkeit jener Zeit die apokalyptische Überzeugung plausibel machte, die Welt sei Schauplatz eines Endkampfes zwischen Gut und Böse. Gegen den jederzeit möglichen Generaleinwand – „welche Epoche kannte keine Krise?“ (Schormann) – muss gerade die Zeit des 15. bis 17. Jahrhunderts als in ganz außerordentlichem Maße krisenhaft geprägt erscheinen. Dazu gehörte vor allem eine als Kleine Eiszeit bezeichnete, lang anhaltende Klimaverschlechterung, die gravierende Ernteausfälle und langfristige Preissteigerungen sowie in der Folge spürbare Not, Hunger und eine erhöhte Sterblichkeit bedingte. Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum die Hexenfurcht gerade in der Alpenregion ihren Anfang nahm, denn die massive Abkühlung musste eine klimatisch ohnehin prekäre Region besonders treffen. So schreiben schon die Errores gazariorum (nach 1435) den Hexen die Verantwortung für Wetterkatastrophen und Epidemien zu. Auch in der Folgezeit fielen in weiten Teilen Europas Perioden extremer Teuerung mit solchen extremer Hexenjagden zusammen. Dass schon die Zeitgenossen den Schaden- beziehungsweise Erntezauber der Hexen als Ursache von Wetterkatastrophen sahen, zeigen unter anderem Flugblätter und die besonders in Süddeutschland zwischen protestantischen und altgläubigen Gelehrten kontrovers geführte Diskussion über die Möglichkeiten der Hexen zum Wetterzauber. Auch in anderen europäischen Regionen machte man Hexen und Hexenmeister, zusätzlich zu ihrem sonstigen Sündenregister, für Hagelstürme, Ungewitter, Brände und Überschwemmungen sowie für ernteschädigende Ungezieferplagen und Epidemien verantwortlich. Dieses Krisenbewusstsein wurde verstärkt durch weitere bekannte Phänomene wie Seuchen und Kriege, die ebenfalls in jener Zeit Hochkonjunktur hatten. Wenn auch akute Kriegseinwirkungen die Verfolgungen meist unterbrachen, verschlimmerten ihre Begleitumstände mit dem Schreckensarsenal von Flucht, Vertreibung, Verwüstung, Vergewaltigung, Entführung, Erpressung, Folter und Mord die existentiell bedrohliche Situation. Die durch Ernteausfälle, Viehsterben und Kriegseinwirkungen gesteigerte Ressourcenverknappung führte in den Kleinstädten, Dörfern und Nachbarschaften zu einer Verschärfung der meist nur oberflächlich im Gleichgewicht gehaltenen gemeinschaftlichen Solidarität. Aus den Zeugenaussagen und Anklageschriften ist diese krisenhafte Situation deutlich abzulesen. Wirtschaftlicher und sozialer Zugewinn einzelner wurde mit neidischen Augen beobachtet. Man glaubte, der Gewinn des einen könne nur aufgrund von Verlusten bei anderen zustande gekommen sein. In diesem angespannten Klima gediehen Neid, Missgunst, Streitsucht und Gewalttätigkeit. Für die vielfältigen großen und kleinen Katastrophen ließen sich die vermeintlichen Verursacher leicht ausmachen: die Hexen und Hexenmeister.
Kleine Eiszeit
Weitere Krisenfaktoren
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
VII.
Auch wenn der Hexenglaube oberflächlich gesehen eine Art von Lösung bot, indem er eine Erklärung für alle Missgeschicke, Krankheiten, Todesfälle und Ernteschäden darstellte, verstärkte er letztendlich das Krisengefühl. Die gegenseitigen Verdächtigungen erhöhten das soziale Konfliktpotential, und zusammen mit den Hinrichtungen, denen in manchen Dörfern weit über die Hälfte aller erwachsenen Personen zum Opfer fiel, ließen sie nahezu jede Solidarität innerhalb der Familien, Nachbarschaften und Gemeinden zusammenbrechen. Die in fast allen neueren Analysen hervortretenden sozialen Spannungen im Umfeld der Angeklagten – an und für sich ein universales gesellschaftliches Phänomen – haben durch die spezifischen Krisenelemente der Epoche eine ganz erhebliche Verschärfung erfahren. Insgesamt hatten jedoch nicht nur lokale Wetterkatastrophen und ihre Folgen Anteil am ‚Klima der Angst‘; auch politische Konflikte (wie zum Beispiel Herrschaftswechsel) konnten den Boden für Hexenfurcht und Hexenjagd bereiten. Die Wahrnehmung, man lebe in einer „geschwinden Zeit“, einer Endzeit, die mit großen Schritten auf die Apokalypse zu eilte, wurde darüber hinaus befördert durch die neuen Druckmedien mit ihren sensationslüsternen Nachrichten aus allen Teilen Europas über vermeintliche Prodigien (göttliche Vorzeichen) wie Blutregen, Unwetter, Missgeburten und Himmelserscheinungen, über Verbrechen, Hinrichtungen, Hungersnöte, Seuchen und Kriege. Die Vorstellung von den Hexenketzern reihte sich in diesen Reigen der Vorboten des zu erwartenden göttlichen Endgerichts nahtlos ein. b) Konfessionalisierung, Moralisierung und Disziplinierung – zusätzliche Verdachtsgründe für Hexerei Unzucht
Aberglaubensbekämpfung
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Begleitet wurden die Krisensymptome von einer tiefgehenden moralischen wie religiösen Verunsicherung, ausgelöst und verschärft durch die konfessionellen Auseinandersetzungen. So setzte man sowohl auf protestantischer wie auf katholischer Seite auf eine Reform der (vermeintlich) ‚verwilderten Sitten‘, wobei jede als deviant eingestufte Sexualität scharf als Unzucht verurteilt und mit schweren Strafen belegt wurde. Bereits Andreas Blauert hat auf die enge Verknüpfung hingewiesen, die zwischen dem Wunsch nach Hexenverfolgung und obrigkeitlicher Sittenreform als zwei unterschiedlichen Methoden der Bewältigung einer als Strafe Gottes empfundenen Krisenzeit bestand. Die Verflechtung des Unzuchts- mit dem Hexereidiskurs geschah jedoch noch auf eine viel konkretere Art und Weise; denn als gotteslästerlich und todeswürdig eingestufte Vergehen wie Kindstötung, Inzest und Sodomie rückten mit anderen Sittlichkeitsdelikten (Ehebruch, Prostitution, Klerikerkonkubinat) in die Nähe von Hexerei. Dazu trugen nicht zuletzt die sexuellen Konnotationen der Hexereiimagination bei; denn die Teufelsbuhlschaft, die Hurerei beziehungsweise der Ehebruch mit dem Satan, galt als einer ihrer integralen Bestandteile. So lag die Vermutung nahe, dass diejenigen, die im Alltagsleben Sünden der Unkeuschheit begangen haben sollten, auch intimen Kontakt mit einem teuflischen Buhlen oder einer Buhlin gehabt hätten. Neben der Verdammung so genannter Unzucht verfolgten die Konfessionen andere Abweichungen von der jeweiligen Orthodoxie. Waren noch vor
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen? der Reformation magische, mit religiösen Elementen durchsetzte Praktiken, sofern sie zum Wohl (Krankenheilung) und nicht zum Wehe durchgeführt wurden, von Seiten der Amtskirche nicht nur weitgehend geduldet, sondern im Bereich des Heiligen- und Reliquienkultes, des Prozessions- und Wallfahrtswesens sogar gefördert worden, so setzte mit der Spaltung in Konfessionen ein radikaler Wandel ein. In den nun protestantisch gewordenen Territorien und Städten räumten die Kirchenbehörden rigoros mit der so genannten papistischen Abgötterei, mit Heiligen- und Marienkult, Reliquienverehrung, Bittprozessionen und dergleichen auf; gleichzeitig wurde auch die bislang geübte „Magie der Kirche“, das heißt alle magisch anwendbaren kirchlichen Rituale sowie volksmagische Praktiken, strikt untersagt. Auf allen Seiten konnte nun die verbotene Anwendung kirchlicher beziehungsweise „papistischer“ Rituale als Abfall vom wahren Glauben und mithin als Indiz für Hexerei gewertet werden. Für die katholischen Territorien gewannen jene Bestimmungen entscheidende Bedeutung, die das Konzil von Trient im Bemühen um Zurückdrängung der Reformation und Ausmerzung innerkirchlicher Verfallserscheinungen 1563 verbindlich formuliert hatte. In Abgrenzung zu den protestantischen ‚Neuerungen‘ hielt die katholische Kirche zwar weiterhin am Marien- und Heiligenkult, am Prozessions- und Wallfahrtswesen sowie den Gnadenmitteln fest, versuchte nun aber auch, alle Formen so genannten Aberglaubens, die nicht den festgelegten Inhalten der katholischen Religion entsprachen, zu verbieten. Zur Überwachung der neuen Normen wurden Sendgericht und Visitation wiederbelebt. Auch die weltlichen Obrigkeiten reagierten auf die neuen sittlichen wie religiösen Normsetzungen. Policey-Ordnungen und Mandate aller konfessionellen Lager, protestantische Kirchenzucht und katholische Sendgerichtsordnungen zeigten jedoch zunächst nicht die beabsichtigte sittlich-moralische Kehrtwende; auch die Reinigung der jeweiligen Konfession von störendem (jeweils anders definiertem) „Aberglauben“ stieß auf Widerstand. Vielmehr brauchte es eine Weile, bis diese Gebote ebenso wie die bereits in gedruckten Katechismen und deren Erläuterungen vorliegenden Handlungsanweisungen Verbreitung fanden. Auf katholischer Seite fiel diese Vermittlungsaufgabe den Jesuiten zu. In ihrer Motivation und Vorgehensweise durchaus vergleichbar mit den reformorientierten Dominikanern des 15. Jahrhunderts, stilisierten auch sie die Hexe beziehungsweise den Hexenmeister zum Gegenbild des frommen Christen. Dämonen- und Teufelsangst ließen sich – zu didaktischen Zwecken absichtlich gesteigert – so einsetzen, um damit größere Glaubens- und Sittendisziplin zu erwecken. Die in Predigten, Katechismuskommentaren und Traktaten sowie in der aktiven Volksmission von den Jesuiten propagierte Sitten- und Glaubenszucht brandmarkte sexuelle Verfehlungen und religiöse Abweichungen als Todsünde und teuflische Verführung. Damit wurde ein Katalog moralischer Normen bereitgestellt, deren Nichtbeachtung den Hexereiverdacht nahe legen konnte. Intensiv in der Gegenreformation tätig, kämpfte die „Gesellschaft Jesu“ weiter an breiter Front gegen jede Form der Häresie und Glaubensabweichung. Dabei war ihrer Meinung nach der Teufel ebenso verantwortlich für die Verbreitung der falschen Lehre, das heißt des Protestantismus, wie für die Verbreitung falscher Glau-
VII.
Jesuiten
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
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Disziplinierungskampagnen
Denunziationsbereitschaft
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benspraxis und so genannten Aberglaubens. In Katechese und Volksmission wandten sich Jesuiten strikt gegen Wahrsagerei, Segensprechen, magische Heilkunde und andere Formen volksmagischer Lebens- und Krankheitsbewältigung. Stattdessen propagierten sie die Wirksamkeit von Gebet, Beichte und Kommunion sowie die Anwendung kirchlich sanktionierter Gnadenmittel (zum Beispiel das Agnus dei-Amulett) zum Schutz vor dem schädlichen Treiben der Dämonen und Hexen. Gegenreformatorisch motivierte „Erneuerungskampagnen“, die auf eine rigide Sexualdisziplinierung abzielten und in regelrechten Repressionswellen enden konnten, sind aus vielen katholischen Gebieten bekannt, u. a. aus den für ihre Massenprozesse berüchtigten fränkischen Hochstiften. Auch die Verfolgungen in der eigenständigen, zur Provinz Luxemburg zählenden Klosterherrschaft St. Hubert-en-Ardennes müssen vor dem Hintergrund solcher Kampagnen gesehen werden. Bis auf wenige Ausnahmen fanden alle hier nachweisbaren Hexenprozesse unter der Herrschaft des Abtes Nicolas de Fanson (Regierungsjahre 1611–1652) statt. Dieser Jesuitenschüler, dessen Vorgänger der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld die zweite Auflage seines Traktates über Hexerei gewidmet hatte, war ein strenger Verfechter der Trienter Konzilsbeschlüsse und von gegenreformatorischem Eifer erfüllt. Während seiner langen Amtszeit wollte er in St. Hubert eine neue moralische Ordnung, einen Gottesstaat, etablieren, glaubte er doch die Herrschaft unterwandert von Ehebrechern, Besessenen und Hexen. Deshalb wurden alle Verfehlungen, die als Verstoß gegen die neue katholische Ordnung gelten mussten, streng verfolgt: Unzucht, Gotteslästerung, Wahrsagerei und Zauberei. Verstöße gegen die rigide Sexualnorm wertete man dabei als Indizien für Hexerei. Als eine direkte Folge dieser obrigkeitlichen Disziplinierungskampagnen kann eine gestiegene Denunziationsbereitschaft in der Bevölkerung beobachtet werden; denn Kirchenzucht, Send- und Rügegerichtsbarkeit setzten die Pflicht, jedes abweichende Verhalten bei den entsprechenden Stellen anzuzeigen. Im gleichen Maße begannen sich Hexereianklagen gegen Personen mit angeblich sexuell deviantem Verhalten zu häufen; für die Bevölkerung ergab sich eine einfache Gleichung aus dem gemeinsam geführten Unzuchts- und Hexereidiskurs: Wer ein ehebrecher / müste auch ein zauberer sein. Die Identifizierung sexueller Devianz mit Hexerei scheint von der Bevölkerung offenbar leichter akzeptiert worden zu sein, konnten doch heimliche Ehen, Ehebruch, ungewollte Schwangerschaften oder Inzest auch das nachbarschaftliche und gemeinschaftliche Leben erheblich stören. Hingegen gelang es den obrigkeitlichen Disziplinierungskampagnen weitaus weniger effektiv, auch an die Szene der Kleinmagier heranzukommen, wie das Versagen einer solchen, durch den lutherischen Herzog von MecklenburgGüstrow ins Leben gerufenen Ausrottungskampagne exemplarisch zeigt. Heiler, Heilerinnen, Hexenbanner, Wahrsager, aber auch Henker und Pfarrer, welche magisch-religiöse Bann-, Hilfs- und Schutzrituale anboten, waren Dienstleister, die – unabhängig vom konfessionellen Kontext – viel zu sehr in den dörflichen und städtischen Gemeinschaften gebraucht wurden, als dass man sie leichtfertig den landesherrlichen Behörden oder den lokalen Hexenjägern denunziert hätte. Vielmehr bedurfte es eines langen
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen?
VII.
Weges der Vermittlung und der Rezeption, bevor Angehörige dieser Subkultur in ein Hexereiverfahren gezogen wurden – und dies meist nur, wenn sie wegen anderweitig auffälligen Verhaltens wie Trunk- und Streitsucht den gemeindlichen Frieden so erheblich störten, dass man ihnen seitens der Bevölkerung weiteren Schutz verweigerte. Die religiösen und moralisch-sittlichen „Erneuerungskampagnen“ griffen auch außerhalb des Alten Reiches. Durchaus vergleichbar den Bemühungen des erwähnten Abtes Fanson oder des lutherischen Herzogs von Mecklenburg-Güstrow, bemühte man sich beispielsweise auch im Königreich Schottland, einen „godly state“ zu errichten, wenngleich hier unter calvinistischen Vorzeichen. Strenggläubige Presbyter und Geistliche der reformierten Nationalkirche (Kirk) suchten deshalb unter ihren Pfarrkindern nach abweichendem, als „papistisch“ gedeutetem Verhalten, das nicht der reformierten Glaubens- und Sittenzucht entsprach, damit letztlich gegen die göttliche Ordnung rebellierte und so leicht als Hexerei gewertet werden konnte. Die große schottische Hexenverfolgung Ende des 16. Jahrhunderts in North Berwick richtete sich deshalb sowohl gegen die Mitglieder einer (angeblich) politischen Verschwörung, welche mit zauberischen Mitteln das Leben des Königs bedroht haben sollte, als auch gegen Personen aus dem Kreis des cunning folk (Kleinmagier) und gegen sozial unangepasste, „aufmüpfige“ Leute mit (vermeintlich) sexuell und religiös deviantem Verhalten. c) Die Kommunikationsstrukturen – die Verbreitung von Hexenfurcht, Verfolgungsdrängen und Handlungsoptionen Hexenglaube, Teufelsfurcht und der Ruf nach Hexenprozessen waren keine Phänomene, die plötzlich aus dem Nichts entstanden, sondern sie blieben auf konkrete Vermittlung angewiesen. Nicht immer bedurfte es eines verheerenden Unwetters, um den Ruf nach Hexenverbrennungen laut werden zu lassen. Häufig genügten Nachrichten über Verfolgungen in benachbarten Regionen, um unter der Bevölkerung den Wunsch zu wecken, auch aus ihrer Mitte die Übeltäter auszumerzen. Ähnliche Zusammenhänge zwischen dem Ausbreiten von Nachrichten über die Pest und der Anzettelung von Judenpogromen sind schon aus dem 14. Jahrhundert bekannt. Dass sich endemische, auf eine Gerichtseinheit beschränkte Verfahren zu epidemischen, großflächigen, Hochgerichts-, Amts-, Territorial-, Bistums- und Konfessionsgrenzen überschreitenden Verfolgungswellen entwickeln konnten, ist – so trivial es auch klingt – letztlich ein Ergebnis von Kommunikation, was sich schon bei der Diffusion des neuen Hexenglaubens in der Alpenregion feststellen lässt. An erster Stelle sind hier die Netzwerke der Inquisitoren aus den Reihen der Dominikaner und Franziskaner zu nennen. Es ist sicher kein Zufall, dass gerade jene Vertreter aus den Bettelorden, die für strikte Observanz und Einhaltung der göttlichen Gebote, für asketische Lebensführung bei Klerus und Laien, besonders aber für die Ausrottung von Häresie, Blasphemie und Unzucht plädierten, gleichzeitig einer harten Verfolgung der vermeintlichen Hexensekte das Wort redeten. Wie der Dominikaner Johannes Nider verstanden sie sich als Glaubenskrieger, die eine Bastion gegen das aufbrandende Heer von Ketzern, Häretikern, Abweichlern und Glaubensmüden errichten mussten. Eine ganz besondere Rolle spielte
Dominikaner und Franziskaner
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
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Universitäten
Predigten
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in jener frühen Phase des 15. Jahrhunderts das Konzil von Basel, das als „intellektuelle Drehscheibe“ (Blauert) die Nachrichten über die neu „entdeckte“ Hexensekte weiter verbreiten half (vgl. Kap. III). In der Frühen Neuzeit waren es besonders die Universitäten, die mit ihren konfessionellen Bindungen zu entscheidenden Kommunikationsknotenpunkten und zu Ausgangspunkten von entsprechenden Netzwerken von Gelehrten wurden. Verfolgungsfördernde (nur bis zum Ende des 16. Jahrhunderts: Ingolstadt und Trier) wie skeptische (Heidelberg) Gelehrtenmilieus bildeten sich dabei heraus. Durchaus vergleichbar mit dem dominikanischen Netzwerk nahm die „Gesellschaft Jesu“ über die von ihnen dominierten Bildungseinrichtungen (Trier, Köln, Ingolstadt und andere) großen Anteil daran, einschlägige Hexereivorstellungen und juristische Verfahrensweisen zu verbreiten, sei es über religiöses Schrifttum beziehungsweise die Volksmission, über Gutachten in Hexereifragen, über die ordensweiten jährlichen Berichte aller Niederlassungen (litterae annuae), über ihre Tätigkeit als fürstliche Beichtväter oder ganz konkret als Schul- und Universitätslehrer. So wurden offenbar die Bestandteile des kumulativen Hexereidelikts erst dann im habsburgischen Teil Kroatiens verfolgt, nachdem 1607 und 1669 in Zagreb die Jesuiten eine Schule und nachfolgend eine Universität gegründet hatten, welche ihren Adepten ein besseres Verständnis der juristischen und theologischen Evidenz des Hexereidelikts vermittelten. Ähnlich prägend wirkten die Universitäten durch die Ausbildung ganzer Generationen von Juristen, die als Gutachter, Schöffen und Richter später mit Hexereiverfahren befasst waren. Diese Spezialisten konnten ihre Dienste in mehreren Territorien oder Regionen ausüben und damit entscheidend Beginn, Fortgang und Ende der Verfahren beeinflussen (vgl. Kap. VII.3.g). Unter den Methoden religiöser Unterweisung muss besonders die volkssprachliche Predigt als spezifisches Medium der Vermittlung angesprochen werden. So wetterten die großen Bußprediger des 15. Jahrhunderts, Vinzenz Ferrer und Bernhardin von Siena ({ 1419), in einem Atemzug gegen den sittlich-moralischen Verfall, gegen Juden, Häretiker, Sodomiter, Ehebrecher – und gegen Hexen. Frühe Hexenhinrichtungen (nach 1425) in Todi und Rom wurden durch gezielte Predigtkampagnen Bernhardins von Siena ausgelöst. Vinzenz Ferrer bereitete im Westalpenraum den Boden für entsprechende Verfolgungen (vgl. Kap. III). Als Vermittlerinstanzen wirkten Männer wie der wortgewaltige Prediger Johannes Geiler von Kaysersberg ({ 1510), der 1509 ausführliche Kanzelreden über Formen von Aberglauben, Magievorstellungen und Hexenfurcht hielt und dabei sowohl einschlägige Schriften des Johannes Nider als auch den Malleus Maleficarum und die Hexenpredigten des Tübinger Theologen Martin Plantsch ({ 1533) heranzog. In der unter päpstlicher Herrschaft stehenden südfranzösischen Grafschaft Venaissin brach 1581 eine Hexenpanik aus, nachdem dort durch eine Seuche aus Avignon vertriebene französische Jesuiten Predigtkampagnen gegen protestantische Umtriebe gestartet und dabei wahrscheinlich auf die engen Zusammenhänge zwischen Ketzerei und Teufel hingewiesen hatten. Am Ende des 16. Jahrhunderts feuerten in der Stadt Trier die Predigten der Jesuiten immer wieder die Verfolgungswünsche der Bevölkerung an. Auch die große baskische Hexenpanik Anfang des 17. Jahrhunderts wurde
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen? durch entsprechende Predigten initiiert. Der Verfolgungskritiker und spanische Inquisitor Don Alonso Salazar Frías ({ 1636) fasste dies scharfsinnig so zusammen: „Es gab dort weder Hexen noch Verhexte, bevor darüber geredet und geschrieben wurde.“ Immens hohe Bedeutung kommt der Erfindung des Buchdruckes zu. Jetzt ließen sich Traktate, vermehrt um Flugblätter und Flugschriften, auch zum Hexenthema in großem Umfang verbreiten. Die prägende Wirkung solcher Texte und Bilder konnte sich über Jahrzehnte erstrecken oder auch noch mit jahrzehntelanger Verzögerung einsetzen. Die Aufmerksamkeit für das Hexereidelikt wurde geweckt und erheblich gesteigert, einschlägige Imaginationen visualisiert und ihnen der Anschein von Tatsächlichkeit verliehen. Der Teufel und seine Diener erhielten konkrete Gestalt und konkrete Gesichter; die Aufdeckung ihrer Verbrechen und ihre Aburteilung verschafften den Vorstellungen zusätzliche Wahrhaftigkeit und den sie verfolgenden Obrigkeiten eine erhebliche Legitimation. Ganz nebenbei produzierte das auf Sensation abzielende Geschäft mit Flugblättern und Flugschriften auch absichtliche Falschmeldungen über die Untaten der Hexensekte. Wie intensiv sich einschlägige Druckwerke und konkrete Prozesstätigkeit gegenseitig beeinflussten, zeigen drei Beispiele. So fertigte 1475 der pfälzische Hofkaplan Matthias Widmann von Kemnath ({ 1476) in Heidelberg eine Übersetzung der Errores gazariorum an, deren Rezeption möglicherweise die in der dortigen Region stattfindenden Hexenprozesse beeinflusst hat. Jene Übersetzung, welche Johann Fischart ({ 1590) von Jean Bodins Traktat angefertigt hatte, fand mit dem darin enthaltenen Fragekatalog 1586/87 in Augsburger Hexereiverfahren Anwendung. Als Amtmann im lothringischen Forbach tätig, ließ Fischart in seinem Bezirk (mindestens) drei Hexenprozesse führen, deren Protokollabschriften er an den Generalprokurator Nicolas Rémy sandte. Rémy wiederum übernahm die darin enthaltenen Aussagen in sein Traktat. Von dort aus wurden sie weiter in die nachfolgend publizierte dämonologische Literatur transferiert (Martin Del Rio, Francesco Maria Guazzo). Den publizistischen Höhepunkt jesuitischer Hetze gegen vermeintliche Hexen und Hexenmeister bildeten die vom Theologen und Juristen Martin Del Rio, Mitglied der Gesellschaft Jesu, 1599/1600 zum ersten Mal und danach in insgesamt 20 Auflagen gedruckten Disquisitionum Magicarum, welche zum dämonologischen Standardwerk schlechthin avancieren sollten. Bei der Kompilation seiner Exempel und Fallberichte nutzte Del Rio nicht nur die Jahresberichte der Jesuiten als Fundgruppe, sondern auch das Netzwerk der „Gesellschaft Jesu“, um an Informationen über konkrete Verfahren heranzukommen. Auch mit dem Trierer Kolleg scheint er Kontakt gepflegt zu haben, denn in den 1590er Jahren plante er einen am Ende nicht durchgeführten Besuch; er konnte sich aber eine notariell beglaubigte Abschrift des Widerrufes von Cornelius Loos beschaffen, dem er damit ein ungeahntes publizistisches Überleben sicherte. Del Rio übernahm zudem das Hexereigeständnis des Jean del Vaux, eines Mönches aus Stavelot-Malmédy (Ardennen), in sein Werk. Dieser Jean del Vaux, hingerichtet 1597, hatte unter anderem gestanden, bei Dr. Dietrich Flade (hingerichtet 1589), dem „neuen Dr. Faustus“, in der von Zauberern verseuchten Stadt Trier das Hexen gelernt zu haben. Das in Del Rios Werk abgedruckte Interrogatorium,
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Buchdruck
Del Rio
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
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Reisende
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nach dem vermeintliche Hexen zu befragen seien, fand wiederum wortwörtliche Anwendung in dem 1600 von einigen bayerischen Hofräten mit unglaublicher Brutalität in München geführten Hexereiverfahren gegen die Landfahrerfamilie Pappenheimer, das mit seinen erpressten Besagungslisten als Neuanstoß bayerischer Hexereiverfahren dienen sollte. Ihre Sabbatfabulate erinnerten darüber hinaus fatal an jene von Jean Del Vaux gelieferte Vorlagen. Ein Münchener Jesuit berichtete Del Rio über diesen Prozess, der wiederum diese Informationen einer weiteren Auflage seiner „Dämonologie“ beifügen konnte. Gleichzeitig wurde der Fall Pappenheimer in Flugblättern verarbeitet. Auf diese Weise verbanden sich die Hexereiverfahren in Trier, in den Ardennen und in Bayern und verschafften – zusammengeführt in Del Rios Traktat – dem Hexereikonstrukt eine unangreifbar erscheinende Realität, welche erneute Bestätigung in nachfolgenden Hinrichtungen fand. Menschen und Texte bewegten sich in erster Linie entlang der großen Flussläufe und Haupthandelsrouten. So konnte – wenig überraschend – die Wanderung des neuen Hexerei-Konzeptes aus dem südwestalpinen Raum nach Norden und Osten entlang dieser Routen für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Aufsehen erregende Prozesse wie diejenigen in Arras 1459/1460 strahlten dabei ihrerseits in alle Richtungen aus. Hans De Waardt und Willem de Blécourt haben schon 1990 darauf hingewiesen, dass der Niederrhein erst Ende des 15. Jahrhunderts von der neuen Angst vor einer heimlichen Hexenverschwörung, wie sie der Malleus maleficarum propagierte, erreicht wurde und dass dieser Hexenglaube über die Kommunikations- und Handelswege entlang der Flusssysteme von Mosel, Maas, Rhein und Schelde von Köln über Jülich, Berg, Kleve und Geldern auch die niederländischen Provinzen und Norddeutschland erfasste. Zur gleichen Zeit und auf gleiche Weise wurden auch in Kurtrier und im Herzogtum Luxemburg zum ersten Mal größere Verfolgungen ausgelöst. Träger dieser „neuen Nachrichten“ über Hexenprozesse waren reisende Inquisitoren wie Heinrich Institoris, daneben aber vor allem mit Prozessen erfahrene Henker, deren Dienste aufgrund ihres Fachwissens in verschiedenen Territorien und Städten gefragt waren. Eine solche persönliche Vermittlung von „Verfolgungswissen“ kann auch für die ersten Verfahren gegen das neue Hexereidelikt vor einem weltlichen Gericht im deutschen Südwesten nachgewiesen werden: Konfrontiert mit einer geheimnisvollen Epidemie, deren Ursache Hexerei zu sein schien, fragte die Heidelberger Regierung in Basel 1446 um Hilfe nach, wo man bereits einschlägige Erfahrungen mit der Aburteilung von Hexen gesammelt hatte. Die Baseler schickten Peter zum Blech, der als Schultheiß und Hexenjäger sowohl an den Verfolgungen in der Stadt wie im Fürstbistum Basel maßgeblich beteiligt gewesen war, nach Heidelberg. Dort erhielt dieser Fachmann die Vollmacht, nach Baseler Vorbild zu prozedieren, was zur Folter, Aburteilung und Hinrichtung von acht Frauen wegen vermeintlicher Hexerei führte. Über diese Ereignisse berichtete 1456 der Arzt Dr. Johannes Hartlieb ({ 1468) in seinem Buch aller verbotenen kunst, unglaubens und der Zauberei, wobei er – entgegen den ursprünglichen Anklagen – den „Hexen“ auch Wettermacherei anlastete. Ähnlich den Inquisitoren und kommissarisch tätigen Juristen, reisten auch Notare von einem Hinrichtungsort zum nächsten. Die Mitglieder der im
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen? Westen des Alten Reiches verbreiteten gemeindlichen Anklageausschüsse (Kap. VII.3.e) legten auf ihrer Jagd nach Besagungen gegen vermeintliche Hexen ebenfalls oft weite Wege zurück. In diesem Kontext ist ferner auf die familiären Netzwerke und Klientelsysteme hinzuweisen, die lokale Adelsfamilien grenzüberschreitend beispielsweise in Luxemburg, Kurtrier, Kurköln und in den jeweiligen Unterherrschaften aufbauten. Vertreter dieser kleinadligen Familien konnten so Funktionen im landesherrlichen Dienst besetzten und über ihre Kommunikationskanäle auch das Spezialwissen im Umgang mit Hexenverfolgungen transportieren. Diese Entwicklung wurde gefördert durch die Vernachlässigung der alten Maxime, zur Vermeidung von Interessenkonflikten und Machtkumulation die lokalen Amtleute nicht aus dem Kreis des ansässigen Adels zu nehmen. Daneben boten professionelle „Hexenfinder“ beziehungsweise Spezialisten beim Entdecken von Hexen ihre Dienste an. Grundherrliche Beamte, Boten und Büttel verbreiteten bei ihren alltäglichen Gängen einschlägige Nachrichten. Unterhalb der herrschaftlichen und grundherrlichen Ebene trugen Wallfahrten, Kirchweihund Marktbesuche weiterhin dazu bei, die Vorstellung von der Präsenz der Hexen, aber auch das Wissen, mit welchen Mitteln man sie entlarven, bekämpfen und vernichten konnte, allerorts bekanntzumachen. Die Siedlungsdichte spielte ebenfalls eine besondere Rolle, verbreiteten sich doch im dünn besiedelten Norden Europas die westeuropäisch geprägten Vorstellungen von Hexerei aufgrund längerer Kommunikationswege wesentlich langsamer als im dichter besiedelten Zentrum des Kontinents. Wahrscheinlich brachten erst die in den 1640er Jahren aus dem Dreißigjährigen Krieg heimkehrenden Soldaten die Vorstellungen von Teufelskult und Hexensabbat nach Schweden. Andererseits lösten die großen schwedischen Verfolgungen 1668–1676 in dem unter schwedischer Verwaltung stehenden Finnland und dort besonders unter der schwedisch sprechenden Bevölkerung Hexenjagden aus. In Finnland, das als letztes der skandinavischen Länder von der Hexenverfolgung erfasst wurde, tauchte der elaborierte Hexereibegriff erst in den 1660er Jahren auf. Der verantwortliche Richter Nils Psilander hatte das von deutschen Vorstellungen geprägte Hexereidelikt an der baltischen Universität Tartu kennen gelernt. Auch die polnischen Hexenverfolgungen, die überwiegend im Westen des Landes stattfanden, sind von der deutschen Auffassung des Hexereidelikts – wenn auch zeitlich verzögert – entscheidend beeinflusst worden. Kurze Kommunikationswege und enge Kommunikationskreise innerhalb kleinräumiger, untereinander verbundener Herrschaftseinheiten mit dichterer Besiedlung konnten daher intensivere Hexenjagden bedingen. Das liefert einen weiteren Grund dafür, warum es in der Alpenregion zum Ausbruch der ersten Verfolgungen kommen konnte. Es erklärt auch, warum beispielsweise in den dünner besiedelten Gebieten der norddeutschen Hochstifte oder des pommerschen platten Landes keine schweren Hexenjagden stattfanden, in den jeweiligen Kleinstädten jedoch ein entsprechend geschlossenes Verfolgungsmilieu sehr wohl entstehen konnte. Umgekehrt kann so auch erläutert werden, warum Großstädte oft unempfindlich gegenüber Hexenpaniken blieben: Die vielen miteinander konkurrierenden Kommunikationskreise verhinderten dort die nahezu ausschließliche, ‚manische‘ Konzentration auf die vermeintliche Hexengefahr.
VII.
Siedlungsdichte
Kommunikationsstrukturen
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
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Die Einbeziehung des Faktors Kommunikationsstruktur macht darüber hinaus die Auffassung fragwürdig, wonach grundsätzlich die Verfolgungen auf dem Land stärker als in der Stadt gewesen seien. Angesichts der gerade im norddeutschen Bereich auf Städte konzentrierten Hexenjagd stellen sich massenhafte Verfolgungen weniger als ein ländliches Phänomen dar, sondern vielmehr als ein Phänomen herrschaftlicher Kleinräumigkeit, Siedlungs- und Kommunikationsdichte, verbunden mit politischen Konfliktlagen. Das wiederum verbindet auf struktureller Ebene die Hexenjagden in Städten wie Lemgo, Osnabrück und Verden mit den Hexenjagden in den kleinadeligen oder geistlichen Herrschaften der Mittelrhein- und Moselregion, in Südwestdeutschland, aber auch in Lothringen, Luxemburg, im Elsass, in der Franche-Comté und der Schweizer Eidgenossenschaft. d) Das multifunktionale Feindbild: soziale und politische Nutzung Plastizität des Hexenbildes
Nutzungspotentiale
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Seine Moralisierung im Konfessionalisierungsprozess (Kap. VII.3.b) verweist klar auf die enorme Plastizität des Hexereibildes (Walz) und die damit verbundenen Generalisierungsmöglichkeiten. Vielleicht hat auch deshalb kein anderes Feindbild der christlich-abendländischen Kultur ein solches Potential zur Legitimation von sozialem, gerichtlichem und herrschaftlichem Aktionismus entfalten können. Nicht nur die kriminelle Superpotenz der Hexen, sondern auch ihre mutmaßliche Allgegenwart schienen jede Gegenmaßnahme zu legitimieren und zudem derart gegenüber Kritik zu immunisieren, dass schon der Appell an Besonnenheit den einsamen Rufer in den Verdacht brachte, selbst ein Mitglied der Hexensekte zu sein. Hexereivorwürfe und erst recht die resultierenden Prozesse ließen sich daher gesellschaftlich und politisch für die unterschiedlichsten Zwecke nutzen und instrumentalisieren. In ähnlicher Weise galt dies schon für die politischen Schadenzaubereiprozesse der Spätantike (Priszillian, hingerichtet 385 in Trier) und der Merowingerzeit, desgleichen für die mittelalterlichen Verfahren, in denen die Kombination von Dämonenanrufung, Magie und Schadenzauber als Versuch zur Erlangung sozialer und politischer Vorteilnahme verstanden und gefürchtet wurde. In einem Umkehrschluss verdächtigte man gern politische Gegner, unzulässige Zauberei (auch im Kontext von Giftmischerei) angewandt zu haben. Solche Fälle lassen sich in Frankreich, Schottland und England bis in die Frühe Neuzeit nachweisen. Ein noch größeres Nutzungs- und Instrumentalisierungspotential war dem klassischen Ketzereivorwurf eigen. Nicht nur die Verfolgung und Vernichtung kirchlicher und politischer Gegner (Stedinger, Templer), sondern auch „Kreuzzüge“ wie derjenige gegen die Albigenser (1209–1229) ließen sich damit begründen. Der eindeutig politisch motivierte Prozess gegen die „Teufelsdienerin“ Jeanne d’Arc ({ 1431) verwies dann bereits auf das neue Feindbild der Hexerei. Schon die ersten Traktate (zum Beispiel Errores gazariorum; Luzerner Chronik des Hans Fründ) unterstellten den Hexen gemeinschaftsschädliches, unruhestiftendes, auf Rache für erlittenes Unrecht oder Zurücksetzung sinnendes, nur dem Eigennutz dienendes und auf sündhafte Trieberfüllung ausgerichtetes Handeln. Hass, Neid, Habgier, Streitsucht und unersättliche sexuelle Begierde führten deshalb die vermeintlichen Hexen buchstäblich in die Arme des Teufels. Kein Zweifel: Mit dem Feindbild der
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen? Hexe war eine Figur geschaffen worden, die als Inbegriff von Bösartigkeit und Verkommenheit in jedem sozialem Umfeld vermutet, erlebt und identifiziert werden konnte. Es überrascht nicht, dass dieses multipersonal und multifunktional einsetzbare Feindbild zunächst problemlos auf die als seelisch und körperlich schwach gedachten Frauen projiziert wurde. Magieverständnis und Hexenlehre schrieben ihnen geradezu arbeitsteilig die dämonisch besetzte Zauberei zu, da Frauen aufgrund ihrer physischen und psychischen Schwäche keine anderen Möglichkeiten der Triebbefriedigung hätten. Die spezifisch weiblichen Pflichten der Nahrungszubereitung, Geburtshilfe, Kindererziehung, Krankenpflege, Versorgung des Milch- und Kleinviehs machten es überdies plausibel, die Schuld an Todesfällen und Schädigungen in diesem Bereich den Frauen zuzuweisen. Die geschlechtsbezogenen, den Hexereiverdacht steuernden Faktoren kombinierten sich zu einer existentiellen Gefahr für bestimmte Frauen, wenn krisenhafte Zeiten eine von Neid, Konkurrenzgefühlen und Überlebensangst geprägte Situation hervorriefen, in der Spannungen und Konflikte, Streitlust und Gewaltpotential zwangsläufig zunehmen mussten. Dabei kamen keineswegs nur alte Frauen aus den Unterschichten in Verdacht, sondern in großer Zahl Frauen jeden Alters aus den mittleren und oberen Schichten. Ins Visier der Hexenjäger gerieten dabei auch nicht selten Frauen, die Selbständigkeit, Selbstbewusstsein, sexuelle Freizügigkeit oder Widerstand gegenüber obrigkeitlichen Normsetzungen und männlichen Dominanzansprüchen zeigten. Darüber hinaus eigneten sich Frauen aufgrund ihrer rechtlichen, sozialen und ökonomischen Minderstellung besser als Opfer und wurden nicht selten geradezu „stellvertretend“ für die Konflikte ihrer Männer wegen Hexerei belangt. Neben den Frauen konnte der multifunktionale Hexereiverdacht auf alle Personen mit scheinbar oder wirklich auffälligem und deviantem Verhalten, auf „Fremdkörper“ in einer geschlossen gedachten Gemeinschaft, aber auch auf ökonomisch, politisch und sozial aggressiv agierende beziehungsweise so wahrgenommene Zeitgenossen ausgeweitet werden. Vermeintliche oder tatsächliche Störenfriede gerieten deshalb schnell in Hexereiverdacht. Die Assoziation zwischen Hexerei und vermeintlicher Rebellion erklärt sich in diesem Kontext; denn wenn die Hexen ihrem Meister folgten, der gegen die Allmacht Gottes rebelliert hatte, dann musste ihnen auch der Wille zum Umsturz der herrschenden Ordnung und ihrer (politischen) Führung im Sinn stehen. Hexen hatten demnach als die größten Feinde jeglicher göttlich gewollter, politischer und gesellschaftlicher Ordnungsprinzipien, angefangen beim König und Fürsten bis hin zur patriarchalisch dominierten Ehe und Familie, zu gelten. Praktisch jede Konfliktlage konnte vor diesem Hintergrund in einem Hexereivorwurf artikuliert und personalisiert werden; denn das multifunktionale Konzept von Hexerei war so weit gefasst, dass schon geringfügige Auffälligkeiten und Anstößigkeit als Anzeichen für die Zugehörigkeit zur teuflischen Sekte gewertet werden konnten. Die besonders in evangelischen Gemeinden streng gehandhabte Kirchenzucht lieferte mit ihrer Kontrolle des sittlich-moralischen Lebenswandels weiteres Material für Hexereiverdacht. Ähnliches ist auch in katholischen Gemeinden nachzuweisen, wo die Sendschöffen über eine korrekte Lebensführung wachten. Hexen galten
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Frauen als Opfer
Waffe gegen ‚Störenfriede‘
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Projektion
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als „böse Leute“, als Menschen mit schädlichen Absichten. Mithilfe dieser moralischen Konnotation des dämonologischen Hexereibegriffs ließ sich auch Gewinnstreben als Schuldbeweis und Indiz für Hexerei werten. Wer die Problematik des Zusammenlebens unter frühneuzeitlichen Bedingungen kennt, insbesondere unter den krisenhaften Belastungen des späten 16. und 17. Jahrhunderts, den wird das Ausmaß, in dem privater Konfliktstoff Hexereibeschuldigungen nach sich zog beziehungsweise durch Anzeigen und Zeugenaussagen in Hexenprozesse hineingetragen wurde, nicht erstaunen. Selbstverständlich gab es auch die ‚magisch‘ konstruierten Tatszenarien, denen zufolge die Angeklagten als letzte Personen ein Kind, einen Erwachsenen, ein Tier angefasst oder ihm zu essen gegeben hatten, bevor dann stracks druff eine schwere Erkrankung und in den meisten Fällen auch der Tod eintraten. Daneben aber existierte gleichfalls das Szenario, in dem nichts anderes als profaner Streit Hexereibeschuldigungen ausgelöst hatte. Mikrostudien haben gezeigt, dass Bezichtigungen und Anklagen nicht nur wahllos aus panischer Hexenfurcht vorgebracht wurden. Viele der Anschuldigungen scheinen sich gegen eben jene Personen gerichtet zu haben, die man als bösartig, den Gemeindefrieden störend und unmoralisch einstufte, die man vielleicht schon seit längerem fürchtete, beneidete oder gar hasste. Das dynamische Potential der Hexenlehre bot vielfältige Möglichkeiten zur ‚Verketzerung‘ eines Kontrahenten und damit zur parteiischen Konfliktlösung und Vorteilsnahme. Grundsätzlich musste die Anwendung dieser Handlungsoption jedoch nicht von einem zynischen Zweck-MittelDenken geleitet sein, selbst wenn es auch genügend Beispiele dafür gibt. Vielmehr erklären sich erst aus der Verbindung von religiös-existentiell definiertem Kampf gegen Hexerei und konkreten sozialen, ökonomischen und politischen Interessen Intensität und Härte, mit denen gegen vermeintliche Hexen vorgegangen wurde. Insgesamt hätte man es also mit einem klaren Fall von Projektion zu tun: Nicht die vermeintlichen Hexen bedienten sich der Hilfe des Teufels, um bestimmte Vorteile zu erlangen, sondern ihre Ankläger und Verfolger nutzten die Handlungsoption des Hexereiverdachtes, um soziale, wirtschaftliche und/oder politische Vorteile zu erringen. Die Möglichkeit, eigene Interessen wie Neid, Habgier und Rachsucht unter dem Deckmantel der Hexereibezichtigung und dem Ruf nach Hexenverfolgung zu verbergen, war schon den kritischen Zeitgenossen bekannt. Dass der Hexereivorwurf und der entsprechende Strafprozess in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen genutzt worden sind, hat inzwischen auch in der Forschung Zustimmung gefunden. Als Einwand könnte formuliert werden, Personen, welche sich durch Hexerei geschädigt fühlten, Denunzianten, Zeugen, ja selbst amtliche Hexenverfolger (Richter, Schöffen, Kommissare) hätten stets bona fide, aus gutem Glauben, agiert und seien von der absoluten Richtigkeit ihres Handelns überzeugt gewesen. Eine rein von Eigeninteresse oder von „Blutdurst“ geprägte Motivation sollte man ihnen deshalb nicht unterstellen, selbst wenn diese Vorwürfe bereits in zeitgenössischen Zeugnissen enthalten sind. Vielmehr müssten die Schriften der Verfolgungsgegner, in denen ohne Zweifel bereits Instrumentalisierungsvorwürfe thematisiert wurden (wie beispiels-
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen?
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weise bei Cornelius Loos, Friedrich Spee oder Hermann Löher, { 1678), als tendenziöse Quellen eingestuft werden, deren Vorwürfe gegen korrupte und brutale Richter nicht per se als ‚wahr‘, sondern auch – wie bei vergleichbaren Vorwürfen gegen Ketzerinquisitoren – als Diffamierungsrhetorik zu gelten hätten. Dem ist entgegen zu halten, dass man freilich ebenso die topoihaften Formulierungen und selbstlegitimierenden Rechtfertigungen der Verfolgerseite in den Hexenprozessakten (wie in den Ketzerprozessen) nach strategischen Motiven hinterfragen muss und eine quellenkritische Bewertung der Zeugnisse (vgl. Kap. II.2) nicht vor dem meinungsbildenden Medien- und Überlieferungsmonopol der Verfolgungsbefürworter haltmachen darf. Zu bedenken bleibt weiterhin, dass angesichts des Verfolgungsdrucks nur wenige Stimmen der Gegner, die im übrigen auch aus dem ‚einfachen Volk‘ stammen konnten, überliefert sind, und dass deren Aussagen deshalb umso mehr als wertvolles Korrektiv der einseitigen, die Hexenjagden befürwortenden Argumentations- und Legitimationsmuster gelten müssen. Überdies zeigt sich an den ‚Gegenstimmen‘, dass es stets Optionen wider das Postulat des uneingeschränkten Glaubens an Hexen und ihrer unbarmherzigen Verfolgung gegeben hat. e) Die soziale Nutzung der Handlungsoption „Hexenverfolgung“ – der organisierte Aktionismus der Bevölkerung (bottom up-Modell) Alle bislang genannten Faktoren – dämonologische Propagierung des neuen Feindbildes der Hexe, die dadurch scheinbar erklärten Katastrophen der Zeit, die konfessionellen Moralisierungskampagnen – tragen dazu bei, eines der erstaunlichsten Phänomene zu verstehen, welches die neuere Hexenforschung entdeckt und zum Anlass einer grundlegenden Neubewertung genommen hat: Hexenjagden, die ganz wesentlich von Gruppen der Bevölkerung initiiert und organisiert wurden. Dieses „von unten“ artikulierte Verfolgungsdrängen konnte unterschiedliche Ausprägung annehmen, die Bandbreite reichte von Gerücht und Hexereibezichtigung über Denunziation, Anzeige und Petition bis hin zu Aufruhr, Tumult und Lynchjustiz. In Reaktion auf die allgemeinen Krisen sowie ermutigt von kirchlichen und weltlichen Behörden, blieben schon die frühen Hexenverfolgungen zu Beginn des 15. Jahrhunderts auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen, wenn sie nicht gar von dieser initiiert worden sind. Bestes Beispiel dafür ist die zwischen 1428 und 1435 im Schweizer Wallis ausgelöste Hexenjagd, zu deren Organisation sich die Gemeinden zusammenschlossen und gemeinsam mit den Amtleuten sowie den ansässigen Adligen förmliche Statuten zur Verhaftung und Aburteilung der Hexen aufstellten. Die Verkehrung der Rollen von Obrigkeit und Untertanen ist nicht zu übersehen: Insbesondere im Westen, aber auch im Norden und Osten des Alten Reiches initiierten nicht die Landesherren Hexenjagden, sondern die Untertanen forderten im Gegenteil ein massives Vorgehen gegen die landschädlichen Hexen. Wie sehr Fürsten und landesherrliche Regierungen – auch aufgrund der schichtenübergreifenden Verbreitung der Hexenlehre – von der Bevölkerung in die Pflicht genommen werden konnten, verdeutlicht am Ende des 16. Jahrhunderts eine zeitgenössische Stimme aus Sachsen: Wo die Obrigkeit lässig sei, müsse das Volk antreiben und nach Kohlen und
Verkehrung der Rollen
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Dörfliche Klagekonsortien
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Feuer rufen. Nicht anders konnte man es zu Pfingsten 1590 im Dom zu Trier von der Kanzel hören, als der Jesuitenpater Macherentius den Stadtoberen vorhielt, das Volk zürne ihnen wegen der allzu lässig gehandhabten Hexenverfolgung – ein klarer Hinweis darauf, wie intensiv Geistliche und Prediger gegen die Obrigkeit und für die öffentliche Pogromstimmung Partei ergreifen konnten. Selbst in den fränkischen Hochstiften gibt es Hinweise auf Verfolgungsbegehren ‚von unten‘. Noch überraschender ist der Befund, dass sich in den Regionen von Eifel, Hunsrück und Westerwald, an Rhein, Mosel, Saar und Lahn Gemeinden mittels eigener Klagekonsortien beziehungsweise Ausschüsse direkt an den Verfolgungen beteiligten. Auch für eine größere Stadt wie Trier konnte inzwischen der Nachweis erbracht werden, dass dort ein solcher Ausschuss tätig war (Labouvie, Rummel, Voltmer). Gemeindliche Klagekonsortien zum Zweck der Hexenjagd lassen sich zuerst um die Mitte des 16. Jahrhunderts in den deutschsprachigen Teilen des zum Erzbistum Trier gehörenden Herzogtums Luxemburg und dann auch in den übrigen Gebieten der Erzdiözese nachweisen. In den französischsprachigen Teilen des Herzogtums Luxemburg sowie in Teilen Lothringens finden sich ebenfalls Spuren von so genannten „conspirations“ und „monopoles“, hier jedoch verdeckt und heimlich arbeitend. Dabei funktionierte das Ausschusswesen in den unterschiedlichen Herrschaften und Territorien zwar ähnlich, aber nicht gleichförmig. Es wäre irreführend, es als ein fest gefügtes, stets den gleichen Regeln folgendes Instrument kommunalistischer Prägung (Dillinger) anzusehen. Vielmehr weisen die im Gebiet der Reichsabtei St. Maximin bei Trier, in weiten Teilen des Herzogtums Luxemburg wie im Herzogtum Lothringen sowie in Kurköln, in den Herrschaften des Saar-Raumes, der Eifel und des Hunsrück, im Taunus und im Westerwald nachweisbaren Ausschüsse vielfältige Erscheinungsformen auf, für die es kaum eine gemeinsame Formel gibt, außer dass es sich um organisierte Untertanen-Initiativen zum Zweck der Hexenjagd und deren finanzielle Absicherung handelte. Überall aber trug die gemeindlich organisierte Hexenjagd erheblich zur Dynamisierung der Verfolgungen bei. Während im Gebiet der Reichsabtei St. Maximin die Ausschüsse zur Zeit der schweren Verfolgungen (1586–1596) von der Herrschaft geradezu institutionalisiert wurden, schotteten sie sich in Kurtrier und der Grafschaft Sponheim durch die Zusammenarbeit mit lokalen Amtleuten gegenüber landesherrlichen Reglementierungsversuchen eher ab. In kurtrierischen Kondominien und Partikularherrschaften profitierten sie von herrschaftlichen Konkurrenz- beziehungsweise Konfliktsituationen. So kam es immer wieder zu Koalitionen zwischen organisierten Untertanen und lokalen Hochgerichtsherren zum Zweck der Hexenjagd. Die Tendenz solcher Verabredungen ging dahin, gegenüber den Landesherren hermetisch abgeschlossene Verfolgungsmilieus zu schaffen, die es für die Betroffenen nahezu unmöglich machten, einem Verfahren und der Hinrichtung zu entgehen, zur ‚Ehre Gottes‘ und der ‚Ausrottung des Hexerei-Lasters‘. Dabei konnte ein Landesherr regelrecht zwischen die Fronten geraten, wenn er, wie der Trierer Erzbischof Johann VII. von Schönenberg, von der Bevölkerung und den Jesuiten zur Verfolgung gedrängt wurde und er gleichzeitig, in seiner Eigenschaft als Landesherr, die von den gemeindlichen Aus-
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen? schüssen betriebene Erosion seiner gerichtlichen Prärogativen abwehren musste. Das Ausschusswesen an sich hatte genossenschaftliche Wurzeln. Manche Ausschüsse, besonders diejenigen im städtischen Umfeld gaben sich auch den Anschein kommunalistischer Bewegungen (Trier, Bitburg). Im Mittelpunkt ihrer Begründung („Verbündnis“) standen jedoch finanzielle Vereinbarungen, welche die Kosten der akkusatorischen Klageführung gegen vermeintliche Hexen allein auf die Schultern der einmal Inhaftierten abwälzen sollten. Dieses finanzielle Motiv blieb auch dann noch im Hintergrund wirksam, als Ausschüsse unter dem Druck landesherrlicher Verbote in Luxemburg und Lothringen die Heimlichkeit suchen mussten und sich nun eines Strohmannes bedienten, der offiziell als Kläger auftrat. Von den städtischen Magistraten und Landesherrschaften wurden Ausschüsse in toto als Unruhestifter und Verschwörer etikettiert, auf der Mikroebene gingen Hochgerichtsherren und lokale Beamte jedoch oft aus unterschiedlichen Gründen Koalitionen mit ihnen ein. So agierten besonders die Luxemburger Monopole unter dem Schutz korrupter Pröpste oder Hochgerichtsherren. Verbunden wurden diese Akteure auch durch wirtschaftliche Interessen: Die finanzielle Schwäche der meisten Hochgerichte gewährte den Luxemburger Monopolen einen großen Spielraum, konnten doch auf diese Weise förmliche Kriminalprozesse geführt werden, ohne dass die Obrigkeit für die Kosten aufwendiger Voruntersuchungen aufkommen musste. Tatsächlich hatten Hochgerichtsherren und lokale Beamte nur Vorteile davon, die Ausschüsse als regelrechte private Klagekonsortien anzuerkennen und ihnen damit die Sammlung von Indizien, die Vorlage von Klageschriften, ja selbst Verhaftung und Bewachung zu überlassen. Diese lästige und kostenintensive Arbeit wurde auf diese Weise den obrigkeitlichen Funktionsträgern und Bütteln abgenommen. Dafür erhielten die Ausschüsse vielfältige offizielle Unterstützung in Form von Empfehlungsschreiben für Nachforschungen an auswärtigen Prozessorten, bei Entscheidungen über die Berechtigung von Anklagen und insbesondere beim Eintreiben der Prozesskosten. Die Landesherren beziehungsweise ihre Kanzleien akzeptierten diese Zusammenarbeit, solange sie aus den Berichten der Amtmänner den Eindruck gewannen, dass die allgemeinen rechtlichen Anforderungen erfüllt würden. Was sie übersahen oder vielleicht gern ignorierten war, dass infolge der Interessenkoalition der verfolgungswilligen Lokalbeamten mit den gemeindlichen Ausschüssen das Verfahren selbst wie auch die an die Oberhöfe zur Begutachtung übersandten Prozessprotokolle zu Ungunsten der Angeklagten angelegt waren. So konnten die Ausschussmitglieder beim Verhör der Zeugen anwesend sein und sogar die Angeklagten bewachen; damit erhielten sie großen Einfluss auf die Gestaltung der Beweislast. Insgesamt stellten sich eine beträchtliche Autonomie des lokalen Verfolgungsmilieus und ein erheblicher Kontrollverlust der Landesregierungen zugunsten lokaler Beamte und dörflicher Hexenjäger ein. Wesentlichen Rückhalt fand diese Kooperation in der Mitarbeit von Rechtsgelehrten und Notaren. Zwar sollten erstere – so die Erwartung der Landesregierungen – die Verfahren als unparteiliche Gutachter begleiten und letztere sie als unparteiliche Protokollanten dokumentieren. Tatsächlich
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Kooperation mit Fachleuten
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Machtzuwachs der dörflichen Verfolger
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aber agierten diese Fachleute im Grunde immer zum Nachteil der Angeklagten. Dies war schon im Verfahrensweg begründet: Da den Ausschüssen das Sammeln von belastendem Material und das Vorbringen der Klage überlassen blieb, mussten sie sich im Vorfeld einer förmlichen Prozesseröffnung an Notare und Juristen wenden, um von den einen die erforderlichen rechtsrelevanten Schriftsätze anfertigen zu lassen und sich mit den anderen über die Erfolgschancen ihrer Anklagen zu beraten. Die Anwerbung dieser Fachleute lag bisweilen völlig in den Händen der Ausschussmitglieder. Noch stärker als die Juristen waren die Notare auf Seiten der Ausschüsse involviert, weil sie ihnen nicht nur die Klageschriften schrieben, sondern in der Folge auch zum Protokollieren der Zeugenverhöre hinzugezogen werden konnten. Außerdem verfügten sie in ihren Kanzleien über Verhör- und Geständnisprotokolle anderer Prozesse und damit über die fast wichtigste Information: Die Namen derer, die als vermeintliche Komplizen unter der Folter genannt worden waren. Die Notare der Region und die an Prozessorten tätigen Amtmänner wurden zu gern besuchten Anlaufstellen für alle interessierten Ausschüsse, die dazu, unterstützt mit amtlichen Empfehlungsschreiben und Passierscheinen, eine ausgedehnte Reisetätigkeit entfalteten. Beide Seiten waren dabei an einer ‚guten‘ Beziehung interessiert; denn solange die Prozesse für die Ausschüsse ‚erfolgreich‘ liefen, solange waren auch die Auftragsbücher der juristischen Fachleute gut gefüllt. Allerdings konnten diese Fachleute auch ohne die Mithilfe von Ausschüssen großes Interesse an der Hexenjagd entfalten (vgl. Kap. VII.3.g). Innerhalb der kleinstädtischen und dörflichen Gesellschaft konnte die Hexenjagd einem Ausschuss zu außerordentlicher Machtentfaltung jenseits der traditionellen Einflussmöglichkeiten verhelfen. Schon seine Einsetzung war, wenn die Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit beruhte, ein Akt der Machtinszenierung. In der tumultuarischen Atmosphäre einer zum Kampf gegen die Hexen eingeschworenen Gemeindeversammlung wurde nicht das Für und Wider diskutiert, sondern eine Stimmung gemacht, die jeden, der gegen das nun beschlossene Verbündnis war, in gefährlicher Weise ausgrenzte. Opposition empfahl sich nicht, denn sie konnte den Verdacht hervorrufen, ein Gegner des gottgefälligen Werkes und damit ein Sympathisant der Hexensekte zu sein. Widerstand gegen das Treiben der Ausschüsse entwickelte sich jedoch nicht selten wegen deren ständigen Geldforderungen an die Gemeinde; immerhin verbrachten die Hexenjäger viel Zeit in Wirtshäusern, den Informationsbörsen jener Zeit, um Verdächtigungen, Gerüchte und Besagungen auszutauschen, aber auch, um die Annehmlichkeiten eines großzügigen Spesenrahmens zu nutzen. Die Tätigkeit der Ausschüsse veränderte zwangsläufig die Lage in ihren lokalen Gemeinschaften. Zum einen vermehrten sie und ihre Familienmitglieder durch Preisgabe von Prozessinformationen den sozialen Zündstoff. Zum anderen waren ihre Mitglieder präsent, um von jeder Seite Zaubereiverdächtigungen gegen Nachbarn und Verwandte anzunehmen. Gerücht und Denunziationspraxis bedingten sich dabei gegenseitig. Einige Ausschüsse legten infolge solcher Rückmeldungen eine regelrechte Sammlung von Indizien an und führten Besagungslisten, über die sie sich in ihrem familiären und sozialen Umfeld ausließen, so dass auch von dieser Seite immer wieder Namen für neue Hexenprozesse gefunden werden konnten. Da-
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen?
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mit erhielten andere wiederum die Möglichkeit, alte Rechnungen mit der bezichtigten Person zu begleichen. Auf diese Weise transportierten Ausschüsse die zahlreichen latenten und akuten Alltagskonflikte auf die Ebene des Blutgerichts – mit meist tödlichem Ausgang für die Angeklagten, konnten doch nur wenige die Folter ungeständig ertragen und damit ihre Freilassung erreichen. Im Gefolge der Ausschüsse formierten sich darüber hinaus die bestehenden dörflichen Großparteien, um eine neue Runde beim Austragen alter Konflikte einzuläuten. Zwangsläufig standen in dieser Konstellation den Hexenjägern und ihren Anhängern diejenigen gegenüber, die auch in anderen, familiären, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungsgeflechten ihre Kontrahenten waren. Da sich Gruppenkonflikte in der Regel auch zwischen der dörflichen Oberschicht und der zweiten nachgeordneten, aber nach oben drängenden Riege abspielten, war entscheidend, wer von beiden das Mandat zur Hexenjagd erhalten konnte. Tatsächlich legen die Ergebnisse von Mikrostudien den Befund nahe, dass die dörfliche Elite immer dann zum bevorzugten Ziel einer Hexenjagd wurde, wenn es ihr nicht gelang, durch Entsendung eigener Leute Mitbestimmung in den Ausschüssen zu erlangen. Umgekehrt bot die Einsetzung eines Ausschusses für diejenigen, die sich von den gemeindlichen Führungspositionen bislang ausgeschlossen fühlten, eine einmalige Gelegenheit, die alte Dorfelite gleichsam auszumanövrieren. Für einzelne Mitglieder der sponheimischen Ausschüsse beispielsweise ist der Aufstieg zum Schöffenamt auf diesem Weg nachzuweisen. Dem entspricht, dass auf der anderen Seite die Gruppe der Schöffen- und Hofmännerfamilien die verhältnismäßig meisten Opfer zu verzeichnen hatten. Den Männern des Ausschusses von Rhens am Rhein wurde nachgesagt, sie hätten – offenbar im Hochgefühl ihres Triumphes über die alteingesessene Führungsschicht im Ort – verlauten lassen, sie wollten etliche reiche weiber gefencklich in hafftung nehmen. Solche Motive waren Gegenstand eines öffentlichen Diskurses. In der kurtrierischen Amtsstadt Cochem organisierten die Ausschussmitglieder unter dem Schirm der Hexenjagd einen regelrechten Aufstand der bäuerlich-handwerklichen Bevölkerung gegen die im Rat vertretenen Patrizier, deren Frauen – gleichsam stellvertretend – als Hexen angeklagt wurden. Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch, warum Hexereibeschuldigungen und -prozesse mehrheitlich auf Frauen zielten: Weil sie Opfer von Konflikten unter Familien und dörflichen Fraktionen sowie mit männlichen Konkurrenten wurden. Die Ausschüsse bildeten gleichwohl keine homogene Gemeinschaft, die ihre Mitglieder – und deren Frauen – immer und überall gegen die Folgen ihres Handelns geschützt hätte. So gerieten einige der Ausschuss- und Monopolmitglieder sowie Formalkläger, möglicherweise wegen ihrer Teilnahme am Verfolgungsgeschehen, später auch selbst in Hexenprozesse, die mit ihrer Hinrichtung endeten. Offenbar haben sich die sozialen Allianzen, die einen Ausschuss trugen, bisweilen zum Nachteil einzelner Mitglieder geändert. Schließlich konnte die Ausschusstätigkeit dann sehr belastend sein, wenn dieses Amt nicht freiwillig gesucht, sondern zur Pflicht gemacht wurde, wie es bisweilen im Saarland der Fall gewesen zu sein scheint. Immer nur ad hoc gebildet, blieben die Ausschüsse in ihren Aktivitäten zudem von wechselnden Interessenlagen bestimmt. Sie konnten als depu-
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Verbreitung dieses Verfolgungstyps
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tierte Vertreter einer oder mehrerer politischer Gemeinden oder eines ganzen Hochgerichts konstituiert werden, manchmal als Vertreter der Zünfte, manchmal als Abgesandte des ganzen Pfarrbezirkes, ja sie konnten auch von der Herrschaft etabliert werden. Offenbar hing ihr Autonomie-Spielraum auch mit der rechtlichen Tradition und kommunalen Organisation der sie tragenden Gemeinde zusammen, ein Faktor, der in der Forschung bislang vernachlässigt wurde. Formen der gemeindlichen Hexenjagd blieben jedoch nicht auf den Westen des Alten Reiches (unter Einschluss von Luxemburg und Lothringen) beschränkt. Schaut man sich die Verfolgungen im Norden an, so sind auch hier auffällige Parallelen festzustellen. Für Schleswig und Holstein lassen sich deutliche Nachweise für solche ‚Bürgerinitiativen‘, den Zusammenschluss ganzer Gemeinden zum Zweck der Hexenjagd und ihrer finanziellen Absicherung, finden (Schulte). Selbst in der Prignitz konnte eine Vielzahl gemeindlicher Zusammenschlüsse aufgedeckt werden, die sich miteinander vergaddert und verbunden, dass sie alle vor einen man stehen wollten, um Hexereianklagen vorantreiben zu können. Mit eben dieser Formulierung wurden auch die Ausschüsse in den westlichen Territorien definiert: Die ganze Gemeinde schloss sich wie ein Mann zusammen, um gegen die Hexen vorgehen zu können (Enders). Ein Unterschied erscheint jedoch evident: Die Gemeinden in den westlichen Territorien deputierten in der Regel zwei bis vier Männer, welche aktiv das Aufspüren von Hexen und die Sammlung inkriminierenden Materials betreiben sollten. Dabei bereisten die Ausschussmitglieder auch andere Hochgerichte, um belastendes Material gegen verdächtige Personen zu sammeln. Im Norden dagegen waren weite Reisen zur Ermittlung von Besagungen per se hinfällig, da Gerichte und Spruchbehörden diesen Indizien weniger verfahrensrelevante Bedeutung beimaßen. Vergleichbar mit den als Monopol bezeichneten Klagekonsortien im Herzogtum Luxemburg, verzichteten die Bürgerinitiativen im Norden Deutschlands dann auf eigene Inquisitionen, wenn die zuständigen Amtleute und Hochgerichtsherren ihrem Drängen nach Hexenjagd entsprachen. Immerhin konnten sich aber solche Bürgerinitiativen durchaus selbstbewusst und eigenmächtig an die Spruchbehörden wenden, Rechtsgutachten fordern und erhalten, Verdächtige gefangen nehmen und Folterungen durchführen lassen. Ebenfalls vergleichbar mit Luxemburg wählten Gemeinden auch gelegentlich einen privaten Hexenjäger, der nach finanzieller Absicherung als Kläger gegen vermeintliche Übeltäter vorging. In diesem Zusammenhang sei an den Fall des Berend Nobis erinnert, der auf Fehmarn zunächst als amtlicher Kommissar in Sachen Hexenjagd seine unheilvolle Tätigkeit entfaltete, um danach als Kläger für die Bauernschaft aufzutreten. Auch in Mecklenburg war es die Bevölkerung selbst, welche Hexereiverfahren durch entsprechende Anklagen und Denunziationen anstrengte, allerdings hatten diese Initiativen nicht den Charakter von ‚Volksbewegungen‘. Hinweise auf gemeindliche Zusammenschlüsse und Steuerleistungen zur finanziellen Absicherung von Hexenjagden lassen sich auch in Südwestdeutschland finden. Zwar sind gemeindliche Ausschüsse, speziell zur Hexenjagd gebildet, in anderen europäischen Ländern nicht nachweisbar, doch konnte auch dort die an die Obrigkeit gerichtete Forderung, endlich Hexenprozesse zu füh-
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen?
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ren, um die angeblichen Verursacher von Unwetter, Krankheiten und Missernten auszurotten, jenseits friedlicher Petitionen durchaus an Aufruhr grenzende Ausmaße annehmen. So drohten 1661 schottische Bauern dem Earl of Haddington, sein Land zu verlassen, wenn er die von ihnen als Hexen beschuldigten Frauen nicht vor Gericht stelle. Ähnlich verlangten 1669 im schwedischen Mora Eltern von ‚verhexten‘ Kindern das gerichtliche Vorgehen gegen vermeintliche Hexen. f) Die herrschaftlich-politische Nutzung der Handlungsoption „Hexenverfolgung“ Schon Gerhard Schormann hatte betont, dass ein Zusammenspiel von ‚oben‘ und ‚unten‘ nötig blieb, damit überhaupt Hexenjagden ausbrechen konnten. Konsensuale Vorstellungen vom Hexereidelikt waren dafür nicht zwingend nötig. Doch zeigt schon das Zusammenspiel von Ausschüssen und lokalen Beamten, teilweise gegen Verordnungen der zentralen Herrschaft, dass die Bezeichnungen ‚oben‘ und ‚unten‘ wenig präzise sind. Es ist also geboten, die einzelnen Ebenen der Obrigkeit zu unterscheiden. Denn während das landesfürstliche Interesse an Hexereiverfahren gering bleiben oder aber eine schwache Zentralgewalt keinen oder kaum Einfluss nehmen konnte, waren es die Vertreter der lokalen beziehungsweise regionalen Obrigkeit, deren Einstellung in direkter Konfrontation mit den Verfolgungswünschen aus der Bevölkerung oft genug über die Ausweitung der Hexenjagden entschied. Schließlich dürfen die politischen Interessen des Landadels nicht unterschätzt werden, aus dessen Reihen die meisten Amtleute stammten und die Herrschaften besaßen, deren Eigenständigkeit sie eifersüchtig gegenüber den Bestrebungen einer ausgreifenden Landesherrschaft zu verteidigen oder auszudehnen suchten. Auf der anderen Seite konnte, wie in den fränkischen Hochstiften, der Verfolgungseifer nahezu allein auf Seiten eines fanatischen Landesfürsten und seiner Klientel zu finden sein (top down-Modell). Auch wenn es sich bei den Herrschaftsgebieten der so genannten „Hexenbischöfe“ faktisch um eigenständige Territorien handelte, stand ihre herrschaftliche wie wirtschaftliche Infrastruktur doch auf schwachen Füssen. Mit Blick auf (angestrebte) politisch-herrschaftliche Autonomie nach innen und außen standen diese Hochstifte – bildlich gesprochen – ebenso ‚mit dem Rücken zur Wand‘ wie kleinadlige Reichsritterschaften, wie unter der ständigen Bedrohung von Mediatisierung stehende Partikularherrschaften oder wie bereits einem Territorialverband zumindest teilweise eingegliederte Unterherrschaften. Wenn in diesem Zusammenhang von ‚mediaten‘ Herrschaftsträgern gesprochen wird, dann sollten darunter alle Inhaber von Hochgerichtsrechten unterhalb der landesherrlichen Ebene verstanden werden: Adlige und geistliche Herrschaften, Stadtregimente, Guts- und Unterherrschaften. Wie ein Blick auf die herrschaftlich fragmentierten Regionen in der Schweiz, im Elsass, in Lothringen und Luxemburg wie auch im gesamten Südwesten und Nordosten des Alten Reiches zeigt, konzentrierten sich Hexenjagden auffällig häufig in solchen geistlichen und kleinadeligen Herrschaften. Besonders in so genannten noch immediaten beziehungsweise von Mediatisierung be-
Kompensation von Herrschaftsschwäche
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St. Maximin bei Trier
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drohten „kleinen Herrschaften“ blieb eine fatale Verquickung von demonstrativer, symbolisch gedachter Herrschafts- und Gerichtspraxis mit der Jagd nach vermeintlichen Hexen – neben anderen strukturellen Elementen – maßgeblich konstitutiv für die Verfolgungen (Voltmer). Als exemplarisch kann in diesem Zusammenhang die Hexenjagd im Territorium der Reichsabtei St. Maximin vor Trier gelten, wo zum Ende des 16. Jahrhunderts mit fast 400 Hinrichtungen nahezu 19 % der Bevölkerung als vermeintliche Hexen und Hexenmeister hingerichtet worden war – eine Hinrichtungsquote, wie sie selbst während der berüchtigten Hexenverfolgungen in den fränkischen Hochstiften im 17. Jahrhundert nicht erreicht werden sollte. Diese exzessiven Verfolgungen in dem sich noch nicht einmal zum Erzbistum, geschweige denn zum Kurfürstentum Trier rechnenden Territorium fanden nicht unter der landesfürstlichen Verantwortung des Trierer Kurfürsten Johann VII. von Schönenberg statt, sondern verdanken sich dem für eine Mikroherrschaft typischen, hermetisch abgeschlossenen Verfolgungsmilieu mit seinen spezifischen Strukturen. Ausschlaggebend für diese auch auf bürokratischer Ebene perfektionierte Hexenjagd waren die Zusammenarbeit von Untertanen, gemeindlichen Ausschüssen und lokalen Amtleuten sowie die Billigung des Abtes, der ein besonderes Interesse an der Führung von Hexenprozessen entfaltete; denn er befand sich in ständiger Auseinandersetzung mit Kurtrier um die Reichsunmittelbarkeit seiner Herrschaft. Schließlich ließ sich praktizierte Blut- und Hochgerichtsbarkeit als oberstes Herrenrecht und als Stützpfeiler eines Anspruchs auf Landeshoheit durch massenhaft geführte Hexenprozesse unangreifbar nachweisen. Dass bei den Maximiner Hexenjagden der obrigkeitliche Wille zur Verfolgung ausschlaggebend war, zeigt ein Blick auf die Ereignisse nach der Absetzung des verantwortlichen Abtes Reiner Biewer: Während der Verfolgungswille der Bevölkerung ungebrochen blieb und die lokalen Ausschüsse unvermindert Klageschriften einreichten, ließ die nun abwartende und dämpfende Haltung der lokalen Beamten nur noch wenige Hexereiverfahren bis zur Anklageerhebung kommen, worüber sich die Ausschüsse bitter beschwerten (Voltmer). Darüber hinaus boten sich entsprechend motivierten Herrschaftsträgern zahlreiche weitere Gelegenheiten, Hexenprozesse zum Zweck der herrschaftlichen Provokation, Demonstration und Legitimation zu nutzen, ja sogar bewusst zu inszenieren. So konnten Hexenverfolgungen im Kontext des Herrschaftswechsels, der es für den neuen Inhaber nötig machte, sein Gewaltmonopol zu demonstrieren, besondere Bedeutung gewinnen, dies vorzugsweise bei erzwungenen Herrschaftswechseln, wenn es galt, allzu treue Amtsträger der alten Obrigkeit zu diskreditieren, zu disziplinieren oder gar zu eliminieren. Nicht weniger konnten Hexenprozesse von einzelnen Herren einer Gemeinherrschaft benutzt werden, um sich gegenseitig Hochgerichtsrechte streitig zu machen. Auch hier spielte wieder die Schaffung von Präzedenzfällen eine entscheidende Rolle. Mitunter wurden dabei angebliche Hexereiverdächtige regelrecht gekidnappt und vor das eigene Gericht gestellt. Bei der Verfolgungsbereitschaft kleinadliger Gerichtsherren kommt noch ein weiteres Faktum hinzu: Gerade in kleinen Herrschaftsgebilden waren die persönlichen Kontakte zwischen Hochgerichtsherren, Amtleuten, Schöf-
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen? fen und Einwohnern eng und die Kommunikationswege kurz, ein fataler Umstand im Hinblick auf die Verbreitung von Hexereigerüchten und -denunziationen, auf die Verquickung von persönlichem mit herrschaftlichem und politischem Interesse. Dazu kam, dass mancher Hochgerichts- und Gutsherr sich selbst, seine Familie oder seinen Besitz durch vermeintliche Hexerei seiner Untertanen geschädigt glaubte. Darüber hinaus agierten die ungelehrten Schöffen in Mikroeinheiten oft als willfährige Marionetten an der Hand ihrer Gerichtsherren. Der oft gegen eine omnipräsente Landesherrschaft gerichtete, mit den Waffen der Justiz geführte Kampf kleinadliger Hochgerichtsherren wurde nicht nur über Hexenprozesse betrieben, sondern auch von einer nicht weniger demonstrativ ausgeübten Kriminalgerichtsbarkeit in anderen Deliktfeldern flankiert. In diesem Kontext erhielten der Galgenplatz und die dort ausgeführten Hinrichtungen eine besondere Bedeutung. Hier wurden wie an kaum einem anderen Ort Herrschaftsanspruch und Gewaltmonopol des Hochgerichtsherrn visualisiert. Zwischen konkurrierenden Herrschaftsträgern entfaltete sich nicht selten ein mit großem Aufwand exerziertes Ritual um die provozierende Errichtung beziehungsweise gewaltsame Niederlegung eines Galgens. Ebenso wirkungsvoll ließen sich mit spektakulären Hinrichtungen Ansprüche auf fremdes Territorium demonstrieren. Andere flankierende Methoden der Herrschaftspraxis im Kampf gegen die expandierende Landesherrschaft konnten zum Beispiel die Einrichtung separater Oberhöfe und die Verweigerung von Steuern sein (Voltmer). Insgesamt bietet das Phänomen der herrschaftspolitischen Nutzung von Hexereiprozessen und damit das Aufgreifen der Handlungsoption „Hexenverfolgungen“ keinen monokausalen Erklärungsansatz. Dagegen spricht allein, dass es Hunderte von kleinen und mittleren weltlichen sowie auch geistlichen Herrschaften gab, die nie eine Hexenjagd sahen (Behringer). Gleichwohl konnte, wie neuere Forschungen nahe legen, die herrschaftspolitische Nutzung und Instrumentalisierung zweifellos zu den konstitutiven Faktoren ausbrechender Hexenjagden gehören. So trifft man dieses Phänomen sowohl in der Saar-, Nahe-, Mosel- und Mittelrheinregion, in der Eifel, in den Unterherrschaften Kurkölns, Westfalens und Jülich-Bergs, im Fürstbistum Münster wie auch in einzelnen Gerichtsherrschaften in Schleswig und Holstein oder in den Gutsherrschaften Mecklenburgs an. Überdies lässt es sich bereits bei den frühen Verfolgungen des 15. Jahrhunderts und in anderen europäischen Regionen beobachten. Mit Blick auf die ersten Verfolgungen im Schweizer Simmental hatte bereits 1988 der Mittelalterhistoriker Arno Borst die Beachtung politischer Hintergründe angemahnt. Nach der Analyse der Luzerner Hexenprozesse um 1500 konnte Andreas Blauert feststellen, dass auch hier die Führung von Hexenprozessen eine konkrete Funktion beim politisch-administrativen Aufbau des von der Stadt abhängigen Territoriums erhielt. Die Beispiele können vermehrt werden: In einer Phase politischer Instabilität, die der hoheitlichen Konkurrenzsituation zwischen dem Herzogtum Mailand und dem Schweizer Kanton Uri entsprang, wurden 1457–1459 im Valle Leventina Hexenprozesse inszeniert. Alles deutet darauf hin, dass das Tal, welches seit dem 13. Jahrhundert weitgehende Autonomie genoss, in einer Phase großer politischer Unsicherheit versuchte, durch Hexenprozesse ein Machtvakuum mit eige-
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Schweiz
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Schlesien und Mecklenburg
Der Fall Kurpfalz
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nen Gerichtskompetenzen zu füllen. Von daher können die Hexenprozesse der Leventina als Beispiel für einen frühen Versuch gelten, nicht nur lokale Gerichtshoheiten, sondern sogar politische Selbstverwaltung mit Hilfe von Hexenprozessen zu bewahren beziehungsweise zu legitimieren. Erst als Mitglieder der Oberschicht durch exzessive Denunziationen ebenfalls in Verdacht gerieten und auf dem Scheiterhaufen starben, wurden die Prozesse abgebrochen (Schatzmann). Eindeutig wird die Verflechtung zwischen strittigen Herrschaftsansprüchen und dem Einsatz von Hexenprozessen im schweizerischen Gollion (Waadtland), wo man Anfang des 17. Jahrhunderts den Streit um Hochgerichtsrechte mithilfe von Kriminalprozessen (und dabei vorzugsweise Hexereiverfahren) ausgefochten hat. Hier wurden innerhalb von 16 Jahren insgesamt 25 Personen – und damit ein Viertel der Gesamtbevölkerung dieser Mikroherrschaft – hingerichtet (Taric Zumsteg). Überhaupt scheint es im herrschaftlich fragmentierten Waadtland beziehungsweise in der Diözese Lausanne generell zum instrumentellen Gebrauch des Hexereiverfahrens bei herrschaftlichen Konflikten gekommen zu sein (Modestin). Wie die Schweiz, so muss auch Schlesien als Raum großer territorialer Zersplitterung gelten. Konflikte um konkurrierende Herrschaftsrechte sowie Widerstand gegen landeshoheitliche Eingriffe waren die Folge. Eindeutig wurden auch hier Hexenprozesse als Instrumente der Herrschaftsstabilisierung im Kampf um Eigenständigkeit gegen die vereinheitlichenden Bemühungen der Zentralgewalt eingesetzt (Lambrecht). Im protestantischen Mecklenburg kam es ebenfalls zu einer starken Verflechtung von Jurisdiktionsstreitigkeiten und der Führung von Hexenprozessen. Vereinzelt ist sogar die regelrechte Inszenierungen von Verfahren festzustellen, um in Auseinandersetzung mit herrschaftlichen Konkurrenten Jurisdiktionsrechte anzufechten oder zu behaupten (Moeller). Nicht weniger anschaulich sind Beispiele aus der Kurpfalz, die nach 1561/1562 eine dezidiert verfolgungsablehnende Haltung einnahm (Schmidt). Trotz allem musste sich die Heidelberger Regierung immer wieder mit Verfolgungsbefürwortern auseinandersetzen. So wurden in Odernheim (1564) und in Kaiserslautern (1566), die noch das Recht der Blutgerichtsbarkeit für ihr jeweiliges Stadtgebiet besaßen, Hexenprozesse mit dem ausdrücklichen Verweis auf ihre Eigenständigkeit geführt. Diese Verfahren fielen nicht zufällig in eine Phase der Auseinandersetzung mit der Kurpfalz um die Blutgerichtsbarkeit. Die vor den kurpfälzischen Grenzen wütenden Hexenjagden blieben natürlich auch nicht ohne Auswirkungen, wie die schweren Hexenverfolgungen (1612–1615) in der benachbarten, zum Mainzischen Ritterstift St. Alban gehörenden Gemeinde Bodenheim zeigen. Im Verlauf dieser Hexenjagden führte die Hinrichtung kurpfälzischer Leibeigener rasch zum Konflikt zwischen St. Alban und Kurmainz auf der einen und der Kurpfalz auf der anderen Seite. Die Heftigkeit der Auseinandersetzung war dabei nur zum geringeren Teil von der prinzipiellen kurpfälzischen Skepsis gegenüber dem Hexereidelikt bestimmt, sondern weit mehr von territorialpolitischen Momenten: Es ging um die Herrschaft im Ort. Rasch stand die Annahme im Raum, dass der Propst Anton Waldbott von Bassenheim, sein Amtmann und eine kleine Gruppe aus der Bodenheimer Gemeindeführung die Prozesse gezielt für ihre antipfälzische Politik instru-
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen? mentalisiert und regelrechte Ausrottungs- und Einschüchterungspläne gegen kurpfälzische Leibeigene verfolgt hätten. Diese Deutung kann hohe Plausibilität beanspruchen. Umgekehrt hat die Kurpfalz die Eingriffsmöglichkeiten, die ihr die Bekämpfung der Hexenverfolgungen bot, ebenfalls zur Ausweitung ihres politischen Einflusses genutzt. Deutlich in dieselbe Richtung weisen Untersuchungen zum Fürstbistum Münster, wo eine besondere Situation und die entsprechende Quellenlage die Hexenverfolgungen als Element einer dezidierten „Hexenpolitik“ des Adels erscheinen lassen (Gersmann). Während die münsterische Regierung in Gestalt der Räte bei der Durchführung von Hexenprozessen eine moderate Linie verfolgte und nur wenige Todesurteile verhängte, erwiesen sich die adeligen Inhaber der Blutgerichtsbarkeit in ihren Herrschaften als Verfechter einer brutalen Verfolgungspolitik. Sie wollten den Bestrebungen der Räte nach einer Vereinheitlichung und Modernisierung des Rechtswesens, die in Teilen zwangsläufig mit einer Entmachtung des Adels und einem Angriff auf jahrhundertealte Privilegien verbunden war, demonstrativ Widerstand leisten. So wurde der politische Konflikt zwischen Adel und Landesregierung auf dem Rücken der Untertanen ausgetragen. In welchem Maße politisches Kalkül sowie dezidierte Macht- und Herrschaftsinteressen des Adels als Motor der Hexenverfolgung fungierten, ließe sich an einem eigenartigen regionalen Spezifikum illustrieren, dem Rekurs auf die so genannte Wasserprobe. Selbst im (reichs-)städtischen Milieu scheint es zu einer verhängnisvollen Verknüpfung von politischem Kalkül, Herrschaftsanspruch und der Führung von Hexenprozessen als Mittel der Herrschaftsdemonstration, zur Lösung lokaler politischer Konflikte oder bei Jurisdiktionsstreitigkeiten gekommen zu sein, wie die Beispiele Osnabrück, Minden, Verden oder Lemgo zeigen. Auch in der Reichsstadt Reutlingen wurden Prozesse immer dann in Gang gesetzt, wenn eine ältere Ratsgeneration von einer jüngeren abgelöst wurde, welche bis dahin noch keine Erfahrungen mit den destabilisierenden Auswirkungen von Hexenjagden gemacht hatte. Offensichtlich konnte hartes Vorgehen gegen vermeintliche Hexen als Beweis für Führungsstärke handfeste politische Vorteile bringen (Fritz). Dass die Stadt Herford 1625–1652 in einer kurzen Phase der Reichsunmittelbarkeit besonders intensiv Hexenverfolgungen durchführen ließ, kann in diesem Kontext nun kaum mehr überraschen. Auch hier liegt die Vermutung nahe, dass die Hexenprozesse eine politische Funktion vor dem Hintergrund von Herfords Bemühungen besaßen (Fuchs). Angesichts dieser Befunde scheinen Herrschaftspraxis und Hexenverfolgungen auf vielen Bedeutungsebenen miteinander verknüpft zu sein. Landesherren, mediate Herrschaftsträger, Inhaber von Hochgericht und Blutbann konnten gleichermaßen Hexenverfolgungen unterdrücken, tolerieren oder aus anderen Gründen fördern und nutzen. Ziel der „Hexenpolitik“ scheint dabei jedoch stets die Herrschaftsverdichtung nach außen (Kompetenzausweitung und herrschaftliche Selbstbehauptung gegenüber politischen Konkurrenten und/oder dem Zugriff frühmoderner Staatlichkeit) wie auch nach innen gewesen zu sein, denn es musste als erste Pflicht der Obrigkeit – und allemal einer geistlichen Obrigkeit – gelten, das Laster der Zauberei zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Allgemeinheit streng zu be-
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Fürstbistum Münster
Städte
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kämpfen. Deshalb bedeutete die Führung von Hexenprozessen nach innen – gegenüber den Untertanen – die Erfüllung obrigkeitlicher Pflichten wie Friedenssicherung, Schutz und Schirm. Herrschaftslegitimation und -demonstration wurden jedoch nicht allein mit dem Vielzweckinstrument des Hexereiverfahrens bewirkt, sondern man bediente sich daneben auch anderer Herrenrechte (wie zum Beispiel Steuererhebung, -entrichtung und -verweigerung) sowie der übrigen Kriminaljustiz. Die mittlerweile als herrschaftlich-staatliches Machtinstrument entlarvte Verfolgung von Mordbrennern, Vaganten, Räuberbanden und devianter Sexualität kulminierte gewissermaßen in den Verfahren gegen vermeintliche Hexen und Hexenmeister; denn im Vorwurf der Hexerei verbanden sich unter anderem Landschädlichkeit, Habgier und Unzucht zu einem „Superverbrechen“. Gelegentlich verschmolzen solche gegen die Feinde göttlicher und gesellschaftlicher Ordnung gerichteten Verfahren auch miteinander, wie bei dem Münchener Pappenheimer-Prozess (1600) oder bei den Salzburger Zauberer-Jackl Verfolgungen (1675–1679). g) Zur Nutzung von Hexenverfolgungen durch Spezialisten – die Hexenjäger
Moralische Unternehmer?
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Als ein wichtiger, Ausbreitung und Anwendung des neuen gelehrten Hexenglaubens begünstigender Faktor muss der bisweilen fanatische Eifer von Einzelpersonen genannt werden. Schon für die Entstehung und ersten Anwendungen des dämonologischen Konzepts im westalpinen Raum sind bestimmte Personen als treibende Kräfte identifizierbar, wie etwa der weltliche Richter Claude Tholosan in der Dauphiné, der Baseler Schultheiß Peter zum Blech oder der Inquisitor Heinrich Institoris. Hexenprozesse konnten überdies nicht ohne eine große Anzahl von Spezialisten durchgeführt werden. Dazu gehörten neben Rechtsgelehrten und Richtern auch Schreiber und Notare, ferner Büttel und Henker sowie andere Spezialisten für die ‚Enttarnung‘ von Hexen (Hexenstecher, witch prickers). In den einzelnen lokalen Verfolgungsmilieus kam gerade den juristisch geschulten Notaren und Schreibern, in deren Hand eine Vielzahl von Aufgaben gebündelt war, eine Schlüsselrolle zu. In jenen Regionen, wo die Hexereiverfahren von lokalen Ausschüssen eingeleitet wurden, setzten sie in deren Auftrag die Klageschriften auf, begründeten Haft- und Folterbefehle, führten Zeugenverhöre durch, berieten lokale Schöffenkollegien, leiteten bisweilen auch die Verhöre der Angeklagten und mussten zudem das gesamte Verfahren protokollieren und beglaubigen. Als Hüter der Prozessakten waren sie stets die erste Stelle, an die sich private Kläger und Klagekonsortien wandten, wenn Extrakte aus Geständnissen und Besagungen benötigt wurden. Die Verdienstmöglichkeiten dieser Berufsgruppe waren enorm, ihr Einfluss auf den Gang des Verfahrens wohl am größten. Auch hier bieten die Akten der übergeordneten Instanzen tiefe Einblicke in die Machenschaften mancher dieser Männer, welche über Bestechlichkeit, Erpressung, Zeugenbeeinflussung und Falschaussagen bis zur Manipulation von Rechtsgutachten, Geständnissen und Bezichtigungen reichen. Ähnlich verhält es sich mit den beteiligten Juristen, den so genannten Kommissaren, wie sich am Beispiel des Dr. Johann Moeden ({ 1663) aus
Handlungsoptionen zur Gewinnung von Vorteilen?
VII.
Koblenz (mitverantwortlich für circa 200 Prozesse, 1627–1660) und seinem Kollegen, dem kurkölnischen Kommissar Franz Buirmann ({ 1667?) zeigen lässt. Heinrich von Schultheiß, einem gleichfalls in Kurköln tätigen Kommissar, wurde nicht explizit Bereicherung vorgeworfen, doch empfing er von jedem geführten Hexenprozess eine Art ‚Kopfgeld‘. Gewiss verhalf ihm die Profilierung während der Hexenjagden zu seiner Nobilitierung und damit auch zum Zugewinn an sozialem Kapital. Der Karriereverlauf des St. Maximiner Oberschultheißen und Amtmannes Claudius Musiel ({ 1609) zeigt nicht zuletzt, wie mit Hilfe der Führung von Hexenprozessen der soziale Aufstieg bewerkstelligt werden konnte. Daneben gab es Juristen, die gleichzeitig oder nacheinander in verschiedenen Herrschaften als Hexenprozessgutachter fungierten und auf diese Weise die Verfolgung vorantrieben. Ein gutes Beispiel für diese Art von Unternehmertum bietet der Jurist Dr. Ernst Vasoldt, der als Mitglied des Hofrates in Bamberg der Hexen-Kommission der Jahre 1626/1627 vorstand und die Verfolgungen vorantrieb. Bei Nachfrage um Amtshilfe wechselte er zwischen September und Dezember 1628 nach Mergentheim, wo er ebenfalls Hexereiverfahren mit erstaunlicher Perfektion durchführen ließ. Auch das (reichs-)städtische Milieu bot einigen Juristen und Stadträten die Möglichkeit, ihre (politische) Karriere durch die Demonstration eines entsprechenden Eifers bei der Hexenjagd zu befördern – und manchmal ganz nebenbei auch politische Konkurrenten loszuwerden. Als Förderer (und Nutznießer) von Hexenjagden im städtischen Kontext zu nennen sind unter anderen Wilhelm Peltzer in Osnabrück, Johann Philipp Laubenberger in Reutlingen, Leonhard Friz in Schwäbisch Gmünd, Wolfgang Graf und Johann Pferinger in Nördlingen sowie Daniel Hauff ({ 1665) in Esslingen. Grundsätzlich finden sich bei allen größeren europäischen Verfolgungskulminationen herausragende Förderer und Nutznießer. So sind die Hexereiverfahren in Avignon und in der benachbarten Grafschaft Venaissin (1581/82) mit dem Namen des Vizeinquisitors Sebastien Michaëlis ({ 1618) verbunden, der sich als Exorzist bei den Besessenheitsfällen von Aix-en-Provence 1609–1611 hervortun sollte. Die Hexenprozesse in der FrancheComté der Jahre 1598–1609 sind eng mit dem Namen des Richters Henri Boguet, die baskische Hexenpanik mit dem seines Kollegen Pierre de Lancre, die Verfolgungen im Herzogtum Lothringen mit dem Generalprokurator Nicolas Rémy verknüpft. Zwischen 1645 und 1647 wurden in Ostengland Verfahren durch den ambitionierten Hexenfinder Matthew Hopkins vorangetrieben, isländische Hexenprozesse nach 1650 fanden unter der Leitung von Sheriff Porleifur Kortsson statt. Die Hinrichtungsrate im Hochstift Bamberg wäre ohne den fatalen Einfluss des Weihbischofs und Dämonologen Friedrich Förner, der auch den Bau des speziellen Hexengefängnisses anregte, sicher weniger hoch ausgefallen. Verhängnisvolle Rollen spielten 1626 der Kommissar Berend Nobis in Schleswig, sein Kollege Heinrich von Schultheiß in den kurkölnischen Verfahren und der Hexenrichter Balthasar Nuss ({ 1618) in der Fürstabtei Fulda. Zum Persönlichkeitsprofil dieser auch als „moralische Unternehmer“ (H. S. Becker) zu bezeichnenden Männer schien zu gehören, sich als überzeugte Kämpfer gegen die auszurottende Hexensekte zu geben, mit deren Mitgliedern sich jedes Erbarmen verbot. Ungemein schwer ist es herauszufinden, ob sie tatsächlich aus „gutem Glauben“, geprägt von Hexenangst und
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
VII.
Henker und Hexenfinder
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Teufelsfurcht, getrieben vom Eifer, die Feinde Gottes zu bekämpfen, gehandelt oder ob sie schlicht die Gunst der Stunde genutzt haben – oder ob beide Motivationen untrennbar miteinander verknüpft blieben. Immerhin wurden einige angetrieben von ausgeprägtem Sendungsbewusstsein, Geltungssucht sowie dem Drang, ihre in Hexenprozessen gemachten Erfahrungen publizistisch zu verbreiten – und so im Nachhinein zu legitimieren. So veröffentlichte Nicolas Rémy 1595 seinen Bericht über die lothringischen Verfolgungen (Daemonolatria) und Henri Boguet 1602 seinen Discours des Sorciers. Ihnen folgte 1612 Pierre de Lancre mit Tableau de l’inconstance des mauvais anges et démons sowie 1613 Sebastien Michaëlis mit Histoire admirable de la Possession et conversion d’une pénitente séduite par un magicien la faisant sorcière et Princesse des Sorciers au pays de Provence. Friedrich Förner publizierte 1626 eine Sammlung mit Hexenpredigten für jeden Tag des Jahres, und Heinrich von Schultheiß bemühte 1634 die Buchdrucker mit seiner Anleitung, wie ein richtiger Hexenprozess zu führen sei. Die unzähligen Gerichtspersonen, Gutachter, Kommissare und Notare erlangten durch ihre Beschäftigung in Hexenprozessen oft eine bemerkenswerte soziale Machtstellung, die manchmal, wenngleich nicht immer, auch mit finanziellen Vorteilen verknüpft war. Bekanntlich spielte aber die Erlangung von sozialem Kapital eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie der wirtschaftliche Zugewinn. Für den schnellen Aufstieg in der Ämterhierarchie scheinen überdies kleinere Herrschaften bessere Ausgangsbedingungen als größere Territorialstaaten geboten zu haben, weil offenbar die Einstiegsqualifikationen niedriger angesetzt waren. Henker und ihre Büttel gehörten sicher auch zu jenen Spezialisten, ohne die eine effiziente Hexenverfolgung nicht in Gang gesetzt werden konnte. So ließ man zu Beginn der Ellwanger Verfolgung zunächst Scharfrichter aus dem Hochstift Augsburg anheuern, welche bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt hatten. Ihr Gewerbe war in Zeiten der Hochkonjunktur von Hexereiverfahren auch ein Reisegewerbe, was sie vielen interessierten Obrigkeiten anbieten konnten. Das Reisen zwischen verschiedenen Hochgerichtsorten erlaubte es ihnen auch, den meisten Gewinn über Spesenrechnungen für sich selbst, ihre Familien und ihren Tross zu erzielen. Auf diesem Wege wurde das Know-how weitergegeben, wie Hexen zu erkennen und zu enttarnen waren. So existierte zwischen 1590 und 1592 in der ehemaligen Klosterherrschaft Heilsbronn ein spezifisches Verfolgungsmilieu, an dessen Ausbildung der Scharfrichter Hans Erhard maßgeblich beteiligt war, der ein finanzielles Interesse an der Ausweitung der Hexenjagden besaß und der zuvor einschlägige Erfahrungen bei den Verfolgungen in Oettingen, Abensberg und Ellingen hatte sammeln können. Die Blutspur, welche der Biberacher Henker Johann Volmar und sein Schwiegersohn Christoph Hiert in den kleinen Territorien im deutschen Südwesten und in Teilen Bayerns hinterließen, ist unübersehbar. Hexenfinder gingen jedoch auch ein gewisses Risiko ein. Im Jahr 1590 wurde in Nürnberg ein Henker hingerichtet, der zuvor an den Verfolgungen in Eichstätt beteiligt gewesen war und der mit seiner vermeintlichen Fähigkeit, Hexen an ihren Augen erkennen zu können, versucht hatte, nun in der Reichsstadt eine für ihn rentable Hexenverfolgung zu lancieren. Anfang des 17. Jahrhunderts ließ das parlement de Paris den berüchtigten Henker und
Die konfessionelle Frage
VII.
Hexenfinder von Rocroi (an der Grenze zwischen Frankreich und den Niederlanden), welcher für den Tod von mindestens 200 Menschen verantwortlich zu machen ist, festsetzen und verurteilte ihn zu lebenslanger Galeerenhaft. Er hatte sich als Experte beim Auffinden des Hexenmals ausgegeben – und er muss wie die meisten seiner Kollegen als Betrüger eingestuft werden. In Schottland erwartete den „Hexenstecher“ eine hohe Gewinnspanne; aus dem 17. Jahrhundert sind allein zehn Namen bekannt, darunter zwei als Männer verkleidete Frauen. 1650 wurde hier ein solcher Hexenstecher unter Betrugsverdacht verhaftet und hingerichtet, nachdem er gestanden hatte, für den Tod von 220 vermeintlicher Hexen verantwortlich gewesen zu sein. Im Alten Reich scheint die Hinrichtung von zwei Hexenrichtern Anfang des 17. Jahrhunderts – wenn auch noch vor den Massenverfolgungen in den fränkischen Hochstiften – grundlegende Skepsis verbreitet zu haben. So wurde Georg Sattler, der im bayerischen Wemding unter Anleitung der verfolgungsfördernden Partei innerhalb des Münchener Hofrates Hexereiverfahren durchgeführt und dabei die landesherrlichen Vorgaben missachtet hatte, 1613 geköpft; ihm folgte 1618 der Fuldaer Zehntgraf Balthasar Nuss, den man wegen Bereicherung angeklagt hatte.
4. Die konfessionelle Frage – katholische und protestantische Sonderfälle? a) Die Hexenverfolgungen in geistlichen Territorien Betrachtet man eine Karte der europäischen Hexenverfolgungen, dann erscheint – bezogen auf die Relation zwischen Bevölkerungsdichte und Hinrichtungszahlen – das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit seinen peripheren beziehungsweise benachbarten Randgebieten eindeutig als Kernland der Hexenjagden. Dieses Faktum beobachteten schon Zeitgenossen. Daneben erscheint es auf den ersten Blick, als ob sich gerade in den Territorien der drei geistlichen Kurfürstentümer Trier, Mainz und Köln sowie in anderen geistlichen Fürstbistümern oder -propsteien (Münster, Ellwangen, Eichstätt, Bamberg, Würzburg) und Abteien (St. Maximin, Stavelot-Malmédy, St. Hubert-en-Ardennes, Fulda, Marchtal) die Hexenjagden massiert hätten. Dieses Tableau hat auch die kulturkämpferisch geprägte protestantische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts dazu verleitet, die Verantwortung für die Hexenverfolgungen allein der katholischen Seite anzulasten. Immerhin, in der Makrosicht können beispielsweise die drei geistlichen Kurfürsten sicher nicht von der politischen Verantwortung für die Verfolgungen entlastet werden. Im Gegensatz zu mancher, noch bis in den heutigen Forschungsdiskurs hineingetragenen Meinung, galt diese Verantwortung als oberster Landes- und Gerichtsherr jedoch lediglich für den Bereich der jeweiligen Kurstaaten (Erzstifte), nicht aber für die weiteren Verfolgungen in den Erzbistümern, denn diese konnten auch andere Territorien umfassen. So gehörten zur Diözese Trier auch große Teile Luxemburgs, Teile Lothrin-
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
VII. Kurmainz und Kurtrier
Kurköln
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gens und das Territorium der Reichsabtei St. Maximin, für deren Hexenjagden der Trierer Kurfürst schwerlich die Verantwortung trug. In der Mikrosicht entfaltet sich überdies ein, durch neuere Forschungen aufgedecktes, noch differenzierteres Bild. Zunächst bleibt festzuhalten, dass auch in den drei geistlichen Kurfürstentümern die Führung von Hexereiprozessen allein den weltlichen Gerichten oblag. In Kurtrier wurden die Hexenjagden dabei maßgeblich von den lokalen Ausschüssen als Repräsentanten der Bevölkerung und den lokalen kleinadeligen Amtsträgern vorangetrieben (vgl. Kap. VII.3.f). Ähnlich lagen die Verhältnisse in Kurmainz, wo zwar kaum Ausschüsse zur Hexenjagd gebildet worden waren, gleichwohl aber die Bevölkerung durch Petitionen nachdrücklich Verfolgungen verlangte und Herrschaftsträger sowie Beamte auf der lokalen Ebene die Jagd nach Hexen vorantrieben. Dagegen versuchten die Trierer wie die Mainzer Kurfürsten durch entsprechende Gesetzgebung, die Praxis der Hexereiverfahren in moderate Bahnen zu lenken. Doch während in den kurtrierischen Ämtern und Kondominaten die Allianz zwischen gemeindlichen Ausschüssen, lokalen Beamten und beauftragten Notaren einen Erfolg dieser landesherrlichen Verordnungen (1591, 1604, 1630) lange verhinderte, erzielte die 1612 vom Mainzer Kurfürsten Johann Schweickart von Kronberg ({ 1626) erlassene Gesetzgebung in Hexereisachen nicht nur nicht die beabsichtigte, sondern eine genau entgegengesetzte Wirkung: Das darin festgelegte Interrogatorium (113 Fragen), welches in Hexenprozessen anzuwenden war, erleichterte den verfolgungsinteressierten Gruppen vor Ort die Prozessführung. Jetzt brauchten die Angeklagten nur noch unter massiver Folter zum Geständnis der angeführten Punkte gebracht zu werden. Schnellverfahren ohne die Einholung von Rechtsgutachten bei einer juristischen Fakultät oder die Konsultation eines Rechtsgelehrten wurden die Regel. In Kurköln, in dem ihm angegliederten Herzogtum Westfalen sowie im Vest Recklinghausen verordnete der Kurfürst 1607 eine andere Vorgehensweise. Demnach hatten die lokalen Schöffengerichte in Fällen von Hexerei um die Hilfe eines gelehrten Juristen aus den Reihen des Hofrates zu ersuchen, der als Beigeordneter die rechtmäßige Durchführung der Verfahren vor Ort garantieren und Missbräuche verhindern sollte. Damit ersetzte das Instrument der Kommissarentsendung die in anderen Territorien geübte Praxis der Aktenversendung; faktisch gab der Hofrat die landesherrliche Kontrolle der Hexereiverfahren aus der Hand. Im Übrigen wurden die Kommissare nicht im Zuge einer landesfürstlich angeordneten Hexenverfolgung in die einzelnen Städte, Ämter und Unterherrschaften entsandt, sondern aufgrund von Petitionen, in denen die Bevölkerung die Durchführung von Hexenprozessen forderte. Auch bremsten die Kommissare keineswegs das lokale Verfolgungsdrängen, vielmehr lösten sie oft grausame, exzessive Prozessserien vor Ort aus. Vergleichbare Vorgänge sind aus den Eifelgrafschaften Manderscheid-Blankenheim und Manderscheid-Gerolstein sowie aus den Nassauischen Grafschaften bekannt. Daneben kam es in Kurköln auch zur Bildung von gemeindlichen Ausschüssen, die mit den jeweiligen Kommissaren wie auch den lokalen „Junkern“ zusammenarbeiteten. Damit sind die kurkölnischen Verfolgungen nicht das Ergebnis eines landesherrlich angeordneten Ausrottungsprogramms (so noch Schormann), sondern konzentrierten sich auf
Die konfessionelle Frage kleine Gerichts- und Herrschaftseinheiten, in denen Ausschüsse, lokale Beamte, Hexenkommissare und adlige Gerichtsherren gemeinsam die Verfolgungen vorantrieben (Becker). Keiner der Kurfürsten hat sich im Übrigen am Vermögen der Hingerichteten bereichert, entsprechende Verordnungen sollten im Gegenteil für Kostenmoderation sorgen, und zum Schutz der Hinterbliebenen wurden Totalkonfiskationen verboten (Trier 1591, Mainz 1612, Köln 1628). Unterhalb der landesherrlichen Ebene bildeten sich auch in den Ämtern und Unterherrschaften der drei geistlichen Kurfürstentümer abgeschlossene, verdichtete Verfolgungsräume, die sich gegen den Eingriff regulierender Staatlichkeit abschotteten. Ähnliche Entwicklungen sind auch im Fürstbistum Münster anzutreffen (vgl. oben). Generell blieb in den geistlichen Kurfürstentümern, besonders aufgrund der herrschaftlichen und gerichtsrechtlichen Zersplitterung die staatliche Durchdringung zu schwach, um zunächst wirkungsvoll gegen die Auswüchse vor Ort vorgehen zu können. Interessierten Gruppen und Einzelpersonen, angesiedelt auf der mittleren und unteren Herrschaftsebene, wurden so ausreichende Handlungsoptionen angeboten, Hexenverfolgungen nicht nur, aber doch auch jenseits vordergründiger Programmatik aus herrschaftspolitischem Interesse oder schlicht aus Profilierungs- und Bereicherungsgründen (besonders auf Seiten der Kommissare) durchzuführen. Blickt man hingegen auf die exzessiven Verfolgungen in den nachgeordneten geistlichen Fürstentümern wie Bamberg, Eichstätt und Würzburg, in der Fürstpropstei Ellwangen, in der Deutschordenskommende Mergentheim oder in der Fürstabtei Fulda, so treten hier eindeutig obrigkeitlich gesteuerte und organisierte Verfolgungen auf, selbst wenn – wie beispielsweise in Würzburg – eine durch schwere Agrarkrisen und Seuchen verängstigte sowie gleichzeitig für eine vermeintlich drohende Hexengefahr sensibilisierte Bevölkerung zunächst auf Verfolgungen drängte. Mit kompromissloser Härte und selbstgerechtem Eifer ging man dabei gegen vermeintliche Hexen und Hexenmeister vor, stets den Prinzipien des crimen exceptum folgend und unter Anwendung eines Ausnahmeverfahrens, in dessen Mittelpunkt unerhört grausame Folter stand. In Ellwangen, Eichstätt und Bamberg wurden spezielle Hexenkommissionen, unter anderem aus den Reihen der Hofräte, gebildet, entsprechend erfahrene Henker angeheuert und regelrechte Hexengefängnisse gebaut. Nur eine einzige Besagung konnte ausreichen, in die Fänge dieser Hexenjustiz zu geraten. Exzessive Folter, darunter auch das gefürchtete Bamberger „Hexenbad“ (ein Eintauchen in eine erhitzte Brühe ungelöschten Kalks), erbrachten – sofern die malträtierten Menschen die Tortur überstanden – die erforderlichen Geständnisse. Innerhalb kürzester Zeit konnten so mehrere hundert Menschen verurteilt und verbrannt werden. Selbst die Ausweitung der Hexenjagd auf Angehörige der politischen wie ökonomischen Elite oder auf Mitglieder des Klerus brachte kein Umdenken oder löste bei den die Verfolgungen antreibenden Männern keine Zweifel an der Richtigkeit ihres Tun aus. In Bamberg musste der Reichshofrat ein Ende der Verfolgungen erzwingen, in Eichstätt kamen sie erst nach dem Einzug der Schweden zum Erliegen, in Würzburg führten möglicherweise gegen den Fürstbischof und seinen Kanzler gerichtete Hexereibezichtigungen, sicher aber das Eingreifen des Reichskammergerichts das Ende herbei.
VII.
Lokale Abschottung
Fränkische Hochstifte
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Die Hexenverfolgungen – Deutungsversuche
VII. Hexenbischöfe
Religiöse Eiferer
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Auffällig ist, dass die fraglichen Bischöfe, Pröpste und Fürstäbte mehrheitlich der katholischen Liga angehörten und dass sie offensichtlich vom Eifer gegenreformatorischen Aktionismus durchdrungen waren. Balthasar von Dernbach ({ 1606), Fürstabt von Fulda, Johann Christoph von Westerstetten ({ 1637), erst Fürstpropst in Ellwangen, dann Fürstbischof von Eichstätt, Johann Gottfried von Aschhausen ({ 1622) – ab 1617 auch Würzburger Fürstbischof – und Johann Georg II. Fuchs von Dornheim ({ 1633), Fürstbischöfe von Bamberg, sowie Julius Echter von Mespelbrunn ({ 1617) und Philipp Adolf von Ehrenberg ({ 1631), Fürstbischöfe von Würzburg, betrieben in ihren jeweiligen Territorien eine aggressive Rekatholisierungspolitik, getreu den tridentinischen Lehren und in Abgrenzung gegenüber den protestantischen Nachbarn. Ihr Ziel scheint es jeweils gewesen zu sein, zum Wohl ihrer Untertanen und zur Rettung ihres (und ihres eigenen) Seelenheils einen Gottesstaat zu errichten, aus dem alle feindlichen, störenden, die Gebote Gottes missachtenden und das disziplinierende Regelwerk des neuen Katholizismus gefährdenden Verhaltensweisen und Glaubensverirrungen entfernt werden mussten. Im Klartext bedeutete dies den Kampf gegen jede Form der Häresie, ob Protestantismus oder Hexerei, ebenso wie gegen jede Form sittlicher und religiöser Devianz. Ganz nebenbei betrafen die Disziplinierungsbemühungen auch die oft mit den Fürstbischöfen in Konkurrenz lebenden Domkapitel wie die noch protestantisch gebliebenen Stände. Zu den Hauptpunkten des fürstbischöflichen Reformprogrammes zählten ebenso das Vorgehen gegen Ehebruch, Prostitution, Klerikerkonkubinat und den Missbrauch kirchlicher Festkultur wie andererseits die „Missionierung“ noch protestantischer Untertanen, die zum Glaubenswechsel oder zur Auswanderung gezwungen wurden. Den moralischen Kanon der zu verfolgenden religiösen wie sittlichen Missbräuche stellten übrigens die Jesuiten bereit, zu denen die genannten geistlichen Fürsten enge Kontakte unterhielten und von denen sie auch erzogen worden waren. Gleichwohl waren es auch Prediger aus den Reihen der Jesuiten, welche – wie beispielsweise Kaspar Hell ({ 1634) in Eichstätt – die Hexenjustiz der Fürstbischöfe mit klaren Worten tadelten. Gerade die Arbeit als Beichtväter brachte Jesuiten mit dem konkreten körperlichen und seelischen Elend der Angeklagten in enge Berührung und bestärkte manchen in der Annahme, dass hier unschuldige Menschen verurteilt wurden. Die Forschung hat sich viele Gedanken über das psychologische Profil der Fürstbischöfe gemacht, auf deren politischem Programm Hexenverfolgungen dieser Größenordnung neben anderen Aufgaben der „Staatsbildung“ gestanden haben. Gemeinhin werden sie als „autoritäre Persönlichkeiten“ bezeichnet, deren Gemüt von Glaubensfanatismus, Fundamentalismus, großer Härte, pathologischem Eifer, Pessimismus und der Furcht vor dem nahen Ende der Welt geprägt gewesen sein soll (Behringer). Dieser Interpretation kann sicher zugestimmt werden, obschon vergleichende Biographien dieser gern als „Hexenbischöfe“ titulierten Würdenträger noch ausstehen. Ihre konkrete, persönliche Verantwortlichkeit für die Hexenjagden in ihren Territorien steht jedoch zweifellos fest. So setzten schwere Verfolgungen in Ellwangen erst mit dem Erscheinen des Fürstpropst Westerstetten ein – zunächst endeten sie nach seinem Weggang auch wieder. Gleiches ist für Eichstätt festzustellen. Ähnliches gilt für die Hauptphase der
Die konfessionelle Frage
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Verfolgungen in Fulda (1603–1606) – mit dem Tod des Fürstabtes und der Absetzung seines Zehntrichters Nuss kamen auch hier die Verfolgungen abrupt zu einem Ende. Und doch wäre es zu kurz gefasst, insgesamt hinter diesen Verfolgungen, die während der Hauptphase zwischen 1603 und 1630 insgesamt mindestens 3000 Menschen das Leben kosteten, allein fanatische Hexenfurcht und fundamentalistische Glaubensstrenge zu vermuten. Dem Würzburger Fürstbischof Philipp Adolf von Ehrenberg ist immerhin schon unterstellt worden, er hätte mit den Verfolgungen gleichzeitig auch seine Macht als Territorialfürst sichern wollen; darüber hinaus erlaubte er sich mithilfe eines Statutes die Konfiskation der Vermögen Hingerichteter, was zur Sanierung der maroden Finanzen immerhin 79 000 Gulden erbrachte. Grundsätzlich ist gerade für die geistlichen Fürstentümer von einer, ihre weltliche Herrschaft ja erst legitimierenden Vermischung religiöser Reformambitionen und machtpolitischer Attitüde auszugehen. Rigoros ging man deshalb ebenso gezielt gegen Gegner der Hexenjagden wie gegen Gegner aus den Reihen der Domkapitel oder unter den Ständen vor. Die Situation in den fränkischen Hochstiften muss im Kontext der konfessionellen Spannungen im Vorfeld und während des 30jährigen Krieges und angesichts der durch Wetter- und Erntekatastrophen ausgelösten Krise im Vergleich zu weltlichen Fürstentümern als besonders prekär eingestuft werden. Ökonomische, politische wie religiöse Krisenszenarien bilden daher den Hintergrund ihrer massiven Hexenjagden. Gleichwohl bedurfte es immer besonders fanatisierter Persönlichkeiten an der Spitze, deren Initiative erst die Hexenjagden ermöglichten. Friedrich Spee war der Meinung, der religiöse Eifer sei einer der Hauptgründe für die grausamen Verfolgungen. Auch agierten die „Hexenbischöfe“ nicht allein, sie waren umgeben von (zum Teil eigens dafür bestallten) Beratern, Spezialisten und Helfershelfern, welche die Hexenjagden äußerst effizient zu organisieren vermochten – und die Handlungsoption „Hexenverfolgungen“ durchaus für eigene Zwecke zu nutzen wussten (vgl. oben). Viele kleine geistliche Territorien, die unter ähnlichen Struktur- und Krisenbedingungen existierten, haben niemals solche exzessiven Verfolgungen gesehen. Es wurde daher die Vermutung geäußert (Behringer), jene Fürstbischöfe und -äbte, welche sich nicht den asketisch-kämpferischen Idealen des nachtridentinischen Reformkatholizismus verschrieben, sondern es bei einer Lebensweise mit Mätressen, Tanz, Jagd und Hofleben belassen hatten, seien weitaus weniger vom Eifer der Hexenjagd angesteckt worden. b) Die Hexenverfolgungen in protestantischen Territorien Auch protestantische Territorien hatten ihre großen Prozessserien. So kam es 1567/1568 und 1571/1572 vor dem Hintergrund mehrerer Seuchenjahre im calvinistischen Genf zu einer Hexenpanik. Hier jagte man die Hexen besonders als Pestverbreiter. Verarbeitet wurden diese Verfolgungen von dem in Genf tätigen Prediger Lambert Daneau zunächst 1574 in einem französischsprachigen Traktat, schnell gefolgt von einer lateinischen Übersetzung, in deren Titel dann eindeutig Bezug genommen wurde auf die tödliche Giftmischerei der Hexen.
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Die Hexenjagden im lutherischen Sachsen-Coburg (Hauptphasen 1612–1619, 1628–1631/32) verdankten sich unter anderem einem massiven Verfolgungsdruck „von unten“ und dem Eifer des Centgrafen Caspar Lang, der durch die Errichtung eines an Bamberger Verhältnisse gemahnenden „Trutenhauses“ offenbar eine Institutionalisierung der Verfolgung anstrebte und der gemeinsam mit dem Scharfrichter wohl ein Vermögen an den Verfahren verdient hat. Unterstützung erfuhr Lang durch den Hofprediger Nikolaus Hugo. Auch andere protestantische Regionen wie das Waadtland (Schweiz) und Mecklenburg sahen schwere Verfolgungen mit Hinrichtungszahlen, welche weit in die Hunderte, ja in die Tausende gingen (vgl. Kap. VI). Wie in katholischen blieb auch in protestantischen Territorien die prinzipielle Einstellung, die persönliche Haltung des Landesherren gegenüber dem Hexenglauben entscheidend. So bremste der lutherische Landgraf Wilhelm IV. in Hessen-Kassel ({ 1592) mögliche Verfolgungsforderungen aus der Bevölkerung, während es in Hessen-Darmstadt unter der Regierung seines Bruders Georg I. ({ 1596) zwischen 1582 und 1590 zu einer größeren Hexenjagd kam. Der Landgraf trieb die Verfolgungen persönlich voran, sein Hofprediger nahm an den Verhören teil und brachte auch auf der Kanzel immer neue Zaubereifälle zur Sprache. Zwischen 1582 und 1590 wurden insgesamt 37 Personen, fast ausschließlich Frauen, wegen vermeintlicher Hexerei hingerichtet. Auslöser mögen eine Pestepidemie und die Angst vor Vergiftung gewesen sein. Anders als sein skeptischer Bruder zeigte Georg I. alle Eigenschaften eines fanatischen Hexenjägers, gezeichnet von unnachgiebigem Rigorismus, propagierter Selbstdisziplin und asketischer Sittenstrenge. Ähnlich agierte der protestantische Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow ({ 1695), der den Kampf gegen jede Form magischen Volksglaubens aufnahm. Ins Visier der Hexenjagd gerieten vermeintliche Hexen ebenso wie Wunderheiler, Schatzgräber, Wahrsager und Zukunftsdeuter. So ließ Gustav Adolf auch magisch verdächtige Bäume fällen und an den herzoglichen Hof schaffen, um ihre Vernichtung sicherzustellen. Alle Pastoren wurden zur regelmäßigen Abfassung von Berichten über Aberglauben und Magie in der Gemeinde verpflichtet. Eine landesherrliche Kommission, die in diesen Fragen geheim ermitteln sollte, bereiste in Abständen das Land. Doch trat hier ein bedeutsamer Effekt ein, der belegt, welche entscheidende Bedeutung der Bevölkerung zukam: Weder Pastoren noch Untertanen fanden sich bereit, alltägliche volksmagische Praktiken als Hexerei zu denunzieren; deshalb ließ die übersteigerte Nachforschung von Seiten der Obrigkeit die Popularität der Hexereibeschuldigung offenbar sehr rasch schwinden. Ein gutes Beispiel für die Vergleichbarkeit von katholischen und protestantischen Verfolgungsräumen bieten auch die Hexenjagden in den mehrheitlich zum Calvinismus übergetretenen nassauischen Grafschaften, wo zwischen 1573 bis 1713 insgesamt 411 Hexereiverfahren (264 Todesurteile) ermittelt werden konnten. Zunächst ging auch in Nassau-Dillenburg der Verfolgungswille von der Bevölkerung aus. In zahlreichen Supplikationen wandte man sich an die gräfliche Kanzlei und forderte, unter der Androhung von Steuerverweigerung, Hexereiverfahren. Graf Johann VI. von Nassau-Dillenburg ({ 1606) interpretierte diese Verfolgungsforderung durch seine Untertanen als Aufruhr und Angriff auf seine Souveränität. Deshalb
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unterzog er die lokalen Gerichte einer strengen Aufsicht und duldete keine gemeindlichen Aktionen gegen vermeintliche Hexen. Gleichwohl ließ er nach sorgfältiger Prüfung durch seine Kanzlei Hexereiverfahren, wenn auch nur wenige (20 Hinrichtungen), zu. Erst zwischen 1629 und 1632 kam es in Nassau-Dillenburg und den übrigen Nassauischen Grafschaften zu einer erheblichen Zunahme von Hexereiverfahren, da nun die Bildung von gemeindlichen Ausschüssen zugelassen wurde, sofern die Gemeinden bereit waren, für die horrenden Prozesskosten zu bürgen. Da sich die gräflichen Kanzleien durch die massenhafte Anfrage nach Rechtsgutachten in Hexereiverfahren überfordert sahen, setzten sie Kommissare ein, die vor Ort den Schöffengerichten Rechtsbeistand leisten sollten. Damit wurde die Kontrolle der lokalen Verfolgungen, wie sie noch unter Johann VI. von Nassau-Dillenburg üblich war, dezentralisiert. Ähnlich wie in Kurköln wirkte sich die Beeinflussung der Gerichte durch die Kommissare verhängnisvoll für die Angeklagten aus, indem die Zusammenarbeit mit den örtlichen Ausschüssen auch hier hermetisch abgeschlossene Verfolgungsmilieus schuf. Ausdrücklich befördert durch den Grafen, kam es 1676 in Nassau-Idstein noch einmal zu einem Ausbruch der Hexenjagden mit circa 45 Verfahren (32 Hinrichtungen). Erst das Ableben von Graf Johann beendete 1677 die Verfolgungswelle, danach wurde kein Todesurteil mehr vollstreckt. In den Grafschaften Nassau-Diez und -Beilstein stellte sich der tolerante Graf Wilhelm Friedrich, zugleich Statthalter von Friesland in den Niederlanden, 1644 gegen die Prozesse. Gleichwohl wurden noch bis 1645 Verfahren von lokalen Gerichten durchgeführt. Allmählich setzte sich jedoch eine moderatere Haltung durch, zumal calvinistische Theologen vermehrt forderten, Zaubereiverdächtige zu bekehren und nicht zu verbrennen. Generell scheint es, als ob in den fast zur Bedeutungslosigkeit abgesunkenen Nassauer Teilgrafschaften der Hexenprozess von den jeweiligen Grafen geduldet, ja sogar gefördert worden ist, um über die Durchsetzung des herrschaftliche Gerichtsmonopols auch die Herrschaft zu sichern. Vergleichbar mit den fränkischen Hochstiften kann die Situation in Salem gedeutet werden, einer Gemeinde in Neuengland, die – wenn auch jetzt unter puritanischen Vorzeichen – ebenfalls einen Gottesstaat, ein neues ‚JeruSALEM‘ errichten wollte. Wirtschaftliche, politische und religiöse Krisen schufen ein Mikroklima, in dem die Furcht vor Hexen und Teufel blühte. Mehr als 150 Menschen wurden im Jahr 1692 verdächtigt und inhaftiert. Unter skandalösen Umständen brachte man insgesamt 50 von ihnen zu einem Geständnis; hingerichtet wurden nur jene, welche sich weigerten, die ihnen zur Last gelegten Verbrechen zu gestehen (19), ein Mann starb unter der Folter. Erst ein Eingreifen von außen brachte die Hexenjagd zum Stillstand, spätere Untersuchungen erreichten immerhin die Rehabilitierung der Opfer. In seinem Drama The Crucible hat Arthur Miller ({ 2005) diese Hexenjagden 1953 als politische Parabel zur Kritik an der Kommunistenhatz in den USA während der McCarthy-Ära benutzt. Im Übrigen fand auch die bislang bekannte letzte Hinrichtung in Westeuropa wegen Hexerei (wenn auch nicht ausdrücklich so benannt) im reformierten Schweizer Kanton Glarus statt (1782). Das mit dem Todesurteil endende Verfahren in einem Kanton, der zuvor keine Hexenhinrichtungen gekannt hatte, war eindeutig die Folge einer perfide inszenierten, lokalen Intrige.
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VIII. Herrschaftliche Handlungsoptionen gegen Hexenverfolgungen 1. Fundamentale Opposition – der Fall Kurpfalz In der Kurpfalz wurde nach 1560 aufgrund konsequent angewandter herrschaftlicher Kontrolle kein einziger Hexenprozess mehr durchgeführt (Schmidt). Dieser in der Geschichte der Hexenverfolgungen einzigartige Fall verdankte sich kaum dem reformierten Bekenntnis, denn andere calvinistische Territorien und Herrschaften haben sehr wohl Verfolgungen zugelassen (so Schottland, Nassauer Grafschaften, Genf). Auch sah sich die kurpfälzische Regierung durchaus Verfolgungsforderungen aus den Reihen der Geistlichkeit wie auch aus der Bevölkerung gegenüber, wobei die jenseits der Grenzen stattfindenden Hexenjagden immer neue Verdächtigungen und Denunziationen in die Kurpfalz hineintrugen. Die entschieden skeptische Haltung des Kurfürsten und seines mit gelehrten Juristen, meist ausgebildet an der Universität Heidelberg, besetzten Hofrates bewirkte jedoch, in Verbindung mit dem entsprechenden politischen Willen, dass die Regierung die Zügel herrschaftlicher Aufsicht und letztinstanzlicher Entscheidung immer fest in der Hand behielt. So schrieb das kurpfälzische Prozessrecht die konsequente Anwendung des processus ordinarius vor. Da Besagungen und die Nachrede eines schlechten Leumundes nicht als belastende Indizien zugelassen waren, weder die Wasserprobe erlaubt war noch nach dem Teufelsmal gesucht werden durfte, lagen die Hürden zur Beibringung von Indizien zur Erlaubnis der Tortur unerreichbar hoch. Ganz im Gegensatz zu harten Verfolgern gingen die Juristen des Hofrates zunächst immer von einer grundsätzlichen Unschuldsvermutung aus, eine geradezu modern erscheinende Haltung, so wie sie Friedrich Spee eindringlich fordern sollte. Darüber hinaus speiste sich die strenge Kritik der kurpfälzischen Regierung am Hexenglauben aus der Überzeugung, dass die Allmacht Gottes dem Teufel und seinen Agenten kaum Raum ließe. Zauberei wurde als reine Illusion betrachtet, Teufelspakt und Apostasie hingegen – durchaus im Sinne der Kursächsischen Konstitutionen – als rein spirituelle Delikte gewertet. Anders als der württembergische Prediger Johannes Brenz zog man in der Kurpfalz daraus aber nicht die Konsequenz, solcherart von Gott abgefallene Menschen seien aufgrund ihrer bösen Gesinnung hinzurichten, sondern man folgte vielmehr einem Konzept, das auch die Spanische und die Römische Inquisition bei der Bestrafung von Ketzern anwandten: Man setzte auf die reuige Bekehrung der Abtrünnigen und ihre Rückgewinnung für die christliche Heilsgemeinschaft. Nur wenn dies nicht möglich erschien, war die Strafe der Verbannung vorgesehen. Wie sehr Hexenverfolgungen von der persönlichen Haltung des Landesherren abhängen konnten, zeigt der Fall Kurpfalz im Besonderen; denn für die Zeit, als der Kurfürst und die meisten Hofräte aufgrund der Besetzung mit katholischen Truppen zwischen 1622/23 und 1649 abwesend waren,
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Strategien der Unterdrückung
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lassen sich sowohl im von Spanien (linksrheinisch) wie auch im von Bayern (rechtsrheinisch) okkupierten Gebiet Hinweise für Verfolgungen finden. Bemerkenswert erscheint dabei, dass die ja durchaus verfolgungsskeptisch eingestellte bayerische Regierung in diesem peripheren Gebiet nicht bei ihrer Haltung blieb beziehungsweise vielleicht kein Interesse an ihrer Durchsetzung hatte. Da jedoch so gut wie alle Zeugnisse fehlen, lässt sich kaum etwas über das Ausmaß dieser Hexenverfolgungen sagen. Mit der Rückkehr des Kurfürsten 1649 kehrte auch die alte Ruhe in die Kurpfalz zurück, die religiöse Toleranz wurde darüber hinaus weiter gefördert.
2. Strategien der Unterdrückung Während mancherorts die Verfolgungen wüteten, entschieden sich auch städtische Regierungen wie beispielsweise die lutherischen Reichsstädte Rothenburg ob der Tauber, Ulm, Nürnberg oder Frankfurt am Main dafür, entweder überhaupt keine Hexenprozesse zuzulassen oder sie nur unter strenger Aufsicht zu führen. Maßgeblich für diese Entscheidung konnten mehrere Gründe sein. Zum einen wollten diese Obrigkeiten keinesfalls die ökonomischen und sozialen, möglicherweise sogar politischen Instabilitäten riskieren, welche intensiven Hexenjagden zwangsläufig auf dem Fuß folgten. Ruhe, Frieden und Ordnung galten hier als erstrebenswerte Ziele politischen Handelns. Andererseits konnten massenhafte Verfolgungen immer auch den Eingriff übergeordneter Instanzen wie des Reichskammergerichtes und des Reichshofrates bedeuten – eine Einmischung in die innere wie äußere Autonomie, welche gerade protestantische Herrschaftseinheiten tunlichst vermeiden wollten. Man wandte im Grunde einfache Strategien an, um Hexenverfolgungen zu unterbinden und bestenfalls einzelne Verfahren zu führen. So richtete man sich beispielsweise in Rothenburg ob der Tauber streng nach dem processus ordinarius; Hexerei wurde nicht als ein crimen exceptum angesehen, die Vorstellungen vom Hexensabbat galten als reine teuflische Illusion, die niemals zur Grundlage von Komplizennennungen gemacht werden konnten, und die Folter setzte man nur moderat und niemals zur Geständniserzwingung ein. Auch verhinderte man die Ausbreitung von Hexereibeschimpfungen durch entsprechend repressives Vorgehen gegen einschlägige Beleidigungen. Die Propagierung von Hexenfurcht und Teufelsangst wurde ebenfalls nicht geduldet (Rowlands). Im Jahr 1590 ließ der Nürnberger Rat deshalb einen angeblichen Hexenfinder hinrichten, der vorgab, Hexen allein durch einen Blick in ihre Augen enttarnen zu können. 1627 unterband die städtische Zensurbehörde auch den Druck einer so genannten „DrutenZeitung“, in welcher die Massenverfolgungen in Bamberg und Würzburg thematisiert wurden. Offensichtlich bewerteten die Nürnberger Stadtväter den brisanten Inhalt des Flugblattes als bedrohlich für den städtischen Frieden, was darauf verweist, dass auch hier herrschaftliche Strategien angewandt wurden, um Hexenangst und Verfolgungsrufe in der Bevölkerung zu unterdrücken.
Reichsstädte
Rothenburg ob der Tauber
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Herrschaftliche Handlungsoptionen gegen Hexenverfolgungen
VIII. Vorsichtiger Umgang in Bayern
Oft erst nachdem sie eine schwere Hexenjagd erlebt hatten, entschieden sich manche Städte und Territorien für einen vorsichtigeren Umgang mit diesem Delikt. Bestes Beispiel dafür ist das Herzogtum Bayern, wo nach einem ersten Verfolgungsschub zwischen 1589 und 1591, von dem allerdings nur einige wenige der insgesamt hundert Gerichtsbezirke erfasst worden waren, keine vergleichbare Hexenjagd mehr stattfand. Stattdessen tobte in der Bayerischen Regierung der Kampf zwischen einer verfolgungsfördernden und einer skeptischen Partei. Klar lassen sich typische Protagonisten dieser beiden Lager ausmachen. So waren die fanatischen Verfolgungsbefürworter allesamt Schüler der ersten Generation deutscher Jesuiten; Lehrer wie Schüler hatten oftmals bereits schwere Verfolgungen erlebt und mancher von ihnen stand in engem Kontakt zu den fanatischen „Hexenbischöfen“ und ihren Höfen. Auf der anderen Seite stand eine Reihe von Hofräten, welche ihre juristische Ausbildung in Italien und Frankreich genossen hatten; zwei waren zuvor am Reichskammergericht akkreditiert gewesen. Eher dem städtisch-patrizischen Milieu zuzurechnen, hatten sie auch zu Protestanten internationale Handels- und Wirtschaftskontakte (Behringer).
3. Einsicht und Ausstieg – die Haltung der kirchlichen Inquisitionsbehörden in den Mittelmeerländern
Spanische Inquisition
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Gelegentlich ist immer noch der populäre Irrtum anzutreffen, die frühneuzeitlichen Hexenjagden seien von kirchlichen Inquisitionstribunalen durchgeführt worden. Wenn auch einzelne Inquisitoren des 14. und 15. Jahrhunderts in Savoyen, in der Dauphiné, in der Schweiz und in Oberitalien – manchmal gemeinsam mit weltlichen Richtern – das noch neue Hexereidelikt oft unbarmherzig verfolgt hatten, so wandten sich die institutionalisierten Inquisitionsbehörden hingegen bald davon ab – zumal sie in Portugal und Spanien ihr Augenmerk und ihre Verfolgungsaktivitäten viel intensiver auf die Überwachung von Conversos und Morisken richteten. Die Portugiesische Inquisition fällte kaum einschlägige Todesurteile. Sensibilisiert durch Hexenverfolgungen in Navarra traf sich Anfang des 16. Jahrhunderts eine Delegation der Spanischen Inquisition in Granada, um über Hexensabbat und Hexenflug zu debattieren. Während eine dünne Mehrheit noch die Existenz des Sabbats einräumte, wurde der Hexenflug gleichzeitig für unmöglich gehalten. Bei der Debatte stützte man sich auch auf die Meinung spanischer Juristen, welche mehrheitlich die Existenz von Hexen schlichtweg negierten. Der Hohe Rat der Spanischen Inquisition (Supremà) erließ eine Direktive, nach welcher der Malleus maleficarum nicht als maßgebliche Richtschnur zu gelten hatte. Nachdem 1549 in Barcelona das weltliche Gericht und der zuständige Inquisitor Diego Sarmiento gemeinsam die Hinrichtung einiger Hexen veranlasst hatten, entsandte die Supremà einen Bevollmächtigten zur Überprüfung der Verfahren. Auf der Grundlage des von diesem erstellten Berichts wurden Sarmiento seines Amtes enthoben, alle noch in Haft befindlichen Verdächtigen freigelassen und die bereits durchgeführten Konfiskationen rückgängig gemacht, was einer
Haltung der kirchlichen Inquisitionsbehörden Kassierung der Urteile gleichkam. Auf Empfehlung des spanischen Inquisitors Don Alonso Salazar Frías beendete die Supremà außerdem Anfang des 17. Jahrhunderts die baskischen Hexenjagden, die im französischen Teil des Baskenlandes schon viele Opfer in weltlichen Hexereiverfahren gefordert hatten. Ausschlaggebend dafür war der Versuch Salazars, die Aussagen von Hexereiangeklagten anhand einer objektiven Tatsachenermittlung hinsichtlich der genannten Orte und Umstände zu überprüfen (Henningsen). Seit ihrer Gründung hatte die Spanische Inquisition zwischen 1478 und 1610 insgesamt 50 Todesurteile in Hexereiverfahren ausgesprochen, nach 1610 fanden unter ihrer Leitung faktisch keine Verfahren mehr statt, hingegen kämpfte sie (wie beispielsweise in Aragon) mit den weltlichen Gerichten um die Zuständigkeit in Hexereifällen. Zum Vergleich: Von weltlichen Gerichtshöfen wurden in Spanien allein zwischen 1610 und 1625 nahezu 200 Personen wegen Hexerei zum Tode verurteilt. Als beispielhaft für diese sehr differenzierte Haltung der Spanischen Inquisition, zu der auch spanische Jesuiten beigetragen haben, können Fälle aus Katalonien gelten. Ausgelöst durch Hagelstürme, Heuschreckenplagen und Dürre brach hier in den Jahren 1618/22 eine regelrechte Hexenpanik aus, in deren Folge Dutzende Frauen als angebliche Hexen gehängt wurden. Diese Hexereiverfahren sind – obwohl die Spanische Inquisition in diesen Fällen zuständig gewesen wäre – von weltlichen, lokalen Gerichten geführt worden. Manche Versuche, die Gefangenen zu retten, endeten ergebnislos: Während der von der Inquisition entsandte Kommissar zur einen Seite der Stadt hineinritt, entführten die Gerichtsbüttel auf der anderen Seite die inhaftierten Frauen aus dem Gefängnis, um sie auf freiem Feld zu erdrosseln. Angesichts dieser Zustände richtete 1619 der aus Katalonien stammende Rektor des Jesuitenkollegs in Barcelona, Pedro Gil, ein Memorandum an den Vizekönig mit der Bitte, die von weltlichen Gerichten verhängten Todesurteile gegen vermeintliche Hexen aufzuheben. Darin führte er aus, die meisten Verurteilten seien unschuldig und wenn doch eine Schuld vorliege, dann sei dies durch teuflische Verblendung geschehen, die kein Todesurteil verdiene. Es handele sich nur um verwirrte Frauen, die sich lediglich eingebildet hätten, den Teufel zu hören oder durch die Luft zu fliegen. Im Einflussbereich der Römischen Inquisition ging von der um 1600/ 1620 entstandenen päpstlichen Instructio wahrscheinlich mildernder Einfluss aus, wenngleich an keiner Stelle dieser erst 1657 gedruckten Schrift der Hexenglaube an sich kritisiert wurde und ihre Abfassung möglicherweise eine direkte Reaktion auf konkrete Missbräuche war. Nach dieser Anweisung zum Vorgehen in Zauberei- und Hexereiverfahren musste ein konkreter Schadensfall – Tod oder Krankheit – vorliegen, um ein Verfahren wegen Hexerei vor einem Tribunal der Römischen Inquisition einleiten zu können. Eine einfache Denunziation oder Besagung reichte nicht aus. Ein Arzt sollte feststellen, ob es keine natürlichen Ursachen für die Schädigung gab. Erst wenn er sowie ein zweiter medizinischer Gutachter keine Erklärung fanden, wurde der Prozess eröffnet. Die Inquisition setzte meist nur sehr gemäßigt die Folter ein, und die Verdächtigten erhielten einen Anwalt. Zwar glaubten die Mitglieder der Römischen Inquisition an die Realität magischer Verbrechen, aber insgesamt wurden nur sehr wenige Todesurteile
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Römische Inquisition
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Herrschaftliche Handlungsoptionen gegen Hexenverfolgungen
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verhängt. Vermeintliche Hexen sollten nicht verbrannt, sondern reumütig in den Schoß der Kirche zurückgeführt werden (Decker).
4. Frühmoderne Staatlichkeit contra lokale Verfolgungsmilieus Strukturelle Bedingungen
Lokale Kräfte und Interessen
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Ganz im Widerspruch zu populären Vorstellungen über die Rolle der Obrigkeiten bei den Hexenverfolgungen (vgl. Kap. II.1) muss eine ausgeprägte zentralisierte Staatlichkeit mit durchsetzungsfähigen Institutionen als wichtige, wenn nicht gar als die wichtigste Voraussetzung für die Kontrolle und Unterdrückung von Hexereianklagen angesehen werden. Im Gegensatz dazu kam es immer dann, wenn sich ein hermetisch geschlossenes Verfolgungsmilieu in einer Stadt, in einer kleinen Gerichtsherrschaft oder in einem Territorium mit gering entwickelter Staatlichkeit verdichtete, fast zwangsläufig zu Prozessketten oder gar Massenverfolgungen. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seine noch angegliederten beziehungsweise peripheren Nachbargebiete mussten deshalb zum Kernland der europäischen Hexenverfolgungen werden, weil ihre starke territoriale und gerichtsrechtliche Fragmentierung den ‚idealen‘ Nährboden für die Ausbildung solcher geschlossener lokaler Verfolgungsmilieus bot. Hexenjagden wurden in der Regel plausibel gemacht, ausgelöst und legitimiert durch spezifische Krisenerscheinungen und/oder durch die Vorbildwirkung von Verfolgungen in benachbarten Territorien; hinzu kam die Sensibilisierung von Obrigkeiten und Untertanen durch die Propagierung einschlägiger Feindbilder in Predigten, Traktaten, Flugschriften und -blättern. Dabei konnten politische und soziale Nutzungsstrategien interessierter Gruppen oder Einzelpersonen besonders dann fatale Folgen zeigen, wenn organisierte gemeindliche Verfolgungsinitiativen (Ausschüsse) sowie ein spezifisches Interesse der mediaten Gerichtsherren und lokalen Beamten zusammentrafen und – im demonstrierten Konsens von Obrigkeit und Untertanen – ein abgeschlossenes Verfolgungsmilieu erzeugten. Dessen Protagonisten musste es außerdem gelingen, sich gegenüber möglichen landesherrlichen Direktiven abzuschotten, welche die moderaten Vorgaben der Carolina und des processus ordinarius durchzusetzen versuchten. Eine nur schwach ausgeprägte oder dezentralisierte staatliche Jurisdiktion förderte zunächst das Aufkommen schwerer Hexenjagden wie etwa in Kurtrier, Kurmainz und Kurköln. Dort wo – wie etwa in den Manderscheider Grafschaften, in Kurköln und seinen mediaten Gerichtsherrschaften – Landesfürsten, Gerichtsherren, Kommissare und gelegentlich auch Ausschüsse gemeinsam die Hexenjagd intensiv beförderten, oder wo, wie in den fränkischen Hochstiften, das Verfolgungsbegehren ‚von unten‘ durch eine rigide von oben organisierte Hexenverfolgung überformt oder wo die örtliche Verfolgungstätigkeit von Justizkanzleien und Spruchbehörden unterstützt wurden, konnte es ebenfalls zu intensiven Hexenjagden kommen. Nicht selten lagen die Hexenjagd, ihre Propagierung und praktische Durchführung dann in den Händen ambitionierter, karriere- und profitorientierter fanatischer Hexenjäger, während auf der anderen Seite geistige Anleitung und Legiti-
Frühmoderne Staatlichkeit contra lokale Verfolgungsmilieus mation aus den Kreisen ebenso fanatischer „Schreibtischtäter“, Juristen wie Theologen, geboten wurde. Aus Einzelprozessen konnten sich jedoch nur dann massenhafte Verfolgungen entwickeln, wenn die Vorstellung von der realen Existenz des Hexensabbats bei den prozessführenden Institutionen Zustimmung gefunden hatte. Nur auf dieser Grundlage ließen sich – gestützt durch die Beurteilung des Hexereidelikts als crimen exceptum, die Anwendung des Ausnahmeverfahrens und den dadurch legitimierten exzessiven Einsatz der Folter – lange Listen von Besagungen erzielen, mit denen entsprechend viele weitere Hexereianklagen indizienrechtlich begründet werden konnten. Verfahren, in denen lediglich der Schadenzauber nach Maßgabe des processus ordinarius verfolgt wurde, tendierten nicht dazu, sich in massenhafte Hexenjagden auszuweiten, wenngleich auch sie eine auf die Bevölkerungsdichte der betroffenen Gerichtseinheit bezogene, bemerkenswerte Größenordnung erreichen konnten. Die Konfession der Gerichtsherren spielte für die Bereitschaft, Hexenprozesse zuzulassen beziehungsweise zu führen, nur eine untergeordnete Rolle. Die calvinistische Kurpfalz verhinderte grundsätzlich jede Verfolgungstätigkeit, die calvinistischen Generalstaaten oder viele lutherische Reichsstädte standen den Hexenjagden tendenziell eher ablehnend gegenüber. Andere protestantische Gebiete dagegen erlebten scharfe Verfolgungen (vgl. Kap. VII.4.b). Entscheidend für die Häufung von Hexereiverfahren scheint daher weniger die Konfession als vielmehr wieder die herrschaftliche und gerichtsrechtliche Zersplitterung eines Gebietes gewesen zu sein. Kleine und mittlere geistliche Territorien wie St. Maximin, St. Hubert-en-Ardennes oder Stavelot-Malmédy sowie die Deutschordenskommende Mergentheim erlebten deshalb ebenso heftige Hexenverfolgungen wie kleinere, die hohe Gerichtsbarkeit beanspruchende weltliche Adels-, Stadt- und Gutsherrschaften in der Schweiz, im Westen des Alten Reiches, in Luxemburg, Lothringen, in Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Schlesien oder in Polen. Hier sind auch die massiven Verfolgungen in den fränkischen Hochstiften einzuordnen, selbst wenn diese Hexenjagden vor dem ideologischen Hintergrund konfessioneller Verhärtung und gegenreformatorisch geprägtem politischem Aktionismus stattfanden. In Flächenstaaten, wo lokale Gerichte eingebunden blieben in einen von gelehrten Juristen kontrollierten Instanzenzug, fanden dagegen eher weniger Hexenjagden statt. Das gilt für das Königreich Frankreich ebenso wie für die Herzogtümer Bayern, Sachsen und Württemberg. Für das Ende der Hexenjagden gerade in den verdichteten Verfolgungsmilieus sind mindestens zwei Faktoren entscheidend: Veränderungen in der Einstellung der Bevölkerung sowie eine zunehmende Durchsetzungsfähigkeit der Zentralgewalten. Ersteres konnte schon dann eintreten, wenn Angeklagte durch Ungeständigkeit oder mit Hilfe ihrer Verteidiger die Freilassung erzwangen. Dies bedeutete in der Regel für die lokalen Verfolgungsträger einen erheblichen Macht- und Vertrauensverlust. Allerdings konnte eine solche „crisis of confidence“ auch eintreten, wenn die Eigendynamik der Besagungen die Verfolgungen in bis dahin verschonte, höhere soziale Ränge trug, wie es Midelfort für Südwestdeutschland beschrieben hat. Der zweite, entscheidendere Faktor liegt im Ausbau frühmoderner Staatlichkeit, konkret in der durchsetzungsfähigen Entscheidung einer Landesre-
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Bedeutung der Konfession
Ende der Verfolgungen
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Herrschaftliche Handlungsoptionen gegen Hexenverfolgungen
VIII.
Zentralisierung von Herrschaft
Durchsetzung zentralisierter Rechtsprechung
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gierung, die Autonomie lokaler Verfolgungsmilieus durch zentrale Interventionen zu unterbinden. Selbst wenn dieses gelegentlich nur ad hoc geschah, so fügte es sich doch ein in die allgemeine Entwicklung zur Zentralisierung der Kriminaljurisdiktion, der programmatischen Verrechtlichung, Rationalisierung und Bürokratisierung der gesamten Strafrechtspflege. Dabei ging es nicht immer darum, Hexereiverfahren generell abzuschaffen, sondern vielmehr sie landeshoheitlicher Kontrolle zu unterstellen und ihre Führung den landesherrlichen Vorgaben anzupassen. Im herrschaftlich stark fragmentierten Westen des Alten Reiches stieß die Durchsetzung dieser Bestrebungen auf erhebliche Widerstände. Zunächst konnten die staatlichen Versuche, Regel- und Kontrollkompetenzen auf Kosten der Kleinherrschaften auszuweiten, deren Inhaber geradezu provozieren, demonstrative Hexereiverfahren durchzuführen, wie es im Fürstbistum Münster der Fall war – eine Entwicklung, die gleichzusetzen ist mit jener in der spanisch-habsburgischen Provinz Luxemburg (Gersmann, Voltmer). Die zunehmende landesherrliche Kontrolle der lokalen Verfolgungsmilieus erschwerte erheblich die Führung von Hexereiverfahren; denn skandalöse Rechtsbrüche wurden nun geahndet. Faktisch lief dies auf ein Verbot der Prozesse hinaus, auch wenn ein solches nur selten wörtlich dekretiert worden ist. Schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts zeigen die Verordnungen sowie die Praxis der Oberhöfe, dass besonders die Landesregierungen im Westen des Reiches gezielt eine Politik der Deeskalation und Eindämmung betrieben, wobei es auch ihnen nicht hauptsächlich um den Schutz der Unschuldigen, sondern vorrangig um Herrschaftsausbau und -konsolidierung sowie Beseitigung unruhestiftender Faktoren ging. Für die angestrebte Vereinheitlichung der Kriminaljustiz wie zur Kontrolle der staatlichen Einbindung lokaler Einheiten wurde von manchen Landesherrschaften das Instrument der Bittschriften beziehungsweise Eingaben (Supplikation) gestärkt, da auf diesem Wege ein direkter Informationsaustausch zwischen lokalem Verfolgungsmilieu und obrigkeitlichen Überwachungsorganen möglich war. Im Herzogtum Luxemburg oder auch in Mecklenburg supplizierten Hunderte von Hexereiverdächtigten beziehungsweise deren Familien und Rechtsvertreter an die landesherrlichen Regierungen und forderten ihr Recht auf Verteidigung, Akteneinsicht und Kostenerleichterung ein. Über diesen Kommunikationskanal gelang es landesherrlichen Regierungen, Informationen über Missbräuche, Übergriffe und Nichtbeachtung von Kriminalordnungen, über Manipulationen und Exzesse durch Amtleute, Richter, Schöffen und lokale Schreiber zu erlangen. Mit der Bearbeitung und Überprüfung dieser Beschwerden ließ sich in der Folge stärkerer, regulierender Einfluss auf lokale Gerichte ausüben. In der Praxis hieß dies: allmähliches Zurückdrängen der Gewohnheitsrechte, Durchsetzung einer einheitlichen, auf dem römischen Recht fußenden Jurisdiktion, Zwang zum Instanzenzug und Kontrolle der lokalen Gerichte durch Oberhöfe und Appellationsinstanzen, und dies hieß nicht zuletzt auch die Ablösung der lokalen, ungelehrten Schöffenkollegien durch ausgebildete Juristen und Notare, die streng an die Vorgaben und Anweisungen der Landesregierung gebunden waren. Dort wo sich im Laufe der Frühen Neuzeit eine zentralistisch organisierte, durchsetzungsfähige Rechtsprechung mit festem Instanzenzug und der Pflicht zur Aktenversendung etablierte oder allmählich etablieren konnte
Frühmoderne Staatlichkeit contra lokale Verfolgungsmilieus
VIII.
und wo lokale Gerichtsherren die Blutgerichtsbarkeit nicht mehr oder nur mit staatlicher Genehmigung ausüben konnten, kam es entweder nie zu schweren Verfolgungen, wie beispielsweise in der Kurpfalz, oder sie gingen allmählich zurück. Auch im europäischen Kontext, zum Beispiel im Königreich Frankreich, sind vergleichbare Entwicklungen zu beobachten. So trug die Spruchpraxis des 1633 im eroberten Teil Lothringens eingerichteten obersten Gerichtshofes in Metz (parlement de Metz) maßgeblich zum Ende der lothringischen Verfolgungen bei. Mit der Kontrolle über die Hexereiverfahren und der langsamen Entmachtung der lokalen Gerichtsgewohnheiten verfolgte diese Instanz aber auch ganz dezidiert das Ziel, Lothringen in den französischen Staat einzugliedern. In einem ähnlichen Kontext steht die von Ludwig XIV. 1669/70 gewährte Begnadigung von zwölf verurteilten Hexen aus Rouen, weil der französische König unter anderem die Autonomie der lokalen Gerichtsbarkeiten beschneiden wollte. Zwölf Jahre später verbot er generell die Führung von Hexenprozessen. Insgesamt ist das Ende der Hexenverfolgungen erstens obrigkeitlichen Einschränkungen und Verboten, wie etwa in Kurtrier (hier schon um 1653), Frankreich (1682), Preußen (1714) und den habsburgischen Ländern (1755, 1766), zweitens dem Eingriff einer übergeordneten Instanz wie etwa des Reichskammergerichts in Kurköln und Würzburg oder des Reichshofrats in Bamberg und Vaduz, drittens Kriegsauswirkungen (wie in St. Maximin bei Trier, im Saarraum oder in Franken) und – weniger spektakulär und mit nur allmählichem Erfolg – viertens einer Intensivierung der staatlichen Kontrolle über die lokale Prozesspraxis (wie in Lothringen und Luxemburg) zu verdanken. Staatliche Kontrolle über die Hexenprozesse bedeutete letztendlich die Kontrolle über herrschaftslegitimierende Blutgerichtsbarkeit und damit über die Hochgerichte selbst. Massenhafte Hexenverfolgungen haben generelle Schwächen der Strafrechtspraxis aufgedeckt und die Regierungen zur Neuorganisation des Gerichtswesens geradezu gezwungen. Die zunehmende Bürokratisierung, Rationalisierung und Zentralisierung der Strafrechtspraxis ist damit auch direktes Ergebnis der Hexenverfolgungen und ein Schritt hin zum frühmodernen Staat. Das erklärt auch, warum es in einem straff zentralistisch organisierten Staat wie Frankreich nur zu Anfang und auch nur an den Peripherien zu größeren Hexenjagden kommen konnte, nach fester Etablierung des Appellationswesens jedoch die lokalen Verfolgungen merklich zurückgingen. Zugleich nahm damit allerdings unter der Bevölkerung die Neigung zur Lynchjustiz zu; denn nach deren Verständnis konnten die Gerichte nicht mehr ausreichend für einen Schutz vor den vermeintlichen Hexen sorgen.
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Schlussbemerkung Hexenjagden, zunächst begonnen zum Schutz der als existentiell bedroht empfundenen Gemeinschaften, hatten in ihrer paradoxen Konsequenz nichts anderes zur Folge als den Zusammenbruch jeder gesellschaftlichen und menschlichen Solidarität. Ganze Familien und Sippen wurden ausgerottet, ganze Landstriche wenn nicht vom Krieg, so von der Hexenverfolgung in Mitleidenschaft gezogen. Die Aburteilung möglichst vieler Hexen und Hexenmeister stellte eben nicht die (vermeintlich gestörte) gesellschaftliche Ordnung wieder her, sondern nährte ein Klima von Angst, Misstrauen und tiefster Verunsicherung. Auch zeigte der Kampf gegen die (angeblichen) Verursacher von Not und Elend, die Hexen, trotz härtestem Einsatz nicht nur keinen Erfolg, sondern verursachte vielmehr tiefergehende ökonomische Einbrüche. Überdies bestätigten massenhafte Hinrichtungen nur anfänglich die Plausibilität des Hexenglaubens. Im weiteren Fortgang riefen sie Kritiker auf den Plan, die an der Rechtmäßigkeit der Verfahren zu zweifeln begannen und Mord an Unschuldigen vermuteten. Insbesondere die Massenprozesse produzierten eine Vielzahl von Rechtsbrüchen und legten Manipulationen, Betrug und Skandale offen, die manchen zum Umdenken veranlassten und den Abbruch von Prozessserien bewirkten. Aufklärung und das Entstehen religiöser Toleranz förderten die um sich greifende Skepsis zusätzlich. Auch wenn bis ins 19. Jahrhundert hinein in einigen Ländern Hexerei als Straftatbestand galt, so führten doch die langsame Abkehr von der Folterpraxis, die Einbindung lokaler Gerichtseinheiten in eine zentralstaatlich organisierte Justiz und schließlich auch dezidierte landeshoheitliche Verbote von Hexenprozessen zu einem Rückgang beziehungsweise Ende der Verfahren. Doch trotz aller kritischen Stimmen von Vertretern der geistlichen und politisch-juristischen Eliten blieb der Hexenglaube in der breiten Bevölkerung virulent, selbst wenn auch hier Gegner der Verfolgungen zu finden waren. Im Alltag noch immer entstehende Verdächtigungen und Prozesswünsche trafen jedenfalls nicht mehr auf einen willfährigen Justizapparat. Langfristig trugen stabilere wirtschaftliche, politische und soziale Verhältnisse sowie bessere Bildung, medizinische Versorgung und staatliche Armenfürsorge dazu bei, nicht unbedingt dem Hexenglauben, aber der konkret gegen den ‚Nachbarn‘ oder den Kontrahenten gerichteten Furcht vor Verhexung und Schadenzauber sowie dem nachfolgenden Ruf nach Verfolgung den Nährboden zu entziehen. An bedrückender Aktualität hat das Phänomen jedoch angesichts der Hexenjagden auf dem afrikanischen Kontinent nichts verloren; auch dort wird sichtbar, dass ein kulturell tradierter Hexenglaube durch gesellschaftliche und politische Motive geschürt werden kann.
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Literatur Die Zusammenstellung erfasst bevorzugt nach 1980 erschienene Monographien und Sammelbände. Aus Platzgründen wurde auf die Nennung von Reihentiteln, die Einzelauflistung der ungemein hilfreichen Artikel aus der 2006 erschienenen Encyclopedia of Witchcraft, aus dem Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgungen sowie der in Sammelbänden vereinigten Aufsätze verzichtet. Die im Text genannten Autoren und ihre Werke, welche hier nicht aufgeführt werden konnten, lassen sich über die Bibliographien, Nachschlagewerke, Forschungsberichte und allgemeinen Darstellungen auffinden.
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Namenregister Erfasst wurden alle im Text genannten Personen und Autoren, nicht jedoch die in Klammer gesetzten, als Referenz gedachten Autorennamen.
Agobard von Lyon 19 Agrippa von Nettesheim 60 Alber, Matthäus 63 Alexander V., Papst 26, 59 Alfred der Große 35 Amadeus VIII. von Savoyen 29 August von Sachsen 44 Augustinus von Hippo 18, 21, 22 Balthasar von Dernbach 116 Bartolomeo della Spina 43 Behringer, Wolfgang 76, 85 Bekker, Balthasar 7, 60, 70 Bernhardin von Siena 92 Bidembach, Wilhelm 63 Biewer, Reiner 106 Binsfeld, Peter 43, 46, 47, 62, 63, 66–68, 90 Blauert, Andreas 88, 107 Blécourt, Willem de 94 Bodin, Jean 43, 50, 57, 62, 63, 93 Boguet, Henri 43, 111, 112 Bonifaz VIII., Papst 23 Borst, Arno 30, 107 Boye, Johann 60, 61, 72 Brenz, Johannes 63, 65, 120 Buirmann, Franz 111 Burchard von Worms 35 Burr, George Lincoln 7 Carl Caspar von der Leyen, Kurfürst 70 Carpzov, Benedict 54 Christina von Schweden, Königin 69 Constantius II., Kaiser 34 Daneau, Lambert 65, 117 De Waardt, Hans 94 Del Rio, Martin 43, 62, 63, 65, 67, 68, 93, 94 Delumeau, Jean 84 Diokletian, Kaiser 34 Dupont-Bouchat, Marie-Sylvie 84 Erhard, Hans 112 Eugen IV., Papst 29
Eymerich, Nicolas 25 Faust, Johann 93 Felix V., Papst 29 Ferrer, Vincent 28, 92 Fischart, Johann 93 Flade, Dietrich 93 Förner, Friedrich 43, 111, 112 Frangipani, Ottavio Mirto 63 Friedrich II., Kaiser 37 Friz, Leonhard 111 Fründ, Hans 26, 96 Geiler von Kaysersberg, Johannes 92 Georg I. von Hessen-Darmstadt 118 Gil, Pedro 123 Goedelmann, Johann Georg 64 Golser, Georg 31 Görres, Joseph 8 Graf, Wolfgang 111 Gratian von Bologna 19 Gregor IX., Papst 37, 38 Grillando, Paolo 43, 59 Grimm, Jacob 9, 14 Guazzo, Francesco Maria 93 Guichard von Troyes 23 Gustav Adolf von MecklenburgGüstrow 118 Haddington, Earl of 105 Hammurabi 34 Hansen, Joseph 85 Hartlieb, Johannes 94 Hauff, Daniel 111 Hausmännin, Walburga 53, 80 Hell, Kaspar 116 Hiert, Christoph 112 Himmler, Heinrich 11 Höfler, Otto 11 Hopkins, Matthew 51, 111 Hugo, Nikolaus 69, 118 Innozenz III., Papst 36 Innozenz IV., Papst 37 Innozenz VIII., Papst 31, 58
Institoris (Kramer), Heinrich 31, 32, 40, 41, 50, 58, 71, 94, 110 Jacquier, Nicolas 59 Jeanne d’Arc 96 Johann Christoph von Westerstetten 116 Johann Georg II. Fuchs von Dornheim 116 Johann Gottfried von Aschhausen 116 Johann Schweickart von Kronberg 114 Johann VI. von Nassau-Dillenburg 118, 119 Johann VII. von Schönenberg 77, 100, 106 Johannes XXII., Papst 24, 37 Julius Echter von Mespelbrunn 116 Karl der Große, Kaiser 35 Karl II., Kaiser 35 Karl V., Kaiser 41, 54, 56 Karlmann, Hausmeier 35 Kortsson, Porleifur 111 Kramer, Heinrich s. Institoris, Heinrich Kyteler, Alice 24 Labouvie, Eva 85 Lancre, Pierre de 43, 57, 62, 111, 112 Lang, Caspar 118 Laubenberger, Johann Philipp 111 Laven, H. 8, 14 Laymann, Paul 66, 67, 69 Le Franc, Martin 27, 59 Lea, Henry Charles 7 Lercheimer, Augustin s. Witekind Levack, Brian P. 76 Löher, Herrmann 99 Loos, Cornelius 63, 93, 99 Ludendorff, Erich 10 Ludendorff, Mathilde 10 Ludwig der Fromme, Kaiser 19
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Namenregister/Topographisches Register Ludwig XIV., König von Frankreich 74, 127 Luther, Martin 71 MacFarlane, Alan 85 Macherentius, Johannes 100 Meder, David 65 Merzbacher, Friedrich 8 Meyfart, Johann Matthäus 69 Michaëlis, Sebastien 111, 112 Michelet, Jules 9 Midelfort, H.C. Erik 85, 125 Miller, Arthur 119 Moeden, Johann 110 Molitor, Ulrich 59, 60, Monter, William 76, 85 Muchembled, Robert 84 Müller-Reimerdes s. Reimerdes Murray, Margaret Alice 9, 11, 14 Musiel, Claudius 111 Nicolas de Fanson 90, 91 Nider, Johannes 25–29, 32, 91, 92 Nigrinus, Georg 65 Nobis, Berend 104, 111 Nuss, Balthasar 111, 113, 117 Pappenheimer (Familie) 53, 94, 110 Pappenheimer, Paulus 53 Peltzer, Wilhelm 111 Peter von Bern 25, 26, 28 Peter zum Blech 94, 110 Pferinger, Johann 111 Philipp Adolf von Ehrenberg 116, 117 Philipp II., König von Spanien 47, 85
Philipp IV., König von Frankreich 23 Plantsch, Martin 92 Pohl, Herbert 85 Prätorius, Anton 64 Preußler, Otfried 1 Priszillian 96 Regino von Prüm 19, 59 Reimerdes, Frieda 10 Rémy, Nicolas 43, 46, 62, 68, 93, 111, 112 Richard de Ledrede 24 Rosenberg, Alfred 10 Rothar, König 35 Rowlings, Joanna K. 1 Rummel, Walter 85 Russell, Jeffrey B. 12 Salazar Frías, Don Alonso 93, 123 Sarmiento, Diego 122 Sattler, Georg 113 Savini, Nikolaus 60 Schormann, Gerhard 85, 105 Schultheiß, Heinrich von 43, 111, 112 Schwebel, Johannes 61 Scribonius, Wilhelm Adolf 63 Sigmund von Tirol 59 Soldan, Wilhelm Gottlieb 7 Spee von Langenfeld, Friedrich 67, 68, 77, 99, 117, 120 Stearne, John 51 Sterzinger, Don Ferdinand 70 Stump, Peter 53 Sulla, Lucius Cornelius 34 Summers, A. Montague 8
Tanner, Adam 66, 67, 69 Tengler, Ulrich 41, 58 Tholosan, Claude 27, 29, 58, 110 Thomas von Aquin 22 Thomas, Keith 85 Thomasius, Christian 7, 60, 68, 70 Trevor-Roper, Hugh 84 Ulrich de Torrenté 29 Valdes s. Waldes Vallick, Jakob 72 Vasoldt, Ernst 111 Vaux, Jean del 93, 94 Voigt, Gottfried Christian 74 Volmar, Johann 112 Voltaire 74 Waldbott von Bassenheim, Anton 108 Waldes, Peter 20 Weinsberg, Herrmann 17 Westenrieder, Lorenz von 71 Weyer, Johann 61–66, 72 Widmann von Kemnath, Matthias 93 Wilhelm IV. von Hessen-Kassel 118 Wilhelm V. von Bayern 65 Wilhelm von Bernkastel 32, 33, 59 Wilhelm Friedrich von NassauDiez-Beilstein 119 Witekind, Hermann 64, 66, 72, 73 Zehner, Johannes 63
Topographisches Register Abensberg 112 Afrika 6, 128 Aix-en-Provence 111 Alpenraum 25–31, 40, 82, 84, 87, 91, 92, 95 Altes Reich s. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation Aostatal 25 Aragon 123
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Ardennen 93, 94 Arras 94 Augsburg, Hochstift 93, 112 Avignon 24, 26, 92, 111 Balkan 47, 51, 81, 83 Bamberg, Hochstift 41, 45, 49, 56, 65, 77, 111, 115, 116, 118, 121, 127
Barcelona 122, 123 Basel 28, 29, 92, 94, 110 Baskenland 46, 52, 82, 92, 111, 122, 123 Bayern, Herzogtum 46, 53, 57, 65, 66, 70, 71, 74, 75, 83, 94, 112, 113, 121, 122, 125 Bedburg 53 Berg, Herzogtum 94, 107
Topographisches Register Berlin 11 Bern 25, 26, 28 Biberach 112 Bitburg 101 Blåkulla 43, 46, 78 Bodenheim 108 Böhmen 74, 82 Bonn 77 Bordeaux 57 Brabant, Freigrafschaft, Provinz 85 Bremen 21 Burgund, Herzogtum 27, 47 Bury St. Edmunds 47 Cahors 24 Carcassonne 37 Cochem 50, 103 Como, Diözese 82 Connecticut 47 Dänemark 44, 56, 78, 80, 83 Dauphiné 25–28, 58, 74, 110, 122 Deutschland s. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation Deutschland (19./20. Jh.) 4, 7, 9, 84 Dijon 57 Dillingen a. d. Donau 53, 65, 67, 80 Eberhardsklausen, Stift, Kloster 32 Eichstätt, Hochstift 112, 113, 115, 116 Eifel 74, 100, 107 Ellingen 112 Ellwangen, Fürstpropstei 113, 115, 116 Elsass 31, 42, 50, 74, 78, 96, 105 England 4, 35, 42, 44–48, 50, 51, 74, 78, 80–83, 96, 111 Erfurt 69 Essex 45, 51 Esslingen 111 Estland 79, 82 Fehmarn 104 Finnland 78, 79, 81, 82, 95 Flandern, Grafschaft, Provinz 84 Forbach 93 Franche-Comté, Freigrafschaft 74, 96, 111 Franken 8, 46, 49, 57, 65, 67–69, 74, 77, 78, 83, 90, 100, 105,
106, 113, 117, 119, 124, 125, 127 Frankfurt a. M. 121 Frankreich 4, 8, 9, 20, 23–26, 29, 42, 47, 56, 57, 62, 67, 74, 78, 79, 82–85, 96, 113, 122, 123, 125, 127 Freising 20, 35 Fribourg 25, 28 Friesland 119 Fulda, Fürstabtei 76, 77, 111, 113, 115–117 Geldern, Herzogtum 94 Genf 65, 117, 120 Genf, Diözese 25, 28, 29 Glarus 79, 119 Gollion 108 Göttingen 9 Granada 122 Heidelberg 64, 92–94, 108, 120 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 7, 13, 31, 35, 38–42, 44, 47, 51, 54–56, 62, 64, 70, 74, 78, 79, 81–83, 85, 87, 94, 99, 110, 113, 124, 125 Heilsbronn, Klosterherrschaft 112 Henneberg, Grafschaft 63, 75 Herford 109 Hessen-Darmstadt, Landgrafschaft 118 Hessen-Kassel, Landgrafschaft 118 Holland, Grafschaft, Provinz 85 Holstein s. Schleswig-Holstein Hunsrück 100 Ingolstadt 66, 92 Irland 24, 78 Island 79, 111 Italien 20, 24, 25, 29, 35, 74, 82, 122 Jülich, Herzogtum 94, 107 Jütland 78 Kaiserslautern 108 Katalonien 82, 123 Kempten, Fürstabtei 79 Kilkanny 24 Kleve 61, 72, 94 Koblenz 111
Köln, Kurfürstentum 49, 53, 56, 65, 68, 76, 77, 83, 94, 95, 100, 107, 111, 113–115, 119, 124, 127 Köln, Stadt 17, 63, 67, 76, 92 Kroatien 92 Kurpfalz 57, 64, 108, 109, 120, 121, 125, 127 Kursachsen s. Sachsen Lahn 100 Languedoc 47, 82 Lausanne, Diözese 25, 28, 29, 31, 108 Leiwen 8 Lemgo 43, 50, 96, 109 Lippe, Grafschaft 43 Lombardei 28 Longroño 52 Lothringen, Herzogtum 42, 46, 51, 57, 62, 74, 78, 82, 93, 96, 100, 101, 104, 105, 111, 112, 125, 127 Löwen 65 Luxemburg, Herzogtum, Provinz 42, 57, 74, 78, 82, 85, 94–96, 100, 101, 104, 105, 113, 125–127 Luzern 26, 96, 107 Lyon 67 Maas 94 Mailand, Herzogtum 107 Mainz, Kurfürstentum 77, 108, 113–115, 124 Manderscheider Grafschaft(en) 49, 114, 124 Marburg 63 Marchtal, Reichsabtei 113 Mecklenburg (Mecklenburg-Güstrow, Mecklenburg-Schwerin), Herzogtum 44, 77, 90, 91, 104, 107, 108, 118, 125, 126 Melfi 37 Mergentheim, Deutschordenskommende 76, 111, 115, 125 Metz 60, 127 Minden 109 Mitteldeutschland 82 Mitteleuropa 82 Mittelrhein 96, 107 Molsheim 50 Mora 105 Mosel 74, 82, 94, 100, 105, 107 München 8, 53, 94, 110, 113
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Topographisches Register Münster, Fürstbistum 107, 109, 113, 115, 126 Nahe 74, 107 Nassau-Diez, Grafschaft 119 Nassau-Dillenburg, Grafschaft 118, 119 Nassau-Idstein, Grafschaft 119 Nassauische Grafschaft(en) 49, 114, 118–120 Navarra 46, 74, 122 Neisse, Fürstentum 51 Neuchâtel 25 Niederlande 47, 63, 70, 78–80, 82–85, 94, 113,119 Niederrhein 62, 94 Norddeutschland 21, 47, 94–96, 104 Nördlingen 111 Nordostdeutschland 82, 99, 105 Normandie 74, 79 North Berwick 91 Norwegen 43, 48, 78 Nürnberg 112, 121 Odernheim 108 Oettingen 112 Osmanisches Reich 51, 81, 83 Osnabrück 70, 96, 109, 111 Österreich 10, 16, 74 Osteuropa 20, 47, 79, 82, 83 Paris 47, 56, 57, 83, 112 Pfalz s. Kurpfalz Pfalz-Zweibrücken, Herzogtum 61 Piemont 25, 28 Polen 74, 79, 125 Pommern 95 Portugal 74, 122 Preußen 127 Prignitz 104 Quedlinburg 74 Recklinghausen, Vest 114 Regensburg 67–69, 83 Reutlingen 109, 111 Rhein 69, 82, 94, 100
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Rheinbach 77 Rhens 103 Rocroi 113 Rom 31, 92 Rostock 64 Rothenburg ob der Tauber 121 Rouen 57, 127 Russland 51, 75, 81 Saarraum 100, 103, 107, 127 Sachsen, Herzogtum 44, 74, 75, 99, 125 Sachsen-Coburg, Herzogtum 69, 118 Salem (Massachusetts) 46, 47, 52, 119 Salzburg, Erzstift 46, 110 Sauerland 77 Savoyen, Herzogtum 25–29, 42, 122 Schelde 94 Schlesien 51, 82, 108, 125 Schleswig 60, 72 Schleswig-Holstein 104, 107, 111, 125 Schottland 44–47, 50, 51, 75, 78, 80, 82, 91, 96, 105, 113, 120 Schwäbisch Gmünd 111 Schweden 43, 44, 46, 48, 52, 69, 78, 80, 82, 95, 105, 115 Schweiz 25, 27, 29, 42, 74, 78, 79, 85, 96, 99, 105, 107, 108, 118, 119, 122, 125 Simmental s. Wallis Sion, Diözese 25, 28, 29 Sizilien 37 Skandinavien 42, 44, 47, 50, 51, 75, 78, 85, 95 Spanien 25, 49, 52, 69, 74, 79, 84, 93, 120–123, 126 Sponheim, Grafschaft 100, 103 St. Alban, Ritterstift 108 St. Hubert-en-Ardennes, Klosterherrschaft 90, 113, 125 St. Maximin, Reichsabtei 48, 50, 63, 76, 78, 100, 106, 111, 113, 114, 125, 127 Stavelot-Malmédy, Fürstabtei 93, 113, 125
Süddeutschland 82, 87 Südostdeutschland 74 Südwestdeutschland 74, 85, 94, 96, 104, 105, 112, 125 Tartu 95 Taunus 100 Thüringen 43, 75 Tirol, Grafschaft 31 Todi 92 Toulouse 37, 57 Trier, Erzbistum 100, 113 Trier, Kurfürstentum 65, 70, 77, 94, 95, 100, 103, 106, 113–115, 124, 127 Trier, Stadt 8, 46, 48, 50, 63, 66, 76, 77, 92–94, 96, 100, 101, 127 Trierer Land 32, 80 Tübingen 85, 92 Turku 78 Ulm 121 Ungarn 47, 74, 82 Uri 107 USA 46, 47, 52, 119 Vaduz 56, 127 Valle Leventina 107, 108 Venaissin, Grafschaft 92, 111 Verden 96, 109 Virginia 47 Waadtland 78, 79, 108, 118 Wallis 25, 26, 99, 107 Weihenstephan, Kloster 20 Wemding 113 Westdeutschland 47, 64, 82, 95, 96, 99, 100, 104, 125, 126 Westerwald 100 Westfalen, Herzogtum 107, 114 Wien 11 Worms 19, 35 Württemberg, Herzogtum 57, 63, 64, 74, 120, 125 Würzburg, Hochstift 45, 53, 56, 65, 77, 113, 115–117, 121, 127 Zagreb 92